Musikgeschichte Mährens und Mährisch-Schlesiens: vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Jahr 1945 9783205793281, 9783205774198, 9783412203504, 9783205795285


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Musikgeschichte Mährens und Mährisch-Schlesiens: vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Jahr 1945
 9783205793281, 9783205774198, 9783412203504, 9783205795285

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JiřÍ Vysloužil 

Musikgeschichte Mährens und Mährisch-Schlesiens

Institut für Musikalische Stilforschung der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien

Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis Herausgegeben von Hartmut Krones

Sonderband 7

JiřÍ Vysloužil Musikgeschichte Mährens und Mährisch-Schlesiens vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Jahr 1945

Jiří Vysloužil

Musikgeschichte Mährens und Mährisch-Schlesiens vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Jahr 1945

Ins Deutsche übertragen von Věra Vysloužilová, Lektorat Thomas Theise, Andreas Wehrmeyer und Hartmut Krones

BÖHLAU VERLAG WIEN · KÖLN · WEIMAR

Gedruckt mit Unterstützung durch die Wissenschafts- und Forschungsförderung der Stadt Wien, das Sudetendeutsche Musikinstitut (Träger: Bezirk Oberpfalz) sowie die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien

Redaktion: Andreas Wehrmeyer, Hartmut Krones und Brigitte Grünauer

Bibliographische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 3-978-205-79528-5 Umschlagabbildung Vorderseite: Georg Matthäus Seutter, Karte von Mähren, Mitte des 18. Jahrhunderts (The Map Collection of the Department of Geography, Masaryk University, Faculty of Science, Brno, Czech Republic) Umschlagabbildungen Rückseite: Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben,auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2013 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. und Co. KG, Wien · Köln · Weimar www.boehlau-verlag.com Gedruckt auf umweltfreudlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck: Prime Rate kft., Budapest/Ungarn

Inhalt Vorwort des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorwort des Autors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Das Musikland Mähren und Mährisch-Schlesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Einleitende Bemerkungen zum Volkslied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Volkslied und seine Authentizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Volkslied und seine Sammler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Komponisten und das Volkslied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Theorie des Volksliedes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schichten des Volksliedes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Volkslied in den einzelnen Landesteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Musik der mährischen Roma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der grundlegenden Sammlungen von Volksliedern . . . . . . . Sammlungen tschechischer Volkslieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sammlungen deutscher Volkslieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 17 17 18 19 22 27 28 29 29 30

Die Musik in Mähren und Mährisch-Schlesien bis 1860 . . . . . . . . . . . . . . . . Deutsche und Tschechen in der Musik des Einheitsstaates . . . . . . . . . . . Das Musikleben des Adels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Musikleben in den Städten und auf dem Lande . . . . . . . . . . . . . . . Musikvereine und Konzerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oper und Musiktheater ����������������������������������������������������������� Das Musikschaffen und die Komponisten ���������������������������������������������

31 31 33 37 42 53 61

1860 bis Mitte der 1890er Jahre – Die Suche nach nationaler Identität und künstlerischer Professionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Deutsche und Tschechen nach Einführung der Verfassungsordnung ����� 81 Die Situation der Deutschen in der Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Musikvereine und Konzerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Oper und Musiktheater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Die Komponisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Die Situation der Tschechen in der Musik ��������������������������������������������� 100 Musikvereine und Konzerte ����������������������������������������������������� 104

6

Inhalt

Oper und Musiktheater ���������������������������������������������������������������������� 113 Die Komponisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Das Ende der Gemeinsamkeit in der Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Mähren und Mährisch-Schlesien in der Moderne bis 1938 . . . . . . . . . . . . . . Regional – national – modern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die musikalische Moderne der Tschechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vereine – Institutionen – Konzerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oper und Musiktheater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Komponisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die musikalische Moderne der Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vereine – Institutionen – Konzerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oper und Musiktheater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Komponisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

146 146 150 153 174 186 222 226 233 244

Musik und Musiktheater in Mähren und Mährisch-Schlesien 1938 bis 1945 ������������������������������������������������������������������������������������������������� 265 Auswirkungen der neuen politischen Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Musik und Musiktheater der Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Musik und Musiktheater der Tschechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Das Jahr 1945 (anstatt eines Schlußwortes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Copyright-Vermerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Der Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

Vorwort des Herausgebers Zentraler Schwerpunkt der am „Institut für Musikalische Stilforschung“ der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien beheimateten Abteilung „Musikalische Stilkunde und Aufführungspraxis“ ist die Erforschung spezieller Ausprägungen von kompositorischen oder aufführungspraktischen Traditionen, seien sie Ergebnis von jeweils ganz spezifischen Entwicklungen des Musiklebens einer Epoche, eines Landes oder einer Region, seien sie durch bedeutende Komponistenpersönlichkeiten ins Leben gerufen worden oder seien sie durch die gesellschaftlichen Verhältnisse in einem bestimmten Lebensraum bedingt. In allen Fällen, insbesondere im letztgenannten Bereich, gilt hier das Interesse vor allem Ausprägungen, die für die Musikgeschichte bzw. das Musikleben in Österreich relevant waren oder aber für die Entwicklung einzelner österreichischer Komponisten bedeutsam wurden. Im Rahmen der zunächst primär stilgeschichtliche oder aufführungspraktische Fragen thematisierenden „Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis“ widmet sich eine eigene „Sonderreihe“ einerseits wichtigen Komponisten, die das Wiener Musik­leben des frühen 20. Jahrhunderts in entscheidender Weise geprägt haben, andererseits arbeitet sie Themen auf, die für die Österreichische Musikgeschichte oder auch das Wiener Ambiente im allgemeinen oder aber für einzelne Wiener Komponisten im speziellen von Bedeutung sind. Dementsprechend galten die bisher erschienenen Bände Komponisten wie Alexander Zemlinsky, Anton Webern, Gustav Mahler (und zwar seinem ersten breiteren Wirkungskreis in Laibach), Jean Sibelius (der knappe zwei Semester in Wien studiert hat), einem Überblick über das österreichische symphonische Schaffen des 20. Jahrhunderts sowie Silvestre Revueltas, der durch seine Freundschaft mit dem Wiener Schönberg-Schüler Hanns Eisler sowie insbesondere durch das parallele Wirken beider auf den Gebieten des politischen Liedes sowie der Filmmusik der österreichischen Musikgeschichte interessante Aspekte hinzuzufügen hat. In einem noch höheren Maß gilt das für den vorliegenden, nunmehr siebenten Band unserer Sonderreihe, der durch die Aufarbeitung der „Musikgeschichte Mährens und Mährisch-Schlesiens vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Jahr 1945“ einen wesentli­ chen Bereich der „österreichischen“ Musikgeschichte vorlegt, und das nicht nur, weil die betrachteten Regionen bis zum Jahre 1918 dem „cisleithanischen“ österreichischen Teil der Österreichisch-Ungarischen Monarchie angehörten. Vielmehr galten Städte wie Brünn oder Znaim – und dies nicht nur wegen ihrer großteils deutschsprachigen Bevölkerung – jahrhundertelang als „Vororte Wiens“, zudem orientierten sich große Landstriche Mährens und Mährisch-Schlesiens sowohl kulturell als auch wirtschaftlich deutlich in Richtung der Donaumetropole. Und so werden zahlreiche im „österreichischen“ Mäh-

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Vorwort des Herausgebers

ren geborene Persönlichkeiten bis heute weltweit als Österreicherinnen bzw. Österreicher angesehen, ohne deren „eigentliche“ Heimat zu hinterfragen – denken wir nur an (alphabetisch gereiht) Guido Adler, Marie Ebner-Eschenbach, Rudolf Eitelberger, Sigmund Freud, Kurt Gödel, Fritz Grünbaum, Josef Hoffmann, Edmund Husserl, Maria Jeritza, Erich Wolfgang Korngold, Adolf Loos, Ernst Lothar, Felix Petyrek, Karl Postl (Charles Sealsfield), Alfred Roller, Richard Schaukal, Alexander Steinbrecher oder Bruno Weigl. Allein diese Namen zeigen, in welch hohem Maß Mähren und Österreich lange Zeit eine gemeinsame Kulturlandschaft bildeten, eine Kulturgemeinschaft, die erst durch die politischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts zerstört wurde. Die Zusammenarbeit auf wissenschaftlichem Gebiet konnte die Politik aber trotz massiver Störungsversuche selbst in den Jahren des „Kalten Krieges“ nicht verhindern, und die „Musikgeschichte Mährens und Mährisch-Schlesiens“ ist, wie auch ihr Autor Jiří Vysloužil in seinem Vorwort darlegt, nicht zuletzt ein Ergebnis dieser Zusammenarbeit; vor allem aber ist die objektive, von keinerlei Nationalismus getrübte Darstellung der Ereignisse, die der „tschechischen“ Seite ebenso gerecht wird wie der „deutschen“, Ausfluß der auf dem Gebiet der Wissenschaft immer noch vorhandenen Überzeugung, daß die großen Kulturleistungen Mitteleuropas nicht zuletzt durch das fruchtbare Zusammenwirken der verschiedenen Ethnien zustandekommen konnten. Und was das „Institut für musikalische Stilforschung“ sowie die Masaryk-Universität Brünn betrifft, fand diese Überzeugung in den letzten Jahrzehnten in zahlreichen gegenseitigen Symposions-Einladungen, Gastvorträgen und gemeinsamen Projekten ebenso ihren fruchtbaren Niederschlag wie nunmehr in der Aufnahme des vorliegenden Bandes in die „Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungspraxis“. Neben dem Autor und seiner Gattin, die die Übersetzung ins Deutsche besorgte, muß ein großer Dank vor allem dem Sudetendeutschen Musikinstitut (Träger: Bezirk Oberpfalz) ausgesprochen werden, dessen Mitarbeiter das Lektorat dieses Bandes – nachdem viele Jahre sowohl um dessen Finanzierung als auch um die Mittel für die Drucklegung gekämpft werden mußte – mit großer fachlicher und sprachlicher Kompetenz durchgeführt haben. Dank gebührt aber auch meiner Mitarbeiterin Brigitte Grünauer, in deren Händen sowohl wesentliche Bereiche der Redaktion als auch der drucktechnischen Einrichtung lagen, weiters dem Verlag Böhlau sowie seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für das professionelle Layout sowie schließlich der Wissenschafts- und Forschungsförderung der Stadt Wien, die gemeinsam mit der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien die für die Drucklegung notwendigen Mittel bereitgestellt hat. Die Tatsache, daß der vorliegende Band ein bislang immer vernachlässigtes Kapitel der „österreichischen“ Musikgeschichte zur Darstellung bringt, sollte die gemeinsamen Bemühungen zur Genüge rechtfertigen. Wien, im August 2013 Hartmut Krones

Vorwort des Autors Ende des 18. Jahrhunderts tritt auch im Musik- und Theaterleben Mährens und Schlesiens eine neue, ökonomisch emporstrebende Gesellschaftsschicht in Erscheinung: das kulturell interessierte Bürgertum. Es beteiligte sich zunächst am Theaterund Konzertbetrieb der Vereine und Institutionen im Zusammenwirken mit Adel und Klerus, um sich dann jedoch allmählich von diesen Bindungen zu lösen und auch in der Sphäre der Kunst die Initiative zu ergreifen. Die Kunstinstitutionen und -vereine gehen in bürgerliche Verwaltung über, die Veranstaltungen werden zunehmend vom Bürgertum frequentiert. Diese neue Art des künstlerischen Betriebs bietet Zuhörern und Zuschauern aller Schichten bislang ungekannte Möglichkeiten. Der Prozeß der Demokratisierung von Kultur und Kunst sowie deren Ausbau verliefen in Mähren und Schlesien deutlich langsamer als im fortgeschritteneren Böhmen. Doch weder der konservative Geist des Landes noch der zentralistisch verwaltete Staat vermochten diesen Prozeß aufzuhalten. Als vorübergehend erwies sich zuletzt auch der Versuch der Errichtung einer „Staatsnation“ auf Grundlage der deutschen Sprache, der bis zum Erlaß des sogenannten Oktoberdiploms (1860)1 eine Schwächung des erwachenden cisleithanischen Slawentums2 – auch der mährisch-schlesischen Tschechen – bedeutete. Die nationale Frage und jene der Sprache blieben ein Zankapfel zwischen den beiden Nationalitäten des Landes. Nicht einmal der Mährische Pakt von 1905 konnte die angespannte Situation beruhigen. Die Probleme bestanden im Nachfolgestaat fort – der sogenannten ersten Tschechoslowakischen Republik –, auch wenn dieser um Einklang zwischen den Nationalitäten bemüht war. Einige Fehler der jungen tschechischen Demokratie riefen bei anderen Nationalitäten Unzufriedenheit hervor. Die Mitte der 1930er Jahre immer wieder aufbrechenden Auseinandersetzungen wuchsen sich zu einer politischen Krise aus, zu deren Zuspitzung die von den Nationalsozialisten in Deutschland instrumentalisierte Sudetendeutsche Partei Henleins – in der Slowakei auch die extreme Nationalsozialistische Partei – maßgeblich beigetragen hat. Diese Entwicklungen mündeten in die gewaltsame Zerschlagung der Tschechoslowakei und schließlich in den Zweiten Weltkrieg. Die Aussiedlung und Vertreibung der Deutschen in der Folge der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft veränderte die Nationalitä1 Oktoberdiplom – Grundzüge einer neuen, durch Kaiser Franz Joseph I. erlassenen Verfassung in Richtung einer konstitutionellen Monarchie, die u. a. zwischen den zentralistischen Tendenzen der deutschsprachigen Bevölkerung und den föderalistischen Bestrebungen der übrigen Nationalitäten vermitteln sollte. 2 Cisleithanien – das diesseits des Flusses Leitha gelegene Land, nach der Errichtung der Doppelmonarchie 1867 informelle Bezeichnung für den nördlichen und westlichen („österreichischen“) Teil Österreich-Ungarns (einschließlich Galiziens).

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Vorwort des Autors

tenlandkarte in Mitteleuropa nachhaltig. Die mährisch-schlesischen Deutschen ebenso wie die Deutschen in Böhmen verloren den Status als Bürger des erneuerten Staates. Die Konflikte zwischen den Nationalitäten mußten sich notwendig auch in den Konzepten der Musikgeschichte widerspiegeln, die jahrzehntelang als rein tschechisches oder rein deutsches Phänomen dargestellt wurde. Kompetenzstreitigkeiten um die gleiche Sache fehlten dabei nicht. Christian Friedrich d’Elvert konnte seine Musikgeschichte von 1873 als Bestandteil der Musikgeschichte des deutschen Österreichs darlegen,3 Emil Axman hingegen sah sich 1920 unter dem Einfluß seines Universitätslehrers Zdeněk Nejedlý der mährischen Richtung der tschechischen Musik verpflichtet.4 Vladimír Helfert und Erich Steinhard versuchten 1938, aus der Sackgasse der rein nationalen Historiographie einen Ausweg zu finden,5 doch der deutsche Nationalsozialismus und der tschechische Abwehrnationalismus der Kriegsund Nachkriegsjahre verkomplizierten die Situation erneut. Daß es dabei blieb, hat die etwas schematische Nachkriegsteilung Europas in zwei politische Zonen, in den „Osten“ und „Westen“, verschuldet. Die Vertreter der tschechischen und der (sudeten-)deutschen Historiographie konnten sich erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs an einen Tisch setzen, doch auch unter diesen Umständen zeigten sich in freier Diskussion verschiedene Methoden und Auffassungen. Der Autor hat versucht, über das rein Faktisch-Lexikographische hinaus – soweit es die im Krieg zum Teil vernichteten Quellen erlaubten – auch Einblicke in das Wesen des Phänomens Musik zu geben und ihre Funktion als Medium der Gesellschaft zu berücksichtigen. Er wählte dazu eine ihm geeignet erscheinende Terminologie. Das hier vorliegende Buch konnte erst in der Atmosphäre nach 1989 entstehen – der Autor hat es im wesentlichen in den Jahren 2000 bis 2005 erarbeitet. Dem Werk gingen entsprechende Kapitel in der gemeinsamen Schrift mit Jiří Sehnal, Geschichte der Musik in Mähren (2001), voraus, weiters einige frühere Studien des Autors, Diplomarbeiten und verschiedene an den Universitäten Brünn und Olmütz entstandene Studien. Absolventen der beiden mährischen Universitäten, seit neuestem auch solche aus den Ostrauer Institutionen, haben innovative Beiträge geliefert. Eine detaillierte Bilanz dieser Bemühungen weist die umfangreiche Bibliographie aus, die

3 Christian Friedrich d’Elvert, Geschichte der Musik in Mähren und Österreich-Schlesien, Brünn 1873. 4 Emil Axman, Morava v české hudbě XIX. století [Mähren in der tschechischen Musik des 19. Jahrhunderts], Praha 1920. 5 Vladimír Helfert und Erich Steinhard, Die Musik in der Tschechoslovakischen Republik, Prag 1938 (= zweite, teilweise veränderte Auflage des Titels derselben Autoren: Geschichte der Musik in der Tschechoslovakischen Republik, Prag 1936).

Vorwort des Autors

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all jene Publikationen verzeichnet, aus denen der Autor produktiv geschöpft hat. Bei der Bereitstellung von Quellen fühlt sich der Autor einer Reihe von öffentlichen Institutionen dankbar verbunden: der Abteilung Musikgeschichte und der Abteilung Theatergeschichte des Mährischen Museums, der Landes- und Universitätsbibliothek in Brünn, der Musikhistorischen Abteilung des Ostrauer Museums, dem Stadtarchiv in Ostrau, dem Landesarchiv in Olmütz, dem Archiv des Nationaltheaters in Brünn und dem Archiv des Tschechischen Rundfunks in Brünn. Der Autor dankt seinen Kollegen und Schülern für ihre Hilfe, namentlich Vojtěch Kyas, Jitka Balatková, Karel Boženek, Lenka Černíková, Vladimír Hudec, Ivo Stolařík, Martin Juřica, Martin Mazánek, Antonín Schindler und Stanislav Tesař. Für Hilfestellungen verschiedenster Art dankt der Autor verschiedenen Institutio­ nen und Persönlichkeiten in Deutschland und Österreich: den Mitarbeitern des Sudetendeutschen Musikinstituts (Träger: Bezirk Oberpfalz) in Regensburg, dem Direktor des Archivs der Gesellschaft der Musikfreunde, Otto Biba, dem wissenschaftlichen Mitarbeiter des Österreichischen bibliographischen Lexikons, Hubert Reitterer, sowie seiner Gattin Vlasta Benetková-Reitterer, Hartmut Krones von der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Michal Lion an der Nationalbibliothek Wien und besonders Jana Starek vom unterdessen aufgelösten Austrian Science and Research Liaison Office Brno (Österreichisches Ost- und Südosteuropa-Institut, Außenstelle Brünn), das die Übersetzung der Schrift ins Deutsche finanziell unterstützte. Auf ganz außerordentliche Weise fühlt sich der Autor Theophil Antonicek, Ehrendoktor der Masaryk-Universität in Brünn, verbunden, der die Entstehung der Schrift initiiert hat und dem sie auch gewidmet ist. Zu Dank verpflichtet ist er weiters Thomas Theise und Andreas Wehrmeyer vom Sudetendeutschen Musikinstitut (Träger: Bezirk Oberpfalz), die das Lektorat des Bandes besorgt haben. Schließlich dankt er dem „Institut für Musikalische Stilforschung“ (Leiter: Hartmut Krones) der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien für die Aufnahme der Arbeit in die „Wiener Schriften für Stilkunde und Aufführungspraxis“ sowie dem Verlag Böhlau Wien für die Vorbereitung ihrer repräsentativen Herausgabe. Das vorliegende Buch „Musikgeschichte Mährens und Mährisch-Schlesiens“ entstand in enger Zusammenarbeit mit der Übersetzerin des Werkes, meiner Frau Věra Vysloužilová, die auch als Musikwissenschaftlerin wesentlich zu seiner Endgestalt beigetragen hat. Sie verfolgte mit großer Geduld die Entstehung der Arbeit und schuf eine verständnisvolle Familienatmosphäre, die der Realisierung des Werkes förderlich war. Dafür gehört ihr mein herzlicher Dank. Brno, Dezember 2005 und September 2013

Jiří Vysloužil

Das Musikland Mähren und Mährisch-Schlesien

Abbildung 1: Landkarte und Markierung der überwiegend tschechischen Ethnien

Das Musikland Mähren und Mährisch-Schlesien Dieses Buch behandelt die Musik Mährens und Mährisch-Schlesiens – zweier Regionen, die heute den östlichen Teil der Tschechischen Republik bilden. Das Territorium ist im Westen durch den Böhmisch-Mährischen Höhenzug gegen Böhmen, im Norden durch das Bergmassiv Jeseníky (Gesenke) und die Flußgebiete der Oppa (Opava) – linker Nebenfluß der Oder – und der Olsa (Olše) – rechter Nebenfluß der Oder – gegen das heutige Polen abgegrenzt. Die Mährisch-Schlesischen Beskiden (Beskydy) und die Weißen Karpaten (Bílé Karpaty) trennen Mähren und Schlesien im Osten von der heutigen Slowakischen Republik. Das Flußgebiet der Thaya (Dyje), des größten rechten Nebenflusses der March (Morava), grenzt das Land im Süden vom heutigen Österreich ab. Hauptschlagader Mährens ist die March (Morava), von der das Land seinen tschechischen Namen bekommen hat. Sie entspringt im nordwestlichen Zipfel Schlesiens unter dem Grulicher Schneeberg (Kralický Sněžník) und quert dann das ganze Land, um es im Süden an der mährisch-slowakisch-österreichischen Grenze zu verlassen. Die Darstellung umfaßt die Zeitspanne von rund hundertfünfzig Jahren, in der die beiden Regionen weitgehend dem Habsburgerreich angehörten. 1782 verband Kaiser Joseph II. den bei Österreich verbliebenen Teil Oberschlesiens und Mähren zum sogenannten mährischen Gubernium mit der Hauptstadt Brünn. Seit dem politischen Umsturz von 1918 bilden die beiden Regionen – mit Ausnahme der Jahre nach dem gewaltsamen Anschluß des südmährischen Grenzgebiets und Schlesiens sowie kurz danach des ganzen tschechischen Restgebiets, des sogenannten Protektorats Böhmen und Mähren, an das nationalsozialistische Deutschland (1938/39–1945) – einen Teil der Tschechoslowakischen, ab 1993 der Tschechischen Republik. Die Regierung des jungen tschechoslowakischen Staates hat im Jahr 1928 die territoriale Verwaltungseinheit der beiden Regionen unter der Bezeichnung Moravskoslezská země (Land Mähren-Schlesien) erneuert. Dieser Status währte allerdings nicht lange: Die kommunistische Tschechoslowakei hob ihn 1949 auf und teilte das Land in Kreise ein, was die demokratische Tschechische Republik beibehalten hat. Trotz dieser administrativen Veränderungen haben sich Mähren und Schlesien dank ihrer Geographie, Geschichte, Mentalität und Kultur ihre Eigenart bewahrt, Musik und Theater eingeschlossen. Ortsnamen in den Grenzgebieten haben ihre Attribute mährisch oder schlesisch (mährisch-schlesisch) behalten, um sich von ande-

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Das Musikland Mähren und Mährisch-Schlesien

ren Orten gleichen Namens zu abzusetzen. So unterscheidet man zum Beispiel das westmährische Mährisch-Trübau (Moravská Třebová) von Böhmisch-Trübau (Česká Třebová), die Mährische Slowakei (Moravské Slovensko) von der eigentlichen Slowakei (Slovensko). Die Ausdrücke Morava (Mähren) und Slezsko (Schlesien) sowie die davon abgeleiteten Adjektive finden seit geraumer Zeit erneut Verwendung. Das spiegelt sich in den Namensänderungen verschiedener älterer, aber auch bei der Benennung neu gegründeter Institutionen. Thema dieser Darstellung ist die Musik, die von Tschechen und Deutschen als Bestandteil ihres Lebens und ihrer Kultur geschaffen und gespielt wurde. Sie bewohnten das Land bis 1945 gemeinsam, Deutsche in größerer Zahl die nördlichen und südlichen Grenzgebiete sowie die deutschen Sprachinseln, darunter die Umgebung von Iglau (Jihlava) und andere. Etwa bis Mitte des 19. Jahrhunderts bildeten sie zudem die Bevölkerungsmehrheit der größeren Städte. Die Tschechen dagegen lebten hauptsächlich im ländlichen Bereich und in kleineren Städten. Durch Zuzug von Landbevölkerung nahm jedoch der tschechische Bevölkerungsanteil in den Städten nach und nach zu. Bereits in den 1880er Jahren war die früher überwiegend deutsche Landeshauptstadt Brünn zur Hälfte tschechisch. In der Zwischenkriegszeit waren drei Viertel der 250.000 Einwohner Brünns Tschechen. Auch in Olmütz (Olomouc), Kremsier (Kroměříž), Prerau (Přerov), Ungarisch-Hradisch (Uherské Hradiště) und im nordmährischen Ostrau (Ostrava) nahm der tschechische Bevölkerungsanteil zu. Dazu trug auch die Eingemeindung tschechisch geprägter Ortschaften im Umland der Städte bei. Tschechen zogen auch ins deutsche Iglau und in deutsche Grenzstädte wie Troppau (Opava), Znaim (Znojmo), Mährisch-Trübau (Moravská Třebová), Mährisch-Schönberg (Šumperk) und andere. Eine radikale Wandlung der demographischen Verhältnisse des Landes und der Städte bewirkte dann die Vertreibung der deutschen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit dem Exodus der Deutschen endete eine ganze Epoche in der Geschichte des Landes, die Tschechen und Deutsche gemeinsam gestaltet hatten. In der Musik der älteren Zeit kamen Musiker beider Seiten als Lohnkräfte der universalen Musikkultur von Adel und Klerus zusammen. Trotz der Beteiligung einheimischer Musiker war dies keineswegs „nationale Musik“ – das Attribut tschechisch oder deutsch hätte ihr kaum zugesprochen werden können. Es handelte sich um artifizielle Musik der Region, die sich an fremden, hauptsächlich italienischen Vorbildern orientierte. Einer „Nationalmusik“ wesentlich näher stand die Volksmusik beider Bevölkerungen, eventuell auch andere Gebrauchsmusik, die sich deren Charakter annäherte. Diese Musik unterschied sich von der artifiziellen Musik, wie sie Adel und Klerus pflegten, vor allem durch die Sprache, eine Schlichtheit der Ausdrucksformen

Das Musikland Mähren und Mährisch-Schlesien

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Abbildung 2: Landkarte und Markierung der überwiegend deutschen Ethnien

und Genres sowie durch die spontanen Produktions- und Reproduktionsweisen, die zu einem lebendigen Ganzen verschmolzen. Der Volksmusikant war Komponist und Interpret in einer Person. Seine Produktion, vom Volksliedsammler aufgezeichnet und herausgegeben, bildete insbesondere für die tschechische Musik in Mähren und Schlesien eine wichtige Entwicklungsgrundlage. Als authentisches „nationales“ Produkt begann die Musik auch in Mähren und Schlesien erst dann zu fungieren, als unter dem Einfluß der Aufklärung und der bürgerlich-demokratischen Revolutionen des 19. Jahrhunderts der soziale und kulturelle Status der Gesellschaft sich allmählich wandelte. Bedeutenden Anteil am demographischen Wandel der Städte hatte das Landvolk, das um der Arbeit willen in die Städte strebte. Die Künstler reagierten darauf in je eigener Weise. Der musikalische Nationalismus – oder auch Folklorismus6 – wurde sowohl in den Präsentationsformen der 6 Als Folklorismus werden verschiedene Strömungen in der Musik bezeichnet, die entweder Volksmelodien zitieren oder die Idiomatik des Volkslieds aufgreifen. Historisch fallen diese Bewegungen ins 19. und 20. Jahrhundert.

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Das Musikland Mähren und Mährisch-Schlesien

Musik als auch im Musikschaffen selbst zu einem Instrument der Bewahrung oder Gewinnung von nationaler Identität. Im 20. Jahrhundert hatte es zunächst den Anschein, als würde sich die Musik vom Nationalismus eher distanzieren. Viele Komponisten kehrten jedoch zur Poetik des Volksliedes zurück und fanden eine neue Beziehung zu ihr. Die verschiedenen Ausprägungen des Folklorismus bestimmten indes auch in Mähren und Schlesien nicht gänzlich die Musik. Komponisten reagierten auf moderne Schaffenspraktiken und konfrontierten ihr eigenes schöpferisches Bestreben mit dem Musikstil jener Werke. In der tschechischen Musik Mährens und Schlesiens setzte diese Entwicklung mit Leoš Janáček ein und setzte sich das gesamte 20. Jahrhundert hindurch fort. Kontakte mit einheimischen wie ausländischen Schulen spiegelten sich auch auf dem Gebiet der Musikvermittlung wider. Eine eigenständige städtische Musikkultur bildeten auch die Deutschen aus. Für ihre musikalische Orientierung war Wien traditionsgemäß der entscheidende Bezugspunkt. Das Volkslied selbst betrachteten die Komponisten nicht als ausgesprochene Notwendigkeit ihres künstlerischen Schaffens.

Einleitende Bemerkungen zum Volkslied Das Volkslied und seine Authentizität Das Volkslied wird in diese Darstellung nicht allein wegen der Eigenart dieser Gattung einbezogen, sondern vor allem auch deshalb, weil es unter dem Einfluß des Nationalismus des 19. Jahrhunderts der Entwicklung der artifiziellen Musik wichtige Impluse gab. Noch im 20. Jahrhundert nahmen Komponisten auf das Volkslied Bezug, als es bereits aufgehört hatte, eine rein nationale, in Mähren und Schlesien eine ethnonationale Erscheinung zu sein. Das Volkslied in Mähren und Schlesien verdankt seine Eigenart der Tatsache, daß es durch mündliche Überlieferung entstand, verbreitet und bewahrt wurde, und dieses oft abseits der kulturellen Zentren von Adel und Klerus – zuletzt auch partiell außerhalb der Sphäre der städtischen Subkultur –, und daß es sich dadurch seine Ursprünglichkeit erhielt. Infolge des Vordringens der modernen Industriegesellschaft aufs Land begannen sich etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die kulturellen und sozialen Voraussetzungen des Volksliedes zu ändern. Daß das autonome Volkslied in Mähren und Schlesien nicht in Vergessenheit geraten ist, hat es den rührigen Bemühungen einiger Generationen von Volksliedsammlern zu verdanken.

Das Volkslied und seine Sammler Besonders aktive Sammler von Volksliedern waren die mährisch-schlesischen Tschechen – das zeigt das Verzeichnis der Volksliedsammlungen am Ende dieses Kapitels. Allein die klassischen gedruckten Sammlungen von František Sušil (1835, 1840, 1860) und František Bartoš (1882, 1889, 1901 gemeinsam mit Janáček) enthalten mehr als fünftausend Lieder. Es sind nicht immer neue Lieder, man begegnet auch verschiedenen Varianten von bereits früher aufgezeichneten Liedern. Diese Sammlungen dokumentieren eine umfangreiche Produktion von Liedern der unterschiedlichsten Formen und Stile. Im 20. Jahrhundert wuchs deren erfaßte Anzahl nochmals um einige Tausend. Viele Lieder wurden gedruckt, andere nur handschriftlich aufzeichnet. Davon sind nur

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Einleitende Bemerkungen zum Volkslied

ein Bruchteil deutsche Volkslieder. Die Sammler und Herausgeber wählten die Lieder nach ethischen oder ästhetischen Kriterien aus, um dadurch ihrer Vorstellung von der musikalischen Kreativität des Volkes Ausdruck zu verleihen. Einen Komponisten, der nach Volksliedern als reinsten Erscheinungen der Nationalmusik – in diesem Sinne Janáček noch im Jahre 19197 – forschte, dürfte die selektive ästhetische Methode der Sammler kaum gestört haben. Unklar blieb dagegen, ob und inwieweit sich der jeweilige Sammler bei seiner Aufzeichnung von Liedern und Instrumentalmusik die Frage der korrekten Notation gestellt hatte. Sušil zum Beispiel hat ziemlich verläßlich auch die intervallisch ungewohnten Liedmelodien aufgezeichnet, verstieß jedoch gegen die Notation der differenzierten Metrik und Rhythmik.8 Die Notationspraxis besserte sich dank Janáček erst in der dritten Sammlung von Bartoš (1901). Janáček beeinflußte auch die Methoden der Sammler im 20. Jahrhundert. Er selbst und seine engsten Mitarbeiter Hynek Bím und Františka Kyselková bedienten sich zum Aufzeichnen der Volkslieder des Phonographen.

Die Komponisten und das Volkslied Die Komponisten des 19. Jahrhunderts stießen sich kaum an den Mängeln der klassischen Sammlungen. Texte und Weisen aus Sušils Sammlung wurden Themen von Männerchören des herausragenden Vorgängers Janáčeks in der tschechischen Musik Mährens, Pavel Křížkovský. Aus der Abhängigkeit vom Volkslied wurde das Tonstück erst durch Antonín Dvořák befreit, der in einigen Kompositionen aus den 1870er und 1880er Jahren Texte von Sušil vertonte. Selbständig behandelte das Volkslied in einer Reihe von Kompositionen bereits vor Její pastorkyňa (Jenufa) auch Leoš Janáček. Sowohl Pavel Křížkovský als auch Antonín Dvořák nahmen den Impuls der Volkslieder durch ihren unbeirrbaren künstlerischen Instinkt auf und stellten sich dabei keine Fragen nach deren heuristischer Glaubwürdigkeit. Und sie fragten schon überhaupt nicht nach dem Musikstil und der Satztechnik im Volkslied sowie nach deren möglicher Anwendung in der artifiziellen Musik.

7 Leoš Janáček, O lidové písni a lidové hudbě. Dokumenty a studie [Über das Volkslied und die Volksmusik. Dokumente und Studien], hrsg. von Jiří Vysloužil, Praha 1955, S. 177. 8 Vgl. Jiří Vysloužil, Sušils Sammlung Mährische Volkslieder (Moravské národní písně) aus metrorhythmischer Sicht, in: Sborník prací filozofické fakulty Brněnské univerzity [Sammelband mit Arbeiten der philosophischen Fakultät der Brünner Universität], Jg. XIX/1970, H 5, Brno 1970, S. 41– 62.

Zur Theorie des Volksliedes

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Zu einem grundsätzlichen Wandel in der Beziehung der Komponisten zum Volkslied kam es in Mähren und Schlesien erst, als das Volkslied mit der neuen Disziplin der Ethnomusikologie – im europäischen Kontext Volksliedforschung – zum Gegenstand wissenschaftlicher Arbeit wurde. An der Konstituierung der neuen Wissenschaftsdisziplin in Mähren hat Leoš Janáček großen Anteil, und zwar sowohl in theoretischer als auch in praktischer Hinsicht – d. h. der Sammeltätigkeit und deren Organisation –, obwohl ihm seine Verdienste von der akademischen Wissenschaft mitunter zu Unrecht abgesprochen werden. Janáčeks Volksliedlehre ist ein Werk von Rang. Meine kritische Ausgabe von Janáčeks themenbezogenen Aufsätzen und Feuilletons im Sammelband O lidové písni a lidové hudbě (Über das Volkslied und die Volksmusik, 1955) bietet sie auf über sechshundert Seiten mit zahlreichen Aufzeichnungen von Liedern und Instrumentalmusik dar. Janáček war aber vor allem der erste tschechische Komponist, der sich die Frage nach der Bedeutung des Volksliedes für die Kunstmusik stellte, als er erklärte: Wir entwickelten uns daheim, auf uns selbst angewiesen, und befinden uns, ohne fremde Hilfe, in der Musik auf den Grundlagen, auf welchen nun alle modernen Kompositionen aufgebaut werden9 (1889). Dieser etwas emphatischen Äußerung waren analytische Studien des Volkslieds vorausgegangen, die er dann praktisch sein ganzes Leben lang fortsetzte. Es ging ihm vor allem um die Frage der Authentizität des Volksliedes und dabei auch um die Authentizität des Komponisten, wenn er es sich in seinem Werk zueigen macht.

Zur Theorie des Volksliedes Aus dem authentischen Bereich schloß Janáček von vornherein jene Lieder und Musik aus, die auf der „kantigen“ diatonischen Harmonie und formalen Symmetrie (Taktquadratur, d. h. geradtaktige formale Einheiten wie z. B. 4 plus 4 Takte) fußten. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf Lieder mit melodischer Modulation, das heißt auf selbständige melodische Gebilde ohne Harmonisierung, in denen jedem Ton eine potentiell gleiche Bedeutung zukommt. Vom Gesichtspunkt der musikalischen Logik und der Tonanordnung ist das Geschehen indes auf einen Zentralton hin ausgrichtet, an den sich der beanspruchte Tonvorrat oder einzelne Tonfolgen (Segmente) anlehnen. Weisen mit melodischer Modulation schließen jede harmonische Begleitung aus. Viel umfangreicher ist indes die Liedliteratur mit harmonischer Modulation, die Janáček vom natürlichen Vortrag der Volksmusikanten ableitet. Der Einfluß der 9 Janáček (wie Anm. 7), S. 143.

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Einleitende Bemerkungen zum Volkslied

Instrumentalmusik hatte zwar die eigengesetzlich gegliederte, lineare Melodik eingeebnet, doch der charakteristische Intervallaufbau der Modi – Tetrachordstukturen u. a. – wurden den Melodien dadurch nicht genommen. Die differenzierte Rhythmik der Lieder gründet nach Janáček einerseits auf der Beziehung der Musik zur Choreographie des Tanzes, anderseits auf der Wort-Ton-Beziehung, deren Besonderheiten er anhand seiner Sprechmelodientheorie erklärt.10

Notenbeispiel 1: Žalo diévča trávu (Es mähte ein Mädchen das Gras). Volkslied aus der mährischen Slowakei. Das Tetrachord g1–c2 mit chromatischen Tönen bestimmt den tonalen Charakter der Melodie, in der laut Janáček „jeder Ton vertretbar ist“.

Das Herangehen Vítězslav Nováks – eines führenden Kopfes der Prager Kompositionsschule in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts – an das mährische und slowakische Volkslied war etwas anders als das von Leoš Janáček. Im Volkslied suchte er nicht die Grundlagen kompositorischer Arbeit, ihn faszinierten vielmehr dessen charakteristische Komponenten: die differenzierte Rhythmik und die Eigenart der Modi. Laut Alois Hába lehrte Novák seine mährischen und slowakischen Schüler, in der Komposition kompliziertere harmonische Mehrklänge anzuwenden, dieses jedoch auf der Basis der thematischen Arbeit klassischer Tradition. Er unterschied und bewertete die Modi nach ihrem musikalischen Ausdruck, den er von der Anzahl der großen (hochalterierten) und kleinen (tiefalterierten) Intervalle/ Tonschritte einer Tonleiter ableitete.11 Hába nahm Nováks Lehre von den Modi der Volkslieder in sein theoretisches Hauptwerk Neue Harmonielehre (1927) auf. Er gründete sein modales Tonsystem auf Transpositionen der siebentönigen diatonischen Grundtonleiter, das heißt auf die schrittweise Erhöhung oder Erniedrigung aller Tonstufen im Rahmen der zwölf Töne 10 Die Theorie gründete auf dem Studium der Intonation und des Ausdrucks charakteristischer Äußerungen der lebendigen Rede, den sog. „Sprechmelodien“ (nápěvky mluvy – ein von Janáček erfundener Terminus). Janáček hielt sie für klangliche Fensterlein in die menschliche Seele. Er zeichnete Sprechmelodien zusammen mit Volksliedweisen auf und suchte nach Beziehungen zwischen den beiden Erscheinungen. 11 Vgl. Alois Hába, Vítězslav Novák (K sedmdesátým narozeninám) [Vítězslav Novák (Zum siebzigsten Geburtstag)]. Praha 1940, S. 9f.

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der Oktave. Nach dieser Regel verwandelt sich die Tonleiter C-Dur durch Erhöhung des f zum fis in die lydische, durch Erniedrigung des h zum b in die mixolydische Tonleiter, durch Erniedrigung von d, e, a, h zu des, es, as, b in die phrygische Tonleiter usw. Hábas neues Modalsystem deckt alle im mährisch-slowakischen Volkslied vorkommenden Modi ab, von denen er an entsprechenden Stellen seiner Harmonielehre Beispiele gibt. Er vereint auch die Diatonik mit der Chromatik und ermöglicht Tonart-Modulation, ohne nach den Verfahren des funktionalen Dur-Moll-Terzensystems zu greifen. Der tschechische Anhänger der harmonischen Innovationen Schönbergs gab dabei die Diatonik als Grundlage eines Tonsystems, das er System der modernen siebentönigen Musik auf zwölftöniger Grundlage nannte,12 nicht auf. In den Werken seiner späten Schaffensperiode13 erlaubte ihm sein Modalsystem, nach dem Prinzip einer modal strukturierten Reihe im Rahmen der Dodekaphonie zu arbeiten. Die Modalität betrachtete er als unterscheidendes Kennzeichen der „östlichen“ gegenüber der „westlichen“ Dur-Moll-Musik. Als Bohuslav Martinů in den 1920er Jahren nach Paris kam, wo seiner Ansicht nach die Jazzband in kurzer Zeit die Situation ganz beherrscht hatte,14 ließ er sich von zu hause Volksliedsammlungen schicken, um sie studieren zu können. So erkannte er die Besonderheiten der Volkslieder, darunter auch jener, die ihm aus seiner Kindheit auf der Böhmisch-Mährischen Höhe vertraut waren. Seine Musikfreunde in Prag ließ er dann auch wissen: Ich denke oft an den erstaunlich prägnanten Rhythmus unserer slawischen Lieder, an slowakische Lieder, an ihre charakteristische rhythmische Instrumentalbegleitung, und es scheint mir, daß wir es nicht nötig haben, in der Jazzband Zuflucht zu suchen.15 Martinůs Beziehung zum Volkslied war jedoch viel ausgreifender, als diese Äußerung vermuten läßt. Sie schloß auch die Modalität ein, die er nach Janáčeks Vorbild namentlich im mährisch-slowakischen Volkslied entdeckte. Das Volkslied verblieb sogar im schöpferischen Horizont der Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Rezeption verlief je nach Gattung und Form, Zweck der Komposition und Stil des Autors auf verschiedenen Ebenen. Im breiten Spektrum der tonalen, melodisch-harmonischen Musik wirkte in produktiveren Fällen Janáček als Vorbild – zum Beispiel bei Zdeněk Blažek, Pavel Haas, Alois Hába, Václav 12 Vgl. Jiří Vysloužil, Alois Hába. Weg zur Komposition mit allen zwölf Tönen, in: Musikwissenschaft/ Musik­ praxis. Festschrift für Horst-Peter Hesse zum 65. Geburtstag, hrsg. von Kai Bachmann und Wolfgang Thies, Anif/Salzburg 2000, S. 219 –29. 13 Vgl. Jiří Vysloužil, Alois Hába und die Dodekaphonie, in: Schweizerische Musikzeitung 118/1978, Nr. 2, S. 95 –102. 14 Bohuslav Martinů, Domov, hudba a svět [Heimat, Musik und die Welt], hrsg. von Miloš Šafránek, Praha 1966, S. 48. 15 Ebenda S. 49.

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Einleitende Bemerkungen zum Volkslied

Kaprál, Klement Slavický. Die Entwicklung der Musik blieb jedoch auch in Mähren nicht stehen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts überschritten modern orientierte Komponisten die Grenzen der melodisch-harmonischen Musik, wobei auch das Volkslied eine gewisse Rolle spielte. Was die Deutschen in Mähren und Schlesien anlangt, führte die Suche nach Beziehungen zwischen ihren Kompositionen und dem Volkslied zu keinem greifbaren Ergebnis. Die deutsch-mährische Kunstmusik entwickelte sich eine ganze Epoche lang in eine andere Richtung. Im Bereich von Theorie und Sammeltätigkeit kam es erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Belebung des Interesses für das Volks­­ lied, von neuem dann in der Zwischenkriegszeit. Eine vollständige wissenschaftliche Herausgabe der denkwürdigen Sammlung Felix Georg Jaschkes aus dem Kuhländchen (um 1818, Manuskript) kam sogar erst in den 1980er Jahren zustande – gekoppelt mit einer Neuedition der Sammlung Meinerts: W. Kramolisch, Die Kuhländer Volksliedsammlungen von J. G. Meinert (1817) und F. Jaschke (1818). Bd. II: Die Sammlungen von F. Jaschke (1818). Lieder im Kuhländer Volkston. Marburg 1988. Die artifizielle Musik der mährisch-schlesischen Deutschen blieb vom neuen Folklorismus bis auf Ausnahmen unberührt – in der tonsetzerischen Arbeitsweise der Komponisten hat er nur geringen Niederschlag gefunden.

Schichten des Volksliedes Die Ursache für das mangelnde Interesse der deutschen Komponisten am Volkslied sehen wir auch im Charakter und Niveau von dessen Musikstil. Dieser stützte sich in Liedern der mährisch-schlesischen Deutschen bis auf wenige Ausnahmen auf die musikalische „Quadratur“ mit all ihren Merkmalen wie Dur-bestimmte diatonische Melodie und Harmonie, Symmetrie und Übersichtlichkeit der Form, auf einheitlichem und einfachem Takt basierender Rhythmus und anderes. Die Anthologie Die Volkslieder der Sudetendeutschen (1938–42), die auch eine repräsentative Auswahl von deutschen Volksliedern Mährens und Schlesiens enthält, bringt nur wenige Lieder mit anderen als rein quadraturmäßigen Gestaltungsprinzipien. Das Vorkommen vortonaler und modaler Wendungen hat dabei keine profilierende Bedeutung.16 Diese Tatsache begrenzt in gewissem Maße die Eigenartigkeit der Weisen, was auch für die liedmäßig reichsten gilt, wie sie die Umgebung von Schönhengsten und das Kuh16 Auf ihr eher vereinzeltes Auftreten im Kuhländchen weist Karl Michael Komma hin in seinem Buch Das böhmische Musikantentum, Kassel 1960, S. 21ff.

Schichten des Volksliedes

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ländchen beitragen. Ein aufmerksamer Forscher entdeckt jedoch auch Überraschungen. So stimmt zum Beispiel die erste melodische Zeile des lyrischen Liedes „Es gung a maedla ofs bergla nof“ mit dem Anfang von Papagenos Arie „Ein Mädchen, oder Weibchen, wünscht Papageno sich“ aus Mozarts Zauberflöte überein.

Notenbeispiel 2: Es gung a Maedla ofs Bergla nof (Volkslied aus Österreichisch-Schlesien)

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Einleitende Bemerkungen zum Volkslied

Wir haben nicht die Absicht, uns mit der Frage der Urheberschaft dieser anmutigen Melodie zu beschäftigen – ob es sich also um Mozart oder einen Anonymus aus dem Volk oder ob es sich nur um einen zufälligen Locus communis handelt. Das Beispiel dient lediglich als Beweis für das Fungieren einer Stilschicht des Volkslieds. Die quadraturmäßigen Weisen beherrschen auch die tschechischen Lieder in Mähren und Schlesien, in besonderem Maße die Liederethnien in Böhmen. Die musikalische „Quadratur“ stellt also in der Volkskultur des breiteren mitteleuropäischen Raumes eine Universalerscheinung dar, deren Auftreten Vladimír Helfert dem Einfluß der italienischen barocken und frühklassischen Musik zuschrieb,17 der in Mähren und Schlesien durch die Musikkultur des kaiserlichen Wien vermittelt wurde. Die Situation des tschechischen Liedes in Mähren und Schlesien war dessen ungeachtet spezifisch. Die diatonische Dur-Moll-Quadratur setzte sich hier nur in einer Liedschicht durch, und zwar in der neuesten und am wenigsten eigenartigen. Eine große Zahl dieser Lieder und Instrumentalmelodien ist in der sogenannten „Gubernialsammlung“ (1818) zu finden, für die hauptsächlich Landlehrer und Kantoren Material aus dem Bereich der eher kunstvolleren Musik – vorzugsweise Marsch- und Tanzmusik – ausgewählt und eingesendet haben. Der Großteil dieser Lieder stammt aus der Hanna und dem Mährischen Hochland (Moravské Horácko). Die Sammlungen von Sušil und Bartoš, zum Teil auch einige Sammlungen aus dem 20. Jahrhundert beinhalten demgegenüber sehr viel authentischere Schichten des Liedes. Für eine angemessene Vorstellung vom tschechischen Volkslied in Mähren und Schlesien haben diese Sammlungen entscheidende Bedeutung. Seine Eigentümlichkeit ist die Hauptursache für das Interesse tschechischer Komponisten am Volkslied. In der ersten, gewissermaßen archaischen Schicht befinden sich Lieder, manchmal auch nur Liedchen mit vortonalen (vorharmonischen) und modalen Melodien. Auf ihr höheres Alter deutet ihre Bindung an überlieferte rituelle Gewohnheiten und Lebensweisen der Landbevölkerung. Charakteristisches Merkmal ist die Wort-TonBeziehung, die auch Form und Vokalcharakter bestimmt. In den Melodien dieser Lieder hat jeder Ton seine besondere Bedeutung und läßt sich nicht so leicht ersetzen oder gar weglassen. Die Melodie des Liedes würde dadurch ihre musikalische Logik und ihre Schönheit verlieren. Janáček zufolge ist der kreative Wert jedes Tons und Liedsegments außerordentlich.

17 In der Schrift Hudba na jaroměřickém zámku. Frant. Míča 1694 –1745 [Musik auf dem Schloß Jaroměřice/ Jarmeritz. František Míča 1694 –1745], Prag 1924, darin das Kapitel „Míča a lidová hudba“ [Míča und die Volksmusik], S. 258 –71.

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Abbildung 3: Volkskapelle von Pavel Trn (1892) aus Velká nad Veličkou in der Mährischen Slowakei. Janáček hörte ihr mit Vorliebe zu und skizzierte sich charakteristische harmonische Wendungen ihres spontanen Spiels.

Bevor die instrumentale Ensemblemusik in die volkstümliche Liedüberlieferung Eingang fand – die ersten historischen Belege ihrer Existenz in Mähren in der Besetzung Geige, Bassett und Zimbal gibt es erst seit dem 17. Jahrhundert18 –, hatte die Musik des Landvolkes überwiegend vokalen Charakter. Mit dem Eindringen der instrumentalen Ensemblemusik in die Volksmusik änderte sich der Stil der Lieder durchgreifend. In Mähren und Schlesien entstanden neue, eigenartige Formen melodischharmonischer Volksmusik. Diese Entwicklung – wenn man diesen Begriff auf das Volkslied anwenden darf – erinnert an jene in der artifiziellen Musik. Im tschechischen Volkslied Mährens und Schlesiens zeigte sich infolge des Eindringens der Instrumentalmusik die Dur-Moll-Harmonik, die einerseits zwar in ihrer Natürlichkeit 18 Vgl. Jiří Sehnal, in: Sehnal/Vysloužil, Dějiny hudby na Moravě [Musikgeschichte in Mähren], Brno 2001, S. 117. Unter den Komponisten in Mähren und Schlesien waren es Gottfried Rieger und Pavel Křížkovský, auch Alois Hába, die in ihrer Kindheit in einer Volkskapelle mitwirkten.

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Einleitende Bemerkungen zum Volkslied

Das Volkslied in den einzelnen Landesteilen

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Notenbeispiel 3 (links): Nemárni, šohajíčku švarný (Verschwende nicht, du netter Bursche) – Volkslied zum mährisch-slowakischen Tanz Sedlácká (Bauerntanz) in der Wiedergabe der Volkskapelle. Sie potenziert die Wendung der Melodie harmonisch aus der Tonart a-Moll in die parallele Tonart C-Dur.

ziemlich elementar ist, andererseits jedoch dank der Bewahrung archaischer melodischer Wendungen und ihrer Harmonisierungen einzigartig erscheint. Die Harmonie mit ihren eigentümlichen akkordischen Bindungen stützt eine übersichtlich gegliederte Form. Gleichzeitig funktioniert sie als Faktor modulatorischer Wendungen, bei denen es sich eher um Tonartausweichungen oder -sprünge als um Modulationen handelt. Bei aller Ähnlichkeit der äußeren Form melodisch-harmonischer Musik mit einigen tonsetzerischen Prinzipien der musikalischen „Quadratur“ ist es eine Musik ihrer Art und unterschiedlichen Inhalts.

Das Volkslied in den einzelnen Landesteilen Die Hauptregion für das Interesse der Komponisten am Volkslied bilden nach wie vor Ostmähren und das heutige tschechische Schlesien, die bis in die neueste Zeit das meiste an authentischen Volksliedschichten konserviert haben – darunter manchmal auch nur Varianten oder Versionen von polnischen oder slowakischen Liedern. Das kraftvolle Auftreten des Folklorismus in den 1890er Jahren lenkte das Interesse der Komponisten und der breiteren Öffentlichkeit auf die ostmährischen und schlesischen Slawen. Die Hanna, die seit eh und je für den Mittelpunkt der mährischen Volksmusik gehalten wurde,19 und das Mährische Hochland (Horácko) mit ihrer „quadraturmäßigen“ Musik waren dagegen weniger attraktiv. Es könnte die Familien­ abstammung gewesen sein, die Martinů zu Volksliedern des Mährischen Hochlandes führte, die er unter anderem in Sušils Sammlung fand, wo er zum Beispiel unter weltlichen Weihnachtsliedern aus der Umgebung von Dačice (Datschitz) bemerkenswerte Liederrelikte archaischer Schichten entdeckte. Gustav Mahlers Beziehung zum Volkslied sowie zur populären Musik der Böhmisch-Mährischen Höhe mag ähnlich inspiriert gewesen sein. In hannakischen Liedern aus der Umgebung von Brünn entdeckte Janáček neben dem urwüchsigen Dialekt nicht minder urwüchsige Melodien, die sich den Normen der „Quadratur“ entzogen. Janáček könnte diese Lieder auf seinen Wanderungen unter dem Bauernvolk der Brünner Vorstädte gehört, sie aber 19 In diesem Sinne Johann Friedrich Reichardt in seinem musikalischen Reisebuch Briefe eines aufmerksamen Reisenden die Musik betreffend, I–II, Frankfurt und Leipzig 1774/1776.

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Einleitende Bemerkungen zum Volkslied

auch in den Sammlungen von Sušil und Bartoš kennengelernt haben. Die Lieder aus den Gemeinden der Brünner Umgebung – heute Stadtteile – haben auch historische Bedeutung: Zur Zeit, als die heutige Brünner Innenstadt überwiegend deutsch war, repräsentierte das Volkslied der Hannaken die tschechische Musik, die erst im Begriff war, zur Kunstmusik durchzudringen.

Die Musik der mährischen Roma In diesem Zusammenhang darf die Musik der mährisch-schlesischen Roma, die seit 1945 in größerer Zahl im ganzen Land zerstreut leben, nicht außer acht gelassen werden. Ihre Vorfahren hatten einst durch ihr bravouröses Instrumentenspiel und ihre chromatischen Harmonien und Tonleitern (Zigeunertonleiter in Moll mit erhöhter vierter Stufe) das Spiel der ostmährischen Volkskapellen und – mit Béla Bartók gesprochen – die Melodie der Lieder neuungarischen Stils beeinflußt. Die ersten Roma gingen in der Bevölkerung Ostmährens kulturell und sprachlich auf, und sie assimilierten sich auch als Musiker. In Liedern bewahrten sie zum Teil ihre ursprüngliche Sprache. Die jüngste Immigrationswelle tradiert und entfaltet dagegen die traditionellen Lieder und Instrumentalmelodien. Die Roma präsentieren ihre Musik in der Öffentlichkeit, halten sie als kreative Erscheinung jedoch unberührt.20 Eine Integration der Roma-Musik in die einheimische Musik ist angesichts der Unterschiedlichkeit der Sprache und der Kulturtradition vorläufig nicht gegeben. Eine gewisse Verbindung der Roma-Musik mit der artifiziellen Musik kommt von einer anderen Seite her: Als erster überhaupt vertonte und bearbeitete Janáčeks Schüler Josef Černík in der Sammlung Cikánské písničky (Zigeunerlieder) für Gesang und Klavier (1910) authentische Melodien und Texte der mährischen Roma.21 Solche Versuche von Komponisten sind jedoch Einzelfälle geblieben.

20 Die mährischen Roma erfinden sogar neue Lieder. Dušan Holý und Ctibor Nečas haben Lieder der ostmährischen und slowakischen Romafrauen, die den Holocaust überlebten, im Buch Žalující píseň [Klagelieder], Strážnice 1993, herausgegeben. 21 Der Anteil der Kroaten am Volkslied Mährens ist unwesentlich. Sušil veröffentlichte in seiner Sammlung aus dem Jahr 1860 vier Beispiele von Liedern der mährischen Kroaten aus dem Grenzgebiet zu Österreich. In anderen Sammlungen sind die Kroaten nicht vertreten. Neue Erkenntnisse zu dieser Problematik finden sich im Band Moravští Chorvati. Dějiny a lidová kultura [Die mährischen Kroaten. Geschichte und Volksmusik]. Anthologie, hrsg. von Richard Jeřábek, Brno 1991.

Das Volkslied in den einzelnen Landesteilen

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Verzeichnis der grundlegenden Sammlungen von Volksliedern Sammlungen tschechischer Volkslieder Guberniální sbírka písní a instrumenální hudby z Moravy a Slezska z roku 1819 [Gubernialsammlung von Volksliedern und Instrumentalmusik aus Mähren und Schlesien aus dem Jahr 1819], hrsg. von Karel Vetterl und Olga Hrabalová, Strážnice 1994. František Sušil, Moravské národní písně [Mährische Volkslieder], Brno 1835. František Sušil, Moravské národní písně v nově nasbírané [Neu gesammelte mährische Volkslieder], Brno 1840. František Sušil, Moravské národní písně s nápěvy do textu vřaděnými [Mährische Volkslieder samt ihren in den Text eingelegten Weisen], Brno 1853–1960. Kritické vydání Robert Smetana a Bedřich Václavek [Kritische Ausgabe R. S. u. B. V.], Praha 41951. František Bartoš, Nové národní písně moravské s nápěvy do textu vřaděnými [Neue mährische Volkslieder samt ihren in den Text eingelegten Weisen], Brno 1882. František Bartoš, Národní písně moravské v nově nasbírané [Neu gesammelte mährische Volkslieder], Brno 1889. František Bartoš, Leoš Janáček, Národní písně moravské v nově nasbírané [Neu gesammelte mährische Volkslieder], Praha 1901. Josef Vyhlídal, Naše Slezsko [Unser Schlesien], 2 Bde., Praha 1900–03. Joža Černík, Zpěvy moravských kopaničárů [Gesänge der mährischen Hochländer], Uherský Brod, 1902–08. Helena Salichová, Slezské lidové písně [Schlesische Volkslieder], Praha 1917, 21921. Josef Mojžíšek, Národní písně a tance z Těšínska [Volkslieder und -tänze aus der Umgebung von Teschen], Ostrava 1926. František Myslivec, Pěsničky Moravců z Hlučínska a Hlubčicka [Lieder der Mährer aus der Gegend von Hultschin und Leobschütz], Opava 1927. František Myslivec, Slezské národní písně, tance a popěvky [Schlesische Volkslieder, Tänze und Liedchen], Opava 1930. Leoš Janáček, Pavel Váša, Moravské písně milostné [Mährische Liebeslieder], Praha 1930–1936. Vladimír Úlehla, Živá píseň [Das lebendige Lied], Praha 1949. Hynek Bím, Lidové písně z Hustopečska [Volkslieder aus der Umgebung von Auspitz], Praha 1950. Neue Ausgabe unter dem Titel: Lidové písně z hanáckého

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Einleitende Bemerkungen zum Volkslied

Slovácka [Volkslieder aus der hannakischen Slowakei], hrsg. von Jiří Vysloužil, Klobouky u Brna (Klobouk bei Brünn) 1998. Martin Zeman, Horňácké Tance [Tänze vom Oberland], Praha 1951. Hynek Bím, Valašské a slovenské lidové písně [Walachische und slowakische Volkslieder], hrsg. von Jiří Vysloužil, Praha 1954. Josef Mojžíšek, Lidové písně z Těšínska [Volkslieder aus der Gegend von Teschen], hrsg. von František Lýsek, Ostrava 1956. Ivo Stolařík, Hrčava, Ostrava 1958. Lidové písně a tance z Valašskokloboucka [Lieder und Tänze aus der Umgebung von Walachisch-Klobouk]. Geordnet und bearbeitet von Karel Vetterl, der choreographische Teil stammt von Zdenka Jelínková, Praha, I–1955, II–1960. Marta Toncrová, Zpěvník lidových písní z Brněnska [Volksliederbuch aus der Umgebung von Brünn], Brno 1955. Olga Hrabalová, Lidové písně z Kyjovska [Volkslieder aus der Umgebung von Kyjov], Brno 2000.

Sammlungen deutscher Volkslieder Joseph Georg Meinert, Der Fylgie oder Alte teutsche Volkslieder in der Mundart des Kuhländchens, Wien 1817. Felix Georg Jaschke, Alte teutsche Volkslieder in der Mundart des Kuhländchens (1818), hrsg. von Joseph Götz, Brünn 1909. Josef Götz u. R. Loder, Deutschmährische Volkstänze, in: Das deutsche Volkslied, Wien 1926. Josef Žák (Götz), Deutsche Volkslieder in der Handschriftensammlung des FranzensMuseums in Brünn (heute Moravské zemské muzeum v Brně [Mährisches Landesmuseum in Brünn]). Joseph Götz, Nachlaß, heute: Pražská sbírka německých lidových písní v depozitáři Etnologického ústavu České akademie věd v Praze [Prager Sammlung deutscher Volkslieder im Depositorium des Ethnologischen Instituts der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag]. Gustav Jungbauer und Herbert Hontricht, Die Volkslieder der Sudetendeutschen, Reichenberg/Kassel 1938–42. Walter Kramolisch, Die Kuhländer Volksliedsammlungen von J. G. Meinert (1817) und F. Jaschke (1818), Bd. 1–3, Marburg 1987–89.

Die Musik in Mähren und Mährisch-Schlesien bis 1860 Deutsche und Tschechen in der Musik des Einheitsstaates Unter Einheitsstaat versteht man hier die zentral verwaltete, absolutistische Habsburger-Monarchie, deren integrale Bestandteile Mähren und Österreichisch-Schlesien waren. Dieser reicht ungefähr vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Einführung der Verfassung im Jahre 1860. Im mährisch-schlesischen wie im böhmischen Gubernium lebten zwei Hauptnationalitäten verschiedener Sprache und Stellung in der Gesellschaft sowie unterschiedlichen Bevölkerungsanteils: Tschechen, die die Mehrheit bildeten, und Deutsche.22 Die gesellschaftlich und kulturell dominierenden Deutschen grenzten sich gegenüber den Tschechen auf verschiedene Weise ab. In Politik und Wirtschaft bestimmten sie das Gepräge des Landes. Unterstützt von Adel und Klerus, verwalteten und organisierten sie in den großen Städten auch das gesamte Kulturleben, unterhielten ihre Theater und veranstalteten Konzerte. Die sozialen und religiösen Ideen und Reformen der Aufklärung haben zwar die Lebenssituation der verarmten Tschechen etwas verbessert, die Habsburger-Monarchie bevorzugte jedoch nach wie vor die deutsch sprechende Bevölkerung. Das gilt für Adel, Bürokratie und Klerus, auf welche die Monarchie ihre Macht baute, wie auch – zumindest indirekt – für Landleute, Handwerker und Bürger, die das Gros der deutschen Bevölkerung im Lande bildeten. Auch die Erhebung des Deutschen zur Staatssprache verschaffte den Deutschen einen Vorteil. Es etablierte sich in allen Bereichen des öffentlichen Lebens: bei den Behörden, im höheren Schulwesen, in Medien und Kultur. Für die Tschechen ergab sich daraus eine gewisse Barriere für den Eintritt ins öffentliche Leben der ökonomisch, gesellschaftlich und kulturell sich entfaltenden Städte, die sie auf verschiedene Weise überwinden mußten. Ökonomisch und politisch konnten sie sich zuerst kaum durchsetzen, als professionelle Musiker und Sänger 22 Die mährischen Slawen bemühten sich zunächst um eine einige nationale Identität und Integrität, sind dann aber in einem verwickelten, Jahrhunderte dauernden Prozeß eine Nation mit den authentischen Tschechen, d. h. den Tschechen aus Böhmen (im Unterschied zu denen aus Mähren), geworden. Die mährischen Deutschen nahmen ihre nationale Identität im deutschen Österreich wahr – in den beliebten Männerchoren wurde „Österreich, mein Vaterland“ von Heinrich Fiby gesungen.

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Die Musik in Mähren und Mährisch-Schlesien bis 1860

wirkten sie im deutschen Musik- und Theaterleben, ohne sich dort jedoch voll entfalten zu können. Eigene Einrichtungen dieser Art hatten die Tschechen nicht. Ihre schöpferische Arbeit vollzog sich außerhalb dieser Institutionen. Zu einem wichtigen Faktor für die Emanzipationsbestrebungen der mährisch-schlesischen Tschechen wurde die Aufnahme des Tschechischen in die Schriftsprachen. In den 1840er Jahren wurde es in ständischen Akademien, einer Art freien Bildungskursen, sowie auf patriotischen Gesellschaftsabenden und Treffen gepflegt. Zunächst beschränkte sich dieses auf eine kleine Gruppe von Sprachwissenschaftlern, Dichtern und Musikern. Sobald aber die patriotischen Aktivitäten der Tschechen zu einer politischen Bewegung angewachsen waren,23 riefen sie auf Seiten der Deutschen Abwehrreaktionen hervor, die zu gut organisierten Gegenmaßnahmen der pro-öster­ reichischen Bürokratie in Gestalt von Zensur, öffentlichem Versammlungsverbot, persönlicher Verfolgung und Ähnlichem führten. Die anti-tschechischen Repressionen erreichten nach der Niederlage der Revolution von 1848 durch die Einführung des Neoabsolutismus unter dem Justiz- und Innenminister Alexander Freiherr von Bach (1813 –1893), der eine Lähmung des tschechischen Kulturlebens in Mähren einschließlich der Musik zur Folge hatte, ihren Höhepunkt. Trotz dieser Umstände zeigten sich eher in der Peripherie der städtischen Kultur allmählich die ersten Triebe tschechischer Literatur- und Musikproduktion. Die Tschechen hatten ihr musikalisches Hinterland im Volkslied, das nach und nach auch ihre artifizielle Musik durchdrang. In der Sphäre der artifiziellen Musik und des Theaters blieben Mähren und Schlesien jedoch nach wie vor deutsch-österreichische Provinz, die kulturell auf Wien orientiert war. Diese Orientierung entsprach jahrhundertelanger Tradition. Kontakte mit Wien unterhielten insbesondere die Angehörigen des mährischen und schlesischen Adels und des Klerus. Sie erfüllten auch weiterhin die Funktion eines Förderers der Künste. Zu ihnen kam nun jedoch das Bürgertum als Gesellschaftsfaktor, dessen kulturelle Bedürfnisse und Geschmack die Entwicklung in Theater und Musik in zunehmendem Maße beeinflußten. 23 Im Revolutionsjahr 1848 traten die Tschechen auf einer Prager Volksversammlung am 11. März mit der Forderung auf, aus den Ländern der Böhmischen Krone ein staatsrechtliches Ganzes im Rahmen des föderalen Österreich mit Gleichberechtigung der Tschechen und Deutschen auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens zu bilden. Die tschechische politische Repräsentation begann auch in diesem Sinne zu handeln. Die revolutionären Gedanken drangen desgleichen nach Mähren durch. Darauf reagierten die Deutschen zur Aufrechterhaltung ihrer Nationalität Anfang April mit der Gründung des „Vereins der Deutschen aus Böhmen, Mähren und Schlesien“, der den Bestrebungen der tschechischen Nationalbewegung begegnen sollte. In kurzer Zeit entstanden in den böhmischen Ländern 74 Zweigstellen dieses Vereins. Vgl. dazu z. B. Jörg K. Hoensch, Geschichte Böhmens von der slawischen Landnahme bis ins 20. Jahrhundert, München 1987, S. 338ff.

Das Musikleben des Adels

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Die neue bürgerliche Klasse wandte sich nach und nach vom Landespatriotismus des Adels ab – es war der neuzeitliche Nationalismus, der ihr wachsendes Nationalbewußtsein prägte. Die Deutschen begannen sich für bewußte österreichische Deutsche zu halten und gaben sich in der Öffentlichkeit auch als solche zu erkennen. Bei den Tschechen erweckten die pro-österreichischen Einstellungen der Deutschen wiederum eigene nationale Bestrebungen. Als sie diese in der Öffentlichkeit nicht so recht verwirklichen und entfalten konnten, wanderten sie nach Wien aus, wo sie viel günstigere Bedingungen für ihre Selbstverwirklichung fanden. Es waren nicht nur Lohnkräfte, sondern auch Intellektuelle, darunter Musiker, die der Arbeit wegen von Mähren nach Wien zogen. Einige von ihnen begannen sich alsbald am Musikleben Wiens zu beteiligen. Der Exodus der Kulturelite aus dem Lande schwächte das tschechische nationale Leben jedoch spürbar.

Das Musikleben des Adels Im 18. Jahrhundert waren Mähren und Schlesien ein Land mit hochentwickelter Musik- und Theaterkultur, die vom mährisch-schlesischen Adel und Klerus getragen und seinem Geschmack entsprechend ausgerichtet war. Kunst, Theater und Musik blieben für den Adel auch angesichts der großen gesellschaftlichen und ökonomischen Wandlungen, die ihn in der Zeit nach 1800 schwer bedrängten, eine Prestigesache. Die Musikgeschichte bezeichnet die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts allgemein als die Zeit des Niedergangs der Schloßkapellen und -theater sowie des Auftretens des Bürgertums in der Kunstszene. Ein wesentlicher Teil des Adels wollte seine Positionen jedoch nicht aufgeben, sondern die Rolle als großer Kunstmäzen beibehalten. Er verfolgte damit auch eigene Kulturinteressen. Wo der Adel imstande war, sein Streben nach kulturellem Überleben auf ökonomische Prosperität zu stützen, vermochte er sich Raum für eigene kulturelle Aktivitäten zu sichern. Zur Durchsetzung neuer künstlerischer Programme verband er sich in größeren Städten nicht selten mit dem Bürgertum. So verlor die Musik auch in der Periode des Rückgangs auf einigen mährischen und schlesischen Schlössern keineswegs an Glanz. Überregionale Bedeutung hatte die Schloßmusik in der Residenz des Grafen Heinrich Wilhelm Haugwitz (1770 –1842) in Namiest an der Oslau (Náměšť nad Oslavou).24 Der Graf war eine außergewöhn24 Grundlegende Studien in Anknüpfung an Christian Friedrich D‘Elvert, Geschichte der Musik in Mähren und Österreich-Schlesien (1873), verfaßte Karel Vetterl: Bohumír Rieger a jeho doba [Gottfried Rieger und

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Die Musik in Mähren und Mährisch-Schlesien bis 1860

liche Persönlichkeit: Musikalisch in Wien ausgebildet, beherrschte er das Spiel auf Violine, Violoncello und Klavier. Praktisch widmete er sich der Kammermusik. Einiger Sprachen mächtig, übersetzte er fremde Libretti ins Deutsche. Er komponierte auch selbst. Seine Vorstellungen von einer Schloßmusik großen Stils vermochte er zielbewußt in die Tat umzusetzen.

Abbildung 4: Heinrich Wilhelm Graf Haugwitz mit seiner Frau

Für seine groß besetzte Kapelle von bis zu 63 Mitgliedern verpflichtete er Musiker, von denen er manche sogar bei berühmten Lehrern in Wien ausbilden ließ. Existierenden Namensverzeichnissen zufolge bestand die Kapelle überwiegend aus tschechischen Leh­rern und Chorregenten aus der nächsten Umgebung. Auch die zwei Kapellmeister waren Tschechen: Der später in Brünn berühmte Josef Ondřej Novotný wirkte 1809 bis 1820 bei Haugwitz, sein Nachfolger Jan Šandera, ein weniger bekannter einheimischer Musiker, 1820 bis 1842. In den Jahren 1804 bis 1808 engagierte der Graf den gebürtigen Schlesier Gottfried Rieger, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine Zeit], Sonderdruck, Brno 1929, und: Händels und Glucks musikdramatische Werke in Namiest, in: Auftakt 1931, S. 54f. Von den tschechischen Musikologen befaßten sich mit dem Thema Jan Racek, Miloš Štědroň u. a.

Das Musikleben des Adels

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die zentrale Gestalt des Brünner Musiklebens war und im Auftrag des Grafen auch Kantaten und andere Kompositionen schrieb. Haugwitz verkehrte freundschaftlich mit Antonio Salieri, der ihn des öfteren in Namiest besuchte. Vom Standardrepertoire mährisch-schlesischer Schlösser, die auf die musikalische Klassik und italienische Musik orientiert waren, wich Haugwitz durch die systematische Aufführung von Händels Oratorien und Glucks Opern ab, was in dieser Zeit einzigartig war. Der Graf schenkte auch Opern des Dresdner Komponisten Johann Gottfried Naumann Aufmerksamkeit und nahm Kompositionen Salieris ins Programm. Haugwitz, erste Ehefrau Sophie, geb. Freise, eine talentierte Harfenistin, gründete, nachdem der Graf sich 1802 von ihr getrennt hatte, auf Schloß Swietlau (Světlov) beim ostmährischen Bojkowitz (Bojkovice) ein eigenes Orchester.25 Kapellmeister wurde der Ortslehrer Jan Jahudka, Primarius war der Bojkowitzer Lehrer Daniel Zedník. In Neu Swietlau (Nový Světlov) wurde angeblich einmal in der Woche konzertiert, das aus Ortsmusikern bestehende Orchester zählte rund fünfzig Spieler. Ein hohes Leistungs- und Repertoireniveau erreichte die Schloßmusik in der Residenz des Grafen Anton Franz Magnis (1773  –1848) im mährisch-slowakischen Straßnitz (Strážnice). Im Musikalieninventar des Schlosses sind die Namen der böhmischen Musikemigranten Johann Wenzel [Jan Václav] Stamitz [Stamic] und Georg Anton [Jiří Antonín] Benda enthalten. Der Graf veranstaltete in seiner Residenz auch Wettbewerbe für Instrumentalisten und Kapellen der Volksmusik, deren Sieger er belohnte. Ein umfangreiches Orchester von 55 Mitgliedern unterhielt Graf Leopold II. Podstatsky-Liechtenstein (gest. 1848) auf seinem Schloß in Teltsch (Telč). Kapellmeister war 1830 bis 1844 der Ortslehrer Josef Tobiášek, ein Schüler von Salieri und Kiese­ wetter. Italienische Opern und Instrumentalmusik wurden unter dem Grafen Johann Nepomuk Wengersky und dem Freiherrn Oliver Loudon auch auf dem Schloß in Bistritz am Hostein (Bystřice pod Hostýnem) gespielt. Als das Schloß ausbrannte, gingen die Musikalien verloren. Aus den unvollständig erhaltenen Quellen wissen wir jedoch, daß auch in dieser verhältnismäßig kleinen Örtlichkeit italienische Opern und Instrumentalkompositionen der Wiener Klassiker gespielt wurden. Die letzte Opernvorstellung fand im Jahre 1845 statt.26 Nicht an allen Adelsresidenzen blieb die Tradition der Schloßmusik größeren Umfangs mit Orchesterkonzerten, Opern und Oratorien-Aufführungen erhalten. 25 Vgl. Olga Settari, Haugwitzovská hudební kultura na zámku Nový Světlov na Moravě v 19. století [Die Haugwitzsche Musikkultur im Schloß Neu Swietlau in Mähren im 19. Jh.], in: Studie muzea Kroměřížska 91‘ [Studien des Museums Kremsier (Kroměříž) 1991], Kroměříž-Brno 1992. 26 Laut einer Mitteilung von Petr Macek, dem Leiter des Musikwissenschaftlichen Instituts der Brünner Masaryk-Universität.

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Die Musik in Mähren und Mährisch-Schlesien bis 1860

Abbildung 5: Carl Alois Fürst Lichnowsky um 1797

Eine Ursache dafür war die verschlechterte ökonomische Situation des Adels und der damit verbundene allmähliche Verlust an gesellschaftlichem Prestige. Im berühmten Kremsier (Kroměříž) wirkten unter Erzherzog Rudolph von Österreich (1811–31) nur acht Bläser, die sogenannte Harmonie. Der musikalisch veranlagte Erzherzog förderte und pflegte selbst hauptsächlich Salonmusik in Kammerbesetzung. Kammermusik wurde auch von den Angehörigen des polnischen Adelsgeschlechts Mniszek auf dem Schloß in Frain an der Thaya (Vranov nad Dyjí) gefördert und gepflegt.27 Auch das südmährische Feldsberg (Valtice) der Liechtensteiner wurde durch eine Harmoniemusik berühmt. Die Arrangements von Werken zeitgenössischer Komponisten richtete der dortige Musiker Václav Sedlák ein. Seine Harmonien spielte man bei den Augustinern in Alt-Brünn, angeblich schätzte sie auch Beethoven hoch.28 Auch Franz 27 Vgl. Pavlína Křivinková-Jánská, Die Musikkultur auf dem Schloß in Frain an der Thaya (Vranov nad Dyjí), in: Sborník prací filozofické fakulty Brněnské univerzity [Sammelband mit Arbeiten der philosophischen Fakultät der Brünner Universität], H 23/24, 1988. 28 Vgl. Jiří Sehnal, Hudba na Břeclavsku v minulosti [Die Musik in der Region Lundenburg in der Vergangenheit], in: Břeclavsko 1969, Brno 1970.

Das Musikleben in den Städten und auf dem Lande

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Dietrich, Vater des Komponisten Ludvík Dietrich z Dietrichů, hielt sich auf seinem Sitz in Jessenetz (Jesenec) bei Konitz (Konice) eine Harmoniemusik. Die Adelsfamilie Lichnowsky lud Beethoven (1806, 1811), Paganini (1828) und Liszt (1841, 1846, 1848) zu Konzerten auf ihren Sommersitz im schlesischen Grätz an der Mohra (Hradec nad Moravicí). Salonmusik wurde auf dem Schloß im westmährischen Datschitz (Dačice) gepflegt.29 Graf Johann Friedrich Dalberg komponierte für Klavier und ließ seine Kompositionen in Deutschland drucken. Salonkompositionen schrieb auch Graf Haugwitz in Namiest. Der hervorragende Kenner der Musik auf Schloß Kremsier, Jiří Sehnal, hat im dortigen Archiv Kompositionen des Erzherzogs Rudolph von Öster­ reich mit Korrekturen Beethovens entdeckt.30 Es ist nicht Ziel dieser Darstellung, die Schloßmusik der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Mähren und Schlesien bis ins Detail zu dokumentieren. Von Interesse ist hier der allgemeine Charakter einer kulturell bedeutenden Erscheinung, und zwar auch im breiteren historischen Kontext, zum Beispiel im Vergleich zur Schloßmusik in Böhmen. Die Schloßmusik in Mähren und Schlesien überlebte um einige Jahrzehnte diejenige in Böhmen, wirkte zuletzt also etwas anachronistisch. Gleichwohl repräsentierte sie auch zur Zeit des aufstrebenden Bürgertums eine wichtige Sphäre der Musikkultur des Landes. Wichtig war auch ihre Funktion bei der Einbindung einheimischer, vor allem ländlicher Musiker in den Musikbetrieb. Daraus konnten auch kleinere Städte und Orte, in denen nach dem Muster der Schloßmusik Konzerte veranstaltet wurden, Nutzen ziehen, wobei auch anspruchsvollere Vokalwerke in den Nationalsprachen aufgeführt wurden.

Das Musikleben in den Städten und auf dem Lande Für den schlesischen und nordmährischen Raum verzeichnet D’Elvert beachtliche musikalische Aktivitäten mit Aufführungen von Haydns Oratorien, Symphonien und anderem in Engelsberg. Das rege Musikleben des Städtchens wurde vom Beamten Anton Schön, Vater des Komponisten Eduard Schön, initiiert und organisiert. In Groß-Ullersdorf (Velké Losiny) erwähnt D’Elvert eine Aufführung von Rossinis Stabat mater (1843), die der Ortskantor Josef Jaschke einstudierte und leitete. In den 29 Vgl. Petr Koukal, Dvě poznámky k hudebnímu dění na zámku v Telči [Zwei Bemerkungen zum Musikgeschehen im Schloß zu Teltsch], in: Studie Muzea Kroměřížska ´91 [Studien des Museums Kremsier (Kroměříž) 1991], Kroměříž–Brno 1992. 30 Vgl. Jiří Sehnal, in: Sehnal/Vysloužil (wie Anm. 14), S. 125.

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Die Musik in Mähren und Mährisch-Schlesien bis 1860

kleinen Grenzstädten gab es Kantatenkonzerte mit Werken Joseph Haydns, so in Feldsberg (Valtice) die Kantate Die sieben Worte Christi am Kreuz (1837). Tschechisch erklang diese Kantate in Otrokowitz (Otrokovice, 1835) und in Bürgstein (Sloup, 1837). In Mährisch-Kromau (Moravský Krumlov) wurde unter der Leitung von Josef Dvořák Haydns Schöpfung aufgeführt. Auf einer tschechischen Musik- und Deklamationsakademie, einer sogenannten „Beseda“31, in Eibenschitz (Ivančice) bei Brünn fand im Jahre 1843 unter der musikalischen Leitung von František Kott und unter Mitwirkung des Brünner Opernorchesters eine tschechische Aufführung von Beethovens Oratorium Christus am Ölberge statt. In demselben Jahr führte František Kott auf einer Beseda in Eibenschitz seine Ouvertüre Sázka o lásku (Die Wette um die Liebe) und Beethovens Ouvertüre Die Ruinen von Athen auf.32 In Pohrlitz (Pohořelice) führte der dortige Lehrer Neutwich mit Orchester und Chor das Oratorium Christi Grablegung von Sigismund Neukomm auf. Anhand von Zeitungsnotizen und anderen Nachrichten vermerkt D’Elvert zahlreiche Mitwirkende an den Aufführungen. Zusammen mit den Stadtmusikern wirkten an den Konzerten auch Musikanten vom Lande mit. Diese brachten zweifellos auch ihr Publikum mit – in die deutschen Konzerte deutsches, in die tschechischen tschechisches. Die Konzerte fanden jedoch ausschließlich in bürgerlicher Regie statt. Das Bürgertum bildete auch den Kern des Publikums. Es kam also auch in den kleineren Landstädten, die früher auf die halb volkstümliche Kantoren- und Kirchenmusik und auf das Volkslied angewiesen waren, zu einer allmählichen Änderung. Am sichtbarsten und nachhaltigsten änderte sich der gesellschaftliche Status der Musik in den „großen“ Städten, die über eine größere Bevölkerung und damit über eine verhältnismäßig breite Basis an Interessenten verfügten. Deren Stärke entsprach der Einwohnerzahl. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte die mährische Metropole Brünn knapp 30.000 Einwohner, die zweitgrößte Stadt in Mähren, Iglau, fast 20.000, etwas mehr als Olmütz mit rund 18.000 Einwohnern. Die kleinste der „großen“ Städte, Troppau, hatte etwas mehr als 13.000 Einwohner. In Brünn, Olmütz und Troppau garantierte das wirtschaftlich gut situierte deutsche Bürgertum den künstlerischen Betrieb der Konzerte und Opernvorstellungen sowie den Zufluß qualitativ hochstehender Kräfte, in deren Reihen auch Tschechen nicht fehlten. Ziel der Musik- und Theatergruppen und -vereine war es, durch Aufführungen künst31 Im Tschechischen bedeutet dieses Wort so viel wie geselliges Gespräch bei einem freundschaftlichen Beisammensein. 32 Um die beachtenswerten Aktivitäten der Eibenschitzer „Beseda“ hat sich der tschechische patriotische Priester František Procházka verdient gemacht. Vgl. dazu Vladimír Gregor, Obrozenská hudba na Moravě a ve Slezsku [Musik der Wiedergeburt in Mähren und Schlesien], Praha 1983, S. 64.

Das Musikleben in den Städten und auf dem Lande

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Abbildung 6: Der königliche städtische Redoutesaal auf dem Brünner Krautmarkt (Zelný trh) aus des Jahren 1734/35. Kolorierte Zeichnung von Fr. Richter aus dem Jahr 1830.

lerisch wertvoller Werke einen stabilen Betrieb zu erreichen. Kompromisse waren dabei aus verschiedenen Gründen nicht ausgeschlossen. Der neue soziale und kulturelle Status der Städte machte den Bürgern ohne Rücksicht auf ihre soziale und nationale Herkunft Musik und Theater zugänglich. Das Bürgertum eroberte sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine Stellung in der Musikkultur auch Mährens und Schlesiens keineswegs in Opposition gegen die adelige Schloßkultur. Beide Kultursphären existierten in den Städten einige Zeit nebeneinander. Vom Adel – in Olmütz auch vom Klerus – wurde der sich entwickelnde bürgerliche Musik- und Theaterbetrieb unterstützt. Der ausübende Musiker mußte sich jedoch nicht mehr vom Adel abhängig fühlen. In der neuen Situation reagierte er eher auf die kulturellen Bedürfnisse und den künstlerischen Geschmack seiner Konsumenten. Ganz in bürgerlichen Händen befand sich das neue Musikleben im unweit der böhmischen Grenze gelegenen Iglau. Das dortige Bürgertum baute sich seine Musikkultur mit außergewöhnlichem Eifer aus eigener Kraft und mit eigenen Ressourcen auf. Dabei blieb Iglau in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts musikalisch keineswegs hinter den drei anderen Landeszentren zurück. Iglau mußte nur auf eigenes Theatergebäude warten, das die Stadt erst 1850 durch den Umbau der Kapuzinerkirche zu einem Saal mit der unglaublichen Kapazität von 1.200 Plätzen gewann. Vorher wurde im Saal des Jesuitengymnasiums mit einer Kapazität von 300 Plätzen gespielt und konzertiert. Nur Brünn erbte sein steinernes

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Die Musik in Mähren und Mährisch-Schlesien bis 1860

Abbildung 7: Das Stadttheater Olmütz außen

Abbildung 8: Das Stadttheater Olmütz innen

Das Musikleben in den Städten und auf dem Lande

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Theatergebäude, den Königlich-Städtischen Redoutensaal mit 800 Plätzen, aus der Vergangenheit. Er war 1734 errichtet worden. Das Theater, in dem der zwölfjährige Wolfgang Amadeus Mozart am 30. Dezember 1767 mit seiner Schwester Nannerl konzertierte, hat durch die Renovierung seines Interieurs im Jahre 1786 außerordentlich gewonnen. Ein neues Theaterhaus erbaute sich im Jahre 1800 anstelle des früheren Holztheaters die Stadt Olmütz. Die Stadt Troppau errichtete 1805 ein Theater nach dem Muster des Theaters an der Wien.

Abbildung 9: Der Saal der erzbischöflichen Residenz in Olmütz (Photo Jiří Sehnal)

Zwar wurde in Brünn in den Stadtpalästen des Adels und in Olmütz in der erzbischöflichen Residenz weiterhin Musik gepflegt, doch die städtischen Theatergebäude sind seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts sichtbare Symbole der neuen Musikära geworden. Das bedeutende Musikgeschehen des Landes ereignete sich nun in den Stadttheatern. Die Theatergebäude dienten allerdings auch Bällen und anderen gesellschaftlichen Ereignissen, vor allem aber boten sie Opernvorstellungen und Konzerten, die das Kulturprofil der Städte und des ganzen Landes wesentlich formten, einen würdigen Rahmen. Den Ton für das Musik- und Theatergeschehen gab das kaiserliche Wien an. Sein Einfluß reichte bis nach Troppau, wo es als Vorbild und Maßstab Breslau ablöste.

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Die Musik in Mähren und Mährisch-Schlesien bis 1860

Zu einem anderen wichtigen Faktor der bürgerlichen Ära wurde der neue Typ des Konzert- und Theaterbesuchers. Dieser rekrutierte sich nicht nur aus dem etablierten Bürgertum, sondern auch aus Angehörigen niederer Gesellschaftsschichten wie Handwerkern und Landleuten, die sich erst zu Bürgern entwickelten. Zwar überwogen unter den Konsumenten die Deutschen, doch fehlte auch die tschechische Bevölkerung nicht. Deren bescheidene Zahl erhöhten die Bewohner der nahen Städte und Gemeinden, die um der Kultur willen kamen. Zweisprachige Tschechen besuchten deutsche Opernvorstellungen, aber auch leichtere Theaterstücke, Komödien und Possen. Im Theater- und Konzertleben gab es damals zwischen Deutschen und Tschechen keine wesentlichen Widersprüche. National tolerante Theaterunternehmer ließen in ihrem Haus eigene tschechische Vorstellungen zu. Zu einem Bruch dieser Gemeinsamkeit kommt es allgemein erst mit dem Neoabsolutismus der 1850er Jahre.

