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German Pages 362 Year 2016
Judith Bihr Muster der Ambivalenz
Image | Band 96
Judith Bihr, geb. 1984, ist wissenschaftliche Volontärin am ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe. Sie promovierte als Stipendiatin der a.r.t.e.s. Graduiertenschule im Fach Kunstgeschichte an der Universität zu Köln. Die Arbeit wurde 2015 mit dem DAVO-Dissertationspreis ausgezeichnet. Ihre Forschungsund Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Global Art History, Postkoloniale Studien und Transkulturelle Kunsttheorie mit einem besonderen Fokus auf den Mittleren Osten und die arabische Welt.
Judith Bihr
Muster der Ambivalenz Subversive Praktiken in der ägyptischen Kunst der Gegenwart
Die vorliegende Publikation wurde 2014 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Vorwort | 9 Bemerkungen zur Transkription | 11
Einführung | 13
1. Definitorische Orientierung: Öffnung des Ornamentbegriffs als kritische Form | 19 2. Rekurs und Kontext: Die Bedeutung des Ornaments als Modus der Ambivalenz und Reflexion mit Blick auf die ägyptische Kunstgeschichte (Teil I) | 34 3. Methodische Bemerkungen und Künstlerkorpus (Teil II) | 39 4. Verortung ornamentaler Kunstwerke der Gegenwart im transkulturellen Kontext (Teil III) | 44
TEIL I HISTORISCHER ABRISS: DISKURSKOMPLEXE MODERNER ÄGYPTISCHER KUNST IM POLITISCHEN, SOZIALEN UND KULTURELLEN K ONTEXT Kapitel 1 | Beginn einer modernen ägyptischen Kunst: Die Institutionalisierung künstlerischen Schaffens zu Beginn des 20. Jahrhunderts | 49
1.1 Die nahda-Bewegung als intellektueller Referenzrahmen für die Entwicklung der modernen Kunst in Ägypten | 49 1.2 Suche nach einem nationalen Kunstmodell: Die ägyptische Akademie und ihre Pioniergeneration | 62 1.3 Die ägyptische Modernebewegung im kunsthistorischen Diskurs | 73
Kapitel 2 | Zwischen Tradition und Moderne: Das spezifische Spannungsverhältnis der asala-muʿasira-Dichotomie | 81
2.1 Genealogien des Modernen in der ägyptischen Kunst im Vor- und Nachfeld der Revolution von 1952 | 81 2.2 Die asala-muʿasira Debatte im künstlerischen und intellektuellen Diskurs | 91
Kapitel 3 | Das Revival ornamentaler Kunstformen im Zuge der intellektuellen Diskussion um eine zweite nahda | 99
3.1 Ornamentale Formstrukturen und Formulierungen einer ‚modernen islamischen Kunst‘ | 99 3.2 Kritik und Reflexion nach 1967: Ornamentale Konzepte als Ausdruck eines Krisenbewusstseins | 105 3.3 Ambivalente Aneignung traditioneller Ornamentmuster bei Mohamed Taha Hussein | 115
Kapitel 4 | Globalisierende Kunstbestrebungen im ausgehenden 20. Jahrhundert | 123
4.1 Staatliche Kulturpolitik und die Souveränität der Kunst | 123 4.2 Die Debatte der Hybridisierung im Zuge einer jungen Kunstbewegung | 131
Kapitel 5 | Künstlerische (Selbst-)Reflexionen im Zuge der ägyptischen Revolution von 2011 | 143
5.1 Diskursive Effekte der kollektiven Aufstände: Die Kairoer Kunstlandschaft im Wandel | 143 5.2 Ornamentale Ambivalenz als künstlerischer Ausdruck der Revolution | 151
TEIL II AMBIVALENZ UND WIDERSTAND : ZEITGENÖSSISCHE KÜNSTLERPOSITIONEN AUS ÄGYPTEN Kapitel 6 | Ornament und Abstraktion: Reflexive Transformationen traditioneller Formen | 157
6.1 Susan Hefuna – Muster der Performanz in Konzeption und Rezeption | 157 6.2 Marwa Adel – Ornamentale Figuration der Opazität | 185
Kapitel 7 | Ornament und Repetition: Kritische Hinterfragung symbolischer Formationen | 213
7.1 Khaled Hafez – Über Identität und kulturelle Visualität | 213 7.2 Huda Lutfi – Das reflexive Potential künstlerischer Reihung und Iteration | 241
Kapitel 8 | Ornament und Schrift: Kalligrafische Strukturen in zeitgenössischem Gewand | 271
8.1 Sameh Ismail – Kalligrafische Malerei als sublime Liniatur | 271
TEIL III METHODISCHER ANSATZ ZUR ANALYSE TRANSKULTURELLER KUNST AM B EISPIEL ORNAMENTALER F ORMEN Kapitel 9 | Resümee: Gemeinsamkeiten und Differenzen der analysierten Künstlerstrategien | 303
9.1 Konstruktion und Dekonstruktion als strategische Momente ornamentaler Kunst | 303 9.2 Die ägyptische Kunst der Gegenwart im Theoriefeld zeitgenössischer Transkulturalitäts-, Hybriditäts- und Transdifferenzkonzepte | 316 Kapitel 10 | Ausblick: Erkenntnispotentiale der Analyse ornamentaler Strategien für eine Kunstgeschichte in globaler Perspektive | 325
Literatur | 337
Vorwort „Cairo is Egypt and Egypt is Cairo.“ DAVID SIMS, UNDERSTANDING CAIRO. THE LOGIC OF A CITY OUT OF CONTROL, 2010.
Mögen einer traditionellen Redewendung nach auch alle Wege nach Rom führen, in Kairo passieren sie zunächst allesamt den Tahir-Platz. Und so führte auch mein erster Weg im Spätsommer 2007 vom Kairoer Flughafen zu meiner Unterkunft in Downtown über den inzwischen berühmtesten Platz Ägyptens, der sich während der Revolution von 2011 zur symbolischen Ikone des Widerstands gegen Präsident Hosni Mubarak und zum idealisierten Zeichen für eine befreite Gesellschaft geformt hatte, inzwischen aber immer mehr zum Sinnbild für die anhaltenden politischen Spannungen und Polarisierungen Ägyptens geworden ist. Damals war er für mich ein ganz gewöhnlicher Kreisverkehr. Die ersten Inspirationen für dieses Buch erhielt ich während meines Auslandsaufenthalts als Wafedin-Stipendiatin an der Faculty of Fine Arts der Helwan University in Kairo im Wintersemester 2007/2008. Nach weiteren Studienaufenthalten konkretisierte sich mein Vorhaben, meine Forschungen zu zeitgenössischer ägyptischer Kunst nach Abschluss meines Masters weiterzuführen. Dies wäre ohne einen großartigen Kreis an Unterstützerinnen und Unterstützern nicht möglich gewesen, denen ich hiermit meinen Dank aussprechen möchte. Zu allererst möchte ich den Künstlerinnen und Künstlern, Susan Hefuna, Marwa Adel, Khaled Hafez, Huda Lutfi, Sameh Ismail, Nermine Hammam, Mohamed Taha Hussein und Hazem Taha Hussein, herzlich danken. Durch ihre wunderbare Zusammenarbeit erhielt ich die wesentlichen Informationen, auf denen meine Forschungen beruhen. In Kairo möchte ich darüber hinaus ganz besonders Ayah El-Arief danken, die mich während meiner Forschungsaufenthalte in jeglicher Hinsicht unterstützt hat.
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Dieses Buch ist aus meiner Dissertation hervorgegangen, die im Oktober 2014 an der Universität zu Köln im Fach Kunstgeschichte eingereicht wurde. Die Defensio fand am 14.01.2015 statt. Im September 2015 wurde die Arbeit mit dem jährlich vergebenen DAVO-Dissertationspreis ausgezeichnet. Hierfür möchte ich der Kommission und insbesondere Prof. Dr. Günter Meyer meine Dankbarkeit aussprechen. Die Promotion ermöglichte mir ein Stipendium der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne. Mein herzlicher Dank gilt meiner Betreuerin Prof. Dr. Ursula Frohne, die mir in allen Phasen der Promotion mit ihren wertvollen Anregungen, Motivation und Begeisterung für mein Thema stets die wichtigste Ansprechpartnerin war. Ebenso möchte ich Prof. Dr. Stefan Grohé, Prof. Dr. Ralph Jessen und Prof. Dr. Jakob Vogel für ihre wichtigen Impulse, insbesondere im Rahmen der a.r.t.e.s. Klasse 4, danken. Die a.r.t.e.s. Graduate School habe ich während meiner Promotionszeit immer als wichtige Stütze empfunden, nicht nur strukturell über die organisierte Betreuung, sondern auch ganz besonders menschlich über die wunderbaren Mit-Promovierenden und die vielen Freundschaften, die in dieser Zeit entstanden sind, sodass man nie das Gefühl hatte, die Promotionszeit alleine „im dunklen Kämmerlein“ zu durchleben. Ich möchte Dr. Artemis Klidis-Honecker, Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Speer und dem ganzen a.r.t.e.s. Team für Ihre Unterstützung meinen Dank aussprechen. Ganz besonders möchte ich mich bei meinen Mit-Promovierenden und a.r.t.e.s. Kolleginnen Stephanie Bölts, Cornelia Kratz, Valerie Lukassen, Jule Schaffer, Katharina Stövesand, Britta Tewordt und Sandra Vacca für die vielen Ideen, Korrekturrunden und gemeinsame Zeit bedanken. Ohne sie wäre die Zeit bei a.r.t.e.s. nur halb so schön gewesen. Zum Schluss möchte ich meiner Familie und meinen Freunden meinen tiefen Dank ausdrücken, ganz besonders Mohamed Salah Mansour für seinen wunderbaren Rückhalt. Meine Eltern Ingrid und Hans Bihr haben mich auf allen meinen Wegen immer bedingungslos unterstützt, wofür ich ihnen von Herzen danke. Ihnen ist dieses Buch gewidmet.
Bemerkungen zur Transkription
Die verwendete Umschrift von Eigennamen und feststehenden Begriffen entspricht weitgehend der anerkannten englischen sowie deutschen Schreibweise (z.B. Koran anstatt Qur'an). Zur Vereinfachung und besseren Lesbarkeit des Textes wurde dabei auf eine wissenschaftliche Transkription verzichtet (z.B. Zaki Nagib Mahmud anstatt Zakī Nağīb Maḥmūd). Darüber hinaus wurden die Bezeichnungen zumeist im ägyptischen Dialekt wiedergegeben (z.B. mu’asira anstatt mu’āṣara). Arabische Termini – außer Eigennamen – wurden kleingeschrieben und kursivgesetzt. Ebenso wurden Artikel, die im Arabischen an den Anfang des Bezugsworts angehängt werden, kleingeschrieben und mit Bindestrich vom Bezugswort abgesetzt. Des Weiteren wurde von der grammatikalischen Assimilation des Artikels aus Gründen der Vereinfachung abgesehen (z.B. al-Tahtawi anstatt aṭ-Ṭahṭāwī) sowie der stimmhafte Buchstabe ʿAin mit einem kleinen, nach rechts offenen Buchstaben (z.B. al-ʿilm) und das stimmlose Hamza mit einem nach links offenen Bogen (z.B. al-ruʾyya) markiert. Die Schreibweise von Namen ist im Wesentlichen Khalid Al-Maaly und Mona Naggar: Lexikon arabischer Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts (Heidelberg 2004) sowie Albert Hourani: Arabic Thought in the Liberal Age 17981939 (Cambridge 1983) entnommen. Darüber hinaus wurde bei den Namen zeitgenössischer Künstler die allgemein gebräuchliche Transkription verwendet.
Einführung
In den letzten Jahrzehnten rückte die zeitgenössische Kunst- und Kulturlandschaft des sogenannten Mittleren Ostens und der arabischen Welt immer mehr in den Fokus der wissenschaftlichen Forschung. Als zentrale Gründe für dieses zunehmende Interesse können allgemein der fortschreitende Globalisierungsprozess, das Aufbrechen des euroamerikanisch geprägten Kunstkanons und die damit einhergehende Blickausweitung hin zu den ‚Peripherien‘ des internationalen Kunstdiskurses sowie die jüngsten politischen Umschwünge der Region herangezogen werden. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt dabei insbesondere auf politischen und sozialen Themen sowie auf Fragen nach Identität, Authentizität und dem Verhältnis zu Tradition und Geschichte. Internationale Ausstellungen präsentieren die zeitgenössischen Kunstkonzepte aus dieser Region häufig unter geografischen oder ethnischen Gesichtspunkten, welche Gefahr laufen, die behandelten Themen des ‚Anderen‘ und der konstruierten Differenz weniger kritisch zu reflektieren und zu hinterfragen, als sie vielmehr zu verfestigen und weiter zu verbreiten.1 Die künstlerischen Konzepte werden Teil eines globalen Diskurses, einer „Weltgegenwartskunst“2, allerdings stets unter Rückbeziehung auf ihre kulturelle Spezifizität und somit auf oftmals dichotome Setzungen, wie sie in einem immer noch dominierenden ‚westlichen‘ Kanon aufrecht erhalten werden. Binäre Kategorien wie global versus lokal, modern versus traditionell oder Okzident versus Orient dienen dabei der Positionierung zeitgenössischer arabischer Kunstkonzepte innerhalb eines konstruierten Aushandlungsprozesses der Selbstund Fremdwahrnehmung. Zuschreibungen als ‚modern‘ oder ‚authentisch‘ sind jedoch keine objektiven Realphänomene, welche als Ausgangspunkt für die Be-
1 2
Vgl. Ramadan 2004. Der Begriff ist von Claus Volkenandt geprägt und problematisiert worden. Vgl. Volkenandt, in: Ders. (Hg.) 2004, S. 11-30.
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schreibung von Kunstwerken genommen werden könnten, sondern kontextuell situierte Konzeptstrategien unterschiedlicher Akteure, die sich in ihrer Zielführung ebenso unterscheiden können. In dieser Hinsicht geht der Versuch einer Formulierung kunstgeschichtlicher Zusammenhänge in globaler Perspektive mit der Notwendigkeit einher, die Konstruktion essentialistischer Paradigmen in wissenschaftstheoretischen und künstlerischen Diskursen zu reflektieren. Wie am Beispiel Ägyptens gezeigt werden kann, begegnen zeitgenössische Künstlerpositionen dieser Problematik der eigenen Verortung, indem sie dichotome Identitätskonzepte scheinbar bedienen – beispielsweise über die Verknüpfung vordergründig gegensätzlicher Elemente –, um diese zugleich künstlerisch zu unterminieren.3 Eine strategische Bedeutung kommt dabei der Verwendung ornamentaler Strukturen wie geometrischen oder floralen Mustern, repetitiven Symboliken und abstrahierten kalligrafischen Formen zu, die aus einem traditionellen, mit Bedeutung befrachteten Kunsterbe entnommen und in einen zeitgenössischen globalen Kontext künstlerisch transformiert werden. Die dargestellten ornamentalen Formen werden dabei über ihren Transfer in die Gegenwartskunst hinein kritisch hinterfragt und transformiert. Sie bedeuten somit mehr als eine lediglich wiederholende Rückschau auf das vergangene Kunsterbe und treffen Aussagen, die auf aktuelle Begebenheiten Bezug nehmen. Auf den ersten Blick wirken ornamentale Strukturkomposita in zeitgenössischen ägyptischen Kunstwerken rein formumspielend, erst bei genauerer Betrachtung und Wahrnehmung kommen die mehrschichtigen Sinndimensionen zum Ausdruck. In ihrer abstrahierenden Gestalt bewahren ornamentale Formationen eine meditative und zuweilen spirituelle Transzendenz, können jedoch zugleich politisch zum Zeichen für die eigene gesellschaftliche Reflexion avancieren. Einerseits referieren Ornamente als geometrische Symbole auf die Darstellung des Unendlichen im Endlichen4 und implizieren durch ihren verflechtenden, einwebenden Charakter eine bewahrende Funktion. Gleichzeitig können sie jedoch über ihre Gitterstruktur symbolisch für die Rigidität und Zwanghaftigkeit eines politischen oder gesellschaftlichen Systems stehen5 und stereotype
3
Die Problematik dichotomer Setzungen wurde bereits von Jessica Winegar anhand des Œuvres von Khaled Hafez thematisiert. Vgl. Winegar, in: Contemporary Practices 2008, Band II, S. 114-121.
4 5
Vgl. Brüderlin 1994, S. 147-148. Dieses politische Bedeutungspotential ornamentaler Kunstkonzepte verdeutlichen beispielsweise die von Sabine B. Vogel kuratierten Ausstellungen Die Macht des Ornaments, Belvedere Wien, 20.01.-17.05.2009 und Political Patterns – Ornament im
E INFÜHRUNG
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binäre Vorstellungswelten durch repetitive Formstrukturen subtil unterlaufen. Ornamentale Strukturen in zeitgenössischen ägyptischen Kunstwerken spielen mit dieser Doppeldeutigkeit und enthalten zumeist mehrere Interpretationsmöglichkeiten. Diese variierenden Bedeutungen stehen nebeneinander, überkreuzen oder widersprechen sich. Somit entziehen sich die künstlerischen Konzeptionen einer eindeutigen Zuschreibung und machen vielmehr ihre eigene Ambivalenz zum Thema des Werks. Künstlerischen Strategien der kritischen Unterwanderung vorgefasster Kategorien kommt innerhalb des postkolonialen Kunstdiskurses eine essentielle Bedeutung zu. Die ornamentalen Bildkonzepte greifen auf traditionelle Formelemente zurück, denn im internationalen Kunstdiskurs ist diese Reminiszenz an ein eigenes kulturelles Erbe für ‚nicht-westliche‘ Kunstwerke zumeist unerlässlich, um überhaupt ausgestellt zu werden, da beispielsweise rein abstrakte Kompositionen oftmals als ‚westlich-imitativ‘ degradiert werden. So werden in den Werken dann bewusst Themen wie der Bezug zur eigenen Kultur, Gesellschaft und Tradition kritisch reflektiert. Zugleich nutzen diese Kunstpositionen jedoch strukturelle Formen, um mithilfe unterschiedlicher künstlerischer Mittel binäre Modelle, die auf dichotomen Setzungen wie Orient versus Okzident beruhen, zu unterminieren. Potentielle Mittel einer künstlerischen Strategie der Widerständigkeit gegenüber vorgefassten Kategorien und Interpretationsmodellen sind formale Verschiebungen und Brechungen, Verschleierung und Verhüllung sowie repetitive Darstellungsformen. Zentrale These der vorliegenden Studie ist, dass gerade über den Rückgriff auf ornamentale Strukturen diese künstlerischen Mittel realisiert werden und Ornamente durch ihre ambivalente Charakteristik als kritische Form wirken. Scheinbare Bedeutungsinhalte werden ins Wanken gebracht und spielen damit auch mit der Wahrnehmung des Betrachters6, der dazu herausgefordert wird, seine eigene Perspektive zu hinterfragen. Aus analytischer Sicht stellt sich hierbei die Frage nach den komplexen Zusammenhängen dieser zeitgenössischen künstlerischen Konzeptionen, die zum einen die Herausarbeitung der unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen ornamentaler Strukturen sowie zum anderen deren formale Transformation und damit einhergehende kritische Reflexion betreffen. Dabei ist es auch wichtig, zu eruieren, mit welchen kunstwissenschaftlichen Analysemodellen und Methoden Zu-
Wandel, ifa-Galerie Berlin, 08.07.-03.10.2011 sowie ifa Galerie Stuttgart, 21.10.18.12.2011. 6
Aus Gründen der Vereinfachung wird in dieser Studie generell am generischen Maskulinum festgehalten, welches jedoch weibliche und männliche Personen gleichermaßen miteinschließt.
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gänge möglich sind. Diese Fragestellungen beziehen sich sowohl auf die Perspektivierung der eigenen Arbeit als Wissenschaftler und deren notwendigen kritischen Reflexion als auch auf die allgemeine Problematik der Stellung des Kunstdiskurses im Bezug auf eine global und transkulturell formulierte Kunstgeschichte. Für die Betrachtung zeitgenössischer ornamentaler Kunstkonzepte muss zunächst die Entstehung und Entwicklung der modernen Kunst Ägyptens in den Blick genommen werden, um die gegenwärtigen Debatten und Diskurse der ägyptischen Kunstlandschaft transhistorisch wie transkulturell zu kontextualisieren. Genealogien moderner ägyptischer Kunst entspringen dem beginnenden zwanzigsten Jahrhundert und der zunehmenden Rezeption europäischer Kunststile durch eine aufkommende ägyptische Bourgeoisie in den urbanen Zentren. Es kam zu einer sukzessiven Mischung von traditionellen Bildtypen des ägyptischen Erbes mit künstlerischen Neuerungen nach europäischer Inspiration. Beispielsweise integrierten einige ägyptische Künstler antik-pharaonische Bildelemente mit neoklassischen Stilformeln, wofür die in unmittelbarer Nähe zur Kairo Universität stehende, monumentale Skulptur Egyptian Awakening (19191928) von Mahmoud Mukhtar paradigmatisch steht. Für die Diskussion unterschiedlicher Diskursstränge der Thematisierung von Moderne ist es wichtig, die ägyptische Kunstgeschichtsschreibung als eine von unterschiedlichen Akteuren konstruierte und funktionalisierte Historik zu betrachten. So nahmen beispielsweise die ersten Absolventen der 1908 eröffneten ägyptischen Kunstakademie das dem europäischen Orientalismus entspringende Postulat einer arabischen Rückständigkeit und generellen Kunstlosigkeit an, um sich selbst als Begründer und Pioniere einer modernen ägyptischen Kunstbewegung zu stilisieren.7 Grundsätzlich wird die Entwicklung moderner Kunst innerhalb der arabischen Kunstgeschichte in drei Phasen gegliedert.8 Der Beginn der
7
Vgl. Scheid, in: ISIM Review. International Institute for the Study of Islam in the Modern World 2008, Band 22, S. 14-15.
8
Siehe hierzu Ali 1997, insbesondere Kapitel 14: Grounding modern Art in the local Environment, S. 137-150 sowie Boullata, in: Mundus Artium. A Journal of International Literature and the Arts 1977, Band 10, Nr. 1, S. 107-125. Boullata bezieht sich in seinen Ausführungen auf Fanons Darstellung entliehener Kunstformen, vgl. hierzu Fanon [1961] 1969, Kapitel 4: Über die nationale Kultur, insbesondere das Unterkapitel: Gegenseitige Begründung von Nationalkultur und Befreiungskampf, S. 158-189. Silvia Naef spricht im Bezug auf die arabische Rezeption europäischer Kunstpraktiken dagegen von zwei zu unterscheidenden Phasen, der Periode der adoption (19001945) und der Periode der adaptation (1945-1960), zu denen man jedoch, wie Adam
E INFÜHRUNG
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ersten Phase wird auf die zunehmende Begegnung mit literarischen, philosophischen und künstlerischen Bewegungen aus Europa im Laufe des neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts zurückgeführt. Wijdan Ali spricht hierbei von einer spezifischen ‚Entfremdungserfahrung‘, die zunächst eine Abkehr von traditionellen Kunstformen und eine Hinwendung zu europäischen Stilen und Techniken evozierte.9 In gleicher Argumentationslinie konstatiert Kamal Boullata: „Studio art in particular and the art of painting in general remain the Arab’s borrowed language par excellence.“10 Daran anschließend schreibt Ali der künstlerischen Anverwandlung europäischer Kunstformen die Möglichkeit der Befreiung von verkrusteten, starren Kunsttraditionen zu, welche schließlich zu einer Wiederentdeckung des Eigenen – gerade über die Entfremdungserfahrung durch die europäische Kunst – führe.11 Dieser zweiten Phase der ‚Selbstfindung‘ wird ein integrativer Impetus zugeschrieben, da zunehmend lokale Sujets und Themenkomplexe in europäischen Stilwiedergaben wie dem Neoklassizismus oder Impressionismus ausgedrückt wurden.12 Moderne Kunstkonzepte waren zumeist innerhalb aufkommender nationalistischer und anti-kolonialer Bewegungen verortet und funktionalisiert. Künstlerische Anverwandlungen moderner europäischer Kunst dienten demnach der Visualisierung von Modernität und der Legitimierung einer nationalen Unabhängigkeitsbewegung. Für die bildliche Darstellung nationaler Identitätskon-
Mestyan anführt, die Neuverhandlung mit Traditionen, hybride Arbeiten und die arabische politische Kunst hinzuzählen kann. Vgl. Naef 1996, S. 299-319 sowie Mestyan, in: Muqarnas 2011, Heft 28, S.70. Eine generalisierte Einteilung in zwei bzw. drei aufeinanderfolgende Phasen kann für die arabische moderne Kunst aufgrund starker lokaler Unterschiede nicht essentiell konstatiert werden, jedoch gibt es zahlreiche Überschneidungen und parallele Entwicklungsstränge bezüglich der Auseinandersetzungen mit europäischen Kunsttraditionen, wie beispielsweise die Etablierung von Künstlergruppen und der Rückgriff auf antike vorislamische Bildelemente. 9
Vgl. Ali 1997, S. 137-138.
10
Boullata, in: Mundus Artium. A Journal of International Literature and the Arts 1977, Band 10, Nr. 1, S. 109. Diese Assimilation und Imitation europäischer Kunstrichtungen wird von Aimé Azar als notwendige ‚Lernphase‘ beschrieben, die durchschritten werden müsse, um über die Aneignung der Kenntnisse und Fertigkeiten der europäischen Kunst schließlich zu einer genuin ägyptischen modernen Kunst zu gelangen. Vgl. Azar 1961, S. 19.
11 12
Vgl. Ali 1997, S. 138. Vgl. Boullata in: Mundus Artium. A Journal of International Literature and the Arts 1977, Band 10, Nr. 1, S. 111.
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zepte wurde dabei nicht nur auf die Repräsentation ländlicher oder urbaner Sujets, sondern ebenso auf antike und damit im Falle Ägyptens pharaonische Bildelemente zurückgegriffen: „So, [the artist] nationalized his imported tools.“13 Gleichzeitig formierten sich diverse Künstlergruppen, die unterschiedlichen künstlerischen Formen und visuellen Ausdrucksmöglichkeiten folgten. Als dritte Phase wird schließlich die postkoloniale Periode nach dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet, welche im intellektuellen und künstlerischen Diskurs durch ein spezifisches Spannungsverhältnis charakterisiert war, das in der sogenannten asala/muʿasira- bzw. Authentizitäts-/Kontemporaneitäts-Dichotomie einen Ausdruck fand.14 Diese Thematik wurde von den Künstlern auf unterschiedliche Weise in ihren visuellen Konzeptionen – sowohl figurativ als auch abstrahierend – behandelt, wie Boullata konstatiert: „Issues such as individualism and personal identity versus what is intrinsically Arab in art formed the basic ingredients of the third phase in the development of modern Arab art.“15 Eine der künstlerischen Richtungen wandte sich dabei seit den 1960er und 1970er Jahren ornamentalen Formkonzepten zu.16 Die ägyptischen Künstler dieser Strömung näherten sich den in historischer und geografischer Hinsicht vielschichtigen Ornamentformen aus einer konstruktivistischen Perspektive: Geometrische und organische Formprinzipien ornamentaler Strukturen wurden abstrahiert, transformiert und über diese künstlerische Vorgehensweise hin reflektiert.17 Auch auf gegenwärtige Diskurse wie die komplexen Konstellationen und Hegemonien einer international verorteten Kunstlandschaft im Zuge soziopolitischer Umschwünge reagieren einige Künstler mit ornamentalen Werken. Diese künstlerischen Strategien implementieren das Ornament nicht als bloßes schmückendes
13
Boullata in: Mundus Artium. A Journal of International Literature and the Arts 1977, Band 10, Nr. 1, S. 113.
14
asala kann mit ursprünglich, traditionell und authentisch übersetzt werden, muʿasira bedeutet dagegen zeitgenössisch und modern. Sämtliche Übersetzungen aus dem Arabischen sind, wenn nicht anders vermerkt, dem Arabischen Wörterbuch für die Schriftsprache der Gegenwart von Hans Wehr [1952] 1985 entnommen.
15
Boullata in: Mundus Artium. A Journal of International Literature and the Arts 1977, Band 10, Nr. 1, S. 117.
16
Generell lässt sich im arabischen Kunstkontext in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Hinwendung zum Ornament konstatieren. In Ägypten gab es im Unterschied zu anderen arabischen Ländern jedoch keine spezifische Schule oder Künstlergruppe, die den ornamentalen Stil vertrat. Vielmehr waren es zumeist individuelle künstlerische Ausdrücke.
17
Vgl. Karnouk 2005, S. 141.
E INFÜHRUNG
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Beiwerk oder reine Dekoration, sondern machen es vielmehr selbst zum Bildthema. Das Ornament kann hierin als ein zentrales Struktursystem beschrieben werden, das methodisch zu einem Instrument für die kritische Reflexion wird. Für die Analyse der ambivalenten Bedeutungsdimensionen ornamentaler Konzeptionen zeitgenössischer ägyptischer Kunst ist zunächst eine definitorische Begriffsschärfung des Ornamentterminus unerlässlich. Daher wird in einem ersten Schritt das Ornament als Struktursystem der kritischen Reflexion definiert und in einem weiteren Schritt dessen potentielle Bedeutung innerhalb des modernen ägyptischen Kunstkontextes diskutiert.
1. D EFINITORISCHE O RIENTIERUNG : Ö FFNUNG DES O RNAMENTBEGRIFFS ALS KRITISCHE F ORM Ornamentale Strukturen und ihre theoretische Konzeptualisierung in der Kunstgeschichte Das Ornament blickt in der Kunst auf eine lange, von unterschiedlichen kulturellen Einflüssen geprägte Tradition zurück und ist sowohl Gegenstand künstlerisch-strategischer als auch intellektuell-philosophischer Debatten und Diskurse. Als globales Phänomen stellen Ornamente zunächst eine „Kulturuniversale“18 dar. Je nach historischem, geografischem und kulturellem Kontext kommen den Ornamenten allerdings unterschiedliche Bedeutungen zu – und das, obwohl sie in ihrer Form oft sehr ähnlich sind. Formal lässt sich das Ornament als „Muster auf Grund“19 definieren. Im Zuge der Theoretisierung des Ornaments im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert zeigt Alois Riegl in seinem Werk Stilfragen. Grundlegungen zu einer Geschichte der Ornamentik von 1893 formalanalytisch einen kontinuierlich fortschreitenden Entwicklungsgang der Formgeschichte des Ornaments – vom ägyptischen Lotusornament über die vegetabile Ornamentik der hellenistischen und römischen Klassik bis über die byzantinische Kunst hin zur – wie Riegl es nennt – sarazenischen, also islamischen geometrischen Arabeske.20 Riegl prägt den für seine Stilgeschichte wesentlichen Begriff des epochentypischen Kunstwollens, welcher nicht nur das Schaffen mimetischer, sondern ebenso rein-künstlerischer, keine 18
Vogel, in: Ausst.-Kat. Political Patterns. Ornament im Wandel 2011, S. 10.
19
Brüderlin 1994, S. 35.
20
Vgl. Riegl [1893] 1923.
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äußere Natur darstellender Formen impliziert.21 Ornamente entspringen demnach laut Riegl weniger der Naturnachahmung, sondern vielmehr einem primären Drang zur Abstrahierung.22 Auch wenn die zeitgenössische Kunstgeschichte heute „von einem spontanen autochthonen Ursprung der Ornamentik“23 ausgeht, ist Riegls formalästhetischer, komparatistischer Ansatz dennoch von Interesse, da er anhand des Ornaments wechselseitige transhistorische Austauschprozesse über kulturelle Grenzen hinweg anzudeuten vermag. Als frühestes Argument für diese Formentwicklung führt Riegl die Projektion der Palmette an, die sowohl in Ägypten als auch in Griechenland vorkomme und aufgrund ihrer nicht in einer natürlichen Erscheinungsform begründeten Blütenform den Schluss zulasse, „dass das Motiv nur an einem Orte entstanden sein kann und nach dem anderen übertragen worden sein muss.“24 Definitorisch charakterisiert Riegl das Ornament über seine abstrahierende Neigung, die von ihm als Stilisierung bezeichnet wird und die er bereits dem Stiel des altägyptischen Lotusornaments zuschreibt: „Der Stiel tritt uns […] überwiegend nicht als ein der Wirklichkeit nachgezeichnetes Gebilde, sondern als ein lineares, geometrisches Element entgegen. […] Hiernach erscheint der Stiel als ein ganz besonders wichtiger Faktor für die zunehmend ornamentale Ausgestaltung der ursprünglich gegenständlich-symbolischen Pflanzenmotive.“25
Im Bereich der islamischen Ornamentik sieht Riegl in der arabischen Arabeske eine Verwandtschaftsbeziehung zur klassisch-antiken Ranke, jedoch mit dem Unterschied, dass im letzteren Fall die Ranken klar und selbstständig nebeneinander stehen, „während sie sich bei der Arabeske vielfach durchschneiden und
21
Vgl. Kroll 1987, S. 61 sowie Brüderlin, in: Ausst.-Kat. Ornament und Abstraktion. Kunst der Kulturen, Moderne und Gegenwart im Dialog 2001, S. 18.
22
Mit dieser Erklärung für den Ursprung ornamentaler Formen differenziert sich Riegl von der Vorstellung Gottfried Sempers, der das Ornament als Resultat einer bestimmten Zweckform bzw. als Produkt eines mechanisch-materiellen Vorgangs ansieht. Sempers Stoffwechselthese besagt, dass das Ornament seinen Ursprung in der Textilkunst hatte und erst im Anschluss auf andere Medien übertragen wurde. Dem stellt Riegl eine scheinbar autonome Entstehungszuschreibung ornamentaler Formen entgegen, welche jedoch nichtsdestotrotz in einen spezifischen Bedingungsrahmen – dem des Kunstwollens – eingebettet ist. Vgl. Kroll 1987, S. 47-81.
23
Bruckbauer, in: Ausst.-Kat. Die Macht des Ornaments 2009, S. 28.
24
Riegl [1893] 1923, S. XIV.
25
Ebd., S. 46.
E INFÜHRUNG
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durchkreuzen.“26 Die Analogie begründet er historisch über die islamischen Eroberungen der ehemals dem römischen Reich zugehörigen Gebiete.27 Das Rieglsche Kontinuitätsprinzip ist jedoch aufgrund des darin aufscheinenden evolutionären Fortschrittsgedanken, welcher in einem Hierarchisierungsmodell mündet, problematisch. Insbesondere in Riegls teilweise fehlerhaften Darstellung und pejorativen Bewertung der islamischen Ornamentik wird deutlich, „dass die Bindung an eine bestimmte Kunstform (die des klassischen Griechenlandes) trotz Betonung der ‚Unabhängigkeit‘ und ‚Eigenwertigkeit‘ des Kunstwollens einer jeden Epoche zu Ungerechtigkeiten gegenüber anderen Kulturkreisen (etwa dem islamischen) führen mag.“28
Das von Riegl vertretene Konzept des stilistischen Einflusses verweist somit zwar auf transkulturelle Austauschdynamiken, wird von ihm jedoch herangezogen, um ein hierarchisches Beziehungsmodell zwischen künstlerischem Ursprung, der affirmativ betrachtet wird, und minderwertig konnotierter Imitation zu konstruieren.29 Diese Argumentationsstruktur wurde innerhalb des modernen Kunstdiskurses ebenso dazu verwendet, arabische Anverwandlungen europäischer Kunstformen als derivativ zu bewerten. Indem Riegl dem Ornament eine eigene unabhängige Kunsthaftigkeit zuschreibt, kann sein Ornamentverständnis jedoch – rein formalästhetisch argumentiert – für eine theoretische Neubetrachtung der abstrakten Kunstbewegung des zwanzigsten Jahrhunderts herangezogen werden, wie von Markus Brüderlin in Die Einheit in der Differenz. Die Bedeutung des Ornaments für die abstrakte Kunst des 20. Jahrhunderts von 1994 verdeutlicht. Auf die Rieglsche Unterscheidung in eine „naturalisierende Tendenz in der abendländischen Kunst“ und eine „antinaturalistische auf das Abstrakte gerichtete Tendenz aller frühsarazenischen Kunst“30 bezieht sich Brüderlin in seiner theoretischen Positionierung des Ornaments als bedeutendes Struktursystem für die abstrakte Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts, allerdings ohne die von Riegl vorgenommene geografische und damit impliziert hierarchisch-wertende Zuschreibung. Vielmehr weist er dem
26
Riegl [1893] 1923, S. 265.
27
Vgl. ebd., S. 271.
28
Kroll 1987, S. 65.
29
Vgl. Meier, in: Arab Studies Journal 2010, Band 18, Nr. 1, S. 23.
30
Riegl [1893] 1923, S. XV und XVII.
22 | M USTER DER A MBIVALENZ
Ornament die Position eines „blinden Passagiers an Bord der abstrakten Kunst“31 zu, das durch seine formstrukturierenden Eigenschaften die Abstraktion in zwei Richtungen vorantrieb: „So gabelt sich die lineare Abstraktion in einen geometrischen (Rodtschenko, Mondrian, Albers) und einen organischen Zweig (Kandinsky, Matisse, Pollock).“32 Das Ornament ist in diesem Sinne nicht als bloße Ausschmückung, als reiner dekorativer Zusatz definiert, sondern ihm wird vielmehr eine eigene bildkonstituierende Bedeutung zugeschrieben. Laut Brüderlins zentraler These hat das Ornament – ausgeschieden aus der angewandten Kunst – die künstlerischen Konzeptionen der modernen Malerei infiltriert und zu deren Abstraktion beigetragen.33 Damit sieht er in der Abstraktionsbewegung des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts eine Fortführung der Rieglschen Ornamentgeschichte und positioniert sich damit gegen die grundsätzlich von den Avantgardisten und Theoretikern wie Adolf Loos proklamierte ornamentfeindliche Haltung.34 Laut Brüderlin übersahen die Gegner des Ornaments, „dass in der Philosophie und Kunstwissenschaft seit Kant ein Diskurs im Gange war, der den Begriff des Ornaments von seiner Konnotation des Minderwertigen, Schmückenden befreite und als eigenständige Formkategorie etablierte.“35
Sowohl Riegls Ansatz als auch die abstrakte Kunstbewegung haben nach Brüderlin die Kategorie des Reinkünstlerischen gemeinsam, auch wenn es Riegl in seinen Stilfragen nicht impliziert um eine kunstwissenschaftliche Begründung der beginnenden abstrakten Kunst ging.36 Generell verfolgt Brüderlin mit seiner Theoretisierung des Ornaments eine Revision und rückwirkende Etablierung der Bedeutung ornamentaler Formstrukturen für den Beginn der abstrakten Kunstbewegung. Die Ornamentik spielt dabei formal unter anderem für „die Betonung des Bildgrundes als eigenständige Fläche […], die spezifische Behandlung von Figur und Grund [sowie für] das Verhältnis der Bildelemente zum Bildrahmen
31
Brüderlin, in: Ausst.-Kat. Ornament und Abstraktion. Kunst der Kulturen, Moderne und Gegenwart im Dialog 2001, S. 19.
32
Ebd., S. 21.
33
Vgl. Brüderlin, in: Beyer und Spies (Hg.) 2012, S. 352.
34
Vgl. ebd., S. 349-352 und Brüderlin 1994, S. 13-19.
35
Brüderlin, in: Ausst.-Kat. Ornament und Abstraktion. Kunst der Kulturen, Moderne und Gegenwart im Dialog 2001, S. 18.
36
Vgl. ebd.
E INFÜHRUNG
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[und den] All-Over-Effekt“37 abstrakter Kunst eine essentielle Rolle. Zur Untermauerung seiner Thesen verweist Brüderlin auf die formalen und inhaltlichen Dimensionen des Ornaments. Strukturen des Ornamentalen ist zunächst unabhängig ihres jeweiligen Ursprungs ein spezifischer „Formwillen“ inhärent, der „Bildqualitäten“ konstituiert, bei denen „Gestaltungselemente wie Reihung, Symmetrie, Flächigkeit, Rahmenbezug usw. rein als Forminhalt in Erscheinung treten.“38 Prinzipielle Charakteristiken sind Wiederholung bzw. unendlicher Rapport und das künstlerische Spiel mit dem Verhältnis von Figur und Grund, Bildelement und Oberfläche. Aufgrund ihrer Eigenschaft zur Selbstdarstellung gilt Brüderlin die Arabeske hierbei als „Schlüsselkategorie für den Übergang von der klassischen Mimesis zur modernen Abstraktion.“39 Dieses generell ornamentalen Strukturen zugewiesene Spezifikum liegt nicht nur daran, dass sie in ihrer autonom-abstrakten Form zumeist auf keine äußere Realität mehr verweisen, sondern vielmehr in ihrer bildlichen Reflexion dieser Nichtdarstellbarkeit. Über die ständige Wiederholung formähnlicher Strukturen, die oftmals nur minimal variiert werden, vermögen ornamentale Strukturen formalästhetisch den Versuch, die Unendlichkeit im Endlichen zu fassen, darzustellen und reflektieren zugleich dessen Unmöglichkeit. Diese, gerade auch im Bezug auf die islamische Ornamentik essentielle Erkenntnis wendet Brüderlin auf die moderne Abstraktionsbewegung an: „Wir dürfen nie vergessen, dass Selbstdarstellung unter anderem von dem schmerzlichen Bewusstsein ausging, das Unendliche […] als das Höchste nicht darstellen zu können und dass sie immer wieder den Versuch darstellt, dies alles in die Endlichkeit des Tafelbildes zu fassen.“ 40
Das Ornament wird von Brüderlin als kritische Form etabliert, „die nun nicht mehr nur die Funktion des Versöhnenden, Überdeckenden, sondern die des Differenzierens besitzt.“41 Als ornamental definiert Brüderlin demnach folgende Merkmale einer künstlerischen Komposition: „Das ‚ornamentale‘ Bild ist […] ‚selbstreferentiell‘ im Sinne der Selbstdarstellung elementarer Form- und Flächenprinzipien. Es enthält Verweise auf unsichtbare Bildungsge-
37
Brüderlin 1994, S. 67.
38
Ebd., S. 36.
39
Ebd., S. 132.
40
Ebd., S. 147-148.
41
Ebd., S. 256.
24 | M USTER DER A MBIVALENZ setzlichkeiten und Wesenheiten der Natur […], auf allgemeine kosmische Ordnungen oder auf das Allgemeine von Ideen […]. Gleichzeitig konzentriert es sich auf die autonome, ‚inneroptische Bildtotalität‘ reiner Formkonstellationen.“42
Ausgangspunkt ornamentaler Formvariationen sind dabei stets „autonome, flächenlogische Strukturen.“43 Die Gegenüberstellung von Werken ‚westlicher‘ Abstraktion mit außereuropäischen Ornamentkonzeptionen, wie es die von Brüderlin 2001 kuratierte Ausstellung Ornament und Abstraktion. Kunst der Kulturen, Moderne und Gegenwart im Dialog in der Fondation Beyeler in Riehen vornahm, wird von Sigrid Schade jedoch als ungewollte Fortsetzung eines potentiellen Kolonialdiskurses problematisiert: „Damit wird der Befund, dass das außereuropäische Ornament als Zeichen für jeweils vom Westen her formulierte Inhalte Eingang in die europäische Moderne gefunden hat, in der Weise umgekehrt, dass die vom Westen produzierte Rekontextualisierung nicht für das Verständnis der eigenen Kultur, sondern für ein fragwürdiges Verständnis fremder Kulturen funktionalisiert wird.“44
Wie Schade zeigt, lassen sich Ornamente nur rein formal-ästhetisch als universale Strukturen beschreiben, was jedoch eine Entkontextualisierung der jeweiligen Inhalte und Bedeutungsebenen erforderlich macht.45 Dies geschieht in Brüderlins Theoretisierung des Ornaments insbesondere mit Blick auf die Anverwandlung ornamentaler Formen in der abstrakten Kunst der ‚westlichen‘ Moderne. Dennoch kann seine methodische Etablierung des Ornaments als Struktursystem auch für zeitgenössische ‚nicht-westliche‘ Kunstkonzeptionen fruchtbar gemacht werden. Die Ausstellung Ornament und Abstraktion präsentierte neben Vertretern der ‚westlichen‘ Abstraktionsbewegung auch transkulturelle zeitgenössische Künstlerpositionen wie Mona Hatoum und Yue Minjun, anhand deren ornamentalen Strategien die definitorische Etablierung des Ornaments als „Brücke der Kulturen“46 kritisch reflektiert wurde. Die Unerlässlichkeit des Einbezugs der jeweiligen Kontexte für das Verständnis ornamentaler Strukturen verdeutlichten darüber hinaus beispielsweise
42
Brüderlin 1994, S. 283.
43
Ebd., S. 283.
44
Schade, in: Dies., Sieber und Tholen (Hg.) 2005, S. 175.
45
Vgl. ebd., S. 177.
46
Weigel, in: Ausst.-Kat. Ornament und Abstraktion. Kunst der Kulturen, Moderne und Gegenwart im Dialog 2001, S. 169.
E INFÜHRUNG
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die beiden von Sabine Vogel kuratierten Ausstellungen Die Macht des Ornaments (Belvedere Wien 2009) und Political Patterns. Ornament im Wandel (ifaGalerie Berlin und Stuttgart 2011), welche jeweils das kritische und insbesondere politische Potential ornamentaler Formen in zeitgenössischen transkulturellen Kunstwerken zeigten, allerdings ohne Bezug auf zeitgenössische Werke aus Ägypten. Vogel definiert das kritische Potential ornamentaler Strukturen insbesondere über ihre doppeldeutige Charakteristik: „Ornamente sind Muster, die Räume strukturieren, die das Einzelne in eine Ordnung binden, die Bausteine zu Massen zusammenfügen und in einen Rahmen schnüren. Die Wirkung ist zumeist faszinierend, weil ein Einzelnes integriert, geschützt, neutralisiert ist in einem übergeordneten Ganzen – das kann als Offenheit oder als totalitäres System gesehen werden. Gerät ein Detail des Gleichmaßes aus den Fugen, stürzt die gesamte Ordnung ein.“47
Diese Definition des Ornaments als kritische Form distanziert sich von der stilgeschichtlichen Ornamenttheorie Riegls, die Ornamente generell rein formalästhetisch und damit funktionslos als „Embleme eines reinen Stils“48 kategorisiert. Dagegen sind Ornamente in diesem Sinne keine reinen Motive, sondern lassen sich vielmehr als ornamentaler Gestus beschreiben, als „Modus bildlicher Bedeutungsgenerierung“49, wie es aktuell im Ornament-Cluster von eikones, dem Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) Bildkritik an der Universität Basel, methodisch dargestellt wurde.50 In ihrer „Funktionalität als formales Bildelement“51 strukturieren ornamentale Formen die Komposition der zeitgenössischen künstlerischen Konzeption und entfalten ihr Bedeutungspotential über unterschiedliche künstlerische Mittel, wie formale Verschiebungen oder Brechungen, Verschleierungen oder Verhüllungen des Figur-Grundverhältnisses und strukturelle Repetitionen. Ornamentale Strukturen, wie sie in den exemplarischen Künstlerpositionen zeitgenössischer ägyptischer Kunst anverwandelt werden, beinhalten stets mehrschichtige Bedeutungs-
47
Vogel, in: Ausst.-Kat. Die Macht des Ornaments 2009, S. 12.
48
Beyer und Spies, in: Dies. (Hg.) 2012, S. 14.
49
Ebd.
50
Der von Vera Beyer und Christian Spies herausgegebene Sammelband des Clusters Ornament. Motiv – Modus – Bild erschien 2012. Siehe hierzu auch den Beitrag Markus Brüderlins zu ornamentalen Strukturen in der modernen Kunst. Brüderlin, in: Beyer und Spies (Hg.) 2012, S. 349-375.
51
Beyer und Spies, in: Dies. (Hg.) 2012, S. 15.
26 | M USTER DER A MBIVALENZ
dimensionen, die sich jedoch auch widersprechen können. Damit entziehen sie sich einer eindeutigen Sinnzuschreibung und reflektieren vielmehr ihre eigene Ambivalenz. Durch diese inhaltliche Charakteristik bieten ornamentale Strukturen ein ideales künstlerisches Konzept, um als Modus der Reflexion und der Kritik zu wirken. Grundsätzlich werden Ornamente als eine „universal verstandene Bildsprache“52 definiert. Doch trotz dieser bereits von Riegl zugeschriebenen Formverwandtschaft über historische und geografische Grenzen hinweg ist den ornamentalen Strukturen stets eine potentielle Funktions- und Bedeutungsdifferenz inhärent, sodass der jeweilige Kontext nicht unberücksichtigt bleiben darf. Für die Analyse ornamentaler Strukturen in zeitgenössischer ägyptischer Kunst bedeutet dies konkret, dass deren Bedeutung auch für die moderne ägyptische Kunstbewegung diskutiert werden muss, um die potentiellen Sinndimensionen ornamentaler Konzeptionen innerhalb eines postkolonialen Kunstdiskurses herauszuarbeiten. Für diese Kontextualisierung sind zunächst einige Begriffsdefinitionen und -revisionen erforderlich. Der ägyptische Kunstdiskurs: Revisionen und Modulationen Ornamentale Strukturen spielen im traditionellen Kunsterbe Ägyptens nicht nur im islamischen Kontext eine essentiell wichtige Rolle, sondern sind ebenso in koptischen, griechisch-römischen und nicht zuletzt in pharaonischen Kunstwerken zu finden. Im Bezug auf die islamische Ornamentik ist es wichtig zu konstatieren, dass der Begriff ‚islamische Kunst‘ (im Arabischen als al-fann al-islami übernommen) an sich kein dem traditionellen Kunsthandwerk als Selbstzuschreibung entwachsener Terminus ist, sondern vielmehr „der akademischen Tradition und dem musealen Sammeln des 19. und 20. Jahrhunderts und der ihnen immanenten Suche nach Kategorien und Ordnung“53 entspringt. Der Begriff entstammt demnach der europäischen Orientalistik des neunzehnten Jahrhunderts und subsumiert darin sämtliche künstlerische Ausdrucksformen des islamischen Kulturraums von dessen Formierungsphase im siebten Jahrhundert bis zu einem generell konstatierten Bruch der visuellen Ausdrucksformen im beginnenden neunzehnten Jahrhundert. Diese weite Kategorisierung ist „eng mit der Vorstellung eines ‚ewig Islamischen‘, das unveränderlich und zeitlos wäre, verbunden.“54 Oleg Grabar hinterfragt diese universalistische Vor-
52
Bruckbauer, in: Ausst.-Kat. Die Macht des Ornaments 2009, S. 38.
53
Weber, in: Ausst.-Kat. TASWIR – Islamische Bildwelten und Moderne 2009, S. 16.
54
Naef, in: Ebd., S. 26.
E INFÜHRUNG
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stellung in seiner kunsthistorischen Abhandlung Die Entstehung der islamischen Kunst (1973) und schreibt islamischen Kunstausdrücken in ihrer Historizität vielmehr eine heterogene Entwicklung aus unterschiedlichen vorislamischen Kulturtraditionen zu, deren Verhandlung letztendlich in den charakteristischen Formvariationen mündete, die heute als ‚islamische Kunst‘ bezeichnet werden.55 Somit wird ersichtlich, dass auch das ‚islamische Ornament‘ an sich keine homogene Form ist – sowohl im historischen als auch im geografischen Sinne. Vielmehr ist es von vorneherein als eine transkulturelle Kategorie zu verstehen, die sich aus unterschiedlichen Einflüssen speist.56 In Ermangelung eines Alternativbegriffs wird in der Forschung dennoch an dem Terminus ‚islamische Kunst‘ festgehalten, dessen Verwendung jedoch kritisch reflektiert.57 Als grundsätzliche verbindende Charakteristik der unterschiedlichen Formen islamischer Kunst führt Grabar die „Faszination durch eine Form von Dekoration, die nicht abbildhaft ist“58 und damit die Tendenz zu ornamentalen Strukturen an. Ornamental ist in diesem Sinne jedoch nicht gleichbedeutend mit dem Fehlen eines semantischen Gehalts. Grabar sieht sowohl eine dichotome Trennung zwischen dem bedeutungstragenden Inhalt ikonografischer Darstellungen und der reinen Ästhetik des Ornamentalen als auch eine unreflektierte inhaltliche Zuschreibung als ‚religiös‘ kritisch.59 Auf formaler Ebene definiert er Ornamente als „eine Beziehung zwischen Formen, nicht als eine Summe von Formen“60 und weist ornamentale Strukturen in drei Gruppierungen zu: in Motive vegetabilen
55
Vgl. Grabar 1977, S. 12-27. Das englische Original mit dem Titel The Formation of Islamic Art erschien 1973.
56
Der Terminus der Transkulturalität wurde von Wolfgang Welsch eingeführt und dient der begrifflichen Umfassung transversal durch und zwischen Kulturen verlaufenden Vernetzungsphänomenen, die jedoch weder zu einer synthetischen Neubildung noch zu einer Dekonstruktion der Differenz führen. Vgl. Welsch, in: Allolio-Näcke, Kalscheuer und Manzeschke (Hg.) 2005, S. 314-341. Zu einer detaillierten Diskussion des Begriffs siehe Kapitel 10 Ausblick: Erkenntnispotentiale der Analyse ornamentaler Strategien für eine Kunstgeschichte in globaler Perspektive.
57
Beispielsweise wurde der Begriff in der Podiumsdiskussion Transkulturelle Perspektiven über institutionelle Grenzen hinweg? im Rahmen des Forums Forschung zur Kunst und Kultur des Nahen Ostens heute der Ludwig-Maximilians-Universität München am 08.02.2013 diskutiert – auch im Hinblick auf die Umgestaltung des Islamischen Museums in Berlin, das bis 2019 fertiggestellt sein soll.
58
Grabar 1977, S. 27.
59
Vgl. ebd., S. 262.
60
Ebd., S. 270.
28 | M USTER DER A MBIVALENZ
Ursprungs, in geometrische Motive und in eine Mischkategorie, deren formale Eingrenzung jedoch offen gehalten wird.61 Die formalen Eigenschaften islamischer Ornamente zur Flächenstrukturierung werden von Ernst Gombrich als „Rahmen, Füllen, Verbinden“ beschrieben, die inhaltlich als Versuch der Darstellung des Unendlichen gewertet werden können, weshalb Gombrich die ornamentale Tendenz zur lückenlosen und kleinteiligen Füllung aller Flächen, die generell dem horror vacui zugeschrieben wird, dann auch als „amor infiniti, [als] Liebe zum Unendlichen“ bezeichnet.62 Als wesentliches Charakteristikum ornamentaler Strukturen in der islamischen Kunst bezeichnet Grabar ihre autonome Eigenschaft; das heißt, ihre formale Gestaltung wird „allein von ihnen selbst diktiert.“63 Zugleich wird das Ornament durch eine hohe Ambiguität ausgezeichnet, da es stets unterschiedliche Lesarten zulässt, seien sie ikonografischer oder rein ästhetischer Natur.64 Ornamentale Strukturen greifen über diese Ambivalenz generell Fragen „nach dem Verhältnis zwischen dem Sichtbaren und seiner Bedeutung“65 und somit nach der Problematik von Erkenntnis auf. Sie sind daher vielmehr als Methode, als Idee und weniger als tatsächlicher islamischer Stil zu beschreiben.66 Der Begriff der ‚islamischen Kunst‘ führte in der modernen Kunstgeschichte zu zahlreichen Debatten und Diskussionen. Wijdan Ali weitet die Terminologie für das zwanzigste Jahrhundert aus und spricht in diesem Zusammenhang von einer ‚modernen islamischen Kunst‘, zu welcher sie auch die ägyptische moderne Kunstbewegung mit einbezieht.67 Diese definitorische Begriffskonstruktion etabliert zwei generelle Annahmen, wie Silvia Naef konstatiert: „Diachron wird eine Kontinuität mit der historisch definierten islamischen Kunst hergestellt, die sich heute in neuen Formen weiterentwickelt hat, und synchron wird die Existenz einer ‚islamischen Weltkunst‘ postuliert, die Muslimen auf der ganzen Welt gemeinsam sei.“68
61
Vgl. Grabar 1977, S. 267-268.
62
Gombrich 1982, S. 92.
63
Grabar 1977, S. 271.
64
Grabar wendet jedoch ein, dass es offen bleibt, ob diese Ambivalenz der ursprünglichen Absicht des Künstlers oder doch eher den gegenwärtigen unzureichenden Interpretationsansätzen entstammt. Vgl. ebd., S. 262.
65
Ebd., S. 273.
66
Vgl. ebd., S. 275.
67
Siehe hierzu Ali 1997.
68
Naef, in: Ausst.-Kat. TASWIR – Islamische Bildwelten und Moderne 2009, S. 30.
E INFÜHRUNG
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Im Hinblick auf den modernen ägyptischen Kunstdiskurs muss jedoch angeführt werden, dass die Zuschreibung ‚islamische Kunst‘ sehr unüblich ist.69 Gründe können hierbei unter anderem in der nationalistisch und damit spezifisch ägyptisch ausgeprägten lokalen Kunstgeschichtsschreibung angeführt werden, sowie durch die Tatsache, dass das Projekt der ägyptischen Kunstakademie grundsätzlich eine säkulare Aktivität der ägyptischen Modernebewegung war.70 Der Begriff ‚moderne islamische Kunst‘ impliziert demnach eine problematische Subsumierung und Simplifizierung: „It is extremely important to take into account the fact that countries with majority-Muslim populations have different histories of modern art.“71 Differenzen in sozialen, politischen und historischen Kontexten evozieren unterschiedliche künstlerische Aushandlungsprozesse. In der arabischen Kunstgeschichte wird zudem ein Paradigmenwechsel zwischen traditionell-islamischer und modern-säkularer Kunst konstatiert: „Whereas Islamic aesthetics responded to an Islamic religious ideal, modern Arab aesthetics responded to an Arab national secularized ideal.“72 Dies bedeutet allerdings keine grundsätzliche Negierung spiritueller Konnotationen einzelner Kunstwerke, sondern bezieht sich vielmehr auf den generellen historischen Kontext der modernen Kunstbewegung in der arabischen Welt. In Ägypten war die moderne Kunstformierung zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit einer nationalen, säkular geprägten Unabhängigkeitsbewegung verbunden, die sich gegen das osmanische Reich und die britische Okkupation richtete. Die aufkommenden neuen künstlerischen Konzeptionen wurden generell als al-funun al-haditha al-misriyya (dt. moderne ägyptische Künste) bezeichnet. Der Begriff fann (pl. funun) für Kunst im modernen Sinne ist jedoch kein historischer Terminus der ägyptischen Kulturgeschichte, sondern wurde erst ab dem neunzehnten Jahrhundert in erweiterter Bedeutungszuschreibung als direkte Übersetzung des westlich-europäischen Kunstkonzepts verwendet.73 Im
69
Vgl. Winegar, in: Ramadan (Hg.) 2007, S. 51.
70
Generell wird in den intellektuellen Debatten Ägyptens zu Anfang des 20. Jahrhunderts ein genuin ägyptischer Nationaldiskurs etabliert, der sich zu Anfang durch eine fehlende arabische Komponente auszeichnet und den Islam zwar als bedeutende, jedoch nicht alleinige Komponente der ägyptischen Geschichte betrachtet. Zur historischen Kontextualisierung des ägyptischen Nationaldiskurses siehe Hourani [1962] 1983.
71
Winegar, in: Ramadan (Hg.) 2007, S. 51.
72
Shabout 2007, S. 35.
73
Vgl. Mestyan, in: Muqarnas 2011, Band 28, S. 69.
30 | M USTER DER A MBIVALENZ
Gegensatz zu Texten über Schönheit und Kunsthandwerk ist die Kunsttheorie kein Gegenstand vormoderner islamischer Diskurse.74 Dies bedeutet jedoch nicht, dass es im islamischen Kontext keine Vorstellung autonomer künstlerischer Ausdrücke gegeben hat. So führt Doris Behrens-Abouseif an: „The mainstream of Arabic Islamic thought tended rather to the peripatetic approach, which allowed the development of autonomous norms of beauty that were independent of moral or religious criteria.“75 In diesem Zusammenhang wurde allerdings nicht der Begriff fann verwendet. Wie Adam Mestyan konstatiert, wird art im Englischen als Entwicklung aus dem griechischen techne und lateinischen ars verstanden, was soviel wie etwas künstlerisch gestalten bedeutet; für das griechische techne gab es in der arabischen Literatur jedoch schon eine Übersetzung, der Begriff sinaʿa (dt. etwas, das gemacht ist; diejenigen, die mit Händen arbeiten).76 Der Begriff fann hatte dagegen in der mittelalterlichen arabischen Lexikografie eine sehr weite Bedeutung, wie Zweig, Sparte, Art der Sprache, aber auch Ornament und betrügen; die Wurzel f-n-n war dabei eng mit Wissenschaft und Wissen verbunden.77 Erst im neunzehnten Jahrhundert wurde fann als Übersetzung für Kunst verwendet. Der erste arabische Autor, welcher fann in diesem Zusammenhang benutzte, war Rifaʿa Rafiʿ al-Tahtawi (1801-1873), ein Scheich der al-Azhar Universität, der zu der ersten wissenschaftlichen Mission gehörte, die Muhammad Ali 1826 nach Paris sandte. In seinem Reisebericht über Paris von 1834 beschreibt alTahtawi französische Konzepte in den Bereichen „of law, as well as health policies, religion, and the arts.“78 Während er das französische Wissenschaftssystem und dessen Kategorisierungen beschreibt, führt er arabische Begriffsdefinitionen für die französischen Terminologien an: „The French divide human knowledge into two categories: sciences (ʿulum) and arts (funun). Science (al-ʿilm) consists of empirical knowledge, which is achieved by evidences, while art (al-fann) is the knowledge of making (sinaʿa) something by specific rules.“79
74
Im Bezug auf die Wissenschaft der Schönheit (ʿilm al-jamal) gibt es zahlreiche textliche Quellen, angefangen vom Koran, zu Kommentaren über Philosophie und Logik bis zu osmanischer Malereiliteratur, welche auch persische Traditionen weiterführte und übersetzte. Vgl. Mestyan, in: Muqarnas 2011, Band 28, S. 70.
75
Behrens-Abouseif 1999, S. 181.
76
Vgl. Mestyan, in: Muqarnas 2011, Band 28, S. 70 und 73.
77
Vgl. ebd., S. 71-73.
78
Ebd., S. 87.
79
Al-Tahtawi, zitiert nach Mestyan, in: Muqarnas 2011, Band 28, S. 88.
E INFÜHRUNG
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Des Weiteren beschreibt er die Teilung in intellektuelle Künste, wie Rhetorik, Logik, Poesie, Zeichnen, Bildhauerei und Musik, und in praktische Künste, wie das Kunsthandwerk80, führt jedoch zugleich an, dass es eine derartige definitorische Teilung in der arabisch-islamischen Tradition nicht gibt: „Das ist die Einteilung der europäischen Philosophen. Ansonsten sind ʿulum – Wissenschaften – und funun – Künste – bei uns zumeist ein und dasselbe, und man macht keinen Unterschied nur insofern, ob eine Kunst ein selbstständiges Wissensgebiet ist oder Hilfsmittel für etwas anderes.“81
In diesem Bericht wird somit zum ersten Mal das europäische Kunstkonzept als autonome Kategorie im Arabischen mit dem Begriff fann beschrieben und übersetzt. Als Grund führt Mestyan folgende Hypothese an: „Since ʿilm and sinaʿa […] were used in Arabic for other specific purposes, fann was the only word available whose semantics would intersect with the then current French usage of ‚art‘.“82 Zudem ist es gut möglich, dass al-Tahtawi das 1828 von Ellious Bochtor veröffentlichte Dictionnaire français – arabe gekannt hatte, in welchem fann bereits als autonome Bedeutung für Kunst angeführt wurde, allerdings noch synonym mit sinaʿa.83 Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde fann schließlich in seiner Übersetzung für Kunst durch die Verwendung in der aufkommenden ägyptischen Presse kanonisiert.84 Beispielsweise verbindet Ahmed Fahmi, ein Mitglied einer Studentenmission an die Pariser École des Beaux-Arts, 1887 in einem Essay mit dem Titel al-funun al-jamila (dt. die schönen Künste) das Konzept der Kunst mit dem der Modernität.85 Im Zuge der Eröffnung der Ägyptischen Kunstakademie 1908 gab es in Zeitungen und Journalen zahlreiche Debatten um die Inhalte und Bereiche der fann und der damit verbundenen Einbindung bzw. Ausgrenzung im lehrenden Curriculum. Grundsätzlich wurde ein allgemeiner Niedergang des lokalen Kunstschaffens konstatiert, dessen Ursachen insbesondere der osmanischen Eroberung, der Abwanderung von Künstlern nach Istanbul, aber auch allgemeinen
80
Vgl. Al-Tahtawi, zitiert nach Mestyan, in: Muqarnas 2011, Band 28, S. 88.
81
Al-Tahtawi, zitiert nach Stowasser (Hg.) 1988, S. 234-235.
82
Mestyan, in: Muqarnas 2011, Band 28, S. 88.
83
Vgl. ebd., S. 84 und 88.
84
Vgl. ebd., S. 89-91.
85
Vgl. ebd., S. 91.
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ökonomischen Rezessionen zugeschrieben wurde.86 Diese Annahme führte zu einer steten Betonung der Notwendigkeit einer Wiederbelebung der ägyptischen Kunst, wobei sich jedoch die Vorstellungen bezüglich deren Umsetzung stark unterschieden. Der französische Bildhauer und erste Direktor der ägyptischen Kunstakademie, Guillaume Laplagne, vertrat beispielsweise die Ansicht, dass das fehlende Kunstbewusstsein nicht an einer oftmals angenommenen Unfähigkeit, sondern vielmehr an der bisherigen Vorenthaltung der notwendigen Techniken gelegen habe, die über die Lehre der Akademie kompensiert werden könne.87 Im Gegensatz zu Laplagnes europäischem Kunstverständnis forderte dagegen der Philologe Ahmed Zeki eine stärkere Einbeziehung des traditionellen Kunsthandwerks und die Etablierung eines reinen arabischen Stils: „Il est nécessaire de recourir à des maîtres européens, mais uniquement pour la direction générale […], ces maîtres ne doivent donner à leurs élèves que les moyens de mettre au jour leurs conceptions originales, en évitant scrupuleusement de les influencer par leur tempérament occidental.“88
Daran anschließend betonte der Islamwissenschaftler und Konservator des arabischen Museums in Kairo, Max Herz, die Wichtigkeit der Lehre und Vermittlung des Wissens traditioneller Kunstformen, um zu deren authentischen Erneuerung beizutragen: „C’est pourquoi je pense que l’École des Beaux-Arts devrait se transformer en une ‚École d’Arts appliqués à l’Industrie‘.“89 Trotz dieser sehr ambivalenten Kontroverse um einen autochthonen Kunstbegriff und die eigene Kunstfähigkeit bezog sich die Lehre der Akademie hauptsächlich auf europäische Kunststile und Techniken. Zugleich wurde jedoch neben Malerei, Bildhauerei und Architektur auch arabische Kalligrafie gelehrt sowie ein Lehrstuhl für Dekoration geschaffen.90 Im Laufe der ägyptischen Modernebewegung kam es zunehmend zu einer Rückbesinnung und Reflexion der eigenen vormodernen Kunsttraditionen und deren transformativen Einbeziehung in die künstlerischen Konzeptionen. Einerseits wurden pharaonische Kunstelemente mit europäischen Techniken verbunden, um ein geeignetes nationalistisches Narrativ gegen die britische Besatzung zu etablieren. Zugleich bewunder-
86
Vgl. Zeki, in: L’Égypte Contemporaine 1913, Nr. 13, S. 13-16 sowie Herz, in: L’Égypte Contemporaine 1913, Nr. 16, S. 391.
87
Vgl. Laplagne, in: L’Égypte Contemporaine 1910, Nr. 4, S. 432-433.
88
Zeki, in: L’Égypte Contemporaine 1913, Nr. 13, S. 30.
89
Herz, in: L’Égypte Contemporaine 1913, Nr. 16, S. 395.
90
Vgl. Zeki, in: L’Égypte Contemporaine 1913, Nr. 13, S. 27.
E INFÜHRUNG
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ten jedoch viele Ägypter die europäischen Kunststile und griffen auf Terminologien zurück, die Ägypten als Teil des Mittelmeerraums und somit ‚westlich‘ stilisierten.91 Mit Bezug auf die Etablierung einer modernen ägyptischen Kunst ist es wichtig zu konstatieren, dass eine reine Fokussierung auf das von Spannungen behaftete Verhältnis zwischen Ägypten und Europa eine Simplifizierung darstellen würde, da die Konfliktlinien ebenso innerhalb der Region – beispielsweise hinsichtlich lokaler Verortungen wie der Beziehungen zum Osmanischen Reich – verliefen. Darüber hinaus funktionalisierte die vor allem aus kapitalbesitzenden Großgrundfamilien bestehende ägyptische Elite nationalistische Narrative in der Kunst, um ihren eigenen Status aufrechtzuerhalten, was jedoch ab den 1930er Jahren von einer eher der Mittelschicht entstammenden Künstlergeneration zunehmend kritisiert wurde.92 Ebenso entstand in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ein kunstkritischer Diskurs, welcher die reziproken Einflussbeziehungen transkultureller Kunstwerke reflektierte und die hegemoniale Positionierung eines ‚westlichen‘ Kanons hinterfragte. So kritisiert der Künstler und Kunstkritiker Ramses Younan in seinem Aufsatz baʿd mushkilat al-naqd fi midan al-funun altashkiliyya (dt. Einige Problematiken der Kritik im Bereich der Bildenden Künste) von 1961 die von ihm konstatierte Unfähigkeit der europäischen Kritik, Kunsterfahrungen außerhalb Europas in die Diskussion einzubeziehen.93 Ornamentale Strukturen als eigenständiges Bildthema fanden erst innerhalb des postkolonialen Kontextes Einzug in die moderne ägyptische Malerei. Zuvor waren ornamentale Darstellungen innerhalb künstlerischer Konzeptionen eher eine ephemere Randerscheinung oder wurden vollständig aus der Leinwandmalerei ausgegrenzt. Gegenwärtige Konzeptionen verwenden diese dem Kunsterbe entnommenen Formen nun in transformierter Weise, um neue Bedeutungen zu generieren. Das unterminierende, widerständige Potential dieser ornamentalen Strukturen zeigt sich in ihrer zumeist ambivalenten Charakteristik: Scheinbare Bedeutungszuweisungen, wie Referenzen auf eine Weltbildlichkeit, werden einerseits heraufbeschworen, um zugleich wieder durch strukturelle Verschiebungen formalästhetisch gebrochen zu werden. Diesbezüglich konstatiert Christine Bruckbauer: „[Den Künstlern] geht es hier keineswegs um die Vermittlung von ursprünglichen Inhalten der ‚angeeigneten‘ Zeichen. Vielmehr werden diese ihrem ursprünglichen Kontext entzo-
91
Siehe beispielsweise Hussein [1938] 1975.
92
Dieser Konflikt wurde ausführlich von Patrick Kane behandelt. Siehe Kane 2013.
93
Vgl. Younan 1969, S. 136-152.
34 | M USTER DER A MBIVALENZ gen, neu codiert und durch Manipulation und Fusion zu einem Neuen zusammengefasst.“94
Um die Gründe für diese künstlerische Strategie der Etablierung des Ornaments als kritisch-reflexive Form zu verstehen, ist die Heranziehung der historischen Entwicklung der ägyptischen Modernebewegung und der damit verwobenen intellektuellen Diskursstränge von wesentlicher Bedeutung (Teil I). Eine umfassende Genealogie der modernen ägyptischen Kunstgeschichte kann und soll hierbei nicht angestrebt werden. Vielmehr werden die für die Kunstanalyse relevanten Positionen und Diskurse punktuell näher beleuchtet. Insbesondere sind hierbei die folgenden drei Diskurskontexte von Bedeutung: Zum einen die Entstehung der modernen ägyptischen Kunst im Zuge der nationalistischen Unabhängigkeitsbewegung zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts (Kapitel 1). Zum anderen das im intellektuellen und künstlerischen Diskurs formulierte Spannungsverhältnis der asala/muʿasira- bzw. Authentizität/KontemporaneitätsDichotomie in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts und das anschließende Auftauchen ornamentaler Kunstformen in der ägyptischen Malerei im Zuge der Diskussion um eine zweite nahda (Kapitel 2 und 3), sowie des Weiteren gegenwärtige Hybriditätsdebatten und künstlerische Reflexionen nach der ägyptischen Revolution von 2011 (Kapitel 4 und 5).
2. R EKURS UND K ONTEXT : D IE B EDEUTUNG DES O RNAMENTS ALS M ODUS DER AMBIVALENZ UND R EFLEXION MIT B LICK AUF DIE ÄGYPTISCHE K UNSTGESCHICHTE (T EIL I) Die moderne ägyptische Kunst bildet ein vielschichtiges Konglomerat unterschiedlicher Einflüsse und Entwicklungslinien, die sowohl von einer transkulturellen Vernetzung als auch von einer kontinuierlichen Reibung und Auseinandersetzung mit differierenden kulturellen, sozialen und politischen Entitäten zeugen. Generell wird der Beginn der modernen Kunst in Ägypten auf das Jahr 1908 angesetzt, da in diesem Jahr die nationale Kunstbewegung mit der Eröffnung der ersten ägyptischen Kunstakademie institutionalisiert wurde. Die Etablierung der modernen ägyptischen Kunst war Teil eines umfassenden Modernisierungsprozesses, welcher insbesondere durch die zunehmende wechselseitige Einflussnahme zwischen Europa und Ägypten bewirkt wurde und sowohl einen 94
Bruckbauer, in: Ausst.-Kat. Die Macht des Ornaments 2009, S. 38.
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wirtschaftlichen und politischen wie auch einen intellektuellen und kulturellen Wandel mit einschloss. Der ägyptische Künstler Shady El Noshokaty bezeichnet diese Periode daher auch als eine „Revolution der Aufklärung“.95 Im Arabischen wird diese Entwicklung gemeinhin als nahda beschrieben, was im Deutschen mit Renaissance, Erwachen oder Erneuerung übersetzt werden kann.96 Der Terminus wird zumeist verwendet, um die arabische Literatur und Kultur in Ägypten und der Levante ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg zu umreißen. Der Beginn dieses intellektuellen Revivals wird unter anderem den Schriften alTahtawis zugeschrieben, „who sought to revive classical forms of Arabic, to develop the language in new ways appropriate to modern times, and to make [his] compatriots aware of the new ideas coming from Europe.“97 Im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts formierte sich Kairo zu einem bedeutenden Zentrum der nahda. Der intellektuelle Austausch fand insbesondere über die Verbreitung von Zeitungen und Magazinen sowie über die Bildung intellektueller Salons und politischer Geheimgesellschaften statt.98 Ein wichtiges Element des nahda-Diskurses war hierbei die zunehmende Entwicklung eines politischen Unabhängigkeitsbewusstseins, wie Stefanie Gsell betont: „Seit Beginn dieser Periode zeichnet sich ein dualer Prozess des Strebens nach politischer Emanzipation einerseits und kultureller Regeneration andererseits ab.“99 In Kairo und Alexandria entwickelte sich bereits zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts eine lebhafte und heterogene Kunstszene im modernen Sinne. Ägypten war damit eines der ersten arabischen Länder, in denen die lokalen Künstler begannen – mit der Leinwandmalerei als neuem Medium – europäische Kunstvorstellungen zu adaptieren. Die wechselseitigen Austausch- und Einflussprozesse zwischen ägyptischen und europäischen Künstlern drückten sich in zwei unterschiedlichen Entwicklungen aus: Während sich in Europa die Malerei allmählich hin zur Abstraktion entwickelte100, fanden die ägyptischen Künstler zur gegenständlichen Malerei und zur Zentralperspektive im neoklassischen Sinn: „Auf beiden Seiten betrachtete man die jeweilige Wende in der Kunst als
95
El Noshokaty, in: Ausst.-Kat. Gegenwart aus Jahrtausenden 2007, S. 43.
96
Vgl. The Oxford Encyclopedia of the Islamic World 2009, Band 4, S. 205.
97
Ebd.
98
Vgl. Kassab 2010, S. 18-19.
99
Gsell [1998] 1999, S. 23.
100
Zum Einflusse ‚nicht-westlicher‘ Kunst auf moderne europäische Künstlerpositionen, siehe Ausst.-Kat. Kunstwelten im Dialog. Von Gauguin zur Globalen Gegenwart 1999.
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eine revolutionäre Entwicklung.“101 Dieser ästhetische Paradigmenwechsel war eng mit einer zunehmenden Verhandlung der eigenen Geschichte, der Suche nach einer erneuerten Identität und der Entwicklung eines ägyptischen Nationalbewusstseins verbunden. Die figurative Darstellung wurde demnach für eine nationale Identitätsstiftung instrumentalisiert. Gleichsam war das Ornament als kunsthistorisches Relikt zunächst aus der ägyptischen Leinwandmalerei ausgegrenzt. Die Hinwendung zur Moderne verlief – gerade im Hinblick auf die koloniale Vormachtstellung Europas – nicht ohne kontinuierliche Reibungspunkte. El Noshokaty beschreibt das nationale Denken dieser Periode deshalb als wechselseitige Ideologie zwischen Tradition und Moderne, die sich bis in die ägyptische Gegenwartskunst hinein zieht: „Das kulturelle Erbe und die Moderne beeinflussen und beherrschen sich wechselseitig, lehnen sich ab und bekämpfen sich in einem sehr schwierigen Prozess, in dem beide ständig neu formuliert und definiert werden, und zwar inhaltlich und formal.“102
Moderne und traditionelle Einflüsse bedingen sich demnach in einem wechselvollen Spannungsverhältnis und können nur mit- bzw. gegeneinander, jedoch nicht ohne einander betrachtet werden. Bereits in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts fanden künstlerischer Ausdruck, soziokulturelles Erbe und politische Unabhängigkeitsbewegung mit dem gemeinsamen Ziel der Etablierung eines nationalägyptischen Identitätsstiftungsmodells zusammen.103 Die moderne ägyptische Kunst konstituierte sich demnach als steter Transformationsprozess, als Auseinandersetzung und Verhandlung mit überkommenen und modernen Diskursen, sowie deren Überschreitung. Modernismus ist im ägyptischen Kontext somit nicht mit Verwestlichung gleichzusetzen. Dabei bedeutete die Moderne ebenso wenig eine völlige Abspaltung und Trennung von der Tradition und dem kulturellen Erbe. Fortschritt war beispielsweise für den Schriftsteller Taha Hussein daher nur über eine Verbindung der Gegenwart mit der Vergangenheit zu erreichen, da er das moderne Ägypten als Fortführung und Erweiterung des alten, antiken Ägyptens sah.104 Der ägyptische Modernismus stellte
101
Adrian von Roques, in: Ausst.-Kat. Gegenwart aus Jahrtausenden 2007, S. 24.
102
El Noshokaty, in: Ebd., S. 40.
103
So fielen beispielsweise die nationalen Aufstände, die 1919 in einer ersten Revolution mündeten, mit der ersten großen Ausstellung moderner ägyptischer Künstler im selben Jahr in Kairo zusammen. Vgl. Karnouk 2005, S. 13.
104
Vgl. Hussein [1938] 1975, S. 2.
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sich als selektive Übernahme, aber auch Ablehnung bestimmter ‚westlicher‘ Konzepte der Moderne dar. Gegenüber Vorwürfen der Assimilation europäischer Diskurse reagierten ägyptische Intellektuelle, wie Taha Hussein, mit dem Argument des produktiven wechselseitigen Austauschs: „As a matter of fact, the Europeans borrowed the methods that prevailed in the Islamic world during the Middle Ages. They did then just what we are doing now.“105 Es handelt sich um einen Prozess der Übersetzung, der immer auch Differenz produziert. In dieser Aushandlung kultureller Wechselbeziehungen geht es – wie bereits erwähnt – um eine Dynamik nach beiden Richtungen, es findet mit den Worten Peter Burkes stets eine „doppelte Bewegung von De- und Rekontextualisierung statt.“106 Diese reziproke Beziehung bedeutet einen Austausch ebenso wie sie einen Konflikt impliziert. Gerade dieses Spannungsverhältnis der Inspiration, aber auch der Reibung an transkulturellen Einflüssen – wie es zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Ägypten insbesondere der Austausch mit Europa darstellte – evozierte ein produktives intellektuelles Umfeld für die Entwicklung der modernen ägyptischen Kunst, in welcher Fragen und Reflexionen der eigenen Identität stets eine große Rolle spielten. Die Debatten um eine ägyptische Authentizität drückten sich in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in der sogenannten asala/muʿasira Dichotomie im ägyptischen intellektuellen und künstlerischen Diskurs aus.107 Die arabische Wurzel a-s-l bedeutet etwas zugrunde liegend oder Ursprung, Quelle, Herkunft. Die Adjektivform asil meint häufig reine oder noble Abstammung und kann mit fest verwurzelt oder ursprünglich übersetzt werden. Der davon abgeleitete Begriff asala bedeutet demnach authentisch, traditionell, ursprünglich und ist eng mit dem turath-Konzept verknüpft, das wörtlich mit Erbe übersetzt werden kann. Die Debatte um den asala-Terminus entwickelte sich bereits während der Zeit des Nasserschen Nationalismus und Panarabismus sowohl im intellektuellen als auch im künstlerischen Diskurs.108 Einige Zeit später formierte sich das muʿasira-Konzept als Gegen- oder auch Komplementärbegriff. Die Wurzel ʿa-s-r bedeutet generell Zeitalter, Epoche oder Periode, muʿasira wird demnach
105
Hussein [1938] 1975, S. 13.
106
Burke 2000, S. 13.
107
Vgl. Winegar 2006, Kapitel 2: Cultural Authenticity, Artistic Personhood, and Frames of Evaluation, S. 88-130.
108
Die Thematisierung der beiden Pole Tradition und Moderne spielt im ägyptischen intellektuellen Diskurs seit dem 19. Jahrhundert eine wesentliche Rolle, asala kommt in diesem Zusammenhang allerdings erst in den 1950er Jahren auf. Vgl. Scheffold 1996, S. 80.
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mit zeitgenössisch oder modern übersetzt. Kaum ein ägyptischer Intellektueller des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts hat sich nicht mit dem diskursiven Begriffspaar asala/Authentizität und muʿasira/Kontemporaneität beschäftigt. Die Debatte fand ihren Höhepunkt in den 1970er Jahren und wurde insbesondere auf zwei großen in Kairo stattfindenden Konferenzen diskutiert: Zum einen die 1971 ausgerichtete Konferenz mit dem Titel al-asala wa al-tajdid fi al-thaqafa al-ʿarabiyya al-muʿasira (dt. Authentizität und Erneuerung in der zeitgenössischen arabischen Kultur), organisiert von ALECSO, Arab League Educational, Cultural and Scientific Organization und zum anderen die 1984 vom Center for Arab Unity Studies ausgerichtete Konferenz al-turath wa tahaddiyyat al-ʿasr fi al-watan al-ʿarabi (dt. Das Erbe und die Herausforderungen der Epoche in der arabischen Heimat).109 Die asala/muʿasira-Debatte spielte im ägyptischen Kunstdiskurs in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts eine wesentliche Rolle. Wurden die Begriffe auch nicht immer explizit erwähnt oder angeführt, so waren die dahinterstehenden Konzepte unterschiedlicher Vorstellungswelten von generellem Einfluss auf die künstlerische Produktion. Die kritische Reflexion dichotomer Modelle, wie von der asala/muʿasira-Debatte ausgedrückt, führte zur Entstehung neuer künstlerischer Konzeptionen. Erstmals lassen sich nun ornamentale Strukturen als zentrales Bildthema in der modernen ägyptischen Kunst fassen. Die Gründe für diesen ornamentalen Gestus sind vielfältig. Generell kamen ornamentale Strukturen als künstlerische Strategie zu einer Zeit auf, die von nationalen Umwälzungen geprägt wurde, wie die Niederlage gegen Israel 1967 unter Gamal Abdel Nasser und das Scheitern der sozialistischen Ideologie, ebenso wie die darauffolgenden politischen Veränderungen unter Anwar Sadat. Die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts war dabei im politischen und intellektuellen ägyptischen Diskurs durch ein starkes Krisenbewusstsein geprägt. In der Debatte um eine zweite nahda bzw. Renaissance wurden Gründe für das diagnostizierte Scheitern der ersten nahda und ihrer Leitthemen der sozialen Gerechtigkeit, des Bildungswesens und modernisierenden Fortschritts diskutiert.110 Auch auf die gegenwärtigen Umschwünge reagieren einige Künstler mit ornamentalen Kunststrategien. Im Hinblick auf die Heterogenität der Konzeptionen muss jedoch eingeräumt werden, dass ornamentale Kunstwerke nur eine Strömung innerhalb der ägyptischen Kunstlandschaft darstellen. Nichtsdestotrotz kommt ornamentalen Strukturen in zeitgenössischen Kunstwerken
109
Für eine englische Zusammenfassung der zentralen Beiträge beider Konferenzen siehe Kassab 2010, S. 116-172.
110
Vgl. ebd., S. 20.
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eine wesentliche Bedeutung zu, da sie aufgrund ihrer ambivalenten Charakteristik binäre Vorstellungsmodelle paradigmatisch unterlaufen können, ohne die Differenz jedoch völlig aufzuheben, sondern sie vielmehr kritisch zu reflektieren. Die Betrachtung exemplarischer zeitgenössischer Künstlerpositionen aus Ägypten, die in ihren Konzeptionen ornamentale Strukturen verwenden, bildet den Hauptteil der Studie (Teil II). Der Fokus der Analyse wird dabei insbesondere auf die unterschiedlichen künstlerischen Mittel wie formale Verschiebungen und Brechungen, Verschleierung und Verhüllung sowie repetitive Darstellungsformen gelegt, um das kritisch-reflexives Potential der einzelnen Arbeiten zu untersuchen. Hierfür sind zunächst einige methodische Bemerkungen notwendig.
3. M ETHODISCHE B EMERKUNGEN (T EIL II)
UND
K ÜNSTLERKORPUS
Für die Analyse ornamentaler Strukturen in zeitgenössischen ägyptischen Kunstwerken ist insbesondere die islamische Ornamentik von wesentlicher Bedeutung, jedoch stellt diese – wie bereits gezeigt wurde – keine geschlossene Entität, sondern vielmehr eine heterogene, transkulturelle Kategorie dar. Überdies spielen für die ornamentalen Strukturen weitere Einflüsse des traditionellen Kunsterbes eine Rolle, wie beispielsweise koptische oder pharaonische Reminiszenzen. Gemeinsam ist den Werken stets eine inhärente strukturelle Mehrschichtigkeit. Das Korpus der exemplarischen ägyptischen Künstlerpositionen fokussiert sich zumeist auf Malerei, sowie Zeichnungen und digital bearbeitete Fotografie-Arbeiten. Bei einzelnen Künstlerpositionen werden diese Konzeptionen zudem mit ihren Video- und Installationsentwürfen, die strategisch ähnlich vorgehen, ergänzt. Generell lassen sich die künstlerischen Konzepte formal in drei ‚Ornamentkategorien‘ unterscheiden: Zum einen werden geometrische oder florale Muster in transformierter Gestalt künstlerisch anverwandelt (Kapitel 6: Susan Hefuna, Marwa Adel). Zum anderen evoziert auch die repetitive Wiederholung und Reihung spezifischer Symbole und Ikonen eine ornamentale Ästhetik und eine kritische Reflexion ihrer jeweiligen Bedeutungsinhalte (Kapitel 7: Khaled Hafez, Huda Lutfi). Ebenso können kalligrafische Strukturen als ornamental bezeichnet werden aufgrund ihrer Ähnlichkeit zu arabesken Formen, denen beiden eine linear-dynamische Charakteristik gemeinsam ist (Kapitel 8: Sameh Ismail). Susan Hefuna (*1962) greift in ihren künstlerischen Konzeptionen auf geometrische Ornamentstrukturen zurück, die Reminiszenzen an Maschrabiyya
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aufweisen. Dieser Terminus wird in der islamischen Architektur verwendet, um kunstvoll geschnitzte Holzgitterfenster zu bezeichnen. Während in ihren Zeichnungen die Linie mit ihren Verbindungen und Verknüpfungen zu einem Ausdruck meditativer Übung und konzeptioneller Energie wird, steht bei ihren Objekt-Installationen – nach den Entwürfen der Künstlerin in Kairoer Werkstätten hergestellte Maschrabiyya-Gitter, die immer einen Moment der Irritation enthalten – die raumgreifende Wirkung im Vordergrund. Für die Interpretationszuschreibung spielt die Rezeption des Betrachters eine wichtige Rolle, da dieser dem Bild in Abhängigkeit seiner jeweiligen geografischen oder kulturellen Verortung unterschiedliche, oftmals diametrale Bedeutungen zumisst. So können die Maschrabiyya-Strukturen sowohl als Ausdruck künstlerscher Identitätsverhandlung als auch rein abstrakt interpretiert werden. Greift die Position Hefunas damit Fragestellungen bezüglich der Position des Betrachters für die Bedeutung des Kunstwerks auf, so thematisiert sie zugleich die Problematik kultureller Codes, die zumeist auf stereotypen Vorstellungsmodellen beruhen. Der Aspekt der kritischen Reflexion kultureller Zuschreibungen ist auch von wesentlicher Bedeutung für das künstlerische Œuvre von Marwa Adel (*1984). Die Künstlerin verbindet in ihren Arbeiten das Medium der Fotografie mit Computergrafiken, indem sie formal auf ein Konglomerat aus digitalen Texturen und Lichteffekten zurückgreift. Adel ist insbesondere für ihre mehrschichtigen Arbeiten, in denen sie vegetabile und florale Ornamentstrukturen auf zumeist unbekleidete weibliche Körper legt, bekannt. Die in mehreren Schichten überlagerten Ornamente evozieren unterschiedliche Bedeutungsdimensionen, die von transzendenten Sinnzuschreibungen bis hin zu subtilen kritischen Reflexionen reichen, je nachdem ob die Ornamente als Rahmung, Verhüllung oder Verdrängung der weiblichen Figur gelesen werden. In den Analysen wird nachgezeichnet, wie die beiden künstlerischen Positionen von Hefuna und Adel über die ornamentalen Strukturen einen Zwischenraum, ein Dazwischen konstruieren und zugleich mit der Zuweisung unterschiedlicher Bedeutungsdimensionen spielen. Auf differierende Weise wirken ornamentale Strukturen in den künstlerischen Arbeiten von Hafez und Lutfi, wobei mit ornamental hierbei die strategische Wiederholung und Transformation traditioneller Symboliken bezeichnet wird. Anders als bei geometrischen oder floralen Mustern stellt diese Ornamentkategorie zumeist repetitive anthropomorphe Figuren dar, wie bei Hafez hybride Gott-Mensch-Gestalten und bei Lutfi weibliche Figuren, die oftmals künstlerische Transformationen traditioneller ägyptischer ʿarusa-Puppen repräsentieren. In seinen Gemälden verbindet Khaled Hafez (*1963) Ikonen zeitgenössischer Populärkultur mit traditionellen Symbolen pharaonischer Vergangenheit und versetzt in ironischer Manier altägyptische Gottheiten in eine kapitalistische
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Konsumwelt. Hierbei greift Hafez Dichotomien auf, wie modern versus traditionell, lokal versus global oder säkular versus religiös, um deren Entstehung und Entwicklung zu globalen Symbolen innerkünstlerisch zu thematisieren. Denn insbesondere die globale Konsumkultur arbeitet mit derartigen Dichotomien, wobei sie zu verlockenden visuellen Produkten stilisiert werden. Hafez’ künstlerische Referenz auf die vergangene Bild- und Schriftkultur des Alten Ägyptens betrifft nicht nur die Problematik der Konzeption eines kulturellen Bildrepertoires, sondern ebenso die Ambivalenz der Auffassung von Identität und der Rolle des eigenen Erbes. Huda Lutfi (*1948) greift in ihren Werken ebenso die Thematik von kulturellen Ikonen und kollektiven Bilderwelten auf, bezieht sich hierbei jedoch vor allem auf den modernen, populärkulturellen Kontext Ägyptens, wie in ihrer künstlerischen Behandlung des Konterfeis der ägyptischen Sängerin Umm Kulthum deutlich wird. Diese Figurationen werden in repetitiver Reihung in unterschiedliche, zum Teil mandalahafte Anordnungen gebracht. Die Analysen untersuchen, inwiefern Repetition als ornamentale Strategie beschrieben werden kann, die über unterschiedliche Mittel wie Ironie und Transformation den Bedeutungsinhalt von kulturellen Symbolen kritisch reflektiert. Dabei beziehen sich die beiden Künstler ebenso auf die nach den politischen Umschwüngen massenmedial zirkulierenden Bilder der ägyptischen Revolution. Als dritte und letzte Ornamentkategorie wird die Funktion und Bedeutung der Kalligrafie, der arabischen Schriftkunst, in der zeitgenössischen ägyptischen Malerei beleuchtet. In ihren abstrakten und repetitiven Formmöglichkeiten werden kalligrafische Linien zu ornamentalen Strukturen, bei denen die Lesbarkeit nicht mehr unmittelbar im Vordergrund steht. Sameh Ismail (*1974) verbindet kalligrafische Strukturen mit formalen Variationen der Graffiti-Kunst zu einer Art von ‚Kalligraffiti‘. Die Legibilität tritt dabei zumeist völlig hinter die expressive Gestalt der Linien zurück. Semantische Bezüge werden heraufbeschworen, um sie zugleich aufgrund der potentiellen Unlesbarkeit wieder zu dekonstruieren. Die kalligrafischen Linien verbleiben in ihrer Bedeutungsdimension ambivalent, da sie oftmals vorgeben, lesbar zu sein und die Unmöglichkeit des Entzifferns erst beim tatsächlichen Versuch des Nachzeichnens der potentiellen Buchstabenlinien offenbaren. Dieser Prozess wird darüber hinaus kompliziert, wenn die Kunstwerke in einem internationalen Kontext ausgestellt werden und die Lesekompetenz der Betrachter nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Damit thematisieren die kalligrafischen Strukturen in ihrer Ambiguität die Bedeutung und Problematik von Prozessen der Lesbarkeit und die Möglichkeit der Erkenntnis an sich.
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Über ihre unterschiedliche Gestalt behandeln die ornamentalen Konzeptionen ähnliche Thematiken wie die Problematik von Identität und Alterität, das Verhältnis zum eigenen kulturellen Erbe in einer globalisierten Welt sowie die Einbeziehung und Rolle der Betrachterposition für die Sinnzuschreibung der Werke. Hier bleiben die Bedeutungsdimensionen der einzelnen künstlerischen Konzepte jedoch nicht stehen. Über das Zulassen unterschiedlicher, sich zum Teil widersprechender Interpretationen und die Thematisierung der eigenen Ambivalenz entfalten die Konzeptionen ein Potential, das als kritisch-reflexiv gedeutet werden kann. Um diese These methodisch zu untermauern, verfolgen die Werkanalysen ein dreistufiges Modell: In einem ersten Schritt werden die exemplarischen zeitgenössischen Kunstwerke aus Ägypten, die das Phänomen eines ornamentalen Struktursystems verhandeln, formalästhetisch und strukturanalytisch nach ihren bedeutungsgenerierenden Bezügen befragt. In einem zweiten Analyseschritt wird schließlich der Kontext mit einbezogen, um die Arbeiten innerhalb ihres Entstehungszusammenhangs zu verorten sowie diese in einem dritten Schritt weiteren Künstlerpositionen des ägyptischen und internationalen Diskurses komparatistisch gegenüberzustellen und ihre jeweiligen inhaltlichen Implikationen herauszuarbeiten. In einem abschließenden Resümee der Studie werden die Einzelanalysen schließlich konstruktiv zusammengeführt, um die strukturelle Modalität, aber auch Differenz in den ornamentalen Strategien, sowie ihre Funktionen und semantischen Konnotationen herauszuarbeiten. Nicht zuletzt aufgrund oftmals fehlender textueller Grundlagen zu den einzelnen Künstlerpositionen spielen für die Konzeption der Studie vor Ort geführte Interviews – und somit die Selbstinterpretation der Künstler – eine wesentliche Rolle. Die Ausrichtung der jeweiligen Fragestellungen dient somit der Nachzeichnung möglicher Künstlerintentionen, aber auch des heterogenen Diskursfeldes, in dem sie sich bewegen. Dabei wird berücksichtigt, dass „der selbstinterpretative Text […] nicht Resultat, sondern Untersuchungsgegenstand der kunstwissenschaftlichen Forschung“111 ist. Als methodisches Instrument für die Betrachtung der ambivalenten Bedeutungsstrukturen ornamentaler Werke bietet sich die kunstsemiotische Analyse an.112 Fokus dieser Methode sind die kompositionellen Strukturen und Zusam-
111 112
Thürlemann 1986, S. 33. Das Potential der semiotischen Methode für die Analyse ornamentaler Strukturen moderner ägyptischer Kunst wurde bereits von Dagmar Thesing in einer monografischen Arbeit zum künstlerischen Werk von Mohamed Taha Hussein verdeutlicht. Siehe Thesing 2003.
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menhänge innerhalb einer Bildfläche sowie die Konstellationen der einzelnen Formelemente zueinander. Da in der semiotischen Analyse das Erfassen des Struktursystems eines Werks der Beschreibung ikonografischer Bezüge vorangestellt ist, bildet sie ein ideales Untersuchungsmittel für die Herausarbeitung der ambivalenten Bedeutungsdimensionen ornamentaler Werke und deren Beziehungsgeflecht mit repräsentativen Figurationen. Innerhalb des poststrukturalistischen Diskurses wurde insbesondere die Dynamik der Bedeutungszuschreibung von Zeichen herausgestellt.113 Dieser Ansatz kann als Erklärungsmodell für die vielschichtigen, sich überschneidenden und oftmals widersprüchlichen Deutungen ornamentaler Strukturen in zeitgenössischer ägyptischer Kunst herangezogen werden. Zugleich ist die in der Semiotik postulierte Arbitrarität von Zeichen für die Analyse transkultureller Kunstwerke entscheidend, „da sie die kulturelle Lokalisiertheit von Bedeutung bereits auf der Zeichenebene begründet.“114 So können unterschiedliche Bedeutungszuschreibungen im Versuch der Aneignung ornamentaler Kunstkonzeptionen anhand der kulturellen Verortung des Rezipienten herausgearbeitet werden, wie sie vom Künstler im jeweiligen Schaffensprozess oftmals mitgedacht ist. Für den kunsttheoretischen Diskurs wurde die semiotische Analyse insbesondere von Felix Thürlemann konzeptualisiert. Ausgehend von der Bedeutungstheorie der französischen Semiotik von Algirdas Julien Greimas fasst die von ihm entwickelte semiotische Kunstwissenschaft „den künstlerischen Gegenstand als autonomes, geschlossenes Bedeutungsganzes, als Text […] auf.“115 Dadurch dass sprachlicher und bildnerischer Text als autonome Einheiten gedeutet werden – was jedoch intertextuelle Bezüge nicht ausschließt –, kann gezeigt werden, dass bildnerische Strukturen an sich bereits bedeutungstragende Elemente und nicht nur rein ästhetische Formen darstellen. Um diese Bedeutungsgenerierung plausibel nachzeichnen zu können, geht die semiotische Analyse in schrittweisen Stufen vor, um zu zeigen, „wie sich die Bedeutung eines Textes vom Einfachen zum Komplexen fortschreitend konstituiert.“116 Für die Analyse ornamentaler Strukturen bedeutet dies konkret, dass die Beziehung von Form und semantischem Gehalt, künstlerischem Ausdruck und bedeutungsgenerierendem Inhalt, die sich jeweils wechselseitig konstituiert, stufenweise nachvollzogen werden kann.
113
Vgl. Bal 1994, S. 165-178.
114
Hepp [1999] 2010, S. 30.
115
Thürlemann 1990, S. 10.
116
Ebd., S. 12.
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In der analytischen Betrachtung eines Kunstwerks ist die Einbeziehung des Kontextes unerlässlich, um es in seinem spezifischen Entstehungszusammenhang zu verorten. Über die semiotische Analyse lassen sich darüber hinaus spezifische Wechselverhältnisse zwischen dem Kunstwerk und seinem Kontext herausarbeiten: „Als selbstständiger Bedeutungsträger ist das Kunstwerk mehr als ein Dokument für eine aus sprachlichen Texten erschließbare ‚Weltanschauung‘. Es kann im historischen Prozess eine aktive Rolle spielen, indem es beiträgt, gesellschaftliche Werte zu fundieren oder zu untergraben.“117
Über diese Argumentationslinie kann somit untersucht werden, inwiefern ornamentale Strukturen nicht nur als Rückgriff auf ein vergangenes Kunsterbe und damit als Thematisierung der eigenen Kultur und Tradition wirken, sondern diese innerhalb des postkolonialen Diskurses künstlerisch unterlaufen und damit ein kritisches Potential gegenüber der generellen Darstellung von Identität entfalten.
