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German Pages 240 Year 2014
Gertrud Lehnert, Alicia Kühl, Katja Weise (Hg.) Modetheorie
Fashion Studies | Band 2
Editorial Mode ist Motor und Ergebnis kultureller Dynamiken. Kleider gehören der materiellen Kultur an; Mode ist Ergebnis des Handelns mit Kleidern und wird in ästhetischen und alltagskulturellen Praktiken hervorgebracht. Als omnipräsente visuelle Erscheinung ist Mode wichtigstes soziales Zeichensystem – und sie ist außerdem einer der wichtigsten globalen Wirtschaftsfaktoren. Die Reihe »Fashion Studies« versteht sich als Forum für die kritische Auseinandersetzung mit Mode und präsentiert aktuelle und innovative Positionen der Modeforschung. Die Reihe wird herausgegeben von Gertrud Lehnert, Professorin für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft an der Universität Potsdam.
Gertrud Lehnert, Alicia Kühl, Katja Weise (Hg.)
Modetheorie Klassische Texte aus vier Jahrhunderten
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Vorwort | 9 1.
Einführung Historischer Überblick | 11 Thematischer Überblick | 24 Fokus 1: Mode und Gender | 24 Fokus 2: Mode und Kunst | 29 Fokus 3: Dinge | 34 Fokus 4: Präsentationsformen | 39 Fokus 5: Raum und Zeit | 47 Fokus 6: Globale Mode | 51
2.
Christian Garve Einleitung | 57 Über die Moden (1792) | 61
3.
Charles Baudelaire Einleitung | 67 Das Schöne, die Mode und das Glück (1863) | 71
4.
Friedrich Theodor Vischer Einleitung | 77 Mode und Cynismus (1879) | 81
5.
Thorstein B. Veblen Einleitung | 89 Theorie der feinen Leute (1899) | 92
6.
Georg Simmel Einleitung | 101 Philosophie der Mode (1905) | 105
7.
John Carl Flügel Einleitung | 113 Die Psychologie der Kleidung (1930) | 117
8.
Gilles Lipovetsky Einleitung | 127 Das Reich des Vergänglichen (1987) | 130
9.
Anne Hollander Einleitung | 139 Anzug und Eros (1994) | 142
10. Gertrud Lehnert Einleitung | 151 Der modische Körper als Raumskulptur (2001) | 154
11. Yuniya Kawamura Einleitung | 165 Die japanische Revolution in der Pariser Mode (2004), Fashion-ology (2005) | 168
12. Joanne Entwistle Einleitung | 179 Globale Ströme, lokale Begegnungen (2010) | 182
13. Elena Esposito Einleitung | 195 Originalität durch Nachahmung (2011) | 198
Literatur | 211 Quellennachweise | 237
»Trotz aller Wissenschaften bisher keine Philosophie der Kleider. Unverständlicherweise übersehen, dass der Mensch von Natur aus ein nacktes Tier ist.« Thomas Carlyle: Sartor Resartus (1833/34)
Vorwort
Dieses Buch ist vornehmlich als Arbeitsbuch für alle gedacht, die an Universitäten, an Kunsthochschulen und Modefachschulen über Mode arbeiten. Es richtet sich aber auch an Modeinteressierte im Allgemeinen, die mehr über das Phänomen Mode erfahren möchten. Im Zentrum stehen Ausschnitte aus wichtigen Originaltexten über Mode seit dem späten 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart, die von uns jeweils eingeleitet und kommentiert werden. Den ersten Teil des Buches bildet eine ausführliche Einführung zunächst in die historische Entwicklung und dann in zentrale Themenbereiche der Modetheorie. Ein Buch, das auf knapp 250 Seiten Modetheorien vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart sowohl in Originaltexten wie in Einführungen vorstellt, muss sich für bestimmte Perspektiven und eine Auswahl von Texten entscheiden. Die zwölf Originaltexte, die von uns ausgewählt wurden, lassen in ihrer Abfolge die Geschichte der modernen Modetheorie bis in die unmittelbare Gegenwart nachvollziehen. Sie machen anschaulich, wie sich bestimmte Themen im Laufe der Jahrhunderte wiederholen, verdichten oder auch verändern, andere hinzukommen und zuweilen – nicht zuletzt aufgrund veränderter Verhältnisse im Modesystem – ganz neue Perspektiven auf die Mode entwickelt werden. Mindestens so wichtig wie die historische Perspektive ist die Frage, welche Theorieansätze sich in den letzten Jahren als besonders fruchtbar für die Arbeit über Mode herausgestellt haben, welche zum Weiterdenken und natürlich auch zur kritischen Diskussion anregen. Das sind aus unserer Sicht beispielsweise die Entstehung und Verbreitung von Mode, das Verhältnis von Körper und Kleid, von Mode und Geschlecht sowie kulturelle Praktiken der Zuschreibung, Inszenierung oder Wahrnehmung. Die Texte von J.C. Flügel, Gilles Lipovetsky, Yuniya Kawamura, Joanne Entwistle und Elena Esposito wurden eigens für diesen Band übersetzt. Wir danken Dagmar Schadenberg für die Gestaltung des Covers und Olaf Martens für die Coverabbildung sowie Sonja Kull, Beatrice Miersch, Charlotte Silbermann und Maria Weilandt für anregende Diskussionen. Berlin, im Juli 2014, Alicia Kühl, Gertrud Lehnert, Katja Weise
1.
Einführung
H ISTORISCHER Ü BERBLICK Modetheorie ist die Bezeichnung eines Forschungsgebietes, das selbst KulturwissenschaftlerInnen nicht immer geläufig ist, da es nur an wenigen deutschen Universitäten mit eigenen Veranstaltungen wie Seminaren, Kolloquien oder Tagungen vertreten ist. Eher zu finden ist es an Modefachschulen, in denen die Theorie eigenständig oder als Teil des Fachs Modegeschichte vermittelt wird. In Anbetracht des in den letzten Jahren wachsenden wissenschaftlichen Interesses an der Mode soll das vorliegende Buch in zentrale Texte der letzten vier Jahrhunderte einführen, die sich in der Retrospektive als wichtige Bausteine dessen herauskristallisiert haben, was wir heutzutage Modetheorie oder Modewissenschaft nennen. ModetheoretikerInnen setzen sich im Allgemeinen mit der Frage auseinander, wie Moden entstehen. In dieser kurzen Fragestellung klingen bereits viele weitere Fragen an, wie die, was überhaupt unter Mode zu verstehen ist: Wie kann sie von der Tracht, vom Kostüm, vom Stil, vom Trend unterschieden werden? Wovon spricht man, wenn man von Mode redet: von Mode als materiellem Artefakt, als Kunstwerk, als System oder als kultureller Praxis? Im Zusammenhang mit dem Prozess des Entstehens von Moden stellen sich Fragen nach den Mechanismen, Regelmäßigkeiten, Ritualen und AkteurInnen, die daran beteiligt sind. Welche Auslöser gibt es für neue Moden, und warum und wann treten sie auf? Welche Gründe könnte es dafür geben, dass Individuen und Gruppen Moden folgen, und welche Auswirkungen haben Moden auf die Hervorbringung von Identitäten (einschließlich Geschlechtsidentitäten) sowie auf die Positionierung von Individuen in sozialen Gefügen? Die Modetheorie setzt sich aus den verschiedensten disziplinären Perspektiven zusammen: einer kulturanthropologischen (z.B. Simmel 1905; Loschek 1991; König 19991), psychologischen (z.B. Flügel 1930), semiologischen (z.B. 1 | Das Buch von 1999 entstand auf der Grundlage von Die Mode in der menschlichen Gesellschaft (1958), Kleider und Leute. Zur Soziologie der Mode (1967) und Macht und Reiz der Mode (1971).
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Barthes 2004 [frz. 1967]), ökonomischen (z.B. Sombart 1902), systemtheoretischen (z.B. Esposito 2004), gendertheoretischen (z.B. Lehnert 1994), einer ästhetischen und/oder performanztheoretischen Perspektive (z.B. Evans 2003; Lehnert 2013a). Es verwundert daher nicht, dass die WissenschaftlerInnen aus den unterschiedlichsten Disziplinen auch verschiedene Definitionen von Mode anbieten. Dabei gehen einige kulturanthropologisch oder historisch vor und finden einen Zeitpunkt, an dem Weichen für eine strukturelle gesellschaftliche Veränderung gesetzt werden, die Mode ermöglichen (z.B. Loschek 1991; Lehnert 1998b; Esposito 2004). Andere wiederum unterstreichen das Auftauchen bestimmter Motoren, Dualismen oder Paradoxien (wie Simmel 1905; König 1999; Esposito 2004) oder auch von institutionellen Kontexten (z.B. Kawamura 2004 u. 2005), um Mode zu definieren. Im Folgenden wird zunächst ein kurzer Abriss der Modetheorie vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart gegeben, in dem in chronologischer Ordnung zentrale Positionen zusammengefasst werden. Die ausgewählten zwölf AutorInnen, die im Hauptteil des Buches mit jeweils einem oder mehreren eigenen Textauszügen vertreten sind, haben nach unserem Erwägen wichtige und heute noch viel diskutierte Argumente und Ideen für die Modetheorie entwickelt.2 Im anschließenden zweiten Teil der Einführung werden einige für die Modetheorie wichtige Themenfelder skizziert. Die Schrift des deutschen Philosophen Christian Garve (1987 [1792]) bildet den Auftakt unserer Geschichte der Modetheorie, weil sie den Anfang der modernen Mode und einer modernen Reflexion über sie markiert. Im 18. Jahrhundert tritt eine wesentliche Veränderung gesellschaftlicher Strukturen ein, die – wie Elena Esposito (2004) eindrücklich beschreibt – bereits im 17. Jahrhundert begonnen hatte. In Europa vollzieht sich der Schritt in die gesellschaftliche Moderne: Die stratifikatorische, also standesbezogene Gesellschaft wandelt sich in eine funktional organisierte, und das Bürgertum entwickelt sich langsam zur kulturtragenden Schicht. In einer Doppelbewegung der Absetzung von der Aristokratie und ihrer gleichzeitigen Nachahmung entwickelt es eigene Normen und ein neues, von bürgerlichen Tugenden bestimmtes Menschenbild. Individualismus wird zur treibenden Kraft, neue Geschlechter- und Familienkonzepte bildeten sich aus, und langsam entsteht auf der Grundlage beginnender Industrialisierung auch das, was wir heute Konsumkultur nennen. Schon Garve beklagt hellsichtig, dass man für Geld alles kaufen könne, sogar den Geschmack – womit er das Dilemma des Bürgertums, konkreter des Mittelstands, benennt, das nicht über eine jahrhundertelang gewachsene kulturelle Kompetenz und geschmackliche Sicherheit verfügte wie die Aristo2 | Die im Folgenden fett hervorgehobenen AutorInnen sind diejenigen, die im Hauptteil näher besprochen werden.
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kratie. Die historische Folge davon war, dass der Geschmack zunehmend an SpezialistInnen delegiert wurde – so bildete sich im Laufe des 19. Jahrhunderts das heute dominante Spezialistentum von ArchitektInnen, ModeschöpferInnen usw. heraus, und damit auch ein kommerzielles System, das nur mehr die Kaufentscheidung verlangt, aber keine kreativen Fähigkeiten mehr voraussetzt (vgl. Sennett 1983 [engl. 1977]). Der Modewechsel liegt laut Garve in der natürlichen Unruhe und Veränderungslust der Menschen und diene der angestrebten Verschönerung ihres Lebens und der Anzeige ihres Wohlstands und ihrer Klassenzugehörigkeit. Mit der Erkenntnis, dass das Prinzip der Mode die Gleichzeitigkeit von Nachahmung und Differenzierung von anderen sei, nimmt der Philosoph des 18. Jahrhunderts die Formulierung dieses zentralen Motors der Mode durch Georg Simmel Anfang des 20. Jahrhunderts vorweg. Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt eine Phase, die weiteren Auseinandersetzungen Nährboden bietet: Es bildeten sich der Beruf des Modeschöpfers bzw. der Modeschöpferin und der des Mannequins heraus, erstmals verkörpert durch Charles Frederick Worth und seine Frau und Vorführdame Marie Vernet. Ihnen wird die Begründung der Haute Couture zugeschrieben sowie die Idee, Mode (halb-)öffentlich zu präsentieren. Zeitgleich war es durch den vermehrten Einsatz von Webstühlen möglich, Mode industriell und in Konfektionsgrößen massenhaft herzustellen. Schon bald behauptete sich Paris als Hauptstadt der Haute Couture – nicht zuletzt als Folge des Nachwirkens der höfischen Mode und der Gründung der Chambre Syndicale de la Confection et de la Couture pour Dames et Fillettes 1868 – und Berlin als Zentrum der Konfektionsmode. Diese Veränderungen nahmen Historiker wie Jakob von Falke (1858) und Hermann Weiss (1860-1872) zum Anlass, die Geschichte von Moden und Trachten seit der Antike aufzuarbeiten; sie etablierten damit die Kostümkunde. Für das 20. Jahrhundert sind in diesem Bereich insbesondere die Arbeiten Max von Boehns (1908-1923), Ingrid Loscheks (1991) und René Königs (1999) zu nennen. Weitere Impulse kommen aus der Philosophie, den Rechtswissenschaften, der Soziologie und schließlich aus der Literatur. Der Philosoph Friedrich Theodor Vischer (1859 u. 1879) und der Lyriker Charles Baudelaire (1988 [frz. 1863]) bieten zwei sehr unterschiedliche Blicke auf die Mode. Baudelaire sieht ähnlich wie Garve in der Mode den Versuch der Menschen, die (hässliche) Natur zu überwinden, indem sie nach einem Ideal (von Schönheit) streben und dies durch Kunst und Künstlichkeit verwirklichen. Modisches Handeln, das nicht nur die Bekleidung, sondern auch alle anderen Körperpraktiken umfasse, trage zur Identitätskonstruktion und Zivilisierung der Menschen bei. Baudelaire lässt ein Verständnis von Mode als kulturelle Praxis anklingen, das erst im 20. Jahrhundert wieder aufgegriffen wird.
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Vischer hingegen schwebt ein ideal(isiert)er männlicher bzw. weiblicher Körper vor, dessen »natürliche« Formen der Mode als gestalterisches Vorbild gelten sollen. Seines Erachtens bewerkstellige dies die antike Mode auf beispielhafte Weise. Einigen modischen Abweichungen von diesem »natürlichen Gesetz«, allen voran der Krinoline, widmet er lange, zynische Traktate. Seine reaktionären Ausführungen müssen vor der zu dieser Zeit geführten Debatte über die sogenannte ›Frauenfrage‹ gelesen werden. Insbesondere durch zunehmende emanzipatorische Initiativen von Frauen, die ihre gleichberechtigte kulturelle und politische Beteiligung an der Gesellschaft forderten, wurden Frauen im öffentlichen Raum immer präsenter. Die Eröffnung von Warenhäusern und Weltausstellungen begünstigten zudem die Möglichkeit, aktiv am öffentlichen Leben teilzunehmen. Dieser Prozess ging natürlich mitnichten ohne eine jahrzehnte-, wenn nicht sogar jahrhundertelange Auseinandersetzung mit traditionellen, meist frauenfeindlichen Denkmustern einher, für die Vischer als Paradebeispiel steht. Trotz seiner verhöhnenden und misogynen Haltung erkennt Vischer dennoch wesentliche Aspekte und Motoren des Modewechsels: die nivellierende Kraft der Mode, ihre Schnelllebigkeit in Städten und ihr Potential, als Indikator für gesellschaftliche Veränderungen zu bestimmten Zeitpunkten zu fungieren. Der Rechtswissenschaftler Rudolph von Ihering (1905 [1877]) betont in seiner Abhandlung das soziale Motiv der Mode, indem er feststellt, dass die Mode als Instrument der Herstellung von Zugehörigkeit zu »bestimmten Kategorien von Personen« geeignet sei, aber auch zur Abgrenzung von unteren Schichten. Diesen bereits von seinen Vorgängern erkannten Dualismus verortet von Ihering nun in einem größeren sozialen Zusammenhang. Er erkennt die der Mode eigentümliche Dynamik des Heruntersickerns von höheren Schichten in die nächst unteren, was man später das Trickle-Down-Prinzip nennen wird. Als weiterer Autor des 19. Jahrhunderts ist der amerikanische Soziologe Thorstein B. Veblen (2007 [engl. 1899]) anzuführen. Unter dem nach ihm benannten Veblen-Effekt werden seine Erkenntnisse hinsichtlich des Geltungskonsums der »feinen Leute«, insbesondere feiner Frauen, subsumiert. Sie würden die Mode als Mittel dazu nutzen, um ihren Reichtum (bzw. den ihres Mannes) sowie ihre arbeitsfreie Zeit zu demonstrieren – stellvertretend für ihre Männer, die sich den ernsteren Dingen des Lebens widmen und fortan nur noch korrekte Kleidung tragen: den Anzug, der nicht mehr als Mode gilt. Die Begleiterscheinungen der vorangeschrittenen Industrialisierung machten sich auch in der Mode des 20. Jahrhunderts mehr und mehr bemerkbar: Die Massenherstellung von Mode wurde nach wie vor in Berlin bis zum 2. Weltkrieg stark forciert und Paris baute seine Vormachtstellung für die Haute Couture immer weiter aus. Durch Raubkopien und Lizenzverkäufe nach Amerika entwickelte sich jedoch das New Yorker Prêt-à-porter zu einer bemerkenswer-
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ten Konkurrenz für die Pariser Haute Couture.3 In den sechziger und achtziger Jahren kam die Konfrontation der Mode und ihrer etablierten Strukturen mit subkulturellen Impulsen aus London hinzu, die diese Stadt nunmehr als avantgardistische Modemetropole auszeichnen sollten. Neben der Philosophie und Soziologie öffneten sich in diesem Jahrhundert viele weitere Disziplinen dem Thema Mode, wie z.B. Ökonomie, Psychologie, Kunstgeschichte, Gendertheorie, Kulturwissenschaft sowie Literatur- und Theaterwissenschaften. Mode wurde von den WissenschaftlerInnen vermehrt als ein (groß-)städtisches Phänomen erkannt, das von der zunehmenden Schnelllebigkeit, Technisierung und Mobilität in Metropolen sowie durch die mediale Verbreitung in Zeitungen bzw. Zeitschriften und später in digitalen Formaten profitierte. Der deutsche Ökonom Werner Sombart (1902 u. 1913) bringt den Modewechsel mit der Industrialisierung, Kapitalisierung und Verstädterung Europas zusammen, die eine Uniformierung des Geschmacks zur Folge hätten. Sobald eine Geschmacksveränderung eine Umgestaltung des Bedarfs einer Generation bewirke, sei laut Sombart von einer Mode zu sprechen. Die vehemente und alle Gegenstände einnehmende Verbreitung der Mode liege dabei nicht in der Hand der KonsumentInnen, sondern in der der kapitalistischen Unternehmer, genauer der großen Detailhandelsgeschäfte. Die Entstehung des Kapitalismus bringt er wiederum polemisch mit dem Luxusbedürfnis und dem erotischen Einfluss der Frauen in Verbindung, die die Männer zu immer größeren Ausgaben für ihren Luxus verführten. Georg Simmel (1905) beschäftigt sich zeitgleich auf nicht ganz so kulturpessimistische Weise mit den Phänomenen und Themen der Moderne, wie der Geldwirtschaft, der Großstadt, der Frau, der Mode und der Koketterie, um nur einige zu nennen. Ihm wird die Erkenntnis vom Dualismus der Mode, d.h. der Nachahmung und Differenzierung, zugeschrieben, die allerdings schon zuvor formuliert worden war, zum Beispiel von Christian Garve (1792). Neu sind u.a. Simmels Überlegungen zur zyklischen Wiederkehr von Modedesigns: vergangene Moden würden aus Gründen der »Kraftersparnis« zitiert und kombiniert. Auch findet er eine andere Erklärung des angeblich übermäßigen Modeinteresses der Frauen als Veblen: Da ihnen im Gegensatz zu den Männern Tätigkeiten in Beruf und Öffentlichkeit verwehrt seien, ›entschädigen‹ sie sich durch extravagante Kleidermoden. Bis heute werden Simmels Ausführungen allseits zitiert und differenziert (z.B. durch König 1999 oder Esposito 2004). Den wechselseitigen Zusammenhang von der wachsenden Konsumkultur, die immer neue Bedürfnisse weckt, und dem Modekonsum der bürgerlichen Frauen nimmt er dabei freilich nicht in den Blick. 3 | Bereits um die Jahrhundertwende sind diese Tendenzen offensichtlich, wie Nancy Troy (2004) am Beispiel Poirets herausgearbeitet hat.
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Walter Benjamins Beitrag zur Modetheorie, entwickelt im in den 1930er Jahren verfassten Passagenwerk (1983), besteht zum einen in der kühnen und seither auch nur selten4 wieder aufgegriffenen Annahme, die Mode habe einen antizipatorischen Charakter. Diejenigen, die ihre Zeichen zu lesen verstünden, können gar Kriege und Revolutionen voraussehen. Zum anderen macht Benjamin den dialektischen Charakter der Mode stark: Das Neue einer Mode werde nur sichtbar, wenn es sich vom Alten unterscheiden und abgrenzen könne. Alt und neu bedingen sich damit gegenseitig und seien als ein Ergebnis sozialer Aushandlungen zu verstehen. Damit zeichnet sich die Mode bei Benjamin durch ihre Prozesshaftigkeit und Performativität aus – ein Gedanke, der vor allem bei Gertrud Lehnert 70 Jahre später wieder ins Zentrum rückt. Der Brite John Carl Flügel (1930) beschäftigte sich als erster Psychoanalytiker in anthropologischer Manier mit dem Sinn und der Signalwirkung von Kleidung in europäischen und außereuropäischen Kulturkreisen. Von den drei Funktionen der Kleidung Scham, Schutz und Schmuck stellt er letzteren Aspekt in den Mittelpunkt, da dieser insbesondere der Hervorhebung der Sexualorgane diene und der Mensch eine grundlegende exhibitionistische Veranlagung habe. Des Weiteren fungiere die Kleidung vor allem der Frauen als Erweiterung ihres Körpers und diene dem Füllen von Lücken, welche beispielsweise aufgrund des fehlenden Penis zwischen den Beinen bestünden. Die Entwicklung der Mode zu einer frauendominierten Sphäre bedauert Flügel, er sieht den Rückzug der Männer eher als »großen männlichen Verzicht«, im Gegensatz zu Vischer, Simmel und Veblen, für die sich darin die Erfüllung durch gesellschaftlich ›relevantere‹ Tätigkeiten ausdrückt. In den 1950er Jahren widmete sich der deutsche Soziologe René König in seiner Modegeschichte von den prähistorischen ›Primitivkulturen‹ bis zur Gegenwart wieder dem Wechselspiel von Innovation und Experiment sowie dem Leitmotiv der Selbstzerstörung. Dieses Paradox der Mode, dass sie ihre eigene »Totengräberin und Geburtshilfe« sei, verdeutlicht ihre ununterbrochene Reflexivität, ihre kontinuierliche Selbstprüfung und die immerwährende Renovierung ihrer selbst. Einen völlig neuen und seitdem auch selten wieder aufgegriffenen Ansatz entwickelte der französische Strukturalist Roland Barthes (2004 [frz. 1967]), der Begründer der Modesemiotik, die etwa von Patricia Calefato (2006) oder Antonella Giannone (2005) bzw. beiden (Giannone u. Calefato 2005) weiter geführt worden ist. Barthes untersuchte die Mode in Form einer zeichentheoretischen Analyse von Modekommentaren aus Zeitschriften wie der Elle, Echo de la Mode, Jardin des Modes und Vogue des Jahrgangs 1958/59. Die geschriebene Sprache diene dazu, der Kleidung Bedeutung zu verleihen und diese zu kommunizieren. Durch die Kommentare entstehe eine spezifische Modekenntnis, 4 | Wieder aufgegriffen z.B. in Loschek 2008 und Haberler 2012.
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die durch den bloßen Anblick der abgebildeten Kleidung nicht gewährleistet werden könne. Ohne die Sprache der Mode gäbe es nur Kleidung, denn erst durch Sprache werde Kleidung zu Mode. Mode werde als Text gelesen, freilich als Text, der immer nur das gleiche bedeutet, nämlich Mode. Denn alle Details laufen doch immer nur auf diese eine Aussage zu. Die Materialität der vestimentären Artefakte spielt hier keine Rolle mehr. Wenn heute – ganz unabhängig von der Semiologie – von Zuschreibungspraktiken innerhalb des Modesystems die Rede ist, die überhaupt erst Kleider zu Mode machen, kann man das als fernes Echo der Semiotik Barthes’ verstehen. Die Studentenrevolten, die sexuelle Revolution und die Herausbildung von Moden durch Jugend- und Subkulturen regten zu neuen Überlegungen an: Herbert Blumer (1969) bekräftigte eine soziologische Betrachtung von Mode, die seines Erachtens und zu seinem Bedauern seit Simmel vernachlässigt worden sei. Während sich Simmel auf den Trickle-Down-Prozess von Moden konzentrierte, setzt Blumer den Fokus auf kollektive Selektionsprozesse, die klassenunabhängig in Gruppen zutage träten, sodass sich einzelne Geschmacksrichtungen herausbilden würden. Mitglieder dieser Gruppen bewegen sich dabei in spezifischen sozialen Kontexten, sodass die von ihnen ausgehandelten Moden in ständiger Wechselwirkung zu anderen gesellschaftlichen Ereignissen stünden. Laut Blumer könne die »Reaktionsfreudigkeit« der Mode als zentraler Aspekt dessen gesehen werden, was unter Zeitgeist zu verstehen sei – und dies mache Mode immer zu etwas Modernem. Die Herausbildung von Geschmacksrichtungen, die einzelne Individuen miteinander vereinen, zeige gleichzeitig die Macht der Mode, Zugehörigkeit und damit Ordnung zu erschaffen, die den Individuen als Orientierung diene. Die SoziologInnen Gilles Lipovetsky (1987), Caroline Evans (2003) und Elena Esposito (2004) werden später auf diese Sicht auf die Mode als Instrument zur Kontingenzbewältigung zurückkommen, und Pierre Bourdieu nimmt zehn Jahre nach Blumer die Frage der Geschmacksbildung wieder auf. Vor kulturkritischem Hintergrund eröffnete der Philosoph Theodor W. Adorno (1970) eine neue Perspektive auf die Mode. Im Fokus seiner Überlegungen steht ihr Verhältnis zur Kunst. Gemeinsam seien der Kunst und der Mode zwei Aspekte: zum einen die Sensibilität für die Zeit und somit die Funktion als Spiegel der Gegenwart; zum anderen die Ablehnung von Provinzialismus. Die Kunst nutze die Mode als Filter von Zeitgeschehen und als Wegweiser in die Zukunft. In den Folgejahren bis heute gewann die Auseinandersetzung über das Verhältnis von Mode und Kunst große Beachtung. Der französische Philosoph Jean Baudrillard (1982 [frz. 1976]) akzentuiert den postmodernen Charakter der Mode, der ihm in Dekonstruktion und Rekombination von Elementen vergangener Moden offensichtlich wird. Dabei arbeitet er für die Mode eine besondere Ästhetik der Wiederholung aus: Sie sei im Grunde nie aktuell, weil sie stets alte Formen wiederverwerte (vgl. auch
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Simmel 1905). Durch die ständige Wiederaufnahme gingen die Verweise auf Signifikate verloren, und so würden sich in den aktuellen Moden bezugslose Signifikanten stapeln, was eine Sinnentleerung der Mode zur Folge habe. Der US-Amerikaner Richard Sennett (1983 [engl. 1977]) kehrte derweil zu klassischen Fragen der Soziologie zurück, wie beispielsweise die nach der Rolle von Mode für soziale Konstellationen. Seine breit rezipierte These lautet, dass seit dem 19. Jahrhundert die öffentliche Sphäre von einem Verfall geprägt sei, hervorgerufen durch die Ausweitung des privaten Bereichs. Da Kleider nicht mehr – wie in Zeiten der Kleiderordnungen – eindeutig lesbar seien, beruhen Identitätsbildungen u.a. auf selbstdarstellerischen, modischen Inszenierungen Einzelner auf der Straße sowie auf der Herausbildung sich ständig verändernder Kleidercodes. Die Kunsthistorikerin Anne Hollander (1978 u. 1994) arbeitet zunächst anhand von Kunstwerken seit der Antike den Einfluss zeittypischer Kleidung auf die Darstellung von (nackten) Körpern und Silhouetten heraus. In der späteren Publikation konstatiert sie, dass die Männermode nicht im dunklen Anzug stagniere und die Beschränkung auf den in Grundzügen über Jahrhunderte identischen Anzug kein Zeichen männlichen Verzichts sei (vgl. Flügel 1930), sondern dass die Kleidung von Frauen wie Männern eine intensive Wechselwirkung mit dem tragenden Körper eingehe und maßgeblich zur sexuellen Attraktivität beider Geschlechter beitrage. Die Diskussion um den kollektiven Mode-Geschmack wurde von Sombart (1902) angefacht und nach Blumer (1969) vom französischen Soziologen Pierre Bourdieu (1982 [frz. 1979]) intensiviert. Er sieht Geschmacksbildungen als Folge von Sozialisierungen und der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Feldern: Individuen mit einem ähnlichen sozialen Hintergrund schließen sich aufgrund der Herausbildung eines ähnlichen Geschmacks zu Gruppen zusammen und können sich von den Individuen anderer Gruppen auf diese Weise differenzieren. Diese Prozesse haben die Herausbildung eines »Systems ästhetischer Positionen« zur Folge. Blumer und Bourdieu bieten damit eine Alternative zu Simmels Trickle-Down-Theorie, nach der die Verbreitung von Moden in Form einer Abwärtsbewegung geschieht, da die Differenzierung immer gegen die eigene und die nächst niedere soziale Stufe gerichtet sei und die Nachahmung sich immer an der eigenen und der nächst höheren orientiere. Blumer und Bourdieu sehen keine so starke Orientierung mehr an ›oben‹ oder ›unten‹ auf vertikaler Linie, sondern an Individuen im eigenen sozialen Umfeld. Mittlerweile wird diese Art der Verbreitung Trickle-Across genannt (vgl. Schnierer 1995). Aus kulturwissenschaftlicher Sicht zeichnet Elizabeth Wilson (1985) die Geschichte der Mode in Wechselwirkung mit Industrialisierung, Kapitalisierung, Urbanität und Modernität nach und rückt erstmals dezidiert gendertheoretische Fragestellungen in den Fokus. In den 1990er Jahren sollten solche, vor allem durch Judith Butler (1990) angeregte, Diskussionen sowohl in
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der englisch- als auch deutschsprachigen Modeforschung überwiegen (wie z.B. bei Steele 1985a; Vinken 1993; Lehnert 1994; Wolter 1994; Gaugele 2002). Seit der Jahrtausendwende ist zu beobachten, dass der Diskurs um Männlichkeit(en) zum Forschungsschwerpunkt einiger AutorInnen avanciert ist (z.B. Entwistle 2004; Breward 2007; McNeil u. Karaminas 2009). Auch lesbischschwule Mode bzw. Queerness erfährt langsam Beachtung (Geczy u. Karaminas 2013; Steele 2013). Die Modehistorikerin Valerie Steele (z.B. 1985a, 1996, 2012 u. 2013) beschäftigte sich zunächst mit der Erotik in der Mode des Viktorianischen Zeitalters; später untersuchte sie konkrete materielle Artefakte aus der Fetisch-Szene wie das Korsett, High Heels oder spezifische Unterwäsche. Der spielerische Umgang mit solchen Elementen im Design anerkannter ModeschöpferInnen (wie z.B. bei Vivienne Westwood) lieferte für Steele Erkenntnisse über das Verhältnis von Kleidung zur Sexualität und zu sexueller Perversion. Neuerdings widmet sie sich dem Beziehungsgeflecht von Kunst und Mode, das auch von anderen AutorInnen in den letzten Jahren ein reges Interesse erfahren hat (z.B. Graw 2004; Teunissen 2009; Leutner 2011). Im Unterschied zu Simmel, Blumer, Baudrillard und Bourdieu macht der französische Soziologe Gilles Lipovetsky (1987) nicht den soziale Zugehörigkeit schaffenden Aspekt der Mode stark, sondern den individuellen Zugewinn durch das ästhetische Vergnügen an der Kleidung. Wie später auch Elena Esposito, sieht er in der ständigen Suche der Individuen nach dem Neuen und Flüchtigen eine Kontinuität, die nicht nur den Individualismus bestärke, sondern auch zur Festigung einer liberalen und demokratischen Gesellschaft beitrage. Ingrid Loschek (z.B. 1991, 2007 u. 2008) beschäftigte sich zunächst mit einer kulturanthropologischen Aufarbeitung des Phänomens Mode über die Jahrtausende, wobei sie, ähnlich wie Flügel, die Funktionen Schutz, Scham und Schmuck besonders diskutiert. Später untersucht sie die Frage, wie es zu Invention und Innovation in der Mode kommt und welche Rolle dabei die Kreativität der DesignerInnen spielt. Demnach seien Inventionen die Ideen und Modelle, die ModeschöpferInnen entwerfen, Innovationen dagegen die verkäufliche Umsetzung, d.h. die Wertschätzung dieser Entwürfe durch KonsumentInnen. Loschek sieht in dem Wunsch, Inventionen zu schaffen, die Neugierde und Experimentierfreude der Menschen, die sich immer wieder nach Abwechslung sehnen. Die Invention komme dabei nicht ohne Kreativität, Erfahrungswerte und gestalterische Freiheit seitens der DesignerInnen zustande. Auch Fred Davis (1992) setzte sich mit der Einführung von neuen Moden in einer Gesellschaft auseinander, wobei er insbesondere durch den symbolischen Interaktionismus von Herbert Blumer beeinflusst wurde. Unter anderem entwickelte er ein Fünf-Phasen-Modell der Verbreitung von Mode, wel-
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ches gerne in Diskussionen um Inventionen und Innovationen aufgegriffen und diskutiert wird (z.B. bei Loschek 2007 oder Haberler 2012). Ein recht neues Schlaglicht warf Jennifer Craik (1993) auf das Forschungsfeld der Mode, indem sie Mode, Schmuck und Make-up als Körpertechniken besprach. Diese Perspektive wurde zuvor von Baudelaire (1988 [frz. 1863]) und Hollander (1978) angedeutet, und später durch Joanne Entwistle und Elizabeth Wilson (2001) weitergeführt. In einer breit rezipierten Publikation übernimmt die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken (1993) Gilles Lipovetskys Einteilung der Modezyklen und macht sie zum Ausgangspunkt der These, dass die Ära der sogenannten »mode de cent ans« (ca. 1860-1960) mit der Ankunft japanischer DesignerInnen in Paris und dem Dekonstruktivismus im Modedesign ein Ende gefunden habe und von der »Mode nach der Mode« abgelöst wurde. Während die Frauenmode in der hundertjährigen Ära auf die Bekleidung der Männer rekurriere und die ModeschöpferInnen versuchten, weibliche Pendants zu ihnen zu erschaffen, werden in der »Mode nach der Mode« die Verweise auf andersgeschlechtliche Moden nun nicht mehr als scheinbar natürliche und harmonische Übernahmen präsentiert, sondern in ihrer Differenz sichtbar gemacht. Während die »mode de cent ans« vergangene Mode zyklisch wiederbelebe, bestimme die »Mode nach der Mode« ein neues Verhältnis zur Zeitlichkeit. So seien die Kreationen seit den späten 1970er Jahren nicht nur Kommentare über Kleider, d.h. Zitationen, Dekonstruktionen und Kombinationen ›alter‹ Stilelemente, sondern auch von ihrer eigenen Reflexivität geprägt, also der Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Herstellung, ihrer Vorgeschichte und auch mit ihrer Vergänglichkeit. Des Weiteren proklamiert Vinken, dass die »Mode nach der Mode« nicht mehr eine von oben nach unten sickernde Bewegung sei, sondern die Haute Couture nun Impulse von der Straße adaptiere und nachahme. Mit der Übertragung von Theorien des Performativen auf die Mode bietet die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Gertrud Lehnert (z.B. 1994, 2004, 2006a u. 2013a) ein neues Verständnis von Mode als kulturelle Praxis an. Kleidung werde erst dann zu Mode, wenn sie von Individuen auf unterschiedlichste Weise verhandelt wird – durch ein »performatives Potential« der Modekleider, das zu unterschiedlichen Handlungen und Zuschreibungen führen kann. Kleider müssen getragen werden, um Mode zu werden, und es müssen ihnen bestimmte Fähigkeiten zugeschrieben werden. Sie machen Versprechen auf ein »Anderes« und fungieren als kulturelle Wunschproduzenten. In diesem Zusammenhang sei Mode auch als ästhetische Arbeit zu begreifen: Sie diene der ästhetischen Gestaltung der eigenen Person und funktioniere auf allen Ebenen ihrer Aufführung insbesondere über bzw. als die Erzeugung von Atmosphären. Durch das Zusammenspiel von Kleid, Körper und sozialer Interaktion in zeitlichen und räumlichen Gefügen entstehen »Modekörper«,
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die mehr seien als die Summe ihrer Teile und über die Individuen u.a. ihre (Geschlechts-)Identität konstituieren. Während das Ende des 20. Jahrhunderts insbesondere von gendertheoretischen Fragestellungen geprägt war, verlagerte sich der Schwerpunkt der Modewissenschaften zu Beginn des 21. Jahrhunderts zunehmend in die Richtung, die Gertrud Lehnert in Deutschland angestoßen hatte: in die Performanzund Raumtheorie (z.B. Quinn 2003; Potvin 2009; Schlittler u. Tietze 2009 u. 2013; Lehnert 2012b). Vermehrt sind in diesem Zusammenhang auch solche Publikationen vertreten, die sich mit Modeausstellungen aus kuratorischer Perspektive beschäftigen (z.B. Taylor 2004; Beiträge im Fashion Theory Sonderheft »Fashion Curation« 2008; de la Haye 2012; Clark, de la Haye u. Horsley 2014). Des Weiteren werden – im Zeichen der Digitalisierung und Technisierung, die seit den 1980ern in der Mode(präsentation) für einige Umwälzungen gesorgt haben – neue Ansätze aus den Medien- und Bildwissenschaften präsentiert (z.B. Evans 2000; Devoucoux 2007; Khan 2012a u. 2012b). Der Fokus auf den Inszenierungsformen (in Räumen oder Bildern) zeigt, dass nun nicht mehr nur Kleidung und Körper untersucht werden, sondern auch die Elemente, die den Kontext des Sich-Bekleidens als kulturelle Praxis bilden. Es verwundert daher nicht, dass sich einige AutorInnen eher (häufig auf der Grundlage empirischer Untersuchungen) ganzheitlichen Erklärungen des Modezyklus und seinen AkteurInnen, Institutionen und Prozesse gewidmet haben (z.B. Kawamura 2004 u. 2005; Entwistle 2010; Mears 2011; Entwistle u. Wissinger 2012). In jüngster Zeit beschäftigen sich ModetheoretikerInnen mit zeitgenössischen Entwicklungen wie Modeblogs, dem Trend zur Nachhaltigkeit (z.B. Black 2008 u. 2012; Wanders 2009; Fletcher u. Grose 2012) sowie mit Globalisierungstendenzen (z.B. Riello u. McNeil 2010). Außerdem gehen immer mehr AutorInnen auf die Neuerungen ein, die durch die Entwicklung neuer Materialien, der sogenannten Techno Textiles, heute und in Zukunft ermöglicht werden (z.B. Gaugele u. Eisele 2006; Wolter 2009; Quinn 2010 u. 2012). Caroline Evans (z.B. Evans u. Thornton 1989; Evans 2000, 2003 u. 2013) begann mit gendertheoretischen Fragestellungen und ist die erste Modeforscherin, die sich – seit der Jahrtausendwende – zentral der Aufarbeitung der Geschichte der Modenschau widmet. Neben den historischen Analysen der frühen »mannequin parades« untersuchte sie zeitgenössische Mode und ihre (Re-)Präsentationsformen daraufhin, inwiefern sie Bilder produzieren, die die Ängste und Pathologien unserer westlichen Kultur widerspiegeln. Sie ermittelte einige ›dunklen Motive‹, wie »disconnection«, »trauma« oder »dereliction«, unter die sie bestimmte Moden, Präsentationen oder Bilder einordnete. Mode biete dabei nicht nur Raum zur Reflektion, sondern auch Sinn- und Identitätsstiftungen in Postmoderne und Gegenwart. In Ergänzung zu Blumer (1969)
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und Lipovetsky (1987) konstatiert Evans, dass nicht nur die Mode, sondern auch die durch sie oder von ihr evozierten Bilder als Kontingenzbewältigung in der heutigen Gesellschaft funktionieren. Zu einem ähnlichen Schluss, dass Mode den Umgang mit Kontingenz erleichtere, gelangt die italienische Soziologin Elena Esposito (2004 u. 2011) auf systemtheoretischer Grundlage. In Rückgriff auf die Dualismen der Mode, deren Theoretisierung insbesondere Simmel (1905) zugeschrieben wurde, formuliert Esposito mehrere typische Paradoxien und stellt zudem heraus, wie diese sich gegenseitig neutralisieren können. Um die Komplexität der ineinander greifenden Paradoxien zu fassen, nähert sich Esposito der Mode mithilfe der Luhmann’schen Theorie sozialer Systeme. Ausschlaggebend für die Herausbildung der Mode sei der Umbruch zur Moderne, der durch den Übergang von der Stratifikation zu einer Differenzierung in Funktionssysteme geprägt sei. Dieser Umbruch habe zur Folge, dass Individuen nun in einer instabilen Welt aufgrund fehlender Strukturen dazu gezwungen seien, sich selbst und andere zu beobachten und Perspektivenwechsel zu erlernen. Die Mode biete eine Struktur an, die trotz ihrer Wechselhaftigkeit eine verbindliche und somit Stabilität schaffende Größe darstelle. Yuniya Kawamura (z.B. 2004 u. 2005) versteht Mode als ein System von Institutionen, Organisationen, Gruppen, Individuen, Events und Praktiken. Ausgehend von einer (empirischen) Untersuchung der französischen Modebranche trifft sie dabei die grundlegende Unterscheidung zwischen dem »system of fashion« und dem »system of clothes«. Während es im Kleidungssystem um die Produktion materieller Artefakte geht, die ständig durch neue ersetzt werden müssen, werden im Modesystem symbolische Zuschreibungen immer auf ähnliche Weise hervorgebracht. Damit eine Kleidung, die zunächst nur dem Kleidungssystem zuzuordnen ist, zu Mode werde, müsse sie von den am Modesystem beteiligten AkteurInnen, wie FotografInnen, JournalistInnen und EinkäuferInnen, als solche etikettiert werden. Kawamura betont damit in der Tradition von Sombart (1902), Blumer (1969) und Bourdieu (1982) kollektive Selektions- und Aushandlungsprozesse, statt Mode ausschließlich als Produkt der Genialität der DesignerInnen zu sehen. Die britische Soziologin Joanne Entwistle (z.B. 2000, 2004 u. 2010) schließlich misst den AkteurInnen der Modebranche ebenfalls eine zentrale Rolle in der Hervorbringung von Mode bei. In größtenteils empirischen Studien legt sie dar, wie ästhetisches Ideengut und Wissen definiert, bewertet und in Umlauf gebracht werden. Dabei greifen ihre aktuelleren Publikationen stets auf die in ihrem ersten Buch (2000) entwickelte Körper-Kleid-Theorie zurück, wonach Körper und Kleid in einem ständigen Wechselverhältnis zueinander stehen: Der agierende Körper schreibe sich in Kleider ein, und Kleider lösen bestimmte Körperpraktiken erst aus. Ein die Modebranche in Gang haltendes, »implizites, ästhetisches Wissen« werde laut Entwistle durch die gemeinsame
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Anwesenheit von EntscheidungsträgerInnen verbreitet, da es sich an ihre Körper, gewissermaßen als sein Vehikel, haften könne (Entwistle 2010). In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Auseinandersetzung mit Mode zu Erkenntnissen von Regelmäßigkeiten, Prozessen, Motiven etc. geführt hat, die wiederum in anderen Forschungsgebieten Anwendung finden. Bradley Quinn (2003) beispielsweise deckte Wechselwirkungen zwischen Architektur und Mode auf; Isabelle Graw (2004), und Petra Leutner (2011) zwischen Kunst und Mode. Wie in den in diesem Band besprochenen Texten deutlich wird, haben modetheoretische Perspektiven mittlerweile auch auf die Organisationstheorie Einfluss (Esposito 2011) oder können dazu dienen, Akteur-NetzwerkTheorien zu modifizieren (Entwistle 2010). Dem Studium der Mode sind offensichtlich keine Grenzen mehr gesetzt. Während Fashion Theory in Großbritannien und in den USA zu einer festen Größe im Lehrangebot der Modefachschulen und Universitäten avanciert ist und Valerie Steele nunmehr schon seit 1997 die Zeitschrift Fashion Theory herausgibt, sind im deutschsprachigen Raum mittlerweile ähnliche Tendenzen zu beobachten. Der vorliegende Band ist die zweite Publikation der von Gertrud Lehnert herausgegebenen Reihe »Fashion Studies«, die sich ausschließlich modetheoretischen Themen widmet. Die Dissertationen von Katja Weise und Alicia Kühl wurden in das interdisziplinäre DFG-Graduiertenkolleg »Sichtbarkeit und Sichtbarmachung. Hybride Formen des Bildwissens« eingebunden, wodurch die Akzeptanz von modetheoretischen Fragestellungen auch in der deutschen Wissenschaftslandschaft deutlich wird. Schließlich soll auch auf den von Gundula Wolter 2008 ins Leben gerufenen Verein netzwerk mode textil – Interessenvertretung der kulturwissenschaftlichen Textil-, Kleider- und Modeforschung e.V. hingewiesen werden.5 Als Zusammenschluss von WissenschaftlerInnen, PraktikerInnen und Kreativen, Lehrenden und Lernenden aus der Mode im deutschsprachigen Raum bietet der Verein eine professionelle Vernetzungsplattform sowie regelmäßig Tagungen, Vorträge und Exkursionen an.
5 | Siehe: www.netzwerk-mode-textil.de.
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THEMATISCHER Ü BERBLICK Fokus 1: Mode und Gender Mode und Geschlecht als untrennbar miteinander verwoben zu betrachten, entspricht einer Sichtweise, die sich im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts entwickelt hat und die in facettenreicher Weise auch heute noch Modepraktiken ebenso wie die wissenschaftlichen Diskurse über Mode bestimmt. Offensichtlich unterschiedliche visuelle Formen in der Bekleidung von Frauen und Männern seit dem 12. Jahrhundert bezögen sich aufeinander, da Sexualität, Erotik und Begehren – gemeint sind die heteronormativen Vorstellungen davon – stets ein wesentlicher Motor für das Entstehen vestimentärer Formen gewesen seien (vgl. Loschek 1991; Hollander 1995 [engl. 1994]). So hätten vor allem Frauen die Disposition, mit entsprechender Kleidung einzelne Körperregionen zu betonen, um für das ›andere‹ Geschlecht begehrenswert zu erscheinen (vgl. u.a. Vischer 1879; Laver 1970). Da es jedoch bis ins 18. Jahrhundert hinein nicht die semantische Verengung von Mode auf Kleider gab (vgl. Esposito 2004 u. 2011; siehe Kapitel zu Esposito in diesem Band), standen weder Körper noch ihre (geschlechtlichen) Differenzen im Fokus des frühen Modediskurses. Wie Publikationen zur westlichen Modegeschichte immer wieder betonen, sei dieser Wandel durch den Wegfall der Kleiderordnungen bedingt gewesen – also Gesetze und Verordnungen, die auf soziale Stände bezogen regelten, wer was tragen durfte, um mit Kleidung die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht bzw. Gruppe anzuzeigen (vgl. u.a. Wilson 1985; Lipovetsky 1987). Verrückte modische Spielarten nutzten sowohl männliche als auch weibliche Adlige, um ihren Status zu repräsentieren und sich von denjenigen abzugrenzen, die dafür weder Zeit noch Geld noch die Erlaubnis hatten. Die Ablösung von der Standesmode und die Verschiebung zu einer bürgerlichen Geschlechtermode ist nicht nur Ergebnis politischer Veränderungen wie der Französischen Revolution. Zugleich ist sie beeinflusst vom Gedankengut der Aufklärung, die mit der Suche nach Ursprünglichkeit und Natürlichkeit nicht nur die Abgrenzung von der aristokratischen, affektierten Lebensweise vollzog, sondern zugleich die Auffassung vertrat, es gebe von Natur aus zwei Geschlechter, die einander entgegengesetzt seien: männlich – weiblich, aktiv – passiv, tiefgründig – oberflächlich, Kultur – Natur, Geist – Körper, öffentlich – privat usw. Nun »übernimmt das modische Zeichenrepertoire die vestimentäre Inszenierung der Geschlechterdifferenz« (Wehinger 2002, 178). Spätestens ab dem 19. Jahrhundert ist mit einem engen Modebegriff ausschließlich Frauenmode gemeint. Die Primärquellen dieser Zeit (u.a. einige der für diesen Band ausgewählten) bestätigen, dass Mode aus Sicht der schreibenden männlichen Verfasser weiblich attribuiert ist und eine reine Frauenangelegenheit darstellt, was zunächst als Errungenschaft der Männer (z.B.
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Vischer 1859 u. 1879), später jedoch als »großer männlicher Verzicht« (vgl. Flügel 1930) gewertet wurde. Dass diese Sichtweise nach heutigem Verständnis arg verkürzt und einseitig ist, haben mittlerweile auch viele Arbeiten im Bereich der Fashion Studies gezeigt. Damit, wie erstaunlich vielfältig die vestimentären Erscheinungsformen der Männermode im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert waren, beschäftigen sich Arbeiten etwa über die englischen Macaroni (vgl. Steele 1985b; McNeil 1999, 2004 u. 2009; Lehnert 2013a) oder über den Dandy (vgl. Breward 2008; Vainshtein 2009; Nigel 2012; über Dandies im 20. und 21. Jahrhundert vgl. Breward 2000 u. 2007). Während es sich bei diesen Beispielen um Abgrenzung von normierten, bürgerlichen Männlichkeitsvorstellungen handelt, haben Untersuchungen über den vermeintlich unveränderlichen und deswegen amodischen, dunklen Männeranzug gezeigt, dass dieser keinesfalls ein vestimentärer Ausdruck der Losung der Französischen Revolution »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« ist, mit dem sich das männliche bürgerliche Kollektiv, wie Barbara Vinken (1993) behauptet, von der nun als aristokratisch und weiblich konnotierten Mode befreit hatte, um lediglich den uniformen Hintergrund für die geschmückten Frauen zu bilden. Dies verdeutlichen Publikationen u.a. von Anne Hollander (1995), Sabine Trosse (2000) oder David Kuchta (2002) zur Geschichte des Herrenanzugs und seiner Veränderungen (zur bürgerlichen Herrenmode vgl. Teichert 2013). Im Zuge neuer Männlichkeitsdiskurse an der Wende zum 21. Jahrhundert, etwa über Metrosexualität6, hat die Modeforschung weitere tradierte Auffassungen als Mythen und Klischees entlarvt und u.a. nachgewiesen, dass Männer in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht weniger eifrig agierende Konsumenten modischer Güter waren (vgl. u.a. Edwards 1997 u. 2011; Breward 1999; Shannon 2006; Ugolini 2007). Mit einem breiten Spektrum von Einzelanalysen zeigt der von Peter McNeil und Vicky Karaminas (2009) herausgegebene Men’s Fashion Reader die Vielfalt männlicher Identitätsentwürfe qua Kleidung und Kleidermode sowie deren Praktiken in verschiedenen Zeiten, Kulturen, Regionen, Subkulturen, Institutionen, Medien usw.; und macht deutlich, dass Männlichkeit nicht im Singular, sondern im Plural zu denken ist. Damit unterscheiden sich aktuelle interdisziplinäre Arbeiten über Männerkleidung und -mode (vgl. Falkenberg 2005; Reilly u. Cosbey 2008) oder die 2013 gegründete Zeitschrift Critical Studies in Men’s Fashion grundlegend von früheren kostümwissenschaftlichen Arbeiten wie etwa von Farid Chenoune (1993). Allein schon dieser Blick auf die Modegeschichte wäre nicht ohne Impulse und Konzepte aus den Gender Studies denkbar. Die Frauenforschung mied 6 | Damit wird ein spezifischer großstädtischer Lebensstil vor allem heterosexueller Männer bezeichnet, deren sichtbare äußere Gestaltung Merkmale aufweist, die lange Zeit als weiblich oder homosexuell galten (vgl. Kraß 2008).
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vor allem in ihrer essentialistischen Ausrichtung in den 1960er und 1970er Jahren ein Thema wie die Mode und führte ›Frauenmode‹ sowie einzelne Erscheinungsformen wie das Korsett stets auf die Unterdrückung ›der Frauen‹ durch ›die Männer‹ zurück. Von dieser Perspektive, es gebe ein einheitliches und natürliches Frau-Sein, sowie von der Modefeindlichkeit grenzten sich in den 1980er Jahren Feministinnen wie die britische Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Wilson (1985 u. 1992), die US-amerikanische Kunsthistorikerin Kaja Silverman (1986) oder VertreterInnen des dekonstruktiven Feminismus, etwa Barbara Vinken (1992 u. 1993), ab. In den Gender Studies arbeitet Judith Butler seit den späten 1980er Jahren dezidiert die Konstruiertheit von »gender«, der (sozialen) Geschlechtsidentität, und »sex«, dem körperlichen Geschlecht, heraus (vgl. Butler 1988, 1990 u. 1993). Ausgangspunkt für Butlers theoretischen Reflexionen waren u.a. die New Yorker Dragqueens und deren spezifische Praktiken des Crossdressing 7, d.h. Männer, die ihren Körper mithilfe von Kleidung, Accessoires, Make-up, aber auch Bewegungen, Gesten und Mimik ein weibliches, mitunter sogar hyperfeminines Erscheinungsbild geben. Für Butler legen die vielfach übersteigerten Nachahmungen beim »drag« offen, dass auch eine zum biologischen Geschlecht ›passende‹ Geschlechtsidentität permanent hervorgebracht werden muss – nicht ausschließlich, aber auch durch klar geschlechtlich konnotierte und normierte Kleidung (vgl. weiterführend Gaugele 2005). Die Performativität von Geschlecht, das affirmative »doing gender« (vgl. zuerst bei West u. Zimmerman 1987) in seiner repetitiven Prozesshaftigkeit körperlicher Vollzüge war maßgeblich Motor der performativen Wende. In der Kleider- und Modeforschung sind diese Konzepte und Begrifflichkeiten schnell aufgenommen worden. Arbeiten, die die Konstruktion von Gender qua Kleidung und Kleidermode untersuchen, liegen u.a. vor von Diana Crane (2000), Joanne Entwistle (2000), Gertrud Lehnert (1997, 2002a, 2002b, 2003 u. 2010a), Elke Gaugele und Kristian Reiss (2003), Gabriele Mentges (2008) oder das Sonderheft zu »Dress and Gender« von Fashion Theory (2005). Butlers These, dass nicht nur die Geschlechtsidentität, sondern auch der materielle geschlechtliche Körper nicht ›gegeben‹ sei, dass seine Wahrnehmung als ›natürlich‹ und ›ursprünglich‹ ebenso historisch wie kulturell wandelbaren Normen unterliege, hat Gertrud Lehnert aufgegriffen und für die Mode ausgeführt: So drücke Kleidermode nicht ein vorgängiges, natürliches anatomisches Geschlecht aus, sondern bringe Körper u.a. als geschlechtliche überhaupt erst hervor bzw. in die Wahrnehmung. Mit der Kleidung verhaftete Fiktionen von Zweigeschlechtlichkeit, d.h. Männlichkeit und Weiblichkeit, würden die Selbst- und Fremdwahrnehmung materieller Körper prägen (vgl. Lehnert u.a. 7 | Crossdressing bezeichnet unabhängig von den Beweggründen das Tragen von Kleidung des anderen Geschlechts.
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2002b, 2003, 2010a u. 2013a). Aus diesem Grund haben Aneignungen von Bekleidungsformen des ›anderen‹ Geschlechts u.a. das Potential, heterosexuelle Normen, Rollenbilder und Machtverteilungen zu umgehen oder gar infrage zu stellen (vgl. Lehnert 1994 u. 1997). So wundert es nicht, dass Wechselbeziehungen, Übernahmen, Maskeraden und Crossdressing für die Fashion Studies ein beliebter Untersuchungsgegenstand waren und noch immer sind. Etwa die in der europäischen Hofmode ebenso von Männern getragenen Absatzschuhe, die u.a. deren in Seidenstrümpfe gehüllte Waden betonen sollten – eine Erotisierung, die mit dem ›Modeverbot für den Mann‹ verschwand, um über hundert Jahre später an Frauenfüßen wieder aufzutauchen, als die Rocksäume kürzer wurden; um dort den Blick nicht nur auf Füße und Beine zu lenken, sondern schließlich die Aufmerksamkeit auf andere Körperregionen wie Gesäß und Brust auszuweiten, vor allem in der übersteigerten Form der High Heels (vgl. Breward 2006; Riello 2006; Semmelhack 2006; Steele 2006; zur Geschichte ›erhöhter‹ Schuhe Semmelhack u. Nochlin 2008). Kulturhistorische Untersuchungen widmen sich vestimentären und visuellen Formen und bestätigen vielfach das Narrativ der Modegeschichtsschreibung, dass die ›Frauenmode‹ vor allem Anleihen in der Männerkleidung gefunden und diese leicht verändert adaptiert habe (z.B. die Schürze, vgl. Gaugele 2002). Die Aneignung der Hose stellt gewissermaßen den Höhepunkt dar (zur Geschichte des männlichen Beinkleides und seiner Aneignung vgl. u.a. Wolter 1994; Metken 1996; Bard 2010). Auffällig ist, dass die Aneignung von Männerkleidung durch Frauen, hatte sich der erste Widerstand gelegt, häufig positiv als Emanzipation, Befreiung oder Ermächtigung interpretiert wird, wie etwa der 1965 von Yves Saint Laurent präsentierte Smoking für die Frau. Sich an der Kleidung von in der sozialen Hierarchie Höher- oder Bessergestellten zu orientieren und diese zu adaptieren, ist nicht nur eine Klassenfrage, wie etwa von Georg Simmel (1905) angenommen wurde. Dieses ›nachahmende‹ Verhalten, durch das die gleiche Anerkennung oder eine ähnliche Machtposition angestrebt wird, lässt sich ebenso für weitere differenzierende Normen wie z.B. »race« beobachten; oder in genderspezifischer Ausprägung als Strategie in der Berufswelt, die als »power dressing« (vgl. Entwistle 1997 u. 2001) bezeichnet wird. Von der Modeindustrie wurde diese Tendenz in den 1980er Jahren mit entsprechenden Modellen forciert. Hingegen hatten es Männer seit der Verbürgerlichung der Männermode weitaus schwerer, etwa Frauenkleidung, Make-up, Schmuck, lange Haare oder Handtaschen zu tragen, ohne diskriminiert zu werden, weil sie die heteronormativen Vorstellungen von Männlichkeit nicht erfüllten und folglich als ›verweiblicht‹, schwach, homosexuell usw. angesehen wurden – außer es handelte sich um eine eindeutige Parodie auf die Frauenmode. Kleidungsstücke mit vermeintlich eindeutig weiblicher Zuordnung wecken immer wieder das Forschungsinteresse, wie z.B. das Korsett (vgl. Steele 2001); oder der Rock,
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der zum einen aus feministisch-psychoanalytischer Sicht als weiblicher, verdeckter Freiraum interpretiert werden kann (vgl. Leutner 2012), zum anderen jedoch jenseits von Praktiken des absichtsvollen Crossdressing bislang lediglich in der Ausstellung Bravehearts. Men in skirts des Metropolitan Museum New York thematisiert wurde (vgl. Bolton 2003). Interessanterweise zeigte die Ausstellung, dass der Rock am bzw. für den Mann vieles zugleich ist: Ausdruck von Utopie und Unisex (für die Hippies, vgl. dazu auch Vinken 1993), Verweigerung (in Gegen- und Subkulturen wie Punk oder Grunge) oder – wie etwa der Kilt – Zeichen von Männlichkeit und Potenz. Zur Diskussion gestellt werden durch modisches Handeln auch immer geschlechtliche Identitäten, sexuelle Orientierungen, Lebensentwürfe usw., was gerade Figuren des Dazwischen, Hybriden sowie permanente GrenzgängerInnen zu beliebten Untersuchungsthemen macht: im Wesentlichen durch Kleidung und andere Körperpraktiken hervorgebrachte (und zugleich daran erkennbare) Stereotypen wie die Garçonne (vgl. Zdatny 1997; Mendes u. de la Haye 1999, 48ff.; Bung u. Zimmermann 2006), die Femme fatale (vgl. Fashion Theory 2004, Sonderheft »Femme fatale«), weibliche Dandies (vgl. Stauffer 2008), Tomboys (vgl. Mettler 2012), Machos (vgl. Cole 2009); oder androgyne Idole wie Marlene Dietrich (vgl. Studlar 1990) oder David Bowie (vgl. Breward 2013). Hier richtet sich das Forschungsinteresse u.a. darauf, welchen Einfluss Mode auf diese Inszenierungen und Bilder, aber auch auf die Stereotypisierung hat; und wie diese Images ihrerseits auf die Mode zurückwirken und ihr neue Impulse geben können. Über diese komplexen Verwebungen können auch Phänomene wie die Unisex-Mode nicht hinwegtäuschen, d.h. die (u.a. Vermarktungs-)Strategie, geschlechtlich neutrale Bekleidung zu schaffen, von der Barbara Vinken (2013) zu Recht behauptet, dass sie eine Illusion sei. Obwohl die Gender Studies wichtige Impulse in der Modeforschung setzten, waren Fragen nach modischen Inszenierungen von LGBTQ (Lesbian, Gay, Bi, Trans, Queer) wenig präsent (vgl. Rolley 1992; Holliday 2001). Mit der gleichnamigen Begleitpublikation (Steele 2013) zur Ausstellung A Queer History of Fashion. From the Closet to the Catwalk am Fashion Institute of Technology liegen erstmals Beiträge vor, die unterschiedliche Erscheinungsformen queeren Modehandelns untersuchen (außerdem vgl. Geczy u. Karaminas 2013). Auch in Bezug auf in der Modebranche Beschäftigte werden Geschlechterkonzepte untersucht, wie etwa der männliche Modeschöpfer, der sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts als zentrale Figur im Prozess des Entstehens neuer Moden etabliert hat und der Barbara Vinken (1993) zufolge die Rolle des ehemaligen absolutistischen Herrschers parodiere. So sei der Modeschöpfer in der Welt der weiblich konnotierten Mode der Herrscher und reproduziere damit doch wieder das hierarchische Geschlechterverhältnis, indem er für Kreativität und Genialität steht und die Frauen nach seinen Vorstellungen formt, sprich
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bekleidet. Modeschöpferinnen haben folgende Publikationen zum Thema, z.B. Gertrud Lehnerts kulturhistorische Abhandlung Frauen machen Mode (1998b) oder Valerie Steeles Bestandsaufnahme zum 20. Jahrhundert (1991). Galt das Berufsbild des Models lange Zeit als weiblich, so wandelt sich dieses Bild allmählich und erste Arbeiten über Männer in der Modelbranche liegen vor (z.B. Entwistle 2004). Und nicht zuletzt lässt sich auch für die Modetheorie, allgemeiner noch die Kleider- und Modeforschung ein Wandel attestieren: Obwohl es im 19. Jahrhundert verpönt war, sich als Mann professionell mit der weiblich konnotierten, oberflächlichen und unbeständigen Mode zu beschäftigen, sind es Männer, die sich während dieser Zeit in Dichtung, Philosophie und Wissenschaft über die Mode äußern und bis in die 1970er Jahre im wissenschaftlichen Diskurs über die Mode etwa in der Soziologie, Anthropologie oder Semiotik dominieren. Während Frauen erstmals in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ›hinter den Kulissen‹ in Erscheinung traten, indem sie vestimentäre Objekte in Sammlungen und Museen erforschten (vgl. Taylor 1998), sind sie mittlerweile an den Hochschulen ebenso wie ihre Publikationen zu den unterschiedlichsten Modethemen omnipräsent.
Fokus 2: Mode und Kunst Elizabeth Wilson (1989 [engl. 1985]) erklärt in ihrem Standardwerk über Mode und Modernität die Mode zu einer Form ästhetischer Kreativität, in der die Entdeckung von Alternativen noch möglich sei. Sie geht noch weiter: Mode sei als Ausdrucksmittel der Phantasie eine Kunstform und ein symbolisches soziales System. Damit verwahrt sie sich gegen jene KritikerInnen der Konsumkultur der Frankfurter Schule,8 des Feminismus und anderer, die in Bausch und Bogen die Mode als patriarchales Unterdrückungs- und allgemein als Verdummungssystem verurteilen: »Mode und unsere Freude daran wird dann zu einem Beispiel eines Massenausbruchs an Unechtheit« (Wilson 1989, 259 u. Wilson 1990, 31). Gerade das Inhaltsleere, das Nebensächliche und Dekorative sei es jedoch, so Wilson, das die Mode wertvoll mache und vielleicht »die Saat einer neuen Ästhetik« und vielleicht sogar einer neuen Kulturordnung werden könne (ebda.). Ein Vierteljahrhundert später kann man beobachten, dass zumindest in der Mode eine neue Ästhetik entstanden ist und dass sich unter anderem 8 | Theodor W. Adorno vertritt in der Ästhetischen Theorie trotz seiner Kritik an der Kulturindustrie en passant eine zumindest ambivalente Einstellung gegenüber der Mode. Viel zitiert ist sein Diktum, große Künstler wie Baudelaire seien mit der Mode im Komplott. Denn in ihrer Vergänglichkeit und Offenheit stehe sie der Geschlossenheit der bürgerlichen Kunst als Freizeitvergnügen und der pathetischen Erhebung der Bürger entgegen (Adorno 1971 [1970], 286; vgl. dazu auch Poschardt 2003).
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durch den Einfluss von Dekonstruktion, Konzeptmode und der gewachsenen Kluft zwischen High Fashion und Fast Fashion das europäische Modesystem – wenn schon nicht das gesamte Kultursystem – durchaus verändert hat. Die Diskussionen über den Status der Mode zwischen Handwerk, angewandter Kunst und Kunst sind aber mitnichten abgeschlossen. Man kann grosso modo zwei Fragestellungen unterscheiden. Die eine befasst sich damit, ob Mode Kunst ist bzw. wo beide ineinander übergehen oder wie sie sich voneinander abgrenzen lassen – das ist die modetheoretische Perspektive. Die andere ist eher in der Kunsttheorie anzusiedeln, denn sie untersucht Kunst, die Mode zum Thema macht – also z.B. die Malerei – oder aber mit modischen und allgemeiner textilen Artefakten arbeitet, wie etwa Louise Bourgeois, Sylvie Fleurie oder Vanessa Beecroft (behandelt in z.B. Brüderlin u. Lütgens 2011; Wagner 2001; Troy 2012; beide Aspekte behandeln die Aufsätze in KunstForum International 2009 »Dressed! Art en vogue«). Im Folgenden interessiert vornehmlich der erste Aspekt. Schon der Philosoph Christian Garve (1792) erkennt an, dass Mode ihren Platz in der Ästhetik als der Lehre vom Schönen habe, aber sie realisiere das Schöne in Nebensachen und sei folglich, so impliziert er, keine Kunst (Garve 1987, 11). Deutlich abwertender äußert sich Immanuel Kant, für den Mode aus Nachahmung, Kunst hingegen aus Originalität der Gedanken entstehe (Kant 1983 [1798], 188); es handele sich also um zwei unterschiedliche Kategorien. Die Mode verbindet Kant mit Eitelkeit und Torheit sowie mit dem Geschmack am Pomp, denn Pomp sei eine für den »großen Haufen« bestimmte »prahlerische Ausstellung zur Schau« (sic) und werde durch bloße »Sinnenempfindung« wahrgenommen. Die Kunst hingegen fordere Beurteilungsfähigkeit (ebda., 185f.) und sei daher der Mode überlegen. Immerhin, so sein berühmtes Diktum, sei es besser, »ein Narr in der Mode als ein Narr außer der Mode zu sein« (ebda., 185). In Charles Baudelaires Ästhetik der Moderne von 1863 spielt zum ersten Mal die Mode eine zentrale Rolle, da sie in ihrer Verbindung von Ewigem und Flüchtigem das Paradigma der Moderne sei (Baudelaire 1988). Baudelaire lässt Kunst und Mode als Formen ästhetischen Handelns ineinander übergehen (vgl. das Kapitel über Baudelaire in diesem Band). Er schreibt in der Mitte des 19. Jahrhunderts, der Zeit also, in der mit Charles Frederick Worth die Haute Couture und damit der Anspruch der ModedesignerInnen entsteht, KünstlerInnen zu sein, die Unikate schaffen und sie signieren. Mit der Idee des Unikats räumt Nancy Troy (2003) auf, indem sie am Beispiel des zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowohl als Modeschöpfer wie als Vermarkter seiner Moden sehr erfolgreichen Paul Poiret den Gegensatz von Original und Kopie bzw. Reproduktion sowohl der Kunst als auch der Mode im Industriezeitalter ausleuchtet. Die Kluft zwischen Mode als diskursiver Praxis und Mode als materiellem Mittel der sozialen Distinktion im 19. Jahrhundert
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nutzte Poiret, indem er sich mittels komplexer Vermarktungs- und Werbestrategien als Modekünstler inszenierte. So ließ er von Künstlern wie Paul Iribe und Georges Lepape Alben mit exquisiten Modezeichnungen gestalten, die als Werbung eingesetzt wurden und als Kunst wahrgenommen werden sollten. Er präsentierte Mode als bedeutsam und dauerhaft (Troy 2003, 75), kreierte Originale, die er dann für den Verkauf reproduzieren ließ, akzeptierte schließlich sogar »genuine reproductions«, also »originale Reproduktionen« für den Massenmarkt in den USA. Vergleichbar damit ist die Kunst insofern, als für sie die Imitation immer Thema war – aber erst die industrielle Reproduktion ermöglichte Kopien (Fotografien), die keine Originale mehr waren, im Gegensatz zu den Stichen und Abgüssen früherer Zeiten. Und das Ready Made spricht programmatisch der Originalität des Schöpfers Hohn. Poiret hat auch die ersten großen Modenschauen gezeigt, womit er eine Entwicklung einläutete, in deren Folge heute die großen Schauen eigenständige künstlerische Ereignisse und integrale Elemente des Modesystems sind (vgl. Kühl 2012, 2014a, 2014b u. 2015) – ein anderer Aspekt der fließenden Grenzen zwischen Mode und Kunst (vgl. dazu den Abschnitt über Präsentationsformen in dieser Einführung). Poirets Strategien zur Verbindung von Kunst und Mode kann man mit dem modernen Begriff des Imagetransfers bezeichnen. Imagetransfers sind für Isabelle Graw (2004 u. 2009) auch in der Gegenwart wichtige Strategien der durchlässig gewordenen Grenzen zwischen den beiden ausdifferenzierten Systemen von Mode und Kunst. Während vormals die Kunst auf die Mode »schielte«, orientiere sich die Kunst zunehmend am System Mode mit seinen Vermarktungsstrategien und entfalte sich zur »visuellen Industrie«. Graw schlägt vor, »in der Mode eine der vorherrschenden gesellschaftlichen Normen und Rahmenvorgaben zu sehen, von denen künstlerische Verfahrensweisen und Subjektentwürfe geprägt sind und zu denen sie sich ihrerseits ins Verhältnis setzen« (Graw 2004, online o. S.). Der eigentliche Vergleich zwischen Mode und Kunst aber finde auf der Ebene der Haute Couture statt, die als modische Avantgarde Kleider ohne wirklichen Gebrauchswert, aber mit hohem ästhetischem Wert produziert.9 Ein wesentlicher Unterschied zeige sich jedoch in den verschiedenen Zeitachsen: der Kunsterwerb geschehe vor dem Horizont langfristiger Wertsteigerung, während der Mode ihre Vergänglichkeit eingeschrieben sei; Graw spricht in Bezug auf die Mode von einer Ökonomie der Verschwendung. Als Konsumgut habe sie allerdings auch einen Gebrauchswert, der der Kunst abgehe (vgl. auch Steele 2012). 9 | Lehnert (2013a, 94ff.) spricht von ästhetischem Überschuss, den vestimentäre Artefakte haben oder doch zu haben vorgeben, als eine der Voraussetzungen für die Akezptanz von Kleidern als Mode. Ästhetische Arbeit nennt sie in Anlehnung an Gernot Böhme die spezifischen Weisen des täglichem Umgangs mit vestimentären Artefakten (ebda., 96ff.).