Musikvereine und Konzerte Öffentliche Konzerte als neuer Typ der Musikausübung hatten auch in Mähren und Schlesien Parallelen zum Musiktheater. Seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert wurden auch sie Veranstaltungen des Bürgertums und somit von Musikern getragen, die – abgesehen von den Chorregenten – nicht mehr im Dienst von Adel oder Klerus standen, sondern allenfalls in städtischen Diensten. Nicht selten verließen Musiker sogar den Adelsdienst, wie etwa in Namiest (Náměšť nad Oslavou) geschehen. Wie dem Theater erwuchs auch den Konzerten ein neuer Typus von Publikum, dessen Gros sich aus dem Bürgertum rekrutierte. Konzerte kamen gleichwohl ohne den musikliebenden Adel und Klerus nicht zustande, die ihre Paläste und Salons – in Olmütz auch die erzbischöfliche Residenz – dafür zur Verfügung stellten. Eine bedeutende Konzertstätte war das Altbrünner Kloster mit seiner Musikschule.33 Gebäude, bei deren Bau man schon Konzertveranstaltungen im Blick hatte, oder eigenständige Konzerthäuser existierten zu dieser Zeit noch nicht. In großen Städten gab es Theater, die auch Konzerte größeren Umfangs veranstalten konnten. In Brünn fanden Symphonie- und Kantatenkonzerte ab 1855 auch im Neorenaissance-Pavillon im Augarten (Lužánky) statt, einem Werk des Wiener Architekten Wilhelm Forster. 33 Dazu vgl. Bohumír Štědroň, Základy fundační kapely před Křížkovským [Die Grundlagen der Stiftungskapelle vor Pavel Křížkovský], in: Slezský sborník [Schlesien-Almanach] IX–1951–2. Das Schülerorchester der „blauen Knaben“ spielte Werke der Wiener Klassiker, Rossinis, Webers und Cherubinis. Die „blauen Knaben“ beteiligten sich an den Opernvorstellungen des Stadttheaters.

Musikvereine und Konzerte

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Abbildung 10: Pavillon im Augarten (heute Lužánky)

Das Bürgertum gründete zahlreiche Musik- und Gesangsvereine, die teilweise auch Musikschulen unterhielten. Renommierte Musiker eröffneten darüber hinaus private Musikschulen. In Iglau und Znaim fanden die Konzerte in der Regie des städtischen Musikvereins statt. In Brünn, Olmütz und Troppau standen hinter den Konzertunternehmen Interessenvereinigungen von Musikdilettanten – unter den Konzertinitiatoren gab es aber noch immer Vertreter des Adels. Auf die Entstehung und Entfaltung des Konzertlebens in Brünn und anderen mährischen Städten strahlten die Wiener Hauskonzerte Gottfried van Swietens, die Berliner und die Wiener Singakademie sowie die Wiener Tonkünstlersozietät aus; die Entstehung der sogenannten Liedertafel in den 1840er Jahren wurde von der Berliner Liedertafel beeinflußt. In den Grenzstädten und deutschen Sprachinseln waren diese Chöre einsprachig deutsch, in den Innenstädten zweisprachig deutsch-tschechisch. In Brünn wurden sie abwechselnd von den Chorleitern Pavel Křížkovský, Hynek Vojáček und Eduard Wutschek, in Olmütz von Arnošt Förchtgott-Tovačovský geleitet. Es ist an dieser Stelle wiederum notwendig, den Anteil der beiden Landesnationalitäten am Konzert- und Vereinsmusikgeschehen zu bestimmen. Der Anteil tschechischer Mu-

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siker am Konzertleben in Brünn und Olmütz war um nichts geringer als der am Musiktheater. Das war auch dadurch gegeben, daß derselbe Musiker sowohl bei Opernvorstellungen als auch bei Konzerten im Orchester saß. Die binationale Herkunft der Musiker spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der Kammerensembles: Tschechische und deutsche Namen erscheinen zum Beispiel im Brünner Streichquartett des Casimir von Blumenthal mit dem zweiten Geiger Sebastian Liworka, dem Bratschisten Karel Nanke und dem Cellisten Merta, im Brünner Streichquartett des Leopold Streit mit dem zweiten Geiger Horčička, dem Bratschisten Bernard Johann Wutzelhofer und dem Cellisten Josef Ondřej Novotný, später im Quartett des Grafen Bukuvka mit dem Primarius Karl Brandt, in dem in den 1840er/50er Jahren Franz Peyscha als zweiter Geiger, Pavel Křížkovský als Bratschist und Karel Březina als Cellist saßen. Jiří Sehnal hat aus den Mitgliedern der Harmonie der Altbrünner Fundation folgende Tabelle zusammengestellt, die den binationalen Charakter des Ensembles veranschaulicht:34 1816/17

1817/18

1820/21

1821/22

Ob I

Bureš

Bureš

Janíček

Janíček

Ob II

Šalanský

Šalanský

?

Osswald

Cl I

Hnojil

Zavadil

Soumar

Soumar

Cl II

Wiesner

Wiesner

Adolf

Král

Cor I

Zavadil

Baroch

Baroch

Serzavy

Cor II

Golda

Golda

Golda

Golda jun.

Fag. I

Töpfermann

Umlauf

Riedel

Riedel

Fag II

Umlauf

Riedel

Umlauf

Umlauf

CFg

Mickstein

Ries

Nemasta*

Valentin

*Frant.

Es gibt Belege für Entgegenkommen und Toleranz, ja auch Freundschaft zwischen tschechischen und deutschen Musikern. Der langjährige Kapellmeister der Brünner Orchester- und Kantatenkonzerte, Gottfried Rieger, hat sein Amt auf Pavel Křížkovský übertragen. Rieger selbst dirigierte in einem seiner Wohltätigkeitskonzerte im Augarten 1846 Kompositionen mit tschechischem Text, Lovecká (Auf der Jagd) von František Škroup und Vše jen ku chvále (Alles nur zum Lob) von einem nicht näher bekannten Jilm. Im deutschen Iglau war lange Zeit der Tscheche Jan Ferdinand Pokorný als „artistischer Direktor“ des städtischen Musikvereins die Zentralgestalt des Musiklebens. 34 Übernommen aus der Studie: Das Musikrepertoire der Altbrünner Fundation unter Cyril Napp (1816   –18), in: Sborník prací filosofické fakulty Brněnské unversity [Sammelband mit Arbeiten der philosophischen Fakultät der Brünner Universität], H 15/1980, S. 63 –78.

Musikvereine und Konzerte

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In Olmütz gehörten zu den Vorgängern des Dominik Pillhatsch, der dort in den Jahren 1820 bis 1862 die Schlüsselfigur des Musiklebens war, die nicht näher bekannten tschechischen Domorganisten Josef Červenka und František Ostrý. Eine Bewertung des Beitrags dieser Musiker steht noch aus. Die mährischen Tschechen hatten keine eigenen Konzerte, auch nicht in Brünn und Olmütz, Städten mit ausreichend tschechisch geprägtem Hinterland. In den 1840er Jahren füllten die nach Prager Muster entstandenen patriotischen Gesellschaftsabende, die „Besedas“, diese Lücke. Einem anonymen Autor zufolge sollten sie in unterhaltender Form Liebe zur tschechischen Sprache erwecken und das Nationalbewußtsein festigen: Die slawischen Besedas sind Versammlungen von gleich und verschieden Gesinnten zur gemeinsamen nationalen Unterhaltung, deren wahrer Zweck aber ist, das Herz zu veredeln, den Verstand zu bilden, das Gefühl und den Willen zu segensreichen Taten aufzumuntern. Die Töne der Musikinstrumente klingen wundervoll auch in unserer Brust und begleiten uns im Geiste in den Kampf für ein freies Vaterland, die Nationalität und unsere Muttersprache.35 Auf den „Besedas“ traten Sänger und Instrumentalisten auf, der junge Violinist Ferdinand Laub, der Cellist Karel Březina und andere. In den 1850er Jahren wurden die „Besedas“ unterdrückt. Nach 1860 erwachten sie zu neuem Leben. Tschechen wirkten auch als Solisten in Konzerten mit und maßen sich so mit internationalen Virtuosen, die in Mähren und in Troppau konzertierten. Genannt seien die blutjunge Violinspielerin Vilemína36 aus der Brünner Familie Neruda, deren Talent bald von Eduard Hanslick hochgeschätzt wurde, der Geiger Arnošt Nesvadba, ein weiterer gebürtiger Brünner, oder der Geiger Josef Beneš aus Battelau (Batelov) bei Iglau. In einem gemeinsamen Konzert mit Clara Schumann wurden die Lieder ihres Mannes vom tschechischen Tenor Jan Ludvík Lukes, einem Zögling der Altbrünner Fundation und damals Solist an der Olmützer Oper, interpretiert. Clara Schumann konzertierte in Brünn bereits im Jahre 1847, vor ihr waren in den mährischen Städten und in Troppau Franz Liszt (1840, 1846), der zehnjährige Anton Rubinstein und die berühmten Geiger Henri Vieuxtemps und Ole Bull aufgetreten. 1824 gab Conradin Kreutzer in Brünn sein erstes Klavierrecital. In seine Geburtsstadt Brünn und nach Mähren kam öfter der Geiger Wilhelm Ernst. Konzerte fahrender Virtuosen – einschließlich jener von einheimischer Herkunft wie Ernst, Beneš, Nesvadba und anderen – waren keine Konzerte mit Programmen, wie sie in den näheren und entfernteren Musikzentren für ein musikalisch kultiviertes Publikum 35 Vgl. dazu Sehnal/Vysloužil (wie Anm. 14), S. 151. 36 Über diese weltweit berühmten Künstlerin schrieb in letzter Zeit Vojtěch Kyas in seinem tschechisch und deutsch herausgegebenen Buch Slavné hudební osobnosti v Brně. 1859 –1914 [Berühmte Musikerpersönlichkeiten in Brünn. 1859 –1914], Brno 1995.

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Abbildung 11: Jan Ludvík Lukes, Programmzettel des gemeinsamen Konzertes mit Clara Schumann

veranstaltet wurden. Hauptzweck solcher Darbietungen war die Selbstdarstellung des Virtuosen auch mit eigenen Kompositionen, wie sie zum Beispiel der Battelauer Josef Beneš (Concertinos für Violine, Polonaisen, Variationen) geschrieben hat. Eine besonders große Zahl von virtuosen, auch im Druck erschienenen Violinkompositionen hat Wilhelm Ernst komponiert (Morçeau de salon, Chant pour le violon, Andante Cantabile, Notturno mit Orchester, Grand Caprice pour le Violon sur le Roi des Aulnes de F. Schubert u. a.). Von den Virtuosen-Konzerten unterschieden sich jene mit Kammer-, Kantatenund Orchestermusik. Einheimische Musiker reagierten vielfach auf den künstlerischen Geschmack und die kulturellen Bedürfnisse des gebildeten Bürgertums und Adels. Es entstanden verschiedene Darbietungsformen von Kunstmusik: Musikakademie, Collegium musicum, Concerts spirituels – die Namen lassen erkennen, worum es sich jeweils handelte. Die Konzerte stellten ein öffentliches Ereignis dar, das für Ein-

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trittsgeld einer breiten Öffentlichkeit zugänglich war. Karel Vetterl führt an, daß sie in Brünn einen demokratischeren Charakter hatten als in Olmütz, wo geistliche Aristokratie, Bürokratie und Offizierskorps das Publikum dominierten.37 Das häufige, auch durch äußere, vielfach finanzielle Umstände bewirkte Ausbleiben von Konzerten zeigt, wie sich der neue, öffentliche Konzerttypus auch in Städten mit einer Tradition, wie Brünn und Olmütz sie hatten, mitunter nur schwer durchsetzte. Unterbrechungen in der Tätigkeit der Musikvereine und Musikorganisationen waren keine Seltenheit. Erstaunlich kontinuierlich und ohne größere Schwankungen entwickelte sich der weitgehend von Amateuren getragene Konzertbetrieb in Iglau, wobei die Leitung durch professionelle Musiker wie Jan Ferdinand Pokorný und Heinrich August Fischer – der sich nach einer Karriere als anerkannter Oboist in Iglau niedergelassen hatte – nicht außer acht gelassen werden darf. Die Iglauer erreichten mit ihren Musikakademien bereits in der Ära Pokornýs 1820 bis 1862 die beachtenswerte Zahl 435. Den Kern des Repertoires bildeten Orchesterwerke, Symphonien, Kantaten und Oratorien der Wiener Klassiker, darunter Haydns Schöpfung und anderes. In den Konzerten trat auch der Geiger Josef Beneš auf, überliefert ist die Aufführung einer Komposition von Václav Jan Tomášek, der 1787 bis 1789 in Iglau am Jesuitengymnasium studiert und als Vokalist bei den Iglauer Minoriten mitgewirkt hatte. Troppau veranstaltete seit 1802 Vokal- und Instrumentalakademien mit Kompositionen der Wiener Klassiker. Zum Glanz der Konzerte trug das neu gebaute Theaterhaus bei. Im Jahre 1823 fand eine Aufführung von Mozarts Requiem statt, Haydns Schöpfung wurde mit bescheidenerem Erfolg von Karel František Rafael einstudiert. Im Troppauer Stadttheater konzertierte 1846 Franz Liszt. 1854 kehrten die Troppauer zu Haydns Schöpfung zurück. Ausführlichere Angaben über das Troppauer Konzertgeschehen fehlen. Auch in den Schlössern des Adels wurde nach wie vor musiziert. Das dortige Musizieren bekam mehr und mehr kammermusikalischen Charakter, während Konzerte größeren Formats ähnlich wie Opernaufführungen in größeren Städten stattfanden, hauptsächlich in den mährischen Metropolen Olmütz und Brünn, an denen sich auch das bedeutende Troppau und andere kleinere Orte, an denen Konzerte gegeben wurden, orientierten. In Olmütz datiert die Entstehung der neuen Konzertära ähnlich wie zuvor in Brünn auf den Zeitpunkt, als Bischof Maximilian Hamilton im Jahre 1771 die Musikakademien, auch Musik-Collegium genannt, begründete. Längere Zeit wurden diese 37 In: Bohumír Rieger a jeho doba [Gottfried Rieger und seine Zeit], in: Časopis Matice moravské [Zeitschrift des Mährischen Kulturvereins], 33/1929, S. 75, auch als Sonderdruck erschienen.

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dann von den Olmützer Erzbischöfen und vom übrigen Klerus, vom Adel und von den Stadthonoratioren unterstützt. In jener Zeit, als in Mähren und Schlesien die adeligen Schloßkapellen noch blühten, hielt sich der Olmützer Erzbischof ColloredoWaldsee eine eigene Kapelle. Sie erlebte musikalisch einen Aufschwung, als der vom Brünner Theater kommende Geiger und Kapellmeister Franz Götz an ihre Spitze trat; der aus Böhmen stammende Musiker hatte die Schule von Carl Ditters von Dittersdorf durchlaufen. Götz stellte die Kapelle aus Domchoristen und Musikern von anderen Olmützer Kirchen zusammen – eine Stütze waren auch die Stadtbläser und die Stadthornisten. In den Wintermonaten konzertierte die Kapelle im Erzbischofspalais in Olmütz, in den Sommermonaten wahrscheinlich in Kremsier. Über die Programme der Konzerte sind wir nicht ausreichend informiert. Sicher wurden Kompositionen der Wiener Klassiker gespielt, eventuell auch italienische Musik, die in Wien stets eine Heimat hatte. Mit Colloredos Tod ging die erzbischöfliche Kapelle ein, ähnlich wie zu dieser Zeit auch die Schloßkapellen des Adels im Lande nach und nach ihren Niedergang erlebten. An die Stelle der Colloredo-Kapelle trat in Olmütz 1817 jene des DilettantenVereins. Sie wurde von Musikliebhabern aus den Reihen des Adels, der Beamtenschaft und des Offizierskorps gegründet. Der Verein veranstaltete Konzerte in der städtischen Reitschule, Kammerkonzerte und Auftritte von Virtuosen fanden im Kasino, in den Salons des Adels und andernorts statt. Die Konzerte hatten Abonnenten und von diesen eingeführte Gäste. D’Elvert führt das Programm des ersten Konzerts des Vereins am 15. August 1817 an, in dem Beethovens Symphonie Nr. 7 A-Dur, ein Chor aus Méhuls Oper Joseph und seine Brüder (auch bekannt als Joseph in Ägypten), Jacques Pierre Rodes Rondeau für Violine und Orchester und Beethovens Komposition Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Victoria aufgeführt wurden. Das Orchester des Vereins zählte damals 54 Mitglieder – das anspruchsvolle Programm zeugt von den künstlerischen Ambitionen der Dilettantenkörperschaft. Jiří Sehnal38 schreibt über ein anderes Musikereignis, das vom hohen Niveau des Olmützer Musiklebens zeugt: Für die Inthronisation Erzherzog Rudolphs von Österreich im Metropolitandom des hl. Wenzel 1820 war ursprünglich Beethovens Missa solemnis vorgesehen. Als der Komponist es jedoch nicht schaffte, sie rechtzeitig zu beenden, wählten die Veranstalter unverzüglich ein Ersatzprogramm. Unter Leitung des Regens Chori des Doms, Josef Červenka, erklang die Missa in B von Johann Nepomuk Hummel, das Te Deum und Ecce sacerdos vom Kapellmeister des Stephansdoms, Joseph Preindl, und ein Offertorium in d minore von Joseph Haydn. 38 Sehnal/Vysloužil (wie Anm. 18), S. 125.

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Unter dem musikliebenden Erzherzog kamen jedoch in seiner Olmützer Residenz keine Konzerte mehr zu Stande. Die erzbischöflichen Konzerte lebten erst unter Rudolphs Nachfolgern Graf Ferdinand Maria Chotek und Maximilian Joseph Sommerau-Beeckh in den 1830er/40er Jahren wieder auf. Ihre musikalische Leitung fiel dem aus Nordmähren stammenden Domkapellmeister Dominik Pilhatsch zu. Die Konzertprogramme bestanden aus Werken der Wiener Klassiker, die Aufführungen hatten Privatcharakter. Öffentliche Konzerte wurden in dieser Zeit auch vom Dilettanten-Verein veran­ stal­­ tet, bei denen Kammermusik, insbesondere Quartette aufgeführt wurden. In seinen Orchester- und Oratorienkonzerten erklang italienische Musik und Musik der Wiener Klassiker. Laut D’Elvert wurden aber auch Werke einheimischer Komponisten gespielt, etwa solche von Ludvík Dietrich und dem in Wien wirkenden Josef Kinsky. Welches Stück aus dem umfangreichen Werk Kinskys aufgeführt wurde, ist kaum zu ermitteln. Von Dietrich dürfte es die orchestrale Ouvertüre gewesen sein und – wenn auch kaum vollständig – die Jagdsymphonie mit Chor, deren für Violine und Klavier arrangierten Teil Waldesstille Arnošt Nesvadba auch in Olmütz und in anderen mährischen Städten sowie in Wien aufführte. In den 1850er Jahren ging der Dilettanten-Verein offenbar ein. Er hatte eine erfolg­ reiche zehnjährige Ära hinter sich, die für einen Musikhistoriographen jedoch eine Reihe von Rätseln birgt. An seine Stelle trat der 1852 von dem Staatsanwalt A. Kalina gegründete Städtische Musikverein. Dieser erfreute sich der Unterstützung zahlreicher Stadthonoratioren, was erklärt, daß er in dieser bewegten Zeit überhaupt entstehen konnte. Die Konzerte leitete der spätere Domkapellmeister František Trousil. In Brünn hatte man mit der Gründung eines Musikvereins in dieser Zeit Schwierigkeiten. Die ersten neuen Musikakademien waren dort zur gleichen Zeit wie jene in Olmütz (nach 1771) entstanden. Veranstaltungsort war das Stadttheater Redoute, unter Umständen aber auch Brünner Adelspaläste oder andere öffentliche Gebäude. Seit 1804 wechselten sie in den Sommermonaten in den Stadtpark Augarten. Sie wiesen nicht nur durch den Veranstaltungsort, sondern auch durch den großen Anteil bürgerlichen Publikums bereits Züge eines autonomen Konzerts auf. Mit Musikakademien in eigenen Häusern und für ausgewähltes Publikum wartete auch der Adel auf. Ohne Mitwirkung emanzipierter professioneller Musiker wären diese Musikveranstaltungen jedoch nicht zustande gekommen. Das kulturelle Miteinander von Bürgertum, aufgeklärtem, musikliebendem Adel und Stadthonoratioren kam dem Konzertbetrieb der Stadt zugute. Im öffentlichen Konzertleben sind auch Aufführungen ursprünglich liturgischen Zwecken zugedachter Kompositionen der Wiener Klassiker – Messen und anderes

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– nicht auszuschließen, denen in den wichtigen Brünner Kirchen große Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Die Kirche hat sich in dieser Zeit offenbar noch nicht so stark gegen die Aufführungen geistlicher Kunstwerke gewehrt. Der ambitionierte Regens Chori der Jakobskirche, Eduard Streit, hatte sogar vor, ausgewählte Nummern aus Beethovens Missa solemnis (1824) aufzuführen.39 Ein anderes wichtiges Zentrum der Kirchenmusik und der Musikpflege überhaupt war nicht zuletzt dank dem tschechenfreundlichen Abt Cyrill Napp das Königinnen-(Augustinen)Kloster in Alt-Brünn. Das Niveau der Produktionen sicherten Lehrkräfte und Zöglinge der Klosterstiftung, die neben der Stadtmusikschule des hl. Jakob die bedeutendste Musiklehranstalt zur Ausbildung von Sängern und Instrumentalisten war. Das von D’Elvert zusammengetragene und in den neueren Arbeiten des Musikhistorikers Jan Trojan40 präzisierte und erweiterte Material erlaubt es, ein verhältnismäßig geschlossenes Bild vom Konzertleben Brünns im Einheitsstaat zu zeichnen. Mit den ersten Musikakademien ist der Name des aus Wien stammenden Musikers Johann Baptist Lasser (1751–1805), Geigers und Kapellmeisters des Theaters, verbunden. Die Musikakademien gewannen an künstlerischer Relevanz, als Gottfried Rieger sich ihrer 1787 im renovierten Gebäude des Theaters Redoute annahm. Bevor er 1804 zum Grafen Haugwitz nach Namiest wechselte, waren die Programme durch Werke von Haydn, Beethoven (Symphonien, Oratorien), den aus Mähren gebürtigen Brüdern Paul (Pavel) und Anton (Antonín) Wrantizky (Vranický), Franz (František) Krommer (auch Krommer-Kramář) und anderen bestimmt. Rieger ließ auch Kompositionen von Dittersdorf nicht unbeachtet. Zum gesellschaftlichen Ereignis in Brünn wurde die Aufführung von Riegers patriotischer Kantate Svatopluk – Mährens Bruderbund auf Worte des Brünner Dichters und Librettisten Franz Franze im Jahr 1797. In der Komposition identifizierten sich die beiden Autoren mit dem Landespatriotismus der mährischen Stände und der Brünner Honoratioren, der keineswegs gegen Wien gerichtet war. Nach dem Konzert sang das begeisterte Publikum zusammen mit den fast zweihundert Mitwirkenden stehend die österreichische Staatshymne. Riegers Wechsel nach Namiest schwächte die künstlerische Position der Brünner Musikakademien. Einen Versuch, sie zu retten, unternahm der Konzertmeister des Theaterorchesters, Sebastian Liworka. Im Zusammenhang mit seinem Wirken 39 Dazu näher Karel Vetterl, Zur liturgischen Uraufführung der „Missa solemnis“ von L. van Beethoven, in: Musica divina 1929, Nr. 6. Ob tatsächlich etwas von Beethoven aufgeführt wurde, ist nicht zu belegen. 40 Vgl.: Das Brünner Konzertleben in der Zeit der nationalen Wiedergeburt (Aus der Musikhistorie der Stadt Brünn von den zwanziger bis zu den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts), in: Sborník prací filozofické fakulty Brněnské univerzity [Sammelband mit Arbeiten der philosophischen Fakultät der Brünner Universität], H 8/1973, S. 161– 83.

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erscheint erstmals in Mähren der Begriff „Dilettant“, mit dem die neu gegründete Musikvereinigung als Musik-Dilettanten-Gesellschaft bezeichnet wurde. Nach dem Vorbild Wiens führte Liworka professionelle Musiker und musikliebende Amateure zusammen, doch durften letztere zu ausübenden Mitgliedern erst werden, wenn sie entsprechende musikalische Fähigkeiten vorweisen konnten. Auch hier bildeten Musik­ liebhaber aus den Reihen des Bürgertums und des Adels das Gros des Publikums der Musikakademien. Der Einfall der Franzosen in Mähren und in Brünn, die Napoleonischen Kriege und der allgemeine Bankrott 1811 hinderten auch den zurückkehrenden Rieger daran, an die Aktivitäten der ersten Jahre seines Brünner Wirkens im Rahmen seiner Philharmonischen Gesellschaft – er hatte diese Benennung bereits 1808 verwendet – anzuknüpfen. In der Saison 1812/13 zog er Sebastian Liworka hinzu, dem er die Leitung der Orchesterkonzerte anvertraute, während er sich die Leitung der Kantaten und Oratorien vorbehielt. Brünner Musikdilettanten pflegten das Quartettspiel zusammen mit Professionellen wie dem Brünner Joseph Strauss sowie Casimir von Blumenthal, die wie Liworka Mitglieder des Brünner Opernorchesters waren. Zu dieser Zeit trat in Brünn auch schon eine große Zahl von Virtuosen auf. In den Dilettanten-Musikakademien führten Rieger und Liworka Mozart (Symphonien und Klavierkonzerte), Beethoven (wiederholt Christus am Ölberge, Symphonie Nr. 1 C-Dur) und Haydn (Die sieben Worte Christi) auf, in den populären Konzerten Opernouvertüren, Potpourris, modische Tänze und ähnliches. Riegers Glanzzeit auf der Brünner Konzertszene waren die 1820er/30er Jahre. Er kehrte zu Beethoven (Egmont, 1825, Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 und Symphonie Nr. 5 c-Moll, 1838) und zu anderen Wiener Klassikern zurück. Als Dirigent leitete er auf dem Wohltätigkeitskonzert der Barmherzigen Brüder in der Redoute 1836 eine Aufführung von Haydns Oratorium Die Schöpfung. Nach wie vor schaltete er auch eigene Kompositionen in die Konzertprogramme ein. Als der Statthalter des Guberniums, Graf Mittrowsky, im Jahre 1827 von Brünn und Mähren Abschied nahm, schrieb Rieger zu diesem Anlaß die Kantate Abschiedsfeier und führte sie auf. Er dirigierte die Brünner Musikakademien bis zu seinem einundachtzigsten Lebensjahr, als er den Taktstock an seinen Nachfolger Pavel Křížkovský übergab. Křížkovský begann seine hochgeschätzte Dirigentenkarriere 1845 mit der Aufführung von Ignaz Xaver Seyfrieds Requiem bei den Brünner Minoriten. Er setzte sie mit Konzerten in der Redoute und in mehreren Brünner Kirchen fort, auch mit dem Chor der Augustiner in Alt-Brünn, dessen Direktor er im Jahre 1848 wurde. Im selben Jahr führte er zu Ehren der Gefallenen der Märzereignisse Cherubinis Requiem auf. In der intimen Atmosphäre des Alt-Brünner Augustinerklosters konnte er Kammer- und

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Orchesterkonzerte sowie Harmonien und auch Theateraufführungen, wie es damals in den Klostern üblich war, veranstalten. Im Jahre 1834 erschien auf der Brünner Konzertszene mit dem aus Brünn gebürtigen Mäzen und Organisator Graf Michael Zykmund Bukůvka z Bukůvky eine neue Persönlichkeit. Ohne ihn hätten die Brünner Konzerte kaum das werden können, was sie ein ganzes Vierteljahrhundert lang gewesen sind. Mit der Trias Eduard Streit, Josef Ondřej Novotný und Gottfried Rieger initiierte er große Orchester- und Oratorienkonzerte – im Jahre 1839 bedachte er sie mit dem prunkvollen Namen „Concerts spirituels“ –, die ein Gegenstück zu den populären Konzerten mit Opernouvertüren, Arien und ähnlichem darstellen sollten. Die „Concerts spirituels“ pflegten die Tradition der Aufführung von Wiener Klassikern, neben denen Werke von Bach, Händel, Gluck und Mendelssohn Bartholdy gespielt wurden. Ein Novum für Brünn war 1846 die Aufführung des Oratoriums Die letzten Dinge von Louis Spohr. In den 1850er Jahren betrafen Bukůvkas Initiativen auch die Kammermusik. Das Streichquartett, das auf seinen Quartett-Soireen in der Zusammensetzung Karl Brand und Franz Peycha, Pavel Křížkovský und Karel Březina mitwirkte, spielte hauptsächlich Haydn, Mozart und Beethoven. Wegen ihres großen Erfolgs wechselten Bukůvkas Quartettabende bald von Brünner Adelssalons auf das Podium des Redoute-Theaters. Durch ihr künstlerisches Niveau wurden sie bald zur Dominante des Brünner Musiklebens. 1857 fand ihre kurze Ära jedoch ein Ende – angesichts der Unzulänglichkeit der Orchester- und Oratorienkonzerte endete damit auch die Ära der Musikdilettanten. In dieser Situation strebten die Repräsentanten des Brünner Musiklebens mit Cyrill Napp, Michael Bukůvka und Pavel Křížkovský an der Spitze nach einer Besserung des aktuellen Zustandes und führten Verhandlungen über das Statut des städtischen Musikvereins, auf dessen Grundlage das Musikleben in Brünn schrittweise professio­­ nalisiert werden sollte.41 Im Statut wurde auch über die Schule des geplanten Musikvereins nach dem Vorbild des Wiener Konservatoriums der Gesellschaft der Musikfreunde gesprochen. Sie sollte für ganz Mähren zur Verfügung stehen. Doch die Verhandlungen mit den Behörden führten vorläufig nicht zum Ziel. Der Städtische Musikverein entstand erst 1862, als das Musikleben Brünns schon in einen deutschen und einen tschechischen Zweig geteilt war.

41 Vgl. dazu Jiří Vysloužil, Otto Kitzler in Brünn, in: Bruckner-Symposion. Anton Bruckner als Schüler und Lehrer, Bericht 1988, Linz 1992, S. 65–70.

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Oper und Musiktheater Für den 7. Dezember 1814 kündigte der Brünner Abonnement Suspender die Vorstellung des „Singspiels in zwei Aufzügen, vom Herrn Wohanka aus dem Deutschen übersetzt und vom Herrn Rafael in Musik gesetzt, Strašidlo ve mlejně [Das Gespenst in der Mühle]“ an. Die Vorstellung fand in der Öffentlichkeit lebendigen Widerhall. Der Berichterstatter der Brünner Moravia reagierte darauf mit der zutreffenden Bemerkung, es sei lobenswert, hier in Brünn, dessen Bewohner zum größeren Teil tschechisch verstehen und sprechen, auch ein ‚Spektakel‘ in dieser Sprache zu geben. Das Singspiel Strašidlo ve mlejně mit der Musik des damaligen Kontrabassisten des Brünner Stadttheaters, Karel František Rafael, war jedoch eine vereinzelte Frühgeburt. Für die tschechische Ge­ meinde war eine eigene Oper oder ein eigenes Singspiel aus mehreren Gründen noch nicht realisierbar. Nicht mehr als ein interessanter Versuch waren auch die Brünner Tschechischen Saisonen unter dem Direktor Wilhelm Thiele (1837–42). Möglich wurde diese Episode durch einige künstlerisch ambitionierte und einflußreiche tschechische Kräfte, die damals in dessen Opernensemble wirkten. Es waren der Kapellmeister und Komponist Jan Hnojil, der Sänger, Chorleiter und Komponist Josef Dvořák, später der berühmte Bariton der Dresdner Oper, Jan Křtitel Píšek (Pischek), sowie die Tenöre Jindřich Bělčický und Foukal. Ihrem gemeinsamen Bemühen gelang es, einige Opern (Singspiele) in tschechischen Übersetzungen, ältere Singspiele von Wenzel Müller – Die Schwestern aus Prag (1794) in tschechischer Adaption unter dem Titel Dvě sestry z Jihlavy (Zwei Schwestern aus Iglau, 1837) und Die Teufelshöhle am Wienerberg (1799, aufgeführt 1838), die Aufführung von fünf Szenen aus Rossinis Il Barbiere di Siviglia (1838) – ebenfalls tschechisch, Übersetzung von Josef Kajetán Tyl –, das romantische Spiel Carl Maria von Webers Preziosa, das seltsame Zigeunermädchen (1839) und eine komplette Aufführung der biblischen Oper Joseph (1839) von Étienne Nicolas Méhul in der Redoute durchzusetzen. Es folgte ein Versuch, mit der Aufführung der ersten tschechischen Oper (Singspiels), František Škroups Dráteník (Der Drahtbinder), und der Premiere der Oper Žižkův dub (Die Eiche des Ziska) von František Kott – zuerst in deutscher Bearbeitung (29. November 1841), dann in tschechischer Fassung (2. Dezember 1841) – neben dem Schauspiel die tschechische Oper auf der Bühne des Brünner Theaters zu etablieren. In Olmütz gelang es nicht, tschechische Opernvorstellungen ins Leben zu rufen, dort gab es nur Schauspiele der tschechischen Dramatiker Josef Kajetán Tyl und Václav Kliment Klicpera. Nach dem Vorbild Brünns wurden in den Pausen Opernarien und patriotische Lieder gesungen. In mährischer Umdichtung erklang hier auch das Lied von František Škroup auf Worte Josef Kajetán Tyls,

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Kde domov můj (Wo ist meine Heimat), die heutige Staatshymne der Tschechischen Republik, das zum ersten Mal 1838 auf der Musikakademie in Brünn von Jan Křtitel Píšek gesungen worden war. In Mähren hat es sich in František Matouš Klácels Umdichtung mit folgendem Text verbreitet – angeblich wurde es auch bei den Brünner Deutschen beliebt: Kde domov můj? Svatopluka hrad kde stojí, Morava se s Hanou pojí, Jaroslav 42 kde, světa rek, Tatarův přelomil vztek, …

Wo ist meine Heimat? Wo die Burg des Svatopluk steht, wo die March sich durch die Hanna windet, wo Jaroslav, Held ohne gleichen, der Tartaren Wut gebrochen, …

Als die tschechischen Künstler der Generation Hnojils ihr Engagement im Opern­ ensemble des Brünners Stadttheaters beendeten und keine neuen an ihre Stelle traten, hörten hier auch die tschechischen Opernvorstellungen auf. Bis zur Gründung des ständigen tschechischen Theaters in Brünn 1884 existierten in Mähren und Mährisch-Schlesien nur deutschsprachige Bühnen. Ihre privilegierte Stellung beruhte auf dem Privileg Kaiser Josephs II. von 1786, durch das alle den Betrieb des Theaters Redoute betreffenden Rechte und Pflichten auf die deutsche Verwaltung der Stadt Brünn übergingen. Ähnliche Rechte und Pflichten übertrug Kaiser Franz II. dem Olmützer Theater erst auf Fürsprache Erzbischof Rudolphs von Österreich im Jahr 1830. Beide Häuser konnten sich mit dem Titel Königlich-Städti­ sches Nationaltheater schmücken. Das Betriebsrecht für Theaterunternehmen erhielt zur selben Zeit auch die Stadt Troppau. Nur in Iglau fanden die Opernvorstellungen auf Vereinsbasis statt. Vor dem Hintergrund der Gewährung von Betriebsrechten und verbundener Etatgewalt wurde auch in Mähren und Mährisch-Schlesien eine neue Ära des Theaters eingeleitet. Für unregelmäßige Aufführungen italienischer Opern und deutscher Singspiele sorgten wandernde Gesellschaften. In Iglau begann sich ein regelmäßiges Musikleben erst mit der Ankunft Jan Ferdinand Pokornýs 1820 zu entwickeln. Für einige Jahrzehnte blieb die Brünner Redoute das einzige bürgerliche Theater mit regelmäßig funktionierendem Musikbetrieb. Das erste Singspiel Das verfehlte Rendezvous hatte Wenzel Müller (Kapellmeister von 1781 bis 1785) schon 1783 für die Brünner Redoute geschrieben. Die produktive Ära des Singspiels mit Einflüssen der italienischen Buffa fiel jedoch in die Perio­ 42 Erfundene Gestalt der mittelalterlichen Geschichte Böhmens.

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de nach 1786, als neben den neuen Singspielen Müllers der im Musikleben des Landes etablierte, aus Wien stammende Ditters von Ditters­ dorf das Musikrepertoire des Theaters beherrschte. Einige Singspiele für die Redoute hat auch Gottfried Rieger, Kapellmeister 1787–1804, geschrieben. Erneut trat die Orientierung Mährens an Wien zutage, namentlich in den Vorstadttheatern. Mit der Aufführung des romantischen Singspiels Oberon, König der Elfen gedachte Brünn 1794 kurz nach der Wiener Premiere 1791 des Lands­ mannes Pavel Vranický. Es wurden auch die Wiener Nationalsingspiele Ferdinand Kauers (Das Donauweibchen, 1798), Joseph Weigls (Korsar aus Liebe, 1799), Johann Schenks Abbildung 12: Wenzel Müller (Dorfbarbier, 1797) und anderer gegeben. Eine Zierde der Rieger-Ära am Brünner Theater stellte die Einstudierung der Singspiele Mozarts dar: der Zauberflöte schon 1793, der Entführung aus dem Serail 1794. Im Mozart-Repertoire fehlte auch nicht Le nozze di Figaro (1797); 1789 hatte die weniger erfolgreiche Brünner Premiere des Don Giovanni (als Don Juan) stattgefunden. Im Jahr 1798 wurde Titus gegeben. Mit dem Abschied Riegers vom Theater endet in Brünn die Dominanz des Singspiels; nur Müllers Singspiele wurden weiter gespielt. Es begann die Ära der Oper, die von Anfang an gezwungen war, sich mit dem Schauspiel sowie mit Possen und verschiedenen komödiantischen Auftritten, die das Theater dominierten, zu arrangieren. Die Brünner fanden an leichter Muse Gefallen, dem Theater brachte sie die notwendigen Einnahmen. Der Übergang vom Singspiel zur Oper war nicht einfach – er wurde durch die Folgen der napoleonischen Kriege und des wirtschaftlichen Bankrotts 1811 erschwert. Günstige Wirkungen für den sich etablierenden Opernbetrieb hatten Aufführungen französischer Opern, eröffnet mit Cherubinis Lodoïska 1803. Es folgten Opern von Méhul (Schatzgräber, 1804), Boieldieus Kalif von Bagdad (Le calife de Bagdad, 1805), Grétrys Blaubart (Raoul Barbe Bleu, 1809)

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und andere.43 Die Verfestigung des Repertoires wurde durch eine Einstudierung von Beethovens Fidelio in der dritten Fassung von 1817 belebt, der 1813 eine Verwendung seiner Musik zu Goethes Tragödie Egmont vorangegangen war. Kein adeliges Schloßtheater – das Haugwitzsche Theater in Namiest nicht ausgenommen – hätte es sich aus ideologischen Gründen wohl erlauben können, diese revolutionären Werke Beethovens aufzuführen. Die Brünner Redoute hat Georg (Jiří Antonín) Bendas Melodramen Medea (1817), Pygmalion (1820) und andere gegeben. Die Einstudierung von Werken Beethovens brachte eine außergewöhnliche dramaturgische Belebung. Es folgten Spontinis Ferdinand Cortez (1818), Webers heroisch-komische Oper Silvana, das Waldmädchen (1819), gleich nach seiner Berliner Premiere Der Freischütz (1822), 1823 das romantische Spiel Preciosa, im Jahre 1831 Oberon. 1823 erschien auf dem Theater die romantische Oper Libussa, Herzogin der Czechen von Conradin Kreutzer, der in Brünn zu den beliebtesten Opernautoren gehörte; sieben seiner Opern wurden hier inszeniert. Für die Aufführung seiner Opern Der Lastträger an der Themse (1832), Melusine (1833) und Das Nachtlager von Granada (1835) bestellten die Brünner den Komponisten auch zum Dirigenten. Das Theater, dessen Betrieb insgesamt deutsch geprägt war, verlor die deutsche Oper keineswegs aus den Augen. In den vierziger Jahren wurden hier drei bedeutende Opern Albert Lortzings, Zar und Zimmermann (1842), Hans Sachs (1842) und Der Wildschütz oder Die Stimme der Natur (1843), Friedrich von Flotows Allessandro Stradella (1846) und andere aufgeführt. Nach wie vor dominierten jedoch Opern aus dem romanischen Bereich, vor allem die italienische Belcanto-Oper. Das neue Repertoire wurde von sechsundzwanzig Titeln aus dem Œuvre Gioachino Rossinis beherrscht. Der Komponist betrat die Szene des Brünner Theaters mit der großen heroischen Oper Tancred, Befreier von Syrakus (Tancredi). Den Abschluß der beachtlichen Reihe bildete 1831 Graf Ory (Le Comte Ory). Parallel dazu erschienen auf dem Theater Redoute einige Werke aus dem Be­ reich der französischen Grand Opéra, wie Helene (1821) von Étienne-Nicolas Méhul, Emma von Leicester oder Die Stimme des Gewissens (Emma di Resburgo, 1821) von Gia­ como Meyerbeer – Robert der Teufel (Robert le diable) kam erst im Jahre 1834 auf die Brünner Bühne –, weiter Die Jüdin (La Juive, 1837) von Jacques Fromental Halévy und die große heroische Oper Die Stumme von Portici oder Verfolgung und Edelmut (La muette de Portici, 1829) von Daniel François Esprit Auber.

43 Die Titel der Opern sind hier zunächst deutsch angegeben, wie sie jeweils von den Theatern verwendet wurden.

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Abbildung 13: Mozart, „Don Juan“. Theaterzettel (Redoute), 22. September 1808. Nach der ersten Brünner Aufführung (1789) wurde Mozarts Dramma giocoso in einer Umarbeitung als Singspiel präsentiert, wie es damals in den deutschsprachigen Theatern üblich war.

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Der Rossini-Welle folgten sieben Opern Vincenzo Bellinis, von denen als erste Der Seeräuber (Il pirata, 1832) erschien, und vierzehn Opern Gaetano Donizettis – als erste Anna Bolena (1833), während die komische Oper Don Pasquale in Brünn zwei Jahre nach ihrer Premiere 1845 aufgeführt wurde. Die Pflege der italienischen Oper er­reichte mit der Aufführung von Guiseppe Verdis lyrischem Drama Ernani 1847 und von Nabucco im Jahr darauf ihren Höhepunkt. Mit der Einstudierung von Verdis Rigoletto (1853) und Der Troubadour (Il trovatore, 1855) setzte das Theater Redoute die Aufführung italienischer Opern fort. Die 1850er Jahre zeichnen sich durch einen neuen Akzent aus: die deutsche romantische Oper und Mozart. 1849 wird die „erste deutsche Nationaloper“, Webers Freischütz, gegeben. Und mit neuen Einstudierungen von Don Giovanni (1850), Die Zauberflöte (1850) und Le nozze di Figaro (1853) kehrt Mozart nach Jahrzehnten auf die Brünner Bühne zurück. Auch Kreutzers und Lortzings Opern – neu Der Waffenschmied, 1850 – werden wieder gespielt, und zum ersten Mal gelangen in Brünn Heinrich Marschners Vampyr (1850) und Der Templer und die Jüdin (1855) zur Aufführung. Mit der Aufnahme von Wenzel Müllers Die Teufelsmühle am Wienerberg erinnerte die Redoute 1851 an ihre Singspielzeit. Gemessen an der Reichhaltigkeit des Spielplans erlebte die Oper am Theater Redoute in den 1850er Jahren ihre erste große Ära. Dieses zu erreichen hatte ein altes kaiserliches Privilegium erleichtert. Das Theaterleben in Olmütz wurde auch am Anfang des 19. Jahrhunderts von italienischen Operngesellschaften mit italienischem Repertoire bestimmt. Die eigentliche Geschichte des Theaters begann erst mit der Eröffnung des eigenen Gebäudes 1830. Der erste Theaterunternehmer war ein gewisser Hoch, von dessen Gesellschaft D’Elvert berichtet, daß in ihr einige tüchtige Sänger wirkten. Am Theater sei damals der Wiener Ballettmeister Paul Rainoldi engagiert gewesen. Jiří Sehnal gibt an,44 daß bereits unter Hoch Vincenzo Bellinis Oper Der Pirat (Il Pirata), François-Adrien Boieldieus Johann von Paris (Jean de Paris) und Die weiße Frau (La Dame blanche), Rossinis Tancredi, Webers Freischütz und Weigls Die Schweizerfamilie aufgeführt worden seien. Die Olmützer Oper folgte von Anfang an dem Brünner Vorbild, ihren Aufstieg erlebte sie unter Direktor Karl Burghauser (1834–47). Schon in ihrer dritten Saison 1837/38 bot sie ein repräsentatives Repertoire mit Bellinis Norma, Die Puritaner (I Puritani) und Montecchi und Capuleti (I Capuleti e i Montecchi), mit Rossinis Tancredi und Der Barbier von Sevilla (Il Barbiere di Siviglia), weiter mit Meyerbeers Robert der Teufel (Robert le diable), Halévys Die Jüdin (La Juive), Louis Hérolds Zampa, Adolphe Adams Der Postillion von Lonjumeau (Le postillion de Longjumeau), Mozarts Don Giovanni, Webers Freischütz, Lortzings Das Nachtlager von Granada und anderem. In der 44 Vgl. Sehnal/Vysloužil (wie Anm. 18), S. 135.

Oper und Musiktheater

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Saison 1843/44 wurden drei Opern von Donizetti einstudiert: Linda von Chamounix (Linda di Chamounix), Marie, die Tochter des Regiments (La fille du regiment) und Lucrezia Borgia; das Theater bot insgesamt vierzehn Opern. Eine neue Ära der Olmützer Oper begann mit Direktor Friedrich Blum durch die Festlegung des Orchesters auf zweiunddreißig Mitglieder und die Verstärkung des Chors. Für den Musikbetrieb des Opernensembles sorgten die beiden Kapellmeister Pütz und Urban, das Interieur des Theaters gewann durch zahlreiche Umbauten. D’Elvert schreibt darüber folgendes: Das Haus war prachtvoll ausgestattet, wie kein zweites Provinztheater. In zwölf Wochen des Jahres 1847 wurden elf verschiedene Opern mit lobenswerten Kräften, großer Präzision und besonderem Glanze an Kostüms und Dekorationen in diese Szene gebracht.45 In Troppau gastierten gleich nach dem Bau des Theaters verschiedene Theatergesellschaften. Es wurden italienische und französische Opern gespielt (Boieldieu, Grétry, Auber), die Tradition des Singspiels vertraten Mozart, Dittersdorf und auch Wenzel Müller. Zum wirklichen Aufstieg der Oper kam es in den 1830er Jahren. Als erster Kapellmeister figurierte ein gewisser Dworzaczek; im Jahre 1837 kam aus Breslau der Kapellmeister und Komponist Karel František Rafael nach Troppau, der bis 1840 am Theater blieb. Es herrschte regelmäßiger Opernbetrieb; das Repertoire orientierte sich an Olmütz und Brünn, wobei die italienische und die französische Oper (Rossini, Bellini, Donizetti, Adam, Hérold, Meyerbeer und andere) die Oberhand hatten. Das Singspiel war durch Mozarts Zauberflöte – 1837 von Kapellmeister Spöttler einstudiert – vertreten. Im Jahre 1846 kehrte Webers Freischütz auf die Troppauer Opernbühne zurück. Ende der 1840er Jahre wurde die Krise der Troppauer Oper in Zusammenarbeit mit der Olmützer Oper gelöst. Vom Olmützer Repertoire wurden Mozarts Opern Don Giovanni und Die Zauberflöte, erneut Webers Freischütz, Kreutzers Das Nachtlager von Granada und anderes übernommen. In den 1850er Jahren verlor das Opernleben in Troppau an Glanz. D’Elvert äußert in seiner Musikgeschichte seine hohe Meinung vom Opernleben im industriell prosperierenden Zentrum der Böhmisch-Mährischen Höhe, Iglau, wo das Iglauer Theater im Schauspiele wie in der Oper gut zu nennen war und mit jenem mancher Provinzial-Hauptstadt wetteifern konnte.46 Der Opernbetrieb gründete dabei auf örtlichen Amateurmusikern. In den 1820er/1830er Jahren leitete ihn der Kapellmeister, Regens Chori und Musiklehrer Jan Ferdinand Pokorný, „artistischer Direktor“ des ersten städtischen Musikvereins in Mähren (1819), in dessen Musikschule und Gesangsverein er sowohl für die Konzerte (Musikakademien) als auch für die Opernvorstellungen ein 45 D’Elvert (wie Anm. 24), S. 214. 46 Ebenda S. 215.

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Reservoire an fähigen Kräften fand. Mit seinem Chor und Stadtorchester wagte sich Pokorný auch an so anspruchsvolle Werke wie Mozarts Don Giovanni und Die Zauberflöte, Boieldieus Johann von Paris (Jean de Paris), Hérolds Zampa, Webers Freischütz und andere. 1840 trat ein anderer hervorragender Musiker, Heinrich August Fischer, an Pokornýs Stelle, unter dessen Leitung die Iglauer Oper ihren Standard halten konnte. Nun erschienen einige neue Opern wie Flotows Alessandro Stradella, Lortzings Zar und Zimmermann, Donizettis Regimentstochter, Verdis Troubadour und Webers romantisches Spiel Preciosa. 1850 zogen die Opernvorstellungen in ein dafür adaptiertes geräumiges Theatergebäude um. Das Iglauer Operntheater gewann dadurch sowohl an Publikumszahl als auch an Niveau der Aufführungen. Die Frage nach dem Niveau der Opern- und Operettenaufführungen ist bis hierher eher am Rande behandelt worden. Im Grunde kann man darauf nur aus einigen Betriebsparametern schließen, die bei allen Theatern ungefähr gleich waren, obwohl sich beispielsweise die Oper des Redoute-Theaters von der Troppauer Oper im Hinblick auf ihr reiches musikalisches Hinterland zweifellos unterschied. Ein gewisses künstlerisches Niveau garantierten die Theatergebäude, auch sparten die Städte keine Kosten für Dekorationen und Kostüme. Das Orchester erreichte eine Besetzung von 32 Spielern, der Chor von 24 Sängern. Die Solistenensembles rekrutierten sich aus einheimischen Kräften wie auch von außen engagierten Sängern. Für die Einstudierung und die Aufführung von Opern etablierte sich die Funktion des Kapellmeisters (und des Chorleiters). So waren die Theater in der Lage, ein verhältnismäßig umfangreiches Opernrepertoire zu bewältigen, zeitweise arbeiteten sie auch zusammen. Als die Troppauer Oper in den 1850er Jahren in Schwierigkeiten geraten war, half ihr das Olmützer Ensemble aus. Im Musiktheater des Einheitsstaates erwuchs dem adeligen Schloßtheater in den Stadtbühnen auch in Mähren und Mährisch-Schlesien ein starker Konkurrent, der seine früheren kulturellen und gesellschaftlichen Funktionen nach und nach übernahm. Im Rahmen des mehrschichtigen Betriebs des bürgerlichen Musiktheaters errang sich die Oper eine besondere Stellung: Sie repräsentierte gegenüber verschiedenen populären Genres gewissermaßen die Hochkultur und liefert damit einen Wertmaßstab. In Hinsicht auf die einheimische Opernproduktion war das Musiktheater noch nicht zu seinem Ideal gelangt, wie noch zu zeigen sein wird.

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Abbildung 14: Carl Ditters von Dittersdorf

Das Musikschaffen und die Komponisten Das Bemühen um eine eigene musikalische Identität war in einer Region wie dem mährischen Gubernium vergleichweise mühsam. Nach dem allmählichen Niedergang der Schloßmusikkultur, der auch die schöpferische Sphäre betraf, galt es in einer Übergangszeit zunächst neue Grundlagen für das Musikleben zu schaffen. Mit Carl Ditters von Dittersdorf war 1799 die letzte Komponistenpersönlichkeit der Schloßmusikkultur in Mähren und Mährisch-Schlesien gestorben. Dem ehrgei­ zigen Haugwitz in Namiest gelang es zwar, zwei produktive Komponisten für sich zu gewinnen: Gottfried Rieger, Schüler des Pfarrers und Rektors Antonín J. Damas Brossmann in Weißwasser (Bílá Voda), und Josef Ondřej Novotný, den der Graf beim Wiener Johann Georg Albrechtsberger sein Studium beenden ließ, doch haben beide den gräflichen Dienst verlassen, um ihre Karriere in Brünn fortzusetzen. Novotný

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Abbildung 15: František Sušil

war Neuling in Brünn, doch wußte er sich unter den Patrioten bald als Komponist durchzusetzen, unter anderem mit tschechischen Kunstliedern. Kompositorisch endete die Ära der Schloßmusikkultur mit dem Datschitzer Dalberg, dem Namiester Haugwitz und dem Olmützer Rudolph von Österreich. Schöp­ ferisch am höchsten stand wohl Dalberg, der einige von seinen Kompositionen in Deutschland herausgegeben hat. Im Kremsierer Schloßarchiv haben sich Kompositionen Rudolphs erhalten – einige mit Berichtigungen Beethovens –, neben anderen Variationen über das tschechische Volkslied „To jsou koně“ (Das sind Pferde) für Bassetthorn und Klavier. Miloš Štědroň charakterisiert die eklektischen Kompositionen des Namiester Haugwitz als Musik, in der sich Nostalgie nach der vergangenen Schloßmusikkultur widerspiegelt.47 Eine Betrachtung des Musiklebens im Einheitsstaat darf die elementarste Schicht der Musik, das Volkslied, nicht außer acht lassen. In seiner ursprünglichen Gestalt fiel es nicht unter die artifizielle Musik, sobald es jedoch von einem Sammler aufgezeichnet und veröffentlicht worden war, begann es in der bürgerlichen Gesellschaft 47 Vgl.: Die Harfenkompositionen des Karl Wilhelm Haugwitz (Zur Typologie der Schlosssammlung einer Subkultur), in: Sborník prací filozofické fakulty Brněnské univerzity [Sammelband mit Arbeiten der philosophischen Fakultät der Brünner Universität], Jg. XXII/1973, H 8, S. 81–93.

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wie jede andere Musik zu funktionieren. Es ging zusammen mit Kunstliedern in die Liederbücher zur geselligen Musikpflege ein. Auf vaterländischen Gesellschaftsabenden, den „Besedas“, und in den Schulen wurde es als die reinste Äußerung der mährischen Nationalmusik gepflegt. Angespornt vom Wiedergeburtsdichter, Sammler und Musiker František Sušil begannen sich Komponisten dafür zu interessieren.48 Auch Sušil selbst hat in seiner ersten Sammlung Moravské národní písně (Mährische Volkslieder, 1835) die Melodien einiger Lieder harmonisiert. Seiner Aufforderung folgten in ihren Chören und Liedern Komponisten wie Pavel Křížkovský, Hynek Vojáček, Arnošt Förchtgott-Tovačovský, František Pivoda und andere. Landkantoren nahmen die Impulse des Volksliedes in ihren Kirchenliedern und volkstümlichen, pastoralen Messen auf. Die Kompositionen Josef Tetíneks aus Trebitsch (Třebíč), Jan Hájeks aus Teschen (Těšín) oder Antonín Plachýs aus der Hanna und anderer kursierten in Abschriften in ganz Mähren. Der Folklorismus der Sušil-Generation repräsentiert jedoch nur einen Bereich der Musik im Einheitsstaat, der stilmäßig auf Wien orientiert war. Er war in gewisser Hinsicht ein Randphänomen. Leitfiguren waren in Mähren und Mährisch-Schlesien jedoch eigentlich nicht Haydn, Mozart und Beethoven, sondern eher der in Wien geborene Carl Ditters von Dittersdorf, der 1770 bis 1796 als Kapellmeister des Breslauer Erzbischofs Schaffgotsch in dessen Residenz Johannisberg (Jánský Vrch) in Schlesien tätig war. Dittersdorf wurde vorzugsweise in Johannisberg gespielt, aber auch in benachbarten schlesischen Schlössern, wo der junge Gottfried Rieger seine Werke kennenlernte. Schüler Dittersdorfs in Johannisberg war Wenzel Müller. Mit Opern oder Singspielen, Symphonien, Oratorien und Kirchenkompositionen von Dittersdorf wurde Mähren geradezu überschwemmt, wie die in mährischen Archiven erhaltenen Abschriften und Drucke bezeugen. Dittersdorf, geboren 1739, war sieben Jahre jünger als Haydn, das Stilniveau von dessen reifen Werken hat er jedoch nicht erreicht. Mit seiner eher einfach strukturierten, tanzartigen Musik ist er auf der Stilebene der Vorklassik von Matthias Georg Monn und Georg Christoph Wagenseil geblieben. Der allgegenwärtige Dittersdorf war in Mähren in gewissem Sinne das musikalische Vorbild für die Komponistengeneration Riegers. Sein etwas veralteter Musikstil entsprach der konservativen musikalischen Natur Riegers. Rieger begrenzte damit den Stilhorizont seiner Schule in einer Zeit, als die Musik in Mitteleuropa bereits weit in Richtung Romantik fortgeschritten war, wie zum Beispiel in der Musik des in Nordmähren genealogisch verwurzelten Franz Schubert.

48 Sehnal/Vysloužil (wie Anm. 18), S. 154.

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Abbildung 16: Gottfried Rieger. Lithographie von F. Wolf nach der Zeichnung von Georg Decker

Rieger eröffnete seine Musikschule 1828. Fortan durchlief eine große Zahl von Musi­ kern, darunter auch künftige Komponisten, diese Institution:49 Ludvík Dietrich z Dietrichů, Jan Dvořák, Joseph Fischhof, Berthold Frankel, Pavel Křížkovský – wahr­ scheinlich Schüler Riegers –, Ferdinand Peter Laurencin d’Armond, Maximilian (Max) Maretzek (auch Mareczek), Eduard Streit – womöglich ein Schüler Novotnýs –, Antonín Emil Titl, Ernst Wickenhauser und andere. Nach Brünn zurück kamen in Böhmen tätige Musiker wie Jan Hnojil, musikalisch ein Zögling des Augustinerklosters in Alt-Brünn, František Kott, Schüler des Pragers Friedrich Dionys Weber, und der bereits mehrmals erwähnte Josef Ondřej Novotný, der in der Alt-Brünner Fundation Musiktheorie unterrichtete und dessen Anteil an der Musikausbildung in Mähren bis jetzt nicht hinreichend untersucht worden ist. Dietrich ließ sich in Olmütz nieder und unterrichtete dort Arnošt Förchtgott-Tovačovský in Komposition. Mähren hat in der Zeit des Einheitsstaates jedoch auch zahlreiche Musiker verloren. Schon früh ging Wenzel Müller von Brünn weg, zuerst nach Prag (1785) und dann nach Wien (1786, erneut 1813). Nach einiger Zeit des Wirkens in Brünn in 49 Sehnal/Vysloužil (wie Anm. 14), S. 154ff.

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Abbildung 17: Maxmilian Maretzek

den 1820er Jahren haben auch die Gebrüder Blumenthal Brünn verlassen. Casimir war – vom Datschitzer Dalberg – nach Brünn gekommen und hatte sich hier auch kompositorisch durchgesetzt. Sein Bruder Joseph betätigte sich als Lehrer für Violine und Musiktheorie. Zu seinen Schülern gehörte der Brünner Joseph Strauss. Auch dieser hervorragende Musiker verweilte nur kurz in seiner Geburtsstadt. Er spielte im Theaterorchester, pflegte das Quartettspiel und komponierte.50 Der Brünner Strauss beendete sein musikalisches Wanderleben als Operndirektor und ebenso vielseitiger wie fruchtbarer Komponist – auch von Opern – in Karlsruhe. Einen weiteren ausgezeichneten Musiker, den im südböhmischen Wittingau (Třeboň) geborenen Komponisten und Dirigenten Joseph Triebensee, der 1811 bis 1816 in Brünn wirkte, verlor die Stadt ebenfalls. Triebensee übernahm nach Carl Maria von Weber die Stelle des Kapellmeisters am Prager Ständetheater und wurde zum bedeutenden Lehrer am Prager Konservatorium. Damit ist die Reihe einheimischer Musiker und Komponisten aus Brünn, Olmütz und anderen Orten, die das Land in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verließen, 50 D’Elvert (wie Anm. 20), S. 231.

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noch nicht erschöpft. Zu nennen sind Josef Beneš (u. a. Wien), Jakub Antonín Boháč (Wien), Heinrich Wilhelm Ernst (u. a. Wien), Joseph Fischhof (Wien), Jan Evangelista und František Hořalka (Wien), František Xaver Chotek (Wien), Rudolf Javorník, Joseph Kinsky (Wien, Graz), Maximilian Maretzek (Deutschland, Europa, USA), Alois Nanke (Wien, Ukraine), Ondřej Němec (Wien), Filip Opatřil (Wien), Josef Albert Pacher (Wien), František Pivoda (Wien, Prag), Václav Plachý (Prag), Moritz Schön (Breslau), Jan Sedláček (Wien, London), Antonín Emil Titl (Prag, Wien), Arnošt Förchgott Tovačovský (Wien), Hynek Vojáček (Wien, Rußland) und Joseph Wolfram (Königsberg, Rußland). Wenig später verließen neben anderen auch der Musikhistoriker Rafael Kiesewetter, der Onkel von August Wilhelm Ambros, und der Musikkritiker und Ästhetiker Ferdinand Peter Laurencin Mähren. Diese Abwanderung hatte zumeist existenzielle Gründe: Das prosperierende Wien bot Musikern aus der Provinz an den zahlreichen Theatern und in den Adelshäusern mehr Wirkungsmöglichkeiten. Für einige Musiker waren es auch künstlerische Gründe, die sie zum Wegzug bewogen, für tschechische Patrioten die nationale Unterdrückung, der sie in Wien nicht ausgesetzt waren. Es wurde schon damals kolportiert, Wien sei tschechischer als seine „Vorstadt“ Brünn. Das Musikschaffen in Mähren wurde wesentlich vom gesellschaftlichen und künst­ lerischen Status des auch komponierenden Musikers bestimmt – am häufigsten des ausübenden Musikers (Instrumentalisten), Theaterkapellmeisters oder Leiters eines Gesangsvereins, des Musikpädagogen und ungewöhnlich häufig auch des Regens Chori. Solche Musiker etablierten sich als Komponisten zumeist im Kontext ihrer musikpraktischen Tätigkeit. Sie komponierten nicht immer oder nur selten aus inneren künstlerischen Beweggründen, sondern für die musikalische Alltagspraxis und den Musikmarkt. Liturgische Kompositionen verschiedener Form wurden zumeist von den Chor­ regenten oder von speziell beauftragten Komponisten geschrieben. Einige von denen, die in die regionale Musikgeschichte eingegangen sind, sollen hier angeführt werden: Neben den schon früher genannten Hájek, Tetínek und Navrátil waren es die Brünner Joseph Blumenthal und Josef Dvořák, Joseph Fügerl aus Gnadlersdorf bei Znaim (Zdánice), František Xaver Chotek aus Liebisch (Libhošť) bei Freiberg (Příbor) in Mähren, Bedřich František Kott aus Brünn, der Olmützer Mořic Kunert, Jan Kypta aus Trebitsch (Třebíč), Antonín Plachý aus Klopowitz (Klopovice) bei Kojetein (Kojetín), die Brünner Eduard und Leopold Streit. Kirchenmusik wurde auch von in der profanen Musik profilierten Komponisten wie Rieger, Novotný, Titl, Hnojil, Pillhatsch, dem jungen Křížkovský und Vojáček geschrieben. Im Bestandsverzeichnis des Musikarchivs des Mährischen Museums in Brünn überwiegen Messen und andere Kompositionen

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Abbildung 18: Antonín (Anton) Emil Titl

auf lateinische Texte, bei den ländlichen Chorregenten auch auf Texte in den jeweiligen Nationalsprachen tschechisch und deutsch. Die reiche einheimische Produktion ergänzten bei den mährischen Chören Kirchenkompositionen aus den Nachbarländern, genannt seien Kompositionen vom Prager Jan Nepomuk August Vitásek, von Johann Nepomuk Führer, vom Preßburger Johann Nepomuk Hummel und Werke der Wiener Klassik (Haydn, Mozart, Beethoven). Aus der Perspektive des Komponierens bedeuteten diese Werke für die einheimischen Autoren immer eine große Konkurrenz. Als wohl einziger konnte sich dabei Gottfried Rieger behaupten, der im Rahmen seiner langjährigen Tätigkeit als Regens Chori in Alt-Brünn eine ansehnliche Zahl von liturgischen Kompositionen schuf, namentlich lateinische Messen und Einlagen. Sein bestes liturgisches Werk ist zweifellos das Requiem für Soli, Chor und Orchester, das er für die Aufführung bei seiner eigenen Seelenmesse bestimmt hatte. Bei dieser Gelegenheit dirigierte sie in der dortige Kathedrale der Regens Chori, Josef Dvořák, Zelebrant war Pavel Křížkovský. Im Requiem hat Rieger die Grenzen einer Gebrauchskomposition überschritten – als er es komponierte, war er längst nicht mehr Regens Chori. Er schrieb es offenbar mit großer Konzentration, den Sinn des Lebens reflektierend und von geistlicher Demut erfüllt. Das spiegelt sich in Stil und Ausdruck des Werkes wider. Über die Musik des Requiem schrieb der Rezensent der Brünner Zeitung, sie sei vom ernsten Geist der Bachschen Kunst durchdrungen, in der

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Melodik neigt sie zu Mozart.51 Im Requiem werde das natürliche musikalische Talent des Brünner Maestros sichtbar, der sich als Komponist mit verschiedenen praktischen Aufgaben abgeplagt und Zeit seines Lebens im Ruf eines musikalisch Konservativen gestanden habe. Daß er letzteres wirklich war, bezeugen nicht nur seine Kantaten, Kammer- und Orchesterkompositionen (Symphonie in C, Symphonie in D, Konzerte), sondern auch die Schrift Theoretisch-practische Einleitung die Generalbass- und Harmonielehre in sechs Monathen gründlich und leicht zu erlernen. Die erste Ausgabe erschien 1833 in Wien, es folgten weitere in Brünn. Es entsprach nicht Riegers Neigungen, seine Stellung als Opernkapellmeister, die er in den 1790er Jahren im Brünner Stadttheater angetreten hatte, als Komponist zu nutzen. Er schrieb einige Singspiele (Das wütende Meer, Schuster Flink, Die Savoyarden, Die Herde von Bethlehem), deren bestes vielleicht Vendelin von Höllenstein ist. Bald jedoch gab er die Laufbahn eines Opernkomponisten auf. Auch von der Theatermusik fühlte er sich als Komponist nicht angezogen; diese ist nach Theophil Antonicek „mit den Aufgaben des Theaterkapellmeisters verbunden, und diese haben vor allem für die Vorstadtbühnen ständig den großen laufenden Bedarf zu decken“.52 Als bedeutenden Theaterkomponisten erwähnt Antonicek Antonín Emil Titl, der nach 1840 im Wiener Theater in der Josefstadt wirkte. Rieger widmete sich vor allem der Leitung von Konzerten und seiner Musikschule. Musik benötigten auch die Theatervorstellungen im Brünner Stadttheater Redoute, das sich im Betrieb wie im Repertoire an den Wiener Vorstadttheatern orientierte. Hauptsächlich brachte man Schauspiele, Possen, romantische Volksstücke und ähnliches – Opern waren in der Minderheit. In Ermangelung von Musik behalf sich das Theater anders. Schöpfer der Musik zu Schillers historischem Drama Die Jungfrau von Orleans (1804) war der bereits genannte Josef Triebensee, der zu dieser Zeit die Blasharmonie des Fürsten Liechtenstein in Feldsberg leitete. Als Triebensee 1811 Kapellmeister am Brünner Theater geworden war, komponierte er auch Theatermusiken, unter anderem jene zum großen romantischen Spiel aus der altmährischen Geschichte Svatopluk, König von Großmähren oder: Der Verrat in der Adamshöhle (1816, Text: K. F. B. Töpfler). In dieser Zeit wirkte Triebensee schon als Nachfolger Carl Maria von Webers am Ständetheater in Prag. Nach Riegers großmährischer Kantate war das Spiel von Svatopluk ein weiteres Werk auf der Brünner Bühne, in dem sich das mährische Landesbewußtsein ohne spezifisch nationale Konnotation widerspiegelte. 51 Karel Vetterl (wie Anm. 24), S. 48. 52 In: Flotzinger/Gruber, Musikgeschichte Österreichs. Bd. 2: Vom Barock zur Gegenwart, Graz–Wien–Köln 1979, S. 240.

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Der meistgespielte Komponist von Theatermusik zu Stücken Wiener Provenienz in Mähren war Anton Müller, Kapellmeister im Theater an der Wien. Musik zu deutschen Stücken komponierte in der Zeit seiner Wirkung am Brünner Theater ab 1826 Jan Hnojil (auch Hnogil oder Hnogill), außerdem Schöpfer unter anderem von Symphonien, Ouvertüren, Messen und Kantaten. Erfolg beim großen Publikum erntete die Posse Das Kolatschenfest von Kumrowitz (tschech. Komárov, heute ein Stadtteil von Brünn) mit Hnojils Musik, die unter freiem Himmel im Stadtpark Augarten aufgeführt wurde. Hnojil war auch erfolgreich mit der Musik zu einem romantischen Spiel, das tschechisch unter dem Titel Dračí jeskyně u Röthenheimu aneb Železná hutě o půlnoci (Die Drachenhöhle bei Röthenheim oder Die Eisenhütte um Mitternacht, Text I. Kollman, tschechischer Text F. Vaníček) 1839 gegeben wurde. Weiter komponierte er Musik zum historischen Drama Wlasta (Text F. Hall, 1839). Als Kapellmeister des Brünner Theaters dirigierte Hnojil zwar Opernvorstellungen, doch ähnlich wie der alternde Rieger mochte er sich nicht entschließen, eine Oper zu schreiben, obwohl er mit deren Aufführung rechnen konnte. Es waren drei Schüler Riegers, die sich an einer Oper versuchten: Antonín Emil Titl komponierte etwa 1829 die romantische Oper Die Burgfrau (Bílá paní ), Maximilian Maretzek die tragische Oper Hamlet (Libretto nach Shakespeare von Streit [?], 1840) und der böhmische Immigrant František Ondřej Kott die romantische Oper Žižkas Eiche nach dem gleichnamigen Schauspiel Žižkův dub des tschechischen Dramatikers Václav Kliment Klicpera, bearbeitet von M. Mikšíček (1841). Mit dem hussitischen Heerführer Jan Žižka z Trocnova hat die Handlung nichts zu tun. Die idyllische Opernszene spielt dem Libretto nach im 16. Jahrhundert auf der Burg Zákolany westlich von Prag. Alle drei Opern erlebten ihre Aufführung auf der Brünner Bühne – ein kontinuierliches Opernschaffen in Mähren haben sie jedoch noch nicht begründet. Titl verließ Mähren kurz nach der Aufführung seiner Burgfrau 1832 in Olmütz. Von seiner Geburtsstadt verabschiedete sich unmittelbar nach der Premiere des Hamlet auch Maretzek – er wirkte schließlich als Komponist und Opernunternehmer in den USA. Da sich von seinem Hamlet keine einzige Note erhalten hat, müssen wir mit einer kurzen Nachricht aus der zeitgenössischen Presse vorlieb nehmen, wo vermerkt ist, daß die Oper bei ihrer Aufführung in Brünn eine beifällige Anerkennung fand.53 Kott komponierte nach Žižkas Eiche noch zwei weitere Opern: Dalibor 1846 und Poklad (Der Schatz), doch hatte er nach dem Ende tschechischer Opernaufführungen 1842 nicht die geringste Hoffnung auf eine Aufführung. Als dann in den 1880er Jahren in Brünn eine ständige tschechische Opernbühne entstanden war, 53 D’Elvert (wie Anm. 20), S. 139.

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Abbildung 19: Žižkův dub (Žižkůw dub; Žižkas Eiche), Theaterzettel zur tschechischen Aufführung der Oper

dachte niemand mehr daran, Kotts Oper mit eklektischer Musik und ohne jede dramatische Bewegung auf die Bühne zu bringen. Von den drei Opern verdient lediglich Titls Die Burgfrau größere Aufmerksamkeit, doch fesselt auch an diesem Werk weniger die Musik als vielmehr sein Sujet, das sich auf eine Ortssage von der Burgfrau auf der größten mährischen Burg Pernstein (Pernštejn) bezieht, wo Titl geboren wurde und bis zu seinem sechzehnten Lebensjahr aufgewachsen ist. Heute ist nicht mehr zu klären, ob der begabte zwanzigjährige Komponist durch diesen persönlichen Bezug zum Ort auf den Gedanken gekommen ist, eine Oper auf ein mährisches Thema zu schreiben, oder ob er sie auf Anregung seines Librettisten, des mährischen Historikers und Dichters Antonín Boček, komponiert hat. Für die Geschichte der Musik in Mähren ist der ideelle Kontext des Werkes wichtig, das dank seiner Aufführung in den beiden mährischen Kulturzentren Brünn und Olmütz als Ausdruck der mährischen Landesidentität wirkte.

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Titl war als Musiker von ungleich größerem Format als etwa Kott. Deshalb hat Mähren viel verloren, als er nach seinem erfolgreichen Operndebüt 1835 nach Prag ging, um dort die vorteilhafte Stelle als Kapellmeister des 28. Infanterie-Regiments Graf Latour anzutreten. Er begann Militärmärsche und modische Gesellschaftstänze für Blasorchester zu komponieren. Einige sind in der Sammlung Märsche des löblichen k. u. k. Infanterie-Regiments Graf Latour und andernorts erschienen. Dank dem Wiener Unternehmer František Pokorný, der ihn 1840 als Kapellmeister des Josefstädter Theaters engagierte, wurde Titl wieder dem Theater zugeführt. Im Musikarchiv des Mährischen Museums in Brünn sind Fragmente von drei weiteren Opern Titls (Jungfrauen-Tribut, Richard der Zweite, Das Wolkenkind) deponiert – ob sie je aufgeführt wurden, ist nicht bekannt. Es scheint, daß Titls Hauptpflicht bei Pokorný war, Musik für klassische Stücke (Torquato Tasso, Das befreite Jerusalem; Shakespeare, Die lustigen Weiber von Windsor, Der Kaufmann von Venedig) und leichtere Theaterstücke zu komponieren. Unter die profilierten Theaterkomponisten reihte sich Titl mit seiner Posse aus Gesängen und Tänzen Wastl oder Die böhmischen Amazonen (1841), mit dem Zauberspiel Der Zauberschleier oder Maler, Fee und Wirthin (1842), mit dem Vaudeville Die Verlobung vor der Trommel oder Die beiden Marketenderinnen, dem romantisch-komischen Zaubermärchen nach einer slawischen Volkssage Der Todtentanz (beide 1843) und dem romantischen Lebensbild Der Goldteufel oder Die Abenteuer in Amerika (1846). Der Zauberschleier mit Titls Musik wurde unmittelbar nach der Premiere mehr als dreihundertmal gegeben – das Werk stellt wahrscheinlich seine wertvollste Theatermusik dar. Albert Rille, Augenzeuge der Brünner Aufführung, charakterisiert es folgendermaßen: Hier möge auch gleich Titls reizende Musik zum „Zauberschleier“ ihren Platz finden; vor zwanzig Jahren hätte das noch ruhig als Oper erscheinen können, was sich jetzt bescheidentlich als Zauberspiel mit Musik einführen mußte. Diese überaus günstig aufgenommene Feerie war Thiels [Direktor des Theaters in Brünn von 1837 bis 1843] Abschied von Brünn.54 Als das Stück jedoch sechzig Jahre später, 1893, im Prager Nationaltheater aufgeführt wurde, schrieb die Kritik über seine Musik, sie ertrage in künstlerischer Hinsicht keinen strengeren Maßstab.55 Titls Theatermusiken wurden in den 1840er Jahren auch in Prag und Brünn häufig gespielt. Einige Stücke daraus sind volkstümlich geworden, etwa die Wastl-Polka.

54 Albert Rille, Geschichte des Brünner Stadttheaters 1734–1884. Brünn 1885, S. 134. 55 Vgl. Emil Axman, Morava v české hudbě XIX. století [Mähren in der tschechischen Musik des 19. Jahrhunderts], Praha 1920, S. 29. – Das Werk wurde damals mit den Opern Smetanas und Dvořáks verglichen und konnte schon deshalb nicht bestehen.

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Abbildung 20: Anton Emil Titl, Ouvertura dle slovanských nápěvů (Ouvertüre nach slawischen Weisen). Festmusik zur ersten tschechischen Theatervorstellung in Wien vom 29. Dezember 1850, komponiert vom Kapellmeister des k. k. Hoftheaters, A. Emil Titl

In Wien hielt Titl Kontakt zu seinen Landsleuten. Zwar komponierte er nicht auf tschechische Texte, als er jedoch vom tschechischen Opernsänger und Schauspieler Ignát Rosa gebeten wurde, zur ersten tschechischen Theatervorstellung in Wien eine Festmusik zu komponieren, erfüllte er diese Aufgabe mit seiner Ouvertura dle slovanských nápěvů (Ouvertüre nach slawischen Melodien, 1850). Das Stück wurde dann auch in zahlreichen Konzerten gespielt. Unter den Wiener Böhmen und Mährern erreichte sie auch deshalb außergewöhnliche Beliebtheit, weil Titl darin das damals verbreitete Volkslied Sil jsem proso na souvrati (Ich hab’ Hirse auf dem Wendeacker gesät) verwendete, das einige Jahre zuvor auch Bedřich Smetana in seiner Fantasie für Violine und Klavier (1842) verarbeitet hatte. In den ersten Takten der Ouvertura erklingt auch die Melodie von Škroups vaterländischem Lied Kde domov můj?.

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Notenbeispiel 4: Erste Seite der Ouvertura Tittls mit der Melodie des tschechischen patriotischen Liedes Kde domov můj? von František Škroup, heute Staatshymne der Tschechischen Republik

Zitate aus Volks- und vaterländischen Liedern in der Ouvertura sowie der Nachhall tschechischer Tanzmotive – etwa der Polka – in seinen Theatermusiken suggerieren einen böhmischen (slawischen) Charakter von Titls Musik, der auch D’Elvert bei seiner Bewertung erlegen ist. Authentisch folkloristisch sind diese „Bohemismen“ jedoch nicht – schon gar nicht in Bezug auf die mährische Volksmusik. Es handelt sich eher um Symbole des Geistes der nationalen Wiedergeburt in Gestalt von Weisen, die im städtischen Milieu kursierten. In Titls Musik sind sie überdies nur eine der Schichten seiner stilistisch nicht besonders ausgeprägten Komponistenpersönlichkeit. Schon in den ersten Kunstliedern, die er noch in Olmütz komponiert hat – zum Beispiel Der Fischer nach Goethe –, sieht man den Einfluß Schuberts, dessen Andenken er sie auch widmete. In einer von Titls einst beliebtesten Kompositionen, dem

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einstimmigen Chor mit Orchester Nächtliche Heerschau, sieht Theophil Antonicek in der Anwendung des Trommelrhythmus der französischen Marseillaise mit Recht eine Parallele zu Schumanns Lied Die beiden Grenadiere und stellt Titls Liedschaffen so in den Kontext des nachschubertschen Kunstliedes. Kurzum: Titls Musik ist mit der Musik jener Komponisten, die Sušils Aufforderung zu einer nationalen Musik auf Grundlage des Volksliedes gefolgt sind, nicht vergleichbar. Titl verbrachte zwar nur den kleineren Teil seines Lebens in Mähren, nahm aber in seinen Kompositionen fürs Theater immer wieder thematisch auf Mähren Bezug und hatte zudem in Mähren einen namhaften Schüler, so daß er bei der Darstellung der Musikgeschichte Mährens keinesfalls übergangen werden darf. Dieser namhafte Schüler war Ludvík Dietrich z Dietrichů, ein bedeutender Komponist der Generation nach Rieger, der in einigen seiner Werke die Grenzen der zweckbestimmten Musik der tschechischen Patrioten überschritten hat. Darin, daß Dietrich Titls Schüler war, sehen wir ein Stück Kontinuität der Musik in Mähren in Bezug auf Titls Werk und Wirkung. Dietrich komponierte unter anderem eine orchestrale Ouvertüre, sein Hauptwerk ist die Jagdsymphonie für Orchester und Chor von 1842. Von dieser hat sich nur seine eigene Bearbeitung des langsamen Satzes Waldesstille erhalten. Darin schlägt er romantische Töne an, die auch in seinen noch unter dem Einfluß Titls komponierten deutschen Liedern und Balladen (Bergmannslied, Rose und das Mädchen) zu vernehmen sind. Im Jahre 1843 machte Dietrich die Bekanntschaft Alois Vojtěch Šemberas, Professor der tschechischen Sprache an der Ständeakademie in Olmütz, der ihn und weitere Komponisten durch seinen Einfluß anregte, tschechische Texte zu vertonen. Bis dahin war ein tschechisches Kunstlied aus der Feder eines Komponisten in Mähren – wenn man von den etwas trivialen Kirchen- und weltlichen Lieder absieht56 – etwas Ungewöhnliches. Die ersten tschechischen Kunstlieder wurden von Josef Ondřej Novotný geschaffen und in der Sammlung Patero světských písní moravských pro zpěv a klavír (Fünf weltliche mährische Lieder für Singstimme und Klavier, 1831) herausgegeben. Weitere tschechische Lieder schickte Novotný 1835 zur Veröffentlichung an den Prager Věnec ze zpěvů vlastenských (Kranz aus vaterländischen Liedern). Erst in den vierziger Jahren wurde das Komponieren auf tschechische Texte zu einer Art Bewegung, die drei Zentren hatte: in Mähren in Brünn und Olmütz, außerhalb Mährens in der tschechischen (mährischen) Enklave in Wien. 56 Eine Auswahl davon ist im Buch des mährischen Patrioten Josef H. A. Gallaš, Musa moravská, I. Díl [Mährische Muse, Teil I], Brno 1813, abgedruckt. Herausgegeben hat sie Gallaš ’ Freund, der patriotische Priester Tomáš Fryčaj.

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In Olmütz repräsentierte Dietrich mit seinen Liedern und Liedertafel-Chören diese Bewegung. Schon 1843 erschien seine Sammlung Vlastenské písně (Vaterländische Lieder), von denen das Lied Na Moravu (An Mähren) nach Václav Hanka geradezu volkstümlich geworden ist. Als Lied eines Anonymus verbreitete es sich in textlichen und melodischen Varianten. Dietrichs Vlastenské písně, zu denen weitere nach dem Rukopis královédvorský (Königinhofer Handschrift)57 und vom tschechischen Dichter František Ladislav Čelakovský kamen, kann man als bescheidenes mährisches Gegenstück zu den einfacheren strophischen Liedern Schuberts bezeichnen. Seine Ballade Navrácení poslů z  Kostnice (Die Rückkehr der Boten aus Konstanz, 1843) war ursprünglich als Kantate gedacht, sein Oratorium Jan Hus von 1844 ist nicht erhalten. Dietrichs Freunde ermunterten ihn, eine Oper mit tschechischem Text und Sujet zu komponieren. Dietrich wußte jedoch um die eingeschränkten Wirkungsmöglichkeiten eines tschechischen Komponisten in Mähren, der sich nur außerhalb der offiziellen Musikinstitutionen der Städte bewegen konnte. Der Kapellmeister eines prosperierenden Wiener Vorstadttheaters hatte gewiß größere Freiräume. Als Autor von vaterländischen Liedern kam Dietrich eher ausnahmsweise in den Pausen der für das tschechische Publikum bestimmten Schauspielvorstellungen zum Zuge. Das Milieu, in dem seine Musik sich verbreiten konnte, waren die von den vaterländischen Vereinen zumeist privat veranstalteten Gesellschaftsabende. Erst im Revolutionsjahr 1848 erreichte der tschechische Gesang die breitere Öffentlichkeit. Es wurden Lieder und Chöre komponiert und gesungen, die der gesellschaftlichen Atmosphäre der Zeit entsprachen. Eines der beliebtesten Lieder der Revolutionszeit, Přijde jaro, přijde (Es kommt der Frühling) auf Worte von Jan Vlk, komponierte in Olmütz Dietrichs bester Schüler Arnošt Förchtgott-Tovačovský, ein freisinniger Student der dortigen Universität und Chorleiter des Männergesangsvereins. 1852 trat Tovačovský aus dem Verein aus. Er konnte die nationale Unterdrückung nicht ertragen und folgte der Einladung seines Olmützer Lehrers Šembera nach Wien, wo er sich freier entwickeln konnte und die Möglichkeit hatte, sich als Komponist, Musiklehrer, als von Hanslick hoch geschätzter Balladen-Sänger – namentlich jener von Carl Loewe – und Chorleiter der slawischen Gesangsvereine zu betätigen. Beim Signieren seiner Gebrauchsmusik ersetzte er das „Förchtgott“, den deutschen Teil seines Familiennamens, durch das tschechische Äquivalent Bohaboj.

57 Ein Zyklus von vermeintlich alttschechischen Gedichten aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Fälschungen sollten beweisen, daß noch vor der tschechischen mittelalterlichen, überwiegend lateinisch geschriebenen Poesie heimische tschechisch geschriebene Dichtung existierte. Die Fälschungen hatten einen künstlerischen Wert.

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Notenbeispiel 5: Ludvík Dietrich z Dietrichů, Poděbradská. Das Lied wurde unter dem Titel Moravě (An Mähren) bekannt und galt als inoffizielle Hymne der mährischen Tschechen.

Der gesellschaftliche Status eines patriotischen tschechischen Komponisten glich in Brünn in etwa dem in Olmütz. Die Chormeister des Männergesangsvereins, Pavel Křížkovský und Hynek Vojáček, komponierten zunächst auf deutsche Texte, etwa ab 1843 dann tschechische Lieder und Liedertafel-Chöre. Unter Sušils unmittelbarem Einfluß bearbeiteten sie auch Volkslieder. Der Augustiner Křížkovský komponierte in den Revolutionsjahren 1848/49 vierstimmige Chöre: Aj, vy bratři, oj, jonáci (Ei, ihr Brüder, wackre Burschen, Text Anselm Rambousek, Juli 1848), Universita (Universität, deutscher Text Ludwig August Frankl, tschechische Übersetzung František Matouš Klácel)58 und Pochod k majálkám brněnského alumnátu (Marsch zum 58 Zum ersten Mal erklang der Chor im Brünner Männergesangverein vor der Wohnstätte des Gubernial-

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Notenbeispiel 6: Arnošt Förchtgott-Tovačovský, Přijde jaro, přijde (Der Frühling kommt, er kommt), vierstimmiges Lied aus dem Revolutionsjahr 1848

Maifest des Brünner Alumnats, anonym, 1849). Im Jahre 1848 entstand auch eine Reihe von Křížkovskýs Männerchören auf Worte und Weisen aus Sušils Sammlung Moravské národní písně (Mährische Volkslieder, 1840), manchmal nur Harmonisierungen. Kompositorisch vorläufig am avanciertesten war die erste Version seines berühmtesten Männerchors, Utonulá (Die Ertrunkene), in dem er bereits Imitationstechnik sowie strengere thematische Arbeit anwendet. Křížkovský war musikalisch in der Alt-Brünner Fundation aufgewachsen, an der Josef Ondřej Novotný, ein Schüler vizepräsidenten. In Wien wurde er von Studenten, Mitgliedern der Brünner Deputation, am Samstag, dem 15. April 1848 in der Universitätsaula aufgeführt. Vgl. Skladebné dílo Pavla Křížkovského [Das kompositorische Schaffen von Pavel Křížkovský] I/1949, S. 195, hrsg. von Vilém Steinmann und Jan Racek.