4. V ERORTUNG ORNAMENTALER K UNSTWERKE DER G EGENWART IM TRANSKULTURELLEN K ONTEXT (T EIL III) In der zusammenführenden Schlussbetrachtung werden die Erkenntnisse aus den exemplarischen Künstleranalysen herangezogen, um generelle Problematiken im Bezug auf die Positionierung transkultureller Kunstwerke in globaler Perspektive und sinnvolle Konzepte zum Verständnis dieser Arbeiten zu diskutieren. Die zeitgenössische Kunstauffassung fordert sowohl neue Strategien der künstlerischen Kommunikation als auch neue Konzepte der Bildsinnstiftung – seitens eines erneuerten Kunst- bzw. Bildbegriffs. Ausschlaggebend sind hierfür vor allem zwei Phänomene: Zum einen das Symptom der durch Tautologie und Selbstreferenz erschöpften Idee der Moderne, was in der ‚westlichen‘ Kunstgeschichte schließlich zum allgemeinen Einläuten der Postmoderne mit ihren pluralen Diskurskomplexen führte. Zum anderen erfährt das internationale Kunstgeschehen durch die zunehmende Globalisierung eine immer stärkere transkulturelle Vernetzung, wie auch etliche Ausstellungen in den letzten Jahrzehnten belegen.118
117 118
Thürlemann 1990, S. 14. Siehe beispielsweise die von Andrea Buddensieg und Peter Weibel kuratierte Ausstellung The Global Contemporary. Art Worlds After 1989 am ZKM | Zentrum für Kunst
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Dies führt zu neuen Herausforderungen der Kunstwissenschaft, vergleichende Maßstabkataloge für die transkulturellen künstlerischen Erscheinungsformen zu entwickeln. In wissenschaftlichen Ansätzen werden Phänomene der Kunst unter neuen Gesichtspunkten hin untersucht, weltweit „schießen […] die Biennalen wie Pilze aus dem Boden“119 und andere – ‚nicht-westliche‘ – Modernen werden konstatiert. Im Bezug auf die ägyptische Kunst besteht generell die unzureichende Tendenz, die künstlerischen Konzeptionen entweder an ‚westlichen‘ Kunsttraditionen und Modernevorstellungen zu messen oder ihnen lediglich eine gegenwärtige Reflexion auf die lokale politische und soziale Situation zuzugestehen, ohne den historischen Kontext tatsächlich zu berücksichtigen. Für das Verständnis zeitgenössischer ägyptischer Kunst ist es jedoch erforderlich, die Konstitution der modernen ägyptischen Kunst mit ihren eigenen spezifischen Entwicklungslinien und Diskursen, die sich zugleich stets in einem transkulturellen Verflechtungskontext manifestierten, in die Betrachtung mit einzubeziehen. Bezüglich der Analyse transkultureller Kunstphänomene steht man als Kunstwissenschaftler vor einem immensen Pensum neuer Fragestellungen und Herangehensweisen. Diese betreffen insbesondere die Problematik, wie eine gemeinsame Basis zur Analyse unabhängig des jeweiligen kulturellen Referenzrahmens geschaffen werden kann. Hier erschließt sich sofort ein methodisches Paradox, da trotz der erstrebten Objektivität und Neutralität der Einbezug des jeweiligen Kontextes unabdingbar ist. Das Phänomen des Ornaments bietet dabei für ein analytisches Zugangsmodell einen idealen Vergleichsrahmen. Ornamentale Strukturen unterlaufen die Schwelle zum figürlichen Bild bzw. zur monochromen Reduktion der modernen ‚westlichen‘ Kunsttradition. Deshalb stellen sie einen idealen Ausgangspunkt für die methodische Untersuchung transkultureller Kunst dar. Ornamente besitzen für eine Kunstgeschichte globaler Perspektive demnach ein hohes Erkenntnispotential. Die Beschäftigung mit ornamentalen Strukturen in Kunstwerken der Gegenwart und das Ausloten der Möglichkeiten postkolonialer, kulturvergleichender Fragestellungen, die der Umgang mit ornamentalen Bildstrukturen in der Gegenwartskunst bietet, können somit erste Ansätze einer transkulturellen Methodik der Kunstwissenschaft andeuten. Ornamente sind ein globales Phänomen. Wie die Gegenüberstellung der ägyptischen Werke mit künstlerischen Konzeptionen aus dem transkulturellen Kontext allerdings zeigt, kommen den ornamentalen Strukturen je nach kulturellem Kontext unterschiedliche Bedeutungen zu.
und Medien Karlsruhe vom 17.09.2011-05.02.2012. Siehe Belting, Buddensieg und Weibel (Hg.) 2013. 119
Belting, in: Herzog (Hg.) 2000, S. 33.
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Und das, obwohl sie in ihrer Form oft sehr ähnlich sind. Mit Blick auf die exemplarischen Künstlerpositionen aus Ägypten lässt sich jedoch ein gemeinsames Charakteristikum feststellen: Sie sind selbst Bildthema der künstlerischen Konzeption und treffen Aussagen, die dichotome Vorstellungswelten kritisch reflektieren. In dieser funktionalen Eigenschaft zeigen die ornamentalen Strukturen Affinitäten zu dem methodischen Konzept der Transdifferenz, das von Helmbrecht Breinig und Klaus Lösch konkretisiert wurde und sich im postkolonialen Kontext als ergänzendes Modell zu Transkulturalitäts- und Hybriditätskonzepten positioniert. Das Modell der Transdifferenz definiert sich damit wie folgt: „Thinking in terms of transdifference may be motivated by a deeply felt dissatisfaction with the reductiveness of binarisms coupled with a longing for the overcoming of binary thinking.[…] Transdifference […] denotes all that which resists the construction of meaning based on an exclusionary and conclusional binary model. While there can be no transdifference without difference […], the term refers to whatever runs ‘through’ the line of demarcation drawn by binary difference. It does not do away with the originary binary inscription of difference, but rather causes it to oscillate.“120
Die Fokussierung auf binäre Modelle wird über ornamentale Formvariationen kritisch reflektiert. Damit fordern die künstlerischen Konzeptionen den Betrachter dazu auf, die Absurdität eines polarisierenden Denkens zu reflektieren. Strategien der Ornamentalisierung schaffen „quasi eine Art Zwischenzone“ innerhalb der zunächst als ästhetisch wahrgenommenen Form und „der späteren, zeitversetzten Erfassung des darin versteckten Inhalts.“121 Die ambivalente Eigenschaft ornamentaler Strukturen berührt damit unterschiedliche Wahrnehmungsebenen, wobei die bewusst seduktive oder auch transzendente Ästhetik eine wesentliche Rolle spielt. Somit geht es weniger um eine offensive politische Aussage, sondern vielmehr um ein subtil kritisch-reflexives Potential ornamentaler Strukturen, das gewöhnliche Wahrnehmungsmuster destabilisiert und ins Oszillieren bringt.
120
Breinig und Lösch, in: Dies. und Gebhardt (Hg.) 2002, S. 23.
121
Bruckbauer, in: Ausst.-Kat. Die Macht des Ornaments 2009, S. 39.
Teil I Historischer Abriss: Diskurskomplexe moderner ägyptischer Kunst im politischen, sozialen und kulturellen Kontext
Kapitel 1 Beginn einer modernen ägyptischen Kunst Die Institutionalisierung künstlerischen Schaffens zu Beginn des 20. Jahrhunderts
1.1 D IE NAHDA -B EWEGUNG ALS INTELLEKTUELLER R EFERENZRAHMEN FÜR DIE E NTWICKLUNG DER MODERNEN K UNST IN ÄGYPTEN Im Jahr 1908 wurde die erste ägyptische Kunstakademie eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt dauerte der ägyptische Modernisierungsprozess, der die Transformation lokaler Verwaltungs-, Industrialisierungs- und Bildungsmodelle betraf, bereits ein Jahrhundert an. Der Beginn dieses Prozesses wird im Allgemeinen der Herrscherdynastie Muhammad Alis (1805-1848) zugerechnet, welche die Etablierung einer modernen ägyptischen Nation vorantrieb.1 Die kulturpolitischen Entwicklungen dieser Periode, wie sie im Folgenden skizziert werden, waren für die Institutionalisierung der ägyptischen Kunst zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts von zentraler Bedeutung. Als entscheidendes Motiv für die Modernisierung Ägyptens werden in der Forschung „exogene Momente [der] militärischen, […] wirtschaftlichen und
1
Die Implementierung der modernisierenden Maßnahmen vollzog sich nicht zuletzt aufgrund der unter Ali erreichten Teilautonomie Ägyptens vom osmanischen Reich und der damit verbundenen stärkeren Unabhängigkeit von der Regierung in Istanbul, die Reformen in den Provinzen zunächst eher ablehnend gegenüberstand. Vgl. Naef 1996, S. 34. Ali erlangte im Machtvakuum nach dem Kampf gegen die Franzosen und internen Dissonanzen 1805 die Herrschaft in Ägypten und regierte bis 1848. Vgl. Hourani [1992] 2006, S. 336-337.
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wissenschaftlichen Dominanz Europas“2 angeführt. Dies hatte in Ägypten politische Reformen zur Folge, die größtenteils im Sinne Alis Militärpolitik standen und danach zielten, „eine Schicht von Offizieren, Ärzten, Ingenieuren und Beamten heranzubilden.“3 Zugleich bereiteten die Veränderungen im Schulsystem, die nach Europa entsandten Forschungsmissionen und die allmähliche Etablierung einer ägyptischen Presselandschaft den intellektuellen Boden für die im Arabischen als nahda bezeichnete kulturelle Renaissance, die im neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhundert verortet wurde und unterschiedliche Themenfelder berührte.4 Hierzu gehörten die Aufarbeitung europäischer Wissenschaften und deren Übersetzung ins Arabische5; die Auseinandersetzung mit europäischen Modernediskursen und deren Vereinbarkeit mit dem Islam6; politische Debatten wie die Rolle des Islams in der politischen Sphäre7 und Themen sozialer Gerechtigkeit8; sowie bildungskulturelle und literarische Diskursstränge9. Wichtigstes Verbreitungsorgan dieser Reformideen und intellektuellen De-
2
Scheffold 1996, S. 45.
3
Hourani [1992] 2006, S. 337.
4
Vgl. Hourani [1962] 1983, S. 51-53. Albert Houranis grundlegende Studie über das liberale Zeitalter des Arabischen Denkens wurde erstmals 1962 mit dem Titel Arabic Thought in the Liberal Age 1798-1939 veröffentlicht und 1972 mit dem Titel al-fikr al-ʿarabi fi ʿasr al-nahda ins Arabische übersetzt. Zum Forschungskontext der Studie siehe Reid, in: International Journal of Middle East Studies 1982, Band 14, Nr. 4, S. 541-557.
5
Zu den ersten ägyptischen Intellektuellen, die europäische Werke ins Arabische übersetzten, gehörte Rifaʿa Rafiʿ al-Tahtawi. 1835 eröffnete er die erste Schule der Übersetzung in Ägypten. Vgl. Mitchell 1988, S. 107.
6
Als einer der wichtigsten Reformtheologen ist hierbei der 1899 zum Großmufti von Ägypten ernannte Muhammad ʿAbduh zu nennen. Siehe hierzu Adams [2000] 1933.
7
Im Rahmen der Debatten um die Abschaffung des islamischen Kalifats spricht sich beispielsweise Ali ʿAbd al-Raziq in seinem erstmals 1925 mit dem Titel al-islam wa usul al-hukm: bahth fi-l khilafa wa-l hukuma fi-l islam (dt. Der Islam und die Grundlagen der Herrschaft. Studie über das Kalifat und Regieren im Islam) publizierten Werk für eine Trennung des Religiösen und des Politischen aus. Für eine deutsche Übersetzung siehe Ebert und Hefny 2010.
8
Beispielsweise veröffentlichte Qasim Amin 1899 das Werk tahrir al-marʾa (dt. Die Befreiung der Frau), in dem er zu den Frauenrechten in Ägypten Stellung bezog. Für eine deutsche Übersetzung siehe Amin 1992.
9
Als eines der zentralen Werke des bildungskulturellen Diskurses gilt Taha Husseins 1938 veröffentlichtes mustaqbal al-thaqafa fi misr (dt. Die Zukunft der Kultur in
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batten war die ab den 1860er Jahren in Kairo aufkommende öffentliche Presse.10 Innerhalb dieser Diskurslandschaften bestand zunächst die positive Überzeugung eines wechselseitigen Dialogs und einer reibungslosen Integration europäischer Technik und Wissenschaft mit dem ägyptischen Gesellschafts- und Geisteswesen. Im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts bildete sich jedoch bei ägyptischen Intellektuellen das Bewusstsein eines Spannungsverhältnisses und ein Gefühl des notwendigerweise aufzuholenden Rückschritts gegenüber der Vormachtstellung eines modernen Europas heraus, was die Begriffsbildung des nahdaTerminus wesentlich prägte.11 Das Aufkommen der nahda kann jedoch nicht allein in dualen Begriffen der Begegnung mit Europa und der Annahme europäischer Wissenschaft und Technik erklärt werden – nicht zuletzt, da der gegenseitige Austausch zwischen Europa und Ägypten nicht erst ein Phänomen des neunzehnten Jahrhunderts war.12 Ebenso müssen innerarabische Entwicklungen sowie politische und soziale Faktoren mit einbezogen werden, um die der europäischen Orientalistik entstammende Annahme, „that Western contact awakened a rather stagnant Middle East“13 kritisch zu reflektieren. Für die methodische Betrachtung ist es demnach
Ägypten). Für eine englische Übersetzung siehe Hussein [1938] 1975. Mit Blick auf den Bereich der Literatur siehe insbesondere Hussein Haikals Zainab von 1913. Das Werk gilt als der erste moderne ägyptische Roman. 10
Die Regierung unter Muhammad Ali produzierte seit 1828 eine offizielle Gazette, welche Regierungsbeschlüsse, Dekrete sowie offizielle Termine enthielt. Ein stärker öffentliches Zeitungswesen entstand dagegen erst in den 1860er Jahren. Vgl. Mitchell 1988, S. 90-92.
11
Vgl. Kassab 2010, S. 25 und Scheffold 1996, S. 67.
12
Roger Owen zeichnet dies beispielsweise anhand der historischen Bedeutung internationaler Handelsbeziehungen für Ägypten nach. Vgl. Owen, in: Bulletin (British Society for Middle Eastern Studies) 1976, Band 3, Nr. 2, S. 114-115.
13
Reid, in: International Journal of Middle East Studies 1982, Band 14, Nr. 4, S. 547. Ebenso argumentiert Owen, dass die allgemein akzeptierte Annahme eines Niedergangs der islamischen Zivilisation bis ins 18. Jahrhundert hinein ein orientalistisches Stereotyp und deswegen eine konstruierte europäische Vorstellung darstellt. Vgl. Owen in: Bulletin (British Society for Middle Eastern Studies) 1976, Band 3, Nr. 2, S. 113-114. Darüber hinaus zeigt beispielsweise Juan Cole Einflüsse früherer islamischer Autoren auf den nahda-Intellektuellen al-Tahtawi auf und Peter Gran führt an, dass die Entwicklung der arabischen Sprache „as a vehicle flexible enough to receive a great deal of new technical vocabulary, to allow for journalism or for the easy spread of education“ bereits im 18. Jahrhundert mit der Entwicklung neuer Lexika eingesetzt
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wichtig, von einem starren binären Kulturkontaktmodell abzuweichen und den Blick auf die vielschichtigen dynamischen Vernetzungen, Überlappungen und Reibungsflächen zu richten.14 Diese Perspektive dekonstruiert die orientalistische Vorstellung eines gegenüber den kolonialen Ambitionen Europas passiven Ägyptens, ohne dabei die hegemonialen Machtverhältnisse und imperialen Suppressionen zu negieren.15 Sie legt den Betrachtungsfokus vielmehr auf die „[…] wechselseitigen, in sich vernetzten Konstitutionsprozess[e], [deren] Akteure jeweils das System des anderen im Kopf hatten und auch strategisch damit operierten, diese Vorstellungen für ihre Zwecke einsetzten.“16
Die Invasion Napoleons 1798 kann mit Margot Scheffold als eine „epochale[…] Zäsur für eine im dialektischen Austausch mit fremdkulturellen Einflüssen sich vollziehende Selbstbewusstwerdung ägyptisch-arabischer Kultur“17 bewertet werden, auch wenn das koloniale Vorhaben Frankreichs bereits drei Jahre später scheiterte. Die Landung der napoleonischen Truppen sowie die Reaktionen der
hatte. Vgl. Cole, in: The Muslim World 1980, Band 70, Nr. 1, S. 29-46 sowie Gran, in: Al-Ahram weekly 2005, Nr. 770. 14
Hier setzt das Konzept der Histoire croisée an, „das nicht nur historische Vorgänge von Verflechtung ins Blickfeld nimmt […], sondern auch sich selbst als aktiven Verflechtungsfaktor versteht.“ Werner und Zimmermann, in: Geschichte und Gesellschaft 2002, 28. Jahrgang, Heft 4, S. 618.
15
Generell übersieht die Fokussierung auf einen ‚westlich‘ konstruierten Orientalismus, dass orientalistische Vorstellungsmodelle ebenso in der Region zirkulierten und anverwandelt wurden. So schreibt beispielsweise Ussama Makdisi mit Blick auf das Osmanische Reich des 19. und frühen 20. Jahrhunderts: „Unlike Western Orientalism, Ottoman Orientalism was as much a self-designation as it was a marker of difference from other, putatively less advanced, nations and races. It sought to unify Turks and Arabs within a rejuvenated East. At the same time, it differentiated them by overlaying temporal hierarchies with increasingly explicit ethnic and racial ones in which Ottoman became synonymous with Turk.“ Makdisi, in: The American Historical Review 2002, Band 107, Nr. 3, S. 795.
16
Werner und Zimmermann, in: Geschichte und Gesellschaft 2002, 28. Jahrgang, Heft 4, S. 619. Die Autoren beziehen sich hierbei auf die Analyse der Entstehung des Sozialstaates in Deutschland und Frankreich. Ihre Diagnose eines wechselseitigen Konstitutionsprozesses kann jedoch ebenso auf die vielschichtigen Beziehungen zwischen Europa und Ägypten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert angewandt werden.
17
Scheffold 1996, S. 66.
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ägyptischen Bevölkerung und dabei insbesondere der herrschenden Klasse wurden von dem ägyptischen Chronisten ʿAbd al-Rahman al-Jabarti (1753-1825) detailliert beschrieben.18 Sein Bericht offenbart dabei eine ambivalente Haltung gegenüber den Franzosen: Während er einerseits die französischen Wissenschaften und deren Lehren bewundert – „they have a great inquisitiveness into the sciences, especially mathematics and knowledge of languages“19 –, kritisiert er andererseits die von ihm wiedergegebene napoleonische Proklamation, indem er „the incoherent words and vulgar constructions which he put into this miserable letter“20 aufzählt. Napoleons Behauptung, mit dem Islam zu sympathisieren, stellt er ebenfalls in Frage – „those people are opposed to both Christians and Muslims, and do not hold fast to any religion.“21 Die auf Arabisch verfasste Proklamation hatte hauptsächlich zum Ziel, bei den ägyptischen Adressaten eine generelle Wohlgesinnung auszulösen, indem Napoleon mittels der französischen Invasion eine Vertreibung der Fremdherrschaft der Mameluken bei gleichzeitiger Wahrung der islamischen Prinzipien versprach.22 Wurden die kolonialen Ambitionen Frankreichs von ägyptischer Seite zwar mit Argwohn betrachtet, so hatten zugleich die im neunzehnten Jahrhundert in Ägypten zirkulierenden und ins Arabische übersetzten Schriften französischer Autoren einen starken Einfluss auf die Ansichtsweisen ägyptischer Intellektueller.23 Im Bereich der Bildung umfassten die modernisierenden Maßnahmen insbesondere die Etablierung und Umstrukturierung von staatlichen und privaten Schulen unterschiedlicher Ausrichtungen sowie die Sendung von Studentenmissionen sämtlicher Disziplinen nach Europa, um vor Ort europäische Wissenschaften zu studieren.24 Zugleich wurden europäische Künstler und Architekten
18
Die von al-Jabarti verfasste Chronik ʿajaʾib al-athar fi al-tarajim wal-akhbar (dt. Die wunderbaren Kompositionen der Übersetzungen und Chroniken), erstmals 1879-80 publiziert, gilt als bedeutendste Primärquelle der Geschichte Ägyptens unter osmanischer Herrschaft. Siehe hierzu die englischen (Teil-)Übersetzungen von Hathaway (Hg.) 2009 sowie Moreh und Tignor (Hg.) 1993.
19
Al-Jabarti, in: Hathaway (Hg.) 2009, S. 193.
20
Al-Jabarti, in: Moreh und Tignor (Hg.) 1993, S. 27.
21
Ebd., S. 32.
22
Vgl. Hourani [1962] 1983, S. 50 sowie Said [1978] 2010, Kapitel: Große Projekte, S. 91-112.
23
Für die Auseinandersetzung arabischer Intellektueller mit der französischen Aufklärung siehe Hourani [1962] 1983. Für die Positionierung ägyptischer Intellektueller gegenüber den französischen, aber auch britischen Orientalisten siehe Mitchell 1988.
24
Vgl. Naef 1996, S. 33.
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nach Kairo eingeladen, um ein modernes Ägypten zu errichten.25 ‚Westliche‘ Kunsttechniken wie perspektivisches Zeichnen wurden in Kairo wie in Istanbul zunächst nicht an staatlichen Kunstakademien, sondern an Militärschulen als Teil des Topografieunterrichts gelehrt.26 Erst danach kam es zur Gründung „spezielle[r] Lehranstalten für die Unterweisung in westlicher Kunst“27, welche sich inhaltlich und strukturell an europäischen Bildungsinstitutionen orientierten. Das Lehrpersonal wurde dabei von europäischen Malern gestellt, die nach dem Abzug der napoleonischen Truppen 1801 im Land geblieben waren. In Privatstunden konnten Ägypter der Oberschicht den Stil europäischer Kunst erlernen. Gleichzeitig waren die Maler aus Europa von der alten Kunst und Kultur Ägyptens fasziniert und benutzten diese Sujets in ihren Werken.28 Das transkulturelle Wechselverhältnis der gegenseitigen Inspiration war damit vor allem ein elitäres Phänomen.29 Die Übersetzungen europäischen Wissens unter anderem durch den ägyptischen Intellektuellen Rifaʿa Rafiʿ al-Tahtawi Mitte des neunzehnten Jahrhunderts verursachten bei der ägyptischen Elite eine Neubewertung traditioneller Strukturen und führten zur Formulierung des Postulats, kulturelle Reformen seien für die Etablierung einer neuen, modernen Nation unabdingbar.30 Al-Tahtawi gehörte der ersten Mission an, die Muhammad Ali 1826 nach Paris schickte. Die Mission war im Interesse Alis Militärpolitik, europäische Technologien zu erlernen und zu übernehmen. Auch wenn al-Tahtawi als Imam und nicht als Student die Mission begleitete, widmete er sich in Paris seinen Studien, wie von Albert Hourani zusammengefasst: „He read books on ancient history, Greek philosophy and mythology, geography, arithmetic, and logic; […] and, most important, something of the French thought of the eighteenth
25
In wirtschaftlicher Hinsicht führte dieser Modernisierungsprozess letztendlich am Ende des 19. Jahrhunderts zu einer völligen Überschuldung Ägyptens und Abhängigkeit von Europa. Zum architektonischen Modernisierungsprozess von Kairo siehe Alsayyad 2011.
26
Zu den ‚osmanischen Soldatenmalern‘ vgl. Ali 1997, S. 9-10.
27
Naef 2007, S. 89.
28
Vgl. Hussein, in: Ali (Hg.) 1989, S. 33.
29
Für exemplarische Künstlerpositionen dieses interdependenten Verhältnisses in Ägypten siehe Kapitel 1.2 Suche nach einem nationalen Kunstmodell: Die ägyptische Akademie und ihre Pioniergeneration.
30
Vgl. Karnouk 2005, S. 11.
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century – Voltaire, Condillac, Rousseau’s Social Contract, and the main works of Montesquieu.“31
Inspiriert durch den Gedanken der französischen Aufklärung drückte al-Tahtawi als erster ägyptischer Intellektueller die Idee eines ägyptischen Nationalstaates aus.32 In seinen Schriften betonte er die Vorstellung der Untergliederung der Welt in einzelne, jeweils in ihren Charakteristiken spezifische Staaten. Dabei übersetzte er das französische Wort patrie (dt. Heimat, Vaterland) ins arabische watan und sprach schließlich von wataniyya, was mit Nationalismus und Patriotismus übersetzt werden kann.33 Zugleich beschrieb er Ägypten als „a distinctive entity since the time of the pharaohs.“34 Al-Tahtawi war sowohl Verfechter der Reformbewegung als auch der islamischen Tradition. Er gehörte zu den ägyptischen Intellektuellen, die bemüht waren, zu zeigen, „that modern reform was not only a legitimate but a necessary implication of the social teaching of Islam.“35 Somit versuchte al-Tahtawi als früher islamischer Modernist, religiöse Prinzipien mit europäischen Wissenschaften und Theorien zu verbinden. In einer transkulturellen Wechselbeziehung war es sein Kontakt zu französischen Orientalisten und deren Entdeckungen der Ägyptologie, der seine Aufmerksamkeit auf das antike, pharaonische Ägypten lenkte und ihm die Bedeutung seines eigenen kulturellen Erbes bewusst machte.36 Das moderne Ägypten war für ihn der legitime nationale und kulturelle Nachfolger der antiken Zivilisation der Pharaonen, deren Hinterlassenschaften er paradoxerweise erstmals in Paris sah.37 Den Grund für den Niedergang der die Nation konstituierenden Elemente „of civilization, social morality and economic prosperity“38 sah er in der Fremdherrschaft Ägyptens begründet und näherte sich dadurch dem Argumentationsstrang der Napoleonischen Proklamation an – eine politische Auffassung, die sich bei ägyptischen Intellektuellen allgemein verankerte und deren Nationalismus sich schließlich am Ende des neunzehnten Jahrhunderts gegen die seit Mohammad Ali regierende Herrscherfamilie richtete, der al-Tahtawi noch diente.39
31
Hourani [1962] 1983, S. 69.
32
Vgl. ebd., S. 68-69.
33
Vgl. Dawn, in: Khalidi, Anderson, Muslih und Simon (Hg.) 1991, S. 4.
34
Ebd., S. 5.
35
Hourani [1962] 1983, S. 68.
36
Vgl. ebd., S. 70.
37
Vgl. ebd., S. 79.
38
Ebd.
39
Vgl. ebd., S. 80.
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Während al-Tahtawi den europäischen Imperialismus noch wenig als Bedrohung wahrnahm40, kulminierte die während des neunzehnten Jahrhunderts ansteigende europäische Vormachtstellung in Ägypten 1882 mit der britischen Okkupation des Landes. Ägyptische Intellektuelle reagierten mit anhaltenden Debatten bezüglich der Formulierung einer nationalen Unabhängigkeitsbewegung und der damit einhergehenden Zuschreibung einer spezifisch ägyptischen Identität bei gleichzeitiger Anverwandlung europäischer Denkschulen und Wissenschaftsstrukturen, wie von Halim Barakat zusammengefasst: „So the need to confront the West has coexisted with the emulation of Western models and paradigms.“41 Vereinfacht betrachtet lassen sich die vorherrschenden Diskurse in zwei Hauptstränge – den islamischen Modernismus und die liberale Reformbewegung – differenzieren, wobei sich beide Denkrichtungen nicht völlig voneinander trennen lassen, da sie sich in ihrer Ausrichtung zum Teil überschnitten und verknüpften.42 Traditionell an der al-Azhar Universität von Kairo ausgebildet, versuchten die islamischen Reformdenker, die religiöse Geisteswelt des Islam einer weitreichenden Revision zu unterziehen und deren Vereinbarkeit mit moderner Wissenschaft und Technik zu begründen.43 Die Diskussionen verbanden sich schließlich im islamischen Reformismus des Religionsgelehrten und Großmufti von Ägypten, Muhammad ʿAbduh (1849-1905), der den arabisch-islamischen und insbesondere ägyptischen intellektuellen Diskurs stark beeinflusste. Er wurde zum Vordenker unterschiedlicher und teilweiser konträr zueinander stehender Denkschulen, welche auf die politischen Entwicklungen Ägyptens in differierender Weise einwirkten, wie von Scheffold konstatiert:
40
In den Beschreibungen al-Tahtawis stellte Europa kein politisches Risiko dar, jedoch nannte er eine bestimmte ‚moralische Gefahr‘, die von einem europäischen Lebensstil ausgehe. Vgl. Hourani [1962] 1983, S. 82.
41 42
Barakat 1993, S. 241. Vgl. ebd., S. 242-251. In seiner Übersicht arabischer Denkschulen der formierenden Moderne führt Barakat noch einen dritten, sozialistischen Trend an, der vor allem von syrischen Autoren geprägt war.
43
Hierzu gab es einige berühmte Debatten, unter anderem zwischen Jamal al-Din alAfghani und dem französischen Orientalisten Ernest Renan sowie zwischen Muhammad ʿAbduh und dem französischen Historiker Gabriel Hanotaux sowie dem libanesisch-ägyptischen Journalisten Farah Antun. Vgl. Hourani [1962] 1983, S. 120-123 sowie S. 144. Generell stellt der islamische Modernediskurs keine homogene Entität dar, sondern formt eine Vielfalt an Interpretationen, die sich in verschiedene Sichtweisen aufzweigen.
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„Seine Ideen wurden dabei in gegensätzliche Richtungen weiterentwickelt, denn säkularnationale Strömungen konnten sich angesichts der Interpretationsfähigkeit seiner Aussagen mit gleichem Recht auf seine Autorität berufen wie ein Nativismus konservativ religiöser Prägung.“44
Die Modernisierungs- und Reformbewegung der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts bestimmte das intellektuelle Bewusstsein ʿAbduhs. Über verschiedene Argumentationslinien verfolgte er die Absicht, den Islam als theologische Grundlage innerhalb der sich verändernden soziokulturellen, intellektuellen und politischen Strukturen und des zunehmenden Einflusses aus Europa zu legitimieren.45 ʿAbduh stellte in seiner Lehre den Islam als rationale Vernunftreligion dar, die zur modernen Wissenschaft und Technik nicht nur keinen Widerspruch darstellte, sondern vielmehr deren notwendige Konsequenz ausdrückte: Der Islam war somit sowohl rationale Grundlage des notwendigen Wandels als auch dessen regulierende Kontrolle.46 Seiner Denkweise war „a sort of eclecticism, a blending into a system of elements taken from different schools“47 inhärent. Er verfolgte eine kritische Anverwandlung und Verknüpfung moderner und islamischer Prinzipien, um eine Erneuerung der ägyptischen Gesellschaft zu forcieren und zugleich deren Unabhängigkeit – durch Bildungsreformen – zu fördern. Die Planungen zur Errichtung einer ägyptischen Kunstakademie unterstützte ʿAbduh aktiv, indem er sich für die Etablierung der Institution als essentielles Bildungsinstrument zur Modernisierung des Landes aussprach. Bedenken islamischer Geistlicher gegenüber figurativer Kunst beschwichtigte er durch die Veröffentlichung einer Fatwa – einem islamischen Rechtsgutachten –, in welcher er zwar ein tatsächliches Bilderverbot im Islam nicht anzweifelte, dessen Einhaltung er jedoch nur für die Zeit der Anfänge des Islam als vorgeschrieben hielt, als die Gefahr des Götzendienstes – die nun durch die Vernunft und Entwicklung des Menschen gebannt sei – durchaus noch bestand.48 Gleichzeitig betonte er den didaktischen Wert künstlerischer Konzeptionen: „I think that the Islamic Law […] is far from prohibiting one of the best educational methods
44
Scheffold 1996, S. 50. Während einer seiner Schüler, Ahmad Lutfi al-Sayyid, Gründer der liberal-säkularen Partei hizb al-umma (dt. Partei des Volkes) war, wandte sich ein weiterer Schüler, Rashid Rida, im späteren Verlauf dem Wahhabismus zu. Vgl. Hourani [1962] 1983, S. 170-171 und S. 224-225 sowie Kassab 2010, S. 29.
45
Vgl. Kassab 2010, S. 27.
46
Vgl. Hourani [1962] 1983, S. 139.
47
Ebd., S. 142.
48
Vgl. Karnouk 2005, S. 12.
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(art) once it was proven of no harm to either religious belief or ritual practice.“49 Wie Silvia Naef ausführt, verwendete ʿAbduh für das Wort (Bildungs-)Methoden den arabischen Begriff rasm, was sowohl Zeichnung oder Bild, als auch Malerei bedeuten kann.50 Somit kann mit Naef argumentiert werden, dass er bei seinen Ausführungen nicht nur die bildliche Illustration wissenschaftlicher Themen im Sinn hatte: „Pourtant, étant donné que cette définition était précédée par un éloge de l’importance que les Européens accordaient à la conservation et à l’acquisition de tableaux […] et de leurs musées, on peut […] admettre qu’il considérait comme licite toute forme de représentation artistique.“51
ʿAbduhs islamischer Modernismus verschmolz insbesondere durch die historischen Ereignisse der kolonialen Vormachtstellung Großbritanniens sukzessive mit dem ägyptischen Nationalismus. Letzterer drückte sich zwar zunächst durch seine intellektuelle Nähe zu ʿAbduh aus, gab dieses Prinzip jedoch in der weiteren Entwicklung zugunsten eines liberal-säkularen ägyptischen Modells als epistemologischer Nachfolger der pharaonischen Zivilisation auf.52 Intellektuelle wie Lutfi al-Sayyid, die stark von den Lehren ʿAbduhs beeinflusst waren, verfolgten Prinzipien einer ägyptischen Nation, in denen die Lehre des Islam zwar geachtet wurde, jedoch nicht mehr die konstitutive Grundlage von Gesetz und Politik bil-
49
ʿAbduh, zitiert nach Karnouk 2005, S. 12. ʿAbduh verfasste die Fatwa während eines Europaaufenthalts 1903. Karnouk gibt diese aus einer arabischen Publikation von 1963 wieder, siehe hierzu Muhammad ʿAbduh: fatwa al-suwar wa-l-tamasil wa fawaʾidha wa hukmaha (dt. Fatwa: Bilder und Statuen. Ihre Vorteile und Rechtmäßigkeit), in: al-maktaba al-thaqafiyya, (dt. Kulturelle Bibliothek) Nr. 98, Dezember 1963, S. 13.
50
Vgl. Naef 1996, S. 46.
51
Ebd.
52
Vgl. Hourani [1962] 1983, S. 193-194. Dabei wurde das pharaonische Erbe dazu funktionalisiert, um die zivilisationshistorische Konstanz der ägyptischen Nation zu betonen. An der tatsächlichen politischen Ausrichtung des alten Ägyptens, dessen Staatsmodell stark religiös geprägt war, orientierten sich die säkularen Nationalisten der Moderne allerdings nicht. Bei einigen Intellektuellen nahm jedoch die Bedeutung von Religion im Hinblick auf den Islam in den 1930er und 1940er Jahren wieder zu, wie zum Beispiel die Prophetenbiografien von Taha Hussein und Hussein Haikal verdeutlichen. Ihre Ansicht im Bezug auf eine säkulare Politik änderte sich dabei aber nicht. Vgl. Hourani [1962] 1983, S. 334.
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dete.53 Hourani schreibt in seiner Studie über das liberale Zeitalter des arabischen Denkens hierzu: „By their time the idea of an Egyptian nation was a commonplace universally accepted, and this was a conception far removed from those of Islamic political thought. […] What bound Egyptians together was not the revealed law, but the natural link of living in the same country: they had been Egyptians before Islam and its law existed, the Islamic period was only a moment in a continuous history from the time of the Pharaohs.“54
Dieser frühe ägyptische Nationalismus war somit durch die Abwesenheit einer panislamischen oder panarabischen Komponente geprägt.55 Der erstmals von alTahtawi formulierte moderne Nationalstaatsgedanke wurde von späteren ägyptischen Intellektuellen fortgeführt und erweitert. Taha Hussein prägte hierzu den Begriff des Pharaonismus, den er in der ägyptischen Zeitung kawkab al-sharq (dt. Stern des Ostens) 1933 wie folgt skizziert: „Der Pharaonismus liegt dem ägyptischen Wesen zugrunde und dies wird so bleiben und sogar stärker werden müssen. Der Ägypter ist pharaonisch bevor er arabisch ist. […] Ägypten wird keiner arabischen Einheit beitreten.“56 Um die Jahrhundertwende begannen sich in Ägypten offiziell Parteien zu formieren, wie die von Ahmad Lutfi al-Sayyid 1907 gegründete erste moderne ägyptische Partei hizb al-umma (dt. Partei des Volkes) und die von Mustafa Kamil im selben Jahr gegründete hizb al-watani (dt. Nationale Partei), die bereits seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts als semi-offizielle Parteibildung existierte.57 Beide Parteigründer hatten ihre Ausbildung nicht an der al-Azhar Universität, sondern an einer der im neunzehnten Jahrhundert eröffneten Rechtsschulen absolviert. Diese Schulen galten als intellektuelle Zentren der ägyptischen Führungselite und viele der Absolventen waren in der späteren politischen Entwicklung Ägyptens federführend.58 Der Zusammenbruch des Osmanischen Reichs nach dem Ersten Weltkrieg und die Ausrufung Ägyptens zum britischen Protektorat führten im weiteren his-
53
Vgl. Hourani [1962] 1983, S. 170.
54
Ebd.
55
Vgl. Jankowski, in: Khalidi, Anderson, Muslih und Simon (Hg.) 1991, S. 244.
56
Taha Hussein, in: Kawkab el Sharq vom 12.08.1933, Kairo. Eigene Übersetzung.
57
Zu den einzelnen Beziehungen und Entwicklungen innerhalb der ägyptischen Parteienlandschaft siehe Hourani [1962] 1983, Kapitel 7: ʿAbduh’s Egyptian Disciples: Islam and Modern Civilization sowie Kapitel 8: Egyptian Nationalism, S. 161-221.
58
Vgl. Johansen 1967, S. 171.
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torischen Verlauf zum Aufstieg neuer nationalistischer Kräfte. Die Konstitution des ägyptischen Nationalismus wurde nun durch die Ende des Ersten Weltkriegs gegründete hizb al-wafd (Delegations- bzw. Wafd-Partei) und ihren politischen Führer Saʿd Zaghlul verkörpert.59 Debatten über Themen, welche die Bedeutung der eigenen Nation betrafen, waren in dieser Entwicklung untrennbar mit dem nationalen Unabhängigkeitskampf und der Forderung nach einer neuen politischen Ordnung verbunden. Nach Barakat ist es demnach wichtig, zu berücksichtigen, „[that] the dominance of nationalist ideas during this period must be explained in terms of the imperialist oppression that befell Arabs and not in terms of the emulation of European models.“60 Der Ruf nach einer neuen Ordnung betraf im ägyptischen Modernisierungsprozess sämtliche politischen und sozialen Bereiche: Von der Umstrukturierung des Militär-, Bildungs- und Wirtschaftsmodells bis zu den baulichen Erneuerungsmaßnahmen im urbanen und ländlichen Raum. Im ägyptischen Diskurs wurden diese Entwicklungen als tanzim bezeichnet, was mit Organisation und Regulierung übersetzt werden kann, für diese Periode jedoch auch synonym mit Modernisierung verwendet wurde.61 Der arabische Terminus für Politik, siyasa, formulierte in diesem Zusammenhang – wie Timothy Mitchell anführt – eine neue Vorstellung von Konzepten und Praktiken, „formed out of the supervision of people‘s health, the policing of urban neighbourhoods, the reorganisation of streets, and, above all, the schooling of the people, all of which was taken up – on the whole from the 1860s onward – as the responsibility and nature of government.“62
Bildung war für den nationalen Diskurs deshalb von essentieller Bedeutung, da unter den ägyptischen Intellektuellen der Konsens vorherrschte, dass nur über Unterrichtung und Disziplinierung ein modernes Ägypten formiert werden konn-
59
Vgl. Hourani [1962] 1983, S. 209. Die Jahre nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung Ägyptens waren insbesondere durch drei politische Strömungen gekennzeichnet: die Wafd als nationale Volkspartei, die Liberal-Konstitutionelle Partei (LKP), der eher die elitäre Schicht angehörte, sowie Vertreter eines universalen islamischen Anspruchs, wie der ‘Abduh-Schüler Rashid Rida, der später wahhabistischen Strömungen folgte und die 1928 gegründete Moslembruderschaft. Vgl. Johansen 1967, S. 84-85.
60
Barakat 1993, S. 251-252.
61
Vgl. Mitchell 1988, S. 67.
62
Ebd., S. 103.
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te. Nach Mitchell griffen dabei einige Autoren in ihren Äußerungen auf europäische Schriften zurück, die im Kontext kolonialer Wissenschaftsformierungen entstanden waren.63 Besonderen Einfluss hatten dabei die Schriften von Gustave Le Bon, dessen Thesen zur Massenpsychologie von Ahmad Fathi Zaghlul und Taha Hussein ins Arabische übersetzt wurden.64 Die sich zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in den urbanen Zentren etablierende ägyptische Bourgeoisie nahm insbesondere Le Bons Ansatz an, „that the ideas and culture of a nation were developed not among the mass of a nation but largely among its elite.“65 Laut Le Bon lag der wesentliche Unterschied zwischen seiner Ansicht nach fortschrittlichen und rückständigen Nationen darin behaftet, dass erstere es vermochten, eine Klasse der Elite hervorzubringen, was in der ägyptischen Rezeption den Schluss zuließ, „[that] modern progress must be understood as a movement towards increasing inequality.“66 In diesem Kontext ist auch Muhammad ‘Abduhs Bildungsreform – und seine Unterstützung der Kunstlehre – als ein System sozialer Disziplinierung zu sehen, „with which an intellectual and political elite would organise the country’s ‚political education‘ and thus assure its stability and its evolution.“67 Somit war es gemäß dieser Perspektive Aufgabe der intellektuellen und politischen Elite, gesellschaftsstiftend zu wirken, um eine unabhängige und fortschrittliche ägyptische Nation zu bilden. Den aufkommenden ägyptischen Nationalismus daher als nahda – als Erwachen – zu definieren, ist nicht nur deshalb problematisch, da dies eine zuvor starre und rückständige Gesellschaft impliziert und damit ein orientalistisches Stereotyp rezitiert, sondern ebenso, da der Nationalismus als singuläre Entität umschrieben wird.68 Nationalistische Vorstellungen und Ansätze zur Erreichung einer nationalen Unabhängigkeit differierten jedoch stark innerhalb der jeweiligen soziopolitischen Gruppierungen und intellektuellen Diskurse in Ägypten. Gerade die moderne ägyptische Elite, die im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert zu Vermögen und politischer Macht gekommen war, sah in den neuen Massenbewegungen eine Bedrohung, die kontrolliert und organisiert werden musste: „It was this obedient and regulated whole that was to be imagined under the name of the ‚nation‘, that was to be constructed as Egyptian ‚society‘.“69 Die Er-
63
Vgl. Mitchell 1988, Kapitel 4: After we have captured their bodies, S. 95-127.
64
Vgl. ebd., S. 122.
65
Ebd., S. 124.
66
Ebd.
67
Ebd., S. 125.
68
Vgl. ebd., S. 119.
69
Ebd.
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öffnung der Kunstakademie muss in diesem Sinne als Teil des Bildungsprogramms der ägyptischen Elite gesehen werden, um eine ägyptische Nation zu formieren, wie Hussein Haikal betonte: „Der Nationalismus der Kunst ist der erste Schritt. Die ägyptische Kunst hat ihn begonnen.“70
1.2 S UCHE NACH EINEM NATIONALEN K UNSTMODELL : D IE ÄGYPTISCHE AKADEMIE UND IHRE P IONIERGENERATION Die im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert ansteigenden nationalen Bewegungen gegen die europäische Vorherrschaft förderten die Kunst als „vital element“71 des kulturellen Wandels gemäß dem Ziel, externe Unabhängigkeit durch innere Reform zu erzielen. Neben der Einführung perspektivischen Zeichnens in das ägyptische Schulsystem, zunächst insbesondere zu technisch-militärischen Ausbildungszwecken72, und der lokalen Präsenz europäischer Künstler führten öffentliche Kunstausstellungen zur allmählichen Bekanntheit europäischkünstlerischer Stilvorstellungen. Eine der ersten Ausstellungen fand 1891 im Opernhaus von Kairo statt, wobei lediglich Kunstwerke europäischer bzw. ortsansässiger orientalistischer und nicht ägyptischer Provenienz ausgestellt wurden.73 Das steigende Interesse an moderner Kunst schien um die Jahrhundertwende die Etablierung einer ägyptischen Akademie immer stärker in die öffentlichen Debatten zu rücken. Über deren konkrete Implementierung wurde erstmals 1907 diskutiert, nachdem der französische Bildhauer Guillaume Laplagne von dem Prinzen Yusuf Kamil dazu beauftragt worden war, „de lui indiquer les moyens de mettre en pratique une telle entreprise.“74 Schließlich waren sämtliche Konditionen und notwendigen Mittel bereitgestellt. Am 13. Mai 1908 eröffnete die ägyptische Kunstakademie nach französischem Vorbild unter der Schirmherr-
70
Haikal, zitiert nach Johansen 1967, S. 117.
71
Shabout 2007, S. 20.
72
Vgl. Naef 2007, S. 89. Zur Übersicht ägyptischer Kunstschulen vor der Etablierung der Akademie von 1908 siehe Hussein, in Ali (Hg.) 1989, S. 35.
73 74
Vgl. Naef 1996, S. 39 sowie Naef 2007, S. 88. Zeki, in: L’Égypte Contemporaine 1913, Nr. 13, S. 26. Laplagne war nach ihrer Eröffnung der erste Direktor der Kunstakademie.
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schaft Kamils – die erste Institution ihrer Art in der arabischen Welt.75 Ihre Errichtung fand im Zuge der Etablierung einer ägyptischen Universität als Zeichen und Verkörperung eines nationalen Bewusstseins statt. Unterstützung erhielt die Idee einer Akademie unter anderem durch den späteren Direktor der Kairo Universität, Ahmad Lutfi al-Sayyid.76 Die Lehre war zunächst insbesondere auf europäische Stilformen ausgerichtet. In der Tat schien die 1883 von Osman Hamdi Bey in Istanbul gegründete Kunstschule wenig Einfluss auf die ägyptische Version gehabt zu haben.77 Allerdings führt Aimé Azar an, dass Kamil durch ein Gemälde eines türkischen Künstlers bei der Pariser Weltausstellung zu seiner Idee für eine ägyptische Kunstakademie inspiriert worden war.78 Naef zufolge handelte es sich bei diesem Künstler wohl um Halil Pasha, der im Atelier von Jean-Léon Gérôme gelernt hatte und 1900 eine Bronzemedaille des Salons der französischen Künstler für ein Portrait mit dem Titel Madame X erhalten hatte.79 Als Gründe für die Etablierung der Akademie können mit Naef somit auch essentiell patriotische herangezogen werden: „L’Egypte, qui aspirait à se rendre indépendante de l’Empire ottoman, devait le devancer sur la voie de la modernisation et ne pouvait tolérer d’être dépassée par les Turcs; donc puisqu’un Turc […] avait obtenu une médaille à Paris pour ses œuvres, il n’y avait aucune raison qu’un Egyptien ne réussisse pas dans la même voie.“80
Die Akademie war zunächst eine private, durch die Zuwendungen Kamils finanzierte Institution. 1910 kam sie unter die Kontrolle des Bildungsministeriums, wurde jedoch bis 1927 weiterhin vom Prinzen finanziert.81 Sie wechselte mehrmals ihren Status und Namen: von 1908-1927 war sie die Ägyptische Schule der Schönen Künste (madrasat al-funun al-jamila al-misriyya) und wurde danach in
75
Vgl. Naef 1996, S. 48 sowie Ali 1997, S. 23. In Frankreich war die akademische Lehre aufgrund der aufkommenden Avantgarde-Bewegungen bereits umstritten, in Ägypten wurde die Etablierung der Akademie jedoch zunächst als Fortschritt und als vorwärtsgewandte moderne Entwicklung betrachtet. Vgl. Naef 1996, S. 48.
76 77
Vgl. Karnouk 2005, S. 11. Allgemein wurde bei der Etablierung der Universität wenig Interesse an der Entwicklung in Istanbul gezeigt. Gleichwohl war auch die Istanbuler Akademie nach französischem Vorbild errichtet worden. Vgl. Reid 1990, S. 24.
78
Vgl. Azar 1961, S. 14-15.
79
Vgl. Naef 1996, S. 49.
80
Ebd.
81
Vgl. ebd.
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die Schule der Hohen Schönen Künste (madrasat al-funun al-jamila al-ʿaliya) umbenannt.82 1950 wechselte der Name erneut in Königliche Akademie der Schönen Künste (al-kulliyya al-malakiyya li-l-funun al-jamila), „thereby emphasizing its royalist affiliation and status as an academy during the final and desperate years of the old regime.“83 Nach der Revolution von 1952 wurde die Akademie erneut umstrukturiert und in Akademie der Schönen Künste (kulliyyat alfunun al-jamila) umbenannt, sowie 1975 an die Helwan Universität angegliedert.84 Vertreter der islamischen Orthodoxie lehnten die Errichtung einer Akademie zunächst ab. Gründe lagen weniger in einem islamischen Bilderverbot verhaftet, auch da sich dessen ikonoklastische Auswirkung in der islamischen Historie in der Regel auf den sakralen Bereich beschränkte.85 Ebenso war ein scheinbar religiös motiviertes Bilder- und damit figuratives Kunstverbot durch die Fatwa von Muhammad ʿAbduh aufgehoben worden. Die generelle Ablehnung schien vielmehr auf antikolonialen Ressentiments – da sich die Akademie nach europäischem Vorbild richtete – sowie auf der kritischen Haltung gegenüber einem liberalen Humanismus, den die Initiatoren der ägyptischen Universität vertraten, zu beruhen.86 Letztendlich zog die Kunstakademie den Unmut der islamischen Orthodoxie auf sich, da sie – wie das gesamte Projekt der ägyptischen Universität – eine säkulare Aktivität war.87 Neben dieser grundlegenden Ablehnung der Akademie durch etliche Mitglieder der religiösen Fraktion war auch die britische Okkupationsverwaltung in Ägypten zunächst gegen eine derartige Institution, ebenso wie sie sich grundsätzlich gegen die Etablierung einer ägyptischen Uni-
82
Vgl. Kane 2013, S. 26. 1941 wurde die Akademie des Weiteren in Hochschule der Schönen Künste umbenannt (al-madrasa al-ʿaliya li-l-funun al-jamila).
83 84
Kane 2013, S. 26-27. Vgl. ebd., S. 69 sowie Naef 1996, S. 49. Seit 1935 befindet sich die Akademie im Kairoer Stadtteil Zamalek. Der Einfachheit und Übersicht halber wird die Kunstschule im Text stets als ‚ägyptische Kunstakademie‘ bezeichnet, unabhängig ihres jeweiligen historischen Statuts als private oder öffentliche Institution.
85
Zur Rolle des Bildes im Islam siehe Naef 2007, insbesondere Kapitel 1: Die heiligen Schriften und ihre klassischen Interpretationen, S. 11-32.
86
Intellektuelle wie Taha Hussein plädierten dafür, in der Bildung den Schwerpunkt auf einen liberalen Humanismus zu legen und die Kairo Universität basierte auf dieser Philosophie. Vgl. Winegar 2006, S. 52-53.
87
Zum institutionellen und epistemologischen Konflikt zwischen den Vertretern der AlAzhar Universität und der Kairo Universität siehe Reid 1990, S. 11-14.
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versität aussprach.88 Die Akademie wurde jedoch von der ägyptischen Oberschicht äußerst schnell anerkannt und begrüßt, wie Naef anführt: „Cela s’explique par le désir généralisé d’être ‚moderne‘.“89 Die lehrenden Professoren waren zunächst europäisch. Dies war insbesondere dem Fehlen im europäischen Stil ausgebildeter ägyptischer Künstler geschuldet. Der erste Direktor der Akademie, Guillaume Laplagne, war beispielsweise Professor in der Sektion für Bildhauerei, der Franzose Frédéric Bonot und der Spanier Juan Antes lehrten des Weiteren im Fachbereich für Malerei.90 Bis 1910 dauerte das Studium zwei Jahre, danach wurde es auf vier Jahre verlängert. Für die Zulassung war keine vorherige Kunstausbildung nötig, man musste jedoch einen Eignungstest bestehen.91 Bald begann man, Studenten nach Europa zu senden, damit sie vor Ort ihre künstlerische Ausbildung erweitern konnten. Das erste Stipendium erhielt 1911 der Künstler Mahmud Mukhtar, der von Yusuf Kamil nach seinem Abschluss zur Akademie nach Paris geschickt wurde, um dort Bildhauerei zu studieren.92 Im selben Jahr fand auch die erste moderne ägyptische Kunstausstellung im Automobilclub in Kairo statt, unter den teilnehmenden Künstlern waren neben Mukhtar weitere bedeutende moderne Positionen wie der Maler Ragheb Ayyad ausgestellt.93 Die Absolventen der Akademie wurden schließlich selbst zu Lehrenden der Institution: 1928 waren sämtliche Fakultätsmitglieder lokale Künstler.94 Somit formierte sich in Ägypten bereits zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts – insbesondere in den urbanen Zentren Kairo und Alexandria – eine institutionell begründete und geförderte Kunstszene. Die Bildung von Kunstgesellschaften und Künstlergruppen, wie die Ägyptische Gesellschaft der Schönen Künste (al-jamʿiyya al-misriyya li-l-funun al-jamila), die 1919 von Künstlern und ehemaligen Studenten der Akademie gegründet wurde, die 1923 initiierte Gesellschaft der Freunde der Kunst (jamʿiyyat muhibbi al-funun al-jamila) sowie
88
Gründe lagen hier insbesondere in der repressiven Vormachtstellung der Briten in Ägypten, die sich durch ein universitäres, nationale Unabhängigkeitsbestrebungen förderndes Milieu bedroht sahen. Zur Debatte um die Eröffnung der ägyptischen Universität in Kairo zu Anfang des 20. Jahrhunderts siehe Reid 1990, S. 17-26.
89
Naef 1996, S. 17.
90
Vgl. Hussein, in Ali (Hg.) 1989, S. 33.
91
Vgl. Naef 1996, S. 50.
92
Vgl. Hussein, in Ali (Hg.) 1989, S. 35. Ein richtiges Stipendien-Programm für Paris und Rom etablierte sich jedoch erst nach 1922. Vgl. Naef 1996, S. 52.
93
Vgl. Naef 1996, S. 52.
94
Vgl. Ali 1997, S. 27.
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der erstmals 1922 stattfindende Salon du Caire spielten eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der modernen ägyptischen Kunst.95 Mitglieder der Gesellschaft waren unter anderem der Kunstsammler Mahmud Khalil, durch dessen Initiative 1931 das erste Museum für Moderne Kunst in Kairo mit Exponaten ägyptischer Künstler eröffnete, sowie die Feministin Huda Shaʿrawi.96 Die Gesellschaften förderten die Kunst, indem sie Kunstausstellungen und Konferenzen initiierten und damit ein generelles Bewusstsein für die moderne ägyptische Kunstbewegung sowie öffentliche Debatten anstießen. Wie Naef anführt, wurden die Aktivitäten der frühen Kunstgesellschaften und des Kairoer Salons später stark für ihren elitären Akademismus kritisiert, gleichwohl stellten sie jedoch zu Beginn der ägyptischen modernen Kunstbewegung die einzigen Ausstellungsmöglichkeiten bereit, an denen auch nicht der Akademie entstammende Künstler teilnahmen.97 Für die erste Generation moderner ägyptischer Künstler war die Einschreibung an der Akademie vor allem der Oberschicht vorbehalten: Neben Künstlern adeliger Herkunft, wie dem Maler Mahmud Said, entstammten die meisten Mitglieder und Studenten Familien reicher Landbesitzer oder Verwaltungsbeamter.98 Nicht zuletzt aufgrund ihrer adeligen Schirmherrschaft wurde in der Akademie das Genre der Portraitmalerei bevorzugt, wie es insbesondere im Œuvre von Ahmad Sabri, einem der ersten Graduierten der Akademie, deutlich wird.99 Während in der Portraitmalerei Mitglieder der ägyptischen Oberschicht dargestellt wurden, wandten sich viele Künstler ebenso urbanen und ländlichen Sujets – oftmals nach orientalistischen Stilvorgaben – zu. Einige Künstler besaßen beispielsweise Ateliers in den alten Kairoer Stadtteilen, um sich von dem alltäglichen Geschehen auf den Straßen und Gassen inspirieren zu lassen.100
95 96
Vgl. Naef 1996, S. 54. Vgl. ebd., S. 54-55. Zur Eröffnung des Ägyptischen Museums für moderne Kunst siehe Hussein, in Ali (Hg.) 1989, S. 36 sowie den 2005 vom ägyptischen Kulturministerium herausgebrachten Museumskatalog mathaf al fann al-masri al-hadith/Museum of Egyptian Modern Art.
97
Vgl. Naef 1996, S. 57. Zu den Kritikern der Akademie gehörte beispielsweise der Surrealist Ramses Younan.
98
Vgl. Kane 2013, S. 27.
99
Vgl. ebd., S. 26.
100
Vgl. ebd., S. 27. Die urbane Kunstszene Ägyptens stand dabei in einem wechselseitigen Austausch mit europäischen Malern. Beispielsweise siedelte sich eine Gruppe französischer Künstler bereits im 19. Jahrhundert in der Kharanfash Straße in Kairo an, die als ägyptisches Montparnasse bekannt wurde. Vgl. Ali 1997, S. 23.
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Die Künstler der ersten Generation werden im ägyptischen Kunstdiskurs allgemein als Pioniere (ruwwad) bezeichnet.101 Sie stellten einen neuen, in verschiedenen Disziplinen ausgebildeten Intellektuellentypus dar, für den beispielsweise das Berufs- und Tätigkeitsfeld von Muhammad Nagi exemplarisch steht. Nagi war Maler, Diplomat und Direktor der ägyptischen Kunstakademie sowie des Museums für Moderne Kunst in Kairo und der ägyptischen Akademie in Rom. Zugleich war er als Kunstkritiker tätig. Er hatte Jura an der Universität von Lyon studiert und die Kunstakademie in Florenz besucht.102 In diesem Zusammenhang konstatiert Patrick Kane in seiner Studie über die kulturpolitische Funktionalisierung der modernen ägyptischen Kunst zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts: „[Muhammad Nagi’s] career […] served the ideology of the Nahda, which Egypt’s ruling class claimed as the cultural platform for upholding their special status as an elite caste as a rationale for rule over the masses.“103
Nagi verkehrte in internationalen Künstlerkreisen. Beispielsweise traf er sich Ende des Ersten Weltkrieges mit Claude Monet in dessen Haus in Giverney.104 In dieser Zeit wandte sich Nagi der Konzeption seines ersten Wandbildes mit dem Titel Nahdat Misr (Renaissance of Egypt) zu, welches bei einem Pariser Salon 1920 mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurde.105 Das Werk zeigt einen Festzug an den Ufern des Nils, der von einer im altägyptischen Habitus ausgestatteten weiblichen Figur auf einem von Ochsen gezogenen Streitwagen angeführt wird. Durch diesen Einbezug antik-ägyptischer symbolhafter Sujetelemente wurde Nagi zum Förderer der „l’égyptianité“106 in der modernen Kunst. Für Nagi war die Thematik und Reflektion des Lokalen und Nationalen zur Etablierung einer modernen ägyptischen Kunst von wesentlicher Bedeutung, „car pour lui, c’était à travers son caractère spécifique que l’art puisait son universalité et non pas à travers un style prétendument international.“107 Die politischen Entwicklungen, die in den 1920er Jahren von starken Spannungen geprägt waren, beeinflussten ebenso die Formierung und Funktionalisie-
101
Vgl. Naef 1996, S. 57.
102
Zum beruflichen Tätigkeitsfeld Nagis siehe ebd., S. 64.
103
Kane 2013, S. 27.
104
Vgl. ebd., S. 28.
105
Vgl. ebd. Laut Kane ist dies vermutlich dasselbe Wandgemälde, das später von Liliane Karnouk auf 1935 datiert wurde.
106
Naef 1996, S. 64.
107
Ebd., S. 65.
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rung der modernen Kunst in Ägypten.108 Bei den Nationalisten erweckte die Ernennung Ägyptens zum britischen Protektorat zu Beginn des Ersten Weltkrieges zunächst den Eindruck, es handele sich lediglich um eine temporäre Vereinbarung. Die nationale Unabhängigkeitsbewegung wurde von der in dieser Zeit gegründeten Wafd unter Saʿd Zaghlul angeführt, welche als liberale Partei die Unterstützung zahlreicher Grundbesitzer, Finanziers und Unternehmer besaß, da diese ein ökonomisches Interesse an der Unabhängigkeit Ägyptens hatten, wie Panayiotis Vatikiotis anführt: „They represented a nucleus of a native Egyptian national landed and commercial bourgeoisie for whom independence promised power and status.“109 Als die Briten die ägyptische Delegation (al-wafd al-misri) jedoch von den Versailler Friedensgesprächen ausschlossen und Zaghlul sowie zwei weitere Mitglieder ins Exil verbannten, kam es in Ägypten während der Revolution von 1919 zu landesweiten Protesten und starken Unruhen, da die Wafd bei der ägyptischen Bevölkerung immensen Zuspruch genoss. Schließlich wurden die Mitglieder der Wafd wieder freigelassen, sodass die Delegation nach Paris aufbrechen konnte. Da das britische Protektorat jedoch von den Vereinigten Staaten anerkannt wurde, dauerte das politische Kräftemessen weitere Jahre, bis die britische Regierung am 28. Februar 1922 Ägypten einseitig für unabhängig erklärte.110 In diesem politischen Klima des nationalen Unabhängigkeitskampfes dienten altägyptische Sujets in künstlerischen Konzeptionen der Etablierung einer modernen ägyptischen Identität. Dabei wurden Bildtypen des pharaonischen Erbes als Narrative nationalistischer Mythen symbolisch rekonstruiert.111 In diesem kontextuellen Zusammenhang ist auch die Skulptur Nahdat Misr (Egyptian Awakening) (Abbildung 1) von Mahmud Mukhtar zu sehen.112 In der ägypti-
108
Die im Folgenden beschriebenen politischen Entwicklungen und Ereignisse im Zuge der ägyptischen Unabhängigkeitsbewegung basieren auf Vatikiotis 1969, Kapitel 11: The Struggle for Independence 1919-22, S. 239-264.
109
Vatikiotis 1969, S. 248.
110
Die einseitige Unabhängigkeitserklärung war der Weigerung Ägyptens geschuldet, den britischen Bedingungen zuzustimmen, die u.a. den Suezkanal weiterhin unter britische Kontrolle stellten. Die vollständige Unabhängigkeit erreichte Ägypten erst im Zuge des Militärputsches von 1952 unter Gamal Abdel Nasser sowie der Suezkrise von 1956. Vgl. Vatikiotis 1969, S. 263-264 sowie S. 374-393.
111 112
Vgl. Kane 2013, S. 28. Die Bezeichnungen der Werke von Mukhtar und Nagi sind im Arabischen identisch. Der Übersicht halber wird das Wandbild von Nagi mit Renaissance of Egypt und Mukhtars Skulptur mit Egyptian Awakening bezeichnet, da nahda sowohl mit Renais-
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schen Kritik wurde Mukhtar als erster ägyptischer figurativer Bildhauer seit der Zeit der Pharaonen und als erster moderner nationaler Künstler Ägyptens stilisiert.113 Mukhtar war zur selben Zeit wie Nagi in Paris, wo er 1920 ein kleineres Marmormodell seiner Skulptur Egyptian Awakening auf einer Ausstellung im Grand Palais in Paris präsentierte und hierfür eine Goldmedaille gewann.114 Die Konzeption und Ausführung der großen Skulptur nahm etliche Jahre in Anspruch und konnte schließlich mit staatlicher Zuwendung realisiert werden. Am 20. Mai 1928 wurde Egyptian Awakening in einer öffentlichen Feier vor dem Kairoer Hauptbahnhof enthüllt, was von der ägyptischen Presse ausgiebig rezensiert wurde.115 Abbildung 1: Mahmoud Mukhtar, Nahdat Misr (Egyptian Awakening), 1928. Pinker Granit, Höhe 7 m, Nahdat Misr Platz (Kairo Universität).
Quelle: Liliane Karnouk: Modern Egyptian Art 1910-2003. Kairo 2005, S. 16.
sance als auch mit Erwachen übersetzt werden kann. Mukhtars Skulptur wurde zunächst auf dem Platz des Kairoer Hauptbahnhofs positioniert und später unter Nasser auf eine Verkehrsinsel der zentralen Straße vor der Kairoer Universität umgestellt. 113 114
Vgl. Bardaouil, in: Ausst.-Kat. Le Théorème de Néfertiti 2013, S. 53. Vgl. Bisharat, in: arts & the Islamic World 2000, Band 35: Egypt the arts in view, S. 33 sowie Kane 2013, S. 28-29.
115
Zur Berichterstattung der ägyptischen Presse siehe Bardaouil, in: Ausst.-Kat. Le Théorème de Néfertiti 2013, S. 53 sowie Kane 2013, S. 30-31.
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Die künstlerischen Konzeptionen pharaonischer Sujets, für welche die Werke Nagis und Mukhtars paradigmatisch stehen, dienten im öffentlichen Diskurs einer spezifischen Funktionalisierung, wie Kane anführt: „Both Nagi’s and Mukhtar’s conception of the Nahda configured a formative ideology of Egyptian nationalism, anti-colonialism, and the Wafdist nationalist party.“116 Mukhtars Skulptur Egyptian Awakening stellt die Komposition einer ägyptischen Bäuerin, einer Fellachin, und einem Sphinx dar. Stilistisch vereint die Konzeption neoklassizistische Merkmale mit der Kolossalität antik-ägyptischer Monumentalstatuen. Die Vorderbeine des Sphinx sind aufgestellt und simulieren gemeinsam mit den ausgeprägt dargestellten Muskelpartien der Hinterläufe eine bevorstehende nach oben gerichtete Bewegung. Die aufrecht stehende Fellachin legt einen Arm an den Kopf des Sphinx und hebt mit ihrem anderen Arm ihren Schleier hoch. Durch die symbiotische Darstellung der beiden Figuren vereint Mukhtar symbolisch die ägyptische Gegenwart mit ihrer antiken Vergangenheit und suggeriert durch die simulierte Bewegung des Sphinx und der sich entschleiernden Fellachin den Aufbruch einer neuen Nation. Die Verbindung des Sujets ägyptischer Fellachen mit der pharaonischen Vergangenheit als Symbol für die Nation wurde auch im literarischen Diskurs aufgenommen, wie beispielsweise von Tawfiq al-Hakim und Taha Hussein.117 Darüber hinaus verwies Mukhtar mit der entschleiernden Geste auf die feministische Bewegung Ägyptens, die von Huda Shaʿrawi initiiert worden war. Shaʿrawi hatte sich 1923 nach ihrer Ankunft von einer Konferenz in Europa vor der sie begrüßenden Menge am Kairoer Hauptbahnhof öffentlich entschleiert. Wie Kane zeigt, kann somit die ihren Schleier hebende Fellachin der Skulptur Mukhtars, die 1928 an eben demselben Kairoer Hauptbahnhof aufgestellt wurde, als Hommage an Shaʿrawi, die Mukhtar gut gekannt haben soll, gedeutet werden.118 Als ein weiterer Einfluss auf die neopharaonischen Stilmerkmale Mukhtars wird zudem häufig die europäische ‚Ägyptomanie‘ herangezogen, die bereits durch die Description de l’Égypte der Napoleonischen Expedition ausgelöst worden war und insbesondere mit der Entdeckung des Grabes Tutanchamuns durch Howard Carter 1922 einen Höhepunkt fand.119 Wie Naef argumentiert,
116
Kane 2013, S. 29.
117
Vgl. Karnouk 2005, S. 14.
118
Vgl. Kane 2013, S. 30. Shaʿrawi war auch bei der ersten Ausstellung der von Mukhtar gegründeten Gruppe La Chimère anwesend. Vgl. Karnouk 2005, S. 14.
119
So fragt beispielsweise Karnouk: „Was it [the neopharaonism] an autonomous and national insurgence, genuinely motivated by historical necessity or was it more in the
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kann die lokale Betonung des antiken Erbes als nationale Sinnstiftung somit im Kontext einer Hinwendung zu Europa gelesen werden: „La modernisation passait par une déislamisation et les Égyptiens essayaient de se rattacher à la civilisation européenne par l’héritage pharaonique et la civilisation grécoromaine commune aux deux rives de la Méditerranée.“120
Gerade während seines Studienaufenthalts in Paris kam Mukhtar in Kontakt mit Ausstellungsstücken seines eigenen kulturellen Erbes. Wie Sam Bardaouil anführt, ist es außerdem möglich, dass er dort die Skizzen des unrealisierten Statuenprojektes von Frédéric Auguste Bartholdi gesehen haben könnte.121 Bartholdi sollte ein Monument für die Eröffnung des Suezkanals 1869 erschaffen, für das er eine Fellachinnenskulptur als Symbol für Ägypten vorsah, die eine Fackel als Reminiszenz an den Leuchtturm von Alexandria emporhält.122 Ebenso zeigt der Sphinx von Egyptian Awakening Affinitäten zu Bartholdis monumentalem Lion de Belfort, dessen Replikat in Montparnasse aufgestellt war, wo sich Mukhtar während seines Pariser Aufenthalts als Kunststudent sicherlich häufig aufgehalten hatte.123 Für die Bedeutungsdimension des Werks muss jedoch insbesondere der antikoloniale Kontext des ägyptischen Nationalismus einbezogen werden. So fasst Kane mit Bezug auf die ägyptische nahda zusammen: „The Nahda revival appearing in Egyptian journalism and in Nagi‘s and Mukhtar’s art was counter to Howard Carter’s sensationalized discoveries and forceful archaeological excavations.“124
Als Inspirationsquelle sind somit gerade zeitgenössische ägyptische Ereignisse heranzuziehen, welche für die Bildung einer nationalen Unabhängigkeitsbewegung eine verstärkende Rolle spielten. Eine Hinwendung zum altägyptischen Erbe fand im Zuge einer politischen Argumentationsuntermauerung für ein von jeglicher Fremdherrschaft befreites und unabhängiges Ägypten bereits während
nature of a passing trend, borrowed from an ‚Egyptian vogue‘ in Europe?“ Karnouk 2005, S. 12. 120
Naef 1996, S. 61.
121
Vgl. Bardaouil, in: Ausst.-Kat. Le Théorème de Néfertiti 2013, S. 59.
122
Realisiert wurde Bartholdis Entwurf schließlich als die Freiheitsstatue von New York. Vgl. ebd.
123
Vgl. ebd.
124
Kane 2013, S. 29.
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des Urabi-Aufstandes Ende des neunzehnten Jahrhunderts statt.125 Des Weiteren verstärkte 1906 der Dinshaway-Vorfall den ägyptischen Nationalismus. Auf einen Zusammenstoß zwischen ägyptischen Fellachen und britischen Soldaten im Ort Dinshaway, bei dem ein Soldat ums Leben kam, reagierte der britische Generalkonsul mit drakonischen Strafen.126 Das Ereignis löste in Ägypten enormen Unmut gegenüber den Briten aus und gab der nationalistischen Bewegung starken Auftrieb. Das Bild des Fellachen als wahren, authentischen Ägypter stieg dabei zu einem nationalen Symbol der Unabhängigkeitsbewegung auf. In ihrer Funktionalisierung unterschieden sich demnach Mukhtars und Nagis Konzeptionen von den altägyptischen Adaptionen europäischer Künstler: Während ägyptische Sujetelemente in Europa funktionalisiert wurden, um den Imperialismus der jeweiligen Kolonialmacht zu untermauern und zu legitimieren, dienten dieselben Sujets in Ägypten der Symbolisierung der Unabhängigkeitsbewegung und des Nationalismus, indem sie ein Kontinuitätsprinzip von der antiken pharaonischen Zivilisation bis zur modernen ägyptischen Nation des zwanzigsten Jahrhunderts etablierten: „[…] une même forme artistique est appropriée, décontextualisée et resémantisée pour s’inscrire dans un dessein plus vaste dans lequel l’œuvre d’art est récupérée pour servir de porte-parole à une propagande idéologique.“127
Mukhtar schuf neben Egyptian Awakening auch Statuen nationaler Figuren wie Saʿd Zaghlul oder Talaʿt Harb. Dieses doppelseitige Werkschaffen von einerseits typenhaften Fellachen als generellen Symbolisierungen der ägyptischen Nation und andererseits personenbezogenen Darstellungen von bekannten Vertretern der führenden Oberschicht und der nationalen Politik „reinforced the notion of an elite leadership to lead the nameless masses.“128 In den Jahrzehnten nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung von 1922 nahmen die innerpolitischen Spannungen in Ägypten weiter zu. Die ägyptischen Eliten, welche als Landbesitzer das Parlament dominierten, waren mit unterschiedlichen Oppositionsbewegungen, wie der konservativ-faschistischen Gruppierung Junges Ägypten (misr al-fatah), der Moslembruderschaft, linken Grup-
125
Die Revolte unter Ahmad Urabi wurde 1882 von den britischen Truppen in der Schlacht von Tel el-Kebir geschlagen und Urabi verbannt. Vgl. Vatikiotis 1969, S. 158.
126
Darunter die Todesstrafe für vier Fellachen. Vgl. Reid 1990, S. 19.
127
Bardaouil, in: Ausst.-Kat. Le Théorème de Néfertiti 2013, S. 61.
128
Kane 2013, S. 31.
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pierungen und dem Widerstand der Landbevölkerung konfrontiert.129 Diese Konflikte spiegelten sich auch im künstlerischen Diskurs und in der Bildungspolitik wider. Die Oberschicht favorisierte hierbei „an elite program of a national renaissance in the arts“130, das als nahda-Paradigma bezeichnet werden kann.131 Damit funktionalisierte sie das Konzept der nahda, um ein konservatives Kunstund Bildungsprogramm aufrecht zu erhalten. Der Nationalismus in der Kunst diente durch seine Verbindung der altägyptischen Vergangenheit mit dem gegenwärtigen Staat somit auch der Legitimierung der Hegemonie der herrschenden Eliten, wie Kane betont: „The pharaonic revival was a convenient trope for a landowner class that dominated governmental institutions and implemented oppressive land tenancy and labor laws by reviving the risen pharaoh image as a metaphor of authority of the monarchy.“132
Neben den genannten Oppositionsbewegungen wandten sich in den 1930er Jahren jedoch zunehmend neu formierende Künstlergruppen gegen das elitäre Bildungsmodell der herrschenden ägyptischen Oberschicht und setzten sich im Vorfeld der Revolution von 1952 für stärker gesellschaftsrelevante Kunstformen ein.
1.3 D IE
ÄGYPTISCHE M ODERNEBEWEGUNG IM KUNSTHISTORISCHEN D ISKURS
Die Kunstgeschichtsschreibung der 1960er Jahre betonte die Bedeutung der Kunstakademie für den Beginn der modernen ägyptischen Kunst, auch um die Verstaatlichung der Kunstinstitutionen und die Bildungspolitik unter Gamal Abdel Nasser historisch zu legitimieren.133 Der nach französischem Vorbild ausgerichtete Akademismus der beginnenden Kunstlehre wurde aus dem zeitlichen Abstand der 1960er Jahre jedoch stark kritisiert. Aimé Azar schreibt hierzu in seiner 1961 in Kairo erschienenen Publikation La Peinture Moderne en Égypte:
129
Vgl. Kane 2013, S. 22. Die Moslembruderschaft wurde 1928 von Hasan al-Banna gegründet.
130
Ebd.
131
Zur Definition des nahda-Paradigmas siehe Gran, in: Al-Ahram weekly 2005, Nr. 770.
132
Kane 2013, S. 35.
133
Siehe hierzu beispielsweise Iskandar und al-Mallakh 1962.
74 | M USTER DER A MBIVALENZ „En somme, les peintres étrangers qui exposaient aux Salons annuels et ceux qui enseignaient à l’Ecole des Beaux Arts l’orientalisme et l’académisme, avaient tiré de ces Ecoles assez désuètes leur langage habituel.“134
Die bloße Imitation europäischer Stilvorgaben, beispielsweise im Bezug auf impressionistische Strömungen oder die Gattung der Portraitmalerei, wurde als unauthentisch verworfen und die Suche nach einer spezifisch ägyptischen modernen Kunst als Ziel der akademischen Kunstlehre formuliert, dessen Erfüllung man erstmals den Werken Mahmud Mukhtars zuschrieb.135 Dennoch wurden der Akademismus und seine Lehre als notwendige Stufe angesehen, die gemäß einer ‚Lernphase‘ durchschritten werden müsse, um zu einer genuin ägyptischen Kunst zu gelangen.136 Ramses Younan sieht beispielsweise den künstlerischen Beitrag Muhammad Nagis darin begründet, dass er in seinem Œuvre sämtliche Stufen der modernen Kunst – vom Klassizismus zur Romantik über den Impressionismus zum Fauvismus bis zum Post-Impressionismus – durchschritten habe, ohne die eigenkulturellen Kunstformen Ägyptens aus dem Blick verloren zu haben.137 Die Einführung europäischer Kunststile beinhaltete dabei nicht nur die Annahme neuer künstlerischer Techniken und Ausdrucksformen, sondern ebenso differierender prinzipieller Vorstellungen von Kunst. Jüngere kunsthistorische Studien stellen hierbei die Eruierung einer spezifisch modernen arabischen Ästhetik in den Mittelpunkt der Forschung. In diesem Kontext spricht Nada Shabout in Modern Arab Art. Formation of Arab Aesthetics (2007) von einem ästhetischen Paradigmenwechsel in der gesamten arabischen Kunstlandschaft im Zuge des Modernisierungsprozesses als einem fundamentalen Wandel zwischen einer islamischen und einer modernen arabischen Ästhetik:
134 135
Azar 1961, S. 15-16. Vgl. ebd., S. 15. Azar bedauerte, dass nicht Mahmud Mukhtar oder Ragheb Ayyad die ersten modernen Künstler Ägyptens waren, sondern Yusuf Kamil und Ahmad Sabri, die er als unauthentisch bezeichnet. Vgl. ebd., S. 20.
136
Vgl. ebd., S. 19. Darin schwingt das elitäre Konzept der kolonialen Bildungspolitik mit, siehe hierzu Mitchell 1988, insbesondere Kapitel 4: After we have captured their bodies, S. 95-127. Die sogenannte ‚Lernphase‘ wird generell für die moderne arabische Kunst konstatiert, vgl. Ali 1997, S. 137, Shabout 2007, S. 35 sowie Naef 1996, S. 52. Gleichzeitig wird angeführt, dass sich die Künstler über die Annahme europäischer Kunstformen von den starren Dogmen überkommener lokaler Kunsttraditionen befreien konnten. Vgl. Ali 1997, S. 138.
137
Vgl. Naef 1996, S. 78. Naef zitiert aus Younan, in: Farag (Hg.) 1989, S. 42.
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„This change is related to its aesthetics and not its forms. Whether it was the result of an intellectual need or was imposed by Western influences is a matter of debate. The fact remains that whereas Islamic aesthetics responded to an Islamic religious ideal, modern Arab aesthetics responded to an Arab national secularized ideal.“138
Shabout grenzt demnach die ästhetische Konzeption der modernen arabischen Kunst vom historischen Erbe des Islam ab und differenziert sich damit in ihrer Begriffszuschreibung von Wijdan Ali, die von einer modernen islamischen Kunst spricht.139 Der fundamentale Wandel zwischen islamischer und arabischer Ästhetik wurde laut Shabout durch die Begegnung oder vielmehr Konfrontation mit den kolonialen Ambitionen Europas ausgelöst: Demnach ist die moderne arabische Kunst keine Fortführung, Erweiterung oder Erneuerung islamischer Kunstformen, sondern hat ihren Ursprung vielmehr in „an innovative means of self-expression formulated in response to Arab artists’ psychological and social motivations, as well as their intellectual understanding of the arts.“140 Die sich sukzessive formierenden Unabhängigkeitsbewegungen sind für die Erfassung der kritischen künstlerischen Auseinandersetzungen der arabischen Modernebewegung essentiell, weshalb sie vorschlägt, „die arabische visuelle Moderne als Raum kolonialen Widerstands und nicht mehr als Nachahmung der europäischen Moderne aufzufassen.“141 Diese auf eine nationale Ästhetik abzielende Funktionalisierung der Kunst zeigt sich in Ägypten exemplarisch an der Etablierung des sogenannten Neopharaonismus, der insbesondere in der Fertigung und Rezeption Mukhtars Skulptur Egyptian Awakening einen identitätsstiftenden Ausdruck fand. Die künstlerischen Konzeptionen der Pioniergeneration stellen in dieser Perspektive vielmehr eine Opposition, denn eine Imitation europäischer Kunstformen dar. Zugleich offenbaren die Werke jedoch in ihrem Versuch, das authentische ägyptische Leben darzustellen, häufig deutliche Affinitäten zu europäischen Stilvorgaben der orientalistischen Malerei. Diese künstlerischen Formverwandtschaften wurden in einem weiteren Interpretationsstrang der Forschung als Phänomen eines im intellektuellen Diskurs wahrgenommenen Defizits gedeutet, welches zu Anfang des
138
Shabout 2007, S. 35. Shabout bezeichnet mit dem Begriff ‚arabisch‘ keine ethnische Zugehörigkeit, sondern definiert diesen vielmehr als Oberbegriff für die Periode, „when Arabs began thinking about themselves as specific national entities.“ Ebd., S. 8.
139
Siehe Ali 1997.
140
Shabout 2007, S. 35.
141
Shabout, in: Aust.-Kat. The Future of Tradition 2010, S. 48.
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zwanzigsten Jahrhunderts unterschiedliche Debatten um eine Annäherung an Europa anstieß.142 Im ägyptischen Kontext kam es in diesem Zusammenhang zu zahlreichen Kontroversen gegenüber der Definition der islamischen Kunst als bloßes Handwerk, wobei generell eine Reform und Neuorientierung des künstlerischen Schaffens angestrebt wurde, wie Naef konstatiert: „Im Zuge dieses Modernisierungsprozesses diagnostizierte man auch im Kunstbereich ein ‚Aufholungsbedürfnis‘: Das althergebrachte Kunstverständnis sollte dem westlichen weichen.“143 Naef und Ali führen an, dass die traditionelle Kunstproduktion aufgegeben und lediglich im touristischen Handwerk fortgeführt wurde, um die Nachfrage nach scheinbar ‚authentischen‘ Souvenirs zu bedienen.144 Für diese Entwicklung nennt Naef zwei ursächliche Phänomene: zum einen das Wegfallen der kunsthandwerklichen Praxis aufgrund zunehmender Industrialisierung und Technisierung und zum anderen das intellektuelle und politische Vorhaben, die Moderne nach europäischem Vorbild in der arabischen Welt zu implementieren, was eine Ablehnung derjenigen Kunst verursachte, deren Konzeption wie Funktion nicht dem europäischen Modell von Kunst entsprach.145 Das traditionelle Kunsthandwerk wurde daher als ‚rückschrittlich‘ angesehen, dessen Defizit aufgeholt werden müsse. In einer kritischen Reflexion der eigenen künstlerischen Tradition nahmen einige ägyptische Intellektuelle aufgrund des postulierten Allgemeinplatzes eines „l’état général de décadence“146 die europäische Vorstellung an, die arabischen Länder im Allgemeinen und Ägypten im Besonderen besäßen keine eigene moderne bildende Kunst. So sieht Muhammad Nagi die widerspruchslose Akzep-
142
Intellektuelle wie beispielsweise Taha Hussein argumentierten, Ägypten gehöre seit jeher zur Mittelmeerregion und sei mit dem alten Europa somit eng verbunden. Diese Beziehung solle nun wieder erneuert werden. Vgl. Hussein [1938] 1975, S. 3-10.
143
Naef, in: Ausst.-Kat. TASWIR – Islamische Bildwelten und Moderne 2009, S. 27. Zum Verhältnis altislamischer Kunst und der Lehre der Akademie siehe Naef 1996 und Ali 1997.
144
Vgl. Naef 1996, S. 11, Ali 1997, S. 2 sowie Naef, in: Ausst.-Kat. TASWIR – Islamische Bildwelten und Moderne 2009, S. 26. Bereits nach der Eröffnung des Suezkanal 1869 richtete sich die Kairoer Kunstproduktion nach dem Geschmack europäischer Ägyptenreisender, wobei nicht nur ältere Artefakte kopiert, sondern zum Teil bewusst nach europäischen orientalistischen Stereotypenvorstellungen gefertigt wurden. Vgl. Naef, in: Ausst.-Kat. TASWIR – Islamische Bildwelten und Moderne 2009, S. 26 und Naef 1996, S. 11.
145
Vgl. Naef 1996, S. 12.
146
Ebd., S. 299.
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tanz der Einführung europäischer moderner Malerei in Ägypten darin begründet, „parce qu‘il n‘est pas entré en conflit avec une tradition vivante.“147 Zugleich lässt er sich herablassend über die von ihm konstatierte lokale Kunstlosigkeit in Ägypten aus: „Si l’on parcourt la campagne, l’inaptitude du fellah en art est désespérante! Le nègre du Congo ou l’aborigène des îles de la Sonde ont plus de confidences à nous faire. Il n’y a pas d’art spontané du fellah.“148 Diese retrospektiv angenommene Absenz einer eigenen Kunsttradition – die insbesondere für die Phase ab der europäischen Renaissance bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein konstatiert wurde – führen einige ägyptische Autoren bis heute fort, wobei sie als Argumentationsbegründung insbesondere die osmanische Herrschaft über Ägypten anführen.149 Damit nahmen lokale Intellektuelle in den Debatten um eine moderne ägyptische Kunst europäische Stereotypenvorstellungen über einen starren, rückschrittlichen Orient an, der nur über die Appropriation der Ideale der europäischen Aufklärung aus seiner Lethargie befreit werden könne, wie Timothy Mitchell in seiner Studie Colonising Egypt (1988) herausstellt: „The absolute opposition between the order of the modern West and the backwardness and disorder of the East was not only found in Europe, but began to repeat itself in Egyptian scholarship and popular literature, just as it was replicated in colonial cities.“150
Wie bereits verdeutlicht, bedeutete die europäisch ausgerichtete Lehre der Akademie jedoch nicht, dass die moderne ägyptische Kunst als „arrière-gardes“151 lediglich versuchte, ein ‚westliches‘ Modernemodell zu übernehmen. Vielmehr zeigt die Einbeziehung des historischen Kontextes die vielgestaltigen Aushandlungsprozesse innerhalb der ägyptischen Gesellschaft. Für das Verständnis moderner ägyptischer Kunst ist es somit wichtig, die Blickrichtung nicht auf das ungelöste Spannungsverhältnis von ‚westlich-imitativ‘ und ‚genuin-modern‘ zu beziehen, sondern vielmehr dahingehend, wie die Kunst von unterschiedlichen Akteuren funktionalisiert wurde.
147
Naghi, in: Naghi und Roussillon (Hg.) 1988, S. 47.
148
Ebd.
149
Vgl. Naef 1996, S. 41.
150
Mitchell 1988, S. 171. Wie Mitchell verdeutlicht, wurde dadurch der lokale Diskurs selbst ‚kolonialisiert‘. Dies war jedoch nicht völlig erfolgreich, wie der intellektuelle und im weiteren Verlauf militärische Widerstand zeigt, der dieselben Methoden der Kontrollierung in eine Opposition wandelte.
151
Naef 1996, S. 16.
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Patrick Kane verdeutlicht in The Politics of Art in Modern Egypt (2013), dass die Institutionalisierung der modernen ägyptischen Kunst der Privilegierung einer Elite diente, die versuchte, sich von der volkstümlichen Kultur der breiten Bevölkerung zu differenzieren.152 Die Problematik der nationalen Staatsbildung in den Zwischenkriegsjahren ging mit zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen lokalen Großgrundbesitzern und arbeitender Landbevölkerung einher. Zu ihrer eigenen Legitimierung griff die Oberschicht auf das Paradigma der nahda als elitärem Kultur- und Bildungsmodell zurück. Als Kunst der nahda wurde demnach der akademische Stil der Pioniergeneration – wie von Muhammad Nagi oder Mahmud Mukhtar verkörpert – herangezogen, der sich von populären und volkstümlichen Kunstformen stark differenzierte. Damit führte die Elite in ihrer Funktionalisierung der Kunstinstitutionen die Teilung von akademischer Kunst und ‚Volkskunst‘ ein. Während die Lehre der Akademie der Elitenbildung vorgesehen war, sollte die breite Bevölkerung an separaten Schulen im gewerblichen Kunsthandwerk unterrichtet werden. Über diese nationale Pädagogik wurde versucht, die ägyptische Gesellschaft zu reformieren, um sie zugleich zu kontrollieren. Die volkstümliche, handwerkliche Kunst wurde Kane zufolge von der künstlerischen Oberschicht als ‚niedere Kunst‘ betrachtet, um sich selbst davon zu differenzieren und national zu verorten: „This reification of art allowed the northern Egyptian elite, with its political dominance of state institutions and its status as large landowners, to identify themselves with the ruling elite of other nation-states.“153 Das nahda-Paradigma diente somit der Auszeichnung der Elite als herrschende Klasse, der Legitimierung ihrer Hierarchisierungsmodelle über den künstlerischen Rückgriff auf pharaonische Sujets sowie der Bildung und ‚Kultivierung‘ der ägyptischen Bevölkerung, insbesondere der Fellachen, um potentiellen Unruhen durch Reformen entgegenzuwirken.154 Die Kunst repräsentierte nicht nur, sondern produzierte den kosmopolitischen Bourgeoisiestatus des Künstlers und damit der ägyptischen Elite.155 Dabei spielte die ‚Kultivierung des
152
Vgl. Kane 2013, S. xxiii. Die folgende Beschreibung des Spannungsverhältnisses zwischen der Ausrichtung der Akademie und der traditionellen ‚Volkskunst‘ mit Blick auf den soziopolitischen Kontext Ägyptens ist Kane 2013, Kapitel 1: The Social Horizon of Egyptian Aesthetics, S. 1-20 entnommen.
153 154
Ebd., S. xxiii. Zum Konzept des nahda-Paradigmas siehe insbesondere Kane 2013, Kapitel 2: Art Institutions, Agrarian Conflict and Fascism from 1908-40, S. 21-52.
155
Zur vergleichbaren Konstruktion der libanesischen Künstlerbourgeoisie siehe Rogers, in: Middle East Studies Association Bulletin 2008, Band 42, Nr. 1/2, S. 19-25.
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Geschmacks‘ nicht nur bei der Eröffnung der ägyptischen Kunstakademie eine wesentliche Rolle, sondern auch im späteren ägyptischen Diskurs, wie Dina Ramadan in ihrer Analyse der erstmals 1950 erschienenen Kunstzeitschrift sawt elfannan (dt. Stimme des Künstlers) verdeutlicht: „[…] what such a publication is ultimately invested in are the wider discourses involved in cultivating a bourgeois artistic awareness and aesthetic sensibilities, […] as part of the larger project of constructing the modern subject in Egypt.“156
Mit ihrem Bildungsmodell wandte sich die ägyptische Elite in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auch gegen die Zunahme politischer Masseninstitutionen, wie den Moslembrüdern sowie linken Koalitionen aus Sozialisten und Kommunisten.157 Es wäre jedoch unzulänglich, den historischen Kontext der Etablierung der modernen Kunst in Ägypten lediglich im Spannungsverhältnis zwischen einer national-säkularen Bewegung liberaler nahda-Intellektueller und einer islamistischen Bewegung religiöser Fraktionen wie den Moslembrüdern zu sehen.158 Diese binäre Dichotomie postuliert die lineare Theorie einer progressiv sich entwickelnden nationalistischen Kunst von den Anfängen der Akademie im Kontext des nationalen Unabhängigkeitskampfes bis zur staatlichen Kulturpolitik unter Gamal Abdel Nasser, ohne weitere künstlerische Einflussmöglichkeiten in den Blick zu nehmen.159 Die Konflikte im ägyptischen Kunstdiskurs gingen dagegen über ein national-säkulares Modell, wie im nahda-Paradigma impliziert, hinaus. Bereits in den 1930er Jahren formierten sich im ägyptischen Kunstdiskurs oppositionelle Ausrichtungen gegen das elitäre Bildungsprogramm des nahda-Paradigmas.160 Die Betonung der Fellachen als künstlerisches Sujet konnte zwar einerseits im Hinblick auf die nationalistische Ideologie funktionalisiert werden und damit den Herrschaftsanspruch der Eliten im Kontext des kolonialen Widerstands legitimieren. Zugleich griffen jedoch andererseits spätere Künstlergenerationen auf dasselbe Sujet zurück, um die soziale Verelendung dieser Schicht darzustellen und damit explizit Kritik an den sozialen und politischen Verhältnissen zu üben. Kane sieht beispielsweise in den Werken des Künstlers Abdel Hadi al-Gazzar (1925-1966), der in der Kunstgeschichtsschreibung häufig als nationaler Künst-
156
Ramadan, in: Middle East Studies Association Bulletin 2008, Band 42, Nr. 1/2, S. 26.
157
Vgl. Kane 2013, S. 22.
158
Vgl. ebd., S. xxiv.
159
Vgl. ebd., S. 14.
160
Beispielsweise die ägyptischen Surrealisten. Vgl. ebd., S. 33-34.
80 | M USTER DER A MBIVALENZ
ler unter Nasser beschrieben wurde, Verbindungslinien zu den Sozialkritiken der Moslembrüder, was in der Forschung bislang weitgehend ignoriert wurde: „As a Sufi, al-Gazzar may have shared sympathies with the Muslim Brothers, who waged a furious struggle in this period against both the old regime and the new revolutionary command.“161
Es waren jedoch nicht nur Vertreter jüngerer Künstlergenerationen, die sich gegenüber den nationalen Paradigmen der Akademie kritisch positionierten. Ebenso konnten künstlerische Konzeptionen der ersten Künstlergeneration die Funktionalisierung nationaler Symboliken unterlaufen. Beispielsweise kann mit Kane die Darstellung von Frauen bei öffentlichen Feierlichkeiten und die starke Betonung des Weiblichen in den Werken des Pionierkünstlers Mahmud Said (1897-1964) als subtile Kritik der männlich-autoritären Kultur gelesen werden, wie sie von Mitgliedern der Akademie und der nationalen Politik vertreten wurde. Diese wandten sich in den Zwischenkriegsjahren zunehmend faschistischen Ideologien nach italienischem Vorbild zu, darunter auch der Kunstsammler und Politiker Mahmud Khalil.162 Somit kann die Entwicklung der modernen ägyptischen Kunst nicht in ausschließlichen Narrativen einer nationalistischen, institutionell begründeten Bewegung beschrieben werden, da sie vielmehr im Zuge heterogener Diskurse und historischer Aushandlungsprozesse zu verorten ist.
161 162
Kane 2013, S. 65. Vgl. hierzu auch ebd., S. 61-62. Vgl. ebd., S. 17-18 sowie S. 35. Khalil entstammte reichen Landbesitzern, war zweimaliger ägyptischer Premierminister und eröffnete mit seiner Kunstsammlung das erste Museum für Moderne Kunst 1931 in Kairo.
Kapitel 2 Zwischen Tradition und Moderne Das spezifische Spannungsverhältnis der asala-muʿasira-Dichotomie
2.1 G ENEALOGIEN DES M ODERNEN IN DER ÄGYPTISCHEN K UNST IM V OR - UND N ACHFELD DER R EVOLUTION VON 1952 In Ägypten gab es seit Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts unterschiedliche intellektuelle und künstlerische Diskurse im Bezug auf die Definition einer authentischen Moderne. Nach dem Ersten Weltkrieg und der einseitigen Unabhängigkeitserklärung 1922 wurde Ägypten zur konstitutionellen Monarchie, welche einerseits auf britisch-französischem Modell beruhte, gleichzeitig jedoch das bewahrte und förderte, was als genuin ägyptische Kultur und historische Besonderheit betrachtet wurde. Diese Spezifizität war in den 1920er Jahren durch den neopharaonischen Nationaldiskurs definiert. Als authentische moderne Kunst wurden diejenigen Werke bezeichnet, die sich mit dem kulturhistorischen und insbesondere vorislamischen Kontext Ägyptens auseinandersetzten, wie das Beispiel des Œuvres Mahmud Mukhtars exemplarisch veranschaulicht. Neopharaonische Referenzen als nationales Identifikationsmerkmal schwanden jedoch sukzessive aus der modernen ägyptischen Kunst und wurden vor der Revolution von 1952 durch unterschiedliche Tendenzen ersetzt, die sich einerseits dem Diskurs der Akademie anschlossen, aber andererseits auch oppositionelle Haltungen zur Kunstinstitution ausdrücken konnten, wie beispielsweise die Gruppe der sogenannten ägyptischen Surrealisten. Diese Entwicklung vollzog sich im Kontext institutioneller Umstrukturierungen und Auseinandersetzungen innerhalb des Kunstdiskurses. Neben der Akademie wurden neue Schulen eröff-
82 | M USTER DER A MBIVALENZ
net, in denen Kunstlehrer für den berufsbezogenen Unterricht an Sekundarschulen ausgebildet wurden, gemäß der differenzierenden Prämisse eines akademischen Kunstprogramms für die Elite und eines sekundären Bildungsprogramms der kunstpraktischen Unterweisung für die breite Bevölkerung.1 Während die Kunstakademie zumeist von Angehörigen der ägyptischen Oberschicht dominiert wurde, entstammten die Künstler dieser Schulen der urbanen und ländlichen Mittelschicht.2 Mitglieder des 1938 gegründeten Instituts der Kunstbildung (maʿhad al-tarbiyya al-fanniyya) sowie jüngere Graduierte der Lehrerschulen (madrasat al-muʿallimin al-ʿulya) begannen sich zunehmend gegen die konservativen Lehren und die der ägyptischen Elite dienende Ausrichtung der Kunstakademie zu wenden.3 Widerstand erwuchs dabei insbesondere bei denjenigen Kunstlehrern, die von der Regierung an Schulen im Nildelta und in Oberägypten entsandt worden waren und dort die schwierigen Bedingungen der arbeitenden Landbevölkerung unmittelbar erlebten.4 Inspiriert von Thematiken der sozialen Verantwortung befürworteten diese Kunstlehrer und ihre Studenten eine radikale Ablehnung der Akademie und ihrer Lehre. So führt Kane an: „This emphatic shift represented the transformation to a new type of intellectual.“5 Eine sich neu formierende Künstlergeneration, die im ägyptischen Kunstdiskurs als Surrealisten bezeichnet wurden, charakterisierte dabei nicht nur eine antiakademische, sondern ebenso eine antifaschistische Haltung.6 Ende der 1930er Jahre verschärfte sich die agrarwirtschaftliche und damit einhergehende soziale Krise in Ägypten. Es folgten Nahrungsmittelknappheit, Lohnkürzungen, Enteignungen von Ernteerträgen und Zwangsabgaben.7 Im politischen Diskurs nahmen faschistische Tendenzen zu, wie durch die sogenannten Blauhemden, die faschistische Front der jungen Wafdisten, und durch die konkurrierenden Grünhemden, die paramilitärische faschistische Organisation Junges Ägypten (misr al-fatah), verkörpert.8 Die gegenüber diesen Gruppierungen in Opposition stehenden Ideen der Surrealisten wurden in Kairo insbesondere von dem Autor und Dichter Georges Henein (1914-1973) verbreitet, der in
1
Vgl. Kane 2013, S. 35-36.
2
Vgl. ebd., S. 35.
3
Vgl. ebd., S. 2.
4
Vgl. ebd., S. 22.
5
Ebd., S. 36.
6
Vgl. Naef 1996, S. 80.
7
Vgl. Kane 2013, S. 53.
8
Vgl. ebd., S. 53-54 sowie Reid 1990, S. 128-129. Beide Gruppierungen verstanden sich als Gegenbewegungen zu der Organisation der Moslembrüder.
K APITEL 2: ZWISCHEN TRADITION
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Europa studiert hatte und 1938 von André Breton und Diego Rivera dazu eingeladen worden war, an einer internationalen Aktion gegen die repressive Haltung der Nationalsozialisten gegenüber moderner Kunst teilzunehmen.9 Am 22. Dezember 1938 veröffentlichte Henein das Manifest Vivre l’art dégénéré auf Französisch und Arabisch, das eine Solidaritätsbekundung gegenüber den von den Nationalsozialisten diffamierten Künstlern darstellte und sich explizit auf die Münchner Ausstellung Entartete Kunst von 1937 bezog, zugleich jedoch auch generell eine Kritik an den sozialen und politischen Restriktionen in Ägypten implizierte. Das Manifest war von dutzenden Autoren, Künstlern und Juristen unterschrieben worden.10 Dessen zentrale Passagen fassen die Stellungnahme und Absicht der Unterzeichner wie folgt zusammen: „We know with what hostility current society looks upon any new literary or artistic creation that directly or indirectly threatens the intellectual disciplines and moral values of behaviour on which it depends for a large part of its own life – its survival. This hostility is appearing today in totalitarian countries especially in Hitler’s Germany. […] All the achievements of contemporary artistic genius […] have been received with insults and repression. We believe that it is mere idiocy and folly to reduce modern art, as some desire, to a fanaticism for any particular religion, race or nation.[…] We stand absolutely as one with this degenerate art.[…] Let us work for its victory over the new Middle Ages that are rising in the heart of Europe.“11
Bereits Heneins Surrealismus-Vorlesungsreihe 1937 in Kairo hatte starken Einfluss auf eine junge, akademiekritische Künstlergeneration und es kam zur Gründung verschiedener Künstlergruppen, die sich jedoch jeweils nur kurzfristig etablieren konnten.12 Die einzelnen Gruppen wandten sich zumeist surrealistischen Strömungen zu, deren universaler Anspruch sämtliche Bereiche von Kunst
9
Vgl. Shalem, in: South Atlantic Quarterly 2010, Band 109, Nr. 3, S. 590.
10
Vgl. ebd. sowie Kane 2013, S. 56 und LaCoss, in: The Arab Studies Journal 2010, Band 18, Nr.1, S. 87-88.
11
Manifesto Long live degenerate art, 22. Dezember 1938. Für die englische Übersetzung siehe das von der Kairoer Townhouse Gallery unterstütze Onlineprojekt egyptiansurrealism.com. Das Manifest wurde von Henein nicht nur veröffentlicht, sondern höchstwahrscheinlich auch geschrieben. Vgl. LaCoss, in: The Arab Studies Journal 2010, Band 18, Nr.1, S. 86.
12
Vgl. Kane 2013, S. 56. Heneins erster Vortrag über den Surrealismus wurde in Kairo und Alexandria auch im Radio übertragen. Vgl. LaCoss, in: The Arab Studies Journal 2010, Band 18, Nr.1, S. 80.