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Petra Leutner (2011) geht davon aus, dass es Zuschreibungsstrategien seien, mit denen vor allem SpezialistInnen, die eine Art Entscheidungsmacht besitzen, aus Artefakten Kunst oder Mode machen, denn eine substantielle Qualität der Dinge könne spätestens seit der Erfindung der Ready Mades durch Marcel Duchamps Pissoir nicht mehr unterstellt werden. Ein Unterscheidungskriterium sei, dass Mode der Status ›Mode‹ jederzeit wieder abgesprochen werden könne, der Kunst ihr Status jedoch nicht. Mode lebe vom Massenkonsum, Kunst nicht, und in der Kunst seien nach wie vor das Original und seine Echtheit wesentlich, während die Mode von Massenanfertigung und Gebrauch im Alltag lebe. Als ein Problem an dieser schlüssigen Argumentation könnte man sehen, dass Petra Leutner die Mode mit allen ihren Segmenten von High bis Low der Kunst ›tout court‹ gegenüber stellt, obgleich Mode wie Kunst in unterschiedliche bzw. unterschiedlich bewertete Segmente ausdifferenziert werden können. Spricht man nur über Couture, die Graw (2009) und Steele (2012) als Vergleichsobjekt vorschlagen, kann die Frage nach der Differenz von Kunst und Mode je nach Blickpunkt anders beantwortet werden. So findet Richard Martin in der Arbeit des niederländischen Designer-Duos Viktor & Rolf das Ideal einer Harmonie der visuellen Künste verwirklicht, in dem es keine Hierarchien oder Klassifikationen gebe (vgl. Martin 1999). Mit anderen Worten, die Frage, ob es sich um Mode oder Kunst handele, sei hinfällig geworden; Konsum und ästhetischer Genuss, Konzept und Kontemplation seien zu einer Einheit verbunden (vgl. zu Martin auch Steele 2012, 20f.). Eindeutige, jedoch nicht ausreichende Antworten zu den medialen Differenzen geben Mitchell Oakley Smith und Alison Kubler (2013) in ihrem opulent bebilderten Band Mode ist Kunst, indem sie sie an Intellektualität binden, womit sie die künstlerischen Qualitäten weitgehend auf konzeptuelle Kunst bzw. Mode beschränken: KonzeptdesignerInnen, also solche, die »ihre Kleidungsstücke als dinghafte Umsetzungen ihrer Ideen« nutzen (ebda., 27) oder einen »intellektuellen Ansatz« verfolgen (ebda., 30), seien KünstlerInnen. Ebenso sollte Haute Couture »den Status einer Kunst genießen, da ihre Produkte Unikate sind« (ebda., 12). Ferner meinen Mitchell Oakley Smith und Alison Kubler, dass die (Zusammenarbeit mit der) Kunst der Mode ein wichtiges intellektuelles Element liefere, das ihr sonst fehle, da sie keinen formellen kritischen Rahmen habe (ebda., 18). Man könnte das mit den Imagetransfers, von denen Isabelle Graw spricht, gleichsetzen. Tatsächlich argumentiert kaum jemand für den Kunststatus von Mode. Fast alle Arbeiten zur Frage, ob Mode Kunst sei, verneinen es und betonen stattdessen, dass es sich um unterschiedliche Systeme handele, die viele Überschneidungen aufweisen, jedoch in wesentlichen Punkten differieren. In dem von Adam Geczy u. Vicky Karaminas herausgegeben Band Fashion and Art (2012a) wird die Frage aus allen erdenklichen Perspektiven von AutorInnen
Einführung
mit unterschiedlichen disziplinären Hintergründen beleuchtet: von der Seite der Mode, der Kunst, des Körpers, der Performance und so fort. So gibt etwa Valerie Steele einen Überblick über die wechselnden Liaisons von Kunst und Mode seit dem späten 19. Jahrhundert und pointiert: »Fashion is a cannibalistic business. It assimilates everything that is visually interesting […]« (Mode ist kannibalistisch. Sie assimiliert alles, was visuell interessant ist) (Steele 2012, 25). Auch Adam Geczy und Vicky Karaminas (2012b) konstatieren, die allgemeine Frage, ob Mode Kunst sei, führe nicht weit. Wichtiger sei die Untersuchung der Divergenzen und Konvergenzen, der Überlappungen und der Gründe für die wechselnden Hierarchisierungen zwischen beiden. Mithin seien nicht die Artefakte selbst entscheidend, sondern der Umgang mit ihnen. Mode und Kunst besetzen unterschiedliche Modalitäten der Präsentation und Rezeption, sie werden unterschiedlich verwendet und seien in unterschiedliche (Ver-)Handlungskontexte eingebunden (vgl. ebda., 4f.). Als entscheidende Differenzierungen benennen sie schließlich in Übereinstimmung mit fast allen anderen, die sich zum Thema äußern, dass Mode in den Alltag integrierbar sein müsse, Kunst nicht; dass Mode vergänglich sei, während Kunst auf Dauer angelegt sei; und dass Mode intentional (man könnte auch sagen: strategisch) geschaffen werde, aber nicht Ausdruck des Inneren der KreateurInnen sei, während es sich in der Kunst gerade umgekehrt verhalte (ebda., 6). Hier blitzt freilich ein Kunstverständnis auf, das sich eher an der älteren Genieästhetik als an der Gegenwart orientiert. Bemerkenswert ist, dass Adam Geczy und Vicky Karaminas den Gender-Aspekt in die Diskussion einführen. Die Moderne habe die Mode als das Andere der Kunst konstruiert und damit Gender-Zuschreibungen verbunden: Mode gehöre traditionell in die weibliche, körperliche Sphäre, während Kunst zum Männlichen und damit dem Verstand gehöre, der gegenüber dem Körper als superior gilt (ebda., 3). Daraus resultiere die Bewertung der Mode als weiblich, dem Körper zugehörig und oberflächlich, die der Kunst als männlich und ernsthaft. Kein Zufall ist es, dass die Frage nach dem Kunstcharakter der Mode sich seit etwa zwei Jahrzehnten damit auseinandersetzt, dass Mode so rasch ins Museum wandert. Das Phänomen ist relativ neu (vgl. Link-Heer 1998; Weise 2012) und mittlerweile zu einem bedeutenden Sektor der Ausstellungspolitik geworden, von dem einerseits Modehäuser, andererseits Museen profitieren (vgl. Steele 2012; Weise 2012). Indem Objekte, welcher Art auch immer, der Zirkulation – und damit dem Gebrauch – entzogen (H. Böhme 2006) und in den Raum der Ausstellung bzw. des »Elite-Kontexts des Museums« (Troy 2012, 29) gestellt werden, werden sie dekontextualisiert, als Ausstellungsstücke re-kontextualisiert, und damit als quasi eigenständige Artefakte in den Blick gerückt und auf Dauer gestellt. Das entspricht seit der Erfindung des modernen Museums im 18. Jahrhundert dem Umgang mit Kunst. Umgekehrt borgen sich Modehäuser seit ungefähr zwei Jahrzehnten Ausstellungsformate
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für Kunst, zum Beispiel den White Cube, um ihre Flagship Stores entsprechend einzurichten und ihre Kleider wie Kunstwerke zu präsentieren (vgl. u.a. Lehnert 2013c; ferner die Abschnitte über Raum und Zeit sowie über Präsentationsformen in dieser Einführung). Was wie eine Vermischung aussieht, ist tatsächlich nur ein wechselseitiges Ausleihen von Präsentationsformen und ein Imagetransfer, von dem beide Seiten profitieren und der die kulturelle Anerkennung von Mode außerordentlich befördert hat. Abschließend seien knapp Überlegungen zur Mode in der bildenden Kunst resümiert. Dass gemalte, gezeichnete, gestochene Kleidung schon immer zu den Quellen der Modegeschichte gehörte, ist bekannt und der Umgang damit ist inzwischen kritisch aufgearbeitet worden (z.B. Haase 2002; Zitzlsperger 2010). Anne Hollander erklärt, gemalte Kleidung präsentiere ein Ideal, das zeige, wie Kleidung gedacht sei und nicht, wie sie tatsächlich ist bzw. war (Hollander 2002; zu weiteren einschlägigen Studien von Hollander vgl. das Kapitel zu Hollander in diesem Buch). In der Renaissance-Malerei finden sich nebeneinander Darstellungen von tatsächlich modischen Kleidern oder Elementen sowie Gewändern, die mitnichten der Alltagskleidung entsprachen, sondern ikonographisch bestimmten religiösen Sujets zugeordnet wurden (ebda., 23ff.). Kleidung und vor allem Falten und Drapierungen werden im Laufe der Kunstgeschichte zum Ausdrucksmittel, zum Gefühlszeichen oder zum verselbstständigten ästhetischen Bildelement. Man kann abschließend folgern, dass die künstlerischen Repräsentationen von modischer Kleidung Mode keineswegs zur Kunst machen. Sie nähern sie jedoch diesem Status durch ihre Transformation in ein anderes Medium an.
Fokus 3: Dinge Obwohl Mode oft als etwas Immaterielles betrachtet wird, das in Form von Zuschreibungen qua Worten und Bildern Kleidern hinzugefügt werde (vgl. z.B. Barthes 2004 [frz. 1967]; Kawamura 2005; Kühl 2015) und etwa als Diskurs über Kleider oder die Imagination von Kleidern zu denken sei, so braucht es materielle, im Fall der Kleidermode, vestimentäre Artefakte. Diese bestehen aus Textilien (d.h. Stoffen) oder anderen Materialien. Welche das sein können, dafür gibt es vor allem in der Haute Couture kaum Grenzen und seit einigen Jahren gewinnt Hightech-Kleidung an Bedeutung (vgl. Gaugele u. Eisele 2006; Mentges 2006; Seymour 2008 u. 2010; Wolter 2009; Quinn 2010), etwa aus ›intelligenten‹ Materialien, mit eingebetteter Elektronik, sogenannte Smart Clothes oder »i-wear«, oder Kleider aus dem 3D-Drucker. Unabhängig vom Segment (Massen oder Designerware, Do-it-yourself usw.), beziehen sich Fertigung und Anordnung eines Kleidungsstücks immer in irgendeiner Weise auf den menschlichen Körper als (die Vorstellung von) einem »dreidimensionale[n] und bewegliche[n] Gebilde im Raum« (Lehnert 1998d, 8).
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Vor allem die angloamerikanischen Dress Studies (vgl. u.a. de la Haye u. Wilson 1999; Taylor 2002 u. 2004), Material Culture Studies (vgl. u.a. Küchler 2005) und Textile Studies sowie im deutschsprachigen Raum Disziplinen wie die Kostümkunde oder die Kulturanthropologie (vgl. u.a. Mentges 2005) nehmen konkrete vestimentäre Objekte als Ausgangspunkt für ihre Forschung, um etwa deren materielle Beschaffenheit, Herstellung, ›Biografie‹ sowie den Umgang der Menschen, vor allem der TrägerInnen, mit ihnen zu untersuchen und Entstehungszeiten und -orte zu bestimmen. Ausgehend vom Materiellen und Sichtbaren werden unsichtbare Bedeutungen wie Jahreszahlen, Personennamen, Stile oder Erzählungen generiert, d.h. Wissen über Objekte.10 Die Fragestellungen von ModetheoretikerInnen und -historikerInnen konzentrieren sich mehr auf visuelle Formen, kulturelle Praktiken, d.h. darauf, was Menschen mit Kleidern tun, oder auf mediale Inszenierungen und weniger direkt bzw. ausschließlich auf die vestimentären Artefakte. Als was so ein ›KleiderDing‹ eigentlich bestimmt werden kann, das ist aus einer tradierten anthropozentrischen Sicht für die meisten AutorInnen nicht von Belang. Aufgrund dieses Mangels an Reflexion sollen im Folgenden die wenigen Überlegungen skizziert werden, die eine davon abweichende Perspektive auf die vestimentären Artefakte entwickeln. Denn Kleider lassen sich auch anders betrachten und sind keinesfalls immer passive Objekte, in denen sich die Idee von Mode einschreibt und materialisiert. Obwohl Zuschreibungspraktiken und Inszenierungsstrategien sowohl für das Modesystem als auch für das Alltagshandeln wesentlich sind, ließe sich behaupten, dass auch die Dinge mal mehr, mal weniger einen jeweils spezifischen Umgang mit sich erwirken. Das heißt, von den Kleidern geht aus, dass Menschen etwas mit ihnen tun (wollen). Diese Perspektive entwickelt Gertrud Lehnert in einigen ihrer Texte u.a. über das Konsumverhalten und bezieht sich dabei u.a. auf Gernot Böhmes Arbeiten zu einer neuen Ästhetik (vgl. Lehnert 2009 u. 2010b). Bezugspunkt für Böhme wiederum ist der Kunstwerk-Aufsatz Walter Benjamins (in seiner letzten Fassung aus dem Jahr 1939), insbesondere der dort verwendete Aura-Begriff, um Dingbegegnungen und -erfahrungen zu beschreiben: Das Kunstwerk befinde sich im »Hier und Jetzt« (Benjamin 1996 [frz. 1936], 12) und seine materielle Präsenz kennzeichne »Echtheit« (ebda.) und »Einzigkeit« (ebda., 16). Um Irritationen zu vermeiden: Gemeint ist schlichtweg die materielle Echtheit und 10 | Dass zum Kleider(mode)wissen weitaus mehr gehört als das explizite Fakten- und Fachwissen, etwa implizites, vor allem körperliches Wissen der TrägerInnen, untersucht Katja Weise in ihrem Promotionsprojekt mit dem Arbeitstitel »Das gezähmte Kleid, der gebändigte Körper – Taktilität und implizites Wissen der Kleidermode in zeitgenössischen Ausstellungsinszenierungen« im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs »Sichtbarkeit und Sichtbarmachung – Hybride Formen des Bildwissens« an der Universität Potsdam.
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Einzigkeit im Gegensatz zu einem fotografischen Abbild, d.h. einer bildlichen Repräsentation mit einer ganz eigenen, jedoch anderen Materialität als das abgebildete Ding. Deswegen hätten, so Benjamin weiter, die in ihrer wirklichen Materialität präsenten Dinge (eine) Aura, die – und das ist wichtig – von ihnen ausgehe und erfahren werden könne. Gernot Böhme (1995) modifiziert nun den Benjaminschen Aura-Begriff dahingehend, dass Benjamins Aura eine Atmosphäre von vielen beschreibe, d.h. etwas, das sich räumlich zwischen Subjekten und Objekten ereigne und die Umgebung ›infiziere‹, eine »Gestimmtheit« (Böhme 1995, 33), die ephemer sei und von Menschen leiblich erfahren werden könne; im Fall der Benjaminschen Aura handle es sich um »jene Atmosphäre der Distanz und des Achtunggebietenden […], die originale Kunstwerke umgibt« (ebda., 26). Diesen Überlegungen zur Atmosphäre liegt nicht nur ein verändertes Subjekt-, sondern auch neues Objektverständnis zugrunde: Statt Dinge als ver- und abgeschlossene Entitäten zu denken, treten Dinge aus sich heraus, wirken ihre wahrnehmbaren Eigenschaften nach außen, in den Raum und auf die anwesenden Menschen. Böhme nennt das die »Ekstasen des Dings« (ebda., 33). Dinge sind also keine bloßen Zeichenträger, die Informationen transportieren; sie (und nicht nur Menschen) haben das Vermögen, aktiv Erlebnisse und Ereignisse zu schaffen. Ebenfalls ein aktives, jedoch keinesfalls ästhetisches Objektverständnis entwickelt Bruno Latour in seiner Sozialtheorie, indem er Dinge und Menschen als gleichwertige, d.h. gleich aktive Aktanten betrachtet, die in komplexen Netzwerkstrukturen miteinander agieren und vorübergehende Verbindungen eingehen (vgl. Latour 2005).11 Offensichtlich ist das auch im Fall von Kleidung und Kleidermode. Vestimentäre Objekte sind nicht nur Zeichen für etwas bzw. Träger von Bedeutungen, die ihnen von Menschen zugeschrieben werden. Sie erwirken zugleich, dass Menschen etwas mit ihnen tun (wollen): berühren, an- oder ausziehen, spüren, besitzen usw. Und zwar in ganz unterschiedlichen Situationen, wie Gertrud Lehnert zeigt: etwa als »Selbstgestaltung« bzw. »ästhetische Arbeit« im Alltag oder beim Shoppen (vgl. Lehnert 2013a, 93ff). Mit Bezugnahme auf die These des Anthropologen David Miller, die Wirtschaft entstehe durch die Aneignung von Waren (vgl. Miller 2012), schlägt Gertrud Lehnert als erste eine positive Konsumdefinition für die Mode vor: Weil Menschen durch Kleider Selbstgestaltung und soziale Interaktionen ermöglicht werde, würden sie diese konsumieren (vgl. Lehnert 2013a). Zudem, und auch das zeigt Gertrud Lehnert exemplarisch am Modekonsum, sind Dinge nicht gleichbleibend und haben das, was Arjun Appadurai The Social Life of Things (1986) nennt: Ihr Status könne sich verändern und damit auch das, was sie auszulösen vermögen. 11 | Als Analyseinstrumentarium dient Latours Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) u.a. der britischen Soziologin Joanne Entwistle dazu, in ihren Feldforschungen das Zirkulieren und die Träger von Modewissen zu bestimmen (vgl. Entwistle 2010).
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Ein ›Kleider-Ding‹ kann, wie viele andere Dinge auch, Ware bzw. Konsumgut, Gebrauchsgegenstand, Kult- oder Forschungsobjekt, Abfall, museales Schaustück, persönliches Erinnerungsstück usw. sein und unterschiedlichen Einfluss darauf haben, was Menschen mit ihm tun wollen. Ein Ort, an dem die von den Dingen ausgehende Wirkmacht auf den Menschen deutlich wird, ist das Museum. Auch heute noch sind sich die meisten in und mit Museen Beschäftigten darüber einig, das Besondere in Ausstellungen sei, dass sich dort die Realpräsenz der Dinge erfahren lasse, und zwar besonders im digitalen Zeitalter und angesichts der virtuellen Bilderflut.12 Bei Ausstellungen haben wir es mit einem weiteren Setting zu tun, das im Wechselspiel von Dingen, Menschen und Räumen Atmosphären im Sinne Böhmes konstituiert. Der Fokus soll jedoch weiterhin auf Menschen und Dinge gerichtet bleiben. Insbesondere bei vestimentären Objekten im Museum wird die »agency« (Latour 2005) der Dinge deutlich, d.h., sie lösen aktiv etwas in den Menschen aus: Emotionen wie Staunen oder Neugierde, ästhetisches Wohlgefallen oder den Impuls, etwas mit dem Ausgestellten tun zu wollen. Und gerade indem Letzteres in Museumsausstellungen nicht oder nur selten möglich ist, wird die Aufmerksamkeit auf die »agency« von Kleidern und Kleidermode gelenkt, die diese außerhalb von Museen haben. Der große Vorteil, den vor allem KuratorInnen wie Adelheid Rasche (1998)13, Alexandra Palmer (2008) und andere in Kleiderausstellungen sehen – nämlich, dass die BesucherInnen im Gegensatz zu anderen Objektgruppen einen leichteren Zugang zu vestimentären Exponaten hätten, weil sie tagtäglich ganz unmittelbar und praktisch, d.h. vor allem körperlich mit Kleidern zu tun hätten –, schlägt um aufgrund des Berührungsverbots in vielen Museen und erzeugt eine Situation, die als defizitär empfunden wird (vgl. Wilson 1992; zur Taktilität in Kleiderausstellungen vgl. Weise 2014). Ist der körperliche Umgang, das Modehandeln, in den meisten Museen nicht möglich, können Kleider in Ausstellungen vor allem Erinnerungen an eigene, persönliche Erlebnisse auslösen; was wiederum zeigt, wie sehr das individuelle und ebenso das kulturelle Gedächtnis Dinge brauchen, um erinnern zu können (vgl. Lehnert 2013a). Das kulturelle Gedächtnis basiere, so Aleida 12 | Exemplarisch sei dafür folgende Beschreibung Gottfried Korffs angeführt: »Die Faszination beruht auf der Authentizität der Dinge, und es mag vieles für sich haben, […] daß es nämlich diese Authentizität ist, die dem Museum zu jener Karriere verholfen hat […].« (Korff 2002 [1992], 141) 13 | »Im Museum präsentierte Kleidung führt bei vielen Besuchern zu einer wesentlich größeren Identifikation als dies z.B. Ausstellungen mit bildender Kunst, technischen Geräten oder naturkundlichen Objekten in der Regel vermögen. Das Gesehene wird oft unmittelbar mit persönlichen Erfahrungen in Verbindung gebracht und in sehr individueller Weise interpretiert.« (Rasche 1998, 219)
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Assmann (2006), auf Medien – im Fall der Mode zählt dazu die materielle Kleidung ebenso wie ihre vor allem bildlichen Repräsentationen. Interessanterweise erinnert Kleidermode beständig an sich selbst, indem sie durch Zitationen vergangene Formen aufruft. Wie sehr Kleider zu Medien der Erinnerung werden können, wird vor allem an getragenen Kleidern deutlich, die als Stellvertreter des Körpers der Trägerin bzw. des Trägers fungieren: wie textile Reliquien von Heiligen, deren Kleider die besonderen Kräfte des- oder derjenigen durch den direkten körperlichen Kontakt aufgenommen und ›gespeichert‹ haben und an die Gläubigen, die sie berühren, ›abgeben‹ (zu textilen Reliquien vgl. Böse 2006; Flury-Lemberg 2012); oder beim sexuellen Fetischismus, wenn ein vestimentäres Objekt auf einen Teil des begehrten Körpers verweist und das (begehrte) Körperteil zeitweilig ersetzt (vgl. Steele 1996). Fetischismus lässt sich jedoch auch wesentlich weiter und nicht ausschließlich sexuell fassen: So bietet Hartmut Böhmes Fetischismuskonzept ebenso wie die Atmosphären und Exstasen bei Gernot Böhme oder die »agency« der Dinge in Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie eine neue Perspektive: Dingen könnten demzufolge Einstellungen, Gefühle, Gebrauchsweisen und Handlungen hervorrufen (vgl. H. Böhme 2006) – womit treffend beschrieben ist, was Kleider (und nicht nur ihre medialen Repräsentationen) tun. Abschließend soll noch auf den Aspekt der Nachhaltigkeit hingewiesen werden, der mit der Materialität von Kleidern insofern zu tun hat, als dass vor allem natürliche und menschliche Ressourcen bei der Produktion neuer Kleider beansprucht werden (vgl. Fletcher u. Grose 2012; Ricchetti u. Frisa 2013). Unter der Bezeichnung »Ecofashion« oder »Green Fashion« wird das Bestreben von Mode-Unternehmen beschrieben, bei der Herstellung natürliche Rohstoffe zu verwenden und auf möglichst geringe Umweltbelastung und faire Arbeitsbedingungen zu achten (vgl. Fashion Theory 2008, Sonderheft »Ecofashion«; Brown 2010; Diekamp u. Koch 2010) Zu den Strategien von »Slow Fashion« gehören auch Praktiken für nachhaltiges Konsumverhalten (vgl. Wanders 2009), von denen einige den Umgang mit vestimentären Objekten seit jeher bestimmt haben, wie DIY (Do-it-yourself) oder das Wieder- und Weiterverwerten von Gebrauchtem oder Abfall, was heute als Second-Hand (vgl. Palmer 2005) sowie Re- oder Upcycling bezeichnet wird; andere hingegen sind aus aktuellen kapitalismuskritischen Haltungen hervorgegangen und nutzen das Internet etwa beim »Fashion Hacking«, um in geschlossenen Computernetzwerken Schnittmuster zu ermitteln, die der Internet-Community zur Verfügung gestellt werden (vgl. Scaturro 2008).
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Fokus 4: Präsentationsformen Um mit Kleidung eine Zugehörigkeit, eine Differenz, eine Identität zu kommunizieren, anzuzeigen oder entstehen zu lassen, bedarf es ihrer Präsentation (z.B. am eigenen Körper). Wie René König darlegt, hängt die Ausbreitung der Mode über die Jahrhunderte wesentlich mit dem Vorhandensein eines gewissen Schauplatzes zusammen – der Agora der Antike entspreche so beispielsweise der Schlosshof im Mittelalter und in der Renaissance, das barocke Theater des 17. Jahrhunderts, der Salon des 18. Jahrhunderts und die Promenaden, Boulevards und Pferderennbahnen des 19. und 20. Jahrhunderts (vgl. König 1999, 52ff.). Die Präsentation von Kleidung erfüllt demnach mehrere Funktionen: Neben der Möglichkeit, sich als Mensch innerhalb sozialer Gefüge zu positionieren (oder positionieren zu lassen, wie es zu Zeiten der Kleiderordnungen bis zur Französischen Revolution der Fall war), neben der Ausdrucksmöglichkeit von Individualität, sowie der Möglichkeit, sich zu schmücken oder bestimmte Merkmale des Körpers zu betonen, neben der Lust am Spiel und am Luxus und neben vielen weiteren Funktionen, dient sie den ModeschöpferInnen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Verbreitung und Verkaufsförderung ihrer Kreationen. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten wurden verschiedene Wege, Räume oder Medien der Dar- bzw. Zurschaustellung gefunden, die mit gezielt eingesetzten inszenatorischen Mitteln Kleidung in einem außeralltäglichen Rahmen präsentieren. Einige AutorInnen gehen davon aus, dass die Präsentation von Kleidung überhaupt erst die Etikettierung einer Kleidung als Mode möglich macht, weil bei der Präsentation EntscheidungsträgerInnen zu dieser Aushandlung zusammenkommen (vgl. Kawamura 2004 u. 2005; Entwistle 2010), die Präsentationsform selbst zur Hervorbringung von Neuem beiträgt (vgl. Kühl 2015) oder ein spezifisches Kleidermodewissen generiert (vgl. Weise 2014). Im Folgenden soll ein kurzer geschichtlicher Abriss der Geschichte der Präsentationsformen von Kleidung bzw. Mode gegeben werden. Es war bereits seit dem 14. Jahrhundert üblich, große und kleine Modepuppen aus Holz, Wachs, Porzellan, Papiermaché oder Leder von den französischen zu anderen europäischen Königshäusern zu verschicken, die mit den Kreationen der Hofschneider bekleidet waren. Diese sogenannten ›Pandoras‹ waren die frühsten Botschafterinnen der Mode (vgl. weiterführend Hillier u. von der Marwitz 1968; Thiel 1980; Kleinert 1980; Tietzel 1991; Müller-Tamm u. Sykora 1999; Otten 2003; Loschek 2011; Taylor 2013). Sie wurden Ende des 18. Jahrhunderts sukzessive von Papierpuppen und von Modeillustrationen (Kupfer- und Holzstichen, Lithografien) in Modezeitschriften wie dem französischen Cabinet des modes (seit 1785) oder dem deutschen Journal des Luxus und der Moden (seit 1786) ersetzt – ein Zeichen der Demokratisierung von Mode, wie sie seit der
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Französischen Revolution eingesetzt hatte. Die Puppe kehrte aufgrund der Finanznot und Materialknappheit erst wieder nach dem 2. Weltkrieg zurück: Im Théatre de la Mode zeigten 58 ModeschöpferInnen ihre Kollektion an ca. 68 cm großen Drahtpüppchen inmitten theatraler Arrangements. Diese Ausstellung wanderte durch ganz Europa, und kurz darauf sogar nach Amerika (vgl. Charles-Roux, Lottman, Garfinkel u. Gasc 2002 [frz. 1990]). Die Barbie ist unsere moderne Modepuppe (vgl. Lehnert 2012c u. 2014a) – neben den massenhergestellten Exemplaren für das Kinderzimmer existieren limitierte Sonderausgaben: Zeitgenössische Designer wie Jean Paul Gaultier, Marc Jacobs oder Giorgio Armani bildeten für die Barbie ein Kleid aus einer ihrer vergangenen Kollektionen nach (vgl. Abbildungen in Beigbeder 1998). Einen interessanten Umgang mit den Modepuppen präsentierte Maison Martin Margiela mit der Kollektion H/W 1994 »A Doll’s Wardrobe«, für die Puppenkleidung auf Menschenmaße vergrößert und so auf die disproportionalen Verhältnisse aufmerksam gemacht wurde. Zudem regen die lebensgroßen Schaufensterpuppen und Schneiderpuppen, deren Gestaltung bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Läden und seit den 1970ern in Museen zu einem elementaren Bestandteil der Modepräsentation avanciert sind, zu wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem vermeintlichen Idealkörper, der durch sie konstruiert und vermittelt wird, an (vgl. Schneider 1995; Vinken 1998; Brunn u. White 2001; Sandberg 2003, Weise 2012). Auch nach der Französischen Revolution blieb Paris die Modehauptstadt – wesentliche Veränderungen gab es hinsichtlich der AkteurInnen, die ein neues Modesystem herausbildeten. Laut Kawamura (2004 u. 2005) war die Gründung der Chambre Syndicale de la Confection et de la Couture pour Dames et Fillettes14 1868, eines Verbandes, der auf die Initiative des in der Retrospektive ersten Haute Couture-Designers Charles F. Worth zurückgeht und dem Schutz vor Raubkopien (insbesondere aus den USA) dienen sollte, die Basis dessen, was sie das »französische Modesystem« nennt (Kawamura 2004, 35ff.; vgl. weiterführend Parmal 2006; Grumbach 2006 u. 2007). Damals wie heute entscheidet dieser Verband über die Aufnahme von DesignerInnen in den offiziellen Haute Couture-Kreis und organisiert die Modenschauen der Haute Couture- und Prêt-à-porter-DesignerInnen in einem verbindlichen Kalender. Währenddessen entwickelte sich Berlin aufgrund der Industrialisierung und Massenherstellung zeitgleich zur zweitwichtigsten Präsentationsplattform von 14 | Heute ist dieser Verband unter dem Namen Chambre Syndicale de la Haute Couture Bestandteil der Fédération Française de la Couture, du Prêt-à-porter des Couturiers et des Créateurs de Mode. Sie umfasst seit 1973 noch zwei weitere Institutionen, und zwar die Chambre Syndicale du Prêt-à-porter des Couturiers et des Créateurs de Mode und die Chambre Syndicale de la Mode Masculine.
Einführung
Mode, zur Konfektionshauptstadt (vgl. Dähn 1982; Ganeva 2008 u. 2009). Allen westlichen Großstädten gemein war die Veränderung des öffentlichen Lebens: Die Frau eroberte den öffentlichen Raum und flanierte auf den Promenaden, in den Parks und betrat die seit Mitte des 19. Jahrhunderts entstehenden großen Warenhäuser als kauf kräftige Kundin (vgl. zum Warenhaus Lehnert 2008a u. 2011a; König 2009; Lindemann 2011 u. 2012). Eine Vermischung von zeitgenössischer Warenhaus- und Museumsästhetik erfolgte in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts auf den Weltausstellungen, die für die ersten Couturiers neben Journalen eine Plattform boten, ihre Kollektionen vor einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren, und zwar jenseits von Verkaufsräumen. Bei den Weltausstellungen handelte es sich um Leistungsschauen, auf denen neben historischen Ausstellungsarrangements die beteiligten Nationen ihre neuesten Entwicklungen, Technologien und Produkte vorstellten. Interessanterweise führte das im Fall von Kleidung dazu, dass aktuelle Kreationen der Couture und Konfektionswaren ab der ersten Weltausstellung 1851 in London gleichermaßen vertreten waren. Jedoch waren es die Couturiers, die in den folgenden Jahrzehnten auf diesen Ausstellungen stets neue Präsentationsweisen erprobten: So wurden z.B. die lebensgroßen Puppen bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts immer realistischer gestaltet, während ab den 1920er Jahren abstraktere Figurinen die Displays bestimmten. Eine ähnliche Entwicklung ist in Kleiderausstellungen seit den 1970er Jahren zu beobachten und mittlerweile haben sich auch dort die Präsentationsformen vervielfältigt und beziehen Anleihen aus anderen Räumen der Mode wie dem Atelier (Schneiderpuppen), der Kunst (bewegte Installationen) oder Modenschauen (z.B. die Vorführung an Models bei den Veranstaltungen von Fashion in Motion im Victoria and Albert Museum; vgl. Weise 2012). Aus der ersten Weltausstellung 1851 in London ging eine heutzutage für die weltweit größte Sammlung vestimentärer Artefakte und für spektakuläre Modeausstellungen bekannte Institution hervor: das Victoria and Albert Museum (V&A, bis 1911 unter dem Namen South Kensington Museum). Als erstes Kunstgewerbemuseum sammelte es in den ersten Jahrzehnten nach seiner Gründung auch vestimentäre Objekte, jedoch weniger um diese wegen ihres ästhetischen, kultur- oder stilgeschichtlichen Werts, sondern wegen ihrer Verarbeitung und materiellen Qualität auszustellen, um so eine stete Verbesserung der nationalen Textilproduktion und ihrer Güter herbeizuführen (vgl. Taylor 2004, 10). Weitere Museen, die bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts Kleidung erwarben, hatten eher eine kulturgeschichtliche Ausrichtung. Sie konzentrierten sich hauptsächlich auf vorindustrielle Kleidung wie historische Hofmoden und Trachten, die entweder stilgeschichtliche Entwicklungen visualisieren sollten oder in sozialgeschichtliche Kontexte gestellt wurden, wie die Kostüm- und Trachtensammlung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg (vgl. Zander-Seidel 1998, 2002 u. 2005). Der aktuellen Kleider-
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Modetheorie
mode haftete eine zu offensichtliche Schnelllebigkeit und Vergänglichkeit als Makel an, um sie in eine Institution zu überführen, die Dauer und Ewigkeit versprach. Aus heutiger Sicht werden diese Charakteristika der Mode vor allem als widerständiges Potential gedeutet, mit denen die Deutungshoheit des Museums über die Ewigkeit infrage gestellt wird. Mode widersetze sich der Ausstellbarkeit und Musealisierung zudem, weil sie für Körperlichkeit stehe – etwas, das im modernen Museum, einem Ort der Blickordnungen und -regime, seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ausgeschlossen war (vgl. Potvin 2012; Weise 2014). Gleichwohl es in Paris bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts erste Bemühungen gab, ein Modemuseum zu gründen, gelang der Mode der Durchbruch in den Museen – von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen – ab den 1970er Jahren. Es eröffneten erste auf Kleidermode spezialisierte Museen15 und 1971/72 fand im Victoria and Albert Museum die erste eigenständige temporäre Modeausstellung Fashion. An Anthology statt. Weil in ihr erstmals aktuelle, zeitgenössische Haute Couture- und Prêt-à-porter-Kleider verschiedener DesignerInnen und Labels zu sehen waren und bei der Gestaltung auf Vitrinen sowie auf naturalistische Mannequins verzichtet wurde, stellt die Schau Judith Clark, Amy de la Haye und Jeffrey Horsley (2014) zufolge einen Wendepunkt dar. In direkter Nachfolge richtete das Metropolitan Museum of Art New York unter der Leitung von Diana Vreeland ähnlich spektakuläre Ausstellungen aus u.a. Yves Saint Laurent (1983/84), die erste und deswegen viel diskutierte Retrospektive über einen noch lebenden Designer. Seit den 1990er Jahren ist Kleidermode als Thema vor allem temporärer Ausstellungen in vielen Museen präsent und das Spektrum hat sich um Subkulturen und Massenmoden erweitert. Mit der »Fashion Exhibition« hat sich ein eigenes Ausstellungsformat für modische Kleidung herausgebildet, deren Entwicklung und Spannungsverhältnis zu traditionellen Kostümausstellungen Valerie Steele (2008) darlegt. Marie Riegels Melchior (2014) zufolge grenzt sich die »Fashion Museology« von der lange Zeit an Museen praktizierten »Dress Museology« und der Forderung ihrer bekanntesten Vertreterinnen Valerie Steele (1998), Lou Taylor (1998) und Alexandra Palmer (2008) ab, hauptsächlich objektbasiert zu arbeiten. Eine neue Generation von KuratorInnen, wie etwa Judith Clark, gibt den vestimentären Artefakten nicht länger den Vorrang, sondern bezieht sämtliche visuellen und performativen Erscheinungsformen von Mode sowie des Modesystems in die kuratorische Tätigkeit ebenso wie in die Ausstellungspraxis ein. Während die »Fashion Museology« also noch in den Anfängen steckt (der Be15 | Wie das Textiel- en Kostuummuseum in Antwerpen, das Musée de la Mode et du Costume in Paris (beide 1977 gegründet), das Kyoto Costume Institute (gegr. 1978) oder gut zwanzig Jahre später das Musée des Arts de la Mode et du Textile im Pariser Louvre (gegr. 1997).
Einführung
griff ist 2011 von Melchior bei einer Tagung eingeführt worden), liegen mit Lou Taylors Arbeiten (2002 u. 2004) zur Geschichte der Dress Studies an europäischen und nordamerikanischen Museen zwei Standardwerke vor, die sich allerdings nicht dezidiert mit Kleidermode beschäftigen, sondern mit der Erforschung vestimentärer Artefakte insgesamt, also auch Trachten, exotischer Bekleidung aus anderen Kulturen usw. Obwohl Mode im Museum seit nunmehr mehreren Jahrzehnten ausgestellt wird, kommt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Kleidermodeausstellungen nur zögernd in Gang. Folgende Publikationen der letzten Jahre sind hervorzuheben, weil sie sich dezidiert mit Mode im Museum bzw. einzelnen Aspekten davon beschäftigen: Als eine der wenigen deutschen AkademikerInnen hat sich die Romanistin Ursula Link-Heer bereits 1998 kritisch mit der direkten Aufnahme aktuellster DesignerInnenmode in Museen beschäftigt. Sie sieht in der Entwicklung vor allem den Versuch von DesignerInnen, ihre Kreationen in einer auf Dauer und Ewigkeit bedachten Institution wie dem Museum vor der Vergänglichkeit zu bewahren, sie dadurch aufzuwerten und als Kunst zu nobilitieren (vgl. Link-Heer 1998). Fiona Anderson (2000) legt dar, wie nicht nur renommierte DesignerInnen Museen als Medien nutzen, um an einem weiteren öffentlichen Ort ein bestimmtes Image von sich und ihren Kleidern zu vermitteln, Museumsausstellungen also zu einem Teil des Modesystems würden. Anderson weist darauf hin, wie zugleich Museumsinstitutionen von Modeausstellungen, der Zusammenarbeit mit und finanziellen Unterstützung durch Modelabels profitierten. Damit sind bereits einige Argumente angedeutet, die auch die weitere Auseinandersetzung bestimmen. In zwei Sonderheften widmete sich Fashion Theory 2008 den Themen »Exhibitionism« und »Fashion Curation«. Die in den beiden Heften versammelten Aufsätze reflektieren vor allem die unterschiedlichen Sicht- und Arbeitsweisen von KuratorInnen. Ein immer wieder aufgegriffener Aspekt ist, wie und als was Kleidung und Kleidermode im Museum präsentiert werden. Häufig gegeneinander ausgespielt werden eindrucksvolle, spektakuläre und kontextualisierende Gestaltungsweisen (vgl. Steele 2008; Palmer 2008). Aufgegriffen werden damit Kontroversen, die in der Museologie Tradition haben wie die Debatte um Bildung vs. Entertainment; sowie aus der »New Museology« (vgl. Vergo 1989) die Frage nach der Kontextualisierung der Exponate (vgl. de la Haye u. Clark 2008; Melchior 2014). Statt vestimentäre Objekte ›ohne Geschichte(n)‹ als ästhetische Objekte zu zeigen, wie dies bei den meisten Ausstellungen über Modelabels der Fall sei, fordert Amy de la Haye (2012), eher getragene Kleidung mit sichtbaren Gebrauchsspuren zu präsentieren; das Konzept der Benjaminschen Aura habe sich erschöpft und werde von getragenen Kleidern und persönlichen Geschichten abgelöst (vgl. auch Horsley 2014). Dass Modeausstellungen häufig auf andere Präsentationsräume der Mode wie das Atelier, den Catwalk oder den Shop anspielen, darauf weist Weise
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(2012) hin. Wie Lehnert (2013a) betont, sei die klare Grenzziehung zwischen kommerziellen und nicht-kommerziellen Displays mittlerweile obsolet – so würden Flagship Stores die White Cube-Ästhetik moderner Kunstmuseen zitieren und Ausstellungen wie Verkaufsräume wirken; etwa dann, wenn die Exponate berührt und getragen werden dürfen und Museumsausstellungen nicht länger mehr bloße Schauräume sind, sondern zu multisensorischen Erfahrungsräumen werden (vgl. auch Weise 2012 u. 2014). Mit Ausstellungsprojekten wie Catwalks 2009 im NRW-Forum Düsseldorf wird nicht länger mehr die Kleidermode, also ihre materiellen Artefakte, musealisiert, sondern besonders spektakuläre Modenschauen der letzten Jahre werden als begehbare Installationen ›rekonstruiert‹. Damit hat eine weitere Präsentationsform der Mode – nach der Modefotografie (vgl. Val 2008) – ihren Weg ins Museum gefunden. Neben den aufwändigen Schaufenster- und Auslagengestaltungen und der Präsentation in Ausstellungskontexten rückten seit Ende des 19. Jahrhunderts Modepräsentationen an lebenden Körpern in den Mittelpunkt der Vermarktung von Mode. Laut Joel Kaplan und Sheila Stowell (1994, 116) und Pamela Parmal (2006, 63) gibt es Hinweise darauf, dass das Modehaus Gagelin, bei dem Charles F. Worth als Schneider und seine spätere Frau Marie Vernet als Verkaufsdame gearbeitet hatte, bereits 1849 aus den Verkaufsdamen »demoiselles de magasin« auswählte, die Tücher und Mäntel vorführten. Allgemein gängig wurde diese Praxis ab den 1880er Jahren (zur späteren Entwicklung im 20. Jahrhundert vgl. Brachet-Champsaur 2006). Worth führte seine Kreationen nicht nur in seinem Atelier auf, sondern schickte seine Frau auch auf öffentliche Pferderennen (vgl. Brevik-Zender 2009) sowie zum französischen Hof – eine Praxis, die dem Versand der ›Pandoras‹ in den früheren Jahrhunderten zu ähneln scheint. Schon bald wurden diese Vermarktungsstrategien von nachfolgenden DesignerInnen, wie Madame Vionnet, Jeanne Paquin, Paul Poiret, Jean Patou, Lucile usw. erweitert und verfeinert. Lady Lucy Duff Gordon, die besagtes Label Maison Lucile betrieb, schreibt man die Erfindung der »mannequin parades« zu, der theatralen Aufführung ihrer Kreationen inklusive Einladungskarten, Programm, Podium (als Vorläufer des Laufstegs), Bühnenvorhang, Orchestermusik und Rampenlicht (vgl. Parmal 2006, 78; Zazzo 2007, 172; weiterführend Safer 2011). Sie gab jedem Kleidungsstück wundersame Namen, wie »Do you love me?« (vgl. Kaplan u. Stowell 1994, 117ff.), und ihren Models Pseudonyme, wie »Hebe«, »Gamela« oder »Dolores« (vgl. Vilaseca 2010, 34). Ihre Modenschaukreationen kulminierten laut Kaplan und Stowell (1994, 119) im Genre des »fashion plays«, einer Mischform von Theaterstück und Modenschau. Zu einer ausführlichen Geschichte der Modenschau vergleiche die Publikationen von Gertrud Lehnert (1996), Harriet Quick (1997), Caroline Evans (2001, 2005, 2008, 2010, 2011 u. 2013), Anne Zazzo (2007), Lydia Kamitsis (2009) und Alicia Kühl (2015).
Einführung
Ähnlich wie Lucile inszenierten Paul Poiret und später auch Elsa Schiaparelli ihren Kollektionen gewidmete Festivitäten, die sich um ein bestimmtes Thema drehten. Dabei orientierten sie sich an Inszenierungsstrategien, die sie aus dem Theater kannten, wovon beispielsweise Poirets Partizipation am Theaterstück »Das Minarett« 1913 zeugte. Das Theaterstück wurde von ihm daraufhin in eine raffinierte Modenschau umgestaltet und in zahlreichen amerikanischen Warenhäusern präsentiert (vgl. Troy 2004, 47). Poirets Marketingstrategien kannten keine Grenzen – nicht nur entwarf er für Theater und Film, sondern produzierte selber Filme von seinen Modenschauen, die er in verschiedenen Großstädten Amerikas seinem Publikum vorführte (vgl. Mijovic 2013). Vor dem Hintergrund ihrer Recherchen über die mannigfaltigen Marketingstrategien von Poiret zeigt Evans einige interessante Parallelen zwischen der Erfindung der Modenschau und den ersten Kinofilmen des Genres »cinema of attractions« seit 1890 auf, insbesondere in Hinblick auf das herrschende Bild von der Frau. So war beispielsweise ihre Stummheit ein Merkmal, welches die Mannequins und Schauspielerinnen zu Beginn teilten. Während sich das »cinema of attractions« zum »cinema of narrative integration« weiterentwickelte und durch Tonspuren ergänzt wurde, veränderte sich an der Modenschau in dieser Hinsicht nichts (vgl. Evans 2011, 114ff. u. 124). Wie Evans darlegt, ist zudem ein Vergleich der Modenschau mit der dem Film vorausgehenden Chronofotografie – Fotografieserien von Bewegungsabläufen – beispielsweise von Étienne-Jules Marey oder Eadweard Muybridge möglich (vgl. Evans 2005). Poirets Idee, Modenschauen durch kurze Modefilme zu ersetzen oder zu ergänzen, ist in den letzten Jahren wieder aufgekommen, beispielhaft dafür sind die Produktionen von Showstudio für Gareth Pugh (zur Auseinandersetzung mit den sogenannten »fashion short films« vgl. Khan 2012a u. 2012b; Berra 2012). Dem Themengeflecht Mode und Film sind eine Reihe von weiteren Publikationen gewidmet (einen Überblick verschaffen beispielsweise Engelmeier u. Engelmeier 1990; Devoucoux 2007; Georgen u. Schmitz 2014). Im Allgemeinen untersuchen sie zum einen die Funktionen von Mode im Film, also von Filmkostümen (vgl. Uhlirova 2013a u. 2013b; Finamore 2013), zum anderen aber auch, inwiefern der Film dazu beitragen kann, Stile und Moden zu verbreiten, u.a. vermeintlich national gefärbte wie z.B. ›die französische Mode‹ (vgl. Delpierre, de Fleury u. Lebrun 1988; Cook 1996; Dufreigne 2005, Ganeva 2007; Munich 2011; Tulante 2013), oder wie das Frauenbild im Zusammenhang mit Kleidung durch den Film konstruiert werden kann (vgl. Bruzzi 1997; Berry 2000). Zu den wesentlichen Neuerungen, die die Modeillustrationen mit der Zeit ersetzten und amerikanische Modezeitschriften wie die Vogue oder Harper’s Bazaar zu ihrem Erfolg verhalfen, zählt die Modefotografie (vgl. Dogramaci
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Modetheorie
2001 u. 2011). Zahlreiche AutorInnen haben sich mit berühmten FotografInnen und ihrer Art und Weise, Mode und Körper zu inszenieren, beschäftigt (z.B. Arnold 2002; Fashion Theory 2002, Sonderheft »Fashion and Photography«; Conekin 2006; Rasche 2007; Brown 2009). Sylvie Lécallier (2007) bespricht die Verbreitung von Fotografien, die auf den Pferderennbahnen und von den Modenschauen über die Jahrzehnte entstanden sind. Sie erklärt, dass sich die DesignerInnen oft in einer Zwickmühle befinden: einerseits möchten sie die Exklusivität ihrer Shows und Originalität ihrer Entwürfe wahren und Kopien, insbesondere aus Amerika, vorbeugen – andererseits möchten sie die Vervielfältigung für eine Absatzsteigerung ihrer Kollektionen nutzen (vgl. ebda., 160). Die Modenschau als spektakulärste Präsentationsform von Mode wandelte sich in den 1960er Jahren durch die Popularisierung des Londoner Designs, allen voran von Mary Quant. Die mit ihren Designs deklarierte Jugendlichkeit und Spontaneität veränderte nicht nur das Frauenbild (ideal verkörpert durch Lesley Hornby alias Twiggy), sondern revolutionierte auch die Modenschau: So ließ sie ihre Models zu Jazzmusik rennen und tanzen, setzte Windmaschinen und ungewöhnliche Bühnenrequisiten und Accessoires ein, wie Schrotflinten und tote Fasane. Schon bald folgte Frankreich diesem Trend: Auch wenn die Vorführungen des New Look von Christian Dior bereits etwas beschwingter waren, waren es insbesondere André Courrèges, Paco Rabanne und Yves Saint Laurent, die mit neuen Modenschauformen experimentierten – beispielsweise durch seltsam anmutende Tanzchoreografien oder surreale, roboterhaften Bewegungen (zu Choreografien von Modenschauen vgl. Kühl 2014a). Wie Pamela Golbin (2009, 34) ausführt, sind die Performances von Rabanne und Courrèges bereits als künstlerische Happenings zu werten – sie beide waren es auch, die ihre Kollektionen nicht nur in ihren Ateliers zeigten, sondern ungewöhnliche Räumlichkeiten für ihre Shows suchten. Mit der Nutzung und Hervorbringung von Modenschauräumen beschäftigt sich Alicia Kühl ausführlich (2012; 2014b u. 2015). Der Spektakularisierung der Modenschauen sind seitdem keine Grenzen mehr gesetzt, sie werden insbesondere durch die neuen medialen Möglichkeiten potenziert. Diese betreffen nicht nur den Einsatz neuer Technologien bei der Modenschaugestaltung (z.B. die bei Viktor & Rolf H/W 2002 eingesetzte Bluescreen-Methode) oder den Einsatz musikalischer Elemente und Effekte (vgl. zur Musik der Modenschauen Zenk 2014). Sie betreffen auch die Produktion von digitalen Modenschauen in Form von »fashion short films«, die verbesserte fotografische Dokumentation der Modenschau (Autozoom, Digitalkamera, Videoaufnahme, Live-Übertragung im Fernsehen), die Dokumentation und Abspeicherung der Modenschauen auf den Websites der DesignerInnen und Nachrichtenportalen, und nicht zuletzt die Nutzung aller Möglichkeiten des Internets (Online-Live-Übertragungen, Online-Shopping, Social Networks,
Einführung
Blogs und Twitter). Die Bilderflut, ohne die eine Präsentation von Mode heutzutage nicht mehr zu denken ist, veranlasst zum Nachdenken. Caroline Evans konstatiert, dass sich das späte 20. Jahrhundert dadurch auszeichne, dass Bilder von Dingen u.a. von der Mode, nicht mehr nur bloße Repräsentationen seien, sondern selbst zur Ware werden. Die Materialität der Dinge werde also durch die Immaterialität von Bildern ersetzt, die jede als Ersatzbefriedigung besitzen kann (vgl. Evans 2000, 97). In der Modetheorie sind in den letzten Jahren nicht nur Publikationen zur Rekonstruktion der Modenschaugeschichte erschienen, sondern auch verschiedene Vorschläge, Modenschauen zu kategorisieren. Nathalie Khan (2000) arbeitet anhand der Shows von Alexander McQueen, Hussein Chalayan und Martin Margiela drei Attribute (»emotional catwalk«, »runway of ideas«, »new realities«) heraus, anhand derer sie neue Tendenzen der Modenschaugestaltung seit den 1990er Jahren skizziert. Ginger Gregg Duggan (2001) bietet fünf Kategorien an (»spectacle«, »substance«, »science«, »structure«, »statement«), die eine Einteilung der Modenschauen seit den 1990ern ermöglicht sowie ihre Ähnlichkeit mit Performances erklärt. Kühl (2015) schlägt mehrere Einteilungsmöglichkeiten vor: Da sie die in der Modenschau entstehenden Atmosphären als zentral für die Hervorbringung von Neuem in der Mode erachtet, ermittelt sie sieben Arten, mit den den »locations« anhaftenden Atmosphären umzugehen. Außerdem gibt sie zu bedenken, dass die Atmosphären von Modenschauen durch alle Sinne erfahrbar sind und demnach auch eine Einteilung von Modenschauen nach der jeweiligen Fokussierung auf verschiedene Sinnesempfindungen möglich ist.
Fokus 5: Raum und Zeit Mode ist nicht ohne das materielle Artefakt – die Kleidung – zu denken, und genauso wenig ohne einen Körper (vgl. Entwistle 2000; Lehnert 2003 u. 2008b), der in einem sozialen Kontext bzw. in Interaktion zu anderen bekleideten Körpern steht. Das Verständnis von Mode als soziale (und ästhetische) Praxis (vgl. Lehnert 2013a) setzt dabei zwei wesentliche Faktoren voraus: Die Rede ist von den Parametern ›Raum‹ und ›Zeit‹, die sowohl auf die materielle Produktion von Kleidung als auch auf die symbolische Zuschreibung von Kleidung als Mode (vgl. Zweiteilung bei Kawamura 2004 u. 2005) maßgeblich Einfluss haben. Es erscheint offensichtlich, dass zu unterschiedlichen Zeitpunkten an verschiedenen Orten auch andere Kleider getragen bzw. andere Moden hervorgebracht wurden. Insbesondere die VertreterInnen der Kostümkunde, wie Max von Boehn (1908-1923), René König (1999) oder Ingrid Loschek (1991), haben sich der Aufgabe gewidmet, eine Chronologie der Modegeschichte zu entwerfen bzw. ihre Strukturen festzustellen. Seit der performativen Wende in den
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Geisteswissenschaften in den 1980er und 1990er Jahren und den folgenden »turns« (wie dem »spatial turn«) jedoch ist eine neue Sicht auf die Wechselwirkungen von Mode, Kleidung, Zeit und Raum möglich. Wäre es denkbar, dass mit der Produktion (im Sinne von Aushandlung, Etikettierung) von Mode auch eine Herstellung von Raum und Zeit einhergeht? Die Raumforschungen der letzten Jahrzehnte entwickelten ein relationales Raumverständnis (als Teil des »spatial«, »topografical« oder auch »topological turns«), nach dem der Raum nicht natürlich gegeben ist, sondern durch soziales Handeln produziert und mit Bedeutung versehen wird. Dies bedeutete die Abkehr von einem absolutistischen Raumverständnis, nach dem der Raum als Container gedacht wurde, bei dem es ein Innen und ein Außen gab (vgl. zusammenfassend Schroer u. Kajetzke 201016). Raum konnte fortan als prozesshaft begriffen werden, d.h. als etwas, was flexibel, formbar und ephemer ist. Wie in der historischen Einführung kurz skizziert wurde, verlagerte sich der Interessenschwerpunkt der ModewissenschaftlerInnen zu Beginn des 21. Jahrhunderts von Körper-, Geschlechts- und Identitätsfragen zu Problematiken, die sich eher mit den (Re-)Präsentationformen von Mode oder mit strukturellen oder räumlichen Kontexten, in die Mode eingebunden ist, beschäftigten: z.B. die Forschungen zu Modenschauen (vgl. Evans 2003), zum Modesystem (vgl. Kawamura 2004 u. 2005) oder eben auch zur Architektur, zu Räumen und denen ihnen anhaftenden Atmosphären (vgl. Quinn 2003; Potvin 2009; Lehnert 2012a; Kühl 2012, 2014b u. 2015). Diese Verlagerung ist Resultat des »performative turn« im Allgemeinen, des »spatial turn« im Speziellen und ihrer Übertragung auf die Mode. Interessant für die Modetheorie waren zudem Ansätze aus den Theaterwissenschaften, insbesondere von Erika Fischer-Lichte (2004 u. 2012). Nach ihr entsteht Räumlichkeit erst in der Aufführung durch die im Raum erschaffene Atmosphäre sowie durch das Zusammenwirken der Anwesenheit und Handlungen von AkteurInnen und ZuschauerInnen – Raum kann infolgedessen als performativ verstanden werden. Wie in dem Sammelband von Gertrud Lehnert (2012b) ersichtlich wird, generiert das Wechselspiel von Raum und Mode vielerlei Untersuchungsgegenstände: die Untersuchung ähnlicher Formen von Mode und Architektur, der Darstellung von öffentlichem und privatem Raum in Modeillustrationen und -fotografien (z.B. Mentges 2012), der Untersuchung von Modenschauräumen (z.B. Silbermann 2012; Kühl 2012 u. 2015), Museumsräumen (z.B. Weise 2012), Verkaufsräumen (z.B. van der Bliek 2012) und virtuellen Räumen (z.B. 16 | Vorbereitend sowie später zentral für den »spatial turn« waren einige einschlägige Publikationen, wie z.B. von Georg Simmel (1903b); Edmund Husserl (1973 [1907]); Emile Durkheim (1981 [frz. 1912]); Henri Lefebvre (1974); Norbert Elias (1987 [engl. 1984]); Anthony Giddens (1992 [engl. 1984]); Marc Augé (1994 [frz. 1992]); Martina Löw (2001) und Stephan Günzel (2010).
Einführung
Beckmann 2012), oder auch des Raums, den Kleider selbst als raumfüllende, skulpturale Objekte einnehmen bzw. strukturieren (Leutner 2012; vgl. hier auch Lehnert 2001a u. 2014b sowie das Kapitel in diesem Buch). Einige Arbeiten stützen sich dabei auf den performanztheoretischen Ansatz, nach dem Raum erst durch »modisches Handeln« (verstanden als soziales Handeln bekleideter Körper) entsteht, sich verändert, eine neue Bedeutung erlangt und verschwindet. Gertrud Lehnert differenziert dabei drei Dimensionen modischen Handelns in Räumen, und zwar (1) die Schauplätze, an denen Mode inszeniert und aufgeführt wird, (2) die Räumlichkeit der Kleidung selbst sowie (3) die Körpertechnik als räumliches Handeln (2012a, 8ff. und 2013c). Die Schauplätze, die virtueller, bildlicher oder materieller Art sein können, kommen durch ein Wechselspiel mit dem, was in oder an diesen Orten imaginiert werden kann, zustande. Ein Ort oder ein Raum ist also nicht nur das, was ihm Menschen durch seine Nutzung zugewiesen haben, sondern auch das, was an ihm möglicherweise erlebt werden kann – Lehnert (ebda.) spricht von »Erlebnisräumen«, Kühl in diesem Zusammenhang von »Imaginären Räumen« und »Möglichkeitsräumen« (vgl. Kühl 2015). Für die Auseinandersetzung mit Schauplätzen materieller Art ist die Beschäftigung mit Atmosphären wesentlich, wobei sich einige AutorInnen auf die einschlägigen Arbeiten von Gernot Böhme (1995 u. 2006) beziehen. Laut Böhme sind Atmosphären Räume, »insofern sie durch die Anwesenheit von Dingen, von Menschen oder Umgebungskonstellationen, d.h. durch deren Ekstasen ›tingiert‹ sind« (Böhme 1995, 33). Atmosphären seien also keine Eigenschaften von Dingen im Raum, die ohne die Anwesenheit von Menschen sowieso bestünden, sondern entstehen erst in dem Moment ihres »Tingierens«, also ihres ›Aufeinandertreffens‹. Interessant für die Modeforschung ist der Gedanke der »ästhetischen Arbeit« (ebda., 35ff.; vgl. auch Lehnert 2008b, 92f.), die Böhme KünstlerInnen zuschreibt und die darin besteht, dass sie in Objekten eine Art Potential ›anlegen‹ können, das zu einer »Ekstase« einer Atmosphäre im Moment der leiblichen Anwesenheit von Menschen führt. Der Möglichkeit, Potentiale für Atmosphären ›anzulegen‹, können sich auch die ModemacherInnen bedienen, indem sie beispielsweise ihre Mode aufführen und hierbei die Atmosphären von Orten oder Locations nutzen (wie beispielsweise einer Kirche bei der Show von Michael Michalsky H/W 2009) oder eigene Atmosphären durch bestimmte Inszenierungsstrategien hervorrufen.17 Ein weiterer Aspekt, der mit dem Raum in Verbindung gebracht werden kann und bislang nur peripher behandelt wurde, ist der der Bewegung durch den Raum (vgl. Schlittler u. Tietze 2013). Modisches Handeln als Interaktion 17 | Alicia Kühl (2015) schlägt in diesem Zusammenhang vor, dass bei der Aufführung von Modenschauen sieben verschiedene Typen der Nutzung von Atmosphären unterschieden werden können.
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zwischen Menschen umfasst auch ihre Bewegung in den Kleidern, und Bewegung konstituiert wiederum Raum. Dabei kann Kleidung verschiedene Wechselwirkungen mit diesem Bewegungsraum eingehen (vgl. Kühl 2014a): Erstens kann die Kleidung selbst Bewegung im Raum ermöglichen, steuern oder verhindern. Umgekehrt kann der bebaute Raum genauso die Bewegung des modischen Körpers ermöglichen, steuern oder verhindern. Drittens kann der Raum symbolisch kodiert sein und sowohl Kleidung als auch Bewegung vorschreiben; und schließlich hat die Kleidung anderer TrägerInnen Einfluss auf die Bewegung einer TrägerIn im Raum, d.h. dass Kleidung selbst Bewegungsanweisungen kommunizieren kann (beispielsweise Uniformen). Das Verhältnis von Mode und Zeit lässt sich ebenfalls auf vielfältige Weise untersuchen. Zunächst einmal liegt die Analyse von Moden aus vergangenen Zeiten nahe (s.o.). In den letzten Jahren erschienen jedoch einige Publikationen, die sich eher mit der Mode als Zeit-Indikator sowie mit dem Zukünftigen, d.h. mit Innovationen, Inventionen und dem Neuen beschäftigt haben (z.B. Loschek 2007; Lynch u. Strauss 2007; Haberler 2012; Kühl 2015).18 Die zentrale Fragestellung ist hierbei, ob Innovativität mit der Genialität der ModeschöpferInnen korreliert, ob das Neue also etwas subjektiv und von äußeren Umständen unabhängig Erschaffenes ist – oder eine neue Mode ›mit der Zeit‹ geht, d.h. in Wechselwirkung mit gesellschaftsrelevanten Ereignissen oder Thematiken steht, ein ›Indikator‹ für diese ist. Diejenigen, die die Kreativität der DesignerInnen nicht in Abrede stellen und typische Inventionsstrategien oder Kreationstechniken herausarbeiten, räumen meist ein, dass es dennoch der Akzeptanz der Modefachleute bedarf, um eine Kreation als etwas Neues zu labeln (z.B. Kawamura 2004 u. 2005; Loschek 2007, 163). In Anknüpfung an die Benjamin’sche Dialektik des Neuen und unter Berücksichtigung des für die Kulturwissenschaften einschlägigen Werkes von Boris Groys (1992) ist die Voraussetzung für die Geburt des Neuen die Opposition zu einem System, einem kulturellen Gedächtnis bzw. einer Ordnung, in der Altes und Neues in einem dialektischen Verhältnis zueinander stehen. Das Neue ist nur dann erkennbar, wenn es Regeln oder Tabus des Systems bricht oder in Abgleich mit dem Alten hervorsticht, dabei aber trotzdem nicht seine Anschlussfähigkeit an das System riskiert, da es sonst nicht erkannt wird und nicht eingliederungsfähig ist (vgl. Haberler 2012; Kühl 2015). Die von den AutorInnen ermittelten, vielfältigen Funktionen des Neuen umfassen die Destabilisierung und gleichzeitig Stabilisierung des Systems 18 | Im Gegensatz zu Gedanken über den Raum waren solche über die Zeit bereits bei frühen Theoretikern Bestandteil der Reflexionen, z.B. der Aspekt der Zeitlichkeit bei Baudelaire (1988 [frz. 1863]) und Benjamin (1983 [1928-1929, 1939-1940]), und der des Zeitgeistes beispielsweise bei Vischer (1879).
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(denn nur wandlungsfähige Systeme sind überlebensfähig), das Zitieren von Vergangenem als Inventionsstrategie, das Anzeigen von Gegenwärtigem oder auch das Antizipieren von Zukünftigem, sowie die Bewältigung der daraus resultierenden Kontingenz (vgl. hier auch Evans 2003). Erste wichtige Überlegungen zu einem modebezogenen Verständnis von Zeitlichkeit skizziert Barbara Vinken (1993, 63ff.): Ein Charakteristikum der sogenannten »Mode nach der Mode« sei die »einschneidende Veränderung im Verhältnis der Mode zur ›Zeit‹« (ebda., 63). Während in der »mode de cent ans« bis in die 1960/1970er Jahre der Bezug zu vergangenen Moden (in Form von Zitaten) verdeckt unternommen wurde, ging man danach dazu über, die Vergänglichkeit von Mode offensiv zur Schau zu stellen. Mode sei fortan zu einer neuen »Gedächtniskunst« (ebda., 65) geworden, indem sie die Zitation, Kombination und Dekonstruktion alter Moden auf die Spitze treibe. Aber, und dieser Aspekt ist der interessantere, auch indem sie ihre Herstellung und Vergänglichkeit reflektiere. Der Einsatz zerschlissener Stoffe, des »stone washing« von Jeans, knittrige Textilien, zerrissene Hosen, offene Nähte oder nach außen gekehrte Säume in Modellen von seit den späten 1980er Jahren agierenden DesignerInnen wie Martin Margiela, Alexander McQueen oder Hussein Chalayan sind Beispiele für diese Reflexivität. Vinken ist der Ansicht, dass es nun an der Zeit sei, »›Zeit‹ mitzutragen« (ebda., 67). Der bewusste Umgang mit Textilien führte in den letzten Jahren u.a. von einer Recycling- zu einer Upcycling-Mode, in der der Lebenszyklus der Textilie zu einem Argument von Besonderheit und Neuheit wurde.
Fokus 6: Globale Mode Unser Band konzentriert sich auf die abendländische Mode und ihre Theorie seit dem späten 18. Jahrhundert. Aus der heutigen Perspektive ist sie freilich nur ein – wenn auch global einflussreicher – Aspekt des umfassenden Themas Mode, der definierbar und von anderen Aspekten abgrenzbar ist (vgl. u.a. Lipovetsky 1987 und Esposito 2004, sowie die Beiträge zu ihnen in diesem Band). Viele ältere Mode- bzw. Kostümgeschichten gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass Mode in der Antike beginnt oder sich aus fremden Einflüssen nährt. Das Konzept von Mode wird dabei meist nicht theoretisch fundiert, sondern ergibt sich höchstens aus einer Abgrenzung zu Tracht und Kostüm, die oft zu schematisch bleibt. Es folgt dann die Phase, in der man Mode theoretischer fasst und von anderen – historischen – Arten vestimentärer Artefakte und vestimentären Handelns abzugrenzen versucht, um Mode als spezifisch modernes Phänomen zu definieren. Seit einigen Jahren kehrt man, wenngleich in deutlicher Akzentverschiebung und starker historischer wie theoretischer Fundierung, zu der Idee zurück, dass Mode nicht nur eine Erscheinung der westlichen Moderne ist. Zunehmend setzt sich die Überzeugung durch,
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dass man weltweit in den unterschiedlichsten historischen Epochen von Mode sprechen kann und sollte, auch bei weniger dominanter Technologie und Konsumkultur, sofern es eine Neigung zur ästhetischen Selbstgestaltung gibt, die nicht nur von Nützlichkeit, Funktionalität und der Demonstration von Status bestimmt wird; ferner zum Wechsel der Erscheinungen und zur Verselbstständigung der vestimentären Erfindungen. Zudem rückt die Erkenntnis immer stärker in den Blick, dass die westliche Mode nie eine partikulare Erscheinung war, sondern dass sie von Anfang an in internationale, ja globale Austauschbeziehungen verwickelt war und selbst wesentliche Anregungen vor allem aus dem sogenannten Orient erhielt, d.h. vom kulturellen ›Anderen‹ und seiner spezifischen Ästhetik. Der vestimentäre Austausch findet schon in der Antike statt, in Europa zur Zeit der Kreuzzüge im 12. Jahrhundert, über die Mauren in Spanien bis hin zum auf blühenden Handel vor allem Hollands und Englands mit Luxusgütern seit dem 17. Jahrhundert, der nur den Anfang des weltweiten Handels und Handelns mit Mode in der heute beschleunigten Globalisierung darstellt. Die europäische Mode nimmt immer wieder Anregungen aus fernen Ländern auf, die als Luxusprodukte eingeführt und schon bald in den Ursprungsländern gemäß den Geschmacksvorgaben der Europäer angefertigt werden. Die ›Originale‹ sind also sehr schnell manipulierte Originale, da sich Europa der neuen Anregungen rasch bemächtigt, sie nachahmt und eigene Industrien entwickelt. Über den Kolonialismus mit seinem gezielt geschaffenen und aufrecht erhaltenen Ungleichgewicht wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse und mit seinen eindeutigen politischen Machtverhältnissen führt diese Entwicklung in die heutige Situation, in der die Industriestaaten die wirtschaftliche Macht behalten, die Fertigung ihrer Produkte (nicht nur) für den Massenkonsum schließlich in Niedriglohnländer auslagern und damit überhaupt erst die Bedingungen für die westlichen Konsumkulturen, für Fast Fashion und den angeblichen Luxus für alle durch immer billigere Angebote schaffen. Die Geschichte der vor allem frühen Handelsbeziehungen und der Konsumgeschichte ist vorwiegend von HistorikerInnen aufgearbeitet worden, unter anderem von John Brewer und Roy Porter (1993), Hans-Peter Bayerdörfer und Eckhart Hellmuth (2003), Stefanie Wolter (2005) und Ina McCabe (2008); zu Textilien von Giorgio Riello mit Beverley Lemire, Roy Tirthankar oder Prasannan Parthasarathi (2008; 2009; 2009); zu Luxus und Luxuskonsum Maxine Berg (Berg 2005; Berg u. Eger 2008). Forschungen zu einzelnen Artefakten wie etwa dem Kaschmirschal (Irwin 1973; Rehman u. Jafri 2006; Ames 2010, Lévi-Strauss 2012), der im späten 18. Jahrhundert nach Europa exportiert wurde und einen unerhörten Erfolg erlebte, dann nach Indien zurück exportiert wurde, um die europäischen bzw. französischen Maßstäbe dort durchzusetzen, zeigen im Detail die komplexen Austauschprozesse. Sie waren jedoch weitgehend von eurozentrischen Gesichtspunkten beherrscht und etablierten
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Machtverhältnisse, die mit Unterbrechungen bis heute anhalten. Die Übernahme ›fremder‹ Einflüsse wird historisch auch am Beispiel geschriebener oder visueller Zeugnisse wie Kostümbüchern der Renaissance (Mentges 2013), den frühen Modezeitschriften (Lehnert 2007 u. 2013b) oder auch Reiseberichten (z.B. Konuk 2003 u. 2004) untersucht. Einen Schwerpunkt der Studien zur Beziehung des Fremden zum Anderen in der Mode bildet, wie an diesen Beispielen zu sehen ist, der sogenannte Orientalismus, der meist in Bezug auf Edward W. Saids einflussreiche Arbeit Orientalism (1978) kritisch als einseitiges Machtverhältnis und in Bezug auf die Mode vorrangig als Produktion vestimentärer Phantasien analysiert wird (vgl. Koda u. Martin 1994; Bruignac-La Hogue u. Pérez 1998; Tétard-Vittu 2004; Mears 2005). Adam Geczy schlägt den Begriff »cultural borrowing« (kulturelles Leihen) vor, um das bisherige »cultural plunder« (Plündern) mit einem mittlerweile passenderen Terminus zu ersetzen, denn modischer Orientalismus bestehe aus Überlappungen, Ko-Abhängigkeiten und gemeinsamen Neudefinitionen (Geczy 2013, 2). Daraus resultieren drei Schwerpunkte seiner Analyse: (1) die realen Räume des ›Orients‹, bevor sie vom Westen zum Orient gemacht und als solcher ausgenutzt werden; (2) Selbst-Orientalisierung, d.h., die Art und Weise, wie das kulturelle Andere seine eigenen Orientalismen ausbildet, um einen Raum von Phantasie und Freiheit einzufordern, der dem Orientalismus seit jeher eingeschrieben sei, und schließlich (3) der phantasievolle Gebrauch dekontextualisierter und geographisch nicht festlegbarer orientalistischer Elemente im Westen, z.B. Paul Poirets orientalisierende Roben oder die spektakulären Inszenierungen der Ballets Russes. Assimilation, Maskerade und Inspiration seien die Arten, wie orientalische Einflüsse sich realisierten (vgl. dazu auch Lehnert u. Mentges 2013). Selbst-Orientalisierung gehört in den Kontext des Orientalismus; sie sei, so Ann Marie Leshkowich und Carla Jones, Ausdruck des modernen Kosmopolitismus – keineswegs, wie oft unterstellt wird, ein essentialisierender Ausdruck ethnischer Traditionen (Leshkowich u. Jones 2003, 282). Während in Asien jedoch eine – moderne – Mischung aus westlicher und asiatischer Kleidung entstehe, inspiriere der Westen sich an einem herkömmlichen, traditionellen Bild orientalischer Kleidung (Niessen, Leshkowich u. Jones 2003). Hinzuzufügen ist, dass solche Übernahmen meist eklektisch, partiell und aneignend sind. Niessen, Leshkowich und Jones betonen, dass die Globalisierung ein Prozess ist, dem Geschlechterdifferenzen und -hierarchien auf allen Ebenen von Produktion bis Konsum eingeschrieben sind (und sogar der Ebene von Nationalitätenstereotypen), und dass sie so viele Differenzen hervorbringt wie Ähnlichkeiten; die Autorinnen sprechen von »homogenized heterogeneity«, homogenisierter Heterogenität (ebda., 13). Ein wichtiger, sich durch die Jahrhunderte ziehender Aspekt des Orientalismus ist die Dichotomie von Faszination durch das orientalische Andere auf
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der einen Seite und der Angst davor auf der anderen Seite. Ashwani Sharma und Sanjay Sharma (2003) prägen dafür den Begriff »weiße Paranoia«. Der weiße Universalismus identifiziere sich mimetisch mit »otherness as an idealized object«, mit dem Anderen als idealisiertes Objekt, um die eigene Universalität aufrechtzuerhalten. Diese Identifikation führe aber keineswegs dazu, dass man zum Anderen werde, sondern dass man besser werden wolle als das Andere. Von umgekehrter Mimesis spricht man dagegen, wenn sich das Andere dem Eigenen zu sehr anpasst und deswegen als Anderes nicht mehr identifizierbar ist. Das löse Schrecken, eben Paranoia aus, weil in der kolonialen Logik das identifizierbare Andere immer benötigt werde (vgl. Sharma u. Sharma 2003). Daraus lässt sich in Bezug auf die Mode die These ableiten, das (orientalische) Fremde werde in Europa grundsätzlich nur fragmentiert und dann angeeignet, wodurch es ungefährlich werde (vgl. Lehnert 2011b u. 2013b). Die systemtheoretische Studie Yuniya Kawamuras (2004) über die Revolution des westlichen Modesystems durch die japanischen DesignerInnen in den 1980er Jahren wird nicht zur Orientalismusforschung gezählt, aber sie verdient auch in diesem Kontext Erwähnung. Kawamuras Interesse gilt nicht, wie das traditionell oft ist, der Übernahme und Einverleibung orientalischer (und meist fragmentierter) Elemente durch den Westen, sondern sie dreht die Perspektive um und untersucht die grundlegende Umgestaltung des gesamten von der Haute Couture und der Designermode dominierten westlichen Modesystems durch die japanischen ModeschöpferInnen Rei Kawakubo, Issey Miyake und Yohji Yamamoto seit den 1980er Jahren. Zur Ästhetik des Designs der japanischen AvantgardistInnen in den 1980er Jahren und ihren NachfolgerInnen gibt der Katalog Future Beauty zur gleichnamigen Münchner Ausstellung (Ince u. Nii 2011) fundierte Informationen. Mit dem Siegeszug des Internets haben sich die globalen Dimensionen der Mode beschleunigt. Weltweit gibt es mittlerweile Fashion Weeks – Europa ist längst nicht mehr das Zentrum der Mode, auch wenn hier nach wie vor vieles zusammenläuft und vieles von dem, was global als Mode rezipiert wird, von der westlichen Mode her kommt. Eine Vielzahl von Veröffentlichungen hat sich in jüngster Zeit Kleidung und Moden in den unterschiedlichen Regionen der Welt gewidmet. Exemplarisch dafür ist die von Joanne Eicher herausgegebene Berg Encyclopedia of World Dress and Fashion (2010). In zehn Bänden werden Kleidertraditionen und Moden der Welt aus unterschiedlichen disziplinären und theoretisch-methodischen Perspektiven ausführlich dargestellt. In vorwiegend theoretischer Perspektive widmet die von Valerie Steele seit 1997 herausgegebene Zeitschrift Fashion Theory Sonderhefte den unterschiedlichen Aspekten globaler Mode, so dem Orientalismus (2003), muslimischer Mode (2007) oder Afrika (2010). Der von Giorgio Riello und Peter McNeil herausgegebenen Fashion History Reader (2010) betritt mit seiner explizit globalen Perspektive Neuland. Dennoch bedeutet die Globalisierung der Mode nicht,
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dass das eurozentrische Verständnis von Mode grundsätzlich zur Disposition stünde. Was für ein langer Weg es sein kann, wenn die früher als bloß Ausführende oder Nachahmer betrachteten Länder selbst eigene Modeindustrien entwickeln, zeigt Simona Segre Reinach am Beispiel Italiens und Chinas. Die italienische Modeindustrie positioniert sich in China als geschmacklich und wirtschaftlich dominant; als gleichberechtigt anerkannt werde China nur, solange es die italienische Mode konsumiere; aber noch lange nicht als Produzent eigenständiger Moden (Segre Reinach 2006, 2010 u. 2011). Während Asien bzw. der Orientalismus lange Zeit im Mittelpunkt des Interesses stand, öffnet sich die Modegeschichte und -theorie inzwischen auch verstärkt anderen Regionen. Insbesondere Afrika gewinnt als riesiger Kontinent mit einer blühenden und hoch ausdifferenzierten Mode zunehmend Beachtung. Eine Reihe jüngerer Veröffentlichungen widmet sich den aktuellen afrikanischen Moden (vgl. Tranberg Hansen 2013; Querformat, Sonderheft »Transcultural Fashion« 2013), wenn auch zuweilen mehr im Sinne einer Bestandsaufnahme (vgl. Jennings 2011). Eine große Rolle spielt in der afrikanischen Mode traditionell die Verarbeitung der Second-Hand-Kleidung, die plötzlich im Zuge der Nachhaltigkeitsdebatten auch in Europa wieder stärker in den Blick gerät. Wenn immer häufiger in den letzten Jahren europäische ModemacherInnen programmatisch aus alten Kleidern neue gestalten und Restmaterialien »upcyceln«, tun sie etwas, was in der afrikanischen Mode eine lange Tradition hat. Leslie W. Rabines Studie (2002) über die globale Zirkulation der afrikanischen Mode ist eine grundlegende und bahnbrechende kritische Darstellung eines Systems von Kleidung und Mode, das nicht auf institutionalisierten, sondern informellen Netzwerken beruht und versucht, die Produzierenden und Konsumierenden von Mode zusammen zu denken. In Afrika herrsche eine Logik des Widerspruchs: KünstlerInnen seien gezwungen, in einem Rahmen wirtschaftlicher Unterdrückung kreativ zu sein; sie vereinten die materielle mit der symbolischen Produktion von Mode, die im Westen strikt getrennt sind. Afrikanische Mode kombiniere die semiotische Logik der Mode mit der Logik ethnischer Kleidung; sie sei lokal und global, traditionell und kosmopolitisch. Angesichts der skizzierten Veränderungen und unter dem Einfluss der postkolonialen Theorie stehen neben den westlichen Übernahmen inzwischen vor allem die hochkomplexen Wechselbeziehungen zwischen dem Westen und seinem Anderen im Zentrum des modetheoretischen Interesses. Begriffe wie Transkulturalität oder »traveling fashion« (Karentzos 2013) verdeutlichen, wie sehr die Mode in Bewegung geraten ist. Wie die Untersuchungen der Handelsbeziehungen und des Luxuskonsums (siehe oben) zeigen, bildeten diese von Anfang an ein Netz wechselseitiger ökonomischer und ästhetischer Bezüge und Beeinflussungen, in dem allen Teilen eine – wenn auch unterschiedli-
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che und im Einzelnen zu definierende – Handlungsmacht zukommt. Auf der einen Seite steht nach wie vor die Ausbeutung der Arbeitskräfte in den Niedriglohnländern durch die westliche Modeindustrie zugunsten eines immer rasanteren Modewechsels in den Industriestaaten; auf der anderen Seite die Entwicklung eigenständiger Märkte, neuer Moden und ganzer Modeindustrien und Fashion Weeks weltweit (siehe die Aufsätze in Brand u. Teunissen 2005). Der Austausch zwischen den Ländern und Erdteilen kann sich freilich einfach als ein Karneval der Stile realisieren, dann bedient sich z.B. ein Modehaus an allem, was aufregend fremd oder exotisch ist und wenigstens vorübergehend den Reiz des Neuen hat. John Galliano wird oft als Beispiel dafür genannt (vgl. Evans 2003; Frankel 2005). Oder er kann sich als transkultureller Austausch und wechselseitige Anregung mit unterschiedlichsten Anleihen und Amalgamierungen realisieren, indem Regionales und Globales unterschiedliche Verbindungen eingehen. Lokale Traditionen können sich zu globalen Trends entwickeln, globale Erscheinungen werden lokal adaptiert und transformiert (vgl. Brand u. Teunissen 2005, Eicher 2010). Das wird nicht zuletzt durch LiveStreaming von Modenschauen oder anderen Events ermöglicht, sodass kaum noch eine zeitliche Verschiebung zwischen Präsentation und Rezeption und damit möglicher Inspiration, Anverwandlung oder auch Nachahmung (in beiden Richtungen) existiert. Auch Blogs spielen eine zunehmend wichtige Rolle, gerade weil sie häufig den lokalen Aspekt in den Vordergrund stellen und weltweit kommunizieren. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass längst nicht alle Menschen über entsprechende technischen Möglichkeiten verfügen und somit der Austausch nur bessergestellten sozialen Gruppierungen vorbehalten bleibt. Denjenigen, die schlecht bezahlte Arbeit unter menschenunwürdigen Bedingungen leisten, damit die globale Konsumkultur sich mit Hilfe immer rascher wechselnder Güter am Leben erhalten kann, sind die ›schönen‹ Seiten der Mode grundsätzlich verwehrt. So gerät im Zuge des Bekanntwerdens von Ausbeutung und Katastrophen in den Niedriglohnländern zunehmend der komplexe Zusammenhang von fairen Löhnen, ungefährlichen Arbeitsbedingungen und ökologisch einwandfreien Materialien in den Fokus (vgl. Black 2012). Denn Begriffe wie Öko-, grüne und auch vegane Mode bezieht sich vor allem auf die verwendeten Materialien und damit auf die Konsumierenden (vgl. z.B. Black 2008; Diekamp u. Koch 2010; Fashion Theory 2008, Sonderheft »Ecofashion«), sie haben aber mit Produktion und Vertrieb nicht notwendigerweise zu tun.