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Abbildung 21: Konvent der Augustiner in Alt-Brünn. In der oberen Reihe zweiter von links Pavel Křížkovský, der fünfte in der Reihe Johann Gregor Mendel, der Begründer der Genetik, sitzend in der Mitte der Prälat Cyril Napp

von Albrechtsberger, Kontrapunkt unterrichtete. Möglicherweise verdankte er gerade diesem seine Kenntnisse im Kontrapunkt, die er später auch in seinen liturgischen Kompositionen anwendete. Křížkovský zog sich in den 1850er Jahren vom öffent­ lichen Leben zurück, behielt aber seine Stellung als Regens Chori in Alt-Brünn. Als Komponist und Dirigent widmete er sich mit seinem Chor der Kirchenmusik. Ebenfalls ein Zögling der Brünner Fundation war Hynek Vojáček. Anfangs komponierte er deutsche Liedertafel-Chöre und Kirchenmusik. 1845 entstand sein erstes tschechisches Lied für Gesang und Klavier, Veselá jízda (Eine lustige Fahrt, Text: František Ladislav Čelakovský). Teils in seiner Zeit in Brünn, teils in Wien und Siebenbürgen entstand Vojáčeks Liederzyklus (Kammerkantate) Hostýnské písně (Lieder von Hostein, 1845 –52) für Soli, Chor und Klavier (Zymbel ad lib.). Die Textvorlage stammte von Vincenc Furch, der dem Olmützer Kreis Šemberas angehörte. Die Verse besingen den sagenhaften Berg Hostýn (Hostein) im Wsetiner Hügelland als bekannten Wallfahrtsort sowie als Symbol des Mährertums und des mährischen Sieges über die tatari-

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schen Horden. Vojáček wurde im walachischen Wsetin (Vsetín) geboren und sammelte mit seinem Vater, der Kantor war, in der Gegend Volkslieder. Er vermochte diese Eindrücke auch kompositorisch zu verarbeiten. Für die Hosteiner Lieder komponierte er eine Musik in einfachen modalen Wendungen. Etwas Ähnliches machte Křížkovský in seinen Liedertafel-Chören nicht. Für diese wählte er aus Sušils Sammlung Dur­Moll-Melodien aus, die er auch dementsprechend harmonisierte. In Vojáčeks zweiten Wiener Aufenthalt 1852/53 fällt die Bearbeitung von Volksliedern (Čechoslovanské prostonárodní písně), die er mit dem um seinen Geburtsort Vsetín erweiterten Familiennamen Vojáček-Vsacký (Vojáček-Wsetiner) unterschrieb. In einer Zeit, als auch Sušil die Ansicht verbreitete, daß die tschechische Sprache auf dem quantifizierenden prosodischen Prinzip basiere, achtete Vojáček auf deren natürliche Deklamation. („Quantifizierendes prosodisches Pinzip“ – gesprochene Sprache als Wechsel von lang und kurz im Unterschied zum „akzentuierenden Prinzip“ als Wechsel von betont und unbetont.) Ähnlich wie Arnošt Förchtgott-Tovačovský hat er die nationale Unterdrückung der 1850er Jahre nicht ertragen. Er ging zum zweiten Mal nach Wien, um von dort nach St. Petersburg auszuwandern, wo er Professor am Konservatorium wurde. Er erreichte ein hohes Alter – den Kontakt mit seiner mährischen Heimat brach er jedoch nie ab. Schon im Jahre 1844 verließ František Pivoda, ein weiterer bedeutender mährischer Musiker, Brünn und ging nach gründlicher Bildung in Gesang und Musiktheorie nach Wien. Als Chorist der Jakobskirche und Zögling der städtischen Mu-

Abbildung 22: Arnošt Förchtgott-Tovačovský in seinen Wiener Jahren

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sikschule war er Schüler von Eduard Streit; Gesang lernte er beim Regens Chori der Peterskirche, Josef Dvořák. Als Musiklehrer in Wiener Adelsfamilien komponierte Pivoda deutsche Lieder für Gesang und Klavier auf Worte von Oskar von Redwitz, Joseph von Eichendorff und anderen sowie Charakterstücke für Klavier (Au lever de soleil. Pensée du matin, gewidmet Madame Hortense de Galvagne née Milanes). Für die tschechische Wiener Kommunität schrieb er Kirchenlieder und Musikstücke, vaterländische Chöre und anderes. Er arbeitete mit der Vereinigung „Slovanská beseda“ (Slawische Beseda) zusammen. Patriotismus veranlaßte tschechische Komponisten aus Mähren und aus der tschechischen (slawischen) Enklave in Wien zu Kompositionen mit tschechischem Text. In Chören für die Liedertafel vertonten sie Verse tschechischer und mährischer Dichter (Dietrich, Förchtgott-Tovačovský) und wandten sich dem Volkslied zu (Křížkovský, Vojáček, Pivoda). Vereinzelt und ohne erkennbare Perspektiven versuchten sie sich auch an einer Oper (Kott) oder einer Theatermusik (Hnojil). Eher ausnahmsweise verschrieb sich ein Komponist auch der Instrumentalmusik (Dietrich, Hnojil, Pivoda). Mit ihren Kompositionen auf tschechischen Text legten sie zwar den ersten Grund für das tschechische Musikschaffen in Mähren, das Gesamtbild der Kunstmusik des Landes vermochten sie damit jedoch nicht zu ändern. Die Sphäre der artifiziellen Musik hatten sie vorläufig noch nicht betreten. Dazu mangelte es ihnen sowohl an entsprechenden künstlerischen Kräften als auch an eigenen Verbreitungsmöglichkeiten. Zu einem Wandel des Musiklebens in Mähren kam es erst nach Einführung der Verfassungsordnung und dem Fall des Absolutismus (mit dem „Oktoberdiplom“), als die Musik beider Bevölkerungsteile des Landes eine neue, jeweils eigene Richtung einschlagen konnte.

1860 bis Mitte der 1890er Jahre – Die Suche nach nationaler Identität und künstlerischer Professionalität Deutsche und Tschechen nach Einführung der Verfassungsordnung Mit dem Fall des neoabsolutistischen Regimes Bach 1859 endete die Ära des zentralistischen Einheitsstaates. Kaiser Franz Joseph I. versprach seinen Völkern im Oktoberdiplom von 1860 eine konstitutionelle Monarchie, deren Grundsätze in der Verfassung von 1861 und erneut in jener von 1867 festgelegt wurden. Darin wurden grundlegende Bürgerrechte gewährt, insbesondere die persönliche Freiheit und die sich daraus ergebende Gewissensfreiheit, die Freiheit von Wissenschaft und Presse sowie Vereins- und Versammlungsfreiheit, welche die Bundesgesetze von 1852 noch eingeschränkt hatten. Die Verfassung von 1867 gab durch die Kodifizierung der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn dem Druck der widerspenstigen Magyaren nach, kam jedoch der von den Tschechen mehrheitlich geforderten Erneuerung der historischen Rechte der Länder der Böhmischen Krone – Böhmen, Mähren und Österreich-Schlesien – nicht entgegen. Die dualistische Verfassung von 1867 und weitere kaiserliche Dekrete schufen keine besonders günstigen Voraussetzungen für ein harmonisches Zusammenleben zweier ethnisch und sprachlich unterschiedlicher Bevölkerungen, die einen geographischen und kulturellen Raum gemeinsam bewohnten. Wichtige Fragen etwa in Bezug auf die politische Repräsentation in der öffentlichen Verwaltung und damit indirekt auch auf Kunst und Kultur blieben unbeantwortet. Die Frage der vollen Gleichberechtigung von Tschechen und Deutschen sowie der Verteilung der Staats- und anderer Dotationen blieb an der Tagesordnung. Die Einführung der Verfassungsordnung war jedoch trotz aller Mängel und Inkonsequenzen ein Fortschritt. Selbst das kaiserliche Wien konnte davon profitieren und erlebte zu dieser Zeit in Architektur, Musik, Theater und anderem sein goldenes Zeitalter. Viel davon übertrug sich auch auf das Leben der Deutschen in den böhmischen Ländern. Die Ablehnung des Trialismus59 durch den Kaiser bedeutete zwar 59 Trialismus – austroslawische Bestrebung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie um eine slawische Reichskomponente zu erweitern und damit zu einem dreigeteilten Staatswesen umzuformen.

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Notenbeispiel 7: Rakúský císař pán (Unser österreichischer Kaiser). Soldatenlied aus der Mährischen Slowakei

eine Begünstigung der Deutschen, die Einführung der Verfassungsordnung brachte den cisleithanischen Slawen gleichwohl Vorteile für die Entfaltung ihrer Bildung und Kultur. Deren Kunst wurde zu einem der wichtigsten Elemente ihrer nationalen Identität und erreichte oft eine solche Qualität, daß sie sich auch im breiteren mitteleuropäischen Raum durchzusetzen vermochte. Die Slowaken in Ungarn hatten diese Möglichkeiten nicht.

Die Situation der Deutschen in der Musik Dank der freieren Entwicklung der politischen und sozialen Verhältnisse nach dem Jahr 1860 kam es auch bei den mährischen Deutschen zu einer wesentlichen Belebung und Bereicherung des Musiklebens. Eine enorme Entfaltung erlebten die Musik- und Gesangvereine – die früheren, deren Aktivitäten in den fünfziger Jahren erlahmt waren, und jene, die neu entstanden. In Mähren und Mährisch-Schlesien gab es kaum eine Stadt, die sich nicht eines Musik- oder Gesangvereins rühmen konnte. Neben Musikvereinen angehörenden Chören existierten auch selbständige Gesangvereine bürgerlicher Vereinigungen, so der Arbeitergesangverein „Morgenröte“ in

Die Situation der Deutschen in der Musik

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Mährisch-Schönberg, der Deutsche akademische Gesangverein „Markomannen“ in Brünn, der Brünner Typographen-Sängerbund und andere. Die Vereine schlossen sich zu Sängerbünden zusammen – in Mittelmähren mit Sitz in Brünn und Olmütz, in Mährisch-Schlesien in Troppau, in Nordmähren in Mährisch-Schönberg und im Süden Mährens in Znaim. Sie veranstalteten Sängerfeste, an denen auch Gesangvereine aus Österreich und deutsche Gesangvereine aus Böhmen teilnahmen. Gesungen wurde das Repertoire deutscher Liedertafeln, Volksliedbearbeitungen, patriotische und unterhaltsame Lieder und Chöre. Die Liberalisierung des gesellschaftlichen Lebens führte zur Entstehung von Frauenchören, die sich zusammen mit Männergesangvereinen an Kantaten- und Oratorienaufführungen, zuweilen auch an Opernaufführungen mit Chorszenen beteiligten. Im Orchester wirkten Musiker aus Stadt- und Militärkapellen, in Brünn, Olmütz und Troppau solche aus den Opernorchestern mit. Aber auch Laien, die aus den Musikschulen der städtischen Musikvereine hervorgingen, waren beteiligt. Die städtischen Musikvereine waren überhaupt ein wichtiges Instrument der Professionalisierung des musikalischen Laientums. In größeren Städten wurden bedeutende auswärtige Musiker als „artistische Direktoren“ an deren Spitze berufen, nachdem sie sich in einem Wettbewerb vorgestellt hatten. Die Deutschen in Mähren hatten nach Gottfried Rieger keine solche Persönlichkeit in ihrer Mitte. Nach Znaim kam aus dem slowenischen Laibach (Ljubljana) Heinrich Fiby, Absolvent des Wiener Konservatoriums; für Brünn wurde der ehemalige Lehrer Bruckners, Otto Kitzler aus Linz, gewonnen; nach Iglau kehrte Heinrich August Fischer aus dem Ausland zurück. Für Olmütz wurde Vladimír Labler gewonnen, Absolvent des Prager Konservatoriums; in Troppau und in Brünn erschien – wenn auch nur für kurze Zeit – Joseph Friedrich Hummel, der zukünftige Direktor des Salzburger Mozarteums. Die bedeutendste Musikschule in Mähren und Mährisch-Schlesien, die Schule des Brünner Musikvereins, hatte laut Statut60 die Ambition, zu einem Musikkonservatorium ,nach dem Wiener Muster“ zu werden. Formal hat sie dieses Ziel nie erreicht, doch wirkten im Lehrkörper der Schule stets einige Wiener Absolventen. Für das Musikleben der Brünner Deutschen insgesamt hatte die Musikschule keine geringe Bedeutung. Die Chöre der Gesang- und Musikvereine pflegten weiterhin die Liedertafel. Die Aktivität der Stadtvereine und -schulen manifestierte sich in einem nie dagewesenen Anwachsen der Konzerttätigkeit. In die Verantwortung dieser Institutionen fiel auch das Konzertmanagement. Der Brünner Musikverein konnte es sich in einigen Fällen 60 Vgl. Jiří Vysloužil, Otto Kitzler in Brünn, in: Bruckner-Symposion 1988: Anton Bruckner als Schüler und Lehrer. Bericht, Linz 1992, S. 65 –70.

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sogar erlauben, hervorragende ausländische Orchester zu Gastaufführungen einzuladen. Die Wirtschaftskraft der Brünner Deutschen zeigte sich nach dem zehnjährigen Provisorium des Interimstheaters auch in der Errichtung des Stadttheaters mit der ersten elektrischen Beleuchtung in Europa (1882) und später des Deutschen Hauses (1891) im Neubarockstil, das sich eines Konzertsaals von ausgezeichneter Akustik rühmen konnte. In Mähren und in Mährisch-Schlesien existierten drei feste Theater mit Opernbetrieb: Brünn, Olmütz und Troppau; in Iglau, sporadisch auch in anderen Städten wurden Opern von Musik- und Theaterlaien aufgeführt. Die Zusammenarbeit der Opernensembles mit städtischen Musikvereinen erwies sich als für beide Seiten nützlich. Mitunter beruhte diese Zusammenarbeit auf der Personalunion des Dirigenten; in Konzerten und Opern wirkten dieselben Musiker mit. Das Repertoire war auf deutsche Musik aller Epochen ausgerichtet, die damalige zeitgenössische Musik von Brahms, Bruckner, Wagner und anderen eingeschlossen. Aufgeführt wurde auch Musik aus der französischen und italienischen Sphäre, die von den Theatern bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gepflegt worden war – jetzt kamen neue Werke hinzu. Die russische Musik erfreute sich keiner besonderen Aufmerksamkeit, solche tschechischer Komponisten wurde bis auf seltene Ausnahmen ignoriert. Angesichts der Zunahme an Konzerten und Opernvorstellungen erhebt sich die Frage nach dem Anteil der einheimischen Musikproduktion. Auf Namen lokaler Komponisten trifft man am ehesten in der Liedertafel-Musik. Die artifizielle Musik der Deutschen in Mähren hat durch den Weggang einiger Musiker, die sich in der Folge außerhalb des Landes als Komponisten und Interpreten durchsetzten, eine Einbuße erlitten. Von den profilierteren Persönlichkeiten ist nur die talentierte, deutsch orientierte, jedoch früh verstorbene Komponistin Agnes Tyrell – den Eltern nach englischer Herkunft – in Brünn geblieben. Sie war die erste private Schülerin von Otto Kitzler, der den Kompositionsunterricht in die Musikschule des Musikvereins eingeführt hatte. Aus seiner Klasse sind schließlich die ersten Komponisten der „Kompositionsschule des Musikvereins“ hervorgegangen. Bemerkenswert ist, daß sich weder Kitzler noch seine Schüler für das deutsche Volkslied interessierten. Erst Josef Götz (bis 1906: Žák), Musiklehrer am deutschen Pädagogium in Brünn, befaßte sich um 1900 mit dem Sammeln von Volksliedern in Mähren. Die Vernachlässigung des Volksliedes seitens der Deutschen war eine der Ursachen dafür, daß sich die artifizielle Musik der beiden Bevölkerungsteile in so unterschiedliche Richtung entwickelte. Die Deutschen orientierten sich in Stil und Ausdruck an der deutsch-österreichischen Musik, die Folklore der mährischen Bevölkerung hat dabei keine Rolle gespielt.

Musikvereine und Konzerte

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In größeren und kleineren Städten des Landes funktionierte nur die artifizielle Musik – reproduktiv in Konzerten der bürgerlichen Gesang- und Musikvereine und im Musiktheater, produktiv im Musikschaffen von Komponisten, die in der Kultur des Landes verankert waren.

Musikvereine und Konzerte Nach dem Jahr 1860 belebten bestehende Männergesangvereine ihre Tätigkeit in außerordentlichem Maße; im deutschen Sprachbereich entstanden zudem neue, ihre Zahl nahm erheblich zu. Im Jahre 1867 bestanden in Mähren 73, davon in Brünn vier, im Jahre 1890 waren es schon 251, davon elf in Brünn. Unterschiede zwischen den Vereinen gab es nicht nur in der Mitgliederzahl, sondern auch in Umfang und Charakter ihres Wirkens. Die Männergesangvereine betrieben weiterhin traditionelle Liedertafeln, ihr Repertoire wurde um patriotische Chöre und Lieder bereichert. Der populäre Chor Österreich, mein Vaterland des Znaimers Fiby ist zur inoffiziellen Hymne der Deutschen in Mähren geworden. Die deutschen städtischen Musikvereine haben die Konzerttradition der artifiziellen Musik fortgesetzt oder wiederhergestellt. Ihr Repertoire und ihr Niveau hingen nicht immer von der Größe der Stadt ab. In den nordmährischen Städten Sternberg und Mährisch-Schönberg zum Beispiel, in der schlesischen Kleinstadt Engelsberg und anderswo schlossen sich die örtlichen Chöre mit den Stadtkapellen zu Aufführungen von Werken Haydns, Mozarts, Beethovens, Schuberts, Mendelssohns und auch Wagners zusammen. In Konzerten wurden Ausschnitte aus Opern und Operetten gespielt. Im Jahre 1883 gastierte in Mährisch-Schönberg das Operettentheater der Stadt Wien. Bei den musikalischen Unternehmungen der Städte spielten Bindungen an bedeutende Musikzentren, die durch ihren Musikbetrieb und ihren Einfluß das Bild der deutschen Musik in Mähren und Mährisch-Schlesien prägten, eine Rolle. Das gilt namentlich für Brünn und Olmütz, Znaim und Troppau und das im entferntesten Westen des Landes gelegene Iglau. Alle zusammen orientierten sich jedoch an Wien. Kremsier, einst eines der bedeutendsten Musikzentren Mitteleuropas, hatte seinen Glanz verloren, und die heutige nordmährische Großstadt Ostrava war erst im Begriff, ein Musikleben zu etablieren. Das Musikleben Iglaus und der beiden grenznahen Städte Troppau und Znaim blieb nach 1860 weiterhin deutsch geprägt. Das entsprach der Demographie dieser Städte. In Iglau war von den rund 25.000 Einwohnern nur ein Fünftel tschechisch,

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Notenbeispiel 8: Heinrich Fiby, Männerchor Österreich mein Vaterland

in Troppau zählte man bei 22.867 Deutschen 1433 Tschechen, in Znaim standen 15.968 Deutschen 1.834 Tschechen gegenüber. Tschechen lebten jedoch auch in Dörfern im Umfeld dieser Städte. Troppau hat durch die Konstituierung der Landesregierung, die bereits im Jahre 1849 erfolgt war, gesellschaftlich gewonnen. Kulturell profitierte es vom nahen Olmütz. Im künstlerischen Musik- und Theaterbetrieb baute die Stadt jedoch auf eigene Institutionen, den städtischen Musikverein mit Musikschule und den Män-

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nergesangverein, der dann, 1874 um einen Frauenchor erweitert, unter dem Namen Troppauer Singakademie an die Öffentlichkeit trat. Seit 1862 war Troppau der Sitz des Deutschen Sängerbundes für Österreich-Schlesien, der erhebliche Aktivitäten bei der Organisierung von Liederfesten der schlesischen Chöre entwickelte. Im Jahre 1863 wurde in Troppau eine professionelle Stadtkapelle von zwanzig Mitgliedern gegründet, die gemeinsam mit Musikern der Militärmusik und mit fortgeschrittenen Laien zur Stütze der Orchester- und Kantatenkonzerte des Vereins wurde. Joseph Friedrich Hummel hat während seines Troppauer Wirkens 1863 bis 1873 das Niveau der Konzerte gehoben und als seinen tüchtigen Nachfolger den aus Laienkreisen stammenden Eduard Mestenhauser ausgebildet. Die Einstudierung eines Oratoriums von Felix Mendelssohn 1872 gehörte zu den Höhepunkten von Hummels Troppauer Saisonen, die sich im Repertoire auf Werke der Wiener Klassik konzentrierten. In Iglau war es Heinrich August Fischer, der nach Jan Ferdinand Pokorný die Musikämter innehatte. Er wurde künstlerischer Direktor des städtischen Musikvereins und leitete als solcher auch die Kantaten- und Orchesterkonzerte des Vereins mit Werken der Wiener Klassik, Schuberts, Mendelssohns und anderer. In den Konzerten arbeitete er mit den Iglauer Chören und der Stadtkapelle zusammen – als deren Kapellmeister wird 1868 Eduard Sobotka genannt. In die Musikgeschichte Mährens ging die Stadt auch dank der ersten Musiklehrer Gustav Mahlers ein: Neben Fischer werden Jakub Sladký, Kontrabassist und Kapellmeister der Stadtkapelle, der Musiklehrer und Kapellmeister Franz Viktorin sowie der Klavierlehrer Jan Brož aufgeführt. Gustav Mahler trat mit zehn Jahren in Iglau erstmals als Pianist auf, später dirigierte er während Besuchen bei den Eltern auch Operetten. In Znaim leitete Heinrich Fiby eine neue Musikära ein. Im Jahre 1861 trat er die Stelle des künstlerischen Direktors des städtischen Musikvereins an, den er von Grund auf neu organisierte. Den bestehenden Männergesangverein erweiterte er um Frauen, wodurch er sich die Basis für die Aufführung von Kantaten schuf. Den Grundstock des Orchesters bildeten die Kräfte der Musikvereinsschule sowie Lehrer aus der Stadt und umliegenden Dörfern. Fiby eröffnete sein Wirken in Znaim mit einem Konzert aus Werken von Palestrina, Bach, Mendelssohn und anderen. Im Jahre 1870 gedachte er mit einigen Veranstaltungen des hundertsten Geburtstages Beethovens. Während seiner vierzigjährigen Tätigkeit brachte er es zur Aufführung von Werken Liszts und Wagners. Gemeinsam mit Iglau veranstaltete Fiby Sängerfeste der südmährischen Chöre, im Jahre 1884 begründete er den Deutschen Sängerbund für Südmähren. Das Konzertleben im zweitwichtigsten Musikzentrum Mährens, Olmütz – mit direkten Bindungen an Troppau –, erlebte in jeder Hinsicht einen Aufschwung. Bei Solo- und Kammerkonzerten teilte Olmütz die Interpreten mit Brünn und anderen

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größeren Städten. In Olmütz traten namhafte Künstler auf wie die Violinistin Vilemína (Wilma) Nerudová-Norman, die Violinisten Ferdinand Laube, Ede Reményi, František Ondříček und Anton (Antonín) Bennewitz – der kurze Zeit in Olmütz wirkte –, der Pianist Eugen d’Albert, das Florentinische Quartett und andere. An den Olmützer Kammerkonzerten beteiligte sich auch das lokale Streichquartett (Peyscha, Labler, Schnabel, Vondráček). Im Jahre 1888 entstand in Olmütz der Kammermusikverein. Das Provisorische bei der Ausrichtung von Kantaten- und Orchesterkonzerten des Vereins endete mit der Anstellung Vladimír Lablers als Chorleiter und Dirigent des städtischen Musikvereins. Dieser kam nach Olmütz, nachdem er im Prager Interimstheater und 1868 im Stadttheater in Brünn gewirkt hatte; das Amt in Olmütz versah er bis zu seinem Tod 1914. Labler war ein Musiker von beachtlichem Horizont. Professionelle Grundlagen hatte er bereits in Prag erworben, wo er als Bratschist am Pult mit Antonín Dvořák spielte. Auf Einladung Richard Wagners nahm er an der Grundsteinlegung des Theaters am „Grünen Hügel“ in Bayreuth teil. Der tüchtige Violin- und Bratschenspieler wurde 1886 bis 1896 zu Wagners Sommerfestspielen engagiert. Während seines vieljährigen Wirkens ist es ihm gelungen, in Olmütz ein großes Orchester zusammenzustellen. Dieses gab unter seiner Stabführung sein Debüt mit Mendelssohns Italienische Symphonie, Beethovens LeonorenOuvertüre Nr. 3 und einem Orchesterarrangement von Schuberts Impromptu op. 90, Nr. 4. In den Vereinskonzerten führte Labler Beethovens Symphonien auf. Er beteiligte sich voller Elan an den Beethoven-Feierlichkeiten 1870, in deren Rahmen er das abschließende Festkonzert mit der Coriolan-Ouvertüre, dem 5. Klavierkonzert (gespielt von der Wiener Pianistin Jenny Klekler) und der 5. Symphonie leitete. Mit den Olmützer Chören präsentierte er in Kantaten- und Orchesterkonzerten Werke von Bach und Händel, Haydn und Mozart, Mendelssohn und Schumann. Labler bezog in seine Programme Werke der Zeitgenossen Brahms und Bruckner ein, ebenso auch Ouvertüren und Opernausschnitte Wagners. Der Brünner Musikverein nahm seine Tätigkeit am 25. November 1860 mit einem Konzert der Geschwister Neruda auf: der Pianistin Amalie, später verheiratete Wickenhauser, der Violinistinnen Wilhelmine (Vilemína), später verheiratete Norman, und Marie, später verheiratete Arlberg, und dem Cellisten František. Die Kammer- und Solokonzerte wurden fortgesetzt. Nach dem Wechsel Pavel Křížkovskýs zur „Beseda brněnská“ (Brünner Beseda-Verein) mußte der neu gegründete Musikverein die vakante Stelle des Dirigenten und Chorleiters besetzen. Zu zwei festlichen Eröffnungskonzerten mit Orchester kam es erst im November 1862: das Rückgrat des Programms bildeten Haydns Symphonie Nr. 2, Beethovens Egmont-Ouvertüre, Schuberts Ouvertüre zu Rosamunde, Mendelssohns Symphonie Nr. 3 a-Moll und

Musikvereine und Konzerte

Abbildung 23: Vladimír Labler in seinen Olmützer Jahren

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Abbildung 24: Otto Kitzler

gemischte Chöre von Schumann. In den Konzerten erklangen zudem Teile aus Werken Händels, Mozarts, Rossinis und anderer. Die Konzerte erfreuten sich in Brünn und ganz Mähren regen Zuspruchs, die Veranstalter versandten Einladungen auch in Tschechisch, und die Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung (Nr. 30, 1862, S. 519f.) veröffentlichte unter dem Kürzel „-ý“ einen ausführlichen Bericht aus Brünn, in dem der Autor die Leistung der beiden Dirigenten – des Chorleiters Ferdinand Debois (de Bois) und des Dirigenten Adolf Budischowsky, Klavierlehrer des Vereins – folgendermaßen bewertete: Diese beiden Leiter versprechen sehr tüchtige Dirigenten zu werden. Künstlerisch hatten die Konzerte offenbar noch nicht jene Professionalität, die das Vereinsdirektorium sich versprochen hatte. Mit dem Musikverein hatte, nachdem er 1865 ans Brünner Theater engagiert worden war, der aus Dresden gebürtige Otto Kitzler zusammenzuarbeiten begonnen. Im November 1868 wurde er infolge eines Ausscheidens zum Dirigenten und Chorleiter berufen und gleichzeitig mit der Leitung der Vereinsmusikschule beauf-

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tragt. In diesen Funktionen wirkte Kitzler mehr als dreißig Jahre bis 1902.61 In der Vereinsschule, deren Musikunterricht er nach und nach auf alle Instrumente, Gesang und Musiktheorie ausweitete, arbeitete er mit den besten Kräften des Brünner Opernorchesters zusammen. Er führte Prüfungen und öffentliche Darbietungen der Schüler ein. In den Abonnementkonzerten achtete er auf niveauvolle Programme, Liedertafel- und andere Auftritte verschwanden. Als erfahrener Cellist und Dirigent formte er das Orchester langfristig, bis er sich auch an anspruchsvolle zeitgenössische Werke einschließlich der beiden Wiener Antipoden Bruckner und Brahms wagen konnte. Fast am Ende seiner künstlerischen Laufbahn dirigierte er noch symphonische Dichtungen von Richard Strauss, der auf Einladung Kitzlers der Aufführung beiwohnte. Kitzler korrespondierte mit Wagner, unter dem er einst als Sänger des Dresdner Kreuzchors an einer Aufführung von Beethovens 9. Symphonie mitgewirkt hatte. Die genannten Komponisten waren neben Bach und Händel die Favoriten der Brünner Konzerte Kitzlers. Von Wagner wurde über Ausschnitte aus den Musikdramen hinaus – schon im Jahre 1884 erklang der „Blumenchor“ aus Parsifal – auch dessen frühe Symphonie C-Dur (1874) aufgeführt, von Bruckner wiederholt das Te Deum, die Symphonien Nr. 2, 4 und 5 und das Gelegenheitswerk Der Germanenzug, Symphonien von Brahms und dessen Deutsches Requiem (1874, erneut 1882 und 1886), Beethovens Missa solemnis (1888) und sämtliche Symphonien, die „Neunte“ im Rahmen der Jubiläumsfeiern 1870. Trotz der Bedenken des Musikvereinsausschusses führte Kitzler Dvořáks Symphonie Nr. 5 F-Dur (1890) und Smetanas Moldau (1892) auf. Er initiierte Auftritte der Meininger Hofkapelle unter Hans von Bülow (1884) und der Wiener Philharmoniker unter Hans Richter (1896) in Brünn. Das Gastspiel der Wiener fand bereits im großen Konzertsaal des Deutschen Hauses statt, bei dessen Eröffnung Kitzler Beethovens Ouvertüre Die Weihe des Hauses aufgeführt hatte. Kitzler war ein weit über das Mittelmaß hinaus begabter Dirigent,62 eine inspirierende Künstlerpersönlichkeit von internationalem Format, die die leicht behagliche Atmosphäre der Provinzhauptstadt belebte. Er lud bedeutende Solisten und Ensembles ein, z. B. das Duo Brahms/Joachim, das Florentiner sowie Hellmesbergers und Rosés Streichquartette. Von Marie Katolicky, der Klavierlehrerin des Musikvereins, wurde 1888 der Mozartverein gegründet, Kitzler selbst gründete 1890 den Wagnerverein. Am Musikleben der Stadt beteiligte sich auch der 1879 gegründete konkurrierende Schubertbund. 61 Vgl. Jiří Vysloužil, Otto Kitzler in Brünn, in: Bruckner Symposion, Bericht, Linz 1992. 62 In diesem Sinne Julius Korngold, der künftige Musikkritiker der Neuen Freien Presse, in: Atonale Götzendämmerung, Wien 1937, S. 19.

Musikvereine und Konzerte

Abbildung 25: Johannes Brahms und Joseph Joachim. Programmzettel ihres Konzertes im Brünner Musikverein Schubertbund.

Abbildung 26: Deutsches Haus in Brünn (1891). Im Inneren des Hauses befand sich ein Festsaal.

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Oper und Musiktheater Die großen mährischen Städte und Troppau nutzten für den Opern- und Operettenbetrieb ihre Theatergebäude, die durch Um- und Ausbauten verbessert wurden. Nach dem Brand des Redoute-Theaters 1870 bekam Brünn nach zehn Jahren des Interimstheaters – für 1.600 Zuschauer ! – ein neues Theater, und zwar das ­seinerzeit in Mitteleuropa modernste. Die Stadttheater waren auf Engagements auswärtiger Spitzenkräfte angewiesen. Andere wiederum, vielleicht sogar die Besten, verließen Mähren; einige tschechische Sänger von der Olmützer Oper engagierte Bedřich Smetana für sein Opernensemble des Prager Interimstheaters. Der mit den Verhältnissen unzufriedene Gustav Mahler verließ Olmütz nach kurzem Engagement vom 12. Jänner bis 18. März 1883. Auch Karl Muck hielt es in Olmütz nicht lange. Der Opernbetrieb der Regionalzentren erwies sich im Vergleich zum Konzertbetrieb als viel anspruchvoller. In Znaim waren Opernvorstellungen eher selten, denn sie wurden vom Opernensemble des Stadttheaters Brünn gegeben. Die Znaimer huldigten eher der Operette, auch jenen ihres städtischen Musikdirektors Fiby. Gut hielt sich unter Pokornýs Nachfolger Heinrich August Fischer die Iglauer Oper. Im Repertoire verharrte sie bei Opern der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Haus wurde von der Iglauer Musikgesellschaft verwaltet, von der auch Gastspiele initiiert wurden. Es hat sich eine Nachricht erhalten, daß die Iglauer 1886 in Mährisch-Ostrau mit ihrem Opernensemble aufgetreten sind. In der Saison 1859/60 erneuerte das Theater in Troppau seinen Opernbetrieb mit einem Repertoire aus Werken der ersten Jahrhunderthälfte. Repräsentativ waren die italienische (Bellini, Donizetti, Rossini, Verdi), die französische (Halévy, Meyerbeer) und die frühromantische deutsche Oper (Weber, Kreutzer, Lortzing) vertreten, von der Wiener Klassik wurde vor allem Mozart gespielt. Für die Erneuerung innerhalb der ersten drei Saisonen sorgte der Kapellmeister Nikolaus Möller, der das Zepter 1863 von Joseph Friedrich Hummel übernommen hatte und bis 1873 wirkte. Er führte zum Beethoven-Jubiläum 1870 Fidelio auf. Während seines zehnjährigen Wirkens studierte er 55 Opern des Hauptrepertoires ein. Die Oper wechselte im Theaterbetrieb mit der klassischen Operette (Offenbach, Strauß, Suppé). In den Sommermonaten unternahm das Troppauer Opernensemble Gastspiele in die umliegenden Städte, wobei es vom schlesischen Landtag unterstützt wurde. Eine Innovation in der eher traditionellen Repertoirepolitik war die Einstudierung des Lohengrin 1860, die Wagners Musikdramen vor Ort den Weg bereitete. Belebend wirkten auch einzelne Aufführungen von tschechischen Nationalopern in den 1890er Jahren, so von Smetanas Die verkaufte Braut (1893) und Hubička (Der Kuß, 1895)

Oper und Musiktheater

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oder von Vilém Blodeks V studni (Im Brunnen), wozu es offenbar unter dem Einfluß der erfolgreichen Gastspiele des Prager Nationaltheaters nach Wien 1893 gekommen ist. Im Musiktheater des Landes nahm Troppau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gleich neben dem nahen Olmütz, auf dessen Entgegenkommen es früher im hohem Maße angewiesen war, einen bedeutenden Platz ein. Im Vergleich zu Troppau wies die Olmützer Oper in der Repertoirepolitik größere Dynamik auf. Einen gewissen Rückhalt hatte sie im Orchester und in den Chören des Musikvereins. Die Theaterdirektion traute sich zu, nacheinander alle drei romantischen Opern Wagners (Der fliegende Holländer 1867, Tannhäuser 1870 und Lohengrin 1870) und im Rahmen des Beethoven-Jubiläums auch Fidelio aufzuführen. Die Olmützer Oper studierte Webers weniger gespielte Euryanthe (1879), Verdis La Traviata (1867) und Un ballo in maschera (Der Maskenball, 1869) ein, seinerzeit die jüngsten Werke des italienischen Meisters. Mit Troppau und Brünn stimmte Olmütz auch darin überein, daß es sich ab 1893 mit der Walküre den Musikdramen Wagners öffnete. Gemeinsam mit Troppau führte Olmütz auch die Die verkaufte Braut und Der Kuß von Smetana sowie Im Brunnen von Blodek auf. Erstrangig in Mähren und Mährisch-Schlesien war die Oper des Deutschen Stadttheaters in Brünn. Die Stadtgeschichte verzeichnet einige Namen von Kapellmeistern aus der Zeit nach 1860, neben Otto Kitzler sind es Ernst Wickenhauser – wahrscheinlich der Vater von Richard Wickenhauser –, Wilhelm Floderer, Joseph Friedrich Hummel und Carl Franck, der „hervorragende Dirigent aus der Schule Wagners“. Anders als in Olmütz betrieb die Brünner Oper ihre Vorstellungen zunächst im viel bescheideneren Gebäude der Redoute. Nach dem Brand des Theaters bekam sie jedoch eine ihrem Rang gemäße Wirkungsstätte zuerst im Interimstheater und dann im neuen Gebäude. Im Grundrepertoire wich die Oper des Brünner Theaters nicht vom zeitgenössischen Standard der italienischen und französischen Oper ab, die sich in Mähren großer Beliebtheit erfreute. Als Novität wurde Verdis La Traviata (1862) gespielt, auch hatte Brünn schon in den 1860er Jahren zwei romantische Opern Wagners im Repertoire, Tannhäuser (1861) und Lohengrin (1864), ferner Gounods Margarethe (1863). Reich vertreten waren italienische Belcanto-Opern. Meyerbeers L´Africaine, bei der Leoš Janáček dreizehnjährig im Kinderchor mitwirkte, wurde im Jahre 1867 wieder aufgenommen. Aus der deutschen Produktion waren über Richard Wagner hinaus Carl Maria von Weber, Albert Lortzing, Heinrich Marschner und Conradin Kreutzer vertreten, unter den Wiener Klassikern Wolfgang Amadeus Mozart. In die Beethoven-Festlichkeiten im Jahre 1870 schaltete sich das Theater mit dem Fidelio ein.

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Abbildung 27: Deutsches Stadttheater in Brünn (1882). Nach 1918 umbenannt in Zemské divadlo na Hradbách (Landestheater an der Schanze), heute Mahenovo divadlo des Janáček-Theaters. Im Betrieb des Hauses wechselten, der politischen Lage gemäß, die Ensembles der beiden Nationalitäten des Landes.

Im Programm des Theaters durfte auch die klassische Operette mit Jacques Offenbach nicht fehlen. Die beiden neuen Theaterhäuser brachten neue Inszenierungsmöglichkeiten mit sich, forderten aber die Theaterleitung dahingehend heraus, den geräumigen Zuschauerraum mit Publikum zu füllen. Diese Anforderung wirkte sich in der Bevorzugung der klassischen Operette aus (Offenbach, Strauß, Millöcker, Lequoc); zur Aufführung von Suppés Boccaccio lud das Theater den Komponisten ans Dirigentenpult. Nichtsdestoweniger eröffnete das Theater seinen Opernbetrieb mit Mozarts Don Giovanni, doch auch Le nozze di Figaro wurde gespielt. Die Pflege Mozarts kulminierte im Jubiläumsjahr 1891 mit einem Zyklus, in dem über die beiden genannten Werke hinaus Neueinstudierungen von Idomeneo, Cosi fan tutte, Bastien und Bastienne und La finta giardiniera (Gärtnerin aus Liebe) gegeben wurden. Auf der Brünner Opernszene erschien nach Jahren von neuem Das goldene Kreuz (1877) des aus Proßnitz gebürtigen einheimischen Ignaz Brüll. In der Nachfolge von Bizets Carmen (1883) gelangten Anfang der 1890er Jahre Opern diverser Veristen ins Programm, im einzelnen Jules Massenets Manon, Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana und Ruggiero Leoncavallos Il Pagliacci, von den bedeutenden Opern Verdis

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Otello und andere. Zu dieser Zeit hatte das Theater schon alle drei romantischen Opern Wagners im Repertoire – Der fliegende Holländer, Tannhäuser und Lohengrin –, denen nach und nach alle Musikdramen Wagners mit Ausnahme des Parsifal folgten. Der Ring des Nibelungen erlebte 1903 eine vollständige Aufführung. Die Volksopern Hänsel und Gretel von Engelbert Humperdinck und Der Evangelimann von Wilhelm Kienzl wurden bei alledem nicht vergessen. Die Oper des deutschen Stadttheaters in Brünn erlebte seit den 1890er Jahren ihre beste Zeit, in der sie in jeder Hinsicht mit der Schwesternbühne in Prag konkurrieren konnte.

Die Komponisten Das Komponieren der Deutschen in Mähren war dem dargestellten Niveau im Opernund Konzertleben nicht adäquat. Das hatte mehrere Ursachen: Nach Gottfried Rieger fand sich jahrelang kein Kompositionslehrer, der ihn hätte ersetzen können. Bruckners Kompositionslehrer Otto Kitzler, der vorläufig mit Chor-, Orchester- und Kantatenkonzerten des im Aufbau befindlichen Städtischen Musikvereins in Brünn und der Einrichtung seiner Schule vollauf beschäftigt war, dachte zunächst nicht an Kompositionsunterricht. Auch er selbst komponierte nicht viel. Er schrieb Charakterstücke für Klavier im Geiste Schumanns, Lieder auf Worte deutscher Dichter, an Kompositionen größeren Formats die symphonische Dichtung Der Fischer und die Seenymphe und die Gelegenheitskomposition Trauermusik für großes Orchester. Dem Andenken Anton Bruckners.63 Aus verschiedenen Gründen verließen auch angehende Komponisten das Land. Es waren vielleicht keine herausragenden Meister ihres Faches, aber viele waren an ihren neuen Wirkungsstätten durchaus erfolgreich. Wären sie im Lande geblieben, hätten sie für das heimische Musikschaffen vermutlich viel leisten können. So waren sie nur ihrer Herkunft nach mährische Komponisten. Solche Musiker gab es eine ganze Reihe, vielleicht sogar mehr als im Lande Gebliebene. Nach Wien ging der aus Bernsdorf an der Oder (Bernartice nad Odrou) gebürtige Joseph Ferdinand Kloss, Autor von Kirchenkompositionen und Musikschriften, der vor allem als Pädagoge geschätzt wurde. Kloss hat sich um die Einführung des Gesangs in Gymnasien verdient gemacht. Der aus Šlapanice (Schlapanitz) – heute ein Stadtteil Brünns – gebürtige Heinrich Schaubelt ließ sich nach einigen Stationen in Mähren und Österreich dauerhaft in Salzburg niederließ, wo 1860 seine große romantische 63 Über Kitzlers Musikschaffen vgl. Jiří Vysloužil, Otto Kitzler in Brünn.

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Oper Die Rose von Hallwyl aufgeführt wurde. Schaubelt komponierte Lieder, Chöre und Kirchenmusik. Eduard Schön verbrachte nach Abschluß eines Jusstudiums 1850 den Großteil seines Lebens in Wien. Musikalischen Elementarunterricht hatte er im schlesischen Engelsberg (Andělská hora), seinem Geburtsort, nach dem er auch sein Pseudonym wählte (E. S. Engelsberg), von seinem Vater erhalten. Der Musik widmete er sich auch als Gymnasiast in Olmütz. Daß er Schüler des Dietrich z Dietrichů war, ist weder zu bestätigen noch auszuschließen. Nach dem Studium bekleidete er als eines der zwölf Direktoriumsmitglieder der Gesellschaft für Musikfreunde eine hohe Beamtenstelle. Von seinem Freund Eduard Hanslick ermuntert – der Schöns musikalisches Talent hoch schätzte –, komponierte er Lieder, Kantaten und Liedertafelchöre. Schöns Chor Meine Muttersprache nach Worten von Klaus Groth war bei den deutschsprachigen Bewohnern der ganzen Monarchie sehr beliebt. Schön vertonte oft humorvolle Texte – etwa im Singspiel Der Landtag von Wolkenkuckucksheim von 1856 –, deren Inhalt er musikalisch sinnfällig zu machen wußte. Trotz seines Lebensmittelpunkts Wien fühlte er sich immer im heimatlichen Schlesien zu Hause. Als Komponist von Kunstliedern erwarb er sich den Ruf eines „mährischen Schubert“. Er starb in Deutsch Jassnik (Německý Jeseník) bei Neu Titschein (Nový Jičín). Unter den Wiener Mährern nahm er dank seiner dauerhaften Bindung an die Heimat eine Ausnahmestellung ein. Der aus Brünn gebürtige Wilhelm Floderer fand nach der Tätigkeit als Dirigent in einigen Städten – unter anderem in Brünn – eine feste Wirkungsstätte am Landestheater in Linz und etablierte dort eine Tradition der Bruckner-Interpretation. In Linz realisierte er die Premieren seiner zwei Opern Fernando (1887) und Günther der Minnesänger (1906), eines Einakters. Das Lexikon zur deutschen Musikkultur Böhmen, Mähren, Sudeten-Schlesien erwähnt Carl V. Wosahlo (geb. 1848), dessen Operetten und Theatermusiken in Wien und Breslau, möglicherweise auch in seiner Geburts­ stadt Iglau gespielt wurden. Wosahlo komponierte das Oratorium Der Tod Jesu nach Karl Wilhelm Ramler. In den 1880er Jahren wirkte er als Musikdirektor in Teplitz­Schönau und veranstaltete hier Orchesterkonzerte. Der aus Proßnitz (Prostějov) gebürtige deutsch-jüdische Komponist Ignaz Brüll (1846–1907) zog im Alter von vier Jahren mit seinen Eltern nach Wien. Nach einem Studium bei Julius Epstein (Klavier), Johann Rufinatsch und Felix Otto Desoff (Musiktheorie) konzertierte er erfolgreich in Deutschland und England. Brüll pflegte freundschaftliche Beziehungen zu Brahms, schrieb jedoch eine eklektische Musik, von der jene für Klavier die beste ist. Von seinen zehn Opern erntete die heiter-geNotenbeispiel 9: Eduard Schön-Engelsberg, Männerchor Meine Muttersprache

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fällige romantische Märchenoper Das goldene Kreuz großen Beifall – nach der Wiener Premiere 1875 wurde sie vom Opernensemble des Stadttheaters Brünn aufgeführt. Den ebenfalls in Proßnitz geborenen Richard Mandl zog es in die Ferne: Nach dem Studium am Wiener Konservatorium (1879–83) weilte er volle siebzehn Jahre in Paris, wo er bei Leo Delibes studierte, der auch seine Musik beeinflußte. Mandl komponierte Opern und Lieder auf französische Texte. Einen Erfolg feierte er mit seinem Einakter im Stil der französischen Opéra-Comique, Rencontre imprévue (Eine unerwartete Begegnung) auf Worte von A. Larsonneur. Die Oper wurde in Rouen und Haag, in deutscher Umarbeitung von Oskar Berggruen im Deutschen Landestheater in Prag (1888) gespielt. Riemanns Musik-Lexikon erwähnt in der 11. Auflage von 1922 den aus Troppau gebürtigen Franz Theodor Cursch-Böhren, der nach seinem Studium beim Leipziger Oskar Paul Singspiele, Chöre und Klavierstücke komponierte und Kritiken in den Leipziger Tagblättern veröffentlichte. D’Elvert verzeichnet Namen von weiteren Musikern, die das Land verlassen haben, über die jedoch nichts Näheres bekannt ist. Der Komponist und Pianist Ferdinand Waldmüller (geb. 1816) ging zunächst nach Wien, dann nach Mainz, der Kirchenkomponist und Organist Cyrill M. Wolf (geb. 1825) aus Müglitz (Mohelnice) bei Hohenstadt (Zábřeh) ging nach Wien, der Klarinettist und Komponist Ferdinand Seidl (geb. 1831) von Brünn nach Rußland. Wirklich bedeutende Komponistenpersönlichkeiten, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Lande blieben und dessen Musik gestalteten, gab es nicht sehr viele. Diese Darstellung ist vor allem auf Komponisten fokussiert, die zumindest kulturgeschichtlich, wenn auch nicht immer künstlerisch von Belang sind, nämlich Hein­ rich Fiby, Ferdinand Debois und Agnes Tyrell. Diese waren zwar wie Kitzler keine autochthonen Mährer, doch verbanden sie sich mit Mähren in einem Maße, daß sie zur Musikgeschichte des Landes gehören. Fiby stammte aus Wien. Debois – ursprüng­ lich de Boys – und Tyrell wurden zwar in Brünn geboren, doch war Tyrell die Tochter eines englischen Sprachwissenschaftlers, und Debois hatte genealogische Wurzeln in Belgien, woher seine Vorfahren zuerst nach Budweis (České Budějovice) und dann nach Brünn gekommen waren. Heinrich Fiby hatte dank seiner Ausbildung eine große Professionalität als Komponist. Auf dem Wiener Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde hatte er außer dem Violinspiel bei Joseph Hellmesberger Vater Komposition bei Simon Sechter studiert. Er komponierte Musik für all jene Bereiche, für die er als künstlerischer Direktor des Znaimer Musikvereins zuständig war. Für die Stadtkapelle schrieb er leicht zugängliche Opera, die Ouvertüre Schillerfest, die Symphonie Im Frühling, einige Suiten, für das Znaimer Theater die Operetten Des Kriegers Heimkehr – vor der Auf-

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führung in Znaim 1867 hatte sie 1862 in Preßburg ihre Premiere erlebt –, Der Freier im Sack (1868), Die verlorene Wette (1868). In seinem Œuvre dominieren Vokalwerke, A-cappella-Chöre, Chöre mit Klavier oder auch Orchester, Lieder sowie Kirchenmusik. Außerhalb der Grenzen seiner Stadt setzte er sich hauptsächlich mit Chören durch – so dem bereits erwähnten Österreich, mein Vaterland –, seine Kirchenkompositionen wurden auf südmährischen Chorfesten aufgeführt. Zu Fibys patriotischen Kompositionen gehört Österreichs Huldigungshymne zum 60. Geburtstag des Kaisers Franz Joseph I.. Die Konzentration des Musikschaffens von Ferdinand Debois auf A-cappellaMännerchöre wurde durch sein Wirken als Chorleiter des Brünner Männergesangvereins bestimmt. Debois dürfte der fruchtbarste Liedertafelkomponist in ganz Mähren gewesen sein. Seine Männerchöre zählen an die 225. Die vierstimmige Chorfaktur war die äußerste Grenze, innerhalb derer er sich kompositorisch selbständig zu bewegen wußte. Bei der Orchestrierung seiner Kantaten – etwa Eliland, ein Almgang vor 700 Jahren nach Karl Stieler – war er auf die Hilfe seines Freundes Joseph Friedrich Hummel angewiesen. Debois’ Chöre erfreuten sich dank ihrer Einfachheit und Gesanglichkeit bald großer Beliebtheit. Als solche erfüllten sie seinerzeit ihren Zweck. Debois war nicht der einzige Liedertafelkomponist in Mähren. D’Elvert erwähnt weitere Namen: Adolf Budischowsky, einen der letzten Schüler Gottfried Riegers, Raimund Dominik Springer – ob er irgendwie mit Dominik Springer aus dem 18. Jahrhundert zusammenhängt, ist nicht belegbar –, Ernst Wickenhauser und Johann Siegl. Mit ihrer autonomen Auffassung des Komponierens entzieht sich Agnes Tyrell dem Musikkontext der Brünner Deutschen. Sie war die erste, noch private Schülerin Otto Kitzlers. Auch ihre Konzertauftritte waren von diesem Geist getragen – Liedertafeln und andere funktionale Musikgattungen hat sie gemieden. Sie spielte Beethoven, Chopin, Schumann, Brahms und eigene Klavierwerke. Mit ihren Zwölf großen Studien op. 48 hat sie sich an Franz Liszt gewandt mit der Bitte, das Werk zu begutachten und sie, eine Schwerkranke, zum weiteren Komponieren zu ermuntern. Tyrell hat das Werk Franz Liszt schließlich zu dessen Freude gewidmet.64 Sie schrieb vor allem für das Klavier, außer den Zwölf großen Studien charakteristische Stücke, Tänze, zwei Sonaten – die Sonate op. 10 und die Große Sonate, op. 66 –, auch ein Konzert für Klavier und Orchester E-Dur, op. 12. Zum orchestralen Werk gehören die Ouvertüre op. 24 und die Symphonie C-Dur (1875). Auf Worte deutscher Romantiker entstanden zahlreiche Klavierlieder, auf eine freie Bearbeitung der Ballade Bertrand de Born 64 Mehr dazu bei Jan Racek, Liszt a Brno [Liszt und Brünn], in: Lidové noviny [Volksblatt], Brno, vom 2. November 1941.

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von Ludwig Uhland eine gleichnamige Oper in zwei Aufzügen. Die Komponistin schickte die Partitur dem Deutschen Landestheater in Prag zur Aufführung, von dem sie jedoch abgelehnt wurde. Die Oper ist unaufgeführt geblieben. Agnes Tyrell setzte sich als Komponistin auch in Brünn schwer durch, obwohl oder gerade weil sie mit ihrer neu- oder spätromantischen Orientierung dem Musikschaffen der Deutschen in Mähren den Weg aus provinzieller Rückständigkeit in die Zukunft wies. Vladimír Helfert hat bereits im ersten Band seiner Janáček-Monographie65 auf die Einzelstellung Tyrells in der Musik der Deutschen Mährens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hingewiesen. In diesem Zusammenhang erinnert er an Parallelitäten zum jungen Janáček. Es fehlt in der musikologischen Reflexion des Werkes von Tyrell das Bewußtsein für den Bezug ihrer Musik zu jener der sogenannten Jungmährer, die ebenfalls – allerdings viel später als Tyrell – aus Kitzlers Musikvereinsschule hervorgegangen sind. Direkte Generationsbindungen kann man in diesem Falle kaum nachweisen, doch Parallelen sind nicht wegzudiskutieren.

Die Situation der Tschechen in der Musik In Böhmen eröffnete in den 1860er Jahren der Antritt der sogenannten Generation des Nationaltheaters – in der Kunstmusik repräsentiert durch Bedřich Smetana und Antonín Dvořák – die erste große Epoche in der Geschichte der tschechischen Kunst. Die nationale Wiedergeburtsbewegung in den Künsten bezog sich nicht allein auf Prag, sondern auch auf andere böhmische Städte, in denen tschechische Gesang-, Musik- und Theatervereine entstanden und eine umfassende Kulturtätigkeit entfalteten. Schon in der Saison 1865/66 eröffnete beispielsweise das tschechische Theater in Pilsen (Plzeň) seinen regelmäßigen Betrieb; 1869 brachte es Smetanas Verkaufte Braut auf die Bühne, gefolgt von weiteren Opern. In Mähren und Mährisch-Schlesien erreichte die nationale Wiedergeburtsbewegung ein dem tschechischen Kulturpotential im Lande entsprechendes Niveau. Anfangs konzentrierte sich das Musikleben auf Gesang- und Musikvereine von Laien, die von tschechischen Mitgliedern der zuvor zweisprachigen Männergesangvereine gegründet wurden. Der erste Gesang- und Musikverein in Mähren, Beseda brněnská 65 Vladimír Helfert, Leoš Janáček, Bd. I, S. 182. Siehe hierzu ausführlicher bei Jiří Fukač, Zur Frage der neuromantischen Stilmerkmale in der Musikentwicklung Mährens, in: Sborník prací filozofické fakulty Brněnské univerzity [Sammelband mit Arbeiten der philosophischen Fakultät der Brünner Universität]. Musicologica, Jg. XIX/1970, H 5, Brno 1970, S. 63 –90.

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(Brünner Beseda-Verein), entstand im Herbst 1860 – nach seinem Vorbild entstanden in der Folge zahlreiche ähnliche Vereine in größeren und kleineren Städten. Die Ver­eine hatten bürgerlich-patriotischen Charakter, sie pflegten Musik aller Art. In der Regel gab es Chor- und Gesangsauftritte, vereinzelt auch mit Opernausschnitten und ähnlichem. Einen Teil der Beseda-Veranstaltungen bildete sogenannte Konversationsmusik – Auftritte einer Militärkapelle –, bei der sich das Publikum im mit Tischen ausgestatteten Saal auch unterhalten konnte. Die Besedas konnten dank der Wohltätigkeit ihrer Mitglieder und Gönner aus den Reihen des Bürgertums und der Handwerker stattfinden, andere Unterstützung – etwa von Seiten der deutschen Stadtverwaltung – gab es nicht. Der Anspruch der Besedas war ausgesprochen laienhaft. Höhere künstlerische Ambitionen verfolgte einzig Pavel Křížkovský mit dem Männerchor des Brünner Beseda-Vereins. Als dieser jedoch als Priester von seinem Posten abberufen wurde, sank das Niveau des Chores. Der Verein kehrte zum Typ der Unterhaltungsabende zurück und ließ allmählich in seinen anfangs vielversprechenden Bestrebungen nach. Zu einem Streben nach mehr Professionalität in den Gesang- und Musikvereinen der größeren Städte kam es erst seit Mitte der 1870er Jahre. Die Vereine traten zuerst mit Auftritten gastierender Solisten und Kammerensembles hervor. In einem Konzert im Beseda-Haus wirkte 1873 Smetana als Pianist mit. Janáček erweiterte als Chorleiter des Beseda-Vereins seit 1876 die Konzerte um Symphonisches und Kantaten. Zu dieser Zeit kamen auch schon in andere mährische Städte qualifizierte Vertreter der Prager Orgelschule: Josef Čapka-Drahlovský, František Musil, Josef Nešvera, Antonín Petzold und Ferdinand Vach; nach seinem Studium in Prag 1874/75, Leipzig 1879/80 und Wien66 kam auch Leoš Janáček. Als Dirigent eigener Werke und Zuhörer erschien in Brünn, Olmütz und Kremsier auch Antonín Dvořák. Die tschechische Musikszene in Mähren gewann durch all diese Aktivitäten an Breite, Qualität und Renommee. Professionelle Opern-Aufführungen brachte erst die Eröffnung des ständigen tschechischen Theaters in Brünn 1884. Bis dahin mußte sich das tschechische Mähren mit Opernvorstellungen fahrender Theatergesellschaften aus Böhmen begnügen. Die Verkaufte Braut wurde dergestalt auf der provisorisch eingerichteten Bühne des Beseda-Hauses erst 1879, in den anderen Städten sogar noch viel später aufgeführt. Das künstlerische Niveau war durch die beschränkten Möglichkeiten der Bühne des Brünner Interims-, ab 1894 Nationaltheaters, durch die Unzulänglichkeit der kollektiven Körperschaften und andere Umstände zunächst begrenzt. Zu Verbesserun66 Über seine einige Monate währende Leipziger und Wiener Aufenthalte siehe: Martin Wehnert, Zum Disengagement Janáčeks am Opernleben während seiner Leipziger Studienzeit, in: Colloquium Leoš Janáček ac tempora nostra 1978, Brno 1984, S. 69 –74, und Hartmut Krones, Leoš Janáčeks Studienaufenthalt in Wien, in: Österreichische Musikzeitschrift 39 (1984), Nr. 12, S. 657– 661.

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gen kam es erst nach dem Umbau des Zuschauerraums und der Bühne Anfang der 1890er Jahre, als das zahlreicher besetzte Opernorchester sich im Mozart-Jubiläums­ jahr 1891 an die Aufführung von dessen Jupiter-Symphonie, mit Chor und Solisten des Theaters auch an das Requiem wagen konnte. Einen Niveauanstieg erlebten auch die tschechischen Opern- und Operettenvorstellungen. Im Repertoire konnte sich die Brünner tschechische Oper von Anfang an mit jedem Regionaltheater der Monarchie messen. Einen wesentlichen Anteil daran hatte die Aufführung von Opern tschechischer Nationalkomponisten. Dadurch grenzte sich die tschechische Oper in Brünn vom deutschen Stadttheater ab.

Abbildung 28: Mozart, Requiem. Programmzettel des Konzertes des Philharmonischen Vereins Beseda Brněnská, das von Janáček geleitet wurde.

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Der Blick der tschechischen Opernfreunde in Mähren war auch auf Prag gerichtet. Sie unterstützten mit Sammlungen den Bau des dortigen Nationaltheaters – eröffnet 1883 – und besuchten nach Möglichkeit auch dessen Opernvorstellungen. Die Brünner Oper orientierte sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten am Vorbild Prags und festigte so – auch auf Tourneen durch andere Städte – ihre Stellung als bedeutende nationale Kulturinstitution Mährens. Eine spezifische Situation bildete sich auf dem Gebiet der Komposition heraus. Der durch Teile seines Werkes auf Mähren und überhaupt auf den slawischen Osten orientierte Antonín Dvořák wies den Tschechen in Mähren den Weg zu den eigenen Musikquellen. In Werken seiner „mährischen“ Periode der 1870er und 1880er Jahre modifizierte er die Art, in der sich Komponisten der Wiedergeburt mit Bearbeitungen und dem Zitieren von Volksliedern um die „mährische Nationalmusik“ bemühten. Die Konfrontation mit der Kunst der „eigentlichen“ Tschechen [d. h. der Tschechen aus Böhmen im Unterschied zu denen aus Mähren], die Zunahme der Bildung, ja die gesamte gesellschaftliche Situation bewogen die mährisch und mährisch-schlesischen Tschechen zu einer kritischen, neuen Sicht auf die eigene Tradition. In der neuen Situation fanden sich am frühesten und am besten die liberal und demokratisch gesinnten Literaten der Bewegung Mladá Morava (Jung-Mähren) zurecht. Sie erkannten ihre künstlerischen Ziele in der Entstehung der schönen Literatur, die im gesamten Strom der tschechischen Literatur eine besondere ausgeprägte Richtung darstellen würde ... ihre Besonderheit und Spezifik nicht allein vom äußeren Umstand des Ortes, nämlich jenes ihrer Schaffung und Herausgabe, herleitete, sondern sie auf gewisse innere, entweder formale, oder inhaltliche Merkmale der Kunstwerke gründete.67 Kritische Anstöße kamen auch von den anderen Künsten. In der tschechischen Musik in Mähren war es der früh verstorbene Kunstkritiker Hynek Babička, der die Situation reflektierte. In den Olmützer Zeitschriften Koleda [Weihnachts-/Osterlied] und Našinec [Der Unsrige] (1879) wies er auf die Bedeutung der Musik Dvořáks und Smetanas für die Entwicklung der tschechischen Musik in Mähren hin. Als den ersten bedeutenderen Komponisten der mährischen Richtung in der tschechischen Musik bezeichnete er Pavel Křížkovský. Den Jungmährern schloß sich bald auch der damals als Komponist noch nicht so bekannte Janáček68 an, der gleichwohl im Mähren jener Zeit die originellste Komponistenpersönlichkeit war. Wie seine musikalischen Essays und Studien sowie eine Reihe von Kompositionen zeigen, vertrat Janáček in Theorie und 67 Die Bewegung stellte den mährischen Zweig der Jungmährer dar, einer radikal-demokratisch agierenden Partei (gegr. 1874). Sie versuchte sich gegen die separatistischen und konservativ-klerikalen Kräfte in Gesellschaft und Kunst zu behaupten. 68 Vgl. Jiří Vysloužil, Leoš Janáček, Brno 1978, S. 8 (auch auf deutsch und auf russisch).

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kompositorischer Praxis die Standpunkte der Jungmährer. In modernem Geist leitete er auch die Orgelschule, die er im Jahre 1881 gegründet hatte und der er lange Jahre als Direktor vorstand. Von Anfang an stellte er sich seine Schule als eine Einrichtung vor, die in Niveau und Umfang des Unterrichts den Konservatorien entspricht. Seinen begabtesten Schülern gab Janáček auch Kompositionsunterricht. So bereitete er die tschechische Musikmoderne in Mähren vor, die an der Jahrhundertwende ins Leben trat. Zu dieser Zeit begannen sich auch die Komponisten der Prager Schule für die Musik in Mähren zu interessieren, zu deren Entfaltung sie schließlich beitrugen.

Musikvereine und Konzerte Auch in Mähren entstanden nach 1860 Gesang- und Musik- sowie Lesevereine. Von den Besedas der 1840er Jahre unterschieden sie sich nur dadurch, daß sie gemäß dem eingeführten Versammlungsrecht nun auch Rechtssubjekte waren und damit das Recht auf öffentliches Wirken hatten. Wie in Böhmen entstanden sie auch in Mähren gleich nach dem Erlaß des Oktoberdiploms. Als erster hatte der Brünner Beseda-Verein als der bedeutendste und größte am 6. November 1860 – noch vor der Bewilligung der Satzungen durch die k. k. Statthalterei in Brünn – seine Tätigkeit aufgenommen. Neue tschechische Vereine wurden auch in anderen Städten gegründet.69 Einige behielten in ihrem Namen die Bezeichnung Beseda, andere wählten historische, mythologische und andere Bezeichnungen, um dadurch ihre nationale Identität, ihre Angehörigkeit zum Land, seiner Geschichte und seinem Volk zum Ausdruck zu bringen, wie zum Beispiel „Orlice“ (Adlerin) nach dem Landeswappen, „Lumír“ nach dem sagenhaften slawischen Sänger, „Svatopluk“ nach dem großmährischen Fürsten, „Žerotín“ nach dem mährischen Adelsgeschlecht und andere. Im Gegensatz zu den früheren zweisprachigen Männergesangvereinen waren die tschechischen Vereine einsprachig, wie auch die Vereine der mährischen Deutschen jetzt einsprachig waren. Beide nationalen Gruppen fungierten von nun an selbständig nebeneinander, verfolgten jeweils eigene Ziele und respektierten einander zunächst sogar. Die Stärke der entstehenden tschechischen Gesangvereinsbewegung zeigte sich schon anläßlich des Nationalen Gesangfestes (Národní pěvecká slavnost) am 25. und 26. August 1863. Laut Augenzeugen sollen im Augartner Park an die 1.100 Sänger 69 Emil Axman, Morava v české hudbě XIX. století [Mähren in der tschechischen Musik des 19. Jahrhunderts], Praha 1920, S. 52 ff.

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von 52 tschechischen Vereinen aus Mähren und Böhmen sowie vom Slawischen Gesangverein (Zpěvácký slovanský spolek) aus Wien teilgenommen haben. Unter den Festteilnehmern erschienen auch prominente Vertreter der tschechischen Politik, Abgeordnete des Reichstags, der Historiker František Palacký, der Herausgeber des ersten tschechischen Konversationslexikons (Riegrův slovník naučný), František Ladislav Rieger, und neben anderen Jan Evangelista Purkyně, damals schon Professor der KarlFerdinand-Universität. Das nach Schätzung von Augenzeugen 15.000 Teilnehmer zählende Publikum im Augartner Park konnte sich Pavel Křížkovskýs Kantate Cyrill a Method, den Slavnostní sbor (Festchor) zum tausendsten Jubiläum von Welehrad (Velehrad) von Hynek Vojáček anhören, alttschechische Choräle in der Harmonisierung des Pragers Josef Leopold Zvonař und vaterländische Chöre von František Škroup, Jan Ludvík Procházka und Václav Jindřich Veit (Wenzel Heinrich Veit). Im Stadttheater Redoute gab es eine Beseda mit Darbietungen des Slawischen Gesangvereins aus Wien unter der Leitung von Arnošt Förchtgott-Tovačovský, des Männerchors Slavjan aus Königgrätz (Hradec Králové) und des Proßnitzer Männerchors Orlice, Sieger des Chorgesangwettbewerbs. An Solisten traten die künftigen prominenten Smetana-Sänger Eleonora z Ehrenbergů [Eleonora Ehrenberg] und Jan Ludvík Lukes, ferner der Violinvirtuose Ferdinand Laub und andere auf. Das Brünner Gesangfest wurde manifestartig in Schreibwald (Pisárky), wo angeblich 50.000 Leute versammelt waren, beendet. Im Programm mit vaterländischen Liedern – unter anderem einem Chorsatz von František Škroups Lied Kde domov můj – dominierte unter Křížkovskýs Leitung dessen Chorballade Utonulá (Die Ertrunkene). Das wichtigste Kennzeichen des Nationalen Gesangfestes war die Massenbeteiligung an Chören und Publikum, die dem Nationalbewußtsein der tschechischen Mährer Ausdruck gaben. Doch fehlte es den Darbietungen keineswegs an Professionalität, die sich in den Leistungen der hervorragenden Männerchöre des Brünner Beseda-Vereins und des Wiener Slawischen Gesangvereins unter der Leitung ihrer Chorleiter Pavel Křížkovský und Arnošt Förchtgott-Tovačovský manifestierte. Auch die Professio­ nalität der renommierten Gastsolisten aus Prag war unbezweifelbar. Das Fest in Brünn hat die tschechische Gesangbewegung in Mähren wesentlich vorangebracht. Für die bestehenden und die neuen Vereine und Körperschaften stellte es auch die Frage nach dem tieferen künstlerischen Sinn ihres Bestrebens, worauf Pavel Křížkovský im Brünner Beseda-Verein von Anfang an bedacht war. Seine ambitio­ nierten Vorstellungen wurden jedoch durch die gesellschaftliche und kulturelle Situa­ tion der Tschechen in den mährischen Städten – Brünn nicht ausgenommen – begrenzt. Křížkovský sah sich genötigt, im alltäglichen Musikbetrieb seines Vereins bei

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der Form der Beseda zu bleiben, die mit ihrem Programm und gesellschaft­li­chen Rahmen keineswegs das Niveau wirklicher Konzerte erreichte, wie sie zu die­ser Zeit vom Brünner Musikverein und anderen deutschen Musikvereinen in Mähren sowie im schlesischen Troppau bereits veranstaltet wurden. Auf den Besedas standen die A ­uftritte von Instrumentalisten und Sängern und die Darbietungen des Männer­chors des Brünner nen Pavel Beseda-Vereins mit Kompositio­ Křížkovskýs noch immer neben patriotischen „Deklamationsstü­cken“ – dem Vortrag von belletristischen Texten und Gedichten – und vaterländischen Liedertafelchören. Dem Cha­ rakter eines Konzerts widersprach auch der Vortrag von Volksliedern, bei denen das Publikum in die Darbietung der Solosänger ein- Abbildung 29: Pavel Křížkovský in den 1860er stimmte.70 Die Tendenz zum autonomen Konzert wurde ein ganzes Jahrzehnt lang durch die Auftritte von einheimischen und gastierenden Berufsmusikern wie den Violinisten Ferdinand Laub, Otakar Ševčík, Gustav Zinke, Otakar Kopecký, Vladimír Labler und Adolf Zelníček, den Cellisten František Mráček, František Neruda und Karel ­Březina sowie den Pianisten Agnes Tyrell, Amalie Neruda-Wickenhauser, Edé Reményi und anderen gefördert. Die Kammermusik war mit Auftritten eines einheimischen Streich­ quartetts in der Zusammensetzung Gustav Cinke, Vít Pergler, František Malý und František Mráček vertreten. Über Auftritte von Gesangssolisten wird in anderem Zusammenhang zu sprechen sein. Die bestehenden Möglichkeiten des Brünner Beseda-Vereins reichten auch nicht für Kantaten- und Orchesterkonzerte, denen nach dem erzwungenen Abgang Pavel Křížkovskýs 1863 auch eine Dirigentenpersönlichkeit gefehlt hätte. Teilweise wurden sie durch Auftritte von Blaskapellen ersetzt, die auf den Besedas jedoch hauptsächlich Populärmusik, sogenannte Konversationsmusik spielten. Von dieser Linie wichen sie nur ausnahmsweise ab. So präsentierte die Militärkapelle des k. k. Infanterieregimentes 70 Vgl. Karel Sázavský, Dějiny filharmonického spolku Beseda brněnská od r. 1800 –1900 [Geschichte des philharmonischen Beseda-Vereins im 19. Jahrhundert], Brno 1900.

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Baron Rossbacher unter der Leitung von Kapellmeister Eduard Horný zweimal die Ouvertüre zu Smetanas Die verkaufte Braut: zum ersten Mal am 2. Dezember 1872 und dann wieder bei der feierlichen Eröffnung des großen Saals des Beseda-Hauses am 3. April 1873. Die zunehmende Rolle der Instrumentalmusik in den Programmen der Besedas, die anfangs hauptsächlich auf tschechische und slawische Musik eingestellt waren, erweiterte deren Programmprofil auf Mozart, Beethoven, Schubert, Weber, Mendelssohn Bartholdy, Liszt, Wagner und mit diesen auch Smetana und andere. In der zweiten Hälfte der 1860er Jahre erscheint nach und nach bei Veranstaltungen des Brünner Beseda-Vereins anstelle von „Beseda“ die Bezeichnung „Konzert“. Elemente der Beseda-Programme bleiben jedoch bestehen. Der Ausdruck „Konzert“ erschien auch auf dem Zettel des Brünner Auftritts von Bedřich Smetana im BesedaHaus am 16. Juni 1873, auf dem dieser neben eigenen Klavierwerken auch solche von Händel und seinen Favoriten Frédéric Chopin und Franz Liszt aufführte. Bei Arien aus Gounods Romeo und Julia und aus der eigenen Oper Die verkaufte Braut begleitete er die Prager Opernsängerin Helena Vávrová. Auf den Besedas durften jedoch Chornummern von mittelmäßigem Wert nicht fehlen, der Schluß gehörte dann der „Konversationsmusik der Kapelle Herrn Trávníčeks“ mit modischen Tanzstücken und Märschen, bei denen das Publikum an den Tischen den Speisen und dem unverzichtbaren Bier huldigen konnte. Gegen diese Art gemischter Programme mußte noch Janáček ankämpfen, als er 1876 die Stelle des Chorleiters und künstlerischen Direktors des Brünner Beseda-Vereins antrat. Es gelang ihm, die „Konversationsmusik“ und andere Relikte der „Beseda-Dramaturgie“, mit denen er als Chorleiter der Handwerker-Beseda Svatopluk (Řemeslnická beseda Svatopluk) – gegründet 1868 – zu tun hatte, gegen den Willen der Leitung und der Mitgliederschaft aus seinen Orchester- und Kantatenkonzerten zu entfernen. Als er diese Stelle als Neunzehnjähriger antrat, teilte er der Leitung des Svatopluk in einem undatierten Brief mit: Als ich die traurigen Gesellschaftsverhältnisse in Brünn schlechthin und in der Musikkunst im besonderen erwogen hatte, entschloß ich mich, nach Kräften und mit der größten Ausdauer zu arbeiten, wo immer nur der Boden und der gute Wille zur Erhebung und Bildung jener Kunst sich bieten wird.71 Der als Dirigent und Komponist außergewöhnlich talentierte Schüler von Pavel Křížkovský hatte einen guten Einblick in die traurigen Verhältnisse des Musikgeschehens in Brünn, womit hier der tschechische Teil gemeint ist. Er erhob die aus Handwerkern bestehende Laienkörperschaft alsbald auf die Stufe eines anständig funktionie71 Aus dem nicht datierten Brief Janáčeks an den Ausschuß der „Řemeslnická beseda Svatopluk“ (Handwer­­­­ ker­vereinigung Svatopluk). Erstmals veröffentlicht bei Vladimír Helfert, Leoš Janáček, I, S. 206.

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renden Männerchors. Er schrieb für diesen Kompositionen auf Texte der Volkspoesie, aus deren wachsender Qualität man schließen kann, daß mit ihnen auch das Niveau der Sänger wuchs. Für Soloauftritte lud Janáček zu den Besedas Instrumentalisten ein, deren Namen wir schon beim Brünner Beseda-Verein begegneten. Alle seine Initiativen wurden jedoch durch die begrenzte Anzahl und Qualität der Sänger, aber auch durch die nachwirkende „Beseda-Dramaturgie“ gebremst. Bei weitem mehr konnte er von Anfang an vom Brünner Beseda-Verein erwarten, an dessen Spitze als Chorleiter und künstlerischer Direktor er 1876 berufen wurde. Die zunehmende musikalische Kultiviertheit der tschechischen Bevölkerung, der Mitglieder des Vereinschores und des Publikums wirkte günstig auf Janáčeks künstlerische Vorhaben. Chöre, die Janáček für den Brünner Beseda-Verein schrieb, erreichten in technischer Hinsicht bald das Niveau der anspruchvollsten Chöre Pavel Křížkovskýs. Janáček erweiterte seine Chorkonzerte um Frauenstimmen, indem er den Mädchenchor „Vesna“ [Der Frühling] integrierte. Leoš Janáček hatte jedoch gleich bei seiner Ankunft im Brünner Beseda-Ver­ein Größeres im Sinn. Brünn hatte zu dieser Zeit immer noch die Ära der gerühmten Kantaten- und Orchesterkonzerte Křížkovskýs im Gedächtnis. Janáček verfolgte mit einer gewissen Eifersucht den außergewöhnlichen Aufschwung der deutschen Konzerte Kitzlers und wollte nicht zurückstehen. Allerdings konnte er mit diesen nicht konkurrieren. Unter Schwierigkeiten löste er das Problem des Orchesters als der ersten Voraussetzung für die Aufführung von Orchesterwerken und Kantaten. Im Brünner Beseda-Verein hatte er etwa zehn Streicher zur Verfügung, zu denen er von Fall zu Fall weitere tüchtige Laien hinzuzog. Unterstützung fand er auch bei den Berufsmusikern des Opernorchesters des Brünner Stadttheaters und für die Bläsersektion bei den Militärkapellen. In den ersten zwei Jahren seines Direktorats mußte sich Janáček im Brünner BesedaVerein noch der „Beseda-Dramaturgie“ anpassen, in die er Orchesterkompositionen einfügte.72 Die Veranstaltungen fanden im prachtvollen Konzertsaal des Beseda-Hauses statt; er dirigierte zumeist selbst. 1876 nahm er u. a. folgende Werke ins Programm auf: ein Violinkonzert von Louis Spohr und eine Romanze für Violine und Orchester von Beethoven (Solist: Gustav Zinke), den 95. Psalm für Soli, Chor und Orchester von Mendelssohn und den dritten Satz aus dem 3. Klavierkonzert von Anton Rubinstein (Solistin: Amalie Neruda-Wickenhauser), 1877 Dvořáks Serenade für Streichinstrumente E-Dur, Bruchs Violinkonzert g-Moll, die symphonische Dichtung Mládí (Die Jugend) von Zdeněk František Skuherský – Janáčeks Lehrer an der Prager Orgelschule –, 72 Nach Sázavskýs Schilderungen auch bei Vladimír Helfert, Leoš Janáček, Bd. I, S. 211.

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die eigene Suite für Streicher und 1878 neben anderen Werken seine Idylle für Streicher. Janáček betätigte sich in dieser Zeit auch als Solopianist. Mit seiner Klavierlehrerin und viel älteren Freundin Amalie Neruda-Wickenhauser führte er die Fantasie für zwei Klaviere f-Moll, op. 73, von Anton Rubinstein (1877) auf und kurz nacheinander unter der Leitung Ernst Wickenhausers das Klavierkonzert g-Moll von Felix Mendelssohn (1877) und das Klavierkonzert op. 22 (1878) von Camille Saint-Saëns. In dieser Zeit dachte Janáček eher an die Laufbahn eines Instrumentalisten als eines Komponisten. Zusammen mit den besten Spielern des Opernorchesters des Brünner Stadttheaters wirkte er bei Kammerkonzerten des Brünner Beseda-Vereins mit. Ein Ereignis, das an Umfang und Bedeutung alle bisherigen Vorstellungen Janáčeks übertraf, war die Einstudierung von Mozarts Requiem (1878) und Beethovens Missa solemnis (1879) im Brünner Beseda-Verein einige Jahre vor der Aufführung dieser Werke im Musikverein Kitzlers. Als Solisten lud Janáček zur Aufführung der beiden Werke Sänger des Prager Interimstheaters (Eleonora z Ehrenbergů, Karel Čech, Betty Fibichová, Antonín Vávra) und des Brünner Stadttheaters (Adolf Paul) ein. Im Saal des Beseda-Hauses drängten sich damals neben dem zahlreichen Publikum mehr als hundert Mitwirkende. Nach der Aufführung der Missa solemnis ging Janáček zum Studium zunächst nach Prag auf die Orgelschule (1874/75), dann nach Leipzig und nach Wien ans Konservatorium (1879/80). Vorher erreichte er noch die Umbenennung der „Beseda brněnská“ in „Filharmonický spolek Beseda brněnská“ (Philharmonischer Verein Brünner Beseda). Für Janáček selbst bedeutete dieser Name die Aussicht auf eine Ära wirklicher Konzerte, die nach seinen Intentionen von seinem Vertreter Berthold Žalud fortgesetzt werden sollte. Unter Žaluds Direktorat trat im Konzert am 6. Jänner 1880 im Brünner Beseda-Verein Antonín Dvořák zum ersten Mal als Dirigent auf. Er führte seine Slawische Rhapsodie Nr. 3 und die Symphonie Nr. 5 F-Dur auf; seinen Mazurek für Violine und Orchester trug wiederum Gustav Zinke vor. Janáček kehrte dann ans Dirigentenpult zurück und wirkte hier mit kurzen Unterbrechungen bis 1888. Nach Janáčeks Einstudierung von Mozarts Requiem und Beethovens Missa solemnis war es Dvořáks erwähntes Konzert, das die Ära des Aufstiegs des tschechischen Musiklebens nicht allein in Brünn, sondern auch in anderen mährischen Städten eröffnete. Das Hauptverdienst daran hatten die neu berufenen Chorleiter und Musikdirektoren der Gesang- und Musikvereine. Sie unterschieden sich sowohl durch ihre Fachausbildung als auch durch ihre künstlerischen Möglichkeiten von den musikalischen Laien der kleineren Städte. Im Kremsierer „Moravan“ trat im Jahre 1886 Ferdinand Vach an. Er löste Antonín Petzold ab, der als Chorleiter und künstlerischer Direktor zum Olmützer „Žerotín“ ging. Im Prerauer „Přerub“ trat Josef Čapka-Drahlovský die Stelle des Chorleiters an. Die neue Chorleiter-Generation repräsentierten in starkem Maße

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Absolventen der Prager Orgelschule. Zu diesen gehörte auch Janáček. Der Einzug des Dvořákschen Werks in Mähren vollzog sich also gleichzeitig mit einer erkennbaren Professionalisierung der tschechischen Gesang- und Musikvereine. Zur Professionalisierung des Musiklebens trug auch die Gründung von Vereinsmusikschulen bei, insbesondere der Orgelschule Janáčeks in Brünn als erster Musikschule in Mähren (1881) auf rein professioneller Grundlage. Das größte Verdienst an der Einführung Dvořáks als Komponist in Brünn gebührt Janáček. Er führte den bewunderten Meister in den Brünner Beseda-Verein gleich nach seinem Amtsantritt als Chorleiter mit der Aufführung eigener Bearbeitungen von dessen Moravské dvojzpěvy (Klänge aus Mähren) am 2. Dezember 1877 ein. Im Konzert am 15. Dezember 1878, als Dvořák bereits anwesend war, dirigierte Janáček vier von dessen Slawischen Tänzen. Dvořák lernte bei dieser Gelegenheit auch einige von Janáčeks Chören und die Idylle für Streicher kennen. Seitdem war Dvořák ein häufiger Gast in Brünn. Im Brünner Beseda-Verein wurden dessen Slawische Rhapsodie für großes Orchester (1880), der Mazurek für Violine und Orchester (1882, Solist: Ferdinand Lachner), das Stabat mater (1882), die Symphonien Nr. 6 D-Dur (1883) und Nr. 7 d-Moll (1886), das Konzert für Violine und Orchester aMoll (1884, Solist: František Ondříček), die Ouvertüre Domov můj, op. 62 (Meine Heimat, 1884), die Legendy, op. 59, in Orchesterfassung (1884, 1887), der Hymnus Dědicové Bílé hory, op. 30 (Die Erben der Schlacht am Weißen Berge, 1886), und als Höhepunkt der Dvořák-Pflege des Dirigenten Janáček die Kantate Svatební košile, op. 69 (Die Geisterbraut, 1888), gegeben. Janáček war jedoch Dvořák nicht einseitig verfallen. Er führte auch weiterhin die damals modernen Werke tschechischer und europäischer Komponisten auf. Nicht alle Vorhaben konnte er jedoch verwirklichen. Er plante die Aufführung des kompletten symphonischen Zyklus Má vlast (Mein Vaterland) von Smetana, von dem aber nur die Aufführung der Stücke Moldau (1883) und Vyšehrad (1886) zustande­kam. Zdeněk Fibich bedachte er mit dem Trauermarsch aus dessen Musikdrama Nevěsta messinská (Die Braut von Messina, 1886); tatsächlich hatte er jedoch vorgehabt, eine von dessen symphonischen Dichtungen darzubieten. Nur ungern ließ er von der beabsichtigten Aufführung der „Einleitung“ zu Wagners Tristan und Isolde ab. Von Brahms führte er das Schicksalslied für Chor und Orchester, op. 54, und die Ungarischen Tänze (beides 1883) auf, von Camille Saint-Saëns Introduction et Rondo capriccioso für Violine und Orchester (1882, Solist: Ferdinand Lachner) und die symphonische Dichtung Dance macabre (1884), von Liszt die symphonische Dichtung Mazeppa (1885), Tschaikowskijs Serenade für Streichinstrumente (1882), Max Bruchs Violinkonzert g-Moll (1882, Solist: Ferdinand Lachner) und anderes mehr.

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Die Dvořák-Linie des Brünner Beseda-Vereins verfolgte – nun schon ohne Janáček – Josef Kompit, Absolvent des Prager Konservatoriums, weiter, unter dessen Chorleitung Dvořáks Česká suita D-Dur, op. 39 (1889), das Oratorium Svatá Ludmila (Die heilige Ludmila, 1891) und das Requiem (1893) aufgeführt wurden. Vor seiner Abreise nach Amerika veranstaltete Antonín Dvořák in Brünn und in einer Reihe von mährischen Städten gemeinsam mit seinen Kollegen vom Prager Konservatorium – dem Violinisten Ferdinand Lachner und dem Cellisten Hanuš Wihan – ein Kammerkonzert mit eigenen Werken. Sie besuchten auch das fünftausend Einwohner zählende Städtchen Boskowitz (Boskovice). Nach seiner Heimkehr aus Amerika leitete Dvořák 1897 in Brünn ein Konzert mit dem Orchester des Nationaltheaters in Prag – es trat unter dem Namen Tschechische Philharmonie auf –, in dem unter anderem die Symphonie Nr. 9 e-Moll, op. 95, Aus der Neuen Welt erklang. Durch die Rezeption seines Werkes bereitete Dvořák auch den Boden für das Œ ­ uv­re seiner bedeutendsten Schüler Vítězslav Novák und Josef Suk. So präsentierte sich Suk im Brünner Beseda-Verein mit seinem Klavierquartett a-Moll (1894), aufgeführt vom berühmten Böhmischen Streichquartett, Novák dann mit seinem Klavierquintett aMoll op. 5 (1897). Beide Künstler wirkten an den Aufführungen ihrer Werke mit, Suk als zweiter Geiger des Böhmischen Quartetts, Novák als Pianist mit dem Brünner Reissig-Streichquartett. Für die Geschichte der tschechischen Musik in Mähren hatte die Aufführung des Novákschen Werkes keine geringe Bedeutung – mit dem letzten Satz der Komposition Slovácky (Auf Slowakisch73) betrat dieser künftige Protagonist der Prager Musikmoderne zum ersten Mal den Boden Mährens. Zu dieser Zeit stand Janáček als Komponist paradoxerweise schon einige Jahre abseits vom Musikgeschehen des Brünner Beseda-Vereins. Janáčeks Primat beim Aufbau der tschechischen Orchester- und Kantatenkonzerte und seine künstlerische Bedeutung sind jedoch unbestreitbar. Diese beiden qualitativen Faktoren seiner Ära im Brünner Beseda-Verein – hohe künstlerische Ambition und programmatische Zielbewußtheit – erlauben es, einen beispielhaften Einfluß der Brünner Beseda-Konzerte auf die Konzerte in anderen mährischen Musikzentren zu konstatieren.74 In den Gesang- und Musikvereinen der Städte kamen unter Führung der Chorleiter die lokalen Kräfte bei Aufführungen auch der anspruchsvollsten Kantatenwerke Dvořáks auf beachtenswerte Weise zur Geltung. Der Komponist wußte diese Leistungen zu schätzen. Im Kremsierer „Moravan“ – gegründet 1862 – dirigierte er Stabat mater (1882). Der Chormeister des „Moravan“, Ferdinand Vach, führte mit 73 Der tschechische Ausdruck „slovácký“ ist nicht synonym mit „slovenský“. Er bezieht sich hier auf den südöstlichen Teil Mährens. 74 Darüber zusammenfassend Emil Axman, in: Morava v české hudbě XX. století, S. 55f.

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dem gemischten Chor des Vereins Dvořáks Hymnus Dědicové Bílé hory (Die Erben des Weißen Berges, 1887), das Oratorium Die heilige Ludmila (1891), das Requiem (1892) und anderes auf. Vehement setzte sich für Dvořáks Kantaten- und Oratorienwerk auch der Olmützer Gesangmusikverein „Žerotín“ ein. Nach dem Stabat Mater (1882) führte der Chorleiter des Prager Gesangmusikvereins „Hlahol“ [Schall], Karel Bendl, die Kantate Svatební košile (Die Geisterbraut) auf. Im neugebauten Národní dům leitete Antonín Dvořák sein Oratorium Svatá Ludmila (Die heilige Ludmila, 1888, 1896) selbst, das er dem „Žerotín“ auch gewidmet hat. In diesem Verein erklang unter der Leitung des Komponisten – erstmals auf dem Kontinent – auch sein Requiem (1892). Die Pflege Dvořáks reichte bis in den entfernten Nordosten des Landes, in die Ostrauer Gesang- und Musikvereine „Lumír“ (gegr. 1881) und „Záboj“ (gegr. 1893). Hier sorgte Cyril Metoděj Hrazdira für die Aufführung von Dvořáks Kantaten und Kompositionen anderer Komponisten – ein Absolvent von Janáčeks Orgelschule, dessen Name 1904 mit der ersten Aufführung der Jenufa in Brünn, die er musikalisch einstudierte und dirigierte, in die Musikgeschichte einging. Mit der Einstudierung der Kantaten Dvořáks und Smetanas wie auch eigener Werke führte Josef Čapka-Drahlovský den Prerauer Gesangmusikverein „Přerub“ aus der „Beseda-Dramaturgie“ heraus. In den Proßnitzer Gesangvereinen „Orlice“ und „Vlastimila“ widmete sich der ChorleiAbbildung 30: Cyril Metoděj Hrazdira ter Ezechiel Ambros der Aufführung von Dvořáks Werken. Im Musikland Mähren und Mährisch-Schlesien, das um gut die Hälfte kleiner war als Böhmen, kam es bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer bemerkenswerten regionalen Differenzierung des Musiklebens. Mit der Abwanderung einiger Musiker ins nahe Wien reichte das musikalische Potential des Landes sogar über die Grenzen hinaus. Die Musiker fanden Betätigung als Mitglieder von Gesang- und Musikvereinen, in denen sie in bedeutendem Maße wirkten. Die führende Persönlich­ keit des Wiener „Zpěvácký spolek slovanský“ (Slawischer Gesangverein) war Arnošt

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Förchtgott-Tovačovský, der diesen Verein im Jahre 1862 gegründet hatte. In den Verein traten auch andere Slawen ein – die eigentlichen Tschechen hatten dagegen in Wien eigene Vereine. Auf Förchtgott-Tovačovský folgte Alois Alexander Buchta, ein hervorragender und vielseitiger Musiker aus Mähren, Bratschist im Wiener Hofopernorchester. Chorleiter des Männerchors „Lumír“ war der tüchtige Laie Alois Jahoda-Křtinský, der sich mit seinem erweiterten Namen ähnlich wie Förchtgott-Tovačovský zu seinem Geburtsort Kiritein (Křtiny) bei Brünn bekannte. Die Chorkonzerte der Wiener Tschechen und Slawen waren überwiegend von vaterländischem Geist getragen. Eine Ära primär künstlerischer Orientierung folgte erst in den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Hauptgarant von Konzerten und Opernvorstellungen war der Musik- und Gesangverein „Lumír“, zu dessen Chorleiter und künstlerischem Direktor Jaromír Herle, wiederum ein Mährer sowie Chormitglied und stellvertretender Chorleiter der Hofoper, berufen wurde.