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und Literatur einzunehmen erstrebte. Ihre antiakademische Haltung drückte sich dabei nicht nur in einer Stilkritik, sondern vielmehr in der Ablehnung des elitären Programms der Akademie und der Hinwendung zu einer gesellschaftsrelevanteren Kunst aus.13 Es ist wichtig zu betonen, dass der ägyptische Surrealismus kein bloßes Spiegelbild nach europäischer Inspiration war, sondern sich von seinem französischen Pendant in einigen Punkten explizit differenzierte und sich dabei auf den spezifischen sozialen und politischen Kontext Ägyptens bezog14, wie am Beispiel des Künstlers und Kunstkritikers Ramses Younan (1913-1966) deutlich wird. Younan gilt als einer der wichtigsten Repräsentanten der surrealistischen Bewegung in Ägypten.15 1939 gründete er mit Kamil el-Tilmissani, Anwar Kamil und Fuad Kamil die Gruppe Kunst und Freiheit (gamaʿat al-fann wa-lhurriyya).16 Die Gruppe organisierte Kunstausstellungen und veröffentlichte surrealistische Zeitungen, darunter das Magazin al-Tatawwur (dt. Der Fortschritt), dessen Artikel die gesellschaftsstiftende Rolle des Intellektuellen und „a revolutionary critique of Egyptian society and culture“17 in den Fokus einer kulturkritischen Debatte stellte, wie im Vorwort der ersten Ausgabe unter dem Titel Eine neue Richtung betont wird:
13 14
Vgl. Naef 1996, S. 80. Vgl. LaCoss, in: The Arab Studies Journal 2010, Band 18, Nr.1, S. 85. LaCoss führt hierbei an, dass der kollektive Stil der Künstlergruppe auch als „social expressionism“ bezeichnet wurde, was dahingehend sinnvoll ist, um zwischen ihren kreativen Arbeiten, die nicht immer explizit surrealistisch waren, und ihrer soziopolitischen Absicht und Organisation zu differenzieren, welche von der FIARI (Fédération Internationale de l’Art Révolutionnaire Indépendant) inspiriert worden war. Nach dem Zweiten Weltkrieg brach Henein darüber hinaus offiziell in einem Schreiben an Breton mit
dem französischen Surrealismus. Vgl. Flores, in: The Arab Studies Journal 2000/ 2001, Band 8/9, Nr. 2/1, S. 98. 15
Younan verfasste zahlreiche kunstkritische Texte, siehe hierzu u.a. die Werksammlung dirasat fi-l-fann (dt. Studien zur Kunst) von 1969. Zum kunstphilosophischen Konzept Younans siehe Flores, in: The Arab Studies Journal 2000/2001, Band 8/9, Nr. 2/1, S. 97-110 sowie zu seinem künstlerischen Schaffen Abou Ghazi 1978.
16
Vgl. Kane 2013, S. 58.
17
Ebd., S. 60.
K APITEL 2: ZWISCHEN TRADITION
UND
M ODERNE
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„Wir bieten den Menschen nicht nur ein spezifisches Programm zur Bewältigung ihrer verschiedenen Probleme, sondern bereiten den Raum für eine neue Avantgarde […], um die Voraussetzungen für den Fortschritt zu entwickeln […].“18
Die Zeitung behandelte neben künstlerischen, literarischen und theoretischen Reflexionen auch Themen wie die zunehmende soziale Verarmung der ägyptischen Bevölkerung und implizierte eine dezidiert politische, regimeoppositionelle Kritik. Younan definierte den ägyptischen Surrealismus als keine rein künstlerische oder literarische Bewegung, sondern betonte dessen Kulturkritik für die Bedürfnisse und Rechte der ägyptischen Gesellschaft, wie Don LaCoss im Bezug auf die allgemeine Haltung der ägyptischen Surrealisten anführt: „[They] recognized that surrealism would find little appeal in that country; they felt that the surrealists‘ advocacy for open creative expression and more personal and political liberties would find wide purchase, however.“19 Ebenso beinhalteten die künstlerischen Œuvre der Gruppenmitglieder nicht ausschließlich surrealistische Stilmerkmale, vereinten sich jedoch in ihrer antiakademischen und antifaschistischen Haltung, wie Younan betonte: „Avant d’être une tendance artistique, le surréalisme est, dans son fond, un appel à une révolution sociale et morale.“20 Somit forderten die Surrealisten eine radikale Umstrukturierung der sozialen Gegebenheiten und des politischen Spektrums als Alternative zum nahdaParadigma der Elite und dem Spannungsverhältnis zwischen Monarchisten, Nationalisten und Massenorganisationen wie den Moslembrüdern. „Changer la société pour la conformer à leurs désirs“21 wurde zum Grundsatzprinzip der Surrealisten und dies konnte nach Younans Auffassung nur über den Bereich des Unterbewussten, wie er vom Surrealismus tangiert wurde, erreicht werden.22 Innerhalb der Debatte eines modernen ägyptischen Authentizitätsdiskurses ging es Younan um eine stärkere Internationalisierung künstlerischer Formkonzepte bei gleichzeitiger Verhandlung des eigenen künstlerischen Erbes. Somit vertrat er die Ansicht, eine zunehmende Internationalisierung der Kunst würde die ursprünglichen Kunsttraditionen nicht zerstören, wie er 1940 bei einer Ausstellung
18
Vorwort Itigah gadid (dt. Eine neue Richtung), in: al-Tatawwur 1940, S. 1. Eigene Übersetzung.
19
LaCoss, in: The Arab Studies Journal 2010, Band 18, Nr.1, S. 84. Vgl. hierzu auch Kane 2013, S. 60.
20
Younan, zitiert nach Naef 1996, S. 85. Arabisches Original siehe Younan 1969, S. 34.
21
Naef 1996, S. 85.
22
Vgl. ebd., S. 86.
86 | M USTER DER A MBIVALENZ
der Gruppe Kunst und Freiheit – in gleicher Argumentationslinie mit Intellektuellen wie Taha Hussein – erklärte: „It is often said that modern art became international as a result of colonialism, which culturally as well as militarily invades the colonized countries, thus destroying their traditions and their arts. However, we should realize that modern European art had been influenced by Eastern and African arts before any Eastern or African artist was influenced by European art. Therefore, cultural invasion is not the issue, it is rather cultural response, expressed in breaking out of the boundaries of national tradition into the international heritage.“23
Wurden die Surrealisten zunächst von der Regierung toleriert, so kam es bald zu starken Restriktionen ihrer Aktivitäten. Das Magazin Al-Tatawwur wurde bereits nach sechs Monaten eingestellt und Anwar Kamil für seine Tätigkeit als Herausgeber und Mitglied der Gruppe Kunst und Freiheit verhaftet.24 Ebenso mussten Younan und Henein aufgrund ihrer politischen Aktivitäten zeitweise ins französische Exil.25 Trotz ihres gesellschaftsstiftenden Anspruchs hatten die Surrealisten wenig Einfluss auf die ägyptische Bevölkerung. Sie blieben eine elitäre Bewegung, was auch darin begründet war, dass viele ihrer Mitglieder – wie beispielsweise Georges Henein – ihre sozialen und politischen Ansichten hauptsächlich auf Französisch publizierten und somit nur für eine gebildete Oberschicht zugänglich waren.26 Das sozialpolitische Konzept der surrealistischen Bewegung wurde ebenso von anderen künstlerischen Strömungen aufgegriffen und fortgeführt. 1946 gründete Hussein Yusuf Amin die Gruppe für Zeitgenössische Kunst (gamaʿat al-fann al-hadith). Ebenso wie die Surrealisten verortete sich die Gruppe „in the context of the rise of mass political mobilization against the large landowners and the old regime, which culminated in the revolts and coup of 1952.“27 In ihren Werken griffen die Künstler dieser Gruppe auf Symboliken und Embleme der volkstümlichen Kultur zurück und kombinierten diese Elemente mit mythischen, zuweilen auch surrealistischen Stilmerkmalen, um vielschichtige Bedeutungsdimensionen zu kreieren. Im ägyptischen Kunstdiskurs wurden die Mitglieder der
23
Younan, zitiert nach Karnouk 2005, S. 35. Arabisches Original siehe Younan 1969, S. 276-280.
24
Vgl. Kane 2013, S. 58.
25
Vgl. Naef 1996, S. 85.
26
Vgl. Kane 2013, S. 60.
27
Ebd., S. 2. Zur künstlerischen Positionierung der Gruppe siehe Naef 1996, S. 92-100.
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Gruppe für Zeitgenössische Kunst daher oft als urbane Folkloristen und Traditionalisten bezeichnet.28 Wie jüngere Studien jedoch zeigen, wird diese Bezeichnung den Werken aufgrund ihres hintergründigen gesellschafts- und regimekritischen Gehalts nicht gerecht.29 Als einer der bedeutendsten und zugleich umstrittensten Künstler der Gruppe für Zeitgenössische Kunst gilt Abdel Hadi al-Gazzar, der insbesondere für seine künstlerische Verwendung soziokultureller Symboliken bekannt wurde. Bei der Internationalen Kunstausstellung des YMCA 1949 sorgte die Präsentation seines Gemäldes al-Ju‘ (Hunger, später umbenannt in The Theatre of Life) von 1948 für einen Eklat.30 Das Werk zeigt eine Reihe von unterschiedlich bekleideten Personen des urbanen und ländlichen Kontextes Ägyptens, die jeweils vor einem leeren Teller bzw. vor einem vermutlich ebenso leeren Krug stehen. Diese offensive Sozialkritik und Anmahnung des Staates im Hinblick auf seine politische Verantwortung führte zur Verhaftung al-Gazzars und dessen Lehrer und Gründer der Gruppe für Zeitgenössische Kunst, Hussein Yusuf Amin. Erst durch Interventionen der einflussreichen Pionierkünstler Mahmud Said und Muhammad Nagi kamen beide Künstler wieder frei.31 Dieses restriktive Vorgehen der Regierung fand im Zuge zunehmender politischer Spannungen statt, wie Kane verdeutlicht: „The exhibition coincided with a series of police crackdowns and arrests of intellectuals of the left and the Muslim Brothers following the assassination of the Muslim Brothers’ leader, Hassan al- Banna.“32 In darauf folgenden Werken verwob al-Gazzar sozialkritische realistische Darstellungen mit mythischen Symboliken der Volkskultur und surrealistischen Traumdarstellungen. Thematisch widmete er sich der Darstellung der immensen alltäglichen Probleme der ländlichen und urbanen Unter- und ärmeren Mittelschicht und reflektierte auch auf die in dieser Zeit grassierenden Krankheitsepidemien und strukturellen Unterversorgungen mit lebensnotwendigen Gütern.33 Ein bedeutendes Sujet in seinen Werken stellte dabei die Repräsentation der
28
Liliane Karnouk nennt sie beispielsweise „Folk Realists“. Vgl. Karnouk 2005, S. 42.
29
Vgl. Kane 2013, S. 14, Winegar 2006, S. 268-274 sowie Naef 1996, S. 93-94.
30
Vgl. Kane 2013, S. 63 und 67.
31
Vgl. Karnouk 2005, S. 39 und Winegar 2006, S. 270.
32
Kane 2013, S. 67.
33
Vgl. ebd., S. 64. Die Versorgung unterer Bevölkerungsschichten mit Medizin und Lebensmittelspenden überließ der Staat zivilen und religiösen Wohltätigkeitsorganisationen wie den Moslembrüdern.
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Unterdrückung der Fellachen und der Arbeiterklasse dar.34 Zugleich widmete er sich der Darstellung aktueller politischer Ereignisse, wie dem staatlichen Staudammprojekt in Assuan. Al-Gazzars künstlerische Werke entstanden im Kontext neuer soziopolitischer Entwicklungen. Nach dem Staatsstreich der Freien Offiziere 1952 ging es im ägyptischen Diskurs erneut um eine Revitalisierung und Umdeutung der nationalistischen Authentizitätsdebatte. Bereits im Vorfeld des Militärputsches kam es zu einem sukzessiven Wandel von einem genuin ägyptischen Nationalismus hin zu panarabischen Einstellungen. Die Ägypter begannen, sich im intellektuellen Diskurs dezidiert als ‚Araber‘ zu definieren – jedoch „riss die seit 1919 gängige Rede von der besonderen ‚Persönlichkeit‘ Ägyptens nicht ab.“35 Im Zuge der Zentralisierungspolitik unter Präsident Gamal Abdel Nasser fielen bald sämtliche Kulturinstitutionen Ägyptens unter staatliche Kontrolle, um die Kunst gemäß den Prämissen des Nasserismus zu funktionalisieren, wie Kane argumentiert: „[…] Egyptian cultural nationalism was reabsorbed by the state as a program for a ‚Second Nahda’ […] through an appeal to corporatism and folklore, and through the arts as a means of containing political mobilization.“36
In diesem Sinne wurden etliche in dieser Zeit entstandenen Werke al-Gazzars als Ausdruck eines sozialistischen Realismus und als symbolische, bejahende Repräsentationen der politischen Errungenschaften des Nasserismus gesehen.37 Allerdings können einige Symboliken in den Werken al-Gazzars auch auf eine vielmehr kritische Haltung gegenüber den politischen Maßnahmen unter Nasser hinweisen. Viele ägyptische Künstler dieser Generation begrüßten den Nasserismus, da sich dieser über die sukzessive Verstaatlichungspolitik gegen die landbesitzende Oberschicht wandte, waren jedoch von den weiteren politischen Entwicklungen und zunehmenden staatlichen Repressionen und Überbürokratisierungen enttäuscht.38 In seinem Werk al-Mithaq (The Charter, 1962) (Abbildung 2) berührt al-Gazzar die Thematiken des Nationalismus und des staatlichen
34
Vgl. Kane 2013, Kapitel 5: The Landlord-Peasant Battles as a Subject for the Arts: From Buhut to Kamshish sowie Kapitel 6: Conflicts in the Arts over Upper Egypt: ʿAbd al-Hadi al-Gazzar and his Contemporaries, S. 111-171.
35
Scheffold 1996, S. 69.
36
Kane 2013, S. 2.
37
Vgl. Naef 1996, S. 95.
38
Vgl. ebd., S. 90.
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Modernisierungsprogramms auf scheinbar ambivalente Weise. Durch die Darstellung der von Nasser veröffentlichten Nationalen Charta im Mittelpunkt des Gemäldes und in den Händen einer Ägypten personifizierenden weiblichen Figur, die wie zum treueidlichen Schwur ihre rechte Hand erhebt, wurde das Werk als bildliche Ikone des Nasserismus stilisiert.39 Im Vordergrund des Werks knien zwei Figuren vor der im Gewand einer Fellachin dargestellten Personifikation des ägyptischen Staates: ein Arbeiter, gekennzeichnet durch einen Schraubenschlüssel in seiner rechten Hand, sowie ein Baumwolle und Mehl darbietender Fellache. Im Hintergrund erstreckt sich die Landschaft des durch Nasser verstaatlichten Suezkanals. Darüber hinaus verweisen die Darstellungen einer antiken griechisch-römischen Statue und der umarmenden Geste eines koptischen und islamischen Geistlichen im rechten Bildhintergrund sowie der pharaonische Sonnenscheiben-Kopfschmuck der Personifikation Ägyptens auf das kulturelle Erbe des Landes, das sich ideologisch im Nasserschen Nationalismus zu vereinen scheint. Abbildung 2: Abdel Hadi al-Gazzar, al-Mithaq (The Charter), 1962. Öl auf Holz, 183 x 132 cm, Sammlung Leila Effat.
Quelle: Silvia Naef: L’expression iconographique de l’authenticité (asala) dans la peinture arabe moderne. In: Gilbert Beauge, Jean-François Clément (Hg.): L’image dans le monde arabe. Paris 1995, S. 139-150.
39
Vgl. Winegar 2006, S. 270.
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Wie von Amira El-Azhary Sonbol verdeutlicht, kann das Werk jedoch auch als subversive Darstellung der schädlichen soziopolitischen Auswirkungen der Nasserschen Versprechen für Wohlstand und soziale Gerechtigkeit gelesen werden: Zum einen referieren die im Hintergrund zu erkennenden Militärschiffe auf die kriegerischen Auseinandersetzungen der Nasser-Periode und zugleich auf die Ressourcenausbeutung durch das ägyptische Militär, wie von den Drainagen auf der linken Seite des Gemäldes symbolisiert.40 Zum anderen verweist Sonbol auf „the most disturbing aspect of the picture“, nämlich die grünliche Gesichtsfarbe der Ägypten personifizierenden Fellachin, die nicht nur die Fruchtbarkeit des grünen Nildeltas und des südlich verlaufenden Niltals symbolisieren könnte, sondern ebenso „gives the impression of sickness, and the toes, which are gray, give the impression of death.“41 Kane unterstützt diese These, dass al-Gazzars künstlerische Appropriation pharaonischer Bildelemente die Darstellung der Nationalen Charta Nassers symbolisch in die Nähe altägyptischer Unterweltsbücher rückt.42 In einem interpikturalen Vergleich mit Werken anderer Künstler der Gruppe für Zeitgenössische Kunst untermauert Kane den regimekritischen Bedeutungsgehalt des Werks, „implying the sickness of the state.“43 Die dem Kopf der weiblichen Figur entwachsenen Äste referieren auf das Symbol des Lebensbaumes, welcher in der altägyptischen Mythologie, insbesondere in Totentexten, sowie im Volksglauben eine Rolle spielt und dabei in Verbindung mit dem Hathorkult auftreten kann.44 Nach Kane wurde diese Symbolik der altägyptischen ‚Baumgöttin‘ Hathor von einigen Künstlern der Nasser Periode aufgegriffen, wobei der Lebensbaum in manchen Werken als kritische Repräsentation des ägyptischen Staates zu einem Todes- oder Schicksalsbaum umfunktionalisiert wurde.45 Dies lässt nach Kane folgende Lesart zu: „A number of artists turned to ancient images […] of the goddess Hathor as a symbol of the state as a mother feeding her children, the nation. Over time, as the state’s oppressive
40
Vgl. Sonbol 2000, S. 149-150 sowie Kane 2013, S. 148.
41
Sonbol 2000, S. 150.
42
Vgl. Kane 2013, S. 148-149.
43
Ebd. S. 149.
44
Vgl. Lexikon der Ägyptologie Band I: A – Ernte, Helck und Otto (Hg.) 1975, S. 655656.
45
Vgl. Kane 2013, S. 149-151.
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tendencies bore out […], the tree goddess was increasingly depicted by other artists during the 1960s as sick or ill.“46
Diese Interpretation stützt die sozialkritischen Implikationen der Werke alGazzars und betont den potentiell ambivalenten Bedeutungsgehalt der dargestellten Sujets. Neben soziopolitischen Thematiken innerhalb eines postrevolutionären Kontextes wurden in der ägyptischen Kunst darüber hinaus in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts insbesondere Aspekte einer zeitgenössischen Authentizität verhandelt. Die jeweiligen Ansichten und Interpretationen variierten dabei innerhalb des sogenannten asala/muʿasira-Spannungsverhältnisses.
2.2 D IE
ASALA - MU ʿ ASIRA D EBATTE IM KÜNSTLERISCHEN UND INTELLEKTUELLEN D ISKURS
Die Diskussion um das für die Identitätsstiftung essentielle asala-Konzept (dt. Authentizitäts- bzw. Ursprünglichkeitskonzept) entwickelte sich erstmals während der Zeit des frühen Nasserschen Nationalismus sowohl im intellektuellen als auch im künstlerischen Diskurs.47 Fragen der Identitätszuschreibung und der Definition eines modernen und zugleich authentischen Ägyptens dominierten die postkoloniale Periode ab den 1950er Jahren, welche in unterschiedlichen Kunstkonzeptionen auf teilweise diametrale Weise reflektiert wurden. So konstatiert Winegar: „Anti-colonial thought in Egypt and elsewhere was geared towards creating a territorial, nationalist modernity.“48 Dies führte zu unterschiedlichen Ansätzen und Vorstellungsmodellen gegenüber den Begriffspaaren Authentizität und Moderne, die vom Insistieren auf starren Dichotomien bis hin zu integrativen Konzepten der Versöhnung reichten. Im künstlerischen Diskurs stellte sich den Vertretern der asala-Position einige Jahre später das sogenannte muʿasira-Konzept (dt. Kontemporaneitätskonzept) entgegen.49 Beide künstlerischen Manifestationen arbeiteten mit jeweils unterschiedlichen Definitionen und Begriffszuschreibungen im Bezug auf die ägyptische Kultur und Gesellschaft. Der Aspekt der Definierung von Authentizität erzeugte dabei ein diskursives Spannungsverhältnis: Beide Positionen um-
46
Kane 2013, S. 150.
47
Vgl. Scheffold 1996, S. 80.
48
Winegar 2006, S. 92.
49
Vgl. ebd., S. 99.
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schrieben die ägyptische Spezifizität in jeweils anderen Termini, die einerseits eine ‚reine‘ oder ursprüngliche ägyptische Kunst konstruierten, welche die transkulturellen Einflüsse der historischen Entwicklung des Landes unterlief, sowie andererseits Universalismusansprüche der westlichen Kunstgeschichte zu legitimieren schienen. Diese teilweise konkurrierenden Haltungen im Bezug auf ein modernes und authentisches Kunstkonzept werden von Jessica Winegar in Creative Reckonings. The Politics of Art and Culture in Contemporary Egypt (2006) behandelt. Nach Winegar tendierten die Werke asala-orientierter Künstler schematisch betrachtet stärker zur Figuration, bewegten sich in den traditionellen Gattungen der Malerei und Skulptur und waren in eher konventionellen Materialien wie Öl, Pastell, Ton, Bronze oder Granit ausgeführt, wobei sich die einzelnen Thematiken häufig auf volkstümliche oder ländliche Konzepte und Praktiken bezogen.50 Werke der insbesondere ab den 1970er Jahren auftauchenden muʿasiraPosition waren dagegen stärker von abstrakten Strömungen beeinflusst und behandelten soziale Themen im weiteren Verlauf auch über neue Medien wie Videokunst oder Installationen.51 Die Konzeptionen konnten ähnlich der asalaPosition historische und ländliche Sujets beinhalten, waren jedoch gleichzeitig inspiriert durch Aspekte des zeitgenössischen, urbanen Lebens, „such as commodity consumption, mass media imagery, and pollution.“52 Im Gegensatz zur asala-Position implizierte das muʿasira-Konzept darüber hinaus Werke, „that explored individual states of being or emotions, or that was purely aesthetic.“53 Die Debatte der Authentizität stellte sich für die muʿasira-Künstler lediglich sekundär, da sie die Meinung vertraten, ihre Kunst würde auf selbstverständliche und natürliche Weise kulturelle Authentizität ausdrücken „by the mere fact that
50
Vgl. Winegar 2006, S. 108. Asala-Künstler waren oftmals Kunstprofessoren in eher unteren und mittleren Stellen oder hatten mittlere Positionen im Kulturministerium inne. Ein Großteil der Künstler war überhaupt nicht mit der Regierung verbunden. Um der Position ein Sprachrohr zu verleihen und sich von anderen Positionen abzugrenzen, gründete der Künstler ʿIzz al-Din Nagib das asala-Kollektiv. Vgl. ebd. sowie S. 111.
51
Vgl. ebd., S. 108. Vertreter der muʿasira-Position waren eher Künstler der jüngeren Generation, leitende Kunstprofessoren an den Akademien, Kuratoren im öffentlichen Sektor, Komiteemitglieder des Kulturministeriums und der damalige Kulturminister Faruk Hosni selbst. Sie bezeichneten sich nur in Abgrenzung zur asala-Position als muʿasira, da sie Kategorisierungen ansonsten grundsätzlich ablehnten.
52
Ebd.
53
Ebd.
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they were Egyptian.“54 Wie Winegar anführt, kann jedoch keine klare Trennlinie zwischen beiden Konzeptionen gezogen werden, da sie sich zum Teil in ihren Ausrichtungen überschnitten: Viele Künstlerpositionen entzogen sich einer eindeutigen Zuschreibung, konnten Elemente beider Positionen enthalten, von einer auf die andere Seite wechseln oder sich völlig davon distanzieren.55 Ebenso sind beiden Konzeptionen spezifische Problematiken inhärent, die zu kritischen Reflexionen führten. Muʿasira-Künstler empfanden die idealisierten Motive des Lokalen der asala-Kunst als zu starre Entität, die lediglich einer überholten nationalistischen Kulturvorstellung diene, und deklarierten diese deshalb als rückschrittlich; ihrer Ansicht nach sollte das Lokale vielmehr „a free, fluid source for artistic inspiration“56 sein. Sie warfen der asala-Position vor, eine nur scheinbar authentische und somit artifizielle Kunst zu schaffen, die ein Ägypten frei von fremdkulturellen Einflüssen konstruiere und somit die Transformation europäischer Kunststile und -techniken in der modernen ägyptischen Kunst negiere.57 Die Kritik der muʿasira-Position richtete sich somit gegen ein romantisierendes, ahistorisches Kunst- und Kulturverständnis. Zugleich sahen sie in der künstlerischen Transformation beispielsweise euroamerikanischer Kunststile keinen Bruch mit der eigenen Kunsttradition, wie es ihnen die asala-Position vorwarf: „Rather, they argued that Egypt had always accepted other cultural influences and made them its own. It was this ability to ‚digest‘ foreign elements that was the true mark of Egyptianness, and to ignore it would be to deny Egypt’s historically international and cosmopolitan nature.“58
Diese Haltung der muʿasira-Künstler barg jedoch zugleich das Risiko eines Ungleichgewichts in Richtung einer angenommen Universalität ‚westlicher‘ Kunstprinzipien, weshalb sich dann auch einige Künstler der muʿasira-Position mit dem Vorwurf der Imitation ‚westlicher‘ Kunst konfrontiert sahen. Einen Lösungsansatz zur Vermeidung oberflächlicher, imitativer Konzeptionen sahen die asala-Künstler in der exakten Erforschung der traditionellen Kunst- und Kulturpraktiken, um den Kunstwerken eine gesellschaftsrelevante Bedeutungsdimen-
54
Winegar 2006, S. 108.
55
Vgl. ebd., S. 109.
56
Ebd., S. 118.
57
Vgl. ebd., S. 118-119.
58
Ebd., S. 118.
94 | M USTER DER A MBIVALENZ
sion zu verleihen.59 Dabei liefen sie jedoch Gefahr, orientalistische Stereotypvorstellungen als vermeintliche Authentizität zu reproduzieren, wenn sie von einem ursprünglichen, gar ‚magischen‘ Ägypten sprachen: „In this respect, they resemble their intellectual forebears in the early twentieth century, whose discourses of nationalist self-identity were shaped by European Orientalism.“60 Die unreflektierte Annahme und Imitation ‚westlicher‘ Stilvorgaben führe aus der Sicht der asala-Künstler zu einer Distanzierung des Kunstbereichs von den Belangen der Gesellschaft, die in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts von massiven sozialen Umwälzungen geprägt war.61 In ihrer Annäherung von Kunst und Handwerk und ihrem Rückgriff auf vormoderne Kunstpraktiken verfolgten die asala-Künstler die Etablierung eines parallelen Kanons außerhalb der international dominierenden euroamerikanischen Kunst, während die muʿasiraKünstler vielmehr eine Integration ihres Ansatzes innerhalb des ‚westlichen‘ Kunstkanons und somit dessen Ausweitung anstrebten.62 Beide Ansätze sind jedoch in der jüngeren Forschung kritisiert worden, denn sowohl die integrative Position als auch der Verweis auf alternative Modernen dekonstruieren den hegemonialen Anspruch der Moderne als ‚westliches‘ Konstrukt per se nicht. Wie Prita Meier anführt, suggeriert der Einschluss ‚nicht-westlicher‘ Künstlerpositionen in den modernen ‚westlichen‘ Kunstkanons zwar dessen Überschreitung, dennoch wird diese Kritik lediglich innerhalb des Modernediskurses, den es eigentlich aufzubrechen gilt, vorgebracht: „Modernity is positioned as a necessary mode of analysis for understanding those cultures once demarcated as outside of the modern experience by that discourse.“63 Zugleich ist die Zuschreibung alternativer bzw. ‚nicht-westlicher‘ Modernen problematisch, da sie konstruierte Dichotomien scheinbar naturalisiert und damit die Verortung kultureller Differenz – wenn auch nicht unmittelbar intendiert – reproduziert, „where the non-Western must be a real place of authenticity.“64 Konzepte alternativer Modernen vermögen demnach hegemoniale Strukturen nicht zu unterwandern, wie Shabout konstatiert, denn „sie perpetuieren einen Vergleich zwischen Original und Kopie und damit Exklusion und Separation.“65 Zugleich scheinen sie so
59
Vgl. Winegar 2006, S. 109-110.
60
Ebd., S. 109.
61
Vgl. ebd., S. 112.
62
Vgl. ebd., S. 121.
63
Meier, in: Arab Studies Journal 2010, Band 18, Nr. 1, S. 14.
64
Ebd., S. 18.
65
Shabout, in: Ausst.-Kat. The Future of Tradition 2010, S. 44.
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konstruiert, „to forgive modernity its aggression.“66 Somit verdeutlichte die asala/muʿasira-Debatte im künstlerischen Bereich ein ungelöstes Spannungsverhältnis, das sich ebenso im intellektuellen Diskurs widerspiegelte und eines der zentralen Diskussionsthemen ägyptischer Autoren in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts darstellte. Die postulierte Dichotomie von Tradition versus Moderne scheint dabei nach Stefan Winkler eine simplifizierende Sichtweise der „Moderne als Befreiung von der Tradition und die Tradition als Abwesenheit von Moderne“ zu konstruieren, die verkennt, dass „Tradition offensichtlich nur noch im Kontext der Moderne interpretiert werden kann.“67 Dagegen verfolgt der ägyptische Philosoph Hasan Hanafi im Bezug auf die Neuerung des kulturellen Erbes einen eklektischen Ansatz: „[…] rather than being muʿasira and blindly accepting the West and refusing tradition, and rather than advocating asala and rejecting the West outright, Egyptians should look critically at their heritage, choose what is useful, and renew it, while taking what is useful from the West.“68
Dieses Konzept des „picking and choosing“69 lässt sich bereits in den Schriften ägyptischer Intellektueller des neunzehnten Jahrhunderts wie Rifaʿa Rafiʿ alTahtawi und Muhammad ʿAbduh finden. In der konzeptuellen Darstellung Hanafis bedingen sich asala und muʿasira gegenseitig und können ohne einander nicht gedacht werden. Als Problematik wird nicht der Authentizitätsbegriff an sich angesehen, sondern sein statisches Verständnis, das „zu einer den Tatsachen nicht entsprechenden ahistorischen […] Kulturauffassung“70 führt. Das Credo liegt im Ideal, authentisch und modern zugleich zu sein – ohne jedoch die Differenzen vollständig zum Verschwinden zu bringen, da gerade das Aushalten des spezifischen Spannungsverhältnisses eine produktive Entwicklung der Gesellschaft evozieren soll. Ein weiterer prominenter philosophischer Vertreter der asala-muʿasiraDebatte war Zaki Nagib Mahmud (1905-1993). In seinen Werken strebte er ebenso eine Verbindung zwischen beiden Positionen an. Allerdings war ihm die Unmöglichkeit einer völlig geeinten Sichtweise bewusst, d.h. er vertrat die These einer sukzessiven Annäherung beider Konzepte und somit einer graduellen
66
Shabout, in: Tate Papers 2009.
67
Winkler, in: Ausst.-Kat. The Future of Tradition 2010, S. 54.
68
Hanafi, zitiert nach Winegar 2006, S. 99. Arabisches Original siehe Hanafi 1980.
69
Winegar 2006, S. 99.
70
Scheffold 1996, S. 62.
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Unterwanderung der Dichotomie.71 Demnach postulierte er in seiner theoretischen Reflexion eine Versöhnung beider Positionen als eine dritte Möglichkeit zur Kulturkontaktfrage, die über eine binäre Opposition oder ein vollständiges ineinander Aufgehen hinausreicht. In seinem Werk al-sharq al-fannan (dt. Der Künstlerosten) von 1960 stellt er Ägypten im geografisch-metaphorischen Sinne dann auch als integrativen dritten Raum zwischen Ost und West dar.72 In seinem weiteren Werk tajdid al-fikr al-ʿarabi (dt. Erneuerung des arabischen Denkens) von 1971 behandelt er schließlich die zentrale Thematik seines Schaffens im Bezug auf die potentielle Verbindung von asala und muʿasira.73 Wie Hanafi vertritt er die Auffassung einer selektiven Haltung zum Erbe, die eine kritische Bewertung unabdingbar mache.74 Um die Dichotomie zu unterwandern, stellt er als generelles Prinzip für die vernunftvolle Reflexion des kulturellen Erbes folgende These auf: „Diesem [dem Erbe] die Form zu entnehmen, um sie mit einem Gehalt aus unserer Epoche […] und unseren Erfahrungen zu füllen.“75 Demnach führt Mahmud das polare Dichotomiemodell von eigenkulturellem traditionellem Erbe und ‚westlicher‘ Moderne explizit weiter „zu einer Wechselbeziehung gegenseitiger Ergänzung.“76 In dieser konzeptanalytischen „Dynamisierung des Authentischen“77 drückt sich der temporale Aspekt des wechselseitigen Spannungsverhältnisses als produktiver Aushandlungsprozess aus. Zur metaphorischen Darstellung dieses Prozesses greift Mahmud in Anlehnung an Taha Hussein auf das Bild der Verflechtung zurück, das – im Unterschied zur Vereinigung als Verbildlichung für das ununterscheidbare ineinander Auflösen der Elemente – stets auch ein Wieder-Auftrennen, eine Entflechtung initiiere.78 Mahmud versteht asala somit nicht als polaren Gegensatz zu muʿasira, sondern vielmehr als dialektisches Kulturkonzept. Er bezeichnet die spannungsreiche Wechselbeziehung zwischen eigenkultureller Tradition und internationaler Gegenwart dann auch als einen „harmonische[n] Dualismus.“79
71
Vgl. Scheffold 1996, S. 320-321.
72
Vgl. ebd., S. 121-124. Arabisches Original siehe Mahmud [1960] 1974.
73
Vgl. Scheffold 1996, S. 124-129. Arabisches Original siehe Mahmud 1971.
74
Vgl. ebd., S. 126.
75
Ebd., S. 129.
76
Ebd., S. 275.
77
Ebd., S. 318.
78
Vgl. ebd., S. 240.
79
Ebd., S. 178.
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„[…] Fremderfahrung ist fermentativ in dem Sinne, dass bestehende Spannungen und Gegensätze als Impulse für wechselseitige Verständigung und Veränderung genutzt werden sollen – ein integrativer Ansatz, der durch dualistisches Denken Polarisierungen überwinden und Interaktion ermöglichen will.“80
Wie die Ansätze Hanafis und Mahmuds zeigen, ging es ägyptischen Künstlern, Philosophen und Literaten im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert immer mehr um eine Überschreitung bzw. Unterlaufung der jeweils in den Debatten dominierenden Dichotomien und binären Differenzen wie asala/muʿasira, traditionell/modern, Orient/Okzident oder lokal/international. Um das Stereotyp einer stagnierenden arabischen Welt, die erst durch den Kontakt mit dem imperialen Europa modern wurde, zu unterwandern, spricht Barakat beispielsweise von der historischen Verortung des Dualismus zwischen Konformität und Kreativität, Tradition und Moderne: „In every period of Arab history, there has been a modernist trend that rejected prevailing traditions and static values. This creative trend aspired to change the world and to create a new mode of thinking as well as new forms of literary expression.“81 Laut Barakat entwickelte sich demnach die arabische Moderne in einem steten Prozess der selbstreflexiven Aushandlung und kann nicht nur im Kontext des europäischen Kolonialismus und der dadurch angetriebenen Reformen in Wissenschaft und Technik gesehen werden. Neben dieser historischen Argumentationsweise wurde zugleich kritisiert, die Begriffe turath (dt. Erbe) und asala (dt. Authentizität) synonym zu verwenden, da dies zu einer essentialistischen Betrachtung und Verherrlichung der Vergangenheit führe.82 Während die Definitionszuschreibung von asala und muʿasira und deren potentielle Verbindung zu heftigen Diskussionen unter den ägyptischen Intellektuellen führte, ohne dabei zu einem Konsens zu gelangen, häuften sich die Forderungen nach einer generellen Absehung von der Tradition/Moderne-Dichotomie, da das binäre Modell zunehmend als eurozentrisches Moderneverständnis aufgefasst wurde.83 Anstatt das dualistische Konzeptpaar als Realphänomen zu begreifen, sollte vielmehr dessen historische, politische und
80
Scheffold 1996, S. 320-321.
81
Barakat 1993, S. 197.
82
Vgl. Kassab 2010, S. 142.
83
Siehe hierzu beispielsweise die an den beiden Kairoer Hauptkonferenzen zu dieser Thematik 1971 und 1984 vorgetragenen Positionen und Gegenpositionen in Kassab 2010, Kapitel 3: Marxist, Epistemological, and Psychological Readings of Major Conferences on Cultural Decline, Renewal, and Authenticity, S. 116-172.
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soziale Konstitution in den Blick genommen werden, wie Meier mit allgemeiner Perspektive auf künstlerische Konzeptionen aus Afrika fordert: „[…] the central agenda would not be to position artists as authentically local and modernist. This unsatisfying bind is the result of modernity’s desire to flatten a multiplicity of encounters into binaries of local and global and universal and particular. Rather, one could unfurl the complex contradictions and tensions activated once modernity meets different sites of enunciation.“84
Die asala/muʿasira-Debatte kulminierte schließlich in den 1970er Jahren im Zuge der Formulierungen einer neuen abstrakten und ‚ornamentalen‘ Kunstbewegung.
84
Meier in: Arab Studies Journal 2010, Band 18, Nr. 1, S. 36.
Kapitel 3 Das Revival ornamentaler Kunstformen im Zuge der intellektuellen Diskussion um eine zweite nahda
3.1 O RNAMENTALE F ORMSTRUKTUREN UND F ORMULIERUNGEN EINER ‚ MODERNEN ISLAMISCHEN K UNST ‘ Ornamentale Strukturen, repetitive Formmuster und kalligrafische Stilelemente als zentrale Bildthemen kamen in der modernen ägyptischen Kunst in den 1960er und schließlich vermehrt in den 1970er Jahren auf. Im Kontext postkolonialer Identitätsdiskurse und beeinflusst von den kritischen, selbstreflexiven Themenfeldern der Surrealisten und der Gruppe für Zeitgenössische Kunst begannen zahlreiche ägyptische Künstler in ihren Werken auf traditionelle islamische Formelemente zurückzugreifen. Vertreter dieser Kunstströmung wie Mohamed Taha Hussein, Ahmed Moustafa und Omar El Nagdi näherten sich den altislamischen Ornamentformen dabei von einem konstruktivistischen Blickpunkt heraus an: Die geometrischen Ordnungsprinzipien der islamischen Kunst wurden abstrahiert und in einen zeitgenössischen Kontext hin transformiert.1 Silvia Naef definiert diese Phase als „la période d’adaptation“.2 Während Künstler wie Abdel Hadi al-Gazzar in ihrer künstlerischen Aushandlung einer genuin ägyptischen modernen Kunst an volkstümliche, figurative Kunsttraditionen anknüpften, stand nun erstmals die Abstraktion der islamischen Kunst als eigenständiges Bildthema im Fokus des Interesses. Über ihre Verbindung traditionel-
1
Vgl. Karnouk 2005, S. 141.
2
Naef 1996, S. 313.
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ler Kunstformen mit zeitgenössischen abstrakten Strömungen kann das ‚ornamentale Revival‘ in der ägyptischen Kunst als Versuch gewertet werden, die Problematik der asala/muʿasira-Dichotomie zu unterwandern. Als erste moderne arabische Künstler, die bereits Ende der 1940er Jahre in ihren Kunstwerken auf islamische Formstrukturen zurückgriffen, gelten die Iraker Madiha Omar und Jamil Hamoudi, welche beide ihr Interesse für die künstlerische Transformation arabischer Schriftzeichen während ihrer Studienaufenthalte in Europa und den USA entwickelten.3 Diese sich in dieser Zeit lediglich vereinzelt exponierenden künstlerischen Konzeptionen wurden in den 1960er Jahren in sämtlichen arabischen Ländern zum allgemeinen Trend, der sich in den folgenden Jahrzehnten noch verstärkte.4 Es ist jedoch festzuhalten, dass diese Abstraktionsbewegung lediglich eine Strömung innerhalb des heterogenen Feldes moderner ägyptischer Kunst postkolonialer Reflexion bildete. Figurative Strömungen spielten weiterhin eine essentielle Rolle im künstlerischen Diskurs. Ebenso wandten sich einige Künstler, wie beispielsweise Mounir Kanaan, abstrakten Kunstbewegungen euroamerikanischer Prägung zu, deren Konzeptionen keine Reminiszenzen an ein islamisches Erbe zu erkennen gaben. Diese unterschiedlichen Kunstrichtungen verorteten sich nicht chronologisch, sondern waren vielmehr parallel zu situierende Phänomene. Trotz des zeitgleichen Aufkommens ornamentaler Kunstkonzeptionen in den meisten arabischen Ländern entwickelten sich die einzelnen Strömungen unabhängig voneinander, ohne sich in einer gemeinsamen Bewegung oder Schule zu vereinen.5 Gründe, weshalb sich der Großteil dieser Künstler gerade während ihrer Studienaufenthalte im Ausland altislamischen Ornamentformen zuwandten, lag nicht nur an der Inspiration durch ‚westliche‘ Abstraktionsbewegungen, die teilweise stark arabeske und sogar kufische Züge trugen, sondern auch an dem Vorwurf der Folklore, dem sie aufgrund ihres Rückgriffs auf volkstümliche, figurative Sujets ausgesetzt waren.6 Infolge der Suche nach einer authentischen und modernen arabischen Kunst entstand eine Debatte um die abstrakte Ästhetik islamischer Kunst und deren
3
Vgl. Shabout 2007, S. 71 sowie Naef, in: RES Anthropology and Aesthetics 2003, S. 168 und Ali 1997, S. 152.
4
Vgl. Shabout 2007, S. 74.
5
Vgl. ebd.
6
Vgl. Naef 1996, S. 367. Die Ungerechtfertigkeit dieses Vorwurfs zeigt beispielsweise die Analyse des künstlerischen Œuvres von Abdel Hadi al-Gazzar in Kapitel 2.1 Genealogien des Modernen in der ägyptischen Kunst im Vor- und Nachfeld der Revolution von 1952.
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Einfluss auf die Entwicklung der modernen euroamerikanischen Kunstbewegung. Einige ägyptische Autoren vertraten die These, dass sich die ‚westlichen‘ Künstler erst über die Hinwendung zu außereuropäischen und dabei insbesondere islamischen Kunstformen sukzessive von der Darstellung figurativer Sujets lösten und die moderne Abstraktionsbewegung begründeten.7 Zur Argumentationsuntermauerung wurden hierbei Kunstkonzepte von Henri Matisse, Wassily Kandinsky, Paul Klee und Piet Mondrian herangezogen, deren künstlerische Anverwandlung außereuropäischer Kunstelemente bereits Gegenstand zahlreicher Forschungen und Ausstellungen war.8 Mohammad Zeinhom nähert sich beispielsweise in seinen kunsttheoretischen Gegenüberstellungen der These Markus Brüderlins an, wenn er bei den Kunstwerken Piet Mondrians Affinitäten zur geometrischen Abstraktion der islamischen Kunst aufzeigt: „Mondrian followed the geometrical abstract trends that resemble, to a great extent, Islamic Arab geometrical art […], especially geometrical Kufic calligraphy.“9 Brüderlin schreibt in seiner kunsthistorischen Revision des Ornaments altislamischen Formstrukturen eine wesentliche Bedeutung für die Abstraktionsbewegung des zwanzigsten Jahrhunderts zu: „Wie sich das arabische Ornament in pflanzliche Arabeske und geometrischen Flechtbandstern aufteilt, so gabelt sich die lineare Abstraktion in einen geometrischen Zweig (Rodtschenko, Mondrian, Albers) und einen organischen Zweig (Kandinsky, Matisse, Picasso, Pollock).“10
Oleg Grabar hatte bereits zuvor in The Mediation of Ornament (1992) auf die Formverwandtschaft zwischen den geometrischen Linien der islamischen KufiKunst und Piet Mondrians geometrischer Abstraktion am Beispiel einer iranischen Buchmalerei aus dem fünfzehnten Jahrhundert und Mondrians Broadway
7
Siehe beispielsweise Zeinhom, in: Prism Art Series 2002, Band 8. Den Einfluss islamischer Kunst auf europäische Stile datiert Zeinhom bereits auf den Beginn der europäischen Renaissance. Dabei sieht er den kulturellen Austausch insbesondere in den Handelsbeziehungen, aber auch in den Kreuzzügen sowie im andalusischen Raum begründet. Vgl. ebd., S. 130-141.
8
Siehe hierfür insbesondere Brüderlin, in: Beyer und Spies (Hg.) 2012, S. 349-375 sowie Ausst.-Kat. Ornament und Abstraktion. Kunst der Kulturen, Moderne und Gegenwart im Dialog 2001.
9
Zeinhom, in: Prism Art Series 2002, Band 8, S. 219.
10
Brüderlin, in: Ausst.-Kat. Ornament und Abstraktion. Kunst der Kulturen, Moderne und Gegenwart im Dialog 2001, S. 12.
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Boogie-Woogie von 1942-43 hingewiesen.11 Zugleich wurden jedoch die generellen Unterschiede in Intention und Konzeption von islamischer Kunst und moderner euroamerikanischer Abstraktionsbewegung betont. Abdallah Stouky konstatiert hierbei, dass die Tendenz zur Abstraktion in der islamischen Kunst keine künstlerische Wahl war, „mais une nécessité impérieuse qu’il ne s’agit pas de justifier à postériori par des arguments issus d’archétypes occidentaux modernes.“12 In gleicher Linie sieht Grabar die unreflektierte Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen beiden Kunstformen ohne die Einbeziehung des jeweiligen Kontextes als problematisch an.13 Neben ornamentalen Formstrukturen und Mustern war es insbesondere die arabische Kalligrafie, welche zahlreiche Künstler in ihren Werken zu abstrahieren begannen. Diese künstlerische Richtung wird gemeinhin mit dem Terminus hurufiyah bezeichnet, abgeleitet von dem arabischen Wort für Buchstabe, harf (Plural: huruf).14 Die Vertreter dieser Kunstform differenzierten sich jedoch bereits durch ihre Selbstbezeichnung von traditionellen Kalligrafen, denn sie definierten sich als Maler (rassamun) im modernen Sinne und nicht als Kalligrafen (khattatun).15 Die hurufiyah-Strömung ist somit nicht mit der traditionellen Kalligrafie gleichzusetzen. Vielmehr verlieh sie dem arabischen Buchstaben eine malerische Gestalt, negierte die dogmatischen Regeln der kalligrafischen Schriftschulen und transformierte die Schriftform von kanonisch festgelegten Linienformen in abstrakte Strukturen, deren Lesbarkeit nicht immer unmittelbar im Vordergrund stand. In Ägypten fand die hurufiyah-Bewegung keine derart weitreichende Verbreitung wie beispielsweise im Irak, sodass sich der Begriff als Definition einer bestimmten Kunstrichtung weniger durchsetzte. Nichtsdestotrotz griffen zahlreiche ägyptische Künstler in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts auf kalligrafische Strukturen zurück, um sie in ihren Werken künstlerisch zu abstrahieren. Die Begriffszuschreibung der hurufiyah führte im arabischen Kunstdiskurs zu etlichen Debatten, die innerhalb der Diskussion um die mögliche Bezeichnung einer ‚modernen islamischen Kunst‘ geführt wurden. Shirbil Daghir definiert die hurufiyah-Strömung basierend auf zwei Prinzipien:
11
Vgl. Grabar 1992, S. 18.
12
Stouky, zitiert nach Naef 1996, S. 358. Arabisches Original siehe Stouky 1973.
13
Vgl. Grabar, in: Ausst.-Kat. Ornament und Abstraktion. Kunst der Kulturen, Moderne und Gegenwart im Dialog 2001, S. 71-73.
14
Vgl. Shabout 2007, S. 75.
15
Vgl. Naef 1996, S. 316.
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„The first entails a complete break with the styles of traditional Arabic script, letters being viewed as plastic elements. The second principle involves the construction of a modern work of art capable of expressing a cultural particularity.“16
Daran anschließend klassifiziert Daghir die hurufiyah in vier Kategorien, gemäß der jeweiligen Verwendung arabischer Schriftformen in der Malerei: die erste Gruppe beinhaltet die künstlerische Behandlung ausschließlich einzelner Buchstaben und die Ästhetik ihrer jeweiligen Liniengebung; die zweite Gruppe verwendet ganze Sätze, bei der die semantische Bedeutung von Auszügen aus klassischer oder moderner arabischer Literatur lesbar ist; die dritte Gruppe transformiert dagegen Buchstaben in abstrakte, unlesbare Strukturen; und in der vierten Gruppe sind die Schriftformen Teil einer größeren Komposition.17 Gemeinsam ist den unterschiedlichen Verwendungen arabischer Schriftformen die abstrakte Komposition, die mit der Ambivalenz zwischen Lesbarkeit und Unlesbarkeit spielt, wobei sie entsprechend der jeweiligen Gruppierung in die eine oder andere Richtung tendieren kann. Im Gegensatz zu Daghir distanziert sich Wijdan Ali von der hurufiyahZuschreibung: „Although the common term used by most Arab art historian and critics is al-Madrasa al-Hurufiyah, the term proves to be both inadequate and inelegant, for it literally translates as ‚School of Letterism‘.“18 Stattdessen spricht sie von der Kalligrafischen Kunstschule (al-madrasa al-khattiya fi-l-fann), welche sie zwar von der klassischen arabischen Kalligrafie (fann al-khatt al-ʿarabi) differenziert, dieser jedoch eine essentielle Rolle zuschreibt: „The foundation of the calligraphic movement in modern Islamic art is the traditional Islamic art of calligraphy.“19 Diese Definition dient Ali zur Untermauerung ihrer These einer Fortführung altislamischer Kunstformen in einer ‚modernen islamischen Kunst‘. Die thematischen Inhalte der Kalligrafischen Kunstschule teilt sie in zwei Hauptbereiche auf, in religiöse Sinndimensionen sowie in Themenfelder säkularer Natur, die soziopolitische, literarische oder rein dekorative Bedeutungen implementieren können.20 Stilistisch gliedert Ali die Konzeptionen der Kalligrafischen Kunstschule in drei Gruppierungen – in einen reinen kalligrafischen Stil, einen abstrakten Stil sowie in kalligrafische Kombinationen –, wobei sie zugleich anmerkt, dass eine klare Unterteilung und Kennzeichnung nicht möglich
16
Daghir, zitiert nach Shabout 2007, S. 90. Arabisches Original siehe Daghir 1990.
17
Vgl. Shabout 2007, S. 90-92 sowie Daghir 1990, S. 61-65.
18
Ali 1997, S. 151.
19
Ebd.
20
Vgl. ebd., S. 160.
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ist: „Artists using calligraphy usually move freely between the various styles that make up the repertoire of calligraphic art.“21 Wie die Darstellung Alis verdeutlicht, können moderne kalligrafische Kunstkonzeptionen sakrale Konnotationen beinhalten, müssen es aber nicht. Aufgrund der kulturhistorisch begründeten spirituellen Aufladung der arabischen Schrift kann der einzelne Buchstabe einerseits eine transzendente Bedeutungskonstitution intendieren, wenngleich die Lesbarkeit unterwandert ist. Andererseits postuliert Nada Shabout als wesentliches Unterscheidungsmerkmal moderner kalligrafischer Werke von traditioneller Kalligrafie die Abwendung von rein religiösen Konnotationen: „As a result of the political and sociocultural changes of the nineteenth and twentieth centuries, the Arabic script lost its sacredness.“22 Während Ali in ihrer Charakterisierung kalligrafischer Strukturen moderner Werke an dem Terminus einer ‚modernen islamischen Kunst‘ festhält, sieht Daghir in der hurufiyah-Strömung vielmehr ein selbstkritisches Instrument eines neuen Bewusstseins der Reflexion von Tradition und Moderne, asala und muʿasira.23 Die Definition einer ‚modernen islamischen Kunst‘, die gemäß dieser Ansicht in der modernen Abstrahierung kalligrafischer Elemente ihren genuinen Ausdruck findet, wird in der Forschung zunehmend kritisiert. An ihre These eines Paradigmenwechsels von der islamischen zur modernen arabischen Ästhetik anknüpfend konstatiert Shabout im Hinblick auf die Etablierung einer modernen und authentischen arabischen Kunst: „The Arabic letter became the means for connecting the present with the past, a way of Arabizing or localizing Western modern art, as well as a key element in the reinvention of tradition.“24
Shabout sieht im künstlerischen Rückgriff auf die traditionelle Kalligrafie somit keine Erneuerung eines islamischen Erbes im religiösen Sinne und eine damit einhergehende sakrale Aufladung des einzelnen Buchstabens oder Satzes unabhängig seines eigentlichen semantischen Gehalts. Vielmehr kann die Verwendung der arabischen Schriftzeichen in künstlerischen Kompositionen als Suche nach einer gemeinsamen Identitätsstiftung und einer genuin arabischen modernen Kunst gewertet werden. In gleicher Argumentationslinie kritisiert der ägyp-
21
Ali 1997, S. 165.
22
Shabout 2007, S. 70.
23
Vgl. Ali 1997, S. 151 und Daghir, zitiert nach Shabout 2007, S. 77, siehe hierzu Daghir 1990, S. 34.
24
Shabout 2007, S. 71.
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tische Künstler Hazem Taha Hussein die von Liliane Karnouk für die ägyptischen ornamentalen Konzeptionen verwendete Bezeichnung Islamic Art Revival als irreführend.25 Wie er insistiert, konnten zwar spirituelle Bedeutungsebenen sowie nationale Identitätsstiftungsmodelle in diesen Arbeiten intendiert sein, waren zumeist jedoch nicht die primäre Sinnkonstitution. Dagegen handelte es sich nach Hussein um eine zum Teil sehr persönliche künstlerische Thematisierung unterschiedlicher Formprinzipien sowie deren wechselseitige Verknüpfung in einem transkulturellen Konglomerat.26 Damit distanziert sich Hussein aber auch von Shabout, da die ägyptischen Künstlerpositionen seiner Meinung nach weniger eine Reflexion des Nationalcharakters oder panarabischer Identifikationen verfolgten, sondern vielmehr individuelle künstlerische Ausdrücke darstellten, die sich in ihren Bedeutungszuschreibungen stark unterscheiden konnten. Trotz dieser unterschiedlichen Interpretationsansichten kann festgehalten werden, dass es den ägyptischen Künstlern, die sich auf ornamentale Formgebungen beriefen und diese in ihren Werken künstlerisch transformierten, nicht um eine reine Wiederbelebung islamischer Kunsttraditionen ging. Die ornamentalen Strukturen wurden vielmehr als Zitate und Reminiszenzen vergangener Kunstformen verwendet, um deren Aktualität und gegenwärtige Bedeutungsdimension kritisch zu befragen. Somit nahmen die künstlerischen Konzeptionen in ihrem abstrakten Gehalt durchaus Bezug auf aktuelle Geschehnisse, wie die folgende Analyse des historischen Kontextes und dessen kritische Verhandlung im künstlerischen Œuvre von Mohamed Taha Hussein zeigen.
3.2 K RITIK UND R EFLEXION NACH 1967: O RNAMENTALE K ONZEPTE ALS AUSDRUCK EINES K RISENBEWUSSTSEINS Um die möglichen Gründe zu beleuchten, weshalb ornamentale Strukturen in der modernen ägyptischen Kunst als zentrale Bildthemen in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts aufkamen, wird zunächst der soziopolitische Kontext in die Betrachtung einbezogen. Ägypten war in dieser Zeit von nationalen Umschwüngen geprägt, die 1952 mit dem Staatsstreich der Freien Offiziere begannen und schließlich durch die Ereignisse der 1960er Jahre in einer nationalen Krise mündeten. Unter Gamal Abdel Nasser wurde Ägypten zur Republik ausgerufen. Es folgten zahlreiche Reformen und Umstrukturierungen, welche insbe-
25
Vgl. Karnouk 2005, S. 141 und Hussein 1997, S. 265.
26
Vgl. Hussein 1997, S. 265.
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sondere eine völlige Unabhängigkeit und Souveränität Ägyptens anstrebten.27 Hatte die Suezkrise 1956 die Position Nassers in Ägypten und in der arabischen Welt noch gestärkt, was die Verfestigung seiner nationalistischen und sozialistischen Ideologien vorantrieb, so führte die Niederlage gegen Israel 1967 zum Niedergang des Panarabismus, sowie zu Diskussionen um die möglichen Gründe des Scheiterns, welche auch im intellektuellen Diskurs kritische Revisionen des nahda-Paradigmas nach sich zogen.28 Ebenso wurden die politischen und soziokulturellen Entwicklungen im künstlerischen Kontext kritisch verhandelt. Der im Folgenden skizzierte historische Kontext der politischen Ereignisse und Umstrukturierungsmaßnahmen ist somit von essentieller Bedeutung für das Verständnis der intellektuellen Debatten und Gestaltungen künstlerischen Ausdrucks in dieser Zeit. Nach der von Nasser ausgerufenen Verstaatlichung des Suezkanals kam es zum Einmarsch israelischer Truppen, deren Verbündete Großbritannien und Frankreich Anteile an der Suezkanal-Gesellschaft inne hatten und daher gegen die Verstaatlichung eintraten. Aufgrund internationaler Interventionen durch die USA und die Sowjetunion konnte Nasser die militärische Niederlage der Armee rhetorisch in einen politischen Sieg umwandeln. Es kam zum Aufstieg des sogenannten Nasserismus – „einer sozialistischen, neutralistischen Form des arabischen Nationalismus“29 – und panarabischen Einstellungen, wie dem Zusammenschluss Ägyptens und Syriens in der Vereinigten Arabischen Republik von 1958-1961. Unter Nasser wurde die Verstaatlichung vorangetrieben, die sich am stärksten in der Reform des Bodenrechts realisierte, die insbesondere eine Begrenzung des Landbesitzes vorsah. Somit bewirkte die Revolution von 1952 nicht nur eine Macht-, sondern ebenso eine Besitz- und Vermögensumstrukturierung. Die Veränderungen führten jedoch nicht zu den von Nasser proklamierten Leitsätzen der sozialen Gleichheit, sondern zur Bildung einer neuen führenden Oberschicht, die nun aus Offizieren und Militärs bestand.30 Der Kunst- und Kul-
27
Ägypten war bereits 1922 einseitig von Großbritannien für unabhängig erklärt worden, de facto hatten die Briten jedoch noch in zahlreichen Bereichen wie der Außenpolitik und in Angelegenheiten des Suezkanals die Kontrolle inne. Vgl. Hourani [1992] 2006, S. 389.
28
Die im Folgenden beschriebenen politischen Ereignisse sind Hourani [1992] 2006, S. 443-447 sowie S. 490-498 entnommen. Zum Einfluss der Suezkrise auf die arabischen Länder siehe Khalidi, in: Hourani, Khoury und Wilson (Hg.) 1993, S. 535-549.
29 30
Hourani [1992] 2006, S. 490. Zu den Auswirkungen der politischen Reformen unter Nasser siehe Sonbol 2000, Kapitel 5: Socialism and Feudalism. The New Mamluks, S. 122-150.
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turbereich fiel ebenso unter die Verstaatlichungs- und Zentralisierungspolitik der Nasserschen Regierung und wurde durch den 1956 eingerichteten Obersten Rat für die Entwicklung von Kunst und Literatur sowie durch das 1958 gegründete Kulturministerium gelenkt, deren Aufgabe es war, „to ensure that ‚culture‘ developed along with science and technology in the new modernizing nation, as well as to ‚protect‘ fine artists financially, morally and spiritually.“31 Der Staat positionierte sich als Förderer von Kunst und Kultur, um zugleich deren Inhalte zu bestimmen. Aufgrund der staatlichen Zuwendungen und Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung im Bereich der künstlerischen Tätigkeit, der Kunstkritik und der Kulturverwaltung sowie der generellen Ablehnung der bis dahin den Kunstbereich dominierenden ägyptischen Elite durch zahlreiche nun eher der Mittelschicht entstammenden Künstler wurde die Nassersche Kunst- und Kulturpolitik zunächst von einem Großteil der Kulturschaffenden begrüßt.32 Der Bereich der Kunst war nun zunehmend von staatlichen Interventionen abhängig, da aufgrund der Enteignung von Großgrundbesitzern und der Abwanderung der ausländischen Bevölkerung zahlreiche Kunstförderer wegfielen.33 Etliche Künstler betrachteten nun das Ideal eines ‚Wohltäterstaates‘ als selbstverständlich und argumentierten, „that state support was better than the prerevolutionary aristocratic alternative.“34 Allerdings häuften sich ebenso kritische Stimmen aufgrund der zunehmenden staatlichen Repressionen.35 Der Nassersche Sozialismus und die panarabische Ideologie scheiterten schließlich im zäsuralen Jahr 1967, als die arabische Niederlage gegen Israel zu großen Gebietsverlusten auf Seiten Ägyptens führte. Nachdem Nasser einen Abzug der seit der Suezkrise an der israelischen Grenze stationierten Friedenstruppen der Vereinten Nationen gefordert hatte und den Golf von Akaba für die israelische Schifffahrt sperren ließ, griff Israel am 5. Juni 1967 Ägypten an und konnte innerhalb weniger Tage große Gebiete unter eigene Kontrolle bringen, darunter die gesamte Sinaihalbinsel.36 Dieses neuralgische Ereignis setzte jedoch nicht nur den politischen Ambitionen panarabischer Couleur ein Ende. Ebenso
31
Winegar 2006, S. 143. Vgl. hierzu auch ebd., S. 143-144.
32
Vgl. ebd., S. 145.
33
Vgl. ebd., S. 147 sowie S. 151-152.
34
Ebd., S. 152.
35
Vgl. ebd., S. 148.
36
Erst nach einem bis 1970 andauernden ergebnislosen Abnutzungskrieg und dem 1973 unter Anwar Sadat geführten Jom-Kippur-Krieg kam es 1979 zum Friedensabkommen von Camp David, worin Ägypten als erstes arabisches Land den Staat Israel anerkannte und Israel den Besitzanspruch des Sinais zurückzog.
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kam es im intellektuellen Diskurs zu einem generell artikulierten Krisenbewusstsein und zu einer viel weiter reichenden Debatte um die möglichen Gründe für das nun postulierte Scheitern der kulturellen, sozialen und politischen Reformansätze der nahda-Bewegung des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Die Diskussionen drehten sich dabei immer stärker um die Formulierung einer potentiellen zweiten nahda: „The circumstances of this second Nahda were obviously more somber than those of the first: it was clouded by a century of disillusionments […]; it had a narrower margin of freedom owing to the more established systems of state repression and rising religious oppression […]; and, finally, it had to face a despair that the first Nahda had not known.“37
Kritische Revisionen der Unabhängigkeitsphase wurden jedoch durch politische Repressionen erschwert. Liberale Strömungen fokussierten sich dann auch zumeist auf kulturelle und weniger auf sozialstrukturelle, politische und ökonomische Faktoren, wie die intellektuelle Verhandlung der asala/muʿasira-Dichotomie exemplarisch verdeutlicht.38 Eine generelle Krisenauffassung zeigte sich sowohl im intellektuellen als auch im öffentlichen Bewusstsein der Bevölkerung. Die Rücktrittsrede Nassers, die am 9. Juni 1967 landesweit über Radio und Fernsehen verfolgt wurde und zu Massendemonstrationen und Solidaritätskundgebungen führte, woraufhin Nasser letztlich bis zu seinem Tod 1970 im Amt blieb, prägte das kollektive Gedächtnis Ägyptens als Symbol für das eigene Scheitern stark.39 Diese politische und intellektuelle Krise führte zu zwei hauptsächlichen Entwicklungen: „On the one hand, the search for totalizing doctrines, especially religious doctrines after the demise of the Left and of secular nationalism, and, on the other hand, the radicalization of critique.“40 Themenfelder des kritischen Diskurses berührten dabei Problematiken binärer Differenzmodelle wie die Gegenüberstellung von lokaler Tradition und ‚westlicher‘ Moderne, aber auch die Historisierung und Kontextualisierung dieser Modelle sowie den Einbezug des sozioökonomischen und politischen Bereichs.41 In diesen Überlegungen ähnelte der ägyptische Diskurs denjenigen anderer postkolonialer Staaten, insbe-
37
Kassab 2010, S. 20.
38
Vgl. Barakat 1993, S. 257.
39
Die Aufzeichnung der Fernsehansprache wurde zu einer visuellen Ikone der ägyptischen Krise, die ebenso in der Kunst kritisch reflektiert wurde, beispielsweise in Khaled Hafez‘ Videoarbeit The A77A Project: On Presidents and Superheroes von 2009.
40
Kassab 2010, S. 2.
41
Vgl. ebd., S. 11.
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sondere im Bezug auf Identitätsfragen und Kritiken an eurozentrischen, hegemonialen Universalismusvorstellungen bei gleichzeitiger Infragestellung eines zu engen Partikularismus sowie essentialistischer Definitionen des Selbst und des Anderen.42 Einige Intellektuelle forderten daher eine doppelte Kritik, wie Elizabeth Kassab anführt: „They consistently emphasize the need to historicize and contextualize both the Western and the native traditions in order to make their critical appropriation possible and in order to unveil their complexities and mutations.“43
Konservativ-religiösen Strömungen wurde der Vorwurf gemacht, die vom Westen aufgestülpte Dichotomiekonstruktion angenommen und lediglich positiv umgedeutet zu haben, was zu einer ahistorischen, essentialistischen Sichtweise und zu einer Tendenz der unreflektierten Verherrlichung der Vergangenheit geführt habe.44 Ebenso wurde die nationalistische Strömung und das Scheitern des Staates kritisiert: „It [the state] instrumentalized cultural issues to the benefit of its power needs by creating fake problematics, like that of ‚authenticity versus contemporaneity‘.“45 Durch die politischen Veränderungen unter Anwar Sadat und die von ihm geförderte Politik der offenen Tür, die im Arabischen als infitah bezeichnet wird, nahm die Kritik weiter zu, ohne jedoch aufgrund von staatlicher Zensurpolitik größeren Einfluss auszuüben.46 Dies beinhaltete im intellektuellen Diskurs vor allem eine wachsende Selbstreflexion und -kritik, welche aufgrund der Desillusionierung gegenüber der Politik der Unabhängigkeitsphase, die intern als korrupt und extern als neokolonial wahrgenommen wurde, das Interesse
42
Siehe hierzu die komparatistische Darlegung postkolonialer Diskurse in Kassab 2010, Kapitel 6: Breaking the Postcolonial Solitude. Arab Motifs in Comparative Perspective, S. 282-346.
43
Ebd., S. 338-339.
44
Vgl. ebd., S. 63.
45
Ebd. Kassab zitiert hier aus den Schriften von Saadallah Wannous.
46
Die Politik der infitah beinhaltete insbesondere die Abkehr vom staatlichen Sozialismus der Nasser-Zeit sowie Maßnahmen der wirtschaftlichen Privatisierung und der Bereitstellung finanzieller Anreize für ausländische Investoren. Der Großteil der ägyptischen Bevölkerung profitierte davon weniger. Aufgrund der Forderung des Internationalen Währungsfonds, das Handelsdefizit zu verringern, kam es in Ägypten zur Erhöhung der Lebensmittelpreise, was 1977 zu landesweiten Brotunruhen führte. Vgl. Hourani [1992] 2006, S. 506-507.
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auf die wachsenden sozioökonomischen Problematiken lenkte.47 Die Niederlage von 1967 und die unter Sadat folgenden politischen Umstrukturierungen evozierten ebenso eine kritische Reflexion der Rolle des Staates im Bereich der Kunst und Kultur, dessen administrative Ineffizienz, Repression und Überbürokratisierung immer offensichtlicher wurde.48 Sadats infitah-Politik führte zu einer Dezimierung des staatlichen Kulturapparats und zur Betonung eines vom Staat unabhängigen Kunstsektors. Während die Freilassung von linken Studenten und Intellektuellen, die unter Nasser verhaftet worden waren, von zahlreichen Künstlern begrüßt wurde, weckte dagegen Sadats Förderung einer Auflösung des Kulturministeriums – unter dem Slogan al-thaqafa li-l-muthaqqafin (dt. Kultur ist für die Intellektuellen) – starken Unmut bei einem Großteil der Künstler, da sie zum einen die Vorstellung einer gesellschaftsstiftenden Kunst vertraten und zum anderen die Sicherheit der staatlichen Unterstützung gegenüber dem Risiko des freien Marktes bevorzugten.49 Als Erklärung für die nun in Kunstwerken aufkommenden und aus einem altislamischen Erbe entnommenen Ornamente wurde oftmals zur kontextuellen Argumentationsuntermauerung die unter Sadat allgemein konstatierte zunehmende Islamisierung der ägyptischen Gesellschaft und die Stärkung des religiösen Sektors – als Reaktion auf das Scheitern der nationalistischen und panarabischen Ideologien – herangezogen.50 Diese gesellschaftliche Entwicklung bedingten unterschiedliche Faktoren, wobei insbesondere soziokulturelle Aspekte eine wesentliche Rolle spielten, „involving class struggle with class defined not just politically and economically but particularly culturally.“51 Da das ‚Revival‘ islamischer Kunstformen mit dem Wirtschaftsboom der erdölfördernden Golfstaaten zusammenfiel, was das Vorhandensein potentieller Käufer implizierte, wurde die Verwendung ornamentaler Strukturen in künstlerischen Werken darüber hinaus von einigen Kritikern als lediglich eine die gegenwärtige Nachfrage bedienende Modeerscheinung kritisiert.52 Beide Thesen wurden innerhalb des ägyptischen Kunstdiskurses kritisch diskutiert und – insbesondere von denjenigen Künstlern, die selbst ornamentale Formen und Strukturen in ihren Werken verwendeten – abgelehnt. Generell muss konstatiert werden, dass die meisten ägyptischen Künstler dominanten is-
47
Vgl. Kassab 2010, S. 344.
48
Vgl. Winegar 2006, S. 148.
49
Vgl. ebd., S. 149-152.
50
Vgl. Sonbol 2000, S. xix.
51
Ebd., S. xx.
52
Vgl. Karnouk 2005, S. 143.
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lamistischen Strömungen gegenüber sehr kritisch waren, was jedoch – wie Winegar konstatiert – einer privaten Religiosität nicht widersprach: „[…] this combination of private piety and public secularism reflected their position as artists who shared many values of mainstream Egyptian society but who saw their careers as threatened by an Islamism that they were sure would make image-making a dangerous, if not illegal, endeavor.“53
Wie Iftikhar Dadi anführt, wurden ornamentalen und kalligraphischen Konzeptionen in der kunsttheoretischen Auseinandersetzung grundsätzlich drei potentielle Interpretationsmöglichkeiten zugeschrieben: als Formen einer individuellen Expressivität zumeist mit spirituellen Konnotationen; als Versuche, ein genuin arabisches modernes Kunstmodell im nationalen Sinne zu etablieren; oder als Ausdruck eines hybriden Modernismus, der in kosmopolitischer Manier das westliche Kunstzentrum mit den Peripherien verband und einen Dialog der Kulturen anstrebte.54 Darüber hinaus können ornamentale Konzeptionen – so die zentrale These dieser Studie – jedoch auch als Strategien der kritischen Unterwanderung der im kolonialen Diskurs postulierten und noch im postkolonialen Kontext zumeist aufrechterhaltenen Dichotomien und binären Kategorisierungen gelesen werden. Wie in der Diskussion der intellektuellen Debatten um eine zweite nahda gezeigt werden konnte, wurden etablierte Kategorien zunehmend hinterfragt und in einem postkolonialen Diskurs als hegemoniale Konstrukte diskutiert, wie sie Kane insbesondere an drei generellen Phänomenen ausmacht: „The colonial project opposed tradition to modernity, prejudged Islam as a traditional religious ideology, and used the Enlightenment and rational secularism to extend this prejudice into the realm of aesthetics.“55
Ornamentale und kalligrafische Konzeptionen können hierbei als Sinnbild für dieses kritische Bewusstsein gelesen werden. Die eigentliche Lesbarkeit der verwendeten Schriftformen, wie noch von Ali für die sozialkritische Kalligrafie-
53
Winegar 2006, S. 77. Die Zunahme islamistischer Strömungen in den 1970er Jahren hatte in der Tat Auswirkungen auf die Ausbildung der Studenten: Anatomiestudien an lebenden Modellen sowie Ausstellungen von Aktstudien waren nun offiziell verboten. Vgl. Karnouk 2005, S. 142 sowie Khalifa, in: Contemporary Practices 2008, Band III.
54
Vgl. Dadi, in: Mercer (Hg.) 2006, S. 104.
55
Kane 2013, S. 7.
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kunst postuliert56, spielt dabei eine untergeordnete Rolle, da der ambivalente Charakter ornamentaler Strukturen als Bedeutungsträger in den Vordergrund rückt, welcher sich einer eindeutigen Interpretationszuweisung entzieht. Ornamentale Strukturen alternieren zwischen der Präsenz dargestellter Sujets – seien es organische Formen oder Reminiszenzen einer lesbaren Schrift – und der Absenz jeglicher Repräsentation. Die Uneindeutigkeit der Struktur führt zu einer Verzögerung des Erkenntnisprozesses und zu einem Moment der Reflexion. Dadis Diagnose moderner kalligrafischer Kunstwerke lässt sich hierbei auch auf andere ornamentale Konzeptionen ausweiten: „Unlike pre-modern calligraphy, the modernist experiments no longer render a sacred or wise quotation in beautiful and ornamental form but rather raise questions of legibility.“57 Indem die ornamentalen Konzeptionen durch diese potentielle Unlesbarkeit die Begrenzung eindeutiger Bedeutungszuschreibungen unterwandern, üben sie implizit Kritik an vorgefassten Kategorisierungen. Bezogen auf den postkolonialen Kontext der soziopolitischen Ereignisse der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts und der darauf folgenden Selbstreflexion im ägyptischen intellektuellen Diskurs um eine zweite nahda können ornamentale Strukturen als kritische Form – und eben nicht als rein dekorativ oder spirituell – gelesen werden. Blickt man in diesem Zusammenhang auf philosophische Debatten, „in denen nicht zuletzt unter poststrukturalistischen Vorzeichen die Funktionslosigkeit des Ornaments hinterfragt wurde“58, so können diese theoretischen Erkenntnisse für ein mögliches Erklärungsmodell bezüglich der im Kunstkontext auftauchenden Ornamentformen herangezogen und fruchtbar gemacht werden. In diesem Sinne sind für Gérard Raulet und Burghart Schmidt Debatten um den Status des Ornaments Symptom und Ausdruck eines Krisenbewusstseins.59 Zwar beziehen sie sich in ihrer ästhetischen Theorie auf Phänomene der westlich-europäischen Kulturgeschichte, dennoch ist diese Perspektive auch im Bezug auf den ägyptischen Kontext von Interesse, wenn man die Debatten um eine Krise der nahda im intellektuellen Diskurs der 1960er Jahre mit einbezieht. Raulet und Schmidt weisen „der Problematik des Ornaments die Bedeutung eines
56
So schreibt Wijdan Ali mit Bezug auf sozialkritische und somit politisch intendierte Kalligrafiekunstformen: „The most important factor in the composition of the sociopolitical type of calligraphic painting is the significance embodied in the message itself and its intellectual effect on the literate viewer.“ Ali 1997, S. 161.
57
Dadi, in: Mercer (Hg.) 2006, S. 105.
58
Beyer und Spies, in: Dies. (Hg.) 2012, S. 15.
59
Vgl. Raulet und Schmidt (Hg.) 1993 sowie Dies. (Hg.) 2001.
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Indikators“60 für Momente kulturhistorischer Umbrüche zu. Als neuralgischer Ansatzpunkt dienen ihnen die europäischen Ornamentdebatten des neunzehnten Jahrhunderts, wobei sie die Ursachen für einen implizierten Statuswandel des Ornaments hin zu einer freien, ästhetischen Form ein Jahrhundert früher zurückführen: „Das 18. Jahrhundert und die Entstehung einer von der Rhetorik befreiten philosophischen Ästhetik markieren zweifelsohne eine Zäsur, und gerade vor diesem Hintergrund wurde das Ornament zum Problem.“61 Dies führte nach Raulet und Schmidt jedoch nicht zu einer generellen Aufhebung des Ornaments, sondern vielmehr zu einer „Rückkehr des Verdrängten“62, was sich trotz der scheinbar pejorativen Haltung zum Ornament bis in die Moderne erstreckte und in einer Rehabilitierung des Ornamentalen in postmodernen Diskursen kulminierte. In kulturphilosophischer Perspektive schreiben Raulet und Schmidt der problematischen Stellung des Ornaments eine wesentliche Bedeutung für den Konstitutionsprozess des Modernen zu, wobei sie den Begriff der Moderne als dynamische Kategorie auffassen, mit der im „Prozess der gesellschaftlichen und ideologischen Modernisierung Zeiten des Umbruchs bezeichnet werden können.“63 Damit distanzieren sie sich von einer Vorstellung der Moderne als singulärer Entität. An die These des Ornaments als Ausdruck eines Krisenbewusstseins der Moderne anknüpfend betont Jörg Gleiter die allgemeine Charakteristik des Ornaments „als ein aus der spezifischen Dynamik der Kultur heraus Entstehendes [und] als zentrales, vermittelndes Element innerhalb der allgemeinen kulturellen Dynamik.“64 Den Statuswandel des Ornaments erklärt er mit der kulturellen Beschleunigungsdynamik der Moderne, die sich nur noch auf sich selbst bezieht: „[Das Ornament] ist nicht mehr, im Verweis auf eine idealisierte, zurückliegende Epoche, Instanz mahnend-affirmativer Rückbezüglichkeit. Es ist jedoch gleichsam auch nicht einfach abschaffbar, sondern wird zu einer die aktuellen kulturellen Prozesse in Frage stellenden, in die Prozesse der Kultur damit selbst eingreifenden kritischen Instanz.“65
Um das Ornament als kritische Form innerhalb des ägyptischen Kunstkontextes zu postulieren, können die genannten theoretischen Überlegungen nur einge-
60
Raulet und Schmidt, in: Dies. (Hg.) 1993, S. 7.
61
Ebd., S. 14.
62
Ebd.
63
Ebd., S. 7.
64
Gleiter 2002, S. 29.
65
Ebd.
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schränkt übernommen werden, da sich der historische Kontext und die darin geführten Debatten um die Problematik der Moderne deutlich von den kulturhistorischen Ornamentmodellen europäisch-westlicher Provenienz unterscheiden. Zum einen wird die arabische Moderne weniger rein selbstbezüglich im Sinne Jürgen Habermas charakterisiert, der die ‚abendländische Moderne‘ in Abgrenzung zu vergangenen Zeiträumen darin unterscheidet, dass sie „ihre orientierenden Maßstäbe nicht mehr den Vorbildern einer anderen Epoche entlehnen“ 66 kann. Vielmehr wird die arabische Moderne als eklektischer Aushandlungsprozess zwischen normativer Erneuerung und gleichzeitiger Rückversicherung vergangener Perioden betrachtet. Zum anderen wird dem Ornament aufgrund des kulturhistorischen Kontextes eine größere Rolle in künstlerischen Reflexionsprozessen einer eigenen Identität und eines kollektiven Gedächtnisses zugesprochen, weshalb es weniger als reines, freies Formenspiel wie in der europäischen Abstraktionsbewegung bezeichnet werden kann. Dennoch unterliegt das Ornament im ägyptischen Kunstdiskurs ebenso einem grundlegenden Statuswandel, um sich als kritische Form zu etablieren. Es verliert seine ursprüngliche Zweckgebundenheit, einen Gegenstand durch seine Beifügung ästhetisch zu erhöhen. Als zentrales Struktursystem kommt es nun erstmals in der ägyptischen Leinwandmalerei auf. Zugleich behält es aber seine amivalente Charakteristik, „ist sowohl wesentlich als auch unnötig.“67 Damit wird ein zentrales ornamentales Strukturmerkmal zum Modus der Kritik: Über künstlerische Verfremdungsverfahren und die dadurch evozierte verzögerte Wahrnehmung befindet sich das Ornament in der Schwebe zwischen semantischem Bezug und reiner Selbstbezüglichkeit. Indem es sich der Eindeutigkeit entzieht, kann das Ornament als Modus der Reflexion und als kritische Form beschrieben werden. Selbstreflexive Diskussionspunkte, die zunehmend in einer Kritik an binären Modellen wie der asala/muʿasira-Dichotomie mündeten, wurden somit künstlerisch visualisiert. Ornamentalen Konzeptionen kam demnach eine wesentliche Bedeutung zu, da sie aufgrund ihrer ambivalenten Charakteristik binäre Vorstellungsmodelle paradigmatisch unterlaufen konnten, ohne die Differenz jedoch völlig aufzuheben, sondern sie vielmehr zu hinterfragen. Somit vermochten sie die thematischen Diskurse der intellektuellen Debatten um eine zweite nahda und die Kritik an dichotomen Vorstellungsmodellen sowie das darin implizierte Krisenbewusstsein innerbildlich zu verhandeln.
66
Habermas 1993, S. 16.
67
Grabar, in: Frank und Hartung (Hg.) 2001, S. 65.
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3.3 AMBIVALENTE ANEIGNUNG TRADITIONELLER O RNAMENTMUSTER BEI M OHAMED T AHA H USSEIN Als exemplarische Darstellung der künstlerischen Transformation islamischer Ornamente kann das Œuvre von Mohamed Taha Hussein (*1929) herangezogen werden. In seiner frühen Malerei widmete er sich figurativen Stilformen, die zumeist das ägyptische Landleben repräsentierten. Erst nach einem Studienaufenthalt in Deutschland an der Kunstakademie in Düsseldorf und an der Universität zu Köln wandte er sich geometrischen Ornamentformen und dann vermehrt der Kombination mit kalligrafischen Strukturen zu. Die erste Werkgruppe, in welcher er altislamische Ornamentstrukturen abstrahierte und dabei die dogmatischen Gesetze traditioneller Kunststile unterwanderte, bezeichnet er selbst als Abstrakten Symbolismus, worin er „eine Mischung der kategorialen Opposition ‚Darstellung und Abstraktion‘‘‘68 versteht. Wie Hussein konstatiert, könne über die künstlerische Verbindung von figurativen Sujets und ornamentalen Strukturen Thematiken ausgedrückt werden, die über eine reine Figuration nicht möglich seien.69 Als das bekannteste Werk der Abstrakten Symbolismus-Gruppe gilt Awakening von 1966 (Abbildung 3). Die Konzeption besteht aus Strukturen der Grundformen Kreis, Viereck und Dreieck sowie der figurativen Darstellung von Augen, die jeweils in monochromer Farbgebung in einem starken Hell-DunkelKontrast ausgeführt sind. Die ornamentalen Muster wecken in Verbindung mit den bräunlichen Tönen und der Licht simulierenden weißen Farbe Reminiszenzen an altislamische Maschrabiyya-Holzschirme. Zugleich evoziert die Anordnung der Formkonstellationen den Eindruck einer anthropomorphen oder turmartigen Figuration, was die doppelte Lesart einer „hierarchisch geordnete[n] Menschenmasse“ und der „Figur einer Moschee“ zulässt.70 Die dargestellten Augen können auf die im islamischen Volksglauben gebräuchlichen nazar- (dt. Blick-)Amulette referieren, denen eine spirituelle Schutzfunktion zugeschrieben wird.71 Das in der unteren Mitte der Komposition zentral platzierte Auge, welches als einziges farblich abgesetzt und durch die runde Einrahmung hervorgehoben ist, zeigt jedoch zugleich deutliche Affinitäten zu den antiken Darstellun-
68
Thesing 2003, S. 17.
69
Vgl. ebd., S. 18.
70
Ebd., S. 24.
71
Vgl. Hathaway 2003, S. 116.
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gen des altägyptischen Sonnenauges.72 Diese Rückgriffe auf ein ägyptischislamisches Erbe werden in der Konzeption stilistisch mit modernen Gestaltungselementen wie der Op-Art verknüpft und transformiert. Abbildung 3: Mohamed Taha Hussein, Awakening, 1966. Lackfarbe auf Holz, 101 x 81 cm, im Besitz des Künstlers.
Quelle: Von Mohamed Taha Hussein zur Verfügung gestellt.
In ihrer hierarchisch angeordneten Gliederung scheinen die dargestellten Augen in Verbindung mit dem Werktitel symbolisch das Paradigma der nahda, des kulturellen Erwachens Ägyptens, auszudrücken. Dies lässt sich im Hinblick auf den Entstehungskontext des Werks unterschiedlich deuten. Einerseits kann die künstlerische Konzeption als nationales arabisches Identitätsstiftungsmodell im Sinne des Nasserismus gelesen werden: „Die Geschlossenheit der Formenmusterfigur
72
Vgl. Lexikon der Ägyptologie Band V: Pyramidenbau – Steingefäße 1984, S. 10821087.
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kann dabei als Verbildlichung der politischen Macht ausgelegt werden.“73 Damit würde Awakening als ein patriotisches, bejahendes Werk interpretiert, das sinnbildlich ein kulturelles Erwachen und eine Fortführung der Ambitionen der nahda des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts im Nasserismus repräsentiert. Andererseits ist ebenso eine distanziertere Lesart möglich, in welcher sich die Konzeption einer nationalistischen, regimekonformen Bedeutung entzieht, wie Dagmar Thesing konstatiert: „So könnte sich das Erwachen der ägyptischen Bevölkerung ebenfalls im negativen Sinne auf die gesellschaftlichen Entwicklungen richten, die sich aus der Einführung des sozialistischen Systems ergaben und die im Verlauf der 60er Jahre in der Bevölkerung zunehmend spürbar wurden.“74
Aufgrund der Unterwanderung einer eindeutigen Bedeutungszuschreibung kann Awakening nicht nur als subtile Kritik an den politischen und sozialen Verhältnissen Ägyptens gelesen werden, sondern ebenso durch die ambivalente Lesart als generelle Distanzierung von universalen Kategorisierungen. Das Werk entzieht sich einer eindeutigen Interpretation und oszilliert zwischen den ambivalenten Deutungsmustern. Damit versinnbildlicht Awakening das postkoloniale Krisenbewusstsein und die Problematik der eigenen Identität im Kontext der vorherrschenden binären Konzeptionen zwischen Tradition und Moderne, die immer mehr als Konstrukte der Suppression wahrgenommen wurden. Nach 1967 wandte sich Hussein vollständig von figurativen Elementen ab und widmete sich ausschließlich geometrischen Ornamentformen, die er in späteren Kunstwerken mit kalligrafischen Strukturen verband. In Oval in Movement von 1968 (Abbildung 4) wird die Verzögerung des Erkenntnisprozesses durch die Verunsicherung des Blicks noch verstärkt. Das Werk entstammt einer Serie ornamentaler Konzeptionen, die von Thesing als Geometrische Abstraktion bezeichnet werden: „Nach rein formalen Überlegungen werden die Möglichkeiten durchgespielt, die sich aus der Addition, der Variation eines Formtyps sowie der Wechselwirkung zwischen Figur und Grund ergeben.“75
73
Thesing 2003, S. 36.
74
Ebd., S. 37.
75
Ebd., S. 51.
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Abbildung 4: Mohamed Taha Hussein, Oval in Movement, 1968. Lackfarbe auf Holz, 119 x 119 cm, Museum of Modern Egyptian Art, Kairo.
Quelle: Von Mohamed Taha Hussein zur Verfügung gestellt.
Oval in Movement zeigt in unterschiedlichen Größen angeordnete ovalförmige Strukturen, die in verschiedenen Reihungen gegliedert und in monochromen Tönen in Hell und Dunkel ausgeführt sind. Aufgrund der differierenden Größen, die ein regelmäßiges Reihenraster durchbrechen, und die kontrastierende Farbgebung, deren wechselnde Reflexion durch auf die spiegelnde Lackfarbe eintreffende Lichtstrahlen noch verstärkt wird, entsteht „der Eindruck eines reversiblen Wechsels zwischen Ansicht und perspektivisch verzogener Aufsicht, der wellenartig vor- und zurückspringt.“76 Dadurch wird ein unruhiger Betrachterblick evoziert, der zwischen An- und Aufsicht alterniert, ohne eine Perspektive der Flächen- oder Raumform länger aufrecht erhalten zu können. Das Werk entzieht sich einer vollständigen Erfassung. Durch die Unregelmäßigkeit der ornamentalen Formstrukturen steht Oval in Movement in Distanz zu altislamischen Ornamenten, da es die klassischen Charakteristika der Symmetrie und der Harmonie der Elemente zueinander abstrahiert und somit formalästhetisch unterläuft. Die ornamentalen Formen werden durch die malerischen Mittel der Transformation in Bewegung versetzt, die zwischen einer zweidimensionalen Flächenwirkung und einer dreidimensionalen Raumillusion oszillieren: „Dabei schließen sich die beiden Bewegungsrichtungen nicht aus, sondern ergänzen sich wechselseitig.“77
76
Thesing 2003, S. 56.
77
Ebd., S. 57.
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Nach Thesing unterscheidet sich Oval in Movement von den Konzeptionen der Op Art aufgrund der unsystematischeren Darstellung, der Abmilderung des Farbkontrastes durch die Verwendung von Siena anstatt Weiß sowie der Andeutungen von Fluchtlinien; das Werk zeigt jedoch in abstrakter Form Affinitäten zu den in der islamischen Kunst verwendeten Fischgrätmustern.78 Wie Thesing zeigt, können zwischen den optischen Illusionseffekten der ornamentalen Struktur und der flimmernden Wirkung von Werken der Op Art dennoch Verbindungslinien gezogen werden, da beide künstlerischen Formen durch den Bewegungseffekt und die Verunsicherung des Blicks zu einer – wie Max Imdahl es nennt – „Entmaterialisierung des Werkes“ führen.79 Thesing deutet Husseins Werk dabei im Sinne einer Revision der islamischen Kunst spirituell.80 Ebenso kann die ambivalente Charakteristik der Arbeit jedoch auch als Unterwanderung des Erkenntnisprozesses und damit als kritische Verhandlung seiner eigenen Lesbarkeit interpretiert werden. Hussein selbst unterstützt diese These, indem er im Bezug auf die moderne künstlerische Anverwandlung altislamischer Kunstformen konstatiert: „Its most significant characteristic is that it can form an independent entity detached from the strictures of faith.“81 Dieser autonomen Form können unterschiedliche Bedeutungen inhärent sein, ohne auf eine singuläre Zuschreibung festgelegt zu werden. Der Sinngehalt oszilliert zwischen den potentiellen Interpretationsmöglichkeiten wie der Blick zwischen Flächenstruktur und Raumillusion. Der Thematik der Lesbarkeit wendet sich Hussein explizit in seinen „Strukturmusterbilder[n]“82 zu, in welchen er abstrahierte kalligrafische Linien mit Strukturen aus Punkten, Dreiecken und wabenförmigen Mustern verbindet, die häufig in Verknüpfung mit den Werktiteln Assoziationen zu Landschaftsdarstellungen erlauben. Die in den 1980er Jahren entstandene Al-Basmalah-Serie (Abbildung 5) transformiert in differierenden Variationen kalligrafische Schriftformen anhand der Eröffnungssure des Korans, wobei die potentielle Lesbarkeit in den einzelnen Werken unterschiedlich ausfällt. Die Strukturmuster und die kalligrafischen Linien stehen dabei in einem formalästhetischen Gegensatz:
78 79
Vgl. Thesing 2003, S. 61. Ebd., S. 75. Thesing bezieht sich in ihrer Argumentation auf Max Imdahls Interpretationen der Werke Victor Vasarelys in seinem Aufsatz Probleme der Optical Art von 1967, siehe hierzu Thesing 2003, Kapitel 2.2. Das Phänomen der optischen Täuschung in der islamischen Ornamentik und ihre Bedeutung, S. 64-80.
80
Vgl. ebd., S. 76-77.
81
Hussein, in: Ali (Hg.) 1989, S. 38.
82
Thesing 2003, S. 101.
120 | M USTER DER A MBIVALENZ „So kontrastieren die expressiven, raumausgreifenden Schriftgebärden, die den Pinselduktus des Abstrakten Expressionismus aufgreifen, zu der klaren, geometrischen Bilddisposition, die sich grundsätzlich an konstruktivistischen Richtungen mit klar differenzierten Bildordnungen orientiert.“83
Abbildung 5: Mohamed Taha Hussein, aus der Al-Basmalah-Serie, 1980-1982. Öl auf Leinwand, 200 x 200 cm, Al Masar Gallery, Kairo.
Quelle: Von Mohamed Taha Hussein zur Verfügung gestellt.
Die im Vordergrund der Komposition stehende Kalligrafie ist durch ihre Expressivität nur teilweise lesbar: „Dadurch […] wird der Schriftzug insgesamt auf eine allgemeinere, abstraktere Ebene gehoben.“84 Dies lässt sich mit Thesing im Sinne epistemologischer Leitsätze der sufischen Philosophie – und somit spirituell – deuten, denn in sufischen Glaubensvorstellungen gilt die intuitive Erfassung der Dinge dem Verstand überlegen, da nur über die intuitive Erkenntnis der Weg zur Gnosis erreicht werden könne.85 Mit Blick auf die These Dadis, die besagt, dass moderne kalligrafische Kunstwerke weniger spirituelle Konnotationen beinhalten, sondern vielmehr die eigene Unlesbarkeit selbst thematisieren und kritisch reflektieren, kann die Werkreihe darüber hinaus auch als generelle Problematisierung von Legibilität und des damit einhergehenden Erkenntnisprozesses gedeutet werden.86 In späteren Werken Husseins, in denen er kalligrafische Linien und geometrische Strukturmuster künstlerisch verhandelt, tritt die Lesbarkeit der
83
Thesing 2003, S. 104.
84
Ebd., S. 107.
85
Vgl. ebd., S. 113.
86
Vgl. Dadi, in: Mercer (Hg.) 2006, S. 105.
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Schrift dann auch völlig hinter die malerisch-expressive Gestaltung der Malerei zurück.87 Die Hinwendung zu ornamentalen und kalligrafischen Strukturen in der modernen ägyptischen Kunst wurde in der Forschung im Allgemeinen als ein Rückzug auf eine spirituellere, nach innen gerichtete künstlerische Phase in Reaktion auf die Desillusionierung der politischen Ereignisse nach 1967 gedeutet.88 Diese Auffassung wird jedoch einigen künstlerischen Konzeptionen, wie das Beispiel Mohamed Taha Husseins exemplarisch zeigt, nicht gerecht. Vielmehr als ein bloßes Abstrahieren überkommener Formstrukturen vermochten die ornamentalen Kunstwerke Kritik an vorgefassten Kategorien zu üben, die sich auf subtile Weise durch ihre ambivalente Charakteristik, die sich einer eindeutigen Bedeutungszuschreibung entzog, ausdrückte.
87
Siehe hierzu die Strukturmusterbilder in der Einzelausstellung Abstract Emotions der Al Masar Gallery Kairo vom 07.02.-07.03.2009, einsehbar auf der Homepage der Galerie unter: http://almasargallery.com/abstract-emotions (Stand: 30.08.2016).
88
Vgl. Thesing 2003, S. 82.
Kapitel 4 Globalisierende Kunstbestrebungen im ausgehenden 20. Jahrhundert
4.1 S TAATLICHE K ULTURPOLITIK UND DIE S OUVERÄNITÄT DER K UNST Im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts war das differierende Verhältnis von politischer und kultureller Sphäre, staatlicher Intervention und künstlerischer Praxis sowie öffentlichem und privatem Kunstraum von wesentlicher Bedeutung für die Entwicklung, Ausrichtung und Funktionalisierung künstlerischer Konzeptionen in Ägypten. Dabei unterschieden sich die kulturpolitischen Maßnahmen unter den jeweils regierenden Präsidenten stark voneinander. Aufgrund der von Gamal Abdel Nasser in den 1950er Jahren initiierten grundlegenden Reformen war der private Markt für lokale und ausländische Kunstsammler zusammengebrochen, sodass die staatlich zentralisierte Kulturpolitik zum Hauptförderer und -finanzierer der ägyptischen Kunstproduktion wurde.1 Wie Winegar zeigt, spielte dabei die Suche nach einer nationalen, identitätsstiftenden Kunst eine bedeutende Rolle: „[…] the historical constitution of the field of visual arts through colonialism, and its cementing through the institutions of nationalist socialism, necessarily linked visual art practice to national ideology, and […] the nation became the dominant frame though which the majority of art world people made sense of the transformation.“2
1
Vgl. Winegar 2006, S. 143-145 sowie Abaza 2011, S. 5.
2
Winegar 2006, S. 2.
124 | M USTER DER A MBIVALENZ
Die Nasserschen Bildungsreformen ermöglichten auch Studenten der unteren und mittleren Schichten einen Abschluss an der Kunstakademie sowie spätere staatliche Anstellungen im Kulturbereich, sodass sich der Fokus von einer elitären, ‚westlich‘ ausgerichteten Kunstlandschaft allmählich auf eine eher entwicklungsorientierte Funktionalisierung der Kunst einstellte.3 Zugleich führte die staatliche Zentralisierungspolitik zu einer Kontrolle und Regulierung sämtlicher Kulturproduktionen und -aktivitäten durch das Regime. Die Etablierung des Kulturministeriums 1958 hatte beispielsweise die Funktion, gezielt nationale Fördermodelle aufzustellen, „to produce art within themes defined by the government.“4 So mussten sich die Künstler durch die staatlichen Förderungen zwar nicht mehr nach den Präferenzen einer lokalen oder ausländischen Elite richten, die oftmals einen orientalistischen Stil bevorzugte, zugleich waren sie jedoch von der offiziellen Kulturpolitik abhängig und potentiellen Zensuren durch die Regierung ausgesetzt.5 Die Rolle des Staates als Förderer von Kunst und Kultur änderte sich wiederrum während der Regierungszeit unter Anwar Sadat drastisch. Im Zuge der infitah, der Politik der Offenen Tür, wurde die Privatisierung und Liberalisierung des ägyptischen Wirtschaftssystems sowie Einsparungen im staatlichen Finanzhaushalt vorangetrieben, was sich ebenso auf den Kunstbetrieb auswirkte. Die finanziellen Unterstützungen und Ausstellungsmöglichkeiten durch das Kulturministerium waren stark reduziert worden und die Bedeutung des Staates als zentraler Kunstförderer dadurch miniert.6 Erst unter Hosni Mubarak, der 1981 nach der Ermordung Sadats das Präsidentenamt antrat, nahm die Rolle des Staates als Förderer, aber auch Regulierer der Kunst wieder zu. Dabei waren die staatlichen Interventionen von einer spezifischen Widersprüchlichkeit geprägt, wie Samia Mehrez betont: „[…] in order to […] step up its domination of both the religious and cultural fields the Egyptian state has adopted contradictory strategies in its simultaneous attempts to recapture a modern secular image while aiming to establish itself, through its increasing investment in Islamic symbols, as the sole moral and religious authority.“7
3
Vgl. Winegar 2006, S. 55 sowie Mehrez 2008, S. 209.
4
Winegar 2006, S. 144.
5
Vgl. ebd., S. 152.
6
Vgl. ebd., S. 148.
7
Mehrez 2008, S. 3.
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Wie unter Nasser nahm der Staat gegenüber den Kunst- und Kulturschaffenden die ambivalente Haltung als unterstützender Förderer und repressiver Regulierer an. Dieses Wechselverhältnis führte nicht nur zu einer wieder zunehmenden interdependenten Beziehung der einzelnen Künstler zum Staat, sonder ebenso vice versa zu einer starken Abhängigkeit des Staates von der Kulturproduktion, da er diese funktionalisierte, um sich selbst als moderne, pluralistische Entität darzustellen.8 Die darin verdeutlichte Ambivalenz vermag die zuweilen offensichtlichen Kontradiktionen innerhalb des ägyptischen Kunstdiskurses zu erklären. Zwar war die Instrumentalisierung der ägyptischen Kulturlandschaft zentrales Anliegen der Politik, öffentliche Repressionen wurden jedoch wiederrum weitgehend vermieden, um den Anschein einer Souveränität der Kunst aufrecht zu erhalten.9 Wie Mehrez anführt, rückte der Staat von der Rolle eines offiziellen Zensors ab und funktionalisierte die postulierte Unabhängigkeit des Kunstsektors für das eigene, nationale Ansehen bei gleichzeitiger Förderung der künstlerischen Selbstzensur: So waren die scheinbaren Ausweitungen der künstlerischen Freiheit von eher oberflächlicher Natur und verdeckten zunehmende „levels of censorship, motivated by political intimidation and rivalries among the secular civil servants within the cultural field itself.“10 Historisch betrachtet verfolgte das Kulturministerium unter Mubarak eine Verbindung der kulturpolitischen Ansätze und Ziele der Regierungszeiten von Nasser wie von Sadat. Auf der einen Seite wurden die Nasserschen Kulturinstitutionen wie das Kulturministerium in umgestalteter Form wiederbelebt, ohne jedoch deren Effektivität und Effizienz kritisch zu reflektieren.11 Auf der anderen Seite wurde die Finanzierung des Kulturbereichs im Sinne der infitah ausgeweitet, wie in einer offiziellen Erklärung des Kulturministers Faruk Hosni postuliert: „[…] it is necessary to search for creative means of funding through cooperation with capitalists and national institutions.“12 Aufgrund des in sich verknüpften Wechselverhältnisses und der gegenseitigen Abhängigkeit bei gleich-
8
Vgl. Mehrez 2008, S. 6-7 und S. 18.
9
Beispielsweise erweckte die Dezentralisierung der staatlichen Förderung unter Mubarak den Eindruck einer größeren Unabhängigkeit des Kunstbetriebs. Vgl. Winegar 2006, S. 150.
10
Mehrez 2008, S. 18.
11
Vgl. ebd., S. 18 und 210.
12
Winegar 2006, S. 155. Winegar zitiert aus dem vom Kulturministerium 1997 anlässlich Faruk Hosnis zehnjähriger Amtszeit veröffentlichten Katalog Culture: A Light Shining on the Face of the Nation, in welchem der Kulturminister in einem Aufsatz die Ziele seiner Politik nachzeichnet. Vgl. ebd., S. 154-157.