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E INLEITUNG Unser ältester modetheoretischer Text, Christian Garves (1742-1798) Über die Moden von 1792, präsentiert eine umfassende Anthropologie der Mode, die eine Ästhetik der Mode einschließt. Wie die meisten der auf ihn folgenden Theoretiker und Theoretikerinnen interessiert sich der Breslauer Moralphilosoph1 Garve nicht für die konkreten Formen der Mode, sondern für das, was wir heute kulturelle Praxis nennen. Unter Mode versteht er nämlich einerseits »Gebräuche« bzw. die »Regulierung unserer Handlungen« (Garve 1987 [1792], 42); und andererseits »Sachen« (ebda., 30). Heute sprechen wir von Lebensstilen einerseits und Artefakten andererseits (also beispielsweise Modekleidern). Warum es Mode gibt, erklärt Garve mit der These, Mode sei eine Folge der geselligen Natur der Menschen, die nach Ähnlichkeit zueinander streben, sich jedoch in der Ähnlichkeit unterscheiden möchten. Mode konstituiert sich also in Prozessen der Nachahmung und der Variation. Diese Beobachtung ist grundlegend in allen Modetheorien bis heute. Als Triebfeder der Nachahmung nennt Garve den Wunsch, anderen Menschen zu gefallen und sich denen anzugleichen, die man als überlegen ansieht. Eine der Hauptaufgaben der Mode sei soziale Distinktion. Als Ursache der Veränderlichkeit der Mode gilt ihm neben der Begier nach Veränderung das Vergnügen an Schönheit, das die Menschen dazu nötige, die Dinge, mit denen sie sich umgeben, auszuschmücken. Die größere Veränderlichkeit der Kleidermode im Vergleich mit anderen 1 | Garve »gehört zu denjenigen Männern des vorigen Jahrhunderts, welche die Wissenschaft ins Leben zu führen sich mühten, die mit weltmännischer Bildung vertraut, voll Achtung vor ihrer Muttersprache, im Gegensatze zu den gelehrten Pedanten deutlich und faßlich schrieben und dadurch, wie Goethe von Garve und Mendelsohn sagt, allgemeine Theilnahme und Bewunderung erregten« (Jacoby 1878) – was ihn freilich auch oft genug der Kritik aussetzte, ein Populärphilosoph zu sein. Er schrieb u.a. über die Prinzipien der Sittenlehre seit der Antike, über Moral, Literatur und gesellschaftliches Leben oder über Friedrich II. Vgl. zu Garve auch Pittrof 1987. Zu Garves Schriften zählen u.a.: Garve 1798a u. 1798b.
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Dingen erläutert er durch einen Vergleich der Sinne. Mode ziele auf die Augen, die mehr als die anderen Sinnesorgane dem freien Willen unterworfen seien und sich daher »unendlich vielerlei Anblicke gefallen« lassen, sich an alles gewöhnen und »nach längerer Betrachtung oft dasjenige schön finden, was sie bei dem ersten darauf geworfnen Blicke mit Gleichgültigkeit oder gar mit Widerwillen ansahen« (ebda., 34). Garve erläutert dann, wie Veränderungen geschehen. Zentral sei der Wetteifer zwischen Gleichgestellten, von denen aber einer von den anderen als herausragend akzeptiert werde. Neuerungen, so Garve, kommen immer von Einzelnen – verbreitet werden sie durch die Nachahmung. Er vertritt also das, was heute als Trickle-Down bezeichnet wird: Die Ausbreitung der Moden von oben nach unten. Was im 18. Jahrhundert stimmte, hat sich im Verlaufe des 20. massiv geändert. Mode kommt von der Straße (Bubble-Up) oder breitet sich quasi rhizomartig aus (Trickle-Across) (vgl. Polhemus 1994; Schnierer 1995). Garve bezieht seine Beobachtung nicht nur auf einzelne Menschen, sondern auch auf Staaten. So setze auf nationaler Ebene Frankreich die Maßstäbe der Mode, auch wenn England mit ihm konkurriere und sogar Deutschland sich nach und nach zum Rivalen aufschwinge. Damit bricht er indirekt eine Lanze für die zeitgenössischen Bemühungen um eine deutsche Mode, die sich deutlich niederschlagen in der ersten deutschen Modezeitschrift, dem Journal des Luxus und der Moden, das Friedrich Justin Bertuch seit 1786 in Weimar herausgab mit der Absicht, den Damen die teuren Importe sowohl der französischen Modezeitschriften als auch der Modelle zu ersparen. Wie sein Vorbild, das 14-tägig erscheinende Pariser Cabinet des modes (seit 1785), betrachtet das Journal die Mode als Teil eines umfassenden Lebensstils. Dass die deutsche Zeitschrift ganz unverfroren die Modelle aus dem Vorbild kopierte, stellt dazu in damaligen Augen keinen Widerspruch zu ihrem Programm dar2 und passt ohnehin zur Mode, die ohne Nachahmung nicht zu denken ist. Garve setzt – entsprechend der Ästhetik des 18. Jahrhunderts – eine allgemein gültige Auffassung vom Schönen voraus, die sich im »Geschmack« konkretisiere. In deren Rahmen situiert er die Mode als einen Bereich, in dem ästhetische Kriterien nicht so streng festgelegt seien wie in der Kunst (in der die Schönheit unwandelbaren Gesetzen folge), sondern Modifikationen und Experimente erlaubt seien. Mode ist demnach die »zu jeder Zeit herrschende Meinung von dem Schönen und Anständigen in kleinern Sachen […], in Sachen, die weder durch Anwendung der Regeln des Geschmacks noch der Zweckmäßigkeit mit völliger Übereinstimmung reguliert werden können« (Garve 1987, 11). Das impliziert einerseits, dass Mode einen zeitlich begrenzten Konsens einer Gesellschaft über ›In‹ und ›Out‹ voraussetzt, und andererseits, 2 | Vgl. zu den Zeitschriften des 18. Jahrhunderts z.B. Kleinert 1980 u. 1993; Kuhles 2000; Zika 2006; Lehnert 2007; allg. zur Mode: Bertschik 2005.
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dass sie veränderlich, willkürlich ist und sogar sein darf, weil sie aus dem Bereich des absoluten Schönen und eines unfehlbaren Geschmacks herausfällt. Denn anders als die Natur, in der es objektive Schönheit gebe, besitze von Menschen Gemachtes – und gerade die Mode – viele Formen von Schönheit, also subjektiv erfahrbare und veränderliche Schönheit. Damit schreibt Garve die marginale Bedeutung der Mode in der Ästhetik als der Lehre vom Schönen und der Kunst fest, betont aber gleichzeitig ihre ästhetische Bedeutung für den Alltag der Menschen. Am Rande vermerkt er sogar, dass Mode und Kunst ineinander übergehen können – ein in der Modetheorie lange vernachlässigtes, heute wieder wichtiges und kontrovers diskutiertes Thema (siehe den Abschnitt zu Mode und Kunst in diesem Band). Auch Immanuel Kant (1798) vertritt wenige Jahre nach Garve eine strikte Trennung von Mode und Kunst, und zwar aufgrund der unterschiedlichen Rezeptionshaltungen, die sie jeweils provozierten. Kunst sei originell und benötige »Beurteilungsfähigkeit«, also intellektuelle Fähigkeiten und ästhetische Distanz, und ist aus seiner Sicht daher viel höher anzusiedeln als die Mode, die bloße Nachahmung sei und nur auf die Sinne ziele (Kant 1983 [1798], 185). Vielleicht könnte man hier eine Parallele zu dem heutigen Konzept der ästhetischen Immersion ziehen, das darauf zielt, sich dem Kunstwerk emotional zu nähern und sich ggf. in ihm zu verlieren. Bei aller Offenheit für die Mode äußert sich Garve durchaus kritisch. Da die Mode als Gesetzgeberin und Verführerin sich in Kleinigkeiten erschöpfe, die alle Energie aufzögen, mache sie den Geist kleiner, sie bringe ständig neue Dinge hervor und rege damit ausschließlich die sinnlichen Begierden an. Statt den Austausch von Ideen zu fördern, säe die Mode den Samen von Neid und Stolz, zwei höchst ungesellige Neigungen. Sie mache die Menschen unfrei, wo sie doch gerade in kleinen Dingen frei sein sollten (Garve 1987, 109). Die heutige Konsumkritik argumentiert anders, zielt aber in die gleiche Richtung. In Garves Klassifikation modischen Verhaltens finden sich erstens diejenigen, die alles Neue schlecht finden, zweitens die Unvernünftigen, die die jeweils aktuellen Moden sklavisch nachahmen; wir nennen sie heute Fashion Victims. Unvernunft gilt in jener Zeit als größter Tadel. Ebenso tadelnswert dünken Garve drittens diejenigen, die sich zu Exzessen hinreißen lassen: Sie zeigten sich in der Regel auch in allen anderen Dingen ›abgeschmackt‹ – ein fast ebenso vernichtendes Urteil wie ›unvernünftig‹. Das Ideal ist für Garve eine vernünftige, in allen Dingen und folglich auch in der Mode gemäßigte Gesellschaft, die sich an der Mode freut und sich mit ihrer Hilfe anderen angenehm macht, ohne sich von ihr versklaven zu lassen. Anders als die meisten späteren Modetheoretiker differenziert Garve die Mode im Hinblick auf die Geschlechter erst gegen Ende und nur sehr knapp. Offenbar geht Mode für ihn noch keineswegs nur Frauen an. Dennoch erklärt
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er bündig, gemäß den Geschlechterkonzepten seiner Zeit, wie sie unter anderem von – dem allerdings höchst modekritischen – Jean-Jacques Rousseau in seinem Emile (1993 [frz. 1762]) formuliert wurden, Mode sei eine wichtige Aufgabe der Frauen, die (den Männern) gefallen sollen, während Männer sich wichtigeren Dingen widmen. Die Moderne wurzelt in der Aufklärung. In vielen Details und Wertungen sind Garves Ausführungen der aufgeklärten bürgerlichen Anthropologie des 18. Jahrhunderts verpflichtet, der zufolge das Individuum ein von der Natur mit allen Anlagen zum Guten versehenes, vernünftiges Wesen ist, das den Drang zur eigenen wie der gesellschaftlichen Vervollkommnung besitzt. In der Beschreibung der Strukturen und Funktionsweisen von Mode ist seine Modernität unverkennbar, und viele seiner Thesen finden sich modifiziert oder auch vereinfacht in späteren Modetheorien von Vischer über Simmel bis Esposito wieder.
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Ü BER DIE M ODEN (1792) 1. Unter den Sachen, welche die Mode reguliert (insofern sie den Handlungen entgegengesetzt sind), stehn keine so unmittelbar und so allgemein unter ihrer Herrschaft als die Kleider. Gemeiniglich denkt man nur an Form und Farbe von diesen, wenn man von den Moden reden hört. In der Tat sind im Putze der Menschen die Abwechselungen weit schneller, und die Übereinstimmung zu jedem Zeitpunkte größer: zwei Sachen, die zu dem Begriffe des Wortes Mode zu gehören scheinen. Die Ursache, warum die Kleidung unter den modischen Sachen eine so vorzügliche Stelle einnimmt, liegt ohne Zweifel darin, daß sie öfter erneuert und daß sie mehr gesehen wird. Auch die Neuerungssucht der Menschen muß zuerst durch Notwendigkeit rege gemacht werden. Die Sachen, welche wir oft erneuern müssen aus Bedürfnis, weil sie sich schnell abnutzen, werden von uns auch in ihrer Form am öftersten bloß unsers Geschmacks wegen und aus Neigung verändert, es sei um ein erhöhtes Vergnügen an ihnen zu haben oder um mehr damit zu gefallen. Das ihm bequeme Hausgerät, solange es ganz und reinlich ist, vertauscht auch der wohlhabende Mann nicht leicht, oder er erwartet außerordentliche Gelegenheiten, wo er dazu aufgefordert wird. Die mittlere und noch mehr die untere Klasse ist froh, wenn sie nach und nach diejenigen Bequemlichkeiten und Verzierungen in die Hände bekommt, deren die Reichsten und Vornehmsten überdrüssig geworden sind oder die bei Sterbe- und andern Fällen zerstreut werden. Auf diese Weise wandelt die Begierde, sich neuen Hausrat, eine neue Anordnung oder Auszierung seiner Wohnzimmer zu verschaffen, nur wenige Personen und auch diese nur selten an, und erstreckt sich unter den Klassen der bürgerlichen Gesellschaft nicht über eine bestimmte Grenze. Die Erfindungskraft der Künstler wird nicht so sehr in Tätigkeit gesetzt, wo die Nachfrage nach ihren Produkten nicht so ununterbrochen ist. Die Revolutionen der Moden in der Form der Gebäude, Hausgeräte und Equipage gehen daher langsamer vorwärts. Nach dem Maße, als diese Dinge sich den eigentlichen Kunstwerken nähern, als sie einen bestimmteren Zweck und festere Regeln der Schönheit haben, sind sie auch weniger den bloß eigensinnigen Veränderungen unterworfen, dergleichen in Schnitt und Farbe der Kleider, wo fast alles willkürlich ist, die Mode machen kann. Und nur dieser Eigensinn, der etwas Sonderbares sucht, aber nicht die Vernunft, welche wählt, kann unaufhörlich verändern. Was aber den Kreislauf der Kleider-Moden noch mehr beschleunigt, was diesem Wirbel die so weite Ausdehnung gibt, daß er alle Stände der Gesellschaft, nur den allerärmsten ausgenommen, mit sich fortreißt, ist, daß Kleider ein beständiger Gegenstand der Beobachtung und der Beobachtung aller sind. Was am meisten gesehen wird, das sucht der Eitle am meisten auszuzieren, und das kann der Liebhaber des Neuen am leichtesten kopieren. An allen öffentli-
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chen Orten, im Schauspielhause, auf den Spaziergängen, in den Straßen der Stadt stellt der Reiche und Vornehme seine Kleider und seinen Putz zur Schau aus. Ihn von dieser Seite seiner Pracht oder seines Geschmacks kennenzulernen, dazu hat jeder Zutritt: dahingegen das Übrige seines Wohllebens sowie seiner Gewohnheiten nur denjenigen bekannt wird, die ihn in dem Innern seines Hauses sehen. Daher geht dort die Bewunderung, welche das Neue besonders bei den Zuschauern der wohlhabenden Mittelklasse erregt, bald in Bekanntschaft mit der Form und der Beschaffenheit der Sache, und diese in Begierde und Nachahmung über. Diese weniger unterbrochne und schnellere Mitteilung jeder neuen Erfindung in der Form und Farbe des Kleiderschmucks vom Höhern zum Niedrigern, vom Reichen zum Mittelmanne reizt auch die arbeitsame Klasse mehr, auf solche neuen Erfindungen zu denken. Man kann noch als eine dritte Ursache hinzusetzen, daß alles übrige, was nach dem Geschmack der Mode sich verändert, nur zu den Zieraten der Dinge gehört, die uns umgeben, die Kleidung zur Ausschmückung unsrer Person selbst. Das Interesse, welches uns diese verschönern heißt, ist ebensowohl das größte als das allgemeinste. Eben in dem Verhältnisse wächst also auch die Aufmerksamkeit auf das Neue, welches in dieser Gattung erscheint, und der Trieb, es nachzuahmen. Man könnte eine Stufenleiter von Dingen angeben, auf welcher der Eigensinn und die Willkür der Moden nach und nach in die unwandelbaren Gesetze der Schönheit übergeht. Die Arbeiten des Schneiders und Putzmachers würden die ersten Glieder dieser Progression sein, die Werke der bildenden Künste die letzten; zwischen beiden würden in einer unabsehlichen Reihe der Produkte der Handwerker stehen, welche die verschiedenen Arten des Hausrats und der Werkzeuge liefern, und denen die Formen ihrer Werke von der Zeichenkunst, die Endzwecke von den menschlichen Bedürfnissen vorgeschrieben werden. Die Baukunst würde vielleicht in der Mitte dieser Reihe ihren Platz finden, da, wo Gesetze der Proportion, allgemeine Bedürfnisse des Lebens und besondre Gewohnheiten der Zeit und der Gesellschaft ihrer Forderungen fast in gleichem Grade miteinander vereinigen. Man würde finden, daß der menschliche Geist allenthalben nach Schönheit und Zweckmäßigkeit strebet, aber sie nicht allenthalben mit gleicher Bestimmtheit finden kann. Da, wo er sie am unvollkommensten entdeckt, schwankt der Geschmack am meisten hin und her, durchläuft ohne Ende alle möglichen Abwechselungen von dem einen Extrem zu dem andern und sucht sich für das höhere Vergnügen an Schönheit, das er vermißt, durch das niedrigere an Neuheit und Abwechselung schadlos zu halten. Zuweilen gerät er bei diesen Versuchen zufällig auf Formen, die eine größere innere Angemessenheit zur Absicht oder eine dem Auge gefälligere Proportion haben: und dann steht auch das sich umwälzende Rad der Mode eine Zeit lang stille. Wir sehen daher Kleidungsstücke und Kopfzeuge dieser Art zum Lobe der männlichen Vernunft und des weiblichen Geschmacks noch
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immer im Gebrauche, indes andre gleichzeitige Moden schon längst neuen Erfindungen Platz gemacht haben. In dem Maße, als die Natur der Sachen an sich bestimmter ist, oder das, was wahrhaft schön an ihnen ist, deutlicher eingesehen wird, in eben dem Maße treten sie aus dem Gebiete der Mode heraus und gehn in das der Kunst über. Aber die höchste Kunst selbst, die Nachahmung der Natur durch Bildnerei oder Zeichnung, macht sich ebensowenig ganz dem Einflusse der Mode los, so wenig auf der andern Seite, in den frivolsten Stücken des Putzes und bei den willkürlichsten Abänderungen desselben, alle Rücksicht auf Kunst oder Proportion ausgeschlossen wird. Ist dies nicht vielleicht selbst ein Beweis, daß in dem Wohlgefallen, welches wir für eine Wirkung der objektiven Schönheit halten, etwas unsrer eignen Denkkraft und, insofern diese durch freiwillige Aufmerksamkeit geleitet wird, unsrer Willkür zuzuschreiben sei? 2. Vergleicht man die beiden Hauptgattungen der Moden, die in den Handlungen oder die Gebräuche des Wohlstandes, mit denen der Sachen in Kleidung und Equipage: so findet man, daß jene bei weitem nicht so geschwind von den höheren Ständen zu den niedrigern übergehn, als diese. Augenscheinlich deswegen, weil die erstern in der Gesellschaft selbst, in welcher sie herrschen, gleichsam eingeschlossen bleiben und denen nicht sichtbar werden, die zu ihr nicht Zutritt haben; die letztern aber auch außer dem Hause, auf allen öffentlichen Plätzen, in den Zusammenkünften des größern Publikums gesehen werden und der Beobachtung Aller ausgesetzt sind. In den Hauptstädten Europens ist daher der gute Bürgerstand von dem Adel in seiner Kleidung wie in seinem Mobiliar wenig unterschieden, aber er weicht noch sehr in den Regeln der Höflichkeit von demselben ab. Die bürgerliche Dame fordert vielleicht an eben dem Orte den Handkuß von einem Fremden als eine allgemeine Höflichkeitsbezeugung, an welchem die adlige es ihm als einen Fehler gegen den Wohlstand auslegt, wenn er dieses Zeichen einer besondern Vertraulichkeit mit einer bloßen Begrüßung verwechselt. Das ist auch die Ursache, warum in der sogenannten guten Gesellschaft ein Verstoß gegen das Übliche in Absicht des Wohlstandes und gegen die hergebrachten Regeln des Betragens mehr mißfällt als eine unmodische Tracht. Diese Gesellschaft setzt notwendig einen größern Wert auf das, was ihr ausschließend zugehört. Überdies ist die Art, wie man handelt, ein sichereres Anzeichen von den Menschen, unter welchen man gelebt, von den Mustern, die man täglich vor Augen gehabt hat, als die Art, wie man sich kleidet. Gewohnheiten nimmt man unmerklich und fast unvermeidlich an, wenn man Sachen immer auf eine gleichförmige Weise machen sieht; aber in seiner Kleidung kann man aus Wahl und Vorsatz von den Beispielen derer, unter welchen man lebt, abgehn oder auf der anderen Seite, ohne es zu wissen, die Regeln des Üblichen verletzten, weil man darauf keine Aufmerksamkeit wendet. Jeder Mensch zeigt die Klasse, zu der er gehört, durch den Wohlstand an, welchen er
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beobachtet. Und derjenige also, der unter der Gesellschaft der obersten Klasse erscheint und die Konventionen derselben übertritt oder mangelhaft und unschicklich beobachtet, kündigt sich bei ihr entweder als einen Menschen von niedrigerm Stande an oder als einen, der freiwillig sich mit schlechterer Gesellschaft verbunden hat, und in beiden Fällen verliert er von ihrer Achtung. Ich finde hierdurch zugleich einen Umstand erklärt, der von mehrern aufmerksamen Beobachtern der Sitten der verschiedenen Stände angemerkt worden ist, den, daß der Luxus in Kleidern in dem reichen Mittelstande mehr als in dem vornehmen herrscht, und durch jenen mehr als durch diesen zu einem gewissen Übermaße getrieben wird. Wenn die Modesucht ein den reichen Bürgerfamilien vorzüglich eigner Fehler ist: kommt es nicht daher, weil die Eitelkeit derselben die sich in andern Gegenständen des Luxus von dem Adel übertroffen sieht und weder Mittel noch Gelegenheit hat, das Glänzende seiner ganzen Lebensart nachzuahmen, sich mit desto größrer Hitze auf den einzigen Zweig der Üppigkeit wirft, in welchem sie hoffen kann, es dem höheren Stande gleich zu tun, und selbst durch Geld und Aufwand einen Vorzug über ihn zu erhalten? Soviel ist gewiß, daß in Handlungsstädten im Durchschnitte mehr Pracht mit Kleidern und ihrer Menge und Mannigfaltigkeit getrieben wird als in Residenzen. Tafel und Dienerschaft ist beim reichen Kaufmanne selten derjenigen gleich, die man in den Häusern der Großen findet: aber der Staat, mit welchem er und seine Familie erscheint, sticht oft gegen die Einfachheit des Anzugs der letztern ab. – Es gibt einen Gesichtspunkt, unter welchem die Moden dem Beobachter der menschlichen Natur einen noch wichtigern Gegenstand für seine Untersuchungen darbieten. Ohne Zweifel ist diese Natur selbst, so wie sie sich in der Geschichte des ganzen Geschlechtes zeigt, nicht stillstehend, sondern fortschreitend. Ohne Zweifel gehn in den wichtigern Angelegenheiten der Menschheit, in Politik und Moral, in Wissenschaften und Künsten ebenso unaufhörliche Veränderungen vor, als in den Kleinigkeiten ihres Schmucks oder ihrer Zeitvertreibe. Aber jene Fortschritte des menschlichen Geschlechts mit eignen Augen zu beobachten, die Gesetze dieser Veränderungen aus selbst gemachten Erfahrungen zu abstrahieren: das ist für ein so kurzdauerndes und so kurzsichtiges Wesen, als der Mensch ist, nicht wohl möglich. Die Revolutionen geschehen hier zu langsam und können also ebensowenig unmittelbar wahrgenommen werden, als die Bewegung der Sonne auf ihrer jährlichen Bahn. Nur aus der Geschichte, nur durch die Vergleichung mehrerer Menschenalter kann der Philosoph einige Data erhalten, woraus er auf den Ursprung und die Richtung der ihm erst nach längeren Perioden sichtbaren Veränderungen mutmaßliche Schlüsse zieht. Aber wie sehr müßte er nicht wünschen, selbst Zeuge und Zuschauer eines Teils derselben sein zu können! Hier kommen ihm nun die schnelleren Abwechselungen, die in den zufälligern und kleinern Eigenheiten der Menschen vorgehn und die man unter
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dem Namen der Moden zusammenfassen kann, zu Hilfe. Im Grunde geschehen diese Abwechselungen nach eben den Gesetzen, welche bei den wichtigsten Revolutionen zum Grunde liegen. Eben der Charakter der menschlichen Natur im Ganzen, eben die Lokal- und Nationalunterschiede, welche die Veränderungen in Staatsverfassung, Literatur und moralischer Aufführung bestimmen, hier die Reformen beschleunigen, dort aufhalten, haben auch auf den Gang und die bald schnellere, bald langsamere Veränderlichkeit der Moden Einfluß. Hier im Kleinen kann also der Philosoph beobachten, was er beim Großen nur durch das Räsonnement erkennen kann. Mancher Umstand, der ihm hier von selbst in die Augen leuchtet, kann ihm Veranlassung werden, die Begebenheiten der Geschichte unter neue Gesichtspunkte zu fassen oder aus denselben neue Resultate zu ziehen. [Garve 1987, 57-66] Die Geschichte der Mode lehrt uns […], welchen Gang Neuerungen nehmen, wenn sie in einer Gesellschaft Eingang finden und das Alte verdrängen. Das erste ist, daß sie Aufsehn machen und Widerspruch erregen. Einem großen Teile der Menschen ist das Fremde, das Ungewohnte an und für sich zuwider. Ein andrer mißbilligt die Eitelkeit, die unter immer veränderten Gestalten von neuem die Augen auf sich ziehn will. Ein dritter hat sich in die alte Mode so hineingeformt und findet sie seinen besonderen Bedürfnissen und Eigenheiten so angemessen, daß er sie sich als ein Stück der ihm notwendig gewordnen Bequemlichkeiten nicht will rauben lassen. – Diese Oppositionspartei ist anfangs die zahlreichere, und die gesetztesten, vernünftigsten Leute gehören gemeiniglich zu derselben. Zwar ist es zuweilen auch bei diesen bloßes Vorurteil, wodurch ihre Mißbilligung veranlasset wird; aber dieses Vorurteil selbst steht mit der Vernunft in Verbindung. Der Weise nämlich wünscht Einförmigkeit und Beständigkeit in Kleinigkeiten, um seine Aufmerksamkeit ganz auf das Wichtigere beisammen haben zu können. In Gewohnheiten, die er sich einmal zu eigen gemacht hat, läßt er sich nicht gerne stören, weil eine neue anzunehmen ihm immer wieder einige Zeit und Mühe kostet. Indessen eben diese Widersetzlichkeit, welche die Neuerung bei dem größern Haufen findet, verbunden mit dem Beifalle, den sie bei dem kleinern und eitlern erhält, setzt die Gemüter in die Bewegung, wodurch sie zu einer Änderung vorbereitet werden. Die Sache wird debattiert: viele beratschlagen sich darüber mit sich selbst und mit andern; und die noch nichts von ihr wußten, lernen sie zuerst durch den lauten Tadel ihrer Gegner kennen. Nun dürfen nur die, welche die Mode zuerst auf brachten, standhaft bei derselben bleiben, – vorausgesetzt, daß sie durch ihren Rang oder aus anderen Ursachen im Ansehn stehn, – oder das Neue mag etwas Gefälliges und Angenehmes haben, welches nach und nach die Vorurteile besiegt: so wird sie am Ende desto schneller um sich greifen, je mehr sie im Anfange angefochten wurde. [Garve 1987, 75-77]
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E INLEITUNG In Frankreich spielte die kritische Auseinandersetzung mit der Mode seit jeher eine größere Rolle als in Deutschland. Mode gehörte fraglos zur Kultur und musste sich diesen Platz nicht erst mühsam erobern. So ist es kein Zufall, dass viele der wichtigen Autoren gerade des 19. Jahrhunderts dem Thema zentrale Partien ihrer Romane oder auch eigenständige Abhandlungen widmen, wie Honoré de Balzac mit seinem Traité de la vie élégante (1830), Barbey d’Aurévillys Text über den Dandy (1845) bis zu der von Stéphane Mallarmé herausgegebenen, freilich nicht sehr langlebigen Zeitschrift La dernière mode (1874), in denen der hermetische Dichter Gebrauchstexte über Mode präsentiert (vgl. Goebel 1978; Kleinert 1980; Link-Heer 2006). Der vielleicht meist zitierte Beitrag zur Modetheorie aus diesem Kontext stammt von Charles Baudelaire (1821-1867), einem der größten Lyriker der Moderne, der 1863 in seinem Essay über den »Maler des modernen Lebens« eine zeitgemäße, sehr originelle Ästhetik entworfen hat.1 Entgegen dem, was das zeitgenössische Publikum vermutlich erwartete, argumentiert Baudelaire weniger mit den großen Meisterwerken der bildenden Kunst, sondern mit einem eher marginalen Zeichner von Alltagsszenen, Constantin Guys2 – und er schreibt über Mode: Kleider, Schmuck und Schminke. Ausgangspunkt seiner Ausführungen ist das Schöne, das im Gegensatz zu den unwandelbaren Schönheitskonzepten traditioneller Ästhetiken Baudelaires Auffassung nach nicht statisch und absolut sei. Es habe vielmehr sowohl einen ewigen als auch einen vorübergehenden Anteil.3 Gerade im Flüchtigen mache sich das Zeit1 | Zu Baudelaires Ästhetik vgl. u.a. Westerwelle 2007; im weiteren Sinne Benjamin 1974 [1955]; zur Kontextualisierung in den Modediskurs des 19. Jahrhunderts: Wehinger 1988, 125-171, insbesondere 154ff. 2 | Zu Guys u.a.: Dufilho, Lancha, Pichois, Richardson u. de los Llanos 2002; Brosch 2006. 3 | Das Gleiche erklärt er bereits in den früheren Kunstkritiken des Salons 1846, im Abschnitt »Sur l’héroisme« (Baudelaire 1976a, 494-496; hier: 493).
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genössische geltend, z.B. im geistigen Leben, in den Leidenschaften – und in der Mode. In der geschickten Verknüpfung von Guys’ Skizzen mit eigenen Reflexionen über Mode skizziert Baudelaire nicht nur eine Ästhetik der Kunst, sondern auch originelle – wenn auch alles andere als systematische – Ansätze zu einer Modetheorie, mit der er Aspekte ins Spiel bringt, die erst 150 Jahre später programmatisch in die Modetheorie integriert wurden. Modehistorisch relevant sind vor allem folgende Punkte, die man heute unter der Überschrift »Mode als kulturelle Praxis« (Lehnert 2013a) oder Mode als performative Hervorbringung subsumieren könnte (Lehnert 2003). Mode ist für Baudelaire nicht eine Ansammlung von Kleidern und Accessoires. Vielmehr wird Mode von ihm beschrieben als Resultat eines Handelns mit Kleidern, Schmuck und Make-up. Durch dieses Handeln werden, modern formuliert, Kleider zu Mode und Menschen zu kultivierten Menschen: »Die Vorstellung, die der Mensch sich vom Schönen macht, drückt sich in seinem ganzen Gehabe aus, fältelt oder steift seinen Anzug, rundet oder geradet seine Geste und durchdringt mit der Zeit sogar die Züge seines Gesichts. Der Mensch gleicht schließlich dem, was er sein wollte.« (Baudelaire 1988 [frz. 1863], 8)
Überspitzt könnte man zusammenfassen: (1) Kleider machen Leute, (2) Kleider bringen nicht nur Zeitstile, sondern die Zivilisation als solche hervor und sind das einzige Gegengewicht zu einer grausamen, brutalen Natur. Und schließlich müssen (3) Kleider getragen werden, um zu wirken; sie müssen ›belebt‹ werden. Die Moden der unterschiedlichen Zeiten, so schnell sie sich ändern mögen, seien alle für sich »vollkommen harmonisch, weil das Kostüm, die Haartracht und selbst die Geste, der Blick und das Lächeln – denn jede Epoche hat ihre Haltung, ihren Blick und ihr Lächeln – ein Ganzes von vollkommener Lebensfülle bilden« (Baudelaire 1988, 21). Nur daraus entspringe der Gegenwartscharakter von Kunst, ihre Modernität: »Die Modernität ist das Vorübergehende, das Entschwindende, das Zufällige, ist die Hälfte der Kunst, deren andere Hälfte das Ewige und Unabänderliche ist.« (Ebda.) Baudelaire erklärt ferner, das Streben nach Schönheit sei allen Epochen eigen, die Ergebnisse fallen jedoch immer anders aus und wirkten oft zu Unrecht auf die Nachgeborenen lächerlich (ebda., 9). Diese relativierende Argumentation klingt modern und weist Analogien zur damaligen Geschichtsphilosophie auf. Diese setzt keine Teleologie der historischen Entwicklung mehr voraus wie die Aufklärung, sondern meinte, jede Epoche habe ihren Wert in sich. Hier wird auch deutlich, dass Baudelaire zwar von seiner eigenen Zeit ausgeht, dass er aber, ganz im Sinne der sich wiederholenden französischen »Querelles des Anciens et des Modernes«, die Modernität als eine jede Bewe-
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gung betrachtet, die gegenüber der Tradition ein Neues durchsetzt.4 Hermann Doetsch (2007) betont, dass Baudelaire das Interesse am Kunstwerk (und damit auch an der Mode) als eine Erscheinung von Präsenz (Doetsch 2007, 140) im Dienste der Intensitätssteigerung (ebda., 150) erkläre. Er situiert Baudelaires Ästhetik im Kontext veränderter Wahrnehmungen und zeitgenössischer Diskurse wie etwa der Elektrizität bzw. der elektrischen Energie, »die mehr und mehr als grundlegende Kraft des Universums, eines Universums in ständiger Bewegung« wahrgenommen wurde (ebda., 148). Schon Walter Benjamin spricht von der Moderne als einer »Kraft, die in dieser Epoche am Werk ist« und die allein das Alte anverwandeln könne: »Ist ihr aber ihr Recht geworden, so ist die Moderne abgelaufen. Dann wird die Probe auf sie gemacht werden« (Benjamin 1974 [1955], 80). Aus heutiger Sicht haarsträubend ist Baudelaires radikal dichotomisierende Überspitzung der Geschlechternormen und der damit zusammenhängenden Modevorstellungen seiner Zeit. Der kultivierte Dandy kleidet sich kostbar, aber mit äußerster Schlichtheit und gerade deshalb mit tadelloser Eleganz und Distinktion. Er demonstriert auf diese Weise die »aristokratische Überlegenheit seines Geistes« (Baudelaire 1988, 29) und seinen Widerstand gegen die Trivialität der Gegenwart. Der schwarze Anzug sei Signum der Traurigkeit einer leidenden Epoche und habe eine politische wie poetische Schönheit, schreibt er im Salon von 1846, und der Dandy hebe sich durch seine Nuancierung von der Masse ab (Baudelaire 1976a, 494). Die Frauen hingegen schmücken sich über die Maßen auffällig und sollen das auch tun. Sie sind als ungeformte, geistlose Natur auf die Künste der Toilette und der Schminke angewiesen, um sich als Frauen zu konstituieren und sich den Männern begehrenswert zu machen. Anders als in anderen Texten über Mode sind die Frauen, von denen Baudelaire spricht, nicht unbedingt nur solche der sogenannten guten Gesellschaft, sondern gleichermaßen Halbweltdamen oder Prostituierte – so wie sie auch von dem Zeichner Guys geschildert werden und Baudelaire selbst sie in seinen Gedichten der Fleurs du Mal (Die Blumen des Bösen) poetisch evoziert. Tatsächlich waren es im 18. und 19. Jahrhundert oft die Halbweltdamen und Kurtisanen, die Stile erfanden, die dann – unter Verdrängung ihres Ursprungs – in der bürgerlichen Kultur zu Moden wurden. Baudelaire formuliert nicht nur eine persönliche Ansicht, sondern beschreibt in aller Überspitzung eine Praxis, die Soziologen wie Veblen oder Simmel (siehe die Beiträge zu ihnen in diesem Band) einige Jahrzehnte später analysieren und zu begründen suchen und die man wie folgt zusammenfassen kann: Die Konstituierung der bürgerlichen Geschlechterordnung macht Männer zu den (zivilisierten, arbeitenden) Menschen schlechthin, die sich ihres Wertes bewusst sind und es nicht mehr nötig haben, sich zu schmücken. Das 4 | Vgl. hierzu stellvertretend den klassischen Aufsatz von Jauss 1974.
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überlassen sie fortan ihren (angeblich müßigen) Frauen, die auf diese Weise nicht nur ihr eintöniges Leben abwechslungsreicher gestalten können (vgl. Simmel), sondern vor allem Reichtum und Bedeutung der Männer stellvertretend demonstrieren (vgl. Veblen). Deshalb wird Mode im 19. Jahrhundert von einer Statusangelegenheit zur Frauensache, wird immer üppiger und wechselt immer schneller.
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D AS S CHÖNE , DIE M ODE UND DAS G LÜCK (1863) Der Dandy Der reiche, müßige Mensch, der, blasiert sogar, keine andere Beschäftigung hat, als der Spur des Glückes nachzulaufen; der Mensch, der im Luxus groß gezogen und von Jugend auf an den Gehorsam der anderen Menschen gewöhnt ist, kurzum der Mensch, dessen einziger Beruf die Eleganz ist, wird sich stets, zu allen Zeiten, einer besonderen, durchaus eigenen Physiognomie erfreuen. Der Dandysm ist eine nicht scharf zu definierende Einrichtung, ebenso sonderbar wie das Duell; sehr alt, da Caesar, Catilina, Alcibiades uns hervorstechende Muster dafür bieten; sehr allgemein, da Chateaubriand ihn in den Wäldern und an den Seen der neuen Welt gefunden hat. Der Dandysm, der eine Institution außerhalb der Gesetze ist, hat rigorose Gesetze, denen alle die Seinen streng unterworfen sind, wie groß auch im Übrigen das Ungestüm und die Unabhängigkeit ihres Charakters sein möge. […] Wenn ich gelegentlich des Dandysm von der Liebe spreche, so geschieht es, weil die Liebe die natürliche Beschäftigung der Müßigen ist. Aber der Dandy erblickt in der Liebe keinen Spezialzweck. Wenn ich vom Gelde gesprochen habe, so geschah’s, weil das Geld für die Leute, die die sich aus der Pflege ihrer Leidenschaften einen Kult bilden, eine Unerläßlichkeit bedeutet; aber der Dandy strebt nicht nach Gelde als etwas an sich wesentlichem; ein unbeschränkter Kredit könnte ihm genügen; er überläßt diese grobe Leidenschaft den gewöhnlich gesinnten Sterblichen. Der Dandysm ist auch gar nicht einmal, wie viele Leute von geringer Überlegungskraft zu glauben scheinen, eine unmäßige Liebe zur Toilette und zur materiellen Eleganz. Diese Dinge sind für den vollkommenen Dandy nur ein Symbol der aristokratischen Überlegenheit seines Geistes. So besteht denn auch für seine Augen, die vor allem anderen auf »Distinktion« bedacht sind, die Vollkommenheit der Toilette in der absoluten Einfachheit, als welche in der Tat die beste Art ist, sich zu »unterscheiden«. Worin besteht dann also jene Leidenschaft, die, Doktrin geworden, aus den beherrschenden Adepten diese ungeschriebene Institution gemacht hat, die eine so hochgemute Kaste bildete? Sie besteht vor allem in dem brennenden Bedürfnis, sich eine Originalität zu bilden, die sich in den äußeren Grenzen der Konvenienz hält. Sie besteht in einer Art von Kult seiner selber, der die Suche nach dem Glück, das man in jemand anderem, im Weibe zum Beispiel, finden könnte, der selbst alles, was man als Illusionen bezeichnet, zu überleben vermag. Sie besteht in dem Pläsier, in Erstaunen zu setzen, und in der stolzen Genugtuung, selbst doch nie erstaunt zu sein. Ein Dandy kann ein blasierter, kann sogar ein leidender Mensch sein; aber in letzterem Falle wird er lächeln, wie der Lacedämonier unter dem Bisse des Fuchses lächelte.
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Man sieht, in mancher Beziehung grenzt der Dandysm an den Spiritualismus und den Stoizismus. Aber ein Dandy kann niemals ein alltäglicher Mensch sein. Wenn er ein Verbrechen beginge, so würde er darum vielleicht nicht herabgesunken sein; wenn dieses Verbrechen jedoch einer trivialen Quelle entstammte, so wäre die Schande nicht wieder gut zu machen. Der Leser möge über diesen Ernst im Frivolen sich nicht empören und sich erinnern, daß in allem Wahnwitz Größe, in allen Excessen Kraft steckt. Seltsamer Spiritualismus! Für die, welche zugleich seine Priester und seine Opfer sind, sind alle komplizierten materiellen Bedingungen, denen sie sich unterwerfen – von der untadeligen Toilette zu jeder Stunde des Tages und der Nacht bis zu den gefährlichsten Kraftleistungen des Sports –, nichts als eine geeignete Gymnastik zur Stärkung des Willens und zur Disziplinierung der Seele. In der Tat, ich hatte nicht so ganz unrecht, den Dandysm als eine Art Religion zu betrachten. Die strengste Klosterregel, der unweigerliche Befehl des »Alten vom Berge«, der seinen berauschten Schülern den Selbstmord anbefahl, war nicht despotischer und fand keinen willigeren Gehorsam, als diese Doktrin der Eleganz und der Originalität, die ihrerseits gleichfalls ihren ehrgeizigen und hingabevollen Sektierern – oftmals ungestümen, leidenschaftlichen, mutigen Naturen voll gehaltener Energie – den furchtbaren Spruch auferlegt: Perinde ac cadaver! Ob diese Menschen sich Raffinés, Incroyables, Beaux, »Löwen« oder »Dandys« nennen: der Ursprung ist bei ihnen allen der gleiche; allen ist derselbe oppositionelle und revolutionäre Charakter gemeinsam; alle sind sie Repräsentanten dessen, was das beste am menschlichen Stolz und Hochmut ist: jenes heutzutage nur allzu seltenen Bedürfnisses, die Trivialität zu bekämpfen und zu zerstören. Daraus entsteht denn auch bei den Dandys jene hochfahrende Attitude einer Kaste, die unerachtet ihrer Kälte etwas Herausforderndes hat. Der Dandysm erscheint mit Vorliebe in den Übergangszeiten, wenn die Demokratie noch nicht allmächtig ist, wenn die Aristokratie erst zum Teil wankt und herabsinkt. Im Trubel solcher Zeitläufe ist es möglich, daß manche deklassierten, degoutierten, müßigen Menschen, die im übrigen jedoch reich sind an ursprünglicher Kraft, den Plan fassen, eine Art neuer Aristokratie zu begründen, die umso schwieriger zerstörbar sei, als sie sich auf die kostbarsten, unaustilgbarsten Eigenschaften gründen soll, auf die Himmelsgaben, die Arbeit und Geld nicht zu verleihen vermögen. Der Dandysm ist der letzte Ausbruch von Heroismus in den Niedergangepochen; und der Dandytyp, dem der Wanderer in Nordamerika begegnete, tut dieser Idee in keiner Weise Abbruch: denn nichts steht der Annahme im Wege, die Stämme, die wir als »wilde« bezeichnen, seien die Überreste großer, verschwundener Zivilisationen. Der Dandysm ist ein Sonnenuntergang; gleich dem Gestirne, das zur Rüste geht, ist er erhaben, ohne Wärme und voll Melancholie. Aber ach! der steigende Sumpf der Demokratie, der alles überschwemmt und alles gleichmacht, ertränkt Tag für Tag diese letzten Repräsentanten des menschlichen Stolzes und flutet Verges-
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sen über die Spuren dieser wunderbaren Myrmidonen. Die Dandys werden bei uns immer seltener, während bei unsern Nachbarn in England die sozialen Verhältnisse und die Konstitution (die wahre Konstitution, jene, die sich durch die Sitten äußert) den Erben Sheridans, Brummels und Byrons noch lange einen Platz lassen werden, wenn sich überhaupt welche zeigen werden, die dessen würdig sind. […]
Das Weib Das Wesen, das für die meisten Männer die Quelle der lebhaftesten und – sagen wir’s zur Schande der philosophischen Wollüste – sogar der dauerhaftesten Genüsse ist; das Wesen, dem alle ihre Bestrebungen gelten oder nützen; jenes Wesen, furchtbar und unmittelbar wie Gott (mit dem Unterschied, daß das unendliche Wesen sich nicht mitteilt, weil es das Endliche blenden und zermalmen würde, wohingegen das Wesen, von dem wir sprechen, vielleicht nur darum unbegreiflich ist, weil es nichts mitzuteilen hat); jenes Wesen, in dem Joseph de Maistre »ein schönes Tier« sah, dessen Reiz und Anmut das ernste Spiel der Politik heitrer und leichter machen, für das Güter erworben, durch das sie verloren werden; für das, vor allem aber »durch das« die Künstler und die Dichter ihre kostbarsten Kleinode schaffen; dem die entnervendsten Freuden und die fruchtbarsten Leiden entstammen: das Weib mit einem Worte, ist für den Künstler im allgemeinen, und für Guys im besonderen, nicht bloß das Weibchen des Mannes. Es ist vielmehr eine Gottheit, ein Gestirn, unter dessen Aspekt alle Schöpfungen des männlichen Gehirns entstehen; es ist eine Spiegelung alles Anmutigen, das die Natur besitzt, und das sich hier in einem einzigen Wesen verdichtet; es ist der Gegenstand der lebhaftesten Bewunderung und Neugier, die das Bild des Lebens im Beschauer erregen kann. Es ist eine Art Götze, stupid vielleicht, aber blendend, bezaubernd: an seinen Blicken hangen Schicksal und Wille. Es ist nicht, sage ich, ein tierisches Lebewesen, dessen korrekt angeordnete Gliedmaßen ein vollkommenes Beispiel von Harmonie darbieten; es ist sogar nicht einmal der reine Schönheittyp, wie ihn der Bildhauer in seinen strengsten Meditationen sich zu erträumen vermag; nein, das würde nicht ausreichen, seinen geheimnisvollen und vielfältigen Zauberbann zu erklären. Hier helfen uns Winckelmann und Raffael nicht weiter; und ich bin gewiß: trotz seines umfassenden Intellekts würde Guys – das soll ihn nicht beleidigen – ein Werk der antiken Bildhauerei fahren lassen, wenn er anders die Gelegenheit verlöre, ein Porträt von Reynolds oder Lawrence zu genießen. Alles, was das Weib schmückt, alles, was dazu dient, seine Schönheit in das hellste Licht zu setzen, bildet einen Teil des Weibes selber; und die Künstler, die sich im Besonderen dem Studium dieses rätselhaften Wesens widmen, sind ebenso vernarrt in den ganzen mundus muliebris wie in das Weib selbst. Das Weib ist fraglos eine Leuchte, ein Blick, eine Einladung
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zum Glück, ein Wort bisweilen; aber es ist vor allem eine allgemeine Harmonie, nicht allein in ihrer Art, sich zu geben, und in der Bewegung ihrer Glieder, sondern auch in ihrem Musselin, ihrer Gaze, ihren mächtigen, schimmernden Wolken von Stoffen, in die sie sich hüllt und die gleichsam die Attribute und das Piedestal ihrer Göttlichkeit sind; in dem Metall und dem Gestein, das schlängelnd sich um Arm und Hals ihr windet und zu dem Feuer ihrer Blicke noch sein Geschiller und Gefunkel fügt oder auch mit sanftem Laut in ihre Ohren plappert. Welcher Dichter würde in dem Gemälde des Entzückens, das die Erscheinung einer schönen Frau hervorruft, das Weib von seinem Kostüm zu trennen wagen? Wo ist der Mann, der auf der Straße, im Theater, im Bois, nicht in der uninteressiertesten Art an einer einsichtvoll komponierten Toilette sich erfreut und ein Bild von ihr mit heimgenommen hat, unzertrennlich von der Schönheit derer, die jene Toilette trug, indem er also aus den beiden, der Frau und der Robe, eine unteilbare Einheit machte? Dies, scheint mir, ist der geeignete Ort, um auf gewisse Fragen bezüglich der Mode und des Schmucks zurückzukommen, die ich zu Anfang dieser Studie nur gestreift habe, und die Kunst der Toilette in Schutz zu nehmen gegen die ungereimten Verleumdungen, mit denen gewisse recht verfängliche Liebhaber der Natur sie überhäufen.
Lob der Schminke […] Die meisten Irrtümer bezüglich des Schönen entstammen der falschen Auffassung des achtzehnten Jahrhunderts bezüglich der Moral. Die Natur war in jener Zeit als Grundlage, Quelle und Typus jedes möglichen Guten und Schönen angenommen. Die Verneinung der Erbsünde hatte an der allgemeinen Verblendung in jenen Tagen einen nicht geringen Anteil. Wenn wir gleichwohl gewillt sind, uns einfach an die sichtbare Tatsache, an die Erfahrung aller Zeiten und an die »Gerichts-Zeitung« zu halten, so werden wir einsehen, daß die Natur gar nichts oder so viel wie gar nichts lehrt, insofern sie nämlich den Menschen zwingt, zu schlafen, zu trinken, zu essen und, so gut oder schlecht es nun eben gehen will, sich gegen die feindlichen Einflüsse der Atmosphäre zu schützen. Sie ist es auch, die den Menschen dazu treibt, seinesgleichen zu töten, zu verzehren, einzusperren, zu foltern; denn sobald wir den Bereich der Notwendigkeiten und der Bedürfnisse verlassen, um in den des Luxus und der Genüsse einzutreten, sehen wir, daß die Natur nur zum Verbrechen raten kann. Diese unfehlbare Natur ist es, die den Verwandtenmord und die Menschenfresserei schuf und tausend andere Abscheulichkeiten, die aufzuzählen Scham- und Feingefühl uns verbieten. Die Philosophie (ich meine die gute) und die Religion befehlen uns, arme, schwächliche Verwandte zu ernähren. Die Natur (die nichts anderes ist als die Stimme unseres Interesses) gebietet uns, sie zu ermorden. Man überblicke und analysiere einmal alles, was natürlich ist, alle Handlungen und Begierden des rein natürlichen Menschen: nur
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Entsetzliches wird man finden. Alles Schöne und Edle ist das Ergebnis von Vernunft und Überlegung. Das Verbrechen, zu dem das Menschtier schon im Leibe seiner Mutter einen Hang in sich aufgesogen hat, ist von ursprünglicher Natürlichkeit. Die Tugend dagegen ist »künstlich«, übernatürlich, da es zu allen Zeiten und bei allen Völkern der Götter und der Propheten bedurft hat, um sie die vertierte Menschheit zu lehren, und weil der Mensch allein unfähig gewesen wäre, sie zu entdecken. Das Böse geschieht mühelos, natürlich, zufolge Notwendigkeit und Verhängnis; das Gute ist stets das Erzeugnis einer Kunst. Alles, was ich über die Natur als schlechte Beraterin auf dem Gebiete der Moral und über die Vernunft als wahrhafte Erlöserin und Erneuerin sage, läßt sich auf den Bereich des Schönen übertragen. Ich komme so dahin, den Schmuck als eins der Zeichen für den uranfänglichen Adel der menschlichen Seele zu betrachten. Die Rassen, die unsere Zivilisation, verwirrt und verderbt, mit völlig lächerlichem Stolz und Schwachsinn gern als wilde behandelt, begreifen ebensogut wie das Kind die hohe geistige Bedeutung der Toilette. Der Wilde und das Baby bezeugen durch ihre naive Sucht nach dem Glänzenden – nach buntscheckigem Federwerk, nach schillernden Stoffen, nach der übertriebenen Erhabenheit der künstlichen Formen – ihr Mißfallen an der Wirklichkeit und beweisen so ohne Wissen und Wollen die Immaterialität ihrer Seele. Wehe jenem, der, wie Ludwig XV. (welcher nicht das Produkt einer wahren Zivilisation, sondern einer Rückströmung von Barbarei war), die Entartung so weit treibt, daß er schließlich nur noch »die schlichte Natur« mag! Die Mode muß also als ein Symptom des Strebens nach dem Ideal angesehen werden – nach jenem Ideal, das im menschlichen Gehirn alles überflutet, was das natürliche Leben an Grobem, Irdischem und Unsauberem dort aufhäuft –, jenem Ideal, das als eine erhabene Umgestaltung der Natur oder vielmehr als ein fortwährender und allmählich fortschreitender Versuch einer Neugestaltung der Natur sich darstellt. Demgemäß hat man ganz mit Recht – ohne den Grund dafür zu erkennen – darauf hingewiesen, daß alle Moden reizvoll sind, das heißt relativ reizvoll, indem ja eine jede ein neues, mehr oder minder glückliches Streben nach dem Schönen bedeutet, eine wie auch immer geartete Annäherung an ein Ideal, das zu erreichen es den unbefriedigten Menschengeist fortwährend kitzelt. Aber die Moden dürfen, sofern man sie richtig schätzen will, nicht als tote Dinge betrachtet werden; dann könnte man ebensogut die abgelegten Kleider bewundern wollen, die lässig und müßig im Schranke eines Trödlers hängen. Man muß sie sich verlebendigt vorstellen, belebt durch die schönen Frauen, die sie trugen. Nur so wird man ihren Sinn und ihren Geist verstehen. Wenn also der Aphorismus »Alle Moden sind reizvoll!« als allzu absolut den Leser quälen sollte, so sage er – und er wird sicher sein, sich nicht zu täuschen –: Alle hatten einst ihren rechtmäßigen Reiz. Die Frau ist ganz in ihrem Recht, und sie erfüllt sogar eine Art Pflicht, wenn sie das Bestreben hat, magisch und übernatürlich zu erscheinen; sie soll
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erstaunlich sein und voller Reiz; ein Götzenbild, muß sie mit Gold sich schmücken, auf daß sie angebetet werde. So muß sie denn allen Künsten die Mittel entleihen, sich über die Natur hinwegzuheben; denn um so leichter wird sie die Herzen unterjocht, wird sie die Geister jäh betroffen sehen. Recht wenig will’s besagen, daß die Kniffe und Künste jedermann kennt, wenn ihr Erfolg gewiß und ihre Wirkung ewig unwiderstehlich ist. In diesen Betrachtungen wird der philosophische Künstler leicht die Berechtigung all jener Praktiken finden, die die Frauen zu allen Zeiten angewendet haben, um ihre gebrechliche Schönheit, wenn ich so sagen darf, zu konsolidieren und zu vergöttlichen. Sie aufzuzählen würde nicht möglich sein; beschränken wir uns auf das, was unsere Zeit grobhin »sich schminken« nennt: Wer sieht nicht, daß der Poudre de riz, den unsere wahrheitsbeflissenen Philosophen so dumm verdammen, zum Zwecke und zum Ziele hat (das heißt beabsichtigt und erreicht), alle Flecke, mit denen die Natur in so verletzender Art den Teint übersät, verschwinden zu lassen und in der Körnung und Färbung der Haut eine abstrakte Einheit herbeizuführen, welche Einheit – gleich jener, die der Trikot erzeugt – das menschliche Wesen sofort der Statue, das heißt einem göttlichen, höheren Wesen näherbringt? Was das künstliche Schwarz betrifft, das das Auge umkreist, und das Rot, das die obere Wangenpartie betont, so entspringt ihr Gebrauch allerdings demselben Prinzip, nämlich dem Streben, gewissermaßen aus den Grenzen der Natur hinauszutreten, aber das Resultat dient der Befriedigung eines ganz entgegengesetzten Strebens. Das Rot und das Schwarz bedeuten das Leben, ein übernatürliches, sehr stark betontes Leben; dieser schwarze Rahmen macht den Blick tiefer und besonderer, gibt dem Auge entschiedener das Wesen eines Fensters, das mit dem Ausblick auf das Unendliche offensteht; das Rot, das auf dem Äpfelchen der Wange flammt, verstärkt noch die Klarheit, in der das Rund des Auges leuchtet, und fügt zu einem schönen Frauenantlitz die mysteriöse Leidenschaft der Priesterin. So darf man also, wenn man mich recht versteht, das Antlitz nicht in der gemeinen, uneingestehbaren Absicht bemalen, die schöne Natur zu imitieren und mit der Jugend zu wetteifern. Man hat im Übrigen auch die Beobachtung gemacht, daß künstliche Mittel die Häßlichkeit nicht verschönen und nur der Schönheit dienen können. Wer möchte wagen, der Kunst die unfruchtbare Arbeit zuzuweisen, sie solle die Natur nachahmen? Die Schminkkunst hat sich nicht zu verbergen, muß nicht bestrebt sein, zu vermeiden, daß man sie erahnt; sie kann im Gegenteil sich offen zeigen, wenn nicht mit Affektation, so doch wenigstens mit einer gewissen Einfalt. [Baudelaire 1988, 28-40]
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Friedrich Theodor Vischer
E INLEITUNG Der deutsche Philosoph und Literaturwissenschaftler Friedrich Theodor Vischer (1807-1887) beschäftigte sich insbesondere zu Beginn seiner wissenschaftlichen Tätigkeit mit den Fragen nach dem Erhabenen und dem Schönen. In seinem 1846-1857 erschienenen Werk Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen setzte er sich beispielsweise mit dem Naturschönen (als das »objektive Schöne«), mit der Schönheit, die in der menschlichen Phantasie zu finden ist (das »subjektive Schöne«), sowie mit dem Kunstschönen auseinander. Sowohl bei der Untersuchung der objektiven, menschlichen Schönheit also auch der Kunstschönheit formulierte Vischer Gedanken zu Geschmack und Stil (Bd. 3.1), zur wohlgeformten körperlichen Gestalt (Bd. 2.1), sowie zum Gewand und zur Nacktheit (Bd. 3.2.2). Seine späteren Abhandlungen über die Mode können, obwohl sie moral-doktrinärer Art sind, vor diesem philosophischen Hintergrund gelesen werden. Der Mode widmete er 1859 in zwei Ausgaben des Morgenblatts für gebildete Leser erstmals »vernünftige Gedanken«. Diese Aufzeichnungen erschienen 1861 in der Erweiterung der 1844 als zweibändiges Werk erschienenen Kritischen Gänge (2. Aufl. 1922). Genau zwanzig Jahre später, 1879, kehrte Vischer in Mode und Cynismus zur Mode zurück. Die Grundlage seiner ersten Gedanken, die vor allem die Krinoline in den Fokus rücken, bildet seine Vorstellung vom menschlichen Körper, der in seiner natürlichen Form den idealen Maßstab für alle Moden darstelle. Während die antike Mode als »reines Echo der organischen Linien« (Vischer 1922 [1861], 340) zu sehen sei, weiche die Krinolinenmode stark von diesen Linien ab. Sie sei »eine Übertreibung, welche die Schönheitslinie der Schlankheit nicht verstärkt, markiert, sondern verzerrt, aufhebt, einen falschen Begriff des weiblichen, des menschlichen Baus gibt« (ebda., 342f.).1 Um die Missachtung des »natürlichen Gesetzes« zu vermeiden, appelliert Vischer an die Vernunft der 1 | Hier sei angemerkt, dass diese vermeintlich natürliche Körperform der Antike genauso sozial konstruiert war und ist.
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gebildeten LeserIn, die sich nicht von einer solchen unvernünftigen, Krinolinetragenden »Sünderin« (ebda., 340) blenden lassen soll.2 Vischer macht die Auseinandersetzung mit der Mode trotz aller Spitzfindigkeiten zu einem ernstgemeinten moralphilosophischen Diskurs, welchen er u.a. durch Argumente zu psychologischen, sozialen, medizinischen und die Ordnung der Geschlechter betreffenden Implikationen zu untermauern versucht. So sei die Krinolinenmode nicht nur als eine Abwendung von der Vernunft und dem »natürlichen Gesetz« zu sehen, sondern auch als platzbeanspruchender, unpraktischer und unbequemer »Hühnerkorb« (ebda., 344), der die Gesundheit der Frau gefährde und den weiblichen, vermeintlich natürlichen Hüftschwung blockiere. Vischer plädiere dabei, so Andrea Hauser (1987, 167), »nicht nur für eine natürliche und bequeme Kleidung; er beanspruch[e] auch – wenn es sein muß: gegen die Frauen – die Definitionsgewalt darüber, was das ›Natürliche‹ [sei].« Die Modenarrheit der Frauen, und dadurch der Wechsel der Moden, habe ursprünglich dem Männerfang gedient und sich nun als ein von Eifersucht geleiteter Wettstreit unter Frauen verselbstständigt (vgl. Vischer 2006 [1879], 30). Die »nachdenklichere und thätigre Natur des Mannes« besinne sich dagegen, »am athemlosen Wettrennen der Weiber sich ein warnendes Beispiel« zu nehmen und »in stiller Übereinkunft die allgemeine Entsagung (zwar mit etlichem Vorbehalt) zur Regel« zu machen (ebda., 58). Thorstein Veblen (2007 [engl. 1899]) und Georg Simmel (1905) finden kurze Zeit später für den Unterschied der Modekonsumption von Männern und Frauen andere Erklärungsmuster: den des demonstrativen Müßiggangs (Veblen) bzw. des Ventils für ausbleibende gesellschaftliche Anerkennung (Simmel). John Carl Flügel interpretiert 1930 die Demonstration der Position des Mannes durch seine zurückhaltende Kleiderwahl als »großen männlichen Verzicht« auf schöne Kleidung, was Vischer Mitte des 19. Jahrhunderts noch als großen Fortschritt der Männer betrachtete. Barbara Vinken konstatiert 1993, der bürgerliche Mann sei seit der Französischen Revolution gar mit einem »Modeverbot« belegt worden: Sein Körper sei für die Gestaltung seiner Kleider eliminiert worden, was in einer Uniformierung seiner Berufs- und Alltagskleidung mündete, während die Mode ein »Synonym für Weiblichkeit« wurde (Vinken 1993, 18f.). Interessanterweise findet Vischer dennoch die Schuld an den Übertreibungen der Krinolinenmode bei den Männern. Dadurch, dass ihre Mode »weibisch« 2 | Hier argumentiert Vischer entgegen der beinahe zeitgleichen Abhandlung von Charles Baudelaire (1988 [frz. 1863]) über das Schöne und die Mode: Während Vischer die Aufgabe der Mode darin sieht, sich an dem Naturschönen des Körpers zu orientieren, versteht Baudelaire die Mode als etwas, das der Grobheit und Unsauberkeit der menschlichen Natur entgegenwirken soll (vgl. Kapitel zu Baudelaire in diesem Band).
Friedrich Theodor Vischer
geworden sei in Schnitt, Körperbetonung, Farbe und Material, wurde die Frauenmode »männisch«: das Weib habe sich nun wie »ein wandelnder Luftballon, eine geschwollene, rasende Dampfnudel« eine Bresche durch die verweichlichte Männerfront geschlagen (Vischer 1922, 346). Spätestens an dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass die hier besprochenen Abhandlungen innerhalb des reaktionären Geschlechterdiskurses des 19. Jahrhunderts zu verorten sind. Die misogyne Couleur von Vischers Ausführungen ist als Reaktion auf die sich mehrenden Emanzipationsinitiativen und die daraus resultierende ›Frauenfrage‹ zu sehen. Laut Inge Stephan stecke dabei hinter der Auseinandersetzung mit dem »rätselhaften Weib« die Frage nach der männlichen Identität, die durch die Frauenbewegungen in eine existenzielle Krise geraten war (vgl. Stephan 1997, 26). Gerade vor dem Hintergrund, dass Vischer in seiner Ästhetik eine »natürliche Unterlegenheit« der Frau gegenüber dem Mann postuliert (Vischer 1847, Bd. 2, Teil 1, 171f.), kann man die folgende Aufforderung der personifizierten Krinoline an den Mann als Metapher für die von Vischer gefürchtete Verdrängung des Mannes aus bis dato männerdominierten Sphären verstehen: »›Willst du‹ so spricht die Krinoline zum Individuum männlichen Geschlechts, das ihr in die Nähe kommt, ›hinunter übers Trottoir, oder willst du’s wagen, mich anzustreifen, zu drücken? Willst du da neben mir auf dem Parkettsitz mein Kleid auf den Schoß nehmen oder drauf sitzen? Fühlst du die eisernen Reife? Fühlst du die uneinnehmbare Burg, den Malakoffkranz, den entsetzlichen Gürtel der Tugend, der an deine Waden drückt?‹«(Vischer 1922, 345) 3
Vischers späteres Werk Mode und Cynismus von 1879 beinhaltet einen Schluss »Ueber Cynismus und sein bedingtes Recht«. Als eine Art Verteidigung seiner bisherigen Abhandlungen über die Moden reagiert er hier auf Einwände von LeserInnen, die ihm Grobheit und Unanständigkeit vorgeworfen hatten – offensichtlich traf seine zynische Beschäftigung mit Mode nur bedingt auf Verständnis. Nichtsdestotrotz wird Vischer in der Retrospektive oftmals vor Thorstein Veblen und Georg Simmel als Begründer der Modetheorie gehandelt. Auch wenn bereits frühere wissenschaftliche Abhandlungen, z.B. von Christian Garve (1987 [1792]; vgl. Kapitel zu Garve in diesem Band), existieren, sind Vischer einige zentrale Beobachtungen zuzurechnen: Vischer versteht die Mode als ein Diktat, dessen Ursprung schwer zu fassen ist und das dennoch einen Nivellierungsprozess nach sich zieht, »Völker wie Individuen eingleichend« (Vischer 2006, 31). Sie drücke das aus, was den »neueren Culturvölkern gemeinsam« sei, und zwar vor allem »rasche Beweg3 | Vgl. die zahlreichen zeitgenössischen Karikaturen, die die Dimensionen der Krinoline zum Thema machen. Untersucht beispielsweise von Haase 2003.
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lichkeit, Kürze aller Bewegungen« (ebda.).4 Der Nivellierungsprozess mache Mode nicht nur zum Sprachrohr eines Individuums, sondern einer ganzen Schicht oder auch einer gesamten Generation. Somit fungiere Mode als einer Gesellschaft Spiegel: Die Moden »erscheinen […] dem klargewordenen gegenständlichen Blick als ein Ausdruck dieser Zustände, der gar nicht anders sein konnte, als er war« (ebda., 63). Umgekehrt bedingen einander ablösende »Culturformen«, unter denen man Formen des sozialen Zusammenlebens verstehen mag, den Wechsel der Mode, sodass eine ständige Wechselwirkung von Mode und Gesellschaft zu beobachten sei. Mit der Unterstreichung des dem Nivellierungsprozess entgegenwirkenden Distinktionswunsches der Individuen, der durch Geschmack, Vernunft und Aufgeklärtheit vollzogen werden könne, nimmt Vischer Georg Simmels Formulierung des Dualismus von Differenzierung und Nachahmung vorweg. Schließlich ist Vischer die Erkenntnis zuzuschreiben, dass die Mode ein Phänomen der Großstadt ist und von ihrer Schnelllebigkeit profitiert – die Weitergabe an ländliche Gebiete jedoch verlangsamt vonstattengeht und so Trachten entstehen können. Dies ist ein Gedanke, den Simmel als das Prinzip des vertikalen Heruntersickerns von Mode erkennt und heutzutage als Trickle-DownPrinzip der Mode bekannt ist.
4 | Ähnlich argumentiert Georg Simmel 1998b (1911, 1905), 45. Vgl. Kapitel zu Simmel in diesem Band.