Oper und Musiktheater Zur Gründung eines tschechischen Theaters mit Opernbetrieb kam es in Mähren jahrzehntelang nicht. Die Ursachen dafür waren nicht ausgesprochen politisch, sie lagen vielmehr in dem nicht sehr umfangreichen tschechischen Publikum, in dessen ökonomischer Schwäche und nicht zuletzt in den unzureichenden technischen Gegebenheiten des entsprechenden Gebäudes. In Mähren fehlte es damals zudem an künstlerischen Kräften, die im Stande gewesen wären, einen niveauvollen Opernbetrieb zu gewährleisten. Die opernliebenden mährischen Tschechen, vor allem die zweisprachigen, besuchten Opernvorstellungen in deutschen Stadttheatern, in denen auch tschechische Sänger und Instrumentalisten engagiert waren. Eine allmähliche Änderung zugunsten eines tschechischen Theaters in Mähren vollzog sich seit Mitte der 1860er Jahre. Laienspielgruppen und Wandergesellschaften führten zunächst Schauspiele und leichtere Theaterstücke mit Musik auf. Veranstaltungsorte waren Gasthäuser mit einem Tanzsaal und Podium oder auch andere öffentliche Gebäude. Eine rege Tätigkeit entwickelten zum Beispiel Laienspielgruppen in den damaligen Vorstädten Brünns: Altbrünn, Hussowitz (Husovice) und Königsfeld (Královo Pole). Zugleich lebte unter den Theaterfreunden der Gedanke an ein festes, professionell geführtes tschechisches Theater mit Schauspiel- und Opernbetrieb auf.

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Tschechische Opernliebhaber begnügten sich zunächst mit bescheidenen Opernvorstellungen in den Besedas und Konzerten ihrer Gesang- und Musikvereine. Mit der Aufführung von Opernausschnitten und Vorspielen begann der Brünner Beseda-Verein schon 1865. Es wurden Solisten der deutschen Stadttheater wie die Sängerinnen J. Brenner, Marie Hřímalová-Staňková, Gabriela Roubalová und Julie Knorr sowie vom Prager Interimstheater Eleonora z Ehrenbergů und Helena Vávrová zu Produktionen eingeladen. Auch sängerisch tüchtige Mitglieder des Chors des Brünner Beseda-Vereins beteiligten sich – sogar solistisch –, unter ihnen besonders oft Antonín Peka, ansonsten ein bedeutender Funktionär des Vereins. Die Aufführung von Opern­ ouvertüren fiel der Militärblaskapelle zu. In die Programme der Besedas kamen Opern-Ausschnitte und Ouvertüren von Rossini, Weber, Verdi, Halévy, Donizetti, Adam und Gounod, die die Tschechen in szenischer Darstellung nur auf den Brettern des Stadttheaters sehen konnten. Ein Ereignis dieser Art war die Aufführung der Ouvertüre zur Oper Das goldene ­Kreuz von Ignaz Brüll am 14. Dezember 1876. Mit Klavierbegleitung präsentierten die Sänger Ausschnitte aus Smetanas Volksopern Die verkaufte Braut und Der Kuß, aus Karel Šebors historischer Oper Templáři na Moravě (Die Templer in Mähren), aus Vojtěch Hřímalýs Märchenoper Zakletý princ (Der verzauberte Prinz) und von einem mährischen Komponisten Ausschnitte aus dem Singspiel Poklad (Der Schatz) des mährischen Komponisten František Kott. Josef Illner und Antonín Javůrek, Mitglieder des Brünner Beseda-Vereins, komponierten für den Verein komische Einlagen mit Musik und Operetten. Die Erbauung des Beseda-Hauses75 in Brünn schuf gute Bedingungen für tschechische Theatervorstellungen der Wandergesellschaften, die aus Böhmen nach Mähren kamen. Die anderen Städte mußten bis zum Bau tschechischer Kulturhäuser in den 1880er/90er Jahren mit provisorischen Räumen vorliebnehmen. Auf dazu hergerichteten Podien wurde für das Publikum der Stadt und ihrer Umgebung tschechisch gespielt und gesungen. Zahlenmäßig dominierte im Theaterbetrieb das Schauspiel, nach und nach eroberten sich aber auch Oper und Operette eine Position. Als erste gastierte in Mähren 1874 bis 1877 die Wanderbühne der Eliška Zöllnerová. Dieses anfangs nur dem Schauspiel gewidmete Ensemble erweiterte seine Tätigkeit auf Opern und Operetten. Es gab Carl Maria von Webers romantisches Spiel mit Gesängen Preciosa nach dem Schauspiel von Pius Alexander Wolff, Gounods Opern 75 Beseda-Haus (Besední dům) in Brünn – ein im Jahre 1873 vom Wiener Architekten Theophil von Hansen nach dem Vorbild des Gebäudes der Gesellschaft der Musikfreunde errrichtetes Mehrzweckgebäude mit Konzertsaal. Über Konzerte hinaus fanden hier auch sonstige Kulturveranstaltungen statt. Das Beseda-Haus war bis zum Ende der Monarchie 1918 das Hauptzentrum des tschechischen nationalen Lebens in Brünn.

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Abbildung 31: Besední dům (BesedaHaus) in Brünn. Heute Sitz der Philharmonie Brno

Romeo et Juliette und Faust, Donizettis La Fille du regiment, Offenbachs Operette Orphée aux enfers, Suppés Zehn Mädchen und kein Mann – in tschechischer Übersetzung „Ein Mann und so viele Mädchen“ – und anderes. Auf dem geräumigen Podium des Beseda-Hauses ging es der Wandertruppe viel besser als in anderen Städten. Das szenische und musikalische Niveau dieser Opern- und Operettenvorstellungen ist offenbar nirgends detailliert beschrieben, es dürfte indessen bescheiden gewesen sein. Am 23. August 1879 eröffnete die Wandertruppe des Jan Pištěk mit Smetanas Die verkaufte Braut ihr Wirken in Brünn. Die ungewöhnlich lange Spielzeit – Pištěks Theaterensemble spielte vom September bis Dezember – zeugt vom wachsenden Interesse des tschechischen Publikums am Musiktheater. Pištěks Theater spielte in Brünn noch zweimal: 1880 und 1881. Seine Aufführungen von Opern und Operetten waren gegenüber jenen der Eliška Zöllnerová viel ambitionierter. Der Prinzipal und Regisseur in einer Person war selbst ein tüchtiger Tenor, in Smetanas Oper sang er die Rolle des Jeník (Hans), später auch die des Vašek (Wenzel). In seinem Ensemble hatte er weitere gute Sänger, für anspruchsvollere Partien lud er auch Gäste ein. Er verfügte über sechzehn Instrumentalisten; der Chor bestand aus jeweils zehn Männer- und Frauenstimmen. Die Vorstellungen leitete der erfahrene Theaterkapellmeister Jindřich Hartl vom Harmonium aus; er wurde später auch vom Brünner tschechischen Interimstheater engagiert. Durch das Spiel auf dem Harmonium ergänzte er die fehlenden Blasinstrumente. Pištěks Wandertruppe rang immer noch um künstlerische Professionalität. Der Qualitätszuwachs der Vorstellungen war aber auch unter den gegebenen Bedingungen

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unzweifelhaft. Der tschechische Opernfreund konnte sich freuen, eine Reihe wichtiger Werke des Opern- und Operettenrepertoires in seiner Sprache auf der Bühne erleben zu können, so Gounods Faust und Romeo et Juliette, Webers Freischütz, Flotows Martha, Nikolais Die lustigen Weiber von Windsor, Verdis Troubadour und La Traviata oder Donizettis La fille du regiment. Pištěk begann auch die tschechische Oper zu fördern – Fixstern seines Repertoires war Smetanas Die verkaufte Braut. Im Jahre 1880 führte er mit seinem Theater in Brünn zum ersten Mal Vilém Blodeks Oper Im Brunnen, im Jahre 1881 Smetanas Der Kuß auf. Im Spielbetrieb überwogen aus ökonomischen Gründen Schauspiele und Possen, beim Musiktheater die klassische Operette. Vom reichen Angebot Franz von Suppés nahm er die Operetten Flotte Bursche, Boccaccio, Fatinitza, Die schöne Galathee, wiederholt die Operette Zehn Mädchen und kein Mann, von Johann Strauß Die Fledermaus, von Jacques Offenbach Le Mariage aux lanternes und La grande Duchesse de Gérolstein und anderes ins Programm. Gleich nach dem polizeilichen Verbot von Vorstellungen im Brünner Beseda-Haus, das nach dem Brand des Wiener Ringtheaters 1881 mit Hinweis auf Sicherheitsgründe erlassen wurde, konstituierte sich in Brünn die „Genossenschaft des tschechischen Nationaltheaters“. Sie gewann für den Theaterbetrieb ein provisorisches Gebäude im Interimstheater „Na Veveří“ (Auf der Eichhörnchenstraße). Zur Aufnahme des Spielbetriebs kam es am 6. Dezember 1884 mit dem Stück Magelona des Prager Schauspielers und Dramatikers Josef Jiří Kolár. Gleich am nächsten Tag kam Smetanas Die verkaufte Braut auf die Bühne des Interimstheaters.76 Die Praxis der Theatertruppen änderte sich im tschechischen Interimstheater zunächst nicht wesentlich. Sie mieteten sich das Theatergebäude nur für ihre Schauspielund Opernvorstellungen. Die Saison dauerte von September bis März des Folgejahres. Das Repertoire bestand aus Standardwerken. In der ersten Saison gab Jan Pištěk Opern von Verdi, Flotow, Gounod, Weber und Smetana, die das Brünner Publikum bereits kannte. Eine Novität im tschechischen Repertoire war nur Karel Bendls Starý ženich (Der alte Bräutigam), eine komische Oper, die in Musik und Handlung einen Abglanz ihrer älteren Schwester Die verkaufte Braut darstellte. An Operetten spielte man Suppé, Johann Strauß und Millöcker. Nach Jan Pištěk kam in der Saison 1885/86 die Truppe des Jaroslav Pokorný nach Brünn, damals eine der besten in Böhmen. Mit Bellinis Norma, Aubers La muette de Portici, Donizettis L’Elixir d’amore und Kreutzers Nachtlager von Granada brachte sie ein eigenes Opernrepertoire mit. Beim tschechischen Repertoire stellte sie sich mit 76 Ein fleißiger und fachkundiger Kritiker und Berichterstatter des Opernbetriebs des Interimstheaters in Brünn in den Hudební listy [Musikblätter] (1884 – 88) und Moravské listy [Mährische Blätter] (1890 –92) war Leoš Janáček. Vgl. Literární dílo [Schriften], I, S. 55ff. und 99ff.

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einigen Opern aus dem Umkreis Smetanas vor: mit Zmařená svatba (Die vereitelte Hochzeit) von Karel Šebor, Dvořáks Šelma sedlák (Der Bauer, ein Schelm), weiteren Anverwandlungen an die Die verkaufte Braut, und mit Zakletý princ (Der verzauberte Prinz) von Vojtěch Hřímalý. Nach vierzig Jahren erschien in Brünn von neuem František Škroups Dráteník (Der Drahtbinder). Jaroslav Pokorný gab in Brünn klassische Operetten, neben anderen Offenbachs La belle Hélène. Für die musikalische Qualität der Vorstellungen sorgte Kapellmeister Karel Kovařovic, der künftige Chefdirigent der Oper des Nationaltheaters in Prag. Doch eine Theatersaison Pokornýs allein vermochte im tschechischen Interimsthea­ ter keine Stabilität im Repertoire zu etablieren und Entwicklungsperspektiven zu eröff­ nen. Das gelang erst dem fünfjährigen Wirken der Truppe des Pavel Švanda ze Semčic sen. (1886 –91). Dieser engagierte für die gesamte Zeit Antonín Kott, Absolvent der Prager Orgelschule, als Kapellmeister. Die Opernregie vertraute er dem erfahrenen Thea­ termann Josef Kysela an. Švanda, der von früher her Kontakte zur Prager ­Gesangschule Pivodas hatte, engagierte junge Kräfte von hoher Qualität. Das Opernrepertoire erweiterte er um weitere bedeutende Werke: Verdis Ernani (1886) und Bizets Carmen (1886), Crispino e la comare von Luigi Frederico Ricci (1887), Mozarts Don Giovanni (1888), Meyerbeers Les Huguenots (1890), Tschaikowskijs Jewgeni Onegin (1891) und die Oper Hadačka z Boissy (Die Wahrsagerin von Boissy, 1886) des kroatischen Nationalkomponisten Ivan Zajc. Švanda förderte auch zeitgenössische tschechische Opern: V studni (Im Brunnen, 1886) von Vilém Blodek, Ženichové (Die Bräutigame, 1887) von Karel Kovařovic, Josef Richard Rozkošnýs romantische Oper Svatojanské proudy (Johannisstromschnellen, 1887) und Mikuláš (1888), Zakletý princ (Der verzauberte Prinz, 1891) von Vojtěch Hřímalý. Eine geradezu historische Aufgabe erfüllten Švanda und sein Dirigent Antonín Kott jedoch mit der Einführung eines wesentlichen Teils von Smetanas Opernwerk in Mähren: Die verkaufte Braut und Der Kuß (beide 1886), Dvě vdovy (Zwei Witwen, 1887), Dalibor (1888), Braniboři v Čechách (Die Brandenburger in Böhmen, 1889) und Tajemství (Das Geheimnis, 1890). Die vier letztgenannten Opern Smetanas erklangen in Mähren überhaupt zum ersten Mal. Der unkonventionelle Pavel Švanda vermochte die Praxis der Wandertruppen mit seinem Ensemble in verhältnismäßig kurzer Zeit zu überwinden. Die letzte Saison dieses talentierten Theatermenschen und Impresarios, 1890/91, verlief nicht ohne Probleme. Im offiziellen Bericht über die Situation des Theaters heißt es: Infolge der ökonomischen Mängel der Truppe hat sich die Genossenschaft des Nationaltheaters in Brünn der materiellen Sicherstellung des Theaters angenommen. Pavel Švanda hat die Leitung an den Schauspieler Ladislav Chmelenský, die künstlerische Leitung an Václav Hübner übertragen. Der Dirigent Antonín Kott folgte einem Engagement in Pilsen und

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Abbildung 32: Wagner, Lohengrin. Theaterzettel der Vorstellung im Brünner Tschechischen Nationaltheater

verließ Brünn. Neuer Kapellmeister wurde ein anderer erfahrener Theaterpraktiker aus Böhmen, František Jílek, wiederum ein Absolvent der Orgelschule. Die von den tschechischen Volksvertretern unterstützte Theatergenossenschaft sorgte für eine Verbesserung der Betriebsbedingungen, den Umbau des Interieurs – Erhöhung der Platzzahl – und die technische Aufrüstung der Theaterbühne. In künstlerischer Hinsicht waren die Verstärkung der Kollektivkörperschaften und die Erhöhung der Zahl an Orchestermusikern auf 32 von Bedeutung. Das Attribut „Interim“ beim Namen des Theaters entfiel nun. Ab 1894 nannte es sich „České národní divadlo“ (Tschechisches Nationaltheater) in Brünn. Im laufenden Betrieb war an Hand der neu einstudierten Titel, Offenbachs Les Contes d’Hoffmann, Hervés Mamselle Nitouche, Sullivans Mikado (1892) sowie Johann Strauß’ Prinz Methusalem (1893) und Der Zigeunerbaron (1893)

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eine anwachsende Verlagerung zu Gunsten der Operette zu erkennen. Von den Opern verdienen besondere Erwähnung Mascagnis Cavalleria rusticana (1892), Janáčeks nationales Singspiel Počátek románu (Der Anfang eines Romans) und Mozarts Die Zauberflöte (beide 1894). Im Opernprogramm des Theaters kam es bald zu einem neuen Aufschwung. Ihren Weg auf die Bühne begannen in der Saison 1895/96 Smetanas reife Opern Dalibor und Zwei Witwen, Wagners Lohengrin und Tschaikowskijs Pique Dame, deren Aufführung Janáček am 21. Jänner 1896 mit einem begeisterten Feuilleton in Lidové noviny [Volksneuigkeiten] begrüßte.77 Zu dieser Zeit stand am Dirigentenpult bereits Eugen E. Engelbert, Absolvent des Prager Konservatoriums, der zuvor als Kapellmeister unter anderem in Paris, Mailand und Rom gewirkt hatte.

Abbildung 33: Prozatímní divadlo na Veveří (das Interimstheater in der Eichhornstraße). Im Jahre 1894 in „České národní divadlo“ (Tschechisches Nationaltheater) umbenannt, diente es den Brünner Tschechen zunächst der Oper, dem Schauspiel und der Operette, 1919 –1941 dann nur dem Sprechtheater. In der Saison 1943 –1944 war es als „České lidové divadlo“ (Tschechisches Volkstheater) wieder Mehrspartenbühne. 1944 wurde das Gebäude durch einen Bombenangriff der Alliierten beschädigt und später abgerissen.

77 Leoš Janáček, Literární dílo, I, 2003, S. 225f.

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Tschechische Opern gelangten seit Beginn der 1890er Jahre nicht nur in Brünn zur Aufführung. Dank dem Enthusiasmus engagierter Laien wurden sie auch von den Gesang- und Musikvereinen der größeren Städte (Kremsier, Olmütz, Ostrau, Prerau, Proßnitz) gegeben. Deren Möglichkeiten reichten allerdings nur für Volksopern (Smetana, Dvořák, Bendl, Blodek), eventuell noch für klassische Operetten. Einige Opern von tschechischen Nationalkomponisten wurden auch vom Gesangverein „Lumír“ und vom Theaterverein „Pokrok“ [Fortschritt] in Wien aufgeführt.

Die Komponisten Der Neoabsolutismus des „Ministeriums Bach“ hatte den tschechischen Komponisten Mährens in den fünfziger Jahren vorübergehend eine Pause ihrer schöpferischen Entwicklung aufgenötigt. So vertonte Arnošt Förchgott Tovačovský damals keine tschechischen Texte mehr; so fokussierte Pavel Křížkovský sein Schaffen auf liturgische Werke mit lateinischen Texten, auf tschechischen Vorlagen schrieb er nur die einfachen dreistimmigen Písně a básně pro školy národní (Lieder und Gedichte für Volksschulen, 1855). Hynek Vojáček ging nach Rußland, wo er sich den dortigen Verhältnissen anpaßte. In der Öffentlichkeit durften tschechische Komponisten erst wieder nach der Einführung der Verfassungsordnung von 1860 hervortreten, die auch in Mähren die Anerkennung des Tschechischen als zweite Landessprache und die Versammlungsfreiheit mit sich brachte. Die Sprachreform und die Erneuerung des nationalen Lebens bewirkten die Entstehung einer bis dahin ungekannten Zahl von Kompositionen auf tschechische Texte, die nun auch in entsprechenden Institutionen dargeboten werden konnten. Die Musik der mährischen Tschechen bestand überwiegend aus Kompositionen auf Verse mährischer patriotischer Dichter wie Vincenc Furch, František Matouš Klácel, František Sušil, Jan Vlk und anderen. Die Komponisten feierten in Chören und Liedern, manchmal auch in geistlicher Musik die Vergangenheit und Gegenwart ihres Landes. Als reinste Äußerung der nationalen Musik galt das Volkslied, das als wichtige Quelle und Ausgangspunkt vieler Kompositionen diente. Komponiert wurden auch Polkas und andere Modetänze, Märsche, instrumentale Potpourris und ähnliches. Die Komponisten bewegten sich weiterhin im Bereich der funktionalen Musik, das heißt der patriotischen, manchmal aber auch nur unterhaltenden. Durch die Vertonung tschechischer Texte grenzten sie sich von der Musik deutsch-mährischer Komponisten ab. Die Texte und das folkloristische musikalische Material mancher Kompositionen unterschieden diese oft auch von der Musik der eigentlichen, d. h. der in Böhmen ansässigen Tschechen. Zur artifiziellen Musik, wie sie die Generation Smetanas und Dvo-

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řáks bereits in den 1860er/70er Jahren kultivierte, gelangten mährisch-tschechische Komponisten erst in den 1880er Jahren. Sie bestanden nun nicht mehr so sehr auf dem sprachlichen Aspekt der tschechischen Nationalmusik in Mähren und erweiterten ihr Schaffen um neue instrumentale Gattungen und Formen. Schöpfer dieser Musik waren nicht allein im Lande selbst wirkende mährische Tschechen, sondern auch solche, die ihre Heimat zwar verlassen hatten und meistens ins nahe Wien gegangen waren, jedoch den geistigen, künstlerischen und persönlichen Kontakt mit Mähren nicht aufgegeben hatten, was in ihrer Musik zum Ausdruck kam. In diesem Sinne reicht die tschechische Musik in Mähren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts über die Landesgrenzen hinaus. Unter diesem Vorzeichen wird sie im folgenden auch dargestellt.

Tschechischer Emigrant in Rußland: Hynek Vojáček Als Hynek Vojáček Mähren verließ und über Wien nach Sankt Petersburg ging (1853) und dort einige bedeutende Posten bekleidete – in den Jahren 1862 bis 1912 unterrichtete er Fagott und Musiktheorie am dortigen Konservatorium –, wurde er zum exterritorialen Musiker. Dem neuen Kulturmilieu paßte er sich auch als Komponist teilweise an. Er schrieb Musik auf russische Texte, Männerchöre, Romanzen für Gesang und Klavier (Worte: A. J. Pukarov), Opern, Orchester- und Kammermusikwerke. Die tschechische Aufführung seines Operneinakters Plennaja Zajatá (Die Gefangene, 1867, Libretto: E. Rackij) im Prager Interimstheater (1869) ließ jedoch die Grenzen von Vojáčeks Talent erkennen. Den Rang Smetanas und Dvořáks erreichte er auch mit anderen Werken nicht, obwohl er mit der Slavnostní ouvertura (Festouver­ türe) zur Grundsteinlegung des Nationaltheaters in Prag 1868, mit der Herausgabe von Kompositionen und anderem durchaus darum bemüht war.

Abbildung 34: Hynek Vojáček in seinen späten Lebensjahren

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Seine Chance fand Vojáček wiederum in Chören und Liedern auf tschechische Texte und in der Bearbeitung mährischer Volkslieder. In ihnen ist er der mährische Tscheche geblieben. Er verschickte sie zur Aufführung an tschechische Gesangvereine nach Mähren, Böhmen und auch nach Wien, einige sind diesen auch gewidmet. Zum Millenium der Ankunft von Cyrill und Method in Mähren komponierte er einen Festchor (1863). Von seinem umfangreichen Vokalschaffen erlangten die älteren Hostýnské písně (Hosteiner Lieder) und der Männerchor Teď mocný vane světem duch (Jetzt weht durch die Welt ein mächtiger Geist, 1863, Worte: Aleš Balcárek) anhaltende Popularität; letzterer ist darüber hinaus die wohl beste tschechische Arbeit des Komponisten aus seiner russischen Zeit.78 Im ersten Heft seines Albums Čechoslovanské prostonárodní písně, jak se na Moravě trojhlasně zpívají, sestavené H. Vojáčkem Vsackým (Tschechoslawische Volkslieder, wie sie in Mähren dreistimmig gesungen werden, zusammengestellt von H. V. Vsacký, 1854) ergänzte er seinen Namen um das Attribut „Vsacký“ nach der traditionellen Bezeichnung „Vsacko“, seiner Geburtsgegend in der mährischen Walachei. Er bekannte sich damit ähnlich wie andere in Wien wirkende tschechische Mährer – Förchtgott-Tovačovský oder Jahoda Křtinský – zu seiner Heimat. In hohem Alter komponierte er die Volkskantate Na horách (Auf den Bergen) auf Worte des walachischen Regionaldichters Josef Kalus (1909), über deren Musik er selbst schrieb: Es ist nicht alles mein. Aus dem Volksquell schöpfte ich mit Liebe – dann gab ich auch das Meine dazu.79 Die Kantate widmete er dem Andenken des Volksliedsammlers und Begründers der mährischen Ethnologie, František Bartoš. Vojáček überlebte seine Altersgenossen um einige Jahrzehnte. Er unterhielt Kontakt zu Janáček, der ihm den gedruckten Klavierauszug der Jenufa nach Sankt Petersburg schickte (1909), worauf er sich mit auch kritischen Worten bedankte.80 Keine der Innovationen dieser bedeutenden Oper hat Vojáček jedoch verstanden. Mit seinen Ansichten und Werken vermochte er nicht in die Zukunft zu weisen, gleichwohl begründete er in seiner Zeit als Komponist zusammen mit Arnošt Förchtgott-Tovačovský und Pavel Křížkovský die tschechische Musik Mährens.

78 In diesem Sinne Emil Axman, der Vojáčeks Vokalschaffen ansonsten kritisch beurteilt, in: Morava v české hudbě XIX. století, S. 35f. 79 Das Zitat befindet sich im Manuskript der Kantate, das im „Oddělení dějin hudby Moravského zemského muzea v Brně“ (Abteilung für Musikgeschichte des Mährischen Landesmuseums in Brünn) aufbewahrt wird. 80 Der im „Oddělení dějin hudby Moravského zemského muzea“ archivierte Brief enthält unter anderem den Vorbehalt, daß Janáček sich in Jenufa einer Prosa-Vorlage bediente.

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Die mährischen Tschechen in Wien Vojáček überwand nach seiner Ankunft in Sankt Petersburg die Begrenzung auf die tschechische Sprache. Arnošt Förchgott-Tovačovský hat umgekehrt dem Wiener Repertoire Kompositionen auf tschechische Texte und damit auch tschechische Musik vermittelt. Als erstes tschechisches Werk in Wien gilt der Männerchor Orle, milý orle (Adler, lieber Adler) von 1863 auf Worte von Jan Vlk, geschrieben für den „Zpěvácký spolek slovanský“ (Slawischer Sängerverein), den Förchtgott-Tovačovský gegründet hatte und dessen Chorleiter er auch war. Sein letztes Werk, die Kantate Komenský (Comenius) für Männerchor und vier Bläser (1874, Worte: Eliška Krásnohorská), komponierte er kurz vor seinem Tod. Bis dahin waren neben anderem die Chöre Žene mrak se černý und Válečná-Husitská (Es nähert sich eine schwarze Wolke und Hussitischer Kriegsgesang, beide 1864, Worte: Jan Vlk), der J.  E. Purkyně gewidmete Männerchor Vlasti (Dem Vaterland, 1867, Worte: Jan Vlk) und Zvonky slovanské (Slawische Glöckchen, 1870, Worte: František Sušil) entstanden. Arnošt Förchtgott-Tovačovský hat zudem tschechische Messen und andere liturgische Kompositionen – unter anderem ein Requiem – geschaffen. Der Chor Otče náš (Vater unser, in kirchenslawischer Sprache, 1871) war für die orthodoxe Kapelle der russischen Botschaft bestimmt, deren Musikdirektor er war. Er bearbeitete zudem mährische Volkslieder sowie Volkslieder anderer slawischer Völker. All diese musikalischen Aktivitäten widmete Förchtgott-Tovačovský vor allem dem Musikleben der Wiener Tschechen – in freundschaftlicher Verbundenheit mit den anderen Slawen in der multinationalen Metropole. In Wien bildete er Chormeister und Komponisten aus, darunter seinen Nachfolger Alois Alexandr Buchta, Autor der patriotischen Chöre Moravě (An Mähren, 1869, Worte: A. Prečan), Svoboda (Freiheit, 1875), Lásko má (Du meine Liebe, 1884, letztere auf Worte von Ladislav Quis) und von Bearbeitungen slawischer (1881) und mährischer (1885) Volkslieder. Durch sein Werk und seinen Einfluß wirkte er auch auf den tüchtigen Autodidakten, Chorleiter des „Lumír“ und anderer Wiener Gesangsmusikvereine, Konstantin Alois Jahoda Křtinský, der auch als Komponist von patriotischen Chören und als Bearbeiter von Volksliedern hervortrat. Förchtgott-Tovačovský und sein Kreis bewegten sich noch immer im Rahmen funktionaler Musik. Nur Förchtgott-Tovačovskýs selbst kann man Emil Axman zufolge gewisse Rücksichten auf höhere, kunstvollere Anforderungen der Komposition zugestehen, als es das bloße setzen von Akkorden ist.81 Er bewies Sinn für Übersichtlichkeit der Form, natürliche Gesanglichkeit und Ökonomie der Stimmführung. Er war erfindungsreich 81 Emil Axman, Morava v české hudbě XIX. století, S. 39.

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in der Harmonik und in den Modulationen. Damit kam er in die Nähe der Chöre Smetanas aus den 1860er Jahren, die er kannte und als Chorleiter aufführte. Seine nationale Identität brachte er durch für tschechische Gesangsmusikvereine bestimmte Musik zum Ausdruck – einige tschechische Chöre Förchtgott-Tovačovskýs wurden sogar ins Deutsche übersetzt und fanden damit auch Eingang in deutsche Vereine. Ein Komponist, der liturgische Musik auf lateinische Texte schrieb oder deutsche Texte vertonte, zeigte sich nur bei besonderen Gelegenheiten als nationaler Musikerwecker. Johann (Jan) Beránek de Deo, der als Knabe bei tschechischen Messen in Welehrad gesungen und musiziert hatte, kehrte an diesen für die tschechischen Mährer heiligen Ort 1863 anläßlich des Millenniums der slawischen Glaubensboten Cyrill und Method zurück, um die Musik der Feierlichkeiten zu leiten. Für diese Gelegenheit komponierte er nach tschechischen Quellen eine Cyrillische Messe sowie Vier Werke für vier Stimmen, Orchester und Orgel. Es war dieses das einzige bekannte Bekenntnis Beráneks zum Slawentum. Aus der Schule Simon Sechters hervorgegangen, lebte er dauerhaft in Wien und bekleidete bedeutende Posten im Wiener Musikleben: So war er Organist an der Hofburgkapelle und in Schönbrunn sowie Musikprofessor in der k. u. k. Theresianischen Akademie. Im weiteren komponierte er zahlreiche liturgische Werke in Latein, Orchester-, Kammer- und Orgelmusik. Eine andere markante Position innerhalb der tschechischen Musikenklave Wiens behaupteten die Söhne der musikalisch weit verzweigten Familie Josef Pazdíreks, eines Lehrers aus der mittelmährischen Subregion Hanna. Seinem ältesten und bedeutendsten Sohn Bohumil Pazdírek – 1856 änderte er in Wien seinen Namen auf Johann Peter Gotthard – wird die Autorschaft der vaterländischen Chöre auf tschechische Texte Praho má (Mein Prag) und Slovo k vlasti (Ein Wort zum Vaterland) zugeschrieben, die er in Olmütz dem Studentenchor der Theologischen Fakultät widmete. Er bearbeitete und gab für verschiedene Besetzungen Volkslieder aus Sušils und Bartošs Sammlungen heraus. Diese Stücke haben im Werk Gotthard-Pazdíreks eher eine Rand­bedeutung. Als Schüler Simon Sechters wendete er seine Aufmerksamkeit in eine andere Richtung: Er komponierte auf deutsche Texte, schrieb sechs Streichquartette und Orchestersuiten. Aus seinen fünf deutschen Opern wurde Iduna 1889 in Gotha aufgeführt. Im Jahre 1868 begründete er zusammen mit seinem Bruder František Pazdírek in Wien einen Verlag, den dann die Firma Doblinger (Hermansky) übernahm. Darüber hinaus gaben die Brüder gemeinsam die grundlegende Musikbibliographie Universal-Handbuch der Musik-Literatur (34 Bände, 1904 bis 1910) heraus. Beránek und die Gebrüder Pazdírek erinnern mit ihrem Werdegang an die früheren Musikwallfahrten tschechischer Mährer nach Wien und an andere Orte der Mo­ narchie – es überrascht nur, das es in der Zeit eines wachsenden Nationalbewußtseins

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noch immer geschah. Die vaterländischen Gefühle machten wohl dem Verlangen der Komponisten nach einem bedeutenderen Wirkungsort Platz. Von der gesamten Familie Pazdírek ist der tschechischen Musik in Mähren nur Ludevít Raimund Pazdírek, ein Komponist tschechischer Meßen und der Herausgeber tschechischer Gesangbücher, treu geblieben. Die Herausgabe tschechischer Musikalien führte ihn in verschiedene mährische Orte. Als erfolgreicher Verleger faßte er 1911 schließlich in Brünn Fuß. Sein Sohn Oldřich und sein Enkel Dušan setzten das Werk bis 1948 fort.

Die Generation Pavel Křížkovskýs Die Erneuerung des nationalen Lebens und die Verfassungsfreiheiten von 1860 gaben Pavel Křížkovský die Möglichkeit, sich wieder der Idee und Praxis tschechischer Musik zuzuwenden. Er trat mit seinen Bearbeitungen von Volksliedern und folkloristischen Männerchören wieder an die Öffentlichkeit, von denen er Utonulá (Die Ertrunkene) und Dar za lásku (Geschenk für die Liebe) umarbeitete. Zu den beiden schuf er einen weiteren Meisterchor, Odvedeného prosba (Rekruten-Bitte, 1862). Mit dieser Trilogie erreichte er den Gipfel seines Schaffens. Es handelt sich um großformatige Kompositionen, die Ertrunkene ist in Form eines großen Rondeaus, Geschenk für die Liebe in Form eines beethovenschen Scherzos mit Trio, Rekruten-Bitte in Form klassischer Variationen mit Coda komponiert. Křížkovský, der hervorragende Interpret der musikalischen Klassik, hat es verstanden, deren instrumentale Formen auf die Vokalmusik zu übertragen.82 Seine Männerchöre sind jedoch keineswegs Genres der absoluten Musik, vielmehr fließen Wort und Ton eindrucksvoll ineinander. Durch sinnvolle Auswahl der Volksliedweisen mit charakteristischen Motiven sowie durch die Bildung eigener Themen im Volkston folgt Křížkovský dem Sinn und der Bedeutung der Worte und Wortsegmente. Die Themen seiner Chöre sind Charakterthemen, wie etwa das kanonisch geführte Fanfarenmotiv auf die Worte „Bude vojna, bude …“ (Es wird Krieg) gleich am Beginn des Chors Die Ertrunkene musikalisch „das Bild des Krieges“ evoziert. Křížkovský kommt in seinen Kompositionen mit Dur und Moll aus. Sobald es jedoch der Ausdruck erfordert, überschreitet er die Grenzen der klassischen Diatonik und integriert, wie z. B. in Die Ertrunkene, expressive Chromatik. Charakteristische chromatische Segmente (as – g – ges – f ) finden sich auch in den Nebenstimmen gleich in 82 Vgl. Leoš Janáček, Pavla Křížkovského význam v lidové hudbě a v české hudbě vůbec [Pavel Křížkovskýs Bedeutung für das Volkslied und die tschechische Musik überhaupt] (1902), in: Janáček, O lidové písni [Über das Volkslied], S. 171f.

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Notenbeispiel 10: Pavel Křížkovský, Männerchor Utonulá (Die Ertrunkene)

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der Exposition des Chores, in der der Komponist aus der Grundtonart (As) in Nebentonarten ausweicht. Am Schluß der Exposition mit der dreimal wiederholten Interjektion „ach“ nach der Subdominante tritt der außertonale doppelverminderte Septakkord (des – f – as – ces) als Zeichen des Klageaffekts auf. Das musikalische Material und seine Strukturierung entsprechen dem balladesken und dramatischen Charakter des Stoffes: Das Mädchen, dessen Liebster aus dem Krieg nicht zurückkommt, beendet sein Leben, indem es in die Donau geht. Křížkovský achtet auf den Ausdruck auch in seinen anderen Chören. Chromatische Wendungen, Schwanken zwischen Dur und Moll und jähe tonale Ausweichungen findet man im elegisch gestimmten Chor Rekruten-Bitte. Die scherzhafte Metaphorik des Chors Geschenk für die Liebe geht vorwiegend mit Diatonik einher. Křížkovský meidet jedoch merkwürdigerweise die modalen Wendungen des mährischen Volksliedes – und ändert für seine Version sogar die Melodie. So weicht er zum Beispiel bei der Harmonisierung des Männerchors mit Soli Zatoč se (Drehe dich, 1860) von d-Moll in die Tonart der erniedrigten siebenten Stufe C-Dur aus, d. h. bedient sich der sogenannten mährischen Modulation, wie sie Janáček bei der Harmonisierung der Melodie des gleichen Volksliedes für Gesang und Klavier (Koryčanský troják [Troják aus Koryčaný], 1890) zur Anwendung brachte. Křížkovský ist mit seinen Vokalkompositionen auf tschechische Texte dem Begründer der tschechischen nationalen Musik, Bedřich Smetana, zuvorgekommen. Jedoch war er nicht Smetanas Vorgänger im Ausweis des gesamten Spektrums der Gattungen, wie es seine ersten mährischen Biographen suggerieren wollten.83 Nach der erwähnten Chortrilogie und der zweiten Fassung der Kantate Hl. Cyrill und Method von 1861 bahnten sich in der Musik des Komponisten vielversprechende Perspektiven an – er dachte sogar an die Komposition einer Nationaloper, eines Oratoriums über den heiligen Prokop, einen Mönch aus dem slawischen Kloster an der Sazawa (Sázava) unweit von Prag. Diese schöpferischen Pläne traf jedoch das Verbot aller Tätigkeiten in der weltlichen Musik, diesmal von Seiten der kirchlichen Hierar83 Smetana hörte die Chöre Utonulá (Die Ertrunkene) und Odvedeného prosba (Rekruten-Bitte) im Konzert der Brünner Beseda in Prag (1862). Janáček zeichnete später die in Mähren tradierte Reaktion des Begründers der tschechischen Nationalmusik mit folgenden Worten auf: Der anwesende Smetana sagte mit Begeisterung: „Das ist unsere Musik, das ist tschechische Musik.“ In: Leoš Janáček, Literární dílo, I, S. 228. Die mährischen Biographen Křížkovskýs, Karel Eichler und Jindřich Geisler, leiteten daraus Křížkovskýs Stellung als Begründer der tschechischen Nationalmusik vor Smetana her. Vladimír Helfert hat diese Ansicht mit wissenschaftlichen Argumenten widerlegt, siehe seinen Aufsatz „Pavel Křížkovský a Bedřich Smetana“ (Pavel Křížkovský und Bedřich Smetana), in: Morava II/1926.

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chie. Es folgte die Berufung Křížkovskýs auf den Posten des Kapellmeisters der erzbischöflichen Kathedrale in Olmütz 1872 und die damit verbundenen Pflichten des Komponierens liturgischer Musik. Figuralmessen und ähnliches hatte Křížkovský schon früher komponiert. Nach Olmütz kam er jedoch als überzeugter Vertreter der Reformbewegung des Cäcilianismus; in Prag kam er 1873 persönlich mit dem Regensburger Kirchenmusiker Franz Xaver Witt (1834 –1888) zusammen, der 1868 den „Allgemeinen Cäcilienverein für die deutschsprachigen Länder“ gegründet hatte. Der Einfluß von Witts Messen wurde nun auch für seine Kompositionen wirksam. Ganz im Sinne des Cäcilianismus entledigte er seine neuen liturgischen Werke aller weltlichen Elemente und stützte sich stilistisch auf den gregorianischen Choral und die Vokalpolyphonie Palestrinas, die er schon während seiner Wirkung im Altbrünner Kloster gepflegt hatte. Im Geiste der Reform entsagte er in seinen liturgischen Kompositionen dem Orchester und ließ sie von Posaunen oder auf der Orgel begleiten, so etwa im Requiem für drei Stimmen mit Begleitung der Orgel, im Te Deum, Graduale und anderen. Die katholische liturgische Musik in Mähren profitierte von dieser Wendung in Křížkovskýs Schaffen, die tschechische Musik mährischer Richtung verlor allerdings dadurch. Janáček beklagte später bitter, daß Witts Cäcilianismus Křížkovský der tschechischen Musik entfremdet habe.84 Křížkovskýs Zeitgenossen vermochten die durch seinen Abgang aus der Welt der profanen Musik entstandene Lücke nicht zu füllen. Sie komponierten patriotische bis unterhaltende Musikstücke. Es waren auch keineswegs Komponisten vom Range Křížkovskýs, sondern an den Aufführungen ihrer Werke mitwirkende Laien, die sich dergestalt in der Öffentlichkeit präsentierten. Im Umkreis der Brünner Gesangvereine wirkten Josef Illner, Begründer des Männerchors „Svatopluk“ und des Mädchenchors „Vesna“, Antonín Javůrek, einige Zeit Chorleiter des Brünner Beseda-Vereins, und dessen Bruder Norbert – alle mit Wurzeln in Ostböhmen. Norbert Javůrek kam schon während seines Medizinstudiums an der Wiener Universität zur Musik, wo er mit Förchtgott-Tovačovský und anderen tschechischen Patrioten verkehrte. In Brünn stand er unter dem Einfluß von František Sušil, aus dessen Sammlung er zwei Hefte Moravské národní písně (Mährische Volkslieder, 1865) für Klavier mit unterlegtem Text zu den Melodien herausbrachte. Bis zu den Volksliedbearbeitungen von Janáček gehörten Javůreks Bearbeitungen zum Besten in Mähren. Nach dem Vorbild der einfachen Chöre Křížkovskýs komponierte er drei Jahre nach Janáček den Chor Vínek stonulý (Das versunkene Kränzlein). In den Kontext der vaterländischen Chöre gehört sein Chor Na Moravu (An Mähren, Worte: Vincenc 84 Leoš Janáček, Glagolskaja missa (1927), in: Literární dílo, I, S. 602.

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Furch, 1865) mit dem charakteristischen Motto „Moravo, ty zbožný Slávův chráme“ (Mähren, du frommer Dom der Slawen). Norberts Bruder Antonín Javůrek sorgte im Brünner Beseda-Verein für Unterhaltung mit scherzhaften Chören (A Cis E A) und komischen Auftritten – dem scherzhaften Dreigesang Klepy [Der Klatsch] und dergleichen –, zu denen ihm Josef Illner Texte schrieb. Auch schrieb er das komische Opern-Pasticcio Kvas krále Vondry XXVI. (Das Gastmahl König Heinrichs XXVI., 1879) unter Verwendung von Musik anderer Komponisten. Illners Pasticcio erntete auf den Besedas des Brünner Vereins Erfolge; der Autor gab einen Klavierauszug im Druck heraus. Auch unter den Komponisten lateinischer liturgischer Musik war Křížkovský in seiner Generation ohne Konkurrenz. In einigen Fällen kennen wir nur Namen von Komponisten und Werktitel, so zum Beispiel bei Václav Bárta, Regens Chori aus Göding (Hodonín) und Vertreter des Cäcilianismus, ferner beim näher nicht bekannten Damian Hrbáček, der sich Hrbaczek schrieb, Autor der tschechischen Mše ke slávě Boží a k poctě svatých apoštolů Cyrila a Metoděje (Messe zum Ruhm Gottes und zu Ehren der heiligen Apostel Cyrill und Method), die zu den Welehrader Feierlichkeiten des Jahres 1863 komponiert wurde, und bei Jan Chmelíček, der Kirchenlieder und kleinere liturgische Werke schrieb. Musikalisch größeres Format hatte dessen Bruder Josef Chmelíček, Schüler des alten Gottfried Rieger. Josef Chmelíček komponierte Messen – darunter die sogenannte Jerusalemer Messe –, Gradualien und Hymnen. Er ist Autor der Kantate Vier Jahreszeiten (1886) und von Fugen auf slawische Kirchenlieder (Vesele zpívejme, Boha Otce chvalme [Laß uns fröhlich singen, Gott den Vater loben]), die er mit einigen Fugen von František Musil in seine fünfzehnbändige Sammlung Liber fugarum aufnahm. Diese enthält angeblich an die 1500 Fugen, die er durch Abschriften aus historischen Quellen zusammentrug. Das Buch der Fugen widmete er dem Kloster Rein in der Steiermark. Janáček schätzte an Chmelíčeks Kompositionen die wohlklingenden Weisen und die harmonische Klarheit.85 Josef Chmelíček unterstützte Janáček bei der Gründung der Orgelschule in Brünn, an der er dann auch unterrichtete.

85 Leoš Janáček, † Professor Dr. P. Chmelíček, in: Literární dílo, I, S. 194.

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Die Generation der 1880er Jahre Anfang der 1880er Jahre betritt eine Generation professionell geschulter Musiker die mährische Musikszene, durch deren Schaffen sich das Bild der tschechischen Musik in Mähren nachhaltig ändern wird. In Brünn waren hauptsächlich František Musil und Leoš Janáček, in Olmütz Josef Nešvera und Antonín Petzold, in Ostrau Cyril Metoděj Hrazdira und andere an diesem Prozeß beteiligt. In Kremsier komponierte Ferdi­ nand Vach, in der mittelmährischen Stadt Prerau (Přerov) Josef Čapka-Drahlovský. Es waren Schüler von Lehrern der Prager Orgelschule, und zwar ihres Direktors, des bedeutenden Theoretikers und Komponisten František Zdeněk Skuherský, und der Lehrer für Tonsatz Josef Förster (der Vater von Josef Bohuslav Foerster) sowie František Blažek. Komposition wurde am Prager Konservatorium seinerzeit noch nicht unterrichtet. Musil, Nešvera, Petzold, Vach und weitere sind aus Böhmen nach Mähren gekommen; Čapka-Drahlovský war aus Drahlov – deshalb Drahlovský – bei Olmütz gebürtig. Janáček ist im malerischen Hochwald (Hukvaldy) an der mährisch-schlesischen Grenze geboren. Die Musiker waren keineswegs nur als Komponisten tätig. Ihre erste Aufgabe bestand darin, die Gesangvereine auf ein höheres künstlerisches Niveau zu bringen, deren Musikschulen zu leiten und die Kirchenmusik zu heben. Sie komponierten weiterhin funktionale Musik, namentlich Kirchenmusik, ihr neues Ideal suchten sie jedoch in der artifiziellen Musik. Die Werkverzeichnisse zeugen von zunehmender Produktion in jenen Gattungen und Genres, die vorher in der tschechischen Musik Mährens nicht vertreten waren. Im Überblick nennen wir einige bedeutende ­Beispiele und Werkgruppen, die von dem sich wandelnden Bild der tschechischen Musik in Mähren Zeugnis geben. Es entstanden: Symphonien (Čapka-Drahlovský 3, Nešvera 2, Musil 1) und weitere Orchesterwerke (Suiten, Ouvertüren, Tänze), Streichquartette (Musil 3, Nešvera 2) und andere Kammermusik, zwölf Opern (Singspiele) verschiedenen Genres (Nešvera 6, Vach 2, Hrazdira 3, Čapka-Drahlovský 1), Charakterstücke für Klavier, Orgelkompositionen (Musil, Nešvera), geistliche und profane Kantaten und Oratorien (Čapka­ Drahlovský, Musil, Nešvera), Kunstlieder und -chöre, Volksliedbearbeitungen und anderes. Dazu sind auch Janáčeks frühe Kompositionen zu zählen. Wichtig für ein Werk war seine Veröffentlichung im Druck, vor allem jedoch seine Aufführung vor Ort, im Lande oder jenseits der Landesgrenzen. Die tschechische Musik in Mähren präsentierte sich geradezu manifestartig in den vokal-symphonischen Konzerten der „Národopisná výstava českoslovanská v  Praze“ (Allslawischen ethnographischen Ausstellung in Prag) am 16. und 17. August 1895, deren Programm mit

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Werken von Křížkovský, Förchtgott-Tovačovský, Nešvera und Čapek-Drahlovský vom Geschäftsführer der Ethnographischen Sektion für Musik in Mähren, Leoš Janáček, vorgeschlagen worden war.86 Das Bild der tschechischen Musik in Mähren wurde auch dadurch bestimmt, daß die Werke einzelner Komponisten auf eine größere Öffentlichkeit stießen. Josef Čapka­ Drahlovský erlebte die Herausgabe einer Reihe seiner Werke. Josef Nešvera gab seine Kompositionen nicht nur in Mähren, sondern auch in Prager Prestigeverlagen heraus, und er wurde in Olmütz, Brünn, Prag und auch im Ausland gespielt. Sein Oratorium De profundis wurde vier Jahre nach der Olmützer Premiere 1889 in Wien aufgeführt; die Brünner Premiere der Komposition im Beseda-Verein 1894 leitete der Komponist selbst. Im Jahre 1903 gelangte das Oratorium in England auf dem Bridlingstoner Festival in London zu Gehör, wo im Verlag Novello auch ein Klavierauszug erschien. Von den Opern des Komponisten wurden Perdita am Prager Nationaltheater (1897) und Lesní vzduch (Waldesluft) nach der deutschen Premiere und einer tschechischen Inszenierung in Olmütz (1897) tschechisch in Brünn und Pilsen sowie serbokroatisch in Zagreb aufgeführt. In Brünn, Prag und Olmütz wurde auch Nešveras Oper Radhošť (Radegast, 1906) gegeben. Aus Brünn kommend, profilierte sich František Musil in Prag und Wien. Im Druck erschien nach seiner Brünner Premiere 1895 in František Urbáneks Prager Verlag Musils Stabat mater, das mit dem Prestigepreis der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und Künste ausgezeichnet wurde. Musil unterhielt Beziehungen zum Wiener Gesangverein „Lumír“, der 1898 seine Kantate Zlatý kolovrat (Das goldene Spinnrad, 1898) uraufführte. In der Österreichischen Musik- und Theaterzeitung VII/1895 gelangten Musils Klavierkompositionen, Lieder auf deutsche Texte und anderes zum Druck, in Wien erschienen auch Antonín Petzolds cäcilianische Missa solemnis für acht Stimmen a cappella und anderes mehr. Durch Aufführungen und Veröffentlichungen wuchs zwar das künstlerische Prestige der tschechischen Musik in Mähren, eine stilistische Einheit existierte in dieser Generation jedoch nicht. Es zeigten sich allerdings Unterschiede in der Professionalität des Komponierens: Immigranten aus Böhmen kamen gut ausgebildet aus Smetanas und Dvořáks Prag nach Mähren, in der Musik der gebürtigen Mährer hingegen überdauerten in bedeutender Weise Bindungen an die lokale Tradition, namentlich an die Chöre Křížkovskýs und Förchtgott-Tovačovskýs, und an das Volkslied. Zwischen dem Schaffen des „eingewanderten“ und des „einheimischen“ Zweigs entstand auf diese Weise eine Polarität, die zu überwinden nicht leicht war. 86 Vgl. Jiří Vysloužil, in: Sehnal-Vysloužil, Dějiny hudby na Moravě [Musikgeschichte in Mähren], S. 183.

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Josef Nešvera, der Nachfolger Křížkovskýs als Musikdirektor der Olmützer Kathedrale (1884), knüpfte an das Werk seines Vorgängers nur in der cäcilianischen Kirchenmusik (Messen, Requiem, Motetten und anderes) an. Zu dessen auf dem Volkslied beruhender Musik vermochte er Distanz zu wah­ ren; er komponierte in verschiedenen Gattungen und Formen der artifiziellen Musik. Im Opernschaffen – in der Erstlingsoper Bratránek (Der Cousin, Libretto: Antonín Koukal,   1882), in der Märchenoper Perdita (Libretto nach Shakespeares Pohádka zimního večera [Ein Wintermärchen]: Jaroslav Kvapil, 1892) und in der komischen Oper auf ein eigenes Libretto Lesní vzduch (WalAbbildung 35: Josef Nešvera desluft, 1896) – fand er sein Vorbild in Bedřich Smetana, mit dem er Freundschaft pflegte und sich beriet. Smetanas Rang hat er indessen weder musikalisch noch dramaturgisch erreicht. Besser ging es Nešvera in seinen weltlichen und geistlichen Kantaten, Liedern und Chören. Sein patriotischer Männerchor Moravě (An Mähren, Worte: Jan Havelka, 1886, 2. Fassung 1890) ist nach Dietrichs Lied Moravo zur zweiten inoffiziellen mährischen Hymne der Männerchöre geworden. Im De profundis für Soli, gemischten Chor, Orchester und Orgel (Žalm 129 [Psalm 129], 1889) diente ihm als geradezu ideales Muster Antonín Dvořáks Oratorium Svatá Ludmila87 und über diesen hinaus Georg Friedrich Händel. Im umfangreichen Werke Nešveras nimmt auch die Instrumentalmusik eine bedeutende Stellung ein. Für Orchester komponierte er neben der Symphonie G-Dur (1906) musikalische Genrebilder – Idylle, Arabesken, Noveletten. Viel schrieb er für das Klavier. Zu den Plumlovské motivy (Motive aus Blumenau, 1898) inspirierte ihn die malerische mittelmährische Landschaft, in der er alljährlich die Ferien verbrachte. Es handelt sich dabei keineswegs um folkloristische Musikstücke, sondern an Schumann und Fibich orientierte Kompositionen romantischer Prägung. Nešvera versuchte sich erst nach dem Brünner Erfolg von Janáčeks Jenufa (1904) an einem Werk folkloristischer Orientierung, und zwar mit der Oper Radhošť [Radegast] (auch 87 Dvořák widmete dem Olmützer Gesangverein das Oratorium Svatá Ludmila (Die heilige Ludmila).

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Černokněžník [Schwarzkünstler], Libretto: B. Remeš, 1906). Die Handlung spielt auf dem gleichnamigen, sagenhaften walachischen Berg in den mährisch-schlesischen Beskiden. Zum Libretto stellte Nešvera Themen aus Volksliedern und deren Nachahmungen zusammen. Damit konnte Radhošť selbst auf der Brünner Bühne nicht bestehen – in Prag ist die Oper durchgefallen.88 Aus der Perspektive seiner Zeit erreichte der damals erfolgreiche Nešvera mitunter die Peripherie der Musikmoderne Janáčeks und Nováks, die die weitere Entwicklung der tschechischen Musik in Mähren bestimmte. Notenbeispiel 11: Josef Nešvera, Männerchor Moravě (An Mähren)

88 Die Oper wurde insgesamt nur dreimal gespielt (1906). Vgl. Zdeněk Nejedlý, Opera Národního divadla v Praze. Díl druhý [Die Oper des Volkstheaters in Prag. Zweiter Teil], Praha 21949, S. 438.

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Der Folklorismus hatte auch im Werk eines weiteren bedeutenden mährischen Immigranten aus Böhmen, František Musil, keine nennenswerte Bedeutung. Musil schrieb nur einige wenige Kompositionen auf Worte und Weisen mährischer Volkslieder (Moravské národní písně ze sbírky Františka Sušila [Mährische Volkslieder aus der Sammlung František Sušils]). Vieles komponierte er als Regens Chori und Organist der Sankt-Peters-Kathedrale in Brünn. Von seinen fünfzehn Messen wird die Missa solemnis für die beste gehalten. Musil wußte sich in seinen weltlichen und geistlichen Kompositionen ähnlich wie Nešvera vom Cäcilianismus abzugrenzen. Sein wichtigstes Vorbild war Johann Sebastian Bach. Die Brünner Zeitgenossen nannten Musil wegen der neobarocken Züge seines Stabat mater für Soli, Chor, Orchester und Orgel von 1893 den „Brünner Bach“. Die Komposition hat zehn Teile und zeichnet sich durch monumentale Kontrapunktik mit einer gewaltigen Schlußfuge sowie in den Solopartien durch eigenartige kontemplative Lyrik aus. František Musils Musikinstrument par excellence war die Orgel, auf der er konzertierte und meisterhaft improvisierte. Musils Orgelkonzerte in Sankt Peter bildeten ein würdiges Gegenstück zu den Orgelkonzerten, die im Deutschen Haus stattfanden. Musil komponierte nach dem Vorbild Bachs für sein Instrument Fugen, Fughetten, Präludien und Ouvertüren. Seine Sonata solemnis mit einem ersten Satz in Sonatenform und einer gewaltigen Fuge im dritten Satz deutet auch auf Beethoven. In der klanglichen Faktur von Musils Orgelkompositionen dringen auch Elemente der Romantik durch. Die Sonata solemnis wurde später wegen ihrer Meisterschaft in die repräsentative Edition Česká varhanní tvorba (Das tschechische Orgelschaffen, herausgegeben von Jiří Reinberger, 1954) aufgenommen. Musil komponierte auch Kammer-, Klavier- und Vokalmusik sowie Lieder und Kantaten auf Worte tschechischer Dichter, so Zlatý kolovrat (Das goldene Spinnrad) nach Karel Jaromír Erben (1897) und andere. Jan Racek89 hat František Musil als die markanteste tschechische Persönlichkeit des musikalischen Brünn der Zeit um 1900 neben Leoš Janáček bezeichnet, die er auch tatsächlich war. Von allen Immigranten aus Böhmen befreiten Nešvera und Musil in ihren Hauptwerken die tschechische Musik in Mähren am stärksten von ihrer bisherigen Orientierung auf das Volkslied und verknüpften sie mit der fortgeschritteneren Musik der Prager Schule. Die tschechische Musik in Mähren hörte auf, eine isolierte Erscheinung der tschechischen Musik zu sein. Für Komponisten in Mähren, der in ihrem Schaffen traditionsbewußt bleiben wollten, schufen Nešvera und Musil einen 89 Československý hudební slovník osob a institucí [Tschechoslowakisches Personen- und Institutionenlexikon der Musik], II/1965, S. 135.

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professionell geprägten Maßstab vorwärtsweisender Konkurrenz. Auf die Komponisten des „einheimischen Zweigs“ wirkte gleich­ wohl am nachhaltigsten Antonín Dvořák durch seine Werke aus der mährisch-slawischen Periode der 1870er/80er Jahre. Zu Dvořák bekannten sich auch die beiden angehenden Modernisten der tschechischen Musik in Mähren: sein Schüler im Geiste Leoš Janáček und nach diesem dann auch sein bedeutender direkter Schüler Vítězslav Novák. Im Schatten dieser beiden Meister sind jene Komponisten geblieben, deren Schaffen gleichsam das Substrat für die weitere EntwickAbbildung 36: František Musil lung der tschechischen Musik in Mähren bildete. Die orchestralen Moravské tance (Mährische Tänze), ursprünglich für Klavier vierhändig, sowie die Moravské dvojzpěvy (Mährische Zwiegesänge) und Moravské trojzpěvy (Mährische Dreigesänge) von Josef Čapka-Drahlovský wären ohne das direkte Vorbild Dvořáks kaum entstanden. In dessen folkloristischen Chören a cappella spiegelt sich das direkte Vorbild Pavel Křížkovskýs. Čapka-Drahlovský bemühte sich um größere Formen – Kantaten und Symphonien –, konnte jedoch seine beiden Vorbilder nicht im Entferntesten erreichen. Harmonisch blieb er der Dur-Moll-Diatonik bei einfachen metrisch-rhythmischen Formen verhaftet. In Hinsicht auf musikalische Einfälle war er nicht gerade originell. Leoš Janáček beurteilte die „romantisch-komische tragisch-schusterliche Oper“ Bramborová vojna (Der Kartoffelkrieg) anläßlich ihrer Aufführung im tschechischen Interimstheater in Brünn im Jahre 1891 glimpflich.90 Komponisten vom Typ Čapka-Drahlovskýs schufen Musik meist schlichter Qualität, die nur ausnahmsweise überregionale Resonanz fand. Dem lokalen Publikum hat sie jedoch gefallen, weil sie von „seinem“ Komponisten stammte. In Ostrau, das hinter den beiden mährischen Zentren Brünn 90 Leoš Janáček, Literární dílo, I, S. 185.

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und Olmütz zurückblieb, schrieben solche Musik Eduard Bartoníček und Antonín Hradil, während seines kurzen Wirkens auch Cyril Metoděj Hrazdira. Eine außerordentliche Stellung fiel in der Generation der 1880er Jahre Leoš Janáček zu, der trotz der Widersprüchlichkeit einiger Werke der tschechischen Musik in Mähren die mährische Richtung in die Moderne führte, die – wie sich bald zeigte – dem Schaffen anderer bedeutender Komponisten gleichwertig war.

Leoš Janáček bis „Jenufa“ Leoš Janáčeks Musik der Jahre 1873 – seine erste veröffentlichte Komposition ist der folkloristische Männerchor Orání (Das Ackern) – bis 1894 (Beginn der Arbeit an Jenufa) unterscheidet sich nicht grundlegend von der anderer Komponisten dieser Generation. Zum Komponieren veranlaßten ihn zumeist seine künstlerischen Funktionen oder außerkünstlerischen Interessen. Schon als Vertreter Pavel Křížkovskýs beim Altbrünner Chor komponierte er Kirchenmusik; einige Motetten schrieb er pflichtgemäß als Student an der Prager Orgelschule. Folkloristische Männerchöre und andere Chorkompositionen schuf er für Chöre, die er selbst leitete. Instrumentalwerke sind beim frühen Janáček eher die Ausnahme. Die Suite (1877) und die Idylle (1878) komponierte er für das kleine Streicherensemble des Beseda-Vereins. Auf die folkloristische Bewegung in Mähren reagierte er mit zahlreichen Bearbeitungen von Volksliedern und -tänzen, die er für die Ensembles der Bildungsvereine und Schulen schrieb. Zum Komponieren seiner ersten zwei Opern – Šárka (Libretto: Julius Zeyer, 1887, rev. 1888 und 1918) und des Einakters Počátek románu (Der Beginn eines Romans, Libretto nach Gabriela Preissová: Jaroslav Tichý, 1891) – veranlaßte Janáček die Perspektive eines tschechischen Theaters in Brünn. Janáčeks Œuvre der Zeitspanne 1873 bis 1894 ist nicht gerade umfangreich. Das chronologische Verzeichnis zeigt, daß er manchmal ein ganzes Jahr lang keine einzige Note schrieb. Zuerst dachte Janáček an eine Laufbahn als Pianist oder Dirigent. Als er sich dann endgültig zum Komponieren entschloß, geriet er in Konflikt mit dem Dichter Julius Zeyer um das Libretto der Oper Šárka. Er ließ die Instrumentation des dritten Aktes unvollendet. Einige Jahre widmete er sich vor allem folkloristischen Aktivitäten, die sich auch kompositorisch niederschlugen. Werke größerer Dimension oder größeren Gewichts blieben vorläufig außerhalb seiner Reichweite.

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Abbildung 37: Leoš Janáček im Jahr 1879

Notenbeispiel 12: Leoš Janáček, Männerchor Ó lásko, lásko

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Die umfangreichste Werkgruppe jener Zeit bilden folkloristisch gefärbte Chöre sowie Chöre auf Worte tschechischer Dichter. Die Entwicklung der Gattung schritt von einfachen Strophenliedern über die durchkomponierten Chöre Křížkovskýs zu eigenständigen originellen Arbeiten voran. Die Čtveřice mužských sborů (Vier Männerchöre, Jaroslav Tichý nach Volksliedtexten), der gemischte Chor Kačena divoká (Die Wildente, Volksliedtext, 1885) und der Männerchor mit Baritonsolo Žárlivec (Der Eifersüchtige, Volksliedtext, 1888, erst 1940 entdeckt) markieren vorläufig den Höhepunkt. Janáček hat darin selbst Dvořák, einen der bedeutendsten Komponisten im Geist der Folklore, übertroffen. Seine musikalische Diktion befleißigte sich – unter Rückgriff auf charakteristische Wendungen des Volksliedes – einer nachgerade musterhafte Chordeklamation mit ebenso komplizierter wie differenzierter Rhythmik (mit Asymmetrien innerhalb von Symmetrien), deren Reize er durch eine farbige und erfindungsreiche Harmonik noch verstärkte. So nutzte er etwa im Männerchor Ó lásko, lásko (Oh Liebe, Liebe, Volksliedtext) die mixolydische Melodik, um von H- nach A-Dur auszuweichen: Die Čtveřice mužských sborů widmete Janáček Antonín Dvořák. Er bat ihn das Werk zu beurteilen, um sich der Richtigkeit des eingeschlagenen Weges zu vergewissern. Als Dvořák die Chöre studiert hatte, schrieb er Janáček, daß er über eine Stelle, besonders was die Modulation betrifft, verblüfft war und mir keinen Rat wußte (1886).91 Nach wiederholtem Lesen gestand er den Chören jedoch musikalische Logik und künstlerische Berechtigung zu und ermunterte Janáček zu weiterem Schaffen. Danach folgte der oben erwähnte Chor Žárlivec, in dem sich Janáček an noch kühnere Harmonien wagte. Zugleich entstand die zweite Fassung der Oper Šárka. Nach dem Scheitern mit Šárka legte Janáček beide Werke ad acta und richtete seine Aufmerksamkeit wiederum auf das Volkslied. Statt eigenständigen, folkloristisch inspirierten Werken widmete er sich nun Volksliedbearbeitungen, wobei er an Text und Melodie der Vorlagen nichts änderte. Er respektierte deren authentische Stilprinzipien, die er in zahlreichen Studien beschrieb. Pavel Křížkovský, Norbert Javůrek, František Musil und später auch Vítězslav Novák bearbeiteten (letzterer auf moderner Grundlage) Volkslieder mit den Mitteln der artifiziellen Musik, was Janáček vermied. Wie kein anderer verstand er es, die Liedmelodik in der Begleitung zu reflektieren und die Vorlage gleichermaßen in Tempo und Ausdruck wie Stimmung und Klangcharakter zu bewahren. Im Tanzlied brachte er insbesondere dessen Rhythmus zur Geltung. Die Harmonik der Begleitung deckte er nicht mit Akkorden zu. In der Begleitung reichte ihm zuweilen ein Ton oder Akkord, 91 Dvořáks Brief vom 12. September 1886 wurde von Vladimír Helfert veröffentlicht, in: Leoš Janáček, I, S. 361.

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Notenbeispiel 13: Janáček, Kvítí milodějné für Gesang und Klavier. Bearbeitung eines Liedes aus der Volkliedsammlung Sušils. Der Tritonus ais1 in e-Moll führte Janáček in der Klavierbegleitung zur unkonven­ tionellen harmonischen Bildung der Tonika mit dem Septakkord der 2. Stufe (fis-ais-cis). Die Halbtonschritte in der Melodie potenzieren den Ausdruck der zerbrechlichen lyrischen Miniatur.

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zuweilen aber kam er auch ohne irgendeinen Zusatz aus; in anderen Fällen ging er vom harmonischen Reichtum aus, wie er ihn in elementarer Gestalt im Spiel der Volkskapellen kennengelernt hatte. Das Genre der Volksliedbearbeitungen Janáčeks reicht von einfachen Formen für Gesang und Klavier (Královničky [Kleine Königinnen], 1889, Moravská lidová poezie v písních [Mährische Volkspoesie in Liedern] 1892ff.) über vokalinstrumentale Formen mit Orchester (Lieder und Tänze Sivý sokol zaletěl [Es flog der graue Falke], 1890, Zelené sem sela [Ich hab’ Grünes gesät], 1892) bis zu rein orchestralen Kompositionen (Valašské tance, 1889/91). Janáčeks Bearbeitungen von Volksliedern und -tänzen waren eigentlich Vorstudien zu seinen großen Werken. Auf Drängen der mährischen Patrioten komponierte Janáček auf der Basis von Volksliedern die „mährische Nationaloper“ Počátek románu (Der Beginn eines Romans). Es handelt sich dabei weniger um eine Oper als vielmehr um ein Vaudeville, dessen Prosa Janáček mit Rezitativen versah. Die Musik des Stücks bezog er überwiegend aus seinen vorhandenen Bearbeitungen von Volksliedern und -tänzen, die er mit seinem Librettisten, dem Dichter Jaromír Tichý, in der Art einer Kontrafaktur lediglich neu betextete. Die Musik des inhaltlich naiven, undramatischen Librettos – gescheiterte Liebe eines Landmädchens zu einem Edelmann – ist also nicht originär, die Musikdeklamation verstößt infolge der Methode der Kontrafaktur gegen die natürlichen Regeln des Tschechischen. Janáček hat diese Fehlgriffe eingesehen und das Stück nach immerhin vierzehn erfolgreichen Reprisen im Brünner Nationaltheater (1894) abge­ setzt. Später hat er es als „leere Komödie“ abgetan und sich davon distanziert.92 Musikalisch nicht authentisch und handlungsmäßig bizarr ist auch das Ballett Obrázek z  moravského Slovenska s  původními tanci a zpěvy o jednom jednání „Rákos Rákoczy“ (Kleines Bild aus der mährischen Slowakei mit Volkstänzen und Gesängen in einem Akt „Rákos Rákoczy“, 1891). Der Held, ein Heiratsschwindler und Abenteurer, hat mit der bekannten ungarischen Familie nichts zu tun. Janáčeks Anteil an dem Stück besteht allerdings nur darin, daß er dem Librettisten Jan Herben und dem Choreographen Augustin Berger gestattete, sich seiner vorhandenen Bearbeitungen von Volksliedern und -tänzen zu bedienen – und nichts weiter. Die auf dem Volkslied basierende Ästhetik, die Janáček in Počátek románu angewandt hatte, erscheint heute als schwer nachvollziehbare Inkonsequenz im Œuvre eines Komponisten, der in seinem vorangegangenen musikdramatischen Werk Šárka nicht nur ein hohes Maß an musikalischer Selbständigkeit, sondern auch dramatisches Talent und Orientierung in der modernen Oper gezeigt hatte. Vladimír Helfert stellt 92 Leoš Janáček, Literární dílo, I, S. 646.

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letztgenannte Oper in eine Reihe mit denen Glucks, Wagners und Smetanas.93 Er schätzte den kritischen Zugang des 33jährigen Komponisten zum Libretto eines anerkannten Dichters, das er aller mythologischen Elemente entkleidete. Helfert zufolge ist Janáček auch Wagner und dessen Leitmotivtechnik nicht unkritisch verfallen. Hinzugefügt sei, daß Šárka auch jener Folklorismus fehlt, den Janáček erst in Počátek románu einsetzte. Die Entstehungsjahre beider Kompositionen lassen keine schlagende Entwicklungslogik des künftigen genialen Musikdramatikers erkennen. Gleichwohl haben Šárka und Der Beginn eines Romans bei aller Unterschiedlichkeit in Gattung und Form die musikalischen Ausgangsquellen gemeinsam. In Šárka entspringen sie einerseits der melancholisch-balladesken Musik mit einem Übergewicht modaler Moll-Tonarten, anderseits der kurzen, abrupten Volkssprache von Janáčeks mährisch-schlesischer Lachei, die wiederholt auch in die Partitur des Orchesters übertragen wird. Charakteristisch für die Musik ist die Arbeit mit kleinen, stets sich wiederholenden rhythmisch-melodischen Motiven in rhapsodisch aufgelockerter Form. Dieser entsprechen jähe tonale Ausweichungen mit zahllosen Alterationen. Die Chromatik entlehnt Janáček jedoch weniger Wagner, den er bereits gut kannte – 1885 veröffentlichte er eine Analyse von Tristan und Isolde 94 –, als vielmehr den volkstümlichen Tonarten, die in ihrer Summe alle Töne der reinen Oktave enthalten. Impulse von anderen mährischen Ethnien (wie z. B. Hannaken, Walchen, mährische Slowaken) nimmt Janáček erst in den Bearbeitungen von Volksliedern und Volkstänzen auf, die er teilweise in Der Beginn eines Romans und weiteren Kompositionen benutzte. Zur entscheidenden Anwendung der Idee der Sprechmelodien, des zweitbedeutendsten Faktors im Janáčekschen Musikstil, kommt es erst nach dem Jahr 1897, als Janáček begann, Sprechmelodien systematisch zu untersuchen.95 Die Integration von Janáčeks originärer Musik und Folklorequellen ist auch in der Suite op. 3 für Orchester, beendet im Januar 1891, bemerkbar. Deren zwei erste Sätze „Con moto“ und „Adagio“ sind in der musikalischen Erfindung selbständig, der dritte Satz „Allegretto“ (Požehnaný) und der vierte Satz „Con moto – Allegro“ (Dymák) haben lachische Tanzweisen zum Thema. Dabei entfernt sich der eigenständigere Dymák in Form und Instrumetation ziemlich weit von der Vorlage. Trotz der unterschiedlichen Herkunft des Musikmaterials ist der Stil der Suite op. 3 recht homogen. Das häufig übersehene Werk deutet gemeinsam mit Šárka auf Janáčeks reifen Stil voraus. Ausdruck der stilistischen Geschlossenheit des Œuvres sind auch zahlreiche idio­ 93 Vladimír Helfert, Leoš Janáček, I, S. 369 94 Leoš Janáček, Literární dílo, I, S. 61f. 95 Zu dieser Thematik äußerte sich erstmals eingehend Jiří Vysloužil in der Vorrede zu Leoš Janáčeks O lidové písni a lidové hudbě [Über das Volkslied und die Volksmusik] (1955), S. 102.

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Abbildung 38: Tristan a Isolda, Janáčeks Aufsatz aus der Zeitschrift Hudební listy (I – 1885).

matische Übereinstimmungen in der Motivik der Werke vor und nach 1894. ­Werke der Reife sind jedoch erst die im Jahre 1903 beendete Jenufa und die bereits 1897 abgeschlossene Kantate Amarus. Wenn es jedoch das Œuvre der Jahre 1873 bis 1894 nicht gegeben hätte, wäre Janáček wohl nie zu diesen ersten künstlerischen Synthesen gelangt.

Das Ende der Gemeinsamkeit in der Musik

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Das Ende der Gemeinsamkeit in der Musik Bis etwa in die 1850er Jahre herrschte in Mähren namentlich in der Tätigkeit der zweisprachigen Männergesangvereine deutsch-tschechische Gemeinsamkeit. Nach der Einführung der Verfassungsordnung 1860 bildeten die Chorsänger und Musiker jeweils eigene deutsche oder tschechische Gesangvereine aus. Eigenständig entwickelte sich auch die Komposition: Die Tschechen schufen Musik auf tschechische Texte und setzten sich darin von den Deutschen ab. Weiterhin schöpften sie in reichem Maße aus dem Volkslied. In Theater und Konzert blieb die Gemeinsamkeit der mährischen und mährisch-schlesischen Tschechen und Deutschen vorläufig bestehen. In diesen Bereichen waren die Deutschen nach wie vor bestimmend – die Tschechen mußten eigenständige Institutionen erst noch entwickeln. In Brünn bekamen sie ein eigenes ständiges Theater mit Opernbetrieb erst 1884. Bis dahin waren sie auf Vorstellungen von Wandertruppen aus Böhmen angewiesen. Sie besuchten Opernvorstellungen der deutschen städtischen Theater, in denen Tschechen als Musiker, Chorsänger und zuweilen auch als Solisten mitwirkten, deren Entwicklung sie jedoch nicht beeinflußten. Janáček erinnerte sich später daran, daß er nach seiner Ankunft in der Altbrünner Fundation (1865) in einer Vorstellung von Meyerbeers L’Africaine im Kinderchor mitsang.96 In Konzerten und im Theater halfen neben den Sängerknaben auch Musiker aus der Altbrünner Fundation aus. Eine Art Gegenseitigkeit herrschte auch bei den Konzerten, die von den Vereinen organisiert oder mit eigenen Kräften besetzt wurden. Gleich in einem der ersten Konzerte des Brünner Beseda-Vereins im Pavillon des Augarten-Parks trat im Dezember 1861 die vielversprechende Brünner Pianistin Agnes Tyrell auf. Dem Konzert wohnte der Wiener Kritiker Eduard Hanslick bei, der von der Tyrell am Klavier begleitet sein Milostná píseň pod Vyšehradem (Liebeslied unter dem Wischehrad), das er in seiner Studienzeit bei Václav Jan Tomášek komponiert hatte, wohl auf Tschechisch vortrug.97 Die von Pavel Křížkovský im Beseda-Verein begründete Tradition der Konzerte bedeutender Solisten wurde fortgesetzt. Nach und nach wurden sie auch zu wirklichen Konzerten, wie sie Otto Kitzler im Brünner Musikverein durchsetzte. Die deutschen Vereinskonzerte hatten oft hohes Niveau. Deutsche und Tschechen besuchten gegenseitig die Konzerte ihrer Vereine, der junge Leoš Janáček berichtete in der Zeitung 96 Janáček meinte 1920, es sei Meyerbeers Oper Le Prophète gewesen (Literární dílo, I, S. 460). Schon Vladimír Helfert hat diese irrtümliche Behauptung korrigiert (Leoš Janáček, I. S. 54). 97 Vgl. Karel Sázavský, Dějiny Filharmoniského spolku Beseda brněnská, S. 124.

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1860 bis Mitte der 1890er Jahre

Moravská Orlice über die Konzerte des deutschen Musikvereins.98 Die Musikgemeinde der Stadt kannte damals keine nationalen Zwistigkeiten. Janáček verfolgte als Chorleiter des Brünner Beseda-Vereins Kitzlers Orchesterund Kantatenkonzerte mit einer gewissen Eifersucht. Er nahm sich vor, in seinen Beseda-Konzerten ein tschechisches Gegenstück zu entwickeln. Damit begann er gleich nach seinem Amtsantritt als Chorleiter und künstlerischer Direktor 1876. Beim Aufführen anspruchsvoller Werke mit großem Apparat bewährte sich einmal mehr die Gemeinsamkeit der Brünner Musikgemeinde. Sie manifestierte sich in der Mitwirkung deutscher Sänger im gemischten Chor des Brünner Beseda-Vereins und mehr noch in dem aus deutschen und tschechischen Musikern des Brünner Theaters sowie aus talentierten Laien und Militärmusikern zusammengesetzten Orchester. Außergewöhnlich war auch der äußere Rahmen. Für das gemischte Publikum waren bei der Aufführung von Mozarts Requiem und Beethovens Missa solemnis die lateinischen Texte in den Konzertprogrammen in Deutsch und Tschechisch gedruckt. Janáčeks Beseda-Konzerte mit anspruchsvollen Werken der Wiener Klassik waren wohl das letzte und zugleich beste Beispiel der musikalischen Gemeinsamkeit in der Brünner Musikgemeinde. In den 1880er Jahren stieß Janáček beim Zusammenstellen des Orchesters für seine Beseda-Konzerte mit Dvořáks und Smetanas Symphonik und Kantaten bei der Leitung des Brünner Stadttheaters auf wenig Gegenliebe. Die Ursachen dafür lagen außerhalb der Kunst. Die etablierten Deutschen begannen ihre Positionen auf jede mögliche Weise zu behaupten, so auch in Kultur und Kunst. Sie sahen diese durch die wiederholten Forderungen tschechischer Politiker nach völliger Gleichberechtigung der Tschechen gefährdet. Auch waren sie vom Anwachsen des tschechischen Bevölkerungsteils in den Städten beunruhigt. 1869 bildeten die Tschechen schon die knappe Hälfte der 73.771 Einwohner Brünns. Die demographischen Veränderungen in den Städten spiegelten sich schließlich auch in der Sphäre der Kunst wider – Musik und Theater nicht ausgenommen. Gustav Bondi, der spätere Dramaturg des Brünner Stadttheaters, charakterisiert die gespannte Situation folgendermaßen: Inzwischen aber hatte sich in Brünn allmählich in der Schichtung der Bevölkerung eine Änderung vollzogen. Brünn war im Laufe der Jahre zum österreichischen Manchester, zur großen Fabrikstadt herangewachsen, hatte sich aber gleichzeitig des Zuzuges und Überhandnahme der tschechischen Landesbevölkerung nicht erwehren können. Schon begann das Tschechentum an den bewährten Säulen des Deutschtums zu rütteln und die Erkenntnis brach sich durch, daß mit allen Mitteln an der Erhaltung des Deutschtums unserer Stadt zu arbeiten sei und daß zu Schule und 98 Janáček, Literární dílo, I, S. 22f.

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Haus als wirksamste und nützlichste Schützwehr das Theater zu treten habe, das Theater als nationales Bollwerk. Der Bau des neuen Hauses wurde am 19. Juli 1881 begonnen.99 Später wird Julius Korngold in ähnlicher Weise an die veränderte Situation der Brünner Deutschen zurückdenken. Die Deutschen waren nicht bereit, zugunsten der Tschechen auf gewisse Privilegien zu verzichten. In den Betrieb der deutschen Kunstinstitutionen flossen öffentliche wie private Mittel. In den vom Brünner Beseda-Verein herausgegebenen Hudební listy (Musikblätter) beklagte sich Janáček über das Vorgehen der Stadt- und Landesverwaltung bei der finanziellen Förderung von Kultureinrichtungen: Die Privatkassen einzelner Theaterbesucher reichen nicht dazu, daß wir je die herrlichen Bühnenausstattungen und musterhaften Vorstellungen erreichen […]. Die Gemeindekasse ist eine Melkkuh für das deutsche Theater, aus der Landkasse wird kein Kreuzer auf Unterstützung tschechischer künstlerischer Interessen herausgegeben, und von einer Staatsunterstützung wird in Mähren nicht einmal gesprochen … Wird es Sie denn nicht mit Bitterkeit erfüllen, wenn Sie das unvollständige Orchester des tschechischen Theaters mit schlechten Instrumenten sehen und wenn Sie zugleich erfahren, daß auch für Ihr tschechisches Geld die Stadt für das deutsche Theater Trommeln für 1000 Mark einkauft? 100 Die Überheblichkeit der Deutschen gegenüber den Tschechen drückte sich auch in der Ablehnung tschechischer Musik in Theater und Konzertsaal aus. In anderen mährischen Städten verhielt sich die deutsche Bürokratie ähnlich. So endete die tschechisch-deutsche Gemeinsamkeit in der Musik allmählich. Als es den mährischen Tschechen gelungen war, eigene Institutionen aufzubauen, fühlten sie sich unabhängig. Unter ungleichen Bedingungen etablierten sie mit außerordentlicher Mühe ihr Musikleben. In der Persönlichkeit Leoš Janáčeks und seinem Werk bekam die tschechische Musik in Mähren ein außergewöhnliches Geschenk. Förderung und Unterstützung erfuhr man von jenen Tschechen, die aus Böhmen nach Mähren kamen. Es entstanden also zwei nebeneinander existierende künstlerisch-musikalische Kommunitäten in ein und demselben geographisch-politischen Raum.

99 Geschichte des Brünner deutschen Theaters 1600 –1925, Brünn 1924, S. 21. 100 Janáček, Literární dílo, I, S. 117 und 125.

Mähren und Mährisch-Schlesien in der Moderne bis 1938 Regional – national – modern Die in der Musikliteratur allgemein als Musikmoderne bezeichnete Epoche ist die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie umfaßt die Musik mehrerer Richtungen und Generationen, die sich von der vorangegangener Zeiten unterscheidet. Jedoch ist nicht die gesamte Musik jener Zeit der Musikmoderne zuzurechnen. Die moderne Musik wird von der übrigen, der traditionellen Musik der Zeit durch ihren neuen, in Ideen und Musikstil fortschrittlichen Charakter abgegrenzt. Die Musik in Mitteleuropa wurde vor allem von den Kompositionsschulen in Wien und Prag bestimmt. Es handelte sich dabei nicht um ausgesprochen deutsche oder slawische Schulen – die multinationale Zusammensetzung der Kompositionsschulen beider Hauptzentren entsprach der Bevölkerungszusammensetzung der Länder und Städte der Monarchie und ihrer Nachfolgestaaten. Auch in Mähren war die Musikmoderne multinational. Musikgeschichtlich ist jede bedeutende Epoche von der Polarität aus Innovation und Tradition gekennzeichnet. In der Generation Smetanas und Dvořáks hatte auch die Musik Böhmens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine solche Epoche erlebt. Die Musik der beiden Meister wird zwar oft als „national“ empfunden und gewertet, in Stil und Genre wie durch ihre Orientierung auf die neudeutsche Schule Liszts und Wagners – bei Antonín Dvořák auch auf die Neoklassik von Brahms – handelte es sich jedoch um die in erster Linie moderne tschechische Musik. So bezeichnete sie Vladimír Helfert in seiner ästhetisch-kritischen Darlegung Česká moderní hudba schon 1936. Die Musik in Mähren blieb in der Zeit Smetanas und Dvořáks vom Modernismus nahezu unberührt. Das Land war weder institutionell und beim Publikum, noch in der kleinen Komponistengemeinde disponiert, Impulse der modernen Musikrichtungen aufzunehmen, geschweige denn eigene moderne Musik zu schaffen. Die mährischen Deutschen – deren Potential, mit Ausnahme der deutschen Assimilantin Agnes Tyrell, durch den Weggang einiger Musiktalente geschwächt war – begnügten sich mit der Liedertafel und einem neoklassischen Eklektizismus. Die Tschechen waren dank der größeren Zahl an Komponisten – einschließlich der Zuzügler aus Böhmen – etwas bessergestellt.

Regional – national – modern

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Dank Pavel Křížkovský, dessen Beispiel die Komponisten der Generation der 1880er Jahre folgten, konnten sich die Tschechen zwar mit einer Art eigenständiger „nationaler“ Musik ausweisen, allerdings nur im Bereich der Vokalmusik, das heißt in folkloristischen Chören und Volkslied-Bearbeitungen. Sobald Komponisten mit ihrem Werk in Berührung oder Konfrontation mit der Musik Smetanas und Dvořáks gerie­ ten, zeigten sich die Grenzen ihres Talents und die eingeschränkten Möglichkeiten ihrer künstlerischen Selbstverwirklichung. Nach dem Anheben der Musikmoderne in Mähren Anfang des 20. Jahrhunderts konnte auch ein Josef Nešvera nicht bestehen, der seine Zeit zwar überlebte, doch künstlerisch ein wenn auch bedeutender Eklektiker blieb. Der in den letzten Jahren seines Lebens schwerkranke František Musil hat die Musikmoderne nicht mehr erreicht. Um sein Dasein als Komponist rang auch der junge Leoš Janáček. Das unglückliche Geschehen um die Oper Šárka – ein Werk, das in Stil und Genre mit Smetana und Dvořák vergleichbar gewesen wäre – hatte Janáček vorläufig um das Erreichen jenes Ziels gebracht, nach dem er in der Oper und in einigen Männerchören schon seit Mitte der 1880er Jahre gestrebt hatte. Seine Vision der Moderne gründete er auf die heimischen, das heißt folkloristischen Quellen. Er erkannte die Mannigfaltigkeit und Allseitigkeit der Musikformen, die reiche melodische und harmonische Modulation der Volkslieder in Mähren, weshalb man sie mit der gesamten modernen Musik vergleichen könne.101 Janáčeks moderner Folklorismus hatte mit jenem der Wiedergeburtskomponisten nichts mehr gemein. Er gründete auf genauer, geradezu wissenschaftlicher Kenntnis von Struktur und Melodie des Volksliedes sowie auf der Wahrnehmung moderner Musikrichtungen, wie sie Janáčeks Analyse von Wagners Tristan und Isolde (1885) und seine fundierten Kritiken in Musik- und Literaturzeitschriften zeigen.102 Janáčeks Vaudeville Počátek románu (Der Beginn eines Romans) war nur ein Nebengleis auf seinem Weg zur Moderne. Mit der Kantate Amarus von 1897, dem ersten bedeutenden Werk der musikalischen Moderne in Mähren, hatte er seinen Weg gefunden. In diesem Moment betrat der zweite Modernist neben Janáček die Bühne der tschechischen Musik in Mähren: Vítězslav Novák, zwar in Böhmen gebürtig, doch mit der Musikkultur Mährens und dessen Volkslied solcherart verbunden, daß er bald als Repräsentant der mährischen Musik empfunden und betrachtet wurde. Novák schlug mit Janáček ein neues Kapitel in der Geschichte der tschechischen Musik Mährens auf, jenes der „mährischen Richtung“ in der tschechischen Musik.103 101 Vgl. Leoš Janáček, O lidové písni a lidové hudbě. Dokumenty a studie [Über das Volkslied und die Volksmusik. Dokumente und Studien], hrsg. von Jiří Vysloužil. Praha 1955, S. 142. 102 Janáček, Literární dílo, I, S. 61f. 103 Zum erstenmal kommt dieser Terminus mit entsprechender Erklärung bei Hubert Doležil vor in seiner

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Nováks Beziehung zum Volkslied war jedoch etwas anderer Art als diejenige Janáčeks. In den Quellen seiner Inspiration blieb er ungleich stärker der Tradition des thematisch-motivischen Denkens von Beethoven und Brahms verhaftet. Novák bewahrte in der chromatisch fortgeschrittenen modalen Harmonie Respekt vor funktionalen tonalen Beziehungen. Ähnlich wie Richard Strauss war er zwischen den beiden Weltkriegen nicht imstande, mit der Entwicklung der Musikmoderne Schritt zu halten. Zur neuen Musik aller Richtungen bewahrte er auch als bedeutender Kompositions­ lehrer Abstand. Von seinen mährischen Schülern ließ sich nur Alois Hába nicht von seinem Weg zur Moderne abschrecken, worin er auch seinen zweiten Kompositions­ lehrer Franz Schreker überholte. Novák verlor allmählich auch in Mähren seinen Kredit als erster tschechischer Kompositionslehrer, um ihn dann bei den Slowaken zu gewinnen. Einige Kompositionsschüler verließen Mähren nach Janáčeks Tod und der Auflösung seiner Meisterklasse für Komposition 1925 und gingen zu Josef Suk, einem Komponisten und Lehrer, der den neuen Richtungen der Musik viel aufgeschlossener gegenüberstand als Vítězslav Novák. Der Unterschied zwischen deutschen und tschechischen Komponisten in Mähren lag auch im jeweiligen Verhältnis zur Volksmusik. In der tschechischen artifiziellen Musik bestimmte das Volkslied wesentlich den Stilcharakter des Werkes. Auf besondere Weise beeinflußte es auch die Komponisten aus Böhmen, neben Vítězslav Novák und seinen Schüler Ladislav Vycpálek auch Bohuslav Martinů, Emil František Burian und andere Modernisten. Die lebendige Musiktradition Mährens imprägnierte so die Musik der eigentlichen, das heißt der in Böhmen ansässigen Tschechen. Die in Prag lebenden Mährer bildeten eine Enklave bedeutender Persönlichkeiten, die in ihrer Musik Bindungen an das mährische Volkslied bewahrten. Die tschechische Musik mährischer Richtung verbreitete sich auf diese Weise über die Grenzen des Landes. Die artifizielle Musik der deutschen Jungmährer war in der Zeit der Musikmoderne bis auf wenige Ausnahmen nicht vom Folklorismus beeinflußt. Stilistische Be­ zugsgröße ihrer Musik war die frühe deutsche Romantik, komponiert wurde in den Grenzen der gemäßigten Moderne der Schule Schrekers und anderer Wiener Lehrer. Auch die Nachromantik von Strauss und Reger wurde rezipiert. Weiter ging man in innovativer Hinsicht nicht. Bruno Weigl war vielleicht der einzige, der sich mit der Zwölftonmusik Schönbergs auseinandersetzte, wenn auch eher theoretisch. Im Mähren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden demnach zwei Kompositionsschulen, deren Charakter die Unterschiedlichkeit der Sprache und der Abhandlung „›Moravský‹ směr v dnešní české hudbě“ (Die ›mährische‹ Richtung in der heutigen tschechischen Musik) in der Zeitschrift Smetana, Praha, Jg. VII/1916/17.