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zeitiger Konfrontation des politischen und kulturellen Bereichs kann weniger von einem starren Dualismus zwischen den Instruktionen der Kulturpolitik und den Handlungen und Einstellungen der kulturellen Akteure gesprochen werden. Vielmehr müssen die äußerst komplexen und zuweilen widersprüchlichen kulturpolitischen Konstellationen in den Blick genommen werden. Zahlreiche Künstler hatten selbst einen Posten im Kulturministerium oder verwandten Institutionen inne und waren teilweise aktiv an der Narration des Staates als moderner und säkularer Kunstförderer beteiligt. So konstatiert Winegar in ihrer Analyse des ägyptischen Kunstdiskurses der 1990er Jahre: „[…] the strategic use of discourses of authenticity […] in battles over cultural policy, along with certain emotional attachments and political commitments, reproduced the centrality of the state in idealistic schemata about the way the arts should be in Egypt.“13
Andererseits forderten die künstlerischen Konzeptionen die auferlegten Grenzen der möglichen Kunstproduktion oftmals heraus und unterminierten dadurch das ursprüngliche Credo, „[that] the cultural players become the protégés of the state so long as they are intelligent enough to respect the unpredictable boundaries of the political game.“14 Gerade weil die tatsächlichen Linien zwischen Erlaubtem und Unzulässigem nicht genau bestimmbar und die Einstellungen des Staates verschwommen und ambivalent waren, wurden kritische Kunstwerke in einem gewissen Rahmen geduldet und die Grenzen der Kunstproduktion damit erweitert. Darüber hinaus kam in den 1990er Jahren die Rolle der privaten Galerien als neue Akteure innerhalb der Gestaltung der Kunstlandschaft in Ägypten hinzu. Diese Entwicklung forcierte einen Wandel in der ägyptischen Kunstszene und hatte ebenso weitreichende Auswirkungen auf die Ausrichtung und Legitimierung der staatlichen Kulturpolitik. In Kairo öffneten insbesondere in Downtown und Zamalek private Galerien, deren Besitzer sowohl Ägypter als auch Ausländer und ihre jeweiligen Konzepte sowohl kommerziell als auch nicht-kommerziell ausgerichtet waren.15 Die struk-
13
Winegar 2006, S. 173. Winegar führt an, dass die staatliche Unterstützung begehrt war und dies nicht nur aufgrund des gebotenen Geldes. Im Gegensatz zur Regierungszeit Sadats wurde die Nasser-Periode von den meisten Künstlern bevorzugt. Auch einige der Veränderungen unter Mubarak wurden begrüßt, vor allem die weitreichenden Programme der Kunstförderung. Vgl. ebd., S. 156-157 sowie S. 192.
14 15
Mehrez 2008, S. 17. Für eine Auflistung der wichtigsten Galerien in Downtown siehe Muller, in: springerin. Hefte für Gegenwartskunst 2009, Band 2; zu den großen privaten Galerien in Za-
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turellen Veränderungen im Kunstbereich betrafen nicht nur die zunehmenden Ausstellungsmöglichkeiten und das größere Klientel an privaten Kunstinteressenten, sondern insbesondere die Förderung von jungen Künstlern und damit die Etablierung einer neuen, international erfolgreichen Künstlergeneration. Dabei waren sowohl die Initiativen und Aktivitäten der privaten Galerien als auch der staatlichen Kulturpolitik von einflussreicher Bedeutung, wobei es im künstlerischen Diskurs zu zahlreichen Debatten, Kontroversen und Auseinandersetzungen bezüglich der hegemonialen Positionierung und dem generellen Recht der Darstellung ägyptischer Kunst auf internationaler Ebene kam.16 Bereits 1989 wurde von Faruk Hosni, dem unter Mubarak von 1987 bis 2011 amtierenden Kulturminister, der salon el-shabab (dt. Salon der Jugend) initiiert, ein jährlich stattfindender Ausstellungswettbewerb, bei welchem sich junge Künstler mit ihren Werken bewerben konnten und ein Komitee aus Professoren, Kunstkritikern und Mitgliedern des Kulturministeriums die als beste Konzeptionen bewerteten Kunstwerke mit einem Preisgeld prämierte.17 Der Salon etablierte sich zu einer festen Institution innerhalb der ägyptischen Kunstszene, der vielen Künstlern als Sprungbrett zu einer internationalen – und von der Regierung unabhängigen – Karriere diente.18 Je mehr der Salon an Bedeutung für die Künstler gewann, desto mehr wurde er zu einer Plattform kontroverser Debatten, „in which imitation, influence, Egyptianness, and Westernness became strategic markers in competitions over the status, rank, fame, or reputation of actors and more important, over the disposition of the central tokens of value in society.“19
Die Förderung junger Künstler durch das Kulturministerium unter Faruk Hosni stellte eine neue kulturpolitische Strategie dar, welche die ursprüngliche Generationenhierarchie unterlief. Geprägt durch die Nassersche Bürokratisierung des Kulturministeriums waren zuvor Ansehen und Verdienst mit steigendem Alter
malek gehört die Al Masar Gallery, die Zamalek Art Gallery sowie die Safar Khan Gallery, bezüglich der letzteren siehe Abaza 2011. 16
Siehe hierzu Winegar 2006, Kapitel 6: Art and Culture between Empire and Sovereignty, S. 275-314 sowie dies., in: Cultural Anthropology 2006, Band 21, Nr. 2, S. 173-204.
17 18
Vgl. Winegar 2006, S. 158. Vgl. ebd., S. 162. Beispielsweise gewann Wael Shawky, teilnehmender Künstler der dOCUMENTA (13), den Hauptpreis des Salons 1994.
19
Ebd., S. 161.
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und Erfahrung verbunden.20 Diese weitreichende Umstrukturierung des ägyptischen Kunstbereichs wurde auch von den privaten ausländischen Galerien vorangetrieben. In ihrer Konzeptualisierung einer jungen Künstlergeneration unterschieden sich die ausländischen Kuratoren jedoch von der staatlich-kulturpolitischen Funktionalisierung der Kunst, da sie die künstlerischen Werke als individuelle, persönliche Ausdrücke unabhängig von nationalen Narrativen interpretierten.21 Wie Winegar am Beispiel des von privaten Galerien in Downtown initiierten Nitaq-Festivals nachzeichnet, führten die unterschiedlichen Vorstellungen und Konnotationen des staatlichen und des privaten Sektors zu heftigen Reibungspunkten um die kulturelle Hegemonie und Repräsentationsmacht ägyptischer Kunst: Der private, ausländische Sektor traf hierbei auf eine staatliche Kulturpolitik, deren sozialistisches Erbe im Kontext einer nationalen Unabhängigkeitsbewegung Kulturideologien geschaffen hatte, die von antikolonialen, nationalistischen Begriffen besetzt waren, welche weiterhin in staatlichen Institutionen funktionalisiert wurden.22 Das Festival eröffnete 2001 am selben Tag wie die staatlich organisierte Biennale von Kairo, womit die über ganz Downtown verteilten Ausstellungen dezidiert als Gegenstimme zu den kuratorischen Aktivitäten des ägyptischen Kulturministers verstanden werden konnten.23 Von den lokalen Künstlern wurde das Festival unterschiedlich aufgenommen. Während insbesondere jüngere Künstler in der Initiative eine bedeutende Bereicherung und einen wichtigen Schritt hin zu einer internationalen Anerkennung der Kairoer Kunstszene sahen, sprachen sich andere Künstler gegen „the caprice of the market and foreign gallery owners‘ taste“24 aus. Vor diesem Hintergrund der institutionellen Auseinandersetzung beanspruchten sowohl die staatliche Kulturpolitik als auch die privaten ausländischen Galerien für sich, die ägyptische Kunstbewegung zu beleben, um dies im gleichen Zug der anderen Seite abzusprechen.25
20
Vgl. Winegar 2006, S. 166. Die veränderte Strategie zeigte sich auch 1995, als das Kulturministerium drei junge Künstler zur Biennale nach Venedig sandte, die schließlich den Preis für den besten Länderpavillon erhielten. Dieser Erfolg wurde vom Staat wiederrum zur Verteidigung und Legitimierung seiner Kulturpolitik funktionalisiert. Vgl. ebd., S. 168.
21
Vgl. ebd., S. 288.
22
Vgl. ebd., S. 277-278.
23
Zum konzeptuellen Hintergrund des Nitaq-Festivals siehe Azimi, in: Nafas Art Magazine 2004.
24
Winegar 2006, S. 277.
25
Vgl. ebd., S. 288.
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Während die Vorwürfe gegenüber den staatlichen Institutionen deren kuratorische Unkenntnis, Nepotismus und Zensur betrafen, wurden die kuratorischen Ambitionen der ausländischen Galerien als neokolonial kritisiert.26 Die Förderung einer jungen Künstlergeneration wurde zum Gegenstand beider konkurrierender Parteien, wie Winegar konstatiert: „Just as state officials ‚created‘ young artists to prove Egypt‘s cultural progress, Western curators ‘created’ young artists to prove theirs. While the state gave prizes to certain kinds of art and emphasized surveillance, Western curators chose the same kinds of art and used a combination of neoliberal and neocolonial discourses to justify those choices.“27
Ägyptische Künstler waren sich dieses Spannungsverhältnisses bewusst, wobei sie beide Seiten kritisch reflektierten. Zugleich richteten sie ihre künstlerischen Konzeptionen und kritischen Äußerungen dergestalt aus, dass sie den Vorstellungen beider Seiten entsprachen und sowohl in staatlichen als auch in privaten Galerien ausstellen konnten, ohne dass sie aufgrund dessen potentielle Restriktionen von einer der beiden Seiten fürchten mussten – sei es nun aus Nichtwissen, Toleranz oder Ignoranz. So stellt Winegar beispielsweise fest: „[…] the young artists who participated in the Nitaq Festival […] were in large measure those whose careers had been launched through the ministry’s annual competitions.“28 Durch das Aufkommen der privaten Galerien schien die ägyptische Kunst eine stärkere Autonomie und Unabhängigkeit von den Regularien der staatlichen Kulturpolitik gewonnen zu haben, allerdings zeigte sich, dass „the assertions of cultural sovereignty among state actors and other Egyptians were much more relational than autonomous.“29 Denn auch in privaten Galerien mussten die Künstler zumeist den Vorstellungen der ausländischen Kuratoren und den Ansprüchen des lokalen wie internationalen Marktes entsprechen. Dies barg generell das Risiko, dass Kunstwerke zur Legitimierung der Positionierung der jeweiligen Galerie – sowohl in kommerziellen als auch in nicht-kommerziellen Ausstellungs-
26
Winegar zeichnet diesen Konflikt anhand eines Eklats während des 1999 an der Amerikanischen Universität in Kairo ausgerichteten Seminars Contemporary International Curatorial Practice: Integrating East and West nach, bei welchem die differierenden Ansprüche auf Expertise bei den Teilnehmern zu einer heftigen Auseinandersetzung führten. Vgl. Winegar 2006, S. 299.
27
Ebd., S. 294.
28
Ebd., S. 293.
29
Ebd., S. 313.
130 | M USTER DER A MBIVALENZ
kontexten – herangezogen und funktionalisiert wurden. Diese relationale Souveränität evozierte oftmals ambivalente, in sich widersprüchliche Kunstkonzeptionen, welche binäre Vorstellungsmodelle wie das Narrativ von neokolonialen, ‚westlichen‘ Kuratoren versus antikolonialen, nationalen Ideologien der staatlichen Kulturpolitik zu unterwandern versuchten: „In a sense they became bricoleurs of the neoliberal era, flexible in their picking and choosing from public and private sectors, local and international sources.“30 Die künstlerische Freiheit stieß jedoch immer dann an ihre Grenzen, sobald grundsätzlich tabuisierte Themen wie Politik, Sex und Religion zu weit ausgetestet worden waren. Dabei griff die kulturpolitische Regulierung nicht nur in vom Staatssektor ausgerichteten Ausstellungen ein, sondern konnte ebenso private Galerien behindern. Die Zensurmaschinerie wurde insbesondere dann angetrieben, wenn einzelne private Beschwerden eingegangen oder öffentlicher Dissens zu vermuten war. Dadurch, dass sich die staatliche Kulturpolitik nicht auf sich selbst, sondern auf äußere, von ihr unabhängige Klagen berief, konnte sich der Staat sogar rhetorisch als Schützer und Bewahrer der Kunst stilisieren und zensurelle Maßnahmen als notgedrungene, aber nichtsdestotrotz sinnvolle Eingriffe zur Bewahrung des gesellschaftlichen Friedens und zur Protektion des Künstlers deklarieren.31 Neben der staatlichen Zensur spielte somit die sogenannte ‚Straßenzensur‘ der allgemeinen Öffentlichkeit und breiten Gesellschaft sowie die damit einhergehende quasi prophylaktische künstlerische Selbstzensur eine wesentliche Rolle im ägyptischen Kunstdiskurs.32 Trotz dieser Restriktionen und potentiellen Einschränkungen künstlerischer Freiheit war die ägyptische Kunstlandschaft in der Mubarak-Ära von einer zunehmenden Heterogenisierung unterschiedlichster konzeptueller Verortungen geprägt, die ebenso kritische – wenn auch oftmals subtil agierende – künstlerische Gegenpositionen hervorbrachte.
30
Winegar 2006, S. 305.
31
Vgl. Mehrez 2008, S. 218-226. Mehrez beschreibt hierbei die staatlichen Zensurmaßnahmen gegenüber den als ‚blasphemisch‘ degradierten Kunstobjekten der Künstlerin Huda Lutfi. Siehe hierzu Kapitel 7.2 Found in Cairo – Künstlerische Bricolage der kulturellen Anverwandlung.
32
Vgl. Mehrez 2008, S. 211.
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4.2 D IE D EBATTE
DER H YBRIDISIERUNG IM EINER JUNGEN K UNSTBEWEGUNG
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Z UGE
Die zunehmende Globalisierung der 1990er Jahre hatte in Ägypten weitreichende soziokulturelle Auswirkungen, die ebenso die künstlerische Praktik stark beeinflussten. Die bereits unter Sadat eingeführte neoliberale Politikstrategie der Offenen Tür und die damit einhergehende steigende Privatisierung führte zu neuen Konsumformen international zirkulierender Waren, Dienstleistungen, Freizeitgestaltungen und Lebensstilen sowie zur Etablierung neuer massenmedialer Sende- und Kommunikationstechnologien wie dem Satellitenfernsehen und im weiteren Verlauf dem Mobilfunk und dem Internet. Die „urban texture of Cairo“33 veränderte sich drastisch: Neben den an Häuserdächern und Straßenrändern omnipräsenten Reklametafeln eröffneten internationale Fastfood-Ketten, Cafés nach euroamerikanischem Vorbild sowie Shoppingmalls. In dieser Entwicklung jedoch lediglich eine zunehmende globale Homogenisierung zu sehen, läuft Gefahr, den Wandel zu vereinfachen und zu essentialisieren, wie Diskussionen um eine sogenannte ‚Glokalisierung‘ verdeutlichen.34 Globale Prozesse evozieren sowohl eine Vereinheitlichung im internationalen Konsumverhalten als auch eine gleichzeitige Verortung und Transformation kultureller Formen. Mark Allen Peterson spricht hierbei vom Konzept der ‚Lokalisation‘, der kulturellen Anverwandlung und Umgestaltung materieller und immaterieller Konsumformen: „In this process, these translocal goods, persons, and ideas are transformed by their contextualization; at the same time, the contexts themselves are transformed.“35 Diese Definierung fasst das Phänomen der Globalisierung weniger als eine hegemoniale, über die lokale Kultur hereinbrechende Entwicklung auf, sondern als das Ergebnis spezifischer Strategien und Austauschprozesse lokaler Akteure im internationalen Diskurs: „Globalization, in other words, is a result of myriad localizations.“36 Der Diskurs der lokalen Verortung globaler Prozesse ist dabei von vielschichtigen Machtstrukturen geprägt, die in unterschiedliche Richtungen wirken. Einerseits erweckt die Verbindung und Transformierung globaler wie lokaler Elemente der Populärkultur den Anschein einer „‚democratization‘ of desires and tastes through consumer culture“, doch andererseits geht der steigende Konsum mit einer zunehmenden Verarmung und Entwurzelung großer Teile der Bevölkerung einher, „[that] has sharpened class
33
Abaza 2006, S. 3.
34
Siehe hierzu Robertson in: Beck (Hg.) 1998, S. 192-220.
35
Peterson 2011, S. 4.
36
Ebd.
132 | M USTER DER A MBIVALENZ
difference.“37 Diese gegenläufigen Entwicklungen von Homogenisierung und Diversifizierung sowie die mediale Durchdringung der Alltagswelt zeichneten sich ebenso in neuen künstlerischen Tendenzen und Praktiken aus, die sowohl in privaten Galerien als auch in staatlichen Museen und Präsentationsräumen ausgestellt wurden. Künstlerische Konzeptionen entstanden, die sich kritisch mit der aufkommenden neuen visuellen Kultur Ägyptens auseinandersetzten und sowohl auf eine der zirkulierenden Warenästhetik entspringende globale Populärkultur als auch auf die daraus resultierenden gesellschaftlichen Paradoxien insbesondere im urbanen Umfeld Bezug nahmen. Für die Thematisierung dieser soziokulturellen Aspekte gewann insbesondere die Fotografie als künstlerisches Medium – neben Video- und Installationskunst – an Bedeutung.38 Fotografieausstellungen wurden sowohl im staatlichen als auch im privaten Kunstsektor initiiert, welche analoge und im weiteren Verlauf zunehmend auch digital bearbeitete Fotoarbeiten präsentierten. Oftmals wurden die fotografischen Werke künstlerisch manipuliert, um über Irritationen und Momente der Störung mehrdeutige Sinndimensionen zu evozieren. Diese künstlerische Strategie der Erzeugung hybrider Mehrschichtigkeit kann exemplarisch anhand des Œuvres von Hazem Taha Hussein (*1961) beleuchtet werden. Nach dem Studium an der Fakultät für Angewandte Kunst der Helwan Universität in Kairo widmete sich Hussein zunächst der abstrakten Malerei und der künstlerischen Transformation kultureller Symboliken, um Ende der 1990er Jahre nach einem längeren Aufenthalt in Deutschland ins Medium der Fotografie zu wechseln. Die von ihm künstlerisch manipulierten und stark vergrößerten Fotomontagen stellen eine Assemblage visueller Fragmente aus unterschiedlichen
37
Abaza 2006, S. 10. Abaza verweist hierbei auf Jean Baudrillards Kritik der Konsumkultur, welche konstatiert, „that it ultimately leads to a growth that produces both wealth and poverty (at a parallel pace).“ Ebd., S. 13. Die Entwurzelung bzw. Enträumlichung ist dabei auch wörtlich zu sehen, da viele Bewohner ärmerer Stadtteile im Zentrum Kairos in die Peripherie umgesiedelt wurden, um Platz für Hotels, Shoppingzentren und Appartementwohnungen zu machen. Siehe Abaza 2006, insbesondere Kapitel 6: Cairo’s Shopping Malls the Urban Reshaping, S. 229-285. Zur hegemonialen Funktionalisierung des Modernediskurses, um Ungleichheit und Umsiedlung zu legitimieren, siehe Peterson 2011, S. 17.
38
Vgl. Golia 2010, S. 138. Wie Maria Golia betont, spielte die Fotografie seit Beginn der modernen ägyptischen Kunst eine nicht unwesentliche Rolle – beispielsweise fand die erste Ausstellung ägyptischer Fotografen bereits 1923 statt –, aufgrund mangelnder Dokumentation und Archivierung gerieten die Werke jedoch oftmals in Vergessenheit. Vgl. ebd., S. 139.
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urbanen Szenerien dar, welche digital übereinander gelagert sind. Visuelle Zeichen der globalen Konsumästhetik treffen auf ägyptische Portraitfotografien, Zeitungsausschnitte und Beschriftungen sowie Bilder des ägyptischen Alltagslebens. So konstatiert Khaled Hafez in seiner Analyse zum Œuvre Husseins: „Ultimately they come to represent a generic urban landscape like any other in the ‚globalized‘ world today.“39 Abbildung 6: Hazem Taha Hussein, The seated Angel in the City 2, 2007. Digitale Fotografie, 145 x 195 cm, im Besitz des Künstlers.
Quelle: Von Hazem Taha Hussein zur Verfügung gestellt.
Eine repetitiv auftauchende Symbolik ist dabei die Figur des – wie Hussein ihn nennt – ägyptischen Barockengels, beispielsweise im Werk The seated Angel in the City 2 von 2007 (Abbildung 6). Der Barockengel als Emblem europäischer Kunstgeschichte wird von Hussein als ägyptische Symbolik anverwandelt, um darüber zugleich den Einfluss ‚westlicher‘ Diskurse auf das Verständnis der eigenen Geschichte kritisch zu reflektieren: „Der neu ‚fusionierte‘ Engel […] ermöglicht uns, die Initiative zu ergreifen und zu erhellen, was der Westen in der Vergangenheit über uns geschrieben hat, die falsch aufgezeichnete Geschichte neu zu schreiben.“40 In der künstlerischen Strategie Husseins wird der ägyptische Barockengel zum Symbol einer hybriden Verschmelzung, aber zugleich zur kri-
39
Hafez 2012a, S. 19.
40
Hussein, in: Ausst.-Kat. Gegenwart aus Jahrtausenden 2007, S. 160.
134 | M USTER DER A MBIVALENZ
tischen Instanz eines Beobachters. Ebenso verweist die Schrift, die als visuelles Zeichen sowohl in arabischen als auch in lateinischen Buchstaben in Erscheinung tritt, auf die Hybridität und Widersprüchlichkeit der ägyptischen Gegenwart. In Höhe des Schoßes des Engels erkennt man als eines der prominentesten Konsumbilder globaler Warenästhetik das Coca-Cola-Logo in arabischer Schrift, das auf der linken Seite von einem „Ladies“-Schild in lateinischen Buchstaben ergänzt wird. Oberhalb und unterhalb des Engels befinden sich weitere arabische Schriftzüge, welche auf verschiedene, den urbanen Raum Kairos prägende Schilder diverser Geschäfte verweisen, wie beispielsweise auf einen Brillenladen. Ergänzt wird das Konglomerat unterschiedlicher Schriftformen mit fragmentarischen Abbildungen von Portraitfotografien, die aus unterschiedlichen Zeiten zu stammen scheinen. Seine intendierte künstlerische Strategie formuliert Hussein wie folgt: „Ich habe eine Reihe Symbole unterschiedlicher Herkunft fotografiert und viele Bilder bewusst verwischt und verschleiert, um einen Eindruck von dem Chaos und den Widersprüchen zu vermitteln, die unser Leben heute bestimmen.“41 Das sich über die visuelle Strategie der Überblendung und Verschmelzung ergebende potentielle Spannungsverhältnis zwischen Globalem und Lokalem scheint jedoch nicht als dichotome Entität stehen zu bleiben, sondern vielmehr durch die digitale Bearbeitung in einer heterogenen Darstellung der visuellen Kultur aufzugehen, um zugleich die darin aufscheinenden Widersprüche und Ambivalenzen herauszustellen. Husseins Arbeit befragt somit die Vielschichtigkeit und kumulative Gestalt der ägyptischen Kultur, ohne eindeutige Antworten anzubieten. Diese künstlerische Strategie der Transformation und Manipulation fotodokumentarischer Werke wurde von Khaled Hafez als Egyptian Hyperreal Pop Art bezeichnet, deren Charakteristik er in einer Gegenüberstellung verschiedener ägyptischen Künstlerpositionen seit den 1990er Jahren untersucht.42 In den verwendeten Techniken und künstlerischen Methoden sieht Hafez Affinitäten zur euroamerikanischen Popartbewegung der 1960er Jahre, allerdings mit dem Unterschied, dass die ägyptischen Künstler Thematiken wie Krieg und Gewalt weniger explizit darstellen, sondern auf gesellschaftliche Problematiken und Tabus mit subtilen Mitteln hinweisen.43 Dabei vermeiden die künstlerischen Strate-
41
Hussein, in: Ausst.-Kat. Gegenwart aus Jahrtausenden 2007, S. 162.
42
Vgl. Hafez 2012a, S. 1. Siehe hierzu auch Hafez‘ eigene Einschreibung seiner Künstlerposition innerhalb des Diskurses der Egyptian Hyperreal Pop Art in Kapitel 7.1 Mythische Collagewesen: Über die Bedeutung des Künstlerkommentars innerhalb der Konstruktion eines zeitgenössischen ägyptischen Kunstdiskurses.
43
Vgl. Hafez 2012a, S. 14.
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gien binäre Kategorisierungen wie sie den ägyptischen Kunstdiskurs zuvor geprägt hatten und erarbeiten mehrdeutige Sinndimensionen, die den Betrachter zur kritischen Selbstreflexion herausfordern sollen.44 In seiner Definition der Werke als Hyperreal Pop Art verweist Hafez auf die Simulationstheorie von Jean Baudrillard.45 Künstler wie Hazem Taha Hussein verwenden in ihren Arbeiten dokumentarische Fotografien urbaner Orte und Personen und transformieren diese über manipulatorische Eingriffe, um eine alternative Realität, ein Simulakrum zu evozieren: „The visual effect is almost surreal, or hyperreal.“46 In dieser Betrachtungsweise schafft Hussein über seine künstlerische Technik der transformierten Fotomontage einen „hyperreal urban space from the deconstructed reality of original photographs he took himself.“47 Das Ergebnis der künstlerischen Überlagerung und Überblendung diverser Fotografien ist eine strukturelle Mehrschichtigkeit, die auf unterschiedliche Weise gedeutet werden kann: als verknüpfendes Konglomerat global zirkulierender Bildelemente, aber auch als kritische Form der Reflexion bezogen auf die fragmentarische Konstitution kultureller Erscheinungsformen mit ihren wechselseitigen Einflusssphären. Hussein spricht dabei selbst von einer transkulturellen Textur: „Gemeinsam treten Osten und Westen als neues Gewebe in Erscheinung, das sich mal westwärts neigt, mit hybriden Texten, in denen verschiedene Elemente nebeneinander bestehen und sich jeweils vermengen können, mal zu den arabischen Denkweisen, die auf uns Ägypter übergegriffen haben und die im Großen und Ganzen westliche Mechanismen ablehnen.“48
In dieser Deutung der Arbeit wird die dargestellte soziale Wirklichkeit der heterogenen Kultur- und Konsumeinflüsse Ägyptens als hyperreales Phänomen kritisch reflektiert. Baudrillard fasst dabei die Spezifik des Hyperrealen wie folgt zusammen: „A hyperreal […] sheltered from the imaginary, and from any distinction between the real and the imaginary, leaving room only for the orbital recurrence of models and the simulated generation of difference.“49 Über das künstlerische Aufgreifen des Konzepts des Hyperrealen werden somit nicht nur die heterogenen Entwicklungen transkultureller Einflüsse thematisiert, sondern
44
Vgl. Hafez 2012a, S. 1.
45
Siehe hierzu Baudrillard 1983.
46
Hafez 2012a, S. 27.
47
Ebd., S. 46.
48
Hussein, in: Aust.-Kat. Gegenwart aus Jahrtausenden 2007, S. 162.
49
Baudrillard 1983, S. 4.
136 | M USTER DER A MBIVALENZ
die generelle Ununterscheidbarkeit von Simulation und Realität in den Vordergrund gerückt und damit die Konstruktion von postulierten Dichotomien wie dem Spannungsverhältnis von ‚Ost‘ und ‚West‘ hinterfragt. Zur Beschreibung der um die Jahrtausendwende neu entstandenen Kunstformen wurden in der Kritik unterschiedliche Termini und Begriffsformulierungen herangezogen und diskutiert. Im Fokus der Betrachtung lagen dabei insbesondere die künstlerische Verbindung, Überlappung und Überschneidung unterschiedlicher Sujets und visueller Codes, die oftmals in einem scheinbaren Widerspruch zueinander standen. Ein Terminus, der in diesem Zusammenhang häufig zur Definition dieser Werke verwendet wurde, ist die Bezeichnung der Hybridität. Beispielsweise schreibt Hafez hierzu: „Through their art that demonstrate personal hybrid vernacular and hyperreal worlds, the artists reveal pressing issues including gender, identity, migration and hybrid culture that are prevalent in Egypt today.“50 Omnia El Shakry sieht diese Begriffszuschreibung dagegen eher kritisch, da ihrer Meinung nach Diskurse der Hybridität dichotome Vorstellungsmodelle zu unterstützen vermögen, „by assuming a (non-Western) space of cultural purity that is cross-pollinated with a universalist cosmopolitanism.“51 Dies impliziere, so El Shakry, dass Hybridität von vorneherein auf einem einseitigen, binären Vorstellungsmodell basiert und somit keinen Lösungsansatz zur Problematik globaler Kunst anbietet, welche sie wie folgt skizziert: „[…]‚the West‘ aspires to universality and globality, as the universal arbiter of aesthetic judgment, while ‚the rest‘ are consigned to a locality that can only be admitted if they represent their identity in terms palatable to a blossoming multi-culturalism that seeks to grasp, and appropriate, cultural difference.“52
Ebenso führt Winegar an, dass die Anwendung des Konzepts der Hybridität auf den ägyptischen Kontext das Risiko einer einseitigen Perspektivierung und generellen Vorstellung von Dichotomie beinhalten kann, „that is ultimately insufficient for understanding the historical shifts and contemporary dynamics that contributed to Egyptian art practice.“53 Ägyptische Künstler reflektieren unterschiedliche Narrationslinien der kulturellen Transformation, die dichotome Vor-
50
Hafez 2012a, S. 54. Hafez verwendet in seiner Thematisierung der Egyptian Hyperreal Pop Art häufig den Terminus hybrid, ohne sich dabei jedoch auf Homi Bhabhas Konzeptualisierung des Begriffs zu beziehen.
51
El Shakry, in: Balic (Hg.) 2009, S. 398.
52
Ebd.
53
Winegar 2006, S. 18-19.
K APITEL 4: G LOBALISIERENDE K UNSTBESTREBUNGEN
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stellungsmodelle und Begriffe wie Grenze und Peripherie kritisch unterwandern. Homi Bhabhas Konzeptualisierung der Hybridität als postkoloniale Denkfigur setzt nun allerdings genau bei dieser kulturellen Transformation an. Seine Betrachtung der diskursiven Wirkungsweise von Hybridität negiert sämtliche Vorstellungen einer ursprünglichen Reinheit von Kulturen, ebenso wie sie Konzepte einer Synthese – wie im Multikulturalismus dargestellt – in Frage stellt und zugleich starre dichotome Setzungen innerhalb von Kulturmodellen unterläuft. Damit differenziert sich Bhabhas Hybriditätskonzept dezidiert von ursprünglich der Biologie entstammenden dualistischen und essentialistischen Konnotationen des Hybriden, wie sie in der Kritik von El Shakry und Winegar angedeutet sind. Zum genaueren Verständnis der Bhabhaschen kulturellen Hybridität muss zunächst seine wissenschaftstheoretische Terminologie der Differenz in den Blick genommen werden. Anschließend an Jacques Derridas Begriff der différance grenzt Bhabha das Konzept der kulturellen Differenz – als dynamischen Artikulations- und Aushandlungsprozess von Kultur – von dem Modell der kulturellen Diversität – als Vorstellung von differierenden Kulturentitäten – ab.54 Hierbei geht Bhabha von einem konstruierten Kulturmodell aus, welches besagt, dass Kultur stets in einem artikulatorischen Prozess von Identität und Alterität konstituiert wird und dabei Widersprüchlichkeiten und Verunsicherungsmomente mit sich führt.55 Als postkoloniales Denkmodell legt das Konzept der kulturellen Differenz damit den Fokus auf Ambivalenzen innerhalb hegemonialer Machtausübungen und somit auf „den Versuch der Herrschaftsausübung im Namen einer kulturellen Überlegenheit, die selbst erst im Moment der Differenzierung produziert wird.“56 Dies bedeutet konkret, dass eine hegemoniale Macht zur Konstruktion ihrer eigenen kulturellen Identität stets die kulturelle Identität des Anderen benötigt, wodurch jedoch ihre eigene Positionierung zugleich in Frage gestellt wird. Kulturen sind in Bhabhas Begriffsdefinition somit keine in sich geschlossenen und von anderen Kulturen klar abgegrenzte Entitäten, sondern durch dynamische, wechselseitige Prozesse charakterisiert. Das Konzept der kulturellen Differenz wird von Bhabha somit nicht als Abgrenzung von anderen Kulturen zur eigenen Selbstvergewisserung und damit stabilisierend gedacht, sondern als ambivalentes, verunsicherndes Element, wie von Solveig Mill verdeutlicht:
54 55
Vgl. Bhabha [2000] 2011, S. 49-52. Zur Darstellung des Prozesses der Identifikation greift Bhabha auf die Psychoanalyse Jacques Lacans und dessen Konzept des Begehrens zurück. Vgl. ebd., S. 65-67 sowie S. 77-78.
56
Bhabha [2000] 2011, S. 52-53.
138 | M USTER DER A MBIVALENZ „Indem [Bhabha] die inhärente Ambivalenz und Unsicherheit jeder kulturellen Äußerung aufdeckt, situiert er jede Kultur in einem unbequemen, unsicheren, instabilen […] Grenzraum, in dem kulturelle Äußerungen neu verhandelt werden, so dass eine Neubewertung kultureller Hierarchien möglich wird.“57
In diesem Zusammenhang nennt Bhabha „als Modus sowohl der Aneignung als auch des Widerstandes“58 das Konzept der Hybridisierung. Da Hybridität die selektive Anverwandlung und Neueinschreibung unterschiedlicher kultureller Formen umfasst, die immer auch einen Moment der Transformation und Verschiebung beinhaltet, kann das Konzept als Störfaktor hegemonialer Macht – und damit implizit politisch – gelesen werden, wie Bhabha anführt: „Die mit der Entwicklung vom Symbol [nationaler Autorität] zum Zeichen [kolonialer Differenz] einhergehende De-platzierung führt zu einer Krise für jedes Konzept der Autorität, das auf einem Erkenntnissystem basiert.“59 Hybridität ist somit nicht als Synthese differierender Kulturen zu sehen, sondern als Grenz- und Zwischenraum eines Kulturkontaktes, „wenn man diesen als Diffusion von Kulturen denkt, die nicht nur in sich brüchig und different sind, sondern deren Vermischungen auch zu Sinn- und Machtverschiebungen führen.“60 Dieses diskursive Moment der Aushandlung, Spaltung und Subversion beschreibt Bhabha als den Dritten Raum, worin jedoch kein konkreter Ort gemeint ist, sondern die Möglichkeit, über binäre Positionen von Assimilation versus radikaler Differenz hinauszudenken und neue Perspektiven der Betrachtung (post-) kolonialer Machtverhältnisse zu eröffnen.61 Zentrale Merkmale des Dritten Raums als Verbildlichung von Hybridität sind dabei – wie bereits erwähnt – Verunsicherung und Verschiebung. Insbesondere mit Blick auf den oftmals ambivalenten Charakter ägyptischer Kunstkonzepte erweist sich der Terminus der Hybridität und das daran anschließende Denkmodell des Dritten Raums somit durchaus als fruchtbringend: Die Werke können demnach nicht nur im technischen Sinne als hybrid bezeichnet werden – beispielsweise aufgrund der Vermischung unterschiedlicher Medien wie Fotografie und Malerei. Ebenso sind sie in einem kunst- und kulturtheoretischen Sinne als Dritte Räume der Aushandlung und Artikulation kultureller Thematiken abseits von Modellen der Synthese oder klarer Gegensätze aufzufassen, welche innerhalb des postkolonialen Kontextes
57
Mill, in: Allolio-Näcke, Kalscheuer und Manzeschke (Hg.) 2005, S. 436.
58
Bhabha [2000] 2011, S. 178.
59
Ebd., S. 168.
60
Struve 2013, S. 100.
61
Vgl. Bhabha [2000] 2011, S. 56.
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ein Potential der Störung, Verunsicherung und Ambivalenz gegenüber hegemonialen Diskursen entfalten. Die Heterogenität und Hybridität ägyptischer Kunst wurde zudem mit dem Konzept der Postmoderne als generellem Entgrenzungsphänomen im Sinne Jean-François Lyotards in Verbindung gebracht.62 Das von Lyotard mit Blick auf die ‚westliche‘ Modernetradition proklamierte Ende der Großen Erzählungen, der Metanarrationen, trifft ebenso auf den ägyptischen Kontext aufgrund des Scheiterns der panarabischen Ideologie, der zunehmenden Infragestellung eines zentralen Nationaldiskurses und der Krise des nationalen nahda-Paradigmas zu. Dennoch ist die Zuschreibung der ägyptischen Kunst als postmodern nur mit Einschränkungen möglich, nicht zuletzt, da sich die Postmoderne als Denkfigur auf gegenüber dem ägyptischen Kunstdiskurs divergierende Problematiken moderner Narrationen richtet und dem Begriff selbst eine ihn prägende kontextuelle Entstehungsgeschichte inhärent ist. Die Definitionszuschreibungen und Genealogien der ägyptischen Moderne sind „differently situated, but not wholly different, from Euro-American ones.“63 Diese Diagnose Winegars fordert eine vorsichtige und kritisch-reflektierte Anverwandlung von Konzepten und Termini der ‚westlichen‘ Kunstgeschichte auf den Kontext Ägyptens. Ebenso ist die innerhalb einer postkolonialen Kunstgeschichte eingeführte Terminologie von alternativen Modernen, die den heterogenen und pluralen Charakter des Postmoderne-Konzepts aufnimmt, problematisch, wie Shabout feststellt: „Articulating difference through this concept, however, not only does not absolve modernity of its antagonism but it also does not allow for that difference to be seen as autonomous, as it is generally continuously compared to a superior Western modernity.“ 64
Ein weiterer Begriff, welcher innerhalb der Diskussionen um die Problematik der Positionierung einer genuinen ägyptischen Moderne verwendet wurde, war die Beschreibung künstlerischer Positionen als ‚kosmopolitisch‘. Trotz zahlreicher Umstrukturierungen und Fördermöglichkeiten durch den Kulturminister Faruk Hosni ab den 1990er Jahren, die neben der Etablierung einer modernen Außenwirkung Ägyptens ebenso das Erreichen der ägyptischen Bevölkerung anstrebten, blieb der ägyptische Kunstdiskurs ein eher elitäres Projekt, das generell den ‚Kosmopoliten‘ vorbehalten war. Der Terminus des Kosmopolitismus kam
62
Sie hierzu Karnouk 2005, Kapitel 8: Premodernism or Postmodernism? S. 121-140. Zum theoretischen Konzept des Postmoderne-Begriffs siehe Lyotard 1986.
63
Winegar 2006, S. 5.
64
Shabout, in: Tate Papers 2009.
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im ägyptischen Kunstdiskurs seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts auf und wurde insbesondere für die Pioniergeneration moderner ägyptischer Künstler verwendet, da sie zum einen im Ausland studierten und ausstellten und zum anderen innerhalb des elitären Kreises aus Europäern, Auslandsägyptern und der urbanen Oberschicht in Kairo und Alexandria verkehrten. Aus dieser Kontextualisierung heraus postuliert Mona Abaza: „Today, globalization has become the catchword, replacing the older notion of cosmopolitanism.“65 Dagegen führt Peterson in seiner Beschreibung der ägyptischen Elite im Zeitalter der Globalisierung und des Medienkonsums die Zuschreibung ‚Kosmopoliten‘ fort, die er jedoch nicht als singuläre Entität versteht.66 Kosmopolitismus ist in Petersons Definierung durch ein spezifisches Wechselverhältnis zwischen Globalem und Lokalem geprägt, da sich die sogenannten kosmopolitischen Ägypter zwar insbesondere über den Konsum materieller und immaterieller Güter global verorten, „yet it is primarily locally that this cosmopolitan class harvests the fruits of its transnational modernity.“67 Durch das Konsumieren transnationaler Praktiken, Güter und Diskurse differenziert sich die kosmopolitische Elite von der ägyptischen Mehrheitsgesellschaft: „Transnational popular culture has become an important form of cultural capital through which the Egyptian class system replicates itself.“68 Zugleich spielen lokale kulturelle Codes für die eklektische Identitätskonstruktion der kosmopolitischen Elite eine ebenso bedeutende Rolle, wie Peterson betont: „Egyptian cosmopolitans construct local notions of the global and integrate these into broader systems of social relations.“69 Auch wenn sich Peterson nicht explizit auf den Kunstdiskurs in Ägypten bezieht, kann seine Definition auf einer allgemeineren Ebene für dessen Verständnis aufschlussreich sein, da sie das kulturelle Wechselverhältnis zwischen der globalen Zirkulation von Praktiken und Diskursen sowie deren lokale Verortung und Transformation in den Blick nimmt. Dennoch wäre eine allgemeine Zuschreibung der zeitgenössischen ägyptischen Künstler als ‚Kosmopoliten‘ irreführend, da dies die Heterogenität des ägyptischen Kunstbereichs und die Diversität der Akteure negiert. Für die Analyse ägyptischer Künstlerpositionen müssen grundsätzlich unterschiedliche Perspektiven berücksichtigt werden. Zwar ist die individuelle Definierung einer eigenen Identitätskonstruktion für die Bedeutungsdimension der
65
Abaza 2006, S. 79.
66
Vgl. Peterson 2011, S. 3.
67
Ebd., S. 4.
68
Ebd., S. 7.
69
Ebd., S. 216.
K APITEL 4: G LOBALISIERENDE K UNSTBESTREBUNGEN
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künstlerischen Konzeption zweifellos von hoher Relevanz. Ebenso entscheidend für das Verständnis der künstlerischen Strategie ist jedoch die jeweilige Fremdzuschreibung, welcher die Künstler sowohl auf globaler wie auch auf lokaler Ebene ausgesetzt sind. Bezeichnungen wie ‚authentisch‘, ‚hybrid‘ oder ‚kosmopolitisch‘ sind keine objektiven Realphänomene, sondern vielmehr unterschiedliche Interpretationen verschiedener Akteure, die von den Künstlern selbst, als auch an ihnen vorgenommen werden und die jeweilige Künstleridentität wie die künstlerische Konzeption tangieren. Diese Identitätszuschreibungen variieren in Abhängigkeit des jeweiligen Kontextes ihrer Artikulation. So differieren die Maßstäbe zur Bewertung der Kunstwerke auf internationaler Ausstellungsebene zumeist von den lokalen Debatten um eine authentische ägyptische Kunst. Innerhalb dieser oftmals widersprüchlichen Bewertungshierarchien müssen die Künstler bestimmte Thematiken in ihren Werken darstellen, um überhaupt ausgestellt zu werden. Darin zeichnet sich ein scheinbar unauflösbares Paradox ab: Nähert sich der Künstler in seinen Werken der Ästhetik internationaler Kunstformen an, beispielsweise durch reine Abstraktion oder konkrete Kunst, so sieht er sich auf lokaler Ebene dem Vorwurf des ‚Unauthentischen‘ ausgesetzt. Zugleich unterläuft er hierbei ebenso die Zuschreibungsmodelle ‚westlicher‘ Couleur, „als Künstler aus dieser Region etwas aussagen zu müssen über die sozio-kulturellen, politischen oder gar religiösen Probleme seiner Heimat“, um nicht mit dem „Narrativ der Verspätung“ 70 oder der Imitation denunziert zu werden. Dies bedeutet nicht, dass solche Thematiken für den künstlerischen Ausdruck nicht von Belang wären, allerdings birgt eine alleinige und restriktive Fokussierung auf diese Kategorien das Risiko der Fortschreibung von dichotomen und stereotypen Vorstellungswelten.71 Trotz der globalen Entgrenzung und Heterogenisierung kultureller Identitätskonstruktionen entgehen ägyptische Künstler der nationalen Verortung nicht, sei es über internationale Ausstellungen, die zumeist auf geografische Räume verweisen, oder durch lokale Bewertungsmaßstäbe, die von den Künstlern teilweise selbst postuliert werden, wie Peterson generell im Bezug auf Ägypten konstatiert: „[…] even the most cosmopolitan still tend to describe themselves – and be described by others – in terms of national identities.“72 Dies führt zu einer, wie Dina Ramadan es nennt, „objectification of the artist.“73 Nicht die individuelle Künstlerposition steht hierbei im Fokus des
70
Winkler, in: Ausst.-Kat. The Future of Tradition 2010, S. 58.
71
Vgl. Magdy, in: Nafas Art Magazine 2003.
72
Peterson 2011, S. 14.
73
Ramadan 2004.
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Interesses, sondern er wird als Repräsentant eines Kollektivs betrachtet. Für das Verständnis zeitgenössischer ägyptischer Kunst ist es jedoch essentiell, die künstlerische Konzeption sowohl als persönlichen Ausdruck, als auch dessen Verortung innerhalb des Kunstdiskurses zu betrachten. Die Bedeutung, die der Künstler seinem Werk beigemessen hat, bleibt nicht unbedingt im Prozess des kuratorischen Ausstellens und der Betrachterpositionierung bestehen.
Kapitel 5 Künstlerische (Selbst-)Reflexionen im Zuge der ägyptischen Revolution von 2011
5.1 D ISKURSIVE E FFEKTE DER KOLLEKTIVEN AUFSTÄNDE : D IE K AIROER K UNSTLANDSCHAFT IM W ANDEL Die am 25. Januar 2011 landesweit begonnenen Proteste der ägyptischen Bevölkerung, die nach achtzehn Tagen zum Sturz des Präsidenten Hosni Mubarak beitrugen, und die andauernden politischen Konflikte führten insbesondere im urbanen Raum zu einem Paradigmenwechsel der öffentlichen visuellen Kultur und künstlerischen Praktik. Neue visuelle Ausdrucksformen des politischen Dissenses wie Plakate, Schilder, Graffiti und Street Art prägten nun das urbane Bild Kairos, in dessen Zentrum der Tahrir-Platz als Ausgangspunkt der Proteste zum Symbol der Demokratie, Freiheit und soziale Gerechtigkeit fordernden „people’s revolution“1 wurde. Beschreibungen der fortwährenden Proteste reichten dabei von deskriptiven Formen, wie dem Terminus des Volksaufstands, über Debatten um die legitime Definierung als Revolution bis hin zu metaphorischen Narrativen, wie sie in den Begriffen ‚Arabischer Frühling‘ oder ‚Arabisches Erwachen‘ anklingen. Die aus dem Englischen übernommene Bezeichnung des ‚Arabischen Frühlings‘ verweist in diesem Zusammenhang auf den sogenannten Prager Frühling von 1968, wobei diese Zuschreibung insbesondere in euroamerikanischen Medien und Forschungsarbeiten Verwendung fand. Im Arabischen wurden die Aufstände im öffentlichen Diskurs dagegen als thawra bezeichnet, was mit Revolution, Aufstand, Erhebung und Widerstand übersetzt werden kann. Aus diesem Grund 1
El Shakry, in: Haddad, Bsheer und Abu-Rish (Hg.) 2012, S. 103.
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werden die Aufstände im Folgenden ebenso als ‚Revolution‘ bezeichnet, die Relativität des Kontextes für die Definition jedoch berücksichtigt. Der politische Umbruch als Zeichen für eine gesellschaftliche Opposition gegen das herrschende Regime zeichnete sich bereits zuvor in einem steigenden Unmut der Bevölkerung aufgrund wachsender gesellschaftlicher Verarmung, politischer Repression und staatlicher Korruption ab. Bedeutende Protestinitiativen waren beispielsweise die 2004 gegründete kifaya-Bewegung, die im Deutschen mit Genug übersetzt werden kann, die Jugendbewegung des 6. April, die sich zunächst auf den massiven Arbeiterstreik in der Stadt Mahalla al-Kubra von 2008 bezog, sowie die von Wael Ghonim gegründete Facebook-Gruppe We are all Khaled Said, die in Solidarität für den 2010 von Polizisten zu Tode geprügelten jungen Ägypter und in Opposition gegen den ägyptischen Sicherheitsapparat politisch Stellung bezog. Die Einschätzung der strukturellen Reichweite der Aufstände und die damit einhergehende gerechtfertigte Bezeichnung als ‚Revolution‘ wurde in der Forschung unterschiedlich diskutiert, wobei die Debatte angesichts jüngster politischer Entwicklungen nach dem Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Morsi und der Machtübernahme durch das Militär an Brisanz gewann.2 In diesem Zusammenhang spricht Asef Bayat von „Refo-lution“ als neologistische Zusammensetzung aus den Wörtern ‚Reform‘ und ‚Revolution‘, welche er als „revolutions that want to push for reforms in, and through the institutions of the incumbent states“3 beschreibt. In dieser Bezeichnung deutet sich eine paradoxe Entwicklung an, wie Bayat betont: „Refo-lutions do possess the advantage of ensuring orderly transitions, avoiding violence, destruction, and chaos […]. Otherwise refo-lutions carry with them the perils of counterrevolutionary restoration precisely because the revolution has not made it into the key institutions of the state power.“4
Diese Widersprüchlichkeit deutet auf die generelle Problematik hin, dass Definitionszuschreibungen in historischen Zusammenhängen oftmals erst retrospektiv
2
Am 08. Juni 2014 wurde der vormalige Verteidigungsminister und Feldmarschall Abd al-Fattah al-Sisi als neuer ägyptischer Präsident vereidigt, wobei die Wahl aufgrund von Unstimmigkeiten international kritisiert worden war. Siehe hierzu auch den World Report 2014: Egypt von Human Rights Watch unter: https://www.hrw.org/worldreport/2014/country-chapters/egypt (Stand: 30.08.2016).
3
Bayat, in: Haddad, Bsheer und Abu-Rish (Hg.) 2012, S. 31.
4
Ebd., S. 31-32.
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vorgenommen werden können und sich im kontemporären Moment des Umbruchs durch ihre Vorläufigkeit und Fragilität auszeichnen. Aus diesem Grund ist es für die Analyse fruchtbringender, den Fokus auf den konkreten Ort der Ereignisse zu legen, um die Wirkung des politischen Umsturzes in seiner Momenthaftigkeit zu betrachten. In dieser Perspektive ist das Konzept des Raums von essentieller Bedeutung. Denn trotz ihrer Diversität vereinten sich die soziokulturellen und künstlerischen Protestformen seit Beginn der Aufstände in einem kollektiven Bestreben, die urbanen Plätze und Straßen Kairos als öffentlichen Raum zurückzuerobern. Wie von Mohamed Elshahed verdeutlicht, hatte das autoritäre Regime Mubaraks der ägyptischen Bevölkerung sukzessive den Zugang zum öffentlichen Raum entzogen, zumeist mithilfe unterschiedlicher repressiver Maßnahmen, die neben dem durch die Notstandsgesetze implementierten generellen Versammlungsverbot ebenso das systematische Öffnen von Plätzen für den Verkehr sowie weitere strategische Stadtplanungen wie den Bau von Hochstraßen oder die Eindämmung von Grünanlagen beinhalteten.5 Darüber hinaus wurden Zugänge zu urbanen Plätzen durch deren Einzäunung erschwert oder grundsätzlich verwehrt: „Collectively such policies have led not only to the decline of public space but also to the inexorable deterioration of cities and the erosion of civic pride.“6 Dieser zuvor durch das Regime blockierte urbane Raum wurde während der Aufstände von der Bevölkerung wieder angeeignet und symbolisch besetzt. Der Midan al-Tahrir, der Platz der Befreiung, wandelte sich von einem dicht befahrenen Kreisverkehr zu einem öffentlichen Raum des zivilen Zusammentreffens und zum Epizentrum des kollektiven Widerstands, während die Graffiti-Kunst und Street-Art-Bewegung zum ästhetischen Ausdruck dieser Opposition gegen das alte System und zur visuell-semantischen Wiederaneignungsstrategie avancierte. Insbesondere die Wände und Mauern der am Tahrir-Platz gelegenen Mohamed-Mahmoud-Straße, die zum Sinnbild tödlicher Straßenkämpfe zwischen Protestierenden und staatlichen Sicherheitskräften geworden war, wurden zur urbanen Kommunikationsleinwand visueller Botschaften unterschiedlicher Akteure. Die Interpretation und Rezeption der dargestellten Bilder entwickelte sich dabei oftmals in unterschiedliche Richtungen, da die Betrachter nicht immer die intendierte Bedeutungszuschreibung der Straßenkünstler teilten. Dadurch entwi-
5 6
Vgl. Elshahed, in: Hydlig Dal (Hg.) 2013, S. 20-24. Ebd., S. 21. Ein Beispiel für die Verwehrung öffentlichen Raums durch das Regime war die großräumig umzäunte Baustelle auf dem Tahrir-Platz, die sich während der Aufstände als Attrappe erwies. Vgl. Höfler, in: kunsttexte.de. E-Journal für Kunst und Bildgeschichte 2012, Themenheft 1, S. 9.
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ckelten sich die Bilder und Inskriptionen auf den Wänden zu einem Palimpsest unterschiedlicher Narrative und Sinndimensionen, die immer wieder verändert, transformiert oder vollständig übermalt wurden. Der Austausch politischer Meinungen über kreative Interaktionen im öffentlichen Raum wurde generell als Novum per se der ägyptischen Revolution bewertet. So führt Lewis Sanders an: „The protesters began to view their surroundings as properly theirs rather than as an extension of the government’s instruments used to monopolize Egyptian life and identity.“7 Im Wandel der öffentlichen Wahrnehmung des urbanen Raums sieht Sanders Verbindungen zu Gilles Deleuzes und Félix Guattaris philosophischer Raumtheorie und deren Vorstellung von gekerbtem und glattem Raum. Während der urbane Raum Kairos ein gekerbter ist, dass heißt durch den Staat und dessen spezifische Logik organisiert, reguliert und kontrolliert wird, was die Möglichkeit von Bewegung hemmt, birgt er dennoch zugleich das gegenteilige Potential des Glättens in sich, da beide Formen von Raum nach Deleuze und Guattari nie in reiner Unterscheidung oder binärer Opposition voneinander existieren und stets ein Wechselverhältnis implizieren.8 Als Möglichkeit diskursiven Glättens sieht Sanders die urbane Street Art und Graffiti-Kunst der Revolution, da sie die dominierenden Diskurse des Regimes dekonstruiert, womit der Künstler im Sinne von Deleuzes und Guattaris Konzept des Nomaden verstanden werden kann: „The nomad is antithetical in essence to the existence of the state and all its efforts of striation. […] The nomad, like the street artist, smoothes striated space by reterritorializing it, or in other words, reclaiming it.“9 Die aufkommenden Kunstbewegungen der urbanen Straßen und des öffentlichen Raums können mit Yakein Abdelmagid ebenso im Sinne Deleuzes als rhizomatische soziale Phänomene beschrieben werden, da sie wie sämtliche neue soziopolitische Ausdrucksformen der Protestierenden als heterogen, dezentralisiert und in einem Prozess der Transformation zu fassen sind.10 Künstlerische Formen der visuellen Aneignungsstrategie des öffentlichen Raums haben während der politischen Aufstände das gesamte Stadtbild im Zentrum Kairos verändert und modifiziert. Die vielfältigen Bilder und Inskriptionen der urbanen Stra-
7
Sanders, in: Mehrez (Hg.) 2012, S. 143.
8
Vgl. ebd., S. 145-149 sowie Deleuze und Guattari 2005.
9
Sanders, in: Mehrez (Hg.), 2012, S. 149.
10
Vgl. Abdelmagid: Artists and Art of Living. Labor, Aesthetics and Politics. Vortrag im Rahmen der EUME Summer Academy Aesthetics and Politics. Counter-Narratives, New Publics, and the Role of Dissent in the Arab World, American University Cairo, 16.-27.09.2012.
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ßenkunst reichten von einprägsamen politischen Aufforderungen und Slogans über aufwendige Graffiti-Formen oder repetitive, mit Schablonen gesprayte Symbole und Embleme bis hin zu großformatigen Wandgemälden, die getötete Protestierende oder nationalkulturelle Referenzen abbildeten, politische Akteure diffamierten sowie im Täuschungseffekt eines Trompe-l’oeil die von den Sicherheitskräften in den Straßen von Downtown zum Schutz von Regierungsgebäuden errichteten Mauern bildlich auflösten.11 Die visuellen Zeichen des öffentlichen Raums wie Street Art und GraffitiKunst, aber auch Protestplakate, Schilder und Banner sowie performative Handlungen der Besetzung von Plätzen verwandelten die urbane Szenerie in eine Politische Straße, die von Asef Bayat wie folgt beschrieben wird: „Die politische Straße bezeichnet die kollektiven Befindlichkeiten […] und das öffentliche Urteil ganz normaler Menschen in ihren täglichen Äußerungen und Praktiken, die umfassend im öffentlichen Raum zum Ausdruck gebracht werden – in […] Geschäften, auf Bürgersteigen oder lautstark bei Straßenprotesten.“12
Die künstlerischen Ausdrücke verblieben dabei stets vorläufig und in kontinuierlicher Bewegung und Transformation – auch da sie in regelmäßigen Abständen von den Sicherheitskräften übermalt wurden und sich daraufhin sofort neue Bildund Schriftzeichen auf der geweißten Wand formierten und sukzessive ausbreiteten.13 In diesem Zusammenhang gewinnt die Frage nach der Rolle der Bilder und deren geeigneten Archivierung im ägyptischen Diskurs zunehmend an Bedeutung. Die Aufstände brachten eine Unzahl an visuellen Repräsentationen hervor, deren Konsum eine reflexive Betrachtung erfordert. Einerseits sind die mediale „Übertragung und thematische oder deutende Einbettung eines Bildes“ generell immer auch „Akte der Machtausübung.“14 Doch zugleich waren die Bilder und das kollektive Fotografieren der Geschehnisse nicht nur eine Form des medialen Aufzeichnens, sondern wurden vielmehr „zu einem Akt kompletter Partizipa-
11
Zur ägyptischen Street-Art-Bewegung nach der Revolution von 2011 siehe Gröndahl 2013.
12 13
Bayat [2010] 2012, S. 211. Beispielsweise wurden die Mauern an der Amerikanischen Universität in der Mohamed-Mahmoud-Straße im September 2012 vollständig geweißt. Gespräche mit Straßenkünstlern und Passanten zeigten, dass diese die Wände ebenso wie die andauernde Revolution als einen Zustand kontinuierlicher Bewegung betrachteten und Maßnahmen zum Schutz der Graffiti – wie von der AUC vorgeschlagen – ablehnten.
14
Rizk, in: Aust.-Kat. Kairo. Offene Stadt 2013, S. 62.
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tion“ und damit zu einer „politischen Handlung, bezüglich ihrer Relevanz dem Demonstrieren gleichgestellt.“15 Um die gewaltige Anzahl an Bildern zumindest ansatzweise zu fassen, gründete beispielsweise die Amerikanische Universität in Kairo das Archivprojekt University on the Square: Documenting Egypt’s 21st Century Revolution, ein digitales Archiv zur Sammlung und Aufbereitung visueller und textueller Bilder der Revolution.16 In ersten Bestandsaufnahmen wurde dabei deutlich, dass sich die kontextuellen Referenzen der visuellen und textuellen Zeichen weniger auf die ägyptischen Revolutionen von 1919 und 1952 bezogen, sondern vielmehr Inspirationen hinsichtlich globaler Ereignisse anzeigten, indem sie beispielsweise Netzwerke der Macht und Unterdrückung sowie die opaken internationalen Beziehungen des Mubarak-Regimes offenlegten und diskreditierten.17 Die Kritik an staatlichen Strukturen zeigte sich auch in den Diskussionen um eine mögliche Umgestaltung des ägyptischen Kulturministeriums. In den ersten Jahren nach dem Sturz Mubaraks waren bereits zahlreiche neue Kulturminister ernannt worden, ohne weitere substantielle Umstrukturierungsmaßnahmen nach sich zu ziehen. Während einige Vertreter des Kunst- und Kultursektors eine völlige Auflösung des Kulturministeriums forderten, betonten dessen Befürworter die Notwendigkeit einer grundlegenden Reformierung.18 Zu den künstlerischen Aktivitäten, die eine Neugestaltung der Beziehung von Staat und Kunstbereich anstrebten, gehörten die Independent Culture Coalition aus Künstlern und Kulturschaffenden, die regelmäßig stattfindende Festivals unter dem Slogan Al-Fann Midan (dt. Kunst ist ein öffentlicher Platz) organisierte, sowie die Initiative AlMawred al-Thaqafi (dt. Kulturelle Ressource), die neue Regularien für die staatliche Kulturpolitik unterbreitete.19 Zentraler Punkt der Aktivitäten war dabei die Forderung nach finanzieller Unterstützung von Kunst und Kultur durch den Staat bei gleichzeitiger Absenz regulatorischer Zensurmaßnahmen sowie strategischer Funktionalisierungen im Rahmen politischer Agenden.20 Die Spannungen zwischen Vertretern des Kunstund Kulturbereichs und der neuen Regierung unter Mohamed Morsi kulminier-
15
Baladi, in: Aust.-Kat. Kairo. Offene Stadt 2013, S. 76-77.
16
Siehe unter: http://new.aucegypt.edu/about/square (Stand: 30.08.2016).
17
Vgl. Gribbon und Hawas, in: Mehrez (Hg.) 2012, S. 123.
18
Vgl. Pahwa und Winegar, in: Middle East Report 2012, Band 42, Nr. 263.
19
Vgl. ebd. In der am 23. September 2012 an der Kairo Universität ausgerichteten Podiumsdiskussion Revolution and Cultural Policies stellten die Vertreter der Initiative ihre zentralen Forderungen vor, siehe Abdallah, in: Arabic Literature 2012.
20
Vgl. Pahwa und Winegar, in: Middle East Report 2012, Band 42, Nr. 263.
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ten 2013 in der Besetzung des Kulturministeriums aus Protest an der Ernennung von Alaa Abdel Aziz zum neuen Kulturminister, welcher nach der Machtergreifung durch das Militär wieder abgesetzt wurde.21 Grundlegende Reformen wurden jedoch auch unter der neuen Regierung nicht vorangetrieben – nicht zuletzt da dem Kunst- und Kulturbereich angesichts der massiven sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes weniger Priorität beigemessen wird. Die ägyptischen Aufstände hatten neben den Debatten um die Rolle des Staates für den Kultursektor immense Auswirkungen auf das generelle Ausstellungswesen und die künstlerischen Gestaltungen der einzelnen Werke. Kaum ein ägyptischer Künstler der Gegenwart hat sich in seinem Schaffen nicht mit den politischen Umschwüngen auseinandergesetzt – sei es in der Wahl der Sujets, aber auch in grundsätzlichen Reflexionen über die Rolle des Künstlers und der Kunst innerhalb der politischen Ereignisse. Grenzen der Kunst schienen angesichts der Überfülle an kreativen Ausdrücken im öffentlichen Raum zu verschwimmen und unentscheidbar zu werden. Professionelle Künstler orientierten sich konzeptionell an der Ästhetik der aufkommenden Street-Art-Bewegung und den symbolischen Emblemen der Graffiti-Kunst. Andererseits wurden die sogenannten Straßenkünstler wiederrum von Galerien eingeladen, ihre künstlerischen Ausdrücke und Praktiken in den White Cube des Ausstellungsraums zu transformieren, womit paradoxerweise die eigentliche Absicht der Street Art – nämlich die Besetzung des öffentlichen Raums und die effektive Erreichung und Partizipation der breiten Bevölkerung – institutionell unterminiert wurde. Ebenso widmeten sich auf internationaler Ebene zahlreiche Ausstellungen, Podiumsdiskussionen und Künstlergespräche der visuellen und künstlerischen ‚Darstellung‘ der Revolution. Unabhängig von der Notwendigkeit einer wissenschaftlichen und kunsttheoretischen Aufbereitung tendierten jedoch, wie Nat Muller anmerkt, „viele diskursive Veranstaltungen dazu, einen homogenisierenden Bogen in der Region spannen zu wollen, der das komplexe und hybride Wesen dieser Aufstände stark vereinfacht.“22 Die Produktion und Rezeption von Kunst und Kultur erfuhr in Ägypten trotz zunehmender wirtschaftlicher Rezessionen und politischer Spannungen einen enormen Anstieg – sowohl auf lokaler wie auch auf globaler Ebene. Dies wirft zugleich Fragen bezüglich einer angemessenen wissenschaftlichen Analyse und Darstellung angesichts der Problematik einseitiger Repräsentationen und zunehmender Kommerzialisierung auf. Oftmals bestehen Diskrepanzen zwischen lokaler und internationaler Rezeption der künstlerischen Konzeptionen. Zudem sind
21
Vgl. Saad und Elkamel, in: ahramonline vom 05.06.2013.
22
Muller, in: springerin. Hefte für Gegenwartskunst 2011, Band 3.
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die Werke in sich selbst häufig widersprüchlich und in ihrer Wirkungsweise kaum eindeutig fassbar. Für eine theoretische Betrachtung ist es demnach notwendig, die ambivalente Rezeption der ägyptischen Kunstproduktion, insbesondere im Kontext der Street Art, zu berücksichtigen, wie von Nancy Demerdash verdeutlicht: „Just as these emergent aesthetic strategies operate as active political agents in shifting relations of power, they too are being consumed and commodified by art markets in the West and the Middle East alike.“23 Die Inflation diverser Kommissionen und Förderungen für wissenschaftliche und künstlerische Behandlungen der Thematik der Revolution birgt nach Angela Harutyunyan das Risiko der Vereinnahmung und Kapitalisierung der Ereignisse sowie deren kreativen Ausdrucksformen durch eine „post-revolutionary knowledge economy based on the self-serving appropriation of the position of the moralizing hero.“24 Zudem führen internationale wie lokale Darstellungen und Rezeptionen der Revolution oftmals dichotome Setzungen im Sinne eines arabischen Exzeptionalismus fort. So kritisiert Rabab El-Mahdi: „[…] in the new grand narrative of ‚Arab Awakening‘ both academics and the media (international and local) are appropriating, interpreting, and representing the recent events along the same pillars of othering and, romanticization, while casting universalistEurocentric judgments. In the case of Egypt, the recent uprising is constructed as a youth, non-violent revolution in which social media […] are champions.“25
Aus diesem Grund fordert Hamid Dabashi eine generelle Reflexion und Neuausrichtung der wissenschaftstheoretischen Betrachtung der arabischen Welt, da in seiner Lesart der arabischen Revolutionen die binären Dispositionen der großen Meta-Narrationen, wie sie im postkolonialen Kontext durch islamistische, nationalistische oder sozialistische Ideologien ausgedrückt werden, nicht mehr zutreffen.26 Diese Kritik an der medialen Repräsentation der politischen Ereignisse zeigt sich ebenso in der Kunst.
23
Demerdash, in: New Middle Eastern Studies 2012, Band 2, S. 7.
24
Harutyunyan, in: Egypt Independent vom 02.03.2011. Harutyunyan kritisiert in diesem Zusammenhang auch das The University on the Square-Projekt der Amerikanischen Universität in Kairo.
25
El-Mahdi, in: Jadaliyya vom 11.04.2011.
26
Vgl. Dabashi 2012, S. xviii-xix.
K APITEL 5: K ÜNSTLERISCHE (S ELBST -)R EFLEXIONEN
5.2 O RNAMENTALE AMBIVALENZ ALS AUSDRUCK DER R EVOLUTION
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KÜNSTLERISCHER
Im Zuge der Revolution kam es im ägyptischen Kunstdiskurs zu Diskussionen, wie die politischen Ereignisse in der Kunst adäquat ausgedrückt werden können, ohne nur wörtlich bzw. rein beschreibend oder gar reaktionär zu wirken. Daran schloss auch die Frage nach der generellen Rolle der Kunst innerhalb des Kontextes der politischen Umschwünge an. Während man die neuen Kunstbewegungen im urbanen Raum als eines der wesentlichen Mittel der aktiven Partizipation am politischen Widerstand betrachtete, wurden die für Ausstellungsräume konzipierten Kunstwerke als Mittel der kritischen Reflexion im Sinne einer künstlerischen Metaebene definiert, auch da diese Konzeptionen oftmals die Bilder der Revolution – wie Fotografien und Footages aus der Presse, dem Fernsehen und dem Internet oder visuelle Zeichen der Graffiti-Kunst und der Street-ArtBewegung – aufgriffen und künstlerisch transformierten. Diese künstlerischen Reflexionen erfolgten somit aus einer distanzierten Perspektive, die wiederrum eine direkte politische Partizipation der Künstler nicht ausschloss. Oftmals tauchten in den Kunstwerken ähnliche visuelle Sujets, Strukturen und Ikonografien auf, die jedoch unterschiedlich dargestellt und reflektiert werden konnten. Ein dabei stets wiederkehrendes Motiv war die künstlerische Appropriation und Transformation von Pressefotografien, die – wie anhand des künstlerischen Œuvres von Nermine Hammam (*1967) gezeigt werden kann – oftmals über einen ornamentalen Gestus kritisch reflektiert wurden. In ihrer Werkserie Unfolding von 2012 tritt das Ornament als zentrale Bildstruktur in den Vordergrund der Arbeiten, womit eines der wesentlichen Charakteristika klassischer Ornamente – die Funktion schmückender Opazität – betont wird. Die Arbeiten zeigen Fotografien von gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Protestierenden und dem ägyptischen Sicherheitsapparat, welche mit floralen und vegetabilen Mustern japanischer Tuschemalerei aus vergangenen Jahrhunderten digital überblendet sind. Auf Reispapier gedruckt erinnern sie durch ihre zarte Farbgebung und Gestaltung an traditionelle Miniaturmalerei. Die Arbeit Codes of my Kin (Abbildung 7) repräsentiert beispielsweise eine Fotografie der Nachrichtenagentur Reuters, die eine gewaltsame Verhaftung einer Protestierenden durch ägyptische Armeesoldaten während Auseinandersetzungen auf dem Tahrir-Platz am 17. Dezember 2011 zeigt. In der grausamen Szene haben zwei Soldaten der am Boden liegenden Frau die Kleidung vom Leib gerissen, sodass ihr blaufarbiger BH entblößt wird, während ein dritter Soldat das Bein angehoben hat, um ihr gezielt in den Torso zu treten. Dieses Bild der Women of the Blue Bra zirkulierte sofort weltweit in sämtlichen Nachrich-
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tenmedien und sozialen Netzwerken des Internets. Protestierende übertrugen das Motiv auf Protestbanner oder als gesprayte Graffiti und gemalte Wandbilder auf die Mauern der Stadt, um ihre Solidarität auszudrücken. Durch diese mediale Verbreitung entwickelte die Szene der Frau im blauen BH „eine eigene ikonische Existenz, eine sofort identifizierbare bildliche Gestalt, aber auch eine abstrakte, zeichenhafte Qualität.“27 Abbildung 7: Nermine Hammam, Codes of my Kin (aus der Unfolding-Serie), 2012. Digitale Fotografie auf Hahnemühle Reispapier, 25 x 53 cm, Rose Issa Projects, London.
Quelle: Ausst.-Kat. Nermine Hammam. Cairo Year One. 2012. Omar Al-Qattan (Hg.). The Mosaic Rooms, London, S. 38-39.
Auf dieses ikonische Bild legt Hammam eine fotografische Abbildung einer floralen Malerei der japanischen Rimpa-Schule aus dem neunzehnten Jahrhundert. Die vegetabilen, ornamenthaften Strukturen überdecken die gewaltsame Szene beinahe vollständig, sodass nur noch die Frau im blauen BH, zwei daneben stehende Soldaten sowie der im Zutreten inbegriffene Soldat zu sehen sind, wobei sich dessen Beine hinter dunkelgrünen Blattranken verbergen. Die äußerst gewaltsame Darstellung wird damit erst auf den zweiten Blick erkennbar, vordergründig wirkt die Arbeit in ornamentalen Strukturen ruhend und kontemplativ. Wie im Titel der Serie angedeutet, entfaltet sich das Erkennen der Brutalität des Dargestellten erst sukzessive bei längerer Betrachtung, während die Textur des Ornaments die Gewalt zunächst verbirgt.
27
Ebner und Wicke, in: Ausst.-Kat. Kairo. Offene Stadt 2013, S. 50.
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Die durch die digitale Überblendung evozierte strukturelle Mehrschichtigkeit lässt dabei unterschiedliche Lesarten zu. Zum einen wirkt die Arbeit wie ein sarkastisch-kritischer Kommentar gegenüber der anfänglich euphemistischen Haltung der Öffentlichkeit bezüglich der ägyptischen Revolution und der darin verorteten Rolle des Militärs. Gewaltsame Übergriffe der ägyptischen Sicherheitskräfte und Soldaten an friedlichen Protestierenden – wie beispielsweise das sogenannte Maspero-Massaker im Oktober 2011 – wurden generell nur mangelhaft juristisch aufgearbeitet. Zugleich verweist Hammam über die ornamentale Verhüllung auf die Absurdität der Ereignisse während der Revolution, die sich in der Simultanität von gewaltvollen Straßenkämpfen und dem alltäglichen Leben, das in den anliegenden Straßen weiterhin wie gewohnt zirkulierte, ausdrückte. Ebenso reflektiert sie die Auswirkungen der medialen Zirkulation von Bildern der Gewalt, wie sie selbst anführt: „When [people] die on camera, their death is distorted in the endless loop of infotainment. […] Images on repeat build up our emotional immunity, a shell that threatens to cut us off from our humanity, our capacity for empathy. […] Japanese screens allowed me to play around with these uneasy feelings. […] The aesthetic distance they provided, that of Japanese good manners and taste, allowed me to gaze at the minute horrors of military rule without feeling robbed of my humanity.“28
Die ornamentalen Strukturen begegnen damit der ambivalenten Wirkung von Gewalt darstellenden Fotografien, die zwischen Abstumpfung und Aufrütteln oszilliert.29 Über das Ornament wird eine gewisse Distanzierung geschaffen, wie Hammam betont, „a fictitious space close enough that I cared to look at it, and far enough away that I didn’t have to be moved by it.“30 Die Transformation einer dokumentarischen Nachrichtenfotografie in eine künstlerische Konzeption reflektiert auch die generelle Kunstproduktion in Ägypten nach der Revolution und die Frage der künstlerischen Behandlung der Ereignisse zwischen dokumentarischem Objekt und ästhetischem Kunstwerk. Auf selbstreflexive Weise wird damit der Status der eigenen Arbeit hinterfragt, „that renders suffering into a pleasurable aesthetic product of consumption and trade.“31
28
Hammam, in: Ausst.-Kat. Nermine Hammam. Cairo Year One 2012, S. 26.
29
Siehe hierzu Sontag 2008. Sontag revidiert hierbei anhand des Mediums der Kriegsfotografie ihre These, dass die heutige Bilderflut den Menschen abstumpfe, sondern ihn vielmehr zur Intervention auffordere.
30
Hammam, in: Ausst.-Kat. Nermine Hammam. Cairo Year One 2012, S. 26.
31
Ebd., S. 28.
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Der manipulative Versuch einer Synthese transkultureller Sujets und Prinzipien über die Verknüpfung mit scheinbar konträren Konzepten einer anderen Kultur, wie sie durch das Anverwandeln japanischer Tuschemalerei ausgedrückt wird, dient Hammam zunächst der Distanzierung gegenüber den aufwühlenden Ereignissen vor Ort. Über diesen „breathing room“32 fordert sie den Betrachter dazu auf, seine eigene Perspektive zu reflektieren und mögliche Verbindungslinien zwischen den einzelnen Schichten der Arbeit zu ziehen. Bei der Erstellung der fotografischen Werke ist das jeweils schriftlich von der Künstlerin verfasste Konzept von wesentlicher Bedeutung für das Verständnis der Arbeit. Diese theoretische Auseinandersetzung mit dem eigenen Werk fertigt Hammam allerdings erst in einem sekundären Arbeitsschritt, nachdem sie die manipulatorischen Eingriffe, Transformationen und Verbindungen der Fotografien, die sie entweder selbst anfertigt oder unterschiedlichen Quellen entnimmt, bereits abgeschlossen hat.33 Der jeweilige Text soll den Betrachter in möglichen Interpretationswegen anleiten, ohne eindeutig Stellung zu beziehen. Potentielle Gegensätze und Ambiguitäten in der Verbindung und Transformation der Sujets dienen als Momente der Störung und Irritation dem Überdenken eindeutiger Interpretationen in vorgefassten Mustern. Gerade in der Ambivalenz der unterschiedlichen Leseweisen findet die Widersprüchlichkeit der politischen Ereignisse in Ägypten ihren künstlerischen Ausdruck.
32
Hammam, in: Ausst.-Kat. Nermine Hammam. Cairo Year One 2012, S. 26.
33
Nermine Hammam: Interview in Kairo vom 02.01.2014.
Teil II Ambivalenz und Widerstand: Zeitgenössische Künstlerpositionen aus Ägypten
Kapitel 6 Ornament und Abstraktion: Reflexive Transformationen traditioneller Formen
6.1 S USAN H EFUNA – M USTER DER P ERFORMANZ IN K ONZEPTION UND R EZEPTION Prozessualität als generierende Bedeutungskonstitution in Zeichnung und Performance Abstrakte Strukturen bilden die zentrale Thematik im künstlerischen Œuvre von Susan Hefuna (*1962), das sich transmedial über Zeichnungen, skulpturale und fotografische Arbeiten sowie Video- und Objektinstallationen erstreckt und sich in jüngeren Werken auch auf Performance-Konzepte ausweitet. Während die verschiedenen Medien bestimmte Perioden ihres künstlerischen Schaffens markieren, bilden die Zeichnungen eine grundlegende Konstante ihrer Arbeit, die sich als eigenständiges Werkkorpus ihres Œuvres in unterschiedlichen, jeweils transformierten Serien erstrecken, wie Hefuna selbst betont: „Die Zeichnungen fertige ich stets an, parallel zu meinen anderen Arbeiten für ein paar Monate im Jahr.“1 Trotz ihrer Varianz ähneln sich die Zeichnungen in ihrer strukturalen Form. Chromatisch einheitlich gehalten – zumeist mit Tusche, Aquarell oder Bleistift gefertigt – bilden sie ein netzartiges Konglomerat von mit unterschiedlich dicken Linien miteinander verbundenen Punkten. Für die nähere Betrachtung und semiotische Analyse der Strukturen wird eine der unbenannten Zeichnungen aus der Drawings-Serie von 2009 herangezogen (Abbildung 8). Die Zeichnung besteht zunächst aus zwei elementaren
1
Susan Hefuna: Interview in Düsseldorf vom 06.11.2012.
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Ausdrucksebenen: Der ersten, zugrundeliegenden Zeichnung und einem aufgelegten Transparentpapier, welches wiederrum eine Zeichnung abbildet. Beide Ebenen präsentieren in Tusche gehaltene Konstellationen aus angeordneten Punkten, die über Linien miteinander verbunden sind. Durch die doppelte Schicht der Zeichnung kann das Formenmuster in einen vorderen und einen hinteren Teil gegliedert werden. Die Hintergrundzeichnung bildet in unterschiedlichen Abständen miteinander verknüpfte Punkte, wobei differenzierte Konstellationen entstehen, die zum einen hin zu netzartigen Strukturen tendieren, zum anderen fadenförmige Linienkonstruktionen bilden. Dabei gliedert sich die Dichte der aufgetragenen Formkonstellationen in dünne, filigrane sowie in breitere, chromatisch dunklere Punkt-Linienführungen auf. Abbildung 8: Susan Hefuna, ohne Titel (aus der Drawings Serie), 2009. Tusche auf Transparentpapier, 50 x 3,5 x 62,5 cm.
Quelle: Von Susan Hefuna zur Verfügung gestellt. © Susan Hefuna
Die Zeichnung des darüber liegenden Transparentpapiers verfügt über eine ähnlich strukturierende Logik, wobei die Punkt-Linienführung ausschließlich der chromatisch dunkleren Version folgt. Eine dichtere Vernetzung der Knotenpunkte im oberen und unteren Teil der Zeichnung wird über vier vertikal verlaufende
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lineare Punkt-Linienführungen miteinander verbunden. Durch die schwarze Farbgebung treten die Formkonstellationen in einen starken Tonalitätskontrast mit dem weißen Hintergrund, der jedoch über die mattierende Wirkung des Transparentpapiers bei der Hintergrundzeichnung abgeschwächt wird. Diese strukturelle Mehrschichtigkeit der Arbeit hat einen scheinbar tiefenräumlichen Wahrnehmungseffekt zur Folge. Nimmt man die syntagmatischen Bezüge der Ausdruckseinheiten, d.h. die spezifischen Anordnungen und Verbindungen der einzelnen netzartigen Formkonstellationen in den Blick, lassen sich zwei unterschiedliche Lesarten voneinander differenzieren. Einerseits können die Strukturen als organische, fließende Formen gedeutet werden, andererseits ist indes ebenso die formale Zuschreibung als geometrische, statische Elemente möglich. Diese scheinbar gegensätzlichen thematischen Konzepte des Organisch-Fließenden und des Geometrisch-Statischen ermöglichen zwei übergeordnete figurative Bedeutungszuschreibungen. Die Konstellationen sind sowohl als organisch gewachsene Lineatur und damit als abstrahierte Darstellung molekularer Grundstrukturen als auch – und dies insbesondere über die durch das aufgelegte Transparentpapier evozierte Raumillusion – als Abstrahierung architektonischer Formen lesbar. Die doppelt semantische Bedeutungskonstitution kann in den einzelnen Zeichnungen jeweils in die eine oder andere Richtung tendieren, je nachdem wie die strukturellen Formkonstellationen der Punkt-Linienführungen angeordnet sind und welche Assoziationen die Titel der einzelnen Serien wie Building, Cityscape oder Structure hervorrufen. In der zur Analyse exemplarisch herangezogenen Zeichnung weist die Zuschreibung beispielsweise eher auf die architektonische figurative Bedeutungsdimension, da die vier vertikal angeordneten Punkt-Linienführungen die Vorstellung eines Fensterrahmens suggerieren. Die jeweilige Deutung wird jedoch durch die Unregelmäßigkeit und Asymmetrie der Formstrukturen verunsichert, womit die potentielle Leseweise im temporalen Moment der versuchten Aneignung und Interpretation stets oszilliert, ohne dass eine Sichtweise eindeutig festgehalten werden kann. Die Thematik des Prozesshaften ist somit im Nachvollziehen der Linien und Punkte von wesentlicher Relevanz für die generierende Bedeutungskonstitution der Arbeit, wobei die Lesart der netzartigen Struktur zwischen den zwei gegensätzlichen Konzepten – dem Organisch-Fließenden und dem Geometrisch-Statischen – wechselt. Im Sinne der kunstsemiotischen Deutung kann man von einer doppelten Isotopie sprechen, wobei der Begriff der Isotopie verwendet wird, um einen „durch die Wiederholung semantischer Merkmale gebildeten Kohärenzeffekt des [Bild-]
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Textes“2 zu bezeichnen. Hierbei sind die bedeutungskonstitutiven Elemente – die Punkt-Linienführungen – für beide Lesarten dieselben, tendieren jedoch in den jeweiligen Zeichnungen in die eine oder andere Richtung, ohne eine endgültige Zuschreibung zuzulassen. Die Ambiguität der Arbeit, die für die weitere Interpretation und kontextuelle Verortung des Œuvres Hefunas wesentlich ist, kann somit bereits auf der strukturellen Ebene der Zeichnung über die semiotische Herausarbeitung der syntagmatischen Bezüge der Ausdruckseinheiten nachgewiesen werden. Aspekte des Temporalen und der Prozessualität spielen nicht nur in der Rezeption, sondern ebenso im Moment der künstlerischen Konzeption eine essentielle Rolle. Das Zeichnen kommt bei Hefuna einer meditativen Übung gleich. Erst wenn sie sich selbst ganz zurücknimmt, von äußeren Einflüssen abschirmt und eine Atmosphäre der Ruhe schafft, ist es ihr möglich zu zeichnen, da diese künstlerische Tätigkeit ein äußerstes Maß an Konzentration von ihr abverlangt, „um zugleich loszulassen und auf den Punkt zu arbeiten.“3 Zunächst fertigt sie eine Zeichnung an und überdeckt diese anschließend mit einem Transparentpapier, worauf sie weitere Linien und Punkte zeichnet, die in eine Verbindung, einen Dialog mit den darunterliegenden Strukturen treten. Dabei betont Hefuna die Autonomie der einzelnen Zeichnungen: „When one layer of a drawing is finished it is complete and could actually stand-alone but there is always an interaction with the next layer.“4 Die hohe Konzentration ist nicht zuletzt dadurch bedingt, dass Hefuna keine Vorstudien oder Skizzen anfertigt sowie keine Zeichnung im Nachhinein wegwirft. Dem Prozess des Zeichnens als künstlerischem Akt kommt hierbei selbst eine bedeutungskonstituierende Funktion zu. Nachdem Hefuna den nötigen Raum für die Arbeit an den Zeichnungen geschaffen hat, vergeht einige Zeit bevor sie mit dem eigentlichen künstlerischen Schaffensprozess beginnt. Bezüglich der Bedeutung dieses vorbereitenden Moments konstatiert die Künstlerin: „The invisible preparation time is very important for me – thinking about drawing, without thinking of a specific shape. When I start, I follow the dots and lines without knowing how the drawing will look in the end.“5
2
Thürlemann 1990, S. 43.
3
Susan Hefuna: Interview in Düsseldorf vom 06.11.2012.
4
Hefuna, zitiert nach Obrist (Hg.) 2009, S. 159.
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Ebd., S. 157.
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Erst im Moment des eigentlichen Zeichnens entstehen die spezifischen Formkonstellationen, Knotenpunkte und Linienführungen der einzelnen Arbeiten. Die Zeichnung ist deshalb in ihrer jeweiligen Gestalt nicht wiederholbar. Die Repetition in der Fertigung einer weiteren Zeichnung birgt immer den Moment einer Differenz, eine Variation und Transformation der Formkonstellationen und Punkt-Linienführungen. Dieses Strukturprinzip der Zeichnung überträgt Hefuna auch auf ihre Performance-Arbeiten, wobei das Prinzip des Temporalen und Vorläufigen noch stärker hervortritt. Gemeinsam mit dem Tänzer und Choreografen Luca Veggetti arbeitete Hefuna seit 2011 an einer performativen Transformation ihrer Zeichnungen, die 2013 unter dem Titel NOTATIONOTATIONS am Drawing Center in New York aufgeführt wurde. In der Performance zeichnen Tänzer in ihren Bewegungen die zuvor von Hefuna mit Kreide am Boden aufgetragenen Strukturen aus Punkten und Linien nach, bis die Zeichnung über die Berührung sukzessive verwischt und immaterialisiert wird. Die gezeichneten Linien werden über die Tänzer aufgeführt und in dieser künstlerischen Handlung zugleich ausgelöscht. Bewegung und Zeichnung begegnen sich im Moment der Spur ihrer Temporalität. Brett Littman und Joanna Kleinberg Romanow betonen dabei den Aspekt der prozessualen Linearität als Überschneidungspunkt beider künstlerischen Ausdrücke: „[…] if a line is the trace of a point in motion, then the human body moving through space is also a drawing inserted into the four-dimensional space of the observed world.“6 Das zuvor aufgetragene Werk wird im Prozess des Tanzes ausradiert, doch gerade dieser Moment der Bewegung macht den prozessualen Gehalt der Zeichnung nochmals sichtbar.7 Der zeichnerische Gestus wird performativ verkörpert und dadurch zugleich transformiert. Dabei unterscheidet sich die Performance jedes Mal in ihrer Ausführung – vorgegeben von der Varianz der jeweils von Hefuna am Boden aufgetragenen Zeichnung. Während eine Videoinstallation Hefuna bei der vorherigen Fertigung der Bodenzeichnung zeigt, beginnen die Tänzer die filigranen PunktLinienführungen der Künstlerin in ihre Bewegungen zu übersetzen und zu dokumentieren. In einer ambivalenten Figuration zwischen Abwesenheit und Präsenz verschwinden die materiellen Strukturen der Zeichnung wie sie gleichsam in den immateriellen Bewegungen der Tänzer aufgehen. Im Moment des Tanzes wird das Publikum selbst Teil der Performance, da keine strikte Trennung zwischen Aufführungs- und Zuschauerraum festgelegt ist und die teilweise auf den
6
Littman und Kleinberg Romanow, in: Ausst.-Kat. Susan Hefuna and Luca Veggetti: NOTATIONOTATIONS 2013, S. 17.
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Susan Hefuna: Telefoninterview vom 27.05.2014.
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Kreidespuren der Zeichnung stehenden Zuschauer als potentielle Momente des Zufalls in die Konzeption mit einbezogen sind. Das künstlerische Werk wird zu einem „Ereignis“8, in das die Zuschauer als Akteure unmittelbar involviert sind. So evoziert die Prozesshaftigkeit und potentielle Offenheit der Performance eine Verschiebung der Positionen von Werk und Betrachter, Konzeption und Rezeption, die eine eindeutige Zuschreibung unterwandert. Das Potential performativer Aufführungen, „dichotomische Begriffsbildungen zu destabilisieren, ja zum Kollabieren zu bringen“9 wurde bereits von Erika Fischer-Lichte in ihrer Formulierung einer Ästhetik des Performativen (2004) angeführt. Die künstlerische Arbeit muss hier als Prozess verstanden werden, der das oszillierende Verhältnis von Werk bzw. Ereignis und Betrachter bzw. Zuschauer in den Fokus der konzeptuellen Aushandlung rückt. NOTATIONOTATIONS öffnet und schließt mit der Präsentation der Videoinstallation NYC Crossroads (Abbildung 9) von 2011, die über eine fest installierte, erhöhte Kameraperspektive das Geschehen auf einer New Yorker Straßenkreuzung dokumentiert – welche bei den verschiedenen PerformanceAufführungen jeweils in ihrem Standort in der Stadt variiert – und in dieser distanzierten Beobachterposition die Bewegungen und Notationen der querenden Passanten und Fahrzeuge einer einstudierten und verinnerlichten Choreografie gleich zeigen. Abbildung 9: Susan Hefuna, NYC Crossroads (Video-Still), 2011. Digitales Video, 80:00 min.
Quelle: Von Susan Hefuna zur Verfügung gestellt. © Susan Hefuna
8
Fischer-Lichte 2004, S. 21.
9
Ebd., S. 34.
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Die Installation ähnelt in ihrer Konzeption den vorhergehenden Video-Arbeiten Hefunas, die an verschiedenen geografischen Orten die Thematik der Kreuzung künstlerisch visualisieren. Beispielsweise zeigt die Videoarbeit Life in the Delta 1423/2002 bei einer Dauer von 100 Minuten in einer stets gleichen, auf einem Dach fest installierten Kameraperspektive das Geschehen auf einer Straße in einem ägyptischen Dorf – ohne Schnitt, Kameraschwenk oder Fokus. Menschen treten im Kameraausschnitt auf, treffen aufeinander, scheinen sich zu unterhalten oder etwas zu arbeiten, um dann wieder aus dem Bildfeld zu verschwinden. Ebenso passieren verschiedene Fahrzeuge sowie Pferde- und Eselskarren das Feld der Kameraperspektive. Einen konkreten Handlungsstrang kann der Betrachter nicht erkennen, vielmehr scheint die Arbeit das alltägliche Geschehen eines ägyptischen Dorfes zu portraitieren, wobei die Performanzen der handelnden Akteure auf der Straßenkreuzung einer spezifischen Struktur zu folgen scheinen, wie von Berthold Schmitt formuliert: „Die Straßenkreuzung ist ein Ort, an dem Menschen, Tiere und Fahrzeuge in nicht vorhersehbaren Rhythmen aus unterschiedlichen Richtungen zusammen kommen, in wechselnden Konstellationen aufeinander treffen und wieder auseinander geführt werden.“10 Zuletzt schreitet die Künstlerin selbst in die Szenerie des Bildausschnitts und interagiert mit den dortigen Personen. Ebenso tritt Hefuna in ihrer zweistündigen Video-Arbeit Via Fenestra/ Frankfurt von 2006 auf. Die Kamera ist in dieser Arbeit an einem erhöhten Fenster angebracht und gibt in ihrer starren Perspektivierung den Blick auf einen Platz vor der Marienkirche in Frankfurt/Oder frei. Ist Hefuna in Life in the Delta nur kurz und am Ende der Arbeit zu sehen, so bleibt sie in Via Fenestra auf einem Stuhl sitzend permanent im Bild. Passanten treten auf, scheinen die Künstlerin zu beobachten und verlassen den Ausschnitt der Kameraeinstellung wieder. Ebenso lenken Fahrzeuge an ihr vorbei, ohne dass Hefuna von ihrem Stuhl in der Mitte des Platzes abrückt. Die Video-Arbeiten NYC Crossroads, Life in the Delta und Via Fenestra ähneln sich in ihrer künstlerischer Konzeption und der Generierung eines distanzierten, statischen Beobachterblicks, dennoch unterscheiden sie sich neben den konkreten geografischen Orten der Darstellung auch in den Reaktionen der darin agierenden Passanten. So betont Hefuna beispielsweise in Bezug auf Via Fenestra: „For the people walking around there, the fact was that someone was sitting on a chair, like a foreign body. […] That is not the same as in Egypt – there it’s normal for somebody to sit on the street.“11 Die Prozesse in den Straßen und
10
Schmitt, in: Ausst.-Kat. Susan Hefuna – xcultural codes 2004, S. 58.
11
Hefuna, zitiert nach Obrist (Hg.) 2008, S. 19.
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Kreuzungen gleichen einer Choreografie, sie geben die täglichen Bewegungen von Akteuren wieder, die sich gegenseitig beeinflussen, ohne davon zu wissen. Dieser Aspekt des Zufalls wird im künstlerischen Konzept von Hefuna bewusst eingesetzt, um eine jeweils strukturelle Kohärenz aufzuzeigen.12 Die Arbeiten halten die unterschiedlichen Bewegungen, die variierenden Notationen der Passanten fest und zeigen darin ihr verbindendes Element – „a literal mapping of people and place that examines movement as something that is both rehearsed and habitual.“13 So scheinen sich die netzartigen Strukturen der Zeichnungen, deren performative Transformation im Tanz sowie die Thematik der Kreuzung in den VideoArbeiten im verbindenden Aspekt des Mappings, des Kartographierens von Bewegungen zu treffen. Kartographie ist hierbei nicht als repräsentierende, schematische Darstellung, sondern im Sinne von Gilles Deleuze und Félix Guattari „als ‚Welt‘ konstituierende“14 Form zu denken. Ähnliche Strategien der Vernetzung, des Verbindens und Beobachtens produzieren unterschiedliche Ergebnisse, denn nach Deleuze und Guattari ist in der Wiederholung immer der Moment der Differenz eingeschrieben.15 Zeichnung, Performance und Video-Arbeit sind in ihrer jeweiligen Gestalt nicht wiederholbar und zeichnen sich trotz ihrer oftmals formalen Ähnlichkeit durch eine strukturelle Varianz aus. Über ihre meditative Konzeption verlangen die Arbeiten dem Betrachter ein genaues Hinsehen ab – sei es in den Zeichnungen aufgrund der Unentscheidbarkeit einer eindeutigen Zuschreibung oder in den Videoarbeiten durch die potentielle Verunsicherung darüber, welcher geografische Ort jeweils gezeigt wird. Diese künstlerische Unterwanderung eindeutiger Setzungen und die Betonung des Oszillierenden, Temporalen im künstlerischen Werk spielt nicht nur in Zeichnung, Performance und Video, sondern insbesondere im fotografischen und skulpturalen Œuvre Hefunas eine essentielle Rolle. Knowledge is Sweeter than Honey – Das Spiel mit dem Betrachterblick als transkulturelle Überschreitung Aufgrund des biografischen Kontextes Hefunas – als Kind einer deutschen Mutter und eines ägyptischen Vaters verbrachte sie ihre frühe Kindheit im ländlichen
12 13
Susan Hefuna: Telefoninterview vom 27.05.2014. Littman und Kleinberg Romanow, in: Ausst.-Kat. Susan Hefuna and Luca Veggetti: NOTATIONOTATIONS 2013, S. 18.
14
Picker, in: Dies., Maleval und Gabaude (Hg.) 2013, S. 10.
15
Vgl. Heyer 2001, S. 61.
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Nildelta – wurde die architektonische Lesart der Zeichnungen in der Kunstkritik oftmals soziokulturell gedeutet. So schreibt beispielsweise Juliet Cestar: „Hefuna is attracted to the abstract form of structures, both organic structures such as molecules, DNA or modules, and architectural structures such as cityscapes and mashrabiyas.“16 Die Konnotationen zu Maschrabiyyas, den traditionellen islamischen Holzgittern, die als Fenster einen Blick nach außen, jedoch nicht nach innen erlauben und die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum markieren, führt Alex Greenberger noch weiter aus: „[…] her drawings of grids, delicate compositions that seem to recall the formal experiments of the Minimalists but gradually reveal themselves to be filled with riveting content – in particular, a commentary on the position of women in Middle Eastern culture.“17
Einer solchen kategorialen Einordnung widersetzen sich die Arbeiten Hefunas jedoch über ihre potentielle Vielschichtigkeit, die den Versuch einer eindeutigen, oftmals auf dichotomen Vorstellungen basierenden Leserichtung strategisch unterminiert. Hierfür setzt Hefuna in ihrer künstlerischen Konzeption indes gerade bei diesen binären Setzungen an und verweist auf „Codes und Symbole, die bereits enorm mit spezifischen kulturellen Assoziationen beladen sind.“18 Denn ist die Referenz auf traditionelle Maschrabiyya-Gitter in Hefunas Zeichnungen lediglich auf abstrakt-subjektiver Ebene zu erkennen, so bezieht sie sich in den Medien der Fotografie und Skulptur explizit auf diesen architekturhistorischen Kontext, der in der euroamerikanischen Kunstgeschichte oftmals als Sinnbild für orientalistische Stil- und Wertevorstellungen herangezogen wurde. Bereits in ihren frühen fotografischen Arbeiten nimmt Hefuna Bezug auf das Motiv der Maschrabiyya, die sie über unterschiedliche manipulatorische Eingriffe abstrahiert. Die grafisch-flächigen Arbeiten sind mit einer alten Lochkamera aufgenommen, sodass sich die Fotografien durch eine weiche Körnung und leichte Unschärfe auszeichnen. Hefuna entwickelt diese auf der Straße und verwendet dabei alte, oftmals unsaubere Entwicklungslösungen: „I used the street quasi as a tool […] and also the dirt in the streets, the imperfection and so on. And the sunlight, it always depends on the angle of the sun how everything develops.“19 Durch diese technischen Manipulationen wirken die Arbeiten in ihrer Ästhetik auf den ersten Blick wie authentisch-historische Fotografien, ähnlich
16
Cestar, in: Nafas Art Magazine 2008.
17
Greenberger, in: Artspace vom 17.09.2013.
18
Biggs, in: Ausst.-Kat. Susan Hefuna – xcultural codes 2004, S. 91.
19
Hefuna, zitiert nach Obrist (Hg.) 2008, S. 15.
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den Kairoer Aufnahmen der Fotografen Lehnert und Landrock zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. So zeigen etwa die Arbeiten der Serie 4 Women 4 Views von 2001 (Abbildung 10) kunstvoll geschnitzte Maschrabiyya-Gitter, vor denen eine Frau mit offenem Haar in starrer Pose sitzend abgebildet ist. Abbildung 10: Susan Hefuna, ohne Titel (aus der Serie 4 Women – 4 Views), 2001. C-Print befestigt hinter Plexiglas, 140 x 200 cm.
Quelle: Von Susan Hefuna zur Verfügung gestellt. © Susan Hefuna
Traditionelle Maschrabiyya-Fenster dienen über ihre filigran gefertigten und einzeln in ornamentale Formkonstellationen gesteckten Holzelemente vornehmlich der Zirkulation von Luft sowie der Brechung von Licht, um das Innere privater Räumlichkeiten zu kühlen. Gleichzeitig erlauben die Holzstrukturen den Blick nach außen, ohne von dort gesehen zu werden. Als „architektonisches und soziokulturelles Relikt“20 stehen Maschrabiyya oftmals symbolisch für eine traditionell-islamische Gesellschaft, die ihren weiblichen Mitgliedern den privaten Raum hinter den Holzgitterfenstern zuweist. Wie Negar Azimi konstatiert, wird in dieser Lesart „Abgeschiedenheit mit Ausgeschlossenheit gleichgesetzt.“21
20
Azimi, in: Ausst.-Kat. Susan Hefuna – xcultural codes 2004, S. 115.
21
Ebd.
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Über diese Bedeutungsbezüge kann die Fotografie Hefunas somit durchaus im Sinne Greenbergers als ein Kommentar zur Stellung der Frau im Mittleren Osten interpretiert werden. Nimmt man jedoch den kontextuellen Entstehungszusammenhang in den Blick, widersetzt sich die Arbeit einer eindeutigen Interpretation. Die Illusion einer historischen Aufnahme wird dahingehend gebrochen, dass die in der Fotografie repräsentierte Frau die Künstlerin selbst in ihrer gegenwärtigen Gestalt darstellt. Des Weiteren entstammen die abgebildeten Maschrabiyya-Gitter nicht dem urbanen, sondern vielmehr dem musealen Kontext Kairos, dem sogenannten Beit al-Kritliyya oder auch Gayer-Anderson Haus. Das heutige Museumsgebäude kann in seiner Architektur als traditionelles Privathaus ins siebzehnte Jahrhundert zurückgeführt werden, war Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts jedoch die Residenz eines britischen Orientalisten, Gayer Anderson, der die Restauration überwachte, seine eigene Kunsthandwerkssammlung in die Räumlichkeiten einbrachte und das Gebäude somit nach seinen Vorstellungen einrichtete.22 Durch die über diesen Kontext evozierte semantische Mehrdeutigkeit entziehen sich die fotografischen Arbeiten ihrem vordergründig authentischtraditionellen Postulat und reflektieren zugleich eindeutige oder gar stereotype, dem Orientalismus entstammende Identitätskonstruktionen. So waren auch die fotografischen Darstellungen der ägyptischen Bevölkerung von Lehnert und Landrock inszeniert und somit nach orientalistischen Auffassungen konstruiert worden.23 Zugleich trugen die Aufnahmen als Postkartenmotive jedoch wesentlich zur europäischen Vorstellung eines authentischen, ‚realen‘ Ägyptens bei. Die Offenlegung und Dekonstruktion der illusorischen Motive der beiden Fotografen bezieht Hefuna explizit in ihre Arbeiten mit ein: „I wanted to deconstruct these posed images of women and scenes of Egypt because Lehnert and Landrock only show clichés – they don’t show real life.“24 Über ihre eigene Konstruiertheit und Inszenierung dekuvrieren die fotografischen Arbeiten diese illusorische Wirkung einer scheinbaren Objektivität. Hinsichtlich ihrer Strategie der künstlerischen Manipulation und Reflexion betont Hefuna: „I used this purposely to deceive the observer. I have […] taken such photos of myself, in the museum, where the Mashrabiyas are – and most people who see them think that
22 23
Einen Überblick über das Gayer-Anderson-Museum bietet Warner 2003. Zur Problematik orientalistischer Fotografien siehe Behdad, in: Ders. und Gartlan (Hg.) 2013, S. 11-32. Einen Überblick zu den fotografischen Arbeiten von Lehnert und Landrock in Ägypten bietet der Bildband von Weiss, Lehnert und Landrock 2004.
