Modernes Mittelalter: Mediävalismus im Werk Stefan Georges 9783110619782, 9783110616132

Stefan George (1868–1933) was one of the most fascinating cultural figures of classical modernity. Among the prominent f

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German Pages 392 Year 2019

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Table of contents :
Dank
Inhalt
1. Einleitung
2. Ästhetischer Mediävalismus
3. Kulturkritischer Mediävalismus
4. Esoterisch-prophetischer Mediävalismus
5. Ergebnisse
6. Anhang
7. Literaturverzeichnis
8. Register
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Modernes Mittelalter: Mediävalismus im Werk Stefan Georges
 9783110619782, 9783110616132

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Jutta Saima Schloon Modernes Mittelalter

Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte Begründet als

Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker von

Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer

Herausgegeben von

Ernst Osterkamp und Christiane Witthöft

97 (331)

De Gruyter

Modernes Mittelalter Mediävalismus im Werk Stefan Georges von

Jutta Saima Schloon

De Gruyter

Gedruckt mit Unterstützung des Instituts für Fremdsprachen der Universität Bergen, Norwegen.

ISBN 978-3-11-061613-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-061978-2 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-061913-3 ISSN 0946-9419 Library of Congress Control Number: 2018967609 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und buchbinderische Verarbeitung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Dank Die vorliegende Arbeit ist an zwei Orten entstanden, an der Universit%t Freiburg im Breisgau und an der Universit%t Bergen, Norwegen. Sie wurde im Wintersemester 2017/18 von der Humanistischen Fakult%t der Universit%t Bergen als Dissertation angenommen. Vielen Menschen habe ich zu danken f#r ihre Anregungen und Hilfen, allen voran Prof. Dr. Achim Aurnhammer, der diese Arbeit #ber lange Jahre mit großer Fachkompetenz betreut und mit ebenso großer Geduld begleitet hat. Ohne ihn h%tte diese Arbeit nicht entstehen kçnnen. Ebenso danken mçchte ich Prof. Dr. Sissel Lægreid, die sich meiner Arbeit an der Universit%t Bergen angenommen, sie durch neue Impulse bereichert und mich immer wieder zu ,skandinavischer‘ Klarheit im Ausdruck ermuntert hat. Prof. Dr. Frank-Rutger Hausmann, der diese Arbeit in meiner Freiburger Zeit mitbetreut hat, danke ich herzlich f#r viele inspirierende Gespr%che, klare Worte und Ermutigungen. Großer Dank geb#hrt Prof. Dr. J#rgen Egyptien, Prof. Dr. MarieTheres Federhofer und Dr. Birger Solheim f#r die Begutachtung dieser Arbeit und f#r ihren hervorragenden Einsatz in der Pr#fungskommission bei der çffentlichen Verteidigung an der Universit%t Bergen im Februar 2018. Prof. Dr. Egyptiens ,hergesagte‘ Rezitation des Gedichts Herzensdame bleibt unvergessen, ebenso wie Prof. Dr. Federhofers psychologisch geschickte und publikumsfreundliche Gespr%chsf#hrung. F#r die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte und ihre positiven Voten danke ich vielmals Prof. Dr. Ernst Osterkamp und Prof. Dr. Christiane Witthçft. F#r die institutionelle und finanzielle Fçrderung des Projekts danke ich dem Institutt for fremmedspr$k an der Universit%t Bergen, das mir ideale Arbeitsbedingungen sowie einen substantiellen Druckkostenzuschuss zur Verf#gung gestellt hat, sowie der Landesgraduiertenfçrderung des Landes Baden-W#rttemberg, die mein Forschungsprojekt mit einem Stipendium im Rahmen des Promotionskollegs Lern- und Lebensr#ume des Mittelalters an der Universit%t Freiburg im Breisgau gefçrdert hat. Stellvertretend f#r viele andere mçchte ich Prof. Dr. Birgit Studt und Prof. Dr. Felix Heinzer danken, die das Freiburger Kolleg geleitet und sowohl wissenschaftlich als auch menschlich mit Leben gef#llt haben. In Bergen danke ich meinen

VI

Dank

Kolleginnen und Kollegen aus der Deutsch-Abteilung f#r das angenehme Arbeitsumfeld, insbesondere Dr. Torgeir Skorgen, Prof. Dr. Randi Koppen, die als Forschungsleiterin des Instituts immer ein offenes Ohr f#r mich hatte, sowie der Forschergruppe „Literature and Religion“ unter der Leitung von Dr. Laura Saetveit Miles und Prof. Dr. Erik Tonning. Prof. Dr. Wolfgang Braungart von der Stefan-George-Gesellschaft danke ich f#r seine Hilfsbereitschaft und sein Engagement. Dr. Ute Oelmann und Dr. Maik Bozza vom Stefan-George-Archiv in Stuttgart danke ich f#r ihre Hilfe, die großz#gige Bereitstellung von Archivbest%nden und die Einholung von Abdruckgenehmigungen. Kari Normo von der Universit%tsbibliothek Bergen danke ich f#r die schnelle und zuverl%ssige Erledigung hunderter von Fernleihbestellungen. Manchmal muss man das Gl#ck haben, zur richtigen Zeit die richtigen Menschen zu treffen – kairos, h%tte Stefan George wohl gesagt. Mein Gl#ck war es, dass Dr. Michael Grote, Germanist an der Universit%tsbibliothek in Bergen, mir genau im rechten Moment half, diese Arbeit zum Abschluss zu bringen. Daf#r sowie f#r seine intellektuellen Einw#rfe und freundschaftlichen Ermunterungen gilt ihm mein besonderer Dank. Ein großes Gl#ck bedeutete f#r mich auch die Begegnung und Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Ingvild Folkvord und Bettina Nordland an der NTNU in Trondheim, die mir gleich nach Einreichung dieser Arbeit neue Mçglichkeiten und Horizonte erçffnet haben. Ihnen danke ich herzlich f#r ihre freundschaftlich-fachliche Unterst#tzung in ereignisreichen Monaten. In ebenso positivem Sinne gepr%gt und inspiriert hat mich die hervorragende Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Ralf von den Hoff im Freiburger Sonderforschungsbereich 948 „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ und mit Dr. Stefanie Stegmann im Literaturb#ro Freiburg. F#r fachliche Diskussionen und f#r ausgiebige, produktive Kommentierungen von Entw#rfen danke ich insbesondere Julia Ilgner, von deren Stringenz und Pr%zision ich profitiert habe. F#r die Lekt#re einzelner Kapitel danke ich herzlich Christina Eckert, Felix Weigold, Dr. Frank Weigelt, Dr. Torgeir Skorgen, Dr. Anders Kristian Strand, Prof. Dr. Erik Bjerck Hagen und Prof. Dr. Lars Sætre. Dankbar bin ich auch Prof. Dr. Beatrice Sandberg f#r ihre aufmerksame Textlekt#re und wertvolle Verbesserungsvorschl%ge. Dr. Helen Leslie-Jacobsen und Alissa Vik danke ich herzlich f#r ihre Hilfe bei der Redaktion eines englischen Abstracts dieser Arbeit. Ohne meine Freunde, Kollegen und Leidensgenossen in Freiburg und Bergen w%re die Arbeit an diesem Projekt nur halb so schçn gewesen: Dr. Nina Allweier, Dr. Babette Boss, Anna Heermann, Eike Gçtz Hosemann,

Dank

VII

Julia Ilgner, Dr. Espen Ingebrigtsen, Dr. Helen Leslie-Jacobsen, AnnKristin Molde, Dr. Synnøve Midtbø Myking, Dr. Claudia Neubauer, Dr. Guro Sandnes, Dr. Florian Schreck, Frank Sicklinger, Dr. Stefanie Stegmann, Julia Thiele, Lea Torney, Benedikte Fjellanger Vardøy, Alissa Vik und Dr. Barbara Walter verdanke ich die notwendige moralische Unterst#tzung. Vor allem aber danke ich meinem Partner Dr. Jens Eike Schnall, der mehr f#r mich getan hat, als es sich hier in Worte fassen ließe. Bergen, im Februar 2019

Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Gegenstand und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Zum Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Mittelalterrezeption und Medi%valismus . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Methodologische Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Zum Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 1 3 11 24 27

2 !sthetischer Medi%valismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Medi%valismus in der Lyrik der zweiten H%lfte des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Spiegelungen einer Seele – Programmatik . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Das Mittelalter als Seelenwelt: Das Buch der Sagen . . . . . . . 2.3.1 Zwischen Verschmelzung und Variation. Die immanente Poetik der Sagen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.1 Sprachliche Spuren ins Mittelalter . . . . . . . . 2.3.1.2 (K)eine historische Ballade . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.3 Verr%umlichte Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.4 Sinnbildlichkeit und Korrespondenzen . . . . 2.3.1.5 Projektionsraum Mittelalter . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.6 Poetologie der Verschmelzung: Rezeption und Imagination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.7 Intertextualit%t . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.8 Geschichte als Vorgang von Erbe und Wiedergeburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.9 Variationen #ber germanische Themen: Die Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.10 Dichterische Identifikation: Frauenlob . . . . 2.3.2 Ambiguisierung mittelalterlicher Liedtypen . . . . . . . . 2.3.3 Maskuline Wertewelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Poetologischer Ausklang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Simulativer Medi%valismus: S#nge eines fahrenden Spielmanns 2.4.1 Die !sthetik des Scheins – Trugbild und Traumgesicht 2.4.2 Paratextuelle Medi%valisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Rezeptive Bezugnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3.1 Simulierender Historismus und Stilimitation

29 33 40 47 47 50 52 53 55 58 60 62 64 66 77 83 95 104 113 115 119 122 123

X

Inhalt

2.4.3.2 2.4.3.3 2.4.3.4

Spielmann oder Minnes%nger? . . . . . . . . . . Der Schein von ,Mittelalterlichkeit‘ . . . . . . . Ring, Schmied und Fessel – Echos aus der Romantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Projektionen und Imaginationen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4.1 Bilder der Fr#he . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4.2 Belgische Ansichten zu Mittelalter, Lied und Naivit%t . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4.3 Zwischen Traum und Selbstgespr%ch . . . . . . 2.4.4.4 Macht und Ohnmacht der Kunst . . . . . . . . 2.5 Medi%valisierende Dramen%sthetik: Die Herrin betet . . . . . . 2.6 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

126 128 146 151 151 154 158 162 168 177

3 Kulturkritischer Medi%valismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Programmatische Merkspr#che in den Bl#ttern f"r die Kunst 3.2 Medi%valismus und Kulturreflexion in Der Teppich des Lebens 3.2.1 Gotisierende Buchgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Medi%valismus im Kontext von Kulturtypologien . . . 3.2.3 Dichterische Schau ins dunkle Mittelalter . . . . . . . . . 3.2.4 Historische Vorbilder und Modelle . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Griechisches und Gotisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Subversiver Medi%valismus in Der Siebente Ring . . . . . . . . . . 3.3.1 Lorbeer statt Eichenlaub: Poetik des Zeitgedichts zwischen Medi%valismus und Renaissancismus . . . . . . 3.3.2 Kaiser und Reich: !sthetische R#ckeroberung . . . . . . 3.3.3 Topographien des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.1 Rheinische Mythen und Rçmisches Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.2 Katholisches Mittelalter versus preußischer Protestantismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3.3 Zusammenfassung: Medi%valismus im Postkartenformat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

179 180 186 187 189 191 196 204 207 208

4 Esoterisch-prophetischer Medi%valismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Geheimb#nde und Orden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Medi%valismus und Mystik der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Georges Rezeption mittelalterlicher Mystik . . . . . . . .

257 259 271 275

211 223 236 237 249 253 256

Inhalt

XI

4.2.2 Neomystische Texturen in Der Siebente Ring und Der Stern des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2.1 Selbstaufgabe und Erf#llung . . . . . . . . . . . . 4.2.2.2 Unio mystica und coincidentia oppositorum . . 4.2.2.3 Mystische Schau und Wiederkehr . . . . . . . . 4.2.2.4 Grenzen des Sagbaren . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Medi%valismus zwischen Nostalgie und Prophetie . . . . . . . . 4.3.1 Die Poetologie des ,goldenen Tons‘ in Burg Falkenstein 4.3.2 Medi%valismus und ,Geheimes Deutschland‘ . . . . . . . 4.3.3 Ritterlicher Heroismus in Georges letztem Gedicht . . 4.3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

281 289 291 293 295 298 300 303 316 321 323 325

5 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Mehrwert des Konzepts Medi%valismus . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Formen des Medi%valismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Zeitgebundene Zeitlosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Funktionen des Medi%valismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 !sthetische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Identit%tsstiftung, Vorbild- und Richtlinienfunktion . 5.4.3 Soziale Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Jahrhundertwenden und Epochenschwellen . . . . . . . . . . . . . . .

327 327 328 331 335 335 337 339 340

6 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Vergleichstexte zu Sporenwache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Abdruckgenehmigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

343 343 344 344

7 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Prim%rliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Werke von Stefan George . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Bl#tter f"r die Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Briefwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Sonstige Prim%rliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Sekund%rliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

347 347 347 348 348 348 351

8 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 8.1 Werk- und Gedichttitel Stefan Georges . . . . . . . . . . . . . . . . 373 8.2 Personen- und Werkregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375

1 Einleitung 1.1 Gegenstand und Fragestellung Finsteres Zeitalter, romantischer Sehnsuchtsort, #berzeitliche Utopie – das Mittelalter hat in der Moderne zahlreiche divergierende Zuschreibungen, Projektionen und Inanspruchnahmen erfahren. In Deutschland waren Mittelalterimaginationen insbesondere von der Romantik bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs hoch relevant, indem sich das nationale Selbstverst%ndnis auf Ursprungserz%hlungen vom Mittelalter gr#ndete.1 Inmitten dieser Zeit, in diesem Klima der nationalen )berhçhung des Mittelalters entstand mit dem Werk Stefan Georges (1868 – 1933) eine der großen Dichtungen der Moderne und zugleich eine der faszinierendsten %sthetischen Verarbeitungen mittelalterlicher Thematik. In die Literaturgeschichte ist George als deutscher Vertreter des Symbolismus und als charismatisches Zentrum eines elit%ren M%nnerbundes eingegangen. Seine Zeitgenossen, vor allem die j#ngeren, nahmen hingegen Seiten an ihm wahr, die heute eher in Vergessenheit geraten sind: Walter Benjamin etwa sch%tzte George als den „Spielmann“, dessen Gedichte der Jugend zu Beginn des 20. Jahrhundert „Trostgesang“ gewesen seien.2 Und Klaus Mann erinnert sich in seiner Autobiographie: „Meine Jugend verehrte in Stefan George den Templer, dessen Sendung und Tat er im Gedicht beschreibt. Da die schwarze Woge des Nihilismus unsere Kultur zu verschlingen droht, […] tritt er auf den Plan – der militante Seher und inspirierte Ritter.“3 Die Stimmen dieser beiden prominenten Intellektuellen illustrieren exemplarisch den Einfluss und die Wirkung, die 1

2 3

In seiner )berblicksstudie zu Mittelalterbildern vom 14. bis zum 21. Jahrundert stellt Valentin Groebner die These auf, dass nach 1945 das Gedenken an den Holocaust den Platz in der deutschen Erinnerungskultur eingenommen hat, die zuvor die Mittelalter-Imaginationen besetzt hielten (Groebner, Valentin: Das Mittelalter hçrt nicht auf. )ber historisches Erz%hlen. M#nchen: C.H.Beck 2008. S. 134). Walter Benjamin: R"ckblick auf Stefan George. Zu einer neuen Studie #ber den Dichter. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Hella Tiedemann-Bartels. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972 (= 3). S. 392 – 399, hier S. 398 f. Klaus Mann: Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1999. S. 162.

2

1 Einleitung

George zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf weite Kreise der bildungsb#rgerlichen Jugend ausge#bt hat.4 Dabei ist es bemerkenswert, dass sowohl Benjamin als auch Mann den Dichter George mit mittelalterlichen Rollenvorbildern assoziierten. Sie griffen damit medi%valisierende Stilisierungen auf, die in Georges Dichtung selbst angelegt waren. Spielmann und Ritter markieren dabei zugleich zwei Extrempole, zwischen denen sich Mittelalterbez#ge und -imaginationen in Georges Dichtung verorten lassen: das Spielerische und das Militante, das !sthetische und das Kulturkritische, das Liedhafte und das Prophetische. Dar#ber hinaus ist die Betrachtung des ,Medi%valismus‘ geeignet, das vorherrschende Bild Georges als eines ernsthaft-gravit%tischen, weitgehend ironiefreien Großmeisters zu differenzieren: Der ,Spielmann‘ George verf#gt #ber ein erstaunlich breites Spektrum an rhetorischen Wirkungsmitteln, das Komik und Ironie, Formexperiment und Sprachreflexion, autobiographische Anspielung und intertextuelle Referenzen zu sehr unterschiedlichen literarischen Traditionen unbedingt mit einschließt. Vorliegende Studie untersucht erstmals systematisch und umfassend Formen und Funktionen des ,Medi%valismus‘ in Georges Werk. Dabei geht sie folgenden Forschungsfragen nach: Welche Spielarten und Phasen des ,Medi%valismus‘ lassen sich unterscheiden und welche literarischen Verfahrensweisen und %sthetischen Aktualisierungen verbinden sich mit ihnen? Inwiefern nutzte George das Mittelalter als Imaginations- und Projektionsraum? Welche verschiedenen Funktionen #bernimmt der ,Medi%valismus‘ in Georges Werken? Damit verspricht sich diese Arbeit Erkenntnisse zu Georges Umgang mit nationalen Geschichtskulturen und literarischen Traditionen sowie und insbesondere Einsichten in seine poetischen Strategien der ,Medi%valisierung‘. Die Analyse konzentriert sich daher nicht auf Mittelalterrezeption im klassischen literaturwissenschaftlichen Verst%ndnis, sondern auf Konzeptionen und Imaginationen von ,Mittelalter‘. Der Terminus ,Medi%valismus‘ dient dabei als heuristischer Oberbegriff und operationale Kategorie. Im Folgenden soll zun%chst das Forschungsfeld umrissen werden, in dem sich vorliegende Studie positioniert (1.2). Daran anschließend werden theoretische (1.3) und methodologische (1.4) Grundlagen der Arbeit erçrtert, abschließend wird eine kurze )bersicht #ber den Verlauf der Studie gegeben (1.5). 4

Vgl. dazu die ausf#hrliche Studie von Carola Groppe (Groppe, Carola: Die Macht der Bildung. Das deutsche B#rgertum und der George-Kreis 1890 – 1933. Kçln: Bçhlau 1997, insbes. S. 334 – 409).

1.2 Zum Stand der Forschung

3

1.2 Zum Stand der Forschung Mit dem Erscheinen des dreib%ndigen Handbuchs zu Stefan George und seinem Kreis (2012) und des neuen Werkkommentars zu Stefan Georges Dichtung (2017) hat die George-Forschung gegenw%rtig einen neuen Hçhepunkt erreicht.5 In diesen Publikationen spiegeln sich zwei Forschungstrends der vergangenen zwei Jahrzehnte wider: zum einen die interdisziplin%re Ann%herung an Ph%nomene des George-Kreises, die mit sozial-, mentalit%ts- und ideengeschichtlichen Perspektiven beleuchtet wurden;6 zum anderen die R#ckbesinnung auf genuin literaturwissenschaftliche Fragestellungen, die im Zuge der Interessenverlagerung auf den Kreis in den Hintergrund geraten waren. Diese Tendenzen betreffen auch die Forschung zu Stefan Georges Mittelalterbildern. Im Rahmen einer kulturwissenschaftlichen Orientierung haben sowohl Literaturwissenschaftler als auch Historiker die Geschichtsbildproduktion des George-Kreises und dessen Verh%ltnis zur Wissenschaft in den Blick genommen. Der Sammelband Geschichtsbilder im George-Kreis (2004) macht unter anderem die Beitr%ge einer interdisziplin%ren Tagung zu Mittelalterbildern im George-Kreis zug%nglich.7 Die meist personen5

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7

Aurnhammer, Achim, Wolfgang Braungart u. a. (Hrsg.): Stefan George und sein Kreis. Ein Handbuch. Redaktion: Birgit W%genbaur. Berlin, Boston: de Gruyter 2012; Egyptien, J#rgen (Hrsg.): Stefan George – Werkkommentar. Berlin, Boston: de Gruyter 2017. Exemplarisch sollen hier folgende wegweisende Studien genannt werden: Breuer, Stefan: !sthetischer Fundamentalismus. Stefan George und der deutsche Antimodernismus. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1995; Groppe: Die Macht der Bildung; Braungart, Wolfgang: !sthetischer Katholizismus. Stefan Georges Rituale der Literatur. T#bingen: Niemeyer 1997; Kolk, Rainer: Literarische Gruppenbildung. Am Beispiel des George-Kreises 1890 – 1945. T#bingen: Niemeyer 1998; Karlauf, Thomas: Stefan George. Die Entdeckung des Charisma; Biographie. 4. Aufl. M#nchen: Blessing 2007; Raulff, Ulrich: Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben. M#nchen: C.H.Beck 2009; Stottmeister, Jan: Der George-Kreis und die Theosophie. Mit einem Exkurs zum Swastika-Zeichen bei Helena Blavatsky, Alfred Schuler und Stefan George. Gçttingen: Wallstein 2014. Schlieben, Barbara, Olaf Schneider u. Kerstin Schulmeyer (Hrsg.): Geschichtsbilder im George-Kreis. Wege zur Wissenschaft. Gçttingen: Wallstein 2004. Die Publikation versammelt Beitr%ge aus der von Johannes Fried und Ulrich Raulff geleiteten Sektion „Die Bedeutung Stefan Georges f#r die Geschichtswissenschaft“ auf dem Deutschen Historikertag in Halle 2002 sowie aus einem von den Herausgebern veranstalteten interdisziplin%ren Kolloquium zum Thema „Mittelalterbilder im George-Kreis“, das im Dezember 2002 in Frankfurt stattfand. Eine %hnliche Zielrichtung verfolgt der 2005 erschienene Sammelband Wissenschaftler im George-

4

1 Einleitung

bezogenen Aufs%tze vermitteln einen ersten )berblick #ber die Bandbreite der Mittelalterevokationen im George-Kreis, mit Beitr%gen etwa zur gotisierenden Buchkunst Melchior Lechters und zu den Arbeiten des dem George-Kreis nahestehenden Medi%visten Wolfram von den Steinen.8 Vor allem aber sind hier die wegweisenden Studien des Historikers Otto Gerhard Oexle zu nennen,9 in dessen Projekt einer ,Ged%chtnisgeschichte des Mittelalters in der Moderne‘ auch der George-Kreis einen prominenten Platz einnimmt, zumeist mit Schwerpunkt auf Ernst Kantorowicz’ Biographie Kaiser Friedrich der Zweite (1927) und den durch dieses Buch ausgelçsten Historikerstreit. Oexle und die Vertreter der wesentlich von ihm initiierten geschichtswissenschaftlichen Historismus-Forschung nehmen Ernst Troeltschs Diagnose einer ,Krise des Historismus‘ als Ausgangspunkt und betrachten die Werke des George-Kreises als Zeugnisse

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Kreis (Bçschenstein, Bernhard (Hrsg.): Wissenschaftler im George-Kreis. Die Welt des Dichters und der Beruf der Wissenschaft. Berlin: de Gruyter 2005). Beide Publikationen nehmen sich vor, den George von Edgar Salin zugeschriebenen Ausspruch „Von mir aus f#hrt kein Weg zur Wissenschaft“ zu hinterfragen, und beweisen eindr#cklich, dass der scheinbare Widerspruch zwischen reinem K#nstlertum und strenger Fachwissenschaft im George-Kreis durchaus gelebt und praktiziert wurde. Zum Thema Wissenschaftler im George-Kreis vgl. den %lteren Tagungsband von Hans-Joachim Zimmermann (Hrsg.): Die Wirkung Stefan Georges auf die Wissenschaft. Ein Symposium. Heidelberg: Winter 1984. Zu den wissenschaftstheoretischen Pr%missen des George-Kreises hat Franco Rossi eine Studie vorgelegt, in der er „epistemologische Grund#berzeugungen“ aus den wissenschaftlichen und wissenschaftstheoretischen Publikationen des GeorgeKreises herauszuarbeitet (Rossi, Francesco: Gesamterkennen. Zur Wissenschaftskritik und Gestalttheorie im George-Kreis. W#rzburg: Kçnigshausen & Neumann 2011, hier S. 13). Sch#tze, Sebastian: Ein Gotiker im George-Kreis. Melchior Lechter und die Erneuerung der Kunst aus dem Geist des Mittelalters. In: Geschichtsbilder im GeorgeKreis. S. 147 – 182; Schneider, Wolfgang Christian: „Heilige und Helden des Mittelalters“. Die geschichtliche „Schau“ Wolframs von den Steinen unter dem Zeichen Stefan Georges. In: ebd. S. 183 – 208. Oexle, Otto Gerhard: Die Gegenwart des Mittelalters. Berlin: Akademie 2013; Oexle, Otto Gerhard (Hrsg.): Krise des Historismus – Krise der Wirklichkeit. Wissenschaft Kunst und Literatur 1880 – 1932. Gçttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007; Oexle, Otto Gerhard: Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus. Studien zu Problemgeschichten der Moderne. Gçttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1996; Oexle, Otto Gerhard: Das entzweite Mittelalter. In: Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter. Hrsg. von Gerd Althoff. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1992. S. 7 – 28.

1.2 Zum Stand der Forschung

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dieser Krise sowie als Versuche, sie zu #berwinden.10 Diese Studien haben das Verdienst, die großen geistesgeschichtlichen Linien von ,Medi%valismus‘ und ,Renaissancismus‘ in der Moderne aufzuzeigen. Literarische Texte werden dabei tendenziell wie historische Quellen gelesen: Inhaltliche oder ideologische Aussagen stehen im Vordergrund des Interesses, sprachlich-%sthetische Ph%nomene werden vor allem als Ausdruck oder Funktion historischer Zusammenh%nge betrachtet. An Oexles Arbeiten ankn#pfend hat Bastian Schl#ter aus germanistischer Perspektive Imaginationen vom Mittelalter zwischen den Weltkriegen in literarischen Texten untersucht.11 In dieser breit angelegten ideengeschichtlichen Studie verhandelt Schl#ter auch die Mittelalterbilder des George-Kreises.12 Schl#ter nimmt schwerpunktm%ßig Ernst Kantorowicz’ Biographie Kaiser Friedrich der Zweite in den Blick. Einleitend zieht er Beispiele von Mittelalterimaginationen in Georges Dichtung und aus Schriften weiterer Kreismitglieder heran, um aufzuzeigen, wie stark Kantorowicz’ Werk in der Ideenwelt des George-Kreises verwurzelt ist. Seine Darstellung folgt dem Leitgedanken einer !sthetisierung der Geschichte, Georges Sagen und S#nge versieht er mit Dirk Niefangers Begriff des „produktiven Historismus“ und hebt in Georges sp%terer Dichtung pauschal das kunstreligiçse Moment und das Zeitkonzept des kairos, des erf#llten Augenblicks hervor.13 Mit Bezug auf Stefan Georges Werk gilt jedoch weiterhin Ute Oelmanns Befund aus dem Jahre 2004, die eine „weitgehende Abstinenz“ von Forschungen zum ,Mittelalter in der Dichtung Stefan Georges‘ konstatiert.14 Im Gegensatz zur Antike-Rezeption, die das Epochenrepertoire des Kreises zu dominieren scheint, ist Georges Verh%ltnis zur mittelalterlichen Tradition bislang nur partiell erforscht.15 Die meisten Beitr%ge beschr%nken 10 Oexle: Krise des Historismus – Krise der Wirklichkeit, insbes. S. 11 – 116; Schl#ter, Bastian: Explodierende Altert"mlichkeit. Imaginationen vom Mittelalter zwischen den Weltkriegen. Gçttingen: Wallstein 2011; vgl. auch Heinßen, Johannes: Historismus und Kulturkritik. Studien zur deutschen Geschichtskultur im sp%ten 19. Jahrhundert. Gçttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003. S. 415. 11 Schl#ter: Explodierende Altert"mlichkeit. 12 Ebd. S. 257 – 316. 13 Ebd. S. 261 – 266. 14 Oelmann, Ute: Das Mittelalter in der Dichtung Georges. Ein Versuch. In: Geschichtsbilder im George-Kreis. S. 133 – 145, hier S. 133. Seit 2010 haben sich einzelne Forscher der Thematik angenommen, wie im Folgenden noch dargestellt werden wird. 15 Die Forschung zu Geschichtsbildern im George-Kreis relativiert zumeist den Stellenwert des Mittelalters im Epochenrepertoire des Kreises (Schlieben u. a.:

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1 Einleitung

sich nach wie vor auf Georges Buch der Sagen und S#nge (1895) und darin insbesondere auf den ersten Zyklus Sagen, der explizit auf mittelalterliche Themen und Motive rekurriert. Mittelalterbez#ge in Georges Werk nach den Sagen und S#ngen blieben bislang vernachl%ssigt, so dass bis dato keine systematische, umfassende Studie zu Mittelalterimaginationen in Georges Werk vorliegt. Nach zwei rein affirmativen, ideologisch belasteten Studien aus den 1930er Jahren,16 die heute allenfalls als wissenschaftshistorische Zeugnisse f#r die kritiklos verehrende Haltung der ersten Generation von GeorgeForschern dienen kçnnen,17 gerieten Georges Mittelalterbilder erst in den 1980er Jahren im Zuge einer Konjunktur germanistischer MittelalterRezeptionsforschung wieder in den Blick.18 Immer noch grundlegend ist Joachim Storcks Aufsatz Das Bild des Mittelalters in Stefan Georges „Buch der Sagen und S#nge“, in dem Storck vor allem auf die symbolistische Poetik der Gedichte abzielt und deren Distanz zu Mittelalterbildern in den zeitgençssischen, sogenannten Professorenromanen betont.19 Die Verçffentlichung einer Sammelschrift Georges zu den Sagen und S#ngen als Faksimile 1996 begleitete Hubert Arbogast mit einem Nachwort, das vor allem die biographischen Entstehungsumst%nde erl%utert und die Sagen und S#nge

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Geschichtsbilder im George-Kreis. S. 10; Schl#ter: Explodierende Altert"mlichkeit. S. 260). Zur Antiken-, insbesondere Platon-Rezeption siehe Oestersandfort, Christian: Antike-Rezeption. In: Stefan George und sein Kreis. Ein Handbuch. Bd. 2, S. 647 – 671; Lane, Melissa S.: The Platonic Politics of the George Circle: A Reconsideration. In: A poet’s Reich. Politics and culture in the George Circle. Hrsg. von Melissa S. Lane. Rochester, NY: Camden House 2011. S. 133 – 163; Varthalitis, Georgios: Die Antike und die Jahrhundertwende. Stefan Georges Rezeption der Antike. Heidelberg 2000. Heybey, Wolfgang: Glaube und Geschichte im Werk Stefan Georges. Stuttgart: Kohlhammer 1935; Diehl, Otto: Die hochmittelalterliche Dichtung der Deutschen als Vorbild Stefan Georges. In: Aus der Werkstatt. Alfred Gçtze zum sechzigsten Geburtstag. Hrsg. von Otto Diehl. Gießen 1936. S. 5 – 19. )ber die Generationen und Positionen der George-Forschung informiert unter anderem Carola Groppe: Die Macht der Bildung. S. 16 – 19. Storck, Joachim W.: Das Bild des Mittelalters in Stefan Georges „Buch der Sagen und S#nge“. In: Mittelalter-Rezeption II. Gesammelte Vortr%ge des 2. Salzburger Symposions ,Die Rezeption des Mittelalters in Literatur, Bildender Kunst und Musik des 19. und 20. Jahrhunderts‘. Hrsg. von J#rgen K#hnel. Gçppingen: K#mmerle 1982. S. 419 – 437; Storck, Joachim W.: Stefan Georges „Drei B"cher“. In: Neuere Beitr#ge zur George-Forschung 7 (1982). S. 4 – 21; Kamin´ska, Krystyna: Der Dialog Stefan Georges mit Antike, Mittelalter und Orient. In: Neuere Beitr#ge zur George-Forschung 7 (1982). S. 22 – 34. Storck: Das Bild des Mittelalters, hier S. 433.

1.2 Zum Stand der Forschung

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im Sinne einer Maskierungsstrategie deutet.20 Eine erweiterte Perspektive legte Bernhard Bçschenstein in seinem einschl%gigen Aufsatz aus dem Jahre 1998 an, indem er die Mittelaltermotivik in Georges Werk vom Buch der Sagen und S#nge bis zum Siebenten Ring (1907) nachzeichnet.21 Kursorisch skizziert er drei mçgliche Phasen, die er jeweils einem Gedichtband zuordnet: Die fr#hen Mittelalterbez#ge im Buch der Sagen und S#nge charakterisiert er als „Mischung aus Konventionalit%t und selbstgew%hlter Konstellation“ und unterscheidet davon die Funktionalisierung des Mittelalters „als negative Entsprechung zu einer enthistorisierten Antike“ im Teppich des Lebens sowie „als Best%tigung einer r#ckw%rtsgewandten historistischen Prophetie“ im Siebenten Ring. 22 Diesem (allerdings oftmals eher intuitiv vorgehenden) Aufsatz verdankt vorliegende Studie entscheidende Anregungen.23 St%rker an Quellen- und Rezeptionsfragen interessiert sind die Beitr%ge von Stefan Schultz und Ute Oelmann. Schultz interpretiert im Unterkapitel 'berlieferung und Urspr"nglichkeit seiner Studien zur Dichtung Stefan Georges (1967) ausgew%hlte Gedichte aus dem Buch der Sagen und S#nge und stellt Bez#ge zu mçglichen Vorlagen her.24 Auf die Best%nde des Stuttgarter Stefan-George-Archivs gest#tzt, liefert Oelmann in ihrem 20 Arbogast, Hubert: Nachwort. In: Sagen und S#nge. Faksimile der Handschrift. Hrsg. von Hubert Arbogast u. Ute Oelmann. Stuttgart: Cotta 1996. S. 20 – 23. Nur am Rande zu erw%hnen ist Julian Reidys Aufsatz zur Selbstinszenierung Georges in den B"chern der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und S#nge und der h#ngenden G#rten, der sich haupts%chlich auf die Hirten- und Preisgedichte konzentriert (Reidy, Julian: Die Eroberung des literarischen Feldes. Stefan Georges zielstrebige Selbstinszenierung in den B#chern der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und S%nge und der h%ngenden G%rten. In: Colloquium Helveticum 42 (2012) H. 12. S. 267 – 291). 21 Bçschenstein, Bernhard: Georges widerspr"chliche Mittelalter-Bilder und sein Traum der Zukunft. In: Ist mir getroumet m.n leben? Vom Tr%umen und vom Anderssein. Festschrift f#r Karl-Ernst Geith zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Andr- Schnyder u. Karl-Ernst Geith. Gçppingen: K#mmerle 1998. S. 207 – 213. 22 Ebd. S. 213. 23 Vgl. meinen Vorschlag eines etwas anders konturierten und gef#llten Drei-PhasenModells (Schloon, Jutta: „Des weiten Innenreiches mitte“. Mittelalter-Imaginationen in der Dichtung Stefan Georges. In: Rezeptionskulturen. F#nfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Popul%rkultur. Hrsg. von Mathias Herweg u. Stefan Keppler-Tasaki. Berlin, Boston: de Gruyter 2012. S. 289 – 307; Schloon, Jutta: Mittelalter-Rezeption. In: Stefan George und sein Kreis. Ein Handbuch. Bd. 2, S. 672 – 682). 24 Schultz, Hans Stefan: Studien zur Dichtung Stefan Georges. Heidelberg: Stiehm 1967. S. 33 – 56.

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1 Einleitung

Aufsatz Das Mittelalter in der Dichtung Georges (2004) eine )bersicht #ber die prim%ren und sekund%ren Quellen, aus denen George Anregungen f#r das Buch der Sagen und S#nge geschçpft haben kçnnte, und begr#ndet Georges Hinwendung zum Mittelalter lebens- und werkgeschichtlich mit der „Krise des Jahres 1892/93“.25 Diese rezeptionsgeschichtlich ausgerichteten Arbeiten stellen eine wertvolle Grundlage f#r weiterf#hrende Studien zu Georges Mittelalteraneignung zur Verf#gung und liefern ein faktisches Vorwissen f#r die Untersuchung der rezeptiven Seite des ,Medi%valismus‘ in Georges Werk. Neuere Beitr%ge zu Mittelalterimaginationen bei George beleuchten insbesondere Aspekte der Kulturkritik und des Antihistorismus, aber auch Aspekte der !sthetik und der Religion. In diesem Sinne fragt Jan Andres, inwiefern das Mittelalter f#r George Modellcharakter hatte, und pl%diert f#r eine differenzierte Betrachtung der Mittelalterbez#ge in Georges Werk, die er selbst im Rahmen seines Aufsatzes nur ansatzweise leisten kann.26 Er kommt zu dem vorl%ufigen Ergebnis, dass das Mittelalter vor 1900 vor allem als „Motivspender“ diene und ab etwa 1907 zum „Modell einer Gegenwelt“ zur Moderne werde.27 Das Verh%ltnis von Kunst, Religion und Mittelalterrezeption stellt Heiko Hartmann in seinem Aufsatz Mittelalterliches Mçnchtum als poetisches Motiv in der Dichtung Stefan Georges (2014) in den Mittelpunkt.28 In differenzierten Einzelanalysen arbeitet Hartmann heraus, wie George das Mçnchtum einerseits s%kularisiert,

25 Oelmann: Das Mittelalter in der Dichtung Georges. S. 139. 26 Andres, Jan: Mittelalter als Modell? Gedanken zu Stefan George. In: Modell Mittelalter. Hrsg. von Victoria von Flemming. Kçln: Salon 2010. S. 145 – 167. Andres baut wesentlich auf den von Ute Oelmann vorgelegte Beobachtungen auf, teilt unter anderem die von Arbogast und Oelmann aufgestellte These von der Maskierung und Kost#mierung persçnlicher Befindlichkeiten. Der Schwerpunkt seines Aufsatzes liegt bei den Sagen und S#ngen, am Ende erfolgt ein kurzer Ausblick auf das ,Geheime Deutschland‘. 27 Ebd. S. 146 und 157. Den Aspekt der Kulturkritik betont Jan Andres auch in Bezug auf Georges Tafeln im Siebenten Ring (Andres, Jan: Stefan Georges Erinnerungsorte in den Tafeln des Siebenten Ring. In: „Nichts als die Schçnheit“. !sthetischer Konservatismus um 1900. Hrsg. von Jan Andres, Wolfgang Braungart u. Kai Kauffmann. Frankfurt am Main: Campus 2007. S. 166 – 187). 28 Hartmann, Heiko: Mittelalterliches Mçnchstum als poetisches Motiv in der Dichtung Stefan Georges. In: Weltseitigkeit. Jçrg-Ulrich Fechner zu Ehren. Hrsg. von Dirk Kemper. Paderborn: Fink 2014. S. 415 – 441.

1.2 Zum Stand der Forschung

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andererseits in sein Konzept einer Kunstreligion auf der Suche nach Schçnheit integriert.29 Die besondere Verfasstheit des George-Kreises, der sich durch ein elit%res Selbstverst%ndnis auszeichnete und den Charakter eines M%nnerbundes sowie einer „Lebensgemeinschaft“30 mit durchaus homoerotischen Z#gen trug, legt die Frage nahe, ob George das Mittelalter auch als imagin%ren Raum homoerotischer Phantasien nutzte und das Schreiben #ber das Mittelalter als eine Strategie homoerotischer Camouflage verstanden werden kann.31 Auf einen solchen Zusammenhang verweist jedenfalls Jan Steinhaußen in seiner Studie zur Nietzsche-Rezeption und literarischen Produktion von Homosexuellen zu Beginn des 20. Jahrhunderts.32 Darin 29 Hartmann kontrastiert Georges Klosterbilder in den drei Texten Der Einsiedel, Das Kloster und Die Aufnahme in den Orden mit literarischen Pr%texten und historischen Vorbildern, ohne die Gedichte scharf mit der Realit%t abgleichen zu wollen. Ihm gelingt damit eine durch sensible Einzelbeobachtungen gest#tzte Demonstration der Vieldeutigkeit von Georges Gedichten, ohne sie auf nur eine einzige Lesart zu verk#rzen. 30 Linke, Hansj#rgen: Das Kultische in der Dichtung Stefan Georges und seiner Schule. M#nchen: K#pper 1960. S. 6. 31 Die Bedeutung der Homoerotik f#r den George-Kreis ist in den letzten Jahren vermehrt thematisiert worden: Jens Rieckmann hat die homoerotische Dimension von Georges Beziehung zu Hofmannsthal analysiert (Rieckmann, Jens: Hugo von Hofmannsthal und Stefan George. Signifikanz einer „Episode“ aus der Jahrhundertwende. T#bingen: Francke 1997); Georg Dçrr betont den Zusammenhang zwischen M%nnerbund, Homoerotik und antikem Eros (Dçrr, Georg: Muttermythos und Herrschaftsmythos. Zur Dialektik der Aufkl%rung um die Jahrhundertwende bei den Kosmikern, Stefan George und in der Frankfurter Schule. W#rzburg: Kçnigshausen & Neumann 2007. S. 298 – 314); Thomas Karlauf machte Georges Homosexualit%t zu einem Leitmotiv seiner Biographie (Karlauf: Stefan George); Wolfgang Braungart u. a. haben auf die Bedeutung des platonischen Eros sowohl f#r die hierarchischen Strukturen des George-Kreises als auch f#r das Lehrer-Sch#ler-Verh%ltnis zwischen George und seinen ,J#ngern‘ hingewiesen (Braungart, Wolfgang, Christian Oestersandfort u. a.: Platonisierende Eroskonzeption und Homoerotik in Briefen und Gedichten des George-Kreises (Maximilian Kronberger, Friedrich Gundolf, Max Kommerell, Ernst Glçckner). In: Der Liebesbrief. Schriftkultur und Medienwechsel vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hrsg. von Renate Stauf, Annette Simonis u. Jçrg Paulus. Berlin: de Gruyter 2008. S. 223 – 270); Gunilla Eschenbach hat aufgezeigt, wie Georges Homosexualit%t in den Imitationen seiner Gedichte durch verschiedene literarische Gruppen wiederholt persifliert wurde (Eschenbach, Gunilla: Imitatio im GeorgeKreis. Berlin, New York: de Gruyter 2011. S. 27). 32 Steinhaußen, Jan: „Aristokraten aus Not“ und ihre „Philosophie der zu hoch h#ngenden Trauben“. Nietzsche-Rezeption und literarische Produktion von Homosexuellen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts: Thomas Mann, Stefan

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1 Einleitung

vertritt er die These, Rittertum und mittelalterliche Kultur #berhaupt h%tten f#r „Homosexuelle um die Jahrhundertwende und in den darauffolgenden Jahrzehnten eine wichtige Rolle“ gespielt; in diesem Zusammenhang geht Steinhaußen auch auf Stefan George ein.33 Allerdings bleibt seine Analyse insgesamt zu pauschal und teilweise spekulativ, da er seine Beobachtungen nicht ausreichend durch Belege abst#tzt.34 Handfeste Nachweise f#r homoerotische Aussageabsichten lassen sich in der Tat f#r Georges Lyrik nur schwer erbringen, wie #berhaupt die Reduktion seiner Texte auf ideologische, autorintentionale oder expressive Gehalte problematisch bleibt. Wie in der vorliegenden Arbeit zu zeigen sein wird, werden solche vorgeblichen Vermittlungsfunktionen poetischen Sprechens von Georges Literatur gerade nicht unkritisch vorausgesetzt, sondern sie werden selbst zum Reflexionsgegenstand seiner Dichtung. Das „Problem der Ungreifbarkeit des homoerotischen Aspekts bei George“ hat bereits Marita Keilson-Lauritz konstatiert, die als erste auf eine homoerotische Dimension in Georges Dichtung hingewiesen hat.35 F#r Heinrich Detering gehçrt Stefan Georges Lyrik deshalb in die Kategorie derjenigen Texte, „#ber deren homoerotische Implikationen, wie plausibel auch immer, nur speGeorge, Ernst Bertram, Hugo von Hofmannsthal u. a. W#rzburg: Kçnigshausen & Neumann 2001. 33 Ebd. S. 259. 34 Steinhaußens Argumentation ist zudem methodisch problematisch, etwa wenn er feststellt: „Das Mittelalter war eine der Homosexualit%t aufgeschlossene Kultur. Neuere Forschungsarbeiten #ber diese Zeit haben diese Deutungen von Homosexuellen unterst#tzt.“ (ebd. S. 259.) Diese Behauptung ist nicht zu halten und setzt zudem an falschen Bezugspunkten an: Schließlich ist die Frage, ob ,das‘ Mittelalter f#r Homosexualit%t aufgeschlossen war oder nicht, und ob diese Frage von neuerer Forschungsliteratur positiv beantwortet wird, weitaus weniger relevant f#r die Deutungen des Mittelalters um 1900 als der zeitgençssische historische Kontext. Allerdings verweist ein Text wie Bçrries Freiherr von M#nchhausens Ballade Jenseits [Jenseits des Tales] (Bçrries von M#nchhausen: Die Balladen und ritterlichen Lieder. Vierundf#nzigstes Tausend. Berlin: Egon Fleischel & Co. 1920. S. 39 f. [1. Aufl. 1907]) auf einen Zusammenhang von Medi%valismus und Homoerotik um 1900. Marcel Reich-Ranicki erw%hnt diese Ballade in seiner Autobiographie: Das Gedicht sei nach dem Rçhm-Putsch verboten worden, „wohl wegen der homoerotischen Ankl%nge“ (Reich-Ranicki, Marcel: Mein Leben. 10. Auflage. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1999. S. 63 f.). 35 Keilson-Lauritz, Marita: Die Rolle der Homoerotik im Werk Stefan Georges. In: Homosexualit#t und Wissenschaft II. Hrsg. von Schwulenreferat im Allgemeinen Studentenausschuß der Freien Universit%t Berlin. Berlin: rosa Winkel 1992. S. 121 – 139, hier S. 129, siehe auch S. 121 f.

1.3 Mittelalterrezeption und Medi%valismus

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kuliert werden kann“.36 Aus diesen Gr#nden werden Fragen nach einem Zusammenhang von Mittelalter und Homoerotik in Georges Dichtung in vorliegender Studie weitgehend ausgeklammert bleiben, auch wenn gelegentlich auf homoerotische Bedeutungspotentiale hinzuweisen sein wird.37

1.3 Mittelalterrezeption und Medi%valismus „Aus der Minnegrotte schallt es, wie man hineinruft“, pointieren Mathias Herweg und Stefan Keppler im Vorwort zu dem von ihnen herausgegebenem Sammelband Rezeptionskulturen. F"nfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Popul#rkultur. 38 Das Mittelalter im Denken der Moderne ist dabei vor allem ein „entzweites Mittelalter“, wie Otto Gerhard Oexle es treffend benannt hat.39 Als Epoche ist es sowohl positiv als auch negativ besetzt, es wird auf der einen Seite affirmativ angeeignet, gilt aber auf der anderen Seite als Synonym f#r alles R#ckst%ndige.40 F#r solche Ph%nomene der Wiederaufnahme und Umdeutung des Mittelalters in nachmittelalterlichen Zeiten kursieren in der Wissenschaft verschiedene Terminologien. In der Germanistik firmieren sie unter dem Begriff ,Mittelalterrezeption‘, in der anglo-amerikanischen Forschung als 36 Detering, Heinrich: Das offene Geheimnis. Zur literarischen Produktivit%t eines Tabus von Winckelmann bis zu Thomas Mann. Gçttingen: Wallstein 1994. S. 32. In kritischer Diskussion von Keilson-Lauritz’ Modell von „Maske und Signal“ kommt Detering zu dem Ergebnis, dass Georges „Hermetismus“ diesem wissenschaftlichen Konzept eine Grenze setze: „weiter als bis zum Aufweis mçglicher Masken und Signale und zum Appell an den Leser, sich der Evidenz des homoerotischen Deutungsvorschlags zu çffnen, kann die Analyse da wohl tats%chlich nicht gelangen.“ (ebd. S. 25.) 37 Thomas Karlaufs Beobachtung, dass Georges Lyrik „homoerotische Identifikationsangebote“ bereitgehalten hat, ist sicherlich richtig (Karlauf: Stefan George. S. 367). Die Vieldeutigkeit von Georges Gedichten birgt ein Potential, das von Lesern unterschiedlich aktualisiert werden kann; dies ist jedoch nicht mit einer homoerotischen Aussageabsicht des Autors zu verwechseln. 38 Herweg, Mathias u. Stefan Keppler-Tasaki (Hrsg.): Rezeptionskulturen. F#nfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Popul%rkultur. Berlin, Boston: de Gruyter 2012. S. 4. 39 Oexle: Das entzweite Mittelalter. 40 Ebd. S. 7. Diese Dichotomie des entzweiten Mittelalters trifft, so haben Herweg und Keppler-Tasaki festgestellt, auch auf das Mittelalter des Historismus zu (Herweg, Mathias u. Stefan Keppler-Tasaki (Hrsg.): Das Mittelalter des Historismus. Formen und Funktionen in Literatur und Kunst, Film und Technik. W#rzburg: Kçnigshausen & Neumann 2015. S. 9 f.).

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1 Einleitung

medievalism. In vorliegender Arbeit wird dem Begriff ,Medi%valismus‘ gegen#ber ,Mittelalterrezeption‘ der Vorzug gegeben. Dies bedarf einer Erkl%rung, denn die verschiedenen Begriffe sind mit bestimmten, historisch gewachsenen Konzepten mit je eigenen theoretischen Implikationen verbunden.41 Deshalb werden im Folgenden die g%ngigen Theorien zu Mittelalterrezeption, medievalism und ,Medi%valismus‘ diskutiert und schließlich die Definition des Begriffs ,Medi%valismus‘ neu gefasst. Damit werden zum einen die im Hauptteil pr%sentierten Analysen theoretisch abgest#tzt. Zum anderen soll diese Theoriereflexion einen Beitrag zu aktuellen Forschungsdebatten #ber Mittelalterrezeption und ,Medi%valismus‘ leisten, indem sie begriffliche Voraussetzungen f#r intertextuelle, historische und interdisziplin%re Vergleiche schafft und zur Anwendung des theoretischen Modells auf andere Gegenstandsbereiche inspirieren mag. Die Anf%nge des deutschen Forschungsfelds Mittelalterrezeption liegen in den 1970er Jahren. Drei Trends wirkten sich auf die damalige Germanistik aus: Zum ersten das neue literaturwissenschaftliche Paradigma der Rezeptions%sthetik, zum zweiten die Legitimationskrise der germanistischen Medi%vistik nach den Debatten von 1968 sowie zum dritten ein gesamtgesellschaftlicher ,Mittelalter-Boom‘, der sich in zahlreichen Mittelalter-Festen, großen Mittelalter-Ausstellungen und Mittelalter-Romanen manifestierte. Eine Reihe von Literaturwissenschaftlern griff diese Entwicklungen auf und setzte sich zur Aufgabe, die „Aufnahme und Weiterverwendung von Themen, Motiven oder Personen aus dem Mittelalter“42 zu untersuchen. Gerard Koziełeks Sammelband von 1977 mit dem Titel Mittelalterrezeption. Texte zur Aufnahme altdeutscher Literatur in der Romantik gab der Forschungsrichtung ihren Namen.43 Der Salzburger Altgermanist Ulrich M#ller initiierte in der Folgezeit von 1979 bis 1990

41 Vgl. dazu Utz, Richard J.: Resistance to (The New) Medievalism? Comparative Deliberations on (National) Philology, Medi%valismus, and Mittelalter-Rezeption in Germany and North America. In: The future of the Middle Ages and the Renaissance. Problems, trends, and opportunities for research. Hrsg. von Roger Dahood. Turnhout: Brepols 1998. S. 151 – 170. 42 M#ller, Ulrich: Mittelalterrezeption. In: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. Begr#ndet von G#nther und Irmgard Schweikle. Hrsg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender u. a. Stuttgart: Metzler 2007. S. 506 – 507, hier S. 506. 43 Koziełek, Gerard (Hrsg.): Mittelalterrezeption. Texte zur Aufnahme altdeutscher Literatur in der Romantik. T#bingen: Niemeyer 1977.

1.3 Mittelalterrezeption und Medi%valismus

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f#nf Symposien zur Mittelalterrezeption und pr%gte dadurch maßgeblich das Feld.44 Die Grundlage der literaturwissenschaftlichen Rezeptionsforschung bildet die von Hans Robert Jauß entworfene Theorie der Rezeptions%sthetik.45 Jauß forderte die Einbeziehung der zeitgençssischen Leserreaktion 44 K#hnel, J#rgen (Hrsg.): Mittelalter-Rezeption. Gesammelte Vortr%ge des Salzburger Symposions „Die Rezeption mittelalterlicher Dichter und ihrer Werke in Literatur, Bildender Kunst und Musik des 19. und 20. Jahrhunderts“. Gçppingen: K#mmerle 1979; Ders. (Hrsg.): Mittelalter-Rezeption II. Gesammelte Vortr%ge des 2. Salzburger Symposions „Die Rezeption des Mittelalters in Literatur, Bildender Kunst und Musik des 19. und 20. Jahrhunderts“. Gçppingen: K#mmerle 1982; Ders. (Hrsg.): Mittelalter-Rezeption III. Gesammelte Vortr%ge des 3. Salzburger Symposions „Mittelalter, Massenmedien, Neue Mythen“. Gçppingen: K#mmerle 1988; Burg, Irene von u. J#rgen K#hnel (Hrsg.): Mittelalter-Rezeption IV: Medien, Politik, Ideologie, ,konomie. Gesammelte Vortr%ge des 4. Internationalen Symposions zur Mittelalter-Rezeption an der Universit%t Lausanne 1989. Gçppingen: K#mmerle 1991; M#ller, Ulrich u. Kathleen Verduin (Hrsg.): Mittelalter-Rezeption V. Gesammelte Vortr%ge des V. Salzburger Symposions (Burg Kaprun, 1990). Gçppingen: K#mmerle 1996. Die genuine Problematik mangelnder Trennsch%rfe f#hrte zu Aufgliederungen und Typologien, die aber im Einzelfall keine besseren Zugriffe auf Texte ermçglichen. So hat etwa Ulrich M#ller eine kanonisch gewordene Klassifikation von vier idealtypischen Formen der Mittelalter-Rezeption vorgeschlagen: produktive, reproduktive, wissenschaftliche und politische Rezeption (M#ller: Mittelalterrezeption). Vgl. auch Gentry, Francis G. (Hrsg.): German medievalism. Cambridge: Brewer 1991. S. 401. Hannelore Link unterscheidet dagegen lediglich zwischen produktiver und reproduktiver Rezeption, wobei sie die wissenschaftliche Rezeption zur reproduktiven Rezeption z%hlt (Link, Hannelore: Rezeptionsforschung. Eine Einf#hrung in Methoden und Probleme. Stuttgart u. a.: Kohlhammer 1976. S. 86); zu verschiedenen Arten produktiver Rezeption vgl. Grimm, Gunter E.: Rezeptionsgeschichte. Grundlegung einer Theorie; mit Analysen und Bibliographie. M#nchen: Fink 1977. S. 147 – 153. Elizabeth Emery schl%gt eine Klassifikation von f#nf Formen des medievalism vor: 1. scientific/ scholarly medievalism, 2. dogmatic medievalism, 3. creative medievalism, 4. spectacular medievalism, 5. living medievalism (Emery, Elizabeth: Medievalism and the Middle Ages. In: Defining medievalism(s). Hrsg. von Karl Fugelso. Cambridge: Brewer 2009. S. 77 – 85, hier S. 83). Umberto Eco skizziert sogar zehn „Arten von Mittelalter“ (Eco, Umberto: Zehn Arten, vom Mittelalter zu tr#umen. In: Ders.: 'ber Spiegel und andere Ph#nomene. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber. M#nchen: Hanser 1988. S. 111 – 126). 45 Jauß, Hans Robert: Literaturgeschichte als Provokation. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970; Ders.: Racines und Goethes Iphigenie. Mit einem Nachwort #ber die Partialit%t der rezeptions%sthetischen Methode. In: Rezeptions#sthetik. Theorie und Praxis. Hrsg. von Rainer Warning. M#nchen: Fink 1975. S. 353 – 400; vgl. Iser, Wolfgang: Die Appellstruktur der Texte. Unbestimmtheit als Wirkungsbedingung literarischer Prosa. Konstanz 1974.

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1 Einleitung

in die Literaturgeschichtsschreibung, das heißt die Erg%nzung der Produktions- und Darstellungs%sthetik um eine „Rezeptions- und Wirkungs%sthetik“.46 Die Rekonstruktion des „Erwartungshorizonts“ des zeitgençssischen Publikums ermçgliche es, ein literarisches Werk „,aus seiner Intention und Zeit heraus‘ zu verstehen“.47 Neben dem Durchschnittsleser und dem Kritiker nahm Jauß auch den Schriftsteller als Rezipienten in den Blick.48 Dadurch gelangte er zu wesentlichen Einsichten in den Prozess der literarischen Traditionsbildung und in den Ph%nomenbereich literarischer „Renaissancen“.49 Traditionsbildung begriff er als Vorgang der Konkretisierung von Bedeutung eines Kunstwerks durch den Rezipienten.50 Damit wies Jauß auf den wichtigen Umstand hin, dass die Rezeption von Vergangenem Selektion voraussetzt und zudem einer „.konomie der Verk#rzung, Vereinfachung und Unterdr#ckung des Heteronomen“ unterliegt.51 Dies erkl%rt unter anderem die Verwendung stereotyper Bilder und Motive, die dazu geeignet sind, das Mittelalter zu evozieren.52 Gem%ß dem scholastischen Diktum quidquid recipitur, recipitur ad modum recipientis wird „alles, was aufgenommen wird, […] nach Art des Aufnehmenden aufgenommen“.53 Jeder Rezeption wohnt also ein individuelles, subjektives und selektives Element inne. Jedoch hat bereits R#diger Krohn 1982 in einer Rezension des zweiten Sammelbands Mittelalterrezeption festgestellt, dass der dort verwendete „Rezeptionsbegriff, bei aller suggestiven N%he zum Jauß’schen Modell, mit diesem doch kaum etwas zu tun“ habe.54 Vielmehr handele es sich bei den meisten Aufs%tzen um stoff- und wirkungsgeschichtliche Arbeiten, die nicht auf die Rekonstruktion eines „Erwartungshorizontes“ abzielten. In der Tat konzentrierten sich die meisten %lteren Studien zumeist auf das 46 Jauß, Hans Robert: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft. In: Rezeptions#sthetik. Theorie und Praxis. Hrsg. von Rainer Warning. M#nchen: Fink 1975. S. 126 – 162, hier S. 127. Zum Unterschied zwischen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte vgl. Grimm: Rezeptionsgeschichte. S. 28 – 31. 47 Jauß: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft. S. 137. 48 Ebd. S. 129. 49 Ebd. S. 144. 50 Jauß: Racines und Goethes Iphigenie. S. 383. 51 Ebd. S. 387. 52 M. J. Toswell nennt solche Elemente „tropes of medievalism“ (Toswell, M. J.: The Tropes of Medievalism. In: Defining medievalism(s). Hrsg. von Karl Fugelso. Cambridge: Brewer 2009. S. 68 – 76, insbes. S. 69). 53 Jauß: Racines und Goethes Iphigenie. S. 384. 54 Krohn, R#diger: 'ber Grenzen. Nachwirkungen in Literatur, Bildender Kunst und Musik des 19. und 20. Jahrhunderts. In: DIE ZEIT (11. 11. 1983). S. 72.

1.3 Mittelalterrezeption und Medi%valismus

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Ph%nomen „innerliterarischer Rezeption“,55 das heißt auf die Frage, welche Themen, Stoffe und Figuren aus literarischen Werken des Mittelalters von sp%teren Schriftstellern aufgegriffen und weiterverarbeitet wurden. Dieses Konzept stçßt allerdings an seine Grenzen, wenn es nicht um die Rezeption eines eindeutig identifizierbaren Stoffes geht, sondern um die ,Rezeption‘ einer ganzen Epoche.56 Eine streng philologische Rezeptionsanalyse ist außerdem auf Vorlagen oder Pr%texte angewiesen, die jedoch h%ufig gar nicht greifbar sind, da sich Epochen-Imaginationen in vielen F%llen eher auf allgemeine Mythen sowie vorhergehende oder zeitgençssische Diskurse beziehen.57 Rezeptionsgeschichtliche Studien beschr%nken sich zudem aus pragmatischen Gr#nden zumeist darauf, in diachronen L%ngsschnitten das Weiterleben einzelner mittelalterlicher Stoffe und Motive nachzuzeichnen. Transtextuelle Bez#ge und synchrone Zusammenh%nge werden dabei vernachl%ssigt. Das Wort Rezeption, vom lateinischen recipere (empfangen, aufnehmen) abgeleitet,58 betont dar#ber hinaus die passive Dimension des Aufnehmens und vernachl%ssigt dabei die imaginative Dimension. Schließlich setzt die Vorstellung von Rezeption voraus, dass es neben dem rezipierenden Subjekt auch ein RezeptionsObjekt geben muss.59 Oftmals wird man aber feststellen m#ssen, dass sich 55 Plett, Heinrich F.: Textwissenschaft und Textanalyse. Semiotik, Linguistik, Rhetorik. 2., verb. Aufl. Heidelberg: Quelle & Meyer 1979. S. 27. 56 Thomas Cramers Reflexionen zu den Grenzen und Problemen des Rezeptionsbegriffs im Vorwort zum Sammelband Mittelalterrezeption (1986) machen deutlich, dass der Begriff Mittelalterrezeption schon kurz nach seiner Etablierung infrage gestellt wurde (Thomas Cramer: Einleitung. In: Wapnewski, Peter (Hrsg.): Mittelalter-Rezeption. Ein Symposion. Stuttgart: Metzler 1986. S. 142 f.). 57 ,Mythos‘ hier begriffen im Sinne von Edgar Wolfrum: „Unter einem Mythos ist eine textlich oder ikonisch fixierte Narration zu verstehen, die um bestimmte Figuren der Geschichte kreist, denen idealisierte semantische Merkmale wie ,ewig‘, ,gçttlich‘, ,germanisch‘ zugesprochen werden.“ (Wolfrum, Edgar: Geschichte als Waffe. Vom Kaiserreich bis zur Wiedervereinigung. 2. Aufl. Gçttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002. S. 10 f.) Zu den ,unsauberen‘ Bezugsfeldern des Medi%valismus vgl. Mçser, Kurt: Gotische Maschinen und Ritter der L"fte. Mittelalter als Code der technischen Kultur um 1900. In: Das Mittelalter des Historismus. S. 251 – 274, hier S. 264. 58 Vgl. Link: Rezeptionsforschung. S. 88. 59 Vgl. K#mper, Hiram: Das Mittelalter hçrt (noch immer) nicht auf: der neue Boom der Mittelalterrezeptionsforschung und ihrer Schwestern. (Rezension #ber: Herweg, Mathias u. Stefan Keppler-Tasaki [Hrsg.]: Rezeptionskulturen. F#nfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Popul%rkultur. Berlin, Boston: de Gruyter 2012.). In: IASLonline ([2013]), Absatz 12 (letzter Zugriff: 22. 7. 2017).

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gar keine konkreten Rezeptionsprozesse nachvollziehen lassen, oder dass diese Prozesse komplett hinter komplexeren Konstruktionsprozessen von Mittelalter-Bildern in den Hintergrund treten.60 Kritik am Rezeptionsbegriff kommt vor allem aus der Geschichtswissenschaft und der Forschung zu kulturellem Ged%chtnis und Erinnerung. Otto Gerhard Oexle etwa beruft sich f#r sein Projekt einer ,Ged%chtnisgeschichte des Mittelalters‘ auf die von Jan Assmann vorgebrachten Argumente gegen den Rezeptionsbegriff, indem er aus dessen Buch Moses der !gypter zitiert:61 Die Vergangenheit wird von der Gegenwart nicht einfach ,rezipiert‘. Die Gegenwart wird von der Vergangenheit unter Umst%nden auch ,heimgesucht‘, und die Vergangenheit wird von der Gegenwart rekonstruiert, modelliert und unter Umst%nden auch erfunden. Gewiß, dies alles schließt die Arbeit und die Techniken des )berlieferns und Rezipierens ein, aber es ist sehr viel mehr im Spiel in der Dynamik der kulturellen Erinnerung, als es der Begriff der Rezeption ad%quat auszudr#cken vermag.

Neuere geschichtswissenschaftliche Studien im Umfeld von Oexle begreifen das Mittelalter deshalb als eine „Sinnformation“ und fokussieren auf die Konstruktions- und Zuschreibungsprozesse, durch welche Vorstellungen von Geschichte hervorgebracht werden.62 Mit der 2008 erfolgten Gr#ndung eines Arbeitskreises „Mittelalterrezeption“ haben Mathias Herweg und Stefan Keppler-Tasaki versucht, der Forschungsrichtung neue Impulse zu verleihen.63 Sie bem#hen sich um eine Umakzentuierung und Erweiterung des Begriffs Mittelalterrezeption, indem sie den Untersuchungsschwerpunkt auf „Rezeptionskulturen“ verlagern, mithin auf die Milieus und die Kontexte, in denen sich Rezeption nach jeweils systemeigenen Gesetzm%ßigkeiten ereignet.64 Dennoch halten 60 Vgl. Schl#ter: Explodierende Altert"mlichkeit. S. 75. 61 Oexle: Die Gegenwart des Mittelalters. S. 21. Das Zitat stammt aus: Jan Assmann: Moses der !gypter. Entzifferung einer Ged%chtnisspur. Frankfurt am Main 2000, S. 27. 62 Ebd. S. 7. 63 Der Sammelband Rezeptionskulturen macht die Ergebnisse von Studientagen in Berlin (2008) und Passau (2009) sowie einer Sektion zu ,Mittelalterrezeption‘ auf dem Deutschen Germanistentag in Freiburg (2010) zug%nglich (Herweg, Mathias u. Stefan Keppler-Tasaki (Hrsg.): Rezeptionskulturen). W%hrend dieser erste Sammelband exklusiv germanistisch ausgerichtet war, erweiterte ein zweiter Sammelband das Spektrum um Beitr%ge aus der Romanistik, Anglistik und Geschichtswissenschaft (Dies. (Hrsg.): Das Mittelalter des Historismus). 64 Herweg, Mathias u. Stefan Keppler-Tasaki: Das Mittelalter des Historismus. Umrisse einer Rezeptionskultur mit R#ckblicken auf den Humanismus. In: Das

1.3 Mittelalterrezeption und Medi%valismus

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Herweg und Keppler-Tasaki vorerst noch am traditionellen Terminus Mittelalterrezeption fest. In der englischsprachigen Forschung hat sich dagegen der Begriff des medievalism durchgesetzt. Er geht auf John Ruskin zur#ck, der Mitte des 19. Jahrhunderts den Stil der christlichen Kunst (mediaevalism) von dem der heidnischen (classicism) und der modernen (modernism) abgrenzen wollte.65 Nachdem der Begriff in den 1920er Jahren aus der Wissenschaftssprache verschwand, entriss ihn der amerikanische Historiker Leslie J. Workman f#nfzig Jahre sp%ter dem Vergessen.66 Die medievalism-Forschung anglo-amerikanischer Pr%gung entwickelte sich zeitlich parallel zur deutschen Mittelalterrezeption in den 1970er Jahren. Im R#ckgriff auf Ruskins Begriff entwickelte Workman #ber die Jahre seiner T%tigkeit hinweg verschiedene Definitionen des medievalism, so etwa im Jahre 1987 die pr%gnante Bestimmung: „[Medievalism is] the study of the Middle Ages, the application of medieval models to contemporary needs, and the inspiration of the Middle Ages in all forms of art and thought.“67 Workmans mittlerweile g%ngige Definition des medievalism von 1996 als „continuing process of creating the Middle Ages“68 wurde in einer Reihe von Aufs%tzen neu verhandelt und ausdifferenziert.69 Nach der einen g#l-

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Mittelalter des Historismus. S. 9 – 42, hier S. 11 f. Dies.: Mittelalterrezeption. Gegenst%nde und Theorieans%tze eines Forschungsgebiets im Schnittpunkt von Medi%vistik, Fr#hneuzeit- und Moderneforschung. In: Rezeptionskulturen. S. 1 – 12. Workman, Leslie J.: Medievalism. In: The Arthurian Encyclopedia. Hrsg. von Norris J. Lacy. New York: Garland 1986. S. 378 – 381, hier S. 378. Utz: Resistance to (The New) Medievalism? hier S. 154. Vgl. die Festschrift Utz, Richard J. (Hrsg.): Medievalism in the modern world. Essays in honour of Leslie J. Workman. Turnhout: Brepols 1998. Workman gr#ndete 1979 die Zeitschrift Studies in Medievalism, die bis heute das f#hrende Publikationsorgan des Forschungsgebietes ist. Workman, Leslie J.: Editorial. In: Studies in Medievalism III (1987) H. 1, S. 1. Die terminologische Doppeldeutigkeit des englischen Worts medievalism existiert im Deutschen nicht, das zwischen Medi%vistik (Wissenschaft vom Mittelalter) und Medi%valismus unterscheiden kann (Utz: Resistance to (The New) Medievalism? S. 157). Workman, Leslie J.: Preface. In: Studies in Medievalism 7 (1996). S. 2. Vgl. Fugelso, Karl (Hrsg.): Defining medievalism(s). Cambridge: Brewer 2009. Darin stellt Nils Holger Petersen die Frage, ob ein Bewusstsein von historischer Distanz eine notwendige Bedingung darstellt, um von medievalism sprechen zu kçnnen; Elizabeth Emery schl%gt vor, in Anbetracht des subjektiven Faktors der Mittelalter-Vorstellungen von „medievalisms“ im Plural zu sprechen (Emery: Medievalism and the Middle Ages. S. 81).