Regional – national – modern

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Inspirationsquellen, die gesellschaftliche Bestimmung des Musikwerkes und die unterschiedliche Beziehung zur jeweils eigenen Volksmusik prägten. Beide Schulen hoben sich voneinander auch durch die Individualität der Komponisten ab. Die deutschen Jungmährer wahrten die Bindung an die Musik des Wiener Kreises, zu dem auch die intensive Rezeption des Bayern Richard Strauss gehörte. Ihre Musik war der Herkunft der Komponisten nach mährisch, was den Musikstil anbelangt aber am ehesten deutsch. Die Distanz zum musikalischen Nationalismus des 19. Jahrhunderts eröffnete Möglichkeiten der Kommunikation zwischen den Kompositionsschulen. Vítězslav Novák verzeichnet in seinen Memoiren O sobě a jiných (Über mich und andere, 1947) einerseits kritisch das Eindringen der Musik des Wiener Kreises in die musikalische Umwelt der Prager Komponisten vor dem Umsturz. Für sich selbst deutet er andererseits an, wie sehr er von Richard Strauss profitiert hat. Seine kompositorische Orientierung charakterisiert die Tatsache, daß er die ihm im Jahre 1910 angebotene Stelle des Professors für Komposition an der Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst zugunsten einer Professur für Meisterkurse am Prager Konservatorium ablehnte. Janáčeks demonstratives Ignorieren des österreichischen Deutschtums erschwert die Klärung seiner Beziehungen zur deutsch-österreichischen Musik. Die primären Ursachen dieser Beziehung waren weniger nationaler als eher sozialer Natur – hier wurzelt auch die soziale Thematik eines Teils seiner Werke. Janáček lehnte die Musik der Brünner Deutschen ab, fuhr jedoch oft nach Prag,104 um die deutsch-österrei­ chische und die übrige Musikmoderne kennenzulernen. Er wünschte sich anläßlich der Prager Premiere der Jenufa 1916 sehr eine persönliche Begegnung mit Richard Strauss, dessen Opern und symphonische Werke er verfolgt und aus Partituren und Klavierauszügen studiert hatte. Nach 1918 hatte er Gelegenheit, seinen Standpunkt zu den neuesten Musikrichtungen einschließlich der deutsch-österreichischen Moderne unbefangen einzunehmen, als sie bereits in Mähren und in Brünn vertreten war, und als er auch die Möglichkeit hatte, sie als Teilnehmer an den Festivals der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) – erstmals 1923 in Salzburg – kennenzulernen. Diese neuen Begegnungen hatten wie die früheren mit Richard Strauss für Janáčeks Denken über Musik keine geringe Bedeutung. Die moderne Musik wäre ohne Chancen geblieben, wenn sich Interpreten und Institutionen nicht für sie eingesetzt hätten. Die Möglichkeiten der modernen wie überhaupt jeder Musik waren nach 1918 bei den mährischen Deutschen und den 104 Vgl. dazu Jan Racek, Leoš Janáček a Praha [Leoš Janáček und Prag], in: Musikologie, Bd. III/1955, S. 11f.

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Tschechen unterschiedlich. Die Zunahme des tschechischen Bevölkerungsanteils in den großen Städten und die damit einhergehenden Veränderungen wurden bereits erwähnt. Nur spezielle Musikvereine konnten sich erlauben, ausschließlich moderne Musik aufzuführen. Die Brünner Tschechen besaßen einen solchen Verein in der Musikabteilung des Klubs der Kunstfreunde – gegründet 1900 –, nach 1918 in dessen Nachfolgeorganisation, dem Klub mährischer Komponisten. Der Vorsitzende beider Klubs war Leoš Janáček. Programme mit moderner Musik wurden auch von den bei­ den Rundfunkstationen in Brünn (ab 1925) und Ostrau (ab 1929) gesendet und in speziellen Sonntagsmatineén mit deren Solisten und Orchestern aufgeführt. Die Musik der deutschen Jungmährer erfreute sich der Gunst heimischer Musiker und Institutionen, einige Komponisten wie Josef Gustav Mraczek, Bruno Weigl oder Jo­sef Vizina fanden mit ihren Werken auch jenseits der Landesgrenzen Resonanz. Eine Reihe künftiger Modernisten verließ jedoch Mähren und zog über Wien in die weite Welt.

Die musikalische Moderne der Tschechen Erst in der Zeit der Moderne fanden die mährischen Tschechen auch in Musik und Theater zu ihrer vollen künstlerischen Identität. Dieser Prozeß vollzog sich auf verschiedenen Gebieten der Musik in unterschiedlicher Art und Weise. In der Komposition erreichte die tschechische Musik in Mähren dank Janáček und Novák sowie deren Schülern sehr bald ein Niveau, das ihr als „mährische Richtung“ eine besondere Stellung im Rahmen der gesamten tschechischen modernen Musik sicherte. Die Tschechen Mährens grenzten sich von der Musik der Deutschen Mährens ab und bewirkten so die Entstehung der Bezeichnung „Musikland Mähren“ – wobei nicht zu verkennen ist, daß dazu im internationalen Maßstab vor allem Janáček beigetragen hat. In den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts trugen Musik- und Gesangver­ eine noch den Großteil des Musikbetriebs, die oft mit eigenen künstlerischen Kräften auch Opern- und Operettenvorstellungen gaben. Professionelle Opernaufführungen oblagen ausschließlich dem Brünner Nationaltheater; dieses organisierte Sonderfahrten in größere mährische Städte sowie nach Preßburg, wo auch Wanderbühnen aus Böhmen gastierten, die jedoch nicht durchweg künstlerische Professionalität erreichten. Die Vereine veranstalteten eigene Chor- und Kantatenkonzerte, organisierten Kammer- und Solistenkonzerte mit prominenten Gastmusikern oder kompetenten heimischen Kräften. Janáček kam als erster in Mähren auf die Idee einer selbständigen Orchesterkörperschaft mit Sitz in Brünn, der Tschechischen Nationalkapelle, die auch Konzerte in

Die musikalische Moderne der Tschechen

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anderen mährischen Städten geben sollte. Das Projekt schlug nach zweijähriger Laufzeit (1898 –1900) aus mehreren Gründen fehl.105 Die mährischen Tschechen behalfen sich bei ihren Konzerten mit ad hoc zusammengestellten Orche­stern – in Brünn aus Musikern des Opernorchesters sowie Lehrern und Schülern von Janáčeks Orgelschule und von der Musikschule der Brünner Beseda, in anderen Städten aus Lehrern und Schülern der Musikschulen der Gesang- und Musikvereine, die tüchtige Laien waren. Stets wirkten bei Konzerten auch Musiker aus den Militärkapellen mit. Seit Mitte der 1890er Jahre gastierte in größeren mährischen Städten die Tschechische Philharmonie – in Brünn beteiligte sie sich auch an Kantatenkonzerten der Brünner Beseda –, ausnahmsweise auch das Opernorchester des Nationaltheaters Prag. Der tschechische Konzertbetrieb verzeichnete eine außergewöhnliche Zunahme, die Programme mit anspruchsvollsten Werken heimischer und internationaler Musik – moderne Kompositionen eingerechnet – förderten die künstlerische Leistungsfähigkeit. Manche Aufführung geriet an räumliche und akustische Grenzen, wie zum Beispiel die tschechische Premiere des monumentalen Requiems von Berlioz im Konzertsaal des Besedahauses.106 Die begrenzte Kapazität der Bühne und des Orchesterraums, in dem sich mehr als dreißig Musiker drängten, begrenzte das Niveau von Inszenierungen und Musik im Nationaltheater Brünn. Das Theater konnte sich mit tschechischen Konzerten nur im Repertoire, das aus klassischen und zeitgenössischen Opernwerken heimischer und internationaler Produktion – allerdings ohne anspruchsvolle Musikdramen – bestand, vergleichen. Den Bau eines neuen Theatergebäudes, das einen Repertoire- und Qualitätszuwachs ermöglicht hätte, erreichten die Brünner Tschechen nicht. Dank günstiger Umstände gelang dies dem viel kleineren Proßnitz (Prostějov) mit dem Bau des Národní dům (Volkshaus) mit integriertem Theater. Durch die Eingemeindung der tschechischen Vorstädte und den weiteren Zuzug von Tschechen in die großen Städte nach der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik veränderte sich deren Bevölkerungszusammensetzung allgemein zu Gunsten der Tschechen. In der seit 1927 wieder offiziellen mährischen Hauptstadt Brünn sah es folgendermaßen aus: Vor 1918 betrug das Verhältnis zwischen beiden Bevölkerungsteilen eins zu eins bei hunderttausend Einwohnern insgesamt; nun, in der auf 250.000 Einwohner angewachsenen Stadt, kamen vier Tschechen auf einen Deutschen. Eine ähnliche demographische Entwicklung erlebten auch Olmütz, Ostrau und andere mährische Städte. Der veränderten Demographie entsprach auch die politische Vertre105 Siehe dazu Jarmila Procházková, Leoš Janáček a Česká národní kapela v  Brně [Leoš Janáček und die Tschechische Nationalkapelle in Brünn], in: Opus musicum XXVII/1995, S. 91–96. 106 Siehe dazu die Ausführungen von Jiří Vysloužil, basierend auf den Arbeiten von Karel Sázavský, Vladimír Helfert und anderen, in: Sehnal/Vysloužil, Dějiny hudba na Moravě, S. 178f.

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Abbildung 39: Volkshaus mit Theater in Proßnitz (Prostějov)

tung der Nationalitäten in der kommunalen Verwaltung. In der Monarchie hatten die Tschechen im Brünner Rathaus keinen Vertreter – im neuen Staat hatten sie die Mehr­ heit in der Stadtverwaltung. Der demographische Wandel der Städte hatte auch Veränderungen im Musikbe­ trieb zur Folge, die dem Komponieren mancherlei Auftrieb gaben. Einige neue Projekte erschienen am Horizont. Das geplante Gebäude für das 1919 gegründete Konservatorium in Brünn mit einem modernen Konzertsaal wurde aus finanziellen Gründen zwar nicht realisiert, doch 1929 bekam die tschechische Musikgemeinde immerhin einen adaptierten Konzertsaal mit Orgel im Mehrzweckgebäude des im funktionalen Stil gebauten Stadions, in dem auch die 1925 gegründete Rundfunkstation ihren Sitz fand. 1929 erhielt Ostrau eine Rundfunkstation. Beide Stationen bekamen Orchester, in Brünn war es schon in den 1930er Jahren das Symphonische Orchester. So vervielfältigten sich die Aufführungsmöglichkeiten von Musik. Zeitgenössische Werke führte der „Klub moravských skladatelů“ (Klub mährischer Komponisten, 1919), die Nachfolgeorganisation der Musikabteilung des „Klub přátel umění“ (Klub der Freunde der Kunst), in seinen Konzerten auf. Eine bedeutende Änderung war die Übertragung der Stadttheater in tschechische Hände. In deutscher Verwaltung blieb nur das Theater in Troppau, in dem wegen des anwachsenden tschechischen Bevölkerungsteils Opernensembles aus Ostrau und Olmütz gastierten. Angesichts der neu entstandenen Mehrheitsstellung der tschechischen Bevölkerung wurde nun der tschechische Opernbetrieb begünstigt. In Brünn zum Beispiel fielen im ehemaligen deutschen Stadttheater – nun das Landestheater – volle fünf

Vereine – Institutionen – Konzerte

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der sieben Spieltage den Tschechen zu. Das tschechische Musikleben hat dadurch ungemein gewonnen, die Brünner Deutschen fühlten sich verständlicherweise beeinträchtigt. In den Theatergebäuden fanden auch tschechische Symphonie- und Kantatenkonzerte statt. Der Bau des neuen tschechischen Theatergebäudes in Brünn wurde immer wieder verschoben – zu seiner Realisierung kam es erst 1966 (heutiges Janáček-Theater).

Vereine – Institutionen – Konzerte Mitte der 1890er Jahre bis 1918 Als Metropole der tschechischen Musik in Mähren hatte sich Brünn dank der vielseitigen künstlerischen Tätigkeit Janáčeks schon in den 1880er Jahren etabliert. Seine frühe Förderung der modernen Musik, die er auch als Dirigent des Brünner BesedaVereins betrieben hatte, trug dazu bei. Josef Kompit, Janáčeks Nachfolger auf dem Posten des Chorleiters des Brünner Beseda-Vereins von 1889 bis 1899, Regens Chori an der St. Thomas-Kirche (1899  –1916) und Cellist des Opernorchesters des Deutschen Stadttheaters, pflegte das Dvořák-Repertoire des Vereins. Die Einstudierung und Aufführung von Musils Stabat mater und Nešveras De profundis überließ er jedoch schon den Komponisten. Die Aktivitäten des Brünner Beseda-Vereins gerieten in Stagnation. Zu Janáčeks ausgewogener Programmkonzeption aus Klassik und Moderne brachte den Brünner Beseda-Verein erst Rudolf Reissig, Absolvent des Prager Konservatoriums, zurück. Sein zwanzigjähriges Wirken auf dem Posten des künstlerischen Direktors und Chorleiters (1899–1918) war die zweite große Ära des Brünner BesedaVereins. Reissig kümmerte sich umfassend um die Konzerte des Vereins – sowohl um die eigenen als auch um jene von Gästen. Er lud wiederholt prominente Prager Künstler zu Konzerten ein: die Tschechische Philharmonie, das Böhmische Streichquartett, die Sängerin Marie Musilová, den Geiger Jan Kubelík, an Pianisten Josef Jiránek, einen Schüler Smetanas, und den hervorragenden Interpreten Suks, Václav Štěpán. Nur eines ist Reissig nicht gelungen – Janáček mit dem Brünner Beseda-Verein zu versöhnen. Der Verein ist so zum wichtigsten Ort des Kultes um Vítězslav Novák geworden, der sich aus Brünn auch in andere mährischen Städte verbreitete.107 107 Siehe dazu Einzelheiten in: Filharmonický spolek Beseda brněnská v letech 1911–1930 [Der Philharmonische Verein Beseda brněnská in den Jahren 1911 bis 1930], hrsg. von Vladimír Helfert, Brno 1931.

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Janáček wandte sich in der Folge an Vereine und Ensembles außerhalb Brünns. Die Premiere der Kantate Amarus wurde unter schwierigen Umständen am 2. Dezember 1900 vom Kremsierer Verein „Moravan“ unter seiner Leitung gegeben; die Brünner Premiere des Werkes wurde von Ferdinand Vach und dem gemischten Chor der Lehrer mit Orchester, ergänzt durch Mitglieder von Oskar Nedbals Wiener Tonkünstlerorchester 1912, verwirklicht. Na soláni čarták (Droben auf der Höhe), eine andere, im Volkston komponierte Kantate Janáčeks, wurde am 23. März 1912 vom Männerchor des Proßnitzer Vereins „Orlice“ und der örtlichen Orchestervereinigung unter dem Chorleiter des Vereins, Vilém Steinmann, uraufgeführt. Rudolf Pavlata führte die Kantate 1913 mit dem Olmützer Verein „Žerotín“ auf. Seine zweite, sehr anspruchsvolle Kantate Věčné evangelium (Das ewige Evangelium) hat Janáček an den Prager Verein „Hlahol“ vergeben, wo sie von dessen Chorleiter Jaroslav Křička am 5. Februar 1917 aufgeführt wurde. In Prag erlebten ihre Premiere am 14. November 1906 die „Einleitung“ zu Jenufa, Žárlivost (Die Eifersucht, Tschechische Philharmonie, Dirigent: František Neumann), und am 14. November 1917 die Ballade für Orchester Šumařovo dítě (Des Spielmanns Kind, Tschechische Philharmonie, Dirigent: Otakar Ostrčil). In Brünn fand am 15. Juni 1901 nur die Premiere der ersten Fassung des Otče náš (Vater unser) in szenischer Darbietung (Dirigent: Max Koblížek, Theaterverein Tyl) statt. Janáček mußte auch zur Erstaufführung seiner künstlerisch repräsentativen Männerchöre in andere Städte fahren. Sein bekanntester Chor, Maryčka Magdónova, erklang zum ersten Mal am 12. April 1908 in Proßnitz und erst dann  – nach der Prager und Pariser Aufführung – in Brünn in der Darbietung der Gesangsvereinigung der mährischen Lehrer (Chorleiter: Ferdinand Vach). Ebenso wurden die drei bedeutenden Frauenchöre Vlčí stopa (Die Wolfsspur), Hradčanské písničky (Die Lieder von Hradschin) und Kašpar Rucký (1916) zunächst außerhalb Brünns – am 18. August 1916 in Neu-Paka (Nová Paka) der erste Chor, am 26. Dezember 1916 in Prag der zweite und erst am 6. April 1921 in Prag der dritte – in der Darbietung der Gesangvereinigung der mährischen (Chorleiter: Ferdinand Vach) bzw. der Gesangvereinigung der Prager Lehrerinnen (Chorleiter: Metod Doležil) gegeben. In Brünn erlebten nur Janáčeks Kammermusiken ihre Erstaufführung, zumeist im ziemlich bescheidenen Rahmen des kleinen Saals der Orgelschule: am 2. Februar 1909 das Klavírní trio z podnětu Kreutzerovy sonaty Lva N. Tolstého (Klaviertrio, angeregt durch Lev N. Tolstojs Kreutzersonate), später zum 1. Streichquartett umgearbeitet, und 13. März 1910 Pohádka pro violoncello a klavír (Märchen für Cello und Klavier). Auch der Klavierzyklus V mlhách (In den Nebeln) erklang in Brünn erst 1914 nach der Premiere in Kremsier vom 7. Dezember 1913. Im Klub der Kunstfreunde erlebte ihre Premiere am 27. Jänner 1906 die Klaviersonate 1.X.1905, auch Z ulice (Von der

Vereine – Institutionen – Konzerte

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Straße) genannt, deren Interpretin Ludmila Tučková wenigstens die Abschrift von zwei Teilen des von Janáček später vernichteten Werkes rettete. Janáček als Repräsentant der tschechischen Moderne in Mähren wurde also eher in Prag als in Brünn rezipiert. Abbildung 40: Das Gebäude der Orgelschule in Brünn (1920)

Das Brünner Beseda-Haus mit seinem beachtlichen Konzertsaal, in dem Janáček als Dirigent Erfolge gefeiert hatte, dominierte nun Vítězslav Novák. In den Vereinskonzerten erklangen die meisten Kompositionen Nováks aus der mährisch-slowakischen Periode, eine Reihe davon überhaupt zum ersten Mal: am 21. März 1897 das Klavierquintett a-Moll, am 5. Februar 1899 das Klavierquartett c-Moll, am 1. März 1905 die Sonata eroica für Klavier, am 6. April 1902 das Trio d-Moll, „quasi una ballata“, und als Höhepunkt des Novák-Kultes in Brünn am 17. April 1910 die symphonische Kantate Bouře (Der Sturm) in einer Aufführung des gemischten Chors des Brünner Beseda-Vereins, mit Prager Solisten und der Tschechischen Philharmonie unter Rudolf Reissig. Andere Werke Nováks wurden im Beseda-Haus zumeist unmittelbar nach der jeweiligen Prager Premiere gegeben: die Balladen für gemischten Chor auf mährische Volkspoesie mit Klavier vierhändig Ranoša und Zakletá dcera (Ranoscha und Die verzauberte Tochter, 1899) sowie Vražedný milý und Neščasná vojna (Der Mördergeliebte und Der unglückliche Krieg, 1902), die Slovácká suita pro orchester (Slowakische Suite für Orchester, 1906), die symphonischen Dichtungen V Tatrách (In der Tatra, 1902), O věčné touze (Von der ewigen Sehnsucht, 1905) und Toman a lesní panna (Toman und die Waldjungfrau, 1908), die Tondichtung für Klavier Pan (1911) und die symphonische Kantate Svatební košile (Die Geisterbraut, 1914) als vielleicht letztes Ereignis des Novák-Kultes in Mähren und Brünn.

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Reissig führte in seinen Konzerten auch Werke anderer tschechischer Modernisten auf: Bouře (Der Sturm, 1906) von František Neumann, den ge­mischten Chor mit Orche­ ster Se­dmde­sát­ tisíc (Siebzigtausend, 5. April 1908) vom noch jungen Jan Kunc oder die symphonische Legende Pod jabloní (Unter dem Apfel­ baum, 1913) von Josef Suk. Ins Programm der Kammerkonzerte nahm er Werke von Schülern Nováks und Janáčeks. Viel Aufmerksamkeit widmete Reissig in seinen Programmen Hector Berlioz durch die tschechi­ sche Erstaufführung der ­ Kantate L’Enfance du Christ (1906), der Grande messe des morts (Requiem, 1909) und der dramatischen Legende La Damnation de Faust (1911). Berlioz erschien im Kontext der tschechischen Musik in Mähren als ausgesprochen moderner Komponist. Reissig wagte sich auch an die zeitgenössische französische Moderne, an Charpentiers symphonisches Drama La vie du poète (1907) und Debussys Kantate La Damoiselle élue (1914). Ferner führte er Wagners Faust-Ouvertüre (1906), Beethovens 9. Symphonie (1911), von den großen Oratorien Händels Messias (1913) und Liszts Christus (1914) auf. Das symphonische Repertoire tschechischer und internationaler Klassiker präsentierten in hoher Qualität in Brünn und Mähren die regelmäßigen Gastkonzerte der Tschechischen Philharmonie unter den Dirigenten Adolf Čech, Vilém Zemánek – dieser leitete die erste Aufführung von Smetanas Má vlast (Mein Vaterland) in Mähren am 27. April 1912 – und Oskar Nedbal. Das erste Konzert dieses Orchesters in Brünn mit eigenen Kompositionen leitete Antonín Dvořák 1896. Während des Krieges ga­ stierte in Brünn mit dem Opernorchester des Prager Nationaltheaters Karel Kovařovic, der am 13. Oktober 1917 Janáček zu Ehren dessen Ouvertüre Žárlivost (Die Eifersucht) glänzend darbot. In den Jahren 1909 bis 1914 lebten durch Janáčeks Initiative die symphonischen Konzerte im Augarten-Pavillon wieder auf. Das Orchester des

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(links) Abbildung 41: Rudolf Reissig

Abbildung 42: FrantiŠek Neumann

Nationaltheaters in Brünn, gestärkt durch Professoren und Schüler der Orgelschule, spielte unter der Leitung von Rudolf Pavlata und Pavel Dědeček außer der Eroica und der „Neunten“ alle Symphonien Beethovens. In Pavlatas symphonischer Matineé am 10. März 1910 erklang auch erstmals in Brünn Janáčeks Ouvertüre Žárlivost. Es wurden neben anderen Werke von Joseph Haydn, Schumann und Tschaikowskij auch die Symphonie Nr. 9 e-Moll, Aus der Neuen Welt, von Dvořák (1913) gegeben.108 Brünn war für die Vermittlung der tschechischen Musik in Mähren bis 1918 nicht zuletzt auch deshalb zentral, als hier eine Generation hochprofessioneller Musikinterpreten heranreifte. In Konzerten des Brünner Beseda-Vereins trat Rudolf Reissig als Geiger und Viola d’amore-Spieler auf; er profilierte sich auch in Konzerten des Wiener „Lumír“. Der Klavierlehrer an der Vereinsmusikschule und Absolvent des Prager Konservatoriums, Josef Faměra, veranstaltete regelmäßig eigene Konzerte und Zyklen mit Klaviermusik aus allen Epochen. Als Interpret zeitgenössischer Musik setzte sich auch in Prag der Pianist Ludvík Kundera durch. In Marie Kuncová gewann Brünn eine In108 Siehe dazu Ludvík Kundera, Leoš Janáček a varhanická škola [Leoš Janáček und die Orgelschule], Olomouc 1948.

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terpretin der Lieder Dvořáks, Smetanas, der französischen und mährischen Moderne, der Lieder von Hugo Wolf und anderen; als Organisten und Improvisatoren glänzten Bohumil Holub – seit 1911 Organist der St.-Peters-Kirche – und Eduard Tregler (von 1913 an), letzterer auch ein bedeutender Komponist geistlicher Musik. In Olmütz bekleidete dieses Amt Antonín Petzold, nach Nešveras Tod 1914 Regens Chori und Organist der Kathedrale. Außerordentlich engagiert waren auch die Gesang- und Musikvereine der anderen Städte. In den Innenstädten von Olmütz, Kremsier, Proßnitz oder Prerau halfen sie einander aus und organisierten gemeinsame Veranstaltungen. So konnte eine Stadt wie Proßnitz mit ihren Vereinen „Orlice“, „Vlastimila“ und der Orchestervereinigung – mit den üblichen Aushilfen von professionellen Musikern aus Militärkapellen – unter den Chorleitern Ezechiel Ambros und Vilém Steinmann die anspruchsvollen Kantaten Dvořáks, Smetanas, Nešveras De profundis, ja sogar Mozarts Requiem aufführen. Proßnitz konnte am 23. März 1912 auch die Erstaufführung von Janáčeks Kantate Na Soláni Čarták (Der Teufel auf der Soláň) sowie 1917 der Kantate Amarus für sich verbuchen. Von Grund auf mußten die Vereine „Lumír“ und „Záboj“ im kulturell kaum entwickelten Ostrau ihren Betrieb auf Werken der tschechischen Klassik aufbauen; unter den ersten Chorleitern ist Cyril Metoděj Hrazdira zu nennen. Stabilen Musikbetrieb brachte erst die Ära Eduard Runds ab 1907, der sich nach dem Vorbild Brünns nicht scheute, nach den großen Kantaten Dvořáks wie auch nach Berlioz’ dramatischer Legende La damnation de Faust (1911) und Nováks Bouře (1910) zu greifen. La damnation de Faust führte im Kremsierer „Moravan“ auch Ferdinand Vachs Nachfolger Stanislav Šula (1912) auf; von Novák und Suk wurden Chöre gegeben. Der Olmützer „Žerotín“109 blieb ein Ort der qualitätvollen Pflege von Dvořáks Kantaten und Oratorien. Zu den bisherigen Aufführungen kam nun noch die Erstaufführung von Dvořáks Te Deum auf dem europäischen Kontinent 1898. Der künstlerische Direktor und Chorleiter des „Žerotín“, Antonín Petzold – er wirkte in dieser Position mit der Unterbrechung von einigen Jahren von 1893 bis 1918 – hatte zuvor mit Dvořák an der Vorbereitung der Olmützer Premieren von dessen Kantaten und Oratorien gewirkt, ihm selbst fiel nun die Aufgabe zu, das hohe Interpreta­ tionsniveau der Vereinsproduktionen zu halten. Er erreichte dies auch dadurch, daß er ähnlich wie der Brünner Rudolf Reissig bedeutende Gäste nach Olmütz einlud. Ein künstlerisches Ereignis war zum Beispiel die Aufführung des Oratoriums Svatá Ludmila (Die heilige Ludmila, 1905) durch die Tschechische Philharmonie mit Oskar 109 Zur Geschichte dieses Vereins vgl. Vladimír Gregor, Památník pěveckého hudebního spolku Žerotín v Olomouci 1880 –1950 [Gedenkbuch des Musikgesangvereins „Žerotín“ in Olmütz von 1880 bis 1950], Olomouc 1952.

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Abbildung 43: Bedřich Smetana, Verkaufte Braut und Dalibor. Theaterzettel der Vorstellungen im Olmützer Musikverein Žerotín (1918).

Nedbal am Dirigentenpult.Olmütz, Sitz des mährischen Metropoliten, blieb führend in der Aufführung anspruchsvoller geistlicher Kompositionen. Unter Petzold erklang in der Metropolitankirche 1904 Beethovens Missa solemnis. Die Prager Musikkritik sparte nicht mit Lob an der Aufführung. Petzold führte in Olmütz auch Ein deutsches Requiem von Brahms und Die Legende von der heiligen Elisabeth von Liszt auf. Als Vertreter des Cäcilianismus führte er zudem regelmäßig Werke der Renaissance-Polyphonie auf und vergaß dabei das Werk des musikalischen „Lokalheiligen“ Jacobus Gallus (1550 –1591) nicht. Mit der Philharmonie „Žerotín“, einem Laienorchester, veranstaltete er Konzerte mit Werken von Haydn, Dvořák (Ouvertüren, symphonische Dichtungen), Smetana (Mein Vaterland  ), Grieg, Rimskij-Korsakow, Tschaikowskij und anderen. Auch ließ er es sich nicht entgehen, nach dem Vorbild Brünns Berlioz’ dramatische Legende La damnation de Faust aufzuführen. In der Ära des Chorleiters Rudolf Pavlata 1911 bis 1917 wurde im „Žerotín“ Janáčeks Kantate Na soláni čarták (1913) gegeben. Das waren jedoch eher Ausnahmen im Musikbetrieb des „Žerotín“, der in sehr traditionellen Bahnen

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verlief, einschließlich der Oper.Für die Zeit vor 1918 kann man in diesem Zusammenhang Wien nicht übergehen. Brünn galt in dieser Zeit immer noch als Vorstadt Wiens – für die tschechische Musik war diese enge Verbindung jedoch durchaus von Vorteil. So kamen immer wieder mährische Musiker in die Kaiserstadt, und die Verbindung der Wiener tschechischen Mährer (wie auch der Tschechen) zur Heimat riß nicht ab. Hauptzentrum dieser Beziehungen war der Gesangsmusikverein „Lumír“, der sich der wohlwollenden Unterstützung aus anderen Musikorganisationen erfreute. Durch das Wirken des Chorleiters Jan Stiebler, eines gebildeten Laien, belebte der „Lumír“ schon in den 1890er Jahren seine Tätigkeit, zu deren Bilanz die Aufführung von Janáčeks Chören Ó lásko (Oh Liebe) und Ach vojna, vojna (Ah der Krieg, 1896), von Musils Kantate Zlatý kolovrat (1897) und Nováks gemischten Chören Ranoša und Zakletá dcera (1900) gehörte. Eine wirklich neue Ära des „Lumír“ bedeutete das Wirken des aus Mährisch Budweis gebürtigen Chorleiters Stanislav Herle von 1901 bis 1918, eines Absolventen der Prager Orgelschule. In den tschechischen Künstlerkreisen Wiens fand Herle Unterstützung bei dem Komponisten Josef Bohuslav Foerster, dem Dirigenten des Wiener Tonkünstlerorchesters, Oskar Nedbal – dieser half bei großen symphonischen und Kantatenkonzerten aus oder wirkte direkt mit –, sowie den Solisten und Musikern von Chor und Orchester der Hofoper. Herle war selbst Mitglied des Hofopernchores und dessen stellvertretender Chorleiter. Alle diese Bindungen beeinflußten Herles Verein stimulierend und sorgten für hohe Qualität der Aufführungen.110 Herle führte den „Lumír“ programmatisch über den Geist der Wiedergeburt des 19.  Jahrhunderts hinaus. In den Vokalkonzerten führte er die Chöre Dvořáks und Smetanas, insbesondere aber die neueren Werke Nováks, Foersters und Janáčeks (Krásné oči Tvé, Deine schönen Augen) auf. Das künstlerische Niveau und die Programme erreichten in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ihren Höhepunkt. Die Reihe der großen Konzerte wurde 1910 mit einer Aufführung von Dvořáks Kantate Svatební košile (Die Geisterbraut) eröffnet, im Jahre 1912 folgten dessen Kantate Dědicové Bílé hory (Die Erben des Weißen Berges) und mehrmals Foersters dem „Lumír“ gewidmetes Stabat mater.111 Markenzeichen von Herles Konzerten im „Lumír“ wurde ähnlich wie in Brünn Nováks Bouře (1913) mit vierhundert Mitwirkenden: dem Vereins­ chor, tschechischen Solisten der Hofoper und Mitgliedern des Tonkünstlerorchesters sowie des Hofopernorchesters. Der „Lumír“ veranstaltete auch Symphoniekonzerte mit Werken Dvořáks. Auch hier zeigte sich Herles Aufgeschlossenheit gegenüber der 110 Über die von Herle geleiteten Konzerte des „Lumír“ wurde in der Prager Musikzeitschrift Hudební revue ausführlich berichtet. Viel zu lesen ist auch in der Zeitschrift Dunaj der Wiener Tschechen. 111 Josef Bohuslav Foerster (1859–1951), mit Gustav Mahler befreundet, lebte bis 1918 in Wien, unterrichtete am Neuen Konservatorium und beteiligte sich intensiv am Musikleben der Wiener Tschechen.

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Abbildung 44: Die Titelseite von Dunaj, der Revue der Wiener Tschechen

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tschechischen zeitgenössischen Musik – er führte unter anderem Werke von Jaroslav Jeremiáš und Otakar Ostrčil auf, welch letzteren er auch zum Dirigieren einlud. Namentlich während des Krieges führte der „Lumír“ auch tschechische Opern auf. Die verkaufte Braut anläßlich der Wiener Premiere von Jenufa im Februar 1918 hat auch Leoš Janáček besucht.

1918 bis 1938 Die Entstehung der Tschechoslowakischen Republik 1918 war auch für das Musikleben in Mähren ein Markstein. Die durch die Kriegsereignisse geschwächten Musikvereine und Chöre nahmen ihre frühere Aktivität wieder auf. Unter Ferdinand Vach lebte „Pěvecké sdružení moravských učitelů“ (Gesangvereinigung der mährischen Lehrer) wieder auf, die gemeinsam mit „Pěvecké sdružení moravských učitelek“ (Gesangvereinigung der Mährischen Lehrerinnen) zuhause und im Ausland nach wie vor beste tschechische Chorkunst repräsentierte. An der Spitze der Ostrauer Musikvereine „Lumír“ und „Záboj“ stand jahrzehntelang Edvard Rund, nach dessen Tod 1931 Josef Schreiber die Leitung übernahm. In die anderen Städte kamen neue Chorleiter: in den Brünner Beseda-Verein Jaroslav Kvapil – er blieb bis 1947 auf diesem Posten –, in den Olmützer „Žerotín“ Jaromír Fialka, dem 1927 Cyril Pecháček folgte. Im Kremsierer „Moravan“ wurde Eugen Třasoň Chorleiter. Mit Ausnahme Jaromír Fialkas waren es durchweg Absolventen der Konservatorien oder der Orgelschule. An die Vorkriegstradition knüpften in Proßnitz der Männerchor „Orlice“ und der Frauenchor „Vlastimila“ mit dem Chormeister Miloš Vignati und in Prerau der „Přerub“ mit den Chormeistern Vladimír Ambros und Alois Grumlík an. Auch in den kleineren Städten Mährens lebten die Chöre wieder auf. Das 6.000 Einwohner zählende Städtchen Boskowitz (Boskovice) machte durch die Aufführungen von Werken Pavel Křížkovskýs, Bedřich Smetanas und Antonín Dvořáks auf sich aufmerksam. In Anwesenheit des Komponisten erklang in Boskovice 1927 auch Janáčeks Kantate Amarus – der gemischte Chor des Turnvereins „Sokol“ und die lokale Orchestervereinigung studierten das Werk mit Unterstützung von Berufsmusikern aus Brünn ein; geleitet wurde die Aufführung vom Chorleiter František Linda, Schüler der Brünner Konservatoriums-Professoren Jan Kunc und Vilém Petrželka. Tschechische Gesangvereine entstanden auch in den deutschen Grenzgebieten: in Troppau die „Gesangvereinigung der schlesischen Lehrer“ (Chorleiter: Jan Šoupal), in Znaim die Gesangvereinigung „Vítězslav Novák“ (Chorleiter: Albert Pek), in Iglau der Arbeitergesangverein „Máj“ und der Gesang- und Musikverein „Hlahol“ (Chorleiter: Rudolf

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Abbildung 45: Ferdinand Vach, Begründer und langjähriger Chorleiter der Sängervereinigung der mährischen Lehrer (PSMU) und der Singvereinigung der mährischen Lehrerinnen (VSMU)

Abbildung 46: Znojemská Beseda (Beseda-Haus in Znaim). Im 19. Jahrhundert und später diente es den mährischen Tschechen in Znaim und Umgebung als Veranstaltungsort

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Pavlata). In Ostrau wirkte der zweisprachige Arbeitergesangverein „Marx“ Vítkovice (Witkowitz). An den Konzerten der Gesang- und Musikvereine wirkten Laienorchester mit, sogenannte Philharmonien, deren Mitglieder Musiklehrer und gebildete Musikamateure, in kleineren Städten auch Musiker aus der weiteren Umgebung waren. Den festen Stamm von Musikern ergänzten bei Aufführungen anspruchsvollerer Werke Professionelle aus Militärkapellen, benachbarte Städte arbeiteten zusammen. Kremsier war bei Kantatenaufführungen auf die Hilfe von Solisten und Orchestermitgliedern der Oper des Landestheaters Brünn angewiesen. Die „Philharmonien“ veranstalteten auch eigene Orchesterkonzerte. Regelmäßige Symphoniekonzerte gab traditionsgemäß auch der Olmützer „Žerotín“. Neu waren vereinsmäßig organisierte Laiensymphonieorchester: die Brünner Orchestervereinigung (Dirigent: Vladimír Helfert), die Philharmonie Ostrava (Dirigent: Jan Pešat), die Slowakische Philharmonie Uherské Hradiště (Dirigent: Zdeněk Chalabala) und weitere. Diese veranstalteten ausschließlich Symphoniekonzerte, vielfach mit anspruchsvollen Programmen aus klassischer und zeitgenössischer Musik. Spürbar blieb das Fehlen eines tschechischen Berufsorchesters, namentlich, wenn es um die Aufführung anspruchsvoller, groß besetzter Werke ging. Als Ersatz gab es regelmäßige Konzertreisen der Tschechischen Philharmonie, nun schon unter Leitung des legendären Václav Talich. In Ostrau gastierten 1924 mit vier Konzerten die Wiener Philharmoniker unter Franz Schalk, unter anderem mit Smetanas Má vlast (Mein Vaterland). Doch eine dauerhafte Lösung für Mähren zeichnete sich ab: Bei der Rundfunkstation in Brünn formierte sich ein professionelles Orchester mit künstlerischen Ambitionen, und so begründete der Dirigent Břetislav Bakala im Jahre 1933 das Brünner Symphonische Orchester des Tschechoslowakischen Rundfunks als feste Institution. Das kleine Orchester der Rundfunkstation in Ostrau widmete sich vor allem der Populärmusik. Seine Mitglieder halfen zudem bei den Theater- und Vereinskonzerten aus. Das tschechische Konzertleben in Mähren bereicherten auch die existierenden Opernorchester. Regelmäßige Theaterkonzerte führte František Neumann in Brünn ein, als er 1919 Chef der Oper des dortigen Landestheaters wurde. Diese Tradition führte dann Milan Sachs weiter. In Olmütz wurden Theaterkonzerte unter den Opernchefs Karel Nedbal – Neffe von Oskar Nedbal –, Emanuel Bastl und Adolf Heller, in Ostrau unter Emanuel Bastl und Jaroslav Vogel veranstaltet. Zwischen den Opernorchestern und den Gesang- und Musikvereinen entwickelte sich bald eine besondere Art der Zusammenarbeit, an die in Brünn auch Bakalas Symphonisches Orchester des Tschechoslowakischen Rundfunks anknüpfte. Nicht zuletzt dank dieser Zusammenarbeit erlebten die Konzerte der Gesang- und Musikvereine in Mähren ihre Blüte.

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Der künstlerische Direktor und Chorleiter des Brünner Beseda-Vereins, Jaroslav Kvapil, führte als seine erste Premiere 1920 Nováks Bouře auf. Vor allem pflegte er das Dvořák-Repertoire (Requiem 1921, Die Geisterbraut 1922, Die heilige Ludmila 1924, Stabat mater 1925). Von der internationalen Musik nahm er Debussys lyrische Kantate La Damoiselle élue (1923) und Berlioz’ La Damnation de Faust (1925) wieder auf. Auch widmete er sich gewichtigen Werken Johann Sebastian Bachs wie der Matthäuspassion (1923, tschechische Erstaufführung !), dem Weihnachtsoratorium (1929) und dem Magnificat (1935), Beethovens Missa solemnis (1925), Mozarts Requiem (1927), Händels Oratorium Judas Maccabaeus (1928), Brahms’ Ein deutsches Requiem (1930) und dem Oratorium Les Béatitudes (1926) von César Franck. Kvapil nahm aber auch auf die Musikmoderne jeder Richtung Bezug, so führte er das szenische Oratorium von Arthur Honegger Le Roi David (1925) auf, ferner – erstmals in Tschechisch – dessen biblisches Drama Judith (1933) und Karol Szymanowskis Stabat mater (1937). In einem gemeinsamen Konzert erklang neben Janáčeks Glagolitischer Messe auch Strawinskys Symphonie des psaumes (1933). Kvapil hatte sich zuvor auch für die Versöhnung Janáčeks mit dem Brünner Beseda-Verein eingesetzt, mit dem er dann dessen sämtliche Kantaten (1924) aufführte und als Premiere am 5. Dezember 1927 die Glagolitische Messe. Der Brünner Beseda-Verein bot das Werk dann auch mit Brünner Solisten und dem Orchestre de la Suisse Romande auf dem Festival der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Genf 1929 dar. Kvapil realisierte überdies auch Premieren zeitgenössischer tschechischer Werke: aus der Prager Schule die Legenda o svaté Zitě (Legende von der heiligen Zita, 1922) von Otakar Ostrčil, die Kantate Blahoslavený ten člověk (Selig der Mensch, 1934) von Ladislav Vycpálek, und aus der mährischen Schule am 9. Dezember 1930 das symphonische Drama Námořník Mikuláš (Der Seemann Nikolaus) von Vilém Petrželka sowie am 7.  Dezember 1931 das eigene Oratorium Lví srdce (Das Löwenherz), mit dem er in Prag und dank dem Zutun seines Schülers Eugen Třasoň auch in Kremsier gastierte. Der zielstrebige Třasoň erneuerte im Kremsierer „Moravan“ den Dvořák-Kult und führte tschechische Kantaten und Chöre von Pavel Křížkovský, Vítězslav Novák, Josef Suk, Leoš Janáček und Emil Axman auf. Nicht zuletzt schöpfte er aus den historischen Beständen des Kremsierer Schloßarchivs und spielte zum Beispiel Werke von Pavel Vejvanovský (um 1633 od. um 1639 –1693). Edvard Rund, der nach 1918 die Leitung der Ostrauer Vereine „Lumír“ und „Záboj“ behielt, gelang es, beide schnell wieder in Gang zu bringen. Mit den neuen Mitgliedern widmete er sich tschechischen Chören von Pavel Křížkovský, Bedřich Smetana, Vítězslav Novák, Josef Bohuslav Foerster und Leoš Janáček sowie Kantaten: Antonín Dvořáks Svatební košile (Die Geisterbraut, 1922) und Hymnus českého rolnictva (Hymnus der tschechischen Bauernschaft, 1928), Leoš Janáčeks Amarus, 1923,

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Abbildung 47: Der gemischte Chor der Beseda Brněnská mit Solisten und dem Chorleiter Jaroslav Kvapil vor dem Denkmal der Reformation in Genf anläßlich der Aufführung der Glagolitischen Messe (IGNM 1928)

Bedřich Smetanas Česká píseň (Das tschechische Lied) und Ján Levoslav Bellas Svatba Jánošíkova (Jánošíks Hochzeit, 1928). Eine neue, produktive Ära erlebte Ostrau unter dem Chorleiter Josef Schreiber. Mit seinen Vereinen „Záboj“ und „Lumír“ und den vereinten Ostrauer Orchestern und Solisten führte er Dvořáks Stabat mater (1932) und Requiem (1933), Janáčeks Glagolitische Messe (1934), die Kantaten des bedeutenden Novák-Schülers Ladislav Vycpálek O posledních věcech člověka (Von den letzten Dingen des Menschen, 1935) und Blaho­ slavený ten člověk (Selig der Mensch, 1936) sowie 1937 erneut Dvořáks Stabat mater auf. Der Absolvent der Musikschule des Kremsierer „Moravan“, Jaromír Fialka, half nach der produktiven Ära Antonín Petzolds den Olmützer „Žerotín“ wiederzubeleben. Bald nach seinem Dienstantritt wagte er sich an Nováks Bouře (1922), im Jubiläumsjahr 1924 studierte er Janáčeks Kantaten Amarus und Věčné evangelium (Das ewige Evangelium) ein, und er pflegte das Dvořák-Repertoire des „Žerotín“. Mit dem reorganisierten Orchester der Žerotín-Philharmonie führte er weniger anspruchsvolle Werke auf.

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Der neue künstlerische Direktor und Chorleiter Cyril Pecháček, Absolvent der Meisterschule des Prager Konservatoriums, gab den Vereinskonzerten des „Žerotín“ den früheren Glanz zurück. Bei der Aufführung von Symphonien Dvořáks, Fibichs, Tschaikowskijs und Mozarts, symphonischen Dichtungen Nováks, Liszts, RimskijKorsakows und Smetanas’ Zyklus Má vlast griff er auf Musiker des Opernorchesters zurück, die ihm auch bei der Einstudierung der Kantaten Dvořáks, Janáčeks und von Nováks Bouře zur Verfügung standen. Anerkennung zollte Pecháček dem Olmützer Josef Nešvera mit der Einstudierung von dessen Oratorium De profundis (1931). Unter Pecháčeks Leitung arbeitete der Olmützer „Žerotín“ mit Vereinen der Nachbarstädte zusammen. Gemeinsame Konzerte gab es mit dem „Přerub“ in Prerau und mit „Orlice“ und „Vlastimila“ in Proßnitz. Am Musikleben der Wiener Tschechen vor 1918 hatten sich die Zuwanderer aus Mähren mit dem Chorleiter des „Lumír“ an der Spitze, Jaromír Herle, in bedeutender Weise beteiligt. Mit Herles Weggang von Wien endete die Ära des „Lumír“ als Zentrum des Musiklebens der Wiener Mährer und Tschechen. Der Wiener „Lumír“ gab seinem Chorleiter zum zwanzigsten Dienstjubiläum am 29. April 1920 ein Festkonzert, bei dem sich das „ganze tschechische Wien“ versammelte. Herle selbst zog es in dieser Zeit schon nach Prag, wo er 1921 schließlich Leiter des Opernchors am Nationaltheater wurde und zugleich Chorleiter des Prager „Hlahol“, des seit Smetana bedeutendsten Gesangvereins in Prag. Mit Herle verließen viele Tschechen und Mährer Wien. Das führte zum allmählichen Nachlassen der einst glänzenden Aktivität des „Lumír“. Im Jahre 1942 wurde der Verein zusammen mit anderen von den Nationalsozialisten endgültig aufgelöst. Ihre bedeutende Stellung haben die Gesangvereine nach 1918 nicht verloren. Einen Teil ihrer Funktionen übernahmen indessen professionelle Einrichtungen und neue Vereine. An die Stelle der von Laien getragenen Vereinskonzerte traten solche professioneller Theaterorchester. Eine wichtige Funktion bei der Verbreitung von Musik – auch solcher eigener Produktion – fiel den beiden Rundfunkanstalten in Brünn und Ostrau zu. Eine musikalische Fachakademie neuen Typs entstand 1919 mit dem Staatskonservatorium in Brünn, dessen Lehrkörper aus den besten Kräften der Orgelschule und der Musikschule des Brünner Beseda-Vereins zusammengestellt wurde. Zum Nachfolger der „Musikabteilung der Kunstfreunde“ wurde der „Klub mährischer Komponisten“, in dem sich Komponisten, Musikologen und Musiker vereinigten. Der neue Verband propagierte in seinen Konzerten Werke der internationalen Moderne. In Olmütz widmete sich dieser Aufgabe die „Freie Vereinigung der Freunde der modernen Musik“, in Ostrava war es der „Kreis der Freunde der ernsten Musik“, der zahlreiche Initiativen entwickelte.

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Zu Konzerten kamen nach Mähren weiterhin die Geiger Jan Kubelík, Jaroslav ­Kocián und Karel Hoffmann, letzterer Primarius des Böhmischen Streichquartetts, und nun auch Váša Příhoda und Bronislav Hubermann. Béla Bartók führte 1925 in einem Klavierrecital eigene sowie Werke von Zoltán Kodály auf. In den 1920er Jahren konzertierte in Mähren neben anderen die französische Pianistin Germaine Leroux. Von den bedeutenden Prager Pianisten traten in mährischen Städten Jan Heřman und Václav Štěpán auf. Der später weltberühmte Pianist Rudolf Firkušný begann seine künstlerische Bahn in Brünn und anderen mährischen Städten. Regelmäßiger Gast in Konzerten war nach wie vor das Böhmische Streichquartett, von den neuen Prager Ensembles das Prager Streichquartett und das Ondříček-Streichquartett. Es traten auch Quartette aus dem Ausland auf. Das Berliner Havemann-Quartett spielte in Brünn Quartette von Alois Hába (op. 7 im Vierteltonsystem) und Ernst Křenek (1922), das Wiener Kolisch-Quartett trug in Ostrau neben anderem die Lyrische Suite von Alban Berg und das Streichquartett Nr. 4 von Arnold Schönberg (1937) vor. Abbildung 48: Ludvik Kundera, Vater des Schriftstellers Milan Kundera

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Am Maßstab prominenter Gastsolisten und -ensembles maß sich in Mähren eine Generation heranwachsender heimischer Musiker. Zumeist gehörten sie dem Lehrkörper des Staatskonservatoriums an oder den Opernensembles. Der Pianist Ludvík Kundera, Vater des Schriftstellers Milan Kundera, kehrte aus russischer Gefangenschaft aufs Konzertpodium zurück. Er konzentrierte sich auf das Werk Janáčeks und auf Kompositionen von dessen Schülern. In Konzerten des „Klubs der mährischen Komponisten“ führte er Werke des zeitgenössischen russischen Repertoires auf. In Brünn spielte er erstmals die Drei Klavierstücke, op. 11, von Arnold Schönberg. Der musikalisch vielseitige Jaroslav Kvapil veranstaltete in mährischen Städten Recitals mit Klavierwerken tschechischer Klassiker (Smetana) und Zeitgenossen (Vítězslav Novák, Josef Suk, Leoš Janáček). In Konzerten begleitete er die weltberühmten Sänger Karel und Emil Burian sowie den Geiger František Ondříček. Weiters trat er mit dem Böhmischen Streichquartett und dem Mährischen Quartett auf. František Kudláček, Schüler Otakar Ševčíks und Geiger mit solistischen Ambitionen, gab am 24. April 1922 die Premiere der Sonate für Violine und Klavier von Leoš Janáček. Er war der Gründer des Mährischen Streichquartetts (1923), mit dem er ein breit gefächertes Repertoire aus klassischer und moderner Musik darbot. Zu Stammwerken des Ensembles gehörten die beiden Streichquartette Janáčeks. Das Streichquartett Intime Blätter führte es am 11. September 1928 erstmals öffentlich auf. Mit der Brünner Sängerin Hana Pírková gab das Mährische Streichquartett die Brünner Premiere von Schönbergs Streichquartett Nr. 2 fis-Moll, op. 10; außerdem studierte und spielte es die Streichquartette der deutsch-mährischen Komponisten Egon Kornauth, Viktor Merz, Josef Gustav ­Mraczek und Rudolf Peterka. Es trat häufig auch im Ausland auf. In einem seiner Wie­ ner Konzerte präsentierte es 1931 die Wiener Erstaufführung der Intimen Blätter, der Alban Berg beiwohnte. 1927 entstand aus Lehrkräften des Brünner Konservatoriums das Mährische Bläserquintett. Neben der Oper trugen vor allem die Orchesterkonzerte zum Aufblühen des Musik­ lebens in Mähren in der Zwischenkriegszeit bei. Vor allem durch die Theaterorchester kam es zu einer Professionalisierung der Symphoniekonzerte. In Brünn, wo das Opernorchester des Nationaltheaters schon vor 1918 in diese Richtung gewirkt hatte, gewannen Orchesterkonzerte durch die Einführung von Abonnements und regelmäßige Sonntagsmatineen an Eigenständigkeit. Das von František Neumann reformierte und erweiterte Opernorchester kam ohne Zusatzkräfte aus – mit seinen Leistungen konnte es bald mit den eingeführten Brünner Philharmonikern wetteifern. Neumanns Theaterkonzerte zielten bewußt auf die Einführung großer symphonischer Werke aus Klassik und Moderne als eigene Programmlinie. Neumann führte schon in einem seiner ersten Konzerte 1920 Beethovens 9. Symphonie auf; er bevorzugte in seinen

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Konzerten Beethoven gegenüber Haydn und Mozart. Von Beethoven führte sein Weg zu Mahler. 1922 bot er mit seinem Orchester, Solisten und dem Chor des Brünner Beseda-Vereins Mahlers Symphonie Nr. 2 c-Moll dar, gefolgt von Das Lied von der Erde und den Symphonien Nr. 4 G-Dur, Nr. 7 e-Moll und Nr. 3 d-Moll. Neumann plante einen kompletten Mahler-Zyklus, sein vorzeitiger Tod verhinderte jedoch die beabsichtigte Aufführung der unvollendeten Symphonie Nr. 10 Fis-Dur. In diesen Kontext fiel am 8. März 1925 auch die tschechische Premiere der Schönbergschen Gurre-Lieder mit Solisten, dem Orchester des Landestheaters und dem Chor des Brünner Beseda-Vereins – das Werk wurde in Anwesenheit des Komponisten vom Publikum stürmisch aufgenommen.

Abbildung 49: František Neumann, Brief an Arnold Schönberg

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Als es Neumann aus eher ökonomischen Gründen nicht gelang, eine Aufführung von Bergs Wozzeck durchzusetzen, führte er am 4. April 1927 zumindest die drei Orche­ sterstücke daraus auf. Neumann ließ auch den Symphoniker Richard Strauss nicht außer acht. Seine Neigung zu Bedřich Smetana zeigte er durch einige Aufführungen von Mein Vaterland und der frühen, in Schweden entstandenen symphonischen Dichtungen Richard III., Wallensteins Lager und Hakon Jarl. Zur Wiener Moderne fand er ein Gegenstück im Werk Igor Strawinskys (L’oiseau de feu, Pétrouchka, Scènes burles­ques, L’histoire du soldat, Pulcinella). František Neumann dirigierte Premieren von Orche­ sterwerken Janáčeks, so Balada blanická am 21. März 1920, Taras Bulba am 9. Oktober 1921 und die kompletten Lachischen Tänze am 2. Dezember 1924. In Brünn führte er zum ersten Mal Des Spielmanns Kind (1925) und die Sinfonietta (1927) auf. Nach Neumanns Tod führten die Gastdirigenten Oskar Nedbal und Franz Schalk die Tradition der Brünner Theaterkonzerte bis zum Antritt des neuen Opernchefs weiter. Alexander Zemlinsky machte durch eine Aufführung der symphonischen Dichtung In der Tatra von Vítězslav Novák auf sich aufmerksam. Nováks Tondichtung für Klavier Pan führte der Kapellmeister des Brünner Theaters, Antonín Balatka, aus Anlaß des sechzigsten Geburtstags des Komponisten auf. Eine neue Ära der Theaterkonzerte eröffnete Milan Sachs, der im Jahre 1933 zum Opernchef ernannt wurde. Der ausgezeichnete Operndirigent konzentrierte sich in einem komplizierter werdenden politischen Umfeld auf tschechische Musik und neue Arbeiten der Brünner Komponisten Osvald Chlubna, Václav Kaprál, Jaroslav Kvapil und Vilém Petrželka. Unmittelbar nach der Aufführung in Prag studierte er Nováks Podzimní symfonie (Herbstsymphonie, 1935) ein, eines der Hauptwerke der tschechischen Symphonik der 1930er Jahre. In einem seiner Theaterkonzerte brachte er am 4. Oktober 1936 die bisher unaufgeführte Symphonie Nr. 1 c-Moll von Antonín Dvořák zu Gehör. Der Schwerpunkt der Musikmoderne verlagerte sich, seitdem Jaroslav Vogel 1927 als Nachfolger Emanuel Bastls Opernchef in Ostrau geworden war, von Brünn dorthin. In seinen Theaterkonzerten machte er das Ostrauer Publikum mit den Hauptwerken des symphonischen Repertoires von Beethoven – einschließlich der 9. Symphonie – bis Richard Strauss (Don Juan) und Gustav Mahler (Lied von der Erde, Symphonien Nr. 1, 2 und 4) bekannt. Aus dem tschechischen symphonischen Repertoire führte Vogel mit seinem Orchester Janáčeks Taras Bulba (1929) und die symphonische Dichtung Zrání von Josef Suk (1934) auf. Mit dem Chor des „Záboj“ studierte er Ladislav Vycpáleks Kantate Blahoslavený ten člověk (Selig der Mensch, 1935) und Janáčeks Glagolitische Messe (1937) ein.

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Abbildung 50: Jaroslav Vogel

Abbildung 51: Programm der Abonnementkonzerte 1932/33 des mährisch-schlesischen Nationaltheaters mit Paul Hindemith und Igor Strawinsky

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Vogel vermochte es, sich in Ostrau, einer Stadt ohne besondere Musiktradition, auch mit Konzerten mit Werken der internationalen Moderne – oft unter Mitwirkung der Komponisten – durchzusetzen. Dreimal besuchte Paul Hindemith Ostrau, um an der Aufführung eigener Kompositionen mitzuwirken. Im ersten Konzert am 8. November 1931 trug er den Solopart seiner Kammermusik Nr. 5 für Viola und größeres Kammerorchester sowie den Violapart in Berlioz’ Harold en Italie vor. Nach seinem zweiten Konzert am 6. Dezember 1932, in dem er seine Sonate für Viola solo und das Concerto per viola d’amore e orchestra von Vivaldi aufführte, fühlte er sich schon als Stammgast in Ostrau. In diesem Konzert erklang auch Hindemiths Ouvertüre zur Oper Neues vom Tage und seine Suite 1922, op. 26, für Klavier. Zum dritten Mal besuchte Hindemith Ostrau auf Einladung des Kreises der Freunde der ernsten (Kammer-)Musik am 3. Februar 1936 aus Anlaß der Aufführung seiner Sonate für Viola und Klavier in F, op. 11 Nr. 5, und einer Auswahl von Liedern. Igor Strawinsky beehrte Ostrau mit einem Komponistenporträt, in dem er persönlich den Klavierpart seines Capriccios für Klavier und Orchester spielte. Er beteiligte sich mit Ratschlägen an den Proben von Pétrouchka, Pulcinella und der Symphonie des psaumes. Als dritter prominenter Komponist besuchte Sergej Prokofjew Ostrau, um am 9. Jänner 1935 an einem seinem Œuvre gewidmeten Konzert unter anderem mit dem Scherzo und dem Marsch aus der Oper L’amour des trois oranges teilzunehmen. Ostrau erlebte die tschechoslowakische Erstaufführung von Strawinskys Conte lyrique Le rossignol in konzertanter Aufführung am 11. Dezember 1936 und von Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta am 22. Februar 1938. Schönbergs Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene feierte hier am 8. November 1934 ihre Erstaufführung in der Tschechoslowakei. Hinter all diesen Initiativen standen niemand anderer als Jaroslav Vogel und sein Musikfreund Josef Schreiber.112 Der kulturelle Aufschwung Ostraus, das in der Zwischenkriegszeit zu einer Großstadt heranwuchs, erlaubte die Verwirklichung solcher Vorhaben. Karel Nedbal führte gleich nach seinem Amtsantritt als Opernchef in Olmütz 1920 Theaterkonzerte ein. Sein Nachfolger ab 1928, Emanuel Bastl, setzte sie fort. Zu Abonnementskonzerten machte die Theaterkonzerte erst Adolf Heller, der Opernchef der 1930er Jahre. Er bildete auch gute Spieler der Orchestervereinigung in Proßnitz heran, das er mit seinen Konzerten besuchte. An Zahl und Qualität der Orchestermusiker übertraf er seine Vorgänger. Bei der Aufführung von Smetanas Mein Vaterland 1933 saßen achtzig Musiker im Orchester. Er führte das klassische tschechische 112 Eine ausführliche Darstellung des Ostrauer Musiklebens in der Zwischenkriegszeit bietet Ivo Stolařík, Umělecká hudba v Ostravě 1918 –1938 [Die artifizielle Musik in Ostrau von 1918 bis 1938], Šenov u Ostravy 1997.

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und internationale Repertoire seiner Vorgänger weiter, wagte sich jedoch auch an anspruchsvolle zeitgenössische Werke wie etwa Janáčeks Taras Bulba (1933), Nováks Podzimní symfonie (Herbstsymphonie, 1935) und Jihočeská suita (Südböhmische Suite, 1938); ansonsten spielte er Mahler, Ravel, Debussy, Strawinsky und auch Richard Wagner (Siegfried-Idyll, 1938).

Oper und Musiktheater Die tschechische Oper in Mähren blieb auch in der Musikmoderne ein künstlerisches Prestigegenre im Sinne der nationalen Identitätsbildung. Bis zum Ende der Monarchie 1918 sorgten in den meisten Städten die Gesang- und Musikvereine oder auch Wandertruppen aus Böhmen für Opernaufführungen. Das einzige feste, professionelle Opernensemble hatte das Nationaltheater in Brünn. Es gab von August bis März im eigenen Haus neben klassischen Operetten hauptsächlich Opernvorstellungen. In den anderen Monaten war das Brünner Opernensemble in mährischen Städten unterwegs. Es gastierte auch in Wien, Preßburg, Pest, Sarajevo und Bukarest. Ostrau und Olmütz strebten zu jener Zeit die Gründung eines festen Theaters erst an – in Olmütz konstituierte sich zu diesem Zweck 1907 die Genossenschaft für die Errichtung des tschechischen Theaters, in Ostrau 1908 der Verein für die Errichtung des mährischschlesischen Nationaltheaters. Mit den Gegebenheiten gab sich auch das Brünner Nationalthater nicht zufrieden. In der Stadt lebte der frühere Gedanke eines neuen Theatergebäudes als würdiges Gegenstück zum Deutschen Stadttheater wieder auf. Die tschechische Bevölkerung der Stadt und der weiteren Umgebung fing an, durch Sammlungen und die Unterstützung seitens verschiedener Institutionen zur Finanzierung des Vorhabens beizutragen. Die Leitung der Genossenschaft wandte sich 1903 mit der Bitte um Unterstützung sogar an Kaiser Franz Joseph. 1911 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, der einige architektonisch wertvolle Entwürfe im Sezessionsstil hervorbrachte. Doch der Krieg verhinderte den Bau des neuen Theatergebäudes schließlich. So blieben die Verhältnisse im Theater unverändert. Mit einem Provisorium hatte insbesondere das Opernensemble zu kämpfen: Das ständige Orchester zählte entsprechend der Größe des Orchestergrabens zweiunddreißig Musiker, der Chor bestand aus dreiundzwanzig Sängern. Sobald aus dem Ensemble ein herausragender Solist erwuchs, war dessen Engagement ans Prager Nationaltheater absehbar. Die bescheidenen Verhältnisse des Theaters setzten auch dem Repertoire Grenzen – Musikdramen und anspruchsvollere Werke der Moderne blieben außerhalb der Reichweite des Ensembles.

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Abbildungen 52, 53: Entwürfe zum neuen Gebäude des Tschechischen Nationaltheaters in Brünn

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Zu grundsätzlichen Veränderungen im tschechischen Theaterwesen und in der Oper in Mähren kam es erst nach 1918. Die schon länger geplanten Theater in Ostrau und Olmütz kamen nun zustande. Deutsch geprägt blieb nur das Theater in Troppau, wohin jetzt auch die tschechischen Opernensembles aus Ostrau und Olmütz zu Gastvorstellungen kamen. Mit dem Übergang der Stadtverwaltung an die tschechische Mehrheit kamen die bestehenden Theatergebäude in tschechische Verwaltung. Das Vorhandensein von Theatergebäuden mit geräumigerem Orchestergraben und funk­ tionsfähigem Bühnenraum war dem Opernbetrieb qualitativ und quantitativ zuträglich. In Brünn verdoppelte sich die Zahl der Orchestermusiker auf mehr als sechzig, und auch die Zahl der Chormitglieder und Solisten nahm zu. Professionelle künstlerische Kräfte – Opernregisseure, Szeno- und Choreographen – traten an die Stelle von Praktikern (unter ihnen auch Sänger), die diese Aufgaben zuvor wahrgenommen hatten. Die verbesserten Bedingungen ließen auch eine dynamischere Programmgestaltung zu. In ihren künstlerischen Leistungen und der Publikumsresonanz konkurrierte die Brünner Oper der Zwischenkriegsszeit vielfach erfolgreich mit der Oper des Nationaltheaters in Prag. So gewann Brünn in der Opernszene die Vorrangstellung in Mähren – auch im Vergleich zur etablierten Oper der deutschen Theater.

Mitte der 1890er Jahre bis 1918 Mit der Umbenennung in „Nationaltheater“ begann für die tschechische Oper in Brünn ab der Saison 1893/94 eine neue Ära. Im Repertoire standen weiterhin tschechische Nationalklassiker wie Smetana, Dvořák und Fibich sowie deren zeitgemäße Satelliten Karel Bendl, Vilém Blodek, Josef Richard Rozkošný oder Karel Šebor im Vordergrund. Der Auswahl und Aufführung der Werke konnte nun jedoch erhöhte Sorgfalt gewidmet werden. Am 16. Dezember 1899 wurde im Brünner Nationaltheater erstmals in Mähren Libussa aufgeführt, in den Jahren 1899 bis 1901 dann alle Opern Smetanas. Dvořák wurde mit der Einstudierung einiger seiner Opern einschließlich des bis dahin in Brünn nicht aufgeführten Dimitrij und der Rusalka (1904) bedacht. Gemeinsam mit dem Schauspiel studierte das Opernorchester die melodramatische Trilogie Hippodamie von Zdeněk Fibich (1910) und einige seiner Opern ein. Ins allgemeine musikalische Bewußtsein trat die Brünner Oper jedoch erst mit der Premiere von Jenufa am 21. Jänner 1904, eines Werkes, das nach der Aufführung in Wien 1918 um die Welt ging. Die Brünner Premiere leitete Janáčeks Schüler Cyril Metoděj Hrazdira, die Regie hatte der erfahrene Theatermann Josef Malý übernommen, Leiter des Schauspiels; er war auch an den Brünner Jenufa-Aufführungen von

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1911 und 1916 beteiligt. Für die Einstudierung der revidierten Partitur sorgte 1911 der Janáček nahestehende Rudolf Pavlata, 1916 dann Josef Winkler, ein Kapellmeister ersten Ranges, der nach 1918 vom Prager Nationaltheater engagiert wurde.

Abbildung 54: Leoš Janáček, Jenufa, Titelseite des Klavierauszugs (1908). Der unbekannte Graphiker verzichtete auf die folkloristischen Motive, wie sie in den späteren Ausgaben verwendet wurden

Jenufa wurde dank mehrerer Brünner Inszenierungen (1904, 1906, 1911 und 1916) und zahlreicher Wiederaufnahmen zum Hauptwerk des heimischen Opernrepertoires. Sie galt als „mährische Nationaloper“ und wurde als solche aufgeführt. Durch ihre Musikdramaturgie und ihren Stil war sie jedoch eher dem Verismus zuzuordnen, der im Brünner Nationaltheater breiten Raum einnahm mit Mascagnis Cavalleria rusticana 1903, Puccinis La Bohème 1905, Madame Butterfly 1908, Tosca 1911, Leoncavallos Pagliacci 1896 und Zaza 1916, Charpentiers Louise und Massenets Jongleur de NotreDame, beide 1913, oder d’Alberts Tiefland 1910. Jenufa behauptete sich auch neben

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den erfolgreichsten einheimischen Novitäten: Eva (1906), Debora (1907) und Jessika (1913) von Josef Bohuslav Foerster oder Liebelei (1911) von František Neumann – letztere mußte nach ihrer Premiere in Frankfurt am Main für die Brünner Aufführung ins Tschechische übersetzt werden. Für das Opernrepertoire des Nationaltheaters in Brünn war die slawische Orientierung charakteristisch, die sich etwa in der wiederholten Einstudierung der Opern Evgenij Onegin und Pique Dame (1896 und öfter) von Peter Iljitsch Tschaikowskij manifestierte; es wurden auch Erstaufführungen der Opern Jolka (Der Christbaum, 1906) des russischen Experimentators Wladimir Iwanowitsch Rebikow und Dubrovskij (1906) des tschechischen Emigranten in Rußland, Eduard Franzewitsch Nápravník, gespielt. Das Brünner Theater führte auch die erste nationale slowenische Oper auf, Anton Försters Gorenjski slavček (Die Nachtigall von Oberkrain, 1910), das Werk eines Komponisten aus der weitverzweigten Prager Musikerfamilie der Förster (Foer­ ster), der auch Josef Bohuslav Foerster angehört. Gegen Kriegsende 1918 gelangte des Kroaten Ivan Zajc neues Opernwerk Nikola Šubić Zrinjski auf den Spielplan. Die Brünner Oper war bemüht, das Repertoire um Werke anderer Schulen zu bereichern. So wurden Verdis Otello (1902), Wagners Lohengrin (1895) und Tannhäuser (1915), wiederholt Mozarts Figaros Hochzeit (1901), Don Giovanni und Die Zauberflöte (beide 1911) sowie als mährische Erstaufführung Beethovens Fidelio (1907) auf die Bühne gebracht. Das deutsch-österreichische Repertoire war durch Carl Maria von Weber und Albert Lortzing, aus der neueren Produktion durch Karl Goldmarks Opern Das Heimchen am Herd (1898) und Die Königin von Saba (1899), Engelbert Humperdincks Hänsel und Gretel und das Melodrama Königskinder (beides 1898) sowie durch Wilhelm Kienzls Evangelimann (1902) und Der Kuhreigen (1912) vertreten. Einige davon wurden wiederholt im Nationaltheater inszeniert. Die Moderne erreichte die Oper des Brünner Nationaltheaters nur im begrenzten Maße. Die Theaterleitung zeigte zwar guten Willen durch ihr Interesse an Schicksal, der ersten modernen Oper Janáčeks. Das Werk ging durch seine Musik und die Ansprüche der Inszenierung sogar über die Kräfte des Prager „Vinohradské divadlo“ (Theater in den Weinbergen) und wurde damals nicht aufgeführt. Die tschechische Oper in Brünn sah sich vor 1918 nach wie vor der nationalen Erweckung verpflichtet. Diesem Ziel paßte sie sich durch die Orientierung auf die tschechischen Nationalklassiker und auf die Oper des neunzehnten Jahrhunderts an. Als mährischer Nationalklassiker – und als Gegenspieler Smetanas – wurde Leoš Janáček seiner Jenufa wegen wahrgenommen, obwohl diese Oper in Musikstil und -dramaturgie der gemäßigten Moderne der italienischen und französischen Veristen folgte, die auf der tschechischen Opernszene in Brünn bestens vertreten waren. Die Brünner Oper und weitere tsche-

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chische Opernbühnen in Mähren öffneten sich der Opernwelt vollends erst in der Zwischenkriegszeit, als neue, bessere Bedingungen die latenten künstlerischen Kräfte zur Entfaltung kommen ließen.

Tschechische Oper in Mähren 1918 bis 1938 Nach dem Ende der Monarchie 1918 nahm die tschechische Brünner Oper ihre Tätigkeit im Alten Theater „Na Veveří“ wieder auf. Neuer Dirigent wurde Karel Boleslav Jirák, Schüler von Vítězslav Novák und Kontrahent Janáčeks, der – von der Oper in Hamburg kommend, wo er drei Jahre gewirkt hatte – nach Brünn kam. Er studierte mit dem alt-neuen Ensemble in einer einzigen Saison Zdeněk Fibichs Musikdrama Nevěsta messinská (Die Braut von Messina), dessen komplette Trilogie Hippodamie und Smetanas Die verkaufte Braut ein. Mit der Aufführung des Werther von Jules Massenet endete jedoch Jiráks kurze Brünner Wirkungszeit. Auf Vorschlag Janáčeks wurde František Neumann neuer Opernchef, bis dahin Kapellmeister der Oper in Frankfurt am Main. Neumann wählte für seinen Einstand am 23. August 1919, als Akt hoher Symbolkraft, Janáčeks Jenufa, die noch im Gebäude des Theaters „Na Veveří“ aufgeführt wurde. Neumann präsentierte Jenufa während seines zehnjährigen Wirkens in Brünn noch zweimal: 1924 und 1926. Als Dirigent leitete er auch die Premieren der nachfolgenden Janáček-Opern Katja Kabanowa (23. November 1921, erneut 1928), Das Schlaue Füchslein (6. November 1924, erneut 1927), Die Sache Makropulos (18. Dezember 1926), der bis dahin nicht aufgeführten Oper Šárka (11. November 1925) und den ersten Teil von Die Ausflüge des Herrn Brouček (15. Mai l926). Nach Neumanns unerwartetem Tod wurde mit der musikalischen Einstudierung der Oper Z mrtvého domu (Aus einem Totenhaus) sein Schüler Břetislav Bakala beauftragt, der sie nach den Intentionen seines Lehrers aufführte. Zusammen mit dem Komponisten Osvald Chlubna, einem Schüler Janáčeks, revidierte er die ursprüngliche Partitur für die Aufführung in der irrigen Meinung, Janáček habe die Instrumentierung nicht zu Ende geführt. Der Regisseur der Premiere, Ota Zítek, änderte den Schluß des Werkes durch Hervorhebung des abschließenden Freiheitschors.113 Mit der posthumen Premiere der Oper Aus einem Totenhaus am 12. April 1930 erlebte die Brünner Oper der Zwischenkriegsära, die durch Janáček auch internationalen 113 Erst Jaroslav Vogel stellte das Original der Oper Aus einem Totenhaus für die Einstudierung im Prager Nationaltheater 1956 wieder her.

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Ruhm gewonnen hatte, ihren Höhepunkt.114 Aufgrund seiner vielseitigen Erfahrungen in Frankfurt am Main war Neumann gegenüber modernen Ansätzen der Operndramaturgie aufgeschlossen, und das kam auch seinen Janáček-Aufführungen zugute. Seine Erstaufführung von Mussorgskijs Boris Godunov 1923 provozierte Vergleiche des musikdramatischen Stils Janáčeks mit dem des russischen Meisters. Der Vergleich der Opern Janáčeks mit Debussys Pelléas et Mélisande (1921), mit Strauss’ Rosenkavalier (1925) und Elektra (1927) sowie Křeneks Jonny spielt auf (1927) bestätigte die Deutung Janáčeks als ausgesprochen mährischer, nationaler Komponist, die auf die Prager (1916) und die Wiener (1918) Premiere von Jenufa zurückging. Debussys und Křeneks Oper erlebten in Brünn ihre tschechoslowakische Premiere. Neumann plante auch die Aufführung von Alban Bergs Wozzeck. Als diese aus betrieblichen und wirtschaftlichen Gründen nicht zustande kam, brachte er zusammen mit der Brünner Premiere der Sinfonietta am 4. April 1927 wenigstens drei Orchesterfragmente daraus in einem Theaterkonzert. Er studierte auch Wagners Der fliegende Holländer und Tristan und Isolde (beide 1923) sowie Lohengrin (1926) und Die Walküre (1927) ein. Das Standardrepertoire und Premieren mährischer Zeitgenossen wie Vladimír Ambros und Osvald Chlubna überließ er dem Kapellmeister Jan Janota und seinem Schüler Zdeněk Chalabala. Ungeachtet der beträchtlichen Anzahl von Erstaufführungen – gleich in seiner ersten Saison 1919/20 waren es zweiundzwanzig – vermochte sich Neumann auch intensiv dem tschechischen Opernrepertoire zu widmen. Im Smetana-Jahr 1924 brachte er dessen sämtliche Opern. Er setzte sich auch für das Bühnenwerk Fibichs ein und führte selbst die komplette Hippodamie (1926 –28) auf. Mit der Einstudierung von Dimitrij (1926) eröffnete er den Zyklus von Dvořák-Opern. Neumann widmete sich auch den Schlüsselwerken der Prager Opernschule nach Smetana: Er selbst führte Foersters Debora (1920) auf, leitete die Premiere von Ostrčils Legenda z Erinu (Legende von Erin, 1921) und brachte aus dem Œuvre Vítězslav Nováks Zvíkovský rarášek (Der Burg­ kobold von Zvíkov, 1921), Lucerna (Laterne, 1923) und Dědův odkaz (Großvaters Vermächtnis, 1926). Auch sein eigenes Opernschaffen ließ er mit der Einstudierung von Ekvinokce (Die Äquinoktion, 1920) und Beatrice Caracci (1922) nicht außer acht. Der zielbewußte Opernchef – ab 1926 auch Theaterdirektor – sorgte zusammen mit seinem Regisseur und Dramaturgen Ota Zítek für hohe künstlerische Professionalität. Das Bühnenbild für Janáčeks Opern besorgten prominente Vertreter der tschechischen Moderne wie Eduard Milén und Josef Čapek. Unter diesen Umständen 114 Zur Premiere erschien die internationale Musikkritik; Ernst Křenek schrieb über das Werk und die Aufführung einen begeisterten Bericht.

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konnte sich in Brünn eine besondere Interpretationskultur der Werke Janáčeks entwickeln. Neumann hob auch das musikalische Niveau der Vorstellungen erheblich, sodaß es den Vergleich mit der Brünner deutschen Oper nicht zu scheuen brauchte. Im Repertoire konkurrierte die Oper der Ära Neumanns mit der des Prager Nationaltheaters. Nach 1919 bildete die Operette im Brünner Landestheater eine eigene Sparte, auch entstand ein selbständiges Ballettensemble. Letzteres begann seine Tätigkeit mit Tschaikowskijs Schwanensee (Lebedinoe ozero, 1919) und Der Nußknacker (Ščelkunčik, 1922) sowie mit Oskar Nedbals Balletten Z  pohádky do pohádky (Von Märchen zu Märchen, 1920), Pohádka o Honzovi (Das Märchen von Hans, 1921) und Princezna Hyacinta (Prinzessin Hyazinthe, 1923). Neumann setzte jedoch bald die Orientierung des Brünner Balletts auf die Moderne durch: mit der Josephslegende (1923) von Richard Strauss, dem Kinderballett Boîte à joujoux (1925) von Claude Debussy, Strawinskys L’histoire du soldat und Pétrouchka (1925), El sombrero de tres picos von Manuel de Falla und La Valse von Maurice Ravel (1928). Von der tschechischen Moderne wurden die Ballette Kdo je na světě nejmocnější (Wer in der Welt der mächtigste ist, 1925), Vzpoura (Die Revolte) und Voják a tanečnice (Der Soldat und die Tänzerin, beide 1928) von Bohuslav Martinů sowie Ogelala von Erwin Schulhoff (1927) gezeigt. Dies waren in der Mehrzahl tschechoslowakische Premieren; die meisten hat Neumann dirigiert. Das selbständige Operettenensemble gab seine Vorstellungen wechselweise im Alten Theater „Na Veveří“ und im Landestheater. Im Repertoire, das sich auf die klassische Wiener und die Pariser Operette stützte, hatten die in Mähren gebürtigen Leo Fall aus Olmütz und Ralph Benatzky aus Mährisch Budweis einen festen Platz. Von den Operetten Oskar Nedbals wurden Polenblut (1924) und Donna Gloria (1926) gespielt. Auf die Bühne gelangten ab und zu auch tschechische Operetten von Mirko Hanák, Bohumil Konrád, Karel Pečke, Rudolf Piskáček, Anatol Provazník oder Miloš Smatek. Der klassischen Operette machte zunehmend die Musikrevue Konkurrenz. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich Revuen mit lokalen Sujets – zum Beispiel Z Brna do Brna (Von Brünn nach Brünn, 1926) –, an deren Libretti der damalige Operettenchef und Schauspieler Oldřich Nový mitwirkte. Nach dem plötzlichen Tod František Neumanns, des Architekten der modernen tschechischen Oper in Brünn, löste das Kuratorium des Theaters die schwierige Situation durch ein Provisorium. Mit der Leitung der Oper beauftragte es drei Kapellmeister: neben Břetislav Bakala und Zdeněk Chalabala den aus dem slowenischen Laibach nach Brünn gekommenen Antonín Balatka. Neben Werken des Standardrepertoires gelangten unter diesem jungen Team zeitgenössische tschechische Novitäten

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auf die Bühne: Bratři Karamazovi (Die Brüder Karamazow) von Otakar Jeremiáš, die komische Oper Bílý pán aneb Těžko se dnes duchům straší (Der weiße Herr oder Heute haben es die Gespenster schwer, beide 1929) von Jaroslav Křička, Plameny (Die Flammen) von Erwin Schulhoff und Ňura von Osvald Chlubna (beide 1932). Brünn führte noch vor Prag Wagners Siegfried (Dirigent: Antonín Balatka, 1932) erstmals tschechisch auf. Mit der Premiere von Knjaz’ Igor (Fürst Igor, 1930) von Borodin, Aufführungen von Opern Tschaikowskijs und Mussorgskijs sowie einigen Bühnenwerken aus Jugoslawien setzte sich slawisches Repertoire durch. Das Kuratorium des Theaters agierte bei der Berufung eines neuen Opernchefs vorsichtig. Für Milan Sachs, einen kroatischen Dirigenten tschechischer Herkunft, entschloß es sich erst nach zwei Probevorstellungen im Rahmen einer Bewerbung, Wagners Parsifal und Verdis Falstaff. Sachs wurde zum 31. August 1932 engagiert – für seine Antrittsvorstellung wählte er Smetanas Dalibor. Danach studierte er sämtliche Opern Smetanas und eine Auswahl von Opern Dvořáks ein; als Novität gab er am 26. Mai 1934 die Oper Honzovo království (Hansens Königreich) von Otakar Ostrčil, seinem Kollegen am Prager Nationaltheater. Milan Sachs setzte sich wie Neumann stark für Janáček ein, von dem er als erster beide Teile von Die Ausflüge des Herrn Brouček am 27. November 1937 zusammen aufführte. Neumanns und Sachs’ Auffassungen Janáčeks unterschieden sich allerdings voneinander. Der bedeutende Kritiker der Brünner Oper der Zwischenkriegsära, Gracian Černušák, charakterisierte sie folgendermaßen: Neumanns Reproduktion der Janáčekschen Werke war vor allem durch heftige Expressivität charakterisiert, die manchmal zermalmende Wirkung erreichte, in der aber die Musik vor allem Ausdruck eines nichtmusikalischen Geschehens wurde. Sachs widmete seine Hauptbemühung einem tiefgreifenden Erlebnis und der Erhebung einer solchen Großzügigkeit des gesamten Aufbaus, daß die Komposition oft in einem neuen Licht erschien.115 Sachs’ Janáček war gegenüber Neumanns dramatischer Auffassung eher lyrisch angelegt. Die Synthese dieser Zugänge wurde dann zur grundlegenden Auffassung der Schüler und Mitarbeiter beider nach 1945. Vom großen Repertoire gab Sachs Fidelio, Lohengrin, Verdis Otello sowie Salome und Der Rosenkavalier von Richard Strauss. Brünn erlebte weitere tschechische Uraufführungen: von Bohuslav Martinů Hry o Marii (Das Wunder Unserer Lieben Frau bzw. Marienspiele) am 23. Februar 1935 und Divadlo za branou (Das Vorstadttheater) am 20. April 1936, die Oper Šarlatán (Der Scharlatan) von Pavel Haas am 2. April 1938 und einige Werke aus Jugoslawien (Krezimir Baranovitsch, Jakov Gotovac, Petar Konjowitsch). Zahlreich und auf ausgezeichnetem Interpretationsniveau wurden Werke von Borodin, Mussorgskij, Rimskij-Kor115 Lidové noviny [Volkszeitung], 2. März 1937.