24
Hefuna, zitiert nach Greenberger, in: Artspace vom 17.09.2013.
168 | M USTER DER A MBIVALENZ they’re some authentic old photos. […] For starters, no women sit behind Mashrabiya screens anymore and secondly, it’s a museum.“25
Mit der konkreten Repräsentation der Maschrabiyya-Gitter in ihren skulpturalen Werken beschäftigt sich Hefuna seit 2004. Hierfür arbeitet sie eng mit Kairoer Holzdrechslern zusammen, die das traditionelle Handwerk der Fertigung von Maschrabiyya noch beherrschen. Den Arbeitern liefert Hefuna detaillierte Zeichnungen im 1:1 Maßstab, nach deren Vorgaben sie Holzgitterfenster anfertigen. Jedes Element wird dabei einzeln von Hand gedrechselt und dann in einem weiteren Arbeitsschritt zusammengesteckt. Dabei kalkuliert sie potentielle Fehler und Unregelmäßigkeiten der Handarbeit als bewusste Momente des Zufalls in die künstlerische Konzeption mit ein.26 Auf den ersten Blick wirken die fertigen Maschrabiyya-Gitter wie antike Kunstwerke, offenbaren jedoch durch spezifische künstlerische Eingriffe ihre zeitgenössische Gestalt, da die Maschrabiyya-Skulpturen Hefunas im Gegensatz zu den traditionellen Pendants keine rein abstrakten Gebilde darstellen. So sind in die hölzernen, mit Tusche geschwärzten Elemente Wörter und kurze Sätze eingebracht, die jedoch – wenn sie etwa arabische Buchstaben wiedergeben und der Betrachter des Arabischen nicht mächtig ist – äußerst abstrakt wirken können. Die Textfragmente beinhalten oftmals einzelne Wörter wie das arabische ana (dt. ich), referieren aber auch auf Sprichwörter und Weisheiten sowie auf Liedzeilen der legendären ägyptischen Sängerin Umm Kulthum (1904-1975), die im kulturellen Gedächtnis Ägyptens fest verankert sind. Beispielsweise verbindet Hefuna in der Arbeit Knowledge is Sweeter than Honey von 2007 (Abbildung 11) arabische und lateinische Schrift. Die nahezu quadratförmige Holzarbeit ist in vierzehn Sequenzen untergliedert, die sich über verschiedene Holzstreben als eigenständige Bildeinheiten in horizontal angeordneten, unsymmetrischen Reihen voneinander differenzieren. Die in schwarzer Tusche gehaltenen Holzelemente formen traditionelle Maschrabiyya-Strukturen nach, die durch die symmetrische Formation der einzelnen Teilstücke Rosettenformen islamischer Ornamentik zitieren.27 Des Weiteren enthalten fünf in ihrer Größe hervortretende Sequenzen die Schriftfolge Knowledge Sweeter Than Honey in Kapitelbuchstaben, wobei das Wort Knowledge in einer doppelten Sequenz über zwei horizontale Reihen hinweg verläuft. Unter den Sequenzen von Knowl und Honey befindet sich jeweils der arabische Schriftzug ʿasal (dt. Ho-
25
Hefuna, zitiert nach Obrist (Hg.) 2008, S. 16.
26
Vgl. Hefuna, zitiert nach Obrist (Hg.) 2009, S. 161.
27
Vgl. Critchlow [1976] 1992, S. 20-21.
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nig). Zudem ist in der linken Sequenz der untersten Reihe das Entstehungsdatum der Arbeit, 2007, abgebildet. In einer weiteren Maschrabiyya-Arbeit mit dem Titel Not for Sale – Enta Omri von 2007 (Abbildung 12) steht ein englischsprachiger über einem arabischen Schriftzug – beide jedoch in lateinischen Buchstaben ausgeführt. In der Aufteilung der einzelnen Holzsequenzen wirkt die Arbeit symmetrischer aufgebaut als Knowledge is Sweeter Than Honey, auch da die Segmente in horizontaler Blickrichtung ungefähr die gleiche Größe besitzen und kein Wort über mehrere Reihen verläuft. Enta Omri kann mit Du bist mein Leben übersetzt werden und referiert im ägyptischen Kontext unmittelbar auf eines der bekanntesten Lieder Umm Kulthums.28 Die Konzeption ihrer Musik zeigt im übertragenen Sinne Affinitäten zu ornamentalen Mustern und somit zu Maschrabiyya-Gittern, da sie ebenso in ihrer Struktur kein Anfang und kein Ende zu haben scheint und sich aus einer potentiell unendlichen Varianz sich wiederholender Elemente generiert. Das Wissen, dass es sich bei Enta Omri um ein Lied der berühmten, als ‚Mutter Ägyptens‘ titulierten Sängerin handelt, öffnet vielfältige Deutungsmöglichkeiten, die sich in der Verbindung mit dem Not For Sale Schriftzug in differierende Lesarten aufzweigen. So weckt die Referenz auf Umm Kulthum im ägyptischen Rezeptionskontext andere Assoziationen als bei Betrachtern, die nicht der arabischen Sprache mächtig sind. Ist die Schrift in Fernsicht für den Sprachkundigen noch gut zu entziffern, so verschwimmen in der Nahsicht die einzelnen Buchstaben mit den ornamentalen Strukturen der Arbeit und werden zu rein abstrakten Gebilden. Die Lesbarkeit beruht nicht nur darauf, ob der Betrachter der Entzifferung des jeweiligen Alphabets bzw. Vokabulars mächtig ist, sondern ebenso auf der jeweiligen Hängung des Maschrabiyyas, der entweder als Fensterschirm an der Wand oder in der Mitte des Raumes positioniert und dann entsprechend von beiden Seiten zugänglich ist. Der Standort des Betrachters wird somit sowohl im geografischräumlichen als auch soziokulturellen Sinne in die konstitutive Bedeutungsdimension des Werks miteinkalkuliert. Die bildlichen und textlichen Ebenen der Arbeit interagieren in einem offenen Prozess der wechselseitigen Konnotation miteinander, ohne eine eindeutige Bedeutungszuschreibung zuzulassen. Viel-
28
Umm Kulthum galt als kulturelle Institution in Ägypten, die Mitte des 20. Jahrhunderts in ihren Konzerten, die monatlich in Kairo stattfanden und im Radio übertrugen wurden, Ägypter jeglicher Schicht verband und über ihre Lieder – die Dauer eines Liedes konnte mehrere Stunden in Anspruch nehmen – eine meditative, entrückende Wirkung auf ihr Publikum ausübte. Zur soziokulturellen Bedeutung der Musik von Umm Kulthum siehe Danielson 1997.
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mehr evoziert die Verbindung der traditionellen, soziokulturell aufgeladenen Maschrabiyya-Strukturen mit dem semantischen Gehalt der in die Arbeit eingewebten Schrift einen Moment der Irritation und dahingehend eine Verzögerung in der versuchten Aneignung durch die Rezeption. Diese produktive Störung im Interpretationsprozess hat eine Reflektion der eigenen Wahrnehmung zur Folge. Dabei betont Hefuna, dass der eigentliche Inhalt der Worte eine untergeordnete Rolle in ihrer Intention spielt: „The words are meant as an entrance for the observer and the screens are a kind of meditation for thinking about the words. In principle they are just abstract screens and everyone can project something through the words.“29
Die Maschrabiyya-Arbeiten Hefunas entfalten ein freies Wechselspiel der Kodierung und Dekodierung und werden zu einem Bild sozialer und kultureller Projektionen30, da sie – je nach kultureller Verortung des Betrachters – anders verstanden werden können, oder wie es die Künstlerin formuliert: „You only can see what you know.“31 Somit nehmen die Werke weniger Bezug auf die Darstellung eines spezifischen kulturellen Kontextes, sondern machen vielmehr die divergierende Rezeption der Betrachter selbst zum Thema. Hefuna beschreibt ihre Maschrabiyya-Schirme als soziokulturellen Screen, der verhandelt, welche Vorstellungswelten in die Skulptur hineininterpretiert werden und damit zugleich reflektiert, wie man sich selbst sieht.32
29
Hefuna, zitiert nach Obrist (Hg.) 2009, S. 162.
30
Vgl. Hefuna, zitiert nach Mathes, in: Flash Art vom 12.11.2010.
31
Hefuna, zitiert nach Obrist (Hg.) 2009, S. 49.
32
Susan Hefuna: Interview in Düsseldorf vom 06.11.2012. Dabei spielt die Künstlerin mit dem englischen Wort Screen, welches sowohl Leinwand, Bild, Trennschirm oder Fenster, als auch Maske bedeuten kann. Vgl. Hefuna, zitiert nach Obrist (Hg.) 2009, S. 162. Die Konnotation der Maske nimmt Hefuna in einer weiteren seriellen Arbeit auf, in der sie traditionelle alemannische Fasnachtsmasken nach ihrem eigenen Konterfei schnitzen lässt. Diese wirken als kulturelles Pendant zu den MaschrabiyyaArbeiten und werfen in ihrer Gegenüberstellung die Thematik von Differenz und zugleich deren Überschreitung auf. Im Folgenden wird der von Hefuna thematisierte Aspekt des Screens mit den theoretischen Formulierungen Jacques Lacans und Homi Bhabhas verknüpft. Zur theoretischen Konzeptualisierung des Bildes bei Lacan siehe insbesondere den Sammelband Blickzähmung und Augentäuschung. Zu Jacques Lacans Bildtheorie, Blümle und von der Heiden (Hg.) 2005.
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Abbildung 11: Susan Hefuna, Knowledge is sweeter than honey, 2007. Holz, Tusche, 240 x 220 cm.
Quelle: Von Susan Hefuna zur Verfügung gestellt. © Susan Hefuna
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Abbildung 12: Susan Hefuna, not for sale – enta omri, 2007. Holz, Tusche, 220 x 210 cm.
Quelle: Von Susan Hefuna zur Verfügung gestellt. © Susan Hefuna
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Diese Leseweise lenkt den Blick auf die phonetischen Verbindungslinien des arabischen Begriffs: Während Maschrabiyya wörtlich Ort des Trinkens bedeutet, kann die ähnliche Wortbildung Maschrafiyya mit Ort des Sehens übersetzt werden.33 In der reflexiven Konzeption der Maschrabiyya-Arbeiten drücken sich Affinitäten zum ambivalenten Subjekt- bzw. Identitätsbegriff bei Homi Bhabha aus, wie in Die Verortung der Kultur (1994/2000) formuliert. Nach Bhabha werden Subjekte, ebenso wie Kulturen, „als prozessual im Sinne von konstruiert und sprachlich-diskursiv formuliert gedacht.“34 Dahingehend kann Identität nicht im essentialistischen Sinne als statische Entität beschrieben werden, da ihre eigene Konstitution stets über die Begegnung des ‚Anderen‘ und in einem ambivalenten Prozess zugleich durch den ‚Anderen‘ verhandelt wird. Kulturen sind damit keine geschlossenen Gebilde, sondern zeichnen sich von vorneherein stets durch Differenz und Hybridität aus. Mit Bezug auf Jacques Lacans Spiegelstadium schreibt Bhabha: „Zu existieren heißt, in Beziehung zu einer Andersheit, ihrem Blick oder Ort ins Sein zu treten.“35 Zur Erläuterung dieser Aussage bedarf es zunächst einer kurzen Ausführung der theoretischen Verortung Bhabhas, um die Konzeptualisierung seines Subjektbegriffs sowie das von ihm umschriebene Bedeutungspotential des Stereotyps für die Analyse der künstlerischen Strategie Hefunas heranzuziehen.36 Bezüglich der Formulierung von Subjekt- bzw. Identitätskonstruktionen legt Bhabha den Fokus auf Zwischenräume, Schwellen und Übergänge, indem er die äußerst widersprüchliche und von Instabilität gekennzeichnete Konstitution von Subjektivität innerhalb des kolonialen Diskurses umschreibt. Wie von Edward Said in Orientalismus (1978) formuliert, setzt Identität immer die Konstruktion des ‚Anderen‘ und die damit implizierte eigene Abgrenzung vom ‚Anderen‘ voraus.37 Dies intendiert laut Bhabha jedoch keine Geschlossenheit oder Kohärenz der Identitätskonstruktion.38 Ein Subjekt respektive eine Kultur ist demnach nie
33
Vgl. Emmerling, in: Ausst.-Kat. Susan Hefuna – xcultural codes 2004, S. 141 sowie Belgin, in: Ausst.-Kat. Susan Hefuna 1999.
34
Struve 2013, S. 44.
35
Bhabha [2000] 2011, S. 65.
36
Siehe hierzu auch Kapitel 4.2 Die Debatte der Hybridisierung im Zuge einer jungen Kunstbewegung.
37 38
Siehe Said [1978] 2010. Vgl. Bhabha [2000] 2011, S. 107. Bezogen auf Said kritisiert Bhabha hierbei, dass dieser den Begriff des Subjekts nicht problematisiere und damit zugleich impliziere, dass der Kolonialdiskurs bzw. das kolonisierende Subjekt einheitlich und bewusst intendiere.
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mit sich selbst identisch, da der eigene Konstruktionsprozess immer einen Moment der Verunsicherung – durch den Blick des ‚Anderen‘ – mit sich bringt.39 Dies gilt im kolonialen Diskurs sowohl für das kolonisierte als auch für das kolonisierende Subjekt.40 In dieser Theoretisierung des Blicks bezieht sich Bhabha auf Lacans Äußerungen zur Subjektwerdung, in denen er sich ebenso wie Bhabha gegen ein autonomes, sich selbst bewusstes Subjekt ausspricht. Beide Theoretiker verstehen die „Konzeption von Subjektivität [als] stets sprachlich/gesellschaftlich determiniert und vermittelt.“41 In der Beschreibung des sogenannten Spiegelstadiums zeigt Lacan, dass das Subjekt „auf der Trennung von Körper und Bild bzw. der Ersetzung des Anderen durch sein Bild basiert.“42 Lacan geht hierbei vom Spiegelstadium des Kindes aus, das zum ersten Mal „im Spiegel bzw. in der primären Bezugsperson ‚m/other‘ ein imaginäres Bild der Gestalt seines Körpers“43 entdeckt und sich damit identifiziert. Subjektwerdung kann im Sinne Lacans somit auch als „Bildwerdung“44 beschrieben werden. Das Kind nimmt über die Identifizierung mit dem Spiegelbild ein imaginäres, ideales Bild von sich selbst an, das zugleich außerhalb seiner selbst verortet ist und dadurch nie erreicht werden kann. Das Erkennen des imaginären Bildes des Subjekts impliziert zugleich ein Verkennen und wird dadurch als selbstentfremdend erlebt: „So besteht der ambivalente Status des Spiegelbildes darin, dass das ‚eigene‘ Bild als Bild eines Anderen auf die vor dem Spiegel befindliche Person zurückprojiziert wird.“45 Die Konstitution von Subjektivität zeichnet sich daher durch ein hohes Maß an Widersprüchlichkeit und Ambivalenz aus, da sie sich in einem kontinuierlichen Spannungs- und Wechselverhältnis von „Selbstbezug und -entzug“46 bildet. Im Spiegel erkennt man das imaginäre Bild
39 40
Vgl. Bhabha [2000] 2011, S. 107. Die Formulierung einer Instabilität der Identitätskonstruktion von Seiten des kolonisierenden Subjekts und die dahingehende Zurückweisung einer vollkommenen Machtkontrolle durch die Kolonisatoren wurde bei Bhabha angesichts des umfassenden kolonialen Herrschaftssystems kritisiert, lenkt den Blick jedoch gerade auf die Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten des Kolonialdiskurses. Vgl. Ruthner, in: Babka, Malle und Schmidt (Hg.) 2012, S. 60.
41
Kossek, in: Reuter und Karentzos (Hg.) 2012, S. 53.
42
Weber 2009, S. 79.
43
Kossek, in: Reuter und Karentzos (Hg.) 2012, S. 55-56.
44
Weber 2009, S. 103.
45
Ebd., S. 80.
46
Ebd.
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des Selbst als eigenes Abbild und somit als vertraut und nimmt es zugleich – durch seine Position außerhalb des eigenen Körpers – als fremd wahr. Mit Bezug auf Umberto Eco spricht Angela Weber in diesem Sinne vom Spiegel als Schwellenphänomen, welches das ambivalente „Verhältnis der Selbstbezüglichkeit von Ich und Anderem“ sowie „den komplizierten Prozess der Herstellung von Identität“47 veranschaulicht. Im postkolonialen Diskurs wird der Spiegel dann auch als Metapher für die Prozessualität der Identitätskonstruktion im Kulturkontakt, welcher von vorneherein hybrid und instabil ist, herangezogen. So setzt Bhabha das Andere mit dem Spiegel gleich, wenn er schreibt: „Das Imaginäre ist die Transformation, die während der formativen Spiegelphase im Subjekt stattfindet, wenn das Subjekt ein diskretes Bild annimmt, das ihm erlaubt, eine Reihe von Äquivalenzen, Gleichheiten, Identitäten zwischen den Objekten der umgebenden Welt zu postulieren. Dieses Positionieren ist jedoch selber problematisch, denn das Subjekt findet und erkennt sich durch ein Bild, das gleichzeitig entfremdend und daher potentiell konfrontativ ist.“48
Das Er- und zugleich Verkennen des imaginären Bildes der eigenen Subjektivität hängt eng mit einem ambivalenten Wechselspiel des Blicks zwischen Sehen und Gesehen werden zusammen. Bereits Lacan unterscheidet in seiner sogenannten Dialektik von Auge und Blick zwischen dem schauenden Auge des Subjekts und dem Blick seitens des Objekts.49 Zur Konstitution einer eigenen Identität – wobei diese immer nur im Werden ist – braucht das Subjekt den Anblick des Anderen: „Das Ich ist sowohl auf den Anderen als Imago angewiesen, in dem sich das Ich er- bzw. verkennt, als auch auf den Blick des Anderen, der den Anblick des Ich erwidert.“50 Der Blick des Anderen ist somit für die Selbstbewusstwerdung unerlässlich, verunsichert aber zugleich das Subjekt in seiner eigenen Identitätskonstitution. Wie Bhabha zeigt, entwickelt das Subjekt Vorstellungen des Anderen, Stereotypisierungen, um sich seiner eigenen Identität zu vergewissern. Das Bilden von Stereotypen kann somit als Strategie beschrieben werden, um der Verunsicherung zu entgehen und sich anhand starrer, unbeweglicher Bilder des Anderen zu orientieren. In seinem Aufsatz Die Frage des Anderen. Stereotyp, Diskriminierung und der Diskurs des Kolonialismus (1983) deckt Bhabha jedoch gerade
47
Weber 2009, S. 48-49.
48
Bhabha [2000] 2011, S. 113-114.
49
Vgl. Strohmaier, in: Babka, Malle und Schmidt (Hg.) 2012, S. 74.
50
Ebd.
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die Widersprüchlichkeit des Stereotyps „als eine ambivalente Form von Erkenntnis und Macht“51 und dahingehend als eine erneute Verunsicherung im Prozess der Identitätskonstruktion auf. Die paradoxe Wirkung des Stereotyps liegt darin begründet, dass es eine starre, fixierte Konstruktion des Andersseins ausdrückt, zugleich jedoch unendlich wiederholt und vergegenwärtigt werden muss, um wirksam zu bleiben. In diesem Prozess wird dabei stets mehr behauptet, „als empirisch bewiesen oder logisch gefolgert werden kann.“52 Stereotype werden als ‚natürlich‘ dargestellt, um die Konstruktion der eigenen Identität wie auch hegemoniale Machtverhältnisse zu legitimieren. Sie sind deshalb nicht nur als Mittel der Orientierung und Reduktion komplexer Verhältnisse zu sehen, sondern fungieren explizit als „Formen symbolischer Machtausübung im Rahmen gesellschaftlicher und internationaler Machtverhältnisse.“53 Bhabha geht es hierbei um keine normative Bewertung von Stereotypen und damit um eine kritische Revision ihrer Bedeutung als ‚falsche‘ Repräsentationen, sondern um die Rekonstruktion und Analyse des zugrunde liegenden Systems – auch da im Sinne Bhabhas jede Form der Repräsentation als sprachlich konstruiert gedacht ist und jegliche Ursprünglichkeit und Authentizität von ihm bereits von vorneherein in Frage gezogen wird.54 In dieser theoretischen Herangehensweise lässt sich nun die ambivalente Struktur des Stereotyps nachzeichnen, wie sie Bhabha als Form des Fetischs formuliert: „Der Fetisch – oder das Stereotyp – gewährt Zugang zu einer ‚Identität‘, die ebenso sehr auf Herrschaft und Lust wie auf Angst und Abwehr basiert: in seiner gleichzeitigen Anerkennung und Ableugnung der Differenz stellt er eine Form von multiplem und widersprüchlichem Glauben dar.“55
Dieses konflikthafte Spannungsverhältnis verweist auf das grundlegende „Verlangen[…] des Subjekts nach einem reinen Ursprung, welcher indes immer durch seine Aufspaltung bedroht ist.“56 Über den Prozess der Ambivalenz, welcher zwischen Festschreibung und Wiederholung oszilliert, „hintertreibt das Stereotyp […] die Fixierung seines Objekts, die z.B. der koloniale Diskurs leisten
51
Bhabha [2000] 2011, S. 98 sowie vgl. ebd., S. 97-124.
52
Ebd., S. 98.
53
Ruthner, in: Babka, Malle und Schmidt (Hg.) 2012, S. 53.
54
Vgl. Bhabha [2000] 2011, S. 98-99.
55
Ebd., S. 110.
56
Ebd.
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möchte, wenn er eine Hierarchie […] etabliert.“57 Somit können Stereotype durch ihre Ambiguität und Aporie innerhalb hegemonialer Machtverhältnisse destabilisierend wirken. Diese Unterwanderung von stabilisierenden Identitätskonstruktionen wird in den Maschrabiyya-Arbeiten Hefunas, die in ihrer Gestalt stereotype Orientvorstellungen zitieren, bildlich verdeutlicht. Auf den ersten Blick gleichen die Arbeiten einer bloßen, obgleich kunstvollen Nachahmung traditioneller Maschrabiyya und scheinen damit auch (neo-)orientalistischen Anschauungen zu dienen. Bei genauerer Betrachtung wirken sie potentiellen stereotypen Suggestionen jedoch entgegen. Der künstlerische Eingriff über die Einwebung der Schrift in die Struktur des Maschrabiyyas drückt eine formalästhetische Brechung aus, die eine produktive Störung und Verzögerung im Interpretationsprozess erzeugt. Statt einer eindeutigen Bedeutungszuweisung der Strukturen im Bild wird vielmehr die eigene Perspektive des Betrachters reflektiert. Das konstruierte Bild vom Anderen wird als Projektion entlarvt, der man jedoch nicht entkommt, wie Hefuna betont: „In my experience, most human beings are not able to see the world without a screen of social and cultural projections.“58 Dass diese Konstruktionen des Selbst und des Anderen nicht stabilisierend, sondern höchst ambivalent und widersprüchlich sind, hat der Rückgriff auf Bhabhas dynamischen Identitätsbegriff verdeutlicht. In ihrer Thematisierung sozialer und kultureller Projektionen werden die Maschrabiyya-Arbeiten zu einer Metapher für die bei Bhabha und Lacan mithilfe des Spiegelstadiums diskutierten Prozesse der eigenen Subjektivierung sowie der ambivalenten Struktur von Selbst- und Fremdwahrnehmung. Als Figur der Schwelle und des Dazwischens kann der Maschrabiyya bei Hefuna in seiner ambivalenten Funktion von Abgrenzung und Öffnung, Trennung und Verbindung im Sinne Bhabhas als Dritter Raum beschrieben werden, in welchem der Betrachter seine eigene Positionierung wie seine Zuschreibung des Anderen in einem reziproken Wechselverhältnis immer wieder neu aushandelt. Somit stellen die Arbeiten eine starre Fixierung von Identität in Frage. Wie von Leonhard Emmerling insistiert, beruht Hefunas künstlerische Strategie auf dem Konzept von Differenz.59 Hierbei ist es wichtig, mit Bhabha zwischen dem definitorischen Ansatz der kulturellen Differenz und dem der kulturellen Diversität
57
Ruthner, in: Babka, Malle und Schmidt (Hg.) 2012, S. 56-57.
58
Hefuna, zitiert nach Mathes, in: Flash Art vom 12.11.2010.
59
Vgl. Emmerling, in: Ausst.-Kat. Susan Hefuna – xcultural codes 2004, S. 140.
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zu unterscheiden.60 Geht das Konzept der kulturellen Diversität von einem essentialistischen Kulturverständnis im Sinne des Kontakts klar voneinander abgegrenzter Kulturen aus, legt das Konzept der kulturellen Differenz den Fokus darauf, „Antagonismen, Widersprüchlichkeiten und gar Unvereinbarkeiten als Basis kultureller und politischer Konzepte zu denken.“61 In dieser Perspektive wird somit der temporale Aspekt des Kulturkontakts im Moment des wechselseitigen Aushandelns in den Fokus der Betrachtung gerückt. Der Aspekt der Temporalität spielt im künstlerischen Œuvre Hefunas eine wesentliche Rolle, sei es über den Prozess der Betrachterrezeption, welche letztendlich in einer Selbstreflexion mündet, oder über die Fertigung der Arbeit selbst, die den Herstellungs- und Generierungsprozess des Werks – ob Zeichnung, Performance, Fotografie oder Skulptur – in die Bedeutungsdimension der einzelnen Arbeiten einbezieht. Über die in den Arbeiten vorgegebene ambivalente Leserichtung werden einzelne Bedeutungszuschreibungen und dadurch vorgenommene Grenzziehungen als eindeutige, stabile Entitäten unterwandert und somit der Prozesscharakter von Bedeutungskonstruktionen sichtbar gemacht. Die potentiellen Interpretationsstränge changieren in der Arbeit, welche sich zugleich einer eindeutigen Zuschreibung und Einordnung entzieht, wie Hefuna betont: „[…] there is not one truth, but layers of interpretations or perceptions.“62 Die Decodierung der unterschiedlichen Bezüge und Referenzen der Kunstwerke fungieren dabei auf mehreren Ebenen. In den Maschrabiyya-Arbeiten können die Wörter beispielsweise als begleitender Kommentar zu den Strukturen der Arbeiten oder aber auch als direkte Äußerungen der Werke und damit als unmittelbares Ansprechen des Betrachters verstanden werden. Über den Moment der Verunsicherung im Rezeptionsprozess und dem daran anschließenden erneuten Interpretationsversuch werden die unterschiedlichen Leseweisen, die Selbstund Fremdwahrnehmung, in ihrer Differenz dynamisiert, oder im Sinne Bhabhas formuliert: „Die Differenz zum Anderen – und damit auch die eigene Identität – wirkt nicht mehr versichernd und stabilisierend, sondern bringt Fremd- und Selbstbilder in Bewegung. In dieser Sichtweise trennt und verbindet Differenz zugleich und ist damit a priori ambivalent, verunsichernd, […] widerständig, […] immer unvollendet und ephemer.“63
60
Siehe hierzu auch Kapitel 4.2 Die Debatte der Hybridisierung im Zuge einer jungen Kunstbewegung.
61
Struve 2013, S. 65.
62
Hefuna, zitiert nach Cestar, in: Nafas Art Magazine 2008.
63
Struve 2013, S. 63.
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Die Maschrabiyya-Arbeiten als Zwischenraum und Schwelle versinnbildlichen dieses ambivalente Verständnis von Differenz. Hefuna legt dabei in ihrer künstlerischen Konzeption den Fokus weniger auf das Abgrenzende, Trennende, sondern vielmehr auf die Verbindungen und Überlappungen im liminalen Moment der Schwelle: „For me the Mashrabiya became an abstract symbol that operates in two directions with the possibility for dialogue, rather than closure. It separates, yet also filters and joins.“64 In ihrer Widerständigkeit einer eindeutigen Eingrenzung und Interpretation unterwandern ihre Arbeiten dichotome Setzungen, indem sie den Blick auf das Spannungsverhältnis des Dazwischens lenken, in welchem sich die Konstruktion von Subjektivität und Andersheit, Eigenem und Fremdem immerwährend neu konstituiert. Das Konzept von Differenz zeigt sich im Œuvre Hefunas ebenso in der Thematik der Übersetzung. Beispielsweise ist die Arbeit Knowledge is Sweeter Than Honey in drei Maschrabiyya-Versionen konkretisiert – in lateinischer und in arabischer Schrift sowie in dem besprochenen Werk, das beide Alphabete miteinander verbindet. Über die in variierenden Sprachsystemen ausgedrückte Kommunikationsfähigkeit – der Maschrabiyya spricht quasi mit dem Betrachter – werden Konzepte von Wissen reflektiert, die im orientalistischen Kontext immer auch mit Legitimierungs- und Machtansprüchen verbunden sind. Diese Interrelation von Wissen und Macht und die Legitimierung der kolonialen Ambitionen durch den Anspruch des Wissens über Ägypten ist bereits von Said herausgestellt worden, zugleich wurde dieses Wissen im ägyptischen Diskurs des frühen zwanzigsten Jahrhunderts affirmativ umgewertet und nationalistisch funktionalisiert.65 Momente des Kulturkontakts und transkulturelle Verknüpfungen implizieren stets die Notwendigkeit des Übersetzens, zeigen jedoch zugleich, dass eine ‚reine‘ Übersetzung nicht möglich ist, da der jeweilige Kontext den Translationsprozess immer mit beeinflusst. Die differierenden Sprachen der Maschrabiyya-Arbeiten Hefunas verweisen über ihre vielfältigen potentiellen Deutungsmöglichkeiten auf diesen Transformationscharakter der Übersetzung. Mögliche Bedeutungen der einzelnen Wörter und kurzen Sätze changieren in unterschiedliche Richtungen, je nachdem ob sie etwa in Arabisch oder Englisch ausgedrückt sind.
64
Hefuna, zitiert nach Mathes, in: Flash Art vom 12.11.2010.
65
Vgl. Said [1978] 2010, S. 44. Zum ägyptischen Nationaldiskurs siehe Kapitel 1 Beginn einer modernen ägyptischen Kunst: Die Institutionalisierung künstlerischen Schaffens zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
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Im performativen Sinne werden auch die Zeichnungen Hefunas übersetzt, indem sie in die Körperbewegungen der Tänzer übergehen. Die Übertragung eines Aggregatzustandes in einen anderen verdeutlicht dabei ebenso den Moment der Transformation, der Differenz, welcher jedem Übersetzungsvorgang innewohnt. Bezogen auf die reflexive Wirkung der Arbeiten Hefunas kann die Thematisierung von Übersetzung im Sinne Bhabhas kulturkritisch gedeutet werden. So beschreibt Bhabha Kulturen als dynamische, in steten Übersetzungsprozessen ausgehandelte Formen der ambivalenten Identitätskonstruktion: „Kulturen sind nur darstellbar aufgrund der Prozesse der Iteration und Übersetzung, durch die ihre Bedeutungen stellvertretend auf – durch – einen Anderen ausgerichtet werden. Dies lässt alle essentialistischen Einforderungen einer inhärenten Authentizität oder Reinheit von Kulturen unhaltbar werden, die […] oft zu rationalistischen politischen Argumenten für die Hierarchie und den Aufstieg mächtiger Kulturen werden.“66
In der Übersetzung kommt es zu einer fortwährenden De- und Rekonstruktion von Bedeutungen, womit Kulturen von vorneherein als hybrid zu denken sind. Wie bereits erwähnt, ist die Konstruktion von Subjektivität nur über die wechselseitige Abhängigkeit mit dem Anderen möglich. In diesem interdependenten Verhältnis fungiert Übersetzung nach Bhabha immer auch als Neueinschreibung: „Der transformatorische Wert der Veränderung liegt […] in der Neuartikulierung – oder Übersetzung – von Elementen, die weder das Eine […] noch das Andere […] sind, sondern etwas weiteres neben ihnen, das die Begriffe […] von beiden in Frage stellt.“67 Dieses Potential der Transformation und Neueinschreibung wird in Hefunas Maschrabiyya-Arbeiten über ihre Struktur eines Dazwischens ausgedrückt, das weder das Eine (die Verkörperung eines traditionellen Maschrabiyya-Gitters) noch das Andere (das Symbol für orientalistische Vorstellungswelten) ist. Damit können die Werke mit Bhabha als kulturelle GrenzArbeiten bezeichnet werden: „Diese Art von Kunst gewärtigt Vergangenheit nicht einfach als gesellschaftliche Ursache oder ästhetischen Vorläufer; sie erneuert die Vergangenheit, indem sie sie neu als angrenzenden ‚Zwischen‘-Raum darstellt, der die konkrete Realisierung der Gegenwart innoviert und unterbricht.“68
66
Bhabha [2000] 2011, S. 86.
67
Ebd., S. 42.
68
Ebd., S. 10-11.
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In ihrer Verweigerung einer eindeutigen Interpretationszuschreibung und in ihrem explizit non-konfrontativen künstlerischen Ansatz erzeugen die Arbeiten Hefunas im Rezeptionsprozess eine Widerständigkeit gegenüber einer vollständigen Aneignung durch den Betrachter und richten die jeweilige Leseweise vielmehr auf die Praktik der Reflexion von Selbst- und Fremdwahrnehmung aus. Dabei thematisieren die künstlerischen Konzeptionen über die Spur der Linie auf abstrakte, sublime Weise Konzepte von Wissen, wie es insbesondere in Hefunas Zeichnungen zutage tritt. Bedeutung in Bewegung: Von Notationen im künstlerischen Schaffen zu abstrakten Wissenskonzepten Können die formalen Strukturen in den Zeichnungen Hefunas in ihrer ambivalenten Gestalt als organisch-fließende oder geometrisch-statische Formkonstellationen gelesen werden, so sind sie zunächst gemeinsam als netzartige Elemente wahrnehmbar. Linien und Knotenpunkte werden in den künstlerischen Konzeptionen miteinander verknüpft, um eine rhythmisierende Struktur zu schaffen, die in dynamischen Formkonstellationen mündet. Das Sujet des Netzes entfaltet sich im gesamten Œuvre Hefunas als übergreifendes, verbindendes Motiv – sei es in den Verflechtungen der Linien in Zeichnung und Performance, den architektonischen Gitterstrukturen in Fotografie und Skulptur oder in der statischen Kameraperspektive auf urbane und ländliche Kreuzungen verschiedener Orte im Video. Sind die Arbeiten vordergründig einem strukturierenden Ordnungssystem unterworfen, lässt der künstlerische Einbezug des Zufalls Unvorhergesehenes in die Arbeit einfließen, das die gesetzten Notationen der Bewegung in ihrer Form transformiert und neu einschreibt. Die Verknüpfungen, Verwebungen und Überkreuzungen der netzartigen Strukturen verweisen dabei in ihrer auswuchernden Gestalt auf das Konzept des Rhizoms, wie es von Gilles Deleuze und Félix Guattari mit Bezug auf eine philosophische Neuausrichtung gegenüber der Produktion von Wissen formuliert wurde. Das Rhizom, begrifflich aus der Botanik stammend und ein Wurzelwerk beschreibend, ist für Deleuze und Guattari „ein Netz, bei dem jeder Knoten in Verbindung mit den anderen Knoten steht.“69 In diesem Sinne beschreibt das Rhizom einen heterogenen, dezentralisierten Prozess der Metamorphose und Transformation, es verbindet „einen beliebigen Punkt mit einem anderen; jede seiner Linien verweist nicht zwangsläufig auf gleichartige Linien, sondern bringt sehr
69
Heyer 2001, S. 57.
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verschiedene Zeichensysteme ins Spiel.“70 Rhizomatisches Denken äußert sich nach Deleuze und Guattari im Prinzip der Kartografie, wobei die Konstitution einer Karte stets offen ist: „[…] sie kann in allen ihren Dimensionen verbunden, demontiert und umgekehrt werden, sie ist ständig modifizierbar.“71 Mit ihrem philosophischen Konzept des Rhizoms stellen sich Deleuze und Guattari gegen ein dialektisches, in Dichotomien operierendes Denken. Sie fordern vielmehr „eine Lektüre der Bewegung, die Linien aufzeichnet, ohne zu einer [endgültigen] Deutung zu gelangen. […] und doch folgen die verschiedenen Wege einem gemeinsamen Wunsch, der Verkettung, des Gefüges.“72 Das Konzept des Rhizoms führt zusammen und bewahrt zugleich die Differenz, die Verschiedenheit.73 Rhizomatische Vernetzung ist für das gesamte Œuvre Hefunas von wesentlicher Bedeutung, manifestiert sich jedoch insbesondere in ihren Zeichnungen als Grundlage ihres künstlerischen Schaffens sowie in der performativen Transformation der Choreografie. Die Organisation der Punkt-Linienführungen folgt einem nicht-linearen Prinzip, das rhizomartig im zweidimensionalen Raum der Zeichnung und in der dreidimensionalen Übersetzung der Bewegung im Tanz auswuchert. Die netzwerkartigen Strukturen, die „überall aufbrechen und weiterwuchern“ können, versinnbildlichen somit Deleuzes und Guattaris „Kritik am traditionellen, hierarchischen Denken.“74 Wie das Rhizom so haben auch die Linienführungen in den Zeichnungen Hefunas keinen festgelegten Punkt, den der Betrachter fixieren könnte, sondern befinden sich in einem steten Fluss der Aneignung, die zwischen verschiedenen Perspektiven und Interpretationen oszilliert. Die Leseweise des Betrachters wird dabei immer wieder unterlaufen, da er keine Bedeutungszuschreibung festzuhalten vermag. In dieser Logik des Dazwischens scheinen sich die jeweiligen Strukturen in den einzelnen Werken zu repetieren, „doch ist der Wiederholung immer eine Differenz eingeschrieben, die etwas Neues transportiert.“75 Die Strategie des künstlerischen Schaffensprozesses der Zeichnung – das Zurücknehmen, die Momente der Ruhe und Meditation sowie das Zeichnen der PunkLinienführungen in höchster Konzentration – wiederholt sich jeweils in der einzelnen Ausführung und doch ist jede Zeichnung anders.76
70
Deleuze und Guattari 1977, S. 34.
71
Deleuze und Guattari 1977, S. 21.
72
Heyer 2001, S. 24.
73
Vgl. ebd.
74
Ebd., 44.
75
Ebd., S. 61.
76
Susan Hefuna: Telefoninterview vom 27.05.2014.
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In der Spur der Zeichnung werden auf abstrakte Weise grundlegende Konzepte der Generierung von Wissen thematisiert. So wie Heinz Mack seine grafischen Arbeiten als „Grammatik“77 seiner Kunst bezeichnet, bilden die Zeichnungen für Hefuna ein wesentliches, grundlegendes Moment ihres künstlerischen Schaffens. Auf den ersten Blick scheinen ihre Werke gleichsam formale Affinitäten zu den grafischen Tusche-Arbeiten von Mack zu zeigen – nicht zuletzt da die Thematik der Struktur und Bewegung in seinem künstlerischen Werk eine wichtige Rolle spielt und er seine Zeichnungen selbst teilweise als Notationen bezeichnet.78 Die potentielle Formverwandtschaft zwischen Hefuna und Mack beruht allerdings nicht auf einer reziproken Inspiration, sondern vielmehr auf der jeweiligen künstlerischen Transformation ornamentaler Strukturen, da sich auch Mack intensiv mit islamischen Kunstformen, insbesondere der Teppichkunst, aber auch architektonischen Modulen auseinandergesetzt hat.79 Der inhaltliche Impetus der beiden künstlerischen Appropriationen eines traditionellen Kunsterbes ist dabei ein anderer. Während in der Rezeption des Werks von Hefuna die Ambivalenz der Wahrnehmung abhängig vom kulturellen Kontext des Betrachters von Bedeutung ist und die jeweiligen Projektionen eines transkulturellen Aushandlungsprozesses visuell thematisiert werden, geht es Mack um die Neuauslotung und Erweiterung einer zu eng abgesteckten Kunstauffassung im Kontext der europäischen modernen Kunstbewegung, wie es insgesamt für die Konzepte der Düsseldorfer ZERO-Gruppe, die Mack mitbegründete, wesentlich ist. Auf einer abstrakteren Ebene treffen sich jedoch beide Positionen in ihrer künstlerischen Unterwanderung einer eindeutigen Bedeutungszuschreibung und in ihrer Betonung der Zeichnung als mittelbarer Ausdruck für künstlerische Wissenskonzepte. Der Prozess des Zeichnens kann generell mit Christoph Hoffmann als „epistemische[s] Verfahren“ bezeichnet werden, das auf abstrakter Ebene ein „Wissen[…] im Entwurf“80 generiert. Hierbei fragt Hoffmann nach der Bedeutung der Zeichnung oder Notiz für wissenschaftliche Erkenntnisse sowie ästhetische Prozesse und weist dabei auf Verbindungen zwischen Wissenschaft und Kunst im Prozess des Aufzeichnens hin:
77
Luyken und Wismer, in: Ausst.-Kat. Mack. Die Sprache meiner Hand 2011, S. 9.
78
Vgl. Mack, in: Ausst.-Kat. Mack. Die Sprache meiner Hand 2011, S. 265.
79
Vgl. Horvay, in: ebd., S. 157.
80
Hoffmann, in: Ders. (Hg.) 2008, S. 7 und 8. Die Publikation ist Teil der Forschungsinitiative „Wissen im Entwurf. Zeichnen und Schreiben als Verfahren der Forschung“ des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte in Berlin und des Kunsthistorischen Instituts in Florenz (Max-Planck-Institut) von 2005 bis 2011.
184 | M USTER DER A MBIVALENZ „[…] die bewährte Trennung von Wissenschaft, Literatur und Künsten erweist sich als weit weniger stabil, wenn der Entwurf, das Denken, die Formulierung mit Hand, Stift und Papier in Betracht gezogen wird und nicht der Geltungsanspruch, der sich mit dem Ergebnis verbinden kann.“81
Die Zeichnung verbindet den technischen Aspekt des Aufzeichnens mit dem konzeptionellen Aspekt einer Idee, wobei diese erst im Prozess des Zeichnens ihre eigentliche Gestalt annimmt. So ergeben sich die jeweiligen PunktLinienführungen der einzelnen Arbeiten Hefunas erst im Moment des Zeichnens selbst, sie bestehen nicht schon vor dem ausführenden Akt des Notierens als bereits vorstrukturiertes oder vorgedachtes Konzept. Die Künstlerin beschreibt den Moment des Zeichnens als einen Prozess, der über der Sprache und hinter dem Denken steht und dennoch konkret und auf den Punkt gebracht ist: „Es ist quasi Wissen durch die Hand, wo ich durch Denken und Sprechen nicht hinkommen könnte.“82 Diese Bedeutung des Prozessualen und einer Konzeption von Wissen in Bewegung wird auch in der wissenschaftstheoretischen Formulierung von Hoffmann deutlich: „Das Aufgezeichnete ergibt sich nicht vor oder neben dem Schreiben und Zeichnen für sich im Denken oder im Betrachten, es ergibt sich in Rücksicht oder besser in Voraussicht auf die Aufzeichnung und fügt sich in die Verfahren, die hierbei zum Zuge kommen.“83
Diese Formulierung kristallisiert das epistemische Potential des Zeichnens als Verfahren heraus, das erst im Prozess seiner materiellen Ausführung zutage tritt. Die strukturellen Zusammenhänge der von Hefuna gezeichneten Punkt-Linienführungen, die sowohl in der Produktion wie in der Rezeption über ihre Temporalität Bedeutung generieren, visualisieren diese potentielle Erkenntnisfunktion der Zeichnung. Dabei unterwandern Hefunas Arbeiten über ihre konzeptionelle Verzögerung der Aneignung durch den Betrachter eindeutige Zuschreibungen und Interpretationen, die auf dichotomen Setzungen basieren.
81
Hoffmann, in: Ders. (Hg.) 2008, S. 8.
82
Susan Hefuna: Telefoninterview vom 27.05.2014.
83
Hoffmann, in: Ders. (Hg.) 2008, S. 20.
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6.2 M ARWA ADEL – O RNAMENTALE F IGURATION DER O PAZITÄT Konzeptionen einer ambivalenten Vielschichtigkeit: Thematik der Verschleierung und des Zwischenraums Die Fotokünstlerin Marwa Adel (*1984) überlagert in ihrem künstlerischen Œuvre digitale Fotografien mit Elementen transformierter Computergrafik, sodass ein mehrschichtiges Konglomerat aus fotografischen und kalligrafischen Elementen entsteht, dem eine malerische Ästhetik inhärent ist. Einen zentralen Schwerpunkt ihres Werks bilden konzeptuelle fotografische Arbeiten auf Holz, in denen die Künstlerin ornamentale Strukturen und symbolbehaftete Muster auf schwarzweiße Abbildungen von bloßen, zumeist unbekleideten weiblichen Körpern legt. Für die Komposition der digital manipulierten Fotografien zeichnet und skizziert Adel zunächst ihre Ideen auf Papier, um sie zu visualisieren. In einem zweiten Schritt fotografiert sie die weiblichen Modelle und ornamentalen Strukturen wie beispielsweise vegetabile, textile oder architektonische Muster und fertigt der thematischen Konzeptionierung entsprechende Kalligrafien an. Die letzte künstlerische Arbeitsphase bildet anschließend die digitale Bearbeitung und Überlagerung der einzelnen fotografischen Schichten in einem „process of complex editing“84, um konvergierende Bildschichten aus vieldeutigen, miteinander agierenden Formelementen zu erzeugen. Nimmt man die semiotischen Strukturen der exemplarischen Arbeit Moment von 2011 (Abbildung 13) in den Blick, so lassen sich die übereinander geblendeten Bildschichten in zwei elementare Ausdruckseinheiten unterteilen: Zum einen die figurative Abbildung einer unbekleideten Frau, die ihren Oberkörper abwendet und über ihre linke Schulter den Betrachter direkt anblickt, und zum anderen verschiedene Schichten organischer und vegetabiler Ornamentiken, die auf den Körper der weiblichen Figur gelegt sind. Die in Schwarzweiß gehaltene Abbildung wird in ihrer Komposition durch eine orangefarbene Formation in der oberen Mitte des Bildfeldes unterbrochen, welche von der Stirn der weiblichen Figur über ihr linkes Auge bis zu ihrem Kieferknochen verläuft, Nase und Mundpartie dabei aussparend. Bei näherer Betrachtung werden zudem kalligrafische Strukturen im Gesicht der weiblichen Figur erkennbar, die in kunstvollen, übereinander gelagerten Linien am linken Ohr des Modells beginnen und in weit ausfächerndem Gestus zur linken Augenpartie führen. Dabei ist die Lesbarkeit der Schrift nicht nur angesichts der dunklen, schattenhaften Chromatik, sondern
84
Marwa Adel: Interview in Kairo vom 30.12.2013.
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ebenso aufgrund der Überkreuzung zweier Kalligrafien erschwert, die sich in einen horizontalen, schwarz gehaltenen und einen vertikalen, orangefarbenen Schriftzug untergliedern. Die über die Figur gelagerten ornamentalen Strukturen reichen von grau marmorierten, organisch fließenden Musterungen, welche die gesamte Bildfläche einnehmen, zu Abbildungen von farnblättrigen Pflanzenstielen in der oberen linken sowie unteren rechten Hälfte der Komposition. Des Weiteren verlaufen drei astartige Linien von der oberen linken Ecke der Arbeit spektralförmig über die Abbildung des weiblichen Körpers. Abbildung 13: Marwa Adel, Moment, 2011. Fotografie und ComputergrafikDesign auf Holz, 100 x 100 cm.
Quelle: Von Marwa Adel zur Verfügung gestellt. © Marwa Adel
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Durch die farblich von der übrigen monochromatischen Bildkomposition abgehobene Gesichtspartie der Figur wird die Betrachtungsperspektive in der Rezeption primär auf die Augen und zugleich auf die dem Gesicht überlagerten kalligrafischen Strukturen gelenkt. Dabei dient die Fokussierung des Blicks auf die orangefarbene Fläche der Arbeit einem ersten Zugang zum Werk, der je nach geografisch-kultureller Verortung des Betrachters unterschiedliche Assoziationen zulässt. Die farblich akzentuierte Fläche mit ihrer sich nach unten verjüngenden Spitze stellt in transformierter Gestalt eine Kartografie des sogenannten Mittleren Ostens dar, wie Adel betont: „The orange part forms a map of the Middle East but I reshaped it in order to reform it as a spot.“85 Während die semantische Bedeutung der Kalligrafie dem Sprachunkundigen verschlossen bleibt und allenfalls suggestive Verknüpfungen zu traditioneller islamischer Schriftkunst zulässt, ist die Entzifferung der Schrift auch für den potentiellen Leser aufgrund der Verflechtungen und Überkreuzungen der einzelnen Buchstabenliniaturen erschwert, wenn nicht gar verhindert. Im Gegensatz hierzu ist die Kalligrafie in der konzeptuell ähnlich komponierten Arbeit Thought von 2011 (Abbildung 14) deutlicher erkennbar. Die ebenso in Gesichtshöhe verlaufende Schrift ist in ihrer Form weniger komplex und deshalb leichter in ihrem semantischen Gehalt als al-hilm sayid al-hobb (dt. Der Traum ist der Herr der Liebe) lesbar. Dabei interagieren die arabischen Schriftlinien mit den Konturen der Figur, indem der weit gezogene Strich des Buchstabens b exakt die Wasserlinie des Unterlides nachzeichnet. Die fotografierte Pose und Körperhaltung der abgebildeten Frau ist dieselbe wie in Moment. Aufgrund der differierenden ornamentalen Überblendung wirkt die Arbeit jedoch dunkler und die Gestalt der weiblichen Figur zerbrechlicher. Die Fragilität der Darstellung wird insbesondere durch die vordergründige Abbildung eines vegetabilen Blattes evoziert, das in seiner verwitterten, ausfransenden Form lediglich die netzartigen Blattaderungen abbildet, während die Epidermis fast vollständig verschwunden ist und nur noch stellenweise die Aderlinien umschließt und verbindet. Eine weitere, darunterliegende ornamentale Schicht zeigt geometrisch-florale Musterungen, die formalästhetisch einer fotografierten Tapete oder einem Brokatstoff gleichen und die ebenso wie die Abbildung des vegetabilen Blattes auf die weibliche Figur gelegt sind. Durch die differierende ornamentale Überblendung tritt die Figur in Thought stärker hinter die vegetabilen Musterungen zurück und zeigt eine weniger ausgeprägte räumliche Wirkung und dadurch evozierte Abgrenzung vom Hintergrund. Doch auch in Moment ist die Figur von der Ornamentik verhüllt, wobei insbe-
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Marwa Adel: Emailinterview vom 23.05.2014.
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sondere die Augen- und Wangenpartie der abgebildeten Frau von der orangefarbenen Kartografie und den kalligrafischen Linien in opaker Weise überlagert wird. Abbildung 14: Marwa Adel, Thought, 2011. Fotografie und ComputergrafikDesign auf Holz, 120 x 120 cm.
Quelle: Von Marwa Adel zur Verfügung gestellt. © Marwa Adel
Bezüglich ihrer thematischen Bedeutungsdimension verhalten sich die mehrschichtigen Bildstrukturen in beiden Werken ambivalent, da die jeweiligen syntagmatischen Bezüge der einzelnen Ausdruckseinheiten, d.h. die spezifischen Verbindungen und semiotischen Interrelationen von ornamentalen und figurativen Elementen, zwei generelle Leserichtungen zulassen, die sich in ihrer jeweiligen Aussage jedoch diametral gegenüber stehen. Denn einerseits konstituieren die abgebildeten ornamentalen Strukturen die weibliche Figur, indem sie sich
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strukturell mit ihr verbinden und sie dadurch in ihrer ausdrucksspezifischen Form erst hervorbringen. Andererseits scheinen sie die Gestalt der Figur jedoch zu überdecken und damit gleichsam zum Verschwinden zu bringen. In diesem Sinne spielen die Ornamente für die bedeutungsgenerierende Dimension der figurativen Repräsentation eine wesentliche, wenn auch widersprüchliche Rolle. Die einzelnen Werke können dabei in die eine oder andere Richtung tendieren, wie beispielsweise die Arbeit Moment eher der ersten Leseweise zuzurechnen ist, während dagegen Thought zur zweiten Interpretationskategorie neigt. In jedem Fall bleibt die Ambiguität der Bildstruktur erhalten, da eine eindeutige Zuschreibung nicht festzuhalten ist und eine interpretative Aneignung stets in die andere Richtung umschwenken kann. Muster und Grund, ornamentale Struktur und figurative Gestalt oszillieren im Moment der Betrachtung, ohne auf eine Perspektive fixiert werden zu können. Dadurch wird der Versuch einer Interpretation der bildlichen und textuellen Ausdruckseinheiten verunsichert, da sich die Bildkompositionen einer eindeutigen, unmittelbaren Lesbarkeit entziehen. Die ornamentalen Strukturen bilden in ihrer verhüllenden Funktion einen ambivalenten Zwischenraum, ein unentscheidbares Dazwischen. Ihre opake Form kann als Schleier bezeichnet werden, wobei dem Konzept der Verschleierung als künstlerischem Bildmodus eine form- und bedeutungs-generierende Wirkung zukommt, wie der kunsthistorische Sammelband Ikonologie des Zwischenraums. Der Schleier als Medium und Metapher (2005) verdeutlicht: „Wie in McLuhans berühmter Diagnose wird die geläufige Hierarchie von Medium und Inhalt folglich umgekehrt und ein (ontologischer) Vorrang des Verschleierten über die Verschleierung in Frage gestellt. Der Schleier prägt das von ihm verhüllt zur Anschauung Gebrachte und wirkt an dessen Vorhandensein mit.“86
Einem Palimpsest gleich, legen sich die verschiedenen visuellen und textuellen Bedeutungsstrukturen der Ornamentiken auf die Figuration, sodass ornamentale und figurative Ausdruckseinheiten in einen vielstimmigen Dialog treten. In dieser Leseweise versinnbildlichen die ornamentalen Schichten Thematiken der eigenen Identität und Subjektivität. Die Abbildung der unbekleideten Frau wird gleichsam zu einer leeren Leinwand, auf welche Elemente und Fragmente ihrer sie konstituierenden Identität geblendet sind. „Every layer has a story,“87 betont
86 87
Endres, Wittmann und Wolf, in: Dies. (Hg.) 2005, S. VIII. Marwa Adel: Interview in Kairo vom 29.09.2012. Des Weiteren konstatiert Adel, dass sie die von ihr fotografierten unbekleideten Modelle als Symbole für eine noch unbeschriebene Identität verwendet, die sich dann über die ornamentalen Strukturen formt:
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Adel im Hinblick auf ihre künstlerische Strategie der ‚Ornamentalisierung‘. Jedes von den Ornamenten symbolisierte Narrativ formt die weibliche Figur in ihrer Identität und trägt zu ihrer Subjektbildung bei. Die einzelnen Strukturen sind dabei nicht immer unmittelbar sichtbar, da sich die fotografischen und kalligrafischen Schichten gegenseitig überlagern. Somit werden die komplexen Prozesse der eigenen Identitätskonstruktion, die sich über wechselseitige Perspektiven der Selbst- und Fremdzuschreibung formen, im Motiv des Schleiers künstlerisch thematisiert. Mit der ornamentalen Darstellung von Identitätskonzepten distanziert sich Adels künstlerische Strategie von einem festgeschriebenen, unbeweglichen Identitätsbegriff und nimmt vielmehr die verschiedenen und oftmals widersprüchlichen Schichten der Subjektkonstruktion in den Blick. Folglich kann nicht von einem ursprünglichen, ‚reinen‘ bzw. ‚nackten‘ Identitätsbegriff gesprochen werden, da die eigene Subjektivierung stets in einem vielschichtigen Prozess unterschiedlicher Einflüsse ausgehandelt wird und sich somit in einem Dazwischen manifestiert, wie es die über die Figur gelegten ornamentalen Strukturen symbolisieren. Referiert die Kalligrafie in Thought auf die generierende Kraft von Träumen in Bezug auf die eigene Identität, so können die vegetabilen Ornamentiken in beiden Arbeiten sowohl auf individuelle Wurzeln als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit verweisen als auch im Sinne sozialer oder politischer Konventionen bzw. unterdrückender Rollenmuster gelesen werden. In beiden Fällen wird die weibliche Figuration zum Muster. Die Bedeutungsdimensionen des ornamentalen Schleiers unterscheiden sich jedoch je nachdem, ob die Schichten als identitätsstiftende Selbstexpression oder als äußere Zuschreibung, beispielsweise über soziale Gepflogenheiten oder politische Repressionen, gedeutet werden. Hier zeigt sich die Ambivalenz der die Figuration überlagernden Ornamentiken: Während diese in der ersten Deutung als formkonstituierend und somit gegenüber der figurativen Darstellung als symbiotisch gelesen werden können, offenbart sich in der zweiten Deutung eine potentiell repressive, unterdrückende Wirkung der Ornamente, welche die Figuration zwar vordergründig zu formen scheinen, diese jedoch zugleich überdecken und damit in ihrer Gestalt zum Verschwinden bringen. In der zweiten Leseweise kann die ornamentale Überblendung der weiblichen Figuration somit als strategisches Mittel zur Kritik beschrieben werden. Sabine Vogel hat in den von ihr kuratierten Ausstellungen Die Macht des Ornaments (2009) sowie Political Patterns. Ornament im Wandel (2011) bereits auf
„I use nudity for its own sake and not for provocation.“ Marwa Adel: Interview in Kairo vom 30.12.2013.
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das künstlerische Potential des Ornaments als kritische Form in zeitgenössischen transkulturellen Werken hingewiesen: „Möglicherweise bekräftigt von Globalisierung und transnationalen bzw. -kulturellen Identitäten, dienen Ornamente heute zwar einerseits als Brücke zu Traditionen, werden andererseits aber immer häufiger als Mittel der Kritik eingesetzt: an einengenden, weiblichen Rollenmustern; an totalitären, politischen Systemen; an vereinheitlichenden Verhaltensmustern, Erwartungen und Konventionen.“88
In diesem Sinne vermögen die ornamentalen Schichten Formen sozialer oder aber auch politischer Unterdrückung bildlich auszudrücken. Die vegetabilen Musterungen werden hierbei zu Symbolen soziopolitischer Verwurzelung, die eine einschränkende Wirkung auf die Figur ausüben, wie Adel in Bezug auf ihre künstlerische Thematisierung des menschlichen Körpers und dessen ornamentale Verschleierung hervorhebt: „The human body is a word surrounded by restrictions in our Middle Eastern society.“89 Die darin implizierte kritische Haltung gegenüber soziopolitischen Repressionen wurde in der Kunstkritik vor allem auf den innerägyptischen Kontext und den biografischen Hintergrund Adels – als geschiedene Frau und alleinerziehende Mutter in Kairo lebend – bezogen. So schreibt beispielsweise Jyoti Kalsi: „Marwa Adel’s photographs speak about the struggles she has faced in her life. They express her desire to break free from the restrictions imposed on women by society and to be the person that she is rather than what society forces her to be. Her work is deeply personal, but it tells a universal story.“90
Die dezidiert politische Leseweise der Ornamente als Sinnbild für soziopolitische Repressionen – insbesondere hinsichtlich der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Ägypten – kann jedoch über die opaken, in ihrer Bedeutung ambivalenten Bildstrukturen der Arbeiten verunsichert werden. Denn die ornamentalen Schichten lassen sich, wie oben beschrieben, sowohl in positiver Interpretation als bildkonstituierend und somit als identitätsformend lesen, wie
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Vogel, in: Ausst.-Kat. Political Patterns. Ornament im Wandel 2011, S. 12. Siehe hierzu auch Ausst.- Kat. Die Macht des Ornaments 2009. Vogel geht in den beiden von ihr kuratierten Ausstellungen jedoch nicht auf zeitgenössische künstlerische Positionen aus Ägypten ein.
89
Marwa Adel: Interview in Kairo vom 21.09.2012.
90
Kalsi, in: Art Sawa 2012.
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sie auch kontrapunktisch als figurationsüberdeckend und somit als Symbol für Repression und Unterdrückung gedeutet werden können. Im interpretativen Aneignungsprozess des Betrachters lösen sich beide Leserichtungen gegenseitig ab. Die ornamentalen Bildstrukturen unterwandern demnach eine eindeutige Bedeutungszuschreibung, da die jeweiligen Schleier der Arbeiten sowohl als Symbole von Einschließung und Gefangenheit wie auch als metaphorische Darstellung einzelner Identitätsschichten – bestehend aus vielfältigen Narrativen und Träumen – gelesen werden können. Bleibt durch diese Mehrschichtigkeit die thematische Bildaussage im Werk von Adel uneindeutig und opak, so kann diese Ambivalenz der Bildstruktur wiederum als Kritik an vorgefassten Kategorien gedeutet werden, wie sie im internationalen Kunstdiskurs von einem ‚westlichen‘ Kanon zumeist impliziert sind. Die Widerständigkeit der Arbeiten Adels, sich einer eindeutigen Interpretation unterzuordnen, wendet sich gegen das Postulat, ‚nicht-westliche‘ Künstler würden zumeist Thematiken der eigenen Identität behandeln und an den jeweiligen soziopolitischen Verhältnissen im eigenen Land Kritik üben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Arbeiten jegliche Interpretationszuschreibung negieren. Vielmehr lassen die Werke in ihrer strukturellen Mehrschichtigkeit vielfältige Leseweisen zu, die nebeneinander stehen, sich überkreuzen oder auch widersprechen können. Die soziopolitische Kritik spielt im Œuvre Adels eine wesentliche Rolle, ebenso wie sie die komplexen Einflüsse auf die eigene Subjektivität thematisiert. Doch zugleich verweigert sie sich essentialistischen, auf stereotypen Konstruktionen basierenden Identitätszuschreibungen, wie sie im internationalen Kunstkontext oftmals noch aufrecht erhalten werden. Die gegenseitige Durchdringung der ornamentalen und figurativen Ausdruckseinheiten kann in ihrer thematischen Bedeutungsdimension mit dem Opazitätsbegriff von Édouard Glissant beschrieben werden. Im transkulturellen Austausch, den er als Kreolisierung der Welt beschreibt, sieht Glissant Undurchdringlichkeit nicht als einen pejorativen Zustand, den es zu transzendieren gilt, sondern als Form gegenseitiger Anerkennung: „In der Begegnung der Kulturen der Welt sollten wir die imaginäre Kraft gewinnen, alle Kulturen anzusehen, als ob sie gleichzeitig eine Einheit und eine befreiende Vielfalt ins Werk setzten. Aus diesem Grund fordere ich für alle das Recht auf Opazität. Für mich ist es nicht mehr notwendig, den anderen zu ‚verstehen‘, das heißt, ihn auf das Modell meiner eigenen Transparenz zu reduzieren […].“91
91
Glissant 2005, S. 54. Unter Kreolisierung versteht Glissant „eine Mischung, insbesondere eine Mischung der Kulturen, die Unvorhersehbares herstellt.“ Ebd., S. 81.
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Für die Beschreibung von Kulturen und Identitätskonstruktionen greift Glissant auf Deleuzes und Guattaris Konzept des Rhizoms als Metapher für wechselseitige Vernetzung zurück, das sich in seiner Vielschichtigkeit eines Wurzelgeflechts einem systematisierenden, einordnenden Denken entzieht.92 In dieser Perspektive ist das von ihm postulierte Recht auf Opazität, wie Celia Britton betont, „a defence against the objectifying gaze of the other.“93 Die Opazität und strukturelle Mehrdeutigkeit der Arbeiten Adels können somit im Sinne Glissants als Verweigerung gegenüber kategorialen Zuschreibungen verstanden werden, die zugleich die Problematik der Lesbarkeit bzw. das gegenseitige Verständnis von Kulturen – insbesondere im postkolonialen Kontext – kritisch thematisieren: „Opacity, in other words, resists and contests understanding. It asserts that the act of understanding, however well-meant, is either an objectifying reduction of the other to pseudo-universal categories, or a false identification of the other with oneself that annuls his difference […]. It is thus always an act of aggression and appropriation.“94
Diese Thematisierung des objektivierenden, einordnenden Blicks des Anderen greift Adel insbesondere in ihrer Werkserie The Journey von 2012 auf, in der sie das ambivalente Phänomen des Orientalismus im postkolonialen Kontext kritisch visualisiert. The Journey – Auflösung vorgefasster Kategorien im Kontext einer ‚Post-Orientalismus‘-Debatte Die fünfzehn fotografischen Arbeiten der Serie The Journey unterscheiden sich von Adels vorherigen Werken in ihrer Appropriation orientalisch anmutender Kunststiche, welche die Künstlerin als Postkartenkollektion in einem Antiquariat in Schardscha erworben hatte. Die traditionelle islamische Architekturen und Szenerien darstellenden Motive wurden von Adel abfotografiert und in einem aufwendigen künstlerischen Prozess digital bearbeitet: „I had to edit and retouch the oriental images for six months in order to print them in a strongly enhanced size.“95 Anstelle der vegetabilen Ornamentiken überlagern nun die vergrößerten orientalischen Postkartenmotive die Darstellungen weiblicher Figuren. Die in ihren gegenständlichen Repräsentationen variierenden Schwarzweißfotografien
92
Vgl. Glissant 2005, S. 19 und 39.
93
Britton, in: French Studies 1995, Nr. 49, S. 310.
94
Ebd.
95
Marwa Adel: Emailinterview vom 02.01.2013.
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werden dabei in der gesamten Serie mit zwei weiteren fotografischen Schichten ergänzt, die jeweils dieselbe Abbildung eines weißen, durchscheinenden Spitzenstoffs sowie die kartografischen Linien einer monochromatischen GoogleMap wiedergeben. Abbildung 15: Marwa Adel, #4 (aus der Serie The Journey), 2012. Fotografie und Computergrafik-Design, 140 x 100 cm.
Quelle: Von Marwa Adel zur Verfügung gestellt. © Marwa Adel
So zeigt die Arbeit #4 (Abbildung 15) von 2012 eine in seitlicher Rückenansicht stehende unbekleidete Frau, die mit beiden Händen in schützender Geste ihr Gesicht bedeckt, sodass lediglich das rechte, geschlossene Auge sowie Ansätze der Nase erkennbar sind. Auf die Figur ist das Motiv eines mit islamischen Ornamenten geschmückten architektonischen Steinportals gelegt, aus dem eine verschleierte Frau hervortritt, die auf ihrem Kopf einen geflochtenen Korb balanciert. Zur linken Seite des offenen Eingangs befindet sich ein sitzender, Turban tragender Lautenspieler sowie auf der rechten Seite ein zwischen Schüsseln und Gefäßen stehendes Kind. Die figürlichen und architektonischen Elemente des
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Postkartenmotivs stellen in ihrer attributhaften Gestalt schematisierte Darstellungen einer islamischen Szenerie dar, wie sie insbesondere für die orientalistische Malerei und Fotografie des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts kennzeichnend sind.96 Abbildung 16: Marwa Adel, #1 (aus der Serie The Journey), 2012. Fotografie und Computergrafik-Design, 130 x 90 cm.
Quelle: Von Marwa Adel zur Verfügung gestellt. © Marwa Adel
In einer weiteren Arbeit mit der Nummerierung #1 (Abbildung 16) repräsentiert die digital manipulierte Abbildung eines weiteren Postkartenmotivs die architektonische Landschaft eines Versammlungsplatzes, welcher von Mauern und mit islamischen Ornamenten sowie Sonnensegeln ausgestatteten Gebäuden gesäumt ist. Auf dem Platz sind in mächtigen, ausladenden Gewändern verhüllte Gestalten positioniert, die neben überlebensgroßen, geöffneten Käfigen entlang schreiten. Diese orientalische Abbildung ist ebenso auf die Fotografie einer unbekleideten Frau geblendet, die in Seitenansicht das Gesicht in die Hände legt und damit verdeckt.
96
Zur Thematik orientalistischer Fotografien siehe Behdad, in: Ders. und Gartlan (Hg.) 2013, S. 11-32.
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Beide fotografischen Arbeiten lassen über die divergierenden, sich gegenseitig durchdringenden Schichten wiederum unterschiedliche Leseweisen zu. Mit Blick auf den biografischen Kontext Adels kann die Bedeutungsstruktur der Werke als subtile Kritik an herrschenden Sozialkonventionen in Ägypten verstanden werden. Referenzen auf religiös konnotierte Traditionen, wie sie von den orientalischen Postkartenmotiven symbolisiert werden, prägen den Alltag und die jeweiligen Lebensentwürfe, die sich für die ägyptische Frau in den Worten der Künstlerin vor allem auf „the journey to get married“97 fokussieren. Verbildlicht wird die Thematik des Heiratens auf subtile Weise über die ornamentale Schicht des weißen Spitzenstoffs, den Adel von ihrem Hochzeitskleid abfotografierte. Die traditionellen Vorstellungen kontrastieren mit den Einflüssen globalisierender Entwicklungen, auf welche die Abbildungen einer Google-Map als Symbol für eine weltweite Vernetzung und zunehmende Heterogenität hinweisen. In dieser divergierenden Darstellung thematisieren die sich überlappenden und gegenseitig durchdringenden fotografischen Schichten somit allgemein Aspekte des Geschlossenen und des Offenen bezogen auf die ägyptische Alltagswelt. Stehen die abgebildeten Käfige symbolisch für Gefangenheit und Einschließung, so markieren die offenen Türen die Option der eigenen Befreiung, wie Adel konstatiert: „Everyone has to learn how to express his dreams, memories and stories and to break free from the restrictions imposed by society.“98 Bei dieser vordergründigen Kritik an lokalen Konventionen und sozialen Restriktionen bleiben die Arbeiten Adels jedoch nicht stehen. Über die künstlerische Appropriation orientalischer Motive wird vielmehr generell die Darstellung und dahingehend die einvernehmende Konstruktion des sogenannten Mittleren Ostens in den Blick gerückt. Einen Hinweis auf diese Bedeutungsdimension liefert insbesondere die Arbeit #12 (Abbildung 17), die als künstlerisch manipuliertes Postkartenmotiv eine Karawane vor den Kulissen einer antiken Palastruine zeigt, die ebenfalls auf eine weibliche Figuration gelegt ist. Im Motiv der orientalischen Landschaft tritt vor allem die Abbildung einer Daguerreotypie-Kamera hervor, die im rechten Bildfeld prominent platziert ist und als verkleinerte Version am linken Bildrand wiederholt wird. Die Linsenperspektive der größeren Kamera scheint dabei sowohl die dargestellte Karawane als auch die weibliche Figur einzufangen und damit zugleich im übertragenen Sinne bildlich einzunehmen und zu besetzen. Wie von Ali Behdad konstatiert, spielte die Fotografie in ihrer Entwicklungsphase eine wesentliche Rolle für die europäische Darstellung des Mittleren Ostens und das imperiale Wissen über den Orient:
97
Marwa Adel: Interview in Kairo vom 30.12.2013.
98
Ebd.
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„Significantly, at the very meeting in which […] Daguerre’s invention was introduced to the Chambre des députés, the presenter […] recommended that the French government immediately equip various institutions of knowledge-gathering about the Middle East, such as the Institut d’Égypte, with the new technology to further the project of Orientalism.“99
Abbildung 17: Marwa Adel, #12 (aus der Serie The Journey), 2012. Fotografie und Computergrafik-Design, 140 x 100 cm.
Quelle: Von Marwa Adel zur Verfügung gestellt. © Marwa Adel
Wurden die frühen Orientfotografien in der Forschung zunächst entweder als individuelle ästhetische Eindrücke von Reisenden oder als dokumentarische und damit objektive Darstellungen von europäischen Forschern wie Ägyptologen oder Archäologen betrachtet100, so hat in den letzten Jahrzehnten der Orientalismus-Begriff von Edward Said die kunsthistorischen Deutungen dieser Fotografien wesentlich beeinflusst. In antiessentialistischer Argumentation bezeichnet Said mit Orientalism (1978) einen europäischen imperialistischen Wissensdiskurs, um „den Orient zu beherrschen, zu gestalten und zu unterdrücken.“101 Die
99
Behdad, in: Ders. und Gartlan (Hg.) 2013, S. 13.
100
Vgl. ebd., S. 14.
101
Said [1978] 2010, S. 11.
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orientalistische Denkweise des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts besteht dabei auf einer „ontologischen und epistemologischen Unterscheidung zwischen ‚dem Orient‘ und […] ‚dem Okzident‘“102, welche die kolonialen Ambitionen und die hegemonialen Machtverhältnisse im Mittleren Osten nicht nur legitimiert, sondern zugleich generiert. Saids Kritik am Orientalismus hat keine Aufdeckung oder Verteidigung eines ‚realen‘, authentischen Orients zum Ziel, sondern fokussiert den konstruierten Charakter von Kulturvorstellungen und wie sich diese auf Kulturen zurückwirken. So betont er im Bezug auf die orientalistische Wissensproduktion: „Weil es aus einer Stärke heraus entstand, kann das Wissen über den Orient diesen selbst, den Orientalen und dessen Welt, gleichsam erschaffen.“103 Die mit Blick auf den literarischen Diskurs formulierte Argumentation Saids, dass Texte nicht nur Wissen generieren, „sondern gerade jene Realität, die sie lediglich zu beschreiben scheinen“104, wurde in der Kunstgeschichte auch auf die orientalistische Malerei und Fotografie angewendet. Beispielsweise bezeichnet Linda Nochlin in The Politics of Vision (1989) den dokumentarischen Realismus orientalistischer Malerei als „a visual document of nineteenth-century colonialist ideology, an iconic distillation of the Westerner’s notion of the Oriental couched in the language of a would-be transparent naturalism.“105 Im Hinblick auf das Medium der Fotografie wurde in der Rezeption und Appropriation der Thesen Saids insbesondere zwischen einer ‚westlichen‘ fotografischen Repräsentation des Mittleren Ostens als imperiale Objektivierung und Aneignung des Orients und der lokalen fotografischen Selbstrepräsentation als Ausdruck eines kolonialen Widerstands differenziert.106 Auf der anderen Seite
102
Said [1978] 2010, S. 11.
103
Ebd., S. 54.
104
Ebd., S. 114.
105
Nochlin 1989, S. 35.
106
Vgl. Behdad und Gartlan, in: Dies. (Hg.) 2013, S. 3-4. In der Orientalismus-Rezeption wurde Said oftmals eine zu einseitige Perspektivierung vorgeworfen, die den aktiven Widerstand in den Kolonien unbeachtet lasse und damit das Bild des passiven Orientalen selbst konstruiere. Dieser Kritik begegnet er in seinem Werk Culture and Imperialism von 1993: „Tatsächlich hat beinahe überall in der nicht-europäischen Welt die Ankunft des weißen Mannes Widerstand hervorgerufen. Was ich in Orientalism außer Acht gelassen hatte, war genau diese Reaktion auf die westliche Dominanz in der gesamten Dritten Welt. […] Niemals hat die imperiale Konfrontation einen aktiven westlichen Eindringling gegen einen gleichgültigen oder trägen nicht-westlichen Eingeborenen auszuspielen vermocht; immer gab es, in irgendeiner Form, tätigen Wider-
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reklamierten einige Wissenschaftler eine Rückkehr zu einem ideologieneutralen Orientalismus-Begriff, um eine einseitige Betrachtung der künstlerischen Werke zu vermeiden und das gegenhegemoniale Potential der Künste zu fokussieren. In dieser Argumentationslinie führt John MacKenzie in Orientalism. History, Theory and the Arts (1995) gegen Nochlins Forderung einer Repolitisierung der Kunst ins Feld: „[…] there is little evidence of a necessary coherence between the imposition of direct imperial rule and the visual arts.“107 In seiner Gegendarstellung begreift er Orientalismus vielmehr „as the means to a mutually interpenetrating transculturation, as a cultural ground on which western social and cultural weakness as well as oriental resistance can be played out in often subtle and implicit ways.“108 Diese Perspektive ignoriert allerdings den historischen, von hegemonialen Macht- und Spannungsverhältnissen durchzogenen Kontext sowie die Interrelationen von europäischer Präsenz in den Ländern des Mittleren Ostens und den visuellen Repräsentationen des Orients. Zugleich ist jedoch ebenso eine binäre Differenzierung zwischen der imperialen Repression und dem indigenen Widerstand gerade mit Blick auf die künstlerische Darstellung des Orients irreführend, da sich lokale Eliten oftmals aktiv an der Produktion orientalistischer Repräsentationen beteiligten. In diesem Sinne fassen Ali Behdad und Luke Gartlan in Photography’s Orientalism (2013) zusammen: „Photographic representations of the Middle East do not entail a binary visual structure between the Europeans as active agents and ‘Orientals’ as passive objects of representation. And just as Western photographic representations of the Middle East are not all expressions of colonial power, indigenous practices of photography do not necessarily constitute a locus of resistance to Orientalism.“109
Sie fordern dagegen eine differenziertere Betrachtung des Orientalismus „as a network of aesthetic, economic, and political relationships that cross national and historical boundaries.“110 Diese kritische Haltung gegenüber orientalistischen Darstellungen zeigen auch Adels Arbeiten aus der Serie The Journey. Über ihre strukturelle Mehrschichtigkeit wenden sie sich nicht nur gegen eine
stand, und in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle gewann dieser Widerstand schließlich die Oberhand.“ Said [1993] 1994, S. 14. 107
MacKenzie 1995, S. 51.
108
Ebd., S. 25.
109
Behdad und Gartlan, in: Dies. (Hg.) 2013, S. 4.
110
Behdad, in: ebd., S. 12-13.
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einvernehmende Darstellung des ‚Orients‘ durch den ‚Westen‘, sondern thematisieren die komplexen, widersprüchlichen Spannungsverhältnisse im Zuge postorientalistischer Debatten. Dabei entziehen sich die Bildstrukturen, die in den einzelnen Arbeiten in einen vielfältigen Dialog zueinander treten, einer eindeutigen Zuschreibung und machen vielmehr ihre eigene Darstellung zum Thema des Werks. Die künstlerische Strategie Adels impliziert eine Weigerung, einer bestimmten Bedeutung und damit einer zumeist stereotypen Identität zugeschrieben zu werden, und kritisiert dadurch von außen vorgenommene Positionierungen des eigenen Selbst. Adels Postulat „Do not frame me, do not label me“111 wendet sich dabei sowohl gegen ‚westliche‘ Einordnungskriterien wie gegen lokale restriktive Identitätsschemata. Die im euroamerikanischen Diskurs konstruierten Vorstellungen über den Orient haben sich so stark in die genuine ägyptische Identitätskonstruktion eingeschrieben, dass Identitätsfragen durch die ständig notwendige Brechung stereotyper Strukturen verkompliziert werden. Um der Kategorisierung zu entgehen, referieren einige ägyptische Künstler vor allem auf die historisch begründete kumulative Identität Ägyptens.112 Adel hingegen entzieht sich jeglicher Zuschreibung, da diese immer auch eine Eingrenzung der eigenen Freiheit von außen wie von innen impliziert. Diese künstlerische Haltung verdeutlicht sich in der ambivalenten Charakteristik der vielschichtigen Bildstrukturen, die zugleich Aspekte des Einschließens und des Öffnens berühren und dadurch auf unterschiedliche Weise gedeutet werden können. Bewusst verzichtet Adel in The Journey auf einzelne Titel, um die Bedeutungsmuster der jeweiligen Arbeiten offen zu lassen. Damit stellt sie sich orientalistischen Werken entgegen, die über ihre stets explizite Betitelung die Wahrnehmungsrichtung des Betrachters lenken und Mehrdeutigkeit strategisch ausschließen.113 Zur inszenierten Objektivität orientalistischer Fotografie konstatiert Behdad: „In this way, the Orientalist photograph freezes the Oriental other twice: once through an exotic staging of his or her reality, and a second time through an ideological labeling of his appearance in the image.“114 Die künstlerischen Appropriationen orientalistischer Motive in den Fotografien Adels stellen in diesem Sinne keine antiquierten Bilder eines früheren Orients dar oder reflek-
111 112
Marwa Adel: Interview in Kairo vom 21.09.2013. Siehe hierzu insbesondere die künstlerische Strategie von Khaled Hafez in Kapitel 7.1.
113
Vgl. Behdad, in: Ders. und Gartlan (Hg.) 2013, S. 25-26.
114
Ebd., S. 26.
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tieren eine vermeintlich authentische Identität, sondern thematisieren den Blick auf den ‚Orient‘ und die ihm auferlegten Projektionen. Die Diagnose von Regina Göckede und Alexandra Karentzos in Der Orient, die Fremde. Positionen zeitgenössischer Kunst und Literatur (2006) kann ebenso für das Verständnis der Arbeiten Adels herangezogen werden: „So behandeln diese künstlerischen Projekte den Orient nicht als Identität, sondern als markierte Seite einer Differenz – die andere Seite, der Okzident, ist in den Distinktionen immer mitgedacht.“115 Adels Arbeiten beziehen sich dabei sowohl auf einen ‚westlich‘ konstruierten als auch auf einen lokal adaptierten Orientalismus. Die Kritik richtet sich damit nicht nur an euroamerikanische Repräsentationen des ‚Orients‘, sondern auch an die lokal auferlegten Authentizitätsparadigmen einer ursprünglichen Tradition, die Adel ebenso als Konstrukt entlarvt. Die damit angesprochene ‚Selbstorientalisierung des Orientalen‘ wurde seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts dazu funktionalisiert, nationalistische oder islamistische Narrative zu legitimieren, und lässt sich heute ebenso über die Konjunktur sowohl europäischer als auch lokaler orientalistischer Malerei auf dem arabischen Kunstmarkt nachweisen.116 Stereotype Bilder und Vorstellungen über den Orient werden dabei als authentische Entitäten affirmativ umgedeutet. Adels Hinterfragung von lokalen Postulaten der Authentizität, wie sie in essentialistischen Identitätspolitiken formuliert werden, problematisiert, dass orientalistische Stereotype im ägyptischen Diskurs nicht negiert, sondern positiv umgewertet und dadurch in ihrer Artikulation letztendlich legitimiert wurden. Damit widersetzen sich die fotografischen Arbeiten Adels mit den Worten Markus Schmitz‘ „jeder kulturellen Standardisierung, gleichgültig ob diese in einem
115
Göckede und Karentzos, in: Dies. (Hg.) 2006, S. 10.
116
Zur Problematisierung des nahda-Diskurses für die Konstitution eines ägyptischen Nationalismus siehe insbesondere Kapitel 1.1 Die nahda-Bewegung als intellektueller Referenzrahmen für die Entwicklung der modernen Kunst in Ägypten. Zur zeitgenössischen Konjunktur orientalistischer Malerei im arabischen Kunstdiskurs am Beispiel des Libanons siehe Scheid, in: European University Institute Working Papers 2006. Wie Winegar betont, kann die Popularität orientalistischer Malerei in Ägypten nicht mit der potentiellen Naivität elitärer Käufer erklärt werden, Stereotypen ihrer selbst zu erwerben, „but rather as a ‚paradoxical‘ search for a premarket authenticity articulated through market flows themselves.“ Winegar 2006, S. 245. Winegar argumentiert darüber hinaus, dass der Kauf von orientalistischen Gemälden, die beispielsweise Fellachen auf dem Feld darstellen, der ägyptischen Elite strategisch dazu dient, sich sowohl als Teil der Nation als auch über der lokalen Bevölkerung stehend zu verorten. Vgl. ebd., S. 249.
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westlichen oder arabisch-islamischen Diskurs hervorgebracht wurde.“117 Die manipulatorischen Eingriffe in die digitalen Fotografiearbeiten unterminieren den Objektivitätsanspruch der orientalistischen Darstellung, indem sie den scheinbaren Realismus der Postkartenmotive über die strukturelle Mehrschichtigkeit als Täuschung und Trugbild entlarven. Manipulierte Werke struktureller Mehrdeutigkeit: Das Spiel mit dem Figur-Grund-Verhältnis Die ambivalente Bedeutungsdimension der Arbeiten Adels ist bereits in der textuellen Bildstruktur aus ornamentalen und figurativen Ausdruckselementen angelegt, die sich in einer Uneindeutigkeit der bildräumlichen Wirkung manifestiert. Paradigmatisch für die künstlerische Thematisierung des Figur-GrundVerhältnisses stehen die als Triptychon konzipierten Arbeiten #13, #14 und #15 (Abbildungen 18-20) aus der Serie The Journey von 2012. Die Fotografien stellen eine jeweils in Seitenansicht abgebildete unbekleidete Frau dar, deren Positionierung über ihre Armstellung in den einzelnen Arbeiten variiert. Während sie in #13 und #14 ihr Gesicht in beiden Hände verbirgt – wobei in #14 zusätzlich ihre rechte Schulter nach oben gezogen ist –, hält sie sich in #15 die rechte Hand auf die Stirn, sodass ihr Profil erkennbar ist, und verdeckt mit der linken Hand ihre aufgrund des erhobenen Armes entblößte Brust. Auf die Figuration sind jeweils dieselben ornamentalen Schichten gelegt: Zum einen der bereits in den vorherigen Arbeiten aus The Journey besprochene weiße Spitzenstoff sowie zum anderen florale Musterungen, die in ihrer Form dem architektonischen Relief einer Moschee entstammen. Formalästhetisch kann die strukturelle Durchdringung der figurativen und ornamentalen Elemente im Sinne des sogenannten ‚Nordenfalkschen Gesetzes‘ gelesen werden, das sich wie folgt definiert: „Die relative Gegenständlichkeit eines ornamentalen Musters und seine relative Bindung an die materielle Grundfläche stehen in umgekehrten Verhältnis zueinander.“118 Das bedeutet, dass sich ornamentale Strukturen, sobald sie gegenständlich beschreibbar sind, eher räumlich abheben, während sie, je mehr sie zur Abstraktion tendieren, im Bildgrund aufgehen und davon ununterscheidbar werden. In ihrer ambivalenten Charakteristik können Ornamente oftmals in beide Richtungen tendieren und formen dadurch ein spezifisches Vermittlungsprinzip zwischen Figur und Bildgrund.
117 118
Schmitz, in: Göckede und Karentzos (Hg.) 2006, S. 50. Nordenfalk, in: Acta Archaeologica 5, 1934/35, S. 262. Zitiert nach Beyer und Spies, in: Dies. (Hg.) 2012, S. 17.
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Abbildungen 18-20: Marwa Adel, #13, #14 und #15 (aus der Serie The Journey), 2012. Fotografie und Computergrafik-Design, jeweils 75 x 85 cm.
Quelle: Jeweils von Marwa Adel zur Verfügung gestellt. © Marwa Adel
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Dementsprechend sind die Arbeiten #13, #14 und #15 auf doppelte Weise lesbar, da die weibliche Figur über die ornamentale Schicht sowohl mit dem Bildgrund sukzessive zu verschmelzen scheint als sich zugleich davon löst. Die Figuration wirkt auf diese Weise von den Ornamenten vereinnahmt, kann sich jedoch gleichsam von ihnen emanzipieren. Diese doppelte Wirkung wird insbesondere über die unterschiedlichen ornamentalen Schichten evoziert. Während sich der abgebildete Spitzenstoff des Kleides über die gesamte Bildfläche spannt und somit die Verschmelzung fördert, liegen die floralen Blumen des architektonischen Ornaments lediglich auf dem Körper und heben diesen dadurch vom Bildgrund hervor. Da die Leserichtung stets in die eine und die andere Richtung tendieren kann, bleibt eine eindeutige interpretative Zuschreibung und thematische Deutung der Bildstrukturen zugleich offen. Verbindungen von figurativen Repräsentationen und ornamentalen Strukturen im ambivalenten Spiel des Figur-Grund-Verhältnisses haben in transkulturellen Arbeiten der vergangenen Jahre Konjunktur. So überlagert beispielsweise der ägyptische Künstler Hazem Taha Hussein (*1961) in seiner Malerei figürliche Darstellungen mit rosettenförmigen Ornamentgittern. Der jeweils in Acryl gefasste Bildgrund tritt dadurch hinter das ornamentale Raster, welches in seiner Form Reminiszenzen an altislamische Ornamente aufweist, zurück.119 Über die Strukturen scheint Hussein somit das islamische Kunsterbe Ägyptens ins Zentrum seiner künstlerischen Auseinandersetzung zu stellen. In der exemplarischen Arbeit People (Abbildung 21) der Serie Optical Impressions von 2008 erscheinen in verwaschenen Pastellfarben die Silhouetten dreier Mädchen, alle mit Hidschab, sowie auf der rechten Seite der Umriss eines jungen Mannes. Durch die opake Darstellung der Personengruppe zeigt die Malerei Husseins in ihrer Ästhetik Affinitäten zu Adels manipulierten fotografischen Arbeiten, sodass sich eine komparatistische Gegenüberstellung anbietet. Über die figurative Szenerie spannt sich eine von Hand aufgetragene netzartige Gitterstruktur, welche in Form und Gestalt paradigmatisch für die Optical Impressions-Werkreihe steht. Der künstlerisch evozierte Kontrast zwischen Bildhintergrund und geometrischem Ornamentvordergrund erzeugt eine ambivalente Spannung im Bild, die, wie bei den Arbeiten Adels, unterschiedliche interpretative Lesarten zulässt. Die erste Bildwirkung zeigt sich in der Fernsicht: Hier wirkt das Flächenornament kohärent und lässt den Betrachter durch es hindurch blicken. Der Bildgrund kommt hinter dem ornamentalen Raster in seiner Gänze zum Vorschein, so dass die Silhouetten der Figuren erkennbar werden. Die zwei-
119
Zur Gestalt rosettenförmiger Ornamentik in der islamischen Kunst siehe Critchlow [1976] 1992, S. 20-21.
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te Bildwirkung wird durch einen Wechsel in die Nahsicht evoziert: Das Ornament beginnt zu flimmern und die Tiefenwirkung, welche durch den Hintergrund evoziert wird, reduziert sich soweit, dass nur noch das Ornament als Fläche wahrnehmbar ist und die Silhouetten der Figuren zu Farbfeldern verschwimmen. Abbildung 21: Hazem Taha Hussein, People (aus der Optical ImpressionsSerie), 2008. Mischtechnik auf Leinwand, 140 x 160 cm, Al Masar Gallery, Kairo.
Quelle: Von Hazem Taha Hussein zur Verfügung gestellt.
Eine potentielle Unterscheidung von figurativer Gestalt und ornamentaler Struktur durch die wechselnde Wirkung von Nah- und Fernsicht ist in den Werken Adels dagegen nicht möglich, da sich die einzelnen Bildschichten gegenseitig durchdringen und dadurch gleichsam konstituieren. Ebenso unterscheiden sich die künstlerischen Strategien Adels und Husseins in der Thematisierung eines islamischen Kunsterbes, wie es über die ornamentalen Strukturen symbolisiert wird. Während Adel vielmehr den Blick auf die Ornamente künstlerisch verhandelt – sowohl im Sinne eines ‚westlich‘ konstruierten Orientalismus wie auch mit Bezug auf lokale Adaptionen und positive Umdeutungen dieser Vorstellungen im Paradigma einer authentischen, ursprünglichen Tradition – diskutiert Hussein die ambivalente Bedeutung des kulturellen Erbes für die eigene Identitätskonstruktion, ohne zugleich potentielle Fremdzuschreibungen stärker zu berücksichtigen, wie dies im Werk von Adel geschieht. People kann zunächst als eine sakrale Aufladung einer Figuration durch das Überblenden einer islamischen Ornamentform und damit sinn- und identitätsstiftend gelesen werden. Zugleich wird die strukturale Wirkung des Ornaments je-
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doch durch die Figuration in mehreren Schritten formalästhetisch gebrochen. Zum einen ist eine meditative Versenkung, wie bei traditionellen islamischen Ornamenten möglich, durch den unruhigen Betrachterblick zwischen Nah- und Fernsicht desavouiert. Ein weiteres Merkmal der islamischen Kunst, die positive Besetzung der Fläche, die selbst Ort der Darstellung ist, wird durch die perspektivisch dargestellten Figuren aufgebrochen und das Werk zeigt sich als geschlossene Komposition, die nicht wie eine Ornamentik unendlich fortsetzbar ist. Die figürliche Darstellung der Personengruppe bricht demnach die Bedeutungsimplikationen des traditionellen islamischen Ornaments und hebt sie dadurch auf. Gleichzeitig legt sich die Ornamentik allerdings in der Nahsicht wie ein sakraler Schleier auf die Figuren und kann symbolisch als Schutzfunktion gelesen werden. Das Werk evoziert somit ein unaufgelöstes Spannungsverhältnis zwischen Figuration und Ornamentik, womit eine gegenseitige Dekonstruktion der jeweiligen Bedeutungsdimensionen stattfindet. Die Interpretation entzieht sich somit wie bei den Werken Adels einer eindeutigen Zuschreibung. Von Bedeutung ist hierbei auch die transkulturelle Verortung des Kunstwerks selbst, wie sie sich im Zugang des Künstlers zur islamischen Ornamentik widerspiegelt. Hussein führt an, dass er von einem deutschen Architekten in islamischer Ornamentkunst unterrichtet wurde: „One day in the Sultan Hassan Mosque I met a German architect, Walter Thomas from Berlin, who gave me the basic principle of Islamic grid pattern. From him I learnt how to deal with Islamic grid pattern, how lines come together to form a geometrical pattern. For about a year I was his assistant.“120
Die Technik der islamischen Ornamentraster entwickelte er während seiner Studienaufenthalte in Deutschland weiter, wobei er Inspirationen bei orientalischen Teppichen, aber auch über die Kunstwerke seines Vaters, dem Künstler Mohamed Taha Hussein, fand.121 In diesem Sinne betont Hussein die transkulturell geformte eigene Identität und fokussiert deren ambivalente Konstitution. Den Konstruktionscharakter identitärer Zuschreibungen und die Problematik stereotyper Kategorisierungen – gerade im Hinblick auf islamische bzw. orientalische Thematiken – berühren die Werke Husseins im Gegensatz zur künstlerischen Strategie Adels nicht. Überschneidungen in beiden künstlerischen Herangehensweisen zeigen sich jedoch in der Ambiguität und Ununterscheidbarkeit der
120
Hussein, zitiert nach Adrian von Roques, in: Contemporary Practices 2010, Band VII, S. 69.
121
Vgl. ebd.
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ornamentalen Strukturen, die sowohl als Schutzfunktion bzw. identitätskonstituierend als auch die Figur überlagernd und damit als potentiell einschränkend gelesen werden können. Einen implizit repressiven Charakter ornamentaler Überblendungen präsentiert dagegen das Werk der in Bulgarien geborenen und in Wien lebenden Künstlerin Adriana Czernin (*1969). In der exemplarischen Zeichnung Ohne Titel (Abbildung 22) von 2003 ist über die sitzende weibliche Figur ein in Pastellfarben monochrom gehaltenes camouflagehaftes Muster gelegt, das sich strukturell in der Kleidung wiederholt. Als weitere ornamentale Schicht sind in unsymmetrischer Positionierung Nelkenblüten über die Bildfläche verteilt, die im Gegensatz zu der camouflagehaften Musterung hinter der Figuration verlaufen. Die ornamentale Überlagerung einer weiblichen Figur zeigt deutliche formalästhetische Affinitäten zum künstlerischen Prinzip von Adel, auch wenn sie in einem anderen Medium – dem der Zeichnung – ausgeführt sind. Das Spiel mit dem Figur-Grund-Verhältnis tendiert in der Arbeit Czernins jedoch stärker zu einer völligen Negierung der bildräumlichen Illusion, da die ornamentalen Strukturen perspektivlos die gesamte Bildfläche einnehmen und die Figuration in ihre Musterungen einweben. Einerseits wird die Figur insbesondere über die ausgeprägten Konturen ihrer Silhouette von den sie umgebenden und überlagernden Strukturen abgegrenzt. Sie scheint sich jedoch andererseits über die monochrome Farbgebung und die Wiederholung der Musterungen auf ihrer Kleidung ornamental aufzulösen. Abbildung 22: Adriana Czernin, Ohne Titel, 2003. Farbstift, Bleistift auf Papier, 157 x 157 cm.
Quelle: Ausst.-Kat. Adriana Czernin, Galerie Martin Janda (Hg.) 2005, S. 13.
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Ähnlich wie in den Arbeiten Adels oszilliert der Blick zwischen diesen beiden Wahrnehmungen, wie Martin Prinzhorn betont: „Die menschliche Figur kann sich nicht stabil manifestieren, wie beim Betrachten einer Illusion kippt sie immer wieder weg, um im nächsten Augenblick zurückzukehren.“122 Ornamentale und figurative Ausdruckseinheiten werden zueinander in Beziehung gesetzt, wobei ein unaufgelöstes Spannungsverhältnis entsteht. Das Ornament gewinnt in diesem Zusammenhang Motivcharakter, was unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten impliziert. So thematisiert Czernin in ihrer Arbeit zentrale Thematiken des Ornamentalen wie die schmückende und damit überdeckende Funktion der Dekoration, den Zwang zur Wiederholung gegenüber dem Prinzip des Horror Vacui sowie das immerwährende Streben nach geometrischer Perfektion.123 Darin drückt sich mit den Worten der Künstlerin die soziopolitische Relevanz des Ornaments aus: „Ob Dekoration, Wiederholungszwang, Horror vacui oder Geometrie – das Ornament [fungiert] als Träger von Tradition, Kultur und Religion, in seiner gesellschaftlichen Funktion, als ihr repräsentatives Bild […] zwischen Ästhetik und Funktion, Freiheit und Diktatur.“124 Diese thematische Bedeutungsdimension kommt bereits auf formalästhetischer Ebene in der künstlerischen Durchmusterung der Arbeit zum Tragen. Mit Sabine Vogel kann das Ornament bei Czernin daher als kritische Form betrachtet werden: „Die Formen legen sich wie ein Netz über den in sich gekrümmten Körper, der bis in die Hände und Füße voller Anspannung ist, bedroht von dem spitzen, alles erdrückenden Gleichmaß, in dem sich Kleid und Hintergrund zu einem Korsett zusammenfügen. […] Anders als bei Gustav Klimt ist das Ornament bei Czernin nicht ein Bild der Verführung, […] sondern der Inbegriff von Unfreiheit.“125
Auf den ersten Blick zeigen sich die ornamentalen Strukturen ästhetisierend und formumspielend, doch dahinter offenbart sich der repressive Gehalt des Ornaments, was als kritischer Kommentar gegenüber klischeebeladenen Rollenmustern gelesen werden kann. Diese feministische Perspektive ist ebenso bei Adel von hoher Relevanz. Allerdings gestalten sich die thematischen Bedeutungsstrukturen in ihrer möglichen Interpretation ambivalenter und nehmen neben der feministischen Kritik ebenso eine postkoloniale Perspektive ein. Formalästhe-
122 123
Prinzhorn, in: Ausst.-Kat. Adriana Czernin. Investigation of the Inside 2013, S. 8. Vgl. Czernin, zitiert nach Vogel, in: Ausst.-Kat. Political Patterns. Ornament im Wandel 2011, S. 28-29.
124
Ebd., S. 29.
125
Vogel, in: Ausst.-Kat. Die Macht des Ornaments 2009, S. 13.
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tisch bildet das Figur-Grund-Verhältnis bei Adel stärker die Möglichkeit einer figurativen Emanzipation von der ornamentalen Schicht, da die Figuration in den Arbeiten #13, #14 und #15 von den ornamentalen Musterungen nicht vollständig überdeckt wird wie bei Czernin, sondern sich gleichsam aus ihnen konstituiert. Während Gesicht und Arme dabei deutlich hervortreten, sind Kopf und Körper der weiblichen Figur mit gewölbten, floralen Ornamentmustern überblendet. Dies weckt Assoziationen zu islamisch konnotierten Verschleierungsthematiken, die im transkulturellen Diskurs ein ambivalentes Bedeutungs- und Zuschreibungsspektrum eröffnen und zumeist soziopolitisch überdeterminiert sind. Der Schleier wird dabei in den Worten von Zineb Sedira zu einem Spektakel der kulturellen Verortung: „Inscribed to the body, the distinction between the wearer and the cloth is made invisible; the Muslim woman’s body – the medium trough which power operates and functions – is defined by the surface of her clothing.“126 Diskussionen um die Verschleierung der Frau kamen in Ägypten im Zuge des sogenannten nahda-Diskurses – der Debatten um eine kulturelle Renaissance – und der aufkommenden ägyptischen Frauenbewegung im ausgehenden neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhundert auf. Neben dem starken Einfluss der ägyptischen Feministin Huda Shaʿrawi, der Gründerin der ägyptischen Frauenvereinigung, gilt auch der ägyptische Jurist Qasim Amin als wesentlicher Verfechter des arabischen Feminismus. Amin bezog mit seinem 1899 veröffentlichten Werk tahrir al-marʿa (dt. Die Befreiung der Frau) explizit Stellung zu den Frauenrechten in Ägypten. Darin fordert er – neben dem Insistieren auf eine bessere Bildung von Frauen und deren aktive Teilhabe in der Öffentlichkeit – das Überdenken eines religiösen Verschleierungsgebots, das er theologisch als nicht begründet, sondern als traditionell verhaftet ansieht: „Nun, die Tatsache ist die, dass weder die Verschleierung noch die Benützung des burqu‘ zu den gesetzlichen Vorschriften des Islams gehört, und zwar weder aus religiösen noch aus Anstandsgründen. Vielmehr sind diese ein Erbstück aus alten Zeiten, die vor dem Islam zurückliegen und sich im Islam weiter konserviert haben. Dafür mag auch der Umstand als Beweis dienen, dass dieser Brauch in vielen islamischen Ländern unbekannt ist, dagegen bei den meisten orientalischen Völkern, die sich aber gar nicht zur islamischen Religion bekennen, existent ist. “127
126
Sedira, in: Bailey und Tawadros (Hg.) 2003, S. 70.