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1 Einleitung

tigen Theorie oder Methode des medievalism sucht man auch hier vergebens – es handelt sich um ein weitverzweigtes Forschungsfeld, so Tom Shippey, „still largely unsurveyed, and even not the most ambitious books about it do not look much like one another“.70 J#ngst hat Richard Utz eine Streitschrift verçffentlicht, die ein Pl%doyer f#r die „productive uncertainty“ des medievalism einlegt.71 Gemeinsam ist allen Ans%tzen, dass sie das konstruktive und gegenwartsbezogene Moment des medievalism betonen.72 Der deutsche Begriff Mittelalterrezeption und der englische Begriff medievalism bezeichnen im Grunde einen %hnlichen Gegenstandsbereich, setzen jedoch jeweils unterschiedliche Akzente.73 Richard Utz beobachtete allerdings schon 1998 bei vielen deutschen Beitr%gern zur Zeitschrift Studies in Medievalism eine ver%nderte Haltung gegen#ber dem Begriff Mittelalterrezeption: „While most German contributors still prefer using the term ‘reception’, this is now much less due to conscious semantic choices than to linguistic habit.“74 Utz prophezeite: „the German resistance to medievalism is bound to fade.“75 Wie die oben dargestellte Kritik am Rezeptionsbegriff zeigt, sollte Utz mit seiner Prophezeiung Recht behalten. Jedoch ist der Begriff ,Medi%valismus‘ im deutschsprachigen Wissenschaftsdiskurs, zumal in der Germanistik, noch nicht fest etabliert – im Gegensatz zu parallelen Pr%gungen 70 Shippey, Tom: Medievalisms and Why They Matter. In: Defining medievalism(s). S. 45 – 54, hier S. 45 f. 71 Utz, Richard J.: Medievalism. A manifesto. Kalamazoo: ARC Humanities Press 2017. S. 85. Vgl. die Rezension von Jan Alexander van Nahl: Zur produktiven Unsch#rfe des Medi#valismus. Richard Utz’ Pl%doyer f#r eine undisziplinierte Medi%vistik. http://literaturkritik.de/public/rezension.php ?rez_id=23441 (letzter Abruf: 27. 6. 2017). 72 Dies hat die Forschungsrichtung des medievalism mit der Forschung zu Erinnerung und Ged%chtnis in der Nachfolge von Maurice Halbwachs gemeinsam: „Kein Vergangenheitsbild ohne Gegenwartsbezug“, postulieren etwa Etienne FranÅois und Hagen Schulze (FranÅois, Etienne u. Hagen Schulze: Einleitung. In: Deutsche Erinnerungsorte. Eine Auswahl. Hrsg. von Etienne FranÅois u. Hagen Schulze. Bonn: Bpb 2005. S. 7 – 12, hier S. 7). 73 Utz: Resistance to (The New) Medievalism? S. 163. Utz sieht die Gr#nde daf#r in den unterschiedlichen akademischen F%chertraditionen in Deutschland und den USA bzw. England. Mittelalterrezeption, so Utz, sei in der deutschsprachigen Germanistik vorrangig ein Gebiet genuin philologischer Forschung. Im Vergleich dazu war die anglo-amerikanische medievalism-Forschung von Anfang an st%rker kulturwissenschaftlich ausgerichtet. 74 Ebd. S. 169. 75 Ebd. S. 169.

1.3 Mittelalterrezeption und Medi%valismus

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wie ,Renaissancismus‘ und ,Orientalismus‘, die mittlerweile absolut gel%ufig sind.76 Utz vermutet die Gr#nde daf#r in einer vermeintlichen ideologischen Vorbelastung des Begriffs ,Medi%valismus‘, da er in Deutschland erstmals in Ernst Robert Curtius’ Schrift Deutscher Geist in Gefahr von 1932 verwendet worden sei.77 Curtius entwarf darin das Programm eines „neuen Humanismus“, der „an das Mittelalter ankn#pfen“ sollte: Der neue Humanismus wird also, um es ganz klar und konkret zu sagen, nicht Klassizismus und Renaissanceschw%rmerei, sondern Mediaevalismus und Restaurationsgesinnung sein m#ssen.78

Curtius’ Schrift entstammt zweifelsohne dem gedanklichen Umkreis der ,konservativen Revolution‘, jedoch geht Utz von falschen Annahmen aus, wenn er Curtius einen pro-faschistischen Tenor unterstellt.79 Utz zitiert als Beleg einen Artikel von Ulrich Wyss, der jedoch eine viel differenziertere Auswertung der Schrift vorgelegt hat.80 Es ist auch hçchst unwahr76 Vgl. etwa Uekermann, Gerd: Renaissancismus und Fin de si(cle. Die italienische Renaissance in der deutschen Dramatik der letzten Jahrhundertwende. Berlin, New York: de Gruyter 1985; Buck, August (Hrsg.): Renaissance und Renaissancismus von Jacob Burckhardt bis Thomas Mann. T#bingen: Niemeyer 1990. Achim Aurnhammer verweist auf Franz Ferdinand Baumgarten als den Urheber des Begriffs; Baumgarten habe ,Renaissancismus‘ 1917 als „eine Erscheinungsform des Historismus des neunzehnten Jahrhunderts, eine Traditionswahl des konventionssuchenden und formgr#blerischen Geistes des XIX. Jahrhunderts“ definiert (Aurnhammer, Achim: „Zur Zeit der großen Maler“. Der Renaissancismus im Fr#hwerk Hugo von Hofmannsthals. In: Il Rinascimento nell’Ottocento in Italia e Germania. Die Renaissance im 19. Jahrhundert in Italien und Deutschland. Hrsg. von August Buck. Bologna: Soc. Ed. Il Mulino [u. a.] 1989. S. 231 – 260, hier S. 231). 77 Utz: Resistance to (The New) Medievalism? S. 160. Herweg und Keppler-Tasaki verweisen auf einen noch %lteren Erstbeleg, n%mlich die )bertragung des englischen Begriffs ins Deutsche in der 1873 erschienenen )bersetzung von Edward B. Tylors Primitive Culture: Dort ist vom „wiedererweckten Geist des Mittelalters (Mediaevalismus)“ die Rede (Tylor, Edward Burnett: Die Anf#nge der Cultur. Untersuchungen #ber die Entwicklung der Mythologie, Philosophie, Religion, Kunst und Sitte. Hildesheim: Olms 2005. S. 430 [Nachdruck der Ausgabe von 1873]). Vgl. Herweg u. Keppler-Tasaki: Das Mittelalter des Historismus. Umrisse einer Rezeptionskultur mit R#ckblicken auf den Humanismus. S. 10 f. 78 Curtius, Ernst Robert: Deutscher Geist in Gefahr. Stuttgart, Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt 1932. S. 126. 79 Utz: Resistance to (The New) Medievalism? S. 169. 80 Wyss, Ulrich: Medi#vistik als Krisenerfahrung – Zur Literaturwissenschaft um 1930. In: Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter. Hrsg. von Gerd Althoff. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1992. S. 127 – 146, hier S. 135 f.

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scheinlich, dass die einmalige Verwendung des Begriff „Mediaevalismus“ in Deutscher Geist in Gefahr dazu gef#hrt hat, dass der Begriff nicht in das Repertoire der deutschsprachigen Wissenschaftsterminologie #bernommen wurde. Eine çffentliche Debatte um die Verwendung des Begriffs durch Curtius hat jedenfalls nicht stattgefunden. Der Germanist Otfrid Ehrismann hat als bis heute einziger seines Faches den Begriff ,Medi%valismus‘ f#r eine literarische Analyse angewandt. In seinem Aufsatz Das Mittelalter und die Philosophie der Geschichte. Zur Funktion der Medi#valismen bei Hebbel von 1997 k#ndigte er an, er plane eine „Geschichte des literarischen Medi%valismus in Deutschland“.81 Dieses Projekt wurde nicht verwirklicht, aber Ehrismann skizziert in seinem Aufsatz eine produktive Definition von ,Medi%valismus‘: Hebbel […] schaffte eine Atmosph%re des Mittelalters, besser: der Mittelalterlichkeit, oder um einen Begriff aus dem angels%chsischen Sprachbereich zu #bernehmen: des Medi%valismus (medievalism). Der Medi%valismus, den das vorige Jahrhundert dem Klassizismus und dem Modernismus hinzuf#gte, […] sieht sein Ziel nicht in einer historistischen Rekonstruktion einer Epoche, sondern in einer interessegeleiteten Auswahl mit dem Ziel aktualisierender Anwendung.82

Dieses Zitat ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam: Zum ersten umschreibt Ehrismann das Ph%nomen zun%chst in eigenen Worten und benutzt dabei „Atmosph%re des Mittelalters“ und „Mittelalterlichkeit“ synonym zu ,Medi%valismus‘. Damit scheint also etwas Diffuses, Stimmungshaftes gemeint zu sein, das noch nicht an einzelnen Rezeptionsobjekten festgemacht ist. Zum zweiten verweist Ehrismann auf die Herkunft des Begriffs aus der englischsprachigen Forschung und auf den Entstehungskontext im 19. Jahrhundert. Zum dritten definiert er den Begriff zun%chst ex negativo („nicht in einer historistischen Rekonstruktion einer Epoche“), als ob er einem gel%ufigen Missverst%ndnis #ber das 19. Jahrhundert zuvorkommen wolle. Und zu guter Letzt greift Ehrismann Gedanken und Begriffe aus der Rezeptions%sthetik auf: die „interessegeleitete Auswahl“ und die Idee der „Aktualisierung“ aus der Theorie von Hans Robert Jauß.83 Ehrismann bringt also drei verschiedene Ideen zusammen: sein eigenes, intuitives Verst%ndnis, die anglo-amerikanische Forschungstradition sowie Ans%tze 81 Ehrismann, Otfried: Das Mittelalter und die Philosophie der Geschichte. Zur Funktion der Medi%valismen bei Hebbel. In: Hebbel-Jahrbuch 52 (1997). S. 7 – 26, hier S. 7. 82 Ebd. 83 Vgl. Jauß: Racines und Goethes Iphigenie. S. 384.

1.3 Mittelalterrezeption und Medi%valismus

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der Rezeptions%sthetik. Jedoch wurde dieser Entwurf eines literarischen ,Medi%valismus‘ bislang nicht wieder aufgegriffen. Eher als in der Germanistik ist der eingedeutschte Begriff ,Medi%valismus‘ im Bereich der Kulturwissenschaften pr%sent, vor allem in der kulturwissenschaftlich orientierten Geschichtswissenschaft aus der Schule Otto Gerhard Oexles. Allerdings wird der Begriff hier nicht durchgehend und systematisch verwandt,84 sondern als einer unter vielen – Bastian Schl#ter etwa reflektiert #ber die Verwendung von Begriffen wie ,Epochenimaginationen‘ oder ,Geschichtsbilder‘ und kommt zu der ern#chternden Erkenntnis, dass in diesem Forschungsbereich „eine vollst%ndig befriedigende terminologische Erfassung des Bezeichneten kaum mçglich“ sei.85 Wie stark der Begriff ,Medi%valismus‘ mit dem erinnerungsgeschichtlichen Paradigma verbunden ist, zeigt Ludolf Kuchenbuchs Artikel #ber „Medi%valismus und Okzidentalistik“ im Handbuch der Kulturwissenschaften von 2004. Kuchenbuch konstatiert dort, die ,Medi%valismus‘Forschung stehe „erst an ihrem Beginn“.86 Unter ,Medi%valismus‘ mçchte er nicht nur „%sthetische Bez#ge“ in Literatur, bildender Kunst und Architektur, sondern „breitere erinnerungskulturelle Bez#ge“ verstanden wissen.87 )bereinstimmend damit schlagen auch Herweg und KepplerTasaki vor, die „Mittelalterrezeption“ als konstruktive Erinnerungsarbeit zu perspektivieren, und fordern diese Dom%ne auch f#r die Literaturwissenschaft ein: „Bislang sind es vor allem Historiker, die das erinnerungstopographische Paradigma bedienen; da es sich aber in fast allen F%llen um textualisierte, mithin literarisch kodierte Ged%chtnissch#be handelt, ist das Feld auch literaturwissenschaftlich hçchst fruchtbar.“88 Um dieses komplexe Ph%nomen erfassen zu kçnnen, ist eine weite Definition zu bevorzugen, welche die genannten Erkenntnisse der deutschsprachigen Mittelalterrezeptionsforschung mit denen der angloamerikanischen medievalism-Forschung kombiniert und f#r weitere Pr%84 Vgl. Oexle: Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus; Heinßen: Historismus und Kulturkritik. 85 Schl#ter: Explodierende Altert"mlichkeit. S. 78. 86 Kuchenbuch, Ludolf: Medi#valismus und Okzidentalistik. Die erinnerungskulturellen Funktionen des Mittelalters und das Epochenprofil des christlich-feudalen Okzidents. In: Grundlagen und Schl"sselbegriffe. Hrsg. von Friedrich Jaeger u. Burkhard Liebsch. Stuttgart: Metzler 2004. S. 490 – 505, hier S. 493. 87 Ebd. S. 491, Fußnote 5. 88 Herweg u. Keppler-Tasaki: Mittelalterrezeption. S. 6.

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zisierungen çffnet.89 Vorliegende Arbeit operiert deshalb mit dem Leitbegriff ,Medi%valismus‘. ,Medi%valismus‘ wird hier ausdr#cklich nicht lediglich als #bersteigerte oder „obsessive“ Form von Mittelalterbegeisterung verstanden, wie es in der Forschung vereinzelt vorgeschlagen wurde.90 Vielmehr wird im Folgenden eine Arbeitsdefinition von ,Medi%valismus‘ zugrundegelegt, die sich an Andrea Polascheggs Definition von ,Orientalismus‘ anlehnt und Medi%valismus als ein doppelseitiges Ph%nomen versteht, das sowohl aus rezeptiven als auch aus imaginativen Prozessen resultiert.91 In diesem Sinne umfasst Medi%valismus zum einen verschiedene Formen der Bezugnahme auf ein gedachtes Mittelalter – seine Thematisierung, die Aufnahme von und Anspielung auf mittelalterliche Ausdr#cke, Motive, Stile und Literatur- und Kunstgattungen sowie die Repr%sentation mittelalterlicher Sachkultur beispielsweise in der bildenden Kunst und auf dem Theater. Der Referenzpunkt f#r diese Bezugnahmen ist in den meisten F%llen nicht die historisch zwischen den Jahren 500 und 1500 datierbare Epoche ,Mittelalter‘, sondern jeweils zeitgençssische Vorstellungen und vorgepr%gte Bilder dieser Epoche.92 Zum anderen stellen all diese Bezugnahmen stets eine Aktualisierung dessen dar, was unter ,Mittelalter‘ zu verstehen ist, sie sind also bedeutungs- und sinnstiftend. Dieser Prozess ist im Wesentlichen ein imaginativer Akt, denn die Imagination, verstanden als schçpferische Einbildungskraft, bewirkt eine Semantisierung von Mittelalter und Mittelalterlichkeit. So wird im Zusammenwirken von wissenschaftlichen Rekonstruktionen, allgemeinen Geschichtsdiskursen und k#nstlerischen Imaginationen das ,Mittelalter‘ laufend neu definiert und konstruiert. Gerade f#r die Gattung der Lyrik, die im Zentrum der vorliegenden Arbeit steht, ist anzunehmen, dass der Begriff Medi%valismus sich als 89 In der Bevorzugung des Begriffs ,Medi%valismus‘ gegen#ber dem herkçmmlichen Begriff Mittelalterrezeption kann sich vorliegende Studie auf %hnliche Bestrebungen in neueren Arbeiten der letzten Jahre berufen. Vgl. Herweg u. KepplerTasaki (Hrsg.): Das Mittelalter des Historismus. S. 10 f. 90 Herweg u. Keppler-Tasaki: Das Mittelalter des Historismus. Umrisse einer Rezeptionskultur mit R#ckblicken auf den Humanismus. S. 25 und 35. Herweg und Keppler-Tasaki beziehen sich f#r diese Definition auf die Studie Movie Medievalism. The Imaginary Middle Ages von Nickolas Haydock (Jefferson, NC 2008). 91 Vgl. Polaschegg, Andrea: Die Regeln der Imagination. Faszinationsgeschichte des deutschen Orientalismus zwischen 1770 und 1850. In: Der Deutschen Morgenland. Bilder des Orients in der deutschen Literatur und Kultur von 1770 bis 1850. Hrsg. von Charis Goer u. Michael Hofmann. M#nchen: Fink 2008. S. 13 – 36, hier S. 15. 92 Vgl. Mçser: Gotische Maschinen und Ritter der L"fte. S. 264.

1.3 Mittelalterrezeption und Medi%valismus

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produktiv erweisen wird. Da starke Verdichtung und Polyvalenz in der Lyrik selbst angelegt sind, scheint der Begriff Medi%valismus in besonderem Maße dazu geeignet, die Vagheit lyrischer Mittelalterevokationen zu erfassen. Lyrischer Medi%valismus bençtigt nicht notwendigerweise den umfassenden historischen Stoff, Gedichte entwerfen meist keine großen historischen Narrationen, sondern es gen#gen gegebenenfalls schon einige wenige Vorzeit-Marker, um historisches Kolorit zu erzeugen. Zu den gattungsspezifischen Besonderheiten der Evokation von „Geschichte im Gedicht“ (Walter Hinck) gehçrt die Konzentration auf Schl#sselszenen mit dramatischem Potential,93 wie etwa die Todesstunde oder Momente historischer Entscheidungen, aber auch die Affinit%t zu den Formen des Rollengedichts, der Ballade oder des Ruinen- und Gr%bergedichts, wie der von Heinrich Detering und Peer Trilcke herausgegebene Sammelband zur Geschichtslyrik zeigt.94 Dass der Begriff Medi%valismus in der Germanistik noch relativ unverbraucht ist, gibt die Chance auf terminologische Neubestimmung und Pr%zisierung im oben ausgef#hrten Sinne. Medi%valismus ist als eine komplexe Modellierung zu fassen, die oftmals nicht auf zu rekonstruierende Pr%texte, sondern auf verschiedene und nicht exakt zu definierende Großkorpora von Texten, Artefakten und Konzepten referiert und eine f#r das Ph%nomen %ußerst relevante imaginative Seite hat. Diese imaginative Seite l%sst sich auch als bald k#nstlerische, bald wissenschaftliche R#ckprojektion von Bildern und Idealen in eine nicht genau greifbare Zeit verstehen. Dieser Vielschichtigkeit des Ph%nomens gilt es im Folgenden auch in den Textanalysen gerecht zu werden.

93 Hinck, Walter: Einleitung: 'ber Geschichtslyrik. In: Geschichte im Gedicht. Texte und Interpretationen. Protestlied, B%nkelsang, Ballade, Chronik. Hrsg. von Walter Hinck. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1979. S. 7 – 17, hier S. 12 f. 94 Detering, Heinrich, Peer Trilcke u. Hinrich Ahrend (Hrsg.): Geschichtslyrik. Ein Kompendium. Gçttingen: Wallstein 2013, insbesondere die Beitr%ge: Gr%tz, Katharina: Zeitstrukturen in der Lyrik. Am Beispiel der Ruinenpoesie, Bd. 1, S. 171 – 188; Ahrend, Hinrich: Die historische Ballade. Ein Forschungsbericht, Bd. 1, S. 240 – 250; Niefanger, Dirk: Das historische Rollengedicht, Bd. 1, S. 251 – 268.

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1 Einleitung

1.4 Methodologische Reflexion Ziel der Arbeit ist es, unterschiedliche Erscheinungsweisen des Medi%valismus im Werk Stefan Georges und deren Funktionswandel erstmals systematisch zu erschließen. Die %sthetische Offenheit der Dichtung Georges stellt dabei den Interpreten vor ein grunds%tzliches Problem: Individuelle Gedichte lassen sich aufgrund einer nicht eindeutig markierten Zeitlichkeit sowohl medi%valisierend als auch beispielsweise germanisierend, antikisierend oder renaissancistisch lesen. Damit wird der Leser zu Projektionen eingeladen, die sich nicht ohne weiteres vom Text her begr#nden lassen. Die Herausforderung f#r den Interpreten besteht darin, der Versuchung zu widerstehen, diese Leerstellen explizierend auszuf#llen, die Texte einer eindeutigen Aussage zuzuordnen und dabei Ambivalenzen einzuebnen. Mithin besteht einerseits die Gefahr, #berall Mittelalter hineinzulesen, wo eigentlich keines ist. Andererseits ist es gerade diese Potentialit%t, die den Medi%valismus als Ergebnis von Konstruktion und Imagination ausmacht, sowohl in produktions- als auch in rezeptions%sthetischer Hinsicht. Eine gewisse ,produktive Unsch%rfe‘ muss also zugelassen werden. Um gleichwohl eine nachvollziehbare und tragf%hige Heuristik zur Abgrenzung eines Korpus medi%valisierender Gedichte entwickeln zu kçnnen, wurde daher ein zweistufiges Verfahren gew%hlt. In einem ersten Schritt galt es, eindeutige Mittelalterbez#ge zu identifizieren. Im Lichte dieser eindeutigen F%lle wurden in einem zweiten Schritt die uneindeutigen F%lle betrachtet, um medi%valisierende Potentiale erschließen zu kçnnen. Dies basiert auf der Annahme, dass die klaren Verweise auch die unklaren Stellen einf%rben und medi%valisierende Lesarten beispielsweise durch das Textumfeld, die Zusammenstellung im Zyklus oder die Wiederaufnahme medi%valisierender Motive aus zuvor eindeutig markierten Gedichten nahegelegt werden kçnnen. Dazu wurde ein Katalog von Markierungsmçglichkeiten erstellt, sortiert nach abnehmender Eindeutigkeit: 1) paratextuelle Markierung (Titel, Vorwort), 2) explizite oder antonomastische Nennung mittelalterlicher Persçnlichkeiten, Gruppierungen, ,Erinnerungsorte‘ oder Kunstwerke, 3) lexikalische Rekurse auf ein klassisches Mittelalter-Imaginarium (z. B. Ritter, Burg, Zinne, Waffen), 4) Positionierung im Zyklus (z. B. angedeutete historische Reihe), 5) Bezugnahmen auf charakteristische Formen literarischer oder religiçser Diskurse des Mittelalters (z. B. Minnelyrik, Mystik). Auf Grundlage dieses Katalogs wurde das Korpus von Gedichten zusammengestellt, das im Rahmen dieser Studie analysiert werden wird.

1.4 Methodologische Reflexion

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Als literaturwissenschaftliche Studie stellt die vorliegende Arbeit die Texte selbst in den Mittelpunkt und verf%hrt dabei nach der historischhermeneutischen Methode des close reading. Der %sthetische Fokus dieser Herangehensweise sch#tzt die Darstellung davor, sich im Nachvollzug ideengeschichtlicher, biographischer oder autorintentionaler Konstrukte zu erschçpfen. Mit Ernst Osterkamp und Ray Ockenden teilt die vorliegende Studie die Auffassung, dass Georges Gedichte selbst wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit r#cken sollten, da viele von ihnen noch immer unzureichend interpretatorisch erschlossen sind – sogar trotz George-Handbuch und j#ngst erschienenem Werkkommentar. 95 Deshalb ist der Ausgangspunkt aller Analysen in der vorliegenden Arbeit der Einzeltext, der zun%chst immer in seiner individuellen Offenheit (und oft auch: Widerspr#chlichkeit) zu erfassen ist. Dieses Vorgehen ist dem Gegenstand schon deshalb angemessen, weil Georges poetisch verdichtete Texte einer Verk#rzung auf diskursive, ideologische oder historische Aussagen von vornherein ihren eigenen #sthetischen Widerstand entgegensetzen. Die Lekt#ren verfahren also in erster Linie strukturanalytisch, die Interpretationen verdanken sich im wesentlichen Versuchen der verstehenden Rekonstruktion. In paradigmatischen Textanalysen werden so verschiedene Typen des Medi%valismus genauer pr%zisiert sowie diachrone und systematische Zusammenh%nge, Entwicklungslinien und Widerspr#che zwischen diesen aufgezeigt. Ein spezielles Augenmerk gilt dabei der formal%sthetischen Analyse literarischer Verfahren, Gedichttypen und ihrer Tradition sowie rhetorischer Figuren und Metaphern, die historische Bildlichkeit evozieren. Zudem werden Fragen der Lexik und der Semantisierung von Formelementen angesprochen, um die wirkungs%sthetische Dimension des Medi%valismus aufzuzeigen und dessen hybriden Charakter herauszuarbeiten, der sich in Techniken der Ambiguisierung, )berblendung und Verfremdung manifestiert. Damit eng verbunden sind Fragen der metapoetischen Reflexion und Poetologie. Um die besondere Qualit%t von Georges Medi%valismus zu verdeutlichen, richtet sich die Untersuchungsperspektive immer wieder auf die immanente Poetik der Gedichte. Auf diese Weise sollen implizite Vorstellungen von Geschichte, Tradition und )berlieferung herausgear95 Vgl. Osterkamp, Ernst: Poesie der leeren Mitte. Stefan Georges Neues Reich. M#nchen: Hanser 2010. S. 14 – 18, und Ockenden, Raymond C.: Kingdom of the Spirit: The Secret Germany in Stefan George’s Later Poems. In: A poet’s Reich. Politics and culture in the George Circle. Hrsg. von Melissa S. Lane. Rochester, NY: Camden House 2011. S. 91 – 116, hier S. 91 f.

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1 Einleitung

beitet werden, so dass auch die projektiven und imaginativen Anteile des Medi%valismus analytisch erschlossen werden kçnnen. Wie oben ausgef#hrt wurde, konzentriert sich die Analyse nicht auf Mittelalterrezeption im klassischen literaturwissenschaftlichen Verst%ndnis, sondern auf Konzeptionen, Imaginationen und Konstruktionen von ,Mittelalter‘. Der Terminus ,Medi%valismus‘ dient dabei als heuristischer Oberbegriff und operationale Kategorie. Ph%nomene der Rezeption stellen in diesem Konzept nur die eine, gleichwohl wichtige Seite des Mittelalterbezugs dar. Diese rezeptive Dimension des Medi%valismus umfasst intertextuelle und intermediale Ph%nomene. Die charakteristische Hybridit%t von Georges Medi%valismus erfordert, dass hier sowohl Bez#ge zur Literatur und Kunst des Mittelalters als auch des 19. Jahrhunderts gezielt in den Blick genommen werden m#ssen.96 Da es sich zumeist um mehrschichtige Rezeptionsph%nomene handelt, ist eine vollst%ndige Erschließung der Referenztexte jedoch weder beabsichtigt noch zielf#hrend. Die Analyse konzentriert sich stattdessen auf exemplarische F%lle, in denen die generelle Verfahrensweise deutlich wird. G-rard Genettes Intertextualit%tstheorie stellt eine f#r diesen Zweck gut geeignete Terminologie bereit.97 Seine Theorie der literarischen Nachahmung wird in Kapitel 2.4 zur Analyse der S#nge eines fahrenden Spielmanns zum Einsatz kommen; sie wird dort in direktem Kapitelzusammenhang dargestellt werden. Dar#ber hinaus werden zur Analyse der einzelnen Spielarten des Medi%valismus undogmatisch verschiedene andere theoretische Ans%tze herangezogen, so etwa Theorien zur Geschichtslyrik, zu historistischen Verfahren in der Literatur sowie zur Mystik der Moderne; auch diese Ans%tze werden im jeweiligen Kapitel vorgestellt und diskutiert. 96 Mario Zanucchi geht im Rahmen seiner Studie zur Rezeption des franzçsischen Symbolismus in der deutschsprachigen Lyrik der Moderne unter anderem auch auf Stefan George und dessen Fr#hwerk ein, jedoch nicht explizit auf Georges medi%valisierende Dichtungen wie das Buch der Sagen und S#nge (Zanucchi, Mario: Transfer und Modifikation. Die franzçsischen Symbolisten in der deutschsprachigen Lyrik der Moderne (1890 – 1923). Berlin, Boston: de Gruyter 2016). 97 G-rard Genette unterscheidet zwischen zwischen f#nf verschiedenen Arten von ,Transtextualit%t‘: Intertextualit%t, Paratextualit%t, Metatexualit%t, Architextualit%t und Hypertextualit%t (Genette, G-rard: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Aus dem Franzçsischen von Wolfram Bayer und Dieter Hornig. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2012. S. 11 ff.). Im Gegensatz zu Julia Kristeva definiert Genette den Begriff ,Intertextualit%t‘ eher eng als „effektive Pr%senz eines Textes in einem anderen Text“ (ebd. S. 10) in Form von Zitat, Plagiat oder Anspielung. Unter ,Hypertextualit%t‘ versteht er „jede Beziehung zwischen einem Text B [Hypertext] und einem Text A [Hypotext]“ (ebd. S. 14).

1.5 Zum Aufbau der Arbeit

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Erg%nzt werden diese Ans%tze durch kulturhistorische Kontextualisierungen des literarischen Medi%valismus. Kulturelle, gesellschaftliche und politische Hintergr#nde werden eingeblendet, um die Texte im literatur- und realhistorischen Zusammenhang verorten zu kçnnen. Die Darstellung dieser Kontexte erfolgt daher nicht in separaten Kapiteln, sondern wird in die Interpretationen der einzelnen Gedichte und Werke integriert. Dadurch treten sowohl die Eigenart als auch die Zeittypik von Georges Medi%valismus deutlich hervor. Nicht zuletzt tr%gt die Kontextualisierung zur gleich pr%sentierten Gliederung in drei Phasen bei, indem sie das jeweils relevante Koordinatensystem zeitgençssischer Bezugspunkte und Kontrastfolien skizziert.

1.5 Zum Aufbau der Arbeit Der Hauptteil der Arbeit gliedert sich in drei Teile: Der erste Teil nimmt den ,%sthetischen Medi%valismus‘ der fr#hen Werkphase in den Blick (Kapitel 2), der zweite Teil widmet sich dem ,kulturkritischen Medi%valismus‘ der mittleren Werkphase (Kapitel 3) und der dritte Teil konturiert einen ,esoterisch-prophetischen Medi%valismus‘, der sich vor allem im Sp%twerk manifestiert (Kapitel 4). Diese Phasengliederung erlaubt es, die verschiedenen Erscheinungsweisen des Medi%valismus differenziert zu betrachten und zugleich einen Funktionswandel sichtbar zu machen. Am Ende eines jeden Kapitels werden die wesentlichen Ergebnisse der Analysen in einem Zwischenfazit zusammengefasst. Das zweite Kapitel stellt Georges ,%sthetischen Medi%valismus‘ im Buch der Sagen und S#nge aus dem Jahre 1895 in den Mittelpunkt. In diesem Werk hat George sich intensiv mit mittelalterlicher Dichtungstradition auseinandergesetzt. Deshalb liegt ein Untersuchungsschwerpunkt auf intertextuellen und poetologischen Aspekten. Als Kontrastfolie f#r Georges Dichtungen werden zun%chst vorg%ngige Medi%valismen in der Lyrik der zweiten H%lfte des 19. Jahrhunderts kursorisch gesichtet (Kapitel 2.1). Im Anschluss wird Georges Poetologie des Medi%valismus aus den programmatischen Paratexten herausgearbeitet (Kapitel 2.2). Sodann analysiert das Kapitel 2.3 den Bilderbogen mittelalterlicher Themen, Motive und Gestalten im Zyklus Sagen. Die Gedichte werden in diesem Kapitel weitgehend ihrer Reihenfolge im Zyklus nach interpretiert, da die zyklische Komposition Aufschluss #ber den intendierten und faktischen medialen Rezeptionskontext der Einzeltexte gibt. Im Kontrast dazu w%hlt das Kapitel 2.4 eine st%rker systematisierende Darstellungsweise, indem rezeptive

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1 Einleitung

und imaginative Aspekte des ,simulativen Medi%valismus‘ im Zyklus S#nge eines fahrenden Spielmanns unterschieden werden. Eine Analyse des lyrischen Dramas Die Herrin betet aus dem Jahre 1894 rundet das Kapitel zum ,%sthetischen Medi%valismus‘ ab (2.5). Kapitel 3 beleuchtet den ,kulturkritischen Medi%valismus‘, der sich aus der Zusammenschau medi%valisierender Gedichte aus den Werken Der Teppich des Lebens (1900) und Der Siebente Ring (1907) ergibt. Im Vordergrund dieses Kapitels stehen Fragen einer Nationalisierung und Resakralisierung des Mittelalters. Einleitend wird #berpr#ft, inwiefern die programmatischen Merkspr#che aus den Bl#ttern f"r die Kunst neue Tendenzen des Medi%valismus ank#ndigen (Kapitel 3.1). Im n%chsten Schritt untersucht das Kapitel 3.2 das Nebeneinander verschiedener Medi%valismus-Str%nge im Teppich des Lebens, in dem sich der )bergang von einer %sthetischen Betrachtung des Mittelalters zu einer kulturkritischen Instrumentalisierung abzeichnet. Daraufhin untersucht Kapitel 3.3 den dezidiert zeitkritischen und subversiven Medi%valismus in Der Siebente Ring, dessen politische, aber auch poetologische Potentiale erçrtert werden sollen. Um dies zu erreichen, wird die Analyse nach relevanten thematischen Aspekten ausdifferenziert. Unter dem Gesichtspunkt eines ,esoterisch-prophetischen Medi%valismus‘ erfasst das vierte Kapitel ein Ensemble medi%valisierender Texte aus den Gedichtb%nden Der Siebente Ring (1907), Der Stern des Bundes (1914) und Das Neue Reich (1928). Ein Hauptaugenmerk liegt in diesem Kapitel auf der Frage, welche Mçglichkeiten des poetischen Sprechens und der Sinnstiftung der Medi%valismus f#r George erçffnete. Zun%chst wird in Kapitel 4.1 untersucht, wie George in zunehmend hermetisch wirkenden Gedichten mittelalterliche Geheimb#nde und Orden evoziert. Daraufhin erhellt das Kapitel 4.2 den Zusammenhang von Medi%valismus und Mystik der Moderne, indem zum einen Georges Mystik-Rezeption nachgezeichnet und zum anderen neomystische Texturen in seiner Dichtung analysiert werden. Kapitel 4.3 zeigt auf, wie George in den großen geschichtsmythischen Visionen seines letzten Gedichtbands Das Neue Reich medi%valisierende Synthesen herstellt. Abschließend werden die Ergebnisse der vorliegenden Studie zusammengefasst und perspektiviert (Kapitel 5).

2 !sthetischer Medi%valismus Stefan George wurde in einer Zeit groß, in der Mittelalter-Deutungen im gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben allgegenw%rtig waren. Das junge Deutsche Kaiserreich von 1870/71 kn#pfte programmatisch an die mittelalterliche Kaisergeschichte an, inszenierte sich als Nachfolger des 1806 untergegangenen Heiligen Rçmischen Reichs Deutscher Nation und repr%sentierte diese Genealogie in einer Reihe monumentaler Denkm%ler. Die Kaisersage vom schlafenden Friedrich Barbarossa im Kyffh%user, popularisiert durch Friedrich R#ckerts Gedicht Der alte Barbarossa von 1817, z%hlte zusammen mit dem Nibelungenlied zu den bekanntesten nationalen Mythen.1 In Richard Wagners Opern mit ihren Sujets aus mittelalterlichen Epen und ihren erdichteten germanischen Stabreimen schwelgte das gehobene B#rgertum in Phantasiewelten aus mythischer Vorzeit. Schließlich waren Kenntnisse #ber mittelalterliche Geschichte und Literatur auch ein selbstverst%ndlicher Teil des gymnasialen Bildungskanons. F#r George muss die ferne Vergangenheit des Mittelalters umso pr%senter gewesen sein, als er in einer Kulturlandschaft aufwuchs, die wie kaum eine andere im Deutschen Kaiserreich mit dem Mittelalter verbunden wurde: im katholischen Rheinland. Gerade in Georges Heimatstadt Bingen lagen Rheinromantik und antifranzçsische Repr%sentation architektonisch eng beieinander: Neben den mittelalterlichen Kirchen, Burgen und Schlçssern, die l%ngs des Rheins das Bild der Landschaft pr%gten, konnte man von Bingen aus seit 1883 auf der gegen#berliegenden Rheinseite auch das Niederwalddenkmal mit der Germania sehen, das anl%ßlich der Gr#ndung des Deutschen Kaiserreichs 1871 in Auftrag gegeben worden war.2 Diese 1 2

M#nkler, Herfried: Die Deutschen und ihre Mythen. 2. Aufl. Berlin: Rowohlt 2009. S. 37 – 108. Zu den nationalen Momunenten des Deutschen Kaiserreichs und zur Durchbildung des Rheinlands zur nationalen Geschichtslandschaft vgl. Kiewitz, Susanne: Poetische Rheinlandschaft. Die Geschichte des Rheins in der Lyrik des 19. Jhs. Kçln: Bçhlau 2003. S. 268 – 274; Cepl-Kaufmann, Gertrude u. Antje Johanning: Mythos Rhein. Zur Kulturgeschichte eines Stromes. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2003. S. 99 – 132; Schnall, Jens Eike: Zementiertes Deutschtum – Wagner, Siegfried und andere Gçtter in der Nibelungenhalle zu Kçnigswinter. In: Runica – Germanica – Mediaevalia. Hrsg. von Wilhelm Heizmann u. Astrid van

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2 !sthetischer Medi%valismus

Umgebung mit ihrer literarischen Tradition, ihrer katholischen Ausrichtung und ihrem politischen Symbolwert fand ihren Niederschlag in Georges Vorstellungswelt, allen voran in seinem Medi%valismus.3 Folgendes Kapitel wird untersuchen, wie George in den 1890er Jahren das Mittelalter als poetische Gegenwelt und Imaginationsraum nutzbar machte. Georges erstes und umfassendstes medi%valisierendes Werk ist das Buch der Sagen und S#nge. 4 Es erschien 1895 als Mittelteil der B"cher der Hirtenund Preisgedichte, der Sagen und S#nge und der H#ngenden G#rten (im Folgenden abgek#rzt als: B"cher).5 Das ,Mittelalter‘ erscheint dort also eingerahmt zwischen ,Antike‘ und ,Orient‘. Georges Besch%ftigung mit mittelalterlichen Themen im Rahmen der Gymnasialausbildung und eines kurzen Studiums in Berlin lag damals noch nicht lang zur#ck und hinterließ ihre Spuren in den Sagen und S#ngen ebenso wie Georges Bekanntschaft mit dem franzçsischen und belgischen Symbolismus. Mit dem Titel Sagen und S#nge griff George auf die seit dem Mittelalter gel%ufige

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Nahl. Berlin, New York: de Gruyter 2003. S. 727 – 758; Koch, Hans J#rgen (Hrsg.): Wallfahrtsst#tten der Nation. Vom Vçlkerschlachtdenkmal zur Bavaria. Frankfurt am Main 1971. Zu diesem Absatz siehe Schloon, Jutta: „Des weiten Innenreiches mitte“. MittelalterImaginationen in der Dichtung Stefan Georges. In: Rezeptionskulturen. F#nfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Popul%rkultur. Hrsg. von Mathias Herweg u. Stefan Keppler-Tasaki. Berlin, Boston: de Gruyter 2012. S. 289 – 307, hier S. 289 – 290. Eine vage mittelalterliche Stimmung durchzieht bereits Georges fr#hen Gedichtzyklus Pilgerfahrten aus dem Jahre 1891. Die Gedichte verweisen jedoch nicht konkret auf das Mittelalter, sondern bleiben zeitlich unbestimmt. Sie evozieren Vorstellungswelten einer kindlichen Religiçsit%t, die etwa im Gedichttitel Verj#hrte Fahrten mitschwingt und in Formulierungen wie „Unsrer s#nden leichte m%ler“ mit einem Kinderglauben verbunden wird (Stefan George: Hymnen, Pilgerfahrten, Algabal. Stuttgart: Klett-Cotta 1987. S. 50 f. Prim%rtexte von Stefan George werden im Folgenden mit Angabe der Sigle SW und Seitenzahl im Fließtext nachgewiesen). Die T#rme, die farbigen Fenster und das Erlçserbild erinnern an gotische Kirchen mit ihren bunten Glasfenstern, aber es bleibt offen, um welche T#rme es sich handelt. Auch M%rchenmotive und mythologische Figuren sind in diesen Zyklus verwoben, es gibt Drachen, einen Faun und einen Palast im Zauberschlaf (SW II, 38, 40 und 51). Die Gedichte umschreiben so sparsam, dass die Phantasie des Lesers sich die Umst%nde selbst ausmalen muss. Viele der Gedichte w#rden sich nahtlos in einen medi%valisierenden Zyklus f#gen, aber f#r den Moment bleiben die Bilder von Wallfahrten und Wanderschaft noch im VageM%rchenhaften stehen. Stefan George: Die B"cher der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und S#nge und der h#ngenden G#rten. Stuttgart: Klett-Cotta 1991.

2 !sthetischer Medi%valismus

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dichterische Alliterationsformel ,singen und sagen‘ zur#ck, welche das Nebeneinander von gebundener und ungebundener Rede bezeichnet.6 In der Tat lehnt der erste, elf Gedichte umfassende Zyklus Sagen sich an das gleichnamige epische Genre an, also Erz%hlungen von wunderhaften Begebenheiten aus der Vergangenheit, oft mit Helden und #bernat#rlichen Wesen als Personal.7 Der zweite, 14 Gedichte umfassende Zyklus S#nge eines fahrenden Spielmanns orientiert sich dagegen an der Gattung des Liedes. In der Forschung standen die B"cher lange im Schatten des spektakul%ren %sthetizistischen Fr#hwerks Algabal (1892) und der symbolistischen Natur- und Liebesdichtungen in Das Jahr der Seele (1897). Die Forschung zu den B"chern ist zwar mittlerweile auf ein ansehliches Maß angewachsen, aber nur wenige Beitr%ge widmen sich den Mittelalterimaginationen in den Sagen und S#ngen. Dabei ist die These weit verbreitet, George habe Mittelalter, Antike und Orient als „Masken“ oder als „Kost#me“ benutzt, um seine eigenen persçnlichen Befindlichkeiten, insbesondere seine widerspr#chlichen Gef#hle entt%uschter Liebe zu seiner Jugendfreundin Ida Coblenz und den )berdruss am wilhelminischen Deutschland unter dem Deckmantel antiker, mittelalterlicher oder orientalischer Formen auszudr#cken.8 Diese These greift jedoch zu kurz: 6

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Vgl. Schwietering, Julius: Singen und Sagen. Gçttingen 1908; Thurau, Gustav: Singen und Sagen. Ein Beitrag zur Geschichte des dichterischen Ausdrucks. Berlin 1912. Siehe etwa die Verse Heinrichs von Morungen in Georges (neuhochdeutscher) Anthologie Deutscher Minnesang: „Ich hab’ so viel gesprochen und gesungen, / Daß m#d’ ich bin und heiser nun vom Flehn.“ (Obermann, Bruno (Hrsg.): Deutscher Minnesang. Lieder aus dem 12. bis 14. Jahrhundert. #bertr. v. Bruno Obermann. Leipzig: Reclam 1876. S. 74). Die Wendung ist nicht zuletzt durch Martin Luthers bekanntes Weihnachtslied Vom Himmel hoch in die Neuzeit tradiert worden („Davon ich singen und sagen will“). Jacob und Wilhelm Grimm definierten den modernen Begriff der ,Sage‘ in ihrem Deutschen Wçrterbuch als „kunde von ereignissen der vergangenheit, welche einer historischen beglaubigung entbehrt“ bzw. „naive[ ] geschichtserz%hlung und #berlieferung, die bei ihrer wanderung von geschlecht zu geschlecht durch das dichterische vermçgen des volksgem#thes umgestaltet wurde, freie[ ] schçpfung der volksphantasie, welche ihre gebilde an bedeutsame ereignisse, personen, st%tten ankn#pfte; eine strenge scheidung gegen die begriffe mythus und m%rchen ist dem sprachgebrauche fremd.“ (http://woerterbuchnetz.de/DWB/?sigle=DWB&mo de=Vernetzung&lemid=GS00585#XGS00585; letzter Abruf: 22. 7. 2017). Simons, Gabriel: Die zyklische Kunst im Jugendwerk Stefan Georges, ihre Voraussetzungen in der Zeit und ihre allgemeinen #sthetischen Bedingungen. Kçln: (Diss.) 1965. S. 368; David, Claude: Stefan George. Sein dichterisches Werk. M#nchen: Hanser 1967. S. 117 u. 119; Storck: Das Bild des Mittelalters. S. 433; Arbogast,

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2 !sthetischer Medi%valismus

Nicht nur besitzen die Gedichte Eigenst%ndigkeit als k#nstlerische Gebilde,9 sondern sie weisen auch Mehrfach-Codierungen durch vielfache Bez#ge zu literarischen, %sthetischen und religiçsen Traditionen und durch Zusammenstellung zu einem sorgf%ltig durchkomponierten Zyklus auf.10 Im Folgenden soll deshalb nach einem )berblick #ber die medi%valisierende Lyrik des sp%ten 19. Jahrhundert und einer Analyse von Georges Vorrede zu den B"chern auf zwei verschiedene Weisen verfahren werden: Zun%chst erfolgt ein chronologisch-thematischer Durchgang durch den Zyklus Sagen, der die einzelnen Gedichte sowohl in ihrer Individualit%t als auch im Werkzusammenhang zu verstehen versucht.11 Indem hier die Untersuchungsperspektive der Chronologie der Gedichte und damit der von George vorgesehenen Lekt#re folgt, kçnnen auch Aspekte des Zusammenhangs zwischen den einzelnen Texten, der Aufbau des Buches als programmatischer Gedankengang, der Charakter einer poetologischen Grundlegung besser herausgearbeitet werden. Daran schließt sich eine st%rker systematisch orientierte Analyse des Zyklus S#nge eines fahrenden Hubert: Stefan Georges „Buch der H#ngenden G#rten“. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 30 (1986). S. 494 – 510, hier S. 498; Arbogast: Nachwort, hier S. 20; Oelmann: Das Mittelalter in der Dichtung Georges. S. 141; Eschenbach, Gunilla: Musik als emotiver Verst#rker in Stefan Georges S#nge eines fahrenden Spielmanns. In: Lied und Lyrik um 1900. Hrsg. von Dieter Martin. W#rzburg: Ergon 2010. S. 129 – 139, hier S. 130. 9 Vgl. Kaiser, Gerhard: „Dichten selbst ist schon Verrat“. Gibt es Kritik an Dichter und Dichtung im Werk Georges? In: George-Jahrbuch 5 (2004/2005). S. 1 – 21, hier S. 6. 10 Siehe Schloon, Jutta: Das Buch der Sagen und S#nge. In: Stefan George – Werkkommentar. Hrsg. von J#rgen Egyptien. Berlin, Boston: de Gruyter 2017. S. 124 – 139, hier S. 126. 11 Die Interpretation erfolgt anhand der ersten çffentlichen Ausgabe der B"cher der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und S#nge und der h#ngenden G#rten von 1898, in der die Anordnung und die Auswahl der Gedichte in der von George intendierten endg#ltigen Form vorliegen. Diejenigen Gedichte, die in einigen der Handschriften und in der Zeitschrift Bl#tter f"r die Kunst den Sagen und S#ngen zugeordnet, letztendlich aber im Jahr der Seele und im Teppich des Lebens verçffentlicht wurden, bleiben somit vorerst außer acht. Dies betrifft im Einzelnen die Gedichte Entf"hrung (IV, 60), R"ckkehr (IV, 59), Spr"che f"r die Geladenen in T…I (IV, 53), Nachtwachen I (IV, 63) und Gewitter (V, 39). Auf das letztgenannte Gedicht werde ich in Kapitel 3.2.2 kursorisch zur#ckkommen. Zu den Handschriften und zur Edition siehe Ute Oelmanns Aufstellungen im Anhang zu SW III, S. 103 und 108 – 111 sowie Oelmann, Ute: Vom handgeschriebenen Buch. Stefan Georges Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod mit einem Vorspiel. In: Edition und Interpretation moderner Lyrik seit Hçlderlin. Hrsg. von Dieter Burdorf. Berlin, New York: de Gruyter 2010. S. 103 – 112, hier S. 105.

2.1 Medi%valismus in der Lyrik der zweiten H%lfte des 19. Jahrhunderts

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Spielmanns an, in der versucht werden soll, die zuvor gewonnenen Einsichten nun auch theoretisch zu reflektieren. Dieses Vorgehen erlaubt es, jedes Gedicht zun%chst als selbstst%ndiges Kunstwerk zu verstehen und herauszuarbeiten, wie Medi%valismen innerhalb des Einzelgedichts nutzbar gemacht werden, wie sie funktionieren und welche poetischen Verfahren mit ihnen verbunden sind. Auf dieser Grundlage wird zusammenfassend dargestellt, in welche grçßeren Bçgen sich die jeweiligen Gedichte f#gen, wie sie sich in ihren Querbez#gen erst voll entwickeln und dadurch neue Bedeutungspotentiale entfalten. Am Ende des Kapitels wird Georges zeitgleich mit den Sagen und S#ngen entstandenes Drama Die Herrin betet analysiert, in welchem typische Kennzeichen des ,%sthetischen Medi%valismus‘ besonders konzentriert und verdichtet auftreten.

2.1 Medi%valismus in der Lyrik der zweiten H%lfte des 19. Jahrhunderts Um die komplexe Dialogizit%t des Buchs der Sagen und S#nge zu verstehen, ist es hilfreich, sich zun%chst den poetischen Kontext der Zeit vor Augen f#hren. Welche Erwartungen verbanden Leser im Jahre 1895 mit einem Gedichtbandtitel wie Sagen und S#nge? Das im Folgenden entworfene Panorama des Medi%valismus in der kaiserzeitlichen Lyrik bildet die literaturgeschichtliche Kontrastfolie, vor der sich die !hnlichkeiten und Differenzen von Georges Medi%valismus abzeichnen werden. Dass eine Zusammenschau von Georges Sagen und S#ngen mit %hnlichen deutschsprachigen medi%valisierenden Gedichten bislang nicht vorgenommen wurde, mag daran liegen, dass die Zeugnisse einer lyrischen Mittelalterrezeption in besagtem Zeitraum heterogen sind und einschl%gige Gedichte weitaus schwieriger ausfindig zu machen sind als beispielsweise die bekannten historischen Romane eines Felix Dahn oder Georg Ebers. Oft sind solche Gedichte in Anthologien zu finden,12 selten jedoch wurde der Mittelalterbezug bereits im Titel eines Gedichtbandes signalisiert. Der Dichter Paul Heyse schrieb 1884 einen Brief an seinen Kollegen Emanuel Geibel, in dem er in gereimten Versen auf eine lyrische Modestrçmung der vergangenen zwanzig Jahre zur#ckblickte: 12 Zur Anthologie als wichtigstem Publikationsmedium f#r Lyrik im 19. Jahrhundert siehe Trilcke, Peer: Historische Lyrik f"r ,Schule und Haus‘. P%dagogik als Faktor der Genregenese um 1850. In: Geschichtslyrik, Bd. 1, S. 408 – 451, S. 411 sowie die dortigen Literaturhinweise.

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2 !sthetischer Medi%valismus

Der Freund, der liedesm%chtig, stark und zart, Zur Urst%nd half dem edlen Ekkehart, Wohl ahnt’ er nicht, dass er heraufbeschwor Den minn- und meistersingerlichen Chor. Ein Narr macht mehre, Freund. Doch gib nur acht, Wie viele Toren erst ein Weiser macht! Der Maskentrçdel, guter alter Zeit Entlehnt, birgt nun moderne Nichtigkeit. Da schleift und stelzt ein blçder Mummenschanz, Ein Landsknechtminnespiel und „Govenanz“, Mit Hei! und Ha! und Phrasenputz verbr%mt, Der totem Kunstgebrauch sich anbequemt.13

In seinem Gedicht spottet Heyse #ber die epigonale Lyrik zweit- und drittrangiger Dichter, welche Victor von Scheffel nachahmten, der mit seinen Erfolgsromanen Der Trompeter von S#ckingen (1853) und Ekkehard (1855) eine Mittelaltereuphorie ausgelçst hatte.14 F#r diese altert#melnde Poesie pr%gte Heyse den Begriff der ,Butzenscheibenlyrik‘, der den dekorativen Aspekt dieser Trivialkunst zum Ausdruck brachte.15 Heyse warf dieser Lyrik vor, r#ckw%rtsgewandt zu sein und lediglich die W#nsche eines anspruchslosen Massenpublikums zu befriedigen. Mit Thomas Cramer lassen sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zwei Arten medi%valisierender Lyrik unterscheiden: Zum einen diejenigen Gedichte, die das Mittelalter in politisch-nationaler Absicht heraufbeschwçren; zum anderen diejenigen Gedichte, in denen das Mittelalter als 13 Paul Heyse an Emanuel Geibel, Brief vom 7. April 1884, in: Petzet, Erich (Hrsg.): Der Briefwechsel von Emanuel Geibel und Paul Heyse. M#nchen 1922. S. 285 – 290, hier S. 288 f. 14 Scheffels Versepos Der Trompeter von S#ckingen war einer der erfolgreichsten Longseller des 19. und 20. Jahrhunderts: 1882 erschien er in 100. Auflage und 1921 bereits in 322. Auflage (Mahal, G#nther (Hrsg.): Lyrik der Gr"nderzeit. Ausgew%hlt, eingeleitet und herausgegeben von G#nther Mahal. T#bingen: Niemeyer 1973. S. 11). !hnlich erfolgreich war die Lyrik Rudolf Baumbachs. 15 Vgl. Cramer, Thomas: Mittelalter in der Lyrik der Wilhelminischen Zeit. In: Literatur und Theater im Wilhelminischen Zeitalter. Hrsg. von Hans-Peter Bayerdçrfer. T#bingen 1978. S. 35 – 61, hier S. 36. Zur Butzenscheibenlyrik z%hlen etwa Berthold Sigismunds Lieder eines fahrenden Sch"lers (1853), Rudolf Baumbachs Lieder eines fahrenden Gesellen (1878), Neue Lieder eines fahrenden Gesellen (1880) und seine Spielmannslieder (1881) und Julius Wolffs Die Pappenheimer. Ein Reiterlied (1889). Vgl. auch Sohnle, Werner Paul: Stefan George und der Symbolismus. Eine Ausstellung der W#rttembergischen Landesbibliothek Stuttgart. Ausstelllung 2. 12. 1983 – 31. 1. 1984. Stuttgart: W#rttemberg. Landesbibl. 1983. S. 46 f.

2.1 Medi%valismus in der Lyrik der zweiten H%lfte des 19. Jahrhunderts

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kost#mierende Fassade eingesetzt wird.16 Die Voraussetzungen f#r eine Rezeption mittelalterlicher Dichtung waren im Laufe des 19. Jahrhunderts geschaffen worden, die poetische Imagination ging mit der wissenschaftlich-philologischen Erschließung einher. Mittelhochdeutsche Minnelieder wurden unter anderem durch Karl Simrocks )bersetzungen ins Neuhochdeutsche popularisiert, und auch die zu Beginn des 19. Jahrhunderts entdeckte und 1847 edierte Handschrift der Carmina burana bildete das moderne Bild vom Spielmann und Vaganten vor.17 Zudem wurden mittelalterliche Texte in die Lehrpl%ne der Gymnasien aufgenommen.18 Im Falle der politischen Aneignung handelt es sich vorrangig um Geschichtsgedichte, die in Anthologien mit Titeln wie Deutsche Geschichte in Liedern deutscher Dichter oder Deutschlands Helden in der deutschen Dichtung (Abb. 1) zusammengestellt wurden.19 Solche oft prachtvoll aufgemachten Anthologien mit Gedichten #ber Helden und wichtige Ereignisse aus der ,deutschen‘ Geschichte seit dem fr#hen Mittelalter waren nicht nur ein beliebtes Konfirmations- oder Geburtstagsgeschenk. Sie wurden zudem auch im kaiserzeitlichen Geschichtsunterricht eingesetzt, wie beispielsweise die Bemerkung „f#r Schule und Haus“ im Untertitel der Anthologie Deutschlands Helden in der deutschen Dichtung anzeigt. Franz Br#mmer, Herausgeber dieser Anthologie, hielt gerade die Poesie f#r besonders geeignet, „Nationalgef#hl und patriotisch-loyale Gesinnung“ zu erwecken.20 Die nationale Ausrichtung der medi%valisierenden Lyrik war zwar bereits in der Romantik und auch bei Scheffel vorgepr%gt, wurde jedoch im Zuge der Reichsgr#ndung 1870/71 besonders virulent. Das mittelalterliche Reich wurde „geschichtstypologisch als Modell der neu zu

16 Cramer: Mittelalter in der Lyrik der Wilhelminischen Zeit, insbes. S. 47 f. 17 Die Erstausgabe von 1847 gab die lateinischen Originaltexte; 1879 erschien eine von Ludwig Laistner ins Neuhochdeutsche #bertragene Auswahl unter dem Titel Golias. Studentenlieder des Mittelalters, gewidmet Paul Heyse (D#chting, Reinhard u. Ludwig Laistner (Hrsg.): Carmina Burana. Lieder der Vaganten. Lateinisch und Deutsch. Eine Auswahl. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004. S. 241). 18 Cramer: Mittelalter in der Lyrik der Wilhelminischen Zeit. S. 47 f. 19 Tetzner, Franz (Hrsg.): Deutsche Geschichte in Liedern deutscher Dichter. Leipzig: Philipp Reclam jun. [o. J., ca. 1892]. Br#mmer, Franz (Hrsg.): Deutschlands Helden in der deutschen Dichtung. Eine Sammlung historischer Gedichte und ein Balladenschatz f#r Schule und Haus. Stuttgart: Greiner & Pfeiffer [o. J., ca. 1891]. 20 Ebd. S. III. Zur didaktischen Funktion der historischen Lyrik im 19. Jahrhundert siehe Trilcke: Historische Lyrik f"r ,Schule und Haus‘. S. 98 – 99.

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2 !sthetischer Medi%valismus

erringenden Einheit des Reichs“ gedeutet.21 Dies zeigt sich beispielhaft in Adolf Friedrich Schacks vaterl%ndischem Gedicht Die Hohenstaufenkrone, das von der Kronenburg mit dem Hort der Hohenstaufenkrone spricht und zum Schluss den Helden beschwçrt, der die Krone und das Reich wiedererstehen l%sst: Dir k#ndet, Weib, der Klang der Glocken Das Nahen des ersehnten Herrn, Entgegen strahlt von seinen Locken Die Krone dir als Morgenstern; Und #ber dir und dem Befreier, Als Zeuge bei der heil’gen Feier, Die allen deinen Jammer s#hnt, Rauscht stolz wie einst die deutsche Eiche, Die mit dem neu erstandnen Reiche Der Ewigkeit entgegengr#nt.22

In den Gedichten Felix Dahns und Emanuel Geibels ist es dann nicht nur die mittelalterliche, sondern vor allem die germanische Welt, aus der politische Leitbilder entnommen werden.23 So heißt es in der letzten Strophe von Felix Dahns Gedicht Es ruht versenkt an stillem Ort…: Den Segen deutscher Herrlichkeit, Die Heldenschaft der Ahnen; Laßt ihn heben allezeit: Den Volkshort der Germanen!24

Schon hier zeigt sich, wie eklektisch sich die Literatur der Gr#nderzeit im Bildinventar vergangener Epochen und ferner L%nder bediente.25 Jost 21 Cramer: Mittelalter in der Lyrik der Wilhelminischen Zeit, hier S. 40. Sebastian Schmideler weist auf die „Dominanz mittelalterbezogener Balladen“ in heroisierendem und militaristischem Duktus hin, die nach der Reichsgr#ndung in der Jugend- und Familienzeitschrift Deutsche Jugend (1873 – 1885) verçffentlicht wurden (Schmideler, Sebastian: Geschichtslyrik f"r Kinder und Jugendliche. Ein )berblick. In: Geschichtslyrik, Bd. 1, S. 290 – 325, hier S. 301 f.). 22 Abgedruckt in: Mahal (Hrsg.): Lyrik der Gr"nderzeit. S. 88 – 90, hier S. 90. 23 Hinck, Walter: Epigonendichtung und Nationalidee. Zur Lyrik Emanuel Geibels. In: Von Heine zu Brecht. Lyrik im Geschichtsprozeß. Hrsg. von Walter Hinck. Frankfurt am Main 1978. S. 60 – 82, hier S. 76. 24 Abgedruckt in: Kommersbuch. Studentenliederbuch. Lieder fahrender Sch#ler. 3. Aufl. Leipzig: Reclam 1897. S. 46 – 47, hier S. 47. 25 Vgl. Hermand, Jost: Grandeur, High Life und innerer Adel: ,Gr"nderzeit‘ im europ#ischen Kontext. In: Stile, Ismen, Etiketten. Zur Periodisierung der modernen Kunst. Hrsg. von Jost Hermand. Wiesbaden: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion 1978. S. 17 – 33, hier S. 21; Cramer: Mittelalter in der Lyrik der Wilhelminischen Zeit. S. 44, sowie Mahal: Lyrik der Gr"nderzeit. S. 20 – 21.

2.1 Medi%valismus in der Lyrik der zweiten H%lfte des 19. Jahrhunderts

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Abb. 1: Einband der Anthologie Deutschlands Helden in der deutschen Dichtung, herausgegeben von Franz Br#mmer (Stuttgart: Greiner & Pfeiffer, ca. 1891).

Hermand hat dies als Ausdruck der Aufsteigermentalit%t der Großbourgeoisie im Wilhelminischen Reich gedeutet: Typisch f#r die Gr#nderzeit

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sei „der st%ndige R#ckgriff auf Altdeutsches, Mittelalterliches, Germanisches, Antik-Imperiales oder Pharaonenhaftes – kurz auf alles, worin sich Grçße, Herrschaft, Siegerbewusstsein oder imperiale Macht verkçrpert“.26 Neben dem politischen Medi%valismus in der Lyrik der Wilhelminischen Zeit ist in der zweiten H%lfte des 19. Jahrhunderts noch eine zweite Art des lyrischen Medi%valismus zu beobachten. Diese Lyrik, die das Mittelalter als kost#mierende Fassade nutzt, zeigt ein vielf%ltigeres Erscheinungsbild.27 Hervorzuheben ist hier insbesondere die beliebte Modestrçmung der Spielmanns- und Vagantendichtung, die zumeist in Form von Rollengedichten aus dem Munde eines Minnes%ngers oder eines Spielmanns in Erscheinung trat.28 Vorbilder daf#r lieferte, wie oben angedeutet, Victor von Scheffel. In seinem Gedichtzyklus Lieder eines fahrenden Sch"lers (entstanden 1846) findet sich ein Gedicht mit dem Titel Beim Einsiedler, das beispielhaft einen Eindruck von dieser Art Lyrik vermitteln kann. Ein Einsiedler l%dt einen jungen Besucher in seine Behausung ein und #berrascht diesen mit den Worten: „Hab’ du nicht Angst, ich plage dich nicht Mit Gebet und Litanei’n, Ich lobe Gott in andrer Art, ’s wird auch die deine sein.“ Drauf nach dem Keller ging er hin, Das war seine Hauskapell’, In langen Reihen lagen drin Die Flaschen weineshell. (Victor von Scheffel: Lieder eines fahrenden Sch"lers. In: S#mtliche Werke, hrsg. von Johannes Franke, Band 9, 1917, S. 31 f., hier S. 31)

Ein weltlich gesinnter Einsiedler, der den jungen Besucher zum Trinken einl%dt – dies ist eine der typischen Figuren, welche die Spielmannslyrik bevçlkern. Die Spielmannslieder von Scheffel, Rudolf Baumbach und Berthold Sigismund handeln von frçhlichem Umherziehen, leichter Liebe und Trinkfreude. Die meisten Gedichte sind nicht explizit im Mittelalter angesiedelt, sondern mit medi%valisierenden Elementen verziert, indem sie 26 Hermand: Grandeur, High Life und innerer Adel, hier S. 21. 27 Cramer: Mittelalter in der Lyrik der Wilhelminischen Zeit. S. 47. Cramer beobachtet, dass das Mittelalter zudem „sehr gezielt in ideologiebildender Funktion eingesetzt“ wurde, etwa bez#glich der Rolle der Frau in der Gesellschaft (ebd. S. 51 – 53). 28 Ebd. S. 49 – 53. Siehe dazu umfassend: Spicker, Friedemann: Deutsche Wanderer-, Vagabunden- und Vagantenlyrik in den Jahren 1910 – 1933. Wege zum Heil – Straßen der Flucht. Berlin, New York: de Gruyter 1976.

2.1 Medi%valismus in der Lyrik der zweiten H%lfte des 19. Jahrhunderts

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mittelalterliche Szenerien evozieren, Motive wie Minne, Kampf und Heldentum gestalten oder mittelalterliche Figuren verwenden. So heißt es in Baumbachs Gedicht Bin ein fahrender Gesell: Bin ein fahrender Gesell, Kenne keine Sorgen, Labt mich heut der Felsenquell, Tut es Rheinwein morgen. Bin ein Ritter lobesam, Reit’ auf Schusters Rappen, F#hr’ den lockren Zeisighahn Und den Spruch im Wappen: Lustig Blut und leichter Sinn, Hin ist hin, hin ist hin. Amen.29

Der Dreiklang von ,Wein, Weib und Gesang‘ wird hier mit der Kulisse des Rheins und leisen Ankl%ngen an das Mittelalter kombiniert. Eine medi%valisierende Kost#mierung spiegelt sich in Gedichttiteln wie Minnedank oder W#chterruf wider.30 Der Tageliedszenerie der mittelalterlichen Dichtung verleiht Baumbach in eben diesem Gedicht W#chterruf aus Neue Lieder eines fahrenden Gesellen (1880) jedoch eine banale Wendung, indem er auf recht plumpe Weise die Lust am Ehebruch zelebriert: Liebchens Arm mich weich umschlingt; W%chter stçsst in’s Horn und singt: „Hçrt ihr Herrn und last [sic!] euch sagen, Unsre Glock’ hat zehn geschlagen!“ Zehn Gebote – ach wie schwer! Wenn nur eins nicht drunter w%r’!31

Gedichte solcher Art meinte Heyse mit dem Begriff Butzenscheibenlyrik. In großformatigen Anthologien versammelt, mit Goldschnitt versehen und prunkvoll aufgemacht, zierten sie die gr#nderzeitlichen B#cherregale und richteten sich dabei vorrangig an ein weibliches Publikum.32 Hiervon unterschieden sich Georges erste Gedichtb%nde schon rein %ußerlich, sowohl was die optische Aufmachung als auch den Adressatenkreis betraf. Inwiefern Georges Medi%valismus sich inhaltlich, formal%sthetisch und

29 Abgedruckt in: Mahal (Hrsg.): Lyrik der Gr"nderzeit. S. 104 – 105, hier S. 104. 30 Baumbach, Rudolf: Neue Lieder eines fahrenden Gesellen. Leipzig: A. G. Liebeskind 1880. S. 78 u. 80. 31 Ebd. S. 80. 32 Vgl. Cramer: Mittelalter in der Lyrik der Wilhelminischen Zeit. hier S. 51.

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programmatisch von diesen vorg%ngigen lyrischen Medi%valismen abhob, werden die folgenden Analysen erweisen.

