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German Pages 518 [519] Year 2024
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht
Anna Pingen
Motivationsdelikte Ein deutsch-französischer Strafrechtsvergleich
Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht Strafrechtliche Forschungsberichte Herausgegeben von Ulrich Sieber Band S 174
Duncker & Humblot
Anna Pingen Motivationsdelikte
Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht
Strafrechtliche Forschungsberichte Herausgegeben von Ulrich Sieber Band S 174
Motivationsdelikte Ein deutsch-französischer Strafrechtsvergleich
Von Anna Pingen
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. hat diese Arbeit im Jahr 2021 als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten
© 2024 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Satz: Textforma(r)t Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI Books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 1860-0093 ISBN 978-3-428-18913-7 (Print) ISBN 978-3-428-58913-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
Internet: http://www.duncker-humblot.de
„L’idée émise a son influence par elle-même; elle a, bien souvent aussi, sa répercussion sur les actions. Quand le crime est une pensée, j’ignore, il est vrai, où s’arrêtera le nuage qui vogue, chargé de ténèbres et d’éclairs? Dans la grande mêlé humaine, l’idée, une fois lancée, va, désormais, chose inconsciente, irresponsable, au hasard des circonstances, dévoyant les esprits, gâtant les cœurs, alimentant les passions mauvaises, sans qu’on puisse dire, que de crimes elle a provoqués, que de catastrophes elle a faites. J’ignore quels désastres engendrera la pensée criminelle, voilà précisément pourquoi je veux la répression. L’idée est un acte qui ne meurt pas. Quant à l’objection, que celui qui a émis une pensée, n’est pas solidaire de ses conséquences, mieux vaut la laisser de côté.“ 1 Fabreguettes, Traités des délits politiques, T. 1, 1901, Introduction, S. 50 (L).
1
Eigene Übersetzung: „Die geäußerte Idee hat aus ihr selber heraus einen Einfluss; oft hat sie Auswirkungen auf Taten. Ist das Verbrechen ein Gedanke, dann stimmt es, dass ich nicht weiß, wo die durch Dunkelheit und Blitze aufgeladene Wolke hinreisen wird. In dem großen menschlichen Gedränge wird die Idee, wenn sie einmal geäußert wurde, als unbewusste, unverantwortliche Sache, dem Zufall der Umstände nach weiter gehen, die Sinne auf Abwege bringen, die Herzen verderben, die üblen Leidenschaften befeuern, ohne dass man sagen kann, welche Verbrechen sie provoziert haben wird, welche Katastrophen sie verursacht haben wird. Ich weiß nicht, welche Desaster das kriminelle Denken verursachen wird, eben deshalb will ich die Bestrafung. Die Idee ist eine Tat, die niemals stirbt. Der Einwand, dass derjenige, der einen Gedanken geäußert hat, nicht für die Konsequenzen verantwortlich ist, muss außer Acht gelassen werden.“
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2021/2022 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Gesetzgebung, Literatur und Rechtsprechung konnten bis April 2022 berücksichtigt werden. Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater Professor Dr. Dr. h. c. mult. Ulrich Sieber für die Betreuung und seine stets motivierende Unterstützung. Der tiefgehende und konstruktive Austausch hinsichtlich der Thematik waren mir bei der Umsetzung der Forschungsarbeit eine stets willkommene Anregung und Bereicherung. Großer Dank gilt weiterhin Herrn Professor Dr. Dr. h. c. mult. Hans-Jörg Albrecht für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und für die wertvollen Anmerkungen. Besonders danken möchte ich auch Frau Dr. Johanna Rinceanu, die mich nicht nur bei meinen ersten Schritten in die Wissenschaft begleitet hat, sondern mir auch mit ihrem Rat und ihrer Freundschaft immer zur Seite stand. Mein Dank geht auch an Frau Dr. Maria Tsilimpari, deren Unterstützung weit über das Teilen eines Büros hinausging. Für ihre Hilfe und den stimulierenden Austausch danke ich des Weiteren meinen Kollegen Herrn Emad Tabatabaei, Herrn Dr. Benjamin Vogel, Herrn Dr. Nandor Knust, Frau Dr. Linn Döring, Herrn Dr. Dr. h. c. Michael Kilchling, Frau Susanne Knickmeier und Herrn Mikko Rudanko. Den Mitarbeiter*innen der Bibliothek des Max-Planck-Instituts bin ich sehr dankbar für die Hilfe bei der Literaturrecherche und dem damit verbundenen Austausch. Ein weiterer Dank geht an meine Kolleg*innen der IMPRS-CC, mit denen ich die Gelegenheit hatte, meine Forschungsergebnisse zu teilen, fruchtbare Diskussionen zu führen und viel zu lachen. Und natürlich geht ein herzliches Dankeschön an Herrn Tobias Kronenberg für das Korrekturlesen meiner Arbeit. Dank des vom jurOA-Netzwerk vergebenen Professor-Hürlimann-Gedenkstipendiums wird die Dissertation zu einem späteren Zeitpunkt auch im Delayed Open Access zugänglich sein. Bedanken möchte ich mich ferner noch bei Frau Marion Haller, die mir stets beigestanden und mich daran erinnert hat, dass es noch andere Interessen neben dem Strafrecht gibt. Mein größter Dank gilt schließlich meiner Familie. Meiner Schwester Miriam und meinem Schwager Marcus Ahrens möchte ich für die liebevolle und tatkräftige Unterstützung und die mehr oder weniger erfolgreichen Videospielnachmittage danken. Filip Vojta danke ich von ganzem Herzen für seine uneingeschränkte Unterstützung, seine Liebe und Motivation. Meine tiefste Dankbarkeit gilt meinen Eltern, Maguy und Ulrich Pingen, die mich mit ihrer Liebe und unaufhörlichen Unterstützung immer getragen und bestärkt haben. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Freiburg i. Brsg., im Juni 2022
Anna Pingen
Inhaltsübersicht Teil 1 Einleitung A. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
B. Forschungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
C. Forschungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
D. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
Teil 2 Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte Kapitel 1 Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte A. Direkte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
B. Indirekte Motivation zur Begehung einer Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
Kapitel 2 Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte A. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 B. Direkte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 C. Indirekte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
Kapitel 3 Rechtsvergleich A. Direkte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 B. Indirekte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 C. Zusammenfassung der wesentlichen Konvergenzen und Differenzen . . . . . . . . . . . . . 372
10
Inhaltsübersicht Teil 3 Bewertung
A. Strafrechtsdogmatische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 B. Verfassungsrechtliche Beurteilung: Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Meinungsäußerungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 C. Verfassungsrechtliche und strafrechtliche Grenze durch den Bestimmtheitsgrundsatz . . 479 Schlusswort der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488
Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
Inhaltsverzeichnis Teil 1 Einleitung A. Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
37
Äußerungen als Handlungsauslöser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
II. Strafrechtliche Ahndung des Motivierens zu Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
1. Traditionelle Ahndung von verführerischen Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . .
38
2. Entwicklung der Kriminalisierung auf nationaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . .
39
3. Entwicklung der Kriminalisierung auf internationaler Ebene: Internationale Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
III. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
B. Forschungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
C. Forschungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
I.
Funktionaler Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
1. Länderwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
45
2. Methode der funktionalen Rechtsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
3. Differenzierung innerhalb der Motivationsdelikte – die Metastruktur . . . . . .
49
a) Unterscheidung direkte / indirekte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . .
50
b) Unterscheidung innerhalb der direkten Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . .
52
c) Unterscheidung innerhalb der indirekten Motivationsdelikte . . . . . . . . . .
52
II. Bewertungsmaßstab
...............................................
54
1. Strafrechtsdogmatische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
2. Verfassungsrechtliche Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
57
3. Verfassungsrechtliche und strafrechtliche Grenzen durch den Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
III. Präzisierung des Umfangs der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
1. Fokussierung auf Informationsübermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
2. Beschränkung auf Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
3. Ausschluss der Anleitung zu Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
4. Ausschluss der Beleidigung von Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
IV. Übersetzungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
D. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
12
Inhaltsverzeichnis Teil 2 Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte Kapitel 1 Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
A. Direkte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
62
Individuelle direkte Motivation zur Begehung einer näher spezifizierten Tat . . . .
62
1. Anstiftung zu einer rechtswidrigen Tat (§ 26 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
aa) Strafgrund der Teilnahme: Die Schuldteilnahmetheorie bzw. Unrechtsteilnahmetheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
bb) Strafgrund der Teilnahme: Die reine Verursachungstheorie . . . . . . . .
66
cc) Strafgrund der Teilnahme: Die akzessorische Verursachungstheorie . .
66
dd) Strafgrund der Teilnahme: Die Lehre vom akzessorischen Rechtsgutangriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
ee) Strafgrund der Anstiftung: Die Lehre der kommunikativen Beeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
ff) Strafgrund der Anstiftung: Die Sanktionierungstheorie . . . . . . . . . . .
68
gg) Strafgrund der Anstiftung: Die Planherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
hh) Strafgrund der Anstiftung: Der Unrechtspakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
2. Versuchte Anstiftung zu einer rechtswidrigen Tat (§ 30 Abs. 1 StGB) . . . . . .
72
a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
aa) Der Verbrechenscharakter der geplanten Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
bb) Versuch eines Bestimmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
cc) Ausbleiben eines Erfolges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
3. Bestimmen eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
Inhaltsverzeichnis
13
c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
bb) Bestimmungstat des Minderjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
79
f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
4. Verleiten eines Untergebenen zu einer Straftat (§ 357 StGB) . . . . . . . . . . . . .
80
a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
82
e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
5. Verleiten eines Untergebenen im Militär zu einer rechtswidrigen Tat (§ 33 WStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
6. Erfolgloses Verleiten eines Untergebenen im Militär zu einer rechtswidrigen Tat (§ 34 WStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
7. Aufforderung von Minderjährigen zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen (§ 130 Abs. 2 Nr. 1b-2 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
aa) Angriffsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
95
bb) Verbreitung an eine Person unter 18 Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
cc) Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . .
96
14
Inhaltsverzeichnis e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
II. Allgemeine (insb. öffentliche) direkte Motivation zur Begehung einer näher spezifizierten Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
1. Öffentliche Aufforderung zu einer Straftat (§ 111 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . .
98
a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98
c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 aa) Aufforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 bb) Konkretisierung der Haupttat und des Adressatenkreises . . . . . . . . . . 103 cc) Begehungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 dd) Erfolg der Aufforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB) 106 a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 aa) Angriffsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 bb) Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . 109 cc) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3. Werben für eine kriminelle Vereinigung (§ 129 Abs. 1 StGB) . . . . . . . . . . . . 113 a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 aa) Kriminelle Vereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 bb) Werben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4. Werben für eine terroristische Vereinigung (§ 129a Abs. 5 StGB) . . . . . . . . . 121 a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
Inhaltsverzeichnis
15
c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Terroristische Vereinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 bb) Werben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 B. Indirekte Motivation zur Begehung einer Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 I.
Opferbezogene indirekte Motivationsdelikte – Schüren von Emotionen gegenüber Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Aufstacheln zum Hass gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 aa) Angriffsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 bb) Aufstacheln zu Hass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 cc) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. Beschimpfen, böswillige Verächtlichmachen oder Verleumden von bestimmten Gruppen, Bevölkerungsteilen oder Einzelpersonen (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB) . . 132 a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 aa) Angriffsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 bb) Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 cc) Angriff auf die Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 dd) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
II. Tatbezogene indirekte Motivationsdelikte – Erweckung eines gesteigerten Maßes an Emotionen in Bezug auf Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Billigung von Straftaten (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
16
Inhaltsverzeichnis aa) Handlungsobjekt: Katalogstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 bb) Billigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression (§ 80a StGB) . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 3. Aufwieglerischer Landfriedensbruch (§ 125 Abs. 1 Var. 3 StGB) . . . . . . . . . . 148 a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 4. Billigen, Leugnen und Verharmlosen der in der NS-Zeit begangenen Handlungen i. S. des § 6 VStGB (§ 130 Abs. 3 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Billigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 bb) Leugnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 cc) Verharmlosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 dd) Tatobjekt: Handlung des § 6 Abs. 1 Völkerstrafgesetzbuches . . . . . . . 158 ee) Handlungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 ff) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 5. Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der NS-Gewalt- und -Willkürherrschaft (§ 130 Abs. 4 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 aa) Billigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
Inhaltsverzeichnis
17
bb) Verherrlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 cc) Rechtfertigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 dd) Tatobjekt: Die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft
165
ee) Handlungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 ff) Verletzung der Würde der Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 gg) Störung des öffentlichen Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 III. Organisationsbezogene indirekte Motivationsdelikte – Einwirkung auf die gefühlsmäßige Wahrnehmung von kriminellen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 aa) Propagandamittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 bb) Propagandamittel verfassungswidriger Organisationen . . . . . . . . . . . 175 cc) Propagandamittel terroristischer Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . 180 dd) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 ee) Sozialadäquanzklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86a StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 a) Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 aa) Tatobjekte: Kennzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 bb) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
Kapitel 2 Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte A. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 I.
Grundlagen des französischen Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
18
Inhaltsverzeichnis II. Spezifizität der Übersetzung des Begriffs der provocation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
B. Direkte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 I.
Individuelle direkte Motivation zur Begehung einer näher spezifizierten Tat . . . . 197 1. Direkte Provokation zu einer Straftat (Art. 121-7 CP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 aa) Haupttat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 bb) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. Erfolglose, direkte Provokation zu einem Mord oder einer Vergiftung (Artikel 221-5-1 CP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 bb) Provokation zum Mord oder zur Vergiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3. Erfolglose direkte Provokation zur Vergewaltigung (Art. 222-26-1 CP) . . . . 208 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 c) Strafbegründung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 bb) Provokation zur Vergewaltigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 e) Subjektiver Tatbestand
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 4. Erfolglose direkte Provokation zu sexuellen Angriffen (Art. 222-30-2 CP) . . 211 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 c) Strafbegründung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 bb) Provokation zu sexuellen Angriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
Inhaltsverzeichnis
19
e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 5. Erfolglose direkte Provokation zur Folter und brutalen Misshandlungen (Art. 222-6-4 CP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 c) Strafbegründung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 bb) Provokation zu Folter und brutalen Misshandlungen . . . . . . . . . . . . . 215 e) Subjektiver Tatbestand
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215
f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 6. Direkte Provokation zu sexuellen Straftaten gegen Minderjährige (Art. 227-28-3 CP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 7. Direkte Provokation eines Minderjährigen zu einem Vergehen oder Verbrechen (Art. 227-21 CP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 8. Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelkonsum (Art. 227-18 CP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 bb) Tatobjekt: Illegaler Betäubungsmittelkonsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 9. Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelhandel (Art. 227-18-1 CP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227
20
Inhaltsverzeichnis a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 bb) Tatobjekt: Handel mit Betäubungsmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 10. Direkte Provokation eines Minderjährigen zum übermäßigen oder gewöhnlichen Alkoholkonsum (Art. 227-19 CP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 11. Anwerbung zur Beteiligung an einer terroristischen Organisation oder an terroristischen Taten (Art. 421-2-4 CP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 II. Allgemeine (insb. öffentliche) direkte Motivation zur Begehung einer näher spezifizierten Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen (Art. 23 LLP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 aa) Haupttat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 bb) Die Äußerungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 cc) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Direkte, öffentliche und erfolglose Provokation zu Straftaten (Art. 24 Abs. 1–4 LLP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
Inhaltsverzeichnis
21
a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 bb) Katalogstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 3. Direkte Provokation zu den Verbrechen des Verrats oder der Spionage (Artikel 411-11 CP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 bb) Tatobjekt: Verbrechen des Verrats oder der Spionage . . . . . . . . . . . . . 252 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 4. Direkte Provokation zur Rebellion (Art. 433-10 CP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 bb) Tatobjekt: Rebellion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 5. Direkte Provokation zum Völkermord (Art. 211-2 CP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 bb) Tatobjekt: Völkermord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 6. Direkte Provokation zu einer bewaffneten Zusammenrottung (Art. 431-6 CP)
260
a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
22
Inhaltsverzeichnis b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 bb) Tatobjekt: Bewaffnete Zusammenrottung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 7. Direkte Provokation zu terroristischen Taten (Art. 421-2-5 CP) . . . . . . . . . . . 264 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 bb) Tatobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
C. Indirekte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 I.
Opferbezogene indirekte Motivationsdelikte – Schüren von Emotionen gegenüber Personengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 1. Öffentliche Provokation zur Diskriminierung, zu Hass oder zu Gewalt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen (Art. 24 Abs. 7–8 LLP) . . . . . . . 271 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 aa) Angriffsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 bb) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 cc) Diskriminierung, Hass und Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2. Nicht öffentliche Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber bestimmten Personengruppen (Art. R. 625-7 CP) . . . . . . . . . . . . . 279 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 aa) Angriffsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 bb) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
Inhaltsverzeichnis
23
cc) Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt . . . . . . . . . . . . . . 282 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 II. Tatbezogene indirekte Motivationsdelikte – Erweckung eines gesteigerten Maßes an Emotionen in Bezug auf Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 1. Verherrlichung von Verbrechen (Art. 24 Abs. 5 LLP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 bb) Katalogstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 2. Verherrlichung von terroristischen Taten (Art. 421-2-5 CP) . . . . . . . . . . . . . . 292 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 bb) Tatobjekt: Terroristische Taten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 3. Aufrührerische Ausrufe oder Gesänge (Art. 24 Abs. 6 LLP) . . . . . . . . . . . . . 296 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 aa) Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 bb) Aufrührerische Ausrufe oder Gesänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 e) Subjektiver Tatbestand
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 4. Provokation und positive Darstellung des Konsums und Handels von Betäubungsmitteln (Art. L. 3421-4 des CSP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304
24
Inhaltsverzeichnis aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 bb) Konsum und Handel von Betäubungsmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 5. Provokation zur Bewaffnung gegen die Staatsgewalt oder gegen einen Teil der Bevölkerung (Art. 412-8 CP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 6. Provokation von Soldaten oder von zu einer Form des Militärdiensts Verpflichteten zum Ungehorsam (Art. 413-3 CP und Art. L. 332-1 Abs. 6 CJM) 310 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 aa) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 bb) Ungehorsam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 cc) In Kriegszeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 7. Provokation von Soldaten oder von zu einer Form des Militärdienstes Verpflichteten zur Fahnenflucht (Art. L. 321-18 CJM) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 8. Revisionismus (Art. 24 bis LLP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 aa) Contestation der im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 bb) Négation, Verharmlosung und grobe Bagatellisierung der aufgelisteten Verbrechen (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
Inhaltsverzeichnis
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e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 III. Organisationsbezogene indirekte Motivationsdelikte – Einwirkung auf die gefühlsmäßige Wahrnehmung von kriminellen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . 324 1. Tragen oder Zurschaustellen von Kennzeichen, Symbolen oder Uniformen von kriminellen Organisationen der NS-Zeit oder von wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilten Personen (Art. R. 645-1 CP) . . . . . . . 324 a) Geltender Normtext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 b) Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 c) Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 d) Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 aa) Tatobjekte: Abzeichen, Symbole und Uniformen . . . . . . . . . . . . . . . . 327 bb) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 e) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 f) Quintessenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328
Kapitel 3 Rechtsvergleich A. Direkte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 I.
Individuelle Motivation zur Begehung einer näher spezifizierten Tat . . . . . . . . . . 329 1. Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 2. Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 3. Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 a) Haupttat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 b) Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 c) Gegenstand der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 d) Adressaten und Begehungsweise der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 4. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
II. Allgemeine Motivation zur Begehung einer näher spezifizierten Tat . . . . . . . . . . 340 1. Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 2. Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 3. Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 a) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 b) Gegenstand der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 c) Adressaten und Begehungsweise der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 4. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 B. Indirekte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349
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Inhaltsverzeichnis I.
Beeinflussung der Gefühle und Emotionen von Personengruppen . . . . . . . . . . . . 349 1. Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 2. Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 3. Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 a) Angriffsobjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 b) Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 c) Gegenstand der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 d) Adressaten und Begehungsweise der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 4. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355
II. Beeinflussung der Gefühle und Emotionen gegenüber Straftaten . . . . . . . . . . . . . 356 1. Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 a) Zeitlicher Unterschied der Normeneinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 b) Tatbezogene Motivationsdelikte als Momentaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . 357 2. Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 3. Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 a) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 aa) Positiv vergangenheitstatbezogene Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . 359 bb) Verneinende vergangenheitstatbezogene Motivationsdelikte . . . . . . . 361 cc) Eingrenzende Tatbestandsmerkmale der deutschen Normen . . . . . . . 362 dd) Allgemeine tatbezogene Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 b) Gegenstand der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 c) Adressaten und Begehungsweise der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 4. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 III. Beeinflussung der Gefühle und Emotionen gegenüber verbotenen / kriminellen Vereinigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 1. Geschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 2. Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 3. Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 a) Tatobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 b) Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 c) Gegenstand der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 d) Adressaten und Begehungsweise der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 e) Strafmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 4. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 C. Zusammenfassung der wesentlichen Konvergenzen und Differenzen . . . . . . . . . . . . . 372 I.
Direkte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 2. Geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
Inhaltsverzeichnis
27
3. Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 4. Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 5. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 II. Indirekte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 2. Geschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 3. Strafbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 4. Objektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 5. Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 6. Strafmaß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
Teil 3 Bewertung A. Strafrechtsdogmatische Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 I.
Die strafrechtsdogmatische Legitimation im deutschen Strafrecht . . . . . . . . . . . . 386 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 2. Rechtsgut und Deliktsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 a) Von der Rechtsverletzung zur Güterverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 b) Binding . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 c) von Liszt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 d) Methodisch-teleologischer Rechtsgutsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 e) Rechtsgutbegriff in der NS-Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 f) Entwicklung eines systemkritischen Rechtsgutsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . 391 aa) Jäger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 bb) Hassemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 cc) Roxin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 g) Verfassungsrechtliche Verbindlichkeit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
3. Beeinträchtigung (Verletzung / Gefährdung) des Rechtsguts und Deliktsnatur
394
a) Vorverlagerung durch Universalrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 b) Vorverlagerung durch Gefährdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 aa) Konkrete und abstrakte Gefährdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 bb) Delikte der objektiven Gefahrensituation, Planungsdelikte und Kooperationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 cc) Anschließungsdelikte und Kriterien der Zurechnung . . . . . . . . . . . . . 398 4. Legitimation der Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 a) Bewertungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401
28
Inhaltsverzeichnis b) Direkte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 aa) Teilnahmeregelung (§ 26 StGB, §§ 33, 34 WStG) . . . . . . . . . . . . . . . . 403 bb) Versuchte Anstiftung (§ 30 Abs. 1 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 cc) Bestimmen eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG) . . . . . . . . . . . . . . . 406 dd) Verleiten eines Untergebenen zu einer Straftat (§ 357 StGB) . . . . . . . 407 ee) Öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) . . . . . . . . . . . . . 408 ff) Werben für kriminelle und terroristische Vereinigungen (§§ 129 Abs. 1 und 129a Abs. 5 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 gg) Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 und § 130 Abs. 2 Nr. 1b – 2 StGB) . . . . . . . . 411 c) Indirekte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 aa) Aufstacheln zu Hass (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1), Beschimpfen, böswillig Verächtlichmachen oder Verleumden (§ 130 Abs. 1 Nr. 2), Billigen, Leugnen und Verharmlosen der in der NS-Zeit begangenen Handlungen (§ 130 Abs. 3) und Billigen, Verherrlichen oder Rechtfertigen der NS-Gewalt- und -Willkürherrschaft (§ 130 Abs. 4 StGB) . . . . . . . . . . 413 bb) Billigung von Straftaten (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB) . . . . . . . . . . . . . . . 416 cc) Aufwieglerischer Landfriedensbruch (§ 125 Abs. 1 Var. 3 StGB) . . . . 417 dd) Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression (§ 80a StGB) . . . . . . . . 418 ee) Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86 StGB) und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86a StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 5. Zusammenfassung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
II. Die strafrechtsdogmatische Legitimation im französischen Strafrecht . . . . . . . . . 421 1. Traditionelle Strafrechtskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 a) Die conception formelle in der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 b) Die conception formelle im Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 2. Spuren von geschützten Gütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 b) Systematisierung des code pénal anhand der Schutzgegenstände . . . . . . . 425 c) Auslegung der Gesetze anhand von Schutzgegenständen . . . . . . . . . . . . . 427 d) Gesetzeskonkurrenzfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 e) Erfolg einer Straftat und Deliktsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 f) Zusammenfassung: Facettenreiche Schutzgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . 431 3. Entwicklung eines auf vorpositivistischen Schutzgegenständen abstellenden Strafrechts in der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 a) Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 b) Moderne Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
Inhaltsverzeichnis
29
4. Gründe für das scheinbare Desinteresse der französischen Lehre an einer materiellen Grenze des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 a) Legalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 aa) Ursprung und Entwicklung des Legalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 bb) Auswirkungen auf das heutige Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 b) Rechtspositivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 aa) Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 bb) Die Rolle des Rechtspositivismus im heutigen Strafrecht . . . . . . . . . 439 5. Vorverlagerung der Strafbarkeit und Deliktsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 a) Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 b) Systematisierung der Deliktstrukturen anhand der valeurs, intérêts oder biens juridiques . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 c) Legitimation der Vorverlagerung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
6. Legitimation der Motivationsdelikte
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
a) Bewertungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 b) Direkte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 c) Indirekte Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 7. Zusammenfassung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455
III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 B. Verfassungsrechtliche Beurteilung: Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Meinungsäußerungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 I.
Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Meinungsäußerungsfreiheit in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 1. Meinungsäußerungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 2. Entwicklung der Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 3. Prüfungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 a) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 b) Geeignet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 c) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 d) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 4. Verhältnismäßigkeit und Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465
II. Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Meinungsäußerungsfreiheit in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 1. Meinungsäußerungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 2. Entwicklung der Verhältnismäßigkeitsprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 3. Prüfung der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 a) Objectif du législateur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 b) Adéquation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471
30
Inhaltsverzeichnis c) Nécessité . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 d) Proportionnalité au sens stricte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 4. Verhältnismäßigkeit und Motivationsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477
C. Verfassungsrechtliche und strafrechtliche Grenze durch den Bestimmtheitsgrundsatz I.
479
Das Bestimmtheitsgebot und die Motivationsdelikte im deutschen Recht . . . . . . 479 1. Das Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 2. Die Motivationsdelikte und das Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481
II. Das Bestimmtheitsgebot und die Motivationsdelikte im französischen Recht . . . 483 1. Das Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 2. Die Motivationsdelikte und das Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 Schlusswort der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
Abkürzungsverzeichnis a. A. ABl. Abs. ADJ a. F. AG AJ Pén. Alt. Anw-StGB AöR Art. Art. L. Art. R. Ass. Nat. AT Aufl. BayObLG BayVBl. BayVGH BeckOK BeckRS Beschl. BGBl. BGH BGHSt BKA BRD Bsp. bStGB BT BT-Drucks. BtM BtMG Bull. crim. BVerfG BVerfGE BVerwG bzw. CA Cah. C. const. Cc, Cons. const.
andere Ansicht Amtsblatt Absatz / Absätze Arbeitsgemeinschaft demokratischer Juristen alte Fassung Amtsgericht Actualité juridique pénale Alternative AnwaltKommentar StGB Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Artikel im legislativen Teil eines frz. Gesetzbuchs Artikel im Verordnungsteil eines frz. Gesetzbuchs Assemblée nationale Allgemeiner Teil Auflage Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beck’scher Online-Kommentar Beck-Rechtsprechung Beschluss Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Bundeskriminalamt Bundesrepublik Deutschland Beispiel belgisches Strafgesetzbuch Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Betäubungsmittel Betäubungsmittelgesetz Bulletin des arrêts de la Cour de cassation (Strafsachen) Bundesverfassungsgericht Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise Cour d’appel Cahiers du Conseil constitutionnel Conseil constitutionnel
32 Cass. Cass. crim CDU chron. CJM comm. cons. CP CPP C. R.D. F. CSP CSU DC
D. déc. ders. d. h. Dr. pén. DStR E Éd. EGMR EGStGB EKMR EMRK etc. EU EuGH f. / ff. Fasc. FDP févr. Fn. frz. FS GA Gaz. Pal. gem. Gestapo GG ggf. h. L. h. M. HRRS Hrsg. ICCPR
Abkürzungsverzeichnis Cour de cassation Cour de cassation, chambre criminelle Christlich Demokratische Union Deutschlands chronique Code de la justice militaire Commentaire Considérant Code pénal Code de procédure pénale Cahiers de la recherche sur les droits fondamentaux Code de la santé publique Christlich-Soziale Union in Bayern Kennzeichnung der Entscheidungen des Conseil constitutionnel, die eine abstrakte Normenkontrolle von Rechtsakten vor ihrer Verabschiedung zum Gegenstand haben Recueil Dalloz décembre (Dezember) derselbe das heißt Droit pénal Deutsches Steuerrecht Entwurf Édition Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch Europäische Kommission für Menschenrechte Europäische Menschenrechtskonvention et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof folgende / fortfolgende Fascicule Freie Demokratische Partei février (Februar) Fußnote französisch / en Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gazette du Palais gemäß Geheime Staatspolizei Grundgesetz gegebenenfalls herrschende Lehre herrschende Meinung Online-Zeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht Herausgeber Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
Abkürzungsverzeichnis ICERD ICTY i. S. i. S. d. IStGH insb. JA janv. JCl. JCP / JCP G JO JORF JöR / JöR N. F. JR juill. JURA JuS JZ KG KJ KPD KriPoZ krit. KritV LG LK LLP MDR MK MMR MStGB n°, Nr., No n. F. NDP NJW NK nov. NS NSDAP NSDAP-AO NStZ NStZ-RR NVwZ obs. oct. o.g. OK
33
Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien im Sinne im Sinne des / im Sinne der Internationaler Strafgerichtshof insbesondere Juristische Arbeitsblätter janvier (Januar) JurisClasseur La Semaine Juridique, édition générale (JurisClasseur périodique) Journal officiel Journal officiel de la République française Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart / neuen Folgen Juristische Rundschau juillet (Juli) Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kammergericht Berlin Kritische Justiz Kommunistische Partei Deutschlands Kriminalpolitische Zeitschrift kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Landgericht Leipziger Kommentar Loi sur la liberté de la presse Monatsschrift für Deutsches Recht Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch Multimedia und Recht Reichs-Militärstrafgesetz Nummer neue Fassung Nationaldemokratische Partei Neue Juristische Wochenschrift Nomos Kommentar novembre (November) Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSDAP-Aufbauorganisation Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht observation octobre (Oktober) oben genannt Organisierte Kriminalität
34 OLG OrgKG OWiG öStGB p. PKK PrALR PreßVO Prot. PrStGB QPC RAF RB RDLF RepSchG RGBl. RGSt RIDC RIDP Rn. RPDP RSC RStGB S. Sch / Sch SD sep. SG SK s. o. sog. somm. SPD SRP SS Sten. Ber. RT sStGB StGB StPO StrÄG StV t. Teilbd. TGI TI Trib. admin. Trib. corr.
Abkürzungsverzeichnis Oberlandesgericht Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderen Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität Gesetz über Ordnungswidrigkeiten österreichisches Strafgesetzbuch page Arbeiterpartei Kurdistans Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten Preßverordnung von 1849 Protokoll Preußisches Strafgesetzbuch Question prioritiare de constitutionnalité Rote-Armee-Fraktion Rahmenbeschluss Revue des droits et libertés fondamentaux Republikschutzgesetz Reichsgesetzblatt Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Revue internationale de droit comparé Revue Internationale de Droit Pénal Randnummer Revue pénitentiaire et de droit pénal Revue de science criminelle et de droit pénal comparé Reichsstrafgesetzbuch Seite Schönke / Schröder, Strafgesetzbuch Sicherheitsdienst des Reichsführers SS septembre (September) Soldatengesetz Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch siehe oben sogenannt sommaire Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sozialistische Reichspartei Schutzstaffel Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags spanisches Strafgesetzbuch Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafrechtsänderungsgesetz Strafverteidiger tome (Band) Teilband Tribunal de grande instance Tribunal d’instance Tribunal administratif Tribunal correctionnel
Abkürzungsverzeichnis u. u. a. Urt. v. Var. VerbrBekG VerfG VersG vgl. Vol. VStGB WRV WStG z. B. ZIS ZJS ZRP ZStW z. T.
und unter anderem Urteil vom Variante Verbrechensbekämpfungsgesetz Verfassungsgericht Versammlungsgesetz vergleiche Volumen Völkerstrafgesetzbuch Weimarer Verfassung Wehrstrafgesetz zum Beispiel Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zum Teil
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Teil 1
Einleitung A. Gegenstand der Untersuchung I. Äußerungen als Handlungsauslöser Die Verführung und das manipulative Überreden sind seit jeher Themen, die faszinieren. Zeugen dieser Faszination sind die zahlreichen Schriften, literarischen Werke und Filme, die von einem Verführer handeln, der durch seine Rhetorik und seinen habilen Gebrauch von Worten andere Akteure dazu bringt, (rechtswidrige) Handlungen zu vollziehen.1 Sei es die Schlange im Garten Eden, die Eva allein durch die Kraft weniger Worte dazu verleitet, die verbotene Frucht zu essen; Mephisto, der Faust verführen will, um dessen Seele zu bekommen; in der Kinderliteratur Pinocchio, der in das Land der Spielereien gelockt wird; oder der selbst ernannte Imperator Palpatine, der in der Star-Wars-Saga den jungen Anakin Skywalker durch eine geschickte Wortwahl auf die „dunkle Seite der Macht“ zieht. In diesen Werken werden die Verführer, auf der einen Seite, als zwielichtige Personen porträtiert, die durch ihren geschickten Gebrauch von Worten andere Personen dazu veranlassen, in ihrem Sinne zu handeln.2 Die Verführten, auf der anderen Seite, werden in der Literatur oft im Sinne eines Menschenbilds dargestellt, gemäß dem der Mensch als „moralisch schwach und verführbar“3 zu betrachten ist. Das manipulative Überreden oder das Motivieren zu Handlungen durch verschiedene Kommunikationsmittel, sei es durch Sprache, Schriften, Bilder, Videos oder andere Darstellungen, wird neben der literarischen Gattung der Fiktion auch in verschiedenen wissenschaftlichen Zweigen aufgegriffen und untersucht (u. a. in der Linguistik, der Emotions- und Kommunikationspsychologie und der Kriminologie).4 Bereits im antiken Griechenland und im antiken Rom wurde in der Rede ein Überzeugungsmittel gesehen und die Rhetorik entsprechend als Wissenschaft und als Kunst untersucht.5 In dieser Weise zieht sich das Interesse am Überreden, Ver1
Siehe Amelung, FS für Schroeder, S. 149. Amelung merkt an, dass die Anstifter in den kulturellen Überlieferungen „wie die Personifikation der moralischen Gefährdung“ wirken. Siehe Amelung, FS für Schroeder, S. 149. 3 Amelung, FS für Schroeder, S. 149. 4 Siehe Searle, Ausdruck und Bedeutung, S. 31 ff.; Neubacher, JICJ 4 (2006), 796 ff., der bemerkt, dass Himmlers Anstiftung zum Massenmord, die an die SS-Truppen gerichtet ist, auch gleichzeitig als eine in der Kriminologie bekannte Neutralisierungstechnik wirkt (S. 796 ff.); Schulz von Thun, Miteinander reden 1, S. 27 ff. 5 Siehe hierzu z. B. das Werk Rhetorik von Aristoteles. 2
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1. Teil: Einleitung
anlassen und Motivieren von Dritten zu Handlungen durch den Einsatz von Sprache durch die gesamte europäische Geschichte – und auch in unserer Zeit schwindet es nicht. So erschienen zum Beispiel nach der NS-Zeit vermehrt Studien, die die Propaganda und die Rhetorik der Nationalsozialisten untersuchten, um zu verstehen, wie sich so viele Menschen durch die NS-Propaganda angesprochen fühlen konnten und bereit waren, sich den unter der NS-Gewalt- und -Willkürherrschaft begangenen Menschenrechtsverletzungen anzuschließen.6 Heutzutage wird die Problematik der Propaganda, des Aufhetzens und des Verherrlichens vermehrt in Bezug auf terroristische Netzwerke und deren Aktivitäten untersucht.7 Mit Blick auf das Angeführte wird deutlich, dass auch das Strafrecht, als „Spiegel der Gesellschaft“8, dem Thema des Verführens und Motivierens nicht ausweichen kann. Von besonderem Interesse ist in diesem Kontext die Frage der strafrechtlichen Ahndung von Äußerungen, in denen die Möglichkeit gesehen wird, dass sie Dritte zur Begehung rechtswidriger Taten motivieren können.
II. Strafrechtliche Ahndung des Motivierens zu Straftaten Der Wunsch, das Veranlassen zu Straftaten durch Äußerungen zu bestrafen, lässt sich in der europäischen Rechtsgeschichte weit zurückverfolgen (1). In den letzten Jahren ist in diesem Bereich jedoch eine Entwicklung in Richtung einer Verstärkung und Veränderung der Kriminalisierung von motivierenden Kundgaben zu erkennen (2). Auch auf internationaler Ebene ist dieser Wunsch deutlich zu erkennen. Seit dem Ende des 2. Weltkrieges gibt es immer mehr internationale Abkommen, die sich mit der Kriminalisierung dieses Verhaltens beschäftigen (3).
1. Traditionelle Ahndung von verführerischen Äußerungen Seit Langem ist die Gefahr, dass anreizende Äußerungen als Straftatenauslöser wirken können, anerkannt.9 Traditionell wurden in der romanisch-germanischen Rechtsfamilie Äußerungen, die eine bestimmte Person zu einer bestimmten Tat veranlassen sollten oder dies de facto taten, als eine Form der Teilnahme angesehen und auch als solche sanktioniert.10 Dies war und ist sowohl in Deutschland als auch
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Beispiele zu Untersuchungen der NS-Rhetorik Neubacher, JICJ 4 (2006), 796 ff. Siehe z. B. Gartenstein-Ross / Barr / Moreng, ICCT Research Paper. The Hague 7 (2016). 8 Vgl. Larcher, Gérard, Les colloques du sénat, bicentenaire du code pénal 1810–2010, 25/26 novembre 2010, S. 260. Abrufbar unter: http://www.senat.fr/colloques/actes_bicentenaire_ code_penal/actes_bicentenaire_code_penal.pdf [Stand: 20. 5. 2022]. 9 Siehe Dupuy, La provocation et le droit pénal, S. 7. 10 Bereits im römischen Recht konnten unter den verschiedenen Beteiligungsformen auch das Motivieren oder Veranlassen zu Straftaten erkannt werden. In den Schriften von Ulpian können verschiedene Motivationssituationen ausgemacht werden (z. B. das concitare, solicitare und 7
1. Teil: Einleitung
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in Frankreich der Fall. In Deutschland wurden und werden diese Art von Äußerungen traditionell durch den Tatbestand der Anstiftung in § 26 StGB unter Strafe gestellt. Dieser lautet wie folgt: „Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat.“ In Frankreich wird das „Provozieren“ zu Straftaten in Artikel 121-7 Abs. 2 des code pénal (CP) bestraft. In dieser Vorschrift wird derjenige, der „durch Zuwendungen, Versprechungen, Drohungen, Befehle, Missbrauch seiner Autorität oder seiner Befugnisse zu einer Straftat anstiftet, provoziert oder Anweisungen zu ihrer Begehung gegeben hat, wie ein Teilnehmer bestraft“11. Die Anstiftung i. S. d. § 26 StGB und die „provocation“ (Provokation) i. S. d. Artikels 121-7 CP können als „Urformen des Veranlassens fremder Straftaten“12 verstanden werden. In beiden Formen werden hohe Ansprüche an den Konkretisierungsgrad der zu begehenden Tat und des Täters gestellt. Diese hohen Anforderungen an den Konkretisierungsgrad haben den Vorteil, dass der Kausalzusammenhang zwischen der Äußerung und einer später begangenen Tat einfacher festzustellen und zu beweisen ist. In den letzten Jahren ist jedoch eine gegenteilige Entwicklung zu beobachten. So wurden neben diesen beiden „Urformen des Veranlassens“ sowohl im Besonderen Teil (BT) des deutschen als auch des französischen Strafgesetzbuchs zunehmend neue Tatbestände eingeführt, die Verhaltensweisen unter Strafe stellen, bei denen der Konkretisierungsgrad – sei es der Konkretisierungsgrad der zu begehenden Tat oder der des Täters – kontinuierlich abzunehmen scheint.
2. Entwicklung der Kriminalisierung auf nationaler Ebene Sowohl in der deutschen und französischen Lehre als auch von den jeweiligen Gesetzgebern wurde schon früh die Auffassung vertreten, dass die alleinige Bestrafung von motivationsfördernden Äußerungen, die an eine bestimmte Person gerichtet sind und zu einer bestimmten Tat verleiten, aufgrund der Entwicklung der Mitteilungs- und der Kommunikationsmöglichkeiten sowie der Kriminalitätsformen zu begrenzt sei und ausgeweitet werden müsse.13 Tatsächlich ist über die Jahre hinweg eine Veränderung im Sinne einer Verstärkung der Kriminalisierung instigare), die Ähnlichkeiten zu den Bestimmungen über die Anstiftung in § 26 StGB und die Provokation in Art. 121-7 code pénal (CP) aufweisen und die als Teilnahme an der begangenen Haupttat bestraft wurden. Siehe vertiefend hierzu Bock, Römischrechtliche Ausgangspunkte der strafrechtlichen Beteiligungslehre. 11 Artikel 121-7 Abs. 2 CP: „Est également complice la personne qui par don, promesse, menace, ordre, abus d’autorité ou de pouvoir aura provoqué à une infraction ou donné des instructions pour la commettre.“ Vertiefend hierzu siehe Dupuy, La provocation et le droit pénal, S. 7; Bock, Römischrechtliche Ausgangspunkte der strafrechtlichen Beteiligungslehre; LKSchünemann / Greco, Vor § 25, Rn. 5 ff. 12 Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB unter Berücksichtigung linguistischer Aspekte, S. 23. 13 Vgl. Thierry, JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication, fasc. 60.
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1. Teil: Einleitung
von Äußerungen und Kundgaben jeglicher Form (z. B. Bilder und Zeichen), denen eine motivationsfördernde Wirkung zugeschrieben wird, erkennbar. Diese Verstärkungen sowie Ausdehnungen der Strafbarkeit von Äußerungen verlaufen in Frankreich und Deutschland auf zwei Ebenen: Auf der ersten Ebene lässt sich prima facie eine zunehmende Anzahl von neuen Vorschriften im BT des StGB sowie des CP feststellen, die verschiedene Äußerungen „im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme“14 bestrafen. Immer mehr Arten von Äußerungen wird also die Gefahr zugesprochen, straftatenfördernd zu wirken (so z. B. die Verherrlichung von Straftaten). Außerdem wurden neben der Äußerung selbst auch die Weiterverbreitung und das öffentliche Zugänglichmachen solcher motivationsfördernder Äußerungen vermehrt unter Strafe gestellt. Auf einer zweiten Ebene wird durch die schrittweise Reduktion der Anforderungen an die Bestimmtheit und Konkretisierung innerhalb der verschiedenen neuen Vorschriften ebenfalls eine Tendenz hin zu einer verstärkten Kriminalisierung deutlich, auch wenn diese weniger ostentativ erscheinen mag. In Anbetracht der Entwicklung auf der zweiten Ebene können folgende Aspekte festgestellt werden: (1) Die neu eingeführten Delikte müssen nicht mehr an bestimmte Personen oder an einen bestimmten Adressatenkreis gerichtet sein. (2) Es geht nicht mehr darum, dass diese Äußerungen zu einer präzise bestimmten Tat veranlassen, sondern darum, dass sie möglicherweise dazu beitragen könnten, eine Gefahr oder ein Klima zu schaffen, das die Begehung von neuen Straftaten begünstigt. (3) Die sich äußernde Person hat keine direkte Einwirkung mehr auf die Tatherrschaft oder den Kausalzusammenhang; das „wer, wie, wo“ oder sogar die tatsächliche Tatbegehung werden nicht mehr von der sich äußernden Person bestimmt. Die Person hat das Tatgeschehen nach der Äußerung nicht mehr in der Hand. Dies zeigt, dass bei den neuen Tatbeständen der Konkretisierungsgrad bezüglich der Tat, dem Täter und dem Opfer abnimmt und weniger streng ist.
3. Entwicklung der Kriminalisierung auf internationaler Ebene: Internationale Abkommen Es gibt zahlreiche internationale Abkommen, die das Veranlassen zu bestimmten Straftaten ahnden und davor schützen sollen.
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Kolbe, Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB), S. 3.
1. Teil: Einleitung
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In dem Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, das 1951 in Kraft trat, wurde in Art. III c) aufgeführt, dass die „unmittelbare und öffentliche Anreizung zur Begehung von Völkermord“ zu bestrafen sei. Das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) übernahm diese Auffassung, als es in Art. 4 Abs. 3 c) aufführte, dass die „unmittelbare und öffentliche Anreizung zur Begehung von Völkermord“ zu bestrafen sei. Auch Art. 25 Abs. 3 c) des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zufolge soll derjenige, der in Bezug auf das Verbrechen des Völkermords andere unmittelbar und öffentlich zur Begehung von Völkermord aufgestachelt hat, bestraft werden. Sowohl im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR), der 1976 in Kraft trat, sowie im Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD),15 das 1969 in Kraft trat, wurde ein Verbot des Motivierens zu Hass, Diskriminierung und Gewalt gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen gefordert.16 In den traveaux prépartoires wird deutlich, dass in solchen Motivationen die Gefahr gesehen wurde, sie könnten zu einem Wiederaufleben der NS-Zeit und der damit verbundenen Rassenideologie führen.17 Art. 1 (1) (c) und (d) des Rahmenbeschlusses (RB) 2008/913/JI des Europäischen Rates vom 28. November 2008 sehen vor, dass die folgenden vorsätzlich begangenen Handlungen durch die Mitgliedstaaten unter Strafe gestellt werden sollen: – (c): „das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Sinne der 15 Art. 20 Abs. 2 ICCPR: „Jedes Eintreten für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch das zu Diskriminierung, Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird, wird durch Gesetz verboten.“ 16 Art. 4 ICERD: „Die Vertragsstaaten verurteilen jede Propaganda und alle Organisationen, die auf Ideen oder Theorien hinsichtlich der Überlegenheit einer Rasse oder einer Personengruppe bestimmter Hautfarbe oder Volkszugehörigkeit beruhen oder die irgendeine Form von Rassenhass und Rassendiskriminierung zu rechtfertigen oder zu fördern suchen; sie verpflichten sich, unmittelbare und positive Maßnahmen zu treffen, um jedes Aufreizen zur Rassendiskriminierung und alle rassisch diskriminierenden Handlungen auszumerzen; zu diesem Zweck übernehmen sie unter gebührender Berücksichtigung der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegten Grundsätze und der ausdrücklich in Artikel 5 des vorliegenden Übereinkommens genannten Rechte unter anderem folgende Verpflichtungen: a) jede Verbreitung von Ideen, die sich auf die Überlegenheit einer Rasse oder den Rassenhass gründen, jedes Aufreizen zur Rassendiskriminierung und jede Gewalttätigkeit oder Aufreizung dazu gegen eine Rasse oder eine Personengruppe anderer Hautfarbe oder Volkszugehörigkeit sowie jede Unterstützung rassenkämpferischer Betätigung einschließlich ihrer Finanzierung zu einer nach dem Gesetz strafbaren Handlung zu erklären, b) alle Organisationen und alle organisierten oder sonstigen Propagandatätigkeiten, welche die Rassendiskriminierung fördern und dazu aufreizen, als gesetzwidrig zu erklären und zu verbieten und die Beteiligung an derartigen Organisationen oder Tätigkeiten als eine nach dem Gesetz strafbare Handlung anzuerkennen, c) nicht zuzulassen, dass staatliche oder örtliche Behörden oder öffentliche Einrichtungen die Rassendiskriminierung fördern oder dazu aufreizen.“ 17 Timmermann, Incitement in International Law, S. 141 f.
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1. Teil: Einleitung
Artikel 6, 7 und 8 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, das gegen eine Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe gerichtet ist, die nach den Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft definiert werden, wenn die Handlung in einer Weise begangen wird, die wahrscheinlich zu Gewalt oder Hass gegen solch eine Gruppe oder gegen ein Mitglied solch einer Gruppe aufstachelt;“ – (d): „das öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen von Verbrechen nach Artikel 6 der Charta des Internationalen Militärgerichtshofs im Anhang zum Londoner Abkommen vom 8. August 1945 gegenüber einer Gruppe von Personen oder einem Mitglied einer solchen Gruppe, die nach den Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft definiert werden, wenn die Handlung in einer Weise begangen wird, die wahrscheinlich zu Gewalt oder Hass gegen solch eine Gruppe oder gegen ein Mitglied solch einer Gruppe aufstachelt.“ Laut Art. 1 (2) des Rahmenbeschlusses sind die Mitgliedstaaten frei, nur solche Handlungen strafrechtlich zu ahnden, die in einer Weise begangen werden, die geeignet ist, die öffentliche Ordnung zu stören, oder die Drohungen, Beschimpfungen oder Beleidigungen darstellen. In Deutschland wurde der Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit durch das Gesetz vom 16. Dezember 2010, das am 22. März 2011 in Kraft getreten ist, umgesetzt.18 Die damalige Bundesregierung war der Auffassung, dass die Regelungen des Rahmenbeschlusses in Deutschland bereits im Wesentlichen dem geltenden Recht entsprachen. Man beließ es deshalb bei einer Anpassung der Volksverhetzungstatbestände in § 130 Abs. 1, 2 StGB.19 Im Jahr 2012 verfolgte die französische Regierung das Ziel, neben der Leugnung des Holocaust und der unter dem NS-Regime begangenen Taten (siehe Art. 24 bis LLP in der Arbeit)20 auch allgemein das Leugnen von Völkermorden, die gesetzlich als solche anerkannt wurden, zu bestrafen. Im Zuge dessen wurde auch entschieden, den Rahmenbeschluss 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in das französische Recht aufzunehmen.21 18
Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und zur Umsetzung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 2003 zum Übereinkommen des Europarats vom 23. November 2001 über Computerkriminalität betreffend die Kriminalisierung mittels Computersystemen begangener Handlungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art, BGBl. I 2011, S. 418. 19 Siehe BT-Drs. 17/3124, S. 6. Vertiefend hierzu siehe in dieser Arbeit unten Teil 2 Kapitel 1 A. I. 7. b). 20 Siehe unten Teil 3 Kapitel 2 C. II. 8. 21 Siehe Rapport n° 4035 de Valérie BOYER, fait au nom de la commission des lois, déposé le 7 décembre 2011.
1. Teil: Einleitung
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Der Conseil constitutionnel (Cc), das französische Verfassungsgericht, erklärte dieses Gesetz in seiner Entscheidung Nr. 2012-647 DC vom 28. Februar 2012 jedoch als verfassungswidrig.22 Letztendlich wurde mit dem Gesetz vom 27. Januar 201723 der Art. 24 bis LLP verändert, wodurch dem Rahmenbeschluss Rechnung getragen wurde.24
III. Problemstellung Die im Strafrecht zentrale Problematik ist die Frage, welche Handlungen strafrechtlich geahndet werden dürfen. Das Strafrecht als Teil der Rechtsordnung soll die Verwirklichung des Gemeinwohls, die öffentliche Ordnung bzw. die ordre public und die Erfüllung eines friedlichen Zusammenlebens zwischen den Bürgern in der Gesellschaft sichern.25 Es darf dabei jedoch nicht aus den Augen verloren werden, dass das Strafrecht das schärfste Reaktionsmittel ist, das dem Staat zur Verfügung steht (ultima ratio), weil es ihm einen starken Eingriff in die Freiheitssphäre der Bürger ermöglicht. Aufgrund dessen wird klar, dass nicht jedes Verhalten vom Strafrecht erfasst werden kann und dass es einer Legitimation der im Strafrecht erlassenen Verbote und Bestrafungen bedarf. Mit der Entwicklung von neuen Risiken und neuen Formen der komplexen Kriminalität wie z. B. dem Terrorismus, der organisierten Kriminalität oder dem Cybercrime, verstärkt sich innerhalb der Risikogesellschaft der Wunsch einer mehr und mehr verunsicherten Bevölkerung, diesen Gefahren auch mithilfe des Strafrechts präventiv entgegenzuwirken.26 Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland – Länder, die in den letzten Jahren vermehrt von terroristischen Anschlägen erschüttert wurden – wird in der gegenwärtigen Diskussion um die innere Sicherheit gefordert, das Strafrecht, welches klassischerweise erst nach einer schädigenden Tatbegehung oder eines Schädigungserfolges einsetzt, präventiv einzusetzen.27 In diesem Kontext wird von einer zeitlichen Vorverlagerung der Strafbarkeit gesprochen.28 Die Vorverlagerung im materiellen Strafrecht macht sich dabei durch die erhöhte 22
Die Entscheidung wurde offiziell durch den Conseil consitutionnel übersetzt. Die deutsche Fassung der Entscheidung ist abrufbar unter: https://www.conseil-constitutionnel.fr/de/ decision/2012/2012647DC.htm [Stand: 22. 5. 2022]. 23 Loi n° 2017-86 du 27 janvier 2017 relative à l’égalité et à la citoyenneté. 24 Siehe Étude d’impact, Projet de loi „Égalité et citoyenneté“, NOR: LHAL1528110L/Bleue-1, S. 276. Vertiefend hierzu siehe in der Arbeit unten Teil 3 Kapitel 2 C. II. 8. b). 25 Wessels / Beulke / Satzger, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Rn. 9. Zur Aufgabe des Strafrechts siehe auch Desportes / Le Gunehec, Droit pénal général, S. 26, Rn. 53; Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 2; Dreyer, Droit pénal général, Rn. 2. 26 Siehe Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 77 ff.; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 39 ff; Sieber, NStZ 2009, 353. 27 Vgl. Poscher, Tendencies in Public Civil Security Law, Eur J Secur Res 2016, 1, 59 ff. 28 Vertiefend zum Begriff der Vorverlagerung siehe Sinn, in: Sinn / Gropp / Nagy (Hrsg.), Grenzen der Vorverlagerung in einem Tatstrafrecht, S. 15 ff.; Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 10 ff.
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1. Teil: Einleitung
Kriminalisierung von Vorbereitungs- und Gefährdungshandlungen bemerkbar.29 Die sich hierin abzeichnende Entwicklung weg von einem Tat- und hin zu einem Präventionsstrafrecht wirft jedoch die Frage der Legitimation einer solchen Vorverlagerung sowie die Frage nach den funktionalen Grenzen des Strafrechts auf. Die vorliegende Forschungsarbeit ist vor dem Hintergrund dieser Entwicklung des Strafrechts hin zu einem Präventionsstrafrecht dem Thema der Motivationsdelikte gewidmet. Genauer gesagt beschäftigt sich die Arbeit mit derjenigen Gruppe von Straftatbeständen, in denen Äußerungen oder die Verbreitung von Äußerungen unter Strafe gestellt werden, denen vom Gesetzgeber und / oder in der Literatur die Gefahr zugesprochen wird, straftatenfördernd zu wirken. Für die Legitimation der in der Arbeit untersuchten Tatbestände wird in der Lehre oder vom Gesetzgeber mitunter auf den ihnen zugesprochenen Motivationscharakter und die daraus resultierende mögliche Gefahr zu einer in der Zukunft liegenden Schädigung Bezug genommen. Ziel der Bestrafung dieser Handlungen sei es daher nicht, ein bereits begangenes Unrecht zu sanktionieren, sondern einen möglichen, in der Zukunft liegenden Schaden zu verhindern, also präventiv zu agieren. Auch hier stellen sich die oben genannten Fragen der Legitimation der Tatbestände und der Grenzen einer Bestrafung solcher Verhaltensweisen. Eine zentrale Frage der vorliegenden Untersuchung ist, welche Äußerungen oder welche Weiterverbreitungen von verkörpertem Gedankeninhalt in Frankreich und in Deutschland mit der Begründung strafrechtlich erfasst werden, dass sie möglicherweise Dritte zur Begehung von Straftaten motivieren, und welche Ähnlichkeiten oder Unterschiede in beiden Ländern zwischen den Bestrafungen dieser Delikte zu erkennen sind. Dabei ist anzumerken, dass der Forschungsstand zu dieser Frage sowie zur Frage nach der Legimitation und nach den Grenzen solcher Delikte aktuell defizitär ist. Vor diesem Hintergrund besteht das Ziel der vorliegenden Arbeit darin, eine vertiefte Betrachtung dieser Aspekte zu erreichen.
B. Forschungsziele Die vorliegende Arbeit verfolgt drei Ziele: Erstens sollen die verschiedenen Delikte im französischen und deutschen Recht bestimmt, analysiert und systematisiert werden, die Äußerungen oder die Weiterverbreitung eines Gedankeninhalts sanktionieren, weil ihnen vom Gesetzgeber und / oder von der Literatur ein zu Straftaten motivierender Charakter zugesprochen wird. Das zweite Ziel der Arbeit ist ein entsprechender Strafrechtsvergleich der Motivationsdelikte zwischen Deutschland und Frankreich. Ausgehend von der Frage, 29 Sieber, in: Tiedemann / Sieber / Satzger / Burchard / Brodowski (Hrsg.), Die Verfassung moderner Strafrechtspflege, S. 355 ff.; Ponseille, L’infraction de prévention en droit pénal français, S. 66 ff.
1. Teil: Einleitung
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welchen Äußerungen in den verschiedenen Rechtsordnungen ein motivationsfördernder Charakter zugeschrieben wird, sollen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Rechtsordnungen untersucht werden. Das dritte Ziel der vorliegenden Forschungsarbeit ist es, die verschiedenen Motivationsdelikte auch unter rechtspolitischen Gesichtspunkten daraufhin zu untersuchen und zu analysieren, inwieweit sie den verfassungsrechtlichen und strafrechtsdogmatischen Anforderungen gerecht werden. Dabei erscheint die Kriminalisierung von Äußerungen, die in einer engen Beziehung mit der tatsächlichen Begehung einer Straftat stehen, relativ unproblematisch und daher unumstritten. Problematischer ist jedoch die strafrechtliche Sanktionierung von Äußerungen, die in einer entfernten Beziehung mit der tatsächlichen Begehung einer Tat stehen. In der Tat stellen die hier untersuchten Tatbestände durch die somit erzeugte Vorverlagerung der Strafbarkeit nicht nur eine strafrechtsdogmatische Herausforderung dar, sondern sie erscheinen auch in Bezug auf verfassungsrechtliche Aspekte problematisch.
C. Forschungsmethode I. Funktionaler Rechtsvergleich Die Forschungsmethode für die Analyse und den Vergleich der untersuchten Strafbestimmungen besteht in einer Rechtsvergleichung zwischen Deutschland und Frankreich. Dieser Vergleich erfolgt im Wege der funktionalen Rechtsvergleichung auf der Grundlage einer für beide Rechtsordnungen anwendbaren einheitlichen Metastruktur.
1. Länderwahl Die oben genannte Verstärkung der Kriminalisierung von Äußerungen, denen eine motivationsfördernde Funktion zugesprochen wird, ist in zahlreichen europäischen Ländern festzustellen. Zu diesen Ländern gehören Spanien30 und Belgien31 ebenso wie Deutschland und Frankreich. Deutschland und Frankreich sind 30 Im spanischen Strafrecht kann die Bestrafung von motivationsfördernden Äußerungen auf die besonderen Gesetze für die Presse aus dem 19. Jahrhundert zurückgeführt werden. Mit dem Código Penal aus dem Jahr 1870 wurde im spanischen StGB die Bestrafung der provocacion zu Straftaten sowie auch die Verherrlichung von Straftaten normiert (siehe Art. 582 und 583 sStGB). Eine signifikante Verstärkung der Kriminalisierung von motivationsfördernden Delikten hat laut Bernardo del Rosal Blasco zwischen den Jahren 1870 und 1944 stattgefunden. Siehe del Rosal Blasco, Bernardo del, La provocatión para cometer delito en el derecho español, S. 82. 31 In Belgien wird u. a. seit den aufständischen Streiks von 1886 das öffentliche Auffordern zu Straftaten verfolgt (§ 66 bStGB). Seit 2013 wird die direkte und indirekte incitation (Aufstacheln) zu Terrorismus unter Strafe gestellt (§ 140 bis bStGB).
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1. Teil: Einleitung
Gründungsmitglieder der EU (Europäischen Union) und aufgrund ihrer Größe, wirtschaftlichen Kraft und Geschichte politische Schwergewichte innerhalb dieser. Angesichts der Bedeutung der beiden für diese Arbeit gewählten Länder erscheint es sinnvoll, durch einen entsprechenden Rechtsvergleich die Entwicklung in Richtung einer Verstärkung der Pönalisierung von motivationsfördernden Äußerungen und dem Zugänglichmachen von Darstellungen mit einem motivationsfördernden Gedankeninhalt zu veranschaulichen und zu untersuchen. Dieses Vorgehen ist insofern besonders sinnvoll, als beide Länder in rechtspolitischer Hinsicht viele Gemeinsamkeiten haben. Deutschland und Frankreich haben die EMRK ratifiziert und gelten als starke Demokratien, in denen der Wahrung der Meinungsäußerungsfreiheit ein großes Gewicht beigemessen wird. Außerdem sorgt der Harmonisierungsdruck innerhalb der EU dafür, dass die Rechtsordnungen der verschiedenen Mitgliedstaaten sich einander immer stärker annähern. Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Frankreich sind von daher bei einem Teil der Straftatbestände schon aufgrund europäischer und internationaler Vorgaben zu erwarten.32 Jedoch lassen sich ebenfalls Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich feststellen, insbesondere bezüglich der Kriminalisierung von Äußerungen hinsichtlich der Terrorismusbekämpfung. So wurden in den letzten Jahren in Frankreich vermehrt Gesetze zu einzelnen und selbständigen Motivationsdelikten erlassen, wobei sich diese Tendenz in jüngster Vergangenheit zu beschleunigen scheint. Dies ist u. a. auf die terroristische Anschlagswelle in den Jahren 2015 und 2016 sowie auf das damit einhergehende, steigende Verlangen seitens der Bürger nach mehr Sicherheit zurückzuführen. Deutschland scheint, z. B. mit Blick auf die Herausnahme der Sympathiewerbung aus § 129a StGB durch das 34. Strafrechtsänderungsgesetz vom 22. August 2002, von dieser Tendenz weniger stark betroffen zu sein. Die Rechtssysteme Frankreichs als auch Deutschlands gehören der römischgermanischen Rechtsfamilie an. Ungeachtet dessen bestehen zwischen beiden Ländern insbesondere im Strafrecht wesentliche Unterschiede, was insbesondere in Bezug auf die Strafrechtsdogmatik und die Lehre des Allgemeinen Teils (AT) zu erkennen ist.33 Aus diesem Grund ist eine Untersuchung der verschiedenen Ansätze, die in den beiden Ländern hinsichtlich dieses Aspekts verfolgt werden, von besonderem Interesse. In der Tat kommt es, im Gegensatz zu den anderen Disziplinen der Rechtswissenschaften, zwischen den deutschen und den französischen Strafrechtslehren nur selten zu einem Austausch.34 Die in Frankreich überwiegend positivistische, pragmatische und praxisbezogene Herangehensweise an das Strafrecht führt mitunter dazu, dass Konzepte, Begriffe und Theorien, die der deutschen Dogmatik als grundlegend erscheinen, nur selten bzw. gar nicht als solche behan32 Siehe hier die internationale Entwicklung der Kriminalisierung des Motivierens oben Teil 1 A. II. 3. 33 Siehe Walther, L’antijuridicité en droit pénal comparé franco-allemand, S. 3. 34 Pin, in: Schmeling / Duhem (Hrsg.), Sprache und Identität in frankophonen Kulturen / Langues, identité et francophonie, S. 152.
1. Teil: Einleitung
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delt werden.35 Die französische Strafrechtslehre blickt zuweilen mit Argwohn auf die deutsche Strafrechtsdogmatik, die ihr als schwer erscheint und ohne wirklichen praktischen Nutzen.36 In dieser Hinsicht sehen Merle und Vitu die deutsche Strafrechtsdogmatik, die sie als dogmatische Kathedrale (cathédrale dogmatique) bezeichnen,37 als eher philosophisch denn nützlich an und werfen ihr vor, durch zu viel Theorie und Dogmatik den Straftäter im Einzelnen und die Praxis im Allgemeinen aus dem Blick zu verlieren.38 Auf der anderen Seite zeigen sich die Autoren der deutschen Strafrechtsliteratur verwundert über die „mehr praxis-bezogene Methode“39 der allgemeinen Lehre des französischen Strafrechts.40 Franz von Liszt soll diesbezüglich gesagt haben, dass es keine französische Strafrechtsdogmatik gebe.41 Schünemann kündigte 2006 an, dass sich das französische Strafrechtssystem auf längere Sicht – genau wie das amerikanische System – aufgrund eines Mangels an „wissenschaftlicher Systembildung“ in der Wissenschaft nicht durchsetzen könne. 42 Die französische Strafrechtsdogmatik beschrieb Schünemann außerdem „allein schon von der Schrifttumsquantität her“ als „archaisch“.43 Die Erkenntnis eines erkennbaren Unverständnis und einer mangelnden Kommunikation zwischen den beiden Strafrechtslehren – dem von Émile Garçon bezeichneten „génie germanique“ (germanischen Genie) und dem „génie latin“44 (lateinischen Genie)45 – wirft zum einen die Frage auf, ob beide Rechtssysteme wirklich so verschieden voneinander sind, und zum anderen, welche Auswirkungen dies auf die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Delikte bzw. auf den unter35 Beispiel hierfür ist der Aufbau der Straftat, die im deutschen Strafrecht in Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld aufgeteilt wird, während sie im französischen Strafrecht in ein élement légal, élement matériel und élement moral aufgeteilt wird. Vgl. Walther, L’antijuridicité en droit pénal comparé franco-allemand, S. 4; Pin, in: Schmeling / Duhem (Hrsg.), Sprache und Identität in frankophonen Kulturen / Langues, identité et francophonie, S. 159. 36 Siehe Walther, L’antijuridicité en droit pénal comparé franco-allemand, S. 4; Siehe z. B. Dana, der in seiner Untersuchung über die Elemente der Straftat angibt, dass die deutsche Analyse der Straftat zwar nicht ganz ohne praktische Bedeutung sei. Jedoch würde sie sich als zu philosophisch, abstrakt, unklar und unzugänglich darstellen. Siehe Dana, Essai sur la notion d’infraction pénale, S. 9. 37 Siehe Pin, in: Schmeling / Duhem (Hrsg.), Sprache und Identität in frankophonen Kulturen / Langues, identité et francophonie, S. 153. 38 Merle / Vitu, Traité de droit criminel, Rn. 383, 435. 39 Jescheck, ZStW 98 (1986), 4. 40 Vertiefend hierzu siehe Walther, L’antijuridicité en droit pénal comparé franco-allemand, S. 125 ff.; Ambos, ZStW 120 (2008), 30 ff. 41 Siehe Merle / Vitu, Traité de droit criminel, Rn. 379; Vogel, GA 1998, S. 127; und Walther, L’antijuridicité en droit pénal comparé franco-allemand, S. 125. 42 Schünemann, GA 2006, S. 378–379. 43 Schünemann, ZIS 10/2020, 483. 44 Garçon, Emil, Préface, in: von Liszt, Traité en droit pénal allemand, S. X–XI. 45 Walther bemerkt in zutreffender Weise, dass es sich hierbei vielmehr um einen „génie français“ (französisches Genie) als um einen „génie latin“ handle, da die meisten Staaten des romanischen Europas, wie z. B. Italien, Spanien oder Portugal, eher der deutschen Strafrechtsdogmatik gefolgt sind, und Frankreich ihnen gegenüber somit einen Sonderweg gewählt hat. Siehe Walther, L’antijuridicité en droit pénal comparé franco-allemand, S. 5.
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suchten Problembereich und die Problematik der funktionalen Grenzen des Strafrechts haben kann. In dieser Hinsicht macht der Umstand, dass die beiden Strafrechtslehren zufolge einander diametral gegenüberstehende Ansätze verfolgen (das „génie germanique“ und das „génie latin“), einen Rechtsvergleich zwischen Deutschland und Frankreich besonders interessant, gewährt ein solcher doch einen tiefergehenden Einblick in beide Rechtsordnungen und ermöglicht er das jeweils andere „génie“ besser zu verstehen, ohne es zu bewerten. Darüber hinaus ist zu erkennen, dass sich die französische Kriminalpolitik weniger Problematisierung und Kritik ausgesetzt sieht als die deutsche, geht es um die Entstehung und Anwendung von Motivationstatbeständen bzw. allgemein um die Entwicklung von Vorfeldtatbeständen, die die Strafbarkeit vorverlagern.46 Es kann vermutet werden, dass ein solcher Unterschied unter anderem in den verschiedenen Herangehensweisen an das Strafrecht seinen Ursprung findet. So herrscht in Frankreich eine überwiegend positivistische und praxisbezogene Herangehensweise, wobei das Gesetzlichkeitsprinzip als Hauptgrenze zum Strafrecht gilt und die Legitimation von Strafvorschriften traditionell mit der formalen Legalität gleichgesetzt wird.47 In Deutschland hat die Diskussion um das Rechtsgut und einer systemkritischen Funktion dessen, auch dazu beigetragen, das Rechtsgut als Angelpunkt für die Bestimmung und Unterscheidung der Deliktsstrukturen der Verletzungs- und der Gefährdungsdelikte anzusehen. Ein Rückgriff darauf ermöglicht innerhalb der verschiedenen Kategorien Legitimationskriterien und Grenzen für die Vorverlagerung der Strafbarkeit herauszuarbeiten.
2. Methode der funktionalen Rechtsvergleichung Die in der vorliegenden Arbeit vorgenommene Strafrechtsvergleichung greift speziell auf die Methode der funktionalen Strafrechtsvergleichung zurück. Bei der funktionalen Rechtsvergleichung gilt es, nicht nur juristische Begriffe oder Institutionen miteinander zu vergleichen, sondern die verschiedenen rechtlichen Regelungen im Gesamten, die für die Lösung konkreter Sachprobleme geschaffen und angewendet werden, miteinander zu vergleichen.48 Im Rahmen dieser Arbeit sollen daher sämtliche strafrechtrechtliche Regelungen untersucht werden, in denen 46 Ausnahmen hierzu siehe Cerf, C. R.D. F. 2007, 141 ff.; Reix, Le motif légitime en droit pénal: contribution à la théorie générale de la justification, S. 364 f. Abrufbar unter https://www. theses.fr/2012BOR40055/document [Stand: 20. 5. 2022]; Ponseille, Les infractions de prévention, Argonautes de la lutte contre le terrorisme, RDLF 2017, chron. n. 26, S. 1 ff. 47 Vgl. Reix, Marie, Le motif légitime en droit pénal: contribution à la théorie générale de la justification, S. 345, 406. Abrufbar unter https://www.theses.fr/2012BOR40055/document [Stand: 20. 5. 2022]. 48 Für die Methode der Rechtsvergleichung siehe Sieber, in: Albrecht / Sieber, Strafrecht und Kriminologie unter einem Dach, S. 78 ff.
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Äußerungen oder das Zugänglichmachen von Äußerungen, denen eine straftatenfördernde Wirkung auf Dritte zugesprochen wird, unter Strafe gestellt werden. Um den hier angestrebten Rechtsvergleich für die Lösung des Sachproblems nicht durch die Verwendung eines juristischen Begriffs zu „verunreinigen“, wird für das hier untersuchte Problem der Begriff Motivationsdelikte verwendet. Durch den Gebrauch dieses Begriffs soll die Verwendung von Begriffen verhindert werden, die bereits in den untersuchten Rechtsordnungen verwendet werden und sich dementsprechend auf gewisse Straftaten beziehen und bestimmte konkrete Handlungen beschreiben (z. B. Provozieren, Auffordern, Anreizen, Bestimmen, Verherrlichen etc.). Die Wahl des Begriffs der Motivationsdelikte kann auch aus etymologischer Sicht betrachtet und erläutert werden. Das Wort „Motivation“ leitet sich von dem Wort „Motiv“ ab, das seinerseits von dem lateinischen Wort motum stammt und so viel bedeutet wie „eine Bewegung bewirkend“ oder „zur Bewegung geeignet“. Aus der Herkunft des Wortes sowie aus seiner Bedeutung kann geschlossen werden, dass eine motivierende Handlung als eine Handlung verstanden werden kann, die Dritte aus einem physischen und / oder intellektuell passiven Zustand holt und dazu führt, dass sie in der ein oder anderen Weise aktiv werden. Somit erscheint das Motivieren oder die Motivation als ein zentraler Begriff der Untersuchung, der das konkrete Sachproblem klar darlegt und beschreibt. In den untersuchten Tathandlungen – den Äußerungen oder der Weiterverbreitung eines verkörperten Gedankeninhaltes – wird die Gefahr gesehen, dass sie dritte Personen dazu bewegen, ihre Inaktivität aufzugeben und selbst straffällig zu werden. Im Gegensatz zu den deutschen Vorschriften gibt der französische Gesetzgeber keine Nummerierung der Absätze vor. Dies führt dazu, dass es in der Lehre mitunter zu Unterschieden kommt, wenn auf einen bestimmten Absatz einer Vorschrift verwiesen wird. Um Undeutlichkeiten zu vermeiden und eine einheitliche Aufführung zu sichern, orientiert sich die vorliegende Arbeit an dem Rundschreiben des Generalsekretärs der Regierung vom 20. Oktober 2000, in dem festgelegt wurde, dass jede neue Zeile als ein Absatz zu zählen ist.49
3. Differenzierung innerhalb der Motivationsdelikte – die Metastruktur Für den Rechtsvergleich zwischen Deutschland und Frankreich soll eine Metastruktur erstellt werden, die es nicht nur ermöglicht, rechtliche Regelungen miteinander zu vergleichen, sondern auch die verschiedenen nationalen Tatbestände zu erfassen und einheitlich zu gliedern. Darüber hinaus soll durch die Metastruktur, wie oben beschrieben, verhindert werden, dass für den Vergleich der Rechtssysteme juristische Begriffe verwendet werden. Der Aufbau einer solchen Metastruktur erlaubt es zudem, den Forschungsgegenstand präziser zu definieren. Auf diese 49
Siehe Circulaire du 20 octobre 2000 relative au mode de décompte des alinéas lors de l’élaboration des textes, JORF n°253 du 31 octobre 2000, S. 17302.
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Weise wird durch die Metastruktur ein Rahmen geschaffen, der zwei Aspekte hat und für den Rechtsvergleich von großer Bedeutung ist. So soll, indem die unterschiedlichen Äußerungen kategorisiert werden, durch die Einordnung in eine Metastruktur auf der einen Seite eine Einheit zwischen den verschiedenen Motivationsdelikten geschaffen werden; auf der anderen Seite soll die Metastruktur dabei helfen, eine funktionale Abgrenzung zwischen den Motivationsdelikten zu entwickeln, sodass kleinere und sich entsprechende Elemente besser miteinander verglichen werden können.
a) Unterscheidung direkte / indirekte Motivationsdelikte Für den Aufbau der Metastruktur werden zuerst zwei Kategorien innerhalb der Motivationsdelikte gebildet: – direkte Motivationsdelikte: Hierunter sind diejenigen Delikte zu verstehen, die Äußerungen bestrafen, die in einer engen Beziehung mit der tatsächlichen Begehung einer Tat stehen. – indirekte Motivationsdelikte: Hierbei handelt es sich um Delikte, die Äußerungen bestrafen, die in einer entfernten Beziehung mit der tatsächlichen Begehung einer Tat stehen. Was unterscheidet die beiden Kategorien voneinander? Was sind die Charakteristika der verschiedenen Kategorien von Motivationsdelikten? Als Charakteristika der direkten Motivationsdelikte, also derjenigen Motivationsdelikte, die in einer engen Beziehung zur Begehung der jeweils fraglichen Tat stehen, können – als erste Hypothese – die Folgenden aufgezählt werden: Die Tat, zu deren Begehung motiviert wird, muss mindestens in ihren wesentlichen Grundzügen oder ihrem Deliktstypus nach konkretisiert und bestimmt sein. Erfasst werden in der Kategorie der direkten Motivationsdelikte also Tathandlungen, die explizit einen gewissen Handlungswunsch des Motivators ausdrücken. Der Motivator drückt eine klare Erwartungshaltung aus, indem er die anvisierte Tat zum einen in ihren wesentlichen Grundzügen deutlich konkretisiert und zum anderen klar verdeutlicht, dass er darauf abzielt, dass es zu der Begehung der geplanten Tat durch die Hand von Dritten kommen soll. Der Motivator gibt im Falle eines direkten Motivationsdelikts also einen ostentativen Anstoß zu der Begehung einer von ihm anvisierten und konkret bestimmten Tat. Unwichtig ist hierbei, ob Dritte die Erwartung erfüllen und es tatsächlich zur Begehung einer Tat kommt, da in der Kategorie der direkten Motivationsdelikte sowohl solche Tatbestände erfasst werden sollen, die das erfolgreiche Motivieren zu einer Straftat unter Strafe stellen, als auch solche, die das erfolglose Motivieren unter Strafe stellen. In der Kategorie der direkten Motivationsdelikte werden mit anderen Worten also sowohl solche Motivationen zu Straftaten erfasst, die als Teilnahmehandlungen im Rahmen des Allgemeinen Teils des Strafrechts unter Strafe gestellt werden und somit der
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traditionellen Pönalisierung von Motivationshandlungen entsprechen,50 als auch solche Motivationsdelikte, die dem BT der Strafgesetzbücher angehören und in denen motivierende Teilnahmehandlungen zu Täterschaften erhoben wurden, sodass der Motivator nicht mit derselben Strafe bestraft wird wie der eigentliche Täter des Delikts, sondern direkt mit der Strafe aus dem entsprechenden Tatbestand.51 Die Charakteristika der indirekten Motivationsdelikte, also derjenigen Motivationsdelikte, die in einer entfernten Beziehung zur Begehung einer Tat stehen, sind – wiederum als Hypothese – die Folgenden: Bei den indirekten Motivationsdelikten liegen die Konkretisierungsanforderungen bezüglich der zu begehenden Tat niedriger. So wird in der Regel nicht verlangt, dass zur Begehung einer in ihren wesentlichen Grundzügen konkret bestimmten Tat motiviert wird oder das Opfer bereits vorbestimmt ist. Die Konkretisierungsanforderungen an die zu begehende Tat schwinden im Falle der indirekten Motivationsdelikte also. Ein weiterer Unterschied zu den direkten Motivationsdelikten besteht darin, dass Letztere einen eher expliziten Aufforderungsgehalt haben, während indirekte Motivationsdelikte sich primär an die Emotionen und Gefühle von Dritten wenden. Im Vordergrund steht kein klar ausgedrückter Handlungswunsch des Rhetors, sondern das unterschwellige Hervorrufen einer Motivation, die sich aus dem indirekten Einwirken auf die Emotionen und Leidenschaften von Dritten ergibt. Diese Art des Einwirkens auf Dritte kann verschiedene Formen annehmen und dementsprechend verschiedene Verhaltensweisen umfassen (z. B. die Verharmlosung oder Verherrlichung bereits begangener Straftaten oder das Herabsetzen oder den Aufbau von Feindseligkeit gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen).52 Die wesentliche Gemeinsamkeit aller verschiedenen Formen der indirekten Motivationsdelikte ist jedoch, dass in diesen Verhaltensweisen die Gefahr gesehen wird, dass sie durch eine Emotionalisierung möglicherweise dazu beitragen könnten, ein straftatenförderndes Klima zu schaffen, in dem sich Dritte dazu motiviert fühlen könnten, straffällig zu werden. Es handle sich demnach – und dies explizit im Gegensatz zu den direkten Motivationsdelikten – um die Herbeiführung einer latenten, verborgenen und schleichenden Motivation. Dieses Charakteristikum der indirekten Motivationsdelikte hat zur Folge, dass die indirekte Motivation immer von einer gewissen Unbestimmtheit begleitet wird; Unbestimmtheit bezüglich der möglichen Straftat, des möglichen Opfers, des möglichen Täters sowie allgemein des genauen Tatherganges. Nachdem der Motivator 50 Beispiele: § 26 StGB, in dem die Anstiftung zu Straftaten als Teilnahmehandlung bestraft wird; Art. 121-7 Abs. 2 CP, indem die Provokation zu Straftaten ebenfalls als Teilnahmehandlung bestraft wird. 51 Beispiele: § 30a BtMG, in dem die Teilnahmehandlung der Anstiftung zur Haupttat erhoben wird und der Täter mit der in § 30a BtMG angedrohten Strafe bestraft wird; Art. 227-18, der die Teilnahmehandlung der Provokation zur Haupttat erhebt und unabhängig von Art. 121-7 bestraft. 52 Siehe hierzu die verschiedenen Kategorien der indirekten Motivationsdelikte in den Länderberichten unten.
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auf die Emotionen eingewirkt hat, herrscht also eine allgemeine Obskurität, Ungewissheit und Vagheit in Bezug auf die Auswirkungen der Motivation vor und der Motivator verliert nach seinem Anstoß den Einfluss und die Kontrolle über das Tatgeschehen.
b) Unterscheidung innerhalb der direkten Motivationsdelikte In Anbetracht der oben aufgelisteten Delikte und der Metastruktur kann festgestellt werden, dass sich in der Kategorie der direkten Motivationsdelikte sowohl Äußerungen befinden, die an eine bestimmte Person gerichtet sind, als auch solche, die sich an einen individuell unbestimmten Personenkreis richten. Für eine bessere und klare Strukturierung wird innerhalb der direkten Motivationsdelikte deshalb zwischen zwei Unterkategorien unterschieden: – Die Motivation richtet sich an eine Person oder an einen individuell bestimmten Personenkreis. – Die Motivation richtet sich i. S. eines zahlenmäßig und individuell unbestimmten Personenkreises an die Öffentlichkeit. Die Motivation erlangt ihren öffentlichen Charakter dabei nicht aufgrund der öffentlichen Zugänglichkeit des Ortes, an dem sie kommuniziert wird, sondern aufgrund des zahlenmäßig und individuell unbestimmten Adressatenkreises.
c) Unterscheidung innerhalb der indirekten Motivationsdelikte Innerhalb der indirekten Motivationsdelikte, die auf die Emotionen von Dritten einwirken, können aufgrund der bisherigen vorläufigen Analyse folgende drei Kategorien ausgemacht werden: – Opferbezogene indirekte Motivationsdelikte: Schüren von negativen Emotionen gegen Bevölkerungsgruppen. In der Kategorie der opferbezogenen indirekten Motivationsdelikte sollen Verbote erfasst werden, in denen eine Art des Einwirkens auf die Gefühle von Dritten gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen unter Strafe gestellt werden. Es handelt sich hierbei um Verhaltensweisen, in denen die Gefahr gesehen wird, dass sie eine aggressiv geprägte Art der Emotionalisierung bei Dritten gegenüber Bevölkerungsgruppen hervorrufen und dadurch Tatgeneigte zu Angriffen gegen diese Gruppen motivieren. Die als opferbezogen kategorisierten indirekten Motivationsdelikte sind durch eine Unbestimmtheit bezüglich des Täters sowie der zu begehenden Tat gekennzeichnet. Im Unterschied zu den beiden anderen Kategorien der indirekten Motivationsdelikte bezieht sich die Emotionalisierung jedoch explizit auf bestimmte Bevölkerungsgruppen und somit auf bestimmte Angriffsobjekte.
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– Tatbezogene indirekte Motivationsdelikte: Erwecken eines gesteigerten Maßes von Emotionen in Bezug auf Straftaten. Erfasst werden sollen unter dieser Kategorie diejenigen Tatbestände, die Verhalten unter Strafe stellen, in denen die Gefahr gesehen wird, dass sie die Emotionen von Dritten in Bezug auf Straftaten beeinflussen und somit zu einer Begehung dieser Straftaten motivieren. Die Emotionseinwirkung kann sich dabei auf zwei verschiedene Arten von Straftaten beziehen: – vergangenheitstatbezogene Motivationsdelikte: Hierbei handelt es sich um Delikte, die in der Vergangenheit liegen und bereits begangen wurden. Innerhalb dieser Kategorie kann zwischen den positiv vergangenheitstatbezogenen Motivationen, bei denen bereits begangene Straftaten in ein positives Licht gerückt werden, indem sie gerühmt oder gutgeheißen werden (z. B. das Verherrlichen von Straftaten), und den negativ vergangenheitstatbezogenen Motivationen unterschieden werden, bei denen die Tatsächlichkeit bereits begangener Straftaten abgestritten wird und die verharmlost oder gänzlich geleugnet werden (z. B. Holocaustleugnung).53 Diese beiden Arten von vergangenheitsbezogenen Motivationsdelikten haben jedoch gemeinsam, dass sie den begangenen Straftaten den Charakter des Unrechts nehmen und somit diese oder ihnen ähnliche Straftaten als nachahmenswert darstellen und auf diese Weise straftatenfördernd wirken können. – allgemein tatbezogene Motivationsdelikte: Unabhängig von einer Referenz auf Straftaten, die in der Vergangenheit liegen, können die Emotionen von Dritten auch in Bezug auf Straftaten im Allgemeinen beeinflusst werden. Es handelt sich hierbei um ein Einwirken auf die Gefühle und Emotionen Dritter mit dem Ziel, ein besonders aufgeheiztes und straftatenförderndes Klima zu schaffen, das die Tatbereitschaft zu weitreichend konkretisierten Taten fördert. Als Beispiele für diese Form der Motivationsdelikte kann im deutschen Recht das Verbot des Aufstachelns zum Verbrechen der Aggression (§ 80a StGB) sowie im französischen Recht das Verbot der Provokation zur Bewaffnung gegen die Staatsgewalt (Art. 412-8 CP) genannt werden. Mit diesen Verboten soll verhindert werden, dass es zu einer psychologischen Einwirkung kommt, durch die die Kriegsbereitschaft und die Angriffslust der Bevölkerung erhöht und somit ein Klima geschaffen wird, das solche Taten fördert. Im Unterschied zu den Kategorien der opferbezogenen und der organisationsbezogenen indirekten Motivationsdelikte sind bei den tatbezogenen Motivationsdelikten die Taten, zu deren Begehung motiviert wird, in einem höheren Maße konkretisiert. Bei den tatbezogenen indirekten Motivationsdelikten, die sich auf eine in der Vergangenheit liegende Straftat beziehen, soll der Gefahr entgegen53 Aus kriminologischer Sicht kann in einer negativen tatbezogenen Motivation ein Beispiel für ein „denial of injury“, eine von Sykes und Matza benannte Neutralisierungstechnik, erkannt werden; siehe Sykes / Matza, American Sociological Review, Vol. 22, no. 6, 1957, 667.
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gewirkt werden, dass durch die Emotionseinwirkung bezüglich dieser bereits begangenen Straftaten neue Delikte derselben oder einer ähnlichen Art begangen werden könnten. Bei den tatbezogenen indirekten Motivationsdelikten bezüglich allgemeiner Straftaten soll verhindert werden, dass es zu der Begehung der gleichen Delikte kommt, auf die sich die Emotionseinwirkung bezieht. – Organisationsbezogene indirekte Motivationsdelikte: Einwirkungen auf die gefühlsmäßige Wahrnehmung von verbotenen oder kriminellen Organisationen. Das Einwirken auf die Gefühle anderer kann auch in Bezug auf kriminelle oder verbotene Organisationen eruiert werden. Die in diese Unterkategorie einzuordnenden Verbote erfassen demnach keine Handlungen, denen ein direkter Aufforderungscharakter zur Begehung einer näher konkretisierten Straftat zukommt, sondern solche Verhaltensweisen, in denen die Gefahr gesehen wird, dass sie möglicherweise die Emotionen von Dritten in einer Art und Weise beeinflussen, dass Rezipienten sich bestimmter Organisation und / oder deren kriminellen und / oder verfassungswidrigen Zielen annehmen, sich diese zu Eigen machen und in diesem Kontext straffällig werden. In der Tat können auch Organisationen, deren Tätigkeit oder Zweck auf die Begehung von Straftaten oder Menschenrechtsverletzungen ausgelegt ist bzw. in der Vergangenheit waren, entstigmatisiert werden. Wenn solchen Organisationen und ihren Tätigkeiten der Unwert genommen wird und sie sogar als etwas Erstrebenswertes dargestellt werden, liegt die Vermutung nahe, dass somit eine Gefahr geschaffen wird, dass Dritte sich dazu motiviert fühlen, sich der Organisation anzuschließen und in diesem Rahmen Straftaten zu begehen. Die Emotionseinwirkung und Entstigmatisierung erfolgen mitunter durch das Verbreiten von propagandistischen Inhalten, die solche Organisationen und ihre Ziele gutheißen und verherrlichen, oder auch durch das öffentliche Zeigen und Tragen von Kennzeichen, die solchen Organisationen klar zuzuordnen sind.
II. Bewertungsmaßstab Für die Bewertung wird bereits im vergleichenden Teil anhand einer Analyse der Gesetzgebungsmaterialien, der Rechtsprechung und der Literatur untersucht, welche Ziele der Gesetzgeber mit der Einführung der relevanten Tatbestände verfolgt hat oder welche Ziele von Rechtsprechung und Literatur anerkannt wurden. Im anschließenden bewertenden Teil wird eine eigene Auffassung bezüglich dieser Legitimations- und Grenzfragen entwickelt und verteidigt. Die Untersuchung in diesem Teil stützt sich auf die Länderberichte und den Rechtsvergleich, ohne sich jedoch darauf zu beschränken. Erörtert werden zuerst die Kriterien der Strafrechtsbegrenzung in Deutschland und Frankreich. Als Begrenzungskriterien des Strafrechts werden untersucht: die strafrechtsdogmatische Legitimation, die verfassungsrechtliche Beurteilung und
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der Bestimmtheitsgrundsatz. Die Untersuchung der Begrenzungskriterien der beiden Länder dient dazu, aufzuzeigen, wo die Schwerpunkte gelegt und wie diese ausgestaltet werden. Anschließend soll untersucht werden, inwieweit die Kriminalisierung von Motivationsdelikten mit verfassungsrechtlichen und strafrechtsdogmatischen Anforderungen kompatibel ist. Für den Bewertungsmaßstab der Strafrechtsdogmatik kann angemerkt werden, dass es nicht „die“ eine Strafrechtsdogmatik gibt. Aus diesem Grund wird immer dann, wenn es erforderlich ist, ein eigener Meinungsstand dargestellt, der dann für die Bewertung der Motivationsdelikte angewendet wird und für beide Länder gilt. Die Arbeit unternimmt dabei jedoch keine kriminologische und empirische Untersuchung der Wirksamkeit oder der Auswirkungen der Kriminalisierung der untersuchten Verhaltensweisen oder des straftatenfördernden Potenzials von Äußerungen oder der Weitergabe oder des Umgangs mit dem verkörperten Gedankeninhalt.
1. Strafrechtsdogmatische Legitimation In der deutschen Strafrechtslehre wird die Auffassung vertreten, dass das Strafrecht dem Schutz von Rechtsgütern dient. Die Rechtsgutslehre dient zum einen der Systematisierung der Tatbestände und zum anderen dem Zweck, den Strafrechtsnormen eine Legitimationsbasis zu verleihen.54 Dem systemkritischen Rechtsgutsbegriff zufolge liegt die entscheidende Funktion des Rechtsguts in der Begrenzung des Strafrechts und des Gesetzgebers.55 Kann bezüglich einer Strafrechtsnorm kein Rechtsgut ausgemacht werden, das diese Norm schützt, wird sie als illegitim betrachtet. Demnach handelt es sich beim Rechtsgutbegriff um einen traditionellen Maßstab „strafrechtswissenschaftlicher Gesetzgebungskritik“.56 Die deutsche Strafrechtslehre ist sich einig, dass es aufgrund der Wichtigkeit des Rechtsgüterschutzes nicht ausreicht, erst bei der Verletzung eines Rechtsgutes einzugreifen, sondern es müsse bereits die Gefährdung bzw. die Schaffung einer gefährlichen Situation bestraft werden.57 Somit wird in der Lehre die Vorverlagerung der Strafbarkeit mit der Verhinderung einer Gefährdung von Rechtsgütern begründet.58 Die Rechtfertigung auf dem Wege der bloßen Rechtsgutsgefährdung werfe jedoch die Frage einer zusätzlichen Legitimation auf, da die „Verursachung eines unerlaubten Risikos für ein Rechtsgut“59 nicht ausreiche, um ein strafrechtliches 54
Siehe Reuter, Verbotene Symbole, S. 19. Siehe Appel, KritV 3/1999, 281. 56 Mitsch, KriPoZ 6/2019, 29; Hörnle spricht ebenfalls von einem Rechtsgutbegriff, der die Maßstäbe liefert, anhand derer die Gesetzgebung kritisiert werden könne; siehe Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 11. 57 Siehe Sieber / Vogel, Terrorismusfinanzierung, S. 146. 58 Vgl. Puscke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 84. 59 Sieber, NStZ 2009, 358. 55
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Unrecht zu begründen.60 In der deutschen Strafrechtslehre wird klassischerweise zwischen den konkreten, den abstrakten und den abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten unterschieden, wobei es jedoch Diskussionen bezüglich der Legitimationskriterien und der Systematisierung gibt. Dem französischen Gesetzgeber sind bezüglich des materiellen Gehalts einer Strafnorm traditionell nur wenige Grenzen gesetzt und er bleibt in seinen kriminalpolitischen Entscheidungen weitgehend frei. Beruhend auf einem Kult des Gesetzes und einer Sakralisierung des Gesetzgebers – beides Erbe der französischen Revolution – erschien in Frankreich das Parlament lange Zeit als absolut souverän und das Gesetz, als Ausdruck des Gemeinwillens, als unfehlbar. Eine gesetzlich erlassene Strafnorm, die den formalen Kriterien entsprach, galt automatisch als legitim. Es bestand somit kein Bedürfnis einer materiellen Legitimationsgrenze des Strafrechts. Einzig und allein das Gesetzlichkeitsprinzip galt als Grenze des Gesetzgebers. Auch wenn im modernen französischen Strafrecht der Kult des Gesetzes heute als abgeschwächt gilt, erscheint die tradition légaliste in Frankreich weiter zu bestehen, was daran zu erkennen ist, dass das Gesetzlichkeitsprinzip weiterhin als Kardinalprinzip des Strafrechts angesehen wird, ohne dass hierin jedoch ein funktionales Äquivalent des deutschen Rechtsgutkonzepts zu erkennen ist. Diese französische Tradition erklärt, weshalb die deutsche Rechtsguttheorie, die großen Einfluss auf die spanische oder die italienische Strafrechtsdogmatik hatte, von der französischen Strafrechtslehre nicht aufgenommen wurde. Der französische Strafrechtsprofessor Garraud, der die deutsche Strafrechtsliteratur – oder zumindest Binding – gelesen hatte,61 versuchte zwar bereits 1913 geltend zu machen, dass das Strafrecht dem Schutz von intérêts juridiques diene62 und dass eine Straftat dementsprechend die Verletzung eines bien protégé impliziere.63 Seine Ansicht fand jedoch nur wenige Anhänger im französischen Strafrecht64 und ihr entgegen wird traditionell die Auffassung vertreten, dass sich die Definition einer Straftat in der Übertretung eines Strafgesetzes erschöpft, ohne dass es einer Referenz auf einen Schutzgegenstand bedürfe. Die Begriffe intérêt protégé, valeur protégée oder bien juridique wurden in der französischen Lehre zwar vereinzelt verwendet – oft als Synonyme –, jedoch ohne eine einheitliche Definition zu geben oder die Rechtsnatur zu bestimmen.65 Dies scheint sich seit Anfang des 21. Jahrhunderts allerdings 60 So auch von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / Von Hirsch / Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 198. 61 In seinen Fußnoten verweist er auf Binding und dessen Werk Die Norm und ihre Übertretung. 62 Garraud, Traité théorique et pratique de droit pénal français, Band 1. S. 203, Rn. 98. 63 Garraud, Traité théorique et pratique de droit pénal français, Band 1. S. 215, Rn. 99. 64 Eine Ausnahme hierzu ist Robert, der sich auf die Arbeit von Garraud bezieht und diesen als Vorreiter nennt; siehe Robert, RSC 1977, 277 ff. 65 Siehe z. B. Jeandidier, Droit pénal général, S. 265 ff.; Leroy, Droit pénal général, S. 223; Garé / Ginestet, Droit pénal, procédure pénale, 2019, Rn. 4. Vertiefend zu der Verwendung der Begriffe siehe Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 3.
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zu verändern. Die jüngere Generation der französischen Strafrechtslehre hat der deutschen Strafrechtsdogmatik Aufmerksamkeit geschenkt und versucht vermehrt, ein dem Rechtsgut ähnliches Instrument – das sog. bien juridique – zu theoretisieren, es als „Instrument zur Bestimmung und Beschränkung des legitimen Anwendungsbereichs strafrechtlicher Normen“66 zu etablieren und einen materiellen Verbrechensbegriff zu konstruieren.67 So wie in Deutschland das Rechtsgut als „Flucht- bzw. Angelpunkt für die Erkenntnis der Struktur des in Frage stehenden Tatbestandes“68 gilt, erhoffen die französischen Autoren sich, durch das bien juridique ebenfalls eine Abstufung der verschiedenen Delikte zu erreichen und somit auch die Frage nach der Legitimität in Bezug auf die Vorverlagerung der Strafbarkeit zu hinterfragen und zu erläutern. Dies zeigt bereits, dass eine eigene Meinungsbildung im Bereich des Bewertungsmaßstabs der Strafrechtsdogmatik als unabdingbar erscheint, zumal es, wie oben bereits erwähnt, so etwas wie „die“ eine Strafrechtsdogmatik ohnehin nicht gibt. Die in dieser Arbeit an die deutsche und französische Strafrechtsdogmatik anknüpfende eigene Meinungsbildung erfolgt für beide Rechtsordnungen in gleicher Weise und soll eine einheitliche Untersuchung der Motivationsdelikte in beiden Ländern ermöglichen.
2. Verfassungsrechtliche Beurteilung Ein weiteres begrenzendes Element des materiellen Strafrechts besteht in dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. In der Tat ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Strafrecht nicht erst bei der Verhängung von Strafen von Bedeutung, sondern bereits bei der Aufstellung einer strafbewehrten Verhaltensnorm. Die Frage bezüglich der Verhältnismäßigkeit von strafrechtlichen Sanktionen (proportionnalité des peines) und von strafrechtlichen Verbotsnormen (proportionnalité des incriminations) ist dabei weder für das BVerfG noch für den Conseil consitutionnel (Cc) neu, wobei sich eine dreiteilige Prüfung (der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit) beim Cc erst 2008 durch Einfluss der Rechtsprechung des BVerfG, des EuGH und des EGMR entwickelte.69 Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich ist in den durch die jeweiligen Verfassungsgerichte vorgenommenen Verhältnismäßigkeitsprüfungen eine mögliche Begrenzung des materiellen Strafrechts zu erkennen.70 66
von Hirsch, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 14. Siehe Walther, L’antijuridicité en droit pénal comparé franco-allemand, S. 367 ff.; Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal; Rabut-Bonaldi, Le préjudice en droit pénal, Rn. 310 ff. 68 Wohlers, in: Kubiciel u. a. (Hrsg.), Eine gewaltige Erscheinung des positiven Rechts, S. 164. 69 Cons. const. n° 2008-562 DC, 21 févr. 2008, cons. 13; siehe in der Arbeit unten Teil IV.III. 70 Weigend, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Grenze staatlicher Strafgewalt, in: FS-Hirsch, S. 918; Sordino, De la proportionnalité en droit pénal, in: Mélange J-H Robert, S. 715 ff.; Dreyer, Gaz. pal. 24 oct. 2017, 68 ff. 67
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3. Verfassungsrechtliche und strafrechtliche Grenzen durch den Bestimmtheitsgrundsatz In Frankreich und Deutschland müssen Straftatbestände den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes entsprechen. Sowohl in der deutschen als auch in der französischen Lehre werden viele der hier untersuchten Motivationsdelikte aufgrund der Unbestimmtheit mancher Begriffe kritisiert.
III. Präzisierung des Umfangs der Arbeit Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Gruppe von Straftatbeständen, in der Kommunikationshandlungen i. S. von Äußerungen oder der Weiterverbreitung eines verkörperten Gedankeninhaltes unter Strafe gestellt werden und denen vom Gesetzgeber und / oder in der Literatur die Gefahr zugesprochen wird, dass sie möglicherweise Dritte zur Begehung einer Straftat motivieren.
1. Fokussierung auf Informationsübermittlungen Bei dem tatbestandsmäßigen Verhalten der untersuchten Vorschriften handelt es sich um Informationsübermittlungen, die durch eine Äußerung oder das Zugänglichmachen von Darstellungen einen gedanklichen Inhalt zum Ausdruck bringen. Erfasst werden deshalb nicht nur Verbote eines Kommunikationsaktes selbst (z. B. Auffordern, Aufstacheln, Einwirken, Provozieren oder Verherrlichen), sondern auch Verbote, die die Weitergabe oder den Umgang mit dem verkörperten Gedankeninhalt betreffen (z. B. Verbreiten oder Zugänglichmachen von Inhalten, Datenspeichern etc.), auch wenn in diesem Fall nicht klar erkennbar ist, ob der Täter sich mit dem Gedankeninhalt identifiziert oder der Inhalt sogar von ihm selbst stammt. Unter dem Begriff „Äußerung“ wird in dieser Arbeit eine Kundgabe verstanden, die unterschiedliche Formen annehmen kann. Die Art und Form der Äußerung ist dabei unwichtig, sodass sie mündlich, schriftlich, bildlich, symbolisch, durch Gesten oder durch Tätlichkeiten erfolgen kann. Das Zugänglichmachen und das Verbreiten eines gedanklichen Inhalts kann u. a. durch Schriften, Kennzeichen oder Datenspeicher erfolgen. Ausschlaggebend für die vorliegende Untersuchung ist, dass es sich um die Übermittlung eines Informationsgehalts handelt, dem ein straftatenförderndes Motivationspotenzial zugesprochen wird. Aus der Untersuchung ausgeschlossen werden demzufolge rein materielle Motivationen in Form von nicht versprochenen materiellen Vorteilen oder Zuwendungen, die im Voraus einer Tatbegehung gegeben werden (oder solche, die im Nachhinein gegeben werden), sowie auch solche Handlungen, bei denen es zu keiner Informationsübermittlung gekommen ist wie z. B. dem einfachen Herstellen oder Vorrätighalten.
1. Teil: Einleitung
59
Grund für diese Begrenzung und Untersuchung eines Motivierens oder Veranlassens zu Straftaten durch Äußerungen oder durch die Weiterverbreitung eines verkörperten Gedankeninhaltes ist, dass die Kriminalisierung von Äußerungen und Weiterverbreitung von besonderem Interesse ist, da die Kriminalisierung solcher Verhaltensweisen in der Lehre mitunter in Parallele zu der verstärkten Kriminalisierung im Vorfeld einer tatsächlichen Verletzung gestellt wird.71 Außerdem stellt die Kriminalisierung solcher Verhaltensweisen einen besonderen Eingriff in die Grundrechte dar, aufgrund dessen sich insbesondere die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Verbot eines Gedankenstrafrechts72 und der Meinungsäußerungsfreiheit73 stellt.
2. Beschränkung auf Straftaten In der vorliegenden Arbeit werden nur solche Delikte untersucht, in denen die Gefahr gesehen wird, dass sie zur Begehung von Straftaten i. S. einer rechtswidrigen Tat, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, motivieren. Es kann sich demzufolge im deutschen Strafrecht um Vergehen oder Verbrechen handeln, wohingegen Ordnungswidrigkeiten ausgeschlossen werden. Im Kontext des französischen Strafrechts gehören zu den hier untersuchten Delikten Verbrechen (crimes), Vergehen (délits) und Übertretungen (contraventions), die, obwohl sie einige Aspekte von Ordnungswidrigkeiten verwaltungsrechtlicher Natur aufweisen, systematisch zum Strafrecht gezählt werden.74
3. Ausschluss der Anleitung zu Straftaten In der vorliegenden Arbeit werden die Tatbestände der Anleitungen zu Straftaten (u. a. Anleitung zum Bombenbau, zur Brandstiftung oder zur Verwendung bestimmter Waffen) aus der Untersuchung ausgeschlossen. Als Begründung dafür kann angeführt werden, dass mit Anleitungen zu Straftaten ein genaues und konkretes „deliktisches Know-how vermittelt“75 wird, das meist technischer Natur ist und sich somit von den hier zu betrachtenden Motivationsdelikten unterscheidet. Denn in Anleitungen werden nicht Meinungen oder Ansichten geäußert und es wird nicht an Gefühle appelliert, sondern es werden genaue und präzise Kennt-
71
Rahmlow, Die Auslegung von Äußerungen im Strafrecht, S. 38. Vgl. Gierhake, ZIS 2008, 400 ff.; Lebreton, Libertés publiques et droits de l’Homme, S. 407. 73 Siehe Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. 74 Lelieur / Pfützner / Volz, in: Sieber / Cornils, Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, AT, Teilb. 2, S. 386. 75 von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / Von Hirsch / Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 205. 72
60
1. Teil: Einleitung
nisse über die Vorbereitung und / oder die Ausführung einer Straftat vermittelt.76 Während Motivationsdelikte solche Handlungen erfassen, die andere überhaupt erst zur Begehung einer Straftat motivieren, liegt die Gefahr bei Anleitungen weniger im Bewirken eines bisher fehlenden ersten Anstoßes, straffällig zu werden, als vielmehr in der Vereinfachung der Begehung einer Straftat, indem technische Informationen weitergegeben werden.
4. Ausschluss der Beleidigung von Religionen Ausgeschlossen werden auch solche Tatbestände, die ausschließlich die Beschimpfung oder Beleidigung von Bekenntnissen oder Religionsgesellschaften unter Strafe stellen.77 Die Strafbegründung von solchen Tatbeständen ist oft in der Lehre und Rechtsprechung diskutiert und in Frage gestellt. Wird Ihre Existenz damit begründet, dass solchen Tathandlungen zu gewalttätigen Übergriffen gegenüber Gruppen bzw. Religionsgruppen führen können – dass es sich also um mögliche Motivationsdelikte handelt – so erscheint dies durch die in den Rechtsordnungen vorhandenen und in der Arbeit untersuchten Tatbeständen (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB, Art. 24 Abs. 7-8 LLP und Art. R. 625-7 CP) bereits erfasst zu werden.78 In der Tat wird durch den § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB bereits das Beschimpfen, böswillige Verächtlichmachen oder Verleumden von bestimmten Gruppen, Bevölkerungsteilen oder Einzelpersonen unter Strafe gestellt.79 Als Angriffsobjekte werden nationale, rassische, religiöse und ethnische Gruppen sowie Teile der Bevölkerung und Einzelne erfasst. Gleiches gilt auch für die Art. 24 Abs. 7-8 LLP und Art. R. 625-7 CP, die die Provokation zur Diskrimination, Hass oder Gewalt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit oder nicht Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Nation, Rasse, Religion, oder ihres Geschlechtes, ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität oder ihrer Behinderung unter Strafe stellen.80 Dabei ist unter Provokation jegliche Gefühlseinwirkung zu verstehen – worunter auch Beleidigungen fallen können. Eine eigene Untersuchung von solchen Tatbeständen, die ausschließlich die Beschimpfung oder Beleidigung von Bekenntnissen oder Religionsgesellschaften unter Strafe stellen, kann aufgrunddessen entfallen, würde sie doch für Doppelungen sorgen.
76 77 78 79 80
Vgl. Bouloc, Droit pénal général, Rn. 351. Darunter fällt u. a. der § 166 StGB. So auch MK-Hörnle, § 166, Rn. 2. Siehe hierzu die Ausführungen unten in Teil 2 Kapitel 1 B. I. 2. Siehe hierzu die Ausführungen unten in Teil 2 Kapitel 2 C. I. 1. und 2.
1. Teil: Einleitung
61
IV. Übersetzungsfragen Die rechtsvergleichende Analyse erfolgt in deutscher Sprache. Dies wirft die Frage der Übernahme oder der Übersetzung der Fachterminologie des französischen Rechtssystems auf. Die Übersetzung französischer Begriffe ins Deutsche birgt die Gefahr, dass Vergleichbarkeiten oder Ähnlichkeiten impliziert werden, die in dieser Form und Art nicht gegeben sind.81 Um solche Missverständnisse zu vermeiden, werden lediglich solche Begriffe ins Deutsche übersetzt, bezüglich derer keine Verwechselungsgefahr besteht oder bezüglich derer diese Gefahr gering ist. Zudem wird in Klammern jeweils der französische Originalfachbegriff hinzugefügt. Für Begriffe, die häufig verwendet werden und deren Übersetzung problematisch sein kann, wird hingegen die Beibehaltung der französischen Terminologie vorgezogen. Außerdem soll für die Verwendung der französischen Begriffe die französische Groß- und Kleinschreibung Anwendung finden. Die französischen einschlägigen Gesetzestexte werden in den Fußnoten ins Deutsche übersetzt. Auch Zitate in französischer Sprache werden in den Fußnoten ins Deutsche übersetzt.
D. Gang der Darstellung Die Untersuchung wird sich in drei Teile gliedern: Der erste Teil der Arbeit fungiert als Einleitung. Der zweite Teil der Arbeit dient dem Rechtsvergleich der Motivationsdelikte. In diesem Teil befinden sich zum einen der Länderbericht Deutschland (Kapitel 1) und der Länderbericht Frankreich (Kapitel 2) sowie der Vergleich anhand der aufgestellten Metastruktur (Kapitel 3). Im dritten Teil werden die oben genannten Kriterien der Strafbegrenzung in Deutschland und Frankreich ausführlich aufgeführt und es werden die Auswirkungen dieser auf die Motivationsdelikte untersucht.
81
Vgl. Weiß, Haft ohne Urteil, S. 40 f.; Rasenack, Gesetze und Verordnungen in Frankreich seit 1789, S. 18.
Teil 2
Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte Kapitel 1
Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte Im deutschen Strafrecht sind viele verschiedene Delikte vorzufinden, in denen Tathandlungen wie das „Anstiften“, „Auffordern“, „Aufstacheln“, „Billigen“, „Verherrlichen“ oder „Leugnen“ unter Strafe gestellt werden. Ziel des Gesetzgebers ist es, zu verhindern, dass durch derartige Handlungen Personen zur Begehung einer Straftat angeregt oder motiviert werden. Innerhalb der verschiedenen Motivationsdelikte lässt sich jedoch eine gewisse Hierarchie erkennen. Während die Konkretisierungsanforderungen bezüglich der Tat, dem Täter und dem Opfer bei den direkten Motivationsdelikten hoch erscheinen (A.), schwinden die Anforderungen bei den indirekten Motivationsdelikten nach und nach (B.).
A. Direkte Motivationsdelikte I. Individuelle direkte Motivation zur Begehung einer näher spezifizierten Tat In der Kategorie der individuellen Motivationsdelikte, die zur Begehung einer näher konkretisierten Tat veranlassen, können verschiedene Tatbestände voneinander unterschieden werden. Die hier erfassten Tatbestände haben aber alle die Gemeinsamkeit, dass die Konkretisierungsanforderungen sehr hoch sind. Die Motivation muss sich an einen bestimmten Adressaten bzw. an einen individuell bestimmten Personenkreis richten. Zudem muss die Straftat, zu der motiviert wird, wenigstens in ihren Grundzügen konkretisiert sein.
1. Anstiftung zu einer rechtswidrigen Tat (§ 26 StGB) a) Normtext In § 26 StGB ist die Anstiftung zu Straftaten normiert. Die Vorschrift lautet wie folgt:
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
63
Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat.
b) Geschichtlicher Überblick Der Gedanke, denjenigen zu bestrafen, der andere bei der Begehung von Straftaten hilft, ist im Strafrecht nicht neu. Bereits im römischen Recht können verschiedene Beteiligungsformen an Straftaten ausgemacht werden. Wenngleich keine allgemeinen Regeln die Anstiftung betreffend aufgestellt wurden, finden sich in den Schriften von Ulpian dennoch verschiedene Anstiftungshandlungen, die „Parallelen zur heutigen Anstiftungsstrafbarkeit“1 aufweisen. Demzufolge können in den römischen Schriften verschiedene Anstiftungssituationen aufgefunden werden (wie z. B. concitare, solicitare und instigare), die jedoch nicht unter einen einheitlichen Begriff subsumiert werden können und die nur teilweise dem entsprechen, was heute unter Anstiftung verstanden wird.2 Mit der Beteiligungslehre, die durch das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 (RStGB) die Urheberschaftslehre ablöste, wurde die Anstiftung als eine Form der Teilnahme angesehen (und nicht länger als Urheberschaft bzw. als Täterschaft, wie es noch im Preußischen Strafgesetzbuch der Fall war).3 Roxin spricht in diesem Kontext von einer „Dreiteilung der Beteiligungsformen“4 aus Täter (§ 25 StGB), Anstifter (§ 26 StGB) und Gehilfe (§ 27 StGB), die sich gegenüber der Einheitstäterlehre5 durchgesetzt hat. Im dritten Teil des RStGB von 1871, der die Teilnahme an einem Verbrechen oder Vergehen behandelt, finden sich Vorschriften, die Mittäter, Anstifter und Gehilfen als Teilnehmer klassifizieren und definieren. Dem § 48 RStGB nach wird als Anstifter bestraft, wer andere zu einer strafbaren Handlung bestimmt hat; d. h., wer 1
Bock, Römischrechtliche Ausgangspunkte der strafrechtlichen Beteiligungslehre. Für eine Erläuterung der Begriffe und eine vollständige Untersuchung der römischrechtlichen, strafrechtlichen Beteiligungslehre siehe: Bock, Römischrechtliche Ausgangspunkte der strafrechtlichen Beteiligungslehre. 3 Während im Preußischen Strafgesetzbuch von einer Urheberschaftslehre ausgegangen wurde, wurde im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 der Wechsel zu einer Beteiligungslehre vollzogen, in der zwischen der Täterschaft und der Teilnahme differenziert wird. In der Urheberschaftslehre wurde zwischen Urheber (auctor delicti) und Gehülfen (socius delicti) unterschieden. In dieser Lehre wurde die Beihilfe als einzige Form der „Gehülfschaft“ angesehen und die Anstiftung galt als eine Täterform. Siehe vertiefend hierzu Nydegger, Zurechnungsfragen der Anstiftung im System strafbarer Beteiligung, S. 28–41; Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 44–48. 4 Roxin, AT II, S. 5. 5 Einen Einheitstäter gibt es u. a. im OWiG § 14 I 1 und auch im österreichischen Strafrecht kann der Ansatz zu einem Einheitstätersystem gefunden werden (siehe § 12 öStGB). Nydegger spricht bei einem Einheitstätersystem von einem monistischen Beteiligungssystem, bei dem jeder Beteiligte an einer Tat „als Täter bezeichnet“ wird; siehe Nydegger, Zurechnungsfragen der Anstiftung im System strafbarer Beteiligung, S. 57–64. 2
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
mithilfe von besonderen Mitteln (z. B. Geschenken, Versprechen oder Drohungen) auf den Willen von Dritten eingewirkt und somit eine strafbare Handlung hervorgerufen hat.6 „Bestimmen“ bedeute daher das Hervorrufen eines Tatentschlusses. In den Motiven zu § 48 RStGB wird angemerkt, dass die Aufführung der Mittel, „durch welche eine Anstiftung bewirkt“ wird, aus dem preußischen Strafgesetzbuch stamme und auch weiterhin angewendet werden solle, da die Aufzählung der Mittel in der Praxis gut aufgenommen worden sei.7 Die Liste der Anstiftungsmittel war nicht abschließend (siehe die Formulierung „oder durch andere Mittel“).8 Sie sollte eher dazu dienen, verschiedene Beispiele für mögliche Mittel aufzuzeigen, die verwendet werden können, damit ein Anstifter bestimmt wird.9 Das RStGB verfolgte eine eher weite Auslegung des „Bestimmens“, da jedes Mittel, das im Wege der physischen Beeinflussung geeignet war, beim Täter den Tatentschluss hervorzurufen, ein Bestimmen i. S. des § 48 RStGB darstellen konnte. Was die Strafe des Anstifters betrifft, so wurde dieser „nach dem für die Haupttat anzuwenden Strafrahmen bestraft“.10 Als Begründung für die Gleichstellung von Teilnehmer und Täter hinsichtlich der Strafe wird in den Motiven des § 48 RStGB aufgeführt, dass die gleiche Strafandrohung einem Gerechtigkeitsgefühl entspreche, da die Tat des Angestifteten als eine „Folge der vorsätzlichen Einwirkung des Anstifters auf den Willen des Angestifteten“ angesehen wird.11 Somit sei die begangene Tat die „des Anstifters selbst“.12 Die Anerkennung der limitierten Akzessorietät durch die Strafrechtsangleichungsverordnung vom 19. Mai 1943 führte dazu, dass die Teilnahme nunmehr eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige, aber nicht länger eine schuldhafte Tat voraussetzte.13 Bei der Neufassung des Allgemeinen Teils des StGB, die am 1. Januar 1975 in Kraft trat, wurde auf die Aufzählung der Anstiftungsmittel in § 48 RStGB a. F. verzichtet, da diese als zu kasuistisch und als unnötig angesehen wur6
Berner, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 162–166. Die Motive werden zitiert aus Meyer, Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund, S. 54. 8 Siehe Krüger, JA 2008, 492. 9 Die Aufzählung der Anstiftungsmittel ist laut Krüger im Kontext der damaligen Gerichtsstrukturen zu verstehen und zu interpretieren. Viele der Delikte wurden vor Geschworenengerichten verhandelt, in denen es keinen Berufsrichter gab. Um den Laien den Begriff der Anstiftung klarer vor Augen zu führen, wurden beispielhaft einige Mittel aufgezählt. Daher gilt es, die Aufzählung nicht überzubewerten. Siehe vertiefend hierzu Krüger, JA 2008, 492. 10 Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 113. 11 Die Motive werden zitiert aus Meyer, Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund, S. 55. 12 Die Motive werden zitiert aus Meyer, Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund, S. 55. 13 Bis zur Strafrechtsangleichungsverordnung von 1943 bedurfte es einer schuldhaften, tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Haupttat (die sog. extreme Akzessorietät). Das Erfordernis eines schuldhaften Verhaltens führte jedoch zu einer Rechtslücke im Falle der Teilnahme eines Schuldlosen an einer rechtswidrigen Tat. Der Versuch, dies zu umgehen, indem die Anstiftung zur Tat eines Schuldlosen als mittelbare Täterschaft bezeichnet wurde, erschien unzureichend. Vertiefend hierzu Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 108; Maurach / Gössel / Zipf, Erscheinungsformen des Verbrechens und Rechtsfolgen der Tat, Allgemeiner Teil, Teilbd. 2, S. 606; vertiefend zur limitierten Akzessorietät Roxin, AT II, § 26, Rn. 2–5. 7
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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de.14 Mit der Neufassung des StGB wurde die Anstiftung aus § 48 RStGB in den § 26 StGB verlegt. Die Formulierung der Vorschrift hat sich seitdem nicht verändert.
c) Strafbegründung Angeführt werden sowohl die allgemeinen Teilnahmetheorien als auch die Anstiftungstheorien.
aa) Strafgrund der Teilnahme: Die Schuldteilnahmetheorie bzw. Unrechtsteilnahmetheorie In den 1960er Jahren wurde der Strafgrund der Teilnahme in der Korrumpierung des Täters durch den Teilnehmer gesehen.15 Diese Korrumpierungsansicht wird von Befürwortern der Schuldteilnahmetheorie vertreten, welche die Lehre vertreten, dass der Teilnehmer den Täter korrumpiert, indem der Teilnehmer ihn in schuldhafte Handlungen verwickelt, und dass dies der Grund sei, weshalb dieses Verhalten strafrechtlich geahndet werden sollte.16 Die Schuldtheorie hat in diesem Sinne heute jedoch nur noch eine rechtshistorische Bedeutung, da heutzutage die limitierte Akzessorietät anerkannt wird.17 Wenn es für die Teilnahme keine schuldhafte Haupttat mehr braucht, ist es auch nicht mehr nötig, dass „der Anstifter den Täter in Schuld verstrickt“.18 In der von Trechsel vertretenen Unrechtsteilnahmetheorie, die die Schuldteilnahmetheorie weiterentwickelt, wird vertreten, dass der Strafgrund der Anstiftung allein in der Person des Anstifters zu suchen sei, weil dieser die Absicht hat, dem Angestifteten ein Unrecht zuzufügen.19 Jedoch wird auch diese Theorie heute in der Literatur weitgehend abgelehnt.20
14
In den Motiven zu § 26 StGB n. F. wird betont, dass sich trotz Streichung der Mittel der Inhalt der Vorschrift nicht ändert und dass die Streichung der Mittel lediglich dazu dient, die überflüssige Aufzählung zu entfernen. 15 Siehe Trechsel, Der Strafgrund der Teilnahme; Amelung, FS für Schroeder, S. 151 f. 16 Less, ZStW 69, 43; Mayer, Strafrecht, Allgemeiner Teil, S. 319; Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, 2014, S. 24; LK-Schünemann / Greco, vor § 26, Rn. 9; MK-Joecks-Scheinfeld, Vorbemerkung zu § 26, Rn. 4. 17 Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 43; LK-Schünemann / Greco, § 26, Rn. 12. 18 Roxin, AT II, § 26, Rn. 16. 19 Trechsel, Der Strafgrund der Teilnahme. 20 Roxin, AT II, § 26, Rn. 16 ff.; Nepomuck, Anstiftung und Tatinteresse, S. 90 ff.; Nydegger, Zurechnungsfragen der Anstiftung im System strafbarer Beteiligung, S. 107 ff.; Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 26 ff.; LK-Schünemann / Greco, § 26, Rn. 10; MK-Joecks / Scheinfeld, Vorbemerkung zu § 26, Rn. 6.
66
2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
bb) Strafgrund der Teilnahme: Die reine Verursachungstheorie Die reine Verursachungstheorie wurde von Lüderssen entwickelt21 und von Dencker aufgenommen.22 Dieser Theorie zufolge ist der Teilnehmer ein Teilhaber an der Verletzung des Rechtsguts, da er seinen eigenen Teil zur Rechtsgutverletzung beiträgt.23 Der Teilnehmer macht sich damit „unabhängig von der Tätertat allein für die von ihm vorsätzlich bewirkte Herbeiführung des Tatbestandserfolges haftbar“.24
cc) Strafgrund der Teilnahme: Die akzessorische Verursachungstheorie Die akzessorische Verursachungstheorie strebt nach einer stärkeren Berücksichtigung der Akzessorietät der Teilnahme. Sie entspricht der heutzutage h. M. und leitet den Strafgrund der Teilnahme von der Verursachung des Tatentschlusses des Täters ab. Da der Anstifter die Tat zwar hervorgerufen, aber nicht selbst den Tatbestand der Haupttat verwirklicht hat, besteht das von ihm begangene Unrecht also nur in der Mitwirkung.25 Demzufolge ist das Unrecht der Teilnahme also nicht in dieser selbst zu sehen, sondern leitet sich aus der Haupttat ab.26 So ist die „Verursachung eines rechtswidrigen Verhaltens“27 durch das Bestimmen das Wesen der Anstiftung. Nach dieser Definition kann das Bestimmen der Anstiftung über jedes Mittel erfolgen und es werden keine Anforderungen an ihre Intensität gestellt, solange die Anstiftung den Tatentschluss hervorrufen kann.28 Demnach reichen einfache Tatsachenarrangements oder tatanreizende Situationen aus.29
dd) Strafgrund der Teilnahme: Die Lehre vom akzessorischen Rechtsgutangriff Die Lehre vom akzessorischen Rechtsgutangriff, die eine gemischte Konzeption bezüglich des Teilnahmeunrechts vertritt, wurde von Roxin entwickelt. Indem er 21
Lüderssen, Zum Strafgrund der Teilnahme. Dencker, FS für Lüderssen, 525. 23 Siehe Gerson, ZIS 2016, 183 (191). 24 Roxin, AT II, S. 131. 25 BGHSt NJW 1953, 1878; Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, § 64, S. 685; Theile, Tatkonkretisierung und Gehilfenvorsatz, S. 42; Nikolidakis, Grundfragen der Anstiftung, S. 50 f.; Nydegger, Zurechnungsfragen der Anstiftung im System strafbarer Beteiligung, S. 130; MKJoecks / Scheinfeld, § 26, Rn. 15; krit. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff und fahrlässige Beteiligung, S. 41; ebenso Roxin, AT II, § 26, Rn. 31 ff.; Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 34; LK-Schünemann / Greco, vor § 26, Rn. 15. 26 Rönnau, JuS 2020, 919 (920). 27 BGHSt NJW 1953, 1878. 28 Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 53. 29 Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, S. 329; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Murmann, § 26, Rn. 3 f. 22
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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einen Mittelweg zwischen der reinen und der akzessorischen Verursachungstheorie einschlägt, will Roxin die Schwächen der oben aufgeführten Theorien umgehen. Seiner Lehre zufolge besteht das Teilnehmerunrecht aus zwei Elementen: einem selbständigen Unrechtselement und einem unselbständigen Element.30 Das Unrechtselement ist insoweit unselbständig, als es aus dem Täterunrecht abgeleitet wird, da die Rechtsgutverletzung nur durch das Hinzutreten einer anderen Person eintritt. Dies bedeutet aber, dass eine Teilnahme nur über einen tatbestandsmäßig handelnden Täter strafbar ist. Das vorsätzliche Täterunrecht muss aber ebenfalls dem Teilnehmer zugerechnet werden können.31 Das Unrecht ist insoweit selbständig, als das vom Täter verletzte Rechtsgut auch dem Teilnehmer gegenüber geschützt sein muss.32 Das Teilnahmeunrecht besteht nur, wenn beide Elemente vorhanden sind.
ee) Strafgrund der Anstiftung: Die Lehre der kommunikativen Beeinflussung Die Lehre der kommunikativen Beeinflussung vertritt die Auffassung, dass die Anstiftung eine Handlungsweise bzw. eine Kommunikation voraussetzt, die einen Einfluss auf die Psyche des Angestifteten ausübt.33 Durch diesen Einfluss der Kommunikation wird eine Person zur Begehung einer Straftat veranlasst.34 In der Literatur ist u. a. auch von einem „geistigen Kontakt“35 oder von einer „geistige[n] Beeinflussung“36 die Rede. Wenn auch die Terminologie variieren mag, so ist doch all diesen Auffassungen gemeinsam, dass sie im „Bestimmen“ eine Beeinflussung des Haupttäters sehen, sei es durch Worte oder konkludent durch Verhalten. Der Lehre der „kommunikativen Beeinflussung“ nach beruht der Strafgrund der Anstiftung auf der kommunikativen Einwirkung des Anstifters auf den Angestifteten. Nicht ausreichend und somit nicht als Anstiftung anerkannt ist ein sog. Tatsachenarrangement.37
30
Roxin, FS für Stree / Wessels, S. 365 ff.; Roxin, AT II, § 26, Rn. 11; SK-Hoyer, vor § 26, Rn. 1. ff.; Jakobs AT, S. 661; Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 35 ff.; Krey / Esser, Strafrecht AT, S. 985 ff. 31 Siehe Roxin, AT II, § 26, Rn. 11; LK-Schünemann / Greco, vor § 26, Rn. 7. 32 Roxin, AT II, § 26, Rn. 8. 33 Die Theorie beruht auf der von Feuerbach herausgearbeiteten Unterscheidung zwischen dem physischen und dem intellektuellen Urheber. Der intellektuelle Urheber determiniert einen anderen zur Hervorbringung eines rechtswidrigen Effekts. Siehe von Feuerbach, Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts, § 58, S. 26 ff. 34 BGH NStZ 09, 393; NK-Schild, § 26, Rn. 7; Sch / Sch-Heine / Weißer, § 26, Rn. 3; BeckOKKudlich, § 26, Rn. 13 ff.; Fischer, § 26, Rn. 3a. 35 Amelung / Boch, JuS 2000, 261 (263). 36 Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 111. 37 Welzel, Das deutsche Strafrecht, 10. Auflage, S. 116; Fischer, § 26, Rn. 3; Sch / SchHeine / Weißer, § 26, Rn. 3.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
ff) Strafgrund der Anstiftung: Die Sanktionierungstheorie Die Sanktionierungstheorie geht auf die Arbeit von Joerden und Amelung zurück und wurde von Nepomuck38 und Redmann39 weitergeführt. Sie sehen die Strafbegründung der Anstiftung in einer sanktionsträchtigen Aufforderung, der ein Verbindlichkeitscharakter innewohne. Joerden ging als einer der ersten Vertreter der Sanktionierungstheorie davon aus, dass das „Bestimmen“ der Anstiftung eine verbindliche Aufforderung i. S. einer „Handlungsanweisung“ darstellen müsse.40 Als Indizien für die Verbindlichkeit einer Aufforderung sollten die möglichen negativen oder positiven Sanktionen gelten, die der Aufforderung zur Seite gestellt werden. Eine Sanktion wäre negativ, „wenn der Auffordernde mit der Nichtverfolgung der Aufforderung durch den Aufgeforderten eine Folge in Aussicht stellt, die sich negativ auf die Interessen des Aufgeforderten auswirken würde“.41 Eine positive Sanktion wäre gegeben, wenn die Befolgung der Aufforderung sich „positiv auf die Interessen des Aufgeforderten auswirken“42 würden. Anknüpfend daran führt Amelung an, dass sämtliche Formen der Kommunikation, von einem einfachen Informationsaustausch angefangen bis hin zu einem Rat, einen Tatentschluss verursachen könnten.43 Das Spezifikum der Anstiftung liege jedoch darin, dass sie – und dies im Unterschied zu den anderen Formen von Tatentschlussverursachern – eine korrumpierende Wirkung beinhalte. Die Korrumpierung erhöhe die Einflussmöglichkeiten des Anstifters auf den Angestifteten und somit nehme auch die Wahrscheinlichkeit einer Straftatbegehung zu.44 Amelung versteht unter Korrumpierung einen „sanktionsträchtige[n] Appell“45 zur Begehung einer Straftat und schließt sich somit der Lehre von Joerden an.
gg) Strafgrund der Anstiftung: Die Planherrschaft In der von Schulz begründeten Planherrschaft wird der Anstiftung ein „Herrschaftsverhältnis“ zugesprochen.46 Damit diese sich jedoch klar von der Tatherr38
Nepomuck schließt sich Joerden an, da er in dem „Bestimmen“ eine sanktionsbewehrte Tataufforderung erkennt. Siehe Nepomuck, Anstiftung und Tatinteresse, S. 167–170, 316. 39 Redmann sieht im „Bestimmen“ ebenfalls einen Kommunikationsakt, dem ein Aufforderungscharakter hinzugefügt werden müsse. Aus einer Äußerung werde nur dann eine Aufforderung, wenn eine positive oder eine negative Sanktion hinzugefügt werde. Siehe Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 108–123. 40 Joerden, Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbegriffs, S. 122. 41 Joerden, Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbegriffs, S. 122. 42 Joerden, Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbegriffs, S. 122. 43 Amelung, in FS für Schroeder, S.152, 175. 44 Amelung, in FS für Schroeder, S.177 f. 45 Amelung, in FS für Schroeder, S.175. 46 Schulz, Die Bestrafung des Ratgebers; Schulz, JuS 1986, 933 ff.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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schaft unterscheiden lässt, beschränkt sich die Herrschaft des Anstifters auf die Planung, also auf die Vorbereitung der Tat. Der Anstifter habe die „Herrschaft während der Planungs- und Willensbildungsphase“47, jedoch dürfe er „den weiteren Ablauf der Geschehnisse nicht mehr unter seiner Kontrolle haben. Vielmehr muss er sich insoweit dem Willen des Haupttäters unterordnen“.48
hh) Strafgrund der Anstiftung: Der Unrechtspakt Die Lehre vom Unrechtspakt ist auf Puppe zurückzuführen. Dieser Lehre nach schließt der Anstifter einen Pakt mit dem Täter. Der Anstifter würde demnach dem Angestifteten „ein Versprechen oder eine Verpflichtung zur Tat abnehmen, die diese zwar nicht rechtlich, aber doch faktisch binden und ihm das Aufgeben des Tatplans erschweren“.49 Puppe spricht dem Anstifter einen großen Anteil an der Tatplanung zu, da sich der Täter dem Anstifter bei der Planung unterordne.50
d) Objektiver Tatbestand Eine Anstiftung ist das vorsätzliche Bestimmen eines anderen zur Begehung einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Haupttat. Die Anstiftung setzt demnach eine vorsätzlich begangene rechtswidrige Tat des Vordermanns voraus.51 Es reicht aus, wenn die Tat in ein Versuchsstadium gelangt ist.52 Wenn es zu keiner versuchten Haupttat gekommen ist, kann, aber nur im Falle eines Verbrechens, die versuchte Anstiftung (§ 30 Abs. 1 StGB) herangezogen werden. Um den Begriff des „Bestimmens“ gibt es zahlreiche Diskussionen. Für die Rechtsprechung ist ein mitursächliches Hervorrufen des Tatentschlusses beim Täter ein Bestimmen i. S. des § 26 StGB (die sog. Verursachungstheorie).53 In welcher Form und durch welche Mittel die Einflussnahme auf den Willen anderer erfolgt, ist gleichgültig, solange sie geeignet erscheint, einen Tatentschluss zu verursachen.54 Der Verursachungstheorie nach kann also bereits das Schaffen einer tatanreizenden Situation als eine Einflussnahme auf den Willen anderer gelten.55 47
Schulz, JuS 1986, 938. Schulz, JuS 1986, 938. 49 Puppe, GA 1984, 101 (112); siehe auch Puppe, NStZ 2006, 424 ff. 50 Puppe, GA 1984, 101 (112); Puppe, NStZ 2006, 424 ff. 51 Anw-StGB-Waßmer, § 26, Rn. 3; MK-Joecks / Scheinfeld, Vorbemerkung zu § 26, Rn. 19. 52 MK-Joecks / Scheinfeld, § 26, Rn. 8. 53 BGH NJW 2000, 1877 (1878); BGH BeckRS 2015, 12472; BGH NStZ 2017, 401; BGH NStZ-RR 2018, 80; 54 BGH NJW 1985, 924; BGH NStZ 2000, 421; BGH NJW 2000, 1877 (1878); Die Anstiftungsmittel, die in § 48 RStGB a. F. aufgezählt waren, sollten lediglich als Beispiele dienen. Der Gesetzgeber hat in der n. F. des § 26 StGB auf diese beispielhafte Aufzählung verzichtet. 55 Herzberg, Täterschaft und Teilnahme, S. 146 f. 48
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
In dieser Lehre wird bezweifelt, dass eine bloße Verursachung des Tatentschlusses die tätergleiche Bestrafung rechtfertigt. Zudem wird diskutiert, welche Anforderungen an die Bestimmungshandlung gestellt werden müssen, damit die tätergleiche Bestrafung des Anstifters legitimiert werden kann.56 In dieser Hinsicht liegt z. B. für Puppe, die den Strafgrund der Anstiftung in einem Unrechtspakt i. S. eines gemeinsamen Tatplans sieht, dann ein „Bestimmen“ vor, wenn es zu einem Versprechen zwischen dem Anstifter und dem Anzustiftenden bezüglich der Tatausführung gekommen ist.57 Dem gegenüber folgt die h. L. der Theorie der kommunikativen Beeinflussung oder auch des sog. geistigen Kontaktes.58 Dieser Theorie zufolge liegt eine Bestimmungshandlung vor, wenn es durch einen „– mehr oder weniger – kollusiven geistigen Kontakt“59 zu einer Beeinflussung des Willens gekommen ist. Dieser Lehre nach reicht ein sog. Tatsachenarrangement also nicht aus.60 Ein anderer Teil des Schrifttums, der an die Theorie des geistigen Kontaktes anknüpft, engt die Anforderungen an die kommunikative Beeinflussung ein, indem außerdem die Anwesenheit eines Aufforderungscharakters bzw. eines sanktionsbewehrten Aufforderungscharakters verlangt wird.61 Die Möglichkeit einer Anstiftung durch Unterlassen ist in der Doktrin umstritten.62 Folgt man der Konzeption hinsichtlich des Aufforderungscharakters, ist eine Anstiftung durch Unterlassen nicht möglich.63 In den meisten Fällen, wie z. B. im Falle eines beredten Schweigens, handle es sich nicht um eine Anstiftung, sondern eher um „eine den Tatentschluss bestärkende Tolerierung der Tätertat“.64 Roxin gibt als einzige zulässige Anstiftung durch Unterlassen die Fallkonstellation an, in der jemand „Garant für die Verhinderung einer Anstiftungstat ist“.65 Als Beispiel wird der Fall vorgestellt, in dem ein Vater seinen minderjährigen Sohn nicht davon abhält, jemanden zu einem Diebstahl anzustiften. Ein „omnimodo facturus“ (d. h. ein schon zur Tat fest Entschlossener) kann nicht mehr angestiftet werden.66 In
56
Für die Ausführung der Diskussion siehe Timpe, GA 2013, S. 148 f. Puppe, GA 1984, 101 (112); auch Puppe, NStZ 2006, 424 ff. 58 Rogall, GA 1979, 12; Otto, JuS 1982, 557; Bloy, JA 1987, 490; Krüger JA 2008, 497; NKSchild, § 26, Rn. 7; MK-Joecks / Scheinfeld, § 26, Rn. 18 ff.; BeckOK-Kudlich, § 26, Rn. 13 ff. 59 BeckOK StGB-Kudlich, § 26, Rn. 13. 60 Welzel, Das deutsche Strafrecht, 10. Auflage, S. 116; Sch / Sch-Heine / Weißer, § 26, Rn. 3; Fischer, § 26, Rn. 3a. 61 Joerden, Strukturen des strafrechtlichen Verantwortlichkeitsbegriffs, S. 120 ff.; Nepomuck, Anstiftung und Tatinteresse, S. 171–241; Roxin, AT II, § 26, Rn. 74 ff.; Amelung, FS für Schroeder, S.163 ff.; Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 123–139; LK-Schünemann / Greco, § 26, Rn. 51; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Murmann, § 26, Rn. 4. 62 Ausführliche Darstellung des Streitstandes Bloy, JA 1987, 490. 63 Amelung, FS für Schroeder, S.178; Roxin, AT II, § 26, Rn. 86; LK-Schünemann / Greco, § 26, Rn. 54 ff. 64 LK-Schünemann / Greco, § 26, Rn. 54. 65 Roxin, AT II, § 26, Rn. 87. 66 BGH NStZ-RR 1996, 1; LG Ravensburg NStZ-RR 2008, 256; BGH NStZ 2017, 401 (402); BGH NStZ-RR 2018, 80 (81). 57
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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diesem Fall können lediglich eine versuchte Anstiftung oder eine physische Beihilfe in Betracht gezogen werden.67
e) Subjektiver Tatbestand Bezüglich des Vorsatzes der Anstiftung ist zumindest ein bedingter Vorsatz ausreichend.68 In diesem Zusammenhang ist auch von einem sog. Doppelvorsatz die Rede; d. h., dass sowohl ein Bestimmungsvorsatz als auch ein Tatvollendungsvorsatz vorhanden sein müssen.69 Für den Bestimmungsvorsatz muss sich der Vorsatz des Anstifters auf das Hervorrufen des Tatentschlusses beim Täter richten; d. h., dass der Haupttäter zu einer Tat „bestimmt“ wird.70 Im Falle von Exzessen i. S. von vorsätzlichen, wesentlichen Abweichungen des Täters von der Empfehlung des Anstifters, liegt keine Anstiftung vor.71 Der Tatvollendungsvorsatz muss sich auf die Vollendung einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Haupttat erstrecken.72 Inwieweit muss die Tat, zu der angestiftet wird, präzise konkretisiert sein? Der Rechtsprechung zufolge muss sich der Vorsatz des Anstifters auf die Ausführung einer zwar nicht in allen Einzelheiten, wohl aber in ihren wesentlichen Merkmalen oder Grundzügen konkretisierten Tat beziehen.73 Dabei ist es zwar nicht erforderlich, dass die genauen Tatumstände wie z. B. Zeit, Ort oder Tatobjekt beschrieben werden.74 Eine Beschreibung der Tat nach Gattungsmerkmalen des Tatobjektes oder nach Tatbestandstypus reicht jedoch ebenfalls nicht aus.75 Hinsichtlich der Konkretisierung des Angestifteten vertritt die h. L. die Ansicht, dass die Anstiftung nicht zwingend an eine bestimmte Person adressiert sein muss, sondern dass es genügt, wenn die Anstiftung an einen individuell bestimmten Personenkreis gerichtet ist.76 Wenn sich der Tatveranlasser an einen komplett unbestimmbaren Personenkreis richtet, handelt es sich demzufolge um eine öffentliche Aufforderung i. S. des § 111 StGB. Dies ist der Fall, wenn die Motivierung mithilfe der Medien (wie z. B. Presse) erfolgt.
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RGSt 72, 373; Bock, JR 2008, 143; Sch / Sch-Heine / Weißer, § 26, Rn. 6; BeckOK-Kudlich, § 26, Rn. 15. 68 BGHSt 2, 279; BGH BeckRS 2012, 2327; BGH NStZ-RR 2018, 80. 69 Sch / Sch-Heine / Weißer, § 26, Rn. 17. 70 MK-Joecks / Scheinfeld, § 26, Rn. 75. 71 BeckOK StGB-Kudlich, § 26, Rn. 20. 72 BGHSt 1981, 549. Für die Problematik des agent provocateur siehe LK-Roxin, § 26, Rn. 67; Fischer, § 26, Rn. 8. 73 BGHSt 34, 66 ff.; so auch Fischer, § 26, Rn. 8. 74 Bülte / Hagemeier, NStZ 2015, 317 (321). 75 BGH NJW 1986, 2770 (771); Sch / Sch-Heine / Weißer, § 26, Rn. 18. 76 BGH NJW 1954, 1896; Rogall, GA 1979, 11; Jescheck/ Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, § 64, S. 688.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
f) Quintessenz Wird das Bestimmen als einfaches Tatsachenarrangement oder als tatanreizende Situationen erkannt, so scheint es, als würde der Motivator letztendlich nur wenig Einfluss auf den Motivierten ausüben. Ein gewisser Handlungsdruck auf den Motivierten scheint sich dahingegen dann zu etablieren, wenn das Bestimmen als kommunikative Beeinflussung verstanden wird, die einen Aufforderungscharakter hat. In diesem Fall übt der Motivator einen gewissen Handlungsdruck aus, der nicht nur eine tätergleiche Bestrafung des Motivators rechtfertigen würde, sondern auch eine Zurechenbarkeit der Handlung des Dritten zum Anstifter.
2. Versuchte Anstiftung zu einer rechtswidrigen Tat (§ 30 Abs. 1 StGB) a) Normtext § 30 StGB lautet wie folgt: (1) Wer einen anderen zu bestimmen versucht, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften, wird nach den Vorschriften über den Versuch des Verbrechens bestraft. Jedoch ist die Strafe nach § 49 Abs. 1 zu mildern. § 23 Abs. 3 gilt entsprechend. (2) Ebenso wird bestraft, wer sich bereit erklärt, wer das Erbieten eines anderen annimmt oder wer mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften.
b) Geschichtlicher Überblick In seinen Anfängen enthielt der RStGB von 1871 keine Vorschrift, die den Versuch der Beteiligung unter Strafe stellte. Die Bestrafung der versuchten Teilnahme wurde sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung in Hinblick auf die akzessorische Natur der Anstiftung rundheraus abgelehnt.77 Dies änderte sich im Jahr 1873 jedoch, nachdem ein belgischer Kesselschmied namens Duchnese während des von Bismarck geführten Kulturkriegs gegen die katholische Kirche drei Briefe an den Erzbischof von Paris sendete, in denen er sich erbot, den deutschen Reichskanzler Bismarck für Entgelt zu ermorden.78 Nach der 77 Es wurde angeführt, dass die Anstiftung eine Haupttat vorrausetze und daher eine ergebnislose Teilnahmebemühung nicht bestraft werden könne; siehe RGSt 11, 62 (63); RGSt 11, 56 ff.; Birkmeyer stellt fest, dass die Teilnahmehandlung nicht selbständig strafbar war, da ihre Strafbarkeit sich von fremdem verbrecherischem Verhalten ableitet. Daraus schloss er, dass die Anstiftung ursächlich für die Haupttat und somit die versuchte Anstiftung nicht strafbar war. Siehe Birkmeyer, Die Lehre von der Teilnahme und die Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichts, S. 146 ff. 78 Für eine Vertiefung des geschichtlichen Hintergrundes der versuchten Anstiftung siehe Busch, Die Strafbarkeit der erfolglosen Teilnahme und die Geschichte des Paragraphen 49a StGB, 1964; Rogall, FS für Puppe, S. 859 ff.; Becker, Der Strafgrund der Verbrechensverabredung gem. § 30 Abs. 2, Alt. 3 StGB, S. 15 ff.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Bekanntmachung dieser Briefe und einem angespannten diplomatischen Austausch zwischen der deutschen und der belgischen Regierung verlangte die deutsche Regierung, dass gegen derartige Handlungen Maßnahmen getroffen werden sollten. Nach der Feststellung, dass das belgische Strafgesetzbuch keine Vorschriften enthielt, die solche Angebote unter Strafe stellten, drängte die deutsche Regierung auf den Erlass eines neuen Gesetzes und einer entsprechenden Ergänzung in das bStGB. Belgien kam diesem Verlangen der deutschen Regierung am 7. Juli 1875 mit der Verabschiedung des Gesetzes „loi contenant des dispositions pénales contre les offres ou propositions de commettre d’action de crimes“ nach. Aus diplomatischen Gründen führte auch Deutschland am 26. Februar 1879 den § 49a in das RStGB ein, welcher die Aufforderung zur Begehung eines Verbrechens oder zur Teilnahme, das Erbieten dazu und auch die Annahme eines solchen Erbietens unter Strafe stellt. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde § 49a RStGB mit der Strafrechtsangleichungsverordnung vom 29. Mai 1943 (RGBl. I S. 339) neugefasst und die Strafbarkeit wurde erweitert. In der Nachkriegszeit blieb der § 49a RStGB fürs Erste bestehen. Die Vorschrift wurde schließlich durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz (3. StrÄG) vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 735) geändert und die erfolglose Beihilfe sowie das Eintreten in ernsthafte Verhandlungen wieder abgeschafft. Der heute geltende Wortlaut des § 30 StGB entspricht in weiten Teilen dem § 35 Abs. 1 und 2 des Entwurfs eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1962.79 Die letzte Änderung erfolgte mit dem Gesetz vom 1. Januar 1979, mit dem die Vorschrift vom Versuch der Beteiligung in den § 30 StGB transferiert wurde, ohne dass wesentliche Änderungen an § 35 Abs. 1 und 2 des E 1962 vorgenommen wurden.
c) Strafbegründung Mit § 30 StGB soll derjenige bestraft werden, der einen anderen erfolglos zur Begehung eines Verbrechens zu bestimmen versucht hat. Der h. M. nach handelt es sich bei § 30 StGB nicht um eine Sonderregelung zum Versuch oder zur Teilnahme, sondern um eine selbstständig strafbare Vorbereitungshandlung.80 Als Strafausdehnungsgrund schützt § 30 StGB das Rechtsgut der jeweils anvisierten Tatbestände.81 In den Motiven zu § 49a RStGB wird aufgeführt, dass mithilfe dieser Vorschrift „die Ausführung von Verbrechen erschwert“82 werden soll. Wenn „schon ein derar79
BT-Drucks. IV/650. Becker, Der Strafgrund der Verbrechensverabredung gem. § 30 Abs. 2 Var. 3 StGB, S. 37 f.; Bock / Harrendorf, ZStW 2014, 337 (360 ff.). 81 Anw-StGB-Waßmer, § 30, Rn. 2; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Murmann, § 30, Rn. 2; Fischer, § 30, Rn. 3. 82 Witte zitiert die Motive des § 49a RStGB in: Witte, Erörterungen über den § 49a des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich, S. 13. 80
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
tiges Unternehmen vom Gesetz für strafbar erklärt wird“83, könne gehofft werden, dass infolgedessen weniger Verbrechen begangen werden.84 Da es die Aufgabe des Strafrechts sei, die Sicherheit der Staatsangehörigen zu garantieren, sei es notwendig, „den Gefahren entgegenzutreten, welche dem Einzelnen für seine Person und sein Eigentum die Straflosigkeit der misslungenen Anstiftung und des Erbietens zu Begehung von Verbrechen bereitet“.85 Die versuchte Beteiligung in § 30 StGB wird in der Lehre zuweilen als ein abstraktes Gefährdungsdelikt eingeteilt.86 Als Legitimation der Vorfeldkriminalisierung des § 30 StGB wird der h. M. nach angeführt, dass einer konspirativen Bindung von mehreren Beteiligten ein höheres Gefährdungspotenzial innewohne als Vorbereitungshandlungen eines Einzeltäters.87 Bei der versuchten Anstiftung und auch für die Annahme des Erbietens (§ 30 Abs. 1 Alt. 2 StGB) liege die Gefährlichkeit in dem vom Täter bewirkten Anstoß zu einem nicht mehr kontrollierbaren Kausalverlauf, der ohne jegliches Zutun des Initiators in einer Verbrechensverwirklichung münden könne.88 In der Lehre werden jedoch Bedenken gegenüber der Legitimationsbasis dieser Vorverlagerung geäußert und es wurde für eine restriktive Auslegung des Tatbestandes plädiert.89
d) Objektiver Tatbestand aa) Der Verbrechenscharakter der geplanten Tat In Absatz 1 des § 30 StGB wird die versuchte Anstiftung behandelt. Sie bezieht sich nur auf Verbrechen; d. h., dass die Tat, auf die der Versuch der Anstiftung sich bezieht, ein Verbrechen i. S. des § 12 Abs. 1 StGB sein muss.
83
Motive zitiert aus Witte, Erörterungen über den § 49a des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich, S. 13. 84 Motive zitiert aus Witte, Erörterungen über den § 49a des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich, S. 13. 85 Motive zitiert aus Witte, Erörterungen über den § 49a des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich, S. 13. 86 BGH NStZ 1998, 347 (348); Rogall, FS für Puppe, S. 872; Bülte / Wick JA 2019, 508 (512). 87 Busch, FS für Maurach, S. 248; Sch / Sch-Heine / Weißer, § 30, Rn. 1; Anw-StGB-Waßmer, § 30, Rn. 4; LK-Schünemann / Greco, § 30, Rn. 4; Fischer, § 30, Rn. 2. 88 BGH, Urteil v. 27. 7. 1951 – 1 StR 3/51, BeckRS 2013, 4145; BGH NStZ 1998, 615 (616); BGH NStZ 2013, 334; BGH BeckRS 2019, 12922; Bloy, JR 1992, 493 (495); Sch / SchHeine / Weißer, § 30, Rn. 1. 89 Satzger / Schluckebier / Widmaier-Murmann, § 30, Rn. 1; Sch / Sch-Heine / Weißer, § 30, Rn. 1. Zaczyk weist allgemein die Existenz eines Tatunrechts in den von § 30 beschriebenen Handlungen zurück, siehe NK-Zaczyk, § 30, Rn. 4–5.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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bb) Versuch eines Bestimmens Das „Bestimmen“ ist wie in § 26 StGB zu verstehen.90 Allerdings stellt sich bei der versuchten Anstiftung die Frage nach dem Anfang des Bestimmungsversuchs: Ab welchem Punkt liegt eine versuchte Anstiftung vor? Der h. M. zufolge ist es ausschlaggebend, dass der Anstifter unmittelbar zu einer Bestimmungshandlung angesetzt hat.91 Es ist nicht nötig, dass die Erklärung den Adressaten erreicht hat oder er sie verstanden hat.92 Es reicht aus, „dass der Täter dies will und die Aufforderung in einer Weise ‚auf den Weg‘ bringt, die nach seinem Tatplan geeignet ist, den Anzustiftenden bei ungestörtem Fortgang der Dinge ohne weitere Zwischenschritte zum Tatentschluss zu veranlassen“.93 Hinsichtlich der Konkretisierung der Tat sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie bei der Anstiftung (§ 26 StGB).94 Demnach muss das Verbrechen – aus der Sicht des Initiators – so weit konkretisiert sein, dass der präsumtive Haupttäter es begehen könnte, wenn er wollte.95 Die Bestimmungshandlung muss sich an eine bestimmte Person oder an eine Mehrheit individuell feststellbarer Personen richten.96 Ist die Anstiftung an einen gänzlich unbestimmten Personenkreis gerichtet, liegt eine öffentliche Aufforderung i. S. von § 111 StGB vor. § 30 Abs. 1 StGB erfasst ebenfalls die versuchte Kettenanstiftung zu einem Verbrechen, also die versuchte Anstiftung zu einer Anstiftung.
cc) Ausbleiben eines Erfolges Die Bestimmung einer Person zur Begehung eines Verbrechens muss erfolglos geblieben sein. Das heißt, dass es weder zu einer Ausführung noch zu einem Versuch der angestrebten Tat gekommen ist. Dabei sind nach h. M. die Gründe, weswegen der Taterfolg ausbleibt, nicht von Bedeutung.97 In dem Fall, dass der Anzustiftende ein anderes Delikt begeht als das, zu dem er bestimmt wurde, liegt wegen fehlender Zurechenbarkeit keine Anstiftung, sondern nur eine versuchte Anstiftung vor.
90
Sch / Sch-Heine / Weißer, § 30, Rn. 17. BGHSt. 8, 261, 262; Frister, AT, § 29, S. 466 ff.; MK-Joecks / Scheinfeld, § 30, Rn. 33 ff.; Fischer, § 30, Rn. 13. 92 RGSt. 59, 370; Dreher, GA 54, 11, 14; a. A. Jescheck / Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, § 65, S. 703; Jakobs, AT, § 27, Rn. 4; Fischer, § 30, Rn. 13. 93 Fischer, § 30, Rn. 13. 94 Siehe die Konkretisierung der Tat für § 26 StGB oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 1. d). 95 BGH NJW 2005, 2867 (2868); BGH NStZ 2005, 626 (627); BGH NStZ-RR 2018, 10 (12); Bloy, JR 92, 493; Sch / Sch-Heine / Weißer, § 30, Rn. 5; Satzger / Schluckebier / WidmaierMurmann, § 30, Rn. 10; Fischer, § 30, Rn. 10. 96 Sch / Sch-Heine / Weißer, § 30, Rn. 19. 97 Sch / Sch-Heine / Weißer, § 30, Rn. 20. 91
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
e) Subjektiver Tatbestand Die subjektiven Voraussetzungen der versuchten Anstiftung entsprechen denen der vollendeten Anstiftung in § 26 StGB. Demzufolge muss der Vorsatz zum einen die Bestimmungshandlung und zum anderen auch die konkret anvisierte Haupttat und deren Vollendung mit umfassen.98 Wie bei der Anstiftung in § 26 StGB genügt zumindest ein bedingter Vorsatz.99 Der h. M. zufolge muss der Anstifter die Anstiftung aber nicht noch zusätzlich ernst gemeint haben.100 Damit eine versuchte Anstiftung vorliege, sei es ausreichend, dass der Anstifter damit rechnen könne, dass der Adressat die Aufforderung ernst nimmt und es dadurch zur Tatbegehung kommen kann.101
f) Quintessenz Wie bei der Anstiftung kann die Gefahr einer möglichen Tatbegehung bzw. die Gefahr einer möglichen Rechtsgutbeeinträchtigung durch das Handeln von Dritten dem Motivator nur dann zugerechnet werden, wenn die Tathandlung einen gewissen Handlungsdruck ausübt. Wird in dieser Hinsicht das versuchte Bestimmen – wie auch das Bestimmen in § 26 StGB – als kommunikative Beeinflussung mit Aufforderungscharakter verstanden und das bloße Anreizen oder Tatsachenarrangement ausgeschlossen, erscheint eine solche Zurechenbarkeit möglich. Es sollten in dieser Hinsicht Parallelen zwischen § 30 Abs. 1 und § 26 StGB zu erkennen sein.
3. Bestimmen eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG) Durch den Tatbestand des Bestimmens in § 30a Abs. 2 Nr. 1 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) wird die Teilnahmehandlung der Anstiftung zu einer eigenständigen Haupttat erhoben.102 Nicht in der Arbeit untersucht wird jedoch das Verleiten zum unbefugten Gebrauch von Betäubungsmitteln (in § 29 Abs. 1 Nr. 10 BtMG), da der Konsum in Deutschland straflos ist und somit nicht per se zur Begehung einer Straftat i. S. einer rechtswidrigen Tat motiviert wird.
98
Lackner / Kühl-Kühl, § 30, Rn. 5; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Murmann, § 30, Rn. 15. Lackner / Kühl-Kühl, § 30, Rn. 5. 100 BGH NStZ 1998, 615 (616); Lackner / Kühl-Kühl, § 30, Rn. 5. 101 BGHSt 44, 99 (102); Roxin, AT II, § 28, Rn. 15 ff.; Sch / Sch-Heine / Weißer, § 30, Rn. 28; LK-Schünemann / Greco, § 30, Rn. 20 ff. 102 Bohne / Schmidt-Wettley, § 30a, Rn. 27; MK-Oğlakcıoğlu BtMG, § 30a, Rn. 39. 99
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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a) Normtext § 30a BtMG lautet wie folgt: (1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren wird bestraft, wer Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie ein- oder ausführt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und dabei als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat. (2) Ebenso wird bestraft, wer 1. als Person über 21 Jahre eine Person unter 18 Jahren bestimmt, mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel zu treiben, sie, ohne Handel zu treiben, einzuführen, auszuführen, zu veräußern, abzugeben oder sonst in den Verkehr zu bringen oder eine dieser Handlungen zu fördern, oder 2. mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt oder sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt oder sich verschafft und dabei eine Schußwaffe oder sonstige Gegenstände mit sich führt, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind. (3) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.
b) Geschichtlicher Überblick Mit dem Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vom 15. Juli 1992 wurde zum ersten Mal das Bestimmen eines Minderjährigen zur Beteiligung am Betäubungsmittelverkehr in § 29a Abs. 1 Nr. 1b BtMG unter Strafe gestellt. Das Gesetz dient u. a. der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen aus dem Jahr 1988, das vorsah, dass jedes Beteiligen eines Minderjährigen als besonders schwerwiegend anzusehen sei.103 Mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz aus dem Jahr 1994 wurde das Bestimmen eines Minderjährigen in den § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG transferiert und es wurde der Strafrahmen erhöht.
c) Strafbegründung Bei der Einführung der Tathandlung in den § 29 BtMG führte der Gesetzgeber auf, dass das Bestimmen eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelverkehr und zur Förderung desselben „in besonderem Maße verabscheuungswürdig und
103
Hierzu Bohne / Schmidt-Wettley, § 30a, Rn. 29.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
strafwürdig“104 sei. Beim Transfer in den § 30a BtMG verdeutlichte der Gesetzgeber, dass ein solches Verhalten äußerst sozialschädlich sei, da es die Gefahr in sich berge, dass dadurch Minderjährige in die Kriminalität getrieben werden könnten.105 Es solle außerdem verhindert werden, dass Minderjährige aufgrund der Strafunmündigkeit und der geringeren Straferwartung für Drogengeschäfte benutzt und missbraucht werden.106 Der Lehre zufolge handelt es sich bei § 30a BtMG um einen Erfolgsdelikt.107 Nach der h.M schützt das BtMG das Rechtsgut der Volksgesundheit108, das als die Gesundheit von vielen verstanden wird.109 Im Rahmen der Volksgesundheit geht es hierbei zum einen um den Schutz des Lebens und der Gesundheit des Einzelnen; zum anderen sollen Schäden vorgebeugt werden, die sich für die Allgemeinheit aus dem Drogenkonsum ergeben.110 Ziel der Einführung des BtMG war es, die Allgemeinheit vor den Gefahren der in den 1970er Jahren durch Deutschland rollenden Rauschgiftwelle zu schützen.111 Das Rechtsgut der Volksgesundheit wird in der Lehre jedoch oft kritisiert und als „Scheinrechtsgut“ bezeichnet, das als strafrechtliches Rechtsgut keinen Bestand habe.112 Durch das Universalrechtsgut der Volksgesundheit würde verschleiert, dass in Wirklichkeit Individualrechtsgüter geschützt werden.113
d) Objektiver Tatbestand Im Rahmen des § 30a BtMG wird die Teilnahmehandlung der Anstiftung zur Haupttat, sodass der Anstifter unabhängig von der für dieses Delikt angedrohten Strafe direkt aus dem Verbrechenstatbestand bestraft wird.114
aa) Tathandlung Bestraft wird das Bestimmen eines Kindes oder eines Jugendlichen, also einer Person unter 18 Jahren. Das Bestimmen muss von einer Person über 21 Jahren ausgehen. 104
BT-Drucks. 12/989, S. 55. BT-Drucks. 12/6853, S. 41. 106 Weber / Kornprobst / Maier-Maier, § 30a, Rn. 45; Körner / Patzak / Volkmer-Patzak, § 30a, Rn. 27; MK-Oğlakcıoğlu BtMG, § 30a, Rn. 40. 107 Bohne / Schmidt-Wettley, § 30a, Rn. 27; MK-Oğlakcıoğlu BtMG, § 30a, Rn. 41. 108 BGH NStZ 1994, 496; BVerfGE 90, 145 (174); MK-Oğlakcıoğlu BtMG, § 30a, Rn. 27. 109 Nestler, in: Kreuzer, Arthur, Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 710. 110 Nestler, in: Kreuzer, Arthur, Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, S. 712 f. 111 BT-Drucks.VI/1877, S. 5. 112 Pasedach, Verantwortungsbereiche wider Volksgesundheit, 165 f. 113 Hefendehl, in: ders. / von Hirsch / Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsguttheorie, S. 128. 114 MK-Oğlakcıoğlu BtMG, § 30a, Rn. 39. 105
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Das Bestimmen ist wie in § 26 StGB zu verstehen und es gelten die dort entwickelten Grundsätze.115 Demzufolge muss es sich um eine Einflussnahme auf den Willen eines anderen handeln, durch die er zu einer im Gesetz beschriebenen Handlung veranlasst wird.116 Das Bestimmen setzt einen kommunikativen Akt voraus, wodurch das einfache Überlassen von Rauschgift ausgeschlossen wird. Dies bedeutet auch, dass die Eröffnung einer Möglichkeit hierzu nicht ausreicht.117 Somit ist das bloße Schaffen eines Tatanreizes ohne jeden kommunikativen Akt nicht ausreichend.118 Unerheblich ist dabei, in welcher Form und durch welches Mittel die Einflussnahme erfolgt.119 Außerdem reicht es aus, wenn die Willensbeeinflussung mitursächlich war; sie muss nicht die alleinige Ursache für das Verhalten des anderen gewesen sein.120
bb) Bestimmungstat des Minderjährigen Die Tat des Minderjährigen muss den objektiven und subjektiven Tatbestand des Handeltreibens, der Einfuhr, der Ausfuhr, der Veräußerung, der Abgabe oder des Inverkehrbringens erfüllen, die in § 29 BtMG normiert sind.121 Dabei muss die Bestimmungstat nicht vollendet sein.122 Erfasst werden auch die entsprechenden Tathandlungen mit kleinen Betäubungsmittelmengen.123 § 30a Absatz 2 Nr. 1 BtMG zufolge reicht es jedoch auch aus, wenn der Minderjährige eine dieser Handlungen fördert, d. h. Beihilfe i. S. von § 27 StGB leistet.124
e) Subjektiver Tatbestand Es wird ein Vorsatz verlangt, wobei zumindest ein bedingter Vorsatz ausreicht.125 Der Täter muss demnach wissen oder zumindest für möglich halten, dass er mit dem Bestimmen den Tatentschluss bei einem Minderjährigen zur Begehung einer der Tathandlungen weckt. Dabei bezieht sich der Vorsatz auch auf die Minderjäh-
115 BGH NJW 2000, 1877 (1878); BGH NStZ, 2001, 41; BGH NStZ 2009, 393; Bohne / Schmidt-Wettley, § 30a, Rn. 32; Weber / Kornprobst / Maier-Maier, § 30a, Rn. 49; Körner / Patzak / Volkmer-Patzak, § 30a, Rn. 32; MK-Oğlakcıoğlu BtMG, § 30a, Rn. 52. 116 Bohne / Schmidt-Wettley, § 30a, Rn. 33; Weber / Kornprobst / Maier-Maier, § 30a, Rn. 50. 117 BGH NStZ 2009, 393; BGH BeckRS 2017, 136090; Körner / Patzak / Volkmer-Patzak, BtMG, § 30a, Rn. 33. 118 Bohne / Schmidt-Wettley, § 30a, Rn. 34; Weber / Kornprobst / Maier-Maier, § 30a, Rn. 51. 119 BGH NJW 1985, 924; BGH BeckRS 2017, 136090; MK-Oğlakcıoğlu BtMG, § 30a, Rn. 54. 120 BGH NStZ 2008, 42; Körner / Patzak / Volkmer-Patzak, § 30a, Rn. 31. 121 Weber / Kornprobst / Maier-Maier, § 30a, Rn. 58; MK-Oğlakcıoğlu BtMG, § 30a, Rn. 55. 122 Bohne / Schmidt-Wettley, § 30a, Rn. 41. 123 Körner / Patzak / Volkmer-Patzak, § 30a, Rn. 39. 124 BGH BeckRS 2018, 6187; Körner / Patzak / Volkmer-Patzak, § 30a, Rn. 41. 125 Körner / Patzak / Volkmer-Patzak, § 30a, Rn. 43; Bohne / Schmidt-Wettley, § 30a, Rn. 44.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
rigkeit des Adressaten der Bestimmung.126 Wie für die Anstiftung in § 26 StGB wird ein doppelter Bestimmungsvorsatz verlangt.127 In der Tat muss der Täter zu einer bestimmten und konkreten Tat bestimmen. Dabei muss die Tat nicht in allen Einzelheiten dargestellt werden; es reicht aus, wenn die Tat in ihren Hauptmerkmalen konkretisiert wird.128 Außerdem muss die Bestimmungshandlung an einen individuell bestimmten Personenkreis gerichtet sein.129
f) Quintessenz Mit § 30a BtMG wird die Teilnahmehandlung der Anstiftung zur Haupttat, sodass der Anstifter unabhängig von der für dieses Delikt angedrohten Strafe direkt aus dem Verbrechenstatbestand bestraft wird. Der Gesetzgeber scheint hiermit einen besonderen Akzent auf den Schutz von Minderjährigen vor Betäubungsmitteln zu setzen. Schwierig zu rechtfertigen erscheint dahingegen ein Schutz des Universalrechtsguts der Volksgesundheit, handelt es sich dabei doch um ein vages Rechtsgut. Im Gegensatz zur Anstiftung richtet sich das Bestimmen in § 30a BtMG an einen Minderjährigen. Innerhalb des Verhältnisses zwischen einem Erwachsenen und einem Minderjährigen kann das Bestimmen einen größeren Druck auf den Motivierten ausüben und somit an sich schon eine gewisse Qualität an sich haben, die eine Bestrafung eines solchen Verhaltens legitimieren könnte.
4. Verleiten eines Untergebenen zu einer Straftat (§ 357 StGB) In der vorliegenden Arbeit werden lediglich die Tathandlungen des Verleitens und des Unternehmens der Verleitung zu einer rechtswidrigen Tat aus § 357 StGB untersucht, da es sich bei der dritten Tathandlung des „Geschehenlassens“ um eine Form der Beihilfe durch Unterlassen handelt. Bei den Motivationsdelikten handelt es sich hingegen um Formen aktiven Tuns, das die Außenwelt verändert, was somit das „Geschehenlassen“ ausschließt.130
a) Normtext Die Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat ist in § 357 StGB normiert:
126 127 128 129 130
Körner / Patzak / Volkmer-Patzak, § 30a, Rn. 43. Weber / Kornprobst / Maier-Maier, § 30a, Rn. 72; MK-Oğlakcıoğlu BtMG, § 30a, Rn. 69. Bohne / Schmidt-Wettley, § 30a, Rn. 44; Weber / Kornprobst / Maier-Maier, § 30a, Rn. 72. MK-Oğlakcıoğlu BtMG, § 30a, Rn. 74. Siehe Einführung in dieser Arbeit, S. 11 ff.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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(1) Ein Vorgesetzter, welcher seine Untergebenen zu einer rechtswidrigen Tat im Amt verleitet oder zu verleiten unternimmt oder eine solche rechtswidrige Tat seiner Untergebenen geschehen lässt, hat die für diese rechtswidrige Tat angedrohte Strafe verwirkt. (2) Dieselbe Bestimmung findet auf einen Amtsträger Anwendung, welchem eine Aufsicht oder Kontrolle über die Dienstgeschäfte eines anderen Amtsträgers übertragen ist, sofern die von diesem letzteren Amtsträger begangene rechtswidrige Tat, die zur Aufsicht oder Kontrolle gehörenden Geschäfte betrifft.
b) Geschichtlicher Überblick Eine ähnliche Vorschrift findet sich bereits in II 20 § 68 und in § 342 des allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten (PrALR).131 Durch das PrStGB von 1851 wurden die beiden Vorschriften aus dem PrALR in § 330 PraLR zusammengeführt und es wurde die angedrohte Strafe erhöht. Die Vorschrift wurde anschließend durch das RStGB von 1871 in § 357 wieder aufgenommen und nur unwesentlich verändert. Durch das EGStGB 1974 wurde die Vorschrift letztendlich an den neuen Sprachgebrauch des StGB angepasst, ohne dass hierbei jedoch der Inhalt verändert wurde. Die Vorschrift kommt in der Praxis nur selten zum Tragen, weshalb in der Lehre die Streichung des Tatbestandes gefordert wurde.132
c) Strafbegründung In § 357 StGB wird sowohl das Verleiten als auch das Unternehmen zur Verleitung eines Untergebenen zu einer rechtswidrigen Tat durch einen Vorgesetzten unter Strafe gestellt. § 357 StGB erweitert und überlagert als „lex specialis“ die Teilnahmeregeln im AT des Strafgesetzbuchs (§§ 26, 27 und 30 StGB).133 Die Vorschrift erhebt die Beteiligungshandlung des Vorgesetzten zu einer Täterschaft; somit entfallen die Strafmilderungsmöglichkeiten gem. §§ 27 und 30 StGB.134 Der h. M. zufolge schützt der § 357 StGB zum einen das Vertrauen der Bürger in die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns und in die ordnungsgemäße Kontrolle von Untergebenen durch Vorgesetzte. Zum anderen schützt der § 357, wie auch § 26, § 30 und § 111 StGB, diejenigen Rechtsgüter, die durch die rechtswidrige Tat des Untergebenen beeinträchtigt wurden.135 Aufgrund des doppelten Schutzes zieht Redmann Parallelen zum § 111 StGB, der als „janusköpfiger“ Tatbestand 131
MK-Schmitz, § 357, Rn. 6. Siehe hierzu NK-Kuhlen, § 357, Rn. 2; MK-Schmitz, § 357, Rn. 6–7. 133 Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 272; NK-Kuhlen, § 357, Rn. 3; MK-Schmitz, § 357, Rn. 1. 134 Sch / Sch-Heine / Weißer, § 357, Rn. 1. 135 NK-Kuhlen, § 357, Rn. 3; Sch / Sch-Heine / Weißer, § 357, Rn. 1; LK-Zieschang, § 357, Rn. 1; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 357, Rn. 2. 132
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
bezeichnet wird.136 Ihm zufolge befindet sich § 357 StGB, wie auch § 111 StGB, an der „Nahtstellte zwischen dem Allgemeinen Teil und dem Besonderen Teil des StGB“.137 Grund für eine eigenständige Regelung der Anstiftung, der versuchten Anstiftung sowie der Beihilfe bezüglich der Beziehung zwischen einem Vorgesetzten und einem Untergebenen in § 357 StGB ist der Gedanke, wonach der vorgesetzte Amtsträger dazu verpflichtet ist, die Begehung von rechtswidrigen Taten durch Untergebene in seinem Dienstbereich zu verhindern.138
d) Objektiver Tatbestand § 357 Abs. 1 StGB zufolge muss es sich bei dem Täter um einen Dienstvorgesetzten oder nach Abs. 2 um einen Aufsichts- oder Kontrollbeamten handeln.139 Der Dienstvorgesetzte oder der Aufsichtsbeamte müssen Amtsträger i. S. des § 111 Abs. 1 Nr. 2 StGB sein.140 Militärische Vorgesetzte werden von § 357 StGB nicht erfasst.141 Dem Schrifttum zufolge muss der Untergebene oder der zu Beaufsichtigende wie auch der Vorgesetzte ein Amtsträger sein.142 Der Vorgesetzte muss einen Untergebenen zu einer rechtswidrigen Tat i. S. des § 111 Abs. 1 Nr. 5 StGB verleitet haben oder dessen Verleitung unternommen haben. Der h. M. nach muss es sich bei der rechtswidrigen Tat jedoch nicht um ein Amtsdelikt handeln; es reicht aus, wenn der Untergebene die rechtswidrige Tat in Ausübung seines Dienstes begangen hat oder begehen sollte.143 Ebenfalls neigt die
136
Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 275; Zu § 111 StGB siehe die vorliegende Arbeit unten Teil II. Kapitel I. I. B. 1. c. 137 Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 276. 138 Rogall, GA 1979, S. 24; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 97, Rn. 2; NK-Kuhlen, § 357, Rn. 3; Lackner / Kühl-Heger, § 357, Rn. 1; Sch / Sch-Heine / Weißer, § 357, Rn. 1; LKZieschang, § 357, Rn. 1; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 357, Rn. 2. 139 Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 97, Rn. 2; Sch / Sch-Heine / Weißer, § 357, Rn. 2; Fischer, § 357, Rn. 3; zur Erläuterung des Ursprungs der Begriffe sowie der Eigenschaften des Vorgesetzten und des Beaufsichtigenden / Kontrollierenden siehe Andrews, Verleitung und Geschehenlassen i. S. des § 357 StGB, S. 8 ff.; Lang, Die Sanktionierung von Aufsichtspflichtverletzungen in der öffentlichen Verwaltung, S. 103 ff. 140 NK-Kuhlen, § 357, Rn. 2; Lackner / Kühl-Heger, § 357, Rn. 1; Sch / Sch-Heine / Weißer, § 357, Rn. 2; MK-Schmitz, § 357, Rn. 11; LK-Zieschang, § 357, Rn. 6; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 357, Rn. 3; vertiefend zur Amtsträgereigenschaft siehe Lang, Die Sanktionierung von Aufsichtspflichtverletzungen in der öffentlichen Verwaltung, S. 96 ff. 141 Siehe Erläuterung zu §§ 33 und 34 WStGB in der vorliegenden Arbeit unten Teil 1 A. I. 5. und 6. 142 Lang, Die Sanktionierung von Aufsichtspflichtverletzungen in der öffentlichen Verwaltung, S. 133–134; Lackner / Kühl-Heger, § 357, Rn. 1; MK-Schmitz, § 357, Rn. 11; LKZieschang, § 357, Rn. 8; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 357, Rn. 4; a. A. NKKuhlen, § 357, Rn. 5; Sch / Sch-Heine / Weißer, § 357, Rn. 3. 143 NK-Kuhlen, § 357, Rn. 5; Lackner / Kühl-Heger, § 357, Rn. 2; LK-Zieschang, § 357, Rn. 8; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 357, Rn. 4.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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h. M. dazu, ein nicht vorsätzliches Handeln des Untergebenen als ausreichend zu betrachten.144 Tathandlungen des § 357 StGB sind zum einem das erfolgreiche Verleiten und zum anderen das Unternehmen der Verleitung zu rechtswidrigen Taten. Für die Definition des Verleitens wird im Schrifttum überwiegend auf die Anstiftung in § 26 StGB verwiesen. Demzufolge sei unter dem erfolgreichen Verleiten des § 357 StGB ein „Bestimmen“ i. S. der Anstiftung und demnach ein Hervorrufen des Tatentschlusses zu verstehen.145 Unerheblich sei laut der h. M., welche Mittel für das Hervorrufen der Tat verwendet werden, sodass die Beeinflussung auf jegliche Art und Weise erfolgen kann.146 Für ein erfolgreiches Verleiten muss der Vorgesetzte durch sein Einwirken nicht nur den Entschluss zu einer Tatbegehung hervorgerufen haben, sondern der Untergeordnete muss auch die bestimmte, rechtswidrige Tat begangen haben.147 Die Handlungsalternative des Unternehmens zum Verleiten knüpft an der versuchten Anstiftung in § 30 Abs. 1 StGB an und erfasst den erfolglosen Versuch eines Verleitens. Während § 30 Abs. 1 StGB auf das Anstiften zu Verbrechen beschränkt ist, erfasst § 357 StGB auch das versuchte „Bestimmen“ zu Vergehen.
e) Subjektiver Tatbestand Für den subjektiven Tatbestand muss Vorsatz gegeben sein, wobei jedoch zumindest ein bedingter Vorsatz genügt.148 Für die Bestimmbarkeit der Tat und des Adressatenkreises geht die h. L. davon aus, dass dieselben Konkretisierungsanforderungen Anwendung finden, die auch für die Teilnahme gelten.149 Noch nicht geklärt ist die Frage, ob die Konkretisierungsanforderungen für die vorgesehene Tat in § 357 StGB genauso hoch sind wie in § 26 StGB oder ob diese geringer sind und ein Gehilfenvorsatz ausreicht.150 In der Lehre wird mehrheitlich davon 144
Lackner / Kühl-Heger, § 357, Rn. 2; Sch / Sch-Heine / Weißer, § 357, Rn. 9; NK-Kuhlen, § 357, Rn. 5; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 357, Rn. 4; Fischer, § 357, Rn. 2; a. A. Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 282 f.; MK-Schmitz, § 357, Rn. 14; LK-Zieschang, § 357, Rn. 7. 145 Rogall, GA 1979, 24; Maiwald, BT 2, § 97, Rn. 5; Lackner / Kühl-Heger, § 357, Rn. 3; MK-Schmitz, § 357, Rn. 18–19; Anw-StGB-Leipold, § 357, Rn. 9; LK-Zieschang, § 357, Rn. 9; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 357, Rn. 5; Fischer, § 357, Rn. 4. 146 Sch / Sch-Heine / Weißer, § 357, Rn. 5; Anw-StGB-Leipold, § 357, Rn. 9; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 357, Rn. 5. 147 Sch / Sch-Heine / Weißer, § 357, Rn. 5. 148 NK-Kuhlen, § 357, Rn. 9; MK-Schmitz, § 357, Rn. 30. 149 Rogall, GA 1979, 24; Andrews, Verleitung und Geschehenlassen i. S. des § 357 StGB,1996, S. 43; SK-Rogall, § 357, Rn, 18; für Redmann sind für § 357 StGB die gleichen Konkretisierungsanforderung an den Rezipientenkreis zu stellen wie für § 26 StGB; siehe Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 279; ähnlich Vogel, für den es beim § 357 StGB einer Konkretisierung der Tat sowie einer Individuierung des potenziellen Täters bedarf; siehe Vogel, HRRS 2016, S. 300 (302). 150 Bülte positioniert sich klar gegen die Forderung eines Anstiftervorsatzes für den § 357. Siehe Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit im Strafrecht, S. 383–385.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
ausgegangen, dass sich der Vorgesetzte die zu begehende Tat zwar nicht in allen Einzelheiten, wohl aber in ihren wesentlichen Merkmalen oder Grundzügen vorgestellt haben muss.151
f) Quintessenz Die Anerkennung des Vertrauens als Rechtsgut erscheint äußerst schwierig, handelt es sich hier doch um einen vagen Begriff. Wird hingegen auf den Schutz derjenigen Rechtsgüter abgestellt, zu deren Beeinträchtigung der Untergebene bestimmt wurde, stellt sich die Frage, inwieweit die Gefahr – in Form einer möglichen Motivation und Anknüpfung anderer Personen und damit einer möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigung – dem Motivator zugerechnet werden kann. Eine solche Zurechnung und Legitimation der Vorschrift könnte vielleicht damit begründet werden, dass die Motivation im Rahmen einer Vorgesetzter / UntergebenenBeziehung erfolgt und somit ein gewisser Handlungsdruck auf den Untergebenen ausgeübt wird.