127
Zitiert aus der deutschen Übersetzung des Werks: Amin 1992, S. 71.
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Amin kritisiert in seiner Argumentation nicht die Religion des Islam, sondern bestimmte Bräuche und Traditionsformen, wie die Geschlechtersegregation, aber auch herrschende Unwissenheit, die er als maßgebliche Gründe für den soziokulturellen Verfall der ägyptischen Bevölkerung anführt. So sieht er in seiner vergleichenden Betrachtung mit Europa einen „Zusammenhang zwischen der Rückständigkeit der Frau und der Rückständigkeit und Unkultiviertheit der Nation einerseits wie zwischen dem Fortschritt der Frau und dem Fortschritt und der Zivilisation der Nation andererseits.“128 Das damit artikulierte soziokulturelle Fortschrittsmodell entlehnt Amin trotz seiner postulierten antikolonialen Haltung europäischen Modernediskursen.129 Vor allem über die Presse, aber auch über weitere Veröffentlichungen kommuniziert, löste die Publikation eine intensive und anhaltende Debatte in Ägypten aus, die unterschiedliche Standpunkte beinhaltete.130 Aufgrund seiner Beeinflussung von kolonialen Wissensdiskursen wurde Amins Werk überwiegend als Reartikulation und Wiedergabe europäischer Hegemonievorstellungen gelesen, wie von Leila Ahmed hervorgehoben: „Under the guise of a plea for the ‚liberation‘ of women […] he conducted an attack that in its fundamentals reproduced the colonizer’s attack on native culture and society.“131 Kritische und oppositionelle Stimmen gegen Amin als unmittelbar antifeministisch zu bezeichnen, wäre demnach irreführend. Nationalistische Oppositionsvertreter äußerten sich vor allem gegen die kolonialistische Couleur der von Amin vorgetragenen Argumente und implizierten sowohl feministische wie antifeministische Haltungen. Ebenso wurde Amin von feministischer Seite vorgeworfen, patriarchale Rollenmuster weniger zu negieren, als sie vielmehr fortzuführen und zu verfestigen.132 Grund-
128
Amin 1992, S. 34.
129
Amin vermischt dabei religiöse mit evolutionsbiologischen Argumentationslinien, beispielsweise wenn er von der Verdrängung indigener Bevölkerungen durch europäische Kolonialambitionen spricht: „Das nennt Darwin den ‚Kampf ums Dasein‘, d.h. eine von Gott all Seinen Kreaturen verliehene Anlage, um sie zum Emporstieg auf den einzelnen Stufen der Vollkommenheit heranzubilden.“ Ebd., S. 85.
130
Siehe hierzu insbesondere Ahmed, in: Bailey und Tawadros (Hg.) 2003, S. 40-55. Amins Veröffentlichung folgten über dreißig Bücher und Artikel in der Presse, wobei der Großteil der Rezensionen kritisch ausfiel.
131 132
Ebd., S. 48. Beispielsweise bezeichnete die ägyptische Feministin Malak Hifni Nasif die von Amin angestoßene Debatte zur Verschleierung als Ablenkungsmanöver von den tatsächlichen Problematiken im Bezug auf Frauenrechte, wie Bildung, Gesundheit und ökonomische Unabhängigkeit: „Her view was that the question of the veil was only
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sätzlich lässt sich festhalten, dass die soziopolitische Thematisierung der Verschleierung erst innerhalb des kolonialen Kontextes im ägyptischen Diskurs Einzug fand und kritisch verhandelt wurde. Während einige ägyptische, zumeist der Oberschicht entstammende Vertreter wie Amin die europäische Interpretation des Schleiers als Symbol für Rückständigkeit und Unterdrückung wiedergaben, nahm die dagegen argumentierende Bewegung die Thematik des Schleier nichtsdestotrotz an, um sie affirmativ umzudeuten und als Symbol des Widerstands zu inszenieren. In diesem Sinne stellt Ahmed fest: „Standing in the relation of antithesis to thesis, the resistance narrative thus reversed – but thereby also accepted – the terms set in the first place by the colonizers. And therefore, ironically, it is Western discourse that in the first place determined the new meanings of the veil and gave rise to its emergence as a symbol of resistance.“133
Der historische Kontext verdeutlicht den ambivalenten Diskurs zur Thematik des Schleiers und die Problematik der Übernahme kolonialer Konstruktionen der Verschleierung als Zeichen kultureller Rückständigkeit in lokalen feministischen Debatten. Zeitgenössischen ägyptischen Feministinnen geht es sowohl um eine Kritik an soziokulturellen und politischen Repressionen wie auch an essentialistischen Identitätskonstruktionen, die einerseits von einem immer noch aufrechterhaltenen euroamerikanischen Orientalismus – wie er insbesondere im internationalen Mediendiskurs besteht – und andererseits von nationalistischen oder islamistischen Diskursen formuliert werden. Über ihre ambivalente Bildstruktur visualisieren die Arbeiten Adels diese doppelte Kritik. Dem Modus des ornamentalen Schleiers ist dabei eine Widerständigkeit inhärent, da er sich durch seine opake Gestalt einer eindeutigen Entzifferung seiner Bedeutung entzieht. Damit wendet sich Adel auch gegen den orientalistischen, einvernehmenden Blick des kolonialen Diskurses, der im Sinne einer objektiven, wissenschaftlichen Aufklärung den Schleier orientalischer Geheimnisse zu lüften sucht, wie Reina Lewis konstatiert: „For the West, long obsessed with seeing behind the veil, the veil stands for the fantasised absolute divide behind East and West. Within a binarised worldview, penetrating behind
central in the debate about women’s place in society because the west (personified in Egypt then by Lord Cromer) had made it so.“ Soueif, in: Bailey und Tawadros (Hg.) 2003, S. 113. 133
Ahmed, in: Bailey und Tawadros (Hg.) 2003, S. 49.
212 | M USTER DER A MBIVALENZ the veil is the key to the mysteries of the East and a route to the penetration of territory (symbolic and literal).“134
In diesem Sinne kann der Schleier mit Viktoria Schmidt-Linsenhoff als Fetisch konzeptualisiert werden.135 Diese Reflexion des Schleiers als zu durchdringende Grenze, was bildlich zugleich unmöglich gemacht wird, ist in den Arbeiten Adels von wesentlicher Bedeutung. Orientalistische Vorstellungswelten werden über die Mehrschichtigkeit ihrer Werke kritisch thematisiert. Denn gerade die Opazität der Bildstrukturen verweigert sich einem kolonial-imperialen Blick, wie er von David Bailey und Gilane Tawadros am historischen Beispiel der napoleonischen Expedition beschrieben wird: „At the heart of Napoleon’s project was the visual illustration of the Orient, its detailed tabulation by visual artists with the object of making it totally accessible to European scrutiny.“136 Als ornamentale Schicht schiebt sich der Schleier vor den potentiellen Erkenntnisprozess, überlagert das in seiner Visualität zu Interpretierende und thematisiert damit auch in seiner Eigenbedeutsamkeit Fragen der Möglichkeit und Unmöglichkeit epistemologischen Sehens. In der Funktion eines Spiegels entlarvt der Schleier die Konstruiertheit der auf ihn geworfenen Vorstellungen. So schreibt Johannes Endres über die dem Schleier inhärenten Texturen der Opazität: „Das vermeintliche Geheimnis des Schleiers wird als Projektion des Betrachters und mangelnde Selbsttransparenz des Subjekts entmystifiziert. Als Spiegel wirft der Schleier das falsche Bewusstsein dessen zurück, der seinen Blick auf ihn richtet.“137 Über die ambivalenten Bildstrukturen in den Werken Adels, die sich einer eindeutigen Interpretation widersetzen, werden somit Aspekte der stets kontextuell bedingten Fremd- und Selbstzuschreibung kritisch thematisiert und als soziokulturelle Konstrukte, die oftmals ideologischen Diskursen dienen, entschleiert.
134
Lewis, in: Bailey und Tawadros (Hg.) 2003, S. 10.
135
Vgl. Schmidt-Linsenhoff, in: Fotogeschichte 2000, Heft 2, S. 25-38.
136
Bailey und Tawadros, in: Dies. (Hg.) 2003, S. 19.
137
Endres, in: Ders., Wittmann und Wolf (Hg.) 2005, S. 3.
Kapitel 7 Ornament und Repetition: Kritische Hinterfragung symbolischer Formationen
7.1 K HALED H AFEZ – Ü BER I DENTITÄT KULTURELLE V ISUALITÄT
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Book of Flight – Hybride Ikonografien der ‚Antidifferenz‘ Das künstlerische Œuvre von Khaled Hafez (*1963) ist von einer mehrschichtigen Ikonografie geprägt, die in den Medien Malerei, Videokunst und Installation Thematiken der Generierung und Konstituierung einer ägyptischen Identität sowie der Positionierung des Künstlers selbst innerhalb eines globalen, internationalen Kunstdiskurses berührt. Nach einer anfänglich abstrakten Schaffensphase wendet sich Hafez nach der Jahrtausendwende repräsentativen Strukturen zu, die ihre künstlerische Inspiration vor allem aus altägyptischen Bildikonen, aber auch aus traditionellen Hadsch-Wandmalereien1 ziehen, welche über unterschiedliche künstlerische Strategien in einen zeitgenössischen Kontext transformiert werden. Bilder der globalen Populärkultur verbinden sich in den malerischen Arbeiten mit traditionellen Symbolen einer pharaonischen Vergangenheit. Dabei versetzt Hafez in ironischer, der Ästhetik der Pop Art entlehnten Manier altägyptische Gottheiten in eine transnationale, kapitalistische Konsumwelt. So vermischen sich beispielsweise der schakalköpfige Anubis des Alten Ägyptens und die zeit-
1
Hadsch-Gemälde werden traditionell vor allem im ländlichen Raum Ägyptens an die Außenwände von Häusern appliziert, deren Bewohner die Pilgerreise nach Mekka, die Hadsch, bereits absolviert haben, um damit die Reise öffentlich zu visualisieren. Siehe hierzu Neal, in: Parker und ders. (Hg.) 1995, S. 29-59.
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genössische Comicästhetik Batmans zu einer vielschichtigen, hintergründigen Bedeutungsstruktur. Die visuelle Analogie zwischen beiden Figuren erkannte Hafez bereits 1996 in seiner künstlerischen Anverwandlung scheinbar gegensätzlicher Konzepte: „One day I was looking at a small stone model of Anubis and a Warner Brothers model of Batman of almost the same size, and I discovered that both figures are identical from the front view and from the back view; the only difference is from the profile view. It is a bit astounding that both super-heroes of the past and present have, beside their morphological resemblance, an identical function of protection against evil forces.“2
Diese verflochtene Ikonografie zweier Superhelden tangiert den künstlerischen Aspekt von Bildikonen und deren Entwicklung zu visuellen Zeichen eines kollektiven Gedächtnisses, weshalb Hafez seine künstlerische Strategie auch als „metamorphosing déjà-vu globalized iconography“3 bezeichnet. Ikonische Symboliken und Embleme sind stets einem transhistorischen und transkulturellen Austausch- und Recyclingprozess unterworfen, in denen sich die jeweiligen Bedeutungszuschreibungen jedoch auch verändern können.4 Diese Transformation visueller Symbolsprachen zeigt beispielsweise die Arbeit Book of Flight (Abbildung 23) von 2010. Das großformatige Gemälde repräsentiert unterschiedlich angeordnete Figurationen, die zumeist in sich wiederholender Reihung positioniert sind. In der unteren Bildhälfte sind neun männliche, muskelbepackte Figuren dargestellt, die in symmetrischem, weit ausführendem Gleichschritt auf den linken Bildrand hin zu marschieren scheinen, während sich die jeweilige Form des Kopfes sukzessive von einem altägyptischen Anubis-Profil auf der rechten Seite über das maskenhafte Konterfeit Batmans zu einem menschlichen Gesicht auf der linken Seite der Reihung wandelt. Eingerahmt wird die untere Bildhälfte von zwei, die Anubis-Batman-Mensch-Reihe überragenden weiblichen Figuren, die jeweils in hockender Pose und mit einer der Ästhetik Catwomans entlehnten Gesichtsmaske dargestellt sind. Zugleich befindet sich über beiden Köpfen der weiblichen Figurationen umrisshaft skizziert die Silhouette des kronenhaften Kopfschmuckes der altägyptischen Gottheit Hathor, die in antiker Tradition in der Gestalt einer Kuh personifiziert wird. Vom Schoß der linken Catwoman-Hathor-Figur entspringen ebenfalls in Reihung, jedoch deutlich kleiner darge-
2
Hafez, zitiert nach Corgnati, in: Contemporary Practices 2008, Band II.
3
Khaled Hafez: Emailinterview vom 14.04.2014.
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Künstlergespräch mit Khaled Hafez an der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne vom 24.01.2013.
K APITEL 7: O RNAMENT
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stellte Läuferfiguren, die in einer vierfach abknickenden Lineatur dem Titel entsprechend in die rechte obere Bildhälfte entfliehen. Über der linken weiblichen Figur und in der oberen Bildmitte befinden sich zudem chromatisch tief schwarz gehaltene Piktogramme von Scharfschützen, Panzern, Militärhubschraubern und Kampfjets, die neben- und übereinander in symmetrischer Stellung angeordnet sind und mit den ikonografischen Reminiszenzen an ein altägyptisches Erbe in ein hybrides Beziehungsgeflecht treten. Abbildung 23: Khaled Hafez, Book of Flight, 2010. Mischtechnik auf Leinwand, 600 x 250 x 5 cm.
Quelle: Von Khaled Hafez zur Verfügung gestellt. © Khaled Hafez
Die beschriebenen Figurenformationen sind auf einen heterogenen, mehrschichtigen Hintergrund appliziert, der aus fünf zusammen gesetzten Leinwänden besteht. Diese Zerstückelung der Bildfläche hat zunächst pragmatische Gründe. Wegen der Länge der Arbeit von sechs Metern war es Hafez in seinem damaligen Studio nicht möglich, die Arbeit an einem Stück zu konzipieren. Während des Schaffensprozesses arbeitete er deshalb mit immer nur zwei Leinwänden gleichzeitig, die er anschließend abfotografierte, um am Computer die weiteren Kompositionsschritte der Arbeit zu planen.5 Die Struktur des Hintergrundes ist konzeptionell mehrlagig angelegt. Auf eine in bunten Farbflächen gestaltete Malschicht – wobei die Farben rot, blau, grün und gelb überwiegen – sind in vorwiegend weißen und beigen Tönen Quadrate aufgemalt, die in der oberen und unteren Bildhälfte farblich voneinander abweichen und damit die Bruchlinie der horizontal verlaufenden Bildmitte stark betonen. Am unteren Rand des Werks wurden die weißen Quadrate dagegen
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Khaled Hafez: Emailinterview vom 14.04.2014.
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ausgespart, sodass die figurative Anubis-Batman-Mensch-Reihung durch ein bunt koloriertes Feld schreitet, wobei die weit auseinander gestreckten Beine im Sinne einer gezeichneten Bewegungsstudie lediglich in ihren Konturen angedeutet sind. Zugleich scheint der polychromatische Farbhintergrund an einigen Stellen unter der hellen Schicht der zweiten Lasur durch oder vermischt sich mit dieser, was dem Werk eine farbsättigende, irisierende Wirkung verleiht. Neben der künstlerischen Anverwandlung altägyptischer Ikonografien greift ebenso die visuelle Anordnung des Gemäldes in Registern formalästhetisch die flache, grafische Oberfläche antiker Grabwandmalereien auf. Dabei geht es Hafez nicht um eine bloße Reformulierung oder Aktualisierung lokaler Kunstformen. Vielmehr thematisiert und reflektiert er über die Appropriation eines traditionellen, altägyptischen Bildaufbaus Konzepte visueller Kommunikationsstrategien. Wie Gemma Tully betont, dienten antike ägyptische Grabgemälde nicht nur einer rein dekorativen Ausschmückung der Wände: „The tomb provided the most powerful channel for social communication, establishing notions of individuality and identity that find resonance within Hafez’s modern message.“6 Altägyptische Wandgemälde können damit als visuelles Medium der Kommunikation verstanden werden, deren symbolische wie funktionale Bilder die Leserichtung des Betrachters strukturieren und die intendierte Botschaft visuell vermitteln. Diese Komponente einer in Registern ausgedrückten Narration transferiert Hafez in seine eigene künstlerische Strategie: „My concept is derived from an obsession for the past decade to actually try to decipher the modus operandi, how they [ancient Egyptian artists] were able to tell several stories.“7 Dabei sieht Hafez in der Betonung der zweidimensionalen Flächigkeit zur Vermittlung eines bestimmten Narratives Affinitäten zu zeitgenössischen medialen Phänomenen, wie beispielsweise modernen Marketingkommunikationsstrategien, weshalb er seine künstlerische Technik der Collage, des Editierens und repetitiven Neuanordnens scheinbar gegensätzlicher Ikonografien wie Batman und Anubis im Sinne des Grafikdesigns als Methode des Layoutens bezeichnet.8 Zum anderen vergleicht er die visuelle Narration in Registern, wie sie in altägyptischer Malerei üblich ist, mit der Ästhetik und Funktion moderner Comicstrips und sieht in der Struktur beider Medien eine effektive, leicht zugängliche Form der visuellen Vermittlung bestimmter Botschaften, „a tool capable of containing elements of cultural similarities, transcending along the way both space and time.“9
6
Tully, in: Contemporary Practices 2008, Band III.
7
Khaled Hafez: Interview in Kairo vom 21.09.2012.
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Ebd.
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Hafez 2002.
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Die Collage aus metamorphen Figurationen pharaonischer Gottheiten und moderner Comichelden ist in Book of Flight bereits auf formaler Ebene strukturell mehrschichtig angelegt. Für die künstlerische Transformation und Vermischung der Ikonografien von Batman-Anubis und Catwoman-Hathor verwendet Hafez Bildausschnitte männlicher Bodybuilder und weiblicher Fashionmodels, die er diversen Hochglanzmode- und Werbezeitschriften entnimmt. Die Ausschnitte werden extrahiert, digital überarbeitet und schließlich manuell in die Komposition des Gemäldes integriert, um ein symbolisches, mehrdeutiges Narrativ zu erzeugen. Dabei kann die hybride Collage transformierter Bildikonen vom Betrachter unterschiedlich verstanden werden, je nachdem wie er die einzelnen ikonischen Figuren deutet und miteinander kombiniert. Verknüpfungen zwischen vordergründig konträren Konzepten entstehen, die visuelle, aber auch funktionale Gemeinsamkeiten offen legen, ohne jedoch dabei die Differenzen zwischen den unterschiedlichen Bildwelten völlig aufzulösen. Bezüglich seiner künstlerischen Strategie der transkulturellen und transhistorischen Verbindung schreibt Hafez: „In my canvases I try to examine the lay out […] of ancient painting to create a narrative that combines my vision in recycling stereotypes, symbols, patterns, superheroes, time and ideas.“10 Für den Künstler sind visuelle Ikonen trotz kultureller Unterschiede von vorneherein als hybrid angelegt und von einem historischen Austauschprozess der wechselseitigen Anverwandlung und Transformation geprägt, wie beispielsweise die Darstellung der Horus stillenden Isis in der Forschung als ikonografische Vorläuferin des Bildtypus der Maria lactans beschrieben wird.11 Die polysemantische Bedeutungsstruktur in Book of Flight zeigt sich sowohl in der Symbolik der jeweils einzelnen Ikonografien, als auch in den potentiellen Verknüpfungen der Figuren zueinander wie zu den collagierten Farbfeldern des Hintergrundes, die für den Betrachter unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten offerieren. Durch ihre Größe und ihre die Komposition einrahmende Positionierung treten die beiden Catwoman-Hathor-Figuren in der Rezeption zunächst visuell hervor. Symbolisch sind beide Ikonografien ambivalent angelegt, da sowohl der Figur der Catwoman in der Narration des Comics als auch der Hathor in altägyptischer Mythologie unterschiedliche, teilweise konträre Charakteristiken zugeschrieben werden. Während Catwoman nicht eindeutig als gut oder böse zu bezeichnen ist – „Catwoman has been portrayed as having a variety of origins, motivations, and personalities“12 – referiert Hathor auf ein mythologisches
10
Hafez 2005.
11
Khaled Hafez: Emailinterview vom 14.04.2014.
12
Weldon, in: McMahon (Hg.) 2014, S. 32.
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feminines Prinzip, das durch unterschiedliche Gottheiten mit variierenden Zuschreibungen verkörpert wird. Personifiziert die kuhgestaltige Hathor je nach Kontext Freude, Mutterschaft und Liebe, so repräsentiert Bastet die gezähmte, aber weniger sanftmütige Katze und die löwengestaltige Sachmet eine rasende und wilde Version desselben femininen Prinzips.13 Die transformative Vermischung der beiden Ikonografien von Catwoman und Hathor wird über die mehrschichtige Technik der Collage erzeugt. Zunächst applizierte Hafez den digital überarbeiteten Bildausschnitt eines weiblichen Models aus einer Modezeitschrift auf die Leinwand, zeichnete die Konturen einer gekrönten Hathor über ihren Kopf und übermalte die Collage anschließend mit den Maskeninsignien von Catwoman. Dagegen erfolgt die dargestellte Transformation von Anubis und Batman nicht kumulativ, sondern vielmehr sukzessive über die Reihung der Bodybuilderformation, was einen kinetischen Effekt zur Folge hat. Der Aspekt der linearen Repetition ist von wesentlicher Bedeutung für die narrative Gesamtkomposition der Arbeit. Als Element mit den häufigsten Wiederholungen durchmisst die Figur des Läufers in bewegungsillusorischer Abfolge die Bildkomposition. Mit Bezug auf den Werktitel Book of Flight kann die Symbolik des Läufers doppelt gelesen werden, da Flight semantisch auf einen Flug – und damit im affirmativen Sinne auf eine Reise – als auch auf Flucht und damit pejorativ auf Vertreibung verweist. Die Läufer stehen dabei in den Worten Hafez‘ „for the flight from one identity to another, as the Egyptian identity is rich and complex and has several layers, but also migration, forced mobility, exodus or the climbing from one level to another.“14 Die repetitiven Kriegsembleme der Scharfschützen und Panzer scheinen auf der anderen Seite auf die politische Situation des sogenannten Mittleren Ostens zu verweisen, welche die Notwendigkeit von Flucht letztendlich generiert – sei es vor repressiven Systemen, gewaltvollen Konflikten, aber auch aufgrund des gezwungenen Brain-Drain in wohlhabendere Staaten. Zugleich können die Embleme aber auch auf das medial konstruierte Bild der Region verweisen, wie Yasmine Allam konstatiert: „These modern-day ‚hieroglyphs’ explore the stereotyping of the Middle East as a region solely defined by, and reduced to, conflict – a region viewed through the prism of war.“15 Die diversen Nachrichtenmedien entnommenen und digital überarbeiteten Piktogramme treten dabei mit den Strukturen des Hintergrundes in einen bedeutungs-
13
Vgl. Lexikon der Ägyptologie Band II 1977, S. 1024-1033, Band I 1975, S. 628-630 sowie Band V 1984, S. 324-333.
14
Khaled Hafez: Emailinterview vom 07.07.2013.
15
Allam, in: Contemporary Practices 2012, Band X, S. 128.
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generierenden Zusammenhang. Bei näherer Betrachtung der weißen und beigen Quadrate, die über den irisierenden Farbgrund appliziert sind, werden Fragmente von Zeitungsausschnitten erkennbar, die unter und neben den Farbschichten in Erscheinung treten. Ebenso wie die grafische Appropriation altägyptischer Wandgemälde, die visuell eine bestimmte Botschaft vermitteln, dienen die journalistischen Fragmente symbolisch der Darstellung einer medialen Informationsquelle.16 In Verknüpfung mit den Piktogrammen des Scharfschützens und der Kriegsartillerie kann die Collage von Zeitungsausschnitten medienkritisch gelesen werden. So sieht Hafez als verbindendes Element von altägyptischen Wandmalereien und modernen Massenmedien ihre Funktion nicht nur in der Vermittlung von Narrativen und Informationen, sondern explizit auch in der Verbreitung von ideologischen Konzepten und Inhalten, „as a tool for propaganda.“17 Diese Aspekte ideologischer Differenzierungen werden in Book of Flight jedoch zugleich künstlerisch unterminiert, denn über die verknüpfende Transformation von pharaonischen und modernen Ikonografien und ihre Metamorphose in eine hybride Symbolsprache transzendieren die dargestellten Figurationen binäre Dichotomien wie modern versus traditionell, sakral versus säkular oder Orient versus Okzident. Die künstlerische Thematisierung dichotomer Modelle im Werk von Hafez wurde bereits von Jessica Winegar festgestellt: „His work shows how these dichotomies rest on the international system of commodities which creates both the ideas of (cultural) similarity and difference, as well as affective attachments to certain histories and identities. […].This work suggests that it is the continual replication of these visual signifiers in mass media that creates emotions of love and hate, notions of collective memory, and visions of the future. Dichotomies are attractive, then, because they have become seductive visual commodities.“18
Die künstlerische Strategie der Wiederholung symbolbehafteter Ikonografien lässt dabei zwei unterschiedliche Möglichkeiten der Entzifferung und Dekodierung zu. Zum einen dient die repetitive Reihung der Bildikonen der Betonung ihres scheinbar gegensätzlichen Bedeutungsgehalts sowie der Generierung eines kinetischen Effekts, um das lineare Narrativ visuell hervorzuheben und zu erhöhen. Die malerische und ikonografische Mehrschichtigkeit symbolisiert in dieser Interpretation den kumulativen Charakter der ägyptischen Identität, die von vor-
16
Khaled Hafez: Emailinterview vom 14.04.2014.
17
Ders.: Interview in Kairo vom 21.09.2012.
18
Winegar, in: Contemporary Practices 2008, Band II.
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neherein als vielschichtig und hybrid zu verstehen ist. In diesem Zusammenhang verweist Hafez auf seine ironisch formulierte, sogenannte Big-Mac-Theorie, in welcher die pharaonischen, jüdisch-christlichen sowie koptischen und muslimisch-arabischen Strata der ägyptischen Gesellschaft jeweils eine Lage des geschichteten Burgers darstellt: „Situated at crossroads of the Mediterranean, Egypt has long been a confluence of diverse cultural influences. It is impossible to isolate any single strand.“19 In seiner Beschreibung der kumulativen Disposition der ägyptischen Identität greift Hafez somit auf ein ikonisches Zeichen zurück, das emblematisch gerade für die sogenannte McDonaldisierung und Amerikanisierung der globalisierten Welt steht, welche in ihrer Homogenisierungskraft das Konzept der kulturellen Diversität bedroht. Diese scheinbar paradoxe Äußerung Hafez‘ kann jedoch als bedeutungsunterwandernd gelesen werden, wenn man die ironische Haltung des Künstlers in den Blick nimmt. Indem er auf Ikonen einer hegemonialen Ordnung referiert, wie sie durch das Bild des BigMacs für einen neoliberalen, homogenisierenden Kapitalismus symbolisiert wird, intendiert der ironische Gestus Hafez‘ zugleich eine andere und gegenläufige Bedeutung, da ironisches Sprechen grundsätzlich das Gegenteil des Gesagten meint. Diese Strategie der Ironie vermag somit einen vorherrschenden Diskurs von innen zu dekonstruieren.20 Die Reihung unterschiedlicher, transformierter Ikonografien steht in dieser ersten Leseweise somit für die akkumulierte Charakteristik der ägyptischen Identität, die sich aus vielfältigen historischen und kulturellen Schichten formiert und nicht auf eine eindeutige, essentialistische Sichtweise reduziert werden kann. Die Kumulation ist jedoch zugleich nicht ohne konfliktbeladene Spannungen zu denken, wie es gerade durch die dichotomen Gegenüberstellungen von beispielsweise modern versus traditionell oder säkular versus religiös ausgedrückt wird. In der zweiten möglichen Leseweise der repetitiven Reihung hybrider Bildikonen werden diese binären Setzungen nun jedoch formalästhetisch unterwandert. Denn kann die Wiederholung von visuellen Symbolen und Emblemen einerseits als Betonung ihres semantischen Gehalts und über die kinetische Wirkung der Reihung als visuelle Präsentation von Macht und Stärke gelesen werden, so generiert die aneinandergereihte Darstellung der Figurationen zugleich auf struktureller Ebene eine ornamentale Form. Die repetitiven Bildikonen bilden in diesem Sinne ein dekoratives Muster – frei von ursprünglichen Interpreta-
19
Künstlergespräch mit Khaled Hafez an der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne vom 24.01.2013.
20
Vgl. Shugart, in: Western Journal of Communication 1999, Band 63, Ausgabe 4, S. 433-456.
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tionszuschreibungen. Dahingehend desavouiert der Fokus auf den ornamentalen Charakter der Arbeit die bedeutungsgenerierenden Implikationen einer kumulativen, spannungsgeladenen Identitätskonstruktion. Indem man den Blick auf die musterbildende Disposition der repetitiven Ikonografien legt, werden die dargestellten Bildikonen gleichsam in ihrer potentiellen Bedeutung entsemantisiert und zum Ornament. Der ornamentale Gestus in Book of Flight kann in dieser Leseweise somit als kritische Form gedeutet werden, die den Gehalt visueller Ikonen und Symboliken kritisch reflektiert. Über die künstlerische Strategie der Repetition werden demnach die dichotomen Setzungen, wie beispielsweise modern versus traditionell oder säkular versus sakral, welche über die verknüpfte Darstellung scheinbar gegensätzlicher Konzepte verbildlicht sind, einer kritischen Hinterfragung unterzogen. In der Reihung verliert das einzelne Symbol seine ursprüngliche Bedeutung und offenbart – nicht zuletzt verstärkt durch die künstlerische Technik der Collage21 – seinen konstruierten Charakter. Die Neukontextualisierung und ironische Verknüpfung gegensätzlicher Konzepte sowie deren repetitive Reihung unterwandert die postulierte Differenz zwischen den einzelnen figurativen Elementen und „invites reflection on the absurdity of polarized thinking as stimulated by images“22, wie Winegar anführt. Diesen dekonstruktiven Ansatz der Unterminierung dichotomer Vorstellungswelten bezeichnet Hafez als Konzept der Antidifferenz, wobei der Begriff des Antidifferenten noch stärker als der des Ähnlichen potentielle Verknüpfungen, Überlappungen und Überschneidungen zum Ausdruck bringt.23 Darin deuten sich Affinitäten zu Jacques Derridas Theorie der différance an, die dichotome Setzungen, wie sie bereits im binären Zeichenmodell von Ferdinand de Saussure angelegt sind, dekonstruiert. Nach Derridas Philosophie der Differenz, die als Strukturanalyse sowohl Aspekte des Ästhetischen wie des Politischen tangiert, drückt der von ihm eingeführte Begriff der différance – anders als das korrekt geschriebene différence – sowohl Unterscheidung und damit Verräumlichung, als auch Aufschub und damit Temporalisierung von Bedeutung aus.24 Die Diagnose Derridas – „Das Gleiche ist gerade die différance (mit a) als aufgeschobener und doppeldeutiger Übergang von einem Differenten zum anderen“25 – lässt sich auch für die Deutung der strukturellen Komposition von Book of Flight heranziehen. Über die or-
21
Vgl. Tully, in: Contemporary Practices 2008, Band III.
22
Winegar, in: ebd., Band II.
23
Vgl. Hafez 2005.
24
Vgl. Derrida 2004, S. 117-120.
25
Ebd., S. 132-133.
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namentale Reihung der Ikonografien wird der semantische Gehalt stets aufgeschoben und die dichotomen Bedeutungszuschreibungen der hybriden Bildikonen unterwandert. Dadurch wird der Blick im Moment der Unentscheidbarkeit auf das visuell sich Überschneidende – das Antidifferente – gelegt. Das Werk verweigert sich zugleich einer eindeutigen Interpretation oder in den Worten des Künstlers: „There are no meanings, but there are possibilities.“26 Wie in den Konzepten der vom Künstler formulierten Big-Mac-Theorie oder der Antidifferenz bereits deutlich wurde, bildet der interpretierende Kommentar von Hafez gegenüber seinen eigenen Arbeiten dabei einen essentiellen Bedeutungszugang seines Werks. Mythische Collagewesen: Über die Bedeutung des Künstlerkommentars innerhalb der Konstruktion eines zeitgenössischen ägyptischen Kunstdiskurses Mittels Publikationen, Interviews und Statements auf seiner Homepage sowie in sozialen Medien wie Facebook und einem Blog nimmt Hafez in der Rolle des Kritikers eine Selbst-Theoretisierung seines künstlerischen Schaffens vor und verortet dadurch seine eigene Position als zeitgenössischer Künstler innerhalb eines global ausgerichteten ägyptischen Kunstdiskurses, den er selbst über seine textuellen Arbeiten mitzuschreiben versucht. Beispielsweise bezieht sich Hafez in seiner kunsttheoretischen Analyse Egyptian Hyperreal Pop Art. The Rise of a Hybrid Vernacular (2012) auf drei ägyptische Künstlerpositionen – Nermine Hammam, Sabah Naim und Hazem Taha Hussein –, die mit ihren digital manipulierten fotografischen Arbeiten für eine hybride, von der globalen visuellen Kultur beeinflussten Kunstströmung stehen: „Their approaches […] used a hybridized version of East-West visual motifs that questioned the underlying assumptions of consumer culture that had arrived with the flood of Western advertising at the same time as it defined its own homegrown aesthetics.“27
In einem dem methodischen Analyseteil folgenden Epilog verortet Hafez anschließend seine eigene Künstlerposition innerhalb des von ihm zuvor postulierten hybriden ägyptischen Kunstdiskurses. Diesbezüglich konstatiert er:
26 27
Khaled Hafez: Interview in Kairo vom 21.09.2012. Hafez 2012a, S. 1. Zum Hybriditätskonzept Hafez‘ anhand der künstlerischen Arbeiten von Hazem Taha Hussein siehe Kapitel 4.2 Die Debatte der Hybridisierung im Zuge einer jungen Kunstbewegung.
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„As a painter, I have been, for over a decade, researching iconography of a metamorphosing universal contemporary identity of globalization, characterized by a visual language that is legible to newer generations born in the digital age of advertising and mediapropagated imagery.“28
Seine künstlerische Technik der Appropriation und Hybridisierung unterschiedlicher, global zirkulierender Bilderwelten definiert er in diesem Zusammenhang dann selbst als Teil der Strömung des Egyptian Hyperreal Pop.29 Dabei greift Hafez auf die Simulationstheorie von Jean Baudrillard zurück, um die von ihm ausgewählten exemplarischen Positionen zeitgenössischer ägyptischer Kunst auf theoretischer Ebene zu kontextualisieren und gleichsam den medienkritischen Ansatz seiner eigenen künstlerischen Konzeption zu verdeutlichen. Als Theoretiker poststrukturalistischen Denkens unterscheidet Baudrillard für die Geschichte seit der Renaissance drei Stadien bzw. Modelle der Realität, die unterschiedliche Formen von Darstellungsmustern und somit unterschiedliche Funktionen bilden: Während sich die erste Ordnung der Imitation noch in analoger Beziehung zur Realität befindet – Baudrillard nennt hier als Beispiel die anthropomorphe Gestalt des Stuckengels, welche eine Imitation eines ‚natürlichen‘ Referenten darstellt –, ersetzt die zweite Ordnung der Produktion im Zeitalter der industriellen Revolution das Reale durch äquivalente Reproduktionen, was den Beginn der Massenkultur markiert.30 Die dritte Ordnung der Simulation bezieht sich dagegen auf keinen Referenten mehr, sondern forciert vielmehr eine Dematerialisierung von Welt, die keine Unterscheidung zwischen Fiktion und Realität mehr zulässt.31 In diesen theoretischen Rahmen führt Baudrillard seine Konzeptualisierung des Hyperrealen ein, das nicht mehr auf eine äußere Realität, sondern nur noch auf sich selbst verweist.32 Wie Hafez betont, versteht Baudrillard unter dem Terminus der Hyperrealität eine soziale Ordnung, „defined and shaped by certain codes, images and models that initially never existed in nature.“33 Über die Strategie der künstlerischen Transformation und Verknüpfung von konträren, medial
28
Hafez 2012a, S. 58.
29
Vgl. ebd., S. 59.
30
Vgl. Baudrillard 1983, S. 83-102.
31
Vgl. ebd., S. 142.
32
Vgl. ebd., S. 138-152.
33
Hafez 2012a, S. 27. Hyperrealität ist somit gekennzeichnet durch die Absenz jeglicher Referenz: „It is the generation by models of a real without origin or reality.“ Baudrillard 1983, S. 2.
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vermittelten Ikonen, wie Batman und Anubis oder Catwoman und Hathor, reflektiert Hafez somit die Aus- und Einwirkungen massenmedialer Bilderwelten auf die zeitgenössische ägyptische Gesellschaft und untermauert diesen medienund sozialkritischen Ansatz, indem er auf einen der prominentesten Vertreter des Postmodernismus verweist: „To Baudrillard, society today no longer functions and understands itself through material conditions, but through what he calls a system of ‚sign values‘.“34 Nach Hafez treffen sich altägyptische Wandmalereien und moderne Massenmedien in ihrer funktionalen Bedeutung, wie sie in Baudrillards Simulationstheorie zum Ausdruck kommt, da sie beiderseits eine Scheinwelt konstruieren und zu einem Simulakrum von Geschichte werden.35 Antike Wandgemälde generieren einen visuellen Rahmen der simulierten Wirklichkeit und zeigen den verstorbenen Grabbesitzer beispielsweise in Szenen des reinen Glücks zusammen mit seiner Familie oder des Sieges über feindliche Kräfte. Die bildliche Darstellung der Szenen wirkt in der altägyptischen Bildauffassung dabei zugleich realitätsstiftend. Auf ähnliche Weise kreieren moderne Massenmedien bezüglich ihrer eigenen Agenda parallele Welten zur Realität, die sukzessive die Grenze zwischen der ‚medialen Täuschung‘ und dem ‚realen Authentischen‘ vermischen. In beiden Fällen ist es das Simulakrum, das wahr wird und eine illusionäre Realität schafft. Über den theoretischen Rückgriff auf die Denkmodelle und Ideen Baudrillards hinterfragt Hafez in seinen künstlerischen Konzeptionen Vorstellungen von Wahrheit und Realität – insbesondere mit Blick auf die gegenwärtige globalisierte Welt mit ihren hybriden Symboliken und Ikonen, die als Konsumgüter oftmals ideologisch aufgeladen sind. Damit betont Hafez das Kapitalisierungspotential visueller Bildmedien: „Everything in life is ‚sellable‘ and ‚packagable‘.“36 Dieses Heranziehen theoretischer Positionen für das Erklären der eigenen Arbeit dient zum einen der Selbstvergewisserung und dem intendierten Einschreiben in einen bestehenden Kunstdiskurs, um das persönliche Konzept als Ausdruck einer gegenwärtigen globalen Strömung gleichsam zu historisieren. Zum anderen wird über die eigene Theoretisierung eine spezifische künstlerische Kommunikationsstrategie verfolgt, die neben dem eigentlichen Kunstwerk zugleich potentielle Interpretations- und Diskussionsangebote offeriert. In diesem Sinne kann nach Felix Thürlemann die vom Künstler selbst vorgenommene Verknüpfung der künstlerischen Arbeiten mit dem interpretierenden Diskurs funk-
34
Hafez 2012a, S. 27.
35
Khaled Hafez: Interview in Kairo vom 21.09.2012.
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Hafez, zitiert nach Allam, in: Contemporary Practices 2012, Band X, S. 129.
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tional als eine manipulative Strategie gewertet werden, da die künstlerische Selbstinterpretation den Verstehensprozess des Rezipienten transformiert und damit in eine vom Künstler intendierte Richtung lenkt.37 Indem der Kunstdiskurs bei der Rezeption der Werke Hafez‘ stets mitgedacht werden soll, wird der Betrachter zur Reflexion der Objektivität seiner eigenen Leseweise und Interpretation angeregt. Zugleich reflektiert Hafez die potentielle Aussagekraft und Bedeutung seiner künstlerischen Werke stets mit, indem er sich beispielsweise retrospektiv von einigen Werkphasen distanziert. So bezeichnet er seine Arbeiten, die er direkt nach der Revolution von 2011 gefertigt hatte, als „too literal, falling into the trap of revolutionary iconography.“38 Nach Hafez liegt die Problematik der künstlerischen Behandlung der jüngsten Ereignisse in der Generierung einer notwendigen Distanz, um Kunstwerke zu schaffen, die nicht nur dokumentarisch oder gar reaktionär sind, sondern eine gesellschaftlich relevante, reflexive Bedeutung besitzen.39 Diese Distanznahme verdeutlicht Hafez in seiner Werkserie On Codes, Symbols and the Stockholm Syndrome von 2012, deren Inhalt er insbesondere über seinen Blog bespricht: „In my last painting project […] I use symbols that are political and social at the same time. I draw on my interest in French philosopher Jean Baudrillard who […] wrote about simulation and simulacra [...]. Taking this idea as my starting point, I explore notions of what is real, and what is unreal, in a contemporary culture loaded with codes and symbols of faith, ideology, wealth, subjugation and the quest for power.“40
Formalästhetisch ähnelt die Werkserie vorhergehenden Arbeiten, wie beispielsweise die Gegenüberstellung des Gemäldes Book of Flight mit der Arbeit Two Stockholm Hathors and one Nute (Abbildung 24) verdeutlicht. Der Bildgrund besteht ebenso aus einer Schicht polychromatischer Farbfelder, die in der oberen Bildhälfte mit weißen und beigen Quadraten übermalt ist. Darüber tauchen in ähnlicher Gestalt die ikonografischen Darstellungen der Läufer und der kuhgestaltigen Hathorfigur auf, wobei die künstlerische Transformation mit Ikonen moderner Comicstrips diesmal allerdings absent ist. Die für Hafez‘ Konzeption typische Gestalten des hybriden Batman-Anubis oder der Catwoman-Hathor tauchen in keiner Arbeit der Werkserie von 2012 auf. Die Referenz auf zeitgenössi-
37
Vgl. Thürlemann 1986, S. 38.
38
Khaled Hafez: Interview in Kairo vom 21.09.2012.
39
Ebd.
40
Hafez 2012b, Blogeintrag vom 01.01.2012, in: khaledhafezblog.wordpress.com (Stand: 30.08.2016).
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sche Medien wie Hochglanzmagazine bleibt jedoch in der ikonografischen Darstellung der altägyptischen Himmelsgöttin Nut, die das Firmament symbolisiert, erhalten, da ihre collagenhafte Abbildung im oberen Bildfeld von Two Stockholm Hathors and one Nute Ausschnitten eines Models aus einer Modezeitschrift entstammt. Abbildung 24: Khaled Hafez, Two Stockholm Hathors and one Nute (aus der Serie On Codes, Symbols and Stockholm Syndrome), 2012. Mischtechnik auf Leinwand, 250 x 200 cm.
Quelle: Von Khaled Hafez zur Verfügung gestellt. © Khaled Hafez
Diese generell stärkere Fokussierung auf den altägyptischen Kontext – und weniger die Verknüpfung global zirkulierender Bilderwelten – wird von Hafez einerseits erneut über Baudrillards Simulationstheorie konzeptuell verortet, zugleich jedoch konkret auf die politischen Ereignisse nach der Revolution bezogen, wie es insbesondere die Konnotation des Titels suggeriert. Die Wahl der Betitelung in Verbindung mit der Ikonografie der Ägypten symbolisierenden Hathor zieht einen Vergleich zwischen der politischen Desorientierung nach den Umschwüngen von 2011 und dem psychologischen Phänomen des StockholmSyndroms, bei welchem Opfer von Geiselnahmen ein positives Einfühlungsver-
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mögen gegenüber ihren Entführern entwickeln. Somit beschreibt Hafez die politischen Entwicklungen, wie Allam betont, „as the ‚kidnapping‘ or ‚hijacking‘ of the Egyptian revolution by regressive forces.“41 Ebenso weist der Künstler den bildimmanenten Strukturen und Figurationen spezifische Bedeutungen zu, die sich teilweise von vorhergehenden Äußerungen differenzieren und explizit Bezug auf die ägyptische Revolution nehmen. So wird die figurative Darstellung von Hathor als „a ‚space‘ that brings (holds) people together in one place“ beschrieben, während der Läufer in der Intention Hafez‘ „the idea of flight […] from faith to agnosticism and from agnosticism to faith“42 symbolisiert. Auch wird dem dargestellten Dripping-Effekt, dessen Technik bereits in Book of Flight Anwendung findet, nun eine metaphorische, kontextuell verortete Signifikanz zugeschrieben: „The thousands of colour drips all over the canvases for me represent the diversity of people in Tahrir Square, all coming from different walks of life. The surface of the canvas is a field of expression, just like Cairo’s streets and squares, and the ‘dripping’ is the protestors and the demonstrators all expressing their different lives and their intermingling narratives.“43
Direkte politische Äußerungen – sei es über die Kunstwerke selbst oder über Künstlerkommentare – nehmen im ägyptischen Kunstdiskurs unmittelbar nach dem Sturz Mubaraks zu, was generell auf ein zunächst liberaleres Klima im öffentlichen Raum verweist und einen Paradigmenwechsel im Kontext der künstlerischen Teilhabe am soziopolitischen Prozess markiert. Trotz der scheinbaren Direktheit der Verknüpfung des Titels On Codes, Symbols and the Stockholm Syndrome mit den in einigen Arbeiten der Werkserie dargestellten Militärpiktogrammen lässt Hafez jedoch eine eindeutige Zuschreibung dieser angesprochenen regressiven Kräfte offen. Damit verweigert sich die künstlerische Konzeption einer eindeutigen politischen Positionierung und zugleich einer unmittelbaren Interpretation. Die mittels der Technik von Collage und figurativer Repetition erzeugte strukturelle Mehrschichtigkeit im Werk von Hafez erlaubt unterschiedliche potentielle Zugänge für das Verständnis der Arbeiten, wobei die Selbstinterpretation des Künstlers als Teil des Werks einen dieser Zugänge markiert.
41
Allam, in: Contemporary Practices 2012, Band X, S. 126.
42
Hafez 2012b, Blogeintrag vom 01.01.2012, in: khaledhafezblog.wordpress.com (Stand: 30.08.2016).
43
Ebd.
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Mit Blick auf die oftmals in Reihung dargestellten Ikonografien kann festgestellt werden, dass sich Hafez der Thematik der Iteration in seinem Œuvre nicht nur struktural über die bildimmanente Strategie der Wiederholung nähert, sondern gleichfalls auf diskursiver Ebene repetierend vorgeht, da er sich künstlerisch dem figurativen Repertoire der modernen ägyptischen Kunstbewegung der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bedient und diese in seinen Arbeiten zitiert und wiederholt. Künstler der ägyptischen Pioniergeneration, wie Mahmud Mukhtar und Muhammad Nagi, verwendeten in ihren Werken Repräsentationen eines altägyptischen Kunsterbes, um im Zuge des sogenannten Pharaonismus ein modernes Nationalbild Ägyptens zu konstruieren.44 Indem Hafez Ikonen der pharaonischen Vergangenheit künstlerisch transformiert, bezieht er sich somit nicht nur auf die antike Historie – und damit zugleich einhergehend auf die Problematik der zeitgenössischen, zumeist von einem internationalen Kunstdiskurs vorgenommenen Identitätszuschreibung Ägyptens als nach wie vor ‚pharaonisch‘45 – sondern ebenso auf den modernen ägyptischen Nationaldiskurs, der in der Bezeichnung des Pharaonismus in Abgrenzung zu den europäischen Kolonialmächten erstmals seinen Ausdruck fand. Auch nach Einzug panarabischer Vorstellungsmodelle unter Nasser griffen einige Künstler, wie Abdel Hadi al-Gazzar, auf altägyptische Symbolsprachen zurück, um die Nation Ägyptens zu visualisieren. Hafez‘ Arbeit Moving forward by the Day I (Abbildung 25) der gleichnamigen Werkserie von 2013 zeigt beispielsweise semantische Ähnlichkeiten mit dem symbolischen Bildtext der Arbeit al-Mithaq (1962, Abbildung 2) von alGazzar46, wobei die ikonografischen Referenzen im Werk von Hafez stark transformiert sind. In beiden Gemälden steht eine weibliche Figuration im Bildvordergrund, die jeweils über ihre Insignien, wie der Krone von Hathor, symbolisch die Nation Ägyptens verkörpert. In der visuellen Darstellung der weiblichen Figur kehrt Hafez zu seiner Technik der Hybridisierung scheinbar gegensätzlicher
44
Zum Konzept des sogenannten Pharaonismus als ägyptisches Nationalmodell siehe Gershoni und Jankowski 1986, S. 164-190. Vgl. hierzu auch Kapitel 1.2 Suche nach einem nationalen Kunstmodell: Die ägyptische Akademie und ihre Pioniergeneration.
45
Hierzu konstatiert beispielsweise Jessica Winegar: „The prevailing idea that ‚Egyptian art‘ is synonymous with Pharaonic art is equally troubling on a number of levels. […] It reflects the persistent fascination of the West, rooted in colonialism, with ancient Egyptian objects […], negating 2000 years of subsequent material culture.“ Winegar, in: Ramadan 2007, S. 42.
46
Zur detaillierten Besprechung des Werks siehe Kapitel 2.1 Genealogien des Modernen in der ägyptischen Kunst im Vor- und Nachfeld der Revolution von 1952.
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Motive zurück, indem er den digital bearbeiteten Ausschnitt eines Fashionmodels aus einer Modezeitschrift künstlerisch mit der altägyptischen Krone Hathors und der Gesichtsmaske Catwomans verbindet. Der Bildaufbau des Hintergrundes ähnelt wiederrum in seiner strukturellen Mehrschichtigkeit den Arbeiten Book of Flight und Two Stockholm Hathors and one Nute, wobei unterschiedliche symbolbehaftete Embleme abgebildet sind, die in differierender Gestalt teilweise ebenso in al-Mithaq zu erkennen sind. So taucht die Abbildung eines Vogels am unteren Bildrand des Werks von al-Gazzar ebenso in Moving forward by the Day I – nun in repetitiver Reihung wiederholt – auf. Ebenso thematisieren beide Arbeiten im Bildhintergrund Aspekte des Religiösen und des Versöhnenden, wie sie bei al-Gazzar durch die umarmende Geste eines islamischen und eines koptischen Geistlichen und bei Hafez durch die Darstellung von Engeln, des islamischen Sterns, einer im Gebet sich beugenden Figur und der sich berührenden Hände in der linken Bildhälfte ausgedrückt sind. Ebenso werden die Darstellungen von Kriegsmarineschiffen in der oberen Bildhälfte von al-Mithaq durch die emblematischen Militärpiktogramme in Moving forward by the Day I gespiegelt. Abbildung 25: Khaled Hafez, Moving Forward by the Day I (aus der Serie Moving Forward by the Day), 2013. Mischtechnik auf Leinwand, 250 x 200 cm.
Quelle: Von Khaled Hafez zur Verfügung gestellt. © Khaled Hafez
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Kontextuell sind beide Arbeiten in der Folgezeit von politischen Umschwüngen entstanden – dem Militärputsch unter Nasser von 1952 sowie der ägyptischen Revolution von 2011 –, deren jeweils euphorische Anfangsphasen bereits nach relativ kurzer Zeit in soziopolitische Desillusionierung umschlugen. Vordergründig können die Werke gegenüber den jeweiligen politischen Strömungen zunächst als affirmativ gelesen werden. So wurde al-Gazzars Darstellung von Ägypten, welche durch die mit der Nationalcharta Nassers und der Krone Hathors ausgestattete weibliche Figur verkörpert wird, als den Nationalismus Nassers bejahende Arbeit und damit als Ausdruck des sozialistischen Realismus in Ägypten interpretiert.47 Ebenso enthält bei Hafez die Titelgebung Moving forward by the Day und die farbenfrohe Gestaltung des Gemäldes eine zunächst positive Konnotation. Diese potentiellen Bedeutungszuschreibungen werden jedoch bei näherer Betrachtung in beiden Werken mithilfe differierender Strategien unterlaufen. Über die grüne Gesichtsfarbe der weiblichen Figur bei al-Gazzar, die sowohl für die Fruchtbarkeit des Nils als auch für Krankheit stehen kann und damit insbesondere mit Blick auf die blass gräulich eingefärbten Füße der Figur ihren bevorstehenden Tod anzudeuten scheint, wird die Nationalcharta Nassers auf ambivalente Weise symbolisch in die Nähe altägyptischer Unterweltsbücher gerückt.48 Dies kann als kritischer Kommentar gegenüber den sozialen Verhältnissen in Ägypten gelesen werden. Ähnliche Andeutungen können ebenso in Moving forward by the Day I ausgemacht werden, allerdings weniger über die chromatischen Strukturen im Bild als vielmehr über den Titel, der unmittelbar die Eingangspassage des altägyptischen Totenbuches zitiert.49 Darüber hinaus schreibt Hafez der Arbeit in seinem Blog eine kritische Bedeutungsimplikation zu: „In Moving forward by the Day I’m revisiting my life-long interest in the complex nature of the Egyptian identity […]. I created many of these works as an act of protest. Two years on from the revolution, I have abandoned my active role as a citizen and gone back into my studio as a form of defiance. What I am fighting against, what I am resisting in my work, is a public discourse that seeks to unify and impose a single truth or ideology upon the rich and diverse reality of Egyptian identity.“50
47
Vgl. Winegar 2006, S. 270.
48
Vgl. Kane 2013, S. 148-149.
49
Vgl. Kolpaktchy 1955, S. 59.
50
Hafez 2013, Blogeintrag vom 03.03.2013, in: khaledhafezblog.wordpress.com (Stand 30.08.2016).
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Neben der politischen Intention, die Hafez seinen Werken insbesondere nach den Umschwüngen von 2011 beimisst, kommt seinen Arbeiten die Bedeutung einer künstlerischen Revision moderner ägyptischer Kunstströmungen zu. In diesem kunsttheoretischen Kontext seines Œuvres verweist Hafez nicht nur auf Ikonografien des modernen Pharaonismus, sondern auch auf visuelle Ikonen der modernen ägyptischen Hoch- und Populärkultur, wie der berühmten Sängerin Umm Kulthum, die er beispielsweise in Stockholm Kulthum (Abbildung 26) von 2012 in repetitiver Reihung darstellt. Abbildung 26: Khaled Hafez, Stockholm Kulthum (aus der Serie On Codes, Symbols and Stockholm Syndrome), 2012. Mischtechnik auf Leinwand, 250 x 40 cm.
Quelle: Von Khaled Hafez zur Verfügung gestellt. © Khaled Hafez
Spezifische Aspekte des modernen ägyptischen Kunstdiskurses, der stets in die oftmals ambivalenten Debatten um einen ägyptischen Nationaldiskurs eingebettet war bzw. sich an ihnen rieb, werden in den Arbeiten Hafez‘ somit reflektiert. Dabei schreibt der Künstler zugleich an einem zeitgenössischen ägyptischen Kunstdiskurs in globaler Perspektive mit, um seine eigene künstlerische Position von überkommenen nationalistischen Narrativen zu distanzieren. Diese Strategie des künstlerischen Zitierens moderner Positionen und ihre kritische Hinterfragung kann als selbstreflexiver Gestus bezeichnet werden, der vorangegangene Kunstpositionen aufgreift und damit zugleich historisiert und diskursiviert. In diesem Zusammenhang spricht Markus Brüderlin mit Blick auf die Appropriation Art der euroamerikanischen Postmoderne in Anlehnung an Michel Foucault von einer Archäologie der Diskurse.51 Damit beschreibt er eine rekapitulierende Praxis, die modernen Diskursfelder der Kunst zu wiederholen und
51
Vgl. Brüderlin, in: Kunstforum international 1990, Band 105, S. 112.
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über diese künstlerische Anverwandlung zugleich kritisch zu reflektieren.52 Für Foucault ist die archäologische Analyse „[…] nicht mehr und nicht weniger als eine erneute Schreibung; das heißt in der aufrecht erhaltenen Form der Äußerlichkeit eine regulierte Transformation dessen, was bereits geschrieben worden ist. Das ist nicht die Rückkehr zum Geheimnis des Ursprungs; es ist die systematische Beschreibung eines Diskurses als Objekt.“53
Diese analytische Strategie der Archäologie der Diskurse ist dem iterativen Konzept des künstlerischen Ansatzes von Hafez ebenso inhärent. In seinen Anverwandlungen verschiedener moderner Bilderwelten, die dem Pharaonismus des ägyptischen Nationaldiskurses, aber auch zeitgenössischen Ikonen der medialen Populärkultur entstammen, thematisiert Hafez sowohl die Problematik einer ägyptischen Identitätsstiftung als auch der Generierung eines modernen ägyptischen Kunstdiskurses. Dabei verweigern sich seine Arbeiten einer eindeutigen Zuschreibung und verdeutlichen dadurch gerade die Ambivalenz der künstlerisch behandelten Identitätsdiskurse. Die Diagnose Brüderlins zur euroamerikanischen Appropriation Art gilt demnach auch für Hafez‘ künstlerische Vorgehensweise: „Dies bedeutet nicht sentimentale Rückbesinnung oder wehmütige Trauerarbeit an der Geschichte […], sondern Mittel zur Orientierung und Präzisierung der eigenen künstlerischen Identität.“54 Die Adaption bekannter Bildikonen dient Hafez somit als „strukturierendes Mittel“55 für die eigene Konzeption und Position. Zugleich fordert die mittels der Selbstinterpretation generierte Einschreibung und Historisierung der eigenen Arbeit innerhalb eines global ausgerichteten Kunstdiskurses den Betrachter dazu auf, über das Projekt der Moderne und dessen heterogene Konstruktion nachzudenken. Die Debatten und Diskurse um eine ägyptische Moderne waren seit Beginn der sogenannten nahda, der ägyptischen Renaissance, mit der Konstruktion von Mythenbildungen verbunden. So kann der Pharaonismus dieser Zeit als moderner Nationalmythos beschrieben werden. Demnach standen die visuellen Darstellungen dieses Diskurses in Form von altägyptischen Gottheiten für eine bestimmte Definierung einer modernen ägyptischen Identität, die zugleich andere, hybride Zuschreibungen ausschloss. Indem Hafez diese modernen Ikonografien eines altägyptischen Erbes in seinen Arbeiten aufgreift und zitiert, diese jedoch
52
Vgl. Brüderlin, in: Kunstforum international 1990, Band 105, S. 112.
53
Foucault 1986, S. 200.
54
Brüderlin, in: Kunstforum international 1990, Band 105, S. 124-125.
55
Ebd., S. 112.
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mit Bildikonen der zeitgenössischen Populärkultur transformiert und in Reihung repetiert, werden die anverwandelten Mythen ihrer ursprünglichen Funktion – der Generierung eines homogenen, nationalen Vorstellungsmodells – entzogen und ihre intendierte Bedeutung dadurch dekonstruiert. Nach Roland Barthes leitet sich die kollektivbildende Bedeutung des Mythos davon ab, dass er als sekundäres semiologisches System seinen konstruierten Charakter verschleiert und sich als etwas Natürliches erscheinen lässt.56 Mittels der ironisierenden Transformation und Repetition der mythischen Figuren reflektieren die Arbeiten Hafez nun gerade die Gemachtheit dieser Bildikonen, wie es struktural über die Technik der Collage noch verstärkt wird. Der essentialistische und konstruierte Charakter der Mythen, wie im ägyptischen Nationaldiskurs herangezogen, wird dadurch entlarvt und offengelegt. Die kritische Thematisierung der funktionalen Aspekte von Mythen fand im ägyptischen Kunstdiskurs Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts parallel zu den Veröffentlichungen von Barthes statt und wurde insbesondere von dem Surrealisten Ramses Younan vorangetrieben.57 Ähnlich wie Barthes definiert Younan den Mythos als eine deformierte Metapher des sprachlichen Zeichens; d.h., das Zeichen wurde von seiner eigentlichen Bedeutung getrennt und als leere Form mit einer neuen ideologisch aufgeladenen Bedeutung gefüllt.58 Seine Kritik richtet Younan dabei vor allem an die mythologische Sprache der Bourgeoisie und fordert dagegen eine neuartige Ausrichtung des Mythos, wie Andrea Flores herausstellt: „This new mythology will be the myth of the false and implies a deconstructive reconfiguration of the binary Truth-Illusion. The mechanisms will be different, for the categories upon which the bourgeois myth was constructed will in themselves be transformed. In the bourgeois myth, illusion was used in order to create a naturalized image of the real, which is in fact historically determined. Instead of illusion being at the service of a capitalist, bourgeois reality (narrative of Truth and Science), the new mythology will use illusion to uproot, de-center, and de-range the state of things.“59
56
Vgl. Barthes 1964, S. 88-96.
57
Zur künstlerischen Position Younans und der ägyptischen Surrealisten siehe Kapitel 2.1 Genealogien des Modernen in der ägyptischen Kunst im Vor- und Nachfeld der Revolution von 1952.
58
Vgl. Flores, in: The Arab Studies Journal 2000/2001, Band 8/9, Nr. 2/1, S. 100.
59
Ebd., S. 101-102.
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Diese von Younan bereits in den 1950er Jahren formulierte Forderung nach einem ‚myth of the false‘ scheint in den Arbeiten von Hafez visuell einen Ausdruck zu finden, da ebenso binäre Setzungen unterlaufen und die Konstruiertheit und mediale Vermittlung moderner Mythen über die künstlerischen Strategien der Transformation, Ironisierung und Iteration visueller Ikonen offengelegt werden. Damit wird zugleich der hegemoniale Diskurs nationaler Narrative, der diese Mythen funktionalisiert, kritisch unterlaufen. Hafez spricht dabei in der Selbstinterpretation seiner Arbeiten weniger von Mythen, sondern von Legenden, deren künstlerische Reflexion er ebenso vorangegangenen ägyptischen Künstlern, wie al-Gazzar oder auch Hamed Nada zuschreibt.60 Im Unterschied zu diesen älteren Künstlerpositionen dekonstruiert Hafez kollektive Modelle von Mythen und Legenden über den Modus der Ironie, der als künstlerische Funktion transhistorischer und transkultureller Verknüpfung ein freies Spiel der Formen und Bedeutungen erlaubt und über die Transformation heterogener Ikonografien binäre Setzungen reflektiert. Das Konzept der Ironie als künstlerische Form der Unterwanderung und Kritik Strategien der Ironisierung durchziehen das gesamte künstlerische Œuvre von Khaled Hafez. Diese werden über die figurative Transformation binärer Konzepte wie Orient versus Okzident, sakral versus säkular oder traditionell versus modern evoziert und über die kompositionelle Reihung verstärkt. Neben der hybriden Verknüpfung altägyptischer Gottheiten mit der Ästhetik moderner Comicstrips in den malerischen Arbeiten von Hafez sind ebenso die künstlerischen Konzeptionen der Videoarbeiten sowie der Zeichnungen seines Œuvres ironisch aufgeladen, um damit unterschiedliche Aspekte der Konstruktion einer ägyptischen Identität zu thematisieren. Bezieht sich Hafez in seinen Gemälden insbesondere auf Vorstellungen der ägyptischen Identität als ‚pharaonisch‘, behandelt er in seinen Videoarbeiten vor allem stereotype Identitätsmodelle des ‚Arabi-
60
Vgl. Hafez, o.J. Unter Hamed Nada (1924-1990) studierte Hafez an der Kunstfakultät in Kairo. Die Arbeiten Nadas sieht Hafez von al-Gazzar beeinflusst, zugleich distanziert er sich selbst von der künstlerischen Ausdrucksweise seines Lehrers: „Nearly two decades after my contact with Nada, my practice tackles Egyptian imagery in a rather different way, which is more representative of my generation and visual culture. […] I can say I am attracted by the same sources of Nada […], but my painterly techniques are from abstract expressionism and pop art sources.“ Hafez, zitiert nach Dika Seggerman, o.J.
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schen‘, wie sie über heutige mediale Diskurse vermittelt werden. Beispielsweise formt die 24-minütige Videoarbeit Idlers’ Logic (Abbildung 27) von 2003 eine experimentelle Nachzeichnung stereotyper Vorstellungen „what it is to be Arab, African and Middle Eastern in a post-September 11 world.“61 Abbildung 27: Khaled Hafez, Idler’s Logic (Video-Still), 2003. Ein-Kanal-Videoinstallation, 24 min.
Quelle: Von Khaled Hafez zur Verfügung gestellt. © Khaled Hafez
Das Video zeigt drei Akteure, darunter den Künstler selbst, die in einem geschlossenen, mit Magazinausschnitten beklebten Raum ohne Dialog miteinander interagieren, rauchen, trinken, singen und generell faulenzen. Die ironisierende Wirkung der dargestellten Personen wird dabei gerade über die Repetition aneinander gereihter Szenen von Nicht-Handlungen erzeugt, die stellenweise durch Einspielungen von ägyptischen Film-, Werbe- und Theaterausschnitten der sechziger, siebziger und achtziger Jahre unterbrochen werden. Hafez spielt in der Arbeit mit dem Stereotyp des ‚arabischen Faulenzers‘ und verweist in teilweise sarkastischer Weise auf den Einfluss medial vermittelter Bilder des sogenannten Mittleren Ostens und seiner Bewohner – nicht zuletzt, indem er wiederholt Waffen in die Szenen einbaut, die entweder an der Wand aufgereiht im Bildhintergrund auftauchen oder von einem der Akteure geladen werden. Die Arbeit kann dabei nicht nur als künstlerische Reflexion von massenmedialen Bildkonstruktionen, sondern auch als kritischer Kommentar auf das insbesondere im einundzwanzigsten Jahrhundert stark gestiegene Interesse des inter-
61
Khaled Hafez, unveröffentlichtes Exposé zu Idlers’ Logic, Juni 2013.
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nationalen Kunstmarktes nach künstlerischen Konzeptionen aus der arabischen Welt gelesen werden. Wie Dina Ramadan postuliert, führt dieser Fokus oftmals zu einer starken Vereinfachung der heterogenen Künstlerpositionen der Region, die als scheinbare Repräsentanten eines kulturellen Kollektivs beschrieben werden: „By focusing on the group rather than the individual, the Western critic is able to simplify an entire region, continent or religious group neatly into one unified entity, posing no challenge to his own preconceived ideas. So comes the assumption that there is one version of Islam [and] that being ‚Arab‘ is viewed through the same prism across the Middle East – itself a European construct.“62
Indem Hafez mit den stereotypen Vorstellungsbildern des Arabischen, Ägyptischen oder Muslimischen spielt, unterminiert er auf ironische Weise diese konstruierten Klischees des Orients, die im medialen Diskurs als absolute Differenz vermittelt werden. Dieser Modus der ironischen Unterwanderung visueller Stereotypen kann hierbei als künstlerischer Gestus beschrieben werden, dem sich einige Künstler aus dem sogenannten Mittleren Ostens bedienen, um der von Ramadan aufgeworfenen Problematik zu begegnen. Beispielsweise thematisiert der marokkanische Künstler Hassan Hajjaj in seinen fotografischen Werken Aspekte stereotyper Identitätsvorstellungen, indem er diese über die Verbindung mit aus der Pop-Art-Ästhetik entlehnten Elementen formalästhetisch bricht. So vermischen sich – in Affinität zur künstleri‚ schen Strategie Hafez – Bilder eines lokalen Erbes mit Zitaten einer globalisierten Warenzirkulation und Konsumkultur. Zur exemplarischen Verdeutlichung seiner künstlerischen Vorgehensweise kann die Arbeit Mr M. Mazouz aus der Serie My Rock Stars Volume 2 (2011, Abbildung 28) herangezogen werden, die einen älteren Mann in Ganzkörperposition darstellt, welcher die Pose eines Models imitierend ein Bein auf eine rote Kiste stellt und sich mit beiden Armen auf demselben Knie abstützt. Die chromatische Struktur der Arbeit ist in starken Komplementärkontrasten gehalten, wobei die farbirisierende Wirkung durch die Musterungen des Hintergrunds, des Rahmens sowie des bedruckten Anzugs noch verstärkt wird. Während die traditionelle Schuhform, die einen Fez darstellende Kopfbedeckung sowie der ornamentale Hintergrund eines marokkanischen Teppichs – ergänzt durch die arabischen Schriftzüge auf dem Anzug und die das Werk rahmende Streichholzschachteln – auf die lokale Kultur zu verweisen scheinen, zitieren die mit einem
62
Ramadan 2004.
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arabischen Coca-Cola-Schriftzug versehene rote Kiste und das darauf gelegte Kissen, welches die Logo-Musterung des Designerlabels Louis Vuitton trägt, eine ‚westlich‘ geprägte Konsumästhetik. Abbildung 28: Hassan Hajjaj, Mr M. Mazouz (aus der Serie My Rock Stars Volume 2), 2011. Lambda Print in Holzrahmen mit Löwen-Streichholzschachteln, 89 x 62 cm.
Quelle: Katia Hadidian (Hg.): By Hassan Hajjaj. Photography, Fashion, Film, Design. London 2014, S. 39.
Die Verknüpfung der mit den Bildelementen assoziierten dichotomen Setzungen wie modern versus traditionell oder global versus lokal evoziert vordergründig eine ornamentale, ironisierende Wirkung, die den Betrachter dazu anregt, den Konstruktionscharakter stereotyper Identitätsvorstellungen zu reflektieren und den Blick auf die Dynamik der Konstitution von Kulturen zu legen, wie von Linda Komaroff angeführt wird: „Hajjaj depicts a globalised society where the margins of cultural identity – whether African, Arab, or European – are continuously shifting and obscured.“63 In dieser Bedeutungsdimension einer ironischen Unterwanderung von visuellen Stereotypen und der Betonung der Konstruktion von Selbst- und Fremdwahrnehmung treffen sich die künstlerischen Strategien von Hafez und Hajjaj. Elemente des Stereotyps eines ‚arabischen Faulenzers‘ sind ebenso den foto-
63
Komaroff, in: Hadidian (Hg.) 2014, S. 14.
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grafischen Arbeiten Hajjajs inhärent, dessen Modelle stets auf gestellte Weise posieren, ohne einer tatsächlichen Handlung nachzugehen. Neben der ironischen Entlarvung und Offenlegung von stereotypen Vorstellungswelten verweist die Arbeit Idlers‘ Logic über die gesungenen populären ägyptischen Lieder jedoch auch auf lokale Problematiken im soziopolitischen Diskurs Ägyptens, wie Hafez betont: „The idea is that whereas these songs, these times, spoke of hope, of major transformation, nothing has really changed since then.“64 Wenn sich Hafez selbst als Idler bezeichnet, so beschreibt er darin seine Strategie der bewussten Distanzierung und teilnahmslosen Beobachtung, um Inspirationen für sein künstlerisches Schaffen zu sammeln. Als primäres Medium der Aufzeichnung seiner Ideen dienen ihm dabei Zeichnungen. Skizzen und Kommentare aus seinen Journalen veröffentlichte er 2012 in den beiden Publikationen safahat min muthakirat ʿatil (Pages from the Diary of an Idler) und ʿatil bi rubat ʿanuq wa saaʿt sadr thahabiya (Idler with a Necktie and a Gold Breast Watch), die aus literarischen und visuellen „snapshots of places, people and pictures“65 bestehen. Abermals werden Ikonografien eines altägyptischen Erbes auf ironisierende Weise mit modernen Emblemen verknüpft, beispielsweise durch Darstellungen von pharaonischen Figuren, die ein Flugzeug emporhalten, oder von Gegenüberstellungen altägyptischer Mumien – teilweise mit dem Kopf des Gottes Anubis ausgestattet – neben anzugtragenden männlichen Figuren. Andere Zeichnungen ähneln wiederum dem Künstler selbst, wie er sich im Prozess des Zeichnens beobachtet. Die Arbeiten formen einen visuellen Ausdruck der Inspirationen Hafez‘ seit Beginn seiner künstlerischen Karriere. Sie stehen autonom neben den Medien der Malerei, Installations- und Videokunst und grenzen sich von diesen durch ihren stärker autobiografischen Inhalt ab. Die Journale sind teilweise wie Tagebucheinträge mit Tagesdaten versehenen, unter denen Hafez Erlebnisse und Ideen visuell und textuell reflektiert. Wie der Künstler in seinem Blog hervorhebt, verfolgt er über ihre Komposition eine trinäre Strategie der „observation, reflection, questioning.“66 In seiner künstlerischen Selbstinterpretation beschreibt sich Hafez demnach als einen distanzierten Beobachter und Kommentator, wofür er sein Konzept des Idlers funktionalisiert: „Like a camera moving fluidly between separate rooms, the idler’s perspective links the different scenes. He’s an adventurer at heart, an experimenter in life, audacious in his decisions, sarcastic
64
Hafez, zitiert nach Rakha, in: Al-Ahram weekly 2003, Nr. 626.
65
Khaled Hafez: Interview in Kairo vom 21.09.2012.
66
Hafez 2012c, Blogeintrag vom 06.05.2012, in: khaledhafezblog.wordpress.com (Stand: 30.08.2016).
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by nature and ironic in his perceptions.“67 Die ironische Wirkung der Arbeiten, die künstlerisch über die Strategien der Transformation und Repetition erzeugt wird, generiert eine mehrschichtige Bedeutung, die sich nicht auf eine eindeutige Interpretation eingrenzen lässt. Vielmehr werden über die Funktion des uneigentlichen Sprechens die dargestellten stereotypen, dichotomen Setzungen unterwandert. Vordergründig scheinen die Arbeiten spielerisch und lustig, doch bei näherer Betrachtung kommen die soziopolitischen Implikationen und deren kritische Reflexion zum Vorschein. Die ironische Strategie kreiert somit eine Art Zwischenraum, der sich vor den eigentlichen Bedeutungsgehalt der Arbeiten schiebt und den Verständnisprozess verzögert, um damit die eigene Reflexion des Betrachters anzuregen. Mit Alexandra Karentzos kann das künstlerische Konzept der Ironisierung dabei als eine Beobachtung zweiter Ordnung bezeichnet werden.68 Dieses Modell entlehnt Karentzos der Systemtheorie von Niklas Luhmann, der mit der Beobachtung zweiter Ordnung konzeptionell eine Beobachtung einer Beobachtung beschreibt, welche offenlegt, dass Bedeutungszuschreibungen stets auf der Praktik einer Unterscheidung beruhen, was jedoch zunächst auf der Stufe der ersten Ordnung nicht mitreflektiert wird.69 Dies geschieht nun in der Beobachtung der zweiten Ordnung: „In ihr richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Unterscheidungen, die der Beobachtung erster Ordnung zugrunde liegen. [Diese] erweisen sich als kontingent, es wären auch andere möglich gewesen.“70 In diesem Sinne bildet die künstlerische Heranziehung von Ironie eine Beobachtung zweiter Ordnung, „da sie die Unterscheidungen der Beobachtung erster Ordnung distanziert wiederholt und ihnen ihren absoluten Geltungsanspruch streitig macht.“71 Die im Œuvre Hafez‘ dargestellte kumulative Identität kann darüber hinaus mit Omar Kholeif als Strategie einer aufgeführten, performativen Identität bezeichnet werden, die stereotype Identitätsvorstellungen wiederholt, um sie damit zugleich ironisch zu unterwandern und auf diese Weise Problematiken des zeitgenössischen Kunstdiskurses in globaler Perspektive zu kommentieren: „[…] Artists from and of the Arab world felt that they had to perform to a sense of national or regional identity that politicians, the news media, and the art world and its cultural
67
Hafez 2012c, Blogeintrag vom 06.05.2012, in: khaledhafezblog.wordpress.com (Stand: 30.08.2016).
68
Vgl. Karentzos, in: Göckede und dies. (Hg.) 2006, S. 129.
69
Vgl. dies., in: Kampmann, dies. und Küpper (Hg.) 2004, S. 161.
70
Dies., in: Göckede und dies. (Hg.) 2006, S. 130.
71
Dies., in: Kampmann, dies. und Küpper (Hg.) 2004, S. 162.
240 | M USTER DER A MBIVALENZ brokers had cast upon them. [They criticized] the fact that media only tends to think or dialogue in oppositional binary terms, especially when speaking of particular ethnic or geographical spheres.“72
Essentialistische Identitätskonstrukte und -zuschreibungen erweisen sich schließlich aus der Beobachtung zweiter Ordnung in den Worten Karentzos‘ „als brüchig und nicht-ursprünglich, da sie immer schon Unterscheidungen voraussetzen.“73 Binäre Vorstellungsmodelle von Identität werden über die ironische Metamorphose der Ikonografien von beispielsweise Batman und Anubis oder Catwoman und Hathor auf spielerische Weise kritisch unterwandert. Die repetitive Reihung gegensätzlicher Konzepte im Werk von Hafez reproduziert somit keine Dichotomien, sondern problematisiert und hinterfragt vielmehr deren Konstruktionscharakter. Der ‚Faulenzer‘ in der künstlerischen Selbstinterpretation Hafez‘ ist somit ein Beobachter zweiter Ordnung, der seine eigenen Setzungen stets selbst reflektiert.
72
Kholeif, zitiert nach Alessandrini, in: Jadaliyya 2012.
73
Karentzos, in: Göckede und dies. (Hg.) 2006, S. 130.
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7.2 H UDA L UTFI – D AS REFLEXIVE P OTENTIAL KÜNSTLERISCHER R EIHUNG UND I TERATION Figurative Assemblage der Repetition: Über ʿarayis-Puppen zu Umm Kulthum Mittels unterschiedlicher künstlerischer Techniken, wie Collage und Assemblage, thematisiert Huda Lutfi (*1948) in ihren zumeist figurativen Arbeiten Aspekte eines kulturellen Gedächtnisses, das sie aus einer weiblichen Perspektive beleuchtet. Als künstlerische Strategie misst sie dabei dem Prinzip der Wiederholung eine wesentliche Bedeutung für die inhaltlichen Bezüge ihrer Werke zu. So reiht Lutfi in ihren Collagen visuelle Repräsentationen eines ägyptischen Erbes – wie beispielsweise die berühmte Sängerin Umm Kulthum – iterativ aneinander oder arrangiert sie in kaleidoskophaften Anordnungen zu ornamentalen Formationen. Für ihre repetitiven Assemblagen verwendet die Künstlerin des Weiteren unterschiedliche Objekte, wie alte Puppenfiguren oder diverse Gebrauchsgegenstände, die sie als Fundstücke auf Kairoer Märkten erwirbt. Moderne Bildikonen verbinden sich in den Arbeiten mit Objekten traditionellen Handwerks zu hybriden Gebilden, deren semantischer Bezug über manipulative Eingriffe der Transformation und Verwandlung zugleich künstlerisch reflektiert wird. Kulturhistorische Narrative der ägyptischen Geschichte werden visuell zitiert, künstlerisch anverwandelt und über die Strategie der Reihung nach ihrem gegenwärtigen Bedeutungsgehalt befragt. Dabei interessiert sich Lutfi für eine explizit weibliche Historie, die hinter hegemonialen Herrschaftsdiskursen verborgen bleibt. In den frühen 1980er Jahren entdeckt sie in ihren Forschungen als Historikerin und Islamwissenschaftlerin ein mamlukisches biografisches Lexikon aus dem fünfzehnten Jahrhundert, dessen Verfasser – der ägyptische Gelehrte Shams al-Din al-Sakhawi – von neun Bänden einen den Frauen widmete: „This Egyptian author covered the biographies of privileged women […], many of whom belonged to the intellectual, religious elites of medieval Cairo. It was a welcome surprise for me to discover that women were not only involved in commercial and social services, but that they were studying and transmitting prophetic traditions as well.“74
In einem von ihr veröffentlichten Artikel mit dem Titel The Feminine Element in Ibn ʿArabi’s Mystical Philosophy (1985) beschäftigt sich Lutfi darüber hinaus 74
Lutfi, in: Weber-Ashour, Cellini und Ibrahim (Hg.) 2012, S. 48.
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mit den Lehren des sufischen Philosophen Muhyi al-Din Ibn ʿArabi (11651240), welche eine Transzendenz starrer Oppositionen, wie den Prinzipien des Männlichen und des Weiblichen oder des Physischen und des Spirituellen, anstreben.75 Die Erkenntnisse aus ihren wissenschaftlichen Recherchen dienen Lutfi als inspirierender Hintergrund für ihr künstlerisches Werk und die darin behandelten Themenfelder.76 Dergestalt referieren die in den Assemblagen aufgegriffenen Bilder und Symbole auf die soziohistorischen Schichten der ägyptischen Kultur und tangieren Aspekte der Genderdynamik in kulturellen Praktiken, wie beispielsweise der koptischen und islamischen Volksfeste. Dabei zieht Lutfi Verbindungen zwischen scheinbar konträren Elementen, um Bildwerke zu konstruieren, denen eine vielschichtige Semantik inhärent ist. Potentielle Bedeutungsdimensionen lassen sich nicht auf eine eindeutige Sinnzuschreibung eingrenzen, vielmehr verleihen die Verknüpfungen von antiken, modernen und zeitgenössischen Ikonografien den Arbeiten eine archivale Struktur, die als Palimpsest soziohistorische Konstrukte einer kumulativen ägyptischen Identität behandelt. So betont Samia Mehrez bezüglich der strukturellen Mehrschichtigkeit in den Arbeiten Lutfis: „Such layering and manipulation of icons are steeped in the artist’s fascination with change over time and her cultural play with objects to reinvent their very reason for existence.“77 Die soziokulturelle Thematisierung und semantische Neueinschreibung ägyptischer Traditionen im Œuvre von Lutfi kann exemplarisch anhand der Installation Mashrabiyya Dolls (Abbildung 29) von 2006 beleuchtet werden. Die Arbeit zeigt Papierschnitte von über- und nebeneinander gereihten Figuren, die von Lutfi in einem dunklen Rotbraun koloriert und mittels Stempeltechnik mit gelben, ornamentalen Kreisen bedruckt wurden. Über die Formation der Papierfigurationen wird ein dichtes Gitter erzeugt, welches die gesamte Wandfläche der Galerie einnimmt – ähnlich einem Vorhang oder, wie der Titel suggeriert, einem islamischen Holzgitterfenster. Lutfi zitiert hier zugleich zwei Handwerkstraditionen, das Fertigen von ʿarayis (dt. Puppen) sowie von islamischen Maschrabiyya-Schirmen, wobei sie beide Elemente miteinander transformiert. Sowohl das Fertigen von Puppen als auch das Drechseln von Maschrabiyya-Fenstergittern sind in Ägypten im Entschwinden begriffene Kunsthandwerke. Traditionell in der Familie oder von
75
Vgl. Lutfi, in: Alif. Journal of Comparative Poetics 1985, Nr. 5 The Mystical Dimension in Literature, S. 7-19. Ibn ʿArabis Reflexionen hatten einen großen Einfluss auf die Entwicklung und Ausrichtung der Lehre des Sufismus, der islamischen Mystik.
76
Vgl. Mehrez, in: Weber-Ashour, Cellini und Ibrahim (Hg.) 2012, S. 20.
77
Ebd., S. 24.
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Polsterern hergestellt, werden die ʿarayis als Geschenke an diversen Festlichkeiten nun durch industriell hergestellte Pendants aus Plastik ersetzt. Ebenso gerät die Praktik des Ausschneidens von Papierpuppen, denen im Volksglauben eine heilende Wirkung zugesprochen wird, in Vergessenheit.78 Abbildung 29: Huda Lutfi, Mashrabiyya Dolls, 2006. Mischtechnik, Wandinstallation, 240 x 300 cm.
Quelle: Von Huda Lutfi zur Verfügung gestellt. © Huda Lutfi
Durch die künstlerische Metamorphose beider Traditionen wird ihr jeweiliger Sinngehalt in einen zeitgenössischen Kontext übersetzt und Aspekte der Bewahrung traditioneller Kulturformen des Kunsthandwerks angesprochen. Zugleich werden die semantischen Implikationen der einzelnen Elemente einer kritischen Reflexion unterzogen. Stehen die ʿarayis sinnbildlich für das Weibliche79, symbolisieren die Maschrabiyya-Gitter als architektonisches Relikt traditionelle is-
78
Neben der Tradition der Papierpuppen und der gestopften Puppen wurden in Ägypten an Festen ursprünglich auch Zuckerpuppen verkauft, die nun ebenso von Plastikpuppen verdrängt sind. In ihren Recherchen beschäftigt sich Lutfi mit allen drei Puppentraditionen. Beispielsweise fertigte sie mit Frauen aus den Altstadtvierteln Kairos, der Stadt Suhag in Oberägypten und dem Dorf Tunis der Oase Fayyoum traditionelle Stoffpuppen an. Ebenso kaufte sie alte Formen, mit denen die Zuckerpuppen einstmals hergestellt wurden, um diese in ihre künstlerische Praktik zu integrieren. Vgl. Lutfi, in: Weber-Ashour, Cellini und Ibrahim (Hg.) 2012, S. 130-131.
79
Im Arabischen bedeutet ʿarusa (Pl. ʿarayis) sowohl Puppe als auch Braut.
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lamische Gesellschaftsstrukturen. Die syntagmatischen Bezüge beider Ausdruckseinheiten, d.h. die semiotischen Verknüpfungen von ʿarayis und Maschrabiyya, generieren damit eine reflexive thematische Bedeutungsstruktur. Indem über die künstlerische Verwandlung der Maschrabiyya-Elemente in Papierausschnitte weiblicher Figuren gerade das zur Anschauung gebracht wird, was im traditionellen Kontext verborgen werden sollte, erzeugt die Arbeit einen ambivalenten Sinngehalt. Wie Mehrez anführt, werden hierüber rigide Sozialkonstruktionen künstlerisch unterwandert: „Lutfi’s installation creates a reversal of this gendered spatial construction, for the mashrabiyya dolls that she constructed are made up of the female dolls themselves; they are no longer to be found behind the screen, rather they constituted the very screen itself, where one begins to see through the feminine as the visual filter.“80
Diese Deutung der künstlerischen Strategie Lutfis lässt zwei diachrone Leseweisen zu. Die Metamorphose der Mashrabiyya Dolls kann zum einen als künstlerische Unterwanderung hegemonialer Genderzuschreibungen und damit als Kritik an gegenüber weiblichen Gesellschaftsmitgliedern repressiven Systemen gedeutet werden. Die ironische Umkehrung – die weiblichen Figuren werden selbst zu der Sichtblende, die sie zu schützen vorgibt – stellt die ausgrenzende Setzung der Maschrabiyya-Struktur in diesem Sinne in den Fokus der reflexiven Betrachtung. Auf der anderen Seite verweist die verknüpfende Struktur der Arbeit auf die allgemeine Funktion der islamischen Holzgitterfenster, die in der Möglichkeit des Sehens ohne selbst gesehen zu werden liegt. Mit Mehrez kann somit argumentiert werden, dass im Gegenzug zu oftmals stereotypen Vorstellungen, „that see gender segregation as eliminating women’s agency, […] her mashrabiyya screen may also give women visual agency.“81 Die thematische Bedeutungsdimension der Arbeit changiert zwischen diesen beiden Leseweisen – als Kritik an der potentiell repressiven Intention von Maschrabiyya-Gittern und als Postulierung einer visuellen Machtposition durch den verborgenen Blick hinter dem Fensterschirm. In beiden Fällen werden starre Identitätsvorstellungen als konstruierte Projektionen offengelegt. Die Widerständigkeit und Ambivalenz der ornamentalen Strukturen gegenüber einer eindeutigen Interpretationszuschreibung kann somit als künstlerische Unterwanderung von essentialistischen Identitätskonstruktionen gedeutet werden. Die damit implizierte Kritik an vorgefassten Kategorien zeigt sich ebenso in Lutfis künstleri-
80
Mehrez, in: Weber-Ashour, Cellini und Ibrahim (Hg.) 2012, S. 29.
81
Ebd.
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scher Anverwandlung moderner ägyptischer Bildikonen, wie es insbesondere in der Transformation der Darstellung Umm Kulthums deutlich wird. Die Collage The Mandala of Suma (Abbildung 30) von 2008 zeigt beispielsweise in ornamentaler Anordnung das ausgeschnittene und digital vervielfältigte Konterfei der Sängerin, das am oberen und unteren Bildrand in horizontaler Reihung angeordnet ist und in der Bildmitte eine aus neun Portraits komponierte Kreisformation bildet. Die rundförmige Anordnung besteht aus einem goldenen, achtzackigen Stern, auf dessen Mitte das Portrait Umm Kulthums im Halbprofil appliziert ist. Umrundet wird der Stern von acht weiteren Konterfeis der Sängerin sowie von acht abgewinkelten Armfragmenten, deren Finger wie im Tanz weit ausgespreizt sind. Von der mittigen Kreisformation gehen spektralförmige Linien aus, welche die Komposition in sechzehn Segmente unterteilt, von denen die Hälfte in wechselnder Abfolge dicht mit arabischen Satzfragmenten, die Liedzeilen der Sängerin zitieren, beschrieben ist. Abbildung 30: Huda Lutfi, The Mandala of Suma, 2008. Collage, Acryl, Text, 55 x 40 cm.
Quelle: Von Huda Lutfi zur Verfügung gestellt. © Huda Lutfi
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Der Titel der Arbeit referiert auf den populären Kosenamen der Sängerin – Thuma bzw. im ägyptischen Dialekt als Suma ausgesprochen –, mit dem das Publikum sie bezeichnete, um seine Empathie gegenüber der Sängerin sowie deren Verwurzelung mit dem ägyptischen Volk auszudrücken.82 Wie Stefanie Gsell in Rückgriff auf die Umm-Kulthum-Biografin Niʿmat Fuʾad anführt, referiert der Name zugleich auf die Hindugöttin Suma, die einerseits ein Fruchtbarkeitssymbol ausdrückt, andererseits jedoch ebenso für ihre nachtigallengleiche Stimme bekannt ist.83 Lutfi scheint über die mandalahafte Struktur der Arbeit auf diese transkulturellen Affinitäten und Überschneidungen zu referieren. So können beispielsweise die dargestellten Armpositionen die visuelle Repräsentation einer hinduistischen Gottheit zitieren, wobei in diesem Zusammenhang jeder einzelne Arm ein bestimmtes Attribut des Gottes symbolisiert. In der Darstellung Umm Kulthums als hinduistische Göttin thematisiert Lutfi das Phänomen einer transhistorischen Bilderzirkulation zwischen unterschiedlichen Kulturen, wobei sich die Bedeutung der anverwandelten Ikonen oftmals verändern kann und entsprechend des jeweiligen Kontextes transformiert wird. Im populären Diskurs wird Umm Kulthum auch als nationale Mutterfigur stilisiert, die als weibliches Symbol visuell die ägyptische Nation verkörpert. In diesem Sinne kann die Funktion der Wiederholung im Mandala, wie Lutfi selbst betont, als „emphasizing the presence of feminine energy“ 84 gedeutet werden. Die Sängerin wird in dieser Darstellung sowohl als weibliche wie auch als nationale Ikone funktionalisiert. Zeigt sich The Mandala of Suma somit vordergründig als affirmative Appropriation dieses weiblichen Nationalmythos, tritt die zugleich ambivalent angelegte Bedeutungsstruktur der Arbeit insbesondere in der komparatistischen Betrachtung weiterer Umm Kulthum-Darstellungen im Œuvre von Lutfi hervor. Die kaleidoskophafte Transformation der visuellen Darstellung Umm Kulthums wiederholt die Künstlerin auf nuancierte Weise in verschiedenen Arbeiten, wie zum Beispiel in Suma Umm Ad-Dunya (dt. Suma Mutter der Welt, Abbildung 31) von 2008. In dieser Collage bildet die Figur der Sängerin einen amorphen Körper aus heterogenen, übereinander geschichteten Bildausschnitten. Unterhalb des Torsos Umm Kulthums sind fragmentierte Abbildungen von Gebäuden appliziert, die durch ihre architektonische Spezifizität – wie zum Beispiel
82 83
Vgl. Gsell [1998] 1999, S. 76. Vgl. ebd., S. 173. Eine weitere Bezeichnung Umm Kulthums war ebenso bulbula (dt. Nachtigall), ihr bekanntester Beiname lautete jedoch kawkab al-sharq (dt. Stern des Orients). Vgl. ebd., S. 76.
84
Huda Lutfi: Emailinterview vom 30.01.2014.
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das abgebildete Tiring Kaufhaus aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert oder die Darstellung einer der Löwen der Qasr al-Nil Brücke – dem urbanen Raum Kairos zuzuordnen sind. Ebenso charakteristisch sind die Abbildungen von Satellitenschüsseln für das moderne Stadtbild der Metropole. Unterbrochen wird die chromatisch einheitlich in Erdtönen gehaltene urbane Szenerie von der Darstellung einer blauen indischen Gottheit, die in der Collage auf einem Kairoer Bus steht, um den Kinder sitzen und spielen. Darunter sind ausgeschnittene Fotografien von ägyptischen Frauen sowie die Abbildung einer pharaonischen Statue collagiert. Eine der Frauen liest eine Zeitung, deren Titelbild das Portrait Mubaraks wiedergibt und somit auf einen zeitgenössischen Kontext verweist. Dem unteren Teil der heterogenen Figuration entspringen des Weiteren sechs weibliche Beine, die mit unterschiedlichem Schuhwerk ausgestattet sind. Ergänzt wird das hybride Gebilde im oberen Abschnitt der Collage mit acht, ebenso wie in The Mandala of Suma abgewinkelten Armen sowie einer über dem Konterfei Umm Kulthums ausgestreckten Hand, welche symbolisch auf die Hand Fatimas zu verweisen scheint, der im islamischen Volksglauben eine Schutzfunktion zugeschrieben wird. Abbildung 31: Huda Lutfi, Suma Umm Ad-Dunya, 2008. Collage, Acryl, 80 x 39 cm.
Quelle: Von Huda Lutfi zur Verfügung gestellt. © Huda Lutfi
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Der amorphe Körper der ägyptischen Sängerin kann in seiner Hybridität auf unterschiedliche Weise gedeutet werden. Einerseits referiert die mehrschichtige Collage auf die soziohistorische Heterogenität der ägyptischen Hauptstadt, die ebenso symbolisch für das ganze Land steht.85 Die Abbildungen der weiblichen Figuren und der architektonischen Referenzen treten dabei in ein reziprokes Bedeutungsverhältnis zueinander. So wie die Darstellung Umm Kulthums und die zeitgenössischen Fotografien von Frauen die Stadt und damit impliziert ganz Ägypten verkörpern, wird der urbane Raum gleichsam über die Verknüpfung mit den weiblichen Ikonografien feminisiert. Durch die visuelle Gegenüberstellung des Portraits Umm Kulthums, die den modernen Frauentypus in Ägypten der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts repräsentiert, mit Abbildungen von ägyptischen Frauen, wie sie das zeitgenössische Straßenbild Kairos prägen, – sowie ergänzt mit weiblichen Figuren eines transkulturellen Kontextes – generiert Lutfi eine Art „feminine archetype“, wie sie es selbst bezeichnet: „In my works, the fertility and love goddesses of Mesopotamia, Egypt and India are juxtaposed with modern ‚goddesses‘ [such as] Umm Kulthum.“86 Die Nebeneinanderstellung und Collage weiblicher Darstellungen aus unterschiedlichen soziohistorischen Kontexten formt dabei ein eigenes kulturelles Gedächtnis, wie es von der Künstlerin reflektiert wird: „Painting is also a form of recording memory.“87 Lutfis künstlerische Reflexion ägyptischer Bildikonen bleibt jedoch bei einer vordergründigen Darstellung des kumulativen Gehalts der ägyptischen Historie und der Betonung deren femininen Perspektive nicht stehen. Insbesondere die künstlerische Strategie der Reihung und Wiederholung evoziert eine ambivalente, ornamentale Struktur im Bild, die als kritische Form gelesen werden kann. Dieses künstlerische Vorgehen zeigt beispielsweise die Objektinstallation Suma in the Bottle (Abbildung 32) von 2009. Die Arbeit repräsentiert in Reihen aufgestellte und mit Korken verschlossene Flaschen, welche jeweils dieselbe Abbildung von Umm Kulthum beherbergen. Die dargestellte Sängerin ist mit dem Kopfschmuck der amerikanischen Freiheitsstatue ausgestattet, sodass sie ein hybrides Konglomerat aus zwei unterschiedlichen Bildzitaten bildet. Der nach oben gestreckte und ursprünglich die Fackel haltende Arm ist dabei lediglich als Linie
85
In der ägyptischen Umgangssprache steht das Wort misr nicht nur für Ägypten, sondern wird auch dazu verwendet, um Kairo zu benennen. Die hocharabische Bezeichnung der Metropole ist allerdings Al-Qahira.
86 87
Lutfi, in: Weber-Ashour, Cellini und Ibrahim (Hg.) 2012, S. 51. Lutfi, zitiert nach Dietrich, in: Woman’s Art Journal 2000/2001, Band 21, Nr. 2, S. 14.
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angedeutet, die bis zur oberen Flaschenmündung reicht und in einem rundförmigen Element mündet, welches von dem Korken eingeklemmt ist. Nimmt man den modernen ägyptischen Kunstkontext in den Blick, zeigt die Darstellung einer transformierten Freiheitsstatue Affinitäten zu der 1928 fertiggestellten Statue Egyptian Awakening (Abbildung 1) von Mahmud Mukhtar, da die sich entschleiernde Fellachin neben dem steinernen Sphinx ebenso als Freiheitssymbol zu werten ist. Wie Sam Bardaouil argumentiert, kann historisch ein potentieller Inspirationszusammenhang zwischen der Statue Mukhtars und der Freiheitsstatue von New York gezogen werden, da deren Erbauer, Frédéric-Auguste Bartholdi, bereits zuvor beauftragt worden war, eine ähnliche Statue in Alexandria für die Eröffnung des Suezkanals 1869 zu bauen, welche letztlich zwar nicht realisiert wurde, deren Entwürfe Mukhtar jedoch gesehen haben könnte.88 Abbildung 32: Huda Lutfi, Suma in the Bottle, 2009. Handkolorierte Fotomontage, Glasflaschen, jeweils 36 x 8 x 8 cm.
Quelle: Von Huda Lutfi zur Verfügung gestellt. © Huda Lutfi
Über die künstlerische Strategie der Reihung in Suma in the Bottle wird die Bedeutung Umm Kulthums als national-ägyptische Bildikone einerseits hervorgehoben und betont, andererseits jedoch zugleich durch die ornamentalisierende
88
Vgl. Bardaouil, in: Ausst.-Kat. Le Théorème de Nefertiti 2013, S. 59 sowie Kapitel 1.2 Suche nach einem nationalen Kunstmodell: Die ägyptische Akademie und ihre Pioniergeneration.
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Wirkung der Repetition in ihrem Sinngehalt kritisch hinterfragt und durch die Verbindung differenter Elemente ironisch unterwandert. So konstatiert Lutfi: „I think the use of irony, humour or sarcasm is important here for it does not allow us to take this kitsch symbol of liberty at face value, rather it gives us reason to laugh and to question.“89 Steht die Figuration über ihre Insignien für Freiheit, verweisen die verwendeten Flaschenobjekte auf Aspekte des Einschließens und des Geschlossenen oder in den Worten der Künstlerin: „[…] images of women were enclosed in bottles to signify the confined spaces in which women are placed.“90 Dabei kann die repetitive Reihung der Repression symbolisierenden Flaschenobjekte semantisch sowohl als eine Betonung der damit intendierten Machtstrukturen wie auch zugleich als eine ornamentale Unterwanderung ihres Sinngehalts und damit als dekonstruierend gelesen werden. Die unterschiedliche Verwendung des Abbildes Umm Kulthums in den einzelnen Arbeiten Lutfis verdeutlicht somit die ambivalente Bedeutungsdimension der künstlerischen Strategie von Reihung und Wiederholung. Diesbezüglich schreibt Mehrez: „Lutfi’s work offers a contrasting language of the feminine body, on the one hand restrained according to the prevailing dynamics of power, on the other, there is a vision of aesthetic celebration and empowerment.“91 In diesem Sinne dient das Konzept der Repetition in den Arbeiten Lutfis als reflexiver Modus, der Aspekte der Geschlechts- und Identitätskonstruktionen innerhalb des soziohistorischen Kontextes Ägyptens berührt. Die Arbeit The Mandala of Suma bildet ein Formenspiel der kulturellen Bedeutung Umm Kulthums für Ägypten und scheint affirmativ die Bildikone der Sängerin als Nationalsymbol visuell auszudrücken. Gleichzeitig wird diese potentielle Interpretationszuschreibung im freien Spiel des Kaleidoskops ornamentalisiert und damit das Konzept einer nationalen Identitätskonstruktion, die immer auf starren Setzungen basiert, künstlerisch unterwandert. Die hybride Darstellung des Landes, wie sie in der amorphen Figuration in Suma Umm Ad-Dunya zum Ausdruck kommt, hintertreibt essentialistische Vorstellungen von Identität und symbolisiert in ihrer fragmentarischen Collagenform die kumulative Mehrschichtigkeit Ägyptens. Kulturen unterliegen einem ständigen Prozess des Wandels und der Metamorphose identitätsstiftender und -ordnender Strukturen. Der Aspekt des Einschließens, wie er in Suma in the Bottle über die gereihten Flaschen symbolisiert wird, berührt dabei nicht nur externe Restriktionen – beispielsweise über gesellschaftliche Konventionen oder politische Repressionen –, sondern ebenso selbst auf-
89
Lutfi, in: Weber-Ashour, Cellini und Ibrahim (Hg.) 2012, S. 151.
90
Ebd., S. 176.
91
Mehrez, in: Weber-Ashour, Cellini und Ibrahim (Hg.) 2012, S. 30.