Friedrich Theodor Vischer
M ODE UND C YNISMUS (1879) Aber, wahnsinniger Mensch, wirst du nicht endlich zur Vernunft kommen? – höre ich einen bedächtigen Freund sagen, der theilnehmend an mein Lager getreten ist, mir den Puls fühlt, mir die Hand auf die feuchte Stirne legt. Ich weiß, was er unter Vernunft versteht. Ja, es ist hohe Zeit, daß wir das niederschlagende Brausepulver einnehmen, bestehend einfach in der Besinnung auf ein Gesetz. Mag eine Erscheinung noch so wirr und toll aussehen, sie wird uns nicht aufregen, wenn wir erwägen, daß dies Chaos der Willkür doch nicht pure Willkür ist, sondern im Dienste einer Nothwendigkeit steht. Diese ganze Mode-Narrenwelt meint nach Belieben nur ihrer geschmacklosen Eitelkeit zu fröhnen und gehorcht in Wahrheit unbewußt einem unsichtbaren Regenten, der sie nöthigt, den innern Charakter einer Zeit, ihre Stimmung, Gesinnung, Auffassung, Sitte symbolisch im Aeußern, im Kleide darzustellen. Diesen Satz in seiner wohlbekannten Wahrheit haben wir nie geleugnet, schon in der mehrerwähnten Krinolinen-Threnodie pflichtschuldig anerkannt und wiederholen ihn nur, damit man nicht meine, wir haben ihn rein vergessen. Es ist ein Instinct, ein ganz dunkler Trieb, an dem der geheime Regent die Menschen packt und durch den er sie nöthigt, durch ihre Hülle zu enthüllen, wie ihnen zu Muth ist. Dieser Instinct ist es, der nicht nur die Tracht, sondern auch die Mode schafft. Es ist in der Geschichte der Culturformen längst aufgekommen, daß man diese beiden Begriffe wol unterscheidet. Auf den ersten Blick scheint nur die Tracht vom Instincte, die Mode von freier Willkür dictirt. Die Tracht ist constant und conservativ, wiewol natürlich nicht ewig, sonst könnte sie nicht charakteristisch sein, denn der Charakter der Zeiten und Völker wechselt; aber sie eilt nicht mit dem Wechsel, sie verändert nur unwesentlich im kleinen, bis die Zeit reif ist, im Großen zu verändern. Das bleibt so bei den Völkern, bis auf einmal ein unruhiger, spiegelhafter, wuselicher Geist in die Welt fährt; so etwas war der Fall in Griechenland, als die alte Sitte zerfiel, noch viel mehr im üppigen Rom der Kaiserzeit; eigentlich aber ist es eine Erscheinung der neueren Zeit, denn es setzt voraus, daß die Nationen aus der antiken Absonderung herausgetreten sind und neue Culturformen rasch an ganze Völkergruppen sich mittheilen; was wir Mode nennen, kam, wie gesagt, zum ersten Mal um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts, nachdem die Kreuzzüge die europäischen Völker in lebhafte Wechselberührung gesetzt hatten; Tollheiten aus diesem ersten Carneval des neuen Dionysos, wie Schnabelschuhe, Glöckchen an Ellbogen und Knöcheln, haben wir seiner Zeit schon erwähnt; es wäre zu erzählen von gezackten Hängeärmeln, Theilung des Rocks und der Hosen in verschiedene Farben des Tuchs (»zerhouen Tuoch«) und manchen anderen Späßen, von den Kleiderordnungen, durch die man der Tollheit und Ueppigkeit zu steuern suchte, und von deren begreiflicher Vergeblichkeit; doch wir schreiben hier keine Geschichte; der oder die Wißbegierige mag etwa nachschlagen: »Die deutsche
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Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte von Jakob Falke,«1 und von demselben: »Zur Cultur und Kunst. Studien von«2 – . Man kann sagen, daß die Mode, so bunt sie es auch in den folgenden Jahrhunderten trieb, doch ihr innerstes Wesen erst seit dem vorigen erreicht hat; denn der Grad von Selbstbespiegelung, der ihre Physiognomie charakterisirt, ist modern, ist eine Frucht der scharfen Zuspitzung der Reflexion, zu welcher die Gedankenströmungen des achtzehnten Jahrhunderts das Bewußtsein gewetzt und geschliffen haben. Trotzdem ist die Mode so gut instinctiv als die Tracht; die hellste Bewußtheit kann nicht über den Instinct hinaus, auch die Mode drückt in dunklem Drange noch etwas Anderes aus, als sie will, und die scheinbar höchst naturlose Unruhe ihres immer rapideren Wechsels ist eben das unfreiwillige Geständniß, daß es die Geister sind, deren sich die Hast, die Unmuße bemächtigt hat. Die Mode ist nur die jüngere, ausgelassene, quecksilbrige, grenzenlos eitle, Stände und Nationen herrisch über Einen Kamm scheerende und doch mit allen Hunden der Neuerungssucht gehetzte Schwester der Tracht. Dieser nachgeborene Kobold hat die Aeltere, Gesetztere auf’s Land verbannt. Daß es Schwestern sind, erkennt man an Erscheinungen, durch welche die Ehrwürdigkeit der älteren allerdings bedenklichen Abbruch erleidet. Tracht im guten ungebrochnen Sinne des Wortes ist z.B. die Juppe, ein sehr kleidsames Stück, dem aber alle Anläufe mißlingen werden, in den Modesalon einzudringen; sie wird dem Städter nur auf der Jagd, auf der Gebirgsreise, auf dem Schießplatz, zur Noth noch Abends im Wirthshaus verziehen. Versuche, sie zu verfeinern, gerathen nur in Widerspruch mit ihrer groben Ehrlichkeit. In ihrer Form ist sie allerdings nicht so urthümlich, als es scheinen möchte; es war städtische Beweglichkeit des Sinns, dem es im vierzehnten Jahrhundert einfiel, den früher stets hemdartigen Rock vorn zu schlitzen; er hieß nun Schaube, Joppe, Juppe (das Wort ist nicht einmal deutsch, sondern romanisch, wol ursprünglich arabisch) und war dann etwas sehr Modernes; aber das Landvolk der deutschen Gebirge machte sich diesen Rock nicht anders als aus grobem Lodentuch, die Form des taillenlosen Rocks ohne Halskummet (umgelegten Kragen) hat sich nun im Lauf der Zeit mit diesem Stoffe vermählt und dies Ganze ist so ein gut Stück Tracht geworden. So ist auch der tirolische und italienische Spitzhut eine Modeform des sechzehnten Jahrhunderts. Dagegen kann es auch geschehen, daß ein ganz unsinniges Stück aus der vertrakten, überbewußten und doch so dummen Modewelt auf unbegreifliche Weise am Volk hängen bleibt und hier Jahrhunderte lang sich erhält, also ganz Tracht wird; so ist in einigen Thälern der Salzburgischen Alpen und in der Ebene 1 | Anm. d. Hg.: von Falke, Jakob (1858): Die deutsche Trachten- und Modewelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. 2 Bd. Leipzig: Gustav Mayer. 2 | Anm. d. Hg.: von Falke, Jakob (1878): Cultur und Kunst. Studien. Wien: Carl Gerold’s Sohn.
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von Dachau der widerliche Hüftwulst des Weiberrocks, verbunden mit unendlicher Faltenmasse, hängen geblieben, eine ächte Modelaune des siebzehnten Jahrhunderts, eine geschwollene Drüse skrophulösen Städterthums, damals »Speck« genannt und Ziel der derbsten satyrischen Geschosse; eines, von dem groben Schützen Moscherosch gegen den hiezu gehörigen Reifrock abgeschossen, wagten wir nur verschämt in griechischen Lettern vorzuzeigen, als wir in unsrer frühern Homilie von der Geschichte des Reifrocks handeln mußten. Das kann man nun freilich kein ungebrochnes gutes Stück Tracht nennen. Die Mode also spielt und spielt und wirft manchmal ein zufällig gutes, manchmal ein höchst verkehrtes Theil ihrer raffinirt launischen Erfindungen über die Stadtmauer auf die Aecker, wo sie vom Landvolk aufgegriffen und nach und nach zum altersheiligen Erbstück, also ganz zur Tracht wird. Wir können aus der Mode, nachdem sie einmal die Stelle der Tracht eingenommen, nicht heraus; sie repräsentirt ja, wie wir uns soeben gesagt, durch und durch den scharf geweckten Geist der modernen Bildung, freilich mit allen seinen Unarten, aber sie repräsentirt ihn; das Gebiet der Tracht dagegen liegt im Elemente des gebundenen Geistes; die Tirolertracht ist malerisch, aber wo sie herrscht, herrschen auch die Pfaffen, und wenn wir, romantisch, ästhetisch, Blut weinen möchten über ihren Untergang, sie muß und wird verschwinden, wenn erst mehr Licht in diese Alpen dringt. Der Türke geht bunt, reich, stattlich, aber sein krummer Säbel steht im Dienst einer Religion, die ihn unterweist, es sei ein gutes Werk, einen Giaur todt zu martern. Daß ein solcher Barbar die schönsten Länder Europas beherrscht, ist unerträglich. Daher haben wir den Russen gegen ihn vorgehen lassen. Dies mag bedenklich sein, aber da den armen Opfern kein Anderer hilft, so »muß denn doch die Hexe dran«. Wenn je die Schläge diesen Barbaren bessern, so muß er auch Turban und Kaftan mit Rock und Hut vertauschen. – Es ist ein schrecklich wahrer Satz: das Interesse der Cultur und das Interesse des Schönen, wenn man darunter das unmittelbar Schöne im Leben versteht, sie liegen im Krieg miteinander und jeder Fortschritt der Cultur ist ein tödtlicher Tritt auf Blumen, die im Boden des naiv Schönen erblüht sind. Wer Vernunft und aber zugleich Leidenschaft hat, den wird man daher oft auf Culturfortschritte grimmig schelten hören, zum Beispiel auf Eisenbahnen. Ich habe kürzlich das Kinzigthal wieder besucht, das ich vor vielen Jahren zu Fuß mit der Reisetasche an der Hüfte und mit dem ganzen Glück der Waldidylle in der Seele durchwandert hatte, jetzt durchschoß ich es auf dem neuen Schienenweg, der Legionen von Städtern aus den naturlosesten Culturgebieten in diese herrlichen Einsamkeiten wirft. Diese Fluth wird noch in das letzte Berg- und Waldthal die Aetzstoffe der Cultur ohne ihre Gegengifte tragen. Darüber kann man nun schon einmal tüchtig wettern, während man ein andermal mit herzlicher Bewunderung die unendlichen Wirkungen der großen Erfindung anerkennt und rühmt. So auch, was die Tracht betrifft. Es hilft nichts, die Cultur wird noch alle schönen Volkskos-
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tüme erbarmungslos hinwegstreifen, aber es ist traurig; es ist traurig, aber es hilft nichts; beide Sätze sind gleich wahr und es ist nur menschlich, bald zu klagen, bald sich philosophisch zu ergeben. Die Mode ist nivellirend, Völker wie Individuen eingleichend. Sie ist allgemein, sie spricht den Contact der Völker und sie drückt, unter vielen widersprechenden Ausweichungen zwar, doch im Wesentlichen aus, was den neueren Culturvölkern gemeinsam ist. Dies Gemeinsame ist vor Allem: rasche Beweglichkeit, Kürze aller Bewegungen. Wir wollen die Materie beherrschen, wir haben schlechterdings keine Zeit übrig. Sehr beleuchtend ist das Beispiel der Sprache. Alle modernen Cultursprachen bestehen aus Schutt von zermahlenen alten, und die Zerreibung kommt ebendaher, daß wir zu vollen organischen Flexionen, gedehnten Bildungssylben, reichen Formen jeder Art keine Zeit mehr haben. Mennisko für Mensch, Amisala für Amsel, salbota für salbte wäre uns zu lang. Von der Lautfülle des Latein hat unter den romanischen Sprachen am meisten das Italienische behalten und ebendarum kann man in reinem Italienisch nicht commandiren, z.B. al piede l’arma (bei Fuß’s Gewehr!) ist zu schleppend, es mußte in pè l’arm verstümmelt werden. Ganz ebenso haben wir nun auch keine Zeit mehr, Kleidungsstücke an uns zu führen, die, nicht nach dem Leibe genäht und geschnitten, in jedem Moment auf’s Neue drapirt werden müssen; das Kleid soll von selbst mitgehen. Die Unbequemlichkeit vieler weiblicher Moden, wie z.B. die Schleppe, verändert daran nichts, kein Weib wüßte sich jetzt in einem Himation (Toga) zu helfen. Ein zweiter Grundsatz ist: Verschmähung alles Auffallens durch das Kleid; dies gilt für Mann und Weib, aber für jedes von beiden in anderem Sinne. Das männliche Kleid soll überhaupt nicht für sich schon etwas sagen, nur der Mann selbst, der darin steckt, mag durch seine Züge, Haltung, Gestalt, Worte und Thaten seine Persönlichkeit geltend machen. Es war dies, auch nachdem die Mode längst auf dem Thron sitzt, nicht immer so, aber es mußte dahin kommen, weil es eine Consequenz ihres ausgleichenden Wesens ist. Unseren Großvätern noch galt als ganz natürlich, daß der Eine durch einen rothen Rock mit Goldborten und blaue Strümpfe, der Andere durch einen grünen mit Silberborten und pfirsichrothgelbe Strümpfe sich hervorthun mochte. Wir sind damit rein fertig, gründlich blasirt gegen alles Pathetische, wir haben nur ein müdes Lächeln, wenn Einer durch Anderes, als sich selbst, in seiner Erscheinung sich herausdrängen will, wenn er etwas vor sich herträgt im Sinn des lateinischen prae se ferre. Obwohl diese Scheinlosigkeit des Männerkostüms wenig über ein halb Jahrhundert alt ist, kann man doch sagen, sie bezeichne recht den Charakter der Mode, nachdem aus ihr geworden, was ihrer Natur nach im Laufe der Zeit werden mußte. Dem scheint nun die weibliche schnurstracks zu widersprechen, denn sie sucht – nicht immer, aber meist – das Auffallende, sie läßt auch dem Individuum in gewissen Schranken Luft, sich auszuzeichnen. Wie dieser Widerspruch sich löse, wollen wir nachher sehen, vorerst dient er
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uns im Gegentheil, die blasirte Kahlheit zu erklären, bei der die männliche angelangt ist. Durch dies Luftlassen wurde der schon geschilderten Hetze des wechselseitigen Sichüberbietens in der Frauenwelt Thür und Thor geöffnet; nicht so arg, nicht so toll, aber doch nicht ganz unähnlich wird man sich in der Männerwelt gesteigert haben, bis die nachdenklichere und thätigere Natur des Mannes sich besann, am athemlosen Wettrennen der Weiber sich ein warnendes Beispiel nahm und in stiller Uebereinkunft die allgemeine Entsagung (zwar mit etlichem Vorbehalt) zur Regel machte. Zunächst ein Wort vom centralistischen Regierungssystem, wie es mit dem nivellirenden Charakter nothwendig zusammenhängt. Die gleichmachende Einheit des Modells setzt auch Einheit des Heerdes voraus. Das romanisirte keltische Volk der Franzosen ist tonangebend gewesen, so lange es eine Mode gibt; Deutsche, Engländer, Slaven, Ungarn, Italiener, Spanier haben immer nur Einzelnes, ein Ganzes nur ausnahmsweise aus ihren Trachten durchgedrückt. Es steht nicht in Widerspruch mit dem völkerabhobelnden Charakter der Mode, daß dem so ist. Einer muß doch am Ende vorangehen, das Allgemeine zu schöpfen und durchzuführen. Keines der beherrschten Völker schämt sich seiner Unterwerfung. Wir haben die Mode quecksilbrig und wuselich genannt: just dies ist das keltische Temperament (ächt »Gaulois«), das aufgeimpfte Latinische aber bringt den Grundzug des Nivellirens; die römische Herrschaft gieng wie ein Hobel über die Völker. Kein Volk vereinigt beides wie die Franzosen, die glückliche Mischung hat ihnen zudem einen Schick, ein Etwas, ein Talent des Eleganten gegeben wie keinem Volk; wir können ihnen neidlos den Ruhm lassen, in diesem Gebiete Weltherrscher zu sein, werden überhaupt gerne zugeben, daß sie ein geistreiches Volk sind, und uns im Uebrigen nur verbitten, daß sie sich für das erste halten und in allen Dingen Weltherrscher sein wollen. Doch es ist Zeit, wieder zusammenzubringen, was in der Vergleichung der männlichen und weiblichen Mode sich zu widersprechen scheint. »Verschmähung alles Auffallens« haben wir gesagt. Da könnte es scheinen, als meinten wir in seltsamer Vergeßlichkeit, es schleichen lauter Puritaner und Puritanerinnen auf unsern Straßen. Die Lösung ist einfach; für das Weib lautet die Formel so: du sollst nicht auffallen, indem du in gewissen, jetzt unerbittlich vorgeschriebenen Grundformen, Hauptstücken von allen Andern abweichst, diese Grundformen, Hauptstücke selbst mögen noch so auffallend sein! Der Rahmen der Mode ist für Alle derselbe, darin herrscht der Hobel, das Abschlichten und Eingleichen bei Weibe wie beim Mann, aber für den Inhalt des Rahmens fragt sie hier nach keiner Abschlichtung und gibt ihm Buntheit, ja Grellheit, so viel ihr heuer oder über’s Jahr eben gerade beliebt. Das Füllsel der Tabelle ist ganz und gar auf die Eitelkeit berechnet. Ferner folgt aus dem Verbot des Auffallens für die Einzelne nicht, daß ihr nicht ein großer Spielraum für eigene Einfälle und speciell persönliche Eitelkeit gelassen sei. Der vorgezeichnete Canon ist keine Uniform; wie ließen sich Weiber in Uniform bringen! Treib’s wie du magst, in
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Formen und mehr noch in Farben, nur den Canon, also z.B. den allgemeinen Schnitt des Kleides, darfst du nicht übertreten! Die Männerkleidung ist in ihrer strengen Neigung zum Knappen, bequem Mitlaufenden weit eher der Uniform zu vergleichen, doch auch sie natürlich nur ungefähr; Spielraum ist auch dem Manne gelassen, nur viel weniger, immer nur so weit, daß der Grundcharakter des Rahmeninhalts: Scheinlosigkeit nicht verletzt wird. Schlichtheit im geschilderten Sinn schließt Satisfactionen der Eitelkeit für den Einzelnen nicht aus. Gewisse Stellen, Partien sind auch dem Manne freigegeben, selbst die Farbe, wenn er sich nur nicht erdreistet, nach einer lebhaften zu greifen. – Zu dem Allen kommt nun noch der rasche periodische Wechsel und so haben wir wol so ziemlich das Nöthige beisammen, um uns die Mode zu porträtiren. Eine Dame, eine weibliche Gottheit, die Urheberin solcher Dinge, ist ja wol selbst eitel. Sie ist mehr, sie ist auch üppig bis zum Aeußersten, wenn sie die Laune anwandelt, während sie im nächsten Halbjahr die Grille haben kann, bigott, klösterlich, nonnenhaft sich zu gebehrden; sie ist Kokette vom Wirbel bis zur Zehe, kein Zug an ihr ist edel naiv, sie sieht sich jede Secunde im Spiegel, sie trägt den Spiegel mit sich, in sich, mitten in der Seele. Aber der steifsten Gouvernante thut sie es darin zuvor, daß sie bei alledem nie die gleichmachende Dictatur vergißt; hat sie also heute den Einfall, frech zu sein, so sollen Alle frech sein, keine soll die Frechheit haben, sich von allen Andern dadurch zu unterscheiden, daß sie nicht frech einhergeht. Freie Pirsch für jede Fratzerei und dennoch steif durchschlagendes Lineal. Und dieses Lineal verbindet sich ebenso mit der rinnenden Welle des Wechsels. Wie ein unartiges Kind, das keine Ruhe gibt, das stupft, scharrt, gambelt, nottelt, bohrzt, trippelt, so treibt es die Mode, sie thut’s nicht anders, sie muß zupfen, rücken, umschieben, strecken, kürzen, einstrupfen, nesteln, krabbeln, zausen, strudeln, blähen, quirlen, schwänzeln, wedeln, kräuseln, auf bauschen, kurz sie ist ganz des Teufels, jeder Zoll ein Affe, aber just auch darin wieder steif und thyrannisch, phantasielos gleichmacherisch wie nur irgendeine gefrorne Oberhofmeisterin altspanischer Observanz; sie schreibt mit eisiger Ruhe die absolute Unruhe vor, sie ist wilde Hummel und mürrische Tante, ausgelassener Backfischrudel und Institutsvorsteherin, Pedantin und Arlekina in Einem Athem. Und nun stehen wir erst vor der eigentlichen Schwierigkeit, dem logischen Balkan, Schipkapaß unserer hochgelehrten Abhandlung. Wir haben, wie wir vornherein besorgten, trotz besserem Vorsatz viel gescholten und demnach angenommen, wir haben es mit Subjecten zu thun, die imputabel (wenn auch nicht alle reputabel) und verantwortlich sind. Nun aber hat uns die Schlingung unseres Wegs wieder auf die geheime Macht zurückgeführt, welche an unsichtbaren Drähten diese Subjecte wie Marionetten tanzen läßt, diese Macht ist absolute Regierung, unverantwortlicher Regent oder besser: Regentin, denn wir haben billig aus dem Herrn eine Dame gemacht. Diese Monarchie ist zugleich Theokratie, ihre Gebote sind Offenbarung, sind also unumstößlich.
Friedrich Theodor Vischer
Mitten in’s Mystische versetzt wollen wir, da wir einmal in diesem helldunkeln Gehölze stecken, in Gottes Namen (hätten wir fast gesagt) uns noch ein paar Schritte weiter hineinwagen. Die Herrscherweisheit einer Theokratie ruht auf Inspiration. Die jeweiligen Moderegulative sind also, – da hilft nichts –, sie sind Orakel. Die Putzmacherinnen in Paris, sammt den verschiedenen Damen, halber Ganzwelt und ganzer Halbwelt, mit denen sie zur Tagsatzung sich versammeln, sind Pythien und die Dämpfe aus dem Erdenschoß, die sie in hellsehenden Zustand versetzen, ein übersinnliches Gas, ausstrahlend vom Geist der Geschichte. Von göttlichem Wahnsinn trunkene priesterliche Organe des geschichtlichen Mysteriums sind neben den Schneidern (und Schustern) auch die Hutmacher; ihr Congreß in Paris ist ein Pfingstfest, Ausgießung des Geistes; Filialausflüsse davon sind die Zweigversammlungen, die Provinzialsynoden in andern Ländern, Deutschland z.B., also Leipzig oder meinetwegen Krähwinkel. Die taghelle Absichtlichkeit, womit diese Priesterinnen und Priester, Prophetinnen und Apostel diesen und jenen Plunder aus alten Trachtenbüchern und Modejournalen auswählen, zusammenstellen, den neuen Canon beschließen, ist purer Schein, ist vielmehr Geisterlicht aus dem Urquell eines geheimnißvollen Centrums, das wir oben bezeichnet haben als eine tiefe Symbolik, welche die Generationen zwingt, ihre Zustände, Grundgefühle, socialen Stimmungen und Vorstellungen in ihren Culturformen auszudrücken. Also Zwang! Der Charakter der Zeiten muß sich in ihren Formen ausdrücken. Also wäre der Mensch unfrei? unfrei just in dem, worin wir ihn doch so recht frei glauben, im Gebiete der beliebigen Wahl seiner äußern Erscheinung? Und wenn hierin, dann wol überhaupt? Es gibt keine Willensfreiheit? Das ist der Knoten, den wir im Eingang als die letzte Ursache unseres Schwankens zwischen leidenschaftsloser Betrachtung und eifrigem Predigtdrang denuncirt haben. Es ist nicht anders, die Geschichtsphilosophie der Mode führt mitten hinein in die Frage: Freiheit oder Nothwendigkeit. Unser Spaß vom priesterlichen delphischen Autoritätswerthe der Sprüche, die von Putzmacherinnen, Schneidern, Hutmachern und ihren Beisitzerinnen und Beisitzern vom Laienstand in die Welt ergehen, ist nicht so ganz nur Spaß. Dieses lockere Völkchen täuscht sich über seine Willkür; es dient einem Gesetze, und wir, die wir uns seinen Sprüchen frei zu unterwerfen glauben, wir täuschen uns um kein Haar weniger. Die Probe gibt sich von selbst: man darf nur rückwärts blicken. Entschwundene Moden reihen sich als Glied in eine ganze Kette vergangener Culturformen. Halten wir diese mit den gleichzeitigen Zuständen der Gesellschaft, des ganzen Gemeinlebens zusammen, so erscheinen sie dem klargewordenen gegenständlichen Blick als ein Ausdruck dieser Zustände, der gar nicht anders sein konnte, als er war, und die tollsten Auswüchse, in denen sich gar kein Sinn mehr entdecken läßt, als ein nicht minder nothwendiger Ausdruck der Kinderei, welche unvertilgbar dem Sterblichen anhängt. [Vischer 2006, 50-64]
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Thorstein B. Veblen
E INLEITUNG »Der Zweck des vorliegenden Buches besteht darin, Standort und Wert der müßigen Klasse als ökonomischen Faktor im modernen Leben zu untersuchen […].« (Veblen 2007 [engl. 1899], 19) So formuliert der US-amerikanische Ökonom, Soziologe und Philosoph Thorstein B. Veblen (1857-1929) im Vorwort das Ziel seines 1899 erschienenen Buches The Theory of the Leisure Class. In seinem wohl bekanntesten Werk analysiert Veblen die Oberschicht und zeigt, wie deren Mitglieder keiner produktiven Tätigkeit nachgehen, sondern ihren Status und soziale Anerkennung durch die Verschwendung von Zeit und Geld erwerben. Er zeichnet die historische Entwicklung dieser Klasse nach bis zu den Neureichen seiner Zeit, die durch den wirtschaftlichen Aufschwung schnell zu großem Vermögen gekommen sind. Ihre finanzielle (und damit auch soziale) Überlegenheit demonstrieren sie, indem sie das verschwenderische Verhalten des alten europäischen Adels imitieren, dessen Verschwendung jedoch Zeichen der Abgrenzung von den niederen Ständen war und die Zugehörigkeit zur Aristokratie qua Geburt unterstrich. Die bürgerlichen »nouveaux riches« hingegen müssen permanent um den Verlust ihres Vermögens sowie sozialen Status fürchten und sind darauf angewiesen, ihren Geldbesitz und die Zahlungsfähigkeit zur Schau zu stellen und für andere sichtbar zu machen. »In jeder hoch industrialisierten Gesellschaft beruht das Prestige letzten Endes auf der finanziellen Stärke, und die Mittel, um diese in Erscheinung treten zu lassen, sind Muße und demonstrativer Konsum« (Veblen 2007, 93). Der demonstrative Konsum gewinnt im 19. Jahrhundert gegenüber dem ausgestellten Müßiggang aufgrund zunehmender Mobilität und immer kürzerer und flüchtigerer Begegnungen an Bedeutung. »Um diese flüchtigen Beschauer gebührend zu beeindrucken […], muß uns unsere finanzielle Stärke auf der Stirn geschrieben stehen, und zwar in Lettern, die auch der flüchtigste Passant entziffern kann.« (ebda., 95) Ständig sichtbar und schnell zu »entziffern« ist Veblen zufolge die Ware Kleidung und insbesondere ihre seit der Moderne ausgeprägten modischen Formen. Bereits 1894 hatte er einen Aufsatz mit dem Titel »The Economic
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Theory of Dress« veröffentlicht, in welchem er drei zentrale Aspekte der Unwirtschaftlichkeit herausarbeitet, die eine Theorie der weiblichen Kleidung berücksichtigen müsse: Kostspieligkeit, Neuartigkeit, Ungeeignetheit (vgl. Veblen 1894, 204). In der Theorie der feinen Leute legt er im siebten Kapitel »Die Kleidung als Ausdruck des Geldes« den Zusammenhang zwischen diesen drei Aspekten und dem Grundsatz der demonstrativen Verschwendung dar. »Kleider beziehen ihren kommerziellen Wert in allen modernen Gesellschaften« daraus, »daß sie der Mode entsprechen und also Prestige besitzen« (Veblen 2007, 165). Mode meint wechselnde Erscheinungen und ist gleichzusetzen mit dem Prinzip der Neuheit. Eine Sache nur zu erwerben, weil sie neu und deswegen kostspielig ist, signalisiert Geldbesitz, folgt dem Prinzip der Verschwendung und verschafft Prestige, denn man hat viel Geld für etwas ausgegeben, das kein elementares Grundbedürfnis befriedigt und dessen hoher Wert nur von kurzer Dauer ist. Im Fall der Mode steht das vestimentäre Objekt dafür, dass es bezahlt werden konnte, und erst im performativen Akt des Zur-SchauStellens, d.h. des Tragens der Kleidung, materialisiert sich die Verschwendung und wird sichtbar. Zum Merkmal der Muße wird insbesondere Frauenbekleidung dann, wenn unpraktische Schnitte oder einschränkende Kleidungsstücke – Veblen nennt hier wie auch in seinem Aufsatz von 1894 Röcke, Schuhe mit hohem Absatz, Hüte und Korsetts – den Eindruck vermitteln, dass die Trägerin nicht zu arbeiten braucht oder aufgrund ihrer Kleidung dazu gar nicht in der Lage ist. Stattdessen signalisieren sie genügend Zeit, sich mit dem eigenen Äußeren zu beschäftigen und sich über den aktuellen Geschmack zu informieren, um beim Kauf die ›richtige Wahl‹ treffen zu können: Kleider, die das Prestige steigern. Die frühe Modetheorie diskutiert Kleidermode vornehmlich als etwas, dem Frauen folgen bzw. erliegen. Veblen weist darauf hin, dass Frauen durch das Geld und die Zeit, die sie u.a. in modische Kleidung investieren, nicht ihr eigenes Ansehen steigern sondern ausschließlich das ihres Mannes. Seine These, dass die Frau somit stellvertretend für den Mann konsumiere und der Muße nachgehe, ist später auf die Herausbildung der Geschlechtermoden um 1800 und die bürgerliche Rollenverteilung zurückgeführt worden: Sie stellt mit ihren teuren, modischen und unpraktischen Kleidern seine finanzielle Potenz zu Schau. Die Frau ist Trägerin der Zeichen der Verschwendung für jemand anderen. Was sie über bzw. von sich zeigt, ist lediglich ihre »wirtschaftliche Abhängigkeit« (ebda., 151) vom Mann. Mit seiner ökonomischen Erklärung für die auffälligeren, aufwändigeren und wechselhafteren, kurz: verschwenderischen Frauenkleider unterscheidet sich Veblen von Vorgängern wie Friedrich Theodor Vischer oder Zeitgenossen wie Georg Simmel. Sie begründen die vermeintliche Affinität der Frauen für die Kleidermode psychologisch entweder
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als Gefallsucht (Vischer) oder als Kompensation der bzw. Reaktion auf die Unterlegenheit in allen anderen Lebensbereichen (Simmel). Ähnlich wie Simmel geht Veblen vom Trickle-Down-Prinzip bei der Verbreitung neuer Moden aus: Die Oberklasse setzt die Normen, auch in Hinblick auf das Konsumverhalten, die von den unteren Schichten nachgeahmt werden. Die Zeichen der demonstrativen Verschwendung hätten sich jedoch mit der Zeit so stark verfeinert, dass sie nicht ausschließlich auf eine Abgrenzung zu den niederen Klassen zielten, sondern der Oberschicht zur internen Differenzierung diene. Die soziale Herausbildung von Geschmacksnormen sowie deren differenzierende Funktion beschreibt der französische Soziologe Pierre Bourdieu in seinem 1979 erschienenen Buch La distinction (dt. 1982 Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft). Mit dem Konzept des Habitus liefert Bourdieu eine Erklärung für die von Veblen beschriebenen Verhaltensweisen, indem der Habitus gleichermaßen das Verinnerlichen von Prinzipien des Handelns, Denkens, Wahrnehmens als auch deren praktische Anwendung meint. Geschmack gehört demnach nicht der individuellen Sphäre an, sondern steht für ein kollektives ästhetisches Urteil, das der herrschenden Klasse vorbehalten bleibt und deren Lebensstil maßgeblich bestimmt (vgl. Trigg 2001). Für die Modetheorie ist Veblens Theorie der feinen Leute von großer Bedeutung, weil seine Erklärung des Phänomens Mode, d.h. des Wechsels und des Verlangens nach Neuheit, über den Wunsch nach sozialer Distinktion hinausgeht. Er untersucht als einer der Ersten die Wechselwirkung von Sozialverhalten und dem Konsum von Gütern; mit dem Ergebnis, dass die Kostspieligkeit eines Produktes keinesfalls seine Attraktivität verringert, so wenig wie den Wunsch vieler, es besitzen zu wollen.
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THEORIE DER FEINEN L EUTE (1899) Die Kleidung als Ausdruck des Geldes Es dürfte nun angemessen sein, im einzelnen aufzuzeigen, wie sich die bisher dargestellten ökonomischen Prinzipien in den alltäglichen Dingen des Lebens auswirken. Ein vorzügliches Beispiel für dieses Vorhaben bietet die Kleidung. Es ist vor allem die Verschwendung von Gütern, die sich in den Kleidern bemerkbar macht, wenngleich sich auch die übrigen Ausdrucksformen des finanziellen Prestiges am selben Gegenstand nachweisen lassen. Andere Methoden, die finanzielle Macht zur Schau zur stellen, sind zwar ebenso wirksam und überall und immer ebenso beliebt, doch besitzt der verschwenderische Aufwand an Kleidern den Vorteil, daß er eine sofortige und unmittelbare Schätzung der jeweiligen finanziellen Verhältnisse erlaubt; denn wir dürfen nicht vergessen, daß unsere äußere Erscheinung in auffälliger und sichtbarer Weise gegenwärtig und daß sie fast immer fremden Blicken ausgesetzt ist, weshalb im allgemeinen mehr für Kleidung ausgegeben wird als für irgendwelche anderen Konsumgüter. Sicherlich wird niemand bestreiten, daß der größte Teil der Kleiderkosten aller Klassen weniger dem Schutz der Person als einem anständigen und respektablen Äußeren gilt. Und wahrscheinlich fühlen wir uns nie so durch und durch unwürdig und schäbig wie dann, wenn unser Anzug den festgelegten Kleidernormen nicht entspricht. Daß man sich um eines als angemessen betrachteten verschwenderischen Konsums willen lieber der notwendigen Bequemlichkeit beraubt, trifft in bezug auf die Kleidung in noch höherem Maße zu als hinsichtlich anderer Konsumgüter, so daß es keineswegs ungewöhnlich ist, wenn sich die Leute in einem rauen Klima schlecht und ungenügend kleiden, um dafür gut angezogen zu erscheinen. Die Kleider beziehen ihren kommerziellen Wert in allen modernen Gesellschaften viel eher aus der Tatsache, daß sie der Mode entsprechen und also Prestige besitzen, als aus dem Umstand, daß sie ihren eigentlichen Zweck, nämlich die Person der Trägers zu kleiden und zu schützen, erfüllen. Das Bedürfnis, sich anzuziehen, gehört damit zu den »höheren« oder geistigen Bedürfnissen. Man darf dieses Bedürfnis nun aber nicht einfach mit dem naiven Hang, durch Aufwand zu glänzen, identifizieren. Das Gesetz der demonstrativen Verschwendung beeinflußt nämlich den Konsum an Kleidung wie ja auch an anderen Dingen vor allem in indirekter Weise, nämlich indem es zunächst die Regeln des Geschmacks und der Wohlanständigkeit bildet und ausprägt. In den meisten Fällen besteht das bewußte Motiv des Trägers oder Käufers von demonstrativ verschwenderischen Kleidern in dem Wunsch, sich bestehenden Sitten anzupassen, dem anerkannten Geschmack zu entsprechen und den geltenden Prestigestandart nachzuleben. Er ist jedoch nicht nur einfach gezwungen, sich von den Gesetzen der Schicklichkeit in Fragen der Kleidung
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führen zu lassen, will er sich die Demütigung unliebsamen Aufsehens und mißgünstiger Kommentare ersparen – eine Überlegung, die gewichtig ist –, sondern außerdem hat sich die Forderung nach Kostspieligkeit so tief in unsere Denkgewohnheiten eingegraben, daß wir billige Kleider ganz instinktiv als widerwärtig empfinden. Ohne zu überlegen warum, halten wir das Billige für unwürdig. »Billige Kleider machen billige Leute.« Und das Motto »billig und schlecht« scheint sich in Fragen der Kleidung noch unbarmherziger durchzusetzen als bei anderen Konsumgütern. Entsprechend dieser Maxime hält man ein billiges Kleidungsstück nicht nur für unschön, sondern auch für untauglich; je teurer es hingegen ist, desto schöner und zweckmäßiger erscheint es uns. […] Doch die Funktion der Kleidung als Beweis der Zahlungsfähigkeit erschöpft sich nicht allein im Bezeugen, daß der Träger teurer Kleider mehr wertvolle Güter konsumiert, als zu seiner physischen Bequemlichkeit nötig sind. Die einfache, nicht weiter verfeinerte demonstrative Verschwendung ist soweit zwar ganz wirkungsvoll und befriedigend, denn sie stellt einen vorzüglichen unmittelbaren Beweis des finanziellen Erfolgs und somit des gesellschaftlichen Wertes dar. Doch birgt die Kleidung viel subtilere und weitreichendere Möglichkeiten in sich. Wenn nämlich der Träger nicht nur zeigen kann, daß er in der Lage ist, frei und unwirtschaftlich zu konsumieren, sondern auch, daß er (oder sie) es nicht nötig hat, sich sein Leben zu verdienen, so erhöht dies seinen gesellschaftlichen Wert ganz beträchtlich. Um diesen Zweck ganz angemessen zu erfüllen, sollten unsere Kleider nicht nur teuer sein, sondern auch allen Beobachtern von vornherein klarmachen, daß wir nicht produktiv zu arbeiten brauchen. […] Eine eingehende Untersuchung jener Kleider, die in der öffentlichen Meinung als elegant gelten, wird uns zeigen, daß sie alle nur deshalb erfunden wurden, um den Eindruck zu erwecken, daß sich ihre Träger für gewöhnlich keiner einzigen nützlichen Anstrengung hingeben. Natürlich kann man kein Kleidungsstück als elegant oder auch nur anständig bezeichnen, wenn es die Spuren manueller Arbeit aufweist, das heißt, wenn es dreckig oder abgetragen ist. Die gefällige Wirkung untadeliger Kleider ist hauptsächlich, wenn nicht vollständig dem Umstand zuzuschreiben, daß sie die Vorstellung eines müßigen Lebens wachrufen, also auf die Befreiung vom persönlichen Kontakt mit irgendwelcher handwerklicher oder gewerblicher Arbeit hinweisen. Viel von der Anziehungskraft, die Lackschuhe, blütenweißes Leinen, ein glänzender Zylinder oder ein Spazierstock – die Symbole des geborenen Gentleman – ausüben, ist dem deutlichen Hinweis zu verdanken, daß die so ausgestattete Person unmöglich einer Beschäftigung nachgehen kann, die irgendeinen unmittelbaren Nutzen bringt. Elegante Kleider erfüllen ihren Zweck also nicht nur insofern, als sie teuer, sondern auch insofern, als sie Merkmale der Muße sind. Sie beweisen, daß ihr Träger in der Lage ist,
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relativ große Werte zu konsumieren, und auch, daß er konsumiert, ohne zu produzieren. Frauenkleider gehen in dieser Hinsicht sogar noch weiter. Es bedarf wohl keiner langen Argumente, um den Leser davon zu überzeugen, daß die eleganten Damenhüte die Arbeit noch unmöglicher machen als der männliche Zylinder. Neben dem Glanz als Zeugnis erzwungener Muße weist der Damenschuh außerdem den sogenannten französischen Absatz auf, und dieser hohe Absatz gestaltet nun offensichtlich jede, auch die einfachste und notwendigste Handarbeit äußerst schwierig. Dasselbe gilt, vielleicht in noch höherem Maße, vom Rock und von anderen weiblichen Umhängen. Der eigentliche Grund dafür, daß sich der Rock einer so hartnäckigen Zuneigung erfreut, besteht darin, daß er nicht nur teuer ist, sondern außerdem die Trägerin bei jeder Bewegung hindert und sie für alle nützliche Betätigung unfähig macht. Ähnliches ließe sich von den übermäßig langen Haaren sagen. Doch die weibliche Kleidung unterscheidet sich von der männlichen nicht nur dadurch, daß sie die Befreiung von der Arbeit noch deutlicher in den Vordergrund rückt, sondern durch eine Reihe von höchst seltsamen und nur ihr eigenen Erfindungen, von denen das typischste Beispiel das Korsett ist. […] Im großen und ganzen kann gesagt werden, daß das eigentlich Weibliche der Frauenkleider darin besteht, jede nützliche Betätigung wirksam zu verhindern. […] Als die die Kleidung im allgemeinen bestimmende und beherrschende Norm sind wir von neuem auf das Prinzip der demonstrativen Verschwendung gestoßen, dem sich in zweiter Linie das Prinzip der demonstrativen Muße anschließt. Bei der Herstellung von Kleidern wirkt sich dieses letztere Prinzip auf die Form der verschiedenen Kreationen und Erfindungen aus, die soweit als möglich anzeigt, daß sich die Trägerin nicht mit produktiver Arbeit beschäftigt, ja, daß sie dazu gar nicht in der Lage ist. Neben diesen beiden Prinzipien tritt ein drittes, kaum weniger gewichtiges, in Erscheinung, das jedem einfallen wird, der auch nur einen Augenblick darüber nachdenkt. Kleider müssen nämlich nicht nur teuer und unbequem, sondern auch modisch sein. Das Phänomen der Mode hat bisher noch keine befriedigende Erklärung gefunden. Die gebieterische Forderung, sich nach der letzten Mode zu kleiden, und der Umstand, daß diese Mode andauernd wechselt, sind zwar jedermann vertraute Erscheinungen, doch eine Theorie dieser Veränderungen hat bisher noch niemand aufgestellt. Wir können natürlich folgerichtig und den Tatsachen entsprechend behaupten, daß das Prinzip der Neuheit nichts anderes als eine Ableitung aus dem Gesetz der demonstrativen Verschwendung darstellt. Wenn jedes Kleidungsstück nur für kurze Zeit zu gebrauchen ist und wenn aus der letzten Saison nichts in die gegenwärtige übernommen werden darf, so erhöht sich natürlich der verschwenderische Aufwand der Kleidung beträchtlich. Diese Erklärung ist zwar zutreffend, doch erlaubt sie uns einzig die Aussage, daß die Norm der demonstrativen Verschwendung eine Kontrolle über alle Kleider-
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fragen ausübt, und zwar in dem Sinne, daß jeder Modewechsel dem Erfordernis der Verschwendung nachkommen muß; sie läßt aber die Frage nach den Ursachen unbeantwortet, die Frage nämlich, warum Veränderungen eintreten und warum sie übernommen werden, und sie erklärt auch nicht, warum die Anpassung an eine gegebene Mode zu einer bestimmten Zeit so unbedingt nötig ist, wie es regelmäßig der Fall zu sein scheint. [Veblen 2007, 164-169] Die Prestigenormen verlangen einerseits, daß die Kleidung von verschwenderischem Aufwand zeugen soll, doch andererseits beleidigt jegliche Verschwendung den angeborenen Geschmack. Wir haben bereits auf die psychologische Gesetzmäßigkeit hingewiesen, der gemäß alle Menschen – und Frauen vielleicht in noch höherem Maß als Männer – die Sinnlosigkeit hassen, und zwar sowohl die Sinnlosigkeit des Bemühens als auch des Aufwands – etwa so wie es von der Natur heißt, daß sie kein Vakuum zulasse. Doch verlangt das Prinzip der demonstrativen Verschwendung einen offensichtlich sinnlosen Aufwand, weshalb die davon bedingte demonstrative Kostspieligkeit der Kleidung ihrem Wesen nach häßlich sein muß. Um nun eine augenblickliche Verurteilung und Ablehnung neuer Kleidermoden zu vermeiden, ist es nötig, sämtlichen veränderten oder neu hinzugekommenen modischen Einzelheiten einen scheinbaren Zweck zu verleihen; gleichzeitig verhindert aber das Erfordernis der demonstrativen Verschwendung, daß die Zweckmäßigkeit der Neuheit irgend etwas anderes als einen höchst durchsichtigen Vorwand darstellt. Selbst in ihren kühnsten Schöpfungen vollbringt die Mode kaum je etwas anderes als die Vorspiegelung irgendeines angeblichen Nutzens. Diese scheinbare Nützlichkeit modischer Einzelheiten ist allerdings so leicht zu durchschauen und ihre wesentliche Sinnlosigkeit liegt so offen zutage, daß sie alsbald unerträglich wird, weshalb man Zuflucht bei einer neuen Mode sucht. Doch auch der neue Stil muß den Ansprüchen des Prestiges, der Verschwendung und der Sinnlosigkeit genügen. Die letztere empfinden wir auch in der neuen Mode bald als genau so widerwärtig wie in der alten, weshalb das Heilmittel, das uns das Gesetz der Verschwendung als einziges anzuwenden erlaubt, notwendigerweise darin besteht, Hilfe bei neuen, ebenso sinnlosen und ebenso vergänglichen Erfindungen zu suchen. Daher die wesentliche Häßlichkeit und der ewige Wechsel der modischen Kleidung. Nachdem wir den Modewechsel auf diese Weise begründet haben, müssen wir nun die theoretische Erklärung mit den Erscheinungen des Alltags in Übereinstimmung bringen. Eine solche Erscheinung ist zum Beispiel die Vorliebe aller Menschen für das jeweils Neue. Ein neuer Stil entsteht, wird Mode, hält sich für eine Weile und gilt als schön, wenigstens solange er neu ist. Daß man die jeweils herrschende Mode für schön hält, verdankt sie teils der Erleichterung, die man empfindet, wenn die alte endlich von einer anderen Mode abgelöst wird, und teils aus dem Umstand, daß sie Prestige besitzt. Wie
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wir im letzten Kapitel hervorgehoben haben, formen die Prestigevorschriften in gewissem Grade unseren Geschmack, so daß jede beliebige Erscheinung solange als gefällig und hübsch anerkannt wird, bis sie ihre Neuheit verloren hat oder bis die Funktion, Bürge des Prestiges zu sein, einer anderen neueren Erfindung übertragen wird, die demselben allgemeinen Zwecke dient. Daß die angebliche Schönheit oder »Lieblichkeit« der jeweils herrschenden Mode ebenso vergänglich wie trügerisch ist, wird durch die Tatsache bestätigt, daß keine Mode der Prüfung durch die Zeit standhält. Wenn wir sie aus der Entfernung von sechs oder mehr Jahren betrachten, erscheinen uns auch die besten unter ihnen als grotesk und abscheulich. Unsere vergängliche Zuneigung zum Neuesten, wie dies auch immer beschaffen sein mag, beruht auf anderen als ästhetischen Motiven und dauert nur solange, bis unser wahres und eigentliches Schönheitsgefühl die Zeit gefunden hat, sich durchzusetzen und die unechte, unverdauliche Erfindung anzuweisen. […] Die Annahme lautet deshalb, daß je weiter sich die Gesellschaft, vor allem die wohlhabenden Klassen entwickeln, das heißt je mehr Reichtum und Mobilität zunehmen und je mehr der Bereich der menschlichen Beziehungen sich ausdehnt, desto gebieterischer setzt sich die demonstrative Verschwendung in Kleiderfragen durch, desto mehr wird der Schönheitssinn vernachlässigt oder gar vom finanziellen Prestige völlig verdrängt, desto schneller ändert sich die Mode und desto groteskere und unerträglichere Formen nimmt sie an. Noch verbleibt uns die Aufgabe, einen weiteren Aspekt dieser Theorie der Kleidung zu untersuchen. Zwar gilt der größte Teil des bisher Gesagten für beide Geschlechter, vielleicht – wenigstens in unserer Zeit – in noch höherem Maße für die Frauen als für die Männer. Doch gibt es, wie gesagt, einen Punkt, an dem sich die weibliche Kleidung ganz wesentlich von der männlichen unterscheidet. Sie betont offensichtlich vor allem jene Merkmale, welche die Befreiung der Trägerin von aller vulgärer Arbeit und ihre Unfähigkeit hierzu bezeugen. Diese Merkmale sind nicht nur deshalb von Interesse, weil wir mit ihrer Hilfe unsere Theorie der Kleidung vervollständigen können, sondern auch, weil sie bestätigen, was wir über den ökonomischen Status der Frau in Vergangenheit und Gegenwart gesagt haben. Wie wir bei der Diskussion über die Stellung der Frau im Zusammenhang mit der stellvertretenden Muße und dem stellvertretenden Konsum gesehen haben, hat die Frau im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung die Aufgabe übernommen, stellvertretend für den Herrn und Meister des Haushalts zu konsumieren; ihre Kleidung wurde in Hinblick auf diesen Zweck erfunden. Sichtbar produktive Arbeit galt für angesehene Frauen in ganz besonderem Maße als herabwürdigend, weshalb im Entwerfen von Frauenkleidern noch heute unendlich viel Mühe darauf verwendet wird, im Betrachter den Eindruck (der natürlich oft nur eine Fiktion ist) zu erwecken, daß die Trägerin keine nützliche Arbeit verrichte, ja dazu gar nicht in der Lage ist. Die Schicklich-
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keit verlangt von angesehenen Frauen, daß sie sich konsequenter von jedem Bemühen fernhalten und daß sie ihre Muße deutlicher zur Schau stellen als die Männer derselben sozialen Klasse. Der Anblick einer wohlgeborenen Frau, die gezwungen ist, ihr Leben durch nützliche Arbeit zu verdienen, verletzt unser Empfinden zutiefst. Arbeit gehört nicht »zur Welt der Frau«. Ihre Welt ist der Haushalt, den sie »verschönern« und dessen »schönster Schmuck« sie sein sollte. Vom männlichen Führer des Haushalts spricht man hingegen im allgemeinen nicht als von einem Schmuck. Dies zusammen mit dem eben erwähnten Umstand, daß nämlich die Schicklichkeit einer Frau größere Anstrengungen im Zurschaustellen kostspieliger Kleider und ebenso kostspieligen Zubehörs verlangt, unterstützt den Standpunkt, den wir bereits im Vorangehenden vertreten haben. Dank seiner patriachalischen Herkunft stellt nämlich unser soziales System der Frau in ganz besonderem Maße die Aufgabe, die Zahlungsfähigkeit des Haushalts so deutlich als möglich zu bezeugen. Gemäß der zivilisierten modernen Lebensweise muß die erste Sorge der Frau dem guten Namen des Haushalts gelten, dem sie angehört; das System des ehrenvollen Aufwands und der demonstrativen Muße, mit dessen Hilfe der gute Name zur Hauptsache aufrecht erhalten wird, bildet daher recht eigentlich die Welt der Frau. Im Idealfall, wie er sich annähernd im Leben der reichsten Klassen verwirklicht, stellt die Pflege der demonstrativen Verschwendung von Geld und Energie normalerweise die einzige wirtschaftliche Funktion der Frau dar. […] An diesem Punkt ist es nun, an dem die männliche der weiblichen Kleidung unterlegen ist, und dies aus einem einleuchtenden Grund. Die demonstrative Verschwendung und die demonstrative Muße besitzen Prestige, weil sie von finanzieller Stärke zeugen; diese besitzt ihrerseits Prestige und Würde, weil sie letzten Ende ja Erfolg und überlegene Macht bedeutet. Deshalb können die Beweise von Verschwendung und Muße, die der Einzelne nicht um eines andern, sondern um seiner selbst willen zur Schau stellt, nicht normalerweise eine Form annehmen, die ausgesprochene Unfähigkeit und Unbequemlichkeit verrät; auf diese Weise käme nämlich nicht eine Über-, sondern eine Unterlegenheit zum Ausdruck, was den Zweck der ganzen Angelegenheit ins Gegenteil verkehren würde. Wo immer also der verschwenderische Aufwand und die demonstrative Befreiung von jeglichem Bemühen normalerweise und in der Regel so weit betrieben werden, daß sie zu einem sichtbaren Unbehagen führen, darf man sogleich annehmen, daß die Person, zumeist die Frau, weder den verschwenderischen Aufwand um ihrer selbst willen vorgenommen hat, sondern dies allein für jemand anders tut, von dem sie wirtschaftlich abhängig ist. Diese Abhängigkeit bedeutet in der ökonomischen Theorie nichts anderes als Knechtschaft. Wenn wir im Lichte dieser Verallgemeinerungen die Einzelheiten der Frauenkleidung betrachten, so ergibt sich folgendes Bild. Der hohe Absatz,
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der Rock, der unpraktische Hut, das Korsett und die Verachtung für jegliche Bequemlichkeit, die ganz offensichtlich alle zivilisierten weiblichen Kleider kennzeichnet, beweisen durchweg, daß die Frau auch im modernen Leben – wenigstens in der Theorie – wirtschaftlich noch immer vom Mann abhängt, daß sie – überspitzt ausgedrückt – noch immer Hab und Gut des Mannes ist. Die einfache Ursache für all die Muße und all den Aufwand, den die Frauen betreiben, liegt in dem Umstand begründet, daß sie Dienerinnen sind, denen bei der Differenzierung der wirtschaftlichen Funktionen die Aufgabe zufällt, die Zahlungsfähigkeit ihres Herrn zur Schau zu stellen und zu bezeugen. [Veblen 2007, 172-177] Man darf annehmen, daß Ähnliches auch auf andere Güter des demonstrativen Konsums zutrifft, insbesondere auf andere Merkmale der Kleidung, vor allem, wenn diese ausgesprochen unbequem ist oder wenigstens so erscheint. So hat sich denn auch während der letzten hundert Jahre besonders in der männlichen Kleidung die Tendenz bemerkbar gemacht, den Aufwand zu verringern, und gewisse Symbole der Muße, die höchst lästig gewesen sein müssen, nicht länger zu verwenden; diese Symbole mögen zwar zu ihrer Zeit einen guten Zweck erfüllt haben, doch sich ihrer heute noch zu bedienen scheint überflüssig zu sein. Zu ihnen gehören unter anderem die gepuderte Perücke, goldene Spitzen und die Gewohnheit, sich andauernd zu rasieren. […] Diese und andere ähnliche Symbole, die mit unverblümter Schärfe die Nutzlosigkeit jener Personen anprangerten, die sich ihrer bedienten, sind heute von anderen subtileren Mitteln verdrängt worden, von Mitteln, die jedoch dem geübten Blick jenes kleinen auserlesenen Kreises, dessen gute Meinung hauptsächlich gesucht wird, genauso wenig entgehen. Die früheren, viel gröberen Methoden der Selbstreklame erfüllen solange ihren Zweck, als das Publikum, an das es sich wandte, zum großen Teil aus Leuten bestand, die nicht in der Lage waren, feine Unterschiede in den Symbolen des Reichtums und der Muße festzustellen. Sobald sich aber eine genügend große reiche Klasse entwickelt hatte, die Zeit und Muße besaß, um die subtileren Zeichen des Aufwandes geschickt zu erfassen und zu deuten, verfeinerten sich auch die Mittel der Selbstreklame. Auffällige Kleider erscheinen nun dem guten Geschmack als anstößig, weil sie den – heute unschicklichen – Wunsch ausdrücken, das ungebildete Empfinden des gemeinen Volkes beeindrucken zu wollen. Für das wohlerzogene Individuum ist von nun an nur noch jene ehrende Hochachtung von Bedeutung, die ihm die kultivierten Angehörigen seiner eigenen Klasse entgegenbringen. Da deren Zahl stark zugenommen hat und da die Beziehungen zwischen ihnen immer intensiver und weitläufiger werden, bildet die müßige Klasse in Hinblick auf das Prestige eine sich selbst genügende geschlossene Welt, die heute dazu neigt, die niederen Elemente der Bevölkerung sogar als Zuschauer, deren Zustimmung oder Ablehnung einst gesucht wurde, auszuschließen.
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Das sind Gründe, warum die Methoden mehr und mehr verfeinert werden, warum man seine Zuflucht zu immer subtileren Erfindungen nimmt und warum man schließlich in der Kleidung den Symbolismus nahezu vergeistigt. Und da die obere müßige Klasse in allen Fragen der Wohlanständigkeit den Ton angibt, verbessern sich allmählich auch jene Kleider der übrigen Bevölkerung. Je weiter sich eine Gesellschaft in finanzieller und kultureller Hinsicht entwickelt, desto mehr muß der Betrachter sein Unterscheidungsvermögen verfeinern, will er die verschiedenen Beweise der Zahlungsfähigkeit angemessen einschätzen. Die subtilen Unterschiede zwischen den verschiedenen Mitteln der Selbstreklame stellen einen Bestandteil jeder hochentwickelten und vom Geld geprägten Kultur dar. [Veblen 2007, 181-183]
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E INLEITUNG Der deutsche Soziologe und Philosoph Georg Simmel (1858-1918) gilt neben Friedrich Theodor Vischer und Thorstein B. Veblen als einer der Begründer der Modetheorie, da ihm das Herausarbeiten zentraler Antriebskräfte des Modeprozesses zugeschrieben wird. Als Soziologe beschäftigte er sich außer mit der Mode mit Phänomenen und Problemen des Alltags und menschlichen Zusammenlebens, wie sie seit Mitte des 19. Jahrhunderts im westlichen Kulturkreis auftauchten. Mit seinen Abhandlungen Über sociale Differenzierung (1890a), über Die Philosophie des Geldes (1900) oder auch über »Die Großstädte und das Geistesleben« (1903a) thematisierte er Lebensbedingungen in den Großstädten, die die Prozesse der Mode maßgeblich beeinflussten. So arbeitet er als Folge der Technisierung, Spezialisierung, Arbeitsteilung und Geldfixierung in der Wirtschaft sowie der Urbanisierung und der damit wachsenden Geschwindigkeit und Schnelllebigkeit in den Städten neue Wechselwirkungen zwischen dem Individuum und dem Staat heraus. Einerseits ermögliche eine sich derart entwickelnde Gesellschaft, dass sich die Individualität der Einzelnen stärker ausbilde, andererseits führe sie aber auch zu einer Überreizung ihres Seelenlebens, zur Abstumpfung, zu Blasiertheit und zu einer Entfremdung gegenüber der »objektiven Kultur«.1 So heißt es bereits in der Philosophie des Geldes, dass »unruhige, nach Abwechslung drängende Klassen und Individuen […] in der Mode, der Wechsel- und Gegensatzform des Lebens, das Tempo ihrer eignen psychischen Bewegungen wieder[finden]« (Simmel 1900, 494). Die Mode sei »eines jener gesellschaftli1 | Als objektive Kultur bezeichnet Simmel »die Dinge, die unser Leben sachlich erfüllen und umgeben, Geräte, Verkehrsmittel, die Produkte der Wissenschaft, der Technik, der Kunst« (Simmel 1900, 505), d.h. sie ist »gegenständlich gewordener Geist« (ebda., 506). Die subjektive Kultur dagegen umfasse alle »Daseinsinhalte der Individuen« (ebda.) – an anderer Stelle ergänzt er, er verstehe darunter »das so erreichte Entwicklungsmaß der Personen« (aus dem Aufsatz »Vom Wesen der Kultur« 1908d, 42).
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chen Gebilde, die den Reiz von Unterschied und Abwechslung mit dem von Gleichheit und Zusammenschluss in einer besonderen Proportion vereinen« (ebda., 493), womit zentrale Gedanken eingeleitet werden, die in der »Philosophie der Mode« (1905) spezifiziert werden.2 Simmel ordnet man die prägnante Formulierung des dualistischen Prinzips der Differenzierung und Nachahmung zu und der daraus resultierenden, spezifischen Diffusionsform von Mode, die später das Trickle-Down-Prinzip genannt wird und zum Verständnis des Modeprozesses als zyklische Bewegung führt. Das dialektische Zusammenspiel von Differenzierung (Wunsch nach Distinktion durch Individualität) und Nachahmung (Wunsch nach Gemeinschaft durch Angleichung) als Grundbedürfnisse des Menschen setzt diesen kontinuierlich in ein bestimmtes Verhältnis zu seinem sozialen Umfeld. Die Mode, die bei Simmel nicht nur Kleider, sondern auch die Art und Weise zu sprechen, sich zu bewegen, zu gestikulieren oder sich häuslich einzurichten umfasst, bietet eine Möglichkeit, diese Bedürfnisse zu befriedigen. So hebt sich der sogenannte »Modenarr« bzw. »Modeheld« (Simmel 1998b [1911], 49f.) – aus der oberen Klasse stammend – von seinen Mitmenschen ab, indem er sein modisches Verhalten solchermaßen verändert, dass eine Differenz zu den anderen sichtbar wird. Diese Differenz wird mit der Zeit von Seiten der anderen durch Nachahmung seines Verhaltens aufgehoben. Die Verbreitung der Mode vollziehe sich in Form einer tröpfchenweise erst schichten- und dann ständeübergreifenden Abwärtsbewegung, da die Differenzierung immer gegen die eigene und die nächst niedere soziale Stufe gerichtet sei und die Nachahmung immer an die eigene und an die nächst höhere (Trickle-Down-Prinzip). In dem Moment, in dem der »Modenarr« nicht mehr in seiner Vorreiterposition alleine ist, sondern sein modisches Verhalten von seinem Umfeld kopiert wird, entwickelt er abermals das Bedürfnis, seiner Individualität durch Differenzierung Ausdruck zu geben, und beginnt damit einen neuen Zyklus. Die Mode wird also im selben Moment ihrer massenhaften Verbreitung wieder unmodisch und ihrer Anziehungskraft und Macht entledigt. Simmel spricht in diesem Zusammenhang vom Todeskeim, der in jeder neugeborenen Mode liege – ein Gedanke, den der Soziologe René König 50 Jahre später als Löschprozess wieder aufgreift: »Genau damit enthüllt sich aber der Doppelaspekt des Entfaltungsprozesses des modischen Bewusstseinssystems: Er bringt nicht nur die Mode zu ihrer Vollendung, sondern – indem er das tut – löscht er auch die vorhergehende, weil er der alten Botschaft eine neue gegenüberstellt. Wenn man will, kann man diesen Komplex als dialektischen
2 | Im Folgenden wird der Aufsatz »Philosophie der Mode« zitiert aus: Simmel 1998b (1911), S. 38-63.
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Prozess erfassen, in dem der Aufbau des Neuen gleichzeitig die Negierung und Verlöschung des Alten bedeutet.« (König 1999, 63)
Zudem stellt Simmel eine weitere, paradoxe Eigenschaft der Mode fest: Trotz ihres wechselhaften Charakters tritt sie so auf, »als ob sie ewig leben wollte« (Simmel 1998b, 60), was von Elena Esposito knapp hundert Jahre später als Prinzip der »Verbindlichkeit des Vorübergehenden« auf den Punkt gebracht wird. Bereits vor Simmel haben sich andere Wissenschaftler mit diesen Aspekten auseinandergesetzt. Der deutsche Philosoph und Mathematiker Christian Garve beispielsweise beschäftigte sich mit dem Dualismus Nachahmung und Differenzierung. So heißt es in seinem Werk Über die Moden (1792): »Ja, sie [die Moden] werden ebensogut Mittel der Absonderung, als der Vereinigung. Der gemeinschaftliche Ehrgeiz Vieler sucht sich ebensosehr durch ein ähnliches Äußeres von denen, die unter ihnen sind, zu unterscheiden, als die Zuneigung und Vertraulichkeit derer, die sich einander für gleich halten, sie bewegt, alle Unterschiede soviel als möglich zu vermeiden.« (Garve 1987, 13)
Auch dem Rechtswissenschaftler Rudolph von Ihering könnte man das Erkennen des Heruntersickerns von Mode zuschreiben, da in seiner Schrift Der Zweck im Recht (1877) zu lesen ist: »Die Mode ist die unausgesetzt von neuem aufgeführte, weil stets von neuem niedergerissene Schranke, durch welche sich die vornehme Welt von der mittleren Region der Gesellschaft abzusperren sucht, es ist die Hetzjagd der Standeseitelkeit, bei der sich ein und dasselbe Phänomen unausgesetzt wiederholt: das Bestreben des einen Teils, einen wenn auch noch so kleinen Vorsprung zu gewinnen, der ihn von seinem Verfolger trennt, und das des anderen, durch sofortige Aufnahme der neuen Mode denselben wiederum auszugleichen. Daraus erklären sich die charakteristischen Züge der heutigen Mode. Zuerst ihre Entstehung in den höheren Gesellschaftskreisen und ihre Nachahmung in den mittleren. Die Mode geht von oben nach unten, nicht von unten nach oben.« (von Ihering 1905, 186f.)
Die Bedeutung, die dennoch Simmels Abhandlung über die »Philosophie der Mode« zugeschrieben wird, hängt sicherlich mit der Publikation einer Fülle von Aufsätzen zusammen, die thematische Überschneidungen mit ihr aufweisen, wie z.B. die Traktate »Zur Psychologie der Mode« (1895), über »Die ästhetische Bedeutung des Gesichts« (1901), über »Die Frau und die Mode« (1908b, ein Auszug aus »Philosophie der Mode«), über die »Psychologie des Schmuckes« (1908c), über »Das Problem des Stiles« (1908a) sowie über »Die
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Koketterie« (1998a [1911]), welches auf »Zur Psychologie der Frauen« (1890b) Bezug nimmt. Aus dieser Übersicht wird deutlich, dass Simmel die Mode vor allem als ein die Frau betreffendes Phänomen verstanden hat. Entgegen der Lesart von Thorstein Veblen (2007 [engl. 1899]), die Frau stelle ihr Modebewusstsein als stellvertretende Demonstration des Reichtums ihres Mannes zur Schau, sieht Simmel die Mode als Ventil für sie, da ihr in anderen gesellschaftlichen Bereichen Auszeichnungen versagt seien. Georg Simmels Beitrag zur Modetheorie manifestiert sich in der breiten Rezeption nachfolgender ModewissenschaftlerInnen aus den unterschiedlichsten Disziplinen und in der Tatsache, dass seine Prinzipien bislang nicht grundlegend infrage gestellt, sondern eher ergänzt, kritisch hinterfragt (z.B. Blumer 1969), pointiert dargestellt (z.B. Esposito 2004), oder vor dem Hintergrund postmoderner Debatten, beispielweise im Bereich der Genderforschung (z.B. Lehnert 2002a), aktualisiert wurden. Der vorliegende Auszug aus der »Philosophie der Mode« von 1905 wurde so gewählt, dass die zentralen Punkte, die Simmel zur Begründung der Modetheorie beigetragen hat, zur Sprache kommen. Dennoch empfiehlt sich, die oben genannten ergänzenden Aufsätze, insbesondere den über »Die Koketterie«, als weiterführende Lektüre hinzuzuziehen.