5. Verleiten eines Untergebenen im Militär zu einer rechtswidrigen Tat (§ 33 WStG) a) Normtext § 33 WStG lautet wie folgt: Wer durch Mißbrauch seiner Befehlsbefugnis oder Dienststellung einen Untergebenen zu einer von diesem begangenen rechtswidrigen Tat bestimmt hat, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, wird nach den Vorschriften bestraft, die für die Begehung der Tat gelten. Die Strafe kann bis auf das Doppelte der sonst zulässigen Höchststrafe, jedoch nicht über das gesetzliche Höchstmaß der angedrohten Strafe hinaus erhöht werden.
b) Geschichtlicher Überblick Vorgänger der Vorschrift ist § 115 des Reichs-Militärstrafgesetzes (MStGB) vom 20. Juni 1871.152 § 115 MStGB zufolge sollte als Täter oder als Anstifter mit erhöhter Strafe derjenige bestraft werden, der „durch Mißbrauch seiner Dienstgewalt oder seiner dienstlichen Stellung einen Untergebenen zu einer von demselben begangenen, mit Strafe bedrohten Handlung vorsätzlich bestimmt hat“. Das 151
MK-Schmitz, § 357, Rn. 18–19; LK-Zieschang, § 357, Rn. 13; Fischer, § 357, Rn. 6; ähnlich Tat ihren wesentlichen „Zügen“ nach siehe Sch / Sch-Heine / Weißer, § 357, Rn. 6; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 357, Rn. 6. 152 Arndt, Grundriß des Wehrstrafrechts, S. 20 ff.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Reichs-Militärstrafgesetz wurde schließlich 1945 durch das Kontrollratsgesetz Nr. 34 aufgehoben. Am 1. Mai 1957 trat das neue Wehrstrafgesetz in Kraft.153 In seinem § 33 WStG wurde das erfolgreiche Verleiten eines Untergebenen zu einem Verbrechen oder Vergehen durch Missbrauch der Befehlsbefugnis oder Dienststellung bestraft. § 33 WStG wurde zuletzt durch das EGStGB vom 2. März 1974 geändert. Die Vorschrift wurde an den allgemeinen Sprachgebrauch angeglichen und § 33 Abs. 2 WStG wurde gestrichen.154
c) Strafbegründung Durch die Vorschrift soll der Untergebene vor der missbräuchlichen Anwendung der Befehlsbefugnis durch den Vorgesetzten und somit auch vor der Befehlsbefugnis selbst geschützt werden.155 § 33 WStG dient der Ergänzung des § 5 Abs. 1 WStG, der die Bestrafung des Untergebenen in einem weiten Umfang ausschließt, wenn dieser auf Befehl eine rechtswidrige Tat begangen hat. Da der Vorgesetzte ein erhöhtes Maß an Verantwortung (siehe § 10 Soldatengesetz (SG)) hat, muss ihn auch eine erhöhte Strafandrohung treffen, wenn er einem Untergeordneten den Befehl zur Ausführung einer Straftat erteilt.156 Durch den Missbrauch der Befehlsbefugnis „verwirkliche der Vorgesetzte schwereres Unrecht als derjenige, der ohne diese Nutzung der militärischen Befehlsverhältnisse bei einem anderen den Entschluss zur Begehung einer Straftat hervorrufe“.157 In der Lehre ist umstritten, ob es sich bei § 33 WStG um ein eigenständiges Delikt158 handelt oder um eine besondere Form der Beteiligung159. Im Falle, dass von einem eigenständigen Delikt ausgegangen wird, ist jedoch nicht deutlich, welches eigene Rechtsgut dieser schützen soll.160
d) Objektiver Tatbestand Es muss zwischen dem Täter und der Person, die zu einer rechtswidrigen Tat bestimmt wird, eine militärische „Vorgesetzten-Untergebenen-Beziehung“ existieren.161 § 1 Abs. 3 SG zufolge ist ein militärischer Vorgesetzter derjenige, der im Dienst einem Soldaten Befehle erteilen kann. 153 Vertiefend zur Geschichte des Wehrgesetzes siehe Arndt, Grundriß des Wehrstrafrechts, S. 20 ff. 154 Siehe BT-Drucks. VI/3250, S. 64. 155 Lingens / Korte-Korte, § 33, Rn. 1a. 156 Rittau, Wehrstrafgesetz, S. 85; Schreiber, Wehrstrafgesetz (WStG), S. 83; Arndt, Grundriß des Wehrstrafrechts, S. 229; Lingens / Korte-Korte, § 33, Rn. 1a; MK-Dau, § 33, Rn. 1; Erbs / Kohlhaas-Strafrechtliche Nebengesetze-Dau, § 33, Rn. 1 ff. 157 Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit im Strafrecht, S. 291. 158 Lingens / Korte-Korte, § 32, Rn. 15; MK-Dau, § 32, Rn. 4. 159 Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit im Strafrecht, S. 286 ff. 160 Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit im Strafrecht, S. 288. 161 Lingens / Korte-Korte, § 32, Rn. 3.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Der Täter muss den Untergebenen zu einer rechtswidrigen Tat bestimmt haben. Unter „Bestimmen“ ist hierbei wie für die Anstiftung in § 26 StGB das Hervorrufen eines Tatentschlusses zu verstehen.162 Im Gegensatz zu § 357 StGB muss der Täter in § 33 WStG bei der Verleitung seine übergeordnete Position einsetzen, da der Entschluss zur Tathandlung durch den Missbrauch der Befehlsbefugnis oder Dienststellung des Vorgesetzten hervorgerufen werden muss.163 Was die Befehlsbefugnis betrifft, so handelt es sich hierbei um die Berechtigung, militärische Befehle zu erteilen. Bei der Dienststellung handelt es sich um das Ansehen und das Gewicht des Vorgesetzten, das er aufgrund seiner militärischen Stellung und Funktion hat.164 Ein Missbrauch der Befehlsbefugnis und der Dienststellung liegt vor, wenn der Vorgesetzte in pflichtwidriger Weise Einfluss auf den Untergebenen ausübt, indem er sein dienstliches Gewicht ihm gegenüber einsetzt, um bestimmend auf seinen Willen einzuwirken.165 Es ist jedoch nicht notwendig, dass der Untergebene erkennt, dass der Vorgesetzte seine Befehlsbefugnis oder Dienststellung missbraucht.166 Unwichtig ist hierbei, welche Mittel der Vorgesetzte einsetzt.167 Es kann sich um Befehl, Versprechen, Drohung etc. handeln.168 Die rechtswidrige Tat muss ein Verbrechen oder ein Vergehen sein, die der Untergebene vorsätzlich begangen hat.169 Unerheblich ist dabei, ob der Soldat schuldhaft gehandelt hat. Die rechtswidrige Tat, zu der der Untergebene verleitet wird, muss in ihren Grundzügen hinreichend konkretisiert sein, da ein bloßes Anreizen zu einer abstrakten Gesinnung nicht ausreicht.170 Außerdem muss der Untergebene die Tat, zu der er bestimmt wurde, auch tatsächlich begehen, wobei ein Versuch ausreicht. Das erfolglose Bestimmen eines Untergebenen wird von § 34 WStG erfasst.
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Rittau, Wehrstrafgesetz, S. 86; Schreiber, Wehrstrafgesetz (WStG), § 33, R. 5; Arndt, Grundriß des Wehrstrafrechts, S. 230; Lingens / Korte-Korte, § 33, Rn. 4; MK-Dau, § 33, Rn. 7; Erbs / Kohlhaas-Strafrechtliche Nebengesetze-Dau, § 33, Rn. 4. 163 Andrews, Verleitung und Geschehenlassen i. S. des § 357 StGB, S. 56. 164 Schreiber, Wehrstrafgesetz (WStG), § 32, Rn. 2; Lingens / Korte-Korte, § 32, Rn. 3. 165 Lingens / Korte-Korte, § 32, Rn. 7; MK-Dau, § 32, Rn. 6; Erbs / Kohlhaas-Strafrechtliche Nebengesetze-Dau, § 32, Rn. 5. 166 Arndt, Grundriß des Wehrstrafrechts, S. 230; Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit im Strafrecht, S. 290. 167 Lingens / Korte-Korte, § 33, Rn. 4; Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit im Strafrecht, S. 291. 168 MK-Dau, § 32, Rn. 7. 169 Lingens / Korte-Korte, § 33, Rn. 9; MK-Dau, § 33, Rn. 8. 170 Rittau, Wehrstrafgesetz, S. 86; Arndt, Grundriß des Wehrstrafrechts, S. 230; Lingens / KorteWStG-Korte, § 33, Rn. 6.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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e) Subjektiver Tatbestand Es wird Vorsatz verlangt, wobei jedoch mindestens bedingter Vorsatz genügt.171 Demzufolge muss dem Täter bewusst sein, dass er durch den Missbrauch der Befehlsbefugnis und der Dienststellung einen Tatentschluss hervorruft. Der Vorsatz erstreckt sich auch auf die wesentlichen Kontouren der in ihren Umrissen hinreichend konkretisierten Tat sowie auch auf deren Vollendung.172
f) Quintessenz Es handelt sich bei § 33 WStG wie bei § 26 StGB um eine Teilnahmevorschrift. Es können im Allgemeinen ähnliche Schlüsse wie für § 26 StGB gezogen werden, da auch das Bestimmen wie in § 26 StGB zu verstehen ist. Außerdem kann auch hier der Strafgrund der Vorschrift von der Verursachung des Tatentschlusses des Täters abgeleitet werden.
6. Erfolgloses Verleiten eines Untergebenen im Militär zu einer rechtswidrigen Tat (§ 34 WStG) a) Normtext Das erfolglose Verleiten zu einer rechtswidrigen Tat wird in § 34 WStG unter Strafe gestellt: (1) Wer durch Missbrauch seiner Befehlsbefugnis oder Dienststellung einen Untergebenen zu bestimmen versucht, eine rechtswidrige Tat, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, zu begehen oder zu ihr anzustiften, wird nach den für die Begehung der Tat geltenden Vorschriften bestraft. Jedoch kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches gemildert werden. (2) Nach Absatz 1 wird nicht bestraft, wer freiwillig den Versuch aufgibt, den Untergebenen zu bestimmen, und eine etwa bestehende Gefahr, dass der Untergebene die Tat begeht, abwendet. Unterbleibt die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden oder wird sie unabhängig von seinem früheren Verhalten begangen, so genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Tat zu verhindern.
171 Lingens / Korte-Korte, § 33, Rn. 12; MK-Dau, § 33, Rn. 10; Erbs / Kohlhaas-Strafrechtliche Nebengesetze-Dau, § 33, Rn. 10. 172 Lingens / Korte-Korte, § 33, Rn. 12; MK-Dau, § 33, Rn. 10.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
b) Geschichtlicher Überblick § 34 WStG geht auf § 116 MStGB zurück.173 Mit dem neuen WStG von 1957 wird in § 34 WStG das erfolglose Verleiten zu einem Verbrechen oder Vergehen unter Strafe gestellt. Die letzte Änderung der Vorschrift erfolgte durch das EGStGB vom 2. März 1974.
c) Strafbegründung Bestraft wird der Versuch eines Vorgesetzten, einen Untergebenen durch Missbrauch seiner Befehlsbefugnis oder Dienststellung zur Begehung einer rechtswidrigen Tat zu bestimmen. Die Vorschrift stellt daher einen Auffangtatbestand zu § 33 WStG dar.174 § 34 WStG ist § 30 Abs. 1 StGB ähnlich, da in beiden Vorschriften der Versuch geahndet wird, eine Person zu einer rechtswidrigen Tat zu bestimmen. Im Unterschied zu § 30 Abs. 1 StGB erfasst § 34 WStG jedoch nicht nur den Versuch des Bestimmens zu einem Verbrechen, sondern auch den Versuch des Bestimmens zu einem Vergehen.
d) Objektiver Tatbestand Wie für § 33 WStG muss das Bestimmen, oder im Falle des § 34 WStG der Versuch des Bestimmens, durch einen Missbrauch der Befehlsbefugnis oder der Dienststellung erfolgen.175 Wie für § 30 Abs. 1 StGB muss der Täter zur Bestimmungshandlung zumindest unmittelbar angesetzt haben. Unerheblich ist dabei der Grund, weshalb es nicht zu einer Vollendung der Tat kam (z. B. weil der Untergebene das Verleiten nicht versteht, den Befehl zurückweist, den gefassten Tatenschluss wieder aufgibt oder weil er den Tatentschluss schon vor dem Bestimmen gefasst hatte).176 Der Bestimmende muss den ernstlichen Willen haben, dass der Untergebene die Tat auch tatsächlich begeht.177 Die anvisierte rechtswidrige Tat muss hinreichend bestimmt und konkret sein.178 Ebenfalls durch den Tatbestand erfasst, ist die sog. Kettenanstiftung, die dann vorliegt, wenn ein Vorgesetzter versucht, einen Untergebenen zu bestimmen, damit dieser einen Dritten anstiftet. Dabei ist es nicht notwendig, dass der Dritte ebenfalls ein Soldat ist.179 173
Erbs / Kohlhaas-Strafrechtliche Nebengesetze-Dau, § 34, Rn. 2. Erbs / Kohlhaas-Strafrechtliche Nebengesetze-Dau, § 34, Rn. 2. 175 Zum Bestimmen wie zum Missbrauch der Befehlsbefugnis oder der Dienststellung siehe die Ausführungen zu § 33 WStG. Siehe oben Teil 1 A. I. 5. d). 176 Schreiber, Wehrstrafgesetz (WStG), § 34, Rn. 1; Lingens / Korte-Korte, § 34, Rn. 5; Erbs / Kohlhaas-Strafrechtliche Nebengesetze-Dau, § 34, Rn. 3. 177 BayObLG, NJW 1970, 769 (770). 178 Lingens / Korte-Korte, § 34, Rn. 6. 179 MK-Dau, § 34, Rn. 8. 174
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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e) Subjektiver Tatbestand Den subjektiven Tatbestand betreffend muss ein doppelter Vorsatz des Täters gegeben sein: Zum einen muss sich der Vorsatz auf das Hervorrufen des Tatentschlusses erstrecken und zum anderen auch auf die Begehung der Tat durch den Untergebenen.180 Hierbei ist ein bedingter Vorsatz ausreichend.181
f) Quintessenz Aufgrund seiner Ähnlichkeit mit § 26 StGB und § 33 WStG können hier die gleichen Schlüsse gezogen werden.
7. Aufforderung von Minderjährigen zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen (§ 130 Abs. 2 Nr. 1b-2 StGB) § 130 StGB enthält verschiedene Tathandlungen, die in der vorliegenden Arbeit einzeln zu untersuchen sind, da es sich bei ihnen um unterschiedliche Motivierungshandlungen handelt (Auffordern, Aufstacheln etc.), die der entwickelten Metastruktur nach in verschiedene Kategorien der Motivationsdelikte zu klassifizieren sind. Um bei der Untersuchung der einzelnen Alternativen des Tatbestandes Wiederholungen hinsichtlich des geschichtlichen Überblicks zu vermeiden, wird hier zu Beginn der Untersuchung des § 130 Abs. 2 Nr. 1b-2 StGB ein Gesamtbild der Gesetzesentwicklung des § 130 StGB gezeichnet. Bei der Untersuchung der unterschiedlichen in § 130 StGB genannten Tat- bzw. Motivationshandlungen wird dann nur noch auf das jeweilige Spezifikum in der Entstehung der einzelnen in § 130 aufgeführten Tatbestände eingegangen. Nachstehend wird auf § 130 Abs. 2 Nr. 1b-2 StGB als direktem und individuellem Motivationsdelikt eingegangen. Die Tathandlungen des Aufforderns zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB), des Aufstachelns zu Hass (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB), des Beschimpfens, böswilligen Verächtlichmachens oder Verleumdens (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB, des Billigens, Leugnens und Verharmlosens der in der NS-Zeit begangenen Handlungen (§ 130 Abs. 3 StGB) und des Billigens, Verherrlichens oder Rechtfertigens der NS-Gewalt- und -Willkürherrschaft (§ 130 Abs. 4 StGB) werden in den anderen Kategorien der Motivationsdelikte untersucht.
180 181
Lingens / Korte-Korte, § 34, Rn. 4. Lingens / Korte-Korte, § 34, Rn. 4; MK-Dau, § 34, Rn. 9.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
a) Normtext In § 130 Abs. 2 Nr. 1b StGB wird das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen von Inhalten, die zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung, Gruppen oder Einzelpersonen auffordern, zu einer Person unter 18 Jahren bestraft. § 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB erfasst Vorbereitungshandlungen zum Verbreiten und Zugänglichmachen für solche Inhalte. § 130 Abs. 2 StGB lautet wie folgt: (2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder einer Person unter achtzehn Jahren einen Inhalt (§ 11 Absatz 3) anbietet, überlässt oder zugänglich macht, der a) zum Hass gegen eine in Absatz 1 Nummer 1 bezeichnete Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer in Absatz 1 Nummer 1 bezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung aufstachelt, b) zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen in Buchstabe a genannte Personen oder Personenmehrheiten auffordert oder c) die Menschenwürde von in Buchstabe a genannten Personen oder Personenmehrheiten dadurch angreift, dass diese beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden, 2. einen in Nummer 1 Buchstabe a bis c bezeichneten Inhalt (§ 11 Absatz 3) herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diesen ein- oder auszuführen, um ihn im Sinne der Nummer 1 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen.
b) Geschichtlicher Überblick § 130 StGB war seit seiner Entstehung ein sehr umstrittener Tatbestand, da befürchtet wurde, dass er zu politischen Zielen eingesetzt und instrumentalisiert werden könnte.182 Als Vorreiter des heutigen Volksverhetzungstatbestands kann § 130 des Reichsstrafgesetzbuches, auch „Klassenkampfparagraf“ genannt, herangezogen werden. Wie die öffentliche Aufforderung stellt diese Vorschrift ebenfalls ein „Korrelat zur Freiheit der Presse“183 dar. § 130 RStGB lautete wie folgt: Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedene Klassen der Bevölkerung zu Gewaltthätigkeiten gegen einander öffentlich anreizt, wird mit Geldstrafe bis zu zweihundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft. 182
Bruhn bezeichnete den Tatbestand als „Denunziationsparagraph“, siehe Bruhn, Sten. Ber. 54. Sitzung v. 1. 3. 1906, S. 2017. Schon der § 100 PrStGB, auf dem der § 130 PrStGB basiert, war sehr umstritten. 183 Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 26.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Der in § 130 RStGB verwendete Klassenbegriff wurde direkt aus dem französischen Recht übernommen. Das Reichsgericht stützte sich dabei auf eine Auslegung der französischen Juristen, nach welcher der Begriff „classes“ die verschiedenen Personengruppen bezeichnet, die aufgrund eines gemeinsamen Merkmals zusammengefasst werden konnten.184 § 130 RStGB wurde in den darauffolgenden Jahren mehrmals Objekt von Änderungsanträgen, da deutlich wurde, dass sich die Befürchtungen bewahrheitet hatten und die Vorschrift vermehrt für politische Ziele eingesetzt wurde, insbesondere, um gegen die Sozialdemokratie vorzugehen, die sich nach damaliger staatlicher Lesart gegen den Staat gestellt hatte.185 Keiner der Änderungsanträge kam jedoch zum Tragen, und so blieb § 130 StGB mit Ausnahme einer Anpassung bezüglich der Geldstrafe wegen Währungsänderung bis 1960 unverändert bestehen. Grund für die Veränderung war letztendlich die antisemitische und neonazistische Schmierwelle, die mit der Schändung der Kölner Synagoge am 24. Dezember 1959 ihren Anfang nahm und die sowohl im Inland als auch im Ausland viel Aufsehen erregte.186 Als Reaktion darauf wurde das 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30 Juni. 1960 verabschiedet187 und es kam zu einer Neufassung und Erweiterung des § 130 StGB.188 Mit der Novellierung des § 130 StGB wurde zum ersten Mal neben dem Tatbestandsmerkmal „Schutz des öffentlichen Friedens“ auch das Tatbestandsmerkmal des Schutzes der Menschenwürde eingeführt. Ziel war es, dank dieses Merkmals die Anwendung des Tatbestandes zu begrenzen, da befürchtet wurde, dass mit der Handlungsalternative des Aufstachelns zu Hass viele (auch kleine) Verstöße unter den Tatbestand fallen würden.189 Eine weitere Veränderung brachte das EGStGB vom 2. März 1974 mit sich. Durch dieses Gesetz wurde die fakultative Geldstrafenandrohung gestrichen und die Vorschrift erhielt die noch heute bestehende Überschrift der „Volksverhetzung“. Angesichts des Anstiegs rechtsextremistischer Aktivitäten Ende der 1980er Jahre keimte die Diskussion über den Tatbestand der Volksverhetzung im Bundestag wieder auf.190 Zur Diskussion stand insbesondere die strafrechtliche Ahndung 184 Rohrßen, Von der „Anreizung zum Klassenkampf“ zur „Volksverhetzung“ (§ 130 StGB), S. 15. 185 Sten. Ber. RT, 54. Sitzung v. 1. 3. 1906, S. 1632 f. 186 Bergmann, in: Bergmann / Erb (Hrsg.), Antisemitismus in der politischen Kultur nach 1945, S. 253 ff. 187 BGBl. I, 678. 188 § 130 StGB: „Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er 1. zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt, 2. zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder 3. sie beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. Daneben kann auf Geldstrafe erkannt werden.“ 189 Siehe BT-Drucks. III/1746, S. 3; Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 232. 190 von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 103.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
des Leugnens der Judenverfolgung und damit einer Erweiterung des § 130 StGB.191 Bundesjustizminister Engelhard sprach sich für eine Verschärfung des von ihm als lückenhaft betrachteten Strafrechtes aus, da die nationalsozialistische Ideologie ihre Gefährlichkeit schon bewiesen hatte.192 Jedoch wurden diese Vorschläge nicht umgesetzt. Erst nach dem „Deckert-Fall“ und der damit einhergehenden hitzigen öffentlichen Diskussion wurde die mögliche strafrechtliche Ahndung des Billigens, Leugnens und Verharmlosens der NS-Völkermordverbrechen vom Gesetzgeber in Erwägung gezogen.193 Dem kam man schließlich mit der Verabschiedung des VerbrBekG vom 28. November 1994 nach.194 Durch das VerbrBekG wurde der § 130 StGB vollständig novelliert. In der neuen Fassung des § 130 StGB wurden Nr. 1 und 2 a. F. (zu Hass aufstacheln und zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen auffordern) in § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB n. F. zusammengefasst. Das Aufstacheln zum Rassenhass des § 131 StGB a. F. wurde in § 130 Abs. 2 StGB n. F. zu einem umfassenden Anti-Diskriminierungstatbestand umgestaltet und in Abs. 3 wurde das AuschwitzLeugnen unter Strafe gestellt.195 Ebenfalls neu ist, dass die Prüfung eines Angriffs auf die Menschenwürde aus Abs. 1 Nr. 1 entfernt wurde, wobei dieses Tatbestandsmerkmal in Abs. 1 Nr. 2 jedoch weiterhin Anwendung findet.196 Mit dem Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches vom 24. März 2005197 wurde sowohl § 15 II VersG geändert198 als auch ein Abs. 4 in den § 130 StGB eingeführt, der wie folgt lautet: Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und -Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.
Eine weitere Veränderung des § 130 StGB erfolgte mit dem Gesetz vom 16. März 2011.199 Das Gesetz sollte zwei übergeordnete Beschlüsse umsetzen: erstens den Rahmenbeschluss 2008/913 JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrecht191
Rohrßen, Von der „Anreizung zum Klassenkampf“ zur „Volksverhetzung“ (§ 130 StGB), 2009, S. 189. 192 Engelhard (FDP), Sten. Ber. BT. 10/67, S. 4753. 193 Siehe BT-Drucks. 12/7421; BT-Drucks. 12/7584; weitere Ausführungen zum Deckert-Fall im Abschnitt „Billigen, Leugnen und Verharmlosen der in der NS-Zeit begangenen Handlungen i. S. des § 6 VStGB“ der vorliegenden Arbeit unten Teil 1 B. II. 4. b). 194 BGBl. I, S. 3186. 195 Innerhalb des novellierten Tatbestands des § 130 StGB kann laut Wandres zwischen den Äußerungstatbeständen (§ 130 Abs. 1 u. 3) und den Verbreitungstatbeständen (§ 130 Abs. 2 u. 4) unterschieden werden. Siehe Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 135. 196 BT-Drucks. 12/8411, S. 6. 197 BGBl. I, 969. 198 § 15 II VersG normiert das Verbot von Versammlungen, die an Orten stattfinden sollen, die als Gedenkstätte an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnern sollen und die die Würde der Opfer verletzen würden. 199 BGBl. I, 418.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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lichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sowie zweitens das Zusatzprotokoll vom 28. Januar 2003 zum Übereinkommen des Europarats vom 23. November 2001 über Computerkriminalität betreffend die Kriminalisierung mittels Computersystemen begangener Handlungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art.200 Im Unterscheid zu den damals existierenden nationalen Vorschriften sahen die internationalen Vorgaben vor, dass nicht nur die öffentliche Aufstachelung zu Gewalt und Hass gegen ganze Bevölkerungsteile unter Strafe gestellt werden sollte, sondern auch die Hetze gegen einzelne Mitglieder der Bevölkerungsgruppen. Im § 130 StGB a. F. waren nur „Teile der Bevölkerung“ erfasst, jedoch nicht Einzelpersonen. Mit dem Gesetz vom 16. März 2011 wurden die Vorgaben in das nationale Recht übernommen, sodass in § 130 Abs. 1 und 2 StGB auch Einzelpersonen als Angriffsobjekte festgelegt wurden. Ebenfalls wurden mit der Gesetzesänderung die im Rahmenbeschluss (RB) Rassismus aufgezählten Gruppen mit in § 130 Abs. 1 StGB aufgeführt.201 Der neue Begriff „Gruppe“ stellte gegenüber der Bezeichnung „Teile der Bevölkerung“ insofern eine Erweiterung dar, als somit auch im Inland oder im Ausland ansässige Gruppen Angriffsobjekte sein konnten.202 Eine weitere Veränderung brachte das 49. StrÄG vom 21. Januar 2015.203 Mit diesem Gesetz wurde die Strafbarkeit des § 130 StGB erweitert, indem der veränderte Abs. 6 vorsah, dass für Abs. 2 Nummer 1 und 2 auch in Verbindung mit Absatz 5 der vorher straflose Versuch geahndet wird. Wieder verändert wurde der § 130 StGB durch das 60. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches in 2021.204 Durch das Gesetz wurde der Schriftenbegriff durch den Inhaltsbegriff ersetzt, der vorherige Abs. 2 Nr. 2 wurde gestrichen und der damalige Abs. 2 Nr. 3 zu Nr. 2 gemacht.
c) Strafbegründung Der h. M. nach ist das geschützte Rechtsgut bei § 130 Abs. 2 StGB in erster Linie der öffentliche Friede.205 Unter öffentlichem Frieden wird in der Literatur 200
Zu den Auswirkungen der Umsetzung der Europäischen Vorgaben siehe: Hellmann / Gärtner, NJW 2011, 961; Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg-Weiß, § 25, Rn. 40 ff. 201 § 130 Abs. 1 StGB: „[…] eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe […].“ 202 Hellmann / Gärtner, NJW 2011, 961. 203 BGBl. I, S. 10. 204 BGBl. I, S. 2600. 205 Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 213 ff.; Lackner / Kühl-Kühl, § 130, Rn. 1; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 1a (ausschließlich der öffentliche Friede); MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 2; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 130, Rn. 2.; BeckOK StGB-Rackow, § 130, Rn. 10; a. A. Stein kritisiert den öffentlichen Frieden als Rechtsgut für § 130 Abs. 2, da eine Gefährdung des öffentlichen Friedens nur bei einer Verbreitung von Schriften vorliege, SK-Stein, § 130, Rn. 7.
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oft sowohl der Lebenszustand allgemeiner Rechtssicherheit (objektive Komponente) als auch das Gefühl der Bevölkerung, unter dem Schutz der Rechtsordnung zu leben, also das Vertrauen in die allgemeine Rechtssicherheit (subjektive Komponente), verstanden.206 In der Lehre wird auch die Auffassung vertreten, dass der § 130 Abs. 2 StGB neben dem öffentlichen Frieden auch die Würde der einzelnen Gruppenmitglieder207 schützt. In der Lehre wird zudem geltend gemacht, dass insbesondere die Abs. 2 Nr. 1 und 2 den Jugendschutz als Rechtsgut schützen.208 Die h. M. erkennt den § 130 Abs. 2 StGB als ein abstraktes Gefährdungsdelikt an.209 Die Gefährlichkeit der von § 130 StGB erfassten Propaganda liege laut der Lehre in dem ihr innewohnenden Drohungs- und Aufforderungsgehalt, der außerdem mit einer Abstumpfung gegenüber bzw. Verharmlosung von Verletzungen von Angehörigen der anvisierten Bevölkerungsteilen und dem damit entstehenden Gewaltpotenzial einhergehe.210 Mit dem Verbot des Anbietens, Überlassens oder Zugänglichmachens von Inhalten, die zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordern, an eine Person unter 18 Jahren soll insbesondere verhindert werden, dass einzelne Jugendliche vor hassgesteuert-aggressiven bzw. solchen Fehlentwicklungen geschützt werden, die letztlich dazu führen können, die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen zu fördern.211
d) Objektiver Tatbestand Im Gegensatz zu § 130 Abs. 1 StGB wird in Abs. 2 nicht gefordert, dass die Tathandlung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
206
Binding, Normen und ihre Übertretung, Band I, Normen und Strafgesetze, S. 352; Fischer, Öffentlicher Friede und Gedankenäusserung, S. 431; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 92; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 126, Rn. 1. 207 LK-Krauß, § 130, Rn. 2; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 130, Rn. 2; differenzierend erkennt das OLG Celle NStZ 1997, 495 an, dass „möglicherweise“ neben dem öffentlichen Frieden auch die individuelle Menschenwürde geschützt wird; für Fischer, § 130, Rn. 2, ist die Menschenwürde mittelbar geschützt; für Streng ist die Menschenwürde das durch § 130 unmittelbar geschützte Rechtsgut, während der öffentliche Friede nur das mittelbar geschützte Rechtsgut ist, siehe Streng, FS für Lackner, S. 510. 208 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 312; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 4; krit. bezüglich des Jugendschutzes als Rechtsgut NK-Ostendorf, § 130, Rn. 5; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 1a. 209 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 1a; LK-Krauß, § 130 Rn. 15; MKSchäfer / Anstötz, § 130, Rn. 12; Satzger / Schluckebier / Widmaier- Lohse, § 130, Rn. 3; BeckOKRackow, § 130, Rn. 9. 210 Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 130, Rn. 1; Fischer, § 130, Rn. 3. 211 MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 4.
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aa) Angriffsobjekte Die Tathandlungen des § 130 Abs. 2 StGB müssen sich gegen bestimmte Adressaten richten. Als Angriffsobjekte werden nationale, rassische, religiöse und ethnische Gruppen sowie Teile der Bevölkerung und Einzelne erfasst. Eine Gruppe ist eine durch gemeinsame Merkmale und deren subjektive Entsprechung verbundene Anzahl von Menschen, die sich dadurch von anderen Menschen unterscheiden.212 Nicht erforderlich ist ein räumlicher oder organisatorischer Zusammenhang innerhalb der Personenmehrheit.213 Die gemeinsamen Merkmale, die eine Gruppe kennzeichnen, können national, rassisch, religiös oder durch die ethnische Herkunft der Mitglieder bestimmt sein. Diese Merkmale entsprechen dem § 6 VStGB und ihre Aufzählung ist abschließend.214 Als Teile der Bevölkerung gelten alle Personenmehrheiten, die sich durch fortwährende innere oder äußere Merkmale als eine Einheit herausheben und sich von der übrigen Bevölkerung unterscheiden.215 Als innere und äußere Merkmale gelten dabei u. a. politische, nationale, religiöse, ethnische und berufliche Merkmale.216 Damit eine Personenmehrheit gegeben ist, muss die Zahl der individuellen Zugehörigen nicht mehr überschaubar sein, also über eine geringfügige Zahl hinausgehen.217 Der Teil der Bevölkerung muss in der Dauer bestehen bleiben; d. h., dass Gruppen, die sich nur zeitweise in Deutschland befinden (z. B. Touristen), nicht unter den Tatbestand fallen. So gelten als Teile der Bevölkerung u. a. die Roma und Sinti218, Gaststudenten219, Arbeiter220, Arbeitslose221, Soldaten der Bundeswehr222, Punker223 etc. Durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/913/JI und des Zusatzprotokolls wurden auch Einzelpersonen als Angriffsobjekte mit einbezogen.224 Damit auch Einzelpersonen von dem Tatbestand erfasst werden, muss je212 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 3; LK-Krauß, § 130, Rn.33; MKSchäfer / Anstötz, § 130, Rn. 28. 213 LK-Krauß, § 130, Rn. 33; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 28. 214 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 3. 215 LK-Krauß, § 130, Rn. 38. 216 MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 30. 217 BGH GA 1979, 391; LG Frankfurt NJW 1988, 2683; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 3. 218 OLG Karlsruhe NJW 1986, 1276. 219 LK-Krauß, § 130, Rn. 39. 220 RGSt 50, 324 (325). 221 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 4. 222 VerfG 25. 8. 1994 – 1 BvR 1423/92, NJW 1994, 2943. 223 BGH 3. 4. 2008 – 3 StR 394/07, BeckRS 2008, 6865. 224 Vor der Umsetzung der europäischen Vorgaben wurde die Hetze gegen Einzelpersonen nicht explizit mit einbezogen. Zwar gab es eine Einzelentscheidung des BGH, in der das Hinzufügen des Wortes „Jude“ zu einem Wahlplakat von einem jüdischen Kandidaten als Fall der Volksverhetzung betrachtet wurde, weil der BGH darin den Versuch eines allgemeinen Ausschlusses von Juden aus öffentlichen Ämtern sah. Jedoch erschien dies dem Gesetzgeber mit Blick auf die europäischen Anforderungen als nicht ausreichend. Siehe BT-Drucks. 17/3124, S. 10.
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doch die Voraussetzung der Gruppenbezogenheit erfüllt sein. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Tathandlung sich aufgrund der Zugehörigkeit der Einzelperson zu einer bestimmten Gruppe oder zu einem bestimmten Bevölkerungsteil gegen sie richtet. Im Gegensatz zu Abs. 1 werden in Abs. 2 die Angriffsobjekte erweitert. Zudem wird die Beschränkung auf das Inland aufgehoben, sodass auch Personen geschützt werden, die sich im Ausland aufhalten.225
bb) Verbreitung an eine Person unter 18 Jahren In § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB wird das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen von Inhalten an Personen unter 18 Jahren bestraft. Mit dem 60. StrÄndG226 wurde der früher verwendete Schriftenbegriff durch den Inhaltsbegriff ersetzt. Inhalte werden im Sinne des § 11 Abs. 3 StGB verstanden. Erfasst werden demzufolge verkörperte Darstellungen und auch nicht verkörperte Inhalte wie z. B. elektronische oder sonstige Datenspeicher.227 In § 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB wird das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Bewerben, Ein- oder Ausführen solcher Inhalte (von Nr. 1a – c) mit der Absicht einer Verwendung unter Strafe gestellt. Dabei reicht es sowohl für § 130 Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB aus, wenn der Inhalt nur einer Person unter 18 Jahren angeboten, überlassen oder zugänglich gemacht wurde.
cc) Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen Der Inhalt muss zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordern. Die Tathandlung des Aufforderns ist wie das Auffordern in § 111 StGB zu verstehen. Demnach muss es sich bei dem Auffordern zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen in § 130 StGB um eine ausdrückliche oder konkludente Einwirkung handeln, die über das bloße Befürworten und Anreizen hinausgeht, mit dem Ziel, in Dritten den Entschluss zu bestimmten Handlungen hervorzurufen.228 Es bedarf ebenfalls eines appellativen Charakters wie in § 111 StGB.229 Für die Auslegung des Inhalts i. S. des § 11 Abs. 3 StGB wird auf einen Durchschnittsleser abgestellt.230
225
MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 63. BGBl. I, 2020, 2600. 227 Kindhäuser / Hilgendorf, § 130, Rn. 15. 228 BGHSt NJW 1984, 1631; BGH NJW 2002, 1440; Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 130, Rn. 5b; LK-Krauß, § 130, Rn. 43; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 46. 229 Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 130, Rn. 16. 230 Kindhäuser / Hilgendorf, § 130, Rn. 16. 226
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Der Rechtsprechung zufolge handelt es sich bei Gewalt- und Willkürmaßnahmen um diskriminierende Handlungen, die den elementaren Geboten der Menschlichkeit widersprechen.231 Gewaltmaßnahmen können u. a. Gewalttätigkeiten i. S. des § 125 StGB sowie gewaltsame Vertreibungen, Freiheitsberaubungen oder Pogrome sein.232 Indessen handelt es sich bei Willkürmaßnahmen um „sonstige im Widerspruch zu elementaren Geboten der Menschlichkeit stehende Behandlungen aller Art“.233
e) Subjektiver Tatbestand Für die subjektive Tatseite wird mindestens ein bedingter Vorsatz verlangt, der sich auf den Inhalt bezieht.234
f) Quintessenz Erfasst wird in § 130 Abs. 2 Nr. 1b StGB das Überlassen, Anbieten und Zugänglichmachen von Inhalten, in denen die zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung, Gruppen oder Einzelpersonen einer Person unter 18 Jahren aufgerufen wird. Die Bestrafung dieser Tathandlung könnte damit legitimiert werden, dass darin die Gefahr gesehen wird, dass Minderjährige durch die enthaltene Aufforderung dazu motiviert werden, die Rechtsgüter der angegriffenen Bevölkerungsgruppen zu beeinträchtigen. Es wird deutlich, dass es sich bei der Aufforderung um eine ausdrückliche oder konkludente Einwirkung handeln muss, die über das bloße Befürworten und Anreizen hinausgeht. Da ein appellativer Charakter verlangt wird, scheint es, als würde ein gewisser Handlungsdruck auf den Motivierten ausgedrückt werden – ein Motivierter, der noch dazu minderjährig und damit möglicherweise leichter zu beeinflussen ist.
II. Allgemeine (insb. öffentliche) direkte Motivation zur Begehung einer näher spezifizierten Tat Im Folgenden werden diejenigen Delikte untersucht, bei denen zwar noch ein direkter Bezug zur Begehung einer Straftat zu erkennen ist, die Konkretisierungsanforderungen an die zu begehende Tat und die Adressaten jedoch schwinden.
231 232 233 234
BGH NStZ-RR 2016, 369 (370); KG, Beschluss v. 8. 10. 2012 – (4) 121 Ss 161/12 (193/12). Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 130, Rn. 5b; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 47. BGH (3. Strafsenat), Urteil v. 3. 4. 2008 – 3 StR 394/07, BeckRS 2008, 06865. Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 130, Rn. 31.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Erfasst werden die öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) (1), die öffentliche Aufforderung zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen gegen Bevölkerungsteile (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB) (2) sowie das Werben um Mitglieder und Unterstützer für kriminelle oder terroristische Vereinigungen (§ 129 Abs. 1 und § 129a Abs. 5 StGB) (2 und 3). Die Tathandlung des Werbens wird in der Kategorie der direkten Motivationsdelikte untersucht, da mit dem 34. Strafrechtsänderungsgesetz (StrÄG) von 2002 die Sympathiewerbung nicht mehr als ein Werben i. S. der § 129 Abs. 1 und § 129a Abs. 5 StGB angesehen wird. In der Tat wird unter Werben das planmäßige Vorgehen mit dem für den Durchschnittsadressaten erkennbaren Ziel, andere für die Organisation zu gewinnen, verstanden, während die Sympathiewerbung lediglich als befürwortendes Eintreten für eine solche Vereinigung, die Rechtfertigung ihrer Ziele oder der aus ihr heraus begangenen Straftaten sowie als die Verherrlichung ihrer Ideologie angesehen wird und somit eine bloße Einwirkung auf die Gefühle darstellt. Durch die Entkriminalisierung der Sympathiewerbung und der Begrenzung auf das Werben um Mitglieder und Unterstützer verliert die Tathandlung ihre Unmittelbarkeit und erhält einen expliziten Aufforderungsgehalt, der auf die Begehung einer bestimmten Straftat gerichtet ist: der Beteiligung als Mitglied oder der Unterstützung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung.
1. Öffentliche Aufforderung zu einer Straftat (§ 111 StGB) a) Normtext § 111 StGB normiert die öffentliche erfolgreiche oder erfolglose Aufforderung zu Straftaten wie folgt: (1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) zu einer rechtswidrigen Tat auffordert, wird wie ein Anstifter (§ 26) bestraft. (2) Bleibt die Aufforderung ohne Erfolg, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Die Strafe darf nicht schwerer sein als die, die für den Fall angedroht ist, dass die Aufforderung Erfolg hat (Absatz 1); § 49 Abs. 1 Nr. 2 ist anzuwenden.
b) Geschichtlicher Überblick In Preußen wurde mit dem Gesetz über die Presse vom 17. März 1848 die Zensur aufgehoben. Dies führte dazu, dass mehr und mehr neue Schriften und Zeitungen erschienen. Die Regierung betrachtete diese Entwicklung mit Sorge, da sie darin eine Verbreitung von umstürzlerischen Agitationen befürchtete.235 Mit der Preßver235
Berner, Lehrbuch des deutschen Preßrechtes, S. 93 ff.; Kolbe, Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB), S. 10.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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ordnung (PreßVO) von 1849 wurden mehrere Strafvorschriften als Kontergewicht zu einer größeren Pressefreiheit erlassen, die dazu dienen sollten, die Fülle von neuen Veröffentlichungen zu regulieren.236 In der Tat wurde in den §§ 13 und 14 des PreßVO, die das in Frankreich erlassene Gesetz vom 17. Mai 1819 als Vorbild hatten, die öffentliche Aufforderung unter Strafe gestellt.237 Diese neuen Strafvorschriften wurden 1851 vom PrStGB wieder aufgenommen (in § 36 PrStGB) und galten später als Vorbilder für das RStGB von 1871. In § 110 RStGB wurde die öffentliche Aufforderung zu Ungehorsam unter Strafe gestellt, während in § 111 RStGB die öffentliche Aufforderung zu einer strafbaren Handlung normiert war.238 Wogegen im PrStGB die öffentliche Straftatenaufforderung im Allgemeinen Teil normiert war und als eine Erweiterung der Anstiftungsregel angesehen wurde, wurde im RStGB die öffentliche Aufforderung zu einer strafbaren Handlung in den Besonderen Teil „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ des Strafgesetzbuches verlegt. Für eine Erklärung des Transfers in den BT des Strafgesetzbuches kann auf den Kommentar von von Schwarze zum RStGB zurückgegriffen werden, in dem der Autor angibt, dass beide Tatbestände einen „Eingriff in die öffentliche Ruhe und Ordnung“239 darstellen und aus diesem Grund zu den Tatbeständen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt gehören. 1894 brachte der Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe einen neuen Gesetzesentwurf ein, die sog. „Umsturzvorlage“. Der Entwurf richtete sich gegen sozialdemokratische und anarchistische Bewegungen und sollte „umstürzlerische“ Meinungsäußerungen unter Strafe stellen.240 In § 111a des Entwurfs sollte die indirekte Aufforderung zu Verbrechen und bestimmten Vergehen (die in einem Katalog aufgeführt waren) unter Strafe gestellt werden. Als indirekte Aufforderung wurde das „Anpreisen oder das als erlaubt Darstellen“ verstanden. Jedoch scheiterte das allgemeine Gesetzvorhaben und es kam nicht zur Einführung des § 111a. In den Entwürfen von 1909 bis 1919 wurde des Öfteren in Erwägung gezogen, auch die Aufreizung und die Verherrlichung begangener Verbrechen als Handlungsalternative mit in den Tatbestand der indirekten Aufforderung einzubeziehen.241 Dies wurde im Entwurf von Radbruch 1922 aber wieder verworfen. Nach der Ermordung des jüdischen Reichsaußenministers Rathenau wurden 1922 die Republikschutzverordnung und das Republikschutzgesetz erlassen. Diese Ausnahmegesetze sollten dazu dienen, „gegen die staatsbedrohende Stimmungs236
Berner, Lehrbuch des deutschen Preßrechtes, S. 93. Kolbe, Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB), S. 11; Siehe auch den französischen Länderbericht unten Teil 2 B. II. 1. b). 238 Als Vorläufer der § 110 und 111 RStGB gelten die § 87 und § 36 PrStGB von 1851. 239 von Schwarze, Commentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 31. Mai 1870, S. 317. 240 Kolbe, Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB), S. 53. 241 Kolbe, Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB), S. 83. 237
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mache vorzugehen“.242 Infolgedessen wurden die öffentliche Verherrlichung, Billigung, Belohnung, Aufforderung und Aufwiegelung von Gewalttaten gegenüber Regierungsmitgliedern strafrechtlich geahndet.243 Während vor 1953 für die erfolglose öffentliche Aufforderung ein Strafrahmen von Geldstrafe und Gefängnis vorgesehen war, wurde mit dem 3. StrÄG vom 4. August 1953 eine fakultative Strafmilderung nach den Versuchsvorschriften eingeführt. Somit ermöglichte das 3. StrÄG eine Harmonisierung mit den § 49a StGB a. F. Mit dem 3. StrRRefG vom 20. Mai 1970 (BGBl. I 501) wurde die Strafmilderung obligatorisch und § 110 StGB wurde gestrichen. Während die heutige Fassung des § 111 Abs. 1 StGB auf der Neufassung des Strafgesetzbuches vom 2. Januar 1975 beruht, geht der Abs. 2 des § 111 StGB auf das 14. StrRÄG vom 22. April 1976244 zurück. So wurde 1976 die Strafandrohung für die erfolglose Aufforderung, die bis dahin wie die der Anstiftung zu behandeln war, durch einen eigenen Strafrahmen ersetzt. Mit dem 60. StÄG wurde Abs. 1 dahingehend verändert, dass der Begriff Schriften durch „Inhalt“ ersetzt wurde.
c) Strafbegründung Die Ausdehnung der strafrechtlichen Ahndung der öffentlichen Aufforderung im 19. Jahrhundert geht mit der Aufhebung der Zensur und der Ausdehnung der Pressefreiheit einher. Nach der Aufhebung der Zensur sollten neue Strafvorschriften ein Kontergewicht zur stärker werdenden Pressefreiheit darstellen.245 Mit der Zensur konnten als potenziell gefährlich bewertete Schriften noch vor ihrer Veröffentlichung verboten werden. Nach Wegfallen dieser präventiv eingesetzten Zensur bestand für den Gesetzgeber die Notwendigkeit, nach Mitteln zu suchen, die es ermöglichten, gegen solche Äußerungen wenigstens nach ihrer Veröffentlichung repressiv vorzugehen.246 Heutzutage wird vertreten, dass § 111 StGB den Zweck verfolgt, den § 26 und § 30 StGB zu ergänzen, da mit § 111 StGB die Verhaltensweisen erfasst werden können, die nicht unter § 26 und § 30 StGB fallen, weil die Anforderungen an die Konkretisierung des Adressatenkreises und der Tat, zu der aufgefordert wird, in § 111 StGB geringer sind.247 Diese nahe Verwandtschaft zu den Teilnahmetatbeständen wie zur Ausgestaltung des § 111 StGB als eigenem, ergänzenden Tat242 Kolbe, Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB), S. 88. 243 Siehe hierzu die Verordnung zum Schutz der Republik, RGBl I, 1922, S. 521 f., § 5. 244 BGBl. I, 1056. 245 Kolbe, Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB), S. 10, 25. 246 Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 27. 247 Kissel, Aufrufe zum Ungehorsam und § 111 StGB, S. 14; Sch / Sch-Eser, § 111, Rn. 1; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Fahl, § 111, Rn. 1; Fischer, § 111, Rn. 1.
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bestand durch die geringeren Konkretisierungsanforderungen haben dazu geführt, § 111 StGB als einen „janusköpfigen Paragrafen“ zu bezeichnen, der „mit einem Bein im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs, mit dem anderen im Besonderen Teil steht“.248 In der Tat ist umstritten, ob es sich bei dieser Vorschrift um eine erweiterte Sonderform der Teilnahme handelt oder um ein Delikt mit einem eigenen Rechtsgut, das somit dem BT des StGB angehört.249 Im Schrifttum werden beide Positionen vertreten. Für einen Teil der Doktrin ist die öffentliche Aufforderung eine Sonderform der Teilnahme, die dazu dient, die Rechtsgüter zu schützen, zu deren Verletzung der Täter aufgefordert hat.250 Dieser Ansicht nach schützt § 111 StGB somit mittelbar die Individualrechtsgüter, die durch die Tat angegriffen wurden, zu der aufgefordert wurde. Ein anderer Teil der Literatur schreibt dem § 111 StGB ein eigenes Rechtsgut zu. Dieser Meinung nach wird durch die Vorschrift ausschließlich der innere Gemeinschaftsfrieden bewahrt.251 Die h. M. vertritt heute jedoch eine Kombinationslehre und sieht ein „doppeltes Rechtsgut“ für § 111 StGB. So werden mit § 111 StGB sowohl die Rechtsgüter, zu deren Verletzung aufgerufen wird, als auch der innere Gemeinschaftsfriede geschützt.252 Der h. M. nach ist § 111 StGB somit als ein abstraktes Gefährdungsdelikt einzuordnen.253 Strafgrund der Vorschrift ist die besondere Gefährlichkeit der Begehungsweise des § 111 StGB. In der Tat wird in der Aufforderung eine besondere Gefahr gesehen, weil diese öffentlich, im Rahmen einer Versammlung oder durch Verbreitung von Inhalten erfolgt.254 In der Literatur wird aufgeführt, dass die Aufforderung durch den Öffentlichkeitsfaktor zum einen unabsehbar viele Menschen erreichen kann und dass zum anderen der Orator durch den Öffentlichkeitsfaktor seine Einflussnahme über die Aufforderung und über den Kausalverlauf verliert.255 Er kann 248
Dreher, FS für Gallas, S. 307. Auch der BGH lässt dahingestellt, ob es sich beim § 111 um eine Sonderform der Teilnahme handelt oder um eine Vorschrift des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches. Siehe BGHSt NJW 1981, 61, 63. Die Frage nach der Position der Vorschrift ist nicht neu, da im PrStGB von 1851 der Tatbestand der Aufforderung zu Straftaten im Allgemeinen Teil normiert und als eine erweiterte Anstiftung gedacht war. Mit dem RStGB von 1871 wurde der Tatbestand in den Besonderen Teil verschoben, ohne jedoch klare Gründe für diesen Wechsel anzugeben. 250 Kissel, Aufrufe zum Ungehorsam und § 111 StGB, S. 144; Paeffgen, FS für Hanack, 599 f.; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 211; Lackner / Kühl-Heger, § 111 Rn. 1; MK-Bosch, § 111, Rn. 2; BeckOK-Dallmeyer, § 111, Rn. 2. 251 Kostaras, Demonstrationsdelikte, S. 145 ff. 252 BGHSt 29, 258 (267); BGH NJW 1981, 61 (63); OLG Karlsruhe NStZ 1993, 389 (390); NJW 1994, 396; Dreher, FS für Gallas, S. 312 ff.; Sch / Sch-Eser, § 111, Rn. 1–2; LK-Rosenau, § 111, Rn. 4; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Fahl, § 111, Rn. 1; Fischer, § 111, Rn. 2. 253 BGHSt 29, 258 (267); NJW 1981, 61 (63); BayObLG NJW 1994, 396 (397); Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, S. 338; Kienle, Internationales Strafrecht und Straftaten im Internet, S. 71; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Fahl, § 111, Rn. 1; Fischer, § 111, Rn. 2. 254 BT-Drucks.7/3030; BGH NJW 1981, 61; BayObLG NJW 1994, 396; BGHSt 29, 258 (267); Sch / Sch-Eser, § 111, Rn. 2; MK-Bosch, § 111, Rn. 1; Fischer, § 111, Rn. 2. 255 OLG Karlsruhe NStZ 1993, 389 (390); BayObLG NJW 1994, 396; Dreher, FS für Gallas, S. 313; Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, 2014, S. 202; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Fahl, § 111, Rn. 1; Fischer, § 111, Rn. 2. 249
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
somit nicht mehr steuern, wie stark das Rechtsgut verletzt wird oder ob periphere Rechtsgüter mitverletzt werden. Für Dreher wirft der Täter damit eine Fackel „und weiß selbst nicht, ob sie zündet“.256 Zuweilen wird die Gefährlichkeit der Aufforderung auch durch den gruppendynamischen Effekt begründet.257
d) Objektiver Tatbestand aa) Aufforderung Unter „Aufforderung“ wird jede – schriftliche, mündliche oder auch konkludente – Willenskundgebung verstanden, die zu erkennen gibt, dass der Täter darauf abzielt, eine beliebige Person zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen zu motivieren.258 Die Aufforderung muss einen „appellativen Charakter“ haben, d. h., dass in der Aufforderung die Erwünschtheit der Realisierung der Tat deutlich gemacht werden muss.259 Durch die Anforderung eines Appellcharakters werden Äußerungen, die einen einfachen, informativen Charakter haben, nicht vom Tatbestand erfasst.260 Ebenso sind „bloß animierend wirkende Worte für sich genommen“261 oder das Befürworten oder das Billigen von Straftaten262 nicht als eine Aufforderung i. S. des § 111 StGB zu klassifizieren. Das Reichsgericht hat festgelegt, dass der bloße „Anreiz“ zu einer Tat durch „psychologische, berechnende Stimmungsmache“ nicht als eine Aufforderung anzusehen war.263 Dementsprechend wird auch die bloße Befürwortung von Straftaten nicht als eine Aufforderung i. S. des § 111 StGB angesehen.264 Dabei ist es unwichtig, ob der Orator die Aufforderung ernst gemeint hat. Es ist ausreichend, wenn die Aufforderung als ernst gemeint erscheinen kann; d. h., dass sie in den Augen des Durchschnittsbeobachters als ernstzunehmend erscheint und dass der Auffordernde diesen Eindruck auch mit seinem Appell erwecken wollte.265
256 Dreher, FS für Gallas, S. 313; krit. bezüglich der erhöhten Gefährlichkeit aufgrund des Kontrollverlustes siehe Paeffgen, FS für Hanack, S. 598; ders., in NK, § 111, Rn. 1; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 2005, S. 212; MK-Bosch, § 111, Rn. 3. 257 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 2005, S. 212; Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen, 2014, S. 168–170 und S. 201. 258 RGSt 47, 411 (413); OLG Karlsruhe NStZ 1993, 389 (390); OLG Celle NStZ 2013, 720 (721); KG NStZ-RR 2002, 10; Sch / Sch-Eser, § 111, Rn. 3; LK-Rosenau, § 111, Rn. 17; MKBosch, § 111, Rn. 7. 259 OLG Celle NStZ 2013, 720 (721); LK-Rosenau, § 111, Rn. 18; MK-Bosch, § 111, Rn. 6. 260 NK-Paeffgen, § 111, Rn. 12; LK-Rosenau, § 111, Rn. 18. 261 Paeffgen, FS für Hanack, S. 607. 262 Anw-StGB-Barton, § 111, Rn. 6. 263 RGSt 47, 411 (413); RGSt 63, 170 (173). 264 NK-Paeffgen, § 111, Rn. 12; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 111, Rn. 2. 265 Sch / Sch-Eser, § 111, Rn. 6; MK-Bosch, § 111, Rn. 9; Satzger / Schluckebier / WidmaierLohse, § 111, Rn. 2.
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bb) Konkretisierung der Haupttat und des Adressatenkreises Es muss zur Begehung einer rechtswidrigen Tat i. S. des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB aufgefordert werden. Die Tat muss tatbestandsmäßig rechtswidrig, aber nicht schuldhaft verwirklicht werden.266 Mit § 111 StGB wird sowohl das Auffordern zu Verbrechen als auch das Auffordern zu Vergehen geahndet.267 Durch die Frage der Bestimmtheit an die Haupttat und an den Rezipientenkreis wird allgemein die Aufforderung (§ 111 StGB) von der Anstiftung (§ 26 StGB) unterschieden. Jedoch sind die Anforderungen, die an die Bestimmtheit gestellt werden, umstritten. Die Problematik der Bestimmtheit der Tat, zu deren Begehung aufgefordert wird, wird von Stockmann als das „Hauptproblem dieses Tatbestandsmerkmals“268 bezeichnet. Der h. M. zufolge muss die Tat, zu der aufgefordert wird, weniger konkretisiert sein als für die Anstiftung in § 26 StGB und für die versuchte Anstiftung in § 30 Abs. 1 StGB.269 Es genügt, dass der Deliktstypus, und somit die Art und das rechtliche Wesen der jeweiligen Tat, gekennzeichnet ist, wenn auch nur „in laienhaften Worten“270. Nicht erforderlich ist hingegen eine Kennzeichnung der näheren Tatmodalitäten sowie die genaue Zeit und der Ort.271 Es ist jedoch weiterhin umstritten, ob das Tatopfer oder das Tatobjekt konkretisiert sein müssen.272 Hinsichtlich des Adressatenkreises muss sich die Aufforderung an unbestimmt viele Menschen, also an einen unbestimmten Adressatenkreis, richten. Sobald sich der Appell an konkrete Personen richtet, scheidet § 111 StGB aus. Dies kann im 266
Sch / Sch-Eser, § 111, Rn. 12. Die öffentliche Aufforderung zu Ordnungswidrigkeiten wird durch § 116 OWiG unter Strafe gestellt. Der § 116 OWiG wurde durch das EGStGB von 1974 eingeführt, nachdem die Übertretungen in Ordnungswidrigkeiten überführt wurden und somit der § 111 StGB auf Vergehen und Verbrechen begrenzt wurde. Mit dem Wegfall der Übertretungen aus § 111 StGB wollte der Gesetzgeber die öffentliche Aufforderung zu Ordnungswidrigkeiten nicht straflos lassen und führte aufgrund dessen den § 116 OWiG ein. Die Vorschrift verfolgt demnach für den Bereich des Ordnungsrechtes die gleichen Zwecke wie § 111 StGB im Bereich des Strafrechts und ist dementsprechend auch ähnlich aufgebaut. Vertiefend zu der Unterscheidung zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten und den verschiedenen Meinungen in der Lehre über den Quantitätsunterschied oder dem Qualitätsunterschied siehe Sieber, in: Dyson / Vogel (Hrsg.), The Limits of Criminal Law, S. 322. 268 Stockmann, Die Aufforderung zur Begehung rechtswidriger Taten, Paragraph 111 StGB, S. 315. 269 Brodag, BT, § 111, Rn. 12; LK-Bubnoff, § 111, Rn. 23; Fischer, § 111, Rn. 7 f. Nach Kissel sollten die Anforderungen an die „Bestimmtheit“ nicht gelockert werden, da der § 111 durch seinen Abs. 2 einen weiteren Eingriffsbereich hat als § 26 StGB. Siehe Kissel, Aufrufe zum Ungehorsam und § 111 StGB, S. 172 ff. 270 Siehe Dreher, der es als ausreichend ansieht, wenn die Tat in „ihrem restlichen Wesen gekennzeichnet ist“, da insbesondere die weniger konkretisierten Aufforderungen dazu geeignet seien, Unruhe in der Bevölkerung zu provozieren und somit den inneren Gemeinschaftsfrieden zu gefährden. Diese rechtliche Kennzeichnung sei jedoch zu verlangen. Dreher, FS für Gallas, S. 315 ff. 271 Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 211. 272 Streit erläutert von NK-Paeffgen, § 111, Rn. 16. 267
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Hinblick auf soziale Netzwerke wie Facebook problematisch erscheinen, wenn z. B. die Äußerungen nur von den sog. „Freunden“ einsehbar sind, aber dennoch durchaus weiterverbreitet werden können.273
cc) Begehungsweise Eine Aufforderung erfolgt öffentlich, wenn sie an einen zahlenmäßig und individuell unbestimmten Personenkreis gerichtet ist.274 Das Merkmal der Öffentlichkeit bezieht sich auf die Zahl und die Unbestimmtheit der Empfänger und nicht auf den Ort; d. h., dass eine Aufforderung unabhängig davon öffentlich sein kann, ob sie in einem öffentlichen oder nicht öffentlichen Ort erfolgt.275 Die Mittel der Kommunikation, mit der die öffentliche Aufforderung gemacht wird, sind nicht bestimmt. So kann jegliche Art verwendet werden (u. a. Reden, Plakate, Aufsprühen von Parolen, Flugblätter oder Printmedien sowie Rundfunk und Fernsehen etc.).276 Der Versammlungsbegriff ist „teilweise unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der anzuwendenden Norm (im GG, dem VersG, §§ 80a, 86a und 90 StGB) unterschiedlich weit gefasst und ist für § 111 StGB selbständig zu bestimmen“.277 So besteht eine Versammlung i. S. des § 111 StGB genau dann, wenn eine nicht näher individualisierbare, nicht zahlenmäßig bestimmbare Personengruppe sich zu einem besonderen Zweck in einer Räumlichkeit zusammenfindet.278 Das Ziel dieser Versammlung muss nicht politisch sein, da auch andere Zwecke wie z. B. private oder kulturelle Ziele möglich sein können. Die Versammlung muss nicht öffentlich sein.279 In diesem Fall muss sich die Aufforderung jedoch an eine nicht individuelle und nicht zahlenmäßig eindeutig bestimmbare Vielzahl von Personen richten.280 Inhalte sind i. S. des § 11 Abs. 3 StGB zu verstehen. Das Verbreiten eines Inhalts liegt vor, wenn diese einem großen Personenkreis zugänglich gemacht wird.281
dd) Erfolg der Aufforderung § 111 StGB sieht, je nachdem, ob ein Erfolg eingetreten ist oder nicht, unterschiedliche Strafandrohungen vor. 273
Ostendorf / Frahm / Doege, NStZ 2012, 529 (532); Bosch, Jura 2016, 381 (387). Ostendorf / Frahm / Doege, NStZ 2012, 529 (532); LK-Rosenau, § 111, Rn. 33; MK-Bosch, § 111, Rn. 17. 275 RGSt 63, 431 (432); 65, 112 (113). 276 Franke GA 1984, 452 (458 f.); MK-Bosch, § 111, Rn. 18; NK-Paeffgen, § 111, Rn. 21. 277 LK-Rosenau, § 111, Rn. 38; MK-Bosch, § 111, Rn 20. 278 Kissel, Aufrufe zum Ungehorsam und § 111 StGB, S. 163; NK-Paeffgen, § 111, Rn. 24; LK-Rosenau, § 111, Rn. 38; MK-Bosch, § 111, Rn 20. 279 NK-Paeffgen, § 111, Rn. 24; Satzger / Schluckebier / Widmaier- Lohse, § 111, Rn. 5. 280 NK-Paeffgen, § 111, Rn. 24; LK-Rosenau, § 111, Rn. 39. 281 NK-Paeffgen, § 111, Rn. 26; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 111, Rn. 7. 274
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Eine erfolgreiche Aufforderung liegt vor, wenn die rechtswidrige Tat, zu der aufgefordert wurde, in ein strafbares Vorbereitungs- oder Versuchsstadium gelangt ist. Die h. M. ist außerdem zu dem Schluss gekommen, dass es für einen Erfolg eine Kausalität zwischen der Aufforderung und der Straftatverwirklichung geben muss.282 Um zu wissen, wann ein Erfolg der Tathandlung zurechenbar ist, müssen die allgemeinen Regeln der Kausalität und der objektiven Zurechnung herangezogen werden. Demnach liegt keine Zurechnung vor, wenn der Täter schon zur Tat entschlossen war (omnimodo facturus)283 oder die Tat nicht aufgrund der Aufforderung begangen wurde, sondern als Folge einer allgemeinen Aufregung.284 Wenn die Aufforderung erfolgreich war, sieht Abs. 1 vor, dass der Auffordernde wie ein Anstifter bestraft werden muss. In Abs. 2 wird die erfolglose Aufforderung unter Strafe gestellt. Darunter sind jene Aufforderungen zu verstehen, bei denen die intendierte Haupttat nicht in ein strafbares Vorbereitungs- oder Versuchsstadium gelangt ist oder bei denen es keine Kausalität zwischen der Aufforderung und der Tat gibt. Im Gegensatz zu § 30 Abs. 1 StGB wird in diesem Fall nicht nur eine Strafmilderung vorgenommen, sondern es wird ein selbständiger Strafrahmen etabliert.
e) Subjektiver Tatbestand Die h. M. vertritt die Ansicht, dass mindestens ein bedingter Vorsatz genügt.285 Der Vorsatz bezieht sich dabei auf das Auffordern sowie auf die bestimmte rechtswidrige Tat.286 Jedoch muss der Vorsatz sich nicht auf die Vollendung der aufgeforderten Tat erstrecken.287 Außerdem muss der Auffordernde die Tat nicht ernstlich wollen. Es reicht aus, dass er billigend in Kauf nimmt, dass die Aufforderung als ernst gemeint aufgenommen werden kann.288 Demzufolge erfasst § 111 StGB (im Gegensatz zu § 26 StGB) auch den Fall des „agent-provocateur“. f) Quintessenz Erfasst werden durch § 111 StGB ausschließlich solche Motivationen, die einen „appellativen Charakter“ haben und die somit die Erwünschtheit der Realisierung 282
Dreher, FS für Gallas, S. 327; NK-Paeffgen, § 111, Rn. 29; Fischer, § 111, Rn. 16. RGSt 65, 200 (202). 284 RGSt 57, 285 (286). 285 NStZ-RR 2003, 327; LK-Rosenau, § 111, Rn. 66; BeckOK-Dallmeyer, § 111, Rn. 8; Fischer, § 111, Rn. 15. 286 Kissel, Aufrufe zum Ungehorsam und § 111 StGB, S. 177 ff.; LK-Rosenau, § 111, Rn. 66; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 111, Rn. 9. 287 Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 111, Rn. 9; Fischer, § 111, Rn. 15; a. A. Sch / Sch-Eser, § 111, Rn. 17, der einen zielgerichteten Willen auf die Vollendung der Tat verlangt. 288 NStZ-RR 2003, 327; OLG Celle NStZ 2013, 720 (722); LK-Rosenau, § 111, Rn. 66; MKBosch, § 111 StGB, Rn. 27; Fischer, § 111, Rn. 15. 283
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
der Tat deutlich machen. Dies grenzt den Tatbestand deutlich von einer einfachen Gefühls- bzw. Stimmungseinwirkung ab und lässt erkennen, dass der Motivator dadurch einen gewissen Handlungsdruck auf den Motivierten ausüben kann.
2. Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB) In § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB wird das Auffordern zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen unter Strafe gestellt. Im Nachstehenden wird auf diese Tathandlung eingegangen. In § 130 Abs. 2 StGB wird neben dem zuvor Angeführten – Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen an eine Person unter 18 Jahren von Inhalten, die zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordern (§ 130 Abs. 2 Nr. 1b StGB) – ebenfalls Vorbereitungshandlungen zum Verbreiten und Zugänglichmachen von Inhalten, die zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordern, unter Strafe gestellt (§ 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB). Da eine Alternative des Abs. 2 bereits innerhalb der direkten individuellen Motivationsdelikte einzeln aufgeführt wurde (siehe Teil II. Kapitel I. I. A. 7.) und um ebenfalls weitere mögliche Wiederholung mit dem folgenden Punkt zu vermeiden, werden die Vorbereitungshandlungen zum Verbreiten und Zugänglichmachen von solchen Inhalten, die zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordern, nicht einzeln untersucht aber innerhalb dieses Punktes erwähnt werden.
a) Normtext § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB lautet wie folgt: (1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder […].
b) Geschichtlicher Überblick § 130 StGB wurde nach der Zunahme von antisemitischen und neonazistischen Äußerungen in den Jahren 1959/60 (der sog. antisemitischen Schmierwelle)289
289
Vertiefend hierzu siehe Bergmann, in: Bergmann / Erb (Hrsg.), Antisemitismus als politisches Ereignis, S. 253–278.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
107
novelliert, nachdem Parolen wie „Juden raus“ auf Grabsteine, Gedenksteine und Synagogen geschmiert wurden290 und diese Taten sowohl in Deutschland als auch im Ausland stark kritisiert wurden.291 Dies führte u. a. dazu, dass § 130 StGB dahingehend verändert wurde, dass er das Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung, das Aufstacheln zu Hass gegen Teile der Bevölkerung und das Beschimpfen, das böswillige Verächtlichmachen und das Verleumden von Teilen der Bevölkerung strafrechtlich ahndet.
c) Strafbegründung Der h. M. nach ist das geschützte Rechtsgut bei § 130 Abs. 1 StGB in erster Linie der öffentliche Friede.292 Gleiches gilt auch für § 130 Abs. 2 StGB.293 In der Lehre wird auch die Auffassung vertreten, dass § 130 Abs. 1 StGB neben dem öffentlichen Frieden auch den Anspruch der betroffenen Bevölkerungsteile auf ein friedliches Zusammenleben in der Gemeinschaft unter Achtung ihrer Integrität294 oder die Menschenwürde295 schützt. Die h. M. erkennt § 130 Abs. 1 StGB als ein abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt an, da die Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen geeignet sein muss, den öffentlichen Frieden zu stören, dabei aber nicht vorausgesetzt wird, dass
290 Schon vor der sog. Schmierwelle wurden vermehrt Gesetzentwürfe für eine Normierung der Volksverhetzung vorgelegt (1952, 1957, 1959). Jedoch kam keine dieser Gesetzesinitiativen zum Tragen, da ihren Befürwortern vorgeworfen wurde, sie wollten durch die Gesetzesvorschläge ein „privilegium odiosum“ für jüdische Mitbürger schaffen. Siehe hierzu Krone, Die Volksverhetzung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S. 37 f. 291 Schafheutle, JZ 1960, 470; Bergmann, in: Bergmann / Erb, Antisemitismus in der politischen Kultur nach 1945, S. 253 ff.; Rohrßen, Von der „Anreizung zum Klassenkampf“ zur „Volksverhetzung“ (§ 130 StGB), S. 162 f.; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 55 ff. 292 BT-Drucks. III/2150, S. 434; OLG Celle NStZ 1997, 495; OLG München NJW 1985, 2430 (sieht den öffentlichen Frieden als alleiniges Rechtsgut); Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 213 ff.; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 176; Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 235; Lackner / Kühl-Kühl, § 130, Rn. 1; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 1a; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 2; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 130, Rn. 2; BeckOK StGB-Rackow, § 130, Rn. 10. 293 Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 7. c). 294 Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 130, Rn. 2. 295 Lackner / Kühl-Kühl, § 130, Rn. 1; LK-Krauß, § 130, Rn. 2; Satzger / Schluckebier / WidmaierLohse, § 130, Rn. 2; OLG Celle NStZ 1997, 495 erkennt an, dass „möglicherweise“ neben dem öffentlichen Frieden auch die individuelle Menschenwürde geschützt wird; für Fischer, § 130, Rn. 2, ist die Menschenwürde mittelbar geschützt; für Streng ist die Menschenwürde das durch § 130 unmittelbar geschützte Rechtsgut, während der öffentliche Friede nur das mittelbar geschützte Rechtsgut ist; siehe Streng, FS für Lackner, S. 510; Stegbauer vertritt die Ansicht, dass die Menschenwürde das alleinige Schutzgut des § 130 Abs. 1 StGB ist; siehe Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 165 ff.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
dieser konkret gestört oder gefährdet wird.296 In der Lehre wird jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass es sich trotz der Eignung und der Bezeichnung als abstraktkonkretes Gefährdungsdelikt um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, da es sich hierbei um eine Untergruppe der Letzteren handelt.297 Bei § 130 Abs. 2 StGB hingegen handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.298 Die Gefährlichkeit der von § 130 StGB erfassten Propaganda liege laut der Lehre in dem ihr innewohnenden Drohungs- und Aufforderungsgehalt, der außerdem mit einer Abstumpfung gegenüber und der Verharmlosung von Verletzungen von Angehörigen der betroffenen Bevölkerungsteile einhergehe.299 Sowohl für von Dewitz als auch für Wandres liegt die Gefährlichkeit des § 130 StGB darin, dass in potenziellen Tätern die Bereitschaft geweckt werden könnte, deliktische Handlungen gegen die anvisierten Bevölkerungsteile zu vollziehen. Beide Autoren führen an, dass sich das Unrecht des § 130 StGB in zwei Phasen einteilt: Während in der ersten Phase die Tatbereitschaft bei potenziellen Tätern durch hetzende Äußerungen gegen bestimmte Bevölkerungsteile geweckt werde, begehe der aufgehetzte Täter in der zweiten Phase eine Straftat.300 Aufgrund dieser Phaseneinteilung erkennen die Autoren strukturelle Ähnlichkeiten zwischen § 26, § 30 Abs. 1, § 111 und § 130 StGB.301 Wandres merkt jedoch an, dass der Konkretisierungsgrad innerhalb der Vorschriften hinsichtlich der Tat, dem Täter und dem Opfer graduell abnimmt, sodass ein Stufenverhältnis zwischen den zuvor genannten Vorschriften besteht. Während bei der Anstiftung (§ 26 StGB) die Konkretisierungsanforderungen bezüglich der Tat und des Adressatenkreises hoch sind, nehmen die Anforderungen schrittweise ab und beschränken sich bei der Volksverhetzung schließlich auf die Bestimmung einer Bevölkerungsgruppe.302
296
BGH NJW 2001, 624 (626); BGH NJW 2001, 624; BGHSt 16, 49 (56); OLG Hamburg NJW 1975, 1088; OLG Köln NJW 1981, 1280; LK-Krauß, § 130 Rn. 15; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 9; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 130, Rn. 2; BeckOK-Rackow, § 130, Rn. 8; a. A. (abstraktes Gefährdungsdelikt) von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 177 f.; Fischer, § 130, Rn. 3; a. A. (konkretes Gefährdungsdelikt) Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, S. 280. 297 Laitenberger, Die Strafbarkeit der Verbreitung rassistischer, rechtsextremistischer und neonazistischer Inhalte, S. 47; Baroke, in: Sinn / Gropp / Nagy, Grenzen der Vorverlagerung in einem Tatstrafrecht, S. 253; NK-Ostendorf, § 130, Rn. 5; so auch in der Rechtsprechung, BGH, NJW 1999, 2129; BGH, MMR 2001, 228 (229). 298 Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 7. c). 299 Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 130, Rn. 1; Fischer, § 130, Rn. 3. 300 Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 210; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 265. 301 Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 210; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 178. 302 Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 210 f.; ähnlich Brugger, AöR 2003, 372 (391); so auch Hörnle, für die der § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 (Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen) im Spektrum der Aufforderungsdelikte klassifiziert werden muss, zu dem auch § 26, 30 Abs. 1 und § 111 gehören und innerhalb dessen der Konkretisierungsgrad kontinuierlich abnimmt. Siehe Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 298.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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d) Objektiver Tatbestand aa) Angriffsobjekte Die Tathandlungen des § 130 Abs. 1 StGB müssen sich gegen bestimmte Adressaten richten. Mit dem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sowie mit der Umsetzung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 2003 zum Übereinkommen des Europarats vom 23. November 2001 über Computerkriminalität betreffend die Kriminalisierung mittels Computersystemen begangener Handlungen rassistischer und fremdenfeindlicher Art erfasst Abs. 1 jetzt einheitlich mit Abs. 2 als Angriffsobjekte nationale, rassische, religiöse und ethnische Gruppe sowie Teile der Bevölkerung und Einzelpersonen. Da mit dem Tatbestand der öffentliche Friede geschützt werden soll, müssen – im Gegensatz zu Abs. 2 – in Abs. 1 die angegriffenen Teile der Bevölkerung, die Gruppe oder die Gruppenmitglieder oder die Einzelpersonen einen Inlandsbezug haben und im Inland lebend.303 Vertiefend zu den Angriffsobjekten kann auf die Ausführungen oben verwiesen werden.304
bb) Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB stellt das Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen unter Strafe. Diese Tathandlung stellt dem Gesetzgeber zufolge eine „bestimmte gesteigerte Form des Angriffs gegen Teile der Bevölkerung“305 dar. Die Tathandlung des Aufforderns ist wie das Auffordern in § 111 StGB zu verstehen. Demnach muss es sich beim Auffordern zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen in § 130 StGB um eine ausdrückliche oder konkludente Einwirkung handeln, die über das bloße Befürworten oder Anreizen hinausgeht, mit dem Ziel, in Dritten den Entschluss zu bestimmten Handlungen hervorzurufen.306 Demzufolge bedarf es ebenfalls eines appellativen Charakters wie in § 111 StGB.307 Der Rechtsprechung zufolge handelt es sich bei Gewalt- und Willkürmaßnahmen um diskriminierende Handlungen, die den elementaren Geboten der Menschlichkeit widersprechen.308 Gewaltmaßnahmen können u. a. Gewalttätigkeiten i. S. des 303
MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 31. Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 7. d) aa). 305 BT-Drucks. III/2150, S. 435. 306 BGHSt NJW 1984, 1631; BGH NJW 2002, 1440; Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 130, Rn. 5b; LK-Krauß, § 130, Rn. 51; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 46. 307 Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 130, Rn. 16. 308 KG, Beschluss v. 8. 10. 2012 – (4) 121 Ss 161/12 (193/12); BGH NStZ-RR 2016, 369 (370). 304
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§ 125 StGB oder gewaltsame Vertreibungen, Freiheitsberaubungen oder Pogrome sein.309 Indessen handelt es sich bei Willkürmaßnahmen um „sonstige im Widerspruch zu elementaren Geboten der Menschlichkeit stehende Behandlungen aller Art“.310 Der Rechtsprechung nach verwirklichen Parolen wie „Juden raus“ oder „Ausländer raus“ an sich allein den Tatbestand nicht, da es sich nur um Aufforderungen handelt, das Land zu verlassen. Wenn diese Parolen jedoch außerdem eine Aufforderung an Dritte darstellen, wenn auch nur konkludent, gegen die genannten Personengruppen bestimmte Maßnahmen (wie z. B. radikale Gewaltmittel) zu ergreifen, dann fällt dies unter § 130 StGB.311 Demnach sind diese Parolen nur dann tatbestandserheblich, wenn sie aus der Sicht eines objektiven Durchschnittsbeobachters eine erkennbare Drohung darstellen, die Forderung mit bestimmten Maßnahmen durchzusetzen.312 Der kriminelle Sinngehalt, also die Frage, ob eine Äußerung eine Aufforderung zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen i. S. des § 130 StGB darstellt, kann von den Begleitumständen und dem geschichtlichen Hintergrund abgeleitet werden.313 So können Parolen wie „Juden raus“ mitunter aufgrund des geschichtlichen Hintergrundes der nationalsozialistischen Judenverfolgung Aufforderungen i. S. des § 130 StGB darstellen, wenn z. B. der Parole „Juden raus“ ein Hakenkreuz hinzugefügt wurde.314 In § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB werden Verbreitungshandlungen solcher Inhalte erfasst, die zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen auffordern. Bestraft wird das Verbreiten solcher Inhalte, das Zugänglichmachen oder das Anbieten, Überlassen und Zugänglichmachen an eine Person unter achtzehn Jahre. Mit § 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB wird das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Bewerben, Ein- oder Ausführen solcher Inhalte (von Nr. 1a – c) mit der Absicht einer Verwendung unter Strafe gestellt.
cc) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens § 130 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass die Tathandlung in einer Weise erfolgt, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Solch eine Eignung wird im Rahmen von Abs. 2, in dem das Verbreiten von Inhalten usw. von Aufforderungen zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen unter Strafe gestellt wird, jedoch nicht verlangt.
309 310 311 312 313 314
Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 130, Rn. 5b; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 47. BGH (3. Strafsenat), Urteil v. 3. 4. 2008 – 3 StR 394/07, BeckRS 2008, 06865. MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 49. KG, Beschluss v. 1. 12. 2011 – 1 Ss 395/11, BeckRS 2012, 02948. Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 5b; LK-Krauß, § 130, Rn. 53. BGHSt NJW 1968, 309; BGH 14. 3. 1984 – 3 StR 36/84; BGHSt NJW 1984, 1631 (1632).
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Die Eignung in Abs. 1 setzt nicht voraus, dass der Frieden auch wirklich gestört oder auch nur konkret gefährdet wird.315 Ausreichend ist die konkrete Eignung zur Friedensstörung; d. h., dass die Äußerung nicht zu einer konkreten Gefährdung geführt haben muss; jedoch muss der „Äußerung eine noch im Vorfeld von Aggressionsbereitschaft und entsprechenden Ängsten liegende Vergiftung des öffentlichen Friedens eigen“316 sein. Zudem darf diese Eignung nicht nur abstrakt bestehen, sondern es muss aus der Sicht eines objektiven Beobachters die begründete Befürchtung bestehen, dass es nach dem voraussehbaren Geschehensablauf zu einer Störung kommen kann.317 Demnach müssen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Tathandlung eine nicht unbeträchtliche Personenmehrheit ernsthaft beunruhigen und das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit beeinträchtigen oder ein gesellschaftliches Klima schaffen werden, das durch allgemeine Unruhe, Unsicherheit oder Ausgrenzung und Diffamierung von Bevölkerungsteilen gekennzeichnet ist.318
Um zu beurteilen, ob die Tathandlung konkret dazu geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, muss eine Gesamtwürdigung der Äußerung vorgenommen werden; d. h., dass neben dem Wortlaut und dem sprachlichen Kontext der Äußerung auch alle relevanten Umstände gewürdigt werden müssen.319 Als relevante Umstände können u. a. gelten: die Intensität und die Art des Angriffs320, die Art des Empfängerkreises (d. h. die Empfindlichkeit der Zielgruppe und ihre mögliche Beeinflussung)321 sowie die gefährdete Position der betroffenen Gruppe in der Gesellschaft322. Demzufolge hat diese Eignungsklausel sowohl eine Erweiterungs- als auch eine Eingrenzungsfunktion. Auf der einen Seite ermöglicht die Klausel eine „Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes“323 gegenüber der vorherigen Rechtslage, in der eine tatsächliche Störung des öffentlichen Friedens verlangt wurde. Auf der anderen Seite ermöglicht die Klausel aber auch eine Einschränkung der Strafbarkeit, da die Handlungen von einer bestimmten Erheblichkeit sein müssen, um tatbestandsmäßig zu sein.324
315
BGHSt NJW 2001, 624 (626); BGH NJW 2001, 624 (626); OLG Frankfurt a. M. NStZRR 2000, 368 (369); MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 23. 316 Toma, Zur Strafbarkeit und Strafwürdigkeit des Billigens, Leugnens und Verharmlosens von Völkermord und Menschlichkeitsverbrechen, S. 94. 317 MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 23. 318 LK-Krauß, § 130, Rn. 64. 319 BVerfG, Beschluss v. 25. 3. 2008 – 1 BvR 1753/03; OLG Hamm 11. 2. 2010 – 2 Ws 323/09; BeckRS 2017, 133130. 320 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 11. 321 OLG Köln NJW 1981, 1280 (1281). In diesem Fall war die Aufforderung an junge Menschen gerichtet. 322 BGH NStZ 07, 217; Lackner / Kühl-Kühl, § 130, Rn. 10. 323 LK-Krauß, § 126, Rn. 28. 324 von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, 2006, S. 189. Fischer hingegen zweifelt die restriktive Funktion der Friedensschutzklausel an; siehe Fischer, NSTZ 1988, 159.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Dabei wird die tatsächliche Eingrenzungsfunktion des Tatbestandsmerkmals der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens in der Lehre hinterfragt. Beschränkend wirken könne das Tatbestandsmerkmal nur dann, wenn in der Praxis eine solche Eignung auch tatsächlich untersucht und festgestellt würde.325 Eine solche Feststellung würde in der Praxis jedoch nur selten vorgenommen werden und stattdessen ohne eine Untersuchung einfach bejaht oder mit der Feststellung der Öffentlichkeit der Äußerung abgetan.326 Aus der Eignung der Störung des öffentlichen Friedens darf laut der h. M. nicht geschlossen werden, dass die Tathandlungen in § 130 Abs. 1 StGB eine öffentliche Begehungsweise voraussetzen.327 Erfasst werden daher auch Äußerungen, die in einem kleinen Kreis oder gegenüber Einzelnen ausgesprochen wurden, vorausgesetzt, dass nach den konkreten Umständen damit zu rechnen ist, dass der Angriff einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird.328 Die Ansicht, dass die Aussicht auf ein Bekanntwerden ausreicht, wird in der Literatur jedoch von manchen Autoren hinterfragt. Sie wenden ein, dass es bei einem nicht öffentlichen Angriff schwer sei, eine Eignung zur Friedensstörung festzustellen.329 Daraus schließt Redmann, dass die Äußerung an einen größeren Personenkreis adressiert sein muss, um den öffentlichen Frieden gefährden zu können.330
e) Subjektiver Tatbestand In Anbetracht des Wortlautes des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB wird für das Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen wie auch für das Aufstacheln zu Hass ein zielgerichtetes Handeln vorausgesetzt, also ein dolus directus 1. Grades.331 Demzufolge muss der Auffordernde das Ziel verfolgen, den Entschluss zu bestimmten Handlungen i. S. von „Gewalttätigkeiten oder sonstigen, diskriminierenden und im Widerspruch zu elementaren Geboten der Menschlichkeit stehenden, Behandlungen aller Art hervorzurufen“.332 Der Vorsatz muss sich auf alle Tatbestandsmerkmale erstrecken und auch die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens aufweisen.333 Für § 130 Abs. 2 StGB reicht hingegen ein bedingter Vorsatz aus.334 325
Fischer, § 130, Rn. 13b ff. Fischer, Öffentlicher Friede und Gedankenäusserung, S. 431 ff.; ders., NStZ 1988, 159 (164); Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 91. 327 Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 262; Sch / SchSternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 11; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 25. 328 BGH, NJW 1979, 1992; OLG Celle NJW 1970, 2257; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 11; SK-StGB-Stein, § 130, Rn. 27; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 25. 329 Hörnle, NSTZ 2002, 113, 117; Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 264–265. 330 Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 265. 331 BGH NStZ-RR 2009, 13 (14); LK-Krauß, § 130, Rn. 155. 332 KG, 1. 12. 2011 – (4) 1 Ss 395/11 (235/11). 333 OLG Karlsruhe NJW 1986, 1276. 334 Siehe Kapitel 1 A. I. 7. e). 326
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f) Quintessenz In der Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen kann die Gefahr erkannt werden, dass sich andere dadurch motiviert fühlen könnten, gegen die Angriffsobjekte aktiv zu werden und dass es in der Folge zu einer Beeinträchtigung entsprechender Rechtsgüter kommen könnte. Wird für die Aufforderung (wie in § 111 StGB) verlangt, dass diese einen appellativen Charakter hat, so kann darin ein gewisser Handlungsdruck erkennbar werden, der auf den Motivierten ausgeübt wird.
3. Werben für eine kriminelle Vereinigung (§ 129 Abs. 1 StGB) Nachgehend erfasst wird die Tathandlung des Werbens für eine kriminelle Vereinigung, die in § 129 Abs. 1 StGB normiert ist.
a) Normtext Für eine klare Darstellung wird an dieser Stelle nicht nur § 129 Abs. 1 StGB aufgeführt, sondern auch § 129Abs. 2 StGB, da dort erläutert wird, was unter einer Vereinigung zu verstehen ist. Beide Absätze lauten wie folgt: (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt. (2) Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses. […]
b) Geschichtlicher Überblick Der Ursprung des § 129 StGB kann in § 129 RStGB gefunden werden, der die „Teilnahme an einer Verbindung, zu deren Zwecken oder Beschäftigungen gehört, Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung von Gesetzen durch ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften“, unter Strafe stellte. Unter den sog. Sozialistengesetzen (von 1878 bis 1890) kam § 129 RStGB vermehrt gegen
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Mitglieder der SPD zum Tragen.335 Während der Weimarer Republik blieben die §§ 128, 129 RStGB weiterhin bestehen. Mit dem Republikschutzgesetz von 1922 wurde als Ergänzung § 7 Nr. 4 RStGB eingeführt. Ziel war es, diejenigen zu bestrafen, die an einer geheimen oder staatsfeindlichen Verbindung i. S. der §§ 128, 129 des Strafgesetzbuchs teilnahmen, die danach strebte, die verfassungsmäßig festgestellte republikanische Staatsform des Reichs oder eines Landes zu untergraben, oder diejenigen zu bestrafen, die die Vereinigung mit Rat und Tat, insbesondere mit Geld, unterstützten.336 Autoren, die die damalige Rechtsprechung untersucht haben, geben an, dass § 7 Nr. 4 RStGB insbesondere auf Mitglieder der KPD Anwendung fand.337 Mit dem 1. Strafrechtsänderungsgesetz von 1951 wurden die Organisationsdelikte neu gefasst und es wurde § 129 StGB verändert. Zum einen wurde der Begriff „Verbindung“ durch den Begriff „Vereinigung“ ersetzt und zum anderen wurde der Vereinigungszweck verändert. Demnach musste die Vereinigung den Zweck der Begehung von Straftaten allgemein verfolgen. Ebenfalls wurde durch das 1. StrÄG von 1951 die Tathandlung des Unterstützens eingeführt. In den 1950er Jahren kam der § 129 StGB vermehrt gegen als kommunistisch eingestufte Organisationen (z. B. gegen die Arbeitsgemeinschaft demokratischer Juristen (ADJ) oder auch gegen die KPD) zum Tragen.338 Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass es sich bei Parteien nicht um kriminelle Vereinigungen i. S. des § 129 StGB handle, wurden mit dem Vereinsgesetz von 1964 politische Vereinigungen aus dem Tatbestand gestrichen.339 Ebenfalls wurde durch das Vereinsgesetz die Tatbestandsalternative „Werben“ in den § 129 StGB mit eingeführt. Durch das 34. StrÄG von 2002 wurde der § 129b in das StGB eingeführt und somit der Anwendungsbereich des § 129 StGB auf ausländische kriminelle Vereinigungen erweitert. Außerdem wurde durch das Gesetz die Handlungsalternative des „Werbens“ auf das Werben um Mitglieder oder Unterstützer beschränkt, sodass die Sympathiewerbung entkriminalisiert wurde. Der Gesetzgeber wollte mit der Entkriminalisierung der Sympathiewerbung verhindern, dass sich die bereits
335 Gräßle-Münscher, Der Tatbestand der kriminellen Vereinigung (Paragraph 129 StGB) aus historischer und systematischer Sicht, S. 23 ff.; Fürst, Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 20 ff. 336 Vertiefend zum § 7 Nr. 4 siehe Felske, Kriminelle und terroristische Vereinigungen – §§ 129, 129a StGB, S. 166 ff.; Vertiefend zum strafrechtlichen Republikschutz in der Weimarer Republik siehe Großmann, Die Weimarer Reichsverfassung und das Strafrecht in: Koch/ Kubiciel / Löhnig (Hrsg.), Strafrecht zwischen Novemberrevolution und Weimarer Republik, S. 43 ff. 337 Gräßle-Münscher, Der Tatbestand der kriminellen Vereinigung (Paragraph 129 StGB) aus historischer und systematischer Sicht, S. 36 ff.; Fürst, Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 23. 338 Fürst, Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 29 f. 339 BVerfGE 17, 155 (163 ff.).
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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existierenden Auslegungsschwierigkeiten der Tathandlung „Werben“ durch die Erweiterung der §§ 129, 129a StGB (Erstrecken der Tathandlungen auf ausländische Vereinigungen) weiter verschärfen.340 Der Gesetzgeber führte zudem an, dass die Sympathiewerbung auch ohne Einbußen für bedeutende Rechtsgüter aus dem Tatbestand gestrichen werden könne, da die Rechtsprechung der Sympathiewerbung ohnehin nur einen geringen Unrechtsgehalt zuweise.341 Eine abermalige Veränderung der Vorschrift erfolgte mit dem Rahmenbeschluss 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität.342 Mit dem Ziel der Harmonisierung der materiellen Strafvorschriften im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität (OK) sah Art. 1 des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI eine Definition der kriminellen Vereinigung vor, die viel weiter ging als die Definition, die durch die Rechtsprechung des BGH im Rahmen des § 129 StGB entwickelt wurde. Der BGH lehnte in seiner Entscheidung vom 3. Dezember 2009 eine Anpassung seiner Rechtsprechung an den Rahmenbeschluss ab. Letztendlich wurde der Vereinigungsbegriff durch das 54. StrÄG zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität vom 17. Juli 2017 in Anlehnung an den Rahmenbeschluss neu definiert. Neben der Veränderung des Vereinigungsbegriffs wurde durch das 54. StrÄG auch die Strafandrohung für das Unterstützen und Werben auf bis zu drei Jahre gesenkt.
c) Strafbegründung In der Lehre gibt es Uneinigkeiten bezüglich des Rechtsgutes der §§ 129 und 129a StGB und es wird diskutiert, ob die beiden Normen ein eigenständiges Rechtsgut schützen. Der h. M. zufolge schützen diese Vorschriften in erster Linie die staatliche Ordnung und die öffentliche Sicherheit – einschließlich des öffentlichen Friedens.343 Laut dieser Meinung stelle die bloße Existenz einer Vereinigung aufgrund ihrer Struktur und der ihr innewohnenden Eigendynamik ein besonderes Gefahrenpotenzial für die Allgemeinheit dar.344 Die mitgliedschaftliche Beteiligung sowie das Unterstützen oder Werben für eine kriminelle oder terroristische 340
BT-Drucks. 14/8893, S. 8. BT-Drucks. 14/8893, S. 8; krit. bezüglich der Entkriminalisierung der Sympathiewerbung in der Debatte im Bundestag siehe z. B. Weiß (CSU), Plenarprotokoll Nr. 776. Sitzung v. 31. 5. 2002; S. 299 f.; Geis (CDU / CSU), Plenarprotokoll Nr. 14/248, 39. Sitzung v. 4. 6. 2002; S. 25079 ff. 342 Vertiefend zu dem Rahmenbeschluss 2008/841/JI siehe Sieber / Satzger / von HeintschelHeinegg-Kreß / Gazeas, § 18, Rn. 7 f. 343 BGHSt 30, 328 (331); Rebmann, NStZ 1981, 457 (458); Lackner / Kühl-Kühl, § 129, Rn. 1; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 129, Rn. 1; LK-Krauß, § 129, Rn. 1 ff.; MK-Schäfer / Anstötz, § 129, Rn. 1. Für Bützler schützen die §§ 129, 129a die innere Sicherheit; siehe Bützler, Staatsschutz mittels Vorfeldkriminalisierung, S. 104 ff. 344 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 129, Rn. 1; LK-Krauß, § 129, Rn. 1. 341
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Vereinigung habe eine gemeinschaftsbezogene Dimension, die über deliktische Einzelaktionen hinausginge. Aus diesem Grund würden die §§ 129 und 129a StGB nicht nur Individualrechtsgüter schützen.345 Der Gegenauffassung zufolge schützen die §§ 129 und 129a StGB kein eigenes, spezifisches Rechtsgut, sondern die Rechtsgüter des Besonderen Teils des Strafrechts.346 Dieser Auffassung zufolge schaffen kriminelle oder terroristische Vereinigungen und die ihnen innewohnende Eigendynamik in erster Linie eine Gefahr für die Rechtsgüter des Staates und seiner Bürger. Deshalb sollten diese Vorschriften Angriffe auf die Rechtsgüter des BT im Vorfeld verhindern.347 Bei den §§ 129 und 129a StGB handle es sich dieser Auffassung zufolge lediglich um eine über den § 30 Abs. 1 StGB hinausgehende Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes.348 Einigkeit herrscht jedoch über die Deliktsnatur des § 129 StGB. Dem Schrifttum zufolge handelt es sich hierbei um ein Organisationsdelikt349 sowie um ein abstraktes Gefährdungsdelikt350. Die Vorverlagerung der Strafbarkeit wird von der h. M. mit der erhöhten Gefährlichkeit begründet, die von kriminellen und terroristischen Vereinigungen ausgehe.351 Die erhöhte Gefährlichkeit dieser Vereinigungen ergebe sich nicht nur aus der gemeinschaftlichen Begehungsweise, sondern auch aus der ihnen innewohnenden Eigendynamik, die dazu führe, dass das Verantwortungsgefühl der einzelnen Mitglieder reduziert werde oder sogar gänzlich verschwinde.352 Der gruppendynamische Effekt, der sich innerhalb der Vereinigung entfalten könne, solle zu einer kriminellen Stimulierung der Mitglieder und zu einem Abbau der Hemmschwelle führen sowie ganz allgemein die Begehung von Straftaten er-
345
LK-Krauß, § 129, Rn. 2; MK-Schäfer / Anstötz, § 129, Rn. 2. Langer-Stein, Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen (§§ 129, 129a StGB), 1987, S. 150 ff.; Fürst, Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, 1989, S. 68; Scheiff, Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen (§ 129 StGB)?, 1997, S. 25 ff.; Hefendehl, StV 2005, 160; Fröba, Die Reichweite des § 129a StGB bei der Bekämpfung des transnationalen islamistischen Terrorismus, S. 95; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 500 ff.; Hawickhorst, § 129a StGB – ein feindstrafrechtlicher Irrweg zur Terrorismusbekämpfung, S. 151 f. 347 Rudolphi, FS für Bruns, S. 317; Fürst, Grundlagen und Grenzen der §§ 129, 129a StGB, S. 68; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 514 f. 348 Rudolphi, FS für Bruns, S. 317; Hefendehl, StV 2005, 160. 349 Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 512; LK-Krauß, § 129, Rn. 5. 350 Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 512; NK-Ostendorf, § 129, Rn. 5; Anw-StGB-Gazeas, § 129, Rn. 3; LK-Krauß, § 129, Rn. 4; MK-Schäfer / Anstötz, § 129, Rn. 4; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 129, Rn. 3; abweichend davon Langer-Stein, für die §§ 129 und 129a sowohl ein abstraktes als auch ein konkretes Gefährdungsdelikt ist; siehe Langer-Stein, Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen (§§ 129, 129a StGB), S. 212–213. 351 BGHSt 28, 147; Scheiff, Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen (§ 129 StGB)?, S. 28; NK-Ostendorf, § 129, Rn. 5; LK-Krauß, § 129. Rn. 4. 352 Rudolphi, FS für Bruns, S. 317; Scheiff, Wann beginnt der Strafrechtsschutz gegen kriminelle Vereinigungen (§ 129 StGB)?, S. 28; NK-Ostendorf, § 129, Rn. 5; LK-Krauß, § 129, 346
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leichtern.353 Aufgrund dieser besonderen Gefährlichkeit, die von kriminellen und terroristischen Vereinigungen ausgehe, solle mit den §§ 129 und 129a StGB bereits die Existenz und die Förderung solcher Vereinigungen bestraft werden.354
d) Objektiver Tatbestand Bestraft wird, wer um Mitglieder oder Unterstützer für eine Vereinigung wirbt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind.
aa) Kriminelle Vereinigung Wie im geschichtlichen Teil bereits erwähnt, wurde der Vereinigungsbegriff durch das 54. StrÄG von 2017 zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2008/841/ JI wesentlich verändert. Vor der Veränderung durch das 54. StrÄG definierte die Rechtsprechung die Vereinigung als eine auf eine gewisse Dauer angelegte organisatorische Vereinigung von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und derart in Beziehung zu einander stehen, dass sie sich untereinander als einheitlicher Verband fühlen.355 Die Voraussetzung eines übergeordneten Gruppenwillens, d. h. die Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit, hatte zur Folge, dass hierarchisch strukturierte Organisationen, bei denen die Befehle nur einseitig erteilt werden (wie sie z. B. im Bereich der Organisierten Kriminalität (OK) anzutreffen sind) nicht von § 129 StGB erfasst wurden.356 Der europäische Vereinigungsbegriff im Rahmenbeschluss 2008/841/JI sah eine der deutschen Begriffsdefinition vor dem 54. StrÄG ähnliche Dauer und auch Mindestgröße der Vereinigung vor. Jedoch unterschieden sich die Vereinigungsbegriffe
Rn. 1; MK-Schäfer / Anstötz, § 129, Rn. 2; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 129, Rn. 2. Langer-Stein steht dem Argument einer erhöhten Gefährlichkeit von kriminellen Vereinigungen aufgrund der sich entwickelnden Eigendynamik eher skeptisch gegenüber. Sie erkennt ein erhöhtes Gefährdungspotenzial von kriminellen Vereinigungen in anderen Elementen, z. B. in der Dauerhaftigkeit des Zusammenschlusses oder in der ständigen Bereitschaft der Mitglieder, Straftaten zu begehen. Siehe Langer-Stein, Legitimation und Interpretation der strafrechtlichen Verbote krimineller und terroristischer Vereinigungen (§§ 129, 129a StGB), S. 180 ff. 353 Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 95 Rn. 3; Für Schroeder dient der § 129 sowie auch der § 129a der Unterdrückung kriminogener Verhaltensweisen, d. h., dass die Vorschriften die Anregung des Entschlusses zu Straftaten verhindern sollen. Siehe Schroeder, Die Straftaten gegen das Strafrecht, S. 6. 354 Giehring, StV 1983, 296 (302). 355 BGH NJW 1979, 172; BGH NJW 1992, 1518; BGH NJW 1999, 1876 (1878); BGH NJW 2006, 1603. 356 Siehe Kress, JA 2005, 220.
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in Bezug auf die organisatorischen und voluntativen Anforderungen, die im Rahmenbeschluss weiter gefasst waren als in den deutschen Vorgaben.357 Eine Vereinigung wird heutzutage in § 129 Abs. 2 StGB n. F. als ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger, organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses definiert.358 Demnach genügt nunmehr eine rudimentäre Organisationsstruktur und es wird kein übergeordneter Gruppenwille gefordert.359 Auf diese Weise erfassen die §§ 129 und 129a StGB nunmehr auch Organisationen, bei denen sich die Mitglieder einem autoritären „Anführerwillen“ unterwerfen, und somit auch Gruppen, die der OK angehören.360 Der Zweck oder die Tätigkeit der Vereinigung muss auf die Begehung von mehreren Straftaten gerichtet sein, die im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Dabei muss es sich um Straftaten handeln, die eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, und die aufgrund dessen von Gewicht sind.361 Dabei kann es sich jedoch nur um solche Straftaten handeln, die mit der Gründung oder der Aufrechterhaltung der Vereinigung nicht zusammenfallen und die sowohl zeitlich als auch logisch davon getrennt sind.362 Eine Vereinigung ist auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet, wenn sie das verbindlich festgelegte Ziel verfolgt, Straftaten i. S. des § 129 StGB zu begehen.363 Die Vereinigung muss dabei auf den Zweck der gemeinschaftlichen Begehung von Straftaten hin konzipiert sein.364 Nicht ausreichend ist es, wenn nur der Anführer oder einzelne Mitglieder das Ziel verfolgen, Straftaten zu begehen.365 Auch braucht die Begehung von Straftaten nicht das Endziel oder der Hauptzweck der Vereinigung zu sein; es reicht aus, wenn die Begehung von Straftaten das Mittel zur Erreichung anderer Zwecke ist.366 Ebenfalls müssen die Straftaten weder im Einzelnen konkretisiert noch geplant oder vorbereitet worden sein.367
357
Sieber / Satzger / von Heintschel-Heinegg-Kreß / Gazeas, § 18, Rn. 14. Kritik der neuen Fassung des § 129 siehe Selzer, KriPoZ 2018, 224. 359 BT-Drucks. 18/11275, S. 11. 360 BT-Drucks. 18/11275, S. 11. 361 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 129, Rn. 6; Satzger / Schluckebier / WidmaierLohse, § 129, Rn. 28. 362 NK-Ostendorf, § 129, Rn. 14; LK-Krauß, § 129, Rn. 52. 363 LK-Krauß, § 129, Rn. 64; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 129, Rn. 30; Fischer, § 129, Rn. 16. 364 BGH, NJW 2005, 80 (81); LK-Krauß, § 129, Rn. 64; Satzger / Schluckebier / WidmaierLohse, § 129, Rn. 30; BeckOK StGB-Heintschel-Heinegg, § 129, Rn. 7. 365 LK-Krauß, § 129, Rn. 64; Fischer, § 129, Rn. 19. 366 Lackner / Kühl-Heger, § 129, Rn. 3; LK-Krauß, § 129, Rn. 65; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 129, Rn. 30; Fischer, § 129, Rn. 17. 367 Lackner / Kühl-Heger, § 129, Rn. 3; LK-Krauß, § 129, Rn. 66; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 129, Rn. 30; BeckOK StGB-Heintschel-Heinegg, § 129, Rn. 7. 358
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bb) Werben Unter Werben wird das planmäßige Vorgehen mit dem für den Durchschnittsadressaten erkennbaren Ziel verstanden, andere für die Organisation zu gewinnen.368 Nach der Veränderung durch das 34. StrÄG von 2002 wird lediglich das Werben um Mitglieder und Unterstützer geahndet. Die bloße Sympathiewerbung –, also das befürwortende Eintreten für eine solche Vereinigung, die Rechtfertigung ihrer Ziele oder der aus ihr heraus begangenen Straftaten, sowie die Verherrlichung ihrer Ideologie – wird seit 2002 nicht mehr erfasst.369 Um Mitglieder für eine kriminelle Vereinigung i. S. des § 129 Abs. 2 StGB wirbt, wer sich um die Gewinnung von Personen bemüht, die sich mitgliedschaftlich in die Organisation einer bestimmten derartigen Vereinigung einfügen.370 Um Unterstützer wirbt, wer bei anderen die Bereitschaft wecken will, die Tätigkeit oder die Bestrebungen einer solchen Vereinigung direkt oder über eines ihrer Mitglieder zu fördern, ohne sich selbst als Mitglied in die Organisation einzugliedern.371 Die Werbung kann sich sowohl an eine konkrete Person als auch an eine unbestimmte Vielzahl von Personen richten.372 Unerheblich ist dabei die Form der Werbung: Sie kann mündlich, schriftlich, offen oder verdeckt erfolgen.373 Es muss außerdem bei der Werbung nicht zu einem Erfolg gekommen sein, sodass auch der erfolglose Versuch, andere als Mitglieder oder Unterstützer für die Vereinigung zu gewinnen, erfasst wird.374 Das Werben muss von einem Nicht-Mitglied der Vereinigung ausgeführt werden. Erfolgt die Werbung durch Mitglieder der Vereinigung, handelt es sich um ein „Sich-Beteiligen“ als Mitglied (§ 129 Abs. 1 Alt. 2 StGB).375 Die bloße Wiedergabe fremder Werbung, ohne dass sich der Betreffende die werbende Äußerung zu eigen macht, unterliegt nicht der Strafbarkeit.376
368 Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 536; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 129, Rn. 14b; LK-Krauß, § 129, Rn. 107; MK-Schäfer / Anstötz, § 129, Rn. 93. 369 BGH NStZ 2007, 635 (636); BGH BeckRS 2013, 1320; BGH NStZ 2015, 636 (637). 370 NK-Ostendorf, § 129, Rn. 19. 371 BGH NJW 2007, 2782 (2785); BGH NStZ 2015, 636 (637); BGH BeckRS 2018, 17549; BGH BeckRS 2019, 2677; LK-Krauß, § 129, Rn. 107; MK-Schäfer / Anstötz, § 129, Rn. 99; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 129, Rn. 39; Fischer, § 129, Rn. 43 ff. 372 BGH NStZ 2007, 635 (637); BGH BeckRS 2019, 2677; LK-Krauß, § 129, Rn. 115; MKSchäfer / Anstötz, § 129, Rn. 101; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 129, Rn. 40. 373 Zöller, Terrorismusstrafrecht, 2009, S. 536; LK-Krauß, § 129, Rn. 115; MK-Schäfer / Anstötz, § 129, Rn. 101; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 129, Rn. 40. 374 BGH NStZ 2007, 635 (637); BGH BeckRS 2018, 17549; BGH BeckRS 2019, 2677; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 129, Rn. 14; LK-Krauß, § 129, Rn. 116; MK-Schäfer / Anstötz, § 129, Rn. 100; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 129, Rn. 40. 375 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 129, Rn. 14; LK-Krauß, § 129, Rn. 114; MKSchäfer / Anstötz, § 129, Rn. 106; krit. SK-StGB-Stein / Greco, § 129, Rn. 50. 376 BGH NJW 2007, 2782 (2785); Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 536; Sch / Sch-SternbergLieben / Schittenhelm, § 129, Rn. 14a; LK-Krauß, § 129, Rn. 117; Fischer, § 129, Rn. 46.
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Die Werbung muss objektiv dazu geeignet sein, von dem im Einzelfall angesprochenen verständigen Durchschnittsadressaten als Werbung um Mitglieder und Unterstützer – und dies zu Gunsten einer konkreten Vereinigung – aufgefasst zu werden.377 Für die Feststellung des werbenden Charakters muss der Gesamtumstand und der Gesamtzusammenhang betrachtet werden; d. h., dass sowohl der Wortlaut und der sprachliche Kontext der Äußerung als auch die für die Zuhörer erkennbaren Begleitumstände betrachtet werden müssen.378 Die Werbung muss sich auf eine bereits existierende Vereinigung beziehen und nicht erst auf die Neugründung einer solchen Vereinigung. Die Werbung für eine Neugründung wird bereits von der ersten Alternative („wer eine Vereinigung gründet“) erfasst.379 Es muss ein konkreter Organisationsbezug gegeben sein; d. h., dass sich die Werbung auf eine konkrete oder zumindest anhand der Umstände konkretisierbare Vereinigung beziehen muss.380 Nicht ausreichend ist ein allgemein gefasster Aufruf, sich an nicht näher gekennzeichneten kriminellen oder terroristischen Aktivitäten zu beteiligen.381 Es besteht auch kein Organisationsbezug, wenn nur eine Vielzahl von „förderungswichtigen“ Vereinigungen erwähnt werden, ohne dass der Kreis dieser Vereinigungen weiter eingeschränkt wird.382 Von daher ist eine Strafbarkeit der Aufforderung, sich dem „Jihad“ anzuschließen, nicht ausreichend, da der Begriff für eine Vielzahl von islamistischen Aktivitäten steht.383
e) Subjektiver Tatbestand Für den subjektiven Tatbestand bedarf es eines Vorsatzes, wobei ein dolus eventualis ausreicht.384 Der bedingte Vorsatz muss sich auf das Bestehen einer bereits existierenden kriminellen Vereinigung oder auf die Gründung einer zukünftigen kriminellen Vereinigung beziehen.385 Der Täter muss also zumindest billigend in Kauf nehmen, dass sich seine Handlung auf eine kriminelle Vereinigung be377
BGH NJW 1984, 2956 (2957); BGH BeckRS 2013, 1320; BGH NStZ 2015, 636 (637); OLG Düsseldorf NStZ 1990, 145 (146); BayObLG NStZ-RR 1996, 7 (8); BayObLG NStZ-RR 1996, 135; Rebmann, NStZ 1981, 457 (459); LK-Krauß, § 129, Rn. 123; Sch / Sch-SternbergLieben / Schittenhelm, § 129, Rn. 14b; MK-Schäfer / Anstötz, § 129, Rn. 93. 378 BGH NStZ 2007, 635 (637); BGH NStZ 2015, 636 (637); LK-Krauß, § 129, Rn. 109. 379 BayObLG NJW 1998, 2542 (2543); Fröba, Die Reichweite des § 129a StGB bei der Bekämpfung des transnationalen islamistischen Terrorismus, S. 206; LK-Krauß, § 129, Rn. 113; MK-Schäfer / Anstötz, § 129, Rn. 104; Fischer, § 129, Rn. 45. 380 BGH NStZ-RR 2005, 73; Fröba, Die Reichweite des § 129a StGB bei der Bekämpfung des transnationalen islamistischen Terrorismus, S. 202 ff.; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 129, Rn. 14a; LK-Krauß, § 129, Rn. 112; MK-Schäfer / Anstötz, § 129, Rn. 105; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 129, Rn. 42. 381 BGH BeckRS 2007, 9827; BGH NStZ 2015, 636 (637). 382 BGH NStZ-RR 2005, 73; Fischer, § 129, Rn. 45. 383 BGH BeckRS 2007, 9827; BGH NStZ 2015, 636 (637). 384 Siehe LK-Krauß, § 129, Rn. 147. 385 Anw-StGB-Gazeas, § 129, Rn. 43; MK-Schäfer / Anstötz, § 129, Rn. 123.
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zieht.386 Der bedingte Vorsatz muss sich auch auf die kriminelle Zielsetzung der Vereinigung erstrecken.387 Ein solcher Vorsatz fehlt, wenn der Täter in den von der kriminellen Vereinigung begangenen oder geplanten Handlungen kein strafwürdiges Unrecht sieht.388 Der Täter braucht nicht die Einzelheiten der künftig geplanten oder der schon begangenen Straftaten zu kennen.389 Für die Tathandlung des Werbens hingegen muss der Täter mit seiner propagandistischen Handlung auf eine Gewinnung von Mitgliedern oder Unterstützern abzielen. Es bedarf daher für das Werben einer Absicht i. S. eines zielgerichteten Handelns.390
f) Quintessenz Strafrechtich geahndet wird das planmäßige Vorgehen mit dem für den Durchschnittsadressaten erkennbaren Ziel, andere für die Organisation zu gewinnen. Durch den Ausschluss der Sympathiewerbung, d. h. dem einfachen befürwortenden Eintreten für eine solche Vereinigung, der Rechtfertigung ihrer Ziele oder der aus ihr heraus begangenen Straftaten sowie der Verherrlichung ihrer Ideologie, kann erwartet werden, dass durch das Werben ein gewisser Handlungsdruck auf den Motivierten ausgeübt wird, damit sich dieser zumindest einer kriminellen Vereinigung anschließt.
4. Werben für eine terroristische Vereinigung (§ 129a Abs. 5 StGB) a) Normtext § 129a Abs. 5 StGB lautet wie folgt: (5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. 386
Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Schittenhelm, § 129, Rn. 16; MK-Schäfer/Anstötz, § 129, Rn. 123. LK-Krauß, § 129, Rn. 147; Fischer, § 129, Rn. 48. 388 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 129, Rn. 16; LK-Krauß, § 129, Rn. 147; AnwStGB-Gazeas, § 129, Rn. 43; MK-Schäfer / Anstötz, § 129, Rn. 123. 389 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 129, Rn. 16; Anw-StGB-Gazeas, § 129, Rn. 43; MK-Schäfer / Anstötz, § 129, Rn. 123. 390 BGH NJW 1978, 1536; BGH NJW 1988, 1679; BayObLG NStZ-RR 1996, 7 (8); NKOstendorf, § 129, Rn. 25; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 129, Rn. 16; LK-Krauß, § 129, Rn. 148; Anw-StGB-Gazeas, § 129, Rn. 43; MK-Schäfer / Anstötz, § 129, Rn. 124; Fischer, § 129, Rn. 48; a. A. für mindestens einen dolus eventualis siehe Rebmann, NStZ 1981, 457 (462); Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 541. 387
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
b) Geschichtlicher Überblick Auslöser für die Einführung des § 129a StGB waren die terroristischen Gewalttaten in Deutschland, die nach dem Zerfall der Studentenbewegung Ende der 1960er Jahre zunahmen.391 Nach dem Tod eines Studenten während einer Demonstration und dem Attentat auf einen ihrer Wortführer wurde innerhalb der studentischen Protestbewegung darüber diskutiert, ob auch Gewalt ein legitimes Protestmittel sei.392 Eine Minderheit der Studentenbewegung sah in politisch motivierten Gewalttaten eine Lösung, um gehört zu werden. Darauf aufbauend entwickelten sich später u. a. die Rote-Armee-Fraktion (RAF) und die Bewegung 2. Juni.393 Als Reaktion auf die Zunahme von terroristischen Gewalttaten legte die Fraktion CDU / CSU einen ersten Entwurf für ein Gesetz zur Bekämpfung terroristischer krimineller Vereinigungen im Bundestag vor, der die Einführung eines § 129a StGB vorsah.394 Letztendlich wurde die Vorschrift durch das sog. Anti-Terror-Gesetz vom 28. August 1976 in das StGB eingefügt. Anfang der 1980er Jahre gab es einen erneuten Anstieg von terroristischen Angriffen.395 Darauf reagierte der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus vom 1. Januar 1987, welches u. a. den Katalog des § 129a StGB erweiterte und den Strafrahmen anhob.396 Durch das 34. StrÄG vom 22. August 2002 wurde zum einen die Tathandlung des Werbens in den §§ 129 und 129a StGB auf das Werben um Mitglieder und Unterstützer beschränkt und zum anderen wurde durch die Einführung des § 129b StGB der Anwendungsbereich der Vorschriften auf kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland ausgeweitet. Durch das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung und zur Änderung anderer Gesetze vom 22. Oktober 2003 wurde der § 129a StGB grundlegend verändert. In Abs. 2 wurde 391
Felske, Kriminelle und terroristische Vereinigungen – §§ 129, 129a StGB, S. 349. Während einer Demonstration am 2. Juni 1967 gegen den Besuch des Schahs von Persien wurde der Student Benno Ohnesorg von einem Polizeibeamten erschossen. Am 11. April 1968 schoss ein rechtsextremistischer Täter auf den Wortführer der Studentenbewegung, Rudi Dutschke. 393 Hawickhorst, § 129a StGB – ein feindstrafrechtlicher Irrweg zur Terrorismusbekämpfung, S. 26. 394 In diesem Entwurf werden die Ermordung des Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann, die Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Lorenz und der Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm als Beweise für die Gefährlichkeit von terroristischen kriminellen Banden für die innere Sicherheit der BRD aufgelistet. Dem Entwurf zufolge sollte mit dem § 129a StGB die Bildung krimineller Vereinigungen, deren Zweck oder Tätigkeit auf bestimmte, für die innere Sicherheit besonders bedrohliche Verbrechen gerichtet ist, als Verbrechen bewertet werden. Siehe BT-Drucks. 7/3661, S. 4 f. 395 Vertiefend zum geschichtlichen Hintergrund siehe Felske, Kriminelle und terroristische Vereinigungen – §§ 129, 129a StGB, S. 400 ff.; Hawickhorst, § 129a StGB – ein feindstrafrechtlicher Irrweg zur Terrorismusbekämpfung, S. 37 ff. 396 BT-Drucks. 10/6635. 392
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
123
der Straftatenkatalog erweitert und z. B. die Computersabotage (§ 303b StGB), die Zerstörung von Bauwerken oder die Herbeiführung von schweren Körperverletzungen mit aufgenommen. Da der Unrechtsgehalt der Katalogtaten von Abs. 2 jedoch deutlich geringer ist als der des Abs. 1, verlangt Abs. 2, dass die Katalogtaten außerdem noch eine besondere Bestimmung und eine bestimmte Eignung erfüllen. Mit dem Gesetz von 2003 wurde ebenfalls ein neuer Abs. 3 eingefügt, der die Androhung durch eine terroristische Vereinigung von einer der in Abs. 1 und 2 genannten Katalogtaten unter Strafe stellt. Schließlich wurde durch das 54. StrÄG von 2017 der Vereinigungsbegriff für § 129 und § 129a StGB neu definiert.
c) Strafbegründung Für die Bestimmung des Rechtsgutes kann hier auf die Ausführungen zu § 129 verwiesen werden, da beide Vorschriften das gleiche Rechtsgut schützen.397 Sowohl bei § 129a als auch bei § 129 StGB handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt398 sowie um ein Organisationsdelikt399. Wie § 129 StGB bezweckt auch § 129a StGB den Schutz vor besonders gefährlichen Vereinigungen.400 Die erhöhte Gefährlichkeit dieser Vereinigungen ergibt sich, wie bereits für § 129 StGB erläutert, aus der Eigendynamik, die zu einer Enthemmung führen kann.401 Mit § 129a StGB wird die Strafbarkeit vorverlagert und es sollen konkrete strafbare Handlungen noch im Vorfeld der eigentlichen Straftatenbegehung abgewehrt werden.402 Hierbei soll insbesondere die Begehung der Katalogstraftaten verhindert werden, die in § 129a StGB normiert sind.403
d) Objektiver Tatbestand aa) Terroristische Vereinigung Aufgrund des 54. StrÄG und der neuen Definition des Vereinigungsbegriffs sowie des Verweises in § 129a Abs. 1 auf § 129 Absatz 2 StGB muss der Begriff 397
LK-Krauß, § 129a, Rn. 1; MK-Schäfer / Anstötz, § 129a, Rn. 1. Rebmann, NStZ 1981, 457 (458); LK-Krauß, § 129a, Rn. 2; Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 512; Hawickhorst, § 129a StGB – ein feindstrafrechtlicher Irrweg zur Terrorismusbekämpfung, S. 101; MK-Schäfer / Anstötz, § 129a, Rn. 4; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 129a, Rn. 3. 399 Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 512; Hawickhorst, § 129a StGB – ein feindstrafrechtlicher Irrweg zur Terrorismusbekämpfung, S. 99; MK-Schäfer / Anstötz, § 129a, Rn. 4; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 129a, Rn. 3. 400 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 129 a, Rn. 1. 401 Zöller, Terrorismusstrafrecht, 2009, S. 503; MK-Schäfer / Anstötz, § 129a, Rn. 1. 402 Weißer, JZ 2008, 388 (390 f.); Hawickhorst, § 129a StGB – ein feindstrafrechtlicher Irrweg zur Terrorismusbekämpfung, S. 101. 403 Griesbaum, FS für Nehm, S. 129. 398
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
in beiden Vorschriften gleich definiert werden.404 Für die Definition des Vereinsbegriffs wird daher auf die Erläuterung in § 129 StGB verwiesen. Eine terroristische Vereinigung unterscheidet sich von einer kriminellen Vereinigung aufgrund des von ihr verfolgten Zwecks: Während in § 129 StGB die Vereinigung auf die Begehung mehrerer Straftaten von erheblicher Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgerichtet sein muss, müssen die Tätigkeit oder der Zweck von terroristischen Vereinigungen darauf ausgerichtet sein, die in § 129a Abs. 1 oder 2 StGB abschließend aufgezählten Straftaten zu begehen oder anzudrohen.405 Es handelt sich daher nicht um eine terroristische Vereinigung, wenn es sich hierbei nur um die Begehung einer einzelnen Katalogtat handelt.406 Die Vereinigung muss zudem auf den Zweck der gemeinschaftlichen Begehung von den Katalogstraftaten hin konzipiert sein.407 Bei den Katalogtaten in Abs. 1 handelt es sich um Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches), Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder um Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b StGB. Der Straftatenkatalog in Abs. 2 wurde durch die Umsetzung des Rahmenbeschlusses vom 13. Juni 2002 erweitert. Da die Katalogstraftaten in Abs. 2 jedoch einen geringeren Unrechtsgehalt als die Straftaten in Abs. 1 aufweisen, müssen die Taten außerdem besondere Bestimmungen sowie auch eine besondere Eignung aufweisen. Demzufolge müssen die bezweckten Katalogtaten dazu bestimmt sein, – die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern oder – eine Behörde oder eine internationale Organisation zu nötigen oder – die politische, verfassungsrechtliche, wirtschaftliche oder soziale Grundstruktur eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beschädigen. Außerdem muss die Katalogtat durch die Art ihrer Begehung oder ihrer Auswirkungen konkret dazu geeignet sein, einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich zu schädigen. In Abs. 3 wird die Androhung von einer der in Abs. 1 und 2 genannten Katalogstraftaten unter Strafe gestellt.
404 405 406 407
Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. II. 3. d) aa). LK-Krauß, § 129a, Rn. 41 ff. Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 129a, Rn. 2; Fischer, § 129a, Rn. 5. LK-Krauß, § 129a, Rn. 41.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
125
bb) Werben Bestraft wird, wie in § 129 StGB, nur die Werbung um Mitglieder oder Unterstützer. Es gelten die gleichen Ausführungen wie für das Werben in § 129 StGB.408
e) Subjektiver Tatbestand Für den subjektiven Tatbestand ist Vorsatz erforderlich, wobei zumindest ein bedingter Vorsatz ausreicht.409 Der Vorsatz muss sich auf das Bestehen einer terroristischen Vereinigung beziehen und der Täter muss es zumindest für möglich halten und billigend in Kauf nehmen, dass der Zweck oder die Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung oder die Androhung von Katalogstraftaten i. S. Abs. 1 und 2 gerichtet ist.410 Der h. M. zufolge ist im Falle des Abs. 2, was die Eignung betrifft, außerdem mindestens ein dolus eventualis notwendig, während es für die Bestimmung eines direkten Vorsatzes bedarf.411 Für die Tathandlung des Werbens bedarf es auch einer Absicht i. S. eines zielgerichteten Handelns.412
f) Quintessenz Wie für § 129 Abs. 1 StGB wird hier lediglich das planmäßige Vorgehen mit dem für den Durchschnittsadressaten erkennbaren Ziel erfasst, andere für die Organisation zu gewinnen. Mit der Streichung der Sympathiewerbung hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass das Werben einen gewissen Handlungsdruck zum Ausdruck bringen muss.
B. Indirekte Motivation zur Begehung einer Straftat Als indirekte Motivationsdelikte werden diejenigen Tatbestände klassifiziert, bei denen sich die Motivation primär an die Emotionen und Gefühle von Dritten richtet und bei denen kein klar ausgedrückter Handlungswunsch des Rhetors erkennbar ist. Innerhalb der indirekten Motivationsdelikte werden die Tatbestände in drei Kategorien aufgeteilt: opferbezogene indirekte Motivationsdelikte, mit denen
408
Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. II. 3. d) bb). Zöller, Terrorismusstrafrecht, S. 540; LK-Krauß, § 129a, Rn. 109; MK-Schäfer / Anstötz, § 129a, Rn. 59; Fischer, § 129a, Rn. 22. 410 Hawickhorst, § 129a StGB – ein feindstrafrechtlicher Irrweg zur Terrorismusbekämpfung, S. 122; Fischer, § 129a, Rn. 22. 411 LK-Krauß, § 129a, Rn. 109; MK-Schäfer / Anstötz, § 129a, Rn. 61; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 129a, Rn. 19. 412 Siehe hierzu § 129 StGB in der Arbeit oben Teil 2 Kapitel 1 A. II. 3. 409
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
negative Emotionen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen geschürt werden (I.); tatbezogene indirekte Motivationsdelikte, die darauf abzielen, ein gesteigertes Maß von Emotionen in Bezug auf Straftaten zu erwecken (II.); und organisationsbezogene indirekte Motivationsdelikte, die Einwirkungen auf die gefühlsmäßige Wahrnehmung von verbotenen oder kriminellen Organisationen erfassen (III.).
I. Opferbezogene indirekte Motivationsdelikte – Schüren von Emotionen gegenüber Personengruppen Erfasst werden hier jene Tatbestände, in denen die Gefahr gesehen wird, dass sie in Dritten eine aggressive Emotionalisierung gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen hervorrufen, wodurch Tatgeneigte zu Angriffen gegen diese Gruppen motiviert werden könnten.
1. Aufstacheln zum Hass gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB) Nachgehend untersucht wird das Aufstacheln zum Hass, das in § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB normiert ist. In § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB werden Verbreitungshandlungen solcher Inhalte, die zu Hass aufstacheln erfasst. Bestraft wird das Verbreiten solcher Inhalte, das Zugänglichmachen, oder das Anbieten, Überlassen, Zugänglichmachen an eine Person unter 18 Jahren. Mit § 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB wird das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Bewerben, Ein- oder Ausführen solcher Inhalte (von Nr. 1a-c) mit der Absicht einer Verwendung unter Strafe gestellt. Um – wie schon für die Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen (Teil II., Kapitel I., I., B., 2.) – mögliche Wiederholungen des zuvor Gesagten und des Folgenden zu vermeiden und um den Tatbestand nicht unnötig auseinanderzuziehen, werden die § 130 Abs. 2 Nr. 1a und Nr. 2 StGB weiterhin lediglich erwähnt, ohne dass sie im Einzelnen untersucht werden.
a) Normtext Neben der Variante des Aufforderns zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen wird in § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB auch das Aufstacheln zu Hass bestraft: (1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder […].
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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b) Geschichtlicher Überblick Durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. Juni 1960 wurde der § 130 StGB novelliert und es wurde neben den Begriffen Auffordern, Beschimpfen, böswillig Verächtlichmachen und Verleumden auch der Begriff des Aufstachelns in die Vorschrift eingeführt. Anlass für die Novellierung der Vorschrift war die Zunahme der Verbreitung von antisemitischen und neonazistischen Äußerungen in den Jahren 1959/60.413 Diese „antisemitische Schmierwelle“414 hatte zur Folge, dass immer mehr Stimmen sowohl in Deutschland wie auch im Ausland laut wurden, die ein Eingreifen des Gesetzgebers forderten. Dem kam der Gesetzgeber mit dem 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. Juni 1960 nach. Mit der Novellierung von 1960 wurde erstmals der Begriff des Aufstachelns zum Hass in die Vorschrift aufgenommen. In dem bis dahin geltenden § 130 StGB wurde das Merkmal des Anreizens verwendet, das schon im Preußischen Strafgesetzbuch verwendet und später vom RStGB wieder aufgenommen wurde.415 In einem von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf zu einem Gesetzes gegen Volksverhetzung vom 5. März 1959 wurde der Begriff „Aufstacheln“ zum ersten Mal anstelle des Begriffs des Anreizens verwendet.416 Nach Ansicht des Gesetzgebers hat der Begriff „Aufstacheln“ einen schärferen Umriss.417 Während in § 130 StGB a. F. das Anreizen zu Gewalttätigkeiten normiert war, wird mit der Novellierung des 6. Strafrechtsänderungsgesetzes in § 130 Abs. 1 StGB n. F. das Aufstacheln zum Hass bestraft. 1994 wurde in Abs. 2 das Verbreiten von Schriften usw., die zu Hass aufstacheln, unter Strafe gestellt.
413 Wie z. B. Aufsprühen von Parolen an die Synagoge und an den Gedenkstein für die Opfer des Nationalsozialismus in Köln 1959, gefolgt von einer Ausbreitung solcher Taten im ganzen Land. Sowie auch die Nieland-Affäre 1957: Nieland ließ eine antisemitische Schmähschrift zirkulieren, in der er von einer „Vergasungslüge“ sprach. Für die Vertiefung der antisemitischen Vorfälle 1959/1960 siehe Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 154 ff.; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 199, 200. 414 Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 55; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 199, 200. 415 Siehe § 100 PStGB, der das Anreizen zu Gewalttätigkeiten unter Strafe stellte oder §§ 112, 130, 210 des RStGB. Das Anreizen wurde als eine Einwirkung auf die Sinne und Leidenschaften verstanden, also als eine indirekte Beeinflussung des Willens. Siehe RGSt 63, 170 (173); Heuss, Anreizung zum Klassenkampf, S. 41 ff.; Prinz, Die Anreizung zum Zweikampf, S. 16 ff.; Rohrßen, Von der „Anreizung zum Klassenkampf“ zur „Volksverhetzung“ (§ 130 StGB), S. 27; Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 244. 416 BT-Drucks. III/918. 417 BT-Drucks. III/918, S. 3.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
c) Strafbegründung § 130 Abs. 1 StGB schützt laut der h. M. in erster Linie den öffentlichen Frieden und es handelt sich hierbei um ein abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt.418 Bei § 130 Abs. 2 StGB handelt es sich dagegen um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Wie für die Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen wird die Gefahr des Aufstachelns zum Hass im Wecken der Tatbereitschaft in Dritten gesehen. Es wird befürchtet, dass durch aufstachelnde Äußerungen zu Hass ein potentieller Täter dazu ermutigt werden könnte, Gewalttaten zu begehen.419 Es wird jedoch vertreten, dass das Aufstacheln eine indirekte Form der Aufforderung darstellt, die auf einem psychologischen oder emotionalen Weg zur Begehung von Straftaten motiviert, ohne dass sich der Aufgestachelte der Beeinflussung bewusst ist.420 Während die Anstiftung und die Aufforderung auf den Intellekt der Adressaten einwirken,421 handelt es sich bei der Aufstachelung um eine verschleierte Insinuation und um eine Steuerung der Emotionen.422 Für Redmann wird durch das Aufstacheln eine „mittelbare Beeinflussung“ auf den Adressaten ausgeübt, um durch „die Steuerung der Emotionen den Beeinflussten zu einer (quasi-)selbständigen Handlung zu bewegen“.423 Für Lömker will der aufstachelnde Täter „nur irgendeinen Handlungsreiz wecken, ohne ihm [dem Motivierten] zu erklären, welches Verhalten er von ihm erwartet“.424 Rohrßen merkt an, dass sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Zurechenbarkeit stellt, da Hass zwar in Taten umschlagen kann, es seiner Ansicht nach aber schwer sei, den Nachweis, dass die Gefahr dem Äußernden zuzurechnen sei, zu erbringen.425
418
Für weitere Erläuterungen siehe Strafbegründung Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 7. c). 419 Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 210; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 265. 420 Paeffgen, FS für Hanack, S. 591, 603; oder auch Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 266. 421 Siehe RGSt 63, 170, 173. 422 Paeffgen, FS für Hanack, S. 591, 603; Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 266; ähnlich Lömker, Die gefährliche Abwertung von Bevölkerungsteilen, S. 71. 423 Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 266. 424 Lömker, Die gefährliche Abwertung von Bevölkerungsteilen, S. 63. 425 Rohrßen, Von der „Anreizung zum Klassenkampf“ zur „Volksverhetzung“ (§ 130 StGB), S. 275; Hörnle spricht die Zurechnungsfrage an, geht jedoch nicht weiter darauf ein. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 301 f.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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d) Objektiver Tatbestand aa) Angriffsobjekt Für die Aufstachelung gilt wie für die Aufforderung zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen in § 130 Abs. 1. Nr. 1 Var. 2 StGB, dass sie sich gegen bestimmte Gruppen, Teile der Bevölkerung sowie Einzelpersonen auf Grund deren „nationalen, rassistischen, religiösen oder durch ihre ethnische Herkunft“ bestimmte Zugehörigkeit richtet. Die Anforderung des bestimmten Angriffsobjektes gilt für alle Tatvarianten des Abs. 1.426 In § 130 Abs. 2 StGB, in dem das Verbreiten von Inhalten usw., die zu Hass aufstacheln, unter Strafe gestellt wird, gibt es im Unterschied zu Abs. 1 keine Begrenzung auf Angriffsobjekte im Inland.
bb) Aufstacheln zu Hass Das Aufstacheln zu Hass wird als Einwirkung auf die Sinne und Leidenschaften von Personen definiert, die objektiv dazu geeignet sowie subjektiv dazu bestimmt ist, eine emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil zu erzeugen oder zu verstärken.427 Wie bereits im geschichtlichen Überblick angeführt wurde, deckt sich das Aufstacheln weitgehend mit dem Anreizen des § 130 StGB a. F.428 Jedoch handelt es sich bei der Aufstachelung um eine gesteigerte Form des Anreizens, da mit dem Aufstacheln nicht bloß eine Ablehnung oder Verachtung gegenüber den Angriffsobjekten erzeugt werden soll, sondern es wird beabsichtigt, Feindschaft gegenüber diesen Personen oder Gruppen zu schüren und generell eine feindselige Haltung zu erzeugen.429 Der Aufstachelnde muss dabei im – Unterschied zur Aufforderung – nicht beabsichtigen, eine bestimmte unmittelbare Aktion hervorzurufen.430 Es reicht aus, dass die Äußerung objektiv dazu geeignet und subjektiv dazu bestimmt ist, beim Adressaten eine aggressive Missachtung und Feindschaft zu erzeugen oder zu steigern.431 Erfasst wird auch eine Stimmungs-
426
Siehe daher die Ausführungen bezüglich der Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen in der direkten Motivation zu Straftaten oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 7. d) aa). 427 BGHSt 21, 371 (372); BGHSt 40, 97 (102); BGHSt 46, 212 (217); BGH, Urteil v. 20. 9. 2011 – BGH 4 StR 129/11. 428 Siehe LK-Krauß, § 130, Rn. 46. 429 BGHSt 21, 371 (372); BGH NJW 1968, 309 (310); BGH NStZ 1981, 258; LG Mannheim NJW 1994, 2494; OLG Brandenburg, NJW 2002, 1440 (Parolen wie „Ausländer raus“ erzeugen eine feindselige Haltung sowie eine aggressive Missachtung); LK-Krauß, § 130, Rn. 38; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 46. 430 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 5a. 431 OLG Brandenburg NJW 2002, 1440 (1441).
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
mache, die einen geistigen Nährboden für die Bereitschaft zu Gewalttaten in Bezug auf die angegriffene Bevölkerungsgruppe darstellt.432 In dieser Hinsicht muss es auch nicht zu einem Erfolg i. S. einer tatsächlichen Erzeugung von Hass bei anderen kommen. Es reicht aus, wenn die Äußerungen dazu geeignet sind, einen geistigen Nährboden für Aktionen gegen die betroffenen Bevölkerungsgruppen zu schaffen.433 Sachliche, wahrheitsgemäße Berichterstattungen werden dabei nicht als Aufhetzung gesehen, da sie einen Wahrheitskern beibehalten, auch wenn diese Äußerungen dazu geeignet sein könnten, eine feindselige Haltung zu schaffen.434 Welche Äußerungen werden von § 130 Abs. 1. Nr. 1 Var. 1. StGB konkret erfasst? Unter dem Aufstacheln zu Hass i. S. der Vorschrift fallen z. B. „antisemitische Agitationen“.435 So hat der BGH das Beschmieren des Wahlplakats eines jüdischen Bewerbers mit dem Wort „Jude“ als Forderung für den Ausschluss von Juden von öffentlichen Ämtern verstanden und dies als eine Aufstachelung gesehen, die vor dem geschichtlichen Hintergrund der nationalsozialistischen Judenverfolgung Feindseligkeit gegenüber Menschen jüdischen Glaubens schüren soll.436 Unter den Tatbestand fallen ebenfalls die auf einen PKW aufgesprühten Worte „Juda verrecke“ unter Beifügung eines Hakenkreuzes437 sowie Aufkleber mit Hakenkreuzen, auf denen steht „Kauft nicht bei Juden“438. Wie bei der Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen in § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB ist es nicht erforderlich, dass die Aufstachelung öffentlich erfolgt.439 Die Aufstachelung zum Hass von Einzelpersonen ist demnach auch tatbestandsmäßig. Es genügt, wenn nach den konkreten Umständen mit einem Bekanntwerden in einer breiteren Öffentlichkeit zu rechnen ist.440 In Abs. 2 wird die Strafe auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe festgelegt, wenn die Aufstachelung über eines der aufgezählten Mittel erfolgt. In § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB werden Verbreitungshandlungen solcher Inhalte, die zu Hass aufstacheln erfasst. Bestraft wird das Verbreiten solcher Inhalte, das Zugänglichmachen oder das Anbieten, Überlassen, Zugänglichmachen an eine Person unter 18 Jahren. Mit § 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB wird das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Bewerben, Ein- oder Ausführen solcher Inhalte (von Nr. 1a – c) mit der Absicht einer Verwendung unter Strafe gestellt.
432 433 434 435 436 437 438 439 440
MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 41. Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 5a. Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 5a; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 43. LK-Krauß, § 130, Rn. 47. BGH NJW 1968, 309. OLG Koblenz 11. 11. 1976 – 1 Ss 524/76. BGH 3 StR 449/84 v. 14. 11. 1984. LK-Krauß, § 130, Rn. 79. Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 1; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 25.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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cc) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens Die Aufstachelung zu Hass muss ebenfalls dazu geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören und sich gegen bestimmte, im Tatbestand erläuterte Angriffsobjekte richten. Um zu beurteilen, ob die Tathandlung konkret dazu geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, müssen neben dem Wortlaut und dem sprachlichen Kontext der Äußerung auch alle anderen relevanten Umstände gewürdigt werden.441 Der h. M. nach werden auch Äußerungen erfasst, die in einem kleinen Kreis oder gegenüber Einzelnen ausgesprochen werden, vorausgesetzt, dass nach den konkreten Umständen damit zu rechnen ist, dass der Angriff einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird.442 Hier gelten die Ausführungen, die bereits bezüglich der Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen dargelegt wurden. Eine solche Eignung wird für § 130 Abs. 2 StGB nicht verlangt.
e) Subjektiver Tatbestand Wie bei der Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen bedarf es eines zielgerichteten Handelns. Demnach wird ein dolus directus 1. Grades verlangt.443 Die Aufstachelung zum Hass muss subjektiv dazu bestimmt sein, eine emotional gesteigerte feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil zu erzeugen oder zu verstärken. § 130 Abs. 2 StGB verlangt hingegen lediglich einen bedingten Vorsatz.444
f) Quintessenz Erfasst werden hier Einwirkungen auf die Sinne und Leidenschaften von Personen, die objektiv dazu geeignet sowie subjektiv dazu bestimmt sind, eine emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil zu erzeugen oder zu verstärken. Es handelt sich somit mehr um eine Einwirkung auf die Gefühle und Emotionen als um das Aufbauen eines Handlungsdrucks. Darüber hinaus wird hier – im Unterschied zu den zuvor aufgeführten Motivationsdelikten – nicht die Motivation zu einer bestimmten Tat strafrechtlich geahndet, sondern die Motivation zu einem bestimmten Gefühl: Hass. 441 Siehe hierzu Ausführungen bezüglich der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens in § 130 Abs. 1 Nr. 1 oben. Teil 2 Kapitel 1 A. II. 2. d) cc). 442 BGH, NJW 1979, 1992; OLG Celle NJW 1970, 2257; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 11; SK-StGB-Stein, § 130, Rn. 27; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 25. 443 BGH, BeckRS 2017, 133130; Köln NJW 81, 1280; NK-Ostendorf, § 130, Rn. 37; Sch / SchSternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 5a; LK-Krauß, § 130, Rn. 155; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 101; BeckOK StGB-Rackow, § 130, Rn. 44. 444 Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 7. e).
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
2. Beschimpfen, böswillige Verächtlichmachen oder Verleumden von bestimmten Gruppen, Bevölkerungsteilen oder Einzelpersonen (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB) In § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB wird der Angriff auf die Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden von bestimmten Gruppen, Bevölkerungsteilen oder Einzelpersonen bestraft. In § 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB werden Verbreitungshandlungen solcher Inhalte erfasst. Bestraft wird das Verbreitet solcher Inhalte, das Zugänglichmachen oder das Anbieten, Überlassen, Zugänglichmachen zu einer Person unter achtzehn Jahren. Mit § 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB wird das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Bewerben, Ein- oder Ausführen solcher Inhalte (von Nr. 1a – c) mit der Absicht einer Verwendung unter Strafe gestellt. Um, wie auch schon für die Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen445, mögliche Wiederholungen mit dem Vorhergesagten und dem Folgenden zu vermeiden und um den Tatbestand nicht weiter auseinander zu ziehen, werden die § 130 Abs. 2 Nr. 1a und Nr. 2 StGB weiterhin lediglich erwähnt, ohne dass sie einzeln untersucht werden.
a) Normtext In § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB wird der Angriff auf die Menschenwürde durch Beschimpfen, böswillig Verächtlichmachen oder Verleumden bestraft: (1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, 1. gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder […] 2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet […]
b) Geschichtlicher Überblick Ein ähnlicher Wortlaut zu dem § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB gab es schon in Zeiten der Republikschutzgesetze der Weimarer Republik. In der Tat wurde bereits in den Republikschutzgesetzen das Beschimpfen, das böswillig Verächtlichmachen wie 445
Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 I. A. II. 2.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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auch das Verleumden von Regierungsmitgliedern bestraft.446 In diesen Ausnahmezeiten sollten die Sondergesetze, die die Meinungsäußerungsfreiheit einschränkten, vor allem vor Mordanschläge auf Regierungsmitglieder schützen. Anlässe für den Erlass des ersten Republikschutzgesetzes waren mehrere politisch motivierte Morde.447 So wurde 1921 Matthias Erzberger448 und 1922 der jüdische Reichsaußenminister Rathnau durch Angehörige der Rechten Organisation Consul nach Aufrufen von mehreren nationalistischen Zeitungen ermordet.449 Das Beschimpfen, böswillig Verächtlichmachen oder Verleumden von Bevölkerungsteilen wurde zum ersten Mal durch das 6. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. Juni 1960 in den Volksverhetzungstatbestand eingeführt. Anlass hierfür war, wie schon aufgeführt, eine „antisemitische Schmierwelle“450 und die Verbreitung von antisemitischen und neonazistischen Äußerungen Ende der 60er Jahre. Durch die Novellierung des § 130 StGB von 1994 wurde der Abs. 1 der Vorschrift neugestaltet und die Tathandlungen des Beschimpfens etc. in die Nr. 2 des Absatzes verlegt. Während mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994 das eingrenzende Tatbestandsmerkmal des Angriffs auf die Würde für den Abs. 1 Nr. 1 (d. h. für das Aufstacheln und Auffordern) aufgehoben wurde, wurde das Merkmal des Angriffs auf die Würde als zusätzliche Einschränkung weiterhin verlangt, soweit es das Beschimpfen, Verächtlichmachen oder Verleumden anbelangt.451
c) Strafbegründung Der h. M. nach schützt der § 130 Abs. 1 StGB, Nr. 1 wie auch Nr. 2, in erster Linie den öffentlichen Frieden.452 Dem Schrifttum zufolge handelt es sich bei § 130 Abs. 1 StGB um ein abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt; d. h., dass nicht vorausgesetzt wird, dass der öffentliche Friede konkret gestört oder gefährdet wird.
446
Siehe § 7 Abs. 1 Nr. 2 des Republikschutzgesetzes von 1922 sowie § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Republikschutzgesetzes von 1930. 447 Diese werden auch als Fememorde der Weimarer Republik bezeichnet siehe u. A. Nagel, Fememorde und Fememordprozesse in der Weimarer Republik. 448 Erzberger war der Leiter der Waffenstillstandskommission und unterzeichnete das Abkommen von Compiègne mit welchem Deutschland nach dem Krieg harte Bedingungen auferlegt wurden. 449 Haccius erklärt, dass besonders Rathnau vor seinem Tod „angefeindet und beschimpft“ wurde und dass die bereits existierenden Vorschriften es nicht ermöglichten, dagegen vorzugehen. Mit dem Republikschutzgesetz sollte diese Lücke behoben werden. In: Haccius, Die Gesetze zum Schutz der Republik von 1922 und 1930, insbesondere in ihrer strafrechtlichen Bedeutung, S. 19. 450 Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 55; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 199, 200. 451 BT-Drucks. 12/8411, S. 6. 452 Siehe hierzu Ausführung für Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen und Aufstacheln zu Hass oben jeweils Teil 2 Kapitel 1 A. II. 2. d) aa) und Teil 2 Kapitel 1 B. I. 1. d) aa).
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Es reicht aus, wenn die Tathandlungsalternativen geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören.453 Ebenso wie für § 130 Abs. Nr. 1 StGB wird in der Lehre aufgeführt, dass mit der Ahndung des Beschimpfens, böswillig verächtlich Machens oder Verleumdens verhindert werden soll, dass tatgeneigte Täter durch die Äußerungen zu der Begehung von Straftaten motiviert werden.454 Demnach bestehe die Gefahr, dass durch das Beschimpfen, böswillig Verächtlichmachen oder Verleumden, wenn es im massiven Maß geschieht, d. h., wenn ein Angriff auf die Menschenwürde vorliegt, eine Stimmung geschaffen wird, die eine Brutstätte von Aggressionen gegenüber diesen Bevölkerungsteilen sein kann.455 In der Literatur vertritt u. a. Hörnle die Ansicht, dass der § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB den Zweck verfolgt, vor Äußerungen zu schützen, die aufgrund ihrer Massivität und Vehemenz eine Gefahr darstellen, indem sich dadurch Personen „in ihren eigenen Vorurteilen bestätigt sehen“.456
d) Objektiver Tatbestand aa) Angriffsobjekt Das Beschimpfen, böswillig Verächtlichmachen oder Verleumden muss sich, sowie für die zwei Tathandlungen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB (d. h. Aufstacheln zu Hass sowie die Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen), gegen „nationale, rassistische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft“ bestimmte Gruppen, Teile der Bevölkerung sowie Einzelpersonen wegen ihrer entsprechenden Zugehörigkeit richten. Zur weiteren Ausführung der Angriffsobjekte siehe die Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen.457
bb) Tathandlungen § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasst drei Tathandlungsalternativen: Beschimpfen, böswillig Verächtlichmachen und Verleumden. Beschimpfen ist eine durch Form oder Inhalt besonders verletzende Äußerung der Missachtung.458 Demzufolge geht
453
Siehe LK-Krauß, § 130, Rn. 16. Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 210; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 184. 455 Junge, Das Schutzgut des § 130 StGB, S. 79 ff.; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 288. 456 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 288. 457 Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. II. 7. d) aa). 458 AG Rathenow, NStZ-RR 2007, 341 (342); LG Potsdam LKV 2006, 574; OLG Hamburg NJW 1975, 1088; BGH, MMR 2001, 228; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 5d; LK-Krauß, § 130, Rn. 47; MK-Schäfer-Anstötz, § 130, Rn. 51; Satzger / Schluckebier / Widmaier / Lohse, § 130, Rn. 18; Fischer, § 130, Rn. 11. 454
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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das Beschimpfen über eine bloße Beleidigung hinaus und es wird nicht jede herabsetzende Äußerung von dem Tatbestand erfasst.459 Verächtlichmachen bedeutet, andere durch Werturteil oder Tatsachenbehauptung als Unwert oder unwürdig darzustellen.460 Die Böswilligkeit ist ein subjektives Tatbestandsmerkmal.461 Ein Beispiel für ein böswilliges Verächtlichmachen ist die bildliche Darstellung eines schwarzen Nationalspielers in Kombination mit einem schwarzen Affen auf einem Plakat, da in dieser Darstellung, „Farbige als minderwertig gegenüber Menschen weißer Hautfarbe dargestellt werden“.462 Ein Verleumden liegt vor, wenn unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt oder verbreitet werden, die geeignet sind, die betroffene Gruppe in ihrer Geltung und in ihrem Ansehen herabzuwürdigen, wobei der Täter wider besseren Wissens handeln muss.463 Die Tathandlung des Verleumdens i. S. des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB lehnt sich an den § 187 StGB.
cc) Angriff auf die Menschenwürde Diesem Tatbestandsmerkmal zufolge müssen die Tathandlungen einen Angriff auf die Menschenwürde darstellen. Dieses Merkmal soll zum einen als eine zusätzliche Eingrenzung des Tatbestandes dienen, damit nur die besonders massiven Angriffe bestraft werden und zum anderen soll mit diesem Tatbestandsmerkmal eine klare Trennlinie zu §§ 185 ff. StGB gezogen werden, damit nicht alle möglichen Beleidigungen von § 130 StGB erfasst werden.464 Das Merkmal der Menschenwürde in dem Tatbestand knüpft an Art. 1 Abs. 1 GG an. Jedoch muss der Begriff der Menschenwürde bei § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB in Anbetracht der Entstehungsgeschichte und der Zielsetzung des Gesetzgebers465 enger ausgelegt werden.466 Aufgrund dessen reicht es nicht aus, wenn sich der Angriff nur auf einzelne Persönlichkeitsrechte richtet (wie z. B. die Ehre). Damit ein Angriff auf die Menschenwürde vorliegt, muss der Täter durch seine Tathandlung das Lebensrecht der angegriffenen Person als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemein-
459
LG Potsdam LKV 2006, 574 (575). LG Potsdam LKV 2006, 574 (575); OLG Hamburg, Urteil v. 18. 2. 1975 – 2 Ss 299/74; OLG Stuttgart, NStZ 2010, 453 (454); BGH, NStZ-RR 2006, 305; Satzger / Schluckebier / Widmaier / Lohse, § 130, Rn. 18. 461 Siehe die Ausführung dazu oben in Teil 2 Kapitel 1 B. I. 2. e). 462 OLG Stuttgart NStZ 2010, 453, (454). 463 Siehe LG Potsdam LKV 2006, 574, 575 (576); LK-Krauß, § 130, Rn. 58; Satzger / Schluckebier / Widmaier / Lohse, § 130, Rn. 20; Fischer, § 130, Rn. 11. 464 Siehe BT-Drucks. 12/6853, S. 24; BT-Drucks. 12/7960, S. 6; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 6; LK-Krauß, § 130, Rn. 60; MK-Schäfer, § 130, Rn. 55. 465 OLG Frankfurt, NJW 1995, 143 (144). 466 Lohse, NJW 1985, 1677 (1678); Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 6; MK-Schäfer, § 130, Rn. 62. 460
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
schaft absprechen und sie als minderwertiges Wesen behandeln.467 Jedoch wird nicht vorausgesetzt, dass mit der Tathandlung das biologische Lebensrecht der Angegriffen bestritten wird, wie etwa durch eine Darstellung, in der bestimmte Personen mit Tieren gleichgestellt werden, auf die man „schießt“ oder die man „abschießt“.468 Es wird vielmehr verlangt, dass der Täter „das Menschentum des Angegriffenen bestreitet oder relativiert“.469 Es erscheint jedoch schwer, eine klare Trennlinie zwischen der einfachen, nicht vom Tatbestand erfassten, Verächtlichmachung oder Beschimpfung und einer strafbaren Tathandlung, die die Menschenwürde verletzt, zu ziehen. Auch mit Blick auf die Rechtsprechung ist es nicht einfach, ein einheitliches Bild hinsichtlich dieser Trennlinie zu erstellen.470 Demnach stellen ausländerfeindliche Parolen wie z. B. die Äußerung, „Euch Ausländer sollte man vergasen wie die Juden“, einen Angriff auf die Menschenwürde dar.471 Ebenfalls kann u. a. der Liedtext „Du bist ein Punk, du bist so krank / bist so abnorm und nie in Form / benimmst dich wie das letzte Schwein / Gefällt es dir, Abschaum zu sein?“ einen Angriff auf die Menschenwürde darstellen, da somit „das Recht von Punkern auf Anerkennung als Persönlichkeiten in der Gemeinschaft besonders gehässig und roh verletzt und der unverzichtbare Bereich ihres Persönlichkeitskerns sozial abgewertet“ wird. Dahingegen stellt der Inhalt des Satzes, „Ausländer raus“ bzw. „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“, allein, ohne weitere äußere Anzeichen der Bereitschaft zu Übergriffen oder Gewalttätigkeiten gegenüber Ausländern, keinen Angriff auf die Menschenwürde dar.472 Dies ist auch der Fall bezüglich einer Kundgebung unter dem Motto „Überfremdung stoppen – keine Moschee in E“.473
dd) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens Die Vorschrift verlangt, dass die Tat geeignet sein muss, den öffentlichen Frieden zu stören.474 Der öffentliche Friede muss demnach nicht wirklich gestört oder konkret gefährdet werden. Ebenso wie bei der Aufstachelung zu Hass und der Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen in § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist nicht erforderlich, dass das Beschimpfen usw. vor einem großen Personenkreis erfolgt. Die Angriffe können auch gegenüber einem kleinen Kreis oder gegenüber Einzel467
BT-Druck. III/1746, S. 3; BVerfG NJW 01, 63; BVerfG NJW 08, 2909; NJW, 2001, 61 (63); Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 130, Rn. 6; LK-Krauß, § 130, Rn. 64 ff. 468 Siehe hier den „Buback-Nachruf“: LG Göttingen NJW 79, 173; BayObLG NJW 1995, 145; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 6. 469 BT-Druck. III/1746, S. 3. 470 OLG Frankfurt, NJW 1995, 143 (144). 471 OLG Hamburg MDR 1981, 7. 472 AG Rathenow, NStZ-RR 2007, 341 (342). 473 VG Meiningen Beschl. v. 24. 7. 2012 – 2 E 355/12, BeckRS 2012, 55050. 474 Siehe die Ausführung zur Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens bezüglich der Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen in der Arbeit oben. Teil 2 Kapitel 1 A. II. 2. d) cc).
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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nen ausgesprochen werden, vorausgesetzt, dass nach den konkreten Umständen damit zu rechnen ist, dass der Angriff einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird.475
e) Subjektiver Tatbestand Für das Beschimpfen und Verleumden reicht mindestens ein bedingter Vorsatz aus, der sich auf alle Tatbestandsmerkmale und auch auf die Eignung zur Friedensstörung erstrecken muss.476 Demzufolge geht es darum, dass der „Täter das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt“.477 Was das Verächtlichmachen betrifft, so wird außerdem gefordert, dass es böswillig erfolgt. Eine Äußerung wird als böswillig anerkannt, wenn sie aus niederträchtiger, feindseliger Gesinnung, in der Absicht zu kränken, vorgebracht wird.478 Es handelt sich also um ein Handeln aus verwerflichen Beweggründen.479
f) Quintessenz Erfasst wird hier der Angriff auf die Menschenwürde durch Beschimpfen, böswillig Verächtlichmachen oder Verleumden von bestimmten Gruppen, Bevölkerungsteilen oder Einzelpersonen. Das Tatbestandsmerkmal des Angriffs auf die Menschenwürde soll eingrenzend wirken und ermöglichen, dass nur besonders massive Angriffe bestraft werden und soll somit ebenfalls als eine klare Trennlinie zu §§ 185 ff. StGB fungieren. Trotz dieses als eingrenzend betrachteten Tatbestandsmerkmals erscheint § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB mehr eine Einwirkung auf die Gefühle und Emotionen zu erfassen als das Aufbauen eines Handlungsdrucks.
II. Tatbezogene indirekte Motivationsdelikte – Erweckung eines gesteigerten Maßes an Emotionen in Bezug auf Straftaten Eine Einwirkung auf die Gefühle einer Person ist nicht nur hinsichtlich der Art und Weise, wie ein anderer Mensch wahrgenommen wird, möglich, sondern auch hinsichtlich der gefühlsmäßigen Wahrnehmung von Straftaten. Ziel einer solchen 475
BGH, NJW 1979, 1992; OLG Celle NJW 1970, 2257; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 11; SK-StGB-Stein, § 130, Rn. 27; MK-Schäfer, § 130, Rn. 25. 476 Siehe Fischer, § 130, Rn. 44. 477 BGH, Urteil v. 3. 4. 2008 – 3 StR 394/07 (LG Dresden), NStZ-RR 2009, 13, 14. 478 OLG Hamburg NJW 1975, 1088; OLG Stuttgart NStZ 2010, 453 (454). 479 Siehe LK-Krauß, § 130, Rn. 155; MK-Schäfer, § 130, Rn. 101.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Beeinflussung ist es, Tathandlungen in einem Licht erscheinen zu lassen, in dem sie als nicht verwerflich oder vielleicht sogar als etwas Positives und damit letztendlich als etwas Nachahmenswertes angesehen werden. Ebenfalls kann durch eine Einwirkung auf die Gefühle der Anreiz gegeben werden und ein Klima geschaffen werden, das die Begehung von bestimmten Straftaten fördert. Mit den tatbezogenen indirekten Motivationsdelikten soll verhindert werden, dass bestimmte Straftaten, denen ein hohes Maß an Unrecht zugesprochen wird, in einer Art und Weise dargestellt werden, die Dritte dazu motivieren, die dargestellten Straftaten zu begehen.
1. Billigung von Straftaten (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB) a) Normtext Das Billigen und Belohnen von bestimmten Katalogtaten wird gemäß § 140 StGB mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. § 140 StGB bestimmt: (1) Wer eine der in § 138 Absatz 1 Nummer 2 bis 4 und 5 letzte Alternative oder in § 126 Absatz 1 genannten rechtswidrigen Taten oder eine rechtswidrige Tat nach § 176 Absatz 1 oder nach den §§ 176c und 176d, 1. belohnt, nachdem sie begangen oder in strafbarer Weise versucht worden ist, oder 2. in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) billigt,
b) Geschichtlicher Überblick Die Billigung und Belohnung von Straftaten wurde im RStGB von 1871 nicht unter Strafe gestellt. Die Abwesenheit einer strafrechtlichen Ahndung dieser Handlungen wurde damit begründet, dass solch eine Vorschrift einen zu großen Eingriff in die Meinungsfreiheit darstellen würde.480 Diese Ansicht änderte sich mit dem Erlass der Republikschutzgesetze ab dem Jahr 1921. Auslöser für den Erlass des Republikschutzgesetzes von 1922 waren die ständigen, oft in einer brutalen Sprache vorgebrachten Angriffe durch rechtsextreme Gruppen und Organisationen auf die Institutionen und das demokratische Rechtssystem der noch jungen Weimarer Republik, die wiederholt zu gewalttätigen Unruhen und politisch motivierten Morden führten.481 Entsprechend war es das Ziel des Gesetzes zum Schutz der Republik, nicht nur repressiv gegen Mordversuche auf Regierungsmitglieder vorzugehen,
480
Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 102 Rn. 1. Siehe Ermordung von Matthias Erzberger, Leiter der Waffenstillstandskommission, und dem jüdischen Reichsaußenminister Rathenau. 481
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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sondern auch präventiv eingreifen zu können.482 Bemängelt wurde vor allem, dass die zu diesem Zeitpunkt bereits vorhandenen Vorschriften im Strafgesetzbuch zu lückenhaft seien, sodass es nicht möglich sei, präventiv gegen das Aufrufen und das Vorbereiten von Mordanschlägen vorzugehen.483 Diese Lücke sollte mit den Republikschutzgesetz geschlossen werden. Insbesondre § 7 Abs. 1 Nr. 3 des Republikschutzgesetzes von 1922, in dem das Billigen sowie das Belohnen solcher Taten unter Strafe gestellt wurden, sollte der „Reinigung des politischen Lebens von Gewalttätigkeiten“484 dienen. Mit der Bestrafung des Billigens und des Belohnens zielte der Gesetzgeber während der Zeit der Republikschutzgesetze darauf ab, die „Aufwiegelung und Verhetzung des Volkes durch politische Drahtzieher“ zu verhindern und somit „eine der gefährlichsten Quellen des politischen Terrors“ zu verstopfen.485 Das Republikschutzgesetz vom 25. März 1930 nahm eine ähnliche Vorschrift hinsichtlich des Billigens in § 5 Abs. 1 Nr. 4 auf, während das nachträgliche Belohnen in § 3 Abs. 2 normiert war. Eingang in das Strafgesetzbuch fand das Billigen und Belohnen jedoch erst mit dem 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953, dem sog. Strafrechtsbereinigungsgesetz. § 140 StGB a. F. erfasste das Belohnen oder öffentliche Billigen von einer in § 138 Abs. 1 StGB genannten oder eine der in §§ 5 und 6 des Gesetzes gegen den verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen mit Strafe bedrohten Handlungen. Im Verlauf der Jahre wurde der Straftatenkatalog erweitert. Mit dem 14. StrÄG von 1976 wurde unter anderem § 126 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 StGB hinzugefügt. Ebenfalls wurde durch das Gesetz eine Eignungsklausel für das Billigen eingeführt und das Strafmaß herabgesetzt. Mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 19. Dezember 1986486 wurde § 140 Abs. 1 StGB auf alle Katalogtaten des § 126 Abs. 1 StGB ausgeweitet, und mit dem Gesetz vom 27. Dezember 2003487 wurden auch die genannten Sexualdelikte miterfasst.488 Die letzten Änderungen, die aber nur redaktioneller Natur waren, erfolgten durch das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016489 und durch das Gesetz zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches vom 22. Dezember 2016490. 482
Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 36. Haccius, Die Gesetze zum Schutz der Republik von 1922 und 1930, insbesondere in ihrer strafrechtlichen Bedeutung, S. 6, 9–10. 484 Haccius, Die Gesetze zum Schutz der Republik von 1922 und 1930, insbesondere in ihrer strafrechtlichen Bedeutung, S. 18. 485 Haccius, Die Gesetze zum Schutz der Republik von 1922 und 1930, insbesondere in ihrer strafrechtlichen Bedeutung, S. 47. 486 BGBl. I, 2566. 487 BGBl. I, 3007. 488 Für einen Geschichtsüberblick der Billigung seit dem römischen Recht siehe Ebert, FS für Spendel, S. 117 ff. 489 BGBl. I, S. 2460. 490 BGBl. I, 3150. 483
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Mit dem 60. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuchs vom 1. Januar 2021 wurde § 140 StGB dahingehend verändert, dass die Handlungsvariante des Verbreitens sich nicht mehr auf Schriften, sondern auf Inhalte bezieht.491 Mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 3. April 2021 wurde die Tathandlung des Billigens erweitert, sodass keine begangene oder strafbar versuchte Tat mehr vorausgesetzt wird.492 Der Tatbestand erfasst nun auch das Billigen von noch zu begehenden Katalogtaten.
c) Strafbegründung Der h. M. zufolge schützt die Vorschrift den öffentlichen Frieden bzw. die öffentliche Sicherheit und insbesondere das Gefühl der Rechtssicherheit.493 Gemäß der h. L. handelt es sich bei § 140 StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.494 Ziel der Vorschrift sei es, zu verhindern, dass ein „psychisches Klima“ geschaffen werde, in dem gleichartige Untaten gedeihen könnten.495 Im Billigen und Belohnen von Straftaten wird die Gefahr gesehen, dass dadurch auf die Emotionen eingewirkt und eine positive Stimmung geschaffen wird, die Nachahmungstaten fördert und die Verbrechensbereitschaft anregt.496 Gegen die Auffassung, dass das Billigen von Straftaten ein möglicher Anreiz zur Begehung neuer Straftaten sei, wurde eingewandt, dass die verbrechensfördernde Wirkung des Billigens nur schwer empirisch festzustellen sei.497 Für Fischer erschöpft sich die Gefährlichkeit des Billigens „in
491
BGBl. I, S. 2602. BGBl. I, S. 441. 493 BGH NJW 1969, 517 (518); OLG Karlsruhe NStZ-RR 1996, 58 (59); Lackner / Kühl-Kühl, § 140, Rn. 1; LK-Krauß, § 140, Rn. 1; BeckOK-Heuchemer, § 140, Rn. 1; a. A. ein mittelbarer Schutz der Rechtsgüter der Katalogtaten von § 140 siehe Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 140, Rn. 1; zustimmend Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 140 Rn. 2; ausschließlich Schutz der Rechtsgüter der Katalogtaten siehe MK-Hohmann, § 140, Rn. 2; Fischer, § 140, Rn. 2; Schutz der grundlegenden Wertauffassung der Gemeinschaft siehe Schroeder, Die Straftaten gegen das Strafrecht, S. 7; ähnlich NK-Ostendorf, § 140, Rn. 3; Für Hörnle handelt es sich bei § 140 StGB um eine moral- und gefühlsschützende Norm, siehe Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 2005, S. 249 f.; dies. in Hefendehl / von Hirsch / Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsguttheorie, S. 277. 494 MK-Hohmann, § 140, Rn. 3; BeckOK-Heuchemer, § 140, Rn. 1; Fischer, § 140, Rn. 2; Für Geneuß ist jedoch die Alternative des Billigens als ein potenzielles Gefährdungsdelikt ausgestaltet, siehe Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 140, Rn. 1. 495 BGH NJW 1969, 517 (518); OLG, Hamm MDR 1980 159 (160); KG Berlin 18. 12. 2017 – (2) 161 Ss 104/17 (6/17); Ebert, FS für Spendel, S. 118; Lackner / Kühl-Kühl, § 140, Rn. 1; Sch / Sch / Sternberg-Lieben, § 140, Rn. 1; krit. Bemmann, Meinungsfreiheit und Strafrecht, 1981, S. 16 f.; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 2005, S. 242 ff. 496 LK-Krauß, § 140, Rn. 1; Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 327. 497 Schroeder, Die Straftaten gegen das Strafrecht, S. 7; MK-Hohmann, § 140, Rn. 2; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 140, Rn. 2; Fischer, § 140, Rn. 2. 492
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
141
der Verletzung eines normativen Anspruchs auf Unterlassen von Provokationen gegen den Geltungsanspruch der Rechtsordnung“498.
d) Objektiver Tatbestand aa) Handlungsobjekt: Katalogstraftaten Bestraft werden das Billigen und Belohnen von konkreten rechtswidrigen Katalogtaten, die in § 140 StGB aufgezählt werden: rechtswidrige Taten nach § 138 Abs. 1 Nr. 1–4 (Nichtanzeige geplanter Straftaten), § 126 Abs. 1 (Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten), § 176 Abs. 3 (sexueller Missbrauch von Kindern), § 176a (schwerer sexueller Missbrauch von Kindern), § 176b (sexueller Missbrauch von Kindern mit Todesfolge), § 177 Abs. 4–8 (sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung), und § 178 (sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge) StGB. Demzufolge muss die Vortat, die gebilligt oder belohnt wird, eine rechtswidrige Tat i. S. des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB sein; d. h., dass die Vortat tatbestandsmäßig und rechtswidrig, jedoch nicht schuldhaft begangen worden sein muss.499 Demnach können auch die Taten eines Schuldunfähigen als Vortaten i. S. des § 140 StGB gelten.500 Wenn ein Rechtfertigungsgrund besteht, scheiden diese Taten für die Strafbarkeit aus.501 Nach der Gesetzesänderung vom 3. April 2021 muss lediglich die belohnte Tat bereits begangen oder wenigstens in strafbarer Weise versucht worden sein.502 Die Tat, die belohnt oder gebilligt wird, kann sowohl eine eigene Tat des Äußernden sein oder eine Fremde.503 Außerdem muss sich die Belohnung oder die Billigung auf eine konkrete Straftat beziehen. Demnach reicht die Billigung oder Belohnung von Straftaten schlechthin oder von gewissen Deliktsarten bzw. Gattungen nicht aus.504 Die Tathandlung muss sich auf ein bestimmtes, einzelnes, verbrecherisches Geschehnis beziehen, für Empfänger mit normalem Durchschnittsempfinden eindeutig sein und aus der Kundgebung selbst hervortreten.505 Das KG hat in seinem Urteil festgestellt, dass eine Billigung i. S. des § 140 Abs. 2 StGB nur dann vorliegt, wenn die gebilligte Tat entweder in der Äußerung selbst so konkret beschrieben ist, dass sie ohne zusätzliches Wissen unter einen der genannten Tatbestände subsumiert werden kann, 498
Fischer, § 140, Rn. 2. Fischer, § 140, Rn. 4. 500 Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 140, Rn. 2; LK-Krauß, § 140, Rn. 7. 501 MK-Hohmann, § 140, Rn. 10. 502 BGBl. I, S. 441. 503 BGH NJW 1978, 58. 504 LK-Krauß, § 129, Rn. 11; MK-Hohmann, § 140, Rn. 11. 505 KG, Beschluss v. 18. 12. 2017 – (2) 161 Ss 104/17 (6/17) – BeckRS 2017, 137018, Rn. 13; BGHSt NJW 1969, 517 (518). 499
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
oder aber durch ihre herausragende Prominenz und andauernde Bedeutung für den aktuellen politischen Diskurs praktisch jedem durchschnittlich informierten Adressaten sofort vor Augen steht.506 Jedoch ist anerkannt, dass andererseits auch nicht zu strenge Anforderungen an die Individualisierung der Tat gestellt werden sollten und dass es u. a. keiner genauen Zeit- und Ortsangabe bedarf.507 Demzufolge ist eine Tat auch dann hinreichend konkretisiert, wenn sie dank des Kontextes „jedem durchschnittlich informierten Adressaten sofort vor Augen steht“.508 § 140 StGB zufolge werden nur das Billigen und Belohnen der in der Vorschrift abschließend aufgezählten Delikte bestraft. Die Frage, welche Delikte als Katalogstraftaten in § 140 StGB aufgenommen werden, ist eine rechtspolitische Entscheidung und der Richter hat aufgrund des Analogieverbotes nicht das Recht, diesen Katalog zu erweitern.509 Die h. M. folgt der Ansicht, dass auch das Belohnen und Billigen einer Auslandstat nach § 140 StGB strafbar sei, wenn die Tat dazu geeignet ist, den inländischen öffentlichen Frieden zu stören und die allgemeine Bereitschaft zur Begehung ähnlicher Delikte gefördert wird.510 Erforderlich ist eine kriminogene Inlandswirkung der Auslandstat.511
bb) Billigen Eine Tat billigt derjenige, der sie gutheißt, öffentlich seine Zustimmung dazu kundgibt, und der sich moralisch hinter den Täter stellt, indem er die Tat als moralisch gerechtfertigt oder als praktisch notwendig darstellt.512 Wenn sich die Zustimmung mit Kritik mischt, stellt dies nur dann eine Billigung i. S. des § 140 StGB dar, wenn die Zustimmung überwiegt.513 Seit der Gesetzesänderung von 2021514 wird keine begangene oder strafbar versuchte Tat mehr vorausgesetzt. Der Tatbestand umfasst somit auch das Billigen von noch nicht begangenen oder versuchten rechtswidrigen Taten. Wie oben dargestellt können nur bestimmte Katalogtaten gebilligt werden. Das Gutheißen der Person des Täters ist demnach nicht tatbestandsmäßig.515 506
KG, Beschluss v. 18. 12. 2017 – (2) 161 Ss 104/17 (6/17), BeckRS 2017, 137018. BGH NJW 1978, 58; BGH NJW 1990, 2828 (2829). 508 KG, Beschluss v. 18. 12. 2017 – (2) 161 Ss 104/17 (6/17) – BeckRS 2017, 137018, Rn. 14. 509 LK-Krauß, § 140, Rn. 5; MK-Hohmann, § 140, Rn. 7. 510 BGH NStZ 2017, 699 (700); LK-Krauß, § 140, Rn. 9; MK-Hohmann, § 140, Rn. 12; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 140, Rn. 7. 511 BGH NStZ 2017, 699 (700). 512 BGH NJW 1969, 517 (518); BGH NJW 1978, 2044 (2045); OLG Karlsruhe, NJW 2003, 1200,1201; LK-Hanack, § 140, Rn. 14; Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 329; Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 140, Rn. 5; Anw-StGB-Graf von Schlieffen, § 140, Rn. 4; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 140, Rn. 10. 513 LK-Krauß, § 140, Rn. 14. 514 BGBl. I, S. 441. 515 LK-Krauß, § 140, Rn. 4; MK-Hohmann, § 140, Rn. 7. 507
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Da es sich bei dem Tatbestand um ein persönliches Äußerungsdelikt handelt, muss die Billigung eine persönliche Stellungnahme des Täters sein. Der BGH sieht schon in der Verbreitung von fremden billigenden Äußerungen eine eigene konkludente Billigung der Taten.516 Die Billigung kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent erfolgen.517 Der Rechtsprechung nach muss jedoch die „zustimmende Kundgebung aus sich heraus verständlich sein“ und „als solche unmittelbar, ohne Deuteln erkannt“ werden können.518 Wichtig ist, dass die Billigung aus der Sicht eines unvoreingenommenen, verständigen Durchschnittspublikums verständlich ist.519 Umstritten bleibt, ob auch das bloße Schweigen eine Billigung darstellen kann.520 Damit eine Billigung vorliegt, muss diese öffentlich, in einer Versammlung oder durch das Verbreiten von Inhalten erfolgen. Das Merkmal der Öffentlichkeit setzt nicht die Öffentlichkeit des Ortes voraus, sondern dass die Kundgebung für eine nach Zahl und Zusammensetzung unbestimmte Mehrheit von Personen erkennbar ist.521 Hinsichtlich des Charakters der Versammlung kann diese sowohl öffentlich als auch privat sein. Es wird jedoch vorausgesetzt, dass auch hier die Personengruppe eine ausreichende Größe haben muss.522 Das Billigen muss in einer Weise erfolgen, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Dieses Tatbestandsmerkmal ist ebenfalls in § 130 Abs. 1–3 StGB vorhanden und wird dort ähnlich ausgelegt. Demnach soll die Friedensstörungseignung die Strafbarkeit des Billigens einschränken.523 Ebenfalls müssen für die friedenstörende Eignung der Inhalt der Äußerung sowie alle weiteren relevanten Umstände gewürdigt werden.524 Als äußere Umstände, die einen Einfluss auf die friedenstörende Eignung haben können, gelten u. a. die Empfindlichkeit des Adressatenkreises sowie die gesellschaftliche Situation.525
516
BGH NJW 78, 58 ff.; OLG Braunschweig NJW 78, 2044 f.; krit. Sch / Sch-SternbergLieben, § 140, Rn. 5; LK-Krauß, § 140, Rn. 25 ff.; Fischer, § 140, Rn. 7. 517 BGH NJW 1969, 517 (518); KG BeckRS 2017, 137018, Rn. 13; MK-Hohmann, § 140, Rn. 21. 518 BGH NJW 1969, 517 (518); Dieser Ansicht folgend LK-Krauß, § 140, Rn. 12. 519 OLG Karlsruhe BeckRS 2017, 113382. 520 Für die Ausschließung des Schweigens siehe NK-Ostendorf, § 140, Rn. 8; LK-Krauß, § 140, Rn. 12; MK-Hohmann, § 140, Rn. 22; a. M. und für das Schweigen OLG Braunschweig NJW 1978, 2045; Laufhütte MDR 1976, 445. 521 BGH NJW 1969, 517 (518) im Anschluss an RGSt. 58, 53; und RGSt 63, 431 (432). 522 MK-Hohmann, § 140, Rn. 26. 523 KG, BeckRS 2017, 137018, Rn. 13. 524 Siehe hierzu die entsprechenden Ausführungen in der vorliegenden Arbeit oben, Teil 2 Kapitel 1 A. II. 2. d) cc). 525 LK-Krauß, § 130, Rn. 22.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
e) Subjektiver Tatbestand Für § 140 StGB reicht mindestens ein bedingter Vorsatz aus.526 Demzufolge muss sich der Vorsatz auf eine konkrete rechtswidrige Katalogtat beziehen.527 Für das Billigen gilt, dass sich der Vorsatz zusätzlich auf die Friedensstörungseignung erstrecken muss; d. h., dass der Täter die Eignung seiner Äußerung zur Störung des öffentlichen Friedens kennt oder zumindest billigt.528 Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Täter die Tat selber billigt.529
f) Quintessenz Erfasst wird das Gutheißen, das öffentliche Kundgeben einer Zustimmung zur Tatbegehung oder das Darstellen der Tat als moralisch gerechtfertigt oder als praktisch notwendig. Auf den ersten Blick richtet sich somit die Motivation an erster Stelle an Gefühle und Emotionen, ohne dass klar ein Handlungswunsch geäußert wird. Fraglich ist, ob nicht dennoch in der Tathandlung der Billigung ein gewisser durch den Motivator ausgeübter Handlungsdruck zu erkennen ist, da sich zum einen die in § 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfasste Handlung auf bestimmte Straftaten bezieht und zum anderen verlangt wird, dass die Billigung in einer Weise erfolgt, die dazu geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.
2. Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression (§ 80a StGB) a) Normtext § 80a StGB lautet wie folgt: Wer im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) zum Verbrechen der Aggression (§ 13 des Völkerstrafgesetzbuches) aufstachelt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
526
NK-Ostendorf, § 140, Rn. 13; Anw-StGB-Graf von Schlieffen, § 140, Rn. 6; LK-Krauß, § 140, Rn. 24; MK-Hohmann, § 140, Rn. 31; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 140, Rn. 14; Fischer, § 140, Rn. 9. 527 Anw-StGB-Graf von Schlieffen, § 140, Rn. 6; LK-Hanack, § 140, Rn. 24. 528 Fischer, § 140, Rn. 9. 529 Fischer, § 140, Rn. 9.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
145
b) Geschichtlicher Überblick Mit dem 8. Strafrechtsänderungsgesetz vom 25. Juni 1968 wurde in § 80a StGB a. F. das Aufstacheln zu einem Angriffskrieg unter Strafe gestellt. Der Tatbestand wurde, zusammen mit dem heute aufgehobenen § 80 StGB (Vorbereitung eines Angriffskrieges), in den 1. Abschnitt des Besonderen Teils des StGB eingeführt. Mit der Einfügung des § 80a StGB verfolgte der Gesetzgeber im Jahr 1968 das Ziel, den verfassungsrechtlichen Pflichten, die sich aus Art. 26 Abs. 1 GG ergeben, Genüge zu tun und friedensfeindliche Handlungen zu verhindern sowie strafrechtlich zu ahnden.530 Die Vorschrift wurde 2016 verändert, nachdem in Art. 8 des IStGH-Statuts das Verbrechen der Aggression völkerrechtlich definiert wurde. Dies führte dazu, dass durch das Gesetz zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuchs vom 22. Dezember 2016 der Tatbestand „Verbrechen der Aggression“ in den § 13 des VStGB eingeführt wurde, der § 80 StGB (Vorbereitung eines Angriffskrieges) aufgehoben wurde, und der § 80a StGB dahingehend verändert wurde, dass nicht mehr das Aufstacheln zu einem Angriffskrieg unter Strafe gestellt wurde, sondern das Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression.531 Der erste Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuchs sah vor, dass neben § 80 auch § 80a StGB gestrichen werden sollte.532 Die Streichung wurde damit begründet, dass die Handlung bereits durch § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten) abgedeckt sei. Dem Gesetzesentwurf zufolge wäre die Abgrenzung zwischen dem Auffordern und dem Aufstacheln lediglich „von einer tatrichterlichen Wertung der Gesamtumstände abhängig“.533 Nach einer Anhörung von Sachexperten im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am 26. September 2016, die sich größtenteils gegen eine Streichung des § 80a StGB aussprachen, wurde von der Aufhebung des § 80a StGB abgesehen.534 Mit dem 60. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. November 2020535 wurde der Schriftenbegriff durch den Inhaltsbegriff ersetzt.
530
Effinowicz, JuS 2017, 24; NK-Paeffgen, Vorbemerkung zu §§ 80 f., Rn. 4 ff. BGBl. I, S. 3150. 532 BT-Drucks. 161/16. 533 BT-Drucks. 161/16, S. 20. 534 Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Protokoll-Nr. 18/111, 26. September 2016. Für die Streichung des § 80a StGB sprach sich jedoch Jeßberger aus. Jeßberger, ZIS 10/2015, S. 522. 535 BGBl 2020, S. 2600. 531
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
c) Strafbegründung Schutzgüter des § 80a StGB sind der h. M. zufolge sowohl der Völkerfriede als auch die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland.536 Seitdem das Gesetz zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuchs vom 22. Dezember 2016 in Kraft getreten ist und der Tatbestand „Verbrechen der Aggression“ in den § 13 des VStGB eingeführt wurde, erkennt die Lehre vermehrt als die durch den § 80a StGB geschützten Rechtsgüter diejenigen des § 13 VStGB an.537 Demzufolge schützt § 80a StGB die Sicherung des internationalen Friedens und die Durchsetzung des völkerrechtlichen Gewaltverbots.538 Der herrschenden Auffassung nach handelt es sich bei der Vorschrift um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.539 Die Lehre sieht im Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression die Gefahr, dass durch eine psychologische Einwirkung die Kriegsbereitschaft und die Angriffslust der Bevölkerung erhöht wird.540 Ziel der Vorschrift sei es, zu verhindern, dass ein Klima geschaffen werde, in dem Verbrechen der Aggression begünstigt und gefördert werden.541 Für Fischer soll mit der Vorschrift die erfolglose intellektuelle Vorbereitung eines Verbrechens der Aggression strafrechtlich geahndet werden; es handle sich also um ein Vorfelddelikt.542
d) Objektiver Tatbestand Bestraft wird das Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression. Da der Begriff des Aufstachelns aus § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB stammt, kann für § 80a StGB auf die Erläuterungen von § 130 StGB zurückgegriffen werden.543 Demzufolge ist unter Aufstacheln ein gesteigertes, auf die Gefühle des Adressaten abzielendes propagandistisches Anreizen zu verstehen.544 Steinsiek zufolge kann es sich bei einem bereits „aufgeputschten“ bereits bei einer nüchternen Äußerung um ein Aufstacheln
536 Lackner / Kühl-Kühl, § 80a, Rn. 1; Sch / Sch / Sternberg-Lieben, § 80a, Rn. 2; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 2. 537 SK-Zöller, § 80a, Rn. 3; BeckOK-StGB-Heintschel-Heinegg, § 80a, Rn. 3. 538 SK-Zöller, § 80a, Rn. 3. 539 Sch / Sch / Sternberg-Lieben, § 80a, Rn. 1; MK-Anstötz, § 80a, Rn. 1; BeckOK StGBHeintschel-Heinegg, § 80a, Rn. 1; Fischer, § 80a, Rn. 2a. 540 NK-Paeffgen, § 80a, Rn. 2; Sch / Sch / Sternberg-Lieben, § 80a, Rn. 1. 541 Sch / Sch / Sternberg-Lieben, § 80a, Rn. 1; dem schließt sich auch Paeffgen an, der in der Vorschrift eine Klimaschutznorm sieht und deshalb auch die Legitimität der Vorschrift anzweifelt. Siehe NK-Paeffgen, § 80a, Rn. 2. 542 Fischer, § 80a, Rn. 2; so auch BeckOK StGB-Heintschel-Heinegg, § 80a, Rn. 1. 543 Siehe hierzu oben Teil 2 Kapitel 1 B. I. 1. d) bb). 544 NK-Paeffgen, § 80a, Rn. 5; Sch / Sch / Sternberg-Lieben, § 80a, Rn. 3; MK-Anstötz, § 80a, Rn. 6; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 3; Fischer, § 80a, Rn. 3; vertiefend zur Definition des Aufstachelns i. S. des § 80a a. F. StGB siehe Buddeberg, Der Tatbestand des § 80a StGB ‚Aufstacheln zum Angriffskrieg‘, S. 98 ff.; LG Köln, NStZ 1981, 261.
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handeln.545 Für die Bewertung eines aufstachelnden Charakters spielen nicht nur die Art und der Inhalt der Äußerung eine Rolle, sondern auch der Gesamtzusammenhang des Textes, der Adressatenkreis sowie andere äußere Umstände.546 Da sich die Aufstachelung an Gefühle richtet, muss es nicht zu einem Erfolg i. S. einer Friedensgefährdung und der Auslösung einer Aggression kommen.547 Bei der Begehungsmodalität der Tathandlung knüpft der Tatbestand an den bereits untersuchten § 111 StGB an.548 Demzufolge muss das Aufstacheln öffentlich, d. h. für einen nach Anzahl und Individualität unbestimmten Personenkreis unmittelbar wahrnehmbar sein, durch Verbreiten von Inhalten (§ 11 Abs. 3) oder in einer Versammlung erfolgen.549 Das Verbrechen der Aggression ist seit dem 22. Dezember 2016 in § 13 VStGB normiert. Darunter wird das Führen eines Angriffskriegs oder eine sonstige Angriffshandlung verstanden, die ihrer Art, ihrer Schwere und ihrem Umfang nach eine offenkundige Verletzung der Charta der Vereinten Nationen darstellt. Ebenfalls bestraft wird laut § 13 Abs. 2 VStGB das Planen, Vorbereiten oder Einleiten eines solchen Angriffskrieges oder einer sonstigen Angriffshandlung.
e) Subjektiver Tatbestand Der h. M. zufolge genügt für die Völkerrechtswidrigkeit der Aggressionshandlung mindestens ein bedingter Vorsatz, während es für das Tatbestandsmerkmal „Aufstacheln“ (wie schon für § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB) ein zielgerichtetes Handeln, also eine Absicht, bedarf.550
f) Quintessenz Das Aufstacheln, verstanden als gesteigertes, auf die Gefühle des Adressaten abzielendes propagandistisches Anreizen, ist an erster Stelle an Emotionen gerichtet, auch wenn sich das Aufstacheln auf eine bestimmte Tat bezieht. Es ist jedoch fraglich, ob der Motivator dabei deutlich macht, dass er die Begehung eines Verbrechens der Aggression wünscht und ob ein Handlungsdruck zum Ausdruck gebracht wird.
545
LK-Steinsiek, § 80a, Rn. 4. LG Köln, NStZ 1981, 261; NK-Paeffgen, § 80a, Rn. 5; LK-Steinsiek, § 80a, Rn. 4. 547 NK-Paeffgen, § 80a, Rn. 8; LK-Steinsiek, § 80a, Rn. 4. 548 MK-Anstötz, § 80a, Rn. 9. 549 Zur Vertiefung dieser Merkmale siehe die Ausführungen in der vorliegenden Arbeit zur öffentlichen Aufforderung in § 111 StGB. Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. II. 1. d) cc). 550 Siehe Sch / Sch / Sternberg-Lieben, § 80a, Rn. 15; LK-Steinsiek, § 80a, Rn. 6; MK-Anstötz, § 80a, Rn. 12; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 5. 546
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
3. Aufwieglerischer Landfriedensbruch (§ 125 Abs. 1 Var. 3 StGB) a) Normtext § 125 StGB ist wie folgt normiert: (1) Wer sich an 1. Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder 2. Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, als Täter oder Teilnehmer beteiligt oder wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu solchen Handlungen zu fördern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Soweit die in Absatz 1 Nr. 1, 2 bezeichneten Handlungen in § 113 mit Strafe bedroht sind, gilt § 113 Abs. 3, 4 sinngemäß. Dies gilt auch in Fällen des § 114, wenn die Diensthandlung eine Vollstreckungshandlung im Sinne des § 113 Absatz 1 ist.
Die nachgehende Darstellung bezieht sich insbesondere auf die Tathandlung des Einwirkens auf eine Menschenmenge (dem sog. aufwieglerischen Landfriedensbruch).
b) Geschichtlicher Überblick Bereits im Reichsstrafgesetzbuch von 1872 wurde in § 125 RStGB der Landfriedensbruch unter Strafe gestellt.551 § 125 RStGB zufolge wurde wegen Landfriedensbruchs derjenige bestraft, der an einer öffentlichen Zusammenrottung einer Menschenmenge mit gewalttätigem Charakter teilnahm. Ebenfalls bestraft wurden „die Rädelsführer sowie diejenigen, welche Gewalttätigkeiten gegen Personen begangen oder Sachen geplündert, vernichtet oder zerstört“ hatten.552 Durch das 3. StrÄG vom 20. Mai 1970 wurde der Tatbestand grundlegend verändert und es wurde die Bestrafung des Einwirkens zur Förderung der Bereitschaft des gewalttätigen oder bedrohenden Landfriedensbruchs in den Tatbestand eingeführt und unter Strafe gestellt. Ziel der Neufassung des Tatbestandes war es, die Strafbarkeit auf ausschließlich die „an Gewalttätigkeiten Beteiligten sowie die sogenannten 551 Elemente des heutigen Tatbestandsmerkmals des Landfriedensbruchs gab es bereits in spätmittelalterlichen Gesetzeswerken; siehe hierzu die historische Darstellung in Stock, Die Neugestaltung der Delikte gegen die öffentliche Ordnung durch das 3. Strafrechtsreformgesetz, S. 11 ff. 552 Vertiefend zur Vorschrift im Reichsstrafgesetzbuch siehe Koeppler, Der Landfriedensbruch im § 125 Reichsstrafgesetzbuch; Fritze, Landfriedensbruch und Aufruhr; Schulenburg, Der Landfriedensbruch nach dem Reichsstrafgesetzbuch und nach den neueren Strafgesetzentwürfen.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Anheizer“ zu beschränken, sodass das bloße Verbleiben in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Menschenmenge, aus der heraus erkennbar Gewalttätigkeiten begangen werden, nicht mehr erfasst werden sollte.553 In den darauffolgenden Jahren wurde diese Einschränkung jedoch oft kritisiert und es gab zahlreiche Veränderungsvorschläge, die eine Erweiterung des Tatbestandes verlangten.554 Der Tatbestand wurde durch das Versammlungsgesetz vom 18. Juli 1985 erneut verändert, indem die Strafbarkeit ausgedehnt und ein Abs. 2 hinzugefügt wurde.555 § 125 Abs. 2 StGB wurde letztendlich durch das Gesetz zur Änderung des StGB, der StPO und des Versammlungsgesetzes vom 9. Juni 1989 gestrichen.
c) Strafbegründung In der Lehre ist umstritten, ob § 125 Abs. 1 Var. 1 und 2 StGB neben der öffentlichen Sicherheit auch Individualrechtsgüter schützt, die durch Gewalttätigkeiten verletzt oder gefährdet werden können.556 Bezüglich des aufwieglerischen Landfriedensbruchs in § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB herrscht jedoch Einigkeit in der Lehre, dass vorrangig die öffentliche Sicherheit geschützt wird.557 Beim aufwieglerischen Landfriedensbruch § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt558 und um ein unechtes Unternehmensdelikt559. Mit § 125 StGB verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, der Gefährlichkeit gruppendynamischer Prozesse entgegenzuwirken.560 In den Gesetzesentwürfen sowie in der Lehre wird auf die Erkenntnisse der Massenpsychologie verwiesen.561 Es wird von einer auf einer kollektiven Dynamik beruhenden, besonderen Gefährlichkeit der versammelten Personenvielfalt ausgegangen, die dazu führt, dass das Verantwort553
BT-Drucks. VI/502, S. 8–9. BT-Drucks. 7/4808, S. 2–3; BT-Drucks. 8/1989, S. 2–3; BT-Drucks. 9/1258, S. 8–9; Vertiefend zu den Kritiken und den verschiedenen Gesetzesentwürfen und Vorschlägen siehe die Entstehungsgeschichte von § 125 in LK-Krauß, § 125. 555 BT-Drucks. 10/3573, S. 1. 556 Für den Schutz der öffentlichen Sicherheit und von Individualrechtsgütern siehe Lackner / Kühl-Heger, § 125, Rn. 1; LK-Krauß, § 125, Rn. 1; MK-Feilcke, § 125, Rn. 1; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Fahl, § 125, Rn. 1; BeckOK-Rackow, § 125, Rn. 5; Fischer, § 125, Rn. 2; für den Schutz der öffentlichen Sicherheit siehe Maurach / Schroeder / Maiwald, Strafrecht BT, Teilbd. 2 Straftaten gegen Gemeinschaftswerte, § 60, Rn. 6; Rotsch, ZIS 2015, 577, 578; Sch / SchSternberg-Lieben / Schittenhelm, § 125, Rn. 2; BGH NStZ 2017, 696 (697); a. A. Meiski, der als Rechtsgut die Versammlungsfreiheit sieht, in: Meiski, Der strafrechtliche Versammlungsschutz, S. 136. 557 Rotsch, ZIS 2015, 577, 578; LK-Krauß, § 125, Rn. 2 (Individualrechtsgüter werden nur mittelbar geschützt); MK-Feilcke, § 125, Rn. 1. 558 Rotsch, ZIS 2015, 577, 579. 559 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 125, Rn. 22; LK-Krauß, § 125, Rn. 86. 560 Stock, Die Neugestaltung der Delikte gegen die öffentliche Ordnung durch das 3. Strafrechtsreformgesetz, S. 70; Rotsch, ZIS 2015, 577, 578. 561 BT-Drucks. 9/628, S. 6; Heinze, ZStW 2014, 866 (871). 554
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
lichkeitsgefühl des Einzelnen schwindet, dass dementsprechend Hemmschwellen abgebaut werden und damit die Tatbereitschaft gefördert wird.562 In den Gesetzesentwürfen wird bekräftigt, dass „die Masse auf den einzelnen eine eigentümliche Sogwirkung, verbunden mit einem Solidarisierungseffekt“ ausübt, und dass aus diesem Grund „bereits der Anschluss an eine gewalttätige Menge“ „zum kriminogenen Faktor und zum sozialschädlichen Verhalten“ wird.563 Darüber hinaus wird auch auf die Beweisproblematik verwiesen. In der Tat soll mit § 125 StGB der Problematik der Zuordnung von Gewalttätigkeiten und Delikten zu Einzelpersonen, die aus einer Menschenmenge heraus begangen werden, entgegengetreten werden.564 Der h. L. zufolge handelt es sich bei der dritten Variante, dem aufwieglerischen Landfriedensbruch, nicht um eine spezielle Form der Teilnahme an dem gewalttätigen (§ 125 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder bedrohenden Landfriedensbruch (§ 125 Abs. 1 Nr. 2 StGB), sondern um eine Vorschrift mit einem „eigenständigen, strafbarkeitserweiternden Charakter“.565 Zweck des § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB sei es, diejenigen Handlungen zu erfassen, die im Vorfeld der Begehung eines gewalttätigen (§ 125 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder bedrohenden Landfriedensbruches (§ 125 Abs. 1 Nr. 2 StGB) liegen und die ansonsten aufgrund eines mangelnden Konkretisierungsgrades der Tat, des Adressaten oder aufgrund des Ausbleibens eines konkreten Erfolges straflos bleiben würden.566 Mit der strafrechtlichen Ahndung des aufwieglerischen Landfriedensbruchs (§ 125 Abs. 1 Var. 3 StGB) soll gegen „Aufwiegler“ und „Anheizer“ vorgegangen werden, d. h. gegen diejenigen, die, ohne selbst Gewalttätigkeiten zu begehen oder an diesen teilzunehmen, durch entsprechende Zurufe und Agitationen zur Gefährlichkeit und zum friedenstörenden Charakter der Masse beitragen und somit die Basis für weitere Ausschreitungen legen.567
d) Objektiver Tatbestand Einen aufwieglerischen Landfriedensbruch begeht, wer auf die Menschenmenge einwirkt, um ihre Bereitschaft zu einem gewalttätigen oder zu einem bedrohenden Landfriedensbruch zu fördern. 562 BT-Drucks 7/2772, S. 7; Maurach / Schroeder / Maiwald, Strafrecht BT, Teilbd. 2 Straftaten gegen Gemeinschaftswerte, § 60, Rn. 16 ff.; LK-Krauß, § 125, Rn. 14 ff. 563 BT-Drucks. 9/628, S. 6; BT-Drucks-9/1258, S. 5. 564 Heinze, ZStW 2014, 866 (878); NK-Ostendorf, § 125, Rn. 1; sich dem anschließend Satzger / Schluckebier / Widmaier-Fahl, § 125, Rn. 1. 565 Heinze, ZStW 2014, 866 (878); MK-Feilcke, § 125, Rn. 33; vgl. Rogall GA 1979, 11 (25); LK-Krauß, § 125, Rn. 84. 566 De With (SPD), Plenarprotokoll Nr. 06/39, 39. Sitzung v. 18. 3. 1970; S. 1947; OLG Braunschweig, NStZ 1991, 492; Stock, Die Neugestaltung der Delikte gegen die öffentliche Ordnung durch das 3. Strafrechtsreformgesetz, 1979, S. 87; MK-Feilcke, § 125, Rn. 33. 567 Siehe Diemer-Nicolaus (FDP), Plenarprotokoll Nr. 06/39, 39. Sitzung v. 18. 3. 1970, S. 1968; so auch Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 125, Rn. 19.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Eine Menschenmenge ist eine räumlich vereinigte Personenvielfalt, die der Zahl nach nicht sofort überschaubar ist, sodass es auf das Hinzukommen oder Weggehen Einzelner nicht ankommt.568 Zwischen den Personen einer Menschenmenge muss auch ein räumlicher Zusammenhang bestehen, der für Außenstehende den Eindruck eines räumlich verbundenen Ganzen entstehen lässt.569 Einen gewalttätigen Landfriedensbruch begeht, wer sich als Täter oder Teilnehmer an den aus einer Menschenmenge mit vereinten Kräften begangenen Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen beteiligt.570 Einen bedrohenden Landfriedensbruch begeht, wer sich als Täter oder Teilnehmer an den aus einer Menschenmenge mit vereinten Kräften begangenen Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit beteiligt.571 Unter Einwirken wird dabei jede Form der Einflussnahme auf den Willen der Menge verstanden, mit dem Ziel, deren Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten gegen Sachen oder Menschen zu fördern, d. h. zu wecken oder zu steigern.572 Eine Einflussnahme kann durch eine ausdrückliche oder konkludente Aufforderung zu einem gewalttätigen oder zu einem bedrohenden Landfriedensbruch erfolgen.573 Die Einflussnahme kann verbal, durch Zeichen oder auch durch schlüssige Handlungen erfolgen.574 Bereits das bloße Anheizen einer feindseligen oder sonst zur Gewalttätigkeit neigenden Stimmung ist ausreichend.575 In Betracht kommen hierbei „Zurufe, Parolen, Singen aufreizender Lieder, anfeuernde Gesten und dergleichen“.576 Eine Einflussnahme kann demnach auch beim Zeigen von Parolen auf Spruchbändern gegeben sein.577 Das Einwirken kann vor oder während der Ausschreitungen stattfinden.578 Es ist auch nicht notwendig, dass sich der Anheizer in unmittelbarer Ortsnähe zur Verübung der Gewalttätigkeiten aufhält.579 Die Gewalttätigkeit oder die Drohung, zu der angereizt wird, braucht nicht genau bezeichnet zu sein; die Einwirkung kann sich auf beliebige Gewalttätigkeiten oder Bedrohungen mit Gewalttätigkeiten beziehen.580 Ohne Bedeutung ist ebenfalls, ob das Einwirken 568
OLG Düsseldorf, NStZ 1990, 339; BGH, NStZ 1993, 538; LK-Krauß, § 125, Rn. 39; ähnlich Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 125, Rn. 7–9; Lackner / Kühl-Heger, § 125, Rn. 3; MK-Feilcke, § 125, Rn. 10; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Fahl, § 125, Rn. 4. 569 BGH, NStZ 1993, 538; LK-Krauß, § 125, Rn. 46; MK-Feilcke, § 125, Rn. 10. 570 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 125, Rn. 4. 571 BGH NStZ 2017, 696; so auch Fischer, § 125, Rn. 6. 572 OLG Braunschweig, NStZ 1991, 492; LK-Krauß, § 125, Rn. 85. 573 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 125, Rn. 21; Siehe MK-Feilcke, § 125, Rn. 34. 574 BT-Drucks. VI/502, S. 6; OLG Braunschweig NStZ 1991, 492 (mehrfaches Hochspringen in die Luft unter Hochreißen einer oder beider Arme stellen indes aktive Gesten dar, die die Disposition der Menge zur Begehung von Gewalttätigkeiten fördern sollen); LK-Krauß, § 125, Rn. 85. 575 OLG Braunschweig, NStZ 1991, 492; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 125, Rn. 19; LK-Krauß, § 125, Rn. 86. 576 OLG Braunschweig, NStZ 1991, 492. 577 OLG Rostock, NStZ 2018, 539 (540). 578 LK-Krauß, § 125, Rn. 86. 579 OLG Braunschweig, NStZ 1991, 492 (493). 580 OLG Braunschweig, NStZ 1991, 492; LK-Krauß, § 125, Rn. 86.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
erfolgreich war und ob durch die Einwirkung wirklich Ausschreitungen gefördert oder geweckt wurden.581 Das Fördern in § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB bedeutet – trotz des unterschiedlichen Wortlautes in § 130a StGB582 – sowohl das Verstärken einer bereits vorhandenen Bereitschaft als auch das Wecken einer noch nicht vorhandenen Bereitschaft.583 In der Lehre wird das Verhältnis des „Einwirkens“ (§ 125 Abs. 1 Var. 3 StGB) gegenüber dem „Anstiften“ (§ 26 StGB) und der „öffentlichen Aufforderung“ (§ 111 StGB) untersucht. Es wird angeführt, dass der Konkretisierungsgrad bei der Anstiftung (§ 26 StGB) höher sei als bei § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB, da eine Anstiftung nur dann vorliege, wenn eine bestimmte Person zu einer bestimmten Tat angestiftet wird.584 So ist es beim aufwieglerischen Landfriedensbruch nicht notwendig, dass die Tat – oder in diesem Fall die Gewalttätigkeiten und Drohungen – näher bestimmt ist, sowie es auch nicht notwendig ist, dass der Adressat näher bestimmt ist.585 Aufgrund der Unbestimmtheit des Adressatenkreises wird der § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB oft mit dem öffentlichen Auffordern (§ 111 StGB) in Verbindung gebracht. Jedoch unterscheidet sich § 111 StGB auf zwei Ebenen wesentlich von § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB: Zum einen stellt § 111 StGB höhere Anforderungen an den Konkretisierungsgrad der Tat (wenn auch die Tat weniger bestimmt sein muss als in § 26 StGB), da für den aufwieglerischen Landfriedensbruch die Gewalttätigkeiten, zu denen angereizt wird, nicht näher bezeichnet sein müssen.586 Zum anderen muss die Aufforderung, im Gegensatz zum Einwirken, einen appellativen Charakter haben.587 Während bei der Aufforderung in § 111 StGB die Erwünschtheit der Realisierung der Tat klar gemacht werden muss und reine Tatsachenschilderungen ausgeschlossen werden, kann das Einwirken nach § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB in jeder erdenklichen Weise erfolgen und z. B. in einer einfachen Reizsituation liegen.588 Demnach erscheint die Tathandlung in § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB weiter zu sein als die Aufforderung.589
581
Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 125, Rn. 22; Fischer, § 125, Rn. 14. § 130a Abs. 1: „die Bereitschaft, andere zu fördern oder zu wecken“. 583 Maurach / Schroeder / Maiwald, Strafrecht BT, Teilbd. 2 Straftaten gegen Gemeinschaftswerte, § 60, Rn. 32; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 125, Rn. 23; Lackner / KühlHeger, § 125, Rn. 12; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Fahl, § 125, Rn. 8. 584 Stock, Die Neugestaltung der Delikte gegen die öffentliche Ordnung durch das 3. Strafrechtsreformgesetz, S. 87, 90; Kōstaras, Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 149 f. 585 LK-Krauß, § 125, Rn. 84. 586 OLG Braunschweig, NStZ 1991, 492; LK-Krauß, § 125, Rn. 84; krit. Redmann, der in der Konkretisierung der Haupttat kein taugliches Differenzierungsmittel sieht, da für ihn sowohl in § 111 als auch in § 125 Abs. 1 Var. 3 ähnliche Anforderungen an die Bestimmtheit der Tat gestellt werden; siehe Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 311. 587 Kōstaras, Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 150–151; Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB, S. 310–311. 588 Kōstaras, Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, S. 151. 589 Rogall, GA 1979, 12 (25). 582
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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e) Subjektiver Tatbestand Vorausgesetzt wird für alle Handlungsformen mindestens ein bedingter Vorsatz.590 Außerdem muss für den aufwieglerischen Landfriedensbruch das Einwirken mit der Absicht – d. h. mit einem zielgerichteten Wollen – erfolgen, die Bereitschaft der Menschenmenge zu Ausschreitungen i. S. der Nr. 1 und 2 zu fördern.591 Es reicht hierfür aus, wenn der Täter seine Handlung für geeignet hält, solche Ausschreitungen zu fördern; es spielt also keine Rolle, ob seine Handlung in Wirklichkeit völlig ungeeignet ist.592
f) Quintessenz Die Einwirkung, die auf jede erdenkliche Weise erfolgen kann und auch in einer einfachen Reizsituation gegeben ist (wie z. B. in dem Anheizen einer zu Feindseligkeiten neigenden Stimmung durch Lieder oder anfeuernde Gesten), richtet sich vorwiegend an Emotionen und Gefühle. Die Tathandlung scheint sich somit deutlich von einem Bestimmen oder einer Aufforderung zu unterscheiden.
4. Billigen, Leugnen und Verharmlosen der in der NS-Zeit begangenen Handlungen i. S. des § 6 VStGB (§ 130 Abs. 3 StGB) a) Normtext Das Billigen, Leugnen und Verharmlosen der in der NS-Zeit begangenen Handlungen i. S. des § 6 VStGB, d. h. das sog. Auschwitz-Leugnen, wird in § 130 Abs. 3 StGB unter Strafe gestellt. § 130 Abs. 3 StGB lautet wie folgt: Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.
590
Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 125, Rn. 27; LK-Krauß, § 125, Rn. 91; MKFeilcke, § 125, Rn. 37; Fischer, § 125, Rn. 16. 591 Maurach / Schroeder / Maiwald, Strafrecht BT, Teilbd. 2 Straftaten gegen Gemeinschaftswerte, § 60, Rn. 36; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 125, Rn. 27; LK-Krauß, § 125, Rn. 92; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Fahl, § 125, Rn. 8; Fischer, § 125, Rn. 15. 592 LK-Krauß, § 125, Rn. 92; MK-Feilcke, § 125, Rn. 40; BeckOK-Rackow, § 125, Rn. 17.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
b) Geschichtlicher Überblick Vor der Novellierung des § 130 StGB und der Einfügung des Abs. 3 im Jahr 1994 wurde in der Rechtsprechung das einfache Abstreiten von historischen Tatsachen (das sog. einfache Auschwitz-Leugnen) als eine Beleidigung593 gehandhabt und demnach nicht von § 130 StGB a. F. erfasst.594 Aufgrund der Voraussetzung eines Angriffs auf die Menschenwürde fand § 130 StGB a. F. nur dann Anwendung, wenn „besondere qualifizierende Merkmale“ wie z. B. „die Behauptung einer vom jüdischen Bevölkerungsteil aufgebrachten Lüge“ vorhanden waren (das sog. qualifizierte Auschwitz-Leugnen).595 Ziel des Gesetzgebers war es, mit dem Tatbestandsmerkmal der Menschenwürde den Anwendungsbereich des § 130 StGB einzuschränken und somit einen einfachen Angriff auf die Ehre des Verletzten vom Anwendungsbereich des Tatbestandes auszuschließen.596 Dies änderte sich jedoch im Jahr 1994. Auslöser für die Erweiterung des § 130 StGB und der Novellierung des Tatbestandes mit der Ergänzung eines Abs. 3 war der sog. „Deckert-Fall“. Auf einer Veranstaltung der NDP (eine sog. Revisionismus-Tagung) im Jahr 1991 kommentierte und ergänzte der damalige Bundesvorsitzende der NDP, Günter Deckert, auf zustimmende Art die Rede des amerikanischen „Hinrichtungsexperten“ Fred Leuchter, der von einer „Gaskammerlüge“ sprach. Auf der Grundlage dieser Äußerung verurteilte das LG Mannheim Deckert wegen Volksverhetzung. Der BGH hob kurz darauf die Verurteilung wegen unzureichender Tatsachenfeststellungen wieder auf und wies die Sache an das LG Mannheim zurück.597 Die noch durch die gewalttätigen Vorfälle und Brandanschläge in Cottbus, Solingen und Hoyerswerda bewegte Öffentlichkeit interpretierte das Urteil des BGH jedoch als Freispruch für Deckert und es erhob sich ein „Sturm der Entrüstung“.598 In der Folge verurteilte das LG Mannheim Deckert erneut wegen Volksverhetzung. Jedoch löste auch diese Urteilsbegründung eine starke Entrüstung in der Bevölkerung aus, da in der Urteilsbegründung u. a. stand, dass Deckert für „seine politische Überzeugung, die ihm eine Herzenssache sei, mit großem Engagement“599 eintrete. Dem Gericht wurde vorgeworfen, dass die nötige Distanz zum Angeklagten fehle.600
593
Siehe §§ 185 ff. StGB. Vertiefend zur Rechtsprechung vor 1994 siehe von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 99–100. 595 OLG Celle, NJW 1982, 1545, 1546. 596 Siehe BT-Drucks. 3/1746, S. 3 sowie vertiefend hierzu von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 65 ff. 597 BGH NJW 1994, 1421. 598 Stegbauer, NStZ 2000, 281 (282). Siehe vertiefend hierzu Bertram, NJW 1994, 2002; Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 116 ff. 599 LG Mannheim, NJW, 1994, 2494 (2499). 600 LG Mannheim NJW, 1994, 2494 ff. 594
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Der Gesetzgeber sah sich in diesem aufgeheizten Klima dazu gedrängt, schnell zu handeln und verstärkt gegen Auschwitz-Leugner vorzugehen.601 Dies führte dazu, dass mit dem VerbrBekG, das am 1. Dezember 1994 in Kraft trat, der § 130 StGB komplett novelliert und in Abs. 3 das Billigen, Leugnen und Verharmlosen der in der NS-Zeit begangenen Verbrechen i. S. des § 6 VStGB unter Strafe gestellt wurde.
c) Strafbegründung Die h. L. sieht den öffentlichen Frieden als das zu schützende Rechtsgut für § 130 Abs. 3 StGB an.602 In der Lehre wird u. a. auch die Auffassung vertreten, dass neben dem öffentlichen Frieden auch die persönliche Würde der Betroffenen geschützt wird.603 Bei § 130 Abs. 3 StGB handelt es sich der h. M. zufolge um ein abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt sowie um ein Äußerungsdelikt (wie Abs. 1).604 In den Gesetzesmaterialien wird als Zweck des § 130 Abs. 3 StGB die Verhinderung der Vergiftung des politischen Klimas aufgeführt.605 Ziel sei es, die rechtsextremistische Propaganda, die eine gefährliche Auswirkung auf das politische Klima haben kann, zu verhindern, indem die Anwendung des § 130 StGB in der Praxis erleichtert und dessen generalpräventive Wirkung verstärkt wird.606 Die Rechtsprechung folgte dem Gesetzgeber, indem sie anerkannte, dass das Billigen, Leugnen und Verharmlosen eine Form der rechtsextremistischen Propaganda darstellt, die zur Vergiftung des politischen Klimas geeignet ist und aus diesem Grund strafrechtlich verfolgt 601 Bereits im April 1994 wurde ein Gesetzesentwurf der Partei Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt, der das Leugnen des NS-Völkermordes in einem neuen § 131 StGB unter Strafe stellen sollte. Am 18. Mai 1994 schlug der Rechtsausschuss des Bundestags vor, das einschränkende Tatbestandsmerkmal des Angriffs der Menschenwürde zu streichen und § 130 StGB einen dritten Absatz zuzufügen, der das Billigen, Leugnen und Verharmlosen der NS-Völkermordverbrechen unter Strafe stellen sollte. 602 Siehe Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 122; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 199, 200; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130 Rn. 1a; BeckOK-Rackow, § 130 Rn. 11; krit. Junge, Das Schutzgut des § 130 StGB, S. 50; Stegbauer, NStZ 2000, 281, 283. 603 LK-Krauß, § 130, Rn. 11; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 5; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 130, Rn. 2. 604 BGH MMR 2001, 228 (229); BGH NJW 2001, 624 (626); BVerwG NVwZ 2010, 446 (448); BGH NStZ 2017, 146 (147); OLG Hamm NStZ-RR 2018, 292 (293); Hörnle, NStZ 2001, 305 (308); Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 130, Rn. 3; für weitere Erläuterungen siehe oben Teil II.Kapitel I. I.B.2.c). 605 BT-Drucks. 12/8588, S. 8; krit. Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 60, Rn. 64; Lackner / Kühl-Kühl, § 130 Rn. 1; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 130, Rn. 37; Fischer sieht in der Verhinderung der Vergiftung des politischen Klimas nur ein politisches Ziel, aber kein Rechtsgut. Siehe Fischer, § 130 Rn. 24. 606 BT-Drucks. 12/6853, S. 23–24; BGH NJW 2000, 2217, 2218; OLG Brandenburg NStZRR 2017, 206 (207);
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und verhindert werden muss.607 Dem BGH zufolge werden volksverhetzende Äußerungen, die an die Öffentlichkeit gebracht werden, regelmäßig von einer Friedensgefährdung begleitet.608 In der Literatur wird angeführt, dass – ähnlich wie für § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 und 2 StGB (Aufstacheln zum Hass und Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen) – in Abs. 3 die Gefahr besteht, dass es durch die dort normierten Tathandlungen zu Gewalt oder zu Pogromen gegenüber den angegriffenen Bevölkerungsteilen kommen könnte und dass potentiell tatgeneigte Täter dazu animiert werden könnten, Straftaten zu begehen.609 Für von Dewitz war sich der Gesetzgeber darüber im Klaren, dass Hetze, auch wenn die NS-Verbrechen, die dabei gebilligt werden, weit zurückliegen, zu Gewalttaten führen kann.610 Hörnle weist diese Rechtfertigung des Strafverbotes zurück und macht demgegenüber geltend, dass die Zurechenbarkeit und die Konnexität zwischen revisionistischen Äußerungen und späteren Gewalttaten nur schwer feststellbar sei, da ein Aufforderungscharakter fehle.611
d) Objektiver Tatbestand In § 130 Abs. 3 StGB wird das Billigen, Leugnen oder Verharmlosen von unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlungen i. S. des § 6 Abs. 1 VStGB unter Strafe gestellt. Bei den drei Tathandlungen handelt es sich um persönliche Äußerungsdelikte (wie in Abs. 1); d. h., dass der sich Äußernde eine eigene Auffassung zum Ausdruck bringen muss.612 Die drei Handlungsalternativen überschneiden sich zum Teil, sodass eine klare Trennschärfe zwischen ihnen fehlt.613 Als Begründung für diesen Umstand wird in der Lehre der Regelungszweck des Gesetzgebers aufgeführt, der mit Abs. 3 so viele Formen der agitativen Hetze wie möglich abdecken wollte.614
607
BGHSt NJW 2000, 2217; BGHSt 46, 212; BVerwG NVwZ 2010, 446 (448). BGH, Urteil v. 10. 4. 2002, NStZ 2002, 538. 609 Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 210 f.; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 199, 200; ähnlich Brugger, AöR 2003, 372 (391); Toma, Zur Strafbarkeit und Strafwürdigkeit des Billigens, Leugnens und Verharmlosens von Völkermord und Menschlichkeitsverbrechen, S. 280. 610 von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 199 ff.; ähnlich Toma, Zur Strafbarkeit und Strafwürdigkeit des Billigens, Leugnens und Verharmlosens von Völkermord und Menschlichkeitsverbrechen, S. 201. 611 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 319 ff.; ähnliche Zweifel äußert Zabel, ZStW 2010, 834 (844); und LK-Krauß, § 130, Rn. 13. 612 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 17; LK-Krauß, § 130 Rn. 109; MKSchäfer / Anstötz, § 130, Rn. 9. 613 BGH NStZ 2002, 538 (539); BGHSt 47, 278 (281); LK-Krauß, § 130, Rn. 129; Fischer, § 130, Rn. 28. 614 MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 78. 608
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aa) Billigen Das Billigen ist genauso wie in § 140 Nr. 2 StGB zu verstehen; d. h., dass ein konkludentes oder ausdrückliches Gutheißen einer konkreten Tat nötig ist.615 Gutheißen bedeutet, dass der Täter die Gewalttaten als richtig, akzeptabel oder notwendig hinstellt und sich hinter die Willkürmaßnahmen stellt oder seine zustimmende Befriedigung äußert.616 Es wird vorausgesetzt, dass die Zustimmung aus sich heraus verständlich ist und als solche, also unmittelbar und ohne „Deuteln“, zu erkennen ist.617 Ein Billigen liegt auch dann vor, wenn ein Äußernder lediglich von Einzelhandlungen abrückt und nicht das Gesamtgeschehen gutheißt.618
bb) Leugnen Das Leugnen ist das Bestreiten, in Abrede stellen oder Verneinen der geschichtlichen und offenkundigen Tatsache des nationalsozialistischen Völkermords.619 Das einfache Bezweifeln oder Infragestellen einer Tatsache reicht jedoch nicht aus, um als ein Leugnen betrachtet zu werden.620 Wenn lediglich Zweifel geäußert werden, handelt es sich um eine Verharmlosung.621 Ebenfalls von Abs. 3 erfasst ist auch das Bestreiten von der in der NS-Zeit begangenen Handlungen i. S. des § 6 VStGB.622 Wichtig ist, dass die Tatsachen, die geleugnet werden, wahre geschichtliche Tatsachen sind. Folglich erfasst der Tatbestand nicht das Bestreiten von wissenschaftlich umstrittenen historischen Geschehnissen.623 Es können sowohl Gesamtgeschehen (also z. B. der gesamte Holocaust) geleugnet werden als auch Teilgeschehen i. S. einzelner Taten des Völkermordes.624 Die Form, die das Leugnen dabei annimmt, ist nicht von Bedeutung.625 Wichtig ist, dass sich aus dem Inhalt des Gesamttextes, der Begleitumstände oder der Auslegung auf ein Leugnen schließen lässt.626
615
Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 18; Vertiefend dazu siehe in der vorliegenden Arbeit oben Teil 2 Kapitel 1 B. II. 1. d) bb). 616 OLG Karlsruhe NJW 2003, 1200 (1201); OLG Brandenburg NStZ-RR 2017, 206. 617 BGHSt 22, 282 (287); NJW 1969, 517 (518); Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130 Rn. 18. 618 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 18. 619 Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 201; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 199, 200; Lackner / Kühl-Kühl, § 130, Rn. 8; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 19; LK-Krauß, § 130, Rn. 132; Fischer, § 130, Rn. 30. 620 Beisel, NJW 1995, 997 (1000); Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 19; Fischer, § 130, Rn. 30. 621 NK-Ostendorf, § 130, Rn. 27. 622 Fischer, § 130, Rn. 30. 623 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 19; LK-Krauß, § 130, Rn. 132. 624 BGHSt 47, 27; LG Regensburg BeckRS 2014, 15900. 625 Fischer, § 130, Rn. 30. 626 LG Hamburg, NStZ-RR 1996, 262 (264).
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
cc) Verharmlosen Ein Verharmlosen liegt vor, wenn Geschehnisse wie der Holocaust „heruntergespielt, beschönigt oder in seinem wahren Gewicht verschleiert“627 werden. Beim Verharmlosen wird, im Unterschied zur Leugnung, die Tatsachenbasis zwar anerkannt, jedoch wird der Unrechtsgehalt heruntergespielt und relativiert.628 Der Gesetzgeber sowie auch die Lehre unterscheiden zwischen zwei Arten der Verharmlosung: die qualitative und die quantitative Verharmlosung.629 Eine quantitative Verharmlosung liegt vor, wenn zwar der Völkermord anerkannt wird, jedoch der Umfang und konkrete Zahlen wie z. B. die Opferzahlen des Holocaust heruntergerechnet werden.630 Soweit es die Opferzahlen betrifft, ist nur ein wesentliches Herunterrechnen ausschlaggebend;631 nicht tatbestandsmäßig sind Zahlen, die im Randbereich der offiziellen Zahlen liegen.632 Das quantitative Verharmlosen wird auch als abgeschwächte Form des Leugnens633 betrachtet und wird u. a. als „Teil-Leugnen“634 bezeichnet. Bei einer qualitativen Verharmlosung wird der Unwertgehalt des Völkermordes heruntergespielt und es erfolgt „lediglich eine abschwächende moralische oder rechtliche Bewertung der Völkermordtaten“.635 Das qualitative Verharmlosen nähert sich somit der Billigung.636 Der alleinige Vergleich von Völkermordtaten stellt keine Verharmlosung dar.637
dd) Tatobjekt: Handlung des § 6 Abs. 1 Völkerstrafgesetzbuches § 130 Abs. 3 StGB bestraft das Billigen, Leugnen und Verharmlosen von unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlungen des § 6 VStGB (Völkermord). Mit Blick auf § 6 VStGB wird klar, dass § 130 Abs. 3 StGB nur das 627
BGH NJW 2000, 2217; BGH NJW 2005, 689. BT-Drucks. 9/2090, S. 7, 8; BGH NJW 2000, 2217; Fischer verwendet den Begriff „Bagatellisieren“, siehe Fischer, § 130, Rn. 31. 629 BT-Drucks. 9/2090, S. 7; BT-Drucks. 10/1286, S. 9; Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 230; Toma, Zur Strafbarkeit und Strafwürdigkeit des Billigens, Leugnens und Verharmlosens von Völkermord und Menschlichkeitsverbrechen, S. 90. 630 BGH NJW 2005, 689 (690). 631 Wenn z. B. behauptet wird, dass die Zahl der ermordeten Juden bei nur einer Million liegen soll. Siehe BGH NJW 2005, 689 (691). 632 Toma, Zur Strafbarkeit und Strafwürdigkeit des Billigens, Leugnens und Verharmlosens von Völkermord und Menschlichkeitsverbrechen, S. 90; LK-Krauß, § 130, Rn. 133. 633 BGH NJW 2005, 689 (691). 634 Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, 2000, S. 230; ähnlich LK-Krauß, § 130, Rn. 133. 635 Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, 2000, S. 230; ähnlich LK-Krauß, § 130, Rn. 133. 636 So auch BT-Drucks. 9/2090, S. 7; LK-Krauß, § 130, Rn. 133. 637 Ausführlich zur qualitativen Verharmlosung und dem Vergleich von Verbrechen siehe Toma, Zur Strafbarkeit und Strafwürdigkeit des Billigens, Leugnens und Verharmlosens von Völkermord und Menschlichkeitsverbrechen, S. 91–92. 628
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Billigen, Leugnen oder Verharmlosen von Taten erfasst, die sich gegen eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe richten. Ein Gruppenbezug muss vorhanden sein.638 Damit stellt sich die Frage, welche Gruppen unter § 130 Abs. 3 StGB fallen. Sowohl das Billigen, Leugnen und Verharmlosen der Judenverfolgung als auch die Verfolgung anderer Gruppen wie z. B. der Sinti und Roma werden von dem Tatbestand erfasst.639 Kranke und behinderte Menschen sowie Homosexuelle stellen jedoch keine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe dar.640 Bei den unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Handlungen der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art handelt es sich um Taten, die während der Herrschaftszeit des Dritten Reichs begangen wurden und die der NS-Macht zuzurechnen sind.641 Von der Vorschrift werden sämtliche NSVerbrechen wie z. B. die Massenvernichtungen sowie Menschenversuche, Zwangssterilisierungen und Gettoisierungen erfasst.642
ee) Handlungsform Das Billigen, Leugnen oder Verharmlosen muss laut § 130 StGB Abs. 3 öffentlich geschehen, d. h., dass die Tathandlung vor einem unbestimmten, nicht individualisierten Personenkreis erfolgen muss.643 Die Öffentlichkeit hängt dabei nicht von der Öffentlichkeit des Ortes ab, in der die Äußerung getroffen wird, sondern von der Unüberschaubarkeit des Personenkreises. Demnach wird ein Billigen, Leugnen oder Verharmlosen nicht von § 130 Abs. 3 StGB erfasst, wenn die Äußerung gegenüber einem kleinen und überschaubaren Adressatenkreis erfolgt.644 Als öffentlich gelten auch Äußerungen, die über Rundfunk und Fernsehen erfolgen, sowie solche, die über das Internet – ohne Einschränkungen – für jeden abrufbar gemacht werden.645 Als problematischer erscheinen jedoch Äußerungen, die über SMS oder E-Mail verschickt werden.646 Hier wird zwischen Nachrichten unterschieden, die an einen kleinen Kreis von Empfängern oder an einen unbestimmten und nicht individualisierten Personenkreis gerichtet sind.647 638
LK-Krauß, § 130, Rn. 134. Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 16; NK-Ostendorf, § 130, Rn. 24 (2017); MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 85. 640 Stegbauer, NStZ 2000, 281 (285); Toma, Zur Strafbarkeit und Strafwürdigkeit des Billigens, Leugnens und Verharmlosens von Völkermord und Menschlichkeitsverbrechen, S. 87; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 16. 641 LK-Krauß, § 130, Rn. 134; Fischer, § 130, Rn. 27. 642 Stegbauer, NStZ 2000, 281 (285); LK-Krauß, § 130, Rn. 134. 643 BGHSt 46, 212 (217); LK-Krauß, § 130, Rn. 136. 644 Hörnle NStZ 2002, 113, 118, sowie BGH NJW 1969, 853; BGHSt 11, 282 (284) (zu § 183 a. F.). 645 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130 Rn. 19; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 83. 646 Hörnle NStZ 2002, 113, 118. 647 Hörnle NStZ 2002, 113, 118. 639
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Bei einer Versammlung handelt es sich um einen Personenkreis, der sich räumlich zu einem bestimmten Zweck vereinigt hat.648 Der Personenkreis kann begrenzt sein, jedoch muss eine größere Zahl von Personen anwesend sein.649 Ausschlaggebend ist in diesem Fall, dass die Möglichkeit dafür besteht, dass die Äußerung weitergegeben wird.650 § 130 Abs. 5 StGB weist darauf hin, dass Abs. 2 auch für einen in den Abs. 3 oder 4 bezeichneten Inhalt gilt. Demzufolge wird auch das Verbreiten solcher Inhalte, das Zugänglichmachen, oder das Anbieten, Überlassen, Zugänglichmachen zu einer Person unter achtzehn Jahren bestraft. Mit § 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB wird ebenfalls das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Bewerben, Ein- oder Ausführen solcher Inhalte mit der Absicht einer Verwendung unter Strafe gestellt.
ff) Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens In Abs. 3 sowie schon in Abs. 1 wird die Eignung verlangt, den öffentlichen Frieden zu stören.651 Demnach muss das Billigen, Leugnen oder Verharmlosen in einer Weise erfolgen, die dazu geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Dies gilt auch für den Abs. 5 und somit für das Verbreiten von Inhalten.652 Dieses Erfordernis der Friedensstörungseignung wird als „Restriktionsmöglichkeit“653 oder als „eingrenzende[s] Korrektiv“654 angesehen, da es ein Gegengewicht zu der begrifflichen Weite darstellt, die durch das Verharmlosen und Leugnen entsteht.655 In seinem Beschluss vom 22. Juni 2018 hat das BVerfG jedoch entschieden, dass die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens nur bei der Verharmlosung eigens festgestellt werden muss, während die Eignung bei den anderen Varianten (Leugnung und Billigung) bereits indiziert sei.656 Ein wichtiges Indiz für die Eignung zur Friedensstörung sei das tatsächliche Eintreten einer erheblichen unruhestiftenden öffentlichen Wirkung einer Äußerung, die über den unmittelbaren Adressatenkreis hinausgehe.657 Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 22. Juni 2018 deutlich gemacht, dass das Vorliegen der Eignung einer Störung des öffentlichen Friedens nicht alleine mit der „Vergiftung des geistigen Klimas und [der] Kränkung des Rechtsbewusstseins der Bevölkerung“ begründet werden 648
NK-Ostendorf, § 130. Rn. 25; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 130, Rn. 37. BGH NJW 2005, 689 (690). 650 LK-Krauß, § 130. Rn. 137. 651 Für eine weitere Vertiefung siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. II. 2. d) cc). 652 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 23. 653 Toma, Zur Strafbarkeit und Strafwürdigkeit des Billigens, Leugnens und Verharmlosens von Völkermord und Menschlichkeitsverbrechen, S. 92. 654 LK-Krauß, § 130, Rn. 138; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 86. 655 BT-Drucks. 412/8588, S. 8; Zweifel über die Begrenzungsfunktion der Eignungsklausel siehe Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 22. 656 BVerfG NJW 2018, 2861 (2862). 657 BGHSt 46 36 (42 ff.); siehe NJW 2000, 2217. 649
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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könne. Es müsse vielmehr festgestellt werden, dass die Äußerung eine mittelbare Realwirkung und rechtsgutgefährdende Folgen (wie z. B. in Form von Appellen zum Rechtsbruch, aggressiven Emotionalisierungen oder durch Herabsetzung von Hemmschwellen) hat.658
e) Subjektiver Tatbestand Für den subjektiven Tatbestand ist mindestens ein dolus eventualis erforderlich, der sich auf alle Tatbestandsmerkmale erstreckt, einschließlich der Eignung zur Friedensstörung.659 Demzufolge geht es darum, dass der „Täter das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt“.660 Hinsichtlich des Leugnens und der quantitativen Verharmlosung gibt es eine Kontroverse. In der Literatur wird diskutiert, ob der Vorsatz des Leugnens und des Verharmlosens sich auch auf die Unwahrheit der Tatsachenbehauptung erstreckt.661 Der BGH662 geht davon aus, dass eine „bewusste Lüge“ nicht erforderlich ist. Ausreichend sei stattdessen das „bewusste Abstreiten des bekanntermaßen historisch anerkannten Holocaust“.663 Demnach ist das Vorliegen eines Vorsatzes schon dann zu bejahen, „wenn sich der Täter der sozialen Relevanz seiner leugnenden Äußerung bewusst ist“.664 Als Grund hierfür führt der BGH an, dass der Gesetzgeber mit der Norm auch „Unbelehrbaren begegnen“ wollte.665
f) Quintessenz Das Billigen, Leugnen und Verharmlosen richten sich so, wie sie verstanden werden, an erster Stelle an Emotionen und Gefühle. Es wird nicht ersichtlich, dass sie einen Handlungsdruck ausüben. Außerdem beziehen sie sich nicht auf in der Zukunft liegende und noch zu begehende Taten, sondern auf während der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlungen des § 6 VStGB. Es erscheint in dieser Hinsicht schwieriger, einen Bezug zur Motivation zur Begehung von neuen 658
BVerfG NJW 2018, 2861 (2862). LG Karlsruhe NJW 1986, 1276 (1277). 660 BGH, Urteil v. 3. 4. 2008 – 3 StR 394/07 (LG Dresden), NStZ-RR 2009, 13, 14. 661 Darstellung des Meinungsstandes bei Toma, Zur Strafbarkeit und Strafwürdigkeit des Billigens, Leugnens und Verharmlosens von Völkermord und Menschlichkeitsverbrechen, 2014, S. 97. 662 BGH, Urteil v. 10. 4. 2002 – 5 StR 485/01. 663 BGH, Urteil v. 10. 4. 2002 – 5 StR 485/01. Der BGH greift hier auf die These von Rudolphi zurück, in SK-Rudolphi, § 130, Rn. 23. 664 LK-Krauß, § 130, Rn. 157. 665 Krit. bezüglich der Auffassung des BGH siehe LK-Krauß, § 130, Rn. 157; Geilen, FS für Herzberg, S. 593, 599 ff.; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 103. 659
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Straftaten herzustellen. Es kann aber die Frage gestellt werden, ob durch die Anforderung einer Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens ein solcher Handlungsdruck aufgebaut wird.
5. Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der NS-Gewaltund -Willkürherrschaft (§ 130 Abs. 4 StGB) a) Normtext Im Volksverhetzungstatbestand wird in Abs. 4 StGB das Billigen, Verherrlichen oder Rechtfertigen der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft unter Strafe gestellt. § 130 Abs. 4 StGB lautet diesbezüglich wie folgt: Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.
b) Geschichtlicher Überblick In den Jahren zwischen 2000 und 2005 sorgten neonazistische Veranstaltungen erneut für Aufsehen. Am 29. Januar 2000 marschierten Neonazis zum Bauplatz des Holocaust-Mahnmals und danach durch das Brandenburger Tor. Am 12. März desselben Jahres kam es zu einer weiteren Versammlung von Neonazis am Brandenburger Tor. Die Bilder dieser Veranstaltungen riefen sowohl im Inland als auch im Ausland eine Welle der Empörung hervor und es mehrten sich Stimmen, die sich für ein Verbot derartiger Veranstaltungen an symbolträchtigen und historischen Orten aussprachen.666 Zu einer Änderung der Gesetzeslage kam es jedoch erst im Jahr 2005 anlässlich mehrerer geplanter Veranstaltungen; u. a. der Aufmarsch von Neonazis vor dem Holocaust-Mahnmal, eine geplante Demonstration der Jugendorganisation der NDP durch das Brandenburger Tor zum 60. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 2005 und die jährliche Rudolf-Heß-Kundgebung in Wunsiedel am Todestag von Rudolf Heß.667 Durch das Gesetz zur Änderung des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches vom 24. März 2005668 wurde nunmehr in Abs. 4 des § 130 StGB das Billigen, Verherrlichen oder Rechtfertigen der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft unter Strafe gestellt. 666 Siehe Bosbach (CDU / CSU), der die Veranstaltung am 29. Januar 2000 erwähnt, um die Notwendigkeit eines Verbots von rechtsextremistischen Versammlungen am Brandenburger Tor zu verhindern. Plenarprotokoll 15/158, S. 14809. 667 Stadler, BT-Plenarprotokoll 15/164, S. 15351. 668 BGBl. I, 969.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Der Kalender dieser Anlässe und die damit einhergehenden, geplanten Demonstrationen hatten auch einen erheblichen Einfluss auf die Geschwindigkeit des Gesetzgebungsverfahrens.669 Am 15. Februar 2005 wurde gemeinsam von SPD und Bündnis 90/Die Grünen ein erster Gesetzesentwurf zur Veränderung des Strafgesetzbuches und insbesondere des § 130 StGB eingebracht. Der Entwurf wurde in der Plenarsitzung am 18. Februar 2005670 erstmals diskutiert, knapp einen Monat später in der Sitzung vom 11. März 2005671 angenommen und trat noch im selben Monat, am 25. März 2005, in Kraft.
c) Strafbegründung Geschütztes Rechtsgut des § 130 Abs. 4 StGB ist der öffentliche Friede.672 Das BVerfG erkennt den öffentlichen Frieden als primäres Schutzgut an und verweist auf das Merkmal „die Würde der Opfer verletzenden Weise“ als eine bloß „modale Ergänzung“.673 Allerdings hat das BVerfG ein „eingegrenztes Verständnis“ davon, was unter öffentlichem Frieden i. S. des § 130 Abs. 4 StGB zu verstehen ist, nämlich die Aufrechterhaltung des friedlichen Miteinanders. Das BVerfG bekräftigte in der Wunsiedel-Entscheidung vom 4. Novembers 2009, dass mit § 130 Abs. 4 StGB nicht das Gutheißen von Ideen, „sondern von realen Verbrechen, die in der Geschichte einmalig und an Menschenverachtung nicht zu überbieten sind“, bestraft werden soll.674 Laut Gericht handle es sich bei der Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung also nicht um eine „bloß anstößige geistige Relativierung des Gewaltverbots“, da diese Äußerungen sich an eine breitere Öffentlichkeit richten.675 Indem derartige Äußerungen in ihren Auswirkungen zum einen einschüchtern können und zum anderen bei der angesprochenen Anhängerschaft solcher Auffassungen auch eine enthemmende Wirkung haben können, stellt die Bestrafung der Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung somit kein Gesinnungsstrafrecht dar. Ziel des § 130 Abs. 4 StGB sei es, vor Äußerungen zu schützen, „die ihrem Inhalt nach erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind, das heißt den Übergang zu Aggression oder Rechtsbruch markieren“.676 Mit dieser Vorschrift sollen „Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen 669 Die Schnelligkeit des Gesetzgebungsverfahrens und der Zeitdruck aufgrund der geplanten Veranstaltungen wird auch von Silke Stokar (Bündnis 90/Die Grünen) erwähnt, in IA-Protokoll 15/56, S. 28. 670 Plenarprotokoll 15/158, S.14809–14826. 671 Plenarprotokoll 15/164, S. 15347–15364. 672 BT-Drucks. 15/5051, S. 5; Sonntag-Wolgast (SPD), Plenarprotokoll 15/164, S. 15353; Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen), Plenarprotokoll 15/164, S. 15356; Sch / Sch-SternbergLieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 1a; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 6. 673 BVerfG NJW 2010, 47 (55). 674 BVerfG NJW 2010, 47 (53). 675 BVerfG NJW 2010, 47 (53). 676 BVerfG NJW 2010, 47 (53).
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
oder Dritte unmittelbar einschüchtern“ erfasst werden.677 Es handelt sich bei dem Verbot in Abs. 4 des Volksverhetzungstatbestandes also um einen „vorgelagerten Rechtsgüterschutz“.678 Dieses Verständnis des öffentlichen Friedens i. S. der Gewährleistung von Frieden ermöglicht es dem BVerfG, eine klare Parallele zwischen § 130 Abs. 4 StGB und anderen Vorschriften wie z. B. der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB), der Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) sowie § 130 Abs. 1–3 StGB zu ziehen und zu bekräftigen, dass diese Vorschriften dasselbe Rechtsgut schützen.679 Im Gegensatz zu Abs. 1 und 3 des § 130 StGB, die als abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte gelten, reicht bei Abs. 4 eine bloße Friedensstörungseignung nicht aus. Abs. 4 ist als ein Erfolgsdelikt ausgestaltet; d. h., dass die Störung des öffentlichen Friedens auch tatsächlich eingetreten sein muss.680 Um zu untersuchen, ob eine Störung des öffentlichen Friedens eingetreten ist, müssen jeweils die Umstände des Einzelfalles analysiert werden.681
d) Objektiver Tatbestand aa) Billigen Als Tathandlung des § 130 Abs. 4 StGB wird das Billigen unter Strafe gestellt. Der Begriff des Billigens wird bereits in § 130 Abs. 3 und in § 140 Nr. 2 StGB verwendet und soll auch hier so interpretiert werden.682 Demnach wird unter Billigen in § 130 Abs. 4 StGB ein Gutheißen von unter der NS-Gewalt- und Willkürherrschaft begangener Menschenrechtsverletzungen verstanden.683 Das Gutheißen kann dabei sowohl ausdrücklich als auch konkludent erfolgen.684 Die Billigung muss nicht in Form einer vorbehaltlosen Zustimmung zum Ausdruck gebracht werden; es reicht aus, wenn die Menschenrechtsverletzungen, die unter der NS-
677
BVerfG NJW 2010, 47 (53). BVerfG NJW 2010, 47 (53). 679 BVerfG, Beschluss v. 4. 11. 2009 – 1 BvR 2150/08, Rn. 78. 680 BT-Drucks. 15/5051, S. 5; BVerfG, NJW 2005, 3202; BVerfG, MMR 2010, 199 (202); VG Bayreuth, MMR 2005, 791 (793); Poscher, NJW 2005, 1316 (1318); Leitmeier, NJW 2016, 2553 (2555); Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 22c. 681 BT-Drucks. 15/5051, S. 5. 682 Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 275; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 18. 683 BT-Drs. 15/5051; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 22b; LK-Krauß, § 130, Rn. 142. 684 So gilt als ein konkludentes Billigen das positive Bewerten von Symbolfiguren des nationalsozialistischen Regimes, wenn der Äußerungszusammenhang deutlich macht, dass die Person auch als Symbol für die NS-Herrschaft verstanden wird. Siehe zur Billigung der NS-Gewaltherrschaft durch positive Hervorhebung von Rudolf Heß BVerwG NJW 2009, 98 (102); VGH München BayVBl. 2008, 109 (112 f.). 678
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Herrschaft begangen wurden, als „bedauerlich, aber unvermeidbar“ dargestellt werden.685
bb) Verherrlichen Unter dem Begriff des Verherrlichens wird das Rühmen der NS-Gewalt- und -Willkürherrschaft als etwas Großartiges, Imponierendes oder Heldenhaftes verstanden.686 In der Lehre wird das Verherrlichen in Anlehnung an § 131 StGB auch als „Anpreisen“ oder „Hochjubeln“ bezeichnet.687 Dem Gesetzgeber zufolge reicht es aus, „wenn das Dargestellte in einen positiven Bewertungszusammenhang gestellt wird oder in der Schilderung der Unrechtshandlungen und ihrer Verantwortungsträger entsprechende positive Wertakzente gesetzt werden“.688 Eine klare Differenzierung zwischen Billigen und Verherrlichen erscheint als problematisch, was auch in der Literatur bemängelt wird.689
cc) Rechtfertigen Ein Rechtfertigen liegt vor, wenn die die NS-Gewalt- und -Willkürherrschaft kennzeichnenden Menschenrechtsverletzungen als notwendige Maßnahmen verteidigt werden.690 Dabei reicht es aus, wenn „die Handlungsweise eines für die Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen als richtig oder gerechtfertigt dargestellt werden“.691 Wie das Verherrlichen erscheint auch die Tathandlung des Rechtfertigens nur schwer von der des Billigens differenzierbar zu sein.692
dd) Tatobjekt: Die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft Bestraft werden das Billigen, Verherrlichen oder Rechtfertigen der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft. Es stellt sich die Frage, was genau
685
BT-Drucks. 15/4832, S. 5; vgl. NK-Ostendorf, § 130, Rn. 34; krit. Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, 2017, S. 274 ff. 686 BT-Drucks. 15/4832, S. 5; LK-Krauß, § 130, Rn. 143; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 93. 687 Siehe NK-Ostendorf, § 130, Rn. 33. 688 BT-Drucks. 15/4832, S. 5. 689 Siehe Ulbricht, der keine Differenz zwischen dem Billigen und dem Verherrlichen sieht, da für ihn beide zu „einem unterschiedslosen“ Gutheißen zusammenschmelzen. Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, 2017, S. 281–282. 690 BT-Drucks. 15/4832, S. 5; Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 22b; LKKrauß, § 130, Rn. 144. 691 LK-Krauß, § 130, Rn. 144. 692 Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 283–284; BeckOKRackow, § 130, Rn. 40.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
dabei unter NS-Gewalt- und -Willkürherrschaft zu verstehen ist.693 Für das Verständnis des Tatbestandsmerkmal wird zuweilen auf § 194 Abs. 1 StGB verwiesen, an dem sich der Gesetzgeber bei der Festlegung von § 130 Abs. 4 StGB orientiert hat.694 § 194 StGB zufolge handelt es sich bei einer Gewalt- und Willkürherrschaft um ein Herrschaftssystem, in dem die Staatsgewalt unkontrolliert und unbegründet ausgeübt wird und das sich über elementare Menschenrechte hinwegsetzt.695 Erfasst werden somit Äußerungen, die sich auf die vom nationalsozialistischen Regime systematisch begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen beziehen.696 Somit ist das Tatobjekt des Abs. 4 weiter gefasst als das des Abs. 3, das sich auf konkrete Handlungen des NS-Regimes beschränkt. Die Tathandlungen müssen sich jedoch nicht auf die Gewalt- und Willkürherrschaft insgesamt beziehen. Das Billigen, Verherrlichen und Rechtfertigen kann sich auch auf menschenrechtswidrige Einzelmaßnahmen und auf einzelne Aspekte der damaligen Staats- und Gesellschaftsordnung beziehen (wie z. B. auf die Deportation oder auf Diskriminierungen aufgrund von Rasse oder Sexualität), jedoch muss ein Bezug zur nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft und den sie kennzeichnenden Menschenrechtsverletzungen vorhanden sein.697 Demnach fallen laut dem BVerwG auch gutheißende Äußerungen über einzelne – insbesondere führende – Nationalsozialisten unter den Tatbestand, wenn die Äußerungen mit einer Billigung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems oder seiner Menschenrechtsverletzungen verbunden werden können.698 Bestraft wird das Gutheißen „von realen Verbrechen, die in der Geschichte einmalig und an Menschenverachtung nicht zu überbieten sind“ und nicht das bloße Gutheißen von nationalsozialistischem Gedankengut.699
ee) Handlungsform Die Tathandlung muss öffentlich – d. h. vor einem unbestimmten, nicht individualisierten Personenkreis – oder in einer Versammlung (d. h. in einem Perso693 Ulbricht kritisiert die Ungenauigkeit des Begriffs der nationalsozialistischen Gewalt- und -Willkürherrschaft, siehe Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 234 ff.; Auch Fischer merkt an, dass schwer zu bestimmen sei, „wo die Grenze zwischen der ‚NS-Willkürherrschaft‘ und ‚staatlichen Maßnahmen‘ verläuft“, siehe Fischer, § 130, Rn. 34. 694 BT-Drucks. 15/4832, S. 5; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 95; krit. bezüglich des Verweises auf § 194 StGB siehe Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 237 ff. 695 MK-Regge / Pegel, § 194, Rn. 13; BeckOK-Valerius, § 194, Rn. 9. 696 BVerwG NJW 2009, 98 (101). 697 BVerwG NJW 2009, 98 (101). 698 BVerwG, Urteil v. 25. 6. 2008 – 6 C 21/07 (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof), krit. bezüglich der Differenzierung zwischen „Aussagen zur Person und zur Symbolfigur“, Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 250–267 ff. 699 BVerfG NJW 2010, 47 (53); Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 22b.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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nenkreis, der sich räumlich zu einem bestimmten Zweck vereinigt hat) erfolgen. Siehe hierzu die Ausführungen zu § 130 Abs. 3 StGB in der vorliegenden Arbeit.700 § 130 Abs. 5 StGB weist darauf hin, dass Abs. 2 auch für einen in den Abs. 3 oder 4 bezeichneten Inhalt gilt. Demzufolge wird auch das Verbreiten solcher Inhalte, das Zugänglichmachen oder das Anbieten, Überlassen, Zugänglichmachen zu einer Person unter achtzehn Jahren bestraft. Mit § 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB wird ebenfalls das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Bewerben, Ein- oder Ausfühen solcher Inhalte mit der Absicht einer Verwendung unter Strafe gestellt.
ff) Verletzung der Würde der Opfer Die Tathandlungen müssen in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise begangen werden. Der h. M. zufolge bezieht sich das Merkmal der Verletzung der Opferwürde auf die Tathandlungen des Billigens, Verherrlichens oder Rechtfertigens und nicht auf die Störung des öffentlichen Friedens.701 Nach Auffassung des Gesetzgebers soll mit diesem Merkmal deutlich gemacht werden, dass nur solche Handlungen unter den Tatbestand fallen, die den Achtungsanspruch als Teil der persönlichen Würde der Opfer verletzen.702 Als Opfer gelten diejenigen, die „von Gewalt- oder Willkürmaßnahmen des NS-Systems betroffen waren“.703 Strittig ist, ob mit dem Begriff „Würde“ auf die Menschenwürde i. S. von § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB abgestellt wird oder nicht.704 Im Wunsiedel-Beschluss hat das BVerfG nur teilweise Position bezogen, indem es erkennt, dass der Schutz der Würde der Opfer nicht unbedingt gleichbedeutend mit dem Schutz der Menschenwürde sein muss. Dem BVerfG nach wurde das Tatbestandsmerkmal „in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise“ als „modale Ergänzung eingrenzend angefügt“.705 Der Gesetzgeber und das BVerfG stellen die Vermutungsregel auf, dass tatbestandsmäßige Handlungen in der Regel die Würde der Opfer verletzen.706 Indem die Vermutung einer „regelmäßigen“ Verletzung der Opferwürde durch die Tathandlungen aufgestellt wird, muss der Richter keinen Menschenwürdeverstoß feststellen. Demnach ist laut der Lehre die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals
700
Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 B. II. 4. d) ee). LK-Krauß, § 130, Rn. 146. Der Satzbau des Gesetzgebers wurde in der Literatur als „missverständlich“ bezeichnet, da der Satz sich „in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise“ sowohl auf die Friedensstörung als auch auf die Tathandlungen beziehen kann. Vgl. Sch / SchSternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 22d; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 97; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Lohse, § 130, Rn. 46. 702 BT-Drucks. 15/5051, S. 5. 703 Fischer, § 130, Rn. 38. 704 SK-Rudolphi / Stein, § 130, Rn. 31. 705 BVerfG, Beschluss v. 4. 11. 2009 – 1 BvR 2150/08, Rn. 102. 706 BT-Drucks. 15/5051, S. 5; BVerfG, Beschluss v. 4. 11. 2009 – 1 BvR 2150/08, BeckRS 2009, 41463, Rn. 103. 701
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
gering,707 sodass dem Merkmal keine eingrenzende Funktion zugerechnet werden kann.708 Es stellt sich also die Frage, welches Ziel der Gesetzgeber mit diesem Merkmal verfolgt hat, wenn es nicht dazu dient, die Strafbarkeit einzugrenzen. Mit Blick auf die Gesetzesdebatte wird deutlich, dass der Gesetzgeber dieses Tatbestandmerkmal lediglich im Fall einer „späteren Überprüfung des BVerfG eingeführt hat, um eine mögliche Nichtigkeitserklärung der Norm durch den BVerfG zu verhindern“.709 Indem der Tatbestand dem Schutz der Menschenwürde dient, hält er vor allem einer Kontrolle gegenüber dem Art. 5 Abs. 2 GG stand.710
gg) Störung des öffentlichen Friedens Im Gegensatz zu Abs. 1 und 3 des Tatbestandes handelt es sich bei Abs. 4 um ein Erfolgsdelikt, bei dem der öffentliche Friede konkret gestört und nicht nur abstrakt gefährdet werden muss.711 Dies gilt auch für den Abs. 5 und somit für das Verbreiten von Inhalten.712 Der öffentliche Friede kann durch die Erschütterung des Vertrauens der Bevölkerung in die öffentliche Rechtssicherheit oder durch die Schaffung eines physischen Klimas, in dem gleichartige Untaten gedeihen, gestört werden.713 Ziel der Einführung dieses Tatbestandsmerkmal war es, eine „effektive Strafbegrenzende Wirkung“714 zu erlangen und somit die Anwendbarkeit der Norm einzugrenzen.715 Demzufolge müsse die tatsächliche Störung des öffentlichen Friedens empirisch festgestellt werden.716 Da sich das Erbringen von empirischen Beweisen der tatsächlichen Störung in der Praxis als äußerst schwierig gestalten kann717, wurden von den Gerichten Indizien für eine tatsächliche Störung entwickelt. So galten als mögliche Indizien u. a. Gegenproteste, Presseberichte, eine Vielzahl von 707
BeckOK-Rackow, § 130, Rn. 42. Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 231 ff. 709 Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen), Plenarprotokoll 15/164, S. 15356: „Wenn wir als Schutzgut die Würde der Opfer entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aufnehmen, dann sind solche Regelungen, wie wir sie jetzt im Strafrecht und in das Versammlungsrecht einführen, zulässig.“ 710 Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 231 ff.; krit. bezüglich der Verwendung des Tatbestandsmerkmals für diesen Zweck siehe Enders, JZ 2008, 1092 (1096). 711 BT-Drucks. 15/5051, S. 5. 712 Sch / Sch-Sternberg-Lieben / Schittenhelm, § 130, Rn. 23. 713 BGH NJW 1969, 517; BGHSt NJW 1979, 1992; Fischer, § 130, Rn. 13a. 714 BayVGH, BayVBl. 2008, 109 (112). 715 BT-Drucks. 12/8588, S. 8; BVerfG 124, 300 (340 ff.). 716 Fischer, § 130, Rn. 40. 717 Siehe hierzu Fischer, der aufgrund dieser Schwierigkeit eine vollständige Unanwendbarkeit des Tatbestandes sieht, in Fischer, § 130, Rn. 40; Ulbricht sieht auch im Wunsiedel-Beschluss keine klaren Kriterien für die Abgrenzung einer tatsächlichen Störung von einer Gefährdung; siehe Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, 2017, S. 161. Weitere krit. LK-Krauß, § 130, Rn. 142; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 98. 708
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Strafanzeigen oder auch der zeitliche Kontext.718 Für die gänzliche Umgehung des Problems der tatsächlichen Friedensstörung über die Indizien hinaus entschied das BVerfG, dass, sobald die Tathandlungen verwirklicht wurden und dies festgestellt wurde, „auch die Störung des öffentlichen Friedens (bzw. die Eignung hierzu) vermutet werden“719 könne. Diese Vermutung wird lediglich für atypische Fälle ausgeschlossen. Demnach muss der Richter „die Friedenstörung nicht positiv begründen, sondern nur atypische Fälle ausschließen“.720 Das BVerfG erkennt als untypische Fälle, in denen keine Störung des öffentlichen Friedens zu vermuten ist, u. a. an, wenn im konkreten Fall gewaltanreizende und einschüchternde oder bedrohende Wirkungen ausgeschlossen werden können, etwa weil Äußerungen im Rahmen kleiner, geschlossener Versammlungen keine Tiefen- oder Breitenwirkung erreichen, sie beiläufig bleiben oder unter den konkreten Umständen nicht ernst genommen werden können.721 Es muss also nicht untersucht werden, ob eine Billigung, Rechtfertigung oder Verherrlichung den öffentlichen Frieden tatsächlich stört, sondern ob es sich um eine besondere Situation handelt, in der die Vermutung aufgehoben wird. In der Lehre wird hierin – trotz dieser atypischen Fälle – der Verlust der eingrenzenden Wirkung des Tatbestandsmerkmals der Friedensstörung sowie der Verletzung der Opferwürde gesehen.722 Ulbricht stellt diesbezüglich fest, dass es zu einer Kettenreaktion „zwischen der Feststellung einer Gutheißung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft und der Strafbarkeit“723 komme.
e) Subjektiver Tatbestand Es muss mindestens ein bedingter Vorsatz gegeben sein, der sich auf alle Tatbestandsmerkmale erstreckt, einschließlich der Eignung zur Friedensstörung.724 Demzufolge geht es darum, dass der „Täter das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt“.725
718 OLG Rostock, Beschluss v. 19. 7. 2007 – 1 Ss 107-07; Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 153–156. 719 BVerfG, Beschluss v. 4. 11. 2009 – 1 BvR 2150/08, BeckRS 2009, 41463, Rn. 94. 720 Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 172. 721 BVerfG, Beschluss v. 4. 11. 2009 – 1 BvR 2150/08, BeckRS 2009, 41463, Rn. 103. 722 Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 172. 723 Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 230. 724 LG Karlsruhe NJW 1986, 1276 (1277); Fischer, § 130, Rn. 44. 725 BGH NStZ-RR 2009, 13 (14).
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f) Quintessenz Die Tathandlungen des Billigens, Verherrlichens oder Rechtfertigens, so wie sie oben aufgeführt wurden, richten sich an erster Stelle an Emotionen und Gefühle, ohne dass sie aus sich selbst heraus einen wirklichen Handlungsdruck auf den Motivator ausüben. Auch sie beziehen sich auf in der Vergangenheit begangene Taten oder genauer gesagt auf die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft. Ein möglicher Handlungsdruck könnte durch die Anforderung einer tatsächlichen Störung des öffentlichen Friedens aufgebaut werden, auch wenn diese empirisch belegt werden muss.
III. Organisationsbezogene indirekte Motivationsdelikte – Einwirkung auf die gefühlsmäßige Wahrnehmung von kriminellen Organisationen 1. Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86 StGB) a) Normtext § 86 StGB lautet wie folgt: (1) Wer Propagandamittel 1. einer vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Partei oder einer Partei oder Vereinigung, von der unanfechtbar festgestellt ist, dass sie Ersatzorganisation einer solchen Partei ist, 2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist, 3. einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes, die für die Zwecke einer der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen tätig ist, oder 4. die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen, im Inland verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder zur Verbreitung im Inland oder Ausland herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer Propagandamittel einer Organisation, die im Anhang der Durchführungsverordnung (EU) 2021/138 des Rates vom 5. Februar 2021 zur Durchführung des Artikels 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) 2020/1128
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(ABl. L 43 vom 8. 2. 2021, S. 1) als juristische Person, Vereinigung oder Körperschaft aufgeführt ist, im Inland verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder zur Verbreitung im Inland oder Ausland herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt. (3) Propagandamittel im Sinne des Absatzes 1 ist nur ein solcher Inhalt (§ 11 Absatz 3), der gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist. Propagandamittel im Sinne des Absatzes 2 ist nur ein solcher Inhalt (§ 11 Absatz 3), der gegen den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation oder gegen die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist. (4) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient. (5) Ist die Schuld gering, so kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen.
b) Geschichtlicher Überblick Als „Vorläufer“726 des § 86 StGB gelten die § 11 und § 19 des Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (dem sog. Sozialistengesetz) von 1878. In der Tat beäugte das Deutsche Kaiserreich den Aufstieg der sozialistischen Strömung mit Unbehagen.727 Um diesem Aufstieg Einhalt zu gebieten, erließ der Gesetzgeber das repressive Sozialistengesetz, in welchem unter anderem auch das Herstellen und Verbreiten von sozialistischen Druckschriften unter Strafe gestellt wurde.728 Das Sozialistengesetz blieb bis 1890 in Kraft. Ähnliche Vorschriften wurden später in der Weimarer Republik durch die Republikschutzgesetze eingeführt und nach Ende dieser wieder außer Kraft gesetzt.729 726
Wagner, Verfassungsfeindliche Propaganda (§ 86 StGB), S. 42. Bismarck sah in den Sozialdemokraten eine Gefahr für die Monarchie und für die Einheit des Deutschen Reiches. Nach der Pariser Kommune von 1871 wurde befürchtet, dass es auch im Deutschen Reich zu einem solchen Aufstand kommen könnte. In seiner Rede im Deutschen Reichstag am 17. September 1878 erklärte der Reichskanzler Otto Fürst von Bismarck, dass er seit dem Zuspruch von Bebel und Liebknecht zur Pariser Kommune Angst vor einer Wiederholung dieser Geschehnisse und dieses Aufstands in Deutschland habe. Bismarck habe ab diesem Moment „in den sozialdemokratischen Elementen einen Feind erkannt, gegen den der Staat, die Gesellschaft, sich im Stande der Notwehr befindet“. Siehe Rede von Bismarck, Otto, Rede des Reichskanzlers Otto Fürst von Bismarck im Deutschen Reichstag (17. September 1878), in Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1867 bis 1914, Abt. 1, Bd. 1, Dokument Nr. 157, S. 526 ff. Vertiefend zu den Auswirkungen der Pariser Kommune auf die Innenpolitik des Deutschen Reiches siehe Grützner, Die Pariser Kommune, S. 57 ff. 728 Die Anschläge von Hödel am 11. Mai 1878 und von Nobiling am 2. Juni 1878 auf den Kaiser Wilhelm I. wurden – ohne klare Beweislage – den Sozialdemokraten zugeschrieben. Sie wurden als Anlass genommen, um das repressive Sozialistengesetz zu erlassen. 729 Siehe § 20, § 21 und § 22 des Gesetzes zum Schutze der Republik vom 21. Juli 1922. 727
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Ein weiterer Vorläufer des § 86 StGB ist § 93 StGB a. F., der durch das 1. Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951 eingeführt wurde, um die Verbreitung „verfassungsverräterischer Werke“730 unter Strafe zu stellen.731 § 93 StGB a. F. wurde jedoch in der Literatur als zu unbestimmt kritisiert und als ein Verstoß gegen die Meinungsäußerungsfreiheit betrachtet.732 Der Tatbestand wurde schließlich mit dem 8. Strafgesetzänderungsgesetz vom 1. August 1968 durch den neu eingeführten § 86 StGB ersetzt. Um die Kritik zu umgehen, die an § 93 StGB a. F. geübt wurde, knüpfte der Gesetzgeber in § 86 StGB die Strafbarkeit von Propagandaschriften an ein vorangegangenes Organisationsverbot an.733 Mit dem Gesetz vom 1. Januar 1975 bekam die Vorschrift den noch heute gültigen Titel „Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen“. Die nächste Veränderung erfolgte mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28. Oktober 1994.734 Ziel war es, das Verbreiten von Propagandamitteln im Ausland, die im Inland hergestellt wurden, zu erfassen. Vor dem Verbrechensbekämpfungsgesetz war das Herstellen und Vorrätighalten von Propagandamitteln zum Zweck der Verbreitung im Ausland nicht strafbar.735 Mittel, die in Deutschland hergestellt wurden, anschließend jedoch lediglich im Ausland verteilt wurden, konnten von § 86 StGB a. F. dementsprechend nicht erfasst werden.736 Durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz sollte diese Strafbarkeitslücke geschlossen werden. Durch das 60. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 1. Januar 2021737 wurden § 86 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 und 3 StGB verändert. So wurde u. a. der Schriftenbegriff durch den Begriff „Inhalte“ ersetzt, da insbesondere die Verbreitung von Inhalten zu sanktionieren sei und nicht Trägermedium. Mit dem Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 22. September 2021738 wurde sowohl § 86 StGB wie auch § 86a StGB auf terroristische Organisationen er730
Maurach, Deutsches Strafrecht, Besonderer Teil, S. 503. Dem § 93 StGB a. F. zufolge wird derjenige bestraft, der zum Zwecke der Verbreitung Schriften, Schallaufnahmen, Abbildungen oder Darstellungen einführt, durch deren Inhalt Bestrebungen herbeigeführt oder gefördert werden sollen, die darauf gerichtet sind, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder einen der in § 88 bezeichneten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen, außer Geltung zu setzen oder zu untergraben. 732 Hammes, Der strafrechtliche Schutz gegen sogenannte staatsgefährdende Propaganda, S. 105–109. 733 BGHSt NJW 1969, 1970 (1972). 734 BGBl. I, 3186 (3186 f). 735 Vertiefend hierzu BT-Drucks. 12/8411, S. 5. 736 BT-Drucks. 12/8588, S. 7–8. 737 BGBl. I, S. 2602. 738 Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten, Strafbarkeit der Verbreitung und des Besitzes von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern und Verbesserung der Bekämpfung verhetzender Inhalte sowie Bekämpfung von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. BGBl. 2021, S. 4250. 731
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weitert. Mit dieser Erweiterung zielt der Gesetzgeber darauf ab, dass durch §§ 86, 86a StGB auch solche Organisationen erfasst werden, die auf Grundlage der Verordnung Nr. 2580/2011 des Rates vom 27 Dezember 2001, gestützt auf den vom Rat der Europäischen Union am 27. Dezember 2001 angenommenen Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, als terroristische Organisationen gelistet sind.739 Vor der Gesetzesänderung war das Verbreiten von Propagandamitteln terroristischer Organisationen über §§ 86 und 86a StGB nur dann strafrechtlich erfasst, wenn gegen die terroristische Organisation zugleich ein Vereinsverbot im Sinne des § 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB erlassen wurde. Dabei konnte es jedoch sein, dass eine Listung als terroristische Organisation auf Ebene der EU mit sich daran anschließenden restriktiven Maßnahmen bereits bestand. Die Erweiterung soll somit solchen Diskrepanzen entgegenwirken. Damit einhergehend verändert der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 22. September 2021 ebenfalls den Abs. 3 des § 86 StGB, indem er die Begriffsbestimmung von Propagandamitteln für die neu erfassten terroristischen Organisationen erweitert. Demzufolge sollen Propagandamittel terroristischer Organisationen – in Anlehnung an §§ 89a, 89c und 129a StGB – solche Inhalte erfassen, die sich gegen den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation oder gegen die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland richten.
c) Strafbegründung Laut h. M. schützt § 86 StGB die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Gedanken der Völkerverständigung.740 Diese Rechtsgüter sind auch Tatbestandsmerkmale, da Abs. 3 Propagandamittel als Inhalt definiert, „der gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist“.741 Mit § 86 StGB soll zum Schutz der Bundesrepublik die inhaltliche Werbung für die Ziele von verbotenen Organisationen bestraft sowie die Wiederbelebung solcher Organisationen verhindert werden.742
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BT-Drucks. 19/31115, S. 9. Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S 39–40; Laitenberger, Die Strafbarkeit der Verbreitung rassistischer, rechtsextremistischer und neonazistischer Inhalte, 79; Reichard, Die Behandlung fremdenfeindlicher Straftaten im deutschen Strafrecht, S. 122; Rauscher, Rechtliche Bewertung rechtsextremistischer Versammlungen, S. 131; SKStGB-Zöller, § 86, Rn. 1; Anw-StGB-Anders, § 86, Rn. 2. 741 Für die Erläuterung der freiheitlich demokratischen Grundordnung und des Gedankens der Völkerverständigung siehe die Erläuterungen bezüglich des objektiven Tatbestands der Vorschrift oben in Teil 2 Kapitel 1 B. III. 1. d) aa). 742 Eidam, Der Organisationsgedanke im Strafrecht, S. 99. 740
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Fischer zufolge schützt § 86 StGB – seit der Veränderung durch das Gesetz vom 22 September 2021 – „als Verwirklichung der in Abs. II beschriebenen Prinzipien“ den demokratischen Rechtsstaat.743 Der h. M. nach handelt es sich bei § 86 StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.744 Außerdem wird im Schrifttum die Vorschrift mehrheitlich in die Kategorie der mittelbaren Organisationsdelikte745 und der Ungehorsamsdelikte746 klassifiziert, da der Täter keinen direkten Bezug zur Organisation hat und die Tat an einem vorangehenden Organisationsverbot anknüpft. Im Schrifttum wird der Organisationsbezug von § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB in Frage gestellt.747 Bezüglich des NS-Propagandaverbotes (§ 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB) vertritt von Dewitz die Ansicht, dass § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB mangels eines klaren Organisationsbezugs andere Schutzgüter als die der klassischen Staatsschutzdelikte schützt. Ihrer Meinung nach schützt das NS-Propagandaverbot in erster Linie den öffentlichen Frieden und den Gedanken der Völkerverständigung.748 Es handle sich hierbei um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das darauf abziele, zu verhindern, dass sich durch das Verbreiten von „Propagandamitteln, die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen“, Personen dazu aufgefordert fühlen, Gewalttaten zu begehen.749 Von Dewitz zieht Parallelen zwischen § 86 Abs. 1 Nr. 4, § 86a und der Volksverhetzung in § 130 StGB, indem sie in allen einen zweistufigen Unrechtsgehalt erkennt.750 Auf der ersten Stufe wird durch das Verbreiten von Propaganda eine Meinung geäußert, die an NS-Gedankengut anknüpft.751 Auf der zweiten Stufe wird befürchtet, dass durch
743
Fischer, § 86, Rn. 2. Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 46–47; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, 2006, S. 232; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 84 II, Rn. 15; Eidam, Der Organisationsgedanke im Strafrecht, S. 99; NK-Paeffgen, § 86, Rn. 2; Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86 Rn. 1; SK-StGB-Zöller, § 86, Rn. 1; LK-Steinsiek, § 86, Rn. 1; MK-Anstötz, § 86, Rn. 2. 745 BGHSt NJW 1969, 1970 (1972); Eidam, Der Organisationsgedanke im Strafrecht, S. 100; Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86 Rn. 1; MK-Anstötz, § 86, Rn. 2; im Schrifttum wird der § 86 StGB oft als ein gewöhnliches Organisationsdelikt und nicht als „mittelbares“ Organisationsdelikt bezeichnet, siehe Wagner, Verfassungsfeindliche Propaganda (§ 86 StGB), S. 433; Stegbauer, Andreas, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 46–47. 746 Stegbauer, Andreas, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 46–47; Wagner, Verfassungsfeindliche Propaganda (§ 86 StGB), 1971, S. 433; Maurach / Schroeder / Maiwald, BT 2, § 84 II, Rn. 15; MK-Anstötz, § 86, Rn. 2. 747 Stegbauer und Wagner vertreten die Ansicht, dass es sich bei Nr. 4 um ein Organisationsund ein Ungehorsamsdelikt handelt, siehe Wagner, Verfassungsfeindliche Propaganda (§ 86 StGB), S. 437; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 47. Andere Autoren erkennen in § 86 Abs. 1 Nr. 4 einen gelockerten Organisationsbezug; siehe Lackner / Kühl-Kühl, § 86, Rn. 5; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 8. 748 von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 230 ff. 749 von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 230 ff., 263. 750 von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 230 ff. 751 von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 230 ff. 744
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
175
die Anknüpfung an NS-Gedankengut andere tatgeneigte Personen, also potenzielle Täter, sich dazu motiviert fühlen könnten, ähnliche Gewalttaten zu begehen.752 Im Unterschied zu den klassischen Vorbereitungstatbeständen (§ 26, § 30 StGB) sei jedoch weder ein bestimmter Täter oder ein bestimmtes Opfer noch eine genaue Tat bestimmt worden.753
d) Objektiver Tatbestand aa) Propagandamittel Der Begriff „Propaganda“ wird im Gesetz nicht definiert. In Abs. 3 wird lediglich erläutert, dass es sich bei Propagandamitteln um alle Inhalte i. S. des § 11 Abs. 3 handeln kann. Der Lehre zufolge hat eine Propaganda zwei Merkmale: Zum einen hat sie einen werbenden Inhalt, zum anderen muss sie darauf ausgerichtet sein, die Organisation zu unterstützen.754
bb) Propagandamittel verfassungswidriger Organisationen Gemäß Abs. 3 muss sich der Inhalt der Propagandamittel gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten. Der Begriff „freiheitliche demokratische Grundordnung“ wurde aus den Art. 18 und 21 Abs. 2 des Grundgesetzes übernommen. Fischer zufolge handelt es sich hierbei um die tragenden Grundsätze des freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaates der BRep“.755 Gemäß dem BVerfG handelt es sich bei der freiheitlichen demokratischen Grundordnung um eine Ordnung, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteiensystem und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.756
752
von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 230–231, 244–245, 265. von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 231. 754 SK-StGB-Zöller, § 86, Rn. 5; LK-Steinsiek, § 86, Rn. 3; MK-Anstötz, § 86, Rn. 12; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 4; Fischer, § 86, Rn. 3. 755 Fischer, § 86, StGB, Rn. 4. 756 BVerfG NJW 1952, 1407. 753
176
2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Der Ausdruck „Gedanke der Völkerverständigung“ stammt aus Art. 9 Abs. 2 GG. Geschützt werden soll das friedliche Zusammenleben der Völker. Es soll demzufolge der Frieden erhalten werden und es sollen Angriffskriege und militärische Aggressionen verhindert werden.757 Außerdem fällt unter den Ausdruck „Gedanke der Völkerverständigung“ auch der Schutz von nationalen, ethnischen oder religiösen Gruppen vor Zerstörung oder Benachteiligung.758 Demzufolge werden auch einzelne Bevölkerungsgruppen in Deutschland geschützt.759 Die verfassungsfeindliche Zielsetzung muss sich aus dem Inhalt selbst ergeben, sodass ein „verständiger Durchschnittsleser(-hörer)“760 diese erkennen kann.761 Durch diese Anforderung wird die Rechtsprechung von § 93 StGB a. F. übernommen und gesetzlich verankert.762 Unbedeutend sind dabei die Motive des Herstellers und die Absichten der Täter.763 Ein Inhalt ist gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet, wenn ihm eine „aktiv kämpferische, aggressive Tendenz“ innewohnt.764 Grund hierfür sei laut dem BGH, dass der freiheitliche demokratische Rechtsstaat, wenn er zu seinem Schutz in die Freiheitsrechte seiner Bürger eingreifen muss, sich grundsätzlich defensiv verhält und nur Angriffe gegen seine Grundordnung abwehrt.765 Der BGH hat festgestellt, dass eine „aktiv kämpferische, aggressive Tendenz“ bereits dann gegeben ist, wenn das Propagandamittel darauf abzielt, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu untergraben oder zu beeinträchtigen oder wenn es den Boden für ihre spätere Beseitigung bereitet.766 Dem BGH zufolge ist z. B. in dem Buch „Ist Rassenbewusstsein verwerflich?“ eine aktive, kämpferische und aggres757 Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 61; Reichard, Die Behandlung fremdenfeindlicher Straftaten im deutschen Strafrecht, S. 122; NK-Paeffgen, § 86, Rn. 12; Schenke / Graulich / Ruthig-Roth, VereinsG, § 3, Rn. 90; LK-Steinsiek, § 86, Rn. 5; MK-Anstötz, § 86, Rn. 11; Fischer, § 86, Rn. 4. 758 Schenke / Graulich / Ruthig-Roth, VereinsG, § 3, Rn. 93. 759 Reichard, Die Behandlung fremdenfeindlicher Straftaten im deutschen Strafrecht, S. 125; MK-Anstötz, § 86, Rn. 11. 760 BGHSt NJW 1969, 1971. Die Anforderung eines für den Durchschnittshörer verständlichen Inhalts gab es auch schon in der Rechtsprechung bezüglich des § 93 a. F. Siehe Hammes, Der strafrechtliche Schutz gegen sogenannte staatsgefährdende Propaganda, S. 25; oder auch BGHSt. NJW 1959, 1593. 761 BGHSt NJW 1969, 1971; so auch Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 62 ff.; Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86 Rn. 5; NK-Paeffgen, § 86 StGB, Rn. 13; LK-Steinsiek, § 86, Rn. 6; MK-Anstötz, § 86, Rn. 13; Satzger / Schluckebier / WidmaierGüntge, § 86, Rn. 4. 762 BGHSt NJW 1979, 2216, 2217; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 62 ff. 763 BGHSt NJW 1969, 1971; NK-Paeffgen, § 86 StGB, Rn. 13. Dies wurde auch schon damals für § 93 StGB so festgestellt, siehe BGHSt. NJW 1956, 230; BGHSt. NJW 1960, 1307. 764 BGHSt NJW 1969, 1972; BGH BeckRS 1977, 00287; BGH NStZ 2015, 512; NK-Paeffgen, § 86, Rn. 13; Lackner / Kühl-Kühl, § 86, Rn. 4; LK-Steinsiek, § 86, Rn. 7; MK-Anstötz, § 86 StGB, Rn. 12; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 4; 765 BGHSt NJW 1969, 1972; BGH BeckRS 1977, 00287. 766 BGHSt NJW 1969, 1972; BGHSt NJW 1969, 1971.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
177
sive Tendenz erkennbar, da in diesem Buch unmittelbar und unzweideutig zu einem aktiven politischen Handeln aufgerufen wird.767 Damit der Inhalt als Propaganda bezeichnet werden kann, muss sie einen werbenden, aufwieglerischen Charakter haben. Demzufolge reichen bloße Kritik, Ablehnung oder politisches Wunschdenken ebenso wenig aus wie wissenschaftliche Abhandlungen, Dokumentationen oder belletristische Darstellungen.768 Da die freiheitliche demokratische Grundordnung und der Gedanke der Völkerverständigung ausschließlich in ihrem konkreten Bezug zur Verfassung der Bundesrepublik Deutschland geschützt werden, stellen der h. M. zufolge vorkonstitutionelle Inhalte keine Propagandamittel i. S. des § 86 Abs. 3 StGB dar – und dies auch dann, wenn sie zur Zeit ihrer Entstehung durchaus als Propaganda gegolten haben (z. B. „Mein Kampf“ von Hitler).769 Da die BRD jedoch zu Zeiten der Entstehung der NS-Schriften noch nicht existierte, können diese Inhalte nicht gegen die Grundordnung der BRD gerichtet sein.770 Wenn jedoch „die Schrift oder ein unveränderter Neudruck durch ein Vorwort, durch andere Ergänzungen oder Zusätze in der Weise aktualisiert wird, dass nunmehr aus ihrem Inhalt selbst die Zielrichtung gegen die Verfassung der Bundesrepublik hervorgeht“771, dann handelt es sich laut dem BGH um ein Propagandamittel i. S. des § 86 Abs. 2 StGB.772 Dementsprechend kann ein vorkonstitutioneller Inhalt unter die Vorschrift fallen, wenn aus dem Inhalt eines hinzugefügten Kommentars, eines Klappentextes oder einer Umschlaghülle eine Zielrichtung gegen die Verfassung der BRD hervorgeht.773 In Abs. 1 Nr. 1 werden Propagandamittel erfasst, die entweder von einer Vereinigung stammen, die vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt worden ist, oder von einer Partei oder Vereinigung, von der unanfechtbar festgestellt worden ist, dass sie Ersatzorganisation einer solchen Partei ist. Jedoch muss die Ersatzorganisation
767
BGH BeckRS 1977, 00287. BGH NStZ 2015, 512 (513). 769 BGHSt NJW 1979, 2216; OLG Celle NStZ 1997, 495; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 66; Laitenberger, Die Strafbarkeit der Verbreitung rassistischer, rechtsextremistischer und neonazistischer Inhalte, S. 80; Von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 234–235; Lamshöft, in: Ostendorf (Hrsg.), Rechtsextremismus – Eine Herausforderung für Strafrecht und Strafjustiz, S. 138 ff.; Sch / Sch-SternbergLieben, § 86 Rn. 3; NK-Paeffgen, § 86, Rn. 16; LK-Steinsiek, § 86, Rn. 7; MK-Anstötz, § 86, Rn. 12; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 4. 770 Handel, JR 2016, 433 (434). 771 BGHSt NJW 1979, 2216 (2217). 772 BGHSt NJW 1979, 2216 (2217). 773 BGHSt NJW 1979, 2216 (2217); Handel, JR 2016, 433, 434; Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86 Rn. 3; LK-Steinsiek, § 86, Rn. 8. Eine solche Zielrichtung (gegen die Verfassungsordnung der BRD) ist nicht gegeben, wenn es sich um eine kritische Edition handelt, in der der Originaltext von „Mein Kampf“ mit einer umfangreichen Einleitung, einer Einführung in jedes Kapitel und mit insgesamt mehr als 3.500 wissenschaftlichen Anmerkungen versehen ist und somit Fakten gegen Propaganda, Ideologie und Hass gesetzt werden. Siehe LG Arnsberg BeckRS 2016, 121380; vgl. Stegbauer, NStZ 2019, 72. 768
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
bereits vor dem Verbot der ursprünglichen Partei bestanden haben. Nicht von § 86 StGB erfasst wird die Propaganda für die Gründung oder den Aufbau einer Ersatzorganisation.774 In Abs. 1 Nr. 2 werden die Propagandamittel erfasst, die von einer Vereinigung oder ihrer Ersatzorganisation stammen, die gemäß Art. 9 Abs. 2 GG verboten ist, da sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet haben. § 86 Abs. 1 Nr. 3 StGB erfasst solche Propagandamittel, die von einer Regierung, Vereinigung oder Einrichtung stammen, die außerhalb des Geltungsbereiches des StGB für die Zwecke einer in Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 genannten Partei oder Vereinigung tätig ist. Eine Regierung sowie auch die ihr nachgeordneten Behörden stellen das oberste politische Entscheidungsgremium dar.775 Eine Einrichtung ist eine auf längere oder kürzere Zeit angelegte Gesamtheit von Personen und / oder Sachen, die dazu bestimmt ist, einem bestimmten Zweck zu dienen.776 Erfasst werden in § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB solche Propagandamittel, die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, die Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen. Der h. M. zufolge muss es bei den Propagandamitteln des § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB eine doppelte Inhaltsprüfung geben.777 Zum einen muss sich der Inhalt in einer aktiv kämpferischen und aggressiven Weise gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten (siehe § 86 Abs. 2 StGB). Zum anderen muss das Propagandamittel seinem Inhalt nach dazu bestimmt sein, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen. Als ehemalige nationalsozialistische Organisation gelten die NSDAP, ihre Untergliederungen und die ihr angeschlossenen Verbände.778 Nach h. M. handelt es sich bei der Wehrmacht nicht um eine ehemalige nationalsozialistische Organisation, weshalb sie auch nicht von der Vorschrift erfasst wird.779 Wie die verfassungsfeindliche Zielsetzung muss sich auch die Bestrebung, eine ehemalige nationalsozialistische Organisation fortzusetzen, aus dem Inhalt selbst ergeben.780 Nicht von Bedeutung ist hingegen, welchen
774
Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86 Rn. 13; Fischer, § 86, Rn. 7. NK-Paeffgen, § 86, Rn. 21; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 6; ähnlich Fischer, § 86, Rn. 8. 776 BGH NJW 1982, 1655; NK-Paeffgen, § 86, Rn. 21; Satzger / Schluckebier / WidmaierGüntge, § 86, Rn. 6; ähnlich Fischer, § 86, Rn. 8. 777 BGHSt NJW 1969, 1972; Wagner, Verfassungsfeindliche Propaganda, S. 450; Sch / SchSternberg-Lieben, § 86 Rn. 11; NK-Paeffgen, § 86, Rn. 22. 778 Wagner, Verfassungsfeindliche Propaganda, S. 451; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 54; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 8; Fischer, § 86, Rn. 9. 779 BGHSt NJW 1969, 1973; vertiefend zu den Gründen siehe die Erläuterung von Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 54. 780 BGHSt NJW 1969, 1973; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, 2000, S. 55; NK-Paeffgen, § 86, Rn. 22; Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86, Rn. 11; LK-Steinsiek, § 86, Rn. 17; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 8. 775
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Zweck der Verfasser mit dem Inhalt verfolgen wollte.781 Die Entstehungsgeschichte und der Wortlaut der Vorschrift schließen nach h. M. die Verherrlichung von und die Werbung für nationalsozialistische Regime aus.782 Dem BGH zufolge ist das Buch „Ist Rassenbewusstsein verwerflich?“ seinem Inhalt nach dazu bestimmt, die Bestrebung einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen, da das Buch an den von der NSDAP propagierten Rassismus anknüpft und ein neuer Führerstaat gefordert wird.783 Ein vier Quadratmeter großes Tuch mit dem Aufdruck „Rotfront verrecke – Nationalsozialisten“, das am Obergeschoss eines Hauses angebracht wurde, ist laut dem BGH ein Propagandamittel i. S. des § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB und knüpft an die entsprechende nationalsozialistische Zielsetzung an, da hiermit zum Ausdruck gebracht wird, dass aus der Sicht des Angeklagten Parteien und Gruppierungen der politischen Linken auf gewalttätige Art und Weise beseitigt werden sollten.784 Während für die Nr. 1–3 eine formelle Beziehung zwischen den fraglichen Propagandamitteln und verbotenen Organisationen bestehen muss – d. h., dass das Propagandamittel entweder von einem Angehörigen der Organisation für deren Propagandazwecke oder von einem Außenstehenden im Einvernehmen mit einem Angehörigen der Organisation hergestellt worden sein muss785 –, ist es für Nr. 4 ausreichend, dass eine inhaltliche Beziehung zu NS-Organisationen gegeben ist, d. h., dass das Propagandamittel seinem Inhalt nach dazu bestimmt sein muss, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen.786 Grund für den Zugriff auf eine inhaltliche Beziehung ist, dass durch das Kontrollratsgesetz Nr. 2 von 1946 sämtliche NS-Organisationen verboten wurden.787 Da die NS-Organisationen seit 1946 nicht mehr existieren, können sie oder ihre Anhänger
781
BGHSt NJW 1969, 1973 (Der BGH verweist auf die Ausführungen von Wulf 94. SA. Prot. 5. WP, S. 1903–1904); Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86, Rn. 11. 782 BGHSt NJW 1969, 1973 (1974); Wagner, Verfassungsfeindliche Propaganda, S. 223–224; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 55; Lackner / KühlKühl, § 86, Rn. 5; Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86, Rn. 11. 783 BGH, Urteil v. 24. 8. 1977 – 3 StR 229/77. 784 BGH, Urteil v. 4. 3. 1987 – 3 StR 575/86; krit. NK-Paeffgen, § 86, Rn. 22. 785 Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86, Rn. 12; LK-Steinsiek, § 86, Rn. 12; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 5; In der Lehre wird zuweilen eine engere Ansicht vertreten, wonach eine Propagandaschrift i. S. des § 86 Abs. 1 Nr. 1–3 nur dann vorhanden sein kann, wenn die Organisation entweder Urheber oder Autor der Propagandaschrift ist; siehe Wagner, Verfassungsfeindliche Propaganda, S. 437 ff.; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 49 ff.; Lackner / Kühl-Kühl, § 86, Rn. 5. 786 Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 44; Reichard, Die Behandlung fremdenfeindlicher Straftaten im deutschen Strafrecht, S. 128. 787 Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 44; Reichard, Die Behandlung fremdenfeindlicher Straftaten im deutschen Strafrecht, S. 128; zur Geschichte der Auflösung der NSDAP und anderer NS-Organisationen siehe von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 22.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
auch keine Propagandamittel mehr herausgeben und es kann kein formeller Organisationsbezug i. S. der Nr. 1–3 hergestellt werden.788
cc) Propagandamittel terroristischer Organisationen Mit dem Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 22. September 2021789 wurde § 86 StGB dahingehend erweitert, dass der Tatbestand auch das Verbreiten von Propagandamitteln von terroristischen Organisationen erfasst. Mit dieser Erweiterung zielt der Gesetzgeber darauf ab, dass durch §§ 86, 86a StGB auch solche Organisationen erfasst werden, die auf Grundlage der Verordnung Nr. 2580/2011 des Rates vom 27. Dezember 2001, gestützt auf den vom Rat der Europäischen Union am 27. Dezember 2001 angenommenen Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, als terroristische Organisationen gelistet sind.790 In der Tat griffen §§ 86 und 86a StGB a. F. nur dann, wenn gegen die terroristische Organisation zugleich ein Vereinsverbot im Sinne des § 86 Abs. 1 Nr. 2 StGB erlassen wurde. Nicht erfasst wurden somit Propagandamittel von solchen terroristischen Organisationen, die etwa keine Organisationsstrukturen oder kein Tätigwerden im Inland hatten und bei denen somit kein Vereinsverbot nach deutschem Recht in Betracht kommen konnte. Dies führte dazu, dass es zu der Listung auf europäischer Ebene nicht immer ein korrespondierendes Vereinsverbot der terroristischen Organisation im deutschen Recht gab. Damit einhergehend veränderte der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 22. September 2021 ebenfalls den Abs. 3 des § 86 StGB, indem er die Begriffsbestimmung von Propagandamitteln für die neu erfassten terroristischen Organisationen erweiterte. Die bisherige Begriffsbestimmung von Propagandamittel bezieht sich ausschließlich auf verfassungswidrige Organisationen und orientiert sich an § 3 Abs. 1 VereinsG. Demzufolge sollen Propagandamittel terroristischer Organisationen – in Anlehnung an §§ 89a, 89c und 129a StGB – solche Inhalte erfassen, die sich gegen den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation oder gegen die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland richten. Umfasst werden unter Staaten sowohl die 788
Vertiefend hierzu siehe Wagner, Verfassungsfeindliche Propaganda, S. 219 ff. Aufgrund der Anforderung einer inhaltlichen Beziehung zu NS-Organisationen wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, dass die Vorschrift in erster Linie nationalsozialistische Meinungsäußerungen als solche unter Strafe stellt. Siehe Lüttger, JR 1969, 121 (129); Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 44–45; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 243–244. 789 Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten, Strafbarkeit der Verbreitung und des Besitzes von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern und Verbesserung der Bekämpfung verhetzender Inhalte sowie Bekämpfung von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. BGBl. 2021, S. 4250. 790 BT-Drucks. 19/31115, S. 9.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Bundesrepublik Deutschland als auch alle ausländischen Staaten.791 Der Begriff der „Sicherheit“ umfasst sowohl die innere wie auch äußere Sicherheit des Staates.792 Die Verfassungsgrundsätze sind in § 92 Abs. 2 StGB definiert.
dd) Tathandlung Bestraft wird, wer Propagandamittel im Inland verbreitet oder zur Verbreitung im Inland oder Ausland herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt oder in Datenspeichern öffentlich zugänglich macht. Der Begriff des Verbreitens ist in mehreren Straftatbeständen vorhanden. Der h. M. nach ist das Verbreiten im Rahmen des § 86 StGB in Übereinstimmung mit §§ 74d Abs. 1, 80a, 184 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 3 Nr. 1 StGB zu verstehen.793 Demzufolge handelt es sich hierbei – im Gegensatz zu §§ 186, 187 StGB – nicht um jede Weitergabe oder Mitteilung eines Propagandamittels an einen anderen, sondern um eine körperliche Weitergabe des Inhalts an einen größeren Personenkreis, der für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist und der nach Anzahl und Individualität bestimmbar sein kann.794 Bei der Auslegung von § 86 StGB ist nach h. M. auch § 74d Abs. 4 StGB zu berücksichtigen. Aus diesem Grund wird unter dem Verbreitungsbegriff des § 86 StGB auch das Ausstellen, Anschlagen, Vorführen oder in sonstiger Weise öffentlich Zugänglichmachen verstanden.795 Laut der h. M. handelt es sich beim bloßen Vorlesen oder kurzen Vorzeigen nicht um ein Verbreiten i. S. des § 86 StGB.796 Da es sich bei § 86 StGB um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, wird nicht verlangt, dass andere vom Inhalt der Propagandatatsächlich Kenntnis genommen haben. Demzufolge gelten der h. M. nach auch solche Inhalte als verbreitet, die zur Post gegeben wurden, auch wenn die Post vor Erreichen der Adressaten abgefangen wurde, da die Gefahrenquelle bereits mit dem Abschicken geschaffen wurde und der Täter ab diesem Moment keinen Einfluss mehr auf den Geschehensablauf haben kann.797 Dem Schrifttum zufolge ist die Frage ausschlaggebend, ob der Täter die tatsächliche Verfügungsgewalt über den Gedankenträger verloren hat oder nicht.798 791
Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 89a. Rn. 19. BT-Drucks. 16/12428, S. 14. 793 von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 237; NK-Paeffgen, § 86, Rn. 25. 794 von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, 2006, S. 237; NK-Paeffgen, § 86, Rn. 25 (Stand 2017); ähnlich auch Wagner, Verfassungsfeindliche Propaganda, S. 335. RGSt 36, 330 (331); BayObLG NStZ 1983, 120 (122). 795 Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 70; LK-Steinsiek, § 86, Rn. 19; MK-Anstötz, § 86, Rn. 26; Lackner / Kühl-Kühl, § 86, Rn. 6. 796 BGHSt NJW 1963, 60; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 69; LK-Laufhütte / Kuschel, § 86, Rn. 26; MK-Steinmetz, § 86, Rn. 27. 797 Wagner, Verfassungsfeindliche Propaganda, S. 350; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 71; LK-Steinsiek, § 86, Rn. 19; MK-Anstötz, § 86, Rn. 26; abweichend NK-Paeffgen, § 86, Rn. 32. 798 LK-Steinsiek, § 86, Rn. 19; MK-Anstötz, § 86, Rn. 26. 792
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Ein Verbreiten liegt nur dann vor, wenn die Möglichkeit besteht, dass das Tun eine Breitenwirkung haben wird. Das Verteilen einzelner Propagandamittel an einen oder mehrere Einzelne wird nicht als Verbreiten betrachtet.799 Eine Ausnahme hierzu besteht jedoch darin, wenn der Täter damit rechnet, dass der Einzelne die Propagandamittel weiteren Personen zugänglich macht und diesen Inhalt somit einen größeren, nicht mehr kontrollierbaren Personenkreis erreichen.800 Der h. M. zufolge ist es ausreichend, wenn der Täter den Inhalt nicht vertraulich genug behandelt hat und deshalb damit gerechnet werden kann, dass der Empfänger die Propagandamittel seinerseits an einen größeren Personenkreis weiterleiten wird.801 In diesem Fall ist das Verbreiten bereits mit der Weitergabe an den ersten Empfänger erfüllt und nicht erst dann, wenn der Empfänger die Propagandamittel an einen nicht mehr kontrollierbaren Personenkreis weiterleitet.802 Bestraft wird ebenfalls das Herstellen, Vorrätighalten, Einführen oder Ausführen zum Verbreiten. Es handelt sich hierbei um eigenständige Vorbereitungshandlungen zum Verbreiten.803 Unter Herstellen wird dabei das bewusste Anfertigen eines Propagandamittels verstanden.804 Aufgrund der Formulierung „Herstellen zur Verbreitung“ fallen unter den Tatbestand nur Endprodukte, die am Ende des Herstellungsprozesses stehen.805 Dies hat zur Folge, dass Manuskripte bis zum Erstdruck als straflose Versuche gelten.806 Vorrätighalten zum Verbreiten bedeutet, ein Propagandamittel – hier ebenfalls als Endprodukt verstanden – im Besitz zu halten.807 In der Lehre wird bereits der mittelbare Besitz als ein Vorrätighalten betrachtet, und auch der Besitz eines einzelnen Propagandamittels kann den Tatbestand des Vorrätighalten erfüllen.808 Das Einführen zum Verbreiten begeht derjenige, der Propagandamittel aus dem Ausland über die Grenzen der Bundesrepublik hinweg nach Deutschland bringt. Im Jahr 1977 wurde zur Ergänzung des Verbreitens durch Datenspeicher das Zugänglichmachen in Datenspeicher eingeführt.809 799
LK-Steinsiek, § 86, Rn. 19. BGH NJW 1963, 2034 (2036); BVerfG NJW 2012, 1498 (1500); OLG Bremen NJW 1987, 1427 (1428); LK-Steinsiek, § 86, Rn. 20; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 10. 801 BGHSt NJW 1963, 2034 (2036); LK-Steinsiek, § 86, Rn. 23; a. A. NK-Paeffgen, § 86, Rn. 29. 802 LK-Steinsiek, § 86, Rn. 22; abweichende Ansicht NK-Paeffgen, § 86, Rn. 29. 803 von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, 2006, S. 238; Lackner / Kühl-Kühl, § 86, Rn. 6; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 11; Anw-StGB-Ziemann, § 86, Rn. 22. 804 MK-Anstötz, § 86, Rn. 31. 805 LK-Steinsiek, § 86, Rn. 30; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 11; ähnlich auch NK-Paeffgen, § 86, Rn. 33. 806 Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 72; für § 93 a. F. hatte der BGH in seiner Entscheidung (BGH, MDR 1966, 687) bereits die Anfertigung eines Manuskriptes, das einem Verleger angeboten und von diesem abgelehnt wurde, als ein Herstellen bewertet. 807 Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 12. 808 Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, 2000, S. 72; LKSteinsiek, § 86, Rn. 30; a. A. NK-Paeffgen, § 86, Rn. 34. 809 Vertiefend hierzu siehe LK-Steinsiek, § 86, Rn. 35. 800
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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ee) Sozialadäquanzklausel Abs. 4 zufolge werden Propagandamittel oder Handlungen, die der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst, der Wissenschaft, der Forschung, der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen, nicht von § 86 StGB erfasst.
e) Subjektiver Tatbestand Grundsätzlich reicht zumindest ein bedingter Vorsatz für die objektiven Tatbestandsmerkmale aus.810 Bezüglich des Herstellens, Vorrätighalten und Einführens zur Verbreitung muss jedoch eine Absicht zur Verbreitung vorhanden sein.811 Der Täter muss hingegen nicht selbst die in den Inhalten verkörperten verfassungsfeindlichen Bestrebungen verfolgen und auch nicht den Inhalt billigen; er muss lediglich den Inhalt erkennen.812
f) Quintessenz § 86 Abs. 3 Nr. 1 StGB erfasst als Propagandamittel von verfassungswidrigen Organisationen solche Inhalte (§ 11 Abs. 3 StGB), die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet sind. Ein Inhalt ist gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet, wenn ihm eine „aktiv kämpferische, aggressive Tendenz“ innewohnt. Die Lehre verlangt außerdem, dass die Propagandamittel einen werbenden Inhalt haben. In dieser Hinsicht scheint sich § 86 Abs. 3 Nr. 1 StGB von den anderen Tatbeständen der indirekten Motivationsdelikte zu unterscheiden, da durch das Verbreiten eines aktiv kämpferischen und werbenden Propagandamittels ein gewisser Druck aufgebaut wird, der über das einfache Einwirken auf Gefühle hinauszugehen scheint. § 86 Abs. 3 Nr. 2 StGB erfasst seit 2021 als Propagandamittel von terroristischen Organisationen solche Inhalte, die sich gegen den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation oder gegen die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland richten. Hierbei ist nicht deutlich, ob es auch einer „aktiv kämpferische, aggressive Tendenz“ bedarf. Jedoch sollte, wie auch in Abs. 3 Nr. 1, verlangt werden, dass das Propagandamittel einen werbenden Inhalt 810
Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86, Rn. 11. LK-Steinsiek, § 86, Rn. 42; MK-Anstötz, § 86, Rn. 32; abweichend dazu (dolus directus 2. Grades als ausreichend) NK-Paeffgen, § 86, Rn. 37. 812 BGH, NJW 1964, 673 (674); Lackner / Kühl-Kühl, § 86, Rn. 7; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 16. 811
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
hat. Demzufolge kann auch hier angemerkt werden, dass durch das Verbreiten von Propaganda von terroristischen Organisationen ein gewisser Druck aufgebaut wird, der über ein einfaches Einwirken auf die Gefühle hinausgeht.
2. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86a StGB) a) Normtext § 86a StGB lautet wie folgt: (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 oder Absatz 2 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in einem von ihm verbreiteten Inhalt (§ 11 Absatz 3) verwendet oder 2. einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der ein derartiges Kennzeichen darstellt oder enthält, zur Verbreitung oder Verwendung im Inland oder Ausland in der in Nummer 1 bezeichneten Art und Weise herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt. (2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind. (3) § 86 Abs. 3 und 4 gilt entsprechend.
b) Geschichtlicher Überblick Als Vorläufer des § 86a StGB gilt § 12 Abs. 2 des Entwurfs der Regierung zum Republikschutzgesetzes von 1929, der das Tragen von Abzeichen aufgelöster Vereine unter Strafe stellen sollte.813 Letztendlich wurde auf diese Vorschrift jedoch mit der Begründung verzichtet, dass solch eine Handlung bereits durch § 11 RepSchG 1930 als Aufrechterhaltung bzw. Unterstützung des organisatorischen Zusammenhalts des aufgelösten Vereins geahndet wurde.814 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sowohl von den Besatzungsmächten als auch von einzelnen Bundesländern zahlreiche Verbote erlassen, die das Verwenden von NS-Symbolen und -Kennzeichen unter Strafe stellten.815 Erst durch die §§ 4 und 28 des Ver813 Backes, Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz, S. 64; Reuter, Verbotene Symbole, S. 51; NK-Paeffgen, § 86a, Rn. 1. 814 Backes, Rechtsstaatsgefährdungsdelikte und Grundgesetz, S. 64. 815 Vertiefend zu den Vorschriften, die von den Besatzungsmächten erlassen wurden, siehe Reuter, Verbotene Symbole, S. 52 ff. Vertiefend zur Ländergesetzgebung siehe Frank, Die Strafbarkeit der Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen, S. 8–11 und von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 24 ff.
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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sammlungsgesetzes von 1953 wurde das Zeigen von NS-Kennzeichen auf Bundesebene unter Strafe gestellt. Durch das 6. StrÄG von 1960 sowie nach einer Reihe von antisemitischen Vorfällen zur Jahreswende 1959/1960816 wurden die §§ 4 und 28 des Versammlungsgesetzes durch § 96a StGB a. F. ersetzt und erweitert.817 Mit dem 8. StrÄG von 1968 wurde § 96a StGB durch § 86a StGB ersetzt und in den Teil „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“ des StGB eingefügt. Durch das 21. Strafrechtsänderungsgesetz von 1985 wurden die Tathandlungen des Herstellens, Vorrätighaltens und Einführens in Abs. 1 Nr. 2 der Vorschrift hinzugefügt. Grund hierfür war die Feststellung der Bundesregierung, dass vermehrt NS-Material (darunter auch Hakenkreuzaufkleber der sog. NSDAP-AO) aus dem Ausland nach Deutschland eingeführt wurden.818 Ziel der Erweiterung war es, bestimmte Handlungen bereits im Vorfeld des Verwendens und Verbreitens unter Strafe zu stellen.819 Mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 reagierte der Gesetzgeber auf einen erneuten Anstieg der Verwendung von NS-Kennzeichen und insbesondere auf den Anstieg der Verwendung von leicht abgewandelten Kennzeichen. Es bestanden Zweifel an der Strafbarkeit von Kennzeichen, die leicht abgeändert und verwendet wurden. Dieser Rechtszustand und die mögliche Abwesenheit der Strafbarkeit solcher Handlungen wurden im entsprechenden Gesetzesentwurf der CDU / CSU und FDP als „unbefriedigend“ bezeichnet.820 Das Verbrechensbekämpfungsgesetz führte eine Ähnlichkeitsklausel ein, sodass fortan auch Kennzeichen, die den bereits verbotenen zum Verwechseln ähnlich sehen, unter die Vorschrift fallen. Durch das 60. StÄG vom 1. Januar 2021 wurden Nr. 1 und Nr. 2 redaktionell geändert und die Begriffe „Schriften“ und „Gegenstände“ durch den Begriff „Inhalt“ ersetzt.821 Mit dem Gesetz vom 22. September 2021 wurde in Abs. 1 Nr. 1 die Verweisung auf § 86 Abs. 2 StGB eingefügt.822
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Vertiefend zu den antisemitischen Vorfällen in dieser Zeit siehe von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 55 ff. 817 Reuter, Verbotene Symbole, S. 55. 818 BT-Drucks. 10/1286, S. 7. 819 Frank, Die Strafbarkeit der Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen, S. 21; Reuter, Verbotene Symbole, S. 58. 820 BT-Drucks. 12/6853, S. 23. 821 BGBl. I, S. 2602. 822 Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes gegen sogenannte Feindeslisten, Strafbarkeit der Verbreitung und des Besitzes von Anleitungen zu sexuellem Missbrauch von Kindern und Verbesserung der Bekämpfung verhetzender Inhalte sowie Bekämpfung von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. BGBl. 2021, S. 4250.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
c) Strafbegründung Als Rechtsgüter der Vorschrift werden in der Rechtsprechung der politische Friede und der demokratische Rechtsstaat anerkannt.823 Die h. L. schließt sich der Rechtsprechung an und erkennt den politischen bzw. den öffentlichen Frieden824 sowie den demokratischen Rechtsstaat als die zu schützenden Rechtsgüter des § 86a StGB.825 Der Begriff „politischer Friede“ wird weder im Gesetz noch in der Literatur weiter erläutert. An dessen Stelle wird daher vermehrt auf den Begriff „öffentlicher Friede“ zurückgegriffen.826 Der h. M. nach handelt es sich bei § 86a StGB um einen Organisationstatbestand827 und um ein abstraktes Gefährdungsdelikt.828 Mit Blick auf die h. M. ist zu erkennen, dass der Schutzzweck des § 86a StGB in verschiedenen Elementen besteht:829
823 BGHSt 25, 30 (33); BGH; NJW 2002, 3186 (3187); BGH, NStZ 2003, 31 (32); BGH, NJW 2007, 1602; OLG Dresden, BeckRS 2008, 5675; OLG Oldenburg, NStZ-RR 2010, 368; AG Kassel, NJW 2014, 801 (802). 824 Im Schrifttum wird vermehrt die Bezeichnung „politischer Friede“ anstelle des Begriffs „öffentlicher Friede“ verwendet, jedoch ohne dass die Autoren den Unterschied weiter erläutern; beide Begriffe werden von den Autoren also austauschbar verwendet. So Fischer, § 86a, Rn. 2. Für Reuter steckt hinter den verschiedenen Begriffen kein unterschiedlicher Inhalt; siehe Reuter, Verbotene Symbole, S. 72. 825 Laitenberger, Die Strafbarkeit der Verbreitung rassistischer, rechtsextremistischer und neonazistischer Inhalte, 83; Lackner / Kühl-Kühl, § 86a, Rn. 1; LK-Laufhütte / Kuschel, § 86a, Rn. 1; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86a, Rn. 1; Fischer, § 86a, Rn. 2; für Reuter in Verbotene Symbole, S. 67 ff. wird lediglich die objektive Dimension des öffentlichen Friedens geschützt. In der Lehre werden neben dem politischen Frieden und dem demokratischen Rechtsstaat auch andere Rechtsgüter anerkannt. Für von Dewitz und Sternberg-Lieben ist das Ansehen Deutschlands im Ausland das Rechtsgut; siehe von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, 2006, S. 55 ff.; Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86a, Rn. 1; krit. NK-Paeffgen, § 86a, Rn. 2; a. A. Kett-Straub, NStZ, 2011, 601 (604), für die das Rechtsgut des Gründungsmythos in den Vordergrund der Vorschrift zu rücken ist; krit. NK-Paeffgen, § 86a, Rn. 2; Frank, Die Strafbarkeit der Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen, S. 49 ff. Für eine ausführliche Erläuterung der verschiedenen Ansichten in der Lehre siehe Reuter, Verbotene Symbole, S. 67 ff. 826 Fischer, § 86a, Rn. 1; für Reuter steckt hinter den verschiedenen Begriffen kein unterschiedlicher Inhalt, sodass beide Begriffe von den Autoren austauschbar verwendet werden. Siehe Reuter, Verbotene Symbole, S. 72. 827 LK-Steinsiek, § 86a, Rn. 2; Fischer, § 86a, Rn. 2. 828 BGH, NStZ 2003, 31 (32); BGH, NStZ 2009, 88 (89); BVerfG, NJW 2009, 2805; BGH, NStZ 2010, 210; OLG Rostock, NStZ 2012, 572; AG Kassel, NJW 2014, 801 (802); Laitenberger, Die Strafbarkeit der Verbreitung rassistischer, rechtsextremistischer und neonazistischer Inhalte, 83; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 249; NK-Paeffgen, § 86a, Rn. 2; Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86a Rn. 1; LK-Steinsiek, § 86a, Rn. 2; MK-Anstötz, § 86a, Rn. 2; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86a, Rn. 1; BeckOK-StGB-Ellbogen, § 86a Rn. 1; krit. Reuter, Verbotene Symbole, S. 99 ff. 829 Die ersten drei Elemente wurden 1972 im Urteil des BGH entwickelt und seitdem immer wieder in anderen Urteilen aufgenommen; siehe BGH NJW 1973, 106 (107). Die anderen Elemente folgten später.
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– Mit § 86a StGB soll die Wiederbelebung von verbotenen Organisationen und der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen verhindert werden.830 – Vermieden werden soll auch jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie bei in- und ausländischen Beobachtern der Eindruck, dass es in der Bundesrepublik Deutschland eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung gebe, „die dadurch gekennzeichnet sei, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden“.831 – Mit § 86a StGB soll zudem verhindert werden, dass „die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen – ungeachtet der damit verbundenen Absichten – sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können“.832 – Mit der Vorschrift soll außerdem eine gruppeninterne Wirkung unterbunden werden, da die Verwendung solcher Kennzeichen es Gleichgesinnten erlaubt, einander zu erkennen und sich von anderen Gruppen abzugrenzen.833 Für von Dewitz und Reuter schützt die Vorschrift den öffentlichen Frieden, indem verhindert werden soll, dass sich Tatgeneigte durch das öffentliche Verwenden und Verbreiten von Kennzeichen dazu aufgehetzt fühlen, Rechtsgüter zu verletzten.834 Den Autoren zufolge soll das Kennzeichenverbot vor der Gefahr schützen, dass sich Gleichgesinnte in ihren Ansichten bestärkt fühlen und sich somit zu einzelnen Rechtsgutsverletzungen gegenüber den von der Organisation als minderwertig oder feindlich dargestellten Bevölkerungsgruppen aufgestachelt fühlen.835 Reuter weist 830 BGH NJW 1973, 106 (107); gleiche Wortwahl in BGH NJW 2002, 3186 (3187); BGH NStZ 2003, 31; BGH NStZ 2009, 88; BVerfG NJW 2009, 2805; BGH, NStZ 2010, 210; OLG Hamm NStZ-RR 2004, 12; OLG Dresden, BeckRS 2008, 5675; OLG Oldenburg, NStZ-RR 2010, 368; OLG Dresden, BeckRS 2011, 7303; Reuter, Verbotene Symbole, S. 83; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, 2006, S. 55 ff.; BeckOK-StGB-Ellbogen, § 86a, Rn. 2. 831 BGH NJW 1973, 106 (107); ebenso BGH NJW 2002, 3186 (3187); BGH NStZ 2009, 88; BVerfG NJW 2009, 2805 (2086), 368; OLG Hamm NStZ-RR 2004, 12; OLG Dresden, BeckRS 2008, 5675; OLG Oldenburg, NStZ-RR 2010; OLG Dresden, BeckRS 2011, 7303; Reuter, Verbotene Symbole, S. 83–84. 832 BGH NJW 1973, 106 (107); auch BGH NJW 2002, 3186 (3187); BGH NStZ 2003, 31; BGH, NStZ 2010, 210; OLG Hamm NStZ-RR 2004, 12; OLG Dresden, BeckRS 2008, 5675; OLG Oldenburg, NStZ-RR 2010, 368; OLG Dresden, BeckRS 2011, 7303. 833 BGH NJW 2002, 3186 (3187); BGH NStZ 2003, 31; BGH NStZ 2009, 88; OLG Dresden, BeckRS 2008, 5675; KG, BeckRS 2010, 29767; Hörnle, NStZ 2002, 113 (114), ebenso Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 271; BeckOK StGB-Ellbogen, § 86a, Rn. 2. 834 Reuter, Verbotene Symbole, S. 75–76, 83 (bezieht sich auf die objektive Dimension des öffentlichen Friedens); von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 248 ff., 264, bezieht sich insbesondere auf § 86a Abs. 1 Nr. 4. 835 Reuter, Verbotene Symbole, S. 75; von Dewitz in, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 248 ff. von Dewitz bezieht sich insbesondere auf die NS-Organisationen und deren Kennzei-
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zwar darauf hin, dass der Gebrauch von Kennzeichen zu unkonkret sei, um eine Anstiftung darzustellen. Er sieht jedoch hinter dieser Handlung ein mögliches Aufschaukeln der politischen Situation und eine Aufstachelung von Gleichgesinnten.836
d) Objektiver Tatbestand aa) Tatobjekte: Kennzeichen Bestraft werden das Verbreiten oder Verwenden von Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 und Abs. 2 StGB bezeichneten Organisationen.837 Tatobjekte sind somit Kennzeichen, die in Abs. 2 der Vorschrift weiter erläutert werden. Abs. 2 zufolge zählen hierzu u. a. „Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen“. Es handelt sich hierbei jedoch nur um eine beispielhafte Aufzählung, die nicht abschließend ist.838 Der h. M. nach gelten als Kennzeichen optische oder akustische Symbole, unabhängig davon, ob sie verkörpert sind oder nicht.839 Da die Kennzeichen nicht verkörpert sein müssen, werden von § 86a StGB auch Grußformeln und Parolen (wie z. B. der Hitlergruß) erfasst.840 Es muss sich um Kennzeichen der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 und Abs. 2 StGB bezeichneten Parteien oder Vereinigungen handeln.841 Ausschlaggebend ist, dass ein Organisationsbezug besteht. Somit werden von der Vorschrift nur die von der betreffenden Organisation selbst verwendeten und ihr zuzurechnenden Identifizierungszeichen erfasst.842 Nicht von Bedeutung ist hierbei, ob das Symbol einen gewissen Bekanntheitsgrad als Erkennungszeichen einer bestimmten Vereinigung oder Organisation hat.843 Grundsätzlich sind sowohl die Namen der verbotenen Verchen. Sie führt auf, dass die NS-Kennzeichen in besonderer Weise das NS-Regime und seine Gräueltaten symbolisieren und dass daher die Gefahr groß sei, dass es durch deren Verwendung erneut zu Gewalttaten gegen jüdische Bürger, Ausländer oder andere Minderheiten kommt. 836 Reuter, Verbotene Symbole, S. 76. 837 Für die Erläuterung der Organisationen siehe die Ausführungen bezüglich § 86 StGB oben in Teil 2 Kapitel 1 B. III. 1. d) bb) und dd). 838 OLG Dresden, BeckRS 2008, 5675; Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86a, Rn. 3; LK-Steinsiek, § 86a, Rn. 4; MK-Anstötz, § 86a, Rn. 5. 839 OLG-Hamm, NStZ-RR 2004, 12; Frank, Die Strafbarkeit der Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen, S. 54; Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86a, Rn. 3; Fischer, § 86a, Rn. 3. 840 AG Kassel, NJW 2014, 801; BayObLG, NStZ 2003, 89 (90); Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86a Rn. 3; Fischer, § 86a, Rn. 9. 841 Siehe hierzu die Ausführungen zu § 86 StGB oben Teil 2 Kapitel 1 B. III. 2. d) aa). 842 OLG Bamberg, BeckRS 2007, 17002; OLG Dresden, BeckRS 2008, 5675; LK-Steinsiek, § 86a, Rn. 9; MK-Anstötz, § 86a, Rn. 9. 843 BGH, NJW 2002, 3186; BGH, NJW 2010, 163 (165); BGH 19. 8. 2014 – 3 StR 88/14, ZUM-RD 2015, 444 (445); OLG Dresden, BeckRS 2008, 5675; MK-Anstötz, § 86a, Rn. 12; Lackner / Kühl-Kühl, § 86a, Rn. 2; a. A. Hörnle NStZ 2002, 113 (115) die vertritt, dass der politische Friede nur dann gestört werden kann, wenn das Symbol bekannt ist. Siehe auch Reuter, Verbotene Symbole, S. 127 ff., der feststellt, dass die Rechtsgüter und der Schutzzweck des Kennzeichenverbots nur durch ein bekanntes Kennzeichen verletzt werden können.
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einigungen sowie die Namensabkürzungen (wie z. B. NSDAP, SRP, KPD, PKK) keine Kennzeichen i. S. des § 86a StGB.844 Kennzeichen, die von den verfassungswidrigen Vereinigungen aufgenommen wurden, aber schon seit dem Altertum existieren (z. B. Runen, die bereits während der europäischen Eiszeit von nordischen Völkern genutzt wurden und die später durch das NS-Regime aufgenommen und im Dienste ihrer Ideologie verwendet wurden845), werden von der Vorschrift erfasst, wenn die Symbole durch die Verwendung der verfassungswidrigen Organisationen von ihrer ursprünglichen Bedeutung losgelöst wurden, sodass ihre Zuordnung zur verfassungswidrigen Organisation eindeutig ist.846 Wie bereits im geschichtlichen Teil erläutert, wurde im Jahr 1994 die Ähnlichkeitsklausel in den § 86a Abs. 2 StGB eingeführt.847 Der h. M. nach ist ein Kennzeichen einem anderen dann „zum Verwechseln ähnlich“, wenn ein „gesteigerter Grad sinnlich wahrnehmbarer Ähnlichkeit“ vorhanden ist.848 Ein gesteigerter Grad wiederum ist dann vorhanden, wenn ein nicht genau prüfender Betrachter das Original mit der Abwandlung verwechseln kann.849 Auch hier kommt es nicht auf einen gewissen Bekanntheitsgrad des Kennzeichens an.850 Der Zusammenschluss von mehreren strafrechtlich relevanten Kennzeichen zu einem neuen einheitlichen Fantasiezeichen, bei dem keines der verbotenen Kennzeichen besonders hervorsticht oder dominiert, wird nicht von § 86a erfasst.851 Eine Verwechslungsgefahr ist bei Fantasiekennzeichen sowie bei Kennzeichen, die zu stark von einem Originalkennzeichen abweichen, auszuschließen.852 Abs. 3 zufolge gilt die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 StGB auch hier. Demzufolge werden solche Kennzeichen oder Handlungen, die der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dienen, nicht vom Tatbestand erfasst. 844
MK-Anstötz, § 86a, Rn. 7; BeckOK-StGB-Ellbogen, § 86a, Rn. 14; Fischer, § 86a, Rn. 3a; a. A. Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 140. 845 So stellt u. a. das KG fest, dass Runenzeichen von den germanischen Völkern bereits seit dem 2. Jahrhundert und bis ins skandinavische Mittelalter hinein als Schriftzeichen verwendet sowie auch auf Schmuck und Kunstgewerbegegenständen gebraucht wurden. KG Beschl. v. 18. 5. 2016, BeckRS 2016, 120448. Vertiefend zu Runen, die durch NS-Organisationen benutzt wurden, Reuter, Verbotene Symbole, S. 162 ff. 846 MK-Anstötz, § 86a, Rn. 10; OLG Dresden, BeckRS 2008, 5675 (Tyr-Rune und Wolfsangel). 847 Vertiefend zu den Gesetzesmaterialien und zu dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel für die Einführung der Ähnlichkeitsklausel siehe Reuter, Verbotene Symbole, S. 141–142. 848 BGH NJW 2002, 3186 (3187); BGH NJW 2010, 163 (164); LK-Steinsiek, § 86a, Rn. 10. 849 LK-Steinsiek, § 86a, Rn. 10. 850 BGH, NJW 2002, 3186 (3187); von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 254; Fischer, § 86a, Rn. 8a; zur Erläuterung der Diskussionen über den Bekanntheitsgrad in der Lehre sowie in der Rechtsprechung siehe Reuter, Verbotene Symbole, S. 152 ff. 851 OLG Dresden, BeckRS 2008, 5675; BeckOK-StGB-Ellbogen, § 86a, Rn. 20. 852 OLG Dresden, BeckRS 2008, 5675.
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bb) Tathandlung Tathandlungen sind gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB das Verbreiten und das Verwenden von Kennzeichen. Daneben werden in Abs. 1 Nr. 2 bestimmte Vorbereitungshandlungen, die dem späteren Verwenden oder Verbreiten dienen können, unter Strafe gestellt. Grundsätzlich wird unter Verwenden jeder Gebrauch verstanden, der das Kennzeichen optisch oder akustisch wahrnehmbar macht.853 Ursprünglich hatte der BGH ein weites Verständnis des Merkmals „Verwenden“. Demnach war jedes irgendwie geartete Gebrauchmachen ein Verwenden, ohne dass die Absicht des Täters untersucht und miteinbezogen werden musste.854 Von diesem Verständnis rückte der BGH jedoch wieder ab. In seinem Urteil vom 18. November 1972 führte er an, dass ein Gebrauchmachen von einem Kennzeichen, das dem Schutzzweck der Vorschrift ersichtlich zuwiderläuft, keine Verwendung i. S. des § 86a StGB ist.855 Demnach wird eine Verwendung von Kennzeichen grundsätzlich nicht von der Vorschrift erfasst, wenn die Verwendung „ersichtlich Ausdruck der Gegnerschaft zu den politischen Zielen und Methoden der verfassungsfeindlichen Organisation ist, deren Kennzeichen gebraucht wird“.856 Demzufolge fällt der Gebrauch von Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation nicht unter den Tatbestand, insofern das Kennzeichen in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt.857 Eine Ausnahme diesbezüglich besteht jedoch darin, wenn es eine Häufung des Gebrauchs verbotener Kennzeichen zur Tatzeit gibt, da somit die Gefahr besteht, dass es zu einer Wiedereinbürgerung der Kennzeichen in der Öffentlichkeit kommt.858 Der Tatbestand ist bei einer satirischen Darstellung des Hitlergrußes im Rahmen einer Kunstperformance ebenfalls nicht verwirklicht, wenn heraussticht, dass der Künstler den Hitlergruß bewusst enttabuisieren wollte und sich gerade nicht mit dem Kennzeichen identifiziert, sondern dieses verspottet.859 Das Verwenden muss öffentlich, in einer Versammlung oder in einem vom Täter verbreiteten Inhalt (§ 11 Abs. 3 StGB) erfolgen. Ein Kennzeichen wird öffentlich verwendet, wenn es für einen größeren, nicht durch persönliche Beziehungen zusammenhängenden Personenkreis wahrnehmbar ist; es kommt hierbei nicht auf die 853 BGHSt 23, 267; KG NJW 1999, 3500 (3502); BGH, NStZ 2015, 81 (83); AG Kassel, NJW 2014, 801; Reuter, Verbotene Symbole, S. 194; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 256; NK-Paeffgen, § 86a, Rn. 13; Fischer, § 86a, Rn. 13. 854 BGHSt NJW 1970, 1693. 855 BGHSt NJW 1973, 106 (107); sich dem anschließend BGH NJW 2007, 1602; BGH NJW 2015, 3590 (3592); BGH, NStZ 2016, 86; OLG Oldenburg NJW 1986, 1275; von Dewitz, NSGedankengut und Strafrecht, 2006, S. 257; Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86a, Rn. 6. 856 Träger / Mayer / Krauth, in: Krüger-Nieland (Hrsg.), 25 Jahre Bundesgerichtshof, S. 240. 857 BGH, NJW 2007, 1602 (1603). 858 BGHSt NJW 1973, 106 (107). Darstellung der Problematik und des Urteils des BGH siehe Träger / Mayer / Krauth, in: Krüger-Nieland (Hrsg.), 25 Jahre Bundesgerichtshof, S. 240. 859 AG Kassel, NJW 2014, 801 (802).
1. Kap.: Deutsche Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Öffentlichkeit des Ortes an.860 Ausreichend ist die Möglichkeit der Wahrnehmung durch einen größeren Personenkreis; eine tatsächliche Wahrnehmung ist nicht notwendig.861 Der BGH bestätigt ein öffentliches Verbreiten, wenn das verbotene Kennzeichen von 844 Facebook-Freunden wahrgenommen werden kann, da in diesem Fall davon ausgegangen werden kann, dass es sich hierbei zum größten Teil nicht um persönliche Beziehungen handelt, sondern um zufällige und virtuelle Verbindungen.862 Eine Versammlung i. S. des § 86a StGB ist als nicht nur zufälliges, zeitweiliges Beisammensein von mehr als drei Personen zu einem gemeinsamen Zweck zu verstehen.863 Das Verbreiten ist die körperliche Weitergabe von Kennzeichen, infolge derer diese einem größeren, für den Täter nicht mehr kontrollierbaren Personenkreis angeboten werden.864 Während unter das Merkmal „Verwenden“ sowohl verkörperte als auch nicht verkörperte Kennzeichen fallen, bezieht sich das Verbreiten ausschließlich auf verkörperte Kennzeichen.865 Für eine weitere Ausführung des Tatbestandsmerkmals siehe § 86 StGB.866 In § 86a Abs. 1 Nr. 2 StGB werden bestimmte Vorbereitungshandlungen (Herstellen, Vorrätighalten, Einführen und Ausführen) zum Verwenden und Verbreiten unter Strafe gestellt.867 Hierfür wird ebenfalls auf die Ausführungen zu § 86 StGB verwiesen.868
e) Subjektiver Tatbestand Ein bedingter Vorsatz, der sich auf alle Elemente des objektiven Tatbestandes bezieht, ist ausreichend.869 Für zum Verwechseln ähnliche Kennzeichen muss der Beschuldigte davon ausgehen, dass ein unbefangener Betrachter sie möglicher860
BGH, NStZ 2011, 575; Ein öffentliches Verwenden ist gegeben, wenn ein Polizeimeisteranwärter den Hitlergruß in der Landespolizeischule anlässlich einer Geburtstagsfeier in einem Aufenthaltsraum gegenüber den dort anwesenden Personen macht, siehe OLG Celle, NStZ 1994, 440; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 110. 861 LK-Steinsiek, § 86a, Rn. 19. 862 BGH, NStZ 2015, 81 (83). 863 NK-Paeffgen, § 86a, Rn. 15; LK-Steinsiek, § 86a, Rn. 20; MK-Anstötz, § 86a, Rn. 24; vertiefend zu den Diskussionen über die Frage nach einem bestimmten gemeinsamen Zweck der Versammlung siehe Reuter, Verbotene Symbole, S. 210 ff. 864 Reuter, Verbotene Symbole, S. 212 ff; Fischer, § 86a, Rn, 15a. 865 Reuter, Verbotene Symbole, S. 213; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 255; NK-Paeffgen, § 86a, Rn. 12. 866 Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 B. III. 1. d) bb). 867 Vertiefend Reuter, Verbotene Symbole, S. 224 ff. 868 Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 B. III. 1. d) bb). 869 Siehe Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda im Lichte des Strafrechts, S. 115; Laitenberger, Die Strafbarkeit der Verbreitung rassistischer, rechtsextremistischer und neonazistischer Inhalte, 85; Reuter, Verbotene Symbole, S. 259 ff.; Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86a, Rn. 11; LK-Steinsiek, § 86a, Rn. 37; Fischer, § 86a, Rn. 23.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
weise für Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation halten könnte.870 Beim Verwenden eines Kennzeichens muss der Täter sich bewusst sein, dass die Verwendung öffentlich geschieht.871 Eine verfassungsgefährdende Absicht oder ein Bekenntnis zu der betreffenden Organisation wird dahingegen nicht verlangt.872 Dahingegen müssen für die Vorbereitungshandlungen (§ 86a Abs. 1 Nr. 2 StGB) die Tathandlungen mit der Absicht einer späteren Verbreitung oder Verwendung vorgenommen werden.873
f) Quintessenz Erfasst werden in § 86a StGB das Verbreiten, das Verwenden usw. von Kennzeichen einer in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 StGB bezeichneten Organisation. Sowohl aus den Tathandlungen als auch aus der Natur der Kennzeichen selbst lässt sich jedoch kein Handlungsdruck erkennen, der damit auf den Motivierten ausgeübt werden könnte. In der Tat wird hier – im Unterschied zu § 86 StGB – nicht verlangt, dass die Kennzeichen aktiv kämpferisch oder werbend wirken. Auch in dem Verbreiten und Verwenden der Kennzeichen sowie in den Vorbereitungshandlungen, die dem späteren Verwenden oder Verbreiten dienen können, muss kein Ausdruck eines Handlungsdruckes zu erkennen sein.
870 Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86a, Rn. 11; LK-Steinsiek, § 86a, Rn. 37; MK-Anstötz, § 86a, Rn. 31. 871 LK-Steinsiek, § 86a, Rn. 37; Reuter, Verbotene Symbole, S. 260. 872 BGHSt 25, 30 (31); OLG Frankfurt, NStZ 1999, 356 (357); Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 16. 873 Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 259; Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 86a, Rn. 9c; LKSteinsiek, § 86a, Rn. 37; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Güntge, § 86, Rn. 16; Fischer, § 86a StGB, Rn. 23; a. A. NK-Paeffgen, § 86a, Rn. 12, der einen dolus directus 2. Grades für ausreichend hält.
Kapitel 2
Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte Im französischen Strafrecht wurden neben der Urform der Motivationsdelikte, der provocation als Teilnahmehandlung in Art. 121-7 code pénal (CP), eine zunehmend große Anzahl autonomer Straftatbestände geschaffen, die ebenfalls das Motivieren von Dritten als eine Straftatbegehung unter Strafe stellen. In diesen autonomen Tatbeständen wird der Motivator jedoch nicht mehr als Teilnehmer einer Haupttat bestraft, sondern als Täter, und die Anforderungen an die Tathandlung, an den Konkretisierungsgrad sowie an den von der Tathandlung ausgeübten Handlungsdruck schwinden (B., C.). Bevor hierauf näher eingegangen werden kann, erscheint es jedoch notwendig, kurz den Allgemeinen Teil des französischen Strafrechts darzustellen und einige Begriffserläuterungen vorwegzunehmen, die für das Verständnis des Länderberichts von Bedeutung sein werden (A.).
A. Vorbemerkung Bevor auf die französischen Motivationstatbestände eingegangen werden kann, erscheint es notwendig, einige Grundlagen des französischen Strafrechts zu erklären, um im Verlaufe des Länderberichts und der Analyse auf diese verweisen zu können (A). Darüber hinaus muss auch eine begriffliche Spezifizität bezüglich der provocation geklärt werden (B).
I. Grundlagen des französischen Strafrechts Im französischen Strafrecht werden nach Art. 111-1 CP drei Arten von Straftaten voneinander unterschieden: Verbrechen (crimes), Vergehen (délits) und Übertretungen (contraventions). Die Klassifizierung erfolgt dabei je nach der im Strafgesetzbuch vorgesehenen Strafe. Demnach handelt es sich bei einer Straftat genau dann um ein Verbrechen, wenn der CP eine Verbrechensstrafe (peine criminelle), d. h. eine Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren vorsieht (Art. 131-1 CP). Sieht der CP eine Vergehensstrafe (peine correctionelle) vor, d. h. eine Gefängnisstrafe zwischen zwei Monaten und zehn Jahren oder eine Geldstrafe von mindestens 3.750 Euro, handelt es sich um ein Vergehen (Art. 131-4 CP). Art. 131-13 CP zufolge handelt es sich entsprechend um eine Übertretung, wenn die Tat mit einer
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Geldstrafe von bis zu 3.000 Euro bestraft wird. Übertretungen können nicht mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden. Im französischen Strafrecht gibt es keine einheitliche, gesetzliche Definition der Straftat. Auch bei der Erneuerung des code pénal im Jahr 1994 hat der französische Gesetzgeber darauf verzichtet, eine Definition der Straftat einzuführen. Aufgrund dieses Umstands obliegt die Erstellung einer Definition vorwiegend der Lehre.1 Traditionell beruft sich diese auf eine Elementenlehre, nach der sich Straftaten aus verschiedenen élements constitutifs zusammensetzen.2 Ein Großteil der Lehre geht dabei von einer Unterteilung in drei Elemente aus: dem élement légal, dem élement matériel und dem élement moral (auch élement intellectuel genannt). Unter dem élement légal wird die Existenz eines Gesetzes verstanden, das ein bestimmtes Verhalten unter Strafe stellt. Während das élement matériel die materielle Handlung beschreibt, die gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, soll mit dem élement moral die subjektive Tatseite umschrieben werden. Durch Letzteres sollen der Vorsatz (intention, dol) sowie die Fahrlässigkeit erfasst werden.3 Die subjektive Tatseite kann in einem vorsätzlichen (faute intentionnelle) oder nicht vorsätzlichen Verhalten (faute non-intentionnelle) bestehen. In der Lehre wird dementsprechend zwischen vorsätzlich begangenen Delikten (infractions intentionnelles) und nicht vorsätzlich begangenen Delikten (infractions non-intentionnelles) unterschieden. Art. 121-3 Abs. 1 CP zufolge sind Verbrechen und Vergehen grundsätzlich nur bei vorsätzlicher Tatbegehung strafbar. Dabei gibt der code pénal jedoch keine Legaldefinition des Vorsatzes. In der Lehre wird der Vorsatz (dol) über den Willen, das Strafgesetz zu übertreten, und das Wissen, dass man das Strafgesetz bricht, definiert.4 Diese Definition entspricht dem Begriff des sog. dol général (Generalvorsatz), der als schwächste und Grundvorsatzform gilt.5 Dieser Vorsatz wird in den meisten Fällen von der Handlung abgeleitet oder aufgrund gewisser Eigenschaften des Täters oder des Kontextes der Tat vermutet.6 Neben dem dol général gibt es den dol spécial (Spezialvorsatz). Ein solcher besteht laut der Lehre in der Absicht, dass durch die Begehung der Tat ein bestimmter Erfolg, der durch das Recht verboten ist, eintreten muss.7 In dieser Hinsicht muss z. B. beim Mord 1 Vgl. Walther, der darauf verweist, dass in der französischen Strafrechtslehre jeder Autor seine eigene, persönliche Sichtweise / Vorstellung darüber vertritt, was eine Straftat sei und was nicht, ohne jedoch eine allgemeine, gemeinsame Definition anzubieten oder zumindest zu suchen. In Walther, L’antijuridicité en droit pénal comparé franco-allemand, S. 141–142. 2 Robert führt an, dass die ersten Spuren der Elementenunterteilung der Straftat bereits Ende des 18. Jahrhunderts zu finden seien; siehe Robert, RSC 1977, 270 ff. 3 Vertiefend zu den Elementen siehe in deutscher Sprache Manacorda, GA 1998, 124 ff.; Vogel, GA 1998, 128 ff.; Ambos, ZStW 120 (2008); Lelieur / Pfützner / Volz, in: Sieber / Cornils (Hrsg.), Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, Teilband 2, S. 391 ff. 4 Leroy, Droit pénal général, S. 228; Pin, Droit pénal général, Rn. 206 ff. 5 Lelieur / Pfützner / Volz, in: Sieber / Cornils (Hrsg.), Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, Teilband 3, S. 681. 6 Pin, Droit pénal général, Rn. 207. 7 Desportes / Le Gunehec, Droit pénal général, Rn. 474.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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in Art. 221-1 CP ein animus necandi gegeben sein, d. h. die Absicht, das Opfer zu töten. Der dol éventuel (bedingter Vorsatz) liegt vor, wenn der Täter den eingetretenen Erfolg nicht erreichen wollte, sich aber mit dem Risiko des Eintretens eines solchen Erfolges abgefunden und in dem Wissen gehandelt hat, dass sein Verhalten eine Gefahr für andere darstellen kann.8 Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine Untergrenze des Vorsatzes.9 Stattdessen stuft die Lehre den dol éventuel als eine Art bewusster Fahrlässigkeit ein.10 Für Übertretungen greift Art. 121-3 Abs. 1 CP hingegen nicht. Der code pénal stellt bei Übertretungen im Allgemeinen keine generellen Anforderungen an das subjektive Element. Für die meisten Übertretungen wird angenommen, dass eine faute contraventionelle ausreicht, d. h., dass es ausreicht, wenn eine gesetzliche Vorschrift übertreten wurde.11 Unwichtig ist dabei, ob die Tat mit Vorsatz begangen wurde oder nicht.12 Die Tatbestandsverwirklichung geschieht unabhängig von der inneren Einstellung des Täters. Diese faute contraventionelle ist gegeben, sobald die durch das Gesetz bestrafte Tat begangen wurde.13
II. Spezifizität der Übersetzung des Begriffs der provocation Die dominante Tathandlung, die in den meisten der in dieser Arbeit untersuchten, französischen Motivationsdelikte erfasst wird, ist die provocation. In der Tat wird in Art. 121-7 nicht nur im Rahmen der Teilnahme von einer provocation gesprochen, sondern auch in Fällen, in denen sich solche motivierenden Äußerungen an eine breite Öffentlichkeit richten (siehe z. B. Art. 23 LLP), oder wenn es darum geht, solche Äußerungen zu ahnden, die zu Hass gegen bestimmte Personengruppen motivieren (siehe z. B. Art. R. 625-7 CP). Da der Begriff provocation – wie der Länderbericht zeigen wird – im französischen Strafrecht oft eingesetzt wird und auch in den Motivationsdelikten eine wichtige Rolle spielt, stellt sich die Frage, wie der Begriff für den Rechtsvergleich übersetzt werden kann. In vielen rechtsvergleichenden Untersuchungen wird das Wort „provocation“, wenn von der Teilnahme die Rede ist,14 mit „Anstiftung“ übersetzt. Wenn sich 8
Lelieur / Pfützner / Volz, in: Sieber / Cornils (Hrsg.), Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, Teilband 3, S. 681; Pin, Droit pénal général, Rn. 221 f. 9 Leroy, Droit pénal général, S. 237 f.; Pin, Droit pénal général, S. 221 ff. 10 Lelieur / Pfützner / Volz, in: Sieber / Cornils (Hrsg.), Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, Teilband 3, S. 681 f. 11 Desportes / Le Gunehec, Droit pénal général, Rn. 499; Bouloc, Droit pénal général, Rn. 303, Leroy, Droit pénal génénaral, S. 247 ff. 12 Es gibt dazu auch Ausnahmen wie es z. B. der Fall für Art. R. 625-7 ist. Vertiefend dazu siehe Bouloc, Droit pénal général, Rn. 296 ff. 13 Cass. crim. 12 mai 1843; Desportes / Le Gunehec, Droit pénal général, Rn. 499. 14 Stein, Die Regelung von Täterschaft und Teilnahme im europäischen Strafrecht am Beispiel Deutschlands, Frankreichs, Spaniens, Österreichs und Englands, S. 95; Weißer, Täterschaft in Europa, S. 19.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
die Äußerung an einen unbestimmten Personenkreis richtet, wird der Begriff dagegen mit „Aufforderung“ übersetzt.15 Eine derartige Übernahme der deutschen Terminologie kann in Fällen von Rechtsvergleichen angebracht sein, die sich allein auf diese begrenzten Bereiche konzentrieren. Im Falle der hier vorgenommenen Untersuchung der Motivationsdelikte, also der Untersuchung der strafrechtlichen Ahndung von verschiedenen Motivationshandlungen durch Informationsübermittlungen, würde eine Übersetzung des Begriffs „provocation“ mit deutschen Begrifflichkeiten jedoch Vergleichbarkeiten oder Ähnlichkeiten suggerieren, die in dieser Form und Art nicht gegeben sind. In der Tat kommt der Wahl der Begriffe des Aufforderns, des Anstiftens, des Aufstachelns etc. im deutschen Recht eine präzise Funktion zu, da mit ihnen u. a. eine Graduierung der Intensität der Motivation vorgenommen wird. Eine Übernahme dieser Begriffe zum Zwecke der Übersetzung im folgenden Teil über den französischen Länderbericht könnte daher leicht irreführend wirken. Der französische Gesetzgeber hat sich – im Gegensatz zum deutschen – dazu entschieden, die Graduierung und Intensität der Tathandlung und somit der Motivation lediglich durch die An- bzw. Abwesenheit bestimmter Zusätze zu dem Begriff „provocation“ erkenntlich zu machen. Um klarzustellen, welche Art von Provokation jeweils erfasst wird – sprich, ob es sich um ein direktes Motivationsdelikt handelt, bei dem verlangt wird, dass die Provokation einen gewissen Handlungsdruck ausübt, oder ob es sich um ein indirektes Motivationsdelikt handelt, bei dem eine Beeinflussung von Emotionen und Gefühlen ausreicht –, fügt der Gesetzgeber in Frankreich bei den direkten Motivationsdelikten hinzu, dass die Provokation entweder über bestimmte Provokationsmittel, die sog. „adminicules“, oder dass sie „direkt“ erfolgen muss. Werden weder bestimmte Provokationsmittel verlangt noch, dass die Provokation direkt erfolgt, kann diese also auch durch jede Gefühlsbeeinflussung erfolgen, sodass es sich also um ein indirektes Motivationsdelikt handelt. In dieser Hinsicht erscheint es von besonderem Interesse, dass der deutsche Gesetzgeber sich für den Einsatz verschiedener Begriffe zum Zwecke des Umschreibens verschiedener direkter und indirekter Motivationseinwirkungen entschieden hat, während der französische Gesetzgeber einen einheitlichen Begriff vorzieht, der sowohl bei den direkten als auch bei den indirekten Motivationsdelikten zum Einsatz kommt, aber durch Zusätze (bzw. durch deren Abwesenheit) eine Graduierung der erwarteten Intensität der Motivation verdeutlicht. Um diese Besonderheit und diesen Unterschied auch weiterhin deutlich zu machen, sowie um mögliche Verwechslungen oder Missverständnisse auszuschließen, wird in der vorliegenden Arbeit der Begriff „provocation“ lediglich mit „Provokation“ übersetzt und auch nur in dieser Weise verwendet. Um deutlich zu machen, welche Bedeutung dem Merkmal in dem jeweils entsprechenden französischen Tat-
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Laitenberger, Die Strafbarkeit der Verbreitung rassistischer, rechtsextremistischer und neonazistischer Inhalte, S. 162 ff.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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bestand zukommt, d. h. welcher Intensität der Provokation zugesprochen wird, wird entweder von einer direkten oder von einer indirekten Provokation gesprochen. Der Einsatz der Begriffe der direkten und indirekten Provokation soll verhindern, dass missverständliche und ungenaue Parallelen bzw. Korrelationsbeziehungen zwischen den französischen und den deutschen Begriffen (Bestimmen, Auffordern, Aufstacheln etc.) etabliert werden.
B. Direkte Motivationsdelikte Die direkte Provokation zur Begehung einer Straftat i. S. des Art. 121-7 code pénal ist die Vorschrift, dessen Anforderungen an die Konkretisierung, sei es in Bezug auf die zu begehende Tat oder den motivierten Täter, am höchsten sind (I.). Aufgrund dieser hohen Anforderungen erließ der Gesetzgeber mit der Zeit jedoch vermehrt Vorschriften, in denen zwar die Anforderungen an die Bestimmtheit der Tat weiterhin hoch blieben, jedoch nicht mehr verlangt wurde, dass sich die Motivation an eine bestimmte Person richtet. Auf diese Weise konnten auch solche Motivationen strafrechtlich erfasst werden, die an einen nicht individualisierbaren und nicht zahlenmäßig bestimmbaren Personenkreis adressiert sind (II.).
I. Individuelle direkte Motivation zur Begehung einer näher spezifizierten Tat 1. Direkte Provokation zu einer Straftat (Art. 121-7 CP) a) Geltender Normtext In Artikel 121-7 CP wird die Teilnahme an Vergehen und Verbrechen unter Strafe gestellt. Darunter wird auch die Teilnahmeform der Provokation erfasst: Est complice d’un crime ou d’un délit la personne qui sciemment, par aide ou assistance, en a facilité la préparation ou la consommation. Est également complice la personne qui par don, promesse, menace, ordre, abus d’autorité ou de pouvoir aura provoqué à une infraction ou donné des instructions pour la commettre.16
16 Übersetzung Art. 121-7 CP: „Teilnehmer an einem Verbrechen oder Vergehen ist, wer dessen Vorbereitung oder Vollendung durch Unterstützung oder Beistand wissentlich erleichtert hat. Ebenso ist Teilnehmer, wer durch Zuwendungen, Versprechungen, Drohungen, Befehle oder durch Missbrauch seiner Autorität oder seiner Befugnisse zu einer Straftat provoziert oder Anweisungen zu ihrer Begehung gegeben hat.“
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b) Geschichtlicher Überblick Wie bereits im Fall der Anstiftung in § 26 StGB verweist die Lehre auch für die Geschichte der Provokation auf das römische Recht, in dem die Provokation unter dem Aspekt der Teilnahme erfasst wurde und der Provokateur genauso wie der Haupttäter bestraft wurde.17 Der Gedanke einer provocation als eine Form der Teilnahme setzte sich letztendlich auch bei der Fassung des code pénal von 1810 durch, der im Rahmen der Napoleonischen Kodifikationen erlassen wurde. Art. 60 Abs. 1 des code pénal von 1810 erfasste als eine der Teilnahmeformen durch geistige Einwirkung die Provokation zur Begehung einer Straftat durch Zuwendungen, Versprechungen, Drohungen, Befehle, Missbrauch von Autorität, Machenschaften oder durch List: Seront punis comme complices d’une action qualifiée crime ou délit ceux qui, par dons, promesses, menaces, abus d’autorité ou de pouvoir, machinations ou artifices coupables, auront provoqué à cette action ou donné des instructions pour la commettre; […].
Der Tatbestand zählte die Mittel (die sog. „adminicules“) auf, durch die eine Provokation zur Begehung einer Straftat erfolgen muss. So konnte eine Provokation ausschließlich durch „dons, promesses, menaces, abus d’autorité ou de pouvoir, machinations ou artifices coupables“ erfolgen. Laut Art. 59 sollte dem Teilnehmer die gleiche Strafe auferlegt werden wie dem Haupttäter. In der Tat herrschte im code pénal von 1810 das System d’emprunt de criminalité, dem gemäß die Teilnahmehandlung eine Handlung war, die mit der Haupttat verbunden war und von der die Teilnahmehandlung ihren Unrechtscharakter entlieh.18 Der code pénal von 1810 blieb mehr als 200 Jahre lang in Kraft und wurde schließlich durch den code pénal von 1994 ersetzt. Im neuen Strafgesetzbuch, das am 22. Juli 1992 erlassen wurde und am 1. März 1994 in Kraft trat, wird die Teilnahme in Art. 121-7 CP normiert. Mit der Neufassung des code pénal wurde mitunter die Liste der Mittel für die Provokation geändert. In der Tat wurde die Provokation durch Befehle in den Tatbestand aufgenommen, während die Provokationen durch Machenschaften und durch List gestrichen wurden.19
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Dupuy, La provocation en droit pénal, S. 7. Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 197. Fabreguettes führt an, dass Provokateure seit jeher als Teilnehmer oder als Haupttäter bestraft wurden, wobei er sich klar für die Zuordnung des Provokateurs zur zuletzt genannten Kategorie ausspricht. Siehe Fabreguettes, De la complicité intellectuelle et des délits d’opinion – de la provocation et de l’apologie criminelles – de la propaganda anarchiste, S. 1. 18 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 205. 19 Martin-Valente verweist darauf, dass die Streichung der beiden Mittel in den Entwürfen und Arbeitsblättern des Parlaments nicht weiter erklärt wurde. Die Lehre erklärt die Entfernung der „adminicules“ mit der Begründung, dass diese in der Rechtsprechung faktisch nur selten zum Tragen gekommen seien (wobei manche Autoren die Streichung bedauern). Siehe vertiefend hierzu Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 245.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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c) Strafbegründung Für die Teilnahme im Allgemeinen wird die Auffassung vertreten, dass die Strafbarkeit des Teilnehmers vom Unrecht der Haupttat abhängt. Die Strafbarkeit der Tat des Teilnehmers leitet sich von der Strafbarkeit der Tat des Haupttäters (emprunt de criminalité) ab.20 Demzufolge ist das Unrecht der Teilnahme aus dem Unrecht der Haupttat abzuleiten.21 Bezüglich der Provokation wird in der Lehre die Ansicht vertreten, dass ihr ein besonders gefährliches und verbrecherisches Potenzial innewohne, das vom Strafrecht nicht ignoriert werden dürfe.22 Der Provokateur wird in der Strafrechtslehre als der cerveau de l’infraction23 (Kopf der Straftat) dargestellt. Er leitet und beherrscht die Straftat, ohne sich dabei materiell an der Verwirklichung der Tat zu beteiligen. Mit der Bestrafung der Provokation soll verhindert werden, dass der Provokateur andere dazu motiviert, eine Straftat zu begehen: Pression sur l’esprit, la provocation qui s’oppose à l’action exercée sur le corps est plus civile dans ses moyens puisqu’elle remplace la force et la violence physiques par le dol et la ruse.24
Eine besondere Gefahr sieht die Lehre in der Individualität der Provokation des Art. 121-7 CP. Diesbezüglich wird angeführt, dass der Provokateur, indem er sich an eine individuelle, ihm bekannte Person richtet, eine persönliche Beziehung zu ihr aufbauen könne, die zur tatsächlichen Begehung der Straftat beitrage und demnach besonders gefährlich sei.25 Bei einer individuellen Provokation scheine der vom Provokateur aufgebaute Handlungsdruck besonders groß zu sein, da er seine Provokation genau auf sein Gegenüber zuschneiden könne.26 Es wird mitunter die Meinung vertreten, dass der Provokateur nicht nur an der Straftat, d. h., nicht nur an der Begehung eines Unrechts teilnimmt, sondern dass er aufgrund seines Einflusses eine ausschlaggebende Rolle spielt, die ihn zu einem Täter macht, dem sog. auteur moral (moralischer Täter) oder auteur intellectuel (intellektueller Täter).27 Auch wenn diese Aufteilung keinen Eingang in den code pénal von 1994 gefunden hat,28 wird in der Lehre zuweilen zwischen dem auteur materiel (materieller Täter), der eine Straftat tatsächlich begangen hat oder zumindest versucht hat, sie zu begehen, und dem auteur intellectuel unterschieden, der aufgrund seines intellektuellen Einflusses zwar ausschlaggebend für die Begehung
20 21 22 23 24 25 26 27 28
Bouloc, Droit pénal général, Rn. 351. Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 207. Dupuy, La provocation en droit pénal, S. 7. Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 41. Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 45. de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 294. Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 89. Vertiefend siehe Conte / Maistre du Chambon, droit pénal général, S. 218–219. Vertiefend dazu siehe Pin, Droit pénal général, Rn. 318.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
der Tat durch einen anderen, jedoch nicht selbst an der Materialität der Realisierung der Tat beteiligt war.29
d) Objektiver Tatbestand aa) Haupttat Voraussetzung einer Bestrafung nach § 121-7 CP ist in erster Linie die Teilnahme an einer Haupttat, die alle materiellen und subjektiven Tatbestandsmerkmale aufweist; d. h. eine rechtswidrige Tat (un fait principal punisable).30 Die Tat, zu der provoziert wird, kann sowohl ein Verbrechen (crime), ein Vergehen (délit) oder eine Übertretung (contravention) sein.31 Wie eingangs erläutert, werden die Straftaten im französischen Recht nach ihrer Schwere in Verbrechen, Vergehen und Übertretungen eingeteilt. Eine Tat, die mit einer peine criminelle (Verbrechensstrafe) bestraft wird – d. h., wenn die Dauer der Zuchthausstrafe mindestens zehn Jahre beträgt (siehe Art. 131-1 CP) –, ist ein Verbrechen. Wenn eine peine correctionnelle (Vergehensstrafe) ausgesprochen wurde, also eine Gefängnisstrafe zwischen zwei Monaten und zehn Jahren oder eine Geldstrafe in Höhe von mindestens 3.750 Euro, handelt es sich um ein Vergehen. Wenn die Tat mit einer Geldstrafe bis maximal 1.500 Euro – oder 3.000 Euro im Falle eines Rückfalls –, d. h. mit einer peine contraventionnelle (Übertretungsstrafe) bestraft wird, handelt es sich um eine Übertretung. Bestraft wird sowohl die Teilnahme an einer vollendeten als auch an einer versuchten Tat.32 Die Strafbarkeit der Teilnahme hängt dabei von der Strafbarkeit der Haupttat ab. Wenn die Haupttat aufgrund einer Verjährung, einer Amnestie, einer Gesetzesaufhebung oder aufgrund anderer Rechtfertigungsgründe jedoch nicht mehr strafbar ist, kann es demzufolge also auch keine Teilnahme geben.33
bb) Tathandlung Für die Erläuterung des Begriffs der Provokation greift die Lehre auf dessen Etymologie zurück. So wird angeführt, dass das Wort provoquer von dem lateinischen Verb provocare abstammt und so viel bedeutet wie „draußen / vor (pro)
29 Siehe Bouloc, Droit pénal général, Rn. 322; Vertiefend hierzu Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 52. 30 Cass. crim. 4 März 1998: Bull. crim. n° 83, Pin, Droit pénal général, Rn. 323. 31 Pin, Droit pénal général, Rn. 312 ff. 32 In diesem Fall spricht man von einer „complicité par tentative“. Siehe Cass. crim. 28 juni 1993, Dr. pén. 1994. 252. 33 Pin, Droit pénal général, Rn. 327.