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erlegte Beschränkungen, wie Lutfi konstatiert: „Often the cultural frame is so engrained within us through conditioning that we partake voluntarily and unconsciously of our own framing and confinement.“92 In dieser Kritik bezieht sich Lutfi nicht nur auf eine weibliche Perspektive, sondern ebenso auf den gesamtgesellschaftlichen Kontext, in dem jedes Mitglied unabhängig des Geschlechts gemäß der herrschenden Konventionen und den jeweils zugewiesenen Rollen interagiert: „In the end, the confining frame is seen for what it is: a social construct which serves as regulator for social performance.“93 In der Ausstellung Making a Man Out of Him von 2010 fokussiert Lutfi dann ebenso stereotype Vorstellungen des Männlichen, indem sie in ihren Assemblagen die Ikonografie von Bodybuildern oder Batman-Figuren verwendet.94 Mithilfe des künstlerischen Modus der Collage verweist Lutfi in ihrem Œuvre auf die potentielle Fragilität repressiver Strukturen, die über alltägliche Handlungen und Interaktionen oftmals weniger berücksichtigt und dadurch destabilisiert werden können.95 Zugleich betont sie die Präsenz patriarchaler Strukturen als ein universales Phänomen, dessen Problematik nicht nur dem kulturellen Kontext Ägyptens zuzuschreiben ist.96 Ihre künstlerische Strategie der Verknüpfung heterogener Bildelemente strebt dabei eine Transzendierung stereotyper Konzepte des Femininen und Maskulinen sowie eine Reflexion ihres Kons-
92
Lutfi, in: Weber-Ashour, Cellini und Ibrahim (Hg.) 2012, S. 51.
93
Ebd.
94
Vgl. ebd., S. 176-177. Darin zeigen sich ebenso formale Affinitäten zu den künstlerischen Konzeptionen von Khaled Hafez. Im Gegensatz zur Intention Lutfis thematisiert Hafez allerdings weniger Thematiken der Genderzuschreibung. Für eine Gegenüberstellung der künstlerischen Strategie der repetitiven Reihung beider Künstlerpositionen siehe Kapitel 9.1 Konstruktion und Dekonstruktion als strategische Momente ornamentaler Kunst.
95
Asef Bayat bezeichnet in diesem Zusammenhang alltägliche Praktiken, welche soziale Restriktionen und politische Repressionen sukzessive unterwandern, als soziale NichtBewegungen, die potentiell einen sozialen Wandel herbeiführen können: „Im Nahen Osten repräsentieren Nicht-Bewegungen die Mobilisierung von Millionen Subalterner, vor allem der städtischen Armen, der muslimischen Frauen und der Jugend. Die Nicht-Bewegung dieser urbanen Enteigneten, das ‚stille Vordringen des Alltäglichen‘ […] meint die unaufdringliche und ausdauernde Art und Weise, wie Arme […] ihre Lebensverhältnisse dadurch zu verändern suchen, unbemerkt in die Bereiche der Besitzenden und Mächtigen – und der Gesellschaft im Allgemeinen – einzudringen.“ Bayat [2010] 2012, S. 31.
96
Vgl. Lutfi, in: Weber-Ashour, Cellini und Ibrahim (Hg.) 2012, S. 177.
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truktionscharakter an: „Ultimately, such dualistic constructs are almost always informed by power relations, and not simply by superficial appearances.“97 Für die Unterwanderung von dichotomen Vorstellungen setzt Lutfi nun aber gerade bei traditionellen Kulturpraktiken an und findet diese in den sogenannten mulidFesten in den alten Stadtteilen Kairos, wie es insbesondere in ihrer Ausstellung Found in Cairo von 2003 deutlich wird. Found in Cairo – Künstlerische Bricolage der kulturellen Anverwandlung Die künstlerische Strategie des Ausschneidens, digitalen Vervielfältigens und Zusammenstellens unterschiedlicher, heterogener Bildelemente ermöglicht es Lutfi, die mehrschichtige, palimpsesthafte und widersprüchliche Struktur einer eigenen kulturellen Identität in ihrer Dynamik der ständigen Aushandlung und Neukonstituierung visuell auszudrücken. Dabei bezeichnet sich die Künstlerin selbst als bricoleur, „as someone who collects disparate objects and manipulates them to reinvent a personal vision of things, experiences and events.“98 Zu Beginn ihres künstlerischen Schaffens zieht Lutfi bewusst von dem außerhalb des Zentrums gelegenen Stadtteil Heliopolis nach Downtown Kairo, um über „my daily immersion in the city’s life and fascination with its cultural and everyday happenings“99 Inspirationen und Materialien für ihre Collagen und Assemblagen zu sammeln. Eine besondere Rolle für ihre Objektsuche kommt dabei den traditionellen urbanen Märkten für Gebrauchtobjekte zu, wie dem Souk Al-Imam in der Nekropole von Kairo. Die dort zu Verkauf angebotenen Gegenstände werden als roba bikya bezeichnet, was als Synonym für grundsätzlich ‚alte Sachen‘ verwendet wird.100 Diese werden in der gesamten Stadt angekauft, um sie schließlich auf dem Markt darzubieten. Nur Elmessiri und Nigel Ryan beschreiben die Objekte auf dem Souk Al-Imam wie folgt: „Pottery, old picture frames, wrought iron taken from demolished buildings, broken chandeliers, ormolu work from larger pieces of furniture are all offered for sale.“101 Der Markt dient Lutfi als
97
Lutfi, in: Weber-Ashour, Cellini und Ibrahim (Hg.) 2012, S. 176.
98
Ebd., S. 52.
99
Ebd., S. 54.
100
Der Begriff leitet sich ursprünglich vom italienischen roba vecchia (dt. alte Dinge) her.
101
Elmessiri und Ryan, in: Alif. Journal of Comparative Poetics 2001, Nr. 21 The Lyrical Phenomenon, S. 13.
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Bezugsquelle für ihre zahlreichen Fundstücke, die sie in ihren Arbeiten künstlerisch transformiert. Dabei setzt sie vordergründig zusammenhanglose oder gar gegensätzliche Elemente in eine Verbindung, um eine mehrschichtige Synthese an Bedeutungen zu erzeugen, die kulturhistorische Grenzsetzungen unterwandert. Das Spiel der Bricolage mit unterschiedlichen Objekten manifestiert sich beispielsweise in der Ausstellung Found in Cairo, die 2003 an der Townhouse Gallery in Kairo stattfand. Die präsentierten heterogenen Objektinstallationen Lutfis stellen ein Konglomerat unterschiedlicher Bildfragmente dar, die in einen vieldeutigen Sinnzusammenhang zueinander treten. So verknüpft Lutfi in ihrer Objektinstallation Duchamp’s Joconde die von Marcel Duchamp ironisch anverwandelte Ikonografie der Mona Lisa mit einer lebensgroßen Statue einer altägyptischen Mumie und positioniert diese auf ein klassizistisch anmutendes, überdachtes und mit Säulen ausgestattetes Podest. Ergänzt wird die Arbeit in der Ausstellung durch eine weitere Objektinstallation mit dem Titel I Am Not What You Think I Am, welche als Assemblage aus gebrauchten Fundstücken zusammengesetzt ist. Ein Puppentorso, auf welchem der Titel des Werks wiederholt in silberner Schrift dekliniert ist, haftet in der Komposition an einer hybriden Wandformation aus Holz- und Metallelementen. Der metamorphen Gestalt der Duchamp’s Joconde und der I Am Not What You Think I Am-Puppeninstallation sind Bedeutungsimplikationen inhärent, welche generell die Einordnung in eindeutige Klassifikationsschemata unterwandern. Das Prinzip der iterativen Wiederholung moderner Kunstkonzepte taucht im gesamten Œuvre Lutfis auf. Bereits in ihren frühen Arbeiten zitiert die Künstlerin moderne Bildkompositionen aus einem zumeist lokalen ägyptischen Kunstkontext. So wiederholt sie in ihren Collagen ikonografische und kompositionelle Prinzipien moderner ägyptischer Künstler, wie Abdel Hadi al-Gazzar, Mahmud Said und Effat Nagi. Diese Appropriation und Neuperspektivierung vorhergehender Künstlerpositionen generiert einen strukturellen, bildimmanenten Dialog über kulturhistorische Grenzen hinweg. Indem Lutfi mit Duchamp’s Joconde eine Ikone der modernen europäischen Kunstgeschichte anverwandelt, schreibt sie sich einerseits in einen internationalen Kunstdiskurs ein, um diesen andererseits über die künstlerische Transformation zugleich einer Reflexion zu unterziehen. Dem Prinzip der Wiederholung liegt in diesem Sinne ein Moment des Nachdenkens über die Konstruiertheit des Dargestellten zugrunde. Die Verbindung vordergründig gegensätzlicher Bilderwelten – die Ikonografie der von Duchamp anverwandelten Mona Lisa und der zitierten Statue einer altägyptischen Mumie – impliziert den Versuch einer Transzendenz gegensätzlicher Darstellungen. Dabei ist die künstlerische Appropriation Lutfis bereits selbst ein duplizier-
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tes Zitat. Duchamp fertigte 1919 sein Ready-Made L.H.O.O.Q, indem er auf eine Postkartenreproduktion der Mona Lisa von Leonardo da Vinci mit Bleistift einen Schnurrbart sowie einen Spitzbart am Kinn und den Titel hinzufügte.102 Das Ready-Made stellt dahingehend eine ironisierende Unterwanderung des Ikonencharakters eines der berühmtesten Kunstwerke des europäischen Kanons dar, wird retrospektiv jedoch selbst als Ikone der dadaistischen Kunstströmung stilisiert. Darüber hinaus repräsentiert L.H.O.O.Q ein parodistisches Spiel mit binären Geschlechtskonstruktionen des Weiblichen und des Männlichen. Diese Konnotationen transferiert Lutfi nun über die Verknüpfung mit dem Sujet einer pharaonischen Mumie in den lokalen ägyptischen Diskurs. Die künstlerische Technik der Bricolage dient ihr dabei als eine kritische Form: „You can read it as an act of resistance to hegemony and its repression; as a flaneur, as a dadaist or surrealist who juxtaposes different elements that do not exist in our conventional reality.“103 Hierdurch positioniert die Künstlerin ihre konzeptionelle Strategie in die Tradition dadaistischer und surrealistischer Strömungen der modernen Avantgarde als oppositionelles Mittel gegenüber hegemonialen, repressiven Systemen und lenkt damit den Blick auf die von ihr intendierten Bedeutungsdimensionen. Dichotome Vorstellungsmodelle werden in ihren Arbeiten über kombinatorische Verknüpfungen kritisch hinterfragt und formalästhetisch transzendiert. Wie die deklinierte Wiederholung des Titels der I Am Not What You Think I Am-Objektinstallation auf dem Torso der fragmentierten Puppenfigur textuell betont, fokussiert die künstlerische Bricolage im Werk von Lutfi eine Reflexion der stets dynamisch konstituierten Selbst- und Fremdwahrnehmung und der generellen Erkenntnis der Konstruiertheit von Identitätsmodellen. Nach Claude Lévi-Strauss ist der Bricoleur ein kombinierender Bastler, der unterschiedliche Materialien verknüpfend in einen neuen Zusammenhang setzt: „[…] die Regel seines Spiels besteht immer darin, jederzeit mit dem, was ihm zur Hand ist, auszukommen, d.h. mit einer stets begrenzten Auswahl an Werkzeugen und Materialien, die überdies noch heterogen sind, weil ihre Zusammensetzung in keinem Zusammenhang […] steht, […] sondern das zufällige Ergebnis aller sich bietenden Gelegenheiten ist, den Vorrat zu erneuern oder zu bereichern oder ihn mit den Überbleibseln von früheren
102
Vgl. Daniels 1992, S. 186-188. Der onomatopoetische Titel wird dabei im Französischen als elle a chaud au cul ausgesprochen und referiert damit auf einen französischen Vulgärausdruck für eine sexuell zügellose Frau.
103
Huda Lutfi: Emailinterview vom 30.01.2014.
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Konstruktionen oder Destruktionen zu versorgen.[…] Jedes Element stellt eine Gesamtheit von konkreten und zugleich möglichen Beziehungen dar.“104
Die heterogenen Materialien der künstlerischen Bricolage werden im Werk von Lutfi nicht nur miteinander kombiniert und verknüpft, sondern zumeist in eine repetitive Reihung gesetzt, welche über ihren ornamentalisierenden Effekt transzendierend wirken kann und damit binäre Bedeutungszuschreibungen sukzessive unterwandert. Dieses Prinzip der Transzendenz dichotomer Setzungen sieht Lutfi wiederum ebenso in traditionellen Volksfesten sufischer Mystik, den sogenannten mulids, begründet, auf die sie in einer weiteren Objektinstallation der Ausstellung Found in Cairo verweist. Abbildung 33: Huda Lutfi, Carpet of Remembrance, 2003. Acryl, Schuhleisten, Spiegel, Installation 200 x 180 cm.
Quelle: Von Huda Lutfi zur Verfügung gestellt. © Huda Lutfi
Die Arbeit Carpet of Remembrance (Abbildung 33) von 2003 zeigt mehrere Reihen nebeneinander gestellter Holzschuhleisten, die vor einem Spiegel positioniert sind. Für diese Installation kaufte Lutfi bei Kairoer Schuhmachern alte,
104
Lévi-Strauss [1962] 1968, S. 30-31.
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abgelegte Schuhleisten, die für die weitere künstlerische Behandlung zunächst einem Reinigungsprozess unterzogen wurden: „These moulds needed to be washed and scraped clean first before the paint could be applied.“105 Als anschließende Kolorierung verwendete Lutfi die Farbe Silber, um eine in ihren Worten meditative Wirkung zu erzielen.106 Jede bemalte Schuhleistenfigur ist darüber hinaus in wiederholenden Schriftzügen mit dem sufischen Sprichwort ana jalis man dhakarani, wa man dhakarani, ana jalisuhu (dt. Ich bin der Gefährte dessen, der sich meiner erinnert, und der sich meiner erinnert, dessen Gefährte bin ich) versehen. Die Handschrift unterläuft dabei traditionelle ästhetische Prinzipien, da sie keinen kalligrafischen Regeln folgt. Mit den dargestellten Objekten treten die textuellen Elemente der Arbeit in einen reziproken, spirituellen Sinnzusammenhang. So verweist die repetitive Wiederholung der auf den Schuhleisten angebrachten Wörter auf das sogenannte dhikr, ein sufisches Gebetsritual der gemeinschaftlichen religiösen Erinnerung bestehend aus repetitiver Liturgie, Tanz und Gesang, welches in den mulidFesten einen zentralen Stellenwert einnimmt.107 Lutfi beschreibt den Akt des repetitiven Schreibens in ihren Arbeiten – manchmal wiederholt sie ein einziges Wort über Stunden – als einen meditativen Prozess, der ihr gesamtes Œuvre durchzieht: „Over the years I have come to learn that the act of writing a short text, repeated over and over again, can eventually bring about this state of empty mindedness and quietness.“108 Das Prinzip der Wiederholung in Carpet of Remembrance dient demnach der Generierung und Betonung dieses kontemplativen Zustandes. Zugleich spiegelt die Arbeit die kulturhistorischen Forschungen der Künstlerin zu traditionellen mulid-Festen in den alten Kairoer Stadtteilen wider. Der Begriff mulid, welcher im ägyptischen Dialekt für das hocharabische Wort mawlid steht, kann wörtlich mit Geburt, Geburtsort oder Geburtstag übersetzt werden. Er ist von der Bezeichnung des Feiertags zur Geburt des Propheten Muhammad abgeleitet, das sogenannte mulid al-nabi, wird in Ägypten jedoch auch dazu verwendet, um lokale Feierlichkeiten zu Ehren muslimischer und koptischer Heiliger zu benennen.109 In ihrem Artikel Mulid Culture in Cairo: The Case of Al-Sayyida ʿAisha (2006) beschreibt Lutfi zentrale Aspekte der traditionellen mulid-Feste anhand des exemplarischen Beispiels der Feierlichkeiten zu Ehren ʿAishas, deren hybri-
105
Lutfi, in: Ausst.-Kat. Gegenwart aus Jahrtausenden 2007, S. 153.
106
Vgl. ebd.
107
Vgl. Lutfi, in: Abdelrahman, Hamdy, Rouchdy und Saad (Hg.) 2006, S. 86.
108
Lutfi, in: Weber-Ashour, Cellini und Ibrahim (Hg.) 2012, S. 76.
109
Vgl. Schielke 2012, S. 19.
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den Ursprung Lutfi sowohl auf muslimische als auch auf koptische Traditionen zurückführt.110 Zur theoretischen Verortung ihrer Forschungen referiert Lutfi auf Michail Bachtins Konzept des Karnevalesken, in dessen Ausführungen zum mittelalterlichen Karneval in Europa sie Affinitäten zur kulturellen Funktion der mulid-Feste sieht.111 Bachtin definiert dabei die karnevaleske Gruppe als auf ihre eigene Weise selbstorganisiert: „It is outside of and contrary to all existing forms of the coercive socio-economic and political organization, which is suspended for the time of the festivity.“112 Dem Karnevalesken ist somit stets eine antihierarchische Tendenz inhärent, die im Kontext der mulids sozial und spirituell gemeinschaftsstiftend wirkt: „The collective and ecstatic mood of the mulid is not only an occasion for gaiety and laughter, but also one in which there is a suspension of hierarchical boundaries and roles, and in some mulids, such as ʿAisha’s, even mockery of those in high places is permitted. […] But everyone knows that it will last a short time, after which things will go back to ‚normal‘.“113
Die dichotome Gegensätze transzendierende Wirkung der mulid-Feste kommt nach Lutfi dabei insbesondere im gemeinschaftlichen dhikr, wie in Carpet of Remembrance symbolisch dargestellt, zutage: „As the collectivity delves more deeply into dhikr, into the rhythm of movement and music, one gets the sense that social differences are ignored, no one cares about age or status, and in some contexts, even gender.“114 Die Objektinstallation Carpet of Remembrance verbildlicht somit die transzendente Wirkung des kontemplativen Zustands im dhikr und beinhaltet damit zugleich eine kulturhistorische Referenz auf die Tradition der mulids und ihrer Praktiken. Diese waren aufgrund der potentiellen Unterminierung von hierarchischen Strukturen – auch wenn dies stets nur temporär geschah – seit dem neunzehnten Jahrhundert zunehmendes Ziel staatlicher Repressionen. Während Lutfi die Thematik der Einschränkung und Bedrohung der Feste durch den Staat in ihren Arbeiten nicht explizit behandelt, spiegelt sich diese jedoch zugleich in der die Ausstellung Found in Cairo begleitenden Kontroverse wider, da die Arbeit Carpet of Remembrance ebenso unter staatliche Zensur-
110
Vgl. Lutfi, in: Abdelrahman, Hamdy, Rouchdy und Saad (Hg.) 2006, S. 94.
111
Vgl. ebd., S. 80 sowie S. 84-85.
112
Bakhtin 1968, S. 255.
113
Lutfi, in: Abdelrahman, Hamdy, Rouchdy und Saad (Hg.) 2006, S. 84.
114
Ebd., S. 87.
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maßnahmen fiel – wenn auch aufgrund divergierender Gründe. Der regulierende Eingriff lag insbesondere darin begründet, da ein Detailausschnitt der Objektarbeit als Abbildung für Werbeplakate und Flyer der Ausstellung Found in Cairo diente. Wie Lutfi beschreibt, wurde die Townhouse Gallery kurz vor der Ausstellungseröffnung polizeilich angewiesen, sämtliche Plakate aus dem öffentlichen Raum zu entfernen, da diese über die Verbindung von profanen Schuhen mit einem religiösen Hadith, d.h. einer heiligen Überlieferung, einen blasphemischen Akt darstelle. Eine Schließung der Ausstellung sowie eine potentielle Beschlagnahmung der Kunstobjekte waren jedoch nicht verlangt.115 Über die Entkontextualisierung des Sinnzusammenhangs wurde dem Werk somit eine andere – als der von der Künstlerin intendierten – Bedeutung beigemessen, wie Mehrez konstatiert: „It was read literally – as shoes, not as hand-painted and ‚cleansed‘ […] wooden shoe moulds; as a reproduction of a hadith, not as an artistic Sufi inscription inspired by Sufi poetry; as sacrilegious to Islam, not as a symbolic rendition of a state of human consciousness – and was immediately incriminated.“116
Die staatliche Zensurmaßnahme beleuchtet exemplarisch den ambivalenten Handlungsraum des öffentlichen Kultursektors in Ägypten. Durch die restriktive Intervention in einen privaten Ausstellungsbetrieb postuliert der staatliche Apparat einerseits seine hegemoniale Stellung innerhalb des nationalen Kulturbereichs, um sich zugleich rhetorisch als Förderer und Bewahrer von Kunst darzustellen, da die Ausstellungseröffnung von Staatsseite nicht verhindert wurde, sondern nur das Abhängen der Plakate angewiesen worden war, um damit privaten, von der Kulturpolitik unabhängigen Klagen durch Passanten zu begegnen. Dies geschehe lediglich „for my protection and for avoidance of trouble in the public space“117, wie Lutfi einen Polizeioffizier während eines Verhörs zitiert.
115
Vgl. Lutfi, in: Ausst.-Kat. Gegenwart aus Jahrtausenden 2007, S. 154-155.
116
Mehrez 2008, S. 222.
117
Lutfi, in: Ausst.-Kat. Gegenwart aus Jahrtausenden 2007, S. 155. Zur ambivalenten Haltung des Staates gegenüber Regulierungsmaßnahmen, um darüber zugleich eine möglichst freie Kunstszene für sich zu instrumentalisieren, siehe Kapitel 4.1 Staatliche Kulturpolitik und die Souveränität der Kunst. Einerseits war die Funktionalisierung der ägyptischen Kunstlandschaft zentrales Anliegen der Politik, öffentliche Zensuren sollten jedoch vermieden bzw. wenig publik gemacht werden, um den Anschein der Souveränität der Kunst zur Postulierung eines freien, demokratischen Staates aufrecht zu halten. Vgl. Mehrez 2008, S. 6-7.
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Erst als Lutfi dazu eingeladen wurde, die Objektinstallation Carpet of Remembrance bei einer weiteren Ausstellung in Bahrain zu zeigen, wurden die beschrifteten Holzschuhleisten vom ägyptischen Zoll bei der Ausreise beschlagnahmt und nicht mehr ausgehändigt. Eine Anzeige wegen Blasphemie wurde jedoch nicht erstattet.118 Im Jahr 2005 stellte Lutfi daraufhin eine weitere Objektinstallation aus Schuhleisten in der Falaki Gallery der Amerikanischen Universität in Kairo aus, diesmal jedoch ohne die Anbringung von sufischen Textfragmenten. Die ebenfalls in Silber gehaltenen Holzschuhleisten sind in Circle of Remembrance in einer dreilinigen Kreisformation mit der Spitze jeweils nach außen vor einem Spiegel positioniert und verweisen ebenso wie Carpet of Remembrance auf die spirituelle Atmosphäre des sogenannten dhikr. Ergänzt wird die Installation durch zwei weitere bemalte Schuhleisten, die separat auf einem weißen, mit einem Glasfensterkasten überdeckten Sockel stehen und jeweils mit dem andeutenden Text al-sukut min fadda (dt. Schweigen ist Silber) in Anverwandlung des arabischen Sprichworts idha kan al-kalam min dhahab fa l-sukut min fadda (dt. Wenn Wörter aus Gold sind, dann ist Schweigen Silber) versehen sind.119 Das erneute Zitieren des Schuhleistenmodells nun ohne Beschriftung kann sowohl als eine Form der Selbstzensur wie auch als eine subtile Kritik an den repressiven Maßnahmen durch den Staat gewertet werden. Diese unterschwellige Form des künstlerischen Widerstands war der staatlichen Kulturpolitik jedoch kein Anlass zur Intervention. Darüber hinaus reagierte Lutfi auf die staatlichen Zensurrestriktionen mit einer kritischen Reflexion ihres eigenen künstlerischen Schaffens der Verbindung unterschiedlichster Objekte zur Erzeugung neuer Sinnzusammenhänge und dabei generell der Rolle und Positionierung des Künstlers innerhalb der ägyptischen Gesellschaft, die sie in dem Aufsatz A Testimony: The Artist as Bricoleur and the Dynamics of Visual Representation in the Egyptian Cultural Field (2012) veröffentlichte. Anstatt unmittelbar das repressive Vorgehen der Kulturpolitik gegenüber den Prinzipien der künstlerischen Freiheit zu kritisieren, fokussiert Lutfi darin vielmehr die grundsätzliche Beziehung zwischen einer Kultur und ihrer visuellen Repräsentationen, die durch eine wechselseitige und dynamische Gestalt charakterisiert ist und sich in unterschiedlicher Weise auf das künstlerische Schaffen auswirkt:
118
Vgl. Lutfi, in: Ausst.-Kat. Gegenwart aus Jahrtausenden 2007, S. 156 und Mehrez 2008, S. 223-226.
119
Vgl. Lutfi, in: Ausst.-Kat. Gegenwart aus Jahrtausenden 2007, S. 156-157 sowie Mehrez 2008, S. 228.
260 | M USTER DER A MBIVALENZ „So it was that I came to learn the hard way that bricolaging is not an innocent or hermetic act, that the mixing or juxtaposing of specific cultural objects can evoke strong cultural anxieties, pertaining to identity, history and the predicaments of the day; I also came to recognize that I had underestimated the political and ideological significance of representation.“120
Dabei verweist Lutfi auf die innerhalb eines soziohistorischen Kontextes möglichen kritischen Haltungen gegenüber visuellen Repräsentationen, insbesondere im transreligiösen Bereich, wie der Darstellung Gottes oder des menschlichen Körpers, aber auch bei Diskussionen über gewaltvolle oder sexuelle Darstellungen in Bildern.121 Zur Konstituierung einer von staatlichen oder anderen Instanzen regulierten Kultur dienen Beschränkungen der Abgrenzung nach außen und der Kontrolle nach innen sowie der generellen Gestaltung sozialer Konventionen. Diese können in transkultureller oder transhistorischer Perspektive unterschiedliche Formen annehmen, was ebenso die Spielräume künstlerischer Freiheiten tangiert. Mit Bezug auf Steven Dubin führt Lutfi insbesondere drei Faktoren an, weshalb bestimmte Bilder in bestimmten kulturellen Kontexten als kontrovers empfunden und debattiert werden: „The juxtaposition of what cultures define as sacred and profane; the artistic desire to come to terms with spiritual or religious questions; and the imposition of a literal interpretation by isolating a single case from the larger body of work.“122 Diese kulturtheoretischen Rückgriffe dienen Lutfi der Reflexion der Ereignisse um die Ausstellung Found in Cairo, welche sie dadurch zugleich auf subtile Weise hinterfragt.123 Gerade mit Blick auf den restriktiven Staatsapparat in Ägypten werden ihre Arbeiten in späteren Ausstellungen indes deutlich kritischer, wie beispielsweise die Ausstellung Cut and Paste von 2013 veranschaulicht, wobei die ambivalente Vielschichtigkeit, die unterschiedliche Perspektiven beleuchtet und auf verschiedene Weise gedeutet werden kann, erhalten bleibt.
120 121
Lutfi, in: Weber-Ashour, Cellini und Ibrahim (Hg.) 2012, S. 68. Vgl. ebd. Zur theoretischen Verortung ihrer Argumentation stützt sich Lutfi dabei auf die Thematisierung von Repräsentation bei W. J. T. Mitchell. Vgl. Mitchell, in: Lentricchia und McLaughlin 1990, S. 11-22.
122
Lutfi, in: Weber-Ashour, Cellini und Ibrahim (Hg.) 2012, S. 69. Vgl. Dubin 1992, S. 4-6.
123
Vgl. Lutfi, in: Weber-Ashour, Cellini und Ibrahim (Hg.) 2012, S. 70.
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Wiederholung als ästhetische Strategie der Aneignung und reflexiven Neueinschreibung Die Verwendung von unterschiedlichen Fundstücken aus den Akkumulationen der Kairoer Märkte für Gebrauchtgegenstände und die visuelle Referenz auf den kulturhistorischen Kontext Ägyptens verleiht den Arbeiten Lutfis eine archivale Charakteristik, wie sie exemplarisch in Found in Cairo zutage tritt. Die Struktur eines Archivs zeigt sich ebenso in der Ausstellung Cut and Paste von 2013, in der Lutfi die soziopolitischen Ereignisse nach dem Sturz Mubaraks reflektiert. Der Titel der Ausstellung bezieht sich sowohl auf Lutfis künstlerische Technik der Collage, die ihr gesamtes Œuvre durchzieht, als auch auf das Phänomen der Zirkulation von medialen Bildern, wie es die Künstlerin nach der Revolution von 2011 insbesondere über das Internet verfolgte und spezifische visuelle Darstellungen für ihre Arbeiten extrahierte. Sammelte Lutfi ihre Bezugsquellen und Materialien für Found in Cairo während ihrer Recherchen und Streifzüge durch den urbanen Raum, bezieht sie sich in Cut and Paste vor allem auf Fotografien, die sie entweder eigenen Aufnahmen oder medial verbreiteten Bildern und Footages von anhaltenden Protesten entnimmt. Erst ein Jahr nach den politischen Umschwüngen kehrte sie zu ihrer künstlerischen Arbeit ins Studio zurück und reflektierte über die adäquate Verwendung der von ihr angesammelten Fotografien von Aufständen, Protestierenden, Soldaten und Militärs für ihre eigene künstlerische Konzeption: „The question Who is going to write the history of this period? became a major concern for me. […] However, I was not interested to write an ‚archive‘, I wanted to play with it, to deconstruct it.“124
Ein dabei vorherrschendes Element bilden in Cut and Paste visuelle Repräsentationen des Militärs und des ägyptischen Sicherheitsapparats, deren semantische Bedeutung und symbolischer Gehalt über die künstlerische Strategie der repetitiven Reihung hinterfragt werden. Beispielsweise zeigt die Arbeit Marching on Crutches (2011-2012, Abbildung 34) auf zwei übereinander positionierten Leinwänden Abbildungen von uniformierten Polizisten des ägyptischen Sicherheitsapparats, die mit Schlagstöcken, Helmen und Schutzschildern ausgerüstet über ein Feld von liegenden und stehenden Krücken marschieren. Der dargestellte figurative Ausschnitt ist jeweils in der oberen Bildhälfte in Höhe der Schultern der Offiziere abgeschnitten, während die Krücken in der unteren Bildhälfte in
124
Huda Lutfi: Emailinterview vom 30.01.2014.
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ihrer gesamten Gestalt abgebildet sind. Bei näherer Betrachtung der stehend positionierten Laufhilfen rücken die fotografischen Abbildungen von männlichen Portraits in den Blick, die als Collage auf die hölzernen Querstangen der Krücken appliziert sind. Als visuelles Sujet taucht das Motiv der mit fotografischen Portraits beklebten Krücken bereits in vorherigen Arbeiten Lutfis auf. In der Objektinstallation Support Structure (Abbildung 35) von 2010 sind beispielsweise metallene Krücken in einer arrangierten Gruppierung an die Wand des Galerieraums gelehnt. Die collagierten Portraitfotografien sind ebenso auf den jeweiligen Querelementen der Laufhilfen angebracht, wobei die abgebildeten Männer den Betrachter direkt anblicken. Die visuelle Verbindung des Mediums der Krücke mit den fotografierten Portraits unterschiedlicher Personen kann syntagmatisch als Behandlung von ambivalenten Aspekten der Fragilität und Stütze gelesen werden. Bezüglich des thematischen Kontextes der dargestellten männlichen Gesichter führt Lutfi an: „I wanted to argue that the non-glamorous males that serve us in everyday life are an indispensible support.“125 Damit verweist die Künstlerin auf das stark hierarchisch aufgebaute Dienstleistungssystem in Ägypten, in welchem viele Arbeiter ihre materiellen und immateriellen Waren auf den Straßen Kairos anbieten. Diese informellen Dienste sorgen einerseits für ein alltägliches Funktionieren der urbanen Strukturen mit ihren Akteuren, zeichnen sich jedoch zugleich durch ein hohes Maß an Fragilität aus, da sie jederzeit durch Eingriffe der staatlichen Hand blockiert oder verhindert werden können. Indem Lutfi in Marching on Crutches die Sicherheitskräfte über das Gebilde aus Krücken wiederholt marschieren lässt, welches symbolisch für die das soziale Gemeinwohl unterstützenden Dienstleistungen der unteren Gesellschaftsschichten steht, wird die restriktive Gewaltposition des ägyptischen Sicherheitsapparats visuell betont und damit zugleich kritisch kommentiert. Dabei kann Marching on Crutches nicht nur eine oppositionelle Haltung gegenüber restriktiven, gewaltvollen Repressionen ausdrücken, sondern darüber hinaus auf die möglichen Folgen eines solchen Vorgehens verweisen, das zu einem Zusammenbruch der ohnehin schon fragilen Gesellschaftsstrukturen führen kann. Gerade auch im Hinblick auf die politischen Ereignisse des Jahres 2013 – wie den Sturz des gewählten Präsidenten Muhammad Morsi sowie die äußerst repressive Verfolgung oppositioneller Gruppierungen – kann die Arbeit somit ex post als deutliche Kritik am ägyptischen Staats- und Sicherheitsapparat gelesen werden.
125
Huda Lutfi: Emailinterview vom 30.01.2014.
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Abbildung 34: Huda Lutfi, Marching on Crutches, 2011-2012. Fotocollage, Acryl.
Quelle: Von Huda Lutfi zur Verfügung gestellt. © Huda Lutfi
Abbildung 35: Huda Lutfi, Support Structure, 2010. Holzkrücken, Acryl, Fotocollage, jeweils 105 x 16 x 5 cm.
Quelle: Von Huda Lutfi zur Verfügung gestellt. © Huda Lutfi
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Der kritische Modus wird jedoch nicht nur über die Verbindung der Sujets – Polizisten des Sicherheitsapparats und Krücken – erzeugt, sondern impliziert gerade über die Strategie der repetitiven Wiederholung einen reflexiven Moment. Die Darstellung der abgebildeten Ikonografien in Reihung kann als ornamentaler Gestus beschrieben werden, über den die repräsentierten Figuren einer rhythmisierenden Ordnung unterworfen werden, welche deren semantischen Bedeutungsgehalt gleichsam dynamisiert. So bildet die Darstellung von Repräsentanten eines staatlichen Sicherheitsapparats in wiederholender Reihung einerseits eine visuelle Betonung deren hegemonialer Machtposition, ein im Sinne Siegfried Kracauers entpersonalisiertes Ornament der Masse.126 Zugleich wird das Bild des Polizisten bzw. Soldaten als symbolisches Emblem repressiver Macht über den Modus der Iteration jedoch zu einer leeren Form ornamentalisiert und somit seiner eigentlichen Bedeutung entzogen. Künstlerisch wird er somit zum Muster degradiert. Die Strategie der iterativen Darstellung von nebeneinander stehenden Polizisten respektive Soldaten verwendet Lutfi bereits vor der ägyptischen Revolution, beispielsweise in Double Restriction (Abbildung 36) von 2010. In vier Reihen übereinander angeordnet stellt die chromatisch einheitlich gehaltene Arbeit in Rückenansicht nebeneinander stehende Soldaten dar, die ihre Hände jeweils nach hinten ineinander verschränken. Einige der männlichen Figuren blicken geradeaus, während andere den Kopf zur Seite drehen, so als würden sie mit ihrem Nebenmann einige Worte wechseln. Abbildung 36: Huda Lutfi, Double Restriction, 2010 (Detail). Fotocollage, Acryl, 55 x 400 cm.
Quelle: Von Huda Lutfi zur Verfügung gestellt. © Huda Lutfi
126
Vgl. Kracauer [1963] 1977, S. 50-63.
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Die über die repetitive Struktur evozierte Ornamentalisierung der dargestellten Figuren lässt unterschiedliche Lesarten zu, die sich allerdings diametral zueinander verhalten können. So verweist die wiederholte Repräsentation der Soldaten einerseits auf die omnipräsente Machtpostulierung des Militär- und Sicherheitsapparats, die sich über sämtliche Bereiche der ägyptischen Staatsstruktur erstreckt. Doch zugleich wird dieses Bild des ägyptischen Militärs durch die Darstellung als ornamentales Muster künstlerisch unterwandert. Über den Titel wird die ambivalente Bedeutungsstruktur der Arbeit noch verstärkt: Der Soldat steht einerseits als Subjekt symbolisch für die Repräsentation von Macht, wird aber zugleich als funktionalisiertes Objekt derselben Macht dargestellt. Diese reflexive Neueinschreibung von Bedeutung lenkt den Blick auf den Instruktionscharakter des hegemonialen Systems, dem jeder einzelne Rekrut folgen muss, wie Lutfi betont: „The title Double Restriction evokes the ‚doubling‘ of restriction. In this piece, I wanted to argue that these men, not only women, experience a sort of double restriction in this specific context. They are paid peanuts; they live in horrid conditions and are forced to obey orders.“127
Durch das Konzept der Reihung wird somit die symbolische Bedeutungsdimension des Soldaten als Repräsentant von Macht betont, wie sie zugleich kritisch unterwandert und die humane Seite des Soldaten als Opfer hegemonialer Instruktionen fokussiert wird. Gerade nach dem sogenannten Arabischen Frühling griffen einige ägyptische Künstler auf das Sujet des Militärs zurück. Die ambivalente Bedeutungsdimension der Repräsentation von Soldaten zeigt in diesem Zusammenhang beispielsweise auch das künstlerische Werk der in London lebenden ägyptischen Künstlerin Nermine Hammam (*1967). In ihrer Serie Upekkha, die sie direkt nach den politischen Umschwüngen im Frühjahr 2011 schuf, nähert sich Hammam der Thematik des ägyptischen Militärs ebenso über die Strategie der Repetition – ergänzt durch eine visuelle Ironisierung – an. Der Titel referiert hierbei auf das buddhistische Konzept des Gleichmuts, welches sowohl in Opposition zum Konzept der Unruhe als auch der Gleichgültigkeit steht und somit übertragen auf den ägyptischen Kontext symbolisch einen potentiellen Mittelweg anzudeuten scheint.128 Somit verknüpft Hammam auf ähnliche Weise wie in Lutfis künstleri-
127 128
Huda Lutfi: Emailinterview vom 30.01.2014. Vgl. Das Lexikon des Buddhismus, Ehrhard und Fischer-Schreiber (Hg.) 1992, S. 231232.
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schem Konzept der Bricolage transkulturelle Aspekte vordergründig unzusammenhängender Sujets, wie dies beispielsweise in Lutfis Gegenüberstellung der Sängerin Umm Kulthum mit einer indischen Gottheit in der Arbeit Suma Umm Ad-Dunya deutlich wird. Formalästhetisch versetzt Hammam in Upekkha Fotografien von ägyptischen Soldaten, die während der Revolution den urbanen Raum Kairos infiltrierten, digital in farbsatte, nahezu kitschig anmutende Postkartenlandschaften. Beispielsweise zeigt Image 7 (Abbildung 37) vier nebeneinander stehende, mit kugelsicheren Westen und Helmen ausgestattete Soldaten, welche auf einer rosa blühenden Wiese vor einem idyllischen Alpenpanorama platziert sind. Abbildung 37: Nermine Hammam, Image 7 (aus der Upekkha-Serie), 2011 Inkjet Print, 90 x 60 cm, im Besitz der Künstlerin.
Quelle: Von Nermine Hammam zur Verfügung gestellt.
Die paradoxe Wirkung der künstlerischen Manipulation führt Hammam auf ihre eigenen Erlebnisse auf den Straßen Kairos zurück, als die ägyptische Armee während der Aufstände auf dem Tahrir-Platz eintraf: „This mythical force was leaving its barracks in the desert and joining citizens in Tahrir Square. […] But as the hatches opened, and doors of military vehicles were thrown wide, what emerged was not the angry stereotypes of power and masculinity we expected, but wide-eyed youths with tiny frames, squinting at the cacophony of Cairo. The soldiers’ vulnerability and sheer youth baffled me.“129
129
Hammam 2012, in: Ausst.-Kat. Nermine Hammam. Cairo Year One, S. 10.
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Für die künstlerische Umsetzung und Reflektion dieser Eindrücke spielt Hammams ornamentaler Gestus ebenso wie in der künstlerischen Strategie Lutfis eine wesentliche Rolle, um auf diese Weise eine ambivalente Bedeutungszuschreibung zu evozieren. Dabei greifen beide Künstlerinnen auf das Konzept der Reihung zurück. Im Gegensatz zu Lutfis zumeist monochromatischen Arbeiten setzt Hammam die Sujets der Soldaten jedoch in ein polychromes Postkartenmotiv. Dies hat zur Folge, dass eine potentielle Betonung der hegemonialen Machtposition, für die die Soldaten symbolisch stehen, über das Konzept der Ironisierung unmittelbar unterwandert wird und neue Lesarten der Arbeit möglich sind. Einerseits wird über die Ersetzung der Konnotation von militärischer Macht durch die Darstellung der Fragilität, Unsicherheit und annähernden Kindlichkeit der Soldaten der Diskurs des ägyptischen Militärs entmännlicht und dadurch ironisch diffamiert. Das diskursive Konstrukt der Macht wird als Illusion entlarvt. Somit kann die Arbeit als destabilisierender Akt und als „an inversion of traditional hierarchies of power“ 130 gelesen werden. Wie Hammam anführt, sieht sie die Upekkha-Serie auch als Parodie auf ägyptische Propagandaposter der 1940er und 1950er Jahre, „that feature strong nubile men and women in idealised settings; posters parading power to the masses.“131 Letztendlich, so Hammam, basiere die Illusion von Macht stets auf einem gegenständigen Einvernehmen zwischen denjenigen, die sie konstruieren, und denjenigen, die sie glauben.132 Gleichzeitig werden die Soldaten über die Darstellung ihrer Fragilität und Jugendhaftigkeit humanisiert. So schreibt Hammam in ihrem Konzept zur Serie: „In the act of photographing the soldiers, unwittingly the individual was reclaimed from the group, ‚re-personalising‘ the ‚de-personalised‘.“133 In der Betonung des Soldaten als Person und damit als Teil der ägyptischen Gesellschaft scheint die Utopie des Slogans al-gish wa-l-shaʿb id wahda (dt. Die Armee und das Volk Hand in Hand) anzuklingen, welcher während der Revolution als visuelles Zeichen auf Bannern und Mauern sowie in Protestrufen vielfach vorkam.134 In dieser ambivalenten Bedeutungszuschreibung sind die Soldaten sowohl Instrumente der Unterdrückung und Bedrohung, als auch „victims
130
Hammam 2012, in: Ausst.-Kat. Nermine Hammam. Cairo Year One, S. 12.
131
Ebd., S. 10.
132
Nermine Hammam: Interview in Kairo vom 02.01.2014.
133
Hammam 2012, in: Ausst.-Kat. Nermine Hammam. Cairo Year One, S. 10.
134
Zum historischen Kontext des Verhältnisses von Militär und ägyptischem Volk sowie dessen sukzessivem Wandel während der Revolution von 2011 siehe Khalil, in: Mehrez 2012, S. 249-275.
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of poor education, deprivation and repression“135, wie der größte Teil der ägyptischen Bevölkerung und somit Teil des Volkes. In der ambivalenten Deutung der thematischen Bedeutungsdimensionen überschneiden sich die Arbeiten von Lutfi und Hammam. Während Hammam allerdings die visuelle Repräsentation über die Verknüpfung mit dem Kitschmotiv einer Postkartenlandschaft unmittelbar ironisiert, sind die Arbeiten Lutfis chromatisch ruhiger gehalten. Vordergründig unterminieren die Werke Lutfis die repressive Machtpostulierung des Militärs nicht, sondern scheinen diese über den Modus der Reihung und Iteration vielmehr zu betonen. Erst auf den zweiten Blick wird das wiederholte Sujet des Soldaten als Symbol des ägyptischen Machtapparats über subtile manipulatorische Eingriffe unterwandert, wie beispielsweise in Double Restriction durch die Titelgebung, und in seiner ambivalenten Gestalt – zugleich als Symbol für Macht und als Opfer funktionalisierender Macht – reflektiert. Dabei können die beiden diachronen Leseweisen in den einzelnen Arbeiten jeweils in die eine oder andere Richtung tendieren. So betont Marching on Crutches insbesondere den repressiven, gewalttätigen Charakter des Militärs und erinnert über die Portraits auf den Krücken an die zahlreichen zivilen Opfer der Aufstände. Abbildung 38: Huda Lutfi, Portraits from Tahrir, 2013. Fotocollage, Acryl.
Quelle: Von Huda Lutfi zur Verfügung gestellt. © Huda Lutfi
In einer weiteren Arbeit der Ausstellung Cut and Paste mit dem Titel Portraits from Tahrir von 2011 (Abbildung 38) werden als Portraits dagegen in schwarzweißen Fotografien behelmte Soldaten in wiederholter Positionierung auf dunkelgrün gehaltenen runden Scheiben dargestellt. Pro Kreisformation sind ein
135
Al-Qattan 2012, in: Ausst.-Kat. Nermine Hammam. Cairo Year One, S. 4.
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oder zwei Gesichter von Soldaten abgebildet, die zumeist für die Kamera posieren und den Betrachter direkt anblicken. Die wiederholte Darstellung der verschiedenen Konterfeis betont zwar einerseits die militärische Omnipräsenz auf dem Tahrir-Platz während der Proteste von 2011, fokussiert aber durch den collagierten Ausschnitt der Portraits im Gegensatz zur Arbeit Marching on Crutches, in welcher die Oberkörper der Soldaten abgeschnitten sind, eine individualisierte Darstellung, über welche die Soldaten gleichsam als Personen wahrgenommen und humanisiert werden. Eine eindeutige Interpretationszuschreibung und damit einhergehende Evaluation der dargestellten Sujets – beispielsweise im Bezug auf eine politische Positionierung der Künstlerin – bleibt allerdings offen und drückt vielmehr die Widersprüchlichkeiten der soziopolitischen Umschwünge in Ägypten aus.
Kapitel 8 Ornament und Schrift: Kalligrafische Strukturen in zeitgenössischem Gewand
8.1 S AMEH I SMAIL – K ALLIGRAFISCHE M ALEREI SUBLIME L INIATUR
ALS
Aufbruch ins Ornament: Die Revolution als ästhetisches ‚Kalligraffiti‘ In klassischer Kalligrafie ausgebildet, transformiert Sameh Ismail (*1974) in seinem malerischen Œuvre arabische Schriftlinien in strukturell vielschichtige Kompositionen unterschiedlicher Couleur. Als Inspirationsquelle seines Schaffens dienen ihm dabei ornamentale Schriftformationen altislamischer Kunst und Architektur – insbesondere im urbanen Raum Kairos. Zeichnen sich seine Arbeiten vor den politischen Umschwüngen von 2011 durch eine monochromatische Konzeption aus, repräsentieren seine künstlerischen Reflexionen der ägyptischen Revolution farbenfrohe Formkontraste. Dem kalligrafischen Duktus des Künstlers ist in beiden Werkphasen eine dynamische Expressivität inhärent, welche die Ästhetik klassischer arabischer Schriftkunst anverwandelt und dabei zugleich künstlerisch abstrahiert. Demnach bezeichnet sich Ismail selbst nicht als Kalligraf, da er sich als Künstler mit der Form und Gestalt der einzelnen Buchstaben befasst und weniger den semantischen Inhalt der jeweiligen Wörter berücksichtigt.1 Die Bedeutungsstruktur seiner kalligrafischen Arbeiten geht somit über eine reine visuelle Lesbarkeit der jeweiligen Schriftbilder hinaus und kann auf unterschiedliche Weise interpretiert werden.
1
Sameh Ismail: Interview in Kairo vom 01.01.2014.
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Differenzen zu klassischer arabischer Schriftkunst lassen sich zunächst exemplarisch anhand der monochromatischen Werkphase Ismails veranschaulichen. So stellt die Arbeit 004 (Abbildung 39) von 2010 eine in schwarzer Tusche ausgeführte malerische Kalligrafie dar, deren Buchstabenlinien dergestalt abstrahiert sind, dass sie nicht mehr entziffert werden können. Die in expressiven Pinselstrichen aufgetragenen Schriftformationen bilden gemeinsam mit Flächen aus wässrigen Tuscheschraffuren und darin angedeuteten ornamentalen Strukturen ein vertikal zentriertes Gebilde, welches sich nach oben hin verjüngt und insbesondere auf der rechten Bildseite eine weiße Fläche freilässt. Über den starken Helldunkelkontrast wirkt die Arbeit sehr plastisch, wodurch die kalligrafischen Linien vom Bildgrund scheinbar hervortreten. Dabei zeigt die Ästhetik der geschwungenen Buchstabenformationen deutliche Ähnlichkeiten zu traditioneller islamischer Kalligrafie und gibt die klassische Ausbildung des Künstlers zu erkennen. Abbildung 39: Sameh Ismail, 004, 2010. Tusche auf Papier, 70 x 100 cm.
Quelle: Von Sameh Ismail zur Verfügung gestellt. © Sameh Ismail
Konzeptionen traditioneller arabischer Schriftkunst sind gemäß einem spezifischen Kodex reglementiert, welcher die Ausführungen der einzelnen Buchstabenlinien detailliert vorgibt. Im Arabischen wird Kalligrafie mit dem Begriff khatt beschrieben, dessen Verbalform im Gegensatz zum arabischen Wort für schreiben, kataba, stärkere Assoziationen zu Begriffen wie Ordnung und Konti-
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S CHRIFT
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nuität erlaubt.2 Generell wird die islamische Kalligrafie auf zwei unterschiedliche Strömungen traditioneller Schriftkunst zurückgeführt, welche mit der Kategorie muqawwar wa-mudawwar (dt. kurvenförmig und rund), der die Kursivschriften entstammen, sowie mit der Kategorie mabsut wa-mustaqim (dt. gestreckt und geradlinig), deren bekannteste Vertreter die arabischen KufiSchriften darstellen, umschrieben werden.3 Hinsichtlich der historischen Entwicklung der Kalligrafie lassen sich beide Stilformen jedoch nicht vollständig getrennt voneinander betrachten, da es ebenso künstlerische Mischformen und Kombinationen beider Kunstrichtungen gab.4 In ihrer kodifizierten Gestalt geht die klassische Kalligrafie auf die Dynastie der Abbasiden und den Reformkalligrafen Abu Ali Muhammad Ibn Muqla (885/886-940) zurück. Ibn Muqla entwickelte ein System grundlegender Regeln für das künstlerische Ausführen der Kalligrafie, welches auf einer geometrischen Proportionenlehre beruhte. Als Einheitsmaßstab für die relative Größe und Form der einzelnen Buchstaben diente ihm der rhombische Punkt der arabischen Schrift, ein standardisiertes alif, dem ersten Buchstaben des Alphabets, sowie ein ebenso standardisierter Kreis.5 Die jeweilige Proportion der Schriftlinie folgte demnach konzeptuell den festgelegten Größen dieser Grundkonstanten, wie Yasin Hamid Safadi erläutert: „For this system, the rhombic dot was formed by pressing the pen diagonally on paper so that the length of the dot’s equal sides was the same as the width of the pen. The standard Alif was a straight vertical stroke measuring a specific number of the rhombic dots placed vertex to vertex, and […] the standard circle had a radius equal to Alif.“6
Je nach kalligrafischer Schule wurde für das genaue Maß des Buchstabens alif eine Anzahl zwischen fünf und sieben rhombischen Punkten festgesetzt.7 Dieses von Ibn Muqla eingeführte geometrische System formte für die arabische Schriftkunst ein festgelegtes epistemisches Regelwerk, welches in Ausbildungsstätten der Kalligrafie vermittelt wurde. In komparatistischer Gegenüberstellung mit der klassischen islamischen Kalligrafie kann demnach veranschaulicht werden, dass Ismail über die Setzung der kalligrafischen Punkte und des langgezo-
2
Vgl. Shabout 2007, S. 64.
3
Vgl. Safadi 1978, S. 14.
4
Vgl. ebd.
5
Vgl. ebd., S. 17.
6
Ebd., S. 17-18.
7
Vgl. ebd., S. 18.
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genen alifs die Proportionskonzepte der klassischen Schriftkunst zunächst zitiert, diese jedoch über malerische Mittel der Abstraktion zu reinen Formengebilden, die die Schrift nur noch als künstlerische Spur andeuten, transformiert. Die Arbeit 004 zeigt in der rechten unteren Bildhälfte ein in sich verschlungenes, ornamentales Muster, aus dem in arabischer Schreib- und Leserichtung von rechts nach links die kalligrafischen Linienführungen zu entspringen scheinen. Damit werden die beiden grundlegenden islamischen Kunstformen, Ornament und Schrift, gemeinsam künstlerisch anverwandelt, was ebenso Konnotationen zu spirituellen Bezügen evoziert. Aufgrund der Offenbarung des Korans in arabischer Sprache sind die arabische Schrift und das sie hervorbringende Schreibrohr in der theoretischen Konzeptualisierung der islamischen Kalligrafie spirituell aufgeladen; d.h., über die kunstvolle Form der Linienführung soll der semantische, religiös konnotierte Gehalt der einzelnen Wörter betont und hervorgehoben werden. Der Koran widmet dem qalam, dem traditionellen Schreibrohr, eine ganze Sure, in welcher die Hinabsendung der Heiligen Schrift beschrieben wird. Dort steht geschrieben: „Lies im Namen deines Herren […], der durch das Schreibrohr gelehrt hat.“8 Die Vorgabe für klassische islamische Kalligrafie ist demnach in der Regel Lesbarkeit, auch wenn das Entziffern der einzelnen Buchstaben aufgrund der hohen Komplexität der in sich verschlungenen Schriftlinien zuweilen erschwert ist und vielmehr die Betonung der Schönheit der Schrift fokussiert wird. Über die kodifizierte Reglementierung der arabischen Schriftkunst nimmt sich der Kalligraf darüber hinaus als Individuum zurück, um als künstlerischer Vermittler sakrale, aber auch profane Weisheiten wie Koranrezitationen oder arabische Poesie auszudrücken.9 Diesem generellen Prinzip klassischer islamischer Kalligrafie steht der individuell-dynamische und zumeist unlesbare Schriftduktus im malerischen Werk von Ismail entgegen. Ebenso wendet der Künstler eine differierende Technik an, da er statt des traditionellen Schreibrohrs die kalligrafischen Linienführungen mittels verschiedener Pinsel auf die Leinwand setzt. Werden die festgesetzten Regeln klassischer Kalligrafie über künstlerische Prozesse der Abstrahierung unterwandert, wird zugleich der eigentliche Bedeutungsgehalt der arabischen Schrift – die formvollendete textuelle Vermittlung einer zumeist spirituell konnotierten Botschaft – dekonstruiert. Nada Shabout spricht hierbei von einer Entsakralisierung der Schrift, die sie generell abstrakten Kalligrafiekonzepten moderner arabischer Kunst beimisst.10 Die abstrahierte
8
Der Koran, übersetzt und kommentiert von Khoury 2007, S. 578.
9
Vgl. Schami 2008, S. 28.
10
Vgl. Shabout 2007, S. 70.
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Anverwandlung kalligrafischer Linienführungen in 004 sprengt die Reglementierungen der klassischen Konzeption und verleiht der Schrift eine stärkere individuelle Expressivität und einen Ausdruck der Spontanität bei gleichzeitig konzentrierter Präzision im künstlerischen Schaffensprozess.11 Dennoch kann weniger von einer vollständigen Absenz sakral konnotierter Bedeutungen gesprochen werden, da diese Sinnbezüge der arabischen Schrift generell – unabhängig ihrer potentiellen Lesbarkeit – zugeschrieben werden. Über die Defunktionalisierung der Schrift, wie sie durch die Strategie der Abstrahierung evoziert wird, werden die Schriftlinien von ihrer ursprünglichen Rolle befreit und die ästhetischen Charakteristika ihrer Formstruktur fokussiert. Im Versuch einer interpretierenden Aneignung oszillieren die kalligrafischen Linien im Werk von Ismail demnach zwischen spiritueller oder transzendenter Sinnbezüglichkeit und freiem Formenspiel der Abstraktion, ohne auf eine eindeutige Zuschreibung festgelegt werden zu können. Diese ambivalente Bedeutungsdimension der kalligrafischen Strukturen entzieht sich somit einer eindeutigen Interpretation, womit die Schrift selbst als epistemische Spur in den Blick gerückt wird. Von der vorangegangenen monochromatischen Werkphase differieren die Arbeiten, welche Ismail 2011 als direkte Reaktion auf die politischen Umschwünge konzipierte. Die für diese Serie exemplarische Arbeit 019 (2011, Abbildung 40) zeigt in Pastellfarben gehaltene kalligrafische Strukturen, die überund nebeneinander stehend ein komplexes Formengebilde repräsentieren. In der Intention Ismails ist die starke Polychromie dabei weniger rein ästhetisch zu sehen, sondern referiert vielmehr auf die in den achtzehn Tagen der Aufstände währenden Emotionen und die damit einhergehende gemeinschaftsstiftende Atmosphäre.12 Die dynamischen Strukturen der Arbeit changieren zwischen Zitaten kalligrafischer Formationen und Reminiszenzen an urbane, an Wände gekritzelte Graffitis. Letztere prägten das Kairoer Stadtbild im Nachfeld der politischen Ereignisse des Frühjahrs 2011 und avancierten zum visuellen Zeichen und Sinnbild der ägyptischen Revolution. Die Textur der Arbeit ist mehrschichtig in Acryl und Sprühfarbe angelegt, wobei Ismail jede einzelne der aufgetragenen Schichten in einer anderen Dynamik und Charakteristik konzipierte. An einigen Stellen wurde die Farbe auf die Leinwand geschüttet und mit dem Pinsel gespritzt, sodass diese im Sinne eines Drippings vertikal nach unten verläuft. Andere Bereiche der Bildfläche zeigen wiederrum nicht nur aufgemalte kalligrafische Applikationen, sondern ebenso Farbfelder, in welchen die verschiedenen Schriftlinien in einem negativen Ver-
11
Sameh Ismail: Interview in Kairo vom 01.01.2014.
12
Ebd.
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fahren eingeritzt sind. Darüber hinaus weist die Arbeit stellenweise Verletzungen auf, die von der Einschneidung der Leinwand mittels eines dünnen Messers herrühren. Abbildung 40: Sameh Ismail, 019, 2011. Acryl auf Leinwand, 130 x 150 cm.
Quelle: Von Sameh Ismail zur Verfügung gestellt. © Sameh Ismail
Die divergierenden Verknüpfungen und Durchkreuzungen der einzelnen Malschichten in 019 stehen sinnbildlich für die sich einander überlagernden schriftlichen Forderungen und politischen Nachrichten der urbanen Mauern Kairos, wie Ismail konstatiert: „People would write messages or do graffiti and then policy or military would cover it up. One party would write a message and the other would paint or write over it, resulting in walls that look like the mess and chaos we are actually living.“13
Während die kalligrafischen Liniaturen aufgrund ihrer abstrakten Gestalt unlesbar bleiben, ist eine über die gesprühten, gemalten und gekratzten Strukturen der Arbeit aufgetragene Café-Bestellliste, welche in Handschrift flüchtig skizziert zu sein scheint, deutlich erkennbar. Unter den einzelnen Bestellungen für Tee und
13
Ismail, zitiert nach Hamdy, in: Daily News Egypt vom 25.08.2011.
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verschiedene Shisha-Tabaksorten steht jedoch als Summe keine Zahl, sondern die Aufforderung al-dustur awal (dt. Zuerst die Verfassung). Eine derart direkte politische Forderung und Kritik kann generell als Novum in der ägyptischen Malerei gewertet werden, was auf ein allgemein freieres Klima hinsichtlich künstlerischer Konzeptionen direkt nach dem Sturz Mubaraks verweist. Kunstformen wie Videokunst oder Fotografie haben in dieser Hinsicht seit Jahren ein stärker progressives Potential entwickelt.14 Als Inspirationsquelle für diese direkte politische Intention der Arbeit führt Ismail die sich wandelnde urbane Kunstlandschaft Kairos nach den Aufständen von 2011 an, wie sie sich visuell in einer neu aufkommenden Street-Art-Bewegung manifestierte.15 Das künstlerische Phänomen einer Verknüpfung arabischer Kalligrafie mit der Ästhetik urbaner Graffitis lässt sich jedoch bereits zuvor in anderen arabischen Ländern, wie dem Libanon oder den Palästinensergebieten sowie bei arabischen Straßenkünstlern der euroamerikanischen Diaspora nachweisen.16 Kalligrafische Graffitis verbinden zwei vordergründig diachrone künstlerische Ausdrucksformen, deren potentielle Gemeinsamkeiten auf den zweiten Blick insbesondere in ihrer konzeptuellen Ausführung zutage treten, die in der Setzung möglichst ununterbrochener Linienführungen und der Betonung der Ästhetik der Schrift besteht.17 Dabei werden die festgesetzten Reglementierungen der klassischen Kalligrafie gesprengt und in einen neuen künstlerischen Zusammenhang überführt. In diesem Sinne kann Ismails malerische Anverwandlung beider Ausdrucksformen als ‚Kalligraffiti‘ bezeichnet werden; d.h., dem Gemälde ist neben der spezifischen Ästhetik der freien Linienführung, die traditionelle Kalligrafiekonzepte unterwandert, ebenso eine politische Intention inhä-
14
Der mediale Unterschied hat vor allem praktikable Gründe, da diese Kunstformen im Zeitalter der Digitalisierung beispielsweise leichter im Ausland präsentiert werden können, da die Kontrollmöglichkeiten des ägyptischen Zolls weniger ausgeprägt sind, als dies im Falle des Transports von Leinwänden wäre. Dennoch gibt es in der modernen ägyptischen Malerei eine soziopolitische Tradition, für die insbesondere die Werke Abdel Hadi al-Gazzars exemplarisch stehen. Das Ausstellen kritischer Kunstwerke konnte jedoch mit staatlichen Restriktionen bis hin zu Verhaftungen einhergehen. Siehe hierzu Kapitel 2 Genealogien des Modernen in der ägyptischen Kunst im Vor- und Nachfeld der Revolution von 1952.
15 16
Sameh Ismail: Interview in Kairo vom 01.01.2014. Zum künstlerischen Ausdruck arabischer Graffiti siehe insbesondere Zoghbi und Stone (Hg.) 2011. Zur politischen Straßenkunst der Palästinensergebiete mit Blick auf die palästinensisch-israelische Grenzmauer siehe Shalem und Wolf 2011.
17
Vgl. Massoudy, in: Zoghbi und Stone (Hg.) 2011, S. 31.
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rent. Der Begriff des ‚Kalligraffitis‘ für moderne arabische Künstlerpositionen wurde von Wijdan Ali geprägt. In ihrer Studie Modern Islamic Art. Development and Continuity (1997) beschreibt sie diese Form transformierter Kalligrafie in der Malerei wie folgt: „It is an ordinary script that has no rules, belongs to no known school of calligraphy, and differs from one handwriting to the other. […] I term it calligraffiti because, although the writing itself is inspired by calligraphy, it is also close to graffiti scribbling. In this style, the artist strips the letters of their classical restrictions and takes them to their very basic, rough shapes. All ties with tradition are severed in order to create a personalized image of the letter.“18
Ismails künstlerische Anverwandlung und Transformation von Kalligrafie- und Graffitistrukturen kann als künstlerischer Versuch gewertet werden, die ephemere Gestalt der bemalten und beschriebenen Wände im Kontext der ägyptischen Revolution aufzugreifen und damit gewissermaßen zu archivieren. Wie in der Aufforderung al-dustur awal zitiert, spielt der zu entziffernde semiotische Gehalt der ägyptischen Straßengraffitis eine essentielle Rolle für ihre Funktion als visuelles und textuelles Kommunikationsmittel. Die auf Wände, Mauern und Protestplakate geschriebenen Forderungen wie ʿish, huriyya, karama insaniyya (dt. Brot, Freiheit, Menschenwürde), al-shaʿb yurid isqat al-nizam (dt. Das Volk fordert den Sturz des Regimes) oder irhal (dt. Verschwinde) bildeten dabei nicht nur ein schriftliches Postulat, sondern wurden zum visuellen Zeichen der Revolution und zum auditiven Protestruf der Demonstrierenden. Die semiotische Bedeutung der Graffitis hatte demnach die Funktion der Gemeinschaftsstiftung und der Etablierung eines visuellen kollektiven Gedächtnisses. In diesem Sinne wurde die Schrift als Bewahrer der politischen Ziele der Aufstände funktionalisiert, um zugleich mittels steter Wiederholung und Repetition der jeweiligen Forderungen die Furcht vor den repressiven Reaktionen des Regimes zu unterminieren, wie Laura Gribbon und Sarah Hawas anführen: „Like pride and humor, fear is a cultural product that only gains poignancy through collectively expressed behavior, in that it cannot be used as a political tool unless one is afraid. Therefore, the very act of writing and speaking out in such a visual manner has been in-
18
Ali 1997, S. 167-168. Vgl. hierzu auch die Diskussion um die Definition einer sogenannten ‚modernen islamischen Kunst‘ in Kapitel 3 Ornamentale Formstrukturen und Formulierungen einer ‚modernen islamischen Kunst‘.
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strumental in eliminating this fear and holding the state, military, and fellow revolutionaries to account.“19
Über das lesbare Graffiti einer Bestellliste in der Arbeit 019 verortet sich Ismail innerhalb dieses kontextuellen Bezuges einer kollektiven Protestbewegung und visualisiert das künstlerische Unternehmen einer Bewahrung des oppositionellen Bewusstseins der ägyptischen Bevölkerung während der Aufstände von 2011. Die künstlerische Form des ‚Kalligraffitis‘ wird von Ali in ihrer definitorischen Unterscheidung moderner kalligrafischer Ausdrücke der Gruppe reiner Kalligrafie zugewiesen, welche sie von der abstrakten Kalligrafie differenziert.20 Unter reiner Kalligrafie fasst sie Kompositionen, die ausschließlich die arabische Schrift zum Darstellungsgegenstand haben, wobei jedem Buchstaben – auch wenn er singulär repräsentiert ist – eine spezifische Signifikanz inhärent ist.21 Neben dem Neologismus Calligraffiti nennt Ali als weitere differenzierbare Gruppierung die Freeform Calligraphy, welche sich vom ‚Kalligraffiti‘ durch eine ausgeglichenere ästhetische Erscheinungsform unterscheidet.22 Beide Formen zeichnen sich durch die künstlerische Transformation traditioneller Linienführungen aus, haben jedoch mit kalligrafischen Kunstformen, die einem neoklassischen Stil folgen oder diesen mit modernen Stilelementen verbinden, die potentielle Lesbarkeit der einzelnen Buchstaben und Wörter gemeinsam. 23 Diesen Formen reiner Kalligrafie stellt Ali als zweite Kategorie die abstrakte Kalligrafie gegenüber. Hierbei steht der lesbare Gehalt der Schrift nicht mehr im Vordergrund, sondern das künstlerische Schaffen autonomer Formstrukturen. Die Schriftzeichen sind entweder noch erkennbar, wenn auch ohne lesbaren Inhalt – Ali bezeichnet diese Richtung als Legible Script – oder sie werden zur Pseudoschrift, deren Linien und Punkte nur noch vorgeben, Buchstaben zu formen.24 Zusammenfassend konstatiert Ali jedoch, dass Künstler moderner und zeitgenössischer Kalligrafie nur selten lediglich einer der von ihr unterschiedenen Gruppierungen zuzuordnen sind: „Artists using calligraphy usually move freely between the various styles that make up the repertoire of calligraphic
19 20
Gribbon und Hawas, in: Mehrez (Hg.) 2012, S. 136. Vgl. Ali 1997, Kapitel 16 Subjects and Styles of the Calligraphic School of Art, S. 160-184.
21
Vgl. ebd., S. 165.
22
Vgl. ebd., S. 167-170.
23
Vgl. ebd., S. 165-167.
24
Vgl. ebd., S. 170-173.
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art.“25 So oszilliert ebenso das Œuvre von Ismail zwischen lesbaren, politisch intendierten Graffiti und rein abstrakten kalligrafischen Strukturen. Während in der Arbeit 019 der lesbare Gehalt der geschriebenen Bestellliste als politischer Ausdruck funktionalisiert wird, sind andere kalligrafische Gemälde derselben Werkphase, wie beispielsweise die Arbeit 018 (2011, Abbildung 41), vollständig abstrakt und die kalligrafischen Lineaturen über ihre transformierte Gestalt als ‚Kalligraffiti‘ nicht mehr zu entziffern. Die potentielle Lesbarkeit der Schrift bei gleichzeitig nicht entzifferbaren kalligrafischen Segmenten lässt unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten zu. Über die Betonung einer soziopolitischen Botschaft, wie al-dustur awal, wird die textuelle Ebene des Kunstwerks in Form einer populären Schriftkunst hervorgehoben, während die Desavouierung der Lesbarkeit der Schrift die ornamentale Ästhetik der Kalligrafie fokussiert. Das Verhältnis von Schrift und Bild innerhalb der Struktur der Kalligrafie changiert in die eine oder andere Richtung, wobei beide Aspekte in demselben Werk miteinander verknüpft werden können. Teilweise sind die abstrahierten Schriftlinien bzw. einzelnen Buchstaben entzifferbar, jedoch nicht in ihrem textuellen Zusammenhang interpretierbar. Die Strukturen von Schrift, die von Ismail in expressivem Duktus auf die Leinwand appliziert werden, können zumeist nicht gelesen und somit textuell erkannt werden. So bildet die direkte politische Aufforderung in der Arbeit 019 eine Randerscheinung seiner künstlerischen Reflexion der ägyptischen Umschwünge. Die Arbeit 018 derselben Werkphase ist ebenso in farbenfrohem Pastell ausgeführt, wobei insbesondere die Farben Gelb und Hellblau überwiegen, die sich in der Mitte der Bildfläche zu einem satten Grün verbinden. Der in Weiß- und Grautönen gehaltene Hintergrund erinnert wie in der Arbeit 019 durch die ausgeprägten Einritzungen an die Struktur einer Mauer oder Wand. Hierauf sind die Silhouette einer ornamentalen Pflanzenknospe sowie in horizontaler und vertikaler Anordnung kalligrafische Strukturen aufgemalt. Sowohl die schräg vertikal verlaufende gelbe Schrift, als auch die in der unteren Bildhälfte horizontal konzipierte hellblaue Schrift sind durch ihren hohen Abstraktionsgrad unleserlich. Die einzelnen Buchstaben sind lediglich angedeutet und geben nur noch vor, einen semantischen Gehalt in sich zu tragen. Der zunächst postulierte Anschein von Lesbarkeit wird im Versuch des Entzifferns der Buchstabenlinien und potentiellen Wortsegmente desavouiert, wodurch es zu einer Verzögerung des Erkenntnisprozesses und zu einer Verunsicherung des Betrachterblicks kommt. Das Bemühen, die Schrift zu lesen, wandelt sich zu einer visuellen Nachzeichnung der malerischen Strukturen und gesetzten Linienführungen der Komposi-
25
Ali 1997, S. 165.
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tion. Der Interpretationsprozess oszilliert somit zwischen dem möglichen Entziffern der Schrift und dem Betrachten der ästhetischen Formstrukturen, d.h. zwischen Lesen und Sehen. Die transformierte Gestalt der Kalligrafie wird zu einem künstlerischen Form- und Strukturgedanken, in dem die Schrift lediglich noch als Spur angedeutet ist. Abbildung 41: Sameh Ismail, 018, 2011. Acryl auf Leinwand, 100 x 100 cm.
Quelle: Von Sameh Ismail zur Verfügung gestellt. © Sameh Ismail
Iftikhar Dadi spricht in diesem Zusammenhang von der Diskursivität moderner und zeitgenössischer Kalligrafie, unter der er eine generelle künstlerische Thematisierung von Aspekten der Lesbarkeit und dadurch evozierten Erkenntnismöglichkeiten versteht: „Rather than indexing specific meanings from a textual source, mutilated calligraphy indexes textuality itself.“26 Unabhängig ihres potentiell lesbaren Gehalts können kalligrafische Strukturen somit über ihre ornamentale Ambivalenz als kritische Form gedeutet werden. In der oszillierenden Wechselbezüglichkeit von textueller und abstrakter Linienführung werden all-
26
Dadi, in: Mercer (Hg.) 2006, S. 105. Siehe zur Thematisierung der Lesbarkeit in kalligrafischen und ornamentalen Kunstkonzepten der ägyptischen Moderne auch Kapitel 3 Kritik und Reflexion nach 1967: Ornamentale Konzepte als Ausdruck eines Krisenbewusstseins.
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gemein Aspekte des Erkennens und Verstehens von Schriftbildern und damit Möglichkeiten der textuellen und visuellen Kommunikation berührt. Indem Ismail die kalligrafischen Strukturen abstrahiert und dadurch die potentielle Lesbarkeit der Schrift dekonstruiert, entzieht er sich nicht nur einer eindeutigen Interpretation, sondern wirft grundsätzlich Fragen der Possibilität von Erkenntnisprozessen auf. Die arabische Schrift wird zu einer epistemischen Spur auf der Leinwand. Wenngleich die Entzifferung der einzelnen Buchstaben verunmöglicht ist, so sind dem künstlerisch anverwandelten Schriftbild dennoch Reminiszenzen kultureller Konnotationen inhärent, wie der spirituellen Aufladung klassischer Kalligrafie oder der Funktion von Graffitis, gemeinschaftsstiftend und in Form eines kulturellen Gedächtnisses der ägyptischen Aufstände bewahrend zu wirken. Indem Ismail beide künstlerische Ausdrucksformen in seinen Arbeiten zitiert und miteinander verknüpft, transzendiert er scheinbar gegensätzliche Formkategorien. Diese künstlerische Strategie der Unterwanderung eindeutiger Zuschreibungen kann zugleich als kritischer Kommentar und als Weigerung gelesen werden, die eigene Künstlerposition einer einzelnen Kategorie, sei es als Vertreter einer ,modernen islamischen Kalligrafie‘ oder als politischer Kulturaktivist der ägyptischen Aufstände, unterzuordnen. To be there und A safe way out – Kritische Formen kalligrafischer Transformationen Das reflexive Potential transformierter kalligrafischer Strukturen lässt sich ebenso in den beiden Ausstellungen To be there von 2012 und A safe way out von 2014 nachzeichnen, die Ismail während zweier weiterer Perioden politischer Umwälzungen in Ägypten konzipierte. Tendieren die nun wieder stärker monochromatischen Arbeiten in A safe way out hin zu vollständig abstrakten Linienund Flächenformationen, die nur noch entfernt Affinitäten zu kalligrafischen Schriftbildern zulassen, ist die Kalligrafie als textuelles Kommunikationsmedium in To be there neben figurativen Elementen und Verknüpfungen von wesentlicher Bedeutung für die Sinndimension der Arbeiten. Die Serie To be there präsentiert drei unterschiedliche Werktypen, die sich insbesondere über die künstlerische Verwendung bzw. Nichtverwendung von kalligrafischen Strukturen voneinander differenzieren. Die in ihrer Größe hervortretende Arbeit bildet eine unbenannte kalligrafische Raumintervention, welche die gesamte Fensterfront der Mahmud Mukhtar Gallery einnimmt (Abbildung 42). Hierfür imprägnierte Ismail zunächst die einzelnen Fensterscheiben mit einer Kreideschicht, wie sie bei Renovierungsarbeiten Anwendung findet, um das Innere von Räumlichkeiten beispielsweise zukünftiger Verkaufsgeschäfte
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vor Sonnenlicht und Blicken von außen zu schützen. Die Kreidefläche wurde von Ismail in einem weiteren künstlerischen Arbeitsschritt vollständig mit kalligrafischer Schrift beschrieben, wobei die Buchstabenliniaturen in einem Art Negativverfahren als gesäuberter Raum zwischen der weißen Kreideschicht sichtbar werden. Abbildung 42: Sameh Ismail, ohne Titel, 2012. Glas, Kreide. Ausstellungsansicht Mahmud Mukhtar Gallery (Detail).
Quelle: Von Sameh Ismail zur Verfügung gestellt. © Sameh Ismail
Bei Tag scheinen die Sonnenstrahlen von außen durch die Kalligrafie-Fenster hindurch, sodass einem traditionellen Maschrabiyya-Holzschirm gleich die ornamentalen Strukturen als Schatten auf den Boden projiziert werden. Von der Konzeption ornamentaler Maschrabiyya unterscheidet sich die Arbeit Ismails neben der Materialität jedoch in zwei wesentlichen Punkten. Zum einen bilden die kalligrafischen Linien kein rein abstraktes Gebilde, sondern sind als lesbarer Text erkennbar. Zum anderen wird die ornamentale Struktur nicht als Schatten auf den Boden projiziert, wie dies bei den Holzmustern traditioneller Maschrabiyya der Fall ist, sondern über das künstlerische Negativverfahren des Auswischens der Kreideschicht als kanalisierte Verkörperung eines Lichtstrahls gleichsam entmaterialisiert. Diese künstlerische Inszenierung von Licht erzeugt eine
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transzendente Wirkung, die Ismail mit philosophischen Aspekten des Sufismus in Verbindung setzt.27 In der sufischen Mystik spielt die epistemische Bedeutung von Licht eine wesentliche Rolle. Licht ist dabei nicht nur rein spirituell konnotiert, sondern symbolisiert ebenso geistige Entfaltung und Erkenntnis.28 Zugleich ist der Arbeit in ihrer sublimen Gestalt eine politische Konnotation inhärent, indem Ismail mittels der lesbaren Schrift sein künstlerisches Konzept textuell erweitert und Bezug auf die aktuellen soziopolitischen Geschehnisse und Entwicklungen des gegenwärtigen Ägyptens nimmt. Die Anfangspassage des poetisch formulierten Textes lautet: inna daka alwatan aliyya, inna amaris huriyyati, fasataha al-luha yatasaʿ (dt. Wenn das Land mich beengt und ich dennoch meine Freiheit praktizieren möchte, reicht die Fläche der Leinwand dazu aus).29 Damit thematisiert Ismail mittelbar Aspekte der Rolle und Funktion von Kunst als kritische Form gegenüber repressiven soziopolitischen Strukturen. Der Künstler bezeichnet die Werke der Serie To be there selbst als „reflection of the political scene at that time.“30 Die kalligrafischen Buchstabenlinien der Arbeit sind somit für den Schriftkundigen entzifferbar, das Lesen erfordert dennoch höchste Konzentration, da die Satzstrukturen der Textsegmente ornamentalen Musterungen gleich in sich verschlungen sind und das Verständnis des semantischen Inhalts dadurch verzögert wird. In der über die Kalligrafie textuell vermittelten Künstlerintention weist Ismail zunächst dem Konzept einer künstlerisch-meditativen Leere für den Schaffensprozess eine grundlegende Bedeutung zu: „Wa lakin heda farag huwa altahfiz li-l-ibtikar, wa heda samt huwa muʿazaz li-l-tamil (dt. Und dennoch ist diese Leere die Motivation für Innovation und diese Stille der Anreiz der Refle-
27 28
Sameh Ismail: Interview in Kairo vom 01.01.2014. Diese geistige Erkenntnis kumuliert im Sufismus im tawhid, dem mystischen Vereinen im Göttlichen, das über unterschiedliche Stufen erreicht wird: „Once the Sufi sets out on the path (tariqa) toward enlightenment, he or she will be led by an inner light that grows stronger […] with the removal of each layer of the material and transient world. […] Only after purification followed by illumination, when the seeker is filled with love and a higher wisdom known as maʿrifa […] can the seeker achieve tawhid, the mystical union with God that will lift the ‚veil of ignorance‘ and surround the believer with divine light.“ Akbarnia, in: Ausst.-Kat. Light of the Sufis. The Mystical Arts of Islam 2010, S. 1.
29
Sameh Ismail: Transkript der Glasinstallation To be there, 2012.
30
Ders.: Interview in Kairo vom 01.01.2014.
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xion).“31 Daran anschließend betont Ismail seine künstlerische Flucht vor politischer Repression, Korruption, Bildungslosigkeit und Ungerechtigkeit sowie seine Suche nach zukünftiger gesellschaftlicher Freiheit.32 In diesem Kontext entstand ebenso die zweite Werkgruppe der Serie, die Ismail in Ergänzung zu der kalligrafischen Raumintervention konzipierte. Die Arbeiten dieser Gruppe repräsentieren zehn mit Kohle skizzierte Zeichnungen, die jeweils einzeln hinter einer ebenso mit Kreide geweißten und ornamentale Musterungen darstellenden Glasplatte befestigt sind. Beispielsweise zeigt die Zeichnung Nr. 7 (2012, Abbildung 43) die Silhouette eines weiblichen, unbekleideten Körpers, der in hockender Position mit geöffneten Oberschenkeln abgebildet ist. Abbildung 43: Sameh Ismail, Nr. 7, 2012. Kohlezeichnung hinter mit Kreide imprägniertem Glas.
Quelle: Von Sameh Ismail zur Verfügung gestellt. © Sameh Ismail
Die Zeichnung ist in wenigen Linien ausgeführt, die in unterschiedlicher Dicke aufgetragen sind und insbesondere den Schoß des weiblichen Aktes betonen, während Kopf und Arme völlig ausgespart bleiben. Die darüber befestigte und teilweise geweißte Glasplatte verdeckt die Zeichnung an einigen Stellen, wobei ornamentale Formationen von Freilassungen den Blick auf die darunter liegende
31
Sameh Ismail: Transkript der Glasinstallation To be there, 2012.
32
Vgl. ebd.
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Darstellung des weiblichen Körpers erlauben. Dabei changiert die Wirkung der Arbeit im Laufe des Tages. Während bei Sonnenlicht die Opazität der überlagerten Kreideglasplatte in den Vordergrund rückt und damit die weibliche Figur verschleiert, werden die ornamentalen Formen auf dem Glas bei nächtlicher Galeriebeleuchtung zu malerischen Schatten auf der darunterliegenden Zeichnung, wodurch die Kontur des Aktes hervorgehoben wird. Wirkt das Spiel mit Licht und Schatten der großformatigen kalligrafischen Raumintervention lediglich am Tag, da nur dann die Sonne von außen die Linienformationen der Schrift auf den Boden der Galerie projiziert, wird dieser ästhetische Effekt bei den Zeichnungen erst über die künstliche Beleuchtung bei Nacht evoziert. Beide Konzeptionen changieren in ihrer jeweiligen Wirkung und verdoppeln die visuelle Erscheinungsform der Ausstellungssituation. Die thematische Bedeutungsdimension der Zeichnung kann dabei auf zweifache Weise gelesen werden. Einerseits reflektiert die oszillierende Betonung der Figur die wechselnden politischen Verhältnisse in Ägypten nach der Revolution von 2011, die stets in neuen Formen des politischen Wandels unterschiedliche Personen ins Licht der Öffentlichkeit rückte, ohne tatsächliche strukturelle Reformen nach sich zu ziehen. Dabei drückt Ismail seine Skepsis gegenüber den politischen Akteuren und der oftmals euphemistischen Haltung der Bevölkerung aus, wenn er betont: „Sometimes you can put a spotlight on figures to make them look powerful, but without the light they are normal people.“33 Andererseits formt die Darstellung eines weiblichen Aktes eine oppositionelle Haltung gegenüber der Zunahme islamistischer Strömungen im Nachfeld der Revolution, der insbesondere im urbanen Kunstdiskurs mit starkem Misstrauen begegnet wurde und in politischen Auseinandersetzungen mündete.34
33 34
Sameh Ismail: Interview in Kairo vom 01.01.2014. Zwar war der staatliche Kunstsektor mit der Ausnahme von generellen Budgetkürzungen weniger von Umstrukturierungsmaßnahmen und direkten politischen Eingriffen betroffen, aus historischer Erfahrung wurde den islamistischen Strömungen jedoch mit Skepsis begegnet. Bereits unter Sadat waren dem ultrakonservativen Flügel Zugeständnisse gemacht worden, die das Verbot von Aktstudien an lebenden Modellen nach sich zog. Siehe hierzu Khalifa, in: Contemporary Practices 2008, Band III. Die oppositionelle Haltung der Kunst- und Kulturschaffenden gegenüber der Regierung unter Mohamed Morsi gipfelte 2013 in der Besetzung des Kulturministeriums durch prominente Künstler aus Protest gegenüber der umstrittenen Ernennung Alaa AbdelAziz‘ zum neuen Kulturminister. Abdel-Aziz war bereits der sechste Kulturminister seit den politischen Umschwüngen von 2011. Vgl. Saad und Elkamel, in: Ahram online vom 05.06.2013.
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Einer tendenziell steigenden Repression durch ultrakonservative Flügel der ägyptischen Gesellschaft und der sich formierenden Parteienlandschaft begegnet Ismail ebenso in seiner dritten Werkgruppe der To be there-Serie, welche sieben Gemälde von abstrahierten weiblichen Akten umfasst. Die exemplarische Arbeit Nr. 15 (2012, Abbildung 44) gleicht in ihrer Chromatik den kalligrafischen Gemälden, die Ismail direkt nach den politischen Umschwüngen von 2011 konzipierte. Abbildung 44: Sameh Ismail, Nr. 15, 2012. Mischtechnik auf Leinwand.
Quelle: Von Sameh Ismail zur Verfügung gestellt. © Sameh Ismail
Kalligrafische Schriftbilder fehlen in der Arbeit Nr. 15 vollständig und werden durch die mit schwarzen Linien ausgeführte Silhouette eines weiblichen Torsos ersetzt. Dieser ist in der rechten Bildfläche positioniert und mit hellblauer Acrylfarbe stellenweise koloriert. Die Repräsentation der Figur zeigt eine nach oben hin gestreckte Armhaltung, sodass der in Linien umrissene Oberkörper unbedeckt zum Vorschein kommt. Allerdings wird die Darstellung der Aktstudie durch ihre sublime Liniatur lediglich andeutet und nicht vollständig ausformt. Der Hintergrund ist in verwischten Pastellfarben gehalten, wobei ornamentale Strukturen als Reminiszenzen an traditionelle islamische Kunst zwischen den einzelnen Farbfeldern auftauchen und durchscheinen. Die einzelnen Arbeiten der Serie sind von dem Künstler jeweils signiert und datiert, wobei Ismail mit dem Datum 2022 einen Zeitpunkt in der Zukunft auswählt und dadurch eine potenzielle Zukunftsvision der ägyptischen Kunstlandschaft konstruiert. Somit schreibt sich Ismail über die Zitate traditioneller Ornamentik nicht nur in den
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historischen Kontext eines künstlerischen Erbes ein, sondern positioniert sich ebenso innerhalb eines zukünftig verorteten Kunstdiskurses und in eine Utopie, in welcher seine theoretische Konzeptualisierung künstlerischer Freiheit nicht von politischer Repression unterdrückt zu werden droht.35 Die Arbeiten der Serie A safe way out von 2014 unterscheiden sich in ihrer Struktur deutlich von den vorhergehenden kalligrafischen Kompositionen des Künstlers. Nähert sich die monochromatische Gestalt der frühen kalligrafischen Werkphase Ismails an, so ist die Schrift dergestalt abstrahiert, dass nur noch entfernt Affinitäten zu den geschwungenen Linienformen arabischer Buchstaben auszumachen sind. Die exemplarische Arbeit 034 (2013, Abbildung 45) zeigt in Kohle, Bleistift und Acryl gesetzte Formelemente variierender Gestalt, stellenweise dunkle Rechtecke, Rhomben und verlaufende Flecken bildend, andernorts gekritzelte, an Graffiti erinnernde Strukturen formend. Die vorherrschenden Farben sind Schwarz sowie unterschiedliche Braun- und Grautöne. Fokussieren sich die einzelnen Formelemente vor allem auf die obere Bildhälfte, bilden verlaufende Farbspuren als Dripping vertikal nach unten gerichtete Linien. Ebenso verläuft ein Formfeld aus Rechtecken und Rhombenelementen vertikal über die Komposition. An einigen Stellen sind ornamentale Strukturen über die Technik der Schraffur in die Leinwand eingearbeitet, wodurch der Arbeit eine mehrschichtige Ästhetik inhärent ist. Darüber hinaus sind die Werke in A safe way out im Gegensatz zur Serie To be there vordergründig nicht datiert und signiert. Abbildung 45: Sameh Ismail, 034, 2013. Kohle, Bleistift und Acryl auf Leinwand, 150 x 180 cm.
Quelle: Von Sameh Ismail zur Verfügung gestellt. © Sameh Ismail
35
Sameh Ismail: Interview in Kairo vom 01.01.2014.
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Über die gekritzelte Struktur der Linien, die kalligrafische Formvarianten lediglich noch anzudeuten vermag, bildet die Arbeit 034 eine Art Zwischenraum von Bild und Schrift, Nichtbild und Nichtschrift. Die Linien repräsentieren in diesem Sinne keine zu interpretierende Form, sondern „verweisen eher auf das, was sie gerade noch oder gerade nicht mehr sind; sie deuten auf die (sich überschneidenden) Randbezirke von Schrift, Bild, Zeichen und Text.“36 Das Gekritzel auf der Leinwand zeichnet sich durch seine Unschärfe und Unbestimmbarkeit aus, reflektiert aber gerade über das Dazwischen – das Noch-Nicht oder Nicht-Mehr – Möglichkeiten von Verstehensprozessen textueller und visueller Zeichen, wie der Sammelband Über Kritzeln von 2012 wissenschaftstheoretisch verdeutlicht: „Wenn die Schrift ins Bild driftet und umgekehrt das Bild in die Schrift, dann sind beide im Moment ihrer Transformation oder Wandlung weder das eine noch das andere. […] Das Kritzeln als sichtbarer Ausdruck des Unbestimmtwerdens von Bild und Schrift ermöglicht so die Etablierung eines Begriffs der Form, der das Entstehen, die Genese einer Figur oder eines Zeichens zu denken erlaubt.“37
Diese Definierung der transformierten Schriftlinie als prozesshafte Formlose lässt in Verbindung mit dem Titel der Serie A safe way out unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten zu. Zum einen zeigt das unlesbare Gekritzel Affinitäten zu Graffitis und verweist dadurch auf die zunehmenden politischen Repressionen gegenüber künstlerischen Ausdrücken im öffentlichen Raum und die Polarität im politischen Diskurs. Der Regierungswechsel durch den Putsch des Militärs im Sommer 2013 ging mit zunehmenden Einschränkungen der politischen Meinungsfreiheit, wie beispielsweise einem Verbot des Demonstrationsrechts, einher. Zugleich wurde im November desselben Jahres ein Gesetzentwurf vorgelegt, welcher Kunst im öffentlichen Raum generell verbietet und mit hohen Strafen belegt.38 Diese Maßnahmen wurden von zahlreichen Kunst- und Kulturschaffenden als Einschnitt der während der ägyptischen Revolution formulierten Forderungen und Ziele betrachtet, da gerade die Straßenkunst während der politischen Aufstände zum Symbol für die Wiederaneignung des öffentlichen Raums durch die Bevölkerung avancierte. Die vollkommen abstrahierte Schriftkritzelei in den Arbeiten der Serie A safe way out kann somit als sarkastischer Kommentar einer Selbstzensur gegenüber den Repressionen oppositioneller Meinungen verstanden werden. Zugleich ver-
36
Driesen, Köppel, Meyer-Krahmer und Wittrock, in: Dies. (Hg.) 2012, S. 7.
37
Ebd., S. 9.
38
Vgl. Purcell, in: Law Street vom 10.06.2014.
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weist die formlose Struktur der künstlerischen Schriftbilder Ismails generell auf potentielle Störungen und Unmöglichkeiten von Kommunikations- und Erkenntnisprozessen. Über die beiden Ausstellungen To be there und A safe way out schafft Ismail liminale Zwischenräume, in denen die Rolle der Kunst innerhalb wechselnder soziopolitischer Systeme reflektiert wird. Dieses Dazwischen kann mit Michel Foucault als Heterotopie beschrieben werden, die er wie folgt umreißt: „Es gibt gleichfalls – und das wohl in jeder Kultur, in jeder Zivilisation – wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können.“39
Wird in To be there der Kunstraum zu einem politischen Ort der widerständigen Opposition gegenüber herrschenden Diskursen, der die Möglichkeiten der Kunst zur Kritik auf poetisch-malerische Weise thematisiert, etabliert sich der Ausstellungraum in A safe way out eher zu einem Rückzugsort, in welchem politische Kritik nicht mehr unmittelbar zum Ausdruck kommt. Die Schriftkritzelei ist hier nicht mehr zu entziffern, verweist aber gerade als Dazwischen von Schrift und Bild, Nichtschrift und Nichtbild auf die Problematik starrer Kategorien, indem sie dichotome Setzungen künstlerisch transzendiert. Ambivalente Linien: Kalligrafie in transkultureller zeitgenössischer Kunst Die in gemaltem Schriftduktus auf die Leinwand applizierten Buchstabenlinien im Œuvre von Ismail oszillieren zwischen potentiell lesbarem Bedeutungsgehalt und reiner Selbstbezüglichkeit im freien Formenspiel der Abstraktion. Tendieren einige Arbeiten stärker zur Vermittlung einer entzifferbaren Nachricht, wie in der großformatigen Raumintervention der Serie To be there, transformieren andere kalligrafische Werke, wie die Arbeiten der Serie A safe way out, Schriftbilder zu einer abstrakten Formation, welche die Linien der Buchstaben lediglich noch als Spur andeuten. Die künstlerische Thematisierung der Ästhetik von Schrift nimmt innerhalb der Entwicklung des arabischen Kunstdiskurses seit der zweiten Hälfte des
39
Foucault, in: Barck (Hg.) 1992, S. 39.
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zwanzigsten Jahrhunderts eine bedeutende Position ein, die bezüglich der theoretischen Formulierung einer genuin arabischen Abstraktion herangezogen wurde. Eine kunstphilosophische Diskussion der ästhetischen Liniatur der arabischen Schrift wurde insbesondere von dem irakischen Künstler und Kritiker Shakir Hassan Al Said (1925-2004) vorangetrieben, dessen theoretische Intentionen und malerische Ausdrücke Affinitäten zur künstlerischen Konzeption Ismails zeigen. Al Saids Kunstphilosophie fußt im islamischen Sufismus, dessen epistemologischen Grundsätze er mit theoretischen Konzepten des europäischen Strukturalismus und Existenzialismus verbindet.40 Seine künstlerischen Experimente mit dem arabischen Buchstaben dienen Al Said zuvorderst der Vermittlung einer spirituellen Kontemplation, die er 1966 in einem künstlerischen Manifest als konkretes Ziel künstlerischen Schaffens formuliert.41 Sufische Intentionen der künstlerischen Vermittlung von Schrift sind ebenso den Arbeiten Ismails inhärent. Die transformierte Schrift übersteigt in diesem Sinne die Rolle des Vermittlers von Sprache, die Linienführungen der Buchstaben werden vielmehr erfahren statt gelesen. Im Gegensatz zu klassischer Kalligrafie folgen die Schriftformationen in den Arbeiten von Ismail wie von Al Said keinen reglementierten Vorgaben, sondern fokussieren über die scheinbar gekritzelte Setzung der Buchstaben die ephemere Spur der kalligrafischen Linien – ungebunden von spezifischen geometrischen Proportionslehren. Al Said bezeichnet diese Loslösung von vorgefassten Kunstbzw. Kalligrafieregeln als al-taʿbeer al-hayawi (dt. lebendiger Ausdruck).42 Diese Ausdrucksform wird über fünf künstlerische Stufen erreicht, wobei sich Al Said konzeptionell auf die fünf Stufen des Sufismus zur geistigen Erkenntnis bezieht.43 Die Inhalte der einzelnen Stufen sind ebenso in den Arbeiten Ismails auszumachen. So spielt die Thematik der ersten beiden von Al Said beschriebenen Stufen, die Transzendenz und Überschreitung (al-tajawiz) eines bestimmten Themas oder Mottos (al-shiʿar), im künstlerischen Schaffen von Ismail eine wesentliche Rolle, wenn er die Gestalt der arabischen Schrift durch Abstrahierung transformiert und dadurch überschreitet. Die Bedeutung des künstlerischen Konzepts liegt nicht im zu erkennenden Sujet, sondern in der Prozesshaftigkeit der Arbeit, wie sie in der dynamischen Bewegung des malerischen Schriftduktus
40
Vgl. Shabout 2007, S. 97.
41
Vgl. ebd., S. 100.
42
Vgl. ebd., S. 101.
43
Vgl. ebd., S. 103-108. Al Said formulierte den theoretischen Ansatz seines Konzepts al-taʿbeer al hayawi vor allem in seiner theoretischen Abhandlung al-huriyya fi-l-fann (dt. Die Freiheit in der Kunst) von 1995.
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zum Ausdruck kommt. Die Grenzen zwischen Schrift und Bild werden transzendiert, wobei dieser Moment der Überschreitung dichotomer Vorstellungsmodelle bereits in den philosophischen Lehren der sufischen Mystik angelegt ist.44 Als künstlerische Technik erläutert Al Said in der dritten Stufe der von ihm formulierten Theorie des Lebendigen Ausdrucks das Konzept der al-inkar (dt. Negation, Abweisung).45 Hierbei geht es ihm um eine künstlerische Abkehr von klassischen Reglementierungen der Kalligrafie, um eine freie Form der Linie zu evozieren. Durch die Abstrahierung der arabischen Schriftform im Werk von Ismail wird die potentielle Differenzierung von Schrift und Bild dynamisiert und dadurch ins Wanken gebracht. Die Komposition wird im Versuch einer interpretierenden Aneignung unentscheidbar und reflektiert zugleich diese Unmöglichkeit einer eindeutigen Zuschreibung oder Einordnung in vorgefasste Klassifikationsschemata. Die Linie der Schrift wird als epistemische Spur zur Anschauung gebracht, was in der Kunstphilosophie Al Saids mit al-ruʾyya (dt. Sichtbarkeit, Vision) bezeichnet wird.46 Dies führt zur letzten, der fünften Stufe des Lebendigen Ausdrucks, al-wahaj (dt. Schein, Glanz), die Al Said wie folgt definiert: „To be able to say everything with nothing, to speak without language, to paint without an intermediary, to abandon my (individual and personal) humanity in my (abstract and eternal) humanity.“47
Die Theorie des in fünf Stufen zu erreichenden Lebendigen Ausdrucks konkretisiert Al Said in dem kunstphilosophischen Terminus al-buʿd al-wahid (dt. Eine Dimension), welcher die ästhetische Bedeutung der arabischen Schriftliniaturen im Zwischenraum von Sichtbarem und Unsichtbarem verortet.48 Dabei beruft sich Al Said auf das 1964 posthum veröffentlichte Fragment Das Sichtbare und das Unsichtbare von Maurice Merleau-Ponty.49 Nach Merleau-Ponty besteht die Beziehung sichtbarer und unsichtbarer Dinge in der Welt in einem Chiasmus;
44
Vgl. Akbarnia, in: Ausst.-Kat. Light of the Sufis. The Mystical Arts of Islam 2010, S. 43-44.
45
Vgl. Shabout 2007, S. 106.
46
Vgl., ebd., S. 107.
47
Al Said, zitiert nach Shabout 2007, S. 108. Arabisches Original: Al Said 1995, S. 8081.
48
Vgl. Shabout 2007, S. 109.
49
Vgl. ebd.
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d.h. in einer wechselseitigen Verflechtung.50 Dinge werden in diesem Zusammenhang nur sichtbar, „[when] they are defined against a complex background of other visual items and relations such as colours, light levels, and the traces of such items in memory“; dies ist jedoch „invisible from the viewpoint of immediate awareness.“51 Theoretische Grundannahme ist, dass die Eine Dimension über die Oberfläche der Leinwand eines Kunstwerks hinausgeht und als kunstphilosophisches Gedankenspiel eines liminalen Grenzraums, der dichotome Gegensätze unterwandert, fungiert. Dabei betont Al Said die Bedeutung der Prozessualität für seine kunsttheoretische Formulierung der Einen Dimension, wie Shabout zusammenfasst: „According to [him], from a philosophical point of view the one-dimension is eternity, or an extension of the past to the time before the existence of pictorial surface, to the nonsurface.“52 Der dynamische Aspekt von Unendlichkeit wird durch die Linie als potentiell unendliche Fortsetzung eines dimensionslosen Punktes symbolisch dargestellt. Diese kunstphilosophischen Ansichten basieren auf generellen Überlegungen in der islamischen Kunst, über künstlerische Techniken der Wiederholung und potentiell unendlichen Fortsetzbarkeit Dimensionen des Unendlichen im Endlichen des plastischen Kunstwerks zu fassen. Somit kann die Transformation der kalligrafischen Linien im Œuvre von Ismail mit Al Saids Kunsttheorie als Versuch gewertet werden, über die malerische Bearbeitung der Oberfläche hinauszugehen und eine Dimension zu generieren, welche den Gegensatz von Sichtbarem und Unsichtbarem überschreitet. Die konzeptionelle Beziehung zwischen den Bereichen der Schrift und der bildenden Kunst ist im geografischen Raum des sogenannten Mittleren Ostens historisch verortet. So führt Al Said beispielsweise eine Verbindung von frühen mesopotamischen Ornamentdekorationen und den Linienformen der arabischen Kufi-Schrift an.53 Im Unterschied zu traditioneller Ornamentik oder Schriftkunst sind die kalligrafischen Linien im Werk von Ismail durch ihre gekritzelte, lediglich angedeutete Form von ursprünglichen Funktionen einer genauen Regeln folgenden Kunst befreit und zu einer ungebundenen, freien Linie avanciert. Denn erst über die Transformation und Abstraktion vermögen die Linienformationen die kunstphilosophischen Aspekte des Non-Dimensionalen, Non-Semantischen und Non-Formalen visuell auszudrücken, oder in den Worten Al Saids: „I started
50
Vgl. Merleau-Ponty [1964] 1986, insb. Kapitel 4: Die Verflechtung – der Chiasmus, S. 172-203.
51
Crowther 1993, S. 38-39.
52
Shabout 2007, S. 109.
53
Vgl. ebd., S. 115.