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P HILOSOPHIE DER M ODE (1905) [Die Mode] ist Nachahmung eines gegebenen Musters und genügt damit dem Bedürfnis nach sozialer Anlehnung, sie führt den Einzelnen auf die Bahn, die Alle gehen, sie gibt ein Allgemeines, das das Verhalten jedes Einzelnen zu einem bloßen Beispiel macht. Nicht weniger aber befriedigt sie das Unterschiedsbedürfnis, die Tendenz auf Differenzierung, Abwechslung, Sich-abheben. Und dies letztere gelingt ihr einerseits durch den Wechsel der Inhalte, der die Mode von heute individuell prägt gegenüber der von gestern und von morgen, es gelingt ihr noch energischer dadurch, daß Moden immer Klassenmoden sind, daß die Moden der höheren Schicht sich von der tieferen unterscheiden und in dem Augenblick verlassen werden, in dem diese letztere sich anzueignen beginnt. So ist die Mode nichts anderes als eine besondere unter den vielen Lebensformen, durch die man die Tendenz nach sozialer Egalisierung mit der nach individueller Unterschiedenheit und Abwechslung einem einheitlichen Tun zusammenführt. Fragt man die Geschichte der Moden, die bisher nur auf die Entwicklung ihrer Inhalte untersucht worden ist, nach ihrer Bedeutung für die Form des gesellschaftlichen Prozesses, so ist sie die Geschichte der Versuche, die Befriedigung dieser beiden Gegentendenzen immer vollkommener dem Stande der jeweiligen individuellen und gesellschaftlichen Kultur anzupassen. […] So bedeutet die Mode einerseits den Anschluß an die Gleichgestellten, die Einheit eines durch sie charakterisierten Kreises, und eben damit den Abschluss dieser Gruppe gegen die tiefer Stehenden, die Charakterisierung dieser als nicht zu jener gehörig. Verbinden und Unterscheiden sind die beiden Grundfunktionen, die sich hier untrennbar vereinigen, von denen eines, obgleich oder weil es den logischen Gegensatz zu dem andern bildet, die Bedingung seiner Verwirklichung ist. Daß die Mode so ein bloßes Erzeugnis sozialer oder auch: formal psychologischer Bedürfnisse ist, wird vielleicht durch nichts stärker erwiesen als dadurch, daß in sachlicher, ästhetischer oder sonstiger Zweckmäßigkeitsbeziehung unzählige Male nicht der geringste Grund für ihre Gestaltungen auffindbar ist. Während im Allgemeinen z.B. unsere Kleidung unsern Bedürfnissen sachlich angepasst ist, waltet keine Spur von Zweckmäßigkeit in den Entscheidungen, durch die die Mode sie formt: ob weite oder enge Röcke, spitze oder breite Frisuren, bunte oder schwarze Krawatten getragen werden. So häßliche und widrige Dinge sind manchmal modern, als wollte die Mode ihre Macht gerade dadurch zeigen, daß wir ihretwegen das Abscheulichste auf uns nehmen; gerade die Zufälligkeit, mit der sie einmal das Zweckmäßige, ein andermal das Abstruse, ein drittes Mal das sachlich und ästhetisch ganz Indifferente anbefiehlt, zeigt ihre völlige Gleichgültigkeit gegen die sachlichen Normen des Lebens, womit sie eben auf andere Motivierungen, nämlich die typisch-sozialen, als die einzig übrigbleibenden hinweist. […]
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Darum ist die Herrschaft der Mode am unerträglichsten auf den Gebieten, auf denen nur sachliche Entscheidungen gelten sollen: Religiosität, wissenschaftliche Interessen, ja, Sozialismus und Individualismus sind freilich Modesachen gewesen; aber die Motive, aus denen diese Lebensinhalte allein angenommen werden sollten, stehen in absolutem Gegensatz zu der vollkommenen Unsachlichkeit in den Entwicklungen der Mode und ebenso zu jenem ästhetischen Reize, den ihr die Entfernung von den inhaltlichen Bedeutungen der Dinge gibt, und der, als Moment solcher letztinstanzlichen Entscheidungen ganz unangebracht, ihnen einen Zug von Frivolität aufprägt. Wenn die gesellschaftlichen Formen, die Kleidung, die ästhetischen Beurteilungen, der ganze Stil, in dem der Mensch sich ausdrückt, in fortwährender Umbildung durch die Mode begriffen sind, so kommt die Mode, d.h. die neue Mode, in alledem nur den oberen Ständen zu. Sobald die unteren sich die Mode anzueignen beginnen und damit die von den oberen gesetzte Grenzmarkierung überschreiten, die Einheitlichkeit in dem so symbolisierten Zusammengehören jener durchbrechen, wenden sich die oberen Stände von dieser Mode ab und einer neuen zu, durch die sie sich wieder von den breiten Massen differenzieren und mit der das Spiel von neuem beginnt. Denn naturgemäß sehen und streben die unteren Stände nach oben und können dies noch am ehesten auf den Gebieten, die der Mode unterworfen sind, weil diese am meisten äußerlicher Nachahmung zugänglich sind. Derselbe Prozeß spielt – nicht immer so ersichtlich wie etwa zwischen Damen und Dienstmädchen – zwischen den verschiedenen Schichten der höheren Stände. Vielfach kann man gerade bemerken, daß, je näher die Kreise aneinandergerückt sind, desto toller unten die Jagd des Nachmachens und oben die Flucht zum Neuen ist; die durchdringende Geldwirtschaft muss diesen Prozeß erheblich beschleunigen und sichtbar machen, weil die Gegenstände der Mode, als die Äußerlichkeiten des Lebens, ganz besonders dem bloßen Geldbesitz zugänglich sind, und in ihnen deshalb die Gleichheit mit der oberen Schicht leichter herzustellen ist als auf allen Gebieten, die eine individuelle, nicht mit Geld abkauf bare Bewährung fordern. […] Eben durch jene Differenzierungen werden die an der Absonderung interessierten Gruppenabteilungen zusammengehalten: der Gang, das Tempo, der Rhythmus der Gesten wird zweifellos durch die Kleidung wesentlich bestimmt, gleich gekleidete Menschen benehmen sich relativ gleichartig. Hier besteht noch eine besondere Verknüpfung. Der Mensch, der der Mode folgen kann und will, trägt öfters neue Kleider. Das neue Kleid aber bestimmt unsere Haltung mehr als das alte, das schließlich ganz in der Richtung unserer individuellen Gesten ausgearbeitet ist, einer jeden widerstandslos nachgibt und oft in kleinsten Besonderheiten unserer Innervationen sich verraten läßt. Daß wir uns in einem alten Gewande »behaglicher« fühlen als in einem neuen, bedeutet nichts anderes, als daß dieses uns sein eignes Formgesetz auferlegt, das
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mit längerem Tragen allmählich in das unserer Bewegungen übergeht. Darum verleiht das neue Kleid seinen Trägern eine gewisse überindividuelle Gleichmäßigkeit der Haltung, die Prärogative, die das Kleid im Maße seiner Neuheit über die Individualität seines Trägers besitzt, läßt die streng modischen Menschen jeweils relativ uniformiert erscheinen. Für das neuzeitliche Leben mit seiner individualistischen Zersplitterung ist dieses Homogenitätsmoment der Mode besonders bedeutsam. Und auch darum wird die Mode bei den Naturvölkern geringer, d.h. stabiler sein, weil das Bedürfnis der Neuheit der Eindrücke und Lebensformen, ganz abgesehen von ihrer sozialen Wirkung, bei ihnen ein sehr viel geringeres ist. Der Wechsel der Mode zeigt das Maß der Abstumpfbarkeit der Nervenreize an; je nervöser ein Zeitalter ist, desto rascher werden seine Moden wechseln, weil das Bedürfnis nach Unterschiedsreizen, einer der wesentlichen Träger aller Mode, mit der Erschaffung der Nervenenergien Hand in Hand geht. Schon dies ist ein Grund, weshalb die höheren Stände den eigentlichen Sitz der Mode ausmachen. […] Das Wesen der Mode besteht darin, daß immer nur ein Teil der Gruppe sie übt, die Gesamtheit aber sich erst auf dem Wege zu ihr befindet. Sobald sie völlig durchgedrungen ist, d.h. sobald einmal dasjenige, was ursprünglich nur einige taten, wirklich von allen ausnahmslos geübt wird, wie es bei gewissen Elementen der Kleidung und der Umgangsformen der Fall ist, so bezeichnet man es nicht mehr als Mode. Jedes Wachstum ihrer treibt sie ihrem Ende zu, weil eben dies die Unterschiedlichkeit aufhebt. […] Im kompendiösesten Sinne solcher Form hat die Mode durch ihr Spiel zwischen der Tendenz auf allgemeine Verbreitung und der Vernichtung ihres Sinnes, die diese Verbreitung gerade herbeiführt, den eigentümlichen Reiz der Grenze, den Reiz gleichzeitigen Anfanges und Endes, den Reiz der Neuheit und gleichzeitig den der Vergangenheit. Ihre Frage ist nicht Sein oder Nichtsein, sondern sie ist zugleich Sein und Nichtsein, sie steht immer auf der Wasserscheide von Vergangenheit und Zukunft und gibt uns so, solange sie auf ihrer Höhe ist, ein so starkes Gegenwartsgefühl, wie wenig andre Erscheinungen. Wenn in der jeweiligen Aufgipfelung des sozialen Bewußtseins auf den Punkt, den sie bezeichnet, auch schon ihr Todeskeim liegt, ihre Bestimmung zum Abgelöst-werden, so deklassiert diese Vergänglichkeit sie im ganzen nicht, sondern fügt ihren Reizen einen neuen hinzu. [Simmel 1998, 40-47] Aus dem gleichen Grundgefüge ergibt sich, daß die Mode der eigentliche Tummelplatz für Individuen ist, welche innerlich unselbständig und anlehnungsbedürftig sind, deren Selbstgefühl aber doch zugleich einer gewissen Auszeichnung, Aufmerksamkeit, Besonderung bedarf. […] Die Mode erhebt den Unbedeutenden dadurch, daß sie ihn zum Repräsentanten einer Gesamtheit, zur besonderen Verkörperung des Gesamtgeistes macht. Ihr ist es eigen – weil sie ihrem Begriffe nach eine niemals von Allen erfüllte Norm sein kann –,
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daß sie einen sozialen Gehorsam ermöglicht, der zugleich individuelle Differenzierung ist. In dem Modenarren erscheinen die gesellschaftlichen Forderungen der Mode auf eine Höhe gesteigert, auf der sie völlig den Anschein des Individualistischen und Besonderen annehmen. Ihn bezeichnet es, daß er die Tendenz der Mode über das sonst innegehaltene Maß hinaustreibt: wenn spitze Schuhe Mode sind, läßt er die seinigen in Lanzenspitzen münden, wenn hohe Kragen Mode sind, trägt er sie bis zu den Ohren, wenn es Mode ist, wissenschaftliche Vorträge zu hören, so ist er überhaupt nirgends anders mehr zu finden usw. So stellt er ein ganz Individuelles vor, das in der quantitativen Steigerung solcher Elemente besteht, die ihrer Qualität nach eben Gemeingut des betreffenden Kreises sind. Er geht den anderen voran – aber genau auf ihrem Wege. Indem es die letzterreichten Spitzen des öffentlichen Geschmacks sind, die er darstellt, scheint er an der Tête der Gesamtheit zu marschieren. In Wirklichkeit aber gilt von ihm, was unzählige Male für das Verhältnis zwischen Einzelnen und Gruppen gilt: daß der Führende im Grunde der Geführte ist. […] Die Aufgeblasenheit des Modenarren ist so die Karikatur einer durch die Demokratie begünstigten Konstellation des Verhältnisses zwischen dem Einzelnen und der Gesamtheit. Unleugbar aber repräsentiert der Modeheld durch die auf rein quantitativem Wege gewonnene und in eine Differenz der Qualität verkleidende Auszeichnung ein wirklich originelles Gleichgewichtsverhältnis zwischen dem sozialen und dem individualisierenden Triebe. Aus diesem Grund verstehen wir die äußerlich so abstruse Modetorheit mancher sonst durchaus intelligenter und unkleinlicher Persönlichkeiten. Sie gibt ihnen eine Kombination von Verhältnissen zu Dingen und Menschen, die sonst gesonderter aufzutreten pflegen. Es ist nicht nur die Mischung individueller Besonderheit und sozialer Gleichheit, sondern, sozusagen praktischer werdend, ist es die von Herrschergefühl und Unterworfenheit, die hier ihre Wirkungen übt, oder, etwas anders gewendet, eines männlichen und eines weiblichen Prinzips; und gerade daß dies auf den Gebieten der Mode nur wie in einer ideellen Verdünnung vor sich geht, daß gleichsam nur die Form von beiden an einem an sich gleichgültigen Inhalt sich verwirklicht, mag ihr besonders für sensible, mit der robusten Wirklichkeit sich nicht leicht befassende Naturen eine besondere Anziehungskraft verleihen. Die Lebensform gemäß der Mode gewinnt ihren Charakter in dem Vernichten je eines früheren Inhaltes und besitzt eine eigentümliche Einheitlichkeit, in der die Befriedigung des Zerstörungstriebes und des Triebes zu positiven Inhalten nicht mehr voneinander zu trennen sind. Weil es sich hier nicht um die Bedeutsamkeit eines einzelnen Inhaltes oder einer Einzelbefriedigung, sondern gerade um das Spiel zwischen beiden und ihr gegenseitiges Sich-abheben handelt, kann man ersichtlich die gleiche Kombination, die der extreme Gehorsam der Mode gegenüber erreicht, auch gerade durch Opposition ihr gegenüber gewinnen. Wer sich bewusst unmodern trägt oder benimmt, erreicht das damit verbundene Individualisierungs-
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gefühl nicht eigentlich durch eigene individuelle Qualifikation, sondern durch bloße Negation des sozialen Beispiels: wenn Modernität Nachahmung dieses letzteren ist, so ist die absichtliche Unmodernität seine Nachahmung mit umgekehrtem Vorzeichen, die aber darum nicht weniger Zeugnis von der Macht der sozialen Tendenz ablegt, die uns in irgendeiner positiven oder negativen Weise von sich abhängig macht. Der absichtlich Unmoderne nimmt genau den Inhalt wie der Modenarr auf, nur daß er ihn in eine andere Kategorie formt, jener in die der Steigerung, dieser in die der Verneinung. Es kann sogar in ganzen Kreisen innerhalb einer ausgedehnten Gesellschaft Mode werden, sich unmodern zu tragen – eine der merkwürdigsten sozialpsychologischen Komplikationen, in der der Trieb nach individueller Auszeichnung sich erstens mit einer bloßen Umkehrung der sozialen Nachahmung begnügt und zweitens seinerseits wieder seine Stärke aus der Anlehnung an einen gleich charakterisierten engeren Kreis zieht […]. […] Wenn die Mode den Egalisierungs- und den Individualisierungstrieb, den Reiz der Nachahmung und den der Auszeichnung zugleich zum Ausdruck bringt und betont, so erklärt dies vielleicht, weshalb die Frauen im allgemeinen der Mode besonders stark anhängen. Aus der Schwäche der sozialen Position nämlich, zu der die Frauen den weit überwiegenden Teil der Geschichte hindurch verurteilt waren, ergibt sich ihre enge Beziehung zu allem, was »Sitte« ist, zu dem, »was sich ziemt«, zu der allgemein gültigen und gebilligten Daseinsform. Denn der Schwache vermeidet die Individualisierung, das praktische Auf-sich-Ruhen mit seinen Verantwortlichkeiten und seiner Notwendigkeit, sich ganz allein mit eigenen Kräften zu verteidigen. Ihm gewährt gerade nur die typische Lebensform Schutz, die den Starken an der Ausnutzung seiner überragenden Kräfte hindert. Auf diesem festgehaltenen Boden der Sitte aber, des Durchschnittlichen, des allgemeinen Niveaus streben die Frauen nun stark zu der auch so noch möglichen relativen Individualisierung und Auszeichnung der Einzelpersönlichkeit. […] Auch geschichtliche Tatsachen legen es nahe, die Mode gleichsam als das Ventil anzusehen, auf dem das Bedürfnis der Frauen nach irgendeinem Maß von Auszeichnung und persönlicher Hervorgehobenheit ausbricht, wenn ihnen dessen Befriedigung auf anderen Gebieten mehr versagt ist. Im 14. und 15. Jahrhundert zeigt Deutschland eine außerordentlich starke Entwicklung der Individualität. Die kollektivistischen Ordnungen des Mittelalters wurden durch die Freiheit der Einzelpersönlichkeit in hohem Maße durchbrochen. Innerhalb dieser individualistischen Entwicklung aber fanden die Frauen noch keinen Platz, ihnen wurde noch die Freiheit persönlicher Bewegung und Entfaltung vorenthalten. Sie entschädigten sich dafür durch die denkbar extravagantesten und hypertrophischsten Kleidermoden. Umgekehrt sehen wir, daß in Italien die gleiche Epoche den Frauen den Spielraum für individuelle Entwicklung gewährt. Die Frauen der Renaissance hatten so viele Möglichkeiten der Bil-
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dung, der Betätigung nach außen hin, der persönlichen Differenzierung, wie sie ihnen dann wieder fast Jahrhunderte hindurch nicht gegönnt waren, die Erziehung und die Bewegungsfreiheit war besonders in den höheren Schichten der Gesellschaft für beide Geschlechter fast die gleiche. Aber nun wird auch aus Italien von keinerlei besonderen Extravaganzen der weiblichen Mode aus dieser Zeit berichtet. Das Bedürfnis, sich auf diesem Gebiete individuell zu bewähren und eine Art von Ausgezeichnetheit zu gewinnen, bleibt aus, weil der hierin sich äußernde Trieb auf anderen Gebieten seine hinreichende Befriedigung gefunden hat. Im allgemeinen zeigt die Geschichte der Frauen in ihrem äußeren wie inneren Leben, in dem Individuum ebenso wie in ihrer Gesamtheit eine vergleichsweise so große Einheitlichkeit, Nivellement, Gleichmäßigkeit, daß sie wenigstens auf dem Gebiete der Moden, das das der Abwechslungen schlechthin ist, einer lebhafteren Betätigung bedürfen, um sich und ihrem Leben, – sowohl für das eigene Gefühl wie für andere – einen Reiz hinzuzufügen. […] Der Mann umgekehrt, der seiner Natur nach untreuer ist, der die Bindung an das einmal eingegange Gemütsverhältnis typischerweise nicht mit derselben Unbedingtheit und Konzentrierung aller Lebensinteressen auf diese eine zu bewahren pflegt, wird infolgedessen weniger jener äußeren Abwechslungsform bedürfen. Ja, das Abweisen der Veränderungen auf äußeren Gebieten, die Gleichgültigkeit gegen die Moden der äußeren Erscheinung ist spezifisch männlich – nicht weil er das einheitlichere, sondern gerade weil er im Grunde das vielfältigere Wesen ist und deshalb jener äußeren Abwechslungen eher entraten mag. Darum betont die emanzipierte Frau der Gegenwart, die sich dem männlichen Wesen, seine Differenziertheit, Personalität, Bewegtheit anzunähern sucht, auch gerade ihre Gleichgültigkeit gegen die Mode. Auch bildet die Mode für die Frauen in gewissem Sinne einen Ersatz für die Stellung innerhalb eines Berufsstandes. Der Mann, der in einen solchen hineingewachsen ist, hat sich damit freilich in einen Kreis relativen Nivellements begeben, er ist innerhalb dieses Standes vielen anderen gleich, er ist vielfach nur ein Exemplar für den Begriff dieses Standes oder Berufes. Andrerseits und wie zur Entschädigung hierfür ist er doch nun auch mit der ganzen Bedeutung, mit der sachlichen wie sozialen Kraft dieses Standes geschmückt, seiner individuellen Bedeutung wird die seiner Standeszugehörigkeit hinzugefügt, die oft die Mängel und Unzulänglichkeiten des rein persönlichen Daseins decken kann. Eben dies nun leistet an so ganz anderen Inhalten die Mode, auch sie ergänzt die Unbedeutendheit der Person, ihre Unfähigkeit, rein aus sich heraus die Existenz zu individualisieren, durch die Zugehörigkeit zu einem durch eben die Mode charakterisierten, herausgehobenen, für das öffentliche Bewußtsein irgendwie zusammengehörigen Kreis. […] Diese Bedeutung der Mode nun ist es, die gerade von feinen und eigenartigen Menschen aufgenommen wird, indem sie sie als eine Art Maske benutzen. [Simmel 1998, 49-54]
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Klassen und Individuen, die nach fortwährender Abwechslung drängen, weil eben die Raschheit ihrer Entwicklung ihnen den Vorsprung vor anderen gewährt, finden in der Mode das Tempo ihrer eigenen seelischen Bewegung wieder. Und es bedarf in diesem Zusammenhang nur des Hinweises auf die Verknüpftheit unzähliger geschichtlicher und sozialpsychologischer Momente, durch die die Großstädte im Gegensatz zu allen engeren Milieus zum Nährboden der Mode werden: auf die treulose Schnelligkeit im Wechsel der Eindrücke und Beziehungen, auf die Nivellierung und gleichzeitige Pointierung der Individualitäten, auf die Zusammengedrängtheit und die eben dadurch aufgenötigte Reserve und Distanzierung. Vor allem muß die ökonomische Aufwärtsbewegung der unteren Schichten in dem Tempo, das sie in der Großstadt nimmt, den raschen Wechsel der Mode begünstigen, weil sie die Tieferstehenden so viel schneller zur Nachahmung der höheren befähigt und damit jener oben charakterisierte Prozeß, in dem jede höhere Schicht die Mode in dem Augenblick verläßt, in dem die tiefere sich ihrer bemächtigt, eine früher ungeahnte Breite und Lebendigkeit gewonnen hat. Auf den Inhalt der Mode hat dies bedeutsame Einflüsse. Vor allen Dingen bewirkt es, daß die Moden nicht mehr so kostspielig und deshalb ersichtlich nicht mehr so extravagant sein können, wie sie in früheren Zeiten waren, wo die Kostbarkeit der erstmaligen Anschaffung oder die Mühseligkeit im Umbilden von Benehmen und Geschmack durch eine längere Dauer ihrer Herrschaft ausgeglichen wurde. Je mehr ein Artikel raschem Modewechsel unterliegt, desto stärker ist der Bedarf nach billigen Produkten seiner Art. […] Die Form eines fieberhaften Wechsels ist hier so wesentlich, daß sie wie in einem logischen Widerspruch gegen die Entwicklungstendenzen der modernen Wirtschaft steht. Gegenüber diesem Charakter aber zeigt die Mode nun die höchst merkwürdige Eigenschaft, daß jede einzelne Mode doch gewissermaßen auftritt, als ob sie ewig leben wollte. […] Es kommt der Mode freilich nur auf den Wechsel an; allein sie hat wie jedes Gebilde die Tendenz auf Kraftersparnis, sie sucht ihre Zwecke so reichlich wie möglich, aber dennoch mit den relativ sparsamsten Mitteln zu erreichen. Eben deshalb schlägt sie – was besonders an der Kleidermode klar wird – immer wieder auf frühere Formen zurück, so daß man ihren Weg direkt mit einem Kreislauf verglichen hat. Sobald eine frühere Mode einigermaßen aus dem Gedächtnis geschwunden ist, liegt kein Grund vor, sie nicht wieder zu beleben und vielleicht den Reiz des Unterschieds, von dem sie lebt, demjenigen Inhalt gegenüber fühlen zu lassen, der seinerseits bei seinem Auftreten eben diesen Reiz aus seinem Gegensatz gegen die frühere und jetzt wieder belebte gezogen hat. [Simmel 1998, 59-60] So kann die Mode scheinbar und in abstracto freilich jeden beliebigen Inhalt in sich aufnehmen, jede beliebige gegebene Form der Kleidung, der Kunst, des Benehmens, der Meinungen kann Mode werden. Und doch liegt im in-
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neren Wesen mancher Formen eine besondere Disposition dazu, sich gerade als Mode auszuleben, während manche ihr von innen her einen Widerstand leisten. So ist z.B. der Modeform alles das relativ fern und fremd, was man als »klassisch« bezeichnen kann, obgleich es sich natürlich gelegentlich auch ihr nicht entzieht. Denn das Wesen des Klassischen ist eine Konzentriertheit der Erscheinung um einen ruhenden Mittelpunkt, die Klassik hat etwas Gesammeltes, was gleichsam nicht so viele Angriffspunkte bietet, an denen Modifikation, Störung der Balance, Vernichtung ansetzen könnte. […] Es liegt aber, um das Ganze zusammenzufassen, der eigentümlich pikante, anregende Reiz der Mode in dem Kontraste zwischen ihrer ausgedehnten, alles ergreifenden Verbreitung und ihrer schnellen und gründlichen Vergänglichkeit, dem Rechte auf Treulosigkeit ihr gegenüber. Er liegt nicht weniger in der Enge, mit der sie einen bestimmten Kreis schließt und dessen Zusammengehörigkeit ebenso als ihre Ursache wie als ihre Wirkung zeigt – wie in der Entschiedenheit, mit der sie ihn gegen andre Kreise abschließt. Er liegt endlich ebenso in dem Getragensein durch einen sozialen Kreis, der seinen Mitgliedern gegenseitige Nachahmung auferlegt und damit den einzelnen von aller Verantwortlichkeit – der ethischen wie der ästhetischen – entlastet, wie in der Möglichkeit, nun doch innerhalb dieser Schranken originelle Nuancierung, sei es durch Steigerung, sei es sogar durch Ablehnung der Mode zu produzieren. So erweist sich die Mode nur als ein einzelnes, besonders charakterisiertes unter jenen mannigfaltigen Gebilden, in denen die soziale wie die individuelle Zweckmäßigkeit die entgegengesetzten Strömungen des Lebens zu gleichen Rechten objektiviert hat. [Simmel 1998, 62-63]
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E INLEITUNG Der englische Psychoanalytiker und Sozialreformer John Carl Flügel (18841955)1, Mitglied der Men’s Dress Reform Party (vgl. Carter 2003), deutet Kleidung und Mode aus einer anthropologisch gefärbten psychoanalytischen Perspektive. Um die Allgemeingültigkeit seiner Theorie zu untermauern, bezieht er sich immer wieder auf außereuropäische Kulturen. Sein Interesse gilt dem, was Menschen überhaupt dazu veranlasst, sich zu kleiden, ohne dass seiner Ansicht nach eine physische Notwendigkeit dazu besteht, denn Menschen könnten sich an die Klimaverhältnisse anpassen, wenn sie sich nicht durch Kleidung verzärteln würden. Drei Hauptzwecke des Bekleidungsstrebens konstatiert Flügel: Schutz, Schmuck und Scham.2 Das Schutzbedürfnis teile sich auf in physisches (Kälte, Hitze etc.) und psychisches Schutzbedürfnis (Sehnsucht nach Liebe, Schutz gegen die Unfreundlichkeit der Welt). Die Hauptantriebskraft des Strebens nach Kleidung aber sei das Schmuckbedürfnis, erkennbar in allen Kulturen und auch bei Kindern.3 Zu den Praktiken des Schmückens zählt Flügel neben Kleidung und Schmuck die körperlichen Modifikationen durch Zufügung von Narben, Tätowierungen oder Deformationen wie auch das Bemalen (was die moderne dekorative Kosmetik einbezieht). Da aber der Lust, sich zu zeigen, 1 | Die Schreibweise des Autornamens varriert in der Wissenschaft: Flügel wird bei einigen englischen Publikationen auch als Flugel angegeben. Deutsche Übersetzungen seiner Schriften findet man beispielsweise in Flugel 1929 sowie in Bovenschen 1986. Zu seinen Schriften zählen außerdem: The Psychoanalytic Study of the familiy (1921); A hundred years of psychology (1933); Man, Morals and Society (1945); mit Ingeborg Flugel: Men and their motives (1934). 2 | Die entsprechenden Abschnitte sind auf Deutsch abgedruckt in Silvia Bovenschen 1986, 208-263. 3 | Die problematischen Implikationen und die historischen Filiationen dieser Setzungen und der Gleichsetzung von Kindern und ›Primitiven‹ (= nicht-europäische, ›unzivilisierte‹ Kulturen) können hier nicht diskutiert werden.
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die Scham entgegenstehe, sei der Umgang mit Kleidung ambivalent und darin durchaus neurotischen Symptomen vergleichbar: Kleidung soll paradoxerweise sowohl zeigen wie auch verstecken. In seinen Publikationen seit den 1950er Jahren nimmt René König die Themen Schmuck, Scham, Narzissmus und Exhibitionismus als Triebfedern der Mode aus soziologischer Perspektive wieder auf (vgl. König 1999). Konsequent bezieht Flügel die Freudsche Auffassung von der Dominanz des Sexuellen im Menschen auf den Umgang mit Kleidung. Man kleide sich, um die Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper, insbesondere die Sexualorgane zu ziehen, die entsprechend häufig in der Kleidung selbst symbolisiert würden: phallisch seien z.B. Schuhe, Hüte, Krawatten; weiblich Strumpf band und Hüfthalter.4 Auch wenn Scham sich in unterschiedlichen Kulturen und Zeiten unterschiedlich äußere, sei jedoch allen Varianten gemeinsam, dass, wenn ein Teil des Körpers tabuisiert, folglich verhüllt werde, komplementär dazu ein anderer Körperteil zur Schau gestellt werde. Für die Modetheorie von größerem Interesse als diese heute methodisch wie inhaltlich teilweise veraltete Position einer ausschließlich (hetero)sexuellen Motivation von Mode ist Flügels These von der Erweiterung des Körperselbst5 durch Kleider.6 Offensichtlich und in der Modegeschichte bekannt ist die Praxis, viel Raum einzunehmen, um mächtiger zu scheinen, wie es z.B. in der Barockmode überdeutlich ist.7 Eigenartiger klingt Flügels Idee, dass etwas Unschönes am Körper unsichtbar gemacht, also z.B. die Leere zwischen den Beinen durch einen Rock gefüllt werde, was wiederum ästhetische Effekte 4 | Sigmund Freud, dessen Geschlechtertheorie sich um den als allgemeingültig hypostasierten Kastrationskomplex kristallisiert und der in fast allem, womit Menschen sich umgeben, Sexualsymbole sieht, hält den Hut für ein vorwiegend männliches Sexualsymbol, in jedem Fall den Mantel und die Krawatte; Schuhe und Pantoffeln seien weiblich: Freud 1989 [1916/1917], 166f. – Im Fetischismus, so Freud, diene das Fetischobjekt sowohl als Symbol der Leugnung der weiblichen Kastration wie auch als Ersatz für den weiblichen Penis. Da der Knabe von unten das weibliche Genital zu sehen versuche, werde ihm ein Schuh zum Fetisch. Pelz und Samt symbolisieren die Genitalbehaarung; Wäschestücke halten den Moment der Entkleidung fest, in dem der Mann noch an die Existenz des weiblichen Penis glauben könne, usw. (Freud 1970 [1927], 386). 5 | »Körperselbst« (Körperschema, Körperbild) in der Psychologie wird »verstanden als Summe der zunächst diffusen Empfindungen von der Körperoberfläche und aus dem Körperinneren, die sich in der weiteren Entwicklung zu einem bewussten und unbewussten Bild des eigenen Körpers organisieren.« (Plassmann 2002, 383) 6 | In Bovenschen (1986) findet sich der entsprechende Abschnitt auf S. 224ff. 7 | Zur spezifischen Räumlichkeit von Mode im Vergleich von Barock und Moderne befasst sich in kulturhistorischer Perspektive Lehnert 2001a (siehe den Beitrag dazu in diesem Band); ferner Lehnert 2013a, 67-85.
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in der Bewegung hervorbringe. Künstlerinnen wie die Tänzerin Loïe Fuller machten sich das in ihren Auftritten zunutze und erzeugten ein harmonisches Bild, in dem – ein wichtiger Aspekt – Körper und Kleid fusionierten.8 Den Aspekt der verhüllten Leere greift Petra Leutner in ihrer Analyse der Bedeutung des Rockes in einem europäischen Geschlechterdispositiv auf, dessen Dreh- und Angelpunkt Freuds Theorie der Kastrationsangst ist. Der Rock sei in dieser Ökonomie des Schauens und Leugnens ein »Schutzschild vor dem Auslösen der Kastrationsangst und doch zugleich ihr metonymischer Platzhalter« (Leutner 2012, 245). Schließlich nimmt Flügel auch eine Einteilung modischer Typen vor, deren Basis ein grundsätzlicher Exhibitionismus sei, der wiederum auf die Dichotomie von Narzissmus und Autoerotik zurückgehe, die in unterschiedlichen Graden ausgelebt, sublimiert oder verdrängt würden. Mit Narzissmus meint er die Lust am eigenen nackten Körper, die auf Kleider übertragen werden könne, mit Auto-Erotik den Genuss des Körpers aufgrund sinnlicher Eindrücke wie Sonne, Wind oder die Bewegung der eigenen Muskeln. Da gibt es die Rebellen, die sich durch Kleidung eingeschränkt fühlen und meist schlampig auftreten, die Resignierten, die Gleichgültigen, die Prüden, die Pflichtbewussten, diejenigen, die Schutz und Halt suchen, die Selbstzufriedenen – schließlich aber auch diejenigen, die großes Vergnügen an Mode haben – meist Frauen – und das oft maßlos übertreiben. Sie sublimieren am stärksten, das heißt, übertragen ihren Narzissmus vom Körper auf die Kleidung und sind diejenigen, die eine harmonische Einheit von Körper und Kleid herstellen können. Die ausgewählten Ausschnitte betreffen das Zentrum von Flügels Ausführungen, das Geschlechterverhältnis und seine Auswirkungen auf die Kleidung. Er prägt den berühmt gewordenen und viel zitierten Satz vom großen männlichen Verzicht auf Mode, den er, ganz anders als Thorstein Veblen oder Georg Simmel, als Verlust und nicht als Gewinn sieht: ein Verlust des Vergnügens, sich schön zu machen, schön zu sein; ein Zwang, immer korrekt und effizient zu sein und das immer durch Kleidung signalisieren zu müssen. Frauen hätten – nicht zuletzt aufgrund ihres größeren Narzissmus, der gesellschaftlich gefördert werde – den Spaß auf ihrer Seite. Keine Rede ist von der beispielsweise von Veblen vertretenen Auffassung, es sei eine bedeutende soziale Pflicht von wohlhabenden Frauen, schön zu sein und demonstrativ und stellvertretend für die Männer zu konsumieren. Gilles Lipovetsky jedoch äußert sich 60 Jahre nach Flügel in seiner soziologischen Modeanalyse ganz ähnlich wie dieser über die Geschlechterdifferenzierung der Mode (vgl. das Kapitel
8 | Zur Bewegung des Tanzkleides u.a. bei Loïe Fuller vgl. grundlegend Brandstetter 1985.
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über Lipovetskys Modetheorie sowie den dem Thema Mode und Geschlecht gewidmeten Abschnitt in diesem Band). In diesem Zusammenhang sei eine andere psychoanalytische Perspektive auf die (hetero-)sexuelle Symbolik der Kleidung und des entsprechenden Verhaltens erwähnt. Zu Flügels Zeiten, 1929, veröffentlichte die britische Psychoanalytikerin Joan Riviere einen in der späteren Gender-Diskussion viel beachteten Aufsatz »Weiblichkeit als Maskerade« (»Womanliness as a Masquerade«), in dem sie die These vertritt, die modernen berufstätigen Frauen kleideten sich betont feminin und flirteten vehement mit den Männern, um Vergeltungsmaßnahmen seitens der Männer zu entgehen, die sie durch die Anmaßung der männlichen Rolle symbolisch kastriert hätten: »Die öffentliche Zurschaustellung ihrer geistigen Fähigkeiten, die sie [die Frau] an sich erfolgreich durchführte, bedeutete, daß sie sich selbst als im Besitz des Penis ihres Vaters zurschaustellte, nachdem sie ihn kastriert hatte« (Riviere 1994 [engl. 1929], 37). Wenn Riviere auch wenig über Kleidung als solche schreibt, so geht es ihr doch wie Flügel um den Symbolgehalt der Kleidung und des dazugehörigen Verhaltens. Kleidung ist hier kein Vergnügen, sondern eine Rettungsmaßnahme im heterosexuellen Gefüge: sie dient der Unterwerfung. Die männliche Kleidung erscheint im Gegenzug indirekt als das, was sie außer »großem Verzicht« vor allem auch ist: Zeichen der Macht. Ganz entgegen der von ihm ein- und zugestandenen Lust am modischen Verhalten (und dem Bedauern über den Verzicht) zieht Flügel im Abschlusskapitel über die Zukunft der Mode das Fazit, das Ideal der Zukunft sei der unbekleidete Mensch. Damit schließt er an die zu Beginn des 20. Jahrhunderts so wichtige Nacktkörperkultur an und deutet Nacktheit als Form der Demokratisierung einerseits und der Aufwertung des menschlichen Körpers andererseits. Denn letztlich sei der Körper das Schönste, womit kein Kleid konkurrieren könne, und wenn die Menschen endlich ohne falsche Scham, aber auch ohne übertriebene und teilweise neurotische Fixierung zu ihrer Sexualität stehen würden, wären Kleider überflüssig – außer zu dem bisschen Schutz, das Menschen noch benötigen, wenn sie sich nicht mehr mit Kleidung verweichlichen. Interessant ist dieses Fazit auch darum, weil Flügel das Schmuckbedürfnis in allen Kulturen so hoch einschätzt und als Ursache der Mode sieht; er wendet also seine anthropologische Auffassung in gewissem Sinne gegen sich selbst.
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D IE P SYCHOLOGIE DER K LEIDUNG (1930) Die Emanzipation der Frauen in der Bekleidung Wenn es, wie es unter primitiven Völkern der Fall zu sein scheint, eher die Männer sind, die sich schmücken, und die Frauen eher zur Scham neigen, und wenn sich in der heutigen europäischen Gesellschaft noch Spuren der entsprechenden Haltung finden, so müssen wir uns die Frage stellen: Welche Einflüsse haben zu einer ganz anderen Situation in der heutigen Zeit geführt, in der – soweit es gewöhnliche Zivilkleidung betrifft – Frauenkleidung soviel dekorativer ist als die der Männer? In Bezug auf das Schmücken haben Frauen offenbar in fast allen fortgeschritteneren Zivilisationen schon lange das Recht auf Gleichstellung mit Männern erworben, auch wenn sie sich oft eine etwas größere Scham bewahrt haben, die sich in einer vollständigeren Bedeckung des Körpers äußert. Vom Fall des römischen Reiches bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts gab es keine großen Unterschiede in der Dekorativität der beiden Geschlechter, außer vielleicht, dass Röcke, ganz gleich welcher Kleidungsstil en vogue war, immer eine gewisse Würde vermittelten, die den gegabelten Unterleibsgewändern der Männer fehlte.1 Die Kirche, die die Zurschaustellung für ihre eigenen Zwecke keineswegs verachtete, hat in der Regel ihren Einfluss gegen die Entwicklung allzu schmuckvoller Kleidung eingesetzt, insbesondere dann, wenn sie von Frauen zum Zwecke der Verführung verwendet wurde. Tatsächlich lässt sich behaupten, dass die Kirche die uralte Neigung der Männer, ihre sexuellen Schuldgefühle auf Frauen zu projizieren, institutionalisiert hat. Sie bejahte die allgemeine Anwendung der Formulierung »die Frau hat mich in Versuchung geführt«, und strebte danach, Sexualität abzuwehren, indem sie weibliche Attraktivität als die Quelle der Versuchung bekämpfte. Dennoch nahm das dekorative Element in der weiblichen Kleidung zu, ungeachtet des Widerstandes der Kirche und ihrer Doktrinen. Gegen Ende des Mittelalters wurde mit der Einführung der ersten Decolletés ein neuer und gewagter Schritt getan. Damit führten die Frauen das Prinzip der 1 | Es scheint mir eine grobe Übertreibung zu behaupten, wie Crawley (17) es tut [Anm. d. Hg.: gemeint ist vermutlich Crawley, Ernest (1912): Artikel »Dress«, in Encyclopedia of Religion and Ethics, Bd. 5], dass in den letzten 500 Jahren europäischer Zivilisation dekorative Kleidung sich auf Frauen beschränkt habe, obwohl es zweifellos zutrifft, dass »in der jüngsten Phase (der Entwicklung der Kleidung) die Frau als Geschlecht nicht nur ihre Freiheit errungen hat und das Recht zu faszinieren, was bis dahin nur der Kurtisane zugestanden wurde, sondern auch, dass das Gleichgewicht der Geschlechter in eine dauerhaftere und effizientere Lage gebracht wurde. Die Geschichte des unbewussten Kampfes der Frau für ein Monopol auf Schönheit in der Kleidung veranschaulicht somit eine bedeutende gesellschaftliche Bewegung.« (Übersetzung Matthias Müller)
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bewussten wechselseitigen Verstärkung der durch Kleidung und Nacktheit ausgeübten Reize ein, ein Prinzip, an dem sich weibliche Kleidung in gewissem Maße seitdem orientiert und wodurch sie sich immer stärker von männlicher Kleidung unterscheidet. Der Mann setzte für seine Anziehung nach wie vor auf seine Kleidung, während die Frau von nun an die doppelte Waffe von Entblößung und Schmückung besaß. Hier haben wir es offenkundig mit einer wichtigen Unterscheidung zwischen den Geschlechtern zu tun, eine, die sicherlich ein Teil der allgemeineren Frage nach der größeren Dekorativität von Frauen heutzutage ist und vielleicht nähere Betrachtung verdient, bevor wir mit der Suche nach anderen Elementen in dieser allgemeinen Problematik fortfahren. Es ist eine Unterscheidung, die – so könnte man vermuten – durch bestimmte grundsätzliche Unterschiede der sexuellen Konstitution bedingt ist. Zu den wichtigsten dieser Unterschiede zählt nach weitgehend einhelliger Meinung der Psychologen, dass die sexuelle Libido von Frauen im Allgemeinen diffuser ist als die von Männern; bei Frauen ist der gesamte Körper sexualisiert, während bei Männern die Libido eindeutiger auf den Genitalbereich gerichtet ist. Das gilt sowohl subjektiv als auch objektiv, sowohl für das Zeigen als auch für das Betrachten des Körpers. Daher wirkt die Entblößung jeder Partie des weiblichen Körpers erotischer als die Entblößung der entsprechenden Partie des Mannes, ausgenommen die der Genitalien selber.2 In Anbetracht 2 | Eine subtile doch wichtige Ausnahme muss hier erwähnt werden. Da der Phallus die (erotisch) wichtigste Partie des Mannes ist, wird tendenziell der ganze Körper zum Phallussymbol (zum Symbolismus des »kleinen Mannes« usw. vgl. Ernest Jones’ Papers on Psycho-Analysis (London: Tindall & Cox 1918 [1913], S. 135ff.). Die Bildung dieses Symbolismus wird möglicherweise durch die phallische Bedeutung vieler der individuellen Kleidungsstücke gefördert, die den Körper bedecken. Jedenfalls kann kraft dieses Symbolismus jede unübliche Entblößung des männlichen Körpers unbewusst als ein Äquivalent für die Entblößung des Phallus verstanden werden und eine Wirkung hervorrufen, die eher dem Letztgenannten angemessen wäre. Verglichen damit könnte die Entblößung des weiblichen Körpers relativ harmlos erscheinen. Frauen haben in der Vergangenheit jedoch einen mehr oder weniger vergleichbaren Nachteil erlitten – in diesem Fall physiologisch ebenso sehr wie anatomisch. Die vor allem unter primitiven Gesellschaften weitverbreitete Angst und Abscheu vor der Menstruation hat den weiblichen Körper zum Gegenstand von Aberglaube und Tabus gemacht und zweifellos immens zu der Schamlosigkeit beigetragen, die mit seiner Entblößung assoziiert wird (vgl. Daly, 19) [Daly, C.D. (1928): Der Menstruationskomplex. In: Sigmund Freud (Hg.): Imago, Bd. XIV, Nr. 1, S. 11-75, hier: S. 9]. Auch in anatomischer Hinsicht leiden Frauen darunter, dass sie zwei hoch sexualisierte (und daher höchst unrespektable) Zonen haben statt einer. Das konventionelle Bestehen auf die Verhüllung der Brüste erweist sich als große Schwierigkeit hinsichtlich der volleren Entblößung des weiblichen Körpers, wie bei einem Besuch an beinahe jedem Badestrand leicht zu be-
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dessen überrascht es nicht, dass Frauen gleichzeitig das schamvollere und das exhibitionistischere Geschlecht sein müssten, da sowohl ihre Scham als auch ihre Attraktivität sich auf den ganzen Körper beziehen. Ferner überrascht es vielleicht ebenso wenig, dass sie größere Mühe haben, eine vollständige Sublimierung des Exhibitionismus vom Körper hin zur Kleidung zu vollziehen. Die männliche Libido, eindeutiger auf den Phallus gerichtet, kann in verschiedenen Schmuckelementen und Kleidungsstücken einen symbolischen Ersatz für dieses eine Organ finden. Den ganzen Körper auf ähnliche Weise zu symbolisieren ist schwieriger; selbst wenn er vollkommen bedeckt ist, dürfte ein gewisses Bewusstsein von der mit Kleidung bedeckten nackten Haut erhalten bleiben. Dies mag der Hauptgrund sein, warum bei Frauen die Verschiebung des Exhibitionismus auf die Kleidung weniger vollständig ist und weshalb immer eine größere Bereitschaft besteht, verdrängten Exhibitionismus mit tatsächlicher Entblößung zu kombinieren, wie beim Decolleté. [Flugel 1966, 105-108]
Der große männliche Verzicht und seine Gründe Wenn die Frauen, vom Blickwinkel der Geschlechtsunterschiede in der Kleidung aus betrachtet, mit der Aneignung des Prinzips der erotischen Entblößung einen großen Sieg errungen haben, dann kann man sagen, dass die Männer eine große Niederlage erlitten haben in der plötzlichen Reduzierung männlicher Dekorativität in der Kleidung, zu der es Ende des achtzehnten Jahrhunderts kam. Etwa zu dieser Zeit fand eines der bemerkenswertesten Ereignisse in der ganzen Geschichte der Kleidung statt, eines, mit dessen Auswirkungen wir heute immer noch leben, und darüber hinaus eines, das viel weniger Aufmerksamkeit erregt hat, als es verdient: Die Männer gaben ihren Anspruch auf alle heiteren, farbenfrohen, aufwändigen und variantenreichen Formen des Schmückens auf, überließen diese zur Gänze den Frauen, und machten ihre eigene Garderobe zur nüchternsten und asketischsten der Künste. Auf Kleidung bezogen kann dieses Ereignis gewiss mit Recht als »der große männliche Verzicht« bezeichnet werden. Der Mann gab seinen Anspruch auf, als schön betrachtet zu werden. Fortan zielte er nur darauf ab, nützlich zu sein. Insofern ihm Kleidung noch etwas bedeutete, konnte er sich allenfalls darum bemühen, »korrekt« gekleidet zu sein, nicht mehr elegant oder aufwändig. Bis dahin hatte der Mann in der Pracht seiner Gewänder mit der Frau gewetteifert, wobei das einzige Vorrecht der Frau in dem Decolleté und anderen Formen erotischer Zurschaustellung des Körpers lag; von nun an bis zum heutigen Tag würde die Frau das Privileg genießen, die einzige Besitzerin von Schönheit und Pracht zu sein, selbst nur auf Kleidung bezogen. Welche obachten ist. Möglicherweise wird die nächste Phase im Kampf um Frauenemanzipation eben damit verbunden sein.
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waren die Gründe für diesen großen Verzicht? Diejenigen, die sich eingehend damit beschäftigt haben, stimmen in der Mehrheit wohl darin überein, dass diese Gründe hauptsächlich politischer und sozialer Natur waren, und dass sie, in ihrem Ursprung, eng mit der großen gesellschaftlichen Umwälzung der Französischen Revolution verbunden waren. Einer der Zwecke schmückender Kleidung war, […] Unterschiede in Rang und Wohlstand zu betonen – Unterschiede, die im 15., 16. und 17. Jahrhundert der Adel oft mithilfe von Kleiderordnungen zu erhalten versucht hatte. Doch solche Unterschiede gehörten zu den vorrangigen unter denen, auf deren Abschaffung die Französische Revolution mit ihrer um die Welt hallenden Losung »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« zielte. Es überrascht daher nicht, dass die Pracht und der Detailreichtum von Kleidung, welche den Idealen des Ancien Régime so treffend Gestalt gaben, den neuen gesellschaftlichen Tendenzen und Hoffnungen zuwider waren, die in der Revolution ihren Ausdruck fanden. […] Wenn die Gründe, die zu diesem hier erörterten, sehr bemerkenswerten Wandel geführt haben, füglich als in erster Linie soziale angesehen werden können, so trifft es natürlich zu, dass ein solcher Wandel nur durch den Einsatz sehr starker psychischer Hemmungen hervorgebracht werden konnte. Man kann sogar getrost behaupten, dass der moderne Mann in Kleidungsfragen ein viel strengeres und rigideres Gewissen hat als die moderne Frau, und dass die Moralität des Mannes in seiner Kleidung in stärkerem Maße zum Ausdruck kommt als dies bei der Frau der Fall ist. Es überrascht daher nicht, dass […] die Kleidung des modernen Mannes eine Fülle von Merkmalen aufweist, die seine Hingabe an die Prinzipien von Pflicht, Verzicht und Selbstbeherrschung symbolisieren. Das gesamte, relativ »fixierte« System seiner Kleidung ist tatsächlich ein äußeres und sichtbares Zeichen der Strenge seines Festhaltens am gesellschaftlichen Code (obwohl die Kleidung gleichzeitig durch ihre phallischen Attribute die wesentlichen Merkmale seiner sexuellen Natur symbolisiert).
Der unterschwellig soziale Charakter der Geschlechterdifferenzierung Ohne Zweifel ist die Welt wegen dieser Veränderung eine ästhetisch ärmere geworden, mit der Folge, dass an die Stelle von Glanz und Kontrast Eintönigkeit und Ähnlichkeit getreten sind; aber es besteht wenig Zweifel daran, dass die drastische Reduzierung des dekorativen Elements in männlicher Kleidung tatsächlich, bis zu einem gewissen Grade, ihr Ziel erreicht hat. Mit der größeren Uniformität der Kleidung ging tatsächlich eine größere Sympathie zwischen einem Individuum und dem anderen einher und zwischen einer Klasse und der anderen; offenbar nicht so sehr deswegen, weil das Tragen desselben allgemeinen Kleiderstils an sich ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen würde (dies ist nur dort stark ausgeprägt, wo eine bestimmte Tracht oder eine Uniform eine
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Personengruppe von der Bevölkerung insgesamt unterscheidet – wie im Falle einer Militäruniform), sondern weil es bestimmte sozial desintegrierende Faktoren beseitigt, die leicht durch Unterschiede in der Kleidung hervorgerufen werden. Wie einschneidend diese zerstörerischen Einflüsse sein können, lässt sich leicht erkennen, wenn man die heutige Frauen- und Männerkleidung vergleicht. Man nehme irgendein gewöhnliches gesellschaftliches Ereignis. Die Männer sind in einer öden Uniformität aus Schwarz und Weiß gekleidet, »die Verkörperung schlechthin von der Prosa des Lebens«, wie ein Autor sich ausdrückte (obschon diese düstere Aufmachung auch ihre Bewunderer hat). Doch wenn es einen Mangel an Romantik gibt, dann fehlen ebenso sehr der Neid, die Eifersucht, die kleinlichen Triumphe, Niederlagen, Überheblichkeiten und Gehässigkeiten, die von der – zweifellos poetischeren – Vielfalt und Fröhlichkeit der Frauenkleider hervorgebracht werden. Eine Frau kann eine andere ernsthaft kränken, selbst in einem Maße, dass sie sich diese zur dauerhaften Feindin macht, indem sie bei irgendeinem bedeutenden Ereignis besser oder modischer gekleidet ist. Solange Individualität gestattet ist, ringen Frauen miteinander darum, wer die »neuesten« oder teuersten Kleider trägt. Der Dünkel des Wohlstandes kann sogar eine rein quantitative Form annehmen, und es kann – und tut es auch oft – zur Ehrensache werden, jeden Tag ein anderes Kleid zu tragen (oder mehrere verschiedene Kleider an ein und demselben Tag, je nach den unterschiedlichen Anlässen des Vormittags, Nachmittags und Abends). Die wohlhabenderen Frauen haben damit einen großen Vorteil vor ihren ärmeren Schwestern, die sich eine so große Zahl von Kleidern schwerlich leisten können. Bei Männern ist eine solche durch Wohlstand verliehene Überlegenheit offenkundig in sehr viel geringerem Maße vorhanden; ein Mann kann zum Beispiel getrost denselben Anzug Monate oder Jahre hintereinander tragen. Der Reichere, der es sich leisten könnte, jeden Abend eine andere Smokingjacke zu tragen, hätte wenig Gewinn davon, da nur die genaueste Prüfung solche Unterschiede, die zwischen der der einen und der der anderen Jacke bestehen, zutage fördern würde. Wenn dies tatsächlich die wichtigsten Einflüsse sind, die das männliche Geschlecht dazu veranlasst haben, alle ernsthaften Versuche, schmückende Kleidung zu tragen, aufzugeben, so stellen sich uns zwei naheliegende Fragen: Erstens, warum hatten diese Einflüsse nicht dieselbe Auswirkung auf die Frauenkleidung wie auf die der Männer? Zweitens, wie war es den Männern möglich, das Opfer zu bringen, das ihnen die neue Ordnung auferlegt hat? Was ist mit den psychologischen (narzisstischen, exhibitionistischen usw.) Neigungen geschehen, die zuvor in den dekorativen Elementen ihrer Kleidung Ausdruck fanden? Um diese Fragen erschöpfend zu beantworten, bräuchte es ein tieferes Wissen über bestimmte grundlegende psychologische und soziologische Prozesse, als wir es im Moment besitzen. Wir müssen uns hier damit begnü-
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gen, das Wesen dieser vorläufigen Antworten anzudeuten, in dem Maße, wie es unser gegenwärtiger Wissenstand zu rechtfertigen scheint. Was die erste Frage betrifft, so können wir vielleicht die Tatsache, das der große Verzicht auf ein Geschlecht beschränkt blieb, als eine spezifische Folge eines allgemeineren Unterschiedes zwischen den Geschlechtern betrachten. Nimmt man die Menschheitsgeschichte als Ganzes, so kann kein Zweifel daran bestehen, dass Männer eine größere Rolle im gesellschaftlichen Leben gespielt haben und leichter von gesellschaftlichen Faktoren beeinflusst wurden als die Frauen. Ob wir nun Belege bei den Geheimbünden primitiver Völker suchen oder bei den entsprechenden – politischen, sozialen oder wirtschaftlichen – Vereinigungen der heutigen Zeit, wir können beinahe überall feststellen, dass das männliche Geschlecht ein größeres Interesse am Gruppenleben zeigt und eine aktivere Rolle darin spielt als die Frau. Ob dies, bis zu einem gewissen Grade, auf eine angeborene stärkere Empfänglichkeit für Gruppeneinflüsse beim Manne zurückzuführen ist, oder ob es ganz und gar eine Folge der natürlichen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern und der in der Folge entstandenen Traditionen ist, ist etwas, worüber wir keine genauen Erkenntnisse3 haben und das wir hier glücklicherweise nicht zu erörtern brauchen. Doch wenn wir, wie wir es sicherlich tun müssen, die ausgeprägtere Soziabilität der Männer und ihre stärkere Beteiligung am Gruppenleben einräumen müssen, überrascht es nicht, dass – wenn es in erster Linie soziale und politische Einflüsse gewesen waren, welche die größere Uniformität und geringere dekorative Wirkung männlicher Kleidung hervorgebracht haben – diese Faktoren sich in geringerem Maße auf die Kleidung der Frauen ausgewirkt haben. Auch Folgendes ist interessant: Es gibt massive Hindernisse gegen die Standardisierung und Vereinfachung von Frauenkleidung nach dem Muster der Männerkleidung. Sie haben möglicherweise verhindert, dass die sozialen Faktoren sich in diesem Sinne auf Frauenkleidung auswirkten, selbst wenn diese Faktoren in beiden Geschlechtern gleichermaßen stark gewesen wären. Diese Hindernisse sind gerade diejenigen, die sich andernorts als höchst antagonistisch gegenüber sozialen Einflüssen erwiesen haben, d.h. Narzissmus und sexueller Wettbewerb. Frauen sind, vielleicht von ihrem Wesen her und sicherlich aufgrund unserer gesellschaftlichen und sexuellen Traditionen, narzisstischer als Männer4, und diese Traditionen haben den Frauen – zumindest in vielen Gesellschaften – gleichzeitig eine etwas ausgeprägtere sexuelle 3 | Dieser Fragenkomplex wird andernorts vom Autor erörtert: ›Sexual and Social Sentiments‹. In: British Journal of Medical Psychology, 1927, Bd. VII, Nr. 2, S. 139-176; hier: S. 139. 4 | Vgl. Freud, Sigmund [vermutl. 1925]: Collected Papers, Bd. IV, S. 44 [Anm. d. Hg.: vermutlich in der Reihe: The International Psycho-Analytical Library Nr. 10, hg. v. Ernest Jones. London: The Hogarth Press and the Institute of Psycho-Analysis]. Das Tragen
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Rivalität auferlegt als sie unter Männern besteht.5 Hier wie anderswo könnte ein hoch entwickeltes soziales Empfinden dem Narzissmus und der sexuellen Eifersucht ein gewisses Opfer abverlangen. Die Übernahme nüchterner Kleidung durch den Mann hat zweifellos ein solches Opfer bedeutet, und es hat den Anschein, dass die aktivere Rolle, die Frauen heute im Gesellschaftsleben spielen, ein sehr ähnliches Opfer auch von ihnen verlangen könnte, und dies tatsächlich auch tut. Denn es bestehen kaum Zweifel, dass Frauen in mancher Hinsicht in die Fußstapfen der Männer treten und selbst zu gleichförmigerer und weniger dekorativer Kleidung neigen, zumindest in den der Arbeit gewidmeten Stunden des Lebens.6
Auswirkungen auf die männliche Psychologie Die zweite der beiden oben genannten Fragen – die Frage, wie der Mann den Verzicht darauf, sich zur Schau zu stellen, hat ertragen können – lässt sich nicht so leicht mit einem schlichten Verweis auf eine allgemeine Tendenz beantworten. Es ist eine Frage, die natürlich viel gemeinsam hat mit allen Problemen, die den Verzicht auf eine Quelle der Befriedigung betreffen – Probleme, denen große Aufmerksamkeit gewidmet wurde in den psychoanalytischen Studien über Neurosen, die in den letzten Jahren so viel beigetragen haben zu unserem Verständnis aller Formen mentaler Veränderung und mentaler Entwicklung. Im Allgemeinen ist es wohl so, dass, wenn eine Befriedigung verwehrt wird, die damit verbundenen Wünsche entweder gehemmt oder verdrängt werden (d.h., sie finden irgendeine andere Entladung). Oft spielen sowohl Hemmung als auch Verdrängung eine Rolle. Das scheint auffälligerer und dekorativerer Kleidung fördert seinerseits wiederum diesen relativ größeren Narzissmus der Frauen, sodass gewöhnlich ein Teufelskreis hergestellt wird. 5 | Vgl. Flügel, a.a.O., 155. 6 | Dass jene Frauen, die den aktiven Lebensweg beschritten haben, sich in der Kleidung jetzt insgesamt weniger von anderen Frauen unterscheiden als es, sagen wir, vor vierzig Jahren ihre Vorgängerinnen taten, ist teilweise der Tatsache geschuldet, dass viel mehr Frauen das Ideal der Arbeit heute teilen als damals (in dieser Hinsicht sind Frauen zweifellos den Männern ähnlicher geworden); teils der Tatsache, dass jetzt, aufgrund ökonomischer Umstände und der Verbreitung dieses Ideals, ein sexuell »normalerer« Typ von Frau die Arbeit als ihre »Karriere« begreift; und wiederum teilweise einer allgemeinen Veränderung der Einstellung gegenüber dem Geschlecht und, insbesondere, einer Abnahme der scheinbaren Unvereinbarkeit zwischen den Idealen von Arbeit und Geschlecht (eine Unvereinbarkeit, deren frühere Stärke in Reginald Berkeleys Stück The Lady with a Lamp gut dargestellt wird, in dem die Heldin, Florence Nightingale, sich vorstellt, dass die angemessene Verrichtung der Arbeit, zu der sie aufgerufen ist, die strengste Unterdrückung ihres Geschlechtslebens und aller damit assoziierten Hoffnungen und Ideale verlangt).
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auch bei dem hier zur Debatte stehenden Kleidungsverzicht der Fall zu sein. Jüngste Untersuchungen des Autors7 haben den Eindruck bestätigt, der aus der Tagespresse gewonnen werden kann, dass viele Angehörige des männlichen Geschlechts tatsächlich zutiefst unzufrieden sind mit ihrer eigenen Garderobe, insbesondere im Vergleich mit der der Frauen. Wahrscheinlich würde eingehendere Forschung tiefliegende psychologische Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten zutage fördern, welche die indirekte Folgen dieser Unzufriedenheiten sind. Andererseits wurde die Energie, die sich ehedem in Kleidung ausgedrückt hat, wahrscheinlich bis zu einem gewissen Grade in andere Richtungen gelenkt. Die Tatsache, dass während der letzten 130 Jahre Arbeit in vielen neuen Formen für Angehörige der modischen Welt salonfähig geworden ist, wurde durch ein gestiegenes Interesse an der äußeren Welt ermöglicht. »Arbeit«, mit all ihren dazugehörigen Beschäftigungen, hat somit in gewissem Umfang das Interesse verringert, »sich zur Schau zu stellen«. Aber man kann auch auf Veränderungen hinweisen, die enger mit der exhibitionistischen Liebe zur Selbstdarstellung verbunden sind. Obwohl uns die darin verwickelten wahren dynamischen Verhältnisse größtenteils immer noch unbekannt sind, wissen wir, dass es oft leichter ist, durch gewisse feine Modifizierungen von Objekt oder Haltung mit einem bestimmten Trieb umzugehen als durch eine Änderung seines letztlichen Zieles oder Wesens. So können wir sehen, dass sich in dem Fall der exhibitionistischen, mit Selbstdarstellung verbundenen Wünsche eine besonders mühelose Form der Umwandlung finden lässt, und zwar in einem Wechsel von (passivem) Exhibitionismus zu (aktiver) Skopophilie (mit visuellen Mitteln erzeugtes erotisches Vergnügen) – von dem Wunsch, gesehen zu werden, zu dem Wunsch zu sehen. Dieser Wunsch, selbst zu beobachten, kann unsublimiert bleiben und seine angemessene Befriedigung in der Betrachtung des anderen Geschlechts finden, oder er kann sublimiert werden und in dem allgemeineren Wunsch zu sehen und zu wissen Ausdruck finden. Es ist vielleicht kein bloßer Zufall, dass dem Verzicht auf dekorative Kleidung durch den Mann zu Beginn des letzten Jahrhunderts eine Periode beispiellosen wissenschaftlichen Fortschritts gefolgt ist. Eine weitere subtile psychologische Veränderung könnte in der Projektion des exhibitionistischen Wunsches auf eine Person des anderen Geschlechts bestehen. Ein Mann ist gewöhnlich stolz, wenn er in der Öffentlichkeit in Begleitung einer schönen oder gut gekleideten Frau erscheint, und obwohl dieser Stolz komplex strukturiert ist, ist eines seiner wichtigen Elemente sicherlich die stellvertretende Zurschaustellung, die dem Mann auf diese Weise ermöglicht wird (ebenso wie er stellvertretend Scham empfinden kann, wenn seine 7 | Flügel, John Carl (1929): On the Mental Attitude to Present-Day Clothes. Report on a Questionnaire. British Journal of Medical Psychology, Bd. IX, Nr. 2, S. 97-186; hier: S. 97.
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Begleiterin schlecht gekleidet ist).8 In solchen Fällen liegt eindeutig ein gewisses Moment der Identifizierung mit der Frau vor. Dass es eine derartige Neigung zur Identifizierung geben sollte, ist nicht weiter überraschend. Wir neigen im Allgemeinen dazu, uns mit Personen, die wir bewundern oder beneiden, zu identifizieren, und es ist natürlich, dass Männer mit einem starken exhibitionistischen Verlangen Frauen, gewissermaßen stellvertretend, bewundern und sie gleichzeitig um die Möglichkeit beneiden, ihren Körper und ihre Kleidung zur Schau zu tragen. Bei der besagten Identifizierung kann es sich um eine handeln, in der die Projektion des exhibitionistischen Verlangens auf die Frau vollständig ist. In anderen Fällen jedoch ist die Projektion nur partiell, und hier kann der Mann bewusst versuchen, sich mit einer Frau zu identifizieren, indem er weibliche Kleidung trägt. Dieses letztgenannte Verlangen kann selber variieren von einer leichten Vorliebe zur »Effeminierung« bis zur vollen Übernahme weiblicher Kleidung in allen Einzelheiten. [Flugel 1966, 110-119]
8 | In bestimmten Fällen kann diese Neigung die extreme Form annehmen, dass ein Ehemann die Schönheiten des nackten Körpers seiner Frau seinen Freunden vorführt, wie in der klassischen Geschichte von Kandaules und Gyges, wie sie von Herodot überliefert wird. Sadger (82) vertritt die Auffassung, dass in solchen Fällen gewöhnlich eine unterdrückte homosexuelle Komponente im Spiel ist, wenn der Ehemann seine Frau (in Worten oder Taten) nur Männern zeigt, denen er sich persönlich verbunden fühlt [Anm. d. Hg.: vgl. Sadger, J. (1921): Die Lehre von den Geschlechtsverwirrungen auf psychoanalytischer Grundlage. Leipzig, Wien: Deuticke, S. 321-458].
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E INLEITUNG Der französische Philosoph und Soziologe Gilles Lipovetsky stellt die Analyse der modernen westlichen Gesellschaften, insbesondere die Aspekte Individualismus und Konsumkultur (z.B. Lipovetsky 1983; Lipovetsky u. Roux 2003), in den Mittelpunkt seiner Forschungen. Sein jüngstes Buch widmet sich den ästhetischen Seiten des Kapitalismus (Lipovetsky u. Serroy 2013). 1987 präsentierte er eine Theorie der Mode, mit der er sowohl der traditionellen Intellektuellenfeindlichkeit gegenüber der Mode eine Absage erteilt wie der seit dem späten 19. Jahrhundert vorherrschenden, seiner Ansicht nach vereinfachten soziologischen Sicht auf die Mode. In den 1980er Jahren waren es vor allem Baudrillard und Bourdieu, die den Wunsch nach Klassenunterscheidung als wesentliches Prinzip der modernen Gesellschaften analysierten. Lipovetsky leugnet den Wunsch nach Distinktion nicht, betont jedoch, er sei keineswegs das Modell der Mode und schon gar nicht deren Ursache, sondern nur eine ihrer sozialen Funktionen. Tatsächlich umgeben sich seines Erachtens Menschen mit Dingen viel weniger, um andere zu beeindrucken, als zu ihrem eigenen Vergnügen. Diese in den späten Achtzigerjahren ungewöhnliche Sicht wurde in der Kulturanthropologie und materiellen Kulturforschung erst einige Jahrzehnte später in den Arbeiten etwa von Mary Douglas (1992) oder Daniel Miller (2008 u. 2012) wieder aufgenommen. Gilles Lipovetsky stellt konsequent Individualität, ästhetisches Vergnügen und Hedonismus ins Zentrum seiner historisch untermauerten systematischen Modeanalyse, die zugleich eine Analyse der gesamten europäischen Kultur ist. Im Verlaufe von 600 Jahren sei die Mode von einer Randerscheinung zu einem hegemonialen Phänomen geworden; sie habe die Gesellschaft nach ihrem Bild gemodelt. Als Organisationsprinzipen des kollektiven Lebens der Moderne nennt er die Sucht nach Neuem und damit verbundenen Flüchtigkeit und Verführung. Einzigartigkeit und Veränderlichkeit seien zu grundlegenden kulturellen Werten avanciert. Im Widerspruch zur traditionellen Modekritik, die Mode für oberflächlich, gleichschaltend und letztlich für verdummend und unpolitisch hält, betont Lipovetsky, Mode fördere nicht nur den – von ihm positiv beurteilten – Individualismus, sondern damit auch die Konsolidierung
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der liberalen Gesellschaft. Seine Analyse der Postmoderne und der darauf folgenden Hypermoderne arbeitet demgegenüber kritisch die Mündung des Individualismus in eine nur noch konsumorientierte Kultur heraus (Lipovetsky 1983, dt. 1995). Die Paradoxien und Ambivalenzen der Mode gelten Gilles Lipovetsky nicht als Gegensatz zur Vernunft, denn Verführung selbst folge einer rationalen Logik und setze ein spezifisches Wissen sowie die Beherrschung von Strategien voraus. Die Soziologin Elena Esposito nimmt fast 20 Jahre später ähnliche Themen auf: den sozialen Umbruch im 17. Jahrhundert, die grundlegende Paradoxie der Mode, Kontingenz, Nachahmung und Individualisierung sowie die Beobachtung; aber sie akzentuiert sie anders, verschärft sie in ihrer Bestimmung der Mode als Zusammenspiel von Kontingenz und Nicht-Beliebigkeit oder auch als die Erzeugung des Notwendigen aus dem Zufall heraus (vgl. Esposito 2004, z.B. 11). Mit der »mode de cents ans«, »hundertjährigen Mode« – der von Lipovetsky geprägte Begriff ist mittlerweile in der Modeforschung gängig und von Barbara Vinken popularisiert worden – von Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts setzt eine neue Phase ein; nun werde die Mode endgültig modern. Haute Couture und Konfektionsmode bestimmen das Feld; Mode wird zentralisiert (Paris), internationalisiert (überall nachahmbar) und demokratisiert (Konfektion). Gleichzeitig werde Kleidung als Medium persönlichen Ausdrucks und als Chance zu dauernder Verwandlung psychologisiert. Eine Logik der Unentschiedenheit sei die Folge. Und eine neue Logik der Geschlechter entstehe: Mode wird gleichbedeutend mit Frauenmode. Mit Christian Dior endet die hundertjährige Mode; sie wird abgelöst durch die Vielfalt und massenhafte Verbreitung dessen, was Lipovetsky die »offene Mode« nennt. Er meint damit keinen Bruch mit der »mode de cent ans«, sondern eine Fortführung und Transformation. Zentrale Stichworte sind Bürokratisierung, Industrialisierung und Demokratisierung. Die Haute Couture sei nicht mehr avantgardistisches Epizentrum der Mode, sondern drücke nun im Gegenteil die Traditionalität des Luxus aus, während die Massenmode nicht länger die Haute Couture kopiere, sondern eigenständige Produkte hervorbringe und zunehmend dem Jugendkult fröne. Das bedeutet, dass die vertikale Imitation durch eine horizontale Imitation ersetzt worden sei (was dem mittlerweile gängigen Konzept des Trickle-Across entspricht). Differenzierungen werden subtiler, aber was bleibe, sei die Differenz der Geschlechtermoden. Die Männermode unterliege weiterhin strikten Verboten, z.B. Kleider zu tragen oder Schminke zu benutzen, während die Frauen die Freiheit behalten, sich schön zu machen und sich ständig zu verändern. Lipovetsky prägt dafür den schönen Begriff »Metamorphosen der Erscheinung« (»metamorphose du paraître«; Lipovetsky 1987, 158). Anders als Veblen, Simmel oder auch als die feministische Kritik seiner Zeit begründet er diese Differenz nicht mit sozialen Hierarchien und Funktionsteilungen, sondern nimmt stattdessen eine ästhetisch-anthropologische Position
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ein. Die Gleichheit der Geschlechter sei grundsätzlich gegeben, aber sie ende bei der ästhetischen Differenz. Emphatisch proklamiert er einen überzeitlichen Kult der weiblichen Schönheit und leitet davon die Überlegenheit der Frauen auf dem Gebiet Mode ab, während Männer inferior seien. Das erinnert an Flügels These vom großen männlichen Verzicht, gewichtet aber völlig anders, da Lipovetsky vom Sozialen (oder Psychologischen) plötzlich ganz und gar auf das Gebiet des Ästhetischen umschwenkt, ohne das freilich wirklich begründen zu können. Auf die »offene Mode« folgt nach Lipovetsky aufgrund des gewachsenen Einflusses der Massenmedien sowie der weiter entwickelten Freizeitkultur die »vollendete Mode«, eine »Explosion der Mode«. Nicht mehr eine Kultur des Aussehens, des Luxus und des Überflusses, sondern die allgegenwärtige Verführung durch den Konsum bestimme die Gegenwart. Das impliziert, dass der Konsum sich verselbstständige und die ästhetische Gestaltung als solche, also beispielweise als vestimentäre Form, nicht mehr wichtig sei, sondern nur mehr als Motor der Werbung. Lipovetsky hebt die fast grenzenlose kulturelle Macht der Neuheit gegenüber der von anderen SoziologInnen betonten Konkurrenz der sozialen Klassen hervor (Lipovetsky 1987, 215). Alles, vom Alltag bis zur Politik, werde von den Prinzipien der Verführung, des Ephemeren und der Differenzierung des Marginalen bestimmt. Das heißt, dass die Kleidermode nur eine Manifestation der Mode als Dynamik sei, und da die Mode als Dynamik inzwischen alle Bereiche kreuze, gebe es kein Außerhalb der Mode mehr. Die Geschichte der Mode lässt sich nach Lipovetsky also so zusammenfassen: Mode hat sich von einem ästhetisch motivierten Umgang mit Kleidern zu einer sozialen und ästhetischen Dynamik und zum strukturierenden Prinzip der Moderne gewandelt. Bereits 1983 erklärt er die modernen Demokratien zum Zeitalter der Leere (Lipovetsky 1983). Das Fehlen orientierender Ideologien berge freilich auch Chancen: nämlich die der Selbstbestimmung und Selbstgestaltung der Individuen, letztlich ihren absoluten Hedonismus. Entgegen dem üblichen Kulturpessimismus analysiert Lipovetsky die Chancen, die neben allen Nachteilen auch in dieser Entwicklung stecken, und in seinem jüngsten Buch über die »Ästhetisierung der Welt« führt er das fort, indem er die umfassende Ästhetisierung der gesamten Lebenswelt in der aktuellen Konsumkultur als Positivum hervorhebt (vgl. Lipovetsky u. Serroy 2013). Lipovetskys Ansicht, Mode sei ein Phänomen der westlichen Welt, kann modifiziert werden, wenn man die globalen Verflechtungen der europäischen Mode über Handelswege seit dem 16. Jahrhundert berücksichtigt (vgl. den Abschnitt über globale Mode in diesem Band). Jedoch bietet seine Theorie, die immer auch eine Geschichte der Mode ist, eine überzeugende Analyse der spezifischen Ausprägung von Mode in der westlichen Welt. Seine konsequente Betonung und Befürwortung der ästhetischen und spielerischen Dimension von Mode brachte eine neue Perspektive in die Modetheorie, die jedoch erst viel später zentral wurde (vgl. z.B. Lehnert 2013a).
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D AS R EICH DES VERGÄNGLICHEN . D IE M ODE IN DEN MODERNEN G ESELLSCHAFTEN (1987) Die Mode und der Westen: Die aristokratische Zeit Die Instabilität der Erscheinungen […] Die Kurzlebigkeit der Mode darf nicht als Beschleunigung von Veränderungstendenzen verstanden werden, die je nach Kultur mehr oder weniger ausgeprägt, aber immer Teil des menschlichen Sozialwesens wären1. Sie ist nicht Ausdruck einer Kontinuität der menschlichen Natur (Gefallen an Neuheit und Schmuck, Wunsch sich zu profilieren, Rivalität zwischen Gruppen etc.), sondern einer historischen Diskontinuität, eines wesentlichen Bruches – sei er auch begrenzt – mit einer tatsächlich seit jeher herrschenden Sozialisierungsform: der unumstößlichen Logik der Tradition. In der Geschichte der Menschheit bedeutet das Aufkommen der Kurzlebigkeit der Mode eine Abkehr von der Form gemeinschaftlichen Zusammenhalts, die bis dahin durch eine in Gebräuchen festgeschriebene Beständigkeit gewährleistet wurde, und die gleichzeitige Entstehung neuer sozialer Bindungen und eines neuen gesellschaftlich anerkannten Zeitempfindens. Schon bei Gabriel de Tarde findet man eine treffende Analyse dieses Prozesses: Während in traditionsbewussten Zeiten das Alter in hohem Ansehen steht und die Nachahmung der Vorfahren vorherrscht, dominieren zu Zeiten der Mode die Verehrung des Neuen sowie die Nachahmung gegenwärtiger und fremder Modelle; man möchte eher den zeitgenössischen Erneuerern gleichen als seinen Vorfahren. Der Hang zur Veränderung und der bestimmende Einfluss der Zeitgenossen, diese beiden großen, das Modezeitalter bestimmenden Prinzipien, haben die Abwertung des überkommenen Erbes und die damit einhergehende Verehrung aktueller gesellschaftlicher Normen gemeinsam. Die historische Radikalität der Mode liegt darin begründet, dass sie ein modernes, vom Einfluss der Vergangenheit befreites gesellschaftliches System einführt. Das Vergangene gilt nicht mehr als verehrungswürdig und »allein die Gegenwart scheint Respekt zu verdienen«2 . Der gesellschaftliche Raum der traditionellen Ordnung löst sich zugunsten neuartiger zwischenmenschlicher Bindungen auf, die auf den unbeständigen Vorgaben der Gegenwart beruhen. Als Begründerin und Vorbild 1 | König, René (1969): Sociologie de la mode. Paris: Payot [Anm. d. Hg.: vermutl. König, René (1967): Kleider und Leute. Zur Soziologie der Mode. Frankfurt: Fischer]. 2 | de Tarde, Gabriel (1979): Les lois de l’imitation (1890). Réimpression Genève: Slatkine 197, S. 268. Zitat übersetzt von Inga Frohn [Anm. d. Hg.: Wir weisen darauf hin, dass es eine deutsche Übersetzung gibt: de Tarde, Gabriel (2009): Die Gesetze der Nachahmung. Übers. v. Jadja Wolf. Frankfurt: Suhrkamp, die wir jedoch nicht zu Rate gezogen haben].
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der modernen Sozialisierung hat die Mode einen Teil des gemeinschaftlichen Lebens von der seit Menschengedenken bestehenden Autorität des Vergangenen befreit: »In Zeiten, in denen die Traditionen vorherrschen, ist man mehr von seinem Land als von seiner Zeit eingenommen, denn es werden vor allem die vergangenen Zeiten beschworen. In Zeiten, in denen die Mode vorherrscht, verspürt man ganz im Gegenteil mehr Stolz auf seine Zeit als auf sein Land.«3 Die vornehme Gesellschaft wurde vom Fieber des Neuen ergriffen, sie brannte für die neuesten Einfälle, sie imitierte nacheinander die angesagten Moden aus Italien, aus Spanien, aus Frankreich, und legte einen regelrechten Snobismus in der Verehrung alles Fremden und Anderen an den Tag. Die Mode ist der erste Ausdruck eines sozialen Verhältnisses, das ein neues Zeitempfinden und eine neue Leidenschaft des Westens verkörpert: die des »Modernen«. Das Neue ist zum gesellschaftlichen Wert geworden, es markiert soziale Überlegenheit, man muss mitverfolgen, was »angesagt ist« und die jeweilig auftauchenden Wandlungen mitmachen: Die Gegenwart hat sich als Zeitachse durchgesetzt und bestimmt einen zwar oberflächlichen, aber darum nicht weniger angesehenen Aspekt des Lebens der Elite. Die Modernität der Mode: Dieser Punkt verdient nähere Betrachtung. In der Tat stellt die Mode einerseits die Neigung des Adels zu Prunk und Verschwendung dar, im Gegensatz zur modernen bürgerlichen Gesinnung, die sich über Sparsamkeit, Voraussicht und Berechnung definiert, steht sie auf der Seite der Irrationalität extravaganter Genüsse und verspielter Oberflächlichkeit – gegenläufig zum Streben nach Wachstum und Beherrschung der Natur. Andererseits jedoch ist die Mode ein integrales Element der entstehenden modernen Welt. Ihre Unbeständigkeit bedeutet, dass die äußere Erscheinung nicht mehr den unantastbaren Gesetzen der Ahnen unterworfen ist, sondern dass sie allein der Entscheidung und den menschlichen Begierden entspringt. Bevor sie zum Zeichen eitler Unvernunft wird, zeugt die Mode von der Macht der Menschen, ihr eigenes Erscheinungsbild zu verändern und zu erfinden, sie ist eine Seite des modernen Artifizialismus, jenes menschlichen Unterfangens, die eigenen Existenzbedingungen zu beherrschen. Als »autonome« Gegebenheit bringen die unbeständigen Modebewegungen eine Ordnung hervor, die allein den menschlichen Launen, Einfällen und Wünschen folgt. Keine Aufmachung wird mehr aufgrund altüberlieferter Sitten von Außen erzwungen, die Menschen haben das Recht, über ihre gesamte äußere Erscheinung zu verfügen. Innerhalb der Grenzen dessen, was gerade als anständig und geschmackvoll betrachtet wird, sind sie nunmehr frei, die oberflächlichen Merkmale zu verändern und zu verfeinern. Die Ära der Effizienz und die Ära der frivolen Äußerlichkeiten, die rationale Herrschaft über die Natur und die verspielten Tollheiten der Mode sind nur dem Anschein nach widersprüchlich. 3 | de Tarde 1979, S. 269, übersetzt von Inga Frohn.
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Genau genommen existiert ein ausgesprochener Parallelismus zwischen diesen beiden Denkweisen: So wie die Menschen sich – in der westlichen Moderne – der intensiven Ausbeutung der materiellen Welt und der Rationalisierung der Produktionsweisen widmeten, so machten sie mithilfe der Vergänglichkeit der Mode auch ihr Recht auf die Bestimmung ihrer eigenen Erscheinung geltend. In beiden Fällen drückt sich menschliche Souveränität und Autonomie über die natürliche Welt und die ästhetische Gestaltung der eigenen Person aus. Proteus und Prometheus entstammen demselben Geschlecht, gemeinsam haben sie – auf radikal auseinanderlaufenden Pfaden – das einzigartige Abenteuer der westlichen Moderne auf dem Wege zur Aneignung ihrer Geschichte angetreten.