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rufen (vocare)“.34 Fabreguettes führt an, dass es sich bei der Provokation in erster Linie um ein Appell handle.35 Dupuy definiert die Provokation als Ausdruck eines Gedankens, der sich an einen anderen richtet, damit dieser sowohl seine intellektuelle als auch seine physische Passivität aufgibt.36 Dem schließt sich weitgehend auch Martin-Valente an, indem sie in der Provokation einen Aufruf zu einer Reaktion oder zu einer Aktion erkennt. Sie führt an, dass die Provokation durch die Ausübung eines Drucks auf den Willen einer anderen Person ausgeübt werde.37 In der Lehre scheint die Provokation somit als ein Auslöser für die Tatbegehung betrachtet zu werden. Art. 121-7 CP zufolge wird die Provokation jedoch nur dann bestraft, wenn sie durch die im Gesetz aufgezählten Mittel der Beeinflussung (adminicules) erfolgt. Erst durch den Einsatz eines der im Gesetz aufgezählten Beeinflussungsmittel kann die Provokation einen ausreichenden Druck auf den Willen einer anderen Person ausüben und als Teilnahme an einer Tat bewertet und bestraft werden.38 Als Provokationsmittel gelten dabei die folgenden: Zuwendungen, Versprechungen, Drohungen, Befehle, Missbrauch von Autorität oder Befugnissen. Unter einer Drohung wird eine starke, aggressive oder sogar beleidigende Einschüchterung verstanden, die andere stark beeindrucken und beeinflussen kann.39 Der Befehl ist vom Macht- oder Autoritätsmissbrauch zu unterscheiden, da der Befehl nicht unbedingt von einer Person kommt, die über Macht oder Autorität über die fragliche Person verfügt. Bezüglich der Autorität gilt, dass diese sowohl gesetzlicher als auch moralischer Natur sein kann.40 Die Aufzählung ist exhaustiv. Wenn keines der aufgezählten Beeinflussungsmittel zum Einsatz kommt, muss eine Provokation i. S. des 121-7 CP also ausgeschlossen werden. Allein durch den Einsatz der aufgezählten Mittel wird die Provokation als stark genug bewertet, um die Bereitschaft einer anderen Person so fördern zu können, dass diese straffällig wird.41 Mit der Aufstellung der Liste wollte der Gesetzgeber verhindern, dass der Begriff „Provokation“ zu weit gefasst wird und es zu einer willkürlichen Beurteilung des Begriffs kommt.42 Dies gesagt muss jedoch bemerkt werden, dass es an einer Legaldefinition der Mittel mangelt und dass die Begriffe durch die Lehre und die Rechtsprechung herausgearbeitet wurden. 34
So Fabreguettes, De la complicité intellectuelle et des délits d’opinion – de la provocation et de l’apologie criminelles – de la propaganda anarchiste, S. 48; Dupuy, La provocation en droit pénal, S. 1; Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 16. 35 Fabreguettes, De la complicité intellectuelle et des délits d’opinion – de la provocation et de l’apologie criminelles – de la propaganda anarchiste, S. 48. 36 Dupuy, La provocation en droit pénal, S. 1. 37 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 16. 38 Garraud, Traité théorique et pratique du droit pénal français, tome 3, Rn. 911; Dupuy, La provocation en droit pénal, S. 37. 39 Portolano, Essai d’une théorie générale de la provocation, S. 86. 40 Portolano, Essai d’une théorie générale de la provocation, S. 86. 41 Dupuy, La provocation en droit pénal, S. 37. 42 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 58.
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Als weitere Bedingung der Provokation i. S. von Art. 121-7 CP wird verlangt, dass sie direkt und individualisiert ist. Eine Provokation gilt als direkt, wenn die Straftat, zu dessen Begehung provoziert wird, hinreichend bestimmt ist.43 Eine vage Provokation dazu, irgendein Unrecht zu tun, ohne weiter zu bestimmen, welche Straftat gemeint ist, reicht hingegen nicht aus.44 Es wird jedoch nicht verlangt, dass vom Provokateur der Ort, das Opfer oder eine genaue Zeit angegeben wird. Zudem muss die Provokation hinreichend explizit sein; eine einfache Einwirkung auf die Gefühle anderer Personen, ein einfaches Aufstacheln oder eine Beeinflussung des Gemütszustandes ohne einen expliziten und ausdrücklichen Appell können also nicht als eine direkte Provokation nach Art. 121-7 bewerten werden.45 Professor Cuche verbildlicht dies, indem er im Rahmen seiner Erläuterungen des Art. 121-7 CP auf die von Racine verfasste Tragödie Britannicus referiert und diesbezüglich sagt: „Narcisse, qui se contente d’attiser la haine de Néron contre Britannicus, n’est pas complice de l’empoisonnement de Britannicus, qu’il n’a pas directement suggéré“.46 Die Provokation muss jedoch nicht nur direkt, sondern auch individualisiert sein. Dies bedeutet, dass sie an eine bestimmte Person oder an einen bestimmbaren und begrenzten Personenkreis adressiert sein muss.47 In der Lehre wird diesbezüglich angeführt, dies sei notwendig, damit ein Minimum an Vertrautheit zwischen dem Provokateur und dem oder den Provozierten besteht, was wiederum als notwendige Voraussetzung dafür erachtet wird, dass die Provokation überhaupt zum Tragen kommen kann.48 Unter einer Provokation i. S. von Art. 121-7 CP wird dabei sowohl das Hervorrufen eines Tatentschlusses als auch die einfache Bekräftigung eines bereits vorhandenen Tatwunsches verstanden.49 Die Provokation muss schlussendlich erfolgreich sein und zur Begehung einer Straftat oder wenigstens zu einer versuchten Straftat führen (provocation suivi d’effet).
e) Subjektiver Tatbestand Die Verwendung des Wortes „sciemment“ lässt erkennen, dass der Teilnehmer vorsätzlich gehandelt haben muss, d. h., dass ihm bewusst gewesen sein muss, dass er sich an einer rechtswidrigen Tat beteiligt und dass er gewollt haben muss, eine Unterstützungshandlung zu einer Straftat zu leisten und sich damit an letz-
43
Pierre-André Bon, La causalité en droit pénal, S. 108. Dreyer, Droit pénal général, S. 853. 45 Dreyer, Droit pénal général, S. 854. 46 Cuche, Précis de droit criminel, S. 129. Eigene Übersetzung: „Narcisse, der sich damit begnügt, Néros Hass gegen Britannicus zu schüren, ist nicht Teilnehmer der Vergiftung von Britannicus, da er dies nicht direkt vorgeschlagen hat.“ 47 Conte / Maistre du Chambon, droit pénal général, 225; Bouloc, Droit pénal général, Rn. 359. 48 Besse, La pénalisation de l’expression publique, S. 57. 49 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 242. 44
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terer zu beteiligen.50 Für die Provokation im Rahmen des Art. 121-7 CP bedarf es außerdem eines sogenannten Spezialvorsatzes (dol spécial). Diesbezüglich wird verlangt, dass der Provokateur gewusst und gewollt haben muss, dass eine dritte Person auf der Basis seiner Provokation die Straftat begehen wird.51 Der Provokateur muss sich dessen bewusst gewesen sein, dass seine Handlung den Haupttäter dazu veranlasst hat, die Straftat zu begehen. Das Wissen allein, dass eventuell ein Schaden eintreten könnte, reicht hingegen nicht aus.52
f) Quintessenz Erfasst wird in Art. 121-7 CP lediglich eine Provokation, die direkt und vermittels mindestens eines der aufgeführten Beeinflussungsmittel (adminicules) erfolgt ist. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die Provokation einen hinreichend großen Druck auf den Willen einer anderen Person ausüben muss, um von dem Tatbestand erfasst zu werden. Die Provokation muss über eine einfache Einwirkung auf die Gefühle, ein einfaches Aufstacheln oder eine einfache Beeinflussung des Gemütszustandes hinausgehen.
2. Erfolglose, direkte Provokation zu einem Mord oder einer Vergiftung (Artikel 221-5-1 CP) In der Lehre wird im Rahmen der Untersuchung des Art. 221-5-1 CP von einer Provokation gesprochen, obwohl der Begriff im Gesetzestext selbst nicht verwendet wird.53 Dies lässt sich u. a. damit erklären, dass die in der Vorschrift verlangten Beeinflussungsmittel denen der Provokation in Art. 121-7 CP entsprechen.54 Aus diesem Grund wird auch in der vorliegenden Arbeit der Begriff der Provokation in Bezug auf den Art. 221-5-1 CP verwendet, zumal auf diese Weise eine andernfalls nötige Wiederholung der Aufzählung der Provokationsmittel vermieden werden kann.
50
Conte / Maistre du Chambon, droit pénal général, S. 226. CA Nancy, 10 oct. 1950, Gaz. Pal. 1951. 1; Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 325. 52 Pin, Droit pénal général, Rn. 333. 53 Angevin / Carbonaro, JCl. Pénal Code, Art. 221-1 à 221-5-3, fasc. 20, Rn. 1; Véron, Droit pénal spécial, S. 42. 54 Vgl. Portolano, Essai d’une théorie générale de la provocation, S. 78. 51
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a) Geltender Normtext In Art. 221-5-1 CP wird die direkte Provokation zu einem Mord oder einer Vergiftung bestraft, wenn die Provokation weder zu einer Tatbegehung noch zu einem Versuch geführt hat. Die Vorschrift lautet wie folgt: Le fait de faire à une personne des offres ou des promesses ou de lui proposer des dons, présents ou avantages quelconques afin qu’elle commette, y compris hors du territoire national, un assassinat ou un empoisonnement est puni, lorsque ce crime n’a été ni commis ni tenté, de dix ans d’emprisonnement et de 150 000 euros d’amende.55
b) Geschichtlicher Überblick Im Jahr 1992 wurde im Rahmen der Diskussionen um den neuen code pénal die Abwesenheit einer Bestrafung der direkten Provokation ohne Erfolg kritisiert.56 In der Tat war die damalige Situation so, dass durch Art. 121-7 CP nur die direkte Provokation mit Erfolg erfasst und mit Art. 24 LLP zwar die erfolglose Provokation zu bestimmten Straftaten erfasst werden konnte, jedoch musste diese Provokation öffentlich erfolgen. Es fehlte also eine Vorschrift, die das Provozieren einer bestimmten Person zu einer bestimmten Tat unter Strafe stellt, wenn die Provokation nicht zur Begehung einer Haupttat geführt hatte und es auch nicht zu einem Versuch gekommen war. Im Zuge der Novellierung des code pénal im Jahr 1994 wurde vorgeschlagen, allgemein die direkte und erfolglose Provokation strafrechtlich zu ahnden und in den neuen code pénal eine entsprechende Vorschrift einzuführen. In diesem Kontext wurde von einer „versuchten Teilnahme“ (tentative de complicité) gesprochen.57 Dieser Vorschlag wurde vom Parlament jedoch mit der Begründung abgewiesen, dass bei der Einführung einer solchen Vorschrift insofern ein Risiko bestünde, als es in der Praxis vorkomme, dass Personen falsche Anschuldigungen äußern. Faktisch Unschuldige könnten somit fälschlicherweise beschuldigt werden, andere zur Begehung einer Straftat provoziert zu haben, ohne dass das Gegenteil bewiesen werden könnte.58 Letztendlich wurde jedoch trotz dieser Bedenken mit dem Gesetz vom 9. März 2004 (auch „loi Perben II“ genannt) in Art. 221-5-1 des code pénal die provocation 55 Übersetzung Art. 221-5-1 CP: „Wer einer Person Angebote oder Versprechungen macht oder ihr Zuwendungen, Geschenke oder sonstige Vergütungen anbietet, damit sie, auch außerhalb des französischen Staatsgebietes, einen Mord oder eine Vergiftung begeht, wird, wenn die Verbrechen weder begangen noch versucht worden sind, mit zehn Jahren Gefängnis und 150.000 Euro Geldstrafe bestraft.“ 56 Angevin / Carbonaro, JCl. Pénal Code, Art. 221-1 à 221-5-3, fasc. 20, Rn. 222. 57 Desportes / Le Gunehec, Droit pénal général, Rn. 553. 58 Desportes / Le Gunehec, Droit pénal général, Rn. 553; Angevin / Carbonaro, JCl. Pénal Code, Art. 221-1 à 221-5-3, fasc. 20, Rn. 223.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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spéciale (besondere Provokation) eingeführt, die sich allerdings ausschließlich auf die erfolglose Provokation zum Mord oder zur Vergiftung bezieht.59 Durch das Gesetz vom 30. Juli 2020 wurde der Anwendungsbereich dieser Strafvorschrift erweitert. So wurde ergänzt, dass fortan auch solche Provokationen durch die Vorschrift erfasst werden, die außerhalb des französischen Staatsgebiets begangen werden.60
c) Strafbegründung Mit der Einführung von Art. 221-5-1 CP verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, auch diejenige Form der Provokation zu erfassen, die nicht dazu führt, dass die anvisierte Haupttat begangen wird.61 Art. 221-5-1 CP soll zu diesem Zweck Art. 121-7 CP erweitern. Das wird auch aus der Debatte im Parlament über die Aufnahme der Vorschrift in den code pénal deutlich.62 Bei dem Erlass des Gesetzes am 9. März 2004 zielte der Gesetzgeber insbesondere darauf ab, solche Provokationen zu erfassen, die im Bereich der OK stattfinden.63 So wurde angeführt, dass es vornehmlich innerhalb der OK zu Auftragsmorden komme.64 Die Bestrafung der erfolglosen Provokation zu einem Mord oder zu einer Vergiftung wurde außerdem als besonders gefährlich anerkannt, weil es sich bei den Straftaten, zu denen hier provoziert wird, d. h. bei der Vergiftung und dem Mord, um besonders schwere Verbrechen handelt: „des actes hautement répréhensible“ (äußerst verwerfliche Taten).65 Mit der Einführung der Vorschrift in Buch II (Verbrechen und Vergehen gegen Personen), Titel II, Kapitel I, Sektion I (Vorsätzliche Angriffe auf das Leben) wird deutlich, dass die Vorschrift an erster Stelle darauf abzielt, das Leben und die physische Integrität von Personen zu schützen.66
59 Loi n° 2004-204 du 9 mars 2004 portant adaptation de la justice aux évolutions de la criminalité, Art. 24. 60 LOI n° 2020-936 du 30 juillet 2020 visant à protéger les victimes de violences conjugales. 61 Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 28. 62 Angevin / Carbonaro, JCl. Pénal Code, Art. 221-1 à 221-5-3, fasc. 20, Rn. 223. 63 Angevin / Carbonaro, JCl. Pénal Code, Art. 221-1 à 221-5-3, fasc. 20, Rn. 223. Das Ziel des Gesetzgebers, besonders solche Provokationen zu erfassen, die im Bereich der Organisierten Kriminalität stattfinden, lässt sich auch daran erkennen, dass die Vorschrift im Rahmen des Kapitels 1 „Dispositions concernant la lutte contre la délinquance et la criminalité organisées“ (Bestimmungen zum Kampf gegen die Organisierte Kriminalität) des Gesetzes vom 9. März 2009 eingeführt wurde. 64 Véron, Droit pénal spécial, S. 42. 65 Angevin / Carbonaro, JCl. Pénal Code, Art. 221-1 à 221-5-3, fasc. 20, Rn. 219. 66 Vgl. Malabat, Droit pénal spécial, S. 67.
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d) Objektiver Tatbestand Es handelt sich hierbei um eine direkte Provokation ohne Erfolg.67 Die Vorschrift wird in der Lehre daher mitunter auch als mandat criminel (krimineller Auftrag) bezeichnet.68 Dieser Ausdruck wird jedoch auch kritisiert, da es für die Strafbarkeit der Provokation zum Mord oder zur Vergiftung im Gegensatz zu einem Auftrag gerade nicht notwendig sei, dass der Vorschlag zur Tatbegehung von dem Provozierten angenommen wird.69
aa) Tathandlung Wie in Art. 121-7 CP wird nur die direkte Provokation bestraft, die durch die im Artikel aufgezählten Mittel (adminicules) erfolgt. Die Liste ist abschließend.70 Die Aufzählung der Beeinflussungsmittel für die erfolglose Provokation zur Vergiftung und zum Mord unterscheidet sich jedoch insofern von der in Art. 121-7 CP, als die Drohung, der Befehl und der Machtmissbrauch von Art. 221-5-1 CP nicht erfasst werden. Somit wird in Art. 221-5-1 CP ausschließlich die erfolglose direkte Provokation bestraft, die durch Angebote, Versprechungen oder das Anbieten von Zuwendungen, Geschenken oder anderen Vergütungen erfolgt. Aus der Anwesenheit der adminicules wird geschlossen, dass ein einfaches Einwirken auf Gefühle und Leidenschaften oder die Schaffung eines straftatenfördernden Klimas nicht ausreichen, um als Provokation von Art. 221-5-1 CP erfasst zu werden.71 Es bedarf hierfür einer expliziten und direkten Provokation, die über wenigstens eines der aufgeführten adminicules erfolgt.72 Der Provokateur muss außerdem deutlich machen, dass er zur Begehung einer bestimmten Tat provoziert.73 Es muss deutlich erkennbar werden, dass zu der Begehung eines Mordes oder einer Vergiftung provoziert wird.74 Außerdem muss die Provokation an eine bestimmte Person adressiert sein.75 Nicht erfasst werden demzufolge Provokationen, die an eine breite und unbestimmte Öffentlichkeit gerichtet sind. Es ist jedoch nicht erforderlich, dass die Provokation zu einer tatsächlichen Schädigung des Opfers geführt hat. Es handelt sich demzufolge um eine infraction formelle.76 67
Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 28. Z. B. Ponseille, L’incrimination du mandat criminel, DP 2004, étude 10. 69 Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 28. 70 Angevin / Carbonaro, JCl. Pénal Code, Art. 221-1 à 221-5-3, fasc. 20, Rn. 224. 71 Angevin / Carbonaro, JCl. Pénal Code, Art. 221-1 à 221-5-3, fasc. 20, Rn. 223. 72 Angevin / Carbonaro JCl. Pénal Code, Art. 221-1 à 221-5-3, fasc. 20, Rn. 223. 73 Angevin / Carbonaro JCl. Pénal Code, Art. 221-1 à 221-5-3, fasc. 20, Rn. 223. 74 Malabat, Droit pénal spécial, S. 75 f. 75 Angevin / Carbonaro JCl. Pénal Code, Art. 221-1 à 221-5-3, fasc. 20, Rn. 228; Malabat, Droit pénal spécial, S. 76. 76 Malabat, Droit pénal spécial, S. 76.; a. A. Ponseille, RSC 2009, S. 535 (infraction obstacle). 68
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bb) Provokation zum Mord oder zur Vergiftung Die Vergiftung ist in Art. 221-5 CP definiert und setzt eine substance mortifère (eine tödliche Substanz) voraus, deren genauere Beschaffenheit vom Gesetzgeber jedoch nicht definiert wurde. Da es keine gesetzliche Liste tödlicher Substanzen gibt, verfügt der Richter in seinem Urteil darüber, ob es sich um eine tödliche Substanz handelt, über einen weiten Ermessensspielraum.77 Wichtig ist jedoch, dass der Tod aus der Anwendung oder der Verabreichung der Substanz resultiert.78 Beim Mord handelt es sich nicht um eine autonome Straftat, sondern um einen verschärften Tatbestand (infraction aggravée) mit erhöhter Strafandrohung. Art. 221-3 CP zufolge handelt es sich dann um einen Mord, wenn der Täter mit Vorbedacht79 agiert oder wenn der Totschlag aus dem Hinterhalt erfolgt. Für die Untersuchung der Frage, ob die Tat vorbedacht war, müssen nicht nur die psychologische Einstellung des Täters, sondern auch die materiellen (Hat der Täter vor der Tat Vorbereitungen getroffen?) sowie die temporalen Elemente (Wieviel Zeit liegt zwischen der Entscheidung und der Tatbegehung?) untersucht werden.80 Artikel 132-71-1 CP zufolge handelt es sich dann um einen Hinterhalt, wenn an einem bestimmten Ort über einen gewissen Zeitraum hinweg auf eine oder mehrere Personen gewartet wird, um gegen diese eine Straftat zu begehen.81 Erfasst wird seit dem 30. Juli 2020 auch die direkte Provokation zu Morden oder Vergiftungen, die im Ausland begangen werden, unabhängig davon, ob die Täter dafür im Ausland verurteilt werden.82
e) Subjektiver Tatbestand Verlangt wird hier ein dol spécial (Spezialvorsatz) oder genauer gesagt ein animus necandi, d. h., dass der Täter den Tod, verursacht durch einen Dritten, des von ihm designierten Opfers gewollt haben muss.83 Dem Täter muss in dem Moment, in dem er provoziert, bewusst sein, dass seine Provokation zum Tod des Opfers führen wird.84
77
Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 39. Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 38. 79 Der Vorbedacht ist in Art. 132-72 CP normiert: „Der Vorbedacht ist der vor der Handlung gefasste Plan, ein bestimmtes Verbrechen oder Vergehen zu begehen.“ 80 Conte, Droit pénal spécial, Rn. 60. 81 Vertiefend zum Begriff des Vorbedachts und dem Hinterhalt sowie der Unterscheidung zwischen beiden siehe De Jacobet de Nombel, L’originalité de la circonstance aggravante de guet-apens, RSC 2010, 545–560. 82 Circulaire, 3 août 2020, n° CRIM-2020-17-H2-03/08/2020, S. 6 f. 83 Angevin / Carbonaro, JCl. Pénal Code, Art. 221-1 à 221-5-3, fasc. 20, Rn. 231. 84 Angevin / Carbonaro, JCl. Pénal Code, Art. 221-1 à 221-5-3, fasc. 20, Rn. 49. 78
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Der Tatbestand ist demzufolge nicht erfüllt, wenn der Täter einen anderen dazu provoziert hat, das Opfer lediglich zu schlagen (porter des coups). Dies gilt auch dann, wenn das Opfer infolge der Schläge stirbt.85
f) Quintessenz Es wird lediglich die Provokation zu bestimmten Straftaten erfasst, die durch die im Tatbestand aufgezählten Mittel („adminicules“) erfolgt. Damit wird deutlich, dass die Provokation einen gewissen Handlungsdruck zum Ausdruck bringen muss und über eine einfache Einwirkung auf Gefühle hinausgeht.
3. Erfolglose direkte Provokation zur Vergewaltigung (Art. 222-26-1 CP) a) Geltender Normtext Art. 222-26-1 CP lautet wie folgt: Le fait de faire à une personne des offres ou des promesses ou de lui proposer des dons, présents ou avantages quelconques afin qu’elle commette un viol, y compris hors du territoire national, est puni, lorsque ce crime n’a été ni commis, ni tenté, de dix ans d’emprisonnement et de 150 000 € d’amende.86
b) Geschichtlicher Überblick Der Art. 222-26-1 CP wurde zusammen mit Art. 222-6-4 CP und Art. 22230-2 CP durch das Gesetz zum Schutz der Opfer von häuslicher Gewalt vom 30. Juli 2020 eingeführt.87 In dem offiziellen Bericht, der im Namen des Gesetzesausschusses des Senats für die Diskussionen über das neue Gesetz angefertigt wurde, wird angeführt, dass diese neuen Vorschriften zwar als noch sehr weit entfernt vom eigentlichen Ziel des Gesetzes – dem Kampf gegen häusliche Gewalt – erscheinen können.88 Es sei jedoch äußerst wichtig, diese neuen Tatbestände so schnell wie möglich einzuführen, da der Strafjustiz neue Instrumente an die
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Angevin / Carbonaro JCl. Pénal Code, Art. 221-1 à 221-5-3, fasc. 20, Rn. 231. Übersetzung Art. 222-26-1 CP: „Wer einer Person Angebote oder Versprechungen macht oder ihr Zuwendungen, Geschenke oder sonstige Vergütungen anbietet, damit sie, auch außerhalb des französischen Staatsgebiets, eine Vergewaltigung begeht, wird, wenn das Verbrechen weder begangen noch versucht worden ist, mit zehn Jahren Gefängnis und 150.000 Euro Geldstrafe bestraft.“ 87 Loi n° 2020-936 du 30 juillet 2020 visant à protéger les victimes de violences conjugales. 88 Rapport n° 482 (2019–2020) de Mme Marie Mercier, fait au nom de la commission des lois, déposé le 3 juin 2020, Art. 11 bis. 86
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Hand gegeben werden müssen, um solche „verabscheuungswürdigen“ („odieux“) Handlungen, wie sie durch die neuen Artikel erfasst werden, zu bestrafen. Dies sei insbesondere aufgrund der Entwicklung der digitalen Medien nötig, welche die Begehung solcher Taten vereinfachen.89
c) Strafbegründung Bei der Einführung des Art. 222-26-1 CP verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, strafrechtlich gegen Videos vorzugehen, die von Franzosen insbesondere über das Darknet erhalten werden und in denen Verbrechen und u. a. auch sexuelle Übergriffe gezeigt werden, die im Ausland begangen wurden.90 Erfasst werden sollen mit der Vorschrift solche direkten Provokationen, die erfolglos geblieben sind, weil entweder die Provokation faktisch erfolgslos war oder aber durch die Untersuchung nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, ob die Provokation erfolgreich war oder nicht.91 Mit Blick auf die Stellung des Art. 222-26-1 in Buch II, Titel II (Angriffe gegen Menschen), Kapitel II (Verletzungen der körperlichen oder seelischen Unversehrtheit der Person) des CP wird deutlich, dass durch diesen Artikel in erster Linie die körperliche und seelische Unversehrtheit der Person geschützt werden soll.
d) Objektiver Tatbestand aa) Tathandlung Art. 222-26-1 CP beruht auf dem gleichen Modell wie Art. 221-5-1 CP.92 Seine einzige Funktion besteht darin, den Anwendungsbereich der erfolglosen direkten und individuellen Provokation auf die Vergewaltigung zu erweitern. Demzufolge wird, wie in Art. 121-7 CP und Art. 221-5-1 CP, nur die direkte Provokation bestraft, die durch die im Artikel abschließend aufgezählten Mittel (adminicules) erfolgt. Erfasst wird in Art. 222-26-1 CP ausschließlich die erfolglose Provokation, die durch Angebote oder Versprechungen oder durch das Anbieten von Zuwendungen, Geschenken oder sonstigen Vergütungen erfolgt. Aus der Anwesenheit der adminicules lässt sich schließen, dass ein einfaches Einwirken auf Gefühle
89 Rapport n° 482 (2019–2020) de Mme Marie Mercier, fait au nom de la commission des lois, déposé le 3 juin 2020, Art. 11 bis. 90 Rapport n° 482 (2019–2020) de Mme Marie Mercier, fait au nom de la commission des lois, déposé le 3 juin 2020, Art. 11 bis. 91 Rapport n° 482 (2019–2020) de Mme Marie Mercier, fait au nom de la commission des lois, déposé le 3 juin 2020, Art. 11 bis. 92 Rousseau, AJ Pénal 2020. 396.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
und Leidenschaften oder die Schaffung eines straftatenfördernden Klimas nicht ausreichen.93 Wie bei Art. 221-5-1 CP muss der Provokateur auch hier deutlich machen, dass er zur Begehung einer bestimmten Tat bzw. einer Vergewaltigung provoziert. Der Wortlaut der Vorschrift („de faire à une personne“) lässt erkennen, dass die Provokation an eine bestimmte Person adressiert sein muss. Nicht erfasst wird demzufolge eine Provokation, die an eine breite und unbestimmte Öffentlichkeit gerichtet ist. Die Vorschrift erfasst die direkte erfolglose Provokation, die weder versucht noch vollendet worden ist („lorsque ce crime n’a été ni commis, ni tenté“). Es ist demzufolge nicht erforderlich, dass die Provokation zu einer tatsächlichen Schädigung des Opfers geführt hat. Aus diesem Grund handelt es sich wie auch bei Art. 2215-1 CP um eine infraction formelle.
bb) Provokation zur Vergewaltigung In Art. 222-26-1 CP wird die direkte und erfolglose Provokation zur Vergewaltigung unter Strafe gestellt. Die strafrechtliche Ahndung der Vergewaltigung ist in den Art. 222-23 bis 222-26-1 CP geregelt. Art. 222-23 CP definiert die Vergewaltigung als jede Art der sexuellen Penetration, die an einer anderen Person unter Anwendung von Gewalt, Zwang, Drohung oder durch Ausnutzung von Überraschung begangen wird. Sie wird mit 15 Jahren Gefängnis bestraft. In den Art. 222-24 bis 222-26 CP werden die erschwerenden Umstände präzisiert. So wird die Vergewaltigung, die an Minderjährigen unter 15 Jahren begangen wird, mit 20 Jahren Gefängnis bestraft (Art. 222-24 Nr. 1 CP) oder mit 30 Jahren Gefängnis, wenn die Vergewaltigung zum Tode des Opfers geführt hat (Art. 222-25 CP). Erfasst werden durch den Tatbestand außerdem auch Provokationen zu Vergewaltigungen, die im Ausland begangen wurden, unabhängig davon, ob der Täter der Vergewaltigung im Ausland verurteilt wurde oder nicht.94
e) Subjektiver Tatbestand Es handelt sich hier um eine infraction intentionelle, wobei ein dol général ausreicht. Demzufolge muss der Täter vorsätzlich handeln. Der Täter muss zumindest gewollt haben, den Tatbestand zu verwirklichen, und sich dessen bewusst gewesen sein, dass er gegen das Gesetz verstößt. Im Unterschied zu Art. 221-5-1 CP wird hier jedoch kein Spezialvorsatz verlangt. 93 94
Siehe oben Art. 221-5-1 CP in Teil 2 Kapitel 2 B. I. 2. d). Circulaire, 3 août 2020, n° CRIM-2020-17-H2-03/08/2020, S. 6 f.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
211
f) Quintessenz Wie im Fall der bereits angeführten direkten Provokationen wird für Art. 22226-1 CP verlangt, dass die Provokation über bestimmte Beeinflussungsmittel erfolgt. Daraus lässt sich schließen, dass die Provokation einen gewissen Handlungsdruck ausüben muss. Erfasst wird außerdem lediglich die Provokation zu einer bestimmten Tat, der Vergewaltigung.
4. Erfolglose direkte Provokation zu sexuellen Angriffen (Art. 222-30-2 CP) a) Geltender Normtext In Artikel 222-30-2 CP wird die Provokation zu sexuellen Angriffen unter Strafe gestellt, die weder in Versuchen noch in Vollendungen gemündet haben: Le fait de faire à une personne des offres ou des promesses ou de lui proposer des dons, présents ou avantages quelconques afin qu’elle commette une agression sexuelle, y compris hors du territoire national, est puni, lorsque cette agression n’a été ni commise, ni tentée, de cinq ans d’emprisonnement et de 75 000 € d’amende. Lorsque l’agression sexuelle devait être commise sur un mineur, les peines sont portées à sept ans d’emprisonnement et à 100 000 € d’amende.95
b) Geschichtlicher Überblick Art. 222-30-2 CP wurde zusammen mit Art. 222-6-4 CP und Art. 222-26-1 CP durch das Gesetz zum Schutz der Opfer von häuslicher Gewalt vom 30. Juli 2020 in den CP eingeführt.96
c) Strafbegründung Mit Art. 222-30-2 CP, Art. 222-6-4 CP und Art. 222-26-1 CP zielt der Gesetzgeber darauf ab, zu verhindern, dass französische Staatsbürger andere dazu provozieren, ihnen Videos von bestimmten Straftaten, die im Ausland begangen 95 Art. 222-30-2 CP: „Wer einer Person Angebote oder Versprechungen macht oder ihr Zuwendungen, Geschenke oder sonstige Vergütungen anbietet, damit sie, auch außerhalb des französischen Staatsgebiets, einen sexuellen Angriff begeht, wird, wenn der Angriff weder begangen noch versucht worden ist, mit fünf Jahren Gefängnis und 75.000 Euro Geldstrafe bestraft. Soll der sexuelle Angriff gegenüber einem Minderjährigen begangen werden, erhöht sich die Strafe auf sieben Jahre Gefängnis und 100.000 Euro Geldstrafe.“ 96 Loi n° 2020-936 du 30 juillet 2020 visant à protéger les victimes de violences conjugales.
212
2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
wurden, zukommen zu lassen.97 Die Vorschrift befindet sich in Buch II, Titel II (Angriffe gegen Menschen), Kapitel II (Verletzungen der körperlichen oder seelischen Unversehrtheit der Person) des CP. Diese Stellung macht deutlich, dass mit dem Tatbestand in erster Linie die körperliche und seelische Unversehrtheit der Person geschützt werden soll.98
d) Objektiver Tatbestand aa) Tathandlung Art. 222-30-2 CP ist ähnlich wie Art. 221-5-1 CP aufgebaut, der der Norm als Inspiration gedient hat.99 Art. 222-30-2 CP erfasst nur die direkte Provokation, die durch die im Artikel abschließend aufgezählten Mittel (adminicules) erfolgt. Erfasst wird demzufolge ausschließlich die direkte und erfolglose Provokation, die durch Angebote oder Versprechungen oder das Anbieten von Zuwendungen, Geschenken oder sonstigen Vergütungen erfolgt. Angesichts der adminicules kann geschlossen werden, dass ein einfaches Einwirken auf Gefühle und Leidenschaften oder die Schaffung eines straftatenfördernden Klimas nicht ausreicht.100 Wie bei Art. 221-5-1 CP muss der Provokateur auch hier deutlich machen, dass er zur Begehung einer bestimmten Tat bzw. zu bestimmten sexuellen Angriffen provoziert. Der Wortlaut der Vorschrift („de faire à une personne“) lässt erkennen, dass die Provokation an eine bestimmte Person adressiert sein muss. Die Vorschrift erfasst die erfolglose Provokation, die weder versucht noch vollendet wurde („lorsque ce crime n’a été ni commis, ni tenté“). Somit handelt es sich wie bei Art. 221-5-1 CP um eine infraction formelle. bb) Provokation zu sexuellen Angriffen Unter sexuellen Angriffen müssen laut Art. 222-22 CP solche Handlungen verstanden werden, die einen sexuellen Übergriff darstellen, der unter Anwendung von Zwang, Gewalt, Drohungen oder der Ausnutzung von Überraschungen ausgeführt wurde. Der code pénal bestraft als sexuellen Angriff sowohl die Vergewaltigung (Art. 222-23 bis 222-26 CP) als auch andere sexuelle Angriffe (Art. 222-27 bis 22233-1 CP). In der Kategorie der anderen sexuellen Angriffe neben der Vergewal97 Circulaire CRIM-2020-17-H2-03/08/2020: Présentation des dispositions de droit pénal immédiatement applicables de la loi n°2020-936 du 30 juillet 2020 visant à protéger les victimes de violences conjugales. 98 Für weitere Ausführungen bezüglich des durch den Gesetzgeber verfolgten Ziels bei der Einführung der neuen Artikel kann auf die Erläuterungen bezüglich Art. 222-26-1 CP in der vorliegenden Arbeit verwiesen werden. 99 Rousseau, AJ Pénal 2020. 396. 100 Siehe Art. 221-5-1 CP oben in Teil 2 Kapitel 2 B. I. 2. d).
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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tigung können sowohl solche erfasst werden, bei denen es zu einem körperlichen Kontakt kommt, als auch solche ohne körperlichen Kontakt (z. B. die sexuelle Belästigung oder die sexuelle Zurschaustellung).101 Die sexuellen Angriffe sind von den sexuellen Beeinträchtigungen, die in Art. 227-25 ff. CP normiert werden, zu unterscheiden. Letztere sind dadurch charakterisiert, dass es sich bei ihnen um sexuelle Übergriffe handelt, die im Gegensatz zu den sexuellen Angriffen jedoch ohne Gewalt, Zwang, Drohungen oder Ausnutzung von Überraschung begangen werden.102 Erfasst werden durch den Tatbestand auch direkte Provokationen zu sexuellen Angriffen, die im Ausland begangen wurden, unabhängig davon, ob die Täter der sexuellen Angriffe im Ausland verurteilt wurden oder nicht.103
e) Subjektiver Tatbestand Es handelt sich hier um eine infraction intentionelle. Demzufolge muss der Täter gewollt haben, den Tatbestand zu verwirklichen, und sich dessen bewusst gewesen sein, dass er gegen das Gesetz verstößt (dol général).
f) Quintessenz Die Provokation muss auch hier über die im Tatbestand aufgezählten Mittel erfolgen und bezieht sich somit auf eine bestimmte Tat. Dies schließt solche Provokationen aus, die sich lediglich an Gefühle oder Emotionen richten.
5. Erfolglose direkte Provokation zur Folter und brutalen Misshandlungen (Art. 222-6-4 CP) a) Geltender Normtext Art. 222-6-4 CP lautet wie folgt: Le fait de faire à une personne des offres ou des promesses ou de lui proposer des dons, présents ou avantages quelconques afin qu’elle commette, y compris hors du territoire national, un des crimes prévus par le présent paragraphe est puni, lorsque ce crime n’a été ni commis, ni tenté, de dix ans d’emprisonnement et de 150 000 € d’amende.104 101
Conte, Droit pénal spécial, Rn. 247 ff. Conte, Droit pénal spécial, Rn. 273. 103 Circulaire, 3 août 2020, n° CRIM-2020-17-H2-03/08/2020, S. 6 f. 104 Art. 222-6-4 CP: „Wer einer Person Angebote oder Versprechungen macht oder ihr Zuwendungen, Geschenke oder sonstige Vergütungen anbietet, damit sie, auch außerhalb des französischen Staatsgebiets, eines der in diesem Paragrafen aufgeführten Verbrechen begeht, wird, wenn das Verbrechen weder begangen noch versucht worden ist, mit zehn Jahren Gefängnis und 150.000 Euro Geldstrafe bestraft.“ 102
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
b) Geschichtlicher Überblick Art. 222-6-4 CP wurde zusammen mit Art. 222-30-2 CP und Art. 222-26-1 CP durch das Gesetz zum Schutz der Opfer von häuslicher Gewalt vom 30. Juli 2020 in den CP eingeführt.105
c) Strafbegründung Wie die beiden anderen Vorschriften, die durch das Gesetz vom 30. Juli 2020 eingeführt wurden, befindet sich auch diese Vorschrift in Buch II, Titel II (Angriffe gegen Menschen), Kapitel II (Verletzungen der körperlichen oder seelischen Unversehrtheit der Person) des CP. Daraus wird deutlich, dass mit ihr in erster Linie die körperliche und seelische Unversehrtheit der Person geschützt werden soll.106
d) Objektiver Tatbestand aa) Tathandlung Art. 222-6-4 CP ist ähnlich wie Art. 221-5-1 CP aufgebaut, der auch dieser Norm als Inspiration gedient hat.107 Art. 222-6-4 CP erfasst nur die direkte Provokation, die durch die im Artikel abschließend aufgezählten Mittel (adminicules) erfolgt. Erfasst wird demzufolge ausschließlich die direkte und erfolglose Provokation, die durch Angebote oder Versprechungen oder durch das Anbieten von Zuwendungen, Geschenken oder sonstigen Vergütungen erfolgt. Angesichts der adminicules kann geschlossen werden, dass ein einfaches Einwirken auf Gefühle und Leidenschaften oder die Schaffung eines straftatenfördernden Klimas nicht ausreicht.108 Wie bei Art. 221-5-1 CP und den beiden anderen Tatbeständen, die auf dem gleichen Modell wie Art. 224-5-1 CP aufgebaut sind, muss der Provokateur deutlich machen, dass er zur Begehung einer bestimmten Tat bzw. zu einem bestimmten sexuellen Angriff provoziert. Der Wortlaut der Vorschrift („de faire à une personne“) lässt erkennen, dass die Provokation an eine bestimmte Person adressiert sein muss. Die Vorschrift erfasst die erfolglose Provokation, die weder versucht noch vollendet wurde („lorsque ce crime n’a été ni commis, ni tenté“). Es handelt sich demnach um eine infraction formelle.
105
Loi n° 2020-936 du 30 juillet 2020 visant à protéger les victimes de violences conjugales. Für weitere Ausführungen bezüglich des verfolgten Ziels des Gesetzgebers bei der Einführung der neuen Artikel kann auf die Erläuterungen bezüglich Art. 222-26-1 CP in der vorliegenden Arbeit verwiesen werden. 107 Rousseau, AJ Pénal 2020. 396. 108 Siehe oben Art. 221-5-1 CP, Teil 2 Kapitel 2 B. I. 2. d). 106
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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bb) Provokation zu Folter und brutalen Misshandlungen Artikel 222-6-4 CP erfasst die erfolglose und direkte Provokation zu Folter und brutalen Misshandlungen. Es fehlt jedoch eine gesetzliche Definition der Begriffe „Folter“ und „brutale Misshandlung“.109 So legt Art. 222-1 CP lediglich die Strafe für denjenigen fest, der eine andere Person foltert oder brutal misshandelt (15 Jahre Gefängnis). Der Cour de cassation hat in ihrer Entscheidung vom 21. Juni 2017 präzisiert, dass sowohl der Begriff der Folter als auch der der brutalen Misshandlung in Art. 1 der UN-Antifolterkonvention vom 10. Dezember 1984 definiert werden und dass diese Definitionen für den code pénal gelten.110 Erfasst werden durch den Tatbestand auch Provokationen zu Folter und brutalen Misshandlungen, die im Ausland begangen werden, unabhängig davon, ob die Täter der Folter und brutalen Misshandlungen im Ausland verurteilt wurden oder nicht.111
e) Subjektiver Tatbestand Wie im Falle der anderen erfolglosen, direkten und individuellen Provokationen, die im CP normiert sind, handelt es sich auch hier um eine infraction intentionelle, wobei ein dol général ausreicht. Demzufolge muss der Täter gewollt haben, den Tatbestand zu verwirklichen, und sich dessen bewusst gewesen sein, dass er gegen das Gesetz verstößt (dol général).
f) Quintessenz Aufgrund der verlangten Beeinflussungsmittel wird mit Art. 222-6-4 CP lediglich die Provokation erfasst, die einen gewissen Handlungsdruck zum Ausdruck bringt. Außerdem muss sich die Provokation auf eine bestimmte Straftat beziehen.
6. Direkte Provokation zu sexuellen Straftaten gegen Minderjährige (Art. 227-28-3 CP) Art. 227-28-3 CP wurde auf der Basis von Art. 221-5-1 CP, also auf der Basis der direkten und erfolglosen Provokation zur Vergiftung oder zum Mord modelliert. Mithin besteht eine offensichtliche Verwandtschaft zwischen den beiden Vorschriften.112 Wie im Fall von Art. 221-5-1 CP wird auch hier der Begriff „Pro109 110 111 112
Cass. crim. 24 oct. 2007: Bull. crim. 2007, n° 254; Conte, Droit penal special, Rn. 211 ff. Cass. crim. 21 juin 2017, n° 16-84.158: Dr. pén. 2017, n° 121. Circulaire, 3 août 2020, n° CRIM-2020-17-H2-03/08/2020, S. 6 f. Angevin / Letouzay, JCl, Pénal Code, Art. 227-28-3, fasc. 10. Rn. 3.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
vokation“ im Tatbestand nicht eingesetzt. Jedoch wird in der Lehre aufgrund der aufgelisteten Mittel davon ausgegangen, dass es sich hierbei um eine Provokation handelt, weshalb der Tatbestand dementsprechend mit „Provokation“ betitelt wird.113
a) Geltender Normtext In Art. 227-28-3 des code pénal wird die direkte Provokation zu sexuellen Straftaten gegen Minderjährige unter Strafe gestellt: Le fait de faire à une personne des offres ou des promesses ou de lui proposer des dons, présents ou avantages quelconques afin qu’elle commette à l’encontre d’un mineur l’un des crimes ou délits visés aux articles 222-22 à 222-31, 225-5 à 225-11, 227-22, 227-23 et 227-25 à 227-28 est puni, lorsque cette infraction n’a été ni commise ni tentée, de trois ans d’emprisonnement et 45 000 euros d’amende si cette infraction constitue un délit, et de sept ans d’emprisonnement et 100 000 euros d’amende si elle constitue un crime.114
b) Geschichtlicher Überblick Der Artikel wurde durch das Gesetz vom 4. April 2006115 eingeführt. Aus dem Inhalt der diesbezüglich geführten parlamentarischen Debatten wird ersichtlich, dass die Einführung von Art. 227-28-3 Teil der Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie ist. Der Tatbestand ist seit seiner Einführung unverändert.
c) Strafbegründung Es soll verhindert werden, dass eine Person Dritte dazu provoziert, sexuelle Handlungen an Minderjährigen vorzunehmen, da Minderjährige und deren Entwicklung besonders schützenswert sind.116 Geschützt werden sollen die physische 113
Siehe Angevin / Letouzay, JCl, Pénal Code, Art. 227-28-3, fasc. 10. Übersetzung Art. 227-28-3 CP: „Wer einer Person Angebote oder Versprechungen macht oder ihr Zuwendungen, Geschenke oder sonstige Vergütungen anbietet, damit sie eines der Verbrechen oder Vergehen der Art. 222-22 bis 222-31, 225-5 bis 225-11, 227-22, 227-23 und 227-25 à 227-28 gegenüber einem Minderjährigen begeht, wird, wenn die Straftaten weder begangen noch versucht worden sind, mit drei Jahren Gefängnis und 45.000 Euro Geldstrafe bestraft, wenn die Straftat ein Vergehen ist, und mit sieben Jahren und 100.000 Euro Geldstrafe, wenn die Straftat ein Verbrechen ist.“ 115 Loi n° 2006-399 du 4 avril 2006 renforçant la prévention et la répression des violences au sein du couple ou commises contre les mineurs. 116 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 119. 114
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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sowie die psychische Integrität von Minderjährigen.117 Der Schutz dieser Güter spiegelt sich auch in der Stellung der Vorschrift im code pénal wider. So befindet sich die Vorschrift in Buch II, Titel II (Angriffe gegen Menschen), unter dem Kapitel VII (Gefährdung Minderjähriger).
d) Objektiver Tatbestand Art. 227-28-3 CP wurde auf dem Modell des Art. 221-5-1 CP aufgebaut.118 Wie bei Art. 221-5-1 besteht auch hier nur dann eine Provokation i. S. des Art. 22728-3 CP, wenn diese mithilfe der vorgegebenen Mittel der Beeinflussung (den adminicules) erfolgt. Es wird also nur die direkte Provokation bestraft, die durch Versprechungen oder Angebote erfolgt oder bei der Zuwendungen, Geschenke oder sonstige Vergünstigungen angeboten werden. Die Aufzählung der Provokationsmittel lässt darauf schließen, dass eine einfache Einwirkung auf Gefühle und Emotionen oder ein einfacher Rat nicht ausreichen. Sie begrenzt entsprechend die Strafbarkeit; erst durch den Einsatz wenigstens eines dieser Mittel übt die Handlung einen strafbaren Handlungsdruck aus.119 Wie bei Art. 121-7 CP muss die direkte Provokation an eine bestimmte Person oder an einen individualisierbaren Personenkreis adressiert sein.120 Nicht von dem Tatbestand erfasst sind somit direkte Provokationen, die an eine breite Öffentlichkeit gerichtet sind. Die Provokation muss explizit zur Begehung einer der in einer entsprechenden Liste aufgezählten Straftaten provozieren.121 Diese Liste ist abschließend. Außerdem muss zur Begehung einer bestimmten Tat provoziert werden, wobei es sich bei der bestimmten Tat um eine der in Art. 227-28-3 CP aufgezählten Straftaten handeln muss.122 Bestraft wird demzufolge die Provokation zur Vergewaltigung und zu anderen sexuellen Gewalttaten (Art. 222-22 bis 222-31 CP), zur Zuhälterei (Art. 225-5 bis 225-11CP), zur Förderung oder zum Versuch der Förderung der Verderbtheit eines Minderjährigen (Art. 227-22 CP), zur Aufnahme, zum Besitz und zur Verbreitung von Kinderpornografie (Art. 227-23 CP) sowie zu weiteren sexuellen Übergriffen (Art. 227-25 bis 227-28 CP). Es handelt sich hierbei um nahezu alle Straftaten gegen die Sitte (des infractions contre les mœurs); es fehlt lediglich die sexuelle Zurschaustellung.123
117
Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 119. Angevin / Letouzay, JCl, Pénal Code, Art. 227-28-3, fasc. 10. Rn. 3; Rousseau, AJ Pénal 2020. 396. 119 Vgl. Angevin / Letouzay, JCl, Pénal Code, Art. 227-28-3, fasc. 10. Rn. 5. 120 Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 580. 121 Angevin / Letouzay, JCl, Pénal Code, Art. 227-28-3, fasc. 10. Rn. 6 ff.; Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 580. 122 Angevin / Letouzay, JCl, Pénal Code, Art. 227-28-3, fasc. 10. Rn. 6. 123 Rassat, Doit pénal général, Rn. 580. 118
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Bestraft werden in Art. 227-28-3 CP nur nicht erfolgreiche und direkte Provokationen. Demzufolge werden lediglich Provokationen erfasst, bei denen es weder zu einer Vollendung noch zu einem Versuch einer sexuellen Straftat gegenüber Minderjährigen gekommen ist.124 Somit handelt es sich um eine infraction formelle.125 Kommt es zu einer der im Tatbestand aufgezählten Straftaten oder erreicht die Provokation wenigstens das Versuchsstadium, handelt es sich um eine Provokation i. S. von Art. 121-7 CP, also um eine Teilnahmehandlung. Opfer der Straftaten, zu denen provoziert wird, müssen Minderjährige sein, d. h. Personen unter 18 Jahren. Es wird davon ausgegangen, dass der Täter von der Minderjährigkeit des Opfers gewusst hat, außer er kann zweifelsfrei beweisen, dass dies nicht der Fall war.126 Der Täter muss nicht zur Begehung einer Straftat gegen einen bestimmten Minderjährigen provoziert haben.127
e) Subjektiver Tatbestand Es handelt sich hier um eine infraction intentionelle.128 Demnach muss der Täter gewollt haben, den gesetzlichen Tatbestand zu verwirklichen und sich dessen bewusst gewesen sein, dass er gegen das Gesetz verstößt (dol général).
f) Quintessenz Die Provokation muss über die im Tatbestand aufgeführten Beeinflussungsmittel erfolgen. Durch diese Mittel wird deutlich, dass hier nur solche Provokationen erfasst werden, die einen besonderen Handlungsdruck auf den Motivierten ausüben. Die Provokation bezieht sich außerdem nur auf die aufgezählten Straftaten.
7. Direkte Provokation eines Minderjährigen zu einem Vergehen oder Verbrechen (Art. 227-21 CP) a) Geltender Normtext In Art. 227-21 CP wird die direkte Provokation eines Minderjährigen zu einem Vergehen oder Verbrechen bestraft:
124
Rassat, Droit pénal spécial. Rn. 580. Angevin / Letouzay, JCl, Pénal Code, Art. 227-28-3, fasc. 10. Rn. 4. a. A. Dreyer, D. 2021. 1973 (infraction obstacle). 126 Angevin / Letouzay, JCl, Pénal Code, Art. 227-28-3, fasc. 10. Rn. 10. 127 CA Paris, 8 oct. 2010, JurisData n° 2010-021786. 128 Angevin / Letouzay, JCl, Pénal Code, Art. 227-28-3, fasc. 10. Rn. 17. 125
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Le fait de provoquer directement un mineur à commettre un crime ou un délit est puni de cinq ans d’emprisonnement et de 150 000 euros d’amende. Lorsqu’il s’agit d’un mineur de quinze ans, que le mineur est provoqué à commettre habituellement des crimes ou des délits ou que les faits sont commis dans les établissements d’enseignement ou d’éducation ou dans les locaux de l’administration, ainsi que, lors des entrées ou sorties des élèves ou du public ou dans un temps très voisin de celles-ci, aux abords de ces établissements ou locaux, l’infraction définie par le présent article est punie de sept ans d’emprisonnement et de 150 000 euros d’amende.129
b) Geschichtlicher Überblick Im code pénal von 1810 gab es keine autonome Vorschrift, die die direkte Provokation eines Minderjährigen zu Vergehen oder Verbrechen unter Strafe stellte.130 Es gab jedoch Art. 461-1, gemäß dem die Hehlerei von Sachen zu bestrafen war, die aus einem Verbrechen oder Vergehen stammen, das von einem Minderjährigen begangen wurde.131 Bestraft werden konnte jedoch nur der Erwachsene, der die Gewalt über den Minderjährigen hatte und der mit ihm zusammen wohnt. Mit der Novellierung des code pénal 1994 wurde schließlich Art. 227-21 CP eingeführt, mit dem die direkte Provokation von Minderjährigen zu Vergehen oder Verbrechen unter Strafe gestellt werden sollte.132 Erfasst wurde jedoch nur diejenige Provokation, bei der Minderjährige zu einer gewohnheitsmäßigen Begehung von Verbrechen oder Vergehen provoziert werden.133 Der Gesetzgeber zielte darauf ab, insbesondere gegen solche Personen vorzugehen, die mit ihrer Provokation nicht
129
Übersetzung Art. 227-21 CP: „Wer einen Minderjährigen direkt zur Begehung eines Verbrechens oder Vergehens provoziert, wird mit fünf Jahren Gefängnis und 150.000 Euro Geldstrafe bestraft. Ist der Minderjährige unter 15 Jahre alt, wird der Minderjährige zur gewohnheitsmäßigen Begehung von Verbrechen oder Vergehen provoziert oder werden die Handlungen in Bildungsoder Erziehungseinrichtungen oder in den Gebäuden der Verwaltung sowie im Umkreis dieser Einrichtungen oder Räume beim Kommen oder Gehen von Schülern oder des Publikums oder in zeitlicher Nähe dazu begangen, wird die in dem Artikel benannte Straftat mit sieben Jahren Gefängnis und 150.000 Euro Geldstrafe bestraft.“ 130 Vgl. Conte, Droit pénal spécial, Rn. 390. 131 Artikel 461-1 des code pénal vor 1994: „Sera considéré comme receleur et puni des peines prévues par le premier alinéa de l’article 460 celui qui, ayant autorité sur un mineur qui vit avec lui et se livre habituellement à des crimes ou délits contre les biens d’autrui, ne peut justifier de ressources correspondant à son train de vie.“ 132 Loi no 92-684 du 22 juillet 1992 portant réforme des dispositions du code pénal relatives à la répression des crimes et délits contre les personnes. 133 Art. 227-21 code pénal von 1994: „Le fait de provoquer directement un mineur à commettre habituellement des crimes ou des délits est puni de cinq ans d’emprisonnement et de 1 000 000 F d’amende. Lorsqu’il s’agit d’un mineur de quinze ans, l’infraction définie par le présent article est punie de sept ans d’emprisonnement et de 1 000 000 F d’amende.“
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
nur bezweckten, dass der Minderjährige gelegentlich eine Straftat begeht, sondern die den Minderjährigen allgemein fest in der Kriminalität verankern wollten, um aus ihm einen echten ouvrier du crime (Berufsverbrecher) zu machen.134 Mit dem Gesetz von 1998 wurde der Tatbestand erweitert. So wurde in Abs. 2 hinzugefügt, dass sich die Straferhöhung auch auf Provokationen bezieht, die innerhalb von Bildungseinrichtungen oder in deren Umkreis, beim Betreten oder Verlassen der Schüler, begangen werden.135 Mit dem Gesetz von 2002 wurde die Bedingung der „gewohnheitsmäßigen Begehung“ aus Abs. 1 gestrichen.136
c) Strafbegründung Der Gesetzgeber zielte mit der Einführung dieser Vorschrift darauf ab, Minderjährige zu schützen und gegen Erwachsene vorzugehen, die Minderjährige gezielt unter dem Wissen für die Begehung von Straftaten einsetzen, dass Minderjährige aufgrund des statut pénal protecteur (strafrechtlich schützender Status) nur ab einem bestimmten Alter strafmündig sind, die Art und Höhe der Strafe im Sinne des Gedankens der Erziehung bestimmt wird und dass die Straferwartung demzufolge geringer sein wird.137 Durch die Bestrafung der Provokation von Minderjährigen wollte der Gesetzgeber außerdem verhindern, dass Minderjährige selbst straffällig werden.138 Mit der Vorschrift sollen in erster Linie die physische und die psychische Integrität von Minderjährigen geschützt werden.139
d) Objektiver Tatbestand Bestraft wird die direkte Provokation von Minderjährigen. Als minderjährig gelten in Frankreich seit dem Gesetz vom 5. Juli 1974140 alle Personen unter 18 Jahren.141 Die Provokation kann von jeder Person kommen, sodass nicht nur solche Provokationen erfasst werden, die von den jeweils Erziehungsberechtigten oder von Personen kommen, die Gewalt über die betroffenen Minderjährigen haben.142
134
Desportes, JCl. Code Pénal, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 24. Loi n° 98-468 du 17 juin 1998 relative à la prévention et à la répression des infractions sexuelles ainsi qu’à la protection des mineurs. 136 Loi n° 2002-1138 du 9 septembre 2002 d’orientation et de programmation pour la justice. 137 Rapport n° 3177 de M. Bruno Le Roux, fait au nom de la commission des lois, déposé le 26 juin 2001; Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 25. 138 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 229. 139 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 119 ff. 140 Loi n° 74-631 du 5 juillet 1974 fixant à dix-huit ans l’âge de la majorité. Vor diesem Gesetz galt eine Person erst ab dem 21. Lebensjahr als erwachsen. 141 Siehe hierzu Servant, Agora débats / jeunesses 2016/3 (N° 74), S. 113 f. 142 Siehe Malabat, Droit pénal spécial, S. 392. 135
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Die Provokation, verstanden als Aufruf, der sich an eine andere Person richtet, damit diese sowohl ihre intellektuelle sowie physische Passivität aufgibt,143 muss direkt erfolgen. Dieser direkte Charakter bedeutet zum einen, dass die Tat, zu der provoziert wird, hinreichend präzise bestimmt sein muss.144 Zum anderen muss die Provokation ausdrücklich genug erfolgen, also einen expliziten Appell zur Begehung einer bestimmten Tat darstellen, und eine gewisse Überzeugungskraft haben.145 Dies ist z. B. gegeben, wenn ein Vater seinen Söhnen ausdrücklich Aufträge für Gegenstände erteilt, die sie stehlen sollen.146 Demzufolge reichen einfache Einwirkungen auf den Gemütszustand oder die Leidenschaften, ein einfacher Rat, ein Vorschlag oder eine Verherrlichung nicht aus.147 Die einfache Toleranz oder Passivität von Eltern, deren Kinder Vergehen oder Verbrechen begehen, wird demnach ebenfalls nicht erfasst, auch wenn darin eine Form der Ermutigung gesehen werden kann.148 Auch die Begehung von Vergehen oder Verbrechen durch die Eltern sowie allgemein das Schaffen von materiellen oder moralischen Umständen, die Minderjährige dazu bringen können, straffällig zu werden, können nicht als direkte Provokationen gewertet werden.149 Im Gegensatz zu Art. 121-7 CP ist es hingegen nicht erforderlich, dass die Provokation durch bestimmte, in der Vorschrift aufgezählte Mittel (adminicules) erfolgt. Es kann also jedes Mittel für die Provokation eingesetzt werden, solange diese direkt erfolgt und einen gewissen Handlungsdruck auf den betroffenen Minderjährigen ausübt.150 Ob ein ausreichender Handlungsdruck und eine gewisse Überzeugungskraft in den fraglichen Äußerungen vorhanden ist, müssen in jedem einzelnen Fall die Richter feststellen.151 Die Provokation muss außerdem individueller Natur sein. Bestraft werden mithin nur solche Provokationen, die an bestimmte Minderjährige adressiert sind.152 Demzufolge sind Provokationen, die sich an eine unbestimmte Menschenmenge richten, ausgeschlossen. Erfasst werden also sowohl Provokationen, die erfolgreich waren und zur Begehung
143 Dupuy, La provocation en droit pénal, S. 1; Siehe hierzu die Erläuterung für Art. 121-7 code pénal oben in Teil 2 Kapitel 2 B. I. 1. d) bb). 144 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8; Conte, Droit pénal spécial, S. 249; Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 392. 145 CA Toulouse, 18 nov. 2009, n° 09/01038; Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8. 146 CA Rouen, 9 mai 2007, n° 06/00778. 147 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8; André, Droit pénal spécial, S. 209 f. 148 CA Rennes, 27 avr. 2007, n° 06/02990; Rapport n° 3177 de M. Bruno Le Roux, fait au nom de la commission des lois, déposé le 26 juin 2001. 149 Desportes, JCL. Code Pénal, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 26 ff. 150 Portolano, Essai d’une théorie générale de la provocation, S. 74 f.; Conte, droit pénal spécial, Rn. 391. 151 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8. 152 Dies ist auch im Wortlaut des Tatbestandes zu erkennen, in dem die Provokation eines Minderjährigen („un mineur“) unter Strafe gestellt wird. Siehe hierzu Pradel / Danti-Juan, Droit pénal spécial, S. 427; a. A. Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1325 ff.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
einer Straftat geführt haben, als auch Provokationen, die erfolglos geblieben sind.153 Demzufolge handelt es sich hierbei um eine infraction formelle.154 Bestraft wird die Provokation zu einem Vergehen oder einem Verbrechen.155 Es kann sich hierbei um jedes Vergehen oder Verbrechen handeln.156 Eine Provokation zu einer Straftat im Allgemeinen, ohne weiter deutlich zu machen, um welchen Deliktstypus es sich handelt, reicht hingegen nicht aus.157 In Art. 227-21 Abs. 1 CP wurde die Bedingung einer gewohnheitsmäßigen Begehung entfernt. Dies führte jedoch dazu, dass es zu einer Überlappung zwischen Art. 227-21 CP und den Art. 227-18 und 227-18-1 CP kommt, die nun alle dieselben Verhaltensweisen erfassen. Die Lehre erkennt aufgrund dieses Umstands an, dass es besser gewesen wäre, wenn der Gesetzgeber mit der Einführung des Art. 227-21 die anderen beiden Artikel aufgehoben hätte.158 In Art. 227-21 Abs. 2 CP werden die Fälle aufgeführt, in denen die Strafe erhöht wird.
e) Subjektiver Tatbestand Der Täter muss vorsätzlich handeln (eine sog. infraction intentionelle). Ein dol général reicht jedoch aus.159 Demnach muss der Täter gewusst haben, dass er mit seiner Handlung gegen das Gesetz verstößt, und er muss gewollt haben, den gesetzlichen Tatbestand zu verwirklichen.160 Demzufolge kann in einer permissiven und duldenden Haltung von Eltern gegenüber dem Verhalten ihrer minderjährigen Kinder kein Vorsatz erkannt werden.161 Außerdem muss der Täter gewusst haben, dass er sich an einen Minderjährigen wendet.162
f) Quintessenz In dem Tatbestand wird eine direkte Provokation verlangt, d. h. eine solche, die einen expliziten Appell zur Begehung einer bestimmten Tat darstellt und eine gewisse Überzeugungskraft hat. Dies schließt einfache Einwirkungen auf den Ge153
Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1325; André, Droit pénal spécial, S. 223. Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 229; Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 455. 155 Zur Unterscheidung zwischen Verbrechen und Vergehen siehe oben Teil 2 Kapitel 2 B. I. 1. d) aa). 156 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 26; Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1329. 157 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 25. 158 Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1330. 159 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 10. 160 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 10; Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1325. 161 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 10. 162 Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1325; André, Droit pénal spécial, S. 223. 154
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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mütszustand oder die Leidenschaften, einen einfachen Rat, Vorschlag oder eine Verherrlichung nicht aus. In dieser Hinsicht erscheint es nur logisch, dass die Rechtsprechung die einfache Toleranz oder Passivität von Eltern, deren Kinder Vergehen oder Verbrechen begehen, nicht als Provokation i. S. des Art. 227-21 CP verstehen, fehlt es hier doch am erforderlichen Handlungsdruck. Die in dem Tatbestand erfasste Provokation ist außerdem mit Blick auf den Adressaten der Provokation, einen Minderjährigen, besonders. Es kann in der Tat davon ausgegangen werden, dass die Provokation einen besonderen Handlungsdruck ausüben kann, wenn die Motivation von einem Erwachsenen an einen Minderjährigen gerichtet ist.
8. Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelkonsum (Art. 227-18 CP) a) Geltender Normtext In Art. 227-18 CP wird die direkte Provokation von Minderjährigen zum Konsum von Betäubungsmitteln unter Strafe gestellt: Le fait de provoquer directement un mineur à faire un usage illicite de stupéfiants est puni de cinq ans d’emprisonnement et de 100 000 euros d’amende. Lorsqu’il s’agit d’un mineur de quinze ans ou que les faits sont commis dans les établissements d’enseignement ou d’éducation ou dans les locaux de l’administration, ainsi que, lors des entrées ou sorties des élèves ou du public ou dans un temps très voisin de celles-ci, aux abords de ces établissements ou locaux, l’infraction définie par le présent article est punie de sept ans d’emprisonnement et de 150 000 euros d’amende.163
b) Geschichtlicher Überblick Die Vorschrift wurde mit der Erneuerung des code pénal durch das Gesetz vom 16. Dezember 1992 eingeführt, wodurch zum ersten Mal die direkte Provokation eines Minderjährigen zu einem illegalen Betäubungsmittelkonsum unter Strafe gestellt wurde.164 Bei seiner Einführung in den code pénal lautete der Artikel wie folgt: 163
Übersetzung Art. 227-18 CP: „Wer einen Minderjährigen direkt zum unerlaubten Konsum von Betäubungsmitteln provoziert, wird mit fünf Jahren Gefängnis und 100.000 Euro Geldstrafe bestraft. Ist der Minderjährige unter 15 Jahre alt oder werden die Handlungen in Bildungs- oder Erziehungseinrichtungen oder in den Gebäuden der Verwaltung sowie im Umkreis dieser Einrichtungen oder Räume beim Kommen oder Gehen von Schülern oder des Publikums oder in zeitlicher Nähe dazu begangen, wird die in dem Artikel benannte Straftat mit sieben Jahren und 150.000 Euro Geldstrafe bestraft.“ 164 Loi n° 92-1336 du 16 décembre 1992 relative à l’entrée en vigueur du nouveau code pénal et à la modification de certaines dispositions de droit pénal et de procédure pénale rendue nécessaire par cette entrée en vigueur.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Le fait de provoquer directement un mineur à faire un usage illicite de stupéfiants est puni de cinq ans d’emprisonnement et de 700 000 F d’amende. Lorsqu’il s’agit d’un mineur de quinze ans, l’infraction définie par le présent article est punie de sept ans d’emprisonnement et de 1 000 000 F d’amende.
Der Tatbestand wurde 1998 erweitert. In Abs. 2 wurde hinzugefügt, dass der erhöhte Strafrahmen neben Provokationen, die sich an Minderjährige unter 15 Jahren richten, auch dann anzuwenden ist, wenn die Provokation innerhalb einer Bildungseinrichtung oder in deren Umkreis, beim Betreten oder Verlassen der Schüler, begangen wird.165 Im Jahr 2007 wurde Abs. 2 insofern erweitert, als fortan auch Verwaltungsgebäude erfasst wurden.166
c) Strafbegründung Ziel des Gesetzgebers bei der Einführung von Art. 227-18 in den code pénal von 1994 war es, einen umfassenderen Schutz für Minderjährige zu schaffen, die beeinflussbarer als Erwachsene sind.167 Es sollte verhindert werden, dass Minderjährige, die aufgrund ihres Alters besonders schutzbedürftig sind, dazu provoziert werden, Betäubungsmittel zu konsumieren.168 Zu diesem Zweck stellte Art. 22718 CP neben Art. L. 3421-4 des code de la santé publique (das Gesetzbuch über die öffentliche Gesundheit: CSP), der allgemein die Provokation zum Konsum von Betäubungsmitteln sowie deren Handel unter Strafe stellt, einen besonderen Schutz für Minderjährige auf und erhöhte auch die diesbezüglich zu verhängenden Strafen. Martin-Valente misst der Schaffung eines autonomen Straftatbestandes bezüglich Minderjähriger jedoch nur einen symbolischen Wert zu.169 Auch Dreyer führt an, dass Art. 227-18 CP und Art. L. 3421-4 CSP sehr ähnlich seien und dass die Notwendigkeit des Schutzes von Minderjährigen nicht allein erklären könne, weshalb der Strafrahmen in Art. 227-18 CP höher ist als der in der Vorschrift im CSP.170 Bezüglich des vom Gesetzgeber geschützten Wertes muss darauf geachtet werden, wo der Artikel im code pénal eingeordnet wurde. Art. 227-18 CP befindet sich in Buch II (Verbrechen und Vergehen gegen Personen), Titel II, Kapitel VII (Angriffe gegen Minderjährige und gegen die Familie). Dies lässt erkennen, dass insbesondere die physische und die psychische Integrität von Minderjährigen geschützt werden soll.171 165 Loi n° 98-468 du 17 juin 1998 relative à la prévention et à la répression des infractions sexuelles ainsi qu’à la protection des mineurs. 166 Loi n° 2007-297 du 5 mars 2007 relative à la prévention de la délinquance. 167 Débats parlementaires, J. O., seconde session extraordinaire de 1990–1991, 22ème Séance du mercredi 22 mai 1991, compte rendu intégral, S. 988. 168 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 229; Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 22721, fasc. 20, Rn. 1. 169 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 120. 170 Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1326 ff. 171 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 119.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
225
d) Objektiver Tatbestand aa) Tathandlung Bestraft wird die direkte Provokation von Minderjährigen. Es gelten hier die gleichen Bedingungen wie für Art. 227-21 CP. Demnach gelten seit dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 5. Juli 1974 alle Personen unter 18 Jahren als minderjährig.172 Die Provokation kann von jeder Person kommen; d. h., dass nicht nur solche Provokationen erfasst werden, die von den jeweils Erziehungsberechtigten oder von Personen kommen, die Gewalt über die jeweils betroffenen Minderjährigen haben.173 Im Gegensatz zu Art. 121-7 CP gibt es keine Begrenzung der Mittel, die für die Provokation eingesetzt werden können.174 Jedoch wird verlangt, dass die Provokation direkt erfolgt. Demzufolge muss zum einen die Tat, zu der provoziert wird, ausreichend präzise bestimmt sein,175 und zum anderen muss die Provokation ausdrücklich genug sein und einen expliziten Appell zur Begehung einer bestimmten Tat darstellen.176 Die Provokation muss einen gewissen Handlungsdruck ausüben und eine gewisse Überzeugungskraft haben.177 Demzufolge reichen eine einfache Einwirkung auf Gefühle, ein einfacher Rat, eine Suggestion, ein Vorschlag oder eine Verherrlichung nicht aus.178 Verhaltensweisen wie. z. B. das Verherrlichen oder das „in ein positives Licht Stellen“ werden hingegen von Art. L. 3421-4 CSP erfasst. Deswegen hat sich der Gesetzgeber nach den Diskussionen im Parlament auch für den Begriff „provocation“ und nicht für den Begriff „incitation“ entschieden, da der Begriff „incitation“ viel weiter zu verstehen ist und somit auch Äußerungen erfasst würden, die eher an Gefühle gerichtet sind.179 Wie im Fall von Art. 227-21 CP wird durch den Wortlaut der Vorschrift deutlich, dass die Provokation an einen bestimmten Minderjährigen adressiert sein muss.180 Ohne Bedeutung ist, ob die Provokation erfolgreich war, sprich, zur Begehung einer Straftat geführt hat, oder ob sie erfolglos geblieben ist.181 Demzufolge handelt es sich um eine infraction formelle.182
172
Siehe hierzu Servant, Agora débats / jeunesses 2016/3 (N° 74), S. 113 f. Malabat, Droit pénal spécial, S. 424. 174 Vgl. Conte, droit pénal spécial, 391. 175 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8; Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1325. 176 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8. 177 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8. 178 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8; André, Droit pénal spécial, S. 223. 179 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 7. 180 Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 455; Véron, Droit pénal spécial, S. 272; a. A. Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1325. 181 Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1325; André, Droit pénal spécial, S. 223. 182 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 229; Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 455. 173
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
In Abs. 2 wird die Strafe erhöht, wenn der Minderjährige unter 15 Jahre alt ist oder wenn die Handlungen innerhalb einer Bildungseinrichtung oder in deren Umkreis beim Betreten oder Verlassen der Einrichtung durch Schüler begangen werden. In diesem Fall wird der Täter mit einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren und 150.000 Euro Geldstrafe bestraft.
bb) Tatobjekt: Illegaler Betäubungsmittelkonsum Bestraft wird die Provokation von Minderjährigen zum Konsum von Betäubungsmitteln. Der Konsum von Betäubungsmitteln ist in Art. L. 3421-1 CSP mit Freiheitsstrafe von einem Jahr und 3.750 Euro Geldstrafe bestraft. Es gibt keine Gesetzesdefinition des Begriffs „Betäubungsmittel“. Deshalb wird in der Lehre auf Art. 222-41 CP verwiesen, der wiederum auf Artikel L. 5132-7 CSP verweist. In diesem wird jedoch nur ausgeführt, dass Pflanzen, Substanzen und giftige Präparate danach klassifiziert werden, ob es sich bei ihnen um Betäubungsmittel oder um Psychopharmaka handelt oder ob sie auf den Listen I und II der Verordnung des beauftragten Ministers für das Gesundheitswesen stehen.183 Somit muss letztlich auf die Verordnung des Ministeriums für Solidarität, Gesundheit und sozialen Schutz vom 22. Februar 1990 zurückgegriffen werden, in welcher die Liste der Substanzen festgelegt wurde, die als illegale Betäubungsmittel gelten.184 Im Gegensatz zu Art. L. 3421-4 CSP werden mit Art. 227-18 CP jedoch nicht diejenigen Substanzen erfasst, die zwar präsentiert werden, als hätten sie die Effekte eines Betäubungsmittels, die in Wirklichkeit aber keine Betäubungsmittel sind. Wenn ein Minderjähriger dazu provoziert wird, eine solche Substanz zu konsumieren, muss Art. L. 3421-4 CSP angewendet werden. Die Provokation zum Besitz und Handel wird in Art. 227-18-1 CP bestraft.
e) Subjektiver Tatbestand Es handelt sich um eine infraction intentionelle, d. h., dass ein Vorsatz erforderlich ist. Demnach muss der Täter gewusst haben, dass er das Gesetz bricht und das seine Handlung dazu geeignet war, einen Minderjährigen zum Konsum von Betäubungsmitteln zu provozieren (dol général).185 Demzufolge kann in einer per-
183 Für eine Kritik bezüglich des Mangels einer klaren Definition siehe Malabat, Droit pénal spécial, S. 161. 184 Arrêté du 22 février 1990 fixant la liste des substances classées comme stupéfiants. 185 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 10. Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1325; André, Droit pénal spécial, S. 223.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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missiven und duldenden Haltung kein Vorsatz erkannt werden.186 Außerdem muss der Täter gewusst haben, dass er sich an einen Minderjährigen wendet.187
f) Quintessenz Die Provokation muss gemäß Art. 227-18 CP ebenfalls direkt erfolgen. Es wird also verlangt, dass es sich um einen expliziten Appell zur Begehung einer bestimmten Tat handelt. Aufgrund dieser Anforderung und der Tatsache, dass die Provokation in einem Verhältnis Erwachsener / Minderjähriger erfolgt, kann davon ausgegangen werden, dass die Provokation einen gewissen Handlungsdruck auf den Motivierten ausübt.
9. Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelhandel (Art. 227-18-1 CP) a) Geltender Normtext Art. 228-18-1 CP ergänzt Art. 227-18 CP und bestraft die Provokation von Minderjährigen zum Befördern, Besitzen, Anbieten oder Abgeben von Betäubungsmitteln: Le fait de provoquer directement un mineur à transporter, détenir, offrir ou céder des stupéfiants est puni de sept ans d’emprisonnement et de 150 000 euros d’amende. Lorsqu’il s’agit d’un mineur de quinze ans ou que les faits sont commis dans des établissements d’enseignement ou d’éducation ou dans les locaux de l’administration, ainsi que, lors des entrées ou sortie des élèves ou du public ou dans un temps très voisin de celles-ci, aux abords de ces établissements ou locaux, l’infraction définie par le présent article est punie de dix ans d’emprisonnement et de 300 000 euros d’amende.188
186
Cass. crim. 13 déc. 2017, n° 17-80706; Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 10. 187 Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1325; André, Droit pénal spécial, S. 223. 188 Übersetzung Art. 227-18-1 CP: „Wer einen Minderjährigen direkt dazu provoziert, Betäubungsmittel zu befördern, zu besitzen, anzubieten oder abzugeben, wird mit sieben Jahren Gefängnis und 150.000 Euro Geldstrafe bestraft. Ist der Minderjährige unter 15 Jahre alt oder werden die Handlungen in Bildungs- oder Erziehungseinrichtungen oder in den Gebäuden der Verwaltung sowie im Umkreis dieser Einrichtungen oder Räume beim Kommen oder Gehen von Schülern oder des Publikums oder in zeitlicher Nähe dazu begangen, wird die in dem Artikel benannte Straftat mit zehn Jahren Gefängnis und 300.000 Euro Geldstrafe bestraft.“
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
b) Geschichtlicher Überblick Der Tatbestand wurde durch das Gesetz vom 13. Mai 1996 eingeführt.189 Mit diesem Gesetz wurden die erschwerenden Umstände in Abs. 2 erweitert. So wurde die Provokation schwerer bestraft, wenn der Minderjährige unter 15 Jahre alt ist oder wenn die Handlungen innerhalb einer Bildungseinrichtung oder in deren Umkreis beim Betreten oder Verlassen von Schülern begangen wird.190
c) Strafbegründung Wie mit Art. 227-18-1 CP will der Gesetzgeber auch mit dieser Vorschrift einen umfassenden Schutz für Minderjährige gestalten, da diese beeinflussbarer sind als Erwachsene.191 Art. 227-18-1 CP ergänzt den davor liegenden Artikel dahin gehend, dass neben der Provokation zum Konsum auch die Provokation von Minderjährigen zum Handel mit Betäubungsmitteln bestraft wird. Es soll verhindert werden, dass Erwachsene Minderjährige ausnutzen und dazu provozieren, in den Betäubungsmittelhandel einzusteigen, in der Hoffnung, sich somit jeder Verantwortung entziehen zu können, und mit dem Wissen, dass das Risiko einer Bestrafung von Minderjährigen geringer ausfällt.192 Im code pénal befindet sich Art. 227-18 genau wie Art. 227-18 in Buch II (Verbrechen und Vergehen gegen Personen), Titel II, Kapitel VII (Angriffe gegen Minderjährige und gegen die Familie). Dies lässt erkennen, dass insbesondere die physische und die psychische Integrität von Minderjährigen geschützt werden sollen.193
d) Objektiver Tatbestand aa) Tathandlung Die Tathandlung der Provokation ist genauso zu verstehen wie bei Art. 227-21 und Art. 227-18 CP. Auch hier wird nur eine direkte Provokation von Minderjährigen erfasst. Die Tat, zu der provoziert wird, muss demnach hinreichend präzise
189 Loi n° 96-392 du 13 mai 1996 relative à la lutte contre le blanchiment et le trafic des stupéfiants et à la coopération internationale en matière de saisie et de confiscation des produits du crime. 190 Loi n° 98-468 du 17 juin 1998 relative à la prévention et à la répression des infractions sexuelles ainsi qu’à la protection des mineurs. 191 Rapport n° 18 (1995–1996) de Paul Girod, fait au nom de la commission des lois, déposé le 11 octobre 1995. 192 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 229; Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 122. 193 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 119.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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bestimmt sein194 und die Provokation muss ausdrücklich sein sowie einen expliziten Appell zur Begehung einer bestimmten Tat darstellen.195 Dies schließt eine einfache Einwirkung auf Emotionen, eine Verherrlichung oder einen einfachen Rat aus.196 Die Provokation muss einen gewissen Handlungsdruck ausüben.197 Es liegt dabei im Ermessen der Richter, ob durch die fragliche Äußerung ein solcher Handlungsdruck ausgeübt wird.198 Lobpreisungen und das Verherrlichen des Handels von Betäubungsmitteln wird nicht in dieser Norm, sondern in Art. L. 3421-4 CSP erfasst.199 Die Provokation kann durch jedes Mittel erfolgen, da es im Gegensatz zu Art. 121-7 CP keine Begrenzung der Mittel gibt.200 Jedoch muss die Provokation an einen bestimmten Minderjährigen adressiert sein, wodurch Provokationen ausgeschlossen werden, die sich an eine unbestimmte Menschenmenge richten.201 Ebenfalls ohne Bedeutung ist, ob die Provokation erfolgreich war und zur Begehung einer Straftat geführt hat oder ob sie erfolglos geblieben ist.202 Somit handelt es sich hierbei ebenfalls um eine infraction formelle.203 Die Provokation kann von jeder Person ausgehen. Sie muss jedoch an einen Minderjährigen, d. h., an eine Person unter 18 Jahren adressiert sein.204
bb) Tatobjekt: Handel mit Betäubungsmitteln Bestraft wird die Provokation zum Handel mit Betäubungsmitteln. Für die Erläuterung des Begriffs der Betäubungsmittel i. S. des französischen Rechts wird auf die Darstellung in Art. 227-18 CP verwiesen. Im Gegensatz zu Art. L. 3421-4 CSP werden jedoch nur das Befördern, Besitzen, Anbieten oder Abgeben von Betäubungsmitteln bestraft. Demzufolge kann die direkte Provokation eines Minderjährigen zur Ausfuhr, Einfuhr, Gewinnung, Herstellung oder zum Erwerben nicht von Art. 227-18-1 CP erfasst werden, sondern nur auf der Grundlage von Art. L. 3421-4 CSP bestraft werden.
194 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8; Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1325. 195 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8. 196 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8; André, Droit pénal spécial, S. 223. 197 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8. 198 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8. 199 Siehe unten in Art. L. 3421-4 CSP. Teil 2 Kapitel 2 C. II. 4. d) aa). 200 Conte, droit pénal spécial, 391 ff. 201 Pradel / Danti-Juan, Droit pénal spécial, S. 426; Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 455; a. A. Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1325. 202 Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1325; André, Droit pénal spécial, S. 223. 203 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 229; Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 455. 204 Malabat, Droit pénal spécial, S. 324.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
e) Subjektiver Tatbestand Der Täter muss vorsätzlich handeln (infraction intentionelle). Er muss also gewusst haben, dass seine Handlung dazu geeignet war, einen Minderjährigen zum Konsum von Betäubungsmitteln zu provozieren (dol général).205 Demzufolge wird das passive Verhalten von Eltern gegenüber dem Betäubungsmittelkonsum ihrer minderjährigen Kinder nicht erfasst.206 Außerdem muss der Täter gewusst haben, dass er sich an einen Minderjährigen wendet.207
f) Quintessenz Es können hier die gleichen Anmerkungen gemacht werden wie für Art. 22718 CP. Es handelt sich ebenfalls um eine direkte Provokation, die voraussetzt, dass die Provokation einen gewissen Handlungsdruck ausübt, der durch die Art der Beziehung – erwachsener Motivator / minderjähriger Motivierter – noch verstärkt wird.
10. Direkte Provokation eines Minderjährigen zum übermäßigen oder gewöhnlichen Alkoholkonsum (Art. 227-19 CP) a) Geltender Normtext In Art. 227-19 CP wird die direkte Provokation eines Minderjährigen zum übermäßigen (Abs. 1) oder zum gewöhnlichen (Abs. 2) Alkoholkonsum unter Strafe gestellt: Le fait de provoquer directement un mineur à la consommation excessive d’alcool est puni d’un an d’emprisonnement et de 15 000 € d’amende. Le fait de provoquer directement un mineur à la consommation habituelle d’alcool est puni de deux ans d’emprisonnement et de 45 000 € d’amende. Lorsqu’il s’agit d’un mineur de quinze ans ou que les faits sont commis dans des établissements d’enseignement ou d’éducation ou dans les locaux de l’administration, ainsi que lors des entrées ou sorties des élèves ou du public ou dans un temps très voisin de celles-ci, aux abords de ces établissements ou locaux le fait de se rendre coupable de l’une des infractions définies au présent article porte au double le maximum des peines encourues.208 205
Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1325; André, Droit pénal spécial, S. 223. Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 10. 207 Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1325; André, Droit pénal spécial, S. 223. 208 Übersetzung Art. 227-18 CP: Wer einen Minderjährigen direkt zum übermäßigen Alkoholkonsum provoziert, wird mit 1 Jahr Gefängnis und 15 000 € Geldstrafe bestraft. Wer einen Minderjährigen direkt zum gewöhnlichen Alkoholkonsum provoziert, wird mit 2 Jahren Gefängnis und 45 000 € Geldstrafe bestraft. 206
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b) Geschichtlicher Überblick Die Vorschrift wurde mit der Erneuerung des code pénal durch das Gesetz vom 16. Dezember 1992 eingeführt und damit zum ersten Mal die direkte Provokation eines Minderjährigen zum übermäßigen und gewöhnlichen Alkoholkonsum unter Strafe gestellt.209 Bei seiner Einführung in den code pénal lautete der Artikel wie folgend : „Le fait de provoquer directement un mineur à la consommation habituelle et excessive de boissons alcooliques est puni de deux ans d’emprisonnement et de 300 000 F d’amende. Lorsqu’il s’agit d’un mineur de quinze ans, l’infraction définie par le présent article est punie de trois ans d’emprisonnement et de 500 000 F d’amende.“
Der Tatbestand wurde 1998 erweitert und in Abs. 2 hinzugefügt, dass der erhöhte Strafrahmen neben der Provokation, die sich an einen Minderjährigen unter 15 Jahre richtet auch anzuwenden ist, wenn die Provokation innerhalb einer Bildungseinrichtung oder in deren Umkreis beim Betreten oder Verlassen der Schüler begangen wird.210 2007 wurde Abs. 2 um die Verwaltungsgebäude erweitert.211 Durch das Gesetz von 2016212 wurden zum einen die beiden Provokationen (das Provozieren zum übermäßigen und das Provozieren zum gewöhnlichen Alkoholkonsum) in den Absätzen getrennt und ihnen ein unterschiedliches Strafmaß gegeben. Zum anderen wurde auch das Strafmaß in Abs. 2 verändert.
c) Strafbegründung Im code pénal befindet sich Art. 227-19, wie auch Art. 227-18 in Buch II (Verbrechen und Vergehen gegen Personen), Titel II, Kapitel VII (Angriffe gegen Minderjährige und gegen die Familie). Dies lässt erkennen, dass insbesondere die physische und psychische Integrität der Minderjährigen geschützt werden soll.213 Für Dreyer ist somit offensichtlich, dass damit insbesondere die Gesundheit des Minderjährigen geschützt werden soll.214 Es soll zum einen verhindert werden, dass Ist der Minderjährige unter 15 Jahre alt oder werden die Handlungen in Bildungs- oder Erziehungseinrichtungen oder in den Gebäuden der Verwaltung sowie im Umkreis dieser Einrichtungen oder Räume beim Kommen oder Gehen der Schüler oder des Publikums oder in zeitlicher Nähe dazu begangen, wird das Höchstmaß der Strafen auf das Doppelte erhöht. 209 Loi n° 92-1336 du 16 décembre 1992 relative à l’entrée en vigueur du nouveau code pénal et à la modification de certaines dispositions de droit pénal et de procédure pénale rendue nécessaire par cette entrée en vigueur. 210 Loi n° 98-468 du 17 juin 1998 relative à la prévention et à la répression des infractions sexuelles ainsi qu’à la protection des mineurs. 211 Loi n° 2007-297 du 5 mars 2007 relative à la prévention de la délinquance. 212 Loi n° 2016-41 du 26 janvier 2016 de modernisation de notre système de santé. 213 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 119. 214 Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1312.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Alkoholkonsum banalisiert wird und zum anderen, dass Minderjährige damit eine berauschende Wirkung suchen.215 Für Pradel und Danti-Juan entspricht diese Vorschrift den Anforderungen und Problemen unserer Zeit, da immer mehr Jugendliche Alkohol konsumieren und sog. „binge drinking“ veranstalten.216
d) Objektiver Tatbestand Die Tathandlung der Provokation ist gleich zu verstehen wie schon in Art. 22721, 227-18 oder 227-18-1 CP. In der Tat wird auch hier nur eine direkte Provokation eines Minderjährigen erfasst. Die Tat, zu der provoziert wird, muss demnach ausreichend präzise bestimmt sein217 und die Provokation muss ausdrücklich sein und einen expliziten Appel zu der Begehung einer bestimmten Tat darstellen.218 Dies schließt eine einfache Einwirkung auf die Emotionen, eine Verherrlichung oder einen einfachen Rat aus.219 Die Provokation muss einen gewissen Druck zum Ausdruck bringen.220 Die Provokation kann durch jedes Mittel erfolgen, da es – und dies im Gegensatz zu Art. 121-7 des code pénal – keine Begrenzung der Mittel gibt.221 Jedoch muss die Provokation an einen bestimmten Minderjährigen adressiert sein, was somit die Provokation, die sich an eine unbestimmte Menschenmenge richtet, ausschließt.222 Ebenfalls ohne Bedeutung ist, ob die Provokation erfolgreich war und zu der Begehung einer Straftat geführt hat oder ob sie erfolglos geblieben ist. Aufgrund dessen handelt es sich hierbei ebenfalls um eine infraction formelle.223 Die Provokation kann von jeder Person kommen.224 Sie muss jedoch an einen Minderjährigen, d. h., an eine Person unter 18 Jahren, adressiert sein. Erfasst wird nur ein „übermäßiger“ oder „gewöhnlicher“ Alkoholkonsum. Ausgeschlossen ist von daher ein mäßiger oder geringer Konsum.225 Dabei erscheint es jedoch schwierig zu bestimmen, ab wann ein Konsum übermäßig oder gewöhnlich wird.
215
Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1312. Pradel / Danti-Juan, Droit pénal spécial, S. 426. 217 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8; Pradel / Danti-Juan, Droit pénal spécial, S. 425 f. 218 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8; Pradel / Danti-Juan, Droit pénal spécial, S. 425 f. 219 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8. 220 Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8. 221 Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1312. 222 Pradel / Danti-Juan, Droit pénal spécial, S. 426. 223 Pradel / Danti-Juan, Droit pénal spécial, S. 425. 224 Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 1312. 225 CA Chambéry, 16 sept. 2010, n° 08/00987. 216
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e) Subjektiver Tatbestand Der Täter muss vorsätzlich handeln (infraction intentionelle). Demnach muss der Täter gewusst haben, dass seine Handlung geeignet war, einen Minderjährigen zu einem übermäßigen oder gewöhnlichen Konsum von Alkohol zu provoziert (dol général).226
f) Quintessenz Es können hier die gleichen Anmerkungen gemacht werden, die auch schon für Art. 227-18 und Art. 227-18-1 CP formuliert wurden. Es handelt sich hier ebenfalls um eine direkte Provokation, die voraussetzt, dass die Provokation einen gewissen Handlungsdruck, verstärkt durch die Beziehung erwachsener Motivator / minderjähriger Motivierter ausübt.
11. Anwerbung zur Beteiligung an einer terroristischen Organisation oder an terroristischen Taten (Art. 421-2-4 CP) a) Geltender Normtext Art. 421-2-4 code pénal lautet wie folgt: Le fait d’adresser à une personne des offres ou des promesses, de lui proposer des dons, présents ou avantages quelconques, de la menacer ou d’exercer sur elle des pressions afin qu’elle participe à un groupement ou une entente prévu à l’article 421-2-1 ou qu’elle commette un des actes de terrorisme mentionnés aux articles 421-1 et 421-2 est puni, même lorsqu’il n’a pas été suivi d’effet, de dix ans d’emprisonnement et de 150 000 € d’amende.227
b) Geschichtlicher Überblick Der Tatbestand wurde durch das Gesetz vom 12. Dezember 2012 bezüglich der Sicherheit und des Kampfes gegen den Terrorismus eingefügt.228 Das Gesetz wurde infolge der Terroranschläge erlassen, die im März 2012 in Montauban und 226
Pradel / Danti-Juan, Droit pénal spécial, S. 427. Übersetzung Art. 421-2-4 CP: „Wer einer Person Angebote oder Versprechungen macht, Zuwendungen, Geschenke oder sonstige Vergütungen anbietet, Drohungen ausspricht oder auf die Person Druck ausübt, damit sie sich an einer Gruppe oder einem Zusammenschluss im Sinne des Art. 421-2-1 beteiligt oder damit sie eine terroristische Tat der Art. 421-1 bis 421-2 begeht, wird, auch wenn die Provokation nicht erfolgreich war, mit zehn Jahren Gefängnis und 150.000 Euro Geldstrafe bestraft.“ 228 Loi n° 2012-1432 du 21 décembre 2012 relative à la sécurité et à la lutte contre le terrorisme. 227
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Toulouse durch Mitglieder des Terrornetzwerkes al-Qaida verübt wurden. Es handelte sich hierbei um die ersten Anschläge im Metropolgebiet seit 15 Jahren.229 Außerdem sollte mit dieser Vorschrift der Rahmenbeschluss 2008/919/JI des Rates vom 28. November 2008 zur Änderung des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung umgesetzt werden.230
c) Strafbegründung Mit der Vorschrift verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, den Versuch einer Anwerbung zur Beteiligung an einer terroristischen Organisation oder einer terroristischen Tat strafrechtlich zu ahnden. Der Gesetzgeber hat bei der Einführung von Art. 421-2-4 CP angeführt, dass es unabdingbar sei, Radikalisierungswege, seien sie kollektiv oder individuell, die in Richtung einer terroristischen Gewalttat führen, frühzeitig zu erkennen. Darunter fasst der Gesetzgeber mitunter Aufenthalte in Trainingslagern sowie die Verbreitung von Radikalismus und Jihadismus über das Internet.231 In dieser Hinsicht sei es ebenfalls von Bedeutung, Anwerbungshandlungen zu erfassen, auch wenn die Anwerbung erfolglos geblieben ist.232 Der Lehre zufolge sei eine solche Handlung an sich schon gefährlich genug, weshalb auch die erfolglose Anwerbung erfasst werden müsse.233 Diesbezüglich wird angeführt, dass terroristische Organisationen für die Anwerbung von neuen Mitgliedern gewerbsmäßige Strategien entwickeln, die denen einer Sekte ähneln und insbesondere für Minderjährige gefährlich seien.234 Mit der Einführung dieser Tathandlungen in Buch IV des code pénal kann aus der herrschenden Systematisierung des code pénal sowie gemäß der vom Gesetzgeber als schützenswert anerkannten Werte und Güter geschlossen werden, dass mit Art. 421-2-5 CP die Nation, der Staat und der öffentliche Friede geschützt werden sollen.
229 Dossiers législatifs – Loi n° 2012-1432 du 21 décembre 2012 relative à la sécurité et à la lutte contre le terrorisme, Communiqué de presse du Conseil des ministres du 3 octobre 2012. 230 Siehe hierzu Rapport n° 409 de Marie-Françoise Bechtel, fait au nom de la commission des lois, déposé le 14 novembre 2012. 231 Dossiers législatifs – Loi n° 2012-1432 du 21 décembre 2012 relative à la sécurité et à la lutte contre le terrorisme, Communiqué de presse du Conseil des ministres du 3 octobre 2012. 232 Guérin, JCl, Pénal Code, Art. 421-1 à 422-7, fasc. 20, Rn. 52 f. 233 Guérin, JCl, Pénal Code, Art. 421-1 à 422-7, fasc. 20, Rn. 53. 234 Guérin, JCl, Pénal Code, Art. 421-1 à 422-7, fasc. 20, Rn. 53.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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d) Objektiver Tatbestand Art. 421-2-4 CP ist an Art. 221-5-1 CP angelehnt und dementsprechend ähnlich aufgebaut wie dieser.235 Wie in Art. 221-5-1 CP wird auch hier nur die direkte Provokation bestraft, die durch die aufgezählten Mittel (adminicules) erfolgt. Jedoch ist die Liste der Provokationsmittel in diesem Fall umfassender als die Liste für die Provokation in Art. 221-5-1 CP, da neben Angeboten oder Versprechungen, dem Anbieten von Zuwendungen, Geschenken oder sonstigen Vergütungen auch Drohungen oder das Ausüben von Druck erfasst werden. Aus der Nennung dieser adminicules lässt sich schließen, dass ein einfaches Einwirken auf Gefühle und Leidenschaften oder die Schaffung eines straftatenfördernden Klimas nicht ausreichen.236 Mit Blick auf den Gesetzestext wird deutlich, dass die Provokation an eine bestimmte Person adressiert sein muss.237 Es ist nicht erforderlich, dass die Provokation erfolgreich war, d. h., es wird nicht gefordert, dass die Person, an die sich die Anwerbung richtet, sich der Organisation auch wirklich anschließt oder terroristische Taten238 begeht. Im Falle einer erfolgreichen Anwerbung kann diese durch Art. 421-2-1 CP (association de malfaiteurs terroriste), d. h. als Beteiligung an einer Gruppe oder einem Zusammenschluss für die Vorbereitung einer terroristischen Handlung erfasst und bestraft werden. Art. 421-2-1 CP greift jedoch nicht, wenn die Anwerbung erfolglos geblieben ist.239 Die Provokation muss darauf abzielen, den anderen dazu anzuwerben, sich an einer Gruppe oder an einem Zusammenschluss zu beteiligen, die bzw. der darauf abzielt, eine terroristische Tat vorzubereiten oder sich an der Begehung einer terroristischen Tat, wie sie im code pénal normiert sind, zu beteiligen.
e) Subjektiver Tatbestand Der Täter muss vorsätzlich handeln. Demzufolge muss der Täter gewollt haben, den gesetzlichen Tatbestand zu verwirklichen, und er muss sich bewusst gewesen sein, dass er gegen das Gesetz verstößt (dol général).
235
Exposé des motifs, Projet de loi renforçant la prévention et la répression du terrorisme. So wie dies auch der Fall für den Art. 221-5-1 und 227-28-3 code pénal ist. 237 Siehe im Tatbestand: „Le fait d’adresser à une personne […].“ 238 Terroristische Taten siehe in der vorliegenden unten Arbeit Teil 2 Kapitel 2 B. II. 2. d) bb). 239 Siehe vertiefend dazu Commission mixte paritaire sur le projet de loi relatif à la sécurité et à la lutte contre le terrorisme, Mardi 4 décembre 2012. 236
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
f) Quintessenz In Art. 421-2-4 CP wird verlangt, dass die Provokation über zumindest eines der aufgezählten Beeinflussungsmittel erfolgen muss. Daraus lässt sich ein gewisser Handlungsdruck ableiten, der vom Motivator ausgeht.
II. Allgemeine (insb. öffentliche) direkte Motivation zur Begehung einer näher spezifizierten Tat Erfasst werden hier sowohl solche Tatbestände, die im code pénal normiert sind, als auch solche, die in der loi sur la liberté de la presse (dem Gesetz über die Freiheit der Presse, nachstehend LLP) von 1881 normiert sind. Beim LLP handelt es sich um ein grundlegendes Gesetz, da es trotz des irreführenden Titels nicht nur die Presse reguliert, sondern allgemein alle Äußerungen, die auf die eine oder andere Art veröffentlicht werden. Das Gesetz von 1881 zielt darauf ab, ein Gleichgewicht zwischen der Meinungsäußerungsfreiheit und ihren Beschränkungen herzustellen. In dem Gesetz von 1881 werden Missbräuche der Presse- und Meinungsäußerung sanktioniert und sog. Pressestraftaten (infractions de presse) festgelegt. Als Pressestraftaten gelten die Straftaten, die in Kapitel IV des Gesetzes von 1881 normiert sind und die mithilfe der Presse oder anderer Veröffentlichungsmittel begangen werden. Aufgrund des besonderen Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit sieht das Gesetz von 1881 besondere Strafverfolgungsregeln für Pressedelikte vor. Dementsprechend sieht Kapitel V LLP u. a. eine verkürzte Verjährungsfrist von drei Monaten vor, eine veränderte strafrechtliche Verantwortlichkeit (die sog. responsabilité en cascade), in der nicht der Autor der Verantwortliche ist, sondern der Herausgeber oder der Verleger, und es darf für diese Pressestraftaten weder zu einer vorübergehenden Inhaftierung (eine sog. Détention provisoire) noch zu einem Schnellverfahren i. S. einer comparution immédiate kommen.
1. Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen (Art. 23 LLP) a) Geltender Normtext Art. 23 LLP bestimmt, dass derjenige als Teilnehmer zu bestrafen ist, der öffentlich zur Begehung eines Verbrechens oder eines Vergehens provoziert: Seront punis comme complices d’une action qualifiée crime ou délit ceux qui, soit par des discours, cris ou menaces proférés dans des lieux ou réunions publics, soit par des écrits, imprimés, dessins, gravures, peintures, emblèmes, images ou tout autre support de l’écrit, de la parole ou de l’image vendus ou distribués, mis en vente ou exposés dans des lieux ou réunions publics, soit par des placards ou des affiches exposés au regard du public, soit par
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tout moyen de communication au public par voie électronique, auront directement provoqué l’auteur ou les auteurs à commettre ladite action, si la provocation a été suivie d’effet. Cette disposition sera également applicable lorsque la provocation n’aura été suivie que d’une tentative de crime prévue par l’article 2 du code pénal.240
b) Geschichtlicher Überblick Da Art. 121-7 CP nur solche Provokationen als Teilnahmehandlungen erfasst, die mithilfe der vorgeschriebenen Mittel erfolgt und an eine bestimmte Person oder an einen individualisierbaren Personenkreis gerichtet sind, entstand beim Gesetzgeber schon früh der Wille, auch solche Provokationen strafrechtlich zu ahnden, die sich an die breite Öffentlichkeit richten. Nach der Revolution wurden die Nachteile einer uneingeschränkten Freiheit für die Presse schnell sichtbar, und die neue Regierung erlies mehrere Verordnungen, die das Ziel hatten, die Freiheit der Presse wieder einzugrenzen.241 In der post-revolutionären Gesellschaft wurde insbesondere in der royalistischen Presse eine Gefahr für die neue Republik gesehen, und so wurde bereits 1791 überlegt, auch solche Provokationen strafrechtlich zu ahnden, die nicht an eine bestimmte Person oder an einen bestimmbaren Personenkreis gerichtet sind.242 Nach der fusillade du Champ-de-Mars (dem Massaker auf dem Marsfeld) am 17. Juli 1791 beschleunigten sich diese Überlegungen dramatisch. In der Tat wurde bereits am nächsten Tag, dem 18. Juli 1791, ein Dekret erlassen, dessen Artikel 1 vorsah, dass zu bestrafen ist, wer durch Plakate, veröffentlichte Schriften oder durch öffentliche Reden zu einem Mord, einer Plünderung, einer Brandlegung oder zu einem Ungehorsam dem Gesetz gegenüber provoziert. Diese Tendenz setzte sich auch im code pénal von 1810 fort, in den verschiedene Vorschriften verankert wurden, die die öffentliche Provokation zu verschiedenen
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Übersetzung Art. 23 LLP: „Werden als Teilnehmer an einem Vergehen oder Verbrechen diejenigen bestraft, die entweder durch das Kundgeben von Reden, Ausrufe oder Drohungen an öffentlichen Orten oder Versammlungen, oder durch den Verkauf, der Verbreitung, oder durch Angebote oder Ausstellung an einem öffentlichen Ort, oder durch Versammlung von Schriften, Drucksachen, Zeichnungen, Gravuren, Gemälden, Emblemen, Bildern oder von jedem anderen Wort oder Bildträger, oder durch Plakate oder Anzeigen, die dem Publikum zugänglich gemacht werden, oder durch jedes Mittel der öffentlichen elektronischen Kommunikation den Täter oder die Täter direkt zu der besagten Handlung provoziert haben, wenn die Provokation erfolglos bleibt.“ Die Bestimmung gilt auch, wenn auf die Provokation nur ein Versuch zum Verbrechen i. S. des Art. 2 des code pénal folgt. 241 Siehe zur Geschichte vertiefend Avenel, Histoire de la presse française. Depuis 1789 jusqu’à nos jours, S. 101 ff. 242 Siehe Bernabé, in: Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 25 ff.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Straftaten unter Strafe stellten.243 Mit einem weiteren Gesetz vom 17. Mai 1819 wurde in den Art. 1 bis 3, die den Art. 23 und 24 des LLP sehr ähnlich waren, die öffentliche Provokation zu Straftaten unter Strafe gestellt, unabhängig davon, ob sie erfolgreich war oder nicht.244 Neben diesen vereinzelten Tatbeständen wurde jedoch bereits im 19. Jahrhundert sichtbar, dass es, zusammen mit der Entwicklung der Presse, einer homogenen Kriminalisierung der öffentlichen Provokationen bedarf. Dieser Einsicht wurde der Gesetzgeber mit dem Gesetz über die Freiheit der Presse von 1881 gerecht. Ziel der LLP war es, nicht nur die Pressefreiheit zu garantieren, sondern auch besondere Regeln zu etablieren, die die strafrechtliche Ahndung von Verhaltensweisen ermöglichen, welche die öffentliche Ordnung stören, ohne dass es zu einer zu großen Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit kommt. Die LLP wurde bei ihrer Einführung in Frankreich als das Gesetz dargestellt, mit dem die Gesinnungsdelikte (die sog. „délit d’opinion“), worunter auch die indirekte Provokation und die Verherrlichung verstanden wurden, abgeschafft wurden.245 So traf ebenfalls im Jahr 1881, nur wenige Monate nach der Einführung der LLP, der Vorschlag, eine Person als Teilnehmer zu bestrafen, die durch Schriften oder öffentliche Reden andere dazu provoziert, Straftaten zu begehen, im Parlament auf Gegenwind, da einige Parlamentarier in diesem Vorschlag die Gefahr einer Wiedereinführung der Gesinnungsdelikte sahen.246 Diese Kritik konterte der Berichterstatter des Parlaments mit dem Argument, dass es sich bei der Provokation nicht um eine Meinungsäußerung handle, sondern um ein Tat, die zu gesellschaftlichen Unruhen führen und die öffentliche Sicherheit sowie die Freiheiten anderer beeinträchtigen könne.247 Letztendlich wurde Art. 23 LLP eingeführt, in dem die öffentliche Provokation zu einer Straftat unter Strafe gestellt wurde. Bei seiner Einführung lautete Art. 23 LLP wie folgt: Werden als Teilnehmer an einem Vergehen oder Verbrechen diejenigen bestraft, die entweder durch das Kundgeben von Reden, Ausrufe oder Drohungen an öffentlichen Orten oder Versammlungen, oder durch den Verkauf oder die Verbreitung von Schriften, Drucksachen oder durch Angebote oder Ausstellung an einem öffentlichen Ort oder Versammlung oder durch Plakate oder Anzeigen, die dem Publikum zugänglich gemacht werden, den Täter
243 Beispiel: Art. 207 des code pénal von 1810: „Sera puni comme coupable de la rébellion quiconque y aura provoqué, soit par des discours tenus dans des lieux ou réunions publics, soit par placards affichés, soit par écrits imprimés. Dans le cas où la rébellion n’aurait pas eu lieu, le provocateur sera puni d’un emprisonnement de six jours au moins et d’un an au plus.“ Oder auch Artikel 293 des code pénal von 1810 bezüglich der öffentlichen Provokation zu Vergehen oder Verbrechen in rechtswidrigen Vereinen oder Versammlungen. 244 Vertiefend hierzu siehe Carnot, Examen des lois des 17, 26 mai, 9 juin 1819 et 31 mars 1820, S. 1 ff. 245 Siehe Kempf, Ennemis d’État, S. 55 f. 246 Siehe de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 294. 247 JO 25 janvier 1881, Débats et documents parlementaires, Chambre, S. 35.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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oder die Täter direkt zu der besagten Handlung provoziert haben, wenn die Provokation erfolglos bleibt.248
Durch das Gesetz n° 72-546 vom 1. Juli 1972, die sog. „loi Pleven“, wurde die Liste der Mittel für die Öffentlichmachung der Provokation erweitert. 1985 wurde die audiovisuelle Kommunikation zu dieser Liste hinzugefügt.249 2004 wurde die Liste erneut erweitert und umfasst nun zusätzlich auch alle elektronischen Kommunikationsmittel.250
c) Strafbegründung Art. 23 des Gesetzes von 1881 ergänzt Art. 121-7 CP, indem dort vorgesehen wird, dass der Täter einer direkten öffentlichen Provokation i. S. des Art. 23 LLP als Teilnehmer bestraft wird. Es handelt sich dabei um eine Sonderform der Teilnahme.251 Die gleiche Bestrafung wie für den Teilnehmer zu verhängen, wird damit begründet, dass in der öffentlichen Provokation – also der Provokation, die sich an einen der Anzahl nach unbestimmten Adressatenkreis richtet – eine besondere Gefahr in dem Öffentlichkeitsfaktor gesehen wird. Es wird befürchtet, dass durch die Öffentlichkeit mehr Menschen dazu motiviert werden könnten, Straftaten zu begehen, und dass ein gruppendynamischer Effekt entstehen könnte, der besonders straftatenfördernd wirkt.252 Außerdem wird angeführt, dass die öffentliche Provokation besonders gefährlich sei, da der Provokateur nach seiner Äußerung keine Kontrolle mehr über das weitere Tatgeschehen hat.253 Garraud zufolge würde der Provokateur durch die Öffentlichkeit zum einen größere Chancen haben, jemanden zu finden, der zur Tatbegehung bereit ist, und zum anderen sei es viel leichter, eine Menschenmenge anzureizen oder zu beeindrucken: L’instigateur s’adresse à la foule, il a plus de chances de réussir et de trouver un exécuteur pour sa résolution criminelle que s’il s’adressait à un individu. Puis, la foule se laissent facilement
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Art. 23 LLP bei der Einführung in 1881: „Seront punis comme complices d’une action qualifiée crime ou délit ceux qui, soit par des discours, cris ou menaces proférés dans des lieux ou réunions publiques, soit par des écrits, des imprimés vendus ou distribués, mis en vente ou exposés dans des lieux ou réunions publiques, soit par des placards ou affiches exposés aux regards du public, auront directement provoqué l’auteur ou les auteurs à commettre ladite action, si la provocation a été suivie d’effet. Cette disposition sera également applicable lorsque la provocation n’aura été suivie que d’une tentative de crime prévue par l’article 2 du Code pénal.“ 249 Loi n° 85-1317 du 13 décembre 1985 modifiant la loi 82-652 du 29 juillet 1982 et portant dispositions diverses relatives à la communication audiovisuelle. 250 Loi n° 2004-575 du 21 juin 2004 pour la confiance dans l’économie numérique. 251 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 91. 252 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 87; de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 510. 253 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 86.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
émouvoir et impressionner. La provocation lancée au milieu d’une foule anonyme, c’est une allumette enflammée jetée dans un tas de matière explosive.254
In der Begründung dafür, weshalb der Provokateur bei einer öffentlichen Provokation wie ein Teilnehmer bestraft werden sollte, wird außerdem auf die besondere Gefahr verwiesen, die eine Provokation birgt, die öffentlich erfolgt. Zudem wird darauf hingewiesen, dass der Provokateur, der über eine höhere Intelligenz (supériorité de l’intelligence255) verfügt, die Massen leicht beeinflussen könne: „Au grand jour, au milieu de l’effervescence, il allume la guerre civile […].“256 Der Öffentlichkeitsfaktor ersetzt somit die in Art. 121-7 CP angeführten Provokationsmittel, die adminicules. In der Tat wird die Öffentlichkeit als ein den adminicules analoges und vergleichbares Mittel anerkannt, das im gleichen Maße Druck auf andere Personen ausübt, der darüber hinaus groß genug sei, um andere dazu zu bringen, straffällig zu werden.257 In der aktuellen Lehre wird mitunter die Ansicht vertreten, dass durch Art. 23 LLP die öffentliche Ordnung geschützt werden soll.258 Es wird jedoch auch die Auffassung vertreten, dass mit der Vorschrift jeweils die Werte (valeurs) geschützt werden, zu deren Verletzung der Täter provoziert hat.259
d) Objektiver Tatbestand aa) Haupttat Da der Provokateur als Teilnehmer bestraft wird, bedarf es, wie auch im Falle von Art. 121-7 code pénal, einer rechtswidrigen Haupttat. Hierbei kann es sich um ein Verbrechen oder um ein Vergehen handeln. Die öffentliche Provokation zu einer Übertretung wird von Art. 23 LLP hingegen nicht erfasst.
254 Garraud, Traité théorique et pratique du droit pénal français, Band 3, S. 77. Übersetzung: „Der Initiator, der sich an die Menge richtet, hat mehr Chancen, erfolgreich zu sein und einen Vollstrecker für seinen kriminellen Beschluss zu finden, als wenn er sich an einen Einzelnen wenden würde. Außerdem lässt sich eine Menge einfacher reizen und beeindrucken. Die Provokation, geworfen in die Mitte einer anonymen Menge, ist wie ein angezündetes Streichholz, das in einen Sprengstoffhaufen geworfen wurde.“ 255 Rede des Abgeordneten Robert de Massy, zitiert durch Fabreguettes in, De la complicité intellectuelle et des délits d’opinion – de la provocation et de l’apologie criminelles – de la propaganda anarchiste, S. 65. 256 Rede des Abgeordneten Robert de Massy, zitiert durch Fabreguettes in, De la complicité intellectuelle et des délits d’opinion – de la provocation et de l’apologie criminelles – de la propaganda anarchiste, S. 65. Übersetzung: „Am hellichten Tage, inmitten des Trubels, entzündet er einen Bürgerkrieg […]“. 257 Garraud, Traité théorique et pratique du droit pénal français, t. 3, Rn. 912. 258 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 136. 259 Besse, La pénalisation de l’expression publique, S. 68 ff.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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bb) Die Äußerungsmittel Bestraft wird die Provokation, die durch wenigstens eines der im Gesetz aufgezählten Äußerungsmittel erfolgt: durch Kundgaben von Reden, Ausrufe oder Drohungen an öffentlichen Orten oder Versammlungen, oder durch den Verkauf, die Verbreitung oder das Angebot oder die Ausstellung an einem öffentlichen Ort oder einer Versammlung von Schriften, Drucksachen, Zeichnungen, Gravuren, Gemälden, Emblemen, Bildern oder jedem anderen Wort oder Bildträger, oder durch Plakate oder Anzeigen, die dem Publikum zugänglich gemacht werden, oder durch jedes Mittel der öffentlichen elektronischen Kommunikation. Da es im Gesetz keine Definition der verschiedenen Äußerungsmittel gibt, hat sich die Lehre dieser Aufgabe angenommen. Unter Reden (discours) werden Ansprachen beliebiger Dauer und sogar einzelne Wörter verstanden, die auch gesungen werden können: „tout ensemble de mots, plus ou moins long, et même, à la limite, le mot isolé, lancé seul ou répété et scandé; le discours peut aussi prendre l’allure d’une chanson“.260 Das Reden sei vom Schreien (cris) zu unterscheiden, da beim Reden die Stimme nicht von Wut oder Aufregung geprägt sei.261 Unter Schriften (écrits) fallen sowohl der Druck als auch der Umdruck.262 Die durch die loi Pleven eingeführten Zeichnungen, Gravuren, Malereien und Bilder (dessins, gravures, peintures et images) werden in der Literatur als von sich aus hinreichend klar betrachtet und damit nicht weiter vertieft.263 Unter dem Begriff der Embleme (emblèmes) werden sämtliche allegorischen Darstellungen einer Idee, einer Meinung, eines Glaubens oder einer ethnischen, religiösen, sozialen oder politischen Zugehörigkeit verstanden.264 Gesten (geste) werden zwar nicht explizit genannt, jedoch wird in der Lehre angenommen, dass durch den Verweis auf die vom Gesetz explizit genannten Drohungen (menaces) auch Gesten erfasst werden.265 Damit die Vorschrift einen möglichst großen Anwendungsbereich hat, wurde schließlich hinzugefügt, dass die Provokation auch über alle sonstigen Formen mündlicher oder schriftlicher Träger oder Darstellungen erfolgen kann: „tout autre support de la parole, de l’écrit et de l’image“. Ziel war es hierbei, aufgrund der Entwicklung der Technik auch solche Provokationen zu erfassen, die durch die Verbreitung von Tonaufnahmen, Fotos oder Videos erfolgen. Mit der Hinzufügung der Bestimmung, dass auch jedes elektronische Kommunikationsmittel (tout moyen de communication au public par voie électronique) erfasst werden sollte, zielte der Gesetzgeber darauf ab, mit Art. 23 LLP auch diejenigen Provokationen zu erfassen, die über das Internet verbreitet werden. Die Liste ist demzufolge sehr weit gefasst 260 261 262 263 264 265
Merle / Vitu, Traité de droit criminel – Droit pénal spécial, t. 1, S. 1226. Fabreguettes, Traité des infractions de la parole, de l’écriture et de la presse, Rn. 719. Fabreguettes, Traité des infractions de la parole, de l’écriture et de la presse, Rn. 762. Besse, La pénalisation de l’expression publique, S. 39. Merle / Vitu, Traité de droit criminel – Droit pénal spécial, t. 1, S. 1229. Fabreguettes, Traité des infractions de la parole, de l’écriture et de la presse, Rn. 725.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
und lässt einen gewissen Spielraum, der es ermöglicht, besonders viele Provokationen, die über verschiedene Mittel an die Öffentlichkeit gelangen, zu erfassen.266
cc) Tathandlung Ausschlaggebend ist, dass die Provokation öffentlich erfolgt und an einen nicht bestimmbaren und individualisierbaren Personenkreis gerichtet ist. Demzufolge müssen Reden, Schreie oder Drohungen zum einen in einer Art ausgedrückt werden, die deutlich macht, dass sie nicht für einen kleinen Kreis bestimmt sind; d. h., dass sie mit einer verhältnismäßig lauten Stimme sowie mit einem Ton ausgesprochen werden müssen, der offensichtlich macht, dass die Äußerung nicht nur für die unmittelbare Umgebung bestimmt ist.267 Zum anderen müssen Reden, Schreie oder Drohungen an einem öffentlichen Ort oder in einer öffentlichen Versammlung geäußert werden (un lieu ou une réunion public). Ein Ort gilt dabei als öffentlich, wenn er allen Personen jederzeit zugänglich ist, ohne dass besondere Zugangsbedingungen zu erfüllen sind,268 wenn er jedem zugänglich ist, aber nur zu bestimmten Zeiten,269 oder wenn es sich um einen privaten Ort handelt, der für kurze Zeit für jedermann zugänglich ist (lieu public par accident).270 Der öffentliche Charakter einer Versammlung hängt von der Anzahl der Teilnehmer, der Beziehung der Teilnehmer untereinander sowie von den Bedingungen ihrer Aufnahme in die Versammlung ab, sodass es im Ermessen des Richters liegt zu bestimmen, ob die Versammlung öffentlich ist oder nicht.271 Schriften, Bilder, Zeichnungen etc. gelten dann als öffentlich, wenn sie verkauft, verteilt, an öffentlichen Orten ausgestellt oder dem Publikum auf andere Art zugänglich gemacht werden (mise à disposition du public).272 Damit die öffentliche Provokation nicht zu stark in die Meinungsäußerungsfreiheit eingreift, wird verlangt, dass die Provokation – wie in Art. 121-7 CP – „direkt“ erfolgt. Demzufolge muss die Straftat, zu der provoziert wird, hinreichend präzise und bestimmt sein.273 Die Provokation muss außerdem einen direkten Appell zur Begehung einer bestimmten Tat darstellen, was die einfache Einwirkung auf die Leidenschaften und Gefühle anderer ausschließt.274 Zudem wird verlangt, dass ein
266
Vgl. de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 296. Fabreguettes, Traité des infractions de la parole, de l’écriture et de la presse, Rn. 279. 268 In dem Fall handelt es sich um ein „lieu public par nature“, also um einen von Natur aus öffentlichen Ort. 269 Demnach ist es ein „lieu public par destination“, also ein Ort, der aufgrund seiner Zweckbestimmung öffentlich ist. 270 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 171–172. 271 Besse, La pénalisation de l’expression publique, S. 42–43. 272 Besse, La pénalisation de l’expression publique, S. 43. 273 Cass. crim. 5 janv. 1883, D. P. 1884, 1, S. 95. 274 de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 300. 267
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eindeutiger und unbestreitbarer Zusammenhang zwischen der Provokation und der begangenen Straftat etabliert werden kann.275 Die Provokation muss dabei zwar nicht der einzige Auslöser für die Begehung der Straftat gewesen sein, sie muss jedoch eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben.276 Die Bestrafung der Provokation ist darüber hinaus auch erfolgsgebunden, da verlangt wird, dass diese suivi d’effet ist. Demzufolge muss die öffentliche Provokation zur tatsächlichen Begehung der vom Provokateur anvisierten Tat geführt haben. Im Gegensatz zu Art. 121-7 CP wird jedoch nicht gefordert, dass die Provokation durch bestimmte Mittel, den adminicules, erfolgt.
e) Subjektiver Tatbestand Wie im Falle von Art. 121-7 CP muss der Provokateur in dem Wissen um die Haupttat und in dem Wollen, sich an dieser zu beteiligen, gehandelt haben. Auch gilt hier der Spezialvorsatz, wonach der Provokateur gewollt haben muss, dass es durch seine Provokation zur Tatbegehung kommt.277 Als Besonderheit des Gesetzes für die Freiheit der Presse muss die Provokation außerdem mit dem Willen erfolgen, von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden.278
f) Quintessenz Die Provokation in Art. 23 LLP muss direkt erfolgen. Demzufolge wird nur ein direkter Appell zur Begehung einer bestimmten Tat erfasst, wohingegen die einfache Einwirkung auf Leidenschaften und Gefühle ausgeschlossen wird. Hier wird deutlich, dass die Provokation einen gewissen Handlungsdruck ausüben muss. Die Provokation muss außerdem auf die Begehung einer hinreichend bestimmten Straftat ausgerichtet sein und es muss ein eindeutiger und unbestreitbarer Zusammenhang zwischen der Provokation und der begangenen Straftat etabliert werden können.
2. Direkte, öffentliche und erfolglose Provokation zu Straftaten (Art. 24 Abs. 1–4 LLP) Da der Gesetzgeber keine Nummerierung der Absätze vorgibt, herrscht in der Lehre Unsicherheit darüber, ob es sich bei Nr. 1 und 2 des Art. 24 LLP um einzelne
275 276 277 278
Cass. crim. 13 avril 1911: Bull. crim. n° 210; Cass. crim. 25 février 1954. de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 300. Besse, La pénalisation de l’expression publique, S. 69. Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 173.
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Absätze handelt oder ob beide Teile des ersten Absatzes sind.279 Um weiteren Verwirrungen entgegenzutreten, wird in der vorliegenden Arbeit davon ausgegangen, dass es sich bei den Nummern 1 und 2 um jeweils eigene Absätze handelt. Bei dieser Entscheidung stützt sich die Autorin auf das Rundschreiben des Generalsekretärs der Regierung vom 31. Oktober 2000, in dem jede Zeile als Absatz gezählt wird.280 Wie im Falle von § 130 StGB wird auch Art. 24 vom Gesetz von 1881 in verschiedene Teile aufgeteilt, da er unterschiedliche Motivationshandlungen normiert, die in der Metastruktur einzeln einzuordnen sind. In dieser Hinsicht kann bereits hier angeführt werden, dass die Absätze 1–4 des Art. 24 LLP (direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) als allgemeine Motivationen zur Begehung einer näher spezifizierten Tat kategorisiert wurden. Dahingegen wurden die Absätze 5 (Verherrlichung von Verbrechen) und 6 (aufrührerische Ausrufe oder Gesang) desselben Artikels als tatbezogene indirekte Motivationsdelikte klassifiziert und entsprechend in dieser Kategorie untersucht. Die Absätze 7 (öffentliche Provokation zur Diskriminierung) und 8 (Hass oder Gewalt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen) wurden stattdessen in die Kategorie der opferbezogenen indirekten Motivationsdelikte eingeordnet.
a) Geltender Normtext Art. 24 Abs. 1 bis 4 LLP lautet wie folgt: Seront punis de cinq ans d’emprisonnement et de 45 000 euros d’amende ceux qui, par l’un des moyens énoncés à l’article précédent, auront directement provoqué, dans le cas où cette provocation n’aurait pas été suivie d’effet, à commettre l’une des infractions suivantes: 1° Les atteintes volontaires à la vie, les atteintes volontaires à l’intégrité de la personne et les agressions sexuelles, définies par le livre II du code pénal; 2° Les vols, les extorsions et les destructions, dégradations et détériorations volontaires dangereuses pour les personnes, définis par le livre III du code pénal. Ceux qui, par les mêmes moyens, auront directement provoqué à l’un des crimes et délits portant atteinte aux intérêts fondamentaux de la nation prévus par le titre Ier du livre IV du code pénal, seront punis des mêmes peines.281
279 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, Fn. 8, S. 515. 280 Siehe Circulaire du 20 octobre 2000 relative au mode de décompte des alinéas lors de l’élaboration des textes, JORF n°253 du 31 octobre 2000, page 17302. 281 Übersetzung Art. 24 Abs. 1–4 LLP: „Mit fünf Jahren Freiheitsstrafe und 45.000 Euro Geldstrafe wird bestraft, wer durch eines der im vorherigen Artikel aufgezählten Mittel direkt und erfolglos zu folgenden Straftaten provoziert hat: 1° vorsätzliche Angriffe auf das Leben oder die psychische Integrität sowie sexuelle Übergriffe, die in Buch II des code pénal definiert sind;
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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b) Geschichtlicher Überblick Bei der Einführung des Gesetzes über die Freiheit der Presse im Jahr 1881 wurde viel darüber diskutiert, ob ein Art. 24 LLP eingeführt werden sollte, in dem die Provokation ohne Erfolg bestraft werden sollte. Darunter sei ein Straftatbestand zu verstehen, in dem eine öffentliche Provokation unabhängig davon bestraft wird, ob es tatsächlich zu einer Begehung der provozierten Tat kommt oder nicht. Die Einführung eines solchen Artikels wurde im Parlament stark kritisiert und es wurde der Vorwurf erhoben, dies würde zur Wiedereinführung der Gesinnungsdelikte führen.282 Andere Parlamentarier vertraten jedoch die Ansicht, dass eine solche Provokation an sich schon störend und schädlich genug sei, sodass die Bedingung einer tatsächlich begangenen Tat nicht ausschlaggebend und damit nicht erforderlich sei.283 Letztendlich wurde der Aufnahme eines entsprechenden Artikels in das Gesetz von 1881 zugestimmt. Der Art. 24 Abs. 1 LLP war wie folgt formuliert: Ceux qui, par les moyens énoncés en l’article précédent, auront directement provoqué à commettre les crimes de meurtre, de pillage et d’incendie, ou l’un des crimes contre la sûreté de l’Etat, prévus par les article 75 et suivants jusques et y compris l’article 101 du code pénal, seront punis, dans le cas où cette provocation n’aurait pas été suivie d’effet, de trois mois à deux ans d’emprisonnement, et de 100 francs à 3.000 francs d’amende.284
In den darauffolgenden Veränderungen wurden der Tatbestand sowie die Liste der Straftaten, zu denen provoziert werden kann, erweitert. Bezüglich der in diesem Teil untersuchten Absätze (Abs. 1–4) ist lediglich das Gesetz vom 5. Januar 1951 von Bedeutung. Durch dieses Gesetz wurde in Abs. 2 eingefügt, dass zu bestrafen ist, wer direkt zur Begehung von Verbrechen provoziert, die grundlegende Interessen der Nation gefährden. Bei der Neufassung des code pénal im Jahr 1994 wurde auch Art. 24 in seiner redaktionellen Art verändert. Abs. 1 wurde getrennt und die Unterscheidung verdeutlicht zwischen (1.) vorsätzlichen Angriffen, die sich auf Personen beziehen (Angriffe auf das Leben oder die psychische Integrität sowie sexuelle Übergriffe) und
2° Diebstähle, Erpressungen, mutwillige Zerstörungen, Beschädigungen und Beeinträchtigungen von Eigentum und der daraus resultierenden Gefährdung für die Personen, die in Buch III des code pénal definiert sind; Diejenigen, die durch die gleichen Mittel direkt zu einem Vergehen und Verbrechen, die die grundlegenden Interessen der Nation beeinträchtigen und die in Buch IV des code pénal definiert sind, provozieren, werden mit den gleichen Strafen bestraft.“ 282 JO 10 juillet 1881, Débats parlementaires Sénat, S. 1101. 283 Siehe hierzu de Lamy, der die Diskussionen anführt. In de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 312. 284 Übersetzung Fassung Art. 24 Abs. 1 bei seiner Einführung 1881: „Diejenigen, die über die Mittel des vorherigen Artikels unmittelbar zu einem Mord, einer Plünderung oder Brandstiftung, oder zu einem Verbrechen gegen die Sicherheit des Staates der Art. 75 und folgende sowie auch Art. 101 des code pénal provoziert haben, werden, wenn die Provokation erfolglos war, mit drei Monaten bis zwei Jahren Gefängnis und 3.000 Francs Geldstrafe bestraft.“
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(2.) Angriffen, die sich auf Sachen beziehen (Diebstahl, Erpressung, mutwillige Zerstörung, Beschädigung und Beeinträchtigung von Eigentum).285
c) Strafbegründung Ähnlich wie in Art. 23 LLP wird in den Abs. 1–4 des Art. 24 LLP die öffentliche Provokation bestraft, mit der Begründung, dass diese aufgrund der Öffentlichkeit besonders gefährlich sei.286 Im Rahmen der Diskussionen im Parlament wurde die Einführung des Art. 24 LLP und der Provokation ohne Erfolg damit begründet, dass eine Provokation zu einem Verbrechen von sich aus schon gefährlich genug sei und dass es für einen effektiven Schutz der Gesellschaft nötig sei, solche Verhaltensweisen unabhängig von ihrem Erfolg zu bestrafen.287 Dem Gesetzgeber zufolge stelle die Provokation ohne Erfolg im gleichen Maße eine wirkliche Bedrohung der öffentlichen Sicherheit dar wie die Provokation mit Erfolg, und sie führe auch im gleichen Maß zu einer Störung der öffentlichen Ordnung, da es sich auch bei der direkten Provokation ohne Erfolg nicht nur um eine einfache Meinungsäußerung, sondern um ein die Gesellschaft und den Einzelnen schädigendes Verhalten handle.288 Von einem Teil der Lehre wird die Ansicht vertreten, dass die Absätze eher auf einen allgemeinen Schutz der öffentlichen Ordnung verweisen als auf den Schutz von individuellen Werten.289 So sollen diese Absätze in erster Linie die öffentliche Ordnung schützen, da die Provokation zu bestimmten Vergehen oder Verbrechen als ein Angriff gegen die Gesetze an sich gelten und der Provokateur damit versucht, den Achtungsanspruch des Gesetzes bei seinen Adressaten zu untergraben.290 Ein anderer Teil der Lehre vertritt dahingegen die Ansicht, dass mit dem Verweis auf die im code pénal enthaltenen Vergehen oder Verbrechen auch deren
285
Loi n° 92-1336 du 16 décembre 1992 relative à l’entrée en vigueur du nouveau code pénal et à la modification de certaines dispositions de droit pénal et de procédure pénale rendue nécessaire par cette entrée en vigueur, Art. 246. 286 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 90 f. 287 Siehe Fabreguettes: „[…] qu’il n’est pas possible de laisser se produire, impunément, les provocations les plus criminelles, et d’attendre, pour protéger la société, que ces provocations aient réalisé leurs conséquences naturelles“. In Fabreguettes, Traité des infractions de la parole, de l’écriture et de la presse, Rn. 825. 288 Siehe Fabreguettes: „La provocation est, dans cette hypothèse (a dit le rapporteur, M. Lisbonne), comme dans celle où elle a été suivie d’effet, un acte et non pas l’expression d’une opinion, la manifestation d’une doctrine ou d’une tendance; elle est une véritable menace à la sécurité publique; elle cause un trouble, c’est à dire un dommage appréciable à la Société (sic) ou à l’individu […]“. In Fabreguettes, Traité des infractions de la parole, de l’écriture et de la presse, Rn. 826. 289 Besse, La pénalisation de l’expression publique, S. 72–73. 290 Siehe Besse, La pénalisation de l’expression publique, S. 72–73; ähnlich Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 136 ff.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Werte geschützt werden sollen.291 In der Lehre wird diesbezüglich angeführt, dass die verschiedenen Straftatbestände innerhalb des code pénal – ähnlich dem deutschen StGB – nach den valeurs, den Werten, vom Gesetzgeber als schützenswert anerkannt, systematisiert und geordnet werden.292 Aus diesem Grund wird zur Bestimmung der Werte, die der Gesetzgeber durch die verschiedenen Tatbestände schützen will, oft auf deren Platz innerhalb des code pénal verweisen.293 In diesem Sinne schütze Art. 24 Abs. 2 LLP mit seinem Verweis auf die Delikte in Buch II (Verbrechen und Vergehen gegen Personen) des code pénal also die Person bzw. die körperliche Unversehrtheit, Abs. 3. mit dem Verweis auf Buch III (Verbrechen und Vergehen gegen Sach- und Vermögensgüter) des code pénal die Sach- und Vermögensgüter und Abs. 4 mit dem Verweis auf das Buch IV (Verbrechen und Vergehen gegen die Nation, den Staat und den öffentlichen Frieden) die Nation, den Staat und den öffentlichen Frieden.
d) Objektiver Tatbestand In den Abs. 1–4 des Art. 24 LLP wird die direkte Provokation zu bestimmten Straftaten unter Strafe gestellt, die in den Abs. 2–4 mit Verweis auf den code pénal aufgelistet werden. Es handelt sich hierbei um eine autonome Bestrafung der Provokation.
aa) Tathandlung Während für die Straftaten in Art. 24 Abs. 2 und Abs. 3 LLP deutlich gemacht wird, dass die Provokation ohne Erfolg erfasst wird, wird dies in Abs. 4 nicht ausdrücklich festgelegt. In der Lehre wird jedoch davon ausgegangen, dass der Gesetzgeber es entsprechend im Gesetz kenntlich gemacht hätte, hätte er ausschließlich die Provokation mit Erfolg bestrafen wollen. Da eine solche offensichtliche Referenz fehle, würde sowohl die Provokation mit Erfolg als auch die Provokation ohne Erfolg unter Strafe gestellt.294 Diese Überlegung treffe auch auf Art. 24 Abs. 4 LLP zu. Da es für die Bestrafung einer direkten und öffentlichen Provokation zu den Vergehen oder Verbrechen, die in Buch IV, Titel I, code pénal normiert sind, also keiner tatsächlichen Straftatbegehung bedarf, handelt es sich bei Art. 24 Abs. 1–4 LLP um eine infraction formelle, die unabhängig von dem Eintreten eines Erfolges i. S. der tatsächlichen Begehung der Tat, zu der provoziert wurde, bestraft wird.
291
de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 310 ff., 341. Siehe Poncela / Lascoumes, Réformer le code pénal, S. 74 ff.; Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, S. 159. 293 Vertiefend dazu siehe unten Teil 3 B. I. 2. b). 294 Siehe Dupuy, La provocation en droit pénal, S. 154. 292
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Geltend für alle Absätze muss die Provokation jedoch öffentlich erfolgen und direkt sein. Für die Öffentlichkeitsbedingungen verweisen Art. 24 Abs. 1 und 4 auf Art. 23 LLP.295 Ausgeschlossen sind somit solche Provokationen, die an eine bestimmte Person oder an einen kleinen Adressatenkreis adressiert sind, ohne dass die Möglichkeit besteht, dass sie über eines der oben genannten Mittel an die Öffentlichkeit gelangen. Außerdem muss die Provokation direkt erfolgen; d. h., dass sich die Provokation auf eine Tat beziehen muss, die hinreichend bestimmt ist, dass der Appell zur Tatbegehung explizit ist und dass zwischen der Provokation und der Tat ein eindeutiger und unbestreitbarer Zusammenhang besteht.296 Dabei stellt sich im Rahmen einer Provokation ohne Erfolg die Frage, wie ein Zusammenhang zwischen der Provokation und einer Tat, die nicht realisiert wurde, etabliert werden kann. Da es an einer tatsächlich begangenen Tat mangelt, muss die Bedingung der Direktheit von der Provokation selbst, d. h. von ihrer Formulierung und ihrem Ausdruck, abgeleitet werden. Dementsprechend werden nur solche Provokationen im Rahmen des Art. 24 Abs. 1–4 LLP erfasst, die aufgrund ihres Inhalts und ihrer Formulierung deutlich als ein expliziter Appell zur Begehung einer bestimmten Tat erkannt werden können. Schleichende, unklare oder perfide Provokationen, bei denen der Appell zu einer Tatbegehung verschleiert wird oder aus anderen Gründen nicht deutlich zu erkennen ist, sind demnach ausgeschlossen.297 Barbier zufolge handelt es sich somit um eine direkte Provokation, wenn sie „manifeste, patente, flagrante, que non seulement par son esprit, mais par ses termes mêmes, elle excite à commettre un fait déterminé, constituant l’un des crimes de l’article 24“.298 Eine einfache Beeinflussung oder Einwirkung auf Gefühle und Emotionen oder das Schaffen eines straftatenfördernden Klimas (climat délictuel) reichen demzufolge nicht aus.299 Somit handelt es sich z. B. nicht um eine direkte Provokation ohne Erfolg i. S. des Art. 24 Abs. 2 LLP, wenn über eine Telefonleitung, genannt „la ligne de la peur“ („Leitung der Angst“), eine Geschichte verbreitet wird, die den Kampf zwischen zwei Brüdern erzählt und die mit vielen Details bezüglich der begangenen Gewaltund Gräueltaten ausgeschmückt und von aufgenommenen Schreien unterbrochen wird. Die Rechtsprechung schließt in diesem Fall eine direkte Provokation zum Mord aus, da es sich hierbei nicht um einen expliziten Appell zum Mord oder zur Verletzung eines Lebens handelt.300 295
Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 B. II. 1. d) aa). de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 310; Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 320. 297 Vgl. de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 310. 298 Barbier, Code expliqué de la presse, S. 297. Übersetzung: „offensichtlich, deutlich, flagrant, dass sie nicht nur ihrem Sinne nach, sondern auch ihrem Wortlaut nach zu der Begehung einer bestimmten Tat anregt, die ein Verbrechen i. S. des Art. 24 darstellt.“ 299 de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 341; Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 321. 300 Trib. corr. Paris, 10 nov. 1992, GP 1993, 1. 296
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bb) Katalogstraftaten In Art. 24 Abs. 2–4 LLP werden mit Verweis auf den code pénal die verschiedenen Straftaten aufgelistet, für welche die direkte und öffentliche Provokation i. S. des Art. 24 Abs. 1–4 LLP unter Strafe gestellt wird. Es handelt sich hierbei sowohl um Vergehen als auch um Verbrechen. Abs. 2 verweist auf die vorsätzlichen Angriffe auf das Leben oder die psychische Integrität sowie auf sexuelle Übergriffe, die in Buch II des code pénal definiert sind. Abs. 3 verweist auf Diebstähle, Erpressungen, mutwillige Zerstörungen, Beschädigungen und Beeinträchtigungen von Eigentum und der daraus resultierenden Gefährdung für Personen, die in Buch III des code pénal normiert sind. Abs. 4 verweist dahingegen allgemein auf Vergehen und Verbrechen, die nationale Grundinteressen beeinträchtigen und in Buch IV, Titel I des code pénal genannt werden. Unter den Vergehen und Verbrechen, die unter Titel I des IV. Buches zu finden sind, befinden sich auch Vorschriften bezüglich des Verrates und der Spionage, Vorschriften bezüglich der Verletzung der Landesverteidigung sowie Vorschriften, die Komplotte und Aufstandsbewegungen unter Strafe stellen.
e) Subjektiver Tatbestand Der Täter muss vorsätzlich handeln, wobei der Generalvorsatz (dol général) ausreicht. Demzufolge muss der Täter gewollt haben, den gesetzlichen Tatbestand zu verwirklichen, und er muss sich bewusst gewesen sein, dass er gegen das Gesetz verstößt.301 Außerdem muss die Provokation mit dem Willen erfolgen, dass diese von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wird.302
f) Quintessenz Die Provokation in Art. 24 Abs. 1–4 LLP muss direkt erfolgen. Demzufolge muss es sich um einen direkten Appell zur Begehung einer bestimmten Tat handeln. Einfache Einwirkungen auf Gefühle und Emotionen reichen nicht aus. Die Provokation muss sich außerdem auf eine der Katalogstraftaten beziehen.
301 Cass. crim. 29 oct. 1936: Bull. crim. n° 104; CA Nancy, 10 oct. 1950, D. 1951. Somm. 30; CA Rouen, 14 déc. 2005; JCP 2006. IV. 2412. 302 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 173.
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3. Direkte Provokation zu den Verbrechen des Verrats oder der Spionage (Artikel 411-11 CP) a) Geltender Normtext In Artikel 411-11 des code pénal wird die direkte Provokation zu den Verbrechen des Verrats oder der Spionage bestraft: Le fait, par promesses, offres, pressions, menaces ou voies de fait, de provoquer directement à commettre l’un des crimes prévus au présent chapitre, lorsque la provocation n’est pas suivie d’effet en raison de circonstances indépendantes de la volonté de son auteur, est puni de sept ans d’emprisonnement et de 100 000 euros d’amende.303
b) Geschichtlicher Überblick Bereits im code pénal von 1810, in dem mehrere Vorschriften für die Regulierung der Presse enthalten waren, gab es eine Vorschrift (Art. 73), die die Provokation zum Verrat und zur Spionage unter Strafe stellte. Im Unterschied zum heute einschlägigen Art. 411-11 CP wurde in Art. 73 des code pénal ancien (alten Strafgesetzbuches), das vor 1994 galt, jedoch die Provokation zur Begehung oder das Angebot zur Begehung solcher Taten bestraft. Es handelt sich bei Art. 73 außerdem um ein Verbrechen, dass mit einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe bestraft wurde, während es sich bei Art. 411-11 CP um ein Vergehen handelt.304 Mit dem neuen code pénal von 1994 wurde der frühere Art. 73 aufgehoben und an dessen Stelle die Provokation zum Verrat und zur Spionage in Art. 411-11 CP normiert. Die letzte Änderung des Tatbestandes erfolgte mit der Verordnung vom 19. September 2000, mit der die Währung der Geldstrafen von Franc in Euro umgewandelt wurde.305
303 Übersetzung Art. 411-11 CP: „Wer durch Versprechungen, Angebote, Druck, Drohungen oder Tätlichkeiten direkt zur Begehung eines der in diesem Kapitel genannten Verbrechen provoziert, wird, wenn die Provokation aufgrund von Umständen, die vom Willen des Täters unabhängig sind, erfolglos bleibt, mit sieben Jahren Gefängnis und 100.000 Euro Geldstrafe bestraft.“ 304 Vertiefend zu Art. 73 des alten code pénal siehe Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 140. 305 Ordonnance n° 2000-916 du 19 septembre 2000 portant adaptation de la valeur en euros de certains montants exprimés en francs dans les textes législatifs.
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c) Strafbegründung Es soll verhindert werden, dass Dritte zur Spionage oder zum Verrat provoziert werden.306 Aufgrund der Stellung der Vorschrift in Buch IV des code pénal ist zu erkennen, dass der Gesetzgeber mit dem Artikel in erster Linie die Nation, den Staat und die öffentliche Sicherheit schützen will. Während Martin-Valente in dieser Provokation eine Gefährdung der staatlichen Ordnung erkennt,307 sieht de Lamy die öffentliche Sicherheit gefährdet.308
d) Objektiver Tatbestand aa) Tathandlung Die Provokation muss, ähnlich wie in Art. 121-7 CP, durch wenigstens eines der im Tatbestand aufgezählten Mittel (adminicules) erfolgen: Versprechungen, Angebote, Druckmittel, Drohungen oder Tätlichkeiten. Diese Liste ist abschließend. Unklar ist jedoch, wo der Unterschied zwischen Druckmitteln und Drohungen sowie zwischen Versprechungen und Angeboten liegt.309 Im Unterschied zu Art. 121-7 CP werden hier Provokationen durch Gewalt oder durch Missbrauch von Autorität nicht erfasst. Außerdem wird nur die direkte Provokation bestraft. Demzufolge muss der Provokateur die Tat, zu deren Begegnung er provoziert, hinreichend genau bestimmen.310 Der Provokateur muss explizit und ausdrücklich zum Verrat oder zur Spionage provozieren. Eine einfache Einwirkung auf die Gefühle oder das Schaffen eines straftatenfördernden Klimas reichen nicht aus.311 Dabei ist es unwichtig, ob es durch die erfasste Provokation zu einem Erfolg i. S. einer wirklichen Tatbegehung gekommen ist oder nicht. Bestraft wird sowohl die Provokation, die zur tatsächlichen Begehung einer der Taten in Art. 411-1 bis 411-10 CP geführt hat (provocation suivi d’effet), als auch die Provokation, die erfolglos blieb (provocation non sivi d’effet).312 Demnach handelt es sich bei Art. 411-11 CP um eine infraction formelle.313
306
Malabat, Droit pénal spécial, S. 603. Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 140. 308 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 873. 309 Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 823. 310 Vgl. Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 322 ff. 311 Siehe Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 322 ff. 312 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 873. 313 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 873. 307
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Art. 411-11 CP zufolge wird sowohl die Provokation erfasst, die öffentlich erfolgt, sich also an einen unbestimmten Personenkreis wendet, als auch die, die an eine bestimmte Person oder an einen individualisierbaren Personenkreis adressiert ist.314 Im Falle einer öffentlichen Provokation zur Spionage oder zum Verrat, die über eines der in Art. 23 des Gesetzes von 1881 aufgezählten Mittel erfolgt und ohne Erfolg bleibt, ist Art. 411-11 CP jedoch Art. 24 LLP vorzuziehen.315 Gleiches gilt für die öffentliche Provokation durch eines der Mittel in Art. 23 LLP. In diesem Fall soll Art. 23 LLP vorgezogen werden, da dieser eine schwerere Strafe vorsieht.316
bb) Tatobjekt: Verbrechen des Verrats oder der Spionage Bestraft wird die Provokation zu den Verbrechen, die in Kapitel I, Buch IV, Titel I. normiert sind. Art. 411-1 CP zufolge kann der Verrat nur durch einen Franzosen oder einen Soldaten im Dienste Frankreichs begangen werden, während die Spionage von jeder beliebigen Person begangen werden kann.317 Da in dem benannten Kapitel des code pénal nur die Provokation zu Verbrechen bestraft wird, wird nicht allgemein die Provokation zur Spionage oder zum Verrat bestraft.318 Bestraft wird die Provokation: – zur Preisgabe der Gesamtheit oder von Teilen des Staatsgebiets, von Streitkräften oder von militärischem Gerät an eine fremde Macht (Art. 411-2 und 411-3 CP), – zu einer geheimen Verbindung zu einer fremden Macht (Art. 411-4 CP), – zur Preisgabe von Informationen an eine fremde Macht (Art. 411-6 CP) sowie – zur materiellen Sabotage (Art. 411-9 CP).
e) Subjektiver Tatbestand Es handelt sich bei Art. 411-11 CP um eine infraction intentionelle, die verlangt, dass der Täter gewusst und gewollt haben muss, dass er durch seine Handlung andere zur Spionage oder zum Verrat provoziert (dol général).319
314 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 874. 315 Cass. crim. 24 mars 1955: Bull. crim. n° 177. 316 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 874. 317 Vertiefend hierzu siehe Rousseau, JCl. Code Pénal, Art. 411-1 à 411-11, fasc. 20, Rn. 11 ff. 318 Rousseau, JCl. Code Pénal, Art. 411-1 à 411-11, fasc. 20, Rn. 103. 319 Cass. crim. 1 mars 1951: Bull. crim. 1951, n° 68; Rousseau, JCl. Code Pénal, Art. 411-1 à 411-11, fasc. 20, Rn. 107.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
253
f) Quintessenz Die in Art. 411-11 CP erfasste Provokation muss über die im Tatbestand aufgezählten Mittel erfolgen. Es wird außerdem verlangt, dass die Provokation direkt erfolgt. Aus diesen Elementen lässt sich schließen, dass die Provokation einen gewissen Druck auf den Motivator ausüben muss, sodass einfache Einwirkungen auf Gefühle ausgeschlossen werden können.
4. Direkte Provokation zur Rebellion (Art. 433-10 CP) a) Geltender Normtext Bestraft wird die direkte Provokation zu einer im code pénal definierten und bestraften Rebellion gegen einen Inhaber öffentlicher Gewalt oder einer mit einer öffentlichen Aufgabe betrauten Person, die in Ausübung ihres Amtes oder in Ausführung von Gesetzen, Befehlen der öffentlichen Gewalt oder gerichtlichen Entscheidungen oder Befehlen handelt: La provocation directe à la rébellion, manifestée soit par des cris ou des discours publics, soit par des écrits affichés ou distribués, soit par tout autre moyen de transmission de l’écrit, de la parole ou de l’image, est punie de deux mois d’emprisonnement et de 7 500 euros d’amende. Lorsque le délit prévu à l’alinéa précédent est commis par la voie de la presse écrite ou audiovisuelle, les dispositions particulières des lois qui régissent ces matières sont applicables en ce qui concerne la détermination des personnes responsables.320
Es handelt sich hierbei wiederum um eine autonome Bestrafung der Provokation, bei der der Provokateur als Täter und nicht nur als Teilnehmer bestraft wird (siehe Art. 121-7 CP). b) Geschichtlicher Überblick Im code pénal von 1810 gab es einen Art. 217, der die erfolglose Provokation zu einer Rebellion unter Strafe stellte.321 Dieser Artikel wurde jedoch durch das Ge320 Übersetzung Art. 433-10 CP: „Die direkte Provokation zur Rebellion, kundgetan durch öffentliche Ausrufe oder Reden, öffentlich bekanntgemachte oder verteilte Schriften oder jedes andere Mittel der schriftlichen, mündlichen oder bildlichen Übermittlung, wird mit zwei Monaten Gefängnis und 7.500 Euro Geldstrafe bestraft. Wird das Vergehen aus dem vorherigen Absatz über die Presse oder über audiovisuelle Medien begangen, gelten für die Feststellung der verantwortlichen Personen die besonderen Bestimmungen, die diese Materie regeln.“ 321 Siehe Art. 217 des code pénal von 1881: „Sera puni comme coupable de la rébellion quiconque y aura provoqué, soit par des discours tenus dans des lieux ou réunions publics, soit par placards affichés, soit par écrits imprimés. Dans le cas où la rébellion n’aurait pas eu lieu, le provocateur sera puni d’un emprisonnement de six jours au moins et d’un an au plus.“
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
setz vom 17. Mai 1819 abgeschafft.322 Mit dem neuen code pénal von 1994 wurde dann Art. 433-10 CP eingeführt, der seitdem die direkte Provokation zur Rebellion unabhängig von ihren Folgen unter Strafe stellt. Mit dem Gesetz n° 2007-297 vom 5. März 2007 bezüglich der Prävention der Kriminalität323 wurde der Strafrahmen erhöht. Während Art. 433-10 CP ursprünglich lediglich eine Geldstrafe vorsah, wird seit 2007 die Provokation zur Rebellion mit zwei Jahren Haftstrafe und einer Geldstrafe in Höhe von 7.500 Euro bestraft. Die Einführung einer Haftstrafe wurde vom Gesetzgeber mit dem Wunsch begründet, diejenigen Personen in Polizeigewahrsam (garde à vue) nehmen zu können, die bei Polizeieinsätzen anwesend sind und zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Bevölkerung und den Polizisten provozieren, ohne selbst daran teilzunehmen.324 Die garde à vue kann dabei nur für Vergehen oder Verbrechen angeordnet werden. Mit der Einführung einer Haftstrafe wechselt Art. 433-10 CP von der Kategorie der contravention (Übertretung) in die Kategorie der délit (Vergehen).
c) Strafbegründung In der Provokation zu einer Rebellion wird die Gefahr gesehen, dass diese zur Begehung einer ebensolchen motiviert. Die Rebellion, verstanden als gewalttätiger Widerstand gegen die öffentlichen und staatlichen Behörden, wird als ausdrücklicher Wille betrachtet, das Gesetz zu bestreiten.325 Der Gesetzgeber von 1992 sah in der Bestrafung der Rebellion und in der Bestrafung der Provokation zu solchen Taten eine Notwendigkeit für das Leben in einer demokratischen Gesellschaft.326 Dabei wurde der Provokateur als Auslöser gesehen, ohne den es erst gar nicht zu einer Rebellion kommen könne: Ceux qui agissent dans une rébellion, sont bien coupables sans doute; mais ceux qui la provoquent par des discours, par des placards ou par des écrits imprimés, ne le sont pas moins. Sans cette provocation le crime n’eût pas été commis.327 322
Das Gesetz vom 17. Mai 1819 ist eines der Gesetze, die auch „loi de Serre“ genannt werden und die während der zweiten Restauration erlassen wurden. Diese Gesetze etablierten ein liberales Umfeld für die Presse. Siehe vertiefend dazu, Bernabé, in: Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 34. 323 Loi n° 2007-297 du 5 mars 2007 relative à la prévention de la délinquance. 324 Projet de loi relatif à la prévention de la délinquance, Rapport n° 132 (2006–2007) de M. Jean-René Lecerf, fait au nom de la commission des lois, déposé le 20 décembre 2006, Chapitre V. 325 Débats parlementaires, 12ème Séance du jeudi 23 avril 1992, Compte rendu intégral, S. 839 ff. 326 Débats parlementaires, 12ème Séance du jeudi 23 avril 1992, Compte rendu intégral, S. 839 ff. 327 Dufour zitiert die Rede von Noailles, in Dufour, Code criminel avec instructions et formules, Rn. 217. Übersetzung: „Diejenigen, die im Rahmen einer Rebellion handeln, sind ohne Zweifel schuldig; aber diejenigen, die sie durch Reden, Aushänge oder durch gedruckte Schriften provozieren, sind nicht weniger schuldig. Ohne diese Provokation wäre dieses Verbrechen nicht begangen worden.“
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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In der heutigen Lehre wird hervorgehoben, dass es sich bei dem in Art. 43310 CP geschützten Wert um die res publica handelt, die alle Aspekte der Organisation, der Funktion und des Lebens in einer Gesellschaft umfasst.328 Ziel sei es, Verhaltensweisen zu bestrafen, die die Aufgabe der Repräsentanten des staatlichen Gewaltmonopols besonders erschweren oder verhindern.329 Geschützt werden sollen die öffentlichen und staatlichen Behörden.330 Dies wird auch durch die Stellung des Artikels im code pénal bestätigt, der sich in Buch IV (Verbrechen und Vergehen gegen die Nation, den Staat und den öffentlichen Frieden), Titel III (Beeinträchtigungen der Staatsgewalt), Kapitel III (Beeinträchtigungen der öffentlichen Verwaltung durch Privatpersonen) befindet.
d) Objektiver Tatbestand aa) Tathandlung Ein Blick auf die aufgezählten Mittel zeigt, dass die Provokation öffentlich erfolgen muss. Demzufolge muss die Provokation entweder durch Schreie, öffentliche Reden, öffentlich bekanntgemachte oder verteilte Schriften oder andere Mittel der schriftlichen, mündlichen oder bildlichen Übermittlung öffentlich gemacht werden.331 Die Provokation besteht nur, wenn sie durch wenigstens eines der im Gesetz aufgelisteten Mittel verbreitet wurde. Die Provokation muss außerdem direkt erfolgen. Dementsprechend müssen die Äußerungen einen expliziten Appell zur Begehung einer Rebellion i. S. des Art. 433-6 CP darstellen. Die Provokation muss demnach klar erkennbar machen, dass zu einer Rebellion provoziert wird.332 Außerdem muss es sich um einen expliziten Appell handeln; ausgeschlossen sind einfache Einwirkungen auf Gefühle.333 Nicht von Bedeutung ist dabei, ob es zu einem Erfolg i. S. einer Rebellion gekommen ist oder nicht.334 Demzufolge kann der Provokateur auch dann bestraft werden, wenn es nicht zu einer Rebellion gekommen ist. Somit handelt es sich hierbei um eine infraction formelle, die unabhängig von einem Erfolg bestraft wird. 328
de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 346. Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 149. 330 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 147. 331 CA Rouen, 4 mai 2009, n° 08/00841; vertiefend zu diesen Mitteln siehe die Ausführungen oben für Art. 23 in Teil 2 Kapitel 2 B. II. 1. d) aa). 332 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 872 ff. 333 CA Toulouse, 14 fév. 2008, n° 07/00438 (Direkte Provokation gegenüber Polizisten, die einen Tatverdächtigen festzunehmen versuchten: „Venez m’aider, me libérer, au secours“ – Übersetzung: „Kommt mir helfen, mich befreien, mir zu helfen); CA Lyon, 25 févr. 2009, n° 2144/00008 („Jetez leur des caillasses, allez y“ – Übersetzung: „Werft Steine auf sie, los geht’s“); CA Douai, 1 avr. 2010, n° 10/00236; de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 872 ff. 334 André, Droit pénal spécial, S. 466. 329
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Obwohl der Tatbestand nur selten zum Tragen kommt, lässt sich in der Rechtsprechung ein jüngeres Beispiel finden. So handelt es sich um eine Provokation zu einer Rebellion i. S. des Art. 433-10 CP, wenn eine Person bei einer Polizeikontrolle eine Menschenmenge, die aus jungen Personen besteht, mit den Worten „Venez, ils ne sont que quatre, on va les défoncer“ („Kommt, sie sind nur zu viert, wir werden sie fertig machen“) dazu aufruft, die Kontrolle zu verhindern.335
bb) Tatobjekt: Rebellion Bestraft wird die direkte Provokation zur Rebellion. Art. 433-6 CP definiert dabei, was unter dem Begriff „Rebellion“ zu verstehen ist. Der Vorschrift zufolge handelt es sich bei einer Rebellion um einen gewalttätigen Widerstand gegen einen Inhaber öffentlicher Gewalt oder eine mit einer öffentlichen Aufgabe betrauten Person, die in Ausübung ihres Amtes und in Ausführung von Gesetzen, Befehlen der öffentlichen Gewalt oder gerichtlichen Entscheidungen oder Befehlen handelt. Der Cour de cassation hat entschieden, dass der Widerstand aktiv sein muss, sodass der einfache Ungehorsam nicht erfasst wird.336 Die Rebellion wird in Art. 433-7 Abs. 1 CP mit einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und 30.000 Euro Geldstrafe bestraft, wobei sich der Strafrahmen erhöht, wenn die Rebellion gemeinschaftlich begangen wird (Art. 433-7 Abs. 2 CP) oder es sich um eine bewaffnete Rebellion handelt (Art. 433-8 CP).
e) Subjektiver Tatbestand Der Täter muss vorsätzlich handeln (infraction intentionnel).337 Demzufolge muss der Täter gewollt haben, den gesetzlichen Tatbestand zu verwirklichen, und er muss sich bewusst gewesen sein, dass er gegen das Gesetz verstößt (dol général).
f) Quintessenz Art. 433-10 CP erfasst die direkte Provokation zur Rebellion. Die Provokation muss nicht nur über mindestens eines der im Tatbestand aufgezählten Mittel, sondern auch direkt erfolgen. Daraus wird deutlich, dass nur solche Provokationen erfasst werden, die eine besondere Qualität haben und einen gewissen Druck auf den Motivierten ausüben.
335 336 337
Cass. crim. 21 févr. 2017, n° 16-83.641. Cass. crim. 1er mars 2006: Bull. crim. n° 58. Cass. crim. 21 févr. 2017, n° 16-83.641.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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5. Direkte Provokation zum Völkermord (Art. 211-2 CP) a) Geltender Normtext In Art. 211-2 CP wird die direkte Provokation zum Völkermord geahndet: La provocation publique et directe, par tous moyens, à commettre un génocide est punie de la réclusion criminelle à perpétuité si cette provocation a été suivie d’effet. Si la provocation n’a pas été suivie d’effet, les faits sont punis de sept ans d’emprisonnement et de 100 000 € d’amende.338
b) Geschichtlicher Überblick Art. 211-2 CP wurde durch das Gesetz für die Angleichung des Strafrechts an die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes vom 9. August 2010 eingeführt.339 Ziel des Gesetzes war es, die wesentlichen Aspekte des Römischen Statuts in das französische Recht aufzunehmen, ohne dass dabei eine vollständige Umsetzung aller Be-stimmungen vorgenommen werden sollte.340 Im Rahmen dieses Gesetzes sollte auch Art. 25 Abs. 3 e) des Statuts bezüglich der unmittelbaren und öffentlichen Aufstachelung zur Begehung von Völkermord in das französische Recht aufgenommen werden. In den Diskussionen im Parlament um das Gesetz vom 9. August 2010 wurde zwar auf die Art. 23 und 24 des Gesetzes über die Freiheit der Presse verwiesen und es wurde angemerkt, dass es aufgrund der Existenz dieser eigentlich keine wirkliche Gesetzeslücke gebe.341 Bei den Diskussionen im Senat wurde jedoch angeführt, dass für einen Einklang mit dem Römischen Statut dennoch die Einführung einer spezifischen Vorschrift den Völkermord betreffend vorzuziehen sei.342
338 Übersetzung Art. 211-2 CP: „Die direkte und öffentliche Provokation, durch jedes Mittel, zum Völkermord wird, wenn die Provokation erfolgreich war, mit einer lebenslangen Freiheitstrafe bestraft. Wenn die Provokation erfolglos war, wird die Handlung mit sieben Jahren Gefängnis und 100.000 Euro Geldstrafe bestraft.“ 339 Loi n° 2010-930 du 9 août 2010 portant adaptation du droit pénal à l’institution de la Cour pénale internationale. 340 Rapp, Sénat n°326 (2007–2008), Gélard au nom de la commission des lois, S. 9. 341 Rapp, Sénat n°326 (2007–2008), Gélard au nom de la commission des lois, S. 27. 342 Rapp, Sénat n°326 (2007–2008), Gélard au nom de la commission des lois, S. 27.
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c) Strafbegründung Ziel des Art. 211-2 CP ist es, explizite Appelle zur Begehung eines Völkermordes zu bestrafen und somit deren Begehung zu verhindern. Mit dieser Vorschrift verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, Personen zu bestrafen, die geschickt genug waren, um die Person zu manipulieren, die die Tat ausführt.343 Art. 211-2 CP befindet sich in Titel I (Verbrechen gegen die Menschlichkeit), Buch II, welches die Verbrechen und Vergehen gegen Personen normiert. Daraus kann geschlossen werden, dass in erster Linie Personen geschützt werden sollen.344
d) Objektiver Tatbestand aa) Tathandlung Während Art. 25 des Römischen Statuts den Begriff „incitation“ verwendet, wird in Art. 211-2 CP vom Begriff „provocation“ Gebrauch gemacht. Der Berichterstatter im Parlament nutzt beide Begriffe zwar synonym.345 In der Lehre wird jedoch darauf hingewiesen, dass zwischen den beiden Begriffen ein Intensitätsunterschied bestehe. So würde der Begriff „provocation“ deutlich machen, dass eine einfache Einwirkung auf Gefühle oder eine Aufheizung der Gemüter, wie sie unter dem Begriff „incitation“ zu verstehen sei, nicht ausreicht. Aus diesem Grund sei die Verwendung des Begriffs „provocation“ vorzuziehen: „le sens induit une participation matérielle importante et, déjà, une forme de complicité“.346 Dies wird auch in Art. 211-2 CP deutlich, da allein die direkte Provokation zum Völkermord bestraft wird. Dies schließt nochmals ausdrücklich die einfache Einwirkung auf Leidenschaften und Gefühle oder das einfache Schaffen eines straftatenfördernden Klimas aus. Die Provokation muss zum einen explizit und ausdrücklich sowie zum anderen bestimmt sein, d. h. zur Begehung einer der in Art. 211-1 CP aufgezählten Handlungen provozieren.347 Bestraft wird sowohl die Provokation mit Erfolg, die zur Begehung eines Völkermordes führt, als auch die erfolglose Provokation. Somit handelt es sich um eine „infraction formelle“.348
343
Dreyer, Droit pénal spécial, Rn. 157. Delmas-Marty, in Delmas-Marty (u. a.), Le crime contre l’humanité: Que sais-je?, n° 3863, S. 117 ff. 345 Siehe Rapp, Sénat n°326 (2007–2008), Gélard au nom de la commission des lois, S. 27. 346 Beauvallet, JCl. Pénal Code, Art. 211-1 à 213-5, fasc. 20, Rn. 91. Übersetzung: „der Sinngehalt induziert eine wichtige materielle Beteiligung sowie bereits eine Form der Teilnahme.“ 347 Beauvallet, JCl. Pénal Code, Art. 211-1 à 213-5, fasc. 20, Rn. 95; Malabat, Droit pénal spécial, S. 11. 348 Siehe Avis Assemblé Nationale, n° 1828, Ameline au nom de la commission des affaires étrangères sur le projet de loi, adopté par le Sénat, portant adoption du droit pénal a l’institution de la Cour pénale internationale, S. 25. 344
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Die Provokation muss außerdem öffentlich erfolgen. Die Öffentlichkeit betreffend gibt es dabei keine Beschränkung der eingesetzten Mittel, die für die Öffentlichmachung eingesetzt werden können. Somit kann die Provokation zum Völkermord sowohl durch den Appell an eine Menschenmenge in einem öffentlich zugänglichen Ort als auch über Massenmedien, das Radio, die Zeitung oder das Fernsehen erfolgen.349 In der Lehre wird hierin das Zeichen dafür gesehen, dass der Gesetzgeber aufgrund der besonderen Schwere der Tat möglichst viele Verhaltensweisen erfassen wollte.350 In Art. 211-2 CP wird für die Provokation mit Erfolg ein anderes Strafmaß vorgeschrieben als für die Provokation ohne Erfolg. So wird die Provokation mit Erfolg (provocation suivi d’effet) als Verbrechen mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe bestraft, während die Provokation ohne Erfolg (provocation non suivi d’effet) als Vergehen mit sieben Jahren Gefängnis und 100.000 Euro Geldstrafe bestraft wird. Der in der Debatte um den neuen Art. 211-2 CP und die Unterscheidung zwischen den Provokationen geäußerten Kritik wurde entgegengehalten, dass bloß deshalb, weil das internationale Recht keine solche Unterscheidung vorsieht, es nicht verboten sei, eine solche einzuführen.351 Letztendlich sei eine solche Unterscheidung auch in Bezug auf das unterschiedliche Strafmaß in Übereinstimmung mit der französischen Rechtstradition angemessen.352
bb) Tatobjekt: Völkermord Der Völkermord wird in Frankreich im Art. 211-1 des code pénal definiert und ähnelt sehr der in der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes gegebenen Definition. Art. 211-1 CP stellt eine Liste von Handlungen auf, die, wenn sie in Ausführung eines gemeinsamen Plans, der auf die vollständige oder teilweise Vernichtung einer nationalen, ethnischen, rassischen, religiösen oder durch jedes andere willkürliche Merkmal bestimmten Gruppe abzielt, gegen die Mitglieder dieser Gruppe begangen werden, als Völkermord gelten. Diese Handlungen sind die folgenden: – vorsätzliche Angriffe auf das Leben; – schwere Verletzungen der körperlichen oder seelischen Unversehrtheit; – Unterwerfung unter Lebensbedingungen, die geeignet sind, die Gruppe vollständig oder teilweise zu vernichten; 349
Vgl. Malabat, Droit pénal spécial, S. 11. Besse, La pénalisation de l’expression publique, S. 60. 351 Rapp, Sénat, n°326 (2007–2008), Gélard au nom de la commission des lois, S. 28. 352 Siehe Avis Assemblé Nationale, n° 1828, Ameline au nom de la commission des affaires étrangères sur le projet de loi, adopté par le Sénat, portant adoption du droit pénal a l’institution de la Cour pénale internationale, S. 25. 350
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– Verhängung von Maßnahmen, um Geburten innerhalb der Gruppe zu verhindern; – gewaltsame Verschleppung von Kindern. Der Völkermord wird Art. 211-1 CP zufolge mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe bestraft.
e) Subjektiver Tatbestand Der Täter muss vorsätzlich handeln. Es handelt sich mithin um eine infraction intentionnel, wobei kein dolus specialis verlangt wird.353 Demzufolge muss der Täter willentlich und wissentlich eine andere Person direkt dazu provoziert haben, einen Völkermord zu begehen (dol général).354
f) Quintessenz Die Provokation zum Völkermord in Art. 211-2 CP muss direkt erfolgen. Demzufolge muss sie über eine einfache Einwirkung auf Gefühle hinausgehen und einen gewissen Aufforderungscharakter haben. Die Provokation muss sich außerdem auf eine bestimmte Tat beziehen, nämlich auf den Völkermord aus Art. 211-1 CP.
6. Direkte Provokation zu einer bewaffneten Zusammenrottung (Art. 431-6 CP) a) Geltender Normtext Art. 431-6 CP ahndet die direkte Provokation zu einer bewaffneten Zusammenrottung: La provocation directe à un attroupement armé, manifestée soit par des cris ou discours publics, soit par des écrits affichés ou distribués, soit par tout autre moyen de transmission de l’écrit, de la parole ou de l’image, est punie d’un an d’emprisonnement et de 15 000 euros d’amende. Lorsque la provocation est suivie d’effet, la peine est portée à sept ans d’emprisonnement et à 100 000 euros d’amende.355 353
Beauvallet, JCl. Pénal Code, Art. 211-1 à 213-5, fasc. 20, Rn. 96. Beauvallet, JCl. Pénal Code, Art. 211-1 à 213-5, fasc. 20, Rn. 96; Rebut, Droit pénal international, Rn. 940. 355 Übersetzung Art. 431-6 CP: „Die direkte Provokation zu einer bewaffneten Zusammenrottung, kundgetan durch öffentliche Ausrufe oder Reden, oder durch öffentlich bekanntgemachte oder verteilte Schriften oder jedes andere Mittel der schriftlichen, mündlichen oder bildlichen Übermittlung, wird mit einem Jahr Gefängnis und 15.000 Euro Geldstrafe bestraft. Ist die Provokation erfolgreich, wird die Strafe auf sieben Jahre Gefängnis und 100.000 Euro Geldstrafe bestraft.“ 354
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b) Geschichtlicher Überblick Die Bestrafung der direkten Provokation zur Zusammenrottung fand erstmals mit dem Gesetz vom 6. Juni 1848 Eingang in das französische Strafrecht.356 Das Gesetz wurde infolge der bürgerlich-demokratischen Februarrevolution von 1848 und dem Ende der Herrschaft von König Louis-Philippe von Orléans erlassen. Die junge zweite Republik wollte mit dem neuen Gesetz verhindern, dass es zu erneuten Zusammenrottungen kommt, in denen die Gefahr gesehen wurde, dass sie zu einer erneuten Revolution und damit zu einem erneuten Regimewechsel führen könnten.357 Bestraft wurde nur die direkte Provokation zu solchen Zusammenrottungen, d. h., nur die Provokation, die explizit und ohne Zweifel zu einer solchen Tat aufruft.358 Mit der Anforderung an die Direktheit der Äußerung sollte verhindert werden, dass die einfache Einwirkung auf Gefühle und Emotionen miterfasst wird.359 Das Gesetz von 1848 wurde durch die Verordnung vom 4. Juni 1960 aufgehoben und die Provokation zur Zusammenrottung wurde in Art. 107 des code pénal aufgenommen.360 Dort wurde sowohl die direkte Provokation zu einer bewaffneten als auch zu einer unbewaffneten Zusammenrottung unter Strafe gestellt.361 Letztendlich wurde durch den neuen code pénal von 1994 die Vorschrift in den neuen Art. 431-6 CP transferiert, der ausschließlich die direkte Provokation zur bewaffneten Zusammenrottung unter Strafe stellt.
356
Siehe CA de Pau, 31 janvier 1950, in Gaz. Pal. 1950 I, S. 248 f. Siehe Brisse, Les Attroupements et l’ordre public, S. 27. 358 Z. B. lässt die Verwendung eines „impératif“ (das Wort „accourez“ – übersetzt „eilt herbei“) – Modus der im französischen als Aufforderungen und Befehle verwendet wird – keinen Zweifel zu, dass es sich hierbei um eine direkte Provokation handelt. Siehe CA de Pau, 31 janvier 1950, in Gaz. Pal. 1950 I, S. 248 f. 359 Brisse, Les Attroupements et l’ordre public, S. 144. 360 Ordonnance n° 60-529 du 4 juin 1960 modifiant certaines dispositions du code pénal, du code de procédure pénale et des codes de justice militaire pour l’armée de terre et pour l’armée de mer en vue de faciliter le maintien de l’ordre, la sauvegarde de l’Etat et la pacification de l’Algérie. 361 Art. 107 ancien code pénal (code pénal vor 1994): Toute provocation directe à un attroupement non armé soit par discours proférés publiquement, soit par écrits ou imprimés affichés ou distribués sera punie d’un emprisonnement d’un mois à un an, si elle a été suivie d’effet et, dans le cas contraire, d’un emprisonnement de deux mois à six mois et d’une amende de 2.000 F à 15.000 F [*durée, montant – taux maximum résultant de la loi 85-835 du 7 août 1985*] ou de l’une de ces deux peines seulement. Toute provocation directe par les mêmes moyens à un attroupement armé est punie d’un emprisonnement d’un an à cinq ans, si elle a été suivie d’effet et, dans le cas contraire, d’un emprisonnement de trois mois à un an et d’une amende de 2.000 F à 20.000 F [*taux maximum résultant de la loi 77-1468 du 30 décembre 1977*] ou de l’une de ces deux peines seulement. 357
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c) Strafbegründung Ziel der Vorschrift ist es, Äußerungen zu bestrafen, mit denen zu einer Revolte der Bürger gegen öffentliche Stellen appelliert wird.362 Dementsprechend befindet sich Art. 431-6 in Buch IV des code pénal. Daraus kann geschlossen werden, dass der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift in erster Linie die Nation, den Staat und den öffentlichen Frieden schützen will. Genauer gesagt soll mit der Vorschrift die öffentliche Sicherheit geschützt werden.363
d) Objektiver Tatbestand aa) Tathandlung Bestraft wird die direkte Provokation. Demzufolge muss die Provokation explizit sein und keine Zweifel daran lassen, dass der Provokateur andere dazu auffordert, sich zusammenzurotten und zu bewaffnen.364 Eine einfache Einwirkung auf Gefühle oder eine implizite Provokation sind auszuschließen.365 Ein Aufruf zu einer Versammlung reicht ebenso wenig wie das Verteilen von Flyern aus, um an einem Protest teilzunehmen.366 Art. 431-6 CP verlangt außerdem, dass die Provokation öffentlich erfolgt und dass diese Öffentlichmachung durch mindestens eines der in dem Tatbestand aufgezählten Mittel erfolgt. Die Provokation muss also entweder durch öffentliche Ausrufe oder Reden, öffentlich bekanntgemachte oder verteilte Schriften oder jedes andere Mittel der schriftlichen, mündlichen oder bildlichen Übermittlung an die Öffentlichkeit gebracht werden. Damit eine Schrift als verteilt gilt, muss sie an eine unbestimmte Menge von Personen verteilt worden sein, ohne dass dies vertraulich geschah.367 Damit eine Provokation i. S. von Art. 431-6 CP besteht, ist es jedoch ausreichend, wenn nur eines der aufgezählten Mittel für die Öffentlichmachung der Provokation verwendet wurde.368 Es reicht allerdings nicht aus, wenn sich die Provokation nur an eine Person richtet. Die Bestrafung der direkten Provokation zur bewaffneten Zusammenrottung hängt nicht vom Erfolg der Provokation ab. Demzufolge wird sowohl die erfolgreiche Provokation, bei der es tatsächlich zu einer bewaffneten Zusammenrottung 362 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 868. 363 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 142. 364 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 871; Cass. crim. 28 juin 1995, n° 94-85.967. 365 Dreuille, JCl. Pénal Code, Art. 431-3 à 431-8, fasc. 20, Rn. 100. 366 Dreuille, JCl. Pénal Code, Art. 431-3 à 431-8, fasc. 20, Rn. 100. 367 Cass. crim. 30 juin 1899: D. 1901, 1, A. 119. 368 Cass. crim. 23 mai 1955: Bull. crim. n° 258.
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gekommen ist, als auch die nicht erfolgreiche Provokation bestraft, bei der es nicht zu einer solchen Zusammenrottung gekommen ist. Unter einer nicht erfolgreichen Provokation wird auch die verstanden, die zwar zu einer Versammlung geführt hat, bei der die Versammlung jedoch zu keinem Zeitpunkt straffällig geworden ist.369 Es handelt sich ebenfalls um eine erfolglose Provokation, wenn die Menschen, die sich versammeln, keine Waffen tragen.370 Der Strafrahmen ändert sich lediglich, wenn die Provokation erfolgreich war. Aufgrund der Bestrafung der Provokation ohne Erfolg handelt es sich um eine infraction formelle.371
bb) Tatobjekt: Bewaffnete Zusammenrottung Die Zusammenrottung wird in Art. 431-3 des code pénal definiert. Demnach handelt es sich bei allen Menschenversammlungen auf öffentlichen Straßen oder an öffentlichen Orten, die die öffentliche Ordnung stören können, um Zusammenrottungen.372 Eine Zusammenrottung besteht dabei unabhängig von der Zahl der Teilnehmer.373 Die Zusammenrottung muss entweder auf öffentlichen Straßen (Straßen, Plätze, Bahnsteige etc.) oder an öffentlichen Orten stattfinden. Hierunter werden sowohl jene Orte verstanden, die immer öffentlich zugänglich sind, als auch solche Orte, die privat sind, bei denen aber der Besitzer entschieden hat, sie für die Öffentlichkeit zu öffnen (Theater, Kino etc.).374 Die Tathandlung muss dazu führen, dass sich Menschen bewaffnen und versammeln. Dabei ist die Natur der Waffe unwichtig. Es kann sich um Hieb-, Stichoder Schusswaffen handeln.375 Darunter fallen z. B. auch Steine.376 Die Personen müssen nicht mit den Waffen zur Zusammenrottung kommen, sondern können sie auch erst dort aufnehmen.377 Die Beteiligung an einer Zusammenrottung mit einer Waffe wird in Art. 431-5 des code pénal mit drei Jahren Gefängnis und 45.000 Euro Geldstrafe bestraft. Wenn eine bewaffnete Person trotz Mahnungen der öffentlichen Behörden weiter willentlich an der Zusammenrottung teilnimmt, wird die Strafe auf fünf Jahre Gefängnis und 75.000 Euro Geldstrafe erhöht. 369
Cass. crim. 12 févr. 1897: Bull. crim. n° 48; DP 1899. 1. 89, note F. T. Es reicht für eine erfolgreiche Provokation jedoch aus, dass nur eine Person eine Waffe trägt. Siehe Dreuille, JCl. Pénal Code, Art. 431-3 à 431-8, fasc. 20, Rn. 102. 371 Vgl. de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 870; Leroy, Droit pénal général, S. 220. 372 Vertiefend zum Begriff der Zusammenrottung siehe Dreuille, JCl. Pénal Code, Art. 431-3 à 431-8, fasc. 20, Rn. 1; Poncela, Archives de politique criminelle 2010, 13. 373 Dreuille, JCl. Pénal Code, Art. 431-3 à 431-8, fasc. 20, Rn. 32. 374 Dreuille, JCl. Pénal Code, Art. 431-3 à 431-8, fasc. 20, Rn. 34 ff. 375 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 871. 376 Cass. crim. 28 juin 1995, n° 94-85967: Dr. Pénal 1995. 278, obs. Véron. 377 Cass. crim. 28 juin 1995, n° 94-85967: Dr. Pénal 1995. 278, obs. Véron. 370
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e) Subjektiver Tatbestand Der Täter muss vorsätzlich handeln, da es sich hier um eine infraction intentionnelle handelt.378 Demzufolge muss der Täter gewollt haben, den gesetzlichen Tatbestand zu verwirklichen, und er muss sich bewusst gewesen sein, dass er gegen das Gesetz verstößt (dol général).
f) Quintessenz Die Provokation in Art. 431-6 CP muss direkt erfolgen. Demzufolge muss sie einen über eine Einwirkung auf Gefühle hinausgehenden Handlungsdruck auf Dritte ausüben. Ein gewisser Motivationsdruck muss zur Begehung der bestimmten Tat zum Ausdruck gebracht werden.