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to retreat the letter as a mere nonformal entity, without an identity or linguistic significance.“54 Die Form des Buchstabens – und nicht wie in der traditionellen Kalligrafie sein lesbarer Gehalt – werden zum Vermittler einer transzendenten Botschaft. Die künstlerischen Verhandlungen kalligrafischer Linien im Werk von Ismail können somit über die Kunstphilosophie Al Saids auf spirituelle Reflexionen der sufischen Mystik zurückgeführt werden, zeigen jedoch ebenso theoretische Verknüpfungen zu der innerhalb des euroamerikanischen Kunstkontextes von Christoph Menke formulierten und aktualisierten Negativitätsästhetik. In seiner Abhandlung Die Souveränität der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida (1991) formuliert Menke als Ziel ästhetischer Werke die unendliche Verzögerung des Verständnisprozesses.55 Dabei sieht er den verknüpfenden Moment zwischen Adornos Negativitätsästhetik, die gerade das Nichtverstehen als ästhetisches Vergnügen beschreibt, und Derridas Dekonstruktion von Sinnbezügen im Hinterfragen und permanenten Verzögern interpretierender, vernunftgeleiteter Aneignung begründet.56 Im ästhetischen Verstehen ist die interpretierende Zuschreibung demnach nicht Ergebnis, sondern manifestiert sich in ihrer Prozessualität: „Das unüberwindbare Fortdauern des ästhetischen Prozesses führt in die Synthese seines Vollzugs eine Nichtidentität ein, die die Idee einer das Verstehen resümierenden Einheit auflöst.“57 Das unendliche Verzögern der ästhetischen Erfahrung bleibt resultatlos. Die ästhetische Erfahrung evoziert somit ein Scheitern des Verstehensprozesses, ohne ihn allerdings vollständig zu destruieren, da sie ihn lediglich unendlich verzögert. Seine These fasst Menke demnach wie folgt zusammen: „Die Negativitätsästhetik beschreibt die ästhetische Erfahrung als negatives Geschehen, weil sie ein solcher prozessualer Vollzug des an ästhetischen Objekten versuchten Verstehens ist, der die ihm immanente Negativität enthüllt und es somit an sich selbst scheitern lässt; ästhetische Erfahrung ist die Subversion des in ihr versuchten Verstehens durch sich selbst.“58
Dieses Konzept einer unendlichen Verzögerung der interpretierenden Aneignung ist gerade für die Transformationen von kalligrafischen Strukturen wesentlich,
54
Al Said, zitiert nach Shabout 2007, S. 115.
55
Vgl. Menke 1991, S. 100.
56
Vgl. ebd., S. 47-51 sowie S. 194.
57
Ebd., S. 49.
58
Ebd., S. 45.
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da über die künstlerische Strategie der Verfremdung von Schrift nicht nur Aspekte einer ästhetischen Erkenntnis verunsichert werden, sondern die Linie als epistemische Spur ebenso eine Reflexion und Vermittlung von textuell basierten Wissenskonzepten künstlerisch vorantreibt, wobei eine potentielle Zuschreibung innerhalb der dynamischen Prozessualität des Dazwischens oszilliert. Die künstlerische Thematisierung von Kalligrafie und ihrer spezifischen Linienformationen sind dabei nicht nur dem Kunstdiskurs des sogenannten Mittleren Ostens inhärent, sondern werden ebenso im ostasiatischen Raum für künstlerische Formkonzepte im zeitgenössischen Kontext herangezogen. Beide Kulturräume verfügen über eine eigene Kalligrafiegeschichte, wobei gegenseitige Überlappungen und Verflechtungen auszumachen sind.59 Unmittelbare Einflüsse der traditionellen islamischen Kalligrafie auf den südostasiatischen Raum lassen sich beispielsweise anhand der sogenannten islamischen Sini-Kalligrafie nachzeichnen. Diese bildet ein hybrides Konglomerat aus islamischen und sinischen Kalligrafieformen, indem die arabischen Buchstabenlinien dergestalt abstrahiert sind, dass sie die Form eines sinischen Ideogramms bilden. Die islamische SiniKalligrafie kann historisch auf die Ursprünge der Verbreitung der islamischen Religion im ostasiatischen Raum zurückgeführt werden, als Künstler damit begannen, beide kalligrafische Schriftformen miteinander zu verbinden.60 Während die klassische arabische Kalligrafie mit dem qalam, dem traditionellen Schreibrohr ausgeführt wird, arbeiten Kalligrafen im ostasiatischen Raum mit Pinseln. Ebenso wird die Sini-Kalligrafie mit einem Pinsel konzipiert. Neben dieser transkulturellen Sonderform der Kalligrafie lassen sich in der Genese einer modernen ostasiatischen Kalligrafiekunst darüber hinaus ähnliche Transformationsentwicklungen nachzeichnen wie in der arabischen Schriftkunst. Die bis in die Moderne verwendeten Schrifttypen ostasiatischer Kalligrafie, die sich in Regel-, Kursiv- und Konzeptschrift aufteilen und jeweils spezifischen ästhetischen Reglementierungen folgen, wurden bereits im vierten Jahrhundert kanonisiert.61 Generell wird die traditionelle Schreibkunst in China als shufa und in Japan als sho bezeichnet.62 Zeitgenössische Anverwandlungen der klassischen
59
So zeigte beispielsweise die Gruppenausstellung Nun Wa Al Qalam. Contemporary Muslim Calligraphy von 2013 im Islamic Arts Museum Malaysia, an der Ismail teilnahm, Verknüpfungspunkte zwischen beiden Kalligrafieschulen auf.
60 61
Vgl. Mohamed, Noor und Assad, in: Berhad (Hg.) 1996, S. iii-iv. Vgl. Ledderose, in: Ausst.-Kat. Bilder werden geschrieben. Gegenwartskunst aus drei Weltkulturen 2011, S. 41.
62
Vgl. Kneib und Goldberg, S. 155 sowie Kroehl, S. 13, jeweils in: Ausst.-Kat. Bilder werden geschrieben. Gegenwartskunst aus drei Weltkulturen 2011.
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ostasiatischen Kalligrafie unterteilt Lothar Ledderose ebenso wie Wijdan Ali in ihrer Differenzierung moderner arabischer Schriftkunst in zwei Hauptgruppen – die experimentelle sowie die exzentrische Kalligrafie –, wobei sich beide Gruppierungen in den einzelnen Künstlerpositionen auch überschneiden können.63 Die experimentelle Kalligrafie modifiziert und transformiert die traditionellen Schriftlinien, sprengt jedoch die klassischen kalligrafischen Gestaltungsformen im Wesentlichen nicht, sodass die lesbare Dimension der einzelnen Buchstaben und Wörter erhalten bleiben.64 Der ostasiatischen Kalligrafie ist dabei grundsätzlich eine spezifische ästhetische Eigenart inhärent, wie Ledderose anführt: „Im fertigen Werk kann ein Beschauer den Entstehungsprozess von Anfang bis Ende in allen Einzelheiten nachvollziehen. Das liegt an der simplen Tatsache, dass jedes Schriftzeichen aus distinkten Strichen zusammengesetzt ist, die in einer vorgeschriebenen Reihenfolge zu Papier gebracht werden müssen.“65
Diese ebenso für die arabische Schriftkunst zu konstatierende prozesshafte Charakteristik einer „konstitutive[n] Dimension der strukturierten Zeit“66 wird in der experimentellen Kalligrafie über die stärkere Dynamik und Expressivität der Linienführung künstlerisch betont. Der Aspekt der Temporalität ist somit sowohl für die zeitgenössische ostasiatische wie für die arabische Kalligrafie von we-
63
Vgl. Ledderose, in: Ausst.-Kat. Bilder werden geschrieben. Gegenwartskunst aus drei Weltkulturen 2011, S. 35-41 sowie S. 47-51. Als dritte Gruppierung nennt er hierbei des Weiteren die archaisierende Kalligrafie, welche auf antike Schriftzeichen vor dem 4. Jahrhundert zurückgreift, um eine historische Kontinuität zu konstruieren. Diese moderne Form hatte im 19. sowie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in China eine implizit politische Funktion. Vgl. ebd., S. 41-47. Im Gegensatz zu Ledderose bezeichnet Ali mit Bezug auf die moderne arabische Schriftkunst experimentelle Formen als reine Kalligrafie sowie exzentrische Modulationen der Buchstabenlinien als abstrakte Kalligrafie. Vgl. Ali 1997, S. 165-173.
64
Vgl. Ledderose, in: Ausst.-Kat. Bilder werden geschrieben. Gegenwartskunst aus drei Weltkulturen 2011, S. 35-37.
65
Ebd., S. 31. Diese Möglichkeit des nachträglichen Nachvollziehens der temporalen Abfolge der einzelnen Liniensetzungen differenziert moderne Kalligrafiearbeiten des ostasiatischen Raums nach Ledderose dann auch von Konzepten des amerikanischen Action-Painting, wobei beide künstlerische Konzeptionen hohe ästhetische Affinitäten aufweisen. Ebenso arbeiten viele ostasiatische Künstler mit großformatigem Schreibpapier, das für die Konzeption auf dem Boden ausgebreitet wird. Vgl. ebd., S. 37-39.
66
Ebd., S. 39.
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sentlicher Bedeutung. Im Gegensatz zu experimentellen Ausdrücken sind bei der exzentrischen Kalligrafie die Schriftzeichen darüber hinaus dergestalt abstrahiert, dass sie nicht mehr zu entziffern sind.67 Die einzelnen Schriftlinien sind nur noch als kalligrafische Spur zu erkennen. Wie eine komparatistische Gegenüberstellung der Arbeit 001 (2013, Abbildung 46) von Ismail mit der Arbeit Ohne Titel (1992, Abbildung 47) des japanischen Künstlers Sadaharu Horio (*1939) verdeutlicht, können zwischen beiden künstlerischen Konzeptionen formale Ähnlichkeiten ausgemacht werden. Abbildung 46: Sameh Ismail, 001, 2013. Kohle und Bleistift auf Papier, 70 x 100 cm.
Quelle: Von Sameh Ismail zur Verfügung gestellt. © Sameh Ismail
Die Kompositionen stellen ein jeweils heterogenes Bildfeld aus unterschiedlichen Formelementen dar, wobei in der Arbeit Ismails rechteckige Formationen und im Werk Horios kreisförmige Gebilde dominieren. Zwischen und über diesen Flächen und Formkomponenten sind in beiden Werken in dynamischer Expressivität Linienzeichen gesetzt, die entfernte Reminiszenzen an gekritzelte Kalligrafien zulassen, jedoch nicht mehr zu entziffern sind. Horio gehörte der 1972 aufgelösten gutai (dt. konkret)-Gruppe an, welche als Avantgardebewegung der japanischen Nachkriegskunst die exzentrische Kalligrafie wesentlich vorantrieb.68 In seinen Konzeptionen transformiert er die Schriftzeichen ähnlich wie im Werk von Ismail zu reinen abstrakten Linien, die nur noch als kalligrafi-
67
Vgl. Ledderose, in: Ausst.-Kat. Bilder werden geschrieben. Gegenwartskunst aus drei Weltkulturen 2011, S. 47.
68
Vgl. ebd., S. 51. Die Gruppe gilt auch als Wegbereiter des Happenings.
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scher Strukturgedanke zu erkennen sind: „In [Horios] Werk zerfallen die Formen. In seinen Kreisen und Rechtecken sind kalligraphische Striche mit den typischen Pinselansätzen noch erkennbar, doch Schriftzeichen gibt es überhaupt nicht mehr.“69 Abbildung 47: Horio Sadaharu, Ohne Titel, 1992. Wasserfarbe auf Papier, montiert auf Leinwand, 143 x 77 cm.
Quelle: Heinz Kroehl (Hg.): Ausst.-Kat. Bilder werden geschrieben. Gegenwartskunst aus drei Weltkulturen. Wiesbaden 2011, S. 59.
Beide Künstlerpositionen – Ismail und Horio – thematisieren somit die Textur der Schrift unabhängig ihrer jeweiligen potentiellen Lesbarkeit. Die Arbeiten changieren zwischen einer vordergründig postulierten textuellen Bezüglichkeit – wobei der Versuch der Entzifferung unendlich verzögert wird – und rein abstrakter Linienführungen. Dabei verweist die Beziehung von Schrift und Bild generell auf Möglichkeiten, aber auch auf Problematiken der transkulturellen Verknüpfung und deren jeweiligen Übersetzung bzw. Übersetzbarkeit.70 Die Formen und
69
Ledderose, in: Ausst.-Kat. Bilder werden geschrieben. Gegenwartskunst aus drei Weltkulturen 2011, S. 51.
70
So postulierte beispielsweise der japanische Künstler Morita Shiryu während der amerikanischen Besatzung 1948 das Potential moderner kalligrafischer Kunst, als seikaisei (dt. Welt-Schriftzeichen) zu wirken, womit er generell anmerkte, dass die Kalligrafie auch für Schriftunkundige über ihre abstrakten Bezüge Zugangsmöglichkeiten
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Bedeutungen der einzelnen Schriftbilder können je nach Kontext variieren, über unterschiedliche künstlerische Techniken ausgeführt sein und in zeitgenössischen Werken auf verschiedene Weise zitiert, anverwandelt und transformiert werden. In der Verzögerung der möglichen oder verunmöglichten Lesbarkeit von Schrift im Kontext einer zeitgenössischen, global ausgerichteten Kunst werden somit grundlegende Aspekte der Prozesse des Verstehens, aber auch Nichtverstehens angesprochen und künstlerisch thematisiert.
schaffe. Vgl. Kneib und Goldberg, in: Ausst.-Kat. Bilder werden geschrieben. Gegenwartskunst aus drei Weltkulturen 2011, S. 157.
Teil III Methodischer Ansatz zur Analyse transkultureller Kunst am Beispiel ornamentaler Formen
Kapitel 9 Resümee: Gemeinsamkeiten und Differenzen der analysierten Künstlerstrategien
9.1 K ONSTRUKTION UND D EKONSTRUKTION ALS STRATEGISCHE M OMENTE ORNAMENTALER K UNST Susan Hefuna, Marwa Adel, Khaled Hafez, Huda Lutfi und Sameh Ismail greifen in ihren künstlerischen Konzeptionen in unterschiedlicher Weise auf traditionelle Formen eines kulturellen ägyptischen Erbes zurück, um auf einer ersten semiotischen Bedeutungsebene lokale, soziopolitische Problemfelder Ägyptens und des sogenannten Mittleren Ostens in eine kritische Auseinandersetzung zu stellen. In diesem Sinne transformieren Hefuna und Adel dem traditionell-islamischen Kontext entlehnte geometrische und florale Musterungen, um darüber zugleich Kritik an herrschenden Sozialkonventionen zu üben. Denn sowohl die Strukturen von Maschrabiyya-Holzgitterfenstern in Zeichnung und Objektkunst bei Hefuna als auch die ornamentalen Überblendungen weiblicher Figuren mittels vegetabiler Formvariationen oder islamischer Postkartenmotive in den fotografischen Arbeiten von Adel können symbolisch als Darstellung traditioneller Gesellschaftsstrukturen und deren künstlerische Reflexion als kritischer Kommentar gegenüber weiblichen Rollenzuweisungen und sozialen Repressionen gelesen werden. Dagegen fokussiert Hafez in seinen großformatigen Gemälden die pharaonische Vergangenheit Ägyptens und verbindet altägyptische Ikonografien mit Bildern zeitgenössischer Comicästhetik. Seine Arbeiten zeigen neben pharaonischen Reminiszenzen ebenso islamische und koptische Bildelemente, wodurch er die kumulative Charakteristik der ägyptischen Identität hervorhebt. Damit distanziert er sich von autoritären politischen Ideologien, die ein homogenes Identitätsstiftungsmodell durchzusetzen beabsichtigen, ohne die Vielgestaltigkeit des
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ägyptischen Kontextes einzubeziehen. Strategisch greift er auf die Darstellung des nationalen Neo-Pharaonismus des beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts zurück, um darüber zugleich die gegenwärtigen ägyptischen Staatsstrukturen, wie nationalistische oder islamistische Strömungen, zu hinterfragen. Lutfi wendet sich wiederum der traditionellen Populärkultur in Ägypten zu, indem sie in ihren Bricolagen und Assemblagen Bilder und Objekte von ʿarayis (dt. Puppen), den urbanen mulids, d.h. islamischen und koptischen Festen der Heiligenverehrung, sowie der berühmten ägyptischen Sängerin Umm Kulthum aufgreift und künstlerisch transformiert. Über Strategien der Repetition evozieren ihre Arbeiten eine semantische Neueinschreibung historischer Narrative, wobei sie insbesondere den Fokus auf eine weibliche Perspektive legt und sich von hegemonialen Konstruktionen der ägyptisch-arabischen Geschichtsschreibung abgrenzt. Eine weitere wichtige Kunstform des traditionellen ägyptischen Erbes bildet die Kalligrafie, welche neben geometrischen und vegetabilen Ornamentiken einen bedeutenden Ausdruck islamischer Kunst darstellt. Diese klassische Schriftkunst wird von Ismail malerisch anverwandelt und zugleich abstrahiert. Die einzelnen Buchstabenlinien changieren in den Arbeiten zwischen lesbaren Textsegmenten und einem freiem Formenspiel der Strukturen, die nicht mehr zu entziffern sind. Damit befreit er die Kalligrafie von vorgefassten klassischen Reglementierungen, die von einer exakten Proportionenlehre ausgehen, und generiert eine dynamische künstlerische Expressivität, welche zugleich auf die gegenwärtigen politischen Umschwünge in Ägypten Bezug nimmt und kritisch Stellung bezieht. Wie die vorangegangenen Analysen verdeutlichen, beschränken sich die künstlerischen Strategien jedoch nicht auf die vordergründige Thematisierung des eigenen kulturellen Erbes und der daraus resultierenden gegenwärtigen Problematiken soziopolitischer Zusammenhänge. Diese werden zwar zunächst über den Rückgriff auf traditionelle Formstrukturen, wie geometrische oder florale Musterungen, pharaonische oder populärkulturelle Bildzitate sowie kalligrafische Anverwandlungen, tangiert und mit aktuellen Themenfeldern wie beispielsweise der ägyptischen Revolution von 2011 in Beziehung gesetzt. Sie bilden jedoch lediglich eine erste – wenn auch wichtige – Bedeutungsdimension der Arbeiten. Zugleich wird der bildimmanente ornamentale Gestus in den einzelnen Konzeptionen als Strategie eingesetzt, um mittels dessen ambivalenter Charakteristik ein kritisch-reflexives Potential gegenüber dichotomen Vorstellungsmodellen zu etablieren, wie sie im lokalen wie internationalen Kunstdiskurs oftmals für die interpretierende Bedeutungsauslegung der Arbeiten heran-
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gezogen werden.1 Denn gerade über die ornamentalen Strukturen in den analysierten Arbeiten werden künstlerische Mittel der Widerständigkeit gegenüber vorgefassten oder eindeutigen Interpretationszuschreibungen realisiert. Diese Mittel lassen sich in drei Kategorien unterscheiden – formale Verschiebungen und Brechungen, Verschleierung und Verhüllung sowie strukturelle Repetition – wobei sie sich jeweils in den einzelnen künstlerischen Konzeptionen überschneiden oder ergänzen können und auf unterschiedliche Weise verwirklicht werden. Die potentielle Uneindeutigkeit der künstlerischen Strukturen ist im Werk von Hefuna bereits in den abstrahierten und dadurch im Vergleich zu traditionellen Ornamenten ‚verschobenen‘ bzw. ‚gebrochenen‘ Linienführungen der Zeichnungen angelegt (Abbildung 8). Spezifische Charakteristika traditioneller geometrischer Ornamentformen, wie der Arabeske, können insbesondere in der strukturalen Symmetrie, der konstanten Proportionalität und der harmonischen Komposition der formalen Grundelemente festgemacht werden. Dagegen drücken die mehrschichtigen Punkt-Linienführungen bei Hefuna Aspekte des Prozesshaften und der Temporalität aus. Die einzelnen Formkonstellationen entstehen erst im Moment des Zeichnens, wobei die Künstlerin in einer Art meditativen Zurücknahme hoch konzentriert vorgeht, da die Zeichnungen nicht verbessert oder aussortiert werden und in ihrer individuellen Gestalt nicht wiederholbar sind. Inhaltlich kann die abstrakte Linienstruktur der Arbeit auf zweifache Weise gelesen werden, als Ausdruck eines Organisch-Fließenden oder eines Geometrisch-Statischen. Durch die Unregelmäßigkeit und Asymmetrie der Formelemente wird die Deutung allerdings verunsichert und oszilliert im temporalen Moment der versuchten Aneignung zwischen Zuschreibungen molekularer Grundstrukturen, wie DNA-Segmenten, und traditionellen Architekturkomponenten, wie dem islamischen Maschrabiyya-Holzgitterfenster, ohne dabei die Ambivalenz vollständig aufzulösen. In ihren Objektinstallationen bezieht sich Hefuna wiederum direkt auf die Formen der Maschrabiyya, indem sie diese von traditionellen Holzdrechslern in Kairo fertigen lässt (Abbildung. 11 und 12). Die Arbeiten werden dabei ebenso formalästhetisch gebrochen, da in die traditionell abstrakten Strukturen der aus einzelnen Holzelementen bestehenden Maschrabiyya-Schirme Wörter und kurze
1
So schreibt beispielsweise Dina Ramadan bezüglich der Dynamiken zwischen ägyptischen Künstlern und dem internationalen, euroamerikanisch dominierten Kunstdiskurs: „Central to this relationship are three binaries which have long dictated the relationship of the ‚Occident‘ with its ‚Other‘, and continue to operate within the contemporary art context: the subject vs. the object, the individual vs. the collective, and the modern vs. the authentic.“ Ramadan 2004.
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Satzfragmente eingewoben sind. Die bildlichen und textuellen Strukturen treten in ein reziprokes Bedeutungsgeflecht, wobei die Interpretation ebenso vom kulturellen Standort des Betrachters abhängt, da die Wörter in Englisch oder Arabisch, manchmal auch in Deutsch verfasst sind und die jeweiligen Buchstabenlinien für den Schriftunkundigen rein abstrakt wirken. Die dadurch evozierte Mehrdeutigkeit der Arbeiten führt zu einer Verzögerung im Versuch einer potentiellen Aneignung. Transformiert Hefuna in ihren Arbeiten traditionelle geometrische Ornamentformen, wendet sich Ismail der Abstrahierung kalligrafischer Strukturen zu. Die formal-ästhetische Brechung der festgelegten klassischen Reglementierungen kalligrafischer Schriftkunst legt den Fokus auf die Prozessualität des künstlerischen Schaffens (Abbildung 40 und 41 sowie 45). Ebenso wie in den Zeichnungen Hefunas zeugen die bildimmanenten Strukturen in den Gemälden Ismails von einer spontanen Linienführung, die zugleich in konzentrierter Präzision ausgeführt ist. Die abstrahierten Buchstabenliniaturen changieren dabei ohne eine vordergründig eindeutige Zuschreibung zwischen möglicher Lesbarkeit und freiem Formenspiel der strukturellen Ausdruckselemente. Erst im temporalen Versuch des Nachzeichnens und Nachverfolgens der einzelnen Linien kann erfasst werden, ob eine Entzifferung der Wörter und einzelnen Textfragmente möglich ist oder der Anschein von Legibilität über die Abstrahierung und formale Verschiebung der buchstabenförmigen Linien desavouiert wird. Dies hat ebenso wie im Interpretationsversuch der Arbeiten Hefunas eine Irritation und Verzögerung des Erkenntnisprozesses zur Folge. Der temporale Akt des Zeichnens bzw. malerischen Fertigens von linearen Strukturen ist neben den künstlerischen Ausdrucksformen Hefunas und Ismails ebenso im Werk von Lutfi von wesentlicher Bedeutung. In ihren collagierten Gemälden und Objekt-Assemblagen sind häufig textuelle Elemente zu erkennen, wobei sie die Regeln klassischer Kalligrafie unterminiert und formalästhetisch bricht (Abbildung 30 und 33). In den unterschiedlichen Arbeiten der drei Künstlerpositionen evoziert die wiederholende Setzung von Linien eine meditative Wirkung in Konzeption und Rezeption. Im Schaffensprozess des Zeichnens und Schreibens werden die Liniaturen abstrahiert und einem spontanen Ausdruck folgend konzipiert, welcher in der Betrachtung der Rezeption sukzessive nachvollzogen wird. Die Linie kommt dabei unabhängig der von ihr gebildeten Formen in ihrer Eigenbedeutsamkeit als epistemische Spur zum Tragen. Im ambivalenten Moment zwischen darstellendem Bild bzw. lesbarem Text und freier Selbstbezüglichkeit werden über die Linie Aspekte des Erkennens und Verstehens von Zeichen thematisiert,
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welche sich aufgrund transkultureller und transhistorischer Differenzen ebenso unterscheiden bzw. anders rezipiert werden können. Formale Verhüllung und Verschleierung sind insbesondere künstlerische Merkmale der fotografischen Werke von Hefuna und Adel. In ihren FotografieArbeiten legt Hefuna einen konstruierten Schleier der Inszenierung auf die dargestellten Sujets, indem sie alte, verunreinigte Entwicklungslösungen verwendet und als Fotografielabor die staubigen Straßen Kairos bei Tageslicht funktionalisiert. Über dieses Verfahren ahmt Hefuna orientalistische Schwarzweiß-Fotografien nach und verhüllt auf den ersten Blick ihre zeitgenössische Herstellung und Konzeption. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch der Konstruktionscharakter der Arbeiten offengelegt und zugleich das Authentizitätspostulat orientalistischer Fotografien, welche die Arbeiten zu imitieren vorgeben, hinterfragt. Denn wirkt die Darstellung einer vor einem Maschrabiyya-Schirm sitzenden Frau der Serie 4 Women – 4 Views (2001, Abbildung 10) wie eine ‚ursprüngliche‘ Darstellung des islamischen Kairos, so wird auf den zweiten Blick deutlich, dass die Frau die gegenwärtige Gestalt der Künstlerin darstellt und der Maschrabiyya einem Museum in Kairo entspringt, welches die Sammlung eines britischen Orientalisten – und damit in seiner Zusammenstellung konstruierte Vorstellungsmodelle eines Europäers über den Orient – präsentiert. Die vordergründige Verhüllung des Entstehungszusammenhangs der fotografischen Arbeit Hefunas dient somit der Entschleierung der Konstruiertheit orientalistischer Fotografie, wie beispielsweise der inszenierten fotografischen Arbeiten von Lehnert und Landrock. Während Hefuna den Schleiereffekt ihrer Fotografien über die künstlerische Manipulation des Entwicklungsprozesses erzielt, generiert Adel die strukturelle Mehrschichtigkeit ihrer Arbeiten durch digitale Überblendung. Dabei verhüllt sie die fotografischen Abbildungen weiblicher Aktmodelle mit unterschiedlichen ornamentalen Strukturen wie floralen und vegetabilen Musterungen (Abbildung 13 und 14 sowie 18 bis 20). Das dadurch evozierte Spiel mit dem Figur-GrundVerhältnis hat eine Ambivalenz und Uneindeutigkeit der thematischen Bedeutungsdimension zur Folge, da die wechselseitigen Verknüpfungen und Interrelationen von figurativen und ornamentalen Bildelementen auf unterschiedliche, diachrone Weise gelesen werden können. Zum einen scheinen die Ornamente die weibliche Figur zu konstituieren, indem sie sich strukturell mit ihr verbinden und sie dadurch in ihrer eigentlichen Form und Gestalt erst hervorbringen. Dies kann als formstiftend interpretiert werden, da die einzelnen ornamentalen Schichten durch die Projizierung auf den weiblichen Körper symbolisch die jeweiligen Schichten der Identität zu bilden vorgeben. Zum anderen scheinen die Ornamente die Figur jedoch ebenso zu überdecken, womit sie sie gleichsam zum Ver-
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schwinden bringen. In dieser Leseweise wird der ornamentale Gestus in den Arbeiten zu einer kritischen Form, über die soziopolitische Repressionen bildlich ausgedrückt werden. Eine bestimmte Deutung ist aufgrund der Ambivalenz der ornamentalen Strukturen allerdings nicht festzuhalten. Vielmehr schwankt die interpretative Aneignung in die eine oder andere Richtung. Muster und Grund, ornamentale Struktur und figurative Gestalt oszillieren im Moment der Betrachtung, ohne auf eine Perspektive fixiert werden zu können. Die Bedeutung der Verhüllung der weiblichen Figur bleibt letztendlich opak und entzieht sich einer vollständigen Interpretation. Überblendet Adel in ihren Arbeiten der Serie The Journey die Darstellung weiblicher Aktmodelle mit manipulierten islamischen Postkartenmotiven (Abbildung 15 bis 17), so kann dies des Weiteren sowohl als Kritik an herrschenden Sozialkonventionen in Ägypten gelesen werden als auch als generelle Thematisierung der Darstellung und dahingehend einvernehmenden Konstruktion des sogenannten Mittleren Ostens, wie sie von orientalistischen Diskursen aufrecht erhalten und von lokalen Authentizitätsparadigmen einer ursprünglichen Tradition adaptiert werden. Adel hinterfragt dabei ‚westlich‘ konstruierte stereotype Bilder über den Orient ebenso wie lokale Postulate der Authentizität, welche orientalistische Stereotype nicht negieren, sondern positiv umwerten und dadurch in ihrer Artikulation letztlich legitimieren. Neben formalästhetischer Verschiebung oder Brechung und verhüllenden bzw. verschleiernden Strategien bildet die strukturelle Repetition von Bildelementen ein weiteres künstlerisches Mittel zeitgenössischer ornamentaler Strukturen. Werden symbolbehaftete Ikonografien in eine repetitive Reihung gebracht, kann der dadurch erzeugte Bedeutungsgehalt auf unterschiedliche Weise entziffert und dekodiert werden. Einerseits dient die Iteration der Betonung und Hervorhebung der symbolischen Bedeutung der jeweiligen Ikonografie. Es entsteht eine quasi kinetische Wirkung der Aneinanderreihung, die das Dargestellte visuell bekräftigt und erhöht. Andererseits evoziert der ornamentalisierende Effekt zugleich eine Dekonstruktion dieser Konnotation, d.h. der jeweilige symbolische Sinngehalt der Ikonografien wird über die Reihung formalästhetisch unterwandert. Indem man den Blick auf die musterbildende Disposition der repetitiven Bildelemente legt, zeigt sich das Dargestellte in seiner möglichen Bedeutung als Symbol entleert und in seinem künstlerischen Ausdruck als reines Ornament. In dieser zweiten Leseweise wird der ornamentale Gestus zu einer kritischen Form, die den Gehalt visueller Ikonen und Symboliken hinterfragt und reflektiert. Diese ambivalente Wirkung der strukturellen Repetition wird von Hafez in seinen großformatigen Gemälden generiert, in welchen er vordergründig gegensätzliche Symbole wie den schakalköpfigen Totengott Anubis des alten Ägyp-
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tens und die Comicästhetik Batmans miteinander verbindet und in iterativer Reihung dynamisiert (Abbildung 23). Indem er auf unterschiedliche, teilweise widersprüchliche Bilderwelten des kulturellen Erbes zurückgreift, dient die strukturelle Repetition in der ersten möglichen Leseweise der Betonung der kumulativen Gestalt der ägyptischen Identität. Zugleich wird der Symbolgehalt der einzelnen Ikonen über die Wiederholung jedoch entsemantisiert, was eine künstlerische Unterwanderung der dargestellten binären Dichotomien wie modern versus traditionell, sakral versus säkular oder Orient versus Okzident erzeugt. In der Reihung verliert das einzelne Symbol seine ursprüngliche Bedeutung und offenbart seinen konstruierten Charakter. Dabei ist der semantische Gehalt über die ornamentale Repetition der Ikonografie nicht vollständig desavouiert, sondern vielmehr aufgeschoben und die dichotomen Bedeutungszuschreibungen der dargestellten Bildikonen im Prozess der Transformation unterminiert. Dadurch wird zugleich der Blick im Moment der Unentscheidbarkeit auf das visuell sich Überschneidende gelegt, wie es Hafez konzeptionell mit dem Begriff der Antidifferenz umschreibt.2 Während Hafez direkte Referenzen auf die gegenwärtigen politischen Umschwünge wie die symbolische Repräsentation des ägyptischen Militär- und Sicherheitsapparats in Form von standardisierten Piktogrammen darstellt, welche neben den pharaonischen Reminiszenzen als begleitende Bildzitate in den Gemälden positioniert sind, wendet sich Lutfi in einigen Collagen der repetitiven Reihung dieser Sujets als zentrales Bildthema zu. Die repräsentierten Figurationen ägyptischer Soldaten werden – wie beispielsweise in der Arbeit Double Restriction (2010, Abbildung 36) – über die Wiederholung einer rhythmisierenden Ordnung unterworfen, welche deren semantische Zuschreibung gleichsam in Bewegung versetzt. Die Darstellung von Repräsentanten eines staatlichen Sicherheitssystems in Repetition formt dabei auf der einen Seite eine visuelle Betonung ihrer hegemonialen Machtposition, während diese auf der anderen Seite jedoch zugleich über den Modus der Iteration zu einer leeren Form ornamentalisiert und ihrer ursprünglichen Bedeutung entzogen wird. Künstlerisch werden die Sujets zum Muster degradiert. Die Darstellung in repetitiver Reihung kann somit thematisch auf ambivalente Weise gedeutet werden. Sie betont sowohl die omnipräsente Machtpostulierung des Militär- und Sicherheitsapparats wie sie zugleich den Blick auf den Instruktionscharakter des hegemonialen Systems lenkt, dem jeder einzelne Soldat folgen muss. Dadurch wird die symbolische Bedeutungsdimension des Soldaten als Repräsentant von Macht hervorgehoben, wie sie zugleich unterwandert und die humane Seite des Soldaten als Person und
2
Vgl. Hafez 2005.
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Opfer hegemonialer Instruktionen fokussiert wird. Die ambivalente Bedeutungsstruktur der Arbeit entzieht sich damit einer eindeutigen Zuschreibung und Interpretation. Bezüglich des populärkulturellen Kontextes verwenden sowohl Lutfi als auch Hafez Darstellungen der ägyptischen Sängerin Umm Kulthum für ihre repetitiven Arbeiten. Als kulturhistorische Ikone der ägyptischen Moderne wird Umm Kulthum visuell zitiert, künstlerisch anverwandelt und über die Strategie der Reihung nach ihrem gegenwärtigen Bedeutungsgehalt befragt. Durch die iterative Wiederholung ist die visuelle Repräsentation Umm Kulthums als Ikonenfigur einerseits betont und hervorgehoben, wie bei Hafez‘ Stockholm Kulthum (2012, Abbildung 26) und Lutfis Suma in the Bottle (2009, Abbildung 32) veranschaulicht. Zugleich wird die nationale Bildikone über den ornamentalisierenden Effekt in ihrer Bedeutung kritisch reflektiert und durch die Verbindung differenter Elemente, wie im Falle Lutfis durch die Transformation mit der amerikanischen Freiheitsstatue, ironisch unterwandert. Das Formenspiel der kulturellen Bedeutung Umm Kulthums referiert somit sowohl auf eine affirmative Darstellung der Sängerin als Nationalsymbol als auch auf deren künstlerische Ornamentalisierung und die damit einhergehende kritische Thematisierung von Konzepten einer nationalen Identitätskonstruktion, die auf starren, ausschließenden Setzungen beruhen und der kumulativen Gestalt der ägyptischen Identität in ihrer Hybridität nicht gerecht werden. In diesem Sinne dient das Konzept der Repetition in den Arbeiten von Hafez und Lutfi als reflexiver Modus, der die gegenwärtige Bedeutung und Relevanz von unterschiedlichen Bildikonen innerhalb des soziohistorischen Kontextes Ägyptens thematisiert und hinterfragt. Ihre künstlerischen Strategien der Verknüpfung heterogener Bildelemente streben dabei eine Transzendierung stereotyper Identitätsmodelle sowie eine Reflexion ihres Konstruktionscharakters an. Darüber hinaus nähern sich beide Künstler dem Modus der Iteration nicht nur struktural über die bildimmanente Strategie der Wiederholung, sondern gehen ebenso auf diskursiver Ebene repetierend vor, indem sie sich künstlerisch dem figurativen Repertoire der modernen ägyptischen und europäischen Kunstbewegung der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bedienen und in ihren Arbeiten zitieren. Damit verfolgen sie eine künstlerische Revision moderner ägyptischer Kunstbewegungen, die sich stets in Verknüpfung und Abgrenzung des euroamerikanischen Kunstdiskurses positionierten und nicht ohne dieses spezifische Spannungs- und Aushandlungsverhältnis gedacht werden können. Diese Strategie des künstlerischen Zitierens moderner Positionen und ihre kritische Hinterfragung greift somit als selbstreflexiver Gestus vorangegangene Kunstströmungen auf und historisiert und diskursiviert diese zugleich.
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Nicht zuletzt aufgrund des Kontextes der ägyptischen Kunstakademie – in Ägypten kann Kunstgeschichtswissenschaft an staatlichen Institutionen nur in Verbindung mit einer praktischen Kunstausbildung studiert werden – sind die Selbstinterpretationen und historischen Verortungen der Künstler in der Rolle als Kritiker für die Konstitution des Kunstdiskurses von wesentlicher Bedeutung. Dabei positionieren sich die Künstler sowohl innerhalb lokaler Debatten um eine moderne und zeitgenössische ägyptische Kunst als auch innerhalb internationaler Diskussionen um eine sogenannte Globalkunst. Wie die Analysen gezeigt haben, verweigern sich die künstlerischen Konzeptionen der Einordnung in vorgefasste Kategorisierungen und verdeutlichen dadurch gerade die Ambivalenz der künstlerisch behandelten Identitätsdiskurse. Zugleich fordert die mittels der eigenen Selbstinterpretation generierte Positionierung und Historisierung der jeweiligen Arbeiten mit Bezug auf einen international ausgerichteten Kunstdiskurs den Betrachter dazu auf, über die kontextuellen Rahmenbedingungen moderner und zeitgenössischer Kunst und deren heterogene Konstitution nachzudenken. Die künstlerischen Mittel der formalen Verschiebung bzw. Brechung, Verschleierung und Verhüllung sowie strukturellen Repetition erzeugen eine ambivalente Bedeutungsstruktur, die sich eindeutigen Interpretationen verweigert und vielmehr ein Dazwischen, einen Zwischenraum der oszillierenden Sinnzuschreibungen umreißt. Dadurch wird eine oftmals auf dichotomen Vorstellungen basierende Leserichtung destabilisiert. Die Verknüpfung der bildlichen und textuellen Elemente der MaschrabiyyaArbeiten Hefunas generieren im interpretierenden Aneignungsprozess eine Irritation und Verzögerung der Rezeption. Diese produktive Störung des Interpretationsprozesses hat eine Reflexion der eigenen Wahrnehmung zu Folge. Die Werke Hefunas nehmen damit weniger Bezug auf die Darstellung eines spezifischen kulturellen Kontextes, dem der traditionelle Maschrabiyya entspringt, sondern machen vielmehr die divergierende Rezeption der Betrachter selbst zum Thema. Dergestalt werden die Maschrabiyya-Arbeiten zu Projektionsschirmen, die thematisieren, welche Vorstellungswelten in die Skulptur hineininterpretiert werden und damit zugleich reflektieren, wie man sich selbst sieht, womit die komplexen ambivalenten Prozesse der Selbst- und Fremdzuschreibung im Sinne Homi Bhabhas künstlerisch visualisiert werden. Das konstruierte Bild vom ‚Anderen‘ wird demnach als Projektion entlarvt.3 Ebenso bilden die überblendenden ornamentalen Schleier in den fotografischen Arbeiten Adels in ihrer verhüllenden Funktion einen ambivalenten Zwischenraum, ein unentscheidbares Dazwischen, da sie sowohl als bildkonstituierend
3
Vgl. Bhabha [2000] 2011, S. 97-124.
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und somit als identitätsformend, als auch kontrapunktisch als figurationsüberdeckend und demzufolge als Symbol für Repression und Unterdrückung gelesen werden können. Adels Werke entziehen sich einer bestimmbaren Zuschreibung und stellen vielmehr ihre eigene Darstellung in den Fokus der künstlerischen Behandlung. Ihre Konzeptionen implizieren eine Weigerung, einer festgelegten Bedeutung sowie einer zumeist stereotypen Identitätsvorstellung zugeordnet zu werden, und formen damit einhergehend eine Kritik an von außen vorgenommenen Positionierungen des eigenen Selbst. In diesem Sinne wendet sie sich sowohl gegen ‚westliche‘ Einordnungskriterien wie gegen lokale restriktive Identitätsschemata. Als ornamentale Schicht schiebt sich der Schleier vor den potentiellen Erkenntnisprozess und überlagert das zu Interpretierende. In der formalen Funktion eines Spiegels entlarvt der Schleier – in ähnlicher Strategie wie in den Maschrabiyya-Arbeiten Hefunas – die Konstruiertheit der auf ihn geworfenen Vorstellungen. Darüber hinaus erzeugt auch die repetitive Strategie in den Konzeptionen Hafez‘ und Lutfis eine Verzögerung der interpretierenden Aneignung und damit ein ambivalentes Dazwischen möglicher Bedeutungszuschreibungen. Indem beide Künstlerpositionen vordergründig gegensätzliche Ikonografien miteinander verknüpfen und über das Konzept der Reihung dynamisieren, wird der Sinngehalt der Darstellung hinausgezögert und der Versuch einer Interpretation dadurch verunsichert. Über diesen Aufschub des semantischen Gehalts kommt es zu einer Unterwanderung der dichotomen Bedeutungsstrukturen der hybriden Ikonografien. Dadurch werden zugleich starre Identitätsvorstellungen als essentialistische Konstrukte offengelegt. Die Verweigerung einer eindeutigen Interpretation ist ebenso den kalligrafischen Arbeiten Ismails inhärent. Indem er die Buchstabenlinien einerseits für die Vermittlung einer textuellen Botschaft verwendet und diese andererseits zugleich bis zur Unleserlichkeit abstrahiert, schafft er einen Zwischenraum von Bild und Schrift. Die transformierte Form der Kalligrafie wird zu einem künstlerischen Strukturgedanken, in dem die Schrift lediglich noch als Spur angedeutet ist und statt einer zu lesenden Botschaft vielmehr den Aspekt von Textualität selbst thematisiert. Über die Brechung der potentiellen Lesbarkeit der Schrift entziehen sich die Arbeiten Ismails nicht nur einer eindeutigen Interpretation, sondern werfen generell Fragen der Möglichkeit von Erkenntnisprozessen auf. In diesem Dazwischen stehen die variierenden Bedeutungsstrukturen der einzelnen Arbeiten nebeneinander, überkreuzen oder widersprechen sich. Somit destabilisieren die Konzeptionen eindeutige, vorgefasste Deutungen und machen die eigene Ambivalenz zum Thema der künstlerischen Auseinandersetzung. Über unterschiedliche Strategien und Techniken, wie Übermalungen, Collagen
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oder digitale Überblendungen, wird in den Werken eine strukturelle Mehrschichtigkeit generiert, welche – wie gezeigt werden konnte – eine Unentscheidbarkeit des jeweiligen Sinngehalts zur Folge hat. Somit dient die Konstruktion der Werke aus anverwandelten und transformierten Formelementen des ägyptischen Kunsterbes zugleich der Dekonstruktion dichotomer Zuschreibungsmodelle wie modern versus traditionell, Orient versus Okzident oder individuell versus kollektiv. Hierdurch begegnen die analysierten Künstlerpositionen der bestehen Problematik ihrer Positionierung innerhalb eines internationalen Kunstdiskurses, wie sie von Sean Cubitt wie folgt beschrieben wird: „In addition to the challenge faced by all artists, to create work which does not finally take the shape of a commodity, Third World artists must confront the immensely difficult task of remaining true to themselves while refusing the imposed signification of tradition, typicality and authenticity; of making work that can communicate, or in some way be habitable across the world, without thereby becoming proof of the inclusiveness of neo-liberal globalization programmes.“4
Gegenüber Künstlern des sogenannten Mittleren Ostens und der arabischen Welt besteht oftmals eine Erwartungshaltung, in ihren Werken Kritik an lokalen Traditionen oder soziopolitischen Zusammenhängen zu üben. Diese Postulierung wird von Künstlern aus der Region zunehmend als essentialistische Reduzierung der potentiellen Vielgestaltigkeit ihres künstlerischen Ausdrucks kritisiert. Sie fordern eine Reflexion und Hinterfragung der formulierten Konstitution einer Kunstgeschichte in globaler Perspektive, welche den modernen Universalismusanspruch eines ‚westlichen‘ Kunstdiskurses in diesem Sinne fortzuführen anstatt ihn zu überwinden scheint. So schreibt beispielsweise der ägyptische Künstler Basim Magdy mit Bezug auf internationale Ausstellungen, welche Künstler aus Ägypten unter geografischen Gesichtspunkten präsentieren: „Although I cannot claim that such shows find their sole interest in the geographical and its socio-politics, they have – problematically enough – succeeded in creating an understanding in the West that Egyptian artists‘ work should only explore identity issues, political oppression, gender equity, religion-related issues, or authoritative indifference and this only within the limitations of a local context.“5
4
Cubitt, in: Araeen, ders. und Sardar (Hg.) 2002, S. 5.
5
Magdy, in: Nafas Art Magazine 2003.
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Diese Konzentration des internationalen Kunstdiskurses auf die lokale Herkunft ‚nicht-westlicher‘ Künstler wird ebenso von Hans Belting und Andrea Buddensieg konstatiert. Sie sprechen hierbei von einer subtilen Form der Exklusion, „welche ‚die anderen‘ dem Zwang unterwirft, ihre Herkunft als Kontext, oder Etikett von Identität, offen zu legen, um ihnen ein Recht auf Präsenz in der westlichen Kunstszene zu geben.“6 Dies bedeutet allerdings nicht, dass solche thematischen Behandlungen für die künstlerischen Konzeptionen nicht von Belang wären, gerade auch mit Blick auf die lokalen soziopolitischen Umschwünge der letzten Jahre, welche von den meisten ägyptischen Kunst- und Kulturschaffenden in unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen thematisiert wurden. Eine alleinige und ausschließliche Fokussierung auf diese Kategorien birgt jedoch das Risiko der Fortschreibung von dichotomen und stereotypen Vorstellungswelten. In diesem Zusammenhang kann die in den analysierten Arbeiten evozierte Ambivalenz der Bedeutungsstrukturen als Strategie gelesen werden, die beschriebenen dichotomen Zuschreibungsmodelle zu unterlaufen. Die Uneindeutigkeit der Strukturen wird somit gerade über den ornamentalen Gestus der Arbeiten konzipiert, dessen kritisch-reflexives Potential mittels künstlerischer Verschiebung und Brechung, Verschleierung und Verhüllung sowie struktureller Repetition auf unterschiedliche Weise wirkt. Dergestalt erzeugt die ornamentale Mehrschichtigkeit interpretativer Überlagerungen in den einzelnen Werken einen Zwischenraum der Verweigerung, Verunsicherung und Überwindung. Eindeutige Interpretationsansätze werden in Bewegung versetzt, dynamisiert und dadurch zugleich destabilisiert. Die Prozesshaftigkeit und Unabschließbarkeit der verstehenden Aneignung wird hervorgehoben, um die Problematik der Verfestigung vorgefasster Kategorien gleichsam zu unterwandern. Dabei können die von Anna-Lena Wenzel mit Blick auf die Gegenwartskunst konstatierten Verschiebungen einer politisch intendierten Konzeption für das Verständnis der analysierten Künstlerpositionen herangezogen werden: „Erwartungen und Sinnkonstruktionen werden gebrochen und unterlaufen. Nicht das Hochhalten einer Alternative ist das Ziel, sondern die Dynamisierung des Bestehenden. Nicht das Heraustreten aus dem System, sondern die mikropolitische Verschiebung des Bestehenden und ihrer Bedingungen. Nicht die Intention steht im Mittelpunkt, sondern die Eröffnung von Potentialitäten und Möglichkeiten.“7
6
Belting und Buddensieg, in: Kunstforum international 2013, Band 220, S. 63.
7
Wenzel 2011, S. 198.
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In diesem Sinne geht es den analysierten Künstlerpositionen weniger um die Etablierung einer autochthonen, in nationalen Begriffen formulierten ägyptischen Kunst der Gegenwart, sondern um das Aufbrechen eines oftmals auf binären Setzungen basierenden Kunstdiskurses in globaler Perspektive. Vordergründig bedienen sie über die Verwendung traditioneller Formelemente das Postulat einer kulturellen Verortung, um dieses zugleich über die Ambivalenz der ornamentalen Strukturen zu destabilisieren und ins Oszillieren zu bringen. Diese künstlerische Wirkung hat eine unendliche Verzögerung des Rezeptionsprozesses zur Folge und fordert den Betrachter dazu auf, seine „eigenen Wahrnehmungsstrukturen und Prädispositionen“8 zu reflektieren und infrage zu stellen.
8
Ebd., S. 232.
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9.2 D IE ÄGYPTISCHE K UNST DER G EGENWART IM T HEORIEFELD ZEITGENÖSSISCHER T RANSKULTURALITÄTS -, H YBRIDITÄTS - UND T RANSDIFFERENZKONZEPTE Die kritische Reflexion vorgefasster Kategorisierungen und die künstlerische Thematisierung der ambivalenten Gestalt von Identitätskonstruktionen tangieren generell Aspekte der wechselseitigen Verflechtung von Kulturen, die von einem statischen Kulturkontaktmodell abweichen. Gegenwärtige wissenschaftstheoretische Diskussionen um die Formulierung eines adäquaten Konzepts für die Beschreibung reziproker Kulturbeziehungen rücken zunehmend von den Termini der Interkulturalität bzw. Multikulturalität ab, da diese trotz der intendierten Vorstellungen eines kulturellen Austauschs weiterhin Kulturen als abzugrenzende und unterscheidbare Entitäten beschreiben – Wolfgang Welsch spricht in diesem Zusammenhang von der überkommenen Darstellung einer insel- oder kugelartigen Gestalt von Kulturen.9 Demgegenüber fokussieren Konzepte der Transkulturalität, Hybridität und Transdifferenz verstärkt den Konstruktionscharakter von Kulturen, welche sich in einem dynamischen und ambivalenten Prozess der Selbst- und Fremdwahrnehmung immer wieder neu konstituieren und auf keine ‚reine‘ oder ursprüngliche Form zurückgeführt werden können, da sie sich von vorneherein als heterogen und hybrid auszeichnen. Die ambivalenten Konstruktions- und Dekonstruktionsprozesse kultureller Identität werden in den beschrieben Arbeiten zeitgenössischer ägyptischer Kunst auf unterschiedliche Weise reflektiert, während der Fokus insbesondere auf die destabilisierenden Momente der Verschiebung von dichotomen Zuschreibungen gerichtet ist. In diesem Sinne können die Werke – in Abgrenzung zu der Bezeichnung ‚interkulturelle Kunst‘ – als transkulturelle künstlerische Konzeptionen beschrieben werden, womit über das Präfix trans nicht nur die wechselseitige Durchdringung von Kulturen, sondern auch die transhistorische Konstitution kultureller Verflechtungsdynamiken stärker betont wird. Der von Welsch eingeführte Begriff der Transkulturalität dient der begrifflichen Umfassung transversal durch und zwischen Kulturen verlaufenden Vernetzungsphänomenen.10 Das 9
Vgl. Welsch, in: Allolio-Näcke, Kalscheuer und Manzeschke (Hg.) 2005, S. 320 sowie S. 321.
10
Vgl. ebd., S. 322 sowie S. 337. Der Begriff der transculturación wurde bereits zuvor von Fernando Ortiz eingeführt, um mit Blick auf kulturelle Migrationsprozesse zu zeigen, dass der Kontakt fremder Kulturen letztlich zur Generierung einer neuen Identitätsbildung führt. Somit beschreibt er transkulturelle Dynamiken, „die durch die Be-
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Denken in nationalistischen Ordnungskategorien wird zunehmend aufgebrochen und verliert als Referenzrahmen für die jeweilige Identitätskonstruktion an Bedeutung. Die Konstitution von Kulturen zeichnet sich vielmehr durch Instabilität und Dynamisierung vorgefasster, differenzierender Ordnungsschemata aus, wie Britta Kalscheuer betont: „Da Kultur demzufolge keine dauerhafte Gültigkeit jenseits der alltäglichen Interaktion eigenständiger Akteure besitzt, wird nachvollziehbar, dass die als geschlossen erscheinende, gegebene Ordnung zu jedem Zeitpunkt wieder in Frage gestellt und somit verflüssigt werden kann.“11
Wenn Welsch in seiner Konzeptualisierung der Transkulturalität allerdings von einer „Auflösung der Eigen-Fremd-Differenz“ spricht und postuliert, aufgrund der wechselseitigen Durchdringung von Kulturen gebe es „nichts schlechthin Fremdes mehr“12, so beschreibt er zwar einerseits die im Zuge der Globalisierung generell zu beobachtende Homogenisierung von Kulturen, lässt jedoch zugleich die gegenläufige Tendenz einer Funktionalisierung von Differenz zunächst außer Acht. So werden etwa im ägyptischen Modernediskurs oftmals Konstruktionen von Authentizität und Traditionalität herangezogen, um eine autochthone ägyptische Kunst zu legitimieren. Zugleich dient diese kulturelle Verortung der Differenzmarkierung als Voraussetzung, um sich als sogenannte ‚Dritte-Welt-Künstler‘ innerhalb des euroamerikanisch geprägten internationalen Kunstdiskurses der Gegenwart zu positionieren. Auch mit Blick auf die jüngsten politischen Umschwünge zeigt sich, dass Narrative um eine ‚arabische Spezifizität‘ bei gleichzeitiger Verzeichnung einer internationalen Verbreitung der Pro-
gegnung mit dem Fremden zu einer Verunsicherung, Entwurzelung, ja sogar Auflösung der eigenen Identität und deren Abgrenzung gegen den Anderen führen, indem Elemente des Eigenen aufgegeben, andere bewahrt und mit Bausteinen des Fremden verschmolzen werden, sich dabei anverwandeln und eine neue Kultur mit neuen Identitäten und Praktiken hervorbringen.“ Hildebrandt, in: Allolio-Näcke, Kalscheuer und Manzeschke (Hg.) 2005, S. 343. Während Ortiz somit von der Formierung einer neuen, ‚vermischten‘ Kultur ausgeht, betont Welschs Konzept der Transkulturalität stärker die Momente der Verunsicherung und Uneindeutigkeit, die weder zu einer synthetischen Neubildung noch zu einer Dekonstruktion der Differenz führen. Vgl. ebd., S. 351. 11
Kalscheuer, in: Merz-Benz und Wagner (Hg.) 2005, S. 79.
12
Welsch, in: Allolio-Näcke, Kalscheuer und Manzeschke (Hg.) 2005, S. 324.
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teste nicht nur auf Seiten ‚westlicher‘ Analysemodelle, sondern auch im lokalen Kunst- und Kulturdiskurs adaptiert und funktionalisiert wurden.13 Dieses scheinbar dialektische Phänomen von globaler Homogenisierung und lokaler Partikularisierung wird von Roland Robertson als Glokalisierung bezeichnet.14 ‚Glokal‘ bedeutet hierbei, Prozesse einer zunehmenden Globalisierung und simultane Formulierungen lokaler Identitäts- und Kulturmodelle nicht als Gegensätze, sondern als interdependente Durchdringung beider Dynamiken zu sehen, wie Bernd Wagner konstatiert: „Im Prozess von De-Lokalisierung durch die globale Kultur und Re-Lokalisierung als erneute Rückbindung lösen die lokalen Kulturen ihre Fixierung auf den konkreten Ort auf, ohne die Verbindung ganz zu brechen, und werden zu Bestandteilen der globalen Kulturangebote.“15
Diese Perspektive auf die Gleichzeitigkeit gegenläufiger Prozesse fokussiert dabei ebenso den Aspekt, dass Lokalität und Traditionalität oftmals re-imaginiert und konstruiert werden, um einer globalen Homogenisierungstendenz zu begegnen. Im ägyptischen Kunstdiskurs kann dies beispielsweise anhand neomamlukischer oder neo-pharaonischer Strömungen nachgezeichnet werden. Die künstlerisch anverwandelten Sujets basieren dabei wiederum häufig auf einem ‚westlich‘ konstruierten Orientalismus, dessen affirmative Umdeutung beispielsweise Marwa Adel in ihren Arbeiten kritisiert, während Khaled Hafez in seinen Kompositionen nationalistische Narrative des modernen ägyptischen Pharaonismus ironisch unterwandert. Das Transkulturalitätskonzept weist nach Welsch somit ebenso daraufhin, „dass sich inmitten der globalisierenden Uniformierungsprozesse zugleich neue kulturelle Unterschiede bilden. […] Es fasst die für die Gegenwart charakteristische Doppelfigur von Einheits- und Unterschiedsbildung ins Auge.“16 Kulturen befinden sich in einem steten Austausch- und Transformationsprozess, in welchem Identitäts- und Alteritätszuschreibungen strategisch eingesetzt werden. Das Potential transkultureller Formen, innerhalb des kolonialen Kontextes etablierte
13
Beispielsweise zeigt Rabab El-Mahdi, dass das überkommene Vorstellungen einer arabischen Spezifizität ersetzende Narrativ des ‚arabischen Erwachens‘ im Zuge der politischen Umschwünge auf denselben orientalistischen Konstrukten beruht. Siehe hierzu El-Mahdi, in: Jadaliyya vom 11.04.2011.
14
Vgl. Robertson, in: Beck (Hg.) 1998, S. 192-220.
15
Wagner, in: Ders. (Hg.) 2001, S. 16.
16
Welsch, in: Allolio-Näcke, Kalscheuer und Manzeschke (Hg.) 2005, S. 340.
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und im postkolonialen Diskurs aufrechterhaltene Machtgefälle zu destabilisieren, wird dabei insbesondere im Konzept der Hybridität von Homi Bhabha ausgeführt.17 Bhabha distanziert sich ebenso wie Welsch von Modellen der kulturellen Diversität, wie sie beispielsweise im Multikulturalismus ausgedrückt sind, welche trotz der Fokussierung auf kulturelle Austausch- und Vermischungsprozesse an der Vorstellung der Trennung von Kulturen festhalten, und favorisiert dagegen die theoretische Verortung der kulturellen Differenz als konfliktbehaftetes Artikulations- und Spannungsverhältnis kultureller Identitätskonstruktionen.18 Nach Bhabha ist kulturelle Differenz „ein Prozess der Signifikation, durch den Aussagen der Kultur oder über Kultur die Produktion von Kraft-, Referenz-, Anwendungs- und Fähigkeitsfeldern differenzieren, diskriminieren und autorisieren.“19 Kulturen sind dabei von vorneherein als hybrid zu verstehen, wobei der Hybriditätsbegriff Bhabhas weniger in Referenz auf biologische Termini als ‚Vermischung‘ zu verstehen ist, sondern vielmehr mit Bezug auf die in der Wissenschaftsforschung verwendete Metaphorik des Hybriden „als zusammengesetzte[s] Gebilde der Montage und der Implantation, des Arrangements“, da diese Beschreibung „den Charakter des Artifiziellen der Kultur, nicht den des Natürlichen“20 hervorhebt. Das Konzept der Hybridität markiert ein Dazwischen und geht über dichotome Setzungen des Kulturverständnisses hinaus. Kulturelle Differenz ist in diesem Sinne kein Unterscheidungscharakteristikum von Kulturen als feste Entitäten, wie es durch den Begriff der kulturellen Diversität postuliert wird, sondern eine stete Verzögerung kultureller Bedeutung, im Sinne der différance von Jacques Derrida.21 Somit verortet Bhabha das Konzept der Differenz nicht zwischen in sich geschlossenen, stabilen Kulturen, „sondern innerhalb jeder kulturelle[n] Aussage.“22 Nach Derrida ist jede Kultur – als sprachlicher Äußerungsakt – durch eine Differenz mit sich selbst markiert. Dies wird von Derrida auf die Zeichentheorie von Ferdinand de Saussure zurückgeführt, „demzufolge das sprachliche Zeichen
17
Zur Bedeutung der Thesen Bhabhas für das Verständnis zeitgenössischer ägyptischer Kunst siehe auch Kapitel 4.2 Die Debatte der Hybridisierung im Zuge einer jungen Kunstbewegung sowie Kapitel 6.1 Knowledge is Sweeter than Honey – Das Spiel mit dem Betrachterblick als transkulturelle Überschreitung.
18
Vgl. Bhabha [2000] 2011, S. 49-52.
19
Ebd., S. 52.
20
Reckwitz, in: Kalscheuer und Allolio-Näcke (Hg.) 2008, S. 19.
21
Vgl. Mill, in: Allolio-Näcke, Kalscheuer und Manzeschke (Hg.) 2005, S. 433.
22
Ebd.
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erstens arbiträr ist und zweitens differentiellen Charakter hat.“23 Arbitrarität bedeutet hierbei, dass die Beziehung zwischen dem Signifikat und dem Signifikanten willkürlich und dementsprechend nicht natürlich ist. Zugleich formt sich die Bedeutung des Zeichens in differentieller Beziehung zu anderen Elementen der Sprache.24 Das Zeichen ist niemals mit sich selbst identisch und verweist stets auf etwas anderes oder in den Worten Michael Franks: „Jede – über den Umweg der anderen Zeichen erlangte – Identität ist demnach insofern niemals ‚rein‘, als die Spur des Anderen, Differenten unauslöschlich in sie eingeschrieben ist.“25 Diese heterogene Charakteristik der différance wird nun von Bhabha in seinem Hybriditätskonzept angewendet, um postkoloniale Identitäts- und Kulturkonstruktionen zu beschreiben. Indem er die potentielle Instabilität und Unsicherheit jeder kulturellen Äußerung fokussiert, welche stets von Neuem ausgehandelt und konstituiert werden muss, unterwandert er zugleich das Postulat hegemonialer Machtansprüche, die auf festen, stabilen Kulturvorstellungen basieren: „Das Konzept der kulturellen Differenz rückt das Problem der Ambivalenz kultureller Autorität in den Mittelpunkt: den Versuch der Herrschaftsausübung im Namen einer kulturellen Überlegenheit, die selbst erst im Moment der Differenzierung produziert wird.“26
Die Betonung der Hybridität und Unbestimmbarkeit kultureller Identitätskonstruktionen in den analysierten Arbeiten zeitgenössischer ägyptischer Kunst kann demnach mit Bhabha als Strategie gelesen werden, hegemoniale Machtstrukturen künstlerisch zu destabilisieren und sich damit sowohl gegen ‚westliche‘ Interpretationskategorien wie gegen lokale essentialistische Identitätszuschreibungen zu wenden. Die Werke sind somit hybrid in dem Sinne, dass sie „festgeschriebene – das heißt nach binären Vorstellungen festgeschriebene – Grenzen […] problematisieren beziehungsweise […] de-essentialisieren.“27 Die hybride Konstellation kultureller Uneindeutigkeit hat eine Dekonstruktion vorgefasster Kategorisierungen zur Folge. Hierbei bedeutet Dekonstruktion nicht Destruktion jeglicher Sinnbezüglichkeit, sondern vielmehr eine unendliche Verzögerung potentieller Bedeutungszuschreibungen, ein In-der-Schwebe-halten der interpretierenden Aneignung. Denn laut Derrida kann auch die dekonstruktive Strategie das von ihr kritisierte Sys-
23
Frank, in: Kalscheuer und Allolio-Näcke (Hg.) 2008, S. 67.
24
Vgl. ebd., S. 67-68.
25
Ebd., S. 69.
26
Bhabha [2000] 2011, S. 52-53.
27
Mill, in: Allolio-Näcke, Kalscheuer und Manzeschke (Hg.) 2005, S. 436.
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tem nicht vollständig verlassen, „insofern sie der Begrifflichkeit des dekonstruierten Systems verpflichtet bleibt.“28 Sie generiert keine Negation, sondern eine Transformation und Verschiebung von Bedeutungsstrukturen, wie Frank konstatiert: „Von großer Bedeutung ist für Derrida dementsprechend die […] konstruktive Arbeit der Umformung des dekonstruierten Textes: Der Text wird gewissermaßen in seine Elemente zerlegt, um – allerdings auf andere Weise – wieder zusammengefügt zu werden.“29
Der ornamentale Gestus der analysierten Arbeiten geht somit strategisch dekonstruktiv vor. Formelemente eines kulturellen Erbes werden künstlerisch anverwandelt und konstruktiv transformiert, um sie zugleich auf eine andere Weise neu zu verwenden und über ihre Ambivalenz und Widerspenstigkeit Kritik an vorgefassten, auf dichotomen Setzungen basierenden Zuschreibungsformen zu üben. Die ornamentale Struktur erzeugt einen Zwischenraum, ein Dazwischen und entzieht sich über die unendliche Verzögerung potentieller Bedeutungen eindeutigen Interpretationen. Vielmehr oszilliert die Sinnzuschreibung zwischen ambivalenten Bedeutungsmöglichkeiten hin und her, ohne auf eine Position festgeschrieben zu werden. Dieses Merkmal der Temporalität und Uneindeutigkeit ornamentaler Strukturen, wie es in den analysierten Arbeiten künstlerisch zum Ausdruck kommt, kann darüber hinaus mittels des von Helmbrecht Breinig und Klaus Lösch konkretisierten Konzepts der Transdifferenz theoretisch verortet werden. Der Begriff ist dabei als ergänzendes Modell zu den Transkulturalitäts- und Hybriditätskonzepten formuliert und bezieht sich ebenso auf Positionen des non-linearen Denkens, welche die reziproken, destabilisierenden Verflechtungsdynamiken zwischen Kulturen fokussieren. Über den Begriff des Transdifferenten werden Phänomene des Unentscheidbaren und des Dazwischens untersucht, welche sich nicht in binäre Kategorisierungsschemata einordnen lassen. Nach Lösch bezeichnet Transdifferenz „[…] all das Widerspenstige, das sich gegen die Einordnung in die Polarität binärer Differenzen sperrt, weil es gleichsam quer durch die gezogene Grenzlinie hindurch geht und die ursprünglich eingeschriebene Differenz ins Oszillieren bringt, ohne sie jedoch aufzulösen.“30
28
Frank, in: Kalscheuer und Allolio-Näcke (Hg.) 2008, S. 65-66.
29
Ebd., S. 67.
30
Lösch, in: Allolio-Näcke, Kalscheuer und Manzeschke (Hg.) 2005, S. 27.
322 | M USTER DER A MBIVALENZ
Damit wird über das Konzept des Transdifferenten der temporale und dynamische Aspekt von reziproken Identitäts- und Alteritätszuschreibungen hervorgehoben, in welchem stabile Konstruktionen des Eigenen und des Fremden ins Wanken geraten und zu oszillieren beginnen. Der Begriff bezeichnet hierbei „nicht die Überwindung beziehungsweise Aufhebung von Differenz, denn das entspräche dem Denken der Einheit, sondern das Aufscheinen des in dichotomen Differenzmarkierungen Ausgeschlossenen vor dem Hintergrund des polar Differenten.“31 So können über die Fokussierung auf transdifferente Momente starre Klassifizierungsschemata der Inklusion und Exklusion aufgebrochen werden, um den Blick auf das quer zu und durch Differenzkonstruktionen Verlaufende in seiner Prozessualität zu legen. Mit Kalscheuer kann Transdifferenz somit als Bewegungsbegriff bezeichnet werden.32 Differenzmarkierungen werden kritisch hinterfragt und temporär dekonstruiert, allerdings nicht negiert, da dies die Postulierung einer kulturellen Homogenisierung sowie einer machtfreien Zirkulation von kulturellen Austauschprozessen intendieren würde. So argumentiert Viktoria Schmidt-Linsenhoff, eine vollständige Dekonstruktion binärer Setzungen führe ebenso zu einer „Aufhebung jeglicher Differenz“, was „die neokoloniale […] Vorherrschaft des Westens keineswegs unterminiert, sondern ganz im Gegenteil kulturell legitimiert.“33 Wie im Hybriditätskonzept von Bhabha geht es in der Formulierung des Transdifferenten somit nicht um die Beschreibung einer Auflösung von kulturellen Unterschieden, sondern um den temporären, destabilisierenden Moment der Unterwanderung von auf binären Setzungen basierenden Differenzen. Wie Frank betont, ist Transdifferenz das, „was es außer der Differenz gibt – nicht das, was stattdessen etabliert werden soll: Der Begriff gilt all jenem, was sich dem Entweder-oder der binären Logik entzieht.“34 Über die Ambivalenz der ornamentalen Strukturen können die analysierten Werke der ägyptischen Gegenwart somit als künstlerischer Ausdruck gelesen werden, welcher die im Konzept der Transdifferenz fokussierte Verzögerung von kulturellen Differenzmarkierungen und das dadurch evozierte Oszillieren von Bedeutungszuschreibungen visualisiert. Die hierarchischen Machtkonstruktionen entspringenden binären Setzungen der Selbst- und Fremdzuschreibung werden über die ornamentalen Formvarianten künstlerisch hinterfragt. Dem or-
31
Lösch, in: Allolio-Näcke, Kalscheuer und Manzeschke (Hg.) 2005, S. 27-28.
32
Vgl. Kalscheuer, in: Merz-Benz und Wagner (Hg.) 2005, S. 77.
33
Schmidt-Linsenhoff, in: Kunst und Politik 2002, Band 4 Schwerpunkt: Postkolonialismus, S. 8.
34
Frank, in: Kalscheuer und Allolio-Näcke (Hg.) 2008, S. 60.
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namentalen Gestus der Arbeiten ist somit ein kritisch-reflexives Potential inhärent. Es geht dabei nicht um eine vollständige Umkehrung der herrschenden Verhältnisse im internationalen Kunst- und Kulturdiskurs, sondern vielmehr um deren temporäre Destabilisierung. Vorgefasste Wahrnehmungsmuster werden dadurch auf subtile Weise ins Oszillieren gebracht.
Kapitel 10 Ausblick: Erkenntnispotentiale der Analyse ornamentaler Strategien für eine Kunstgeschichte in globaler Perspektive
Die Interpretation der Bedeutungsdimensionen transkultureller zeitgenössischer Kunstwerke ist stets eine Konstruktion und von unterschiedlichen Zuschreibungsprozessen abhängig, die sowohl von den Künstlern selbst, als auch an ihnen vorgenommen werden und je nach kontextueller Verortung differenzieren können. Mit Blick auf den methodischen Diskurs zur Analyse gegenwärtiger Kunstproduktionen aus dem sogenannten Mittleren Osten und der arabischen Welt eröffnen sich in diesem Zusammenhang spezifische Problematiken, welche in der Diskussion der einzelnen Arbeiten zu berücksichtigen sind. Dies betrifft zum einen die potentielle Bezeichnung der Kunstwerke aus dieser Region, da bereits die Termini ‚Naher‘ oder ‚Mittlerer Osten‘ ein westliches Konstrukt darstellen, welches von einer eurozentrischen Perspektive ausgeht. Wie von Nada Shabout angeführt, besteht im zeitgenössischen arabischen Kunstdiskurs ein generelles Bestreben nach begrifflichen Kategorisierungen bei gleichzeitiger Ablehnung essentialistischer Zuschreibungen.1 Scheinbar apodiktische Definitionen, welche der heterogenen und hybriden Konstitution der Kunstwerke aus dieser Region nicht entsprechen, werden in diesem Zusammenhang kritisch reflektiert. Beispielsweise ist man aufgrund der intendierten vormodernen Konnotationen von dem Begriff einer ‚modernen islamischen Kunst‘ abgerückt, wie er Ende des zwanzigsten Jahrhunderts insbesondere von den
1
Vgl. Shabout, in: Tate Papers 2009.
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theoretischen Formulierungen Wijdan Alis geprägt war.2 Ebenso wird die Zuschreibung ‚arabische‘ Kunst, welche die lokalen Kunstproduktionen unter linguistisch-geografischen Gesichtspunkten subsumiert, von einigen Künstlern aufgrund ihrer panarabischen Implikationen und ihrer assoziativen Nähe zu überkommenen Ideologien wie dem Nasserismus abgelehnt.3 Des Weiteren sind über die Bezeichnung der Werke als ‚arabisch‘ Länder wie die Türkei, Iran oder auch Israel aus der definitorischen Gruppierung ausgeschlossen. Dies ist beispielsweise dahingehend problematisch, da die Entwicklungen im Osmanischen Reich die Entstehungen moderner Kunstbewegungen in den arabischen Provinzen beeinflussten, auch wenn sich diese zumeist in Abgrenzung zu Istanbul positionierten und zunächst für nationalistische Strömungen funktionalisiert wurden.4 Trotz der soziohistorischen Verflechtungsdynamiken in der Region ist es jedoch ebenso nicht weniger diffizil, den sogenannten Mittleren Osten als kulturellen Monolithen zu verstehen und lokale Unterschiede außer Acht zu lassen. So differieren beispielsweise die Konstituierung, Genese und gegenwärtige Gestalt des ägyptischen Kunstraums deutlich von denen des Libanons oder des Iraks. Zugleich merkt Shabout mit Bezug auf die gegenwärtigen wissenschaftstheoretischen Debatten an, dass die Problematik der Aussagekraft von Zuschreibungsmodellen wie die Benennung als ‚arabische‘ Kunst versus nationale Bezeichnungen vornehmlich in einem anglophonen Diskursfeld diskutiert wird und sich von lokalen Reflexionen differenziert: „In Arab countries artists have other concerns and are baffled by Western preoccupation with this issue. In their eyes, they are Iraqi, Palestinian, Lebanese etc. artists, and Arab, too.“5 Hinsichtlich dieses komplexen Diskurses um eine adäquate Bezeichnung der jeweiligen Kunst- und Kulturproduktionen der Region wurde in den Analysen zeitgenössischer Künstlerpositionen aus Ägypten zunächst an einer nationalen Benennung festgehalten, um darüber zugleich die ambivalenten Bedeutungsstrukturen der einzelnen Werke herauszuarbeiten, welche stereotype Identitätsvorstellungen kritisch hinterfragen. Nach Jessica Winegar lassen sich zeitgenössische künstlerische Praktiken aus Ägypten wie folgt umschreiben: „If there is any overarching category that can be called ‚Egyptian art‘, it arises from artistic
2
Zur theoretischen Diskussion um die Definition einer ‚modernen islamischen Kunst‘ siehe Kapitel 3.1 Ornamentale Formstrukturen und Formulierungen einer ‚modernen islamischen Kunst‘.
3 4
Vgl. Shabout, in: Tate Papers 2009. Siehe hierzu Kapitel 1.2 Suche nach einem nationalen Kunstmodell: Die ägyptische Akademie und ihre Pioniergeneration.
5
Shabout, in: Tate Papers 2009.
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negotiation with the specific cultural and historical circumstances of the country in which these artists live.“6 Der Einbezug der Konstitution und Funktionalisierung des ägyptischen Modernediskurses im politischen, sozialen und kulturellen Kontext sowie dessen kritische Reflexion in gegenwärtigen künstlerischen Arbeiten ist somit für das Verständnis zeitgenössischer Kunstkonzeptionen wesentlich, um in der Interpretation von binären Zuschreibungsmodellen, die auf einem essentialistischen, ahistorischen Kulturverständnis basieren, abzurücken und die wechselseitigen transhistorischen und transkulturellen Durchdringungen in den Blick zu nehmen. Gleichzeitig ist es für die Analyse der Werke erforderlich, die individuellen Künstlerpositionen als eigenständige Ausdrücke und nicht als ‚Vertreter‘ einer lokal zu verortenden Kultur zu verstehen, was auf eine weitere Problematik des methodischen Zugangs verweist, welche von Kobena Mercer als „the burden of representation“7 bezeichnet wird. Nach Mercer werden Künstlerpositionen aus den sogenannten ‚Peripherien‘ des zeitgenössischen internationalen Kunstdiskurses oftmals als kollektive Repräsentanten der jeweils von ihnen vertretenen ‚nicht-westlichen‘ Kultur funktionalisiert.8 Die objektifizierende Vorstellung einer Künstlerposition als Kultursprecher basiert auf einem generalisierenden Kulturkonzept „as tied to a group of people that can clearly be defined – be it ethnically or nationally.“9 Dies impliziert eine oftmals ahistorische Darstellung der jeweiligen Kultur, die auf der angenommenen Fortführung einer ‚ursprünglichen‘ Tradition beruht. Das zunehmende Interesse an ‚nicht-westlichen‘ Kunstwerken der Gegenwart innerhalb des internationalen Kunstdiskurses hat somit zwar einerseits eine Aufweichung und Dekonstruktion des auf hierarchischen Kategorien basierenden euroamerikanischen Kunstkanons bewirkt, zugleich jedoch spezifische Differenzmarkierungen, wie sie in Mercers Begriff einer Repräsentationslast mitschwingen, weitergeführt. Eine dieser binären Differenzsetzungen tangiert die überkommene Dialektik von Tradition und Moderne, deren postuliertes Spannungsverhältnis nicht nur in der ‚westlichen‘ Rezeption außereuropäischer Kunst- und Kulturpraktiken, sondern ebenso in lokalen Debatten um die Vereinbarkeit der eigenen Tradition mit
6
Winegar, in: Ramadan (Hg.) 2007, S. 44.
7
Mercer, in: Third Text. Third World Perspectives on Contemporary Art and Culture 1990, Band 4, Nr. 10, S. 61.
8
Vgl. ebd., S. 61-78 sowie Juneja, in: Belting, Birken, Buddensieg und Weibel (Hg.) 2011, S. 274-297.
9
Birken, in: Belting, ders., Buddensieg und Weibel (Hg.) 2011, S. 34.
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adaptierten Modernevorstellungen diskutiert wurde.10 Die Debatten um eine ägyptische moderne Kunst konstituierten sich im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts in einem dynamischen Verflechtungs- und Abgrenzungsprozess mit Bezug auf europäische Modernekonzepte. Diese spezifische Entwicklung einer lokalen modernen Kunst, die stets in einem transkulturellen, hybriden Austausch stand, beeinflusst ebenso den zeitgenössischen ägyptischen Kunstdiskurs und kommt auf unterschiedliche Weise thematisch zum Ausdruck. Wie in den Analysen exemplarischer ägyptischer Künstlerpositionen der Gegenwart gezeigt werden konnte, verweigern sich die einzelnen Konzeptionen einer eindeutigen Interpretation und Einordnung in vorgefasste Kategorien. Vielmehr thematisieren sie die Ambivalenz und Unentscheidbarkeit von Identitätskonstruktionen innerhalb des postkolonialen Kontextes und reflektieren damit zugleich ihre eigene Positionierung im internationalen Kunstdiskurs. Somit kann bezüglich der kunsttheoretischen Verortung dieser Arbeiten mit Rasheed Araeen konstatiert werden: „The question is no longer only what the ‚other‘ is but also how the ‚other‘ has subverted the very assumptions on which ‚otherness‘ is constructed by dominant culture.“11 Dies bedeutet zugleich, Definitionen wie modern, traditionell oder authentisch nicht als objektive Realphänomene, sondern als kontextuell bedingte und von verschiedenen Akteuren auf unterschiedliche Weise funktionalisierte Konstrukte zu verstehen. So betont Araeen: „The distinction between the modern and the traditional is not really false, because it is the result of a historical force that is dominant today.“12 Demnach geht es nicht darum, die binären Setzungen zu negieren, sondern zu untersuchen, inwiefern diesen in unterschiedlichen Kunstund Kulturpraktiken begegnet wird, auf welche Weise sie funktionalisiert, aber auch destabilisiert und verschoben werden. Diese Perspektive fokussiert die kontextuellen Aushandlungsprozesse translokal verorteter Modernekonzepte und differenziert sich von Analysepositionen, welche den modernen Kontext einer lokal formulierten Kunstgeschichte außer acht lassen und damit zeitgenössische ‚nicht-westliche‘ Konzeptionen als ein neues, abgelöstes Phänomen beschreiben. Oftmals wird der lokale moderne Kunstkontext nicht in die analytische Betrachtung mit einbezogen, da beispielsweise die jeweiligen künstlerischen Produktionen als bloße Imitationen euroamerikanischer Strömungen wahrgenommen und deshalb nicht als genuine Ausdrücke berücksichtigt werden. Die Entwicklungs-
10
Siehe hierzu Kapitel 2.2 Die asala-muʿasira Debatte im künstlerischen und intellektuellen Diskurs.
11
Araeen, in: Weibel und Buddensieg (Hg.) 2007, S. 150.
12
Ebd., S. 161.
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prozesse einer lokalen modernen Kunst prägen jedoch ebenso zeitgenössische ägyptische Kunstkonzeptionen. In den Debatten um die Formulierung eines arabischen Kunstdiskurses wurde inzwischen davon abgerückt, das Konzept einer modernen arabischen Kunst im Sinne eines übergreifenden Theoriemodells zu definieren.13 Vielmehr wird der Blick zunehmend auf die Netzwerke lokaler Akteure gelegt, um über Archivrecherchen zu untersuchen, auf welche Art und Weise Modernekonzepte in den jeweiligen Kontexten konstruiert und zu spezifischen Zwecken – wie der Etablierung und Legitimierung nationalistischer Narrative in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts – funktionalisiert wurden.14 Die kunsttheoretischen und ausstellungspraktischen Diskussionen um die Notwendigkeit einer kontextuellen Verortung, ohne dabei auf binäre Kategorien wie Orient versus Okzident oder Tradition versus Moderne zurückzufallen, können exemplarisch anhand der 2014 im New Museum in New York präsentierten Ausstellung Here and Elsewhere veranschaulicht werden. Die Ausstellung über zeitgenössische Kunst von und über die arabische Welt betont die Heterogenität der repräsentierten Künstlerpositionen, um die Wahrnehmung des Arabischen als kohärente Entität sowie eine festgelegte Definition zeitgenössischer Kunst aus der Region zu unterlaufen.15 Die Problematik der Notwendigkeit einer Zuschrei-
13
Ein solches Theoriemodell bildet beispielsweise das Konzept der ‚alternativen Modernen‘, welches in den letzten Jahren zunehmend in die Kritik geraten ist. So betont Prita Meier: „The inscription of non-Western modernism as a category of analysis often inadvertently reproduces this geography of cultural difference, where the nonWestern must be a real place of authenticity.“ Meier, in: Arab Studies Journal 2010, Band 18, Nr. 1, S. 18. Diese Problematik der theoretischen Handhabung moderner, ‚nicht-westlicher‘ Künstler führt sie dabei wie folgt weiter aus: „Scholars want these artists to be recognized as not derivative, but also not the ‚same‘ as their North Atlantic counterparts, since this would simply fold them into modernity’s totalizing notion of world culture.“ Ebd., S. 33.
14
Dieser Aspekt wurde unter anderem an der dritten Jahreskonferenz der Association for Modern and Contemporary Art of the Arab World, Turkey and Iran (AMCA) diskutiert, welche vom 18. bis 19. Oktober 2013 an der New York University stattfand. Für einen Videomitschnitt der Konferenzvorträge – darunter Judith Bihr: The Art of Transdifference. Ornamental Patterns in Modern and Contemporary Egyptian Art – siehe:
http://amcainternational.org/association-for-modern-and-contemporary-art-of-
the-arab-world-iran-and-turkey/ (Stand: 30.08.2016). 15
Vgl. Bell und Gioni, in: Ausst.-Kat. Here and Elsewhere 2014, S. 18. Eine der ausgestellten Positionen zeitgenössischer ägyptischer Kunst ist Susan Hefuna.
330 | M USTER DER A MBIVALENZ
bung – in diesem Sinne als ‚arabisch‘ – bei gleichzeitiger Verweigerung gegenüber eindeutigen Kategorisierungen reflektieren die Kuratoren Natalie Bell und Massimiliano Gioni in ihrem Ausstellungskonzept wie folgt: „The cultural specificity of Here and Elsewhere is not so much an essentialist framing of the work of artists who, to varying degrees, are connected to the Arab world. It is rather a refusal of a pluralist, neoliberal paradigm that reduces difference in the name of a universality that only recapitulates the homogenizing forces of the global economy.“16
Der Titel der Ausstellung entstammt einem Filmessay von Jean-Luc Godard, Jean-Pierre Gorin und Anne-Marie Miéville. Ursprünglich als propalästinensischer Dokumentarfilm geplant, entwickelt ihr Film Ici et ailleurs (Here and Elsewhere) „a complex reflection on the status of images, on their function as instruments of political consciousness, and on the ethics of representation.“17 Here and Elsewhere behandelt somit die Problematik der Repräsentation mit Blick auf die Konstruktion kultureller Narrative und vermeidet dabei auch die Unterteilung der Ausstellung unter thematischen oder nationalen Aspekten. Generell zeigt das kuratorische Konzept, dass eine potentielle Negierung oder Destruierung von Kategorisierungsmodellen, die auf Differenzmarkierungen basieren, zugleich hegemoniale Homogenisierungstendenzen der zunehmenden Globalisierung zu legitimieren scheinen und der Fokus einer methodischen Kunstwissenschaft in globaler Perspektive vielmehr auf die Reflexion dieser Kategorisierungen sowie der Verflechtungsdynamiken einzelner Akteure, die ebenso Konflikt implizieren, zu legen ist. Die Analyse transkultureller zeitgenössischer Kunst tangiert grundsätzlich ein methodisches Paradox, da in den theoretischen Diskussionen einerseits die Implementierung einer gemeinsamen Basis zur Analyse unabhängig des jeweiligen kulturellen Referenzrahmens angestrebt wird, zugleich jedoch der Einbezug des jeweiligen Kontextes unabdingbar ist. Als idealer Vergleichsrahmen wurde in der Forschung wie in der Kuration das Phänomen des Ornamentalen herangezogen, das als eigenständiges Bildthema und künstlerische Strategie seit dem ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert in transnationalen Kunstwerken zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. So spricht Markus Brüderlin mit Bezug auf die von ihm kuratierte Ausstellung Ornament und Abstraktion (Fondation Beyeler 2001) vom Ornamentalen als „ein eigenes Modell des Dialoges der Kulturen“ und als „eine mögliche Brücke des Verstehens“, allerdings unter Berücksichti-
16
Bell und Gioni, in: Ausst.-Kat. Here and Elsewhere 2014, S. 22.
17
Ebd., S. 18.
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gung der jeweiligen „gesellschaftlichen, politischen und sozialen Bedingungen.“18 An diese Argumentationslinie anschließend betont Sabine Vogel in den von ihr konzipierten Ausstellungen Die Macht des Ornaments (Belvedere Wien 2009) und Political Patterns. Ornament im Wandel (ifa-Galerie Berlin und Stuttgart 2011) das transkulturelle Potential des Ornamentalen im zeitgenössischen Kunstkontext: „Im Gleichmaß der Formen kommen Orient und Okzident zusammen. Wenn das Gestern nicht mehr ausgeschaltet werden muss, wenn die Forderung der Moderne nach immer neuem ‚tabula rasa‘ und ewigem Entweder-oder nicht mehr greift, dann können Ornamente in ihrer Schönheit und Widersprüchlichkeit zum zentralen Bedeutungsträger werden. Dann dienen sie als Mittel zur Kritik, an weiblichen Rollenmustern, an politischen Systemen, an Erwartungen und Konventionen. Dann bilden Ornamente aber auch eine Brücke – zwischen den Zeiten, den Traditionen, den Kulturen. Bekräftigt von Globalisierung und den transnationalen bzw. -kulturellen Identitäten der KünstlerInnen, ist das Ornament heute nicht mehr Dekor, sondern eine globale Sprache.“19
Generell kann das Phänomen des Ornamentalen in zeitgenössischen Kunstwerken transkultureller Perspektive mit Sigrid Schade als Schnittstelle des künstlerischen Transfers zwischen den Kulturen bezeichnet werden.20 Als Formelemente kulturellen Austauschs verweisen ornamentale Strukturen aber auch auf die wechselseitig konstruierten Projektionen einer ambivalenten Selbst- und Fremdzuschreibung. So reflektieren beispielsweise anverwandelte ‚orientalische‘ Ornamentformen in zeitgenössischen ägyptischen Kunstwerken nicht nur Konzepte einer eigenen Tradition, sondern ebenso ‚westlich‘ konstruierte Orientvorstellungen. Mit Blick auf die Komplexität transkultureller Austauschdynamiken, die immer auch hegemoniale Strukturen widerspiegeln, läuft die Formulierung des Ornaments als universal verstandene Kunstsprache und die Suche nach möglichen formalen Analogien Gefahr, Homogenisierungstendenzen eines ‚westlichen‘ Kunstkanons fortzuführen. So zeigt die theoretische Konzeptualisierung des Ornaments bei Brüderlin zwar einerseits, wie transkulturelle Verflechtungsdynamiken die euroamerikanische Abstraktionsbewegung des zwanzigsten Jahr-
18
Brüderlin, in: Ausst.-Kat. Ornament und Abstraktion. Kunst der Kulturen, Moderne und Gegenwart im Dialog 2001, S. 27.
19
Vogel, in: Ausst.-Kat. Die Macht des Ornaments 2009, S. 12. Vgl. hierzu auch Vogel, in: Ausst.-Kat. Political Patterns. Ornament im Wandel 2011, S. 10-11.
20
Vgl. Schade, in: Dies., Sieber und Tholen (Hg.) 2005, S. 169-170.
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hunderts vorantrieben, klammert jedoch die ‚nicht-westliche‘ Historik aus der Betrachtung aus. Die Entkontextualisierung des künstlerisch anverwandelten Ornaments im Sinne einer Rieglschen Stilgeschichte ist demnach eine problematische Voraussetzung für einen gemeinsamen Referenzrahmen der Analyse, wie Schade betont: „Die strategisch […] erzeugte Vergleichbarkeit ist nur um den Preis der Eliminierung historischer, funktionaler und kulturspezifischer Lektüren zu haben. Sie fokussiert den Blick auf rein formale Eigenschaften von […] Ornamenten, wie sie noch in der Ausstellung ‚Abstraktion und Ornament‘ hervorgehoben werden.“21
Ornamentale Strukturen zeigen im transkulturellen Vergleich moderner und zeitgenössischer Kunstwerke häufig formale Affinitäten, differieren jedoch in ihrem Bedeutungsgehalt je nach kontextueller Verortung der Künstlerintention und Betrachterrezeption. Zugleich dient als historischer Hintergrund für die Analyse von Kunstwerken aus den sogenannten ‚Peripherien‘ oftmals die bloße Heranziehung einer statisch formulierten Tradition, was weniger die Genealogien und Prozesse der modernen Kunstgeschichte mit einschließt. So werden zeitgenössische ‚nicht-westliche‘ Künstlerpositionen, die ornamentale Strukturen in ihren Arbeiten verwenden, dahingehend interpretiert, dass sie auf vor-moderne, traditionelle Kunstformen zurückgreifen, um das eigene Erbe künstlerisch zu verhandeln und darüber Kritik an gegenwärtigen lokalen Kultursystemen zu üben – ohne die moderne Kunstentwicklung, welche sich im kolonialen und postkolonialen Kontext durch ein vielschichtiges Spannungs- und Aushandlungsverhältnis auszeichnet, zu berücksichtigen. In diesem Sinne argumentiert Samuel Herzog, dass die Herausarbeitung der unterschiedlichen Bedeutungsdimensionen zitierter traditioneller Ornamentformen lediglich einen ersten Schritt in der Analyse dieser Arbeiten darstellt: „Zu erfahren, dass zum Beispiel dieses oder jenes Ornament, das in der Arbeit eines zeitgenössischen Künstlers auftaucht, eine Anspielung auf ein traditionelles Ornament darstellt, das dieses oder jenes bedeutet, bringt uns zwar vielleicht ein Element irgendeiner Tradition näher, noch nicht aber die Arbeit des Künstlers.“22
21 22
Schade, in: Dies., Sieber und Tholen (Hg.) 2005, S. 183. Herzog, in: Ausst.-Kat. Ornament und Abstraktion. Kunst der Kulturen, Moderne und Gegenwart im Dialog 2001, S. 54.
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Darüber hinaus ist der Einbezug der Genealogien und Diskurse einer lokalen modernen Kunstbewegung essentiell, um die wechselseitigen transnationalen Austauschprozesse nachzeichnen zu können. Eine in diesem Sinne formulierte Kunstgeschichte in globaler Perspektive analysiert lokale Kunstkonzeptionen vor dem Hintergrund der jeweils spezifischen soziohistorischen Umstände, welche sich zugleich immer schon transkulturell und in Aushandlung globaler Prozesse konstituieren und differenzieren. Statt der Etablierung eines homogenisierenden Kunstansatzes geht es in der Analyse transkultureller Kunst somit um die Herausarbeitung der spezifischen Verknüpfungspunkte, aber auch der Unterschiede potentieller Bedeutungsdimensionen. So problematisiert Araeen den Versuch einer Universalisierung künstlerischer Ausdrücke mit Blick auf kuratorische Konzepte in folgender Fragestellung: „Is it possible for ‚difference‘ to function critically in a curatorial space where the criticality of ‚difference‘ is in fact negated by the illusion of visual similarities and sensibilities of works produced under different systems […]?“23 Im Sinne eines transdifferenten Dazwischens ist eine postulierte Differenzmarkierung für das jeweilige künstlerische Konzept somit notwendig, um diese zugleich zu destabilisieren und ins Oszillieren zu bringen. Wie die exemplarischen Analysen zeitgenössischer Künstlerpositionen aus Ägypten gezeigt haben, dienen gerade ornamentale Formationen dazu, über ihre ambivalente Charakteristik diesen destabilisierenden Gestus zu realisieren. In subtiler Indirektheit werden auf essentialistischen Identitätsvorstellungen basierende dichotome Setzungen innerhalb des internationalen Kunstdiskurses kritisiert. Somit ist eine global formulierte Kunstgeschichte nicht als ein rein additives Projekt zu verstehen, das Kunstwerke aus den sogenannten ‚Peripherien‘ in einen vormals von euroamerikanischen Positionen dominierenden Kanon mit einschließt, sondern impliziert eine transformative Umgestaltung und Reflexion kunsthistorischer Interpretationszugänge. Peter Weibel bezeichnet diesen Prozess als einen Akt der Neueinschreibung: „Translations and transfers from one culture to another, in a multilateral and multipolar world, no longer create the hegemony of an international art, but the reevaluation of the local and the regional. We are witnessing the reentry of forgotten and unforeseen parts of geography and history, we experience how historic concepts and events are reenacted.“24
23
Araeen, in: Weibel und Buddensieg (Hg.) 2007, S. 155. Araeen bezieht sich hierbei auf die Ausstellung Magiciens de la Terre (Centre Georges-Pompidou 1989).
24
Weibel, in: Belting, Buddensieg und ders. (Hg.) 2013, S. 27.
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Statt der Formulierung eines inklusiven internationalen Kunstdiskurses geht es vielmehr um eine analytische Nachzeichnung der jeweiligen Setzungen bzw. deren künstlerische Destabilisierung. So fordert Monica Juneja, auf starren kulturellen Zuschreibungen basierende Interpretationskategorien kritisch zu hinterfragen: „If we proceed on an understanding of culture that is in a condition of being made and remade, historical units and boundaries cannot be taken as given; rather, they have to be constituted as a subject of investigation, as products of spatial and cultural displacements.“25 Mit Blick auf die Heterogenität zeitgenössischer transkultureller Kunstkonzeptionen und ihre reziproken Durchdringungsdynamiken über nationale Grenzen hinweg bei gleichzeitigen lokalen Funktionalisierungen einer Reterritorialisierung kann kaum von einem einheitlichen globalen Kunstraum gesprochen werden, sondern im Gegenteil – wie Hans Belting und Andrea Buddensieg betonen – von einem Phänomen diverser Kunstwelten, „that coexist and compete in the wake of the global practice of contemporary art.“26 Das Verständnis transkultureller Kunstwerke der Gegenwart impliziert dabei ebenso eine Rekapitulation der heterogenen und auf unterschiedliche Weise funktionalisierten Narrative einer modernen Kunst in Abgrenzung eines festgeschriebenen euroamerikanischen Kanons. Wie von Juneja herausgestellt, basierte auf der einen Seite die ‚westliche‘ Kunstgeschichte der Moderne auf einem linearen Fortschrittsmodell im hegelianischen Sinne, welches während der Formierung der Nationalstaaten im Zuge der europäischen Aufklärung in der Etablierung von nationalen Kunstmuseen seinen institutionellen Ausdruck fand, während auf der anderen Seite in ehemaligen Kolonialländern – wie Ägypten – Kunstmuseen nach europäischem Vorbild errichtet wurden, die zugleich über die Narration eines ununterbrochenen Kunsterbes seit den antiken Zivilisationen nationalistische Unabhängigkeitsbewegungen legitimierten.27 Beide Kunstgeschichtsmodelle sind funktionalisierte Konstrukte und basieren – auch wenn sie sich in ihren jeweiligen intendierten Ausrichtungen deutlich voneinander ab-
25 26
Juneja, in: Belting, Birken, Buddensieg und Weibel (Hg.) 2011, S. 281. Belting und Buddensieg, in: Dies. und Weibel (Hg.) 2013, S. 28. Ihr Konzept einer globalen Kunst als Ausdruck heterogener und vielgestaltiger Kunstwelten differenzieren Belting und Buddensieg explizit von dem Terminus der Weltkunst, der in der Tradition kolonialer Weltausstellungen steht, wie sie im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den ‚westlichen‘ Metropolen zur Präsentation der Kunst- und Kulturproduktionen aus den Kolonien initiiert wurden. Vgl. ebd.
27
Vgl. Juneja, in: Belting, Birken, Buddensieg und Weibel (Hg.) 2011, S. 280-281.
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grenzen – auf denselben nationalen und kanonischen Referenzrahmen.28 Die Kontextualisierung der jeweiligen künstlerischen Positionen zeigt, dass Kompositionen in komparatistischer Betrachtung formale Ähnlichkeiten aufweisen können, die jeweiligen Bedeutungsintentionen sich jedoch voneinander differenzieren. Künstlerische Affinitäten beruhen dabei nicht auf bloßen reziproken Imitationsversuchen, sondern sind das Ergebnis komplexer transkultureller Austausch- und Abgrenzungsprozesse. So betont Juneja: „Recasting modernism as a global process involves going beyond an ‚inclusive‘ move to question the foundations upon which the notion of the modern has been constructed and to undermine the narrative that hinges upon a dichotomy between the West and the non-West and makes the latter as necessarily derivative, or views it as a series of distant, ‚alternative‘ modernisms.“29
Für die Analyse exemplarischer Positionen einer Globalkunst ist es somit wichtig, die historischen Spezifika der untersuchten Kunstlandschaft zu beachten und zugleich die jeweiligen Interaktionen mit anderen lokalen künstlerischen Praktiken sowie in Bezug zu internationalen Kunstzentren nachzuzeichnen. Der Fokus auf die modernen Genealogien transkultureller Kunst berücksichtigt ebenso, dass Elemente einer lokalen Tradition weniger einem unveränderlichen kulturellen Erbe entstammen, sondern oftmals im modernen Kontext als Formen der Abgrenzung und des Widerstands gegenüber kolonialen Hegemonialvorstellungen rekonstruiert und funktionalisiert wurden. Terry Smith bezeichnet moderne und zeitgenössische Kunstkonzeptionen aus ehemaligen Kolonien dabei als „[…] transnational transition: that, in the many art-producing centers in the rest of the world outside Euroamerica, a variety of local negotiations between indigeneity, tradition, modernity, and globalization led, first, to the forging of distinct kinds of modern art, and then, in artistic exchanges within nearby regions and with distant centers, the emergence of specific kinds of contemporary art.“30
Im Gegensatz zu Formulierungen einer globalen Kunstgeschichte, welche zeitgenössische transkulturelle Kunstproduktionen entweder als von den jeweiligen lokalen Verortungen abgelöste Phänomene betrachten oder sich dagegen auf spezifische kulturelle Grenzziehungen berufen, ermöglicht eine transkulturelle
28
Vgl. Juneja, in: Belting, Birken, Buddensieg und Weibel (Hg.) 2011, S. 281.
29
Ebd., S. 282.
30
Smith, in: Belting, Buddensieg und Weibel (Hg.) 2013, S. 192.
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Durchdringung beider Zugänge, „to transcend this opposition and to identity new spaces that come into being as a result of crossing older boundaries while redefining them.“31 Diese Perspektive legt den Blick auf das Dazwischen und das Unentscheidbare transkultureller Kunstkonzeptionen und fokussiert in der Analyse die Strategien, wie Künstler aus den sogenannten ‚Peripherien‘ ihre eigene Positionierung innerhalb eines internationalen Kunstdiskurses reflektieren und hegemoniale Zuschreibungsmodelle, die auf binären Setzungen basieren, zugleich auf oftmals subtile Weise – wie über die Ambivalenz ornamentaler Strukturen – destabilisieren.
31
Juneja, in: Belting, Birken, Buddensieg und Weibel (Hg.) 2011, S. 285.
Literatur
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Gerald Schröder, Christina Threuter (Hg.) Wilde Dinge in Kunst und Design Aspekte der Alterität seit 1800 Mai 2017, ca. 264 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3585-0
Sabiene Autsch, Sara Hornäk (Hg.) Material und künstlerisches Handeln Positionen und Perspektiven in der Gegenwartskunst April 2017, ca. 240 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3417-4
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Image Astrit Schmidt-Burkhardt Die Kunst der Diagrammatik Perspektiven eines neuen bildwissenschaftlichen Paradigmas Januar 2017, ca. 280 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3631-4
Leonhard Emmerling, Ines Kleesattel (Hg.) Politik der Kunst Über Möglichkeiten, das Ästhetische politisch zu denken Oktober 2016, 218 Seiten, kart., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-3452-5
Michael Bockemühl Bildrezeption als Bildproduktion Ausgewählte Schriften zu Bildtheorie, Kunstwahrnehmung und Wirtschaftskultur (hg. von Karen van den Berg und Claus Volkenandt) Oktober 2016, 352 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3656-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Erhard Schüttpelz, Martin Zillinger (Hg.)
Begeisterung und Blasphemie Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 2/2015 Dezember 2015, 304 S., kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 14,99 €, ISBN 978-3-8376-3162-3 E-Book: 14,99 €, ISBN 978-3-8394-3162-7 Begeisterung und Verdammung, Zivilisierung und Verwilderung liegen nah beieinander. In Heft 2/2015 der ZfK schildern die Beiträger_innen ihre Erlebnisse mit erregenden Zuständen und verletzenden Ereignissen. Die Kultivierung von »anderen Zuständen« der Trance bei Kölner Karnevalisten und italienischen Neo-Faschisten sowie begeisternde Erfahrungen im madagassischen Heavy Metal werden ebenso untersucht wie die Begegnung mit Fremdem in religiösen Feiern, im globalen Kunstbetrieb und bei kolonialen Expeditionen. Der Debattenteil widmet sich der Frage, wie wir in Europa mit Blasphemie-Vorwürfen umgehen – und diskutiert hierfür die Arbeit der französischen Ethnologin Jeanne Favret-Saada. Lust auf mehr? Die ZfK erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 18 Ausgaben vor. Die ZfK kann – als print oder E-Journal – auch im Jahresabonnement für den Preis von 20,00 € bezogen werden. Der Preis für ein Jahresabonnement des Bundles (inkl. Versand) beträgt 25,00 €. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]
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