2.2 Spiegelungen einer Seele – Programmatik Die Epigonendichter der Gr#nderzeit und die Naturalisten waren die Feindbilder, gegen die Stefan George in seiner 1892 gegr#ndeten und zusammen mit seinem Schulfreund Carl August Klein herausgegebenen Zeitschrift Bl#tter f"r die Kunst antrat. Dort erschienen im Oktober 1894 Gedichte aus dem sp%teren Band B"cher der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und S#nge und der h#ngenden G#rten zusammen mit einer Vorrede: Es steht wol an vorauszuschicken dass in diesen drei werken nirgends das bild eines geschichtlichen oder entwicklungsabschnittes entworfen werden soll: sie enthalten die spiegelungen einer seele die vor#bergehend in andre zeiten und çrtlichkeiten geflohen ist und sich dort gewiegt hat. dabei kamen ihr begreiflicherweise ererbte vorstellungen ebenso zu hilfe als die jeweilige wirkliche umgebung: einmal unsre noch unentweihten th%ler und w%lder ein andresmal unsre mittelalterlichen strçme dann wieder die sinnliche luft unsrer angebeteten st%dte. spiel und #bung bedeute das scheinbare ausbilden verschiedener stile f#r solche die nur auf den e i n e n hinzuarbeiten raten: den unsrer zeit oder der kommenden. (Bl#tter f"r die Kunst, II/4, Oktober 1894, S. 97)

Zu Recht hat die Forschung den „antihistoristische[n] Habitus“33 der Vorrede betont, die mit einer Negativbestimmung einsetzt, indem sie die Erwartung an ein „bild eines geschichtlichen oder entwicklungsabschnittes“ vehement zur#ckweist.34 Der Bestimmung ex negativo folgt die Positivbestimmung als „spiegelungen einer seele“. Damit sind zwei poetologische Schl#sselbegriffe des Symbolismus genannt,35 die beide auf eine 33 Niefanger, Dirk: Formen historischer Lyrik in der literarischen Moderne. In: Literatur und Geschichte. Ein Kompendium zu ihrem Verh%ltnis von der Aufkl%rung bis zur Gegenwart. Hrsg. von Daniel Fulda. Berlin, New York: de Gruyter 2002. S. 441 – 462, hier S. 441. 34 Vgl. Storck: Das Bild des Mittelalters. S. 433; Schl#ter: Explodierende Altert"mlichkeit. S. 266. 35 Vgl. Storck: Das Bild des Mittelalters. S. 426. Georges Rezeption des belgischen und franzçsischen Symbolismus hat als erste Enid Lowry Duthie ausf#hrlich untersucht (Duthie, Enid Lowry: L’influence du symbolisme franÅais dans le renouveau po+tique de l’Allemagne. Les Bl%tter f#r die Kunst de 1892 ' 1900. Paris: Champion 1933). Weitere Hinweise bei David: Stefan George. S. 110 u. 115; Grigorian, Natasha: The Poet and the Warrior. The Symbolist Context of Myth in

2.2 Spiegelungen einer Seele – Programmatik

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Tendenz zur Subjektivierung und Verinnerlichung hindeuten. Die Rede von ,Spiegelungen‘ impliziert, dass nicht die Wirklichkeit selbst mimetisch wiedergegeben wird, sondern Reflexionen von Wirklichkeit gezeigt werden. Dies f#hrt zu einer indirekten Darstellungsweise, die George selbst in einem Brief gegen#ber seinem belgischen Dichterfreund Edmond Rassenfosse so beschrieb: „l’&me ne voit pas directement [mais] sous un certain angle – l’-poque culturelle.“36 Wie Werner Vordtriede hervorgehoben hat, umfasst das Symbol des Spiegels auch einen selbstreflexiven Aspekt, indem der Dichter seine eigene Subjektivit%t mit in die reflektierten Bilder einblendet und damit eine geheime Einheit von Welt und Dichter anzeigt.37 Auch der Begriff ,Seele‘ verweist auf den Bereich des Subjektiven, Persçnlichen und Innerst-Innerlichen als neues Zentrum der Poesie; den Seelenzust%nden (+tats d’$me) des Dichters galt die hçchste Aufmerksamkeit.38 Dagegen interessierte die Wirklichkeit nur noch in ihrer Funktion als Reservoir von Sinnbildern f#r diese Seelenzust%nde, denn zwischen innerer und %ußerer Welt wurden unsichtbare Analogiebeziehungen angenommen.39 Aber es geht nicht nur um Spiegelungen, es geht auch um Bewegungen, um die Dynamiken dieser Seele. Auf der einen Seite gibt es die Fluchtbewegung, die Abwendung von der unmittelbaren Gegenwart, mit der leisen Anspielung auf Goethes West-çstlichen Divan und dessen Flucht in

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Stefan George’s Early Verse. In: The German Quarterly 82 (2009) H. 2. S. 174 – 195; Zanucchi: Transfer und Modifikation, insbes. S. 267 – 381 zu Georges Hymnen und Algabal. Handschrift von M%rz 1894, zitiert nach Oelmann, Anhang zu SW III, S. 106. Vordtriede, Werner: The Mirror as Symbol and Theme in the Works of Stephane Mallarm+ and Stefan George. In: The Modern Language Forum 32 (1947). S. 13 – 24, S. 19. Zum Spiegel als Modell von Subjektivit%t siehe Konersmann, Ralf: Lebendige Spiegel. Die Metapher des Subjekts. Frankfurt am Main: Fischer 1991. S. 33. Vgl. die Stelle aus Goethes Faust: „Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit / Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln; / Was ihr den Geist der Zeiten heißt, / Das ist im Grund der Herren eigner Geist, / In dem die Zeiten sich bespiegeln.“ (Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Texte. Hrsg. von Albrecht Schçne. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 1999. S. 40.) George bezog sich zu Beginn der 1890er Jahre des çfteren auf Goethe, bspw. in Bl#tter f"r die Kunst, I/1 (1892): „Enthalte man sich auch allen streites und spottes #ber das leben wobei – wie Goethe meint – nicht viel herauskommt.“ Vgl. Zanucchi: Transfer und Modifikation. S. 37 sowie Storck: Das Bild des Mittelalters. S. 425. So f#hrte es etwa Charles Baudelaire in seinem poetologischen Gedicht Correspondances vor, in dem sich das Empfinden des lyrischen Ich in Sinnbildern aus der Natur spiegelt.

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den „reinen Osten“ („Fl#chte du, im reinen Osten / Patriarchenluft zu kosten“).40 Der Fluchtbewegung steht auf der anderen Seite die positiv konnotierte Bewegung des Sich-Wiegens gegen#ber, die ein Gef#hl des Aufgehoben- und Geborgenseins in alten Zeiten und fernen R%umen impliziert. Das ,Wiegen‘ suggeriert zugleich die Vorstellung von einer Ursprungs- oder Anfangszeit, sowohl im Sinne einer ,Wiege‘ der eigenen Kultur als auch im Sinne eines Kindheitsgef#hls oder einer Regression in ein fr#heres Lebensalter. Aber auch etwas Unfestes, Oszillierendes klingt in dieser Formulierung an, denn die sich wiegende Seele sieht ihre Umgebung nur schwankend. Die Bewegungen von Flucht und Sich-Wiegen deuten also auf eine gewisse Fl#chtigkeit und changierende Ambivalenz der von der Seele gespiegelten Epochen- und Raumbilder hin. Signifikant f#r die spezifische Raumzeitlichkeit von Georges Medi%valismus ist auch, dass Raum und Zeit auf gleicher Ebene ansiedelt sind: ,Antike‘, ,Mittelalter‘ und ,Orient‘ sind strukturell gleichartige Imaginationsr%ume. George formulierte es 1894 in der M%rz-Ausgabe der BfdK folgendermaßen: „Die %lteren dichter schufen der mehrzahl nach ihre werke oder wollten sie wenigstens angesehen haben als st#tze einer meinung: einer weltanschauung – wir sehen in jedem ereignis jedem zeitalter nur ein mittel k#nstlerischer erregung.“41 F#r George war Geschichte nicht ,Entwicklung‘, sondern Gleichzeitigkeit – deshalb hatte die Geschichte keinen historischen Eigenwert, sondern diente vielmehr als ein Arsenal von Bildern. Als Anhaltspunkte nennt die Vorrede „ererbte vorstellungen“ und „die jeweilige wirkliche umgebung“. Damit wird die Dichtung zum einen auf die Tradition bezogen; das Adjektiv ,ererbt‘ unterstreicht dabei zugleich die Personengebundenheit der )berlieferung,42 aber auch den unwillk#rlichen Anteil dieses Erbes, als festen Bestandteil der eigenen Identit%t, derer man sich nicht entledigen kann. Zum anderen verweist „die jeweilige wirkliche umgebung“ auf den Anteil des Erschauten innerhalb des Medi%valismus. F#r die Sagen und S#nge macht die Vorrede auf „unsere mittelalterlichen strçme“ aufmerksam. Wie eine Konkretisierung dieser vagen Formulierung klingt eine Aussage Georges aus dem Jahre 1896, an die sich sein holl%ndischer Freund und Dichterkollege Albert Verwey erinnerte: „In einer 40 Storck: Das Bild des Mittelalters. S. 425. 41 Bl#tter f"r die Kunst II/2 (M%rz 1894), S. 34. 42 Auch in dieser Formulierung klingt eine Stelle aus Goethes Faust mit an, die im 19. Jahrhundert zu den gefl#gelten Worten gehçrte: „Was du ererbt von deinen V%tern hast / Erwirb es um es zu besitzen.“ (Goethe: Faust. S. 43.)

2.2 Spiegelungen einer Seele – Programmatik

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idyllischen Natur f#hlt man sich aufgeregt zu idyllischen Bildern, am Rhein bei den verwitterten Ritterburgen sucht man große ritterliche.“43 Bemerkenswert ist, dass George in der Vorrede im Adjektiv ,mittelalterlich‘ den historischen Epochenbegriff verwendet, w%hrend er die #brigen Zeiten und R%ume nicht namentlich benennt – mit diesem paratextuellen Hinweis schließt George gleichsam einen Imaginationspakt mit dem Leser, dass in den Sagen und S#ngen eine mittelalterliche Welt zu erwarten sei. Das Possessivpronomen ,unsere‘ l%sst offen, ob es im Sinne einer Miteinbeziehung des Lesers oder im nationalen Sinne zu lesen ist. Robert Norton mçchte schon hier eine – in der Forschung gemeinhin erst sp%ter angesetzte – nationale Wendung Stefan Georges erkennen: „This desire to appropriate the past, and different cultures, as domestic – which is to say as German – possessions is one more way in which the three Books announce a new phase in George’s conception of himself and his task.“44 Diese Deutung geht jedoch zu weit – es finden sich keinerlei weitere Anhaltspunkte f#r eine solche Lesart im Text; im Gegenteil zeigt insbesondere die Korrespondenz mit dem Pariser Freund Albert Saint-Paul, dass George sich zur Entstehungszeit der Sagen und S#nge geradezu angewidert von Deutschland abwandte.45 Es ist also genau das Gegenteil der Fall: In den Sagen und S#ngen erfolgt keine nationalpatriotische Inbesitznahme des Mittelalters, sondern eine kritische Auseinandersetzung mit dem deutschen Kulturerbe, wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird. In jedem Fall wird hier der Modus der Mittelalterimagination deutlich: Es ist der Modus der Identifikation, der „vertikale Modus“, den Valentin Groebner als einen der drei dominanten Modi der Mittelalteraneignung im 19. Jahrhundert beschrieben hat.46 Antike, mittelalterliche und orientalische Welt werden r%umlich konkret verortet und als Teil der eigenen Identit%t betrachtet. Auch dies zeigt wieder, dass George die zeitlichen und geographischen R%ume auf eine Ebene stellt: auf die Ebene der Gegenwart, der Gegenw%rtigkeit. 43 Verwey, Albert: Mein Verh#ltnis zu Stefan George. Erinnerungen aus den Jahren 1895 – 1928. )bers. aus d. Holl%nd. von Antoinette Eggink. Leipzig: Heitz 1936. S. 15. 44 Norton, Robert Edward: Secret Germany. Stefan George and his circle. Ithaca, NY: Cornell Univ. Press 2002. S. 178. 45 Siehe dazu Kapitel 2.3.1. 46 Groebner unterscheidet zwischen drei Erz%hlmodi von Vergangenheit: einen vertikalen Modus der Genealogie, einen biographischen Modus der Identifikation und einen horizontalen Modus der „Fragmentierung und Rekombination von exotischem Material“ (Groebner: Das Mittelalter hçrt nicht auf. S. 124 f.).

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Der dritte Teil der Vorrede wies explizit auf das Nachahmen von Stilen hin. Viele Interpreten haben den etwas r%tselhaften Schlusssatz so verstanden, als ob George selbst seine Dichtung als „spiel und #bung“ ausgegeben habe.47 Oelmann kl%rt den Satz plausibler auf: George habe sich hier an eine Gruppe von Kritikern gewandt, die fr#here Gedichte von ihm mit „dummen Bemerkungen“ („remarques sottes“) quittiert hatten.48 Diesen Kritikern hielt George entgegen, es handle sich nur um „scheinbares ausbilden verschiedener stile“, und dass diejenigen, die ihm rieten, nur auf den „einen stil“ hinzuarbeiten, seine Arbeiten doch ruhig als „spiel und #bung“ verstehen sollten. Offensichtlich entsprach Georges radikal neues, symbolistisches Programm nicht dem damaligen Erwartungshorizont seiner Rezipienten, die in den Mittelalterimaginationen nur eine eskapistische R#ckwendung in die Vergangenheit sahen. Die Privatausgabe der B"cher aus dem Jahre 1895, in kleiner Auflage von 200 Exemplaren gedruckt, kam ohne eine Vorrede aus.49 Einer der Merkspr#che aus den Bl#ttern f"r die Kunst vom Januar 1896 deutet jedoch auf ein immer noch vorhandenes Rechtfertigungsbed#rfnis hin: „einige der besseren schriftkundigen“, hieß es dort, w#rden den Bl#tter-Dichtern „etwas wie eine scheu vor dem wirklichen und eine flucht in schçnere vorzeiten als losung“ unterstellen, weil „manche unserer k#nstler sich gelegentlich aus einer ferne und einer vergangenheit die sinnbilder zur wiedergabe ihrer stimmung holten“.50 Im Merkspruch hieß es weiterhin: Wie nun gar h%ufig, vornehmlich in eben erscheinenden erzeugnissen, das schildern von gegenwart und wirklichkeit diesen gerade so wenig entspricht als losestes tr%umen, so r#ckt andrerseits jede zeit oder jeder geist indem er ferne und vergangenheit nach eigner: nach seiner weise gestaltet ins reich des nahen persçnlichen und heutigen. wesentlich ist die k#nstlerische umformung eines lebens – welches lebens? ist vorerst belanglos. (BfdK III/1 (Januar 1896), S. [1].)

Zwei Monate sp%ter, im M%rz 1896, r%sonierte George in den Bl#ttern f"r die Kunst #ber die desolate Lage der Literatur im Wilhelminischen Reich und #ber Strategien zu ihrer )berwindung. In diesem Zusammenhang postulierte er nochmals ausdr#cklich: „Heute einseitig auf den volkston hinzuweisen w%re gerade so verkehrt als auf griechentum mittelalter u. %. – 47 Karlauf: Stefan George. S. 185; Storck: Das Bild des Mittelalters. S. 426 f.; Simons: Die zyklische Kunst. S. 341, 369 f., 398 ff. 48 Anhang zu SW III, S. 105 f. 49 Ebd. S. 104 f. 50 Bl#tter f"r die Kunst III/1 (Januar 1896), S. [1].

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denn er liegt uns in gleicher weise fern“.51 Diese )berlegungen f#hrte George in einer revidierten Fassung der Vorrede zu den B"chern der Hirtenund Preisgedichte, der Sagen und S#nge und der h#ngenden G#rten zusammen, die 1898 in der zweiten, diesmal çffentlichen Ausgabe des Gedichtbands abgedruckt wurde. Den kryptischen letzten Satz aus der ersten Fassung, der sich an bestimmte Leser der Bl#tter f"r die Kunst richtete, tauschte George gegen den Satz aus: Jede zeit und jeder geist r#cken indem sie fremde und vergangenheit nach eigner art gestalten ins reich des persçnlichen und heutigen und von unsren drei grossen bildungswelten ist hier nicht mehr enthalten als in einigen von uns noch eben lebt. (SW III, 7)

Damit bekr%ftigte er nochmals die Subjektivit%t seines Zugriffs und die Perspektive der Gegenw%rtigkeit. Was George unter „bildungswelt“ verstand, l%sst sich durch eine Passage in einem Brief an Ludwig Klages aus dem Februar 1896 erhellen. Dort schrieb George: Eine bildungswelt (kultur) einmal erkannt l%sst sich nicht wieder vergessen. wie kçnnten Sie sich Ihre lateinische und griechische wissenschaft aus dem sinn schlagen? versuchten Sie es so w%re das die k#nstliche r#ckz#chtung. Sie haben mit Ihrem geiste unsere bildungswelt aufgenommen.52

George setzte Bildungswelt also mit Kultur gleich und betonte – %hnlich wie in der Formulierung von den ,ererbten Vorstellungen‘ – das Unhintergehbare der kulturellen Pr%gung. Der Geltungsbereich der Bildungswelten wird im letzten Satz der Vorrede jedoch mehrfach eingeschr%nkt. In der Formulierung „nicht mehr enthalten als in einigen von uns noch eben lebt“ klingt sowohl ein kulturpessimistischer Ton mit,53 als auch Friedrich Nietzsches Forderung, die Historie solle dem Leben dienen und nicht gedankenlos angeh%uftes, totes Wissen sein.54 Im Umkehrschluss kommt hier Georges elit%res Selbstverst%ndnis als einer der wenigen Tr%ger eines reichen kulturellen Erbes zum Ausdruck. Insgesamt zeigen Georges programmatische !ußerungen eine Tendenz zur Verinnerlichung, ein Bem#hen um Verortung in der geistigen und in 51 Bl#tter f"r die Kunst III/2 (M%rz 1896), S. 33. 52 Zitiert nach Schonauer, Franz: Stefan George. 9. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1992. S. 79. 53 Vgl. Storck: Das Bild des Mittelalters. S. 427. 54 Friedrich Nietzsche: Unzeitgem#ße Betrachtungen. Zweites St#ck: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie f#r das Leben. In: Ders.: S#mtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 B%nden. Hrsg. von Giorgio Colli u. Mazzino Montinari. M#nchen, Berlin: dtv; de Gruyter 2009. S. 243 – 334.

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der konkreten Landschaft und eine Tendenz zur Personalisierung von Tradition. Zudem offenbaren sie den Primat der k#nstlerischen Form, dem Stoffe und Inhalte untergeordnet sind. So steht alles auf der Ebene der Gleichzeitigkeit, wird damit enthistorisiert, vergegenw%rtigt und zeitlos. Die Vorrede leistet eine Verklammerung der auf den ersten Blick disparat erscheinenden drei B#cher und weist auf die ihnen allen gemeinsame Poetik hin. Dadurch lenkt die Vorrede die Aufmerksamkeit des Lesers auf das k#nstlerische Programm, das sich in die Seelensuche der 1890er Jahre einschreibt. Den produktions%sthetisch tr%umerischen Zugang zu den Imaginationsr%umen legt die Vorrede auch als rezeptions%sthetischen Zugang der gedanklichen Einf#hlung nahe; sie dient buchst%blich der Einstimmung des Lesers, indem sie auf einen Gleichklang zwischen Stimmung des Zyklus und Stimmung des Lesers abzielt. Mit der Evokation des Sich-Wiegens weckt sie Erinnerungen an die Kindheit und in Verl%ngerung dessen auch an die kollektive Wiege der Kultur. Der 1898 nachtr%glich hinzugef#gte Satz zu den ,Bildungswelten‘ liefert eine zus%tzliche Kategorisierung und Abstrahierung dessen, was in den Gedichten selbst nur andeutungsweise und implizit gezeigt wird. Der Gedanke der Bildungswelten leistet die Einbettung in eine kollektive Psyche, in die Welt des ,Gebildeten‘. Zugleich deutet er den Rahmen eines gemeinsamen nationalen Kulturerbes an, ohne dass dieser zwingend national gesehen werden muss, da die ,Bildung‘ konsequent auf den einzelnen zur#ckbezogen wird – als aktives, dynamisches Erbe, das den einzelnen formt. Die Vorrede beschreibt einen semi-arch%ologischen Zugang nach dem Prinzip eines Tiergartens oder einer botanischen Sammlung, in denen lebende Spezies einer ansonsten selten gewordenen Pflanzen- oder Tierart pr%sentiert werden: Das meiste der Bildungswelten ist bereits ausgestorben, aber etwas davon lebt noch in einigen wenigen fort. Damit umgibt die Vorrede die folgenden Gedichte mit der Aura eines zugleich melancholischen und elit%ren Sp%tzeitbewusstseins.

2.3 Das Mittelalter als Seelenwelt: Das Buch der Sagen

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2.3 Das Mittelalter als Seelenwelt: Das Buch der Sagen 2.3.1 Zwischen Verschmelzung und Variation. Die immanente Poetik der Sagen An den Anfang seines Gedichtzyklus Sagen hat George ein Gedicht gestellt, das nicht nur die Rituale des Rittertums aufscheinen l%sst, sondern auch die Poetik des Zyklus. „Wir halten es f#r einen vorteil daß wir nicht mit lehrs%tzen beginnen sondern mit werken die unser wollen behellen und an denen man sp%ter die regeln ableite“, hieß es 1892 in den Bl#ttern f"r die Kunst. 55 Diesen Merkspruch beherzigend, soll im Folgenden die Poetologie des Zyklus Sagen aus diesem heraus und genauer zun%chst anhand des programmatischen Eingangsgedichts exemplarisch herausgearbeitet werden. Das Gedicht tr%gt den Titel Sporenwache und zeigt einen jungen Mann, der zum Ritter geschlagen werden soll. Mit dem Rittertum ber#hrt George einen Bereich mittelalterlicher Kultur, der in sp%teren Jahrhunderten zum Sinnbild der Epoche geworden ist (,Ritterzeit‘).56 Das Gedicht n%hert sich dieser Zeit aus einer ganz verinnerlichten Perspektive: Welche Gedanken gehen einem jungen Mann durch den Kopf, w%hrend er sich bei einer Nachtwache in einer Kapelle auf den bevorstehenden Ritterschlag vorbereitet? Sporenwache erçffnet einen intimen, fast voyeuristischen Blick in die Gedankenwelt eines solchen Aspiranten: SPORENWACHE Die lichte zucken auf in der kapelle. Der edelknecht hat drinnen einsam wacht Nach dem gesetze vor altares schwelle ›Ich werde bei des nahen morgens helle Empfangen von der feierlichen pracht Durch einen schlag zur ritterschar erkoren · Nachdem der kindheit sang und sehnen schwieg Dem strengen dienste widmen wehr und sporen Und streiter geben in dem guten krieg.

55 Bl#tter f"r die Kunst I/1 (1892), S. 1. 56 Das Rittertum gehçrt zum Set typischer ,Mittelalter-Tropen‘, deren imaginative Funktion M. J. Toswell pr%gnant beschrieben hat: „The tropes of medievalism […] offer ways in which someone engaged in recreating the Middle Ages can do so with a kind of useful shorthand“ (Toswell: The Tropes of Medievalism. S. 69 f.).

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Ich muss mich w#rdig r#sten zu der wahl · Zur weihe meines unbefleckten schwertes Vor meines gottes zelt und diesem Mal · Dem zeugnis echten heldenhaften wertes:‹ Da lag der ahn in grauen stein gehauen · Um ihn der schlanken wçlbung blumenzier · Die starren finger faltend im vertrauen · Auf seiner brust gebreitet ein panier · Den blick verdunkelt von des helmes klappen – Ein cherub h%lt mit hocherhobner schwinge Zu h%upten ihm den schild mit seinem wappen · In glattem felde die geflammte klinge. * Der j#ngling bittet br#nstig Den da oben Und bricht gelernten spruches enge schranken Die h%nde fromm vors angesicht geschoben · Da wurde unvermerkt in die gedanken Ihm eine irdische gestalt verwoben: ›Sie stand im garten bei den rosmarinen Sie war viel mehr ein kind als eine maid · In ihrem haare goldne flocken schienen Sie trug ein langes sternbesticktes kleid‹ Ein schauer kommt ihn an · er will erschrocken Dem bild das ihm versuchung d#nkt entweichen · Er gr%bt die h%nde in die vollen locken Und macht das starke bçsemferne zeichen · In seine wange schiesst es rot und warm · Die kerzen treffen ihn mit graden blitzen · Da sieht er auf der Jungfrau schoosse sitzen Den Welt-erlçser offen seinen arm. ›Ich werde diener sein in deinem heere Es sei kein andres streben in mir wach · Mein leben folge fortab deiner lehre · Vergieb wenn ich zum lezten male schwach‹ Aus des altares weissgedeckter truhe Flog ein schwarm von engelskçpfen aus · Es floss bei ferner orgel heilgem braus Des Tapfren einfalt und des Toten ruhe Zu weiter klarheit durch das ganze haus. (SW III, 43 – 44)

Sporenwache fokussiert auf einen besonderen, biographisch bedeutsamen Augenblick im Leben eines jungen Mannes: einen transitorischen Moment

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der Entscheidung und Initiation.57 Ein Edelknecht h%lt die rituelle Nachtwache vor der Zeremonie des Ritterschlags, bei dem ihm unter anderem die Sporen verliehen werden sollen. Der bevorstehende )bergang in eine neue Lebensphase, der durch die Metapher der „schwelle“ verbildlicht wird, ist f#r den Edelknecht mit einem inneren Konflikt verbunden. In der Forschung wurde der Konflikt unterschiedlich konkretisiert: Widerstreit zwischen minne und Þre,58 zwischen Erotik und asketischer Ethik59 oder zwischen Individuum und Gesellschaft.60 Die biographische Deutung dieses Konflikts ist dabei am weitesten verbreitet: Das in Sporenwache formulierte Ethos des Liebesverzichts zugunsten des Dienstes an einer hçheren Aufgabe entspreche genau Georges eigenem Ethos – hinter der „Maske“ des Edelknechts verberge sich also eigentlich George selbst.61 So suggerierte es auch ein Gem%lde Karl Bauers mit dem Titel Der Dichter als Ritter (1903), das die Szenerie aus Sporenwache intermedial umsetzte und dem Ritter die Physiognomie Georges verlieh.62 Auf solche identifikatorischen Lesarten legten es George und sein Kreis an. Dennoch bildet die biografische Folie nur eine von mehreren Bedeutungsdimensionen des Eingangsgedichts Sporenwache und des gesamten Zyklus Sagen ab. Sporenwache verhandelt weit mehr als persçnliche Befindlichkeiten, n%mlich das Verh%ltnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft beziehungsweise das Verh%ltnis von Tradition und Erneuerung. Im Folgenden sollen am Beispiel von Sporenwache verschiedene Aspekte 57 Diese Konzentration auf einen bedeutsamen Augenblick ist durchaus genretypisch, siehe Hinck: Geschichte im Gedicht. S. 12 f. 58 Arbogast: Nachwort. S. 21. 59 Pirro, Maurizio: Die B"cher der Hirten- und Preisgedichte der Sagen und S#nge und der H#ngenden G#rten (SW III). In: Stefan George und sein Kreis. Bd. 1. S. 133. 60 Petersdorff, Dirk von: Fliehkr#fte der Moderne. Zur Ich-Konstitution in der Lyrik des fr#hen 20. Jahrhunderts. T#bingen: Niemeyer 2005. S. 83. 61 Vgl. etwa Simons: Die zyklische Kunst. S. 368; Arbogast: Stefan Georges „Buch der H#ngenden G#rten“, hier S. 498; Oelmann: Das Mittelalter in der Dichtung Georges. S. 141. 62 Achim Aurnhammer und Ann-Christin Bolay deuten das Gem%lde im Sinne einer imitatio heroica als Angleichung an den Heiligen Georg und intermediale Transposition von Sporenwache. Sie verweisen darauf, dass George selbst eine Weile ein St.-Georgs-Siegel bei sich trug, und zeigen am Beispiel der Einbandillustrationen zu Will Vespers Jugendbuch Die Nibelungen-Sage von 1925, wie George selbst wiederum zum Vorbild f#r die Heldenfigur Siegfried werden konnte, indem der Illustrator Helmut Skrabina Siegfried die Z#ge Stefan Georges verlieh (Aurnhammer, Achim u. Ann-Christin Bolay: Stefan George in Heldenportr#ts. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 59 (2015). S. 240 – 267, insbes. S. 247 – 254).

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von Georges Medi%valismus herausgearbeitet werden: Sprache, Form, Raumzeitlichkeit, Sinnbildlichkeit, Intertextualit%t und Selbstreflexion. Dabei wird insbesondere die in Sporenwache geleistete Reflexion #ber Traditionsaneignung im Vordergrund stehen, das heißt die impliziten poetologischen und geschichtsreflexiven Bedeutungsdimensionen des Gedichts. 2.3.1.1 Sprachliche Spuren ins Mittelalter Die erste Spur ins Mittelalter ist eine sprachliche: Gleich in den ersten drei Zeilen springen dem Leser Fachbegriffe aus der Ritterkultur ins Auge: ,Sporenwache‘ und ,edelknecht‘. George benutzt hier zwei bedeutungsschwere Substantive, die eine vage Vorstellung von Mittelalterlichkeit evozieren. Schon auf der sprachlichen Ebene zeigen sich die zwei Seiten des Medi%valismus, Rezeption und Imagination: Mit dem Titelwort referiert George auf eine historisch verb#rgte Tradition innerhalb der mittelalterlichen Kultur, die sogenannte Waffenwache in der Nacht vor dem Ritterschlag, w%hlt aber einen eigenen Neologismus Sporenwache. Auch das hat sozusagen einen Sitz im Leben, denn (goldene) Sporen waren ein Abzeichen des Rittertums, das den jungen Knappen im Rahmen der Zeremonie des Ritterschlags verliehen wurde. Zugleich sind Sporen mit dem Zuf#gen von Schmerzen assoziiert, so dass dem Gedicht von vornherein ein Aspekt des Leidens oder der )berwindung eingeschrieben ist. Der Ausdruck ,edelknecht‘ schließlich ist die wçrtliche neuhochdeutsche )bersetzung der mittelhochdeutschen Bezeichnung edeler kneht, womit ein junger Adliger gemeint war, der noch nicht zum Ritter geschlagen wurde. Die Verwendung dieser Fachbegriffe ist aufschlussreich in dreierlei Hinsicht: Erstens in Bezug auf Georges Wissensstand, zweitens in Bezug auf die erzielten Texteffekte und drittens in Bezug auf Georges Poetik #berhaupt. Erstens verraten die Fachbegriffe, dass George #ber gewisse Kenntnisse der mittelalterlichen Kultur verf#gte. Georges nachgelassene B#cher, Brosch#ren und Zeitschriftenartikel best%tigen diesen Befund.63 Relevante Anmerkungen und Unterstreichungen finden sich in den meisten dieser Dokumente nicht – jedoch hat George ausgerechnet die Worterkl%rung „kneht“ in seiner Ausgabe des Nibelungenlieds unterstrichen: „kneht, 63 Eine Aufstellung mçglicher Quellen bietet Ute Oelmann (Oelmann: Das Mittelalter in der Dichtung Georges, insbes. S. 134 – 138); eine erg%nzte Liste habe ich vorgelegt in: Schloon: Mittelalter-Rezeption, hier S. 673 f.

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Knappe, der noch nicht zum Ritter geschlagene adeliche junge Mann“.64 George wusste also ganz genau, wovon er schrieb. H. S. Schultz geht zudem davon aus, dass George L-on Gautiers historische Abhandlung La Chevalerie (1884) kannte und die dortige Schilderung einer Nachtwache als Vorlage f#r Sporenwache verwendet hat.65 Zweitens erzeugt George mit diesen Begriffen einen unmittelbaren Effekt von Fremdheit und Alterit%t. Abgesehen von diesen zentralen Substantiven, denen noch „panier“ hinzugef#gt werden kann, verwendet George in Sporenwache Archaismen nur sehr sparsam. Er betreibt keine sprachliche Medi%valisierung, wie sie bei anderen Dichtern des 19. Jahrhunderts, etwa bei Wilhelm Wackenroder oder Richard Wagner, und bei Georges Zeitgenossem Rudolf Borchardt durchaus #blich war. George bedient sich Archaismen haupts%chlich zum Zwecke der Sprachbereicherung und nicht der lexikalischen Nachahmung einer historischen Sprachstufe.66 Auch sprachlich r#ckt das Mittelalter also in das „reich des persçnlichen und heutigen“. Die Nennung einiger weniger Fachbegriffe gen#gt, um eine latent mittelalterliche Atmosph%re heraufzubeschwçren. Drittens verweist der Gebrauch dieser Fachbegriffe auf etwas Grunds%tzlicheres, das f#r Georges moderne Poetik typisch ist: das Vertrauen auf die Evokationskraft und Suggestivwirkung des einzelnen Wortes. Im R#ckgriff auf romantische Dichtungskonzeption wird im Symbolismus das einzelne Wort wieder zum „Zauberwort“.67 St-phane Mallarm-, zu dessen 64 Das Nibelungenlied. Hrsg. von Karl Bartsch. Leipzig: Reclam [o. J.]. S. 8, Anmerkung zu Strophe 32,1. Befindlich im Stefan-George-Archiv Stuttgart. 65 Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 33. Gautier beschreibt ausf#hrlich die Zeremonie der Waffenwache („veill-e des armes“) und des Ritterschlags. Georges motivverwandtes Gedicht Nachtwachen I, dem er in der franzçsischen Fassung den Titel D’une veill+e gab, gehçrt in den Entstehungszusammenhang der Sagen und S#nge, wurde jedoch erst in Das Jahr der Seele verçffentlicht (SW IV, 63). 66 Vgl. Durzak, Manfred: Der junge Stefan George. Kunsttheorie und Dichtung. M#nchen: Wilhelm Fink 1968. S. 133 f. Dieter Mettler hebt zu Recht hervor, dass George Archaismen wie „Kunstwçrter“ nutze (Mettler, Dieter: Stefan Georges Publikationspolitik. Buchkonzeption und verlegerisches Engagement. M#nchen: K. G. Saur 1979. S. 62). Einen solchen Umgang mit Archaismen und seltenen Worten konnte George in der Lyrik der franzçsischen Parnassiens beobachtet haben; zur ,Rarefizierung‘ als Verfahren der parnassischen Lyrik vgl. Hempfer, Klaus W.: Konstituenten Parnassischer Lyrik. In: Romanische Lyrik. Dichtung und Poetik. Walter Pabst zu Ehren. Hrsg. von Titus Heydenreich. T#bingen 1993. S. 69 – 90. 67 Vgl. Joseph von Eichendorffs W"nschelrute: „Schl%ft ein Lied in allen Dingen, / Die da tr%umen fort und fort, / Und die Welt hebt an zu singen, / Triffst du nur das Zauberwort“ (Joseph von Eichendorff: S#mtliche Gedichte. Versepen. Hrsg. von

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Pariser Dichterkreis Stefan George Ende der 1880er Jahre Zugang fand, formulierte dies folgendermaßen: „Nommer un objet, c’est supprimer les trois-quarts de la jouissance du po/me qui est faite de deviner peu ' peu: le sugg+rer, voil' le rÞve.“68 Die Dinge sollten nicht benannt, sondern angedeutet werden: Der Genuss eines Gedichts besteht darin, es langsam zu entr%tseln. !hnlich schrieb Paul G-rardy 1894 in den Bl#ttern f"r die Kunst: „fern liegt es ihnen dinge und ereignisse zu beschreiben – ihnen heisst es nur: hervorrufen und einfl#stern mit h#lfe wesentlicher worte.“69 Dieser – symbolistischen – Poetik hatte sich auch Stefan George seit Ende der 1880er Jahre verschrieben. ,Sporenwache‘ und ,edelknecht‘ sind nur zwei von vielen Beispielen f#r auratische Begriffe von hoher Suggestivkraft. 2.3.1.2 (K)eine historische Ballade George verwendet in Sporenwache also eine verhalten archaisierende Lexik, die gerade durch ihren sparsamen Einsatz umso grçßeren Evokationsspielraum l%sst. Zitiert George in Sporenwache neben den Fachbegriffen auch mittelalterliche Vers- und Strophenformen an? Diese Frage l%sst sich eindeutig verneinen. Vielmehr %hnelt Sporenwache der im 19. Jahrhundert so beliebten Gattung der historischen Ballade:70 ein geschichtliches Sujet, ganze elf Strophen Umfang (f#r Georges Verh%ltnisse relativ lang), Wechsel aus Erz%hlerrede und Gedankenrede der Figur und vor allem ein dramatischer Aufbau. Ein Asterisk teilt das Gedicht zwar typographisch in zwei Abschnitte, aber gedanklich ist Sporenwache dreiteilig aufgebaut: Nach der Exposition der Ausgangssituation (V. 1 – 24) kommt es zur Krise (V. 25 – 36) und schließlich zu deren )berwindung (V. 37 – 47). Anfang, Mitte und Schluss sind durch jeweils f#nfversige Strophen markiert (Str. 1, 6 und 11), und jeder neue gedankliche Abschnitt setzt mit dem deiktischen Temporaladverbium „da“ ein (V. 25, 37).71 Der durchweg religiçs konnotierte Wandlungsvorgang wird durch Lichtmetaphorik reflektiert: Das Halb-

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Hartwig Schultz. 1. Aufl. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 2006. S. 328). St-phane Mallarm-: Œuvres compl(tes. "dition pr-sent-e, -tablie et annot-e par Bertrand Marchal. Paris 1998 – 2003. Vol. 2, S. 700. G-rardy, Paul: Geistige Kunst. In: Bl#tter f"r die Kunst II/4 (Oktober 1894). S. 110 – 113, hier S. 113. Zur Popularit%t des Genres im 19. Jahrhundert vgl. Ahrend: Die historische Ballade, insbes. S. 241 u. 246 f. Dies ist ein von George sehr h%ufig genutztes Verfahren, vgl. etwa Ich wandelte auf çden d"stren bahnen (SW I, 13) oder Ich forschte bleichen eifers nach dem horte (SW V, 10).

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dunkel von flackernden Kerzen (V. 1) wandelt sich zu Lichtblitzen (V. 36) und wird am Ende von strahlender Helligkeit #berblendet (V. 47). Die Lichtverh%ltnisse entsprechen dabei dem jeweiligen psychischen Zustand des Edelknechts. Gleichzeitig deutet die Lichtmetaphorik auf die Frage von Schein und Authentizit%t hin: Im Mittelpunkt dieses Gedichts stehen Fragen der subjektiven Perspektivierung, Wahrnehmung und !sthetik – wie sieht etwas aus? Wie wird etwas wahrgenommen? Sporenwache bricht die lineare, auf Handlung und %ußere Bewegung ausgerichtete Struktur der typischen Ballade auf, indem hier eine innere, psychische Bewegung im Mittelpunkt steht. In der Betonung des Stillstands, der Innenwelten und der Gleichzeitigkeit liegt das spezifisch moderne Moment von Georges Umdeutung der historischen Ballade. 2.3.1.3 Verr%umlichte Zeit Das Ph%nomen Medi%valismus h%ngt eng mit bestimmten Raum- und Zeit-Verh%ltnissen zusammen. In Sporenwache – wie im gesamten Zyklus Sagen – wird Zeit verr%umlicht. Die Zeit des ,Mittelalters‘ wird durch bestimmte Orte und R%ume evoziert. In diesen R%umen ist gleichsam historische Zeit gespeichert. Symbolische R%ume spielen in Sporenwache eine wichtige Rolle: Die Kapelle als sakraler Raum ist ebenso wie das Rittertum ein ,Mittelalter-Tropus‘ (Toswell) f#r die Zeit des Glaubens und des Christentums. Das Geschehen vollzieht sich in einem Innenraum, der zugleich zu einem Seelenraum wird. Im Kontrast zum geschlossenen Raum der Kapelle, der mit Askese und Verzicht assoziiert ist, erscheint der offene Raum des Gartens mit dem M%dchen, den der Edelknecht in seiner Phantasie imaginiert, mit Sinnlichkeit verbunden zu sein. Charakteristisch f#r Georges Raumgestaltung ist auch, dass die R%ume #ber bestimmte Details wie etwa Altar, Ahnengrab und Orgel evoziert werden, insgesamt aber recht unbestimmt bleiben. Die Erf#llung des ,ganzen Hauses‘ im Schlussvers stellt insofern im Vergleich zu den vorher nur evozierten Details eine Perspektiverweiterung dar. Wie oben angedeutet, ist die Metapher der „schwelle“ (V. 3) von zentraler symbolischer Bedeutung f#r die Situation des Edelknechts. Die Schwelle ist ein symbolisch aufgeladener Ort, der eine Grenze zwischen zwei verschiedenen Werter%umen mit eigenen Sitten und Regeln markiert. In diesem metaphorischen Sinne verwendet auch George das Bild der

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Schwelle mehrfach in seiner Dichtung.72 Die Schwelle ist prim%r ein r%umliches Bild der Grenz#berschreibung, hat jedoch auch eine zeitliche Bedeutung, indem sie ein transgressives Moment markiert. Michail Bachtin spricht von der Schwelle als einem „Chronotopos“, weil er ihr eine spezifische Raumzeitlichkeit zuschreibt: „Die Zeit in diesem Chronotopos ist im Grunde genommen ein Augenblick, dem gleichsam keine Dauer eignet und der aus dem normalen Fluss der biographischen Zeit herausf%llt“.73 Dies trifft auf Sporenwache zu: Tats%chlich befindet sich der Edelknecht hier in einer Zwischen-Zeit und in einem Zwischen-Raum, n%mlich an einem Punkt zwischen Kindheit und Erwachsenenalter, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Diese Grenzposition spiegelt sich gleich in der ersten Gedankenrede des Edelknechts wider: Er wirft einen Blick in die Zukunft („Ich werde bei des nahen morgens helle…“) und in die Vergangenheit („nachdem der kindheit sang und sehnen schwieg“), gleichzeitig hat beides Bedeutung f#r seine unmittelbare Gegenwart, f#r seinen Beschluss: „ich muss mich w#rdig r#sten zu der wahl“.74 Der R#ckblick wird sodann auf einer vertikalen Achse verl%ngert: auf die Erw%hnung der eigenen, persçnlichen Vergangenheit (Kindheit) folgt die fernere, genealogische Vergangenheit (Herkunft/Abstammung), die durch das Ahnengrab repr%sentiert ist. Darauf folgt noch einmal ein Bild aus der Vergangenheit, n%mlich die durch Pr%teritum gekennzeichnete Erinnerung an ein M%dchen. Erst nachdem der Edelknecht sich von diesen Bildern aus der Vergangenheit losgerissen und verabschiedet hat, was durch die Vision des Erlçsers mçglich wurde, richtet sich sein Blick wieder in die Zukunft: „Ich werde diener sein in deinem heere…“. Insgesamt ist die Zeitlichkeit in Sporenwache jedoch inkonsistent; die beschreibenden Passagen sind teilweise im Pr%sens und teilweise im Pr%teritum gehalten, wiederum ein Hinweis auf die Br#chigkeit des Konzepts der historischen Ballade. Die Bilder der Vergangenheit nehmen quantitativ am meisten Raum ein: Das Ahnengrab und das M%dchen im Garten sind auffallend detailliert beschrieben; darin kommt nicht nur eine generelle „Faszination des !sthetischen“75 zum Ausdruck, sondern auch eine an Th-ophile Gautiers 72 Vgl. Bock, Claus Victor: Wort-Konkordanz zur Dichtung Stefan Georges. Amsterdam: Castrum Peregrini 1964. S. 533 f. 73 Bachtin, Michail M.: Chronotopos. Aus dem Russischen von Michael Dewey. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2014. S. 186. 74 Dies erf#llt zugleich die Funktion der Informationsvermittlung an den Leser. 75 Pirro: Die B"cher der Hirten- und Preisgedichte. S. 133.

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Leitidee der transposition d’art orientierte Poetik, die sich f#r die )bersetzung eines Kunstwerks in ein anderes interessiert und deshalb bevorzugt %sthetische oder %sthetisierte Objekte zum Gegegenstand eines Gedicht macht.76 Maurizio Pirro hat zu Recht hervorgehoben, dass „der Kampf zwischen ethisch motivierter Entsagung und sinnlicher Lust als der Kontrast zwischen bildlichen Vorstellungen pr%sentiert wird, die durch fiktionale Sinnstiftung ihre Macht #ber die Fantasie der Hauptfigur aus#ben“.77 Allerdings sieht Pirro den Widerstreit vor allem in den Bildern von Ahnengrab und M%dchen symbolisiert. Dem ist noch eine dritte bildliche Vision hinzuzuf#gen: die Vision der „Jungfrau“ mit dem „Welt-erlçser“ auf dem Schoß. Diese Elemente, so soll im Folgenden argumentiert werden, stehen nicht nur in Kontrast-, sondern auch in !hnlichkeitsbeziehungen zueinander. Dieses Changieren der Bilder wiederum ist eines der hervorstechendsten Merkmale von Georges %sthetischem Medi%valismus. 2.3.1.4 Sinnbildlichkeit und Korrespondenzen Das Ahnengrab ist f#r den Edelknecht ein „mal echten heldenhaften wertes“, in dem er die Insignien des Rittertums plastisch abgebildet sieht: Die gefalteten H%nde signalisieren Gottvertrauen, Helm und Panier zeigen Tapferkeit und Kampfbereitschaft, und das Wappen repr%sentiert die dynastische Tradition. Dieses Sinnbild des Heldentums und des Todes kontrastiert nun mit einem Sinnbild der Liebe und des Lebens, dem Bild des M%dchens. Das Bild des M%dchens wiederum kontrastiert mit dem Bild der Muttergottes mit dem Christuskind, dem Sinnbild der Religion, konnotiert mit Gedanken an himmlische Liebe und Wiederauferstehung. Insofern wird die Problematik von Liebe und Dienst nicht nur als Konflikt zwischen Ahnengrab und M%dchen, sondern auch als innerer Konflikt zwischen dem Frauentyp des irdischen M%dchens und demjenigen der himmlischen Heiligen versinnbildlicht. Bei Ahn und M%dchen wird #ber bestimmte Attribute eine Verbindung zum Edelknecht angedeutet: Das Flammenschwert auf dem Wappen des Ahnengrabes („geflammte klinge“, V. 21) korrespondiert und kontrastiert mit dem noch „unbefleckten schwert“ (V. 11) des Edelknechts. Auch eine Affinit%t zwischen M%dchen und Edelknecht ist in den Text 76 Klaus Hempfer z%hlt die transposition d’art zu den Strategien einer „Rarefizierung des Objekts der Darstellung“ in der parnassischen Lyrik (Hempfer: Konstituenten Parnassischer Lyrik, insbes. S. 83 – 85). 77 Pirro: Die B"cher der Hirten- und Preisgedichte. S. 133.

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eingewoben: Die „flocken“ (V. 29) im M%dchenhaar reimen auf die „locken“ (V. 33) im Jungenhaar, was die ohnehin vorhandene Beziehung zwischen ,Haaren‘ und ,Locken‘ noch verst%rkt und fast schon suggeriert, der Knappe grabe seine H%nde in die ,vollen locken‘ des M%dchens. Der Edelknecht h%ngt also mit beiden Figuren eng zusammen, ist zwischen beiden hin- und hergerissen. Aber auch zwischen dem Bild des M%dchens und der Marien-Vision besteht ein eigent#mliches Verh%ltnis, eine seltsame Inversion. Denn das M%dchen ist als eine ,irdische Maria‘ gestaltet: ›Sie stand im garten bei den rosmarinen Sie war viel mehr ein kind als eine maid · In ihrem haare goldne flocken schienen Sie trug ein langes sternbesticktes kleid‹

Das M%dchen ist Maria ikonographisch angen%hert durch das Motiv des Gartens beziehungsweise des hortus conclusus, durch ihre Unschuld und Jungfr%ulichkeit („viel mehr ein kind als eine maid“) und ihre %sthetisierte Gestalt („In ihrem haare goldne flocken schienen / Sie trug ein langes sternbesticktes kleid“). W%hrend zur Ikonographie der Himmelskçnigin Maria ein blauer Mantel gehçrt, tr%gt das M%dchen eine sommerliche Variante, ein „sternbesticktes kleid“. W%hrend im traditionellen Paradiesgarten Rosen wachsen, steht das M%dchen in der Vision des Edelknechts neben „rosmarinen“. Auch hier besteht eine assoziative Verbindung zwischen Maria und M%dchen: Volksetymologisch wurde „rosmarin“ als Zusatzf#gung von „Rose“ und „Marien“ erkl%rt und also direkt mit Maria in Verbindung gebracht.78 Im Symbol des Rosmarins spiegelt sich die Ambivalenz von Liebe, bevorstehender Trennung und Abschied, die Sporenwache innewohnt. Da Rosmarin sowohl zu Brautkr%nzen geflochten als auch wegen seines intensiven Duftes als Strauß mit in den Sarg gelegt wurde, um den Leichengeruch zu #berdecken, symbolisiert die Pflanze Liebe, Verg%nglichkeit und Tod zugleich. In dieser ambivalenten Symbolik kommt der Rosmarin auch in der Volksliedtradition zum Einsatz. Trotz ihrer mariengleichen Gestalt erscheint dem Edelknecht die Erinnerung an das M%dchen jedoch als Versuchung und Einfl#sterung, die es abzuwehren gilt. Seine Gef#hle erscheinen dem Edelknecht als unlautere, s#ndige Gel#ste. 78 Eintrag „rosmarin“ im Deutschen Wçrterbuch der Br#der Grimm: (http://woerter buchnetz.de/cgi-in/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid= GR07667#XGR07667; letzter Abruf: 24. 7. 2017)

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Die Strophe ist durch Anf#hrungszeichen als Gedankenrede markiert. Allerdings hebt sie sich von den #brigen Gedanken des Edelknechtes stilistisch ab. Das auff%lligste Stilmittel ist die einfache Syntax, die in Kontrast zu sonst komplexeren und vers#bergreifenden syntaktischen Einheiten steht: Vier Haupts%tze bilden jeweils einen Vers. Drei davon beginnen mit Subjekt und Verb (Sie stand – Sie war – Sie trug), damit zugleich eine Anapher bildend und den Fokus auf „sie“, das M%dchen richtend. Nur der dritte Vers beginnt abweichend mit einem pr%positionalen Ausdruck (In ihrem Haar), der durch das Possessivpronomen jedoch den sofortigen Fokus auf das M%dchen mit den anderen drei Versen gemein hat. Die Lexik ist eher einfach und erinnert an Volkslieder, wobei es sich nicht um ein direktes Zitat handelt. Ankl%nge etwa an Dante Gabriel Rossetti79 werden transformiert und im Volksliedton aufgefangen. So erscheint diese Strophe als ,Text im Text‘ beziehungsweise ,Lied im Text‘, als s#ßes Lied der Verlockung und Versuchung.80 George gestaltet diese Strophe aber ungeachtet ihrer syntaktischen und lexikalischen Schlichtheit als Vexierbild, dessen Elemente zwischen den Deutungskontexten ,Norden‘ (deutsches Volkslied, Rosmarin als Totenstrauch) und ,S#den‘ (Rossetti, Rosmarin als mediterrane Pflanze, Sonne im Haar) flimmern.81 Das Sternenkleid erçffnet ebenfalls einen Assoziationsraum zwischen Lied,82 M%rchen83 und historischer Referenz.84 Das 79 Zanucchi: Transfer und Modifikation. S. 177, Fußnote 451. 80 Vgl. Goethes Erlkçnig, mit dessen dritter Strophe sich diejenige Georges den Hinweis auf ein besonderes Kleidungsst#ck im Schlussvers teilt: „Meine Mutter hat manch g#lden Gewand.“ vs. „Sie trug ein langes sternbesticktes kleid.’“, beide im Kontext von Lockbildern (Wiese, Benno von (Hrsg.): Deutsche Gedichte von den Anf#ngen bis zur Gegenwart. D#sseldorf 1963. S. 204). 81 Im Vorgriff auf weitere Gedichte George ist zu fragen, ob mit der Kapelle und dem Garten mit Rosmarin bereits implizit geographische, ideengeschichtliche Verortungen verbunden sind: Die Kapelle als sinnbildlicher Raum des Nordens, der Gotik und der Askese und der Garten mit dem Rosmarin als sinnbildlicher Raum des S#dens: Rosmarin w%chst vor allem in s#dlichen L%ndern, und die Gartenszene ist eindeutig als sommerliche Szene angelegt, denn das M%dchen tr%gt nur ein Kleid und in seinem Haar spiegelt sich die Sonne (,goldene flocken‘). Solche Oppositionen zwischen ,Norden‘ und ,S#den‘ werden um 1900 eine zunehmend wichtige Rolle in Georges Medi%valismus-Konzept spielen. 82 Vgl. Joseph von Eichendorffs Gedicht Waldeinsamkeit: „Die Mutter Gottes wacht, / Mit ihrem Sternen-Kleid / Bedeckt sie Dich sacht / In der Waldeinsamkeit, / Gute Nacht, gute Nacht!“ (Eichendorff: S#mtliche Gedichte. S. 314). 83 Vgl. die ,goldenen Haare‘ der Kçnigstochter im M%rchen Allerleirauh (Kinder- und Hausm#rchen der Br#der Grimm, KHM 65; Frankfurt am Main: Fischer 2008. S. 318 ff.).

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poetologische Potential dieser Strophe liegt in ihrem Text-im-Text-Charakter begr#ndet: Der Edelknecht lehnt mit der ,Einfl#sterung‘ der konventionell-volksliedartigen Strophe auch die schlichte, konventionelle und vorgepr%gte Kunst der Masse ab zugunsten der schwierigeren Alternative – ungeachtet der in der letzten Strophe dem Tapferen zugeschriebenen „einfalt“, die eben nur eine vorgebliche Einfalt ist. Der Verheißung von irdischer Liebe, deren Verg%nglichkeit durch das Rosmarin-Symbol zus%tzlich akzentuiert wird, stellt Sporenwache eine zweite Verheißung entgegen: Diejenige von himmlischer Liebe und ewigem Leben, wie sie in der Vision Marias mit dem Jesuskind versinnbildlicht ist.85 Verglichen mit der M%dchen-Vision bleibt die Gegenvision von Maria mit dem Jesuskind relativ unkonturiert: „Da sieht er auf der Jungfrau schoosse sitzen / Den Welt-erlçser offen seinen arm.“ (V. 37 – 38). Der umarmende Reim dieser Strophe imitiert die einladende Geste Christi („den Welt-erlçser offen seinen arm“, V. 38). Diese Vision stellt den Wendepunkt dar und wird sozusagen als Rettung und conversio inszeniert: Der Edelknecht entsagt der irdischen Liebe, gelobt, „zum lezten male schwach“ gewesen zu sein und bekennt sich zu seinem Dienst als christlicher Ritter. 2.3.1.5 Projektionsraum Mittelalter Noch eine weitere Dimension von Sporenwache mçchte ich hervorheben, die bisher in der Forschung nicht thematisiert wurde: Sporenwache ist eine typische Adoleszenzerz%hlung. Wie oben erw%hnt, steht der Edelknecht zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Wir haben es hier mit einem jugendlichen Helden in einem )bergangsalter zu tun, in der Phase der Pubert%t beziehungsweise der Adoleszenz. Auch das M%dchen wird als kindlich-jugendlich dargestellt, vermutlich im selben Alter wie der Edelknecht selbst. Sporenwache l%sst sich 84 Vgl. Franz Winterhalters bekanntes Gem%lde von Kaiserin Elisabeth von .sterreich im Sternenkleid und mit sternfçrmigen Schmuckst#cken im Haar (aus dem Jahre 1865). 85 Hans-Josef Kuschel konkretisiert diese Vision Marias als Bild oder Kunstwerk und weist auf den f#r Georges Poetik zentralen Umstand hin, dass das Gedicht „nicht mehr direkt von Maria, sondern mehr indirekt von den Wirkungen der in einem Kunstobjekt vergegenst#ndlichten Gegenwart Mariens und dem dadurch ausgelçsten Prozess menschlicher Selbsterfahrung“ spreche (Kuschel, Karl-Josef: Maria in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. In: Handbuch der Marienkunde. Hrsg. von Wolfgang Beinert u. Heinrich Petri. Bd. 2. Regensburg: Pustet 1996. S. 215 – 269, S. 225).

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insofern ganz konkret auch als Schilderung vom Einbruch des Sinnlichen, der Erotik, der erwachenden Sexualit%t in der Pubert%t und den damit verbundenen widerstreitenden Gef#hlen lesen. Der Gedanke an Erotik beziehungsweise Sexualit%t ist in Sporenwache andeutungsweise als s#ndiger Gedanke gekennzeichnet.86 Aus Georges Umgang mit dieser Thematik l%sst sich ein weiteres Charakteristikum seines Medi%valismus ableiten: das Verh%ltnis von mittelalterlicher Kontrastfolie und ihrer spezifisch modernen oder persçnlichen Umdeutung. Im ,mittelalterlichen‘ Setting werden in Wirklichkeit zeitgençssische Problemlagen verhandelt. Das Mittelalter wird somit zum Projektionsraum f#r die Gegenwart. Welche Rolle spielt folglich die mittelalterliche Kontrastfolie? Wie oben skizziert, beschreibt Hubert Arbogast den Konflikt des Edelknechts als einen Konflikt zwischen minne und Þre. 87 Dadurch bringt er Georges Gedicht mit einem Topos der mittelalterlichen Heldenepik in Verbindung: Der Konflikt zwischen minne und Þre wird in mehreren mittelalterlichen Erz%hlungen thematisiert, besonders prominent in den arthurischen Romanen Erec und Iwein Hartmanns von Aue. Dort steht der Widerstreit zwischen minne und Þre im Zentrum der Handlung, wobei als Konklusion nahegelegt wird, dass beides in einem harmonischen Verh%ltnis stehen sollte: Weder ein )bermaß an minne (Erec) noch ein )bermaß an Þre (Iwein) sind angemessen, sondern nur das richtige Maß zwischen beiden. George kannte Chr-tiens de Troyes Yvain und offensichtlich auch die Formel des ,sich verligen‘ aus dem Erec-Roman.88 Aber die durchaus positive Bewertung der minne in den mittelalterlichen Romanen ist bei George nicht wiederzufinden.89 F#r das Verst%ndnis der Pubert%tsthematik in Sporenwache ist deshalb die mittelalterliche Problemlage weniger wichtig als der zeitgençssische 86 Mit der Erscheinung des Engels im Vorspiel zum Teppich des Lebens (1900) werden solche Vorstellungen als #berwunden inszeniert: „Du sprichst mir nie von s#nde oder sitte.“ (SW IV, 17). Vgl. dazu Braungart u. a.: Platonisierende Eroskonzeption. S. 236. 87 Arbogast: Nachwort. S. 21. Arbogast w%hlte in seiner Beschreibung also diejenigen mittelhochdeutschen Fachbegriffe, die George selbst aus dem Spiel gelassen hatte. Daraus wird deutlich, wie die Offenheit von Georges Texten an das Imaginationspotential der Rezipienten appelliert und wie stark die Deutung vom jeweiligen Bildungshintergrund desselben abh%ngt. 88 Siehe Kapitel 2.3.4 dieser Arbeit. 89 Ernst Osterkamp spricht von einer „Strategie der Entsexualisierung“ in den B"chern; zur Differenzierung dieser These siehe Kapitel 2.3.2 dieser Arbeit (Osterkamp, Ernst: Frauen im Werk Stefan Georges. In: Frauen um Stefan George. Hrsg. von Ute Oelmann u. Ulrich Raulff. Gçttingen: Wallstein 2010. S. 13 – 35, S. 28).

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Kontext des Gedichts selbst, das heißt die Diskurse um Sexualit%t und Jugend im ausgehenden 19. Jahrhundert. Im Einklang mit der herrschenden zeitgençssischen Moral kennzeichnet Sporenwache Sinnlichkeit als S#nde und propagiert stattdessen Askese – dies entspricht den vor allem im b#rgerlichen Milieu #blichen Sublimierungsstrategien.90 Indem Georges Gedicht diese zeitgençssische Problemlage widerspiegelt, r#ckt die ferne Zeit des Mittelalters auch inhaltlich ins „reich des persçnlichen und heutigen“ (Vorrede, SW III, 7). In Sporenwache wird jedoch auch deutlich, mit welch erheblichen Schmerzen die Sublimierung f#r das Individuum verbunden ist; darauf deutet nicht zuletzt die Waffenmetaphorik der ,Sporen‘, des Schießens und des Treffens hin („in seine wange schiesst es“; „die kerzen treffen ihn mit blitzen“). Die Gef#hle von Einsamkeit, Trauer und Verzicht werden als notwendiges Opfer gedeutet, ihnen wird dadurch Sinn verliehen, dass sie einem hçheren Zwecke dienen.91 Der Edelknecht erh%lt dadurch m%rtyrerhafte Z#ge. 2.3.1.6 Poetologie der Verschmelzung: Rezeption und Imagination Wie gezeigt, ist der Mittelteil des Gedichts durch komplexe Kontrast- und Analogieverh%ltnisse der einzelnen Bilder gepr%gt. In der letzten Strophe des Gedichts lçsen sich alle zuvor etablierten Gegens%tze auf, der Raum wird nun syn%sthetisch von fliegenden Engelskçpfen, Musik und Licht durchstrçmt: Aus des altares weissgedeckter truhe Flog ein schwarm von engelskçpfen aus · Es floss bei ferner orgel heilgem braus Des Tapfren einfalt und des Toten ruhe Zu weiter klarheit durch das ganze haus.

Der Einbruch des Wunderbaren symbolisiert die magische Wandlung. Das Wunder vollzieht sich in actu, im )berschreiten der Schwelle: Der Edelknecht ist in eine Geistesgemeinschaft mit dem Ahnen #bergetreten. Die organische Metapher des Fließens, in der das Motiv des Lebensflusses anklingt, zeigt das Ungreifbare, das Ununterscheidbare dieser Synthese an. 90 Zur Tabuisierung der Sexualit%t und den damit verbundenen Problemen von Jugendlichen im sp%ten 19. Jahrhundert siehe Nipperdey, Thomas: Arbeitswelt und B"rgergeist. M#nchen: C.H.Beck 1994 (=Deutsche Geschichte 1866 – 1918 1). S. 95 – 124. 91 Vgl. das %hnliche Motiv in Georges Gedicht Im Park: „Der dichter auch der tçne lockung lauscht. / Doch heut darf ihre weise nicht ihn r#hren / weil er mit seinen geistern rede tauscht: / Er hat den griffel der sich str%ubt zu f#hren.“ (SW II, 15).

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Diese letzte Strophe ist f#r die Deutung des Gedichts insofern besonders bedeutsam, als sie eine Poetik der Verschmelzung von Altem und Neuem exemplifiziert.92 Im Folgenden sollen daher die poetologischen und geschichtsreflexiven Implikationen von Sporenwache herausgerarbeitet werden. Die poetologische Ebene zeigt sich zun%chst im semantischen Feld („sang und sehnen“ / „gelernten spruches“). Die Vision vom M%dchen wird mit einer textilen Metapher eingeleitet: „Da wurde unvermerkt in die gedanken / Ihm eine irdische gestalt verwoben“. Damit stellt das Gedicht seine eigene k#nstlerische Machart aus, denn es ist nat#rlich der Dichter selbst, der in die Textur des Textes dem Edelknecht diesen Gedanken ,einflicht‘. Poetologisch gelesen spiegelt sich in dem Verh%ltnis des Edelknechts zum Ahnen, vor dessen prachtvoll gestaltetem Sarkophag er betet, das Verh%ltnis des j#ngeren Dichters zur literarischen Tradition des Mittelalters wider. Der „ahn“ ist tot und liegt „in grauen stein gehauen“. Der Ahnensarkophag wird zum Sinnbild der Memoria, zum Denkmal einer vergangenen Tradition.93 Die Tradition muss durch den Ahnendienst des J#ngeren aktualisiert werden. Der Geist des toten Helden geht in der Schlussstrophe auf den jungen Edelknecht selbst #ber und lebt durch ihn weiter: „Des Tapfren einfalt und des Toten ruhe“.94 Die Initiation des Edelknechts symbolisiert zugleich die Initiation des Dichters, der von „der kindheit sang und sehnen“ Abschied nimmt und sich in der Tradition seiner Vorfahren in den Dienst begibt.95 Insofern stellt Sporenwache auch eine medi%valisierende Variation des Motivs der Dichterweihe und der Dichterwerdung dar.

92 Dieser Verschmelzungsgedanke %ußert sich in der Stilfigur der Syn%sthesie, hier in Form von Musik, Licht und Visuellem. Die Poetik der Verschmelzung hat George auch in seinen programmatischen S%tzen 'ber Dichtung beschrieben: „Das wesen der dichtung wie des traumes: dass Ich und Du · Hier und Dort · Einst und Jezt nebeneinander bestehen und eins und dasselbe werden.“ (SW XVII, 69). 93 Das Verh%ltnis zwischen Toten und Lebenden bzw. zwischen Leben und Tod spielt auch in den Gedichten Frauenlob und Der Waffengef#hrte eine zentrale Rolle; vgl. weiter unten in diesem Kapitel sowie Kapitel 2.3.3. 94 Vgl. Schultz, Hans Stefan: 'berlieferung und Urspr"nglichkeit in Stefan Georges Buch der Sagen und S#nge. In: Castrum peregrini (1966) LXXI. S. 28 – 39, S. 29. 95 Dies erçffnet freilich biographische Lesarten, denn mit der Verçffentlichung von Hymnen Pilgerfahren Algabal hatte George sein fr#hes Werk im engeren Sinne abgeschlossen und befand sich in einer Phase der k#nstlerischen Neuorientierung.

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2.3.1.7 Intertextualit%t Das Ph%nomen Medi%valismus hat neben der imaginativen auch eine rezeptive Dimension. Wenn sich George mit Sporenwache in bestimmte literarische Traditionen einschreibt – wie der Edelknecht sich die Tradition seiner Vorfahren einverleibt –, manifestiert sich dies dann auch in Form von Intertextualit%t? Wie komplex die Frage nach Pr%texten oder Vorlagen ist, zeigt die Situation bei Sporenwache. George hat nicht streng wie ein Philologe operiert, sondern mit der poetischen Lizenz zu Phantasie und k#nstlerischer Freiheit. Mittelalterliche Quellen spielen f#r Sporenwache kaum eine Rolle – hingegen schreibt sich Sporenwache in eine Reihe motiv%hnlicher Gedichte aus dem 19. Jahrhundert ein. Es sollen deshalb einige bisher unbekannte Bez#ge aufgezeigt werden, die neue Deutungsmçglichkeiten f#r Sporenwache erçffnen. Zun%chst ist hier an das oben behandelte Rosmarin-Motiv zu denken: Von dort aus f#hren Motivstr%nge zu den beiden Volksliedern Ich hab die Nacht getr#umet (oder: Der schwere Traum) und Rosmarien (aus: Des Knaben Wunderhorn) – beide im 19. Jahrhundert auch durch Vertonungen bekannt.96 Ein weiterer Strang weist in die Richtung der franzçsischen Dichtung. Die Beschreibung der Grabornamentik in Sporenwache %hnelt fast bis in motivische Einzelheiten einer Beschreibung von Rittergr%bern in Th-ophile Gautiers Gedicht Portail: […] Les chevaliers couch-s de leur long, les mains jointes, Le regard sur la vo(te et les deux pieds en pointes; […] Vous avez pr*s de vous, pour compagnon fid*le, Un ange qui vous fait un rideau de son aile, […] L’arabesque fantasque, apr*s les colonettes, Enlace ses rameaux et suspend ses clochettes Comme apr*s l’espalier fait une vigne en fleur. […]97 96 Die Gedichttexte sind im Anhang dieser Arbeit abgedruckt (siehe 6.1). Das Volkslied Der schwere Traum ist in Carl Gudes Auswahl deutscher Dichtungen abgedruckt, die George aus Schulzeiten besaß (Gude, Carl (Hrsg.): Auswahl deutscher Dichtungen aus dem Mittelalter. nach den besten )bers. und Bearb. zsgest. f#r Schulen von C. Gude. 2., verb. und verm. Aufl. Leipzig: Brandstetter 1879.). „Rosmarien“ in: Achim von Arnim und Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Band 1, Stuttgart u. a. 1979, S. 243 – 244. 97 Th-ophile Gautier: Premi(res Po+sies. 1830 – 1845. Paris: Charpentier 1873. S. 124.