7. Direkte Provokation zu terroristischen Taten (Art. 421-2-5 CP) In Art. 421-2-5 CP werden zwei Tathandlungen erfasst: zum einen die direkte Provokation zu terroristischen Taten und zum anderen die Verherrlichung von ebensolchen Taten. Es handelt sich hierbei um Tathandlungen, die in zwei unterschiedlichen Kategorien der Motivationsdelikte klassifiziert werden können. Nachgehend dargestellt wird die direkte Provokation zu terroristischen Taten, da es sich hierbei um ein direktes und öffentliches Motivationsdelikt handelt. Die Verherrlichung von terroristischen Taten, bei der es sich um ein tatbezogenes indirektes Motivationsdelikt handelt, wird in Teil 2 Kapitel 2 C. II. 2. betrachtet.
a) Geltender Normtext Die direkte Provokation zu terroristischen Taten wird in Artikel 421-2-5 CP unter Strafe gestellt: Le fait de provoquer directement à des actes de terrorisme ou de faire publiquement l’apologie de ces actes est puni de cinq ans d’emprisonnement et de 75 000 € d’amende. Les peines sont portées à sept ans d’emprisonnement et à 100 000 € d’amende lorsque les faits ont été commis en utilisant un service de communication au public en ligne. Lorsque les faits sont commis par la voie de la presse écrite ou audiovisuelle ou de la communication au public en ligne, les dispositions particulières des lois qui régissent ces matières sont applicables en ce qui concerne la détermination des personnes responsables.379 378
Cass. crim. 28 juin 1995, n° 94-85967: Dr. Pénal 1995. 278, obs. Véron. Übersetzung Art. 421-2-5: „Wer eine Person direkt zur Begehung von terroristischen Taten provoziert oder diese Taten öffentlich verherrlicht, wird mit fünf Jahren Gefängnis und 75.000 Euro Geldstrafe bestraft. 379
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b) Geschichtlicher Überblick Zwischen Februar 1985 und September 1986 wurde Frankreich von einer Anschlagsserie mit 13 verschiedenen Anschlägen erschüttert, die allesamt der Hisbollah zugeschrieben wurden. Dies führte dazu, dass es in Frankreich durch das Gesetz vom 9. September 1986380 zu einer Verschärfung des Terrorismusstrafrechts kam. Im Zuge dieser Verschärfung wurde unter anderem die Polizeigewahrsamsdauer ausgedehnt, eine Sondergerichtsbarkeit für Terrorismus eingeführt und in Art. 24 Abs. 4 LLP wurden die direkte Provokation zu terroristischen Taten sowie die Verherrlichung dieser Taten unter Strafe gestellt.381 In den Diskussionen im Parlament über den neuen Absatz wurde mehrfach geltend gemacht, dass solch ein Verhalten bereits durch die vorhandenen Art. 23 und 24 LLP erfasst sei.382 Andere Parlamentarier vertraten die gegenteilige Ansicht, dass es sich bei den terroristischen Straftaten, wie sie im code pénal definiert werden, um besonders schwere Taten handelt, und dass die Provokation oder die Verherrlichung dieser Taten demzufolge auch autonom erfasst werden sollte, um die besondere Schwere der Zuwiderhandlung deutlich zu machen.383 Dabei sollten diese Handlungen weiterhin im Gesetz über die Freiheit der Presse normiert werden, da dieses Gesetz aus dem Jahre 1881 einen besonderen Schutz für die Meinungsäußerungsfreiheit und Presse gewähre. Dies hatte zur Folge, dass auch die besonderen Verfahrensregeln des Gesetzes von 1881 Anwendung fanden und somit z. B. die Verjährungsfrist von drei Monaten für die direkte Provokation zum Terrorismus wie auch für die direkte Provokation zu anderen Pressedelikten galt. Durch das Gesetz vom 16. Dezember 1992384 wurde der Absatz aufgrund der Neufassung des code pénal und der Einführung des Titels II in Buch IV, der die terroristischen Straftaten normiert, dahingehend verändert, dass der Verweis auf
Die Strafe wird auf sieben Jahre und 100.000 Euro Geldstrafe erhöht, wenn die Handlungen mithilfe eines öffentlichen Online-Kommunikationsdienstes begangen werden. Werden die Handlungen über die Presse oder über audiovisuelle Medien oder öffentliche Online-Kommunikationsdienste begangen, gelten für die Feststellung der verantwortlichen Personen die besonderen Bestimmungen, die diese Materie regeln.“ 380 Loi n° 86-1020 du 9 septembre 1986 relative à la lutte contre le terrorisme et aux atteintes à la sûreté de l’État. 381 Art. 24 Abs. 4 nach dem Gesetz von 1986: „Seront punis des peines prévues par l’alinéa 1er ceux qui, par les mêmes moyens, auront provoqué directement à l’un des crimes ou délits énumérés au onzième alinéa de l’article 44 du code pénal ou fait l’apologie de l’une de ces infractions, lorsque ce crime ou délit aura été en relation avec une entreprise individuelle ou collective ayant pour but de troubler gravement l’ordre public par l’intimidation ou la terreur.“ 382 Débats parlementaires, Troisième session extraordinaire, de 1985–1986, Compte rendu intégral 22. Séance du mardi 29 juillet 1986, S. 3419 ff. 383 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 142. 384 Loi n° 92-1336 du 16 décembre 1992 relative à l’entrée en vigueur du nouveau code pénal et à la modification de certaines dispositions de droit pénal et de procédure pénale rendue nécessaire par cette entrée en vigueur.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
den code pénal in Art. 24 LLP eingefügt wurde. Der Tatbestand kam jedoch nur selten zum Tragen. Mit dem Gesetz vom 21. Dezember 2012385 wurde das Gesetz über die Freiheit der Presse von 1881 erneut verändert, wobei die Verjährungsfrist bezüglich der Provokation zu Terrorismus und der Verherrlichung terroristischer Taten von drei Monaten auf ein Jahr verlängert wurde. Ziel der Verlängerung der Verjährungsfrist war es, in Anbetracht der Schwierigkeiten der Beweiserhebung einer Provokation oder Verherrlichung, die über das Internet erfolgt, den Behörden mehr Zeit für diese zu geben.386 Außerdem wurden durch das Gesetz von 2012 für diese Handlungen die Möglichkeit eines Polizeigewahrsams eingeführt. In der Regel ist der Polizeigewahrsam für Pressedelikte ausgeschlossen. 2014 wurde die Provokation zu terroristischen Taten und die Verherrlichung dieser Taten schließlich aus Art. 24 LLP gestrichen und stattdessen in den neu geschaffenen Art. 421-2-5 CP übertragen.387 Somit wurden die Tathandlungen aus dem Pressegesetz und seinen besonders schützenden Verfahrensregeln herausgelöst, um sie als eigene Terrorismusstraftat in den Titel II („des actes de terrorisme“) des Buchs IV aufzunehmen. Dieser Transfer führte zum einen dazu, dass der Provokateur und der „Verherrlicher“ als Terroristen gelten: sie sind „maillons de la chaîne terroriste, des terroristes eux-mêmes“388 („Glied der terroristischen Kette, selbst schon Terroristen“). Zum anderen führte der Transfer der Vorschrift in den code pénal dazu, dass die besonderen Verfahrensregeln für die Bekämpfung von Terrorismus des code de procédure pénale (französische Strafprozessordnung) Anwendung finden und somit die Verfolgung dieser Taten vereinfacht wird. Der Gesetzgeber begründet diesen Wechsel der Vorschriften in den code pénal mit der Veränderung des terroristischen Phänomens, in welchem die Kommunikation vermehrt zum Teil einer globalen Strategie und immer öfter direkt als Waffe eingesetzt wird, um die öffentliche Meinung zu terrorisieren.389 Außerdem wüssten die terroristischen Gruppierungen, wie sie den Schutz, der ihnen das Gesetz über die Freiheit der Presse gewährt, zu ihren Gunsten ausnutzen können, sodass es schwierig sei, diese Gruppierungen strafrechtlich zu verfolgen.390 Diesem Missstand sollte mit dem Transfer in den code pénal entgegengewirkt werden.
385 Loi n°2012-1432 du 21 décembre 2012 relative à la sécurité et à la lutte contre le terrorisme. 386 Projet de loi renforçant les dispositions relatives à la lutte contre le terrorisme, Chapitre III. 387 Dies erfolgte mit dem Gesetz vom 13. November 2014: Loi n° 2014-1353 du 13 novembre 2014 renforçant les dispositions relatives à la lutte contre le terrorisme. 388 Alix, La répression de l’incitation au terrorisme, Gaz. Pal. 24 févr. 2015, S. 11. 389 Pietrasanta, Rapport sur le projet de loi (n° 2110), renforçant les dispositions relatives à la lutte contre le terrorisme, 22 juillet 2014, N° 2173, S. 19 ff. 390 Pietrasanta, Rapport sur le projet de loi (n° 2110), renforçant les dispositions relatives à la lutte contre le terrorisme, 22 juillet 2014, N° 2173, S. 19 ff.
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c) Strafbegründung Der Gesetzgeber hat deutlich gemacht, dass er sowohl in der direkten Provokation als auch in der Verherrlichung eine schwerwiegende Handlung sieht, die als Teil einer terroristischen Kampfstrategie zu einer eigenen terroristischen Straftat wird.391 Dem Gesetzgeber zufolge würden durch die strafrechtliche Ahndung der Provokation zu terroristischen Taten oder der Verherrlichung solcher Taten keine einfachen Verletzungen der Meinungsäußerungsfreiheit, sondern Handlungen bestraft, die direkt zur Begehung von terroristischen Taten führen.392 Es solle verhindert werden, dass durch die Provokation zu terroristischen Taten oder durch deren Verherrlichung andere dazu motiviert werden, straffällig zu werden und genau diese Straftaten zu begehen.393 Da in Artikel 421-2-5 CP sowohl die öffentliche Provokation als auch die Provokation, die sich an eine bestimmte Person richtet, bestraft wird, wird die besondere Gefährlichkeit der Provokation hier nicht ausschließlich in dem Öffentlichkeitsfaktor verortet, also in der Möglichkeit, dass viele Personen auf einmal erreicht werden können. Die Gefährlichkeit wird in der Lehre zum einen von der terroristischen Straftat abgeleitet, zu deren Begehung provoziert wird und die als besonders schädigend gilt, sowie zum anderen von der Provokation selbst; d. h., dass die Gefährlichkeit der Provokation von den in ihr verwendeten Wörtern sowie von dem Eindruck, den sie vermittelt, abgeleitet wird, da die Provokation als Teil einer ganzen Kommunikationsstrategie agiert.394 Mit der Einführung dieser Tathandlungen in das Buch IV des code pénal kann aus der herrschenden Systematisierung des code pénal und nach den vom Gesetzgeber als schützenswert anerkannten Werten geschlossen werden, dass mit dem Art. 421-2-5 CP die Nation, der Staat und der öffentliche Friede geschützt werden sollen.395
391
Journal officiel Débats Assemblée nationale, 3e séance du 27 novembre 2012, S. 5860–5861. Siehe étude d’impact die projet de Loi n° 2014-1353 du 13 novembre 2014 renforçant les dispositions relatives à la lutte contre le terrorisme, vom 8. Juli 2004. 393 Pietrasanta, Rapport sur le projet de loi (n° 2110), renforçant les dispositions relatives à la lutte contre le terrorisme, 22 juillet 2014, N° 2173, S. 25. 394 Siehe de Lamy, in: Alix / Jacquelin / Manacorda / Parizot (Hrsg.), Mélanges en l’honneur de Geneviève Giudicelli-Delage. S. 468. 395 Nach Ansicht der beiden Autoren schützt Art. 421-2-5 CP nicht, wie seine Einordnung in Buch IV des code pénal vermuten ließe, die Sicherheit des Staates, sondern stellt eine bloße Meinung unter Strafe. „La place d’une infraction dans le code pénal n’est pas anodine: elle renseigne sur la valeur protégée par le législateur. Or, en matière de provocation non suivie d’effet, et plus encore en matière d’apologie du terrorisme, c’est bien l’opinion, aussi choquante soit-elle, qui est réprimée, non la sécurité de l’État. La place de ces infractions n’est donc pas dans le livre IV du code pénal, qui vise les ‚crimes et délits contre la Nation, l’État et la paix publique‘. Cette place est pourtant celle qui a été choisie par le législateur, qui soumet ainsi les délits de provocation non suivie d’effet et d’apologie du terrorisme au même régime que celui des actes de terrorisme.“ 392
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
d) Objektiver Tatbestand Bestraft wird die direkte Provokation zu einer terroristischen Handlung, wobei es sich hier um eine autonome Bestrafung der Tathandlungen handelt; d. h., dass der Provokateur als Täter und nicht als Teilnehmer einer terroristischen Handlung bestraft wird.
aa) Tathandlung Erfasst wird ausschließlich die direkte Provokation. Demzufolge muss es sich hierbei um einen expliziten Appell handeln, eine bestimmte Tat zu begehen.396 Nicht erfasst werden dementsprechend schleichende oder undeutliche Äußerungen, bei denen nicht klar wird, dass es sich um einen ausdrücklichen Appell zur Begehung einer bestimmten terroristischen Tat handelt.397 Im Gegensatz zur Verherrlichung, die in der gleichen Vorschrift normiert ist, wird nicht verlangt, dass die Provokation öffentlich erfolgt.398 Hier wird der Unterschied zwischen der neuen Ahndung der direkten Provokation zu Terrorismus, die in Art. 421-2-5 CP normiert ist, und Art. 24 im Gesetz über die Freiheit der Presse deutlich. Während Art. 24 LLP ausschließlich die öffentliche Provokation unter Strafe stellte, kann nun auch die direkte Provokation, die sich nur an eine Person oder an einen bestimmten Adressatenkreis richtet, erfasst werden, sowie darüber hinaus auch die Provokation, die an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtet ist.399 Es handelt sich also um eine Erweiterung des Anwendungsbereich der neuen Vorschrift gegenüber dem Art. 24 LLP. Der Gesetzgeber zielte mit dieser Erweiterung insbesondere darauf ab, auch solche Provokationen zu erfassen, die im Rahmen privater Internetforen oder heimlich gehaltener Predigen erfolgen.400 Letztendlich wird auch nicht verlangt, dass die Provokation erfolgreich ist. Denn die Provokation wird unabhängig davon bestraft, ob es tatsächlich zur Begehung einer terroristischen Straftat kam oder nicht. Die Vorschrift wird in der Lehre da396 de Lamy, in: Alix / Jacquelin / Manacorda / Parizot (Hrsg.), Mélanges en l’honneur de Geneviève Giudicelli-Delage. S. 468. 397 Trib. admin. Cergy-Pontoise, 31 janv. 2019, n° 1801344; de Lamy, in: Alix / Jacquelin / Manacorda / Parizot (Hrsg.), Mélanges en l’honneur de Geneviève Giudicelli-Delage. S. 468. 398 Rapport n° 2173 de M. Sébastien Pietrasanta, fait au nom de la commission des lois, déposé le 22 juillet 2014; de Lamy, in: Alix / Jacquelin / Manacorda / Parizot (Hrsg.), Mélanges en l’honneur de Geneviève Giudicelli-Delage, S. 469. 399 Besse, La pénalisation de l’expression publique, S. 88. 400 Comptes rendus des Commissions mixtes paritaires sur le projet de loi de lutte contre le terrorisme (21 octobre 2014), Sébastien Pietrasanta, rapporteur pour l’Assemblée nationale: „En outre, il est proposé de reprendre une des modifications apportées par l’Assemblée nationale, en incriminant la provocation au terrorisme qu’elle soit commise de façon publique ou de façon privée: cela permettra de poursuivre les faits commis sur des forums Internet ‚privés‘ ou lors de prêches clandestins.“
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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her in die Kategorie der infraction obstacle (Hindernistatbestände) eingeordnet.401 Mit den infraction obstacle soll ein Verhalten bestraft werden, das aus sich heraus gefährlich ist. Mit der Kriminalisierung des gefährlichen Verhaltens soll verhindert werden, dass noch schwerere Straftaten begangen werden.402 In Abs. 2 wird der Strafrahmen erhöht, wenn die Provokation mithilfe des Internets begangen wird. Abs. 3 macht deutlich, dass die Regeln des Gesetzes über die Freiheit der Presse in Bezug auf die Verantwortlichkeit anzuwenden sind, wenn die Tathandlungen mithilfe des Internets, mithilfe audiovisueller Medien oder mithilfe von Printmedien verbreitet werden.
bb) Tatobjekt Ursprünglich war die terroristische Handlung in Artikel 706-16 des code de procédure pénal (CPP) definiert. Mit dem neuen Strafgesetzbuch von 1994 sollte die Definition jedoch nicht länger nur in einer Verfahrensregel bestehen. So wurde der Artikel 706-16 des CPP in Artikel 421-1 CP transferiert. Durch diesen Transfer in den code pénal ist die gegebene Definition einer terroristischen Handlung nicht länger nur verfahrensrechtlicher Art, sondern führt offiziell zur Schaffung von Terrorismusstraftatbeständen. Artikel 421-1 CP definiert, wie vor ihm schon Artikel 706-16 CPP, mithilfe der Methode der sog. incrimination par renvoi (Kriminalisierung durch Verweis), die auch als incrimination par référence (Kriminalisierung durch Referenz) bezeichnet wird, was unter einer terroristischen Handlung zu verstehen ist. In der ersten Phase werden in Art. 421-1 CP eine Liste von gemeinrechtlichen Straftaten aufgestellt. In der zweiten Phase sieht Art. 421-1 CP vor, dass es sich bei diesen aufgelisteten Straftaten um terroristische Handlungen handelt, wenn sie absichtlich mit einer individuellen oder gemeinschaftlichen Unternehmung verbunden sind, die darauf ausgerichtet ist, die öffentliche Ordnung durch Einschüchterung oder Terror in schwerwiegender Weise zu stören. Artikel 421-1 CP zufolge stellen beispielsweise folgende Straftaten terroristische Handlungen dar, wenn sie absichtlich mit einer individuellen oder gemeinschaftlichen Unternehmung verbunden sind, die darauf gerichtet ist, die öffentliche Ordnung durch Einschüchterung oder Terror in schwerwiegender Weise zu stören: – Vorsätzliche Angriffe auf das Leben, vorsätzliche Angriffe auf die Integrität von Personen, Entführung und Freiheitsberaubung, Luftpiraterie, Schiffspiraterie oder jedes andere Transportmittel, das in Buch II des code pénal definiert wird; – Diebstahl, räuberische Erpressung, Zerstörung, Beschädigungen und Verunstaltungen sowie die Straftaten im Bereich der Informatik, die in Buch III dieses Gesetzbuches definiert sind; 401 André, Droit pénal spécial, S. 412 f.; ähnlich Alix / Cahn, RSC 2017, n° 4, S. 849, die darin eine Präventionsstraftat erkennen. 402 Dreyer, Droit pénal général, Rn. 779.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
– Die Straftaten, die im Rahmen von noch bestehenden oder bereits aufgelösten Kampfgruppen begangen werden, sowie die Straftaten, die in Artikel 434-6 und 441-2 bis 441-5 CP definiert sind. – Die Straftaten in Bezug auf Waffen, Sprengstoffe und Kernmaterialien, die in den aufgezählten Artikeln definiert werden. Die Übernahme dieser Definition sowie die Fortführung der Methode incrimination par renvoi anstelle der Einführung einer einheitlichen Definition wurde durch den Gesetzgeber im Jahr 1994 damit begründet, dass diese Methode sich bewährt und Wirkung gezeigt habe.403 Jedoch wurde auch erkannt, dass diese Methode Lücken aufweist. Grund hierfür ist, dass durch die incrimination par renvoi nur solche Handlungen als terroristisch bezeichnet werden können, die bereits durch gemeinrechtliche Straftatbestände geahndet werden. Demzufolge muss sich der Gesetzgeber bei der Aufnahme von neuen Handlungen entscheiden, ob er diese Handlungen im AT unter Strafe stellt, um dann in Artikel 421-1 CP darauf zu verweisen, oder ob er neue autonome und selbständige Terrorismusstraftatbestände außerhalb des Artikels 421-1 CP erstellt. In der Vergangenheit entschied sich der Gesetzgeber meist für die zuletzt genannte Möglichkeit. Deshalb wurden neben dem Art. 421-1 CP und der Methode der incrimination par renvoi eine zunehmend große Anzahl selbständiger Terrorismusstraftatbestände (sog. infractions autonomes) geschaffen. So wurde durch das Gesetz vom 22. Juli 1992 in Artikel 421-2 CP der „ökologische Terrorismus“ unter Strafe gestellt, und mit dem Gesetz vom 22. Juli 1996 wurde die Teilnahme an einer terroristischen Vereinigung unter Strafe gestellt (Artikel 421-2-1 CP). Im Jahr 2001 wurde auch die Terrorismusfinanzierung (Artikel 421-2-2 CP) unter Strafe gestellt. Schließlich ist auch die Normierung des untersuchten Artikels 421-2-5 CP bezüglich der Provokation und der Verherrlichung von terroristischen Taten ein Zeichen dieser Ausrichtung.
e) Subjektiver Tatbestand Es handelt sich hierbei um eine infraction intentionel.404 Demzufolge muss der Täter gewollt haben, den gesetzlichen Tatbestand zu verwirklichen, und er muss sich bewusst gewesen sein, dass er gegen das Gesetz verstößt.
f) Quintessenz Art. 421-2-5 CP erfasst die direkte Provokation zu terroristischen Taten. Durch die Anforderung einer direkten Provokation wird deutlich, dass nur solche Provokationen erfasst werden, die einen gewissen Handlungsdruck ausüben. Einfache 403 404
Siehe Bericht von Francois Colcombet, Assemblé Nationale, 1991–1992, n° 2244, T. 1, S. 97. Menabe, L’appréhension pénale du terrorisme, Civitas Europa, vol. 36, no. 1, 2016, S. 171.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Einwirkungen auf Gefühle werden durch die Provokation nicht erfasst, sondern eher durch die in dem Tatbestand ebenfalls erfasste Verherrlichung von terroristischen Taten.
C. Indirekte Motivationsdelikte Unter den indirekten Motivationsdelikten werden solche Motivationen erfasst, die einen Gemütszustand oder eine Stimmung schaffen, der bzw. die straftatenfördernd wirken können, ohne dass es hierbei jedoch zu einem expliziten Appell zur Begehung einer konkreten Tat kommt.405 Die Konkretisierungsanforderungen, sei es an die zu begehende Tat oder an den Täter, sinken weiter. Wie bereits in der Einführung erläutert und im deutschen Länderbericht angewendet, werden die indirekten Motivationsdelikte in drei Kategorien unterschieden: opferbezogene indirekte Motivationsdelikte (I.); tatbezogene indirekte Motivationsdelikte (II.); und organisationsbezogene indirekte Motivationsdelikte (III.).
I. Opferbezogene indirekte Motivationsdelikte – Schüren von Emotionen gegenüber Personengruppen Im französischen Recht werden sowohl öffentliche (1.) als auch nicht öffentliche (2.) opferbezogene indirekte Motivationsdelikte strafrechtlich geahndet. Ersteres geschieht im Gesetz über die Freiheit der Presse, letzteres im code pénal.
1. Öffentliche Provokation zur Diskriminierung, zu Hass oder zu Gewalt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen (Art. 24 Abs. 7–8 LLP) Art. 24 Abs. 7–8 LLP erfasst sowohl solche Provokationen, die einen expliziten Appell darstellen, als auch solche, die weniger ostentativ erscheinen und eher einer Einwirkung auf Gefühle und Emotionen gleichen. Die Ansprüche an den Konkretisierungsgrad bezüglich der zu begehenden Tat oder dem Täter sind im Vergleich zu den direkten Motivationsdelikten jedoch sehr niedrig.
405
Siehe Beauvallet, JCl. Pénal Code, Art. 211-1 à 213-5, fasc. 20, Rn. 5.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
a) Geltender Normtext Artikel 24 Abs. 7 und 8 des Gesetzes über die Freiheit der Presse lautet wie folgt: Ceux qui, par l’un des moyens énoncés à l’article 23, auront provoqué à la discrimination, à la haine ou à la violence à l’égard d’une personne ou d’un groupe de personnes à raison de leur origine ou de leur appartenance ou de leur non-appartenance à une ethnie, une nation, une race ou une religion déterminée, seront punis d’un an d’emprisonnement et de 45 000 euros d’amende ou de l’une de ces deux peines seulement. Seront punis des peines prévues à l’alinéa précédent ceux qui, par ces mêmes moyens, auront provoqué à la haine ou à la violence à l’égard d’une personne ou d’un groupe de personnes à raison de leur sexe, de leur orientation sexuelle ou identité de genre ou de leur handicap ou auront provoqué, à l’égard des mêmes personnes, aux discriminations prévues par les articles 225-2 et 432-7 du code pénal.406
b) Geschichtlicher Überblick Ursprünglich enthielt Kapitel IV des Gesetzes über die Freiheit der Presse keine Vorschriften bezüglich der Bestrafung von rassistischen, diskriminierenden oder fremdenfeindlichen Äußerungen. Dies änderte sich erst in der Vorkriegszeit durch das Gesetzesdekret „Marchandeau“ von 1939,407 das als Gegengewicht zu neonazistischen Ideen fungieren sollte und den ersten Baustein im Kampf gegen derartige Äußerungen darstellte. Das Gesetzesdekret stellt die Verleumdung (Art. 32 Abs. 2 LLP) und die Beleidigung (Art. 33 Abs. 3 LLP) einer Person oder einer Personengruppe aufgrund ihrer Herkunft oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Nation, Rasse oder Religion mit dem Ziel, Hass gegen diese Personen anzuregen, unter Strafe. Unter der Regierung von Vichy wurde das Gesetz kurzzeitig aufgehoben; im Jahr 1944 wurden diese Vorschriften jedoch wieder eingeführt. Zwischen 1963 und 1971 wurden mehrere Entwürfe im Parlament vorgelegt, die sich für eine bessere Bekämpfung der Diskriminierung aussprachen und die auf die erhöhte Anzahl rassistischer Angriffe aufmerksam machten. Anfang der 1970er Jahre wurden in Frankreich mehrere Algerier Opfer rassistischer Angriffe.408 Aus406
Übersetzung Art. 24 Abs. 7–8 LLP: „Diejenigen, die über eines der im Artikel 23 aufgezählten Mittel zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen eine Person oder eine Personengruppe aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Nation, Rasse oder Religion provozieren, werden mit einem Jahr Gefängnis und 45.000 Euro Geldstrafe oder mit nur einer der beiden Strafen bestraft. Mit derselben Strafe werden diejenigen bestraft, die durch eines der Mittel zu Hass oder Gewalt gegen eine Person oder eine Personengruppe aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Ausrichtung oder Geschlechtsidentität, oder einer Behinderung gegen dieselben Personen provoziert haben, oder die zu den in Art. 225-2 und 432-7 bezeichneten Diskriminierungen provoziert haben.“ 407 Décret-loi du 21 avril 1939 tendant à réprimer les propagandes étrangères. 408 Es wird von einem „racisme anti-algérien“ gesprochen. Siehe Gastaut, La flambée raciste de 1973 en France, in: Revue européenne des migrations internationales, vol. 9, n° 2, 1993, S. 61–75.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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schlaggebend für eine Erweiterung der Legislation war schließlich das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, das von Frankreich am 18. April 1971 unterzeichnet wurde. Diese Umstände veranlassten den Gesetzgeber dazu, am 1. Juli 1972 das Gesetz über die Bekämpfung von Rassismus, auch bekannt als „loi Pleven“, zu erlassen. Das Gesetz führte zu einer Veränderung von mehreren Artikeln des Gesetzes über die Freiheit der Presse. Darunter befand sich auch Art. 24, in dessen Abs. 5 erstmals in der französischen Geschichte die Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen eine Person oder eine Personengruppe aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit oder aber aufgrund ihrer Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Nation, Rasse oder Religion unter Strafe gestellt worden war. Durch das Gesetz vom 30. Dezember 2004409 wurde ein weiterer Absatz eingeführt, in dem die Provokation durch die in Artikel 23 LLP aufgezählten Mittel zu Hass, Gewalt oder zu Diskriminierung i. S. von Artikel 225-2 und 432-7 CP gegen eine Person oder eine Personengruppe aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer sexuellen Identität oder aufgrund einer Behinderung unter Strafe gestellt wurde. Durch das Gesetz vom 27. Januar 2017410 wurde der Begriff der Geschlechtsidentität (identité de genre) in Art. 24 Abs. 8 LLP eingefügt.
c) Strafbegründung Mit der Bestrafung der Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen bestimmte Gruppen zielt der Gesetzgeber darauf ab, zu verhindern, dass es durch die Provokationen u. a. zur Begehung von Gewalttaten oder zu anders gearteten feindlichen Handlungen gegenüber diesen Gruppen kommt.411 Die besondere Gefahr einer solchen Provokation wird auch hier in dem Öffentlichkeitscharakter gesehen. Erst durch die Tatsache, dass die Provokation zur Diskriminierung, zu Hass oder zu Gewalt einer breiten Öffentlichkeit zugänglich ist, lässt es möglich erscheinen, dass diese Provokationen straftatenfördernd wirken können.412 In der Lehre herrscht Uneinigkeit über die Frage, welcher Wert der Gesetzgeber mit den Absätzen 7 und 8 des Artikels 24 LLP schützen wollte.413 Von manchen Autoren wird die Meinung vertreten, dass der Gesetzgeber in erster Linie die öffent409 Loi n° 2004-1486 du 30 décembre 2004 portant création de la haute autorité de lutte contre les discriminations et pour l’égalité. 410 Loi n° 2017-86 du 27 janvier 2017 relative à l’égalité et à la citoyenneté. 411 Mourey, Le rôle du droit pénal dans la politique criminelle de lutte contre les discriminations, S. 274 f. 412 de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 316. 413 Mourey, Le rôle du droit pénal dans la politique criminelle de lutte contre les discriminations, S. 30.
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liche Ordnung (ordre public) als Ganzes schützen wollte.414 Die h. L. geht jedoch davon aus, dass durch die fraglichen Absätze primär die persönliche Würde (dignité personelle)415 oder auch die Menschenwürde als Ganzes (dignité humaine)416 sowie die anvisierten Bevölkerungsgruppen vor möglichen Übergriffen geschützt werden sollten.417 Der Schutz der Menschenwürde oder der persönlichen Würde wird in der Lehre damit begründet, dass in Art. 24 LLP der Begriff „discrimination“ verwendet wird. Für eine Definition des Begriffs muss jedoch auf den code pénal zurückgegriffen werden oder genauer gesagt auf die Art. 225-1 bis 225-4 CP, die unter dem Kapitel V „Verletzungen der Würde der Person“ in Titel II, Buch II des code pénal zu finden sind. Aufgrund der Verortung der Diskriminierungsvorschriften im code pénal wird in der Lehre die Ansicht vertreten, dass der Gesetzgeber mit der Vorschrift auch die Menschenwürde schützen wollte.418
d) Objektiver Tatbestand aa) Angriffsobjekte Die Tathandlung in Art. 24 Abs. 7 und 8 LLP muss sich gegen bestimmte Adressaten richten. Art. 24 Abs. 7 und 8 LLP zufolge wird die Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen Personengruppen oder einzelne Personen aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Nation, Rasse, Religion (Abs. 7) oder aufgrund ihres Geschlechtes, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität oder aufgrund einer Behinderung (Abs. 8) unter Strafe gestellt. Dies schließt die Provokation gegen einzelne Personen oder Personengruppen aufgrund ihrer Familiensituation, ihres Alters, ihrer Gesundheit, ihres Nachnamens, ihres Berufs etc. aus.419 Außerdem schließen die Worte „d’une personne ou d’un groupe de personnes“ („einer Einzelperson oder einer Gruppe von Menschen“) in Art. 24 Abs. 7 und 8 LLP die Strafbarkeit der Provokation zu Hass, Diskriminierung und Gewalt gegenüber juristischen Personen aus.420 Für weitere Anhaltspunkte dafür, was unter dem Begriff „Gruppe“ zu verstehen ist, muss auf die Rechtsprechung verwiesen werden. Zum Beispiel wurde in der Rechtsprechung festgelegt, dass allgemeine Kategorien wie „Ausländer“ oder „Migranten“ nicht von Artikel 24 LLP erfasst werden können, solange es nicht eine 414
Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 146. Merle / Vitu, Traité de droit criminel, Droit pénal spécial, t. 2, S. 1574; Gattegno, Droit pénal spécial, S. 136 ff.; Pradel / Danti-Juan, Droit pénal spécial, S. 325 ff. 416 Conte, Droit pénal spécial, Rn. 455 ff. 417 Vgl. Cammillieri-Subrenat, RIDC 2002, 517 ff. 418 Rocca, La discrimination en droit pénal, S. 305 f. 419 Siehe Artikel 225-1 CP für die komplette Liste der Personengruppen. 420 Thierry, JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication, fasc. 60, Rn. 26. 415
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explizite Referenz zu ihrer Herkunft oder ihrer Angehörigkeit zu einer Ethnie, zu einem Staat, zu ihrer Rasse oder zu ihrer Religion gibt.421 Hingegen handelt es sich um eine Provokation i. S. von Abs. 7, wenn Plakate mit den Worten „Tu niques la France … dégages!“ aufgehängt werden, da hierbei klar auf die Ausländer, die in Frankreich leben, Bezug genommen wird.422 Die Cour de cassation bestätigt dies und erklärt, dass es sich um eine Gruppe i. S. des Art. 24 Abs. 7 LLP handelt, wenn Ausländer, die in Frankreich leben, aufgrund ihrer Nicht-Angehörigkeit zum französischen Staat anvisiert werden.423 Ein Lied mit dem Refrain „La France est une garce, n’oublie pas de la baiser…“ fällt demzufolge hingegen nicht unter Art. 24 LLP, da nicht offensichtlich ist, dass dadurch die Franzosen oder eine andere Personengruppen der französischen Nation anvisiert werden.424 Demzufolge kann eine Gruppe in positiver (Beispiel: diejenigen, die die Staatsangehörigkeit eines bestimmten Staates haben, oder die Mitglieder einer Religion) oder auch in negativer Weise bestimmt werden (Beispiel: diejenigen, die diese Staatsangehörigkeit nicht haben, oder die keine Mitglieder der anvisierten Religion sind).425 Die Rechtsprechung kontrolliert jedoch streng, dass die Provokation explizit auf eine bestimmte Person oder Personengruppen abzielt.426 Vage Hinweise auf eine geschützte Gruppe reichen nicht aus. Die anvisierte Gruppe muss leicht erkennbar gemacht oder explizit benannt werden.427 Demzufolge reicht die Inszenierung von religiösen Zeichen nicht aus, um deutlich erkennbar zu machen, welche religiöse Gemeinde anvisiert ist.428
bb) Tathandlung Bestraft wird die Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt. Bei den Debatten im Parlament um die Einführung des ersten Absatzes im Jahr 1972 setzte sich der Justizminister dafür ein, dass anstelle des Begriffs „incitation“, der in den ersten Entwürfen verwendet wurde, der Begriff „provocation“ verwendet werden sollte, da dieser aufgrund seiner Verwendung im Gesetz über die Freiheit der 421
CA Bordeaux, 26 mars 1996, n° 95000914, JurisData n° 1996-045106. CA Paris, 2 mai 1996, n° 497796, JurisData n° 1996-021189. Übersetzung: „Du fickst Frankreich … verschwinde!“. 423 Cass. crim. 24 juillet 1997: Bull. crim. 1997, n° 253; RSC 1998, S. 102, obs. Mayaud. 424 Cass. crim. 3 févr. 2009; ähnlich Crim. 1 mars 2009, D. 2012., obs. Dreyer. Übersetzung: „Frankreich ist ein Luder, vergiss nicht, sie reinzulegen“. 425 Cass. crim. 17 mars 2015, n° 13-87.922; Thierry, JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication, fasc. 60, Rn. 30. 426 Mourey, Le rôle du droit pénal dans la politique criminelle de lutte contre les discriminations, S. 278 f. 427 Mourey, Le rôle du droit pénal dans la politique criminelle de lutte contre les discriminations, S. 278 f. 428 CA Colmar, 25 octobre 2011, Gaz. Pal. 2011, n° 335, S. 11. 422
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Presse bereits in der Praxis bekannt sei.429 Ansonsten gab der Gesetzgeber keine weiteren Auskünfte bezüglich des Verständnisses der Provokation. Demzufolge werden hier sowohl die direkte als auch die indirekte Provokation sowie die Provokation mit und ohne Erfolg erfasst.430 Die Provokation kann außerdem in jeder Form und durch jedes Mittel erfolgen.431 Dies gibt den Richtern einen großen Ermessensspielraum und führt zu einer uneinheitlichen Rechtsprechung. Ziel des Gesetzgebers war es, im Bereich der Diskriminierung so viele Verhaltensweisen wie möglich zu erfassen und unter Strafe zu stellen.432 Dementsprechend werden hier auch implizite Appelle oder einfache Einwirkungen auf Emotionen erfasst, d. h. nicht ostentative, sondern schleichende Gefühlseinwirkungen, die ein Klima schaffen, das straftatenfördernd wirken kann.433 Dies wird auch in den Entscheidungen des Cour de cassation offensichtlich, wenn dort anerkannt wird, dass die Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt durch jeden Appell, durch jede Ermunterung und sogar in impliziter Form („même sous une forme implicite“) erfolgen kann.434 Demzufolge handelt es sich um eine strafbare Provokationen i. S. von Art. 24 Abs. 7 und 8 LLP, wenn die jüdische Gemeinde mit einer kriminellen Vereinigung gleichgesetzt wird435, die islamische Gemeinde als ein Kriminalitätsfaktor beschrieben wird436, oder wenn in einem Presseartikel die Präsenz der islamischen Gemeinde in Frankreich mit der deutschen Invasion während des zweiten Weltkriegs gleichgesetzt und außerdem explizit zu einem neuen Kampf dagegen aufgerufen wird437, oder auch, wenn auf Twitter die Worte „trop de noirs“ („zu viele Schwarze“) und „trop de juifs“ („zu viele Juden“) veröffentlicht werden, was zu verstehen gibt, dass es weniger geben sollte.438 Es handelt sich jedoch nicht um eine Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt, wenn deutlich erkennbar gemacht wird, dass es sich um Fantasie oder Humor handelt und wenn jede Verwechslung mit ernsthaften Informationen ausgeschlossen werden kann.439 Dies kann sich jedoch ändern, wenn das Publikum 429
Korolitski, Punir le racisme?, S. 109 ff. Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 327. In der Rechtsprechung wird seit 1908 davon ausgegangen, dass die Provokation dann, wenn ein Gesetzestext nicht präzise ist, direkt erfolgen muss, da nur dann jede Form der Provokation erfasst werden kann. Siehe Cass. crim. 6 févr. 1908: Bull. crim. n° 52; Cass. crim. 30 janv. 1936, D. 1936, 1, 47. 431 Dreyer, JCl. Pénal Code, Art. R. 625-7, fasc. 20, Rn. 8. 432 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 516. 433 Cass. crim. 16 mars 2021, n° 20-83.325; de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 516 f.; Thierry, JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication, fasc. 60, Rn. 33 ff.; Mourey, Le rôle du droit pénal dans la politique criminelle de lutte contre les discriminations, S. 278 ff. 434 Cass. crim. 13 nov. 2019, n° 18-85371; Cass. crim. 15 oct. 2019; 18-85368. 435 Cass. crim. 13 juin 1995, JCP 1995-IV-2350. 436 Cass. crim. 15 janv. 1998, Gaz. Pal. 1998, 1, chron. crim. 74. 437 Cass. crim. 5 oct. 1999, n° 97-85708. 438 Cass. crim. 19 oct. 2019, n° 18-85365. 439 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 204. 430
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aufgrund seines jungen Alters beeinflussbar ist und infolgedessen das Risiko besteht, dass es nicht versteht, dass es sich um Humor handelt.440 In Art. 24 Abs. 7 und 8 LLP wird im Gegensatz zu den ersten Absätzen (Abs. 1–4) des Art. 24 LLP nicht verlangt, dass die Tat, zu der provoziert wird, von dem Provokateur präzise dargestellt wird.441 Dies ist daran zu erkennen, dass neben der Provokation zu Gewalt und Diskriminierung auch die Provokation zu einem feindseligen Gefühl, dem Hass, bestraft wird. Bestraft wird in Art. 24 Abs. 7–8 LLP sowohl die Provokation mit Erfolg, d. h. die, die zur tatsächlichen Begehung einer Tat geführt hat, als auch die Provokation ohne Erfolg, bei der es nicht zur Begehung der provozierten Tat gekommen ist.442 Demzufolge handelt es sich bei den Abs. 7 und 8 um eine infraction formelle, d. h. um eine Straftat, die unabhängig von dem Eintritt eines Erfolges bestraft wird. Außerdem muss die Provokation in den untersuchten Absätzen – wie schon die Verortung des Artikels im Gesetz über die Freiheit der Presse vermuten lässt – öffentlich erfolgen. Für die Öffentlichmachung und die eingesetzten Mittel wird auf Art. 23 desselben Gesetzes verweisen.443 Wenn die Provokation jedoch nur an eine bestimmte Person oder an einen bestimmbaren Adressatenkreis adressiert ist, handelt es sich um eine Übertretung, die von Art. R. 625-7 CP erfasst wird.444
cc) Diskriminierung, Hass und Gewalt Da es sich bei Hass um ein Gefühl handelt, wird dieser Begriff weder im code pénal noch im Gesetz über die Freiheit der Presse definiert. In der Lehre wird der Hass jedoch als ein feindseliges Gefühl („sentiment d’hostilité“) definiert.445 Unter dem Begriff „Gewalt“ wird jeder vorsätzliche Angriff auf die physische Integrität oder auf das Leben verstanden.446 In Bezug auf die Diskriminierung muss auf den code pénal verwiesen werden, der in Art. 225-1 bis 225-4 CP die Diskriminierung definiert. Art. 225-1-1 CP zufolge handelt es sich um eine Diskriminierung, wenn zwischen den Personen, die Opfer von sexuellen Belästigungen i. S. von Artikel 222-33 des code pénal wurden, und jenen Personen, die sich erfolgreich gegen sexuelle Belästigung gewehrt haben, unterschieden wird. Art. 225-1-2 CP zufolge stellt die Unterscheidung zwischen Personen, die Opfer von Schikane i. S. von Artikel 225-16-1 code pénal wurden, 440
TGI Paris, 12 mars 1996, LP. n° 131, 1996-I-58. Pradel / Danti-Juan, Droit pénal spécial, S. 327. 442 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 516. 443 Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. II. 1. d) aa). 444 Siehe die dementsprechenden Ausführungen in der vorliegenden Arbeit unten. Teil 2 Kapitel 2 C. I. 2. 445 de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 317. 446 de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 317. 441
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
und Personen, die sich erfolgreich dagegen gewehrt haben, eine Diskriminierung dar. In Artikel 225-2 CP werden weitere Diskriminierungshandlungen aufgelistet. Dem Artikel zufolge wird bestraft, wer: die Versorgung von Gütern oder Dienstleistungen verweigert hat (1°), die normale Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu behindern versucht hat (2°), eine Einstellung, die Verhängung einer Sanktionierung oder eine Entlassung verweigert hat (3°) oder die Versorgung von Gütern oder Dienstleistungen oder die Einstellung, Praktikumsstelle oder Ausbildungszeit in einem Unternehmen von den Art. 225-1, 225-1-1 oder 225-1-2 CP abhängig gemacht hat (4° und 5°). Dabei ist die Bestrafung für Art. 24 Abs. 7 LLP nicht auf die Provokation zu den im code pénal normierten Diskriminierungshandlungen beschränkt, sondern geht darüber hinaus. In der Tat wird in der Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als Provokation zur Diskriminierung im Rahmen dieses Absatzes jede Äußerung erfasst werden kann, die dazu führt, dass ein feindseliges Gefühl oder ein Gefühl der Ablehnung gegen eine Personengruppe generiert wird.447 Mit Blick auf die Diskriminierung muss zwischen den Absätzen 7 und 8 unterschieden werden. Während in Art. 24 Abs. 7 LLP die Provokation zur Diskriminierung im Allgemeinen unter Strafe gestellt wird, wird in Art. 24 Abs. 8 LLP nur auf die Diskriminierung i. S. von Art. 225-2 und 432-7 CP Bezug genommen. Deshalb wird bei Abs. 7 von einer provocation générale gesprochen, während bei Abs. 8 von einer provocation spéciale die Rede ist.448
e) Subjektiver Tatbestand Da der Täter vorsätzlich handeln muss, handelt es sich hier um eine infraction intentionnelle.449 Es wird verlangt, dass der Täter gewusst und gewollt hat, dass er durch seine Provokation andere zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt provoziert.450 Der Vorsatz erstreckt sich dabei auch auf die Veröffentlichung. Demzufolge muss der Täter gewollt haben, dass seine Äußerung von einer breiten Öffentlichkeit gehört wird.451 Solange der Täter keine Beweise für seine Gutgläubigkeit (bonne foi) erbringen kann, wird von seiner bösen Absicht (mauvaise foi) ausgegangen.452 Dies hat zur Folge, dass der subjektive Tatbestand von der Materialität der Tat abhängt, also vom objektiven Tatbestand.
447 448 449 450 451 452
Cass. crim. 14 mai 2002, Dr. pénal 2002, comm. 280; Véron Droit pénal spécial, S. 160. Thierry, JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication, fasc. 60, Rn. 27. Dreyer, JCl. Pénal Code, Art. R. 625-7, fasc. 20, Rn. 25. Véron, Droit pénal spécial, S. 161. Véron, Droit pénal spécial, S. 161. Véron, Droit pénal spécial, S. 161.
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f) Quintessenz In Art. 24 Abs. 7–8 LLP wird nicht verlangt, dass die Provokation einen Aufforderungscharakter hat. Jede Art der Provokation wird erfasst, d. h. auch solche Provokationen, die sich lediglich an Gefühle richten. Das wird auch durch einen Blick auf die Rechtsprechung deutlich, für die eine implizite Provokation ausreichend ist. Die Provokation muss auch nicht unbedingt auf die Begehung einer bestimmten Straftat ausgerichtet sein. Es reicht aus, wenn zu einem hasserfüllten Gefühlszustand provoziert wird.
2. Nicht öffentliche Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber bestimmten Personengruppen (Art. R. 625-7 CP) Der Tatbestand wurde in Anlehnung an Art. 24 Abs. 7-8 LLP verfasst und erlassen. Art. R. 625-7 CP soll die Provokation erfassen, die durch Art. 24 LLP nicht erfasst werden kann, weil sie an einen begrenzten Personenkreis gerichtet ist. Aufgrund der Ähnlichkeiten zwischen den Tatbeständen gelten insbesondere in Bezug auf die Angriffsobjekte sowie in Bezug auf die Handlungen, zu denen provoziert wird, die gleichen Ausführungen wie in Bezug auf Art. 24. Abs. 7–8 LLP.
a) Geltender Normtext Artikel R. 625-7 Abs. 1–2453 des code pénal lautet wie folgt: La provocation non publique à la discrimination, à la haine ou à la violence à l’égard d’une personne ou d’un groupe de personnes à raison de leur origine ou de leur appartenance ou de leur non-appartenance, vraie ou supposée, à une ethnie, une nation, une prétendue race ou une religion déterminée est punie de l’amende prévue pour les contraventions de la 5e classe. Est punie de la même peine la provocation non publique à la haine ou à la violence à l’égard d’une personne ou d’un groupe de personnes à raison de leur sexe, de leur orientation sexuelle ou identité de genre, ou de leur handicap, ainsi que la provocation non publique, à l’égard de ces mêmes personnes, aux discriminations prévues par les articles 225-2 et 432-7.454 453
Das „R.“ steht für „réglement“ (Verordnung). Übersetzung Art. R. 625-7 CP: „Die nicht öffentliche Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen eine Person oder eine Personengruppe aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Nation, vorgeblichen Rasse oder Religion wird mit der für Übertretungen der fünften Gruppe vorgesehenen Geldstrafe bestraft. Mit derselben Strafe wird die nicht öffentliche Provokation zu Hass oder Gewalt gegen eine Person oder eine Personengruppe aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Ausrichtung oder Geschlechtsidentität, oder einer Behinderung sowie die nicht öffentliche Provokation zu den in Art. 225-2 und 432-7 bezeichneten Diskriminierungen gegen dieselben Personen bestraft.“ 454
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
b) Geschichtlicher Überblick Wie bei der öffentlichen Provokation zu Diskriminierung, Hass und Gewalt kann auch hier auf das Gesetzesdekret „Marchandeau“ vom 21. April 1939 als erstem Baustein der Einführung dieser Vorschrift hingewiesen werden. Nach der Unterzeichnung des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung im Jahr 1971 wurde schließlich die öffentliche Provokation zu Diskriminierung, Hass und Gewalt in Art. 24 LLP eingeführt. Die Einführung einer Vorschrift bezüglich der nicht öffentlichen Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber bestimmten Personen oder Personengruppen aufgrund ihrer Herkunft, Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation, Rasse oder Religion erfolgte jedoch erst mit dem Erlass des neuen code pénal. In der Tat wurde der R. 625-7 CP durch das Dekret vom 29. März 1993 geschaffen und in den zweiten – verordnungsrechtlichen – Teil des code pénal eingeführt.455 Bei der Vorschrift handelt es sich um eine Übertretung, die von der Regierung per Dekret eingeführt wurde. Die Regierung entschied, dass die Straftat aufgrund des Fehlens eines Öffentlichkeitsfaktors lediglich als eine Übertretung der 5. Gruppe zu bestrafen sei.456 Durch einen Erlass von 2005457 wurden neue Angriffsobjekte hinzugefügt, sodass nun auch die nicht öffentliche Provokation zu Hass, Gewalt und Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung oder Behinderung unter Strafe gestellt wurde. Durch einen Erlass von 2017 wurde die Geschlechtsidentität („identité de genre“) hinzugefügt.458
c) Strafbegründung Ziel des Gesetzgebers war es, neben den öffentlichen Provokationen zu Diskriminierung, Hass und Gewalt auch solche Provokationen zu erfassen, die sich an einen begrenzten Adressatenkreis richten. Während bei den Provokationen in Art. 24 Abs. 1–4 LLP der Öffentlichkeitsfaktor eine große Rolle spielt und in ihm die größte Gefahr gesehen wird, weil auf diese Weise viele Menschen auf einmal provoziert werden können, erkennt der Gesetzgeber in Art. R. 625-7 CP, dass die Provokation zu Hass, Gewalt und Diskriminierung an sich schon Gefahr genug ist. Das primäre Ziel der Vorschrift ist es, ethisch und pädagogisch einzuwirken 455 Décret n° 93-726 du 29 mars 1993 portant réforme du code pénal (deuxième partie: Décrets en Conseil d’Etat) et modifiant certaines dispositions de droit pénal et de procédure pénale. 456 de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 317. 457 Décret n°2005-284 du 25 mars 2005 relatif aux contraventions de diffamation, d’injure et de provocation non publiques à caractère discriminatoire et à la compétence du tribunal de police et de la juridiction de proximité. 458 Décret n° 2017-1230 du 3 août 2017 relatif aux provocations, diffamations et injures non publiques présentant un caractère raciste ou discriminatoire.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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und solche Äußerungen zu bestrafen, die privat geäußert werden, weil solche Äußerungen aufgrund ihres Gehalts schon ausreichend gefährlich sind.459 Die Übertretungen sind, wie auch die Vergehen und Verbrechen, nach den Werten im code pénal geordnet, die der Gesetzgeber schützen will. Der Art. R. 625-7 CP befindet sich in Titel II „Übertretungen der fünften Gruppe gegen Personen“ des Buches VI „Die Übertretungen“. Daraus kann geschlossen werden, dass der Gesetzgeber mit der Bestrafung der nicht öffentlichen Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt in erster Linie die anvisierten Personen vor Übergriffen schützen wollte.460
d) Objektiver Tatbestand aa) Angriffsobjekte Bezüglich der Angriffsobjekte gelten hier die gleichen Regeln wie für Art. 24 Abs. 7 und 8 LLP. Bestraft wird nach Art. R. 625-7 CP demzufolge, wer zu Diskriminierung, Hass oder zu Gewalt gegenüber Personen oder Personengruppen aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Nation, Rasse, Religion (Art. R. 625-7 Abs. 1 CP) oder aufgrund ihres Geschlechtes, ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität oder aufgrund einer Behinderung (Art. R. 625-7 Abs. 2 CP) provoziert hat.461
bb) Tathandlung Der Gesetzgeber hat auch in Art. R. 625-7 CP nur wenige Angaben bezüglich der Anforderungen an die Provokation gemacht. Dies lässt der Rechtsprechung einen großen Ermessensspielraum. Aufgrund des Mangels an Präzision vonseiten des Gesetzgebers werden auch die impliziten Provokationen geahndet, die als eine Einwirkung auf Gefühle wirken.462 Die Provokation kann dabei durch beliebige Mittel erfolgen.463 Es wird auch nicht gefordert, dass zur Begehung einer bestimmten Tat provoziert wird. Ebenfalls nicht verlangt wird, dass die Provokation erfolgreich war. Es handelt sich demzufolge um eine „infraction formelle“, bei der nicht verlangt wird, dass die Handlungen tatsächlich zu Hass, Gewalt oder Diskriminierung motiviert haben.464 459 460 461 462 463 464
Lazerge, Réflexions sur le nouveau code pénal, S. 24. Siehe Lazerge, Réflexions sur le nouveau code pénal, S. 24. Vertiefend hierzu siehe die Ausführungen oben in Teil 2 Kapitel 2 C. I. 1. d) aa). Dreyer, JCl. Pénal Code, Art. R. 625-7, fasc. 20, Rn. 8 ff. Dreyer, JCl. Pénal Code, Art. R. 625-7, fasc. 20, Rn. 8. Dreyer, JCl. Pénal Code, Art. R. 625-7, fasc. 20, Rn. 8.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Im Unterschied zu Art. 24 LLP muss die Provokation in Art. R. 625-7 CP jedoch nicht öffentlich erfolgt sein. In der Tat wird hier nur die Provokation erfasst, die sich an einen bestimmbaren Adressatenkreis oder an eine Einzelperson richtet. Artikel R. 625-7 CP kommt ebenfalls dann zum Tragen, wenn die Provokation zwar an mehrere Personen adressiert ist, die Personen sich aber in einem privaten Raum befinden und es keine Möglichkeit gibt, dass die Äußerungen von Menschen außerhalb dieses Raumes vernommen werden können465, oder auch, wenn die Provokation zwar an einem öffentlich zugänglichen Ort geäußert wurde, die anwesenden Personen jedoch durch eine Interessengemeinschaft verbunden sind.466 Nicht erfasst wird hingegen die Provokation, die vertraulich geäußert wird. Demzufolge wird der Brief, den eine Person im Vertrauen an eine andere schickt, von Art. R. 625-7 CP nicht erfasst.467
cc) Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt In Art. R. 625-7 CP wird die nicht öffentliche Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt unter Strafe gestellt. Es handelt sich hierbei um die gleichen Handlungen wie in Art. 24 Abs. 7–8 LLP, die ebenfalls in gleicher Weise auszulegen sind.
e) Subjektiver Tatbestand Es handelt sich hierbei um eine „infraction intentionelle“, d. h., dass der Täter vorsätzlich handeln muss.468 Demzufolge muss der Täter gewusst und gewollt haben, dass er durch seine Handlung andere zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt provoziert (dol général).469
f) Quintessenz Für Art. R. 625-7 Abs. 1–2 bedarf es keiner expliziten Provokation, die einen Handlungsdruck ausübt. Jegliche Form der Einwirkung auf Gefühle reicht aus. Wie bei Art. 24 Abs. 7–8 LLP muss auch hier die Provokation nicht zur Begehung einer bestimmten Tat ausgerichtet sein, da ebenfalls die Provokation zu Hass erfasst wird.
465 466 467 468 469
Dreyer, JCl. Pénal Code, Art. R. 625-7, fasc. 20, Rn. 23. Dreyer, JCl. Pénal Code, Art. R. 625-7, fasc. 20, Rn. 23. Dreyer, JCl. Pénal Code, Art. R. 625-7, fasc. 20, Rn. 23. Dreyer, JCl. Pénal Code, Art. R. 625-7, fasc. 20, Rn. 25. Dreyer, JCl. Pénal Code, Art. R. 625-7, fasc. 20, Rn. 25.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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II. Tatbezogene indirekte Motivationsdelikte – Erweckung eines gesteigerten Maßes an Emotionen in Bezug auf Straftaten 1. Verherrlichung von Verbrechen (Art. 24 Abs. 5 LLP) a) Geltender Normtext In Art. 24 Abs. 5 LLP ist Folgendes normiert: Seront punis de la même peine ceux qui, par l’un des moyens énoncés en l’article 23, auront fait l’apologie des crimes visés au premier alinéa, des crimes de guerre, des crimes contre l’humanité, des crimes de réduction en esclavage ou d’exploitation d’une personne réduite en esclavage ou des crimes et délits de collaboration avec l’ennemi, y compris si ces crimes n’ont pas donné lieu à la condamnation de leurs auteurs.470
b) Geschichtlicher Überblick Erstmaligen Eingang in die französische Gesetzgebung fand die strafrechtliche Ahndung der „apologie“ (Verherrlichung) am 9. September 1835 mit dem Erlass eines Gesetzes, mit dem die Freiheit der Presse weitreichend eingeschränkt und neue Straftaten erlassen wurden. Einer der Auslöser der Julirevolution des Jahres 1830, die zum Sturz der Bourbonen in Frankreich sowie zu einer erneuten Machtergreifung des Bürgertums führte, war die starke Einschränkung der Pressefreiheit durch die Juliordonnanzen, die am 26. Juli 1830 vom französischen König Charles X erlassen wurden. Nach der Julirevolution begann in Frankreich die Julimonarchie, die sich anfangs auf eine weitreichende Pressefreiheit berief. Dies änderte sich jedoch mit der Revolte der „canuts“471 und dem am 28. Juli 1835 verübten Anschlag auf den französischen König Louis-Philippe I. Die Regierung schob die Verantwortung für dieses Attentat auf die Zeitungen, die sich gegen den König ausgesprochen hatten, und setzte sich für eine Verschärfung der Kontrolle und der Zensur der Presse sowie für eine striktere strafrechtliche Ahndung solcher Äußerungen ein, in denen das Potenzial gesehen wurde, straftatenfördernd zu wirken. Dies führte zum Erlass des Gesetzes vom 9. September 1835, das in Art. 8 die „apologie de faits qualifiés crimes et délits par la loi pénale“ („Verherrlichung der vom Strafgesetz als Vergehen und
470
Übersetzung Art. 24 Abs. 5 LLP: „Werden mit der gleichen Strafe diejenigen bestraft, die durch eines der in Art. 23 aufgezählten Mittel die Verbrechen des ersten Absatzes, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Versklavung oder der Ausbeutung versklavter Personen oder Vergehen und Verbrechen der Kollaboration mit dem Feind, auch wenn die Täter dieser Verbrechen nicht verurteilt worden sind, verherrlichen.“ 471 Als „canuts“ wurden die in Lyon arbeitenden Seidenweber bezeichnet.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Verbrechen bezeichneten Taten“) unter Strafe stellte.472 Die Vorschrift wurde (in identischem Wortlaut) in Art. 3 des Gesetzes vom 27. Juli 1849 aufgenommen. Mit dem Gesetz über die Freiheit der Presse von 1881 sollte zum einen die Freiheit der Presse wiederhergestellt und zum anderen jene Vorschriften aus dem französischen Recht verbannt werden, die als „délits d’opinion“ (Gesinnungsstraftaten) betrachtet wurden. Darunter befand sich auch die Verherrlichung, die mit der Einführung des Gesetzes von 1881 straffrei blieb, da es sich laut der Lehre und dem Gesetzgeber lediglich um den Ausdruck von Meinungen handelte, die straffrei bleiben sollten: […] ce ne sont que des appréciations, des discussions sous une forme plus ou moins vive, plus ou moins agressive, plus ou moins blâmable en soi: ce ne sont que des opinions; […].473
Dies änderte sich jedoch mit der Serie von anarchistischen Attentaten, die 1892 und 1893 begangen wurde.474 Ausschlaggebend war letztendlich das Attentat von Auguste Vaillant, einem 21-jährigen Anarchisten, der am 9. Dezember 1893 eine Bombe in die Nationalversammlung (Assemblée nationale), das Unterhaus des französischen Parlaments, warf und einen Monat nach der Tat zum Tode verurteilt und mit der Guillotine hingerichtet wurde. Dieses Attentat, bei dem es Verletzte, aber keine Toten gab, war der Auslöser für den Erlass einer Reihe von Gesetzen, die auch als „lois scélérates“ (übersetzt bedeutet dies so viel wie ruchlose oder verbrecherische Gesetze) bekannt sind und die zu einer Einschränkung der Pressefreiheit führten. Der Presse, insbesondere den anarchistischen Zeitungen, wurde vorgeworfen, nicht nur zu Übergriffen zu provozieren, sondern auch, schlicht anarchistische Propaganda zu verteilen und somit straftatenfördernd zu wirken475: Ils exercent une sorte de suggestion: ils publient ou font publier dans leurs journaux une série d’articles plus ou moins violents, dans lesquels ils prêchent l’acte de propagande en question; puis, ils attendent que l’effet se produise, que la graine ainsi semée rencontre un terrain favorable.476 472 Art. 8 des Gesetzes vom 9. September 1835: „Toute attaque contre la propriété, le serment, le respect dû aux lois; toute apologie de faits qualifiés crimes et délits par la loi pénale; toute provocation à la haine entre les diverses classes de la société, sera punie des peines portées par l’article 8 de la loi du 17 mai 1819. Néanmoins, dans les cas prévus par le paragraphe précédent et par l’article 8 de la loi précitée, les tribunaux pourront, selon les circonstances, élever les peines jusqu’au double du maximum“. 473 De la Briselainne, Loi du 29 juillet 1881 sur la liberté de la presse, avec commentaire, S. 87. Übersetzung: „Es handelt sich nur um Beurteilungen, um mehr oder weniger mündliche Diskussionen, die mehr oder weniger aggressiv oder an sich tadelnswert sind; es sind nur Meinungen; […].“ 474 Vertiefend zur anarchistischen Bewegung in dieser Zeit in Frankreich siehe, Maitron, Le Mouvement anarchiste en France, tome I: Des origines à 1914, S. 200 ff.; und Kempf, Ennemis d’état, S. 19. 475 Siehe vertiefend hierzu Pressensé, in Pressensé / un Juristen / Pouget (Hrsg.), Les lois scélérates de 1893–1894, S. 1. 476 Fabreguettes, De la complicité intellectuelle et des délits d’opinion – de la provocation et de l’apologie criminelles – de la propaganda anarchiste, S. 35–36. Übersetzung: „Sie üben
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Während die direkte Provokation zu Straftaten bereits im Gesetz über die Freiheit der Presse von 1881 erfasst wurde, fehlten Vorschriften, die es ermöglichten, auch die Verherrlichung unter Strafe zu stellen. Dem sollte mit dem Gesetz vom 12. Dezember 1893, das bereits drei Tage nach dem Anschlag aufgrund eines beschleunigten Verfahrens durch das Parlament erlassen wurde477, Rechnung getragen werden. So wurde in Art. 24 LLP ein Absatz eingefügt, in dem die Verherrlichung von Mord, Plünderung, Brandstiftung, Diebstahl sowie die Verherrlichung der Straftaten, die in Art. 435 des damaligen code pénal normiert waren, unter Strafe gestellt wurde.478 Seitdem wurde die Liste der Straftaten, deren Verherrlichung in Art. 24 LLP bestraft wird, mehrfach verändert und erweitert. Mit dem Gesetz vom 6. Januar 1951 wurden der Liste der strafbaren Vergehen und Verbrechen die Kollaboration mit dem Feind sowie die Kriegsverbrechen und mit dem Gesetz vom 31. Dezember 1987 die Verherrlichung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinzugefügt.479 Bei der Einführung des neuen code pénal im Jahr 1994 wurde auch der Art. 24 LLP verändert.480 Die Verherrlichung betreffend wurden der Mord, die Plünderung, die Brandstiftung und der Diebstahl nun nicht mehr einzeln benannt, sondern es wurde stattdessen auf die Liste der Straftaten in Art. 24 Abs. 2 und 3 LLP verwiesen. Dies führte dazu, dass die Liste der Straftaten, deren Verherrlichung bestraft wird, kontinuierlich erweitert wurde. Mit dem Gesetz vom 27. Januar 2017 wurde die Liste außerdem um die Straftaten der Versklavung und der Ausbeutung versklavter Personen erweitert. Zudem wurde hinzugefügt, dass es nicht notwendig sei, dass die Täter der Straftaten, deren Verherrlichung in Art. 24 LLP bestraft ist, rechtskräftig verurteilt wurden.481
eine gewisse Anregung aus: Sie veröffentlichen oder lassen in ihren Zeitungen eine Reihe von Artikeln veröffentlichen, die mehr oder weniger aggressiv sind, und in denen sie die propagandistische Tat predigen; dann warten sie, bis dieses seine Auswirkungen hat, bis der so gesäte Samen auf fruchtbaren Boden fällt“. 477 Pressensé, Abgeordneter im Parlament, Mitbegründer und Präsident der Französischen Liga zur Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte, führte in einem Kritiktext der Gesetze an: „Sous l’impression terrifiante d’attentat […] les chambres ont voté 1893 et en 1894, d’urgences, au pied levé, dans des conditions inouïes de précipitation et de légèreté, des mesures qui ne sont rien de moins que la violation de tous les principes de notre droit.“ 478 Siehe Art. 24 Abs. 3 nach der Veränderung durch das Gesetz vom 12. Dezember 1893: „Seront punis de la même peine ceux qui, par l’un des moyens énoncés en l’article 23, auront fait l’apologie des crimes de meurtre, de pillage ou d’incendie, ou du vol, ou de l’un des crimes prévus par l’article 435 du Code pénal“. 479 Siehe Loi n° 87-1157 du 31 décembre 1987 relative à la lutte contre le trafic de stupéfiants et modifiant certaines dispositions du code pénal. 480 Loi n° 92-1336 du 16 décembre 1992 relative à l’entrée en vigueur du nouveau code pénal et à la modification de certaines dispositions de droit pénal et de procédure pénale rendue nécessaire par cette entrée en vigueur. 481 Loi n° 2017-86 du 27 janvier 2017 relative à l’égalité et à la citoyenneté.
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c) Strafbegründung Bei den Diskussionen, die im Jahre 1893 im Parlament bezüglich der Einführungen der Bestrafung der Verherrlichung von bestimmten Straftaten geführt wurden, wurde von mehreren Abgeordneten argumentiert, dass die Verherrlichung die Gefahr bergen könne, dass durch sie bereits begangene Taten als nachahmenswert erscheinen und so zur Begehung der verherrlichten Taten aufgereizt würde.482 Bezüglich der Verherrlichung führte der ernannte Berichterstatter Trarieux für das Gesetz vom 12. Dezember 1893 vor dem Senat an, dass diese Innovation unabdingbar sei. Er verwies dabei auf die Tatsache, dass in bestimmten Zeitungen oder Versammlungen das Attentat von Vaillant verherrlicht wurde, was deutlich mache, dass eine strafrechtliche Ahndung der Verherrlichung nötig sei: […] et il n’est pas besoin de vous démontrer l’intérêt social qu’il peut y avoir à couper court à des encouragements et à des excitations qu’il serait désormais impossible de croire inoffensifs et qui n’ont déjà fait sur certains esprits pervers ou fanatiques que trop de ravages.483
In der Begründung des Gesetzes vom 12. Dezember 1893 wurde angeführt, dass das Gesetz die Gesellschaft gegenüber den Verherrlichungen und Aufhetzungen nicht wehrlos lassen könne, da diese im selben Maße eine gesellschaftliche Gefahr darstellten wie die direkte Provokation: Qu’est-ce, en effet, que l’apologie d’un attentat comme le meurtre, le pillage, l’incendie, la destruction d’un édifice à l’aide d’engins explosifs, etc., sinon la provocation au renouvellement d’actes de même nature? Produisant les mêmes effets, elle doit exposer ceux qui s’en rendent coupables à la même répression.484
In der Debatte darüber, ob die Verherrlichung in das Gesetz über die Freiheit der Presse aufgenommen werden sollte, wurden sowohl vom damaligen Justizminister als auch von den Abgeordneten weitere klare Parallelen zwischen der Verherrlichung und der Provokation gezogen, wobei die Verherrlichung aufgrund ihres versteckteren und indirekteren Charakters als besonders gefährlich dargestellt wurde. Dies bestätigte ein Abgeordneter, indem er geltend machte, dass die Verherrlichung 482
Siehe Fabreguettes, De la complicité intellectuelle et des délits d’opinion – de la provocation et de l’apologie criminelles – de la propaganda anarchiste, S. 61 ff. 483 Die Rede wird von Fabreguettes zitiert in Fabreguettes, De la complicité intellectuelle et des délits d’opinion – de la provocation et de l’apologie criminelles – de la propaganda anarchiste, S. 61. Übersetzung: „Es ist nicht nötig, das gesellschaftliche Interesse aufzuzeigen, dass in der Unterbindung der Ermutigungen und Erregungen liegt, die nicht mehr als harmlos angesehen werden können und die bereits auf gewisse perverse oder fanatische Gemüter verheerende Auswirkungen hatten“. 484 Exposé des motifs (Gesetzesbegründung), zitiert in Fabreguettes, De la complicité intellectuelle et des délits d’opinion – de la provocation et de l’apologie criminelles – de la propaganda anarchiste, S. 61. Übersetzung: „Handelt es sich bei der Verherrlichung eines Attentats wie dem Mord, der Plünderung, der Brandstiftung, der Zerstörung von Bauwerken mit Hilfe von Sprengstoffen etc. nicht um Provokationen zur Begehung von Straftaten der gleichen Art? Sie üben die gleiche Wirkung aus, weshalb dem Täter auch die gleiche Strafe auferlegt werden muss“.
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als die unmittelbarste der Provokationen agiere und besonders gefährlich sei, da sie eine besondere Wirkung auf Menschen ausübe, die geistig schwächer seien: La louange du crime est la plus directe des provocations. Pour les esprits faibles, elle transforme les pires scélérats en héros; pour les aigris, les malheureux, les désespérés, les utopistes, elle ajoute à leur désespérance le mirage de la renommée, excite leur imagination déjà exaltée par la souffrance.485
Der damalige Justizminister führte an, dass eine Person mit einer Verherrlichung mehr erreichen könne als mit einer expliziten und ausdrücklichen Provokation, die gerade aufgrund ihres expliziten Charakters als zu gewalttätig und direkt erscheinen könne: […] Qu’est-ce que l’apologie? C’est la glorification de ces prétendus héros de l’anarchie, donnés en exemple à des esprits faibles et dévoyés, qu’on dirige ainsi, plus lentement, mais plus sûrement, vers le but qu’on se propose, et auquel on ne les aurait peut-être pas conduits par une provocation directe et trop violente“.486
In der heutigen Lehre werden ähnliche Auffassungen vertreten, wenn zum Ausdruck gebracht wird, dass in der Verherrlichung die Gefahr gesehen wird, dass sie andere zur Begehung der verherrlichten Taten motiviere.487 Es wird befürchtet, dass, indem Straftaten gerechtfertigt werden sowie für Straftäter ein Eloge ausgesprochen wird, ein Gefühl der Befreiung von Schuld geschaffen wird, das zu einer Nachahmung der verherrlichten Taten führen könne.488 Es wird angeführt, dass die Verherrlichung auch dann, wenn sie nicht direkt zur Begehung einer Straftat provoziere, doch dazu führe, Gefühle und Leidenschaften zu beeinflussen und somit ein Klima schaffe, in dem neue Taten gedeihen könnten.489 In der Lehre wird allerdings nur selten untersucht, welchen Wert der Gesetzgeber mit der Bestrafung der Verherrlichung in Art. 24 LLP zu schützen ersucht. Thierry
485 Fabreguettes zitiert hier die Rede von Pourquery de Boisserin, in Fabreguettes, De la complicité intellectuelle et des délits d’opinion – de la provocation et de l’apologie criminelles – de la propaganda anarchiste, S. 62. Übersetzung: „Die Lobpreisung eines Verbrechens ist die unmittelbarste aller Provokationen. Für niedrige Geister verwandelt sie die schlimmsten Schurken in Helden; zur Verzweiflung der Verbitterten, der Unglücklichen, der Verzweifelten, der Utopisten fügt sie das Trugbild der Berühmtheit hinzu, und erregt ihre Fantasie, die bereits durch ihr Leiden in Aufregung gebracht wurde“. 486 Äußerung des damaligen Justizministers in der Abgeordnetenkammer am 11. Dezember 1893, zitiert von de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 353. Übersetzung: „Was ist die Verherrlichung? Es ist die Glorifikation der angeblichen Helden der Anarchie, die den niedrigen Geistern als Beispiele aufgeführt werden, die somit langsam, aber sicher zu dem Ziel geführt werden, das ihnen präsentiert wird und zu dem sie vielleicht mit einer direkten und gewalttätigen Provokation niemals gekommen wären“. 487 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 332. 488 de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 350. de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 523; ähnlich Dupuy, La provocation en droit pénal, S. 315. 489 Dupuy, La provocation en droit pénal, S. 316.
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meint, dass die Vorschrift dazu diene, die öffentliche Ordnung zu schützen.490 Dupuy führt dagegen an, dass der Gesetzgeber mit der Vorschrift die Gültigkeit sowie die Durchsetzungskraft der Gerichtsentscheidungen schützen wolle.491 Joffroy schließt sich dieser Meinung an, wenn er behauptet, dass sich die Verherrlichung auf in der Vergangenheit liegende Taten beziehe und der Staat nicht zulassen könne, dass diese Taten sowie die für sie bereits verurteilten Täter in ein positives Licht gerückt werden. Aus diesem Grund stelle eine Verherrlichung eine Verletzung der öffentlichen Ordnung sowie eine Verletzung der Legitimität der Gerichtsentscheidungen dar.492
d) Objektiver Tatbestand aa) Tathandlung Die apologie (Verherrlichung) wird vom Gesetzgeber nicht definiert. Diese Aufgabe obliegt daher abermals der Lehre sowie der Rechtsprechung. Für die Definition der Verherrlichung kann auf die Definition von Le Poittevin verwiesen werden, der ausführt, dass es sich bei der Verherrlichung um eine lobenswerte Darstellung einer Straftat oder um die Beglückwünschung oder Glorifizierung des Täters handelt.493 Der Generalanwalt Boucheron fügte dieser Definition der Verherrlichung im Jahr 1971 den Aspekt der Rechtfertigung hinzu, durch den eine begangene Straftat als ein „idéal incompris“ (unverstandenes Ideal) oder als zu Unrecht verurteilt dargestellt wird.494 Daraus wird geschlossen, dass die Verherrlichung zum einen immer auf die Vergangenheit gerichtet sein muss, d. h., dass nur in der Vergangenheit liegende und tatsächlich begangene oder versuchte Taten verherrlicht werden können.495 Zum anderen lässt dies erkennen, dass nicht nur Taten, sondern auch Täter verherrlicht werden können.496 Bei der Verherrlichung des Täters muss jedoch deutlich werden, dass dieser wegen der begangenen Straftat verherrlicht wird; ein einfacher Ausdruck der Sympathie ihm gegenüber ohne klaren Verweis auf seine Tat reicht demzufolge nicht aus.497 Ebenfalls als Verherrlichung wird die Herabsetzung der Opferzahlen einer begangenen Straftat be-
490
Thierry, JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication, fasc. 60, Rn. 42. Dupuy, La provocation en droit pénal, S. 316. 492 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 210. 493 Le Poittevin, Traité de la presse, 1902–1903, t. 2, S. 52. 494 Zusammenfassung des Generalanwalts Boucheron unter der Entscheidung, Cass. crim. 14 janv. 1971: Gaz. Pal. 1971, 2. S. 585. 495 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 525. 496 CA Paris, 21 janv. 2009, n° 08/02208; JurisData n° 2009-001298; Lepage, RSC, 2005, S. 583; Rassat, Droit pénal spécial, Rn. 778. 497 Cass. crim. 22 août 1912: DP 1914, 1, S. 75.; Cass. crim. 14 janv. 1971, n° 70-90.558. 491
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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trachtet.498 Erfasst wird auch die Verherrlichung einer versuchten Straftat.499 Eine Verherrlichung liegt hingegen z. B. nicht vor, wenn jemand bei einem Transport auf die Polizeiwache fünf oder sechs Mal „Allah Akbar“ wiederholt. In diesem Fall kann dem Geäußerten mehrere Bedeutungen zukommen, ohne das es sich bei den Äußerungen alleine um eine Provokation oder Verherrlichung handelt.500 Da die Verherrlichung nicht definiert ist, hat die Rechtsprechung diesen Begriff eher weit ausgelegt und auch solche Handlungen erfasst, die als „apologie indirecte“ (indirekte Verherrlichung) gelten. Es handelt sich hierbei um Äußerungen, die, indem sie dubiose Vergleiche ziehen oder fragwürdige Zusammenhänge herstellen, Straftaten rechtfertigen oder entschuldigen. Dabei wird bei der indirekten Verherrlichung nicht offensichtlich oder deutlich, dass sie einen Täter oder eine Straftat verherrlicht. Der Rechtsprechung zufolge handelt es sich um eine Verherrlichung, wenn in einem Zeitungsartikel der Autor gegen die Existenz einer Briefmarkenserie protestiert, dessen Thema die Helden der Résistance sind, und er sich zugleich für eine analoge Briefmarkenserie über die „Opfer“ der Résistance ausspricht und dabei nur Namen nennt, die in Verbindung mit Antisemitismus und der Zusammenarbeit mit dem NS-Regime stehen.501 In den darauffolgenden Entscheidungen des Cour de cassation setzte sich diese Auffassung durch, und das Gericht fügte hinzu, dass sich der verherrlichende Charakter einer Äußerung nicht von einem Wort oder von einem Satz ableiten lasse, sondern dass der allgemeine Umstand und Kontext untersucht werden müsse.502 Die Verherrlichung muss außerdem öffentlich erfolgen. Wie bereits in den Absätzen zuvor wird auch hier für die Mittel zur Öffentlichmachung auf die Liste in Art. 23 LLP verwiesen.503 Seit dem Gesetz von 2017 wird auch die Verherrlichung von Straftaten erfasst, bei denen der Täter noch nicht rechtskräftig verurteilt worden ist. Die Verherrlichung muss von den in Art. 24 bis LLP erfassten Handlungen (Leugnen, Bagatellisieren etc.) unterschieden werden. Während bei der Handlung des Leugnens die Wahrhaftigkeit oder sogar die Existenz einer Straftat bestritten wird, handelt es sich bei der Verherrlichung nicht um ein Infragestellen, sondern um die Glorifizierung einer Tat.504 Sowohl die Lehre als auch die Rechtsprechung haben die Verherrlichung lange Zeit mit der Provokation gleichgesetzt.505 Dieser 498
de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 526. 499 Cass. crim. 5 avr. 1965: Bull. crim. n° 114. 500 Cass. crim. 10 mars 2020, n° 19-81.026. 501 CA Paris, 25 février 1959, D. 1959, S. 552. 502 Cass. crim. 14 janv. 1971: JCP G 1971, II, 17022. Vertiefend hierzu siehe de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 527. 503 Für eine detaillierte Darstellung der Mittel siehe die Ausführungen in Art. 23. der vorliegenden Arbeit. Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 B. II. 1. d) aa). 504 Siehe hierzu die Ausführungen bezüglich Art. 24. Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 C. II. 8. d). 505 Siehe vertiefend hierzu Dupuy, La provocation en droit pénal, S. 313 ff.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Auffassung wird heute jedoch nicht mehr gefolgt. Der Cour de cassation hat bereits 1972 festgestellt, dass die Verherrlichung von der Provokation in Art. 24 LLP zu unterscheiden sei,506 und auch die Lehre folgt dieser Ansicht. In der Tat wird in der Doktrin anerkannt, dass die Verherrlichung, indem sie Taten oder Täter glorifiziert, zwar auch zu ähnlichem strafbaren Verhalten motivieren könne, es jedoch im Unterscheid zur Provokation keine „relation immédiate de cause à effet“507 (unmittelbaren und ursächlichen Zusammenhang) gebe.508 Martin-Valente führt an, dass die Verherrlichung zeitlich vor der Provokation zum Tragen komme und dass sie den Boden bereiten kann, auf dem es dann zu Provokationen kommen könne.509 Weder in der Lehre noch in der Rechtsprechung wird bestimmt, ob es sich bei der Verherrlichung in Art. 24 Abs. 5 um eine infraction formelle oder eine infraction obstacle handelt.
bb) Katalogstraftaten Bestraft wird nur die Verherrlichung von bestimmten Verbrechen, die in Art. 24 LLP aufgezählt werden. Ziel dieser Aufzählung ist es, zu verhindern, dass mit der Bestrafung der Verherrlichung zu weit in die Meinungsäußerungsfreiheit eingegriffen wird. Es soll nur die Verherrlichung von jenen Straftaten erfasst werden, die als besonders schädigend für die Gesellschaft und die öffentliche Ordnung gelten.510 Deshalb wird auch nur die Verherrlichung der aufgezählten Verbrechen bestraft.511 Der Art. 24 Abs. 5 LLP nimmt primär auf jene Verbrechen Bezug, die in den ersten Absätzen aufgezählt werden. Dies hat zur Folge, dass die Verherrlichung von mehreren der in den Absätzen 2 bis 3 aufgezählten Straftaten nicht bestraft wird, da es sich um Vergehen und nicht um Verbrechen handelt. Ohne alle Verbrechen aufzuzählen, soll lediglich auf den Mord verwiesen werden, dessen Verherrlichung am häufigsten Objekt der Rechtsprechung ist.512 Ebenfalls bestraft wird die Verherrlichung von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Versklavung und der Ausbeutung von versklavten Personen sowie die Vergehen und Verbrechen der Kollaboration mit dem Feind, auch wenn die Täter dieser Verbrechen nicht verurteilt worden sind.
506
Cass. crim. 11 juillet 1972: Bull. crim. n° 236. Dupuy, La provocation en droit pénal, S. 315. 508 Siehe Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 209. 509 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 333. 510 Besse, La pénalisation de l’expression publique, S. 91 f. 511 Ausnahme hierzu ist die Bestrafung der Verherrlichung von Vergehen und Verbrechen der Kollaboration mit dem Feind. 512 TGI Paris, 12 sept. 1995, n°95/0120472/5: JurisData n° 1995-053354. Der Entscheidung des TGI zufolge handelt es sich um eine Verherrlichung von Mord, wenn eine Person während einer Radiosendung mehrmals verkündet, dass der Tod eines Polizisten eine gute Nachricht sei. 507
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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In Bezug auf die Vergehen und Verbrechen der Kollaboration mit dem Feind wurde in der Rechtsprechung eine Bestrafung der Verherrlichung bis jetzt nur in Bezug auf den Zweiten Weltkrieg ausgesprochen.513 So hat der Cour de cassation bestätigt, dass die Glorifizierung von Maréchal Pétain, der wegen der Kollaboration mit dem Nazi-Regime verurteilt wurde, als eine Verherrlichung der Kollaboration angesehen werden kann.514 Durch das Gesetz vom 9. August 2010,515 mit dem die Vorgaben des Römischen Statuts in das französische Recht aufgenommen wurden, wurde erstmals auch eine gesetzliche Definition des Begriffs der Kriegsverbrechen eingeführt. Zudem wurde die Verherrlichung in Art. 24 LLP auf die Verbrechen gegen die Menschlichkeit erweitert. Der Begriff der Kriegsverbrechen wird in Art. 461-1 des code pénal, der der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Art. 212-1 des code pénal definiert. Als Beispiel einer strafbaren Verherrlichung eines Kriegsverbrechens oder genauer gesagt eines Kriegsverbrechers kann die Entscheidung des Cour d’appel von Paris angeführt werden, der entschieden hat, dass die Lobpreisung von Hitler und seiner Taten unter den Art. 24 Abs. 5 LLP fällt.516 Ebenfalls bestraft wird die Verherrlichung der Versklavung und der Ausbeutung einer versklavten Person.
e) Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz (infraction intentionnel). Demzufolge muss der Täter gewusst und gewollt haben, dass durch seine Handlung eine Straftat in ein positives Licht gerückt und damit verherrlicht wird (dol général).517 Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Täter gewollt hat, dass er durch seine Verherrlichung andere zur Begehung der von ihm verherrlichten Straftaten motiviert.518 Der Täter muss jedoch gewollt haben, dass die Verherrlichung öffentlich erfolgt und von einem breiten Publikum vernommen werden kann.
f) Quintessenz Die Verherrlichung, verstanden als lobenswerte Darstellung oder Rechtfertigung einer Straftat oder als Beglückwünschung und Glorifizierung eines Täters, erschöpft sich deutlich in einer einfachen Einwirkung auf Gefühle, da hierbei keine 513
Thierry, JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication, fasc. 60, Rn. 48. Cass. crim. 8 nov. 1988, n°87-91.445. 515 Loi n° 2010-930 du 9 août 2010 portant adaptation du droit pénal à l’institution de la Cour pénale internationale. 516 CA Paris, 20 nov. 1991, n° 90-9088. 517 Cass. crim. 14 janv. 1971, n° 70-90.558; Cass. crim. 7 déc. 2004, n° 03-82832; Cass. crim. 17 mars 2015 n° 13-87.358. 518 Cass. crim. 11 févr. 1954; de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 351. 514
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
deutliche Aufforderung zum Ausdruck gebracht wird. Das Verherrlichen bezieht sich zwar auf bestimmte Straftaten, jedoch wird immer auf in der Vergangenheit liegende Taten Bezug genommen.
2. Verherrlichung von terroristischen Taten (Art. 421-2-5 CP) In Art. 421-2-5 CP werden zwei Tathandlungen erfasst, die in zwei unterschiedlichen Kategorien der Motivationsdelikte klassifiziert werden können: zum einen ein direktes Motivationsdelikt (die direkte Provokation zu terroristischen Taten, siehe Teil II. Kapitel II. II. B. 7.) sowie zum anderen ein indirektes Motivationsdelikt (die Verherrlichung von terroristischen Taten). Nachgehend dargestellt wird die Verherrlichung von terroristischen Taten.
a) Geltender Normtext Art. 421-2-5 CP bestraft neben der Provokation auch die Verherrlichung von terroristischen Taten: Le fait de provoquer directement à des actes de terrorisme ou de faire publiquement l’apologie de ces actes est puni de cinq ans d’emprisonnement et de 75 000 € d’amende. Les peines sont portées à sept ans d’emprisonnement et à 100 000 € d’amende lorsque les faits ont été commis en utilisant un service de communication au public en ligne. Lorsque les faits sont commis par la voie de la presse écrite ou audiovisuelle ou de la communication au public en ligne, les dispositions particulières des lois qui régissent ces matières sont applicables en ce qui concerne la détermination des personnes responsables.519
b) Geschichtlicher Überblick Die Bestrafung der Verherrlichung des Terrorismus war schon immer verbunden mit der Bestrafung der direkten Provokation zum Terrorismus. Somit kann für einen detaillierten geschichtlichen Überblick auf die Ausführungen über die Provokation zu terroristischen Taten in der vorliegenden Arbeit verwiesen werden.520 519 Übersetzung Art. 421-2-5 CP: „Wer eine Person direkt zur Begehung von terroristischen Taten provoziert oder diese Taten öffentlich verherrlicht, wird mit fünf Jahren Gefängnis und 75.000 Euro Geldstrafe bestraft. Die Strafe wird auf sieben Jahre und 100.000 Euro Geldstrafe erhöht, wenn die Handlungen mithilfe eines öffentlichen Online-Kommunikationsdienstes begangen wurden. Werden die Handlungen über die Presse oder über audiovisuelle Medien oder öffentliche Online-Kommunikationsdienste begangen, gelten für die Feststellung der verantwortlichen Personen die besonderen Bestimmungen, die diese Materie regeln.“ 520 Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 B. II. 10. b).
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Erwähnt werden soll an dieser Stelle lediglich die Einführung der Bestrafung der Verherrlichung von terroristischen Taten sowie der Provokation zu diesen in Art. 24 durch das Gesetz vom 9. September 1986521 sowie die Verlagerung dieser Tathandlungen in Art. 421-2-5 CP durch das Gesetz vom 13. November 2014.522 Dieser Transfer führte zum einen dazu, diese Tathandlungen im Bereich autonomer terroristischer Taten zu verorten, und zum anderen dazu, dass die besonderen Verfahrensregeln für die Bekämpfung von Terrorismus des code de procédure pénale Anwendung finden.
c) Strafbegründung Wie bereits in der Strafbegründung bezüglich der Verherrlichung in Art. 24 LLP angeführt wurde, wird in der Verherrlichung die Gefahr gesehen, dass ein straftatenförderndes Klima geschaffen wird, das andere dazu motiviert, die verherrlichten Taten nachzuahmen.523 Dies wird auch mit Blick auf die vom Gesetzgeber gegebene Begründung für das Gesetz vom 13. November 2014 deutlich. Dort wird angeführt, dass es sich bei der Bestrafung solcher Handlungen nicht um die Sanktionierung des Missbrauchs der Meinungsäußerungsfreiheit handle, sondern um die Bestrafung von Handlungen, die direkt zur Begehung von terroristischen Taten führten.524 Dem Gesetzgeber zufolge rühre die besondere Gefahr der Verherrlichung auch vom Öffentlichkeitsfaktor her.525 Insbesondere werden die Verbreitung von Verherrlichungen über das Internet sowie die damit einhergehenden Gefahren hervorgehoben. Der Gesetzgeber befürchtet, dass die verherrlichenden Äußerungen durch den Einsatz dieses Mittels viele Personen erreichen und dass dementsprechend auch viele Personen dazu motiviert werden, terroristische Taten zu begehen.526 Mit der Einführung der Vorschrift in den Titel II des IV. Buchs des code pénal wird deutlich, dass der Gesetzgeber insbesondere die Nation, den Staat und den öffentlichen Frieden schützen will.527
521 Siehe Loi n° 86-1020 du 9 septembre 1986 relative à la lutte contre le terrorisme et aux atteintes à la sûreté de l’État. 522 Dies erfolgte mit dem Gesetz vom 13. November 2014: Loi n° 2014-1353 du 13 novembre 2014 renforçant les dispositions relatives à la lutte contre le terrorisme. 523 Siehe Ausführung oben zu Art. 24 Abs. 5 in der Arbeit: Teil 2 Kapitel 2 C. II. 1. c). 524 Exposé des motifs – Loi n° 2014-1353 du 13 novembre 2014 renforçant les dispositions relatives à la lutte contre le terrorisme. 525 Rapport n° 2173 de Sébastien Pietrasanta, fait au nom de la commission des lois, déposé le 22 juillet 2014. 526 Étude d’impact, Projet de loi renforçant la prévention et la répression du terrorisme, S. 22; so auch Rapport fait par Paul Masson, Annexe au procès-verbal de la séance du 16 Juillet 1986. 527 de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 342.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
d) Objektiver Tatbestand aa) Tathandlung Unter Verherrlichung wird das Glorifizieren, positiv Darstellen, Rechtfertigen und Entschuldigen von Straftaten oder von deren Tätern verstanden.528 Für die weitere Erläuterung und Definition des Begriffs kann auf die Erläuterung der Verherrlichung in Art. 24 Abs. 5 LLP verwiesen werden.529 Spezifisch für die Verherrlichung von terroristischen Taten kann jedoch angemerkt werden, dass der Cour de cassation entschieden hat, dass es zwischen der Verherrlichung und einer individuellen oder gemeinschaftlichen Unternehmung, die darauf gerichtet ist, die öffentliche Ordnung durch Einschüchterung oder Terror in schwerwiegender Weise zu stören, keinen direkten Bezug geben muss.530 Es muss lediglich festgestellt werden, dass die Äußerung eine Straftat oder den bzw. die Täter einer Straftat glorifiziert und verherrlicht. Demzufolge handelt es sich um eine Verherrlichung, wenn bei einer Versammlung, die aufgrund der Attentate abgehalten wurde, die am 7. und 9. Januar 2015 in Paris verübt wurden, ein Schild getragen wird, auf dem auf der einen Seite „je suis humain – je suis Charlie“ („ich bin ein Mensch – ich bin Charlie“) und auf der anderen Seite – mit einem gemalten Herz – „je suis la vie“, „je suis Kouachi“ („ich bin das Leben“, „ich bin Kouachi“531) steht. Für den Cour d’appel handelt es sich hierbei um eine „[…] assimilation, par glorification et héroïsation, aux auteurs des actes terroristes, et par extension un soutien à ces actes terroristes […]“532 und somit um eine Verherrlichung, die auch ohne direkt hergestellten Bezug zu einer individuellen oder gemeinschaftlichen Unternehmung, die darauf gerichtet ist, die öffentliche Ordnung durch Einschüchterung oder Terror in schwerwiegender Weise zu stören, strafbar ist.533 Der verherrlichende Charakter kann sich aus der Äußerung selbst ergeben oder aber auch aus der Kombination mit äußeren Elementen wie z. B. dem Kontext, in dem sie geäußert wurde, oder durch den Bezug auf andere Texte in der Veröffentlichung.534 Eine Verherrlichung ist demzufolge nicht gegeben, wenn eine Person 528
Siehe Cass. crim. 10 mars 2020, n° 19-81026; vertiefend hierzu de Lamy, in: Alix / Jacquelin / Manacorda / Parizot (Hrsg.), Mélanges en l’honneur de Geneviève Giudicelli-Delage. S. 470 f. 529 Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 C. II. 1. d) aa). 530 Cass. crim. 18 déc. 2018, n° 18-82712. 531 Die Brüder Chérif und Saïd Kouachi verübten den Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo am 7. Januar 2015. 532 Übersetzung: „eine Gleichsetzung, durch Glorifizierung und Heroisierung, mit den Tätern der terroristischen Taten und durch Ausweitung, auch um eine Unterstützung der terroristischen Taten […].“ 533 Cass. crim. 18 déc. 2018, n° 18-82712. 534 de Lamy, in: Alix / Jacquelin / Manacorda / Parizot (Hrsg.), Mélanges en l’honneur de Geneviève Giudicelli-Delage. S. 470 f.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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in einem Polizeiauto auf dem Weg zur Polizeistation mehrmals die Worte „allahu akbar“ ausspricht, da hierbei weder aus der Äußerung selbst noch aus den äußeren Umständen eine Verherrlichung abzuleiten sei.535 Während die Öffentlichkeitsanforderung für die direkte Provokation zu terroristischen Taten durch den Transfer in den code pénal abgeschafft wurde, bleibt die Bedingung für die Verherrlichung von terroristischen Taten weiter bestehen. Jedoch wird im Gegensatz zu der Verherrlichung, die in Art. 24 LLP normiert ist, in Art. 421-2-5 CP nicht festgelegt, unter Einsatz welcher Mittel die Öffentlichmachung erfolgen muss; zudem wird auch nicht auf Art. 23 des Gesetzes über die Freiheit der Presse verwiesen. Erst durch den Ministerialerlass des Justizministers vom 12. Januar 2015 wurde festgelegt, dass die Bedingungen von Art. 23 LLP auch für die Verherrlichung in Art. 421-2-5 CP Anwendung finden.536 Demzufolge muss die öffentliche Provokation zu terroristischen Taten entweder durch Reden, Schreie oder Drohungen an öffentlichen Orten oder in öffentlichen Versammlungen, oder durch geschriebene oder gedruckte Schriften, durch Zeichnungen, Gravuren, Malereien, Embleme, Bilder oder jeden anderen Schriften- oder Wortträger, durch verkaufte oder verteilte Bilder, Plakate oder Anzeigen, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, oder durch jeden anderen öffentlichen Online-Kommunikationsdienst erfolgen.537 Es handelt sich demnach nicht um eine strafbare Verherrlichung, wenn diese in einem Gefängnistransporter geäußert wurde und wenn allein die dort anwesenden Polizisten sie vernommen haben.538 Eine Verherrlichung wird als nicht öffentlich angesehen, wenn die Äußerung im Rahmen einer Versammlung gefallen ist, in der die Personen durch eine Interessengemeinschaft verbunden sind. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn ein Angehöriger des Militärs in der Kaserne vor einem Adressatenkreis, der ausschließlich aus Angehörigen des Militärs besteht, äußert, dass Frankreich mehr Menschen töten würde als Daesch und dass er ein Attentat begehen würde. In diesem Fall sind die Adressaten aufgrund ihrer Angehörigkeit zum Militär Teil derselben Interessengemeinschaft, und die Äußerung kann nicht als Verherrlichung i. S. des Art. 421-2-5 CP bestraft werden.539 Es wird nicht verlangt, dass die Verherrlichung erfolgreich war und zur tatsächlichen Begehung einer terroristischen Tat geführt hat. Die Vorschrift wird in der Lehre in die Kategorie der infraction obstacle (Hindernistatbestände) eingeordnet, bei denen das Verhalten an sich als gefährlich angesehen wird und unabhängig vom möglichen Erfolg bestraft wird.540
535 536 537 538 539 540
Cass. crim. 10 mars 2020 n° 19-81026. Circulaire ministérielle de la Garde des Sceaux, n° 2015/0213/A13, Annexe, S. 3. Siehe vertiefend hierzu oben Teil 2 Kapitel 2 B. II. 1. d) aa). Cass. crim., 11 juillet 2017, n° 16-86965. Cass. crim., 13 déc. 2017, n ° 17-82030. André, Droit pénal spécial, S. 412 f.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
bb) Tatobjekt: Terroristische Taten Erfasst wird die Verherrlichung von terroristischen Taten, wie sie in den Artikeln des Titel II, Buch IV des code pénal definiert werden. Für eine Erläuterung dieser wird auf die Ausführungen der vorliegenden Arbeit zur Provokation zu terroristischen Taten verwiesen.541
e) Subjektiver Tatbestand Es handelt sich um eine infraction intentionelle, d. h., dass der subjektive Tatbestand Vorsatz erfordert. Demzufolge muss der Täter gewusst und gewollt haben, dass er durch seine Äußerungen die terroristische Handlung oder den Täter solch einer Handlung in einem positiven Licht erscheinen lässt (dol général).542 Der Vorsatz bezieht sich auch auf die Öffentlichmachung der Verherrlichung. Demzufolge muss der Täter gewollt haben, dass seine Äußerung von einem breiten Publikum vernommen werden kann.543
f) Quintessenz Es kann hier das Gleiche wie für Art. 24 Abs. 5 LLP festgestellt werden: Die Verherrlichung, verstanden als das Glorifizieren, positiv Darstellen, Rechtfertigen und Entschuldigen von Straftaten oder von deren Tätern, übt keinen Handlungsdruck aus. Sie richtet sich in erster Linie an die Gefühle und Emotionen anderer. Die Verherrlichung bezieht sich außerdem ausschließlich auf terroristische Taten, die in der Vergangenheit begangen wurden.
3. Aufrührerische Ausrufe oder Gesänge (Art. 24 Abs. 6 LLP) Der Abs. 6 des Artikels 24 LLP kommt nur sehr selten zum Tragen. Dies führt dazu, dass es zum einen nur wenig Rechtsprechung diesbezüglich gibt – und sofern sie vorhanden ist, dann nur vom Ende des 19. bzw. von Anfang des 20. Jahrhunderts – und zum anderen dazu, dass in der Lehre eine Kommentierung dieses Absatzes oft mit der Begründung verworfen wird, dass er nicht mehr eingesetzt werde.544
541
Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 B. II. 10. d) bb). Cass. crim., 25 avril 2017, n° 16-83331. 543 Cass. crim., 11 juillet 2017, n° 16-86965; Cass, crim., 8 août 2018, n° 18-83460. 544 Siehe z. B. de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 515. 542
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a) Geltender Normtext In Artikel 24 Abs. 6 LLP werden die aufrührerischen Ausrufe und Gesänge als eine Übertretung der fünften Gruppe bestraft: Tous cris ou chants séditieux proférés dans les lieux ou réunions publics seront punis de l’amende prévue pour les contraventions de la 5° classe.545
b) Geschichtlicher Überblick Als Vorgänger der Vorschrift gilt Artikel 3 des Gesetzes vom 11. November 1815, in welchem die aufrührerischen Ausrufe bestraft wurden, die im Palast des Königs oder auf seinen Wegen geäußert wurden.546 In Artikel 5 des gleichen Gesetzes wurde die „sédition“ (Aufruhr) definiert. Der Ursprung des Gesetzes liegt im Willen der Royalisten, die eine Rückkehr zum Kaiserreich im Zuge der zweiten Restauration unter allen Umständen verhindern wollten. In dieser Hinsicht sollte jede öffentliche Äußerung strafrechtlich geahndet werden, in der die Gefahr gesehen wurde, dass sie zu Aufruhr oder zu Aufständen gegen das derzeitige Regime und insbesondere gegen den König hätte führen können.547 Die Vorschrift wurde durch das Gesetz vom 17. Mai 1819 in dessen Artikel 5-1 wieder aufgenommen, wobei die Definition der Aufruhr jedoch nicht wieder aufgenommen wurde. Mit Blick auf das Gesetz von 1819 wird deutlich, dass die aufrührerischen Ausrufe („cris séditieux“) mit der Provokation gleichgesetzt wurden und auch in gleicher Weise bestraft wurden.548 Anschließend wurde durch Art. 8 des Gesetzes vom 25. März 1822 erneut eine ähnliche Vorschrift eingeführt, ohne dass auch hier die aufrührerischen Ausrufe definiert wurden. Es oblag also dem Richter, zu bestimmen, ob es sich um solche Ausrufe handelte oder nicht.549 Das Gesetz über die Freiheit der Presse von 1881 übernahm schließlich in seinem Artikel 24 den Art. 8 des Gesetzes von 1822 und fügte zu den aufrührerischen Ausrufen auch den Gesang („chants“) hinzu. Wie schon in dem Gesetz von 1822 fehlte es jedoch auch hier an einer gesetzlichen Definition des Aufruhrs. Die Vorschrift bezüglich der Bestrafung der aufrührerischen Ausrufe oder Gesänge kam im dar545 Übersetzung Art. 24 Abs. 6 LLP: „Alle aufrührerischen Ausrufe und alle Gesänge, die an öffentlichen Orten oder Versammlungen kundgetan werden, werden mit der für Übertretungen der fünften Gruppe vorgesehenen Geldstrafe bestraft“. 546 Loi du 11 novembre 1815 relative à la répression des cris séditieux et des provocations a la révolte. Artikel 3: „Seront puni de la déportation toutes personnes qui feront entendre des cris séditieux dans le palais du roi ou sur son passage“. 547 Siehe Quensoi de la Hennerie, Revue du Nord, 1925, n° 41 S. 36–53; Tort, Histoire, économie & société, 2005/2 (24e année), S. 233–252. 548 De la Briselainne, Loi du 29 juillet 1881 sur la liberté de la presse avec commentaire, S. 108. 549 Farbreguettes, Traité des infractions de la parole, de l’écriture et de la presse, S. 299 Rn. 839.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
auffolgenden Jahrhundert jedoch nur selten zum Tragen, sodass mit der Einführung des neuen code pénal überlegt wurde, sie abzuschaffen.550 Dagegen wurde jedoch argumentiert, dass die Bestrafung solcher Handlungen weiterhin von Nutzen sei, um rassistische oder antisemitische Schreie und Gesänge zu bestrafen.551 Seit 1994 gerät der Absatz mehr und mehr in Vergessenheit und wird als überholt betrachtet.552
c) Strafbegründung Bei der Einführung in das Gesetz über die Freiheit der Presse wurde erläutert, dass es sich bei den aufrührerischen Ausrufen um eine Tat oder eine Handlung handelt, die vom Ausdruck einer einfachen Meinung zu unterscheiden sei, da die aufrührerischen Ausrufe nicht nur die öffentliche Sicherheit („sécurité publique“) verletzen, sondern auch die öffentliche Ruhe stören und aus diesem Grund bestraft werden sollten.553 Der Berichterstatter des Gesetzes über die Freiheit der Presse führte an, dass es sich hierbei um Ausrufe zu strafbaren Aufruhen handle, die besonders gefährlich seien.554 So sagte er, dass die aufrührerischen Ausrufe constitue un trouble matériel, une agression plus ou moins violente qui peut être suivi de désordres et de collisions plus ou moins regrettables, selon le temps et le lieu, par la surexcitation qu’elle peut occasionner.555
In der Lehre wird diesbezüglich angeführt, dass in den aufrührerischen Ausrufen die Gefahr gesehen wird, dass sie in einem bereits aufgeheizten Klima zu gemeinschaftlich verübten Gewalttätigkeiten oder zu Aufstandsbewegungen gegen das politische Regime führen und somit die staatlichen Einrichtungen gefährden könnten.556 550 Débats parlementaires, première session ordinaire de 1992–1993. Compte rendu intégral 8ème séance du mercredi 21 octobre 1992, J. O., S. 2798. 551 Débats parlementaires, premiere session ordinaire de 1992–1993. Compte rendu intégral 8. éme séance du mercredi 21 octobre 1992, J. O., S. 2798. de Lamy verweist hier richtigerweise darauf, dass eine solche Tathandlung jedoch bereits durch Art. 24 Abs. 8 (provocation a discrimination) erfasst und dass diese innerhalb dieses Absatzes sogar strenger bestraft würde. Siehe de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 515. 552 Besse, La pénalisation de l’expression publique, S. 46. 553 Ameline de la Briselainne zitiert den Berichterstatter des Gesetzes über die Freiheit der Presse, den Abgeordneten Eugène Lisbonne, De la Briselainne, Loi du 29 juillet 1881 sur la liberté de la presse avec commentaire, S. 109–110. 554 Rede des Berichterstatters zitiert von Barbier, in Barbier, Code expliqué de la presse, S. 300 f. 555 Rede des Berichterstatters, zitiert von Barbier, in Barbier, Code expliqué de la presse, S. 300 f. Übersetzung: Bei aufrührerischen Ausrufen handelt es sich um „eine materielle Störung, eine mehr oder weniger gewalttätige Aggression, die möglicherweise je nach Zeit oder Ort durch die Exaltation, die sie erzeugen kann, von mehr oder weniger bedauerlichen Unruhen oder Zusammenstößen gefolgt sein kann“. 556 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 226.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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In der jüngeren Literatur führt de Lamy auf, dass im Allgemeinen durch das Gesetz über die Freiheit der Presse die „autorité publique“ (öffentliche Autorität) geschützt werden soll.557 Hierbei handelt es sich um die „autorité“, d. h. um die dem Staat, den öffentlichen Behörden und den territorialen Selbstverwaltungen obliegende Befugnis, anderen Befehle zu erteilen, sie zu verpflichten und Gehorsam zu verlangen. In diesen Kontext lasse sich auch Artikel 24 Abs. 6 LLP einordnen, der insbesondere auf den Schutz der Republik und der Verfassung gerichtet sei.558
d) Objektiver Tatbestand Bestraft werden Ausrufe und Lieder, die zu Aufruhen und Aufständen gegen die bestehende Regierung führen. Im Gesetz wird dabei weder definiert, was unter Gesang („chant“), Ausrufen („cris“) oder Aufruhr („sédition“) zu verstehen ist. Es obliegt demzufolge der Lehre und der Rechtsprechung, dies zu präzisieren.
aa) Tathandlungen Die Ausrufe und Gesänge werden von Barbier als besondere Veröffentlichungsmittel durch Worte bezeichnet, die nicht als Diskussion eingestuft werden können, sondern eine besondere gewalttätige Aggression darstellen: „[…] deux modes spéciaux de publication par la parole, qui sont non point des procédés de discussion, mais bien des procédés d’agression particulièrement violents […]“.559 Unter dem Begriff „Ausruf“ wird ein explosiver Wortausbruch bezeichnet, bei dem die Anzahl der Worte begrenzt ist und bei dem Gefühle wie Freude, Schmerz oder Hass zum Ausdruck gebracht werden.560 Demzufolge fallen Reden, auch wenn sie mit lauter Stimme ausgesprochen werden, nicht unter die Vorschrift. Lieder seien den Ausrufen ähnlich, wobei sie jedoch länger seien und auch mehrere Minuten dauern könnten.561 Von dem Tatbestand nicht erfasst werden demzufolge Schreiben oder andere textuelle Übermittlungen. Die Verwendung des Wortes „proféré“ (kundgeben) in Abs. 6 macht jedoch deutlich, dass es notwendig ist, dass die Ausrufe und Gesänge von einer breiten Öffentlichkeit vernommen werden können. Sie müssen demzufolge öffentlich erfolgen.562
557
de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 231. de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 237. 559 Barbier, Code expliqué de la presse, S. 262. Übersetzung: „[…] zwei besondere Arten der Veröffentlichung durch Worte, die keine Diskussionstechniken sind, sondern besonders gewalttätige, aggressive Techniken“. 560 Barbier, Code expliqué de la presse, S. 262. 561 Barbier, Code expliqué de la presse, S. 262. 562 de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, Opinion, S. 139. 558
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Die Ausrufe oder Gesänge sind jedoch von der direkten Provokation, wie sie in Art. 23 und 24 Abs. 1–4 LLP normiert wird, zu unterscheiden. Die Ausrufe und Gesänge, die zu Aufruhr motivieren sollen, werden in der Lehre als indirekte Provokationen eingestuft, bei denen eine einfache Einwirkung auf Gefühle sowie eine Aufreizung der Gemüter bestraft wird und bei denen es keines expliziten Appells zu einer bestimmten Tat bedarf.563 Die Ausrufe und Gesänge zu Aufruhr werden unabhängig von einem Erfolg i. S. der tatsächlichen Entstehung von Aufruhr bestraft. Da diese Tathandlung heute in der Rechtsprechung keine Anwendung mehr findet und die Lehre ihr von daher auch kaum noch Beachtung schenkt, wird in der Doktrin auch nicht untersucht, ob es sich beim aufrührerischen Ausruf oder Gesang um eine infraction formelle oder infraction obstacle handelt. In der Lehre wird jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass es schwierig sei, diese Tathandlungen von der Verherrlichung zu unterscheiden.564 Dies wird mit Blick auf die Entscheidung des Cour d’appel von Toulouse vom 11. Januar 1894 deutlich, in der die Rufe „Vive l’anarchie, vive Ravachol, vive Vaillant, vive la révolution sociale!“ („Es lebe die Anarchie, es lebe Ravachol, es lebe Vaillant, es lebe die soziale Revolution!“) als Verherrlichung des Mordes und nicht als aufrührerische Ausrufe oder Lieder qualifiziert wurden. Die Richter sahen in der Anreihung der Ausrufe „vive l’anarchie“ und „Vive Ravachol! Vive Vaillant!“ eine Verherrlichung der Straftaten der Anarchisten Vaillant und Ravachol, da sowohl Vaillant, der einen Bombenanschlag auf die Französische Nationalversammlung verübte, als auch Ravachol, der verschiedene Bomben (u. a. auch in Polizeistationen oder in Gerichtssälen) gelegt hatte, durch Mord und Zerstörung von Gebäuden bekannt geworden waren.565
bb) Aufrührerische Ausrufe oder Gesänge Als Aufruhr („sédition“) gilt laut dem renommierten „Vocabulaire juridique“ von Gerard Cornu ein konzertierter Aufstand gegen die Staatsgewalt.566 In Artikel 412-3 CP wird definiert, was unter Aufstandsbewegungen (mouvement insurrectionnel) zu verstehen sei. Demnach handelt es sich um jede gemeinschaftlich begangene Gewalttätigkeit, die dazu geeignet ist, staatliche Einrichtungen zu gefährden oder die Unversehrtheit des Staatsgebiets zu beeinträchtigen. In den darauffolgenden Artikeln (412-4 bis 412-6 CP) werden die verschiedenen Teilnahmehandlungen an solchen Aufstandsbewegungen unter Strafe gestellt.
563
de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 515. 564 Siehe de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 240. 565 CA Toulouse, 11 janvier 1894. Siehe hierzu De Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 240. 566 Siehe Cornu (Hrsg.), Vocabulaire juridique (2020).
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Der Lehre zufolge werden in Art. 24 Abs. 6 solche Äußerungen erfasst, die eine Feindseligkeit gegenüber dem bestehenden Regime, seiner Form oder seinen Prinzipien oder den Personen, die dieses Regime führen, zum Ausdruck bringen; sei es durch Kritik am bestehenden Regime oder durch Verherrlichung eines anderen.567 Demzufolge werden z. B. Rufe wie „vive le roi! A bas la République“ („es lebe der König, nieder mit der Republik“), die in Zeiten der Republik gerufen werden, vom Tatbestand erfasst und als Ausrufe zu Aufruhr bestraft.568
e) Subjektiver Tatbestand Der Täter muss vorsätzlich handeln (eine infraction intentionnelle), wobei ein dol général ausreicht. Demzufolge muss der Täter gewusst und gewollt haben, dass seine Ausrufe und Gesänge dazu geeignet waren, zu Aufruhren gegen die Regierung zu führen (dol général).569 Der Täter muss außerdem gewollt haben, dass er von einer breiten Öffentlichkeit gehört wird.570
f) Quintessenz In der Lehre werden Ausrufe und Gesänge mit dem Ziel der Herbeiführung von Aufruhren als einfache Einwirkung auf Gefühle und als eine Aufreizung der Gemüter betrachtet, die keinen Aufforderungscharakter haben.
4. Provokation und positive Darstellung des Konsums und Handels von Betäubungsmitteln (Art. L. 3421-4 des CSP) In Artikel L. 3421-4 CSP werden in Absatz 1 zwei indirekte Motivationshandlungen benannt. Zum einen wird die Provokation und zum anderen das positive Darstellen („le fait de présenter ces infractions sous un jour favorable“) der in dem Tatbestand aufgelisteten Straftaten bestraft. In beiden Fällen handelt es sich um tatbezogene, indirekte Motivationsdelikte.
567 Barbier, Code expliqué de la presse, S. 264; de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 238. 568 Cass. crim. 17 juin 1909: Bull. n° 306; Cass. crim. 9 mars 1909, D. 1909, Somm., S. 13. 569 Barbier, Code expliqué de la presse, S. 265. 570 de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 239.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
a) Geltender Normtext In Art. L. 3421-4 des code de la santé publique (CSP) wird die Provokation zum Betäubungsmittelkonsum und zum Betäubungsmittelhandel unter Strafe gestellt: La provocation au délit prévu par l’article L. 3421-1 ou à l’une des infractions prévues par les articles 222-34 à 222-39 du code pénal, alors même que cette provocation n’a pas été suivie d’effet, ou le fait de présenter ces infractions sous un jour favorable est puni de cinq ans d’emprisonnement et de 75 000 euros d’amende. Est punie des mêmes peines la provocation, même non suivie d’effet, à l’usage de substances présentées comme ayant les effets de substances ou plantes classées comme stupéfiants. Lorsque le délit prévu par le présent article constitue une provocation directe et est commis dans des établissements d’enseignement ou d’éducation ou dans les locaux de l’administration, ainsi que, lors des entrées ou sorties des élèves ou du public ou dans un temps très voisin de celles-ci, aux abords de ces établissements ou locaux, les peines sont portées à sept ans d’emprisonnement et à 100 000 euros d’amende. Lorsque le délit prévu par le présent article est commis par voie de la presse écrite ou audiovisuelle, les dispositions particulières des lois qui régissent ces matières sont applicables en ce qui concerne la détermination des personnes responsables. Les personnes coupables des délits prévus par le présent article encourent également la peine complémentaire d’obligation d’accomplir, le cas échéant à leurs frais, un stage de sensibilisation aux dangers de l’usage de produits stupéfiants.571
571
Übersetzung Art. L. 3421-4 CSP: „Die Provokation zu dem Vergehen in Art. L. 3421-1 oder zu einer Straftat der Art. 222-34 bis 222-39 des code pénal, auch wenn die Provokation erfolglos war, oder das positive Darstellen dieser Straftaten, wird mit fünf Jahren Gefängnis und 75.000 Euro Geldstrafe bestraft. Mit der gleichen Strafe wird die Provokation, selbst die erfolglose, zum Gebrauch von Mitteln bestraft, von denen gesagt wird, dass sie wie die Mittel oder Pflanzen wirken, die als Betäubungsmittel eingestuft wurden. Ist das Vergehen des vorliegenden Artikels eine direkte Provokation und wird es in Bildungsoder Erziehungseinrichtungen oder in den Gebäuden der Verwaltung sowie im Umkreis dieser Einrichtungen oder Räume beim Kommen oder Gehen von Schülern oder des Publikums oder in zeitlicher Nähe begangen, wird die Strafe auf sieben Jahre Gefängnis und 100.000 Euro Geldstrafe erhöht. Wird das Vergehen des vorher genannten Absatzes über die Presse oder über audiovisuelle Medien begangen, gelten für die Feststellung der verantwortlichen Personen die besonderen Bestimmungen, die diese Materie regeln. Personen, die sich der in dem Artikel benannten Straftaten schuldig gemacht haben, können auch mit einer Zusatzstrafe bestraft werden sowie dazu verurteilt werden, auf eigene Kosten ein Programm zur Sensibilisierung zu den Gefahren des Gebrauchs von Betäubungsmitteln besuchen zu müssen.“
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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b) Geschichtlicher Überblick Anfang der 1970er Jahre nahm der Konsum von Betäubungsmitteln in Frankreich stetig zu. Dies wurde als ein gesellschaftliches Problem angesehen, auf das der Gesetzgeber mit der Erlassung des Gesetzes vom 31. Dezember 1970572 reagierte, das den rechtlichen Rahmen für die dazugehörige politische Suchtbekämpfungsstrategie festlegte.573 Das Gesetz führte unter anderem den Artikel L. 630 in den code de la santé publique (CSP) ein, der die erfolglose Provokation zum Konsum von sowie den Handel mit Betäubungsmitteln sowie auch das Darstellen dieser Straftaten in einem guten Licht strafrechtlich ahndet.574 Für eine bessere Organisation des CSP wurde die Gesundheitsordnung durch die Verordnung vom 22. Juni 2000 neu gestaltet.575 Im Rahmen dieser Änderung wurde auch der Tatbestand in Art. L. 630 in Art. L. 3421-4 CSP verlegt, ohne dass es dabei zu einer Änderung des Tatbestandes kam. Mit dem Gesetz vom 5. März 2007 wurde Abs. 4 in den Tatbestand eingefügt, der die Nebenstrafe festlegt.
c) Strafbegründung Der Lehre zufolge verfolgt der Gesetzgeber mit diesem Artikel nicht nur ein repressives, sondern auch ein präventives Ziel. Mit der Bestrafung der Provokation und der positiven Darstellung soll verhindert werden, dass es zu einer Betäubungsmittelkriminalität kommt.576 Geschützt werden soll mit Art. L. 3421-4 CSP
572 Loi n°70-1320 du 31 décembre 1970 relative aux mesures sanitaires de lutte contre la toxicomanie, et la répression du trafic et de l’usage illicite des substances vénéneuse. 573 Vertiefend hierzu siehe Löchen, Comprendre les politiques sociales, S. 449. 574 Artikel L. 630 des code de la santé publique 1970: Sans préjudice des dispositions de l’article 60 du Code pénal, seront punis d’un emprisonnement de un an à cinq ans [*durée*] et d’une amende de 5.000 F à 500.000 F [*montant*], ou de l’une de ces deux peines seulement, ceux qui, par un moyen quelconque, auront provoqué à l’un des délits prévus et réprimés par les articles L. 627 et L. 628, alors même que cette provocation n’aurait pas été suivie d’effet, ou qui les auront présentés sous un jour favorable. Seront punis des mêmes peines ceux qui, par un moyen quelconque, auront provoqué, alors même que cette provocation n’aurait pas été suivie d’effet, à l’usage de substances présentées comme ayant les effets de substances ou plantes stupéfiantes [*incitation*]. En cas de provocation au moyen de l’écrit, même introduit de l’étranger, de la parole ou de l’image, même si celles-ci ont été émises de l’étranger, pourvu qu’elles aient été perçues en France, les poursuites prévues aux alinéas précédents seront exercées contre les personnes énumérées à l’article 285 du Code pénal, dans les conditions fixées par cet article, si le délit a été commis par la voie de la presse, et contre les personnes reconnues responsables de l’émission, ou, à leur défaut, les chefs d’établissements, directeurs ou gérants des entreprises [*responsabilité*] ayant procédé à la diffusion ou en ayant tiré profit, si le délit a été commis par toute autre voie. 575 Ordonnance 2000-548 2000-06-15 art. 4 I JORF 22 juin 2000. 576 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 218.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
nicht nur die Integrität der Person577, sondern auch die Volksgesundheit (santé publique), da sich durch die Abhängigkeit der Gesundheitszustand verschlechtern kann.578
d) Objektiver Tatbestand aa) Tathandlung In Artikel L. 3421-4 CSP werden in Absatz 1 zwei Tathandlungen benannt. Zum einen wird die Provokation und zum anderen das positive Darstellen („le fait de présenter ces infractions sous un jour favorable“) der in dem Tatbestand aufgelisteten Straftaten bestraft. Die Provokation betreffend wird sowohl die indirekte als auch die direkte Provokation erfasst. Demzufolge werden sowohl der explizite Appell zu den aufgezählten Straftaten als auch die einfache Einwirkung auf Gefühle oder das Schaffen eines straftatenfördernden Klimas erfasst, das früher oder später zur Begehung von Straftaten führen kann.579 Die Schaffung eines straftatenfördernden Klimas, das zum Konsum von oder zum Handel mit Betäubungsmitteln anregt, reicht also aus.580 Dies ist auch mit Blick auf die Rechtsprechung zu erkennen. So hat der Cour de cassation entschieden, dass es sich um eine Provokation i. S. des Art. L. 3421-4 CSP handelt, wenn Postkarten zum Verkauf ausgestellt werden, auf denen „LSD j’aime“ („LSD, ich liebe es“) steht oder auf denen Herzen sowie auch eine Spritze abgebildet sind581, oder wenn in dem Ausstellungsfenster eines Geschäfts neben ausgestellten Büchern, die den Konsum von Betäubungsmitteln anpreisen, ebenfalls eine Waage und extra langes Zigarettenpapier ausgestellt sind582, oder auch, wenn in dem Lokal eines Vereins T-Shirts, Aufkleber und Plakate mit Aufschriften wie „fumeurs, cultivez plus, risquez moins“ („Raucher, baut mehr an, riskiert weniger“), „THC positif“, „vive le cannabis“ („THC positiv“, „Es lebe das Cannabis“)583 gefunden werden. Eine Provokation zum Konsum von Betäubungsmitteln ist ebenfalls vorhanden, wenn in einem Geschäft neben den Samen auch alle anderen Utensilien für das erfolgreiche Züchten von Cannabispflanzen verkauft werden.584 Eine Provokation ist jedoch nicht vorhanden bei der Ausstellung von Kleidungsstücken oder Gegenständen wie Aschenbechern oder Feuerzeugen
577 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 875. 578 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 218. 579 Dupuy, La provocation en droit pénal, S. 123. 580 Dupuy, La provocation en droit pénal, S. 123. 581 Cass. crim. 9 janv. 1974: Bull. crim. n° 15. 582 Cass. crim. 30 janv. 2002, n° 01-82159. 583 Cass. crim. 9 nov. 2004, n° 04-82312. 584 Cass. crim. 7 mai 2008, n° 07-87076.
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in einem Geschäft, auf denen Cannabisblätter oder der Schriftzug „Cannabis, legalize it“ abgebildet sind.585 Zum anderen wird in Art. L. 3421-4 CSP auch das positive Darstellen von Straftaten („présenter ces infractions sous un jour favorbale“) unter Strafe gestellt. In der Lehre wird das positive Darstellen mit der Verherrlichung gleichgesetzt.586 Darunter soll das Loben von Betäubungsmitteln verstanden werden.587 Dies ist z. B. dann der Fall, wenn der Konsum von Betäubungsmitteln als gesellig588 oder als ein Trend dargestellt wird, dem gefolgt werden sollte589, wenn der Konsum idealisiert und romantisiert wird590, sowie auch dann, wenn der unmoralische591 oder schädliche592 Charakter solch eines Konsums negiert wird. Die Provokation und das positive Darstellen können sowohl öffentlich erfolgen, d. h. an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtet sein, als auch nicht öffentlich und nur an eine bestimmte Person oder an einen bestimmbaren Adressatenkreis adressiert sein.593 Wie die Öffentlichmachung erfolgt ist irrelevant. Ebenfalls unwichtig bei den Tathandlungen ist, ob es zu einem Erfolg i. S. eines tatsächlichen Konsums von oder eines Handels mit Betäubungsmitteln gekommen ist oder nicht. Somit handelt es sich bei Art. L. 3421-4 des code de la santé publique um eine infraction formelle594. Art. L. 3421-4 Absatz 2 CSP weist eine Besonderheit auf. Denn dort wird die Provokation ohne Erfolg zum Konsum einer Substanz erfasst, die dargestellt wird, als hätte sie die gleichen Effekte wie ein Betäubungsmittel, obwohl sie diese nicht hat. Es handelt sich hierbei somit um eine Provokation zu einer infraction impossible (unmöglichen Straftat), denn es kann zu keinem Konsum von Betäubungsmitteln kommen, wenn die Substanz, zu dessen Konsum provoziert wird, gar kein Betäubungsmittel ist.595 Art. L. 3421-4 Abs. 3 CSP sieht eine Erhöhung des Strafrahmens vor, wenn es sich bei der Provokation um eine direkte Provokation handelt, die in Bildungsein585
CA Poitiers, 12 nov. 2015, n° 15/663. Siehe de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 524. 587 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 882. 588 Cass. crim. 16 janv. 2002, n° 01-83987. 589 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 882. 590 Cass. crim. 7 avr. 1998, n° 97-82157. 591 Cass. crim. 22 juin 2004: Bull. crim. 2004, n° 165. 592 Cass. crim. 16 janv. 2002, n° 01-83987. 593 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 881. 594 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 882. 595 de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 336. 586
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richtungen, in den Gebäuden der Verwaltung solcher Einrichtungen oder am Ausgang oder Eingang der Schüler zu solchen Einrichtungen erfolgt.
bb) Konsum und Handel von Betäubungsmitteln Bestraft wird die Provokation und das positiv Darstellen der in Artikel 222-34 bis 222-39 des code pénal normierten Straftaten. In Art. 222-23 CP wird das Leiten oder Organisieren einer Gruppe bestraft, die die unerlaubte Herstellung, Einfuhr, Ausfuhr, Beförderung, den unerlaubten Besitz, das Anbieten, den unerlaubten Erwerb oder den Gebrauch von Betäubungsmitteln betreibt. In Art. 222-35 und 222-36 CP wird die unerlaubte Gewinnung oder Herstellung sowie die unerlaubte Einfuhr oder Ausfuhr von Betäubungsmitteln bestraft. In Art. 222-37 CP wird die Beförderung, der Besitz, das Anbieten, die Abgabe, der Erwerb oder der Gebrauch von Betäubungsmitteln, sofern dies unerlaubt geschieht, bestraft. Art. 222-28 CP bezieht sich auf die Geldwäsche im Kontext des Betäubungsmittelhandels. Art. 222-39 CP bestraft die unerlaubte Abgabe oder das unerlaubte Anbieten von Betäubungsmitteln an eine Person zum persönlichen Gebrauch.
e) Subjektiver Tatbestand Bei Art. L. 3421-4 des code de la santé publique handelt es sich um eine infraction intentionelle. Der Täter muss vorsätzlich handeln. Demzufolge wird verlangt, dass der Täter gewusst und gewollt haben muss, dass er mit seinem Verhalten andere dazu provozieren kann, die in dem Tatbestand aufgezählten Straftaten zu begehen oder dass er gewusst und gewollt hat, dass er durch seine Handlung den Konsum von oder den Handel mit Betäubungsmitteln in ein positives Licht rückt.596 Der Vorsatz ist demnach nicht gegeben, wenn ein Publikationsleiter die Äußerungen eines Drogenabhängigen publiziert und er dabei seine Vorbehalte der Handlung gegenüber und seinen Willen deutlich macht, dass er die Leser damit nur informieren wollte.597
f) Quintessenz Bei der Provokation und dem positiven Darstellen des Konsums von und Handels mit Betäubungsmitteln handelt es sich um eine einfache Einwirkung auf Gefühle oder um das Schaffen eines straftatenfördernden Klimas. Hier wird kein Hand596 Cass. crim. 25 mars 2020, n° 19-86572; de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 882. 597 Cass. crim. 20 avr. 1982.
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lungsdruck aufgebaut, sondern nur ein Klima geschaffen, das früher oder später zur Begehung von Straftaten führen kann. Dies ist auch mit Blick auf die Rechtsprechung zu erkennen.
5. Provokation zur Bewaffnung gegen die Staatsgewalt oder gegen einen Teil der Bevölkerung (Art. 412-8 CP) Erfasst wird die Provokation – auch i. S. der Schaffung eines straftatenfördernden Klimas – zur Bewaffnung gegen die Staatsgewalt oder gegen Bevölkerungsteile. Auch wenn sich die Provokation gegen Bevölkerungsteile richtet, soll der Lehre zufolge in erster Linie verhindert werden, dass es zu einem Bürgerkrieg und zu strafbaren Ausschreitungen in diesem Rahmen kommt. Es geht also nicht so sehr darum, bestimmte Bevölkerungsteile zu schützen, sondern eher darum, den Schutz des Staates zu garantieren. Aus diesem Grund wird der Tatbestand in dieser Kategorie der tatbezogenen, indirekten Motivationsdelikte untersucht und nicht in der Kategorie der opferbezogenen, indirekten Motivationsdelikte.
a) Geltender Normtext Artikel 412-8 des code pénal lautet wie folgt: Le fait de provoquer à s’armer contre l’autorité de l’Etat ou contre une partie de la population est puni de cinq ans d’emprisonnement et de 75 000 euros d’amende. Lorsque la provocation est suivie d’effet, les peines sont portées à trente ans de détention criminelle et à 450 000 euros d’amende. Lorsque la provocation est commise par la voie de la presse écrite ou audiovisuelle, les dispositions particulières des lois qui régissent ces matières sont applicables en ce qui concerne la détermination des personnes responsables.598
b) Geschichtlicher Überblick Vorgänger der Vorschrift war Art. 86 im code pénal von 1810, in welchem das Anreizen („exciter“) der Bürger oder Einwohner zur Bewaffnung gegen die Staatsgewalt oder das Anreizen, einander zu bewaffnen, als Attentat bewertet und mit 598 Übersetzung Art. 412-8 CP: „Wer zur Bewaffnung gegen die Staatsgewalt oder gegen einen Teil der Bevölkerung provoziert, wird mit fünf Jahren Gefängnis und 75 000 Euro Geldstrafe bestraft. Ist die Provokation erfolgreich, wird die Strafe auf 30 Jahre Haft und 450 000 Euro Geldstrafe erhöht. Wird die Provokation aus dem zuvor genannten Absatz über die Presse oder über audiovisuelle Medien begangen, gelten für die Feststellung der verantwortlichen Personen die besonderen Bestimmungen, die diese Materie regeln.“
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einer lebenslangen Freiheitsstrafe bestraft wurde.599 Durch die Novellierung des code pénal im Jahr 1994 wurde Art. 86 aufgehoben und Art. 412-8 CP geschaffen, in dem anstelle des Anreizens die Provokation zur Bewaffnung gegen die Staatsgewalt oder gegen Bevölkerungsteile unter Strafe gestellt wurde. Durch die Verordnung vom 19. September 2000 wurde letztendlich die Währung der Geldstrafe von Franc auf Euro umgestellt.600 Seitdem wurde der Tatbestand nicht mehr verändert. Die Vorschrift kommt in der Praxis jedoch nur selten zum Tragen.
c) Strafbegründung Ziel der Vorschrift ist es, präventiv zu handeln, also zu verhindern, dass es zu Aufstandsbewegungen oder zu Attentaten, die den Staat gefährden könnten, kommt.601 In der Verordnung der Regierung vom 14. Mai 1993 wird deutlich, dass die Gefahr in der Provokation zur Bewaffnung gegen die Staatsgewalt oder gegen Bevölkerungsteile darin gesehen wird, dass sie zu einem Aufstand, Staatsstreich oder Zivilkrieg führen könnte, was verhindert werden soll.602 In den Berichten des Berichterstatters des Gesetzes vom 22. Juli 1992 im Parlament603, mit dem die Vorschrift eingeführt wurde, wird Art. 412-8 CP mit der Überschrift „Provocation à la guerre civile“ (Provokation zum Bürgerkrieg) betitelt. Dies sowie die Berichte machen deutlich, dass befürchtet wurde, dass solche Provokationen, wie sie in Art. 412-8 CP erfasst werden, zu einem bewaffneten innerstaatlichen Konflikt und in diesem Kontext zu Kriegsverbrechen führen könnten.604 Die Vorschrift befindet sich in Buch IV „Verbrechen und Vergehen gegen die Nation, den Staat und den öffentlichen Frieden“, Titel I „Beeinträchtigungen der nationalen Grundinteressen“. Art. 410-1 CP definiert, was unter den nationalen Grundinteressen in Titel I zu verstehen ist. Dem Artikel zufolge handelt es sich hierbei um die Unabhängigkeit der Nation, die Unversehrtheit ihres Staatsgebiets, ihre Sicherheit, die republikanische Form ihrer Einrichtungen, die Mittel zu ihrer Verteidigung und die ihrer Diplomatie, den Schutz ihrer Bevölkerung in Frankreich 599
Artikel 86 code pénal von 1810: L’attentat dont le but aura été soit de détruire ou de changer le régime constitutionnel, soit d’exciter les citoyens ou habitants à s’armer contre l’autorité de l’Etat ou à s’armer les uns contre les autres, soit à porter atteinte à l’intégrité du territoire national sera puni de la détention criminelle à perpétuité. L’exécution ou la tentative constitueront seules l’attentat. 600 Ordonnance n° 2000-916 du 19 septembre 2000 portant adaptation de la valeur en euros de certains montants exprimés en francs dans les textes législatifs. 601 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 296. 602 Circulaire du 14 mai 1993 présentant les dispositions du nouveau code pénal et de la loi n° 92-1336 du 16 décembre 1992 relative à son entrée en vigueur. 603 Loi n° 92-686 du 22 juillet 1992 portant réforme des dispositions du code pénal relatives à la répression des crimes et délits contre la Nation, l’Etat et la paix publique. 604 Siehe Rapport n° 274 (1991–1992) de Paul Masson, fait au nom de la commission des lois, déposé le 1er avril 1992, S. 40; Rapport n° 436 (1991–1992) de Paul Masson, fait au nom de la commission des lois, déposé le 24 juin 1992, S. 15.
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und im Ausland, das Gleichgewicht ihrer natürlichen Umgebung und ihrer Umwelt und die wesentlichen Bestandteile ihres wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Potenzials sowie ihres kulturellen Erbes. In der Lehre wird darauf hingewiesen, dass mit dem Tatbestand insbesondere die Nation und die öffentliche Ordnung geschützt werden sollte.605
d) Objektiver Tatbestand Bestraft wird die Provokation zur Bewaffnung gegen die Staatsgewalt oder gegen einen Teil der Bevölkerung. Die Provokation kann an jeden gerichtet sein. Es gibt keine spezifischen Vorgaben bezüglich des Adressatenkreises. Es gibt im Gesetzestext ebenfalls keine weiteren Angaben über die Provokation. Sie kann also sowohl direkt als auch indirekt erfolgen. Die Provokation kann demzufolge explizit sein oder sich lediglich in einem Einwirken auf die Gefühle anderer oder in der Schaffung eines straftatenfördernden Klimas erschöpfen, in welchem andere dazu motiviert werden, sich gegen die Staatsgewalt oder andere Bevölkerungsgruppen zu bewaffnen.606 In dieser Hinsicht ist die Provokation ähnlich wie in Art. L. 3421-4 des CSP zu verstehen. Außerdem kann die Provokation sowohl öffentlich erfolgen, also an einen zahlenmäßig nicht bestimmbaren Personenkreis, als auch an eine bestimmte Person gerichtet sein. Die Provokation kann außerdem über jedes Mittel erfolgen.607 Art. 412-8 CP erfasst sowohl die erfolgreiche Provokation, die zur Bewaffnung geführt hat, als auch die erfolglose Provokation. Lediglich der Strafrahmen ändert sich. So wird der Täter bei einer erfolglosen Provokation mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und 75.000 Euro Geldstrafe bestraft. Bei einer erfolgreichen Provokation wird der Täter hingegen mit einer Freiheitstrafe von 30 Jahren und 450.000 Euro Geldstrafe bestraft. Es handelt sich hierbei um eine infraction obstacle (Hindernisstraftat), bei der nicht verlangt wird, dass es zu einem Erfolg kommt, sondern bei der solche Handlungen erfasst werden, die im Vorbereitungsstadium einer noch viel schweren Straftat liegen.608 Unter Bewaffnung wird dabei das Greifen beliebiger Waffen („prendre les armes“) verstanden, ohne dass es notwendig ist, diese schlussendlich auch wirklich einzusetzen.609 Die Bewaffnung muss entweder gegen die Staatsgewalt oder gegen einen 605 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 133; de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 868. 606 de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 345. 607 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 161 f. 608 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 157; Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 296; a. A. Leroy, der in Art. 412-8 CP eine „infraction formelle“ erkennt; siehe Leroy, Droit pénal général, S. 220. 609 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 871.
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Bevölkerungsteil gerichtet sein. Die Staatsgewalt wird durch die Organe ausgeübt, die für die Rechtssicherheit und die physische Sicherheit im Staat sorgen.610 Darunter befinden sich z. B. der Präsident der Republik oder die Mitglieder der Regierung.611 Bevölkerungsteile sind z. B. Ausländer, Franzosen, die Mitglieder einer politischen Partei, Gläubige einer bestimmten Religion usw.612
e) Subjektiver Tatbestand Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz.613 Demzufolge muss der Täter gewollt haben, den gesetzlichen Tatbestand zu verwirklichen, und er muss sich dessen bewusst gewesen sein, dass er gegen das Gesetz verstößt.
f) Quintessenz In Art. 412-8 CP wird nicht verlangt, dass die Provokation einen Handlungsdruck ausübt. Dementsprechend werden auch einfache Einwirkungen auf Gefühle erfasst.
6. Provokation von Soldaten oder von zu einer Form des Militärdiensts Verpflichteten zum Ungehorsam (Art. 413-3 CP und Art. L. 332-1 Abs. 6 CJM) Artikel 413-3 code pénal und Artikel L. 332-1 Abs. 6 code de la justice militaire (CJM) bestrafen beide, mit derselben Wortwahl, das Provozieren eines Militärangehörigen zum Ungehorsam. Art. L. 332-1 Abs. 6 CJM bezieht sich zwar auf die gleiche Tathandlung, jedoch in Kriegszeiten, weshalb die Strafe höher ausfällt. Um eine Wiederholung zu vermeiden, werden hier beide Vorschriften gemeinsam erörtert.
a) Geltender Normtext In Artikel 413-3 code pénal wird die Provokation eines dem Militär Angehörigen zum Ungehorsam unter Strafe gestellt: 610 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 871. De Lamy merkt jedoch an, dass der Begriff der „autorité de l’État“ weiterhin auch in der Lehre nur sehr vage dargestellt wird und keine wirkliche Einheit gibt. 611 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 133. 612 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 871. 613 Vgl. Rousseau, JCl. Pénal Code, Art. 412-1 à 412-8, fasc. 20, Rn. 69 f.
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Le fait, en vue de nuire à la défense nationale, de provoquer à la désobéissance par quelque moyen que ce soit des militaires ou des assujettis affectés à toute forme du service national est puni de cinq ans d’emprisonnement et de 75 000 euros d’amende. Lorsque la provocation est commise par la voie de la presse écrite ou audiovisuelle, les dispositions particulières des lois qui régissent ces matières sont applicables en ce qui concerne la détermination des personnes responsables.614
In Art. L. 332-1 Abs. 6 code de la justice militaire (Militärgesetzbuch) wird die gleiche Provokation in Kriegszeiten bestraft: Le fait, en temps de guerre, de provoquer à la désobéissance, par quelque moyen que ce soit, des militaires ou des assujettis affectés à toute forme de service national est puni de quinze ans de réclusion criminelle et de 225 000 euros d’amende.615
b) Geschichtlicher Überblick Die Provokation von Angehörigen des Militärs zum Ungehorsam war ursprünglich in Art. 25 LLP normiert. Bestraft wurde die Provokation, die durch eines der in Art. 23 LLP aufgezählten Mittel öffentlich gemacht wurde und die an Soldaten der Truppen der Land-, See- und Luftstreitkräfte gerichtet war, mit dem Ziel, sie von ihren militärischen Pflichten und dem Gehorsam gegenüber ihren Vorgesetzten abzulenken.616 Art. 25 LLP wurde bei der Schaffung des Gesetzes über die Freiheit der Presse im Jahr 1881 eingeführt. Bei seiner Einführung wurde die Vorschrift viel kritisiert. Ihr wurde zum einen vorgeworfen, einem Gesinnungsdelikt gleichzukommen – Gesinnungsdelikte wollte man mit dem Gesetz über die Freiheit der Presse eigentlich aufheben –, da sie sowohl die erfolgreiche als auch die nicht erfolgreiche Provokation unter Strafe stellt.617 Zum anderen befürchteten die Abgeordneten, dass diese
614 Übersetzung Art. 413-3 CP: „Wer, um der Landesverteidigung zu schaden, Soldaten oder zu irgendeiner Form des Militärdiensts Verpflichteten durch jedes Mittel zum Ungehorsam provoziert, wird mit fünf Jahren Gefängnis und 75.000 Euro Geldstrafe bestraft. Wird die Provokation über die Presse oder über audiovisuelle Medien begangen, gelten für die Feststellung der verantwortlichen Personen die besonderen Bestimmungen, die diese Materie regeln.“ 615 Übersetzung Art. L. 3321-1 Abs. 6 code de la justice militaire: „Wer in Kriegszeiten Soldaten oder zu irgendeiner Form des Militärdiensts Verpflichteten zum Ungehorsam durch jedes Mittel provoziert, wird mit 15 Jahren Gefängnis und 225.000 Euro Geldstrafe bestraft“. 616 Art. 25 des Gesetzes über die Freiheit der Presse, bevor er aufgehoben wurde: „Toute provocation par l’un des moyens énoncés en l’article 23, adressée à des militaires des armées de terre, de mer ou de l’air dans le but de les détourner de leurs devoirs militaires et de l’obéissance qu’ils doivent à leurs chefs dans tout ce qu’ils leur commandent pour l’exécution des lois et règlements militaires, sera punie d’un emprisonnement de un an à cinq ans et d’une amende de 300 F à 300.000 F“. 617 de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 339.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Vorschrift als ein Misstrauen gegenüber dem Militär interpretiert werden könnte.618 Letztendlich wurde die Vorschrift jedoch aufgenommen. Art. 25 des Gesetzes von 1881 wurde mit der Novellierung des code pénal aufgehoben und es wurde Artikel 413-3 in den code pénal eingeführt, der den Tatbestand erweiterte. Mit der Novellierung des code de la justice militaire (Militärgesetzbuch) durch das Gesetz vom 5. März 2007619 wurde Art. L. 332-1 eingeführt, der in Absatz 6 den Strafrahmen erhöht, wenn die Provokation in Kriegszeiten erfolgt.
c) Strafbegründung Bei der Einführung von Artikel 25 LLP hatte sich der Abgeordnete und Jurist Émile Lenoël für den Tatbestand ausgesprochen und geltend gemacht, dass es nicht möglich sein sollte, dass ein Bürger ungestraft Soldaten, die er als „enfants du pays armés pour sa défense“ (Kinder des Landes, bewaffnet, um es zu verteidigen) bezeichnete, zum Ungehorsam, d. h. zur Verletzung ihrer edelsten Pflichten, aufreizen könne.620 Mit der Vorschrift sollte verhindert werden, dass die Sicherheit und die Verteidigung der Nation und des Staates gefährdet wird.621 In solchen Aufreizungen und Provokationen wurde die Gefahr gesehen, dass sie die militärischen Tugenden trübt und somit die oberste Sicherheit des Staates beeinträchtigt werden könnte.622 Dies spiegelt sich auch in der Stellung der Vorschrift im code pénal wider, da sich Art. 413-3 in Buch IV „Verbrechen und Vergehen gegen die Nation, den Staat und den öffentlichen Frieden“, Titel I „Beeinträchtigungen der nationalen Grundinteressen“, Kapitel III „Sonstige Beeinträchtigungen der Landesverteidigung“ befindet.
d) Objektiver Tatbestand aa) Tathandlung Die Provokation muss an einen Soldaten oder an einen unter jeder möglichen Form zum Militärdienst Verpflichteten gerichtet sein. Ausgeschlossen ist demnach die Zivilbevölkerung.623 618
de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 339. Loi n° 2007-289 du 5 mars 2007 portant modifications du code de justice militaire et du code de la défense. 620 Fabreguettes zitiert den Abgeordneten Émile Lenoël, in: Fabreguettes, De la complicité intellectuelle et des délits d’opinion – de la provocation et de l’apologie criminelles – de la propaganda anarchiste, S. 59. 621 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 136; de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 857. 622 de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 339. 623 CA Aix-en-Provence, 10 oct. 1950: D. 1951, somm. 15. 619
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Bestraft wird die Provokation, die über jedes Mittel erfolgen kann („par quelque moyen que ce soit“). Die Provokation kann demzufolge sowohl schriftlich624 als auch mündlich625 erfolgen. Erfasst wird sowohl die öffentliche Provokation als auch die nicht öffentliche Provokation, die sich an einen bestimmbaren Adressatenkreis oder nur an eine einzige Person richtet. Wenn die Provokation an eine nach Zahl und Zusammensetzung unbestimmte Mehrheit von Personen gerichtet war, muss der Richter nicht feststellen, ob unter den vielen Personen auch Angehörige des Militärs anwesend waren. Es reicht aus, dass die Provokation an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtet war und dass der Täter vorsätzlich gehandelt hat.626 Die Tat, zu der provoziert wurde, muss nicht bestimmt sein; es muss nicht präzise zu einem bestimmten Akt des Ungehorsams provoziert worden sein.627 Die Provokation kann sich außerdem in der Schaffung eines Klimas oder einer Gemütseinwirkung erschöpfen, d. h., dass es keiner expliziten und direkten Provokation bedarf.628 Eine indirekte Provokation ist ausreichend. Es handelt sich demnach bereits dann um eine Provokation i. S. des Art. 413-3 CP, wenn bereits begangene Taten des Ungehorsams gebilligt oder ihnen zugestimmt wird629 oder wenn die Kompetenz eines Vorgesetzten angezweifelt wird.630 In der Rechtsprechung wurde in dieser Hinsicht entschieden, dass der Titel eines Artikels, der von einer Strophe des revolutionären Liedes „l’internationale“ von Eugène Pottier abgeleitet wurde und wie folgt lautet „S’ils s’obstinent, ces cannibales, à faire de nous des héros, ils sauront bientôt que nos balles sont pour nos propres généraux“631, bereits eine indirekte Provokation zum Ungehorsam i. S. d. Art. 413-3 CP darstellt.632 Die Provokation wird bestraft, wenn sie erfolgreich war und zur Begehung einer Straftat geführt hat, aber auch dann, wenn sie erfolglos geblieben ist. Es handelt sich somit um eine infraction formelle.633
624
Cass. crim. 30 janv. 1964: Bull. crim. 1964, n° 38. de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 865. 626 Cass. crim. 2 mai 1956: Bull. crim. 1956, n° 338. 627 Cass. crim. 30 janv. 1964: Bull. crim. 1964, n° 38; de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 865 f. 628 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 865 f. 629 Cass. crim, 2 mai 1956: Bull. crim. 1956, n° 338. 630 de Lamy, in: Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 866. 631 Übersetzung: „Wenn sie darauf bestehen, diese Kannibalen, Helden aus uns zu machen, werden sie bald erfahren, dass unsere Kugeln für unsere eigenen Generäle sind“. 632 Cass. crim. 9 oct. 1974: Bull. crim. 1974, n° 382. 633 Joffroy, La provocation en droit pénal, S. 155 f.; de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 866. 625
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
bb) Ungehorsam Unter Ungehorsam können alle Handlungen verstanden werden, die in den Art. L. 323-6 bis L. 323-8 code de justice militaires normiert und mit Freiheitsstrafen bestraft werden. Darunter wird mitunter die Verweigerung der Ausführung eines Befehls verstanden oder auch die Weigerung, gegen den Feind aufzumarschieren. Der Ungehorsam in Art. 413-3 CP geht jedoch weiter als diese Artikel, da alle möglichen Handlungen des Ungehorsams erfasst werden sollen, also jede Handlung der Insubordination oder der Disziplinlosigkeit.634 Eine Form des Ungehorsams kann demnach auch die Fahnenflucht sein, was zu einer Überschneidung mit Art. L. 321-18 des code de la justice militaire führen kann.
cc) In Kriegszeiten Findet die Provokation zum Ungehorsam in Kriegszeiten statt, wird anstelle von Art. 413-3 CP Art. L. 332-1 des code de justice militaire angewendet. Art. L. 332-1 unterscheidet sich von dem entsprechenden Tatbestand im code pénal nur insofern, als der Strafrahmen erhöht wird.
e) Subjektiver Tatbestand Es handelt sich um eine infraction intentionelle. Demzufolge erfordert der subjektive Tatbestand Vorsatz. Der Täter muss also gewollt haben, dass er bei einem anderen den Gemütszustand schafft, der ihn dazu führt, eine Handlung des Ungehorsams zu begehen.635 Außerdem wird ein Spezialvorsatz (dol spécial) verlangt. So muss die Provokation mit dem Ziel erfolgen, der Landesverteidigung zu schaden.636
f) Quintessenz Für Art. 413-3 CP und Art. L. 332-1 Abs. 6 CJM wird nicht verlangt, dass die Provokation einen Handlungsdruck ausübt. Es reicht aus, wenn sich die Provokation an Gefühle richtet und sich z. B. in einer Zustimmung oder Billigung erschöpft. Die Provokation kann zudem über jedes Mittel erfolgen.
634 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 866. 635 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 866. 636 Siehe Art. 413-3: „en vue de nuire à la défense nationale“.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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7. Provokation von Soldaten oder von zu einer Form des Militärdienstes Verpflichteten zur Fahnenflucht (Art. L. 321-18 CJM) a) Geltender Normtext Die Provokation zur Fahnenflucht wird in Artikel L. 321-18 code de justice militaire (CJM) unter Strafe gestellt: Le fait pour toute personne de provoquer ou favoriser la désertion, par quelques moyens que ce soit, qu’ils aient été ou non suivis d’effet, est puni par la juridiction compétente: 1° En temps de paix, de trois ans d’emprisonnement; 2° En temps de guerre, de dix ans d’emprisonnement. A l’égard des personnes non militaires ou non assimilées aux militaires, une peine d’amende de 3 750 euros peut, en outre, être prononcée.637
b) Geschichtlicher Überblick Laut Fabreguettes wird die Fahnenflucht im französischen Strafrecht schon seit geraumer Zeit unter Strafe gestellt,638 nämlich erstmals während des Holländischen Kriegs mit der Verordnung vom 17. Juni 1676).639 Bei der Einführung des code militaire de l’armée de terre (Militärgesetzbuch der Landstreitkräfte) am 9. Juni 1857 wurde Art. 242 eingeführt, in welchem die Provokation oder die Begünstigung zur Fahnenflucht ebenfalls unter Strafe gestellt wurden.640 Bei der Einführung des code de l’armée de mer (Militärgesetzbuch der Meeresstreitkräfte) am 4. Juni 1858 wurde mit Art. 321 eine identische Vorschrift eingeführt. Mit dem neuen code de justice militaire, der 1965 in Kraft trat, wurde in Artikel 414 ebenfalls die Provokation zur Fahnenflucht unter Strafe gestellt. Die Vor637
Übersetzung Art. L. 321-18 CJM: „Jeder, der Soldaten oder zu irgendeiner Form des Militärdiensts Verpflichtete zur Fahnenflucht provoziert oder diese ermöglicht, gleichgültig durch welches Mittel, wird durch das zuständige Gericht bestraft: 1° In Friedenszeiten zu drei Jahren Gefängnis; 2° In Kriegszeiten zu zehn Jahren Gefängnis. Für Personen, die keine Soldaten oder keine in irgendeiner Form zum Militärdienst Verpflichteten sind, kann außerdem eine Geldstrafe von 3.750 Euro verhängt werden.“ 638 Fabreguettes, Traité des infractions de la parole, de l’écriture et de la presse, S. 339. 639 Fabreguettes, Traité des infractions de la parole, de l’écriture et de la presse, S. 339. 640 Art. 242 des code militaire de l’armée de terre von 1857: „Tout individu, non militaire ou non assimilé aux militaires, qui, sans être embaucheur pour l’ennemi ou pour les rebelles, provoque ou favorise la désertion, est puni par le tribunal compétant d’un emprisonnement de deux mois a cinq ans.“
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
schrift wurde bei der Novellierung des code de justice militaire (CJM) im Jahr 2007 nur unwesentlich verändert und in Art. L. 321-18 CJM transferiert. Seitdem wurde die Vorschrift nicht mehr verändert.
c) Strafbegründung Wie bei der Provokation zum Ungehorsam sollen in erster Linie die Sicherheit und die Verteidigung der Nation und des Staates geschützt werden.641
d) Objektiver Tatbestand Bestraft wird nur die Provokation, die an einen Angehörigen des Militärs adressiert ist.642 Dabei kann die Provokation sowohl öffentlich erfolgen und an einen unbestimmbaren Adressatenkreis gerichtet sein als auch an einen bestimmten Adressatenkreis adressiert sein.643 Erfasst wird sowohl die explizite und ausdrückliche Provokation als auch diejenige, die eine einfache Einwirkung auf die Gefühle darstellt und ein straftatenförderndes Klima schafft.644 Die hier erfasste Provokation ist demnach so zu verstehen wie in den anderen Tatbeständen der tatbezogenen indirekten Motivationsdelikte. Die Provokation wird unabhängig davon bestraft, ob es tatsächlich zur Begehung einer Fahnenflucht gekommen ist oder nicht. Somit handelt es sich um eine infraction formelle.645 Erfasst wird die Provokation zur Fahnenflucht. Darunter werden alle Tathandlungen verstanden, die in den Art. L. 321-2 bis L. 321-6 CJM normiert sind. Demnach wird z. B. die Provokation zur Fahnenflucht im Inneren des Landes, ins Ausland oder zum Feind etc. unter Strafe gestellt.
e) Subjektiver Tatbestand Der Täter muss vorsätzlich handeln. Demzufolge muss der Täter gewollt haben, den gesetzlichen Tatbestand zu verwirklichen und er muss sich dessen bewusst gewesen sein, dass er gegen das Gesetz verstößt.
641 de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 857. 642 Vertiefend dazu siehe de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 867. 643 Cass. crim. 9 oct. 1974: Bull. crim. 1974, n° 382. 644 Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 327 ff. 645 de Lamy, in Beignier / De Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 868.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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f) Quintessenz Art. L. 321-18 CJM erfasst die Provokation, die über jedes Mittel erfolgen kann. Erfasst wird auch die Provokation, die nicht explizit und in erster Linie an Gefühle und Emotionen gerichtet ist. Es wird nicht verlangt, dass die Provokation einen gewissen Aufforderungscharakter bzw. Handlungsdruck ausübt, von dem sich der Motivierte nur schwer befreien kann.
8. Revisionismus (Art. 24 bis LLP) In Bezug auf Artikel 24 bis wird im Allgemeinen von einem „délit de révisionisme“ gesprochen.646 Unter den Begriff „Revisionismus“ fallen im französischen Recht verschiedene Handlungen. Die in Art. 24 bis LLP erfassten Tathandlungen lassen sich nur schwer übersetzen, da hierbei die Gefahr besteht, dass die Unterschiede zwischen ihnen verschwimmen. Während die minorisation als Verharmlosen und die banalisation de façon outrancière als grobe Bagatellisierung übersetzt werden können, erscheinen die Übersetzungen der Begriffe contestation und négation weitaus problematischer. Zwar wurde der Begriff contestation in früheren rechtsvergleichenden Untersuchungen – d. h., bevor Abs. 2 und damit die négation, die minorisation und die banalisation de façon outrancière eingefügt wurden – mit Leugnen übersetzt.647 Diese Übersetzung erscheint heutzutage aufgrund des 2. Absatzes jedoch nicht mehr möglich, da der Begriff négation klassischerweise ebenfalls mit „Leugnen“ übersetzt wird und es somit zu Kollisionen zwischen den beiden Begriffen kommen würde, da die Verwendung des gleichen Wortes für die beiden Begriffe eine Gleichsetzung implizieren würde, die schlicht nicht gegeben ist. In der Tat hat sich der Gesetzgeber in dem neuen Abs. 2 bewusst gegen die Wiederverwendung des Begriffs „contestation“ entschieden und stattdessen drei neue Begriffe eingeführt.648 Zudem wird der Begriff „contestation“ aus Abs. 1 in der Rechtsprechung seit jeher als ein Sammelbegriff für verschiedene Verhaltensweisen verstanden, sodass darunter auch die négation, die banalisation de façon outrancière und die minorisation zu verstehen waren.649 Um jegliche Verwechslungen oder unzulässige Gleichsetzungen zu vermeiden, werden aus diesen Gründen in diesem Tatbestand für die Tathandlungen der négation und der „contestation“ die französischen Begriffe verwendet.
646
Siehe Lavric, Presse et communication, Dalloz Actualité; de Lamy, RSC 2016, S. 406. Siehe z. B. Laitenberger, Die Strafbarkeit der Verbreitung rassistischer, rechtsextremistischer und neonazistischer Inhalte, S. 187 ff. 648 Siehe Rapport n° 827 (2015–2016) de Dominique Estrosi Sassone et Françoise Gatel, fait au nom de la commission spéciale, déposé le 14 septembre 2016, Art. 38 ter. 649 Siehe unten Teil II. Kapitel II., III., B., 8., d), aa). 647
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
a) Geltender Normtext Art. 24 bis des Gesetzes über die Freiheit der Presse lautet wie folgt: Seront punis d’un an d’emprisonnement et de 45 000 € d’amende ceux qui auront contesté, par un des moyens énoncés à l’article 23, l’existence d’un ou plusieurs crimes contre l’humanité tels qu’ils sont définis par l’article 6 du statut du tribunal militaire international annexé à l’accord de Londres du 8 août 1945 et qui ont été commis soit par les membres d’une organisation déclarée criminelle en application de l’article 9 dudit statut, soit par une personne reconnue coupable de tels crimes par une juridiction française ou internationale. Seront punis des mêmes peines ceux qui auront nié, minoré ou banalisé de façon outrancière, par un des moyens énoncés à l’article 23, l’existence d’un crime de génocide autre que ceux mentionnés au premier alinéa du présent article, d’un autre crime contre l’humanité, d’un crime de réduction en esclavage ou d’exploitation d’une personne réduite en esclavage ou d’un crime de guerre défini aux articles 6,7 et 8 du statut de la Cour pénale internationale signé à Rome le 18 juillet 1998 et aux articles 211-1 à 212-3,224-1 A à 224-1 C et 461-1 à 461-31 du code pénal, lorsque: 1° Ce crime a donné lieu à une condamnation prononcée par une juridiction française ou internationale; [Dispositions déclarées non conformes à la Constitution par la décision du Conseil constitutionnel n° 2016-745 DC du 26 janvier 2017.] Le tribunal pourra en outre ordonner: 1° L’affichage ou la diffusion de la décision prononcée dans les conditions prévues par l’article 131-35 du code pénal.650
b) Geschichtlicher Überblick Die contestation wurde im Jahr 1990 infolge einer Zunahme revisionistischer Thesen durch das Gesetz n° 90-615 vom 13. Juli 1990 (auch „loi Gayssot“ genannt) 650 Übersetzung Art. 24 bis LLP: „Werden mit einem Jahr Gefängnis und 45.000 Euro Geldstrafe diejenigen bestraft, die durch eines der Mittel in Art. 23 die Existenz eines oder mehrerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnen, die in Art. 6 des Statuts für den Internationalen Militärgerichtshof, Anlage zum Londoner Abkommen vom 8. August 1945, definiert sind und die entweder durch Mitglieder einer unter Berufung auf Art. 9 dieses Statuts als verbrecherisch erklärte Organisation begangen wurden, oder von einer Person, die von einem französischen oder internationalen Gericht eines solchen Verbrechens für schuldig gesprochen wurde. Mit der gleichen Strafe werden diejenigen bestraft, die durch eines der Mittel in Art. 23 die Existenz eines von Abs. 1 verschiedenen Völkermordes, eines anderen Verbrechens gegen die Menschlichkeit, eines Verbrechens der Versklavung oder der Ausbeutung einer versklavten Person, oder eines Kriegsverbrechens, wie sie in Artikel 6–7 und 8 des Römischen Statuts, oder in den Artikeln 211-1 à 212-3, 224-1 A bis 224-1 C und 461-1 bis 461-31 des code pénal definiert sind, leugnen, verharmlosen oder grob bagatellisieren, wenn: 1° das Verbrechen durch ein französisches oder ein internationales Gericht verurteilt worden ist; Das Gericht kann außerdem das Aushängen oder Verbreiten der Entscheidung anordnen, die unter den Bedingungen des Art. 131-35 CP ergangen ist.“
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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eingeführt. Der Berichterstatter des Gesetzes vor dem Parlament merkte an, dass das Leugnen von Taten, die unter dem NS-Regime begangen wurden, bereits nach Ende des Zweiten Weltkrieges betrieben wurde; dass sich die Anzahl revisionistischer Schreiben jedoch insbesondere in den 1970 Jahren vermehrt hätten und dass dagegen vorgegangen werden müsse.651 Er verwies hierbei explizit auf den französischen Literaturwissenschaftler Robert Faurisson, der in vielen seiner Publikationen den Holocaust leugnet.652 Die Regierung wollte im Jahr 2012 mit einem Gesetzesentwurf Art. 24 ter in das Gesetz von 1881 einführen, in welchem derjenige bestraft werden sollte, der durch die in Art. 23 aufgezählten Mittel einen oder mehrere gemäß Artikel 211-1 des Strafgesetzbuches definierte und vom französischen Gesetz als derartige Verbrechen anerkannte Völkermorde conteste oder grob bagatellisierte.653 Ziel hierbei war es, neben der Leugnung des Holocaust und der unter dem NS-Regime begangenen Taten auch allgemein das Leugnen von Völkermorden, die gesetzlich als solche anerkannt wurden, zu bestrafen und den Rahmenbeschluss 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in das französische Recht aufzunehmen.654 Insbesondere hervorgehoben wurde der Völkermord an den Armeniern, dessen Existenz die französische Regierung durch das Gesetz vom 29. Januar 2001 anerkannte.655 Der Conseil constitutionnel (Cc), das französische Verfassungsgericht, erklärte in seiner Entscheidung Nr. 2012-647 DC vom 28. Februar 2012 das Gesetz jedoch als verfassungswidrig und begründete dies wie folgt: In Erwägung dessen, dass eine gesetzliche Bestimmung, die einen Völkermord „anerkennt“, als solche nicht den normativen Charakter haben kann, der mit einem Gesetz einhergeht; dass der Artikel 1 des zur Prüfung vorgelegten Gesetzes jedoch die Leugnung oder grobe Bagatellisierung eines oder mehrerer und ‚als derartige Verbrechen vom französischen Gesetz anerkannte[r]‘ Völkermorde ahndet; dass der Gesetzgeber durch die Ahndung der Leugnung von Verbrechen und der gesetzlichen Einordnung solcher Taten, die er selbst als Verbrechen anerkannt und qualifiziert hat, einen verfassungswidrigen Eingriff in die Ausübung der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit vorgenommen hat; […].656
Mit dem Gesetzesentwurf vom 22. Dezember 2016 wurde eine erneute Erweiterung des Tatbestandes angestrebt. Art. 173 des Gesetzentwurfes sah vor, dass der 651 Rapport n° 337 (1989–1990) de Charles Lederman, fait au nom de la commission des lois, déposé le 31 mai 1990, S. 55. 652 Siehe Rapport n° 337 (1989–1990) de Charles Lederman, fait au nom de la commission des lois, déposé le 31 mai 1990, S. 55. 653 Proposition de loi visant à réprimer la contestation de l’existence des génocides reconnus par la loi. 654 Siehe Art. 1 (1) c) des Rahmenbeschlusses 2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008. 655 Siehe Rapport n° 4035 de Valérie Boyer, fait au nom de la commission des lois, déposé le 7 décembre 2011. 656 Die Entscheidung wurde offiziell durch den Conseil consitutionnel übersetzt. Die deutsche Fassung der Entscheidung ist abrufbar unter: https://www.conseil-constitutionnel.fr/de/ decision/2012/2012647DC.htm. [Stand: 20. 5. 2022].
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Art. 24 bis dahingehend erweitert werden sollte, dass die négation, die minorisation und die banalisation de façon outrancière mit dem Mittel aus Art. 23 eines Völkermordes – im Unterschied zu Abs. 1 –, eines anderen Verbrechens gegen die Menschlichkeit, eines Verbrechens der Versklavung oder der Ausbeutung einer versklavten Person, oder eines Kriegsverbrechens, wie sie in Artikel 6–7 und 8 des Römischen Statuts sowie in den Artikeln 211-1 à 212-3, 224-1 A bis 224-1 C und 461-1 bis 461-31 des code pénal definiert sind, geahndet werden könne. Die négation, die minorisation und die banalisation de façon outrancière sollten jedoch nur dann bestraft werden, wenn entweder die Täter der Verbrechen bereits durch ein französisches oder ein internationales Gericht verurteilt worden waren (1) oder wenn die Tathandlungen zu einer Aufhetzung zu Gewalt gegenüber einer Person oder einer Personengruppe aufgrund ihrer Rasse, Farbe, Religion, oder nationalen Herkunft geführt hätten (2). Der Cc untersuchte den Gesetzesentwurf und erklärte ihn als teilweise verfassungswidrig. Dem Cc zufolge sei die Bestrafung der négation, der minorisation und der banalisation de façon outrancière der aufgeführten Verbrechen aufgrund einer Aufhetzung zu Gewalt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen (Art. 173 Abs. 2 (2) des Gesetzesentwurfs) unverhältnismäßig („ni nécessaire ni proportionnée“)657 und somit nicht verfassungskonform.658 Letztendlich wurde Art. 24 bis LLP mit dem Gesetz vom 27. Januar 2017659 um die Abs. 2 und 3 erweitert und die Vorgaben des Gesetzesentwurf vom 22. Dezember 2016, mit Ausnahme der als nicht verfassungskonform beurteilten Bedingungen bezüglich der Aufhetzung (Art. 173 Abs. 2 (2)) aufgenommen, sodass nun auch die négation, die minorisation und die banalisation de façon outrancière der oben aufgeführten Verbrechen in Art. 24 bis LLP bestraft werden, sofern die Verbrechen von einem französischen oder internationalen Gericht verurteilt wurden.
c) Strafbegründung Bei der Einführung von Art. 24 bis LLP durch die „loi Gayssot“ sah der Gesetzgeber die contestation der unter dem NS-Regime begangenen Taten als besonders gefährlich an, da hierdurch zum einen der Nationalsozialismus wieder rehabilitiert werden könnte und zum anderen, weil diese Tathandlung ein wichtiges Vehikel des Antisemitismus darstellen und die Gefahr in sich bergen könnte, dass durch sie ein Hass gegen diese Bevölkerungsgruppe geschürt wird – Hass, der bei Tatgeneigten zur Begehung von Straftaten gegen diese Bevölkerungsgruppe
657
Siehe Verhältnismäßigkeitsprüfung durch den Cc unten in Teil 3 B. II. Cons. const. n° 2016-745 DC, 26 janv. 2017; Vertiefend hierzu siehe Hochmann, RDLF 2017, chron. n° 06. 659 Loi n° 2017-86 du 27 janvier 2017 relative à l’égalité et à la citoyenneté. 658
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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führen könnte.660 Der Berichterstatter im Parlament für die „loi Gayssot“ machte deutlich, dass der Revisionismus darauf abziele, den Antisemitismus zu füttern: „le révisionnisme a pour seul but de susciter l’antisémistisme“.661 Es wird demzufolge in diesen Äußerungen die Gefahr gesehen, dass sie zu antisemitischen Ausschreitungen und zu Gewalttaten gegen die angegriffenen Bevölkerungsgruppen führen.662 Art. 24 LLP wird dabei als wichtiges Element im Kampf gegen Rassismus betrachtet, da das Leugnen des Holocaust lediglich ein Ausdruck des herrschenden Rassismus sei und den Antisemitismus befeuere: „[…] la négation de l’holocauste n’est qu’une expression du racisme et le principal vecteur contemporain de l’antisémitisme“.663 Bezüglich der mit dem Gesetz von 2017 neu eingeführten Abs. 2 und 3 wird deutlich, dass der Gesetzgeber den Tatbestand erweitern wollte, um mehr Äußerungen zu erfassen, die die Würde derjenigen Menschen verletzen, die Opfer der im Artikel genannten Verbrechen wurden.664 Es wird auch angeführt, dass Art. 24 LLP auf einen Schutz der Rechtskraft der Gerichtsentscheidungen abziele, da sowohl in Abs. 1 als auch in den Abs. 2 und 3 nur solche Äußerungen bestraft werden, die sich auf Verbrechen beziehen, die von einem Gericht abgeurteilt wurden.665
d) Objektiver Tatbestand aa) Contestation der im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Abs. 1) Unter dem Begriff contestation werden sowohl das klare Leugnen als auch das einfache Zweifeln sowie letztlich alle Äußerungen verstanden, die auf verschiedene Art und Weise die Existenz der oben genannten Verbrechen in Frage stellen.666 In dieser Hinsicht versteht die Rechtsprechung unter contestation (Leugnen) eine négation (Leugnen), minoration (Bagatellisierung) oder banalisation (Verharm-
660 de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 371; Imbleau, La négation du génocide nazi, S. 266; Martin-Valente, La provocation en droit pénal, S. 147. 661 Rapport n° 337 (1989–1990) de Charles Lederman, fait au nom de la commission des lois, déposé le 31 mai 1990. 662 J. O. 3 mai 1990, Débats, Ass. Nat., S. 905. 663 J. O. 3 mai 1990, Débats, Ass. Nat., S. 905. 664 Patrick Kanner, compte rendu intégral des débats sue le projet de loi relatif à l’égalité et à la citoyenneté, Séance du 14 octobre 2016; Thierry, JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication, fasc. 60, Rn. 54. 665 Siehe Rapport n° 337 (1989–1990) de Charles Lederman, fait au nom de la commission des lois, déposé le 31 mai 1990; Rapport n° 269 (2011–2012) de Jean-Pierre Sueur, fait au nom de la commission des lois, déposé le 18 janvier 2012; CA Paris, 16 décembre 1998; Thierry, JCl. Lois pénales spéciales, Presse et communication, fasc. 60, Rn. 54. 666 de Lamy, La liberté d’opinion et le droit pénal, S. 366.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
losung).667 Dies wird auch deutlich, wenn der Cour de cassation feststellt, dass auch die Formen der contestation erfasst werden, die versteckt oder lediglich als Andeutung erfolgen und nicht explizit erkennen lassen, dass es sich um Formen der contestation handelt: la contestation de l’existence des crimes contre l’humanité entre dans les prévisions de l’article 24 bis de la loi du 29 juillet 1881, même si elle est présentée sous forme déguisée ou dubitative ou encore par voir d’insinuation.668
Somit handelt es sich um eine contestation i. S. des Art. 24 Abs. 1 bis LLP, wenn eine Zeitschrift ein Heft herausgibt, das vorgibt, den Mythos von Auschwitz und der Gaskammern aufzudecken,669 sowie auch dann, wenn in einer Zeitschrift der Unterschied zwischen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgestellt und anschließend festgestellt wird, dass gegen die Juden ausschließlich Kriegsverbrechen begangen wurden, wobei die gegen die Juden begangenen Gräueltaten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht anerkannt werden.670 Ebenfalls als contestation bewertet wird das überspannte Heruntersetzen der Opferzahlen.671 Die contestation muss öffentlich durch eines der in Art. 23 des Gesetzes von 1881 aufgezählten Mittel erfolgen.672 Die contestation wird unabhängig von einem Erfolg i S. eines tatsächlichen Hervorrufens von Diskriminierung oder Gewalt gegenüber den Opfern des Holocaust unter Strafe gestellt. Die contestation muss sich auf eines der in Art. 6 des Statuts für den Internationalen Militärgerichtshof vom 8. August 1945 aufgezählten Verbrechen gegen die Menschlichkeit beziehen. Dementsprechend werden in Art. 6 c) folgende Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgezählt: Mord, Ausrottung, Versklavung, Deportation oder andere unmenschliche Handlungen, begangen an irgendeiner Zivilbevölkerung vor oder während des Krieges, Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen, begangen in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist, und zwar unabhängig davon, ob die Handlung gegen das Recht des Landes verstieß, in dem sie begangen wurde oder nicht.
Artikel 24 bis Abs. 1 LLP beschränkt die Bestrafung der contestation der Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf diejenigen, die während des Zweiten Weltkriegs begangen wurden. Dies wird mitunter darin deutlich, dass nur die contestation bestraft wird, die sich auf solche Verbrechen bezieht, die entweder von einer in Art. 9 des Statuts definierten kriminellen Organisation begangen wurden oder von einer Person, die aufgrund der Begehung solcher Verbrechen gegen die 667 Rapport n° 827 (2015–2016) de Dominique Estrosi Sassone et Françoise Gatel, fait au nom de la commission spéciale, déposé le 14 septembre 2016, Art. 38 ter. 668 Cass. crim. 12 sep. 2000, n° 98-88200. 669 Cass, crim. 13 mars 2001, n° 00-85102. 670 Cass. crim. 15 janv. 1998, n° 96-82733. 671 Cass. crim. 17 juin 1997, D. 1998, JO, S. 50. 672 Siehe hierzu oben Teil 2 Kapitel 2 B. II. 1. d) aa).