Schauplatz der Raffinessen In einigen Zivilisationen entwickelten sich indessen zu bestimmten Zeiten ihrer Geschichte unbestreitbar Elemente von Schönheitskult und eine Raffinesse flüchtiger Eleganz. Es ist bekannt, dass die Männer im Römischen Reich ihr Haar färbten und in Locken legten, dass sie sich parfümierten und mouches, Schönheitspflaster, trugen, um ihren Teint zu akzentuieren und jünger zu erscheinen. Die eleganten Frauen gebrauchten Puder und Duftstoffe, sie trugen künstliche Zöpfe und blond oder ebenholzschwarz gefärbte Perücken. Zur Zeit der Flavier kamen komplizierte Turmfrisuren auf, das Haar wurde zu hohen, aus komplexen Lockengebilden bestehenden Kronen aufgerichtet. Unter dem Einfluss des Orients stellten kostbarer Schmuck, Zierrat unterschiedlichster Art, Stickereien und Borten einen Ausgleich zur Strenge der weiblichen Trachten in der Antike dar. Muss das als ein frühes Anzeichen von Mode in der Antike gewertet werden? Man sollte sich davon nicht täuschen lassen, denn selbst wenn einiges in dieser Zurschaustellung von Eleganz und Luxus der Logik der Mode ähnelt, fehlt ihr doch deren wesentlicher Zug: die immer schnelleren Veränderungen. Ein System der Mode existiert nur in der Verbindung von beidem: der Vergänglichkeit und der ästhetischen Extravaganz. Diese Kombination, die die Mode als System überhaupt erst definiert, nahm nur ein einziges Mal in der Geschichte Gestalt an: auf der Schwelle zu den modernen Gesellschaften. Vorher gab es Andeutungen, Vorzeichen von dem, was wir Mode nennen, aber niemals ein vollständiges System. Der dekorative Überfluss bewegte sich in eng gesteckten Grenzen, er kann nicht mit den sich wiederholenden Exzessen und Verrücktheiten verglichen werden, zu deren Schauplatz die westliche Mode wurde. Römische Satiren aus der damaligen Zeit belegen, dass das männliche Erscheinungsbild durch bestimmte kostbare Details tatsächlich raffinierter wurde. Aber kann man das wirklich mit der ununterbrochenen Flut von Firlefanz und ständig wechselnden Schleifen, Hüten und Perücken der Mode gleichsetzen? Um bei Rom zu bleiben, die kleinen Extravaganzen änderten nichts an der Strenge der traditionellen männlichen
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Tracht, sie waren eine Seltenheit und gingen nicht über den eingeschränkten Gebrauch von Löckchen und Püderchen hinaus. Wir sind noch weit entfernt von der westlichen Mode und ihren ständigen ausschweifenden Extravaganzen. Noch bedeutender ist die Tatsache, dass in traditionsbewussten Zeiten die launischen Spielereien in Bezug auf die allgemeine Beschaffenheit der Kleidung strukturell nebensächlich sind; sie können diese begleiten und verschönern, aber sie respektieren dabei immer das von Sitten und Gebräuchen definierte Gesamtarrangement. Trotz des Vergnügens an kräftigen Färbungen, verschiedenartigen Schmuckstücken, Stoffen und Verzierungen wandelte sich die weibliche Tracht in Rom kaum. Die alte Oberkleid-Tunika, die Stola, und der drapierte Mantel, die Palla, wurden ohne große Veränderungen getragen. Das ästhetische Bemühen ist nicht Teil des allgemein geltenden Stils, es kreiert weder neue Strukturen noch neue Formen der Tracht, es funktioniert schlicht als dekorative Ergänzung, als äußere Verzierung. Im Gegensatz dazu etabliert sich mit der Mode ein noch nie dagewesenes System: Das Artifizielle wird nicht von außen zu einem schon bestehenden Ganzen hinzugefügt, es selbst definiert von nun an vollständig die Formen der Bekleidung, sowohl die Einzelheiten als auch die wesentlichen Linien. Gleichzeitig wechselt das Erscheinungsbild der Menschen als Gesamtes in eine Ordnung, die auf Theatralik und Verführungskunst beruht, ein märchenhaftes Spiel mit einem Überfluss an Firlefanz und Rüschen, aber auch und vor allem mit seinen überzogenen, extravaganten, ja »lächerlichen« Formen. Die Schnabelschuhe, die hervorgehobenen Schamkapseln in Penisform, Dekolletés, die zweifarbigen Männermoden4 aus dem 14. und 15. Jahrhundert, später dann die enormen Halskrausen, die Rheingrafenhose, die Reifröcke, die überdimensionierten barocken Frisuren – all diese mehr oder weniger exzentrischen Moden haben die männliche und weibliche Gestalt in unterschiedlichem Maße verändert. Unter der Herrschaft der Mode ist der ästhetische Artifizialismus keiner beständigen Ordnung mehr unterstellt, aus ihm selbst entspringt die Aufmachung, die – immer aktualisiert, modern und verspielt – selbst als Festspiel erscheint. Die Ähnlichkeiten mit dem seit Menschengedenken bestehenden Gefallen am Dekorativen dürfen über die absolute Radikalität der Mode, den von ihr eingeführten Umsturz der bisherigen Logiken, nicht hinwegtäuschen. Bis dahin war der »Manierismus« Bestandteil einer Struktur, die der kollektiven Vergangenheit entstammte. Nun bringt er selbst neue Formen hervor. Begnügte er sich früher damit zu schmücken, ist ihm nun die Herrschaft über die gesamte Erscheinung sicher. Diese war, bei aller möglichen Extravaganz, im Zeitalter der Tradition immer der Kontinuität der Vergangenheit verhaftet geblieben, ein 4 | Anm. d. Hg.: Gemeint ist das sogenannte »mi-parti«, ein farblich vertikal geteiltes Kleidungsstück, z.B. ein Hosenbein rot, das andere grün.
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Zeichen dafür, dass die Legitimität des Vergangenen eine Vorrangstellung innehatte. Mit dem Aufkommen der Mode geraten die gesellschaftliche Bedeutung und die zeitliche Orientierung schmückender Bekleidung vollständig ins Wanken: Als verspielte und unbegründete Darstellung, als Zeichen, das nichts bedeutet, bricht die modische Kleidung gänzlich mit der Vergangenheit; ein wesentlicher Teil ihres Prestiges beruht auf der vergänglichen, schillernden und extravaganten Gegenwart. [Lipovetsky 1987, 36-40] Die Apotheose der ästhetischen Willkür hatte auch Auswirkungen auf die zwischenmenschlichen Beziehungen, auf Geschmack und geistige Dispositionen. Sie trug dazu bei, gewisse charakteristische Züge der modernen Individualität zu prägen. Indem sie eine Ordnung hervorbrachte, die sich gleichermaßen durch Exzesse wie durch minimale Abweichungen auszeichnet, wirkte die Mode daran mit, den Geschmack und die ästhetische Sensibilität zu verfeinern. Sie zivilisierte den Blick, indem sie ihn lehrte, kleinste Unterschiede zu bemerken, Gefallen an subtilen und feinen Details zu finden und neue Formen zu adaptieren. Kleidung, die nicht mehr von Generation zu Generation weitergegeben wird und ständige Änderungen und Wahlmöglichkeiten bietet, ermöglicht es, sich von alten Normen zu lösen, Formen auf individuellere Art und Weise zu schätzen und persönlicheren Geschmack zu beweisen. Es kann nunmehr frei über die Kleidung der Anderen geurteilt werden, über ihren guten oder schlechten Geschmack, ihre »Fehltritte« oder ihre Anmut. Norbert Elias bemerkt, wie sich durch den am Hof herrschenden Wettbewerb die Kunst herausbildete, seinesgleichen zu beobachten und zu deuten, das Verhalten und die Beweggründe der Menschen zu studieren5. Man kann hinzufügen, dass die Mode parallel dazu mittels äußerer Erscheinung und Geschmack eine ähnliche Wirkung ausübte. Die Mode hat zur Folge, dass Menschen sich unablässig wechselseitig beobachten, ihre äußere Erscheinung begutachten und auf Nuancen von Schnitt, Farbe und Muster der Kleidung achten. Als Motor der Hervorbringung ästhetischen und sozialen Urteilsvermögens hat die Mode den kritischen Blick der mondänen Kreise geschärft, sie hat die mehr oder weniger liebenswürdigen Beobachtungen der Eleganz der Anderen stimuliert; sie war an der Verselbstständigung des Geschmacks beteiligt, ganz gleich wie stark die ihr innewohnenden Tendenzen zur Nachahmung waren. Doch die Mode stellte nicht nur eine Bühne zur Begutachtung des Schauspiels der Anderen dar, sie brachte zugleich auch ein neues Verhältnis zu sich selbst, eine noch nie dagewesene ästhetische Selbst-Beobachtung in Gang. Mode ist stets mit der Lust zu betrachten verbunden, aber auch mit der Lust, 5 | Elias, Norbert (1969): La société de cour. Paris: Calmette, S. 98-101 [deutsch: Elias, Norbert (1969): Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Darmstadt u.a.: Luchterhand].
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betrachtet zu werden, sich dem Blick des Gegenübers zu präsentieren. Gewiss ist der Narzissmus keine reine Schöpfung der Mode, doch sie reproduziert ihn auf bemerkenswerte Art und Weise, sie macht ihn zu einer grundlegenden und dauerhaften Struktur der mondänen Gesellschaft, denn sie hält die Menschen dazu an, sich mehr damit zu beschäftigen, wie sie sich darstellen und präsentieren, und nach Eleganz, Anmut und Originalität zu streben. Die endlosen Variationen der Mode und die Gesetze der Eleganz laden dazu ein, sich selbst zu studieren, die Neuheiten an die eigene Person anzupassen, der eigenen Bekleidung Beachtung zu schenken. Die Mode hat es nicht nur ermöglicht, eine Zugehörigkeit zu Rang, Klasse oder Nation zur Schau zu tragen, sie wurde auch zum Mittel narzisstischer Individualisierung, ein Instrument zur Ausweitung eines ästhetischen Ich-Kults, und das inmitten einer aristokratischen Zeit. Als erstes umfassendes System zur gesellschaftlichen Produktion der sichtbaren Persönlichkeit hat die Mode die menschliche Eitelkeit ästhetisiert und individualisiert. Sie hat es geschafft, aus dem Oberflächlichen ein Heilsversprechen, einen Existenzzweck an sich zu machen. [Lipovetsky 1987, 43-44]
Die hundertjährige Mode Die Mode, in der modernen Bedeutung des Begriffs, hat sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt. Gewiss, nicht alles war absolut neu, bei Weitem nicht, aber es ist offensichtlich, dass ein bis dahin unbekanntes Produktions- und Vertriebssystem entstanden war, das das nächste Jahrhundert in großer Beständigkeit überdauern sollte. Dieses historische Phänomen muss hier betont werden: Trotz der technologischen Fortschritte, trotz ihrer ununterbrochenen stilistischen Kehrtwendungen oder »Revolutionen«, brachte auch die Mode etwas hervor, was man wohl eine dauerhafte Struktur nennen kann. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre, in denen das System tatsächlich auseinanderzubröckeln begann und sich teilweise umwandelte, stützte sich die Mode auf eine derart beständige Organisation, dass man mit vollem Recht von einer hundertjährigen Mode sprechen kann, der ersten – heroischen und erhabenen – Phase der Geschichte der modernen Mode. Hundertjährige Mode – das drückt zweifellos aus, dass ein Zyklus beendet ist. Vor allem aber wird damit all das betont, was uns noch immer mit dieser Gründungsphase verbindet. Diese brachte eine neue Organisation des Vergänglichen hervor, eine neue Logik der Macht, der ein außerordentliches historisches Schicksal bestimmt war, denn im Laufe des 20. Jahrhunderts setzte sie sich immer stärker durch, bis sie im Herzen unserer Gesellschaften angelangt war. Auch wenn man die Maßstäbe im Blick behalten muss, kann man über die Mode sagen, was Tocqueville über Amerika sagte: Wir sahen in ihr tatsächlich mehr als Mode, wir erkannten in ihr eine spezielle, aber für das Aufkommen der modernen bürokratischen Gesellschaften durchaus be-
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deutungsvolle Figur. Wir sahen in ihr mehr als einen bloßen Abschnitt der Geschichte des Luxus, der Rivalitäten und Klassenunterschiede, wir erkannten in ihr eine Facette der angehenden »demokratischen Revolution«.
Die Mode und ihr Doppelgänger Für die moderne Mode ist charakteristisch, dass sie sich im Umfeld von zwei neuen Industriezweigen entwickelte, deren Ziele und Methoden, deren Produkte und deren Ansehen zweifellos nicht zu vergleichen sind, die aber nichtsdestoweniger eine einheitliche Beschaffenheit, ein homogenes, geordnetes System in der Geschichte der Produktion von Oberflächlichkeiten darstellen. Die Haute Couture auf der einen Seite, ursprünglich Couture, »Schneiderei« genannt, und die Konfektion auf der anderen Seite sind die zwei Grundpfeiler der hundertjährigen Mode. Sie bilden ein zweipoliges System, das maßgeschneiderte Luxuskreationen einer serienmäßigen und billigen Massenproduktion gegenüberstellt, die die anspruchsvollen und signierten Modelle der Haute Couture mehr oder weniger imitiert. Schöpfung von Originalen, industrielle Reproduktion: Die entstehende Mode stand unter dem Zeichen einer deutlichen Unterscheidung von Techniken, Preisen, Ansehen und Zielen, die der in Klassen aufgeteilten, nach Lebensstilen und Idealen ausdifferenzierten Gesellschaft entsprach. [Lipovetsky 1987, 80-81]
Die offene Mode Die Mode, wie sie sich uns gegenwärtig zeigt, funktioniert nicht mehr nach dem Vorbild des Systems, das die hundertjährige Mode ausmachte. Seit den 1950er und 1960er Jahren haben organisatorische, soziale und kulturelle Veränderungen den früheren Auf bau so grundsätzlich erschüttert, dass man zu Recht die Ansicht vertreten kann, dass wir in ein neues Stadium der Geschichte der Mode eingetreten sind. Dabei sollte eines klargestellt werden: Das Aufkommen eines neuen Systems bedeutet keineswegs einen historischen Bruch, der sich jeglicher Verbindung mit der Vergangenheit entledigt hätte. Tatsächlich wird in dieser zweiten Phase der modernen Mode das fortgesetzt und verallgemeinert, was die hundertjährige Mode an Modernsten eingeführt hat: eine durch professionelle Modeschöpfer inszenierte orchestrierte Produktion, eine serienmäßige industrielle Herstellung, saisonale Kollektionen, Modenschauen mit professionellen Models zu Werbezwecken. Eine weitreichende organisatorische Kontinuität also, die jedoch die ebenso weitreichende Umgestaltung des Systems nicht ausschließt. Neue Schauplätze und Kriterien für die Modeschöpfung haben sich durchgesetzt, die hierarchische und einheitliche Gestalt ist auseinandergebrochen, die gesellschaftliche und individuelle Bedeutung der Mode hat sich zeitgleich zum Geschmack und dem Verhalten der Geschlechter gewandelt. All das sind verschiedene Aspekte einer Umstruktu-
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rierung, die trotz ihres einschneidenden Charakters die vorrangige Stellung des Weiblichen bestätigt und die dreiköpfige Logik der Mode vollendet: ihre bürokratisch-ästhetische Dimension, ihre industrielle Dimension und schließlich ihre demokratische und individualistische Dimension. [Lipovetsky 1987, 125]
Die vollendete Mode Wo beginnt die Mode und wo endet sie, in einer Zeit, in der Bedürfnisse und Medien, Werbung und Freizeitangebote für die Massen, Stars und Hits wahrlich explodieren? Was wird nicht mehr, oder zumindest teilweise nicht mehr, von der Mode gesteuert, wenn die Vergänglichkeit die Welt der Dinge, der Kultur und der Sinngebung regiert, wenn das Prinzip der Verführung das tägliche Umfeld, die Nachrichten und die politische Bühne von Grund auf neu organisiert? Die Mode explodiert, sie hat kein Epizentrum mehr, sie ist nicht länger das Privileg einer gesellschaftlichen Elite, alle Klassen werden in den Taumel von Veränderung und Begeisterung mitgerissen. Basis und Überbau sind, wenn auch in unterschiedlichem Maße, der Herrschaft der Mode unterworfen. Wir befinden uns in der Zeit der vollendeten Mode, der Zeit der Ausweitung ihres Systems auf immer weitere Bereiche des gemeinschaftlichen Lebens. Es handelt sich immer weniger um einen spezifischen und peripheren Bereich, sondern vielmehr um eine allgemeine Form, die die gesamte Gesellschaft prägt. Die Mode überschwemmt alles und der Dreischritt, der sie ausmacht – Vergänglichkeit, Verführung und minimale Unterscheidung – entfaltet sich nun überall und immer stärker. Die Mode hat sich verlagert, sie ist nicht mehr mit dem Luxus der Erscheinung und dem Überfluss gleichzusetzen, sie steht für den dreiteiligen Prozess, der das Profil unserer Gesellschaften von Grund auf erneuert. Mit der außerordentlichen Ausweitung dieser dreipoligen Struktur haben die modernen Gesellschaften einen entscheidenden Richtungswechsel vorgenommen, der sie radikal von den Gesellschaftsformen des 17. und 18. Jahrhunderts unterscheidet. Eine neue Generation bürokratischer und demokratischer Gesellschaften ist entstanden, die von »Leichtigkeit« und frivoler Oberflächlichkeit geprägt ist. Keine aufgezwungene Disziplin mehr, sondern Sozialisierung mittels Wahlmöglichkeit und Bildern. Keine Revolution mehr, sondern Schwärmerei für Bedeutungen. Keine ideologische Feierlichkeit mehr, sondern Kommunikation durch Werbung. Keine Strenge mehr, sondern Verführung durch Konsum und Psychologismus. Innerhalb weniger Jahrzehnte haben wir uns von der Vorherrschaft harter Ideologien und dem für das heroische Stadium der Demokratien charakteristische Schema der Disziplin befreit; die zeitgenössischen Gesellschaften haben sich auf Fertigpakete und Express-Dienstleistungen umgestellt. Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass wir alle Bindungen zu unseren Ursprüngen zerrissen hätten: Die frivo-
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le Gesellschaft liegt nicht außerhalb eines von Wettbewerb und Bürokratie geprägten Universums, sie tritt in ein Stadium ein, das von Flexibilität und Kommunikation bestimmt ist. Sie befindet sich nicht außerhalb der demokratischen Ordnung, sie vollendet diese Ordnung im Fieber des Spektakulären, in der Unbeständigkeit der Meinungen und der sozialen Mobilisierungen. [Lipovetsky 1987, 183-184]
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E INLEITUNG Mit Sex and Suits (dt. 1995 Anzug und Eros) legte die US-amerikanische Kunsthistorikerin Anne Hollander (1930-2014) 1994 ein Buch vor, in welchem sie sich deutlich von John Carl Flügels These abgrenzt, Männer hätten sich seit dem späten 18. Jahrhundert von der Mode abgewandt, indem sie begannen, sich in schlichten, uniformen Anzügen in gedeckten Farben zu kleiden.1 Stattdessen zeigt sie, dass Männerkleidung seit dem Aufkommen der Mode um 1300 moderner, vielfältiger, körperbezogener und -betonter als Frauenkleidung gewesen ist 2 und dieser immer wieder als Vorbild diente. Der moderne, dreiteilige Männeranzug zeuge keinesfalls vom »großen männlichen Verzicht«, wie Flügel behauptet (vgl. das Kapitel zu Flügel in diesem Band), er stelle auch keine Antimode dar, sondern er führe das jahrhundertelange Progressive der Männerkleidung fort und setze eine weitere neue Mode, die Frauen ebenfalls versuchten zu kopieren – allerdings erst im 20. Jahrhundert mit Erfolg. Hollander zufolge entspreche der Anzug dem um 1800 wiederentdeckten antiken männlichen Akt, »übersetzt in Schneiderkunst« (Hollander 1995, 155), und aufgrund seiner Körperbetontheit bewirke er die Erotisierung des Körpers seines Trägers. Als Material dienen Hollander, wie schon in Seeing through Clothes (1978), Werke der bildenden Kunst. Damit steht sie für einen Forschungszweig in der 1 | Auch andere Untersuchungen folgten dieser Spur und entdeckten beispielsweise den Mann im 19. Jahrhundert als Konsumenten von Mode, wie etwa Christopher Breward in The Hidden Consumer (1999). Siehe auch den Abschnitt zu Mode und Gender im vorliegenden Band. 2 | Während weibliche Kleidung das seit der Antike übliche Drapieren, das Um- und Verhüllen des Körpers (insbesondere der Beine) mit Stoffen im Wesentlichen fortführte, liege der modernen männlichen Kleidung die Vorstellung von einem zergliederten Körper zugrunde. Das heißt: Der Körper werde in einzelne Partien unterteilt, für die separate Kleidungsstücke geschneidert wurden, welche auf dem Körper des Trägers wieder zusammengefügt werden und die einzelnen Teile betonen (vgl. Hollander 1995, 74 u. 80).
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Kunstgeschichte, der Kleidung und Kleidermode vor allem anhand von Bildquellen stilgeschichtlich, d.h. die Veränderungen visueller Formen, untersucht. Obwohl Hollander in beiden Monografien chronologisch vorgeht, bedienen ihre Analysen nicht die gängigen ›großen Meistererzählungen‹ der Kostüm- und Modegeschichte, sondern entwickeln aus dem visuellen Material heraus neue Sichtweisen. So untersucht sie in Seeing through Clothes Kunstwerke wie Reliefs, Gemälde, Fotografien und zeigt u.a., wie zeitspezifische Kleidung bzw. Kleidermode und die Formen bekleideter Körper Einfluss auch auf die künstlerische Darstellungen nackter Körper, ihrer Proportionen und Silhouetten haben. Kurz: Unbekleidete und damit vermeintlich gleichbleibende natürliche Körper sehen in visuellen Repräsentationen unterschiedlicher Epochen immer anders aus. Trotz der fehlenden Kleidung finden sich sichtbare Spuren der jeweiligen Kleidermoden und ihrer im Bild selbst abwesenden Artefakte (vgl. Hollander 1978, S. viii). Auch nackte Körper gehen mit der (Kleider)Mode bzw. folgen ihr. Das von der Modetheorie nach Baudelaire lang vernachlässigte Wechselspiel zwischen Körper und Kleid rückt hier erstmals wieder in den Fokus, besonders die Gemachtheit und Fiktionalität von Körpern. Während Baudelaire und andere frühe Modetheoretiker Mode als reine Frauenangelegenheit sehen, schreibt Hollander in Anzug und Eros gegen diese verengte Perspektive des 19. und frühen 20. Jahrhunderts an. Entgegen jeder behaupteten strikten Trennung sind für sie Männer- und Frauenkleidung bzw. ihre visuellen Formen stets aufeinander bezogen. Diese wechselseitige Beziehung liege in der Sexualität begründet, Hollander zufolge dem wesentlichen »Motor« (Hollander 1995, 56) der Mode. Die Zweigeschlechtlichkeit finde Ausdruck in den unterschiedlichen visuellen Formen der Kleidung, die nicht nur die Differenz markieren, sondern gleichzeitig Spannung und Begehren zwischen den Geschlechtern erzeugen sowie individuelle und wandelbare (erotische) Phantasien illustrieren sollen. Dieser Ansatz, dass Kleidung darauf abziele, die sexuelle Attraktivität ihres Trägers zu steigern und die Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken, ist so neu nicht. Allerdings galt dieses Schmuckbedürfnis den früheren Theoretikern zufolge häufig nur für Frauen, Kinder, ›Primitive‹ und, bis zu Hollanders Revision, nicht für den modernen Mann. In den einleitenden Abschnitten von Anzug und Eros wird ein weiterer Aspekt von Hollanders Modeverständnis deutlich: dass es sich bei Mode um ein hauptsächlich visuelles Phänomen handelt. Das Wechselspiel der materiellen Gegebenheiten von Körper und Kleid bringe unterschiedliche »visuelle Schemata« (ebda., 26) hervor, deren Veränderungen ähnlich unvorhersehbaren und imaginativen Prinzipien folgen würden wie die Kunst. Wie diese sei Mode nie das 1:1-Abbild einer Zeit oder einer Gesellschaft. Die visuellen Formen und Bilderwelten der Kleidermode gehen nicht, wie »traditionelle Bekleidung«, d.h. »Nicht-Mode« (ebda., 36), es tut, in einer einzigen Bedeutung bzw. »eindeutigen Zuschreibungen« (ebda., 39) auf.
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Gemäß dieser Modedefinition gibt es in den westlichen Industrienationen gegenwärtig nichts außer Mode. Kleidermode sei der »allgemeine Zustand aller westlichen Kleidung« (ebda., 23). Wenn Hollander Anfang der 1990er Jahre bemerkt, dass Kleidermode nicht mehr auf den Westen beschränkt sei, sondern von Ländern der »dritten Welt« adaptiert werde, dann deutet das bereits die Grenzen ihrer Untersuchung an: das (auch historische) globale Entstehen und Wirken der Moden, lokale Modeszenen jenseits etablierter wie Paris, Mailand usw., sowie postkoloniale Studien, die die Einseitigkeit der Einflussnahme (d.h. westlicher Vorbilder auf ›traditionelle‹ Gesellschaften) infrage stellen – Themen, derer sich die Modeforschung in den letzten Jahren angenommen hat (vgl. den Abschnitt zur globalen Mode im vorliegenden Band).
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A NZUG UND E ROS . E INE G ESCHICHTE DER MODERNEN K LEIDUNG (1994) Einleitung Sex und moderne Form […] Ich habe die moderne Herrenbekleidung zur Grundlage meiner Geschichte gemacht, weil ich zu der Überzeugung gekommen bin, daß im gemeinsamen Verlauf der Geschichte der Mode die männliche Bekleidung immer eindeutig fortschrittlicher war als die weibliche, und sie hatte die Tendenz, Vorbild zu sein, den Standard zu setzen, ästhetische Vorschläge zu machen, auf die die weibliche Mode reagierte. Die Bekleidung der Männer war seit dem Mittelalter formal interessanter und innovativer und weniger konservativ als die der Frauen, und ich finde, daß die Erfindung moderner Anzüge ein gutes Beispiel für genau diesen Trend ist. Aber ich glaube auch, daß jede richtige Darstellung der Kleidung beide Geschlechter zusammen im Auge haben muß, was ich in meinen folgenden Betrachtungen auch tun werde. In der modernen Mode ist die sexuelle Konnotation ausschlaggebend; Kleider wenden sich zuallererst an das Ich, und erst danach an die Welt. Kleine Kinder lernen, daß Kleider ihnen eine private Identität geben, Vorstellungen vom eigenen Körper definieren, die mit eigenen Vorstellungen von Sexualität beginnen. Wenn man diese Definition ausweitet, wird die in der Öffentlichkeit getragene Bekleidung von Erwachsenen schließlich zu einer reziproken sexuellen Geste in einer generell zweigeschlechtlichen Welt. Die zur Zeit weitverbreitete Aufregung über Transvestismus zeigt nur, wie fest wir immer noch an die symbolische Trennung der Bekleidung von Männern und Frauen glauben, obwohl sie sich doch zu vielen Gelegenheiten gleich anziehen. Aber ganz egal wie ähnlich oder wie verschieden die Kleidung von Männern und Frauen scheinen mag, das Arrangement der einen wird immer in Hinblick auf die andere gemacht. Männliche und weibliche Kleidung zusammengenommen illustrieren, wie sich die Menschen die Beziehung zwischen Männern und Frauen wünschen, abgesehen davon, daß sie auf den jeweiligen Frieden hinweisen, den jedes Geschlecht, wann auch immer, mit der Mode oder mit den Sitten macht. Ohne sich anzusehen, was Männer tragen, ist es unmöglich, die Kleidung der Frauen zu verstehen und umgekehrt. Die Geschichte der Kleidung, einschließlich ihrer gegenwärtigen Geschichte, muß insofern als Duett von Männern und Frauen wahrgenommen werden, die auf derselben Bühne spielen. Es mag eine Zeit kommen, in der nicht mehr die Vorstellung herrschen wird, daß die Mode in zwei geschlechtliche Hauptkategorien aufgeteilt wird; aber einstweilen ist es noch so. [Hollander 1995, 15-17]
Anne Hollander
Was Mode ist Teilweise als Reaktion auf die große Kluft, die die Geschlechter während der letzten zwei Jahrhunderte trennte, hat die Mode eine scharfe Reduktion erlebt. Mit der Durchsetzung der kollektiven Gewißheit, daß mächtige Männer sich nüchtern und einander ähnlich anziehen mußten und die Kleidung der Frauen die ganze Last bewußter persönlicher Phantasien zu tragen hatte, wurde die Mode zur »Mode«, zu einer der riesigen neuen Industrien, die speziell auf weibliche Konsumenten zielen, statt etwas zu sein, an dem Männer und Frauen dasselbe Interesse zeigten. Am Ende des 20. Jahrhunderts bedeutet »Mode« immer noch hauptsächlich die Veränderung von Frauenkleidung, die in Konzeption und Vermarktung genauso wahrgenommen wird wie das Unterhaltungsgewerbe, und manchmal in Verbindung mit ihm. »Mode« ist das, was in den Medien und in den Designer-Kollektionen in Geschäften unter diesem Namen erscheint, nachdem sie sich zuerst auf dem Laufsteg präsentiert hat. Wie im gesamten Showbusineß wird sie mit berühmten Namen und deren berühmten Charakteristika in Verbindung gebracht. Die Stars der »Mode« erscheinen, gedeihen und verblassen, neue Themen und Formen blühen, bis sie von anderen zugedeckt oder überlagert werden, und alles vollzieht sich im Kontext des großen und aufregenden Unternehmerrisikos. Frauen nehmen »Mode« ernst oder auch nicht, je nach ihrem Lebensstil, ihren Mitteln und Ansichten. Jede Frau kann die Mode ignorieren, hat aber auch jederzeit das Recht, sie mitzumachen. Die Kleidung der Männer ist offenkundig nicht direkt Teil der »Mode«, da »Herrenmode« eine anerkannte Unterabteilung ist und kaum den Ruhm und die Resonanz hat, die der »Mode« eigen ist. Es werden mittlerweile einige Anstrengungen unternommen, das Verhältnis auszugleichen und etwas Aufregenderes aus der »Herrenmode« zu machen, aber bis dahin ist es noch ein langer Weg. Die meisten Männer ignorieren noch immer, entsprechend den Regeln der Moderne, die »Herrenmode« in ihren Showbusineß-Aspekten, und sie haben das Gefühl, daß sie ihnen nicht wirklich zur Verfügung steht, nicht wirklich an sie adressiert ist. Nach allgemeiner Vorstellung interessiert sie nur wenige Männer, die darüber hinaus nicht wichtig sind. Sehr auffällig und bizarre männliche Bekleidung wird anderseits stets und vor allem von denjenigen getragen, die keine Macht haben, von denen, die sich nicht im Zentrum des Lebens bewegen. Sie wird jedoch für die Mainstream-Mode aller Männer immer wichtiger, was mit einer wachsenden Unzufriedenheit mit der traditionellen männlichen Modernität einhergeht. Jeder muß sich fortwährend morgens anziehen und sich an die tägliche Arbeit machen. Was jedermann dabei trägt, hat in der westlichen Welt in siebenhundert Jahren verschiedene Formen angenommen, und das ist und war die Mode, wie ich sie ohne Anführungszeichen verstehe. Die Mode hat beide Geschlechter in gleicher Weise betroffen, und niemand, der Augen hat, kann
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ihr entkommen; sie ist jetzt der allgemeine Zustand aller westlichen Kleidung, was sie zunehmend seit der frühen Neuzeit geworden ist. Sie manifestiert sich ganz unterschiedlich, so daß viele verschiedene Moden, kleine und große, zur gleichen Zeit florieren. Meistens macht man in der Mode mit, nicht um modisch zu sein, sondern um richtig auszusehen. »Modisch sein« ist eine sehr bewußt erreichte Art, zu jeder beliebigen Zeit und an jedem Ort modisch – das heißt richtig – auszusehen. Die Wechselhaftigkeit des Urteils darüber, was richtig aussieht, ist nicht neu und war nie bewußt zu dem Zweck erzeugt, Frauen den männlichen Willen oder der Bevölkerung den kapitalistischen Willen oder dem öffentlichen Geschmack den Willen der Designer aufzuzwingen. Lange vor der Zeit der Industriemode erfreute sich die stilistische Bewegung in der westlichen Welt einer tiefen emotionalen Bedeutung, gab dem Leben der Menschen eine dynamisch poetische, visuelle Form und machte die westliche Mode in der ganzen Welt verbindlich. Mit dem neuen globalen Bewußtsein übt sie jetzt einen Reiz auf die Zivilisationen aus, die nie eine Geschichte modischer Zyklen hatten und die stolz darauf waren, sie nicht zu haben. Die Mode hat ihre eigene manifeste Tugend, die mit den Tugenden der individuellen Freiheit und der unzensierten Phantasie, die immer noch demokratischen Idealen zugrunde liegen, zusammenhängt. [Hollander 1995, 22-24] Kleidung zeigt, daß die visuelle Form aus sich selbst heraus existiert, unabhängig von praktischen Kräften in der Welt, und daß es ihr möglich ist, die Menschen zu befriedigen, sich selbst zu perpetuieren und ihre eigene Wahrheit, getrennt von linguistischer Referenz und thematischer Anspielung, herzustellen. Formen überleben und werden wieder in vielen Varianten verwendet, wobei ihre bleibende visuelle Anziehung verschiedene temporäre Bedeutungen annimmt. Die Sprache der Kleidung ist im wesentlichen sprachlos – sie wurde erschaffen, um jenseits des bewußten Denkens und Ausdrucks frei operieren zu können. Mode und Kunst zeigen, daß visuelle Befriedigung ihre eigenen eindeutigen Gesetze hat und daß diese in ihrer imaginativen Sprache mit der Sexualität verwandt sind. Die Beziehung zwischen der Bilderwelt der Mode und den realen Bedingungen in der Gesellschaft wird also durch den imaginativen Prozeß verkompliziert, in dem Perversionen und Verdrängungen stecken, die der einfachen Analyse dessen, was die visuellen Schemata der Mode erschafft, trotzen. Das Verständnis der Mode wird daher ständig durch die Rhetorik erschwert, die sie umgibt, durch die emotional oder kommerziell motivierten Bemerkungen, die einen verwandelnden Zauber auf ihre formalen Elemente werfen können. Deshalb wirken Moden oft so lächerlich wie ihre Interpretationen. [Hollander 1995, 26-27]
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Das Werk der Mode Mode, Nicht-Mode und Anti-Mode Was unterscheidet Mode von anderen Formen der Bekleidung? Wie funktionieren die Unterschiede und wie werden sie wahrgenommen? Die Welt hat seit Beginn ihrer Geschichte viele Arten von Bekleidung erfunden. Aber als die Mode im späten Mittelalter auftauchte, war sie anders als alles andere zuvor, denn sie schaffte ein verbindliches System der westlichen Eleganz. Die westliche Mode hat seither ihre einzigartige Methode beibehalten, sich mit dem menschlichen Körper zu befassen. Sie hat eine ereignisreiche visuelle Geschichte erschaffen, die ziemlich wenig mit dem zu tun hat, was ich Nicht-Mode nenne: die Summe der anderen Entwicklungen von Kleidung und Schmuck, die überall auf dem Erdball konzipiert und fortgesetzt wurden. Westliche Einstellungen gegenüber der Mode veränderten sich, ebenso das westliche Gespür gegenüber der NichtMode, das immer noch einen stets präsenten Kontrapunkt zur Mode und zur Welt des bekleideten Auftretens bildet. Die Wesensmerkmale beider sind es wert, untersucht zu werden, um einige dieser Einstellungen zu begreifen. Die Kleidermode ist dem Risiko, der Subversion und der ungleichmäßigen Vorwärtsbewegung verpflichtet. Sie erzeugt schnelle Wechsel des visuellen Designs für den ganzen Körper, aber sie betrifft auch winzige Details und steuert langsame Veränderungen – daher scheint sie ihr eigenes verborgenes Design zu verändern, nicht bloß die auffälligen Erscheinungsformen der Kleidung. Von ihrem Wesen her unzuverlässig, ist sie gleichzeitig gnadenlos weltlich – im Kampf mit den zeremoniellen und vereinheitlichenden ästhetischen Triebkräften, die Gewänder wie den Schador oder den Sari hervorbringen –, und sie sieht alles Ehrwürdige immer mit ironischem Blick. Sie zitiert aus alten Traditionen, ihren eigenen oder anderen, neigt dazu, unaufrichtig und ungenau zu sein, skandalös und komisch. Die Mode zelebriert visuell das Irrationale, hält lieber die Spannung aufrecht, als die Lösung zu suchen, und sie genießt das schnelle Vergnügen vorläufiger Arrangements, statt permanente ästhetische Lösungen zu suchen oder irgend etwas, das rein praktisch oder nützlich ist. Selbst in der relativ unspektakulären Geschichte der modernen Herrenschneiderei war die Mode anmaßend lebendig, verwendete neue aufschlaglose Hosen, um Aufschläge lächerlich erscheinen zu lassen, oder brachte superschmale Krawatten hervor, um breite Krawatten zu übertrumpfen. Die Mode macht sich über vernünftige Erfindungen in der Kleidung lustig, unterzieht sie einer unfunktionellen Verwendung, sobald sie auftauchen, so daß sie authentisch begehrenswert erscheinen und nie bloß praktisch. Das ist mit Gürteln, Taschen und Verschlüssen jeder Art geschehen, mit Helmen, Schürzen und Stiefeln; kaum werden sie in Gebrauch genommen, benutzt man sie schon spielerisch. Bequemlichkeit wird nicht aufgeopfert, aber sie nimmt schnell den zweiten Platz hinter dem Anschein von Bequemlichkeit
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ein. In der imaginativen Kunst der Mode befriedigt ein solcher Look ein viel stärkeres Verlangen als den Wunsch nach einem nützlichen Ding: bei der tatsächlichen Kleidung überdauert der Look immer den Nutzen. […] Die meisten der bedeutungsvollen Bezüge in der Mode sind im Aussehen gewöhnlich angezogener Personen in jedem beliebigen Moment verdeckt, weil Mode hauptsächlich damit befaßt ist, ihre eigene formale Geschichte auszuagieren und höchst lebhaft nur auf sich selbst reagiert – wie viele andere moderne Künste auch. Was sich immer zuerst zeigt, ist das Zeichen für das Eigenleben der Mode, der wechselhafte Fluß von Form und Linie – sich verbreiternde Schultern und kürzer werdende Röcke oder das Gegenteil; was früher Unterbekleidung war, ist heute Oberbekleidung oder umgekehrt, langes Haar oder kurzes Haar, Bärte oder keine – wobei alle noch übrig gebliebenen Erscheinungen im Lichte von ein paar neuen unablässig verwandelt aussehen. […] Aufgrund der indirekten repräsentativen Funktion der Mode ist es fast unmöglich, formalen Details eine unumkehrbare, unmittelbare Bedeutung zuzuschreiben. Die wirklich expressive Bedeutung wird per definitionem der etablierten Erwartung entkommen und frei zwischen unbewußten Bestrebungen und Nostalgien in der imaginativen Welt schweben, von denen viele nicht mehr nachvollziehbar sind. Nur die Form selbst kann manchmal bis zu ihrer Quelle zurückverfolgt werden. Es hat sich gezeigt, daß die Form in der Mode sich in sehr allgemeinen Zyklen bewegt, so daß etwas, das plötzlich wunderbar aussieht, auf etwas verweisen kann, das etwa 25 Jahre früher wunderbar aussah, oder sogar fünfzig oder hundert Jahre früher; die Veränderung wird dann Wiederbelebung genannt. Für die soziale Bedeutung ist jedoch nur wichtig, wer es im Augenblick trägt, nicht warum; und wer es trägt, wechselt – ebenso wie die Form selbst es tut. Das Voranschreiten der modernen Kultur erfordert, daß die Mode um ihrer selbst willen fließende Bilder anbietet, um das Ideal immerwährender Zufälligkeit visuell präsent zu halten. Die Bedeutung läßt sich von der Form völlig ablösen, so daß die Wiederbelebung von Formen früherer Tage nichts mit der Wahrnehmung früherer Tage zu tun haben muß; ein neuer Reiz macht sie visuell wieder attraktiv, und eine neue Bedeutung wird ihnen beigemessen. Ein visueller Bezug auf die Vergangenheit kann natürlich beabsichtigt und pointiert historisch sein, einschließlich seiner Bedeutung, aber er muß es nicht notwendig sein. Die Mode verabscheut Fixierung von Form oder Bedeutung, von Wissen oder Gefühl oder von Vergangenheit. Modische Kleidung hat daher einen immanent kontingenten Charakter, der allen Bekleidungen und Trachten anderer Kulturen und den meisten Kleidungsstücken fehlt. Traditionelle Kleidung, alles, was ich Nicht-Mode nenne, funktioniert anders. Sie erzeugt ihre visuellen Projektionen primär, um Bestätigung des etablierten Brauchs zu illustrieren und den Wunsch nach stabiler
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Bedeutung zu verkörpern, selbst wenn sich die Sitten ändern – sie ist normativ. Gewiß ändert sich auch die Form in der Nicht-Mode, alle traditionelle Bekleidung hat, wie die Sitten, eine Entwicklung durchlaufen, wobei einige Elemente verkümmern, andere neue Lebenskraft erlangen, während das Leben der Gemeinschaft fortdauert. Aber selbst wenn sich das Aussehen traditioneller Kleidung im Laufe der Zeit beträchtlich verändert, ist die formale Beziehung von neu zu alt direkt, eine gradlinige Adaption, nie ein unvoreingenommener Kommentar des Neuen über das Alte oder der subversive Versuch, es zu unterminieren. Das liegt daran, daß das Neue nicht aus einer Spannung erwächst, die dem formalen Vokabular selbst innewohnt, wie dies bei der Mode der Fall ist. Neue Dinge können von außerhalb der Tradition kommen, vielleicht von der Kleidung oder den Besitztümern von neu ins Land gekommenen Sklaven oder Eroberern, von Händlern oder Nachbarn – oder vielleicht in letzter Zeit von Anthropologen und Journalisten eingeführt worden sein, ohne das Grundkonzept von Kleidung als Brauch zu verändern. In der Nicht-Mode werden neue Dinge assimiliert oder einfach hinzugefügt, wie beim traditionellen Tanz oder bei traditioneller Musik. Alle Nicht-Mode übermittelt primär ein Ideal der Gewißheit und demonstriert eine Verbindung zu einer festen Kosmologie: das ist die Art und Weise, wie wir Dinge tun, weil wir wissen, was zu tun ist. Um überhaupt wirksam zu werden, müssen Veränderungen im bleibenden Schema absorbiert werden. Nicht-Mode legt nahe, daß ihre Träger seit langem alle fundamentalen Fragen gelöst und das aktive Leben des Zweifels und der Fragen ausgelöscht haben; statt dessen bietet sie große Schönheit und Authentizität der Form, große Subtilität der Farben und Muster und viele Varianten und Ebenen symbolischer Bedeutung, die über Generationen hinweg verfeinert wurden. In traditionellen Gesellschaften ohne die unruhige, sich selbst vorantreibende Mode kann Kleidung eine unmittelbar nachvollziehbare Bedeutung haben, in ihren Formen, in ihrer Art, getragen zu werden, in dem Charakter der Verzierungen, die alle direkt mit dem Wesen des in ihren Formen überlieferten Lebens verbunden sind. Sie kann, um so zu wirken, relativ gleichbleiben. Solche Kleidungssysteme können, wenn sie wirklich existieren, ohne Zweifel genauere gesellschaftliche Spiegel bilden, als es der Mode je gelingt; sie sind nicht so sehr Repräsentation als direkter Ausdruck. Manche Bauerntrachten besitzen für spezifische soziale, zeremonielle und persönliche Anlässe exakte Formen, wobei regionale Unterschiede vorgesehen waren, so daß Kleidung und anderer Schmuck ein ziemlich vollständiges Bild der Stellung der jeweiligen Person während ihres ganzen Lebens zeichnen konnten. Die formalen Details hatten eher traditionelle als assoziative Ursprünge; sie hatten die gleiche Form wie in der Vergangenheit, und dies machte ihre ganze Bedeutung aus. Solche Formen entwickelten sich, obwohl manchmal die eine oder andere von
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modischer Kleidung gestohlen worden war und sie sich dann weiterentwickelte, als ob sie immer traditionell gewesen wäre. [Hollander 1995, 31-37] Westliche Männer fühlen sich offenbar seit Generationen einer breiteren Palette der Mode nicht gewachsen – grob gesprochen seit 1800, als die romantische westliche Sicht der Natur zusammen mit der romantischen Sicht der Volkstracht ins Blickfeld rückte. Letztendlich scheinen sie sogar nach und nach aus der Männermode eine Art imitierter traditioneller Kleidung geschaffen zu haben, fast ein pseudo-ethisches Kostüm, etwas mit klassifizierten und sehr begrenzten ästhetischen Anforderungen, das allgemeinen Respekt genießt und persönliche Phantasien meidet – etwas, das verstohlen und fälschlicherweise wie Nicht-Mode aussehen kann. Aber lassen wir uns nicht täuschen; es handelt sich immer noch bloß um eine Anti-Mode, wie viele andere, die wir erlebt haben. Die außerordentliche Dauerhaftigkeit der Herrenschneiderei seit zwei Jahrhunderten, während einer Zeit extremer gesellschaftlicher Umbrüche und wissenschaftlichen Fortschritts, hat verschiedene Erklärungen hervorgebracht. Auf einige werde ich später eingehen. Eine jedoch ist auf den ersten Blick schlicht zu einfach: John Carl Flügel nannte sie die »Große männliche Verweigerung«. Dahinter verbirgt sich die Idee, daß zu dem Zeitpunkt, als die Mode gegen Ende des 18. Jahrhunderts flatterhaft wurde, die Männer einfach, wie aus Protest, ausstiegen. Eine andere, weniger dezidierte Art der Erklärung war, daß Männer sich feige aus den Risiken und Freuden der Mode zurückzogen und daß ihre Kleidung seither ziemlich langweilig geworden ist. Ein hastiger Blick auf männliche und weibliche Mode seit 1800 könnte leicht die falsche Vorstellung hervorrufen, daß sich die Männer bis zum späten 20. Jahrhundert weitgehend aus dem Spiel herausgehalten haben; und ein feindseliger Blick auf die weibliche Mode könnte suggerieren, daß sie damit einer alternativen und überlegenen Art des Verhaltens Nachdruck verleihen und einen lebendigen visuellen Einwand gegen die extremen Forderungen erheben wollten, die Mode stellen kann. Natürlich konnten dann die Frauen, die diesen Forderungen nachkamen, verachtet werden. Spät in diesem Jahrhundert begannen einige Frauen, solchen öffentlichen Einwänden zuzustimmen, und ihre Zustimmung nahm oft die Form an, daß sie mit religiösem Eifer das männliche Schema kopierten und das weibliche verurteilten. In den siebziger Jahren prahlen bestimmte Feministinnen damit, daß sie keinen Rock besäßen, als ob sie damit den vollständigen Rückzug aus der Mode ankündigen wollten, wie es angeblich die Männer getan hatten. Die Wahrheit ist, daß die Männer die Mode überhaupt nie hinter sich gelassen haben, sondern daß sie einfach Teil eines anderen Schemas waren. Seit 1800 war die Herrenkleidung erstaunlich variabel und ausdrucksvoll, mindestens so unterschiedlich und phantasievoll wie die Frauenmode, aber sie schien stän-
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dig in Opposition zur weiblichen Methode zu stehen, von der sie effektiv in den Schatten gestellt worden war. […] Die moderne Männermode ist tatsächlich eine eindrucksvolle Errungenschaft modernen visuellen Designs, da sie ein etabliertes Set formaler Regeln verwendete, ähnlich den klassischen Vorschriften der Architektur, während sie gleich viele Veränderungen aufwies wie die Frauenmode. Wie andere Aspekte modernen Designs war sie eine wichtige Illustration moderner Ansichten und Empfindungen – worin Mode nach allgemeiner Meinung besteht – und nicht ein Rückzug aus ihnen. Trends der modernen weiblichen Mode haben tatsächlich die Vorstellung unterstützt, indem Frauen zunehmend Stücke männlicher Gewandung für jeglichen Zweck benutzten, wobei sie häufig aus der Mode gekommene Elemente trugen, die Männer aufgegeben hatten, die aber immer noch zum modernen Kanon gehörten und visuell befriedigten. Die Frauenmode, so auffällig, so »modisch« sie ist, wurde oft benutzt um zu zeigen, wie interessant Männermode wirklich ist. [Hollander 1995, 42-45]
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10. Gertrud Lehnert E INLEITUNG Mit dem komplexen Phänomen Mode beschäftigt sich die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Gertrud Lehnert seit zwei Jahrzehnten, und sie hat zu einer performativen Ästhetik und Theorie der Kleidermode beigetragen. »Mit Mode meine ich im Folgenden eine Konstellation aus (mindestens) vier Aspekten: 1. Das sind zunächst die vestimentären Objekte selbst, also Kleider, und zwar solche, die nicht in ihrer Funktionalität aufgehen, sondern einen ästhetischen Überschuß haben; 2. damit eng verbunden ist das Prinzip der Neuheit […]; 3. entsteht Mode erst in unserem Umgang mit Kleidern auf verschiedensten Ebenen […]; und 4. umfaßt Mode auch die Modeindustrie […].« (Lehnert 2008b, 89)
Vor dem Hintergrund der performativen Wende in den Geistes- und Sozialwissenschaften, dabei vor allem dem Performativitätskonzept Judith Butlers folgend, entwickelt Gertrud Lehnert eine Modetheorie, die insbesondere die Materialität(en) der Kleidermode in den Fokus rückt, und zwar das vestimentäre Objekt und den Körper, sowie die dynamische Beziehung zwischen beiden. Diese Dynamik gründet im Handeln, im Tun, in Praktiken von sowohl Individuen als auch Institutionen. Um dieses Tun zu analysieren, verwendet sie zentrale Begrifflichkeiten aus den Theaterwissenschaften wie Inszenierung (als einem Erscheinenlassen) und einen erweiterten Aufführungsbegriff. Mode sei die Aufführung von Kleidern an Körpern und in Räumen (vgl. Lehnert 2003, 216 u. 2004, 265). Konstitutiv für jede Visualisierung und Diskursivierung als bzw. von Kleidermode sei das Wechselspiel vom dreidimensionalen, lebendigen Körper und dem Kleid. Damit greift sie ein zentrales Moment der Modetheorie auf, das bereits Charles Baudelaire herausgestellt hatte: die Bezogenheit jedweder Kleidung, Accessoires, Schmuck und Schminke auf den Körper und deren produktive Kraft, diesen Körper hervorzubringen – und zwar als einen ästhetisch gestalteten wie auch geschlechtlich markierten. Gleichzeitig verlebendige körperliche Bewegung die vestimentären Artefakte. Was aus dem Aufeinandertreffen und der Wechselbeziehung von Kleid und
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Körper hervorgehe, sei ein »Drittes« (Lehnert 2013a, 55), und zwar der sogenannte »Modekörper«, der »mehr ist als die Summe seiner Teile« (ebda., 51). Im Kontext der Gender und Queer Studies kritisiert Gertrud Lehnert das Ausdrucksmodell, demzufolge Kleidung anzeige, welchen realen anatomischen Körper und welches natürliche Geschlecht sie unter ihren Hüllen verberge. Stattdessen seien Kleidung und Kleidermode keinesfalls Ausdruck von oder für einen vorgängigen natürlichen Körper, vielmehr würden sie Körper ebenso wie deren Geschlechterdifferenz erst hervorbringen (vgl. Lehnert 1998a u. 2003). Die Körper, die sie erzeugen, seien »fiktional« (vgl. Lehnert 2001a und 2001b); d.h., historisch variable Fiktionen von männlichen und weiblichen Körpern. In sich wiederholenden Inszenierungen realisieren und materialisieren sich diese und andere Fiktionen (wie beispielsweise ›eine‹ Persönlichkeit), Ideale, aber auch Normen. Auch Modepuppen, etwa Barbies, würden zur Erschaffung spezifischen Vorstellungen von Weiblichkeit beitragen (vgl. Lehnert 1998a u. 2014a). Im Rahmen einer ästhetischen Theorie der Mode plädiert Lehnert dafür, dass sich die Rezeption und Produktion von Kleidermode bzw. Modekörpern nicht im Ausdrucksmodell erschöpften. Zwar würden Kleider und bekleidete Körper aufgrund ihrer Inszeniertheit stets dazu einladen, zeichenhaft, d.h. als etwas bedeutend wahrgenommen zu werden. Jedoch seien die ihnen zugewiesenen Bedeutungen höchst instabil, sodass Gertrud Lehnert der Beobachtung Roland Barthes’ folgt, Kleidermode repräsentiere nicht etwas ›als‹, sondern verweise letztendlich nur darauf, dass sie Verweischarakter habe (vgl. Lehnert 2001a, 530). Zugleich seien Kleider immer auch »ästhetische Artefakte […], die in Wechselwirkung zu den dreidimensionalen Körpern der Trägerinnen stehen, Raum und Zeit spürbar machen und zu einer ästhetischen Wahrnehmung jenseits aller Deutung aufrufen« (Lehnert 2004, 267). Diese »ästhetische Wahrnehmung jenseits aller Deutung« (eine im Grunde phänomenologische Perspektive) gelte sowohl für das produktive Tun der TrägerInnen als auch das rezeptive der ZuschauerInnen und wird in Anlehnung an Gernot Böhmes Konzept als »ästhetische Arbeit« beschrieben (vgl. Lehnert 2006b, 2008b u. 2013a). Dabei handelt es sich um die Herstellung und das leibliche Spüren von Atmosphären – als etwas, das sich im Hier und Jetzt zwischen Subjekt und Objekt konstituiert und ereignet: zum einen zwischen vestimentärem Artefakt und dem Leib der TrägerIn; zum anderen zwischen TrägerIn und BetrachterIn. Atmosphären sind stets räumlich zu denken und so wundert es nicht, dass Gertrud Lehnert auf die Räumlichkeit des Phänomens Kleidermode eingeht. Hierzu gehören die modischen Körper, die im Aufeinandertreffen von Körper und Kleid dreidimensionale »Raumskulptur[en]« (Lehnert 2001a) erschaffen. Lehnerts Analyse der Modegeschichte unter diesem Aspekt zeigt einen Wandel von der Drei- zur Zweidimensionalität, d.h. eine eher flächig konzipierte
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Mode seit dem 20. Jahrhundert (ebda.). Der Modekörper stehe auch immer im Verhältnis zum ihm umgebenden Raum und der jeweils zeitspezifischen Raumauffassung und -aneignung, wie der hier abgedruckte Auszug verdeutlicht. Zugleich interessiert sie sich für die Räume, in denen Mode zur Aufführung kommt (vgl. Lehnert 2012b u. 2013a) – seien es alltägliche Bühnen wie die Straße, oder institutionelle Räume wie Modenschauen, Museumsausstellungen, kommerzielle wie Warenhäuser (vgl. Lehnert 2010b) oder mediale Räume wie Modezeitschriften oder Blogs.
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D ER MODISCHE K ÖRPER ALS R AUMSKULPTUR (2001) […] Im folgenden möchte ich eine bestimmte Kategorie von Dingen betrachten, in denen sich der menschliche Umgang mit Raum und Zeit besonders augenfällig manifestiert: mit der Kleidung bzw. genauer: mit Mode. Mode kann als eines der wichtigsten kulturellen Medien gelten, um den Körper und sein Verhältnis zur (Um-)Welt zu definieren und zu positionieren. In der Mode verdichtet sich das historischem Wandel unterworfene (Selbst-)Verständnis einer Kultur, das oft erst später beschreibbar wird. Mode wird unmittelbar auf dem Körper getragen, und sie vermag so mit diesem zu verschmelzen, daß es schwer fällt, zwischen dem ›Körper‹ aus Fleisch und Blut und dem ›Modekörper‹ aus Stoff, Pelz oder anderen Materialien zu unterscheiden. Das gilt sowohl für die TrägerInnen bzw. deren Gefühl von sich selbst als auch für die BetrachterInnen. Der starke, wenn auch oft unbewußt wirksame visuelle Reiz, den ein modisch gekleideter Mensch auf andere Menschen ausübt, hat eine Signalwirkung, die, wenn auch alles andere als eindeutig, so doch nie zu ignorieren ist: Sie reizt zu unaufhörlichen Interpretationen, ohne daß diese je zu einem definitiven Ende kommen würden. Die Mode kommuniziert aber natürlich nicht nur ein interpretationsbedürftiges Bild nach außen, sondern gleichzeitig prägt sie das Verhalten und die Körpersprache derjenigen, die sie tragen, ja deren Selbstbild. Zu den wichtigsten Funktionen der Mode gehört zweifellos, wie Georg Simmel sagt, die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe darzustellen und sich gleichzeitig persönlich von anderen Individuen innerhalb dieser Gruppe zu unterscheiden.1 Indessen geht sie in dieser im engeren Sinne sozialen Funktion nicht auf. Mode ist deshalb so reizvoll und so vielfältig und schwer zu fassen, weil sie ein soziales, ein individualpsychologisches, ein kommerzielles und ein ästhetisches Phänomen gleichzeitig ist.2 Mode lebt nicht von der Politik, wenn sie auch oft auf sie reagiert, und sie lebt auch nicht von der erotischen Spannung allein,3 wenn diese sie auch in Bewegung hält: Mode lebt vielmehr ganz wesentlich von der Lust an der ästhetischen Form und am unaufhörlichen und stets erneut überraschenden Wechsel der Formen, der niemals nur politisch, erotisch oder sozial motiviert ist. Die »Zirkulation sozialer Energie«, um 1 | Vgl. Simmel, Georg (1983): Die Mode. In: Simmel, Georg: Philosophische Kultur. Über das Abenteuer, die Geschlechter und die Krise der Moderne. Gesammelte Essais. Berlin: Wagenbach, S. 26-51. 2 | Vgl. hierzu Lehnert, Gertrud (1998): Frauen machen Mode. Modeschöpferinnen vom 18. Jahrhundert bis heute. Dortmund: Edition Ebersbach; Lehnert, Gertrud (Hg.) (1998): Mode, Weiblichkeit und Modernität. Dortmund: Edition Ebersbach. 3 | Vgl. hierzu Steele, Valerie (1985): Fashion und Eroticism. Ideals of Feminine Beauty from the Victorian Era to the Jazz Age. New York: Oxford University Press.
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mit Stephen Greenblatt zu sprechen, läßt sich mithin an der Mode aufs schönste beobachten: Sie gehört zu den markanten Punkten, an denen »soziale Energie« sich verdichtet.4 Als ein Element der kulturellen Bedeutungsproduktion bzw. Materialisierung sozialer Energie weist die Mode selbstverständlich Analogien zu anderen kulturellen Bereichen – zur Inneneinrichtung, zur Architektur, zur Malerei und Literatur, aber auch zur Medizin oder Philosophie oder Ethik – auf; genauso gut kann sie aber auch von Widersprüchen gegenüber den herrschenden Ideen, Vorstellungen, Wahrnehmungen und Theorien charakterisiert werden. Sie kann als Paradigma kultureller Entwicklungen und Brüche gelten, ist aber als solches lange Zeit in der Wissenschaft unterschätzt worden, da man sie als oberflächlichen Tand mißverstand, der einer vermeintlich müßiggängerischen Schicht Privilegierter vorbehalten war. Meine These nun ist, daß Mode eines der bedeutendsten Mittel dafür ist, wie Menschen sich selbst als Raumkörper konstituieren und sich als Körper im umgebenden Raum situieren. Das liegt nicht etwa daran, daß die modische Kleidung reale anatomische Körper und deren Räumlichkeit (oder auch deren Geschlecht) nachzeichnete oder sie optimal zum Ausdruck brächte. Im Gegenteil: Mode ist niemals mimetisch. Sie verbirgt in der Regel die anatomischen Körper und schafft statt dessen durch und durch fiktionale Körper, die sich an der Anatomie oft nur lose und nicht selten ironisch orientieren. Das heißt auch: Mode ist prinzipiell ›prothetisch‹. Sie erweitert den ›tatsächlichen‹ (anatomischen) Körper, gibt ihm Formen, Ausbuchtungen, Auswüchse, Zusätze, aber auch Hilfsmittel, Stützen und Schutzschichten, über die er als nackter Körper nicht verfügt. Diese fiktionalen prothetischen Modekörper prägen umgekehrt unsere Wahrnehmung der nackten Körper. Nicht zufällig empfinden viele Epochen ihre eigenen Moden als ›natürlicher‹ im Vergleich zu vorangegangenen, was nur zeigt, daß die Mode erstaunlicherweise ihre eigene und völlig offensichtliche Konstruiertheit bis zu einem gewissen Grade zu ›naturalisieren‹ vermag. […] Das Verhältnis von Repräsentation und dem, was repräsentiert wird, ist anders als gemeinhin angenommen wird; Körper sind nie einfach, sondern werden immer als bestimmte – nämlich modische oder von der modischen Norm abweichende – Körper wahrgenommen. Die Repräsentation der Körpers ist dem Körper vorgängig, prägt ihn und macht ihn erst zu dem, was er dann schon immer gewesen zu sein scheint.5 […] 4 | Vgl. Greenblatt, Stephen (1993): Verhandlungen mit Shakespeare. Innenansichten der englischen Renaissance. Frankfurt: Fischer. 5 | Das gilt nicht nur, wie es Judith Butler in ihrer Theorie eloquent ausführt, für das Geschlecht des Körpers, sondern für alle seine Merkmale. Geschlecht, so Butler, realisiert sich nur als eine Serie von performativen Akten, die in der Wiederholung zugleich festschreiben und verändern. Vgl. Butler, Judith (1990): Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity. New York: Routledge.
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Die Mode schafft aber nicht nur ›den schönen Körper‹, ein bestimmtes Geschlecht oder eine soziale Zugehörigkeit. Sie kreiert – und darum geht es mir im folgenden – eine spezifische Auffassung des Raumes, ja sie gestaltet auf ihre ureigene Weise den Raum. Das funktioniert nur dann, wenn eine Interaktion des modisch gekleideten Individuums mit anderen modisch gekleideten Individuen einerseits sowie mit dem umgebenden, gestalteten Raum andererseits stattfindet. Diese ist zunächst visuell und von außen wahrnehmbar: Eine Betrachterin sieht, wie modische Körper im Raum angeordnet sind und miteinander agieren. Befindet sich die Betrachterin selbst gewissermaßen ›im Bild‹ bzw. auf der Bühne (und das ist ja die Regel), verfügt sie natürlich nur über eine begrenzte Perspektive. Aber, so meine These: gewöhnlich vermag sie aufgrund ihrer kulturellen und modischen Kompetenz unbewußt ihre Umgebung zu einem Gesamttableau zu (re-)konstruieren, in dem sie als Raumkörper sich befindet. Umgekehrt ausgedrückt: Jede Person mit modischer Kompetenz orientiert sich in ihrer Selbstgestaltung unbewußt an einem Bild von dem Raum, in dem sie sich bewegt, und an der Erscheinung der anderen Menschen, denen sie begegnet. Vordergründig kann man das als ein Wissen um die Adäquatheit einer bestimmten Bekleidung für bestimmte gesellschaftliche Anlässe deuten. Ich meine aber, daß es hier um weit mehr geht als um die oberflächliche Erfüllung sozialer Erfordernisse oder um die Befriedigung privater Eitelkeiten. Es geht um eine Art des Umgangs mit der Welt als raumzeitlichem Kontinuum; um eine Choreographie von bewegten, dreidimensionalen Körpern im Raum, der auf diese Weise überhaupt erst definiert wird. Ästhetische Kompetenz ist hier in mindestens dem gleichen Maße gefragt wie soziale Kompetenz; die Fähigkeit zum räumlichen Vorstellungsvermögen ist unabdingbar und erscheint als anthropologische Notwendigkeit für die Orientierung in der Welt, und die Mode wird zum Medium dafür. Versteht man Theatralität mit Helmar Schramm6 als eine spezifische Bündelung dreier entscheidender Faktoren kultureller Energie: von Aisthesis, Kinesis und Semiosis, dann läßt sich Mode als theatrales Phänomen par excellence verstehen. Sie lebt in der Interaktion zwischen denen, die sie tragen (den AkteurInnen), und denen, die sie auf unterschiedlichste Weise wahrnehmen und immer neu deuten (den ZuschauerInnen), wobei die Rollen von AkteurInnen und ZuschauerInnen unter Umständen unablässig wechseln. Nicht minder wichtig ist die Interaktion zwischen der Trägerin und dem materiellen Artefakt, das sie auf dem Leib hat und das sie durch ihre eigene Körperlichkeit, durch ihre Bewegungen im Raum überhaupt erst zum Leben bringt. Mode ist, ob die TrägerInnen das wollen oder nicht, immer eine Ästhetisierung
6 | Vgl. Helmar Schramm (1996): Karneval des Denkens. Theatralität im Spiegel philosophischer Texte des 16. und 17. Jahrhunderts. Berlin: Akademie-Verlag.
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von Lebenswirklichkeit; sie ist Inszenierung 7 – und zwar im weitesten Sinne der Darstellung von etwas Vorgegebenem, einem »Skript« gewissenmaßen – Geschlechtszugehörigkeit, soziale Zugehörigkeit usw. – bis hin zur »Performance«, die nichts darstellt, sondern sich in der körperlichen Präsenz im Hier und Jetzt entfaltet und keinen Anspruch auf Dauer erhebt. […] Mode ist, wie ich schon sagte, prothetisch, und sie ist proteisch. Sie erweitert den menschlichen Körper und gibt ihm fiktionale dreidimensionale Formen. Andererseits verwandelt die Mode sich selbst unablässig, so wie Proteus niemals nur eine Gestalt hat, sondern ungreif bar wird, indem er von einer Gestalt in die nächste wechselt. Dieses Doppel-Phänomen ist in der Mode des 17. Jahrhunderts besonders deutlich zu beobachten. Zwar ändert sich die Mode damals noch nicht in der rasenden Geschwindigkeit wie im späten 20. Jahrhundert, das über ganz andere Fertigungs- und Vertriebsmöglichkeiten verfügt. Aber betrachtet man das Jahrhundert in seinem modischen Ablauf, werden dennoch einschneidende Veränderungen der Moden und der Körperbilder sichtbar. Sie alle funktionieren über, wie Valerie Cummings es überspitzt ausdrückt, eine »Verzerrung des menschlichen Körpers« 8 oder, wie ich sagen würde, über die variable prothetische Gestaltung des Körpers. Darüber hinaus wirken viele dieser modischen Körper des 17. Jahrhunderts aufgrund ihrer extravaganten und ausufernden Oberflächendekorationen in sich bewegt und veränderlich, schwer greif bar und im Fluß. [Lehnert 2001, 528-532] Diese modischen Körper beanspruchen Raum; sie wollen gesehen werden. Um sich in den übergroßen symmetrischen Repräsentationsräumen nicht zu verlieren, müssen die vergleichsweise kleinen menschlichen Körper ausgedehnt werden; um überhaupt aufzufallen und sich von der überall ornamentierten Umgebung abzuheben, muß viel Prunk entfaltet werden: Material muß vor dem Auge ausgebreitet, aufeinandergeschichtet und drapiert werden, jede nur verfügbare Stelle an der fiktionalen Körperoberfläche muss dekoriert und verziert werden, das Auge der BetrachterInnen muß gereizt und überrascht werden, damit es sich nicht in der Vielfalt der Räume verliere. Die Dreidimensionalität der modischen Körper wird gesteigert und funktionalisiert hin auf die Wirkung im Rahmen einer reich dekorierten Repräsentationsarchitektur. Als Gegensatz zu der artifiziellen Parknatur oder der Architektur, gegenüber deren Statik wirken die modischen Körper mit ihren flatternden Umrißlinien bewegt; deshalb können sie scheinbar die statische, reglose Geometrie beherrschen. Anders als wenig früher, zur Zeit der spanisch dominierten Mode, und 7 | Vgl. Schramm (1996, 42), der Stilisierung als ästhetische Durchformung kultureller Praktiken bezeichnet. 8 | Cummings, Valerie (1984): A Visual History of Costume: The Seventeenth Century. London: Batsford.
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auch als wenig später sind diese modischen Körper also auf den ersten Blick keine integralen, statischen Elemente der starren künstlichen Naturlandschaft der Parks oder der rigiden Innenarchitektur. Aber trotzdem verwischt sich aufgrund der Bewegung der Oberflächen die Grenze zwischen dem modischen Körper und seiner Umgebung, von der er sich gleichzeitig abheben soll. […] In diesen verwandelten Körperformen läßt sich eine nun auch äußerlich sichtbare Geometrisierung erkennen, die die modischen Körper der domestizierten Natur stärker anpaßten als die ausufernden, alle Grenzen verwischenden Moden noch ein Jahrzehnt zuvor. Die französischen Parks waren, wie Martin Burckhardt schreibt, gleichsam die konkrete Umsetzung der Zentralperspektive. Die Zentralperspektive, die die darstellenden Künste der Renaissance revolutioniert hatte und zu Beginn der räumlichen Malerei Mittel war, »die Außenwelt auf eine zweidimensionale Bildfläche zu bannen und hier den Eindruck von Bildtiefe vorzutäuschen«, wirke im 17. Jahrhundert umgekehrt auf den Raum zurück: die Perspektive werde zum eigentlichen Zweck, sie mutiere zum erstrebenswerten Landschaftsideal.9 Die Geometrisierung des Raumes wird bis ans Äußerste getrieben. Symmetrie und Gleichförmigkeit werden zu dominanten Strukturprinzipien der Landschaftsgestaltung sowie der Architektur, und der Raum wird zu einer Einheit aus vielen Einzelelementen, die nicht für sich zählen, sondern nur im Zusammenhang ihre Daseinsberechtigung erhalten. Untergeordnet sind sie alle der hierarchisierenden zentralen Perspektive bzw. der Idee des absoluten Herrschertums, denn die Fluchtlinie der Zentralperspektive führt immer zu dem Ort, an dem der König sich befindet – ob es sich dabei um die Anlage des Schlosses Versailles, um die Parkanlagen10 oder auch um ein Theater handelt, bei dem der ideale Augpunkt die Loge des Königs gleich gegenüber der Bühne ist.11 Vergleichbares gilt für die Mode, zu deren wesentlichen Kennzeichen im 17. Jahrhundert die Räumlichkeit gehört: Kaum ein Jahrhundert ist so besessen davon, den Raum mit Hilfe modischer Körper auszuloten, auszumessen und auf diese Weise zu beherrschen. Gleichzeitig wird der Körper selbst durch die Kleidung beherrscht und geformt, in die er sich zwängt. Zu Beginn des Jahrhunderts ist das an der spanischen Mode deutlich zu erkennen, während später die äußere Erscheinung des modischen Körpers weich, rund, überbordend 9 | Burckhardt, Martin (1997): Metamorphosen von Zeit und Raum. Eine Geschichte der Wahrnehmung. Frankfurt u. New York: Campus, S. 188. 10 | Vgl. Elias, Norbert (1997): Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie. Frankfurt: Suhrkamp; Berger, Robert W. (1985): Versailles. The Château of Louis XIV. University Park: Pennsylvania State Univ. Press. 11 | Vgl. Fischer-Lichte, Erika (1990): Geschichte des Dramas Bd. 1: Von der Antike bis zur deutschen Klassik. Tübingen: Francke.
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ist und entfernt an ›natürliche‹, organische Formen gemahnt. Nichtsdestoweniger ist das Zwangskorsett, das beide Körperbilder hervorbringt, vergleichbar: dem überbordenden Körper entspricht keineswegs die Freiheit, natürlich zu wuchern, sondern er verbirgt seine geometrisierenden Gerüste unter üppigen Drapierungen, die das Auge täuschen und verwirren – nicht aber das Wissen darum hinters Licht führen können, wie sich diese Kleider von innen anfühlen. Die Disziplinierung des Körpers wird hier aufs schönste deutlich: unendliche Schichten von Stoff verhüllen ihn so sehr, daß Fleisch und Blut – die Materialität des lebenden Körpers – nicht einmal mehr zu ahnen sind. Unter diesen Stoffschichten gibt es, nicht minder unsichtbar als der Körper selbst, Korsetts und Roßhaarpolster, eiserne Planchettes und alle möglichen anderen Folterinstrumente, die den Körper zurichten und in die gewünschte Form pressen, die aber vor allem dazu dienen, den Körper seine eigene Zurichtung spüren zu lassen. Körperlichkeit ist etwas, dessen man sich schämen muß; und die Scham wird dem Körper buchstäblich eingepreßt, so daß er gar nicht mehr imstande ist, sich schamlos zu zeigen. Domestiziert und gedrillt in verwandelter und vor allem Anstößigen gereinigter Form erst kann der Körper als modischer Körper wiederauferstehen und gesellschaftsfähig werden. Was er selbst nicht sein darf – was er ja auch ständig zu spüren bekommt –, wird jedoch seine Kleidung zumindest äußerlich: ausufernd und grenzüberschreitend.12 Damit ist ein wichtiges Prinzip der Kunst des 17. Jahrhunderts auch in der Mode virulent: das Spiel mit Schein und Sein, die Vertauschung von Innen und Außen oder doch das (scheinbare) Verwischen der Grenzen zwischen beiden Bereichen. Der scharfen Geometrie der gestalteten Natur fügt sich der ebenso geometrische menschliche/modische Körper als integrales Element ein. Die Körper werden zu Objekten der Dekoration des Parks oder des Interieurs, sie sind keine eigenständigen Subjekte. Ihre dreidimensionale Räumlichkeit wird der übergreifenden architektonischen oder landschaftsarchitektonischen Räumlichkeit eingefügt und untergeordnet – entweder mit Hilfe bewegter Oberflächen, die die Grenzen zwischen modischem Körper und seiner Umgebung verwischen, oder durch eine geometrisierte Starrheit des modischen Körpers, die als Analogie zur Starrheit der beschnittenen Bäume und geraden Beete des Parks zu sehen ist. Der modische Körper im 17. Jahrhundert erforscht nicht den Raum, sondern füllt ihn aus. Die ausgeprägte Dreidimensionalität signalisiert Dominanz, aber tatsächlich ist der modische Körper auf den umgebenden, riesigen, 12 | Vgl. zur Scham: Courtine, Jean-Jacques; Vigarello, Georges (1994): Scham und Schamlosigkeit. Ihre Physiognomie im 15. und 16. Jahrhundert. In: Olivier Burgelin u. Philippe Perrot (Hg.): Vom ewigen Zwang zu gefallen. Etikette und äußere Erscheinung. Leipzig: Reclam, S. 81-98.