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Portail ist das Eingangsgedicht von Gautiers Gedichtband Com+die de la Mort von 1838. Wie Hans Stefan Schultz f#r Ein Angelico zeigen konnte, kannte George Texte von Th-ophile Gautier und benutzte sie auch teilweise als Vorlage.98 Eine Beziehung zwischen Portail und Sporenwache wurde bisher in der Forschung jedoch nicht hergestellt, obgleich in beiden Gedichten eine %hnliche Situation vorliegt: die Position jeweils als Eingangsgedicht eines Zyklus, eine verbl#ffend %hnliche Beschreibung der Details (schlafende Ritterfiguren; ein Engel, der einen Vorhang h%lt; Arabesken aus Stein) und nicht zuletzt eine poetologische Dimension der Rittergr%ber. Bei Gautier werden die Rittergr%ber zu Wohnst%tten der Verse des lyrischen Ich, bei George ist das Rittergrab die Wohnst%tte des alten Heldengeistes, der am Ende auf den jungen Ritter #bergeht. Aber die wohl frappanteste intertextuelle Kontrastfolie stammt von Heinrich Heine. Louis Dumur, ein fr#her franzçsischer Rezensent der Sagen und S#nge, f#hlte sich von Georges Gedicht Ein edelkind sah vom balkon aus den S#ngen eines fahrenden Spielmanns an Heinrich Heine erinnert: „On dirait du Heine.“99 Wie George spielte auch Heine mit der Ambivalenz zwischen Bildern der Geliebten und denen Marias. Georges Sporenwache l%sst sich als intertextuelle Replik auf Heines Gedicht Die Weihe lesen. Beide Gedichte schildern eine %hnliche Situation, vollziehen eine Verwandlungsbewegung – nur verl%uft die Bewegung in Die Weihe und Sporenwache genau entgegengesetzt. Heine zeigt ebenfalls einen jungen Mann in einer Kapelle: Einsam in der Waldkapelle, Vor dem Bild der Himmelsjungfrau, Lag ein frommer, bleicher Knabe Demutsvoll dahingesunken.

Der Knabe betet zur Madonna, bittet sie um ein „Huldeszeichen“. Daraufhin verwandelt sich die Madonna plçtzlich in eine „liebliche Maid“ und reicht dem Knaben eine ihrer Locken. Das Gedicht schließt mit der ironisch-provokanten Frage: 98 Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 29. 99 Mercure de France, 8. Bd., Nr. 42, Juni 1893, S. 188. Abgedruckt in: Fechner, JçrgUlrich (Hrsg.): „L’$pre gloire du silence“. Europ%ische Dokumente zur Rezeption der Fr#hwerke Stefan Georges und der „Bl%tter f#r die Kunst“ 1890 – 1898. Heidelberg: Winter 1998. S. 77. Zu Heines eigenen medi%valisierenden Gedichten, insbesondere seiner Rezeption franzçsischer Troubadourdichtung siehe H%fner, Ralph: Zivilisation und Reminiszenz. Heinrich Heine und die Dichtung der Troubadours. In: Das Mittelalter des Historismus. Hrsg. von Mathias Herweg u. Stefan Keppler-Tasaki. S. 153 – 174.

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Sprich nun, wer bezeugt die Weihe? […] Knabe hat es wohl verstanden, Was mit Sehnsuchtsglut ihn ziehet Fort und fort nach jenen Landen, Wo die Myrte ewig bl#het.

George besaß eine Gesamtausgabe von Heines Werken,100 und um 1900 stellte er zusammen mit Karl Wolfskehl eine Auswahl aus Heines Gedichten f#r die Anthologie Deutsche Dichtung zusammen.101 Georges verg%nglichkeitsbezogene „rosmarinen“ in Sporenwache korrespondieren mit Heines ,ewig bl#hender Myrte‘. Auch die Myrte ist ein Brautsymbol, eine immergr#ne Pflanze, die im Mittelmeergebiet heimisch ist; der Liebesgçttin Aphrodite zugeordnet, ein Symbol der #ber den Tod hinaus andauernden Liebe – im Gegensatz zum ambivalenten Symbol des Rosmarins, dem st%rker die Verg%nglichkeit eingeschrieben ist. Vor allem aber gibt Sporenwache auf die Frage „wer bezeugt die Weihe?“ eine andere Antwort als Die Weihe: In Sporenwache bezeugt Maria die Weihe, und das Bild der Geliebten muss weichen. George ,korrigierte‘ sozusagen Heines spçttischironische Verwandlungsszene in einem konservativen Sinne. 2.3.1.8 Geschichte als Vorgang von Erbe und Wiedergeburt Was f#r die literarische Tradition gilt, l%sst sich auf die Geschichte generell #bertragen: Sporenwache z%hlt zu denjenigen Texten, „die das Geschichtliche nicht nur darstellen, sondern dessen Vermittlungswege mitreflektieren, w%hrend sie es thematisieren“.102 George selbst schrieb 1892 in dem bereits oben zitierten Merkspruch: „wir halten es f#r einen vorteil dass wir 100 Heinrich Heine: S#mtliche Werke. Neue Ausgabe in 12 B%nden. Hamburg: Hoffmann und Campe 1884. Die Weihe ist abgedruckt in Band 1, S. 174. 101 In der Vorrede zur ersten Ausgabe relativierten George und Wolfskehl Heines Bedeutung: „Der name Goethe beherrscht ein ganzes dichterisches jahrhundert · […] Doch keineswegs darf man ihm · der als gegensatz allein Jean Paul vertr%gt · einen anderen beireihen – am wenigsten · wie man leider noch immer tut · Schiller oder Heine: jener der feinste schçnheitslehrer · dieser der erste tagesschreiber · beide aber in diesem zwçlfgestirn eher die kleinsten als die grçssten.“ (Stefan George u. Karl Wolfskehl: Das Jahrhundert Goethes. [Nachdr. der Ausg. Berlin, von Holten, 1902]. Stuttgart: Klett-Cotta 1995 =Deutsche Dichtung Bd. 3. S. 6.) Zu Georges ambivalentem Verh%ltnis zu Heine siehe Goltschnigg, Dietmar u. Hartmut Steinecke (Hrsg.): Heine und die Nachwelt. Geschichte seiner Wirkung in den deutschsprachigen L%ndern. Texte und Kontexte, Analysen und Kommentare. Band 2: 1907 – 1956. Berlin: Erich Schmidt 2008. S. 57 – 59. 102 Niefanger: Formen historischer Lyrik. S. 445.

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nicht mit lehrs%tzen beginnen sondern mit werken die unser wollen behellen und an denen man sp%ter die regeln ableite.“103 Diese Selbstaussage st%rkt die poetologische und geschichtsreflexive Lesart von Sporenwache: Aus dem Gedicht selbst lassen sich die Regeln ableiten, die ihm zugrunde liegen. Sporenwache inszeniert die Geschichte als Wiedergeburt beziehungsweise als Aktualisierung eines Potentials, das in der Geschichte liegt. Es zeigt, wie Tradition und Geschichte sich fortschreiben: durch die lebendige Praxis, durch Weitervererbung, durch persçnliche Wiederholung von Ritualen, durch immer wieder erneute Verlebendigung der an sich toten Tradition – durch Verlebendigung einer Haltung, eines Ethos. Die Idee dieser Art von Traditionsaneignung ist zentral f#r Georges Kunstverst%ndnis und Wollen in den fr#hen 1890er Jahren. In den Bl#ttern f"r die Kunst hieß es 1892: „In der kunst glauben wir an eine gl%nzende wiedergeburt.“104 Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass die zeitgençssische deutsche Dichtkunst sich in einem Tief befinde und George selbst mit seiner Dichtung eine neue Renaissance einl%ute – in Ankn#pfung an andere Bl#tezeiten der deutschen Dichtung, vor allem die Klassik um 1800, denn in Georges Anschauung hat die Renaissance in Deutschland erst mit Goethe eingesetzt.105 Was hier konkret wiedergeboren werden soll, wird jedoch in dem Merkspruch nicht genannt.106 Georges Sch#ler griffen die Metapher der Wiedergeburt vielfach auf, so beispielsweise Friedrich Wolters in seiner vom ,Meister‘ selbst autorisierten Werkbiographie Stefan

103 Bl#tter f"r die Kunst I/1 (1892), S. 1. 104 Bl#tter f"r die Kunst I/1 (1892), S. 2. Zur Metapher der Wiedergeburt vgl. Alexander Demandt: „Neben einer Funktion im ,Stoffwechsel‘ der Tradition stehen die Bilder der Wiederbelebung und der Befruchtung. Dem Historiker f%llt die Aufgabe zu, die Toten ,im Geiste wieder lebendig erstehen zu lassen‘, wie es bei Droysen heißt“ (Demandt, Alexander: Metaphern f"r Geschichte. Sprachbilder und Gleichnisse im historisch-politischen Denken. M#nchen: C.H.Beck 1978. S. 61). 105 So jedenfalls %ußerte sich George im Gespr%ch gegen#ber Berthold Vallentin (Vallentin, Berthold: Gespr#che mit Stefan George. 1902 – 1931. Amsterdam: Castrum Peregrini 1967. S. 56). 106 In einer postum verçffentlichten Notiz hat George die Art und Weise der Wiedergeburt pr%zisiert: „auch die grçssten vergangenen dinge fordern ihre st%ndige wiedergeburt durch ein neues menschliches lebendiges“ (abgedruckt im Anhang zu SW III, 105). Vgl. den Merkspruch: „die werdende jugend wird […] den vom alter tot zur#ckgelassenen formen in unerwarteter weise neues und gl#hendes leben einhauchen“ (Bl#tter f"r die Kunst, III/4 [1896], abgedruckt in: Landmann, Georg Peter (Hrsg.): Einleitungen und Merkspr"che der Bl#tter f"r die Kunst. M#nchen: K#pper 1964. S. 18).

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George und die Bl#tter f"r die Kunst (1930). Wolters kommentiert Georges B"cher folgendermaßen, dabei Schl#sselbegriffe der Vorrede variierend: Aber indem er die reinen Menschenbilder der Geschichte, das heißt der einmal dort und damals zeitgewordenen Gottesseele in seiner lebendigen Seele wiedererstehen ließ, erfaßte er doch zugleich auch ihre sp%teren historischen Spiegelungen im deutschen Geiste und unsere klassische Wiedergeburt, unsere Mittelalter-Romantik wie unser orientalischer M%rchen- und Schicksalsschauer, der von der Gralssage #ber Goethes West-çstlichen Diwan bis zu Wagners Parsifal und Nietzsches Zarathustra schwingt, ist in seinen Dichtungen mitverfangen. (Friedrich Wolters: Stefan George und die Bl#tter f"r die Kunst. Deutsche Geistesgeschichte seit 1890. Berlin: Bondi 1930. S. 93)

Wolters benennt hier treffsicher das Vermittelte der Mittelalterbilder und die )berlagerung verschiedener Rezeptionsstufen mittelalterlicher Stoffe. Sporenwache steht an exponierter Stelle zu Beginn der Sagen, und tats%chlich exponiert dieses Gedicht zentrale Themen und Motive des gesamten Zyklus. Das Zwielichtige, das Changierende und die )berblendungseffekte von Mittelalter und Moderne sind charakteristisch f#r alle Sagen und S#nge. Das in Sporenwache angek#ndigte Projekt einer Verlebendigung der Tradition wird in den weiteren Gedichten des Zyklus Sagen fortgef#hrt – und zwar konkret als formale identifikatorische Aneignungen oder in der Form von Stilpastiches – dann allerdings flacht die Kurve der Identifikation langsam ab, so dass am Ende M#digkeit, Resignation und entt%uschte Hoffnung vorherrschen. Wie diese Bewegung von Ann%herung und Distanzierung genau verl%uft, werden die folgenden Abschnitte ausf#hren. 2.3.1.9 Variationen #ber germanische Themen: Die Tat Im fertigen Zyklus steht das Gedicht Die Tat an zweiter Stelle, entstehungsgeschichtlich ist es jedoch das allererste Gedicht des sp%teren Bandes Die B"cher der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und S#ngen und der h#ngenden G#rten. Die Entstehungsgeschichte erhellt, in welcher Konstellation sich George dem Mittelalter zuwandte und welche Absichten ihn dabei leiteten. Denn George schrieb das Gedicht zun%chst auf Franzçsisch, gab ihm den programmatischen Titel Variations sur th(mes germaniques 107 und schickte es im Januar 1893 seinem Pariser Freund Albert Saint-Paul mit der Bitte um eine Einsch%tzung: „Qu’est-ce qu’il vous semble fran107 SW III, 128 – 129.

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chement de ces vers? L’Allemagne commence ' me d-gouter“ – „Was halten Sie von diesen Versen? Deutschland f%ngt an, mich anzuekeln“ ()bersetzung von J. S.).108 George plante zu dieser Zeit, fortan nicht mehr auf Deutsch, sondern nur noch auf Franzçsisch zu dichten.109 Dies war wohl der eindeutigste Ausdruck seiner generellen k#nstlerischen Orientierung am frankophonen Raum in den fr#hen 1890er Jahren, eine Orientierung, die sich sowohl im Hinblick auf Sprache, Poetologie und sogar Stoffe geltend machte, denn f#r die Kombination von historischen exotischen Sujets, wie sie die B"cher pr%sentieren, finden sich einschl%gige Vorbilder im frankophonen Symbolismus.110 Die Hinwendung zu Frankreich, so macht der Brief an Saint-Paul deutlich, war zugleich eine Abwendung vom kaiserzeitlichen Deutschland. George lehnte die Wilhelminische Gesellschaft, das neureiche B#rgertum, den nationalistischen Pomp und Protz ab. Auch die Literatur und Repr%sentationskunst der Gr#nderzeit, wie sie exemplarisch in Kapitel 2.1 skizziert wurde, gen#gte George nicht. Abgestoßen haben d#rfte ihn das f#r seinen Kunstgeschmack provokant Unintelligente, n%mlich der Detailreichtum: die Tatsache, dass im Grunde jedes Bild schon bis in seine letzten Einzelheiten ausgestaltet war und dem 108 Brief von George an Albert Saint-Paul vom 5. 1. 1893, STGA (abgedruckt in: SW III, 128). Die Forschung ist sich darin einig, dass sich George im Winter 1892 in einer Schaffenskrise befand: Nach der Fertigstellung des Gedichtbandes Algabal (1892) fehlten ihm zun%chst Ideen f#r neue Gedichte, er war gesundheitlich angeschlagen und ungl#cklich verliebt in seine Jugendfreundin Ida Coblenz. 109 Ein paar weitere medi%valisierende Gedichte verfasste George noch auf Franzçsisch, wenig sp%ter ließ er das Projekt des Sprachwechsels ganz fallen. Die Kostprobe Variations sur th(mes germaniques hatte Georges Freund Saint-Paul nicht #berzeugen kçnnen, so dass dieser ihm davon abriet, weiterhin auf Franzçsisch zu schreiben. 110 Zu nennen sind hier etwa Henri de R-gniers Po(mes anciens et romanesques (1889), Jean Mor-as’ Le P(lerin passionn+ (1891), Stuart Merrills Les fastes (1891), Paul G-rardys Les chansons na-ves (1892), Edmond Rassenfosses Dit un page (1893) und Ferdinand H-rolds Chevaleries sentimentales (1893). Nicht zuf%llig sind die meisten dieser Dichter auch mit Beitr%gen in Georges Zeitschrift Bl#tter f"r die Kunst vertreten. In den Ausgaben der Jahre 1892 und 1893 erschienen sowohl Georges erste Gedichte des sp%teren Zyklus Sagen und S#nge als auch )bertragungen aus den Werken von Jean Mor-as, Henri de R-gnier und Stuart Merrill (BfdK I/2 (Dezember 1892), S. 59 – 63; BfdK I/4 (Mai 1893), S. 123 – 125). Vgl. Duthie: L’influence du symbolisme franÅais. S. 324 – 335; Sohnle: Stefan George und der Symbolismus. S. 139; Zanucchi weist auf einen Artikel von William Ritter hin, der schon sehr fr#h die Verwandtschaft George „mit den belgischen poetae minores“ erkannt habe (Zanucchi, Mario: Rassenfosse, Edmond Louis Guillaume. In: Stefan George und sein Kreis. Bd. 3. S. 1584; William Ritter: La po+sie allemande nouvelle. In: La Semaine litt+raire 61 (2. M%rz 1895), S. 97 – 99).

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Betrachter wenig Raum f#r eigene Interpretation ließ. Gegen diese Art von Kunst wandte er sich nicht zuletzt in den Bl#ttern f"r die Kunst, wo er wiederholt das niedrige Niveau der zeitgençssischen deutschen Lyrik beklagte. Der Titel Variations sur Th(mes germaniques liest sich insofern wie eine %sthetische Kampfansage: ,Variationen‘, das heißt stilistische oder semantische Modifikationen, #ber ,germanische‘ oder ,deutsche‘ Themen solle das Gedicht bieten. Eines dieser im 19. Jahrhundert besonders beliebten germanischen oder deutschen Themen war die Nibelungensage um den Helden Siegfried, den Drachentçter. Dieser wurde im 19. Jahrhundert vorrangig national ausgedeutet und als Inkarnation des deutschen Charakters angesehen.111 Der franzçsische Titel Variations sur Th(mes germaniques spielt auf diese Zusammenh%nge an, w%hrend im sp%teren deutschen Titel Die Tat solche Andeutungen zur#ckgenommen sind. Nach einer verhaltenen Reaktion von Saint-Paul #bersetzte George sein Gedicht n%mlich im Fr#hjahr 1893 ins Deutsche: DIE TAT Der bodenblumen stilles und bescheidnes heer · Der knappe ging dar#ber hin gedankenleer Vor tag – nicht weit von seines vaters g%stehalle. Dann warf er kiesel nieder von des brunnens walle Vielleicht darin sich sehend ruhm- und blutbedeckt. Am mittag da ihm nicht das gr#ne zeichen steckt · Das hoffnungszeichen auf der nachbarlichen zinne Das ihm gew%hrung heisst und Melusinens minne · Erzittert er . . . und stundenlang hat er geweint In trotz und trauer da wo voll die sonne scheint. Am abend nach den w%ldern die vor schrecknis pochen Ist er nach tod und wunden gierig aufgebrochen. Er achtet nicht auf wohlgesinnter wesen wort Er dringt mit wilden knabenhaften schritten fort Und als vor seiner hand bewehrt mit blossem degen Das unget#m in gift und glut getaucht erlegen: 111 Vgl. Grimm, Gunter E.: Nachwort. Siegfried der Deutsche. Zur Konstruktion und Dekonstruktion eines Nationalhelden in Gedichten des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Nibelungen-Gedichte. Ein Lesebuch. Hrsg. von Gunter E. Grimm. Marburg: Tectum 2011. S. 304 – 321, insbes. S. 304 – 316. Grimm unterscheidet zwischen drei Arten der Siegfriedrezeption im Kaiserreich: den „jugendlich-unbeschwerten Helden“, den „mythischen Typus des hçheren Menschen“ und den „tragisch, mit Schuld beladenen Helden“ (ebd. S. 314 f.).

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Verfolgt er seine bahn erhellt vom fackelbrand · Die schçnen blicke still und grad zum himmelrand. (SW III, 45)

Auf die autobiographisch ausdeutbaren Anteile dieses Gedichts hat die Forschung mehrfach verwiesen: Hinter dem drachentçtenden Held erkannte man George, von dessen spielerischer Identifikation mit dem Ritter Sankt Georg etwa eine Zeichnung des belgischen Grafikers Auguste Donnay zeugt, die George als „Drachentçter ST. George“ portr%tiert (Abb. 2).112 Der Drachentçter George #berwinde durch die Tat seine ungl#ckliche Liebe zu seiner „Nixlore“113 genannten Jugendfreundin Ida Coblenz alias Melusine. „Die Tat“, so Hubert Arbogast, stehe in Georges Fr#hwerk metonymisch f#r „das Kunstwerk“ beziehungsweise „das Gedicht“ – George habe also seine ungl#ckliche Liebe durch die Dichtung sublimiert.114 Diese Aspekte spielen sicherlich eine Rolle, im Folgenden sollen jedoch vor allem die literarisch-%sthetischen Dimensionen des in Die Tat manifesten Medi%valismus in den Blick genommen werden. !hnlich wie in Sporenwache steht in Die Tat ein jugendlicher Protagonist im Zentrum,115 der in eine Krise ger%t und diese am Ende #berwindet – in Sporenwache geschieht dies durch einen inneren Beschluss, in Die Tat durch eine %ußere Handlung. Das Gedicht ist durch die Angabe von Tageszeiten in drei Abschnitten organisiert: Morgen (V. 1 – 5), Mittag (V. 6 – 10) und Abend (V. 11 – 18), wobei der Mittag den dramaturgischen Tiefpunkt und der Abend den Hçhepunkt bilden. Die f#r Georges Poetik zentrale Idee der K#rze und der Verdichtung zeigt sich darin, dass dieser Tagesablauf in nur 18 Versen in starker Raffung zusammengefasst ist. W%hrend die ersten zwei Strophen im Pr%teritum gehalten sind, wechselt das Gedicht ab der dritten Strophe ins Pr%sens. Der Tempuswechsel hat in Die Tat keine spannungssteigernde Funktion, sondern betont eher die 112 Norton: Secret Germany. S. 181; Oelmann: Das Mittelalter in der Dichtung Georges. S. 140; Andres: Mittelalter als Modell? S. 152 f. 113 Landmann, Georg Peter u. Elisabeth Hçpker-Herberg (Hrsg.): Stefan George – Ida Coblenz. Briefwechsel. Stuttgart: Klett-Cotta 1983. S. 10, 45 und 69. 114 Arbogast: Nachwort. S. 21. 115 Ernst Morwitz leitet aus der Bezeichnung „Knappe“ ab, dass der Protagonist des Gedichts zwischen 14 und 21 Jahre alt sei (zwischen den Ausbildungsstadien eines Edelknechts und eines Ritters; Morwitz, Ernst: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. 2. Aufl. D#sseldorf, M#nchen: Helmut K#pper, vormals Georg Bondi 1969. S. 79 und 81). Allerdings ist fraglich, ob diese Datierung und Historisierung hier wirklich aufschlussreich ist, zumal Morwitz’ Konkretisierung die Offenheit von Georges Gedicht zu sehr einengt.

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Abb. 2: Tuschezeichnung von Auguste Donnay: „St. Georg“ Drachentçter; aus dem Besitz des Stefan George Archivs, Stuttgart.

Sprechweise, als ob das epische Pr%teritum nur anzitiert w#rde, um als Fiktionssignal sichtbar zu werden. Die Modusver%nderung unterl%uft und

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relativiert die Einheit der Zeit. Zudem offenbart sich in dieser Zeitstruktur das Bestreben nach Vergegenw%rtigung der Vergangenheit. Die Struktur des Gedichts ist durch den Kontrast zweier Sph%ren bestimmt: der Welt des Hofes und der Welt des Waldes. Darin schimmert eines der pr%genden Strukturmerkmale mittelalterlicher Heldenerz%hlungen durch, n%mlich die Entgegengesetzung von hçfischer und nicht-hçfischer Sph%re als Repr%sentationen von Zivilisation und Wildnis, Ordnung und Unordnung, Reich der Menschen und Reich der Fabelwesen. Auch das heldische Erz%hlschema von Auszug aus der hçfischen Welt und Bew%hrungsreise im Sinne der aventi&re-Fahrt wird in Die Tat anzitiert.116 In der franzçsischen Erstfassung des Gedichts ist die Welt des Hofes in %sthetizistischer Manier mit k#nstlichen Blumen ausstaffiert („an-mones de velours et de satin“, V. 1); in der deutschen Fassung ist die Idee des blumenbedruckten Teppichs nur in der Formulierung „bodenblumen“ noch schwach erahnbar. In der auffallend starken Konstruktion „Der bodenblumen […] heer“ (V. 1) klingt eine milit%rische Konnotation an, die das sp%ter ausgef#hrte Thema des Kampfes gleich im ersten Vers antizipiert.117 Die nicht-hçfische Gegenwelt ist hier der Wald, der in metaphorischer )bertragung des Herzklopfens des Knappen „vor schrecknis poch[t]“ (V. 11) und mit guten und bçsen Fabelwesen bevçlkert ist.118 Dem 116 Durch die Anordnung im Zyklus Sagen ergibt sich noch ein #bergeordnetes Strukturmuster: Die Tat ist das zweite, Der Einsiedel das vorletzte Gedicht der Sagen, die beiden Gedichte sind also spiegelbildlich angeordnet. So wie die beiden poetologischen Gedichte Sporenwache und Das Bild miteinander korrespondieren, indem sie den Zyklus erçffnen und schließen, schaffen Die Tat und Der Einsiedel eine Binnenrahmen. Die Tat beschreibt den Auszug eines jungen Knappen vom v%terlichen Hof und seine aventiure, Der Einsiedel schildert die R#ckkehr eines Sohnes in die v%terliche Obhut und seinen erneuten Auszug in die Ferne. Auf der makrostrukturellen Ebene der Sagen wird also ein Strukturschema des Artusromans anzitiert (Auszug – Einkehr – erneuter Auszug). Dies zeigt, wie die Anordnung der einzelnen Gedichte innerhalb des Zyklus eine Mçglichkeit darstellt, grçßere epische Strukturen in der Lyrik nachzubauen. 117 Ebd. S. 81. Natasha Grigorian schl%gt eine weitere mçgliche Lesart vor: die „bodenblumen“ als Metapher f#r all jene gewçhnlichen Frauen, die dem Knappen gleichg#ltig sind, weil er nur die eine, die schçnste Blume liebt, n%mlich Melusine (Grigorian: The Poet and the Warrior. S. 183). 118 Die „wohlgesinnte[] wesen“ (V. 13) werden in der franzçsischen Fassung konkret als ,freundlicher Zwerg‘ konkretisiert („tel nain b-nin“, V. 13). Dass der Knappe den Rat der guten Wesen ausschl%gt und somit impulsiv statt vorsichtig handelt, ist ein traditioneller Topos der Darstellung von Jugend und Jugendlichkeit: Der junge Held ist leidenschaftlich und deshalb oft auch leichtsinnig, wodurch er in Gefahren ger%t, die er anschließend zu #berwinden hat. Zwerge und Ungeheuer begegnen

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raumsemantischen Kontrast zwischen Hof und Wald in der Horizontale korrespondiert der Kontrast zwischen Tiefe und Hçhe in der Vertikale, repr%sentiert durch den Brunnen und die Zinne der Burg.119 Dem entspricht auch die Blickrichtung des Knappen, der zun%chst in den Brunnen hinunterschaut und am Ende den Blick nach oben zum Horizont richtet. Auch die Benennung der geliebten Frau als ,Melusine‘, die umso auff%lliger ist, als im gesamten Zyklus Sagen und S#nge insgesamt nur zwei Eigennamen Erw%hnung finden (Melusine und Frauenlob), verweist in den Bereich der mittelalterlichen Literatur. Einer altfranzçsischen Sage nach findet der Ritter Raimund an einem einsamen Waldbrunnen die Wasserfrau Melusine.120 Er heiratet sie, unter der Bedingung, sie niemals sonnabends zu sehen. Eines Tages bricht Raimund dieses Tabu und sieht Melusine im Bad, ihr Unterleib und ihre Beine zu einem Schlangenleib verwandelt. Die Verm%hlung eines Menschen mit einer #berirdischen Gestalt wie Melusine, die sogenannte ,Mahrtenehe‘, steht sinnbildlich f#r eine gestçrte, unheilbringende Verbindung zweier Wesen aus unterschiedlichen Welten. Allein die Nennung des Namens ,Melusine‘ weckt also bereits Assoziationen an eine unheilvolle Liebesbeziehung. Als Sinnbild der verf#hrerischen, aber zugleich gef%hrlichen femme fatale lagen Wasserfrauen wie Melusine im Zeitgeschmack der Jahrhundertwende.121 noch in weiteren Gedichten der Sagen und S#nge, besonders prominent ist das Lied des zwergen in den S#ngen (siehe Kap. 2.4.4.4). Die Zwerge der mittelalterlichen Literatur leben weiter in den volkst#mlichen M%rchen, wo die Dichotomie von guten und bçsen Wesen bekanntlich besonders ausgepr%gt ist. 119 Das Detail der geliebten Dame auf dem Turm bzw. an der Zinne kçnnte George aus Robert Kçnigs Artikel #ber den Codex Manesse aus den Velhagen & Klasingschen Monatsheften entliehen haben. Kçnig beschreibt zwei Miniaturen aus dem Codex Manesse folgendermaßen: „So sitzt auf einem Bilde der Ritter in einem Zieheimer und wird von der Erw%hlten seines Herzens aus der Tiefe den Turm hinaufgewunden. Auf einem anderen steigt er eine Leiter hinan und empf%ngt von der Edelfrau, die an der Zinne steht, einen Blumenkranz als Sinnbild des Minnesoldes“ (Kçnig, Robert: Ein altdeutsches Liederbuch. Mit Titelbild und 3 Einschaltbildern in Aquarelldruck. In: Velhagen & Klasings Monatshefte (1891/1892) 6/2. S. 584 – 589, hier S. 585). 120 Zum Melusinen-Stoff siehe Frenzel, Elisabeth u. Sybille Grammetbauer: Stoffe der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher L%ngsschnitte. Stuttgart: Krçner 2005. S. 598 – 601. 121 Hermand, Jost (Hrsg.): Jugendstil. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1971. S. 474. So erschien beispielsweise im August 1894 in den Bl#ttern f"r die Kunst ein Gedicht Hugo von Hofmannsthals mit dem Titel Melusine (Bl#tter f"r die Kunst II/3 (August 1894), S. 79 – 80).

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Es liegt in der Logik von Georges Suggestionspoetik, dass Melusine in Die Tat lediglich genannt, aber nicht gezeigt wird – Melusine ist abwesend. Einzig in den beiden Motiven Brunnen und Wald klingt bei George noch die altfranzçsische Sage an.122 Statt im Wald befindet sich der Brunnen in Die Tat jedoch auf dem Gel%nde der v%terlichen Burg; erst sp%ter zieht der Knappe vom Hof in den Wald. Statt im Brunnen Melusine zu finden, wird der Knappe in Die Tat auf sich selbst zur#ckverwiesen. Denn w%hrend der Brunnen in der Sage von Melusine und Raimund als traditionelles Symbol der erotischen Begegnung und Ort der Brautwerbung fungiert, wirft der Knappe in Die Tat Steine in den Brunnen und sieht allenfalls sein eigenes Spiegelbild: „Vielleicht darin sich sehend ruhm- und blutbedeckt“ (V. 5). Der Brunnen wird zum Symbol der Introspektion und Selbstbefragung,123 zum Medium der Vorausdeutung auf einen unheilvollen Ausgang und, auf einer #bergeordneten Ebene, zum Symbol einer Selbstbespiegelung, welche die in der Vorrede zu den B"chern erw%hnten „spiegelungen einer seele“ wiederholt und potenziert. Der Blick in den Brunnen wirft ver%nderte Selbstbilder zur#ck und bildet den Eingang zu einer Anderswelt: Selbstbilder eines Helden, Tr%ume von einem heroischen Zeitalter. Zugleich erçffnet diese selbstbez#gliche Szene die Mçglichkeit einer poetologische Lesart: Die Sage wird nicht lebendig, Melusine entsteigt nicht dem Brunnen, sie bleibt abwesend. Der Knappe erwartet Melusines Zeichen auf der Zinne der Burg hoch oben. Der r%umliche Abstand symbolisiert zugleich die Distanz, die zwischen dem unten stehenden Knappen und der ,hohen‘ Dame besteht. Mit dieser Konstellation stellt das Gedicht die Melusinen-Sage sozusagen auf den Kopf: Melusine ist vom Brunnen auf einen Turm versetzt, der Brunnen bleibt leer und zeigt hçchstens noch das eigene Spiegelbild. Wie Hans Stefan Schultz bemerkt hat, bezog sich George mit dem urspr#nglichen Titel Variations sur th(mes germaniques auf motiv%hnliche Balladen wie Friedrich Schillers Der Kampf mit dem Drachen und Ludwig Uhlands Siegfrieds Schwert, die beide ,germanische‘ Themen verhandeln.124 122 Die Vorrede wies bereits auf diesen selektiven und fragmentarischen Gehalt des Medi%valismus hin: „[D]arin ist nicht mehr enthalten als in einigen von uns noch lebt“ (siehe Kap. 2.2). 123 Wie Werner Vordtriede herausgearbeitet hat, setzte George das Symbol des Spiegels oft in vorausdeutender Funktion oder als Hinweis auf eine plçtzliche Schicksalswende ein; zudem ist der tiefe Brunnen der Ort des Geheimnisses (Vordtriede: The Mirror as Symbol. S. 20 – 23). 124 Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 36.

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Schultz sieht deshalb im Titel Die Tat eine gewisse Ironie.125 In Weiterf#hrung dieses Gedankens l%sst sich Die Tat als ironisiernde Gegenversion zu Ritter-Balladen aus Klassik und Romantik deuten. Schillers Ballade Der Kampf mit dem Drachen (1798) zeigt ein christliches Mittelalterbild: Ein Ordensritter tçtet zum allgemeinen Wohle einen allseits gef#rchteten Drachen, wird jedoch vor ein geistliches Tribunal gestellt und #berwindet am Ende vor allem die eigene Ruhmsucht. In Georges Titel Die Tat klingen die Verse Schillers an, mit denen dieser die Motivation des Ritters schildert: „Und ich beschließe rasch die Tat, / Nur von dem Herzen nehm ich Rat“.126 Auch die Tat selbst, das heißt die Tçtung des Ungeheuers, und das eigenm%chtige Vorgehen des Helden („Er achtet nicht auf wohlgesinnter wesen wort“) stimmen mit Schillers Ballade #berein. Bei Schiller wird der Ritter wegen seines eigenm%chtigen Handelns vor ein Tribunal gestellt, da er die Pflicht des Gehorsams verletzt und aus „eitle[m] Ruhm“ gehandelt habe. Die Pointe der Ballade besteht darin, dass der Ritter am Ende seine Schuld einsieht und begnadigt wird – der Ordensmeister bekr%ftigt dies mit den Worten: Dir ist der h%rtre Kampf gelungen. Nimm dieses Kreuz, es ist der Lohn Der Demut, die sich selbst bezwungen.

Georges Die Tat legt eine %hnliche Pointe nicht nahe, der ungest#me Knappe hat sich lediglich ausgetobt. Uhlands Ballade Siegfrieds Schwert (1812) gestaltet eine Szene aus der Nibelungensage, n%mlich wie Siegfried die v%terliche Burg verl%sst, zum Schmiedelehrling wird und sich ein Schwert schmiedet, mit dem er die „Riesen und Drachen in Wald und Feld“ erschlagen kann.127 Die Ballade setzt mit folgenden Versen ein: Jung Siegfried war ein stolzer Knab’, Ging von des Vaters Burg herab. Wollt’ rasten nicht in Vaters Haus, Wollt’ wandern in alle Welt hinaus.

Die Tat schildert eine ganz %hnliche Ausgangssituation, den Auszug aus der v%terlichen Burg und das Sich-Bew%hren außerhalb der v%terlichen Ein125 Ebd. 126 Friedrich Schiller: S#mtliche Gedichte und Balladen. Hrsg. von Georg Kurscheidt. Frankfurt am Main 2004. S. 52 – 59, hier S. 55. 127 Ludwig Uhland: Ausgew#hlte Werke. Mit einer Einleitung von Friedrich Brandes. Leipzig: Reclam [o. J., ca. 1925]. S. 226 f.

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flußsph%re. Vor allem aber scheint sich Die Tat schon rein formal an Uhlands Ballade anzulehnen, indem George hier neun Strophen in gereimten Verspaaren dichtete – eine Strophenart, die er nur %ußert selten w%hlte. Insofern evoziert Die Tat optisch die in Verspaaren gehaltene Ballade Siegfrieds Schwert, weist allerdings in der Vers-, Reim- und Satzgestaltung eine deutliche hçhere Komplexit%t als Uhlands Text auf.128 Uhlands jambische Vierheber verl%ngerte George zu jambischen Sechshebern mit alternierend m%nnlichen und weiblichen Kadenzen, dem deutschen !quivalent des franzçsischen Alexandrinerverses, in dem die erste Fassung Variations sur Th(mes germaniques gedichtet war. Georges Die Tat erscheint formal-metrisch als eine Art Imitiation bei gleichzeitiger )berbietung und )bertreffung. Gerade vor dem Hintergrund dieser zwei mçglichen Pr%texte tritt das ironische Potential von Georges Medi%valismus deutlich hervor. Schon das erste Verspaar von Die Tat ist gebrochen: W%hrend der erste Vers ein stilisiertes Naturbild im Sinne eines locus amoenus entwirft, wird dieses Bild im zweiten Vers lakonisch umgeworfen, indem es mit der Gedankenlosigkeit des Knappen kontrastiert wird: Der bodenblumen stilles und bescheidnes heer · Der knappe ging dar#ber hin gedankenleer

Der hohe Ton des ersten Verses mit dem Oxymoron des ,stillen und bescheidnen heeres‘ wird im zweiten Vers ironisch gebrochen, wodurch komische Wirkung erzeugt wird – der Held erscheint hier fast als trotziges Kleinkind, eine Vorstellung, die unmittelbar zum Lachen anregt. Der Sprecher des Gedichts distanziert sich selbst von Handeln und Denken seines Helden, indem er den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen einschr%nkt: „Vielleicht sich darin sehend ruhm- und blutbedeckt“ (V. 5). Der Knappe ist in seiner Passivit%t und Langeweile gefangen – es taucht nicht wie in der Sage eine schçne Frau aus dem Brunnen auf, sondern es geschieht #berhaupt nichts. Melusine bleibt abwesend, der Knappe wartet vergeblich auf ein Zeichen. Das komische Potential des Gedichts spitzt sich in den Versen, welche die Mittagsstunde schildern, noch eimal besonders zu: Erzittert er… und stundenlang hat er geweint In trotz und trauer da wo voll die sonne scheint

Die komische Wirkung entsteht hier aus der Kombination des Reims „geweint“ / „scheint“ und der )bertreibung „da wo voll die sonne scheint“, 128 Vgl. Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 36.

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die durch die plump-ungelenke Wortwahl noch zus%tzlich Aufmerksamkeit auf sich zieht. Bis zu diesem Punkt, also bis inklusive der f#nften Strophe, wirkt das gesamte Verhalten des Knappen unheldenhaft und l%ppisch. Dann jedoch wechselt das Gedicht in das ernsthafte Register einer Heldenerz%hlung: Aus Passivit%t wird Aktivit%t, aus Warten wird Handeln. Das heldische Ethos, das Aktivische, das Maskuline sind positiv gesehene Werte.129 Die „wilden knabenhaften schritte[ ]“ erscheinen nun eher als traditionelles Attribut des undiszipliniert-genialischen, ungeb%rdigen Helden der Literatur. Die Schlussstrophe verherrlicht und verkl%rt die titelgebende Tat: Sie allein bringt die Befreiung, nur durch sie wird der Knappe vom Opfer seiner Gef#hle zum T%ter. Die auf den Horizont gerichteten „schçnen blicke“ verdeutlichen seine L%uterung und lassen das Gedicht mit einem Ausblick auf Idealit%t und Transzendenz enden. Georges ironische Variation #ber die medi%valisierenden Balladen von Schiller und Uhland schließt also die Ernsthaftigkeit, die Wendung in einen Heroismus der Tat nicht aus. Georges Ironie geht jedoch #ber eine reine Komik hinaus, sie %hnelt vielmehr der romantischen Ironie im Sinne von Vieldeutigkeit und Potenzierung von Bedeutung. Wie sich an diesem Gedicht zeigt, setzte George Ironie als rhetorisches Mittel der Kontrastgebung ein, das eine Mehrfachcodierung erçffnet und sich darin sogar dem Destruktiven des Humors çffnet. George agierte wirkungs%sthetisch so souver%n, dass er auch die Komik in das Repertoire seiner Formmittel aufnehmen konnte, ohne ins Pointenhafte abzugleiten. In diesem Sinne ist das Adjektiv ,gedankenleer‘ im zweiten Vers sowohl l%cherlich als auch positiv gesetzt; die positive Dimension liegt in der als Naivit%t und Unbedarftheit verstandenen Gedankenleere als Eigenschaft des Poeten. Insofern schwingt in den ersten beiden Versen als eine von vielen Bedeutungsebenen auch die Vorstellung einer tabula rasa mit: Indem der Held die „bodenblumen“ platttritt, ,rasiert‘ er den Untergrund aus und verschafft sich damit notwendige ,Gedankenleere‘ f#r die eigene ,Tat‘. Versteht man die „bodenblumen“ als Metapher f#r niedrige oder minderwertige Dichtung,130 was 129 Hierin erscheint George dann doch als Kind seiner Zeit; zur Vorliebe f#r „Willensund Tatmenschen“ in der Gr#nderzeit vgl. Hamann, Richard u. Jost Hermand: Gr"nderzeit. Berlin 1965. S. 128. 130 Im Ausdruck „bodenblumen“ ist auch impliziert, dass es sich um zivilisierte Blumen handelt, ebenso wie die Adjektive ,still‘ und ,bescheiden‘ auf b#rgerliche Werte verweisen – also schwingt auch die Konnotation von B#rgerlichkeit hier mit.

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die Metaphorik von Bl#ten oder Blumen f#r dichterische Erzeugnisse nahelegt, und diese minderwertige Dichtung den „boden“, also die Grundlage bildet, auf dem der Held steht, so erscheint das Ausradieren der Fl%che oder des Schreibstoffs als notwendige Voraussetzung f#r das Wiederbeschreiben mit eigenem Text. Folgerichtig f#hrt das Gedicht selbst vor, wie die epigonalen Vorg%ngerdichtungen ,erlegt‘ und ,erledigt‘ werden m#ssen, um auf derselben, aber gereinigten Grundlage das eigene Werk errichten zu kçnnen. Der von George formulierte Ekel vor Deutschland war also ein initialer Impetus, sowohl f#r das Schreiben auf Franzçsisch als auch f#r die Art der Auseinandersetzung mit dem deutschen Kulturerbe, allen voran dem literarischen Erbe der Romantik. Die Abscheu vor dem zeitgençssischen Deutschland bedingte bei George eine Auseinandersetzung mit diesem Erbe ,gegen den Strich‘, das heißt eine Aneignung der romantischen Medi%valismen mit ironischen Untertçnen. Die im 19. Jahrhundert beliebteste und bekannteste Sagenfigur aus der Literatur des Mittelalters, Siegfried, wird in Die Tat nur durch vage Anspielungen evoziert. George zeigt den Helden zun%chst als liebeskranken, ennui-geplagten Leidenden, bevor er am Ende zum strahlenden Held werden kann. Die Reste der Siegfriedsage verschwinden jedoch beinahe hinter den ebenso dezenten Anspielungen auf die altfranzçsische Melusinensage. In der programmatischen Vermischung und Verschmelzung dieser beiden Sagenstoffe pr%sentiert sich Die Tat als Ergebnis einer deutsch-franzçsischen Kultursynthese. 2.3.1.10 Dichterische Identifikation: Frauenlob Zur immanenten Poetik des Medi%valismus in den Sagen gehçrt nicht nur die Distanznahme zu vorg%ngigen Medi%valismen des 19. Jahrhunderts, sondern auch Georges positive, identifikatorische Bezugnahme auf den mittelalterlichen Minnes%nger Heinrich von Meißen (um 1300), genannt Frauenlob. Die Bilder, die George von Frauenlob und in sp%teren Dichtergedichten #ber beispielsweise Jean Paul, Dante, Goethe und Hçlderlin entwarf,131 sagen viel #ber sein eigenes dichterisches Selbstverst%ndnis aus, denn durch die Ehrung von Vorg%ngern verortete er sich zugleich in einer dichterischen Traditionslinie. Wie Judith Lange und Robert Schçller herausgearbeitet haben, bildet Georges Gedicht Frauenlob den Schlusspunkt einer umfassenden, #ber 131 Jean Paul (SW V, 53); Goethe-Tag (SW VI/VII, 10); Hçlderlin (BfdK 11 und 12/I – X [1919], S. 11); zu Dante siehe Kap. 3.3.1.

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100-j%hrigen Tradition der Frauenlob-Rezeption in popul%r- und hochkulturellen Medien, die sich vor allem auf die Legende von Frauenlobs Begr%bnis konzentrierte.132 Frauenlobs schwer zug%ngliches dichterisches Werk, das in einem gebl#mten, dunklen Stil gehalten ist, trat in der Rezeption zugunsten der Grablegungslegende in den Hintergrund. Die Legende gehçrte zum lokalen Kulturgut von Georges Heimat; sie erz%hlt davon, dass Frauen den toten Dichter von seiner Herberge bis in den Mainzer Dom getragen h%tten und dass bei seinem Begr%bnis so viel Wein ausgesch#ttet worden sei, dass der Kreuzgang des Doms davon #berschwemmt wurde. Auf diese rheinische Sage bezieht sich auch Georges Gedicht (SW III, 46 f.): FRAUENLOB In der stadt mit alten firsten und giebelbildern · Den schneckenbçgen an geb%lk und t#r · Gemalten scheiben · t#rmen die an sterne r#hren · Mit hohlen g%ngen und verwischten wappenschildern · Bei den brunnen wann morgen und abend graut Bei der gel%chter und der wasser silbernem laut: Ein leben voll z%her b#rden Ein ganzes leben dunklen duldertumes War ich der herold eurer w#rden War ich der s%nger eures ruhmes: Weisse kinder der bittgepr%nge Mit euren kerzen fahnen b%ndern · F#hrerinnen der heitren kl%nge In farbigen lockeren gew%ndern · Bleiche freundinnen der abendmahle · Patriziertçchter stolze hochgenannte Die unter heiligem portale Die schweren kleider falten der levante – Und habe meiner tçne ganze kunst gepflegt F#r euch ihr zierden im fest- und jubelsaale · Herinnen m%chtig und unbewegt. 132 Lange, Judith u. Robert Schçller: Von Frauen begraben. Zur Generierung des Frauenlob-Bildes in Mittelalter und Neuzeit. In: Rezeptionskulturen. F#nfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Popul%rkultur. Hrsg. von Mathias Herweg u. Stefan Keppler-Tasaki. Berlin, Boston: de Gruyter 2012. S. 210 – 225, insbes. S. 224 f. George wurde vermutlich durch einen Artikel des Literaturwissenschaftlers Robert Kçnig im Velhagen & Klasing’schen Monatsheft vom August 1892 auf Frauenlob aufmerksam (Oelmann im Kommentar zu SW III, 104 und 131). Im Mainzer Dom erinnern Frauenlobs Grabstein und ein 1842 errichtetes Denkmal von Ludwig Schwanthaler an den mittelalterlichen Dichter.

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Wer von euch aber reichte mir zum grusse Den becher und den eichenkranz entgegen Und sagte mir dass sie mich w#rdig w%hne Ihr leichtes band gehorsam anzulegen? Welche tr%ne und welche milde busse Gab antwort je auf meiner leier tr%nen? Ich f#hle friedlich schon des todes fuss. Bei der glocke klage folgen jungfrau und br%ute sacht Einem sarg in d#strer tracht. Nur zarte h%nde reine und hehre D#rfen ihn zum m#nster tragen zum gewçlb und grab Mit kçniglicher ehre Den toten priester ihrer schçnheit zu verkl%ren. M%dchen und m#tter unter den z%hren Gemeinsamer witwenschaft giessen edle weine Blumen und edelsteine Fromm in die gruft hinab.

Die Forschung hat an diesem Gedicht vor allem den Gegensatz zwischen dem zu Lebzeiten verschm%hten, duldenden Dichter und dessen W#rdigung nach seinem Tode hervorgehoben – eine unkonventionelle Frauenlob-Deutung, die Hans Stefan Schultz zufolge an Victor Hugos Sicht auf Frauenlob als ,Tasso von Mainz‘ in Le Rhin (1842) ankn#pft.133 Die folgende Analyse interessiert sich vor allem f#r das ,Wie‘ der Aneignung, f#r die immanente Poetik und die Poetologie. Frauenlob sticht aus dem Zyklus Sagen insofern heraus, als es den Beinamen einer historischen Persçnlichkeit im Titel tr%gt und damit einen hçheren Grad an Konkretheit erreicht, der intertextuelle und historische Bez#ge sichtbar macht. Die konkrete Namensnennung ist Zeichen f#r eine besondere W#rdigung, gleichzeitig weist der Name durch seine Doppeldeutigkeit #ber die reine K#nstlerbezeichnung hinaus, indem ,Frauenlob‘ auch den Inhalt des Gedichts selbst bezeichnet, das zumindest teilweise die ,Frauen lobt‘ – dann freilich ist der Titel mit einem ironisch-lakonischen Unterton lesbar. Formal ist Frauenlob als historisches Rollengedicht einzustufen; Frauenlob blickt auf sein Leben zur#ck. Dass hier die Todesstunde als Zeitpunkt des Lebensr#ckblicks gew%hlt wurde, erscheint als typisches Verfahren des historischen Rollengedichts, das bevorzugt auf besondere, dramatische Augenblicke fokussiert.134 Das selbstbez#gliche 133 Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 37 f. Vgl. Oelmann im Kommentar SW III, 131. Lange u. Schçller: Von Frauen begraben. S. 224 f. 134 Niefanger: Das historische Rollengedicht. S. 254. Von Frauenlob geht die Legende, er habe auf seinem Sterbebett noch ein geistliches Gedicht geschrieben (Boor,

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Moment beziehungsweise die „narzisstische Perspektive“, die Dirk Niefanger als charakteristisches Merkmal vieler historischer Rollengedichte sieht,135 pr%gt zweifelsohne auch die Sprechhaltung von Georges Gedicht Frauenlob. 136 Das Rollengedicht ist daher pr%destiniert f#r eine subjektive Geschichtssicht, wie George sie vorlegt. Frauenlob besteht grçßtenteils aus dem Sterbemonolog des Dichters, nur die letzte Strophe setzt zeitlich sp%ter ein und schildert Frauenlobs Begr%bnis aus der Perspektive eines Sprechers. Der Monolog ist gedanklich in drei Abschnitte unterteilt: In der ersten Strophe schildert das Rollen-Ich die Ausgangssituation (V. 1 – 10), in der zweiten Strophe demonstriert der Dichter seine poetische Kunst des Frauen-Lobs (V. 11 – 21) und die dritte Strophe schließt mit Klage und Todesahnung ab (V. 22 – 28). Formal weist das Gedicht eine unregelm%ßige Struktur auf; Metrum, Versl%ngen und Reim variieren stark. George simuliert dadurch die Optik eines mittelalterlichen Gedichts mit seinen oft unterschiedlich langen Versen.137 Die erste Strophe hat rahmende Funktion, indem sie eine situative Verortung des Rollen-Ichs leistet.138 !hnlich wie in Sporenwache wird der Ekphrasis der Kulisse, die wiederum nur #ber einzelne Elemente evoziert wird, viel Platz einger%umt: Die ,alten firste‘ und ,verwischten wappenschilder‘ signalisieren Historizit%t, die Allusion auf gotische Kircht#rme und Glasfenster fungiert als ,Mittelalter-Marker‘, so dass die Anmutung einer mittelalterlichen Stadtarchitektur heraufbeschworen wird, klanglich unterstrichen durch Umlaut-Assonanzen („schneckenbçgen an geb%lk und t#r“; „t#rme […] r#hren“; „g%nge“).139 Indem Frauenlob „bei den brun-

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Helmut de u. Richard Newald: Die deutsche Literatur im sp#ten Mittelalter. 1250 – 1350. 5., neu bearb. von Johannes Janota 1997 (=Geschichte der deutschen Literatur 1). S. 405; vgl. Lange u. Schçller: Von Frauen begraben. S. 211) – sicherlich ein reizvoller Stoff f#r ein historisches Rollengedicht. Allerdings ist nicht klar, ob George diese Legende gekannt hat. Niefanger: Das historische Rollengedicht. S. 254. Auch Niefangers Beobachtung zu August von Platens historischem Rollengedicht Klagelied Ottos III., wonach Platen das Genre der Totenklage zu einer Klage #ber das eigene Leben verwandele, ist auf Georges Gedicht #bertragbar (ebd. S. 252). Joachim Storck vermutet, George habe sich sehr frei an die mittelalterliche Gedichtform des Leichs angelehnt (Storck: Das Bild des Mittelalters. S. 430). Zur Funktion der Rahmenverse im historischen Rollengedicht allgemein siehe Niefanger: Das historische Rollengedicht. S. 264 f. Die Nachahmung konkreter Vorbilder ist hier sicherlich nicht bezweckt gewesen, auch wenn Schultz’ Argument nicht unplausibel ist, wonach George Victor Hugos Beschreibung der Stadt Mainz in Le Rhin als Vorbild genommen habe (Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 38). Vgl. Morwitz: Kommentar zu dem

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nen“ singt, dem traditionellen Ort der Brautwerbung, jedoch zeitlebens nicht erhçrt wird, greift das Gedicht die in Die Tat vorgepr%gte Symbolik von Brunnen und ausbleibendem Zeichen variierend wieder auf. Frauenlob blickt nun auf sein Leben zur#ck, pr%sentiert sich als Dulder im Dienste der Kunst. Eine solche Stilisierung Frauenlobs entspricht freilich weniger der historischen )berlieferung als vielmehr Georges eigenem Dichtungsverst%ndnis.140 In der zweiten Strophe gibt Frauenlob eine Kostprobe seiner die Frauen r#hmenden Gesangskunst. Er r#hmt Aussehen und Eigenschaften der „Herrinnen“, wobei hier in der Art eines %sthetizistischen Katalogs vor allem die edle Farbe weiß, die pr%chtigen Gew%nder und die Religiçsit%t der Frauen hervorgehoben werden.141 In der Rede von ,Patriziertçchtern‘ und Stoffen aus der Levante klingt die Vorstellung vom mittelalterlichen ,goldenen Mainz‘ (aurea Moguntia) oder einer sonstigen reichen Handelsstadt des Mittelalters mit an.142 Recht unvermittelt wandelt sich das Lob in der dritten Strophe zur Klage #ber mangelnde Anerkennung. Der nicht gereichte ,becher‘ deutet bereits kontrastiv auf die „edle[n] weine“ voraus, welche die Frauen nach seinem Tode in sein Grab sch#tten – einen solchen Gegensatz hatte etwa auch Ludwig Bechstein in seinem Deutschen Sagenbuch (1853) als Schlußpointe aufgebaut: „Und w%re manchem Dichter, der auch die Frauen minnt und preist, lieber, sie g%ben ihm solchen Wein beim Leben.“143 Der ebenfalls nicht verliehene ,Eichenkranz‘ symbolisiert die nicht erfolgte Krçnung zum Dichter. Mit dem Eichenkranz verwendete George ein #berraschendes, weil im 19. Jahrhundert meist vaterl%ndisch interpretiertes Symbol.144 Traditionell besteht der Dichterkranz entweder aus

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Werk Stefan Georges. S. 82. !hnliche Bilder wird sp%ter Ernst Morwitz in seinen Gedichten auf belgische St%dte verwenden (Flandern; Belgische St#dte:Br"gge, Br"ssel. In: BfdK 11 und 12/I – X [1919]. S. 187, 189 und 193). Vgl. das fr#he Gedicht Erkenntnis, in dem ebenfalls Wasser, Lachen und Duldertum enggef#hrt werden: „Deine klaren wasser bezeugten / Meine zager- und dulderstunden.“ (SW I, 86.) Schultz zieht eine Parallele zu den franzçsischen po(tes maudits (Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 37). Die Mode war f#r George sichtbarster Ausdruck einer Zeit, einer von Berthold Vallentin aufgezeichneten Bemerkung zufolge: „Mehr als Mensch und Stil – fuhr der Meister fort – habe ihm die Mode das Gesicht einer Epoche und das Denken einer Zeit enth#llt.“ (Vallentin: Gespr#che mit Stefan George. S. 59.) Auf das ,goldene Mainz‘ spielt George sp%ter in der Tafel Rhein: III an (siehe Kap. 3.3.3.1). Ludwig Bechstein: Heinrich Frauenlobs Beg#ngnis, in: Ders.: Deutsches Sagenbuch. Leipzig: Georg Wigand 1853. S. 58. So etwa in Heinrich von Kleists Drama Prinz Friedrich von Homburg.

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Rosen oder aus Lorbeer, ist also entweder ein Kranz der Liebe oder ein Kranz des Ruhms.145 St%rker als die vaterl%ndische Symbolgehalt steht in Frauenlob wohl eher die Berharrlichkeit und Best%ndigkeit der Eiche im Vordergrund, welche implizit auf Frauenlobs Dulderqualit%ten zur#ckverweisen. Die Schlussstrophe, die nicht mehr aus der Rolle heraus, sondern aus einer berichtenden Perspektive heraus gesprochen ist, bietet eine besondere Pointe: Die zu Lebzeiten ausgebliebene Ehrung wird Frauenlob nach seinem Tode zuteil. Nun sind es die Frauen, die um ihn trauern und klagen. Wie die Forschung betont hat, steht Georges Deutung Frauenlobs als verkanntem Schçnheitspriester im Widerspruch zur historischen )berlieferung, in der Frauenlob auch schon zu Lebzeiten als Liebling der Frauen galt. An diesem Beispiel zeigt sich deutlich, wie sehr die rezeptiven Anteile von Georges Medi%valismus, die in diesem Falle sogar an konkretem Quellenmaterial festzumachen sind, gegen#ber den imaginativen Aspekten in den Hintergrund treten. Die subjektive Sprechhaltung des historischen Rollengedichts erlaubte es George, Frauenlob eine Stimme zu verleihen, die sich mit seiner eigenen dichterischen Stimme #berlagerte. Wie Schultz andeutet, zeigt das Gedicht eine k#nstlerische Wahlverwandtschaft Georges zu Frauenlob.146 In dem Artikel von Robert Kçnig aus Velhagen und Klasing’s Monatsschrift hatte George lesen kçnnen, dass Frauenlobs Dichtungen sich durch K#nstlichkeit des Stils, Erfindungsreichtum in Bezug auf Reimkombinationen und schwer verst%ndliche Bilder auszeichneten.147 Auf der beigelegten Miniatur Frauenlobs aus der Manessischen Liederhandschrift konnte George diesen als Spielmannskçnig abgebildet sehen, der #ber einer Schar von Musikanten thronte.148 Sowohl die 145 Schmidt, Jochen: Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik 1750 – 1945. Band 1: Von der Aufkl%rung bis zum Idealismus. 3., verb. Aufl. Heidelberg: Winter 2004. S. 295. 146 Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 39. Schultz nimmt an, George habe Frauenlobs Gedichte gekannt und verweist auf Friedrich Wolters’ )bertragungen einiger Gedichte Frauenlobs (ebd. S. 37). Wolters’ )bertragungen der Minnelieder und Spr"che erscheinen jedoch erst 1909, also 16 Jahre nach der Entstehung von Frauenlob (Wolters, Friedrich: Minnelieder und Spr"che. )bertragungen aus den deutschen Minnes%ngern des 12. bis 14. Jahrhunderts. Berlin: Holten 1909. S. 138 f.). 147 Kçnig: Ein altdeutsches Liederbuch. S. 588. 148 Zur Beschreibung der Miniatur siehe Walther, Ingo F. (Hrsg.): Codex Manesse. Die Miniaturen der Grossen Heidelberger Liederhandschrift. 5. Aufl. Frankfurt am Main: Insel 1992. S. 264. Typisch f#r die damalige Sicht des Mittelalters als einer ,naiven‘ Epoche ist Robert Kçnigs sentimentalischer Kommentar zu den Dich-

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Beschreibung Frauenlobs als %sthetizistischer Dichter avant la lettre als auch seine bildliche Repr%sentation als Dichterkçnig und Gr#nder einer Meisters%ngerschule d#rften reichlich Identifikationspotential f#r George geboten und sein elit%res Selbstverst%ndnis angesprochen haben.149 2.3.2 Ambiguisierung mittelalterlicher Liedtypen Die beiden Gedichte Tagelied (SW III, 48) und Im ungl"cklichen Tone dessen von… (SW III, 49) stellen zweifellos einen Hçhepunkt von Georges Ann%herung an die mittelalterliche Dichtung dar – deutlicher und direkter wird sich George niemals sonst poetische Formen und Ausdrucksweisen des Minnesangs anverwandeln. Georges moderne Perspektivierung des Minnesangs besteht, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, vor allem in der Erzeugung von Ambiguit%t: Bilder und Konstellationen, die im mittelalterlichen Minnesang vçllig eindeutig sind, çffnet George so weit, dass sie zu oszillieren beginnen. Im folgenden Abschnitt soll herausgearbeitet werden, wie diese poetische Strategie funktioniert und welche intertextuellen und intermedialen )berblendungen George vornimmt. Dieses Verfahren stellt sich vor allem als Spiel mit Lesererwartungen dar; f#r den Leser ergibt sich ein reizvoller produktiver Widerstreit zwischen mittelalterlicher Folie und moderner Konkretisierung. Die beiden oben genannten Gedichte sind besonders einschl%gig, da sie bereits im Titel auf die mittelalterliche Dichtungstradition verweisen: Tagelied referiert auf ein bestimmtes lyrisches Genre und Im ungl"cklichen Tone dessen von… auf den Personalstil eines fiktiven ,typischen‘ mittelalterlichen Minnes%ngers. In Genettes Terminologie handelt es sich also um einen Fall von Architextualit%t150 (Tagelied) und einen Fall von Hyperterbildern: „Diese ,Miniaturen‘, die selbstverst%ndlich keinen Anspruch auf Port%t%hnlichkeit machen kçnnen, lassen jeden von ihnen in einer charakteristischen Stellung oder Handlung erscheinen, die durch ihre Naivet%t oft fast r#hrend wirkt und das kritische L%cheln der modernen Welt nicht aufkommen l%ßt.“ (Kçnig: Ein altdeutsches Liederbuch. S. 585). 149 Die bei Kçnig fixierte Bezeichnung Frauenlobs als ,Meisters%nger‘ hat George offensichtlich #bernommen, wie sein handschriftlich verfasster Kommentar zum Titel der franzçsischen Version bezeugt: „Louange feminin nom d’(un ma1tre chanteur)“ (Anhang zu SW III, 131). 150 Mit Architextualit%t bezeichnet Genette die Zugehçrigkeit eines Textes zu einer Gattung; es handele sich dabei um eine „unausgesprochene Beziehung, die bestenfalls in einem paratextuellen Hinweis auf die taxonomische Zugehçrigkeit des Textes zum Ausdruck kommt“ (Genette: Palimpseste. S. 13).

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textualit%t, genauer gesagt um ein Pastiche (Im ungl"cklichen Tone dessen von…). George aktualisiert damit zwei Darstellungsmuster von Liebe, die im mittelalterlichen Minnesang prominent ausgepr%gt waren: das Tagelied-Modell und das Modell der ,hohen Minne‘ in Im ungl"cklichen Tone dessen von… Im System des mittelalterlichen Minnesangs sind beide Modelle komplement%r: Neben der çffentlich verhandelten ,hohen Minne‘ steht das heimliche Stelldichein im Tagelied. Das Konzept der ,hohen Minne‘ ist der stete Dienst des Ritters an seiner Herrin ohne sexuelle Begegnung. Gem%ß der Rollenfiktion preist der Minnes%nger die Dame, die ihn zwar nicht erhçrt, aber als idealer beziehungsweise idealisierter Zielpunkt seines Strebens zu stetiger Anstrengung ermuntert und in diesem Sinn einen versittlichenden Einfluss auf ihn aus#bt. Dieses Modell wurde im 19. Jahrhundert stark betont, da es mit seinem Fokus auf Entsagung und platonische Liebe den restriktiven Moralvorstellungen der Gesellschaft genau entsprach.151 Die Gattung des Tagelieds stellt das fiktionale Gegenmodell zur ,hohen Minne‘ dar: die heimliche Liebe, die sexuelle Erf#llung gefunden hat. Der Titel Tagelied (SW III, 48) l%sst sich mit Genettes Begrifflichkeit als ein deutliches paratextuelles Signal begreifen, das an den Erwartungshorizont des Lesers appelliert und rezeptionssteuernd wirkt.152 Diese Markierung ruft unmittelbar bestimmte Erwartungen an den Inhalt hervor. Angesichts von Georges umfangreicher Kenntnis mittelalterlicher Literatur besteht kein Zweifel daran, dass George mit den Konventionen des mittelalterlichen Genres Tagelied vertraut war. Georges Tagelied entspricht mit seinem dreistrophigen Aufbau nicht nur einem typischen Formmerkmal der Gattung. Es enth%lt zudem auf den ersten Blick alle konstitutiven Handlungselemente eines Tagelieds:153 Zwei Liebende im Morgengrauen, drohender Abschied, Wechselrede der Liebenden, Liebesbeteuerungen und das obligatorische W%chterhorn.154 Bei n%herem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass George die typische Tageliedsituation in 151 Cramer: Mittelalter in der Lyrik der Wilhelminischen Zeit. S. 51 – 53. 152 Vgl. Genette: Palimpseste. S. 14. 153 Schultz’ Behauptung, dass Georges Tagelied „in Form und Inhalt keine Beziehung zu mittelalterlichen Vorbildern“ habe, ist unzutreffend (Schultz: 'berlieferung und Urspr"nglichkeit. S. 39). 154 Im Vorwort zu Georges Ausgabe Deutscher Minnesang erl%utert Bruno Obermann: „Besondere Arten der Lieder bildeten unter andern die nach romanischem Vorbilde, besonders seit Wolfram von Eschenbach beliebten ,Tagelieder‘, in welchen der W%chter beim anbrechenden Tage durch seinen Ruf die Liebenden trennt […].“ (Obermann: Deutscher Minnesang. S. 7).

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signifikanter Weise abwandelt, wie bereits in der ersten Strophe deutlich wird: TAGELIED Da nacht den neuen morgen noch umschattet Und dein gemach (Ein sichres dach) Noch lange freuden uns gestattet: Was soll dein leises weinen Und dein weher blick? – Des gl#ckes stunden meinen F#r mich ein missgeschick.

George macht aus der Eindeutigkeit der typischen Tageliedsituation eine mehrdeutige Angelegenheit. Zum einen bleiben die Sprecher unbestimmt: Die Gattungskonvention legt zwar nahe, dass es sich beim Ich um ein m%nnliches lyrisches Ich und beim angesprochenen Du um ein weibliches handelt, aber der Text selbst l%sst diese Frage offen.155 Zum zweiten ist die Sprechsituation zeitlich vorverlegt: Es ist noch nicht ganz Morgen und der Moment des Abschieds liegt noch in weiter Ferne („Noch lange freuden uns gestattet“, V. 4). Insofern gibt die Betr#bnis des angesprochenen Du sowohl dem lyrischen Ich als auch dem Rezipienten des Gedichts R%tsel auf: Warum weint die zweite Person? Ist es die vorweggenommene Trauer #ber den baldigen Abschied, wie etwa Ernst Morwitz erkl%rt?156 Allerdings deuten die beiden letzten Verse von Tagelied an, dass diesmal nicht das Trennungszeichen des W%chters den Kummer verursacht: „ – O mçchten dann nur meine tr%nen rinnen / Wann uns des w%chters horn zu scheiden zwingt.“ [Hervorhebung J. S.] Worin besteht das „missgeschick“, das lexikalisch aus dem Tagelied-Ton herauszufallen scheint?157 Sorgt sich das Gegen#ber darum, durch das n%chtliche Beisammensein entehrt worden zu 155 Die Offenheit von Georges Tagelied ist noch grçßer als Osterkamp meint, wenn er feststellt, dass unklar ist „ob die Frau oder der Mann“ hier spreche (Osterkamp: Frauen im Werk Stefan Georges. S. 29). Es ist n%mlich keineswegs auszuschließen, dass hier sogar ein Mann zu einem Mann spricht. Allerdings sprechen einige Argumente daf#r, dass das Du weiblich ist: Die Rolle der Zur#ckgelassenen ist typischerweise diejenige der Frau, und das Seidentuch (Str. 3) ist ein weibliches Accessoire (man stellt sich vor, wie die Frau den Namen des Manns in das Seidentuch eingestickt hat). 156 Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 82. 157 In Grimms Wçrterbuch wird das Wort „miszgeschick“ mit dem lateinischen Ausdruck fortuna adversa erkl%rt, bezieht sich damit auf das widrige Schicksal. (http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB&mode= Vernetzung&lemid=GM05460#XGM05460; letzter Abruf: 25. 7. 2017)

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sein oder durch die Liebe die Seelenruhe verloren zu haben? Beklagt es den Verlust der sexuellen Unschuld oder f#rchtet es sich, diese in den noch verbleibenden Stunden zu verlieren? Welches „missgeschick“ die zweite Person meint, kann der Leser nur aus der Antwort der ersten Person erahnen, welche die gesamte Mittelstrophe einnimmt: Es trçste dich mein schwur Dass du auch f#rder keusch mir bist Und ich zu deinen f#ssen Ergeben dich als engel nur Beschauen will und gr#ssen · Dein ganzer leib mir lieb und heilig ist · An jedem glied Mein haupt mit inbrunst h%ngt Und mit gesenktem lid So wie man Gott empf%ngt. (SW III, 48)

Durch diese Entgegnung wird das beklagte „missgeschick“ mit der Vorstellung von Keuschheit verbunden, was Interpreten zu der Schlussfolgerung gef#hrt hat, es handle sich hier sozusagen um ein Pl%doyer f#r die Keuschheit. So hat Ernst Osterkamp das Gedicht Tagelied als Beispiel f#r die „Entsexualisierung der Frauenschemen“ in den Sagen und S#ngen angef#hrt und die These aufgestellt, das Tagelied sei George „gegen die Gattungskonvention noch zu einer tour de force der Keuschheit [geraten]“.158 Allerdings ist die Wendung „Dass du auch f#rder keusch mir bist“ eigent#mlich: Durch den dativus ethicus „keusch mir bist“ (Hervorhebung J. S.) wird die Bewertung der Keuschheit sozusagen in den Blick der sprechenden Person verlagert und damit zu einer Frage der persçnlichen Einsch%tzung gemacht. Die Keuschheit wird nicht als Tatsache behauptet, sondern liegt allein in der Wahrnehmung des lyrischen Ich. Diese Benutzung von ,keusch‘ wirft Fragen auf. W%re die zweite Person tats%chlich ,keusch‘ geblieben, m#sste das lyrische Ich nicht schwçren, dass es sie auch in Zukunft als keusch auffassen wird. Oder hat im Gegenteil noch nichts stattgefunden? Versichert die erste Person dann seinem Gegen#ber, dass sie auch in den kommenden Stunden nichts ,Unkeusches‘ von ihm zu bef#rchten hat? Auch das altert#melnde Temporaladverb „f#rder“ ist mehrdeutig. Es kann sich auf zwei verschiedene Zukunften beziehen: Entweder auf die nahe Zukunft, das heißt auf die noch verbleibenden Stunden vor dem W%chterruf, oder auf die fernere Zukunft, wenn die erste 158 Osterkamp: Frauen im Werk Stefan Georges. S. 29.