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sakow und aus Strawinskys „russischer“ Periode aufgeführt. Von russisch-sowjetischen Komponisten wurde dargeboten, darunter einiges als tschechoslowakische Premiere: das Revolutionsballett Krasnyj mak (Roter Mohn, 1935) von Reinhold Glière, Ledi Makbet Mcenskogo ujezda (Lady Macbeth des Mzensker Kreises, 1936) von Dmitrij Schostakowitsch, Tichyj Don (Der stille Don, 1937) von Iwan Dsershinskij (1909 –1978), von Sergej Prokofjew die Ballette Skazka pro šuta semerych šutov perešutiščego (Das Märchen von einem Narren, der sieben andere Narren überlistet hat, 1935) und Romeo und Julia, das in seiner vollständigen Form am 30. Dezember 1938 in Brünn unter Guido Arnoldi, einem früheren Abbildung 55: Milan Sachs Mitarbeiter der „Balets russes“ von Sergej Djaghilew, seit 1928 Ballettmeister und Choreograph des Brünner Landestheaters, seine Weltpremiere erlebte. Das Opernensemble hatte zu dieser Zeit ausgezeichnete Regisseure: den Kroaten Branko Gavella und Rudolf Walter. Für einige Inszenierungen lud das Theater externe Bühnenbildner ein. Das Bühnenbild für Der stille Don entwarf der Russe Nikola Benois, jenes für Mussorgskijs Chowanschtschina (1933, Dirigent: Zdeněk Chalabala) der russische Maler Pavel Froman und für Pskovitjanka (Das Mädchen von Pskov, 1938, Dirigent: Milan Sachs) Wladimir Scherdschinski. Milan Sachs, nach František Neumann die zweite bedeutende Persönlichkeit der Brünner tschechischen Oper in der Zwischenkriegsära, wurde schon 1938 wegen seiner jüdischen Herkunft von tschechischen Faschisten angegriffen. Anfang 1939 konnte er rechtzeitig nach Kroatien entkommen; er kehrte nicht mehr nach Brünn zurück. Der Weg hin zu einem eigenständigen tschechischen Theater in Troppau wurde auch nach 1918 durch einen Mangel an geeigneten künstlerischen Kräften erschwert. Die Opern- und Operettenvorstellungen in tschechischer Sprache besorgten die ganze Zwischenkriegszeit hindurch Künstler aus Ostrau, teilweise auch aus Olmütz. Ab April 1920 gastierte im Troppauer Stadttheater die Ostrauer Oper, überwiegend mit tsche-

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chischem Repertoire: Smetana, Dvořák, Janáček. Die Ostrauer kamen nach Troppau auch mit Wagners Tannhäuser, Lohengrin und Die Meistersinger von Nürnberg sowie Beethovens Fidelio, obwohl diese Opern auch im Repertoire des ansässigen deutschen Theaters waren. Auch Olmütz bediente das Troppauer tschechische Publikum in den 1930er Jahren mit attraktiven Werken, etwa 1932 mit Mussorgskijs Boris Godunow. Feste tschechische Theater mit eigenen Opernensembles entstanden nur in Ostrau und Olmütz. Das entsprach der Tradition, die sich in diesen Städten schon vor 1918 herausgebildet hatte, und es entsprach dem tschechischen Bevölkerungsanteil, der durch Eingemeindung der Vorstädte und Zuzug von Tschechen aus der weiteren Umgebung erheblich gewachsen war. Auch im Bereich der Kultur neigte sich die Waage nun gleichsam zu Gunsten der Tschechen. Die mehrheitlich tschechischen Stadtvertretungen vermieteten die städtischen Theatergebäude vorzugsweise an die genossenschaftlich organisierten tschechischen Theater. Später kamen das Ostrauer und das Olmützer Theater ähnlich wie die Schwesterbühne in Brünn unter die Verwaltung von Stadt und Land. Die tschechische Oper in Ostrau eröffnete ihre neue Ära mit Smetanas Libussa. Es folgten Die verkaufte Braut und andere Opern des tschechischen und internationalen Repertoires. Der regelmäßige Opernbetrieb begann 1920, als Emanuel Bastl als erster Kapellmeister an die Spitze der Oper getreten war; 1922 bis 1927 wirkte er als deren Chef. Das tschechische Publikum in Ostrau kannte Bastl schon von seinem früheren Wirken in der Operngesellschaft von Antonín Frýda-Frýdl, doch erst jetzt konnte er seine Erfahrungen als Dirigent, sein Bemühen um künstlerische Wahrhaftigkeit und lebendiges dramatisches Fühlen vollauf zur Geltung bringen, wie ein Kritiker schrieb. Bastl stützte sich auf das internationale (Mozart, Beethoven, Wagner, Verdi, Tschaikowskij) und das tschechische Stammrepertoire (Smetana-Zyklus 1924, Opern und Melodramen Fibichs). Er führte in Ostrau auch Janáček auf: 1920 Jenufa, 1922 Katja Kabanowa. Er war ein Mann des Aufbaus – den großen Musikdramen und der Moderne war das Ostrauer Opernensemble in seiner Ära noch nicht gewachsen. Zur bedeutendsten Persönlichkeit des Musiklebens im Ostrau der Zwischenkriegszeit wurde Jaroslav Vogel. Als Opernchef pflegte er mit seinem Kapellmeister Mirko Hanák, einem Schüler Leoš Janáčeks, das gängige Opernrepertoire. Hanák überließ er die Einstudierung einiger interessanter Titel, außer zeitgenössischen tschechischen Opern von Josef Bohuslav Foerster, Vítězslav Novák, Otakar Ostrčil und anderen auch Ernst Křeneks Jonny spielt auf (1929). Mit der tschechischen Premiere von Křeneks Einakter Schwergewicht oder Die Ehre der Nation (1931) beauftragte er Josef Bartl, einen weiteren Kapellmeister. Vogel selbst konzentrierte sich auf die großen Werke des internationalen Repertoires: Wagners Die Meistersinger von Nürnberg (1928), Parsifal (1929) und Lohengrin (1931), Verdis Falstaff (1933), Borodins Fürst Igor (1933), Der

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Rosenkavalier (1928) und Salome (1931) von Richard Strauss. Als tschechische Premiere führte er Hermann Reutters Doktor Johann Faust (1938) auf, woraus im Ostrauer Rundfunk Ausschnitte gesendet wurden. Die Ostrauer Oper gastierte mit diesem Werk auch in Troppau. Vogel inspirierte das Ostrauer Ballettensemble, neben dem klassischen Repertoire auch moderne Werke aufzuführen, die er dann auch selbst dirigierte: Erich Wolfgang Korngolds Der Schneemann 1927, Strawinsky, Satie, de Falla. Während seiner Ostrauer Wirkungszeit profilierte sich Vogel zu einem herausragenden Janáček-Interpreten. Er brachte Jenufa (1934, 1938) und Katja Kabanowa (1938) auf die Ostrauer Bühne zurück und stand bei den Ostrauer Premieren von Z mrtvého domu (Aus einem Totenhaus, 1932), Věc Makropulos (Die Sache Makropulos, 1935) und Příhody lišky Bystroušky (Das schlaue Füchslein, 1936) am Dirigentenpult. Vogels Orchester hatte nur 37 feste Mitglieder, der Chor 26 – ähnlich wie bei Abonnementskonzerten zog er bei Bedarf tüchtige lokale Laienmusiker hinzu. Vogel wirkte in Ostrau bis 1943. Die tschechische Oper in Olmütz wirkte in der Zwischenkriegszeit einerseits in der Stadt selbst, andererseits unternahm sie Gastreisen in andere Städte. Karel Nedbal, erster Chef von 1921 bis 1928, schildert in seiner Autobiographie Půl století s českou operou (Ein halbes Jahrhundert mit der tschechischen Oper, 1959) farbig die Reichweite seines Wirkens bis nach Karlsbad (Karlovy Vary), Brüx (Most), Reichenberg (Liberec, am 24. Mai 1924 mit der Erstaufführung von Die verkaufte Braut), Iglau (Jihlava), Znaim (Znojmo) und anderen Städten. 1923 gastierte die Olmützer Oper in Prag. Es folgten Auslandsreisen nach Wien mit Smetana, Dvořák und Janáček (erste tschechische Aufführung von Jenufa in Wien, 1924) und nach Krakau mit tschechischer Symphonik. Regelmäßige Gastspiele in Proßnitz (Prostějov) im Theater des dortigen Volkshauses (Narodní dům) machten dieses zu einer Art Zweigstelle der Olmützer Oper. Das Repertoire des Ensembles wurde jedoch im Olmützer Stadttheater geformt. Grundlage waren die tschechische und die internationale Opernliteratur. 1924 gab es einen vollständigen Smetana-Zyklus. Karel Nedbal wagte sich mit seinem kleinen Orchester auch an Salome (1922), Der Rosenkavalier (1926) und Elektra (1928). Als Karel Nedbal Opernchef des Slowakischen Nationaltheaters in Preßburg (Bratislava) wurde, übernahm Emanuel Bastl dessen Posten (1928 –32); ihm wiederum folgte als neuer Opernchef Adolf Heller (1901–1954), ein Prager Schüler Zemlinskys. Als Regisseur wurde der durch Studienaufenthalte an der Moskauer Theaterschule Alex­ander Jakowlewitsch Tairows geprägte Oldřich Stibor verpflichtet, als Bühnenbildner wirkte der modern eingestellte Josef Gabriel. Neben dem unumgänglichen Standardrepertoire eines festen Hauses bot das neue Team dem Publikum jedoch auch Neues. Ihre erfolgreiche tschechoslowakische Premiere feierte in Olmütz Strauss’ Arabella (1933), gefolgt von Ariadne auf Naxos (1934).

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Ein besonderes Ereignis war die Einstudierung von Monteverdis Orfeo (1935). Tschechoslowakische Premieren unter Hellers Dirigat erlebten Zemlinskys Der Kreide­kreis (1934) und Roussels Spiel mit Gesängen Le Testament de la Tante Caroline (1936). An Russischem gab das Theater Boris Godunow von Mussorgskij (1933, Hellers Antrittsvorstellung) und Ledi Makbet Mcenskogo ujezda von Schostakowitsch (1936, Dirigent: Jaroslav Budík). Wagner war mit Parsifal (1933) vertreten. Von der neuen tschechischen Produktion gab es unter anderem Janáčeks Jenufa (1934), Das schlaue Füchslein (1935) und Šárka (1938). In Olmütz hatte auch Dvořáks Erstlings­oper Alfred am 19. Dezember 1938 ihre Vorpremiere, die der Komponist 1870 auf einen deutschen Text geschrieben hatte. Oldřich Stibor – 1943 im Konzentrationslager umgekommen – wagte sich in seiner Regie zu einer betont modernen Darstellung vor. Der Historiker der Olmützer Oper, Vladimír Hudec, erwähnt das zunehmende Niveau von Hellers Vorstellungen. So nahm Olmütz in den 1930er Jahren einen bedeutenden Platz im Musikleben Mährens ein. Der seiner jüdischen Herkunft wegen gefährdete Heller verließ Olmütz rechtzeitig Anfang Jänner 1939 und führte seine künstlerische Karriere in den USA fort, wo er 1954 in Los Angeles starb.116

Die Komponisten Leoš Janáček Im Sommer 1895 wurden in Konzerten der „Heimatkundlichen tschecho-slawischen Ausstellung“ [Národopisná výstava českoslovanská] folkloristische und artifizielle Chöre von Pavel Křížkovský, Arnošt Förchtgott-Tovačovský und Josef Nešvera sowie die Moravské tance für Orchester von Josef Čapek Drahlovský aufgeführt. Für die mährische Musik waren die Prager Ausstellungskonzerte wichtig – in repräsentativer Auswahl stellten sie deren künstlerische Richtung und Niveau einer breiteren Öffentlichkeit vor. Erstrangige Gesangvereine aus Mähren – der Brünner Beseda-Verein, der Olmützer „Žerotín“ und das von Karel Kovařovic geleitete Ausstellungsorchester – nahmen sich der Werke an.117 Leoš Janáček war in diesen Konzerten nicht vertreten – möglicherweise wollte er sich als Schriftführer der Heimatkundlichen Sektion für Musik nicht selbst aufs Programm setzen; vielleicht wollte er aber auch Komplikatio116 Zur Ära Heller in Olmütz siehe Vladimír Hudec, Causa Heller. Episoda z bojů o charakter ostravského divadla [Die Causa Heller. Eine Episode in der Auseinandersetzung um den Charakter des Ostrauer Theaters], in: Acta Universitatis Palackianae Olomucensis. Musica I, Praha 1984. 117 Dazu Jiří Vysloužil in: Sehnal/Vysloužil, Dějiny hudby na Moravě, S. 183f.

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nen mit dem Brünner Beseda-Verein und mit Karel Kovařovic vermeiden, den er mit seiner Kritik an dessen Oper Ženichové (Die Bräutigame) in den Hudební listy (Musikblätter) nach der Brünner Premiere 1887 verärgert hatte.118 Leoš Janáček engagierte sich mit Begeisterung für die mährischen Musiktage im Rahmen der Ausstellung. Nach der Ablehnung von Šárka durch den Dichter Julius Zeyer und der äußerst selbstkritischen Reflexion von Počátek románu (Beginn eines Romans) wollte er wohl vorläufig in der Prager Öffentlichkeit als Komponist nicht in Erscheinung treten. Es gab dafür aber auch künstlerische Gründe. Ungefähr Ende des Jahres 1894 begann er eine Oper „aus dem mährischen Landleben“ zu schreiben – Její pastorkyňa (Ihre Ziehtochter, später Jenufa) nach dem Drama von Gabriela Preissová –, die stilistisch völlig anders als Počátek románu ausfiel. In der Entstehungszeit von Jenufa (1894 –1903) schuf er weitere interessante Werke wie die Kantate für Soli, den gemischten Chor und Orchester Amarus auf Verse seines bevorzugten Prager Dichters Jaroslav Vrchlický (1897), die ersten fünf Nummern des ursprünglich fürs Harmonium komponierten intim-poetischen Klavierzyklus’ Po zarostlém chodníčku (Auf verwachsenem Pfade, 1901/02) und Čtvero mužských sborů moravských (Vier mährische Männerchöre, 1904, Worte: Ondřej Přikryl, Volkspoesie). Auch fing er an, an der Oper Osud (Das Schicksal) zu arbeiten. Von Janáčeks Kompositionen dieser Jahre sind Amarus und Její pastorkyňa (Jenufa) die bedeutendsten, weil sie die Reifung des musikalischen und musikdramatischen Stils des Komponisten dokumentieren. Mit Amarus schuf Janáček sein erstes vollendetes großes Werk, dessen Musik in manchem an Šárka anknüpft, diese aber in seiner formalen Geschlossenheit vielleicht noch übertrifft. Der Epilog der Kantate, ein Trauermarsch, ist die monumentale Klage über das Schicksal und den Tod eines verlassenen Mönchs, der Zeit seines Lebens nicht zu erkennen vermochte, was die Liebe ist. Janáček mag bei der Komposition auch seiner eigenen Jugendjahre gedacht haben, die er im Altbrünner Kloster ver­ bracht hatte. Amarus fehlt es nicht an autobiographischen Momenten. Darauf deutet auch die subjektive, emotional einnehmende Musik des Werks. Amarus ist in Bezug auf Text und Kompositionsmittel zugleich das erste eigenständige Werk der tschechischen Musikmoderne in Mähren. Zu neuen musikalischen Ufern strebt Janáček hier in seiner musikalischen Deklamation. Er emanzipiert sie vom metrischen Maß des jambischen Verses und ordnet die Musik den ausdrucksmäßigen Kriterien der semantisch wichtigen Worte und Phrasen unter. In der vokalen Diktion erscheinen an manchen Stellen der Kantate bereits Andeutungen von Sprechmelodien,

118 Janáček, Literární dílo [Schriften], I, S. 122.

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die Janáček zur Entstehungszeit des Amarus zu studieren und aufzuzeichnen begann.119 Sie gehen rhythmisch-melodisch modifiziert vom Gesang ins Orchester über, wo sie sich wiederholen und abwandeln. Diese Motive sind nicht nur rein musikalisch. Leoš Janáček verläßt in Amarus ähnlich wie vorher in Šárka die formalen Prinzipien der klassizistischen Ästhetik. Das lydisch gestimmte Motiv des Amarus hat seinen Ursprung in der vokalen Sprechmelodie „Tož Amarus jej zvali“ (War Amarus sein Name).120 Die Sprechmelodie erklingt gleich in der Einleitung des ersten Teils im Orchester; zunächst in mitleidsvoll-ironisierender Gestalt im Horn (marcato), danach exponiert im lyrischen Ausdruck der Streicher (espressivo). Auch im Epilog kommt die Kantate auf das Motiv des Amarus zurück. Durch das Übergehen der vokalen Sprechmelodien ins Orchester, durch ihre Wiederholung und Verschiebung in verschiedene Tonarten entsteht in Janáčeks Musik eine besondere Art von motivischer Arbeit, die dann mit der Janáček eigenen Konsequenz in Jenufa zur Anwendung kommt. Die beiden Werke unterscheiden sich jedoch im Genre, im Sujet und durch den unterschiedlichen Bezug zur Folklore voneinander. In Amarus treten die Folklorismen nicht hervor, in Jenufa dagegen bestimmen die metrisch-rhythmischen und tonalen Idiome der Folklore den Musikstil. In der Oper kommt Volksmusikalisches sogar direkt vor: In der Rekrutenszene im 1. Akt und in der Hochzeitsszene im 3. Akt sind Volksliedtexte vertont, in Jenufas Monolog im 2. Akt ist es der Text eines volkstüm­ lichen Gebets. Die Musik zu den Texten ist indessen originärer Janáček, ebenso die Sprechmelodien, mit denen er in Jenufa bereits konsequent arbeitet. Von der Musik in Jenufa hat Janáček gesagt, daß keine einzige Note Volksliedern entnommen sei. Der Komponist hat lediglich aus den Volkstonarten (Modi) und der kompliziert-differenzierten Rhythmik der Volkstänze sowie der gedehnten, taktlosen Volkslieder geschöpft, die seiner Ansicht nach der Volkssprache so nahe stehen. In den Einleitungen zum 2. und 3. Akt kommt die dorische, in der Schlußkatharsis die ionische, eigentlich die diatonische Dur-Tonart vor. Die Modi der Volkstonarten – die auch tetrachordale und ganztönige Gebilde enthalten – entfernen Janáčeks Melodik von den abgeschliffenen Terzen- und Tonleiterläufen des melodisch-harmonischen Dur-Moll-Systems. Janáček meidet in Jenufa die rhythmischen Stereotype der einfachen Takte. Nach dem Vorbild der Volksmusikkapellen, die er auf seinen Sammelreisen hörte und deren Musik er aufzeichnete, weicht auch seine Harmonik in jähen Übergängen in entferntere Tonarten aus. 119 Vgl. Jiří Vysloužil, Zum Wort-Ton-Verhältnis bei Dvořák und Janáček, in: Wort-Ton-Verhältnis. Beiträge zur Geschichte im europäischen Raum, hrsg. von Elisabeth Haselauer, Wien –Köln – Graz 1981, S. 81–100. 120 Die deutsche Übersetzung respektiert die tschechische Deklamation des Namens, bei welcher der Haupt­ akzent auf der ersten Silbe A- liegt – alle drei Silben des Wortes sind kurz zu sprechen.

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Notenbeispiel 14: Leoš Janáček, Das charakteristische sprechmelodische Motiv „Tož Amarus jej zvali“ („War Amarus sein Name“)

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Gabriela Preissová hat ihr Stück, das als literarische Vorlage für Její pastorkyňa (Jenufa) diente, im Untertitel als „Drama aus dem mährischen Landleben“ bezeichnet. Dem entspricht das Werk in Bezug auf den Handlungsort, die psychologischen Zeichnung der Gestalten und die mährischen Dialektelemente des Librettos. Eine Besonderheit des Bühnentextes stellt auch die Prosa dar, die Janáček in seinem gegenüber der Vorlage stark bearbeiteten Libretto bewahrt hat. Der Komponist bemächtigt sich der ungebundenen Rede seiner Gestalten mittels der Sprechmelodien, deren Vorbilder er in der natürlichen Umgangssprache findet. Die Sprechmelodien sind für ihn ein Fensterchen in die Seele, hinter dem gleich wie durch einen Zauber das menschliche Wesen in einer bestimmten Lebensphase erscheint,121 sie sind die Quelle der künstlerischen Wahrheit und Neuheit seines musikdramatischen Stils. Leoš Janáček verwendet zwar in Jenufa oft noch die Form geschlossener Nummern im Sinne der Oper des 19. Jahrhunderts, unter dem Einfluß des Prosa-Librettos und durch die Methode der Sprechmelodien wird jedoch in seiner Operndramaturgie das dualistische Prinzip von Arie und Rezitativ aufgelöst. Jenufa wird wegen ihres Lokalkolorits (couleur locale) oft als die mährische Natio­ naloper angesehen – so schon bei der Premiere im Brünner Nationaltheater „Na Veveří“ am 21. Jänner 1904. Doch schon die Erzählung der Gabriela Preissová behandelt im Rahmen des Sujets allgemein-menschliche Fragen – eine bürgerliche Tragödie, übertragen ins rustikale Milieu. Die durch den Tod des unehelichen Kindes ausgelöste Tragödie war bereits Thema von Amarus, dort jedoch auf symbolischer Ebene und dabei reich an eindrucksvoll suggestiven Stimmungen. Amarus stirbt, als er vergißt, Öl in das ewige Licht nachzugießen. Ein ähnliches Motiv: die Ermordung des unehelich geborenen Kindes durch die Küsterin, soll Jenufa, nach den gültigen Gesetzen der Gemeinde der Todsünde schuldig, vor der Schmach bewahren. Jenufas Drama verläuft im Unterschied zu Amarus in der Realität des Bühnengeschehens. Schließlich ist es Laca, der Jenufa durch seine „ausdauernde und wahrhaftige Liebe“ von Demütigung und Schmach erlöst. Beide gehen ausgesöhnt nach einem neuen besseren Leben. Das lyrische Drama des Amarus ist durchaus tragisch – Jenufa dagegen ist eigentlich eine moderne lyrische Tragödie. Trotz mancher Bindungen an die Dramaturgie der Nummernoper ist Jenufa eine moderne Oper – die Folklore in ihr bildet keineswegs eine Barriere gegen die übrige artifizielle Musik der Zeit. Janáček nimmt in der Entstehungszeit von Jenufa auch die Musik seiner Zeitgenossen wahr und schreibt über sie in seinen Opernkritiken des 121 Bohumír Štědroň, Janáček ve vzpomínkách a dopisech [Janáček in Erinnerungen und Briefen], Praha 1946, S. 138.

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Brünner tschechischen Theaters. Auch analysiert er die Opern von Smetanas Nachfolger Zdeněk Fibich.122 Nach Fibich ist Leoš Janáček der zweite tschechische Komponist, der auf ein vorhandenes, wenn auch stark bearbeitetes Schauspiel zurückgreift: Jenufa ist ähnlich wie Fibichs Die Braut von Messina (1883) eine Literaturoper, im Unterschied zu dieser jedoch in Prosa, deren Formprinzipien die Musikdramaturgie auch in allen weiteren Opern Janáčeks wesentlich beeinflußten. Auf die künstlerische Besonderheit und Bedeutung von Jenufa verweisen auch Charakteristika der Musik. Jaroslav Vogel hat Jenufa später in Bezug auf Stoff und Musik nicht nur für die mährischste, sondern zugleich für die italienischste tschechische Oper gehalten – er bezieht sich damit auf den italienischen Verismo.123 Damit gehörte Janáček nun in den Kontext der Moderne um 1900 – er hatte die Barrieren des Regionalismus überwunden. Ein impressionistisch gestimmter Franzose könnte in der Modalität, teilweise auch in den Ganzton- und Quartfolgen, im seltsamen klanglichen Fluidum der „entblößten“ Stimmen – ohne die romantisierenden Retuschen Karel Kovařovics – und in der Auflockerung der akkordischen Verbindungen gewisse Parallelen zu Debussy erkennen, den Janáček zur Zeit von Jenufa noch nicht kannte. Bei jedem Vergleich mit dem Impressionismus muß man jedoch auch an durchaus eigenständige Grundlagen von Janáčeks Musik denken. Mit Jenufa erreichte der Folklorismus bei Janáček seinen Höhepunkt – der Komponist wurde sich der Möglichkeiten, die er in der Oper hatte, bewußt. Über Themen „aus dem mährischen Landleben“ hinaus erweiterte er seinen Horizont durch Besuche Prags sowie durch Studien. 1903 erlebte er die Prager Aufführung von Gustave Charpentiers Louise und war beeindruckt, 1906 gestand er nach dem Erlebnis von Richard Strauss’ Salome in einem Interview der Prager Zeitschrift Dalibor, er würde dadurch aus der Kleinheit des tschechischen Brünner Musiklebens herausgeführt.124 Der von persönlichen und schöpferischen Krisen verfolgte Janáček suchte so seinen Platz in der modernen Musik seiner Zeit und Generation. Gustave Charpentier brachte ihn zum bürgerlichen Musiktheater, zum ersten Mal realisiert in den drei Bildern der Oper Ošud (Schicksal, 1903–07). Mögliche Prägungen durch Charpentiers Sprechmelodien sind zu vernachlässigen, da Leoš Janáček mit derlei Intonatio­nen be122 Z. B. Fibichs Oper Hedy, die manchmal als „tschechischer Tristan“ bezeichnet wird. Leoš Janáček, Literární dílo, I, S. 248f. 123 Jaroslav Vogel, Leoš Janáček. Leben und Werk, Prag 1958, S. 197f. 124 Janáček weiter: Die Salome hat mich aufgeregt. Zunächst konnte ich im Strom des Orchesters fast nichts erkennen, aber nach einer Weile verfolgte ich sicher die markanten melodischen Motive, zum Beispiel das Militärmotiv [...]. Der musikalische Teil der Salome. Der ist von der ganzen Partitur am vortrefflichsten. Und dann erinnere ich mich der musikalischen Illustration zum tragischen Tod des Jochanaan. Sie wirkte auf mich mit einem unbeschreiblichen Eindruck (1906). Janáček, Literární dílo, I, S. 359.

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reits in Jenufa arbeitete. Richard Strauss sah Janáček als Komponisten einer fürchterlichen Musik zu fürchterlichen Worten mit rauhen Klängen. Er verstand dessen große Partituren, doch ertrug er nicht, daß dieser in der Komposition jedes Motiv in allen Instrumenten mit außergewöhnlichem Lärm auspreßte. Doch Janáček grenzte sich gegen eine derart lärmende Musik ab. Man muß sich gleichwohl die Frage stellen, was Richard Strauss als Symphoniker für den Komponisten Leoš Janáček bedeutete, und zwar nicht nur für die Programmkompositionen – die Orchesterballade Šumařovo dítě (Des Spielmanns Kind, 1914) nach Svatopluk Čech und die Orchesterrhapsodie Taras Bulba (1918) nach Gogol –, sondern auch in Hinsicht auf die behutsame „Symphonisierung“ der Partituren der Oper Ošud und der Opernburleske Výlety pana Broučka (Die Ausflüge des Herrn Brouček, 1917), ebenfalls nach Svatopluk Čech, wo es schon zum „Aufrichten“ des Wort-Ton-Verhältnisses125 kommt. Einige Motive in Kompositionen mit Worten haben schon rein instrumentalen Charakter. Auf Debussy bezieht sich in Janáčeks Úplná nauka o harmonii (Vollständige Harmonielehre, 1912) eine einzige Bemerkung: […] bei Cl. Debussy bekommt die Harmonie solche strahlende akkordische Farben, als ob die Sonne bei ihrem Untergang mit ihnen auf dem Meeresspiegel spielte […]126. Damit formuliert Janáček eines der Paradigmen des Impressionismus angesichts bestimmter Naturerscheinungen. In Jenufa zeigt sich derlei nicht – wenn wir das Klappern des Mühlrads (Xylophon) nicht für eine Natur­ erscheinung halten wollen. Den Zauber eines Natureindrucks wußte Janáček schon 1897 in der Kantate Amarus zu vergegenwärtigen. Wir finden ihn in der musikalischen Darstellung des Weltalls im 1. Teil der Brouček-Oper beim Flug des Herrn Brouček auf den Mond, in der Kantate Věčné evangelium (Ewiges Evangelium, 1914) nach Jaroslav Vrchlický und in einigen Liedern des Zyklus Zápisník zmizelého (Tagebuch eines Verschollenen, Text: Josef Kalda, 1919). Viel impressionistische Musik ist auch in den Klavierzyklen Po zarostlém chodníčku (Auf verwachsenen Pfade, 1901– 08) und V mlhách (Im Nebel, 1912) enthalten. Diese Beispiele belegen die Selbständigkeit und Kontinuität im Werke Janáčeks sowie seine Bereitschaft, Impulse zu empfangen. Ein Beleg für Janáčeks eigenständigen Impressionismus sind die von Volksweisen und aus der Volkssprache übernommenen festen rhythmisch-melodischen Konturen.

125 Leoš Janáček meinte mit dem Ausdruck „aufrichten“ – tschech. „narovnání“ – eine größere Wölbung seiner Sprechmelodien unter dem Einfluß der instrumentalen Musik. Diese Erscheinung verfolgte er auch am Volkslied. Vgl. Leoš Janáček, O lidové písni a lidové hudbě. Dokumenty a studie [Über das Volkslied und die Volksmusik. Dokumente und Studien], hrsg. von Jiří Vysloužil, Praha 1955, S. 307f. 126 Leoš Janáček, Hudebně teoretické dílo [Musiktheoretische Schriften], II, 1974, S. 317.

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Der Impressionismus erstreckt sich in Janáčeks Werk auch in die Zeit, als die Neue Musik in Frankreich – die „Groupe des Six“ – ihn bereits ablehnte. In dieser Zeit hat Janáček Debussy wirklich studiert, worauf Miloš Štědroň127 hingewiesen hat. Ohne die Beschäftigung mit Debussy wäre Janáčeks Musik von Káťa Kabanová (1921, nach Alexander Ostrowski), Příhody lišky Bystroušky (Das schlaue Füchslein, 1923, nach Rudolf Těsnohlídek) oder einigen der Říkadla (Kinderreime, Texte der Volkspoesie, 1925/27) wohl kaum so, wie sie ist. Janáček verwendet impressionistische Motive in der Art der symbolistischen Poetik – unübertrefflich in der Szene von Káťas Tod im vermenschlichten Motiv der Wolga. Debussy findet auch in Janáčeks Dankrede von 1925 für den Ehrendoktortitel der Masaryk-Universität in Brünn Spondeo ac polliceor Erwähnung,128 in der er sein spätes Denken über Musik, insbesondere die der Moderne, formuliert hat. Genannt werden darin auch Richard Strauss, Gustav Mahler, Arnold Schönberg und Franz Schreker. In der deutschen Ausgabe von Janáčeks Feuilletons und in seiner umfangreichen Korrespondenz werden diese Komponisten wiederholt erwähnt, ebenso Igor Strawinsky, Alban Berg und auch Ernst Křenek, deren Musik er damals begegnete. Janáčeks Blickfeld hatte sich geweitet; Anteil daran hatten seine Begegnungen mit der Neuen Musik auf den Festivals der IGNM seit 1923. Janáček mochte die Festivals der modernen Musik, wie er nach seiner Venedig-Reise im Feuilleton Basta! von 1925 schreibt.129 Unter dem Vorzeichen der allgemeinen Abkehr von der Spätromantik grenzte sich Janáček in den 1920er Jahren von der klanglichen Überladenheit der Partituren von Richard Strauss und Gustav Mahler ab. Arnold Schönberg, Franz Schreker und Claude Debussy kamen ihm insofern entgegen, als sie ähnlich wie er nicht nur in Dur und Moll atmeten. Doch hat er keine Anleihen bei Schönbergs freier Atonalität oder bei dessen Dodekaphonie genommen, die ihm nach dem Anhören der Serenade op. 24 ganz wesensfremd blieb. Janáčeks Musik ist – einen erweiterten (über die Dur-MollTonalität hinausgehenden) Tonalitätsbegriff vorausgesetzt – bis in die letzte Note tonal geblieben, auch dort, wo er der Wiener Schule Schönbergs am nächsten kam. Janáček grenzte sich ideell gegen Schönberg und Schreker ab. Er hielt ihnen vor, vergessen zu haben, was ein schöner Ton in der Musik ist – bei Janáček fließen Wahrheit und Schönheit ineinander –, mit dem die Vielschichtigkeit des Lebens, einerseits die äußerste Wahrheit, zugleich aber die ewige Jugend, Licht, ausgedrückt werden können.130 127 Miloš Štědroň, Leoš Janáček a hudba 20. století. Paralely, sondy, dokumenty [Leoš Janáček und die Musik des 20. Jahrhunderts. Parallelen, Sonden, Dokumente], Brno 1998. 128 Leoš Janáček, Literární dílo, I, S. 551f. 129 Ebenda S. 566. 130 Ebenda S. 617.

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In der dem Leben zugewandten Haltung im Geiste des christlichen Pantheismus liegen Sinn und Bedeutung der Katharsis bei Jenufa, Katja oder Bystrouška verborgen. Nach der äußersten Lebenswahrheit, nach dem fatalen Tod kommt es zu einer seelischen Läuterung im befreiten, erhebenden Gefühl durch die Wirkung der Musik. In einer Katharsis in Libretto und Musik gipfeln auch die Oper Věc Makropulos (Die Sache Makropulos, nach Karel Čapek, 1925) und die Vertonung von Dostojewskis Skizzen aus einem Totenhaus in seiner letzten Oper Z mrtvého domu (Aus einem Totenhaus, 1928). Leoš Janáček hatte nach 1918 alle Möglichkeiten, frei von den Konflikten früherer Jahre zu leben. Die Tragödie einer in unglücklicher Ehe lebenden Frau reflektiert noch das Streichquartett Nr. 1, Die Kreutzersonate (nach Tolstoi, 1923). Im Streichquartett Nr. 2, Listy důvěrné (Intime Briefe, 1928), einer musikalischen Liebeserklärung des Komponisten an die 38 Jahre jüngere Geliebte Kamilla Stösslová, sind alle gesellschaftlichen Konventionen bereits gefallen. Die Verbindung des künstlerischen Schaffens mit der erlebten Wirklichkeit ist für Janáček das Agens seiner Inspiration geblieben. Den Impuls zur Entstehung der Glagolitischen Messe (1926 –28) gaben die bevorstehenden Feiern zum zehnjährigen Bestehen der Tschechoslowakischen Republik, doch ist dieser Umstand ähnlich wie bei anderen Kompositionen Janáčeks aus den 1920er Jahren für die Deutung seines Œuvres in letzter Konsequenz nicht ausschlaggebend. Er wollte in dem Werk die Gewißheit der Nation nicht religiös fundieren, sondern in sittlichen, starken Prinzipien, die Gott zum Zeugen haben, verstanden wissen. Leoš Janáček gab einigen seiner Instrumentalwerke Titel. Manchmal behält er diese in der Endfassung bei, wie zum Beispiel im Bläsersextett Mládi (Die Jugend, 1924) und in der Symphonie Dunaj (Die Donau, 1925), manchmal verzichtet er darauf, zum Beispiel beim Concertino (1925), dem Capriccio (1926) für Klavier und Kammerensemble und der Sinfonietta (1924).131 Erlebtes und die Beobachtung der Welt bleiben ein untrennbarer Bestandteil von Janáčeks schöpferischem Prozeß, auch bei Kompositionen, in denen er – offenbar unter dem Eindruck von neoklassizistischen Werken Igor Strawinskys – zu einer strengeren und distanzierteren Ausdruckshaltung fand. Doch machte er sich nicht Strawinskys musikalische Poetik zu eigen, sondern kritisierte sie in seinem Essay Basta! dahingehend, daß sie zu ausschließlich sei, daß ihr die Gesetzlichkeiten des menschlichen Denkens überhaupt fehlten.132 Um einem Mißverständnis vorzubeugen: Janáčeks Musikpoetik begründet keineswegs die Programmatik 131 Vgl. Literární dílo, I, S. 592f., 604f. 132 Ebenda S. 568.

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seiner instrumentalen Kompositionen der 1920er Jahre. Die „inhaltliche“ Deutung der Komposition beruht auf ihrer musiksemantischen Anschaulichkeit. Trotz diverser Berührungen mit der neuen Musik kann Leoš Janáčeks Schaffen – entgegen vorschneller und unbegründeter Urteile, die den Komponisten zu einem Avantgardisten erklären – nicht dem Hauptstrom der neuen Musik oder einer ihrer einschlägigen Richtungen zugerechnet werden. Janáček war im Kontext seiner Zeit ein Solitär, sein Schaffen verkörpert etwas betont Eigenes und Besonderes.133

Vítězslav Novák (1870 –1949) und Mähren Vítězslav Novák, Kompositionsschüler Antonín Dvořáks, war gebürtiger Südböhme. Jahrzehntelang galt er als die führende Persönlichkeit der Prager Musikmoderne – als Kompositionslehrer wie als Komponist.134 Die Tatsache, daß sein Name um 1900 immer häufiger im Kontext der tschechischen Musik Mährens erschien, hatte zwei Gründe: zum einen die starke Rezeption seines Werkes in Mähren, zum anderen – und vielleicht wichtiger – die Bindung seiner Musik an das Volkslied, über das er sich in seinen Memoiren O sobě a o jiných (Über mich und über andere, 1942, zweite Auflage 1970) folgendermaßen äußerte: Es war gerade der erste Eindruck von einem mir ganz neuen Milieu, der sich auf die Dauer in mein Gedächtnis einprägte. Der interessante Verkehr mit dem gutherzigen Volk, das in seiner wohlklingenden Mundart so schön zu plaudern wußte: die ersten mährischen Lieder, von den Frauen auf den Bergen gesungen, oder die mutig scherzhaften in der Gaststätte, von den Männern abgelauscht. Ich kann nie genug dem glücklichen Zufall danken, der mich durch Reissigs Vermittlung in die schönen Orte gebracht hatte und so den Grund meines musikalischen Moravismus legte.135 Diese von Novák besungenen Orte liegen in entlegenen Landstrichen der mährischen Walachei, wo er im Jahre 1896 zum ersten Mal die Ferien verbrachte und wohin er immer wieder zurückkehrte. Später zog es ihn auf der Suche nach dem Volkslied ins urwüchsige Velká nad Veličckou und in weitere Orte der mährischen Slowakei. Zweimal – 1897 und 1900 – besuchte Novák Hochwald (Hukvaldy), wohin ihn Janáček 133 Jan Racek, der als Kritiker und Exponent der Brünner Zwischenkriegsavantgarde Zeuge deren produktiver Ideen war, widerspricht der Zugehörigkeit Janáčeks zur Avantgarde. Er verstand Janáček als ganz eigenständige Erscheinung der neuen Musik. Vgl. Jan Racek, Leoš Janáček v  mých vzpomínkach [Leoš Janáček in meinen Erinnerungen], Praha 1975. Siehe hierzu auch den Essay von Jiří Vysloužil, Leoš Janáček. Für Sie porträtiert, Leipzig 1981. 134 Vgl. Vladimír Helfert, Česká moderní hudba [Die tschechische moderne Musik], Olomouc 1936, S. 63f. 135 Vítězslav Novák, O sobě a o jiných [Über mich und andere], Praha 1942, S. 80.

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zum Anhören der Volksmusikkapellen eingeladen hat. Nach 1900 fuhr er mehrmals in die Slowakei, die damals noch zu Ungarn gehörte, um Volkslieder kennenzulernen. Für Novák, einen Komponisten in der Tradition von Beethoven und Brahms, bedeutete die Entdeckung der ostmährischen und slowakischen Volkslieder etwas ganz Neues. Sie beeindruckten ihn durch die Mannigfaltigkeit der Tonarten, die kompliziertdifferenzierte Rhythmik und ein reiches Ausdrucksspektrum, wodurch sie sich von den einfacheren Dur-Moll-Volksliedern aus Böhmen unterscheiden. Novák studierte sie auch in den gedruckten Sammlungen von Sušil und Bartoš sowie in den Slovenské spevy (Slowakische Lieder) des Ján Kadavý (1880). Die Volkslieder interessierten ihn nicht so sehr als ethnographisches Faktum denn in ihrer musikalischen Eigenart. Kompositorisch begann er mit Klavierbearbeitungen von Volksliedern (1896/97), die er selbst aufgezeichnet hatte. Später – zwischen 1900 und 1930 – richtete er, ebenfalls für Gesang und Klavier, sechs Hefte Slovenské spevy aus der Sammlung von Ján Kadavý ein. Es handelt sich dabei um mehr als bloße Bearbeitungen, vielmehr um Kompositionen auf volkstümliche Texte und Weisen, die er mit untrüglichem Geschmack auszusuchen und zu verarbeiten wußte. Neben den Písničky na slova lidové poezie (Lieder auf Worte der Volkspoesie, 1897/98) für Gesang und Klavier – drei Reihen op. 16, 17 und 21 –, den Dvě balady na slova lidové poezie moravské, op. 19 (Zwei Balladen auf Worte der mährischen Volkspoesie, 1898), und den Dvě balady na slova lidové poezie moravské, op. 23 (1900), beide für gemischten Chor und Klavier vierhändig oder Orchester, schrieb er auch gänzlich eigene Musik im Volkston. Er knüpfte dabei an folkloristische Vokalkompositionen Antonín Dvořáks an, des – mit Blick auf seine Mährischen Duette, op. 32, und andere Werke – ersten mährischen Komponisten (Novák). In durchkomponierten Werken verwendete er jedoch eine sehr viel kompliziertere (Mehrklang-)Harmonik und eine selbständigere Stimmführung sowohl im Gesang als auch in der Instrumentalbegleitung. Größere Formen gestaltete Novák unter anderem in der Orchesterouvertüre Maryša, op. 18 (1898, nach dem gleichnamigen Drama der Gebrüder Mrštík), im Streich­ quartett G-Dur, op. 22 (1899), in der Sonata eroica, op. 24 (1900), im Klaviertrio d-Moll quasi una ballata, op. 27 (einsätzig, 1902), in der symphonischen Dichtung V  Tatrách, op. 26 (In der Tatra, 1902), oder in der Slovácká suita, op. 32 (Slowakische Suite, 1903, ursprünglich für Klavier). Er komponierte diese Werke gemäß der Sonatenform, in der motivischen Arbeit verwendete er das Brahms’sche Prinzp der entwickelnden Variation. Das musikalische Denken des Komponisten ist von einer Vorliebe für lydische und mixolydische, für äolische und dorische Tonleitern in der Melodik, für Synkopen, Triolen und Punktierungen in der Rhythmik sowie für Verlagerung der Akzente, wie er sie im Volkslied vorfand, bestimmt, womit er die Gründe

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Abbildung 56: Vítězslav Novák in der Zeit seiner engen persönlichen und künstlerischen Beziehung zu Mähren

seiner musikalischen Moravismen legte. Im Tonsatz benutzt er die Moravismen auch als Ausdrucksmittel. Nováks musikalische Themen sind einfache, liedartige Gebilde im Volkston, teilweise Zitate, darunter auch fragmentarische, aus Volksliedern. Jeder Komposition liegt eine bestimmte Idee, ein bestimmter Gegenstand zugrunde. In der Ouvertüre Maryša sind es vom realistischen Drama aus dem mährischen Landleben angeregte musikalische Vorstellungen, in den Programmkompositionen V Tatrách und Slovácká suita sind sie vom unmitelbaren Erlebnis des Ortes abgeleitet, der im Titel des Werkes oder in den Titeln einzelner Sätze genannt ist. Die Slowakische Suite hat folgende Sätze: V kostele (In der Kirche), Mezi dětmi (Unter Kindern), Zamilovaní (Verliebte), U muziky (Bei der Musik) und V noci (In der Nacht). Die inhaltliche Intention kann man vielfach auch ohne Titel heraushören, so im Streichquartett G-Dur, op. 22, aus melodischen Anverwandlungen an die Naturgesänge (Rufe) der walachischen Hirten und aus den rhythmisch prägnanten slowakischen Tänzen, die männlich-heroischen Töne der Sonata eroica, op. 24, aus den slowakischen Räuberliedern. Das Aufgehen der Intention in der Musik garantiert jene Stileinheit, deretwegen die mährischen Patrioten Nováks Musik zusammen mit Janáčeks Jenufa und dessen anderen Kompositionen als tschechische Musik in Mähren empfanden.

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Nach der Slowakischen Suite hat Novák seine Orientierung an Volksmusik und Land­ leben aufgegeben. Er selbst bekennt sich zu dieser Neuorientierung anläßlich der Entstehung des zweisätzigen Streichquartetts D-Dur, op. 35 (1905), einer Art Schlüsselwerk für die folgende Zeit: Irgendwo am Rande des Waldes träumte er [der Künstler], in den azurblauen Himmel schauend, von einer ganz anderen Welt, von der Schönheit des unendlichen Kosmos, in dem er in den Gedanken aufging, verklärt, geläutert [bezieht sich auf den ersten Satz der Komposition: Largo misterioso]. Nur als Erinnerung erschien vor ihm sein bisheriges Leben mit allen Kämpfen und Schmerzen, auch die von ihm gewählte bittere Ironie, die manchmal in satirischen Gesprächen Ausdruck fand [bezieht sich auf den zweiten Satz der Komposition: Allegro passionato ma non troppo presto]. Aber das alles schwindet wieder vor der Schönheit des Himmelszeltes, in deren Atmosphäre sich der meditierende Künstler in seinen Träumen von allen Leiden der irdischen Scholle loslöst [Reprise mit Musik des Largo misterioso].136 Novák schaut in seinen Vorstellungen der Welt zur erhabenen Schönheit der kosmischen Unendlichkeit empor, unter der sich das menschliche Subjekt befindet. Seine musikalische Meditation beginnt Novák im Streichquartett op. 35 mit einem Fugenthema, dem Motto der gesamten Komposition: Subjektiv-ideelle Vorstellungen des Komponisten von der Welt lösen seine Musik von erkennbaren Bindungen an real-folkloristische Formen und Inspirationen. Andererseits aber garantieren gewisse Moravismen in seinem Schaffen Bindungen an substanzielle Werte, die in Nováks musikalischem Denken von früher her fest verankert sind. Das authentische, in erhabenem Melodiebogen gewölbte Thema des Komponi­ sten schreitet vom Grundton der Tonart D-Dur (d) zur Quinte (a), Sexte (h), von hier zur natürlichen (mixolydischen) Septime (c) und von dieser über die große Sexte (h) zurück zur Quinte (a), um sich mit einem Quartensprung hoch zur Oktave (d) zu schwingen, also in charakteristischen Quint- und Quartsekundintervallstrukturen. Das ganze Thema ist Alois Hába zufolge auf dem oberen Tetrachord der Skala (d – e – fis – g – a – h – c – d) aufgebaut. Die Töne des unteren Tetrachordes (d) – e – fis – g erklingen später im Thema eine Oktave höher. Der Komponist behandelt das Thema als Ausdruckswert, im ersten Satz in meisterhafter Polyphonie, im fantasievoll komponierten zweiten Satz in kunstvollen rhythmisch-melodischen und harmonischen Abwandlungen. Er tut all dieses im Einklang mit der inhaltlichen Intention des Werkes. Die souveräne Handhabung des musikalischen Materials ermöglicht Novák den freien Umgang mit Folklore-Idiomen in einer ungewöhnlichen Gattungs- und Inspirationsbreite des Werkes. Wenn er in einigen Werken wie der symphonischen Kantate 136 Zitiert nach der Novák-Monographie von Alois Hába, Vítězslav Novák, Praha 1940, S. 24.

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Notenbeispiel 15: Vítězslav Novák, Streichquartett Nr. 2, D-Dur, op. 35. 1. Satz mit der Exposition der Fuge, Autograph

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Notenbeispiel 16: Vítězslav Novák, Bouře (Der Sturm), melodisch-harmonische Strukturierung der Idée fixe des Werkes

Bouře, op. 42 (Der Sturm), Motivfragmente von Volksliedern zitiert, bekommen sie Symbolfunktion für die Konkretisierung von Vorstellungen des Komponisten. Im Jahrzehnt 1903 bis 1913, das in der Regel für Nováks kreativste Schaffensperiode gehalten wird, entstanden die Liederzyklen Údolí nového království (Das Tal des neuen Königreichs, 1903, Worte: Antonín Sova), Melancholické písně o lásce, op. 38 (Melancholische Lieder von der Liebe, 1906, Worte: Jaroslav Vrchlický, Jaromír Borecký, Jan Neruda), beide für Singstimme und Klavier oder Orchester, ferner Klavierliedzyklen auf Worte deutscher Dichter: Notturnos, op. 39 (1908, Worte: Karl Bulcke, Richard Dehmel, Ludwig Jakobowski, Herrmann Lingg, Ludwig Uhland, Gustav Vollmüller, Oskar Wiener und aus Des Knaben Wunderhorn; tschechische Übersetzung: Jaromír Kardulka), und Eroticon, op. 46 (1912, Worte: J. Birnbaum, Richard Dehmel, Martin Greif, Otto Erich Hartleben, Friedrich Hebbel, Karl Henckell, tschechische Überset­ zung: Ladiskav Vycpálek), ferner Čtyři básně Otakara Březiny, op. 47 (Vier Gedichte von Otakar Březina) für gemischten Chor a cappella (1912). Für Klavier komponierte Novák unter anderem Písně zimních nocí, op. 30 (Lieder der Winternächte, 1903, Měsíční/An den Mond, Bouřlivá/Der Sturm, Vánoční/Weihnachtslied, Karnevalová/ Karnevallied), und die fünfsätzige Tondichtung Pan, op. 43 (1910, Prolog, Hory/Die Berge, Moře/Das Meer, Les/Der Wald), Žena/Das Weib), von der es auch eine Fassung für Orchester gibt. In diese Zeit gehören auch zwei symphonische Dichtungen aus dem

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Zyklus Touha a vášeň (Sehnsucht und Leidenschaft), und zwar O věčné touze, op. 33 (Von ewiger Sehnsucht, nach Hans Christian Andersen, 1905), und Toman a lesní panna, op. 40 (Toman und die Waldfee, Gedicht von František Ladislav Čelakovský nach einer böhmischen Sage, 1906), dazu Nováks umfangreiche Meeresfantasie für Soli, Chor und Orchester Bouře, op. 42 (Der Sturm, Worte: Svatopluk Čech, 1910). Diese Kompositionen bilden den Höhepunkt von Nováks Kunst, mit ihnen konnte er seine führende Position in Prag festigen. Auch in Deutschland und Wien, wo seine Kompositionen in der Universal-Edition erschienen, machte er sich einen Namen. Die ihm angebotene Stelle als Professor für Komposition an der heutigen Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst nahm Novák nicht an – er blieb in Prag, wo er Professor für Komposition am Konservatorium wurde, nach 1919 erhielt er eine eigene Klasse. Es hatte den Anschein, als sei aus Novák, dem Komponisten tschechischer Musik in Mähren, im Nu ein Musikmodernist geworden, der sich schon früh die führende Position in der gesamten tschechischen Musik erobert hat. In seinen musikalischen Inspirationen, die sich spürbar seinen Aufenthalten in Mähren und der Slowakei verdankten, distanzierte er sich von der direkten Lebensempirie (der objektiven Realität). Dabei verlor er nicht den Kontakt mit dem Leben, doch schloß er sich in seine eigenen (subjektiven) Vorstellungen von der Welt ein, und aus diesen gestaltete er dann seine Musik. Novák erlebte seine musikalische Welt in Hoffnungen, in esoterischen Metaphern und Symbolen auf der Inspirationsachse von Sehnsucht, Liebe und Natur. Die Liebe spielt auch in seinem erträumten „Tal des neuen Königreichs“ eine Rolle, von ihr sprechen auch die Melancholischen Lieder von der Liebe, op. 38. Gemeint ist damit nicht nur die erotische Liebe, wie sie die Romantiker besungen haben, sondern auch die Liebe als menschliches Ideal. Der Komponist erweitert und vertieft dadurch seine Inspiration durch die Natur, allerdings nicht im Sinne deskriptiver Tonmalerei, sondern er bemächtigt sich der Natur in der Tiefe ihres Seins. Inspirierend wirkten auch Dichter, etwa die tschechischen Symbolisten Antonín Sova, Otakar Březina und andere. Novák entwickelte aber auch eigene Vorstellungen musikalischer Poetik. Die musikalische Symbolik in Der Sturm, die melismatischen Ornamente, die unendlich strömende, im entblößten Klangtimbre – ein impressionistisches Moment – wogende melodisch-harmonische Linie (Von der ewigen Sehnsucht) führt er im Werk zu formaler Einheit. Zur ausgeprägtesten Stilsynthese gelangt er in der Tondichtung Pan. In der Individuation der Musikmittel, in der er die Modernität der Tristan-Generation er­ reicht, bleibt genug Raum für die Moravismen in ihrer komplizierten Melodik, Metrik und Rhythmik. Die Moravismen sind ein besonderes Merkmal von Nováks Musik im Vergleich zu der seiner Zeitgenossen – er mußte nicht nach Orientalismen greifen wie zum Beispiel Debussy. In den festen melodischen Konturen seiner Themen stand

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Novák jedenfalls Mahler, in der rhythmischen Mannigfaltikeit und den harmonisch überreichen Modulationen Richard Strauss näher. Novák verharrte auf diesen Stilpositionen im ganzen Gattungssprektrum seines Œuvres (Opern, Ballette, Vokalsymphonik, Vokal- und Kammermusik) der Zwischenkriegszeit, als es auch in der tschechischen Musik in Mähren – wenn diese Eingrenzung angesichts der hohen Mobilität der Komponisten überhaupt noch zulässig ist – zu einer Polarisierung der Stile kam. Das Auftreten Janáčeks, dem sich bald der in Paris lebende Bohuslav Martinů anschloß – von Mähren ließ er sich in zahlreichen Werken der 1930er Jahre und aus späterer Zeit inspirieren –, Alois Hába in Prag und andere verliehen diesem Prozeß Dynamik. Generationsunterschiede waren in Hinsicht auf den Stil nicht immer ausschlaggebend, auch nicht die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schule: So war der radikale Modernist Alois Hába Schüler Nováks, Janáčeks Schüler Osvald Chlubna hingegen hat den stilistischen Rahmen der Musik Nováks nicht überschritten.

Janáčeks und Nováks Schüler Den Status des Komponisten als autonomes schöpferisches Subjekt haben für die tschechische Musik in Mähren erst Janáček und Novák begründet. Sie entbanden es von der Pflicht, funktionsgebundene Musik zu komponieren, namentlich Kirchenmusik, die noch Josef Nešvera und František Musil aufgrund ihrer Dienststellung in großer Zahl hatten schreiben müssen. Novák hatte gleich nach dem Absolutorium in Komposition und Klavier am Prager Konservatorium 1896 die Laufbahn des Komponisten eingeschlagen, und so präsentiert er sich auch in Mähren. Bald wurde er zum bedeutenden Kompositionslehrer –zunächst privat, seit dem Jahr 1910 an seinem Stamminstitut, dem Prager Konservatorium – auch einer Reihe von Komponisten aus Mähren. Janáčeks Weg zum Komponieren war viel komplizierter: Noch Jenufa schrieb er nebenberuflich – zahlreiche Ämter und Funktionen, die Leitung der Orgelschule und Unterricht an derselben, Musikunterricht an allgemeinbildenden Schulen sowie die schriftstellerische, ethnographische und redaktionelle Tätigkeit reduzierten die Zeit zum komponieren. Schließlich siegte jedoch Janáčeks Wille, als freier Komponist Musik zu schreiben. Kompositionsunterricht gab er praktisch seit Gründung der Orgelschule, seit 1919 als Professor der Meisterklasse am Konservatorium in Brünn. Unabhängige Komponisten wurden auch die besten Absolventen von Janáček und von Nováks Schule. Unter den Komponisten aus Mähren bildeten sie die Mehr­zahl,

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bald schlossen sich ihnen aber auch Schüler anderer Kompositionslehrer an sowie bereits eigene Schüler. Reine Schüler Janáčeks waren Břetislav Bakala, Josef Blatný, Pavel Haas, František Míťa Hradil und Osvald Chlubna. Václav Kaprál, Jan Kunc und Vilém Petrželka gingen nach dem Absolutorium bei Janáček zum weiteren Studium zu Novák nach Prag. In Leipzig bei Reger studierte Jaroslav Kvapil, ein anderer Schüler Janáčeks, und bei Iwan Knorr in Frankfurt/Main Vladimír Ambros. Nur bei Novák studierten Komposition Emil Axman, Milan Balcar und Hugo Mrázek. Mit Nováks Schule ist auch Jaroslav Křička, Schüler Karel Knittls, Nachfolger Dvořáks am Prager Konservatorium, verbunden. Nach dem Studium bei Novák ging Václav Kálik zu Josef Suk. Zu Novák nach Prag gingen Petrželkas und Kvapils Schüler Vítězslava Kaprálová, auch Schülerin von Bohuslav Martinů, Theodor Schaefer und František Suchý. Bei Suk schrieben sich Vilém und Zdeněk Blažek sowie Klement Slavický ein, bei Josef Bohuslav Foerster studierte Josef Schreiber. Vladimír Štědroň wechselte sogar zwischen den drei bedeutenden Prager Kompositionslehrern Foerster, Novák und Suk. Bei Nováks und Schrekers Schüler Alois Hába studierten dessen Bruder Karel, zuvor Schüler Nováks, Rudolf Kubín und Viktor Ullmann, letzterer vorher bei Arnold Schönberg. Bei dem Leipziger Salomon Jadassohn und bei Carl Reinecke studierte František Neumann. Trotz der Zugehörigkeit zu verschiedenen Schulen, Richtungen und Generationen bewahrten sich viele Komponisten das Bewußtsein ihrer Herkunft. František Neumann zum Beispiel kehrte nach seinem Wirken an deutschen Theatern in Böhmen und in Deutschland nach Mähren zurück. Auch jene Komponisten, die nach Prag gingen, wo sie eine mährische Enklave bildeten, die sich in Naturell und Musik von den authentischen Tschechen unterschied, blieben ihrer Heimat verbunden. In Mähren organisierten sich die Komponisten in Musikvereinigungen, vor dem Ersten Weltkrieg in der Musikabteilung des „Kruh přátel umění“ (Kreis der Kunstfreunde, 1900), in der Zwischenkriegszeit im „Klub moravských skladatelů“ (Klub mährischer Komponisten, 1919), der Nachfolgeorganisation des Kruh. Beide unterstützten ihre Mitglieder durch Aufführungen und die Herausgabe von Kompositionen. Die Leitung des „Klubs mährischer Komponisten“, der neben Janáček František Neumann und der Musikologe Vladimír Helfert angehörten, bildete eine Plattform für die Knüpfung von Kontakten zur internationalen Musikmoderne. Die Herkunft, die Existenz und das Bewußtsein bestimmter musikkultureller Eigentümlichkeiten, veilleicht auch die wachsende Zahl mährischer Komponisten bewogen Vladimír Helfert in seinem Buch Česká moderní hudba (Tschechische moderne Musik) von 1936 zur Einführung des Terminus mährische Musik. Dieser Begriff wurde von Helfert und nach ihm auch von anderen im Blick auf die Beziehung von Kompo-

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Abbildung 57: Mitglieder der Kompositionsschule Janáčeks: Jan Kunc, Václav Kaprál, Osvald Chlubna, Vilém Petrželka

nisten zum Volkslied, hauptsächlich jedoch zur Musik Janáčeks und Nováks verwendet, die der modernen tschechischen Musik in Mähren den Weg bereitet hatten, wenn auch in etwas unterschiedlicher Art. Auch deren Schüler traten das Erbe ihrer Lehrer auf unterschiedliche Weise an. František Neumann ist kompositorisch überhaupt außerhalb der Kreise um Janáček und Novák gewachsen. Jan Kunc, der erste bedeutende Schüler Janáčeks, kritisierte an seinem Meister, daß er in der Jenufa Prosa vertont habe, daß er sonderbar instrumentiere und dergleichen mehr.137 Damit wiederholte er nur einige 137 Jan Kunc, Leoš Janáček, in: Hudební revue [Musikrevue] IV/1911, S. 121–134 und S. 185–89.

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Stimmen der Prager Musikkritik. Kunc ging dann zu Novák nach Prag und erklärte, er habe bei diesem besser komponieren gelernt als bei Janáček, womit er das Komponieren in geschlossenen klassisch-romantischen Formen meint.138 Nach Eröffnung des Konservatoriums ging er nach Brünn zurück, zunächst als Sekretär und administrativer Leiter, seit 1923 als Direktor. Bei der Einführung von Lehrplänen für den Komposi­ tionsunterricht wurde er zum Emissär Prags: Man hörte auf dem verstaatlichten Konservatorium auf [...], Janáčeks Theorie [...] zu unterrichten, seine Harmonielehre wurde auf dem Konservatorium für unerwünscht erklärt.139 So blieb Janáček nach seiner Ernennung zum Professor der Meisterklasse in Prag mit Wirkungsort am Konservatorium in Brünn an jenem Institut, das er selbst gegründet hatte, im Kompositionsunterricht auf die wenigen Schüler seiner Klasse angewiesen. Janáčeks stilistisch eigenständiges Komponieren, seine Aufgeschlossenheit gegenüber der modernen Musik und seine Beteiligung an den Festivals der IGNM – all dies lehnte Novák als Komponist und Pädagoge grundsätzlich ab. Die Beziehung zur neuen Musik beruhte auch auf der Individualität des jeweiligen Komponisten. Am avanciertesten unter den Mährern war mit seinen neuen Tonsystemen und seiner Auffassung der Musikform Alois Hába.

Weitere Komponisten Außerhalb der mährischen Schule befand sich mit seinem Werk František Neumann (1874 –1929). Er begann Chöre und Lieder auf Worte tschechischer Dichter zu komponieren; die Moravská rapsodie (Mährische Rhapsodie) für Orchester widmete er Josef Nešvera. Mit der Kantate Bouře (Der Sturm), die nach ihrer Premiere 1903 im Kremsierer „Moravan“ in einer Reihe weiterer Städte aufgeführt wurde, überholte er die viel bedeutendere Kantate gleichen Titels von Vítězslav Novák. Als Neumann 1904 die Stelle des Opernkapellmeisters in Frankfurt am Main antrat, komponierte er auf deutsche Texte. Auf deutsche Libretti schrieb er auch seine erfolgreichsten Werke, die Opern Liebelei (Milkování) nach Arthur Schnitzler, die nach der Frankfurter Premiere 1910 im Brünner Nationaltheater 1911 tschechisch aufgeführt wurde, und ­Ekvinokce (Äquinoktium) nach dem kroatischen Dramatiker Ivo Wojnowitsch, die nach der Premiere unter dem Titel Herbststurm 1919 in Berlin-Charlottenburg, in Brünn und Ostrau auf tschechisch aufgeführt wurde. 138 In diesen Formen komponierte er jedoch schon bei Janáček. 139 Osvald Chlubna, Leoš Janáček – učitel [Leoš Janáček als Lehrer], in: Musikologie III/1955, S. 53.

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Auch Osvald Chlubna (1893 –1971) blieb stilistisch außerhalb der mährischen Schule, obwohl er zu den ergebensten Schülern Janáčeks gehörte. Nach dem Studium an der Orgelschule (1914) absolvierte er Janáčeks Meisterklasse (1924). Der Lehrer schätzte Chlubnas Instrumentationskunst und vertraute diesem die Revision und den Abschluß der Orchestrierung seiner Oper Šárka (1919, 1924) an. Chlubna blieb als Komponist jedoch außerhalb von Janáčeks Einfluß und unterlag auch nicht der Anziehungskraft Nováks. Er studierte eigenständig Partituren von Richard Strauss und Claude Debussy, in den 1920er Jahren auch solche Schönbergs. Chlubna berichtete, daß er einige Partituren Schönbergs, darunter die Fünf Orchesterstücke, Janáček auf dessen Bitte hin geliehen habe. Der Richard Strauss der Periode von Salome und Elektra und der frühe Schönberg führten Chlubna zu dissonanteren, polytonalen Klängen, Debussy wirkte durch die Farbigkeit seiner Partituren. Chlubnas zweite Oper Alladina a Palomid (1922, Maurice Maeterlinck) entstand unter dem direkten Eindruck von Debussys Pélléas et Mélisande. Chlubna neigte zum Symbolismus – auch in seinen Liedern –, in der an Mahler erinnernden Symfonie života a lásky (Symphonie des Lebens und der Liebe, 1927) vertonte er Verse Otakar Březinas, des größten mährischen Symbolisten. Auf Verse Georg Trakls in tschechischer Übersetzung entstanden seine Tři zpěvy odloučeného (Drei Gesänge eines Abgeschiedenen, 1928). In Ňura, seiner reifsten Oper auf ein eigenes Libretto nach dem ukrainischen Dramatiker Osip Dymov (1930), wählte er ein wehmütiges Thema, das in der Bühnendarbietung zwischen Realität und symbolgesättigter Mystik oszilliert. In seiner Instrumentalmusik erfaßte auch Chlubna die Welle des Neoklassizismus. Die drei Streichquartette (in g 1925, in C 1928, in Es 1933), die Symfonietta (1924), die Veseloherní ouvertura (Lustspielouvertüre, 1932) und einige andere Stücke bringen einen helleren Ton in das Œuvre des sonst eher pessimistisch und mystisch veranlagten Komponisten. Unter dem Eindruck des Münchener Abkommens schrieb Chlubna den Liederzyklus Z těžkých dob (Aus schweren Zeiten, 1938, Worte: Karel Kapoun), der das politisch engagierte Schaffen des Komponisten in der Kriegs- und Nachkriegszeit antizipiert. František Neumann und Osvald Chlubna kann man nur schwer in die mährische Schule einordnen. Neumann hat sich stilistisch und inspiratorisch im musikalischen Schaffen seiner Frankfurter Jahre gegen Mähren abgehoben, Chlubna blieb der mährischen Heimat aufgrund seiner literarischen Inspirationen verbunden. Weder Janáček noch Novák haben die beiden Komponisten beeinflußt. Sie fanden auch nicht den Weg zum Volkslied. Aus der Schüler-Generation Janáčeks und Nováks befaßte sich Josef Černík (1880 –1969) professionell mit dem Volkslied. Als Frucht eigener Sammlertätigkeit gab er einige Sammlungen aus Südostmähren heraus. Er veröffentlichte auch einige

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Studien zum Thema, die umfangreichste für die ethnographische Monographie Moravské Slovensko (Mährische Slowakei, II/1922). In der Theorie des Volkslieds vertrat er die Ansichten Janáčeks, dessen Vorbild er auch in den Bearbeitungen für verschiedenste Besetzungen folgte. Als erster überhaupt zeichnete er Lieder der Roma auf und gab unter dem Titel Cigánské písničky (Zigeunerlieder, 1910) eine Auswahl für Gesang und Klavier heraus. Auch Jan Kunc (1883–1976) zeichnete Volkslieder auf und gab sie heraus. In seine Sammlung 200 slováckých písní (200 mährisch-slowakische Lieder, 1910) integrierte er irrtümlich auch Janáčeks Hochzeitslied aus dem 3. Akt von Jenufa, weil er glaubte, es handle sich um ein Volkslied, das Janáček in die Opernpartitur übernommen hat. Kunc richtete die Volkslieder jeweils für verschiedene Besetzungen ein.140 Auf Worte des Volksliedes komponierte er die Ballade für Alt und Orchester Stála Kačenka u Dunaja (Käthchen stand an der Donau, 1919). In der Sonate für Klavier c-Moll (1903), im Klaviertrio f-Moll (1905), im Streichquartett G-Dur (1909) und in der symphonischen Dichtung Píseň mládí (Lied der Jugend, 1916) verfiel er der Sugge­ sti­on von Nováks Thematismus der geschlossenen musikalischen Formen. Jan Kunc repräsentiert mit Josef Černík die erste Generation der Schüler Nováks und Janáčeks in Mähren, doch war er der weitaus vielseitigere Komponist. 1918 begann er an der Oper Paní z námoří nach Ibsens Die Frau am Meer (tschechische Übersetzung: Jaroslav Kvapil) zu arbeiten. Die Oper deutet auf einen Inspirationswandel beim Komponi­ sten. Als Kunc Direktor des Konservatoriums wurde, fand er nicht mehr die Kraft, das Werk zu beenden. Er komponierte nur noch gelegentlich Kammermusik und folkloristische Werke, ohne auf die Änderungen im Musikleben Mährens, zu denen es in der Zwischenkriegszeit kam, reagieren zu können. Auch Josef Blatný (1891–1980), im zweiten Beruf Konzertorganist wie auch Regens Chori der Brünner Jakobskirche 1934 bis 1941, ist abseits der neueren Strömun­ gen geblieben. Er komponierte eine prachtvolle Sonate für Orgel sowie Lieder und Chöre auf Worte mährischer Dichter. Von seiner Kammermusik sind die Sonate für Violine und Klavier (1926) und das Streichquartett (1929) von Bedeutung. Blatný knüpfte melodisch an die lyrische Seite der Musik Janáčeks, harmonisch und klanglich an Debussys Impressionismus an. Zum Zeichen der Wandlungen in der mährischen Schule ist die Ausstrahlung Janáčeks geworden, der nach 1918 den Wettstreit mit Vítězslav Novák um die musikalische Führungsposition gewonnen hatte, als sich zeigte, daß er mit seiner Musik 140 Die Sammlung Slovácké lidové písně [Slowakische Volkslieder] liegt in Fassungen mit Klavier- (op. 18) und mit Orchesterbegleitung (op. 30) vor.

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– auch schon jener aus der Vorkriegszeit – der musikalischen Moderne sehr viel näher stand als sein Prager Antipode. Eine bedeutende Rolle im musikalischen Brünn der Nachkriegszeit spielte auch František Neumann, der maßgeblich dafür sorgte, daß die avanciertesten Musikrichtungen auf das Brünner Theater- und Konzertpodium gelangten. Die Großstadt Brünn wurde damit nach Prag zum zweiten Kulturzentrum des jungen Staates. Impulse zum Kennenlernen neuer Musik gaben auch die Komponisten: Václav Kaprál und Vilém Petrželka absolvierten Studienaufenthalte in Paris, Václav Kálik weilte längere Zeit in Italien. Alois Hába knüpfte direkten Kontakt zur Schönberg-Schule und zum Busoni-Kreis. In der Generation der Schüler Janáčeks kam es so zu einer deutlichen Polarisierung, wie sie die mährische Musik vorher nicht gekannt hatte. Aus der Schule Janáčeks blieb Jaroslav Kvapil (1892–1958) auf Seiten der gemäßigten Moderne. Die Dvořákschen Grundlagen von Kvapils Musik wurden in seinem umfangreichen Instrumentalwerk (4 Streichquartette 1913–35, 3 Symphonien 1914 –37, Konzerte u. a.) von Max Reger befruchtet. Der mit spontanen Musikeinfällen begabte Komponist verband seine Musik keineswegs mit außermusikalischen Vorstellungen; eine Ausnahme sind die symphonischen Variationen Z těžkých chvil (Aus schweren Stunden, 1938/39), die er nach dem Münchner Abkommen schrieb. Vilém Petrželka (1889 –1967) stand Novák von Anfang an viel näher als Janáček. Im Hymnus Modlitba ke slunci (Das Gebet zur Sonne, 1921, Worte: Josef Chaloupka) und in der symphonischen Dichtung Věčný návrat (Die ewige Wiederkehr, 1923, eigenes Sujet) steht er dessen Impressionismus nahe. Petrželkas Hinwendung zur musikalischen Moderne erfolgte nach seinem Pariser Studienaufenthalt und den Brünner Aufführungen von Werken Schönbergs, beispielhaft im Liederzyklus für Stimme und Streichquartett Štafeta (Die Stafette, Worte: Jiří Wolker und Jules Romains, 1927) und in der einsätzigen Fantazie pro smyčcový kvartet (Fantasie für Streichquartett, 1927). Das symphonische Drama in fünf Teilen für Soli, Rezitation, gemischten Chor, Symphonie- und Jazzorchester sowie Orgel Námořník Mikuláš (Nikolaus, der Seefahrer, 1929, Worte: Jiří Wolker) ist eine Synthese von Tradition und Moderne: Das Formkonzept der symphonischen Kantate Nováks ist hier um Jazz, Schönbergschen Sprechgesang und Hábasche Vierteltöne bereichert. Grundlegendes Stilmerkmal bleibt jedoch die in ausdrucksvolle Harmonik eingebettete Melodik mit Moravismen im Geiste Nováks. Nach der großen schöpferischen Anspannung und Konzentration folgten Werke kleineren Formats: Lieder, Chöre, Kammermusik, die Dramatische Ouvertüre (1932). 1935 bis 1938 entstand die Oper Horník Pavel (Bergmann Paul, Libretto: František Kožík), die 1947 in Brünn aufgeführt wurde. Petrželkas grundlegende Orientierung am Werke Vítězslav Nováks hat die Aufnahme musikalischer Moravismen in seine

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Kompositionen der zweiten Hälfte der 1920er Jahre nicht begünstigt. Nach Jan Kunc war Petrželka der bedeutendste Vertreter der Schule Nováks in Mähren, deren Grundsätze er auch als Pädagoge vertrat. In ähnlicher Weise hatte sich auch Václav Kaprál (1889 –1947), ein Gegenspieler Petrželkas, zu den beiden beherrschenden Figuren der mährischen Schule, Janáček und Novák, zu definieren. Als Komponist von außergewöhnlicher lyrischer Begabung verließ er bald Nováks Thematismus der geschlossenen Formen. Kaprál baute in erster Linie auf den spontanen, volksliednahen musikalischen Einfall – er lernte das Volkslied aus authentischen Quellen kennen. Im eher emotionalen Zugang zur Musik stand er Janáček viel näher als Novák. Kaprál setzte sich als erster Komponist der mährischen Schule neben Alois Hába mit Arnold Schönberg auseinander, studierte dessen Harmonielehre und schrieb begeisterte Aufsätze über Alban Berg. Ersten atonalen Passagen begegnet man schon in Kapráls Sonate Nr. 2 für Klavier aus dem Jahr 1921. Die Miniatures für Klavier (1922) sind durch ihre expressive Form und Harmonik – Ausdruck der Emanzipation der Dissonanz – eigentlich Musikstücke, wie sie Schönberg, Berg und Webern in ihrer freiatonalen Schaffensphase komponierten. Schönberg wirkte auf Kaprál auch durch seine Brünner Konzerte 1925. Der hervorragende Pianist Kaprál blieb in den Klavierkompositionen bei Miniaturen (sechs Kompositionen für Klavier linke Hand Con duolo, 1926). Direkt nach dem Vorbild Schönbergs komponierte er den Liederzyklus Pro ni (Für sie) für Tenor, Klavier und zwei Violinen (Worte: Otakar Fischer und Josef Svatopluk Machar, 1927), das Streichquartett mit Baritonsolo (Worte: R. Bojka, 1927) und Píseň podzimu (Herbstlied) für Streichquartett und mittlere Stimme (Worte: František Branislav und Fráňa Šrámek, 1929). In der Verbindung reiner Musik mit dem Wort ist wohl auch das Mahlersche Prinzip der Sichtbarmachung der semantischen Intention des Worts zu sehen. In den neuen Werken blieb die grundlegende Eigenschaft von Kapráls Musik bewahrt, nämlich die Dominanz des musikalischen Ausdrucks bei Beibehaltung der Logik der Musikform. Kaprál gab seine Beziehung zum Volkslied keineswegs auf, er bekundete sie musikalisch. Auf außergewöhnliche Weise zeigte sie sich im Lieder­ zyklus Uspávanky (Wiegenlieder) für mittlere Stimme und Kammerorchester (Volksliedtexte nach eigenen Aufzeichnungen, 1932), den er dem Andenken der Mutter, einer unermüdlichen Liedersängerin und Erzieherin von einem ganzen Dutzend von Kindern widmete. Seiner Mutter verdankte Kaprál die Kenntnis authentischer Volkslieder. In den Uspávanky erwies er sich erneut als Meister der kleinen Form. Auch gelangte er zu einem neuen melodischen Typus, den er aus den zwölf Tönen der reinen Oktave schöpfte nach dem Prinzip tetrachordaler Strukturen unter Verwendung der (chromatischen) Abwandlungen diatonischer Stammtöne.

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Notenbeispiel 17: Václav Kaprál, Miniature für Klavier Nr. 1

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Die Uspávanky wurden von der Jury der IGNM zur Aufführung auf dem Festival in Barcelona 1936 angenommen. Anton Webern sollte das Konzert leiten, sagte jedoch ab; Karel Ančerl vertrat ihn am Dirigentenpult. Die Wiegenlieder hatten sowohl bei der internationalen Kritik als auch beim Publikum durchschlagenden Erfolg.141 Der selbst­ kritische Kaprál blieb bei kleineren Formen – Stücke für Klavier, Lieder –, mit denen er seine Stellung als Modernist innerhalb der mährischen Schule gleichwohl festigte. Janáček hatte vor, am 1919 eröffneten Konservatorium in Brünn, für dessen Gründung er sich mit dem ganzen Gewicht seiner Persönlichkeit eingesetzt hatte, Komposition zu unterrichten. Dazu ist es jedoch nicht gekommen. Er wurde Professor der Meisterklasse für Komposition am Konservatorium in Prag mit Dienstort Brünn und behielt diese Position bis zu seiner Pensionierung 1925. Ausschließlich bei Janáček studierte nur Osvald Chlubna. Der einzige Absolvent des Brünner Konservatoriums, der in die Kompositionsklasse Janáčeks kam, war Pavel Haas, Schüler von Jan Kunc und Vilém Petrželka. Bei Janáček studierten und absolvierten weitere talentierte Musiker, die jedoch andere Richtungen einschlugen: Břetislav Bakala und Rudolf Kvasnica wurden bedeutende Dirigenten. Die Pianisten Rudolf Firkušný und Rudolf Macuzinski sowie der Deutschmährer Bert Rudolf waren Privatschüler Janáčeks. Die anderen, weniger interessanten Schüler wurden Musiklehrer oder Chorregenten ohne nachweisbare schöpferische Erfolge als Komponisten. Der Ostrauer František Míťa Hradil (1898–1980) zeigte sich in einigen Kompositionen aus seiner Brünner Studentenzeit von Janáček hingerissen, so in der Kantate Poluška nach Bedřich Beneš­ Buchlovan von 1925. Die weitere Entwicklung des Komponisten zeigte, wie schwierig es war, stilistisch Janáčeks Schüler zu sein. Das betrifft auch den kompositorisch viel produktiveren Vladimír Ambros (1890–1956), Schöpfer von symphonischer und Kammermusik, auch von einigen Opern, von denen Ukradené štěstí (Das gestohlene Glück, 1926, Libretto: Zahradníková-Kepková) Janáček am nächsten steht. Von den Schülern der Meisterklasse Janáčeks war es Pavel Haas (1899 –1944), der produktiv an den Lehrer anknüpfte. Janáček vermittelte Haas in den Klavieraufgaben (1921), eigentlich Volkslied-Bearbeitungen, die substantiellen Eigenschaften des Volksliedes unter Verzicht auf gewollt gekünstelte Harmonisierung und kontrapunktische Finessen. Praktische Übungen führten Haas zu Moravismen, von denen er in seiner Musik nicht mehr abließ. Das mährische Volkslied mit seinen rhythmisch­ melodischen Wendungen beeinflußte den melodisch-harmonischen Stil seiner Musik. Haas erweiterte diese Impulse bald um das melodische Idiom jüdischer Gesänge 141 Vgl. Jiří Vysloužil, Anton Webern a česká hudba [Anton Webern und die tschechische Musik], in: Opus musicum XVII/1985, S. 65– 67.

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und in rhythmischer Hinsicht um den Jazz. Janáček imponierte Haas durch seine Aufgeschlossenheit gegenüber der neuen Musik. So konnte Haas ohne Hindernisse seinen Weg zum harmonischen Radikalismus Schönbergs finden, ließ sich aber auch von Strawinskys Rhythmik und Polyrhythmik inspirieren.

Abbildung 58: Pavel Haas

Haas unterrichtete – einer seiner Privatschüler war der Schriftsteller Milan Kundera – und komponierte Schauspielmusik für das Landestheater Brünn, unter anderem zu Büchners Woyzeck, und Filmmusik für seinen Bruder Hugo. Er hinterließ nur 18 numerierte Opera, einige Kompositionen wie die Oper Šarlatán und die Kompositionen aus Theresienstadt numerierte er nicht mehr. Sie sind jedoch musikalisch nicht weniger wertvoll. Wie bei Kaprál dominieren auch im Œuvre von Haas Kammermusik, Klavierstücke und Lieder. Janáčeks Meisterklasse absolvierte er mit Zesmutnělé scherzo (Trübseliges Scherzo, 1921) für Orchester. Im Unterschied zu seinen Mitschülern vermochte es Haas, die Einflüsse seines Meisters eigenständig zu verarbeiten. Zesmutnělé scherzo hat bis heute nichts an seiner jugendlichen Frische verloren. Erst allmählich entstanden weitere Werke: die Lieder Fata Morgana (1923) für Tenor und Klavierquintett auf fünf Gedichte von Rabindranath Tagore (Thakur) und das Streichquartett Nr. 2 (1925) mit dem bizarren Untertitel Z opičích hor (Aus den Af-

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Abbildung 59: Pavel Haas, Čtyři písně (Vier Lieder), Ghetto Terezín (Theresienstadt)

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fenbergen), der musikalischen Darstellung von Erlebnissen einer Wanderung auf der Böhmisch-Mährischen Höhe mit Jazzband im vierten Satz. Lyrisches Talent zeigt sich im Liederzyklus Vyvolená (Die Auserwählte) für Tenor, Flauto piccolo, Violine, Horn und Klavier (1927, Worte: Jiří Wolker). Zu einer Synthese in seinem Schaffen gelangte Haas im Bläserquintett (1929), in der Suite für Klavier (1935), in der tragikomischen Oper in drei Aufzügen Šarlatán (1934–37) auf ein eigenes Libretto nach dem Roman Doctor Eisenbart von Joseph Winckler, zu der es auch eine Orchestersuite gibt, und anderen Werken. Diese Werke trugen Haas die Hochschätzung musikalischer Autoritäten ein. Vilém Petrželka schrieb über die Suite für Klavier: Das kompromißlos moderne Werk hat in harmonischer Hinsicht viele atonale Stellen, in der Rhythmik bringt es unregelmäßige, gleichzeitig erklingende Rhythmen zur Geltung, doch alle diese Wendungen der modernen Musik klingen natürlich und basieren auf einer elementaren Musikalität.142 Ein großer Erfolg wurde auch die Šarlatán-Premiere am 2. April 1938 im Brünner Landestheater, die bereits in der Atmosphäre der ersten antijüdischen Pogrome der Brünner tschechischen Faschisten stattfand. Haas’ folgende Kompositionen, die Suite für Oboe und Klavier (1939) und Sedm písní v lidovém tónu (Sieben Lieder im Volkston, 1940) konnten nicht mehr aufgeführt werden. Eine begonnene Symphonie hat er nicht vollenden können – der Brünner Komponist Zdeněk Zouhar hat eine Rekonstruktion des Werkes vorgelegt. Haas vermochte kurz vor der Deportation nach Auschwitz noch Vier Lieder auf Texte chinesischer Poesie zu vollenden und am 22. Juni 1944 in Theresienstadt aufführen zu lassen – eines seiner besten Werke. Einige Werke aus Theresienstadt sind nicht erhalten.

Mährische Komponisten in Prag In Prag, wo sich tschechische, deutschböhmische und jüdische Musiker konzentrierten, leisteten auch tschechische Mährer einen Beitrag zur Vielfalt des Musiklebens. Im 19. Jahrhundert gingen Tschechen nach Mähren, in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zog eine Reihe von Mährern nach Prag, um dort ein Betätigungsfeld zu finden. Jaroslav Křička und Emil Axman blieben nach dem Studium in Prag, ihnen folgte Alois Hába, der 1923 aus Berlin zurückkehrte. Der Zustrom von Mährern nach Prag brach dann ab.

142 In: Moravské slovo [Mährisches Wort], Brno, April 1936.

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Jaroslav Křička (1882 –1969) war der erste gebürtige Mährer, der sich in Prag durch­ setzte, und dies schon vor dem Ersten Weltkrieg. Als Leiter des Prager Gesangver­eins „Hlahol“ führte er dort erstmals Janáčeks Kantate Věčné evangelium (Das Ewige Evan­ gelium, 1917) auf. Als Komponist profilierte er sich vor allem mit Liederzyklen wie Severní noci (Die Nordnächte, 1910, Worte: Konstantin Balmont). Křička kompo­ nierte ähnlich wie Kunc in der Nachfolge der Novákschen Moravismen, jedoch nicht in streng thematischer Form, sondern belebte seine Lieder und Chöre mit spontan anmutenden musikalischen Einfällen. In der Moravská suita (1935) für Orchester und in der Moravská kantáta auf Worte von J. Svítil-Kárník (1934) erweiterte er seine In­ spirationsquellen auch auf andere Ethnien Mährens. Křičkas Kinderoper Ogaři (Die Burschen, 1918) auf das Libretto Ozef (Josef ) Kaldas, des später entdeckten Text­ autors von Janáčeks Zápisník zmizelého (Tagebuch eines Verschollenen), ist sowohl in der walachischen Mundart als auch im Charakter der Musik mährisch. Moravismen finden sich auch in seiner Kammer-, Klavier- und sonstigen Musik. Křička ist der Begründer der mährischen Komponistenkolonie in Prag, die bald Zuwachs erhielt.

Abbildung 60: Das Dreigestirn der Mährischen Musik-Enklave in Prag Jaroslav Křička, Emil Axman, Alois Hába

Emil Axman (1887–1949) war ein weiteres bedeutendes Mitglied. In Prag wurde ihm nachgesagt, er gehöre zusammen mit Alois Hába zu den hartnäckigsten Mährern. Axman verkörperte jedoch einen völlig anderen Typus als der an der Moderne orien­ tierte Hába. Auch gegenüber Janáčeks Musik stand er in Opposition. Die Volkslieder Mittel- und Ostmährens dominierten Axmans Musik. Er selbst hatte sie gesammelt und in der Schrift Morava v  české hudbě XIX. Století (Mähren in der tschechischen

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Musik des 19. Jahrhunderts, 1920) dokumentiert. Das Volkslied-Material aus seinen eigenen Sammlungen sowie jenen von Sušil und Bartoš richtete er für verschiedene Besetzungen ein. In den Moravské tance (1935) für Orchester widmete er sich der großen Vielfalt der ostmährischen Tänze (1937–1939). In seinen artifiziellen Kompositio­ nen verwendet Axman keine Volksliedweisen, schreibt nach dem Vorbild Nováks jedoch eigene Moravismen in differenzierter Rhythmik mit modalen Intervallwendungen in Melodie und Harmonie. Als Komponist verschloß er sich der Moderne. Der tschechischen Jury gelang es trotzdem, Axmans folkloristische Symphonie Nr. 2, Mähren (1927), für die Aufführung beim Festival der IGNM in Frankfurt/Main 1928 durchzusetzen. Axman konnte damit aber nicht bestehen.143 In der heimischen Szene reüssierte Axman vor allem mit Chören und Kantaten: Moje matka (Meine Mutter, 1926, Otakar Březina), Balada o očích topičových (Die Ballade von den Augen des Heizers, 1927, Jiří Wolker) und Sobotecký hřbitov (Der Friedhof von Sobotka, 1933, Fráňa Šrámek). Axman hat sechs Symphonien (1926 – 42), vier Streichquartette (1924 – 46) sowie weitere Kammer- und Orchestermusik geschrieben. In diesem breiten Spektrum an Gattungen und seiner gemäßigt modernen Musik steht er dem Brünner Jaroslav Kvapil nahe. In Erfindung und Ausdruck ist Axmans Musik jedoch viel „mährischer“. Alois Hába (1893  –1973) schöpfte musikalisch aus ähnlichen Quellen wie Emil Axman. In seiner Jugend hatte er als Mitglied der väterlichen Musikkapelle enge Berührungen mit dem Volkslied. Auch zeichnete er in Mähren und in der Slowakei Volkslieder auf.144 Hába und Axman haben bei Vítězslav Novák studiert – Hába verdankte ihm die Kunst, modale Volksliedweisen harmonisch zu gestalten. Hábas Wiener und Berliner Studium bei Franz Schreker (1918  –22), sein direkter Kontakt mit der Wiener Schule Schönbergs und dem Busoni-Kreis haben ihn jedoch in eine ganz andere Richtung geführt.145 Schönberg und Busoni weckten Hábas Interesse für neue Tonsysteme, sie radikalisierten sein harmonisches Denken, zu dem er schon als Kompositions-Autodidakt gelangt war. Unter dem Einfluß Schönbergs entfernte sich Hába von der Dur-Moll- und der modalen Harmonik hin zu einer Gleichberechtigung der Klänge auf jeder Stufe der chromatischen Tonleiter als potenzielles Ton- (akkordisches) Zentrum anstelle der 143 Vgl. Jiří Vysloužil, in: Sehnal/Vysloužil, Dějiny hudby na Moravě, S. 208. 144 Im Militärdienst im Ersten Weltkrieg sammelte er Volkslieder für die Musikhistorische Zentrale des Kriegsquartiers in Wien. 145 Während seines Wiener Studiums bei Franz Schreker (1918–20) nahm er an den Produktionen von Schönbergs „Vereins für musikalische Privataufführungen“ teil. Später, schon aus Prag (1923), kam er öfter zu privaten Kompositionsseminaren Ferruccio Busonis nach Berlin. Vgl. Jiří Vysloužil, Alois Hába, Život a dílo [Alois Hába, Leben und Werk], Praha 1974, S. 76f.