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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Menschlichkeit von einem französischen oder einem internationalen Gericht verurteilt wurde. Als kriminelle Organisation gelten laut der Entscheidung des internationalen Militärgerichtshof vom 1. Oktober 1946 der Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei, die Geheime Staatspolizei (Gestapo), der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) sowie die Schutzstaffeln (SS).
bb) Négation, Verharmlosung und grobe Bagatellisierung der aufgelisteten Verbrechen (Abs. 2) Seit 2017 wird in Art. 24 bis Abs. 2 und 3 LLP außerdem die négation, die Verharmlosung und die grobe Bagatellisierung der in den zuvor genannten Absätzen aufgezählten Verbrechen bestraft. Die Verwendung der drei Begriffe macht deutlich, dass der Gesetzgeber auch hier so viele Verhaltensweisen wie möglich erfassen wollte. Die Verwendung der drei Begriffe anstelle des Begriffs contestation wie in Abs. 1 wurde im Parlament von verschiedenen Abgeordneten kritisiert. So wurde angeführt, dass die Rechtsprechung unter dem Begriff contestation ohnehin schon die négation, die Verharmlosung und die grobe Bagatellisierung verstehen würde.673 Wie in Abs. 1 müssen auch die Tathandlungen des Art. 24 bis Abs. 2 LLP mit dem Mittel von Art. 23 LLP öffentlich gemacht werden. Im Unterschied zu Abs. 1 beziehen sich die Tathandlungen hier jedoch auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, die nicht während des Zweiten Weltkriegs begangen wurden, sowie auf die Verbrechen der Versklavung, der Ausbeutung von versklavten Personen, auf die Kriegsverbrechen, die in den Art. 6, 7 und 8 des Römischen Statuts normiert sind, sowie auf die Kriegsverbrechen, die in den Art. 211-1 bis 212-3 CP, 224-1a bis 224-1c CP und 461-1 bis 461-31 CP definiert sind. Während Art. 6 des römischen Statuts erläutert, was Völkermord im Sinne dieses Statuts bedeutet, bezieht sich Art. 7 des Statuts auf die Verbrechen gegen die Menschlichkeit i. S. des Statuts und Art. 8 auf Kriegsverbrechen i. S. des Statuts. Die Bestrafung der Tathandlungen in Art. 24 bis Abs. 2 LLP hängt jedoch von einer Bedingung ab. So muss es zu einer Verurteilung der Verbrechen durch ein französisches oder durch ein internationales Gericht gekommen sein. Demzufolge werden nur solche Tathandlungen erfasst, die sich auf Verbrechen beziehen, bei denen es zu einer Verurteilung durch ein französisches oder durch ein internationales Gericht kam. Trotz dieser Bedingung wird mit dem Gesetz von 2017 und den Absätzen 2 und 3 der Anwendungsbereich des Art. 24 bis LLP erheblich erweitert. Dies hat zufolge, dass durch Art. 24 bis LLP nun z. B. auch das Leugnen des Völkermordes an den 673
Rapport n° 827 (2015–2016) de Dominique Estrosi Sassone et Françoise Gatel, fait au nom de la commission spéciale, déposé le 14 septembre 2016, Art. 38 ter.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Tutsi in Ruanda erfasst und bestraft werden kann. Dabei werden die Tathandlungen unabhängig von einem Hervorrufen zu Diskriminierung oder Gewalt gegen die Opfergruppen der Verbrechen strafrechtlich geahndet.
e) Subjektiver Tatbestand Der Täter muss bei allen Tatbestandsvarianten vorsätzlich handeln (infraction intentionelle). Demnach muss der Täter gewollt und gewusst haben, dass er durch seine Äußerung die Verbrechen conteste, nie, minorise oder banalise.674 Der Vorsatz erstreckt sich auch auf den Öffentlichkeitsfaktor.675
f) Quintessenz Art. 24 bis LLP erfasst eine Motivation, die sich in erster Linie an Emotionen und Gefühle richtet. Durch das Leugnen, einfache Zweifeln und letztlich durch alle Äußerungen, die auf verschiedene Art und Weise die Existenz von Verbrechen in Frage stellen, wird kein Handlungsdruck aufgebaut. Stattdessen kann darin möglicherweise die Schaffung eines straftatenfördernden Klimas gesehen werden. Die erfassten Tathandlungen beziehen sich auch nicht deutlich auf in der Zukunft liegende und noch zu begehende, sondern auf in der Vergangenheit liegende und bereits begangene Taten.
III. Organisationsbezogene indirekte Motivationsdelikte – Einwirkung auf die gefühlsmäßige Wahrnehmung von kriminellen Organisationen 1. Tragen oder Zurschaustellen von Kennzeichen, Symbolen oder Uniformen von kriminellen Organisationen der NS-Zeit oder von wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilten Personen (Art. R. 645-1 CP) a) Geltender Normtext Art. R. 645-1 code pénal zufolge: Est puni de l’amende prévue pour les contraventions de la 5e classe le fait, sauf pour les besoins d’un film, d’un spectacle ou d’une exposition comportant une évocation historique, de porter ou d’exhiber en public un uniforme, un insigne ou un emblème rappelant les 674 Vgl. de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 533. 675 Cass. crim. 5 nov. 200: Bull. crim. 2002, n° 200.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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uniformes, les insignes ou les emblèmes qui ont été portés ou exhibés soit par les membres d’une organisation déclarée criminelle en application de l’article 9 du statut du tribunal militaire international annexé à l’accord de Londres du 8 août 1945, soit par une personne reconnue coupable par une juridiction française ou internationale d’un ou plusieurs crimes contre l’humanité prévus par les articles 211-1 à 212-3 ou mentionnés par la loi n° 64-1326 du 26 décembre 1964. Les personnes coupables de la contravention prévue au présent article encourent également les peines complémentaires suivantes: 1° L’interdiction de détenir ou de porter, pour une durée de trois ans au plus, une arme soumise à autorisation; 2° La confiscation d’une ou de plusieurs armes dont le condamné est propriétaire ou dont il a la libre disposition; 3° La confiscation de la chose qui a servi ou était destinée à commettre l’infraction ou de la chose qui en est le produit; 4° Le travail d’intérêt général pour une durée de vingt à cent vingt heures. Les personnes morales déclarées responsables pénalement, dans les conditions prévues par l’article 121-2, de l’infraction définie au présent article encourent, outre l’amende suivant les modalités prévues par l’article 131-41, la peine de confiscation de la chose qui a servi ou était destinée à commettre l’infraction ou de la chose qui en est le produit. La récidive de la contravention prévue au présent article est réprimée conformément aux articles 132-11 et 132-15.676 676 Übersetzung Art. R. 645-1 CP: „Mit der für Übertretungen der fünften Gruppe vorgesehenen Geldstrafe wird bestraft, wer, außer zum Zweck eines Films, einer Aufführung oder einer Ausstellung mit historischer Bedeutung, öffentlich eine Uniform, ein Abzeichen oder ein Symbol trägt oder zur Schau stellt, die den Uniformen, Abzeichen oder Symbolen ähnlich sind, welche entweder von den Mitgliedern einer unter Berufung auf Art. 9 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs, Anlage zum Londoner Abkommen vom 8. August 1945, als verbrecherisch erklärten Organisationen oder von einer Person getragen oder zur Schau gestellt wurde, die von einem französischen oder internationalen Gericht eines oder mehrerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne des Art. 211-1 bis 212-3 oder des Gesetzes Nr. 64-1326 vom 26. Dezember 1964 schuldig gesprochen wurde. Gegen Personen, die sich der in diesem Artikel bezeichneten Übertretungen schuldig gemacht haben, können außerdem folgende Zusatzstrafen verhängt werden: 1° das Verbot, für eine Dauer von bis zu drei Jahren eine erlaubnispflichtige Waffe zu besitzen oder zu tragen; 2° die Einziehung einer oder mehrerer Waffen, die der Verurteilte besitzt oder über die er frei verfügt; 3° die Einziehung der Sache, die zur Begehung der Straftat gedient hat oder dazu bestimmt war oder die aus ihr hervorgegangen ist; 4° die gemeinnützige Arbeit für eine Dauer von 20 bis 120 Stunden. Juristische Personen können wegen der im vorliegenden Artikel bezeichneten Straftat unter den in Art. 121-2 vorgesehenen Bedingungen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden und neben der Geldstrafe in Art. 131-41 auch mit der Einziehung der Sache bestraft werden, die zur Begehung der Straftat gedient hat oder dazu bestimmt war oder aus ihr hervorgegangen ist. Der Rückfall der vorliegenden Übertretung wird im Sinne der Art. 132-11 und 132-15 bestraft.“
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
b) Geschichtlicher Überblick Vor dem Jahr 1988 gab es keine dem R. 645-1 CP ähnliche Vorschrift. Dies änderte sich erst mit dem von der Regierung erlassenen Dekret vom 18. März 1988677, mit dem in Art. R. 40 des alten code pénal Abs. 3 eingeführt wurde, der das Tragen oder Zurschaustellen von Kennzeichen, Symbolen oder Uniformen von kriminellen Organisationen der NS-Zeit oder von wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilten Personen unter Strafe stellte. Mit dem neuen code pénal von 1994 wurde der alte Art. 40 Abs. 3 mit der gleichen Wortwahl in den Art. R. 645-1 CP übernommen. Es wurden lediglich die Referenzen auf die im code pénal normierten Verbrechen gegen die Menschlichkeit (in Art. 211-1 bis 212-3 CP) sowie die für diese Tat möglichen Nebenstrafen hinzugefügt.
c) Strafbegründung In der Lehre wird mitunter angeführt, dass das Tragen von Abzeichen, Symbolen oder Uniformen eine Form der Verherrlichung darstelle, die dazu führen könne, dass die Organisationen, um deren Abzeichen, Symbole oder Uniformen es geht, und somit auch die von ihren Mitgliedern begangenen Taten verherrlicht werden und dass dies aus diesem Grund eine Gefahr darstelle, da dies indirekt zur Rehabilitierung der Organisation und der Begehung ähnlicher Taten anrege.678 Es wird auch argumentiert, dass der Gesetzgeber die Vorschrift im Jahr 1988 als Reaktion auf die legitimen Gefühle derjenigen erlassen hatte, die sich an die erlebten Gräueltaten des NS-Regime erinnern konnten – Gefühle, die erneut aufkamen, wenn Personen die Abzeichen, Embleme oder Uniformen des NS-Regimes oder ihnen ähnliche Abzeichen in der Öffentlichkeit trugen oder zur Schau stellten.679 Wie bereits bezüglich Art. R. 625-7 CP erläutert, werden die Übertretungen sowie die Vergehen und Verbrechen im code pénal nach den Werten systematisiert, die der Gesetzgeber schützen will. Der Art. R. 645-1 CP befindet sich in Titel IV „Übertretungen gegen die Nation, den Staat oder den öffentlichen Frieden“ des Buchs VI „Die Übertretungen“. Demzufolge zielte der Gesetzgeber bei der Einführung dieser Übertretung darauf ab, die Nation, den Staat und den öffentlichen Frieden zu schützen.
677 Décret n°88-271 du 18 mars 1988 modifiant le code pénal (2éme partie: décrets en Conseil d’État) et portant interdiction du port en public des uniformes, insignes ou emblèmes d’une organisation ou de personnes reconnues coupables de crimes contre l’humanité. 678 Rassat, Droit pénal spécial, S. 824. 679 Pugnière, JCL. Pénal Code, Art. R. 645-1, fasc. 10, Rn. 2.
2. Kap.: Französische Vorschriften im Bereich der Motivationsdelikte
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d) Objektiver Tatbestand aa) Tatobjekte: Abzeichen, Symbole und Uniformen Gesetzlich wird nicht definiert, was unter Abzeichen oder Symbolen zu verstehen ist. Das Gesetz führt lediglich auf, dass die Abzeichen, Symbole oder Uniformen denen ähnlich sein müssen, die entweder von den Mitgliedern einer unter Berufung auf Art. 9 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs, Anlage zum Londoner Abkommen vom 8. August 1945, als verbrecherisch erklärten Organisationen oder von einer Person getragen wurden, die von einem französischen oder internationalen Gericht eines oder mehrerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der Art. 211-1 bis 212-3 oder i. S. des Gesetzes Nr. 64-1326 vom 26. Dezember 1964 schuldig gesprochen wurde. Demzufolge müssen es nicht genau die gleichen Abzeichen und Symbole sein; „ähnliche“ reichen aus.680 Art. R. 645-1 CP erfasst somit das Tragen und Zurschaustellen der Abzeichen, Symbole und Uniformen der vom internationalen Militärgerichtshof als verbrecherisch bezeichneten Organisationen. Aus Artikel 9 des Statuts des Internationalen Militärgerichtshofs geht hervor, dass ein Mitglied einer Organisation, die der Gerichtshof für verbrecherisch erklärt hat, wegen des Verbrechens der Mitgliedschaft verurteilt werden kann. Der Internationale Militärgerichtshof betrachtet in seiner Entscheidung vom 1. Oktober 1946 folgende Organisationen als kriminell: den Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei, die Geheime Staatspolizei (Gestapo), den Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD) sowie die Schutzstaffeln (SS). Außerdem erfasst wird das Tragen oder Zurschaustellen von Abzeichen, Symbolen oder Uniformen, die von einer Person getragen oder gezeigt wurden, die von einem französischen oder internationalen Gericht eines oder mehrerer Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der Art. 211-1 bis 212-3 CP oder des Gesetzes Nr. 64-1326 vom 26. Dezember 1964 für schuldig gesprochen wurden. Nicht bestraft werden das Tragen und Zurschaustellen, wenn dies zum Zweck eines Films, einer Aufführung oder einer Ausstellung mit historischem Bezug geschieht.
bb) Tathandlung Bestraft wird das Tragen oder Zurschaustellen von Uniformen, Abzeichen oder Symbolen in der Öffentlichkeit. Demzufolge wird sowohl das Tragen oder Zurschaustellen auf öffentlicher Straße bestraft als auch an jedem anderen öffentlichen Ort oder privatem Raum, der frei zugänglich ist.681 Ein Zurschaustellen ist vorhan680 681
Rassat, Droit pénal spécial, S. 824. Pugnière, JCL. Pénal Code, Art. R. 645-1, fasc. 10, Rn. 5.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
den, sobald die Uniform, das Symbol oder das Abzeichen an einem öffentlichen Ort aufgestellt ist.682 Nicht von dem Tatbestand erfasst wird der Besitz oder der Verkauf solcher Symbole, Abzeichen oder Uniformen. Ein Geschäft kann diese Sachen also verkaufen, darf sie jedoch nicht auslegen. Dies wurde schon oft kritisiert und es wurden mehrere Gesetzesvorschläge vorgelegt, um auch den Verkauf strafrechtlich zu ahnden.683 Es wird dabei nicht verlangt, dass es durch das Tragen oder Zurschaustellen zu einem Erfolg i. S. einer Wiederbelebung der Organisationen oder zu einer Begehung der von der Organisation begangenen Taten kommt.684 Weder der Gesetzgeber noch die Lehre bestimmen, ob es sich hierbei um eine infraction formelle oder um eine infraction obstacle handelt.
e) Subjektiver Tatbestand Wie bereits in der Vorbemerkung zum französischen Länderbericht bemerkt, stellt der code pénal bei Übertretungen keine generellen Anforderungen an das subjektive Element. Das subjektive Element der contravention ist in der Mehrheit bereits erfüllt, wenn eine gesetzliche Vorschrift übertreten wurde.685 Die Tatbestandsverwirklichung geschieht unabhängig von der inneren Einstellung des Täters. Weder im Gesetz noch in der Lehre werden zusätzliche Anforderungen an den subjektiven Tatbestand des Art. R. 645-1 gestellt. Es reicht demzufolge aus, wenn der Täter den objektiven Tatbestand erfüllt.
f) Quintessenz Art. 645-1 CP erfasst das Tragen oder Zurschaustellen von Uniformen, Abzeichen oder Symbolen in der Öffentlichkeit. Bei diesen Tathandlungen wird deutlich, dass sie von sich selbst aus keinen Handlungsdruck aufbauen, sondern sich in erster Linie an die Emotionen von Dritten richten. Die Tathandlungen richten sich auch nicht auf die Begehung einer bestimmten Tat.
682
Pugnière, JCL. Pénal Code, Art. R. 645-1, fasc. 10, Rn. 6. Proposition de loi tendant à sanctionner la vente d’objets liés au nazisme ou à d’autres auteurs de crimes contre l’humanité, Texte n° 83 (2010–2011) de Jacques Legendre, déposé au Sénat le 2 novembre 2010. 684 Vgl. Rassat, Droit pénal spécial, S. 825. 685 Bouloc, Droit pénal général, Rn. 304. 683
Kapitel 3
Rechtsvergleich Die Analyse der Strafvorschriften im Rahmen der vorstehenden Länderberichte ermöglicht es, diese Tatbestände auf der Grundlage der zuvor entwickelten Metastruktur und Kategorien miteinander zu vergleichen. Diese Ausführungen sollen auf der Basis der für die Länderberichte entwickelten Struktur die folgenden Aspekte durchleuchten: 1. die geschichtliche Entwicklung der Regelungen, 2. die strafrechtliche Begründung der Vorschriften, 3. den objektiven Tatbestand der Normen (u. a. die Tathandlung, den Gegenstand der Motivation, den Adressatenkreis und die Begehungsweise) sowie 4. die subjektive Tatseite der Vorschriften.
A. Direkte Motivationsdelikte I. Individuelle Motivation zur Begehung einer näher spezifizierten Tat Wie in der Einleitung zur vorliegenden Arbeit bereits angemerkt, werden sowohl im deutschen als auch im französischen Recht in der Kategorie der direkten und individuellen Motivationsdelikte zum einen Teilnahmehandlungen als auch mehrheitlich solche Beteiligungshandlungen erfasst, die zur Täterschaft erhoben wurden und bei denen der Motivator – nicht gleich dem Täter des Delikts, zu dem dieser motiviert wurde – direkt mit der Strafe aus dem Tatbestand bestraft wird.
1. Geschichtlicher Überblick In beiden Ländern scheint das Bestrafen des Motivierens einer bestimmten Person zu einer bestimmten Tat als Anfangsform respektive Urform der Motivationsdelikte zu stehen. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich lassen sich in § 26 StGB (Anstiftung) bzw. Art. 121-7 code pénal (Direkte Provokation zu einer Straftat) Anknüpfungspunkte auf den Ursprung im römischen Recht finden. Beide Vorschriften, sei es § 26 StGB oder Art. 121-7 code pénal, die sich jeweils im AT
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
der dementsprechenden Gesetzesbücher befinden, werden als Teilnahmehandlungen an der Haupttat erfasst und auch dementsprechend bestraft. Mit Blick auf die anderen Vorschriften, die in dieser Kategorie erfasst werden, ist in Bezug auf das französische Recht festzustellen, dass es sich um Tatbestände handelt, die vergleichsweise jung sind und zwischen 1994 und 2020 in den BT des code pénal eingeführt wurden. Dies ist mitunter nicht überraschend, da im Jahr 1994 mit der Novellierung des code pénal auch das materielle sowie das formelle Strafrecht erneuert und modernisiert wurden. Dies betrifft u. a. auch die Vorschriften bezüglich der Provokation von Minderjährigen. Der Art. 421-2-4 CP, in dem die Anwerbung zur Teilnahme an einem terroristischen Zusammenschluss oder an terroristischen Taten unter Strafe gestellt wird, wurde 2012 nach den im gleichen Jahr verübten Anschlägen in Montauban und Toulouse eingeführt. Die neuesten Vorschriften, d. h. Art. 222-26-1 CP (Erfolglose direkte Provokation zur Vergewaltigung), Art 222-6-4 CP (Erfolglose direkte Provokation zur Folter und zu brutalen Misshandlungen) und Art. 222-30-2 CP (Erfolglose direkte Provokation zu sexuellen Angriffen), die im Jahr 2020 eingeführt wurden, erweitern den Anwendungsbereich der direkten, individuellen und erfolglosen Provokation, sodass weitere Vergehen und Verbrechen erfasst werden. Im deutschen Strafrecht ist hingegen zu beobachten, dass sich die Vorschriften dieser Kategorie über die Zeit hinweg betrachtet einheitlicher verteilen. Bereits im Allgemeinen Landrecht der Preußischen Staaten von 1794 gab es Vorschriften, die § 357 StGB (Verleiten eines Untergebenen zu einer Straftat) ähneln und später in das PrStGB von 1851 und in das RStGB von 1871 aufgenommen wurden. Die versuchte Anstiftung wurde 1875 unter Strafe gestellt, nachdem der belgische Kesselschmied Duchnese sich erbot, gegen entsprechendes Entgelt den deutschen Reichskanzler Bismarck zu ermorden. Im Jahr 1957 wurden schließlich das Bestimmen eines Untergebenen durch einen Vorgesetzten in den § 33 und 34 WStG (Erfolgreiches und erfolgloses Verleiten eines Untergebenen im Militär zu einer rechtswidrigen Tat) unter Strafe gestellt, und im Jahr 1992 wurde infolge der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Betäubungsmitteln und psychotropen Stoffen von 1988 § 30a BtMG (Bestimmen eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln) eingeführt. § 130 Abs. 2 StGB wurde durch das VerbrBekG 1994 neugestaltet. Im Zuge dessen wurde dort das Anbieten, Überlassen und Zugänglichmachen an Personen unter 18 Jahren von Schriften, die zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordern, eingefügt.
2. Strafbegründung In Bezug auf die Motivationsdelikte, die als Teilnahmehandlungen bestraft werden, d. h. in Bezug auf § 26 StGB (Anstiftung) und Art. 121-7 CP (Direkte Provokation zu einer Straftat), muss präzisiert werden, dass in beiden Fällen der
3. Kap.: Rechtsvergleich
331
Strafgrund der Teilnahme in der Beteiligung am Unrecht der Haupttat zu finden ist. Dabei ist jedoch in beiden Rechtsordnungen anerkannt, dass der Motivator in dieser Kategorie in der Tatbegehung eine ausschlaggebende Rolle gespielt hat: Er hat den Tatentschluss des Täters verursacht. Indem er persönlich eine bestimmte Person zur Begehung einer bestimmten Tat motiviert hat, hat er die andere Person in einer Weise beeinflusst, die einen gewissen Handlungsdruck auf diese ausgeübt hat. Aufgrund dieser ausschlaggebenden Rolle wird im französischen Strafrecht von einem Teil der Lehre vertreten, dass im Falle der Provokation der Provokateur am Unrecht der Tat nicht nur beteiligt war, sondern eine ausschlaggebende Rolle gespielt hat, sodass aus dem Provokateur ein Täter wird, der somit ein eigenes Unrecht verwirklicht hat.1 Dies scheint sich auch in Hinblick auf die anderen Vorschriften zu bewahrheiten. Denn in diesen werden die Motivatoren nicht länger als Teilnehmer bestraft, sondern als Täter. In den anderen Vorschriften, sei es in Deutschland oder in Frankreich, beteiligt sich der Motivator nicht am Unrecht der Haupttat, sondern verwirklicht durch die Tathandlung eigenes Unrecht und wird aufgrund dessen mit der Strafe bestraft, die in den untersuchten Vorschriften angedroht wird (und nicht mit der Strafe, die für die Verwirklichung der Haupttat vorgesehen ist). In Bezug auf die geschützten Rechtsgüter oder die geschützten Werte lässt sich erkennen, dass die hier enthaltenen Vorschriften sowohl im deutschen als auch im französischen Recht in erster Linie Individualinteressen schützen sollen. So wird in Frankreich bei den meisten Vorschriften auf Werte wie das Leben oder die physische und psychische Integrität der Menschen verwiesen (siehe Art. 221-5-1 (Erfolglose, direkte Provokation zu einem Mord oder einer Vergiftung), Art. 2226-4 (Erfolglose, direkte Provokation zur Folter und zu brutalen Misshandlungen), Art. 222-26-1 (Erfolglose direkte Provokation zur Vergewaltigung), Art. 222-30-2 (Erfolglose direkte Provokation zu sexuellen Angriffen), Art. 227-18 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelkonsum), Art. 227-18-1 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelhandel), Art. 227-19 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum übermäßigen oder gewöhnlichen Alkoholkonsum), Art. 227-21 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zu einem Vergehen oder Verbrechen), Art. 227-28-3 CP (Direkte Provokation zu sexuellen Straftaten gegen Minderjährige). Ähnliches ist auch für die Vorschriften des deutschen Rechts zu erkennen, wenn darauf verwiesen wird, dass im Falle von § 26 StGB (Anstiftung), § 30 Abs. 1 StGB (Versuchte Anstiftung zu einer rechtswidrigen Tat), § 357 StGB (Verleiten eines Untergebenen zu einer Straftat) diejenigen Rechtsgüter geschützt werden, die durch die rechtswidrige Tat des Bestimmten beeinträchtigt wurden. Unklar ist die Lage mit Blick auf die §§ 33 und 34 WStG. So ist in der Lehre umstritten, ob es sich hierbei um eigenständige Delikte oder um besondere Formen 1
Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 B. I. 1. c).
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
der Beteiligung handelt. Wird davon ausgegangen, dass es sich um eigenständige Delikte handelt, bleibt unklar, welches eigene Rechtsgut sie schützen sollen. Von einem Schutz von Individualinteressen unterscheiden sich im französischen Recht der Art. 421-2-4 CP (Anwerbung zur Beteiligung an einer terroristischen Organisation oder an terroristischen Taten), durch welchen die Nation, der Staat und der öffentliche Friede geschützt werden sollen. Im deutschen Recht wird für § 30a BtMG (Bestimmen eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln) mehrheitlich von einem Schutz der Volksgesundheit sowie für § 130 Abs. 2 StGB von einem Schutz des öffentlichen Friedens ausgegangen. Interessant ist dabei jedoch, dass im Allgemeinen die Frage nach dem geschützten Rechtsgut in Deutschland bei vielen Tatbeständen dieser Gruppe sehr umstritten ist.
3. Objektiver Tatbestand a) Haupttat In Bezug auf die objektive Tatseite muss angemerkt werden, dass es sich bei § 26 StGB (Anstiftung) und Art. 121-7 code pénal (Direkte Provokation zu einer Straftat) um Teilnahmehandlungen handelt, die beide die Begehung einer Haupttat voraussetzen.2 Für § 26 StGB (Anstiftung) wird verlangt, dass es durch das Bestimmen zu einer vorsätzlich begangenen rechtswidrigen Tat gekommen ist, wobei es ausreicht, dass diese Tat ins Versuchsstadium gekommen ist. Dies ähnelt Art. 121-7 code pénal (Direkte Provokation zu einer Straftat), der verlangt, dass es durch die Provokation zur Begehung einer Haupttat gekommen ist, die alle materiellen und subjektiven Tatbestandsmerkmale aufweist. Dabei erfasst § 26 StGB (Anstiftung) jedoch nur das Bestimmen zu einem Vergehen oder Verbrechen, während Art. 121-7 CP (Direkte Provokation zu einer Straftat) neben dem Provozieren zu Verbrechen oder Vergehen auch das Provozieren zu Übertretungen ahndet.
b) Tathandlungen Sowohl im französischen als auch im deutschen Recht gibt es in der Kategorie der individuellen Motivationsdelikte eine Haupttathandlung, die in der Mehrzahl der Vorschriften zum Tragen kommt. Im deutschen Recht handelt es sich hierbei um das Bestimmen, im französischen Recht um die Provokation. In der Tat wird im deutschen Strafrecht in § 26 StGB (Anstiftung), § 30 Abs. 1 StGB (Versuchte Anstiftung zu einer rechtswidrigen Tat), § 33 WStG (Verleiten eines Untergebenen 2
Siehe für § 26 oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 1. d); siehe für Art. 121-7 CP in der vorliegenden Arbeit oben Teil 2 Kapitel 1 B. I. 1. d) aa).
3. Kap.: Rechtsvergleich
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im Militär zu einer rechtswidrigen Tat), § 34 WStG (Erfolgloses Verleiten eines Untergebenen im Militär zu einer rechtswidrigen Tat) und § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG (Bestimmen eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln) der Begriff „Bestimmen“ eingesetzt. Im Unterschied dazu wird in § 357 StGB (Verleiten eines Untergebenen zu einer Straftat) der Begriff „Verleiten“ verwendet. Dabei muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass unter dem Verleiten i. S. des Art. 357 StGB (Verleiten eines Untergebenen zu einer Straftat) ein „Bestimmen“ i. S. von § 26 StGB (Anstiftung) zu verstehen ist. Ausnahme hierzu stellt jedoch der § 130 Abs. 2 Nr. 1b Var. 2 und Nr. 2 StGB dar, bei dem es sich im Gegensatz zu den anderen Vorschriften, nicht um ein Äußerungsdelikt handelt, sondern um ein Verbreitungs- (Abs. 2 Nr. 1b Var. 2) und Vorbereitungsdelikt zur Verwendung (Abs. 2 Nr. 2). In der Tat wird in § 130 Abs. 2 Nr. 1b StGB das Zugänglichmachen, Anbieten oder Überlassen von Inhalten an eine Person unter 18 Jahren bestraft und in Abs. 2 Nr. 2 das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Bewerben, Ein- oder Auszuführung solcher Inhalte mit der Absicht einer Verwendung.3 In Art. 121-7 (Direkte Provokation zu einer Straftat), Art. 227-21 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zu einem Vergehen oder Verbrechen), Art. 22728-3 (Direkte Provokation zu sexuellen Straftaten gegen Minderjährige), Art. 22718 CP (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelkonsum), Art. 227-18-1 CP (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelhandel) und Art. 227-19 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum übermäßigen oder gewöhnlichen Alkoholkonsum), die im französischen Länderbericht untersucht wurden, wird für die Tathandlung explizit auf den Begriff der Provokation zurückgegriffen. Für die Art. 221-5-1 CP (Erfolglose, direkte Provokation zu einem Mord oder einer Vergiftung), Art. 222-6-4 (Erfolglose direkte Provokation zur Folter und zu brutalen Misshandlungen), Art. 222-26-1 (Erfolglose direkte Provokation zur Vergewaltigung), Art. 222-30-2 (Erfolglose direkte Provokation zu sexuellen Angriffen) und Art. 421-2-4 CP (Anwerbung zur Beteiligung an einer terroristischen Organisation oder an terroristischen Taten) wird der Begriff „Provokation“ zwar nicht ausdrücklich verwendet; dennoch kann aufgrund der aufgezählten Provokationsmittel in diesem Kontext (wie in der Lehre üblich) die Tathandlung als Provokation bezeichnet werden. Mit Blick auf die beiden Haupttathandlungen der beiden Länder – dem Bestimmen und der Provokation – erscheint das französische Recht jedoch ein engeres Verständnis von der Provokationshandlung zu haben als das deutsche Recht von der Bestimmungshandlung, zumindest wenn man das Verständnis des Begriffs „Bestimmen“ aus § 26 StGB (Anstiftung) in der Rechtsprechung zugrunde legt.4 Die Provokation wird im französischen Recht als Ausdruck eines Gedankens definiert, der an einen anderen gerichtet ist und darauf abzielt, dass dieser seine
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Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 7. d). Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 1. d).
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
intellektuelle sowie seine physische Passivität aufgibt.5 Innerhalb der direkten Motivationsdelikte werden jedoch nicht alle Formen und Arten von Provokationen erfasst, sondern nur solche Provokationen, die einen gewissen Druck auf die andere Person ausüben. So wird entweder verlangt, dass die Provokation über bestimmte Mittel erfolgt, oder dass sie „direkt“ ist. So verlangt der französische Gesetzgeber in Art. 121-7 (Direkte Provokation zu einer Straftat), Art. 221-5-1 (Erfolglose, direkte Provokation zu einem Mord oder einer Vergiftung), Art. 222-6-4 (Erfolglose direkte Provokation zur Folter und zu brutalen Misshandlungen), Art. 222-26-1 (Erfolglose direkte Provokation zur Vergewaltigung), Art. 222-30-2 (Erfolglose direkte Provokation zu sexuellen Angriffen), Art. 227-28-3 (Direkte Provokation zu sexuellen Straftaten gegen Minderjährige) und Art. 421-2-4 code pénal (Anwerbung zur Beteiligung an einer terroristischen Organisation oder an terroristischen Taten), dass die Provokation wenigstens über eines der in den jeweiligen Vorschriften abschließend aufgezählten Provokationsmittel (den sog. „adminicules“) erfolgt. Erst durch den Einsatz eines dieser Provokationsmittel kann die Provokation den gesetzlich erforderlichen Handlungsdruck ausüben. Die Liste der Provokationsmittel stammt ursprünglich aus Art. 121-7 code pénal (Direkte Provokation zu einer Straftat) und wurde für die später in den code pénal eingeführten Vorschriften (Art. 221-5-1 (Erfolglose, direkte Provokation zu einem Mord oder einer Vergiftung), Art. 2226-4 (Erfolglose direkte Provokation zur Folter und zu brutalen Misshandlungen), Art. 222-26-1 (Erfolglose direkte Provokation zur Vergewaltigung), Art. 222-30-2 (Erfolglose direkte Provokation zu sexuellen Angriffen), Art. 227-28-3 (Direkte Provokation zu sexuellen Straftaten gegen Minderjährige) und Art. 421-2-4 CP (Anwerbung zur Beteiligung an einer terroristischen Organisation oder an terroristischen Taten)), wenn auch in abgewandelter Form, wieder aufgenommen. Für Art. 227-21 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zu einem Vergehen oder Verbrechen), 227-18 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelkonsum), 227-18-1 CP (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelhandel) und Art. 227-19 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum übermäßigen oder gewöhnlichen Alkoholkonsum) gibt es hingegen keine Liste der Provokationsmittel. Stattdessen wird in den Vorschriften verlangt, dass die Provokation direkt ist. Der direkte Charakter einer Provokation ergibt sich der h. M. nach zum einen aus der Erfüllung bestimmter Konkretisierungsanforderung an die begehende Tat sowie zum anderen aus der Intensität der Provokation.6 Eine direkte Provokation ist demzufolge nur dann gegeben, wenn die zu begehende Tat konkretisiert ist, wenn sie einen gewissen Handlungsdruck ausübt, wenn ihr eine gewisse Überzeugungskraft zukommt und wenn sie einem expliziten Appell zur Begehung einer bestimmten Tat gleichkommt.7 Die Forderung der Direktheit der Provokation schließt somit einfache Ratschläge, Tatsachenarrangements, Vorschläge oder billigende Äußerungen aus. Ob die Forderung an die Intensität der 5 6 7
Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 B. I. 1. d) aa). Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 B. I. 7. d). Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 B. I. 7. d).
3. Kap.: Rechtsvergleich
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Provokation erfüllt ist, muss das Gericht im Einzelfall untersuchen. Somit kann auch in der Anforderung der Direktheit der Tat eine gewisse Eingrenzung der Tathandlung „Provokation“ erkannt werden. Im deutschen Recht wird in § 30 Abs. 1 StGB (Versuchte Anstiftung zu einer rechtswidrigen Tat), § 33 WStG (Verleiten eines Untergebenen im Militär zu einer rechtswidrigen Tat), § 34 WStG (Erfolglose Verleiten eines Untergebenen im Militär zu einer rechtswidrigen Tat) und § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG (Bestimmen eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln) für die Erläuterung des Begriffs „Bestimmen“ auf das „Bestimmen“ als Teilnahmehandlung in § 26 StGB (Anstiftung) verwiesen.8 Dies hat zum einen zur Folge, dass die Teilnahme- und Anstiftungshandlung des § 26 StGB (Anstiftung) in den anderen Vorschriften zur Haupttat erhoben wird und zum anderen, dass der Begriff und die Tathandlung in den verschiedenen Vorschriften einheitlich verstanden werden müssen. Das Bestimmen wird demnach einheitlich als das Hervorrufen des Tatentschlusses verstanden. In Bezug auf § 26 StGB (Anstiftung) sind sich die Lehre und die Rechtsprechung jedoch darüber uneinig, welche Voraussetzungen an das Bestimmen zu stellen sind, ob es bestimmter Anstiftungsmittel bedarf oder ob jedes Mittel eingesetzt werden kann und somit auch Tatsachenarrangements als Bestimmen gelten und bestraft werden können.9 Eine dem französischen Recht ähnliche Liste von Handlungsmitteln, wenn diese auch nicht abschließend war, gab es für die Anstiftung sowohl im preußischen Strafgesetzbuch von 1851 (§ 34 Abs. 1 PrStG) als auch im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 (§ 48 RStGB). Demnach musste das Bestimmen durch Geschenke oder Versprechungen, Drohungen, den Missbrauch des Ansehens, durch Gewalt, absichtliche Herbeiführung oder Beförderung eines Irrtums oder durch andere Mittel erfolgen. Diese Liste wurde später jedoch als zu kasuistisch beurteilt und entsprechend mit der Neufassung des Allgemeinen Teils des StGB 1975 gestrichen.10 Dies führte dazu, dass die Rechtsprechung in Deutschland heutzutage davon ausgeht, dass das Bestimmen bei jedem mitursächlichen Hervorrufen des Tatentschlusses beim Täter gegeben ist und dass es durch jedes Mittel erfolgen kann, sodass auch das einfache Schaffen einer tatanreizenden Situation als eine Einflussnahme auf den Willen anderer gilt.11 Es bedarf demzufolge keines besonderes Drucks. Demgegenüber geht die herrschende deutsche Literatur davon aus, dass es durchaus einer kommunikativen Beeinflussung – zum Teil gekoppelt an einen Aufforderungscharakter und einen geistigen Kontakt – bedürfe, sodass keineswegs alle Handlungen als Bestimmen zu verstehen sind und insbesondere einfache Tatsachenarrangements ausgeschlossen werden. Von dem Verständnis des Bestimmens in § 26 StGB (Anstiftung) durch die Rechtsprechung sind zum einen die § 33 (Verleiten eines Untergebenen im Militär 8 9 10 11
Siehe z. B. oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 3. d) aa). Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 1. d). Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 1. b). Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 1. d).
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
zu einer rechtswidrigen Tat) und § 34 WStG (Erfolgloses Verleiten eines Untergebenen im Militär zu einer rechtswidrigen Tat) zu unterscheiden, für die verlangt wird, dass der Täter für das Bestimmen seine übergeordnete Position einsetzt, da der Entschluss zur Tathandlung durch den Missbrauch der Befehlsbefugnis oder der Dienststellung des Vorgesetzten hervorgerufen werden muss.12 Zum anderen ist davon auch das Bestimmen i. S. des § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG (Bestimmen eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln) zu unterscheiden, bei dem die h. M. davon ausgeht, dass das Bestimmen als ein kommunikativer Akt zu verstehen ist und somit einfache Tatsachenarrangements auszuschließen sind. Demzufolge ist die Provokation, die durch bestimmte Provokationsmitteln erfolgt oder der Forderung der „Direktheit“ entspricht, enger zu verstehen als das Bestimmen, so wie es von der deutschen Rechtsprechung im Rahmen des § 26 StGB (Anstiftung) verstanden wird und bei dem es keines wirklichen Druckaufbaus durch den Motivator bedarf. Dahingegen können im Rahmen der direkten und individuellem Motivationsdelikte Ähnlichkeiten zwischen der direkten und individuellen Provokation des französischen Rechts und dem Bestimmen im deutschen Recht ausgemacht werden. Diese sind insofern gegeben, als die h. L. für § 26 StGB (Anstiftung) und die h. M. für § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG (Bestimmen eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln) davon ausgeht, dass das Bestimmen über einen geistigen Kontakt erfolgen muss. In diesen Fällen sind sowohl im deutschen als auch im französischen Recht die Tathandlungen und damit auch die Strafbarkeit begrenzt, sodass gewisse Handlungen wie z. B. die Tatsachenarrangements ausgeschlossen sind.
c) Gegenstand der Motivation Sowohl im deutschen als auch im französischen Recht verlangen die Vorschriften der Kategorie der direkten und individuellen Motivationsdelikte, dass die Tat, zu deren Begehung motiviert wird, hinreichend konkretisiert sein muss. Mit Blick auf die Konkretisierung der Tat verlangen die deutschen Vorschriften ein höheres Maß an Konkretisierung als die französischen Vorschriften. So wird im deutschen Strafrecht mit Bezug auf die Vorschriften der Kategorie der individuellen Motivationen zu näher spezifizierten Taten verlangt, dass die Tat, zu deren Begehung motiviert wird, zwar nicht in allen Einzelheiten (d. h. keine genaue Zeit und kein genauer Ort), wohl aber in ihren wesentlichen Merkmalen oder Grundzügen konkretisiert ist. Bezüglich § 30 Abs. 1 StGB (Versuchte Anstiftung zu einer rechtswidrigen Tat) gilt, dass die Tat so weit konkretisiert sein muss, dass der präsumtive Haupttäter sie begehen könnte, wenn er wollte. Dies hat zur Folge, dass für die deutschen Vorschriften der Kategorie der direkten und individuellen Motivations12
Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 5. und 6. d).
3. Kap.: Rechtsvergleich
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delikte die Umschreibung des Deliktstypus nicht ausreicht, um die zu begehende Tat hinreichend zu konkretisieren. Eine Besonderheit ist jedoch bei § 130 Abs. 2 Nr. 1b-2 zu erkennen, in dem das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen von Schriften usw., die zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung, bestimmte Gruppen oder Einzelpersonen auffordern, an eine Person unter 18 Jahren unter Strafe gestellt wird. Im Rahmen dieses Absatzes wird deutlich, dass verhindert werden soll, dass es zur Begehung einer Gewalt- oder Willkürmaßnahme kommt, ohne dass jedoch eine genaue Tat erläutert werden muss.13 Für die Vorschriften des französischen Strafrechts sind die Anforderungen weniger hoch als für die Mehrheit der deutschen Vorschriften in dieser Kategorie der Motivationsdelikte. Mit Verweis auf die Forderung der „Direktheit“ der Provokation, die in Art. 121-7 (Direkte Provokation zu einer Straftat), Art. 227-18 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelkonsum), Art. 22718-1 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelhandel), Art. 227-19 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum übermäßigen oder gewöhnlichen Alkoholkonsum) und Art. 227-21 CP (Direkte Provokation eines Minderjährigen zu einem Vergehen oder Verbrechen) verlangt wird, wird zwar deutlich gemacht, dass die Provokation zu irgendeinem Unrecht ohne nähere Bestimmung nicht ausreichend ist, jedoch werden keine weiteren Angaben bezüglich der Konkretisierung gemacht, woraus zu schließen ist, dass die Anforderungen weniger hoch sind als im Falle der deutschen Vorschriften und dass der Deliktstypus ausreicht. Ähnliches kann auch für die Art. 221-5-1 (Erfolglose, direkte Provokation zu einem Mord oder einer Vergiftung), 222-26-1 (Erfolglose direkte Provokation zur Vergewaltigung), 222-6-4 (Erfolglose direkte Provokation zur Folter und zu brutalen Misshandlungen) und 222-30-2 CP (Erfolglose direkte Provokation zu sexuellen Angriffen) festgestellt werden. So verlangt der Wortlaut dieser zwar nicht, dass die Provokation direkt erfolgen muss, jedoch müssen die Taten, zu denen provoziert wird (die Vergiftung und der Mord für Art. 221-5-1 (Erfolglose, direkte Provokation zu einem Mord oder einer Vergiftung), die Vergewaltigung in Art. 222-26-1, die Folter und brutale Misshandlungen in Art. 222-6-4 und die sexuellen Angriffe in Art. 222-30-2 CP (Erfolglose direkte Provokation zu sexuellen Angriffen)), trotzdem ausreichend bestimmt sein. In Bezug auf die Formen der Straftaten oder Deliktstypen, zu deren Begehung motiviert wird, erscheint Frankreich spezifischer zu sein und vermehrt individuelle Motivationen zu ahnden, die sich nicht allgemein auf die Begehung von rechtswidrigen Taten beziehen.14 Nur in Art. 121-7 CP (Direkte Provokation zu einer Straftat) ist die Tat, zu der provoziert wird, generell gehalten, da dort die Provokation zu 13
Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 7. d). So wird im französischen Strafrecht in Art. 227-28-3 code pénal die Provokation zu sexuellen Straftaten gegen Minderjährige geahndet, in Art. 227-18 die Provokation von Minderjährigen zum Konsum von Betäubungsmitteln, in Art. 227-18-1 die Provokation von Minderjährigen zum Handel mit Betäubungsmitteln, in Art. 221-5-1 die versuchte Provokation zum Mord oder zur Vergiftung, in Art. 222-26-1 CP die erfolglose Provokation zur Vergewaltigung usw. 14
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Straftaten im Allgemeinen geahndet wird. Mit Blick auf die deutschen Vorschriften bezüglich der direkten und individuellen Motivationsdelikte ist das genaue Gegenteil zu erkennen. So wird in § 26 StGB (Anstiftung), § 357 StGB (Verleiten eines Untergebenen zu einer Straftat), § 33 WStG (Verleiten eines Untergebenen im Militär zu einer rechtswidrigen Tat) und § 34 WStG (Erfolglose Verleiten eines Untergebenen im Militär zu einer rechtswidrigen Tat) das Bestimmen zu rechtswidrigen Taten im Allgemeinen unter Strafe gestellt. In § 30 Abs. 1 StGB (Versuchte Anstiftung zu einer rechtswidrigen Tat) wird die Tat, zu deren Begehung motiviert wird, insofern ein wenig enger bestimmt, als ausschließlich das versuchte Bestimmen zu Verbrechen unter Strafe gestellt wird.15 Lediglich § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG (Bestimmen eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln) und § 130 Abs. 2 Nr. 1b -2 (Aufforderung von einem Minderjährigen zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen), unterscheiden sich von diesen Motivationsdelikten, die allgemein die Motivation zur Begehung von rechtswidrigen Taten oder Verbrechen unter Strafe stellen, indem die Vorschrift des BtMG das Bestimmen von Minderjährigen zu spezifizierten Taten – dem Handel, der Einfuhr, der Ausfuhr, der Veräußerung, der Abgabe oder dem Inverkehrbringen von BtMG, wie sie in § 29 BtMG definiert sind – ahndet. In § 130 Abs. 2 Nr. 1b–2 StGB wird das Zugänglichmachen, Anbieten oder Überlassen von Inhalten, die zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung, bestimmte Gruppen oder Einzelpersonen auffordern an eine Person unter 18 Jahren (§ 130 Abs. 2 Nr. 1b StGB) und das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Bewerben, Ein- oder Auszuführung solcher Inhalte mit der Absicht einer Verwendung (§ 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB) unter Strafe gestellt. Ein weiterer Unterschied zwischen den Vorschriften beider Länder kann mit Blick auf die Bestrafung der Motivationen, die sich an Minderjährige richten, gefunden werden. In beiden Ländern gibt es zwar Motivationsdelikte, die das direkte und das individuelle Motivieren von Minderjährigen erfassen, doch das französische Recht greift dabei weiter als das deutsche und enthält dementsprechend auch mehr Vorschriften, in denen das Motivieren von Minderjährigen strafrechtlich geahndet wird. So wird im französischen Recht sowohl die direkte und individuelle Motivation von Minderjährigen zur Straftatenbegehung i. S. aller Vergehen oder Verbrechen geahndet als auch das direkte und individuelle Motivieren von Minder-
15 Hierin unterscheidet sich § 30 Abs. 1 StGB, in dem die versuchte Anstiftung unter Strafe gestellt wird, wesentlich von seinem französischen Pendant, Art. 221-5-1 CP, in dem lediglich die versuchte Provokation zu Mord und Vergiftung strafrechtlich geahndet wird und der deshalb auch nicht, wie § 30 Abs. 1 StGB, im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches, sondern im Besonderen Teil des CP vorzufinden ist. Der französische Gesetzgeber hat sich bei der Einführung von Art. 221-5-1 CP aus nicht nachvollziehbaren Gründen gegen ein allgemeines Verbot der versuchten Provokation ausgesprochen (siehe oben Länderbericht Teil 2 Kapitel 2 A. I. 2. b)). Mit den Art. 222-26-1, 222-6-4 und 222-30-2 wird der Anwendungsbereich der erfolglosen Provokation zwar erweitert, jedoch erneut nur auf einige bestimmte Straftaten und nicht, wie mit § 30 Abs. 1 StGB, allgemein auf rechtswidrige Taten.
3. Kap.: Rechtsvergleich
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jährigen zum Handel mit BtMG oder auch zum Konsum von BtMG.16 Im deutschen Recht wird im Gegensatz hierzu lediglich das direkte und individuelle Motivieren von Minderjährigen zum Handeltreiben, zur Einfuhr, zur Ausfuhr, zur Veräußerung, zur Abgabe oder zum Inverkehrbringen von BtMG i. S. des § 29 BtMG (§ 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG)17 sowie das individuelle und direkte Motivieren von Minderjährigen zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung, bestimmte Gruppen oder Einzelpersonen (§ 130 Abs. 2 Nr. 1b-2).18
d) Adressaten und Begehungsweise der Motivation Sowohl die deutschen als auch die französischen Vorschriften verlangen in dieser Kategorie, dass nicht nur die Tat, zu dessen Begehung motiviert wird, sondern auch der Adressatenkreis hinreichend konkretisiert sind. Dabei sind in Bezug auf die Konkretisierung des Adressaten oder des Adressatenkreises zwischen den beiden Ländern keine wesentlichen Unterschiede auszumachen. Die Motivation muss sich sowohl in Frankreich als auch in Deutschland an eine bestimmte Person bzw. an einen individuell bestimmbaren Personenkreis richten. Ausgeschlossen sind in dieser Kategorie der Motivationsdelikte für beide Länder solche Motivationen, die sich an eine nicht individualisierbare und unbestimmbare Vielzahl von Personen richten. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland werden direkte und individuelle Motivationshandlungen, die sich an Minderjährige richten, strafrechtlich gesondert geahndet: § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG (Bestimmen eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln), § 130 Abs. 2 Nr. 1b-2 StGB (Aufforderung von einem Minderjährigen zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen), Art. 227-21 CP (Direkte Provokation eines Minderjährigen zu einem Vergehen oder Verbrechen), Art. 227-18 CP (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelkonsum), Art. 227-18-1 CP (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelhandel). Dabei werden in beiden Ländern Minderjährige als Personen unter 18 Jahren verstanden. Im Unterschied zum französischen Recht werden im deutschen Recht durch eigenständige Tatbestände auch solche direkten und individuellen Motivationen strafrechtlich geahndet, bei denen der Motivator und der Motivierte in einer Beziehung von Vorgesetztem und Untergebenem zueinanderstehen, sei es im zivilen Leben (§ 357 StGB) oder im Militär (§§ 33, 34 WStG). Solche Vorschriften sind im französischen Recht nicht vorzufinden. In solchen Fällen greift stattdessen
16 17 18
Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 B. I. 6., 7. und 8. Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 3. Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 7.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Art. 121-7 CP (Direkte Provokation zu einer Straftat), in dem die Provokation durch Machtmissbrauch als eine Teilnahmehandlung erfasst und geahndet wird.
4. Subjektiver Tatbestand Mit Blick auf die subjektiven Anforderungen gibt es keine wesentlichen Unterschiede zwischen den beiden Ländern. In allen Vorschriften wird Vorsatz gefordert. Für die deutschen Vorschriften genügt zumindest ein bedingter Vorsatz. Für § 26 StGB (Anstiftung), § 30 Abs. 1 StGB (Versuchte Anstiftung zu einer rechtswidrigen Tat) und § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG (Bestimmen eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln) wird jedoch zusätzlich ein doppelter Vorsatz, nämlich ein Bestimmungs- und ein Tatvollendungsvorsatz, verlangt. In den französischen Vorschriften wird ein dol général verlangt, der als kleinster gemeinsamer Nenner aller Vorsatzdelikte gilt und sich alleine auf die Tathandlung erstreckt, jedoch nicht auf den Erfolg.19 Im Unterschied zu anderen Vorschriften verlangt Art. 121-7 code pénal (Direkte Provokation zu einer Straftat) jedoch, dass die Provokation mit einem Spezialvorsatz (dol spécial) erfolgt; einer Absicht, die darin besteht, dass der Provokateur gewusst und gewollt hat, dass eine dritte Person auf der Basis seiner Provokation die Straftat begeht.20 Für Art. 221-5-1 CP (Erfolglose, direkte Provokation zu einem Mord oder einer Vergiftung) wird ebenfalls ein dol spécial (Spezialvorsatz) verlangt, ein animus necandi.21
II. Allgemeine Motivation zur Begehung einer näher spezifizierten Tat 1. Geschichtlicher Überblick Mit Blick auf beide Länder ist festzustellen, dass die Veranlassung und der Ursprung für die Bestrafung der allgemeinen und insbesondere der öffentlichen Motivation zu einer näher bestimmten Tat, die sich an eine breite Öffentlichkeit oder an einen unbestimmten Personenkreis richtet, in der Erweiterung der Pressefreiheit sowie in der Meinungsäußerungsfreiheit zu finden ist. Infolge der Erweiterung der Presse- und Meinungsäußerungsfreiheit wurden sowohl in Frankreich als auch in Deutschland relativ prompt neue Vorschriften eingeführt, die öffentliche Äußerungen wieder einschränkten und limitierten.
19
Siehe für die verschiedenen Vorsatzformen des französischen Rechts die Vorbemerkung zu den französischen Motivationsdelikten oben in Teil 2 Kapitel 2 A. I. 20 Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 A. I. 1. e). 21 Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 A. I. 2. e).
3. Kap.: Rechtsvergleich
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In dieser Hinsicht herrschte im absolutistischen Frankreich bis zur Revolution eine starke Zensur der Presse. Gleiches gilt auch für Deutschland, wo bis zum Jahr 1848 strenge Zensurgesetze galten, die jedoch am 17. März 1848 aufgehoben wurden. Infolge der Aufhebung der Zensur in beiden Ländern, ob durch die Revolution und die Erklärung der Menschenrechte 1789 in Frankreich oder durch das Gesetz über die Presse in Deutschland, wurden als Kontergewicht zur stärker werdenden Pressefreiheit nur kurze Zeit später neue Strafvorschriften erlassen. Die jeweiligen Regierungen sahen in der Vermehrung der Schriften und Zeitungen, deren Publikation und Verbreitung sie nicht mehr präventiv (durch Zensur) verbieten konnten, eine Gefahr und die Möglichkeit einer Verbreitung umstürzlerischer Agitationen. So wurde in Frankreich bereits im Jahr 1791, also kurze Zeit nach der Revolution von 1789, die öffentliche Provokation zum Ungehorsam gegen das Gesetz unter Strafe gestellt. Mit dem Gesetz vom 17. Mai 1819 wurde schließlich auch die öffentliche Provokation zu Straftaten, mit oder ohne Erfolg, unter Strafe gestellt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war diesbezüglich eine neue Entwicklung in Frankreich zu beobachten. Aufgrund des Wunsches, die Freiheit der Presse und die Meinungsäußerungsfreiheit wieder stärker zu schützen, wurden mit dem Gesetz über die Freiheit der Presse von 1881 besonders schützende Strafverfolgungsregeln für solche Delikte eingeführt, die mithilfe der Presse bzw. öffentlich begangen wurden. In diesem Rahmen wurden die Art. 23 (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) und 24 Abs. 1–4 LLP (Direkte, öffentliche und erfolglose Provokation zu Straftaten) erlassen, in denen das öffentliche Motivieren zu Straftaten unter Strafe gestellt wurde. In Deutschland erfolgten mit der Preßverordnung von 1848 ähnliche Vorschriften, die das in Frankreich erlassene Gesetz vom 17. Mai 1819 als Vorbild nutzte und durch die die öffentliche Aufforderung zu Straftaten unter Strafe gestellt wurde. Die Vorschriften der Preßverordnung wurden letztlich vom PrStGB wieder aufgenommen und galten als Vorbilder für das RStGB und dessen §§ 110 und 111. Demnach ist zum einen zu erkennen, dass die französische Gesetzgebung im Rahmen der Repression gewisser Äußerungen dem deutschem Gesetzgeber als Vorbild gedient hat, und zum anderen, dass die Gesetzgeber in beiden Ländern mit der Aufnahme von Verboten der direkten und allgemeinen Motivation darauf abzielten, solche Handlungen zu erfassen, die durch die entsprechenden Teilnahmevorschriften der beiden Länder nicht erfasst werden konnten, da diese nur solche Motivationen erfassten, die an eine bestimmte Person bzw. an einen bestimmten Personenkreis gerichtet waren. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland wurden im Laufe der Jahre neben der allgemeinen Bestrafung von direkten allgemeinen und insbesondere öffentlichen Motivationen zu Straftaten (siehe § 111 RStGB und später § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu einer Straftat)), oder Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) neue Vorschriften erlassen, die das direkte und allgemeine Motivieren zu besonderen Straftaten unter
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Strafe stellten. Oft wurden diese neuen Strafvorschriften als Reaktion auf gewisse Ereignisse oder als Antwort auf die Empörung erlassen, die bestimmte Äußerungen in der Öffentlichkeit hervorriefen. So wurde etwa nach der Februarrevolution von 1848 in Frankreich erstmals die öffentliche Provokation zu bewaffneten Zusammenrottungen unter Strafe gestellt. Infolge eines terroristischen Angriffs der Hisbollah auf französischem Staatsgebiet im Jahr 1986 wurde die Provokation zu terroristischen Taten in Art. 24 LLP unter Strafe gestellt und im Jahr 2014, nach weiteren Anschlägen in Montauban und Toulouse, in Art. 421-2-5 CP (Direkte Provokation zu terroristischen Taten und Verherrlichung) transferiert. In Deutschland wurde z. B. nach der antisemitischen und neonazistischen Schmierwelle in den 1960er Jahren in § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB das Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen unter Strafe gestellt.
2. Strafbegründung Wie bereits im geschichtlichen Teil gezeigt wurde, verfolgten sowohl der deutsche als auch der französische Gesetzgeber mit der ursprünglichen Bestrafung von direkten allgemeinen Motivationsdelikten das Ziel, die neu gewonnene Presse- und Meinungsfreiheit einzuschränken und diejenigen straftatenmotivierenden Äußerungen zu erfassen, die sich an eine breite Öffentlichkeit richteten, um somit solche Äußerungen strafrechtlich zu ahnden, die nicht durch die bereits existierenden und zu restriktiven Teilnahmeformen erfasst werden konnten. Bezüglich beider Länder ist darauf hinzuweisen, dass insbesondere in dem Öffentlichkeitsfaktor der Motivation eine besondere Gefahr gesehen wird. Indem der Motivator sich an eine unbestimmte Anzahl von Menschen richtet, kann diese Motivation auch unbestimmt viele Menschen dazu motivieren, straffällig zu werden. Sowohl in der französischen als auch in der deutschen Lehre wird diesbezüglich auf den gruppendynamischen Effekt verwiesen, der infolge einer allgemeinen Motivation entstehen könne. In Bezug auf § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu einer Straftat) und Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) werden in der Lehre auch ähnliche Metaphern verwendet. Während Dreher in diesem Zusammenhang darauf verweist, dass eine öffentliche Aufforderung dem Wurf einer Fackel gleichkomme, bei dem der Täter nicht weiß, ob sie zündet oder nicht,22 vergleicht Garraud die öffentliche Provokation mit einem angezündeten Streichholz, das in einen Haufen Sprengstoff geworfen wird.23 Während Dreher jedoch Zweifel äußert, ob die Fackel – bzw. die öffentliche Aufforderung – auch zündet, kann bei Garraud und seinem Streichholz – bzw. der direkten, öffentlichen und erfolgreichen Provokation – von einem solchen Zweifel nicht gesprochen werden. 22 23
Dreher, FS für Gallas, S. 313. Garraud, Traité théorique et pratique du droit pénal français, Band 3, S. 77.
3. Kap.: Rechtsvergleich
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In Bezug auf die zu schützenden Werte oder Rechtsgüter ist zu sagen, dass sowohl im deutschen als auch im französischen Recht durch die Vorschriften der direkten und allgemeinen Motivationsdelikte vermehrt auf den Schutz von Kollektivgütern oder Werten verwiesen wird, wobei ebenfalls in beiden Ländern darüber diskutiert wird, ob neben dem Schutz dieser kollektiven Güter oder Werte auch diejenigen Güter oder Werte geschützt werden, zu deren Verletzung motiviert wird. In der Tat wird für die direkten und allgemeinen Motivationsdelikte zu einer näher spezifizierten Tat in Frankreich vermehrt auf Werte verwiesen, die das Gemeinschaftsleben betreffen, z. B. die Nation, die staatliche Ordnung oder der öffentliche Friede. Hinsichtlich Art. 23 (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) und Art. 24 Abs. 1–4 LLP (Direkte, öffentliche und erfolglose Provokation zu Straftaten) ist sich die Lehre hingegen uneinig, ob die Vorschriften Universalwerte schützen oder ob sie die verschiedenen Werte (Individualwerte) schützen, zu deren Verletzung der Täter provoziert wurde. Während ein Teil der Lehre in Art. 24 Abs. 1–4 LLP (Direkte, öffentliche und erfolglose Provokation zu Straftaten) einen Schutz der öffentlichen Ordnung sieht, erkennt ein anderer Teil des Schrifttums mit Verweis auf die im code pénal enthaltenen Vergehen oder Verbrechen auch den Schutz der dort genannten Werte. Ähnliches ist auch hinsichtlich der Vorschriften des deutschen Teils zu erkennen. Während die h. M. davon ausgeht, dass mit § 130 StGB (Volksverhetzungstatbestand) an erster Stelle der öffentliche Frieden geschützt werden soll, wird für den § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu einer Straftat) von einer Kombinationslehre ausgegangen. So wird die Ansicht vertreten, dass neben dem inneren Gemeinschaftsfrieden auch diejenigen Rechtsgüter geschützt werden sollen, zu deren Verletzung aufgerufen wird. Bezüglich der § 129 Abs. 1 (Werben für eine kriminelle Vereinigung) und § 129a Abs. 5 (Werben für eine terroristische Vereinigung) StGB wird in der Lehre ebenfalls darüber diskutiert, ob sie nur die innere Sicherheit schützen oder ob sie auch die Rechtsgüter des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches schützen. In Bezug auf § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu einer Straftat) und Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) sind sich die jeweiligen Lehren uneinig, ob es sich bei den Vorschriften um eine erweiterte Sonderform der Teilnahme handelt oder nicht. Im deutschen Recht wird statuiert, dass der Auffordernde wie ein Anstifter zu bestrafen ist, während es im französischen Recht heißt, dass der Provokateur wie ein Teilnehmer zu bestrafen ist. 3. Objektiver Tatbestand a) Tathandlung Im französischen Recht wird, wie bei der individuellen Motivation, als Tathandlung die Provokation bestraft. Der Begriff „Provokation“ wird dabei, wie bei den direkten und individuellen Motivationsdelikten, als Ausdruck eines Gedankens
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
verstanden, der sich an einen anderen richtet, damit dieser seine intellektuelle sowie seine physische Passivität aufgibt und straffällig wird. In den deutschen Vorschriften bezüglich der direkten und allgemeinen, insbesondere öffentlichen Motivationsdelikte werden anstelle des Bestimmens, wie es bei den direkten und individuellen Motivationsdelikten der Fall war, unterschiedliche Handlungen erfasst: die Aufforderung, das Werben, das der Öffentlichkeit Zugänglichmachen oder das Verbreiten von Inhalten, die zu gewissen Taten auffordern. Die deutschen und französischen Tathandlungen haben gemein, dass sie die Tat, zu deren Begehung motiviert wird, deutlich und konkret benennen und dass sie einen gewissen Handlungsdruck ausüben – einen Handlungsdruck, der es ermöglicht, gewisse Handlungen, die keinen solchen Druck ausüben, von der Bestrafung auszuschließen. Dies ist in den französischen Vorschriften daran zu erkennen, dass in den Tatbeständen ausdrücklich verlangt wird, dass die Provokation direkt erfolgen muss, wie es auch schon für die Provokationen von Minderjährigen in der ersten Kategorie (Art. 227-21 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zu einem Vergehen oder Verbrechen), Art. 227-18 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelkonsum), Art. 227-18-1 code pénal (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelhandel), und Art. 227-19 CP (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Übermäßigen Alkoholkonsum) der Fall war. Die Forderung einer direkten Provokation ermöglicht es, die Tathandlung einzugrenzen, da auf diese Weise ausschließlich solche Provokationen erfasst werden, die ausdrücklich auf die Tatbegehung verweisen und einen gewissen Handlungsdruck ausüben. Ausgeschlossen sind hingegen einfache Ratschläge, Vorschläge, Wünsche oder andere Äußerungen, bei denen nicht klar und deutlich wird, dass es sich um eine Provokation handelt, die auf die Begehung der bestimmten Tat ausgerichtet ist und einen Handlungsdruck in sich birgt. Dabei kann die Provokation zwar über jedes Mittel erfolgen, es wird jedoch verlangt, dass sie einen gewissen Druck ausübt. Eine Ausnahme hierzu stellt Art. 411-11 CP (Direkte Provokation zu den Verbrechen des Verrats oder der Spionage) dar. Im Gegensatz zu den individuellen und direkten Motivationsdelikten, bei denen in den Tatbeständen mehrheitlich Listen der Provokationsmittel aufgeführt werden, die angeben, durch welche Mittel die Provokation erfolgen muss (und damit auch bestimmen, ab wann die Äußerungen einen strafbaren Handlungsdruck ausübt), ist in der Kategorie der direkten und allgemeinen Motivationsdelikte nur in Art. 411-11 CP (Direkte Provokation zu den Verbrechen des Verrats oder der Spionage) eine Liste der Provokationsmittel (der sog. adminicules) aufgeführt.24 Ähnliches ist auch für die Tathandlungen im deutschen Teil zu konstatieren, da sowohl die Aufforderung als auch das Werben die Erwünschtheit der Realisierung der Tat ausdrücklich deutlich machen müssen und somit nicht alle möglichen auf24
Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 B. II. 3. d) aa).
3. Kap.: Rechtsvergleich
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stachelnden Äußerungen erfasst werden können, oder da, wie im Falle von § 130 Abs. 1b-2 StGB, nicht die Verbreitung oder das öffentliche Zugänglichmachen von jeder aufstachelnden Äußerung erfasst werden kann. Hierdurch werden Motivationen ausgeschlossen, bei denen die Motivation und der Handlungsdruck nicht deutlich genug sind und bei denen das motivierende Potenzial versteckter ist. In dieser Hinsicht wird für die Aufforderung verlangt, dass diese einen appellativen Charakter hat und deutlich zu erkennen gibt, dass der Täter darauf abzielt, eine beliebige Person zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen zu motivieren. Äußerungen, die einen einfachen, informativen Charakter haben, oder bloße animierend wirkende Worte, eine einfache Stimmungsmache oder das bloße Befürworten von Straftaten stellen in dieser Fallgruppe hingegen kein strafbares Auffordern dar. Gleiches gilt auch für das Verbreiten und Zugänglichmachen einer solchen Aufforderung (§ 130 Abs. 1b StGB) und für die Vorbereitungshandlungen zur Verwendung eines solchen Inhaltes (§ 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB) bei denen die Aufforderung ebenfalls einen appellativen Charakter haben muss. Bei dem Werben, dass ein planmäßiges Vorgehen beschreibt, muss ebenfalls für den Durchschnittsadressaten erkennbar werden, dass der Motivator darauf abzielt, andere Personen für die Organisation zu gewinnen. Ausgeschlossen sind seit 2002 solche Handlungen, die eine einfache Sympathie der Organisation gegenüber wecken. Im Unterschied zu Art. 421-2-4 CP, der die Anwerbung zur Beteiligung an einer terroristischen Organisation oder an einer terroristischen Tat ahndet, wird für das Werben in den § 129 Abs. 1 StGB (Werben für eine kriminelle Vereinigung) und § 129a Abs. 5 StGB (Werben für eine terroristische Vereinigung) nicht verlangt, dass es durch bestimmte Mittel erfolgt. Für das Auffordern zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen in § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB (Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen) verfolgte der Gesetzgeber mit dem Einsatz des Tatbestandsmerkmals der Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören, das Ziel, den Tatbestand weiter einzugrenzen.25 Im Rahmen dieses Tatbestandes wird daher verlangt, dass die Handlung konkret dazu geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, d. h., dass aus der Sicht eines objektiven Beobachters die begründete Befürchtung bestehen muss, dass es nach dem voraussehbaren Geschehensablauf zu einer Störung kommen kann. Für die Untersuchung einer konkreten Friedensstörungseignung muss eine Gesamtwürdigung der Äußerung vorgenommen werden und nicht nur der Inhalt und die Art der Äußerung, sondern auch alle äußeren relevanten Umstände untersucht werden. Die eingrenzende Wirkung durch das Tatbestandsmerkmal wird jedoch in der Lehre hinterfragt und angezweifelt.26 Eine solche Eignung wird jedoch nicht für § 130 Abs. 2 Nr. 1b Var. 2 (das Zugänglichmachen, Anbieten oder Überlassen von solchen Inhalten an eine Person unter 18 Jahren bestraft) und Nr. 2 StGB (das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighal25 26
Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. II. 2. d) cc). Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 91; Fischer, § 130, Rn. 14 ff.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
ten, Anbieten, Bewerben, Ein- oder Auszuführung solcher Inhalte, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen, mit der Absicht einer Verwendung) verlangt.
b) Gegenstand der Motivation In Bezug auf die Konkretisierung der Tat gelten in beiden Ländern ähnliche Vorgaben. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland muss die Tat, zu deren Begehung motiviert wird, bestimmt sein, wobei jedoch die wesentlichen Grundzüge ausreichen. So reicht es laut den französischen Vorschriften aus, wenn die Tat in ihren wesentlichen Zügen zu erkennen ist, wobei die Bestimmung des Deliktstypus auszureichen scheint. Gleiches ist in Deutschland für § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu einer Straftat) zu erkennen, für den der Deliktstypus ausreicht und somit der geforderte Konkretisierungsgrad gegenüber dem des § 26 StGB (Anstiftung) abgesenkt wurde. Gleiches gilt für Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen), in dem die öffentliche Provokation zu hinreichend konkretisierten Vergehen oder Verbrechen unter Strafe gestellt wird. Während in § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu einer Straftat) und Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) allgemein das öffentliche Motivieren zu näher bestimmten Vergehen oder Verbrechen unter Strafe gestellt wird, wird in den anderen Vorschriften dieser Kategorie – sei es im deutschen oder im französischen Recht – das Motivieren zu einer im Tatbestand benannten und bestimmten Straftat geahndet. In dieser Hinsicht werden mit § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 und Abs. 2, Nr. 1b-2 StGB solche Äußerungen bzw. das Verbreiten solcher Äußerungen erfasst, die zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung, bestimmte Gruppen oder Einzelpersonen motivieren. Unter Gewaltmaßnahmen können Gewalttätigkeiten i. S. d. § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB (aufwieglerischer Landfriedensbruch), aber auch gewaltsame Vertreibungen, Freiheitsberaubungen und Pogrome verstanden werden. Bei Willkürmaßnahmen handelt es sich ausschließlich um solche Handlungen, die im Widerspruch zu elementaren Geboten der Menschlichkeit stehen.27 Die Bezugnahme auf Gewalt- und Willkürmaßnahmen lässt erkennen, dass die Taten hier nicht in allen Einzelheiten umschrieben werden müssen, sondern dass eine Beschreibung der groben Umrisse ausreichend ist. Bei den § 129 Abs. 1 (Werben für eine kriminelle Vereinigung) und § 129a Abs. 5 StGB (Werben für eine terroristische Vereinigung) bezieht sich die Motivation auf eine präzise Tat, da hier das Motivieren von Dritten zur Beteiligung als Mitglied oder als Unterstützer in einer solchen Organisation bestraft wird. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die §§ 129 Abs. 1 und 129a Abs. 5 StGB von Art. 421-2-4 CP (Anwerbung zur Beteiligung an einer terroristischen Organisation oder an terroris27
Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 B. II. 2. d) bb).
3. Kap.: Rechtsvergleich
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tischen Taten), der in der Kategorie der direkten individuellen Motivationsdelikte steht. Zum einen wird in Art. 421-2-4 CP nicht nur die Anwerbung zur Beteiligung an einer terroristischen Organisation bestraft, sondern auch die Anwerbung zur Begehung einer terroristischen Tat, während sowohl in § 129 Abs. 1 (Werben für eine kriminelle Vereinigung) als auch in § 129a Abs. 5 StGB (Werben für eine terroristische Vereinigung) lediglich das Werben um Mitglieder oder Unterstützer bestraft wird. Zum anderen bezieht sich Art. 421-2-4 CP (Anwerbung zur Beteiligung an einer terroristischen Organisation oder an terroristischen Taten) nur auf Provokationen in Bezug auf eine Gruppe oder einen Zusammenschluss, die darauf abzielen, eine terroristische Tat vorzubereiten, während § 129 Abs. 1 das Werben um Mitglieder oder Unterstützer für eine kriminelle Vereinigung und § 129a Abs. 5 StGB das Werben für eine terroristische Vereinigung erfasst. Demnach sind die §§ 129 Abs. 1 und 129a Abs. 5 StGB in ihren objektiven Tatbeständen in Bezug auf den Gegenstand der Motivation weiter gefasst als ihr französisches Pendant. Im französischen Strafrecht werden im code pénal, unabhängig von dem öffentlichen Provokationsdelikt in Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) zu Vergehen oder Verbrechen, außerdem das direkte und öffentliche Provozieren zum Verrat und zur Spionage (Art. 411-11 CP), zu einer bewaffneten Zusammenrottung (Art. 431-6 CP), zur Rebellion (Art. 43310 CP) oder zu einer terroristischen Straftat (Art. 421-2-5 Var. 1 CP) unter Strafe gestellt. Es handelt sich hierbei um Motivationsdelikte, die im deutschen Recht nicht vorzufinden sind.
c) Adressaten und Begehungsweise der Motivation Sowohl im deutschen als auch im französischen Recht ist die Strafbarkeit der in dieser Kategorie vorhandenen Vorschriften nicht auf solche direkten Motivationshandlungen begrenzt, die sich auf die Motivation von Einzelpersonen oder eines bestimmten Adressatenkreises beschränken, sondern es werden auch solche direkten Motivationshandlungen erfasst, die sich an einen zahlenmäßig und individuell unbestimmten Personenkreis richten. In dieser Hinsicht werden mit Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen), Art. 24 Abs. 1-4 LLP (Direkte, öffentliche und erfolglose Provokation zu Straftaten), 211-2 CP, 433-10 CP (Direkte Provokation zur Rebellion), 431-6 CP (Direkte Provokation zu einer bewaffneten Zusammenrottung) nur solche Motivationshandlungen erfasst, die sich an einen unbestimmten Adressatenkreis richten, während mit Art. 411-11 CP (Direkte Provokation zu den Verbrechen des Verrats oder der Spionage) und Art. 421-2-5 Var. 1 CP (Direkte Provokation zu terroristischen Taten) nicht nur solche Provokationen erfasst werden, die an eine breite Öffentlichkeit gerichtet sind, sondern auch solche, die an einen begrenzten und bestimmten Personenkreis gerichtet sind. In Deutschland wird mit § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu einer Straftat)
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
das Auffordern erfasst, das sich an eine breitere Öffentlichkeit richtet. Aufgrund der Eignung der Störung des öffentlichen Friedens wird auch für das Auffordern in § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB (Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen) davon ausgegangen, dass auch dann, wenn die Aufforderung gegenüber einzelnen Personen ausgesprochen wird, die Voraussetzung erfüllt sein muss, dass die Aufforderung einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wird.28 Die Tathandlungen des Verbreitens und des der Öffentlichkeit Zugänglichmachen des § 130 Abs. 2 Nr. 1b StGB, mit Ausnahme der Tathandlungen die einen Minderjährigen gerichtet sind, setzen ebenfalls voraus, dass die Motivation an eine breite Öffentlichkeit gerichtet ist. Für die §§ 129 Abs. 1 (Werben für eine kriminelle Vereinigung) und 129a Abs. 5 StGB (Werben für eine terroristische Vereinigung) wird dahingegen sowohl das Werben erfasst, das an einen unbestimmten Personenkreis gerichtet ist, als auch das Werben, das an einen bestimmten Adressaten gerichtet ist. Hierin unterscheiden sich die §§ 129 Abs. 1 und 129a Abs. 5 StGB von Art. 421-2-4 CP (Anwerbung zur Beteiligung an einer terroristischen Organisation oder an terroristischen Taten), der zwar ebenfalls das Anwerben zur Beteiligung an terroristischen Organisationen oder Taten unter Strafe stellt, jedoch nur dann greift, wenn die Motivation an eine bestimmte Person gerichtet ist. Sowohl für § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu einer Straftat) und § 130 Abs. 2 Nr. 1b-2 StGB im deutschen Recht als auch für Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen), 24 Abs. 1–4 LLP (Direkte, öffentliche und erfolglose Provokation zu Straftaten), 433-10 CP (Direkte Provokation zur Rebellion), 431-6 CP (Direkte Provokation zu einer bewaffneten Zusammenrottung) im französischen Recht werden Begehungsmodalitäten aufgezählt, über welche die Motivation erfolgen muss. In beiden Ländern sind die Begehungsmodalitäten jedoch sehr weit gefasst. In § 111 StGB kann die Aufforderung durch das Verbreiten von Inhalten oder öffentlich oder in einer Versammlung erfolgen, wobei es keinerlei Begrenzung der Mittel der Öffentlichmachung gibt. In § 130 Abs. 2 Nr. 1b-2 StGB wird das Verbreiten oder das der Öffentlichkeit Zugänglichmachen von Inhalten usw. unter Strafe gestellt. Bei den Tatbeständen des französischen Teils verweisen die Art. 24 Abs. 1-4 LLP (Direkte, öffentliche und erfolglose Provokation zu Straftaten), 433-10 CP (Direkte Provokation zur Rebellion) und 431-6 CP (Direkte Provokation zu einer bewaffneten Zusammenrottung) jeweils auf die in Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) aufgezählten Mittel, durch die die Öffentlichkeit erreicht werden soll. Die Liste in Art. 23 LLP stellt jedoch keine wirkliche tatbestandliche Eingrenzung dar, da die Liste neben einer präzisen Aufzählung der Mittel auf „sonstige mündliche, schriftliche Träger oder Darstellungen“ Bezug nimmt und die Provokation auch über jedes elektronische Kommunikationsmittel erfolgen kann.
28
Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. II. 2. d) cc).
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4. Subjektiver Tatbestand Die subjektiven Anforderungen sind im deutschen Recht höher als im französischen Strafrecht. So wird neben den Anforderungen eines bedingten Vorsatzes hinsichtlich der objektiven Tatbestandsmerkmale für das Werben in § 129 Abs. 1 (Werben für eine kriminelle Vereinigung) und § 129a Abs. 5 StGB (Werben für eine terroristische Vereinigung) und das Auffordern in § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB (Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen) außerdem ein zielgerichtetes Handeln, also ein dolus directus 1. Grades vorausgesetzt. Gemäß § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu einer Straftat) und § 130 Abs. 2 Nr. 1b-2 StGB reicht zumindest ein bedingter Vorsatz aus. Im französischen Strafrecht wird lediglich für die Provokation in Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) verlangt, dass diese mit einem Spezialvorsatz (dol spécial) – also einer Absicht – erfolgt, und dass der Täter gewollt haben muss, dass es durch seine Provokation zur Tatbegehung kommt. Für die anderen Tatbestände des französischen Rechts wird lediglich die schwächste Vorsatzform – der Generalvorsatz (dol général) – verlangt, der aus dem Willen besteht, eine Tat zu begehen, von der der Täter weiß, dass sie gesetzlich verboten ist.
B. Indirekte Motivationsdelikte I. Beeinflussung der Gefühle und Emotionen von Personengruppen 1. Geschichtlicher Überblick Sowohl im deutschen als auch im französischen Recht handelt es sich um Vorschriften, die in beiden Ländern Ende des 20. Jahrhunderts in Reaktion auf rassistische Ausschreitungen sowie auf die Zunahme der Verbreitung von antisemitischen und neonazistischen Äußerungen erlassen wurden. In Deutschland wurden die Tatbestandalternativen des Aufstacheln zu Hass gegen bestimmte Gruppen, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen und des Beschimpfens, böswillig Verächtlichmachen oder Verleumden dieser 1960 unter Strafe gestellt, nachdem es zwischen 1959 und 1960 zu einer antisemitischen und neonazistischen „Schmierwelle“ kam und die Verbreitung von antisemitischen und neonazistischen Äußerungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik im Allgemeinen zunahm.29 Im Jahr 1994 wurde das Verbreiten von Schriften usw., in denen zu Hass aufgestachelt wurde, in § 130 Abs. 2 StGB hinzugefügt. In Frankreich kann eine ähnliche Entwicklung ausgemacht werden. So gab es Anfang der 1970er Jahre vermehrt rassistische Ausschreitungen und eine Zunahme rassistischer Äußerungen, die 29
Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 B. I. 1. b).
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
den Gesetzgeber dazu veranlassten, neue Vorschriften zu erlassen, wobei ausschlaggebend für die Einführung des Art. 24 Abs. 7-8 LLP (Öffentliche, indirekte Provokation zur Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen) jedoch die Unterzeichnung des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung war. Artikel R. 625-7 CP wurde erst 1993 als Erweiterung von Art. 24 Abs. 7–8 LLP (Nicht öffentliche, indirekte Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber bestimmten Personengruppen) eingeführt.
2. Strafbegründung In beiden Ländern wird die Gefahr solcher Motivationen darin gesehen, dass sie auf die Leidenschaften und Emotionen anderer Menschen einwirken und negative Gefühle in Bezug auf bestimmte Personengruppen erzeugen sowie ein straftatenförderndes Klima oder eine entsprechende Stimmung schaffen können, die Tatgeneigte dazu ermutigen könnte, Gewalttaten oder feindliche Handlungen gegenüber diesen Gruppen vorzunehmen. In Bezug auf die zu schützenden Güter und Werte der Vorschriften gibt es jedoch wesentliche Differenzen zwischen dem deutschen und dem französischen Recht. So geht die deutsche h. M. mit Bezug auf § 130 StGB davon aus, dass das zu schützende Rechtsgut der öffentliche Friede, also ein universelles Rechtsgut ist. In Frankreich hingegen wird auf den Schutz von individuellen Werten verwiesen und es wird davon ausgegangen, dass Art. 24 Abs. 7 und 8 LLP (Öffentliche, indirekte Provokation zur Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen) die Würde der einzelnen Personen oder auch die Menschenwürde schützt; mit Bezug auf Art. R. 625-7 (Nicht öffentliche, indirekte Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber bestimmten Personengruppen) wird aufgrund seiner Stellung im code pénal davon ausgegangen, dass durch ihn in erster Linie die Menschenwürde geschützt werden soll.
3. Objektiver Tatbestand a) Angriffsobjekte In beiden Ländern wird verlangt, dass sich die Motivation auf bestimmte Angriffsobjekte bezieht, d. h., dass die Taten, zu deren Begehung motiviert wird, sich gegen bestimmte Adressaten richtet. In Deutschland wird in § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1, Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1a-2 StGB verlangt, dass sich die Tathandlungen gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der
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Bevölkerung richten. Im französischen Recht werden jene Motivationshandlungen erfasst, die zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen Personengruppen oder einzelne Personen aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Nation, Rasse, Religion (Art. 24 Abs. 7 LLP und Art. R. 625-7 Abs. 1 CP) oder aufgrund ihres Geschlechtes, ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität oder aufgrund einer Behinderung (Art. 24 Abs. 8 LLP und Art. R. 625-7 Abs. 2 CP) provozieren. Mit Blick auf die Angriffsobjekte lassen sich jedoch auch einzelne Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen den beiden Ländern feststellen. So werden die Angriffsobjekte im deutschen Recht weiter verstanden als im französischen Recht. Während zwar sowohl in der deutschen Vorschrift als auch in den französischen Vorschriften Äußerungen erfasst werden, die sich gegen einzelne Personen oder bestimmte Personengruppen richten, werden in § 130 StGB außerdem auch solche Äußerungen erfasst, die sich gegen Bevölkerungsteile richten. Durch den Bezug auf den Begriff der Bevölkerungsteile – worunter alle inländischen Personenmehrheiten verstanden werden, die sich durch fortwährende innere oder äußere Merkmale von der übrigen Bevölkerung unterscheiden und somit als eine eigenständige Einheit herausheben – werden auch solche Handlungen erfasst, die sich z. B. gegen politische Gruppen oder Berufsgruppen richten, und die vom französischen Recht nicht erfasst werden.30 Somit ist § 130 Abs. 1–2 StGB weiter gefasst als Art. 24 Abs. 7-8 LLP (Öffentliche, indirekte Provokation zur Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen) und Art. R. 625-7 Abs. 1-2 CP (Nicht öffentliche, indirekte Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber bestimmten Personengruppen). Als eine weitere Gemeinsamkeit ist zu nennen, dass in Bezug auf die Personengruppen in beiden Ländern ähnliche Merkmale verlangt werden. Es handelt sich sowohl in Frankreich als auch in Deutschland um nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppen. Der Zusatz im französischen Recht in Art. 24 Abs. 8 LLP und R. 625-7 Abs. 2 CP (Nicht öffentliche, indirekte Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber bestimmten Personengruppen) in Bezug auf das Geschlecht, die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität oder auf die Behinderung war aufgrund des Fehlens des Begriffs der Bevölkerungsteile – wie es in § 130 StGB der Fall ist – notwendig, da diese sonst ausgeschlossen wären. Im Unterschied zum deutschen Recht wird in Frankreich jedoch auch die Nichtzugehörigkeit zu einer Personengruppe als Kriterium erfasst.
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Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 B. I. 1. d) aa).
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
b) Tathandlungen Die Tathandlung betreffend gelten in beiden Ländern ähnliche Regelungen. So werden solche Handlungen erfasst, die nicht primär darauf ausgerichtet sind, unmittelbar eine Aktion hervorzurufen, sondern sich in erster Linie an Emotionen und Gefühle richten, um diese zu beeinflussen und ein Klima oder eine Stimmung zu schaffen, in der Tatgeneigte zu Angriffen gegen bestimmte Personengruppen motiviert werden können. In dieser Hinsicht wird in Frankreich zwar wieder auf die Tathandlung der Provokation verwiesen – mithin auf eine Tathandlung, die auch in den Tatbeständen verwendet wird, die in der Kategorie der direkten Motivationsdelikte eingegliedert sind. Jedoch wird – im Unterschied zu den direkten Motivationsdelikten – in Art. 24 Abs. 7-8 LLP (Öffentliche, indirekte Provokation zur Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen) und Art. R. 625-7 CP (Nicht öffentliche, indirekte Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber bestimmten Personengruppen) weder verlangt, dass die Provokation über bestimmte Provokationsmittel erfolgt (die sog. adminicules), noch, dass die Provokation direkt erfolgt. Demzufolge ist es nicht notwendig, dass in den Tathandlungen der Wunsch der Realisierung einer bestimmten Tat explizit und ausdrücklich erkennbar gemacht wird. Es gibt demnach keine Anzeichen dafür, dass die Provokation mit einem Handlungsdruck erfolgen muss, wie dies bei den Provokationen in der Kategorie der direkten Motivationsdelikte der Fall ist. Dies hat zur Folge, dass Art. 24 Abs. 7 und 8 LLP oder Art. R. 625-7 CP auch solche Äußerungen erfassen, die implizit zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt motivieren, indem sie z. B. auf die Gefühle anderer einwirken und ein Klima schaffen, das zu strafbaren Angriffen gegen die fraglichen Personengruppen führen kann.31 Mit dieser weiten Erfassung der Provokation zielte der Gesetzgeber darauf ab, so viele Verhaltensweisen wie möglich im Bereich der Diskriminierung zu erfassen und strafbar zu machen.32 Ähnliches kann auch über das deutsche Recht und der Tathandlung des Aufstachelns zu Hass (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB), Beschimpfens, böswillig Verächtlichmachen oder Verleumden (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB) oder dem Verbreiten (§ 130 Abs. 2 Nr. 1a StGB) und den Vorbereitungshandlungen zur Verwendung (§ 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB) von Inhalten, die zu Hass aufstacheln oder beschimpfen, böswillig verächtlichmachen oder verleumden, erkannt werden. In der deutschen Lehre wird die Ansicht vertreten, dass es sich beim Aufstacheln um eine indirekte Form der Aufforderung handelt, die auf psychologischem oder emotionalem Wege andere zur Begehung von Straftaten motiviert. Die Aufstachelung fungiert dabei als verschleierte Insinuation, um die Emotionen gegenüber den angegriffenen Bevölkerungsgruppen zu beeinflussen. Das Aufstacheln sei demnach von dem Be31
Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 B. I. 1. und 2. d) aa). de Lamy, in Beignier / de Lamy / Dreyer (Hrsg.), Traité de droit de la presse et des médias, S. 516. 32
3. Kap.: Rechtsvergleich
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stimmen und dem Auffordern zu unterscheiden, da es sich hierbei um Fälle der direkten Motivationsdelikte handle. Dabei geht der deutsche Gesetzgeber hier jedoch weiter, denn es werden in § 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB auch das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Bewerben, Ein- oder Auszuführung solcher Inhalte, die zu Hass aufstacheln, mit der Absicht einer Verwendung unter Strafe gestellt. Beschimpfen ist eine besonders verletzende Äußerung der Missachtung. Verächtlichmachen bedeute, andere durch Werturteil oder Tatsachenbehauptung als unwert oder unwürdig hinzustellen und ein Verleumden liegt vor, wenn unwahren Tatsachenbehauptungen aufgestellt oder verbreitet werden, die geeignet sind, die betroffene Gruppe in ihrer Geltung und in ihrem Ansehen herabzuwürdigen. Wie auch für die Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB) verfolgt der Gesetzgeber mit dem Einsatz des Tatbestandsmerkmals der Eignung den öffentlichen Frieden zu stören auch hier das Ziel den Tatbestand weiter einzugrenzen.33 Die eingrenzende Wirkung durch das Tatbestandsmerkmal wird jedoch in der Lehre hinterfragt und angezweifelt.34 Eine solche Eignung wird jedoch nicht für § 130 Abs. 2 Nr. 1b Var. 2 (das Zugänglichmachen, Anbieten oder Überlassen von solchen Inhalten an eine Person unter 18 Jahren bestraft) und Nr. 2 StGB (das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Bewerben, Einoder Auszuführung solcher Inhalte, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen, mit der Absicht einer Verwendung) verlangt.
c) Gegenstand der Motivation Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland wird mit den hier untersuchten Vorschriften das indirekte Motivieren zu Hass gegen bestimmte Personengruppen unter Strafe gestellt. Demzufolge werden in beiden Ländern mit der Bestrafung der indirekten Motivation zu Hass nicht das Motivieren zu einer Tat an sich bestraft, sondern das Motivieren zu einem Hassgefühl, das als Nährboden für Taten gegen die Bevölkerungsgruppen fungieren kann. Hass wird in beiden Ländern als ein feindseliges Gefühl definiert. Während im französischen Recht in Art. 24 Abs. 7-8 LLP (Öffentliche, indirekte Provokation zur Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen) und Art. R. 625-7 CP (Nicht öffentliche, indirekte Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber bestimmten Personengruppen) die Provokation zur Diskriminierung oder zu Gewalttaten gegen bestimmte Personengruppen als indirektes Motivationsdelikt bestraft wird, wird das Motivieren zu ähnlichen Handlungen im deutschen Strafrecht als direkte Motivation unter Strafe gestellt. So wird in § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB die Aufforderung 33 34
Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. II. 2. d) cc). Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 91; Fischer, § 130, Rn. 14 ff.
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zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen bestraft.35 Demzufolge werden nur solche Äußerungen erfasst, denen ein appellativer Charakter zugeschrieben werden kann und die deutlich zu erkennen geben, dass der Täter darauf abzielt, eine beliebige Person zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen zu motivieren. Somit werden im deutschen Recht in § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB ausschließlich die direkten allgemeinen, insbesondere öffentlichen Motivationen zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen bestraft, denen ein gewisser Handlungsdruck innewohnt, während im französischen Recht auch die indirekte Motivation zu Gewalt oder Diskriminierung gegen Personengruppen, die auf Gefühle einwirkt, ohne einen Handlungsdruck auszuüben, strafrechtlich geahndet wird. In Bezug auf die Begriffe wird im deutschen Recht zwar von Gewaltmaßnahmen gesprochen, während im französischen Recht der Begriff „Gewalt“ eingesetzt wird, jedoch handelt es sich in beiden Ländern um vorsätzliche Angriffe auf die physische Integrität oder auf das Leben. Der Rechtsprechung zufolge handelt es sich bei einer Provokation zur Diskriminierung i. S. der Art. 24 Abs. 7 LLP und Art. R. 625-7 Abs. 1 CP um jede Äußerung, die dazu führen kann, dass ein feindseliges Gefühl oder ein Gefühl der Ablehnung gegen eine Personengruppe generiert wird. Davon zu unterscheiden sind die Art. 24 Abs. 8 LLP und Art. R. 625-7 Abs. 2 CP, in denen die Diskriminierung enger verstanden wird und nur solche Provokationen erfasst werden, die sich auf Diskriminierungshandlungen i. S. von Art. 225-2 und 432-7 CP beziehen. Im deutschen Recht wird in Bezug auf die Tathandlung des Aufforderns ebenfalls der engere Begriff „Willkürmaßnahmen“ verwendet, womit nur solche Handlungen erfasst werden, die im Widerspruch zu elementaren Geboten der Menschlichkeit stehen. Auch in § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Beschimpfen, böswillige Verächtlichmachen oder Verleumden) wird nicht konkret zu einer Tat motiviert, sondern eher zum Aufbau eines straftatenfördernden Klimas.
d) Adressaten und Begehungsweise der Motivation Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland werden in dieser Kategorie solche Motivationen erfasst, die sich an eine bestimmte Person oder an eine breite Öffentlichkeit richten. § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 und Abs. 1 Nr. 2 StGB erfassen sowohl solche Äußerungen, die an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtet werden, als auch solche, die an eine bestimmte Personengruppe oder gegenüber Einzelnen geäußert werden. Aufgrund der konkreten Eignung zur Friedensstörung wird jedoch verlangt und vorausgesetzt, dass für die Äußerungen, die in einem kleinen Kreis oder gegenüber Einzelnen geäußert wurden, nach den konkreten Umständen damit zu rechnen ist, dass der Angriff einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wird. Im Gegensatz hierzu wird mit § 130 Abs. 2 Nr. 1a StGB auch eine 35
Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. II. 2.
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solche Motivation erfasst, die sich an eine einzelne Person richtet. So wird mit § 130 Abs. 2 Nr. 1a StGB das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen zu einer Person unter 18 Jahren von Inhalten, die zu Hass aufstacheln unter Strafe gestellt. In Art. 24 Abs. 7-8 LLP (Öffentliche, indirekte Provokation zur Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen) wird die Motivation erfasst, die sich an eine breite Öffentlichkeit richtet, während Artikel R. 625-7 CP (Nicht öffentliche, indirekte Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber bestimmten Personengruppen) lediglich die Motivation erfasst, die sich an eine bestimmte Person richtet, ohne dass es einer Möglichkeit der Veröffentlichung bedarf. Die Frage nach den Adressaten der Provokation – an eine einzelne Person oder an einen zahlenmäßig unbestimmten Adressatenkreis – spielt im französischen Recht eine ausschlaggebende Rolle für das Strafmaß. So handelt es sich im französischen Recht bei der Provokation, die an eine bestimmte Person oder an einen bestimmten und individualisierbaren Personenkreis gerichtet ist, um eine Übertretung, für die der Täter mit einer Geldstrafe bestraft wird (Art. R. 625-7 CP). Richtet sich die Provokation hingegen an einen unbestimmten Adressatenkreis, so handelt es sich um ein Vergehen, das mit einer Freiheitsstrafe und mit einer Geldstrafe geahndet wird (Art. 24 Abs. 7–8 LLP). Aufgrund dieser Unterscheidung im Strafmaß wird auch das mit der Tathandlung begangene Unrecht graduiert. Der Unrechtsgehalt erhöht sich, wenn die Provokation an eine breite Öffentlichkeit gerichtet ist.
4. Subjektiver Tatbestand Sowohl gemäß der deutschen als auch der französischen Regelungen wird verlangt, dass ein Vorsatz vorhanden ist. In den deutschen Vorschriften werden jedoch höhere Anforderungen gestellt, da für die Aufstachelung verlangt wird, dass ein zielgerichtetes Handeln vorliegt. Demnach wird ein dolus directus 1. Grades verlangt. Die Aufstachelung zum Hass muss also subjektiv dazu bestimmt sein, eine emotional gesteigerte feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil zu erzeugen oder zu verstärken. Für das Beschimpfen und Verleumden reicht mindestens ein bedingter Vorsatz aus. Für das Verächtlichmachen wird jedoch gefordert, dass es böswillig erfolgt. Für § 130 Abs. 2 Nr. 1 a und Nr. 2 StGB reicht hingegen ein bedingter Vorsatz aus. Im Gegensatz hierzu reicht im französischen Recht sowohl für Art. 24 Abs. 7-8 LLP (Öffentliche, indirekte Provokation zur Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen) als auch für Art. R. 625-7 CP (Nicht öffentliche, indirekte Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber bestimmten Personengruppen) aus, dass die niedrigste Vorsatzform – der Generalvorsatz (dol général) – erfüllt ist. Dieser liegt vor, wenn der Täter gewusst und gewollt hat, dass er durch seine Handlung andere zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegen andere Personengruppen provoziert.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
II. Beeinflussung der Gefühle und Emotionen gegenüber Straftaten 1. Geschichtlicher Überblick a) Zeitlicher Unterschied der Normeneinführung Mit Blick auf die geschichtliche Entwicklung kann bei den indirekten tatbezogenen Motivationsdelikten festgestellt werden, dass die betreffenden französischen Vorschriften weitaus älter sind als die deutschen Vorschriften, die mehrheitlich in den letzten 50 Jahren erlassen wurden. In Bezug auf den zeitlichen Unterschied der Einführung in das strafrechtliche Arsenal der Vorschriften wurden im französischen Recht die Mehrheit der hier untersuchten Verbote oder ihre dementsprechenden Vorgänger bereits vor oder während des 19. Jahrhunderts erlassen. In dieser Hinsicht wurde die in Art. L. 321-18 code de la justice militaire (CJM) normierte strafrechtliche Ahndung der Provokation zur Fahnenflucht erstmals in einer Verordnung von 1676 eingeführt. Mit dem code pénal von 1810 wurde die Bestrafung der Provokation zur Bewaffnung gegen die Staatsgewalt eingeführt (heute Art. 412-8 CP). Im Jahr 1815 folgte die strafrechtliche Ahndung von aufrührerischen Ausrufen oder Gesängen – eine Vorschrift, die seitdem immer wieder von neuen Gesetzen aufgenommen wurde und heute in Art. 24 Abs. 6 LLP (aufrührerische Ausrufe oder Gesänge) normiert ist. Bei der Erlassung des Gesetzes über die Freiheit der Presse von 1881 wurde in Art. 25 LLP außerdem die Provokation zum Ungehorsam von Soldaten oder von zu einer Form des Militärdiensts Verpflichteten unter Strafe gestellt, wobei diese Provokation heutzutage in Art. 413-3 CP (Indirekte Provokation von Soldaten oder von zu einer Form des Militärdiensts Verpflichteten zum Ungehorsam) normiert ist. Ebenfalls aus dem 19. Jahrhundert stammt das Verbot der Verherrlichung von bestimmten Straftaten. Die Provokation oder das positive Darstellen des Konsums von oder des Handels mit Betäubungsmitteln in Art. L. 3421-4 code de la santé publique (CSP) (Indirekte Provokation und positive Darstellung von Betäubungsmittelkonsum und Handel) wurde demgegenüber erst 1970 unter Strafe gestellt. Zuletzt wurde der Leugnungstatbestand von bestimmten Verbrechen erst 1990 in Art. 24 bis LLP (Revisionismus) aufgenommen. Die Vorschriften des deutschen Rechts sind im Vergleich hierzu alle wesentlich jünger. Die Mehrheit der entsprechenden Bestimmungen wurde erst Ende des 20. Jahrhunderts erlassen, manche sogar erst im 21. Jahrhundert. Während die strafrechtliche Ahndung der Billigung von Straftaten für den Gesetzgeber des RStGB von 1871 noch als zu stark in die Meinungsäußerungsfreiheit eingreifend galt, wurde ein solcher Tatbestand in der Weimarer Republik mit den Republikschutzgesetzen von 1922 und 1930 eingeführt. Eingang in das Strafgesetzbuch fand die Vorschrift jedoch erst 1953. Im Jahr 1970 wurde der aufwieglerische Landfriedensbruch in § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB (Aufwieglerischer Landfriedensbruch) unter Strafe gestellt. Im Jahr 1986 folgte in § 80a StGB das Aufstacheln zum
3. Kap.: Rechtsvergleich
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Verbrechen der Aggression. Der Deckert-Fall führte im Jahr 1994 – also fast zur gleichen Zeit, als auch Art. 24 bis LLP (Revisionismus) im französischen Recht eingeführt wurde – dazu, dass das Auschwitz-Leugnen in § 130 Abs. 3 StGB (Billigen, Leugnen und Verharmlosen der in der NS-Zeit begangene Handlungen i. S. des § 6 VStGB) unter Strafe gestellt wurde. Schließlich wurde aufgrund von mehreren neonazistischen Veranstaltungen an Mahnmälern im Jahr 2005 das Billigen, Verherrlichen und Rechtfertigen der NS-Gewalt- und -Willkürherrschaft in § 130 Abs. 4 StGB (Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der NS-Gewalt- und -Willkürherrschaft) unter Strafe gestellt.
b) Tatbezogene Motivationsdelikte als Momentaufnahmen Eine Vielzahl tatbezogener Motivationsdelikte, sei es im deutschem oder im französischem Recht, wurde infolge von politischen Krisen, Anschlägen oder in Ausnahmezeiten erlassen, wobei der Gesetzgeber meist unter Druck der Öffentlichkeit neue tatbezogene Motivationsdelikte einführte, um gegen bestimmte Äußerungen vorzugehen. Im französischen Recht ist dies mitunter bei der Bestrafung der aufrührerischen Ausrufe und Gesänge zu erkennen, bei der der Gesetzgeber 1815 – zu einer Zeit also, zu der das politische Regime in Frankreich zwischen Monarchie, Kaiserreich und Republik schwankte – das Ziel verfolgte, solche Äußerungen zu sanktionieren, die sich gegen die Restauration und die Monarchie richteten.36 Aus ähnlichen Beweggründen wurde 1830 – wenige Tage nach einem Anschlag gegen den König und mit dem Ziel, gegen solche Äußerungen vorzugehen, die sich gegen den König richteten – die Verherrlichung von Straftaten unter Strafe gestellt. Mit dem Erlass des Gesetzes über die Freiheit der Presse von 1881 wurde die Bestrafung solcher Handlungen zwar als Gesinnungsdelikt verworfen und entkriminalisiert. Dies änderte sich jedoch bereits 1893 nach einer Reihe von anarchistischen Anschlägen, auf die der Gesetzgeber wenige Tage nach den Anschlägen mit der Wiederaufnahme eines solchen Verbotes reagierte, um gezielt gegen anarchistische Äußerungen vorzugehen.37 Schließlich wurde 1990 nach einer Häufung revisionistischer und den Holocaust leugnender Schreiben sowie nach einem diesbezüglichen Aufschrei der Öffentlichkeit Art. 24 bis LLP (Revisionismus) erlassen. Bezüglich des deutschen Rechts, u. a. mit Blick auf die Bestrafung der Billigung, kann Ähnliches festgestellt werden. Die Institutionen und das demokratische Rechtssystem der noch jungen Weimarer Republik wurden durch rechtsextreme Gruppen und Organisationen oft in einer brutalen Sprache angegriffen, was wiederholt zu gewalttätigen Unruhen und politisch motivierten Morden führte. In dieser Zeit wurde das Strafgesetzbuch als lückenhaft bemängelt und es wurde der 36 37
Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 C. II. 3. b). Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 C. II. 1. b).
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Vorwurf erhoben, dass es nicht möglich sei, präventiv gegen das Aufrufen und das Vorbereiten von Mordanschlägen vorzugehen. Noch am Tag der Ermordung des jüdischen Reichsaußenministers Rathenau, also am 21. Juli 1922, wurden die Republikschutzverordnung und etwas später das Republikschutzgesetz erlassen. In diesen Ausnahmegesetzen wurden die öffentliche Verherrlichung, Billigung, Belohnung, Aufforderung und Aufwiegelung von Gewalttaten gegenüber Regierungsmitgliedern strafrechtlich geahndet.38 Eingang in das Strafgesetzbuch fand das Billigen jedoch erst 1953. Die Aufnahme des Auschwitz-Leugnens in § 130 StGB erfolgte nach der Polemik, die rund um den Deckert-Fall entstand. Nachdem der BGH die Verurteilung von Günter Deckert wegen Volksverhetzung aufgrund unzureichender Tatsachenfeststellungen aufgehoben hatte, sah sich der Gesetzgeber angesichts der Entrüstung der noch durch die rassistisch motivierten gewalttätigen Vorfälle und Brandanschläge in Sachsen bewegte Öffentlichkeit dazu gedrängt, schnell zu handeln und das Auschwitz-Leugnen strafrechtlich zu ahnden.39 Ähnliches ist auch in Bezug auf die Aufnahme von § 130 Abs. 4 StGB (Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der NS-Gewalt- und -Willkürherrschaft) zu erkennen, der infolge von neonazistischen Veranstaltungen und Versammlungen am Holocaust-Mahnmal eingeführt wurde, deren Bilder sowohl im Inland als auch im Ausland eine Welle der Empörung hervorriefen.
2. Strafbegründung Sowohl im deutschen als auch im französischen Recht wird im Rahmen der Vorschriften der indirekten tatbezogenen Motivationsdelikte angeführt, dass mit den Vorschriften verhindert werden soll, dass durch die dort bestraften Tathandlungen bereits begangene oder in der Zukunft liegende Straftaten in ein positives Licht gerückt werden, sie als nachahmenswert dargestellt werden, ihnen das Unrecht genommen wird und sie entstigmatisiert werden, sodass neue Taten ähnlicher Art gedeihen und allgemein ein straftatenförderndes Klima geschaffen wird, das auf Tatgeneigte, wenn auch nur implizit, motivierend wirken könne. Das Recht beider Länder ähnelt sich auch in Bezug auf die zu schützenden Werte oder Güter. So werden mit den verschiedenen Vorschriften der indirekten tatbezogenen Motivationsdelikte mehrheitlich Universalinteressen geschützt. Während im deutschen Recht vermehrt auf den öffentlichen Frieden als geschütztes Rechtsgut verwiesen wird, kommt diese Rolle in Frankreich der Nation, der Sicherheit und Verteidigung dieser, dem öffentlichen Frieden, der öffentlichen Ordnung oder dem Staat als solchem zu.
38 39
Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 B. II. 1. b). Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 B. II. 4. b).
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3. Objektiver Tatbestand a) Tathandlung In Bezug auf die Tathandlungen können ebenfalls Parallelen zwischen beiden Ländern und den jeweils einschlägigen Tathandlungen gezogen werden. In beiden Ländern werden, wie bereits in der Einleitung vermutet, sowohl solche indirekten Motivationen erfasst, die sich auf bereits begangene Straftaten beziehen, als auch solche, die sich allgemein auf Straftaten und somit auch auf solche Straftaten beziehen, die noch nicht begangen wurden. In Bezug auf die Tathandlungen, die sich auf in der Vergangenheit liegende Straftaten beziehen, werden sowohl im deutschen als auch im französischen Recht solche Motivationen erfasst, die diese Straftaten in ein positives Licht rücken (die sog. positiv vergangenheitstatbezogenen Motivationsdelikte), sowie solche Motivationen, die nicht nur die Schwere der Tat verharmlosen, sondern auch die Existenz und die wahre geschichtliche Tatsache der Straftat leugnen (die sog. negativ vergangenheitstatbezogenen Motivationsdelikte). Die tatbezogenen indirekten Motivationsdelikte haben – im französischen wie im deutschen Recht – aber alle gemeinsam, dass sie sich auf Straftaten beziehen und, auf der Basis dieser Bezugnahme, auf die Gefühle und Leidenschaften anderer Personen gegenüber diesen Straftaten einwirken, ohne dass jedoch ein wirklicher Handlungsdruck zu einer bestimmten und konkreten Tatbegehung aufgebaut und gefordert wird.
aa) Positiv vergangenheitstatbezogene Motivationsdelikte Im Rahmen der positiv tatbezogenen Motivationsdelikte können Parallelen gezogen werden zwischen den Tathandlungen der Verherrlichung, die in Art. 24 Abs. 5 LLP sowie in Art. 421-2-5 Var. 2 CP erfasst werden, dem positiven Darstellen (siehe Art. L. 3421-4 CSP), dem Billigen (präsent in § 130 Abs. 3 StGB und § 130 Abs. 4 StGB) sowie der Verherrlichung und der Rechtfertigung (§ 130 Abs. 4 StGB). Die im deutschen Recht verwendeten Begriffe Billigen, Rechtfertigen und Verherrlichen, die sich nur schwer voneinander unterscheiden lassen, decken sich zum Teil mit der französischen „Verherrlichung“ („apologie“) und der positiven Darstellung, die ebenfalls als Form der Verherrlichung zu verstehen ist, da sie ähnliche Handlungen umfasst. Während Art. 24 Abs. 5 LLP und Art. 421-2-5 Var. 2 CP auch solche Tathandlungen erfassen, die sich neben dem positiven Darstellen von Straftaten auch auf das positive Darstellen der Täter von Straftaten beziehen, wenn deutlich wird, dass diese wegen der begangenen Straftat verherrlicht werden, so ist dies im Falle der deutschen Vorschriften nuancierter. Ähnliches ist auch für § 130 Abs. 4 StGB (Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der NS Gewalt- und Willkürherrschaft) zu erkennen, da auch gutheißende Äußerungen über einzelne –
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
auch führende – Nationalsozialisten durch den Tatbestand erfasst werden können, wenn die Äußerungen mit einer Billigung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems oder der unter diesem begangenen Menschenrechtsverletzungen verbunden werden können.40 Da die französische Rechtsprechung die Verherrlichung weit auslegt und darunter auch implizite Verherrlichungen erfasst, die auch dubiose oder fragwürdige Vergleiche oder Zusammenhänge umfassen, ohne dass es offensichtlich ist oder deutlich wird, dass sie einen Täter oder eine Straftat verherrlichen, scheint die Verherrlichung weiter verstanden zu werden als das Billigen, Rechtfertigen oder Verherrlichen im deutschen Recht. Die positiv vergangenheitstatbezogenen Motivationsdelikte beziehen sich sowohl im deutschen als auch im französischen Recht auf Straftaten, die bereits begangen wurden. Das Billigen in § 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB konnte bis zur Gesetzesänderung von 202141 auch als positives vergangenheitsbezogenes Motivationsdelikt klassifiziert werden, wurden hier doch nur solche Billigungen erfasst, die sich auf bereits begangene Taten bezogen. Seit der Änderungen und somit Erweiterung werden durch § 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch solche Billigungen erfasst, die sich auf noch zu begehende Katalogtaten beziehen. Mit Blick auf die Vielzahl der Bezugstaten scheint die Strafbarkeit der positiv tatbezogenen Motivationsdelikte im französischen Recht weiter zu sein als im deutschen Recht. In der Tat wird in § 130 Abs. 3 StGB lediglich das Billigen von in der NS-Zeit begangenen Handlungen i. S. des § 6 VStGB erfasst und in § 130 Abs. 4 StGB das Billigen, Verherrlichen oder Rechtfertigen der NS-Gewalt- und -Willkürherrschaft geahndet. Im französischen Recht erfasst Art. 24 Abs. 5 LLP hingegen die Verherrlichung einer umfassenderen Liste von Katalogstraftaten. So wird sowohl die Verherrlichung der Verbrechen der Katalogstraftaten, die in Art. 24 Abs. 2–3 LLP normiert sind, geahndet,42 als auch die Verherrlichung von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Versklavung und der Ausbeutung von versklavten Personen, sowie auch die Vergehen und Verbrechen der Kollaboration mit dem Feind, auch wenn die Täter dieser Verbrechen nicht rechtskräftig verurteilt wurden. Außerdem erfasst Art. 421-2-5 Var. 2 CP die Verherrlichung von terroristischen Straftaten. Mit dem § 130 Abs. 5 StGB scheint der deutsche Gesetzgeber jedoch weiterzugehen als der französische. In der Tat weist Abs. 5 darauf hin, dass Abs. 2 auch 40
Siehe Länderbericht oben Teil 2 Kapitel 1 B. II. 5. d). BGBl. I, S. 441. 42 Verherrlichung der vorsätzlichen Angriffe auf das Leben oder die psychische Integrität sowie auch auf sexuelle Übergriffe, die in Buch II des code pénal definiert sind; von Diebstählen, Erpressungen, mutwilligen Zerstörungen, Beschädigungen und Beeinträchtigungen von Eigentum und der daraus resultierenden Gefährdung für die Personen, die in Buch III des code pénal normiert sind; der Vergehen und Verbrechen, die die nationalen Grundinteressen beeinträchtigen und die in Buch IV, Titel I des code pénal stehen. 41
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für einen in den Abs. 3 oder 4 bezeichneten Inhalt gilt. Demzufolge wird auch das Verbreiten solcher Inhalte, das Zugänglichmachen, oder das Anbieten, Überlassen, Zugänglichmachen zu einer Person unter achtzehn Jahren bestraft. Mit § 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB wird ebenfalls das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Bewerben, Ein- oder Auszuführung solcher Inhalte mit der Absicht einer Verwendung unter Strafe gestellt. Solche Handlungen werden im französischen Recht nicht erfasst.
bb) Verneinende vergangenheitstatbezogene Motivationsdelikte Wie bei den positiv vergangenheitstatbezogenen Motivationsdelikten gilt auch für die verneinenden vergangenheitstatbezogenen Motivationsdelikte, dass sich die Tathandlungen im Vergleich zwischen den deutschen und französischen Normen ebenfalls zum größten Teil decken. So wird im deutschen Recht das Verharmlosen als Herunterspielen oder Beschönigen und das Leugnen als Bestreiten, in Abrede stellen oder Verneinen der geschichtlich offenkundigen Tatsachen definiert. Im französischen Recht wird die contestation als die verschiedenen Arten und Weisen verstanden, in denen die Existenz von Verbrechen in Frage gestellt werden können. Demnach fungiert dieser Begriff als Sammelbegriff, der auch die Tathandlungen des Art. 24 Abs. 2 bis LLP, also die négation (Negation), die minorisation (Bagatellisierung) sowie die banalisation (Verharmlosung) beinhaltet. Somit umfasst bereits der Begriff contestation das Leugnen oder Verharmlosen und deckt sich somit mit den Tathandlungen des § 130 Abs. 3 StGB (Billigen, Leugnen und Verharmlosen der in der NS-Zeit begangenen Handlungen i. S. des § 6 VStGB).43 Im deutschen Recht beziehen sich verneinende vergangenheitstatbezogene Motiva-tionsdelikte auf Verbrechen, die während der NS-Zeit bzw. während des Zweiten Weltkriegs begangen wurden,44 wohingegen im französischen Recht die Bezugstaten in diesem Rahmen weiter gefächert und nicht auf diese Zeit begrenzt sind. So wird z. B. in § 130 Abs. 3 StGB lediglich das Billigen, Leugnen und Verharmlosen der in der NS-Zeit begangenen Handlungen i. S. des § 6 VStGB (Völkermord) unter Strafe gestellt. Im französischen Recht bezieht sich die contestation in Art. 24 bis Abs. 1 LLP zwar ausschließlich auf die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die im Zweiten Weltkrieg begangen wurden, doch in Art. 24 bis Abs. 2 LLP werden alle Tathandlungen bestraft, die sich auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder auf Kriegsverbrechen beziehen, die nicht während des Zweiten Weltkriegs begangen wurden, sowie auf Verbrechen der Versklavung, Ausbeutung von versklavten Personen, oder auf Kriegsverbrechen, die in den Art. 211-1 bis 212-3, 224-1a bis 224-1c und 461-1 bis 461-31 CP definiert sind. Um jedoch zu 43 44
Siehe Länderbericht oben Teil 2 Kapitel 2 C. II. 8. d) aa). Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 B. II. 4. d) dd).
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
verhindern, dass die Strafbarkeit zu weit ausgedehnt wird, sieht Art. 24 bis Abs. 2 LLP vor, dass die Vorschrift nur dann greift, wenn es für die Verbrechen zu einer Verurteilung, entweder durch ein französisches oder durch ein internationales Gericht, gekommen ist. Im Gegensatz zu der deutschen Vorschrift ist das verneinende vergangenheitsbezogene Motivationsdelikt im französischen Recht nicht im code pénal normiert, sondern in dem Gesetz über die Freiheit der Presse. Es gibt demzufolge eine besondere Strafverfolgungsregel für den Art. 24 bis LLP (Revisionismus).
cc) Eingrenzende Tatbestandsmerkmale der deutschen Normen Es finden sich jedoch auch Unterschiede zwischen dem deutschen und dem französischen Recht, z. B. in Bezug auf die durch den Gesetzgeber angedeutete Begrenzung der Tathandlung der positiven und negativen tatbezogenen Motivationsdelikte durch eingrenzende Tatbestandsmerkmale. So wird im deutschen Recht für manche der Vorschriften dieser Kategorien ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal verlangt, das als eingrenzendes Korrektiv und als Gegengewicht zur begrifflichen Weite bestimmter Tathandlungen agieren soll, sodass nicht jede beliebige Äußerung, sondern nur besonders schwere Angriffe bestraft werden. Solch ein Korrektiv kann in § 130 Abs. 3 StGB (Billigen, Leugnen und Verharmlosen der in der NS-Zeit begangenen Handlungen i. S. des § 6 VStGB) und § 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB gefunden werden, bei denen – wie schon im Fall von § 130 Abs. 1 StGB – verlangt wird, dass die Tathandlungen in einer Weise erfolgen, die dazu geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören. Die eingrenzende Funktion der Tatbestandsmerkmale muss jedoch hinterfragt werden. Zum einen hat das BVerfG mit Bezug auf § 130 Abs. 3 StGB (Billigen, Leugnen und Verharmlosen der in der NS-Zeit begangenen Handlungen i. S. des § 6 VStGB) festgestellt, dass die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens nur bei der Verharmlosung eigens festgestellt werden muss, während die Eignung bei den anderen Varianten (Leugnung und Billigung) bereits indiziert sei.45 Zum anderen wird in der Lehre die Eingrenzungsmöglichkeit des Tatbestandsmerkmals der Eignung im Allgemeinen immer stärker bestritten und in Frage gestellt, da die Gerichte die Eignung nur selten wirklich untersuchen und sie in vielen Fällen bei der Feststellung der Öffentlichkeit der Äußerung einfach automatisch bejahen.46 Weitere eingrenzende Korrektive können in § 130 Abs. 4 StGB (Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der NS-Gewalt- und -Willkürherrschaft) identifiziert werden, da dort verlangt wird, dass die Tathandlungen in einer die Würde der 45
Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 B. II. 4. d) ff). Fischer, Öffentlicher Friede und Gedankenäusserung, S. 431 ff.; ders., NStZ 1988, 159 (164); Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 91; Fischer, § 130, Rn. 14 ff.; Siehe hierzu auch im Länderbericht oben Teil 2 Kapitel 1 II. 2. d) cc). 46
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Opfer verletzenden Weise begangen werden müssen. § 130 Abs. 4 StGB (Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der NS-Gewalt- und -Willkürherrschaft) verlangt – im Gegensatz zu Abs. 1 und 3 des Tatbestandes – zudem, dass es zu einer tatsächlichen Störung des öffentlichen Friedens gekommen ist, d. h., dass der öffentliche Friede konkret gestört und nicht nur abstrakt gefährdet wurde. Dabei wurden in der Lehre aufgrund der Umgehung der Erbringung eines empirischen Beweises der tatsächlichen Störung durch die Gerichte, wegen der atypischen Fälle und aufgrund der vom BVerfG eingeführten Vermutungsregeln jedoch zunehmend Zweifel an der strafbarkeitsbegrenzenden Funktion dieses Tatbestandsmerkmals geäußert.47 Da die Eingrenzungsfunktion durch die Tatbestandsmerkmale zu hinterfragen ist, lässt sich nicht mit Sicherheit behaupten, dass an die Tathandlungen der tatbezogenen Motivationsdelikte des deutschen Rechts höhere Anforderungen gestellt werden als im französischen Recht.
dd) Allgemeine tatbezogene Motivationsdelikte Für die tatbezogenen Motivationsdelikte, die sich unabhängig von in der Vergangenheit begangenen Taten allgemein auf Straftaten beziehen, können zwischen den Tathandlungen der jeweiligen Länder ebenfalls Ähnlichkeiten ausfindig gemacht werden. Sowohl im deutschen als auch im französischen Recht betrifft dies Handlungen, bei denen zwar der Motivationscharakter im Namen mitschwingt – einem Motivationscharakter, der somit deutlicher und erkennbarer ist als bei den tatbezogenen Motivationsdelikten, die sich auf bereits begangene Straftaten beziehen –, die jedoch keinen wirklichen Handlungsdruck ausüben und sich somit von den direkten Motivationsdelikten unterscheiden. Dies ist bei den französischen Vorschriften der Fall, in denen erneut der Begriff „Provokation“ für die Tathandlung eingesetzt wird. Eine Ausnahme hierbei stellt Art. 24 Abs. 6 LLP dar, welcher aufrührerische Ausrufe und Gesänge erfasst. Im Unterschied zur Provokation als Tathandlung bei den direkten Motivationsdelikten wird hier jedoch in keinem der tatbezogenen Motivationsdelikte eine Liste von Provokationsmitteln aufgestellt, über welche die Provokation erfolgen muss. Zudem wird auch nicht verlangt, dass die Provokation direkt erfolgt, woraus zu schließen ist, dass jede Art von Beeinflussung erfasst wird, auch die implizite und versteckte, und dass es keines besonderen Handlungsdrucks bedarf. Demzufolge ist die Motivationshandlung, auch wenn der gleiche Begriff für die Tathandlung verwendet wird, in den tatbezogenen Motivationsdelikten weiter zu verstehen als in den Vorschriften der direkten Motivationsdelikte. Auch mit Art. 24 Abs. 6 LLP werden aufrührerische Ausrufe oder Gesänge erfasst, die als einfache Einwirkung auf Gefühle
47
Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 152 ff.; Siehe hierzu in der vorliegenden Arbeit oben Teil 2 Kapitel 2 C. II. 5. d) ff).
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
und als Aufreizung der Gemüter in Richtung einer Aufstandsbewegung definiert werden und für die es keines expliziten Appels zu einer bestimmten Tat bedarf.48 Mit Blick auf die Vorschriften im deutschen Recht kann Vergleichbares festgestellt werden, da in § 80a StGB (Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression) das Aufstacheln unter Strafe gestellt wird, das wie in § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB zu verstehen ist, also als Einwirkung auf die Sinne und Leidenschaften von Personen, die objektiv dazu geeignet sowie subjektiv dazu bestimmt ist, eine emotional gesteigerte und über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung hervorzurufen. Dabei wird im Unterschied zur Aufforderung nicht verlangt, dass der Aufstachelnde beabsichtigt, eine bestimmte unmittelbare Aktion hervorzurufen. Gleiches gilt auch für das Einwirken in § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB (Aufwieglerischer Landfriedensbruch), unter dem jede Form der Einflussnahme auf den Willen der Menge verstanden wird. Erfasst werden in diesem Zusammenhang auch solche Handlungen, die sich in einem einfachen Anheizen oder in dem Schaffen einer Reizsituation erschöpfen. Ein Sonderfall stellt hier § 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Billigen von Katalogstraftaten) dar. Erfasst wird seit der Gesetzesänderung von 2021 auch das Billigen, dass sich allgemein auf Katalogtaten bezieht – unabhängig davon, ob diese schon begangen wurden oder nicht.49 § 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB kann somit nicht mehr als ein positives vergangenheitsbezogenes Motivationsdelikt klassifiziert werden. Dabei wird jedoch auch deutlich, dass es sich bei der im Tatbestand erfassten Tathandlung nicht um eine Handlung handelt, bei der der Motivationscharakter im Wortlaut mitschwingt, wie es der Fall für die anderen hier aufgeführten Tatbestände ist. Wie bei den anderen Tatbeständen kann jedoch auch mit dem Billigen kein Handlungsdruck etabliert werden und auch innerhalb der Lehre wird in dem Billigen von § 140 StGB eine offensichtliche Abschwächung des Motivationscharakters gegenüber § 111 StGB (Aufforderung zu Straftaten) anerkannt.50
b) Gegenstand der Motivation Erfasst werden mit den indirekten tatbezogenen Motivationsdelikten in beiden Ländern das Einwirken auf Gefühle und Emotionen, mit dem Ziel, ein aufgeheiztes und straftatenförderndes Klima zu schaffen, durch das die Tatbereitschaft zu weitreichend konkretisierten Taten gefördert wird, ohne dass jedoch in den Tathandlungen präzise Anforderungen an die Bestimmtheit oder Konkretisierung der zu begehenden Tat gestellt werden.
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Siehe oben Teil 2 Kapitel 2 C. II. 3. d) aa). Siehe die Ausfühungen zur Billigung von Straftaten oben in der Arbeit, Teil 2 Kapitel 1 B. II. 1. 50 Vgl. Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 140, Rn. 6. 49
3. Kap.: Rechtsvergleich
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So wird sowohl in Frankreich als auch in Deutschland bei den vergangenheitstatbezogenen Motivationen die Gefahr darin gesehen, dass sie zur Begehung von gleichen oder ähnlichen Delikten motivieren wie die Taten, gegenüber denen sie auf die Gefühle anderer eingewirkt haben. Somit handelt es sich bei den Straftaten, zu deren Begehung motiviert wird, um die gleichen oder um ähnliche Taten wie die begangenen Straftaten, auf die sich die Emotionseinwirkung bezieht. Im Hinblick auf die allgemein tatbezogenen Motivationsdelikte, die sich nicht auf bereits begangene Straftaten beziehen, können zwischen den beiden Ländern nur wenige Gemeinsamkeiten festgestellt werden. So wird zwar in beiden Ländern die Emotionseinwirkung zugunsten eines bewaffneten Konflikts unter Strafe gestellt, jedoch bezieht sich dies auf Konflikte, die auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden. Während in § 80a StGB (Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression) die indirekte Motivation zum Verbrechen der Aggression, also einem international bewaffneten Konflikt, unter Strafe gestellt wird, wird in Art. 412-8 CP die indirekte Motivation zu einem Bürgerkrieg, also zu einem nationalen bewaffneten Konflikt, unter Strafe gestellt. Im deutschen Recht werden die Motivationshandlungen zum Ungehorsam (§ 19 WStG) und zur Fahnenflucht (§ 16 WStG), die an einen Soldaten gerichtet werden, als Teilnahmehandlungen über § 26 StGB (Anstiftung) bestraft, was zur Folg hat, dass es einer direkten Motivation bedarf. Im französischen Recht hingegen ist die Bestrafung der Motivation von Soldaten zu solchen Verhaltensweisen breiter ausgestaltet, da mit Art. L. 321-18 CJM und Art. 413-3 CP ebenfalls die indirekte Motivation zum Ungehorsam oder zur Fahnenflucht erfasst und geahndet wird. Art. 24 Abs. 6 LLP, in dem aufrührerische Gesänge und Ausrufe unter Strafe gestellt werden, ähnelt in Bezug auf das Verhalten, zu dem motiviert wird, § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB (Aufwieglerischer Landfriedensbruch). In Art. 24 Abs. 6 LLP (Aufrührerische Ausrufe oder Gesänge) wird jedoch gefordert, dass die Gewalttätigkeiten, zu denen motiviert wird, dazu geeignet sein müssen, staatliche Einrichtungen zu gefährden oder die Unversehrtheit des Staatsgebiets zu beeinträchtigen, wohingegen § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB solche indirekten Motivationshandlungen erfasst, die sich allgemein auf einen gewalttätigen oder bedrohenden Landfriedensbruch beziehen, ohne dass es einer besonderen Eignung bedarf. Ein Äquivalent zu Art. L. 3421-4 CSP (Indirekte Provokation und positive Darstellung von Betäubungsmittelkonsum und Handel), in dem die indirekte Motivation zum Konsum von oder Handel mit Betäubungsmitteln unter Strafe gestellt wird, gibt es im deutschen Recht nicht.
c) Adressaten und Begehungsweise der Motivation In keinem der Tatbestände, weder im deutschen noch im französischen Recht, wird gefordert, dass der Adressat der Motivation konkret bestimmt ist. Dahingegen wird in den meisten Vorschriften des französischen sowie des deutschen
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
Rechts verlangt, dass sie an einen breiten unbestimmten Personenkreis gerichtet sind, wobei in den meisten Tatbeständen ebenfalls die Begehungsweisen der Motivation bestimmt werden. Während für Art. 24 Abs. 5 und 6 LLP, Art. 421-2-5 CP und Art. 24 bis LLP (Revisionismus) verlangt wird, dass die Motivation öffentlich erfolgt, d. h. an einen breiten und unbestimmten Adressatenkreis gerichtet ist, können die Motivationen in Art. L. 3421-4 CSP (Indirekte Provokation und positive Darstellung von Betäubungsmittelkonsum und Handel), Art. L. 321-18 CJM (Indirekte Provokation von Soldaten oder von zu einer Form des Militärdiensts Verpflichteten zur Fahnenflucht), Art. 413-3 CP (Indirekte Provokation von Soldaten oder von zu einer Form des Militärdiensts Verpflichteten zum Ungehorsam) und Art. 412-8 CP (Indirekte Provokation zur Bewaffnung gegen die Staatsgewalt oder gegen einen Teil der Bevölkerung) sowohl an eine bestimmte Person als auch an einen unbestimmten Personenkreis adressiert sein. Für Art. 24 Abs. 5 LLP, Art. 421-5-2 CP und Art. 24 bis LLP (Revisionismus) wird gefordert, dass die Öffentlichmachung der Äußerung über eines der in Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) genannten Mittel erfolgt. In Art. 24 Abs. 6 LLP (Aufrührerische Ausrufe oder Gesänge) wird nur die Motivation erfasst, die über Ausrufe oder Lieder an eine unbestimmte Personengruppe gelangt, und in Art. L. 3421-4 CSP (Indirekte Provokation und positive Darstellung von Betäubungsmittelkonsum und Handel), Art. L. 321-18 CJM (Indirekte Provokation von Soldaten oder von zu einer Form des Militärdiensts Verpflichteten zur Fahnenflucht), Art. 413-3 CP (Indirekte Provokation von Soldaten oder von zu einer Form des Militärdiensts Verpflichteten zum Ungehorsam) und Art. 412-8 CP (Indirekte Provokation zur Bewaffnung gegen die Staatsgewalt oder gegen einen Teil der Bevölkerung) kann die Motivation durch jedes Mittel veröffentlicht oder an den Adressaten gebracht werden. Ähnlich ist es im deutschen Recht. In § 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB, § 80a StGB (Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression) werden die Tathandlungen erfasst, die öffentlich, durch das Verbreiten von Inhalten oder in einer Versammlung geäußert wurden. Dabei wird die Versammlung in beiden Tatbeständen als eine große und z. T. unbestimmte Personengruppe definiert. Für § 130 Abs. 3–4 StGB wird verlangt, dass die Äußerung entweder öffentlich oder in einer Versammlung erfolgt, wobei die Versammlung auch begrenzt sein kann. In diesem Fall muss jedoch die Möglichkeit bestehen, dass die Äußerung öffentlich gemacht werden kann. Im Unterschied zu den deutschen Tatbeständen werden hier jedoch auch Verbreitungshandlungen und Vorbereitungshandlungen zu Verbreitung unter Strafe gestellt (siehe Abs. 5 der auf Abs. verweist). In § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB (Aufwieglerischer Landfriedensbruch) wird das Einwirken auf eine Menschenmenge bestraft – wobei der Begriff „Menschenmenge“ als eine räumlich vereinigte Personenvielfalt verstanden wird, die der Zahl nach nicht sofort überschaubar ist. Das Einwirken kann über jedes Mittel erfolgen.
3. Kap.: Rechtsvergleich
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4. Subjektiver Tatbestand Im deutschen wie im französischen Recht wird ein Vorsatz verlangt, wobei die Anforderungen im deutschen Recht jedoch zum Teil höher sind. So wird in den französischen Vorschriften lediglich verlangt, dass ein Generalvorsatz gegeben ist, der in dem Willen besteht, eine Tat zu begehen, von der der Täter weiß, dass sie gesetzlich verboten ist. In den Vorschriften des Gesetzes von 1881 wird außerdem verlangt, dass sich der Vorsatz auf die Öffentlichmachung bezieht. Im deutschen Recht genügt für §§ 140 Abs. 1 Nr. 2, 130 Abs. 3 (Billigen, Leugnen und Verharmlosen der in der NS-Zeit begangenen Handlungen i. S. des § 6 VStGB) und Abs. 4 StGB zumindest ein bedingter Vorsatz. Dahingegen werden für die Tathandlungen des Einwirkens in § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB (Aufwieglerischer Landfriedensbruch) und des Aufstachelns in § 80a StGB (Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression) ein dolus directus 1. Grades verlangt.
III. Beeinflussung der Gefühle und Emotionen gegenüber verbotenen / kriminellen Vereinigungen 1. Geschichtlicher Überblick Die heute geltenden Vorschriften wurden sowohl im französischen als auch im deutschen Recht aufgrund der NS-Zeit und den vom NS-Regime begangenen Gräueltaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlassen. In Bezug auf das deutsche Recht kann festgestellt werden, dass zwar bereits vor dieser Zeit im Rahmen von Ausnahmegesetzen ähnliche Vorschriften in Bezug auf das Tragen von bestimmten Symbolen oder Abzeichen sowie Verbote der Verbreitung von bestimmten Inhalten erlassen worden sind, doch hierbei handelte es sich um Gesetze, die schon nach kurzer Zeit wieder abgeschafft wurden. Entsprechende Vorschriften gab es zum einen bereits im Sozialistengesetz von 1878, wobei damals das Ziel verfolgt wurde, dem Aufstieg der sozialistischen Strömung entgegenzuwirken und zum anderen im Republikschutzgesetz von 1922, dort mit dem Ziel, gegen die Angriffe rechtsextremer Gruppen und Organisationen vorzugehen. Mit der Außerkraftsetzung der jeweiligen Gesetze wurden diese Vorschriften jedoch wieder aufgehoben oder traten, wie im Falle des § 12 Abs. 2 des Entwurfs der Regierung zum Republikschutzgesetzes von 1929, der das Tragen von Abzeichen aufgelöster Vereine unter Strafe stellen sollte, erst gar nicht in Kraft. Dies änderte sich jedoch mit Ende des Zweiten Weltkrieges, in Folge dessen Verbote erlassen wurden, die das Verwenden von NS-Symbolen und -Kennzeichen sowie die Verbreitung von verfassungsverräterischen Werken unter Strafe stellten.51 Letztlich
51
Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 B. III. 1.–2. b).
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
wurden die heutigen §§ 86 (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen) und 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) durch das 8. StrÄG von 1968 in das deutsche Strafgesetzbuch eingeführt. Im französischen Recht gab es vor dem Art. R. 645-1 CP (Tragen oder Zurschaustellen von Kennzeichen, Symbolen oder Uniformen von kriminellen Organisationen der NS-Zeit oder von wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilten Personen) keine entsprechenden Vorschriften. Dies änderte sich erst mit dem Dekret von 1988, das insbesondere darauf abzielte, das Tragen oder Zurschaustellen von Abzeichen, Uniformen oder Emblemen zu bestrafen, die denen der NS-Organisationen ähnlich sind.
2. Strafbegründung Die Strafbegründung betreffend können Ähnlichkeiten zwischen dem deutschen und dem französischen Recht festgestellt werden. In beiden Ländern wird darauf verwiesen, dass in den Tathandlungen die Gefahr gesehen wird, dass sie ein Klima schaffen, das dazu führen kann, die Organisationen und die von ihr verfolgten Ziele und Tätigkeiten wiederzubeleben oder in der öffentlichen Meinung zu rehabilitieren. Mit Blick auf die geschützten Werte oder Rechtsgüter wird in beiden Ländern auf den Schutz von Universalgütern verwiesen. So geht die h. M. davon aus, dass § 86 StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen) vorrangig die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung schützt und dass § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) den politischen Frieden und den demokratischen Rechtsstaat schützt. Art. R. 645-1 CP (Tragen oder Zurschaustellen von Kennzeichen, Symbolen oder Uniformen von kriminellen Organisationen der NS-Zeit oder von wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilten Personen) soll die Nation, den Staat und die öffentliche Ordnung schützen.
3. Objektiver Tatbestand Eine dem § 86 StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen) ähnliche Vorschrift gibt es im heutigen code pénal nicht. Das deutsche Strafrecht geht in dieser Hinsicht also weiter als das französische. Jedoch gibt es sowohl im deutschen als auch im französischen Recht das Verbot des öffentlichen Zeigens und Verbreitens von bestimmten Kennzeichen, insbesondere von solchen, die an das NS-Regime erinnern. Dabei sind zwischen den jeweiligen Vorschriften der beiden Länder jedoch wesentliche Unterschiede zu erkennen.
3. Kap.: Rechtsvergleich
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a) Tatobjekt Sowohl § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) als auch Art. R. 645-1 CP (Tragen oder Zurschaustellen von Kennzeichen, Symbolen oder Uniformen von kriminellen Organisationen der NS-Zeit oder von wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilten Personen) beziehen sich auf Tatobjekte, deren öffentliches Zeigen oder Verwenden unter Strafe gestellt wird. Während in der deutschen Norm jedoch der Begriff „Kennzeichen“ verwendet wird – worunter die Lehre jegliche optischen oder akustischen Symbole versteht, unabhängig davon, ob sie verkörpert sind oder nicht –, gibt es in der französischen Norm eine abschließende Liste von Tatobjekten, die zwar gesetzlich nicht definiert sind, jedoch verkörpert sein müssen: Abzeichen, Symbole oder Uniformen. Der im deutschen Recht verwendete Begriff der Tatobjekte ist demnach weiter zu verstehen als der im französischen Recht verwendete, da § 86a StGB auch nicht verkörperte Kennzeichen wie z. B. Grußformeln oder Parolen erfasst, die von Art. R. 645-1 CP nicht erfasst werden. Während in § 86a StGB ausschließlich die Kennzeichen der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 StGB bezeichneten Parteien oder Vereinigungen erfasst werden und es eines Organisationsbezugs bedarf, damit nur die von der betreffenden Organisation selbst verwendeten und ihr zuzurechnenden Identifizierungszeichen erfasst werden, erfasst das französische Recht auch solche Abzeichen, Symbole oder Uniformen als Tatobjekte, bei denen kein Organisationsbezug gegeben ist. So werden im französischen Recht die Abzeichen, Symbole oder Uniformen erfasst, die von den Mitgliedern des Korps der Politischen Leiter der Nazi-Partei, der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), der Mitglieder des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS (SD) sowie der Mitglieder der Schutzstaffeln (SS) getragen oder zur Schau gestellt wurden. Von Art. R. 645-1 CP werden darüber hinaus aber auch solche Abzeichen, Symbole oder Uniformen erfasst, die von einer Person getragen oder gezeigt wurden, die durch ein französisches oder ein internationales Gericht für eines oder mehrere der in Art. 211-1 bis 212-3 CP vorgesehen oder im Gesetz Nr. 64-1326 vom 26. Dezember 1994 genannten Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen wurde, ohne dass es eines Bezugs zu einer Organisation oder Vereinigung bedarf. In der deutschen sowie auch in der französischen Norm wird von einer „Ähnlichkeitsklausel“ ausgegangen, der zufolge alle Kennzeichen, Abzeichen, Symbole oder Uniformen, die denen von der Vorschrift ausgezählten ähnlich sind, gleichstehen. Dabei sind hinsichtlich § 86a StGB die Anforderungen in Bezug auf die Ähnlichkeit jedoch höher, da hier verlangt wird, dass ein gesteigerter Grad sinnlich wahrnehmbarer Ähnlichkeit besteht und ein Kennzeichen „zum Verwechseln ähnlich“ ist. Solch ein gesteigerter Grad wird in Art. R. 645-1 CP nicht gefordert.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
b) Tathandlung Im Gegensatz zu den anderen Kategorien der Motivationsdelikte gibt es sowohl im deutschen als auch im französischen Recht in der Kategorie der organisationsbezogenen Motivationsdelikte keine Verbote von Kommunikationshandlungen wie dem Auffordern, Aufstacheln, Einwirken, Provozieren, Verherrlichen usw. Erfasst werden in den Normen beider Länder stattdessen in erster Linie solche Verbote, die die Weitergabe oder den Umgang mit verkörpertem oder nicht verkörpertem Gedankeninhalt betreffen, wobei es in beiden Ländern unwichtig ist, ob es sich bei der Handlung um die Vermittlung des Gedankeninhalts des Täters handelt oder nicht. Die Tathandlungen betreffend ist das deutsche Recht breiter aufgestellt als das französische. So wird in der französischen Norm lediglich das Tragen oder Zurschaustellen in der Öffentlichkeit von Abzeichen, Symbolen oder Uniformen unter Strafe gestellt. Nicht von der Vorschrift erfasst werden hingegen z. B. das Einführen, Ausführen oder Verkaufen, solange die Tatobjekte während dieser Handlungen nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Mit § 86a StGB wird demgegenüber nicht nur das Verwenden oder Verbreiten solcher Kennzeichen bestraft, sondern auch die Vorbereitungshandlungen zum Verwenden und Verbreiten, also Herstellen, Vorrätighalten, Einführen, Ausführen etc. Sowohl in § 86a StGB als auch in Art. R. 645-1 CP werden die Tathandlungen in den Fällen, in denen sie als sozialadäquat gelten, nicht erfasst.
c) Gegenstand der Motivation Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland wird mit den hier gegenständlichen Vorschriften nicht direkt zur Begehung einer bestimmten und konkretisierten Straftat motiviert. Mit der Bestrafung der hier erfassten Tathandlungen soll vielmehr verhindert werden, dass Organisationen und Vereinigungen, die verfassungsfeindliche Haltungen vertreten, sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, oder die im Rahmen des NS-Regimes tätig waren, wiederbelebt und entstigmatisiert werden, dass ihre Tätigkeiten und Ziele als erstrebenswert dargestellt werden und dass es in diesem Rahmen zu neuen Straftaten kommt, die jedoch nicht weiter präzisiert und konkretisiert werden. Es geht also ganz allgemein darum, zu verhindern, dass ein straftatenförderndes Klima geschaffen wird.
d) Adressaten und Begehungsweise der Motivation Die deutsche Vorschrift ist auch mit Blick auf den Adressatenkreis weiter gefasst als die französische. So werden in § 86a StGB das Verbreiten und Verwenden von Kennzeichen sowie die entsprechenden Vorbereitungshandlungen wie Herstellen,
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Vorrätighalten, Einführen, Ausführen etc. unter Strafe gestellt. Dies lässt erkennen, dass die Tathandlungen bezüglich der Kennzeichen sowohl dann erfasst werden, wenn sie an einen unbestimmten Personenkreis gerichtet sind, als auch dann, wenn sie an einen begrenzten Personenkreis bzw. an eine Einzelperson gerichtet sind. Im Gegensatz hierzu verlangt das französische Recht in Art. 645-1 CP, dass das Tragen oder Zurschaustellen der Abzeichen, Symbole oder Uniformen in der Öffentlichkeit erfolgt, sodass diese von einem unbestimmten Personenkreis wahrgenommen werden können. Somit greift die französische Norm nicht, wenn die Kennzeichen nur einer einzelnen Person gezeigt werden.
e) Strafmaß Im Unterschied zu Art. R. 645-1 CP, bei dem es sich um eine Übertretung handelt, da sie nur mit einer Geldstrafe geahndet wird, handelt es sich bei § 86 und § 86a StGB um Verbrechen, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft werden können. Demnach wird der Motivation im französischen Recht ein geringerer Unrechts- oder Schuldgehalt zugesprochen als im deutschen Recht.
4. Subjektiver Tatbestand In Bezug auf die subjektiven Aspekte sind wesentliche Unterschiede zwischen dem deutschen und dem französischen Recht zu erkennen. Während für die §§ 86 und 86a StGB zumindest ein bedingter Vorsatz genügt, der sich auf alle Elemente des objektiven Tatbestandes bezieht, und während für die Vorbereitungshandlungen (Herstellen, Vorrätighalten, Einführen oder Ausführen) sogar verlangt wird, dass sie mit der Absicht einer späteren Verbreitung oder Verwendung vorgenommen werden, wird für Art. R. 645-1 CP keinerlei Vorsatz verlangt. Da es sich hierbei um eine Übertretung handelt, geschieht die Tatbestandsverwirklichung unabhängig von der inneren Einstellung des Täters.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
C. Zusammenfassung der wesentlichen Konvergenzen und Differenzen I. Direkte Motivationsdelikte 1. Überblick Der erste Unterschied, der sofort ins Auge sticht, ist, dass es im französischen Recht in der Kategorie der direkten Motivationsdelikte deutlich mehr Vorschriften gibt als im deutschen Recht. Dies gilt besonders für die Kategorie der direkten individuellen sowie für die Kategorie der allgemeinen, insbesondere öffentlichen Motivationsdelikte. Für die hier vorgeschlagene Erklärung dafür, wie es zu dieser Mehrzahl an Vorschriften in der Kategorie der direkten und individuellen Motivationsdelikten kam, sollte zuerst ein Blick auf § 30 Abs. 1 StGB (Versuchte Anstiftung zu einer rechtswidrigen Tat) geworfen werden. Denn während in § 30 Abs. 1 StGB ganz allgemein die versuchte Anstiftung zu allen Verbrechen unter Strafe gestellt wird, gibt es ein solches allgemeines Verbot im französischen Strafrecht nicht. Anstelle der Aufnahme eines Verbotes der „versuchten Provokation“ zu Straftaten bzw. Verbrechen im Allgemeinen, das § 30 Abs. 1 StGB (Versuchte Anstiftung zu einer rechtswidrigen Tat) ähnlich gewesen wäre, entschied sich der französische Gesetzgeber nach Diskussionen im Parlament dafür, einzelne Tatbestände zu erlassen, die Provokationen zu bestimmten Straftaten unter Strafe stellen, die als besonders schwer gelten. Aufgrund dieser Entscheidung gibt es im französischen Recht nicht, wie im deutschen Recht, nur eine Vorschrift (§ 30 Abs. 1 StGB), sondern mehrere eigenständige Straftatbestände: Art. 221-5-1 CP (Erfolglose Provokation zu Mord oder Vergiftung); Art. 222-26-1 CP (Erfolglose Provokation zur Vergewaltigung); Art. 222-6-4 CP (Erfolglose Provokation zur Folter und zu brutalen Misshandlungen); Art. 222-30-2 CP (Erfolglose Provokation zu sexuellen Angriffen). Ähnliches gilt für die Kategorie der direkten und öffentlichen Motivationsdelikte. Während Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) und § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu einer Straftat) viele Gemeinsamkeiten aufweisen (u. a. ähnliche Schutzbegründung, Tathandlung, Anforderung an die Bestimmtheit der Tat, Adressatenkreis, Bestrafung des Täters als Teilnehmer), gibt es im französischen Recht neben Art. 23 LLP jedoch eine Vielzahl von Vorschriften – im code pénal und nicht im Gesetz über die Freiheit der Presse –, in denen ebenfalls ähnliche öffentliche Motivationshandlungen zu bestimmten Straftaten gesondert unter Strafe gestellt werden. Ein Grund für diese Vermehrung der direkten öffentlichen Motivationsdelikte in Frankreich liegt darin, dass, während in § 111 StGB sowohl die erfolgreiche als auch die nicht erfolgreiche Aufforderung erfasst wird, in Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) lediglich die erfolgreiche
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Provokation unter Strafe gestellt wird. Zwar werden mit Art. 24 Abs. 1–4 LLP auch Fälle der erfolglosen direkten und öffentlichen Provokation erfasst, jedoch wiederum nur für eine limitierte Anzahl von bestimmten Straftaten, die im Tatbestand aufgezählt werden (Katalogstraftaten). Ein weiterer Grund für die Vielzahl der direkten allgemeinen Motivationsdelikte im französischen Recht besteht darin, dass Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) sich im Gesetz über die Freiheit der Presse befindet und somit besondere Verfahrens- und Verfolgungsregeln gelten, die die Ermittlung und Bestrafung solcher Motivationen erschweren. Möglicherweise wollte der französische Gesetzgeber mit der Aufnahme von Vorschriften, in denen das öffentliche Motivieren zu bestimmten Straftaten gesondert unter Strafe gestellt wird, in den code pénal das besonders schützende System der LLP von 1881 ausschalten oder zumindest umgehen, das normalerweise für die strafrechtliche Ahndung von öffentlich gemachten Äußerungen greift.
2. Geschichtliche Entwicklung In Bezug auf die geschichtliche Entwicklung scheint, wie schon am Anfang der Untersuchung vermutet, die Urform der direkten Motivationsdelikte die Motivation einer bestimmten Person zu einer bestimmten Tat zu sein, die in beiden Ländern klassischerweise im Rahmen einer Teilnahmehandlung an der Haupttat, zu deren Begehung motiviert wurde, bestraft wird. Es handelt sich dabei um die Anstiftung in § 26 StGB und um die Provokation in Art. 121-7 CP (Direkte Provokation zu einer Straftat). In beiden Ländern kann die strafrechtliche Ahndung dieser Art von Motivationen auf das römische Recht zurückgeführt werden. Für die weitere Entwicklung der direkten Motivationsdelikte kann festgehalten werden, dass sowohl im französischen als auch im deutschen Recht zu jeder Zeit – sei es im 19., 20. oder auch im 21. Jahrhundert – neue Regelungen erlassen wurden, mit denen die direkte Motivation zu bestimmten Straftaten unter Strafe gestellt wurde. Die strafrechtliche Ahndung der direkten Motivation, die an eine breite Öffentlichkeit bzw. an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtet ist, hat sich in beiden Ländern seit der Aufhebung der Zensur und der damit einsetzenden Verbreitung der Presse und der Entfaltung der Pressefreiheiten entwickelt, also für das französische Recht infolge der Revolution und der Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1789 und für das deutsche Recht infolge des Gesetzes über die Presse von 1848. Dies ist besonders deutlich zu erkennen bei § 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu einer Straftat), Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) und 24 Abs. 1–4 LLP (Direkte, öffentliche und erfolglose Provokation zu Vergehen und Verbrechen).
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
3. Strafbegründung Hinsichtlich der Strafbegründung sind zwischen dem deutschen und dem französischen Recht viele Ähnlichkeiten zu erkennen. In beiden Ländern wird in Bezug auf die direkten und individuellen Motivationsdelikte darauf verwiesen, dass die dort enthaltenen Vorschriften in erster Linie individuelle Rechtsgüter oder Werte schützen sollen.52 Bei den direkten und allgemeinen, insbesondere öffentlichen Motivationsdelikten wird sowohl bezüglich der deutschen als auch bezüglich der französischen Vorschriften davon ausgegangen, dass diese Vorschriften mehrheitlich Kollektivgüter schützen, wobei sowohl im deutschen als auch im französischen Recht einige Vorschriften neben kollektiven Gütern auch diejenigen Güter oder Werte schützen, zu deren Verletzung motiviert wird.53
4. Objektiver Tatbestand Für die direkten und individuellen Motivationsdelikte wird in beiden Ländern in den meisten Fällen die Teilnahmehandlung der Motivation zur Haupttat erhoben und durch eigenständige Delikte erfasst, wobei der Motivator jedoch nicht mit derselben Strafe bestraft wird wie der Täter des Delikts, zu dessen Begehung er motiviert hat, sondern unabhängig davon mit der Strafe aus dem Motivationsdelikt selbst. Dies wird im deutschen Recht mit der Verwendung des Begriffs „Bestimmen“ in den Vorschriften der Kategorie der individuellen direkten Motivationsdelikte deutlich. In der Tat soll das Bestimmen in den verschiedenen Vorschriften wie die Teilnahmehandlung „Bestimmen“ in § 26 StGB (Anstiftung) verstanden werden, und es werden auch ähnliche Anforderungen an die Bestimmtheit der Tat und des Adressatenkreises gestellt. Ausnahme hierzu stellt § 130 Abs. 2 Nr. 1b und Nr. 2 StGB (Aufforderung von Minderjährigen zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen aufzufordern) dar. Auch im französischen Recht wird dies deutlich, wenn in den Vorschriften der direkten und individuellen Motivationsdelikte als Tathandlung nicht nur einheitlich die Provokation erfasst wird, sondern zum Teil auch auf Provokationsmittel oder die Anforderung der Direktheit zugegriffen wird, sowie dadurch, dass ähnliche Anforderungen an den Adressatenkreis und die Konkretisierung der Tat gestellt werden, wie dies der Fall für die Teilnahmehandlung gemäß § 121-7 CP (Direkte Provokation zu einer Straftat) ist. Im deutschen wie im französischen Recht werden insbesondere solche Teilnahmehandlungen zu Täterschaftshandlungen erhoben und unabhängig von der zu begehenden Tat bestraft, die im Rahmen von besonderen Beziehungen bzw. Verhältnissen geäußert werden, in denen eine gewisse Unterordnung herrscht. Dies ist 52 53
Mit Ausnahme von z. B. § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG sowie § 130 Abs. 2 Nr. 1b und Nr. 2 StGB. Siehe § 111 StGB, Art. 23 und 24 Abs. 1–4 LLP.
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insofern der Fall, als dass sowohl im deutschen als auch im französischen Recht Vorschriften existieren, die das direkte und individuelle Motivieren von Minderjährigen durch Erwachsene zu rechtswidrigen Taten unter Strafe stellen (siehe im französischen Recht die Art. 227-18 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelkonsum), 227-18-1 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelhandel), Art. 227-19 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum übermäßigen oder gewöhnlichen Alkoholkonsum), 227-21 CP (Direkte Provokation eines Minderjährigen zu einem Vergehen oder Verbrechen) und im deutschen Recht § 30a Abs. 2 Nr. 1 StGB (Bestimmen eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln)). Zum anderen ist dies auch insofern der Fall, als im deutschen Recht das direkte und individuelle Motivieren eines Untergebenen durch einen Vorgesetzten zu rechtswidrigen Taten in den §§ 33 (Verleiten eines Untergebenen im Militär zu einer rechtswidrigen Tat) und 34 WStG (Erfolgloses Verleiten eines Untergebenen im Militär zu einer rechtswidrigen Tat) sowie in § 357 StGB (Verleiten eines Untergebenen zu einer Straftat) unter Strafe gestellt wird, wobei es im französischen Recht kein Pendant zu den eben genannten deutschen Vorschriften gibt. Bezüglich der Tathandlungen der Vorschriften der Kategorie der direkten Motiva-tionsdelikte sind sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Ländern zu erkennen. Gemeinsam ist beiden Ländern, dass mit den Vorschriften jene Handlungen strafrechtlich geahndet werden, bei denen deutlich wird, dass sie zur Begehung einer wenigstens in ihren Grundzügen konkretisierten Straftat motivieren und die darüber hinaus einen gewissen Handlungsdruck ausüben, der über eine einfache Einwirkung auf Gefühle hinausgeht. In dieser Kategorie wird nicht nur verlangt, dass die Tathandlungen deutlich machen, dass eine Straftat begangen werden soll, sondern auch, dass zur Begehung einer konkreten und schweren Straftat motiviert wird. Während der erforderliche Handlungsdruck in den Regelungen des deutschen Rechts aus dem Gebrauch der unterschiedlichen Begriffe hervorgeht, wird der Handlungsdruck im französischen Recht durch bestimmte Zusätze bei der Beschreibung der Tathandlung geäußert. So wird in allen der in dieser Kategorie erfassten Vorschriften des französischen Rechts die Tathandlung der Provokation bestraft, auch wenn dieser Begriff nicht in jedem Tatbestand namentlich zum Tragen kommt (siehe Art. 421-2-4 CP (Anwerbung zur Beteiligung an einer terroristischen Organisation oder an terroristischen Taten) und Art. 221-5-1 CP (Erfolglose, direkte Provokation zu einem Mord oder einer Vergiftung), Art. 227-28-3 CP (Direkte Provokation zu sexuellen Straftaten gegen Minderjährige), Art. 222-6-4 CP, Art. 22226-1 CP, Art. 222-30-2 CP)). Da der Begriff der Provokation ebenfalls im Rahmen der indirekten Motivationsdelikte Anwendung findet, lässt er kaum Rückschlüsse auf die Tathandlung, die Anforderungen an die zu begehende Tat oder den erforderlichen Handlungsdruck zu. Eine wesentliche Rolle spielen hierfür jedoch die Provokationsmittel bzw. das Adverb „direkt“, die bzw. das lediglich im Rahmen der direkten Motivationsdelikte verwendet werden bzw. wird. Die Aufzählung
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
einer begrenzten Liste von Provokationsmitteln sowie die Anforderung der „Direktheit“ ermöglichen es, die Tathandlung zu präzisieren und zu begrenzen, sodass gewisse Handlungen, die diesen zusätzlichen Anforderungen nicht entsprechen, als Provokationen ausgeschlossen werden können, da ihnen der strafbare Handlungsdruck fehlt. Im Gegensatz hierzu ergibt sich der Handlungsdruck im deutschen Recht nicht erst durch gewisse Zusätze, die die Tathandlung umgeben und beschreiben, sondern aus den Begriffen, die zur Kennzeichnung der Tathandlung verwendet werden (Bestimmen, Auffordern, Werben etc.). So werden die Tathandlungen von der Lehre und der Rechtsprechung so ausgelegt und verstanden, dass sie nicht im Allgemeinen motivierende Äußerungen erfassen, sondern nur solche Äußerungen, die einen gewissen Handlungsdruck ausüben. Eine Aufforderung beispielsweise liegt nur dann vor, wenn die Äußerung einen appellativen Charakter hat; d. h., dass in der Aufforderung die Erwünschtheit der Realisierung der Tat deutlich gemacht werden muss. Ähnlich verhält es sich bezüglich der Tathandlung des Werbens, für die verlangt wird, dass es zu einem planmäßigen Vorgehen kommt. Beim Bestimmen hingegen scheint die Tathandlung – zumindest so, wie sie die deutsche Rechtsprechung versteht – einen weniger starken Handlungsdruck auszuüben. Die Kriminalisierung, der Unrechtsgehalt und die Sanktion des Bestimmens resultieren eher daraus, dass eine nicht tatgeneigte Person (überhaupt erst) auf den Gedanken einer Tatbegehung gebracht wird. In beiden Ländern wird verlangt, dass die Tat, zu deren Begehung motiviert wird, hinreichend konkretisiert ist. In Bezug auf die öffentlichen Motivationsdelikte wird sowohl im deutschen als auch im französischen Recht verlangt, dass die Tat in ihren wesentlichen Grundzügen konkret bestimmt ist. Demnach reicht es in beiden Rechtsordnungen aus, wenn für die Vorschriften der Kategorie der direkten und allgemeinen Motivationsdelikte lediglich der Deliktstypus bestimmt ist. Für die direkten und individuellen Motivationsdelikte sind die Anforderungen an die Bestimmtheit der Tat im deutschen Recht jedoch höher. Während es für die französischen Vorschriften, die in dieser Kategorie klassifiziert sind, ausreicht, dass der Deliktstypus bestimmt ist, verlangen die deutschen Normen, dass die Taten in einem höheren Maße bestimmt sind.54 Sowohl von den deutschen als auch von den französischen Regelungen der Kategorie der direkten und individuellen Motivationsdelikte werden ausschließlich solche Äußerungen erfasst, die sich an eine Einzelperson oder an einen bestimmten Adressatenkreis richten. Dabei gibt es in beiden Ländern Vorschriften, die das direkte und individuelle Motivieren von bestimmten Personen unter Strafe stellen. In dieser Hinsicht wird in beiden Ländern das direkte Motivieren Minderjähriger unter Strafe gestellt, wobei jedoch das französische Recht mit Art. 227-18 (Di54
Mit Ausnahme von § 130 Abs. 2 Nr. 1b und Nr. 2 StGB, bei dem die Anforderungen geringer sind.
3. Kap.: Rechtsvergleich
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rekte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelkonsum), Art. 22718-1 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelhandel), Art. 227-19 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum übermäßigen oder gewöhnlichen Alkoholkonsum) und Art. 227-21 CP (Direkte Provokation eines Minderjährigen zu einem Vergehen oder Verbrechen) breiter aufgestellt ist als das deutsche Recht mit § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG (Bestimmen eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln) und § 130 Abs. 2 Nr. 1b und Nr. 2 StGB (Aufforderung von einem Minderjährigen zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen). Anders als das französische Recht enthält das deutsche Recht jedoch Tatbestände, in denen außerdem das direkte und individuelle Motivieren zu Straftaten im Rahmen einer Vorgesetzten / Untergebenen-Beziehung unter Strafe gestellt wird. In Bezug auf den Adressatenkreis der direkten und allgemeinen, insbesondere öffentlichen Motivationsdelikte können ebenfalls Ähnlichkeiten zwischen beiden Ländern identifiziert werden, da sowohl die deutschen als auch die französischen Vorschriften dieser Kategorie Äußerungen erfassen, die an einen bestimmten sowie an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtet sind. Dabei werden im deutschen Recht jedoch nur für § 111 StGB die Begehungsmittel festgelegt, während im französischen Recht sowohl für Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) als auch für Art. 24 Abs. 1–4 LLP, Art. 433-10 CP (Direkte Provokation zur Rebellion) und Art. 431-6 CP (Direkte Provokation zu einer bewaffneten Zusammenrottung) festgelegt wird, über welche Mittel die Provokation öffentlich gemacht werden kann. Diese Aufzählung der Begehungsmittel ändert jedoch nichts an der Strafbarkeit, da die Liste der Mittel in einem weiten Umfang formuliert wurde.
5. Subjektiver Tatbestand Mit Blick auf die subjektive Tatseite sind die Anforderungen an den Vorsatz für die Vorschriften der direkten und individuellen Motivationsdelikte in beiden Ländern ähnlich. Lediglich Art. 121-7 CP (Direkte Provokation zu einer Straftat) und Art. 221-5-1 CP verlangen einen dol spécial, also eine bestimmte Absicht. Für die direkten und allgemeinen Motivationsdelikte kann dies indes nicht gesagt werden, da die entsprechenden Normen des deutschen Rechts höhere Anforderungen an die subjektive Tatseite stellen als die Normen des französischen Rechts. So wird für das Werben gemäß § 129 Abs. 1 StGB (Werben für eine kriminelle Vereinigung) und § 129a Abs. 5 StGB (Werben für eine terroristische Vereinigung) und das Auffordern gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB (Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen) ein dolus directus 1. Grades, d. h. ein zielgerichtetes Handeln verlangt. Für die Regelungen des französischen Rechts wird mit dem Generalvorsatz lediglich die schwächste Vorsatzform verlangt. Eine Ausnahme hierzu bildet Art. 23 LLP
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
(Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen), in dem ein Spezialvorsatz, also eine bestimmte Absicht, gefordert wird.
II. Indirekte Motivationsdelikte 1. Überblick Wie bei den direkten Motivationsdelikten gibt es im französischen Recht auch bei den indirekten Motivationsdelikten zahlenmäßig mehr Vorschriften als im deutschen Recht, also mehr Vorschriften, in denen das Motivieren als das Einwirken auf Gefühle zu einer Tatbegehung unter Strafe gestellt wird.
2. Geschichtliche Entwicklung Bezüglich der indirekten Motivationsdelikte kann mit Blick auf die historische Entwicklung festgestellt werden, dass im deutschen Recht die Mehrheit der als indirekt klassifizierten Motivationsdelikte – seien sie tat-, opfer- oder organisationsbezogen – Ende des 20. Jahrhunderts bzw. Anfang des 21. Jahrhunderts erlassen wurden. Die Vorschriften des französischen Rechts wurden zwar zum Teil in der gleichen Zeit erlassen, jedenfalls die opfer- und organisationbezogenen Motivationsdelikte betreffend. Dies trifft jedoch nicht für die tatbezogenen Motivationsdelikte zu, die wesentlich früher, nämlich bereits im Verlauf des 19. Jahrhunderts in das Strafrecht aufgenommen wurden. Außerdem ist festzustellen, dass die indirekten und insbesondere die tatbezogenen indirekten Motivationsdelikte in beiden Ländern als Reaktion auf politische Krisen oder Anschläge gegen das Regime eingeführt wurden.
3. Strafbegründung Bei allen hier erfassten Normen wird die Gefahr gesehen, dass die von ihnen erfassten indirekten Motivationshandlungen ein straftatenförderndes Klima schaffen. Die in beiden Ländern erfassten Vorschriften schützen dabei mehrheitlich universelle Rechtsgüter. Ausnahmen hierzu stellen die französischen Normen der Kategorie der opferbezogenen Motivationsdelikte dar, bei denen davon ausgegangen wird, dass sie dem Schutz der Würde einzelner Personen oder der Menschenwürde generell dienen. Die Gemeinschaftsgüter oder die universellen Güter betreffend wird bei den deutschen Normen in Bezug auf die opfer- und tatbezogenen Motivationsdelikte vermehrt auf den Schutz des öffentlichen Friedens verwiesen, während für die organisationsbezogenen Motivationsdelikte zum einen auf die Rechtsgüter der freiheitlich demokratischen Grundordnung sowie auf den Gedanken der Völkerverständigung und zum anderen auf den politischen Frieden
3. Kap.: Rechtsvergleich
379
und den demokratischen Rechtsstaat verwiesen wird. Für die Normen des französischen Rechts der Kategorie der tat- und organisationbezogenen Motivationsdelikte wird auf eine Reihe von universellen Gütern verwiesen, jedoch ohne, dass auch nur eines davon konkret ausgemacht werden könnte.
4. Objektiver Tatbestand Sowohl in den deutschen als auch in den französischen Vorschriften der opferbezogenen Motivationsdelikte beziehen sich die Tathandlungen auf Angriffsobjekte. Die strafrechtlich erfassten Motivationen richten sich in beiden Ländern gegen bestimmte Subjekte. Dabei werden diese Angriffsobjekte im deutschen Recht aufgrund der Verwendung des Begriffs der Bevölkerungsteile weiter verstanden als im französischen Recht. Zwischen den Tathandlungen der deutschen und französischen Vorschriften der Kategorie der indirekten Motivationsdelikte können Ähnlichkeiten erkannt werden. So können in Bezug auf die opferbezogenen Motivationsdelikte Parallelen zwischen der in den französischen Regelungen erfassten Provokation und den Tathandlungen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1, Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 StGB erkannt werden, da in beiden Rechtsordnungen solche Handlungen umfasst werden, die zwar auf die Gefühle Anderer einwirken, aber keinen unmittelbaren Handlungsdruck aufbauen. Ähnliches kann auch bezüglich der Vorschriften der tatbezogenen Motivationsdelikte beider Länder festgestellt werden, wobei jedoch auch Unterschiede zu erkennen sind, da die Tathandlungen in den französischen Vorschriften weiter gefasst sind und weiter verstanden werden als im deutschen Recht. Parallelen gibt es zwischen den deutschen Begriffen und Handlungen der Verherrlichung, Billigung und Rechtfertigung des § 140 Abs. 1 Nr. 2, § 130 Abs. 3 und Abs. 4 StGB) und der Handlung der Verherrlichung (apologie) im französischen Recht (siehe Art. 24 Abs. 5 LLP und Art. 421-2-5 CP) sowie zwischen der négation, contestation, banalisation und minoristaion des französischen Rechts und dem Leugnen und Verharmlosen des deutschen Rechts. In beiden Ländern werden mit diesen Begriffen Handlungen erfasst, die auf Gefühle und Emotionen einwirken, aber keinen besonderen Handlungsdruck aufbauen. Trotz dieser Parallele sind die französischen Vorschriften oft weiter gefasst und auch die Strafbarkeit des französischen Rechts ist zum Teil aufgrund der Auslegung der Handlungen55 sowie aufgrund der Bezugstaten56 weiter als die des deutschen Rechts. Keine Indikatoren für eine Begrenzung der Strafbarkeit der indirekten tatbezogenen Motivationsdelikte im deutschen Recht und somit keine Indikatoren für einen Unterschied zwischen den beiden Rechtsordnungen 55
Dies ist z. B. der Fall bei der Verherrlichung in den Art. 24 Abs. 5 LLP und Art. 421-2-5 CP, die sich nicht nur auf Straftaten bezieht, sondern auch auf Täter, die verherrlicht werden; wobei sich das Billigen, Verherrlichen oder Rechtfertigen lediglich auf Taten bezieht. 56 Siehe z. B. oben Teil 2 Kapitel 3 B. II. 3. a) bb).
380
2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
stellen hingegen die Tatbestandsmerkmale der Eignung zur öffentlichen Friedensstörung (§ 130 Abs. 3 und § 140 Abs. 1 StGB) oder der eigentlichen Störung des öffentlichen Friedens und der Verletzung der Würde der Opfer (§ 130 Abs. 4 StGB) dar. Die diesen Paragrafen vom Gesetzgeber zugesprochene eingrenzende Funktion kann mit Blick auf die in der Lehre geäußerte Kritik sowie im Hinblick auf die Feststellung der Tatbestandsmerkmale in der Rechtsprechung nicht bestätigt werden und spielt demzufolge auch hier keine Rolle. Im Gegensatz hierzu scheint in der Kategorie der organisationsbezogenen Motivationsdelikte die Strafbarkeit im deutschen Recht weiter gefasst zu sein als im französischen, da mit § 86 StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen) eine Tathandlung erfasst wird, die im französischen Recht so nicht vorzufinden ist und weil die Tathandlung in § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen) weiter gefasst ist als die in Art. R. 645-1 CP (Tragen oder Zurschaustellen von Kennzeichen, Symbolen oder Uniformen von kriminellen Organisationen der NS-Zeit oder von wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilten Personen), da § 86a StGB im Gegensatz zu Art. R. 645-1 CP auch das Herstellen, Vorrätighalten, Einführen und Ausführen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe stellt. Außerdem beziehen sich die Tathandlungen beider Vorschriften auf ähnliche Tatobjekte, wobei Art. R. 645-1 CP auf verkörperte Tatobjekte begrenzt ist, wohingegen § 86a StGB weiter gefasst ist und sowohl verkörperte als auch nicht verkörperte Tatobjekte erfasst. Das deutsche Recht erfordert allerdings, dass ein Bezug zwischen den Tatobjekten und einer kriminellen oder verfassungswidrigen Organisation besteht, während ein solcher Bezug in Art. R. 645-1 CP nicht verlangt wird. Gemeinsam haben § 86a StGB und Art. R. 645-1 CP jedoch, dass in beiden Vorschriften solche Tathandlungen erfasst werden, die die Weitergabe oder den Umgang mit verkörpertem oder nicht verkörpertem Gedankeninhalt und nicht mit Kommunikationsakten betreffen, wie es in den anderen Kategorien der Motivationsdelikte der Fall ist. Für den Gegenstand der Motivation kann festgestellt werden, dass für die Kategorie der indirekten Motivationsdelikte in beiden Ländern in erster Linie nicht solche Motivationen erfasst werden sollen, die zur Begehung einer bestimmten und konkreten Tat motivieren, sondern solche, die ein Klima schaffen, in dem die Begehung von Straftaten gefördert wird, die denen ähnlich sein können, auf die sie sich beziehen. Für die Mehrheit der Vorschriften der indirekten Motivationsdelikte wird sowohl im deutschen als auch im französischen Recht verlangt, dass sie an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtet sind. Dies ist insbesondere in Bezug auf die französischen und deutschen tatbezogenen Motivationsdelikte der Fall, wobei es jedoch auch zu Ausnahmen kommt, z. B. in der Kategorie der opferbezogenen Motivationsdelikte, in der durch Art. R. 625-7 CP (Nicht öffentliche, indirekte Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber bestimmten Personen-
3. Kap.: Rechtsvergleich
381
gruppen) auch solche Äußerungen erfasst werden, die an eine einzelne Person oder an einen bestimmten Adressatenkreis gerichtet sind, und in der mit § 130 Abs. 2 Nr. 1a und Nr. 2 StGB auch solche Tathandlungen bestraft werden, die sich an einzelne Personen unter 18 Jahren richten. Ähnliches kann auch über die Kategorie der organisationsbezogenen Motivationsdelikte gesagt werden, wobei für den französischen Tatbestand der Kategorie – den Art. R. 645-1 CP (Tragen oder Zurschaustellen von Kennzeichen, Symbolen oder Uniformen von kriminellen Organisationen der NS-Zeit oder von wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilten Personen) – jedoch nur solche Tathandlungen erfasst werden, die an die Öffentlichkeit, also an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtet sind. Im Gegensatz dazu erfasst im deutschen Strafrecht z. B. § 86 StGB auch Vorbereitungshandlungen zum Verwenden und Verbreiten, also das Herstellen, Vorrätighalten, Einführen oder Ausführen, die nicht der Öffentlichkeit gegenüber zugänglich ausgeführt werden müssen.
5. Subjektiver Tatbestand An die subjektive Tatseite der indirekten Motivationsdelikte werden im deutschen Recht höhere Anforderungen gestellt als im französischen Recht. Für die französischen Vorschriften der indirekten Motivationsdelikte wird nur die niedrigste Vorsatzform, der Generalvorsatz verlangt, der in dem Willen des Täters besteht, eine Tat zu begehen, von der er weiß, dass sie gesetzlich verboten ist. Für Art. R. 645-1 CP als Repräsentant der Kategorie der organisationsbezogenen Motivationsdelikte wird gar kein Vorsatz verlangt, da es sich hierbei um eine Übertretung handelt. In den deutschen Vorschriften sind die subjektiven Anforderungen im Vergleich hierzu wesentlich höher. So reicht zwar in den meisten Fällen zumindest ein bedingter Vorsatz aus, jedoch wird für das Aufstacheln in § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB und § 80a StGB (Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression) sowie für das Einwirken gemäß § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB (Aufwieglerischer Landfriedensbruch) ein dolus directus 1. Grades verlangt, bei dem es dem Täter auf den Eintritt des Erfolgs ankommt.
6. Strafmaß Ebenfalls anzumerken ist, dass im Unterschied zum deutschen Recht im französischen Recht auch indirekte Motivationen als Übertretungen klassifiziert und entsprechend lediglich mit einer Geldstrafe geahndet werden. Das ist sowohl in Art. R. 625-7 CP (Nicht öffentliche, indirekte Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber bestimmten Personengruppen) in der Kategorie der opferbezogenen Motivationsdelikte als auch in Art. R. 645-1 CP in der Kategorie der organisationsbezogenen Motivationsdelikte der Fall. Dabei deckt Art.
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2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
R. 645-1 CP eine ähnliche Tathandlung wie § 86a StGB ab, der im deutschen Recht als ein Verbrechen klassifiziert und mit einer Freiheitsstrafe bestraft wird. Den Motivationshandlungen werden in beiden Ländern demzufolge unterschiedliche Grade an Unrecht zugesprochen.
III. Fazit Die Länderberichte und der Rechtsvergleich haben gezeigt, dass sich die gebildeten Metakategorien der direkten (individuellen / allgemeinen, insbesondere öffentlichen) und der indirekten (opfer-, tat- und organisationsbezogenen) Motivationsdelikte für eine rechtsordnungsübergreifende Gegenüberstellung des französischem und des deutschen Rechts eignen. Anhand der Metakategorien konnten die zahlreichen, anfänglich heterogen erscheinenden Delikte der Informationsübermittlungen, in denen die Gefahr gesehen wird, dass sie straftatenfördernd wirken können, miteinander verglichen werden. In beiden Ländern gibt es seit Mitte des 20. Jahrhunderts eine allgemeine Zunahme der Kriminalisierung von Äußerungen, denen ein straftatenförderndes Potenzial zugesprochen wird. Die in der Einleitung aufgestellte Hypothese, der zufolge die Konkretisierungsanforderungen sowie die Anforderungen an die Bestimmtheit im Laufe der Zeit und infolge der Einführung neuer Motivationsdelikte abnimmt, kann grundsätzlich bestätigt werden. Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse aus der Analyse der Länderberichte und des Rechtsvergleichs muss sie allerdings auch ausdifferenziert werden. So kann die Hypothese einer Abnahme der Bestimmtheitsanforderungen innerhalb der Motivationsdelikte unter Maßgabe der aufgestellten Metastruktur mit Blick auf das deutsche Recht bestätigt werden, während eine solche Abnahme im französischen Recht weniger offensichtlich ist. Im deutschen Strafrecht wurde die Mehrzahl der indirekten Motivationsdelikte – bei denen die Konkretisierungsanforderungen weniger hoch sind als bei den direkten Motivationsdelikten – Ende des 20. bzw. Anfang des 21. Jahrhunderts erlassen, während der Grundkern der direkten Motivationsdelikte bereits zu einem früheren Zeitpunkt Eingang in das Strafrecht gefunden hatte, wobei es auch hier Ausnahmen gibt. Die Entwicklung der Motivationsdelikte im französischen Recht erscheint im Vergleich hierzu kontrastreicher und weniger geradlinig. Es kann nicht von einer Abnahme der Konkretisierungsanforderungen gesprochen werden, da eine gewisse Anzahl der direkten Motivationsdelikte – u. a. die Provokationen, die an Minderjährige gerichtet sind – erst später (gegen Ende des 20. Jahrhunderts) erlassen wurden, während einige indirekte Motivationsdelikte bereits weitaus früher in das strafrechtliche Arsenal eingeführt wurden. Für die Legitimation der in der vorliegenden Arbeit untersuchten Tatbestände wird in beiden Ländern in der Lehre sowie vom Gesetzgeber auf den diesen Tatbeständen zugesprochenen Motivationscharakter und der daraus resultierenden möglichen Gefahr einer in der Zukunft liegenden Schädigung verwiesen. Ziel der Be-
3. Kap.: Rechtsvergleich
383
strafung dieser Handlungen sei es daher, zu verhindern, dass andere zur Begehung von Straftaten und somit zur Verletzung der jeweiligen Güter motiviert werden. Dabei wird in beiden Ländern die Wirklichkeit dieser Gefahr, d. h. die tatsächlich strafbarkeitsfördernde Wirkung der hier untersuchten Handlungen für die indirekten Motivationsdelikte, jedoch als nur schwer empirisch festzustellen beurteilt und aus diesem Grund auch nur selten untersucht oder tatsächlich festgestellt. Die Motivationsdelikte schützen in beiden Ländern mehrheitlich Güter der Allgemeinheit. Dabei wird im deutschen Recht in vielen Fällen auf den öffentlichen Frieden und im französischen Recht auf den Schutz der Nation, des Staats oder der öffentlichen Ordnung verwiesen. Eine Ausnahme diesbezüglich stellt in beiden Ländern die Kategorie der direkten und individuellen Motivationsdelikte dar, da bei diesen oftmals von einem Schutz von Individualrechtsgütern ausgegangen wird. Eine stärker ins Detail gehende Untersuchung sowie ein Vergleich der einzelnen geschützten Güter zwischen den beiden Ländern erscheint jedoch schwierig, da für viele der französischen Normen die schützenswerten Güter nicht explizit angegeben werden (oder falls doch, mehrere Güter angegeben werden). Dies kann darauf zurückgeführt werden, dass die Frage nach den geschützten Werten durch das Strafrecht nur selten untersucht wurde und es in Frankreich keine dem deutschen Strafrecht ähnlich entwickelte Rechtsgutstheorie gibt.57 Hinsichtlich des objektiven Tatbestandes werden im deutschen Recht unterschiedliche Begriffe für die verschiedenen Tathandlungen verwendet (Bestimmen, Auffordern, Aufhetzten, Werben etc.), die die verschiedenartigen Anforderungen offenkundig machen, die an die Tathandlungen gestellt werden, und die dementsprechend in die verschiedenen Kategorien der Motivationsdelikte eingeordnet werden können. Im Gegensatz hierzu wird im französischen Recht in vielen der untersuchten Vorschriften – sei es aus der Kategorie der direkten oder der indirekten Motivationsdelikte – der Begriff „Provokation“ für die Tathandlungen verwendet. Die Anwesenheit oder Abwesenheit zusätzlicher Tatbestandsmerkmale in Form einer Liste der Provokationsmittel oder dem Adverb „direkt“, die zum Begriff „Provokation“ hinzukommen, ermöglicht es, die verschiedenen an die Tathandlungen gestellten Anforderungen erkenntlich zu machen und die Tathandlung in die verschiedenen Kategorien der Motivationsdelikte zu klassifizieren. Abgesehen von diesen Unterschieden gibt es jedoch auch viele Ähnlichkeiten zwischen den Regelungen des deutschen und des französischen Rechts, wobei die französischen Normen oftmals weiter gefasst sind und somit auch mehr Verhaltensweisen erfassen als die deutschen Normen; dies gilt insbesondere in Bezug auf die Vorschriften der indirekten Motivationsdelikte. Auf der subjektiven Tatseite lassen die französischen Vorschriften oftmals die schwächste Vorsatzform, den Generalvorsatz (dol général), genügen, der in dem Willen besteht, eine Tat zu begehen, von der der Täter weiß, dass sie gesetzlich 57
Siehe vertiefend hierzu oben Teil 3 A. II.