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Person auf Fahrt und die Liebenden deshalb getrennt sein werden. Im Sinne der symbolistischen Suggestionspoetik wird hier das Wesentliche nur angedeutet und das in der ersten Strophe aufgeworfene R%tsel nicht gelçst. Die Bildlichkeit der zweiten Strophe verschiebt sich deutlich ins Religiçse. Die gestische Unterwerfung der ersten Person („zu deinen f#ssen“) korrespondiert mit der Erhçhung und Sakralisierung des Liebesobjekts. In der Forschung wurde bisher die Parallele zur Kommunion beziehungsweise der Eucharistie betont, die sich assoziativ aus der Kombination von ,leib‘, ,heilig‘ und „So wie man gott empf%ngt“ ergibt.159 Dagegen mçchte ich ein anderes Argument stark machen: Viel offensichtlicher als die Kommunions-Parallele in dieser Strophe ist ihr intermedialer Bezug zum Bildtypus der Verk#ndigungsszene, einem h%ufigen Motiv in der mittelalterlichen Malerei. Dieser intermediale Bezug wurde in Tagelied bisher noch nicht gesehen, obwohl bekannt ist, dass George sich in anderen Gedichten auf Marienbilder bezieht (vgl. etwa Ein Angelico).160 Die Annahme, dass George an dieser Stelle auf Motive mittelalterlicher Bildkunst anspielt, wird auch dadurch gest#tzt, dass George von den Sagen und S#ngen als seinen „gemalten“ Gedichten gesprochen hat.161 Zudem gab er auch dem fast zeitgleich entstandenen Kurzdrama Die Herrin betet den Untertitel Eine sage im sinn der altkçlnischen meister. Damit verwies er auf das Vorbild der kçlnischen Malerschule des Mittelalters und zeigte qua Subtitel explizit eine intermediale Bezugnahme an. In der zweiten Strophe von Tagelied 159 Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 82; Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 40; Robert Vilain sieht hierin eine Parallele zu einer Stelle aus Goethes Faust (Vilain, Robert: Stefan George’s Early Works 1890 – 1895. In: A companion to the works of Stefan George. Hrsg. von Jens Rieckmann. Rochester, NY: Camden House 2005. S. 51 – 77, S. 67 u. 75). 160 Zu Ein Angelico siehe: Fechner, Jçrg-Ulrich: Der alte Meister und mein sehr fr"her verehrter Lehrer – der Mçnch von Fiesole. )berlegungen zu Stefan Georges Sonett ,Ein Angelico‘. In: Studi germanici 37 (1999) N.1. S. 81 – 100. Auch im ersten Vorspiel-Gedicht zum Teppich des Lebens (SW V, 10) lehnt sich George an die Ikonographie der Verk#ndigungsszene an. 161 Im August 1895 schrieb George an Ida Coblenz: „Ich stehe wieder an einem Wendepunkt und blicke auf ein ganzes Leben zur#ck, das, wie ich f#hle, von einem ganz anderen abgelçst wird. Ich mçchte es mit der Herausgabe meiner B#cher schliessen. Ich mçchte Hymnen, Pilgerfahrten und Algabal im ersten, Hirtengedichte, Sagen und S%nge und H%ngende G%rten im zweiten und die letzten Gedichte als Annum animae oder Jahr der Seele im dritten vereinigen. So sind meine gesungenen, meine gemalten und meine gesprochenen Werke zusammen.“ (Zitiert nach: Zeller, Bernhard (Hrsg.): Stefan George 1868 – 1968. Der Dichter und sein Kreis. Eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs im Schiller-Nationalmuseum Marbach a. N. M#nchen: Kçsel 1968. S. 103.)

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wird jedenfalls eine Gestik beschrieben, die deutlich auf die Ikonographie der Verk#ndigungsszene anspielt: Die erste Person imaginiert sich als (kniender) Engel, der die zweite Person „[b]eschauen“ und „gr#ssen“ mçchte – wie der Engel der Verk#ndigung Maria, die Muttergottes, gegr#ßt hat. Auch im Schlussvers „So wie man Gott empf%ngt“ klingt assoziativ Mariae Empf%ngnis an. In jedem Fall wird in dieser konstellativen Referenz die Bildwelt der Verk#ndigungsszene aufgerufen. Dass der Schlussvers sowohl im Sinne eines Vergleichs mit der Kommunion als auch mit Mariae Empf%ngnis gelesen werden kann, h%ngt mit der syntaktischen Mehrdeutigkeit der Formulierung „als engel“ zusammen: Die erste Person kçnnte sich selbst als Engel bezeichnen oder aber die zweite Person als Engel ansprechen. Dies erzeugt eine grçßere Offenheit f#r Zuschreibungen. Aufgrund der einseitigen Fokussierung auf den Begriff „keusch“ wurde in der Forschung vernachl%ssigt, dass die Idee der Keuschheit in der zweiten Strophe im Grunde vollkommen konterkariert wird. Fast in jedem Vers geht es um Kçrper und visuelle Erscheinung: „f#sse[ ]“, „ganzer leib“, „jede[s] glied“. Der Blick des lyrischen Ichs gleitet sozusagen am Kçrper des Gegen#bers entlang („beschauen“), sogar eine k#ssende Ber#hrung ist denkbar („An jedem glied / Mein haupt mit inbrunst h%ngt“). Hier wiederholt sich die Konstruktion mit dativus ethicus („Dein ganzer leib mir lieb und heilig ist“, Hervorhebung J. S.), was die Bewertung wiederum in den subjektiven Blick des Betrachters verlagert. Die Adjektive „lieb“ und „heilig“ weisen in zwei entgegengesetzte Richtungen: „lieb“ zielt auf N%he, „heilig“ auf Distanz. Dies bringt zum Ausdruck, wie sehr die Rede des lyrischen Ichs zwischen Anziehung und R#cknahme schwankt. George #berblendet das Geschehen zwar mit religiçsen Bildern und christlichen Deutungsmustern (Maria, Kommunion), gleichzeitig ist diese Strophe dem Leiblichen sehr zugewandt. Die starke Fixierung auf Kçrperliches l%uft insofern der Idee von Keuschheit zuwider. In der dritten und letzten Strophe relativiert George diese Ambiguit%t wieder, indem er gleich mehrere Motive aus der mittelalterlichen TageliedTradition anzitiert: den bevorstehenden Auszug des Geliebten zu „ferner fahrt“ und „spiel und schlacht“, ein Seidentuch als Minnepfand und das W%chterhorn: Und trenn ich mich f#r heut · f#r ferne fahrt: Ich trage auf der brust verwahrt Das seidentuch worauf dein name steht Der mich wie ein gebet Eh spiel und schlacht beginnen

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Best%rkt und sieg mir bringt. – O mçchten dann nur meine tr%nen rinnen Wann uns des w%chters horn zu scheiden zwingt. (SW III, 48)

Hieraus spricht Siegeszuversicht. Das Seidentuch, das die erste Person als Liebespfand mit sich in die Ferne nehmen will, spielt womçglich auf den seidenen Riemen am Fuß des Falken im ber#hmten Falkenlied des K#renbergers an.162 Zusammenfassend l%sst sich sagen, dass George die mittelalterliche Gattung des Tagelieds aktualisiert, indem er das stark konventionalisierte Genre mit einem hohen Maß an Ambiguit%t aufbricht. Der Reiz dieses Gedichts liegt damit vor allem im Unbestimmten: im Ungesagten, #ber das der Leser nur r%tseln kann, und im Changieren der Bilder zwischen weltlicher und himmlischer Liebe. George bedient sich dabei intermedialer Referenzen auf die religiçse Ikonographie, so dass im Gedicht unterschiedliche thematische Bereiche wie Religion und Sexualit%t miteinander verschmelzen – der ,Entsexualisierung‘ des Genres steht eine Erotisierung des Religiçsen entgegen. Durch die Ambiguisierung der ,Keuschheit‘, die im mittelalterlichen Tagelied keine zentrale Rolle spielt, entsteht ein Fokus auf die Frage der ,Keuschheit‘ und zugleich ein Fokus auf den kçrperlichen Vollzug. Jedoch wird durch die Subjektivierung der Perspektive sowohl die Keuschheit als auch die Heiligkeit in das Auge des Betrachters verlagert. Georges Tagelied ist somit nicht eindeutig aufzulçsen, sondern gestaltet ein Wechselspiel zwischen Anziehung und Entsagung, Sakralisierung und Kçrperlichkeit. Das dem Tagelied-Konzept komplement%re Modell der ,hohen Minne‘ l%sst George im Gedicht Im ungl"cklichen Tone dessen von… (SW III, 49) anklingen: IM UNGL)CKLICHEN TONE DESSEN VON… Lçset von diesem brief sanft den knoten · Empfanget ohne groll meinen boten · Denket er k%me von einem toten!

162 In Georges Ausgabe von Deutscher Minnesang lautet die Strophe (#bertragen von Bruno Obermann): „Ich zog mir einen Falken // l%nger als ein Jahr. […] Drauf sah ich den Falken // wieder stattliche fliegen, / Er trug an seinem Fuße // seidene Riemen“. In der Fußnote wird erl%utert: „Der Falke, d. h. der Geliebte ist ihr entflogen und in die Fesseln einer andern geraten“ (Obermann: Deutscher Minnesang. S. 26).

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Als ich zuerst euch traf habt ihr gesprochen: ›Dort haust ein wurm der jeden feind verachtet‹ Zu seinen kl#ften bin ich flugs gesprengt · Nach heissem ringen hab ich ihn erstochen · Doch seitdem blieb mein haar versengt – Worob ihr lachtet. ›Ich h%tte gern den turban des korsaren‹ So scherztet ihr – ich folgte blind Und bin aufs meer in l%rm und streit gefahren · Mit meinem linken arme musst ich’s b#ssen · Den turban legt ich euch zu f#ssen · Ihr schenktet ihn als spielzeug einem kind. Ihr saht wie ich mein gl#ck und meinen leib In eurem dienst verdarb · Euch gr%mte nicht in f%hrden mein verbleib · Ihr danktet kaum wenn ich in sturm und staub Euch ruhm erwarb Und bliebet meinem flehen taub. Nun leid ich an einer tiefen wunde · Doch dringt euer lob bis zur lezten stunde · Schçne dame · aus meinem munde. (SW III, 49)

Bereits der Titel signalisiert, dass es sich bei diesem Gedicht um ein Pastiche einer bestimmten Sageweise handelt, um das Weiterdichten eines konventionalisierten ,Tons‘.163 George formuliert den Titel so, dass neben der allgemeinen Verwendung von ,Ton‘ im Sinne von Klangweise oder Musikart auch die mittelalterliche Bedeutung des Terminus aufscheint. In der mittelalterlichen gesungenen Dichtung und im Meistersang meint ,Ton‘ (don) die metrisch-musikalische Einheit von Strophenform und Melodie. Die Erfindung neuer Tçne und das Weiterdichten in bekannten Tçnen gehçrten zu den formalen Eigenheiten des Minnesangs. George schreibt den „ungl#cklichen Ton[ ]“ vorgeblich einem Minnes%nger zu, indem er die typische Namensbildung von Minnes%ngern alludiert („dessen von…“, vgl. etwa „Der von K#renberg“), aber dessen Identit%t mit Auslassungspunkten verschweigt. Genauso wie diese simulierte Autorfiktion ist die 163 Vgl. Schloon, Jutta: Interpretationen von Im ungl"cklichen tone dessen von… (SW III, 49) und Das lied des zwergen (SW III, 64 – 65). In: Stefan George – Werkkommentar. Hrsg. von J#rgen Egyptien. Berlin, Boston: de Gruyter 2017. S. 139 – 148, hier S. 139 – 143. Die folgende Interpretation von Im ungl"cklichen tone […] ist als Modellinterpretation im Stefan-George-Werkkommentar erschienen und hier in nur unwesentlich #berarbeiteter Form #bernommen.

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Bennung eines „ungl#cklichen Ton[s]“ offensichtlich ein Nullverweis ohne reales Korrelat in der mittelhochdeutschen Lyrik – einen „ungl#cklichen Ton“ hat es nicht gegeben. Das Adjektiv „ungl#cklich“ kann entweder im Sinne von „mißlungen“ gelesen werden, was eine gewisse Ironisierung schon in der )berschrift andeuten w#rde, oder als Benennung f#r die Grundstimmung des Gedichts. Denn in der Tat handelt es sich um ein Klagelied – ja, nicht nur um ein Klagelied, sondern geradezu um ein Anklagelied: Das m%nnliche lyrische Ich bedauert die abweisende Haltung der umworbenen Dame, die sein Werben nicht erhçrt. Formal gestaltet George einen fiktiven Minnebrief, eine vor allem im hçfischen Epos verbreitete und seit dem Sp%tmittelalter auch selbst%ndige lyrische Form.164 Das lyrische Ich spricht die Dame zwar direkt an („ihr“), aber die Kommunikation ist durch zwei Instanzen vermittelt: zum einen durch den Brief, zum zweiten durch die Figur des Boten (V. 2), die ebenfalls zum typischen Personal des Minnesangs gehçrt.165 Im ungl"cklichen Tone dessen von… ist aus f#nf Strophen aufgebaut; die rahmenden Strophen bestehen jeweils nur aus drei Versen, wohingegen die drei inneren Strophen jeweils doppelt so viele Verse umfassen.166 Inhaltlich gliedert sich der Minnebrief in vier Abschnitte: Anrede (V. 1 – 3), ausf#hrliche Klage (V. 4 – 15), res#mierende Klage (V. 16 – 21) und Fazit (V. 22 – 24). Die affektive Dissonanz zwischen lyrischem Ich und Dame spiegelt sich in den rhythmisch unregelm%ßigen Versen der Rahmenstrophen. George verleiht diesem Gedicht durch sparsam verwendete Archaismen historisches Kolorit: interkonsonantisches ,e‘167 (V. 1 – 3), das mittelhochdeutsche Wort „wurm“ (V. 5) f#r Lindwurm/Drachen und der altert#mliche Ausdruck „in f%hrden“ (V. 18) f#r „in Gefahr“ (von mhd. værde).168 164 Knçrrich, Otto: Lexikon lyrischer Formen. 2., #berarb. Stuttgart: Krçner 2005. S. 148. 165 Zur Pr%valenz von „medialen Figuren“ in Georges Dichtung siehe Baumann, G#nter: Medien und Medialit#t. In: Stefan George und sein Kreis. Bd. 2. S. 683 – 712, S. 710 f. 166 Anderson meint hierin eine freie Madrigalform zu erkennen (Anderson, Dennis Robert: Metrics und Meaning in the Early Poetry of Stefan George. New York: Diss. 1975. S. 248). 167 Das interkonsonantische ,e‘ gehçrt zu den meistgebrauchten Archaismen des 19. Jahrhunderts (Leitner, Ingrid: Sprachliche Archaisierung. Historisch-typologische Untersuchung zur deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts. Frankfurt am Main: Lang 1978. S. 11). 168 http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_py?sigle=DWB&mode= Vernetzung&lemid=GF00331#XGF00331 (letzter Abruf: 25. 7. 2017). Vgl. den

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Die erste Strophe erçffnet mit einer captatio benevolentiae, welche die Briefempf%ngerin f#r die Aufnahme der Botschaft gewogen stimmen soll. Die Aufforderung, die Dame solle den Absender f#r tot halten (V. 3), spitzt die Sprechsituation dramatisch zu, was typografisch noch durch ein Ausrufezeichen unterstrichen wird: Das lyrische Ich sendet sozusagen seine ,letzten Worte‘. Dies wird in der Schlussstrophe noch einmal bekr%ftigt: „bis zur lezten stunde“ (V. 23). In %hnlicher Weise hat George das historische Rollengedicht Frauenlob inszeniert, in dem der sterbende Dichter noch in seinen letzten Atemz#gen die Frauen lobt. Die beiden folgenden Strophen konstrastieren die W#nsche der Dame mit den Anstrengungen des Minnenden. Der verk#rzte Vers „Worob ihr lachtet“ am Ende der zweiten Strophe wirkt wie eine komische Pointe, denn die Diskrepanz zwischen dem hartherzigen Verhalten der Dame und dem treuen Liebesdienst des lyrischen Ich ist drastisch geschildert, ja mutet fast grotesk #bersteigert an. Die Dame erscheint hier leichtfertig („So scherztet ihr“, V. 11), grausam – eine femme fatale in mittelalterlichem Gewand oder auch eine Inkarnation der bei den franzçsischen Symbolisten so beliebten Figur der belle dame sans merci.169 Zweimal stellt die Dame den liebenden Mann auf die Probe und fordert Taten als Liebesbeweise. Sie w#nscht sich, dass er einen Drachen tçtet – hier klingt abermals das mit Siegfried assoziierte Drachentçter-Motiv an – und ihr „den turban des korsaren“ bringt. Zwei gef%hrliche Taten, f#r die der Minnes%nger in widrige und fremde Landschaften vordringen muss. Die raue Natur spiegelt die Widerspenstigkeit der Dame wider, und zugleich spielen diese Ausfahrten auf die Abenteuerfahrten der Ritter in den hçfischen Romanen des Mittelalters an (aventi&ren). Die raue Landschaft ist die heroische Landschaft, in welcher der Held sich zu bew%hren hat. Mit dem ,Turban des korsaren‘ beschwçrt George zudem eine diffus orientalische Atmosph%re herauf und antizipiert damit bereits die Szenerien im Buch der H#ngenden G#rten. Die Grausamkeit der Dame kontrastiert mit dem steten Dienst des Liebenden, der auf seinen Fahrten kçrperliche Sch%den davontr%gt: verbranntes Haar (V. 8) und Verlust des linken Arms (V. 13). Allerdings deutet sich in diesen Sch%den eine Ironisierung der Situation an, denn die verbrannten Haare Ausdruck „In F%hrden und Nçten […]“ in Ludwig Uhlands Gedicht Der 'berfall im Wildbad. Die nach dem Befund der handschriftlichen Korrekturen erhobene Annahme, George habe „f%hrden“ synonym zu „fahren“ benutzt, ist also nicht zwingend (Anhang zu SW III, S. 132). 169 Zum Mythem der belle dame sans merci siehe Grigorian, Natasha: European Symbolism. In Search of Myth (1860 – 1910). Oxford 2009. S. 184 f.

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sind kein wirklich schwerer Schaden und dass es der linke Arm ist, erscheint unkonventionell, denn der rechte Arm ist f#r Kampf und f#r Schwur der wichtigere Arm. Die Ritter Rudolf von Rheinfelden (ca. 1025 – 1080) und Gçtz von Berlichingen (1480 – 1565) verloren beispielsweise ihre rechte Hand im Kampf. Dass das lyrische Ich den linken Arm verliert, weist daher auf eine ironische Brechung des konventionellen Heldentopos hin. Auch die beiden letzten Strophen bewegen sich in einer Spannung zwischen Konventionalit%t und Ambivalenz. Konventionell begreift sich das lyrische Ich als Minne-Diener (V. 17) und beklagt die Unnahbarkeit der Dame („[Ihr] bliebet meinem flehen taub“, V. 21). Aber die beiden Schlussverse lassen die Konventionalit%t des Bildes ambivalent erscheinen: Doch dringt euer lob bis zur lezten stunde · Schçne dame · aus meinem munde.

Wie Hans Stefan Schultz gezeigt hat, entsprechen Georges Haufenreim „wunde“ – „stunde“ – „munde“ den Reimworten in Schillers Ballade Der Handschuh („Munde“ – „Kunigunde“ – „Stunde“).170 Im ungl"cklichen Tone dessen von… ist also zugleich auch eine Antwort auf Schillers Ballade, in der das gleiche Motiv gestaltet ist:171 Eine Dame fordert vom liebenden Ritter einen gef%hrlichen Liebesbeweis. Bei Schiller reagiert der Ritter auf diese Provokation, indem er voll stolzer Verachtung den Dank der Dame zur#ckweist: „Den Dank, Dame, begehr’ ich nicht“.172 Im Gegensatz zu Schiller, wo der Ritter nach #berstandener Gefahr als strahlender Held unverletzt zur#ckkommt, hat jedoch Georges Held heftige Einbußen erlitten. Die %ußere Versehrung des Ritters ger%t in immer grçßeren Kontrast zu seiner inneren Idealit%t – dieser Gegensatz hat durchaus komisches Potential.173 Die intertextuelle Referenz verst%rkt den Eindruck einer Parodie sowohl auf Schiller als auch auf den mittelalterlichen Minnedienst, der hier pervertiert erscheint als vergeblicher Dienst an einer mittelalterlichen femme fatale. 170 Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 41. 171 Schultz, Hans Stefan: 'ber das Verh#ltnis Stefan Georges zu Schiller. In: Deutsche Beitr#ge zur geistigen 'berlieferung 4. Band: Friedrich Schiller 1759 – 1959 (1961). S. 109 – 129, hier S. 117. 172 Schiller: S#mtliche Gedichte und Balladen. S. 63 – 65, hier S. 65. 173 Zu Georges Verh%ltnis zu Parodie und Satire siehe Eschenbach: Imitatio im GeorgeKreis. S. 17 f. und 142 – 145. Zur Rolle der Ironie in Georges Selbstinszenierung siehe Baudisch, Christian: Ironische Fingerzeige – Stefan George setzt sich in Szene. In: Deixis. Vom Denken mit dem Zeigefinger. Hrsg. von Heike Gfrereis u. Marcel Lepper. Gçttingen: Wallstein 2007. S. 89 – 109.

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Aber auch Trotz schwingt mit, denn der Geschundene spricht selbst und h%lt an seinen Idealen fest, auch wenn es ihn Leib und Leben gekostet hat. Er beweist dadurch „ritterliche Haltung“,174 wie sie %hnlich auch in Jean Mor-as’ Gedicht Pleurer un peu aus der Sammlung Les Cantil(nes (1886) geschildert ist, von dem sich George eine Abschrift angefertigt hat.175 In poetologischer Hinsicht ist wichtig, dass am Ende der Briefschreiber das letzte (gedichtete) Wort beh%lt: „aus meinem munde“ (V. 24). Er stirbt mit einem Lied auf den Lippen, als Ausweis seiner Entscheidung zu dichten. Trotz der vorher geschilderten Ohnmacht gegen#ber der Dame beweist der Dichter dadurch am Ende seine Macht und Souver%nit%t: Nur durch sein Lob, durch seinen Gesang wird aus der grausamen Dame eine „schçne dame“. So f#hrt diese Strophe neben unersch#tterlicher Treue zum Ideal auch die Macht des Dichterwortes vor. Insofern oszilliert Im ungl"cklichen Tone dessen von… zwischen dem Ironischen und Nicht-Ironischen, wobei die Komik nur ein Aspekt einer Brechung ist, die es erlaubt, Negativit%t in das Gedicht zu integrieren. Die Ernsthaftigkeit bleibt wichtig, vor allem bez#glich der poetologischen Pointe der Schlussstrophe. Das Briefgedicht pr%sentiert sich als ambivalente Minneklage, die zun%chst die Grausamkeit der Dame mit dem steten Dienst des Liebenden kontrastiert, um am Ende in einer poetologischen Wendung die Macht des Dichterwortes zu verk#nden. Der verr%tselnde Titel pr%tendiert das Weiterdichten eines #berlieferten ,Tones‘ und verweist damit auf die Tradition des Minnesangs. George schreibt aber nicht nur die mittelalterliche Tradition weiter, sondern auch die Tradition der modernen Mittelalterrezeption seit 1800, wie der intertextuelle Bezug auf Schillers Der Handschuh und die !hnlichkeit mit symbolistischen Motiven beispielsweise eines Jean Mor-as zeigt. Insofern manifestiert sich im Titel Variations sur th(mes germaniques der als erstes geschriebenen Sage ein ganzes Programm: Variationen sind diese Gedichte, indem sie verschiedene Anl%ufe und Versuche unternehmen, eine Redeweise zu finden und zu einer Erkenntnis ,deutscher Themen‘ zu gelangen.

174 Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 41 und Schultz: 'ber das Verh#ltnis Stefan Georges zu Schiller. S. 118; vgl. Kolk: Literarische Gruppenbildung. S. 40; Grigorian: European Symbolism. S. 184. 175 Schultz: 'ber das Verh#ltnis Stefan Georges zu Schiller. S. 118. Zum Vergleich der beiden Gedichtschl#sse von George und Mor-as siehe Grigorian: European Symbolism. S. 185.

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2.3.3 Maskuline Wertewelten Zwar wandte sich George programmatisch dagegen, dass Kunst eine Weltanschauung oder Moral vermitteln solle, so etwa in einem Merkspruch aus den Bl#ttern f"r die Kunst aus dem Jahre 1894: „Die %lteren dichter schufen der mehrzahl nach ihre werke oder wollten sie wenigstens angesehen haben als st#tze einer meinung: einer weltanschauung – wir sehen in jedem ereignis jedem zeitalter nur ein mittel k#nstlerischer erregung. auch die freisten der freien konnten ohne den sittlichen deckmantel nicht auskommen (man denke an die begriffe von schuld usw.) der uns ganz wertlos geworden ist.“176 Dennoch kommen in den von George dargestellten ,Bildungswelten‘ zugleich auch Wertewelten zum Ausdruck. Die Mittelalter-Imaginationen vermitteln implizit Leitbilder. George sah, wie Friedrich Gundolf in seinem George-Buch schreibt, die Geschichte als Reservoir von ,Zeichen‘, und entsprechend fand er in der Vergangenheit auch Chiffren und Leitbilder f#r die Gegenwart.177 In diesem Sinne pr%sentieren die beiden Gedichte Irrende Schar und Der Waffengef#hrte Idealisierungen m%nnlicher Gemeinschaftsformen, die in starkem Kontrast zu den problematischen Liebeskonstellationen in den vorangegangenen Sagen stehen.178 Die Forschung hat diese Gedichte biographisch auf Georges eigenen M%nnerbund bezogen; Klaus Landfried etwa deutete Der Waffengef#hrte aus der sp%teren Lebenspraxis des George-Kreises heraus, sah in diesem Gedicht die „Urzelle des Georgeschen M%nnerbundes“ 176 Bl#tter f"r die Kunst II/2 (M%rz 1894), S. 34. 177 Vgl. Friedrich Gundolf: George. Vollst%ndiger, durchgesehener Neusatz bearbeitet und eingerichtet von Michael Holzinger. Erstdruck: Berlin (Georg Bondi), 1920. Hier in der dritten, erweiterten Auflage von 1930. Berlin: Holzinger 2013. S. 99 f. 178 In den thematischen Komplex medi%valer Gemeinschaftsformen gehçrt auch das Rollengedicht Der Einsiedel (SW III, 55), das mit der Figur des religiçsen Einsiedlers und der Figur des weltlich-heldenhaften Sohns die zwei Modelle der vita contemplativa und der vita activa aufruft (vgl. ebd. S. 99; Hartmann: Mittelalterliches Mçnchtum. S. 418). Die Bewegung von Einkehr und Auszug des Sohnes, welche das Gedicht beschreibt, greift das Auszugsmotiv aus Die Tat wieder auf, so dass die Anordnung der Gedichte im Zyklus Sagen die typischen Strukturmomente des Artusromans von Auszug, Einkehr und erneutem Auszug andeutet. Wie Heiko Hartmann gezeigt hat, verschiebt der vage intertextuelle Bezug auf den ParzivalStoff die Bewertung der beiden Lebensmodelle latent in Richtung des ausziehenden Helden, der – in Anspielung auf Parzivals Weg zur Gralsherrschaft – das hçchste Ziel, das ihm durch hçhere Sendung vorbestimmt ist, auch gegen Widerst%nde verfolgt, und somit zum Sinnbild des K#nstlers wird, der auf der Suche nach hçchster Vollendung Gefahren in Kauf nimmt (ebd., insbes. S. 427).

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vorgebildet und interpretierte es als Ausdruck eines Schutz- und Abschirmungsbed#rfnisses Georges gegen#ber der Gesellschaft.179 !hnlich hat Rainer Kolk das Gedicht Irrende Schar auf biographische Parallelen zum George-Kreis hin untersucht, sieht aber die Pr%senz des Weiblichen und das Fehlen einer Gruppenhierarchie als Belege daf#r, dass Irrende Schar letztlich nicht als „Gr#ndungsurkunde[]“ des George-Kreises gelesen werden kann.180 Die biographische Komponente soll im Folgenden nicht weiter ausgeleuchtet werden, vielmehr sollen die %sthetischen Bedeutungspotentiale der Gedichte und die durch sie evozierten maskulinen Wertewelten im Vordergrund stehen. Das Gedicht Irrende Schar, das Markus Neumann als „Heldenballade“ klassifiziert hat,181 zeigt einen positiven Entwurf einer m%nnlichen Kampfgemeinschaft – einen Entwurf, der im Gegensatz zum vorausgehenden Gedicht Im ungl"cklichen Tone dessen von… ganz und gar unironisch daherkommt: IRRENDE SCHAR Sie ziehen hin gefolgt vom schelten · Vom bçsen blick der grossen zahl. Man sagt dass sie aus feenwelten Nach der geburt ein adler stahl. Ihr leben rinnt auf steten z#gen Als suchten sie von land zu land Die erde mit den goldnen pfl#gen Wo ihres gl#ckes wiege stand. Sie bluten willig im gefechte An meeresk#sten kahl und grau Und geben freudig ihre rechte F#r eine blasse stolze frau. Sie retten in den grossen nçten Wenn engel mit dem giftespfeil Zur strafe unerbittlich tçten – Sie dulden zu der andren heil. Wenn drob des lobes wolken qualmen · Das volk f#r sie begeistert tost: 179 Landfried, Klaus: Stefan George – Politik des Unpolitischen. Heidelberg: Stiehm 1975, hier S. 95 – 96. 180 Kolk: Literarische Gruppenbildung. S. 39 f. 181 Vgl. Neumann, Markus: „Irrende Schar“: Brechts „Ballade von den Seer#ubern“ als George-Kontrafaktur. In: Germanistik 15 (2005) H. 2. S. 387 – 394, hier S. 391.

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Hosannaruf und streu der palmen Sind eines tags und falscher trost. Da leitet sie ein sp%ter abend Zur burg worin das Hçchste Licht Mit mildem gruss die m#den labend Auf immer ihnen rast verspricht. In s%nge fliesst ihr erdenwallen Bei festlich rauschendem getçn · Sie werden selig unter hallen Die unverg%nglich neu und schçn. (SW III, 50 f.)

Im Titel des Gedichts klingt das Motiv der ,irrenden Ritterschaft‘ an, bekannt aus der Artusepik und weit verbreitet in den romanischen Literaturen des Mittelalters.182 Das Wort ,Schar‘ hatte George in Wolfram von Eschenbachs mittelalterlichem Epos Parzival finden kçnnen, denn Ausz#ge daraus waren in neuhochdeutscher )bersetzung in einem seiner Schulb#cher abgedruckt. Dort erz%hlt der Einsiedler Trevrizent dem jungen Parzival von der „ritterliche[n] Schaar“ der „Templeisen“, die den Gral in der Burg Montsalvas h#ten.183 Die Erinnerungen an die Gralssage und den mittelalterlichen Orden der Tempelritter schwingen allerdings nur assoziativ mit und werden auch im Verlaufe des Gedichts nicht konkretisiert. In starker Raffung wird der Lebensweg der ,irrenden Schar‘ in sechs Quartetten nachverfolgt, wobei die siebte und letzte Strophe bereits ihr Nachleben nach dem Tode perspektiviert. Der Sagenduktus des Gedichts wird durch die gleichsam auktoriale Sprecherperspektive, das erz%hlerische Pr%sens und die Erz%hlerformel „Man sagt dass“ (V. 3) unterstrichen. Die refrainartig einsetzenden Parallelismen („Sie ziehen“; „Sie bluten“; „Sie retten“; „Sie dulden“) heben die Handlung ins )berzeitliche und Allgemeine. Die beiden ersten Quartette verweisen auf die mythische Herkunft der ,irrenden Schar‘ und f#hren diese als eine verfemte Gemeinschaft ein. Damit wird, %hnlich wie in Frauenlob, der Außenseiter- und Duldergestus 182 Frz. im Plural chevalerie errante; ital. im Singular cavaliere errante. Parzivals Irrfahrten sind zentrale Handlungsmomente des Grals-Mythos. George kannte sowohl Ausschnitte aus Wolframs von Eschenbach Parzival (in: Gude: Auswahl deutscher Dichtungen aus dem Mittelalter) als auch Wagners Opern Lohengrin und Parsifal. Zudem besaß er ein Exemplar von Stuart Merrills Gedichtband Les fastes (1891), in dem erste Gedichte aus dessen unvollendet gebliebenem Wagner-Zyklus abgedruckt sind (Stuart Merrill: Les fastes. Paris: L-on Vanier 1891). 183 Gude: Auswahl deutscher Dichtungen aus dem Mittelalter. S. 137.

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der Gruppe betont. Sagentypische Motive wie die Herkunft aus „feenwelten“ (V. 3) und die Entf#hrung durch Raubvçgel, hier durch Adler, verleihen der Erz%hlung legendarischen Charakter. Der Adler als Symbol Christi und der Auferstehung unterstreicht die gçttliche Erw%hltheit der Gruppe und antizipiert zugleich den Gedichtschluss mit der Idee des ewigen Weiterlebens in der Dichtung. Als Fluchtpunkt der Suche wird ein vergangenes goldenes Zeitalter angedeutet, hier im heimatlich konnotierten Bild der „erde mit den golden pfl#gen / Wo ihres gl#ckes wiege stand“ (V. 7 – 8). Die dritte und vierte Strophe charakterisieren diese Gemeinschaft als eine tugendhafte, die sich in den klassischen Rittertugenden des Kampfes, des Frauendienstes und der karitativen Sorge bew%hrt. George blendet hier verschiedene Konzepte des Rittertums ineinander, das transhistorische Ideal des hçfischen Ritters und das Ideal des christlichen Ritters, des miles christianus. George hat den Gehalt mçglicher literarischer oder historischer Vorbilder jedoch so weit abstrahiert, dass der Daseinsform der ,irrenden Schar‘ ein #berzeitlicher Symbolwert zukommt. Durch Ambiguisierung werden verschiedene Bildwelten von Ritterlichkeit verschmolzen und mythisiert. Ab der f#nften Strophe ist die Irrende Schar nicht mehr das grammatische Subjekt, sondern wird zum Objekt. Darin zeichnet sich eine Wende ab – in der Objektwerdung der ,irrenden Schar‘ wird deren ,Gedichtwerdung‘ performativ vorgef#hrt. Die f#nfte Strophe leitet zu den beiden Schlussquartetten #ber, indem sie die Anerkennung des Volkes f#r die Leistungen der ,irrenden Schar‘ als tr#gerisch und ephemer kennzeichnet („des lobes wolken qualmen“; „Hosannaruf und streu der palmen“ als Anspielung auf Jesu Einzug nach Jerusalem). Im Kontrast dazu beschreibt die sechste Strophe, deren erstes Wort „Da“ eine Tonbeugung erfordert und dadurch einen Ausbruch aus dem Kontinuum der sich wiederholenden Taten markiert, die #berirdische Labung, die das „Hçchste Licht“ der ,irrenden Schar‘ bietet und die zugleich den Eingang in die Seligkeit ank#ndigt. Der „sp%te abend“ verweist auf das Lebensende,184 und das ,Hçchste Licht‘ spielt vage auf den heiligen Gral an, der #ber seine zwei wesentlichen Attribute Licht und Labung evoziert wird.185 Der Sehn184 Die abendliche Ankunft der ,irrenden Schar‘ entspricht den abendlichen Ank#nften Parzivals in Wolframs Epos (vgl. beispielsweise in Georges Ausgabe ebd. S. 126 und 129). 185 Bei Wolfram und auch bei Wagner wird der Gral als ,hçchstes Heil‘ bezeichnet (ebd. S. 137, vgl. Wagner, Richard: Die Musikdramen. Hamburg 1971. S. 86,

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suchstpunkt einer ,ewigen Rast‘ (V. 24) setzt dem Umherschweifen der nun nicht mehr ,irrenden Schar‘ ein Ende. Gleichzeitig bereitet diese Strophe den )bertritt in die Welt des Nachruhms vor, der in der letzten Strophe angedeutet wird. In der Schlussstrophe von Irrende Schar findet die endg#ltige Verkl%rung statt: „In s%nge fliesst ihr erdenwallen / Bei festlich rauschendem getçn · / Sie werden selig unter hallen / Die unverg%nglich neu und schçn.“ Der Fluchtpunkt von Irrende Schar ist damit die Apotheose der Helden im Medium des Gesanges: Erst die dichterische Vergegenw%rtigung macht die Helden unsterblich.186 Hierin zeigt sich das traditionell komplement%re Verh%ltnis von Dichter und Held: Der Dichter sichert den Nachruhm des Helden durch literarische Verewigung, und der Held liefert im Gegenzug dem Dichter den Stoff f#r seine Dichtung.187 Die in Irrende Schar suggerierten Modelle heroischer Gemeinschaft und des „Heroismus des verlorenen Postens“,188 den Rainer Kolk in Georges Dichtung artikuliert sieht, sind symptomatisch f#r ein von Dirk von Petersdorff konstatiertes „Minderheitenbewußtsein“,189 das sich auch in vielen sp%teren Gedichten Georges ausspricht. Irrende Schar bekr%ftigt nochmals das Primat der Kunst und Georges konsequent %sthetische Deutung des Mittelalters in den Sagen und S#ngen: Die Kunst ist diejenige, die verewigt, die das letzte Wort beh%lt und die #ber das Leben des einzelnen hinausbesteht. Dies wirft auch ein Licht auf das Changieren zwischen Ernsthaftigkeit und subtiler Ironie innerhalb einzelner Gedichte der Sagen sowie in deren Anordnung im Zyklus. Denn die Negativit%t, die in Thematik und parodistischem Gestus des vorangegangenen Gedichts Im ungl"cklichen Tone dessen von… mitschwang, nimmt Irrende Schar im semantischen Feld und innerhalb der Handlungsebene zun%chst wieder auf (,irren‘, ,schelten‘, ,kahle und graue Meeresk#sten‘). Dann aber wird sie vollkommen ins Positive umgedeutet: Erst in der Dichtung werden die Ritterlichkeit und die Vergangenheit sinnvoll. In diesem Sinne wird auch das mit ironischem Potential versehene

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306). Der periphrastisch genannte Kuppelsaal („unter hallen“, V. 27) in der Burg (V. 22) spielt auf den mythischen Aufbewahrungsort des Grals in der Gralsburg Munsalvaesche (okzitan. Montsalvasch, „Heilsberg“) an. Vgl. Neumann: „Irrende Schar“. S. 391; Andres: Mittelalter als Modell? S. 157. Auch der prunkvolle Sarkophag des Ahnen in Sporenwache verewigt die Taten des verstorbenen Helden in der Form eines Kunstwerks, das als „zeugnis echten heldenhaftes wertes“ (SW III, 43) die Zeiten #berdauert. Zum Motiv „Dichter und Held“ siehe Kaiser: „Dichten selbst ist schon Verrat“. S. 6. Kolk: Literarische Gruppenbildung. S. 40. Petersdorff: Fliehkr#fte der Moderne. S. 90.

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Motiv des verlorenen Arms aus Im ungl"cklichen Tone dessen von… in Irrende Schar alludiert und in ein emphatisches Bild ritterlicher Tugend gewendet: „Und geben freudig ihre rechte / F#r eine blasse stolze frau.“ Der Gegensatz zwischen Leben und Nachruhm spielt auch im Gedicht Der Waffengef#hrte eine Rolle, das mit dem Zweierbund ein weiteres Modell m%nnlicher Gemeinschaft aufruft: DER WAFFENGEF!HRTE I Am weiher wo die rehe huschen Da war’s wo wir von kampfes schweiss Zum erstenmal die stirnen wuschen Nach unsren fahrten hart und heiss. Nun ist mein bruder eingeschlafen – Die schwerter klangen heute scharf – Und ich bin froh dass ich den braven Dieweil er ruht beh#ten darf. Er st#zte sich mit seinem schilde · Ich nahm sein haupt in meinen schooss · Auf seiner wange zuckt es milde · Um seinen bart erbarmungslos. Er zog mich heut aus manchen fesseln · Im schwarzen wald wo unheil haust War ich verstrickt in tiefen nesseln · Er hieb mich aus mit rascher faust. Ich wollte zu den s#ssen stimmen Des widerrates nicht gedenk Dem s#ndeschloss entgegenklimmen · Er hielt mich fest am handgelenk. Er kennt kein sinnen und kein wanken · Die bçsen f#hlten seine wut · Die armen die zu fuss ihm sanken Verteilten sich sein ganzes gut. Er wird mich immer unterweisen Im graden wandel vor dem Herrn · Mein bruder ist aus wachs und eisen · In seinem schutze weil ich gern. II So unterlag er doch der feinde t#cke… Er focht mit wenig treuen wider scharen Er fiel · doch durch des himmels huld im gl#cke Der Seinen sieg vorm tode zu erfahren.

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Und f#rsten kamen gar zum trauersaale · Es hoben sich gemurmelte gebete Der m%nner lob · die klage der drommete F#r ihn zu fr#hem lichtem ruhmesmale. Wohin ich mich nach seinem tode kehre? Wer wehrt von mir des rauhen lebens stçsse? Ich werde fallen ohne seine grçsse – O sei es nicht zu fern vom pfad der ehre. (SW III, 52 f.)

Das Gedicht ist zweigeteilt:190 Im ersten Abschnitt l%sst ein junger K%mpfer den vergangenen Tag Revue passieren und erinnert sich dankbar an die Freundschaftsbeweise des nun schlafenden !lteren (I).191 Der zweite Abschnitt des Gedichts setzt zeitlich sp%ter ein: Der junge K%mpfer klagt #ber den Tod seines %lteren Freundes, der im Kampf gefallen ist (II). Das Motiv des Schlafs im ersten Teil verweist bereits auf den Tod, den ,Bruder des Schlafs‘ im zweiten Teil. Das Metrum spiegelt den Wechsel der Stimmungen wider: Das Freundschaftsbekenntnis in kreuzgereimten jambischen Vierhebern weicht der Totenklage in jambischen F#nfhebern mit durchgehend weiblichen Kadenzen.192 In die Schilderung der Waffenbruderschaft mischen sich Motive der Idylle und des Kampfes. Die beiden Freunde befinden sich an einem R#ckzugsort, an einer Art locus amoenus („Am weiher wo die rehe huschen“). Die K%mpfe selbst werden nur im R#ckblick beschrieben. Diese Zur#ckdr%ngung des genuin Milit%rischen und Handlungsorientierten zeigt, dass es George nicht um einen balladesken Nachvollzug zeitlicher Handlungsverl%ufe ging, sondern um die subjektive Perspektivierung, um 190 Der Waffengef#hrte %hnelt hierin dem Dichtergedicht Frauenlob, in dem im ersten Teil Frauenlob selbst spricht und der zweite Teil nach Frauenlobs Tod ansetzt und seinen Tod betrauert. 191 Aus dem Text selbst geht nicht explizit hervor, dass es sich um einen j#ngeren und einen %lteren K%mpfer handelt, jedoch ist das Verh%ltnis zwischen den beiden als ein asymmetrisches Lehrer-Sch#ler-Verh%ltnis gekennzeichnet. In der Artusepik finden sich zahlreiche Beispiele f#r solche Verbindungen zwischen einem jungen Ritter und einem %lteren, erfahreneren Ritter, der den J#ngeren anleitet und in hçfischen Sitten unterweist. 192 Die Strophenform des ersten Teils ist typisch f#r Liebeslieder, Balladen und Romanzen oder Gedichte, in denen Reflexionen wiedergegeben werden; George verwendet diese Strophe h%ufig (Frank, Horst Joachim: Handbuch der deutschen Strophenformen. M#nchen: Hanser 1980. S. 234). Die Strophenform des zweiten Teils eignet sich laut Horst Frank f#r die Wiedergabe wehm#tiger Empfindungen und verleiht oft „der Klage um verlorene Liebe Ausdruck“; George habe diese Strophenform f#r die Moderne wiederentdeckt (ebd. S. 337).

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Fragen der !sthetik und der Sprache. Die Formel „wachs und eisen“ verbildlicht den Kontrast zwischen Weichheit gegen#ber dem Freund und H%rte gegen#ber dem Feind. Der Freundschaftsbund ist durch große N%he und Intimit%t gepr%gt: Der !ltere hat seinen Kopf in den Schoß des J#ngeren gelegt und schl%ft. Der !ltere ist f#r den J#ngeren Besch#tzer, Erzieher und Vorbild. Er sch#tzt ihn vor Gefahren (I, V. 13 – 20; V. 28),193 insbesondere vor der Gefahr der Verf#hrung durch „s#sse stimmen“ – eine Anspielung auf den antiken Sirenenmythos, aber auch auf das romantische Motiv des Venusbergs („s#ndeschloss“, dem der J#ngere „entgegenklimmen“ wollte). Der !ltere hat den J#ngeren auch im rechten Handeln und Glauben unterrichtet (I, V. 25/26) und mit seinem Tod im Kampf gegen eine feindliche )bermacht ein Vorbild von heldischer Grçße gegeben (II, V. 2, V. 11 – 12). Am Ende des Gedichts steht die bange Frage des J#ngeren, wie er ohne den !lteren weiterleben soll. Die heroischen Wertewelten, die hier nicht nur dem J#ngeren, sondern auch dem Leser des Gedichts suggeriert werden, umgreifen Vorstellungen von Todesbereitschaft, Ehre, Ruhm und Treue. Diese Wertewelten sind dezidiert maskulin und positiv konnotiert. Gleichzeitig wird das Verh%ltnis zwischen !lterem und J#ngerem dadurch ambivalent, dass der Besch#tzte den Besch#tzer besch#tzt, indem er #ber seinen Schlaf wacht. Der starke Held erscheint in diesem Bild wie ein Kind; die solcherart intim gesehene Freundschaft zwischen zwei M%nnern erscheint als Ideal einer vormodernen Gemeinschaft. In Der Waffengef#hrte kommt ein emphatischer Freundschaftskult zum Ausdruck, wie er etwa auch in Friedrich Schillers Ballade Die B"rgschaft (1799) oder in Jean Pauls Roman Flegeljahre (1804/05) im Mittelpunkt steht. Einen Hinweis auf einen solchen intertextuellen Bezug gibt Ernst Morwitz in seinem Kommentar, wenn er erkl%rt, die Formulierung ,Wachs und Eisen‘ gehe auf eine Passage in dem von George sehr gesch%tzten Roman von Jean Paul zur#ck.194 Ein solcher Freundschaftskult, wie ihn Der Waffengef#hrte zeigt, erschien in seiner Entstehungszeit nicht homoerotisch konnotiert, 193 !hnlich der Gedanke in Der Einsiedel (SW III, 55): Der Einsiedel h%tte seinem „sohn“ gerne seinen „sichern frieden“ verliehen. 194 Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 84 f. In Jean Pauls Flegeljahre entwirft der Protagonist Walt das Idealbild einer Freundes: „,Mein ewig theurer Freund […] ist doch die mildeste Seele, nicht blos die feurigste, die ich je gefunden, weil er in der Eisen-Brust zur Wehre, ein Wachs-Herz zur Liebe tr%gt. […] so kçnnt’ es wohl ein zweites gutes Schicksal f#gen, […] daß dann wir beide in der hellsten Lebensstunde einen Bund ewiger, starker, unverf%lschter Liebe beschw#ren‘…“ (Jean Paul: Flegeljahre. Eine Biographie. In: Jean Paul’s S#mmtliche Werke. XXVI. Erster Band. Berlin: G. Reimer 1827. S. 139 f.)

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aber erçffnet doch zumindest die Mçglichkeit einer homoerotischen Lekt#re. In der Tat wurde Der Waffengef#hrte schon fr#h auch in homoerotischen Zusammenh%ngen genannt: Friedrich Gundolf sah darin „das mittelalterliche Aufgl#hen des dorischen Eros“, eine Anspielung auf die griechische M%nnerliebe; dieser Hinweis wurde in weiteren Studien aufgegriffen.195 In der Zusammenschau der zuletzt besprochenen Gedichte zeigt sich nicht zuletzt, wie subtil Georges Dichtung mit den Erwartungen ihrer Leser spielt. Die offensichtlich komischen Elemente in Im ungl"cklichen Tone dessen von…, die bis in die Pointe einer polemischen Abwertung der Dame hinein dem Ziel zu folgen schienen, das gew%hlte Genre des Minnesangs parodistisch zu unterlaufen, werden in den darauffolgenden Gedichten Irrende Schar und Der Waffengef#hrte nicht wieder aufgenommen, sondern ganz im Gegenteil durch positive und emphatische Bilder mittelalterlicher Helden- und M%nnergemeinschaft ersetzt. Damit sind im R#ckblick aber auch die komischen Aspekte des vorangegangenen Gedichtes neu zu bewerten. Die Einfachheit der Parodie, deren Voraussetzung die Eindeutigkeit und Verst%ndlichkeit der Aussage ist, erscheint nunmehr als lediglich punktuelle rhetorische Technik der semantischen Brechung, die jedoch keine R#ckschl#sse auf eine text#bergreifende Sinnaussage zuzulassen scheint. Parodie und Emphase, Distanz und N%he wechseln einander ab – insofern greifen auch identifikatorische Lesarten, die beispielsweise in mittelalterlicher Thematik eine Strategie der Verstellung oder Maskerade biographischer Verh%ltnisse vermuten, zu kurz. Eine R#ckf#hrung der Gedichte auf einen diskursiven oder biographischen Sinn scheitert an ihrer grunds%tzlichen Verweigerung koh%renter Sinnaussagen. Demgegen#ber erscheint eine Lekt#re der Gedichte als %sthetische Sprechweise der Ambivalenz vielversprechender. Der paradoxe Begriff des „Heroismus des verlorenen Postens“ (Kolk) bringt dies auf den Punkt – nicht allerdings als biographische Referenz, die die Gedichte auf eine Dichtermythologie banalisiert, sondern als poetologische Beschreibung eines melancholischen Sprechens, das um die Fragw#rdigkeit seiner eigenen Voraussetzungen und die Vergeblichkeit seiner Bem#hungen weiß. Dichter und Held sind unzeitgem%ße Figuren, die nur in der Dichtung ihren Platz haben und keine Verh%ltnisse zur Wirklichkeit unterhalten. 195 Gundolf: George 1920. S. 98; Hellbach, Hans Dietrich: Die Freundesliebe in der deutschen Literatur. Leipzig: Verlag von Woldemar Hellbach 1931. S. 153; vgl. Keilson-Lauritz, Marita: Von der Liebe, die Freundschaft heißt. Zur Homoerotik im Werk Stefan Georges. Berlin: rosa Winkel 1987. S. 69.

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2 !sthetischer Medi%valismus

2.3.4 Poetologischer Ausklang Der Zyklus Sagen schließt mit Gedichten, welche ein langsames Verschwinden und Verklingen der mittelalterlichen Welt einl%uten und gleichzeitig die immanente Poetik des Medi%valismus reflektieren. Im Folgenden soll dies anhand der beiden Gedichte Vom ritter der sich verliegt (SW III, 54) und Das Bild (SW III, 56) gezeigt werden. Der Gedichttitel Vom Ritter der sich verliegt sticht insofern aus dem Zyklus Sagen heraus, als er mit ,sich verliegen‘ einen konkreten mittelalterlichen Ausdruck zitiert, der durch sein Vorkommen an zentralen Stellen der hçfischen Romane Erec und Iwein Hartmanns von Aue zum Allgemeinwissen #ber mittelalterliche Literatur gehçrt. Die in Erec gepr%gte erotisch-amourçse Konnotation der Wendung ist heute wohl die bekannteste Bedeutung des Ausdrucks. In Grimms Wçrterbuch und in mittelhochdeutschen Wçrterb#chern wird das Verb ,sich verliegen‘ jedoch auch neutral im Sinne von ,in Tr%gheit versinken‘ definiert. In diesem Sinne erl%uterte George den Begriff Maximilian Kronberger auf dessen Nachfrage hin: „Die gew#nschte erkl%rung aus den Sagen bringt der rittert#mliche ausdruck, (aber ist das alles was Sie zu fragen haben?)… sich verliegen heisst nach tapfrem und heitrem leben in tr#bsinnige unt%tigkeit verfallen. dies sowie der ganze gedichtkreis wird Ihnen mehr aufgehen wenn Sie einmal mit mir von solchen burg-zinnen herabgeschaut haben…“196 Die Briefstelle zeigt allerdings auch, dass dieses philologische Wissen f#r George nebens%chlich war. Die Einladung zum gemeinsamen Herabschauen von einer Burg deutet vielmehr darauf hin, dass George den empathisch-einf#hlenden Nachvollzug f#r das Verst%ndnis der Sagen f#r wesentlicher hielt als eine auf Verst%ndnis einzelner Fachbegriffe fixierte Rezeptionshaltung. Vor dem Hintergrund von Georges Erkl%rung des Ausdrucks ,sich verliegen‘ ist es in der Logik des Zyklus folgerichtig, dass das Gedicht Vom ritter der sich verliegt auf die beiden heroisch-k%mpferisch getçnten Gedichte Irrende Schar und Der Waffengef#hrte folgt. Georges Gedicht gibt die Gedankenrede eines schl%frigen Ritters wieder, subjektiviert den Ausdruck dadurch:

196 Brief von Stefan George an Maximilian Kronberger, Berlin, 21. Mai 1903; in: Maximilian Kronberger: Gedichte, Tageb"cher, Briefe. Hrsg. von Georg Peter Landmann. Stuttgart: Klett-Cotta 1987. S. 56.

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VOM RITTER DER SICH VERLIEGT Hçr ich nicht dumpf ein klirren · K%mpfer die die rosse schirren? Bange rufe vom altan · Speere schwirren? Drunten schl%gt ein tor nur an. Ist es nicht der g%ste lache? Emsig knecht und kastellan Unter rebenschmuckem dache? Frohe wache? Wurde nicht in zarte saiten Ein gedehnter griff getan: Ahnungsloser schçner zeiten Scheues gleiten? Drunten schl%gt ein tor nur an. (SW III, 54)

Dies Gedicht verweist in die Sph%re des Imagin%ren und der poetischen Phantasie als Zentrum des Medi%valismus. Das Auff%lligste ist der Kontrast zwischen Strophen und Refrain: In den Strophen hçrt der Ritter verschiedene Ger%usche, die er sich zu erkl%ren sucht, wobei er der Reihe nach drei Bereiche hçfischen Lebens durchgeht – Kampf und Turnier, Fest und Geselligkeit, lyrische Darbietung.197 Die Lautst%rke der Ger%usche nimmt dabei von Strophe zu Strophe ab, vom Klirren #ber das Lachen bis zum Saitenklang. Der Refrain setzt eine banale Erkl%rung dagegen: „Drunten schl%gt ein tor nur an.“ Diese Dissonanz zwischen Strophe und Refrain ist bereits im ersten Vers in der Diskrepanz zwischen ,dumpf‘ und ,klirren‘ vorweggenommen, die fast wie ein Oxymoron wirkt, da ,Klirren‘ eigentlich eher ein spitzer Ton ist. In der dreifachen Wiederholung des Refrains liegt etwas Beschwçrendes, eine Art Magie. Dadurch wird das Gedicht mit etwas Geheimnisvollem aufgeladen und l%sst in seiner Einfachheit eine Mehrdeutigkeit erahnen. Das Anschlagen des Tors weist auf das Fehlen desjenigen hin, der hindurchgeht – es bezeichnet die liminale Schwelle, die nicht #berschritten wird; das Anschlagen des Tors ist wie ein Nachschlag, ein akustischer Schattenwurf dessen, der hindurchgegangen ist. Dadurch wird das schlagende Tor zu einem Symbol der vanitas und der Verlorenheit. Durch den musikalischen Kontext der Strophen r#ckt das Refrainwort ,Tor‘ zudem assoziativ in die N%he des Wortes ,Ton‘, das zusammen mit 197 Zu recht hebt Jan Andres die „Parallelstellung von Ritter und Dichter“ hervor, die beide „weltabgewandt“ tr%umen (Andres: Mittelalter als Modell? S. 152).

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dem hier eher unerwarteten Verb ,anschlagen‘ die Formulierung ,einen Ton anschlagen‘ evoziert. Diese Annahme ist plausibel, wenn man bedenkt, dass sich in Georges Dichtung mehrere Beispiele f#r solchen Einsatz von linguistischen Minimalpaaren finden, welche die Ambivalenz und das Bedeutungspotential der Begriffe steigern, beispielsweise das Minimalpaar ,gesicht‘/,gedicht‘ (s. Kap. 4.3.2). Das Gedicht f#hrt also in den Strophen eine musikalisch-phonetische Evokation der hçfischen Welt des Mittelalters vor, w%hrend der Refrain auf den Illusionscharakter des Medi%valismus hinweist. Insofern schwingt im Refrain etwas Lakonisches mit – der Kontrast zwischen den hochtrabenden Phantasien des Ritters und der banalen Erkl%rung scheint eine Ern#chterung #ber die Mittelalter-Imaginationen anzudeuten. Das Adjektiv ,ahnungslos‘ wirkt in diesem Zusammenhang fast wie ein Ironiesignal. Das Gedicht erkl%rt poetologisch seine eigene Funktionsweise, indem es zeigt: Hinter all diesen schçnen Bildern ist nichts, ist nur ein Tor, das anschl%gt, also nur Handwerk – aber Ihr Leser kçnnt durch eure Phantasie etwas anderes darin hçren. Vom ritter der sich verliegt weist auf den Abschluss des Zyklus Sagen voraus, indem es das Mittelalter langsam verklingen l%sst. In %hnlicher Weise, jedoch optisch statt akustisch, nimmt auch das darauffolgende Gedicht Der Einsiedel in den Schlussversen eine Verschiebung ins Poetologische vor: „Er ging an einem jungen ruhmesmorgen / Ich sah nur fern noch seinen schild im feld.“ (SW III, 55) Das Verschwinden des Schildes in der Ferne impliziert poetologisch ein langsames Verschwinden der mittelalterlichen Welt, von der f#r den Betrachter nur noch das Schild als einziges Zeichen wahrnehmbar bleibt. Das letzte Gedicht im Zyklus Sagen f#hrt diese poetologische Reflexion weiter und kommt zu einem ambivalenten Fazit: DAS BILD Nachdem ich auf steinernen gr%bern · an frostigen pfeilern · Gesungen · gewandelt bei w#rdiger v%ter zunft: Ersp%ht ich zur vesper hinter den rauchenden meilern Des langsamen abends erquickende niederkunft. Zerdrangen die freundlichen schatten die farbige helle · Erstarben die glocken #ber dem stillen gefild Dann sank ich befreit und allein in der bergenden zelle Mit schluchzen und sehnen vor das gçttliche bild. Die sprechenden augen erhoben · die h%nde gewunden · Entflossen gebete mir ohne anfang und schluss Wie nie in dem sammtenen buch ich sie %hnlich gefunden · Ich spannte die arme und wagte den flehenden kuss.

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Ich wartete tr%umend – best%rkt von den wundergeschichten – Auf sichtliche lohnung die nimmer und nimmer kam . . Best#rmte nur heisser und hoffte und z#rnte mit nichten Dem schuldlosen anlitz aus glanz und erhabenem gram. Und wenn es endlich auf meine lagerstatt Sich neigte oder erlçsende zeichen mir schriebe . . Ich glaube mein arm ist bald zum umfangen zu matt · Auf meinen lippen erlosch die brennende liebe. (SW III, 56)

Das Bild inszeniert eine Szene aus dem „moyen &ge mystique et pieux“, dem mystischen und frçmmigen Mittelalter, wie George die ,kulturelle Epoche‘ der Sagen und S#nge in einem Brief an Edmond Rassenfosse umschrieben hatte.198 Gleich die ersten Verse evozieren einen monastischen Kontext, indem das Schlagwort „zur vesper“ auf den klçsterlichen Tagesablauf beziehungsweise das kirchliche Abendgebet verweist. Durch die angedeuteten T%tigkeiten Gesang, Gebet und Lekt#re gibt sich das lyrische Ich als Mçnch zu erkennen. Nach dem gemeinsamen Singen im Kirchenraum, der durch Grabplatten und Pfeiler evoziert wird, kehrt der Mçnch allein in seine Zelle zur#ck. Dort betet er zu einem Bild, dessen Motiv zwar ausgespart bleibt, aber durch andeutende Umschreibungen als Marienbild zu erahnen ist: Das „gçttliche bild“ zeigt ein „schuldlose[s] antlitz aus glanz und erhabenem gram“. Maria ist ,gçttlich‘, da sie die Muttergottes ist und nach ihrem Tode in den Himmel erhçht wurde; sie ist ,schuldlos‘, da sie frei von der Erbs#nde und unbefleckt ist; sie empfindet ,Gram‘, da ihr Sohn gekreuzigt wurde. Die Zeitangabe „zur vesper“ kann ebenfalls als ein Hinweis darauf gelesen werden, dass es sich um ein Marienbild handelt, denn f#r die Darstellung Marias als Schmerzensmutter (mater dolorosa; piet%) ist die Bezeichnung Vesperbild gebr%uchlich. Solche Andachtsbilder hingen in den Zellen mancher mittelalterlicher Klçster; sie waren zur privaten, affektiven Zuwendung gedacht, die außerhalb der offiziellen kirchlichen Kulthandlungen praktiziert wurde. Damit #bereinstimmend wird der abendliche R#ckzug des Mçnchs in seine Zelle als Bewegung von einer Sph%re des .ffentlichen in eine Sph%re des Privaten gekennzeichnet. W%hrend die Sph%re des .ffentlichen f#r das lyrische Ich mit Anspannung verbunden ist, geht der R#ckzug in die Sph%re des Privaten und der Intimit%t mit dem Gef#hl von Befreiung und Entspannung einher („sank ich befreit“). Neben der impliziten Opposition von çffentlichem und privatem Raum baut das Gedicht zahlreiche weitere Kontraste auf: Die K%lte der 198 Handschrift von M%rz 1894, zitiert nach Oelmann, Anhang zu SW III, S. 106.

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Kirche verweist auf deren unsinnliche Atmosph%re (,frostige pfeiler‘), w%hrend der Naturraum indirekt mit Hitze konnotiert ist (,rauchende meiler‘). Die Welt des Tages ist hell und laut (,farbige helle‘, ,glocken‘), die Welt des Abends dagegen still, dunkel und freundlich. Dass die Dunkelheit positiv konnotiert ist, zeigt nicht zuletzt der Vers „Zerdrangen die freundlichen schatten die farbige helle ·“ (V. 5), der die realweltliche Logik des Lichtsstrahls, der den Schatten durchdringt, in ihr Gegenteil verkehrt. Die Sph%re der Toten, die im semantischen Feld von ,steinernen Gr%bern‘ und ,ersterbenden Glocken‘ evoziert wird und zugleich als Sph%re der patres im Konkreten sowie des V%terlichen im Allgemeinen konnotiert zu sein scheint („bei w#rdiger v%ter zunft“),199 steht im Kontrast zur Sph%re des Lebens und des M#tterlichen, die durch das angedeutete Marienbild und suggestive Bilder von Geburt und Mutterleib hervorgerufen wird (,erquickende niederkunft‘; ,bergende zelle‘). Nebenbei schwingt die Vorstellung eines kindlichen Geborgenseins mit, welche die Vorrede zu den B"chern als Bewegung des Sich-Wiegens umschrieb (s. Kap. 2.2). Nicht zuletzt macht das Gedicht eine Opposition zwischen dem gemeinschaftlichen Gottesdienst, der sich nach #berlieferten Regeln vollzieht, und der individuellen Andacht auf, die Raum f#r eigene Tr%ume, Gef#hle und Gebete l%sst. Aber diese Kontraste bleiben nicht statisch, sondern werden im Laufe des Gedichts dynamisiert: Der Spannungsbogen verl%uft von Anspannung (Singen in der Kirche) und Entspannung (Neidersinken in der Zelle) #ber Erregung (Ekstase) bis hin zur Erschçpfung (Ermatten) – dem korrespondiert eine Temperaturkurve von kalt zu heiß und am Ende wieder zu kalt. Die Glut- und Feuermetaphorik spiegelt dabei eine Erregungskurve: Der schwelende Brand der ,rauchenden Meiler‘200 verbildlicht das schwelende Verlangen des Mçnchs, steigert sich zum heißen Best#rmen und wird am Ende zum ,erloschenen‘ Feuer auf den Lippen. Die zun%chst freudige Hoffnung und die darauf folgende qu%lende Langsamkeit des 199 Die steinernen Gr%ber wecken die Assoziation an in den Boden der Kirche eingelassene Grabplatten f#r hochstehende Personen oder Geistliche; liest man die ,rauchenden meiler‘ als Anspielung auf Kçhlerh#tten, so enth%lt das Gedicht zudem noch den Kontrast zwischen hoher und niedriger Gesellschaftsschicht. 200 Die ,rauchenden meiler‘ erçffnen noch weitere Assoziationsr%ume: Sind die Meiler zugleich ein Bild f#r ein industrialisiertes, modernes Land? Scheinen hinter der medi%valisierenden Szenerie also die Fabrikschlote des 19. Jahrhunderts hindurch? Auch an die Wendung „Kçhlerglauben“ mag man hier denken: ,einem unbedingten, blinden Glauben anh%ngen‘ – damit w#rde dem Mçnch implizit eine naive Glaubenshaltung unterstellt.

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Wartens schl%gt sich metrisch im Wechsel aus jambischen Auftakten und Anap%sten nieder. In seiner privaten Meditation erreicht der Mçnch eine neue Dimension der Spiritualit%t – eine Dimension, die er nur in der Begegnung mit dem Bild erleben kann, und die #ber das hinausgeht, was er aus dem Text herauslesen kann. Der ausgesprochen sinnliche Aspekt der katholischen Marienverehrung kommt in diesem Gedicht dadurch zum Ausdruck, dass gleich mehrere Sinneseindr#cke artikuliert werden: sehen (Bild), hçren (Glockengel%ut), riechen (Rauch), f#hlen (frostig). Diese sinnlichen Bed#rfnisse kann der Mçnch offenbar nur im Privatraum seiner Zelle ausleben, wenn die Anspannung des Tages und des Klosterlebens mit seiner Negation des Leibes von ihm abfallen. Durch sein privates Gebet steigert sich der Mçnch in einen Zustand geistlicher Ergriffenheit hinein („schluchzen und sehnen“), der mit ekstatischem Sprechen und einer çffnenden Geste der Arme einhergeht.201 Auf dem Hçhepunkt dieser Ergriffenheit k#sst der Mçnch das Bild mit heiliger Scheu („wagte“). Sowohl f#r das K#ssen als auch f#r die erhoffte Geste des ,sich Neigens‘ finden sich durchaus Entsprechungen in biblischen Texten und in religiçsen Praktiken, etwa das K#ssen von Kruzifixen. Der Mçnch hofft auf Erlçsung von seinem Sehnen, auf eine Reaktion des Bildes und letztendlich auf eine Vereinigung mit Maria. Jedoch bleibt das ersehnte Wunder aus und nach langem Warten setzt physische Erschçpfung ein. Insofern spielt das Gedicht mit der Lesererwartung an die Gattung der Sage, in deren Zentrum typischerweise eine wunderhafte Begebenheit steht, unterl%uft diese Erwartung aber letztendlich, indem das Wunder nicht stattfindet. In Das Bild sind religiçse, erotische und poetologische Dimension auf geradezu paradigmatische Weise miteinander verwoben. Die religiçse Folie ist deutlich, aber zugleich erçffnet das Gedicht eine Ambivalenz, in der Maria als Sinnbild der irdischen Geliebten und der Mçnch als Sinnbild des Dichters erscheint. Formulierungen wie „auf meine lagerstatt sich neigte“, „umfangen“ und „brennende liebe“ bewegen sich als mystisches Sprechen im zweideutigen Bereich von Religion und Erotik. Im Ausdruck „sichtliche lohnung“ klingt die Lehensterminologie des Minnesangs an, in der das Erhçren des Minnes%ngers als Minne-Lohn gesehen wird. Sowohl vor dem 201 Die Formulierung „spannte die arme“ ist auff%llig, da sie eher an Fl#gel als an Arme denken l%sst und damit wiederum die Vorstellung von einem Engel aufruft (vgl. Tagelied). Zugleich erinnert dies an den bekannten Vers aus Joseph von Eichendorffs Gedicht Mondnacht: „und meine seele spannte weit ihre fl#gel“, eine Allusion auf die romantische Pr%gung dieser Szenerie.