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Abbildung 61: Witowitzer Volkskapelle. Stehend in der Mitte der Vater František Hába, in der oberen Reihe rechts der sechsjährige Alois Hába

Tonika. Durch Einführung kleiner Sekunden und Nonen, großer Septimen und anderer Dissonanzen (laut traditioneller Musiktheorie) in die Akkordik stellte er sich auf den Standpunkt Schönbergs, ohne beim Aufbau der Akkorde auf die klassischen Konsonanzen zu verzichten. Unter dem Einfluß Busonis erweiterte Hába die zwölf Töne um Mikrointervalle – was zum Ausgang seines Viertel- und Sechsteltonsystems wurde. Hábas Weg zur modernen Musik führte über die Sechs Klavierstücke, op. 6 (1920), und die Symphonische Fantasie für Klavier und Orchester, op. 8 (1921), zum zweisätzigen Streichquartett Nr. 3 im Vierteltonsystem, op. 12 (1922), in dem die wichtigsten Grundsätze der Athematik – Nichtwiederholung der melodischen Einfälle im musikalischen Satz – und des Zwölftonsystems – auch Vierteltonsystems – bereits enthalten sind, das im endgültigen Resultat aber weder (a)tonal noch seriell ist. Hábas Bichromatik ist nur ein mikrointervallisches Derivat. Nach der Aufführung der Symphonischen Fantasie durch Eduard Erdmann auf dem Tonkünstlerfest des „Allgemeinen Künstlervereins“ in Düsseldorf 1921 konzentrierte sich der Komponist für einige Jahre auf die Komposition ausschließlich im Viertel- und Sechsteltonsystem. Instrumentenfirmen stellten nach Hábas Entwurf

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Abbildung 62: Alois Hába (links sitzend) beim Vierteltonklavier mit den Angestellten der Firma Foerster, die das Instrument nach seinen Entwürfen gebaut hat

neue Instrumente her, die Firma August Förster in Georgswalde (Jiříkov) das Vierteltonklavier und -harmonium sowie das Sechsteltonharmonium, die Firma F. A. Heckel in Dresden die Vierteltontrompete und die Firma V. Kohlert in Graslitz (Kraslice) die Vierteltonklarinette. So konnte er ohne größere Probleme Mikrointervallmusik für Streicher (Violine, Viola, Violoncello, Streichquartett) und Klarinette komponieren. Die meisten Werke (Suiten, Fantasien) schrieb er jedoch für das Vierteltonklavier (1923–26) und gewann dafür auch Interpreten. Hábas vierteltöniges Streichquartett Nr. 3, op. 12, wurde vom Amar-Hindemith-Quartett auf dem Festival der IGNM in Salzburg 1923 uraufgeführt. Bahnbrechend im Vierteltonklavierspiel waren Erwin Schulhoff und sein Schüler Karel Reiner. Nach den Erfahrungen mit Vierteltonkompositionen für Klavier und Streicher wagte sich Alois Hába an ein größer dimensioniertes Werk, die Viertelton-Oper in zehn Bildern auf ein eigenes Prosa-Libretto Matka, op. 35 (Die Mutter, 1929). Inhaltlich handelt es sich um die Sozialgeschichte einer Familie von Volksmusikanten mit autobiographischen Zügen. Die Partitur umfaßt Streicher, ein Vierteltonklavier, ein

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Notenbeispiel 18: Alois Hába, Wiegenlied aus der Vierteltonoper Matka

Vierteltonharmonium – es ersetzt einige Holzblasinstrumente –, Vierteltonklarinetten und -trompeten sowie ergänzend als traditionelle Instrumente Posaunen und zwei im Vierteltonabstand gestimmte Harfen. Die Solisten und der Chor waren mit großen Problemen der Intonation konfrontiert. Zur Anwendung der Vierteltöne motivierte den Komponisten auch ihr Vorkommen im Volksgesang. Er behandelte sie zielbewußt als expressive Elemente – die erniedrigte Dur-Terz wirkt neutral, die erhöhte lydische Quarte aggressiv und ähnliches. Nach der Uraufführung von Matka am 17. Mai 1931 in München146 kehrte Hába zur Halbtonmusik zurück. Kurz nacheinander schrieb er einige Instrumentalfantasien: die Toccata quasi una fantasia für Klavier, op. 38 (1931), die Fantasie für Nonett Nr. 1 im Zwölftonsystem, op. 40 (1931),147 die Fantasie für Nonett Nr. 2 im Siebentonsy146 Das ursprüngliche Libretto wurde aus der walachischen Mundart ins Deutsche übersetzt, die Vokalstimmen sangen deutsche Sänger. Die Oper wurde von Hermann Scherchen, dem Karel Ančerl assistierte, dirigiert. 147 Zu diesem Werk siehe Jiří Vysloužil, Freiheit, Struktur und Form in Theorie und Praxis von Alois Hába demonstriert am Nonett Nr. 1, op. 40, in: Struktur und Freiheit in der Musik des 20. Jahrhunderts. Zum Wei-

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stem op. 41 (1932), und die Fantasie für Orchester Cesta života, op. 46 (Der Weg des , Lebens, 1933). Das „quasi“ im Titel der Toccata, op. 38, für Klavier verweist auf Hábas neue Beziehung zur traditionellen Form der Fantasie, ebenso wie bereits in seiner noch auf thematischer Grundlage komponierten Symphonischen Fantasie [Symfonická fantazie] für Klavier, op. 8. Hába kehrt zur festen, logischen Form zurück, der Begriff Fantasie bezieht sich eher auf den Charakter des spontanen musikalischen Einfalls. Das Formmodell der athematischen Fantasie Hábas stellt sich in der Toccata op. 38, der ersten der Reihe, folgendermaßen dar : Sie ist einsätzig athematisch, sie hat nach der Tempo­bezeichnung neun Abschnitte, von denen der erste die Funktion der Einleitung (zerlegte Zwölftonklänge) hat, der zweite = die Haupt-, der dritte = die Nebenpartie, der vierte und fünfte = die Durchführung ist. Alles vertritt den ersten Satz der athematisch gearbeiteten „Sonate“. Der sechste Andante vertritt den II. Satz, der siebente vertritt den III., der achte, neunte vertritt den IV. Satz der Sonate. Sie ähnelt Liszts einsätzigem Schaffen, doch ist sie sowohl durch die Form als auch durch den Inhalt und den athematischen Stil mit neuen harmonischen Formen vom Vier- bis zum Zwölfklang ein Neugebilde.148 Die feste Form erlaubte es, der Komposition eine größere musikalische Dimension zu geben. Die Toccata für Klavier, op. 38, die einsätzigen Nonette, op. 40 und 41, sind reine Instrumentalstücke, das große Orchesterwerk Cesta života, op. 46 (Der Weg des Lebens), ist eine Programmkomposition im Geiste der reinen Instrumentalsymphonien Mahlers. Die Opera 38, 40 und 46 sind zwölftönig, das Nonett Nr. 2, op. 41, ist diatonisch. Die grundlegende Tonleiter (Tonart) dieses Werkes bilden die Töne e – f – g – a – h – c – d, also die phrygische Tonart in e. In den siebzehn Teilen der Komposition verwandelt sich der tonale Charakter durch schrittweise Erhöhung (Erniedrigung) der einzelnen Intervalle. Die Komposition umfaßt alle authentischen und plagalen Modi. Hába selbst spricht im Zusammenhang mit dem Nonett Nr. 2, op. 41, von einem neuen Prinzip der melodisch-harmonischen Modulation der Zentraltonart e für das Schaffen der modernen siebentönigen Musik auf zwölftöniger Grundlage.149 Das Prinzip erlaubte die Modulation von der Zentraltonart in verschiedene andere diatonische und chromatische Tonarten aufgrund gezielter Transpositionen, für die das traditionelle funktionale DurMoll nicht galt. Auf dem neuen Prinzip beruhte Hábas ganzes weiteres Musikschaffen. terwirken der Wiener Schule, hrsg. von Hartmut Krones (= Wiener Schriften zur Stilkunde und Aufführungs­ praxis, Sonderreihe „Symposien zu WIEN MODERN“, Band 2), Wien – Köln–Weimar 2002, S. 51–58. 148 In einem Brief (datiert Prag 1970) an den Autor. Gedruckt in: Alois Hába 1893 –1973. Sbornik k životu a dílu skladatele [Alois Hába 1893 –1973. Sammelband zu Leben und Werk des Komponisten], hrsg. von Jiří Vysloužil, Vizovice 1993, S. 119. 149 Näheres in: Jiří Vysloužil, Alois Hába. Život a dílo, Praha 1974, S. 241f.

Die Komponisten

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Abbildung 63: Alois Hába, Postkarte mit Notenzeichen seiner MikrotonSysteme

Alois Hába war seit 1923 auch ein bedeutender Lehrer am Prager Konservatorium – in der Kompositionsabteilung war er der einzige, der in seinen Kursen (seit 1936 mit dem Status einer Klasse) alle bedeutenden Richtungen der modernen Musik behandelte. Deshalb wurden seine Tonsatzanalysen auch von Schülern anderer Kompositionslehrer besucht, die Hába auf diese Weise durchaus beeinflussen konnte. In seiner Schule setzte sich der radikalere Strang der tschechischen Musikmoderne fort. Mährer waren darunter nicht besonders zahlreich vertreten. Die meisten Schüler Hábas stammten aus Böhmen, aber auch viele Ausländer, namentlich Südslawen studierten bei ihm. Karel Hába (1898 –1972) gehörte zur Schule seines Bruders nicht allein dank seiner Verwandtschaft, sondern auch durch seine Halbton- (Zwölfton-) und Vierteltonwerke, die er als Geiger selbst interpretierte. Mit seinen Kompositionen verschaffte er sich auch auf den Festivals der IGNM Gehör, seine Opernballade Jánošík (1932, Antonín Klášterský) wurde vom Nationaltheater in Prag aufgeführt. Ein anderer bedeutender Schüler Hábas, das musikalische Naturtalent Rudolf Kubín (1909 –1973), komponierte sowohl vierteltönig als auch halbtönig. Er schrieb sich in die Geschichte der tschechischen Musik als Autor der ersten Rundfunkoper Lesní noc (Die Nacht im Wald, 1932) ein. Auch Gideon Klein (1919 –1945) und Viktor Ullmann (1898 –1944) waren Schüler Hábas. Klein wurde auch von Alban Berg und in besonderer Weise von Leoš Janáček beeinflußt. Im Divertimento für Bläseroktett (1940), einer Folge von Variationen, benutzte er als Thema die Melodie der Nr. 14 aus Janáčeks Tagebuch eines Verschollenen. Weitere Werke komponierte er während der Internierung in Theresienstadt. Ullmanns Schülerschaft war anderer Art. Er kam als Schüler Schönbergs und

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als bereits profilierter Komponist zu Hába, bekannte jedoch, von Hába viel gelernt zu haben, namentlich in Bezug auf den Klang. Die Kompositionslehrer des Brünner Konservatoriums schickten ihre Schüler nach Janáčeks Tod auf die Meisterschule nach Prag. Einen Platz im Musikleben haben sie erst allmählich gewonnen. Nováks Schüler Theodor Schaefer (1904 –1969) wurde für sein Bläserquintett (1936) Laureat der französischen Zeitschrift La revue musicale. Als großes musikalisches Talent galt die Novák-Schülerin Vítězslava Kaprálová (1915  –1940), die Tochter des Komponisten Václav Kaprál. Ihr Studium absolvierte sie mit der Sinfonietta (1938), deren Prager Premiere mit der Tschechischen Philharmonie sie selbst dirigierte und die sie unmittelbar danach auch in London aufführte. 1938 wurde sie in Paris Schülerin von Bohuslav Martinů. In den Werken dieser Zeit ging sie von ihrer bisherigen Orientierung an Novák ab. Den Strapazen der Flucht aus dem okkupierten Frankreich hielt die angegriffene Gesundheit der Komponistin nicht stand. Zu größerer Freiheit in Form und Harmonik führte Josef Suk seine mährischen Schüler. Zdeněk Blažek (1905 –1988) machte durch Lieder und Chöre auf Worte moderner tschechischer Dichter auf sich aufmerksam, Klement Slavický (1910 –1999) tat sich durch instrumentale Kammermusik hervor. Sein Trio für Oboe, Klarinette und Fagott (1937) wurde auf dem Festival der IGNM 1947 in Kopenhagen aufgeführt. Für Blažeks und Schaefers Generation stand die Zeit künstlerischen Aufschwungs noch bevor – zunächst nach der deutschen Okkupation 1939 und von neuem unmittelbar nach dem kommunistischen Umschwung 1948.

Die musikalische Moderne der Deutschen In den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts hat sich an der Stellung der Deutschen in Mähren und im Troppauer Schlesien nicht viel geändert. In der hunderttausend Einwohner zählenden mährischen Metropole Brünn – nach Wien, Prag, Graz, Triest und Lemberg die sechstgrößte Stadt im cisleithanischen Teil der Monarchie – bekannten sich ungefähr zwei Drittel der Einwohner zur deutschen Nationalität, zur tschechischen weiterhin nur ein knappes Drittel. Die Situation in Ostrau und Olmütz war zu dieser Zeit nicht anders. Überwiegend deutsch blieben nur einige Grenzstädte: Kulturell bedeutend waren Troppau, bis 1927 Landeshauptstadt des Troppauer Schlesien, das nordmährische Schönberg, im Süden Mährens Znaim und im Westen Iglau.

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Trotz des sozial und kulturell aufstrebenden tschechischen Bevölkerungsteils vermochte das deutsche Bürgertum seine führende Position im Lande zu halten – im öffentlichen Leben ebenso wie in Wirtschaft, Politik und Kultur. Möglich war das durch die ökonomische Überlegenheit der Deutschen, ihre soziale Stellung und Beherrschung des Beamtenapparats. Nach wiederholten Auseinandersetzungen – Höhepunkt war der Deutsche Volkstag am 5. Oktober 1905 in Brünn – ließen sich die Deutschen auf Verhandlungen mit den Tschechen ein, die dank Zugeständnissen auf beiden Seiten zum Mährischen Ausgleich vom 22. November 1905 führten. Die Vereinbarungen wurden in der Praxis jedoch nicht umgesetzt. So kam es trotz aller Aufgeschlossenheit Wiens diesem Projekt gegenüber nicht zur Errichtung der tschechischen Universität in Brünn. Die Spannungen in den Beziehungen zwischen den beiden Nationalitäten nah­men eher noch zu. Die Deutschen in Mähren betrachteten sich nach wie vor als die Ersten im Lande und dementsprechend benahmen sie sich auch gegenüber den widerspenstigen Tschechen. Als Vaterland galten ihnen nicht die historischen böhmischen Länder, sondern das deutsche Österreich. Nach dem Zerfall des Habsburgerreiches und der Gründung der Tschechoslowakischen Republik vollzog sich ein Wandel: Durch den Zuzug von Tschechen in die Städte wurde die bisherige deutsche Vorherrschaft wesentlich eingeschränkt. In den Stadtverwaltungen waren die Tschechen nun entsprechend ihrem Bevölkerungsan­ teil vertreten. Der Verbleib der deutschen Bevölkerung im neuen Staat erfolgte gegen deren Willen. Im Troppauer Schlesien und in Nordmähren versuchte man am 30. Oktober 1918 eine Provinz Sudetenland zu errichten und sie samt Olmütz, Iglau und dem deutsch geprägten Südmähren der Republik Österreich anzugliedern. Der junge tschechoslowakische Staat konnte nicht anders, als diese Zerstückelung seines historischen Territoriums zu verhindern. Die Deutschen in Mähren waren vom politischen Umsturz schockiert, der vielfach zum Verlust ihrer politischen und sozialen Positionen führte und ihre nationalen Gefühle verletzte. Bemerkbar machte sich auch, daß Intellektuelle in zunehmender Zahl das Land verließen, darunter auch Musiker. Spürbar war nicht zuletzt, daß die Tschechen nun im Bereich von Kunst und Kultur – und nicht nur dort – die Unterstützung des neuen Staates genossen. In Brünn öffneten 1919 die tschechische Universität – mit einem Lehrstuhl für Musikwissenschaft – sowie das Konservatorium. Brünn und Ostrau bekamen 1925 bzw. 1929 Rundfunkstationen – mit deutschsprachigen Musikredaktionen –, die schließlich auch eigene Orchester hatten. Das Symphonieorchester des Brünner Senders konnte sich bald mit den ausgezeichneten Brünner Philharmonikern messen. In Ostrau und Olmütz entstanden zudem tschechische Theater mit Musiktheater- und Schauspielbetrieb. All diese Häuser konkurrierten erfolgreich mit den deutschen Bühnen in Brünn und Troppau.

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Die ursprünglich deutschen Theatergebäude wurden nun bevorzugt an tschechische Theatergenossenschaften und Ensembles vermietet, die den Spielbetrieb im Verhältnis 5 zu 2 teilten: 5 Tage pro Woche für die Tschechen, 2 Tage für die Deutschen. Den Deutschen in Brünn blieb für das Schauspiel das Theater Redoute. Die Brünner Vereinten Bühnen nutzten für Opern- und Operettenaufführungen auch das Podium im Konzertsaal des Deutschen Hauses. Vor diesem Hintergrund erwogen die Brünner Deutschen Mitte der 1930er Jahre den Bau eines eigenen Theaterhauses. Der Krieg indes verhinderte die Realisierung dieses Vorhabens. In Ostrau wurde ein wesentlicher Teil des deutschen Theaterbetriebs ins Deutsche Haus verlegt. Ausschließlich in deutscher Hand blieb nur das Theater in Troppau. Dort gastierten nun auch tschechische Ensembles aus Ostrau und Olmütz. Die neue Bevorteilung der Tschechen war der vielleicht empfindlichste Eingriff in die kulturelle Infrastruktur der Deutschen in Mähren und Mährisch-Schlesien. Das Konzertleben war davon nicht betroffen. Die Brünner und Ostrauer Deutschen konzertierten nach wie vor in den Deutschen Häusern und andernorts. Die Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit war ein im Grunde demokratischer Staat. Als Nachfolgestaat des multinationalen Habsburgerreiches verstand sie es jedoch nicht, den legitimen Bedürfnissen ihrer Minderheiten – auf dem Gebiet der historischen Länder der Böhmischen Krone vor allem denen der mehr als drei Millionen Deutschen – Rechnung zu tragen. Das Kulturleben der Deutschen beschränkte der neue Staat jedoch nicht direkt. Für das zum Beispiel 1936 ausgesprochene Verbot eines Liederbuchs mit nationalsozialistischer Thematik – worüber sich die Musikblätter der Sudetendeutschen beklagten – gab es nur allzu gute Gründe.150 Die Aktivitäten der deutschen Gesangvereine und der Musik- und Theaterinstitutionen waren jedoch keiner Zensur ausgesetzt. Die politische und kulturelle Hegemonie der Tschechen im neuen Staat bewirkte bei den Minderheiten eine stärkere Besinnung auf die eigene Identität. Unter den Deutschen in den böhmischen Ländern entstand schon im Verlaufe des Ersten Weltkrieges der sogenannte „sudetendeutsche Einheitsgedanke“, den dann verschiedene politische und kulturelle Organisationen in ihren Aktivitäten verfolgten. Die vom Gebirgszug der Sudeten – vom Elbsandsteingebirge bis zur Mährischen Pforte, rund 230 km lang – abgeleitete Bezeichnung „sudetendeutsch“ wurde zunächst auf die Bewohner der Gegend selbst, nach und nach auf die gesamte deutsche Minderheit in den böhmischen Ländern übertragen. So bekam dieser ursprünglich geographische Terminus eine politisch-ideologische Dimension, indem er die in Böhmen und Mähren zerstreut lebenden Deut150 Vgl. Musikblätter der Sudetendeutschen, I/1936, S. 28.

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schen unter einem Sammelbegriff zusammenfaßte und dadurch zum Träger der Idee der „sudetendeutschen Einheit“ werden konnte, ohne daß es ein geschlossenes Siedlungsgebiet der Deutschen gab. Der Begriff „sudetendeutsch“ erschien alsbald auch in der Musikpublizistik, etwa in den Aufsätzen von Erich Steinhard (VIII–1928), Paul Nettl und anderen in der Prager Zeitschrift Auftakt, um dann schließlich für die artifizielle Musik beansprucht zu werden. Die Genannten waren jedoch klug genug, dieses nicht zu tun.151 Der Ausdruck „sudetendeutsch“ könnte sich sachlich auf den Eigencharakter der Volkslieder und der Volksmusik im westlichen, böhmischen und im östlichen Teil des eigentlichen Sudetenlandes beziehen, im letzteren Fall auf die Volkslieder im Troppauer Schlesien, im nordmährischen Kuhländchen und in Herrnskretschen. In die artifizielle Musik sind diese Idiome jedoch nicht durchgedrungen, wenigstens nicht in einem Maße, daß die Orientierung an Richard Strauss und Franz Schreker oder an Max Reger, wie sie für die meisten deutschen Komponisten in Mähren kennzeichnend war, verändert worden wäre. Die Politisierung des Gedankens der „sudetendeutschen Einheit“ durch die Sudetendeutsche Partei Konrad Henleins im nationalsozialistischen Sinne schuf auch in der Musik der tschechoslowakischen Deutschen eine neue Situation. Der Deutsche Musikpädagogische Verband machte sich diese Ideologie zueigen, die Ideen eines „völkischen sozialistischen Realismus“ wurden von reichsdeutschen Autoren und durch Zitate aus Hitlers und Goebbels’ Reden in den Sudetendeutschen Musikblättern kolportiert.152 Insbesondere die Gebrauchsmusik unterlag Beeinflussungen und Prägungen dieser „neuen“ Ideen. Das Repertoire wurde durch die Eliminierung der Musik jüdischer Komponisten und von Modernisten sowie durch die ideologische Interpreta­ tion von Komponisten der Vergangenheit „bereinigt“ und gleichgeschaltet. So wurde zum Beispiel Franz Schubert als ein sudetendeutscher Komponist ausgegeben,153 und das Werk Richard Wagners galt als Ausdruck reinen Germanentums. 151 Der Autor dieser Schrift befaßte sich hiermit in seiner Studie „Wann und wie wurde der Ausdruck ‚sudetendeutsch‘ im Musikschrifttum verwendet?“, in: Deutsche Musik im Osten, hrsg. von Klaus Niemöller und Helmut Loos, Bonn 1994, S. 317–22. Vgl. auch seine Präzisierung der Begriffe „deutsche Musik in den böhmischen Ländern“ und „sudetendeutsche Musik“, in: Hudební slovník pro každého [Musikwörterbuch für jedermann], Vizovice 1995, S. 197 und S. 282. 152 Laut der Zeitschrift kam es auf der Tagung des Vereins in Troppau am 7. und 8. Mai 1938 zur Vereinigung der deutschen Musiker unter dem Vorsitz Fidelio F. Finkes. Zitat: „Die deutschen Musikerzieher des Deutschen Musikpädagogischen Verbandes begrüßen die Einigung des Sudetendeutschtums und stellen sich bedingungslos und geschlossen hinter Konrad Henlein“, in: Musikblätter der Sudetendeutschen, II/1938, S. 254. 153 Vgl. zum Beispiel den Artikel von Franz Otte, Franz Schubert ein Sudetendeutscher, in: Musikblätter der Sudetendeutschen, I/1936/37, S. 185f.

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Vereine – Institutionen – Konzerte Das Netz der zahlreichen deutschen Gesangvereine in Mähren hat sich in der Ära der modernen Musik im Vergleich zum Ende des 19. Jahrhunderts kaum verändert. Solche Vereine existierten in allen Orten des Landes mit ausreichender deutscher Bevölkerung. Lediglich ihre Zahl hat sich in einzelnen Städten im Laufe der Zeit geändert: Einige Gesangvereine gingen ein, andere entstanden neu oder professionalisierten ihre Tätigkeit. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in Mähren an die 70 deutsche Singvereine und Singgemeinden gegenüber 80 tschechischen, davon allein etwa 20 in Brünn. Zusammengeschlossen waren sie in regionalen Sängerbünden: dem Brünner, dem Südmährischen, dem Nordmährischen, dem Olmützer und dem selbständigen Troppauer Sängerbund, deren Dachorganisation wiederum der Deutsche Sängerbund in Mähren war. Die deutschen Arbeitersänger formierten sich ebenfalls: Von den 23 „Gauen“, in die der Reichsverband der „Arbeiter=Gesangvereine Oesterreichs“ 1907 aufgeteilt wurde, waren drei in Schlesien (Bielitz, Troppau und Jägerndorf mit insgesamt 12 Chören) und zwei in Mähren (Brünn sowie Sternberg samt Olmütz mit 4 Chören) beheimatet (in „Böhmen“ gab es insgesamt 38 „deutsche“ Arbeitergesangsvereine).154 – Die Sängerbünde veranstalteten Musikfeste, oft unter Beteiligung österreichischer Vereine, auf denen der Zusammenhalt des Troppauer Schlesien und des deutschen Mähren mit Deutsch-Österreich proklamiert wurde. Die Blüte der deutschen Sängerbewegung im Lande überlebte – abgesehen von der Schwächung der Männerchöre durch den Krieg – das Ende der Monarchie. 1930 sind in Brünn jedoch nur noch sieben deutsche Vereine aktiv. Zu einem Rückgang kam es auch in anderen Städten, darunter in Ostrau. Die Zahl der Vereine im Troppauer Schlesien entsprach der dortigen deutschen Bevölkerungsmehrheit. Am Anfang des 20. Jahrhunderts existierten dort 22 deutsche Gesangvereine bei nur vier tschechischen. Ihre Stellung in der Musikvereinsbewegung hielten die Troppauer Schlesier auch nach 1918. Die Stadtvereine und Interessenvereinigungen bildeten zusammen mit den Musiktheatern nach wie vor die Basis des deutschen Musiklebens im Lande. Sie unterschie154 Hiezu siehe Hartmut Krones, Die österreichischen Arbeitersänger von Bielitz, in: Intermedialität. Studien zur Wechselwirkung zwischen den Künsten, hrsg. von Günter Schnitzler und Edelgard Spaude (= Rombach Wissenschaften • Rombach Litterae 126), Freiburg im Breisgau 2004, S. 411– 458. Die Jägerndorfer „Liedertafel des Fachvereins der Manufactur-Arbeiter“ war bereits 1873, der Bielitzer „Sängerchor des Arbeiterbildungsvereines“ 1876 gegründet worden. – Allgemein zur Geschichte der mährischen und böhmischen Arbeiter-Gesangvereine siehe Hartmut Krones, Erinnerungen an 29 Jahre einer mährisch-österreichischen Freundschaft, in: Musicologica Brunensia 44 (2009), 1–2. Jiřímu Vysloužilovi k 85. narozeninám, Brno (Masarykova Univerzita) 2009, S. 91–97, hier S. 94 –97.

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den sich voneinander durch ihre jeweilige Tradition, durch den Umfang ihres Wirkens und ihre kulturell-künstlerischen Ziele. Einendes Moment war ihre Deutschsprachig­ keit. In Mähren blieben nur einige zweisprachige Männergesangvereine bestehen. Zu den aktivsten gehörte der deutsch-tschechische Arbeiterchor „Marx“ in Ostrau-Witkowitz. Ein Unterschied zwischen Vereinen mit reinem Amateurstatus und solchen mit überwiegend künstlerischen Ambitionen ist nicht immer eindeutig festzustellen. Unterschiede gab es aber unter den Amateurvereinen. Überwiegend agitatorisch ausgerichtet waren die Chöre einiger nichtmusikalischer Organisationen, zum Beispiel der Mittelschulburschenschaften, des Brünner Akademischen Gesangvereins „Markomannen“ – einer der Chorleiter war Karl Frotzler – oder der Gesangvereinigungen der Turnvereine. Soziale und politische Ziele verfolgten die zahlreichen Arbeitergesang­ vereine.155 Die nach dem Komponisten, Pädagogen und Chorleiter Richard Wicken­ hauser benannte Brünner Wickenhauser-Gemeinde war auf Volksliedbearbeitungen fokussiert. Eine neue Erscheinung auf dem Gebiet des musikalischen Laientums stellte der Finkensteiner Bund dar. Zu seinen wichtigsten Zielen gehörten die Erneuerung der überlieferten Kulturwerte (Choräle, Vokalpolyphonie, barocke Hausmusik u. a.) und ihre Einbringung ins Musikleben der modernen Gesellschaft. Er wurde von dem in Mährisch Trübau gebürtigen Walther Hensel (1887–1956) im Jahre 1923 gegründet und nach der Kolonie Finkenstein im volksmusikalisch eigenständigen nordmährischen Schönhengstgau benannt. Hensel gewann Anhänger sowohl in der heimischen Gesangsbewegung als auch im Ausland, deren Tätigkeit er durch seine höchst fundierte musikalische und ethnographische Gelehrsamkeit beeinflußte. In der Ära der Musikmoderne erlebten die traditionellen deutschen Musikvereine in den Städten ihr produktivstes Zeitalter, und zwar sowohl in der Monarchie als auch in der Republik. Einen Aufstieg verzeichneten auch die Vereine in kleineren Städten: durch eigene Aufführungen und Gastspiele angesehener Künstler und Ensembles aus Mähren, aber auch aus Böhmen, Wien oder Breslau. Die Gesangvereine in Znaim – an die von Heinrich Fiby begründete Tradition knüpften nach 1919 Rudolf Welik und Fritz Slavik an – hielten in Konzert und Musiktheater ihr früheres Niveau. Einen 155 Mährische und mährisch-schlesische deutsche Arbeiterchöre blieben noch bis zum Verbot der sozialdemokratischen Partei Österreichs durch die Austrofaschisten (am 12. Februar 1934) im Verband des Österreichischen Arbeitersängerbundes. Hiezu siehe Hartmut Krones, „… daß wir den Tag des Anschlusses sehnlichst erwarten“. Nationale, sozialistische und kulturelle Ambitionen des Österreichischen Arbeitersängerbundes 1918  –1934, in: Nationale Musik im 20. Jahrhundert. Kompositorische und soziokulturelle Aspekte der Musikgeschichte zwischen Ost- und Westeuropa. Konferenzbericht Leipzig 2002, hrsg. von Helmut Loos und Stefan Keym, Leipzig 2004, S. 471–503.

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Aufstieg verzeichneten Chöre und Stadtkapellen im nördlichen Teil des Landes: in Freudenthal, Mährisch-Schönberg, Sternberg und andernorts. Es wurden Werke der Wiener Klassik und der deutschen Romantik – auch Ausschnitte aus Wagner­-Opern – gespielt. Der Sternberger Männergesangverein wagte auch die Aufführung von Opern, so Mascagnis Cavalleria rusticana, Bizets Carmen oder Gounods Margarethe. Die Schönberger Musiker und Theaterleute ihrerseits versäumten nicht, die Volksoper Der eiserne Heiland ihres beliebten Komponisten und Dirigenten Max von Oberleithner zu spielen, die sie bald nach ihrer Uraufführung in der Wiener Volksoper (1917) präsentierten. In Troppau wurde die neue Musikära vom Komponisten und Chorleiter Ludwig Eduard Johann Grande begründet, der aus dem westmährischen Teltsch nach Troppau kam, jedoch dem Troppauer Schlesien entstammte. Der Privatschüler Anton Bruckners wurde im Jahre 1893 zum Musikdirektor der Stadt bestellt. Als Leiter der Troppauer Singakademie brachte er bei deren Abonnementskonzerten Orchestermusik und Chorwerke von Bach, Händel, Haydn, Mozart, Beethoven, Brahms, Bruckner und anderen zur Aufführung. Außerdem baute er die Stadtmusikschule um, die er bis zu seinem Tod leitete und deren Wirkungskreis er in Form von Filialen auf das ganze Troppauer Schlesien ausdehnte, teilweise auch darüber hinaus. Nach der bedeutenden Ära Vladimír Lablers – er starb 1914 in Barcola bei Triest –

Abbildung 64: Ludwig Eduard Johann Grande

bekleidete der Absolvent des Wiener Konservatoriums, Josef Heidegger – bis dahin Chorleiter des deutschen Gesangvereins „Concordia“ in Kremsier –, ab 1919 den Posten des Direktors des Olmützer Musikvereins mitsamt Musikschule. Nach fünfjährigem Wirken in Olmütz wurde er zum Direktor des Brünner Musikvereins berufen, behielt jedoch zwei Tage pro Woche für den Olmützer Musikverein, mit dessen Männergesangverein und sehr gut besetztem städtischen Symphonieorchester er schon in seiner ersten Saison regelmäßig Kon­zerte mit dem Standardrepertoire aus Barock (Bach, Händel), Klassik (Haydn, Mozart, Beet­hoven, Schubert) und Romantik (Berlioz, Liszt, Wagner, Bruckner, Smetana, Tschaikowskij, Dvořák) gab. Er spielte auch Brahms und den in Olmütz gebürtigen Egon Kornauth.

Vereine – Institutionen – Konzerte

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Abbildung 65: Das Deutsche Haus in Mährisch-Ostrau

Angesichts der Schwäche der deutschen Oper in Olmütz dominierten Heideggers Konzerte in Niveau und Programm das deutsche Musikleben der Stadt. Hinzu kamen Auftritte von Prager und Wiener Solisten und Kammerensembles, im Bereich der Vokalmusik solche der auf Volkslied, Vokalpolyphonie und Barockmusik orientierten Singgemeinde (Chorleiter: Otto Kullil). Die Tätigkeit der Singgemeinde wurde von Hensels Finkensteiner Singbewegung inspiriert. Mit der Errichtung des Deutschen Hauses 1894, eines Gebäudes im Stil der norddeutschen Renaissance mit geräumigem Saal und Mehrzweckpodium, gewannen die Deutschen in Ostrau einen repräsentativen Veranstaltungsort für ihre Konzerte. Das deutsche Musikgeschehen der Stadt und ihrer Umgebung hatte bis dahin auf Männergesangvereinen beruht, neben dem Ostrauer auch auf dem Männergesangverein in Witkowitz (heute Stadtteil von Ostrau). Man pflegte die deutsche Liedertafel, von den heimischen Autoren insbesondere Eduard Engelsberg-Schön, von dem unter anderem der Chor Die Muttersprache stammte. Der Ostrauer Männergesangverein unter Leitung von František Budík arbeitete mit dem tschechischen „Lumír“ zusammen. Der Witkowitzer Männergesangverein war mehrsprachig. Die Bergmannskapellen wirkten außer bei Ständeunterhaltungen, Festen, Begräbnissen und ähnlichem auch bei Opern- und Operettenvorstellungen – oft handelte es sich nur um Ausschnitte – der Gesangvereine mit. Mit dem Dienstantritt Wilhelm Hoscheks als Chorleiter 1894 begann im Ostrauer Männergesangverein eine neue, fünfzehn Jahre währende erfolgreiche Ära. Zu jener Zeit existierte in Ostrau bereits die 1886 gegründete private Musik- und Gesangan-

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stalt des Chorleiters, Komponisten und Pädagogen Arthur Könnemann156 und der Orchester-Verein für klassische Musik. Der Männergesangverein und Könnemanns Orchester bemühten sich um Erweiterung des klassisch-romantischen Repertoires. Im Deutschen Haus gab es von Anfang an auch Gastspiele – zum Ereignis wurde das Konzert des Wiener Tonkünstlerorchesters unter Oskar Nedbal, der auf seiner Tournee in die östlichen Länder der Monarchie 1913 auch in Ostrau auftrat. Im Jahre 1924 konnten die Ostrauer die Wiener Philharmoniker begrüßen. Der Erste Weltkrieg war wie überall ein Einschnitt, der das Konzertleben der Ostrauer Deutschen lähmte. Zu einer Wiederbelebung der früheren Aktivität kam es erst, als der Pianist, Komponist und Chorleiter Anton Aich, Absolvent des Prager Konservatoriums, an die Spitze des Ostrauer Musiklebens trat. Im Jahre 1922 übernahm er das Direktorat der deutschen Städtischen Musikschule. Er begründete und leitete das Kreis-Symphonie-Orchester, mit dem er Symphonie- und Kantatenkonzerte mit Werken aus Klassik und Romantik gab – auch in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Gesangverein. Er dirigierte überdies in der deutschen Oper der Stadt. Als Pianist wirkte er im Ostrauer Rundfunk, und er begleitete bedeutende Sänger. In der Zwischenkriegsära traten in deutschen Konzerten Gastsolisten und -ensembles auf.157 Unter den Regionen des Landes erreichte Troppau als ungemein produktives deutsches Musikzentrum das höchste Niveau. Die Musiker fanden Unterstützung bei der regionalen Verwaltung, die Kantaten- und Oratorienkonzerte der Stadt profitierten von der Zusammenarbeit mit der Troppauer Oper, die nach dem Brünner Stadttheater die vorzüglichste Opernbühne im Lande darstellte – aus ihr sind einige Sänger von internationalem Rang hervorgegangen. Die Dimensionen einer wirklichen Großstadt mit entsprechender Ausstrahlung hat in Mähren auch musikalisch nur Brünn erreicht. Das deutsche Konzertleben konnte auf die Tradition der Musikvereinsära Otto Kitzlers bauen. Dazu gab es manches Neue. Viel bedeutete vor allem die Gründung der Brünner Philharmoniker 1902, die als festes Orchester überwiegend aus professionellen Musikern des Stadttheaters, aus Mitgliedern des Professorenkollegiums der Musikvereinsschule und aus versierten Absolventen bestand. Zu dieser Zeit erreichte die Brünner Musikvereinsschule bereits

156 Mehr darüber bei Jan Mazurek in: Ostravský skladatel Arthur Könnemann [Der Ostrauer Komponist Arthur Könnemann], in: Opus musicum, XXIII/1991, S. 134  –38, und: Němečtí hudebníci a jejich podíl na rozvoji české hudebnosti v Ostravě [Deutsche Musiker und ihr Anteil an der Entwicklung der tschechischen Musikkultur in Ostrau], in: ebenda XXX/1998, S. 66f. 157 Mehr darüber bei Ivo Stolařík, Umělecká hudba v Ostravě 1918 –1938 [Die artifizielle Musik in Ostrau von 1918 bis 1938].

Vereine – Institutionen – Konzerte

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das Niveau eines Konservatoriums,158 dessen Statut sie jedoch amtlich nie bekam. Die Brünner Philharmoniker wurden von einheimischen Dirigenten geleitet, zunächst bis 1922 von Karl Frotzler, der aus dem grenznahen Stockerau stammte. Er hatte die Wie­ ner Akademie für Musik und darstellende Kunst absolviert. Frotzler festigte und vertiefte die Konzeption von Kitzlers Konzerten durch deren Trennung vom gemischten Repertoire. Auch das dreijährige Wirken von Julius Katay (1922–25) als Opernchef des deutschen Stadttheaters war mehr als nur eine Episode – er brachte es zustande, die Zahl der Mitarbeiter des Hauses zu konsolidieren. Eine weitere große Ära war jene Heideggers (1925–1943). Häufig gastierten renommierte Dirigenten in Brünn, so 1906 Gustav Mahler mit seiner Symphonie Nr. 1 D-Dur – das Orchester hatte er in der Bläsersektion mit Musikern der Wiener Philharmoniker verstärkt.159 In der mährischen Metropole gastierten auch Bruno Walter, Felix Weingartner, Siegfried Wagner – im Jahre 1922 führte er mit den Brünner Philharmonikern seines Vaters Siegfried-Idyll auf –, Franz Schalk und Richard Strauss – letzterer dirigierte 1911 in Brünn seine Werke Don Juan und Tod und Verklärung.160 Nach 1918 kamen vereinzelt Pietro Mascagni, Robert Heger – ab 1928 ein häufiger Gast –, Wilhelm Furtwängler, Clemens Krauß, Hermann Abend­ roth, Georg Szell, Operndirektor des Neuen Stadttheaters in Prag, und der aus Fulnek in Nordmähren gebürtige Franz Konwitschny. In Konzerten traten namhafte Gastsolisten auf, vor dem Krieg die Pianisten Ferruccio Busoni und Eugen d’Albert, der Cellist Pablo Casals, in der Zwischenkriegszeit die Geiger Bronislaw Huberman, Wolfgang Schneiderhan und Nathan Milstein, der einarmige Pianist Paul Wittgenstein, das Wiener Rosé-Quartett und andere Kammerensembles. Die Wiener Philharmoniker sind in Brünn insgesamt fünfmal aufgetreten, zum letzten Mal 1932, die Berliner Philharmoniker mit Arthur Nikisch schon 1900, der Wiener Orchester-Konzertverein 1903. Der akustisch verbesserte Konzertsaal des Deutschen Hauses war ein den künst­ lerischen Ansprüchen genügender Raum. Auf der dortigen prachtvollen Orgel konzertierten August Petyrek, der Vater von Felix Petyrek, 1901 bis 1912 in regelmäßigen Matineen Otto Burkert, bei seinen Besuchen in Brünn Max Reger (1910, dann im Krieg), in der Zwischenkriegszeit die Brünner Organistin Maria Apelt und andere. Als sich in der Zwischenkriegszeit die Beziehungen zwischen den Brünner Tschechen und Deutschen entspannten, traten im Deutschen Haus auch tschechische 158 Im Jahre 1900 wurden höhere Klassen, sogenannte Konservatoriumsklassen, eingeführt. 159 Vladimír Telec, Dvakrát Gustav Mahler a Brno [Zweimal Gustav Mahler und Brünn], in: Opus musicum XX/1988, S. 215–17. 160 Vojtěch Kyas, Slavné hudební osobnosti v Brně 1859 –1914 [Berühmte Musikerpersönlichkeiten in Brünn 1859 bis 1914] , Brno 1995, S. 124.

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Künstler auf, Mitte der 1930er Jahre die Geiger Jan Kubelík und Váša Příhoda, der damals am Beginn seiner Karriere stehende Pianist Rudolf Firkušný, der aufsteigende Dirigent Břetislav Bakala oder der Sänger Pavel Ludikar. Die Pianisten Jaroslav Kvapil, Ludvík Kundera, Marianne Ertl-Wentzlitzke und Franz Zubal führten mit den Brünner Philharmonikern 1932 J. S. Bachs Konzert für vier Klaviere auf. František Neumann gastierte in den 1920er Jahren mit dem Opernorchester des Landestheaters im Deutschen Haus in Brünn. Partner des Brünner Musikvereins wurde in der Zwischenkriegszeit der schon 1879 gegründete Schubertbund. Otto Hawran, auch Chorleiter des Brünner Männergesang­ vereins, Kompositionsschüler von Bruno Weigl und Orgelschüler von Otto Burkert, hob seine Konzerte auf professionelles Niveau. In Konzerten des Schubertbundes führte er Werke der Renaissance und des Barocks auf – bedeutend war die Einstudierung der Matthäus-Passion von Heinrich Schütz 1932. Hawrans Nachfolger waren Fritz Klement (1934) und Willi Peschke (1937). Die Professionalität der Konzerte der Brünner Deutschen in der Vorkriegs- und Zwischenkriegsära steht außer Zweifel. Sie beruhte auf den Absolventen der Musikver­ einsschule, von denen viele zusätzlich in Wien oder auch Leipzig studiert hatten. Interpretatorisch reiften die Brünner Philharmoniker vorzugsweise am Repertoire der deutschen und der Wiener Klassik, denen in den Jubiläumsjahren 1927 und 1928 – Beethovens bzw. Schuberts hundertstem Todestag – besondere Sorgfalt gewidmet

Abbildung 66: Josef Heidegger

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wurde. Einer der wichtigsten Komponisten blieb Anton Bruckner. In den Konzerten des Musikvereins traten auch bedeutende Musiker aus Prag, Wien, Berlin und anderen Musikzentren auf. Den Weg zur zeitgenössischen Musik hatte schon Otto Kitzler geebnet. Gegen Ende seiner Karriere führte er Richard Strauss auf (Tod und Verklärung 1898, Don Juan 1899). Die gemäßigte Moderne vertraten in den Konzerten Max Reger und Franz Schreker. Unter den Dirigenten Julius Katay und Josef Heidegger wurden alle Symphonien Mahlers und Das Lied von der Erde (1929) aufgeführt. Das klagende Lied, ein Frühwerk Mahlers, erklang in Brünn unter Mitwirkung Wiener Künstler 1933. Es wurde auch vom Rundfunk übertragen. Der Brünner Musikverein pflegte auch Werke mährischer Komponisten, von denen die bedeutendsten Viktor Merz, Josef Gustav Mraczek, Rudolf Peterka, Alfred Mahowsky, Anton Tomaschek, Josef Wizina und Bruno Weigl waren. Erich Wolfgang Korngold, den die Brünner als den „Ihren“ betrachteten, wurde am häufigsten gespielt. Seine Orchester- und Kammermusik erklangen im Brünner Rundfunk. Der Brünner Musikverein änderte auch seine reservierte Beziehung zur tschechischen Musik. Zum Smetana-Jubiläum führte Julius Katay 1924 die symphonische Dichtung Wallensteins Lager auf. Wiederholt wurden Smetanas Moldau und das Cello-Konzert h-Moll von Antonín Dvořák mit dem Solisten Emanuel Feuermann gespielt. Zu einer Einstudierung von Dvořáks Symphonie Nr. 9, Aus der Neuen Welt, wurde 1931 der einstige Konzertmeister der Brünner Philharmoniker, Josef Gustav Mraczek, aus Dresden eingeladen. Der künstlerische Direktor des Musikvereins, Josef Heidegger, öffnete sich den Werken der namhaften Schüler Dvořáks. Josef Suk würdigte er durch die Aufführung der Meditace na staročeský chorál Svatý Václave (Meditation auf den alttschechischen Choral „Heiliger Wenzel“, 1935); eine bedeutende Tat war auch die Einstudierung der dramatischen Kantate Bouře [Der Sturm] (1931) von Vítězslav Novák. Die deutschen Musikliebhaber in Brünn besuchten offenbar gern tschechische Konzerte und Theatervorstellungen, und Janáček hörten sie am liebsten in authentischen Aufführungen tschechischer Interpreten.

Oper und Musiktheater Die Deutschen in Mähren hatten in Brünn, Troppau, Olmütz und Ostrau feste Opern­ häuser gegenüber dem einzigen tschechischen Haus in Brünn vor 1918. In Städten, wo Theatergebäude oder für Theaterzwecke geeignete Häuser existierten – in Sternberg das bereits 1872 erbaute Deutsche Haus, in Freudenthal und Znaim die städtischen Theater (1900), in Mährisch-Schönberg das Deutsche Vereinshaus mit geräumigem

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Saal und Bühne (1902), in Jägerndorf das Theater mit 750 Plätzen (1928) –, traten Gastkünstler und -orchester auf, darunter oft Mitglieder der Wiener Volksoper und des Deutschen Theaters in Breslau. Nach 1918 wurden deutsche Theatergebäude in den Grenzgebieten vereinzelt auch an die tschechische Minderheit verpachtet. Mit tschechischen Opernproduktionen – den Opern Smetanas und Dvořáks sowie Janáčeks Jenufa – trat in den 1930er Jahren das Opernensemble des Mährischschlesischen Nationaltheaters in Ostrau in deutschen Theaterhäusern auf.

Abbildung 67: Theatersaal im Vereinshaus von Mährisch-Schönberg (heute Šumperk)

Mitte der 1890er Jahre bis 1918 Bis 1918 erlebten die deutschen Theater trotz einer gewissen kriegsbedingten Stagnation einen Aufstieg auch im Bereich der Musik. Die Opernensembles prosperierten, allen voran die Oper des Deutschen Stadttheaters in Brünn mit ihrem zahlreichen Publikum. Brünn war bereits 1900 eine Großstadt mit 100.000 Einwohnern. Umfang und Qualität des Musikbetriebs beeinflußte auch die Kraft der lokalen Tradition, auf die nur Ostrau nicht bauen konnte. Als wichtig erwiesen sich die städtischen Musikschulen. Profilierte, von Berufsmusikern geleitete Einrichtungen waren die Musikschulen in Troppau und Olmütz. In Brünn erreichte die Musikschule des Musikver­ eins das Niveau eines Konservatoriums. Auch die Nähe Wiens war vorteilhaft – Brünn galt immer noch als Vorstadt Wiens. Der Einfluß Wiens erstreckte sich jedoch auch

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auf die entfernter gelegenen mährischen Städte, so vor allem im Repertoire, das sich zum Teil deckte. Zum Prestige der Opernhäuser gehörte es, ohne Rücksicht auf die Betriebskapazitäten das Werk Wagners einschließlich der Musikdramen aufzuführen. Abbildung 68: Leo Slezak als Lohengrin (Brünn 1896)

Die Oper des Stadttheaters in Brünn war schon in den 1890er Jahren imstande, den kompletten Wagner aufzuführen. Die Tetralogie Der Ring des Nibelungen wurde in der Reihenfolge Die Walküre 1891, Das Rheingold 1896, Siegfried 1897 und Götterdämmerung 1898 einstudiert und dann als Zyklus aufgeführt. Gleichzeitig wurden Die Meistersinger von Nürnberg sowie Tristan und Isolde gegeben. Wagners Musikdramen studierte das Theater wiederholt ein. Parsifal führte Brünn kurz nach Ostern 1914 auf. Die romantischen Opern Der fliegende Holländer, Tannhäuser und Lohengrin gehörten schon länger zum Stammrepertoire und ergänzten die deutschen romantischen Opern von Weber, Lortzing, Marschner und anderen. Zum Repertoire der Oper gehörten aber auch Werke der italienischen und französischen Schule, auch solche der Veristen: Bedeutend war der Brünner Verdi-Jubiläumszyklus in der Saison 1913/14 mit der Einstudierung des Falstaff.161 Die deutsche Oper in Brünn widmete sich auch den aufstrebenden lokalen Komponisten, die auf dem Gebiet der Oper vor allen Josef Gustav Mraczek repräsentierte, dessen drei Opern Der gläserne Pantoffel (1905), Traum (1909) und Aebelö (1919) aufgeführt wurden. In den mährischen Kontext gehören auch die Aufführungen der Oper La Vallière (1916) von Max von Oberleithner und der Erstlingsoper von 161 Näheres bei Gustav Bondi, Geschichte des Brünner deutschen Theaters 1600 –1925, Brünn 1924.

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Eduard Chiari, Menzia (1913), beide Komponisten stammen aus Schönberg. Mit Aufführungen des Balletts Der Schneemann (1911) und der beiden Einakter Der Ring des Polykrates und Violanta (1917) schenkte das Theater auch der Entwicklung des in Brünn geborenen Erich Wolfgang Korngold Beachtung. Höhepunkte im Bereich der zeitgenössischen Oper waren jedoch die anspruchsvollen Aufführungen der Strauss­ Opern Salome (kurz nach der Dresdner Premiere 1905), Elektra (1911), Rosenkavalier (1912) und Ariadne auf Naxos (1918). Am 21. Mai 1910 dirigierte Siegfried Wagner die Erstaufführung seiner Oper Banadietrich.162 Der Elektra-Vorstellung am 18. März 1911 wohnte Richard Strauss bei. Der langjährige Sekretär und Chronist des Brünner deutschen Theaters, Gustav Bondi, zitiert das große Lob des Komponisten für das Niveau der Einstudierung: Ich habe in der letzten Zeit an mancher bedeutenderen Bühne Elektra-Aufführungen beigewohnt, die jedoch die hiesige nicht erreichten. Die Brünner Vorstellung war in den Hauptrollen mit ausgezeichneten heimischen Kräften besetzt: Marie Dopler (Elektra), dem künftigen Brünner Parsifal Theodor Eckhert (Aegisth) und der von der Wiener Hofoper nach Brünn zur Elektra-Aufführung und zu Wagner-Partien anreisenden Marie Petzl (Klytämnestra). Eine große Stütze der Aufführung waren die mit moderner Musik vertrauten Brünner Philharmoniker, die durch zahlenstarke Mitwirkung den ausladenden Klangdimensionen der Partitur gerecht wurden. Interpretatorisch hochrangig waren auch die übrigen Brünner Profilvorstellungen (Wagner!), um die sich der Opernchef August Emanuel Veit verdient gemacht hat, der in seinen Zielen vom Thea­ terdirektor Julius Herzka unterstützt wurde. Die Vorstellungen des umfangreichen Repertoires gewannen durch Gastauftritte prominenter Solisten – wiederholt sangen Maria Jeritza und Leo Slezak – an Attraktivität. Auch die Opernensembles der anderen deutschen Theater in ihren gut ausgestatteten Gebäuden rangen um ein eigenes Profil. Das junge Theater in Ostrau im Deutschen Haus war anfangs in hohem Maße auf Auftritte des konsolidierten Ensembles aus Troppau angewiesen. Erst nach dem Bau des Stadttheaters 1907 kam es zur Konstituierung eines eigenständigen Opernensembles in der kulturell aufstrebenden Stadt. Geboten wurden insbesondere Werke der klassischen Wiener Operette. Das Theater­ ensemble führte auch die Operette Die Madonna mit dem Mantel (1912) des Brünner Komponisten und bedeutenden Musiklehrers Arthur Könnemann auf. Für ein erweitertes Repertoire und niveauvolle Vorstellungen sorgten der Kapellmeister Julius Kathay (1910–12) und dessen Nachfolger Anton Aich, Schüler Dvořáks am Prager Konservatorium. Es wurden Opernwerke des Standardrepertoires gegeben, wiederholt 162 Ebenda S. 64.

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Abbildung 69: Das deutsche Stadttheater in Mährisch-Ostrau

auch Smetanas Die verkaufte Braut (1914), die in Ostrau bereits 1898 deutsch aufgeführt worden war. Auch einige Musikdramen Richard Wagners kamen auf die Bühne (Die Walküre 1913, Siegfried 1914). Eine neue Opernära in Troppau begründete der Wiener Theaterunternehmer Hein­rich Jantsch in den Jahren 1894 bis 1897. Er lud Solisten und Dirigenten von anderen deutschen Theatern nach Troppau ein. Das Repertoire basierte auf Opern der deutschen und italienischen Schule. Der Erfolg der Oper des Prager Nationaltheaters 1892 in Wien inspirierte Jantsch zur Aufführung von Smetanas Opern Die verkaufte Braut (1894) und Der Kuß (1895), die in Mähren nun erstmals deutsch gesungen wurden. Als bedeutende Opernbühne setzte sich das Troppauer Theater erst in der Ära Carl Heiters (1898–1912) durch. Als eine der wenigen Provinzstädte der Monarchie sah Troppau den kompletten Ring (1899–1903), Die Meistersinger von Nürnberg (1899), alle romantischen Opern Wagners und Rienzi (1901). Verdis Falstaff wurde in Troppau 1905 aufgeführt, noch vor Brünn, Otello 1904. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs plante das Theater die Aufführung von Der Rosenkavalier von Richard Strauss. Bei all dem sind die Voraussetzungen zu bedenken, unter denen in Troppau Opern aufgeführt wurden. Beachtlich war die Leistung von Chor und Orchester (Stadt­kapelle) – beide bescheiden besetzt –, die nur bei aufwendigen Vorstellungen

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durch Musiker aus Militärkapellen und Schulen sowie mit Chorsängern aus den Verei­ nen verstärkt wurden.163 Abbildung 70: Maria Jeritza-Jedličková in der Zeit ihres Engagement in Olmütz

Die knappe personelle Besetzung war übrigens das Manko aller Opernensembles in Mähren außer Brünn. Das galt auch für Olmütz, dessen Oper jedoch in einem Punkt herausragte: Deren Bühne durchliefen ausgezeichnete Sänger, die später als Gäste wiederkamen. Im Repertoire glich die Olmützer deutsche Oper weitgehend der Troppauer. Mit Ausnahme der Götterdämmerung führte sie den gesamten Ring (1906 –12) auf, von Wagners Dramen Tristan und Isolde (1911) sowie alle romantischen Opern des Meisters. Eine Zierde der Aufführungen waren prominente Sänger wie Leo Slezak, Elsa Bland, Maria Jeritza – ab 1921 an der MET in New York –, Franz Steiner und andere. Im Repertoire waren auch Italiener und Franzosen vertreten. 1895 wurden mit Erfolg Die verkaufte Braut von Smetana – erneut 1914 – und Im Brunnen von Vilém Blodek aufgeführt, im Jahre 1897 auch Smetanas Dalibor, die jedoch wegen Protesten national eingestellter Deutscher wieder abgesetzt wurde. In der Leitung der Oper wechselten einige Dirigenten (Gustav Becher, Julius Katay, Josef Königsberg, Fritz Rendl). Noch kurz nach dem Ende der Monarchie 1918 führte das Olmützer Ensemble die Volksoper Der eiserne­ Heiland von Max von Oberleithner auf. Es war die allerletzte Vorstellung. In der Zwischenkriegszeit mußte das deutsche Stadttheater in Olmütz dann schließen.

1918 bis 1938 Das deutsche Musikleben erfuhr nach 1918 auch in Mähren zunächst keine Beeinträchtigung. In einigen Städten gab es die Deutschen Häuser, in Troppau, Znaim, Iglau und andernorts die nach wie vor in deutscher Verwaltung befindlichen Theater. 163 Mehr darüber bei Karel Boženek, Opavská Opera [Die Troppauer Oper], Opava 2000.

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In Brünn übernahmen die Tschechen das Gebäude des deutschen Stadttheaters bereits am 1. Juli 1919, in Olmütz und Ostrau ein Jahr später. In der komplizierten, nicht konfliktfrei sich entwickelnden Situation wurde ein provisorischer zweisprachiger Theaterbetrieb in ein und demselben Haus eingerichtet. In Hinsicht auf den Theaterbetrieb war das keine ideale Lösung. Die Beziehungen zwischen den tschechischen und deutschen Theaterleuten waren ungeachtet aller Gegensätze kooperativ. Der bereits zitierte Gustav Bondi erwähnt die Solidarität der tschechischen Theaterleitung wie folgt: Es verdient ausdrücklich festgestellt zu werden, daß der tschechische Theaterverein, zumal sein Direktor Stech und Opernchef Franz Neumann, es in diesem wie in jedem späteren Falle nicht an weitgehender Rücksichtnahme und an Entgegenkommen fehlen ließen.164 Das Entgegenkommen bezog sich auch auf die Theaterpraxis und bestand in der Aushilfe mit Dekorationen, Orchestermusikern und anderem. Als Regisseur für Smetanas Oper Der Kuß (1924), der ersten Aufführung eines tschechischen Komponisten auf der deutschen Bühne in Brünn, wurde Václav Štech eingeladen. In der Rolle des Lukáš trat der Tenor Karel Zavřel als Gast auf. Neumanns Opernorchester gastierte im Deutschen Haus. In den 1930er Jahren wirkte der Operettenregisseur des tschechischen Landestheaters in Brünn, Oldřich Nový, an den Musikrevuen im Deutschen Haus mit. Die deutsche Seite bekundete ihre Bereitschaft zur Gemeinsamkeit vor allem durch die Aufführung tschechischer Opern. Solide Partnerschaften dieser Art überdauerten bis zu der Zeit, als die deutschen Theaterleute unter den Einfluß der Ideen und Praktiken des Nationalsozialismus gerieten. Die tschechisch-deutsche Gemeinsamkeit schwand auf diese Weise zusehends und wurde in den Jahren 1939 bis 1945 gänzlich zunichte gemacht. In Brünn und anderen Städten kam es im Verlauf des Jahres 1938, als der überwiegende Teil der deutschen Theaterleute nationalsozialistische Positionen bezogen hatte und gegenüber den weniger zahlreichen staatstreuen Demokraten das Feld beherrschte, zur absoluten Trennung von Tschechen und Deutschen. In ihrem Handeln wurden die nationalsozialistisch gesinnten Kräfte von nach Brünn abgeordneten reichsdeutschen Kräften unterstützt und angestachelt. Die Polarisierung der Kräfte innerhalb der deutschen Musikgemeinde betraf zunächst das Schauspiel, in ihren praktischen Folgen jedoch bald auch die Oper.165 Nach Auflösung der deutschen Oper in Olmütz gestalteten das Bild der deutschen Oper in Mähren die Ensembles dreier Städte unterschiedlichen Profils und unter164 Bondi (Anm. 161), S. 190f. 165 Erinnert sei an Vladimír Helfert, der sich energisch für die Rechte der demokratischen gesinnten deutschen Theaterleute eingesetzt und vor dem gefährlichen Auftreten der Nationalsozialisten im Brünner Theaterwesen gewarnt hat, siehe: Boj za německé brněnské divadlo [Kampf um das deutsche Brünner Theater], in: Index Olomouc, X/1939, S. 51f.

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schiedlicher Bedeutung: Brünn, Troppau und Ostrau. Im Ostrauer Theater überwogen Schauspiel und leichte Muse – neben klassischen Operetten auch Lustspiele lokaler Autoren.166 Gespielt wurden Franz Lehár, Robert Stolz, Josef Strauß und Oskar Straus; Beliebtheit erlangte die Operette Polenblut von Oskar Nedbal. Operetten-Gastspiele gab in Ostrau regelmäßig das Troppauer Ensemble. Ein viel beachtetes Ereignis des Ostrauer Theaterlebens in der Zwischenkriegszeit war Ralph Benatzkys Operette Die Prinzessin auf der Leiter des Theaters in der Josefstadt in der Inszenierung von Max Reinhardt (1935). Die Oper gewann in den 1920er Jahren mit dem Dirigenten Anton Aich einen Chef von hoher Qualität, den weitere fähige Kapellmeister (Adolf Hoffmann, Richard Langer) am Dirigentenpult ablösten. Das Ensemble kam jedoch über das Standardrepertoire nicht hinaus. Gespielt wurden Verdi und die Veristen sowie deutsche Volksopern (Wilhelm Kienzl, Max von Oberleithner). Von tschechischen Komponisten kam in Ostrau 1926 Smetanas Die verkaufte Braut auf die Bühne, erstmals in der Stadt auf deutsch. In Ostrau gastierte das Opernensemble aus Breslau unter dem legendären Heinz Tietjen (1922/23), regelmäßig dann auch dasjenige aus dem nahen Troppau. So konnten die deutschen Zuschauer auch anspruchsvolle Opernwerke (Richard Strauss, Wagners Musikdramen) kennenlernen. In Nordmähren und im Troppauer Schlesien dominierte das Opernensemble des viel kleineren Troppau. Es gastierte außer in Ostrau regelmäßig auch in den umliegenden kleineren Städten. Die Krise der Nachkriegsjahre konnte durch die Verpflichtung des vormaligen Dirigenten der deutschen Oper in Olmütz, Theodor Schablass, überwunden werden, der auch einige tüchtige Sänger mitbrachte. Der erfahrene Opernchef schuf die Grundlagen künstlerischer Professionalität und zielbewußter Programmgestaltung. Während seines Wirkens 1922 bis 1926 brachte er Mozart (Zauberflöte) und Beethoven (Fidelio) zurück auf die Troppauer Bühne und verschaffte Wagner eine feste Position im Repertoire. Mit der Einstudierung von weiteren anspruchsvollen Werken wie Verdis Otello und Strauss’ Elektra sorgte Schablass für Ausgewogenheit. Für das deutsche Troppau mit seinem tschechischen ländlichen Umfeld entdeckte er Smetana neu (Die verkaufte Braut, Der Kuß, Zwei Witwen). Seine beiden Opern Stella und Nasredin auf eigene Libretti vergaß er bei all dem keineswegs. Die außergewöhnliche Programmgestaltung setzten die Nachfolger von Schablass fort. Arnold Langefeld (1926) bereicherte das Repertoire um Der Rosenkavalier und Ariadne auf Naxos von Richard Strauss. Als Novität gab er Křeneks Jonny spielt auf (1929), aus der tschechischen Oper Dvořáks Rusalka und Smetanas Dalibor. Mit der 166 Mehr darüber bei Hilde Pergler, Die Geschichte des deutschsprachigen Theaters in Mährisch Ostrau von den Anfängen bis 1944, Wien 1965, Manuskript.

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Abbildung 71: „Friedrich“ Smetana, Die Verkaufte Braut. Theaterzettel der Aufführung im Deutschen Stadtheater Mährisch-Ostrau

Aufführung von Janáčeks Jenufa und Katja Kabanowa beauftragte er Emanuel Punčochář, der unter dem Pseudonym Emil Emanuel auftrat, einen Dirigenten aus der Brünner Schule František Neumanns. Von den Nachfolgern Langefelds, der bis 1930 in Troppau wirkte, waren Arthur Löwenstein und Leopold Ludwig die bedeutendsten. Sie erhielten das ausgeprägte Profil der Troppauer Oper aufrecht und warteten auch mit neu entdeckten Titeln auf. Einem Zeitzeugen, dem später bedeutenden Opernkritiker Pavel Eckstein,167 blieb 167 Pavel Eckstein, Frühe Daten aus der Operngeschichte Troppaus, in: 4. Sudetendeutsch-tschechisches Musiksymposium. Die Oper in Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien, Regenburg 1996, S. 205 –207; siehe auch: Životní náhody Dr. Pavla Ecksteina [Zufälle im Leben des Dr. Pavel Eckstein], Praha 2002.

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in Erinnerung, daß er in seiner Heimatstadt Troppau – auch dank der Gastspiele der tschechischen Theater aus Ostrau und Olmütz – eine große Zahl interessanter Opern erleben konnte. Erneut kam Smetanas Die verkaufte Braut auf die Troppauer Bühne – in der Einstudierung Leopold Ludwigs –, danach als lokale Troppauer Novität sein Tajemství (Das Geheimnis, 1936/37). Als tschechoslowakische Erstaufführung präsentierte Ludwig Rudolf Wagner-Régenys (1903  –1969) Oper Der Günstling (1936). Ein Jahr darauf bot man, ebenfalls als tschechoslowakische Erstaufführung, die Oper Doktor Johannes Faust von Herrmann Reutter (1900 –1985). Das Strauss-Repertoire der Troppauer Oper wurde um Arabella (1935) und Die schweigsame Frau (1938) erweitert. Es ist erstaunlich, daß ein Opernensemble von mittlerer Größe solche anspruchsvollen Aufführungen zu bewältigen vermochte. Für aufwendige Aufführungen wurde das Ensemble durch zusätzliche Kräfte aufgestockt, für die Musikdramen von Wagner oder Strauss wurden Solisten der Wiener Staatsoper, des deutschen Landestheaters Prag, des Stadttheaters Breslau, aber auch solche aus Brünn oder Reichenberg zu Gastspielen eingeladen. Troppau verfügte aber auch über eigene qualifizierte Sänger – hier debütierten Hans Hotter (1929), der tschechische Tenor Jaroslav Jaroš und andere, die dann an die großen Häuser gingen. Das Stadttheater in Brünn mit dem bis 1918 künstlerisch besten Opernensemble in Mähren mußte nun unter veränderten Bedingungen arbeiten, herbeigeführt durch die neue tschechische Federführung. Zu einer Störung des deutschen Opernbetriebs in Brünn kam es trotzdem nicht. Für Kontinuität sorgte der erfahrene Praktiker August Veit. Gleich in der ersten Nachkriegssaison wartete sein Ensemble mit Neuinszenierungen aus dem deutschen Repertoire auf: mit Der Rosenkavalier von Strauss, Die Meistersinger von Nürnberg, Tristan und Isolde und Götterdämmerung von Wagner, Zar und Zimmermann von Lortzing sowie Oberleithners Der eiserne Heiland und Kienzls Der Kuhreigen. In diesen Bereich gehört auch die Aufführung der Oper Liebelei von František Neumann (1874 –1929), die damals auf vielen deutschen Bühnen Erfolge feierte. Aus dem italienischen Repertoire wurden Verdis Otello und als Novität aus dem Bereich des Verismo Puccinis Il Triticco, bestehend aus den Einaktern Il Tabarro, Suor Angelica und Gianni Schicchi, aufgeführt. Die Krankheit des alternden August Veit und sein Abschied vom Theater 1922 führten zu einer gewissen Stagnation des deutschen Opernbetriebs in Brünn, die durch die Berufung des Wieners Julius Kathay zum Opernchef gelöst werden konnte. Dank Kathay öffnete sich das deutsche Theater in Brünn sowohl der modernen und als auch der tschechischen Oper. Diese Entwicklung setzte sich fort, als Hermann Adler (1925 –27) Kathay nachfolgte. Nach Rudolf Moralt, Alfred Mahovsky und Josef Blatt wurde 1932 Otto Ackermann Opernchef, 1936 Adolf Kienzl. Einen ausgezeichneten

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Abbildung 72: August Veit

Ruf genossen die Brünner Philharmoniker, deren Leistungen auch die tschechische Musikkritik – etwa der prominente Brünner Kritiker Gracian Černušák – hochschätzte. Die Oper verfügte über ein stattliches Solistenensemble von hoher Qualität und einen Chor, der bei großen Opern wie Parsifal um tüchtige Laien erweitert wurde. Für die Inszenierung von Mozarts Figaros Hoch­ zeit wurde das Opernensemble 1936 mit dem Staatspreis der Tschechoslowakischen Republik ausgezeichnet. Das Brünner Repertoire gewann durch Aufführungen tschechischer Opern an Dynamik. Julius Kathay studierte im Smetana-Jahr 1924 dessen Volksoper Der Kuß ein. In der kurzen Ära Herrmann wurden gleich drei tschechische Opern inszeniert: Die verkaufte Braut und Dalibor von Smetana sowie Janáčeks Jenufa. Von Dvořák gab es 1930 Rusalka und 1932 Čert a Káča (Die Teufelskäthe), 1934 erneut Smetanas Der Kuß. Nach der Abkühlung der deutsch-tschechischen Beziehungen hörte das deutsche Theater auf, tschechisches Opernrepertoire aufzuführen, Italiener und Franzosen wurden weiterhin gegeben. Kern des Repertoires war die deutsche Oper, zu deren Klassikern man damals schon Wagner rechnete. Als Repräsentant der Musikmoderne galt weiterhin Richard Strauss, der immer wieder auf den Spielplan kam. An zeitgenössischen Komponisten wurden Franz Schreker (Der Schatzgräber, 1923, Der ferne Klang, 1924) und Hans Pfitzner (Christ-Elflein, 1923, und Das Herz, tschechische Erstaufführung 1931) gegeben. Verhältnismäßig bald, zwei Jahre nach der Uraufführung, kam auch Korngolds Die tote Stadt (1922) auf die Brünner Bühne, des weiteren: Die arme Mutter und der Tod (1926) von Felix Petyrek, Eine Florentinische Tragödie (1928) von Alexander ­Zemlins­ky, Äquinoktium (1928) von František Neumann sowie Die Dreigroschenoper (1929) und Die Bürgschaft (1935) von Kurt Weill. Die Pflege der Moderne erreichte ihren Höhepunkt in Ackermanns Einstudierung von Bergs Wozzeck. Bei der erfolgreichen Premiere am 6. Dezember 1932 war der Komponist anwesend. Mit Berg und Weill bekannte sich die deutsche Oper in Brünn entschieden zur Moderne. Das Brünner Theater widmete sich auch Opern zeitgenössischer einheimischer Komponisten. Folgende wurden in der Reihenfolge ihrer Entstehung aufgeführt: Um

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Mähren und Mährisch-Schlesien in der Moderne bis 1938

zwölf Uhr geht die Post oder Der Pachter Feldkümmel (1919) und Ekkehard (1925) von Josef Wizina, Feuer in Klein-Trianon (1924) und Der Mantel der Assunta (1926) von Eduard Chiari, Das eiserne Herz (1925) von Anton Tomaschek, Die Sklavin (1929) und Knecht Jernej (1932) von Alfred Mahowsky sowie Der Kreidekreis (1934) von Viktor Merz. Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte man in Brünn die Bühnenwerke von Josef Gustav Mraczek gespielt.

Die Komponisten Die genannten Opern sind ein wesentlicher Teil des Schaffens deutscher Komponisten in Mähren, von denen noch Bruno Weigl zu erwähnen wäre, dessen einzige Oper Mandragora allerdings nie aufgeführt wurde. Im Konzertbereich erfreuten sie sich vergleichbarer Aufmerksamkeit. Große Bedeutung für die Aufführung von Werken deutsch-mährischer Komponisten hatte seit den 1930er Jahren die Station des Tschechoslowakischen Rundfunks in Brünn, bei der Hans Holländer, Professor für Musikgeschichte und -theorie an der Brünner Musikvereinsschule, als Redakteur der deutschen Musiksendungen viel bewirken konnte. Einige Werke wurde auch überregional wahrgenommen: vor dem Ersten Weltkrieg die Opern von Josef Gustav Mraczek, die Ländler-Variationen für kleines Orchester von Josef Wizina und andere. In der Zwischenkriegszeit konnte sich Bruno Weigl international durchsetzen. Egon Kornauth, Erich Wolfgang Korngold, Felix Petyrek und Viktor Ullmann wirkten außerhalb Mährens und wurden dort auch gespielt. Werke dieser Komponisten – Korngold ausgenommen – wurden in Konzerten der „Aus­stellung der zeitgenössischen Musikkultur in Brünn 1928“ mit der Musik Fidelio F. Finkes und einiger seiner Schüler konfrontiert. Der Chefredakteur der Prager Musikzeitschrift Der Auftakt (Jahrgang VIII/1928), Erich Steinhard, veröffentlichte unter dem Titel „Sudetendeutsche Komponisten“ eine Kritik dieser Konzerte und führte so das Schaffen der Deutschen in Mähren mit dem der modernen Prager Kompositionsschule zusammen. So entstand der Gedanke, die deutsche Musik in Mähren und in Böhmen unter dem Oberbegriff „sudetendeutsch“ zusammenzufassen anstelle der Bezeichnungen „deutsch-böhmisch“, „deutsch­ mährisch“ etc.168 Tatsächlich aber blieben im Musikschaffen gewisse Unterschiede 168 Der Versuch, den Ausdruck „sudetendeutsch“ als Oberbegriff für die ethnisch, historisch und stilmäßig verschiedenartige und regional zersplitterte Erscheinungen einzuführen, mußte scheitern. Vgl. den Artikel „Sudetendeutsche Musik“ in: Lexikon zur deutschen Musikkultur Böhmen, Mähren, Sudetenschlesien, II/ 2000, S. 1404 –1409.

Die Komponisten

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bestehen. Erich Steinhard selbst macht darauf in seinem Überblick Zur deutschen Musik in der Tschechoslowakischen Republik169 aufmerksam. Er nimmt die Musik der deutsch-mährischen Komponisten im Vergleich zu der an Schönberg und anderen modernen Richtungen orientierten Musik Fidelio F. Finkes und seiner Schüler als sehr viel traditioneller wahr. Den Deutsch-Mährern stand der gemäßigte Flügel der Schreker-Schule näher als der harmonische Radikalismus Schönbergs. Unter dem Einfluß der Finkensteiner Gesangbewegung zeigten sich in Mähren und Schlesien Chancen auf eine Erneuerung des „echten Volkslieds“, was nicht nur der Produktion der Heimatkomponisten, sondern auch der artifiziellen Musik Impulse verlieh. Eine gewisse Vorbildfunktion nehmen für einige Komponisten der 1930er Jahre der Dvořák der mährischen Periode und der Janáček der Jenufa ein.170

Das Gesamtbild Der Wegzug deutscher Musiker, durch den Mähren und Mährisch-Schlesien bereits im 19. Jahrhundert eine Reihe von Talenten verloren, setzte sich im neuen Jahrhundert fort. Es gab in Mähren und Mährisch-Schlesien geborene Komponisten, die im Lande blieben, und solche, die einen Wirkungskreis außerhalb suchten oder fanden. Letztere Gruppe war zahlenmäßig nicht unbedeutend, wie die folgenden Tabellen zeigen. Tabelle 1 enthält Komponisten, die im letzten Drittel des 19.  Jahrhunderts geboren wurden, Tabelle 2 die Jahrgänge nach 1900. Die Angaben zum Wirkungsort beziehen sich auf die Zeit bis 1945.

169 Vladimír Helfert/Erich Steinhard, Die Musik in der Tschechoslovakischen Republik, Prag 1938, S. 151. 170 In diesem Sinne diverse dahingehende Äußerungen in: Musikblätter der Sudetendeutschen.

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Mähren und Mährisch-Schlesien in der Moderne bis 1938

Tabelle 1: Komponist

Lebensdaten

Geburtsort

Wirkungsort

Werkausrichtung

Bammer, Johannes

1888–1988

Nikolsburg

Böhmen, Deutschland

E-Musik

Benatzky, Ralph

1884–1957

Mähr. Budweis

Wien, Zürich, USA

Operette, Chanson

Fall, Leo

1873 –1925

Olmütz

Wien

Operette

Grande, Ludwig Eduard Johann

1865–1940

Teltsch

Troppau

E-Musik, Volkslied- und Volkstanzbearbeitungen

Findeisen (Findeis), Otto Karl

1862–1947

Brünn

Leipzig

Operette

Hensel,Walther (eigentlich: Janiczek, Julius)

1887–1956

Mährisch Trübau Mähren, Stuttgart

Vokalmusik, Volksliedbearbeitungen

Klein, Wilhelm Walter

1882–1961

Brünn

Wien, USA

E-Musik

Königer, Paul

1882–1943

Mährisch Hennersdorf

?

E-Musik

Kunerth, Rudolf

1883 –1945

Mährisch Hermersdorf

ebenda

Volksliedbearbeitungen, U-Musik

Mraczek, Josef Gustav

1878–1944

Brünn

Brünn, Dresden

E-Musik

Oberleithner, Max von

1868–1935

MährischSchönberg

ebenda

E-Musik

Reuß, August

1871–1935

Liliendorf

München

E-Musik

Tomaschek, Anton

1882–1948

Brünn

ebenda

E-Musik

Weigl, Bruno

1881–1938

Brünn

ebenda

E-Musik

Wickenhauser, Richard

1867–1936

Brünn

ebenda, Graz, Wien

Chöre, Volksliedbearbeitungen

Woyrsch, Felix

1860 –1944

Troppau

Hamburg/ Altona

E-Musik

Zweig, Otto

1874 –1942

Proßnitz

Olmütz

E-Musik

Mit dem Musikleben Mährens sind die Zuzügler Anton Aich (1878 Michelob bei Saaz –1963 Ostrau, E-Musik) und Eduard von Chiari (1883 Wien –1954 Mährisch Schönberg, E-Musik) verwachsen.

247

Die Komponisten

Tabelle 2: Komponist

Lebensdaten

Geburtsort

Wirkungsort

Werkausrichtung

Brabec, Ernst Demetrius

1912–1943

Troppau

Prag

E-Musik

Klement, Fritz

1893–1968

Brünn

?

Volksliedbearbeitungen, U-Musik

Koneczny, Leodegar (Pseudonym: Kolberg, Leo)

1893–1945

Trzienietz

Prag?

U-Musik

Kornauth, Egon

1891–1959

Olmütz

Wien, Ferner Orient, Amerika, Salzburg

E-Musik

Korngold, Erich Wolfgang

1897–1957

Brünn

Wien, USA

E-Musik, Filmmusik

Kraus, Fritz

1901–1945

Sternberg

ebenda, Olmütz

E-Musik?

Mahowsky, Alfred

1907–1932

Brünn

ebenda

E-Musik

Mareczek, Fritz

1910–1984

Brünn

ebenda, Stuttgart

E-Musik

Merz, Viktor

1891–?

Brünn

ebenda, USA

E-Musik

Österreicher, Wilhelm Otto

1906–1988

Brünn

ebenda, Wien

Kirchenmusik, E-Musik

Peterka, Rudolf

1894–1933

Brünn

ebenda, Berlin

E-Musik

Petyrek, Felix

1892–1951

Brünn

Wien, Stuttgart, Athen, Leipzig

E-Musik

Rudolf, Bert (Hubert)

1905–1992

Seifersdorf

Böhmische Länder, Wien

E-Musik

Schimmerling, Aldo

1900–1967

Brünn

ebenda, USA

E-Musik

Seidl, Kurth

1902–1945

Olmütz

ebenda, Prag ?

E-Musik

Skoczek, Erich Otto Gottfried

1908–1945

Olmütz, Wien

ebenda

E-Musik

Tittel, Hanns Ernst

1910–1969

Sternberg

Wien

Kirchenmusik

Ullmann, Viktor

1898–1944

Teschen, heute Cieszyn, Polen

Prag, Zürich, Theresienstadt

E-Musik

Weczera (eigentl. Večeřa), Walter

1899–1965

Brünn

ebenda, Bayreuth ?

E-Musik

Wizina, Josef

1890–1967

Brünn

ebenda, Passau

E-Musik, Volksliedund -tanzbearbeitungen

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Mähren und Mährisch-Schlesien in der Moderne bis 1938

Etwas mehr als die Hälfte der Komponisten unserer Auswahl verblieb im Lande, der etwas kleinere Teil ging fort. Nicht einmal die mährische Metropole Brünn vermochte alle Musiktalente des Landes an sich zu binden und auf Dauer zu halten. August Reuss und Felix Woyrsch ließen sich in Deutschland nieder. Hauptziel der anderen war Wien, von wo sie dann ins nähere und fernere Ausland abwanderten. Wer die Heimat erst einmal verlassen hatte, fand in der Regel keine künstlerischen Gründe mehr zur Wiederkehr. Nur zur Aufführung ihrer Musik kamen sie zeitweilig zurück. Einige Komponisten jüdischer Abstammung verließen angesichts der drohenden nazistischen Gewalt Ende der 1930er Jahre das Land (Viktor Lenz, Hanns Aldo Schimmerling) – als Emigranten wider Willen. Andere jüdische Komponisten – Viktor Ullmann und Otto Zweig – verloren ihr Leben in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern. Eine Reihe von deutschen Talenten fiel schließlich dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer.

Außerhalb Mährens und Mährisch-Schlesiens wirkende Komponisten Der Südmährer August Reuß (1871–1935) verband sein Schaffen in den Genres Lied (auch mit Orchester), Orchestermusik (symphonische Dichtungen Der Tor und Tod, Johannisnacht) und Oper (Philipps Brautfahrt) mit der Münchner Neuromantik Max von Schillings’ und Ludwig Thuilles. Den in Troppau gebürtigen Komponisten Felix Woyrsch (1860 –1944) brachte das lebenslange Wirken in (Hamburg-)Altona zu Werken protestantischer Richtung (Passionsoratorium, Da Jesus auf Erden ging). Seine Opern (u. a. Wikingerfahrt) und sechs Symphonien komponierte er im Stil der neudeutschen Schule Liszts und Wagners. Ralph Benatzky (1884–1957) aus Mährisch Budwitz verschrieb sich der Operette (Adieu, Mimi, oder Im Weißen Rössl) und dem Chanson (Sammlung Ein Lächeln aus Wien). Die Operette der Wiener Richtung vertraten der Olmützer Leo Fall (1873 –1925, Die Dollarprinzessin, Madame Pompadour) und der etwas weniger eigenständige Otto Findeisen (1862 –1947) aus Brünn. Viele Komponisten gingen nach Wien zu Lehrern wie Franz Schreker oder Robert Fuchs, manche auch außerhalb der Institutionen zu Richard Strauss, Alexander Zemlinsky und anderen. Bei manchen blieben die während des Kompositionsstudiums und des Aufenthalts in Wien geknüpften Verbindungen bestehen, bei anderen nicht. Bei Korngold und Kornauth haben sie auch die langjährigen Aufenthalte im Ausland nicht aufzulösen vermocht. Korngold ist aus den USA nicht mehr dauerhaft nach Wien zurückgekehrt – nach dem Zweiten Weltkrieg war er dort nicht mehr willkommen. Nur Felix Petyrek hat sich mit seinem Werk anders orientiert.

Die Komponisten

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Abbildung 73: Erich Wolfgang Korngold

Erich Wolfgang Korngold (1897– 1957), Komponist des Welterfolgs Die Tote Stadt, widmete sein Talent im amerikanischen Exil der Filmindustrie. In seinen erfolgreichen Filmmusiken für Hollywood – unter anderem für Anthony Adverse 1936 und The Adventures of Robin Hood 1938, beide erhielten den Oscar – führte er die sinnlich-exzentrische Melodik und die farbigen Klangkombinationen seiner Wiener Periode fort. Egon Kornauth (1891–1959) unternahm Konzertreisen in die ganze Welt. Er selbst gestand, daß diese in seiner Musik keine Spuren hinterlassen haben. Er blieb zeitlebens ein „farbenfreudiger Romantiker“ wienerischer Prägung, wie ihn Erich Steinhard bezeichnet hat.171 In Kornauths Musik ist etwas, was Korngold fehlte: Einfachheit des Gefühls und Klassizität der Form. In seinen Orchesterkompositionen vom Typ der Suite, in Liedern und in der zahlreichen Kammermusik (Klarinettenquintett) repräsentiert er eine andere Facette des musikalischen Wienertums. Ein besonderes musikalisches Phänomen war der Komponist und Pianist Felix Petyrek (1892–1951), Schöpfer bedeutender Klavier- und Orchestermusik und von Opern (Die arme Mutter und der Tod, Der Garten des Paradieses). Der Schüler Franz Schrekers wandte sich schnell vom hochromantischen Impressionismus seines Lehrers ab. Auf den Festivals der neuen Musik (Donaueschingen, Melos-Konzerte) wurde er zusammen mit Alban Berg, Alois Hába, Paul Hindemith und Ernst Křenek gespielt, neben denen er zu bestehen vermochte. Der Zeitzeuge und bedeutende Musikkritiker Hans Heinz Stuckenschmidt rechnet Petyrek „mit gewissen Einschränkungen […] zur Schönbergrichtung“.172 Die Einschränkung betrifft Petyreks Festhalten an der 171 Helfert/Steinhard, Die Musik in der Tschechoslovakischen Republik, S. 184. 172 Hans Heinz Stuckenschmidt, Neue Musik zwischen den beiden Kriegen, Berlin 1951, S. 209.

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Mähren und Mährisch-Schlesien in der Moderne bis 1938

Abbildung 74: Felix Petyrek

Tonalität mit reichen modalen Wendungen. Er tendierte zu prägnant-differenzierter Rhythmik. In beidem inspirierte ihn die Volksmusik des östlichen und südöstlichen Europas173 – merkwürdigerweise nicht die seiner mährischen Heimat. In seiner östlichen Orientierung traf sich Petyrek eher mit Béla Bartók als mit seinem Landsmann und Freund Alois Hába. Eine interessante, bis jetzt wenig erforschte Komponistenpersönlichkeit war der aus Nordmähren gebürtige Bert (Hubert) Rudolf (1905  –1982), Schöpfer eines umfangreichen Œuvres in verschiedenen Gattungen. Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde im Prager Rundfunk seine Veit-Stoß-Oper (1937), im Krieg in Wien unter 173 Petyreks Beziehung zum Volkslied dokumentieren auch seine zahlreichen Volksliedbearbeitungen. Als Mitarbeiter der „Musikhistorischen Zentrale“ beim k. u. k. Kriegsministerium zeichnete er während des Ersten Weltkriegs in Südostmähren Volkslieder auf. Der Autor verdankt diese Information Frau Eva Maria Hois vom Ludwig-Boltzmann-Institut für regionale Musikforschung beim Österreichischen Volksliedwerk.

Die Komponisten

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anderem das Ballett Ali Baba und die Räuber (1944) aufgeführt. Die Mehr­zahl von Rudolfs Werken entstand erst nach 1945. In dem bemerkenswerten Essay Meine Erinnerungen an Leoš Janáček (1854–1928) 174 gedenkt Rudolf seines Privatstudiums bei dem mährischen Meister. Offen bleibt, ob Janáček Rudolf in irgendeiner Weise beeinflußt hat.

„Heimatkomponisten“ Zu dieser Gruppe gehören Chorleiter von Gesangvereinen und weitere Laienmusiker – Fritz Klement, Fritz Kraus, Rudolf Kunerth und andere –, die mit der Bearbeitung von Volksliedern, Liedertafelchören, Gesellschaftsliedern und -chören, Märschen sowie ver­einzelt auch Musikspielen oder Operetten keine ausgesprochen künstlerischen Ziele verfolgten. Oft waren sie dazu auch nicht imstande. Mit Gesellschaftsliedern trugen sie – wie zuvor die Komponisten des 19. Jahrhunderts – zur Festigung des Nationalbewußtseins, mit Volksliedern zur Stärkung des Regionalbewußtseins bei. Der einzige Berufsmusiker unter den „Heimatkomponisten“ des 20. Jahrhunderts war wohl der Bruckner-Schüler Ludwig Eduard Johann Grande (1865–1940, Abbildung S. 228), der im Troppauer Schlesien Volkslieder und -tänze aufzeichnete, aus denen er in einigen seiner Kompositionen schöpfte (Schlesische Bauerntänze, Aus den Bergen meiner Heimat).175 Professionelle Gesichtspunkte brachte der Pädagoge, Folklorist und Komponist Walther Hensel (1887–1956) aus Mährisch Trübau ein. Hensel überwand mit seinem vielseitigen Wirken den lokalen Rahmen. Er entdeckte das verschüttete Volkslied seiner Heimat Nordmähren und der anderen deutschen Sprachinseln – für die Deutschen auch das Volkslied der Mährischen Slowakei, woher seine Eltern stammten. Hensel publizierte auch über das Volkslied. Für seine kenntnisreichen Bearbeitungen im einfachen polyphonen Stil wählte er charakteristische Volkslied-Weisen. Das unterschied ihn von anderen Volkslied-Bearbeitern, die oft aus gedruckten Sammlungen mit häufig nur abgenutzten oder „abgebrauchten“ Wendungen (Richard Wickenhauser) schöpf­ ten. Hensel hat seine „Kompositionen“ auf ein Volksthema zusammen mit Original174 Veröffentlicht in: Musikerziehung XLII (1988/89), S. 69f. 175 Grandes in Privatbesitz befindliche Kompositionen wurden dem Autor trotz freundlichem Ersuchen nicht zur Verfügung gestellt. Im „Zemský archiv v Opavě“ [Landesarchiv in Troppau] ist lediglich die sogenannte Grande-Chronik zu finden, aus der man jedoch nicht auf Stil und Qualität der Werke schließen kann.

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Mähren und Mährisch-Schlesien in der Moderne bis 1938

Abbildungen 75, 76: Walter Hensel, Finkensteiner Liederbuch

Die Komponisten

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kompositionen im Finkensteiner Sängerbuch (I/1928, II/1934) herausgegeben; für Klavier schrieb er die Schönhengster Tänze. Hensel inspirierte einige Komponisten zu einfachen folkloristischen Bearbeitungen, aus der älteren Generation etwa Josef Wizina (Drei mährische Tänze und Vier nordmährische Tänze, Hirtenlieder und Kuhländer Volksmusik, Iglauer Suite) und Anton Tomaschek (Tänze aus dem Schönhengstgau), von der jüngsten Generation Ernst Demetrius Brabec (Schönhengster Tafelmusik).

Komponisten „artifizieller“ Musik Die artifizielle Musik der Deutschen Mährens entwickelte in der Moderne kein Bewußtsein für das authentische heimische Volkslied.176 Sie war stark auf die Kreativität der Komponisten angewiesen, die in einer rückständigen Musikregion begannen, jedoch bereit waren, Impulse anderer, weiter entwickelter Kompositionsschulen oder Richtungen aufzunehmen. Zwar entstand beim Brünner Musikverein eine Kompositionsschule, der aber eine profilierte Leitfigur fehlte, die sich angehende Komponisten deshalb auswärts suchen mußten. In dieser Situation war wiederum die Nähe zu Wien von Vorteil. Die Bezeichnung Brünns als „Vorstadt Wiens“ paßt auch auf die Musik der Brünner Deutschen. Eng mit Wien verbunden war auch der Norden Mährens. Die deutsche Musik in Mähren unterschied sich von jener der Tschechen und stand der Musik der österreichischen Deutschen nahe. Diese produktive Verbindung brach auch dann nicht ab, als Mähren und das Troppauer Schlesien Bestandteile der Tschechoslowakischen Republik geworden waren. Das Ende der Monarchie hat die Entwicklung der Musik keineswegs unterbrochen oder in eine andere Richtung gelenkt, es herrschte vielmehr Kontinuität. Anders als etwa beim Musiktheater handelt es sich um eine geschlossene Epoche vom Anfang der Musikmoderne um 1900 bis zum Jahr 1938. Die Musikentwicklung vollzog sich quer durch die Generationen in der Begegnung von Tradition und Innovation. Das Spektrum reichte von der Tradi­ tion der deutschen Romantik bis zu gemäßigten Richtungen der Moderne. Der Nationalität und der Sprache des Komponisten entsprechend gehört die deutsche Musik der Region – ähnlich wie die Musik der Deutschen in Böhmen – in den Kontext der österreichisch-deutschen Musik. In Mähren ansässige Komponisten strebten nach eigener künstlerischer Identität und bezogen sich mit ihrem Werk auf den örtlich-regionalen Musikbetrieb. Ihre Musik wurde auch als Musik der Region emp­ 176 Darauf bezieht sich die Aussage von Karl Michael Komma, daß die Deutschen in Böhmen und Mähren im Gegensatz zu den Tschechen wesentlich weniger mit ihrer Volksmusik verbunden gewesen seien; siehe: Schicksal und Schaffen sudetendeutscher Komponisten, in: Stifterjahrbuch III, 1953, S. 89.