384
2. Teil: Analyse und Vergleich der Motivationsdelikte
verboten ist. Im Falle des Art. R. 645-1 CP muss selbst dieser nicht gegeben sein, da die Norm keinen Vorsatz verlangt. Im Gegensatz hierzu wird in den deutschen Vorschriften zumindest mehrheitlich ein bedingter Vorsatz gefordert und zum Teil sogar ein dolus directus 1. Grades. Zusammenfassend hat sich sowohl im deutschen als auch im französischen Recht über die Jahre hinweg die Anzahl der Vorschriften, die solche Informationsübermittlungen unter Strafe stellen, weil in ihnen die Gefahr gesehen wird, dass sie, wenn auch nur mittelbar über eine Gefühlseinwirkung, Dritte zur Begehung einer Tat motivieren könnten, vermehrt. Dabei geht der französische Strafgesetzgeber, indem er eine Vielzahl von Motivationsdelikten in das Strafrecht einfließen lässt und die Tatbestände umfassender formuliert, weiter als der deutsche Gesetzgeber. Im Allgemeinen können im französischen Recht im Bereich der Motivationsdelikte eine höhere Regelungsdichte sowie eine flächendeckendere Kriminalisierung beobachtet werden. In beiden Ländern wird mit der Kriminalisierung von indirekten Motivationsdelikten darauf abgezielt, solche Verhaltensweisen zu erfassen, die potenziell straftatenfördernd wirken, denen aber kein Handlungsdruck zugesprochen werden kann. Demzufolge reiht sich die Untersuchung der Motivationsdelikte in die am Anfang erläuterte Tendenz der Vorverlagerung der Strafbarkeit ein. Dabei gehen sowohl im deutschen als auch im französischen Recht innerhalb der Tatbestände der indirekten Motivationsdelikte die Anforderungen an den objektiven Tatbestand zurück, insbesondere an die Erheblichkeit der Tathandlung und die Konkretisierungsanforderungen (sei es des Opfers, des Täters oder der Tat). Dafür rückt die subjektive Tatseite, die nicht nur das Unrecht begrenzt, sondern dieses schafft, zunehmend in den Vordergrund. Der von Sieber und Vogel verlangte Ausgleich eines weit im Vorfeld der strafrechtlichen Schädigung vorverlagerten Tatbestands mit einem geringen objektiven Unrechtscharakter wird bei den indirekten Motivationsdelikten, zumindest im französischen Recht, durch erhöhte Vorsatzanforderungen jedoch nicht geschaffen.58 Tatsächlich liegen die Forderungen an die subjektive Tatseite für die französischen Vorschriften aus der Kategorie der indirekten Motivationsdelikte weiterhin auf der niedrigsten Vorsatzebene, dem Generalvorsatz.
58
Ausgleich gefordert von Sieber und Vogel in: Sieber / Vogel, Terrorismusfinanzierung, S. 143.
Teil 3
Bewertung Die Länderberichte und der Rechtsvergleich haben gezeigt, dass es sowohl im deutschen als auch im französischen Recht eine Vielzahl von Delikten gibt, in denen Kommunikationshandlungen i. S. von Äußerungen oder der Weiterverbreitung verkörperter Gedankeninhalte unter Strafe gestellt werden, weil ihnen vom Gesetzgeber und / oder in der Lehre die Gefahr zugesprochen wird, dass sie möglicherweise Dritte zur Begehung einer Straftat motivieren. Darunter befinden sich auch vermehrt indirekte Motivationsdelikte, die die Strafbarkeit vorverlagern und mit denen verhindert werden soll, dass andere Personen straffällig werden. Diese Entwicklung, insbesondere die Vermehrung der Motivationsdelikte sowie die damit verbundene steigende Unbestimmtheit und Vorverlagerung, wirft die Frage nach den Grenzen des Strafrechts und somit auch der Motivationsdelikte auf. Welche Verhaltensweisen dürfen mit Strafe bedroht werden, und wie weit in das Vorfeld einer tatsächlichen Straftatbegehung kann die Strafbarkeit vorverlagert werden? In der vorliegenden Arbeit sollen im Rahmen des folgenden Kapitels die strafrechtsdogmatische Legitimation (A.), die verfassungsrechtliche Beurteilung (B.) sowie die verfassungsrechtliche und strafrechtliche Grenze durch den Bestimmtheitsgrundsatz (C.) untersucht werden.
A. Strafrechtsdogmatische Legitimation Der überwiegenden Meinung im deutschen Strafrecht zufolge konstituiert sich strafrechtliches Unrecht vor allem durch die Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsgutes, wobei mehrheitlich die Auffassung vertreten wird, dass eine Strafnorm nur dann legitim sei, wenn sie dem Rechtsgüterschutz auch wirklich dient.1 Anders sieht es im französischen Recht aus, in dem das Strafrecht traditionell lediglich in seiner repressiven Funktion betrachtet wird. Beim französischen Strafrecht handelt es sich also um eines, das nach traditionell herrschender Ansicht primär dazu dient, die Beeinträchtigung von Gesetzen zu bestrafen.2 Dies hat auch Auswirkungen auf die Frage nach der Legitimation und Begrenzung von Strafnormen. So wird in der französischen Strafrechtslehre die Frage nach einem
1
Jescheck / Weigend, AT, S. 7; Roxin / Greco, AT I, § 2, Rn. 1 ff. Beaussonie, in: Mistretta / Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal, S. 7. 2
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3. Teil: Bewertung
materiellen Unrecht mehrheitlich in den Hintergrund gestellt, während das Gesetzlichkeitsprinzip vielfach als einziges Legitimationskriterium von Strafnormen und demnach auch als Hauptgrenze der Gesetzgebung anerkannt wird3 – wobei es jedoch nicht als ein Ersatz zur deutschen Rechtsgutkonzeption fungiert. Hinzu kommt, dass die deutsche systemkritische Rechtsgutslehre, trotz immer zahlreichend werdender Einführungs- und Aufnahmeversuche durch Teile der französischen Strafrechtslehre, von dieser weiterhin mit Skepsis betrachtet wird. Wie Beaussonie anführt, lautet die grundsätzliche Ansicht in der französischen Strafrechtslehre, dass es neben dem Gesetzlichkeitsprinzip kein Prinzip der Vernünftigkeit gebe, weshalb eher die Qualität der Vorschrift untersucht werde – d. h. die Übereinstimmung des Gesetzes mit den formellen Kriterien (zuständiges Organ, Veröffentlichung der Vorschrift im journal officiel usw.) – als die Legitimation und die Grenzen einer Vorschrift. Dies entspricht der gerade erwähnten Auffassung, dass in erster Linie das Gesetz vor Beeinträchtigungen geschützt werden soll.4 Wie wirken sich diese unterschiedlichen Herangehensweisen in Deutschland und Frankreich auf die strafrechtsdogmatische Begrenzung der Motivationsdelikte aus?
I. Die strafrechtsdogmatische Legitimation im deutschen Strafrecht 1. Vorbemerkung In der deutschen Strafrechtslehre herrscht Einigkeit darüber, dass das Strafrecht dem Schutz von Rechtsgütern vor Verletzungen und Gefährdungen dient.5 In dieser Hinsicht ist der erste Schritt bei der Untersuchung einer Strafvorschrift traditionell die Bestimmung des von der Norm geschützten Rechtsguts.6 Darüber hinaus bleiben jedoch viele Fragen offen, da in der Lehre umstritten ist, was ein Rechtsgut überhaupt ist7 und welche Funktionen es hat. Ein formales Verständnis des Begriffs des Rechtsguts als ein durch eine Strafnorm geschütztes Gut führt zu einem positivistischen Rechtsgutsbegriff, bei dem die Frage nach dem durch eine Gesetzesnorm geschützten Rechtsgut mit ebendieser Gesetzesnorm selbst be-
3
Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 217. Beaussonie, in: Mistretta / Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal, S. 14. 5 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 5 ff.; Roxin / Greco, AT I, § 2, Rn. 1 ff.; Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 ff.; Britzke, Das fehlende Rechtsgut und die Auslegung des § 217 StGB, S. 87; NK-Hassemer / Neumann, Vorbemerkungen zu § 1, Rn. 108 ff.; andere Konzepte z. B. Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 5, Rn. 2 ff. (Normgeltungsschaden); Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 350 ff. (Sozialschädlichkeit). 6 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 11; von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 119; vgl. Mitsch, KriPoZ 1/2019, 29. 7 Vgl. Stratenwerth, in: FS Lenckner, 1998, S. 378. 4
3. Teil: Bewertung
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antwortet wird.8 Von den Vertretern der „systemkritischen“9 Rechtsgutslehre wird eine andere Position vertreten. Ihnen zufolge obliegt die Frage danach, welche Rechtsgüter zu schützen seien, nicht allein dem Gesetzgeber. Zudem schreiben sie dem Rechtsgutsbegriff eine strafbarkeitsbegrenzende Funktion zu.10 Um die Entwicklung der Rechtsgutslehre besser zu verstehen, wird auf einen kurzen historischen Rückblick zurückgegriffen, da jede Phase der Entwicklung auf das heutige Verständnis des Rechtsgutes eingewirkt hat und ihre Spuren hinterlassen hat (2.).11 Da eine vollständige Darstellung der Rechtsgutskonzeptionen den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, sollen die folgenden Ausführungen nur eine Basis für die spätere Einordnung und Begrenzung der Motivationsdelikte mit Blick auf die Rechtsgutstheorie darstellen. Da mit den Motivationsdelikten auch solche Verhaltensweisen bestraft werden, die Rechtsgüter nicht verletzen, sondern nur gefährden, sollen darüber hinaus auch die Legitimationskriterien herangezogen werden, die für die Frage nach der Legitimation von Vorfelddelikten zur Rechtsgutslehre hinzugezogen werden (3.).
2. Rechtsgut und Deliktsnatur a) Von der Rechtsverletzung zur Güterverletzung Beeinflusst durch die Aufklärung herrschte bis 1834 die durch von Feuerbach entwickelte Ansicht des Verbrechens als Rechtsverletzung.12 Erst mit Birnbaum, einem Vertreter der Lehre des gemäßigten Positivismus13, erfolgte der Wechsel zu einem Verständnis des Verbrechens als einer Güterverletzung. Birnbaum kritisierte die Rechtsverletzungslehre mit dem Argument, dass bei einem Verbrechen keine Rechte verletzt werden könnten, sondern nur ein vom Staat gewährleistetes materielles Gut.14 Dabei vertiefte Birnbaum die Definition des Guts jedoch nicht weiter.15
8 Sieber, Computerkriminalität und Strafrecht, S. 263; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 18–19; Hilgendorf, in: ders. / Kudlich / Valerius (Hrsg.), Handbuch des Strafrechts, Band 1, (2019), S. 813. 9 Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, (1973), S. 19 ff. 10 Roxin / Greco, AT I, § 2, Rn. 7 ff. 11 Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 2. 12 Sina, Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs Rechtsgut, S. 14. 13 Sina, Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs Rechtsgut, S. 23 f.; Ebling, Die Vorschrift des § 90a StGB, S. 39. 14 Birnbaum, Über das Erforderniß einer Rechtsverletzung zum Begriffe des Verbrechens, in: Neues Archiv des Criminalrechts, Neue Folge, 1834, S. 170 f. 15 Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 6.
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3. Teil: Bewertung
b) Binding Mit Binding erfolgte schließlich der Durchbruch des Rechtsgutsbegriffs.16 Binding wollte sich – wie auch Birnbaum – von der Lehre der Rechtsverletzung abwenden und erkannte das Rechtsgut als „gemeinsames Merkmal aller Verbrechen“ an.17 Er definierte das Rechtsgut als „Gegenstand der Rechtsgewalt, d. h. die Person oder Sache, die dem Berechtigten unterworfen wird“.18 Binding vertrat damit in Bezug auf den Träger des Rechtsgutes eine überindividualistische Theorie19, was besonders deutlich wird, wenn er anführt, dass „[das] Rechtsgut […] stets Rechtsgut der Gemeinschaft [ist], mag es scheinbar noch so individuell sein“.20 Ihm zufolge liege es dabei am Gesetzgeber, zu bestimmen, welche Gegenstände als notwendige Bedingungen eines gesunden Gemeinschaftslebens zu bewertet seien und vor deren Verletzung oder Gefährdung er die Bürger schützen wolle.21 Bindings Rechtspositivismus wird deutlich, wenn er erklärt, dass als Rechtsgut alles bewertet werden könne, „was in den Augen des Gesetzgebers für die Rechtsordnung von Wert ist, dessen ungestörte Erhaltung er deshalb durch Normen sicherstellen muss“.22 Der Gesetzgeber sei demzufolge in der Anerkennung von Rechtsgütern – zumindest innerhalb seiner eigenen Erwägungen und im Rahmen der Logik – frei und ihm seien bei der Schaffung von Rechtsgütern keine Schranken gesetzt.23 Binding, der selbst verschiedene Rechtsgüter aufzählte, stellte jedoch auch fest, dass alle Rechtsgüter sich darin gleichen müssten, dass sie auch wirklich verletzbar sein müssten und durch einen Angriff entweder zerstört oder gemindert werden können.24 Dabei bezeichnete er Begriffe wie „öffentliche Ordnung“ oder „öffentlichen Frieden“ als „Scheingüter“ und als „Kollektivbegriffe“ und lehnte dementsprechend die so geartete Zusammenfassung verschiedenartiger Rechtsgüter ab.25 Die Rechtsgutslehre von Binding ermöglicht es nicht nur, die verschiedenen Delikte je nach Nähe zur
16
Wohlers, in: Kubiciel u. a. (Hrsg.), „Eine gewaltige Erscheinung des positiven Rechts“, S. 146. 17 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band 1, 1916, S. 338. 18 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band 1, 1916, S. 344. 19 Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 35. 20 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band 1, 1916, S. 358. 21 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band 1, 1916, S. 353 ff. 22 Binding, Handbuch des Strafrechts, Band 1, 1885, S. 169. Vertiefend zu Bindings Rechtspositivismus siehe Jakobs, in: Kubiciel u. a. (Hrsg.), „Eine gewaltige Erscheinung des positiven Rechts“, S. 93 ff. Jakobs stellt fest, dass es sich bei Binding um einen Rechtspositivisten handle, der sich jedoch ausdrücklich von einem Gesetzespositivismus distanzierte. Binding teile demnach nicht die Ansicht, dass der Gesetzgeber göttliche Kraft besäße und vollkommene Gesetze schaffen würde. 23 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band 1, 1916, S. 340; Vertiefend hierzu siehe Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 74 ff.; Brockmann, Das Rechtsgut des § 176 StGB, S. 29. 24 Binding, Handbuch des Strafrechts, Band 1, 1885, S. 170. 25 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band 1, 1916, S. 351 f.; Brockmann, Das Rechtsgut des § 176 StGB, S. 30.
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Verletzung eines Rechtsgutes abzustufen (also zwischen Verletzungs- oder Gefährdungsdelikten zu unterscheiden), sondern sie ermöglicht es auch, das Rechtsgut im Rahmen der Auslegung einzusetzen.26
c) von Liszt von Liszt – der, obwohl ebenfalls Positivist27, als Bindings Kontrahent gilt – unternahm ebenfalls eine Untersuchung des Rechtsgutsbegriff. Er tat dies jedoch „nicht mit Blick auf das Gesetz, sondern wagte den Ausflug in den transjuristischen Bereich der Gesellschaft“.28 Dabei übernahm von Liszt den Zweckgedanken von Jhering29, was ihn dazu führte, den Zweck der Strafe in der Sicherung der Lebensbedingungen der staatlichen Gemeinschaft und des Einzelnen zu erkennen.30 von Liszt sah in den Lebensbedingungen Rechtsgüter, die durch generelle Imperative zu solchen erklärt würden.31 Im Gegensatz zu Binding machte von Liszt jedoch geltend, dass die Rechtsgüter nicht von der Rechtsordnung geschaffen, sondern durch das Leben erzeugt würden.32 Trotz der Beschreibung des Rechtsgutes als rechtlich geschütztes Lebensinteresse wird in der heutigen Lehre betont, dass von Liszt keinen gesetzgebungskritischen Rechtsgutsbegriff aufstellen wollte.33 Von Liszts Ansicht, dass das Leben die Rechtsgüter schaffe, führte zur Unterscheidung zwischen der formellen Rechtswidrigkeit, die als Übertretung einer staatlichen Norm definiert wird, und der materiellen Rechtswidrigkeit als Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsgutes.34 Die deutliche Trennung zwischen Handlungsobjekt und Rechtsgut ist ebenfalls auf von Liszt zurückzuführen.35
26 Wohlers, in: Kubiciel u. a. (Hrsg.), „Eine gewaltige Erscheinung des positiven Rechts“, S. 150. 27 Sina unterscheidet zwischen Binding, dem er dem formal-normlogischen Positivismus zuordnet und von Liszt, der dem naturalistisch-soziologischen Positivismus angehöre. Siehe Sina, Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs Rechtsgut, S. 40. 28 Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 82. 29 Jhering erkennt den Zweck im Strafrecht in der Sicherung der Lebensbedingungen der Gesellschaft. Siehe Jhering, Der Zweck im Recht, Band 1, 1904, S. 330. 30 von Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht, ZStW 3 (1883), S. 19. 31 von Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht, ZStW 3 (1883), S. 19. 32 von Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 1888, S. 20. 33 Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 160; Swoboda, Die Lehre vom Rechtsgut und ihre Alternativen, ZStW 122 (2010), 32; Löffler, Rechtsgut als Verfassungsbegriff?, S. 50 f.; Wohlers, in: Kubiciel u. a. (Hrsg.), „Eine gewaltige Erscheinung des positiven Rechts“, S. 152. 34 von Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 1919, S. 132 ff. 35 Zum Rechtsgut und Handlungsobjekt siehe Amelung, Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 160; ausführlich hierzu auch Sieber, Computerkriminalität und Strafrecht, S. 254 ff.; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 39 ff.; Hefendehl, in: ders. / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 119 f.
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d) Methodisch-teleologischer Rechtsgutsbegriff Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewann der Neukantianismus in der deutschen Strafrechtslehre an Bedeutung.36 Richard Honig, der von dieser Denktradition geprägt war, entwickelte zu dieser Zeit einen „neukantianisch beeinflussten Rechtsgutsbegriff“37, an den später auch Grünhut38 und Schwinge39 anknüpften. Honig zufolge handelte es sich bei dem Rechtsgut um „de[n] vom Gesetzgeber in den einzelnen Strafrechtssätzen anerkannte[n] Zweck in seiner kürzesten Formel“.40 Der so verstandene Rechtsgutsbegriff wurde lediglich als Synonym für den Zweck des Gesetzes, die ratio legis, verstanden, was dazu führte, in ihm ein Instrument für die teleologische Auslegung zu sehen.41 In diesem Kontext wird dabei von einem methodisch-teleologischen Rechtsgutsbegriff gesprochen.42 Anastasopoulou erkennt bei Honig, wie auch schon bei Binding, überindividualistische Züge, d. h., dass auch für Honig Rechtsgüter in erster Linie Güter der Allgemeinheit waren.43
e) Rechtsgutbegriff in der NS-Zeit Die Diskussion um den Rechtsgutsbegriff wurde in Zeiten des Nationalsozialismus durch die Marburger Schule44, die weiterhin einen methodisch-teleologischen Rechtsgutsbegriff verteidigten, sowie durch die Kieler Schule45 geprägt, die sich gegen die Auffassung aussprach, dass der Unrechtsgehalt eines Verbrechens sich in der Rechtsgutsverletzung erschöpfe.46 Die Marburger Schule erkannte im Begriff des Rechtsguts vielmehr die Möglichkeit, ihn im Rahmen seiner Auslegungsfunktion dazu einzusetzen, die Staatsideologie in das Recht einfließen zu lassen und somit u. a. die „Rechtsprechung mit dem Geist des Nationalsozialismus“ zu durchdringen.47 Schaffstein, Mitglied der Kieler Schule, hingegen setzte sich aufgrund der Herkunft des Rechtsgutsbegriffs in der Aufklärung und dem Liberalismus für eine Aufgabe desselben ein.48 36 Vertiefend zum Einfluss des Neukantianismus auf das deutsche Strafrecht und u. a. auf die Rechtsgutsdiskussion siehe Nisco, Neokantismo e scienza del diritto penale, S. 53 ff. 37 Löffler, Rechtsgut als Verfassungsbegriff?, S. 55. 38 Siehe Grünhut, in: Hegler (Hrsg.), Festgabe Frank, Band I, S. 8 f. 39 Siehe Schwinge, Teleologische Begriffsbildung im Strafrecht, S. 59 f. 40 Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S. 94. 41 Grünhut, in: Hegler (Hrsg.), Festgabe Frank, Band I, S. 8; Vertiefend Nisco, Neokantismo e scienza del diritto penale, S. 56. 42 Sina, Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs Rechtsgut, S. 76 f. 43 Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 36 f. 44 Darunter befanden sich u. a. Erich Schwinge und Leopold Zimmerl. 45 Mitglieder der Kieler Schule waren z. B. Georg Dahm und Friedrich Schaffstein. 46 Vgl. Sina, Dogmengeschichte des strafrechtlichen Begriffs Rechtsgut, S. 79 ff.; Brockmann, Das Rechtsgut des § 176 StGB, S. 44 ff. 47 Schwinge / Zimmerl, Wesensschau und konkretes Ordnungsdenken im Strafrecht, S. 64. 48 Schaffstein, DStR 1935, 97 ff.
3. Teil: Bewertung
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f) Entwicklung eines systemkritischen Rechtsgutsbegriff Nach dem Nationalsozialismus entwickelten sich aufgrund der aufkeimenden Kritik, dass der Positivismus die Justiz im Dritten Reich wehrlos gemacht habe,49 die Bemühungen, um inhaltliche und materielle Grenzen für den Gesetzgeber sowie Vorgaben für legitime Strafrechtsnormen zu entwickeln.50 Dabei wurde im Rechtsgutsbegriff ein geeignetes Instrument erkannt, dass der Bestimmung der Grenzen legitimen Strafens dienen sollte.51
aa) Jäger Das Rechtsgut als vorpositivistischer und systemkritischer Begriff, dem eine strafbarkeitslimitierende Funktion zukomme, wurde erstmals im Rahmen der Untersuchung von Herbert Jäger aus dem Jahr 1957 deutlich dargestellt. Jäger definierte in seiner Untersuchung der Sittlichkeitsdelikte Rechtsgüter als „werthafte Zustände, die durch strafrechtliche Regelungen vor solchen Veränderungen bewahrt werden können“.52 Nachdem er jedoch bei einigen der von ihm untersuchten Delikte auf die Schwierigkeit traf, ein von diesen verletztes Rechtsgut auszumachen, kam er bezüglich der Frage, welche Grenzen dem Gesetzgeber bei der Bestimmung von strafrechtlichen Verhaltensweisen gestellt seien, zu dem Schluss, dass diese Grenzen allein durch „streng rationale Kriterien“ bestimmt werden könnten.53 Darunter verstand Jäger „Gesichtspunkte der Gefahrenabwehr, die für alle Menschen, für die das Gesetz gilt, gleichermaßen einsichtig sind, gleichgültig, aus welchem ‚geistigen Lager‘ sie kommen und welchem Lebenskreis sie angehören“.54 In diesem Rahmen erschien Jäger der Rechtsgüterschutz als das einzige rationale Prinzip, weshalb für ihn ein strafrechtliches Verbot nur dann legitim war, wenn es Rechtsgüter schützte.55
49 Vgl. Radbruch, der aufführt, dass der „Positivismus mit seiner Überzeugung ‚Gesetz ist Gesetz‘ den deutschen Juristenstand wehrlos“ gegen Gesetze mit willkürlichem und verbrecherischem Inhalt gelassen hat. Siehe Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, S. 14.; a. A. Walther, KJ 1988, 263–280; Dreier, FS Walter, S. 117–135.; Sandkühler, Nach dem Unrecht. 50 Vgl. Brockmann, Das Rechtsgut des § 176 StGB, S. 44 ff. 51 Vgl. Lagodny, der in der deutschen Rechtsgutsdiskussion eine „spezielle strafrechtliche Ausprägung der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinem geistigen Umfeld“ erkennt. Siehe Lagodny, in: Rotsch (Hrsg.), Zehn Jahre ZIS – Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik, S. 1214. 52 Jäger, Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, S. 13. 53 Jäger, Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, S. 121. 54 Jäger, Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, S. 121. 55 Jäger, Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, S. 123.
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3. Teil: Bewertung
bb) Hassemer Hassemer war an der Entwicklung der monistisch-personalen Rechtsgutslehre beteiligt, der zufolge das Rechtsgut als „strafrechtlich schutzbedürftiges menschliches Interesse“ gilt, während die Interessen der Gesellschaft und des Staates zweitrangig seien.56 Dabei schloss Hassemer jedoch nicht allgemein aus, dass auch Universalrechtsgüter Rechtsgüter sein könnten; er verlangte nur, dass diese „von der Person her funktionalisiert“ werden.57 Demzufolge schütze z. B. das „Umweltstrafrecht nicht die Umwelt um ihrer selbst willen, sondern nur als Medium menschlicher Gesundheits- und Lebensbedürfnisse“.58 Indem die Universalrechtsgüter als Medium von Individualrechtsgüter gelten, erkannte Hassemer in den Universalrechtsgütern eine Vorverlagerung der Strafbarkeit.59 Aus diesem Grund müsse einem strafrechtlichen Schutz solcher Universalrechtsgüter mit Vorsicht begegnet werden; ein solcher Weg dürfe nur dann eingeschlagen werden, wenn es besonders dringlich sei.60 Die monistisch-personale Rechtsgutslehre unterscheidet sich in dieser Hinsicht von der überindividualistisch-monistischen Rechtsgutstheorie, die u. a. bei Honig und Binding zu erkennen ist. Der überindividualistisch-monistischen Rechtsgutstheorie zufolge müssen Rechtsgüter vom Staat her konzipiert werden und sind somit Güter der Gesamtheit, wohingegen Individualrechtsgüter als rechtlich zugeteilt oder als aus den Staatsfunktionen abgeleitet dargestellt werden.61
cc) Roxin Roxin definiert die Rechtsgüter als Gegebenheiten oder Zwecksetzungen, „die für die freie Entfaltung des Einzelnen, die Verwirklichung seiner Grundrechte und das Funktionieren eines auf diese Zielvorstellung aufbauende staatliche System notwendig sind“.62 Roxin setzt sich also für einen systemkritischen Rechtsgutsbegriff ein, der nicht nur im Rahmen der Auslegung eine Rolle spielen soll – wie es bei einem systemimmanenten Rechtsgutsbegriff der Fall ist –, sondern der dem Gesetzgeber Grenzen setzen soll.63 Demzufolge seien bloße Moral- und Wertvor56
Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 166. Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 167; ders., in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 57.; krit. Jakobs, FS-Frisch, S. 89 ff. 58 Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 167. 59 Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 168. 60 Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 168. 61 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 67; Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 35 ff.; Großmann, Liberales Strafrecht in der komplexen Gesellschaft, S. 102. 62 Roxin / Greco, AT I, § 2, Rn. 7. 63 Roxin / Greco, AT I, § 2, Rn. 12; Roxin, in: Hefendehl (Hrsg.), Empirische und dogmatische Fundamente, kriminalpolitischer Impetus, S. 140. 57
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stellungen nicht strafbar.64 Gleiches gelte für die bloße Abwehr von unerwünschten Gefühlen.65 Roxin übernimmt die Unterscheidung zwischen Individualrechtsgütern und Rechtsgütern der Allgemeinheit. Dabei kritisiert er jedoch die Konstruktion eines Rechtsguts der Allgemeinheit durch einen vagen Allgemeinbegriff, bei dem „die eigentlich zu schützenden Individualgüter nicht in strafwürdiger Weise beeinträchtigt werden“.66 In dieser Hinsicht sei es illegitim, „Abstrakta zu Rechtsgütern zu erklären, wo es in Wirklichkeit nur um den Schutz von Individualrechtsgütern geht“ (z. B. die Volksgesundheit oder der öffentliche Friede).67
g) Verfassungsrechtliche Verbindlichkeit Das Bundesverfassungsgericht spricht der Rechtsgutslehre keine strafbarkeitsbegrenzende Funktion zu.68 In diesem Rahmen muss insbesondere auf die InzestEntscheidung des BVerfG von 2008 verwiesen werden, in der das BVerfG den § 173 Abs. II 2 StGB, der den Beischlaf zwischen Geschwistern mit Strafe bedroht, als mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt hat. In der Inzest-Entscheidung bezieht sich das BVerfG zwar auch auf den Zweck der Norm, versteht diesen jedoch viel weiter als die Rechtsgutslehre das Rechtsgut.69 So führt das Gericht an, dass mit dem § 173 StGB (Beischlaf zwischen Verwandten) an erster Stelle die Ehe und die Familie geschützt werden sollen. Darüber hinaus soll mit der Vorschrift auch die sexuelle Selbstbestimmung geschützt werden. Zusätzlich bezieht sich das BVerfG auf eugenische Gesichtspunkte, wonach „bei Kindern, die aus einer inzestuösen Beziehung erwachsen, wegen der erhöhten Möglichkeit der Summierung rezessiver Erbanlagen die Gefahr erblicher Schädigungen nicht ausgeschlossen werden könne“.70 Darüber hinaus unterliegen Strafnormen dem BVerfG zufolge „von Verfassungs wegen keinen darüberhinausgehenden, strengeren Anforderungen hinsichtlich der von ihnen verfolgten Zwecke. Insbesondere lassen sich solche nicht aus der strafrechtlichen Rechtsgutslehre ableiten“.71 Die Ablehnung eines überpositiven Rechtsgutsbegriffs wird damit begründet, dass „es nach der grundgesetzlichen Ordnung Sache des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ist, ebenso wie die Strafzwecke (vgl. BVerfGE 45, 187 ) auch die mit den Mitteln des Strafrechts zu schützenden Güter festzulegen und die Strafnormen gesellschaftlichen 64
Roxin / Greco, AT I, § 2, Rn. 17 ff. Roxin / Greco, AT I, § 2, Rn. 26 ff. 66 Roxin / Greco, AT I, § 2, Rn. 10. 67 Roxin, AT I, § 2, Rn. 46. 68 Siehe hierzu Greco, ZIS 5/2008, 234 ff.; Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 214 f.; Hilgendorf, in: ders. / Kudlich / Valerius (Hrsg.), Handbuch des Strafrechts, Band 1, S. 824 ff. 69 Vertiefend zum legitimen Zweck im Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle und zur Auswirkung der Inzest-Entscheidung siehe in der vorliegenden Arbeit Teil 3 B. I. 3. a). 70 BVerfG, NJW 2008, 1137 (1138). 71 BVerfG, NJW 2008, 1137 (1138). 65
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Entwicklungen anzupassen“.72 Die Grenze für die Befugnis des Gesetzgebers in der Anerkennung von Rechtsgütern liege allein in der Verfassung selbst.73 Demzufolge sei die Rechtsgutslehre nicht verfassungsrechtlich verbindlich und die Rechtsgutslehre wird in der Praxis lediglich als ratio legis verstanden, jedoch nicht als Grenze der Strafbarkeit.74 Sich der Entscheidung des BVerfG anschließend führt Roxin an, dass dem Gesetzgeber nur die Verfassung rechtlich bindende Grenzen setzen könne, und dass dies nicht durch Professorenmeinungen erfolgen könne.75 Dem schließt sich auch Mitsch an, wenn er aufführt, dass sich die „Strafrechtswissenschaft nicht als ein dem BVerfG vorgeschaltetes Quasi-Verfassungsorgan“ verstehen kann, das „dazu berufen ist, der Gesetzgebung aus dem Grundgesetz abgeleitete verbindliche Anweisungen zu erteilen“.76
3. Beeinträchtigung (Verletzung / Gefährdung) des Rechtsguts und Deliktsnatur Im Rahmen der Entwicklung von neuen Risiken und Kriminalitätsformen wird das Strafrecht – das klassischerweise erst nach einer schädigenden Tatbegehung oder einem Schädigungserfolg einsetzt – vermehrt präventiv eingesetzt.77 Im Zuge der Entwicklung eines repressiven Strafrechts hin zu einem präventiven Strafrecht werden vermehrt Vorfelddelikte erlassen, die unabhängig von einem realen Eintritt eines Schadens an einem Rechtsgut eingreifen. Ein über die Verletzung von Individualrechtsgütern hinausgehender strafrechtlicher „Vorfeldschutz“ kann über den Einsatz von Gefährdungsdelikten (b) und die Verwendung von Universalrechtsgütern erreicht werden (a).78
a) Vorverlagerung durch Universalrechtsgüter Eine Vorverlagerung der Strafbarkeit kann nicht nur durch die Tathandlung erfolgen, sondern auch durch den Einsatz von überindividuellen Rechtsgütern, die Individualrechtsgüter nur mittelbar schützen.79 Oft wird die Vorverlagerung durch Universalrechtsgüter mit dem Einsatz von Gefährlichkeitsdelikten kombiniert.80 72
BVerfG, NJW 2008, 1137 (1138). BVerfG, NJW 2008, 1137 (1138). 74 Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 115; Wohlers, in: Kubiciel u. a. (Hrsg.), „Eine gewaltige Erscheinung des positiven Rechts“, S. 158 f. 75 Roxin, GA 2013, 433, 449. 76 Mitsch, KriPoZ 1/2019, 30. 77 Vgl. Brons, Binnendissonanzen im AT, S. 193. 78 Sieber, NStZ 2009, 353 (257). 79 Sieber, NStZ 2009, 353 (261). 80 Sieber, NStZ 2009, 353 (261); Brons, Binnendissonanzen im AT, S. 217. 73
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b) Vorverlagerung durch Gefährdungsdelikte Das Rechtsgut spielt ebenfalls als „Flucht bzw. Angelpunkt“81 eine Rolle für die Unterteilung der Tatbestände in Verletzungs- und Gefährdungsdelikte, je nach Intensität des Rechtsgutsangriffs.82 Die Verletzungsdelikte, die eine tatsächliche Beeinträchtigung eines Rechtsguts voraussetzen, stellen den „normativen Grundtypus“83 dar, der nach h. M. keiner weiteren Legitimationsbegründung bedarf.84 Für die Gefährdungsdelikte, mit denen Verhaltensweisen strafrechtlich geahndet werden, die die Gefährdung von Rechtsgütern durch riskante Handlungen unter Strafe stellen und demzufolge noch vor einer Verletzungen ansetzen, gestaltet sich die Lage anders.85 Zwar wird allgemein davon ausgegangen, dass strafrechtliches Unrecht durch die Verletzung oder Gefährdung von Rechtsgütern konstituiert sein kann, jedoch wird auch deutlich gemacht, dass die bloße Rechtsgutsgefährdung für die Begründung strafbaren Unrechts einer zusätzlichen Legitimation bedürfe.86 Dabei werden die Gefährdungsdelikte und ihre Legitimationskriterien in der Lehre unterschiedlich gehandhabt und strukturiert.
aa) Konkrete und abstrakte Gefährdungsdelikte Traditionell wird innerhalb der Kategorie der Gefährdungsdelikte von einer Zweiteilung in abstrakte und konkrete Gefährdungsdelikte ausgegangen.87 Die konkreten Gefährdungsdelikte setzen voraus, dass eine wirkliche Gefahr für ein Rechtsgut besteht, wobei der Eintritt der Gefahr ein Tatbestandsmerkmal ist.88 Die Legitimität solcher konkreten Gefährdungsdelikte stellt kein Problem dar, da allgemein anerkannt wird, dass strafrechtliches Unrecht durch die konkrete Gefährdung von Rechtsgütern konstituiert sein kann.89 Bei den abstrakten Gefährdungsdelikten hingegen ist die Verhinderung einer Beeinträchtigung nur gesetzgeberisches Motiv und keine Tatbestandsvoraussetzung.90 In der Lehre wird außerdem über eine dritte Kategorie der Gefährdungsdelikte, den „Eignungsdelikten“ oder „abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten“, die zwischen den konkreten und abstrakten Gefährdungsdelikten stehen sollen, diskutiert.91 Hierbei handelt 81
Wohlers, in: Kubiciel u. a. (Hrsg.), „Eine gewaltige Erscheinung des positiven Rechts“, S. 164. Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 44. 83 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 282. 84 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 163. 85 Sieber, NStZ 2009, 353 (357). 86 Sieber, NStZ 2009, 353 (358). 87 Vertiefend hierzu siehe Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 15 ff.; Roxin / Greco, AT 1, § 11, Rn. 146 ff. 88 Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 47. 89 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 284. 90 Roxin / Greco, AT 1, § 11, Rn. 153. 91 Für die Eignungsdelikte als dritte Kategorie siehe Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, S. 15; krit. Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 162 ff. 82
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es sich um Gefährdungsdelikte, bei denen zwar keine konkrete Schädigung oder kein konkreter Erfolg eingetreten ist, die aber bei ungestörtem Weitergang dazu führen könnten.92 Diese Kategorie der Gefährdungsdelikte wird von der Strafrechtslehre jedoch zum Teil in Frage gestellt und statt in einer dritten Kategorie als Untergruppe der abstrakten Gefährdungsdelikte behandelt.93 Gemäß dieser traditionellen Unterscheidung werden insbesondere bei den abstrakten Gefährdungsdelikten Legitimationsmängel erkannt. Mit den abstrakten Gefährdungsdelikten, in denen eine Handlung unter Strafe gestellt wird, bevor es zu einer realen Rechtsgutsbeeinträchtigung oder einer konkreten Gefahr für ein Rechtsgutsobjekt kommt, wird die Strafbarkeit gegenüber den Verletzungs- und konkreten Gefährdungsdelikten weit vorverlagert.94 Da die abstrakten Gefährdungsdelikte nicht mit der Vermeidung einer Rechtsgutsverletzung zu legitimieren sind, bedarf es zusätzlicher Legitimationskriterien, die in der deutschen Strafrechtswissenschaft diskutiert werden.95
bb) Delikte der objektiven Gefahrensituation, Planungsdelikte und Kooperationsdelikte Sieber etabliert im Hinblick auf die Legitimation der Gefährdungsdelikte eine Unterscheidung, die noch vor der traditionellen Unterscheidung zwischen konkreten und abstrakten Gefährdungsdelikten greift, indem er „drei Haupttypen“ von Gefährdungsdelikten voneinander unterscheidet, für die jeweils spezifische Legitimationsbegründungen gelten.96 Eine solche Kategorisierung, die mit den Haupttypen und den darin erkennbaren Untergruppen u. a. über die klassische Zweiteilung hinausgeht, ermöglicht es zum einen, sich ein vollständiges Bild über die Vorverlagerung der Strafbarkeit durch Gefährdungsdelikte zu machen, und bietet zum anderen die Möglichkeit, genauer auf die Spezifizität und Problematik der Motivationsdelikte einzugehen, die als Gefährdungsdelikte ausgelegt werden. Aus diesen Gründen wird diese Art der Systematisierung für die vorliegende Untersuchung der Motivationsdelikte bevorzugt. Im Rahmen seiner Systematik der Gefährdungsdelikte unterscheidet Sieber zwischen den (1.) Delikten, die in der Außenwelt objektiv feststellbare Gefahrensituationen schaffen, (2.) den Planungsdelikten und den (3.) Kooperationsdelikten. 92
Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 101. So z. B. Baroke, in: Sinn / Gropp / Nagy, Grenzen der Vorverlagerung in einem Tatstrafrecht, S. 253; Hawickhorst, § 129a StGB – ein feindstrafrechtlicher Irrweg zur Terrorismusbekämpfung, S. 102. 94 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 305; Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 79. 95 Kindhäuser, Gefährdung, S. 280 ff.; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 305 ff. 96 Sieber, NStZ 2009, 353 (258), Hervorhebung im Original. 93
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– Eine objektive Gefahrensituation ist dann gegeben, wenn ein Täter vorsätzlich oder fahrlässig eine Gefahr geschaffen hat, die er nicht mehr beherrscht.97 Innerhalb der Gruppe der objektiven Gefahrensituationen gibt es verschiedene Kategorien. Zunächst muss zwischen den konkreten, den abstrakten und den abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten unterschieden werden.98 Dabei sieht Sieber den Legitimationsgrund der abstrakten und abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikte in der Schaffung einer Gefahrensituation, die der Täter unkontrolliert aus der Hand gegeben hat und es somit dem Zufall überlässt, ob es zu einer Verletzung des gefährdeten Rechtsguts kommt.99 Neben diesen Gruppen gebe es zwei weitere, die besondere Problematiken in sich bergen und dementsprechend auch besonderer Legitimationsbegründungen bedürfen. Dies sei zum einen bezüglich der Kumulationsdelikte der Fall, bei denen eine mögliche Rechtsgutsverletzung oder -gefährdung nicht allein aus dem Täterverhalten resultiert, sondern es zusätzlich selbständiger deliktischer Handlungen fremder Personen bedürfe.100 Bei Kumulationsdelikten könne das Unrecht der geringfügigen Verletzungshandlung damit begründet werden, dass ein Rechtsgut dann verletzt wird, wenn die gleichen Handlungen von vielen Personen und damit in massenhafter Form begangen werden.101 Dieser Deliktsbegriff kommt insbesondere im Rahmen des Schutzes von überindividuellen Interessen des Umweltstrafrechts zum Tragen.102 Außerdem finden sich innerhalb der Kategorie der objektiven Gefahrensituationen auch die Anschließungsdelikte, die dann gegeben sind, wenn jemand anderen Personen potenziell gefährliche Gegenstände oder Informationen zur Verfügung stellt, die dann für die Tatverwirklichung eingesetzt werden.103 – Bei Planungsdelikten, die auch als Versuchs- oder Vorbereitungsdelikte bezeichnet werden, beruht die Gefährdung eines Rechtsgutes auf dem Vorsatz zur Begehung der Straftat, der sich durch eine objektive und sich in der Außenwelt manifestierende Tathandlung zeigt.104 Hierunter fallen insbesondere der Versuch und die Vorbereitungsdelikte.105 – Bei den Kooperationsdelikten besteht die dem Täter vorgeworfene Gefährdung in einer Kombination der deliktischen Planung mit einer objektiven Gefährdung, die auf einer gemeinsamen Tatplanung von mehreren Personen beruht.106 97
Sieber, NStZ 2009, 353 (258). Zieschang, Gefährdungsdelikte, S. 52; Brons, Binnendissonanzen im AT, S. 195 ff.; Zweigle, Gesetzgeber im Konflikt zwischen Rechtsstaatlichkeit und Terrorismusbekämpfung, S. 137. 99 Sieber, NStZ 2009, 353 (258). 100 Kuhlen, ZStW 105 (1993), 716 ff.; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 318 ff.; Sieber, NStZ 2009, 353 (258). 101 Sieber, NStZ 2009, 353 (258). 102 Kuhlen, ZStW 105 (1993), 716 ff.; krit. zur Kategorie der Kumulationsdelikte im Umweltstrafrecht siehe Müller-Tuckfeld, KritV 1995, Vol. 78, No. 1 (1995), 75. 103 Sieber, NStZ 2009, 353 (258 f.). 104 Sieber, NStZ 2009, 353 (259 ff.); ders. / Vogel, Terrorismusfinanzierung, S. 147 ff. 105 Vertiefend hierzu siehe Brons, Binnendissonanzen im AT, S. 201 ff. 106 Sieber, NStZ 2009, 353 (261). 98
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Die Motivationsdelikte des BT des StGB scheinen auf den ersten Blick der Gruppe der objektiven Gefahrensituationen oder genauer gesagt der Untergruppe der Anschließungsdelikte anzugehören, da mit ihnen solche Handlungen erfasst werden sollen, deren Risikopotenzial darin besteht, dass andere Personen sich an die Motivation anschließen und es dadurch zu einer möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigung kommen könnte. Durch die Motivation wird also eine objektive Gefahrensituation geschaffen, an die andere Personen anknüpfen könnten. Durch das Anschlussverhalten der anderen Personen könne es später zu Beeinträchtigungen kommen. Deshalb erscheint es von Interesse, die Legitimationskriterien und die Voraussetzungen der Anschließungsdelikte zu vertiefen.
cc) Anschließungsdelikte und Kriterien der Zurechnung Unter Anschließungsdelikten sind diejenigen Delikte zu verstehen, bei denen eine Person eine Situation schafft, an der sich Dritte anschließen können und bei denen es erst durch das Anschlussverhalten sowie die nachfolgenden Entscheidungen Dritter möglicherweise zu einer Schädigung oder Gefährdung eines Rechtsguts kommen kann.107 Im Rahmen der Anschließungsdelikte wird außerdem die Problematik der Zurechenbarkeit der Handlung und der möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigung des Zweithandelnden zum Ersthandelnden ersichtlich. Es stellt sich demzufolge die Frage, inwieweit und unter welchen Voraussetzungen dem Ersthandelnden, in dessen Verhalten das Risikopotenzial liegt, dass sich andere seinem Verhalten anschließen und es möglicherweise zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung kommt, die Verantwortlichkeit für eine Rechtsgutsbeeinträchtigung auferlegt werden kann, die nur eintritt, wenn eine andere Person sich seinem Verhalten anschließt.108 Diese Frage wird in der Lehre mitunter mit Blick auf die Eigenverantwortlichkeit des Zweithandelnden und mit Blick auf den Vertrauensgrundsatz109 untersucht, die beide als Grenzen dafür gelten, die Anschlusstat dem Ersthandelnden zuzurechnen.110 107
Vgl. Sieber, NStZ 2009, 353 (258). von Hirsch, in: Simester / Smith (Hrsg.), Harm and Culpability, S. 267; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 328 ff.; von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 200; Sieber, NStZ 2009, 353 (258 f.); Simester / von Hirsch, Criminal Justice Ethics, Vol. 28, No. 1, May 2009, 98 ff. 109 Vertrauensgrundsatz, der dem Straßenverkehr entstammt und besagt, dass Verkehrsteilnehmer, die sich im Verkehr ordnungsgemäß verhalten, darauf vertrauen dürfen, dass andere dies auch tun, zumindest, solange nicht konkrete Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme vorliegen; Roxin / Greco, AT 1, § 24, Rn. 21; so auch MK-Duttge, § 15, Rn. 141 ff.; vertiefend zum Vertrauensgrundsatz im Strafrecht siehe Bautista Pizarro, Das erlaubte Vertrauen im Strafrecht, S. 25 ff. 110 Sieber, NStZ 2009, 353 (258 f.); Hörnle favorisiert eine typologische Herangehensweise, die Überlegungen über die Eigenverantwortlichkeit und den Vertrauensgrundsatz in ein Bündel von Faktoren aufspaltet; siehe Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 187 ff.; kritisch gegenüber dem Vertrauensgrundsatz in diesem Rahmen von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 203. 108
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In der Strafrechtslehre wird vor diesem Hintergrund davon ausgegangen, dass es besonderer Kriterien und Verhaltensmerkmale bedarf, die es rechtfertigen, eine mögliche Rechtsgutsbeeinträchtigung durch das Anschlussverhalten einer anderen eigenverantwortlichen Person dem Verantwortungsbereich des Ersthandelnden zuzurechnen.111 In dieser Hinsicht wird aufgeführt, dass eine Pönalisierung von Verhaltensweisen, an die möglicherweise angeknüpft werden kann und eine Begründung der Verantwortlichkeit des Ersthandelnden für das Verhalten des und die mögliche Rechtsgutsbeeinträchtigung durch den Zweithandelnden nur dann zu rechtfertigen seien, wenn ein eindeutiger deliktischer Sinnbezug gegeben ist und das Verhalten eine gewisse Qualität aufweist, die deutlich macht, dass der Ersthandelnde eine wesentliche Rolle für die Entscheidung des Zweithandelnden gespielt hat.112 Von Hirsch und Wohlers sprechen in diesem Kontext von einem „normative involvement“ des Ersthandelnden in der Entscheidung des Anschlusstäters, aufgrund dessen der Ersthandelnde für die mögliche Rechtsgutsbeeinträchtigung durch den Zweithandelnden verantwortlich gemacht werden könne.113 Ein solches normative involvement sei beim Vermitteln von deliktischem know-how gegeben, das potenziell eingesetzt werden kann.114 Gleiches gelte für das Zugänglichmachen von Gegenständen, die nur für unerlaubte Zwecken verwendet werden können (z. B. Waffen).115 Für die Motivationsdelikte von besonderer Bedeutung ist das Argument, dass eine solche besondere Qualität des Verhaltens, die es rechtfertigen würde, das Verhalten dem Ersthandelnden zuzurechnen, ebenfalls bei Äußerungen gegeben sei, die einen spezifischen Aufforderungscharakter haben und die direkt und unmittelbar darauf abzielen, straftatenfördernd zu wirken (als Beispiel dafür zählen die Autoren § 111 StGB auf).116 Hörnle, die an die Systematisierung der Gefährdungsdelikte von Wohlers und an die von ihm aufgeführte Kategorie der Vorbereitungsdelikte i. w. S.117 anknüpft, beschäftigt sich ebenfalls mit der Frage nach der Zurechenbarkeit einer sich möglicherweise später realisierenden Beeinträchtigung bzw. Gefahr für ein Rechtsgut durch das Anknüpfen einer Person an das Verhalten eines Ersthandelnden.118 In Bezug auf Kommunikations- und Beeinflussungsdelikte unterscheidet sie in die111
von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 204; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 183 ff.; Sieber, NStZ 2009, 353 (259). 112 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 335 f.; von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 203 f.; Sieber, NStZ 2009, 353 (258 f.). 113 von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 204 ff.; Simester / von Hirsch, Criminal Justice Ethics, Vol. 28, No. 1, May 2009, 98 ff.; sich dem anschließend Baker, Dennis J., New Criminal Law Review, Vol. 10, No. 3 (Summer 2007), 374, 382 ff. 114 von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 205. 115 von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 205. 116 von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 205; Sieber, NStZ 2009, 353 (259); dies unter dem Begriff „advocacy“ wieder aufgreifend Simester / von Hirsch, Criminal Justice Ethics, Vol. 28, No. 1, May 2009, 99. 117 Siehe Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 307 ff. 118 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 181 ff.
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sem Kontext innerhalb der Vorbereitungsdelikte zwischen solchen Äußerungen, die nach ihrem objektiven Aussagegehalt auf die Begehung von Straftaten abzielen und die ihre Erwartung einer Tatbegehung auch ausdrücklich deutlich machen (den sog. tatanreizenden Vorbereitungsdelikten) und solchen Äußerungen, bei denen nicht explizit zu einer deliktischen Handlung aufgefordert wird, die jedoch, wenn sie in einem besonderen sozialen Kontext geäußert wurden, andere zu Gewalttaten provozieren können (sog. straftatenfördernde Vorbereitungsdelikte).119 Dabei erkennt Hörnle bezüglich der letztgenannten Kategorie jedoch an, dass es zu Zurechnungsproblemen kommen kann, weshalb sie sich für die Herausarbeitung verschiedener Kriterien für die Zurechnung der Handlung von Dritten im Rahmen dieser Äußerungen einsetzt.120 Darunter befindet sich die Nähe der Äußerung zur Straftat sowie die potenzielle Gefährlichkeit des anschließenden Verhaltens (die sich aus der Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts und dem Ausmaß der erwarteten Verletzungen ergibt).121 Bei der Frage der Zurechenbarkeit von öffentlichen Äußerungen, die auf die erkennbare Tatgeneigtheit des Adressatenkreises abstellt, präzisiert Hörnle, dass die Tatgeneigtheit an sich nicht ausreichend für eine klare Zurechenbarkeit sei, sondern dass der Ersthandelnde selbst den Bogen von ideologischen Reden zu deliktischem Verhalten schlagen müsse.122
4. Legitimation der Motivationsdelikte Die Entscheidung des BVerfG bezüglich der verfassungsrechtlichen Verbindlichkeit der Rechtsgutslehre sowie die Überlegungen bezüglich der Vorverlagerung der Strafbarkeit machen deutlich, dass die Rechtsgutsdogmatik die Frage nach der Legitimation von Strafrechtsnormen nicht allein beantworten kann. Jedoch kann das Rechtsgut, verstanden als der konkrete Schutzgegenstand der Norm, als „Flucht bzw. Angelpunkt“ für die Deliktsstrukturen, für die Unterscheidung zwischen den Kategorien der Erfolgsdelikte und der verschiedenen Gefährdungsdelikte sowie für die Entwicklung von zusätzlichen Legitimationskriterien innerhalb dieser Kategorien dienen.123 Was bedeutet dies für die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Motivationsdelikte des deutschen Rechts?
119
Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 183 f. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 187. 121 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 187 ff. 122 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 189 f. 123 Vgl. Wohlers, Deliktstypen, S. 338 ff.; Wohlers, in: Kubiciel u. a. (Hrsg.), „Eine gewaltige Erscheinung des positiven Rechts“, S. 164. 120
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a) Bewertungsmaßstab Viele der in der vorliegenden Arbeit untersuchten Delikte werden von Jakobs als Friedensschutztatbestände bezeichnet (§§ 80a, 111, 129 Abs. 1, 129a Abs. 5, 130, 140 Abs. 1 StGB), deren Legitimation in Frage zu stellen sei.124 In der Tat stellt die h. M. für viele der Motivationsdelikte auf einen Schutz des öffentlichen Friedens, des politischen Friedens oder der öffentlichen Sicherheit ab. Hierbei handelt es sich jedoch um äußert vage und unbestimmte Rechtsgüter, deren Einsatz fraglich erscheint. Wenn – wie es die systemkritische Rechtsgutslehre tut – von einer strafbarkeitsbegrenzenden Funktion des Rechtsguts ausgegangen werden soll, so scheint es, als sei in diesem Rahmen ein Schutz von unbestimmten und vagen Universalrechtsgütern abzulehnen. In der Tat können nur Rechtsgutsobjekte, die bestimmt sind, eine strafbarkeitsbegrenzende Funktion haben, und nur bestimmte Rechtsgutsobjekte können verletzt oder gefährdet werden.125 Solche vagen und unbestimmten Rechtsgüter sind jedoch im Allgemeinen unabhängig von der systemkritischen Rechtsgutslehre abzulehnen, da sie eine weitreichende Vorverlagerung des Schutzes von Individualrechtsgütern verdecken.126 Die Motivationsdelikte können nicht mit der Schaffung eines nur schwer fassbaren Phänomens – einem straftatenfördernden Klima – gerechtfertigt werden.127 Anzusetzen ist stattdessen an der Überlegung, dass nicht ein Klima als solches verhindert werden soll (ein sog. Klimaschutz), sondern eine Straftatenbegehung und eine damit einhergehende Rechtsgutsbeeinträchtigung, die an die Motivation anschließt bzw. eine Antwort auf die Motivation ist und die Handlung eines Dritten verlangt. Zentral ist demzufolge die Frage, welche Rechtsgüter durch die Straftaten beeinträchtigt werden können, zu deren Begehung motiviert wird, und somit auch die Frage, inwiefern eine nur mittelbar von diesem verursachte Beeinträchtigung dem Ersthandelnden zugerechnet werden kann.128 Da diese Fragen mit der Anerkennung eines vagen Universalrechtsguts – wie es der Fall für viele der Motivationsdelikte ist – verschleiert werden, sind Universalrechtsgüter als Legitimation für Motivationsdelikte abzulehnen. Aus den bereits genannten Gründen wird für die vorliegende Untersuchung der Legitimation der Motivationsdelikte – die Vorfelddelikte sind – daher die Lösung der Strafrechtsdogmatik bevorzugt, der zufolge die Gefährdungsdelikte in Delikte, die in der Außenwelt objektiv feststellbare Gefahrensituationen schaffen, Planungsdelikte und Kooperationsdelikte unterteilt werden. Mit Blick auf das zuvor Gesagte kann angemerkt werden, dass sich viele Motivationsdelikte des Besonderen Teils des StGB in die Kategorie der objektiven Gefahrschaffungsdelikte oder genauer gesagt in die Kategorie der Anschließungsdelikte einordnen lassen. Es soll durch124 125 126 127 128
Jakobs, ZStW 97 (1985), 774. Beck, Unrechtsbegründung und Vorfeldkriminalisierung, S. 94. Vgl. Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 37; Sieber, NStZ 2009, 353 (261). Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 96. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, 96.
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aus verhindert werden, dass es durch die erfassten Handlungen zu einer Motivation von anderen kommt, die sich dem Ersthandelnden potenziell anschließen können, wodurch es möglicherweise zu Rechtsgutsbeeinträchtigungen kommen kann. Der Umstand, dass mit der Motivation die Möglichkeit einer Rechtsgutsbeeinträchtigung durch das Anschlussverhalten eines Motivierten geschaffen wird, kann jedoch alleine nicht ausreichen, um eine Strafandrohung zu rechtfertigen, die sich auf die Handlung des Ersthandelnden bzw. des Motivators bezieht.129 In dieser Hinsicht kann mit Blick auf die Eigenverantwortlichkeit auch nicht jede Einflussnahme des Ersthandelnden ausreichen, um ihn für die möglicherweise später eintretende Rechtsgutsbeeinträchtigung durch das Verhalten des Zweithandelnden verantwortlich zu machen.130 Demzufolge muss die Motivation des Ersthandelnden, wie in der Lehre gefordert wird, eine gewisse Qualität aufweisen – es muss eine „normative Beteiligung“ in der Entscheidung des Anschlusstäters erkennbar sein, die eine solche Zurechenbarkeit rechtfertigen kann.131 Eine solche Qualität ist im Rahmen der Motivationsdelikte dann gegeben, wenn die Motivation ihrem objektiven Aussagegehalt nach aktiv auf die Begehung einer oder mehrerer in der Zukunft liegender Straftaten hinwirkt. Demnach muss sich die Motivation unmittelbar auf eine Straftatbegehung beziehen.132 Denn man kann das Verhalten des Zweithandelnden nicht dem Ersthandelnden zurechnen, wenn dieser objektiv zu einer neutralen Handlung aufgefordert hat, die erst durch weitere Verhaltensweisen ein Risikopotenzial entwickelt.133 Die Aufforderung, ein Messer aus der Schublade zu holen, ohne dabei einen deliktischen Sinnbezug zu etablieren, reicht nicht aus, um den Ersthandelnden für die möglichen Konsequenzen des Verhaltens des Zweithandelnden verantwortlich zu machen. Auch der Bezug auf eine in der Vergangenheit liegende Straftat reicht nicht aus, solange nicht der Bogen zu einer neu zu begehenden Straftat gespannt wird.134 Die Motivation muss also einen gewissen Handlungsdruck ausüben oder einen gewissen Aufforderungscharakter zum Ausdruck bringen, d. h., dass zusammen mit der geäußerten Motivation auch die Erwartung einer Tathandlung formuliert werden muss.135 In dieser Hinsicht reicht das Schaffen eines straftatenfördernden Klimas, eines Tatsachenarrangements oder eines einfachen Ratschlags für sich allein genommen nicht aus, um einen Handlungsdruck aufzubauen. Eine wichtige Rolle für den Aufbau eines
129
Vgl. von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 201. 130 von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 204. 131 von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 204 (normative involvement). 132 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 187 f. 133 Siehe von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 206 f. 134 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 189 f. 135 Siehe von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 204 ff.
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solchen Handlungsdruckes kann jedoch auch die Bindung oder das Verhältnis zwischen dem Motivator und dem Motivierten spielen. In der Tat ist zu erwarten, dass, wenn sich der Motivator direkt an eine bestimmte Person richtet und sich dadurch eine persönliche Beziehung zwischen dem Motivator und dem Motivierten entwickelt oder eine solche bereits gegeben ist, auch die Motivation an Intensität und damit an Handlungsdruck hinzugewinnt und dass der Motivierte sich dem durch den Motivator aufgebauten Einfluss weniger leicht entziehen kann. Der Handlungsdruck nimmt in dieser Hinsicht außerdem weiter zu, wenn beide Beteiligten in einem Macht- oder Unterordnungsverhältnis zueinanderstehen (z. B. Vorgesetzter / Untergebener). Die Tatsache, dass bei Äußerungen, die an die Öffentlichkeit bzw. an einen unbestimmten Personenkreis gerichtet sind, Mechanismen wie z. B. die Gruppendynamik auftreten können, die möglicherweise die Gefährlichkeit der Äußerung erhöhen können, lässt an sich ebenfalls keine Rückschlüsse darauf zu, ob mögliche Konsequenzen des Verhaltens von Dritten dem Ersthandelnden zugerechnet werden können. Schließlich kann bei einer öffentlichen und neutralen Äußerung bzw. bei einer öffentlichen Äußerung ohne Handlungsdruck aufgrund verschiedener und zuweilen unbekannter Variablen nie gänzlich die Möglichkeit ausgeschlossen werden, dass andere Personen sich dem Gesagten anschließen. Dies begründet jedoch noch keine Verantwortlichkeit. In dieser Hinsicht stellt sich insbesondere mit Blick auf die indirekten Motivationsdelikte, bei denen die Einwirkung schwächer sein kann und bei denen die Anforderungen an die Bestimmtheit abnehmen, die Frage, ob und wann die Konsequenzen der Handlung des Zweithandelnden dem Ersthandelnden (Motivator) zugerechnet werden können und ob Delikte somit als Anschließungsdelikte behandelt werden können. Für die Beantwortung dieser Frage ist die o.g. Differenzierung zwischen den direkten Motivationsdelikten und den indirekten Motivationsdelikten wichtig und hilfreich, weshalb wieder auf sie zurückgegriffen werden soll. Die bevorzugte Lösung der deutschen Strafrechtsdogmatik für das Problem der Legitimationsfrage bezüglich von Gefährdungsdelikten soll im Folgenden auch auf die Untersuchung der Motivationsdelikte angewendet werden. Dieser Bewertungsmaßstab und die Zurechnungslösung der Motivationsdelikte können jedoch nur unter dem Vorbehalt auf die französischen Vorschiften übertragen werden, dass die französische Strafrechtslehre keine eigenen Legitimationskriterien oder Begründungen für diese Art von Vorfelddelikten kennt.
b) Direkte Motivationsdelikte aa) Teilnahmeregelung (§ 26 StGB, §§ 33, 34 WStG) Sowohl § 26 StGB (Anstiftung) als auch die §§ 33, 34 WStG (Erfolgreiches und erfolgloses Verleiten eines Untergebenen im Militär) sind Teilnahmevorschriften. Die h. M. leitet für den § 26 StGB den Strafgrund der Teilnahme von der Verursa-
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chung des Tatentschlusses des Täters ab (akzessorische Verursachungstheorie).136 Das Unrecht des Anstifters besteht lediglich in der Mittwirkung zur Haupttat, da er die Tat zwar hervorgerufen, aber nicht selbst den Tatbestand der Haupttat verwirklicht hat. Für den Strafgrund der Anstiftung ist der Auffassung einer kommunikativen Beeinflussung zuzustimmen,137 während ein bloßes Verursachen des Rechtsgutsangriffs auszuschließen ist, da sich die kommunikative Beeinflussung u. a. auch an den historischen Hintergrund der Vorschrift anschließen lässt, die in der Fassung in § 48 StGB a. F. eine nicht abschließende Liste von Anstiftungsmitteln enthielt, die einen kommunikativen Charakter hatten (z. B. Versprechen, Drohung).138 Die tätergleiche Bestrafung des Anstifters kann außerdem nur dadurch gerechtfertigt werden, dass die kommunikative Beeinflussung einen Aufforderungscharakter hat, d. h., dass sie einen gewissen Handlungsdruck zum Ausdruck bringt, der bei einem einfachen Rat, bei einem einfachen Tatsachenarrangement oder bei einer einfachen Bitte nicht gegeben ist.139 Darüber hinaus erscheint die Kriminalisierung, der Unrechtsgehalt und die Sanktion des Bestimmens eher daraus zu resultieren, dass eine nicht tatgeneigte Person (überhaupt erst) auf den Gedanken einer Tatbegehung gebracht wird. In der Tat kann für die §§ 33, 34 WStG der Ansicht gefolgt werden, dass es sich um eine Beteiligungsform handelt.140 Mit Blick auf die Gesetzesentwicklung und den Vorgänger der Vorschrift (§ 115 MStGB), in dem der Vorgesetzte als Urheber bzw. als Täter oder Anstifter der Tat des Untergebenen mit einer von der Bezugstat abhängigen, wenn auch geschärften Strafe bestraft wurde,141 wie auch im Fall von § 26 StGB (Anstiftung) der Strafgrund für die §§ 33, 34 von der Verursachung des Tatentschlusses des Täters abgeleitet werden.
bb) Versuchte Anstiftung (§ 30 Abs. 1 StGB) In Bezug auf § 30 StGB kann sich der h. M. angeschlossen werden, die aufgrund der für die Teilnahmeregelung erforderlichen Akzessorietät zu einer Haupttat den § 30 StGB nicht als Teilnahmevorschrift anerkennt, da es an einer Haupttat mangelt.142 Stattdessen handelt es sich hierbei um eine Vorschrift, in der einzelne Vorbereitungshandlungen unter Strafe gestellt werden.143 Dabei soll § 30 StGB 136
Siehe Länderbericht oben in Teil 2 Kapitel 1 A. I. 1. c) cc). Sch / Sch-Heine / Weißer, § 26, Rn. 3. 138 Vgl. Gerson, ZIS 2016, 302. 139 Redmann, Anstiftung und anstiftungsähnliche Handlungen im StGB unter Berücksichtigung linguistischer Aspekte, S. 107 f. 140 Bülte, Vorgesetztenverantwortlichkeit im Strafrecht, S. 286 ff. 141 Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 5. c). 142 Fieber, Die Verbrechensverabredung, § 30 Abs. 2,3 Alt. StGB, S. 57 f.; Thalheimer, Die Vorfeldstrafbarkeit nach §§ 30, 31 StGB, S. 10. 143 BGHSt 9, 131 (134); Fieber, Die Verbrechensverabredung, § 30 Abs. 2,3 Alt. StGB, S. 58; Thalheimer, Die Vorfeldstrafbarkeit nach §§ 30, 31 StGB, S. 11; Rogall, FS Puppe, S. 877; Becker, Verbrechensverabredung, S. 218 ff. 137
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diejenigen Rechtsgüter schützen, die den einzelnen Verbrechenstatbeständen zugrunde liegen.144 Dabei weist § 30 StGB jedoch nur einen sehr geringen Unrechtsgehalt auf, da tatbestandlich weder eine Rechtsgutsverletzung noch eine Rechtsgutsgefährdung verlangt wird, sodass es an einem Erfolgsunwert mangelt und auch der Handlungsunwert gering ist.145 Die Strafbarkeit der Anstiftung wird in der Lehre deshalb mit der erhöhten Gefährlichkeit dieser Verhaltensweisen begründet. Als besondere Gefahr der versuchten Anstiftung wird dabei erkannt, dass durch den Versuch des Bestimmens ein nicht mehr kontrollierbarer Kausalverlauf angestoßen wird.146 So sei ungewiss, ob der Hintermann das durch ihn geschaffene Tatmotiv vor Versuchsbeginn überzeugend zurückziehen kann.147 Eine Strafbegründung, die sich auf den durch die versuchte Anstiftung verursachten, typischen Kontrollverlust bezieht, erscheint jedoch fragwürdig. Der Kontrollverlust kann nämlich nicht als typische Folge der versuchten Anstiftung in § 30 StGB gesehen werden.148 In der Tat fehlt sowohl bei der misslungenen Anstiftung, d. h., dann, wenn der Adressat die Begehung der Tat von vornherein ablehnt, als auch bei der untauglichen Anstiftung, also dann, wenn der Täter bereits zur Tat entschlossen war (omnimodo facturus), eine Kontrolle des Anstifters über das Tatgeschehen.149 Da der Anstifter nicht verlieren kann, was er nicht hat, lässt sich eine Rechtfertigung der Strafbarkeit der versuchten Anstiftung nur schwer über den Kontrollverlust begründen. Für die Suche nach einem anderen Begründungsansatz für die Strafbarkeit der versuchten Anstiftung muss angemerkt werden, dass sich zwischen § 30 StGB und Gefährdungsdelikten gewisse Ähnlichkeiten identifizieren lassen, die die Frage aufwerfen, ob die versuchte Anstiftung mit Rückgriff auf die Legitimationskriterien der Gefährdungsdelikte legitimiert werden könnte.150 Auch wenn es sich bei der versuchten Anstiftung nicht um einen selbständigen Tatbestand, sondern um eine von den Delikten des BT des StGB abhängige Vorbereitungstat handelt, liegt doch sowohl den Gefährdungsdelikten als auch der versuchten Anstiftung ein präventiver Gedanke zugrunde: In beiden Fällen wird die Strafbarkeit vorverlagert, da verhindert werden soll, dass es zu einer Tatbegehung und somit zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung kommt.151 In diesem Rahmen könnte die versuchte Anstiftung als objektives Gefährdungsdelikt oder genauer gesagt als Anschließungsdelikt 144
Rogall, FS Puppe, S. 877. Becker, Der Strafgrund der Verbrechensverabredung gem. § 30 Abs. 2, Alt. 3 StGB, S. 218. 146 BGH NJW 2013, 1106; Sch / Sch-Heine / Weißer, § 30, Rn. 1; SK-Hoyer, § 30, Rn. 11. 147 SK-Hoyer, § 30, Rn. 11. 148 Becker, Der Strafgrund der Verbrechensverabredung gem. § 30 Abs. 2, Alt. 3 StGB, S. 221 ff. 149 Becker, Der Strafgrund der Verbrechensverabredung gem. § 30 Abs. 2, Alt. 3 StGB, S. 221 ff. 150 Vgl. Fieber, Die Verbrechensverabredung, § 30 Abs. 2,3 Alt. StGB, S. 144 ff. (In Bezug auf die Verbrechensverabredung in § 30 Abs. 2 StGB). 151 Vgl. Thalheimer, Die Vorfeldstrafbarkeit nach §§ 30, 31 StGB, S. 11; Rogall, FS Puppe, S. 872. 145
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legitimiert werden. Denn in der versuchten Anstiftung kann durchaus die Gefahr bestehen, dass durch das Bestimmen eine objektiv feststellbare Gefahrensituationen geschaffen wird, an die möglicherweise andere anknüpfen, die sich dadurch motiviert fühlen und dass es aufgrund der weiteren Entschlüsse von Zweithandelnden möglicherweise zu einer Beeinträchtigung von Individualgütern kommt. In diesem Fall würde sich jedoch auch bezüglich der versuchten Anstiftung die Frage stellen, ob die Rechtsgutsbeeinträchtigung, die erst durch das Handeln von Dritten und nur möglicherweise eintreten kann, dem Ersthandelnden zugerechnet werden kann. Eine solche Zurechnung scheint, wie oben gezeigt, nur dann möglich, wenn das Verhalten sich auf eine Straftat bezieht und eine besondere Qualität hat. Eine solche Qualität ist dann gegeben, wenn das Bestimmen des § 30 Abs. 1 StGB wie im Kontext der Anstiftung verstanden wird, d. h., wenn das Bestimmen als kommunikative Beeinflussung mit Aufforderungscharakter verstanden wird und das bloße Anreizen oder Tatsachenarrangement ausgeschlossen ist. Potenziell wäre diesem Verständnis zufolge die Strafbarkeit der versuchten Anstiftung als Anschließungsdelikt zu legitimieren.
cc) Bestimmen eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG) § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG erfasst das Bestimmen eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln. Es handelt sich um einen selbständigen Tatbestand, bei dem die Teilnahmehandlung zur Täterschaft erhoben wurde. Den Schutz des Universalrechtsguts der Volksgesundheit, die als die Gesundheit von vielen verstanden wird, ist für § 30a Abs. 2 Nr. 1 auszuschließen. Stattdessen handelt es sich hier um ein vages Universalrechtsgut, das keinen eigenständigen Gehalt hat.152 Zu bevorzugen ist die Ansicht, dass das BtMG anstelle der Volksgesundheit individuelle Rechtsgüter schützt, da die primäre Konsequenz des Drogenkonsums die Gesundheit der Konsumenten betrifft.153 Aufgrund der Problematik der Eigenverantwortlichkeit ist in dieser Konstellation das Betäubungsmittelstrafrecht und somit die Strafbarkeit des Handelns mit Betäubungsmitteln jedoch nur durch die Gefahr zu rechtfertigen, dass Betäubungsmittel in die Hände von Personen gelangen könnten, bei denen die Selbstverantwortlichkeit für die Selbstverletzung nicht gegeben ist (wie z. B. bei Minderjährigen oder Rauschgiftsüchtigen), unabhängig davon, ob eine solche Situation tatsächlich zu befürchten ist oder nicht.154 Demzufolge könnte das Verbot des Bestimmens eines Minderjährigen zum unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln als Anschließungsdelikt gerechtfertigt werden, da in dem bestraften Verhalten die Gefahr liegt, dass es durch die Anknüp152
Vgl. Köhler, ZStW 104 (1992), 27 f.; Nestler, in: Kreuzer / Albrecht (Hrsg.), Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11, Rn. 20 ff. 153 Hefendehl, in: ders. / von Hirsch / Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 128. 154 Loos, JR 1982, 342.
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fungstat des Minderjährigen zu einer möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigung derjenigen Personen kommt, bei denen die Eigenverantwortlichkeit noch nicht oder nicht mehr gegeben ist. Wie oben angeführt, ist die Strafandrohung dieses Verhaltens, dessen Risikopotenzial darin besteht, dass es durch das Anknüpfungsverhalten eines Minderjährigen möglicherweise zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung kommen kann, jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn die mögliche Rechtsgutsbeeinträchtigung dem Motivator zugerechnet werden kann. Eine solche Zurechnung ist jedoch nur dann möglich, wenn das Verhalten des Ersthandelnden eine besondere Qualität i. S. eines Handlungsdruckes aufweist, die es rechtfertigt, das Verhalten des Zweithandelnden dem Motivator zuzurechnen. Ein solcher Handlungsdruck ist mit Blick auf die Anforderungen der Motivation allein jedoch nicht gegeben, da die h. M. davon ausgeht, dass für § 30a Abs. 1 Nr. 2 BtMG eine kommunikative Beeinflussung genügt, die durch jedes Mittel und auf jede Weise erfolgen kann (Versprechen, Täuschung, Ratschlag).155 So verstanden hat das Bestimmen keine besondere Qualität, die eine Zurechenbarkeit rechtfertigen würde. Ein solcher Handlungsdruck könnte jedoch dadurch gerechtfertigt werden, dass in dem Tatbestand verlangt wird, dass das Bestimmen an eine bestimmte Person bzw. an einen Minderjährigen gerichtet sein muss. In diesem Rahmen kann sich zum einen eine Bindung zwischen dem Motivator und dem Motivierten ergeben, die es dem Motivator ermöglicht, einen gewissen Einfluss auf das Geschehen zu behalten und das Verhalten kontinuierlich anzuheizen und die dem Motivierten zugleich den Ausstieg erschwert. Hinzu kommt, dass das Verhältnis Erwachsener / Minderjähriger in gewisser Weise selbst schon einen Handlungsdruck ausübt, dem sich ein Minderjähriger nur schwer entziehen kann.156
dd) Verleiten eines Untergebenen zu einer Straftat (§ 357 StGB) Der h. M. nach schützt § 357 StGB sowohl das Vertrauen der Bürger in die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns und in die ordnungsgemäße Kontrolle von Untergebenen durch Vorgesetzte als auch diejenigen Rechtsgüter, die durch die rechtswidrige Tat des Untergebenen beeinträchtigt werden.157 Dabei scheint es jedoch schwierig, das Vertrauen als Rechtsgut anzuerkennen, da es sich hierbei um einen konturlosen Begriff handelt, der nur schwer einzugrenzen ist.158 Ein derart vages Rechtsgut ist auszuschließen. Stattdessen ist ein Schutz derjenigen Rechtsgüter in Betracht zu ziehen, zu deren Beeinträchtigung der Untergebene bestimmt wurde, da dies auch die gleiche Strafandrohung wie für den Haupttäter rechtferti-
155
MK-Oğlakcıoğlu, § 30 BtMG, Rn. 53; Weber-BtMG, § 30a, Rn. 52; Körner / Patzak / Volkmer-Patzak, § 30 BtMG, Rn. 33. 156 Die höhere Beeinflussbarkeit von Minderjährigen wird auch in der Kriminologie untersucht, siehe Neubacher, Kriminologie, S. 71; Walter / Neubacher, Jugendkriminalität, Rn. 255 ff. 157 Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 4. c). 158 Beckemper ZIS 2011, 318 ff.
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gen würde.159 Somit stellt sich die Frage, ob § 357 StGB als Anschließungsdelikt legitimiert werden kann. Die Rechtfertigung der Vorschrift aufgrund des Risikopotenzials des Verhaltens, das darin besteht, dass andere Personen sich dadurch motiviert fühlen könnten und es daran anknüpfend möglicherweise zu Rechtsgutsbeeinträchtigungen kommen könnte, wirft jedoch u. a. die Frage der Zurechenbarkeit und der notwendigen Qualität des Verhaltens des Ersthandelnden auf. Das Verleiten muss im Rahmen von § 357 StGB eine gewisse Qualität aufweisen, also einen Handlungsdruck zum Ausdruck bringen, aufgrund dessen der Motivator für die Handlung des Motivierten verantwortlich gemacht werden kann. Ein Verleiten, das der h. M. nach als Einflussnahme jeder Art und damit als einfaches Anreizen verstanden werden kann160, ist in diesem Rahmen nicht ausreichend. Dabei wird jedoch auch in § 357 StGB verlangt, dass das Verleiten im Rahmen einer Vorgesetzten / Untergebenen-Beziehung an eine bestimmte Person gerichtet ist. Auf diese Weise könnte in diesem Zusammenhang eine Zurechenbarkeit gerechtfertigt werden, da sich somit eine Bindung zwischen dem Motivator und dem Motivierten und damit ein Handlungsdruck etablieren kann, wobei das bestehende Macht- und Abhängigkeitsverhältnis es dem Motivator ermöglicht, Einfluss auf das Geschehen zu behalten und das Verhalten kontinuierlich anzuheizen, während es dem Motivierten einen Ausstieg erschwert.
ee) Öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) Die h. M. geht für § 111 StGB von einem doppelten Rechtsgut aus: Die Vorschrift schütze sowohl die Rechtsgüter, zu deren Verletzung aufgerufen wird, als auch das Rechtsgut des inneren Gemeinschaftsfriedens.161 Eine präzise Bestimmung des inneren Gemeinschaftsfriedens erweist sich jedoch als problematisch. Zuweilen wird der innere Gemeinschaftsfrieden in Anlehnung an das Konzept des öffentlichen Friedens als Zustand allgemeiner Sicherheit (objektives Element) und als Sicherheitsgefühl der Bevölkerung (subjektives Element) verstanden.162 Es ist jedoch unklar, was unter allgemeiner Sicherheit zu verstehen ist bzw. unter welchen Umständen diese gegeben ist, da jede Straftat ein Verbot gegen die Rechtsordnung darstellt.163 Ähnliche Bedenken können bezüglich des subjektiven Elements geltend gemacht werden, wobei der Gefühlszustand lediglich als die Summe der Gefühle einzelner Bürger verstanden werden kann.164 Ein derart vages Rechtsgut ist eben aufgrund seiner Unbestimmtheit abzulehnen.
159
Vgl. MK-Schmitz, § 357, Rn. 2; SK-Rogall, § 357, Rn. 4. Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. I. 4. d). 161 Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. II. 1. c). 162 Kissel, Aufrufe zum Ungehorsam und § 111 StGB, S. 131 f. 163 Hörnle, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 270. 164 Hörnle, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, S. 271; Chou, Zur Legitimität von Vorbereitungsdelikten, S. 172 f. 160
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Stattdessen kann der Meinung gefolgt werden, die in § 111 StGB den Schutz der Rechtsgüter sieht, die durch die Straftat beeinträchtigt werden, zu deren Begehung aufgefordert wird.165 Damit § 111 StGB als Anschließungsdelikt eingeordnet und legitimiert werden kann, muss der Frage nachgegangen werden, ob der Tathandlung eine Qualität immanent ist, aufgrund derer es gerechtfertigt erscheint, demjenigen, der auffordert, die Verantwortung für die Konsequenzen zugeschrieben werden kann, die aus der Handlung des Zweithandelnden resultieren können. Eine solche Qualität kann sich zum einen aus der Äußerung selbst, zum anderen aber auch aus den Äußerungsumständen ergeben. Nicht ohne Grund wird verlangt, dass die Aufforderung einen „appellativen Charakter“ hat und demzufolge die Erwünschtheit der Realisierung der Tat deutlich gemacht werden muss.166 Dies ermöglicht es, einfache tatanreizende oder billigende Äußerungen auszuschließen. Die Äußerung muss vielmehr ihrem objektiven Aussagegehalt nach auf die Begehung einer Straftat abzielen. Im Unterschied zur Anstiftung in § 26 StGB oder der versuchten Anstiftung in § 30 Abs. 1 StGB wird in diesen Fällen jedoch keine bestimmte Person motiviert und es kann demzufolge auch keine persönliche Bindung etabliert werden, die den Handlungsdruck erhöhen könnte. Hingegen kann jedoch gerade die Tatsache, dass die Aufforderung an einen unbestimmten Adressatenkreis gerichtet ist, eine besondere Gefährlichkeit in sich bergen. Denn hierdurch können zahlenmäßig mehr Personen erreicht und potenziell motiviert werden, und es kann, wenn die Aufforderung öffentlich geäußert wurde, ein gruppendynamischer Effekt eintreten. Diese Elemente lassen erkennen, dass mit der in § 111 StGB erfassten Handlung darauf abgezielt wird, zu verhindern, dass eine in der Außenwelt objektiv feststellbare Gefahrensituationen geschaffen wird. Es handelt sich bei der Vorschrift also um ein Anschließungsdelikt, weshalb sich die Frage nach der Zurechenbarkeit aufgrund des Charakters der Aufforderung und der hierfür geltenden Anforderungen nicht weiter stellt.
ff) Werben für kriminelle und terroristische Vereinigungen (§§ 129 Abs. 1 und 129a Abs. 5 StGB) In der Lehre wird darüber diskutiert, ob die §§ 129 und 129a StGB ein eigenes Rechtsgut, die öffentliche Sicherheit oder die Rechtsgüter des Besonderen Teils des Strafrechts schützen.167 Dabei kommt es jedoch zu Schwierigkeiten bei der Definition des Rechtsguts der öffentlichen Sicherheit. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit findet u. a. in § 125 StGB eine strafrechtliche Anwendung. Dort wird er als Zustand der relativen Freiheit aller Bürger von Gefahren für Leben, Gesundheit und Sachgüter durch rechtswidrige Angriffe anderer sowie als das Vertrauen 165
Kissel, Aufrufe zum Ungehorsam und § 111 StGB, S. 131 ff.; NK-Paeffgen, § 111, Rn. 3; SK-Wolters, § 111, Rn. 2. 166 Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. II. 1. d) aa). 167 Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. II. 3. c).
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3. Teil: Bewertung
der Bevölkerung auf die Existenz dieser Freiheit von Gefahren verstanden.168 Dies lässt bereits erkennen, dass es sich bei diesem Universalrechtsgut lediglich um eine Ansammlung von Individualrechtsgütern handelt. Aus diesem Grund sowie aus der sich dadurch ergebenden Unbestimmtheit der öffentlichen Sicherheit wird diese von manchen Teilen der Lehre als eigenständiges Rechtsgut abgelehnt169 und entsprechend als Scheinrechtsgut170 bezeichnet. Dieser Auffassung zufolge handle es sich beim Begriff der öffentlichen Sicherheit um eine polizeirechtliche Formulierung und um einen Sammelbegriff für bestehende Individual- und Universalrechtsgüter.171 Umstritten ist ebenfalls das Verhältnis zwischen der öffentlichen Sicherheit und dem öffentlichen Frieden, der als unbedrohtes Dasein aller im Staat sowie als das Vertrauen der Bevölkerung in die Fortdauer dieses Zustandes verstanden wird.172 Diesbezüglich wird in der Lehre sowohl die Meinung vertreten, dass der öffentliche Friede die öffentliche Sicherheit umfasse173, als auch die Meinung, dass der öffentliche Friede umgekehrt ein Teilaspekt der öffentlichen Sicherheit sei174. Aufgrund der Unbestimmtheit des Begriffs ist die öffentliche Sicherheit als Rechtsgut für die §§ 129, 129a StGB auszuschließen. Es ist stattdessen der Auffassung zu folgen, der zufolge es sich bei den durch die Vorschrift geschützten Gütern um diejenigen handelt, die durch die tatsächliche Begehung der vom Vereinigungszweck umfassten Straftaten angegriffen und möglicherweise auch verletzt werden.175 Eine solche Begründung kann auch in Bezug auf das Verbot des Werbens in § 129 Abs. 1 und § 129a Abs. 5 StGB angewendet werden, um die Strafandrohung dieser Verhaltensweisen zu rechtfertigen. So kann in dem Werben um Unterstützer oder Mitglieder die Gefahr gesehen werden, dass andere Personen sich den Vereinigungen anschließen, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von mehreren Straftaten bzw. terroristischen Taten gerichtet ist, und dass sie in diesem Rahmen möglicherweise straffällig werden und Rechtsgüter beeinträchtigen. Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die Gefahr einer möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigung durch das Motivieren in Form des Werbens und das Anschlussverhalten wirklich gegeben ist und ob diese Gefahr dem Ersthandelnden zugerechnet werden kann. Damit eine solche Zurechnung gegeben ist, muss die Äußerung bzw. das Motivieren auf einer objektiven Ebene eine Qualität haben, die es ermöglicht, den Motivator für das Verhalten des Zweithandelnden verantwortlich zu machen. Bei dem Begriff des Werbens, wie er in den § 129 Abs. 1 und § 129a Abs. 5 StGB gebraucht wird, handelt es sich laut der h. M. um ein planmäßiges Vorgehen mit dem für den Durchschnittsadressaten erkennbaren Ziel, andere 168
SK-Stein, § 125, Rn. 19. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 94. 170 Hefendehl, ZIS 10/2012, 510. 171 Hawickhorst, § 129a StGB – ein feindstrafrechtlicher Irrweg zur Terrorismusbekämpfung, S. 152. 172 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 288 f. 173 MK-Schäfer / Anstötz, § 129, Rn. 1. 174 LK-Krauß, § 125, Rn. 56. 175 SK-Stein / Greco, § 129a, Rn. 6. 169
3. Teil: Bewertung
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für die Organisation zu gewinnen. Dabei wird die Tathandlung auf das Werben um Mitglieder und Unterstützer beschränkt, was deutlich macht, dass das einfache befürwortende Eintreten für eine solche Vereinigung, die Rechtfertigung ihrer Ziele oder der aus ihr heraus begangenen Straftaten sowie die Verherrlichung ihrer Ideologie von dem Tatbestand nicht erfasst werden. Die Äußerung bzw. das Motivieren kann, insofern sie bzw. es wie geschildert verstanden wird, durch ihren objektiven Aussagegehalt demzufolge einen Handlungsdruck ausüben. Im Unterschied zur Aufforderung in § 111 StGB ist das Motivieren im Rahmen der § 129 Abs. 1 und § 129a Abs. 5 StGB nicht unmittelbar darauf ausgerichtet, zur Begehung einer Straftat zu motivieren. Nicht ohne Grund gibt es im Rahmen des Werbens einen Zwischenschritt: den Anschluss an die Vereinigung als Mitglied oder Unterstützer. Es wird also nicht direkt zur Begehung von Straftaten, sondern in erster Linie „nur“ zu einem Anschluss an eine Vereinigung motiviert, in dessen Folge es möglicherweise zu Rechtsgutsbeeinträchtigungen kommen kann. Aufgrund des Organisationsbezuges des Werbens nimmt dieser Zwischenschritt dem Werben jedoch nichts von seiner möglichen Gefahr für eine spätere Straftatbegehung. Auschlaggebend hier ist, dass es beim Werben um einen Anschluss an eine Vereinigung geht, deren Zweck und Tätigkeit darauf gerichtet ist, Straftaten zu begehen, und dass dementsprechend davon auszugehen ist, dass es durch das Anschlussverhalten des Motivierten früher oder später auch zu einer Tatbegehung im Rahmen der Vereinigung kommen wird. Dies gilt umso mehr, als es innerhalb der Vereinigung zu einer gruppenbezogenen Eigendynamik kommen kann, die das Risiko für eine potenzielle Straftatbegehung erhöht, indem die Hemmschwelle zur Tatbegehung herabgesetzt wird. Demzufolge kann auch das Verbot des Werbens in den § 129 Abs. 1 und § 129a Abs. 5 StGB als Anschließungsdelikt gerechtfertigt werden, da trotz Zwischenschritt die Gefahr geschaffen wird, dass es zu einem Anschlussverhalten und damit zu einer möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigung kommen kann, wobei dem Ersthandelnden diese Gefahr bzw. die mögliche Rechtsgutsbeeinträchtigung aufgrund der besonderen Qualität seines Verhaltens durchaus zugerechnet werden kann.
gg) Aufforderung zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 und § 130 Abs. 2 Nr. 1b–2 StGB) Die h. M. geht für § 130 StGB vom Schutz des öffentlichen Friedens aus.176 Jedoch stößt die Strafrechtsdoktrin auf Definitions- und Umgrenzungsprobleme dieses Universalrechtsguts, das dementsprechend auch oft als Scheinrechtsgut bezeichnet wird.177 Gewöhnlicherweise wird der öffentliche Frieden sowohl durch die Lehre als auch durch die Rechtsprechung mit dem objektiven Element des 176
Siehe oben Teil 2 Kapitel 1 B. I. 1. c). Hefendehl, ZIS 10/2012, 510; Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 103 ff. 177
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3. Teil: Bewertung
Zustands allgemeiner Rechtssicherheit sowie mit dem subjektiven Element des Bewusstseins der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden zu leben, definiert.178 Diese Definition wird in der Lehre jedoch u. a. aufgrund der ihr immanenten Ungenauigkeit, insbesondere des subjektiven Elements, sowie wegen der Kombination und Nebeneinanderstellung beider Elemente kritisiert.179 Dieser Kritik ist beizupflichten und der öffentliche Friede als eigenständiges Universalrechtsgut abzulehnen. Als mögliches Rechtsgut für § 130 StGB kommen die Rechtsgüter der potenziellen Opfer in Betracht. So wird sowohl in der Lehre als auch in der Rechtsprechung für die Tathandlungen des § 130 StGB argumentiert, dass sie ein Risikopotenzial bergen, das darin liege, dass andere sich durch die erfassten Verhaltensweisen dazu motiviert fühlen könnten, an diese anzuknüpfen, wodurch es letztlich möglicherweise zu Rechtsgutsbeeinträchtigungen kommen könne.180 Für eine Einordnung und Rechtfertigung der Strafvorschrift als Anschließungsdelikt stellt sich somit erneut die Frage der Zurechnung. In dieser Hinsicht kann für das Auffordern zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen in § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2 StGB und das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen von solchen Inhalten an Personen unter 18 Jahren bestraft in § 130 Abs. 2 Nr. 1b StGB betreffend argumentiert werden, dass solche Handlungen durchaus dazu in der Lage sind, andere dazu zu motivieren, die Rechtsgüter der angegriffenen Bevölkerungsteile zu beeinträchtigen.181 Über den Verweis auf ein Rechtsgut hinaus stellt sich für die Legitimation eines solchen Verbots aber auch die Frage, inwiefern eine mögliche Rechtsgutsbeeinträchtigung durch das Verhalten anderer dem Ersthandelnden zuzurechnen ist.182 Eine Zurechenbarkeit in diesem Sinne scheint nur dann gegeben, wenn die Handlung eine besondere Qualität hat, nämlich dann, wenn es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie einen Handlungsdruck auf die Motivierten ausübt, aufgrund dessen der Ersthandelnde bzw. der Motivator für das Verhalten des Zweithandelnden und somit die Rechtsgutsbeeinträchtigungen der anvisierten Opfer verantwortlich gemacht werden kann. Eine solche Qualität ist bei der Aufforderung vorhanden. Schließlich wird verlangt, dass diese einen appellativen Charakter hat und als eine ausdrückliche oder konkludente Einwirkung auftritt, die mit dem Ziel, bei Dritten den Entschluss zu bestimmten Handlungen hervorzurufen, über das bloße Befürworten und Anreizen hinausgeht. Als weiterer Anknüpfungspunkt dafür, dass die in § 130 StGB erfasste Aufforderung einen ge178 OLG Celle, NJW 1970, 2257; BGH, NJW 2005, 689 (691); Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 214; LK-Krauß, § 130, Rn. 63; MK-Schäfer / Anstötz, § 130, Rn. 22. 179 Fischer, NStZ 1988, 159 (162); Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 90 ff.; Ulbricht bezeichnet den öffentlichen Frieden als Leerformel. Siehe Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 137 ff. 180 Siehe oben z. B. Teil 2 Kapitel 1 B. I. 1. c); Junge, Das Schutzgut des § 130 StGB, S. 72 ff.; a. A. Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 211. 181 Vgl. Junge, Das Schutzgut des § 130 StGB, S. 73. 182 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 297 ff.
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wissen Handlungsdruck ausübt, kann angeführt werden, dass der Rechtsprechung zufolge Parolen wie „Juden raus“ oder „Ausländer raus“ nicht den Tatbestand verwirklichen, da in diesen nicht deutlich wird, dass zu Gewalttätigkeiten gegen die betreffenden Bevölkerungsteile aufgefordert wird. Fraglich scheint hierbei jedoch die Annahme der Rechtsprechung, dass ein zu diesen Parolen hinzugefügtes Hakenkreuz ausreiche, um den erforderlichen Handlungsdruck hervorzurufen. In diesem Fall scheint die Schlussfolgerung naheliegend, dass die Äußerungen trotz des hinzugefügten Hakenkreuzes nicht die benötigte Qualität aufweisen, die erforderlich wäre, um spätere mögliche Rechtsgutsbeeinträchtigungen durch den Zweithandelnden dem Ersthandelnden zuzurechnen.183 Fraglich bleibt eine solche Zurechenbarkeit bei § 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB, in dem das Herstellen, Beziehen, Liefern, Vorrätighalten, Anbieten, Bewerben, Ein- oder Auszuführung solcher Inhalte, die zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen auffordern, mit der Absicht einer Verwendung unter Strafe gestellt wird. Die Handlungen allein erscheinen nicht ausreichend eine solche Zurechenbarkeit zu rechtfertigen. Aufgrund des Inhaltes – einer Aufforderung zu Gewalt- und Willkürmaßnahmen – könnte jedoch aus den obengenannten Gründen eine Zurechenbarkeit gegeben sein.
c) Indirekte Motivationsdelikte aa) Aufstacheln zu Hass (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1), Beschimpfen, böswillig Verächtlichmachen oder Verleumden (§ 130 Abs. 1 Nr. 2), Billigen, Leugnen und Verharmlosen der in der NS-Zeit begangenen Handlungen (§ 130 Abs. 3) und Billigen, Verherrlichen oder Rechtfertigen der NS-Gewaltund -Willkürherrschaft (§ 130 Abs. 4 StGB) Wie oben ausgeführt, kommen als mögliche geschützte Rechtsgüter für § 130 StGB die Rechtsgüter der potenziellen Opfer in Betracht. Der öffentliche Frieden ist aus den oben genannten Gründen als eigenständiges Universalrechtsgut abzulehnen. Für eine Einordnung und Rechtfertigung der Alternativen der Strafvorschrift als Anschließungsdelikte stellt sich somit die Frage der Zurechnung. Für das Aufstacheln zu Hass gegen bestimmte Gruppen, Bevölkerungsteile oder Einzelpersonen in § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1, den Verbreitungshandlungen in § 130 Abs. 2 Nr. 1 und den Vorbereitungshandlungen zur Verwendung solcher Inhalte in § 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB stellt sich die gleiche Frage wie für das Auffordern. Auf den ersten Blick scheint es, als handle es sich bei dieser Variante ebenfalls um ein Anschließungsdelikt, das dem Schutz von Individualrechtsgütern dient, weil die Gefahr besteht, dass andere Personen an das Aufstacheln zum Hass anknüpfen, sich davon motiviert fühlen und es in der Folge zu Gewalttätigkeiten gegen die jeweils 183
Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 299.
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3. Teil: Bewertung
anvisierten Gruppen kommen kann. Die Verhaltensweise müsste demzufolge jedoch eine gewisse Qualität haben, die es rechtfertigen würde, dem Ersthandelnden mögliche Rechtsgutsbeeinträchtigungen zuzuschreiben, die sich durch das Anschlussverhalten des Zweithandelnden ergeben können. Eine solche Qualität ist beim Aufstacheln jedoch weniger offensichtlich als bei der Aufforderung. In der Tat wird das Aufstacheln als Einwirkung auf die Sinne und Leidenschaften verstanden, die objektiv dazu geeignet sowie subjektiv dazu bestimmt ist, ein emotional gesteigertes Maß an Emotionen zu wecken. Da sich das Aufstacheln in erster Linie an die Sinne und Leidenschaften richtet, sind die Auswirkungen jedoch weniger deutlich und präzise. Außerdem wird nicht zur Begehung einer Tat motiviert, sondern zu dem Gefühlszustand Hass. Ein Handlungsdruck zur Begehung von Straftaten ist im Aufstacheln zu Hass demzufolge nicht direkt zu erkennen. Es stellt sich die Frage, ob durch das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens gleichzeitig gefordert wird, dass das Verhalten (das Aufstacheln) eine besondere Qualität haben muss und somit eine gewisse Intensität des Angriffs verlangt wird. Dies kann aufgrund der Vagheit und Unbestimmtheit des Begriffs und des Tatbestandsmerkmals im Allgemeinen jedoch ausgeschlossen werden. Das Tatbestandsmerkmal macht nicht hinreichend deutlich, ob oder inwieweit gefordert wird, dass das Verhalten eine inhaltliche Intensität haben muss. Außerdem kann eine besondere Qualität des Verhaltens durch die Eignung nur dann angenommen werden, wenn die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens als eingrenzendes Tatbestandsmerkmal von der Rechtsprechung in der Praxis auch eigens festgestellt werden muss, jedoch nicht, wenn eine solche Eignung bereits durch die Verwirklichung der anderen Tatbestandsmerkmale oder aufgrund der Tatsache vermutet wird, dass die Handlung öffentlich erfolgte.184 Da dies in der Praxis jedoch nicht der Fall ist, kann dieses Tatbestandsmerkmal keinen besonderen Handlungsdruck zum Ausdruck bringen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob die Aufstachelung zum Hass, die in Anwesenheit von Tatgeneigten geäußert wird, eine besondere Gefahr in sich birgt und insofern eine besondere Qualität hat. Jedoch muss auch hier der Motivator selbst den Bogen zum möglichen Anschlussverhalten gegen die anvisierten Bevölkerungsgruppen schlagen. Das Schaffen eines gefühlsgeladenen Klimas, auch wenn es feindlicher Natur ist, kann die Zurechenbarkeit anschließender Konsequenzen durch das Verhalten anderer nicht rechtfertigen. Es ist außerdem sehr schwer zu bestimmen, ab wann und unter welchen Voraussetzungen eine Gruppe gewaltbereit und tatgeneigt ist. Kriterien für eine solche Bestimmung festzulegen, ist ebenfalls schwierig. Das zuvor Gesagte trifft auch auf § 130 Abs. 2 StGB zu, da der Abs. 2 sich auch gegen Inhalte richtet, die zu Hass aufstacheln. Für das Beschimpfen, böswillig Verächtlichmachen oder Verleumden von bestimmten Gruppen, Bevölkerungsteilen oder Einzelpersonen in § 130 Abs. 1 Nr. 2, 184
Vgl. Fischer, § 130, Rn. 14 ff.
3. Teil: Bewertung
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den Verbreitungshandlungen in § 130 Abs. 2 Nr. 1 und den Vorbereitungshandlungen zur Verwendung solcher Inhalte in § 130 Abs. 2 Nr. 2 StGB stellen sich die gleichen Fragen wie auch schon für die Aufforderung oder Aufstachelung. Auch hier kann eine gewisse Qualität, die die Zurechenbarkeit einer möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigung durch das Anschlussverhalten des Zweithandelnden zu dem Ersthandelnden rechtfertigen würde, nicht festgestellt werden. In der Tat handelt es sich hierbei eher um Tathandlungen, die auf die Sinne und Leidenschaften einwirken. Ein Handlungsdruck zu der Begehung von Straftaten ist demzufolge nicht direkt in dem Aufstacheln zu Hass zu erkennen. Es fehlt auch der Bezug zu einer zu begehenden Straftat. Es stellt sich die Frage, ob durch das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens und des Angriffs auf die Menschenwürde gleichzeitig gefordert wird, dass das Verhalten eine besondere Qualität innehaben muss und somit eine gewisse Intensität des Angriffs verlangt wird. Dies kann jedoch aufgrund der Vagheit und Unbestimmtheit der Begriffe und der Tatbestandsmerkmale im Allgemeinen ausgeschlossen werden. Außerdem kann eine besondere Qualität des Verhaltens durch die Eignung nur dann angenommen werden, wenn die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens als eingrenzendes Tatbestandsmerkmal von der Rechtsprechung in der Praxis auch eigens festgestellt werden muss und nicht wenn eine solche Eignung bereits durch Verwirklichung der anderen Tatbestandsmerkmale oder aufgrund der Tatsache, dass die Handlung öffentlich erfolgte, vermutet wird.185 Das dies in der Praxis jedoch nicht der Fall ist, kann dieses Tatbestandsmerkmal keinen besonderen Handlungsdruck zum Ausdruck bringen. Wie im Falle von § 130 Abs. 1 und 2 StGB ist auch für die Absätze 3 und 4 das Rechtsgut des öffentlichen Friedens aufgrund seiner Vagheit abzulehnen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob – wie bereits für die beiden anderen Absätze – mit einem Schutz der Individualrechtsgüter der betroffenen Bevölkerungen argumentiert werden kann. So könnte geltend gemacht werden, dass Handlungen, wie sie in den Absätzen 3 und 4 erfasst werden, die Gefahr in sich bergen, andere dazu zu motivieren, gegen die anvisierten Bevölkerungsgruppen vorzugehen und dass es infolgedessen zur Beeinträchtigung von Individualrechtsgütern bestimmter Opfergruppen kommen könne.186 Wie bei den beiden anderen Absätzen stellt sich aber auch hier erneut die Frage, inwieweit die mögliche Konsequenz des Verhaltens des Zweithandelnden dem Ersthandelnden zugerechnet werden kann. Problematisch hierbei scheint, dass die hier enthaltene Motivation schwächer sein muss als in den Abs. 1 und 2 der Vorschrift, da diese Handlungen andernfalls durch ebendiese Absätze erfasst würden. Da es sich also um eine schwächere Motivation handelt, wird es noch schwieriger für eine Zurechnung zu argumentieren. In der Tat scheint es schwierig, im Billigen, Leugnen und Verharmlosen der in der
185 186
Vgl. Fischer, § 130, Rn. 14 ff. Vgl. für § 130 Abs. 3 Wandres, Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens, S. 211, 236.
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3. Teil: Bewertung
NS-Zeit begangenen Handlungen i. S. des § 6 VStGB (§ 130 Abs. 3 StGB) sowie im Billigen, Verherrlichen oder Rechtfertigen der NS-Gewalt- und -Willkürherrschaft eine besondere Qualität zu erkennen, die eine solche Zurechenbarkeit rechtfertigen würde. Dies ist insbesondere deshalb der Fall, weil sich die durch § 130 Abs. 3 und 4 StGB erfassten Verhaltensweisen ausschließlich auf vergangene Taten beziehen. Das Leugnen der in der NS-Zeit begangenen Taten lässt von sich aus nicht darauf schließen, dass der sich Äußernde darauf abzielt, damit andere zur Begehung ähnlicher Taten in der Zukunft zu motivieren. Der sich Äußernde müsste vielmehr selbst die Verbindung zwischen den vergangenen Taten und der Möglichkeit einer neuen Straftatbegehung herstellen. In einem solchen Fall würde jedoch Abs. 1 der Vorschrift greifen. Eine Rechtfertigung solcher Verbote auf der Basis der Gefahr einer Motivation und somit der Gefahr, dass sich andere dadurch motiviert fühlen und es möglicherweise zu Rechtsgutsbeeinträchtigungen kommt, erscheint mithin fragwürdig. Die Eignung oder die tatsächliche Störung des öffentlichen Friedens als eingrenzendes Korrektiv, um Äußerungen auszuschließen, deren Angriffe nicht schwer genug sind, erscheint für die Feststellung der besonderen Qualität der erfassten Verhaltensweisen ebenfalls nicht hilfreich, da es sich beim öffentlichen Frieden um einen vagen Begriff handelt. Außerdem können die Eignung oder die tatsächliche Friedensstörung nur insoweit zur benötigten Qualität der Verhaltensweisen für eine Zurechnung beitragen, als eine solche Eignung oder tatsächliche Störung in der Verfahrenspraxis auch wirklich untersucht und festgestellt werden muss, und nicht einfach nur vermutet oder indiziert werden kann.187 Eine strafrechtsdogmatische Legitimierung von § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1, Abs. 3 und Abs. 4 StGB als Anschließungsdelikte ist demzufolge auszuschließen. Die Abs. 3 und 4 könnten allenfalls über den Schutz der Würde der Opfer legitimiert werden.
bb) Billigung von Straftaten (§ 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB) Wie im Fall von § 130 StGB geht die h. M. auch für § 140 StGB davon aus, dass die Vorschrift den öffentlichen Frieden schützt.188 Ein solches Rechtsgut ist aufgrund der Unbestimmtheit jedoch abzulehnen (s. o.). Für die Beantwortung der Frage, ob § 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB dem Schutz der Rechtsgüter der Katalogtatbestände dient und das Verbot des Billigens der Katalogstraftaten mithin mit der Gefahr gerechtfertigt werden könnte, dass sich andere durch das Billigen dazu motiviert fühlen, ähnliche Straftaten zu begehen, wodurch die Rechtsgüter der Katalogtaten beeinträchtigt werden können, muss insbesondere die Problematik der Zurechenbarkeit durchleuchtet werden. Um als Anschließungsdelikt gerecht187 188
Vgl. Fischer, § 130, Rn. 14 ff. Siehe Länderbericht oben Teil 2 Kapitel 1 B. II. 1. c).
3. Teil: Bewertung
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fertigt zu werden, müsste die Äußerung eine besondere Qualität aufweisen, aufgrund derer das Verhalten des Zweithandelnden und die mögliche Rechtsgutsbeeinträchtigung dem Ersthandelnden zugerechnet werden kann. Für eine Zurechnung wäre ausschlaggebend, dass das Verhalten durch objektive Anhaltspunkte deutlich macht, dass der Ersthandelnde einen gewissen Handlungsdruck ausübt. Ein solcher Handlungsdruck kann im Billigen, im Sinne eines Gutheißens von begangenen oder noch zu begehenden Taten, als öffentliches Kundgeben einer Zustimmung zur Tatbegehung oder als Darstellen der Tat als moralisch gerechtfertigt oder als praktisch notwendig, nicht erkannt werden. Auf Basis der Eigenverantwortlichkeit im Sinne der Konzeption eines mündigen Bürgers erscheint es in diesem Fall schwierig, den Ersthandelnden für das mögliche Verhalten von Nachahmern verantwortlich zu machen. Dies ändert auch die Erweiterung des Tatbestands auf noch zu begehende Straftaten nicht. Aufgrund der Vagheit des Tatbestandsmerkmals der Eignung zur Friedensstörung, das nicht erkennen lässt, inwieweit und ob mit der Eignung gefordert wird, dass das Verhalten eine inhaltliche Intensität haben muss, kann darin auch keine Unterstützung zur Etablierung einer besonderen Qualität des Billigens festgemacht werden, die eine Zurechenbarkeit rechtfertigen würde. Eine strafrechtsdogmatische Legitimierung von § 140 Abs. 1 Nr. 2 StGB als Anschließungsdelikt ist demzufolge auszuschließen.
cc) Aufwieglerischer Landfriedensbruch (§ 125 Abs. 1 Var. 3 StGB) Wie bei den §§ 129 und 129a wird auch für § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB aufgrund der Weite und Vagheit des Begriffs das Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit abgelehnt. Für die Frage der Legitimation des aufwieglerischen Landfriedensbruchs über den Schutz der Individualrechtsgüter der durch die Gewalttätigkeiten bedrohter Personen, die möglicherweise durch das Anschlussverhalten von anderen beeinträchtigt werden könnten, stellt sich abermals die Frage, inwieweit die möglichen Konsequenzen des Verhaltens des Zweithandelnden dem Ersthandelnden zuzurechnen sind. Das Verhalten des Ersthandelnden muss eine besondere Qualität aufweisen. Mit dem Einwirken, verstanden als jede Form der Einflussnahme auf den Willen der Menge, mit dem Ziel, deren Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten gegen Sachen oder Menschen zu fördern, wird jedoch kein besonderer Handlungsdruck ausgeübt. Dies ist auch daran zu erkennen, dass bereits das Anheizen einer Stimmung als ausreichend betrachtet wird. Anfeuernde Gesten oder aufreizende Lieder haben jedoch keine Qualität, die es rechtfertigen würde, die Verantwortung für die Konsequenzen, die aus der Zweithandlung resultieren könnten, dem Ersthandelnden aufzuerlegen. Von einem mündigen Bürger kann erwartet werden, dass er sich durch solche Verhaltensweisen nicht korrumpieren lässt. Die Gefahr einer späteren Rechtsgutsbeeinträchtigung durch das Anschlussverhalten anderer kann demzufolge nicht demjenigen zugerechnet werden, der i. S. des § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB auf andere einwirkt, solange das Einwirken u. a. als bloßes Anheizen verstanden wird.
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3. Teil: Bewertung
Das Einwirken kann eine besondere Gefahr in sich bergen, wenn es an Tatgeneigte gerichtet ist und wenn es nach dem Wecken der Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten ausgeübt wird, sodass es die Bereitschaft lediglich anfeuert, aber nicht erzeugt, d. h. wenn das Fördern lediglich als Verstärker verstanden wird. In diesem Fall wird von der Person, die einwirkt, jedoch nicht die Gefahr der Haupttatbegehung und der möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen durch Zweithandelnde geschaffen, sondern diese Gefahr wird lediglich erhöht, sodass sich der aufwieglerische Landfriedensbruch in einer psychischen Beihilfe erschöpft und kein Anschließungsdelikt darstellt. § 125 Abs. 1 Var. 3 StGB kann strafrechtsdogmatisch betrachtet daher nicht als ein Anschließungsdelikt legitimiert werden.
dd) Aufstacheln zum Verbrechen der Aggression (§ 80a StGB) Wird davon ausgegangen, dass § 80a StGB die Rechtsgüter des § 13 VStGB (d. h., die Sicherung des internationalen Friedens und die Durchsetzung des völkerrechtlichen Gewaltverbots) schützt189, so stellt sich die Frage, ob derjenige, der zu einem Verbrechen der Aggression aufstachelt, dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass es möglicherweise durch das Anschlussverhalten von Dritten zu einer Beeinträchtigung der Rechtsgüter des § 13 VStGB kommen könnte. Wie oben festgestellt wurde, ist eine solche Zurechenbarkeit nur dann möglich, wenn das Verhalten des Ersthandelnden eine besondere Qualität aufweist. Das durch § 80a StGB erfasste Verhalten muss sich demzufolge auf eine Straftat beziehen und einen gewissen Handlungsdruck ausüben. Erfasst wird in § 80a StGB das Aufstacheln, das – wie in § 130 Abs. 1 StGB – als ein gesteigertes, auf die Emotionen des Aufzustachelnden gerichtetes, intensives Anreizen zu verstehen ist.190 Im Unterschied zu § 130 Abs. 1 StGB, bei dem sich das Aufstacheln in erster Linie auf die Schaffung eines Gefühlszustandes bezieht, der möglicherweise zu Straftaten führen kann, bezieht sich das Aufstacheln in § 80a StGB unmittelbar auf eine Straftat, nämlich auf das Verbrechen der Aggression. Dabei stellt sich die Frage nach der Abgrenzung zwischen dem Aufstacheln in § 80a StGB und dem Auffordern in § 111 StGB.191 Mit Blick hierauf kann § 80a StGB nur dann eine selbständige Bedeutung zukommen, wenn der Täter sich mit der Motivation zurückhält. Es muss sich demzufolge um eine schwächere Motivation als in § 111 StGB handeln, was wiederum die Problematik der benötigten Qualität für die Zurechenbarkeit hervorruft. Wird das Aufstacheln in § 80a StGB wie das Aufstacheln in § 130 Abs. 1 StGB verstanden, also als Stimmungsmache, die den geistigen Nährboden für die Bereitschaft zu Verbrechen der Aggressionen bereitet, erscheint es schwierig, dem Ersthandelnden die Verantwortung für mögliche Konsequenzen des Verhaltens der
189 190 191
Siehe Länderbericht oben Teil 2 Kapitel 1 B. III. 1. c). Sch / Sch-Sternberg-Lieben, § 80a, Rn. 3. SK-Zöller, § 80a StGB, Rn. 2; Glauch, HRRS 2/2017, 87 f.
3. Teil: Bewertung
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Zweithandelnden aufzuerlegen. § 80a StGB kann strafrechtsdogmatisch betrachtet im Ergbnis nicht als Anschließungsdelikt legitimiert werden.
ee) Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86 StGB) und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86a StGB) Mit Blick auf die §§ 86 und 86a StGB wird zuweilen darauf verwiesen, dass diese den öffentlichen Frieden in seiner objektiven Dimension schützen, da die Verbote die Aufstachelung von Gleichgesinnten zur Begehung von Straftaten und einzelnen Rechtsgutsbeeinträchtigungen verhindern sollen.192 Wie oben ausgeführt, ist das Scheinrechtsgut öffentlicher Friede abzulehnen. Werden die Vorschriften unter dem Blickwinkel der Verhinderung einer Motivation von Dritten zu einer Straftatenbegehung betrachtet, rückt der Schutz von Individualrechtsgütern, die durch das Anschlussverhalten möglicherweise beeinträchtigt werden könnten, in den Vordergrund, damit allerdings auch wieder die Problematik der Zurechenbarkeit. Unabhängig von dem vagen Rechtsgut des öffentlichen Friedens kann argumentiert werden, dass sich durch das Verbreiten von Propagandaschriften verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86 StGB), die einen werbenden Inhalt haben und darauf ausgerichtet sind, die Organisation zu unterstützen, andere Personen dazu motiviert fühlen könnten, die verfassungswidrigen und terroristischer Tätigkeiten und Bestrebungen wieder aufzunehmen und dass es in diesem Rahmen möglicherweise zu Beeinträchtigungen von Individualrechtsgütern kommen könnte. In dieser Hinsicht kann dem Verbreiten von Propagandamitteln i. S. des § 86 StGB durchaus eine besondere Qualität zugesprochen werden, da verlangt wird, dass dieses Verhalten einen werbenden Charakter hat und eine aktiv kämpferische, aggressive Tendenz zum Ausdruck bringt. Angesichts dieses aktiv kämpferisch werbenden Charakters für eine verfassungswidrige Organisation scheint die Tathandlung durchaus eine besondere Qualität zu haben, die es rechtfertigen würde, eventuelle Konsequenzen dem Ersthandelnden zuzuschreiben. § 86 StGB kann strafrechtsdogmatisch betrachtet demnach als Anschließungsdelikt legitimiert werden. Gleiches kann jedoch nicht für § 86a StGB gesagt werden. Denn es erscheint weit hergeholt, in dem Verwenden oder Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen die Gefahr einer Motivation anderer zu möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu sehen. Durch die Kennzeichen wird zwar ein gewisser Standpunkt zum Ausdruck gebracht, dem jedoch ein werben-
192
Für § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB siehe von Dewitz, NS-Gedankengut und Strafrecht, S. 230 ff.; für § 86a siehe Reuter, Verbotene Symbole, S. 72 ff.
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des oder aufforderndes Potenzial und damit die besondere Qualität fehlt, die eine Zurechenbarkeit zum Verantwortungsbereich des Ersthandelnden rechtfertigen würde. Es kann erwartet werden, dass ein mündiger Bürger sich durch das bloße Verwenden und Verbreiten solcher Kennzeichen nicht korrumpieren lässt. Eine strafrechtsdogmatische Legitimierung von § 86a StGB als Anschließungsdelikt ist demnach nicht möglich.
5. Zusammenfassung Mit Blick auf die Motivationsdelikte rückt insbesondere die Frage in den Vordergrund, ob sich mögliche Rechtsgutsbeeinträchtigungen durch den Zweithandelnden dem Verantwortungsbereich des Motivators zurechnen lassen. Motivationsdelikte, die eigenständige Delikte darstellen, können gemäß der von Sieber etablierten Systematisierung der Gefährdungsdelikte in die Kategorie der Anschließungsdelikte eingeordnet werden, da mit den dort erfassten Motivationen eine Gefahrensituation geschaffen wird, an die andere Personen sich potenziell anschließen können, sodass es zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung kommen kann. Aufgrund der Eigenverantwortlichkeit ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Frage von Bedeutung, ob sich die durch das Verhalten der Motivierten möglicherweise ergebenden rechtsgutsbeeinträchtigenden Konsequenzen dem Ersthandelnden als Motivator zuschreiben lassen. Eine solche Zurechenbarkeit ist für die Motivationsdelikte jedoch nur dann gegeben, wenn der Handlung des Ersthandelnden, d. h. der Motivation, eine besondere Qualität immanent ist, die es rechtfertigt, dem Motivator die Verantwortung für die Konsequenzen der Handlungen anderer aufzubürden. In diesem Zusammenhang kann festgestellt werden, dass die direkten (seien es individuelle oder öffentliche) Motivationsdelikte, die eigenständige Delikte und keine Teilnahmeregelungen betreffen, als Ausschließungsdelikte unter den dort entwickelten Legitimationsbegründungen gerechtfertigt werden können, da sie eine objektive Gefahrensituation geschaffen haben, die der Täter nicht mehr beherrscht und bei der die mögliche Rechtsgutsbeeinträchtigung durch den Zweithandelnden dem Ersthandlenden aufgrund der besonderen Qualität seines Verhaltens zugerechnet werden kann. Anders sieht es hingegen bei der deutlichen Mehrzahl der indirekten Motivationsdelikte aus, bei denen zwar auf den Schutz eines für sich gesehen legitimen Rechtsguts verwiesen werden kann, die Verhaltensweisen jedoch nur selten eine besondere Qualität aufweisen, die eine Zurechenbarkeit rechtfertigen würde. Die einzige Ausnahme hiervon stellt § 86 StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen) dar, bei dem eine solche besondere Qualität erkennbar ist.
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II. Die strafrechtsdogmatische Legitimation im französischen Strafrecht Während dem Rechtsgut im deutschen Strafrecht schon lange eine grundlegende Rolle zugesprochen wird und die deutsche Rechtsgutstheorie u. a. sowohl in Italien193 als auch in Spanien194 aufgenommen wurde, scheint die traditionelle französische Strafrechtslehre einen Sonderweg zu beschreiten. In Frankreich wird das Strafrecht traditionell lediglich in seiner repressiven Funktion dargestellt, sodass das Strafrecht das Brechen anderer Gesetze sanktioniert, wobei seine schützende Aufgabe in den Hintergrund gestellt wird.195 Fragen nach der Begrenzung und der Legitimität des Strafrechtes wurden lange Zeit auf einer rein formalen Ebene beantwortet. Mit Blick auf die französische Rechtsprechung und Strafrechtslehre scheint es, als würde das ius puniende lediglich durch das Gesetzlichkeitsprinzip begrenzt werden, wobei der Gesetzgeber zwar die formalen Kriterien der Strafnormen beachten muss, in Bezug auf den Inhalt der Strafvorschriften auch aus Sicht der Strafrechtslehre aber weitestgehend frei bleibt, sodass auch die Frage nach den geschützten Werten und Gütern nur eine periphere und in diesem Sinne zweitrangige Rolle spielt.196 Beeinflusst durch die deutsche Strafrechtsdoktrin änderte sich dies bei der jüngeren Generation der Strafrechtslehre jedoch. Bei ihnen gewinnt die Frage nach den durch das Strafrecht geschützten Gütern zunehmend an Bedeutung und es werden vermehrt Versuche unternommen, vor- oder überpositivistische Verbrechensobjekte in die Verbrechenslehre aufzunehmen und diesen, ähnlich der deutschen systemkritischen Rechtsgutslehre, eine strafbarkeitslegitimierende Funktion zu erteilen, die das Gesetzlichkeitsprinzip in seiner begrenzenden Funktion komplementieren soll.197 In diesem Rahmen stellt sich zum einen die Frage, ob es im französischen Strafrecht eine dem deutschen Rechtsgutsbegriff ähnliche Rechtsfigur gibt und welche Auswirkungen dies in Bezug auf die Frage nach der Begrenzung der Straf-
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Im italienischen Recht ist die Rede von einem bene giuridico. Siehe Merli, Introduzione alla teoria generale del bene giuridico; Javers, in: Sieber / Cornils (Hrsg.), Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, Teilband 1, S. 303 ff. 194 Im spanischen Recht wird das Rechtsgut als bien juridico übersetzt. Beispiel aus der spanischen Strafrechtlehre: Corcoy Bidasolo, Delitos de peligro y protección de bienes jurídicopenales supraindividuales; Polaino Navarrete, El bien juridico en el derecho penal. Ein Zeichen des Einflusses der deutschen Rechtsgutslehre kann u. a. auch darin erkannt werden, dass eine Vielzahl deutscher Strafrechtler, die sich zu dieser Thematik geäußert haben, auch in die spanische Sprache übersetzt wurden; siehe z. B. Hassemer, Cahiers de défense sociale, nº 31, 2004, 105–116. 195 Vgl. Beaussonie, in: Mistretta / Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal, S. 7. 196 Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 216 ff. 197 Siehe Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal; Rabut-Bonaldi, Le préjudice en droit pénal.
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barkeit und Legitimation der Motivationsdelikte im französischen Strafrecht hat bzw. haben kann.
1. Traditionelle Strafrechtskonzeption Die Sicht auf das Strafrecht durch das Prisma dessen, was geschützt werden soll, war in Frankreich lange Zeit eine Minderheitsansicht. Vielmehr wurde das Strafrecht in der Lehre mehrheitlich als ein rein sanktionsträchtiges Instrument betrachtet, was dazu führte, dass die schützende Funktion des Strafrechts zur Seite geschoben wurde.198 Es dominierte die von Rousseau begründete und von dem bedeutenden französischen Juristen Portalis – der an der Ausarbeitung des code civil unter Napoleon maßgeblich beteiligt war – wiederaufgenommene Sicht, dass das Strafgesetz in erster Linie das Brechen anderer Gesetze sanktionieren sollte: „lois criminelles, qui, dans le fond, sont moins une espèce particulière de lois, que la sanction de toutes les autres“.199 Diese Ansicht wird auch in der heutigen Lehre mehrheitlich, wenn auch nicht mehr so ausdrücklich, vertreten. Dies ist mitunter daran zu erkennen, dass die Straftat weiterhin klassischerweise i. S. einer conception formelle200 verstanden wird, d. h., dass sie vorrangig als Gesetzesverletzung betrachtet wird. Spuren einer solchen conception formelle der Straftat können sowohl in der traditionell vertretenen Ansicht der Strafrechtslehre als auch im materiellen Recht gefunden werden.
a) Die conception formelle in der Lehre Für die Definition der Straftat untersuchen die Lehrbücher des Allgemeinen Teils sowie die Fachliteratur traditionell zuerst die Etymologie des Wortes infraction (Straftat), das von dem lateinischen Wort infractio stammt, welches seinerseits von dem Wort frangere abgeleitet ist und so viel bedeutet wie „brechen“ oder „verletzen“.201 Die h. L. schließt daraus, dass es sich bei der Straftat um einen Bruch handelt, wobei jedoch bei der Frage, was gebrochen wird, die Meinungen in der Lehre divergieren. Klassischerweise vertritt ein Teil der Strafrechtslehre die Auf198
Beaussonie, in: Mistretta / Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal, S. 7. 199 Rousseau, Du contrat social, Livre II, Chapitre XII; Portalis, Discours, rapports et travaux inédits sur le Code Civil, S. 16; Eigene Übersetzung: „Strafgesetze, die im Grunde genommen weniger besondere Gesetze sind als vielmehr die Bestrafung [der Übertretung] aller anderen“. 200 Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 169 ff.; Rabut-Bonaldi, Le préjudice en droit pénal, Rn. 241 ff. 201 Mayaud, Droit pénal général, Rn. 162; Wagner, Les effets de l’infraction, thèse, droit, Université de Paris 2, Rn. 2; Dreyer, Droit pénal général, Rn. 91 (wobei Dreyer deutlich macht, dass es sich bei dem verletzten Gesetz nicht um ein strafrechtliches handelt, sondern um naturrechtliche Normen oder Gesetze anderer Disziplinen, die dadurch verletzt werden können).
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fassung, dass es sich bei der Straftat um die Verletzung eines Gesetzes bzw. eines Strafgesetzes handelt.202
b) Die conception formelle im Strafrecht Spuren der conception formelle einer Straftat als Gesetzesbruch können im geltenden Recht gefunden werden. Das ist z. B. der Fall im Rahmen des Versuchs. Dem code pénal zufolge ist der Täter einer versuchten Straftat mit der gleichen Strafe zu bestrafen wie der Täter einer vollendeten Tat.203 Das Strafmaß des Versuchs scheint allein von der Verletzung eines Gesetzes abzuhängen, ohne dass die tatsächliche Beeinträchtigung eines Gutes oder Interesses hier eine Rolle spielt. Daher wird davon ausgegangen, dass ein Gesetz in beiden Fällen – sowohl bei einem Versuch als auch bei der Vollendung einer Tat – in gleichem Maße verletzt wird und es deswegen keine Strafmilderung für den Versuch gibt.204 Aus diesem Grund gibt es keine Gradierung des Unrechts und somit auch keine Strafmilderung für den Versuch.205 Ähnliches ist bei den Rechtfertigungsgründen zu erkennen. Die französische Lehre geht davon aus, dass die Rechtfertigungsgründe einen der élements constitutifs neutralisieren, wobei es in der Strafrechtslehre jedoch zu Uneinigkeiten darüber kommt, welches davon betroffen ist. Ein Großteil der Lehre scheint jedoch der Ansicht zu sein, dass die Rechtfertigungsgründe das élement légal, d. h. das Strafgesetz als solches neutralisieren.206 Jeder Rechtfertigungsgrund wäre somit ein besonderer Fall der gesetzlichen Erlaubnis (autorisation de la loi), die in Art. 122- al. 1 CP als fait justificatif général207 etabliert wird.208 Demzufolge werden die Rechtfertigungsgründe im französischen Strafrecht einer Gesetzeskonkurrenz gleichgesetzt – einer Gesetzeskonkurrenz zwischen dem Straftatbestand, in dem ein Verhalten unter Strafe gestellt wird, und dem Erlaubnistatbestand.209 Demnach treten nicht zwei Schutzgegenstände oder Interessen in Konflikt miteinander, sondern zwei Gesetze. Dies scheint die Auffassung von der Straftat als Verletzung eines Gesetzes zu bestätigen. 202
Donnedieu de Vabres, Traité de droit criminel et de législation criminelle comparée, Rn. 89; Mayaud, Droit pénal général, Rn. 162. 242; Sowohl Lacaze wie auch Rabut-Bonaldi führen auf, dass die Straftat traditionnell als „violation de la loi“ (Bruch des Gesetzes) verstanden wird, siehe Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 245; Rabut-Bonaldi, Le préjudice en droit pénal, Rn. 242. 203 Siehe Art. 121-4 CP. 204 Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 177. 205 Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 177; Rabut-Bonaldi, Le préjudice en droit pénal, Rn. 243. 206 Kalamatianou, RIDC 2004, 449; Rouidi, RSC 2016, 17–36. 207 Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 192. 208 Larguier / Conte / Maistre du Chambon, Droit pénal général, S. 61 ff. 209 Rabut-Bonaldi, Le préjudice en droit pénal, Rn. 246.
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Schließlich ist die conception formelle auch innerhalb des Vorsatzes zu erkennen. Art. 121-3 Abs. 1 CP führt zwar an, dass Verbrechen und Vergehen nur dann strafbar sind, wenn sie vorsätzlich begangen werden, jedoch gibt es im code pénal keine Legaldefinition des Vorsatzes. In der Lehre wird jedoch angeführt, dass es sich bei der volonté générale (dem sog. Generalvorsatz), der Grundform des Vorsatzes, um den Willen handelt, ein Strafgesetz zu verletzen.210
2. Spuren von geschützten Gütern a) Überblick Die obige Darstellung der traditionellen Sicht auf die Straftat im französischen Recht untermalt, dass der Frage danach, was das Strafrecht schützen soll, im französischen Recht nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde und dass die Rechtsgutslehre sowie die Rechtsgutstheorie nicht, wie das im deutschen Strafrecht oder in anderen Rechtsordnungen der Fall ist, eine zentrale Rolle spielen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Frage nach dem „Etwas“, das durch das Strafrecht geschützt werden soll, vollständig ignoriert würde oder dass das Konzept von schützenwürdigen Gütern im französischen Strafrecht gänzlich abwesend wäre. Im Gegenteil ist es so, dass in manchen Bereichen des französischen Strafrechts durchaus ähnliche Regelungen gefunden werden können, wie sie im deutschen Strafrecht unter Bezugnahme des Rechtgutes anzutreffen sind. Das ist mitunter bei der Frage nach der Systematisierung des CP der Fall, bei Gesetzeskonkurrenzfällen oder bei der Auslegung von Strafgesetzen. So wird im Rahmen dieser Fragen auf die in der Strafrechtslehre und der Rechtsprechung als Synonyme verwendeten valeur sociale211 (sozialer Wert), intérêt212 (Interesse) und bien juridique213 (Rechtsgut) verwiesen, die dazu dienen, das „Etwas“ zu benennen, das durch das Strafrecht geschützt und durch eine Straftat verletzt wird. Diese Begriffe, und demnach das geschützte „Etwas“, werden dabei jedoch nur selten weiter vertieft, sodass ihnen kein materieller Gehalt gegeben wird und sie dementsprechend auch nicht in die Straftatenlehre eingegliedert werden oder ein allgemeines Konzept oder eine allgemeine Theorie über sie entwickelt wird.214 210
Larguier / Conte / Maistre du Chambon, Droit pénal général, S. 382; Pin, Droit pénal général, Rn. 205 ff. 211 Siehe Mistretta / Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal. 212 Pin, Droit pénal général, Rn. 232 ff. 213 Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal. 214 Ausnahme hierbei ist die Dissertation von Marion Lacaze, die in ihrer Arbeit die deutsche Rechtsgutsdoktrin darstellt und versucht, das „bien juridique“ als eine dem Rechtsgut ähnliche Rechtsfigur sowie auch die Begriffe des Unrechts und der Rechtswidrigkeit in das französische Strafrecht einzuführen, Siehe Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, 2011.
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Stattdessen werden sie lediglich durch das Prisma der Regelungen betrachtet, in deren Rahmen sie zum Tragen kommen, und mit den dortigen Rechtsfiguren in Verbindung gebracht. Der französische Strafrechtsprofessor Robert fasste diese Situation 2005 treffend zusammen, indem er bezüglich der intérêts protégés (geschützte Interessen) feststellte, dass das französische Strafrecht die Existenz dieses Novums zwar anerkenne, jedoch noch keine Erkenntnisse über seine Art oder seine verschiedenen Formen gewonnen habe.215 Die folgende Untersuchung der verschiedenen Verwendungen der intérêts, valeurs sociales oder biens juridiques im französischen Strafrecht soll dabei helfen, ein einheitliches Bild dieser Begriffe sowie ihrer Funktionen zu schaffen. Auf diese Weise können gegebenenfalls vorhandene Ähnlichkeiten mit dem deutschen Rechtsgutsbegriff deutlich gemacht werden und es kann analysiert werden, ob sie, wenn auch unausgesprochen, als materielle Grenze für die Strafbarkeit – insbesondere für die Strafbarkeit der Motivationsdelikte – fungieren können.
b) Systematisierung des code pénal anhand der Schutzgegenstände In der Lehre wird angeführt, dass die verschiedenen Straftatbestände innerhalb des CP nach den intérêts oder valeurs (wie z. B. die Nation, der Staat oder der öffentliche Friede), die vom Gesetzgeber als schützenswert anerkannt wurden, systematisiert und geordnet werden.216 Teile der strafrechtlichen Doktrin vertreten außerdem, dass anhand der Systematisierung nach den schützenswerten Interessen eine Hierarchie zwischen den intérêts oder valeurs erkennbar werde, die der Gesetzgeber etabliert habe, um aufzuzeigen, welche Werte er in dieser Zeit als besonders schützenswert anerkannte.217 Die Vertreter dieser Meinung berufen sich hierbei auf Robert Badinter, der von 1981 bis 1986 Justizminister war und der in dem Entwurf zur Veränderung des StGB erklärte, dass das Strafrecht neben einer
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Robert, Droit pénal général, S. 284. In diesem Kontext wird angeführt, dass z. B. in dem CP von 1994 das II. Buch die Überschrift „Verbrechen und Vergehen gegen die Personen“ („Des crimes et délits contre les personnes“) trägt; das III. Buch hat die Überschrift „Verbrechen und Vergehen gegen Sachen“ („Des crimes et délits contre les biens“); und das Buch IV. die Überschrift „Verbrechen und Vergehen gegen die Nation, den Staat und den öffentlichen Frieden“ („Des crimes et délits contre la nation, l’Etat et la paix publique“). Siehe Poncela / Lascoumes, Réformer le code pénal, S. 74 ff.; Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 263 ff.; Bonaldi S. 19; Darsonville, in: Mistretta / Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal, S. 38; für Dreyer ist der code pénal nicht in Bezug auf zu schützende Interessen aufgebaut, Dreyer, in: Py / Stasiak (Hrsg.), Mélanges Seuvic, S. 103. 217 Dieser Ansicht zufolge standen in den Texten von 1791 und 1810 die Verbrechen gegen das Gemeinwesen („crimes contre la chose publique“) an erster Stelle, weil der Gesetzgeber diesen Wert als besonders schützenswert ansah. Die Rangordnung entspreche demnach der politischen Philosophie der Revolution. Da der Staat und seine Einrichtungen für das Gemeinwohl des Volkes verantwortlich seien, müssten sie auch an erster Stelle beschützt werden. Mit dem 216
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repressiven Funktion auch eine expressive Funktion habe.218 So zeige und benenne eine Strafnorm, indem sie deren Verletzung unter Strafe stellt, die Werte, die für die Gesellschaft zur gegebenen Zeit von Bedeutung und somit schützenswert seien.219 Mit Blick auf das Buch V des CP oder bei einer genaueren Untersuchung der Vorschriften innerhalb der verschiedenen Bücher des CP wird jedoch deutlich, dass, wenn davon ausgegangen wird, dass der Gesetzgeber das Strafgesetzbuch nach schützenswerten Interessen systematisieren wollte, er diesen Systematisierungsversuch nur partiell durchgeführt und nicht konsequent innerhalb der gesamten Struktur des CP angewendet hat. So handelt es sich bei Buch V mit der Überschrift „Sonstige Verbrechen und Vergehen“ („Des autres crimes et délits“) – wie die Überschrift bereits vermuten lässt – um ein Gemenge von verschiedenen Vorschriften, bei denen nur schwerlich ein oder mehrere gemeinsame schützenswerte Interessen auszumachen sind. In Buch V finden sich unter anderem solche Vorschriften, die Straftaten im Bereich der biomedizinischen Ethik betreffen (Art. 511-1 bis Art. 51128 CP), aber auch solche Vorschriften, die schwere Misshandlungen und Grausamkeiten betreffen, die gegenüber Tieren begangen werden (Art. 521-1 bis. 521-2 CP). Augenscheinlich gilt der Mangel einer stringenten Systematisierung des CP nach schützenswerten Interessen auch für Buch II „Verbrechen und Vergehen gegen die Personen“, da es u. a. eine Vorschrift enthält, in welcher die Schändung oder Entweihung von Grabmälern, Grabstätten oder Totendenkmälern unter Strafe gestellt wird (Art. 225-17 Al. 2 CP). Ähnliches kann auch für das Buch IV „Verbrechen und Vergehen gegen die Nation, den Staat und den öffentlichen Frieden“ gesagt werden, in dem Vorschriften verschiedenster Ausprägung enthalten sind (u. a. Vorschriften bezüglich Verrat und Spionage, Beschaffung falscher Informationen, Terrorismus, Behinderungen der Ausübung der Meinungsfreiheit, Berufsfreiheit und der Versammlungsfreiheit, Verletzungen der Redlichkeitspflicht, Geldfälschung usw.) und bei denen eine deutliche Unterscheidung zwischen den Schutzgegenständen der Nation, dem Staat und dem öffentlichen Frieden nur schwer zu erreichen ist.220
neuen Strafgesetzbuch von 1994 wurde die Strukturierung verändert, es wurden neue schützenswerte Werte hinzugefügt und die Rangfolge der Werte wurde umgestellt. Das erste Buch des Besonderen Teils des code pénal von 1994 enthielt nicht mehr die Vorschriften bezüglich der Verbrechen gegen das Gemeinwesen, sondern die Verbrechen und Vergehen gegen Personen („Crimes et délits contre les personnes“). Ziel sei es hierbei, zu zeigen, dass derweil anstelle des Gemeinwesens als schützenswertes Interesse die Person, also das Individuum, an erster Stelle stehe. Siehe Poncela / Lascoumes, Réformer le code pénal, S. 76; auch vgl. Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 264. 218 Badinter, Projet de loi portant réforme du code pénal – Deuxième session extraordinaire de 1985–1986, N° 300 du Sénat, S. 3–4. 219 Badinter, Projet de loi portant réforme du code pénal – Deuxième session extraordinaire de 1985–1986, N° 300 du Sénat, S. 3–4. 220 Vgl. Dreyer, Droit pénal général, Rn. 163.
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c) Auslegung der Gesetze anhand von Schutzgegenständen Laut Art. 111-4 CP gilt heutzutage in Frankreich das principe d’interprétation stricte (Grundsatz der engen Auslegung), welches als eine Folge des Gesetzlichkeitsprinzips gilt.221 Diesem Grundsatz folgend, wird zum einen nur das Gesetz als legitime Quelle des Strafrechts anerkannt und zum anderen wird verlangt, dass die Rechtsprechung die Gesetze eng auslegt. Demzufolge ist der Richter, solange die Norm klar und bestimmt ist, streng an den Wortlaut der Norm gebunden und er kann weder die Tatbestände noch die Strafen formulieren oder festlegen.222 Im Falle eines konturlosen Textes, d. h., wenn der Wortlaut oder der Anwendungsbereichs des Textes unklar ist, erkennt die Lehre derweil jedoch an, dass auf die teleologische Auslegungsmethode zurückgegriffen werden kann.223 Für die Erkennung des vom Gesetzgeber verfolgten Ziels und Sinns einer Norm kann die Rechtsprechung im Falle eines undeutlichen Textes auf die vom Gesetzgeber intendierten geschützten valeurs zurückgreifen.224 Die Rechtsprechung kann sich für die teleologische Auslegung und für die Feststellung der valeurs und somit der ratio legis, z. B. auf Runderlasse der Regierung stützen, die Auslegungsvorschriften (circulaire interprétative) enthalten oder sich auch auf die vorbereitenden Arbeiten zum jeweiligen Gesetz beziehen.225 Ziel sei es, mit der Untersuchung dieser Dokumente die valeurs oder intérêts herauszuarbeiten, die der Gesetzgeber durch das Gesetz schützen wollte226, um somit das objectif de la loi pénale (verfolgte Zwecke des Strafgesetzes)227 zu erkennen und anschließend dementsprechend die Gesetze auszulegen. Bei der Suche nach den vom Gesetzgeber als schützenswürdig anerkannten valeurs oder intérêts und somit nach der ratio legis muss der Richter jedoch stets darauf bedacht sein, nicht seine eigene Würdigung über die des Gesetzgebers zu stellen.228
221 Siehe Saint-Pau, Jean-Christophe, L’interprétation des lois. Beccaria et la jurisprudence moderne, RSC, vol. 2, n° 2, 2015, 273 ff. 222 Conte / Maistre du Chambon, Droit pénal général, Rn. 123 ff.; Mayaud, Droit pénal général, Rn. 125; Dreyer, Droit pénale général, Rn. 576. 223 Mayaud, Droit pénal général, Rn. 128; Dreyer, Droit pénale général, Rn. 576; Bouloc, Droit pénal général, Rn. 139. 224 Darsonville, in: Mistretta / Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal, S. 38. 225 Darsonville, in: Mistretta / Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal, S. 38. 226 Siehe Robert, Droit pénal général, S. 196 f.; ähnlich Walther, L’antijuridicité en droit pénal comparé franco-allemand, S. 401 ff. 227 Di Marino, RSC 1991, 505 ff. 228 Bouloc, Droit pénal général, Rn. 139; Dreyer, Droit pénale général, Rn. 576.
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d) Gesetzeskonkurrenzfälle Auch in Fällen der Gesetzeskonkurrenz nimmt die Rechtsprechung Bezug auf die intérêts protégés oder valeurs protégés der verschiedenen Strafnormen. Dem principe d’unité de la qualification pénale (Grundsatz der Einheit der strafrechtlichen Qualifikation) nach, das sich auf den ne bis in idem Grundsatz stützt, ist im Falle einer Idealkonkurrenz (concours idéal d’infractions), d. h. dann, wenn eine Handlung mehrere Strafgesetze verletzt, die mehrfache Sanktionierung desselben Unrechts verboten.229 Seit der Entscheidung „Ben Haddadi“ des Cour de cassation vom 3. März 1960 gilt jedoch, dass dann, wenn durch eine Handlung verschiedene durch Strafnormen geschützte Interessen (intérêts protégés) verletzt werden, auch mehrere Strafgesetze nebeneinander angewendet werden können.230 Diese Entscheidung des Cour de cassation wurde in der Rechtsprechung immer wieder aufgegriffen und verwendet.231 Ein Teil der Lehre schließt sich dieser Entscheidung an und setzt die intérêts protégés der ratio legis gleich, indem sie bekräftigt, dass sich die Aufgabe der Rechtsprechung im Falle einer Gesetzeskonkurrenz bei der Suche nach den valeurs protégés darin erschöpft, den Sinn und Zweck des Gesetzes zu suchen und zu erkennen, ob der Gesetzgeber bei der Kriminalisierung unterschiedliche Werte schützen wollte.232
e) Erfolg einer Straftat und Deliktsnatur Bei dem Begriff des Erfolgs der Straftat (résultat de l’infraction) handelt es sich um ein Konzept, das im französischen Strafrecht allgegenwärtig ist, aber dennoch als nur schwer zu definieren angesehen wird.233 Obwohl es sich hierbei um ein grundlegendes Konzept des französischen Strafrechts handelt, das sowohl im Allgemeinen Teil für die Klassifizierung von verschiedenen Deliktsarten (den infraction matérielle, infraction formelle und den infraction obstacle) – wobei die infraction matérielle im Gegensatz zu den infraction obstacle und den infraction formelle einen Erfolg voraussetzen – als auch im Rahmen des Besonderen Teils als ein Teil der Straftat (im élement matériel) verwendet wird, gibt es in der Lehre keine einheitliche Definition. Im französischen Strafrecht wird klassischerweise 229
Siehe Dreyer, Droit pénale général, Rn. 645. Cass. crim., 3 mars 1960, Bull. crim. n° 138. 231 Cass. crim., 9 avril 1970, Bull. crim. n° 114; Cass. crim., 19 oct. 1982, Bull. crim. n° 225; Cass. crim., 26 avril 2000, Bull. crim. n° 167 (benutzt den Begriff „valeur“); krit. gegenüber der Verwendung von schützenswerten Interessen durch Dreyer, der die Suche nach den schützenswerten Interessen als zu unsicher und unklar bezeichnet. Siehe Dreyer, Droit pénal général, Rn. 648. 232 Mayaud, RSC 1983, 607. 233 Prothais bezeichnet den Erfolg der Straftat als einen der unbestimmtesten Begriffe des französischen Strafrechts: „une des notions les plus obscures de notre droit criminel“ in, note sous TGI Paris, 23 octobre 1992, D. 1993, p. 225; Vertiefend hierzu siehe Maréchal, Essai sur le résultat dans la théorie de l’infraction pénale, S. 23–24. 230
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zwischen mehreren Arten des Erfolgs unterschieden. Ohne hier alle verschiedenen Analysen zu nennen, soll mit der Erläuterung der wesentlichen Punkte aufgezeigt werden, dass ein Teil der Strafrechtslehre im Rahmen des Erfolgs auf das schützenswerte „Etwas“ und die Begriffe der valeurs protégés, der intérêts protégés oder der bien juridique zurückgreift, um verschiedene Deliktsnaturen zu unterscheiden. Die Analyse des Erfolgs durch den Strafrechtler Decocq gilt als die älteste und damit als der Ursprung für alle darauffolgenden Analysen.234 Decocq unterscheidet zwischen zwei Erfolgen: dem résultat réel (dem sog. realen Erfolg) und dem résultat juridique (dem sog. juristischen Erfolg), den er auch als résultat légal (den sog. gesetzlichen Erfolg) bezeichnet. Den realen Erfolg definiert Decocq als konkreten sozialen Schaden, der mit der Einführung eines Straftatbestandes verhindert werden soll.235 Demzufolge sei etwa im Rahmen des Mordes oder bei der Vergiftung der Tod einer Person der reale Erfolg der Straftaten. Beim juristischen oder gesetzlichen Erfolg handle es sich hingegen um den Erfolg, der von dem Straftatbestand vorgesehen und somit vom Gesetzgeber entschieden ist.236 Dieser Erfolg sei davon abhängig, an welcher Stelle des iter criminis der Gesetzgeber eingreifen wolle. Wenn der Gesetzgeber darauf abzielen würde, besonders früh einzugreifen, um ein Verhalten strafrechtlich zu ahnden, das noch vor dem wirklichen Eintritt eines konkreten Schadens liege, so müsse er den rechtlichen Erfolg des Straftatbestandes noch vor dem realen Erfolg ansiedeln. Professor Mayaud nimmt die von Decocq aufgestellte Unterscheidung auf, vertieft diese und greift explizit auf die Idee des schützenswerten „Etwas“ zurück. Er übernimmt auch die Definition von Decocq, der zufolge der reale Erfolg dem befürchteten Erfolg (résultat redouté) der Straftat gleichkomme und erkennt darin einen konkreten, aber nicht individualisierten Schaden, der in der Realität eintreten kann und den man mit dem jeweiligen Straftatbestand versucht zu verhindern.237 Bei der weiteren Unterscheidung der Erfolge divergiert er jedoch von der von Decocq dargestellten Analyse, indem er zwischen dem résultat légal (gesetzlichen Erfolg) und dem résultat juridique (juristischen Erfolg) unterscheidet und die Begriffe nicht wie Decocq als Synonyme verwendet. Den juristischen Erfolg definiert er als einen abstrakten Schaden, der die Form einer Beeinträchtigung (Verletzung oder Gefährdung) von einem oder mehreren wichtigen valeur sociale oder bien juridique – Begriffe, die Decocq als Synonyme verwendet – annehme.238 Weiter führt er auf, dass jede Straftat eine Verletzung oder Gefährdung eines bien juridique darstelle und dass es keine Straftat ohne eine Verletzung oder Gefährdung
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Maréchal, Essai sur le résultat dans la théorie de l’infraction pénale, S. 103. Decocq, Droit pénal général, S. 171. 236 Decocq, Droit pénal général, S. 171. 237 Mayaud, Le mensonge en droit pénal, Rn. 359 ff. 238 Als Beispiel für diese „valeurs social“ oder „biens juridique“ nennt er: das Leben, die körperliche Integrität, die Ehre, das Eigentum usw.; siehe Mayaud, Le mensonge en droit pénal, S. 240. 235
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dieser valeur sociale gebe.239 Aus diesem Grund sei bei jeder Straftat notwendigerweise immer ein juristischer Erfolg gegeben.240 Mayaud führt weiter an, dass sich der juristische Erfolg immer mit der ratio legis, also den schützenswerten Werten decke.241 Der gesetzliche Erfolg hingegen sei wie bei Decocq als rechtliches Instrument zu verstehen, das es ermögliche festzustellen, an welcher Stelle des iter criminis eingegriffen werde.242 Wenn der Gesetzgeber einen valeurs besonders früh schützen wolle, so müsse er das résultat légal vor dem résultat réel ansetzen.243 Anhand seiner Unterscheidung zwischen den verschiedenen Erfolgen erläutert Mayaud anschließend die Kategorisierung zwischen den verschiedenen Deliktsarten der infraction matérielle, formelle und obstacle. Ihm zufolge sei eine infraction matérielle dann gegeben, wenn sich der reale Erfolg mit dem gesetzlichen Erfolg decke.244 Bei den infraction formelle und den infraction obstacle würde zwar, wie auch bei der infraction matérielle, der juristische Erfolg i. S. einer Verletzung oder Gefährdung eines valeur sociale gegeben sein, es würde jedoch nicht zu einem realen Erfolg kommen.245 Während bei den infraction formelle der gesetzliche Erfolg bei der Tatausführung ansetzen würde, würde der gesetzliche Erfolg bei einer infraction formelle im Voraus dieser angesiedelt sein.246 Die Professoren Conte und Maistre du Chambon unterscheiden in ihren Untersuchungen zwischen vier verschiedenen Erfolgen: dem résultat sociologique (soziologischer Erfolg), der dazu dienen soll, die valeurs sociale, die geschützt werden sollen, kenntlich zu machen, dem résultat matériel (materieller Erfolg), der als die Veränderung der Außenwelt definiert wird, dem résultat juridique (juristischer Erfolg), der als tatsächliche Verletzung der valeurs gilt und dem résultat légal (gesetzlicher Erfolg), der, wie bei den anderen Autoren, gleichsam als Schieberegler auf dem iter criminis dient.247 Jean-Yves Maréchal stützt sich für die Definition des Erfolges zwar ebenfalls auf die Schutzgegenstände, jedoch setzt er sich im Unterschied zu den anderen Strafrechtlern für eine einheitliche Definition des Erfolges ein. Seines Erachtens handle es sich beim Erfolg lediglich um eine konkrete oder abstrakte Beeinträchtigung eines strafrechtlich geschützten Interesses (intérêt).248 Schließlich sollte auch auf die im Jahr 2016 erschienene Arbeit von Gaëlle Rabut-Bonaldi verwiesen werden, die – beeinflusst durch die deutsche Strafrechtslehre – zwischen einem résultat typique (tatbestandsmäßiger Erfolg), der mit dem 239 240 241 242 243 244 245 246 247 248
Mayaud, Le mensonge en droit pénal, Rn. 363. Mayaud, Le mensonge en droit pénal, S. 263. Mayaud, Le mensonge en droit pénal, Rn. 364. Mayaud, Le mensonge en droit pénal, Rn. 367 f. Mayaud, Le mensonge en droit pénal, Rn. 368. Mayaud, Le mensonge en droit pénal, Rn. 373. Mayaud, Le mensonge en droit pénal, Rn 379. Mayaud, Le mensonge en droit pénal, Rn. 373. Conte / Maistre du Chambon, Droit pénal général, Rn. 312 ff. Maréchal, Essai sur le résultat dans la théorie de l’infraction pénale, S. 253.
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Erfolg gleichzusetzen sei, der im Tatbestand normiert ist, und einem résultat illicite (rechtswidriger Erfolg) unterscheidet, der in der Verletzung oder Gefährdung eines bien juridique besteht.249 Dies lässt erkennen, dass auch dann, wenn es in der Lehre Uneinigkeiten über die Definition des Erfolgs der Straftat und der Klassifizierung der verschiedenen Arten gibt, immer wieder auf den Begriff „valeur“ zurückgegriffen wird, der u. a. bei Mayaud mit der ratio legis gleichgesetzt wird.
f) Zusammenfassung: Facettenreiche Schutzgegenstände Die Untersuchung der verschiedenen Anwendungsfälle der Begriffe biens juridiques, intérêts und valeurs verdeutlicht zwar, dass die Schutzgegenstände – d. h. das „Etwas“, das durch das Strafrecht geschützt wird – im französischen Strafrecht in verschiedenen Rechtsinstitutionen zum Tragen kommen. Jedoch zeigt der punktuelle Einsatz der Schutzgegenstände, dass es keine allgemeine Theorie oder kein allgemeines Dogma gibt, welches der deutschen Rechtsgutslehre ähnlich ist. Ebenfalls wird deutlich, dass die biens juridiques, intérêts und valeurs keine Zentralbegriffe der französischen Verbrechenslehre sind. Dies hat zur Folge, dass auch die Funktion der biens juridiques, intérêts und valeurs nicht einheitlich vertieft und untersucht wird. Aus dem oben Gesagten wird darüber hinaus deutlich, dass die intérêt, valeur sociale oder biens juridiques mehrheitlich – sei es im Rahmen der Gesetzesauslegung, Systematisierung, Gesetzeskonkurrenz oder auch in den doktrinalen Überlegungen bezüglich des Erfolges einer Straftat – als ratio legis verstanden werden, d. h., dass sie dem Sinn und Zweck des Gesetzes gleichgesetzt werden.250 Abgesehen von der Anerkennung des Gesetzgebers wird ihnen also kein eigenständiger materieller Gehalt zugesprochen.251 Allein der Gesetzgeber entscheidet, welche Güter er durch das Strafrecht schützen will, solange er dabei in den verfassungsrechtlichen Schranken bleibt.252 Bei den intérêts, valeurs sociales oder biens juridiques handelt es sich demzufolge nicht um vorpositivistische Axiome. Verstanden als ratio legis, die nach dem Belieben des Gesetzgebers anerkannt werden, können die intérêts, valeurs sociales oder biens juridiques demnach auch nicht als Grenzen für das gesetzgeberische Ermessen des Gesetzgebers dienen und demzufolge auch keine strafbarkeitsbegrenzende Funktion erfüllen.253 Da sie erst 249
Rabut-Bonaldi, Le préjudice en droit pénal, Rn. 282 ff. Siehe Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 254, 259 ff. 251 Vgl. Dreyer, Droit pénal général, Rn. 156. 252 Dreyer, in: Py / Stasiak (Hrsg.), Mélanges Seuvic, S. 105 ff. 253 Vgl. Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 335 f. 250
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durch die Anerkennung des Gesetzgebers gegeben sind, können die intérêts, valeurs sociales oder biens juridiques nicht als Begrenzungsmaßstab des Ermessensspielraums des Gesetzgebers gelten.254 Aufgrund der verschiedenen Einsätze der intérêts, valeurs sociales oder biens juridiques, z. B. für die Auslegung von Strafvorschriften, die Systematisierung des Strafgesetzbuchs oder das Verständnis der Begriffe als ratio legis, können gewisse Parallele zwischen dem Verständnis dieser Begriffe und der deutschen positivistischen Rechtsgutskonzeption, wie sie vor 1945 galt, erkannt werden. Insbesondere können Parallelen zu Bindings Rechtsgutskonzept gezogen werden255, wobei heutzutage im französischen Recht – und in dieser Hinsicht abweichend von Binding – dem Gesetzgeber bei der Bestimmung der Güter durch die Verfassung Schranken gesetzt sind.256
3. Entwicklung eines auf vorpositivistischen Schutzgegenständen abstellenden Strafrechts in der Lehre Die Sicht auf das Strafrecht durch das Prisma der Schutzgegenstände und insbesondere der materiellen Begrenzung des Strafrechts durch das schützenswerte „Etwas“ ist zwar traditionsgemäß eine Mindermeinung in der Lehre, jedoch wird in der jüngeren Generation der französischen Strafrechtslehre immer mehr auf die deutsche Rechtsgutslehre aufmerksam gemacht und darin ein Instrument für einen materiellen Verbrechensbegriff sowie ein für die Begrenzung des ius puniende brauchbares Mittel für das französische Strafrecht erkannt. Dabei sind die Versuche, das Interesse der französischen Lehre gegenüber der deutschen Rechtsgutslehre zu wecken, nicht neu. Bereits seit 1951 wird das deutsche Rechtsgut in der französischen strafrechtlichen Fachliteratur vorgestellt, wobei die Vorteile einer solchen Lehre deutlich gemacht werden. Diese Versuche, die deutsche Rechtsgutslehre für das französische Strafrecht fruchtbar zu machen, blieben jedoch bis Anfang der 2000er Jahre, u. a. aufgrund der oben genannten Gründe für das Desinteresse der französischen Lehre, weitestgehend unbeachtet.
a) Ursprung Bereits 1951 stellte der spanische Strafrechtsprofessor Luis Jimenez de Asua in einem Aufsatz auf französischer Sprache die Entwicklung der deutschen Rechtsgutslehre (von Binding zu von Liszt), der Aufnahme derselben in Spanien und Italien sowie die Rechtswidrigkeit i. S. der Beeinträchtigung vorpositivistischer 254 255 256
Vgl. aber auf das Rechtsgut bezogen Ebling, Die Vorschrift des § 90a StGB, S. 46. Vgl. Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 250. Vgl. Dreyer, in: Py / Stasiak (Hrsg.), Mélanges Seuvic, S. 106.
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Schutzgegenstände dar, wobei er die Rechtswidrigkeit mit dem Begriff antijuridicité ins Französische übersetzte.257 Elie Daskalakis führte in seiner Doktorarbeit aus dem Jahr 1969 an, dass die Strafbestimmungen bestimmte bien juridique beschützten, bei denen es sich um gesellschaftliche Werte handle, die der Gesetzgeber als Schutzobjekte des Strafrechts anerkenne, weil ihre Verletzung die Gesellschaft beunruhigen könne.258 Der Gesetzgeber habe hierbei jedoch keine schöpferische Rolle, schaffe also kein bien juridique. Stattdessen würden die Strafvorschriften lediglich eine soziale Realität widerspiegeln.259 Der Grieche Emmanuel Dargentas setzte sich 1977 in seinem Aufsatz für die Aufnahme von geschützten Werten als Verbrechensobjekte und für die Anerkennung einer Rechtswidrigkeit i. S. einer Beeinträchtigung eines vorpositivistischen Rechtsguts im französischen Strafrecht ein.260 Trotz dieser zum Teil sehr ausführlichen Untersuchungen erregte die deutsche Rechtsgutslehre im 20. Jahrhundert weiterhin keine große Aufmerksamkeit in der französischen Strafrechtslehre.
b) Moderne Auffassungen Im Verlauf der letzten zwanzig Jahre entwickelte sich jedoch ein gewisses Interesse an der deutschen Rechtsgutslehre bzw. an einer möglichen materiellen Strafrechtsbegrenzung in der französischen Lehre. In diesem Zusammenhang und als für diese Entwicklung von Bedeutung müssen u. a. die Arbeiten von Julien Walther und Marion Lacaze erwähnt werden. In der Tat stellt die Arbeit von Walther die erste Monografie und umfassende Arbeit dar, in der die deutsche Lehre zur Rechtswidrigkeit dargestellt und untersucht wird. Walther setzt sich außerdem für ein auf vorpositivistische Schutzgegenstände abstellendes Strafrecht ein.261 Auch Marion Lacaze stellt die deutsche Rechtsgutslehre nicht nur detailliert dar, sondern untersucht auch eine mögliche Aufnahme dieser in das französische Strafrecht. Das durch das Strafrecht geschützte und durch eine Straftat verletzte „Etwas“ benennt sie als bien juridique und setzt sich für die Aufnahme eines systemkritischen bien juridique ein, wie dies im deutschen Recht mit dem Rechtsgut der Fall ist, das voroder überpositivistisch ist und dazu dienen soll, das ius puniende und die inflationäre Gesetzgebungspraxis zu begrenzen.262
257
Jimenez de Asua, Luis, L’antijuridicité, RIDP 1951, S. 273–318. Daskalakis, La notion d’unité et de pluralité d’infractions et son rôle dans le procès pénal, S. 82–85. 259 Daskalakis, La notion d’unité et de pluralité d’infractions et son rôle dans le procès pénal, S. 82–85. 260 Dargentas, Emmanuel, La norme pénal et la recherche autonome des valeurs dignes de la protection pénale, RPDP 1977, S. 411–423. 261 Siehe Walther, L’antijuridicité en droit pénal comparé franco-allemand, S. 187 ff. 262 Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 754. 258
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Auch wenn diese Untersuchungen in späteren strafrechtlichen Analysen erwähnt wurden,263 bleibt die Untersuchung des Strafrechts durch das Prisma dessen, was geschützt werden soll, sowie allgemein die Frage nach der Legitimation von Strafnormen und der materiellen Begrenzung des Ermessensspielraums des Gesetzgebers am Rande des Interesses der französischen Strafrechtslehre. Dies wirft die Frage auf, weshalb sich die Rechtsgutstheorie – insbesondere die systemkritische – im französischen Recht nicht hat durchsetzen können, obwohl sie sowohl in Italien als auch in Spanien auf Anklang stieß. Fraglich ist auch, warum im Allgemeinen bei den Überlegungen über eine Bestimmung und Begrenzung des legitimen Anwendungsbereichs des Strafrechts keine materiellen Grenzen gesucht bzw. anerkannt werden.
4. Gründe für das scheinbare Desinteresse der französischen Lehre an einer materiellen Grenze des Strafrechts Grund des Desinteresses an der deutschen Rechtsgutslehre oder genauer gesagt an der Anerkennung von vorpositivistischen Gütern und Verbrechensobjekten, die unabhängig von der Anerkennung des Gesetzgebers gegeben seien, sowie allgemein an einer materiellen Begrenzung des Anwendungsbereichs des Strafrechts können in der Beeinflussung des Strafrechts durch die Denkweise der Revolution und in den Ideen von Rousseau gefunden werden.264 Das französische Strafrecht ist von einem aus der Revolution stammenden Legalismus sowie von einem Kult des Gesetzes geprägt, die beide dazu führen, dass das Gesetz im französischen Strafrecht eine zentrale Position innehat, als unfehlbar gilt und als automatisch legitim angesehen wird (a)). Zudem ist das französische Strafrecht noch immer von einem Positivismus beeinflusst, der auf dem Legalismus und dem Gesetzeskult aufbaut und der nicht nur zu einer Ablehnung des außergesetzlichen Rechts (insbesondere des Naturrechts) führt, sondern auch die materielle und inhaltliche Kritik und Begrenzung des positiven Rechts eindämmt (b)).
263 Vgl. z. B. Reix, Marie, Le motif légitime en droit pénal: contribution à la théorie générale de la justification, S. 40 ff. https://www.theses.fr/2012BOR40055/document [Stand: 20. 5. 2022]; Mistretta / Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal. 264 Ähnlich dazu Beaussonie, in: Mistretta / Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal, S. 13.
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a) Legalismus aa) Ursprung und Entwicklung des Legalismus Das Ende des 18. Jahrhunderts war durch die damals herrschende Nomophilie, d. h. durch eine „Liebe zum Gesetz“ geprägt.265 Die Aufklärungsdenker lehnten im Namen des Fortschritts und der Vernunft das Recht des absolutistischen Frankreichs (dem sog. „Ancien Régime“) ab und zielten stattdessen darauf ab, die absolutistische und göttliche Herrschaft des Königs durch das vom Gemeinwillen getragene Gesetz zu ersetzen. Hierbei spielte Rousseau mit seiner Lehre eine ausschlaggebende Rolle, der in seinen Schriften unter anderem auch die Rolle des Gesetzes und des Gesetzgebers untersuchte266 und dessen theoretische Analysen die Anführer der Revolution und das französische Recht beeinflussten.267 Rousseau definierte das Gesetz als Ausdruck des Gemeinwillens über einen Gegenstand des Gemeinwohls: „une déclaration […] de la volonté générale sur un objet d’intérêt commun“.268 Dem Aufklärungsdenker zufolge handelt es sich beim Gemeinwillen um das Allgemeinwohl, d. h., dass der Gemeinwille der Willensäußerung der Gesamtheit derjenigen Bürger entspricht, die das Beste für die Gemeinschaft wollen.269 Rousseau trennt hierbei den volonté générale (Gemeinwillen) vom volonté de tous (Gesamtwillen), bei dem es sich um die Summe aller vorhandenen Einzelwillen handelt.270 Der Gemeinwille, als Willenserklärung der Gesamtkörperschaft, kann laut Rousseau nicht irren, ist also stets richtig und bezweckt das allgemeine Wohl.271 Mit der Definition des Gemeinwillens werden auch die Elemente des Rousseauschen Gesetzesbegriffes gegeben. Auf der Prämisse eines unfehlbaren Gemeinwillens beruhend, ist das ihn zum Ausdruck bringende Gesetz zwangsläufig gerecht, richtig und unfehlbar.272 Dies führt zum einen dazu, dass es nach Rousseau keine ungerechten Gesetze gibt,273 und zum anderen dazu, dass der Gemeinwille zur „Quelle der Gesetze und die Richtschnur für Recht und Unrecht“274 wird.
265
Goyard-Fabre, Philosophie politique. XVIe-XXe siècle: modernité et humanisme, S. 267; Carbasse, Histoire du droit, S. 101; Carbasse, Manuel d’introduction historique au droit, Rn. 147. 266 Vertiefend zum Gesetzesbegriff Rousseaus siehe Rasenack, Gesetz und Verordnung in Frankreich seit 1789, S. 23 ff. 267 Siehe Carbasse, Histoire du droit, S. 101. 268 Rousseau, Lettres écrites de la montagne, sixième lettre, S. 238. 269 Rousseau, Du contrat social, Livre II, Chap. III., S. 64. 270 Rousseau, Du contrat social, Livre II, Chap. III., S. 64. 271 Rousseau, Du contrat social, Livre II, Chap. III., S. 64, 66. 272 Siehe Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, S. 132; Hecker, Europäische Integration als Verfassungsproblem in Frankreich, S. 30; Carbasse, Histoire du droit, S. 102; Carbasse, Manuel d’introduction historique au droit, Rn. 147. 273 Schlette, in: Häberle (Hrsg.), JöR N. F. 33 (1984), S. 281. 274 Voigt, Der moderne Staat, S. 20.
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3. Teil: Bewertung
Die theoretischen Überlegungen Rousseaus wurden, insbesondere in der Dekade 1780, zu einem praktischen Handbuch für die Anführer der Revolution275 und es etablierte sich ein wahrhaftiger Gesetzeskult. Die Revolutionäre sahen auf der einen Seite in dem auf der Vernunft basierenden und aus dem Gemeinwillen stammenden unfehlbaren Gesetz die Möglichkeit, die Errungenschaften der Revolution und das Naturrecht zu formalisieren und so zu erhalten.276 Auf der anderen Seite sahen sie in dem Gesetzgeber (dem Parlament) die Verkörperung des Volkswillens und in der volonté générale die einzige legitime Autorität, um die konkurrierende Ausübung der subjektiven Rechte jedes einzelnen Menschen zu regeln und einzurahmen und die Ausübung der Rechte jedes einzelnen Menschen mit dem Gemeinwohl und der öffentlichen Ordnung zu vereinbaren.277 Spuren des Gesetzeskults können mitunter in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 gefunden werden. So wird in der Erklärung für die Umsetzung der universalen und natürlichen Rechte immerwährend auf das Gesetz verwiesen.278 Beispielsweise kann ausschließlich das Gesetz die natürlichen Rechte eines jeden Menschen begrenzen (Art. 4), die Fälle bestimmen, in denen jemand angeklagt, verhaftet oder gefangen gehalten werden darf (Art. 7) oder die Grenzen für die Ausübung der Meinungsäußerungsfreiheit festlegen (Art. 10). Durch die Gesetze sollten die Errungenschaften der Revolution und die Naturrechte formalisiert und erhalten werden.279 Klare Spuren des Einflusses von Rousseau sind außerdem in Art. 6 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte zu erkennen, wonach das Gesetz Ausdruck des Gemeinwillens sei („La loi est l’expression de la volonté générale“).
275
Siehe Carbasse, Histoire du droit, S. 102; vgl. Crignon, Les Études philosophiques, 2007/4 (n° 83), 481. Crignon stellt fest, dass viele von Rousseaus Ideen, darunter auch die Sicht des Gesetzes als Ausdruck des Gemeinwillens, bereitwillig übernommen wurden, während seine Ablehnung der Idee gewählter Volksvertreter als Achillesferse seines Denkens betrachtet und trotz seiner Warnungen das repräsentative System angenommen wurde; für mehr Informationen zur Übernahme von Rousseaus Ideen nach der Revolution siehe Schlette, in: Häberle (Hrsg.), JöR N. F. 33 (1984), S. 281. 276 Siehe Viala, Philosophie du droit, S. 72. 277 Viala, Philosophie du droit, S. 70 ff. 278 Viala sieht in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte eine Spannung zwischen dem „légicentrisme“ (der absoluten Souveränität des positiven Gesetzes) und der Superiorität der subjektiven Rechte der Menschen über den Staat: während in der Präambel der Erklärung zunächst auf die natürlichen Rechte („droits naturels“) verwiesen und diese noch als vor dem Bestehen der politischen Vereinigung bestehend angesiedelt werden, wird zugleich dem Gesetzgeber die Aufgabe zugeteilt, diese Rechte zu gestalten und zu begrenzen. Siehe Viala, Philosophie du droit, S. 72. 279 Siehe Viala, Philosophie du droit, S. 72.
3. Teil: Bewertung
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bb) Auswirkungen auf das heutige Strafrecht Die inhaltliche Richtigkeit eines Gesetzes ergab sich somit in Frankreich lange Zeit allein aus der demokratischen Organisationsform des Gesetzgebungsverfahrens. Solange das Gesetz durch das Parlament erlassen wurde, galt es als legitim und unfehlbar.280 Somit wurde „der Volkswille zum Legitimationsgrundsatz der Gesetze“281 ernannt, was zur Folge hatte, dass die Normen – und somit auch die Strafnormen – ihre Legitimität aus der Legalität schöpften, ohne dass hierbei eine Prüfung konkreter Schutzgegenstände stattfindet. Auch wenn heute in der Lehre der Kult des Gesetzes als abgeschwächt dargestellt wird, bleibt das französische Strafrecht weiterhin stark davon geprägt.282 Dies wird, wie bereits oben aufgeführt, daran ersichtlich, dass das Strafrecht weiterhin primär in seiner sanktionsträchtigen Funktion betrachtet und behandelt wird und dass die Straftat als Gesetzesbruch verstanden wird. Außerdem wird das Gesetzlichkeitsprinzip weiterhin als das Kardinalprinzip und Hauptbegrenzungskriterium des Strafrechts dargestellt,283 und der Conseil Consitutionnel (Cc) bleibt in seiner Kontrolle des materiellen Inhalts von Strafvorschriften und des vom Gesetzgeber verfolgten Zwecks weiterhin zurückhaltend.284 In der Lehre wird die legalistische französische Strafrechtstradition als Gegenstück zu der auf einen vorpositivistischen Rechtsgüterschutz abstellenden Strafrechtstradition gesehen.285 Pin unterscheidet dabei zwischen der französischen legalistischen Theorie, der zufolge ein Verhalten bestraft wird, wenn es tatbestandsmäßig und somit auch formell rechtswidrig ist und der deutschen Theorie, die er als „théorie dite de l’Unrecht“ (sog. Unrechtstheorie)286 bezeichnet und die für eine Bestrafung verlangt, dass die Tat nicht nur tatbestandsmäßig, sondern auch materiell rechtswidrig ist, sprich, dass eine Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsgutes vorliegt.287 Aufgrund dessen sieht Dreyer im französischen Legalismus eine Stärke288: „Peu importe qu’elle apparaisse bonne ou mauvaise aux yeux de celui
280
Siehe Bouchet, La validité substantielle de la norme pénale, Rn. 15. Amelung, Rechtsgüterschutz und Schutz der Gesellschaft, S. 27. 282 Z. B. Tillement, Le contrôle de la nécessité des incriminations par le juge pénal, Droit pénal, déc. 2003, chron. 34. 283 Siehe die Ausführungen zum Gesetzlichkeitsprinzip in der vorliegenden Arbeit unten, Teil 3 C. II. 284 Siehe vertiefend hierzu die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeitskontrolle in der vorliegenden Arbeit unten Teil 3 B. II.; Georges Bergougnous, Le Conseil constitutionnel et le législateur, Les Nouveaux cahiers du Conseil constitutionnel, n° 38, 2013, S. 18. 285 Dreyer, Droit pénal général, Rn. 168. Pin, in: Mistretta / Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal, S. 117. 286 Pin hebt den Begriff „Unrecht“ durch Kursivsetzung selber hervor; siehe Pin, in: Mistretta/ Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal, S. 117. 287 Pin, in: Mistretta / Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal, S. 117. 288 Dreyer, Droit pénal général, Rn. 168. 281
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3. Teil: Bewertung
auquel elle s’applique: la loi est obligatoire dès lors qu’elle a été régulièrement adopté“.289
b) Rechtspositivismus Infolge der Revolution setzte sich im französischen Recht ein Rechtspositivismus durch (aa)), der – im Gegensatz zum deutschen Recht – nach dem Zweiten Weltkrieg nicht in Verruf geriet, sondern weiterhin, u. a. im Rahmen des Strafrechts, vertreten wird (b)).
aa) Ursprung Der Ursprung des Rechtspositivismus im französischen Recht kann zum einen in der herrschenden Nomophilie der letzten Dekade des 18. Jahrhunderts und dem sich damals entwickelnden Legalismus gefunden werden. Das Gesetz, als Ausdruck des Gemeinwillens, das – sofern es den formalen Anforderungen entsprach (d. h. durch das Parlament erlassen wurde, den Regelungen nach publiziert wurde etc.) – als unfehlbar und notwendigerweise richtig galt, erlangte nach der Revolution einen sakralistischen und absolutistischen Wert.290 Goyard-Fabre spricht in diesem Kontext von einer Mystifikation des positiven Rechts und der positiven Gesetzgebung, die sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Rahmen des Überflusses der Nomophilie und der Leidenschaft zu einer Rationalität des Rechts entwickelte und als Nährboden für den französischen Rechtspositivismus stehen kann.291 Die Etablierung eines Rechtspositivismus und einer Sakralisierung des Gesetzes und des positiven Rechts erfolgte jedoch nicht nur aufgrund der Verankerung der Gesetze im demokratischen Prozess, sondern auch aufgrund des Inhaltes. Infolge der Revolution waren die Ideen der Aufklärung und das Naturrecht in das positive Recht aufgenommen worden.292 So wurde mit den neuen Gesetzbüchern, die Anfang des 19. Jahrhunderts erlassen wurden – sei es der code civil oder der code pénal –, u. a. das Ziel verfolgt, die abstrakten Naturrechte zu formalisieren und sie somit in das positive Recht aufzunehmen.293 Auf diese Weise etablierte sich ein Rechtspositivismus und, damit einhergehend, ein strenges und enges Verständnis der Gesetze sowie eine Unterwerfung der Lehre unter das positive Recht, da darin 289 Dreyer, in: Py / Stasiak (Hrsg.), Mélanges Seuvic, S. 100, Übersetzung: „Unabhängig davon, ob es in den Augen derer, auf die es Anwendung findet, als gut oder schlecht angesehen wird: das Gesetz ist ab der regelmäßigen Verabschiedung verbindlich.“ 290 Goyard-Fabre, Les embarras philosophiques du droit naturel, S. 247 ff.; Herold, in: Hildalgo (Hrsg.), Der lange Schatten des Contrat social: Demokratie und Volkssouveränität bei Jean-Jacques Rousseau, S. 101 ff. 291 Goyard-Fabre, Les embarras philosophiques du droit naturel, S. 249. 292 Viala, Philosophie du droit, S. 74. 293 Viala, Philosophie du droit, S. 74.