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Hintergrund der vorangegangenen Minne-Gedichte im Zyklus Sagen als auch vor dem Hintergrund des literarischen Motivs der Bilderliebe202 ist die Erschçpfung des Mçnchs als Erschçpfung des Minnes%ngers lesbar: Das Bild bleibt stumm, so wie auch die angebeteten Damen vorher kalt blieben.203 Die Lippen des Mçnchs sind das Verbindungsglied zwischen der sinnlichen und der dichterischen Dimension: Sie sind erotisches Symbol (Kuss), aber auch der Ort, an dem die Sprache formuliert wird. „Auf meinen lippen erlosch die brennende liebe“ impliziert insofern das Erlçschen des Singens und Sagens. Denn obwohl das Bild im Zentrum des Gedichtes steht, spielt Schrift eine erstaunliche große Rolle, so dass zugleich andeutungsweise der alte Gegensatz zwischen dem Kult der Schrift und dem Kult des Bildes durchscheint. Auf die Wichtigkeit der Schreibtthematik weist bereits die Tatsache hin, dass der Mçnch sich die erhoffte Erlçsung im Medium der Schrift und damit der Literatur vorstellt: Er w#nscht, das Antlitz mçge ihm „erlçsende zeichen [schreiben]“, obwohl auch eine direkte m#ndliche Kommunikation denkbar gewesen w%re. Hier wird der Topos des ekstatischen Schreibens aufgerufen, bei dem der Mensch zum Medium wird und niederschreibt, was ihm Gott oder ein hçherer Geist diktiert. Der Mçnch wird zum Sinnbild des Dichters, der vergeblich auf Inspiration hofft. Das Verh%ltnis von Text und Bild wird aber noch auf weiteren Ebenen reflektiert: So etwa wird der Mçnch als lesekundig charakterisiert, da er sowohl mit Gebetstexten aus dem „sammtenen buch“ (V. 11) als auch mit „wundergeschichten“ (V. 13) vertraut zu sein scheint. Die ,Wundergeschichten‘ beispielsweise von wundert%tigen Bildern, sprechenden Andachtsbildern oder von Marienwundern haben beim Mçnch die Hoffnung geweckt, auch zu ihm kçnne das Marienbild sprechen. Die Mirakelerz%hlungen fungieren somit als schriftliche Bezeugung eines Versprechens. Damit verweist das Gedicht selbstbez#glich auf seine eigene literarische 202 In Standbilder · das sechste (SW V, 58) aus dem Teppich des Lebens wird das lyrische Ich vom gleichen brennenden Verlangen nach Verlebendigung der auf Kunstwerken abgebildeten Figuren getrieben. Die Metaphorik der sinnlichen Vereinigung findet nun auf antike Vasenk%mpfer und Statuen Anwendung: „Heiligen marmor befeuchten die frevelnden lippen“. Dort wird der Wunsch explizit als hoffnungslos gekennzeichnet, ebenfalls mit einer Rauch-Metapher: „die begier / [ringelt sich] sinnlos hinan als rauch ohne flamme“. 203 Das Paradox des Minnesangs liegt darin, dass die keusche Dame in dem Moment aufhçrt, erstrebenswert zu sein, indem sie den S%nger erhçrt. Das Nicht-Erhçren ist also die Voraussetzung f#r die Minne-Dichtung.

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Pr%figuration, indem es das romantische Thema der Kunstreligion alludiert.204 Es scheint sogar ganz konkret eine lyrische Varation #ber den Titel Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders (1796) zu pr%sentieren, mit dem Wilhelm Wackenroder und Ludwig Tieck ihre fr#hromantischen Erz%hlungen versehen hatten. Der Erz%hler der Herzensergießungen fordert seine Leser auf: Harret, wie beim Gebet, auf die seligen Stunden, da die Gunst des Himmels euer Inneres mit hçherer Offenbarung erleuchtet; nur dann wird eure Seele sich mit den Werken der K#nstler zu einem Ganzen vereinigen. Ihre Zaubergestalten sind stumm und verschlossen, wenn ihr sie kalt anseht; euer Herz muß sie zuerst m%chtiglich anreden, wenn sie sollen zu euch sprechen und ihre ganze Gewalt an euch versuchen kçnnen.205

Der Text stellt also eine Vereinigung des Betrachters mit dem Kunstwerk in Aussicht, wenn dieser nur lange genug ausharrt und mit dem Herzen zu dem Kunstwerk spricht. Auch eine solche Beschreibung umfasst die Assoziationsbreite des Begriffs der ,Wundergeschichten‘, die den Mçnch auf den Gedanken gebracht haben, das Bild kçnne lebendig werden. Das Bild kann insofern auch als Absage an die romantische kunstreligiçse Emphase gelesen werden: Der Mçnch verh%lt sich dem Kunstwerk gegen#ber genau so, wie es etwa der Text von Wackenroder und Tieck empfohlen hatte – und trotzdem bleibt das Bild stumm. )berhaupt stellt sich der Mçnch in ein besonderes Verh%ltnis zur schriftlichen )berlieferung. Gleich zu Anfang des Gedichts ist von ,Singen‘ und ,Wandeln‘ „bei w#rdiger v%ter zunft“ die Rede (V. 1 f.), also vom Dichten in der Tradition literarischer Vorfahren, konkret vom Dichten in der Tradition der Minnes%nger, denn im Begriff der „zunft“ klingt die st%ndische Organisation der Meistersinger im Sp%tmittelalter an. Das Bild macht deutlich, dass das Singen in der Tradition der V%ter f#r das lyrische Ich eine Anstrengung bedeutet und ihm diese Tradition %ußerlich fremd bleibt, worauf H%rte und K%lte der Materialien hinweisen (,steinerne gr%ber‘, ,frostige pfeiler‘, V. 1). Erst die Loslçsung von den #berlieferten und schriftlich fixierten Worten schafft Raum f#r ein eigenes Vokabular. In seinem Gebet lçst sich der Mçnch von den bekannten Texten, es ,entfließen‘ ihm neue, eigene Gebete „ohne anfang und schluss“. Man kann hierin eine Beschreibung ekstatischen Sprechens oder eingegebener, in204 Das kunstreligiçse Moment spricht auch Bastian Schl#ter an (Schl#ter: Explodierende Altert"mlichkeit. S. 261). 205 Wilhelm Heinrich Wackenroder u. Ludwig Tieck: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders. Stuttgart: Reclam 1994. S. 72 f.

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spirierter Rede sehen; zugleich eine Emanzipation von tradierten heiligen Texten und eine )berbietung, eine Personalisierung und Individualisierung. Das Beten nach eigenen Vorstellungen, das #ber die schriftliche )berlieferung hinausgeht, wird damit zum Sinnbild f#r die )berbietungsPoetologie der Sagen: Sowohl dichterische Vorbilder aus dem Mittelalter selbst als auch das romantische Sprechen #ber das Mittelalter werden #berwunden und #berboten. Das Sprechen #ber das Mittelalter war um 1900 gepr%gt vom Vokabular der literarischen Sp%tromantik um 1830 – diesen %sthetisch-sprachlichen Atavismus #berwindet George in den Sagen und S#ngen. Die prominente Anordnung von Das Bild am Schluss des Zyklus Sagen unterstreicht seine poetologische Relevanz. Das Bild beginnt mit einem R#ckblick auf den gerade ausklingenden Tag und suggeriert damit gleichzeitig einen R#ckblick auf den gerade ausklingenden Zyklus: „Nachdem ich auf steinernen gr%bern – an frostigen pfeilern – gesungen – gewandelt bei w#rdiger v%ter zunft“ (V. 1 f.). Durch deutliche R#ckverweise auf das Eingangsgedicht Sporenwache rahmt Das Bild den Zyklus ein: Die steinernen Gr%ber im Innenraum einer Kirche, die abendliche Stunde, die selbstgew%hlte Einsamkeit, das vom #berlieferten Text losgelçste Beten und das Marienbild sind hier als Motive charakteristisch variiert. Auch zeitlich scheint der Zyklus durch Sporenwache und Das Bild gerahmt: am Anfang der junge Mann, am Ende der Mçnch, der bereits eine l%ngere Zeit lang getr%umt und vergeblich gehofft hat, wie die Wendung „nimmer und nimmer“ (V. 14) impliziert. Sporenwache zeigte die Aufnahme des Novizen in eine Gemeinschaft, Das Bild zeigt den R#ckzug eines Mçnchs aus einer Gemeinschaft. In Sporenwache geschieht am Ende das Wunder der Vereinigung mit dem Geist des toten Helden, in Das Bild bleibt das erhoffte Wunder der Verlebendigung des Bildes aus. Auf poetologischer Ebene bedeutet dies eine desillusionierte Absage an den Versuch einer emphatischen Einf#hlung in den Geist des Mittelalters: Durch sein Anbeten und seinen Gesang mçchte der Dichter-Mçnch die Bilderwelten des Mittelalters wieder lebendig werden lassen, aber es bleibt letztendlich bei einem Apostrophieren, einem Tr%umen und einem Sich-Sehnen dorthin. Am Ende steht die Erkenntnis, dass es nicht mçglich ist, in diese Welten tats%chlich einzutreten oder sich mit dieser Welt wiederzuvereinen. Die Analysen in diesem Kapitel haben gezeigt, dass Georges Medi%valismus sich durch eine hohe Bewusstheit und Modernit%t auszeichnen. George betrieb kein r#ckw%rtsgewandtes ,Romantisieren‘ des Mittelalters, sondern eine bewußte Reflexion #ber die Mçglichkeiten des Medi%valismus. Parallel zu inhaltlich-motivischen Aktualisierungen des mittelalter-

2.4 Simulativer Medi%valismus: S#nge eines fahrenden Spielmanns

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lichen Traditionsbestandes und der Variation von Medi%valismen des 19. Jahrhunderts wendet sich Georges Medi%valismus zur Selbstreflektivit%t und zur poetologischen Erw%gung der Mçglichkeiten von Darstellung und Verst%ndigung #berhaupt.

2.4 Simulativer Medi%valismus: S#nge eines fahrenden Spielmanns Die S#nge eines fahrenden Spielmanns bilden das zweite Halbbuch der Sagen und S#nge innerhalb des Werks Die B"cher der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und S#nge und der h#ngenden G#rten (1895). In den S#ngen eines fahrenden Spielmanns entwirft George traum- und m%rchenhafte Liebeswelten, die mit Kindern, Frauen und einem singenden Zwerg bevçlkert sind. George hat den Zyklus konsequent als Rollenlyrik angelegt und ihm eine lockere Struktur verliehen: Aus dem Munde eines mittelalterlichen S%ngers tçnen zarte Liebeslieder, die zwischen Hoffnung und Trauer schwanken, und zum krçnenden Abschluss erklingt ein Gebet an Maria. Dazwischen singt der Spielmann, in einer Art duplizierter Rollenfiktion, Balladen und Lieder aus der Perspektive eines ,Edelkindes‘, eines Zwergs und einer Braut. Mit diesen Perspektiven und den daraus resultierenden Themen stehen die S#nge in einem deutlichen Kontrast zu den Sagen. Strukturell gesehen sind die beiden Halbb#cher dichotomisch anlegt:206 In den Sagen beschwçrt George die hçfische Welt mit ihrer Ritterkultur, ihren heroischen Abenteuern und seelischen Konflikten herauf, in den S#ngen die dçrfliche Welt mit Liebesleid, Tanz und Marienverehrung. In den Sagen dominieren Ritter, Helden und Ungeheuer, in den S#ngen Frauen, Kinder und Zwerge.207 Die Bildlichkeit der Sagen entstammt schwerpunktm%ßig dem Bereich der Kultur, diejenige der S#nge dem Bereich der Natur.208 Auf abstrakterer Ebene zeigen sich folgende Dichotomien: Mit den Sagen lassen sich die Eigenschaften ,episch‘, ,heroisch‘, ,objektiv‘, ,abendlich‘, ,groß‘, ,m%nnlich‘ und ,hart‘ assoziieren, mit den S#ngen Eigenschaften wie ,lyrisch‘, ,subjektiv‘, ,morgendlich‘, ,klein‘, ,weiblich‘, ,schwach‘ und ,weich‘. Im kontrastiven Aufbau der Sagen und S#nge zeigt sich ein struktureller Grundzug, der sich sp%ter mit noch grçßerer Deutlichkeit in Georges Werk 206 Anderson: Metrics und Meaning. S. 288. 207 Vgl. ebd. 208 Vgl. Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 87.

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manifestieren wird: Der Kontrast zwischen prophetisch-deklamatorischen, ,harten‘ Gedichten und lyrisch-melancholischen, ,weichen‘ Liedern.209 Das Mittelalter l%sst als ambivalentes Sujet Raum f#r beides, sowohl Schw%che als auch H%rte, Rittertum und Minnesang – vielleicht in idealer Reinform deutlicher als andere Epochen dies zu bieten h%tten. Die Forschung hat den S#ngen eines fahrenden Spielmanns insgesamt weniger Aufmerksamkeit geschenkt als den Sagen. 210 Auch im Hinblick auf ein etwaiges Mittelalterbild scheinen die S#nge auf den ersten Blick weniger ergiebig als die Sagen, in denen die mittelalterliche Motivik mit H%nden zu greifen ist. Oelmann bemerkt im Kommentar der Werkausgabe, „[w]ie sehr die S%nge auf der Grenze zur reinen Lyrik stehen, wie wenig mittelalterlich sie gepr%gt sind“.211 Diese Beobachtung ist exemplarisch f#r die bisherige Sicht der Forschung. Diese Einsch%tzung soll im Folgenden differenziert werden: Die S#nge eines fahrenden Spielmanns, so die These, m#ssen durchaus als Medi%valismus verstanden werden. Die S#nge sind geradezu typisch f#r eine bestimmte Art von Mittelalterimaginationen im 19. Jahrhundert. Das folgende Kapitel zielt darauf ab, den von der Forschung bislang nicht systematisch beachteten assoziativen Zusammenhang von Spielmann, Volksliedton und ,Mittelalterlichkeit‘ zu erhellen, den George in seinem Zyklus hergestellt hat. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass Georges Spielmannslieder eine Sicht auf die mittelalterliche Dichtung als 209 Wolfgang Braungart leitet in seinem Aufsatz Schluß-Lied Georges Das Lied aus dem Neuen Reich aus seiner fr#hen Lieddichtung ab, streift die Sagen und S#nge, geht aber erstaunlicherweise nicht n%her auf die S#nge als Lieder ein. Dabei sind gerade in den S#ngen schon viele Motive vorgepr%gt, die Braungart als charakteristisch f#r die sp%teren Lieder aus dem Siebenten Ring heranzieht, etwa M#ndlichkeit, KindFigur, Urspr#nglichkeit, Lied als Urton und die Verbindung zu Herders Liedkonzeption (Braungart, Wolfgang: ,Schluß-Lied‘. Georges Ballade ,Das Lied‘. In: Stefan George: Werk und Wirkung seit dem „Siebenten Ring“. Hrsg. von Wolfgang Braungart, Ute Oelmann u. Bernhard Bçschenstein. T#bingen: Niemeyer 2001. S. 87 – 101). 210 Gunilla Eschenbach widmet sich als einzige ausf#hrlicher den S#ngen eines fahrenden Spielmanns. Sie geht von einer Identit%t von „fiedler“ und fahrendem Spielmann aus, h%lt die ersten acht S%nge f#r den ,Sang‘, #ber den das Edelkind in Ein edelkind sah vom balkon ver%rgert ist und sieht den Fiedler-Spielmann als einen Verf#hrer, der authentische Gef#hle nur vort%usche und durch Musik verst%rke, im Grunde aber nur ein materielles Interesse verfolge. So originell diese Lesart ist, so vereindeutigt und psychologisiert sie das Geschehen doch st%rker, als der Text selbst es hergibt (Eschenbach: Musik als emotiver Verst#rker). 211 Oelmann im Anhang zu SW III, 103.

2.4 Simulativer Medi%valismus: S#nge eines fahrenden Spielmanns

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„nat#rliche Volksdichtung“212 perpetuieren, wie sie seit dem Sturm und Drang im Deutschland des 19. Jahrhunderts maßgeblich das Bild des Minnesangs pr%gte.213 Inwiefern George in den S#ngen das romantische Bild des Mittelalters als Zeit der Unschuld, Kindlichkeit und Reinheit bem#ht, soll in einem ersten Schritt in einer exemplarischen Analyse des Eingangsgedichts Worte tr"gen · worte fliehen vorgef#hrt werden. 2.4.1 Die !sthetik des Scheins – Trugbild und Traumgesicht George hat dem Spielmann im ersten Gedicht der S#nge ein poetologisches Programm in den Mund gelegt und die immanente Poetik des Zyklus skizziert: Worte tr#gen · worte fliehen · Nur das lied ergreift die seele · Wenn ich dennoch dich verfehle Sei mein mangel mir verziehen. Lass mich wie das kind der wiesen Wie das kind der dçrfer singen · Aus den s%len will ich dringen Aus dem fabelreich der riesen. Hçhne meine sanfte plage! Einmal muss ich doch gestehen Dass ich dich im traum gesehen Und seit dem im busen trage. (SW III, 58)

Der Sang beginnt mit der paradoxen Situation, dass der Spielmann im Medium der Sprache auf die Trughaftigkeit der Sprache hinweist. Damit wird gleich zu Anfang der Bereich der Scheinhaftigkeit, des Betrugs angesprochen und dadurch alles Folgende relativiert oder unter Vorbehalt gestellt. Dies deutet auf den gesamten Zyklus voraus: George, so soll im Folgenden argumentiert werden, inszeniert in den S#ngen ein Spiel mit verschiedenen Ebenen des %sthetischen Scheins. Der Spielmann ,spielt‘ nicht nur mit seinem Gegen#ber im Gedicht, sondern auch der Dichter spielt auch mit den Erwartungen der Rezipienten und spiegelt ihm vor, er 212 Vgl. Schumacher, Meinolf: Einf"hrung in die deutsche Literatur des Mittelalters. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2010. S. 15. 213 Auf die Urspr#nge der romantischen Volksliedidee bei Herder weist Gerhard Kaiser hin (Kaiser: „Dichten selbst ist schon Verrat“. S. 9).

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habe es hier mit mittelalterlichen Minneliedern oder Volksliedern zu tun. Die Warnung „Worte tr#gen“ ist eines von mehreren Fiktionssignalen, die auf den Kunstcharakter dieser auf den ersten Blick so einfach und schlicht erscheinenden S#nge hinweisen.214 Das erste Fiktionssignal ist die Rolle des Spielmanns selbst. Die Rollenlyrik ermçglichte es George, eine Poetologie zu entwerfen, die er im Rahmen seines modernen Erneuerungsprogramms der Lyrik sonst nicht ungebrochen teilen kçnnte. Die Rolle des Spielmanns ist also zuallererst ein Mittel der Distanzierung. Sie ist ein taktischer Kunstgriff, der es George mçglich machte, im romantischen Ton der Volkst#mlichkeit, Gef#hlshaftigkeit und Innerlichkeit zu sprechen,215 ohne selbst eines epigonalen Nachdichtens ' la Friedrich von Bodenstedt, Paul Heyse oder Emanuel Geibel geziehen werden zu kçnnen. Die im Gedicht Worte tr"gen entworfene Programmatik soll also als Poetik einer Figur verstanden werden, nicht als diejenige Georges selbst. Die Kerngedanken dieser Programmatik sind: Sprachskepsis und Fluchtbewegung, Poetik des Lieds und des Volkstons, Liebeskonzeption und S%ngerethos. Im ersten Vers „Worte tr#gen · worte fliehen“ kommt eine Sprachskepsis zum Ausdruck, wie sie zuerst in der Romantik, sp%ter besonders prominent von Nietzsche und Hofmannsthal formuliert wurde. Die Sprachkrise der Moderne wird bei George nun aber paradoxerweise gerade von einem vormodernen Dichtertypus angedeutet, dem Spielmann. Die Sprachskepsis f#hrt im Falle der S#nge allerdings nicht zum resignierten Verstummen, sondern zu einem Gestus des „dennoch“ (V. 3), zu einer Besinnung auf das „lied“ und zu einer R#ckw%rtsbewegung in eine vermeintlich unschuldige vergangene Welt. In den ersten beiden Strophen des Gedichts reformuliert der Spielmann eine romantische Poetik des Lieds und des Volkstons. Dem Genre des ,Liedes‘, das heißt der Verbindung von Wort und Musik, wird eine #berlegene Kraft zugesprochen: Es vermag die ,Seele‘ zu ,ergreifen‘ (V. 2). Es vermag ferner das Innerst-Eigent#mliche des Menschen zu erreichen, an seine Gef#hle und seine Emotionalit%t zu appellieren.216 In dem Wunsch des Spielmanns, die Seele zu ,ergreifen‘ und

214 David spricht hier treffend davon, dass „sogar die Schlichtheit noch berechnet ist“ (David: Stefan George. S. 119). 215 Vgl. Kaiser: „Dichten selbst ist schon Verrat“. S. 12 f. 216 In der Skepsis gegen#ber dem tr#gerischen Wesen des rein sprachlich-logischen Ausdrucks und im Glauben an die emotionale Kraft der Verbindung von Wort und Musik finden sich „Relikte einer Poetik der Unmittelbarkeit“ (ebd., hier S. 15; vgl. Eschenbach: Musik als emotiver Verst#rker. S. 134 f.).

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das angesprochene Du nicht zu ,verfehlen‘, deutet sich eine weitreichende Wirkungsabsicht an. In der zweiten Strophe propagiert der Spielmann sodann eine kindlicheinfache Sageweise: „Lass mich wie das kind der wiesen / Wie das kind der dçrfer singen ·“ (V. 5/6). Damit verbinden sich Vorstellungen von Bukolik, Volksliedhaftigkeit, M#ndlichkeit und Urspr#nglichkeit. Die Tradition der bukolischen Dichtung, die hier #ber die l%ndlichen Schaupl%tze verhalten angedeutet wird („wiesen“, „dçrfer“), verweist zur#ck auf die antikisierenden Hirtengedichte im vorhergehenden Buch der Hirten- und Preisgedichte. Diese Thematik wird nun jedoch unter romantisch-medi%valisierenden Vorzeichen weitergef#hrt: als Dichtung in der Art von Volksliedern, wie sie angeblich auf dem Lande noch lebendig sind und m#ndlich #berliefert werden, wie es etwa die romantische Volksliedsammlung Des Knaben Wunderhorn von Achim von Arnim und Clemens Brentano vorgab.217 Nicht nur die Poetik des Liedes, sondern auch die Sehnsucht nach einer volkshaften Authentizit%t und Urspr#nglichkeit verweisen also auf romantische Ideenkomplexe. Die Form des Gedichts Worte tr"gen · worte fliehen beglaubigt dieses Programm: Der Aufbau aus drei Strophen, die parataktische Syntax und die einfache Sprache entsprechen der gew#nschten Schlichtheit der Ausdrucksweise.218 Zudem klingt im Versmaß ein Echo der Romantik nach, denn der hier gestaltete Romanzenvers wurde in der Nachfolge von Herders spanischen Cid-Romanzen besonders in der romantischen Lyrik etwa Clemens Brentanos oder Heinrich Heines verwendet.219 Aber auch hier hat George ein deutliches Fiktionssignal gesetzt, n%mlich den Vergleichspartikel „wie“ (V. 5 f.). Der Spielmann ist nicht identisch mit dem „kind der wiesen“, sondern mçchte sich diesem lediglich gesanglich ann%hern. Es handelt sich um Dichtung im dezidiert angezeigten Modus des ,als ob‘ und mithin um ein Spiel mit der !sthetik des Scheins. Das Kind der Wiesen ist naiv, der Spielmann ist es nicht. Romantische Weltflucht und Wanderfreude klingen in den Leitmotiven der Flucht und Fl#chtigkeit an, welche die gesamten drei B"cher auf verschiedenen Ebenen durchziehen. Im Gedicht Worte tr"gen · Worte fliehen korrespondiert die beklagte ,Fl#chtigkeit‘ der Sprache („worte 217 Zur „Konstruktion des Volkstons“ in Des Knaben Wunderhorn siehe Kremer, Detlef: Romantik. 3., aktualisierte Aufl. Stuttgart: Metzler 2007. S. 278 – 280. 218 Vgl. Anderson: Metrics und Meaning. S. 265 f. 219 Braak, Ivo u. Martin Neubauer: Poetik in Stichworten. Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe. 8. Aufl. Stuttgart: Borntraeger 2007. S. 119.

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fliehen“) mit der Fluchtbewegung des Spielmanns selbst, der aus den Kulturr%umen in die Naturr%ume hinausziehen mçchte: „Aus den s%len will ich dringen / Aus dem fabelreich der riesen“ (V. 7 f.). Auf der Ebene der Zykluskomposition markiert das Gedicht Worte tr"gen damit zugleich den Kontrast zwischen dem ersten Halbbuch der Sagen und dem zweiten Halbbuch der S#nge als einen Kontrast zwischen Kultur und Natur. Die angedeutete Fluchtbewegung des Spielmanns zu Beginn des zweiten Halbbuchs spiegelt zudem die in der Vorrede zu den Sagen und S#ngen skizzierte eskapistische Bewegung einer Seele „in ferne zeiten und r%ume“ (SW III, 7) auf der Ebene der Figurenrede wider. Der Spielmann ist explizit als ein fahrender benannt und damit als eine transitorische Existenz charakterisiert. Nachdem die ersten beiden Strophen des Gedichts solchermaßen eine romantische Poetik entworfen haben, k#ndigt die dritte und letzte Strophe das Thema des gesamten Zyklus S#nge an: die Liebe, die durch das Oxymoron „sanfte plage“ zum s#ßen Schmerz stilisiert wird. Der Spielmann spricht zu einem unbestimmten Du, das als Geliebte gedeutet werden kann. Einerseits bittet er sozusagen im Voraus um Verzeihung, falls er das Du mit seinem Lied ,verfehlen‘ sollte, andererseits ist er von dem Drang des Sagen-M#ssens getrieben und h%lt an seinem Singen fest, auch wenn das Du ihn verhçhnen sollte. Hinter diesem S%ngerethos scheint andeutungsweise die typische Minnes%nger-Haltung durch: Der hohen Herrin gegen#ber f#hlt sich der Minnes%nger in einer Position der Demut und des Dienens, macht aus dieser Not jedoch eine Tugend, indem er seine ganze Kraft auf sein Dichten verwendet. In den Formulierungen „im traum gesehen“ (V. 11) und „seit dem im busen trage“ (V. 12) zeigt sich eine Tendenz zur tr%umerischen Verinnerlichung, welche f#r den gesamten folgenden Zyklus S#nge charakteristisch ist. Mit dem Motiv des Im-Traum-Sehens und -Verliebens greift George einen konventionellen Topos auf, der in der mittelhochdeutschen und in der romantischen Dichtung pr%figuriert ist.220 Die Literatur konnte sich hier auf den Volksglauben st#tzen, dass einem der k#nftige Ehepartner 220 Vgl. etwa Das Traumbild von Friedrich von Hausen, Spiegel- und Traumbild von Heinrich von Morungen und Heinrich Heines Gedicht Wenn ich auf dem Lager liege aus dem Buch der Lieder (Heinrich Heine: S#mtliche Werke. Neue Ausgabe in 12 B%nden. Hamburg: Hoffmann und Campe 1887. Bd. 1. S. 166). Die Lieder Friedrichs von Hausen und Heinrichs von Morungen sind hier mit dem neuhochdeutschen Titel zitiert, unter dem sie in Georges Schulausgabe Deutscher Minnesang abgedruckt sind (Obermann: Deutscher Minnesang. S. 56 und 76).

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(oder auch dessen Tod) im Traum erscheint. Im Eingangsgedicht der S#nge zeichnet sich also eine eigent#mliche Mischung aus moderner Sprachskepsis sowie romantischer Programmatik und Motivik ab, die aus dem Munde einer mittelalterlichen S%ngerfigur gesprochen und somit von George deutlich als Rollenfiktion gekennzeichnet ist. 2.4.2 Paratextuelle Medi%valisierung Die Vorrede zu den drei B"chern und der Zyklustitel S#nge eines fahrenden Spielmanns enthalten Signalwçrter, die bestimmte Kontexte aufrufen und rezeptionssteuernd wirken: So weckt bereits die Vorrede durch die Erw%hnung von „fernen zeiten“ und „unseren mittelalterlichen strçmen“ beim Leser die Erwartung auf etwas Mittelalterliches, Altert#mliches oder Vorzeitiges. Der Zwischentitel S#nge eines fahrenden Spielmanns verweist sowohl auf die Gattung des ,Liedes‘221 als auch auf die fiktive Dichterfigur eines ,fahrenden Spielmanns‘. Durch diese paratextuelle Rahmung wird der Zyklus in einen medi%valisierenden Zusammenhang gestellt. Das Titelwort S#nge evoziert die Textsorte des Liedes ebenso wie der programmatische zweite Vers von Worte tr"gen: „Nur das lied ergreift die seele“. Im Hinblick auf die S#nge eines fahrenden Spielmanns kann George mit gewissem Recht als sp%ter Fortsetzer der romantischen Liedtradition betrachtet werden.222 Wie Osthoff herausgearbeitet hat, verstand George den Begriff ,Lied‘ „im Goetheschen Sinne als dichterisch-musikalische Einheit“.223 Die Gattung Lied entsprach jedoch auch der %sthetischen Programmatik des Symbolismus, wie sich etwa bei Paul Verlaine zeigt. Als intermediale Kunstform, die Dichtung und Musik verbindet, stand das Lied beispielhaft f#r das )berwinden der Grenzen zwischen den einzelnen Kunstsparten. Auch die Bl#tter f"r die Kunst hatten sich die Vereinigung aller K#nste auf die Fahnen geschrieben und setzten damit den romantischsymbolistischen Gedanken der Gattungsmischung und Verschmelzung der einzelnen K#nste zum Gesamtkunstwerk fort.224 221 Vgl. Osthoff, Wolfgang: Stefan George und „Les deux musiques“. Tçnende und vertonte Dichtung im Einklang und Widerstreit. Stuttgart: Steiner 1989. S. 74. 222 Vgl. Martin, Dieter: Musikalische Rezeption. In: Stefan George und sein Kreis. Bd. 2. S. 939 – 961, S. 942. 223 Osthoff: Stefan George und „Les deux musiques“. S. 74. 224 Tats%chlich wurden die S#nge eines fahrenden Spielmanns schon fr#h vertont: Die erste Vertonung einiger S#nge durch Karl Hallwachs erschien im M%rz 1894 in den Bl#ttern f"r die Kunst unter dem Titel „aus Lieder / im Geschmack eines fahrenden

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Die Signalworte „mittelalterlich[ ]“ in der Vorrede und „Sang“ im Zwischentitel stellten den Gedichtzyklus in eine f#r das 19. Jahrhundert typische Genretradition. Die Verbindung von ,Lied‘ und ,Mittelalter‘ teilen die S#nge mit unz%hligen weiteren, heute weniger bekannten Kunstliedern des 19. Jahrhunderts: Mittelalterliche Stoffe und Minnesang-Thematik waren unter den romantischen und nachromantischen Komponisten %ußerst popul%r.225 Eine wertvolle Quelle f#r diese Vertonungen waren zum einen Ludwig Tiecks erste popul%re Minnesangausgabe Minnelieder aus dem Schw#bischen Zeitalter (1803), zum anderen medi%valisierende Gedichte Heinrich Heines oder Friedrich R#ckerts.226 Zumindest im Erwartungshorizont von Georges Rezipienten um die Jahrhundertwende d#rfte dieses musikalische Genre pr%sent gewesen sein. Ganz sicher pr%sent war bei diesem Rezipientenkreis auch die Tradition der bekannten romantischen Liederzyklen: Etwa Franz Schuberts Die schçne M"llerin (1823) und seine Winterreise (1827) nach Gedichten Wilhelm M#llers oder Robert Schumanns Liederzyklen Frauenliebe- und leben (1840) nach Gedichten Adelbert von Chamissos und Dichterliebe (1840) nach Gedichten aus Heinrich Heines Buch der Lieder (1827). Wie stark diese Tradition noch bis Ende des 19. Jahrhunderts weiterwirkte, zeigen Gustav Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen, die etwa zeitgleich mit Georges S#ngen eines fahrenden Spielmanns entstanden (1883 – 1885 komponiert, 1893 – 1896 vertont). Neben diesen hochkulturellen Liederzyklen stehen die popul%ren, modischen Spielmannslieder der Butzenscheibenlyriker, etwa Berthold Sigismunds Lieder eines fahrenden Sch"lers (1853) oder Rudolf Baumbachs Lieder eines fahrenden Gesellen (1878) (s. Kap. 2.1). Spielmanns“ (BfdK II/2, M%rz 1894, S. 65 ff.). In einem Brief an Karl Hallwachs von 1900 bezeichnete George selbst die S#nge als eine „folge von ,Liedern‘“ (abgedruckt in: SW III, 135). Bis in die 1920er und 1930er Jahre erfolgten zahlreiche weitere Vertonungen, so dass die S#nge eines fahrenden Spielmanns zu den meistvertonten Gedichtzyklen Georges z%hlen. Zu den Vertonungen siehe: Martin: Musikalische Rezeption, insbes. S. 941 – 943 und Eschenbach: Musik als emotiver Verst#rker. 225 Annette Kreutzinger-Herr hat in ihrer Habilitationsschrift eine materialreiche Darstellung der Mittelalterrezeption in der Musik des 19. und fr#hen 20. Jahrhunderts vorgelegt. Dort findet sich unter anderem eine Aufstellung einzelner Kompositionen des 19. Jahrhunderts, die sich auf die mittelalterliche Minnesangtradition beziehen (Kreutziger-Herr, Annette: Ein Traum vom Mittelalter. Die Wiederentdeckung mittelalterlicher Musik in der Neuzeit. Kçln: Bçhlau 2003, hier S. 75). 226 Ebd.

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Mit den romantischen Liederzyklen teilen Georges S#nge eines fahrenden Spielmanns nicht nur das Grundthema der ungl#cklichen Liebe, sondern auch den Tenor der Einsamkeit. Georges ,fahrender Spielmann‘ ist eine Wanderer- und Außenseiterfigur, wie man sie etwa aus der Winterreise kennt. Der Spielmann repr%sentiert allgemein ein „vormodernes Kunstverst%ndnis“,227 spezifisch aber einen mittelalterlichen Dichtertypus, der seinen Lebensunterhalt durch Darbietung von Kunstst#cken, Musik und Gesang verdiente. Im 19. Jahrhundert mag das gebildete Publikum an Figuren wie ,Volker den Spielmann‘ aus dem zum deutschen Nationalepos stilisierten Nibelungenlied oder an den damals bekanntesten deutschsprachigen Minnes%nger Walther von der Vogelweide gedacht haben. Der Spielmann war aber zugleich ein romantisches Phantasma: Zu Anfang des 19. Jahrhunderts interessierten sich besonders die Philologen der Romantik f#r den Spielmann, da sie in ihm den Tr%ger oder sogar Schçpfer der Volkspoesie zu erkennen glaubten. Als Fahrender und Unsteter ohne festen Wohnsitz, als Recht- und Ehrloser ist der Spielmann eine ,unb#rgerliche‘ Figur und eignet sich daher f#r projektive )berformungen zu einer Art po(te maudit des Mittelalters. Wie oben angedeutet, %hnelt der Spielmann darin den in der Romantik popul%ren Figuren des Vaganten und des Wanderers, des homo viator. 228 Auf solche mittelalterlichen und romantischen Pr%gungen spielte George an und geriet dadurch in thematischmotivische N%he zur Modestrçmung der Spielmannslieder.229 Die Pr%ferenz solcher vormodernen Figuren des Fahrenden, Herumziehenden und Vagabundierenden sagt freilich auch etwas #ber die Moderne selbst aus – wenn man bedenkt, in welchem Ausmaße Gef#hle von Heimatlosigkeit, Entfremdung und Einsamkeit die Literatur der Moderne seit der Romantik durchziehen, wird klar, dass in solchen mittelalterlichen Figuren genuin moderne Konflikte verhandelt werden.230 227 Braungart: !sthetischer Katholizismus. S. 199. 228 Zum Motiv des homo viator in Wanderergedichten der Romantik und der Jugendbewegung siehe Spicker: Deutsche Wanderer-, Vagabunden- und Vagantenlyrik. S. 38. Zur Figur des Spielmanns in der Jugendbewegung siehe Neuhaus, Andrea: Das geistliche Lied in der Jugendbewegung. Zur literarischen Sakralit%t um 1900. T#bingen 2005. S. 151 f. 229 Vgl. Kaiser: „Dichten selbst ist schon Verrat“. S. 9, sowie Spicker: Deutsche Wanderer-, Vagabunden- und Vagantenlyrik. S. 22. 230 So wurde auch Georges halb-nomadische Lebensf#hrung zum Gegenstand einer medi%valisierenden Stilisierung: Ludwig Thormaehlen pr%gte f#r die Wohnungen von Georges Freunden die Metapher der ,Pfalzen‘ (Thormaehlen, Ludwig: Erinnerungen an Stefan George. Aus d. Nachlass hrsg. von Walther Greischel. Hamburg: Hauswedell 1962. S. 151). Dieses Bild von George als mittelalterli-

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2.4.3 Rezeptive Bezugnahmen Wie eben gezeigt, hat George die S#nge eines fahrenden Spielmanns durch paratextuelle Signale in einen medi%valisierenden Rahmen gestellt. Angesichts des Ersteindrucks des ,wenig Mittelalterlichen‘ stellt sich dennoch zun%chst die f#r die vorliegende Studie zentrale Frage: Referieren die S#nge #berhaupt auf Objekte des Mittelalters, und wenn ja, auf welche? Wie im Theorieteil dargelegt, ist ,Medi%valismus‘ als ein doppelseitiges Ph%nomen zu verstehen, das sowohl rezeptive als auch imaginative Anteile umfasst. Es lassen sich verschiedene Formen der Bezugnahme auf das Mittelalter unterscheiden: Das Mittelalter kann direkt thematisiert werden, ein Autor kann aber auch beispielsweise mittelalterliche Literatur- und Kunstgattungen, einzelne Stoffe, Motive oder Ausdr#cke aufnehmen oder auf sie anspielen. Die rezeptiven Bezugnahmen kçnnen sich aber nicht nur auf Stoffe und Motive, sondern auch auf mittelalterliche Stile richten. Von der rezeptiv-formalen Seite her betrachtet, handelt es sich bei den S#ngen eines fahrenden Spielmanns, so die im Folgenden vertretene These, um Stilimitationen. Diese These l%sst sich durch einen Blick auf die Entstehungsgeschichte und die Textvarianten der S#nge erh%rten. Aus einer fr#heren Titelformulierung geht hervor, dass George die S#nge dezidiert als Stilimitationen angelegt hat. Als George die ersten Gedichte aus „einem buch sagen und s%nge“ im Mai 1893 in den Bl#ttern f"r die Kunst verçffentlichte, lautete der Zwischentitel n%mlich noch: S#nge / im Geschmack eines fahrenden Spielmanns. 231 Auch im Brief an Rassenfosse vom M%rz 1894 schrieb George von Gedichten „im Geschmack“ („d’un gout“) kultureller Epochen.232 George verwendete die Begriffe ,Stil‘ und ,Geschmack‘ ann%hernd synonym. Das zeigt auch ein Merkspruch #ber das Theater aus den Bl#ttern f"r chem ,Reisekaiser‘, der in den ,Pfalzen‘ seines ,Reichs‘ einkehrt, hat sich bis in die aktuelle Forschungsliteratur zu George gehalten (bspw. Breuer: !sthetischer Fundamentalismus. S. 56). 231 BfdK I/4 (Mai 1893), S. 97. Zum Ausdruck „im Geschmack von“ siehe Br#ckner, Dominik: Geschmack. Untersuchungen zu Wortsemantik und Begriff im 18. und 19. Jahrhundert. Berlin, New York 2003. S. 208. 232 „Vous aurez un peu de peine ' comprendre parce que dans ces trois livres plus encore que [dans] mes oeuvres publi-s l’&me ne voit pas directement [mais] sous un certain angle – l’-poque culturelle: le premier d’un gout classique, hell-nique, attique, idyllique d’une claire tranquillit-, le second moyen &ge mystique et pieux, le troisi*me oriental bizarre et luxurieux“ (Handschrift, abgedruckt im Anhang zu SW III, 106).

2.4 Simulativer Medi%valismus: S#nge eines fahrenden Spielmanns

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die Kunst von 1899: „Wol meinen wir nicht mit vielen daß stil und geschmack sich wie kleider wechseln lassen“.233 Auch die erste Fassung der Vorrede, die 1894 in den Bl#ttern f"r die Kunst erschien, wies explizit auf das gestalterische Potential von Stilen hin: „spiel und #bung bedeute das scheinbare ausbilden verschiedener stile f#r solche die nur auf den einen hinzuarbeiten raten: den unsrer zeit oder der kommenden.“234 George wehrte sich gegen die Kritik, seine Stilimitationen seien bloß „spiel und #bung“.235 In der r%tselhaften Formulierung wird trotz der Negation deutlich, dass „das scheinbare ausbilden verschiedener stile“ im Zentrum des ganzen Unterfangens steht, wenn man „scheinbar“ im Sinne von „scheinhaft“ versteht, also im Sinne eines Spiels mit der !sthetik des Scheins. Allerdings wollte George selbst seine Gedichte offensichtlich anders verstanden wissen: Nicht als Stil#bungen, sondern als Sinnbilder. Deshalb tilgte er in der fertigen Ausgabe der drei B"cher von 1895 und in der zweiten Fassung der Vorrede von 1898 auch jeglichen Hinweis auf die Begriffe ,Geschmack‘ oder ,Stil‘. Er nannte die Abteilung S#nge eines fahrenden Spielmanns und kennzeichnete die Gedichte damit als Rollenlyrik. Die Rezeption eines Stils ist analytisch schwerer zu greifen als die Rezeption einzelner Stoffe oder Motive. Deshalb sollen der Analyse zwei theoretische Perspektiven auf literarische Stilimitationen vorausgeschickt werden. 2.4.3.1 Simulierender Historismus und Stilimitation Wertvolle Perspektiven auf das Gebiet der Stilimitation erçffnen zum einen der Begriff des ,simulierenden Historismus‘ von Moritz Baßler, Christoph Brecht, Dirk Niefanger und Gotthart Wunberg sowie zum anderen G-rard Genettes Studie Palimpsestes. Baßler, Brecht, Niefanger und Wunberg haben eine Systematik historistischer Verfahren in der Literatur der Moderne entwickelt; eines dieser Verfahren ist der ,simulierende Historismus‘.236 Unter diesem Begriff verstehen sie Texturen, die so tun, als ob sie historisch w%ren: „Kunst, die %ltere Verfahren nachzuahmen sucht und dadurch, besonders im Zeichen des relativistischen Historismus, mçglichst rein und urspr#nglich Ver233 234 235 236

BfdK IV/5 (1899). BfdK II/4 (Oktober 1894), S. 97. Vgl. Kap. 2.2. Vgl. Oelmann im Anhang zu SW III, 105 f. Baßler, Moritz, Christoph Brecht u. a.: Historismus und literarische Moderne. T#bingen: Niemeyer 1996, insbes. S. 29 – 31.

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gangenes erlebbar machen will“.237 Die Simulationen des Historismus g%ben vor, das Authentische zu sein, „wohlwissend, es nicht zu sein“ (Hervorheb. i. Orig.).238 Die Kategorie des ,simulierenden Historismus‘ ist nicht nur f#r die vom Autorenkollektiv erw%hnten Prosatexte Altert"mliche Gesichte Georges relevant, sondern in hohem Maße auch f#r die S#nge eines fahrenden Spielmanns. Da Baßler, Brecht, Niefanger und Wunberg es bei einer Ph%nomenologie des ,simulierenden Historismus‘ belassen, ist es sinnvoll, erg%nzend G-rard Genettes theoretische )berlegungen zur literarischen Nachahmung aus seiner Studie Palimpsestes heranzuziehen.239 Genettes Theorie hat den Vorteil, dass sie die Funktionsweise und den Prozess der Nachahmung deutlich herausarbeitet und ein heuristisch wertvolles Instrumentarium f#r die Analyse von Stilnachahmungen anbietet. Der ,simulierende Historismus‘ kann somit als eine zeitspezifische Auspr%gung der von Genette grunds%tzlich beschriebenen Art von Transformation angesehen werden. Mit ,Nachahmung‘ meint Genette einen Text, der im Stil oder in der Manier eines bestimmten Autors oder eines bestimmten Textes, einer Gattung oder einer literarischen Epoche oder Schule geschrieben ist.240 Genette z%hlt die Nachahmung zu den komplexeren literarischen Transformationen, da sie ihm zufolge einen Zwischenschritt erfordere: Aus der Gruppe der nachzuahmenden Texte m#sse zun%chst ein abstraktes Modell mit den charakteristischen Eigenschaften der Textgruppe abstrahiert werden, aus dem der nachahmende Autor dann im n%chsten Schritt wieder eine einzelne „Performanz“ generieren kçnne.241 Genette nennt dieses abstrakte Modell auch „Kompetenzmodell“ oder „imitative Matrix“.242 Deshalb setzt die Nachahmung einiges an Wissen und Kçnnen voraus: Der nachzuahmende Stil oder die nachzuahmende Manier m#sse zun%chst als solche erkannt werden;243 der nachahmende Autor m#sse sein Material „beherrschen“: „Man muß die F%higkeit besitzen, diese oder jene seiner Eigenschaften zu reproduzieren, zu deren Nachahmung man sich entschlossen hat“.244 Selbst wenn der Gegenstand der Nachahmung die Manier eines einzelnen Textes ist, ist laut Genette der Zwischenschritt #ber das 237 238 239 240 241 242 243 244

Ebd. S. 29. Ebd. Genette: Palimpseste. Ebd. S. 16 f., 110 und 112. Ebd. S. 16. Ebd. S. 109 f. Ebd. S. 17. Ebd. S. 16.

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Kompetenzmodell unerl%sslich. Zugespitzt heißt es bei Genette: „nachahmen [bedeutet] verallgemeinern“.245 Den Unterschied zwischen einfacher und komplexer Transformation erl%utert Genette anhand des Unterschieds zwischen Parodie und Pastiche: W%hrend der Autor einer Parodie einen bestimmten Text nachahmt, ahmt der Autor eines Pastiches einen bestimmten Stil nach.246 „Stil“ definiert Genette umfassend „als sowohl thematische als auch formale Manier“.247 Imitationen wie Pastiche oder Persiflage haben Genette zufolge ein hohes eigenschçpferisches Moment, da es ihnen nicht um wçrtliche )bernahmen, sondern um selbst erfundene, lediglich %hnliche Stilelemente geht. Der Autor „bem#ht sich insoweit um !hnlichkeit, als es der thematische – und sprachliche – Unterschied erlaubt, und ohne es sich dabei durch wçrtliche Anleihen allzu leicht zu machen“.248 Genettes Theorie der komplexen Nachahmung ermçglicht es, die literarische Verfahrensweise des Zyklus der S#nge eines fahrenden Spielmanns aufzudecken. Sie hilft zu verstehen, warum man f#r Georges S#nge kaum einzelne Vorbilder in mittelalterlicher Dichtung finden wird, warum die S#nge aber trotzdem an diese Dichtung erinnern beziehungsweise ihr #hneln. Diese !hnlichkeit wird nicht durch wçrtliche )bernahmen, sondern durch selbst erfundene Stilelemente erzeugt. Wie auch Baßler, Brecht, Niefanger und Wunberg operiert Genette also mit dem Begriff der Nachahmung und der Kategorie der !hnlichkeit. W%hrend Genette mit dem Begriff der ,Imitation‘ vor allem den Prozess der Nachahmung beschreibt, konzentrieren sich Baßler und seine Kollegen mit dem Begriff der ,Simulation‘ jedoch sozusagen auf das Ergebnis einer Imitation. Kombiniert man beide Ans%tze, kommt man Georges sehr freier Anlehnung an mittelalterliche Tonlage und Stil in den S#ngen eines fahrenden Spielmanns n%her auf die Spur. Allerdings stellt sich zun%chst die Frage, welchen Stil George in den S#ngen eines fahrenden Spielmanns eigentlich nachgeahmt hat.

245 246 247 248

Ebd. S. 112. Ebd. S. 108. Ebd. Ebd. S. 109.

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2.4.3.2 Spielmann oder Minnes%nger? Genette verweist darauf, dass der Autor dem Leser #blicherweise in Paratexten signalisiere, dass es sich bei einem Text um eine Nachahmung handele.249 In der Vorrede referierte George explizit auf das Mittelalter, und er w%hlte eine mittelalterliche S%ngerfigur als Tr%ger f#r seine Rollengedichte, so dass der imitierte Stil also zun%chst als der Stil mittelalterlicher Spielmannslieder bezeichnet werden kann. Die Vorstellung von Liedern, die ein fahrender Spielmann singt, ist hinreichend vage, um sich alle mçglichen Arten liedhafter Stile darunter denken zu kçnnen. Der medi%valisierende Kontext, die Liebesthematik der ersten Gedichte des Zyklus und die )berschrift evozieren durchaus auch die Vorstellung von Minnesang. Aber gleich das erste Gedicht Worte tr"gen referiert, wie in der Analyse gezeigt, auch auf einen volksliedhaften Stil und generell auf romantische Stilideale. Diese vage Vermischung von Minnesang- und Volksliedstil unter dem Oberbegriff der ,Spielmannslieder‘ zeigt, so wird im Folgenden argumentiert, eine f#r das 19. Jahrhundert typische Rezeptionsweise des Minnesangs beziehungsweise eine Imagination der mittelalterlichen Lieddichtung an. Zugleich wird darin das immanent synkretistische Moment von Georges historisierenden Evokationen evident. George, ein Kind des sp%ten 19. Jahrhunderts, hatte keine unverstellte Sicht auf den mittelalterlichen Minnesang und die mittelalterlichen Spielmannslieder: Sein Bezugspunkt ist daher der Stil eines Minnesangs, der durch die Perspektive der Romantik gefiltert und vermittelt ist. Dies wirft die Frage auf, aus welchen Quellen George seine Vorstellungen von ,Spielmannsliedern‘ oder Minnesang bezog. Genettes Theorie der Nachahmung zufolge muss ein Autor sein Material sehr gut kennen, um einen Stil nachahmen zu kçnnen. Neben allgemeinem Wissen, das im Bildungsb#rgertum des 19. Jahrhunderts als bekannt vorausgesetzt werden kann, lassen sich hier die B#cher aus Georges materiellem Nachweis konsultieren, die Ute Oelmann gesichtet hat.250 F#r die S#nge eines fahrenden Spielmanns sind zum einen romantische und symbolistische Werke relevant: Herders geschichtsphilosophische und philologische Werke, denn die assoziative Verbindung von Minnesang und Volkslied geht wesentlich auf ihn zur#ck;251 Arnims und Brentanos Volksliedsammlung Des Knaben 249 Ebd. S. 114. 250 Oelmann: Das Mittelalter in der Dichtung Georges, insbes. S. 134 – 138; vgl. Schloon: Mittelalter-Rezeption, S. 673 f. 251 Groebner: Das Mittelalter hçrt nicht auf. S. 53.

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Wunderhorn, Heines Buch der Lieder, Verlaines La bonne chanson, G-rardys Gedichtzyklen Les chansons na-ves und Les ballades na-ves und Rassenfosses Gedichtband Dit un page…. 252 Zum anderen sind Georges Ausgaben mittelalterlicher Literatur wichtige Quellen. Hierzu z%hlen Schulausgaben aus der zweiten H%lfte des 19. Jahrhunderts, in denen ausgew%hlte mittelalterliche Werke adressatenspezifisch aufbereitet wurden. Das bedeutet, dass die mittelhochdeutschen Texte ausschließlich einsprachig in neuhochdeutscher )bersetzung wiedergegeben wurden. Zudem wurde die Rezeption dieser Werke durch Vorworte und Kommentare der Herausgeber gelenkt. An solchen Schulausgaben besaß George die beiden Reclamhefte Walthers von der Vogelweide s#mtliche Lieder und Deutscher Minnesang, ein Lesebuch Auswahl deutscher Dichtungen aus dem Mittelalter und eine Ausgabe des Zwergkçnig Laurin mit dem Untertitel ein Spielmannsgedicht aus dem 13. Jahrhundert. 253 Zwar l%sst sich kaum noch nachvollziehen, wieviel George von diesen B#chern tats%chlich gelesen hat, aber man darf davon ausgehen, dass diese Werke im Klassenkollektiv gelesen, gehçrt und besprochen wurden. Die Vorworte dieser Schulausgaben erlauben wichtige R#ckschl#sse auf den damals g%ngigen Diskurs #ber mittelalterliche Literatur. So geht beispielsweise aus Bruno Obermanns Vorwort zu der von ihm herausgegebenen Anthologie Deutscher Minnesang hervor, dass zu Georges Zeiten der Minnesang als etwas verstanden wurde, das nicht ausschließlich auf den hçfischen Bereich begrenzt war: „An den Hçfen der F#rsten und auf den Burgen der Ritter, auch im Freien bei Tanz und Spiel erklangen die Lieder vornehmlich ritterlicher S%nger in den mannigfachsten Weisen, besonders zum Lobe der Frauen, zum Preise der Minne: woher die Dichter selber sich den Namen ,Minnes%nger‘ beilegten.“254 Interessanterweise beschreibt Obermann den Wirkungskreis der Minnes%nger in demselben r%umlichen Gegensatz, den George in den antithetisch angelegten Halbb#chern Sagen und S#nge gestaltet hat: In den Sagen dominieren Hçfe und Burgen, die S#nge referieren vorrangig auf freie Naturr%ume. Dies zeigt, dass George den Spielmann als eine Art Minnes%nger imaginiert haben kçnnte, auch 252 Zu G-rardy und Rassenfosse siehe Kap. 2.4.4.2. 253 Walthers von der Vogelweide s#mtliche Gedichte. Aus dem Mittelhochdeutschen #bertr., mit Einl. u. Anm. vers. v. Karl Pannier. Leipzig: Reclam o. J. (ca. 1876). Obermann: Deutscher Minnesang; Gude: Auswahl deutscher Dichtungen aus dem Mittelalter; B#ckmann, L.: Zwergkçnig Laurin. Ein Spielmannsgedicht aus dem Anfange des 13. Jahrhunderts. Aus dem Mittelhochdeutschen #bers. v. L. B#ckmann und H. Hesse. Leipzig: Reclam [o. J.]. 254 Obermann: Deutscher Minnesang. S. 5.

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wenn der Begriff Minnes%nger zumeist f#r adlige Ritter reserviert war und der Begriff Spielmann f#r standeslose, fahrende Musikanten. Spielmann und Minnes%nger kçnnen aber durchaus dieselben Themen teilen. Schließlich wurde im 19. Jahrhundert auch Walther von der Vogelweide als ,Spielmann‘ bezeichnet. Ganz trennscharf wird man hier also nicht unterscheiden kçnnen.255 Das Inhaltsverzeichnis der Anthologie Deutscher Minnesang zeigt zudem, dass zu Georges Zeiten unter ,Minnesang‘ eine ganze Bandbreite verschiedener mittelalterlicher Liedgattungen gefasst wurde: weltliche Minnelieder von bekannten Minnes%ngern wie Dietmar von Aist oder Heinrich von Morungen, aber auch geistliche Lieder, Marienlieder, Tanzlieder und Fr#hlingslieder anonymer Verfasser. Im Lesebuch Auswahl deutscher Dichtungen aus dem Mittelalter, zusammengestellt von Carl Gude, gibt es sogar eine eigene Rubrik mit ,Volksliedern‘; diese wurden also ganz offensichtlich als Teil der mittelalterlichen Dichtung betrachtet.256 Aus solchen und %hnlichen Vorstellungen #ber mittelalterliche Dichtung d#rfte George seine ,imitative Matrix‘ f#r den Stil eines fahrenden Spielmanns konstruiert haben. 2.4.3.3 Der Schein von ,Mittelalterlichkeit‘ Genettes Theorie der literarischen Nachahmung zufolge dient die ,imitative Matrix‘ dem Imitator dazu, neue ,Performanzen‘ zu generieren.257 Ausgehend von Genettes Definition von Stil als ,sowohl formaler als auch inhaltlicher Manier‘258 werden im Folgenden zun%chst die formalen und daraufhin die inhaltlichen Aspekte der Simulation von Mittelalterlichkeit analysiert. 255 Das zeigt sich auch in der franzçsischen )bersetzung des Gedichts Ein edelkind sah vom balkon (SW III, 138), die George f#r die Zeitschrift Le R+veil angefertigt hat und die von Edmond Rassenfosse #berarbeitet wurde. In diesem Gedicht ist der deutsche Begriff ,Fiedler‘ mit trouv(re #bersetzt; trouv(re bezeichnet einen Minnes%nger aus dem Norden Frankreichs (im Gegensatz zum provenzalischen troubadour). In der franzçsischen )bersetzung des Zyklustitels ist dagegen die Bezeichnung f#r einen fahrenden Spielmann gew%hlt: Du Livre. „De Chants et de L+gendes.: Dans le Gout d’un M+n+trier vagabond (Le R+veil 6,22 – 24, Br#ssel-Gent Oktober–Dezember 1895 [1896], S. 165 – 167. Zitiert nach: SW III, 112). Der franzçsische m+n+trier ist – im Gegensatz zum deutschen Begriff ,Spielmann‘ – ein Fachbegriff f#r altfranzçsische Spielleute von niedrigem Stand. 256 Gude: Auswahl deutscher Dichtungen aus dem Mittelalter. 257 Genette: Palimpseste. S. 16 und 109 f. 258 Ebd. S. 108.

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Zun%chst f%llt auf, dass sich im Hinblick auf die Formen und Gedichttypen in den S#ngen eines fahrenden Spielmanns eine Vielfalt zeigt, wie sie dem breiten Verst%ndnis des Minnesangs in der oben besprochenen Anthologie Deutscher Minnesang entspricht. Die 14 S#nge lassen sich grob in drei Abteilungen gliedern: Die ersten acht S#nge sind Liebeslieder (SW III, 58 – 61). Die zweite Abteilung besteht aus f#nf Gedichten, die jeweils einem bestimmten Sprecher zugeschrieben sind – einem „edelkind“, einem „zwerg“ und einer „braut“ – und somit die Rollenfiktion vom fahrenden Spielmann duplizieren (SW III, 63 – 66). Das Abschlussgedicht, das Mariengedicht (Lilie der Auen, SW III, 67), steht f#r sich alleine. George gestaltet also Formen, wie es sie im Minnesang gab: weltliche Liebeslieder, Frauenstrophe (Erwachen der braut) und geistliches Lied beziehungsweise Gebet (Lilie der auen), so dass die S#nge den Charakter einer Anthologie erhalten. Der George-Forschung ist nicht entgangen, dass die S#nge eines fahrenden Spielmanns durch eine außergewçhnliche Reim-, Strophen- und Klangvielfalt gekennzeichnet sind.259 George experimentierte hier vor allem mit verschiedenen Reimformen, Refrainstrophen und Assonanzen, ahmte jedoch keine mittelalterlichen Strophen- und Versformen direkt nach.260 Vielmehr l%sst sich gerade in der Reim- und Strophenvielfalt eine abstrakte, grafische Imitation mittelalterlicher Dichtung erkennen. Hier gilt #bertragen das, was Genette f#r die Wortebene konstatiert hat: Der Imitator vermeidet direkte )bernahmen und bem#ht sich stattdessen lediglich um !hnlichkeit. Seit der ersten popul%ren Minnesang-Ausgabe gilt n%mlich der Formenreichtum des Minnesangs als eine seiner charakteristischen Eigenschaften. Schon Ludwig Tieck hatte in der Vorrede zu seiner Anthologie Minnelieder aus dem Schw#bischen Zeitalter (1803), der ersten modernen Minnesang-Ausgabe in neuhochdeutscher Sprache, die formale Vielfalt der Minnelieder ger#hmt: „Die grçßte Mannigfaltigkeit entdeckt man in den Liedern der Minnesinger, selbst beim fl#chtigsten Anblick, in Absicht der Sylbenmaasse, die grçßte Verschiedenheit der Strophen, die verschiedenste Anwendung des Reimes.“261 Ein Nachklang davon ist noch in Georges 259 Vgl. Kaiser: „Dichten selbst ist schon Verrat“. S. 13; Eschenbach: Musik als emotiver Verst#rker. S. 135. 260 Vgl. Simons: Die zyklische Kunst. S. 347, 352 und 359; Storck: Stefan Georges „Drei B"cher“. S. 430. 261 Minnelieder aus dem Schw#bischen Zeitalter. Neu bearbeitet und herausgegeben von Ludewig Tieck. Berlin 1803. S. XII.

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Schulausgabe Deutscher Minnesang auszumachen, wo der Herausgeber Obermann im Vorwort schreibt, der Minnesang zeichne sich „in der Form durch eine so reich ausgestaltete Vielseitigkeit aus, dass kein neuerer Dichter den Minnes%ngern darin irgendwie gleichkommt“.262 Dies mag George im Sinne einer kompetitiven Traditionsmessung herausgefordert haben. Jedenfalls l%sst sich gerade die Vielfalt der Reim- und Strophenformen in den S#ngen eines fahrenden Spielmanns als eine formale Imitation des Minnesangs deuten. Gleiches gilt f#r die Versl%ngen: Die unterschiedlich langen Verse einiger S#nge erinnern optisch an das Erscheinungsbild mittelhochdeutscher Texte. Dabei handelt es sich um eine rein grafische Imitation: Die Gedichte sollen aussehen wie mittelalterliche Lieder, aber nicht rein antiquarische Interessen an alten Gedichtformen befriedigen. George simuliert in den S#ngen also bereits auf der Textoberfl%che ,Mittelalterlichkeit‘ und betreibt somit ein Spiel mit der !sthetik des Scheins, hier konkret im Sinne eines Scheins von Mittelalterlichkeit. Die grafische Imitation mittelalterlicher Dichtung zeigt sich deutlicher als in der Druckfassung noch in den Handschriften. F#r die erste Sammelhandschrift der Sagen und S#nge zeichnete George ein Titelblatt im Stil mittelalterlicher Buchmalerei, das in vorliegender Arbeit erstmals verçffentlicht wird (Abb. 5).263 Als Vorlage f#r dieses Titelblatt nutzte George die Miniaturen der Minnes%nger Heinrich von Veldeke und Frauenlob, die als Reproduktionen einem Zeitschriftenartikel von 1892 #ber die Große Heidelberger Liederhandschrift beigelegt waren (Abb. 3 und 4).264 Eine medi%valisierende Anmutung erzielte George bereits durch die Papier- und Farbwahl: beiges B#ttenpapier, das farblich an Pergament erinnert, kombiniert mit roter, blauer und schwarzer Tinte. Die Verzierung der Initialen ,S‘ und ,S‘ mit blauer bzw. roter Farbe gleicht der farblichen Gestaltung der Textseiten 262 Obermann: Deutscher Minnesang. S. 4. Zur Erfindung neuer Strophenformen durch die Minnes%nger vgl. S. 8. 263 Zur formalen Beschreibung der Handschrift (H2) vgl. Oelmanns Stichworte im Anhang zu SW III, 108. 264 Kçnig: Ein altdeutsches Liederbuch; siehe SW III, 104. Diese Form der Vermittlung mittelalterlicher Handschriften #ber eine Zeitschrift ist typisch f#r das Zeitalter des Historismus, in dem Wissen #ber mittelalterliche Literatur f#r ein bildungsinteressiertes allgemeines Publikum aufbereitet zur Verf#gung stand. Georges Auffassungen basierten also sehr wahrscheinlich nicht auf einer breiten Kenntnis originaler Manuskripte, sondern auf einem bereits vorgefilterten und vorsortierten, als kanonisch geltenden Handschriftenwissen.

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Abb. 3: Miniatur Frauenlob, Codex Manesse (Universit%tsbibliothek Heidelberg, Codex Manesse, 399r, – CC-BY-SA 3.0).

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Abb. 4: Miniatur Heinrichs von Veldeke, Codex Manesse (Universit%tsbibliothek Heidelberg, Codex Manesse, 30r, – CC-BY-SA 3.0).

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Abb. 5: Werkhandschrift Stefan Georges: „Sagen und S%nge“, Umschlagvorderseite, aus dem Besitz des Stefan George Archivs, Stuttgart.

im Codex Manesse. In der oberen H%lfte des Blattes steht #ber zwei Zeilen verteilt der Titel: „ein buch / Sagen und S%nge“. Die Schrift %hnelt einer kalligraphischen gotischen Buchschrift: gebrochene Schrift, senkrechte Sch%fte, das „i“ ohne Punkt (Minima).265 Neben der medi%valisierenden 265 Auch in der )berschrift der Miniatur Heinrich von Veldig gibt es keinen sichtbaren i-Punkt. Georges gotisierende Schrift ist insgesamt eckiger in der Anmutung als die gotische Schrift der Manessischen Liederhandschrift. Georges kalligrafische Ex-

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Material- und Farbwahl sowie der gotisierenden Schrift greift das Titelblatt visuelle Gestaltungselemente aus den Miniaturen des Codex Manesse auf. George kombinierte Formzitate aus der Miniatur Frauenlobs mit solchen aus der Miniatur Heinrichs von Veldeke.266 Wie die Frauenlob-Miniatur ist auch Georges Titelblatt mit einer Zierleiste aus quadratischen Elementen gerahmt, die mit blumenartigen Schmuckelementen und an den vier Ecken mit davon abweichenden Elementen gef#llt sind. Zudem #bernahm George aus der Frauenlob-Miniatur ein schr%g gestelltes Wappen, das vor dunklem Hintergrund eine Frauenb#ste mit Krone auf dem Haupt zeigt.267 Das Wappen wirkt auf Georges Titelblatt wie eine Art Siegel oder Marke. Aus der Miniatur Heinrichs von Veldeke zeichnete George Vçgel- und Blumenmotive sowie zwei rote geschwungene Bçgen ab. Der Hintergrund der Heinrich-Miniatur aus dem Codex Manesse ist mit eingestreuten bunten Blumen und mehreren Vçgeln verziert; Heinrich zeigt mit dem Finger auf ein Spruchband, dessen Umrisse mit dicken roten Strichen markiert sind und das symbolisch f#r Heinrichs Dichtungen steht.268 perimente mit einer gotisierenden Schrift blieben eine kurze Episode, die sich ausschließlich auf die Handschriften im Umfeld der Sagen und S#nge beschr%nkte. Bekanntlich wandte George sich im Laufe der 1890er Jahre ganz von Frakturschriften ab und entwarf eine eigene charakteristische Handschrift, die sogenannte Stefan-George-Schrift. Friedrich Wolters verglich diese Schrift mit der karolingischen Minuskel und pr%gte damit eine bis heute wirksame medi%valisierende Fremdstilisierung: George habe „ohne bewußtes Vorbild eine Grundform der Schrift [ergriffen], welche die meiste !hnlichkeit hat mit der alten Karolingerminuskel und zwar mit der der Kapitale verwandten scriptura minuta erecta“ (Wolters: Stefan George und die Bl#tter f"r die Kunst. S. 143). Indem Wolters eine Parallele zwischen Georges Schrift und der karolingischen Minuskel etabliert und gleichzeitig das Unbewusste dieser Parallele betont, konstruiert er eine imagin%re Genealogie zwischen der kulturellen Bl#tezeit der Karolingischen Renaissance im 9. Jahrhundert und einer angeblich durch George eingel%uteten Zeit der kulturellen Wiedergeburt Deutschlands um 1900. 266 Warum gerade diese beiden Miniaturen als Vorlage benutzt hat, l%sst sich nur vermuten: Angesprochen haben kçnnten ihn Heinrichs melancholische Geste und der als Dichterf#rst gezeigte Frauenlob, der von einer Schar Musikanten umringt wird. 267 Es wird heute angenommen, dass die gekrçnte Dame im Wappen der FrauenlobMiniatur des Codex Manesse eine Darstellung der Himmelskçnigin Maria sei – ein Hinweis des Buchmalers auf die Anfangszeilen von Frauenlobs Marienleich (Koschorreck, Walter u. Wilfried Werner (Hrsg.): Codex Manesse. Die Große Heidelberger Liederhandschrift. Kommentar zum Faksimile des Codex Palatinus Germanicus 848 der Universit%tsbibliothek Heidelberg. Frankfurt am Main: Insel 1981. S. 124). 268 Ebd. S. 104.