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repräsentativen Raum hin funktionalisiert und verliert paradoxerweise desto mehr an Eigenwertigkeit, je mehr er ausufert und die Aufmerksamkeit auf sich zieht, die dann doch nur wieder zurückgelenkt wird auf den Kontext. Dieser ist wiederum notwendigerweise ausgerichtet auf die Spitze der Hierarchie: den König beziehungsweise den Landesherrn. Und auch wenn der König gar nicht anwesend ist, so ist doch die absolutistische Hierarchisierung ein Strukturmerkmal der Kultur des 17. Jahrhunderts, das sich in ganz Europa beobachten läßt. Was hier stattfindet, ist die Vollendung einer Repräsentation, außerhalb derer nichts existiert. […] In Modegeschichten wird oft betont, daß der Anzug Ausdruck bürgerlichen Selbstbewußtseins ist: Männer haben es nicht mehr nötig, sich prunkvoll aufzuputzen; sie zeigen ihren materiellen Erfolg gerade durch die nüchterne Schlichtheit und Funktionalität ihrer Kleidung. Sie sind.13 Den Frauen wird die Aufgabe übertragen, durch demonstrativen Konsum14 stellvertretend den Reichtum und den Erfolg ihrer Ehemänner oder Väter zur Schau zu stellen: Sie scheinen. Daher wird Mode im 19. Jahrhundert gleichbedeutend mit Frauenmode, daher wandelt sich die Mode nun immer rascher, wird sie immer aufwendiger, prächtiger, üppiger und auch ausladender. Die Damenmode behält also ihre Dreidimensionalität – was erneut belegt, daß Dreidimensionalität nicht zwangsläufig Dominanz des Raumes bedeutet, sondern nur dessen Ausfüllen. Tatsächlich wird nun der maßstabsetzende Raum durch die dunklen Männeranzüge gebildet. Raum bedeutet nun, so meine These, weniger Tiefe als vielmehr Hintergrund und Rahmen. Allein innerhalb dieses eng begrenzten Rahmens und vor diesem Hintergrund vermögen sich die papageienbunten Damen zu positionieren und abzuheben. Ohne diesen rahmenden Hintergrund wären sie so wenig wie ein barocker Herr ohne seinen französischen Park oder seinen Saal – oder seinen König. Anders gesagt: Viel Aufwand verhüllt das Nichts, das Frauen in der Geschlechterideologie des 19. Jahrhunderts geworden sind. Samt und Seide, Brokat, Gold und Edelsteine – allesamt sinnliche Materialien – lenken davon ab, daß sich hinter dieser prächtigen Hülle nichts verbirgt: die Mode macht sie zu Schauspielerinnen ihrer selbst. Die Männer hingegen inkarnieren schon in ihrer äußeren Erscheinung den machtvollen Phallus. Sie müssen die Beherrschung des Raums nicht mehr durch ein buntes, aufgeputztes Äußeres demonstrieren, denn er gehört ihnen ohnehin fraglos – in vermessener, geometrisierter Form, unsinnlich reduziert auf Begriffe und abstrakte Prinzipien aus Wissenschaft und Wirtschaft. Der modische männliche Körper paßt sich der neuen entsinnlichten Räumlichkeit
13 | Vgl. Lehnert, Gertrud (1998): Schnellkurs Mode. Köln: DuMont. 14 | Vgl. Veblen, Thorstein (1997): Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen. Frankfurt: Fischer.
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an; daher kann er alles das ausgrenzen und beherrschen, was ›anders‹ ist.15 Die Geschlechterdifferenz wird hier gewissenmaßen räumlich inszeniert – nicht einfach im Raum, sondern als Raum, oder anders gesagt: als Art und Weise der Raumnahme: Die Männer stellen gewissermaßen die Bühne dar, auf der die Frauen agieren. Im Vergleich zu den ausladenden dreidimensionalen Damenkleidern wirkt der Männeranzug in seiner modernen Variante zweidimensional. Man kann ihn aufeinanderlegen, und er nimmt wenig Raum über die Auflagefläche hinaus ein. Dieses Prinzip wird für die avantgardistisch inspirierte Mode zu Beginn des 20. Jahrhunderts und schließlich für die Mode des 20. Jahrhunderts insgesamt charakteristisch: Sie verzichtet zunehmend auf die räumliche Wirkung und zieht statt dessen die Wirkung von Zweidimensionalität vor. Richard Martin sieht diese Entwicklung in deutlichem Zusammenhang mit dem Kubismus: Die neuen Wahrnehmungsweisen des Kubismus, der die Kunst so radikal verändert habe, seien auch die Ursache für die Umwälzungen in der modischen Linie, die für das ganze 20. Jahrhundert prägend sein sollten. […] In der Mode taucht, ebenso wie in der Malerei, die Collage als strukturierendes Prinzip auf. Die Oberfläche beginnt die Tiefe zu verdrängen. Die Formen werden desintegriert; die Verläßlichkeit der festen Perspektive wird aufgegeben: »The flat overlaps that replaced the architectonics in wardrobe established planes in uncertain relationships. At times, we do not know what underlaps and what overlaps.«16 Dieser Eindruck wird nicht nur durch die neuen geraden Schnitte und die geometrischen Muster erzeugt, sondern auch durch die neuen zarten, fließenden Materialien, Jersey, Strickstoffe, feine Seiden, Tüll: anders als die Kleider bis zur Belle Epoque hat keines der neuen Kleider von selbst Halt; die Stoffe sind viel zu weich, zu zart, zu netzartig, als daß das auch nur vorstellbar wäre. […] Was in der Mode sichtbar wird, findet seine Entsprechung in allen Bereichen der abendländischen Kultur: der Verlust der verbindlichen Bezugspunkte und schließlich auch der traditionellen Hierarchien. Als Schlagwort sei nur die Relativitätstheorie genannt, die unsere Wahrnehmung grundlegend revolutioniert hat, indem sie uns den verläßlichen Punkt, von dem aus Raum und Zeit absolut meßbar sind, genommen und ihn ersetzt hat durch die unablässige Veränderlichkeit der Tatsachen der materiellen Welt, je nach unserer Position in der Welt, die unsere Wahrnehmung und unsere Perspektive bestimmt. Damit wird die traditionelle Form der Hierarchisierung aufgelöst, die Dinge und 15 | Die raumgreifende männliche Körpersprache jedoch, die die bunten Farben und reichen Stoffe ersetzt hat, signalisiert ebenso unmißverständlich wie früher die Kleidung den männlichen Anspruch auf Raum. 16 | Martin, Richard (1998): Cubism and Fashion. New York: Metropolitan Museum of Art, S. 16.
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Erscheinungen stehen mit einem Mal unverbunden nebeneinander und sind nicht mehr auf einem Punkt hin organisiert, wie das im 17. Jahrhundert der Fall war. Viel unmittelbarer als wissenschaftliche Theorien wirkten konkrete Veränderungen der Lebensbedingungen auf die Menschen: die Veränderung der politischen Landschaft etwa, die in eine Demokratisierung Europas mündeten; die neuen technischen Möglichkeiten, die immer schnellere Reisen in immer fernere Länder ermöglichten; die Verabsolutierung der urbanen Lebensräume – keine neue Erscheinung des 20. Jahrhunderts, aber eine, die nun zum Maßstab und zur Normalität geworden ist und in der der Raum zu einer Ansammlung von Punkten geraten ist, zwischen denen man sich zielstrebig hin- und herbewegt.17 Vertikale und horizontale Linien oder aber Flächen sind in diesem Raum sichtbar, aber nicht mehr seine Tiefe. […] Räumlichkeit im 20. Jahrhundert läßt sich im Gegensatz zu dem durch die Zentralperspektive bestimmten Raum des 17. Jahrhunderts grob als Netz beschreiben, auf dem gleichwertige (Knoten-)Punkte auf einer Ebene angeordnet und durch Linien verbunden sind; die Verbindung der Punkte untereinander und die Möglichkeit, schnell von einem zu allen anderen zu gelangen, ist wichtiger als die Tiefenstaffelung und die daraus resultierende Dreidimensionalität der Körper im Raum. Die schnelle Bewegung ist wichtiger als das Verweilen; die sichtbare Fläche wichtiger als verborgene Schichtungen. Fast zwangsläufig werden auch die Körper in diesem Raum zweidimensional; Sie sind nicht mehr einer zentralen Perspektive eingeordnet und auf sie hin funktionalisiert, sondern sie befinden sich immer auf irgendeinem Punkt in einem potentiell unendlichen Raum, einem Punkt, der stets als zu verlassender erscheint: Es sind eher Zeitlinien, an denen entlang wir denken und wahrnehmen und uns bewegen, als Räume im umfassenden Sinne. Daß (menschliche) Körper dreidimensional sind, erscheint als Fluch der Materie, den man tunlichst ignorieren sollte. Von wenigen Gegenströmungen abgesehen, bestimmt Flächigkeit die Mode des ganzen 20. Jahrhunderts. Ein bedeutendes Gegengewicht hierzu setzen die Japaner und ihre für europäische sowie für japanische Augen ursprünglich – und auch teilweise heute noch – äußerst ungewöhnliche Mode: Ich meine insbesondere die in Paris längst etablierten und auf dem amerikanischen und europäischen Markt sehr erfolgreichen Designer Yohji Yamamoto, Issey Myiake und vor allem Rei Kawakubo mit ihrer Firma Comme des Garçons. […] Rei Kawakubo ließ schon Ende der 70er Jahre eigene Räume für die Präsentation und den Verkauf ihrer Moden konzipieren. Diese kahlen, nüchter17 | Vgl. zur modernen Großstadt u.a. Sennett, Richard (1995): Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt: Fischer; Sennett, Richard (1997): Fleisch und Sein. Der Körper und die Stadt in der westlichen Zivilisation. Frankfurt: Fischer.
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nen, aufs Wesentliche reduzierten Räume erlaubten nur die äußerst puristische Präsentation einiger weniger Kleidungsstücke, die ausgestellt wurden wie Kunstgegenstände; die Räume muteten wie Kunstgalerien oder wie avantgardistische Bühnen an und nicht wie Verkaufsräume. In ihrer Kahlheit und Kargheit lenkten sie nicht von den Kleidern ab, sondern ermöglichten es diesen im Gegenteil, ihre volle dreidimensionale Wirkung zu erzielen, indem sie ihnen den Rahmen boten, sich am menschlichen Körper buchstäblich in Szene zu setzen. Denn am Bügel sind die Kleider wenig. Sie benötigen die Dreidimensionalität des menschlichen Körpers sowie dessen Bewegungen, um selbst dreidimensional zu werden. Diese Kleider sind prozeßhaft, indem sie etwas auslösen und immer etwas mit ihnen passiert. Sobald sie getragen werden, gewinnen sie eine theatrale Qualität: Sie erzeugen ein Bewußtsein für ihre eigene (Selbst-)Inszenierung bei der Trägerin und wirken auf die ZuschauerInnen stets inszeniert; sie fordern bestimmte Bewegungen im Raum und heben diese für die ZuschauerInnen aus allen anderen Bewegungen hervor. Es sind die Kleider, die den umgebenden Raum zur Bühne und die Mitmenschen zu SchauspielerInnen oder ZuschauerInnen machen. Und sie lösen immer eine Reaktion aus, ganz gleich wie diese ausfällt. [Lehnert 2001, 535-544] Die Moden der japanischen Designerin widersetzen sich nicht nur der eindeutigen Sinn- und Funktionszuschreibung, sondern auch der Obsession mit Nützlichkeit, Funktionalität und Geschwindigkeit, die in unserer postindustriellen Kultur zur allseits akzeptierten Norm gehören. […] Dagegen setzt die Mode von Comme des Garçons eine Freiheit der Körper und der Bewegungen im Ideal eines individuellen Raums. Es sind die Kleider, die Raum um die Trägerin schaffen: Einerseits greifen sie in den Raum aus, andererseits nötigen sie die Trägerin dazu, sich durch eine bestimmte, je nach Kleidermodell und Individuum variable Körpersprache und Gestik räumlich zu inszenieren. Diese Kleider wollen getragen werden – auf dem Bügel sind sie nichts – und sie provozieren Bewegung: Bewegung, die nicht von vornherein eingeschränkt ist durch die Enge der Umgebung, durch die Menschen in der Umgebung, durch Transportmittel oder andere Faktoren. Dadurch gerät das dreidimensionale Kunstobjekt aus Kleid und Körper in Bewegung; es ändert sich beständig und nimmt sich eine Freiheit, die im funktionalisierten Alltag längst verlorengegangen ist. Trotzdem können sich die Kleider verschiedenen Temperamenten und verschiedenen Umweltbedingungen anpassen, denn sie können durchaus geknautscht und verdrückt werden, sie können unterschiedlich getragen werden – hinten oder vorn geschlossen, so oder so drapiert, mehr oder weniger ausgestopft und so fort. Sie ändern sich und sind insofern lebendig, da sie zuweilen nicht ›fertig‹ sind: Kleider mit unversäuberten Säumen beispielsweise verwandeln sich im Getragenwerden zwangsläufig, weil die Säume weiter ausfransen. Vor allem aber sind diese Kleider – das ist der
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wesentliche Unterschied zu historischen Moden – nicht von komplizierten und einengenden Gerüsten abhängig, die ihnen erst die Form und den Halt gäben, die sie zur Entfaltung ihrer Räumlichkeit benötigen. Die Kleider der Japanerin halten von selbst aufgrund einer raffinierten Schnittechnik einerseits und der neuartigen Materialien andererseits, die sie speziell für sich anfertigen läßt. […] Die Kleider vermitteln der Trägerin das Gefühl für ihre eigene Bewegung und für die Grenzen ihres Körpers, die sie mit diesen Kleidern zugleich überschreitet. Die sinnliche Qualität der Kleider ist mithin von zentraler Bedeutung, und zwar was den visuellen wie was den haptischen Effekt angeht. Die Schichtung einer Vielzahl von Stoffen, die oft nicht im herkömmlichen Modeverständnis zusammenpassen, hat die dreidimensionale Wirkung zur Folge. Durchblicke durch Löcher an unerwarteten Stellen oder transparente Stoffeinsätze machen das Prinzip der Schichtung erneut spürbar und bringen zugleich das Spiel mit Schein und Sein zur Geltung: diese Kleider sind nicht, was sie auf den ersten Blick scheinen mögen, sie verwirren die Wahrnehmung und fordern einen zweiten und dritten Blick ein, auch wenn dieser möglicherweise ebenfalls zu keiner endgültigen Antwort kommen mag. Die Wahrnehmung von Raum und Zeit wird in diesen Moden wieder individualisiert, oder anders gesagt: im Individuum zusammengeführt und gekoppelt. Das ist – natürlich – eine Utopie, aber eine, die sich für die Dauer realisiert, in der man diese Moden trägt. [Lehnert 2001, 547-549]
11. Yuniya Kawamura E INLEITUNG Die in Prag geborene Soziologin Yuniya Kawamura schrieb vor dem Hintergrund ihres Studiums im Modedesign sowie ihrer Promotion in der Soziologie zwei viel beachtete Werke der Modetheorie: The Japanese Revolution in Paris Fashion (2004) und Fashion-ology (2005). Die Publikation von 2004 beschreibt und analysiert zum einen die Etablierung des Pariser Modesystems seit Louis XIV. – was für Fashion-ology stärker theoretisiert und objektiviert wird –, zum anderen den ›revolutionären‹ Eintritt japanischer DesignerInnen (Kenzo, Rei Kawakubo, Issey Miyake, Yohji Yamamoto und Hanae Mori) in Paris seit den 1970ern. Während sie sich in diesen zwei Werken vor allem mit der französischen Haute Couture beschäftigt hat, zeugt ihr späteres Buch Fashioning Japanese Subculture (2012) von ihrem Interesse an subkulturellen Trends in Japan, insbesondere an dem der Lolita, die sie in ethnographischen Studien in ausgewählten Stadteilen Tokyos beobachtete (vgl. auch Kawamura 2010 u. 2013). Zudem veröffentlichte sie 2011 ein Buch über qualitative Forschungsmethoden in der Modewissenschaft. Inspiriert von einer Publikation von Harrison White und Cynthia White (1993 [1965]) über den Impressionismus, in der festgestellt wurde, dass die impressionistischen MalerInnen nicht etwa durch akademische Traditionen oder herrschende Auffassungen von Stil oder Geschmack an Bedeutung gewannen, sondern durch die Entscheidungen von KritikerInnen und KunsthändlerInnen, arbeitet Kawamura ähnliche kollektive Zuschreibungsprozesse innerhalb des institutionalisierten Modesystems heraus (2004, 3).1 Ausgangspunkt von Kawamuras systemischer Perspektive auf die Mode ist eine Differenzierung zwischen dem System der Kleidung (»system of clothes«) und dem System der Mode (»fashion system«). Während die Produkte, die im »system of clothes« erschaffen werden, materieller Art sind (also Kleidungs-
1 | Vgl. hier die Ausführungen von Petra Leutner (2011) über vergleichbare Aushandlungsprozesse im Kunst- und Modesystem.
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stücke), werden im »fashion system« Zuschreibungen hervorgebracht, durch die die Kleidungsstücke erst zur geltenden Mode gemacht werden. Der Prototyp des »fashion system« hat sich laut Kawamura mit der Herrschaft des Sonnenkönigs in Paris etabliert, auch wenn schon seit Mitte des 14. Jahrhunderts Moden an den königlichen Höfen von Italien, später Spanien, Deutschland und Holland kursierten (ebda., 22). Mit den merkantilistischen Maßnahmen des Finanzministers Baptiste Colbert veränderten sich die Produktionsstrukturen von Luxusgütern in Frankreich erheblich und wurden in Paris zentralisiert. Frankreich nahm dadurch die Position des europäischen ›Schiedsrichters‹ in Fragen des Geschmacks ein und das restliche Europa, sogar Italien, wurde einer sogenannten »frenchification« unterworfen (ebda., 24f.). Diese Strukturen haben sich bis in die Gegenwart ausgewirkt: mit der Stärkung der Bourgeoisie und später des Bürgertums sowie mit der Autonomisierung des Berufs des Modeschöpfers bzw. der Modeschöpferin entwickelten sie sich zu einer neuen Struktur, die Kawamura »the modern fashion system« nennt (ebda., 35ff.). Mit der Gründung der Chambre syndicale de la Couture et de la Confection pour Dames et Fillettes 1868 wurde die Produktion von Haute Couture, wie man die Designs der Couturiers zu nennen begann, noch stärker reguliert und in regelmäßiger Anpassung an die gegenwärtigen Entwicklungen aktualisiert. Kawamuras historische Hinführungen ermöglichen die genaue Analyse des Pariser »fashion systems«, das für sie das Nadelöhr aller modischen Neuheiten darstellt und Vorbild ist für die Strukturen aller anderen Modemetropolen (vgl. 2005, 52ff.). Ihre argumentative Fokussierung auf Frankreich als Muttersystem und Dreh- und Angelpunkt der gesamten westlichen Modewelt kann vor dem Hintergrund der Herausbildung eines eigenen amerikanischen Prêt-à-porter Systems seit den 1950er Jahren und englischen seit den 1960ern, sowie der Etablierung anderer Modemetropolen wie Stockholm, Istanbul oder auch Berlin in den letzten Jahren kritisch hinterfragt werden. Ihre Ideen von der »französischen Struktur« lassen sich dennoch auch für andere, ggf. parallel- oder interagierende Systeme handhabbar machen. Die Zuschreibung einer Kleidung als Mode durch die im (Pariser) »fashion system« agierenden, sogenannten »gatekeepers« (JournalistInnen und Editors) sei unumgänglich für angehende ModedesignerInnen. In Fashion-ology untersucht sie daher die Funktionsweisen, Mechanismen, Institutionen, AkteurInnen und Interaktionen innerhalb des »fashion systems«, die zum einen zu einer solchen Etikettierung der Kleidung als Mode führen und zum anderen der ständigen Affirmation institutioneller Strukturen dienen (vgl. ebda., 52). Zwar richten sich die Zuschreibungen auf wechselnde, im Falle der JapanerInnen sogar revolutionäre Designs innerhalb des »system of clothes«, das »fashion system« bleibe jedoch weiterhin stabil und bestehen (vgl. 2004, 6).
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Moden seien infolgedessen nicht nur den DesignerInnen zu verdanken, sondern als Kreation aller an dem »fashion system« Beteiligten zu verstehen – eine kollektive Aktivität also (vgl. 2005, 1). Damit relativiert Kawamura den Mythos der Genialität von ModeschöpferInnen und weist ihnen ›lediglich‹ die Rolle zu, der Mode ein Gesicht zu geben, was Kawamura »the personification of fashion« nennt (ebda., 57). Zentral für Kawamura sind die Events, an denen sich die Beteiligten und unter ihnen die »gatekeepers« zusammenfinden – bei Modenschauen beispielsweise, denen sie einen rituellen Charakter zuschreibt (2004, 61ff.).2 Hier werde regelmäßig überprüft, welche AkteurInnen am »fashion system« noch beteiligt sind, und gleichzeitig wird die bestehende Struktur bestätigt – ähnlich argumentiert Joanne Entwistle 2010 (vgl. Kapitel zu Entwistle in diesem Band) und in weiteren Publikationen (Entwistle u. Rocamora 2006; Entwistle 2009). Yuniya Kawamuras handlungstheoretische Perspektive ist von der kommunikationstheoretischen von Elena Esposito (2004; vgl. Kapitel zu Esposito in diesem Band) zu unterscheiden, auch wenn beide systemisch bzw. systemtheoretisch argumentieren. Zwar bekräftigen beide die grundsätzlichen Paradoxa der Nachahmung trotz Differenzierung und der Stabilität trotz Veränderung und gehen beide davon aus, dass die Systeme relativ unabhängig funktionieren, jedoch misst Esposito den einzelnen AkteurInnen, ihren Gruppierungen und Funktionen innerhalb des Systems keine Bedeutung zu. Kawamura hingegen integriert, wie sie selbst sagt (vgl. 2005, 40), sowohl Makro- also auch Mikro-Ebenen der Soziologie in ihre Analyse. Vor dem Hintergrund des Strukturfunktionalismus eines Talcott Parsons und Robert K. Mertons untersucht sie die Beschaffenheit des »fashion systems«, aber eben auch die Wechselwirkungen der Beteiligten vor dem Hintergrund des symbolischen Interaktionismus eines Herbert Blumer. Genau diesem Ansatz verdankt Kawamura die gegenwärtige breite Rezeption und die Übersetzung von Fashion-ology ins Italienische, Schwedische, Russische und Chinesische. Mit ihrer Analyse lassen sich neuere Phänomene der Globalisierung von Mode, beispielsweise die Herausbildung von »global players«, oder auch der Demokratisierung von Mode, z.B. das Phänomen des Bloggertums, besser beleuchten.
2 | Vergleiche zur Diskussion über die Modenschau als Ritual: Alicia Kühl 2014b und 2015.
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D IE JAPANISCHE R EVOLUTION IN DER PARISER M ODE (2004) , FASHION - OLOGY (2005) Kleidung und Mode Obwohl sie oft austauschbar verwendet werden, sind Kleidung und Mode vollkommen unterschiedliche Konzepte, die ihrerseits unterschiedliche soziologische Konsequenzen haben. Oft stehen spezifische Stile im Blickpunkt von Modeanalysen1, doch die Erläuterung bestimmter Moden macht nicht das eigentliche Wesen von Mode an sich kenntlich (Lang u. Lang 1961, 4652), weil Mode wenig mit Kleidung zu tun hat. Kleidung basiert auf materieller, Mode hingegen auf symbolischer Produktion. Kleidung ist greif bar, während Mode ungreif bar ist. Kleidung ist eine Notwendigkeit, während Mode ein Exzess 1 | Zu Studien, die sich mit bestimmten Stilen zeitgenössischer Kleidung oder Kleidungswahl beschäftigen, siehe u.a. Craik, Jennifer (1994): The Face of Fashion. London: Routledge; Crane, Diana (2000): Fashion and its Social Agendas: Class, Gender and Identity in Clothing. Chicago: University of Chicago Press; Davis, Fred (1992): Fashion, Culture, and Identity. Chicago: University of Chicago Press; Finkelstein, Joanne (1996): After a Fashion. Carlton, Australia: Melbourne University Press; Hollander, Anne (1994): Seeing Through Clothes. Berkeley: University of California Press; Lurie, Alison (1981): The Language of Clothes. London: Bloomsbury; McDowell, Colin (1997): Forties Fashion and the New Look. London: Bloomsbury; Polhemus, Ted (1994): Street Style. London: Thames and Hudson; Polhemus, Ted (1996): Style Surfing. London: Thames and Hudson; und Storm, Penny (1987): Functions of Dress: Tool of Culture and the Individual. Englewood Cliffs: Prentice-Hall Inc. – Zur Sozialgeschichte von Trachten und Kleidung siehe Boucher, François (1967/1987): 20.000 Years of Fashion.New York: H.N. Abrams; De Marly, Diana (1980a): The History of Haute Couture: 1850-1950. New York: Holmes and Meier; De Marly, Diana (1987): Louis XIV & Versailles. New York: Holmes and Meier; Delpierre, Madeleine (1997 [frz. 1996]): Dress in France in the Eighteenth Century. Übers. v. Caroline Beamish. New Haven, Connecticut: Yale University Press; Laver, James (1937): English Costume from the Fourteenth through the Nineteenth Century. New York: Macmillan Company; Laver, James (1969/1995): Concise History of Costume and Fashion. New York: H. N. Abrams; Perrot, Philippe (1994): Fashioning the Bourgeoisie: A History of Clothing in the Nineteenth Century. Übers. v. Richard Bienvenu. Princeton: Princeton University Press; Ribeiro, Aileen (1988): Fashion in the French Revolution. New York: Holmes and Meier; Roche, Daniel (1994 [frz. 1989]): The Culture of Clothing: Dress and Fashion in the Ancien Régime. Übers. v. Jean Birrell. Cambridge: Cambridge University Press; und Steele, Valerie (1985): Fashion and Eroticism. New York: Oxford University Press; Steele, Valerie (1988): Paris Fashion: A Cultural History. New York: Oxford University Press. 2 | Lang, Kurt; Lang, Gladys (1961): Fashion: Identification and Differentiation in the Mass Society in Collective Dynamics. New York: Thomas Y. Crowell Co.
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ist. Kleidung hat eine Nutzfunktion, während Mode eine Statusfunktion hat. Kleidung findet man in jeder Gesellschaft oder Kultur, in der Menschen sich kleiden, während Mode institutionell erzeugt und kulturell verbreitet werden muss. Ein Modesystem wandelt Kleidung in Mode um, die einen symbolischen Wert hat, der sich in der Kleidung manifestiert. Mode wird nicht in einem Vakuum erzeugt, sondern existiert in einem spezifischen kulturellen Kontext sowie im Zusammenhang mit bestimmten Organisationen. Rouse (19893) weist darauf hin, dass ein bestimmter Kleidungsstil nur dann zu Mode wird, wenn er von einigen Menschen getragen und als Mode anerkannt wird. Zum Beispiel kann jeder Kleidungshersteller ein weißes Hemd produzieren, und viele Menschen tragen weiße Hemden, ohne dass diese gleich Mode wären. Diese weißen Hemden müssen als der ›neueste Stil‹ anerkannt werden. Wie werden sie als solcher wahrgenommen? Wie Kleidung modisch werden kann, lässt sich erklären, wenn wir uns der Mode aus einer systemischen Perspektive nähern. In meiner Forschung versuche ich, strukturelle Prozesse bei der Produktion von Mode mit der Vielfalt von Kleidungsstilen zu verbinden, die von bestimmten DesignerInnen erschaffen und von verschiedenen Institutionen im System legitimiert werden. In diesem Buch wird Mode als ein System von Institutionen, Organisationen, Gruppen, Individuen, Ereignissen und Praktiken aufgefasst, die alle als externe Faktoren dazu beitragen, Mode als eine Überzeugung hervorzubringen. Meine These ist, dass die Struktur des Systems Einfluss auf den Prozess hat, mit dem die Kreativität der DesignerInnen legitimiert und damit auch über den Ein- bzw. Ausschluss ausländischer DesignerInnen4 entschieden wird. Anhand einer empirischen Fallstudie über japanische ModemacherInnen in Paris, d.h. über nicht-westliche, außenstehende DesignerInnen im französischen Modesystem, wie ich es bezeichne, bietet die vorliegende Studie eine makrosoziologische Analyse der sozialen Organisation der Mode und eine mikro-interaktionistische Analyse von ModedesignerInnen. Die Studie befasst sich mit den wesentlichen Institutionen und nimmt auch in den Blick, welche Bedeutung sie für die Beteiligten haben. Zudem werden die wechselseitigen sozialen Beziehungen zwischen dem System und den darin befindlichen Individuen unter die Lupe genommen. Der Einzug der japanischen DesignerInnen in das französische Modesystem veranschaulicht die Mechanismen und die Dominanz dieses Systems, und allgemeiner gefasst, die Mechanismen der Mode als System. Gewöhnlich wird davon ausgegangen, dass Paris immer schon die Modehauptstadt der Welt gewesen sei und dass sich ModemacherInnen, französischer Abstammung oder nicht, nach wie 3 | Rouse, Elizabeth (1989): Understanding Fashion. London: BSP Professional Books. 4 | Der Begriff ›DesignerIn‹ umfasst hier durchgehend sowohl jene, die Prêt-à-porter als auch Haute Couture entwerfen. Andernfalls wird von ›Haute-Couture-DesignerInnen/ Couturiers‹ bzw. von ›Prêt-à-porter-DesignerInnen‹ gesprochen.
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vor in Paris konzentrieren; doch kaum jemand hat bisher soziologisch untersucht, warum, wie und durch welche sozialen wie kulturellen Prozesse Paris die Modehauptstadt wurde und geblieben ist. Ist es so, weil französische ModedesignerInnen ein angeborenes Talent haben, Kleidung zu entwerfen? Wie können wir die Kreativität von DesignerInnen definieren? Wie werden ModemacherInnen berühmt? Wie wird die Modekultur in Paris aufrechterhalten? Warum und wie wurde dieser Glaube an die französische Mode konstruiert und über Jahrhunderte erhalten? Wie lassen gesellschaftliche Organisationen und Einzelpersonen Mode stattfinden? Um die soziale Hervorbringung von Mode in den Blick zu nehmen, die sich – so meine These – von der Kleidung unterscheidet, müssen wir die Verbindung zwischen den institutionellen und interpersonellen Faktoren bei der Erzeugung von Modekultur und ModemacherInnen in Paris untersuchen. Ich verorte ›Mode‹ [engl. »fashion«, Anm. d. Ü.] innerhalb der Soziologie der Production of Culture-Perspektive und der Kultur- und Kunstsoziologie, da sie die Grundlage für meine Fragestellungen bilden. Die Produktion einer Kulturperspektive beginnt mit der Annahme, dass die Hervorbringung von kulturellen Artefakten soziale Kooperation, kollektive Aktivitäten und Gruppen erfordert, und sie betont die sozialen Vereinbarungen, die für die Erschaffung symbolischer Elemente einer Kultur nötig sind, die auf Art und Inhalt der produzierten Kulturelemente Einfluss haben (Peterson 1994, 1635). Eine Vielzahl von Studien hat sich ihrem Gegenstand, wie etwa der Welt der Kunst, der Verlage und der Populärkultur, aus der Perspektive der Produktion genähert.6 5 | Peterson, Richard A. (1994): Culture Studies Through the Production Perspektive: Progress and Prospects. In: Diana Crane (Hg): The Sociology of Culture. Oxford: Blackwell. 6 | Arbeiten aus der Produktionsperspektive finden sich in der Forschung über Kunstwelten: Becker, Howard S. (1982): Art Worlds. Berkeley: University of California Press; Bystryn, Marcia (1978): Art Galleries as Gatekeepers: The Case of the Abstract Expressionists. Social Research Nr. 45, S. 2; Crane, Diana (1987): The Transformation of the Avant-Garde: The New York Art World 1940-1985. Chicago: University of Chicago Press; Di Maggio, Paul; Useem, Michael (1978): Cultural Democracy in a Period of Cultural Expansion: The Social Composition of Arts Audiences in the United States. Social Problems Nr. 26, S. 2; White, Harrison; White, Cynthia (1965/1993): Canvases and Careers: Institutional Change in the French Painting World. New York: John Wiley. – Über Verlage und literarische Kultur: Clark, Priscilla Parkhurst (1987): Literary France: The Making of a Culture. Berkeley: University of California Press; Griswold, Wendy (2000): Bearing Witness: Readers, Writers, and the Novel in Nigeria. Princeton: Princeton University Press; Powell, Walter (1978): The New Institutionalism in Organizational Analysis. Chicago: University of Chicago Press. – Über Populärkultur: Kealy, Edward (1979): From Craft to Art: The Case of Sound Mixers and Popular Music. Sociology of Work and Occu-
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Da sich Mode als mit Bedeutung versehenes Artefakt betrachten lässt, können wir viel von jenen lernen, die symbolproduzierende Kulturinstitutionen untersuchen. Kulturelle Artefakte lassen sich aus der Perspektive des Konsums und der Produktion analysieren bzw. aus jeweils einem dieser beiden Blickwinkel. So kann auch Mode eine Angelegenheit persönlichen Konsums und persönlicher Identität sein, und ebenso eine Angelegenheit kollektiver Herstellung und Verbreitung. In Anlehnung an soziologische Arbeiten, die den Fokus auf die Hervorbringung von Kultur richten, werde ich hier auf die Produktion von Modekultur eingehen, die in einem sich aus Einzelpersonen, Organisationen und Institutionen zusammensetzenden Modesystem gründet. Die Konsumseite der Mode ist zwar keineswegs unwesentlich, doch möchte ich meine empirische Studie thematisch beschränken und meine Aufmerksamkeit vor allem auf die Produktion von Mode richten. Es ist legitim, Mode als Gegenstand der symbolischen Kultur sowie als etwas Gemachtes zu untersuchen, das in und von gesellschaftlichen Institutionen erzeugt wird. Da Mode weder greifbar noch sichtbar ist, verwendet sie Kleidung als eine symbolische Erscheinungsform. Die Erzeugung von Symbolen betont die dynamische Aktivität dieser Institutionen. Kulturelle Institutionen unterstützen die Erzeugung neuer Symbole. Dieser Ansatz ist sehr nützlich, um die schnellen Veränderungen in der Populärkultur zu erklären, wo die Erörterung des Neuen relevanter ist als die des Stillstands (Peterson 19767). Mode bietet sich hier als höchst geeigneter Untersuchungsgegenstand an, ist Neuheit doch der eigentliche Schlüssel zur Bestimmung des Konzepts. Deshalb werde ich innerhalb dieses theoretischen Rahmens einen systematischen Vergleich vornehmen zwischen maßgeschneiderter Kleidung und Prêt-à-porter; dann Veränderungen der Marktstruktur, Evaluationsfunktionen und Mechanismen der Modeverbreitung innerhalb des Systems untersuchen; und schließlich die Formen von Belohnung erklären, die das System den ModedesignerInnen bietet. Da meine Mode-Analyse von einem Konzept eines institutionalisierten Systems ausgeht, stütze ich mich außer auf empirische Studien über kulturelle Produktion besonders auf die Arbeiten von White und White (1965/1993 8) über die Impressionisten im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Die Werke der Impressionisten wurden, so die Autoren, vom pations, N. 6, S. 1; Peterson, Richard A. (1978): The Production of Cultural Change: The Case of Contemporary Country Music. Social Research Nr. 45, S. 2; Peterson, Richard A.; Berger, David G. (1975): Cycles in Symbol Production: The Case of Popular Music. American Sociological Review, S. 40. Sie beschäftigen sich mit den Prozessen der Produktion und Institutionalisierung von Kulturgegenständen. 7 | Peterson, Richard A. (Hg.) (1976): The Production of Culture. Beverly Hills: Sage Publications. 8 | White, Harrison; White, Cynthia (1965/1993): Canvases and Careers: Institutional Change in the French Painting World. New York: John Wiley.
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bestehenden System der Académie des Beaux-Arts aufgrund ihrer traditionellen Ideologie und ihrer rigiden Stilvorgaben nicht anerkannt. Noch konnte die Akademie die wachsende Anzahl der MalerInnen nicht bewältigen, die als marginal betrachtet wurden. Es waren tatsächlich HändlerInnen und KritikerInnen, die neue MalerInnen und ihre Werke offiziell anerkannten und der Öffentlichkeit vorstellten, da es einen neuen Markt von potentiellen KäuferInnen von Kunstwerken gab. Mit dem Niedergang des Akademie-Systems entstand das HändlerInnen-KritikerInnen-System. Nur durch ein so abstraktes Konzept wie das des ›institutionellen Systems‹ können wir die strukturellen Beziehungen zwischen der verwirrenden Vielfalt konkreter Ereignisse verstehen (White u. White 1965/1993, 159). Jedes System setzt sich aus Untersystemen oder Institutionen zusammen. Indem wir Mode als System fassen, erschließt sich uns allmählich ihre innere Struktur als Ganzes und jede Institution und ihre Funktion innerhalb dieses Systems. [Kawamura 2004, 1-3]
Die Definition von Kleidung und Mode als getrennte Systeme Es gibt keine einheitliche Definition des Begriffs ›Mode‹ (Hollander 1993, 3509). Barnard (199610) unternimmt den Versuch, ›Mode‹ [engl. »fashion«11], ›Stil‹ [engl. »style«], ›Kleidung‹ [engl. »dress«], ›Schmuck‹ [engl. »adornment«] und ›Bekleidung‹ [engl. »clothing«] zu definieren, räumt aber ein, dass es vielleicht nicht möglich ist, ein bestimmtes Kleidungsstück oder ein bestimmtes vestimentäres Objekt als Modeartikel zu definieren. Hier zeigt sich die Schwierigkeit einer umfassenden Definition der Bedeutung all dieser Wörter, denn es gibt nicht eine Bedeutung oder ein Charakteristikum, die allen gemeinsam wäre (Barnard 1996, 9f.). Für unsere Diskussion ist es zweckmäßig, von zwei Kategorien auszugehen: Mode und Kleidung/Kleider. Kleidung umfasst alles, was keine Mode ist. Alle Synonyme von Kleidung, so wie ›Kleidung‹ [engl. »dress«], ›vestimentäres Objekt‹ [engl. »garment«], ›Tracht‹ [engl. »costume«] und ›Bekleidung‹ [engl. »apparel«] fallen in die Kategorie der Nicht-Mode, die ich als ›Kleidung‹ [engl. »clothing«] oder ›Kleider‹ [engl. »clothes«] bezeichne, weil es in diesem Buch vorrangig um das Konzept und die Praxis der ›Mode‹ geht. Roche, der das Thema historisch in den Blick nimmt (1994, 4712), stellt fest, dass man während der Herrschaft Ludwigs XIII. und Ludwigs XIV. unter Mode zweierlei Dinge verstand: einerseits Bräuche, Lebensstile sowie die Art 9 | Hollander, Anne (1993): Seeing Through Clothes. Berkeley: University of California Press. 10 | Barnard,Malcolm (1996): Fashion as Communication. London: Routledge. 11 | Anm. d. Ü.: Im Folgenden werden die im englischen Original in Anführungszeichen gesetzten Begriffe in Klammern hinter der deutschen Entsprechung angeführt. 12 | Roche, Daniel (1994 [frz. 1989]): The Culture of Clothing: Dress and Fashion in the Ancien Régime. Übers. v. Jean Birrell. Cambridge: Cambridge University Press.
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und Weise, etwas zu tun, also einen Konformismus von Praktiken; andererseits alles das, was sich veränderte, je nach Zeit und Ort. Es gab modische Gegenstände, Orte und Gewohnheiten. Mode bezog sich also nicht nur auf Verzierung und Kleidung, sondern auf jede Ausdrucksform (Roche 1994, 47). Auch heute noch lässt sich Mode im weitesten Sinne als kollektive Verhaltensweise, als kollektive Art zu denken und sich zu kleiden verstehen, die in einer bestimmten Gesellschaft zu einem gegebenen Zeitpunkt geschätzt wird. Diesem weitergefassten Begriff von Mode, der sich auf beinahe jedes soziale Phänomen, wie etwa Literatur, Kunst, Gesten und Verhalten (Sumner 1906/194013), anwenden lässt, ist das Element der Veränderung wesentlich. Im engeren Sinne bezieht sich Mode auf ›Kleider-Mode‹, d.h. die institutionell produzierte, vermarktete und aufgewertete Form von Kleidung, die zu einem bestimmten Zeitpunkt charakteristisch ist für eine bestimmte Gesellschaft oder bestimmten Gruppen innerhalb dieser Gesellschaft. Veränderung gehört wesentlich zur Kleider-Mode, die ein Produkt der modernen europäischen Industriegesellschaft des 19. Jahrhunderts ist. Soziologische und andere Analysen von Mode wechseln üblicherweise zwischen diesen beiden Perspektiven – der weiteren und der engeren – hin und her, und es ist gerade diese Uneindeutigkeit, die Verwirrung stiftet. Beide sollten jedoch analytisch deutlich getrennt werden. [Kawamura 2004, 5-6]
Modedesignerinnen: Die Personifizierung der Mode ModedesignerInnen sind zweifellos Schlüsselfiguren in der Herstellung von Mode und spielen eine wichtige Rolle bei ihrer Erhaltung, Reproduktion und Verbreitung. Sie stehen an vorderster Front, da ihre Teilnahme am Modesystem ihren Status und ihren Ruf bestimmt. Ohne ModedesignerInnen wird Kleidung nicht zur Mode. Zwar darf man dabei nicht vergessen, dass sie nicht die einzigen AkteurInnen sind und dass sie nicht allein, ohne die Mitarbeit anderer SpezialistInnen und der ProduzentInnen, Mode erzeugen können, doch sind DesignerInnen die ›Stars‹ der Modeproduktion und müssen als solche dargestellt werden. Mit den Stars erstrahlt die Mode in all ihrem Glanz. DesignerInnen personifizieren die Mode, und ihre Entwürfe objektivieren sie. Daher sind DesignerInnen und Kleidung untrennbar mit dem Verständnis von Mode verbunden. Viele sind an den Prozessen der Produktion des Endprodukts, d.h. des fertigen Kleidungsstücks, sowie an der Etikettierung der Kleidung als Mode beteiligt. [… Die Aufgabe der DesignerInnen] ist es, Kleider zu entwerfen, doch das ist nur ihre augenscheinliche Funktion. Die DesignerInnen personifizieren ›Mode‹, die zeitgemäß und aktuell ist und als wünschenswert betrachtet wird. [Kawamura 2005, 57] 13 | Sumner, William Graham (1906/1940): Folkways: A Study of the Sociological Importance of Usages, Manners, Customs, Mores and Morals. Boston: Ginn and Company.
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Designerinnen, Kreativität und Sozialstruktur AkteurInnen im System haben gemeinsame Werte, um ihre jeweiligen Ziele zu erreichen. Jeder bzw. jede Beteiligte hat individuelle Ziele, die durch die Mitwirkung am System erfüllt werden, spielt eine bestimmte Rolle im Gesamtsystem und bezieht Vorteile daraus. Dass jemand zum Designer bzw. zur Designerin wird, liegt nicht in der Verantwortlichkeit eines oder einer Einzelnen, sondern vollzieht sich als kollektive Aktivität. Es liegt nahe, Modeinstitutionen und das Modesystem in Bezug auf die Menschen zu betrachten, deren kollektives Handeln das Modesystem erzeugt, weil es immer eine Korrelation gibt zwischen Sozialstrukturen und dem Handeln kollektiv arbeitender Menschen. Durch diese kooperativen Netzwerke entsteht Mode. Alle Elemente und jedes Individuum mit seinen jeweiligen verborgenen und offensichtlichen Funktionen innerhalb der Institution sind voneinander abhängig. Keiner von ihnen ist unverzichtbar bei der Erzeugung von Mode. So gehören sowohl Institutionen als auch kreative Einzelpersonen dem System an, das dazu beigetragen hat, Paris zur Hauptstadt der Mode zu machen. In jeder Organisation kann eine kleine Anzahl von Personen Autorität ausüben. Die maßgeblichen Eliten pflegen für gewöhnlich eine gemeinsame Kultur und mobilisieren sich formell wie informell in dem Sinne, dass sie zusammen handeln, um ihre Position zu verteidigen, die sie zu ihrem eigenen sowie zum institutionellen Vorteil gebrauchen. Sie sind es, die als TorhüterInnen [engl. »gatekeepers«, Anm. d. Ü.] agieren und einen verbindlichen Standard der Ästhetik der äußeren Erscheinung bestimmen, indem sie sich Paris als ihre symbolische Hauptstadt zunutze machen. Während gewöhnlich ausschließlich Talent und Kreativität angeführt werden, um den Erfolg und Ruhm eines Modedesigners bzw. einer Modedesignerin zu erklären, ist aber tatsächlich ausschlaggebend, dass man die Struktur des Modesystems versteht, die die Vergabe des offiziellen Status eines Designers bzw. einer Designerin ermöglicht. Das Konzept der Kreativität in der Mode ist schwer fassbar, so wie bei jeder künstlerischen Tätigkeit, doch geht man im Allgemeinen und sicherlich mit Recht davon aus, dass das Machen von Mode besondere Fähigkeiten verlangt. Modefachleute, die über die Autorität verfügen, kreative DesignerInnen zu ernennen, verweisen mehrheitlich auf deren innovative Einstellung und angeborenes Talent. Zwar ist es keineswegs falsch zu behaupten, diese DesignerInnen seien begabt, doch verleihen diese Begabungen für sich genommen noch nicht einen allseits anerkannten Status. Jeder Mensch hat den Drang, etwas zu erschaffen, und besitzt die Veranlagung zur Kreativität, doch äußere Kräfte sind erforderlich, um die kreative Arbeit oder das Endprodukt tatsächlich als ›kreativ‹ zu legitimieren. Das Konzept von Kreativität muss also hinterfragt werden. Untersucht man die institutionellen Faktoren, die beim sozialen Prozess des ›Machens‹ eines Designers bzw. einer Designerin wirksam sind, werden sich einige Antworten auf diese schwierige Frage ergeben. Ich stimme nicht mit der konventionellen Vorstellung über-
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ein, dass jede große Kunst früher oder später erkannt werden wird, weil große SchöpferInnen mit außergewöhnlichen Begabungen Kunstwerke mit universellen ästhetischen Qualitäten hervorbringen […]. In dieser Theorie bleiben die sozialen Prozesse und Faktoren, in die schöpferisch tätige Menschen verwickelt sind, unberücksichtigt. Seit 1970 genießen japanische DesignerInnen einen angesehenen Ruf in Paris, und ohne sie wäre keine Geschichte der Mode vollständig. Wie ich bereits in meiner empirischen Studie (Kawamura 200414) betont habe, war es nicht nur ihre Kreativität, die sie berühmt machte und ihnen den Weg nach Paris ebnete. Wenn die Talente eines Designers bzw. einer Designerin direkt mit Prestige und Erfolg korrelieren würden, hätten diese DesignerInnen ebenso gut in Japan bleiben können. Der konventionellen Ansicht zufolge wären sie, ganz gleich wo sie waren, von EntscheidungsträgerInnen der Mode entdeckt worden. Paris ist jedoch die ultimative ›symbolische Hauptstadt‹ (Bourdieu 198415) für DesignerInnen, vor allem für nicht-westliche DesignerInnen, weil ›Mode‹ ursprünglich für ein westliches Konzept gehalten wurde. Sind sie erst einmal vom französischen Modesystem anerkannt, haben sie die Eintrittskarte, um überall auf der Welt zu wirken, und ihr Ruf ist gesichert. […] Indem ich den institutionellen Raum der Mode, über den wenig systematische Informationen vorliegen, detailliert beschreibe und analysiere, verwerfe ich zugleich die mythische Vorstellung von DesignerInnen als ›kreative Genies‹ ohne Verbindung zu gesellschaftlichen Kontexten. Die institutionelle Struktur, in der das Phänomen Mode existiert, ist in Studien über Mode weitgehend vernachlässigt worden. Eine Analyse der DesignerInnen, vor allem japanischer Avantgarde-DesignerInnen, kann die Kriterien liefern, derer sich die TorhüterInnen der Mode bei der Bewertung innovativer DesignerInnen bedienen. Bekannte DesignerInnen gelten, wie gesagt, als kreativ und verfügen über außergewöhnliche Fähigkeiten. Es ist jedoch die Aufnahme in das System, die über die Kreativität des Designers bzw. der Designerin bestimmt. Entscheidend ist dabei die organisatorische Struktur des Systems zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Designer bzw. eine Designerin Zugang zum System sucht. Als Beispiel bietet sich Rei Kawakubo an, eine japanische Avantgarde-Designerin, weil sie sich einzigartiger Methoden bedient, um ihre abstrakten Konzepte in materielle Kleidung umzusetzen. Die Gestaltung ist aber, wie gesagt, nicht der wichtigste Gesichtspunkt bei der Definition von Kreativität. Wichtiger ist: Das System muss DesignerInnen den Status von kreativen ModeschöpferIn14 | Kawamura, Yuniya (2004): The Japanese Revolution in Paris Fashion. Oxford: Berg. Anm. d. Hg.: Textstellen der Seiten 1-3, 5-6 und 61-63 aus Kawamura 2004 sind hier abgedruckt. 15 | Bourdieu, Pierre (1984 [frz. 1979, dt. 1987]): Distinction: A Social Critique of a Judgement of Taste. Übers. v. Richard Nice. Cambridge: Harvard University Press.
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nen zusprechen. Denn ohne sie würde es seine Existenzberechtigung verlieren. […] Mit ihrer Zugehörigkeit zum Modesystem erwerben DesignerInnen zunächst legale Herrschaft mit rationalem Charakter16, und es wird von ihnen erwartet, dass sie sich an die Regeln und Vorschriften des Systems halten. Das Modesystem verleiht charismatische Herrschaft, d.h. den mythischen Status des ›großen Designers‹ bzw. der ›großen Designerin‹. Diese ist eine Umkehr von Webers (1947 [dt. 1921/1922]) Theorie der Herrschaft, in der die charismatische Herrschaft der legal-rationalen vorangeht. In ähnlicher Weise entsteht die Herrschaft des Systems aus der Herrschaft der DesignerInnen. Charismatische Herrschaft beruht auf den persönlichen Eigenschaften eines Führers, sodass die Beherrschten sich aufgrund ihres Glaubens an die außergewöhnlichen Eigenschaften dieser Person unterwerfen; die Legitimität charismatischer Herrschaft beruht daher auf dem Glauben an magische Kräfte, Offenbarungen und Heldenverehrung (Gerth u. Mills 197017). Somit bedarf charismatische Herrschaft keiner wissenschaftlichen oder faktischen Belege, um eine scheinbar übernatürliche Begabung unter Beweis zu stellen. Um Charisma zu erhalten, müssen Anhänger angezogen werden, sodass eine Hierarchie entsteht: oben sind die, die die außergewöhnlichen Fähigkeiten haben, und unten die, die sie nicht haben. […] Die charismatische Herrschaft der ›großen‹ DesignerInnen wird durch das Modesystem ratifiziert, ja produziert. [Kawamura 2005, 60-63]
Modenschauen im modernen System als Mobilisierungsritual Die ersten institutionalisierten, zweimal im Jahr veranstalteten Modenschauen fanden in Frankreich im Jahr 1910 statt. Modenschauen ermöglichen systemische Interaktionen, die sich gewöhnlich als wechselseitige Beeinflussung von Mitgliedern derselben Gruppen realisieren. […] DesignerInnen veranstal16 | Max Weber unterscheidet drei Formen der Herrschaft: die traditionale, die legale-rationale und die charismatische. Letztgenannte rückte erstmals in Webers Herrschaftsanalyse in den Mittelpunkt. Im Gegensatz zur legalen-rationalen Herrschaft wird die charismatische Herrschaft einem Führer von seinen Jüngern und Anhängern in der Überzeugung verliehen, der Machtanspruch des Führers resultiere aus außergewöhnlichen persönlichen Begabungen. Mit dem Tod des Führers löst sich die Gefolgschaft entweder auf oder sie überführt ihre auf charismatische Herrschaft gegründeten Überzeugungen und Praktiken in die traditionale Herrschaft legaler Bestimmungen. Charismatische Herrschaft ist somit instabil und befristet (Weber, Max (1947 [dt. 1921/1922]): The Theory of Social and Economic Organization. Übers. v. A. M. Henderson mit einem Vorwort v. Talcott Parsons. Oxford: Oxford University Press). 17 | Gerth, H. H.; Mills, C. Wright (1970): From Max Weber: Essays in Sociology. Oxford: Oxford University Press.
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ten Modenschauen, um ihre Arbeit den SpezialistInnen der Branche, den TorhüterInnen, zu präsentieren. Modenschauen begannen als Verkaufsveranstaltungen und sind mittlerweile zum unverzichtbaren Ritual des Modesystems geworden. Im Verlauf der letzten dreißig Jahre hat sich die traditionelle Laufstegschau von einem privaten, kommerziellen Vorgang, der hinter verschlossenen Türen abgehalten wurde, zu einem öffentlichen Spektakel gewandelt, das teils Theater, teils Performance und teils Unterhaltung ist (Sudjic 1990, 2518). Daher sind Kommentare von ZuschauerInnen oder KonsumentInnen wie ›Wer kann das tragen?‹ oder ›Ich will das nicht tragen‹ für die DesignerInnen bedeutungslos. Auch wenn diese Veranstaltungen keine religiösen Implikationen haben, enthalten sie etliche Elemente, die sich in Durkheims Theorie der rituellen Herstellung moralischer Solidarität finden (1912/196519). Durkheim zufolge sind die Elemente eines Rituals (1) leibliche Kopräsenz einer Gruppe, (2) ein von allen Beteiligten geteiltes Bewusstsein für einen gemeinsamen Fokus der Aufmerksamkeit und (3) ein gemeinsamer Gefühlszustand. Haben die Modenschauen erst einmal begonnen, reproduzieren und intensivieren sich (2) und (3) von selbst. Die Ergebnisse sind (4) Symbole oder ›heilige Objekte‹, die die Mitgliedschaft in der Gruppe repräsentieren, und (5) emotionale Energie für die Beteiligten. Indem sie mehrmals im Jahr mit dem gemeinsamen Interesse in Paris zusammenkommen, um den bestehenden Status talentierter DesignerInnen zu bestätigen und neue zu entdecken, bekräftigen alle Beteiligten an den Veranstaltungen während der Modewochen ihre Zugehörigkeit zum System und verfestigen die Überzeugung, dass sich die besten DesignerInnen in Paris finden. Rituale schaffen emotionale Bindungen und ein kollektives Bewusstsein. Sie festigen den Zusammenhalt einer Gruppe und lassen die Art und Weise, wie sie organisiert ist, als unbestreitbare Realität erscheinen. Die Beteiligten stärken die Position der dominanten Mitglieder der Gruppe. Betrachtet man die Zeremonien, denen Gruppen und Gesellschaften große Bedeutung beimessen, so sieht man, dass sie in der Regel äußerst stereotype Rituale mit großen Menschenversammlungen verbinden. Rituelle Handlungen, die sich wiederholt unter allen Individuen ereignen, festigen und erhalten den Glauben, dass Paris das Zentrum der Mode sei. Durch Praktiken wie diese reproduzieren sich die jeweiligen Gruppen der Mode-Eliten. Modenschauen sind nicht nur Veranstaltungen für SpezialistInnen, sondern auch kulturelle Ereignisse im umfassenderen Sinn. So qualifizieren sich DesignerInnen durch die Teilnahme an den zweimal jährlich stattfindenden Modenschauwochen für
18 | Sudjic, Deyan (1990): Rei Kawakubo and Comme des Garçons. New York: Rizzoli. 19 | Durkheim, Emile (1912/1965 [dt. 2007]): The Elementary Forms of Religious Life. New York: Free Press.
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den Status anerkannter DesignerInnen in Paris.20 Wer es versäumt, weiter an Modenschauen teilzunehmen, riskiert den Verlust seines Status, es sei denn man ist so etabliert wie Pierre Cardin, der seine Couture-Schauen 1992 einstellte und nicht mehr Mitglied der Chambre Syndicale de la Haute Couture ist. Modenschauen sind für DesignerInnen – wie Galerieausstellungen für KünstlerInnen –, Orte, wo sich Modefachleute versammeln, interagieren und urteilen. Wie mehrere meiner InterviewpartnerInnen betont haben, ist es eine Frage ›von Leben und Tod‹ für den Designer bzw. die Designerin, weil ihr Ruf so sehr von der Beurteilung der TorhüterInnen abhängt. […] Einige DesignerInnen wollen mit ihren Schöpfungen absichtlich provozieren, um sich die Aufmerksamkeit der Medien zu sichern. Ein Einkäufer aus New York zu Besuch in Paris meint: ›Eine ungewöhnliche Kollektion bedeutet ein größeres Publikum in der nächsten Saison. Auf diese Weise bekommt man als neuer Name mehr Aufmerksamkeit.‹ Heute geht es bei der Mode nicht um die Tragbarkeit und Funktionalität von Kleidung. Die Kleidung, die im Défilé gezeigt wird, geht selten in die Massenproduktion oder wird in Geschäften verkauft. Extravagante oder exzentrische Outfits sorgen für Bekanntheit und Ansehen, die es ermöglichen, bezahlbare und profitablere Produkte zu verkaufen, wie Parfüm und Kosmetika, die den Namen eines Designers bzw. einer Designerin tragen. In dieser Branche, in der so viel Wert auf Image gelegt wird, entwerfen Modenschauen das jeweilige Image, das DesignerInnen in der Öffentlichkeit haben wollen. [Kawamura 2004, 61-63]
20 | Anm. d. Hg.: Die Aufnahme von DesignerInnen in den offiziellen Modenschaukalender von Paris bestimmt in erster Instanz die Fédération Française de la Couture, du Prêt-à-Porter des Couturiers et des Créateurs de Mode, die sich seit 1973 aus drei Institutionen zusammensetzt: der Chambre Syndicale de la Haute Couture, der Chambre Syndicale du Prêt-à-Porter des Couturiers et des Créateurs de Mode und der Chambre Syndicale de la Mode Masculine.
12. Joanne Entwistle E INLEITUNG Mit der 2000 veröffentlichten Monografie The Fashioned Body. Fashion, dress and modern social theory legt die britische Soziologin Joanne Entwistle für all ihre folgenden Untersuchungen das theoretische Fundament. Vor dem Hintergrund anthropologischer, soziologischer und phänomenologischer Ansätze arbeitet sie das Verhältnis von Körper, Kleid und Mode heraus, einer, wie sie schreibt, Leerstelle bis dato sowohl in der Modeforschung als auch in der Soziologie (vgl. Entwistle 2000, 4). »Dress is the result of getting dressed« (ebda., 11): Damit konzentriert sich Entwistle nicht länger auf das vestimentäre Objekt, wie es in der Kostümkunde und Kleiderforschung lange Zeit üblich war, sondern sie versteht darunter Körperpraktiken, die nach Pierre Bourdieu beides sind: individuelle Handlungen (in dem Sinne, dass u.a. der phänomenale Leib empfunden wird) und sozial bedeutsame (Ausdruck von Identität). »Dress«, d.h. auch der aktive Umgang mit Kleidung, das »getting dressed«, werde von verschiedenen Faktoren wie Gender, Alter, Beruf u.a. bestimmt – Mode sei nur ein Faktor neben anderen (vgl. ebda., 49). Entwistle begreift Mode »as a specific system of dress« (ebda., 48), das zum einen materielle Kleidung herstelle und zum anderen »discourses and aesthetics around garments« (ebda.) bereitstelle. Sie sieht den Körper als Schnittstelle von »dress« und »fashion«: »[The] body [is] the link between the two: fashion articulates the body, producing discourses on the body which are translated into dress through the bodily practices of dressing on the part of individuals« (ebda., 4). Der Körper, der in den Schriften über Mode zwar immer wieder am Rande auftaucht, ohne jedoch theoretisch gefasst zu werden, steht im Zentrum von Entwistles Analysen. Ausgehend von Elisabeth Wilson, die 1985 in Adorned in Dreams betonte, wie wichtig der lebendige menschliche Körper für die Kleidermode sei, basieren Entwistles Analysen auf einer Verknüpfung (post)struktu-
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ralistischer, phänomenologischer und praxistheoretischer Körperkonzepte.1 Damit unterscheidet sie sich von deutschsprachigen ModetheoretikerInnen wie Gertrud Lehnert oder Barbara Vinken, deren Arbeiten ebenfalls Körper und Kleidermode aufeinander beziehen, jedoch stärken an performativen, dekonstruktivistischen und feministischen Theorien ausgerichtet sind. In ihren vor allem empirischen Arbeiten beschäftigt sich Entwistle zunächst mit dem weiblichen Powerdressing (vgl. Entwistle 1997 u. 2001) und hat sich in den letzten Jahren Models, Modenschauen und ihrer Stellung im Kreislauf der Mode bzw. des Modesystems zugewandt (vgl. Entwistle 2009; Entwistle u. Wissinger 2012). Auch der vorliegende Auszug aus dem Aufsatz »Global flows, local encounters« basiert auf Feldforschungen, für die Entwistle EinkäuferInnen eines Londoner Warenhauses auf ihren Reisen begleitete, auf denen diese Modelle für die kommenden Saisons einkauften. Sie fragt danach, wo und wie das Wissen über das Neue in der Mode (hier: High Fashion, Prêtà-porter) entsteht und zirkuliert. Indem Entwistle das Wissen über die neuste Mode an bzw. auf den Körpern der EinkäuferInnen verortet, verdeutlicht sie die Grenzen der bisher auf ökonomische Prozesse angewandten Wissenskonzepte. Mit dem Körper als Wissensträger sowie seiner Mobilität wird erstens die Dichotomie von global und lokal hinfällig, die der Verortung von Wissen für gewöhnlich zugrunde liegt: Reisen die EinkäuferInnen in die relevanten Städte, sind sie zusammen mit den Models Teil eines globalen Netzwerks. Zugleich sind sie vor Ort, tauchen in lokale Szenen ein und treffen aufeinander »to circulate and perform fashion knowledge« (Entwistle 2010, 8). Immer dabei haben sie ihren Körper, der Teil eines Netzwerkes ist und stets in Relation zu anderen steht. Entwistle plädiert zweitens dafür, im konkreten Fall der EinkäuferInnen von einem »tacit knowledge«, d.h. einem impliziten Wissen auszugehen, das für das Erkennen neuer modischer Erscheinung notwendig ist und genutzt wird. Den Begriff vom impliziten bzw. stummen (»tacit«) Wissen hat der Naturwissenschaftler und Philosoph Michael Polanyi (1985 [engl. 1966]) geprägt, dessen Feststellung Bekanntheit erlangt hat, »daß wir mehr wissen, als wir zu sagen wissen« (Polanyi 1985, 14). Implizites Wissen lässt sich nicht in Begriffe fassen, sondern allenfalls zeigen. Das implizite Wissen der Mode ist ebenfalls nicht-begrifflich, sondern räumlich, ästhetisch, sinnlich wahrnehmbar, verkörpert und performativ (vgl. Entwistle 2010, 11). Es ist die Anwesenheit von Körpern in Räumen, die wahrnehmen und wahrgenommen bzw. erfahren werden; es ist die Aus- und Aufführung bestimmter Praktiken an spezifischen Orten, die Verkörperung eines Habitus. »[F]ashion knowledge […] is worn on the body« (ebda.), es lässt sich mitunter spüren (als spezifische Atmosphäre) und ist weniger in offiziellen Modenschauen als vielmehr in den 1 | Bezugspunkte sind für Entwistle die Theorien von Mary Douglas, Victor Turner, Michel Foucault, Maurice Merleau-Ponty und Pierre Bourdieu.
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›angesagten‹ Vierteln, Straßen, Hotels, Bars und Restaurants zu finden. Was die EinkäuferInnen tun, ihr Verhalten und ihre Wahrnehmung ähneln Beobachtungen zweiter Ordnung, von denen in Elena Espositos systemtheoretischem, jedoch allgemein gehaltenen Ansatz die Rede ist (vgl. Esposito 2004 u. 2011). Entwistles Feldforschung ist zugleich ein Beleg für die These Barbara Vinkens, wonach der Ort Mode seit den 1970er Jahren die Straße sei und für neue Trends das Bubble-Up statt Trickle-Down gelte. Zudem zeigt die Studie, wie das »fashion system« und die darin Beschäftigten ihre eigene Professionalisierung vorantreiben. Trotz des aufgrund der Feldstudie eng gesteckten Rahmens und somit einer Untersuchung auf der Mikroebene zeigt Entwistle, dass sich ›das Neue‹ in der Mode nicht auf die kreative Autorität von DesignerInnen reduzieren lässt, deren Ideen und Kollektionen 1:1 ›nach unten‹ weitergegeben werden und die als Einzige Modeprozesse steuern und kontrollieren. Stattdessen ist ästhetische Kompetenz ein Wissen, das an vielen Stellen im komplexen Modesystem entstehen und weitergegeben werden kann. Sowie Kleidermode sich als Körperpraktik definieren lässt, ist das Wissen der Mode stets ein Wissen, das von Körpern handelt und von diesen weitergegeben wird.
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G LOBALE S TRÖME , LOK ALE B EGEGNUNGEN : VERRÄUMLICHUNG VON IMPLIZITEM ÄSTHETISCHEM W ISSEN IN DER H IGH FASHION (2010) Einführung Wissen in der High Fashion1 ist von globalen Strömen abhängig – von Menschen, Waren, Bildern und Stilen. Wer über High Fashion Bescheid wissen will, muss ein über die ganze Welt verteiltes Universum von ModemacherInnen, Modehäusern, großen Kaufhäusern und Kleidungsstilen verstehen und einordnen können. Zusammen mit den Kleidern umrunden DesignerInnen, StylistInnen, FotografInnen und Models regelmäßig den Globus, von der Weltpresse werden Bilder von Modenschauen verbreitet, während Modezeitschriften ihren LeserInnen regelmäßig verraten, was in der nächsten Saison ›angesagt‹ sein wird. Somit ist Modewissen scheinbar global und freibeweglich. Doch Modewissen ist gleichzeitig auch lokal verortet und angewiesen auf relativ geschlossene und lokale Netzwerke von AkteurInnen innerhalb großstädtischer Zentren der Kreativität, was Breward und Gilbert (20062) als »fashion’s world cities«, die »Weltstädte der Mode«, bezeichnen. Die Verbreitung von Wissen beruht also zum großen Teil auf direkter Interaktion und dem ›Vor-Ort-Sein‹ in den verschiedenen Städten der Mode, vor allem bei wichtigen Branchenveranstaltungen wie den zweimal jährlich veranstalteten Fashion Weeks. Diese Ereignisse sind von entscheidender Bedeutung im gesamten zeitlichen und räumlichen Strom von Modewissen. In diesem Beitrag beschäftige ich mich mit den besonderen räumlichen Dimensionen von dem, das ich andernorts (Entwistle 20093) als implizites ästhetisches Wissen innerhalb der High Fashion bezeichnet habe. Aus Gründen, die weiter unten ausgeführt werden, ist dieses implizite ästhetische Wissen entscheidend für den Markt der High Fashion. In diesen Aufsatz fließen Feldstudien im Warenhaus Selfridges in der Londoner Oxford Street ebenso ein wie die Beobachtung von EinkäuferInnen, die ich begleitet habe, und frühere Arbeiten über Models in London und New York. Im Folgenden untersuche ich die räumlichen Zuordnungen und Ströme des Wissens in der High Fashion. Es ist wichtig, gleich am Anfang festzuhalten, dass es innerhalb des hochdifferenzierten Markts für modische Kleidung 1 | Anm. d. Hg.: Mit der Bezeichnung »High Fashion« ist das Segment von Modekleidung gemeint, die vor allem hochpreisig, exklusiv und meist mit einem Designerlabel versehen ist. 2 | Breward, Christopher; Gilbert, David (Hg.) (2006): Fashion’s World Cities. Oxford: Berg. 3 | Entwistle, Joanne (2009): The Aesthetic Economy of Fashion: Markets and Value in Clothing and Modelling. Oxford: Berg.
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unterschiedliche globale Kreise oder Netzwerke gibt. So ist Unternehmen der Mittelklasse der Zugang zu den exklusiven Prêt-à-porter-Modenschauen verwehrt, und das mittlere Segment hat andere Liefer-, Verteilungs- und kulturelle Netzwerke als das High-End-Segment. Auf Reiserouten des mittleren Marktsegments könnten etwa die Türkei und China liegen, während EinkäuferInnen für Selfridges die exklusiven DesignerInnensalons entlang der Pariser Rue du Faubourg Saint-Honoré oder die über den Londoner Bezirk Hoxton verstreuten Ateliers besuchen. [Entwistle 2010, 3-4]
Die Bedeutung von implizitem Wissen in der Mode Implizites Wissen wird seit langem hoch geschätzt. Diskussionen über die »Omnipräsenz« von Kodifiziertem und von Wissen (Maskell u. Malmberg 1999 4) legen nahe, dass die implizite Dimension Unternehmen oder Firmen unter Umständen einen Wettbewerbsvorteil verschaffe, womit sie auf dem Markt etwas Anderes als die anderen oder etwas Einzigartiges anbieten können. Dieses Argument ist relevant für die Mode. Ein großer Teil des Modewissens ist allgegenwärtig, so werden zum Beispiel die Trends der nächsten Saison von Agenturen für Trendforschung wie das Worth Global Style Network (WGSN) sowie durch Modezeitschriften und Blogs in Umlauf gebracht. Doch es ist gerade die Allgegenwart dieses Wissens, die seinen Wert untergräbt. Diese These wird durch die wesentliche Eigenschaft der High Fashion bekräftigt. Als ein Kind der Moderne ist modische Kleidung ständig in Bewegung, angetrieben von einem unstillbaren Streben nach Neuheit: ›Vorreiter‹ in Sachen Mode zu sein heißt, etwas von dem ›Neuen‹ erfasst zu haben. Ein solches Wissen ist per definitionem nicht weit verbreitet: Ist High Fashion erst einmal allgegenwärtig geworden, hat sie ihre Bedeutung als ›Vorreiterin‹ oder als etwas ›Cooles‹ eingebüßt. Aus diesem Grund wird implizites Wissen innerhalb der High Fashion hoch geschätzt, da angenommen wird, dass es aktuellen, im Entstehen begriffenen Trends nahe kommt und daher ›einen Schritt voraus‹ ist. […] Wer dem eigenen ›Gefühl‹ folgen will, ist, wie im Folgenden ausgeführt, darauf angewiesen, implizites ästhetisches Wissen zu erwerben, das ›in der Luft‹ liegt und sowohl lokal verortet ist als auch global zirkuliert.
Kartierung von implizitem ästhetischem Wissen in der High Fashion […] Welche Bedeutung dem Erspüren von ›Stimmungen‹ und ›Atmosphären‹ zukommt, wurde mir klar, als ich das Verhalten von EinkäuferInnen in Städten im Ausland beobachtete. Tatsächlich wird auf Einkaufsreisen sehr viel Zeit 4 | Maskell, Peter; Malmberg Anders (1999): The Competitiveness of Firms and Regions: Ubiquification and the Importance of Localised Learning. In: European and Regional Studies, Bd. 6, Nr. 1, S. 9-25.
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damit verbracht, sich einfach umzusehen und zu erspüren, was los ist. Das überrascht nicht: Städte spielen eine entscheidende Rolle beim Entstehen und bei der Verbreitung von Modewissen und Stilen ästhetischen Handelns – in ihnen kann sich ästhetische Kreativität bündeln und sie dienen als Präsentationsräume. Seit den Zeiten der ersten Dandys (Breward 19955; Wilson 20036) bis zu den jugendlichen Subkulturen des Post-Punk (Maffesoli 19967; Sweetman 20048) sind Städte Räume modischer Präsentation, und viele neue Stile tauchen plötzlich auf der Straße auf (Polhemus 19949) und werden oben übernommen [engl. »bubble up«, Anm. d. Ü.]. Versuche von Trendspottern und PrognostikerInnen, diese zu erfassen und zu kodifizieren, sind kein wirklicher Ersatz dafür, ›vor Ort‹ zu sein, da solche Trends von der Straße schneller auftauchen und verschwinden, als es braucht, sie systematisch zu erfassen. Deswegen gehen EinkäuferInnen nicht nur auf Akquisereisen, sondern unternehmen auch ohne Einkaufsbudget reine Erkundungsreisen in alle möglichen Regionen der Welt. […] Mit ModeeinkäuferInnen, die die Welt bereisen, um in fernen Städten neue Ideen zu sammeln, hat Modewissen nachweislich eine ›globale‹ Dimension. Sie sind eingebunden in ein Netzwerk von Kreativen, die ähnlich global agieren – DesignerInnen, Models, FotografInnen, StylistInnen, JournalistInnen – und zwischen den Zentren der Mode hin- und herreisen und Branchenveranstaltungen wie die Première Vision in Paris besuchen. Dabei handelt es sich vordergründig um Fachveranstaltungen, doch tragen sie auch dazu bei, die Gemeinschaft der in der Modebranche Beschäftigten zu stabilisieren, die zusammenkommen, um untereinander Modewissen auszutauschen und »aufzuführen« (Entwistle u. Rocamora 200610). Zwar sind diese Fachveranstaltungen in ein ›globales‹ Netz von Menschen und Wissen eingebunden, doch sind sie gleichzeitig auch in hohem Maße in den »Weltstädten der Mode« (Breward u. Gilbert 2006) verortet und damit an spezifische räumlich-ästhetische Ver5 | Breward, Christopher (1995): The Culture of Fashion. Manchester: Manchester University Press. 6 | Wilson, Elisabeth (2003): Adorned in Dreams: Fashion and Modernity. London: I.B. Taurus. 7 | Maffesoli, Michel (1996): The Time of the Tribes: The Decline of Individualism in Mass Society. Oxford: Routledge. 8 | Sweetman, Paul (2004): Tourists and Travellers? »Subcultures«, Reflexive Identities and Neo-Tribal Sociality. In: Andy Bennett (Hg.): After Subculture: Critical Studies in Contemporary Youth Culture. Basingstoke: Palgrave Macmillan, S. 79-93. 9 | Polhemus, Ted (1994): Streetstyle: From Sidewalk to Catwalk. London: Thames and Hudson. 10 | Entwistle, Joanne; Rocamora, Agnès (2006): The Field of Fashion Realized: The Case Study of London Fashion Week. In: Sociology, Bd. 40, Nr. 4, S. 735-750.