3. Teil: Bewertung
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die Möglichkeit gesehen wurde, die Ideale der Aufklärung und die neu gewonnenen Rechte beizubehalten und zu realisieren.294
bb) Die Rolle des Rechtspositivismus im heutigen Strafrecht Während das deutsche Recht sich nach dem Zweiten Weltkrieg – insbesondere infolge der Verbreitung der u. a. von Radbruch vertretenen These, dass der Rechtspositivismus die Justiz im Dritten Reich wehrlos gemacht habe – vom juristischen Positivismus (insbesondere vom reinen Gesetzespositivismus) abwandte, ist diese Entwicklung in der französischen Strafrechtslehre weniger markant, da diese weiterhin von einem gewissen Rechtspositivismus geprägt zu sein scheint.295 Dies ist mitunter daran zu erkennen, dass die französische Lehre auf die Frage nach dem Recht oder Unrecht eines Gesetzes und seiner Legitimation nicht eingeht und dass das Gesetz stattdessen auf einer rein formalen und technischen Ebene untersucht wird (z. B. bezüglich der Klarheit und Verständlichkeit des Gesetzes, der Gesetzlichkeit etc.).296 In dieser Hinsicht sagt der französische Strafrechtsprofessor Conte in seinem Lehrbuch: „[…] la solution juste n’est pas celle qui est opportune mais celle qui est légale“.297 Die Lehrbücher des Strafrechts konzentrieren sich im Allgemeinen oft auf die Praxis und auf das positive Recht, wobei dogmatische und philosophische Überlegungen nur mit wenigen Sätzen erwähnt werden. Bei Fragen, die die Kriminalpolitik betreffen, wird oftmals darauf verweisen, dass es sich hierbei um Themen 294
Mir Puig, Derecho penal, S. 178 f.; Mir Puig, in: Hefendehl / Bottke (Hrsg.), Empirische und dogmatische Fundamente, kriminalpolitischer Impetus. S. 79 f. 295 Vgl. Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 236 ff. In der Lehre wird im Rechtspositivismus die Grundlage für die Durchsetzung der antisemitischen Gesetze durch die Richter im Vichy-Regime gesehen. So führt Denis Salas diesbezüglich an: „Reste que, pour la pluspart [les juges], la loi avait parlé. Leur tâche était de l’appliquer. […] Nul ne s’autorisait à l’époque à juger la loi au nom de principes supérieurs. […] Le légicentrisme républicain est le vêtement prestigieux avec lequel Vichy habille sa réglementation antisémite.“ (Übersetzung: „Dennoch hatte für die Mehrheit [der Richter] das Gesetz gesprochen. Ihre Aufgabe war es, es anzuwenden. […] Niemand erlaubte sich damals, das Gesetz im Namen höherer Prinzipien zu beurteilen. […] Republikanische Legitimität ist das prestigeträchtige Kleidungsstück, mit dem Vichy seine antisemitischen Vorschriften kleidet.“ Siehe Salas, in: Jean (Hrsg.), Juger sous Vichy, juger Vichy, S. 31. Auch wenn viele der Richter, die sich während des Krieges der „résistance“ angeschlossen hatten, sich vermehrt für ein Naturrecht einsetzten, das über dem positiven Recht stünde, kam es doch zu keinem Wandel. Erst durch die Gesetze könne die Größe der Republik wiederhergestellt werden und die Legitimität des Gewaltmonopols des Staates beibehalten werden, siehe Bancaud, in: Jean (Hrsg.), Juger sous Vichy, juger Vichy, S. 337 f. 296 Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 236 ff. Für Dreyer beschränkt sich die Aufgabe der Strafrechtslehre darauf, die Vorschriften zu kennen und sie zu beschreiben; siehe Dreyer, in: Py / Stasiak (Hrsg.), Mélanges Seuvic, S. 102. 297 Conte, Droit pénal spécial, S. 3. Übersetzung: „[…] die gerechte Lösung ist nicht diejenige, die angebracht ist, sondern diejenige, die legal ist“.
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handle, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Strafrechtslehre fielen.298 Ähnliches wird auch in Bezug auf die Idee der vor- oder überpositivistischen Güter angeführt299 – eine Idee, die insbesondere Dreyer, u. a. aufgrund des Positivismus, ablehnt. Dreyer zufolge sei die Idee der vorpositivistischen Güter eine Frage der Politik, der Philosophie und der Soziologie, aber auf keinen Fall eine Frage, für die sich das positive Recht und die Strafrechtslehre interessieren sollte. Dreyer sieht in der Güterlehre im Allgemeinen einen erstickenden Einfluss (emprise étouffante), den er als zu Moral verbunden und als unbeständig bewertet.300 In diesem Rahmen verweist er deutlich auf den Rechtspositivismus – auf die Lehre, die jeder Jurist verfolgen solle und derer sich die Strafrechtslehre nicht schämen solle, da es sich hierbei um die einzige vernünftige Möglichkeit handle, der Aufgabe der Strafrechtslehre nachzugehen.301 Diese Aufgabe bestünde nicht darin, eine Legitimation für die Rechtsordnung zu suchen, sondern lediglich darin, das geltende Gesetz zu kennen und es zu beschreiben.302 Pin sieht in dem Unterschied zwischen dem deutschen, rechtsgutbasierenden Strafrecht und dem französischen, legalistischen Strafrecht eine ähnliche Kontroverse wie zwischen dem Positivismus und dem Naturrecht: les premiers considèrent que les seconds sont des philosophes, des ‚idéologues‘, voire des ‚prophètes‘, et les seconds estiment que les premiers ne sont que des techniciens du droit, des positivistes froids, qui s’attachent plus à la lettre qu’à l’esprit de la loi.303
Der Legalismus und der Positivismus erklären, weshalb das Gesetzlichkeitsprinzip als einzige anerkannte Grenze des Strafrechts anerkannt wird und weshalb die französische Strafrechtslehre Schwierigkeiten bezüglich der Aufnahme eines strafbarkeitsbegrenzenden Rechtsgutsbegriffs hat, der auf vorpositivistischen Schutzgegenständen basiert.
298
Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 236 ff. Pin führt an, dass die Überlegungen über das Unrecht, die Rechtswidrigkeit und das Rechtsgut in der französischen Strafrechtslehre eher als eine philosophische denn als eine rechtstechnische Frage betrachtet werden; siehe Pin, in: Ambroise-Castérot (Hrsg.), Mélanges en l’honneur du professeur Jacques-Henri Robert, S. 587. 300 Dreyer, Droit pénal général, Rn. 165; Dreyer, in: Py / Stasiak (Hrsg.), Mélanges Seuvic, S. 97; ähnlich Papillon, in: Mistretta / Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal, S. 57 ff. 301 Dreyer, in: Py / Stasiak (Hrsg.), Mélanges Seuvic, S. 102–103. 302 Dreyer, in: Py / Stasiak (Hrsg.), Mélanges Seuvic, S. 102–103. 303 Pin, in: Mistretta / Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal, S. 117. Übersetzung: „Die Ersten betrachten die Zweiten als Philosophen, ‚Ideologen‘ oder sogar als ‚Propheten‘, und die Zweiten sehen die Ersten lediglich als Techniker des Rechts, als kühle Positivisten, die sich mehr an dem Wortlaut als an dem Sinn des Textes aufhängen“. 299
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5. Vorverlagerung der Strafbarkeit und Deliktsnatur a) Übersicht In der französischen Lehre gilt der noch heute gültige Rechtsgrundsatz cogitationis poenam nemo patitur, nach dem Gedanken straffrei bleiben. Das Strafrecht greift demzufolge erst dann, wenn sich diese Gedanken in Form von Taten oder Handlungen (élément matériel) nach außen sicht- und greifbar materialisiert haben.304 In Bezug auf die strafbaren Verhaltensweisen im Vorfeld der Tatbegehung wird in der Lehre immer wieder auf den iter criminis verwiesen. Demzufolge müssen für die Vollendung der Tat alle Etappen des iter criminis durchlaufen worden sein.305 Die erste Etappe stellt der kriminelle Entschluss (résolution criminelle) dar und ist, da er nicht in die Außenwelt gebracht wurde, straffrei. Die darauffolgende Etappe besteht in den Vorbereitungshandlungen (préparation du crime), die ebenfalls straffrei bleiben. Die abschließende Etappe des iter criminis stellt die Tatvollendung (consommation du crime) dar, die bereits bei einem Beginn der Tatausführung (commencement d’exécution) strafbar ist. Art. 121-5 CP zufolge setzt die Versuchsstrafbarkeit bei Beginn der Tatausführung ein. Neben dem Versuch in Art. 121-5 CP des AT des code pénal können im Besonderen Teil des französischen Strafgesetzbuches verschiedene Straftatbestände gefunden werden, die Verhaltensweisen strafrechtlich ahnden, die weit im Vorfeld des klassischen Versuchsstadiums liegen.306 In diesem Kontext wird von infractions de prévention (Präventionsstraftaten) gesprochen, wobei sich die Strafrechtslehre darüber einig ist, dass es sich hierbei um Vorschriften handelt, die Verhaltensweisen unter Strafe stellen, die vor dem verletzenden Erfolg liegen und die darauf abzielen zu verhindern, dass es zu neuen Straftaten kommt.307 In der vermehrten Einführung der infraction de prévention erkennt die Lehre eine Abnahme der Anforderungen an die objektive Tatseite, während die subjektive Seite an Bedeutung gewinnt.308 Die Entwicklung und Zunahme der infraction de prévention ist insbesondere im Bereich der Terrorismusbekämpfung zu erkennen.309 Die Kategorie der infraction de prévention wird in der Lehre jedoch nur selten untersucht310, und wenn dies der Fall ist, dann wird sie in Bezug auf den oben auf304 Garraud / Garraud, Précis de droit criminel, S. 190 ff.; Bouloc, Droit pénal général, 2019, S. 225 f. 305 Pin, Droit pénal général, Rn. 177. 306 Grunvald, in: Mélanges en l’honneur du Professor Reynald Ottenhof, S. 135. 307 Ponseille, L’infraction de prévention en droit pénal français, S. 66 ff. 308 Grunvald, Sylvie, A propos de l’élément matériel de l’infraction: quelques questions de frontières, in: Mélanges en l’honneur du Professor Reynald Ottenhof, S. 139; Ponseille, Les infractions de prévention, Argonautes de la lutte contre le terrorisme, RDLF 2017, chron. n. 26, S. 10. 309 Alix / Cahn, RSC 2017, 845 ff.; Sordino, in: Presses de la Faculté de droit de Montpellier (Hrsg.), Mutations du droit pénal, entre affirmation de valeurs et protection des libertés?, S. 30 f. 310 Cerf, C. R.D. F. 2007, 142.
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3. Teil: Bewertung
geführten problematischen Erfolgsbegriff definiert und klassifiziert.311 Klassischerweise unterscheidet die Strafrechtslehre innerhalb der infractions de prévention zwischen den infraction formelle (formelle Straftaten) und den infraction obstacle (Hindernisstraftaten).312 Dabei werden als infraction formelle solche Straftaten bezeichnet, die unabhängig von einem Erfolg der Straftat realisiert sind und bei denen in erster Linie ein Verhalten strafrechtlich geahndet wird.313 Da schon in einem frühen Stadium des iter crimins eingegriffen wird (vor der Tatvollendung), haben manche Strafrechtler in der infraction formelle eine individuelle und unabhängige Ahndung eines Versuchs erkannt.314 Als Paradebeispiel hierfür wird in den Lehrbüchern der Art. 221-5 CP angeführt, in dem die Vergiftung unter Strafe gestellt wird und bei dem die Tatvollendung bereits mit der Verabreichung der tödlichen Substanz erfüllt ist, unabhängig vom Resultat. Für die infraction obstacle wird Ähnliches geltend gemacht, da hiermit gefährliche Verhaltensweisen strafrechtlich geahndet werden sollen, mit dem Ziel, die Begehung von erfolgreichen Straftaten zu verhindern.315 Mit den infraction obstacle sollen demzufolge gefährliche Verhaltensweisen bestraft werden, die als Vorbereitungshandlungen gelten und die ansonsten straffrei bleiben würden.316 Demnach gilt z. B. die Trunkenheit im Verkehr (Art. L. 234-1 code de la route), das Tragen von Waffen bei einer Demonstration (Art. 431-10 CP) oder die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (Art. 450-1 CP) als infraction obstacle. Dabei seien die infraction obstacle von den infraction formelle dadurch zu unterscheiden, dass bei ersteren der Kausalzusammenhang zu einem möglichen Erfolg weniger deutlich sei; bestraft werden soll lediglich eine eventuelle Schädigung.317
b) Systematisierung der Deliktstrukturen anhand der valeurs, intérêts oder biens juridiques Die Frage nach dem Schutzgegenstand gewinnt auch in Bezug auf die Vorverlagerung und in Bezug auf die infraction de prévention an Bedeutung, wobei diesem von einem Teil der Lehre eine Rolle als Dreh- und Angelpunkt für die Struktu311
Zum Begriff des Erfolgs im französischen Strafrecht siehe oben Teil 3 A. II. 2. e). Pradel, Droit pénal comparé, S. 99 ff.; Malabat, Droit pénal spécial, S. 79. Ponseille dahingegen sieht die infraction obstacle als Unterkategorie der infraction formelle an. Ihrer Ansicht nach unterteilt sie die infraction formelle in infraction obstacle und infraction formelle im engeren Sinne. Siehe Ponseille, L’infraction de prévention en droit pénal français, S. 20; sich dem anschließend Hosseini Nassab, L’ infraction-obstacle en droit international pénal, S. 53. 313 Aus diesem Grund seien sie von den infraction matérielle zu unterscheiden, die einen Erfolg voraussetzen. So Keyman, RSC 1968, 793; Bouloc, Droit pénal général, S. 237. 314 Pradel, Droit pénal général, S. 382; Hosseini Nassab, L’ infraction-obstacle en droit international pénal, S. 54. 315 Dreyer, Droit pénal général, Rn. 745. 316 Pradel, Droit pénal général, S. 383. 317 Jeandidier, Droit pénal général, Rn. 243; Pradel, Droit pénal général, S. 383; Pin, Droit pénal général, Rn. 186. 312
3. Teil: Bewertung
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rierung des Problemfeldes zugesprochen wird. Dies ist für den Teil der Lehre der Fall, der den Erfolg bzw. den juristischen Erfolg als die Verletzung eines valeur, intérêt oder bien juridique definiert.318 In der Tat stützt sich dieser Teil der Strafrechtslehre hierauf, um die infraction formelle von der infraction matérielle zu unterscheiden, indem sie für letztere einen Erfolg i. S. einer tatsächlichen Verletzung eines Schutzgegenstandes voraussetzt, während die infraction formelle mit der Abwesenheit einer solchen Verletzung gekennzeichnet wird.319 Gleiches gilt für die infraction obstacle, die ebenfalls mit der Abwesenheit einer tatsächlichen Verletzung eines valeur, intérêt oder bien juridique definiert wird und aufgrund dessen von der infraction matérielle zu unterscheiden sei.320 Rabut-Bonaldi geht in ihrer Analyse des Erfolges und der Präventionsstraftaten weiter, wenn sie – beeinflusst durch die deutsche Strafrechtslehre321 – anführt, dass diese Vorfelddelikte nicht nur durch die Abwesenheit einer Verletzung der valeurs, intérêts oder biens juridiques charakterisiert seien, sondern in den Präventionsstraftaten eine Gefährdung der valeurs, intérêts oder biens juridiques erkennt.322
c) Legitimation der Vorverlagerung Die Legitimationsbasis einer Vorverlagerung der Strafbarkeit, u. a. durch die Einführung von Vorschriften, die solche Verhaltensweisen bestrafen, die weit vor dem klassischen Versuchsstadium stattfinden, wird im französischen Strafrecht nur selten in Frage gestellt oder untersucht.323 Die Entwicklung des Strafrechts zu einem präventiven Instrument und die vermehrte Einführung von infractions préventives durch den Gesetzgeber wird in der Lehre zwar als ein Wechsel anerkannt, jedoch wird diese Vorfeldkriminalisierung im Allgemeinen als zulässig und legitim erachtet und nur selten in Frage gestellt.324 Dies ist mit Blick auf das 318
Siehe hierzu oben Teil 3 A. II. 2. e). Jeandidier, Droit pénal général, (2. éd.), S. 265 ff.; Ollard, Romain, La distinction du dommage et du préjudice en droit pénal, RSC 2010, N° 3 S. 561 à 585 (563); Pin, Droit pénal général, Rn. 185. 320 André, Droit pénal spécial, S. 145. 321 Rabut-Bonaldi stützt sich u. a. auf von Liszt sowie auf die Autoren, die die deutsche Rechtsgutslehre und Rechtswidrigkeit in französischer Sprache wiedergegeben und untersucht haben (z. B. Jimenez de Asua, Lacaze, Walther usw.); siehe Rabut-Bonaldi, Le préjudice en droit pénal, Rn. 271. 322 Rabut-Bonaldi, Le préjudice en droit pénal, Rn. 282 ff.; sich dem anschließend Pin, in: Mistretta / Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal, S. 120. 323 Ausnahmen hierzu siehe Cerf, C. R.D. F. 2007, 141 ff.; Reix, Le motif légitime en droit pénal: contribution à la théorie générale de la justification, S. 364 f. https://www.theses. fr/2012BOR40055/document [Stand: 20. 5. 2022]; Ponseille, Les infractions de prévention, Argonautes de la lutte contre le terrorisme, RDLF 2017, chron. n. 26, S. 1 ff. 324 So z. B. Leroy, Droit pénal général, S. 223; zu dieser Feststellung kommt auch Reix, Marie, Le motif légitime en droit pénal: contribution à la théorie générale de la justification, S. 34 https://www.theses.fr/2012BOR40055/document [Stand: 20. 5. 2022]. 319
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3. Teil: Bewertung
oben Gesagte nicht weiter verwunderlich, da die Legitimation von Strafvorschriften traditionell mit deren formaler Legalität gleichgesetzt wird.325
6. Legitimation der Motivationsdelikte Für die Motivationsdelikte des französischen Rechts bedeutet das oben Gesagte, dass deren Legitimation nur selten in Frage gestellt wird. Untersuchungen des materiellen Unrechts und der Legitimation der Vorverlagerung des Strafrechts durch Präventionsstraftaten, denen auch die Motivationsdelikte angehören, die nicht im AT des code pénal normiert sind, bleiben selten. Um über diese Feststellung hinauszugehen und um an die neueren Entwicklungen in der französischen Strafrechtslehre anzuknüpfen, soll im Rahmen der Motivationsdelikte des französischen Rechts die Untersuchung in dieser Hinsicht vertieft werden, u. a. mit Rückgriff auf die für die vorliegende Arbeit bevorzugte Lösung der deutschen Strafrechtsdogmatik, auf die dort entwickelten Legitimationskriterien sowie auf die Zurechnungsfrage, die bereits bei der Untersuchung der deutschen Motivationsdelikte diskutiert wurde. An die Untersuchung der deutschen Motivationsdelikte anschließend soll hier demzufolge zum einen die Frage nach dem Schutzgegenstand der verschiedenen französischen Motivationsdelikte untersucht werden und zum anderen auch der Frage der Legitimation der durch die Motivationsdelikte erfolgten Vorverlagerung nachgegangen werden.
a) Bewertungsmaßstab Die valeurs, intérêts oder biens juridiques werden im französischen Recht – im Gegensatz zur deutschen systemkritischen Rechtsgutslehre – nicht oder nur vereinzelt und wenn, dann als vorpositivistische Axiome anerkannt. Stattdessen spielen die Schutzgegenstände, verstanden als ratio legis, im Rahmen u. a. der Auslegung von Straftatbeständen und der Systematisierung des code pénal eine Rolle. Mit Blick auf die Motivationsdelikte wird deutlich, dass sowohl Individualinteressen (z. B. das Leben, die Würde, die physische und psychische Integrität von Personen) als auch Universalschutzgegenstände (z. B. die Republik und ihre Verfassung, die zur staatlichen Vollstreckung berufenen Organe usw.) hinter den Vorschriften stehen. Dabei wird auch bei den Motivationsdelikten des französischen Rechts zuweilen auf Universalschutzgegenstände bzw. biens juridiques verwiesen, die äußerst vage und unbestimmt erscheinen und die mehr als Allgemeinbegriffe
325
Vgl. Reix, Marie, Le motif légitime en droit pénal: contribution à la théorie générale de la justification, S. 345, 406. https://www.theses.fr/2012BOR40055/document [Stand: 20. 5. 2022].
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fungieren, ohne dass eine klare Definition dieser Begriffe möglich ist. Dies ist mitunter bei der öffentlichen Ordnung (ordre public) oder dem öffentlichen Frieden (paix publique) der Fall. Solche unbestimmten Schutzgegenstände sind im Allgemeinen – wie bereits im Bezug auf das deutsche Strafrecht ausgeführt wurde – abzulehnen, verdecken sie doch eine weitreichende Vorverlagerung des Schutzes von Individualrechtsgütern. Wie im Länderbericht sowie im Zuge des Rechtsvergleichs festgestellt werden konnte, zielt der französische Gesetzgeber mit den Motivationsdelikten darauf ab, solche Verhaltensweisen zu bestrafen, die andere Personen potenziell dazu motivieren können, straffällig zu werden, sodass es durch das Anschlussverhalten möglicherweise zu Beeinträchtigungen von biens juridiques kommen könnte. Es handelt sich demzufolge, insbesondere im Bereich der indirekten Motivationsdelikte, um Vorfelddelikte, die weit im Vorfeld des klassischen Versuchsstadiums liegen. In der Tat werden viele der Motivationsdelikte entweder als infraction formelle oder als infraction d’obstacle kategorisiert, wobei sich die Lehre auch hier bezüglich der Einteilung in eine der beiden Kategorien in vielen Fällen uneinig ist; in vielen Fällen wird die Einteilung des Delikts als ein Vorfelddelikt auch erst gar nicht angesprochen. Die Frage nach dem Schutzgegenstand für die Kategorisierung rückt zwar mehr und mehr in den Vordergrund, ohne dass die Schutzgegenstände jedoch als Dreh- und Angelpunkt für die Legitimität von Straftatbeständen anerkannt werden. Die Legitimität solcher Vorfelddelikte wird dabei nur selten in Frage gestellt oder untersucht und es gibt in der Lehre keine Legitimationskriterien, anhand derer die Motivationsdelikte untersucht werden könnten. Aufgrund des Mangels an Legitimationskriterien bezüglich der Vorfelddelikte in der französischen Lehre und in dieser Hinsicht aufgrund des Mangels an Legitimationskriterien, an denen die Motivationsdelikte untersucht werden könnten, wird die bereits im deutschen Teil erwähnte bevorzugte Lösung der deutschen Strafrechtsdogmatik – d. h. die Einteilung in die Kategorien der objektiven Gefahrschaffungsdelikte (genauer gesagt der Anschließungsdelikte), deren Bewertungsmaßstab und die damit gemeinsam entwickelte Zurechnungslösung – angewendet. Bei der Untersuchung der verschiedenen Motivationsdelikte wird dabei jeweils kurz auf den Mangel der französischen Lehre hingewiesen und dann der Tatbestand anhand der bevorzugten Lösung bewertet. Demzufolge können die Motivationsdelikte des französischen Rechts unter den Haupttypen der objektiven Gefahrschaffungsdelikte, genauer gesagt in die Kategorie der Anschließungsdelikte klassifiziert werden, die eine Untergruppe der objektiven Gefahrschaffungsdelikte sind. In der Tat werden mit diesen Vorschriften solche potenziell motivierenden Handlungen erfasst, in denen die Gefahr gesehen wird, dass sie andere dazu motivieren könnten, straffällig zu werden. Es soll verhindert werden, dass andere Personen an die Motivation anschließen und es durch das Anschlussverhalten möglicherweise zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung kommt. Dabei stellt sich im Rahmen der Anschließungsdelikte neben der Frage der Beein-
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3. Teil: Bewertung
trächtigung eines legitimen Schutzgegenstandes auch die Frage nach der Zurechenbarkeit und der Eigenverantwortlichkeit, da der Umstand, dass mit der Motivation die Möglichkeit der Beeinträchtigung eines bien juridique durch das Anschlussverhalten eines Motivierten geschaffen wurde, allein nicht dafür ausreichen kann, um eine Strafandrohung der Handlung des Ersthandelnden zu rechtfertigen.326 Laut Art. 121-1 CP ist jeder nur für seine eigenen Handlungen strafrechtlich verantwortlich.327 Zurechenbar ist die mögliche Beeinträchtigung eines bien juridique nur dann, wenn die Motivation des Ersthandelnden eine gewisse Qualität aufweist.328 Aus den oben dargestellten Kriterien ergibt sich, dass eine dementsprechende Qualität im Rahmen der Motivationsdelikte dann gegeben ist, wenn mit der Motivation ein deliktischer Sinnbezug deutlich gemacht wird, d. h., wenn sie sich unmittelbar auf eine Straftatbegehung bezieht und wenn die Motivation einen gewissen Handlungsdruck ausübt oder Aufforderungscharakter zum Ausdruck bringt, d. h., dass mit der geäußerten Motivation auch die Erwartung einer Tathandlung ausgedrückt wird.329 Was bedeutet dies für die verschiedenen im französischen Recht vorhandenen Motivationsdelikte? Es stellt sich die Frage, ob für die in der vorliegenden Arbeit erfassten Delikte eine Zurechenbarkeit möglich ist.
b) Direkte Motivationsdelikte Die Art. 221-5-1 (Erfolglose, direkte Provokation zu einem Mord oder einer Vergiftung), Art. 222-26-1 (Erfolglose, direkte Provokation zur Vergewaltigung), Art. 222-6-4 (Erfolglose, direkte Provokation zur Folter und zu brutalen Misshandlungen), Art. 222-30-2 (erfolglose, direkte Provokation zu sexuellen Angriffen) und 227-28-3 CP (Direkte Provokation zu sexuellen Straftaten gegen Minderjährige) schützen in erster Linie die Individualinteressen, die durch die Straftat, zu deren Begehung provoziert wird, beeinträchtigt werden können. Im Fall des Art. 221-5-1 CP etwa handelt es sich um das Leben und die physische Integrität von Personen. Mit diesen Motivationsdelikten soll verhindert werden, dass sich Dritte durch die Provokation motiviert fühlen und es möglicherweise zu einer Beeinträchtigung eines bien juridique kommt. Es handelt sich hierbei um Vorfelddelikte. Da die Legitimität solcher Vorfelddelikte in der französischen Strafrechtslehre nur selten in Frage gestellt wird und es keine weitere Unterteilung oder Legitimationskriterien gibt, werden die oben bereits dargestellten bevorzugten Bewertungsmaßstäbe angewendet. Es stellt sich somit die Frage, ob es sich hierbei um Anschließungsdelikte 326
Vgl. von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 201. 327 Art. 121-1 CP: „Nul n’est responsable pénalement que de son propre fait“. 328 von Hirsch / Wohlers, in: Hefendehl / von Hirsch / Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 204 (normative involvement). 329 Siehe oben, Teil 3 A. I. 3. a) cc).
3. Teil: Bewertung
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handelt und ob die mögliche Gefahr einer Beeinträchtigung der valeurs, intérêts oder biens juridiques dem Motivator zugerechnet werden kann. Mit Blick auf die oben dargestellten Legitimationskriterien wird deutlich, dass die möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigungen, die durch die Handlung von Dritten erfolgen können, dem Motivator zugerechnet werden können. In der Tat beziehen sich die Motivationen in den verschiedenen Vorschriften zum einen auf in der Zukunft zu begehende Straftaten: Mord oder Vergiftung, sexuelle Angriffe, Vergewaltigung oder Folter und brutaler Missbrauch. Außerdem werden mit den Tatbeständen solche Tathandlungen erfasst, die einen Handlungsdruck ausüben. So werden in den angeführten Vorschriften nur solche Provokationen bestraft, die über die abschließend aufgezählten Mittel erfolgt sind: Angebote, Versprechungen oder das Anbieten von Zuwendungen, Geschenken oder sonstigen Vergütungen. Angesichts der Aufzählung der verschiedenen Provokationsmittel in den Tatbeständen wird deutlich, dass der Provokation ein gewisser Aufforderungscharakter innewohnen muss und dass einfache Ratschläge oder Tatsachenarrangements somit ausgeschlossen sind. Außerdem werden nur diejenigen Provokationen erfasst, die an eine bestimmte Person gerichtet sind und bei denen sich somit eine Beziehung zwischen dem Motivator und dem Motivierten ergibt, die den Handlungsdruck erhöht. Dies ist insbesondere für Art. 227-28-3 CP der Fall, bei dem außerdem ein Machtverhältnis zwischen dem erwachsenen Motivator und dem minderjährigen Motivierten gegeben ist. Es handelt sich ebendeshalb um Anschließungsdelikte, die dementsprechend auch auf diesem Weg strafrechtsdogmatisch zu legitimieren sind. Mit Blick auf die Stellung von Art. 421-2-4 (Anwerbung zur Beteiligung an einer terroristischen Organisation oder Tat) im CP wird deutlich, dass der Gesetzgeber allgemein auf einen Schutz der Nation, des Staates und des öffentlichen Friedens abgestellt hat. Dabei ist insbesondere der öffentliche Friede schwer zu bestimmen. Ein solches unbestimmtes und vages Rechtsgut ist aus den oben genannten Gründen auszuschließen. Anstelle dessen könnte auf einen Schutz der biens juridiques verwiesen werden, die durch die Begehung von terroristischen Taten, sei es im Rahmen einer terroristischen Organisation oder außerhalb dieser, angegriffen und möglicherweise auch verletzt werden. Wie bereits erläutert, gibt es in der französischen Strafrechtslehre keine Bewertungsmaßstäbe für die Legitimation von Vorfelddelikten. Für die Untersuchung der Tatbestände wird deshalb die bereits angeführte und nach der deutschen Dogmatik vorzugswürdige Lösung angewendet. Für die Legitimation von Art. 421-2-4 CP als Anschließungsdelikt stellt sich die Frage nach der Zurechenbarkeit. Es wird deutlich, dass Art. 421-2-4 CP nicht jede Art von Motivation erfasst und dass die einfache Schaffung eines straftatenfördernden Klimas ausgeschlossen ist. Stattdessen werden nur solche Motivationen erfasst, die Angebote, Versprechungen oder das Anbieten von Zuwendungen, Geschenken oder sonstigen Vergütungen oder aber eine Drohung oder ein anderes Druckmittel darstellen. Demgemäß muss mit der Motivation ein gewisser Handlungsdruck ausgeübt werden. Somit ist für Art. 421-2-4 CP nach den oben genannten Legitimationskriterien eine Zurechen-
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3. Teil: Bewertung
barkeit zu erkennen und der Tatbestand kann strafrechtsdogmatisch betrachtet als Anschließungsdelikt legitimiert werden. Das bien juridique der öffentlichen Sicherheit, wie ihn die Lehre durch Art. 41111 CP (Direkte Provokation zu den Verbrechen des Verrats oder der Spionage) geschützt sieht, ist aufgrund seiner Vagheit und Unbestimmtheit ebenfalls auszuschließen.330 Stattdessen kann für die Ahndung der Provokation zum Verrat oder zur Spionage in Art. 411-11 CP auf einen Schutz der Vertraulichkeit von Staatsgeheimnissen verwiesen werden, die durch die Anschließungshandlungen durch die Motivation anderer Personen beeinträchtigt werden kann. Das französische Strafrecht untersucht die Legitimation von Vorfelddelikten nur selten und kennt daher keine dementsprechenden Legitimationskriterien. Deshalb wird zur Beantwortung der Frage nach der Legitimation des Art. 411-11 CP auf die nach der deutschen Dogmatik vorzugswürdige Lösung zurückgegriffen. Für eine Einordnung und Rechtfertigung der Strafvorschrift als Anschließungsdelikt stellt sich somit die Frage der Zurechnung. Die Gefahr einer möglichen Beeinträchtigung eines bien juridique durch Dritte kann dem Motivator in diesem Fall zugerechnet werden, da sich die Motivation auf ein Verbrechen der Spionage oder des Verrats beziehen muss und nur solche Motivationen erfasst werden, die über Versprechungen, Angebote, Druckmittel, Drohungen oder Tätlichkeiten erfolgt sind und explizit zur Begehung eines Verbrechens des Verrats oder der Spionage motivieren. Die Tathandlung besitzt damit die Qualität, einen gewissen Handlungsdruck auszuüben, sodass der Tatbestand strafrechtsdogmatisch betrachtet als Anschließungsdelikt legitimiert werden kann. Die Art. 227-18 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelkonsum), 227-18-1 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum Betäubungsmittelhandel), Art. 227-19 (Direkte Provokation eines Minderjährigen zum übermäßigen oder gewöhnlichen Alkoholkonsum) und 227-21 CP (Direkte Provokation eines Minderjährigen zu einem Vergehen oder Verbrechen) schützen zuvorderst die physische und psychische Integrität von Minderjährigen, die durch das Anschlussverhalten durch die Provokation von Dritten beeinträchtigt werden könnte. Mangels Legitimationskriterien im französischen Strafrecht bezüglich der Vorfelddelikte, wird hier auf die nach der deutschen Dogmatik vorzugswürdige Lösung zurückgegriffen. Für eine Einordnung und Rechtfertigung der Strafvorschrift als Anschließungsdelikt stellt sich somit die Frage der Zurechnung. Bei diesen Tatbeständen handelt es sich ebenfalls um Anschließungsdelikte, bei denen eine Zurechenbarkeit der Handlung und der möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigung durch den Zweithandelnden an den Ersthandelnden erkennbar ist. Denn mit den Vorschriften werden nur solche Provokationen erfasst, die sich auf die Begehung von Straftaten beziehen und die direkt erfolgen, d. h., dass die Provokation einen gewissen Handlungsdruck ausübt und eine gewisse Überzeugungskraft haben
330
Vgl. Natoli, Francesco, Revue des droits de l’homme 2017, n° 11, Rn. 10 ff.
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muss.331 Der Handlungsdruck wird aufgrund des bestehenden Unterordnungsverhältnis auch noch bestärkt, da mit den Vorschriften nur solche Provokationen erfasst werden, die an Minderjährige gerichtet sind. Die Tatbestände können demzufolge strafrechtsdogmatisch betrachtet als Anschließungsdelikte legitimiert werden. Für Art. 23 LLP (Direkte, öffentliche und erfolgreiche Provokation zu Vergehen und Verbrechen) und Art. 24 Abs. 1–4 LLP (Direkte, öffentliche und erfolglose Provokation zu Straftaten) ist der Schutz der öffentlichen Ordnung auszuschließen. Ein solch vager Schutzgegenstand ist aufgrund seiner Unbestimmtheit abzulehnen.332 Stattdessen ist dem Teil der Lehre zuzustimmen, die für Art. 23 und 24 Abs. 1–4 LLP den Schutz der verschiedenen biens juridiques erkennt, zu deren Verletzung der Täter provoziert hat. Es soll verhindert werden, dass es durch die Provokation zu den Straftaten kommt, zu denen provoziert wird. Da das französische Strafrecht die Legitimation von Vorfelddelikten nur selten untersucht und es keine entsprechenden Legitimationskriterien gibt, wird die nach der deutschen Dogmatik vorzugswürdige Lösung eingesetzt. Für eine Einordnung und Rechtfertigung der Strafvorschriften als Anschließungsdelikte stellt sich somit die Frage der Zurechnung. Für beide ist ebenfalls ein deutlicher deliktischer Sinnbezug gegeben, da sie solche Provokationen erfassen, die sich auf Straftaten im Allgemeinen (Art. 23 LLP) oder auf Deliktskategorien beziehen, die im code pénal nach Büchern normiert sind (Art. 24 Abs. 1–4 LLP). Außerdem wird für beide Tatbestände verlangt, dass die Provokation direkt erfolgen muss, woraus geschlossen werden kann, dass der Appell zur Tatbegehung explizit und deutlich sein muss, sodass ein einfaches Anregen oder die Schaffung eines straftatenfördernden Klimas nicht ausreichen, sondern ein gewisser Handlungsdruck gegeben sein muss. Demzufolge kann das Verbot der Provokation in den Art. 23 und 24 Abs. 1–4 LLP als Anschließungsdelikt gerechtfertigt werden, da die Gefahr bzw. die mögliche Rechtsgutsbeeinträchtigung durch das Anschlussverhalten einer anderen Person dem Ersthandelnden aufgrund der besonderen Qualität seines Verhaltens zugerechnet werden kann. Mit dem Verbot der direkten Provokation zur Rebellion (Art. 433-10 CP) soll verhindert werden, dass es durch das Anschlussverhalten anderer Personen durch die Provokation zu einer Beeinträchtigung der zur staatlichen Vollstreckung berufenen Organe kommt. Mangels Legitimationskriterien bezüglich der Vorfelddelikte im französischen Strafrecht wird hier auf die nach der deutschen Dogmatik vorzugswürdige Lösung zurückgegriffen. In dieser Hinsicht kann Art. 433-10 CP als Anschließungsdelikt legitimiert werden, da die Zurechenbarkeit einer sich möglicherweise später realisierenden Beeinträchtigung bzw. Gefahr für valeurs, intérêts oder biens juridiques durch das Anknüpfen einer Person an das Verhalten des Ersthandelnden gegeben ist. Somit ist ein deliktischer Sinnbezug gegeben (eine Rebellion, die im code pénal definiert und strafrechtlich geahndet wird) und es wird 331
Siehe Archer, JCL. Pénal Code, Art. 227-18 à 227-21, fasc. 20, Rn. 8. Vgl. Gervier, Pauline, La limitation des droits fondamentaux constitutionnels par l’ordre public, S. 19 ff. 332
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verlangt, dass die Provokation direkt erfolgt und es sich somit um einen expliziten Appell handeln muss, der einen Handlungsdruck aufbaut. Der Tatbestand kann strafrechtsdogmatisch betrachtet daher als Anschließungsdelikt legitimiert werden. Das bien juridique der öffentlichen Sicherheit wie es die Lehre durch Art. 41111 CP (Direkte Provokation zu den Verbrechen des Verrats oder der Spionage) oder Art. 431-6 CP (Direkte Provokation zu einer bewaffneten Zusammenrottung) geschützt sieht, ist aufgrund seiner Vagheit und Unbestimmtheit ebenfalls auszuschließen.333 In der Provokation zu einer bewaffneten Zusammenrottung (Art. 431-6 CP) kann stattdessen die Gefahr gesehen werden, dass sich Personen durch die Provokationen an der bewaffneten Zusammenrottung beteiligen und es in der Folge zu Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen kommt. Mit dem Verbot der Provokation zur bewaffneten Zusammenrottung in Art. 431-6 CP werden somit die biens juridiques der durch die bewaffnete Zusammenrottung bedrohten Personen, die möglichweise beeinträchtigt werden könnten, geschützt. Da das französische Strafrecht die Legitimation von Vorfelddelikten nur selten untersucht und es dementsprechend keine Legitimationskriterien gibt, wird anstelle dessen die nach der deutschen Dogmatik vorzugswürdige Lösung herangezogen. Für eine Einordnung und Rechtfertigung der Strafvorschriften als Anschließungsdelikte stellt sich somit die Frage der Zurechnung. In diesem Fall handelt es sich bei Art. 431-6 CP um ein Anschließungsdelikt, da ein Sinnbezug vorhanden ist (eine bestimmte Tat: die bewaffnete Zusammenrottung) und ein Handlungsdruck ausgeübt wird (direkte Provokation), sodass eine Zurechnung einer möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigung durch das Anschlussverhalten einer anderen eigenverantwortlichen Person zu dem Verantwortungsbereich des Ersthandelnden gerechtfertigt werden kann. Die direkte Provokation zu terroristischen Taten (Art. 421-2-5 CP) sowie die direkte Provokation zum Völkermord (Art. 211-2 CP) schützen die individuellen valeurs, intérêts oder biens juridiques, die durch das Anschlussverhalten möglicherweise verletzt werden könnten. Mangels Legitimationskriterien bezüglich der Vorfelddelikte im französischen Strafrecht wird hier erneut auf die nach der deutschen Dogmatik vorzugswürdige Lösung zurückgegriffen. Für eine Einordnung und Rechtfertigung der Strafvorschrift als Anschließungsdelikt stellt sich somit die Frage der Zurechnung. Es wird deutlich, dass beide Motivationen einen deliktischen Sinnbezug haben, da Art. 421-2-5 CP die Provokation zu terroristischen Taten, die im code pénal normiert sind, strafrechtlich ahndet, während Art. 211-2 CP die Provokation zum Völkermord, der in Art. 211-1 CP normiert ist, strafrechtlich ahndet. Es kann hier ebenfalls davon ausgegangen werden, dass ein gewisser Handlungsdruck ausgeübt wird, da beide Vorschriften verlangen, dass die Provokation direkt erfolgt und einfache Einwirkungen auf Gefühle somit ausgeschlossen werden. Demzufolge kann für beide Vorschriften die Zurechnung einer möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigung durch das Anschlussverhalten einer anderen eigenverantwortlichen Person zu dem Verantwortungsbereich des Ersthandelnden 333
Vgl. Natoli, Francesco, Revue des droits de l’homme 2017, n° 11, Rn. 10 ff.
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gerechtfertigt werden. Die Tatbestände können demzufolge strafrechtsdogmatisch betrachtet als Anschließungsdelikte legitimiert werden.
c) Indirekte Motivationsdelikte Mit Blick auf die indirekten Motivationsdelikte wird deutlich, dass die Zurechenbarkeit zum Motivator einer sich möglicherweise später realisierenden Beeinträchtigung bzw. Gefahr für valeurs, intérêts oder biens juridiques durch das Anknüpfen einer Person an das Verhalten eines Ersthandelnden weitaus problematischer erscheint als für die direkten Motivationsdelikte. Bei den Tatbeständen der Provokation zur Diskriminierung, zu Hass oder zu Gewalt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen in den Art. 24 Abs. 7-8 LLP und Art. R. 625-7 CP (Nicht öffentliche, indirekte Provokation zu Diskriminierung, Hass oder Gewalt gegenüber bestimmten Personengruppen) ist ein Schutz der öffentlichen Ordnung abzulehnen, da es sich hierbei um ein unbestimmtes Universalrechtsgut handelt. Stattdessen könnte argumentiert werden, dass die individuellen valeurs, intérêts oder biens juridiques der potenziellen Opfer der anvisierten Bevölkerungsgruppen geschützt werden. Bei der Frage nach der Legitimation dieser Vorfelddelikte muss in Ermangelung von Legitimationskriterien im französischen Strafrecht jedoch auf die nach der deutschen Dogmatik vorzugswürdige Lösung zurückgegriffen werden. Es stellt sich demnach die Frage, ob es sich hierbei um Anschließungsdelikte handelt, bei denen eine Zurechnung der möglichen Interessenbeeinträchtigung zum Motivator gerechtfertigt werden kann. Es erscheint bei diesen Tatbeständen jedoch schwierig, eine Zurechenbarkeit einer möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigung durch den Motivierten zum Verantwortungsbereich des Motivators zu rechtfertigen, da in der Motivation kein deliktischer Sinnbezug gegeben ist und auch kein Handlungsdruck ausgeübt wird. Ein Handlungsdruck wird im Rahmen beider Vorschriften deshalb nicht verlangt, weil auch einfache implizite Anreize oder einfache Einwirkungen auf Emotionen erfasst werden. Der deliktische Sinnbezug ist deshalb anzuzweifeln, weil lediglich auf eine Provokation zu einem Gefühlszustand abgestellt wird, auch wenn es sich hierbei um die Provokation zu Hass handelt, die möglicherweise zu Straftaten führen könnte. Die Tatbestände können strafrechtsdogmatisch betrachtet demzufolge nicht als Anschließungsdelikte legitimiert werden. In Bezug auf die Tatbestände der Verherrlichung bestimmter Straftaten (Art. 24 Abs. 5 LLP und Art. 421-2-5 CP) kann davon ausgegangen werden, dass sie dem Schutz der Rechtsgüter der Katalogtatbestände bzw. der verherrlichten Tat dienen. Das Verbot der Verherrlichung könnte mit der Gefahr gerechtfertigt werden, dass sich andere durch das Verherrlichen dazu motiviert fühlen könnten, ähnliche Straftaten zu begehen und somit die valeurs, intérêts oder biens juridiques der Katalogtaten beeinträchtigt werden könnten. Bei der Frage nach der Legitimation dieser Vorfelddelikte muss in Ermangelung von Legitimationskriterien im französischen
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3. Teil: Bewertung
Strafrecht jedoch auf die nach der deutschen Dogmatik vorzugswürdige Lösung zurückgegriffen werden. In dieser Hinsicht erscheint die mögliche Legitimation der hier untersuchten Straftaten als Anschließungsdelikte jedoch schwierig, da für diese Tatbestände die Zurechenbarkeit einer möglichen Beeinträchtigung der valeurs, intérêts oder biens juridiques durch das Verhalten von Zweithandelnden zu dem Verantwortungsbereich des Ersthandelnden fragwürdig erscheint. Zum einen bezieht sich in diesem Fall die Tathandlung auf eine in der Vergangenheit liegende Straftat und das Verherrlichen von in der Vergangenheit begangenen Taten oder ihren Täter lässt von sich aus nicht darauf schließen, dass derjenige, der verherrlicht, darauf abzielt, andere zur Begehung ähnlicher Taten zu motivieren. Der Motivator müsste hierfür selbst eine Verbindung zwischen den vergangenen Taten und der Möglichkeit neuer Straftatbegehungen herstellen. Zum anderen wird mit der Verherrlichung die lobenswerte Darstellung einer Straftat oder die Beglückwünschung oder Glorifizierung des Täters erfasst. Hierdurch wird jedoch kein Handlungsdruck ausgeübt, der eine Zurechenbarkeit rechtfertigen würde. Die hier untersuchten Straftaten können demzufolge strafrechtsdogmatisch betrachtet nicht als Anschließungsdelikte legitimiert werden. Es kann argumentiert werden, dass mit den Art. 24 Abs. 6 LLP (Aufrührerische Ausrufe oder Gesänge) in erster Linie verhindert werden soll, dass es durch die Provokation und das Anschlussverhalten anderer Personen zu Beeinträchtigungen der französischen Regierungsform und Verfassung kommt. Bei der Frage nach der Legitimation dieser Vorfelddelikte muss in Ermangelung von Legitimationskriterien im französischen Strafrecht jedoch auf die nach der deutschen Dogmatik vorzugswürdige Lösung zurückgegriffen werden. Es stellt sich demnach die Frage, ob es sich hierbei um Anschließungsdelikte handelt, inwieweit die Gefahr einer möglichen Beeinträchtigung der biens juridiques durch das Motivieren und das Anschlussverhalten wirklich gegeben ist, und ob dem Ersthandelnden diese Gefahr zugerechnet werden kann. Bei Art. 24 Abs. 6 LLP fehlt es jedoch an einer solchen Zurechenbarkeit, da durch einfache aufrührerische Ausrufe oder Gesänge kein Handlungsdruck aufgebaut wird. Vielmehr werden hier alle einfachen Einwirkungen auf Gefühle und alle Aufreizungen der Gemüter erfasst, ohne dass es eines expliziten Appells bedürfe. Der Tatbestand kann demzufolge strafrechtsdogmatisch betrachtet nicht als Anschließungsdelikt legitimiert werden. Für Art. L. 3421-4 CSP (Provokation und positiv Darstellen von Betäubungsmittelkonsum und Handel) ist der Schutz der Volksgesundheit als zu schützendes Rechtsgut auszuschließen, da es sich hierbei um vage valeurs, intérêts oder biens juridiques handelt, die keinen eigenständigen Gehalt haben. Es kann hier eine Parallele zu § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG gezogen werden, sodass davon ausgegangen werden kann, dass mit dem Verbot der Provokation zu und des positiven Darstellens des Konsums von und des Handels mit Betäubungsmitteln stattdessen individuelle Rechtsgüter (insbesondere das Leben) von Personen geschützt werden, deren Selbstverantwortlichkeit für die Selbstverletzung noch nicht oder nicht mehr gegeben ist, da die primäre Konsequenz des Drogenkonsums in der Gesundheit der
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Konsumenten liegt. Bei der Frage nach der Legitimation dieses Vorfelddelikts muss in Ermangelung von Legitimationskriterien im französischen Strafrecht jedoch auf die nach der deutschen Dogmatik vorzugswürdige Lösung zurückgegriffen werden. Es stellt sich demnach die Frage, ob es sich hierbei um Anschließungsdelikte handelt. Doch auch in diesem Fall ist die Zurechenbarkeit problematisch. Die Tathandlungen beziehen sich zwar auf die Begehung von Straftaten, jedoch kann weder in der Provokation noch in dem Positivdarstellen, wie sie von Art. L. 3421-4 CSP verstanden werden, ein Handlungsdruck oder Aufforderungscharakter identifiziert werden. Vielmehr kann die Provokation durch jedes Mittel und jede Art erfolgen. Folglich werden auch einfache Einwirkungen auf Gefühle oder das Schaffen eines straftatenfördernden Klimas erfasst. Zudem erschöpft sich das positive Darstellen in einer Verherrlichung, bei der nicht deutlich gemacht werden muss, dass es zur Begehung von neuen Taten kommen soll. Eine Legitimation als Anschließungsdelikt ist strafrechtsdogmatisch betrachtet demzufolge nicht möglich. Für Art. 412-8 CP (Provokation zur Bewaffnung gegen die Staatsgewalt oder gegen einen Teil der Bevölkerung) wird in der Lehre auf einen Schutz der öffentlichen Ordnung abgestellt. Ein solch vager Schutzgegenstand ist aufgrund seiner Unbestimmtheit jedoch abzulehnen.334 Mit Art. 412-8 CP (Provokation zur Bewaffnung gegen die Staatsgewalt oder gegen einen Teil der Bevölkerung) soll verhindert werden, dass es zu einem Bürgerkrieg kommt. Es sollen auch solche Bevölkerungsteile vor Angriffen geschützt werden, die aus der Provokation heraus begangen werden könnten, d. h., dass auf einen Schutz der Individualinteressen der Bevölkerungsgruppen abgestellt wird. Bei der Frage nach der Legitimation eines solchen Vorfelddeliktes kann in Ermangelung entsprechender Legitimationskriterien nicht auf die französische Strafrechtslehre zurückgegriffen werden. Stattdessen kann die nach der deutschen Dogmatik vorzugswürdige Lösung angewendet werden. Es stellt sich die Frage, ob es sich hierbei um Anschließungsdelikte handelt, bezüglich derer eine Zurechenbarkeit gerechtfertigt werden kann. Dies erscheint jedoch zweifelhaft, da durch die hier untersuchten Delikte auch implizite und versteckte Provokationen erfasst werden. Vor diesem Hintergrund lässt sich nur schwer ein Handlungsdruck erkennen, sodass eine Legitimation als Anschließungsdelikt strafrechtsdogmatisch betrachtet nicht möglich ist. Dasselbe gilt für die Provokationen in Art. 413-3 CP (Provokation von Soldaten oder von zu einer Form des Militärdiensts Verpflichteten zum Ungehorsam), Art. L. 332-1 Abs. 6 (Provokation von Soldaten oder von zu einer Form des Militärdiensts Verpflichteten zum Ungehorsam) und Art. 321-18 CJM (Provokation von Soldaten oder von zu einer Form des Militärdiensts Verpflichteten zur Fahnenflucht). Hier wird befürchtet, dass durch das Anschlussverhalten der Motivierten – sei es zur Fahnenflucht oder zum Ungehorsam – möglicherweise die Sicherheit und die Verteidigung des Staates und der Nation beeinträchtigt werden. Wie zuvor kann auch 334
Vgl. Gervier, Pauline, La limitation des droits fondamentaux constitutionnels par l’ordre public, S. 19 ff.
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hier für die Frage nach der Legitimation dieser Vorfelddelikte in Ermangelung entsprechender Legitimationskriterien nicht auf die französische Strafrechtslehre zurückgegriffen werden. Stattdessen kann die bevorzugte Lösung der deutschen Dogmatik herangezogen werden. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob die Tatbestände als Anschließungsdelikte gerechtfertigt werden können. Dabei erscheint jedoch insbesondere die Zurechenbarkeit problematisch, da in diesen Tatbeständen alle Arten von Provokationen erfasst werden. Diese können impliziter Natur sein, sich also primär an Emotionen richten oder in einem einfachen Anreizen bestehen. Bei einer Tathandlung, die dermaßen weit verstanden wird, erscheint es im Sinne der oben genannten Legitimationskriterien der deutschen Dogmatik sehr schwierig, eine Zurechenbarkeit zu rechtfertigen, fehlt es doch an einem Handlungsdruck. Strafrechtsdogmatisch betrachtet können die hier untersuchten Delikte also nicht als Anschließungsdelikte legitimiert werden. Mit Art. 24 bis LLP (Revisionismus) soll verhindert werden, dass es zu rassistischen bzw. zu antisemitischen Ausschreitungen kommt. Es kann argumentiert werden, dass hiermit die individuellen valeurs, intérêts oder biens juridiques bestimmter Bevölkerungsgruppen geschützt werden sollen. Bezüglich der Frage nach der Legitimation dieses Vorfelddelikts muss in Ermangelung von Legitimationskriterien im französischen Strafrecht jedoch auf die nach der deutschen Dogmatik vorzugswürdige Lösung zurückgegriffen werden. Es stellt sich demnach die Frage, ob es sich hierbei um ein Anschließungsdelikt handelt und ob die mögliche Rechtsgutsbeeinträchtigungen durch das Anknüpfungsverhalten des Motivierten dem Verantwortungsbereich des Motivators zugerechnet werden kann. Hinsichtlich Art. 24 bis LLP (Revisionismus) scheint dies jedoch schwierig, da sich die Tathandlungen der contestation, négation, minorisation oder banalisation de façon outrancière allesamt auf in der Vergangenheit liegende Straftaten beziehen. Es wird also nicht verlangt, dass der Ersthandelnde einen Bezug zu neuen (ähnlichen) Straftaten herstellen muss. Mit den Tathandlungen wird auch kein Handlungsdruck ausgeübt, der eine Zurechenbarkeit rechtfertigen würde. Eine strafrechtsdogmatische Legitimation des Tatbestandes als Anschließungsdelikt scheidet somit aus. Bezüglich des Art. R. 645-1 CP (Das Tragen von Kennzeichen, Symbolen oder Uniformen von kriminellen Organisationen der NS-Zeit oder von wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilten Personen) ist ein Schutz des öffentlichen Friedens auszuschließen, handelt sich hierbei doch um einen vagen und unbestimmten valeur, intérêt oder bien juridique. Vielmehr kann argumentiert werden, dass andere Personen sich durch das Tragen oder Zurschaustellen der Kennzeichen, Symbole und Uniformen möglicherweise dazu motiviert fühlen könnten, die Taten der Organisationen oder der Personen fortzuführen und dass es auf diese Weise zu Beeinträchtigungen von Individualinteressen kommen könnte. Bezüglich der Frage nach der Legitimation dieses Vorfelddelikts muss in Ermangelung von Legitimationskriterien im französischen Strafrecht jedoch auf die nach der deutschen Dogmatik vorzugswürdige Lösung zurückgegriffen werden. Es stellt sich demnach die Frage, ob es sich hierbei um ein Anschließungsdelikt handelt.
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Dies muss jedoch verneint werden, da in dem einfachen Tragen von Abzeichen, Symbolen und Uniformen kein Handlungsdruck erkannt werden kann. Zudem bezieht sich die Tathandlung ausschließlich auf in der Vergangenheit liegende Taten bzw. genauer gesagt auf die NS-Zeit. Der Motivierte müsste also selbst den Bogen zu neu zu begehenden Taten schlagen. Solange dies nicht der Fall ist, besteht keine Zurechenbarkeit, sodass eine strafrechtsdogmatische Legitimierung als Anschließungsdelikt ausscheidet.
7. Zusammenfassung Die Motivationsdelikte des französischen Rechts können alle auf den Schutz eines legitimen bien juridique zurückgeführt werden. Für diejenigen Motivationsdelikte, die den Präventionsstraftaten angehören und mithin vor der Verletzung eines bien juridique greifen, spielt insbesondere die Frage nach der Zurechenbarkeit der möglichen Beeinträchtigung des Schutzgegenstandes durch das Anschlussverhalten des Zweithandelnden zu dem Verantwortungsbereich des Ersthandelnden eine gewichtige Rolle. Der Umstand allein, dass die Motivation möglicherweise durch das Anschlussverhalten von Dritten zu einer Beeinträchtigung von biens juridiques führt, kann die Verantwortlichkeit des Motivators nicht begründen. Hierfür bedarf es zusätzlicher Kriterien, die ein solche Zurechenbarkeit rechtfertigen. Diesbezüglich kann zwischen den direkten und den indirekten Motivationsdelikten unterschieden werden. Während die direkten Motivationsdelikte als Anschließungsdelikte gerechtfertigt werden können, weil sie solche Motivationen erfassen, die einen gewissen Handlungsdruck ausüben und objektiv auf die Begehung einer in der Zukunft liegenden Straftat abzielen, ist dies für die indirekten Motivationsdelikte nicht der Fall, da bei diesen der deliktische Sinnbezug fehlt und auch kein Handlungsdruck ausgeübt wird, sodass dem Motivator nicht die Verantwortung für die Konsequenz des Verhaltens des Zweithandelnden auferlegt werden kann.
III. Fazit Bezüglich der Grenzen des Strafrechts schien es anfänglich klare Differenzen zwischen dem deutschen Strafrecht mit seiner Rechtsgutstheorie und der traditionell formellen französischen Sicht zu geben. Im Verlauf der hier durchgeführten Untersuchungen scheinen sich diese jedoch zu relativieren. Zwar haben die Ausführungen gezeigt, dass dem Rechtsgut im deutschen Strafrecht eine systemimmanente Funktion zukommt, wobei die systemkritische und damit strafbarkeitsbegrenzende Funktion in Frage gestellt wird. Wird das Rechtsgut hingegen lediglich als ratio legis bzw. als das „Etwas“ verstanden, das durch Strafnormen
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geschützt werden soll und das im Rahmen der Auslegung von Vorschriften und für die Systematisierung zum Tragen kommt, ähnelt es schließlich dem Verständnis der französischen valeurs, intérêts oder biens juridiques. In dem Teil der französischen Lehre, der sich mit der deutschen Konzeption eines strafbarkeitsbegrenzenden Rechtsguts auseinandergesetzt hat, wird die Aufnahme eines solchen materiellen, strafbarkeitsbegrenzenden Instrumentes auch für das französische Strafrecht gefordert, weil man hierin ein Mittel gegen die aktuell herrschende Vorschrifteninflation sieht.335 Die Diskussionen innerhalb der deutschen Strafrechtslehre sowie die Entwicklung der Vorverlagerung der Strafbarkeit haben jedoch deutlich gemacht, dass das Konzept des Rechtsguts nicht als alleiniges Legitimationskriterium dienen kann. Die deutschen Überlegungen bezüglich der Rechtsgutstheorie haben jedoch dazu geführt, dass im Allgemeinen die Frage nach der Bestimmung und der Beschränkung des legitimen Anwendungsbereichs strafrechtlicher Normen in den Fokus gerückt wurde und dass nach über das Gesetzlichkeitsprinzip hinausgehenden Legitimationsbegründungen gesucht wird, was im französischen Recht nur selten der Fall ist und in dem Ausmaß, in dem es im Rahmen der deutschen Rechtsgutslehre betrieben wurde, in Frankreich noch nicht stattgefunden hat. Es wäre jedoch wünschenswert und zu begrüßen, wenn es innerhalb der französischen Strafrechtslehre eine (kritische) Diskussion gäbe, in der Überlegungen bezüglich der Idee des Rechtsguts bzw. des materiellen Unrechts sowie der Legitimation von Vorschriften und allgemein bezüglich der materiellen Grenzen der Strafbarkeit besprochen würden – insbesondere im Rahmen solcher Delikte wie den Motivationsdelikten, die nicht nur mit der Meinungsäußerungsfreiheit kollidieren, sondern auch eine Vorverlagerung der Strafbarkeit deutlich machen. In dieser Hinsicht ist bezüglich des deutschen Strafrechts festzustellen, dass das Rechtsgut, auch wenn dessen systemkritische Funktion kritisiert wird, doch weiterhin als Dreh- und Angelpunkt für die Bestimmung und Unterscheidung der Deliktsstrukturen der Verletzungs- und der Gefährdungsdelikte eingesetzt wird. Ein Rückgriff darauf ermöglicht es, innerhalb der verschiedenen Kategorien Legitimationskriterien und Grenzen für die Vorverlagerung der Strafbarkeit herauszuarbeiten. Demnach werden in der deutschen Strafrechtslehre innerhalb der Kategorie der Gefährdungsdelikte, mit denen Verhaltensweisen strafrechtlich geahndet werden, die die Gefährdung von Rechtsgütern durch riskante Handlungen unter Strafe stellen und die demzufolge noch vor der tatsächlichen Verletzung von Rechtsgütern ansetzen, verschiedene Kategorisierungen etabliert, wobei auch Legitimationskriterien entwickelt werden, da die Gefährdung eines Rechtsguts nicht ausreicht, um ein strafrechtliches Unrecht zu begründen. Im Rahmen der von Sieber etablierten Systematisierung der Gefährdungsdelikte wird deutlich, dass es sich bei den Motivationsdelikten um objektive Gefahrschaffungsdelikte oder genauer gesagt um Anschließungsdelikte handelt, da mit ihnen verhindert werden soll, dass 335
Lacaze, Réflexions sur le concept de bien juridique protégé par le droit pénal, Rn. 754.
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andere Personen an die Motivation anknüpfen und es somit durch das Anschlussverhalten zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung kommt. In diesem Rahmen kann die Konsequenz des Verhaltens des Zweithandelnden dem Motivator jedoch nur dann zugerechnet werden, wenn die Motivation eine besondere Qualität hat, nämlich nur dann, wenn sie einen gewissen Handlungsdruck ausübt und wenn in ihr ein deliktischer Sinnbezug deutlich wird. Angewendet auf die Motivationsdelikte wird deutlich, dass eine solche Zurechenbarkeit für die direkten Motivationsdelikte im Allgemeinen gegeben ist, während für die indirekten Motivationsdelikte die Zurechenbarkeit einer möglichen Rechtsgutsbeeinträchtigung durch das Verhalten des Zweithandelnden zum Verantwortungsbereich des Ersthandelnden nur schwer zu rechtfertigen ist und es zusätzlicher Unrechtselemente bedarf. Auch in der französischen Strafrechtslehre setzt sich die Unterscheidung zwischen den infraction matérielle und den infraction de prévention auf der Grundlage einer Verletzung oder Gefährdung der valeurs, intérêts oder biens juridiques allmählich durch. Im Zuge dieser relativ neuen Entwicklung wurden in der Strafrechtslehre bisher jedoch keine zusätzlichen materiellen Legitimationskriterien für die Präventionsstraftaten entwickelt, sodass eine Untersuchung der materiellen Legitimation und Begrenzung der Motivationsdelikte beschränkt erscheint. Werden für die französischen Motivationsdelikte die im deutschen Recht entwickelten Legitimationskriterien angewandt, kann jedoch ein ähnliches Ergebnis festgestellt werden. So sind die Motivationsdelikte des französischen Rechts ebenfalls als Anschließungsdelikte zu klassifizieren und es ist festzustellen, dass, während eine Zurechenbarkeit für die direkten Motivationsdelikte unproblematisch ist, eine solche mit Blick auf die indirekten Motivationsdelikte schwierig scheint. Letztendlich ist sich dem Teil der französischen Strafrechtslehre anzuschließen, der sich für weitere Überlegungen und Diskussionen bezüglich der valeurs, intérêts oder biens juridiques bzw. des durch das Strafrecht geschützten „Etwas“ im Allgemeinen einsetzt,336 insbesondere, wenn darin der Auftakt zu einer Untersuchung und zu Überlegungen bezüglich materieller Legitimationsbegründungen und Grenzen von Vorfelddelikten zu erkennen ist. Die Notwendigkeit eines Sinnbezugs und eines Handlungsdrucks bzw. eines Aufforderungscharakters bei der Feststellung einer möglichen Zurechenbarkeit und der strafrechtsdogmatischen Legitimation wird aufgrund des oben Gesagten deutlich. Diese Kriterien ermöglichen es, feste Anhaltspunkte zu bestimmen, die eine Zurechenbarkeit und eine Legitimation der Motivationsdelikte rechtfertigen. Es stellt sich jedoch auch die Frage, ob über die oben genannten Zurechenbarkeitskriterien (Sinnbezug und Handlungsdruck) hinaus auch die Ahndung von solchen indirekten Motivationen – denen ein solcher Sinnbezug und Handlungsdruck fehlt – gerechtfertigt werden kann, wenn sie in speziellen sozialen Situationen (wie 336
Vgl. Beaussonie, in: Mistretta / Papillon / Kurek (Hrsg.), L’empreinte des valeurs sociales protégées en droit pénal, S. 15.
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3. Teil: Bewertung
z. B. in einer Post-Konflikt-Gesellschaft), bei denen ein erhöhtes Risiko zu einer Straftatbegehung gegeben ist, geäußert werden. Es kann dabei jedoch nicht erwartet werden, dass Richter diese besonderen Situationen im Einzelfall selbst einschätzen. Dies würde nur wieder zu einer ähnlichen Problematik führen wie auch schon die Feststellung einer Eignung der Störung des öffentlichen Friedens oder einer tatsächlichen Störung des öffentlichen Friedens und letztendlich nur ein formales und ineffektives Begrenzungskriterium darstellen. Es könnte argumentiert werden, dass auch bei Äußerungen, bei denen es keinen Handlungsdruck und deliktischen Sinnbezug gibt, eine Zurechenbarkeit gerechtfertigt werden kann, wenn es empirische Analysen gibt, die ein solch erhöhtes Risiko in einzelnen Situationen feststellen. Empirische und kriminologische Studien können Aufschluss darüber geben, wann eine Situation ein solches besonderes Risiko birgt.
B. Verfassungsrechtliche Beurteilung: Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Meinungsäußerungsfreiheit Die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Motivationsdelikte haben gemeinsam, dass es zu einer möglichen Kollision mit der Meinungsfreiheit kommen kann, die in beiden Ländern als von besonderer Bedeutung für die demokratische Ordnung anerkannt wird.337 Ohne im Allgemeinen eine verfassungsrechtliche Beurteilung der Motivationsdelikte durchzuführen, soll hier insbesondere die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs der Motivationsdelikte in die Meinungsäußerungsfreiheit in beiden Ländern untersucht werden. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich wird bei einem Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts durch das jeweilige Verfassungsgericht die Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs untersucht. Die Strafrechtslehre beider Länder sieht dabei in der Verhältnismäßigkeitsprüfung eine weitere wichtige Grenze für das materielle Strafrecht.338
I. Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Meinungsäußerungsfreiheit in Deutschland 1. Meinungsäußerungsfreiheit In Art. 5 Abs. 1 GG können vier verschiedene Grundrechte erkannt werden: Die Meinungsfreiheit, die Informationsfreiheit, die Pressefreiheit und die Rundfunkund Filmfreiheit. Die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG gelten für jedermann. Im 337
Struth, Hassrede und Freiheit der Meinungsäußerung, S. 39; Der Cc sieht in der Kommunikations- und Meinungsäußerungsfreiheit eine Bedingung für die Demokratie, siehe Cons. const. n° 2009-580 DC, 10 juin 2009, cons. 15. 338 Weigend, in: FS-Hirsch, S. 918; Chetard, RSC 2013, 51–71.
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Rahmen der Meinungsfreiheit kann laut Art. 5 Abs. 1 GG jeder seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei äußern und verbreiten. Bei einer Meinung handelt es sich dabei um einen unmittelbaren „Ausdruck der menschlichen Person“339, der durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt ist, sodass es sich um eine wertende Stellungnahme handelt.340 Eine Meinung ist von einer Tatsache zu unterscheiden, die kein wertendes Element enthält, durch eine objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit geprägt ist und der Überprüfung mit Mitteln des Beweises zugänglich ist.341 Art. 5 Abs. 1 GG schützt außerdem jede Form von Meinungskundgabe (Äußern und Verbreiten). Tatsachenbehauptungen sind durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt, soweit sie die Voraussetzung zur Bildung von Meinungen sind.342 Der Rechtsprechung zufolge sind jedoch solche Tatsachenbehauptungen nicht durch die Meinungsfreiheit geschützt, die „zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können“.343 Aus diesem Grund fallen nicht erwiesene oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung nicht unter den Schutz von Art. 5 Abs. 1 GG.344 Das BVerfG hat im Jahr 2018 in dieser Hinsicht entschieden, dass das in Abrede Stellen der Bestimmung des Lagers Auschwitz-Birkenau als einer Anlage zur systematischen Vernichtung menschlichen Lebens und zur systematischen Ermordung jüdischer Menschen durch das nationalsozialistische Deutschland eine bewusst falsche Tatsachenbehauptung sei, die nicht zur verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsbildung beitrage.345 Solch unwahre Tatsachenbehauptungen seien von dem Schutz durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ausgenommen.346 Dabei führt das BVerfG jedoch an, dass die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht derart bemessen werden dürfen, dass die Funktion der Meinungsfreiheit darunter leidet: Im Einzelfall ist eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile nur zulässig, wenn dadurch der Sinn der Äußerung nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte.347
339
BVerfGE 85, 23 (31). BVerfG NJW 2010, 47 (48); Jestaedt, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Band IV, § 102, Rn. 34; Epping, Grundrechte, Rn. 213. 341 BVerfG NJW-RR 2017, 1003. 342 BVerfGE 61, 1 (8); BVerfG NJW 1992, 1439 (1440); BVerfG NJW 2013, 217 (218); Maunz / Dürig GG-Grabenwarter, Art. 5, Rn. 48. 343 BVerfG NJW 1992, 1439 (1440). 344 BVerfGE 61, 1 (8). 345 BVerfG 1 BvR 673/18. 346 BVerfG 1 BvR 673/18. 347 BVerfG 1 BvR 461/08 (Rn. 18). 340
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Unter den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fallen somit auch erwiesenermaßen unwahre Tatsachenbehauptungen, die „auf eigene[n] Schlussfolgerungen und Bewertungen“ beruhen.348 Mit Blick auf die Motivationsdelikte wird deutlich, dass es sich bei den Tathandlungen der im BT enthaltenen Motivationsdelikte nicht um reine Tatsachenbehauptungen handelt, sondern um Meinungen. Sie fallen somit mehrheitlich unter den Schutz der Meinungsfreiheit. Beim Leugnen oder Verharmlosen der Verbrechen nach § 6 VStGB (§ 130 Abs. 3 StGB) muss im Einzelfall untersucht werden, ob die bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen mit Werturteilen verbunden sind, sodass sie sich nicht ohne Sinnverfälschung von diesen trennen lassen oder ob sie auf eigenen Schlussfolgerungen und Bewertungen beruhen.349 Das Grundrecht der Meinungsfreiheit wird durch jede staatliche Maßnahme beeinträchtigt, die die Meinungsäußerung oder -verbreitung verbietet, behindert oder gebietet.350 Nach dem modernen Eingriffsbegriff stellt jede staatliche Maßnahme einen solchen Eingriff dar, die ein grundrechtlich geschütztes Verhalten beeinträchtigt bzw. unmöglich macht. Mit den Straftatbeständen der Motivationsdelikte wird mithin in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit eingegriffen. Eingriffe in die Meinungsfreiheit können, sofern sie sich innerhalb der in Art. 5 Abs. 2 GG genannten Schranken bewegen, gerechtfertigt sein. Hierzu zählen allgemeine Gesetze, gesetzliche Bestimmungen zum Schutz der Jugend, das Recht der persönlichen Ehre usw. Dabei kommt den Schranken des Ehrenschutzes und dem Schutz der Jugend jedoch kaum noch eine eigenständige Bedeutung zu, da die Schranke der allgemeinen Gesetze sehr weit ausgelegt wird.351 Bei der Schranke der allgemeinen Gesetze, die aus der Weimarer Zeit stammt, handelt es sich also um die bedeutsamste Schranke.352 In der Lüth-Entscheidung hat das BVerfG im Jahr 1958 entschieden, dass das Wort „allgemein“ inhaltsbezogen auszulegen sei. Damit knüpfte das BVerfG an die zu Art. 118 Abs. 1 WRV vertretene Auffassung an: die Abwägungslehre und die Sonderrechtslehre.353 Der Abwägungslehre zufolge sind diejenigen Gesetze allgemein, die einem höheren Allgemeininteresse dienen und aufgrund des von ihnen geschützten hochwertigen Guts den Vorrang vor Art. 5 Abs. 2 GG verdienen.354 Nach der Sonderrechtslehre ist ein Gesetz dann 348
BverfG 1 BvR 673/18 (Rn. 30). Hong, Holocaust, Meinungsfreiheit und Sonderrechtsverbot – BVerfG erklärt § 130 III StGB für verfassungsgemäß, VerfBlog, 2018/8/05. Abrufbar unter https://verfassungsblog. de/holocaust-meinungsfreiheit-und-sonderrechtsverbot-bverfg-erklaert-%c2%a7-130-iii-stgbfuer-verfassungsgemaess/ [Stand: 20. 5. 2022]. 350 Dreier GG-Schulze-Fielitz, Art. 5, Rn.124 ff.; Jarass / Pieroth GG-Jarras, Art. 5, Rn. 15 (2020). 351 Epping, Grundrechte, Rn. 247; ähnlich Jestaedt, in Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, § 102, Rn. 57 ff. 352 Jestaedt, in Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, § 102, Rn. 54. 353 BVerfG 7, 198 (209 f.). 354 Epping, Grundrechte, Rn. 241. 349
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allgemein, wenn es sich nicht gegen eine Meinung als solche richtet. In dem oben genannten Lüth-Urteil kombinierte das BVerfG beide Theorien miteinander. Als allgemein galten mithin all diejenigen Gesetze, die „sich weder gegen die Meinungsfreiheit an sich noch gegen bestimmte Meinungen richten, sondern dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen“.355 In Bezug auf die Motivationsdelikte ist die Frage nach der Schranke der allgemeinen Gesetze insbesondere mit Blick auf § 130 StGB interessant. In der Tat handelt es sich bei § 130 Abs. 2 Nr. 1a, Abs. 3, Abs. 4, Abs. 5 StGB nicht um ein allgemeines Gesetz, da es nicht dem Schutz von Gewaltopfern im Allgemeinen dient, sondern sich alleine auf diejenigen Meinungsäußerungen bezieht, die eine bestimmte Haltung zum Nationalsozialismus zum Ausdruck bringen. Das BVerfG erkannte im Wunsiedel-Beschluss für § 130 Abs. 4 StGB356 und in seiner Entscheidung von 2018 für § 130 Abs. 3 StGB357 jedoch an, dass es sich hierbei um Ausnahmen handelt. So würden beide Absätze auf „die Verhinderung einer propagandistischen Affirmation der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zwischen den Jahren 1933 und 1945“ abzielen. Auf diese Weise trügen sie der identitätsbildenden Bedeutung der deutschen Geschichte Rechnung und ließen diese in das Verständnis des Grundgesetzes einfließen. Demzufolge seien sie nur ausnahmsweise als Sonderrecht mit Art. 5 Abs. 1 GG vereinbar. Es ist sich jedoch der Kritik anzuschließen, die in einer solche Ausnahme eine ungerechtfertigte Verfassungsfortbildung erkennt, der eher die Wirkung einer Verfassungsänderung zukommt.358 Als verfassungsrechtliche Grenze zu den in Art. 5 Abs. 2 genannten Schranken gilt u. a. der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Schranken-Schranken).
2. Entwicklung der Verhältnismäßigkeitsprüfung Der Staat hat die Pflicht, die Grundrechte seiner Bürger so weit wie möglich zu schützen.359 Somit sind Eingriffe nur dann gerechtfertigt, wenn sie mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar sind, d. h. wenn die staatliche Handlung einen legitimen Zweck verfolgt und wenn sie geeignet, erforderlich und angemessen ist.360 Das Gebot der Verhältnismäßigkeit hat Verfassungsrang, obwohl es im Grundgesetz diesbezüglich keine konkrete Normierung gibt. Die Frage, woraus der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgeleitet werden kann (vom Rechtsstaatsgrundsatz, 355 356 357 358 359 360
BVerfG 97, 125 (146). BVerfG 1 BvR 2150/08. BVerfG 1 BvR 673/18. Kingreen / Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, Rn. 687 ff. Epping, Grundrechte, Rn. 48. Epping, Grundrechte, Rn. 48.
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der Wesensgehaltgarantie etc.), bleibt umstritten.361 Seinen Ursprung findet das Gebot der Verhältnismäßigkeit im Polizei- und Ordnungsrecht, wo es als Schranke polizeilicher Eingriffe gegenüber dem Bürger dient.362 Mit der Zeit entwickelte sich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, u. a. durch die Rechtsprechung des BVerfG, zu einer Schranke staatlicher Eingriffe in die Grundrechte, wobei die vierstufige Prüfung erstmals im Jahr 1968 durch das BVerfG formuliert wurde.363 Bezüglich der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der Meinungsfreiheit kommt es aufgrund des Lüth-Urteils von 1958 jedoch zu Besonderheiten.364 So wurde durch das Urteil für Art. 5 Abs. 1 GG die Wechselwirkungslehre eingeführt, der zufolge die Meinungsfreiheit durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden kann, wobei das allgemeine Gesetz aber wiederum im Licht des Grundrechts auszulegen ist.365 Heutzutage wird die Wechselwirkungslehre als eine spezifische Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes betrachtet und geht dementsprechend darin auf.366 Die Wechselwirkungslehre stellt dabei insofern eine besondere Ausprägung der Angemessenheitsprüfung dar, als sie eine einzelfallbezogene Güterabwägung verlangt.367 Demzufolge verlangt das BVerfG neben der Meinungsneutralität also auch eine Güterabwägung.
3. Prüfungsmaßstab a) Legitimer Zweck Die staatliche Handlung muss einen legitimen Zweck verfolgen. Dabei ist der Zweck bei Rechtsnormen durch Auslegung zu ermitteln, wobei u. a. Plenardebatten oder Anträge herangezogen werden können, um das Ziel des Gesetzgebers zu etablieren.368 Bei der Frage nach dem legitimen Zweck kommt dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum zu.369 Die Auswahl von bestimmten Zwecken ist allein Aufgabe des demokratisch legitimierten Gesetzgebers. Ausgeschlossen sind demzufolge nur verfassungswidrige Zwecke.370 So führt das BVerfG an, 361
Heusch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Staatsorganisationsrecht, S. 47 ff., 231 f.; Merten, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Band III, § 68, Rn. 24 ff. 362 Heusch, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Staatsorganisationsrecht, S. 231; Merten, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Band III, § 68, Rn. 8 ff. 363 Schröder, Ad Legendum, 327–333. 364 BVerfGE 7, 198. 365 BVerfGE 7, 198 (209). 366 Epping, Grundrechte, Rn 250. 367 Jarass / Pieroth GG, Art. 5, Rn. 69. 368 Epping, Grundrechte, Rn 50. 369 Wienbracke, ZJS 2/2013, 149 f. (148–155). 370 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 141 ff.; Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 117.
3. Teil: Bewertung
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dass „grundsätzlich jedes öffentliche Interesse, das verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist“, auch legitim sei.371 In der Strafrechtslehre wird darüber diskutiert, ob der legitime Zweck mit dem Rechtsgut identisch sei.372 In der Tat hat das BVerfG, um die Aufgabe des Strafrechts zu definieren, oft auf Rechtsgüter verwiesen.373 Dabei ist der Verweis auf Rechtsgüter durch das BVerfG jedoch nicht durch einen Rückgriff auf die im Strafrecht herrschende Rechtsgutstheorie zu erklären, da der Begriff „Rechtsgut“, wie Kaspar aufzeigt, als Synonym für den Begriff „Gemeinschaftsbelange“ verwendet wird.374 Letztlich erscheint die Rechtsgutslehre aufgrund der von ihr gestellten Anforderungen enger zu sein als die Herangehensweise und Prüfung des BVerfG, da der Gesetzgeber bei der Festsetzung des legitimen Zwecks weitreichend frei bleibt.375 Die Weite des Spielraums, die dem Gesetzgeber bezüglich der Frage nach dem legitimen Zweck überlassen wird, kann exemplarisch im Inzest-Urteil des BVerfG erkannt werden.376 In diesem macht das BVerfG geltend, dass mit § 173 StGB (Beischlaf zwischen Verwandten) in erster Linie die Ehe und die Familie geschützt werden sollen. Darüber hinaus soll mit der Vorschrift auch die sexuelle Selbstbestimmung geschützt werden. Zusätzlich bezieht sich das BVerfG auf eugenische Gesichtspunkte, denen zufolge „bei Kindern, die aus einer inzestuösen Beziehung erwachsen, wegen der erhöhten Möglichkeit der Summierung rezessiver Erbanlagen die Gefahr erblicher Schädigungen nicht ausgeschlossen werden könne“. Aufgrund der Anerkennung solch vager Zwecke wird deutlich, dass das BVerfG sich bei der Kontrolle des materiellen Strafrechts zurücknimmt.
b) Geeignet Das Mittel muss geeignet sein, den verfolgten Zweck zu erreichen. Dabei werden keine großen Anforderungen an die Geeignetheit gestellt. Für die Eignung reicht es aus, wenn der erstrebte Erfolg gefördert werden kann, sprich, wenn die Möglichkeit der Zweckerreichung durch das Mittel besteht.377 Es bedarf demzufolge keiner „Volleignung“; die abstrakte Möglichkeit der Zielerreichung ist ausreichend.378 Da das BVerfG bei der Prüfung der Geeignetheit dem Gesetzgeber 371
BVerfGE 124, 300 (332); Michael / Morlok, Grundrechte, § 23, Rn. 615. Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 198. 373 BVerfGE 124, 300 (303); Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 199. 374 Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 218. 375 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 23; Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 211 ff.; siehe die Ausführungen zum Rechtsgut in der vorliegenden Arbeit oben Teil 3 A. 376 BVerfG, 2 BvR 392/07. 377 BVerfG NJW 2019, 3054 (3057). 378 Merten, in: Merten / Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Band III, § 68, Rn. 65. 372
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3. Teil: Bewertung
ebenso einen weiten Einschätzungs- und Prognosespielraum einräumt,379 kommt es in der Praxis nur selten vor, dass ein Mittel als ungeeignet eingestuft wird.380
c) Erforderlichkeit Das Mittel muss erforderlich sein, um das verfolgte Ziel zu erreichen. Ein Mittel gilt dann als erforderlich, wenn der Gesetzgeber kein anderes, ebenso wirksames, aber die Grundrechte weniger stark beeinträchtigendes (milderes) Mittel hätte einsetzen können.381 Dabei muss bei der Überlegung, ob ein Mittel weniger stark eingreift als ein anderes, die Perspektive des Bürgers eingenommen werden.382 Bei der Prüfung der Erforderlichkeit räumt das BVerfG dem Gesetzgeber ebenfalls einen weiten Einschätzungs- und Prognosespielraum ein.383 In der Tat prüft das BVerfG nicht, ob der Gesetzgeber die beste Lösung für die hinter einem Gesetz stehenden Probleme gefunden hat.384
d) Angemessenheit Für staatliche Eingriffe in Art. 5 Abs. 1 muss im Rahmen der Angemessenheitsprüfung eine einzelfallbezogene Güterabwägung zwischen dem beeinträchtigten Kommunikationsgrundrecht auf der einen Seite und dem rechtlich geschützten Interesse, das mit dem allgemeinen Gesetz verfolgt wird, auf der anderen Seite erfolgen (Wechselwirkung).385 Demzufolge sind die „Kommunikationsfreiheiten beschränkenden Gesetze ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieser Grundrechte zu interpretieren“.386 Dabei lässt sich das Ergebnis dieser Abwägung aufgrund der „Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls nicht generell und abstrakt vorausbestimmen“.387 Aus diesem Grund hat das BVerfG Vorzugsregeln etabliert.388 In der Strafrechtslehre wird für die Vorverlagerung der Strafbarkeit anhand der Gefährdungsdelikte – mit denen im Vergleich zu Verletzungsdelikten mehr Handlungen erfasst und Freiheiten stärker eingeschränkt werden – verlangt, dass sie 379
Epping, Grundrechte, Rn 55. Hufen, Staatsrecht II, § 35, Rn. 36. 381 BVerfG 53, 135 (145); 80, 1 (30); 117,163 (189); BVerfG NJW 2018, 2109 (2112); BVerfG NJW 2019, 3054 (3058); Michael / Morlok, Grundrechte, § 23, Rn. 620 ff. 382 Michael / Morlok, Grundrechte, § 23, Rn. 622. 383 Epping, Grundrechte, Rn 55. 384 BVerfG NJW 2018, 3007 (3010). 385 Dreier GG-Schulze-Fielitz, Art. 5, Rn. 159; Jarass / Pieroth GG-Jarras, Art. 5, Rn. 70. 386 Dreier GG-Schulze-Fielitz, Art. 5, Rn. 158. 387 BVerfGE 114, 339 (348); BVerfGE 99, 185 (196). 388 BVerfGE 99, 185 (196); BeckOK GG-Schemmer, Art. 5, Rn. 105. 380
3. Teil: Bewertung
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im Rahmen der Angemessenheitsprüfung einer strengeren Prüfung unterzogen werden.389
4. Verhältnismäßigkeit und Motivationsdelikte Wie die Darstellung gezeigt hat, hat der Gesetzgeber einen weiten Spielraum, da das BVerfG dem Gesetzgeber mit Blick auf den legitimen Zweck, die Erforderlichkeit und die Geeignetheit einen weiten Einschätzungsspielraum lässt und somit die Eingrenzungskapazität des Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu relativieren ist. Dies spiegelt sich auch mit Blick auf die Motivationsdelikte wider. In Bezug auf den Zweck der Motivationsdelikte kann dasselbe gesagt werden. Während in der Rechtsgutslehre vage und unbestimmte Rechtsgüter wie der öffentliche Friede kritisiert werden, hat das BVerfG in der Wunsiedel-Entscheidung den öffentlichen Frieden – verstanden als die Gewährleistung von Friedlichkeit – als legitimen Zweck für § 130 Abs. 4 StGB anerkannt.390 Da das BVerfG davon ausgeht, dass grundsätzlich jedes öffentliche Interesse legitim ist, das verfassungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist, besteht ein weiter Spielraum für den Gesetzgeber und es werden in dieser Hinsicht auch keine Zweifel bezüglich der Legitimität der von den Motivationsdelikten angestrebten Schutzgüter erhoben. Ähnliches gilt auch für die Prüfung der Geeignetheit, für die ebenfalls keine erhöhten Anforderungen gestellt werden und für die eine Förderung des Mittels zur Erreichung des verfolgten Ziels ausreicht. Trotzdem kann im Rahmen der Motivationsdelikte angemerkt werden, dass eine solche Geeignetheit bezüglich derjenigen Vorschriften als fragwürdig erscheint, bei denen es schwierig ist, auf der Basis von konkreten (empirischen) Nachweisen eine Kausalbeziehung zwischen den erfassten Handlungen und dem legitimen Zweck herzustellen, sodass die Geeignetheit mehr auf der Vermutung eines Zusammenhanges basiert, was z. B. bei den indirekten Motivationsdelikten der Fall sein kann (z. B. bei der Billigung von Straftaten in § 140 StGB, beim Aufstacheln zu Hass in § 130 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 StGB oder beim Propagandaverbot in § 86 StGB).391 Die Frage nach der Erforderlichkeit und der Suche nach einem anderen, gleichermaßen wirksamen, aber milderen Mittel bleibt für viele Motivationsdelikte schwierig zu beantworten. Insbesondere für die indirekten Motivationsdelikte stellt sich die Frage, ob diese Taten über das Strafrecht geahndet werden sollten – schließlich handelt es sich hierbei um das schärfste Reaktionsmittel, das dem Staat zur Verfügung steht. Als Alternative könnten zivilrechtliche und medienrechtliche 389
Moeller, Definition und Grenzen der Vorverlagerung von Strafbarkeit, S. 162, 189. BVerfGE 124, 300 (303). 391 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 37 f.; in Bezug auf § 130 Abs. 4 StGB siehe Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 367 f., siehe hierzu auch die Länderberichte in der vorliegenden Arbeit oben Teil 2 Kapitel 1 B. II. 1. d). 390
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Schritte – z. B. über das Telemediengesetz (siehe § 14 TMG) – in Betracht gezogen werden.392 Für Tatbestände wie § 130 Abs. 4 StGB wäre außerdem eine Regelung über das Versammlungsrecht denkbar. Im Rahmen der Motivationsdelikte könnte auch auf außerrechtliche Mittel verwiesen werden.393 Eine außerrechtliche Möglichkeit für die Beseitigung von straftatenfördernden Motivationen und für die Prävention könnte in dem insbesondere in der Terrorismusforschung verbreiteten Instrument des counter-narrative (sog. Gegenerzählung) erkannt werden, mit dem ebenfalls ein präventives Ziel verfolgt wird.394 In der Tat werden counter-narratives vermehrt eingesetzt, um gegenüber neonazistischen, extremistischen bzw. terroristischen Argumentationen die Möglichkeit alternativer Sichtweisen aufzuzeigen. Die counter-narratives sollen dabei letztendlich zu einem Überdenken führen, den extremistischen Argumentationen die Legitimation entziehen und somit verhindern, dass es zu entsprechenden Taten kommt.395 Besonders wirksam könnten counternarratives bezüglich der Fälle von indirekter Motivation sein, bei denen primär auf Leidenschaften und Emotionen eingewirkt wird und bei denen die Etablierung eines Handlungsdrucks unwahrscheinlicher scheint als bei den direkten Motivationsdelikten. Da hier in erster Linie Emotionen angesprochen werden, könnten argumentierende Gegenreden vielleicht als Gegenpol wirken. Solche Gegenreden könnten u. a. im Rahmen von opferbezogenen Motivationsdelikten eine wichtige Rolle spielen, indem sie das dichotomische Denken von „Wir gegen die unterlegenen Anderen“ bei den potenziellen Tätern in Frage stellen.396 Counter-narratives könnten als Regierungsmaßnahme in einer Zusammenarbeit zwischen der Regierung, der Zivilgesellschaft und dem Privatsektor verbreitet und entgegen dem extremistischen bzw. straftatenfördernden Inhalt vorgebracht werden.397 Darüber hinaus könnten counter-narratives auch im Rahmen von Gefängnisprojekten eingesetzt werden und präventiv wirken.398 Fraglich bleibt bei all diesen Alternativen jedoch 392
Vgl. Bohlen, NJW 2020, 1999 ff. Zum Beispiel Schubert, die sich im Umgang mit rassistischen Äußerungen anstelle des Einsatzes des Strafrechts für zivilgesellschaftliche Lösungsansätze ausspricht, in: Schubert, Verbotene Worte, S. 311–315. 394 Vgl. Carthy / Doody / Cox / O’Hora / Sarma, Campbell Systematic Reviews 2020, S. 1–37. 395 Siehe Frischlich / Rieger / Morten / Bente, in: Frischlich / Rieger / Morten / Bente (Hrsg.), In cooperation with the research unit Terrorsim / Extremism of the Federal Crime Police (BKA) (Hrsg.), Videos gegen Extremismus? Counter-Narrative auf dem Prüfstand, S. 17–34; Glazzard, ICCT – The Hague 2017, 1–20. 396 Die Forschung hat dabei gezeigt, dass es jedoch nicht ausreicht, wenn mit counter-narratives lediglich die faktische Grundlage von extremistischen bzw. straftatenfördernden Erzählungen angegriffen wird. Stattdessen sollten counter-narratives auch die persönlichen Frustrationen des Täters anerkennen und aktiv einen alternativen Referenzrahmen bieten, um den Grad der Frustration zu senken (Empathie und Selbstbeherrschung üben, kritisches Denken lehren usw.). Siehe Farrington / Loeber / Ttofi, in: Welsh / Farrington (Hrsg.), The Oxford Handbook of Crime Prevention, S. 46–70; Wikström, in: Liebling / Maruna / McAra (Hrsg.), The Oxford handbook of criminology, S. 501–522; Kruglanski / Webber / Koehler, The Radical’s Journey; Vojta, Imprisonment for international crimes, S. 63 ff. 397 Carthy / Doody / Cox / O’Hora / Sarma, Campbell Systematic Reviews 2020, S. 29. 398 Carthy / Doody / Cox / O’Hora / Sarma, Campbell Systematic Reviews 2020, S. 30. 393
3. Teil: Bewertung
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immer, ob diese Mittel genauso wirksam wären wie die strafrechtlichen. Letztendlich vertieft das BVerfG diese Überlegungen jedoch nicht, da der Gesetzgeber hier über einen weiten Prognose- und Ermessensspielraum verfügt. Für die Prüfung der Angemessenheit müssen die Motivationsdelikte im Einzelfall bei einer Auslegung, die Art. 5 Abs. 1 GG Rechnung trägt, einen angemessenen Ausgleich zwischen der Meinungsfreiheit und dem rechtlich geschützten Interesse, das mit dem allgemeinen Gesetz verfolgt wird, begründen.399 Es muss demzufolge unter den jeweiligen Umständen des Einzelfalls eine Güterabwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem rechtlich geschützten Interesse der Vorschriften vorgenommen werden. In Bezug auf die Motivationsdelikte kann in dieser Hinsicht u. a. angeführt werden, dass die §§ 111 und 140 StGB an bestimmte Katalogstraftaten anknüpfen und somit nicht übermäßig weit ausgestaltet sind.400 Gleiches kann auch für die §§ 129, 129a StGB gesagt werden, die inhaltlich gesehen an kriminelle bzw. terroristische Vereinigungen anknüpfen. Bei der Untersuchung der Angemessenheit von § 130 Abs. 4 StGB führt das BVerfG an, dass die Vorschrift ebenfalls angemessen sei, da durch die Tatbestandsmerkmale der Störung des öffentlichen Friedens in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise solche untypischen Situationen aussortiert werden, „in denen im Einzelfall die in dem Verbot liegende Einschränkung der Meinungsfreiheit unangemessen sein kann“. Diesbezüglich wurden in der vorliegenden Arbeit bereits mehrfach Zweifel an der begrenzenden Funktion des genannten Tatbestandsmerkmals geäußert, da es hierbei nicht zu einer empirischen Untersuchung der Störung durch die Gerichte kommt. Es erscheint daher zweifelhaft, in den Tatbestandsmerkmalen ein Kriterium für die Angemessenheit zu erkennen. Gleiches gilt für das Tatbestandsmerkmal der Eignung in den §§ 130 Abs. 1 und 3, 140 StGB.
II. Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Meinungsäußerungsfreiheit in Frankreich In Frankreich sind die Meinungs- und die Kommunikationsfreiheit in Art. 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 enthalten. Aufgrund des existierenden Gesetzespositivismus und der besonderen Stellung des Gesetzes in Frankreich etablierten sich erst im Jahre 2012 eine einheitliche Kontrolle der staatlichen Eingriffe in Art. 11 der Erklärung von 1789 durch den Conseil constitutionnel (Cc) sowie durch die jeweiligen Schranken und Schranken-Schranken solcher Eingriffe(1).401 Wie der bereits erwähnte Gesetzespositivismus, die Wertschätzung des Gesetzes in der französischen Lehre und der Unmut über den Vorschlag einer Einführung eines vorpositivistischen Schutzgegenstandes vermuten 399
Vgl. BVerfG NJW 2010, 47 (53). Für § 140 StGB siehe in der vorliegenden Arbeit oben Teil 2 Kapitel 1 B. II. 1. d) aa); für § 111 StGB siehe oben Teil 2 Kapitel 1 A. II. 1. d) aa). 401 Cons. const. n° 2012-647 DC, 28 févr. 2012, cons. 5. 400
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3. Teil: Bewertung
lassen, entwickelte sich die Verhältnismäßigkeitskontrolle (contrôle de proportionnalité) durch den Cc als materielle Grenze des Strafrechts nur langsam (2). Heutzutage untersucht der Cc bei einer Verhältnismäßigkeitsprüfung auch den Zweck (l’objectif du législateur), die Geeignetheit (l’adéquation), die Erforderlichkeit (la nécessité) und die Angemessenheit (la proportionnalité au sens stricte). Dabei werden jedoch Unterschiede zwischen den Prüfungsmaßstäben der Verhältnismäßigkeit des Cc und des BVerfG deutlich (3). Was bedeutet dies im Hinblick auf die Motivationsdelikte? (4)
1. Meinungsäußerungsfreiheit Die Meinungsfreiheit und das Kommunikationsrecht sind in Art. 10 und 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789, denen Verfassungsrang zukommt402, enthalten. Art. 10 zufolge soll niemand wegen seiner Anschauungen, inklusive seiner Anschauungen religiöser Art, belangt werden, solange die Äußerung nicht die öffentliche Ordnung stört.403 Art. 11 der Erklärung zufolge kann jeder Bürger frei reden, schreiben und drucken, vorbehaltlich seiner Verantwortlichkeit für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen.404 In seinen Entscheidungen hat der Cc bezüglich Art. 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 zwischen der Kommunikationsfreiheit (liberté de communication) und der Meinungsäußerungsfreiheit (liberté d’expression) unterschieden.405 Eine wirkliche und einheitliche Kontrolle der staatlichen Eingriffe in Art. 11 der Erklärung von 1789 durch den Cc sowie eine Etablierung der Schranken und Schranken-Schranken erfolgte dahingegen erst mit der Entscheidung Nr. 2012-647 DC vom 28. Februar 2012 bezüglich des Gesetzes zur Ahndung der Leugnung von gesetzlich anerkannten Völkermorden.406 Hier führte der Cc an, dass es sich auf der Grundlage von Art. 11 der Erklärung von 1789 und Art. 34 der Verfassung – beides Artikel, denen zufolge die staatsbürgerlichen Rechte und die den Staatsbürgern zur Ausübung ihrer Grundfreiheiten gewährten Grundrechte durch das Gesetz geregelt werden – bei dem Gesetz zur Ahndung der Leugnung von gesetzlich anerkannten Völkermorden um einen verfassungswidrigen Eingriff in die Ausübung der Mei402
Vgl. Mahnke, Grundrechte und libertés publiques, S. 32. Art. 10 Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789: „Nul ne doit être inquiété pour ses opinions, même religieuses, pourvu que leur manifestation ne trouble pas l’ordre public établi par la loi“. 404 Art. 11 Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789: „La libre communication des pensées et des opinions est un des droits les plus précieux de l’homme: tout citoyen peut donc parler, écrire, imprimer librement, sauf à répondre de l’abus de cette liberté, dans les cas déterminés par la loi“. 405 Cons. const. n° 84-181 DC, 11 oct. 1984, cons. 36; Cons. const. n° 94-345 DC, 29 juill. 1994, cons. 5–6; Cons. const. n° 2016-611, QPC, 10 févr. 2017, cons. 5. 406 Cons. const. n° 2012-647 DC, 28 févr. 2012, cons. 5. 403
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nungs- und Kommunikationsfreiheit handle. Erstmalig führte der CC deshalb eine Untersuchung der Vereinbarkeit eines Strafgesetzes mit den beiden Grundrechten in zwei Phasen durch.407 So machte er zum einen geltend, dass der Gesetzgeber die Vorschriften, die die Kommunikationsfreiheit und die Meinungsäußerungsfreiheit regeln, frei erlassen könne (1). In dieser Hinsicht stehe es ihm auch frei, solche Straftatbestände zu erlassen, die eine missbräuchliche Ausübung der Meinungsäußerungs- und Kommunikationsfreiheit ahnden. Besonders ist hierbei, dass der Cc festlegte, welche Missbräuche der Kommunikations- und Meinungsäußerungsfreiheit durch das Strafrecht erfasst werden können. So handle es sich um eine missbräuchliche Ausübung der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit, wenn die öffentliche Ordnung und die Rechte Dritter verletzt werden. Demzufolge kann der Gesetzgeber dann in die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit eingreifen und Handlungen strafrechtlich ahnden, wenn diese die öffentliche Ordnung und die Rechte Dritter verletzen.408 Zum anderen müssen die Eingriffe in diese Grundrechte in Bezug auf das verfolgte Ziel notwendig, geeignet und verhältnismäßig sein (2).409 Seit dieser Entscheidung von 2012 übernimmt der Cc mit Blick auf Fragen nach der Kommunikations- und Meinungsäußerungsfreiheit die gleiche Argumentation.410
2. Entwicklung der Verhältnismäßigkeitsprüfung Eine Verhältnismäßigkeitskontrolle durch den Cc entwickelte sich in Frankreich nur langsam. Der Grund für diese langsame Entwicklung kann erneut in dem herrschenden Legalismus und der Nomophilie gefunden werden: ein Gesetz, das Ausdruck des Gemeinwillens und somit automatisch gerecht und unfehlbar sei, kann nicht auf der Basis einer Verhältnismäßigkeitskontrolle untersucht werden.411 Chetard kritisiert, dass in der Lehre zuweilen die Verhältnismäßigkeit als
407
Vgl. Sénac, RDLF 2017, Rn. 3 ff. Cons. const. n° 2012-647 DC, 28 févr. 2012, cons. 5: „que, sur ce fondement, il est loisible au législateur d’édicter des règles concernant l’exercice du droit de libre communication et de la liberté de parler, d’écrire et d’imprimer; qu’il lui est également loisible, à ce titre, d’instituer des incriminations réprimant les abus de l’exercice de la liberté d’expression et de communication qui portent atteinte à l’ordre public et aux droits des tiers; […]“. 409 Cons. const. n° 2012-647 DC, 28 févr. 2012, cons. 5: „que, toutefois, la liberté d’expression et de communication est d’autant plus précieuse que son exercice est une condition de la démocratie et l’une des garanties du respect des autres droits et libertés; que les atteintes portées à l’exercice de cette liberté doivent être nécessaires, adaptées et proportionnées à l’objectif poursuivi; […]“. 410 Cons. const. n° 2015-512 QPC, 8 janv. 2016, cons. 5; Cons. const. n° 2016-611 QPC, 10 févr. 2017, cons. 5; Cons. const. n° 2020-801 DC, 18 juin 2020, cons. 5. 411 Vgl. Duclercq, Les mutations du contrôle de proportionnalité dans la jurisprudence du Conseil constitutionnel, Rn. 90 ff. 408
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Begleiterscheinung und als Folge des Gesetzlichkeitsprinzips gesehen werde,412 und Braibant führte 1974 in Bezug auf die verwaltungsrechtliche Lehre Folgendes an: „nous n’avons pas une théorie développée du principe de proportionnalité – peut-être parce que jusqu’à une date relativement récente nous n’en avions pas besoin“.413 Eine Kontrolle der Verhältnismäßigkeit durch den Cc entwickelte sich erst seit dem Jahre 1990, und zwar beeinflusst durch die Rechtsprechung des BVerfG und die Gemeinschaftsrechtsprechung.414 Eine dreiteilige Kontrolle der Teilelemente, d. h. der adéquation (Geeignetheit), nécessité (Erforderlichkeit) und proportionnalité au sens stricte (Angemessenheit oder auch Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) durch den Cc erfolgte jedoch zum ersten Mal in der Entscheidung Nr. 2008562 DC vom 21. Februar 2008 bezüglich des Gesetzes über die Sicherungsverwahrung und die Erklärung der Schuldunfähigkeit aufgrund einer geistigen Störung. Hier führte der Cc in seinem Erwägungsgrund 13 (considérant 13) an, dass „les atteintes portées à l’exercice de ces libertés doivent être adaptées, nécessaires et proportionnées à l’objectif de prévention poursuivi“.415 Vor dieser Entscheidung von 2008 wurden nur ein oder zwei Teilelemente durch den Cc eingesetzt,416 und auch heute untersucht der Cc trotz der Entscheidung von 2008 in den meisten Fällen lediglich die Geeignetheit und die Angemessenheit.417 Dabei verweist der Cc im Rahmen der Verhältnismäßigkeitskontrolle mitunter auf einen erreur manifeste d’appréciation (offensichtlichen Beurteilungsfehler), wonach nur solche Vorschriften als unverhältnismäßig eingestuft werden, bei denen es sich offensichtlich um einen Verstoß durch den Gesetzgeber handle.418 Daraus wird geschlossen, dass es sich bei der durch den Cc ausgeübten Verhältnismäßigkeitsprüfung lediglich um eine contrôle restreint de proportionnalité (eingeschränkte Verhältnismäßigkeitsprüfung) handle.419 Dabei muss jedoch beachtet werden, dass ein solcher erreur manifeste d’appréciation nicht für die Rechte gilt, die als besonders wichtig eingestuft werden.420 Dies betrifft u. a. auch die Meinungsäußerungs- und Kommunika412
Chetard, RSC 2013, 51–71. Braibant, in: Mélanges Waline, S. 306; Eigene Übersetzung: „Wir hatten keine entwickelte Theorie des Verhältnismäßigkeitsprinzips – vielleicht, weil wir bis vor Kurzem auch keine brauchten“. 414 Goesel-Le Bihan, Cah. C. const. n° 22 (Dossier: le réalisme en droit constitutionnel), Juin 2007. 415 Cons. const. n° 2008-562 DC, 21 févr. 2008, cons. 13. Übersetzung: „dass die Eingriffe in diese Freiheitsrechte im Hinblick auf das verfolgte Schutzziel angemessen, notwendig und verhältnismäßig sein müssen; […]“. 416 Fraisse / Jensel-Monge, in: Agresti (Hrsg.) Le juge judiciaire face au contrôle de proportionnalité, S. 28. 417 Goesel-Le Bihan, RFDC 2017, 89. 418 Cons. const. n° 2011-625 DC, 10 mars 2011, cons. 7; Stelten, Lukas, Gerichtlicher Grundrechtsschutz in Frankreich, S. 313 ff. 419 Goesel-Le Bihan, Cah. C. const. n° 22 (Dossier: le réalisme en droit constitutionnel), Juin 2007, II A. 420 Goesel-Le Bihan, Cah. C. const. n° 22 (Dossier: le réalisme en droit constitutionnel), Juin 2007, II A. 413
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tionsfreiheit, für die ein erreur manifeste d’appréciation nicht festgestellt werden muss, sodass diese Rechte in verstärktem Maße geschützt sind.421 Weiter ist anzumerken, dass in den Entscheidungen des Cc die drei Prüfungselemente oft nicht deutlich voneinander getrennt sind, was die Analyse erschwert.422
3. Prüfung der Verhältnismäßigkeit a) Objectif du législateur Die Frage nach dem Zweck, den der Gesetzgeber mit der jeweiligen Maßnahme verfolgt, wird im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung durch den Cc nicht vertieft. Der Cc hat zwar bekräftigt, dass die vom Parlament erlassenen Gesetze den Gemeinwillen nur dann zum Ausdruck bringen, wenn sie mit der Verfassung vereinbar sind, er bleibt bei seiner Kontrolle des vom Gesetzgeber verfolgten Zweckes jedoch weiterhin zurückhaltend.423 So weist der Cc zuweilen zwar auf vage und unbestimmte Zwecke wie die öffentliche Ordnung oder die objectifs de valeur constitutionnelle (Zweck von verfassungsrechtlichem Wert) hin, bei denen es sich um eine durch den Cc begründete Kategorie von Verfassungswerten handelt, ohne dass jedoch weiter darauf eingegangen wird oder die Zwecke im Einzelnen bestimmt oder überprüft werden.424 Letztendlich verfügt der Gesetzgeber somit über einen weiten Spielraum.425
b) Adéquation Bei der Prüfung der adéquation (Geeignetheit), die in der Lehre auch als appropriation bezeichnet wird426, wird untersucht, ob die beschlossenen Maßnahmen dazu dienen können, das mit der Maßnahme verfolgte Ziel auch wirklich zu erreichen.427 Demzufolge untersucht der Cc, ob mit den Maßnahmen das verfolgte Ziel erreicht werden kann. Dabei untersucht der Cc jedoch nicht, ob es tatsächlich 421
Goesel-Le Bihan, Cah. C. const. n° 22 (Dossier: le réalisme en droit constitutionnel), Juin 2007, II A. 422 Roudier, Le contrôle de constitutionnalité de la législation antiterroriste, Rn. 738. 423 Cons. const., n° 85-197, 23 août 1985, cons. 27; Bergougnous, Les Nouveaux cahiers du Conseil constitutionnel, n° 38, 2013, 18. 424 Cons. const. n° 2018-761 QPC, 1 févr. 2019, cons. 9; Bousta, Rhita, RFDC 2011, 316 ff. 425 Vertiefend dazu siehe Goesel-Le Bihan, RFDC 2014, 269–291. 426 Goesel-Le Bihan, in: Annuaire international de justice constitutionnelle, 25-2009, 2010. Le juge constitutionnel et la proportionnalité – Juge constitutionnel et droit pénal, S. 194; Duclercq, Les mutations du contrôle de proportionnalité dans la jurisprudence du Conseil constitutionnel, Rn. 146. 427 Goesel-Le Bihan, Jus Politicum 2012, S. 1; Fraisse / Jensel-Monge, in: Agresti (Hrsg.), Le juge judiciaire face au contrôle de proportionnalité, S. 29.
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der Fall ist, d. h., er kontrolliert nicht die Wirksamkeit der Maßnahme an sich.428 Es reicht aus, dass ein Zusammenhang zwischen der Maßnahme und dem Zweck besteht.429 Eine solche Kontrolle der Wirksamkeit lehnt der Cc mit der Begründung ab, dass er über kein „pouvoir général d’appréciation et de décision de même nature que celui du Parlement“430 verfügt. So hat der Cc in seiner Entscheidung n° 2011-625 DC vom 10. März 2011 den Art. 4 des zur Prüfung vorgelegten Rahmen- und Programmgesetzes zur Stärkung der inneren Sicherheit als verfassungskonform anerkannt – ein Artikel, in dem vorgesehen war, dass, sofern die Bekämpfung der Verbreitung von pornografischen Bildern oder Darstellungen von Minderjährigen dies erfordert, Behörden die Internetanbieter dazu anweisen können, die entsprechenden Internetseiten ohne gerichtliche Kontrolle zu sperren.431 Der Cc führte dabei klassischerweise an, dass er nicht über einen allgemeinen Wertungs- und Entscheidungsspielraum verfüge, wie ihn das Parlament habe, und stellte lediglich fest, dass das verfolgte Ziel der Bekämpfung der Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten im Netz und somit der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mit den Maßnahmen der Netzsperrung in Art. 4 des Gesetzes in Verbindung stünde und dass demzufolge mit der Maßnahme das verfolgte Ziel erreicht werden könne.432 Die Maßnahme sei somit dazu geeignet, das Ziel zu erreichen. Der Cc geht damit jedoch nicht auf die vorgebrachte Kritik der Antragsteller ein, die sich auf die Wirksamkeit der Maßnahme bezogen und argumentierten, dass die Mittel ungeeignet oder sogar kontraproduktiv seien und überhöhte Kosten im Hinblick auf das verfolgte Ziel verursachen würden.433 Dies führte dazu, dass der Cc eine Maßnahme nur in seltenen Fällen aufgrund einer fehlenden Geeignetheit für das verfolgte Ziel für verfassungswidrig erklärt.
428 Goesel-Le Bihan, RFDC 2017, 90 ff.; Fraisse / Jensel-Monge, in: Agresti (Hrsg.), Le juge judiciaire face au contrôle de proportionnalité, S. 29 f. 429 Goesel-Le Bihan spricht hier von einem rationalen Zusammenhang zwischen der Maßnahme und dem verfolgten Zweck („lien rationnel entre les moyens utilisés et l’objectif poursuivi“), siehe Goesel-Le Bihan, in: Annuaire international de justice constitutionnelle, 25-2009, 2010. Le juge constitutionnel et la proportionnalité – Juge constitutionnel et droit pénal, S. 197. 430 Übersetzung: „allgemeinen Wertungs- und Entscheidungsspielraum wie den des Parlaments“; Cons. const. n° 74-54 DC, 15 janv. 1975, cons. 1; Cons. const. n° 2019-811 QPC, 25 oct. 2019, cons. 11; Favoreu, Louise, Les Cahiers de droit 1985, 334; Chénedé / Deumier, Nouveaux Cahiers du Conseil constitutionnel, N° 39 (Dossier: la Constitution et le droit des personnes et de la famille). Avril 2013, Rn. 1. 431 Cons. const. n° 2011-625 DC, 10 mars 2011. 432 Cons. const. n° 2011-625 DC, 10 mars 2011, cons. 7. 433 Cons. const. n° 2011-625 DC, 10 mars 2011, cons. 6.
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c) Nécessité Im Rahmen der nécessité (Erforderlichkeit) prüft der Cc, ob die Maßnahme nicht über das hinaus geht, was für die Erfüllung des verfolgten Zwecks erforderlich ist.434 Im Unterschied zur Prüfung der Erforderlichkeit durch das BVerfG untersucht der Cc traditionell nicht, ob der Gesetzgeber ein anderes, gleichermaßen wirksames, aber milderes Mittel hätte wählen können.435 So hat der Cc in seiner Entscheidung Nr. 2011-625 DC vom 10. März 2011 angeführt, dass es ihm nicht zustehe zu prüfen, ob die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele nicht auch auf andere Weise hätten erreicht werden können.436 Seit ein paar Jahren geht der Cc jedoch weiter, indem er kontrolliert, ob die Maßnahme mit Blick auf das bestehende Recht und bereits existierende Vorschriften erforderlich ist oder ob sie nicht bereits durch das bestehende Recht abgedeckt wird.437 Mit der Entscheidung n° 2009-580 DC vom 10. Juni 2009 änderte der Cc die Reihenfolge der Prüfungselemente im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, wenn es sich um die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit handelt. So führte der Cc in der Entscheidung von 2009 an, dass la liberté d’expression et de communication est d’autant plus précieuse que son exercice est une condition de la démocratie et l’une des garanties du respect des autres droits et libertés; que les atteintes portées à l’exercice de cette liberté doivent être nécessaires, adaptées et proportionnées à l’objectif poursuivi; […].438
In einer Entscheidungen des Cc aus dem Jahr 2020, die ebenfalls der Frage nachging, ob der Eingriff in die Meinungsfreiheit verfassungsrechtlich gerechtfertigt war, gab der Cc ebenfalls der Erforderlichkeit Vorrang vor der Geeignetheit.439 Dabei bleibt jedoch weiterhin unklar, welches Ziel der Cc damit verfolgt und ob damit eine besondere Verhältnismäßigkeitsprüfung für den Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit eingeführt wurde, da weder der Cc selbst noch die Autoren der offiziellen Kommentare sich darüber geäußert haben.440 434
Goesel-Le Bihan, Cah. C. const. n° 22 (Dossier: le réalisme en droit constitutionnel), Juin 2007, I; Goesel-Le Bihan, in: Annuaire international de justice constitutionnelle, 25-2009, 2010. Le juge constitutionnel et la proportionnalité – Juge constitutionnel et droit pénal, S. 197. 435 Fraisse / Jensel-Monge, in: Agresti (Hrsg.), Le juge judiciaire face au contrôle de proportionnalité, S. 30 f. 436 Cons. const. n° 2011-625 DC, 10 mars 2011, cons. 7: „qu’il ne saurait rechercher si les objectifs que s’est assignés le législateur auraient pu être atteints par d’autres voies, […]“. 437 Cons. const., n° 2017-682 QPC, 15 déc. 2017, cons. 11–13. 438 Übersetzung: „die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit einen hohen Stellenwert haben, da sie eine Voraussetzung der Demokratie und eine der Gewährleistungen zur Durchsetzung der anderen Rechte und Freiheiten ist; dass die Eingriffe in dieses Grundrecht in Bezug auf das verfolgte Ziel erforderlich, geeignet und verhältnismäßig sein müssen; […]“. Cons. const. n° 2009-580 DC, 10 juin 2009, cons. 15. 439 Cons. const., n° 2020-845 QPC, 19 juin 2020, cons. 12. 440 Sénac, RDLF 2017, Rn. 24 ff.
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d) Proportionnalité au sens stricte Im Rahmen einer Untersuchung der proportionnalité au sens stricte prüft der Cc, ob der Eingriff in Bezug auf den verfolgten Zweck verhältnismäßig ist, d. h., ob die positiven Effekte und Vorteile des vom Gesetzgeber eingeführten Mittels dessen negative Effekte und Belastungen überwiegen.441 In der Praxis überprüft der Cc hierbei lediglich, ob der Eingriff in das Grundrecht durch Verfahrensgarantien ausgeglichen werden kann.442 So hat der Cc in seiner Entscheidung bezüglich des Gesetzes zur Bekämpfung von Gruppengewalt und zum Schutz von Personen mit gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen den Art. 5 des Gesetzes als im engeren Sinne nicht verhältnismäßig beurteilt.443 Art. 5 des Gesetzes sah vor, dass bei einem Polizeieinsatz in den gemeinsamen Räumen eines Mehrparteienwohnhauses die Nutzer und Besitzer dieser Liegenschaften die in diesem Rahmen entstandenen Aufnahmen des vorhandenen Videoüberwachungssystems an die Polizisten weitergeben können. Der Cc argumentierte, dass der Gesetzgeber nicht die notwendigen Garantien für den Schutz der Privatsphäre der Personen, die in dem Gebäude leben oder sich dorthin begeben, eingeführt habe.444
4. Verhältnismäßigkeit und Motivationsdelikte Wie die Darstellung gezeigt hat, hat der Gesetzgeber in Frankreich bei der strafrechtlichen Ahndung von Verhaltensweisen, die potenziell mit der Meinungsäußerungsfreiheit kollidieren, einen weiten Spielraum, der durch den Cc nur wenig begrenzt wird. Dies spiegelt sich auch mit Blick auf die Motivationsdelikte wider. In Frankreich ist der Gesetzgeber frei, solche Delikte strafrechtlich zu ahnden und somit Eingriffe in die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit zu erlassen, solange diese eine missbräuchliche Ausübung der Meinungsäußerungs- und Kommunikationsfreiheit ahnden. Die missbräuchlichen Ausübungen erscheinen dabei ihrerseits als sehr weit gefasst, werden sie doch als Verletzung der öffentlichen Ordnung und der Rechte Dritter verstanden. Da die öffentliche Ordnung im französischen Recht weit verstanden wird (u. a. als Friede, Sicherheit und öffentliche Sicherheit) und in der Lehre als nur schwer bestimmbar gilt,445 kann sie durch viele 441
Roudier, Le contrôle de constitutionnalité de la législation antiterroriste, Rn. 737; Fraisse / Jensel-Monge, in: Agresti (Hrsg.), Le juge judiciaire face au contrôle de proportionnalité, S. 31 (Fraisse und Jensel-Monge verweisen hierbei auf die im Rahmen der verwaltungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung eingesetzte Theorie „bilan coûts-avantages“ (Kosten-NutzenBilanz)). 442 Bousta, RFDC 2011, 926; Goesel-Le Bihan, Jus Politicum 2012, S. 3 f. 443 Cons. const. n° 2010-604 DC, 25 févr. 2010, cons. 19 ff. 444 Cons. const. n° 2010-604 DC, 25 févr. 2010, cons. 23; Goesel-Le Bihan, Jus Politicum 2012, S. 3 f. 445 Vgl. Gervier, La limitation des droits fondamentaux constitutionnels par l’ordre public, S. 19 ff.
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verschiedene Verhaltensweisen verletzt werden, sodass der Gesetzgeber allgemein in einem weitreichenden Maß in die Grundrechte eingreifen kann. Es wird auch nicht verlangt, dass er die Störung der öffentlichen Ordnung empirisch feststellt oder belegt. Für die Motivationsdelikte bedeutet dies, dass sie grundsätzlich als legitime Eingriffe in die Grundrechte gelten (vorausgesetzt, dass sie verhältnismäßig sind), schließlich reicht es aus, dass der Gesetzgeber argumentiert, in jeder Motivation – sei sie direkt oder indirekt – liege eine Störung der öffentlichen Ordnung und somit eine missbräuchliche Ausübung der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit. Auch bezüglich der Verhältnismäßigkeitskontrolle der Motivationsdelikte scheint der Einfluss des Cc eher begrenzt. Der Gesetzgeber verfügt für die Festlegung des Zwecks, den er mit der Vorschrift verfolgt, über einen weiten Spielraum, den der Cc nicht beschränkt. So führte der Cc z. B. in seiner Entscheidung bezüglich der Verherrlichung von terroristischen Taten des Art. 421-2-5 CP an, dass der Gesetzgeber dazu frei sei, Vorschriften zu erlassen, die das Ziel der Bekämpfung des Anreizens und Provozierens zu Terrorismus verfolgen, das seinerseits zu dem übergeordneten Ziel von verfassungsrechtlichem Rang des Schutzes der öffentlichen Ordnung und der Prävention von Straftaten gehöre und mit der Kommunikations- und Meinungsfreiheit vereinbar sei.446 Dies bedeutet im Allgemeinen, dass der Cc solch vage und kritisierbare Zwecke wie die öffentliche Ordnung (die z. B. in den Art. 421-2-4 CP, 23 LLP, 411-11 CP, 431-6 CP als das vom Gesetzgeber geschützte Interesse angesehen wird) als zulässig erkennt und dass der Gesetzgeber bei der Festlegung des Zweckes weitestgehend frei ist. Der Wechsel in der Reihenfolge bezüglich der Prüfung der adéquation (Geeignetheit) und der nécessité (Erforderlichkeit), der dazu führte, dass im Rahmen der Meinungs- und Kommunikationsfreiheit die nécessité vor der adáquation geprüft wird, hat keinen sichtbaren Einfluss auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung der Motivationsdelikte. Aus den Entscheidungen des Cc oder den offiziellen Kommentaren der Entscheidungen lässt sich in dieser Hinsicht keine Besonderheit bezüglich der Verhältnismäßigkeitsprüfung in Bezug auf diese beiden Grundrechte erkennen. Da der Cc im Rahmen der adéquation (Geeignetheit) lediglich prüft, ob die Maßnahme möglicherweise das verfolgte Ziel erreicht, ohne dabei die Wirksamkeit und Leistungsfähigkeit desselben zu untersuchen, lässt er dem Gesetzgeber einen weiten Spielraum. Im Rahmen der Motivationsdelikte bedeutet dies, dass es keiner empirischen Untersuchung bedarf, sondern dass die Vermutung ausreicht, dass die strafrechtliche Ahndung der Äußerung potenziell dazu beitragen kann, die Begehung von späteren Straftaten zu verhindern. Dies erscheint jedoch insbesondere
446 Cons. const. n° 2018-706 QPC, 18 mai 2018, cons. 19: „Il lui est également loisible d’édicter des règles de nature à concilier la poursuite de l’objectif de lutte contre l’incitation et la provocation au terrorisme, qui participe de l’objectif de valeur constitutionnelle de sauvegarde de l’ordre public et de prévention des infractions, avec l’exercice du droit de libre communication et de la liberté de parler, écrire et imprimer.“
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mit Blick auf die indirekten Motivationsdelikte fragwürdig, werden hier doch solche Verhaltensweisen erfasst, die u. a. durch ihre Unbestimmtheit weit entfernt von einer tatsächlichen Tatbegehung zu sein scheinen. Die empirische Untersuchung der Frage, ob die in der vorliegenden Arbeit behandelten indirekten Motivationen (z. B. die Verherrlichung in Art. 421-2-5 CP oder Art. 24 Abs. 5 LLP, die aufrührerischen Aussagen oder Gesänge in Art. 24 Abs. 6 LLP oder der Revisionismus in Art. 24 bis LLP) tatsächlich zur Begehung von Straftaten führen, bleibt aus. Unbeantwortet bleibt damit auch die Frage, ob mit solchen Verboten das eigentlich verfolgte Ziel, also der Schutz der Interessen vor einer Beeinträchtigung durch das Anschlussverhalten von Dritten, überhaupt erfüllt werden kann. Im Rahmen der Prüfung der nécessité (Erforderlichkeit) untersucht der Cc nicht, ob es mildere Mittel gibt, sondern nur, ob die Maßnahme einen Bereich regelt, der bereits durch existierende Strafvorschriften abgedeckt ist. Dies spiegelt sich auch mit Blick auf die Motivationsdelikte wider. So hat der Cc in seiner Entscheidung n° 2017-682 QPC vom 15. Dezember 2017 Art. 421-2-5-2 CP, in dem das gewöhnliche Aufrufen von terroristischen Internetseiten (consultation habituelle des sites internet terroristes) unter Strafe gestellt wird, durch die Nachrichten, Bilder oder andere Darstellungen zugänglich gemacht werden, die direkt zu terroristischen Taten provozieren oder diese verherrlichen, diesen als nicht erforderlich beurteilt.447 Der Cc begründet die Nichterforderlichkeit der Vorschrift, indem er verschiedene andere existierende Vorschriften aufzählte und somit deutlich machte, dass sowohl die Justiz als auch die Verwaltungsbehörden über ausreichende andere Mittel verfügen (darunter auch Art. 421-2-5 CP, der die direkte Provokation zu terroristischen Taten und deren Verherrlichung unter Strafe stellt), um öffentliche Online-Kommunikationsdienste, die zu terroristischen Taten provozieren oder diese verherrlichen, zu kontrollieren und um jene Personen zu überwachen, die solche Internetseiten aufrufen.448 Eine ähnliche Argumentation übernahm der Cc hinsichtlich des Verbots der Hehlerei von Inhalten, die terroristische Handlungen verherrlichen (recel d’appologie du terrorisme), das der Cc in seiner Entscheidung n° 2020-845 QPC vom 19. Juni 2020 als nicht erforderlich einstufte, da den Behörden ausreichende andere Mittel zur Verfügung stünden, um den verfolgten Zweck des Schutzes der öffentlichen Ordnung zu erreichen.449 Für die Motivationsdelikte bedeutet dies, dass der Frage nachgegangen werden sollte, ob sie nicht einen Bereich regeln, der bereits durch andere Strafvorschriften abgedeckt ist, sodass sie als unnötig erscheinen könnten. Diese Frage stellt sich insbesondere für Artikel L. 3421-4 CSP, der sowohl die Provokation als auch das positive Darstellen des Konsums von und des Handels mit Betäubungsmitteln strafrechtlich regelt. Da diese Provokation als indirekte Provokation verstanden wird,
447 448 449
Cons. const., n° 2017-682 QPC, 15 déc. 2017, cons. 16. Cons. const., n° 2017-682 QPC, 15 déc. 2017, cons. 11–13. Cons. const., n° 2020-845 QPC, 19 juin 2020, cons. 20–22.
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d. h., dass auch das einfache Einwirken auf Gefühle oder das Schaffen eines straftatenfördernden Klimas, das früher oder später zur Begehung von Straftaten führen kann, erfasst wird, scheint dieses Delikt einen ähnlichen Anwendungsbereich wie das positive Darstellen zu haben. Eine der beiden Tathandlungen würde dementsprechend ausreichen, um den verfolgten Zweck zu erreichen. Eine ähnliche Überlappung der Regelungsbereiche kann auch mit Blick auf Art. 227-18 CP und Art. L. 3421-4 CSP beobachtet werden, da mit Art. L. 3421-4 CSP allgemein die Provokation zum Konsum von und der Handel mit Betäubungsmitteln unter Strafe gestellt wird, während Art. 227-18 CP die gleiche Tathandlung in Bezug auf Minderjährige unter Strafe stellt. Dabei scheint der Schaffung des Art. 227-18 CP lediglich ein symbolischer Wert zuzukommen, sodass sich die Frage stellt, ob der Tatbestand wirklich erforderlich ist oder ob er nicht bereits durch Art. L.3421-4 CSP abgedeckt ist. Da der Cc für die proportionnalité au sens stricte (Angemessenheitsprüfung) in der Praxis lediglich kontrolliert, ob der Eingriff in das Grundrecht durch Verfahrensgarantien ausgeglichen werden kann, erscheint dies bezüglich der Motivationsdelikte, die im Gesetz über die Freiheit der Presse normiert sind (siehe Art. 23, 24, 24 bis LLP), wenig problematisch. So sieht das Gesetz von 1881 aufgrund des besonderen Schutzes der Meinungsäußerungsfreiheit für die dort enthaltenen Delikte besondere Verfahrens- und Strafverfolgungsregeln vor. Anders ist die Situation hingegen bezüglich derjenigen Motivationsdelikte, die zur Terrorismuslegislation gehören und in Buch IV, Titel II „Vom Terrorismus“ des code pénal normiert sind (siehe Art. 421-2-4 CP (Anwerbung zur Beteiligung an einer terroristischen Organisation oder an terroristischen Taten) und Art. 421-2-5 CP (Provokation zu terroristischen Taten und die Verherrlichung solcher)). Für sie gelten nämlich besondere Verfahrensregeln des code de procédure pénale (Französische Strafprozessordnung), die die Verfolgung dieser Taten vereinfachen und gerade keine besonderen Garantien aufweisen. Da der Cc die Kontrolle der Angemessenheit in seinen Entscheidungen jedoch oft nicht deutlich macht450 oder sie mit der Geeignetheit verbindet,451 werden diese problematischen Delikte wohl eher nicht als unverhältnismäßig eingestuft.
III. Fazit Sowohl der Cc in Frankreich als auch das BVerfG in Deutschland prüfen die Verhältnismäßigkeit der Gesetzgebung. Dabei hat die deutsche Entwicklung des Prüfungsmaßstabs durch das BVerfG sowie durch die Rechtsprechung des EuGHs
450
Beispiel Cons. const. n° 2018-706 QPC, 18 mai 2018, cons. 19 ff. (Verherrlichung von terroristischen Taten in Art. 421-2-5 CP). 451 Beispiel Cons. const. n° 2020-845 QPC, 19 juin 2020, cons. 23 ff. (Hehlerei von terroristischen Verherrlichungen).
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3. Teil: Bewertung
und des EGMRs die französische Verhältnismäßigkeitsprüfung beeinflusst und dazu geführt, dass sowohl der Cc als auch das BVerfG den Zweck, die Geeignetheit, die Erforderlichkeit und die Angemessenheit staatlicher Grundrechtseingriffe prüfen. Dabei kommt es jedoch zu Unterschieden zwischen den beiden Verfassungsgerichten. Mit Blick auf die Erforderlichkeit ist z. B. zu bemerken, dass das BVerfG im Gegensatz zum Cc untersucht, ob mildere, aber gleichermaßen wirksame Mittel hätten eingesetzt werden können. Der Cc weist eine solche Prüfung der Existenz milderer Mittel zurück, da alleine der Gesetzgeber über die Zweckmäßigkeit zu entscheiden habe.452 In Bezug auf die Motivationsdelikte können sowohl im deutschen als auch im französischen Recht bei der Kontrolle der Verhältnismäßigkeit bestimmte Delikte als problematisch und unverhältnismäßig eingestuft werden. So kann sowohl bei der Verhältnismäßigkeitskontrolle durch das BVerfG als auch bei der durch den Cc insbesondere an der Geeignetheit bzw. der adéquation der indirekten Motivationsdelikte gezweifelt werden, da es bei ihnen sehr schwierig ist, auf der Basis von konkreten (empirischen) Nachweisen eine Kausalbeziehung zwischen den erfassten Handlungen und dem legitimen Zweck herzustellen. Die Geeignetheit beruht somit überwiegend auf der Vermutung und nicht auf dem Nachweis eines Zusammenhanges. Bei der Frage der Erforderlichkeit i. S. des Maßstabes des BVerfG – d. h. nach milderen Mitteln – wird deutlich, dass die counter-narratives als eine außerrechtliche Möglichkeit für die Beseitigung von straftatenfördernden Motivationen fungieren könnten. Fraglich bleibt dabei, ob dieses Mittel gleichermaßen wirksam wie die strafrechtlichen Mittel, d. h. die Motivationsdelikte, wäre. Bei der Frage nach der nécessité der Motivationsdelikte i. S. des Cc – d. h. bei der Frage nach bestehenden Maßnahmen, die den Bereich bereits abdecken – wird deutlich, dass insbesondere die Art. 227-18 CP und Art. L. 3421-4 CSP problematisch erscheinen. In Bezug auf die Prüfung der Angemessenheit der Motivationsdelikte stellen sich insbesondere § 130 Abs. 1, 3 und 4 StGB sowie § 140 StGB als problematisch heraus. Mit Bezug auf die als „einschränkend“ bezeichneten Tatbestandsmerkmale schützt das BVerfG eine Angemessenheit nur vor, werden doch weder die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens noch die tatsächliche Störung des öffentlichen Friedens oder die Verletzung der Würde der Opfer wirklich untersucht bzw. in der Praxis durch die Gerichte festgestellt. Bei der Frage nach der proportionnalité au sens stricte der Motivationsdelikte im französischen Recht, d. h. bei der Frage, ob der Eingriff in das Grundrecht durch Verfahrensgarantien ausgeglichen werden kann, erscheinen insbesondere die Art. 421-2-4 CP und Art. 421-2-5 CP als nicht angemessen, gelten für sie doch die besonderen Terrorismusverfahrensregeln.
452
Fraisse / Jensel-Monge, in: Agresti (Hrsg.), Le juge judiciaire face au contrôle de proportionnalité, S. 30.
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In der Praxis beider Verfassungsorgane werden die oben angeführten problematischen Motivationsdelikte jedoch nicht – wohl auch nicht in näherer Zukunft – als unverhältnismäßig eingestuft, da sowohl das BVerfG als auch der Cc dem Gesetzgeber einen weiten Ermessenspielraum einräumen und somit im Allgemeinen die strafbarkeitsbegrenzende Funktion der Verhältnismäßigkeitsprüfung eingeschränkt ist. Ein eindeutiges Beispiel für die Zurückhaltung der Verfassungsorgane bei der Kontrolle des materiellen Strafrechts über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stellt insbesondere das Inzest-Urteil des BVerfG von 2008 dar.453 Hier lässt das BVerfG dem Gesetzgeber einen sehr weiten Ermessensspielraum, was den verfolgten legitimen Zweck betrifft. In der Anerkennung solch weiter und vager Zwecke wird deutlich, wie sehr das BVerfG sich bei der Kontrolle des materiellen Strafrechts zurücknimmt und dass es in dieser Hinsicht – entgegen dem Eindruck, der angesichts der deutschen Strafrechtsdogmatik mit seiner Rechtsgutslehre entstehen könnte – gar nicht weit vom französischen Recht entfernt ist.454
C. Verfassungsrechtliche und strafrechtliche Grenze durch den Bestimmtheitsgrundsatz Eine weitere Grenze für die Motivationsdelikte ist sowohl im deutschen (A.) als auch im französischen Recht (B.) im Bestimmtheitsgrundsatz zu finden. Bereits in den Länderberichten sowie im Rechtsvergleich wurde deutlich, dass insbesondere die Bestimmtheit mancher Begriffe der Motivationsdelikte in der Lehre als fraglich angesehen wird.
I. Das Bestimmtheitsgebot und die Motivationsdelikte im deutschen Recht Art. 103 Abs. 2 GG zufolge kann eine Tat nur dann bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Neben der verfassungsrechtlichen Verankerung ist das Gesetzlichkeitsprinzip auch in § 1 StGB und in Art. 7 I EMRK normiert. Das Gesetzlichkeitserfordernis gilt sowohl für die Strafbarkeit des Verhaltens (nullum crimen sine lege) als auch für die Strafandrohung (nulla poena sine lege).455 Dabei werden im deutschen Recht innerhalb des Gesetzlichkeitsprinzips vier Gebote voneinander unterschieden: das Gebot eines geschriebenen Gesetzes (nulla poena sine lege scripta), das Gebot einer hinreichend bestimmten Norm (nulla 453
BVerfG, 2 BvR 392/07. Vgl. Greco, ZIS 5/2008, 234 ff.; Noltenius, ZJS 2009, 18 ff. 455 Herbert, Grenzen des Strafrechts bei der Terrorismusgesetzgebung, S. 125; Sch / SchHecker, § 1, Rn. 1. 454
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3. Teil: Bewertung
poena sine lege certa), das Analogieverbot (nulla poena sine lege stricta) und das Rückwirkungsverbot (nulla poena sine lege praevia). Wie bereits oben ausgeführt, wird in der vorliegenden Arbeit des Weiteren auch auf das Verhältnis zwischen dem Grundsatz der nulla poena sine lege certa und den Motivationsdelikten eingegangen.
1. Das Bestimmtheitsgebot Das Erfordernis der Bestimmtheit umfasst sowohl die verbotene Tat als auch ihre Folgen.456 Dabei ist das Bestimmtheitsgebot auf das Demokratieprinzip und den Grundsatz der Gewaltenteilung zurückzuführen.457 Ziel des Gebotes ist es außerdem, den Normadressaten zu schützen; der Einzelne muss vorhersehen können, welche Verhaltensweisen bestraft werden und welche straffrei bleiben.458 Der Gesetzgeber muss die Tatbestandsvoraussetzungen so formulieren, dass diese als zuverlässige Grundlage für die Rechtsprechung dienen können.459 Dabei ist die Verwendung von allgemeinen Begriffen, die nicht eindeutig umschrieben werden können und daher einer besonderen Auslegung bedürfen, durch den Gesetzgeber jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen.460 In der Tat besteht sogar die Gefahr, dass der Gesetzgeber bei Ausschluss dieser allgemeinen Begriffe Einzelfällen und Veränderungen nicht mehr gerecht werden könnte.461 Der Rechtsprechung zufolge können Generalklauseln oder unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Begriffe verwendet werden, solange mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden, insbesondere durch Heranziehen anderer Vorschriften desselben Gesetzes, durch Berücksichtigung des Normenzusammenhanges oder auf Grund einer gefestigten Rechtsprechung eine zuverlässige Auslegung und Anwendung der Norm gewinnen lässt, so daß der Einzelne die Möglichkeit hat, den durch die Strafnorm geschützten Wert sowie das Verbot bestimmter Verhaltensweisen zu erkennen und die staatliche Reaktion vorauszusehen.462
456 Roxin / Greco, AT I, § 5, Rn. 67 ff.; Sch / Sch-Hecker, § 1, Rn. 16; LK-Dannecker / Schuhr, § 1, Rn. 195 ff. 457 Erne, Das Bestimmtheitsgebot im nationalen und internationalen Strafrecht am Beispiel des Straftatbestands der Verfolgung, S. 27. 458 Kuhlen, Aktuelle Probleme des Bestimmtheitsgrundsatzes, in: Kudlich / Montiel / Schuhr (Hrsg.), Gesetzlichkeit und Strafrecht, S. 431; Erne, Das Bestimmtheitsgebot im nationalen und internationalen Strafrecht am Beispiel des Straftatbestands der Verfolgung, S. 32 ff. 459 Herbert, Grenzen des Strafrechts bei der Terrorismusgesetzgebung, S. 126; Sch / SchHecker, § 1, Rn. 17. 460 Erne, Das Bestimmtheitsgebot im nationalen und internationalen Strafrecht am Beispiel des Straftatbestands der Verfolgung, S. 43; LK-Dannecker / Schuhr, § 1, Rn. 199. 461 Erne, Das Bestimmtheitsgebot im nationalen und internationalen Strafrecht am Beispiel des Straftatbestands der Verfolgung, S. 44; LK-Dannecker / Schuhr, § 1, Rn. 199. 462 BVerfGE 45, 363, 372; Sch / Sch-Hecker, § 1, Rn. 20; LK-Dannecker / Schuhr, § 1, Rn. 209.
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Dabei hängen die Anforderungen an die Bestimmtheit von der Schwere der Strafe ab: Je schwerer die Strafe ist, umso höher sind die Anforderungen an die Bestimmtheit.463 Die Bestimmtheitsanforderungen gelten auch für die Strafandrohung. Demzufolge muss sowohl die Art als auch die Höhe der Strafe bestimmt sein.464 Der Gesetzgeber muss einen Orientierungsrahmen für den Richter bieten, indem er abstrakte Sanktionsunter- und -obergrenzen festlegt.465
2. Die Motivationsdelikte und das Bestimmtheitsgebot Im Rahmen der Motivationsdelikte, die potenziell mit der Meinungsäußerungsfreiheit kollidieren könnten, erscheint es besonders wichtig, dass die Vorschriften bestimmt formuliert sind, damit nicht ganze Themenkomplexe erfasst werden. Anstatt hierbei auf jeden Tatbestand einzeln einzugehen, werden lediglich manche Problemkomplexe exemplarisch beleuchtet. Problematisch mit Blick auf § 103 Abs. 2 GG erscheinen im Rahmen der Motivationsdelikte insbesondere konturlose Begriffe. Dies betrifft u. a. den Begriff „Verharmlosen“ in § 130 Abs. 3 StGB. Das Verharmlosen wird hier sowohl als quantitatives als auch als qualitatives Verharmlosen verstanden, wobei letzteres nur schwer von der Billigung zu unterscheiden ist.466 Eine gewisse Unbestimmtheit besteht auch bezüglich der Begriffe des Billigens, Verherrlichens und Rechtfertigens in § 130 Abs. 4 StGB, die als vage angesehen werden und nur schwer voneinander zu unterscheiden sind.467 Besonders kritisch ist hierbei das Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens zu betrachten, das sowohl im Rahmen von § 130 Abs. 1 und 3 StGB468 als auch im Rahmen von § 140 Abs. 1 StGB zum Tragen kommt. Dabei wird mit diesen Tatbestandsmerkmalen und der ihnen immanenten Unbestimmtheit den Gerichten ein weiter Interpretationsspielraum überlassen.469 Ähnliches gilt für das Tatbestandsmerkmal der Störung des öffentlichen Friedens in § 130 Abs. 4 StGB. Das BVerfG äußerte sich diesbezüglich in der Hinsicht als dass der öffentliche Friede als Tatbestandmerkmal nicht unbedenklich sei, was Zweifel an seiner Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot in Art. 103 Abs. 2 GG 463 BVerfG NJW 1993, 1909 (1910); Sch / Sch-Hecker, § 1, Rn. 20; krit. LK-Dannecker / Schuhr, § 1, Rn. 186. 464 BVerfG NJW 2007, 1193; LK-Dannecker / Schuhr, § 1, Rn. 223. 465 Sch / Sch-Hecker, § 1, Rn. 22. 466 Siehe Länderbericht oben Teil 2 Kapitel 1 B. II. 4. d) cc). 467 Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 274 ff. 468 Das BVerfG hat im Jahr 2018 entschieden, dass die Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens ausreichend bestimmt ist. BVerfG, NJW 2018, 2861(2862). 469 Rudolphi, ZRP 1979, 221; Herbert, Grenzen des Strafrechts bei der Terrorismusgesetzgebung, S. 201.
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3. Teil: Bewertung
aufwirft.470 Dabei führt das BVerfG jedoch an, dass das Tatbestandsmerkmal lediglich ein Korrektiv sei.471 Die Verwirklichung der anderen Tatbestandsmerkmale, die alle ausreichend bestimmt seien, würde die Strafbarkeit bereits hinreichend begründen, sodass bei deren Erfüllung auch die Störung des öffentlichen Friedens bzw. die Eignung hierzu vermutet werden könne.472 Problematisch hieran ist jedoch, dass die Kompetenz zur Eingrenzung von strafwürdigem Verhalten damit in gewisser Weise bei den Gerichten liegt, da diese das Vorliegen einer Friedensstörung nicht positiv begründen, sondern nur bei atypischen Fällen ausschließen müssen.473 Dabei ist für den Bürger unvorhersehbar, wann ein Richter einen atypischen Fall ausschließt und § 130 Abs. 4 StGB somit zum Tragen kommt.474 In Bezug auf § 140 StGB ist sich der Lehre anzuschließen, die aufgrund der Unbestimmtheit des Tatbestandsmerkmals des Billigens auf eine restriktive Auslegung verweist.475 Somit erscheinen die § 130 und § 140 StGB als nicht mit dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar und somit als potenziell verfassungswidrig. Durch die Begrenzung des Werbens in den §§ 129, 129a StGB auf das Werben um Mitglieder oder Unterstützer wurde ein Schritt in Richtung Bestimmtheit gemacht. Auch der Begriff „Vereinigung“ in den behandelten Vorschriften erscheint ausreichend bestimmt, da die Vereinigung nicht ausschließlich durch eine Mindestanzahl an Personen umschrieben wird, sondern auch durch deren Zweck und Tätigkeit bestimmt wird.476 Beide Tatbestände erscheinen somit als mit dem Bestimmtheitsgebot vereinbar. In Bezug auf § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) wird in der Lehre darüber diskutiert, ob die Ähnlichkeitsklausel mit § 103 Abs. 2 GG vereinbar ist.477 Um mögliche Unvereinbarkeiten mit dem Bestimmtheitsgebot zu vermeiden, ist eine restriktive Auslegung zu präferieren.478 Demzufolge kann mit Blick auf die Motivationsdelikte festgestellt werden, dass in der Literatur zuweilen deren Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgrundsatz bemängelt wird. Dem kann sich insbesondere für die §§ 130, 140 und 86a StGB angeschlossen werden, da diese als mit dem Bestimmtheitsgebot unvereinbar erscheinen, sodass ihre Verfassungsmäßigkeit infrage gestellt werden muss. 470
BVerfGE 124, 300 (339 f.). BVerfGE 124, 300 (340). 472 BVerfGE 124, 300 (340 f.). 473 Siehe Länderbericht oben Teil 2 Kapitel 2 C. II. 5. d) ff). 474 Ulbricht, Volksverhetzung und das Prinzip der Meinungsfreiheit, S. 390. 475 MK-Hohmann, § 140, Rn. 14; Satzger / Schluckebier / Widmaier-Geneuss, § 140, Rn. 2. 476 Vgl. Lutfullin, Das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot und Mengenbegriffe, S. 157. 477 Jahn, Strafrechtliche Mittel, S. 219, 233; Stegbauer, Rechtsextremistische Propaganda, S. 109; krit. Frank, Die Strafbarkeit der Verwendung nationalsozialistischer Kennzeichen, S. 68 ff.; NK-Paeffgen, § 86a, Rn. 9. 478 Reuter, Verbotene Symbole, 2005, S. 157. 471
3. Teil: Bewertung
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Mit Blick auf die Spruchpraxis des BVerfG und des BGH wird jedoch deutlich, dass es nur selten zur Verwerfung von Strafrechtsnormen aufgrund des Bestimmtheitsgebots kommt.479 Daraus lässt sich schließen, dass es in der Praxis zumindest auf der Basis des Bestimmtheitsgrundsatzes keine besonderen Probleme für die Motivationsdelikte geben wird.
II. Das Bestimmtheitsgebot und die Motivationsdelikte im französischen Recht Das Gesetzlichkeitsprinzip hat Verfassungsrang, da es in Art. 8 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte normiert ist. Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte wird als Teil des Verfassungsblocks (des sog. bloc de consitutionnalité) anerkannt und hat somit Verfassungsrang.480 Dem Art. 8 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte zufolge kann niemand aufgrund eines Gesetzes bestraft werden, das nicht vor der Begehung der Tat erlassen, verkündet und rechtmäßig angewandt worden ist. Das Gesetzlichkeitsprinzip ist außerdem auch in Art. 111-2 und 111-3 des code pénal verankert.
1. Das Bestimmtheitsgebot Der Conseil Consitutionnel (Cc) hat mehrmals deutlich gemacht, dass eine Straftat in klaren und präzisen Worten formuliert sein muss („en termes suffisament clairs et précis“).481 Dabei gelten allgemeine Begriffe nicht grundsätzlich als unzulässig.482 Vielmehr muss ein Gleichgewicht gefunden werden, wobei unklar ist, wie genau dieses aussieht.483 Als besonders problematisch gelten in der Lehre die sog. infractions larges (weite Straftatbestände), die so weit gefasst sind, dass dem Richter ein großer Spielraum gegeben wird.484 Als die Klarheit trübend werden auch solche Gesetzestexte gesehen, die gleiche Verhaltensweisen erfassen, aber mit einer unterschiedlichen Strafandrohung versehen sind.485 479 Vgl. Fischer, StV 2010, 95; Lutfullin, Das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot und Mengenbegriffe, S. 145. 480 Siehe hierzu Hamon / Troper, Droit constitutionnel, S. 723; Mélin-Soucramanien / Pactet, Droit constitutionnel, S. 563 ff. 481 Cons. const. n° 80-127, 19-20 janv. 1981, JCP 1981. II. 1971, note Franck; Cons. const. n° 98-401, 10 juin 1998, D. 2000. Somm. 60, obs. Favoreu; Pin, Droit pénal général, Rn. 63. 482 Pin, Droit pénal général, Rn. 63; ähnlich Dreyer, Droit pénal général, Rn. 283. 483 Pin, Droit pénal général, Rn. 63. 484 Lelieur / Pfützner / Volz, Gesetzlichkeitsprinzip – Frankreich, in: Sieber / Cornils, Nationales Strafrecht in rechtsvergleichender Darstellung, Teilband 2, S. 46; Desportes / Le Gunehec, Droit pénal général, Rn. 237. 485 Pin, Droit pénal général, Rn. 66.
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3. Teil: Bewertung
2. Die Motivationsdelikte und das Bestimmtheitsgebot Auch im französischen Recht wird bezüglich der Motivationsdelikte zuweilen insbesondere die Konturlosigkeit mancher Begriffe und somit die Bestimmtheit mancher Tatbestände bemängelt. Um den Anforderungen eines klaren und präzisen Wortlauts gerecht zu werden, wurden im code pénal von 1994 Begriffe vermehrt gesetzlich definiert. Dabei sind die Definitionen in vielen Fällen jedoch sehr weit gefasst, sodass der Rechtsprechung eine besondere Rolle zukommt.486 Dies ist auch im Rahmen der Motivationsdelikte zu erkennen. Dies zeigt sich beispielsweise an Art. 431-6 CP (Direkte Provokation zu einer bewaffneten Zusammenrottung), in dem die direkte Provokation zur bewaffneten Zusammenrottung unter Strafe gestellt wird, wobei der Begriff „Zusammenrottung“ in Art. 431-3 CP als jede Menschenversammlung auf öffentlichen Straßen oder an öffentlichen Orten definiert ist, die die öffentliche Ordnung stört.487 Dabei wird der Begriff der öffentlichen Ordnung in der Lehre als nur schwer bestimmbar kritisiert und es wird angemerkt, dass nur schwer anzugeben sei, ab wann sie gestört werde.488 Der Cour de cassation hat im Jahr 2014 entschieden, die Frage, ob Art. 431-3 CP ausreichend bestimmt ist, nicht an den Cc weiterzureichen, da das Gericht die Vorschrift als ausreichend klar und präzise anerkennt, sodass auch den Richtern kein zu großer Ermessensspielraum überlasssen wird.489 Aufgrund der Unbestimmtheit des Begriffs der öffentlichen Ordnung erscheint der Tatbestand verfassungswidrig. Gleiches kann für Art. 24 Abs. 6 LLP (Aufrührerische Ausrufe oder Gesänge) festgestellt werden. Aufgrund der mangelnden Bestimmtheit der verwendeten Begriffe wird die Ahndung der aufrührerischen Ausrufe oder Gesänge in Art. 24 Abs. 6 LLP kritisiert und es wird angeführt, dass diese Tathandlung nur schwer von der Verherrlichung zu unterscheiden sei.490 Aufgrund einer fehlenden Bestimmtheit können auch die Formulierungen, die sich auf die Unbestimmtheit der eingesetzten Provokationsmittel beziehen, kritisiert werden.491 So werden in einigen der Motivationsdelikte Formulierungen wie par tout moyen (durch jedes Mittel)492; tout autre moyen (jedes andere Mittel)493; par quelque moyen que ce soit (durch jedes erdenkliche Mittel)494 verwendet. Durch solche Formulierungen wird deutlich, dass der Ermessensspielraum der Richter 486
Vgl. Desportes / Le Gunehec, Droit pénal général, Rn. 237. Siehe in der Arbeit oben Teil 2 Kapitel 1 A. II. 6. d) bb). 488 Vgl. Gervier, La limitation des droits fondamentaux constitutionnels par l’ordre public, S. 19 ff. 489 Cass. crim. 25 févr. 2014, n° 13-90.039. 490 Siehe Länderbericht oben Teil 2 Kapitel 2 C. II. 3. d) bb). 491 Vgl. Giudicelli, RSC 2007, 518. 492 Siehe Art. 23 LLP und Art. 211-2 CP. 493 Siehe Art. 433-10 CP, Art. 431-6 CP. 494 In Art. 413-3 CP, Art. L. 321-18 CJM. 487
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über seine eigentliche Funktion hinaus ausgeweitet wird. Dies stellt eine Gefahr für die Vorhersehbarkeit der rechtlichen Folgen für den Bürger dar. Tatbestände, die solche Formulierungen beinhalten, erscheinen insofern mit dem Bestimmtheitsgebot unvereinbar und daher nichtig zu sein. Auch für die erfolglose Provokation zur Folter und zu brutalen Misshandlungen in Art. 222-6-4 CP kann eine Konturlosigkeit und das Fehlen einer gesetzlichen Definition der Begriffe der Folter und der brutalen Misshandlung erkannt werden und somit von einer Unvereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot ausgegangen werden. Bezüglich Art. L. 3421-4 CSP, der die direkte und indirekte Provokation sowie das positive Darstellen des Betäubungsmittelkonsums und -handels unter Strafe stellt, wird in der Lehre bemängelt, dass es zu Überlappungen zwischen der indirekten Provokation und dem positiven Darstellen kommen kann, da495 die indirekte Provokation nur schwer von einem positiv Darstellen zu unterscheiden sei. Insofern würde es der Vorschrift an Bestimmtheit mangeln,496 sodass sie als mit dem Bestimmtheitsgebot unvereinbar und somit als verfassungswidrig erscheint. In Bezug auf die Provokation zu terroristischen Taten und die Verherrlichung solcher (Art. 421-2-5 CP) sowie auf die Anwerbung zur Beteiligung an einer terroristischen Organisation oder an terroristischen Taten (Art. 421-2-4 CP) stellt sich ebenfalls die Frage, ob sie mit dem Gesetzlichkeitsprinzip vereinbar sind. Problematisch scheint hier die Definition von Terrorismus und terroristischen Handlungen, da terroristische Handlungen in Art. 421-1 CP mithilfe der sog. incrimination par renvoi (Kriminalisierung durch Verweis) definiert werden. In der Entscheidung n° 86-213 DC vom 3. September 1986 bewertete der Cc den Vorgänger des Art. 421-1 CP, den damaligen Art. 706-16 CPP497, als mit dem Gesetzlichkeitsprinzip vereinbar. Zur Begründung führte der Cc an, dass die Straftatbestände des CP oder die besonderen Rechtsvorschriften hinreichend klar und präzise definiert seien, sodass Art. 706-16 CPP, der auf diese Vorschriften verweist, ebenfalls hinreichend präzise und klar und somit mit dem Gesetzlichkeitsprinzip vereinbar sei.498 Diese Entscheidung wurde in der Lehre jedoch mit Verweis darauf kritisiert, dass der Cc sich bei seiner Untersuchung nur auf ein Element des objektiven Tatbestan495
Besse, Thomas, in: François, Lyn / Roets, Damien (Hrsg.), Dix ans de QPC en droit pénal de l’expression et de la communication, Cah. C. const., Hors-série – octobre 2020, S. 118 f. 496 Besse, Thomas, in: François, Lyn / Roets, Damien (Hrsg.), Dix ans de QPC en droit pénal de l’expression et de la communication, Cah. C. const., Hors-série – octobre 2020, S. 118 f. 497 Vertiefend zu dem Art. 706-16 CPP und dem Wechseln in den Art. 421-1 CP siehe Länderbericht oben Teil II. Kapitel 2 B. II. 7. d) bb). 498 Cons. const. n° 86-213 DC, 3 sept. 1986, cons. 6: „Considérant que la première condition fixée par la loi, qui renvoie à des infractions qui sont elles-mêmes définies par le code pénal ou par des lois spéciales en termes suffisamment clairs et précis, satisfait aux exigences du principe constitutionnel de la légalité des délits et des peines; que, de même, la seconde condition est énoncée en des termes d’une précision suffisante pour qu’il n’y ait pas méconnaissance de ce principe; qu’ainsi le premier moyen formulé par les auteurs de la saisine ne saurait être retenu; […]“.
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des konzentriert habe, wobei Art. 706-16 CPP damals, genau wie Art. 421-1 CP heute, verlangt habe, dass die Straftaten, auf die verwiesen wurde, absichtlich mit einer individuellen oder gemeinschaftlichen Unternehmung verbunden sind, die darauf gerichtet ist, die öffentliche Ordnung durch Einschüchterung oder Terror in schwerwiegender Weise zu stören.499 Dabei verwendet der Gesetzgeber unbestimmte Begriffe wie „Einschüchterung“ (intimidation), „Terror“ (terreur), „in schwerwiegender Weise“ (troubles graves) und „öffentliche Ordnung“ (ordre public).500 Dieser Kritik ist sich anzuschließen und anzumerken, dass die Tatbestände aufgrund der Unbestimmtheit der Begriffe als mit dem Bestimmtheitsgebot unvereinbar und somit als nichtig erscheinen. Der Cc hat im Jahr 2018 mit Blick auf das Verherrlichen von terroristischen Taten in Art. 421-2-5 CP festgestellt, dass Art. 421-2-5 CP bezüglich des Gesetzlichkeitsprinzips hinreichend klar und präzise sei.501 Dem Cc zufolge würde Art. 421-2-5 CP nur solche Handlungen erfassen, die zu einer positiven Beurteilung von Straftat anregen, die durch ein Gesetz oder von ihren Tätern ausdrücklich als terroristische Tat bezeichnet werden und dementsprechend hinreichend klar und präzise seien.502 Ob sich mit dem Verweis auf den ebenso unbestimmten Begriff der positiven Beurteilung jedoch schließen lässt, dass die Vorschrift ausreichend bestimmt ist, mag angezweifelt werden. Es kann festgestellt werden, dass in der Lehre Kritik an der Konturlosigkeit mancher Begriffe der Motivationsdelikte geäußert wird. Dieser Kritik kann sich angeschlossen werden, sodass aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot die Verfassungsmäßigkeit mancher Motivationsdelikte angezweifelt werden muss. Sowohl der Cour de cassation als auch der Cc sprechen dem Gesetzgeber hier jedoch einen weiten Ermessensspielraum zu, sodass es in der Praxis nur selten aufgrund einer Unbestimmtheit zu einer Verneinung der Verfassungsmäßigkeit von Strafnormen kommt.503 Es wird somit deutlich, dass in dem Bestimmtheitsgrundsatz – so, wie es die deutsche Strafrechtslehre suggeriert – kein funktionales Äquivalent zur deutschen Rechtsgutslehre erkannt werden kann. Die in der französischen Lehre als deutlich angepriesene Hauptgrenze des Strafrechts verblasst mit Blick auf die Lehre und die Praxis des Cc.
499
Roudier, Le contrôle de constitutionnalité de la législation antiterroriste, Rn. 684 ff. Marguénaud fragt mit Ironie in Bezug darauf, ob es nicht möglich gewesen sei, eine noch vagere Formulierung zu finden („pouvait-on trouver formulation plus vague?“), siehe Marguénaud, La Qualification pénale des actes de terrorisme, RSC, 1990, S. 1–28 (S. 10.); ähnlich Roudier, Le contrôle de constitutionnalité de la législation antiterroriste, Rn. 694 ff. 501 Cons. const. n° 2018-706 QPC, 18 mai 2018, cons 10. 502 Cons. const. n° 2018-706 QPC, 18 mai 2018, cons 9. 503 Vgl. Tillement, in: Py / Stasiak (Hrsg.), Mélanges Seuvic, S. 245. 500
3. Teil: Bewertung
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III. Fazit Gemessen am Bestimmtheitsgebot sind die Anforderungen im deutschen und französischen Recht im Ergebnis ähnlich. Mit Blick auf die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Vorschriften wird deutlich, dass sowohl in der deutschen als auch in der französischen Strafrechtslehre insbesondere die Bestimmtheit von gewissen Motivationsdelikten bemängelt wird. Dies ist insbesondere für die indirekten Motivationsdelikte der Fall, bei denen oft vage Begriffe wie das positiv Darstellen oder das Verharmlosen und Billigen zum Einsatz kommen, die den Richtern einen weiten Ermessensspielraum lassen. In diesen Fällen ist eine Vereinbarkeit mit dem Bestimmtheitsgebot und damit die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften anzuzweifeln. Dies betrifft die §§ 130, 140 und 86a StGB. Im französischen Recht kann aufgrund einer fehlenden Bestimmtheit die Verfassungsmäßigkeit der Art. 211-2 CP, 222-6-4 CP, 413-3 CP, 421-2-4 CP, 421-2-5 CP, 431-3 CP, 431-6 CP, 433-10 CP, Art. 23 LLP, Art. 24 Abs. 6 LLP, Art. L. 321-18 CJM, Art. L. 3241-4 CSP angezweifelt werden Letztendlich wird der Grundsatz der Bestimmtheit jedoch in beiden Ländern eher weit verstanden, sodass sich trotz legitimer Kritik der Lehre in der Praxis keine Besonderheiten für die Motivationsdelikte ergeben und dem Gesetzgeber ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. Die Untersuchung des Bestimmtheitsgebots verdeutlicht zudem, dass es sich beim französischen Bestimmtheitsgebot nicht um ein funktionales Äquivalent für die in Frankreich fehlende Rechtsgutslehre handelt. Auch wenn in der französischen Lehre das Gesetzlichkeitsprinzip als Hauptgrenze des Strafrechts angepriesen wird, können mit dem Bestimmtheitsgrundsatz keine vergleichbaren Ergebnisse erzielt werden wie im deutschen Strafrecht mit dem Rechtsgut und den Vorverlagerungskriterien. Die Erwartung, die aufgebaut wird, wenn in der französischen Lehre das Gesetzlichkeitsprinzip als Hauptgrenze des Strafrechts angepriesen wird, kann nicht erfüllt bzw. nicht mit der deutschen Rechtsgutslehre gleichgestellt werden.
Schlusswort der Arbeit Die Motivationsdelikte, d. h. die strafrechtliche Ahndung solcher Informationsübermittlungen, denen das Potenzial zugesprochen wird, dass sie andere Personen direkt oder indirekt dazu motivieren, Straftaten zu begehen, sind keine Erfindung der Neuzeit. Viele der in unserer Zeit als Motivationsdelikte bezeichneten Straftaten existieren in den Rechtsordnungen beider Länder schon seit geraumer Zeit. Dabei haben die Länderberichte gezeigt, dass sowohl der deutsche als auch der französische Gesetzgeber insbesondere in Zeiten, die von Unsicherheiten geprägt sind, vermehrt auf das Strafrecht zurückgreift und dass eine Vielzahl von Motivationsdelikten als Reaktion auf Ereignisse und Vorkommnisse erlassen wurden, die in der Öffentlichkeit auf starke Resonanz gestoßen sind und die Emotionen zum Überkochen gebracht haben. Dies gilt insbesondere für indirekte tatbezogene Motivationsdelikte, bei denen kein offensichtlicher Handlungsdruck ausgeübt wird. Ein Beispiel hierfür ist die strafrechtliche Ahndung der Verherrlichung von bestimmten Vergehen und Verbrechen in Frankreich. Infolge eines Anschlags auf den französischen König Louis-Philippe I im Jahr 1835 wurde die Presse beschuldigt, die Stimmung gegen den König angeheizt zu haben. Als Reaktion darauf wurde die Bestrafung der Verherrlichung von Vergehen oder Verbrechen in das Strafrecht aufgenommen. Zwar wurde die strafrechtliche Ahndung der Verherrlichung mit der Einführung des Gesetzes über die Freiheit der Presse im Jahre 1881 als eine délit d’opinion (Gesinnungsstraftat) bewertet und abgeschafft. Bereits im Jahre 1893, also nur zwölf Jahre später, wurde sie nach einem Anschlag auf die Nationalversammlung jedoch wieder in das Strafgesetz eingeführt. Der Rechtsvergleich zwischen dem deutschen und dem französischen Recht hat gezeigt, dass die Gesetzgebung bezüglich der Motivationsdelikte in beiden Ländern ähnlich ist. In beiden Ländern werden sowohl direkte (individuelle oder öffentliche) als auch indirekte (tatbezogene, opferbezogene oder organisationsbezogene) Motivationsdelikte unter Strafe gestellt, sodass es in beiden Ländern zu einer Vorverlagerung der Strafbarkeit kommt. Dabei geht der französische Gesetzgeber jedoch weiter als der deutsche, da er nicht nur mehr Motivationsdelikte erlässt, sondern diese auch weiter fasst und den Richtern somit einen umfassenderen Ermessensspielraum einräumt als dies im deutschen Rechtssystem der Fall ist. Die Bestimmung der verschiedenen Motivationsdelikte in beiden Rechtsordnungen verdeutlicht, dass die Motivationsdelikte – mit Ausnahme derjenigen, die Teilnahmehandlungen sind – die Strafbarkeit weit nach vorne verlagern. Mit ihnen soll verhindert werden, dass andere zur Begehung von Straftaten motiviert werden. Diese Eigenschaft geht aus strafrechtsdogmatischer Perspektive betrachtet allerdings mit besonderen Schwierigkeiten einher, werden hier doch solche Ver-
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haltensweisen erfasst, die zwar potenziell eine Gefahr für die Schädigung eines Schutzgegenstandes darstellen können, jedoch vor der tatsächlichen Schädigung liegen, sodass deren Ahndung insbesondere in die Meinungsfreiheit eingreifen kann. Aus diesem Grund und vor allem auch deshalb, weil potenziell in jeder Kommunikationsäußerung die Gefahr einer Motivation von anderen gesehen werden kann, müssen der Strafbarkeit Grenzen gesetzt werden.1 In diesem Sinne bedarf es sowohl materieller als auch formaler Grenzen, die den Anwendungsbereich des Strafrechts begrenzen. Diesbezüglich sollte mit der vorliegenden Arbeit gezeigt werden, dass es in Bezug auf diese Grenzen Unterschiede zwischen dem deutschen und dem französischen Recht gibt. Als zentrales Begrenzungskriterium fungiert im deutschen Strafrecht die Rechtsgutstheorie, während im französischen Recht das Gesetzlichkeitsprinzip als zentrales Begrenzungskriterium gilt. Die vorliegende Arbeit zeigt, dass im französischen Strafrecht die Frage nach der materiellen Begrenzung des Strafrechts und der materiellen Legitimation von Strafvorschriften lange Zeit nur spärlich untersucht wurden. Die Gründe hierfür liegen in der französischen Geschichte und dem Einfluss französischer Philosophen. Die Revolution, die weiterhin herrschende Nomophilie, der Einfluss Rousseaus und des auf ihn zurückgehenden Begriffs volonté générale sowie der Positivismus haben dazu geführt, dass in Frankreich die materielle Legitimation einer Strafvorschrift selten in Frage gestellt wird und dass das Gesetzlichkeitsprinzip als Kardinalprinzip und als wichtigste Grenze für die Strafbarkeit gilt. Im deutschen Recht hingegen wurde, geprägt durch die NS-Zeit mit ihrem gesetzlichen Unrecht, mit den Überlegungen zu einem übergesetzlichen Recht die Suche nach einer materiellen Legitimation von Strafnormen insbesondere seit der Mitte des 20. Jahrhunderts stark vorangetrieben.2 Dieser Unterschied zwischen dem deutschen und dem französischen Strafrecht spiegelt sich heutzutage in der Frage nach der Legitimität der Vorverlagerung des Strafrechts wider. Während in der deutschen Strafrechtslehre die Vorverlagerung unter dem Aspekt der Gefährdung eines Rechtsgutes untersucht und diesbezüglich festgestellt wird, dass es für ein strafrechtliches Unrecht noch zusätzlicher Legitimationsbegründungen bedarf, wird im französischen Recht die Legitimität von Vorfelddelikten kaum angezweifelt. In der Tat spielt das Rechtsgut im deutschen Strafrecht, auch wenn dessen systemkritische Funktion heute in Frage gestellt wird und ihm in der Praxis durch das BVerfG faktisch keine strafbarkeitsbegrenzende Funktion zugesprochen wird, weiterhin eine wichtige Rolle für die Unterscheidung der Deliktsstrukturen und der Etablierung von Kategorien, innerhalb derer Legitimationskriterien entwickelt werden können. Vor dem Hintergrund dieser Kategorien wird deutlich, dass die Motivationsdelikte, die eigenständige Delikte sind, in die Kategorie der objektiven Gefahrschaf1
Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, Störungen und Klärungen, miteinander reden, S. 32 ff. Vgl. Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, S. 1 ff.; Laage, Kritische Justiz 1989, 409 ff. 2
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fungsdelikte einzuordnen sind, da mit ihnen verhindert werden soll, dass andere Personen durch die Motivation straffällig werden und es durch das Anschlussverhalten dieser Personen möglicherweise zu einer Rechtsgutsbeeinträchtigung kommt. Eine besondere Rolle spielt hierbei die Frage, ob und falls ja, inwiefern die mögliche Rechtsgutsbeeinträchtigung, die durch das Anschlussverhalten des Zweithandelnden eintreten kann, dem Verhalten und damit dem Verantwortungsbereich des Motivators zugerechnet werden kann. Anhand der in der vorliegenden Arbeit entwickelten Legitimationskriterien wurde deutlich, dass eine solche Zurechenbarkeit nur dann möglich ist, wenn die Motivation eine gewisse Qualität hat, nämlich nur dann, wenn sie objektiv einen gewissen Handlungsdruck ausübt und einen deliktischen Sinnbezug aufweist. Für die direkten Motivationsdelikte kann eine solche Qualität problemlos erkannt werden. Bezüglich der indirekten Motivationsdelikte ist hingegen zu sagen, dass den entsprechenden Motivationshandlungen nur schwerlich eine Qualität zugesprochen werden kann, aufgrund derer der Motivator objektiv für das Verhalten des Zweithandelnden und die daraus möglicherweise resultierenden Rechtsgutsbeeinträchtigung verantwortlich gemacht werden kann. Aufgrund des Mangels an Legitimationskriterien bezüglich der Vorfelddelikte in der französischen Lehre und in dieser Hinsicht aufgrund des Mangels an Legitimationskriterien, an denen die Motivationsdelikte untersucht werden könnten, wurde die bereits im deutschen Teil erwähnte bevorzugte Lösung der deutschen Strafrechtsdogmatik – d. h. die Einteilung in die Kategorien der objektiven Gefahrschaffungsdelikte (genauer gesagt der Anschließungsdelikte), deren Bewertungsmaßstab und die damit gemeinsam entwickelte Zurechnungslösung – für die französischen Motivationsdelikte angewendet. Übernimmt man die Legitimationskriterien für das französische Recht, kann für die dort existierenden direkten und indirekten Motivationsdelikte Ähnliches gefolgert werden. Im Hinblick auf das Gesetzlichkeitsprinzip wird in der Lehre für Motivationsdelikte des französischen und des deutschen Rechts die Bestimmtheit mancher Motivationsdelikte, insbesondere der indirekten Motivationsdelikte, kritisiert. In der Praxis kommt es vonseiten des BVerfG und des Cc jedoch nur selten zur Annahme der Verfassungswidrigkeit aufgrund einer fehlenden Bestimmtheit der Tatbestände, sodass dem Gesetzgeber ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. Eine immer größere Rolle spielt hingegen sowohl im deutschen als auch im französischen Recht die Verhältnismäßigkeitskontrolle. Auch hier räumen sowohl das BVerfG als auch der Cc dem Gesetzgeber aber einen weiten Ermessensspielraum ein, was die strafbarkeitsbegrenzende Funktion der Verhältnismäßigkeitsprüfung einschränkt. Trotzdem muss angemerkt werden, dass insbesondere in Frankreich neue indirekte Motivationsdelikte oder Delikte im Umfeld derselben aufgrund einer fehlenden Verhältnismäßigkeit als verfassungswidrig beurteilt und wieder aufgehoben wurden. Letztendlich hat die vorliegende Arbeit deutlich gemacht, dass nicht jede Kommunikationshandlung, in der potenziell die Gefahr einer Motivationsförderung
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liegt, strafrechtlich erfasst werden kann bzw. sollte. Die Ahndung solcher Handlungen verlagert die Strafbarkeit weit in das Vorfeld und ist insofern nur dann zu rechtfertigen, wenn über die Gefährdung eines geschützten Interesses hinaus die mögliche Beeinträchtigung eines Schutzgegenstandes durch das Verhalten eines Zweithandelnden dem Motivator zugerechnet werden kann. Für die indirekten Motivationsdelikte ist eine solche Zurechnung jedoch fraglich, erfassen sie doch solche Verhaltensweisen, die weder objektiv einen deliktischen Sinnbezug aufweisen noch einen Handlungsdruck ausüben, der einen mündigen Bürger korrumpieren könnte. In dieser Hinsicht sind die Entwürfe in Deutschland, die sich für die Wiedereinführung der Bestrafung der Sympathiewerbung in die §§ 129 und 129a StGB aussprechen als problematisch zu bewerten. Dies betrifft auch die Erweiterung des § 140 StGB auf die Billigung künftiger schwerer Taten, wenn diese geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören durch das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität vom 3. April 2021. Denn es handelt sich hierbei eindeutig um indirekte Motivationsdelikte, mit denen verhindert werden soll, dass ein psychisches Klima geschaffen wird, in dem neue Delikte dieser Art gedeihen können.3 Dabei handelt es sich jedoch nicht um neue Tatbestände, sondern um solche, die bereits in früheren „Krisenzeiten“ eingeführt und dann wieder abgeschafft wurden. In der Tat würde durch die Erweiterung der Billigung auf zukünftige Taten gewissermaßen wieder das Befürworten von Straftaten kriminalisiert (ehemaliger § 88a StGB). Das Befürworten von Straftaten wurde im Jahr 1976 eingeführt, also zu einer Zeit, zu der die RAF wütete. Bereits im Jahr 1981 wurde diese Straftat wegen der damit verbundenen übermäßigen Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit und wegen des mangelnden Strafbedürfnisses jedoch wieder abgeschafft.4 Auch die Sympathiewerbung wurde im Jahr 2002 aus den §§ 129 und 129a StGB entfernt. In dieser Hinsicht stellt Sureau zutreffend fest: par vanité, ou par amnésie, notre époque ne se fie guère aux précédentes. Notres législateur aurait pourtant dû s’y reporter. Il aurait trouvé les mêmes textes, qu’on croirait écrit par les mêmes bureaux. Demandés par la même opinion, les mêmes juges et la même police.5
Wie oben erläutert, birgt die strafrechtliche Ahndung indirekter Motivationen wie der Sympathiewerbung oder dem Billigen zukünftiger Straftaten Probleme in sich, insbesondere mit Blick auf die Frage, ob und falls ja, inwiefern mögliche Rechtsgutsbeeinträchtigungen durch das Anschlussverhalten des Zweithandelnden dem Verantwortungsbereich des Motivators zugerechnet werden können. Mit der Erweiterung von § 140 StGB auf zukünftige Taten bezieht sich die Tathandlung 3
Siehe BT-Drucks. 19/17741, S. 34. Kolbe, Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB), S. 152 f. 5 Siehe Sureau, Pour la liberté, S. 27 f. Übersetzung: „Aus Eitelkeit, oder aufgrund von Gedächtnisschwund, stützt sich unsere Zeit kaum auf die vergangenen Zeiten. Unser Gesetzgeber hätte jedoch auf sie blicken sollen. Er wäre auf dieselben Vorschriften gestoßen, bei denen man glauben könnte, dass sie durch die gleichen Verwaltungen geschrieben wurden. Angefordert durch dieselbe Meinung, dieselben Richter und dieselbe Polizei.“ 4
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Schlusswort der Arbeit
zwar auf zukünftig zu begehende Taten, jedoch fehlt es der Billigung weiterhin an einer besonderen Qualität, da kein Aufforderungscharakter vorhanden ist und kein Handlungsdruck ausgeübt wird. Die erforderliche besondere Qualität wird auch nicht durch den Verweis auf die Eignung einer Friedensstörung hergestellt; diese wird zwar weiterhin indiziert und durch Vermutungsregeln anerkannt, in der Praxis jedoch nicht explizit im Einzelfall festgestellt. Die Tendenz des Gesetzgebers, immer dann Tatbestandsmerkmale einzufügen, die er als „begrenzend“ darstellt, wenn er kaschieren will, dass solche Handlungen erfasst werden, die besonders stark in die Meinungsäußerungsfreiheit eingreifen und die lediglich die Schaffung eines bestimmten Klimas strafrechtlich ahnden und somit indirekte Motivationsdelikte darstellen, ist zu kritisieren. Außerdem bleibt die Problematik der Unbestimmtheit des Begriffs „Billigen“ bestehen. Gleiches kann für die Wiedereinführung der Sympathiewerbung gesagt werden. Wird allein das befürwortende Eintreten für eine Vereinigung, die Rechtfertigung ihrer Ziele oder die Verherrlichung ihrer Ideologie bestraft, kann darin keine besondere Qualität erkannt werden, die eine Zurechenbarkeit rechtfertigen würde. Auch lässt der Begriff aufgrund seiner Unbestimmtheit einen großen Ermessensspielraum zu. Über die Untersuchung der Motivationsdelikte und der Grenzen ihrer Ahndung im deutschen und französischen Recht hinaus wurde außerdem deutlich, dass letztendlich die sowohl von der deutschen als auch von der französischen Strafrechtslehre behaupteten Unterschiede zwischen dem „génie latin“ und dem „génie germanique“ nicht unüberbrückbar sind, dass die geäußerte Kritik an den jeweiligen Regelungen oder Lehren, sie seien – im Falle Frankreichs – zu pragmatisch oder – im Falle Deutschlands – zu dogmatisch, zu relativieren ist, und dass ein Austausch beider Lehren für beide Seiten durchaus förderlich sein kann, da beide vor den gleichen Problemen stehen.
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