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George hat nur die zwei l%ngeren Bogenstriche #bernommen, nicht jedoch deren Abschl#sse, so dass die urspr#ngliche Spruchbandform nicht mehr zu erkennen ist. Auf Georges Titelblatt sind lediglich zwei Vçgel zu sehen, ein grauer, senkrecht nach unten fliegender und ein schwarzer, senkrecht nach oben fliegender. Die Zweizahl korrespondiert mit dem zweigliedrigen Titel Sagen und S#nge. Dar#ber hinaus deuten die beiden Vçgel grafisch eine Polarit%t an (hell/dunkel und abw%rts/aufw%rts), welche der inhaltlichen Polarit%t der beiden Halbb#cher Sagen und S#nge entspricht. Die wenigen eingestreuten Blumen auf Georges Titelblatt scheinen dagegen nur dekorative Funktion zu haben. Insgesamt wirkt Georges Titel eher skizzenhaft und unfertig, mehr andeutend als ausf#hrend. Dennoch wird deutlich, dass sich George durch direkte Farb- und Formzitate um eine medi%valisierende !sthetik bem#ht hat. Eine grafische Simulation von Mittelalterlichkeit zeigt sich auch in zwei weiteren Handschriften aus demselben Entstehungszeitraum. Dabei handelt es sich zum einen um eine zweite Sammelhandschrift der Sagen und S#nge, die George 1893 f#r seine Schwester Anna anfertigte und die aufgrund ihrer bemerkenswerten Gestaltung 1996 als Faksimile verçffentlicht wurde.269 Das Titelblatt der Sammelhandschrift f#r Anna George ist schlichter als dasjenige der ersten Sammelhandschrift der Sagen und S#nge: keine Zeichnungen, keine Ornamente, keine Verzierungen – nur der Schriftzug „Sagen und S%nge“. Auch diese Handschrift ist auf beigem B#ttenpapier geschrieben. Eine formale Medi%valisierung zeigt sich hier vor allem in den gotisierenden )berschriften und in der Seitengestaltung. George lehnte sich an die Optik mittelalterlicher Manuskripte an, indem er den Text zweispaltig anordnete, ihn mit roten Zierleisten einrahmte und Schmuckinitialen zeichnete. Er verwendete blaulila Tinte f#r den Haupttext, schwarze f#r die )berschriften und – wie in Mittelalter und fr#her Neuzeit #blich – rote Tinte f#r die Initialen und die Rahmung. Zum anderen gestaltete George eine Handschrift des Dramas Die Herrin betet (Abb. 6): Auf den beiden Innenseiten eines gefalteten Bogens ordnete er 269 George, Stefan, Hubert Arbogast u. Ute Oelmann (Hrsg.): Sagen und S#nge. Faksimile der Handschrift. Stuttgart: Cotta 1996. Mit Recht betont Arbogast, dass diese Handschrift „f#r George außergewçhnlich“ sei, was „Format, Zweispaltigkeit und Farbigkeit“ angehe (ebd. S. 24). Ute Oelmann konstatiert bez#glich der Handschriften dieser Jahre „eine Neigung zur Ausschm#ckung, die wieder an mittelalterliche Handschriften und damit an die Werke der Kelmscott Press“ erinnere (Oelmann, Ute: Vom handgeschriebenen Buch zur Erstausgabe. Schrift- und Buchkunst Stefan Georges. In: Stefan George – Dichtung & Charisma. Amsterdam: Castrum Peregrini 2004. S. 63 – 76, S. 66).

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den Text zweispaltig an und verwendete eine gotisierende )berschrift sowie Schmuckinitialen. Am Ende des Textes setzte er eine Schmuckmarke ein, einen rechteckigen Kasten mit foralem Weinranken-Dekor vor rotem Hintergrund, %hnelnd einem gotischen Rankwerk.270 Georges poetische Simulation von ,Mittelalterlichkeit‘ in den Texten der Sagen und S#nge wird somit durch eine performative Dimension verst%rkt – allerdings nur im privaten Kreise, in unverçffentlichten Handschriften f#r den Eigengebrauch und in der Handschrift f#r seine Schwester. In den f#r einen weiteren Rezipientenkreis gedachten Ausgaben von 1895 und 1898 finden sich keine solchen grafischen Imitationen mittelalterlicher Handschriften. George simuliert also in den S#ngen eines fahrenden Spielmanns Mittelalterlichkeit sowohl auf struktureller als auch auf optisch-materieller Ebene. George schuf eine formale und klangliche Vielfalt, die dem Formenreichtum des Minnesangs abstrakt entsprach. Zudem n%herte er das Erscheinungsbild der einzelnen Verse, Gedichte und Handschriften der !sthetik mittelalterlicher Texte an. Dadurch generierte er bereits auf der Textoberfl%che eine !hnlichkeit zu mittelalterlicher Dichtung. Die Simulation von Mittelalterlichkeit in den S#ngen eines fahrenden Spielmanns umfasst neben den strukturellen und optischen Aspekten auch eine inhaltliche und motivische Komponente. Denn laut Genette zielt der Imitator eines Stils sowohl auf dessen formale als auch auf dessen inhaltliche Manier ab.271 In der Tat gibt es fast keinen Sang, f#r den sich nicht ein thematisch oder motivisch %hnliches Beispiel im deutschen Minnesang oder in der romantischen Lyrik finden ließe. Wie auch bei den Formen zu sehen war, ging es George jedoch nicht um eine direkte Nachahmung bestimmter einzelner Texte, sondern um stilistische !hnlichkeit. Deshalb referiert George vorrangig auf zwei abstrakte Bereiche, die als inhaltlichmotivische Manier des Minnesangs begriffen werden kçnnen: die Naturmetaphorik, vor allem aber die spezifische Liebeskonzeption des Minnesangs. Auf den Zusammenhang zwischen der Naturmetaphorik in den S#ngen eines fahrenden Spielmanns und die charakteristischen Natureing%nge im fr#hen, donaul%ndischen Minnesang hat bereits Gunilla Eschenbach hingewiesen.272 In der Tat durchzieht die S#nge eine ausgepr%gte Naturmetaphorik: Die Natur fungiert als Spiegel der Stimmung, etwa wenn eine 270 Vgl. Oelmanns Beschreibung im Anhang zu SW XVIII, 123. 271 Genette: Palimpseste. S. 108. 272 Eschenbach: Musik als emotiver Verst#rker. S. 131.

Abb. 6: Werkhandschrift Stefan Georges: „Die Herrin betet“; aus dem Besitz des Stefan George Archivs, Stuttgart.

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Fr#hlingskulisse mit der inneren Stimmung eines Edelkinds korrespondiert (Ein edelkind sah vom balkon, SW III, 63) oder wenn wie im Gedicht Aus den knospen quellen sachte Tautropfen mit Tr%nen parallelisiert werden (SW III, 58). In letztgenanntem Lied greift George die traditionelle Topik von Fr#hling und Hoffnung auf, gestaltet sein Gedicht jedoch formal avancierter, in symbolistischer Zusch%rfung – das Licht der Sonne wird nicht direkt beschrieben, sondern indirekt dargestellt, n%mlich als Spiegelung des Lichts auf der Wasseroberfl%che der Tautropfen: Aus den knospen quellen sachte Tropfen voll und klar Da das licht auf ihnen lachte. (SW III, 58)

Zudem tritt Naturmetaphorik als konventionelle Liebessymbolik auf – die warme Morgenluft wird assoziativ mit dem Atem des raunenden Geliebten gleichgesetzt (Dieses ist ein rechter morgen, SW III, 61), ein Blumenstrauß soll als Liebesbeweis dienen (Dass ich deine unschuld r"hre) und im „duft auf der wange“ des Kindes in Sieh mein kind ich gehe klingt in der Blumenmetaphorik die Unschuldsthematik mit an, die in der Symbolik von Lilien und Rosen im Mariengedicht Lilie der auen! am Ende des Zyklus ins Sakrale gewendet wird.273 Diese ausgepr%gte Naturmetaphorik f#hrt zu einer oberfl%chlichen !hnlichkeit der S#nge mit bekannten Gedichten des fr#hen Minnesangs. Der wichtigste Aspekt der mittelalterlichen Manier ist jedoch die Liebeskonzeption des Minnesangs, die George in den S#ngen auf unterschiedliche Weise anklingen l%sst. Das konstitutive Element der Distanz zwischen S%nger und Dame zeigt sich insbesondere in den ersten acht S#ngen, in denen gerade die gef#hlte Ferne des Du den Grund der Traurigkeit ausmacht. Wie in den Sagen kommt die Distanz zum Liebesobjekt auch r%umlich in der Opposition von draußen/drinnen und oben/unten zum Ausdruck. Der Spielmann erw%gt, vor der T#r des geliebten Dus zu musizieren: „Oder soll ich vor deiner t#re / Meine arme laute schlagen?“ 273 Lilie und Rose gehçrten bereits in der lateinischen Dichtersprache zum festen Formelschatz des Marienlobs (Fechter, Werner: Lateinische Dichtkunst und deutsches Mittelalter. Forschungen #ber Ausdrucksmittel, poetische Technik und Stil mittelhochdeutscher Dichtungen. Berlin 1964. S. 54 – 59). Die Formulierung „Herrin im rosenhag“ spielt zudem auf die bildk#nstlerische Tradition der „Maria im Rosenhag“ an; das gleichnamige Gem%lde des altkçlnischen Meisters Stefan Lochner ist George bekannt gewesen (Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 53 f.; Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 90; Braungart: !sthetischer Katholizismus. S. 201).

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(Dass ich deine unschuld r"hre, SW III, 59). Damit wird der Spielmann im ,Draußen‘ und das Du im ,Drinnen‘ verortet. Auch das ,Edelkind‘ befindet sich in einem, wenn auch ausgelagerten, Teil des Hauses, also des ,Drinnen‘ und zudem noch in der Position der Hçhe: Es steht oben auf einem Balkon und schaut auf den ,Fiedler‘ hinunter (Ein edelkind sah vom balkon, SW III, 63). Ebenso muss man sich die Braut aus dem Gedicht Erwachen der braut (SW III, 66) oben in einem Turmzimmer vorstellen.274 Der fahrende Spielmann ist also auch ganz wçrtlich ein Außenseiter. Das Du, das Edelkind und die Braut hingegen befinden sich in Positionen der Hçhe und damit in einer Minnesang-typischen Distanz zum S%nger. In vielen mittelalterlichen Minneliedern, besonders deutlich wohl bei Heinrich von Morungen, findet man eine Verbindung von Augenmotiv, Herz und Liebe.275 Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass Liebe sozusagen ,durch die Augen geht‘, noch konkreter durch die Pupille. Ausgehend von der Etymologie des Wortes Pupille vom lateinischen pupilla – ,P#ppchen‘, ,kleines M%dchen‘ – wird die Geliebte mit diesem ,kleinen M%dchen‘ gleichgesetzt, die durch die Pupille des Liebenden direkten Zugang zu seinem Herzen finde. Ein Nachklang dieses motivischen Konnexes findet sich in den Versen von Worte tr"gen: „Dass ich dich im traum gesehen / Und seit dem im busen trage“ (SW III, 58). Die Geliebte als Traumbild konnte George beispielsweise in Heinrichs von Morungen Gedicht Spiegel- und Traumbild vorgebildet finden, das in seiner Anthologie Deutscher Minnesang in neuhochdeutscher )bersetzung abgedruckt war: […] Minne, die der Welt die Freude mehret, F#hrte mir im Traume vor die Herrin mein, Als mein Leib zum Schlafen sich gekehret. 274 Hier ist der Knabe bezeichnenderweise ganz abwesend, er wird nur in Gedanken evoziert. 275 Beispielsweise in folgenden Gedichten, die in Georges Ausgabe Deutscher Minnesang in )bersetzung abgedruckt sind (Obermann: Deutscher Minnesang): Erbschaft an den Sohn („Ja, so strahlt mir immer / Ihrer hellen Augen Schimmer / In mein Herz, wenn sie sich vor mich stellt“, S. 68); Liebeszauber („Mich entz#ndet ihrer hellen Augen Schein, / Wie das Feuer d#rrem Zunder thut;“; „Kehren nach mir ihre hellen Augen sich, / Dass sie ganz mir durch mein Herze sehen“, S. 70); Die Unerbittliche („Br%che n%mlich jemand mir das Herz entzwei, / er s%he sie schçn darinnen stehen. / Denn sie kam frei mir durch die Augen ohne Th#r gegangen.“, S. 71); Lieber ja als nein („Ich bin krank, mein Herz ist wund, / Denn mir haben’s angethan / Mein Auge und dein roter Mund.“, S. 73).

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[…] (Obermann: Deutscher Minnesang. S. 76)

!hnlich dichtet der Minnes%nger Friedrich von Hausen in seinem Gedicht Das Traumbild: In meinem Traume sah Ich ein vielschçnes Weib Bis an den Morgen, da Ward wieder wach mein Leib. Da schwand sie mir so fern, Weiß nicht nun, wo sie sei, Die ich doch sah so gern. Das thun die Augen mein – Kçnnt’ ohne sie ich sein! (Obermann: Deutscher Minnesang. S. 56)

Wie gesagt geht es hier nicht um mçgliche intertextuelle Anspielungen auf ganz bestimmte Gedichte, etwa dasjenige Friedrichs von Hausen, sondern die Imitation einer inhaltlichen Manier, zu der solche Motivkomplexe wie Auge, Herz und Liebe dazugehçren. Zu der inhaltlichen Manier des Minnesangs z%hlt auch die metaphorische )bertragung der Beziehung zwischen Lehnsherr und Vasall auf die Beziehung zwischen Dame und S%nger.276 Diese Verbindung wird #blicherweise durch bestimmte Gesten verbildlicht, etwa das Niederknien des Vasallen vor dem Lehnsherrn oder den sogenannten Handgang, bei dem der Vasall seine H%nde in diejenigen des Lehnsherrn einlegt. Diese Motivik imitiert George im Gedicht Heisst es viel dich bitten (SW III, 59): Heisst es viel dich bitten Wenn ich einmal still Nachdem ich lang gelitten Vor dir knieen mag? Deine hand ergreifen Leise dr#cken mag Und im kusse streifen Kurz und fromm und still? Nennst du es erhçren Wenn gestreng und still Ohne mich zu stçren Dein wink mich dulden mag?

276 Vgl. ebd. S. 6.

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Das emotionale Verh%ltnis zwischen Spielmann und Du wird hier vor allem #ber Gesten symbolisiert. Im Knien und im Hand-Ergreifen schimmern der Dienstgedanke und die Lehnsterminologie des Minnesangs durch. Das Du bleibt „gestreng und still“ wie die „herrinnen m%chtig und unbewegt“, denen der Dichter Frauenlob im gleichnamigen Gedicht aus den Sagen zeitlebens diente. Selbst das so kontrovers interpretierte Gedicht Sieh mein kind ich gehe (SW III, 60) kann sich auf seine !hnlichkeit mit gel%ufigen MinnesangMotiven berufen: Sieh mein kind ich gehe. Denn du darfst nicht kennen Nicht einmal durch nennen Menschen m#h und wehe. Mir ist um dich bange. Sieh mein kind ich gehe Dass auf deiner wange Nicht der duft verwehe. W#rde dich belehren · M#sste dich versehren Und das macht mir wehe. Sieh mein kind ich gehe. (SW III, 60)

Seine magische Wirkung erzielt dieses Lied nicht zuletzt durch den Kehrreim, der es wie eine Beschwçrungsformel durchwandert und rahmt. Es ist aufgrund seiner offenen und ambivalenten Aussagestruktur in der George-Forschung bereits als Liebeslied, als p%dagogisches Lied sowie als poetologisches Lied gedeutet worden.277 Denn mit der Figur des Kindes verbinden sich verschiedene Vorstellungen, die von der konkreten Bedeutung von Kind als einem sehr jungen Menschen bis hin zum Kind als kulturgeschichtlich-literarischem Symbol f#r Urspr#nglichkeit und Un277 Storck: Das Bild des Mittelalters. S. 431 f.; Braungart: ,Sieh mein Kind ich gehe‘. In: Castrum Peregrini, H. 250 (2001). S. 21 – 27; Oelmann, Ute: Ankl#nge: Stefan George und Ernest Dowson. In: Goethezeit – Zeit f"r Goethe. Auf den Spuren deutscher Lyrik#berlieferung in die Moderne. Festschrift f#r Christoph Perels zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Konrad Feilchenfeldt, Kristina Hasenpflug u. a. T#bingen 2003. S. 313 – 321; Kaiser: „Dichten selbst ist schon Verrat“. S. 7 – 14; Kosler, Hans Christian: Suche nach der schçnen Seele. Stefan George: Sieh mein kind ich gehe. In: Frankfurter Anthologie (2007) H. 30. S. 81 – 84; Hartung, Harald: Spange, Zwerg, Lied. )ber einige Gedichte von Stefan George. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft (2008) H. 52. S. 647 – 656, hier S. 650.

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schuld reichen.278 Zwar spielt die Figur des Kindes in Georges Dichtung #berhaupt eine wichtige Rolle und taucht in verschiedenen Symbolzusammenh%ngen immer wieder auf.279 Im medi%valisierenden Kontext der S#nge eines fahrenden Spielmanns wirkt die Kinderfigur jedoch besonders nat#rlich, da sie sich hier auf die Tradition des Minnesangs beziehen kann. So wie der Spielmann in Sieh mein kind ich gehe das Du als „kind“ anspricht, konnten Minnes%nger die Geliebte auf Mittelhochdeutsch mit dem Kosenamen ,kint‘ ansprechen. Es finden sich aber auch Beispiele f#r Liebeslieder, die sich an ein Kind im Sinne eines sehr jungen M%dchens richten. In Georges Anthologie Deutscher Minnesang ist etwa ein Lied mit dem Titel Botendienst aus des K#renbergers Zyklus Lieder des Ritters abgedruckt.280 Darin geht es um ein noch sehr junges M%dchen, welchem sich der Ritter nicht zu sehr n%hern mag, da er f#rchtet, es kçnnte ihr „zum Schaden“ sein. Deshalb wagt der Ritter nur seinen Boten zu schicken: Sie, aller Frauen Wonne, ist noch ein M%gdelein. So oft ich an sie sende den lieben Boten mein, Wie gern k%m’ ich da selber, w%r’s nicht zum Schaden ihr! Weiß nicht, ob sie mir gut ist, doch keine ward so lieb noch mir. (Obermann: Deutscher Minnesang. S. 27)

Die motivische !hnlichkeit dieses Liedes zu demjenigen des fahrenden Spielmanns liegt auf der Hand: In beiden F%llen spricht das lyrische Ich von der Bef#rchtung, dem noch sehr jungen Gegen#ber durch seine Ann%herung Schaden zuzuf#gen. Wie sehr die Minnesang-Tradition im 19. Jahrhundert von romantischen Gedichten #berblendet war, zeigt sich an einem motivgleichen Gedicht aus Heinrich Heines Buch der Lieder: 281 Kind! es w%re dein Verderben, Und ich geb’ mir selber M#he, Daß dein liebes Herz in Liebe Nimmermehr f#r mich ergl#he. Nur daß mir’s so leicht gelinget, Will mich dennoch fast betr#ben, 278 Vgl. Kaiser: „Dichten selbst ist schon Verrat“. S. 8. 279 Vgl. den mehrere Seiten langen Eintrag in der Wortkonkordanz von Claus Victor Bock (Bock: Wort-Konkordanz. S. 318 – 320). 280 Obermann: Deutscher Minnesang. S. 27. 281 Heine: S#mtliche Werke. Bd. 1. S. 166. Auf die entfernte Verwandtschaft der S#nge eines fahrenden Spielmanns mit Heines Buch der Lieder hat schon David hingewiesen (David: Stefan George. S. 121).

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Und ich denke manchmal dennoch: Mçchtest du mich dennoch lieben!

Heines Gedicht ist ironisch in dem Sinne, dass es in seiner zweiten H%lfte den Gedanken wieder zur#cknimmt, den es in seiner ersten H%lfte formuliert hat. Die Grundsituation ist beim K#renberger und bei Heine jedoch eindeutig: Es geht um einen unzul%ssigen Liebeswunsch, um Impulskontrolle, um Zur#ckhaltung zugunsten der Unversehrtheit der Geliebten. Bei George sind die Absicht und der Wunsch des lyrischen Ichs weniger eindeutig: Durch welche Art ,Belehrung‘ f#rchtet der Sprecher das „kind“ zu „versehren“? Das Kind repr%sentiert einen Zustand der Unschuld, die gef%hrdet erscheint. Die Ambivalenz des Gedichts besteht zum einen in der ambivalenten Geschlechtsidentit%t des Kindes,282 zum anderen darin, dass die Idee der Unschuld sowohl auf den kçrperlichen als auch auf den geistigen Bereich bezogen werden kann. Die im „duft“ der „wange“ angedeutete Blumenmetaphorik ist literarisch durchaus mit sexueller Attraktion verbunden und in der Variante der ,gebrochenen Blume‘ ein Sinnbild f#r den Verlust der sexuellen Unschuld eines M%dchens.283 Gerhard Kaiser deutet das Kind poetologisch „als ausgespart sprachlich umkreiste Geniusfigur f#r eine Poesie des seelenhaft Urspr#nglichen und des Volksgeists“, von dem sich der Dichter „unter Schmerzen“ verabschiede.284 Das Gedicht Sieh mein kind ich gehe f#gt sich also oberfl%chlich in die inhaltlich-motivische Simulation von Mittelalterlichkeit ein, zeigt aber auch deutlich, wie George mittelalterliche und romantische Traditionen #berblendet und deren Bildlichkeiten auf neue Sinnhorizonte hin çffnet. Abschließend soll noch ein weiterer wichtiger Aspekt der Liebeskonzeption genannt werden, mit dem George in den S#ngen eines fahrenden Spielmanns eine gewisse !hnlichkeit zum mittelalterlichen Minnesang erzeugt: die )berlagerung von weltlichem und geistlichem Liebesdiskurs. Schon die mittelalterliche Dichtung machte sich solche wechselseitigen )bertragungen nutzbar, um die Grenzen des jeweils Sagbaren auszuweiten: Seit dem 12. Jahrhundert #berlagerten sich die Diskurse der weltlichen Minnelyrik und der geistlichen Mariendichtung. Die Herrin (frouwe) wurde Maria angen%hert, die Haltung des Minnes%ngers der Haltung des

282 Vgl. Kaiser: „Dichten selbst ist schon Verrat“. S. 8. 283 Vgl. ebd. 284 Ebd. S. 12 und 18.

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Marienverehrers.285 Die )bernahme religiçser Bild- und Wortwelten kann f#r die Liebeskonzeption des Minnesangs als typisch angesehen werden, so wie umgekehrt auch die geistliche Dichtung konkrete Elemente aus dem Minnesang aufnahm. In diesem Sinne lassen sich vor allem die beiden letzten Gedichte des Zyklus S#nge als Imitationen dieser inhaltlichen Manier des Minnesangs deuten. Erwachen der braut (SW III, 66) und Lilie der auen (SW III, 67) sind komplement%r zu lesen: W%hrend in Erwachen der braut die weltliche Liebe mit einer religiçsen Dimension aufgeladen wird, n%hert sich die religiçse Liebe zu Maria in Lilie der auen weltlicher Liebe an. Erwachen der braut ist durch die )berschrift als Frauenrede gekennzeichnet und imitiert damit den Typus des sogenannten ,Frauenliedes‘, das vor allem im deutschen Minnesang der hochhçfischen Zeit florierte. Gleich zu Beginn des Gedichts k#ndigen Musik und Licht den Beginn einer neuen Zeit an: ERWACHEN DER BRAUT: Es klingt vom turme her Mit erstem d%mmerstrahl Das lied der himmelshelden · […] (SW III, 66)

Eine erwartungsvolle Stimmung beherrscht das ganze Gedicht, das aus der Gedankenrede einer Braut am Tage ihrer Hochzeit besteht. In der Situation des Erwachens sind diese Gedanken an der Schwelle zwischen Traum und Realit%t, n%chtlicher Wahrnehmung und Tageswahrnehmung angesiedelt. Die Selbstreflexion der Braut „Bin ich im traum noch? nein.“ (V. 7) markiert zu Beginn der zweiten Strophe den )bergang zu einer st%rker rationalisierenden Betrachtungsweise. In der ersten Strophe lçsen Klangund Lichteindr#cke bei der Braut festlich-sakrale Assoziationen aus, die vom Turm klingenden Tçne begreift sie verkl%rend als „lied der himmelshelden“ (V. 3), das die Hochzeit ank#ndigt. Auch in der zweiten Strophe ist es ein akustischer Eindruck, der Reflexionen auslçst. Den „ruf am tor“ (V. 8) deutet die Braut als Ank#ndigung eines Boten von ihrem Br%utigam.286 Da alles aus der Innensicht der Braut geschildert wird, bleibt der Status der Wahrnehmung unklar. Vorherrschend ist eine erwartungsvolle Stimmung: Es geht um Signale und Anzeichen f#r etwas Kom285 Kesting, Peter: Maria-frouwe. )ber den Einfluß der Marienverehrung auf den Minnesang bis Walther von der Vogelweide. M#nchen 1964. S. 9. 286 Vgl. das %hnliche Motiv in Vom Ritter der sich verliegt (s. Kap. 2.3.4).

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mendes, das schon nah, aber noch nicht ganz da ist. Sowohl die Tçne als auch die Morgend%mmerung k#ndigen den Beginn einer neuen Zeit an. Dabei wird das Geschehen religiçs-mythisch #berhçht und somit dem Braut-Thema eine religiçse Aura verliehen („himmelshelden“, V. 3; „Der n%chte sanken sieben.“, V. 9). )ber das Braut-Thema ist Erwachen der braut mit dem darauffolgenden Mariengedicht Lilie der auen verbunden:287 hier die weltliche Braut, dort Maria als Himmelsbraut und Mutter. Dies bedeutet eine Steigerung und Sakralisierung der Liebesthematik im Verlauf des Zyklus: Am Ende stehen die geistliche Liebe als hçhere Form der weltlichen sowie Maria als ,Frau der Frauen‘ und damit hçchstes weibliches Liebesobjekt #berhaupt. Im Abschlussgedicht Lilie der auen! imitiert George den Stil geistlicher Mariendichtung. Formal handelt es sich um eine Marienanrufung, die Lobpreis und Bitte miteinander verbindet. Auf eine ein- bis zweiversige Apostrophe folgen in den ersten beiden Strophen drei Bittverse, in der letzten Strophe dagegen ein Bedingungsgef#ge, das mit einer Frage endet: Wenn ich ohne s#nde Deine macht verk#nde: Schenkst du mir worum ich lange bat? (SW III, 67)

Dieser letzte Vers gewinnt im Kontext der vorangegangenen S#nge eine besondere Ambivalenz, indem er ein letztes Mal die Problematik des unerf#llten Liebeswunsches aufzugreifen scheint, die in den #brigen Gedichten des Zyklus verhandelt wurde: „Schenkst du mir worum ich lange bat?“. Im ,Du‘ verschwimmen die Grenzen zwischen Maria und dem geliebten Du, das der Spielmann in den ersten acht Gedichten des Zyklus angesprochen hatte. George spielt hier also mit der Ambivalenz von Maria und der Geliebten. Dies ist provokant, aber auch konsequent, denn Maria als ,Frau der Frauen‘ bildet den Fluchtpunkt der Liebeskonzeption des gesamten Zyklus. Der Rahmen der S#nge eines fahrenden Spielmanns gibt den Kunst-Charakter dieser Rollenlyrik vor, weshalb Lilie der auen! auch nicht prim%r als Ausdruck einer wahren Frçmmigkeit des Autors George zu 287 Manche Interpreten haben beispielsweise versucht, die beiden letzten S#nge in einen Zusammenhang zu bringen: Lilie der auen! sei womçglich ein Gebet, das die „braut“ aus dem vorausgehenden Gedicht Erwachen der braut spreche (so etwa Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 55 und Anderson: Metrics und Meaning. S. 285). Dies zeigt nur einmal mehr die Suggestivit%t von Georges Dichtung, die dazu herausfordert, Leerstellen zu f#llen.

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verstehen ist.288 Es geht hier wiederum nur um !hnlichkeit zu religiçsen Liedern des Minnesangs, nicht um die Gestaltung eines wirklichen Gebetes. Die Wiedererkennbarkeit der mittelalterlichen Liebeskonzeption wird zudem durch einzelne Begriffe und Motive unterst#tzt, welche in den Zyklus hineingestreut sind und als pars pro toto mittelalterliche Lebensumst%nde evozieren. So spielt das Gedicht Dass ich deine unschuld r"hre (SW III, 59) mit dem Motiv „deine wahl der farben“ (V. 4) auf einen ritterlichen Brauch an. Ebenso erinnert die Formulierung vom „lob das dir geb#hre“ in Dieses ist ein rechter morgen (SW III, 61) an das selbstauferlegte Ethos der Minnes%nger, die Schçnheit und Tugend der Dame zu preisen. Mittelalterliches Kolorit erzeugt schließlich auch die Nennung bestimmter Begriffe wie etwa Turm und Tor als Metonyme f#r die Burg, Hçrner und Bote im Gedicht Erwachen der braut. Solche assoziationsreichen Begriffe suggerieren auf lexikalischer Ebene Mittelalterlichkeit, so dass der Leser im Sinne der symbolistischen Evokationspoetik zum Weiterdenken und Erg%nzen aufgefordert wird; andersherum werden diese Begriffe erst durch ihre Umgebung und das Ensemble im Zyklus ,mittelalterlich‘ eingef%rbt. Vorl%ufig kann festgehalten werden, dass die Simulation von Mittelalterlichkeit in den S#ngen eines fahrenden Spielmanns neben der formalen Manier auch inhaltlich-motivische Stilelemente umfasst. George simuliert Mittelalterlichkeit, indem er mehrere Komponenten einer Liebeskonzeption aufgreift, die spezifisch mit dem Minnesang assoziiert werden. Dazu gehçren die Distanz zwischen S%nger und Dame, der Motivkomplex Augen-Liebe-Herz, die Lehnsmetaphorik, die Anrede ,kind‘ sowie die )berlagerung weltlicher und geistlicher Liebesdiskurse. 2.4.3.4 Ring, Schmied und Fessel – Echos aus der Romantik Auf die ersten acht S#nge in medi%valisierendem Stil folgt das Gedicht Ein edelkind sah vom balkon (SW III, 63), das in seiner Form und Motivik beinahe wie ein Echo aus der Romantik erscheint. Dieses Gedicht zeigt, dass innerhalb der Rollenfiktion des fahrenden Spielmanns auch der romantische Volksliedton zum Gegenstand einer Stil-Simulation beziehungsweise einer intertextuellen Auseinandersetzung werden kann: 288 Schultz versteht Lilie der auen! als ein „wirkliches Gebet“ eines „pius poeta“ (Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 55). Braungart unterstreicht dagegen zu Recht den Kunstcharakter dieses Gebets (Braungart: !sthetischer Katholizismus. S. 199).

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Ein edelkind sah vom balkon In den fr#hling golden und gr#n · Lauschte der lerchen ton Und blickte so freudig und k#hn. Ein fiedler – fiedler komm Und gib deinen liebsten sang! Das edelkind horchte fromm Dann ward ihm traurig und bang. Was sang er mir solches lied? Ich warf ihm vom finger den ring. Bçser trugvoller schmied Der mich mit fesseln umfing! Kein fr#hling mehr mich freut · Die blumen sind alle so blass. Tr%umen will ich heut Weinen im stillen gelass. (SW III, 63)

Motivisch und formal schreibt sich das Gedicht in die Volkslied-Tradition ein: Mit seinen vierversigen Strophen, Kreuzreim, dem Wechsel aus Dreiund Vierhebern, metrischer F#llungsfreiheit und durchgehend m%nnlichen Kadenzen hat das Gedicht die Form eines Volkslieds. Im Zentrum steht das Ring-Motiv, das aus vielen romantischen Volksliedern etwa in Achim von Arnims und Clemens Brentanos Sammlung Des Knaben Wunderhorn als Heiratssymbol bekannt ist. Georges Lied ist aus der Perspektive des Edelkinds verfasst, das einen Fiedler heranruft, in Reaktion auf seinen Gesang jedoch am Ende einen Ring zu ihm hinunterwirft und traurig wird. Die Eigenart dieses Gedicht tritt besonders deutlich im Vergleich mit zwei motivverwandten Gedichten der Romantik hervor, die als intertextuelle Folie mitzudenken sind: Dies sind zum einen Ludwig Uhlands Ballade Entsagung, auf die Hans Stefan Schultz hingewiesen hat,289 und zum anderen Joseph von Eichendorffs Gedicht Das zerbrochene Ringlein. In Eichendorffs melancholischem Gedicht steht der zerbrochene Ring sym289 Schultz: 'berlieferung und Urspr"nglichkeit. S. 49 f. Zanucchi vermutet einen Bezug von Ein edelkind sah vom balkon zu Paul G-rardys Gedicht Ce fut un trouv(re qui chanta et une dame qui en mourut. Zanucchi sieht den entscheidenden Unterschied darin, dass der S%nger in G-rardys Gedicht „von der eigenen Leidenschaft derart #berw%ltigt wird, dass er die Saiten seiner Leier zum Reißen bringt“, w%hrend bei George „nur die geliebte Frau […] von der Macht des Gesangs bezaubert [wird]“ (Zanucchi, Mario: G+rardy, Paul. In: Stefan George und sein Kreis. Bd. 3. S. 1375 – 1379, hier S. 1377 f.).

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bolisch f#r die gebrochene Treue der Geliebten, woraufhin das lyrische Ich ausruft: „Ich mçcht’ als Spielmann reisen / Weit in die Welt hinaus“.290 Mit der Denkfigur des Aufbruchs und Reisens, dem Zentralsymbol des Rings und dem ungl#cklichen Ende erscheint Ein edelkind sah vom balkon wie eine literarische Reminiszenz an Eichendorffs Gedicht. In Ludwig Uhlands Ballade Entsagung singt ein Harfner ein Lied an eine Jungfrau, in dem er sie an die gemeinsame Kindheit erinnert. Die Jungfrau blickt von einem Turm hinab und wirft dem Harfner am Ende einen Ring hinunter: „Nimm den Ring und denke mein, Denk’ an unsrer Kindheit Schçne! Nimm ihn hin! Ein Edelstein Gl%nzt darauf und eine Tr%ne.“ (Uhland [o. J., ca. 1925]. S. 126.)

George gestaltet in Ein edelkind sah vom balkon dieselbe Grundsituation, aber ganz aus der Perspektive des Edelkinds.291 Bei Uhland ist der hinuntergeworfene Ring ein Symbol der Entsagung. Anders als die Gedichte von Eichendorff und Uhland, motiviert George das Hinunterwerfen des Rings mit der Ver%rgerung des Edelkinds #ber den nicht genannten Inhalt des Lieds des Fiedlers: Was sang er mir solches lied? Ich warf ihm vom finger den ring. Bçser trugvoller schmied Der mich mit fesseln umfing! (SW III, 63)

Durch die vollst%ndige Aussparung des Lieds, auf das sich das Edelkind bezieht, verr%tselt Georges Gedicht die Situation und l%sst den Leser im Ungewissen: Nennt das Edelkind den Fiedler einen ,bçsen trugvollen Schmied‘? Dies wird vom Gedicht nicht ausdr#cklich ausgesprochen. Eine andere Lesart w%re prinzipiell ebenfalls mçglich: Das Lied des Fiedlers erinnert das Edelkind an jenen „schmied“, der ihm den Ring gegeben hat. 290 Eichendorff: S#mtliche Gedichte. S. 84 (dort unter dem Titel Lied). 291 Wie Schultz mehr andeutet als ausf#hrt, l%sst sich in Georges S#ngen eines fahrenden Spielmanns sogar ein subtiler intertextueller Hinweis auf Uhlands Ballade finden: In dem Lied Ist es neu dir was vermocht, das dem Gedicht Ein edelkind sah vom balkon unmittelbar vorausgeht, heißt es n%mlich an zentraler Stelle: „Ach du weisst dass du nicht stirbst / Ruft es wiederum: entsage!“ (SW III, 61). (Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 50.) Neben der konkreten Bedeutung im Gedicht selbst, kçnnen das Verb ,entsagen‘ als Verweis auf den Balladentitel Entsagung und das Adverb ,wiederum‘ als Signal f#r eine textuelle Wiederholung gedeutet werden.

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Mit dem Motiv der zerstçrten Illusion, die der Ring symbolisiert und die das Thema des Trugbildes und des Scheins ins Zentrum des Gedichtes r#ckt, liegt allerdings die Identit%t von Fiedler und Schmied als zwei Seiten derselben Person n%her. Die N%he von ,Ring‘ und ,Fesseln‘ l%sst den Ring zugleich als Metonymie des ,fesselnden‘ Gesangs des Fiedlers erscheinen, was ebenfalls f#r eine Identit%t von Fiedler und Schmied sprechen w#rde, zumal in der Schmiedemetapher die Idee des Dichtens als Handwerk anklingt, die George beispielsweise auch im Gedicht Die Spange (SW II, 54) poetologisch formulierte. Das Gedicht demonstriert die verf#hrerische und destruktive Kraft der Poesie, die sich ihrem Scheincharakter verdankt. W%hrend der Fiedler zun%chst in einem Kontext der Idylle auftritt, schl%gt die Stimmung des Gedichtes im letzten Vers der zweiten Strophe um: „Das edelkind horchte fromm / Dann ward ihm traurig und bang“. Der Fiedler, der seinen „liebsten sang“ geben sollte, erscheint nun als „bçser trugvoller schmied“, eine unheimliche Gestalt, wie sie in der literarischen Tradition etwa durch die Schmiede Daedalus, Wieland oder auch Mime aus Wagners Ring des Nibelungen verkçrpert wird.292 Auff%llig ist, dass die entscheidenden Handlungselemente im Gedicht, die )berreichung des Ringes und das Lied des Fiedlers selbst, im Gedicht ausgespart bleiben. Das plçtzliche Umschlagen der Stimmung in der zweiten Strophe impliziert einen zeitlichen Sprung, der in der Figur des Schmiedes als allegorische Gestalt repr%sentiert ist. So geheimnisvoll wie das Gedicht des Fiedlers ist ja auch der Schmiedeprozess selbst: Als Herr #ber das Feuer ist der Schmied ein Experte des Materials und seiner Verwandlung und damit ein Herr #ber die Zeit, wie Mircea Eliade in seinem Buch #ber Schmiede und Alchemisten feststellte.293 Dieses Motiv einer Aufhebung des zeitlichen Kontinuums wird im Text des Gedichtes ganz konkret vollzogen, was auch zu einem Bruch des logischen Kontinuums f#hrt. Das Edelkind wirft dem Fiedler den fertig geschmiedeten 292 Vgl. auch die )berlegungen zum Zwerg als Schmied in Das lied des zwergen, siehe Kapitel 2.4.4.4. 293 Mircea Eliade schreibt: „[The alchemists,] by aiding the work of Nature, accelerated the tempo of things and, in the final instance, were substitutes for Time itself. The alchemists were not of course all aware that their ‘work’ did the work of Time. But this is not important: the essential point is that their work, transmutation, involved, in one form or another, the elimination of time.“ (Eliade, Mircea: The Forge and the Crucible. Trans. Stephen Corrin. Chicago, London: The University of Chicago Press 1978 (Originalausgabe: Forgerons et Alchimistes. Paris: Flammarion 1956). S. 171.)

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Ring zu, erst dann wird der Schmied genannt – damit wird die Reihenfolge der Ereignisse umgekehrt, die Perspektive kehrt vom fertigen Produkt zum Schmiedeprozess, vom Wegwerfen zum )berreichen des Ringes zur#ck. Die zeitliche und logische Diskontinuit%t beeintr%chtigt die (Re-)Konstruktion einer eindeutigen und koh%renten Handlung durch den Leser. Die durch Uhland repr%sentierte Form der auf Fortgang der Erz%hlung und Kontinuit%t fixierten Ballade, bei der die Sprache prim%r dazu dient, die Handlung voranzutreiben, bricht George durch ein diskontinuierliches Moment auf, das die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Mikrostruktur des sprachlichen Materials und vor allem auf die Querverbindungen zwischen einzelnen Bildern des Gedichtes lenkt.294 Das Gedicht inszeniert ein Spiel aus Zeigen und Verbergen, Aussprechen und Verschweigen; dieses Spiel begreift auch intertextuelle Reminiszenzen und die Simulation des romantischen Volksliedtons mit ein. So finden sich auf der rezeptiven Seite von Georges simulierendem Medi%valismus sowohl Echos aus dem Minnesang als auch aus der Romantik. Im Gedicht Ein edelkind sah vom balkon wird dieser Rezeptionsaspekt unmittelbar vorgef#hrt – da das Lied des Fiedlers und das )berreichen des Ringes im Gedicht #bersprungen werden, lassen sich erst aus der Reaktion des Edelkindes R#ckschl#sse auf das Lied ziehen, dessen Schein die „wirkliche“ und eben nur scheinbar eindeutige Lebenswelt des Edelkindes unumkehrbar abwertet. Die sichere Gewissheit vorgegebener Wahrnehmungsmuster, die im Gedicht mit dem Begriff der Frçmmigkeit angesprochen ist („horchte fromm“), wird vom Fiedler zerstçrt. Zwar durchschaut das Edelkind den Scheincharakter seines Lieds, eine R#ckkehr in die Einfalt der Idylle bleibt ihm jedoch verwehrt: Kein fr#hling mehr mich freut · Die blumen sind alle so blass. Tr%umen will ich heut Weinen im stillen gelass.

294 Wie oben bereits ausgef#hrt wurde, sind „fiedler“ und „schmied“ weniger durch den Handlungsverlauf des Gedichtes, sondern prim%r durch strukturelle Merkmale miteinander verbunden – motivisch durch den „ring“, aber auch durch die klangliche !hnlichkeit von „fiedler“ und „schmied“, verst%rkt noch durch das Zwischenglied „lied“.

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2.4.4 Projektionen und Imaginationen In Georges Stilimitationen, so die im Folgenden vertretene These, kommen implizit bestimmte Pr%ferenzen Georges, aber auch zeittypische Vorstellungen #ber den Minnesang und das Mittelalter zum Ausdruck. Die projektive Seite des Medi%valismus besteht darin, dass die rezeptiven Bezugnahmen stets eine Aktualisierung dessen darstellen, was unter ,Mittelalter‘ und in diesem Fall ,Minnesang‘ verstanden wird. Die rezeptiven Bezugnahmen sind also bedeutungs- und sinnstiftend. Im Folgenden sollen vier solcher Imaginations- und Projektionsbereiche herausgearbeitet werden: zum einen Vorstellungen von Fr#he, Einfachheit und Primitivit%t, zum zweiten der Zusammenhang von Mittelalter, Volk und Liedpoetik im belgischen Symbolismus, der einen wichtigen Hintergrund f#r Georges S#nge bildet; zum dritten die Ambivalenz der Sprachhandlungen und abschließend die poetologische Reflexion #ber Macht und Ohnmacht der Kunst. 2.4.4.1 Bilder der Fr#he Lassen sich Georges S#nge eines fahrenden Spielmanns als Ausdruck eines „primitivistischen Denkens“295 in der Klassischen Moderne um 1900 verstehen? In der Metaphorik der S#nge zeigt sich jedenfalls, so mçchte ich argumentieren, eine zeitliche Dimension und ein damit verbundener ideengeschichtlicher Zusammenhang von Fr#he, Kindlichkeit und Naivit%t. Dies soll im Folgenden zun%chst auf der Ebene des Textes nachgewiesen werden. Daran anschließend werden die weiteren Kontexte dieser Vorstellungswelten erçffnet. In den S#ngen eines fahrenden Spielmanns evoziert George in mehreren Bereichen Vorstellungen von Fr#he: in Bezug auf die Tageszeit und die Jahreszeit, in Bezug auf das Lebensalter und schließlich in Bezug auf den Lebenszyklus von Pflanzen und Tieren. Mehrere Gedichte spielen am Morgen, zeigen einen Tagesanbruch: In Aus den knospen quellen sachte (SW III, 58) verbildlichen Tautropfen Morgenstimmung, Dieses ist ein rechter 295 Nicola Gess erprobt eine )bertragung und Ausweitung des kunstwissenschaftlichen Begriffs des ,Primitiven‘ auf die Literatur; in ihrer weiten Definition ist mit dem ,Primitiven‘ nicht nur die außereurop%ische Kunst, sondern auch „europ%ische Volkskunst, Kunst von Kindern und Geisteskranken und mittelalterliche Kunst“ gemeint; sie beschreibt das ,Primitive‘ als wichtige Denkfigur der Moderne (Gess, Nicola: Literarischer Primitivismus: Chancen und Grenzen eines Begriffs. In: Literarischer Primitivismus. Hrsg. von Nicola Gess. Berlin, Boston: de Gruyter 2013. S. 1 – 10, hier S. 2 und 5).

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morgen (SW III, 61) zeigt die Tageszeiten schon im Titel an und in Erwachen der braut (SW III, 66) umschreibt der „erste[ ] d%mmerstrahl“ den beginnenden Sonnenaufgang. Als Jahreszeit dominiert der Fr#hling: In Aus den knospen quellen sachte werden die „neue sonne“ und das „junge jahr“296 gepriesen, das Gedicht Ein edelkind sah vom balkon erw%hnt den „fr#hling“ und in Das lied des zwergen evozieren kleine L%mmer den Fr#hling als die Jahreszeit, in der L%mmer geboren werden. Auch auf der Ebene des Lebensalters wird Fr#he signalisiert. Die S#nge zeigen junge Tiere (L%mmer), junge Pflanzen (Knospen) und schließlich vor allem junge Menschen. Kinderfiguren spielen eine zentrale Rolle: Gleich im Eingangsgedicht w#nscht der Spielmann „wie das kind der wiesen / wie das kind der dçrfer“ zu singen (Worte tr"gen · worte fliehen) und bezeichnet sich im Abschlussgedicht als „kindliches gem#t“ (Lilie der auen!). In drei Gedichten stehen zudem Kinderfiguren im Mittelpunkt: das als „kind“ angesprochene ,Du‘ in Sieh mein kind ich gehe, das „edelkind“ in Ein edelkind sah vom balkon und die tanzenden Kinder in Das lied des zwergen. Die Evokation von Fr#he auf den Ebenen der Tageszeit, der Jahreszeit, des Lebensalter und des Pflanzenwachstums zeigt, dass es George in den S#ngen eines fahrenden Spielmanns um Analogien zu tun ist. Diese Analogien und ,geheimen Verwandtschaften‘ zwischen den Dingen entsprechen dem symbolistischen Gedanken einer Harmonie zwischen Mikround Makrokosmos. Es geht um Anf%nge und Erneuerungsrhythmen. Der Gedanke einer Erneuerung wird durch die Lichtmetaphorik unterstrichen: „neue sonne“ (Aus den knospen quellen sachte), „erster d%mmerstrahl“ (Erwachen der braut), „Mutter du vom licht“ (Lilie der auen!). Der Wunsch nach Erneuerung wird am Ende des Zyklus sogar explizit formuliert, wenn der Spielmann Maria bittet: „Gib dass ich mich erneue“. In fast allen Gedichten kommt eine auf die Zukunft gerichtete Erwartungshaltungshaltung zum Ausdruck, eine Hoffnung auf Erhçrung durch das geliebte ,Du‘, eine Hoffnung auf eine bessere Zeit, auf Gew%hrung der W#nsche. Der neue Morgen symbolisiert zugleich die neue Hoffnung.297 George bedient sich hier also der traditionellen Topik von Fr#hling und Hoffnung, aber auch des Topos des Fr#hlings als der bevorzugten Zeit des Wanderers, 296 George verwendet mit der Wendung „junges jahr“ eine Formel, die laut Ferdinand Spicker in Wanderergedichten des 19. und fr#hen 20. Jahrhunderts geradezu stereotyp eingesetzt wurde, meist in Kombination mit Jugend und Gl#ck (Spicker: Deutsche Wanderer-, Vagabunden- und Vagantenlyrik. S. 67). 297 Vgl. Durzak, Manfred: Zwischen Symbolismus und Expressionismus: Stefan George. Stuttgart: Kohlhammer 1974. 82 f.

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der in die Welt hinauszieht. Signifikant f#r die Zeitvorstellung des Medi%valismus #berhaupt ist die Tatsache, dass George ausgerechnet das Mittelalter und die ferne Vergangenheit f#r seine utopischen Gedanken und zukunftsgerichteten Aufbruchsphantasien nutzt.298 Abgesehen von dieser traditionellen Topik werden in den Bildern der Fr#he noch weitere Kontexte aufgerufen: Vorstellungen von Naivit%t und Primitivit%t, das Ideal der Kindlichkeit in theologischen und romantischen Diskursen,299 Vorstellungen vom Mittelalter als Zeit der Fr#he und Vorstellungen einer Poesie der Fr#he, Urspr#nglichkeit und Unmittelbarkeit. Gerade in Georges Metaphorik von Fr#he und Kindlichkeit spiegelt sich eine zeittypische Sicht auf mittelalterliche Dichtung wider – eine Sicht, die in der Tradition der Romantik steht, denn die Verbindung von Minnesang und Kindlichkeit reicht bis dorthin zur#ck. Ludwig Tieck versah seine einflussreiche Ausgabe der Minnelieder aus dem Schw#bischen Zeitalter (1803) mit Illustrationen des romantischen Malers Philipp Otto Runge, in denen der Kinderkult der Romantik pr%gnant zum Ausdruck kommt.300 Nicht zuf%llig nannten auch Arnim und Brentano ihre Sammlung von Volksliedern Des Knaben Wunderhorn (1806 – 1808; Hervorhebung von J. S.) und stellten die Kinderfigur damit schon in den Titel. Von Anfang an wird der Minnesang – und werden in Verl%ngerung dessen auch die Volkslieder301 – somit einer romantischen Interpretation unterzogen, welche die mittelalterliche Dichtung mit zeittypischen Vorstellungen von Kindlichkeit verbindet. Mittelalterliche Dichtung wurde im 19. Jahrhundert zudem sehr h%ufig mit der Jahreszeitenmetapher des Fr#hlings belegt. Dies zeigt wohl am deutlichsten der Titel der bis heute als Standard geltenden MinnesangAusgabe Des Minnesangs Fr"hling von Karl Lachmann.302 Diese weit verbreitete Metaphorik findet sich auch in Georges Schullekt#ren wieder. Auffallend h%ufig wird dort die mittelalterliche Dichtung mit Kind- oder Jugendlichkeit, Naivit%t und Schlichtheit assoziiert. Bruno Obermann pries an der mittelalterlichen Poesie „das Jugendliche und Naive ihres Inhalts, ihrer Gedanken und Anschauungen“ und generell ihren „ju298 Siehe Kap. 4.3. 299 Vgl. Kaiser: „Dichten selbst ist schon Verrat“. S. 8. 300 Vgl. Kreutziger-Herr: Ein Traum vom Mittelalter. S. 73. Zum romantischen Kinderkult siehe: Alefeld, Yvonne-Patricia: Gçttliche Kinder. Die Kindheitsideologie in der Romantik. Paderborn: Schçningh 1996. 301 Die assoziative Verbindung von Minnesang und Volkslied geht auf Herder zur#ck (vgl. Groebner: Das Mittelalter hçrt nicht auf. S. 53). 302 Erstauflage 1857, aus Lachmanns Nachlass herausgegeben von Moriz Haupt.

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gendliche[n] Charakter“.303 Die beiden )bersetzer des Zwergkçnig Laurin zitierten Oskar J%nicke mit der Aussage: „ein Werk, reiner Naivit%t voll, wie ein M%rchen aus dem Munde eines Knaben“, um danach selbst in diesen Tenor einzustimmen: „)berall leuchtet uns eine kindliche Freude entgegen, die der Dichter in nat#rlicher Weise an den Gegenst%nden der Natur empfindet […]; in ebenso kindlicher Weise schildert er auch die Herrlichkeiten einer R#stung, und die Wunder, die den Helden seines Werkes in den hohlen Bergen Laurins geoffenbart werden.“304 In der literaturgeschichtlichen Betrachtung galt das Mittelalter allen Herausgebern als die „erste Bl#tezeit unserer Litteratur“.305 In Weiterf#hrung dieser Pflanzenmetaphorik wurde dann beispielsweise der Zwergkçnig Laurin als „anmuthigste Bl#te der freieren Spielmannsdichtung“ bezeichnet.306 Solchermaßen wird die mittelalterliche Poesie in ein organismus-analoges Lebensalter-Modell gef#gt, wie es f#r das historistische Geschichtsdenken typisch war.307 Das Mittelalter wurde als Jugendzeit der deutschen Nation angesehen. 2.4.4.2 Belgische Ansichten zu Mittelalter, Lied und Naivit%t Georges S#nge eines fahrenden Spielmanns stehen in der Tradition romantischer und nachromantischer Liederzyklen. Es bedurfte jedoch, so wird im Folgenden argumentiert, eines Umwegs #ber Belgien, damit George sich genau zu diesem Zeitpunkt im Winter 1892/93 auf diese nationale Tradition besann und sie f#r seine Zwecke fruchtbar machte. Auf die Bedeutung der belgischen Symbolisten f#r die B"cher der Hirten- und Preisgedichte, Sagen und S#nge und der h#ngenden G#rten hat bereits David 303 Obermann: Deutscher Minnesang. S. 4 und 6. Als „kindliche“ oder „jugendliche“ Dichtung schien die mittelalterliche Poesie denn auch gerade f#r den jugendlichen Rezipienten pr%destiniert zu sein – oder f#r den, „der mit jugendlicher Anspruchslosigkeit und Hingebung zu genießen nicht verlernt hat“ (B#ckmann: Zwergkçnig Laurin. S. 3). In %hnlicher Weise wurde angenommen, die Jugend habe eine nat#rliche Affinit%t zum Heldentum und sei deshalb besonders aufnahmebereit f#r die Heldenepen des Mittelalters; dies verband Carl Gude mit einem nationalp%dagogischen Impetus: Die „herrlichen Reste altdeutscher Poesie“ offenbarten „am reinsten und vollsten deutsches Wesen und deutschen Geist“ (Gude: Auswahl deutscher Dichtungen aus dem Mittelalter). 304 B#ckmann: Zwergkçnig Laurin. S. 3. 305 Gude: Auswahl deutscher Dichtungen aus dem Mittelalter. 306 B#ckmann: Zwergkçnig Laurin. S. 3. 307 Siehe dazu Demandt: Metaphern der Geschichte. S. 57 f.

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hingewiesen.308 Ein genauerer Nachweis des Zusammenhangs der S#nge eines fahrenden Spielmanns mit der belgischen Dichtung ist in der Forschung bislang nicht erbracht worden, er wird im Folgenden geleistet. Noch bevor George im Winter 1892/93 mit der Niederschrift der ersten Sagen begann, hatte er im Sommer 1892 die belgischen Dichter Paul G-rardy, Edmond Rassenfosse und L-on Paschal kennengelernt. Den Kontakt zu G-rardy hatte Albert Mockel ermçglicht, den George bereits 1889/90 #ber die Vermittlung Albert Saint-Pauls in Paris getroffen hatte.309 In den Werken dieser heute weitgehend vergessenen belgischen Dichter liegt ein wichtiger Hintergrund zum Verst%ndnis der Zusammenh%nge von Liedform, Naivit%t als Haltung, Kinderfiguren und einem idealisierten Mittelalter. In den Jahren 1891 und 1893 erschienen mehrere Werke, welche diese Haltung bereits im Titel andeuteten:310 Albert Mockels Erz%hlung Chantefable un peu na-ve (1891), Pierre-Marie Olins L+gendes pu+riles (1891), Fernand S-verins Le Don d’enfance (1891), Edmond Rassenfosses Gedichtband Dit un page… (1893) und schließlich Paul G-rardys Gedichtzyklen Les chansons na-ves (1892) und Les ballades na-ves (1893). Rassenfosse und G-rardy sind also nur zwei von mehreren Repr%sentanten einer Kunststrçmung, die sich w%hrend der 1880er und 1890er in Belgien ausgepr%gt hatte. In diesem Zeitraum ist in der belgischen Kunst eine R#ckwendung zum Mittelalter zu beobachten, die mit der Konstruktion einer eigenen fl%mischen Identit%t zusammenhing.311 Wie 308 W%hrend Enid Duthie schon fr#h die !hnlichkeit der Sagen und S#nge mit Gedichten einiger franzçsischer Parnassiens und Symbolisten bemerkt hat (Duthie: L’influence du symbolisme franÅais, insbes. S. 324 – 335), betont David demgegen#ber die grçßere Wichtigkeit der belgischen Dichtung (David: Stefan George. S. 110 f.). Vgl. Oelmanns pauschalen Hinweis auf die „Mittelalterbegeisterung einiger franzçsischer Symbolisten und Pr%raffaeliten“ sowie die „Affinit%t zum Mittelalter“ bei Rassenfosse und G-rardy (im Anhang zu SW III, 104). Wie oben im Zusammenhang mit Ein edelkind sah vom balkon in Kap. 2.4.3.4 erw%hnt, weist Zanucchi auf dessen !hnlichkeit zu einem Gedicht Paul G-rardys hin (Zanucchi: G+rardy. S. 1377 f.). 309 Zanucchi, Mario: Mockel, Albert Henri Louis. In: Stefan George und sein Kreis. Bd. 3. S. 1556 – 1558, hier S. 1557. 310 Vgl. Brogniez, Laurence: Germanisme, sceau du nouveau monde: Deutschland in der nordischen Mythologie der belgischen Symbolisten franzçsischer Sprache. In: Deutschlandbilder in Belgien 1830 – 1940. Hrsg. von Hubert Roland. M#nster: Waxmann 2011. S. 153 – 181, S. 168. 311 Im Folgenden st#tze ich mich auf Laurence Brogniez’ Darstellung (ebd., insbes. S. 168 f. und 156).

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Laurence Brogniez herausgearbeitet hat, zeigt sich in der Literatur, Malerei und im Kunsthandwerk der jungen Belgier ein „kultureller Primitivismus“, der eine Wiedergeburt aus der Vergangenheit erstrebte. Ankn#pfungspunkt war die Bl#tezeit fl%mischer Malerei und Mystik im Mittelalter. Die jungen Belgier verehrten das Primitive in der Kunst, wandten sich alten Volkstraditionen zu und erhofften sich davon Erneuerung. Die belgischen Schriftsteller rund um die Zeitschrift La Wallonie (1886 – 1892), geleitet von Albert Mockel, hatten sich diese medi%valisierende R#ckwendung zum Programm gemacht. In seinem Manifest Propos de litt+rature (1894) proklamierte Mockel die Wiederbelebung der Volkslegende und des naiven Liedes (chanson ing+nue) als Befreiung der Dichtung von #berkommenden Konventionen. In diesem Zusammenhang wies Mockel auf die deutschen Romantiker und Richard Wagner hin. )berhaupt definierten sich die jungen belgischen Symbolisten #ber einen g+nie du Nord und begeisterten sich f#r ,nordische‘ Kunst wie die Malerei der englischen Pr%raffeliten, die Opern Richard Wagners und skandinavische Dichtung. Das Germanische erschien als das Moderne, das Romanische als das Dekadente, wie es der Dramatiker Maeterlinck postulierte: „Le germanisme semble le sceau du monde nouveau, comme l’h-llenisme et le Latinisme -tait celui des deux anciens.“312 Die symbolistischen Dichter Belgiens bezogen sich also stark auf die deutsche, romantische Liedtradition und generell auf germanische Stoffkreise und Themen. Mockel betonte die enge Verwandtschaft des Symbolismus mit der deutschen Romantik: „Une influence imp-rieuse doit grandir de ce folklore […]; elle nous envahira comme elle faillit envahir les mystiques Allemagnes [sic!] au temps du Romantisme, – ces temps qui furent l'-bas les fr*res de notre pr-sent.“313 In der Volkskunst sah Mockel den Ursprung der wahren Poesie, hierin den )berlegungen von Herder, Rousseau und den Grimms folgend.314 Diese theoretischen Gedanken Mockels finden sich teilweise in G-rardys Gedichten poetisch vorgepr%gt: „Le lied que mon &me chantonne / […] mon lied est triste et germanique un peu“, lautet etwa ein Vers aus Les chansons na-ves (1892).315 312 Zitiert nach: ebd. S. 156. 313 Albert Mockel: Propos de litt+rature (1894). Zitiert nach: Gorceix, Paul (Hrsg.): Fin de si(cle et symbolisme en Belgique. Œuvres po-tiques; Th-odore Hannon, Iwan Gilkin, "mile Verhaeren, Maurice Maeterlinck, Georges Rodenbach, Charles Van Lerberghe, Max Elskamp, Albert Mockel. Bruxelles: "d. Complexe 1998. S. 601. 314 Ebd. 315 Paul G-rardy: Les chansons na-ves. Br#ssel: Presses de Flor-al 1892. S. 9.

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Dass George die Programmatik und die poetische Praxis der Belgier bekannt waren, legt nicht nur Georges persçnliche Bekanntschaft mit Mockel, Maeterlinck, G-rardy und Rassenfosse nahe. Dies bezeugt auch ein Artikel von Georg Fuchs, einem Schulfreund Georges,316 der 1894 zusammen mit Karl Wolfskehl ein Sonderheft der Allgemeinen KunstChronik gestaltete. In einem dort verçffentlichten Artikel Symbolistische Kunst und die Renaissance in Flandern stellt Fuchs einen Zusammenhang zwischen George und den belgischen Symbolisten her.317 In Georges Lyrik sieht Fuchs ein „atavistische[s]“ Moment: „man begegnet in diesen stillen, edlen Hallen den Ahnen: den Troubadours und den Minnes%ngern“.318 Damit stellt er George – bewusst oder unbewusst – in die gleiche Traditionslinie wie die jungen Belgier. Deren Hauptanliegen sieht Fuchs in der „Wiederherstellung der grossen alten fl%mischen Kunst“ von vor 1500, deren wichtigste Exponenten Maerlant und Ruysbroek gewesen seien.319 Als Beispiele symbolistischer Dichtkunst aus Belgien stellt Fuchs anschließend noch drei Gedichte aus Edmond Rassenfosses Gedichtband Dit un page… in deutscher )bersetzung vor. Bezeichnenderweise geht Fuchs wie auch die Belgier davon aus, dass das Volk der Bewahrer der mittelalterlichen Tradition sei: „In Flandern ist – wie das Volksleben einen mittelalterlichen Charakter bewahrt hat – auch der Geist, die Empfindungsweise, die Stilrichtung der grossen alten Meister, Memlings, Hubert van Eycks, des Thierry Bouts’ etc. lebendig geblieben.“320 Genau diese Verbindung von Volk und Mittelalter findet sich auch Georges S#ngen eines fahrenden Spielmanns. Der belgische Kontext r#ckt auch Georges S#nge eines fahrenden Spielmanns in ein neues Licht, insofern diese beinahe wie eine vorweggenommene Umsetzung von Mockels Poetik erscheinen. Die Verbindung von Liedform, k#nstlich erzeugter Naivit%t und Primitivit%t, des Verweises auf das Volkslied und einer rahmenden Medi%valisierung stellt eine deutliche Parallele zwischen Georges Werk und demjenigen seiner belgischen Dichterkollegen dar.321 Allerdings war die Motivation der jungen 316 Peters, Rebekka: Fuchs, Johann Georg Peter. In: Stefan George und sein Kreis. Bd. 3. S. 1370 – 1372, hier S. 1371. 317 Fuchs, Georg: Symbolistische Kunst und die Renaissance in Flandern. In: Allgemeine Kunst-Chronik 18 (1894). Erstes Juniheft. S. 337 – 342. 318 Ebd. S. 338. 319 Ebd. S. 339. 320 Ebd. S. 340. 321 George und die Belgier d#rften eine Art Zwischenidentit%t zwischen Frankreich und Deutschland geteilt haben, da auch George sich durch seine Herkunft

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Belgier von derjenigen Georges sehr verschieden: Den Belgiern ging es um eine nationalistisch motivierte Verkl%rung eines goldenen Zeitalters im Mittelalter und eine Befreiung von klassizistisch-franzçsischen Formen, George um eine rein poetische Ann%herung an eine historische Epoche. Vergleicht man etwa ein Eingangsgedicht aus Edmond Rassenfosses Dit un page… mit dem Eingangsgedicht aus Georges S#ngen, wird eine entscheidende %sthetische Differenz deutlich. Beides ist Rollenlyrik, aber w%hrend der Page, das lyrische Ich in Rassenfosses Gedicht, sich unvermittelt als Naturkind charakterisiert: „Je suis l’enfant na0f des plaines“,322 zieht George eine zus%tzliche Fiktionalisierungsebene ein, indem er den Spielmann singen l%sst: „Lass mich wie das kind der wiesen / Wie das kind der dçrfer singen“ (SW III, 58; Hervorheb. v. J. S.). Trotz dieser %sthetischen Unterschiede sind die !hnlichkeiten zwischen Georges S#ngen und den belgischen Dichtungen dieser Jahre bez#glich Thematik, Gestus und Motivik unverkennbar. 2.4.4.3 Zwischen Traum und Selbstgespr%ch Schon im Eingangsgedicht Worte tr"gen zeigt sich eine Tendenz zur Verinnerlichung, die f#r den gesamten Zyklus charakteristisch ist: Der Spielmann hat das ,Du‘ im Traum gesehen und tr%gt es in seinem Herzen (SW III, 58). Das l%sst die Mçglichkeit offen, dass es sich im ganzen Zyklus um eine Art Traumgeschehen handelt. Die Tendenz zur Verinnerlichung zeigt sich auch im monologischen Charakter vieler S#nge, die oftmals Selbstgespr%che sind, selbst wenn der Sprecher sich an ein ,Du‘ wendet. In dieses Zwielicht des %sthetischen Scheins f%llt auch die hypothetische Sprechweise, der sich der Spielmann in der Mehrzahl der Lieder bedient. Ihr Inhalt sind Gedankenspiele und Vorwegnahmen mçglicher zuk#nftiger Handlungen. Darauf deuten die vielen Konditionals%tze und Konjunktivkonstruktionen hin: Und wenn meine tr%nen fliessen? (SW III, 58; diese und alle folgenden Hervorhebungen von J. S.) Wenn ich einmal still […] großv%terlicherseits als halber Franzose f#hlte. Bei G-rardy zeigt sich diese Zwischenidentit%t am deutlichsten: Im damals deutschen L#ttich geboren, verlor er mit 12 Jahren seine beiden Eltern und wurde seitdem franzçsisch erzogen (siehe Zanucchi: G+rardy). 322 Edmond Rassenfosse: Dit un page… Li*ge: Aug. B-nard 1893. S. 15.

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Wenn gestreng und still (SW III, 59) So [= wenn] ich traurig bin (SW III, 60) W!rde dich belehren · M!sste dich versehren (SW III, 60) Nicht mehr w"r ich stumm und zag: Wandelten wir jetzo323 beide An dem immergr#nen hag. Spr"che dir von meinem eide Und vom lob das dir geb!hre. (SW III, 61) Wenn ich voll vertrauen Wenn ich ohne s#nde (SW III, 67).

Es handelt sich hier um imaginative Entw#rfe, die auf die wichtige Rolle der Imaginationen in Georges %sthetischem Medi%valismus verweisen, %hnlich wie in Vom ritter der sich verliegt (s. Kap. 2.3.4). Die Konjunktion „wenn“ und die Konjunktive zeigen an, dass das Geschehen entweder in der Zukunft oder im Bereich des Mçglichen angesiedelt ist. Die Liebe bleibt ein Ideal, das in der Wirklichkeit nicht eingelçst wird. Der Spielmann tr%umt von der Erf#llung seiner W#nsche und spielt verschiedene Szenarien gedanklich durch. Auch die vielen Fragen zeigen das Unbestimmte, Hypothetische, aber auch das Zweifelnde und Unsichere des Spielmanns an: „Werd ich’s wagen? Werd ich sagen . .“ (SW III, 59). In diesen Fragen liegt jedoch mehr als nur die Scheu eines Verliebten, der nicht weiß, ob und wie er seine Liebe gestehen soll – sie weisen vielmehr generell auf die Problematik des Sagens und des Nicht-Sagens hin, die sich leitmotivisch durch den Zyklus zieht. Gelegentlich kann in den Fragen des Spielmanns etwas Forderndes liegen, wie sich in Heisst es viel dich bitten (SW III, 59) 323 Das Wort „jetzo“ f%llt umso mehr auf, als George sich von solch altert#melnden Ausdr#cken normalerweise fernh%lt; das Wort „jetzo“ verwendet er in seinem ganzen Werk nur ein einziges Mal, hier in diesem Gedicht (Bock: Wort-Konkordanz. S. 306). Es handelt sich mçglicherweise um (ironisches) Zitat aus Heines Lyrik. Paul G-rardy stellte seiner Gedichtsammlung Roseaux (1898) diese Verse aus Heines Gedicht voran: „Ich, ein tolles Kind, ich singe / Jetzo in der Dunkelheit;“ (Paul G-rardy: Roseaux. Les chansons na0ves, Les croix, Les ballades na0ves, Les chansons du prince Lirelaire, A tous ceux de la ronde. Paris 1898. unpaginierter Vorsatz).