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ständnisse geknüpft. Innerhalb dieser Städte sind die Modeunternehmen in bestimmten Stadtteilen konzentriert, etwa im Londoner Shoreditch oder im New Yorker SoHo. Diese räumliche Konzentration prägt auch das Arbeitsleben der in der Modebranche Beschäftigten: Während sich im Modelbereich die bedeutendsten Agenturen, die wichtigsten Fotostudios und die Hauptsitze der DesignerInnen in bestimmten Stadtteilen ballen (Entwistle u. Wissinger 200611), gibt es in anderen Stadtteilen eine Häufung von Unternehmen des Mode-Einzelhandels: die Zentralen, die wichtigsten Ateliers sowie die Flagship Stores großer Modehäuser, die von EinkäuferInnen frequentiert werden. Derartige Ballungen lassen sich auch in anderen Bereichen der Kreativbranche beobachten. So ist in London die Werbebranche vor allem in der Gegend um Soho konzentriert und bildet zusammen mit vielen kreativen Dienstleistungsunternehmen, die ihr zuarbeiten (z.B. im Bereich Film und Fotografie), ein »ad village«, wie Grabher (2002, 25412) es bezeichnet. Modewissen lässt sich daher schwer als entweder ›lokal‹ oder ›global‹ bezeichnen. Es ist eher verortet und ›klebrig‹, während es gleichzeitig global gestreut ist. Das verkompliziert unser Verständnis davon, wie Wissen verortet ist und wie es übertragen wird, worauf vor kurzem auch Kritiken hingewiesen haben, denn die herkömmliche Zuordnung von Wissen unterscheidet lediglich zwischen kodiert/global und implizit/lokal. Neueste Untersuchungen haben gezeigt, dass implizites Wissen nicht immer von räumlicher Nähe abhängig sein muss, sondern unter bestimmten Umständen ›mobil‹ sein kann, und zwar leichter als zuvor angenommen. […] Während meiner Reisen mit EinkäuferInnen wurde schnell deutlich, dass sich Menschen, die in der Modebranche arbeiten, oft als ›Rudel‹ durch die Städte der Mode bewegen, in denselben Hotels wohnen, dieselben Bars und Cafés aufsuchen, zu denselben Modenschauen auf den Fashion Weeks gehen, dieselben Ateliers von ModedesignerInnen besuchen, in denselben ›angesagten‹ Restaurants essen und sich in denselben schicken Hotelfoyers treffen. Auf meinen New Yorker und Pariser Reisen mit den EinkäuferInnen hatte ich das Glück, in denselben Hotels zu logieren wie sie, weshalb ich einiges von ihrer Arbeitsumgebung und -atmosphäre mitbekommen konnte. Tatsächlich werden die Hotels sorgfältig ausgewählt, da diese Wahl Rückschlüsse auf das jeweilige Kaufhaus (in diesem Fall Selfridges) zulässt. Eine Einkäuferin erwähnte bei einem Gespräch in New York, wie wichtig es sei, in dem ›richtigen‹ angesagten Hotel zu wohnen, da dies den LieferantInnen deutlich mache, 11 | Entwistle, Joanne; Wissinger, Elisabeth (2006): Keeping up Appearances: Aesthetic Labour in the Fashion Modelling Industries of London and New York. In: Sociological Review, Bd. 54, Nr. 4, S. 774-794. 12 | Grabher, Gernot (2002): The Project Ecology of Advertising: Tasks, Talents and Teams. In: Regional Studies, Bd. 36, Nr. 3, S. 245-262.
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welchen Status Selfridges in der High Fashion einnimmt. Für diese Reise war das glamouröse Hudson Hotel in der Nähe des Central Park ein ideales Hauptquartier für die EinkäuferInnen von Selfridges, mit seiner stilvollen Lounge und dezent beleuchteten Barräumen, seiner Sky-Lobby und der sanften elektronischen Hintergrundmusik in der Eingangshalle. Das gleiche gilt für Restaurants und Cafés. Das angesagte Restaurant Balthazar in der Spring Street in SoHo wurde von der Einkäuferin für Denim-Kleidung vorgeschlagen, als wir in der Gegend unterwegs waren, um Preise zu vergleichen. Das Restaurant ist seit langem beliebt bei Mode-Insidern, da es in der Nähe vieler Modelagenturen und Flagship Stores gelegen ist und die Möglichkeit bietet, die modische New Yorker Szene zu beobachten. Innerhalb dieser sorgfältig ausgewählten Schauplätze und Kulissen treffen Mode-Insider einander. So kamen wir in Paris auf dem Weg zu einer Hotelsuite, wo eine Kollektion vorgeführt wurde, an der Modedesignerin Stella McCartney vorbei, die gerade in der Lobby beim Kaffee saß. Diese gemeinsamen sozialen Räume bilden die Kulisse für die Arbeit der Mode-Insider und prägen ihre Begegnungen – sie ermöglichen ihnen, andere wichtige AkteurInnen der Branche zu treffen –, was wiederum in ihr Modebewusstsein einfließt. Zum Geschäftemachen in Branchen wie dieser gehört es eben auch, gesellig ›zusammenzuhocken‹ und das »noise« [›Hintergrundrauschen‹, Anm. d. Ü.] der Umgebung aufzunehmen (Grabher 2002). Dieses »noise« bildet einen Hintergrund ihrer Arbeit, nicht als unmittelbare Information, sondern als »ein Gebräu von Gerüchten, Eindrücken, Empfehlungen, Branchenfolklore, strategischen Fehlinformationen«13 (Grabher 2002, 254; vgl. auch Brown u. Duguid 199614). Doch diese Landkarte der Mode verkompliziert das übliche Verständnis dessen, was ›lokal‹ und ›global‹ bedeuten: Diese Räume scheinen gleichzeitig beides zu sein. Für Selfridges-EinkäuferInnen ist Paris vielleicht nicht ›lokal‹ im Sinne von heimisch wie London, aber doch ein Ort, den sie häufig besuchen und bestens kennen. Während Begriffe wie »buzz« [eine Mischung aus Klatsch, Gerüchten und ›in der Luft liegenden‹ neuen Trends, Anm. d. Ü.] und »noise« (Bathelt, Malmberg u. Maskell 200415; Bathelt 200716; Grabher 2002; 13 | Deutsche Übersetzung von Matthias Müller. 14 | Brown, John S.; Duguid, Paul (1991): Organizational Learning and Communities of Practice: Towards a Unified View of Learning and Innovation. In: Michael D. Cohen u. Lee S. Sproull (Hg.): Organizational Learning. London: Sage, S. 40-54. 15 | Bathelt, Harald; Malmberg Anders u. Maskell, Peter (2004): Clusters and Knowledge: Local Buzz, Global Pipelines and the Processes of Knowledge Creation. In: Progress in Human Geography, Bd. 28, Nr. 1, S. 31-56. 16 | Bathelt, Harald (2007): Buzz-and-Pipeline: Toward a Knowledge-Based Multiplier Model of Clusters. Geography Compass, Bd. 1, Nr. 6, S. 1282-1298.
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Bathelt u. Schuldt 200817) etwas von der Dynamik in situ einfangen, bedeutet lokales »buzz« etwas anderes in der Mode: Es ist ebenso wichtig, in einem Café in SoHo, New York gemeinsam zusammenzuhocken wie in Soho, London, da lokales »buzz« nicht nur in der unmittelbaren Umgebung der Oxford Street gefunden wird. Die »Ökologie« von lokalem »buzz« (Bathelt u. Schuldt 2008) in der Mode hängt somit von etablierten geografischen Reiserouten ab, die globale ModespezialistInnen mit lokalen kreativen Szenen in entfernten Städten verbindet. Mit anderen Worten, geografische Entfernung begrenzt nicht das, was in der Mode als lokales »buzz« gilt, und daher beziehen sich ›lokal‹ und ›global‹ nicht auf festgelegte räumliche Grenzen, sondern auf die globale Zirkulation von lokalem »buzz« bzw. Wissen. Doch statt die Begriffe ›lokal‹ und ›global‹ als feststehende räumliche Dimensionen oder Eigenschaften zu denken, ist es nützlicher, die Analogie des Netzwerks zu bemühen und zu untersuchen, wie es sich entsprechend der empirischen Arbeitsrealitäten in dieser Branche ›ausdehnt‹. In dem Maße, wie die EinkäuferInnen von Stadt zu Stadt reisen, dehnen sich auch ihre Netzwerke aus und umfassen immer mehr Räume und AkteurInnen. […] Das Wissen von Selfridges hängt somit von einer komplexen räumlichen Ökologie ab. Diese Vermischung räumlicher Maßstäbe wird ansatzweise auch in jüngeren Arbeiten über Wissen thematisiert. Malecki (2000, 11118) bemerkt, dass manche Unternehmen sich zwar noch auf normale örtliche Netzwerke stützen, doch dass »das stärkere örtliche Umfeld für Firmen jenes ist, in dem sowohl lokale Verknüpfungen reichlich vorhanden und Wissensströme von und zu anderen Orten üblich sind«.19 So ist die Geografie von implizitem Modewissen eine Mischung aus relationaler und räumlicher Nähe. […] Relationale Nähe ist von Bedeutung in der Mode, doch letztendlich müssen die Bedeutungen der Mode von dem einzelnen Unternehmen oder Geschäft lokal vermittelt werden. Während die Wissensforschung größtenteils Raum als gegeben annimmt – man geht davon aus, dass die räumlichen Register ›lokal‹ und ›global‹ verschiedene räumliche Maßstäbe beschreiben –, stelle ich die These auf, dass Raum auch erzeugt oder imaginiert wird. Ein Wissen, das für die Verbreitung von Mode nötig ist, bringt gleichzeitig Raum hervor – und schafft für das Kaufhaus eine besondere Position im Vergleich zur der Konkurrenz innerhalb der imaginierten Geografie eines Mode-Raums. Anstatt ›lokal‹ und ›global‹ als feststehende, räumlich gebundene Einheiten zu sehen, ist es daher sinnvoller 17 | Bathelt, Harald; Schuldt, Nina (2008): Temporary Face-to-face Contact and the Ecologies of Global and Virtual Buzz. In: SPACES online, Bd. 6. 18 | Malecki, Edward J. (2000): Creating and Sustaining Competitiveness: Local Knowledge and Economic Geography. In: John R. Bryson (Hg.): Knowledge, Space, Economy. London: Routledge, S. 103-119. 19 | Deutsche Übersetzung von Matthias Müller.
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zu untersuchen, wie Raum von den EinkäuferInnen durch ›Skalieren‹ – also das Sich-Positionieren innerhalb eines Netzwerks und seine Verknüpfung mit anderen – aktiv erzeugt wird.
Implizites ästhetisches Modewissen als verkörpertes Wissen Das implizite Modewissen wird insbesondere durch den Körper verräumlicht. D.h. der Körper ist eine verräumlichte Zone, die sich gleichzeitig im Raum bewegt (Crang 199420; McDowell 200421). Das gilt für jedes Wissen, jedoch neigen die meisten Studien – von wenigen Ausnahmen abgesehen (Mol u. Law 200422; Grabher 2002) – dazu, die Rolle des Körpers beim Verbreiten von Wissen zu übersehen oder auszublenden. Tatsächlich wird der Verkörperung wenig Aufmerksamkeit geschenkt. In Allens (200023 u. 200224) Argumentation wird sie als Teil seiner allgemeinen Kritik an konventionellen Verständnismustern von Wissen zwar angedeutet, doch nicht weiter untersucht; und auch in anderen Darstellungen wird sie lediglich angedeutet, ohne näher betrachtet zu werden. Swart und Kinnie (2003, 6325) definieren implizites Wissen als »eine Wissensform, die nicht erklärt werden kann und die durch Praxis verkörpert wird«26 [kursiv d. JE]. Für Malecki (2000) geht es bei implizitem Wissen um ein Wechselspiel zwischen individuellen und gemeinsamen sozialen Erfahrungen, und er versteht es als »persönlich akkumuliertes Wissen und geteilte Erfahrung … Im Allgemeinen wird implizites Wissen von Menschen verkörpert, statt in Schriftform oder in Gegenständen«27 (2000, 108 [kursiv d. JE]). Doch werden die verkörperten Eigenschaften von implizitem Wissen nicht weiter untersucht. Dass Verkörperung in einem Großteil der Literatur unterschlagen wird, ist nur allzu offensichtlich: während z.B. Howells (2002, 20 | Crang, Philip (1994): It’s Showtime: On the Workplace Geographies of Display in a Restaurant in Southeast England. In: Environment and Planning D: Society and Space, Bd. 12, Nr. 6, S. 675-704. 21 | McDowell, Linda (2004): Sexuality, Desire and Embodied Performances in the Workplace. In: Belinda Brooks-Gordon (Hg.): Sexuality Repositioned: Diversity and the Law. Oxford: Hart Publishing, S. 85-107. 22 | Mol, Annemarie; Law, John (2004): Embodied Action, Enacted Bodies. The Example of Hypoglycaemia. In: Body & Society, Bd.10, Nr. 2-3, S. 43-62. 23 | Allen, John (2000): Power/Economy Knowledge: Symbolic and Spatial Formations. In: John R. Bryson (Hg.): Knowledge, Space, Economy. London: Routledge, S. 15-33. 24 | Allen, John (2002): Living on Thin Abstractions: More Power/Economic Knowledge. Environment and Planning, A, 34, S. 451-466. 25 | Swart, Juani; Kinnie, Nicholas (2003): Sharing Knowledge in Knowledge-intensive Firms. In: Human Resource Management Journal, Bd. 13, Nr. 2, S. 60-75. 26 | Deutsche Übersetzung von Matthias Müller. 27 | Deutsche Übersetzung von Matthias Müller.
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87228) implizites Wissen als »direkte Erfahrung« definiert, fügt er sofort hinzu, dass es »entkörpertes Knowhow darstellt«29 (2002, 872 [kursiv d. JE]), was in eigentümlichem Widerspruch steht zu seinen Definitionen von Wissen als etwas, das aus »Erfahrung« und dem »wissenden Ich«30 bezogen wird. Außerdem: Obwohl Erkenntnis selbst verkörpert ist, wird dieser Umstand in der Regel unterschlagen oder als ›transzendente Rationalität‹ sublimiert. […] Doch wenn man einen Markt wie den der Mode beobachtet, wird klar, dass Modewissen in hohem Maße an die Körper der einzelnen AkteurInnen gebunden ist. Es ist insofern implizit, als es unkodifiziertes und erfahrungsbezogenes Wissen ist, das dadurch gewonnen wird, dass man sich innerhalb der Branche befindet; es ist verkörpert, weil es auf dem Körper getragen wird, und ästhetisch im Sinne der Fähigkeit, Modewissen in einen entsprechenden modischen Stil umzusetzen. Daher bezeichne ich es als implizites ästhetisches Wissen. […]
Modewissen: E xpressiv und verkörpert Das im Bereich der High Fashion ausschlaggebende Wissen ist größtenteils nicht kognitiv und rational und entspricht daher nicht den traditionellen Darstellungen von ökonomischem Wissen in der Wirtschaftssoziologie und in einschlägigen Arbeiten über Wissensformen. Diese Untersuchungen richten das Augenmerk auf eine begrenzte Bandbreite von Aktivitäten – wie z.B. Forschung und Entwicklung – innerhalb von Firmen, und sind oft, wenn auch nicht ausschließlich, auf ein schmales Spektrum von Unternehmen oder Industrien beschränkt, die als ›wissensintensiv‹ gelten, und zielen auf die mentalen Fähigkeiten von Markt-Insider ab, ihren Markt einzuschätzen und zu verstehen. Im Rückgriff auf die Arbeiten von Ernst Cassirer stellt Allens Arbeit (2000 u. 2002) einen Versuch dar, nichtkognitive Formen des Wissens, die in vielen Lebensbereichen erforderlich sind, zu verstehen und zu würdigen. Es lohnt sich, kurz auf die Arbeit von Cassirer (197931) einzugehen, um das näher zu untersuchen. Cassirer versteht ästhetische Erfahrung und ästhetisches Wissen als sensorische Formen, mit denen sich die Welt, die nicht auf kodifizierbare Sprache reduzierbar ist, erschließen lässt. Er beschreibt (1979) drei zunehmend abstraktere formale Sprachsysteme, die wir benutzen, um die Welt zu verstehen: Ausdruck, Repräsentation und Bedeutung. Repräsentation und Bedeutung 28 | Howells, Jeremy R. L. (2002): Tacit Knowledge, Innovation and Economic Geography. In: Urban Studies, Bd. 39, Nr. 5-6, S. 871-884. 29 | Deutsche Übersetzung von Matthias Müller. 30 | Deutsche Übersetzung von Matthias Müller. 31 | Cassirer, Ernst (1979): Symbol, Myth and Culture: Essays and Lectures of Ernst Cassirer. New Haven: Yale University Press.
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beziehen sich auf die Bereiche der Sprache und des formalen abstrakten Denkens, die eine zunehmende Abstrahierung von der physikalischen Welt erfordern. Expressive Bedeutung jedoch »steht in direkter Beziehung zur sinnlichen Wahrnehmung und zum körperlichen Bewusstsein«32 (Allen 2000, 21 [kursiv d. JE]) und besitzt gleichermaßen Gültigkeit, selbst wenn sie sich »nicht ohne Weiteres mit irgendeiner kognitiven Messlatte messen lässt«33 (Allen 2000, 21). Wie Cassirer (1979, 154)34 es selbst ausdrückt: In formalen Sprachsystemen »verliert der Mensch seine unmittelbare Erfahrung, seine Auffassungen von Lebenserfahrung verblassen … Was bleibt, ist eine Welt intellektueller Symbole, nicht eine Welt unmittelbarer Erfahrung.« Er stellt weiter fest, »wenn dieser unmittelbare, intuitive Zugang zur Realität erhalten und wieder erworben werden soll, braucht er eine neue Aktivität … Dies wird nicht durch Sprache, sondern durch Kunst bewerkstelligt« (1979, 154 [kursiv d. JE]). Das soll nicht heißen, dass die Welt der Kunst nur eine Welt von unmittelbaren Sinneserfahrungen und Emotionen wäre. Was den Künstler unterscheidet, ist die Fähigkeit, allgemeine empirische Erfahrungen und Vorstellungen, Emotionen und Träume in »eine neue Sphäre« zu übersetzen – »die Sphäre der Skulptur, des Architektonischen, der musikalischen Formen, der Figuren und Gestaltungen, der Melodien und Rhythmen« (1979, 157). Mit anderen Worten, ästhetische Erfahrung und ästhetisches Wissen betreffen sensorische Formen: »Kunst ist keine Reproduktion von Eindruck, sie schafft Formen. Diese Formen sind nicht abstrakt, sondern sinnlich« (1979, 186). Cassirer unterstreicht so die formalen Eigenschaften des ästhetischen Ausdrucks und beharrt darauf, dass diese eine wichtige, nicht auf kodifizierte Sprache reduzierbare Art seien, der Welt zu begegnen und mit ihr vertraut zu sein. In einer Weiterentwicklung von Cassirers Modell stellt Allen die These auf, dass Darstellungen ökonomischen Wissens auch »expressives« Wissen umfassen könnten. Allen plädiert für eine weitere Definition von Wissen, die über die eng gefasste kognitive und rationale Definition hinausgeht und erlaubt, Ausdrucksformen wie Kunst und Dichtung einzubeziehen. Seiner Einschätzung nach werde die traditionelle Auffassung von Wissen selten hinterfragt und erscheine zunehmend als die einzig ›wahre‹, womit der Eindruck verstärkt werde, Wissen sei kognitiv. Daher werden »Aktivitäten, die nicht ohne Weiteres in ein Schema des abstrakten Symbolismus passen, nicht sofort als Teil der Antriebs32 | Deutsche Übersetzung von Matthias Müller. 33 | Deutsche Übersetzung von Matthias Müller. 34 | Anm. d. Hg.: Die folgenden Zitate des deutschen Philosophen Ernst Cassirer (1874-1945) entstammen einer postumen Sammlung von Essays, die auf Englisch verfasst wurden und noch nicht in deutscher Übersetzung vorliegen (siehe Fußnote 31). Die im Folgenden angeführten Originalzitate Cassirers wurden für diese Ausgabe von Matthias Müller aus dem Englischen übertragen.
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kräfte einer wissensbasierten Ökonomie betrachtet«35 (2000, 19). Mit anderen Worten, da Definitionen von ökonomischem Wissen auf wenigen Märkten und Praktiken basieren, wird die eng gefasste Definition von ökonomischem Wissen, die sich auf das Kognitive beschränkt, nicht infrage gestellt. Seine Argumente sind hauptsächlich theoretischer Art, können aber empirisch auf die Mode angewendet werden. Aus der Perspektive eines ästhetischen Markts wie der Mode betrachtet, treten bei konventionellen Vorstellungen von Wissen die Probleme deutlich zutage. Denn das Wissen der EinkäuferInnen ist expressiv und verkörpert sich in Vernunft und Gefühl – es ist also implizit. Zwar besitzt die Mode nicht denselben Status wie die Kunst, doch ist sie eine ästhetische Praxis, selbst wenn es dabei weniger um hohe Ideale von ›Schönheit‹ geht, sondern eher um wechselnde Merkmale, die bestimmten Stilen zugeschrieben werden. Cassirers These zu ästhetischen Formen ist hier von Bedeutung: Die Mode hat ihre eigenen formalen Ausdrucksmechanismen, selbst wenn diese unablässig neu interpretiert werden und sich verändern. Dass expressive Wissensformen in der Mode eng verknüpft sind mit »sinnlicher Wahrnehmung und körperlichem Bewusstsein«, geht deutlich aus der Art und Weise hervor, wie EinkäuferInnen die Kleidung auf einer Modenschau erleben, die oft ein extravagantes Spektakel ist, das die Sinne stimulieren und nicht nur Kleider ›verkaufen‹ soll. […]
Modewissen: Inszeniert und performativ Implizites ästhetisches Modewissen ist im Wesentlichen ein Wissen, das aufgeführt wird und performativ ist. Es wird aufgeführt, während und wenn es, oft sehr auffällig, am Körper getragen und an bestimmten Orten zur Schau gestellt wird – etwa bei bedeutenden Branchenveranstaltungen wie den zweimal jährlich stattfindenden Prêt-à-porter-Schauen. Bei diesen Vorführungen werden wiederum auch die Identitäten aller Beteiligten performativ hervorgebracht. Diese These wird in Entwistle und Rocamora (2006) weiter erläutert, die auch darauf hinweisen, dass die räumliche Anordnung einer Laufstegschau performativ ist. In ihrer Anordnung bildet die Schau den Status der TeilnehmerInnen ab, reproduziert ihn und stellt somit buchstäblich eine Bühne zur Verfügung, auf der die Körper der ModeakteurInnen in ritueller Form präsentiert werden. Der traditionelle Laufsteg oder Catwalk bildet eine Hauptbühne, die in das Publikum hineinragt und eine spektakuläre Umgebung schafft, um nicht nur die Models auf dem Laufsteg, sondern auch das Publikum unmittelbar auf der anderen Seite betrachten zu können. Einfluss wird durch die Sitzordnungen markiert: Einflussreiche AkteurInnen sitzen in der ersten Reihe und werden sichtbar in dem Licht, das vom Laufsteg herunterscheint, während weniger einflussreiche AkteurInnen weiter weg vom Laufsteg sitzen. Entwist35 | Deutsche Übersetzung von Matthias Müller.
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le und Rocamora zufolge ermöglicht diese Inszenierung von Moderaum die Darstellung von modischem Kapital:36 Die Aufführungen jener einflussreichen Insider werden für andere sichtbar gemacht, wodurch die performative Reproduktion ihrer Identität innerhalb des Feldes der Mode ermöglicht wird. Was diese Insider tragen, und wie sie es tragen, macht einen großen Teil ihrer Performanz als sichtbare Mitglieder dieser Gemeinschaft aus. Dieses verkörperte implizite ästhetische Wissen ist offensichtlich von ›klebriger‹ Beschaffenheit; es haftet den Körpern der Mode-Insider an, die es besitzen. Es ›reist‹ folglich auch mit ihnen. Der Stil der High Fashion ist ein stummes, doch global anerkanntes Zeichen der Zugehörigkeit innerhalb der Modebranche. Ich konnte bemerkenswerte Ähnlichkeiten in Kleidung und körperlicher Selbstdarstellung von Mode-Insidern beobachten, während sie von Modenschau zu Modenschau in London, New York, Mailand oder Paris eilten, oder in den Ateliers und in den Modevierteln dieser Städte. Modischer Stil wird über den Körper kommuniziert, nicht nur durch Kleidung und Accessoires, sondern auch durch die Art zu gehen, zu sprechen und sich zu geben. Der ›Luftkuss‹ etwa ist eine verbreitete Geste, um die Zugehörigkeit zur Mode-Szene zu signalisieren (Entwistle u. Rocamora 2006). Während meiner Feldforschung, sowohl unter EinkäuferInnen als auch unter Models, hatte ich bald Übung im ›Entdecken‹ von Mode-Insidern. Nachdem ich erst einmal in die Welt der Mode eingetaucht war, wusste ich gleich, wer unterwegs zu den Chelsea Barracks in der Kings Road war (wo 2002 die London Fashion Week veranstaltet wurde), oder wer ein Model war, auf den Weg zu ihrer oder seiner Agentur. Der Stil der High Fashion und der ›Geschmack im Werden‹, den Insider erspüren lernen, ist daher, so nebulös und schwer bestimmbar er auch ist, wichtig für den Modebetrieb. Das soll nicht heißen, dass Modewissen nicht auch formalisiert wäre: Merchandising-Statistiken werden benutzt, um frühere Verkaufsmuster zu ermitteln, und fließen in Überlegungen darüber ein, was eingekauft werden soll. Doch in der Mode dreht sich alles darum, die Zukunft vorauszuahnen und vorherzusagen, auch wenn es eine Zukunft ist, die sich nicht einfach entfaltet, sondern unvermeidlich durch das Handeln der Mode-Insider, die sie imaginieren, produziert wird. Sie ist demnach in höchstem Maße abhängig von informellen Absprachen und erworbenem Gespür und anderen ähnlich ungreif baren Eigenschaften. Wie ich oben erläutert habe, scheinen sowohl die Geschäfte im Allgemeinen als auch die EinkäuferInnen 36 | Anm. d. Hg.: Entwistle spielt an auf Pierre Bourdieus Einteilung von Kapital in ökonomisches, kulturelles, soziales und symbolisches Kapital: vgl. Bourdieu, Pierre (1974): Zur Soziologie der symbolischen Formen. Frankfurt: Suhrkamp; Bourdieu, Pierre (2005): Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital. In: Die verborgenen Mechanismen der Macht. Schriften zu Politik und Kultur Bd. 1. Hamburg: VSA, S. 49-80.
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im Besonderen implizite Formen des Wissens und die Fähigkeit, Mode durch nebulösere und weniger klar kodifizierte Systeme zu verstehen, besonders zu schätzen. Anders ausgedrückt, ModeeinkäuferInnen erfassen die Erzeugnisse, denen sie begegnen, sinnlich – sie begreifen sie nicht nur kognitiv, sondern setzen auch andere körperliche Sinne ein. Die Verkörperung ökonomischen Wissens muss nicht ausschließlich auf Märkte mit körperbezogenen ästhetischen Konsumgütern wie Mode beschränkt sein. Alle Märkte setzen sich aus verkörperten AkteurInnen zusammen. Wie z.B. MacKenzie (200437) gezeigt hat, wird Börsenwissen durch solche Dinge wie Handsignale und sogar Kleidung inszeniert. Doch Verkörperung wird in der Literatur über Wissen und Märkte nur gelegentlich und eher nebenbei zum Thema und bleibt somit größtenteils implizit und ungeprüft. Da Mode so offenkundig ein Markt ist, der sich mit Körpern und körperlicher Erscheinung beschäftigt und sich daran orientiert, steht hier Verkörperung vielleicht mehr im Zentrum und ist ein wichtigerer, unumgänglicherer und bemerkenswerterer Aspekt von Marktwissen als in anderen Bereichen des Konsums. [Entwistle 2010, 7-15]
37 | MacKenzie, Donald (2004): Physics and Finance: S-Terms and Modern Finance as a Topic for Science Studies. In: Ash, Amin u. Nigel, Thrift (Hg.): The Blackwell Cultural Economy Reader. Oxford: Blackwell, S. 101-120.
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13. Elena Esposito E INLEITUNG Aus Sicht der italienischen Soziologin und Systemtheoretikerin Elena Esposito handelt es sich bei Mode um ein Phänomen mit stark paradoxem Charakter. Das macht auch der Untertitel ihrer 2004 erschienenen Monografie Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden. Paradoxien der Mode deutlich. Mit der Luhmann’schen Systemtheorie1 als Analysewerkzeug gelingt es ihr, zum einen die semantische Verschiebung von einem weiten zu einem engen, auf Kleidermode bezogenen Modebegriff zu beschreiben und auf die Veränderungen der gesellschaftlichen Ordnung ab dem 17. Jahrhundert zu beziehen. Zum anderen kann sie mithilfe des systemtheoretischen Ansatzes die Paradoxien der Mode als ihre zentrale Funktionsweise erfassen. Damit knüpft sie an die Beobachtungen früherer Modetheoretiker an wie Georg Simmel, der in seinem Aufsatz »Die Philosophie der Mode« (1905) von den Gegensätzen des Lebens sprach, die in äußeren Formen wie der Mode eine Kooperation eingehen würden. Wenn Esposito von Mode spricht, geht es weniger um Kleidermode, Körper- oder ästhetische Praktiken, sondern um das Modische als Form der Kontingenzbewältigung durch Paradoxien, d.h. Widersprüche. Deren Beginn markiert in der frühen Neuzeit der Wandel von einer stratifikatorischen zu einer modernen, ausdifferenzierten Gesellschaft. Mit dem allmählichen Wegfall stabiler Weltbilder und Orientierungspunkte musste ein Weg gefunden werden, um mit dem Einbruch des Zufalls umzugehen, d.h. mit zunehmender Instabilität sowie gesteigerter Komplexität. Betroffen waren davon vor allem die Vorstellungen von Zeitlichkeit sowie die soziale Dimension. Wie Esposito anhand früher Quellen darlegt, sprach man im 17. Jahrhundert von »la mode«, um wechselnde, vorläufige Haltungen gegenüber allem Möglichen zu beschreiben. Im Gegensatz dazu steht der Modediskurs ab dem 19. Jahrhundert, der Mode vor allem auf Kleidung und schmückendes Beiwerk reduziert und somit ein negatives, nämlich als oberflächlich konnotiertes Phänomen beschreibt. 1 | Niklas Luhmann hat sich selbst kaum zur Mode geäußert. Die wenigen Passagen hat Björn Schiermer zusammengetragen (vgl. Schiermer 2010, 123ff).
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Wie funktioniert Mode aus systemtheoretischer Sicht? Esposito benennt in ihren Texten mehrere Paradoxien, von denen jedoch zwei zentral für die Wirkungsweise der Mode zwecks Bewältigung der (vor allem zeitlichen und sozialen) Kontingenz sind: (1) die Verbindlichkeit des Vorübergehenden und (2) die Imitation der Originalität bzw. die Konformität mit der Abweichung. Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden greift eine Beobachtung auf, die bereits Georg Simmel gemacht hatte. Was in einer Zeit sich stetig verändernder und somit kurzlebiger Orientierungen konstant bleibe, sei der Wandel selbst, d.h. die Tatsache, dass sich alles verändert, sei stabil. Voraussetzung dafür sei, so Esposito, dass Veränderungen (Ungewissheit, das Unerwartete, Überraschung, Neuheit) positiv bewertet würden und Individuen aktiv danach suchten, sprich: das Unerwartete erwarten. Mode bringe somit geregelt bzw. regelmäßig Phänomene hervor, bei denen vorprogrammiert sei, dass sie vergänglich seien und nichtsdestotrotz für eine bestimmte Zeitspanne Orientierung böten. Soziale Kontingenz entstehe, indem durch Geburt oder Beruf festgelegte soziale Positionen einer instabilen und veränderlichen Identität weichen. Individuen seien gezwungen, sich als solche beständig neu zu verorten, zu inszenieren und somit ihre vermeintliche Einzigartigkeit zu erzeugen. Herausgebildet habe sich eine besondere, paradoxe Art der Imitation: Indem alle nach Individualität und Einzigartigkeit streben, imitieren sie sich in diesem Streben. Das Bedürfnis nach Abweichung, d.h. anders sein zu wollen als die anderen2, erzeuge Konformität und damit etwas, worin sich alle gleichen: »Wir imitieren die Weigerung zu imitieren« (2011, 609). Das Besondere an der Mode sei, so Esposito, dass die Paradoxien nicht weiter auffallen, da sie sich gegenseitig neutralisieren. Bevor uns bewusst werde, dass wir nicht einzigartig sind und den anderen gleichen, richteten wir unsere Aufmerksamkeit auf die nächste Neuheit, mit der wir glauben, uns von den anderen unterscheiden zu können. Zugleich würden wir Überraschung erwarten und fühlten uns von der vermeintlichen Einzigartigkeit anderer überrascht. Die Kombination dieser zwei zentralen Paradoxien erzeugt ein weiteres Paradox, nämlich das des trivialen Rätsels, das besonders für die Erforschung der Mode bedeutsam ist: Mode scheint trivial zu sein, gleichwohl lässt sie sich weder erklären noch wodurch sie ihre Wirkmacht erreicht. Dadurch sei jedoch ihr Funktionieren gewährleistet. Der systemtheoretischen Sicht geht es nicht um Inhalte oder Bedeutungen der Mode(n). Mode zu beobachten heißt, eine Beobachtung zu beobachten, die sich in Kleidern, Haltung usw. manifestiert und nicht die Kleidung oder die 2 | Simmel deutet den Wunsch nach Differenzierung und Nachahmung als dialektisches Grundbedürfnis des Menschen auf psychologischer Ebene (vgl. Kapitel zu Simmel im vorliegenden Band).
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Haltung, also die Sachdimension, selbst (vgl. Esposito 2004, 158). In der Terminologie der Luhmann’schen Systemtheorie handelt es sich um eine Beobachtung (mindestens) zweiter Ordnung (vgl. ebda., 31). Zugleich, und darauf geht der folgende Auszug nicht ein, ermögliche der paradoxe Charakter der Mode Kommunikation. Anders formuliert: Die Beobachtungen anderer Individuen zu beobachten und dadurch in einer komplexen Sozialwelt (wenn auch sich verändernde) Orientierungspunkte zu haben, hält Kommunikation in Gang. Für Elena Esposito sind materielle Aspekte der Mode nicht weiter relevant, sind die der Mode zugrunde liegenden Mechanismen doch scheinbar davon unabhängig. Sie steht damit in der Tradition der Soziologie, vor allem Georg Simmels, die sich seit ihren Anfängen als einzige akademische Disziplin zwar randständig, aber kontinuierlich der Mode gewidmet hat.
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O RIGINALITÄT DURCH N ACHAHMUNG : D IE R ATIONALITÄT DER M ODE (2011) I. Ist Mode rational? Was ist das nur mit der Mode heutzutage? Noch vor wenigen Jahren war sie als Untersuchungsgegenstand allein für die Soziologie und Sozialgeschichte von Interesse; inzwischen ist sie zu einem Thema geworden, das viele verschiedene, oft recht disparate Felder umfasst, die mitunter fern vom ursprünglichen Wirkungsbereich der Mode angesiedelt sind. Die Wissenschaft ist dabei, die Bedeutung der Mode zu entdecken, ebenso wie die Wirtschaft (selbst die Finanzwelt) und vor allem die Organisationstheorie – der hier unser spezielles Interesse gilt. Aber was wird eigentlich entdeckt, wenn man sich dem Thema Mode nähert? In vielen Fällen lediglich die Existenz von Trends und Modeerscheinungen und nicht unbedingt Mode als ein spezifischer Gegenstand der Analyse: Es werden Moden erkannt, doch nicht immer die Mode als Fragestellung. Das hat Konsequenzen für die Art und Weise, wie man mit dem Thema umgeht: Wenn man sich mit Mode beschäftigt, stößt man gewöhnlich auf ein Problem, und zwar auf eine Art Irrationalität, die sich in einen Bereich einschleicht und seine Abläufe beeinflusst, was etwa dann geschieht, wenn sich die Wissenschaft an der Mode statt an der Theorie orientiert, oder wenn die Finanzwirtschaft Trends folgt anstatt ökonomischen Grundsätzen (oft mit desaströsen Folgen – wie es uns die gegenwärtige Finanzlage tagtäglich vor Augen führt). Wenn von Mode die Rede ist, denkt man oft an ein ›Herdenverhalten‹, d.h. Menschen gründen ihr Verhalten eher auf dem Verhalten anderer statt selbständig die Welt zu beobachten. Das gilt im Allgemeinen als irrational und unkontrolliert und ist gewöhnlich mit negativen Auswirkungen verbunden. Betrachtet man hingegen Mode als Thema für sich (wie Barbara Czarniawska es für die Organisationstheorie tut: vgl. ihr Kapitel »Fashion in Organizing« in Czarniawska 20081; Czarnaiwska u. Panozzo 20082), sucht man nach einer anderen und speziellen Form der Rationalität – einer, in der die Beobachtung anderer (die Beobachtung von BeobachterInnen) kein Fehler ist, sondern eher der beste Weg, gesellschaftliche Phänomene zu begreifen und eine Möglichkeit, ihre Komplexität zu erfassen, ohne sich in Beliebigkeit zu verlieren.3 In 1 | Czarniawska, Barbara (2008): A Theory of Organizing. Cheltenham u. Northampton: Elgar. 2 | Czarniawska, Barbara; Panozzo, Fabrizio (2008): Preface: Trends and Fashions in Management Studies. In: International Studies of Management and Organization, Bd. 38, Nr. 1, S. 3-12. 3 | Wie der Soziologie schon seit Jahren bekannt ist. Das Bewusstsein von der gesellschaftlichen Bedeutung der Mode war immer schon überaus gegenwärtig und hat eine reiche Forschungstradition über die widersprüchlichen (und daher besonders bedeut-
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diesem Fall geht es darum, dass die Mode zu einem Interpretationsschlüssel werden kann, um einige der am schwersten fassbaren Aspekte von Organisationen zu begreifen: die Rolle von willkürlichen und scheinbar unmotivierten Phänomenen; die Bedeutung und die Formen der Nachahmung; die Verflechtung hierarchischer Beziehungen (die gleichzeitig Top-Down und Bottom-Up zu verlaufen scheinen); und vor allem, welche Rolle Individualisierung in Beziehungen zwischen AkteurInnen spielt und welche Formen sie annehmen kann. Geht man diesen Fragen nach, untersucht man tatsächlich die Mode mit ihrer eigentümlichen Logik und ihrer widersprüchlichen Rationalität, und nicht nur die Existenz von Trends in diesem oder jenem Bereich. Das Interesse an der Mode ist mit der Tatsache verknüpft, dass sie bei genauer Betrachtung ein zirkuläres Phänomen zu sein scheint, das dazu neigt, die üblichen Voraussetzungen umzukehren und komplexere Beziehungen hervorzuheben. Technischer ausgedrückt: Mode ist ein wesentlich paradoxes Phänomen, das dort, wo man ihm nachgeht, die Paradoxien der verschiedenen Bereiche offenbart. Das ist beispielsweise schon in unserer Anfangshypothese sichtbar: die Rationalität der Mode. Wie wir im Folgenden sehen werden, kann man weder sagen, dass Mode rational ist, noch, dass sie nicht rational ist, weil die Art und Weise, wie sie Irrationalität produziert und verwendet, rational ist – und genau dem wollen wir hier auf den Grund gehen, um zu sehen, ob und wie sie sich dazu verwenden lässt, um Anhaltspunkte für die Organisationstheorie zu finden. samen) Aspekte dieses Phänomens hervorgebracht. Die klassische Referenzquelle ist: Simmel, Georg (1911 [1905]): Die Mode. In: Philosophische Kultur. Gesammelte Essays. Leipzig: Klinkhardt. Doch vgl. auch: Vischer, Friedrich Theodor (1879): Mode und Zynismus. Beiträge zur Kenntnis unserer Kulturformen und Sittenbegriffe. Stuttgart: Wittwer, S. 3-46; Sombart, Werner (1902): Wirtschaft und Mode. Ein Beitrag zur Theorie der modernen Bedarfsgestaltung. Wiesbaden: Bergmann, S. 1-23; MacIver, Robert M.; Page, Charles H. (1962): Society: An Introductory Analysis. New York: Holt, Rinehart and Winston, S. 181-188; Blumer, Herbert (1969): Fashion: From Class Differentiation to Collective Selection. The Sociological Quarterly, Bd. 10, Nr. 3, S. 275291; Baudrillard, Jean (1970): La société de consommation. Paris: Denoel, S. 100-109; König, René (1971): Macht und Reiz der Mode. Düsseldorf u. Wien: Econ; König, René (1988): Menschheit auf dem Laufsteg. Die Mode im Zivilisationsprozeß. Frankfurt u. Berlin: Ullstein; Schwarz, Udo H. A. (1982): Das Modische. Zur Struktur sozialen Wandels der Moderne. Berlin: Duncker & Humblot; Lipovetsky, Gilles (1987): L’empire de l’éphémère. La mode et son destin dans les sociétés modernes. Paris: Gallimard; Davis, Fred (1992): Fashion, Culture and Identity. Chicago: University of Chicago Press; Sellerberg, Ann-Mari (1994): A Blend of Contradictions. New Brunswick: Transaction; Schnierer, Thomas (1995): Die (Ir-)Rationalität der Mode und ihre theoretische Bewältigung. In: Soziale Welt, Bd. 46, Nr. 2, S. 223-239; Esposito, Elena (2004): Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden. Paradoxien der Mode. Frankfurt: Suhrkamp.
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II. Die Rationalität der Unvernunft Heute ist es Mode, die Rationalität der Mode zu entdecken – doch in diesem Satz begegnen wir bereits einer ersten Besonderheit der Mode, die in diesem wie in anderen Fällen die Form einer Paradoxie annimmt: Die Rationalität der Mode ist im Grunde die Rationalität des Irrationalen. Wir sprechen hier von Irrationalität in einem ganz präzisen Sinn, d.h. nicht nur in dem etwas unbestimmten Sinn der Ablehnung von Logik und der Wiederentdeckung alternativer Formen der Kreativität. Es geht nicht nur um die Aufgabe der Rationalität und ihrer Regeln, sondern um die Enthüllung der anderen und sehr strengen Regeln, mit denen auf eine keineswegs beliebige Art die Grenzen der Rationalität in den Beziehungen zwischen Einzelpersonen bestimmt werden, die auf einander angewiesen sind, doch gerne autonom wären. Die Frage ist dem Bereich der Mode sicherlich nicht fremd, die ja schon immer als das Reich des Irrationalen – um nicht zu sagen des Unvernünftigen – betrachtet wurde. Eine vernünftige Mode ist nicht wirklich attraktiv. Der Mode haftet etwas Unmotiviertes an: Ihre Formen haben nie eine Ursache, die praktischen, ästhetischen oder ähnlichen Zwecken entspricht. Wird einem bequemeren Stil der Vorzug gegeben, so geschieht das nicht im Interesse der Bequemlichkeit an sich, sondern eher im Interesse einer klaren Wahl, die deutlich gemacht werden muss, sonst wird sie nicht als Mode erkannt (und das Ergebnis ist normalerweise alles andere als bequem oder vernünftig: etwa wenn Menschen sich in kostspieligen und eher unpraktischen Geländewagen durch den Stadtverkehr bewegen).4 Doch schon Giovanni della Casa wusste, dass die Gegenüberstellung von Mode und Vernunft falsch ist: »Man sollte nicht darüber streiten, welche der Gepflogenheiten die bessere ist, und man sollte sich daher nicht an die gute, sondern an die moderne Gepflogenheit halten«, da man sich »nicht nach der Vernunft, sondern nach den Ansprüchen der Mode, und nicht nach dem, was man zu tun pflegt oder tun sollte, sondern nach der gegenwärtigen Gewohnheit richten soll«.5 Die Verbreitung der Mode macht einem bewusst, dass Mode und Vernunft nicht nur gegensätzlich sind, sondern grundsätzlich inkompatibel: In einem Dialog zwischen Mode und Vernunft weigert sich die 4 | Dieses Argument findet sich bereits bei Veblen, mit Bezug auf die Motivationen des Konsums: In spezifischen Fällen ist es sehr schwierig, zwischen Nützlichkeit und Verschwendung zu unterscheiden, da Verschwendung selber zum Zweck wird – und daher nützlich ist (vgl. Veblen, Thorstein (1899): The Theory of the Leisure Class. New York: Kelley, S. 115). 5 | »…non ci ha luogo il disputare quale delle due usanze sia migliore, ma convienci ubidire non alla buona, ma alla moderna usanza«; »non come la ragione, ma come l’usanza vuole che tu faccia; e non come si soleva o si doveva fare, ma come si fa« (della Casa, Giovanni (1994 [1558]): Galateo. Torino: Einaudi, S. 37 u. 38).
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Mode seit Anfang des 19. Jahrhunderts, auf die Vernunft zu hören, mit der Begründung, dass eine Annäherung für beide das Ende bedeuten würde.6 Simmel entdeckte, dass diese Unvernunft nicht etwa bloßes Beiwerk der Mode ist, ein schlichter Makel, sondern dass sie dem Phänomen und seiner Wirkungsweise wesentlich ist. Was sich als Frivolität darstellt, ist tatsächlich eine Notwendigkeit der Mode, die er »Abstraktion« nennt (Simmel 1905): Die Notwendigkeit, sich von äußeren Kriterien zu befreien und zu zeigen, dass man sich nicht auf die Dinge bezieht, sondern auf die Beobachtung der Dinge. Ökonomische oder technologische Kriterien, und selbst die Suche nach Schönheit, erklären nicht die Entwicklungen der Mode, deren einziges Motiv (wie Madame de Sévigné bemerkte) selbstreferentiell und somit tautologisch ist: »Schließlich ist es Mode.« 7 Der Sinn der Mode ist nicht Vernunft, das muss hier noch einmal betont werden – sonst wäre es keine Mode, sondern einfach nur Kleidung. Diese Leere war immer schon einer der verstörendsten Aspekte der Mode und einer der Vorbehalte gegenüber ihrer Verbreitung, die das Interesse am Guten oder Schönen und im Allgemeinen das Streben nach Vollkommenheit durch eine unerklärliche Anziehung durch das zu ersetzen scheint, was einfach nur neu oder anders ist (La Bruyère 1688: XIII8). Mode ist eine Art Freizone, in der die Irrationalität eher genutzt als abgelehnt wird: Kant zum Beispiel sagte, dass es eine Torheit sei, der Mode zu folgen, doch sagte er auch, dass es besser sei, ein Narr in der Mode als ein Narr außer der Mode zu sein (Kant 1988 [1798], § 719). Die Mode besitzt in der Tat die seltsame Fähigkeit, sich jedem aufzuzwingen, ob man es will oder nicht, ob man ihr folgt oder sie ablehnt – weil selbst diejenigen, die die Mode ablehnen, es nicht vermeiden können, sie zu berücksichtigen, und dabei müssen sie das sorgfältig und mit beträchtlicher Energieverschwendung tun (wie man schon im 17. Jahrhundert erkannte, zum Beispiel La Bruyère 1688, XIII: 11: »Der Mode zu fliehen zeugt von ebenso viel Schwäche, wie sie zur Schau zu stellen.«10). Absichtlich unmodisch zu sein bedeutet, dasselbe soziale Beispiel im Negati-
6 | »Dialogue entre la Mode et la Raison«, La Mode, 20. Mai 1807, S. 222-223 zitiert in: Kleinert, Annemarie (2001): Le »Journal des Dames et des Modes« ou la conquête de l’Europe féminine. Stuttgart: Thorbecke, S. 446. 7 | »Enfin, c’est la mode«: Madame de Sévigné (1626-1696), Brief vom 3. Januar 1689 (de Sévigné, Madame (1976): Lettres. Introduction, chronologie, notes et archives de l’œuvre. Paris: Garnier-Flammarion, S. 357). 8 | La Bruyère, Jean de (1992 [1688]): Les Caractères ou les moeurs de ce siècle. In: Jean Lafond (Hg.): Moralistes du XVIIe Siècle. Paris: Laffont, S. 693-968. 9 | Kant, Immanuel (1988 [1798]): Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. In: Werkausgabe Bd. 12. Frankfurt: Suhrkamp. 10 | »Il y a autant de faiblesse à fuir la mode qu’a l’affecter.« (La Bruyère 1992, 906).
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ven zu imitieren (Simmel 1905).11 Tatsächlich ist die Macht der Mode so groß, dass sich die Beweislast umgekehrt hat: Derjenige fällt auf, der sich nicht fügt (Luhmann 1986, 65412).13
III. Die Notwendigkeit der Unordnung Die Rationalität der Mode stützt sich demnach auf die explizite und systematische Ablehnung von Vernunft. Wie können wir dann behaupten, dass die Mode rational sei und ihre Rationalität feststellen? Zunächst einmal, weil wir heute entdecken, dass Mode etwas Ernstes, etwas Wichtiges ist – wiederum kein neuer Gedanke, doch einer, der mit der Verbreitung und dem Erfolg der Mode verloren ging (bis auf die soziologische Forschung (siehe Fußnote 3) und einige andere Fälle, vor allem in der Literatur und der Literaturkritik, wie z.B. Leopardi 1973 [1824]14; Balzac 1992 [frz. 1830-3]15; Baudelaire 1981 [frz. 1863]16; Benjamin 198217). Die allgemeine Haltung gegenüber der Mode ist eine Art Geringschätzung, als wäre sie etwas Frivoles und im Wesentlichen Triviales, das man nicht allzu ernst zu nehmen braucht – vielleicht etwas, das man den Frauen überlässt, die sich mehr damit beschäftigen und mehr davon betroffen sind. Wenn wir also von Mode sprechen, denken wir heute in erster Linie an Kleidung und Selbstdarstellung. Als die Mode ihren Einzug in Gesellschaft und Kultur hielt, war die Haltung jedoch eine ganz andere. Tatsächlich hat Mode nicht immer schon existiert, und genauso wenig die Wörter, um sie zu bezeichnen: Nur im Frankreich des 17. Jahrhunderts wurde das weibliche la mode vom männlichen le mode unterschieden, das aus der Modaltheorie stammt. Und im 17. Jahrhundert wurde das Phänomen Mode 11 | Eine Broschüre von 1622, die von Godard de Donville erwähnt wird, verspottet »Négligence« als den neuesten Trend der Mode und als Apotheose ihrer Macht: Die natürliche Haltung, die sich gegen das Artifizielle stellt, ist der Triumph der Künstlichkeit (vgl. Godard de Donville, Louise (1978): Signification de la mode sous Louis XIII. Aix-enProvence: Edisud, S. 354-360). 12 | Luhmann, Niklas (1986): Das Kunstwerk und die Selbstreproduktion der Kunst. In: Hans Ulrich Gumbrecht (Hg.): Stil: Geschichten und Funktionen eines kulturwissenschaftlichen Diskurselements. Frankfurt: Suhrkamp, S. 620-672. 13 | Vgl. auch Vischer (1879, 78): »Lieber mit allen frech, als auffällig durch das Abweichen von dem, was alle tragen!«. 14 | Leopardi, Giacomo. (1973 [1824]): Dialogo della moda e della morte. In: Operette morali. Milano: Fabbri. 15 | Balzac, Honoré de (1992 [frz. 1830-3]): Patologia della vita sociale. Torino: Bollati Borighieri. 16 | Baudelaire, Charles (1981 [frz. 1863]: Il pittore della vita moderna. In: Scritti sull’arte. Torino: Einaudi, S. 278-313. 17 | Benjamin, Walter (1982): Das Passagen-Werk. Frankfurt: Suhrkamp.
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keineswegs als etwas Triviales, als eine Lappalie betrachtet: Sie stellte sich im Gegenteil als eine sehr ernste und beunruhigende Frage dar, die die hellsten Köpfe jener Zeit beschäftigte, von La Bruyère bis Pascal und La Rochefoucauld. Mode war nicht auf Kleidung beschränkt (und sie war auch nicht auf Frauen beschränkt; tatsächlich waren es in erster Linie Männer, die kühn den Regeln der Mode und ihren Veränderungen folgten). Man sprach von philosophischen, ästhetischen, medizinischen, ernährungsbezogenen und vor allem theologischen Moden (und heute entdecken wir allmählich dieselbe Bandbreite des Phänomens wieder). Deswegen war Mode schockierend: weil sie nicht nur die Darstellung der eigenen Person und der persönlichen Erscheinung beeinflusste (die sich ganz offensichtlich auf andere bezog), sondern auch die fundamentalen Fragen des Lebens und der Seele, wobei die Orientierung an anderen und an Kontingenz die Orientierung an Ewigkeit und Wahrheit ersetzte – so wie es die Mode erzwingt. Am beunruhigendsten waren theologische Fragen: etwa die Vorstellung, dass man entsprechend der Mode von einer frommen zu einer libertinen Haltung übergehen konnte. In viele Passagen in La Bruyère geht es genau darum (1688: XII, 16ff.), nämlich um die Vergänglichkeit von moralischen und religiösen Orientierungen, womit alles verändert wird, was der Natur entsprechend stabil bleiben und auf eine Ebene gestellt werden sollte, die nichts mit den Launen der Menschen und der Veränderlichkeit von Einstellungen zu tun hat. Aber es gibt eine weitere interessante Parallele zwischen der Situation im 17. Jahrhundert und den Bereichen heute, in denen wir die Bedeutung der Mode entdecken. Das 17. Jahrhundert sah sich einem Problem gegenüber, das teilweise dem ähnelt, mit dem sich die Organisationstheorie und die Managementberatung beschäftigen: Die Entdeckung von Unordnung in einem geordneten Feld, unter Bedingungen, in denen man weder auf das eine noch das andere verzichten kann – d.h., dass man Unordnung nicht auf einen einfachen Fehler reduzieren kann, den es zu eliminieren oder auf ein Minimum zu reduzieren gilt, sondern dass man stattdessen erkennen muss, dass sie ein wesentlicher Bestandteil ist. Unordnung ist notwendig, damit eine Art von Ordnung existieren kann. Mit anderen Worten, Ordnung gründet sich auf die Möglichkeit von kontrollierter Unordnung. […] Das 17. Jahrhundert machte dieselbe Entdeckung auf gesamtgesellschaftlicher Ebene: Die hierarchische Ordnung der mittelalterlichen Gesellschaft, in der jeder bzw. jede seinen bzw. ihren Platz hatte, wurde durch das Einbrechen von Unordnung gestört, in Form von sozialer Mobilität, Flexibilität der Moral und Offenheit der Zukunft. Man musste zur Kenntnis nehmen, dass die soziale Verortung von Menschen nicht mehr quasi naturgegeben durch Familie und Geburt festgelegt war und daher auch nicht zwangsläufig eine festgelegte Sozialordnung bestätigte, die einen unanfechtbaren kosmischen Plan widerspiegelte. Die vorherige hierarchische Gesellschaft entsprach einem
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hierarchischen Kosmos: Doch wenn die soziale Verortung der Menschen von ihrer Leistung und anderen kontingenten Faktoren abhängt, welche Ordnung kann dann der Welt gegeben werden, und wie viel Veränderlichkeit sollte zugestanden werden? Ist eine Ordnung, die sich mit der Zeit und den Umständen verändert, immer noch eine Ordnung? Können wir von Ordnung sprechen, wenn wir feststellen, dass die Zukunft durch unsere Aktionen und Konstruktionen erzeugt wird und nicht im Voraus durch das Schicksal oder irgendeinen anderen ewigen Plan vorbestimmt ist? Kontingenz bricht in jeden Bereich des menschlichen und persönlichen Lebens ein und die Suche nach Orientierung wird zunehmend schwieriger (und folglich dringlicher). Es wird schwierig, das Wirkliche von dem Scheinbaren zu unterscheiden, oder schlimmer noch, das Gute vom Bösen. Zur selben Zeit (und das ist kein Zufall) machte man die destabilisierende Entdeckung, dass Moral vielschichtig war und nicht mehr für jeden bzw. jede und/oder für jede Gelegenheit Gültigkeit zu haben schien. Welche Moral ist noch möglich in einer Welt, in der gute Absichten schlechte Folgen haben und schlechte Absichten positive Ergebnisse hervorbringen können (Mandeville)? Der Bezug verschiebt sich von der Ewigkeit zur Zeit, vom Kosmos zur Gesellschaft. Eine Ordnung, wenn eine solche noch zu finden ist, muss aus der Unordnung von sich verändernden Orientierungen der Menschen und den Beziehungen zwischen ihnen abgeleitet werden – und sie muss komplex und vielschichtig sein. Mode (paradox und vorübergehend, von der Gesellschaft genau in dieser Zeit erfunden) lässt sich als eine Reaktion auf diese neue Befindlichkeit sehen – eine Art, sich auf die Veränderlichkeit der Zeit und der Menschen zu beziehen, die uns erlaubt, eine viel flexiblere Orientierung zu haben – die wir jetzt detaillierter und parallel zu entsprechenden Formen im Bereich der Organisationen und ihrer Theorie betrachten müssen.
IV. Die Stabilität des Vergänglichen Wie funktioniert Mode, und worauf basiert ihre Macht? Wie schafft sie diese unwahrscheinliche Leistung, Ordnung und Unordnung, Verlässlichkeit und Vergänglichkeit miteinander zu vereinen? Wie wir sehen werden, gelingt ihr dies vor allem durch das feine Verweben von Paradoxien und durch die Fähigkeit, sie zu verbergen: In der Mode bewegen wir uns täglich innerhalb eines Wirrwarrs von Paradoxien, und das Erstaunlichste dabei ist, dass uns das nicht einmal klar ist. Doch welcher Art sind diese Paradoxien? Es lassen sich mindestens zwei grundlegende Mechanismen ausmachen, die miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig stützen. Erstens etwas, das wir die Stabilität des Vorübergehenden nennen können: die schockierende Entdeckung, dass sich alles verändert, und dass dies das Einzige ist, worauf wir uns verlassen können – die einzige Gewissheit, die wir haben. Dies ist auch ein typisches Merkmal der Moder-
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ne, das sie von traditionellen Gesellschaften unterscheidet. Diese gründeten ihre Stabilität nämlich darauf, dass sie auf Tradition und Brauchtum zurückblickten sowie auf das, was Wert und Beständigkeit verkörperte, weil es immer schon so gewesen war und auf ursprünglicher Weisheit beruhte – auf einem höheren Plan, der den Dingen und der Welt die richtige Gestalt gab und der durch Fehler und Rücksichtslosigkeit der Menschen nach und nach verändert wurde. Traditionelle Gesellschaften legten großen Wert auf das Alte und lehnten Neues ab, das zunächst als Verderben, Abartigkeit und Störung betrachtet wurde – etwas, das in eine feste Ordnung einbrach, das Ärger und Irritation mit sich brachte und das es so schnell wie möglich zu entfernen galt (Spörl 193018). Die moderne Gesellschaft hingegen entwickelte innerhalb nur weniger Jahrzehnte eine Obsession für alles Neue, das nicht nur begrüßt, sondern zur notwendigen Voraussetzung wurde, um etwas wertzuschätzen: Menschen mögen nicht nur das Neue, sondern sie mögen nur das Neue (in der Kunst, in Kleidung, sogar in der Wissenschaft: Grenaille 1642, 130 u. 719; Gracián 2003 [1647], n. 26920). Die Bezüge ändern sich ständig und man beginnt, diese Veränderung zu erwarten und aktiv Neues und Überraschendes zu suchen. Anfangs wurde das offenkundig hauptsächlich als Verderben oder Wahnsinn angesehen, als ein Verlust von Stabilität und nicht als eine Suche nach einer anderen Art von Stabilität. Als das Trauma aber erst einmal überwunden war, begann man die positiven Folgen dieser veränderten Haltung zu begreifen: Zwar galt jetzt ein vergänglicher Bezugsrahmen, der sich mit der Zeit verändern konnte, doch man erkannte auch, dass eine Orientierung sich halten kann und akzeptiert wird, selbst wenn man weiß, dass sie sich verändert. Und man sah allmählich, dass das nicht notwendigerweise eine Schwäche sein musste. Heute wird keine wissenschaftliche Aussage mehr als eine absolute und ewige Wahrheit präsentiert, sondern nur als ein Beitrag zur Weiterentwicklung des Wissens. Sie ist somit dazu bestimmt, irgendwann durch neue Forschung überholt zu werden (und deswegen nicht weniger wertvoll). Noch deutlicher ist der Fall des positiven Rechts, das nicht deshalb gilt, weil es sich auf die Natur oder auf notwendige Normen bezieht, sondern nur dank einer Entscheidung, die festgelegt hat, wie es sein soll, die auch anders hätte fest18 | Spörl, Johannes (1930). Das Alte und das Neue im Mittelalter. Studien zum Problem des mittelalterlichen Fortschrittsbewußtseins. In: Historisches Jahrbuch Bd. 50, S. 297-341, 498-524. 19 | Grenaille, Francois de (1642): La Mode, ou charactère de la Religion, de la Vie, de la Conversation, de la Solitude, des Compliments, des Habits et du Style du Temps. Paris: Gasse. 20 | Gracián, Baltasar (2003 [1647]): Oraculo manual y arte de Prudencia. Madrid: Consejo superior de investigaciones cientificas.
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legen können und die sich in der Zukunft verändern kann – doch solange sie gilt, muss sie anerkannt werden. Mode ist der deutlichste Ausdruck dieses Ansatzes. Wir folgen ihr, selbst wenn wir wissen, dass sie vorübergeht – tatsächlich eben aus diesem Grund. Wir wissen, dass wir sie letztes Jahr nicht gemocht haben und sie nächstes Jahr nicht mehr mögen werden. Doch das schwächt keineswegs ihre gegenwärtige Kraft (im Gegenteil, wir mögen sie gerade deswegen). Mode realisiert eine sehr wirksame Kombination von Flexibilität und Verlässlichkeit: Wir können auf sie zählen, aber wir können auch darauf zählen, dass sie sich verändern wird. Als »eingeplante Vergänglichkeit« (Luhmann 1989, 25621) gelingt es ihr, aus dem Vorübergehenden eine spezifische Überzeugungskraft zu beziehen. Wir verlassen uns auf ihre Gebote, weil wir wissen, dass sie nicht für immer gelten werden, und dass wir die Fähigkeit behalten, uns an Zeit und Umstände anzupassen – die einzige Form der Stabilität, die in einer Gesellschaft erlaubt ist, die sich nicht mehr auf die Geschichte verlässt, sondern sich an die Zukunft richtet. Mit ihrer ständigen Produktion von Neuheiten sucht die Mode eigentlich nach einer Form der Stabilität und enthüllt dabei eines ihrer verwirrendsten Merkmale: »eine Art Institutionalisierung des Ephemeren« (Lipovetsky 1987; MacIver u. Page 1962, 108), wodurch die ständige Veränderung zur einzigen Konstante wird. In Baudelaires Worten (1863) liegt das Geheimnis der Mode darin, ›das Ewige im Flüchtigen zu ergreifen‹. […] In beiden Fällen scheint die Stabilität in der ständigen Suche und Vorbereitung des Überraschenden zu liegen, das nicht mehr als Ärgernis betrachtet wird, sondern im Gegenteil als die Voraussetzung für das Funktionieren der Struktur: Neuheit und Reformen sind keine Unannehmlichkeiten, keine Last, die es zu tragen gilt, wenn Probleme entstehen. Das Wissen, dass die Mode von heute sich morgen ändern wird, schwächt sie keineswegs, sondern trägt eher zu ihrem Sinn und ihrer Kraft bei: Die Bereitschaft zur Reform ist keine Schwäche der Organisation oder ein Zeichen dafür, dass etwas nicht funktioniert. Im Gegenteil, Organisationen, die gut und erfolgreich arbeiten, sind immer Reformplänen unterworfen, die (wie die Mode) eine positive und offene Einstellung zum Zukünftigen anzeigen und die Fähigkeit, sich ihm zu stellen. Man verändert sich nicht, weil man besser werden möchte – man ist besser, weil man bereit ist, sich zu verändern.
21 | Luhmann, Niklas (1989): Individuum, Individualität, Individualismus. In: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft Bd. 3. Frankfurt: Suhrkamp, S. 149-258.
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V. Die Konformität mit der Abweichung Eine ähnliche paradoxe Konfiguration findet sich in der sozialen Dimension, die zunehmend komplexer wurde, während die traditionelle hierarchische Ordnung, die jedem einen Platz in der Gesellschaft zuwies, immer mehr an Glaubwürdigkeit verlor. Jeder wusste, welchen Platz die anderen in der Gesellschaft einnahmen und was man von ihnen erwarten konnte – ohne sich mit den Geheimnissen ihrer Psyche und ihrer individuellen Persönlichkeiten auseinandersetzen zu müssen. Heute setzt sich die Gesellschaft hingegen aus singulären und idiosynkratischen Individuen zusammen, die alle ihre Originalität suchen (der Mythos der Selbstverwirklichung) und versuchen, von den anderen als ein einzigartiges und authentisches – und als solches: unberechenbares – Subjekt anerkannt zu werden. Das ist natürlich recht kompliziert, weil wir ein gemeinsames Referenzsystem brauchen, um von anderen wahrgenommen zu werden. Aber es ist schwierig, gemeinsame Vorbilder zu finden, wenn wir unsere Einzigartigkeit verwirklichen wollen. Selbst hier kann die Mode helfen, weil sie eine komplexe und unwahrscheinliche Form der Nachahmung gestattet, die offenbar in der Lage ist, die Orientierung an anderen mit individueller Besonderheit zu verknüpfen. Mode ist eigentlich Nachahmung – jeder sagt es, von den Moralisten des 17. Jahrhunderts bis zu Tarde, Simmel, Balzac, sogar Baudrillard. Aber was oder wer ahmt nach, wenn man der Mode folgt? Es ist nicht mehr, wie im Mittelalter und im Altertum, eine Frage der Imitation (Mimesis) großer Vorbilder, Heiliger und Helden, des Guten und Schönen – Vorbilder, die für jede bzw. jeden und für jede Zeit gültig sind, weil sie grundlegende Gebote und Prinzipien verkörpern. Die Referenzen der Mode sind im Gegenteil oft nicht hoch angesehenen, sondern eher von der Norm abweichend (Häftlinge, ZigeunerInnen, Obdachlose u.ä.) und keineswegs schön – da die Mode seit mehr als einem Jahrhundert nicht darauf abzielt, schön zu sein, sondern eher darauf, aufzufallen und die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Das ist ihr wichtigstes Kriterium (selbst wenn das bedeutet, dass man stört und unangenehm auffällt). Was oder wen imitieren wir, wenn wir, der Mode folgend, diese Vorbilder nachahmen? Zuallererst die Ablehnung von Konformität, nämlich Abweichung und Originalität: Wir imitieren jene, die niemanden imitieren und die einzigartig und originell sind. Das Paradox ist offensichtlich, und in diesem Fall nimmt es die Form einer Konformität mit Abweichung an (der zweite paradoxe Mechanismus hinter der Mode). Wir imitieren die Weigerung zu imitieren, und damit sind wir gleichzeitig konformistisch und abweichend: Konformistisch, weil wir es den anderen nachmachen und die entsprechende gesellschaftliche Unterstützung genießen; und doch abweichend, weil wir Bezug nehmen auf die Weigerung, zu sein wie die anderen. Dies ist einer der überraschendsten Erfolge der Mode, dass es ihr gelingt, das widersprüchliche
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Gesetz der Originalität allen aufzuerlegen: Jede bzw. jeder will einzigartig und originell sein, ohne jemanden zu imitieren – doch in diesem Wunsch bin ich wie alle anderen. […]
VI. Die Neutralisierung der Paradoxien Mode gründet somit auf einem Netz von Paradoxien, das die Komplexität unserer Gesellschaft zum Ausdruck bringt – dieselben Paradoxien, die auch in anderen typisch modernen Gesellschaftsformen zum Ausdruck kommen, wie etwa in formalen Organisationen. Die Faszination der Mode ist jedoch größtenteils der Tatsache geschuldet, dass wir uns gewöhnlich um ihre Widersprüche und Unstimmigkeiten nicht scheren: Mode wirkt harmlos und relativ unproblematisch, weil es ihr gelingt, diese Paradoxien zum Funktionieren zu bringen, indem sie sie miteinander kombiniert. Dies geschieht nicht zufällig und nicht nur wegen des eigentümlichen Mangels an Reflexion über Mode. Mode funktioniert nur, weil sich ihre Paradoxien, anstatt sich zu addieren und sie noch problematischer und unverständlicher zu machen, in gewissem Sinne gegenseitig aufheben oder sich zumindest neutralisieren. Dabei erzeugen sie den seltsamen Zustand, dass ein solches weitverbreitetes und mächtiges Phänomen mit der oben erwähnten Geringschätzung betrachtet wird, d.h. als etwas Frivoles und Unbedeutendes, eine triviale Form der Unvernunft und Oberflächlichkeit, die nicht allzu viel Aufmerksamkeit verdient. Wie funktioniert diese Neutralisierung (die, wie wir sehen werden, das letzte und fundamentale Paradox der Mode ist)? Beginnen wir mit den Aporien in der sozialen Dimension: unser widersprüchlicher Wunsch, von anderen wahrgenommen und geschätzt zu werden, nur weil wir einzigartig und singulär sind. Doch dann würden wir unverständlich erscheinen und nicht geschätzt werden: Ein Original, das als solches wahrgenommen wird, ist kein Original mehr. Aber niemand will allein originell sein, und wir würden gerne eine Möglichkeit finden, um wertgeschätzt (d.h. als gleich anerkannt zu werden) und gleichzeitig individualisiert (d.h. als anders wahrgenommen zu werden) zu werden – und hier kommt uns die Mode zur Hilfe. Unsere Originalität findet ihre Anhaltspunkte in den Trends der Mode, die uns eine Orientierung dafür geben, wie wir unsere Einzigartigkeit ausdrücken können. Wenn wir einen Trend entdecken, fühlen wir uns originell und möchten gerne von anderen wahrgenommen und bewundert werden – doch was sie wahrnehmen (wenn überhaupt etwas), ist nur eine Originalität, die in den (überhaupt nicht originellen) Formen der von allen geteilten Mode ausgedrückt wird. In dem Dilemma von Abweichung und Konformität möchten wir, dass erstere wahrgenommen wird, finden aber Unterstützung nur für letztere. Gewöhnlich erkennen wir das aber nicht, weil sich die Mode, wie wir wissen, ständig ändert, und bevor wir gezwungen werden zu erkennen, das unsere Originalität von anderen geteilt wird, ist die Mode wieder weitergegangen und
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schlägt vor, auf andere Art und Weise originell zu sein. Die Stabilität der Veränderung (das erste Paradox der Mode) löst die Normalität des Originalen auf (das zweite Paradox). Doch auch das Gegenteil ist der Fall. Wie wir gesehen haben, erzeugt Mode sogar in der zeitlichen Dimension ihr Paradox, das hier in der Tatsache zum Ausdruck kommt, dass wir lernen, Überraschungen zu erwarten, d.h. wir erwarten von der Mode, dass sie uns immer wieder in Erstaunen versetzt. Doch eine normalisierte Überraschung widerspricht sich selbst. Der Bezug auf die soziale Dimension vollzieht sich allerdings in einer Welt origineller Individuen, daher überraschend und unberechenbar. Auch hier wieder neutralisiert das Paradox in einer Dimension die potentiellen Schwierigkeiten des Paradoxes in der anderen. Es stimmt, dass es sinnlos ist, unsere Erwartungen auf die Produktion von Überraschungen zu gründen (wir erwarten, nichts zu erwarten), aber es stimmt auch, dass wir diese Überraschungen der Originalität und Kreativität von Individuen zuschreiben können. Wenn wir es mit Menschen zu tun haben, die sich selbst als innovativ und unberechenbar definieren, bestätigen wir, indem wir Überraschungen erwarten, gleichzeitig die Muster sozialer Bezüge und der Beziehungen mit anderen. Indem wir Überraschung Menschen zuschreiben, erkennen wir nicht, dass die Erwartung von Überraschung paradox ist – und wir sehen das in der Art und Weise bestätigt, wie jede bzw. jeder sich auf sich selbst und auf die anderen bezieht. Die Macht der Mode liegt somit vor allem in ihrer bewundernswerten Fähigkeit, Paradoxien zu kombinieren und sie zum Funktionieren zu bringen und die Dynamik einer Gesellschaft zum Fließen zu bringen, deren Umgang mit Komplexität auf Undurchsichtigkeit basiert: die Undurchschaubarkeit der Zukunft und die der anderen, die erkannt wird, ohne dass man seine Fähigkeit verliert, Erwartungen aufzubauen und eine Form der Kontrolle aufrecht zu erhalten, d.h. ohne dass man seine Fähigkeit verliert, Strukturen zu hervorzubringen. In einer Gesellschaft, die sich der Notwendigkeit gegenübersieht, Paradoxien zu erkennen und mit ihnen umzugehen, zeigt die Mode uns einen Weg, die Paradoxien zu artikulieren und miteinander zu kombinieren, statt zu versuchen, sie zu aufzulösen. Es gelingt ihr, Paradoxien zu beherrschen, indem sie sie auf kontrollierte Art multipliziert statt zu versuchen, sie aufzulösen.
VII. Ein triviales Rätsel Was können wir aus der Beschäftigung mit der Mode lernen? Vielleicht ergibt sich der nützlichste Hinweis, wenn wir noch einen weiteren Schritt nach vorne tun, um den größten Erfolg der Mode zu erkennen, der noch subtiler und schwerer zu fassen ist, einen Schritt, der sich auf das Rätsel bezieht, von dem wir ausgegangen sind: ihre Trivialität. Die Mode artikuliert und kombiniert ihre Paradoxien derart geschickt, dass die Menschen gewöhnlich nicht weiter
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darüber nachdenken, und sie wird im Allgemeinen als etwas Frivoles und im Wesentlichen Irrelevantes angesehen. Die Macht der Mode zeigt sich gerade in der Tatsache, dass wir sie nicht ernst nehmen. Niemand weiß, wie Mode eigentlich funktioniert, und niemand kann sie beherrschen (Sellerberg 2002, § 622): Alle Versuche, die Bildung und Entwicklung von Trends zu entdecken und zu steuern, scheitern an der Unmöglichkeit, das Phänomen zu lenken. Mode entsteht und verbreitet sich von selbst; DesignerInnen und Unternehmen können nur Anreize geben und abwarten, wie sie akzeptiert werden; oder sie können aufkommenden Trends nachjagen, um ihnen zu folgen und sie zu verstärken. Es gibt keine Regel, die die Mode beherrscht und lenkt, und sie bleibt größtenteils undurchdringlich – doch einmal geschaffen zwingt sich die Mode jedem auf. Mode bleibt somit ein Rätsel, doch ein Rätsel, das sich in der Form einer Banalität präsentiert, womit sie noch rätselhafter wird. Doch Mode funktioniert aus eben diesem Grund. Wahrscheinlich gelingt ihr das Verweben ihrer Paradoxien deswegen so gut, weil niemand sie allzu ernst nimmt. Das letzte Paradox der Mode, das des trivialen Rätsels, ist die Basis ihrer Macht und Verbreitung und umso unangefochtener, weil sie unbemerkt bleiben. Mode verbreitet sich überall und wird selten ernst genommen. [Esposito 2011, 603-613]
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Quellennachweise
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Fashion Studies bei transcript Gertrud Lehnert
Mode Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis
2013, 200 Seiten, kart., 24,90 €, ISBN 978-3-8376-2195-2 Ob Fashion Victims, Hipster, Punks oder der berühmte Otto Normalverbraucher: Wir entkommen der Mode nicht. Aber was macht Kleidung zur Mode? »Gertrud Lehnerts [...] ansprechend und verständlich vorgetragener, obgleich durchaus komplex angelegter Versuch muss über den Kreis des akademisch mit der Mode befassten Publikums hinaus unbedingt interessieren.« (taz, 16.12.2013) »Das Buch ist eine längst überfällige und hochinteressante Grundlage für alle, die sich mit Mode beschäftigen.« (TextilForumTextile, 2/2014) »Dieses Buch darf in keiner Bibliothek von Mode- und Textilwissenschaften Studierenden und Lehrenden fehlen.« (textil, 4/2013)
www.transcript-verlag.de