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Mähren und Mährisch-Schlesien in der Moderne bis 1938

funden. In Einzelfällen vermochten Werke durch Veröffentlichung oder Aufführung auch jenseits der Landesgrenzen ein Publikum zu erreichen. Eine profilierte Schule oder Richtung hat die deutsche Musik in Mähren nicht hervorgebracht. Max von Oberleithner (1868 –1935) war von 1886 bis 1888 Privatschüler Bruckners. Er komponierte fünf Symphonien, Kantaten und Lieder, über die nichts Näheres bekannt ist. Der unternehmungslustige Komponist verstand es, schon für seine ersten Opern deutsche Provinztheater zu gewinnen. Auf die Wiener Opernbühnen verhalfen ihm die Sängerin Maria Jeritza und der Regisseur Erich von Wymetal. Der Einakter Aphrodite (Libretto: H. Liebstöckl) mit der Jeritza in der Hauptrolle erntete bei der Premiere in der Wiener Hofoper 1912 außergewöhnlichen Zuspruch. Der Erfolg wiederholte sich mit La Valière (Libretto: Bruno Hardt-Warden und Ignaz Michael Welleminsky) an der Wiener Volksoper. Oberleithners Opern wirkten auf den zeitgenössischen Zuschauer durch die Exotik und Erotik ihrer Libretti, die er mit seinem Theaterinstinkt zur Wirkung zu bringen wußte. Im Repertoire haben sie gleichwohl nicht Fuß gefaßt. Dazu fehlte ihnen ein eigener Ton. Nachhaltigere Wirkung hatte nur die Oper Der eiserne Heiland (1916, Libretto: Bruno Hardt-Warden und Ignaz Michael Welleminsky). Die konfliktreiche, national geprägte Handlung spielt in rustikalem Milieu, folkloristische Elemente enthält die Musik jedoch nicht. Im Genre und Ausdruck erinnert sie an das auch in Mähren beliebte Singspiel Der Evangelimann von Wilhelm Kienzl. Nach der Premiere in der Wiener Volksoper 1917 wurde die Oper auf zahlreichen deutschsprachigen Bühnen gegeben. Im Jahre 1919 wurde sie sogar von der Laienspielgruppe in Mährisch-Schönberg, dem Geburts- und Wirkungsort des Komponisten, einstudiert. Das Troppauer Theater kam in den 1930er Jahren mit der Oper in die umliegenden Städte, aber auch nach Ostrau und Olmütz. In Mährisch-Schönberg lebte und wirkte ein anderer Schüler Bruckners, Eduard von Chiari (1883 –1954). Er wurde zwar in Wien geboren, wirkte jedoch als Komponist vor allem in Mähren. Von seinen acht Opern hat das Deutsche Stadttheater in Brünn die Opern Mencia (1914, eigenes Libretto), Feuer im Klein-Trianon (1924) und Der Mantel der Assunta (1926), beide auf Libretti von Beatrice Dovsky, aufgeführt. Auch Anton Tomaschek (1882–1948), Absolvent der Brünner Musikvereinsschule in Komposition und Violine, ist über die Grenze der Region nicht hinausgekommen. Der ambitionierte Geiger und Primarius eines Streichquartetts unter­nahm Konzertrei­ sen im ganzen südmährischen Kreis, unter anderem mit drei eigenen Streich­quartetten und weiterer Kammermusik. Die Brünner Philharmoniker führten die symphonische Dichtung Die Hand der Jezerte (1923, nach Eduard Mörike) und die Sinfonietta (1931) auf, das Opernensemble des Deutschen Stadttheaters in Brünn die Oper Das steinerne Herz (1925, Libretto: Karl Hans Strobl). Die Musik dieser Werke steht jener der

Die Komponisten

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deutschen Frühromantiker nahe. Tomaschek wirkte jahrzehntelang als integrierende Persönlichkeit des Musiklebens der Brünner Deutschen. Der Gegenwart näher stand Paul Königer (1882–1943), Absolvent der Troppauer Musikschule Grandes. Sein Werkverzeichnis enthält drei Streichquartette, Kammermusik verschiedener Besetzung, Kunstlieder und als Höhepunkt das im Brucknerschen Geist komponierte Werk Präludium und vierstimmige Doppelfuge d-Moll für großes Orchester. Das Werk erregte bei seiner Aufführung in Wien Aufmerksamkeit. Sein kontrapunktisch dicht gearbeiteter Satz ist von harmonisch komplizierten Akkordfolgen durchdrungen. Die Premiere des Werkes in Troppau 1938 weckte Zukunftserwartungen, die jedoch infolge des frühen Todes des Komponisten nicht erfüllt werden konnten. Neben Traditionalisten gab es zeitgleich auch der Moderne zuneigende Komponisten. Als ausgeprägte Modernisten der älteren Generation etablierten sich schon vor dem Ersten Weltkrieg Josef Gustav Mraczek und Bruno Weigl, beide Absolventen der Brünner Musikvereinsschule. Ersterem, Josef Gustav Mraczek (1878 –1944), Sohn des bedeutenden Cellisten František Mráček, reichte nicht aus, was er in der Musikver­ einsschule gelernt hatte. Der Schüler der Violinklasse Joseph Hellmesbergers am Wiener Konservatorium bildete sich in Komposition bei Hermann Grädener fort. Für seine Stilorientierung gewann er bei weitem mehr durch sein Wirken als Konzertmeister der Brünner Philharmoniker und des Opernorchesters des Deutschen Stadttheaters. Er erlebte die Wagnerära August Veits und die Brünner Premieren der Werke von Richard Strauss­, die seine Persönlichkeit nachhaltig prägten.177 Zur Domäne des Komponisten wurde schließlich die Oper. Er suchte sich Libretti mit Märchen- oder auch orientalischen Sujets aus. Vorbild für die Oper Der gläserne Pantoffel (1902) auf ein eigenes Li­ bretto nach Motiven der Märchen Dornröschen und Aschenbrödel war offenkundig Engelbert Humperdinck. In Der Traum (1908) hat Mraczek das gleichnamige romantische Spiel von Franz Grillparzer in ein Libretto umgearbeitet. Die Aufführung in der Berliner Königlichen Oper unter Leo Blech öffnete Mraczek den Weg auf große deutsche Bühnen. Die folgende Oper Arbelö (1914) entstand nach dem Abbildung 77: Josef Gustav Mraczek

177 Ausführlicher bei Erich H. Müller, Joseph Gustav Mraczek, Dresden 1917.

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gleichnamigen Roman von Sophius Michaelis (Libretto: Amélie Nikisch und Ilse Friedländer). Er ging darin von der Wagner-Strauss-Poetik seiner ersten Opern ab und näherte sich dem romantischen Impressionismus Schrekers, Rezensenten sahen auch Parallelen zum Impressionismus Claude Debussys. Erich Steinhard äußerte über Mraczeks reifen Opernstil: Er dichtet [...] aus zarter Farbenphantasie, aus echt lyrischer, tief nachdenksamer Seele. Er wandelt den Weg von der Romantik zu einer visionären Symbolik, vom Leitmotivischen zur reinen Impression, von der Illustration zum Stil. Arbelö ist Mraczeks beste Oper. Nach Brünn wurde sie in Breslau (1915), in umgearbeiteter Version in Frankfurt/Main (1917) und andernorts aufgeführt. Die übrigen Opern Mraczeks – Ikdar (1919), Herrn Dürers Bild oder Madonna am Wiesenzaun (1927) und Der arme Tobias (1936) – fallen bereits in die Dresdner Ära des Komponisten nach 1918. In der Brünner Ära komponierte Mraczek auch Chöre, Lieder und einige Instrumentalwerke. Aus der Musik zum grotesken Trauerspiel Kismet (1912, Text: Eduard Knobloch, dt. Übersetzung: Carl Lindau) für das Münchener Künstlertheater stellte er die beliebte Orchestersuite Szenen aus dem Orient mit den Sätzen Harem, Der Kalif, Gang zur Moschee, Schach, Diwan, Der Zauberer und Der Tanz der Odaliske zusammen. Mraczeks bestes Orchesterwerk ist die symphonische Dichtung Max und Moritz frei nach Wilhelm Busch (1911). Die Komposition ist Richard Strauss gewidmet. Nach Brünn feierte sie Erfolge unter Arthur Nikisch im Leipziger Gewandhaus (1914), in Amerika wurde sie von Karl Muck aufgeführt. Mraczek behielt durch den wichtigsten Teil seines Werks eine Schlüsselstellung in der deutschen Musik in Mähren. Gemein­ sam mit Bruno Weigl begründete er deren moderne Richtung. Bruno Weigl (1881–1938), Nachkomme des Wieners Joseph Weigl, Autors des berühmten Singspiels Die Schweizer Familie, hatte in der deutschen Musik Mährens eine etwas andere Stellung als Mraczek. Er blieb nach 1918 in Brünn und beteiligte sich als Pädagoge und Kritiker aktiv am Musikleben der Stadt. Sein bürgerlicher Beruf eines Ingenieurs im Staatsdienst erlaubte ihm nicht, zu weiteren Studien etwa nach Wien zu gehen. Diesen Mangel machte er durch vielseitige musikalische Interessen und einen außerordentlichen Intellekt wett, der auch in zahlreichen Publikatio­ nen zum Ausdruck kam. Weigl ist Autor von gefragten Komponisten-Porträts, eines Buchs über Operette und Walzer, eines Handbuchs der Literatur über Violoncello und Orgel. Beachtenswert sind vor allem Weigls Schriften zur Kompositionstheorie. Seine Harmonielehre unter besonderer Berücksichtigung der Harmonik der Neuzeit und der atonalen Satztechnik (Leipzig 1921) erweckte Aufmerksamkeit bei Vertretern der Zwölftonmusik wie Herbert Eimert oder Joseph Matthias Hauer. In der zweibändigen Schrift Die Lehre von der Harmonik der diatonischen und ganztonigen und der chro-

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matischen Tonreihe (Mainz 1925) erweitert Weigl seine theoretischen Betrachtungen um weitere moderne Tonsysteme. Die beiden „Harmonielehren“ brachten Weigl den Ruf eines Modernisten ein, was dem Komponisten Weigl angesichts seiner Fokussierung auf das Kunstlied, Chormusik und Werke für Orgel nicht ganz gerecht wird. Weigl komponierte in kleineren Formen. Die Oper in drei Akten Mandragora, op. 14, nach der gleichnamigen Komödie von Niccolò Machiavelli (1912, Libretto: Heinz Strobel) bildet in seinem Werk eine Ausnahme. Für großes Orchester komponierte er Drei Abendstimmungsbilder, op. 21 (1920), die auf dem Tonkünstlerfest des Allgemeinen deutschen Künstlervereins in Abbildung 78: Bruno Weigl Weimar gespielt wurden. Bei diesen Kompositionen, „Orchesterskizzen“, handelt es sich im wesentlichen um stimmungsvolle Musikstücke. Zwischen Weigls Musiktheorie und seinem Schaffen bestand jedoch kein Widerspruch. Der Musiktheoretiker war durchaus ein moderner Komponist. Max Reger führte ihn während seiner Besuche in Brünn zwischen 1914 und 1916 in die Welt der modernen Musik ein. Auf der Grundlage der gemäßigten Moderne Regers arbeitete Weigl weiter. Im Orgelstück op. 27, einem seiner letzten Werke, gelangte er bis an die Grenze der Tonalität.178 Einige Werktitel Weigls enthalten Attribute wie „Stimmungsbilder“ oder „Stimmungen“. Sie weisen jedoch keineswegs auf einen Programmcharakter der Komposition, sondern bezeichnen lediglich den Ausgang des Werks, gleichsam Impulse, die zu seiner Entstehung führten. In den Sieben Skizzen für Klavier, op. 24 (1926), formuliert er musikalische „Natureindrücke“ von seinen Ferienaufenthalten in der Steiermark. Tiefere inhaltliche Bedeutung findet man auch in Instrumentalkompositionen ohne entsprechende Hinweise im Titel, so zum Beispiel „innig verträumte Lyrik“ in Orgelkompositionen wie der Fantasie für Orgel B-Dur, op. 16 (1914), wo Weigl vom strengen Kontrapunkt absieht und der Emotion Raum gibt. In den Liedern reagiert seine Musik auf die Semantik der Verse, zum Beispiel in den Fünf Gesängen nach Dich178 Franz Beck, Bruno Weigl, in: Musikblätter der Sudetendeutschen, I/ 1937, S. 168.

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tungen von Joseph Eichendorff, op. 20 (1916), in den sehr persönlichen Fünf Gesängen nach Dichtungen aus der Rhapsodie ‚Höre mich reden, Anna Maria‘ von Armin T. Wegner, op. 22 (1920), die auf dem Festival der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Prag 1924 aufgeführt wurden, oder den Zwei Gesängen nach Dichtungen von Rainer Maria Rilke, op. 26 (1923), die als beste Vokalkomposition Weigls gilt. Weigl hat seine Lieder nie zu Zyklen verbunden. Bis zu seiner schweren Erkrankung 1932 unterrichtete Weigl privat Musik, doch keiner seiner Schüler konnte sich als Komponist durchsetzen. Josef Gustav Mraczek war als Kompositionslehrer wichtiger. Einer seiner bedeutendsten Schüler war Josef Wizina (1890 –1967), ursprünglich ein Eleve Karl Frotzlers und des Wieners Eusebius Mandyczewski. Wizina begann in Geiste seiner ersten Leh­ rer mit talentierten klassizistischen Kompositionen. Mit achtzehn Jahren spielte er mit den Brünner Philharmonikern sein Klavierkonzert D-Dur, mit seinen sieben Länd­ ler-Variationen für kleines Orchester (1910) erreichte er nach der Brünner Premiere Aufführungen in Prag, Karlsbad, Breslau und Stockholm. In jener Zeit komponierte er die Einakter Weihnacht (1912) und Frühlingsnacht (1913) sowie andere Kompositio­nen, die er in seiner autobiographischen Skizze von 1938179 als „Gesellenstücke“ bezeich­net. In der komischen Oper Pachter Feldkümmel oder Um zwölf geht die Post (1919, Libretto: Guido Glück) überwindet er bereits die Form des klassizistischen Singspiels. Der modernere Stil des Werkes ist offenbar von Wizinas Studium bei Mraczek beeinflußt. Die Entwicklung des Komponisten kulminierte in der Oper Ekkehard (1925) auf das Libretto des Brünner Dichters Guido Glück nach dem gleichnamigen Roman von Joseph Victor von Scheffel. Johann Joseph Abert hatte das Sujet bereits 1878 vertont. Die unerfüllbare Liebe des Mönchs Ekkehard zu Herzogin Hadwig ist zu einer überzeitlichen, rein menschlichen Historie gestaltet. Den Vertretern der völkischen Musik des Nationalsozialismus galt die Oper wegen ihrer „inaktuellen“ Handlung und der modernen Musik als „dem Volke fremdestes künstlerisches Werk“. Bei der Diskussion anläßlich der Neueinstudierung 1938 stellte sich der Brünner Kritiker Joseph Peschek auf Wizinas Seite. Er verteidigte die dramaturgischen und musikalischen Qualitäten von Wizinas Meisterwerk: [...] wir hören und spüren […] den Herzschlag des Dramas. Ja selbst die äußeren Geschehnisse bekommen erst durch die Musik ihr Leben, und glaubte, daß Ekkehard sich auch auf anderen deutschen Bühnen durchsetzen würde.180 Die folgenden Ereignisse haben das jedoch verhindert.

179 Musikblätter der Sudetendeutschen, II/1938, S. 253. 180 Musikblätter der Sudetendeutschen, II/1938, S. 153f.

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Wizinas Ekkehard könnte man als das erste repräsentative Werk der „Schule“ Mraczeks ansehen. Bei Mraczek studierten auch die Komponisten Hanns Aldo Schimmerling und Walter Vetsera (Večeřa). Infolge von Mraczeks Weggang 1919 nach Dresden als Professor in der Meisterklasse für Komposition an der dortigen Hochschule für Musik war jeder Gedanke an eine Kompositionsschule der Brünner Deutschen vergebens. Die Zahl an Musiktalenten nahm zwar zu, diese gingen jedoch mangels einer markanten Komponistenpersönlichkeit in Brünn weiterhin zu Wiener Lehrern. Der von Steinhard geprägte Terminus „mährischschlesische Gruppe“ markiert keinen gemein­ samen künstlerischen Nenner. Der Weg angehender Komponisten führte über die Brünner Musikvereinsschule. Fritz Mareczek, Schüler von Josef Wizina, und Wilhelm Otto Österreicher, Schüler von Karl Frotzler und Richard Wickenhauser, setzten das Studium nicht fort. Andere bildeten sich andernorts weiter: Alfred Mahovsky bei Franz Schmidt, Viktor Merz bei Franz Schreker und bei Robert Fuchs, Rudolf Peterka bei Joseph Marx, Hanns Aldo Schimmerling nach dem Studium bei Josef Gustav Mraczek in der Meisterklasse Alex­ ander Zemlinskys, Walter Vetsera bei Joseph Marx. Aus dem Namenverzeichnis der Lehrer und ihrer Schüler geht einmal mehr die Abhängigkeit der Komponisten von Wien hervor, die stets ihren Niederschlag im jeweiligen Schaffen fand. Viktor Merz (1891–?) kam zwar mit seiner Kantate Hymnus der Natur, op. 9, auf einen eigenen Text auf das Allgemeine deutsche Musikfest in Düsseldorf 1922, doch es war noch nicht das Werk, das ihn hätte durchsetzen können. Bedeutender waren seine erfolgreichen Schauspielmusiken für das Deutsche Stadttheater in Brünn: zu Büchners Leonce und Lena, op. 13 (1923), und zu Klabunds Kreidekreis, op. 17 (1932), des Schweizer Expressionisten Alfred Henschke. Aus diesen Musiken formte er Suiten für Kammerorchester, die die Brünner Philharmoniker aufführten. In Merz’ Werk nehmen Klavier- und Orchesterlieder den größten Platz ein: Drei Lieder des Hafis, op. 11 (1921), Drei chinesische Liebeslieder, op. 12 (1922), Sechs Gedichte aus den Galgenliedern auf Worte Christian Morgensterns, op. 18 (1933), und andere. Interpret seines Streichquartetts a-Moll (1937) war das Mährische Streichquartett. Die Aufführung fand in einem Konzert des Klubs mährischer Komponisten statt.181 Über die amerikanische Karriere von Merz ist nichts Näheres bekannt. Eine interessante Persönlichkeit ist der amerikanische Emigrant Hanns Aldo Schimmerling (1900 –1967).182 Seine Musikkarriere war schillernd: Er war erfolg­ 181 Der Klub initiierte zu dieser Zeit Austauschkonzerte der Wiener und der mährischen Komponisten. Am 4. Dezember 1935 gastierten einige um die Universal-Edition gruppierte Komponisten in Brünn, am 7. Jänner 1936 waren die Mährer ihrerseits in Wien. 182 Nicht zu verwechseln mit dem Bratschisten und Komponisten Hans Schimmerling, geboren am 26.

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Abbildung 79: Moravské kvarteto (Mährisches Streichquartett)

reicher Pianist und Opernkapellmeister, wechselte seine Wirkungsstätten und war in Prag, kurz auch in den USA, dann in Wien tätig. Nach dem Anschluß Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland flüchtete er aus Wien in seine Geburtsstadt Brünn und 1939 für immer in die USA. Als Komponist machte er mehrere Wandlungen durch. Erich Steinhard schreibt über ihn: Wenn man ihn früher als konservativ­-kitschig beiseite stellte, dann als Blender verdächtigte, so freute man sich später über ein zeitgenössisch empfindendes, formreiches Talent.183 An Schimmerlings erfreulicher Entwicklung hatte Alexander Zemlinsky Anteil, wie die vokal-orchestralen Kompositionen aus der Prager Studienzeit zeigen: Flucht der Kröte. Orientalische Sinfonie nach Gustav Meyring (1921), November 1893 in Wien, gestorben am 6. September 1979 in Wien. Hans Schimmerling war in Wien Buchhalter, studierte daneben Violine und Viola bei Oskar Holger sowie Komposition bei Hugo Kauder und trat in den dreißiger Jahren mit diversen Werken an die Öffentlichkeit. 1939 emigrierte er, nachdem er vom 11. November 1938 bis 10. März 1939 im KZ Dachau interniert war, über Schweden und England in die USA, wo er erneut als Buchhalter arbeitete sowie als Bratschist tätig war. 1964 wurde er Notar, 1973 ging er in Pension, 1977 kehrte er nach Wien zurück (Anm. d. Hrsg.). 183 Helfert/Steinhard, Die Musik in der Tschechoslovakischen Republik, S. 178.

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Pariser Sinfoniette (1922), Lyrische Kammermusik für Kammerorchester (1923). Nach 1925 komponierte er Lieder auf Worte deutscher Dichter (Joseph von Eichendorff, Christian Morgenstern, Eduard Mörike) und aus Des Knaben Wunderhorn, von denen einige in Wiener Verlagen erschienen. Schimmerling plante eine okkultistische Oper Der Sieg des Gatten. Im amerikanischen Schaffen findet sich eine Reihe von Kompositionen mit Themen aus der tschechischen Vergangenheit und Gegenwart, z. B. seine Memories of Czechoslovakia oder seine Folk dance music of the Slavic nations.184 Der Großteil der Komponisten der „mährischschlesischen Gruppe“ blieb in der Zwischenkriegsära und bis 1945 im Lande. Der Komponist und Musikologe Walter Vetsera (Večeřa) (1899 –1965), Schüler des Wieners Guido Adler, ging von Brünn nach Ostrau und von dort nach Prag, wo er mit dem Rundfunk zusammenarbeitete. Die Laufbahn des Kapellmeisters brachte ihn zum Komponieren fürs Musiktheater, so der Oper Mamselle Sophert und der Operette Der goldene Schlüssel. Die Bewunderung für das „hunderttürmige Prag“ inspirierte den Komponisten zur symphonischen Dichtung Die Türme von Prag, in der er den Glockenklang einiger Prager Kirchen ver­wendete. Wilhelm Otto Österreicher (1906–1984) schrieb Figuralmusik (Orchester- und Orgelmessen, Te deum), Offertorien und Motetten im cäcilianischen Stil. Durch seinen erfindungsreichen, tief empfundenen Stil überschritt er die Grenzen der geistlichen Gebrauchsmusik, sodaß seine Werke auch auf dem Konzertpodium gespielt wurden. Seine Orgelkompositionen (Konzert mit Orchester, Passacaglia u. a.), die er auch selbst interpretierte, fordern virtuoses Können. Zu den Höhepunkten seines Werks zählt das Mysterium von unserem Herrn, op. 7 (Erster Teil: Adeste fideles – Weihnachtsfestspiel in fünf Szenen mit Prolog; 1935). Österreicher komponierte Lieder, Kammer-, Klavierund Orchestermusik. Fritz Mareczek (1910 –1984) bevorzugte leichtere Musikgenres. Die Diktion seiner Kompositionen ist nicht authentisch volkstümlich, sie schöpft eher aus „deutsch-österreichischer Unterhaltungsmusik“185. In Liedern (Chansons), Tanzstücken und Pantomimen wie Die sieben Schwaben (1933) und Der Rattenfänger (1937) scheint er frei an Ralf Benatzky anzuknüpfen. In leichterem Ton sind auch seine Variationen über ein hei­ teres Thema (1933) geschrieben, das an die Melodie des volkstümlichen Liedes Kommt ein Vogerl geflogen erinnern. Im Bereich der artifiziellen Musik waren diese Variationen Mareczeks erfolgreichstes Stück. Nach der Brünner Premiere wurde es in Karlsbad, in Gera und andernorts gegeben. In Brünn wurden auch Mareczeks vier Orchesterlieder Die ferne Flöte auf Nachdichtungen Li Tai-Pos von Klabund (1933) aufgeführt. 184 Vgl. Vlasta Reittererová, Hanns Schimmerling oder Das Heimweh eines Emigranten (unter Mitarbeit von Hubert Reitterer), in: Kontexte. Musica iudaica 1998, Praha 1999, S. 135 –62. 185 Karl Michael Komma, Schicksal und Schaffen sudetendeutscher Komponisten, S. 121.

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Nicht alle Komponisten erlebten die gesamte Zwischenkriegsära. Rudolf Peterka und Alfred Mahovsky waren Zukunftshoffnungen, doch ersterer starb mit knapp vierzig, letzterer mit nur fünfundzwanzig Jahren. Beide wurden mit der beginnenden Musikmoderne groß, haben auf diese jedoch unterschiedlich reagiert. Im Frühling 1925 fanden in Brünn in Anwesenheit Arnold Schönbergs Konzerte mit Werken aus dessen freier Stilperiode statt. Gerade dieses Ereignis mag Rudolf Peterka (1894 –1933) bewogen haben, sein Streichquartett a-Moll, op. 9 (1925), mit dem Titel „Zurück zur Musik“ zu versehen. Er bediente sich in dem Werk ironisierender Verfremdung von einfacher Musik traditionellen Gepräges, wie der wichtigste Brünner Musikkritiker Gracian Černušák geschrieben hat.186 Peterka fehlte es nicht an großem Talent. Nach der postumen Aufführung seiner Rhapsodischen Ouvertüre Triumph des Lebens, op. 8, von 1924 schrieb die Kritik: Ein farbenfrohes, an musikalischen Eingebungen reiches, blendend instrumentales Werk.187 Peterka komponierte auch Schauspielmusiken, sein Einakter Rossanna (Libretto: K. Münzer) wurde im Theater Stuttgart 1927 aufgeführt. Sein Werkverzeichnis enthält Kammermusik, Werke für Klavier und Orgel, den orchestralen Japanischen Liederzyklus nach Übersetzungen von Hans Bethge. Einige von Peterkas Werken erschienen in Berlin bei Simrock und fanden öffentlichen Anklang. Während seines Aufenthalts in Deutschland setzte er sich als Interpret für die tschechische Musik ein. Auch Alfred Mahovsky (1907–1932) komponierte tonal. Trotzdem dürfte er manches von der Musikmoderne gelernt haben. Bruno Weigl resümiert in seiner Rezension von Mahovskys Oper Knecht Jernej und sein Recht folgendermaßen: Mahovskys Musik erquickt in ihrer Ursprünglichkeit, Frische und erhebenden Gemütstiefe Herz und Sinn [...].188 Kritikerlob erntete Alfred Mahovsky schon mit seinem Einakter Die Sklavin (1929, Libretto: Grete Bauer). Sein Hauptwerk jedoch ist zweifellos die erwähnte Oper in drei Akten Knecht Jernej und sein Recht (1932, Libretto nach einer Erzählung des Slowenen Ivan Cankar). Für die erfolgreiche Aufführung des Werks am Deutschen Stadttheater in Brünn sorgte Viktor Merz, indem er Mahovskys Instrumentierung vollendete. Die Oper wurde unmittelbar nach der Brünner Premiere im slowenischen Laibach (Ljubljana) unter dem Titel Hlapec Jernej gespielt. Die Sklavin des zweiund­ zwanzigjährigen Autors war noch stark von der Salome von Richard Strauss beeinflußt, Knecht Jernej ist dagegen eine bereits in hohem Maße eigenständige Arbeit mit ganz anderem Sujet und einer Musik und Operndramaturgie – das Libretto ist Prosa –, die ihn als wahrhaft modernes Opernwerk ausweisen. Mahovskys kompositorisches Pro186 Vgl.: Tempo, Listy Hudební matice, IV/1925, S. 211. 187 Der Auftakt, XVII/1937, S. 61. 188 Der Auftakt, XII/1932, S. 193.

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fil vervollständigen seine Schauspielmusiken, zwei Streichquartette (1924, 1930) und andere Kammermusik.

Die verlorene Generation Kurt Seidl verschwand in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs spurlos irgendwo in der Umgebung von Olmütz, direkt in Olmütz starb zur selben Zeit Erich Otto Gottfried Skozcek (Skoček), beide Opfer der antideutschen Nachkriegsexzesse von tschechischer Seite. Leodegar Koneczny und Ernst Demetrius Brabec sind an der Ostfront gefallen. Es waren sich profilierende, talentierte Komponisten. Kurt Seidl (1902–1945?) ist Autor einer Reihe von Orchesterstücken, von Kammermusik und Liedern mit Klavier (Auf den Tod eines jungen Dichters, 1934) oder Kammerorchester (Herbst, 1936). Er vertonte Verse von Max Brod, Christian Morgenstern und Paul Leppin. Erich Steinhard erwähnt als Seidls repräsentativstes Werk die Sinfonische Suite Prag für Alt und Bariton Solo (1934).189 Einige Kompositionen deuten auf Seidls moderne Orientierung, etwa die Musik für Klavier, Piccolo, Schlagwerk, Sopran, Baßbariton von 1936. Seidls künstlerische Entwicklung war sehr geradlinig. Eine interessante Erscheinung war mit seinen Liedern (Schlesischer Frühling, An Dagmar), Kammermusiken und Klavierstücken Leodegar Koneczny (1912–1945) (Pseudonym: Leo Kolberg). Rudolf Quoika vermerkt über ihn190 ohne nähere Begründung, er sei ein Kämpfer um eine landschaftsbetonte Volksmusik gewesen. Als aussichtsreichster Absolvent der Kompositionsschule Fidelio F. Finkes erschien Ernst Demetrius Brabec (1912–1943). Seine Abschlußarbeit Kakteensuite für Sopran und Klavier (1933, Text: Speißmeier) und die Minioper Die Verwirrung des Mandarins Khu-Kiang wiesen unmittelbare Berührung mit der Moderne, dem Jazz und […] mit der Musik früherer Epochen auf.191 Die Oper wurde von Georg Szell zur Aufführung im Prager Neuen Deutschen Theater angenommen. Daß der junge Komponist sein Werk schließlich vom Theater zurückzog, ist nicht anders zu erklären, als daß er sich dadurch vom Modernismus – auch dem eigenen – distanzieren wollte. Brabec hat sich dann tatsächlich der nationalsozialistisch-völkischen Musik, dem politischen Lied, kleinen Kantaten und instrumentalen Festmusiken zugewandt, wie sie damals auch von Johannes Bammer, Walther Hensel, Felix Petyrek und anderen komponiert wurden. Durch Bearbeitungen von Volksliedern und -tänzen identifizierte er sich mit der 189 Helfert/Steinhard, Die Musik in der Tschechoslovakischen Republik, S. 188. 190 Rudolf Quoika, Die Musik in Böhmen und Mähren, Berlin 1956, S. 125. 191 Karl Michael Komma, Schicksal und Schaffen sudetendeutscher Komponisten, S. 123f.

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Singbewegung Walther Hensels. Brabec bewies auch in diesen Kompositionen hohe Musikalität und kompositorisches Können. Zu derselben Generation gehörte Erich (mit vollem Namen Erich Otto Gott­ fried) Skoczek (Skoček) (1908–1945), Schüler von Karl Lafite und weiteren Wiener Lehrern. Er komponierte überwiegend für Orgel. Einige Werke widmete er dem Andenken Claude Debussys. Im Genre der Orgelmusik wurde er für einen Modernisten gehalten, zur völkischen Musikästhetik hielt er Distanz. Skoczek komponierte klangfarblich orientierte Musik in moderner Harmonik. Das von Antonín Schindler veröffentlichte Werkverzeichnis Skoczeks192 umfaßt 63 Nummern. Als sein bestes Werk gilt das Konzert für Orgel und Orchester. Skoczek wuchs musikalisch in Olmütz auf, in den 1930er Jahren wirkte er in Wien, nach 1939 kehrte er in seine Heimatstadt Olmütz zurück.

Abbildung 80: Eric Skoczek, Selbstportrait

192 Antonín Schindler, Skladatel Erich Skoczek [Der Komponist Erich Skoczek], in: Acta Universitatis Palackianae Olomucensis. Facultas paedagogica. Musica V/ 1996.

Musik und Musiktheater in Mähren und Mährisch-Schlesien 1938 bis 1945 Auswirkungen der neuen politischen Ordnung In den Jahren 1938 bis 1945 nahm die Musikgeschichte auch in Mähren einen anderen Verlauf als bis dahin. Die Hauptursache dafür war das Eingreifen der politischen Entwicklung ins kulturelle Leben, das in der Musik zu einer verordneten Abwendung vom Modernismus führte. Die souveräne Tschechoslowakische Republik mußte dem Diktat des Münchener Abkommens vom September 1938 zufolge dem Deutschen Reich die überwiegend von deutscher Bevölkerung bewohnten Grenzgebiete abtreten – es handelte sich, Mähren betreffend, um Teile Süd- und Nordmährens sowie das gesamte Troppauer Schlesien. Damit war der territoriale Rahmen des Musiklandes Mähren und Mährisch-Schlesien im bis hierher beschriebenen Sinne nicht mehr gegeben. Nach der Abtrennung der Slowakei von der sogenannten Zweiten Tschechoslowakischen Republik (am 14. März 1939), der Besetzung der sogenannten Resttschechei durch die deutsche Wehrmacht und der Errichtung des sogenannten Protektorats Böhmen und Mähren am 15. März 1939 wurde im Lande eine totalitäre politische Ordnung eingeführt. Diese hatte für die tschechische Bevölkerung den Verlust der bürgerlichen Freiheiten, die Zurückdrängung ihrer demokratisch legitimierten Prädominanz und ihre Ausschaltung aus der politischen Führung zur Folge, die ganz der deutschen Seite zufiel.193 Die Juden waren zur physischen Liquidierung bestimmt, wobei es nicht darauf ankam, zu welcher Nationalität sie sich bekannten – zur tschechischen oder zur deutschen. Die neue politische Ordnung wirkte sich auch in Kunst und Musik aus. Die Einhaltung der offiziellen Anordnungen kontrollierte die Zensur, in Grenzfällen handelte die Gestapo, zu deren Opfern mehrere Persönlichkeiten der tschechischen Kulturelite 193 Zum entscheidenden Instrument der neuen politischen Ordnung wurde auch im Protektorat Böhmen und Mähren die NSDAP, in der die Sudetendeutsche Partei nach dem März 1939 aufging. Vertreter der NSDAP wurden den politischen und Verwaltungsinstitutionen vorgesetzt, Führungspositionen zuverlässigen Funktionären aus dem Reich – dem sogenannten Reichsprotektor, den Intendanten großer Theater u. a. – übertragen. Mitglieder und Günstlinge der NSDAP leiteten im Protektorat auch die wichtigsten künstlerischen Institutionen wie Theater, Orchester, Kulturwochen und ähnliches.

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gehörten. Einer der ersten von der Gestapo verschleppten Vertreter des Musiklebens war Vladimír Helfert, Professor der Musikwissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Masaryk-Universität in Brünn. Die Eingriffe der Zensur haben die bis dahin stilmäßig differenzierte Musik des Landes, bewirkt durch das Nebeneinander zweier europäisch orientierter Kulturen, wesentlich ärmer gemacht. Moderne Werke verschwanden sofort von den Programmen, auch solche der gemäßigten Moderne, die bei den Komponisten in Mähren überwogen hatte. Die Negation der Musikmoderne durch die Nationalsozialisten wurde damit begründet, daß es sich um „volksfremde“, „entartete“ Kunst handele. Eine Art „jüdisch-bolschewistische“ Verschwörung wolle die wahre deutsche Kunst unterwandern. Der Bannstrahl traf aber etwa auch den Anthroposophen Alois Hába. Auf die Tschechen wurde die völkische „Ästhetik“ nur mittelbar, durch Eingriffe der Zensur in die Konzertprogramme und Opernspielpläne angewendet; bei den Deutschen erstreckte sie sich auf die gesamte Musik, also auch das Komponieren.

Musik und Musiktheater der Deutschen Den Ideologen der Musikblätter der Sudetendeutschen und dem Beschluß des Troppauer Kongresses des „Musikpädagogischen (Deutschen) Verbandes in der Tschechoslowakischen Republik“ vom Juni 1938 zufolge sollten Musik und Theater vor allem dem deutschen Vaterland und dem deutschen Volk dienen – im Geiste der nationalsozialistischen Ideologie. Schule, ideologische Beeinflussung, „volksnahe“ zeitgenössische Kompositionen, Vereins- und Kolonnadenkonzerte der Wehrmacht und ähnliches sollten das gewünschte politische und nationale Bewußtsein herausbilden. Oper und Theater war eine bedeutende Rolle in der nationalsozialistischen Erziehung zugedacht. Die Propaganda wirkte auch äußerlich. Bei Festkonzerten und -vorstellungen waren die Säle und Gebäude mit Hakenkreuzfahnen und Standarten politischer Organisationen ausgestaltet. Es wurde für das traditionelle Publikum, für öffentliche Körperschaften und für die Wehrmacht gespielt. Zivilisten besuchten die Vorstellungen in Volkstracht, Soldaten in Uniform und Funktionäre der NSDAP in braunen Hemden mit Hakenkreuzbinde am linken Arm. Die Politisierung des Theaters betraf auch die Deutung der Bühnenwerke im nationalsozialistischen Sinne. Diese wurden für propagandistische Zwecke instrumentalisiert. Aufführungen der Opern und Musikdramen Richard Wagners gerieten zu politischen Manifestationen wie am 17. März 1939 Die Meistersinger von Nürnberg in

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Brünn. Der Festvorstellung wohnten hohe nationalsozialistische Funktionäre bei. Das Brünner Opernensemble wurde für die genannte Vorstellung durch Mitglieder der Wiener Staatsoper erheblich verstärkt. Wagner führte man in den deutschsprachigen Theatern in Mähren und Troppau bis zur vollständigen Schließung aller Theater im August 1944 viel öfter auf als zuvor. Das Opernensemble des Deutschen Stadttheaters in Brünn studierte unter Nikolaus Janowski in den Jahren 1941 bis 1943 den gesamten Ring ein, unter Gustl Wiese Die Meistersinger von Nürnberg (1942), Der Fliegende Holländer sowie Tristan und Isolde (beide 1943).194 Die Solisten der Oper in Duisburg, die als Ausgebombte ins Gebäude des Deutschen Landestheaters in Prag ausgewichen waren, sorgten als Gäste für ein hohes musikalisches Niveau der Inszenierungen. Die Inszenierungen wichen kaum von der Bayreuther Tradition Cosima Wagners ab. Es wurden auch Mozart-Opern und solche der deutschen Romantik aufgeführt. Die Opern Rossinis, Donizettis, Verdis und Puccinis erfreuten sich einiger Beliebtheit, galten sie doch als kulturelle Äußerungen des befreundeten faschistischen Italiens.195 In Niveau und Repertoire hielt die Opernbühne des Schlesischen Theaters in Troppau mit Brünn Schritt. Es gab einige überdurchschnittliche Inszenierungen: Der Rosenkavalier von Richard Strauss, Tschaikowskijs Eugen Onegin sowie Wagners Die Meistersinger von Nürnberg und Der Fliegende Holländer. Im italienischen Repertoire gelangte die Troppauer Oper bis zu Verdis Otello und Puccinis Turandot. Das Theater gab besondere Vorstellungen für Verwundete von der Ostfront, die in zahlreichen Lazaretten der Stadt und der Umgebung untergebracht waren. Man kam den Soldaten mit populärem Opernrepertoire und eingängigen Operetten entgegen. Gemeinsam mit Brünn und Breslau gastierte das Troppauer Theater – unter anderem mit Wagner – in Ostrau und Olmütz, wo ein deutsches Opernensemble erst 1942 neu gegründet wurde. Das Olmützer und das Ostrauer deutschsprachige Theater spielten auch Operetten, konnten sich aber in Repertoire und Niveau nicht mit den Vorstellungen des Brünner und des Troppauer Ensembles messen. In allen deutschsprachigen Theatern fanden Operetten namentlich des Wiener Kreises (Franz Lehár, Oskar Nedbal, Johann Strauß u.a.) und musikalische Komödien lokaler Autoren große Aufmerksamkeit. Ihre Sendung bestand darin, auf der Bühne ein frohes Spiel als Abglanz des Lebens vorzuführen, wie es der Olmützer Intendant Kurt 194 Vgl. Tereza Horlitz (geb. Pávová), Das Jahr 1941 in Brünn – Mozart gegen Dvořák, Deutsche gegen Tschechen, in: Musik im Protektorat Böhmen und Mähren (1939 –1945). Fakten – Hintergründe – Historisches Umfeld, hrsg. von Andreas Wehrmeyer, München 2008, S. 193 –203. 195 Der Autor dieser Schrift hat eine Reihe dieser Opervorstellungen persönlich miterlebt. Vgl. seine Erinnerungen: Über das Musikleben in Brünn in den Jahren 1939–1945, in: ebenda S. 163–168.

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Ehrle ausdrückte, der ähnlich wie seine Kollegen in Brünn (Theodor Anton Modes, Fritz Gerhard Klingenbeck) und Ostrau (Kurt Labatt) direkt von der Reichskulturkammer eingesetzt worden ist. Die leichte Muse war Bestandteil einer Kulturpolitik, die Normalität vorgaukeln wollte, als Hitlers Deutschland schon seiner Selbstvernichtung entgegenging. Der Konzertbetrieb war problemloser. Brünn, Ostrau und Olmütz hatten geräumige Konzertsäle, andernorts wurden Mehrzweckgebäude oder Theater genutzt. Größere Städte besaßen auch Orchester. Alle Orchester erfuhren 1939 eine (ideologisch motivierte) Reorganisation oder wurden unter dem neuen Namen „Symphonisches Kreisorchester“ – das betraf auch die Brünner Philharmoniker – mit dem Zusatz NSDAP „von neuem gegründet“. Das beste war noch immer das Brünner Symphonische Kreisorchester. Als 1941 die Tschechische Oper in Brünn geschlossen wurde, gelang es auch Olmütz, eine Reihe von professionellen tschechischen Musikern aus Brünn zu engagieren, sodaß man sich auch an anspruchsvollere Werke wagen konnte: die großen Symphonien Beethovens, Bruckners und anderer. Es war dies eine eigentümliche Art erzwungener Zusammenarbeit zwischen Tschechen und Deutschen, die sich auch in den Programmen widerspiegelte – man spielte Smetana und Dvořák. Basis des Konzertrepertoires war jedoch weiterhin die deutsch-österreichische Klassik, dazu Werke der von den Nationalsozialisten anerkannten Komponisten Richard Strauss (Sinfonia domestica) und Hans Pfitzner (Von deutscher Seele)196. Das Symphonische Kreisorchester Ostrau leitete Peter Kreidel. In Brünn gastierten Rudolf Moralt (1902–1958) von der Wiener Staatsoper, Hermann Abendroth (1883–1956) und der Nordmährer Franz Konwitschny (1901–1962), als er nach der Bombardierung des Opernhauses in Frankfurt/Main 1944 die Stelle des Generalmusikdirektors verloren hatte. Aus Prag kam das Deutsche Philharmonische Symphonieorchester mit dem Dirigenten Joseph Keilberth nach Mähren, in Brünn trat Hans von Benda mit seinem Berliner Kammerorchester auf. Das Leipziger Streichquartett verwirklichte eine Mähren-Tournee, auch gastierten hier zahlreiche hervorragende Solisten, zum Beispiel Elly Ney. Das deutsche Musikleben in Mähren hat dadurch gewonnen. Die Musiker und Sänger aus dem Reich kamen gern nach Mähren, das für sie eine Oase der Ruhe und Behaglichkeit war. Die mährischen Städte wurden nicht Ziel verheerender Luftangriffe der Alliierten, Theaterhäuser und Konzertsäle blieben unversehrt. Die deutschen Häuser in Brünn und Ostrau wurden erst während der Kämpfe in den beiden Städten zerstört.

196 Bei der Aufführung des Werks in Brünn war Hans Pfitzner zugegen.

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Abbildung 81: Fidelio F. Finke

Mit Musik von der Klassik bis zur Spätromantik gab es keine Probleme. Im Bereich der zeitgenössischen Musik galten jedoch die Vorgaben der nationalsozialistischen „Ästhetik“, mit der sich die meisten deutschen Musiker aus den böhmischen Ländern schon vor dem Jahr 1939 identifiziert hatten, darunter auch einige bedeutende wie nach Selbstkritik der frühere Modernist Fidelio F. Finke. Ihrem Lehrer folgten einige Schüler, so der Troppauer Ernst Brabec sowie Karl Michael Komma (1913–2012) aus dem westböhmischen Asch, beide in Musikwissenschaft und Ästhetik Schüler von Gustav Becking (1894–1945). Der junge Komma war gleichsam der Hauptsprecher des neuen Stroms eines lebendigen Musikschaffens für das Volk und seine neuen Ordnungen. Er selbst hat in diesem Geist auch komponiert; seine Musik spielte man auch in Mähren.197 Das Kriterium „Musik für das Volk und seine neue Ordnung“ galt nach 1939 ausnahmslos nicht nur für Agitationsauftritte, sondern auch für Konzerte mit großen Werken. Niemand dachte daran, etwa den in Emigration lebenden Paul Hindemith oder einen Vertreter der Wiener Schule Schönbergs oder ähnliches zu spielen. Bevorzugt wurden Komponisten der nachromantischen Stilrichtung wie der in Olmütz geborene 197 Karl Michael Komma, Gedanken zu unserer Disziplin, in: Musikblätter der Sudetendeutschen, Jg. II/1938, S. 225f.

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Egon Kornauth mit seiner Instrumentalmusik, auf der Bühne Ottmar Gerster (1897– 1969) mit seiner Oper Enoch Arden, mit der das Troppauer Theater nach Nordmähren kam, Robert Heger (1886–1978) mit Der Bettler Namenlos, Werner Egk mit Die Zaubergeige (beide in Brünn 1940) und andere. Über die Wahl eines Werkes entschied auch dessen Idee, eventuell die nationalsozialistische Interpretationsmöglichkeit. Nach der Olmützer Aufführung der symphonischen Dichtung Barbarossa (1898/99) von Siegmund von Hausegger (1872–1948) schrieb die Tageszeitung Mährisches Tagblatt am 11. November 1942: Der ideelle Gehalt des Werkes ist Fortschritt vom grauen Dunkel bis zur Macht des Lichtes, die die Schönheiten des Deutschen Reiches symbolisiert. Die allgemeine Distanzierung von der Musikmoderne wirkte sich auch auf die einheimischen Komponisten negativ aus. Niemand hat an die prominenten Vertreter der Brünner Moderne erinnert: Gustav Josef Mraczek, Bruno Weigl, Alfred Mahovs­ ky oder Felix Petyrek. Die Jungen, die der Krieg an die Fronten holte, kamen nicht mehr aufs Konzertpodium. Auf den Konzertprogrammen der offiziellen Kulturwochen figurierten einige wenige Komponisten, die nicht nur auf der Parteilinie lagen,198 sondern mit ihrer traditionell orientierten, oft eklektischen Musik wohlgelitten waren: Nikolaus Janowski, Karl Frotzler, Fritz Mareczek, Wilhelm Österreicher, Anton Tomaschek. Sie schrieben eingängige Musik, die dem Konstrukt des „lebendigen Musikschaffens für das Volk“ entsprach. Scheinbar überraschend ist, daß unter den Namen jener Komponisten auch der bedeutende Josef Wizina erscheint, einst einer der Modernisten der Brünner Musikvereinsschule Kitzlers und Mraczeks. Wizina folgte dem Zeitgeist und distanzierte sich von seiner musikalischen Vergangenheit. Zu dieser Zeit schrieb Wizina die Oper Ekkehard und andere leicht faßliche, auch folkloristisch angehauchte Kompositionen, die dem Konzept der völkischen Musik entsprachen. Die Rezeption des Volkslieds war keineswegs ein ureigenes Interessengebiet des Komponisten, sondern eine Reaktion auf ideologische Anforderungen. Wizinas späte Entwicklung ist nur ein Beispiel für die politische Indoktrinierung von Musik, die mindestens eine Verschmälerung ihres früheren Gattungsreichtums bedeutete. Die erzwungene Emigration von Musikern, der Tod junger Komponisten auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs und die beklagenswerten Umstände der Vertreibung der Deutschen nach dem Krieg taten ein übriges, der Geschichte der deutschen Musik in Mähren und Mährisch-Schlesien ein Ende zu bereiten. Nur Anton Tomaschek, der 1948 starb, verlebte seine letzten Lebensjahre in Brünn. 198 Susanne Antonicek, „Erst durch die Befreiungstat des Führers fielen die drückenden Fesseln.“ Die Böhmischen Länder zur Zeit des Protektorats im Spiegel deutschsprachiger Musikzeitschriften, in: Musik im Protektorat Böhmen und Mähren (1939 –1945). Fakten – Hintergründe – Historisches Umfeld, hrsg. von Andreas Wehrmeyer, München 2008, S. 153 –162.

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Musik und Musiktheater der Tschechen Nach Einführung der neuen politischen Ordnung lebte auch auf tschechischer Seite der Nationalismus auf. In Musik und Theater war er eine Form der Verteidigung der tschechischen nationalen Identität gegen die politische Gewalt. Er wollte die Nation ermutigen, Humanität und Demokratie verbunden zu bleiben. Trotzdem erweckte er durch seinen Aktivismus Verdacht. Daß im Protektorat bis 1941 russische Musik zugelassen war, spiegelte – unter dem Vorzeichen des sogenannten Hitler-Stalin-Pakts von 1939 – die damaligen poli­tischen Realitäten. Sie wurde im Deutschen Reich aufgeführt, konnte also auch in Mähren gespielt werden. Das Ostrauer Theater führte Pique Dame von Tschaikowskij, das Olmützer Theater Mussorgskijs Boris Godunov, das Brünner Theater Soročinskaja jarmarka (Der Jahrmarkt von Sorotschinzy) desselben Komponisten, in tschechischer Premiere sogar dessen Ženitba (Die Heirat)199 und anderes auf. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion hörte man auch im Protektorat auf, russische Musik zu spielen. Nachdem Reinhard Heydrich im September 1941 die Stelle des stellvertretenden Reichsprotektors angetreten hatte, verschlechterten sich die Verhältnisse in der tschechischen Musik und Kunst ganz erheblich. Die Zensur war äußerst streng, und es kam eine neue Welle von Verhaftungen und Hinrichtungen über die Menschen. Verbote betrafen Smetanas Operntableau Libuše, seinen symphonischen Zyklus Má vlast (Mein Vaterland) und patriotisch orientierte Werke anderer tschechischer Komponisten. Rafael Kubelík schaffte es, noch vor Heydrichs Dienstantritt mit seinem Theaterorchester das Vorspiel zu Smetanas Libuše, Janáčeks Taras Bulba und Jaroslav Kvapils symphonische Variationen Z těžkých dob (Aus schweren Zeiten) aufzuführen. Die Zensur fahndete nach Kompositionen, deren Text negativ gegen die Besatzungsmacht stimmen könnte. Das konnten auch volkstümliche Kompositionen sein. Aus der Valašská jitřní mše pastorální (Walachische pastorale Morgenmesse) des Komponisten Jaroslav Křička mußte das Distichon „Věříme pevně bez mezí, že pravda Páně zvítězí“ (Wir glauben fest und grenzenlos, daß die Wahrheit des Herrn siegen wird) gestrichen werden, eine Paraphrase des Lebenscredos des ersten tschechoslowakischen Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk Pravda vítězí (Die Wahrheit siegt), die jeder Tscheche verstand. Die Messe wurde während des Protektorats in Mähren mehr als 199 Hierbei handelt es sich um ein Opernfragment nach der gleichnamigen Komödie von Nikolaj Gogol. Mussorgskij komponierte 1868 nur den ersten Akt mit vier Szenen für Gesang und Klavier. Das Werk wurde im Jahre 1931 dann von Michail Ippolitov-Ivanov instrumentiert und beendet.

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Abbildung 82: Rafael Kubelík in der Zeit seines Wirkens in Brünn (1939-1941)

hundertfünfzigmal aufgeführt.200 Ob das Zensurgebot dabei immer eingehalten wurde, ist nicht mehr festzustellen. Hauptziel der Repression wurde das tschechische Theater an sich. In Brünn, Ostrau und Olmütz mußten die tschechischen Ensembles aus den Gebäuden der Stadttheater in ungenügende Gebäude umziehen. Den künstlerischen Betrieb, hauptsächlich der Oper, hat das ungemein beeinträchtigt. Am schlechtesten stand es um Brünn, wo das tschechische Theater für zwei Spielzeiten (1941– 43) geschlossen war und Direktor Václav Jiřikovský von der Gestapo verhaftet wurde. Er starb 1942 in Auschwitz. Musiker und Sänger boten, sofern sie nicht in der Kriegsindustrie eingesetzt waren, den Verhältnissen angepaßte Aufführungen mit reduziertem Apparat.201 200 Vgl. den Artikel „Křička, Jaroslav“ in: Československý hudební slovník osob a institucí [Tschechoslowakisches Musiklexikon der Personen und Institutionen], I/1963, S. 761. 201 Einige Opern (Prodaná nevěsta, Hubička) wurden in Ersatzsälen gegeben. Antonín Balatka, der suspendierte Dirigent und Dramaturg der Oper des Landestheaters in Brünn, bildete mit einigen verfügbaren

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Bis zu ihrer Schließung konnte die Oper des Landestheaters in Brünn unter Leitung von Rafael Kubelík mit gehaltvollem Repertoire und hervorragenden Leistungen des ganzen Ensembles aufwarten. Der junge Chef hat Jenufa neu einstudiert, aus dem klassischen Repertoire realisierte er die tschechische Erstaufführung von Die Trojaner von Berlioz, gab Mozarts Idomeneo, Verdis Otello und anderes. Für die folgende Saison sah er ein kühnes Programm vor mit Janáčeks Kátja Kabanova, Mozarts Don Giovanni, Smetanas letzter Oper Čertova stěna (Die Teufelswand), Wagners Tristan und Isolde und einer mährischen Novität: die lyrische Oper Pohádka máje (Ein Maimärchen, Libretto nach dem Roman von Vilém Mrštík) von Jaroslav Kvapil. Nichts davon hat das Theater nach seiner Wiedereröffnung – jetzt schon ohne Rafael Kubelík und unter dem neuen Namen „České lidové divadlo“ (Tschechisches Volkstheater) – verwirklichen können. Das ursprüngliche Prädikat Národní (National) durfte nicht mehr verwendet werden. Programmatisch standen nun Volksopern und Operetten im Vordergrund. Als der neu engagierte Dirigent und Regisseur Václav Kašlík von dieser Linie abwich und Don Giovanni inszenierte – wobei er trotz der begrenzten Möglichkeiten des Theaters in der Eichhornstraße die Prinzipien des modernen Regietheaters anwendete –, kam es zu einem von den Brünner deutschen Nationalsozialisten und den tschechischen Faschisten ausgelösten politischen Skandal. Es wurde argumentiert, Kašlíks Don Giovanni propagiere „entartete Kunst“ und verletze den „deutschen Geist“ des Werks. Die tschechische Presse verteidigte den jungen Avantgardisten tapfer (Lidové noviny vom 19. Jänner 1944). Der Kritiker Bohumír Štědroň, künftiger Professor der Masaryk-Universität in Brünn, weist in dem Artikel darauf hin, daß der Regisseur sich an die neueste Ausgabe der Oper von Georg Schünemann in einem Leipziger Verlag gehalten habe. Er habe sich durch Weglassung der scena ultima lediglich eine Aktualisierung erlaubt, da der gewalttätige Lüstling nur bestraft und keineswegs reingewaschen werden sollte. Vor der drohenden Verhaftung rettete Kašlík die Fürsprache österreichischer Filmemacher, die zufälligerweise in Brünn drehten und denen die Vorstellung gefallen hatte.202 In der Ostrauer und der Olmützer Oper gab es vergleichbare Konfliktsituationen nicht. Deren Chefs Jaroslav Vogel – er ging 1944 von Ostrau zum Brünner Tschechischen Volkstheater – und Karel Nedbal setzten die unverfängliche Spielplangestaltung fort, deren Basis die tschechische Klassik einschließlich Janáčeks Jenufa bildete. Vogel führte in Ostrau auch Wagners Walküre, Nedbal in Olmütz Verdis Otello, Wagners Der fliegende Holländer und anderes auf. Solisten eine Gruppe, die aus tschechischen Nationalopern zusammengestellte Querschnitte aufführte. Die ausgelassenen Passagen wurden durch gesprochenen Text ersetzt. Als Begleitinstrument diente das Klavier. 202 Vgl. Václav Kašlík, Jak jsem dělal operu [Wie ich die Oper gemacht habe], Praha 1987, S. 30.

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Das Konzertleben bot vergleichsweise mehr Raum für neue Initiativen. Die Konzertsäle konnten mit Ausnahme des Brünner Stadions weiter genutzt werden. Mähren schloß an die Prager Festivals „Hudební máj“ (Musik-Mai) (1940), „Rok Antonína Dvořáka“ (Das Antonín Dvořák-Jahr, 1941) und „Rok Bedřicha Smetany“ (Das Bedřich Smetana-Jahr, 1944) an. Es würdigte Leoš Janáček mit Chorkonzerten und Kammermusikzyklen (1944). Brünn veranstaltete auf Initiative des suspendierten Universitätsdozenten Jan Racek das Festival der Barockmusik mit Werken mährischer Komponisten („Morava v barokní hudbě 17. a 18. století“ [Mähren in der Barockmusik des 17. und 18. Jahrhunderts], 1942).203 Das Ausreiseverbot für tschechische Künstler aus dem Protektorat führte die Prager Spitzenkräfte und -ensembles nach Mähren – zum Beispiel Gastspiele der Tschechischen Philharmonie, Konzerte des Smetana-Interpreten und Pianisten Jan Heřman –, wodurch das mährische Konzertleben ein sehr hohes Niveau erhielt. Auch die Zahl an Konzerten nahm sowohl in Zentren als auch in kleineren Orten zu. Gesangvereine und Orchestervereinigungen von Laien führten in Kantaten- und Symphoniekonzerten tschechische und deutsch-österreichische Klassiker auf. Vom Niveau dieser Ensembles zeugt, daß sie Smetanas Má vlast (bis 1941), Dvořáks Symphonien und Kantaten, Werke von Beethoven, Schubert und ausnahmsweise auch Bruckner bewältigten. In Mittelmähren veranstalteten die Vereinschöre und Orchestervereinigungen aus Olmütz (Žerotín), Prerau (Přerub), Kremsier (Moravan) und Proßnitz (Orlice, Vlastimil) mit vereinten Kräften Symphonie- und Kantatenkonzerte. In Südostmähren fanden sich die Musiker der Städte und Gemeinden im groß besetzten Orchester der Slowakischen Philharmonie mit Sitz in UngarischHradisch (Uherské Hradiště) zusammen. Ostrau hatte seine eigene Orchestervereinigung, ein Laienorchester, das den Namen Ostrauer Philharmonie annahm. Hohe Professionalität erreichten gleichermaßen die Ostrauer Konzerte Vogels und die Theaterkonzerte Kubelíks in Brünn – bis zur Schließung des Theaters und zur Auflösung des Opernensembles mitsamt Orchester – mit einem Spitzenrepertoire, darunter Beethovens Missa solemnis und Smetanas Má vlast – Kubelíks letztes Konzert in Brünn 1941. Brünn bekam mit dem Symphonischen Orchester des Tschechischen Rundfunks ein zusätzliches professionelles Orchester, das mit seinen Abonnementkonzerten seit 1940 den bereits bestehenden des Opernorchesters Konkurrenz machte. Letztere gingen mit der Schließung des Theaters ein. Die Abonnementkonzerte des Rundfunkorchesters – bei Kantaten-Aufführungen unter Mitwirkung des Chors der „Beseda brněnská“ (Chorleiter: Jaroslav Kvapil) – blieben bis Kriegsende die unange203 Ehrenschirmherr des Festivals war Dr. Jindřich Graf Belcredi.

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Abbildung 83: Programmzettel des Konzertes des Mährischen Streichquartetts in Přerov (Prerau). Nach dem Jahr 1939 mußten die Programme der tschechischen Konzerte immer zweisprachig in Deutsch und Tschechisch gedruckt werden.

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Abbildung 84: Břetislav Bakala

fochtene Dominante des tschechischen Musiklebens in Mähren. Ihr Gründer und Leiter war der Janáček- und Novák-Schüler Břetislav Bakala. Mit der außerordentlichen Wirkung dieser Konzerte waren nur die Auftritte der legendären „Gesangvereinigung der mährischen Lehrer“ (Chorleiter: Jan Šoupal) zu vergleichen. Daneben gab es Konzerte mit zeitgenössischer Musik im Klub der mährischen Komponisten unter dem Direktor des Brünner Konservatoriums, Jan Kunc.

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Die tschechischen Musiker distanzierten sich keineswegs von der modernen Musik – weder von der früheren noch von der seinerzeit aktuellen. Sie spielten Werke von Komponisten der Vorkriegsära wie Leoš Janáček, Josef Suk, Josef Bohuslav Foerster oder Otakar Ostrčil. Auf den Konzertpodien mährischer Städte lebte der Kult um Vítězslav Novák auf, den das Land immer als seinen Komponisten angesehen hatte. Unter den lebenden Komponisten repräsentierte er mit seinen neuen Werken die Kontinuität der Vorkriegsmoderne, deren radikaler Zweig schon früher auf dem ganzen europäischen Kontinent in den Hintergrund getreten war. In der besonderen Situation der Tschechen änderte sich damals auch die gesellschaftliche Bestimmung des Komponierens – individuell-künstlerische Motivationen verloren ihre Priorität. Gleichwohl war es kein Verrat an der Nation, wenn ein Komponist am Genre der absoluten Musik festhielt. Es entstanden zahllose Kammerkompositionen verschiedener Form und Besetzung, das Volkslied erlebte eine Renaissance in Bearbeitungen von Komponisten und Darbietungen von Volksmusikensembles. Es darf als ein Zeichen von Vitalität gedeutet werden, daß die Nation und ihre Künstler nicht in Lethargie verfielen. Mit engagierten Kompositionen reagierten Komponisten auf die Besetzung des Landes durch die fremde Macht. Den Komponisten ging es nicht um die Musik allein, sondern um den künstlerischen Ausdruck ihrer Einstellung zur gesellschaftlichen Situation, um das Ansprechen des Hörers mit einer bestimmten ideellen Absicht. Václav Kaprál, Modernist aus der Schule Janáčeks und Nováks, versah seine Sonate für Klavier Nr. 4 mit dem bezeichnenden Untertitel „15. III. 1939“ [Datum der Errichtung des sogenannten Protektorats Böhmen und Mähren], Jaroslav Kvapil, Schüler von Janáček und Reger, schrieb symphonische Variationen Aus schweren Zeiten (1939). Der tschechische Jude Pavel Haas, vielleicht der markanteste Komponist der Schule Janáčeks, mußte seine engagierten Werke zunächst im Verborgenen schreiben, nachdem er von der Gestapo nach Theresienstadt verschleppt worden war; er kam 1944 in Auschwitz ums Leben. Unter der totalen Zensur suchte der Komponist seine Hörer anzusprechen, ohne seine Botschaft im Konzertprogramm offen zu erkennen zu geben. Nur die Musiker, die nächsten Bekannten und Freunde verstanden sie. Vítězslav Novák ließ seine symphonische Dichtung De profundis 1941 in Brünn uraufführen. Er zögerte nicht, seinem Werk den genannten Titel zu geben. Es war eine tapfere Tat, die sich Novák angesichts seines Alters und seines hohen Ansehens erlauben konnte. Die Botschaft des Werkes erhellte sich aus dem Titel, abgeleitet von Psalm 130,1: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.“ Zur selben Zeit wurden in Brünn tschechische Widerstandkämpfer im Hof des ehemaligen Studentenheims „Kounicovy Koleje“ öffentlich hingerichtet. Der Zensor des Protektorats hat die Aufführung des Werkes schließlich genehmigt.

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Vielleicht waren ihm menschliche Regungen nicht fremd, möglicherweise erschloß er sich auch den hohen Rang der Kantate České requiem – Smrt a spasení (Tschechisches Requiem – Tod und Erlösung) des großen Polyphonikers aus der Schule Nováks, Ladislav Vycpálek, dessen patriotische, aber modern geschriebene Komposition in Brünn am 5. Mai 1943 ihre Premiere hatte. Dem Komponisten blieb jedoch nichts anderes übrig, als sich um die Aufführung von Kompositionen mit lyrischen Texten zu bemühen, in denen er gemeinsam mit dem Dichter das Land und seine Natur sowie die Muttersprache preisen konnte. Auch dadurch sprach er zu seiner Nation. Der Männerchor To je má zem (Das ist mein Land, 1940) von Vilém Petrželka gehört zu den am meisten aufgeführten Kompositionen jener Zeit. Die Darbietung von Werken mit politischer Konnotation behielten die Komponisten späteren Zeiten vor, so etwa Karel Horký seine Oper Jan Hus (1944), Zdeněk Blažek oder Osvald Chlubna. Trotzdem gehören diese Werke in den Zeitkontext, in dem sie entstanden. In der kurzen Zeitspanne 1938 bis 1945 entwickelte sich die Musik der Deutschen und der Tschechen in Mähren in unterschiedliche Richtungen. Anders, mit anderen Zielen funktionierte der Opern- und Konzertbetrieb, völlig anders waren die Schicksale der Komponisten und ihrer Werke. Die tschechischen Komponisten ­stürzte die neue politische Ordnung keineswegs ins Nichts, relativ unbehelligt konnten sie ihr Schaffen fortsetzen. Deutschen Komponisten in Mähren war diese Möglichkeit nicht gegeben – sie mußten der nationalsozialistischen Ideologie Tribut zollen, ja sich mit dieser mehr oder weniger identifizieren.

Das Jahr 1945 (anstatt eines Schlußwortes) Die politische Ordnung der Jahre 1939 bis 1945 in Mähren gab den mährischen Deutschen für kurze Zeit ihre frühere Dominanz über die Tschechen zurück. Die totalitäre Macht sicherte den laufenden deutschen Musik- und Opernbetrieb ungeachtet zahlreicher Kriegsbeschränkungen. Konzerte und Theatervorstellungen wurden zum Instrument der Massenpropaganda. Nach der Erklärung des „totalen Kriegs“ im August 1944 fanden auch in Mähren und im Troppauer Schlesien alle öffentlichen Kulturaktivitäten ein Ende. Die Theater hörten auf zu spielen, der offizielle Befehl lautete kurz und kompromißlos: „Stillgelegt“. Diese Anordnung galt für deutsche und tschechische Institutionen gleichermaßen. Auch das Konzertleben wurde erheblich eingeschränkt. Die Deutschen waren durch den Fronteinsatz von Musikern oder den Einsatz in der Waffenindustrie davon stärker betroffen als die Tschechen. In den letzten Kriegstagen 1945 wurden die deutschen Häuser in Brünn und Ostrau in Trümmer gelegt. Das Theater in Troppau war stark kriegsbeschädigt – für den tschechischen Theaterbetrieb nach 1945 mußte es rekonstruiert werden.

Abbildung 85: Das Theater in Troppau. Heutiger Zustand

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Die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung im Jahre 1945204 markiert das definitive Ende deutscher Musik und deutschen Theaters in Mähren und Mährisch-Schlesien. Die verbliebenen musikalischen Kapazitäten der mährischen Deutschen suchten neue Wirkungsstätten in Deutschland und Österreich. Der Zeitzeuge Karl Michael Komma, Musikwissenschaftler und Komponist, charakterisiert die Situation nach 1945 folgendermaßen: Die letzten „sudetendeutschen“ Tonsetzer leben in einer weiten Diaspora zwischen Dresden und Köln, Berlin und Wien, Hamburg und Salzburg, äußerlich kaum untereinander verbunden, auf sich selbst gestellt, und doch in den Wurzeln an den ursprünglich gemeinsamen Boden gebunden.205 Das Schaffen der ausgesiedelten Komponisten brachte keine Komponistengruppe oder Kompositionsschule, keine Musikrichtung oder dergleichen hervor. Die Situation des erzwungenen Neuanfangs war der Bildung einer geschlossenen „sudetendeutschen“ Musik nicht förderlich. Ihre Aufspaltung in Neues, Modernes (Erhard Karkoschka, in seinen Anfängen Gerhard Dorda und partiell auch Karl Michael Komma) und Traditionelles (Fritz Mareczek, Theodor Hlouschek, Widmar Hader u. a.) war eher individuell geprägt. Zu einer gezielten Rezeption älterer und neuerer Werke kam es viel später in Gestalt der „Sudetendeutschen Musiktage“, seit 1991 veranstaltet vom Sudetendeutschen Musikinstitut (Träger: Bezirk Oberpfalz) in Regensburg. Opernaufführungen waren im Rahmen dieser Bemühungen jedoch nicht möglich.206 Mähren und Mährisch-Schlesien sind im Bereich von Musik und Theater nach 1945 ein nahezu rein tschechisches Land geworden.207 Diese demographische Wende verlief keineswegs in natürlicher Weise. Infolge der nationalsozialistischen Herrschaft und der damit verbundenen Leiden der tschechischen Bevölkerung spitzte sich die negative Haltung gegenüber allem Deutschen gewaltig zu. Die nun folgenden hemmungslosen Übergriffe auf Deutsche bezahlten auch einige Musiker mit ihrem Leben. Deutsche Kunst und Musik wurden inkriminiert. Aus heutiger Sicht erscheint es kaum mehr glaubhaft, daß in den unmittelbaren Nachkriegsjahren in Konzert, Musiktheater und Rundfunk nicht nur Bach, Beethoven, Schubert, Brahms und Wagner, sondern auch zuvor als „entartet“ gebrandmarkte Komponisten wie Schönberg oder 204 Die Funktionäre der Protektoratsmacht einschließlich der Prominenten in Musik und Theater flohen noch vor der Ankunft der Roten Armee und der tschechoslowakischen und rumänischen Truppen aus dem Land. 205 Michael Komma, Schicksal und Schaffen sudetendeutscher Komponisten, S. 83. 206 Im Rahmen eines größeren deutsch-tschechischen Projekts kam es später zur Restauration und Aufführung der Oper Die Kleinstädter des Deutschböhmen Theodor Veidl in Regensburg (Dezember 2005) und Prag (Jänner 2006). 207 Zu den zahlenmäßig zu vernachlässigenden Minderheiten gehören nur die Polen und Roma.

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Berg unter das Verdikt fielen.208 Dazu kam es weniger auf Grund von behördlichen Anordnungen als vielmehr durch den Willen der Künstler, die mit ihrer Ignoranz gegenüber der deutschen und österreichischen Musik auf die Erfahrungen in der Zeit der nationalsozialistischen Terrorherrschaft reagierten. Die allmähliche Öffnung seit Mitte der 1950er Jahre – auch gegenüber der Moderne – erfolgte wiederum nicht auf parteiamtliche Anregung, sondern eher dank dem ausdauernden Bestreben urteilsfähiger Musiker und Künstler.209 Zu einer Entspannung der Beziehungen zwischen den Tschechen Mährens und den Sudetendeutschen kam es erst viel später. Fortwirkende Initiativen gab es auch im Bereich der Musikwissenschaft und seitens verschiedener wissenschaftlicher Institutionen und Einzelpersönlichkeiten.210 Die Beschädigungen und Verluste, die der neuzeitliche Nationalismus und die kriegerischen Ereignisse des 20.  Jahrhunderts der Musik, den Komponisten und Musikern zugefügt haben, lassen sich heute weder rückgängig machen noch ersetzen. Geschichte läßt sich nicht korrigieren. Der Musikgeschichte fällt aber die Aufgabe zu, die Ursachen und Folgen kulturpolitischer Entwicklungen zu erforschen und zu beschreiben. Als Beitrag zu diesem Erkenntnisprozeß versteht sich die vorliegende Schrift – in ihrer übernationalen Auffassung die wohl erste ihrer Art.

208 Aus der Liste der „Gezeichneten“ wurde nur Mozart herausgenommen, der von den Prager Tschechen für einen der „ihren“ gehalten wurde. Vgl. den Leitartikel in der Musikzeitschrift Tempo, XVIII/1946, S. 3–34, Chiffre V. H. In Brünn wurde Figaros Hochzeit bereits 1946 wieder gegeben. 209 Der Autor dieses Buches behandelte diese Zeitspanne kritisch in: Jiří Sehnal/Jiří Vysloužil, Dějiny hudby na Moravě [Musikgeschichte in Mähren], Brno 2001, S. 228  –74. 210 Die gedeihliche Entwicklung stellt auch die Bibliographie des vorliegenden Buchs unter Beweis. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang die 1995 auf Initiative des damaligen Leiters des Instituts für Musikwissenschaft der Masaryk-Universität Brünn, Jiří Fukač, und des Direktors des Sudetendeutschen Musikinstituts (Träger: Bezirk Oberpfalz) in Regensburg, Widmar Hader, geschlossene Partnerschaft zwischen den beiden Institutionen.

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291

Musik und Musikwissenschaft (= Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 10), hrsg. von Peter Brömse, München 1989. Sedmdesátpět let spolku Lumír v Ostravě (Fünfundsiebzig Jahre Verein Lumír in Ostrau), Ostrava 1958. Sedmdesát let Lumíru ve Vídni (Siebzig Jahre Verein Lumír in Wien), Wien 1935. Sto let Filharmonického spolku Beseda brněnská (Hundert Jahre Philharmonischer Verein Beseda brněnská), hrsg. von Antonín Kolář, Brno 1960. Šedesát let Státmího divadla v Ostravě (Sechzig Jahre Staatstheater Ostrau), hrsg. von E. Sýkorová-Čápová und Mojmír Weimann, Ostrava 1980.

Copyright-Vermerke Folgenden Archiven, Institutionen und Personen wird für die freundliche Genehmigung zur Reproduktion von Abbildungen gedankt: Archiv Národního divadla v Brně (S. 39, 94, 119) Jiří Sehnal (S. 41) Oddělení dějin hudby Moravského zemského muzeal (S. 55, 62, 64, 65, 67, 70, 72, 78, 79, 89, 106, 112, 115, 118, 121, 132, 135, 137, 155, 156, 157, 163, 166, 168, 172, 183, 197, 212, 235, 260, 272, 276) Památník pěveckého-hudebního spolku Žerotín v Olomoucil (S. 159) Arnold Schönberg Center Wien (S. 170) Zemský archiv v Opravě (S. 228) Archiv Moravskoslezského národního divadla v Ostravě (S. 229, 237). Archiv Severomoravského divadla v Šumperku (S. 234) Hudební oddělení Archivu města Ostravy (S. 241) Privatarchiv von Jaromír Dlouhýl (S. 275) Jiří Vysloužil (S. 280)

Weiters wurden Abbildungen den folgenden Publikationen entnommen: Leoš Janáček, O lidové písni a hudbě, hrsg. von Jiří Vysloužil, Praha 1955 (S. 25) Jiří Sehnal – Jiří Vysloužil, Dějiny hudby na Moravě, Brno 2001 (S. 34, 43, 57, 152, 215) Karel Boženek, Schloß Grätz, Ostrava 2002 (S. 36) Albert Schein, Das deutsche Theater in Olmütz, in: Europa Städtebau Volkswirtschaft. Die Tschechoslowakische Republik, Olmütz 1930–1931 (S. 40, 232, 238)Vojtěch Kyas, Slavné hudební osobnosti v Brně (1859–1914), Brno 1995 (S. 46, 91, 102, 243) Hubert Unverricht (Hrsg.), Carl Ditters von Dittersdorf 1739–1799, Würzburg 1993 (S. 61)

Copyright-Vermerke

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Musik und Musikwissenschaft (= Schriften der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste 10), hrsg. von Peter Brömse, München 1989. Sedmdesátpět let spolku Lumír v Ostravě (Fünfundsiebzig Jahre Verein Lumír in Ostrau), Ostrava 1958. Sedmdesát let Lumíru ve Vídni (Siebzig Jahre Verein Lumír in Wien), Wien 1935. Sto let Filharmonického spolku Beseda brněnská (Hundert Jahre Philharmonischer Verein Beseda brněnská), hrsg. von Antonín Kolář, Brno 1960. Šedesát let Státmího divadla v Ostravě (Sechzig Jahre Staatstheater Ostrau), hrsg. von E. Sýkorová-Čápová und Mojmír Weimann, Ostrava 1980.

Copyright-Vermerke Folgenden Archiven, Institutionen und Personen wird für die freundliche Genehmigung zur Reproduktion von Abbildungen gedankt: Archiv Národního divadla v Brně (S. 39, 94, 119) Jiří Sehnal (S. 41) Oddělení dějin hudby Moravského zemského muzeal (S. 55, 62, 64, 65, 67, 70, 72, 78, 79, 89, 106, 112, 115, 118, 121, 132, 135, 137, 155, 156, 157, 163, 166, 168, 172, 183, 197, 212, 235, 260, 272, 276) Památník pěveckého-hudebního spolku Žerotín v Olomoucil (S. 159) Arnold Schönberg Center Wien (S. 170) Zemský archiv v Opravě (S. 228) Archiv Moravskoslezského národního divadla v Ostravě (S. 229, 237). Archiv Severomoravského divadla v Šumperku (S. 234) Hudební oddělení Archivu města Ostravy (S. 241) Privatarchiv von Jaromír Dlouhýl (S. 275) Jiří Vysloužil (S. 280)

Weiters wurden Abbildungen den folgenden Publikationen entnommen: Leoš Janáček, O lidové písni a hudbě, hrsg. von Jiří Vysloužil, Praha 1955 (S. 25) Jiří Sehnal – Jiří Vysloužil, Dějiny hudby na Moravě, Brno 2001 (S. 34, 43, 57, 152, 215) Karel Boženek, Schloß Grätz, Ostrava 2002 (S. 36) Albert Schein, Das deutsche Theater in Olmütz, in: Europa Städtebau Volkswirtschaft. Die Tschechoslowakische Republik, Olmütz 1930–1931 (S. 40, 232, 238)Vojtěch Kyas, Slavné hudební osobnosti v Brně (1859–1914), Brno 1995 (S. 46, 91, 102, 243) Hubert Unverricht (Hrsg.), Carl Ditters von Dittersdorf 1739–1799, Würzburg 1993 (S. 61)

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Copyright-Vermerke

Auftakt VIII (1928) (S. 161) Klub přátel umění, Brno 1908 (S. 177) Vladimír Helfert – Erich Steinhard, Die Musik in der Tschechoslowakischen Republik, Prag 1938 (S. 204, 257, 269) Vysloužil Jiří (Hrsg.), Alois Hába, Vizovice 1993 (S. 217) Vysloužil Jiří, Alois Hába, Praha 1974 (S. 218, 221) Erich H. Müller, Josef Gustav Mraczek, Dresden 1918 (S. 255) Antonín Schindler, Skladatel Eric Skoczek, in: Acta Universitatis Palackianae. Faculta paedagogica. Musica V (1996) (S. 264)

Die Notenbeispiele stammen, wenn nicht anders vermerkt, aus folgenden Archiven oder Büchern bzw. von folgenden Verlagen: Leoš Janáček, O lidové písni a lidové hudbě, hrsg. von Jiří Vysloužil, Praha 1955 (S. 20, 26) Gustav Jungbauer – Herbert Horntrich, Die Volkslieder der Sudetendeutschen, Walluf bei Wiesbaden 1972 (S. 23) Bedřich Václavek – Robert Smetana, Český národní zpěvník, Praha 1949 (S. 76) Jaroslav Pohanka, Dějiny české hudby v příkladech, Praha 1958 (S. 77) František Bartoš – Leoš Janáček, Kytice z národních písní moravských, Teltsch 1901 (S. 82) Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde Wien (S. 86, 97) Pavel Křížkovský, Skladebné dílo I, hrsg. von Jan Racek, Praha 1949 (S. 126) Oddělení dějin hudby Moravského zemského muzeal (S. 133, 210) Matice Umělecké besedy Praha (S. 189) Vítězslav Novák, O sobě a jiných, Praha 1946 (S. 199) Universal-Edition Wien (S. 200) Vysloužil Jiří, Alois Hába, Praha 1974 (S. 219) Bärenreiter-Verlag, Kassel (S. 252)

Autor und Herausgeber danken allen genannten Autoren und Verlagen, die durch die Zurverfügungstellung ihrer Publikationen die großzügige bildliche Ausstattung des Bandes ermöglicht haben.

Der Autor

Jiří Vysloužil wurde am 11. Mai 1924 in Košice (Slowakei) geboren und maturierte 1943 am Realgymnasium in BrnoHusovice. 1943 –1945 folgte ein Musikstudium bei dem Janáček-Schüler Karel Bretfeld an der Brünner Orgelschule, 1945 –1949 schloß sich das Studium der Musikwissenschaft, der allgemeinen Geschichte und der praktischen Philosophie an der Masaryk-Uni­ versität in Brünn an. Mit der Dissertation „Probleme und Methoden der musikalischen Volkskunde“ (tschechisch) promovierte er 1949 bei Jan Racek und Bohumír Štědroň. 1953 –1962 unterrichtete er an der Musikfakultät der Janáček-Akademie der musischen Künste, 1963 habilitierte er sich an der Philosophischen Fakultät der Brünner Universität mit der Abhandlung „Über die moderne europäische Musik“ (er­ schienen in slowakischer Sprache als Hudobníci 20. storočia, Bratislava 1964, 21981). 1964 –1990 stand er dem Lehrstuhl für Musikwissenschaft an der Brünner Universität vor, 1974 wurde er zum Professor ernannt. Von 1968 bis 1994 leitete er (im Rahmen des Internationalen Musikfestivals Brno) die musikwissenschaftlichen Kolloquien. Viele Jahre Präsident der Janáček-Gesellschaft und Vorstand des Editionsrates für die Kritische Ausgabe der Werke Leoš Janáčeks, trat er auch durch eine umfangreiche Vortragstätigkeit an in- und ausländischen Hochschulen, Universitäten sowie wissenschaftlichen Institutionen hervor. Weitere Schriften: Alois Hába. Život a dílo [Leben und Werk], Praha (Panton) 1974; Leoš Janáček. Für Sie porträtiert, Leipzig 1981; Hudební slovník pro každého [Musiklexikon für jedermann], I. Sachteil 1995, II. Personenteil 1998, Vizovice (Lípa); Alois Hába. A Catalogue of the Music and Writings (gemeinsam mit Lubomír Spurný), Prag 2010 (KLP – Koniasch Latin Press); Karel Husa, skladatel mezi Evropou a Amerikou [K. H., ein Komponist zwischen Europa und Amerika], Akademie der musischen Künste, Prag 2011; Česká hudba na Moravě v  19. a 20. století [Tschechische Musik in Mähren im 19. und 20. Jahrhundert], Palacký-Universität Olomouc 2014. Editionen: Leoš Janáček: O lidové písni a lidové hudbě. Dokumenty a studie, Praha 1955; Alois Hába: Harmonielehre des diatonischen, chromatischen, Viertel-, Drittel-, Sechstel- und Zwölftel-Tonsystems (1942–1943). Theoretischer Teil. Praktischer Teil (Aus dem Tschechischen ins Deutsche übersetzt und mit grafischen Darstellungen versehen von Věra Vysloužilová), hrsg. von Horst-Peter Hesse, Universität Mozarteum Salzburg 2007 (Books on Demand GmbH, Norderstedt). Jiří Vysloužil veröffentlichte zudem zahlreiche Studien in tschechischer, deutscher und englischer Sprache, u. a. über Wagner, die („Zweite“) Wiener Schule, tschechische Musik, Musikästhetik und musi­ kalische Volkskunde.

WIENER SCHRIF TEN ZUR STILKUNDE UND AUFFÜHRUNGSPR A XIS HERAUSGEGEBEN VON HARTMUT KRONES

EINE AUSWAHL

SONDERBD. 2 | HARTMUT KRONES (HG.) ANTON WEBERN

BD. 1 | HARTMUT KRONES (HG.)

PERSÖNLICHKEIT ZWISCHEN

ALTE MUSIK UND MUSIKPÄDAGOGIK

KUNST UND POLITIK

1997. 328 S. BR. 170 X 240 MM.

1999. 256 S. 16 S. S/W ABB. GB.

ISBN 978-3-205-98821-2

170 X 240 MM | ISBN 978-3-205-99072-7

SYMBOLIK UND RHETORIK IM LIEDSCHAFFEN VON FRANZ SCHUBERT 2007. 495 S. ZAHLR. NOTENBSP. GB. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-205-77500-3 BD. 5 | RUDOLPH ANGERMÜLLER WENZEL MÜLLER UND „SEIN“

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BD. 3 | RICHARD BÖHM

SONDERBD. 3 | PRIMOZ KURET MAHLER IN LAIBACH LJUBLJANA 1881–1882 ÜBERSETZUNG AUS DEM SLOWE­ NISCHEN ELISABETH SEITZ 2001. 111 S. 8 S/W-ABB. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-99386-5

LEOPOLDSTÄDTER THEATER MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG

SONDERBD. 4 | HARTMUT KRONES (HG.)

DER TAGEBÜCHER WENZEL MÜLLERS

JEAN SIBELIUS UND WIEN

2010. 301 S. GB. 170 X 240 MM.

2003. 176 S. ZAHLR. NOTENBSP. GB.

ISBN 978-3-205-78448-7

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BD. 6 | LIANE SPEIDEL FRANZ SCHUBERT – EIN OPERNKOMPONIST? AM BEISPIEL DES „FIERRABRAS“ 2012. 371 S. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78696-2 BD. 7 | ELISABETH HAAS EINÜBUNG IN ÄSTHETISCHE RÄUME ZU ANTON WEBERNS KINDERSTÜCK, GYÖRGY KURTÁGS JÁTÉKOK UND HELMUT LACHENMANNS KINDERSPIEL 2011. 228 S. MIT ZAHLR. NOTENBSP. GB.

SQ473

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SONDERBD. 5 | HARTMUT KRONES (HG.) DIE ÖSTERREICHISCHE SYMPHONIE IM 20. JAHRHUNDERT 2005. 224 S. ZAHLR. NOTENBSP. GB. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-205-77207-1 SONDERBD. 6 | ANTONIA TEIBLERVONDRAK SILVESTRE REVUELTAS – MUSIK FÜR BÜHNE UND FILM 2011. 380 S. 123 S/W-ABB. UND ZAHLR. NOTENBSP. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78767-9

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HARTMUT KRONES (HG.)

GEÄCHTET, VERBOTEN, VERTRIEBEN ÖSTERREICHISCHE MUSIKER 1934 – 1938 – 1945 (SCHRIFTEN DES WISSENSCHAFTSZENTRUMS ARNOLD SCHÖNBERG, BAND 1)

Der Band „Geächtet, verboten, vertrieben“ faßt die Ergebnisse einer Reihe von Symposien zusammen, die das am Institut für Musikalische Stilforschung der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien beheimatete „Wissenschaftszentrum Arnold Schönberg“ in den letzten Jahren in Wien, Linz, New York, Mexico City und Jalapa durchgeführt hat. Thema ist insbesondere die 1938 bis 1945 stattfindende Ächtung, Vertreibung und Ermordung zahlreicher österreichischer Musiker und Komponisten durch die Nationalsozialisten, doch werden auch der Entzug jeglicher Lebensgrundlagen, der ab 1934 die in einem Naheverhältnis zur Sozialdemokratie stehenden Komponisten traf, sowie das damalige Verbot aller sozialdemokratischen Kulturvereinigungen in den Blick genommen. 2014. 608 S. ZAHLR. S/W-ABB. UND NOTENBSP. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-77419-8

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NORBERT CONRADS

SCHLESIEN IN DER FRÜHMODERNE ZUR POLITISCHEN UND GEISTIGEN KULTUR EINES HABSBURGISCHEN LANDES HG. VON JOACHIM BAHLCKE (NEUE FORSCHUNGEN ZUR SCHLESISCHEN GESCHICHTE, BAND 16)

Das Herzogtum Schlesien war ein Kernland des Alten Europa, auch wenn es politisch am Rande des habsburgischen Weltreiches lag. Es bildete eine Kulturlandschaft, die alle Entwicklungen des Ständestaates, der Gesellschaft, der Wissenschaft und Religion aufnahm und zu einer eigenen Landeskultur umformte. Trotz seiner politischen Unselbständigkeit nahm Schlesien innerhalb der habsburgischen Länder eine fast beispiellose Sonderstellung ein. Sie gründete auf der beharrlich verteidigten politischen und konfessionellen Landesverfassung, die dem toleranten Grundzug des Landes entsprach. Die Bedeutung der frühmodernen Epoche Schlesiens und der Reichtum seiner politischen Formen und kulturellen Prägungen sind lange verkannt worden. Die Studien von Norbert Conrads zeichnen sie nach und entwerfen ein Gesamtbild, das einen neuen Zugang zur schlesischen Geschichte eröffnet. 2009. XVI, 436 S. 20 S/W-ABB. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-412-20350-4

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