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zeigt. Das lyrische Ich imaginiert sich scheinbar dem#tig in der Rolle eines Minnedieners, der still und stumm vor der gestrengen Herrin niederknien mçchte: Heisst es viel dich bitten Wenn ich einmal still Nachdem ich lang gelitten Vor dir knieen mag?

Die latent fordernde Haltung des Spielmanns wird auch daran sichtbar, dass er sein Gegen#ber h%ufig imperativisch anspricht: Lass mich wie das kind der wiesen […] Hçhne meine sanfte plage! (SW III, 58; diese und alle folgenden Hervorhebungen von J. S.) Sieh mein kind ich gehe. (SW III, 60) Gib dass ich mich freue · […] Weise deine g#te (SW III, 67)

Diese Sprechhandlungen signalisieren, dass die Selbsterniedrigung des Spielmanns zugleich eine Selbsterm%chtigung ist. Der Spielmann erscheint als zutiefst ambivalente Figur, denn hinter dem vermeintlichen Minnediener verbirgt sich eigentlich ein Herrscher. Je st%rker der Akzent auf dem Sprachlichen liegt, desto grçßer ist die Macht des S%ngers. Schon das erste Lied begann ja mit einer Warnung (Worte tr"gen) und deutete an, dass der Spielmann das lyrische Du stçrt oder ihm l%stig sein kçnnte („sanfte plage“). Der Spielmann w#nscht sich nicht nur, die „unschuld“ seines Gegen#bers zu „r#hren“ (Dass ich deine unschuld r"hre, SW III, 59), er verf#gt auch #ber die Mittel dazu. Diese Mittel liegen in der Dom%ne der Sprache: In Ein edelkind sah vom balkon geht vom Gesang des Fiedlers eine so m%chtige unheilvolle Wirkung aus, dass sich die Stimmung des Edelkinds in ihr komplettes Gegenteil verkehrt, von Freude zu Angst und Trauer. Auf die Kraft des Nennens, Andeutens und Aussprechens weist auch Sieh mein kind ich gehe hin: „Denn du darfst nicht kennen / Nicht einmal durch nennen“ (SW III, 60). Hier gibt das lyrische Ich vor, mit einem Wissen ausgestattet zu sein, das Verletzungspotential hat – und es liegt in seiner Macht, dieses Wissen auszusprechen und das Gegen#ber zu verwunden oder nicht. Wie Gerhard Kaiser gezeigt hat, inszeniert das Gedicht ein paradoxales Wechselspiel von vorgeblichem Verschonen und

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beredtem Verschweigen: „Sieh mein kind ich gehe / Dass auf deiner wange / Nicht der duft verwehe.“ (SW III, 60).324 Indem der Sprecher durch die mehrfach wiederholte Zeigegeste „Sieh mein kind ich gehe“ ein geheimes Wissen andeutet und ausspricht, tut er letztlich genau das, was er nicht zu tun vorgibt: Die Unschuld des Kindes zu verletzen.325 !hnlich deutet das lyrische Ich in Dieses ist ein rechter morgen ein Geheimnis an, das dem Gegen#ber noch nicht bekannt ist, aber auf Mitteilung dr%ngt: „Warmer hauch um baum und bach / Macht dein ohr f#r s#sse schw#re / S#sse bitten schneller wach / Die ich sorgsam dir verborgen.“ (SW III, 61). Besonders pr%gnant zeigt sich die Denkfigur von Selbsterniedrigung und Selbsterm%chtigung im Abschlussgedicht Lilie der auen! (SW III, 67): In der Umkehrung der Machtverh%ltnisse zwischen Maria und lyrischem Ich. Die proklamierte Schlichtheit der S#nge spiegelt sich hier in der Art des bezeichneten Materials wider: Mit „ge%st und moos“, einfachen Naturmaterialien, will das lyrische Ich, das sich selbst als „kindliches gem#t“ beschreibt, das Marienbild umflechten.326 Aber das Gedicht ist nicht das kindliche Gebet, als das es sich ausgibt, denn wie Wolfgang Braungart gezeigt hat, spricht das Gedicht „von Maria in einem Ton inszenierter Innigkeit und Naivit%t“, jedoch „tats%chlich subtil vom Anspruch des lyrischen Subjekts selbst“.327 Das lyrische Ich schreibt sich n%mlich selbst die marianische Eigenschaft der S#ndenlosigkeit zu und inszeniert sich als Verk#nder: „Wenn ich ohne s#nde / Deine macht verk#nde“ (SW III, 67).328 Das lyrische Ich stellt in Aussicht, durch seine Worte die Macht Marias zu preisen und zu mehren. Die verschiedenen Sprechweisen betonen den Aspekt der Simulation und des %sthetischen Scheins, der die Dinge in unterschiedliches Licht tauchen kann, so dass sie einmal wie mittelalterlicher Minnesang, einmal wie ein Traum und ein anderes Mal wie Machtphantasien eines Außenseiters erscheinen. Dieser Thematik soll im Folgenden anhand des Gedichtes Das lied des zwergen n%her nachgegangen werden.

324 Kaiser: „Dichten selbst ist schon Verrat“. S. 9 f. 325 Ebd. S. 10 f. Vgl. Kolk: Literarische Gruppenbildung. S. 41. 326 Es ist mçglich, dass dies auf einer sehr konkreten Ebene auch auf einen realen lokalen Brauch verweist (Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 54). Auch beim Krippenbau wird mit !sten und Moos ausgeschm#ckt. 327 Braungart: !sthetischer Katholizismus. S. 202. Vgl. David: Stefan George. S. 119. 328 Braungart: !sthetischer Katholizismus. S. 202.

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2.4.4.4 Macht und Ohnmacht der Kunst George, so die These, deutet in den Sagen und S#ngen Positionen der Schw%che zu Positionen k#nstlerischer )berlegenheit um: Außenseitertum, unerf#llte Sehnsucht und Einsamkeit werden sublimiert in einem ,Heroismus des Leidens‘. Anhand des Gedichts Das lied des zwergen soll im Folgenden exemplarisch demonstriert werden, welch komplexes Wechselspiel aus Schw%che und St%rke, Verfluchung und Erw%hlung George in den S#ngen eines fahrenden Spielmanns gestaltet.329 Das aus drei kurzen Gedichten330 bestehende Lied des zwergen (SW III, 64 – 65), z%hlte Walter Benjamin zu den „reinsten und vollkommensten Gedichte[n] von George“.331 In seinem R"ckblick auf Stefan George aus dem Jahre 1933 beklagte Benjamin Georges Wandlung zum Propheten einer „Priesterwissenschaft“ – denn es war der „Spielmann“ George, den Benjamin sch%tzte, der Spielmann, dessen Gedichte der Jugend zu Beginn des 20. Jahrhundert „Trostgesang“ gewesen seien.332 Aber wie kam George auf die Idee, dem Spielmann ausgerechnet ein Zwergen-Lied in den Mund zu legen, da doch alle anderen S#nge auf die eine oder andere Art Liebeslieder sind? Eine naheliegende Antwort findet sich in Georges Nachlass: In diesem befindet sich eine Reclam-Ausgabe mit dem Titel Zwergkçnig Laurin. Ein Spielmannsgedicht aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts. 333 Es erscheint plausibel, dass die Genrebezeichnung ,Spielmannsgedicht‘ im Untertitel bei George f#r eine assoziative Verkn#pfung der Spielmannsdichtung mit der Figur des Zwergs gesorgt hat und der Zwerg ihm deshalb ins Stoffrepertoire eines fahrenden Spielmanns zu passen schien. DAS LIED DES ZWERGEN I Ganz kleine vçgel singen · Ganz kleine blumen springen · Ihre glocken klingen. 329 Vgl. Schloon: Interpretationen, hier S. 143 – 148: Die folgende Interpretation von Das lied des zwergen ist als Modellinterpretation im Stefan-George-Werkkommentar erschienen und hier in leicht #berarbeiteter Form #bernommen. 330 Nur das erste Gedicht ist handschriftlich #berliefert. Das zweite und dritte Gedicht hat George zu einem sp%teren Zeitpunkt hinzugef#gt (siehe Anhang zu SW III, S. 127). 331 Benjamin: R"ckblick auf Stefan George. S. 399. 332 Ebd. S. 398 – 399. Zu weiteren Bez#gen Benjamins auf Das Lied des zwergen siehe Andres: Mittelalter als Modell? S. 159. 333 B#ckmann: Zwergkçnig Laurin.

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Auf hellblauen heiden Ganz kleine l%mmer weiden · Ihr fliess ist weiss und seiden. Ganz kleine kinder neigen Und drehen sich laut im reigen – Darf der zwerg sich zeigen? II Ich komme vom palaste Zu eurer kinder tanz In ihrem frohen kranz Will eines mich zu gaste? Der ich mich scheu verberge Ich habe kron und thron · Ich bin der feien sohn Ich bin der f#rst der zwerge. III Dir ein schloss · dir ein schrein – F#lle aller sch%tze und ihr glanz sei dein! Dir ein schwert · dir ein speer – Zarter gunst der schçnen sei dein weg nie leer. Dir kein ruhm · dir kein sold – Dir allein im liede liebe und gold. (SW III, 64 f.)

Handelt es sich bereits bei den S#ngen eines fahrenden Spielmanns um Rollenlyrik, so potenziert George hier die Rollenfiktion, indem er die Gedichte einem Zwerg in den Mund legt – die )berschrift war von George dazu gedacht, „mitgesungen oder mitrezitiert zu werden“.334 Die Sprechsituation, zumal die des ersten Gedichts, ist jedoch nicht ganz eindeutig: Zum einen ist denkbar, dass der Zwerg das gesamte Lied spricht bzw. singt. Zum anderen ist das Lied aber auch als eine Art szenisches Spiel mit verschiedenen Rollen denkbar, bei dem das erste Gedicht von einem Erz%hler und die beiden anderen Gedichten von einem Zwergen-Darsteller gesprochen werden. Das lied des zwergen lebt aus dem Kontrast zwischen augenscheinlicher %ußerer Kleinheit und verborgener innerer Grçße (Machtf#lle). Zun%chst entwerfen die drei Strophen des ersten Gedichts (I) das Bild einer idyllischen ,kleinen Welt‘. Die nur durch Bindestrich vermittelte Frage nach dem Erscheinen des Zwergs im letzten Vers des ersten Gedichts (I, V. 9) 334 Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 90.

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leitet #ber zum zweiten Gedicht: Der Zwerg zeigt sich. Im dritten und letzten Gedicht beweist der Zwerg seine Machtf#lle, indem er drei Kinder mit Gratifikationen bedenkt, die #ber ihr weiteres Schicksal bestimmen werden. Die Dreizahl bestimmt den Aufbau des Lieds des zwergen: Das erste und das dritte Gedicht bestehen aus jeweils drei Strophen; jede Strophe des ersten Gedichts hat wiederum drei Verse und schließlich sind alle Verse der ersten zwei Gedichte jambische Dreiheber (mit Ausnahme von I, V. 3 u. 9). Diese zahlenspielerischen Dreieranalogien in der Makro- und Mikrostruktur halten die drei Gedichte des Zwergen-Liedes aber nur unvollst%ndig zusammen. Das zweite Gedicht mit seinen zwei Strophen zu jeweils vier Versen schafft in der Mitte des Lieds eine Symmetrie. Im dritten Gedicht sind die Strophen auf jeweils nur zwei Verse verknappt, daf#r ist jedoch jeder einzelne Vers zum Langvers mit vier, f#nf oder sechs Hebungen erweitert. Auch die Reime variieren: Auf die Haufenreime des ersten Gedichts folgen die umarmenden Reime des zweiten und die Paarreime des dritten Gedichts. Von der #berwiegend jambischen Gestaltung des Lieds heben sich die troch%ischen Verse des ersten Gedichts (I, V. 3 u. 9) und des dritten Gedichts (III, V. 1 – 6) ab, indem sie gravit%tische Schlusspunkte setzen. Insgesamt weist Das lied des zwergen eine disparate, aber dennoch formierte metrische und strophische Gestaltung auf. Die Gedichte scheinen Volkslied-Ton zu imitieren und gleichzeitig zu unterlaufen: Jamben (I + II), Vierzeiler (II), Haufenreim (I) deuten darauf hin, aber die Verk#rzung auf Dreiheber l%sst im Vergleich zur gel%ufigen Volksliedstrophe eine Hebung vermissen. Die Naivit%t der Volksliedstrophe wird hier demonstrativ vorgef#hrt, modern gebrochen durch das symbolistische Formpostulat der K#rze. Das erste Gedicht exponiert die Szenerie und gleicht dem ,Natureingang‘ vieler mittelhochdeutscher Minnelieder: Visuelle (I, V. 2, 4 – 5, 7), akustische (I, V. 1, 3, 8) und haptische (I, V. 6) Eindr#cke werden zu einer idyllischen Szenerie verwoben, in der Mensch- und Tierwelt eine harmonische Koexistenz f#hren. Vogelgesang und Blumen deuten einen locus amoenus an, die L%mmer eine Hirtenwelt, wie sie f#r das mittelalterliche Genre der Pastourelle typisch war. Die exzessive H%ufung von Diminutiven, der wiederholte Einsatz von anaphorischen Parallelismen und der parataktische Satzbau verst%rken den Eindruck einer primitiven Idealit%t, den diese Szene unwillk#rlich hervorruft. Alles in dieser Welt ist klein, ins Niedliche ger#ckt: Die Tiere, die Blumen, die Kinder. Selbst die %therischen Farben (hellblau [I, V. 4], weiss [I, V. 6]), in denen diese Idylle gezeichnet ist, suggerieren Reinheit und Unschuld. Assonanzen auf „ei“

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durchziehen das ganze erste Gedicht und erinnern damit an den stereotypen Auftakt von Kinderreimen „Ei, ei, ei“. Es entsteht somit ein Effekt von Kindlichkeit. Die Frage des Zwergs (I, V. 9) markiert zugleich den Abschluss des ersten Gedichts und den )bergang zum folgenden Gedicht. Im zweiten Gedicht stellt sich der Zwerg selbst vor und fragt die Kinder, ob er sich ihnen n%hern darf. Die Frage, ob „eines“ ihn „zu gaste“ wolle (II, V. 4), ist wie die Probe im M%rchen, ob sie sich gut und freundlich verhalten – wenn ja, gibt es einen Lohn. Der Zwerg will sich nicht etwa dem Reigen anschließen, sondern Individuen aus der Gruppe ausw%hlen. Versmaß und Strophenform unterstreichen die Heimlichkeit der Ansprache.335 Der hçflichen Frage und dem expliziten Hinweis des Zwergen auf seine eigene Scheu („der ich mich scheu verberge“, II, V. 5) folgen selbstbewusste Machtgesten, seine „Mimikry kaschiert nur die wahre Souver%nit%t und Macht“, wie Harald Hartung in seiner Analyse des Gedichts feststellt.336 Die dreigliedrige, sich steigernde Argumentation mit Insignien (II, V. 6), Abstammung (II, V. 7) und Status (II, V. 9) wird syntaktisch durch Parallelismen bekr%ftigt („Ich habe […] / Ich bin […] / Ich bin […]“, II, V. 6 – 9). War das erste Gedicht des Lieds des zwergen durch die Bildlichkeit der Natur bestimmt, so dominiert im zweiten Gedicht die Bildlichkeit der Kultur („palast[ ]“, II, V. 1; „kron und thron“, II, V. 6), ein R#ckverweis auf den Zyklus der Sagen, aber ins Kleine verzerrt. Der Reichtum und die hierarchische Organisation des Zwergenreichs treten in Kontrast zu der undifferenzierten Gemeinschaft der tanzenden Kinder. Aus dieser Gemeinschaft w%hlt der Zwerg im dritten Gedicht drei verschiedene Kinder aus und begabt sie mit Schicksalsspr#chen. Diese drei Kinder sind aus der großen Schar ,Erw%hlte‘ – und damit variiert das Lied des zwergen auch das in Georges Dichtung allenthalben artikulierte Thema der Auslese und K#r. Der dreifache Einsatz von parallel gebauten Trikola mit Z%sur und Hebungsprall zwischen den beiden ersten Kola verleiht dem Gedicht den Rhythmus eines Abz%hlreims. Der Zwerg wendet sich direkt an die drei ,Erw%hlten‘: W%hrend er dem ersten Kind Reichtum, dem zweiten Gl#ck im Krieg und in der Liebe verspricht, beruft der Zwerg das dritte Kind zum Dichter.337 In dieser Abfolge l%sst sich eine Hierarchie erkennen, fast, als w#rde der Zwerg eine Art St%ndeordnung imitieren: Herrscher – Ritter – Dichter; in jedem Fall rekurriert die gestufte Dreizahl 335 Frank: Handbuch deutscher Strophenformen. S. 105. 336 Hartung: Spange, Zwerg, Lied. S. 652. 337 Vgl. Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 90; Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 49; Anderson: Metrics und Meaning. S. 279.

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auf mythische Modelle, die auch als Erz%hlmuster im M%rchen wiederkehren. Diese „Ordnungsdichte und Strukturiertheit“ kçnnen insgesamt als typisch f#r „Georges Vergangenheiten“ gelten.338 Das dritte Los erscheint als Verw#nschung und Segen zugleich: Das irdische Gl#ck bleibt dem Dichter versagt („Dir kein ruhm . dir kein sold“; III, V. 5), aber „im liede“ kann er „liebe und gold“ besitzen (III, V. 6). Besonderen Nachdruck erh%lt diese Botschaft durch das Fehlen der letzten Hebung: Der letzte Vers bleibt unvollendet, die Prophezeiung wird sich erst in der Zukunft erf#llen. Das Geschenk ist nicht ungetr#bt: Das dritte Kind wird das Schicksal eines Dichters zu tragen haben, das bei George immer auch mit Ideen wie Verzicht auf persçnliches Gl#ck, Dienst, Außenseitertum und Verkennung verbunden ist (vgl. Frauenlob, Kap. 2.3.1). Der Reim „sold“ – „gold“ (III, V. 5 – 6) in der Schlussstrophe entspricht wohl nicht zuf%llig folgenden Versen aus Richard Wagners Oper Parsifal, auf die George in seinem gesamten Werk mehrmals referiert:339 wir spielen nicht um Gold, wir spielen um Minne’s Sold. (Verse 652/53, Akt II)

So sprechen die Blumenm%dchen in Klingsors Zaubergarten zu Parsifal, der sich ihrer Gruppe n%hert. Das Lied des zwergen hat mit dieser Opernszene einige Motive gemeinsam: Die unwirkliche Gegenwelt von Zauber und M%rchen, die Blumen, den Reigen der Kinder bzw. M%dchen und den Fremden, der sich der Kinder- bzw. M%dchengruppe n%hert. Auch sonst greift George einige Motive aus der literarischen Tradition auf. In seinem Verhalten ist Georges Zwerg durchaus ein typischer Zwerg, denn er ist mit Merkmalen ausgestattet, wie sie aus Sage, Mythologie, epischer Literatur des Mittelalters und nicht zuletzt M%rchen bekannt sind: Zwerge sind zwar klein, aber deshalb nicht unbedingt schwach – sie kçnnen im Gegenteil außerordentlich stark sein und bewaffnet wie etwa der Geißel-schwingende Zwerg in Hartmanns Erec (entstanden um 1180/90). Zwerge leben meist in unterirdischen Hçhlen oder Pal%sten im Inneren eines Bergs – so berichtet auch Georges Zwerg: „Ich komme vom palaste“ (II, V. 1). Aufgrund ihrer besonderen N%he zu Bodensch%tzen, Gold und Edelmetallen treten Zwerge in vielen Erz%hlungen als Schatzh#ter oder außerordentlich talentierte Schmiede auf, die wunderkr%ftige Waffen herstellen kçnnen. Hierauf spielen die kostbaren Geschenke an, die der 338 Petersdorff: Fliehkr#fte der Moderne. S. 82. 339 Osthoff: Stefan George und „Les deux musiques“. S. 126.

2.4 Simulativer Medi%valismus: S#nge eines fahrenden Spielmanns

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Zwerg im dritten Zwergengedicht an die Kinder verteilt (III, V. 1 – 3). Auch die Scheu, mit der sich der Zwerg den Kindern n%hert, kann als eine typische Eigenschaft von Zwergen gelten, die sich manchmal auch mithilfe einer Tarnkappe unsichtbar machen. Dass der singende Zwerg sich als „f#rst der zwerge“ vorstellt (II, V. 8), l%sst an andere bekannte Zwergenkçnige wie Laurin oder Oberon denken. Wie Oberon ist auch der Zwerg in Georges Gedicht „der feien sohn“ (II, V. 8), ein Sohn der Feen (vgl. Irrende Schar, SW III, 50 – 51). Mythologisch sind Zwerge in der Tat verwandt mit Wichten, Elben und Feen.340 Diese Wesen lieben Tanz und Musik,341 wie auch der Zwerg in Georges Gedicht. Wichtiger noch: Gleich den Feen, deren Name bereits etymologisch auf ,fatum‘ verweist, kçnnen manche Zwerge weissagen.342 Dies erkl%rt die F%higkeit des Zwergen im Lied, die Kinder zu ,begaben‘ und ihre Zukunft zu prophezeien.343 Das Lied des zwergen setzt also f#r George typische Themen wie Auslese und Dichterweihe in medi%valisierendem Rollen-Spiel um. Mit der Figur des Zwergs greift George – neben Riesen, Ungeheuern und Rittern – ein weiteres Motiv aus mittelalterlichen Heldenepen, aber auch M%rchen und Sagen auf. Allerdings verweist der Zwerg auf kein bestimmtes Vorbild, sondern dient zur Gestaltung moderner Dilemmata wie beispielsweise des Daseins als po(te maudit. Kleinheit und Kindlichkeit sind hier auf die Spitze getrieben und werden durch die Positionierung des Gedichts im Zyklus der S#nge eines fahrenden Spielmanns auf das Mittelalter projiziert. Das Gedicht spielt mit seiner N%he zum Volkslied, zum M%rchen und zum Kindergedicht (vgl. auch das Zitat einer Liedzeile aus dem englischen Kinderlied „Mary had a little lamb“)344 – Gattungen, die in der Romantik popul%r waren. Die Figur des Zwergs f#gt der kindlichen Idylle allerdings d%monische Z#ge hinzu,345 indem seine Intentionen in ambivalenter Schwebe bleiben. Sein scheues Auftreten kontrastiert mit seiner Macht, die Kinder mit Schicksalen zu begaben. Dabei bleiben seine Gratifikationen zutiefst ambivalent. Die Pointe des Gedichts ist also eine poetologische: Das 340 Grimm, Jacob: Deutsche Mythologie. Unver%nd. reprogr. Nachdr. der 4. Ausg. Berlin 1875 – 1878. Hrsg. von Elard Hugo Meyer. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1965. Bd. 1, S. 363 – 391. 341 Ebd. S. 389. 342 Ebd. S. 389 f. 343 Morwitz weist auf die motiv%hnlichen Spr"che f"r die Geladenen in T. hin, die urspr#nglich zum Buch der Sagen und S#nge gehçren sollten (Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 90). 344 Siehe Anhang zu SW III, S. 138. 345 Vgl. Hartung: Spange, Zwerg, Lied. S. 651.

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Dichtertum ist ein Schicksal, das zwischen Verfluchung und Erw%hlung oszilliert. Zusammenfassend l%sst sich festhalten, dass der simulative Medi%valismus der S#nge eines fahrenden Spielmanns auf einer Poetik des Scheins beruht, die sich in der leitmotivischen Umkreisung der Komplexe ,Verschweigen und Verstecken‘ auf der einen Seite und ,Sagen und Zeigen‘ auf der anderen Seite spiegelt. In diesem Kapitel wurde der rezeptive Anteil des simulativen Medi%valismus als Stilimitation begriffen, die auf einem ,Kompetenzmodell‘ von Spielmannsdichtung beruht. Dies gewinnt sich aus einer Abstraktion formaler und inhaltlicher Merkmale mittelalterlicher Minnedichtung und #berlagert sich teilweise mit romantischen Medi%valismen. Die projektive und imaginative Dimension des simulativen Medi%valismus wurde in vier Schritten herausgearbeitet: Dabei stellte sich heraus, dass die evozierten Vorstellungen von Fr#he und Urspr#nglichkeit einem f#r das 19. Jahrhundert charakteristischen Mittelalterbild entsprechen. Der Vergleich mit dem Konzept eines Medi%valismus im Dienste einer mit dem Volk assozierten k#nstlerischen Wiedergeburt in der belgischen Dichtung hat aufgezeigt, inwiefern Georges Verbindung von Spielmannsfigur und Volkston dieser zeitgençssischen Strçmung entspricht, aber auch welche %sthetischen Differenzen bestehen. Die imaginativen Entw#rfe zwischen Traum und Selbstgespr%ch wurden als Verinnerlichungstendenz begriffen, die ins Zentrum der !sthetik des Scheins verweist. Ausgehend von der ambivalenten Figur des Zwergs wurde abschließend analysiert, wie Ohnmacht und Macht, Außenseitertum und Erw%hltheit innerhalb einer medi%valisierenden Poetik reflektiert werden.

2.5 Medi%valisierende Dramen%sthetik: Die Herrin betet Das lyrische Drama Die Herrin betet, das in etwa zur selben Zeit wie die Sagen und S#nge entstand und im M%rz 1894 in den Bl#ttern f"r die Kunst erschien, ist von der Forschung bis vor kurzem wenig beachtet worden.346 Neben Ernst Morwitz’ vorwiegend inhaltlich-deskriptiv orientiertem 346 Bl#tter f"r die Kunst II/2 (M%rz 1894), S. 36 – 40. Ein Jahr sp%ter erschien Die Herrin betet in der Wochenschrift Allgemeine Kunst-Chronik (Heft 4, 1895). George nahm Die Herrin betet zusammen mit seinen beiden anderen fr#hen Dramenskizzen Manuel, Um-Schreibungen aus Manuel und dem Weihespiel Die Aufnahme in den Orden in den Schlußband der Gesamt-Ausgabe der Werke auf (GA 18, 1934, S. 53 – 61).

2.5 Medi%valisierende Dramen%sthetik: Die Herrin betet

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Kommentar, der eine historische Datierung der Handlung im Mittelalter versucht, findet das St#ck in J#rgen Wertheimers Studie Dialogisches Sprechen im Werk Stefan Georges unter dem Gesichtspunkt der Redestruktur Erw%hnung.347 In j#ngerer Zeit hat Franziska Merklin eine detaillierte Analyse vorgelegt, die vor allem auf die experimentell-innovative Gestaltungsweise des Textes und dessen Verwandtschaft mit zeitgençssischen Dramentypen von Maeterlinck und Hofmannsthal abzielt.348 Schließlich w#rdigt Bruno Pieger Die Herrin betet im Werkkommentar; Pieger erkennt das wesentliche Merkmal des Dramas im Doppeldeutigen und Abgr#ndigen und sieht dessen „krude Handlung“ im Kontinuum des Betens aufgefangen.349 Im Anschluss an diese rezenten Forschungen soll im Folgenden der Aspekt des Medi%valismus hervorgehoben und der enge Zusammenhang des Dramas mit den Gedichten der Sagen und S#nge herausgearbeitet werden. Denn, so die These, zwischen der medi%valisierenden Dramen%sthetik von Die Herrin betet und der medi%valisierenden Lyrik der Sagen und S#nge besteht nur ein gradueller Unterschied. Schon der Untertitel Eine sage im sinn der altkçlnischen meister und die Auff#hrungsanweisung „in der weise Lebender Bilder“ (SW XVIII, 46) markieren den hybriden Charakter des Textes im Spannungsfeld zwischen den literarischen Gattungen und der performativen Orientierung an mittelalterlicher Malerei – beim gesellschaftlichen Spiel der Lebenden Bilder oder tableaux vivants werden bekannte Gem%lde als B#hnenbild mit Figuren nachgestellt.350 Der Genrebegriff ,Sage‘ signalisiert den gemeinsamen Stoffbereich und Darstellungsmodus, den das Drama mit dem gleichnamigen Gedichtzyklus Sagen teilt: Gegenstand ist eine Erz%hlung 347 Morwitz: Kommentar zu den Prosa-, Drama- und Jugend-Dichtungen Stefan Georges. M#nchen, D#sseldorf: Helmut K#pper, vormals Georg Bondi 1962. S. 108 – 114; Wertheimer, J#rgen: Dialogisches Sprechen im Werk Stefan Georges. Formen und Wandlungen. Zugl.: M#nchen, Univ., Diss. 1975. M#nchen: Fink 1978. S. 20 – 30. 348 Merklin, Franziska: Stefan Georges moderne Klassik. Die „Bl%tter f#r die Kunst“ und die Erneuerung des Dramas. W#rzburg: Ergon 2014. S. 154 – 162. 349 Pieger, Bruno: Kurzdramen und dramatische Fragmente. In: Stefan George – Werkkommentar. Hrsg. von J#rgen Egyptien. Berlin, Boston: de Gruyter 2017. S. 821 – 837, hier S. 829 – 834. 350 Vgl. die Orientierung an der Ikonographie mittelalterlicher Malerei in Tagelied (Kap. 2.3.2). Laut B#hnenanweisungen hat George das Drama als eine Art Gesamtkunstwerk aus Wortdeklamation, quasi pantomimischer Darstellung, farbiger Beleuchtung und Musik konzipiert. Zu den altkçlnischen Meistern siehe Morwitz: Kommentar zu den Prosa-, Drama- und Jugend-Dichtungen. S. 109; vgl. Merklin: Stefan Georges moderne Klassik. S. 154.

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aus der Vergangenheit, die sich auf historische Ereignisse, Orte und Personen bezieht, diese jedoch mit erfundenen, wunderhaften und #bernat#rlichen Elementen ausschm#ckt. Den Bezug zu einem historischen Ort stellte George im Falle von Die Herrin betet durch die Widmung des St#ckes sehr konkret her: „Dem Burgherrn zu Rheinstein ehrerbietigst gewidmet“ (SW XVIII, 45).351 Die Burg Rheinstein liegt nur wenige Kilometer von Georges Heimatstadt Bingen entfernt und wurde Anfang des 19. Jahrhunderts im Auftrag von Prinz Friedrich von Preußen im historistischen Stil restauriert und mit mittelalterlichem Inventar eingerichtet; Georges Widmung galt Georg Friedrich von Preußen, der nach dem Tode seines Vaters die Burg geerbt hatte.352 Die Wahl der Burg Rheinstein als lokalen Bezugspunkt bezeugt außerdem, dass George kein strikter Gegner historistischer Mittelalter-Rekonstruktionen gewesen sein kann, sondern dass er im Gegenteil die historistische Architektur am Rhein als %sthetisch attraktive Kulisse wahrnahm. Im Vergleich zur vagen Anspielung auf „unsere mittelalterlichen strçme“ (SW III, 7) in der Vorrede zu den B"chern zeigt die Widmung in ihrer Konkretheit jedenfalls ein starkes persçnliches Bekenntnis. In der Forschung bisher noch nicht erw%hnt ist der Zusammenhang von Die Herrin betet mit der rheinischen Sage Die Braut von Rheinstein, die nicht nur in zahlreichen Sagenb#chern des 19. Jahrhunderts verbreitet war, sondern in Form eines Gedichts der rheinischen Dichterin Adelheid von Stolterfoht auch in einer Brosch#re „f#r die Besucher der Burg Rheinstein“ aus dem Jahre 1893 abgedruckt war, die sich in Georges Nachlass befindet.353 Diese Sage gehçrt zum beliebten Genre der Brautwerbungssagen: Ritter Kuno von Falkenberg bittet seinen Onkel darum, f#r ihn um die 351 Der Bezug auf Burg Rheinstein scheint auch in den B#hnenanweisungen schwach durch: Kapelle, Hof, Sçller, Betpult, spitzes Bogenfenster mit Marienmotiv, Blick vom Sçller in den Strom – all dies konnte man zu Georges Zeiten tats%chlich auf der Burg Rheinstein wiederfinden (vgl. Rheinstein und seine Sammlungen. Erinnerungsbl%tter f#r die Besucher der Burg. Bingen am Rhein: Otto Boryszewski 1893). 352 Dass George diesem Prinzen sein St#ck widmete, ist insofern erstaunlich, als es der meines Wissens einzige Fall ist, in dem George einem politischen Regenten einen seiner Texte widmete; zudem erstaunt die Widmung angesichts Georges sp%ter vehement ge%ußerter Kritik am Preußentum. Allerdings galt Georg von Preußen als Kunstfreund, der auch selbst Dichtungen und Theaterst#cke schrieb, die er unter Pseudonym verçffentlichte (u. a. Conradin [1887]). Morwitz erkl%rt, er sei bei der damaligen Jugend beliebt gewesen (Morwitz: Kommentar zu den Prosa-, Drama- und Jugend-Dichtungen. S. 109). 353 Rheinstein und seine Sammlungen, zur Sage „die Braut vom Rheinstein“: S. 12 – 16.

2.5 Medi%valisierende Dramen%sthetik: Die Herrin betet

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Hand der Jungfrau von Rheinstein zu werben; der Onkel hintergeht ihn, indem er selbst um die Jungfrau wirbt; am Hochzeitstag nimmt die Geschichte jedoch ein gutes Ende, als das Pferd der Braut von einer Bremse gestochen durchgeht und die Braut zur Burg des eigentlichen Brautwerbers Ritter Kuno bringt. !hnlich wie diese Sage spielt auch Georges Drama Die Herrin betet im Mittelalter und gestaltet den Konflikt einer Braut zwischen zwei Brautwerbern. Die Herrin betet besteht aus drei Szenen, zwischen denen l%ngere Zeitspr#nge liegen – die Analogie zur Bildkunst der kçlnischen Malerschule weiterverfolgend ließe sich von einem Triptychon sprechen, von drei Fl#geln einer Altartafel. Die erste Szene zeigt die verwitwete Herrin, deren Ehemann bei der Jagd im Wald erschlagen wurde, wie sie in der Kapelle auf den Ausgang des Kampfes zwischen zwei neuen Brautbewerbern wartet. Der Zweikampf ist als Gottesgericht inszeniert, welcher neben der Brautwerbung auch #ber eine erhobene „schwere[ ] klage“ (SW XVIII, 47) entscheiden soll; diese Klage, so legt das St#ck andeutungsweise nahe, ist der Vorwurf, dass einer der beiden Brautwerber den ersten Gatten der Herrin ermordet haben soll. Nach entschiedenem Kampf akzeptiert diese den Sieger als gottgewollten Ehemann. Die zweite Szene setzt zeitlich sp%ter ein und entfaltet die seelische Not der ungl#cklich verheirateten Herrin, die von einem Priester ermahnt wird (SW XVIII, 48 f.). Zwischen zweiter und dritter Szene liegt wiederum ein Zeitsprung; in der dritten und abschließenden Szene berichtet ein Bote #ber die Erleuchtung des Ehemanns und dessen Aufbruch zum Kreuzzug (SW XVIII, 49 f.). Der Sinnzusammenhang des Geschehens wird, vergleichbar mit der sp%ter aufkommenden Montagetechnik im Film, erst durch die Kombination der Bilder hergestellt. Indem Georges lyrisches Drama in allen drei Teilen die Herrin in ann%hernd derselben betenden Pose und am selben Schauplatz zeigt, wirkt das B#hnenst#ck statisch – entsprechend der Idee eines Lebenden Bildes. Die im eigentlichen Sinne dramatische Handllung findet grçßtenteils verdeckt statt und wird nur durch Berichte indirekt wiedergegeben. Im Vordergrund stehen das Innenleben und die Seelenzust%nde der weiblichen Protagonistin, deren einzige Handlungsmçglichkeit das Beten bleibt. Wie J#rgen Wertheimer gezeigt hat, bringt das Drama „mentales Geschehen“ auf die B#hne.354 Dabei wird dem Nebentext gleicher Stellenwert einger%umt wie dem Haupttext, beide sind einheitlich im Blankvers metrisiert und zum Mitsprechen oder Mitlesen gedacht. 354 Wertheimer: Dialogisches Sprechen. S. 21.

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Das St#ck ist kontrastiv aufgebaut: Dem stillen Innenraum der Kapelle steht die laute Außenwelt gegen#ber, die relative Regungslosigkeit der Herrin in der Geste des Betens steht in scharfem Kontrast zum inneren Aufruhr in ihrer Seele, und nicht zuletzt ist die Figurenkonstellation kontrastiv angelegt: Das kontemplative Leben der Herrin kontrastiert mit dem aktiven Leben der Brautwerber, und die Brautwerber, die nach ihren Wappentieren ,Der mit dem Falken‘ und ,Der mit dem Greifen‘ benannt sind, repr%sentieren zwei gegens%tzliche Typen. Die Forschung hat den Unterschied zwischen den beiden Brautwerbern bislang in Jugend und Alter gesehen, da der Sieger des Zweikampfs als „der junge ritter“ bezeichnet wird.355 Aufgrund der Ambivalenz dieser Formulierung wurde zudem der Sieger unterschiedlich identifiziert356 – hier lassen sich nur Wahrscheinlichkeiten angeben, keine Gewissheiten. F#r die Annahme, ,Der mit dem Greifen‘ sei der %ltere Ritter, der im Zweikampf dem j#ngeren unterliegt,357 gibt es allerdings einige gute Argumente: Zum einen wird ,Der mit dem Greifen‘ im Personenverzeichnis mit dem Zusatz „(nur als Erscheinung)“ aufgelistet (SW XVIII, 46), was auf eine grçßere r%umliche Entfernung zur Herrin hindeutet; zum zweiten ist sein Wappentier, der Greif, ein grçßeres Tier als der verh%ltnism%ßig kleine Raubvogel Falke aus dem Wappen des anderen Ritters; und zum dritten f#hrt ,Der mit dem Greifen‘ in seiner Werberede T%tigkeiten auf, die eine zeitliche Dauer und damit ein hçheres Lebensalter implizieren, so zum Beispiel einen Kreuzzug nach Jerusalem („Ich stand am berg wo unser heiland hing“, SW XVIII, 48). Das Wappentier charakterisiert den zweiten, %lteren Ritter ,mit dem Greifen‘ als Typus des K%mpfers, da der Greif als Mischwesen aus Adler und Lçwe traditionell St%rke und Macht symbolisiert. Der erste, j#ngere Ritter ,mit dem Falken‘ wird assoziativ als Typus des Dichters gekennzeichnet und spielt auf die Symboltradition des Falken in der mittelalterlichen Literatur an: Der Falke ist Sinnbild des Helden und des Geliebten, so etwa in Kriemhilds Falkentraum im Nibelungenlied, und in der Minnelyrik ist der entflohene Falke ein Sinnbild des untreuen Geliebten, der sich nicht z%hmen l%sst, weil er #berall und nirgends zuhause ist.358 Diese Symbolik schwingt in Die Herrin betet zwei355 356 357 358

Pieger: Kurzdramen und dramatische Fragmente. S. 829 (Fußnote 19) und 831. Ebd. S. 829. So deutet es auch Bruno Pieger (ebd. S. 831). Der Falke als Wappentier kann insofern auch als Andeutung darauf verstanden werden, dass die ,rauhen z#ge‘, auf die der Ritter nach der Hochzeit zieht, mit Untreue zu tun haben.

2.5 Medi%valisierende Dramen%sthetik: Die Herrin betet

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felsohne mit, da ,Der mit dem Falken‘ als herumstreifender Frauenliebling und Vagabund charakterisiert wird: Und zwischen den gebeten lispelt ihr Der mit dem Falken: ›Seht mich st%ndig heiter · Bei frohen br#dern ist mein lieber ort · Sie missen jeden gerne nur nicht mich. Der w%chter · senkt er mir die br#cke · sagt Dass jezt die tr#bnis aus den mauern reite · Des dorfes tçchter k#ssen meine rede Und innig lauschen frauen meiner laute. Wer sah mich einsam auf verrufnen wegen Mit jenem blick wovor den kindern bangt?‹ (SW XVIII, 47)

Der wesentliche Kontrast zwischen den beiden Brautwerbern liegt also, so soll hier argumentiert werden, nicht im Alter, sondern in einem anderen Punkte: Der erste Ritter ,mit dem Falken‘ ist andeutungsweise als ein ,Bruder Leichtfuß‘ portr%tiert, der zweite Ritter ,mit dem Greifen‘ verkçrpert hingegen ritterliche Sitte und Tugend. Indem der erste Ritter das leichte, genussvolle Leben verkçrpert, erscheint er in Georges lyrischem Drama als Personifikation der Versuchung. Die Formulierung: „Und zwischen den gebeten lispelt ihr / Der mit dem Falken“, mit der die Rede des Ritters eingeleitet wird, spielt auf den Topos der teuflischen Einfl#sterung an und unterstreicht damit den Aspekt der Versuchung. Der zweite Ritter ,mit dem Greifen‘ z%hlt dagegen einen ritterlichen Tugendkatalog auf, spricht von „sitte“, „zierde“, „ehre“ sowie von seinen Heldentaten zugunsten „der bedr%ngten“ (SW XVIII, 48) und erscheint damit als Inkarnation des pflichtbewußten und uneigenn#tzigen miles christianus. Die Entscheidung zwischen den beiden Rittern ist also andeutungsweise als Entscheidung zwischen Tugend und Laster angelegt. Die Entscheidung f%llt zwar durch den als Gottesurteil inszenierten Zweikampf, aber die Verse suggerieren, dass die Herrin auf einen Ausgang zugunsten des j#ngeren Ritters gehofft zu haben scheint: Ihr auge gl%nzt Und ihre hand die sie mit gnade bietet (Soweit es ihr in witwentrauer zieme) Verspricht dass Gottes wahl die ihr genehme: Der junge ritter sinkt vor ihr ins knie. (SW XVIII, 48)

Im ,gl%nzenden Auge‘ und der durch Schicklichkeit (,ziemende Witwentrauer‘) gebremsten Geste werden weltliche Gel#ste angedeutet. In

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)bereinstimmung damit klagt die Herrin gegen#ber dem Priester in der zweiten Szene #ber ihre Einsamkeit und weist dabei auf ihre „schçnen jahre“ und ihre „leeren n%chte“ hin (SW XIII, 48 f.). Der Priester deutet den Konflikt der Herrin als Zweifel am gçttlichen Ratschluss und Kampf mit dem Teufel in der eigenen Seele. Das St#ck endet mit einem optimistischen Ausblick: Die Erleuchtung des Ehemanns und sein Aufbruch zum Kreuzzug, von denen der Bote in der dritten Szene berichtet, erscheinen als gçttliches Zeichen, und die Anlage des St#ckes suggeriert, dass dieses Wunder durch die Gebete der Herrin bewirkt wurde. )ber dem gesamten Geschehen liegt eine Atmosph%re des Unheimlichen, die durch vage Andeutungen und Anspielungen evoziert wird. Das Schweigen und das Ungesagte beanspruchen einen fast ebenso großen Raum wie das Gesagte. Vieles bleibt der Phantasie des Zuschauers #berlassen – so bleibt unklar, ob einer der beiden Brautbewerber den ersten Gatten der Herrin ermordet hat. Auch die Frage dessen ,mit dem Falken‘ am Schluss seiner Werbungsrede klingt suggestiv-verd%chtig: „Wer sah mich einsam auf verrufnen wegen / Mit jenem blick wovor den kindern bangt?“ (SW XIII, 47.) Unklar bleibt auch, was die „bçse rede“ beinhaltet, die der Herrin nach der Hochzeit #ber den abwesenden Gemahl zugetragen wird (SW XVIII, 48). Ebenso zweideutig ist der „entsetzliche[ ] gedanke“ (SW XIII, 49), den die Herrin kaum auszusprechen wagt: Ist es der Gedanke, dass Gott sich geirrt haben und der neue Gatte der Mçrder seines Vorg%ngers sein kçnnte? Dies alles wird suggeriert, jedoch nicht offen ausgesprochen. So ist es symptomatisch, dass das St#ck mit der Geste des Schweigens endet: „mit dem deutefinger / Verschliesst er sich den mund: ,Die Herrin betet‘“ (SW XIII, 50). Medi%valisierendes Kolorit erzielt George zum einen durch das auftretende Personal, zum anderen durch die Beschreibung der Kleidung und der gotischen Architektur, die %hnlich wie in den Gedichten Sporenwache und Frauenlob in einer ekphrastischen Einleitungspassage evoziert wird („Schiefe strahlen fallen / Herab auf sie aus spitzem bogenfenster“).359 Zudem versammelt Die Herrin betet zahlreiche medi%valisierende Motive und Anspielungen. Da ist zun%chst das Motiv des „hinterr#cks“ im Wald erschlagenen Ehemanns (SW XVIII, 47), eine Anspielung auf die Ermordung Siegfrieds durch Hagen im Nibelungenlied. Mittelalterliche

359 Diese Beschreibung kann bereits als unheilvolle Vorausdeutung gelesen werden, da die Lichtstrahlen hier wie Pfeile auf die Herrin herunterfallen.

2.5 Medi%valisierende Dramen%sthetik: Die Herrin betet

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Mentalit%t wird auch durch die Motive des Gottesgerichts,360 der Psychomachie und des Aufbruchs zum Kreuzzug mit dem roten Georgskreuz als Erkennungszeichen signalisiert. Die Klage der Herrin #ber das Fernbleiben des Gemahls und ihre Besch%ftigung mit dem Spinnrad („Ich spinne einsam bei dem herde“, SW XVIII, 48) sind ebenfalls typische Motive, die sowohl aus mittelalterlicher Literatur als auch aus M%rchen bekannt sind. Die Herrin betet erscheint wie ein motivisches Kondensat des Medi%valismus der Sagen und S#nge: Gotische Architektur als ,MittelalterMarker‘ (vgl. Frauenlob), Turm, Burgtor und Kapelle (vgl. Sporenwache, Die Tat), Marienbild im Fenster (vgl. Sporenwache, Das Bild), Auszug zum Kreuzzug (vgl. Tagelied, Irrende Schar), Ritter (vgl. Irrende Schar, Der Waffengef#hrte), der Typus des miles christianus und der Typus des S%ngers (vgl. Sporenwache, Das lied des zwergen), die Geste des Betens (Sporenwache, Das Bild), die fromme Herrin (Frauenlob). Bez#glich der indirekten Darstellungstechnik %hnelt Die Herrin betet dem Gedicht Vom ritter der sich verliegt (s. Kap. 2.3.4) – in beiden Texten wird die verdeckte Handlung #ber akustische Wahrnehmungen vermittelt. Das Andeuten, Auslassen und Verschweigen wesentlicher Handlungselemente findet sich auch in Tagelied und Ein Edelkind sah vom balkon. 361 Die d%monische Ambivalenz des Ritters ,mit dem Falken‘ erinnert zudem an den fahrenden Spielmann der S#nge, den Fiedler aus Ein edelkind sah vom balkon und den Zwerg aus Das lied des zwergen – dies verweist auf die Ambivalenz des Dichterischen selbst, den abgr#ndigen Schein des !sthetischen und die geheimnisvolle Macht des Dichters, ,Anschein zu erwecken‘ sowie durch Worte zu verf#hren und zu verdammen. Literaturgeschichtlich steht Die Herrin betet im Kontext von Bem#hungen um eine )berwindung des naturalistischen Theaters und eine Erneuerung des Dramas, wie sie in den 1890er und 1900er Jahren in den Bl#ttern f"r die Kunst reflektiert wurden.362 Dort wurden als mçgliche 360 Vgl. das Gottesgericht in Richard Wagners Lohengrin und Heinrich von Kleists Mittelalter-Drama Das K#thchen von Heilbronn. 361 Piegers zutreffende Beobachtung, man werde „das indirekte, aussparende Verfahren als das herausragende Merkmal des Kurzdramas auffassen d#rfen“ deckt sich mit den Erkenntnissen, wie sie in den vorangegangenen Analysen etwa zu Gedichten Tagelied oder Ein edelkind sah vom balkon herausgestellt wurden (ebd., hier S. 830). 362 Die Kritik Georges und seiner Freunde richtete sich vor allem auf die zeitgençssische Theaterpraxis und das Virtuosentum des Schauspielers, durch den das St#ck selbst in den Hintergrund des Interesses gerate (vgl. Carl August Klein: Unterhaltungen im gr"nen Salon II: Das Theatralische, in: Bl#tter f"r die Kunst I/4 [Mai

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2 !sthetischer Medi%valismus

Ankn#pfungspunkte zum einen die Dramen der belgischen Dichter Maurice Maeterlinck und Charles van Lerberghe diskutiert, zum anderen der R#ckgriff auf historische Formen wie etwa das mittelalterliche Mysterienspiel, das religiçsen Kult und Theater verband.363 Gerade das Unheimliche und Mysteriçse an Georges Drama zeigt allerdings, dass es sich zugleich in die Tradition der Schauerliteratur oder gothic literature einschreibt, die sp%testens seit Mary Shelleys Roman Franckenstein (1818) auch eng mit den Burgen am Rhein verbunden war. Mit der gotischen Kulisse einer Burgkapelle, der d#steren Atmosph%re, dem Plot voller Geheimnisse, Ahnungen und angedeuteter Missetaten zitiert Die Herrin betet zumindest einige Grundelemente dieser romantischen Literaturgattung. Achim Aurnhammer hat das Drama als die literarische Gattung bezeichnet, „die sich f#r das Historisieren am empf%nglichsten erweist“.364 Im Vergleich zum Gedicht bietet das Drama erweiterte Mçglichkeiten der Kost#mierung, des Dekors, der Ausschm#ckung und der plastisch-greifbaren, performativen Wiederbelebung vergangener Lebenswelten. Entsprechend schl%gt sich der Medi%valismus in Die Herrin betet vor allem im stofflich-motivischen Berech nieder, das Mittelalter dient als %sthetisch ansprechende Kulisse. Die Bedeutung dieser mittelalterlichen Kulisse hat George jedoch selbst relativiert, indem er der Erstverçffentlichung seines lyrischen Dramas in den Bl#ttern f"r die Kunst programmatisch vorausschickte: „wir sehen in jedem ereignis jedem zeitalter nur ein mittel 1893]). Die Erneuerung des Dramas sollte sich also zun%chst in der Intimit%t eines kleinen Kreises kunstverst%ndiger Geister vollziehen. Zudem wurden „ein vçlliges in-hintergrund-treten des schauspielers“ (BfdK II/2, S. 34) und die Aufwertung des Verses gefordert (BfdK IV/5 [1899], S. 129) – beides praktizierte George in Die Herrin betet. In ihrer Studie zur Dramentheorie und -praxis des George-Kreises stellt Franziska Merklin Die Herrin betet sogar als besonders einschl%giges Beispiel f#r eine gegl#ckte Umsetzung der dramentheoretischen Forderungen in den Bl#ttern f"r die Kunst heraus (Merklin: Stefan Georges moderne Klassik. S. 154). 363 Pieger meint, Die Herrin betet lasse an die Gattung des Mysterienspiels denken, w%hrend Merklin st%rker die Bez#ge zur belgischen und franzçsischen Avantgarde sowie zu Hugo von Hofmannsthals lyrischen Dramen betont (Pieger: Kurzdramen und dramatische Fragmente. S. 829; Merklin: Stefan Georges moderne Klassik. S. 156 f.). Hartmut Riemenschneider erçrtert die Frage des Maeterlinck-Einflusses auf Die Herrin betet, bleibt jedoch teilweise spekulativ (Riemenschneider, Hartmut: Der Einfluß Maurice Maeterlincks auf die deutsche Literatur bis zum Expressionismus. Aachen 1969. S. 234 – 238). 364 Aurnhammer, Achim: „Zur Zeit der großen Maler“. Der Renaissancismus im Fr#hwerk Hugo von Hofmannsthals. S. 231.

2.6 Zwischenfazit

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k#nstlerischer erregung“.365 Die Innovativit%t und Modernit%t der Stoffbehandlung steht allerdings in einem nicht auflçsbaren Konflikt mit der Konventionalit%t des Stoffes, der kein Klischee des Ritterdramas des 19. Jahrhunderts auszulassen scheint.

2.6 Zwischenfazit Das Kapitel hat Georges ,%sthetischen Medi%valismus‘ der 1890er Jahre als ein hybrides Ph%nomen gezeigt, das einerseits aus Literaturrezeption und bildk#nstlerischen Anregungen geschçpft ist, andererseits auf Imagination und Konstruktion einer poetischen Gegenwelt beruht. Der Medi%valismus diente George als Mçglichkeit, poetologische Fragen im Medium einer unzeitgem%ßen Poesie zu erproben. So haben die Analysen vorgef#hrt, wie George sich innerhalb des Medi%valismus nicht nur produktiv mit der mittelalterlichen Tradition, sondern auch mit der poetischen Tradition des 19. Jahrhunderts auseinandersetzte: in einer eigent#mlichen Mischform von Aneignung und Distanzierung, die in den Gedichten metapoetisch mitreflektiert wird. Die Sagen zeigten das Mittelalter als Seelenwelt, die auf ihr noch lebendiges Potential hin erforscht wurde. Der simulative Medi%valismus der S#nge eines fahrenden Spielmanns beruhte auf einem poetischen Spiel mit %sthetischem Schein, das Volksliedton und Minnesang amalgamierte. In der medi%valisierenden !sthetik des lyrischen Dramas Die Herrin betet kamen das Statische und das weitgehende Desinteresse an %ußeren Handlungsverl%ufen besonders pr%gnant zum Ausdruck; der Fokus verlagert sich dadurch auf die Sprache selbst als Akteur. Die thematisch-motivische N%he der Sagen und S#nge zu lyrischen Modestrçmungen weist darauf hin, dass George seine eigene Zeitgenossenschaft durchaus nicht verleugnete. Jedoch grenzte er seine Dichtungen sowohl programmatisch als auch formal%sthetisch von vorg%ngigen Medi%valismen ab, indem er literarische Distanzierungsstrategien wie Vagheit, Tempuswechsel und Fiktionssignale einsetzte. Das Unausgesprochene und Changierende, das Georges symbolistische Evokations%sthetik kennzeichnet, stellte zugleich einen Schutz vor dem allzu Eindeutigen und Platten der Scheffel-Epigonen dar.366 Auch den zeitgençssischen politisch365 Bl#tter f"r die Kunst II/2 (M%rz 1894), S. 34. 366 Der Reiz gerade mittelalterlicher Literatur d#rfte f#r George auch darin gelegen haben, dass hier vieles typisiert ist und vage bleibt („meine Herrin“, der W%chter usw.). Diese Offenheit kam Georges !sthetik der Leerstellen entgegen.

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2 !sthetischer Medi%valismus

nationalen Vereinnahmungen des Mittelalters verweigerte sich George – zwar berief er sich mit der Rede von ,unseren drei bildungswelten‘ auf den Rahmen einer nationalen Kulturgemeinschaft und ein kollektives Ged%chtnis, schr%nkte dies jedoch gleich wieder ein und pr%sentierte seinen eigenen Medi%valismus zwischen Frauenlob und Melusine als deutschfranzçsische Synthese. Im Anschluss an die literarische Avantgarde Frankreichs und Belgiens fand George Ausdrucksformen, die damals in Deutschland etwas vollkommen Neues und Eigenes darstellten. Diese symbolistischen Gestaltungsmittel zu erproben, war sein wesentliches Anliegen. Dabei war es gleichg#ltig, ob die zugrundeliegenden Stoffe aus dem Mittelalter oder aus dem 19. Jahrhundert, aus dem hçfischen Roman oder aus dem M%rchen stammten: „wesentlich ist die k#nstlerische umformung eines lebens – welches lebens? ist vorerst belanglos.“367 Es kam George nicht auf den Entwurf von historischen und korrekten Geschichtsbildern an, vielmehr diente ihm das Mittelalter als Bildinventar und Imaginationsraum. Seine ganz eigene Weise, diesen Raum poetisch zu çffnen und zu erschreiben, ist letztlich auch Ausdruck eines %sthetischen und ideologischen Sich-Verwahrens: Bezugnahmen auf Salier, Staufer oder #berhaupt konkrete Personen, Ereignisse oder Orte finden sich nicht, historische Referenzpunkte werden geradezu konsequent ausgeblendet. Das Mittelalter erscheint als Stimmungsraum und unbestimmte Vor- und Fr#hzeit, die gerade in ihrer Unbestimmtheit dazu geeignet ist, Formen und Motive f#r Georges autonome Sprach%sthetik zu liefern.

367 Bl#tter f"r die Kunst III/1 (1896).

3 Kulturkritischer Medi%valismus Die Sagen und S#nge blieben Georges einzige Gedichtzyklen, die exklusiv dem Mittelalter gewidmet waren. Auch wenn die poetische Erschließung dieser ,Bildungswelt‘ damit f#r George vorl%ufig abgeschlossen war, blieb sie f#r ihn zeitlebens relevant. Georges Medi%valismus tritt um 1900 in eine neue Phase ein, die sich generell durch einen st%rkere Konkretisierung und eine gesch%rfte Perspektive auf das Nationale auszeichnet. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts erweiterte George den Radius seines dichterischen Deutungsanspruchs von der Literatur auf das Leben und çffnete seine Dichtung f#r realweltliche, zeitgeschichtliche und historische Bez#ge.1 Er sah sich in der Rolle des Kritikers und Mahners, aber auch in der eines Erneuerers und Stifters eines alternativen kollektiven Ged%chtnisses. Zugleich wurde ihm die Dichtung zum Medium einer Resakralisierung, die er dem Materialismus seiner eigenen Gegenwart entgegensetzte. Mit den )bertragungen aus Dantes Divina Commedia, die George um 1900 in Angriff nahm, erschloss er sich nicht nur das Werk eines der grçßten Dichter der Weltliteratur, sondern beil%ufig wohl auch konkrete Momente mittelalterlicher Geschichte, die in diesem Werk vermittelt sind. In Dante erblickte George einen historischen Vorl%ufer, als dessen sp%tgeborenen Doppelg%nger er sich inszenierte und in den er sein eigenes ambivalentes Verh%ltnis zu Moderne und Antimoderne hineinspiegeln konnte. F#r alle diese Aspekte der Kulturreflexion und Kulturkritik konnte der Medi%valismus zu einem wichtigen Medium werden, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Die Beitr%ger der Bl#tter f"r die Kunst begaben sich auf die Suche nach Wertvollem und Vorbildhaften innerhalb der eigenen deutschen Tradition und richteten ihren Blick dabei nicht zuletzt auf die mittelalterliche Kunst (Kapitel 3.1). Aus dem langen Schatten des #berm%chtigen Ideals Italien versuchte man sich zu lçsen, indem man es kurzerhand zu einem Teil des eigenen Erbes erkl%rte. Solche Mançver der Abgrenzung, Relationierung und Aneignung pr%gen auch Georges Dichtungen in Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod mit 1

Nicht zuf%llig ist dies auch die Zeit, in dem sich der Kreis um ihn erst wirklich konstituierte und sich j#ngere Anh%nger dem ,Meister‘ hierarchisch unterordneten.

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3 Kulturkritischer Medi%valismus

einem Vorspiel. In diesem Band, den George bedeutungsvoll auf die Epochenschwelle 1900 vordatierte, zeigt sich ein fließender )bergang vom %sthetischen Medi%valismus der Sagen und S#nge hin zu einem kulturkritisch motivierten Medi%valismus (Kapitel 3.2). Mit dem Siebenten Ring aus dem Jahre 1907 versch%rfte George dieses zeitkritische Engagement und verschrieb sich dem Projekt einer %sthetischen R#ckeroberung des Mittelalters (Kapitel 3.3).

3.1 Programmatische Merkspr#che in den Bl#ttern f"r die Kunst Nach Erscheinen der B"cher der Hirten- und Preisges#nge, der Sagen und S#nge und der h#ngenden G#rten im Jahre 1895 deutet sich in den Merkspr#chen der Bl#tter f"r die Kunst eine Umakzentuierung von Georges Programmatik an. Zwei Aspekte sind im Hinblick auf den Medi%valismus von Bedeutung: Zum einen die verst%rkte Aufmerksamkeit f#r die deutsche Tradition und zum zweiten die Definition dieser deutschen Tradition im Verh%ltnis zum S#den, insbesondere zu Italien. Im Vordergrund stehen also k#nstlerische Positionsbestimmungen. Von Beginn an hatten die Bl#tter f"r die Kunst das niedrige Niveau der zeitgençssischen deutschen Literatur beklagt und gleichzeitig auf das hçhere k#nstlerische Niveau in Nachbarl%ndern hingewiesen. Nun verschob sich der Fokus von den Nachbarl%ndern auf die vergangenen Bl#tezeiten der eigenen, deutschen Kultur. Die Merkspr#che im zweiten Heft der Bl#tter aus dem Jahre 1896 sichten und bewerten verschiedene Optionen der Erneuerung oder Ankn#pfung. Eine R#ckwendung zu bestimmten Traditionslinien wird verworfen: „Heute einseitig auf den volkston hinzuweisen w%re gerade so verkehrt als auf griechentum mittelalter u. %. – denn er liegt uns in gleicher weise fern.“2 Die Betonung liegt hier auf „einseitig“; dabei kommt noch einmal zum Ausdruck, dass das Mittelalter f#r George keinen absoluten Eigenwert hatte. Gleichzeitig wird aber auch der Geltungsanspruch des Griechischen relativiert. Eine R#ckkehr zur Kunst des sp%ten Mittelalters propagierten im 19. Jahrhundert beispielsweise die englischen Pr%raffaeliten um Dante Gabriel Rossetti. Obwohl Georges Kunst durchaus motivisch-thematische !hnlichkeiten zu derjenigen der Pr%raffaeliten aufweist, distanzierte er sich 2

Bl#tter f"r die Kunst III/2 (1896); abgedruckt in: Landmann: Einleitungen und Merkspr"che. S. 15.

3.1 Programmatische Merkspr#che in den Bl#ttern f"r die Kunst

181

in einem Merkspruch von deren Darstellungsweise: „Praerafaeliten und %hnliche: das gewollte hervortretenlassen gewisser wesentlicher eigent#mlichkeiten f#r beschauer die das genaue sehen verlernt und f#r die man schon sehr stark auftragen muss um bemerkt zu werden.“3 Dieses Verdikt sagt freilich mehr #ber Georges eigenes Kunstverst%ndnis aus als #ber die Kunst der Pr%raffaeliten: Das „genaue sehen“ weist auf ein Kernkonzept von Georges !sthetik und seines Projekts einer literarischen Geschmacksbildung hin, das er vor allem im Teppich des Lebens poetisch ausgestalten sollte und das im Rahmen von Georges Forderung nach einer erhçhten Aufmerksamkeit als geeigneter Rezeptionshaltung gegen#ber seiner Dichtung eine zentrale Rolle spielt.4 Bezogen auf die literarische Verfahrensweise des Medi%valismus bedeutet dies eine Vermeidung des allzu Deutlichen, das jedermann sehen kann, und eine Bevorzugung dessen, was erst durch ,genaues sehen‘ sichtbar wird. Im Jahre 1896 betonten die Bl#tter-Redakteure in durchaus konservativ-elit%rem Tenor die Wichtigkeit einer )berlieferung: „leute von niederer abstammung haben keine #berlieferung.“5 Gleichzeitig verorteten sie sich selbst im Verh%ltnis zur Tradition und reflektierten #ber das Verh%ltnis der heutigen K#nstler zu denen der Vergangenheit. Orientierungspunkt waren die „grossen vorfahren in der kunst“, deren „Grçsse“ darin bestand, dass sie eine ,Ganzheit‘ aus der vor ihnen unbearbeiteten ,Weite‘ schaffen konnten.6 Die eigene historische Position bestimmten die Bl#tter-Dichter als diejenige der Nachgeborenen, die statt aus der ,Weite‘ nur noch aus der ,Tiefe‘ das Neue erschaffen kçnnten. Auch wenn in einem anderen Merkspruch die „Epigonen“ des 19. Jahrhunderts abgewertet werden,7 ist die Zeitdiagnose der Bl#tter doch durch ein Sp%tzeitgef#hl gepr%gt, wie es %hnlich auch bei Hugo von Hofmannsthal und anderen Dichtern der Jahrhundertwende zum Ausdruck kam. Aber dieses Sp%tzeitbewusstsein f#hrte im Falle Georges nicht zu Resignation, sondern zu 3 4

5 6 7

Bl#tter f"r die Kunst III/2 (1896); in: ebd. S. 16. Steffen Martus hat Georges „Aufmerksamkeitspolitik“, die Forderung nach einer erhçhten Aufmerksamkeit f#r den Text und nach einer Lesearbeit im Rahmen seiner Studie zur Werkpolitik in den Vordergrund gestellt (Martus, Steffen: Werkpolitik. Zur Literaturgeschichte kritischer Kommunikation vom 17. bis ins 20. Jahrhundert; mit Studien zu Klopstock, Tieck, Goethe und George. Berlin, New York: de Gruyter 2007, insb. S. 514 – 708). Bl#tter f"r die Kunst III/2 (1896); in: Landmann: Einleitungen und Merkspr"che. S. 17. Bl#tter f"r die Kunst III/4 (1896); in: ebd. S. 18. Bl#tter f"r die Kunst III/2 (1896); in: ebd. S. 15.

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3 Kulturkritischer Medi%valismus

einer selbstbewussten Haltung gegen#ber der Tradition, getragen von der )berzeugung, dass es ihm selbst mçglich w%re, „durch innigere empfindung liebevolleres anschauen zusammengefasstere ausf#hrung“8 an die Grçße seiner dichterischen Vorbilder heranzukommen. Die dreib%ndige Anthologie Deutsche Dichtung, die George um die Jahrhundertwende zusammen mit Karl Wolfskehl herausgab,9 ist Ausdruck dieser selbstsicheren Auseinandersetzung mit der )berlieferung. Das Anliegen war, die literarische Tradition gem%ß den eigenen Maßst%ben zu sichten und einen eigenen Kanon an Vorbildern zu stiften. In diesem Sinne deutete ein Merkspruch aus dem Jahre 1901 Traditionsbewusstsein als Zeichen geistiger Souver%nit%t: Dass die deutsche litteratur etwas sprunghaftes tr#mmerhaftes hat kommt nicht so [sic!] von dem deutschen kantongeist als einem falschen originalit%tsstolz einem oft kindischen wirtschaftenwollen auf eigne faust einer scheu vor der einordnung aus dem gef#hl der unsicherheit.10

Die deutsche )berlieferung wird als diskontinuierlich gebrandmarkt und als Gegenmittel wird „einordnung“ statt Originalit%tssucht gefordert. Georges Auseinandersetzung mit der deutschen Tradition ist zu diesem Zeitpunkt vor allem eine Auseinandersetzung mit der deutschen Klassik, das macht nicht zuletzt die Anthologie Deutsche Dichtung deutlich. Aber auch der mittelalterlichen Literatur war in Georges Projekt der Traditionsbildung ein Platz zugedacht gewesen, wie die Gesamt-Vorrede zu Deutscher Dichtung von 1901 ank#ndigte: „1. Jean Paul · 1900. 2. Goethe · 1901. 3. Das Jahrhundert Goethes · 1902. Daran sollen sich f#gen eine lese aus der mittelalterlichen bl#tezeit · sowie gewçhnlich volkslieder genannte verse %lterer meist unbekannter verfasser.“11 Der Begriff ,Bl#tezeit‘ bringt Georges Orientierung an den Hçhepunkten der deutschen Literaturgeschichte zum Ausdruck; implizit ist daran auch sein Anspruch abzulesen, nach der ersten Bl#tezeit der deutschen Dichtung in der sogenannten ,staufischen Klassik‘ des Mittelalters und der zweiten Bl#tezeit in der 8 Bl#tter f"r die Kunst III/4 (1896); in: ebd. S. 18. 9 George, Stefan u. Karl Wolfskehl: Jean Paul. [Nachdr. der Ausg. Berlin, von Holten, 1900]. Stuttgart: Klett-Cotta 1989 (= Deutsche Dichtung Bd. 1). George, Stefan u. Karl Wolfskehl: Goethe. [Nachdr. der Ausg. Berlin, von Holten, 1901]. Stuttgart: Klett-Cotta 1991 (=Deutsche Dichtung Bd. 2). Stefan George u. Karl Wolfskehl: Das Jahrhundert Goethes. [Nachdr. der Ausg. Berlin, von Holten, 1902]. Stuttgart: Klett-Cotta 1995 (=Deutsche Dichtung Bd. 3). 10 Bl#tter f"r die Kunst V (1901); in: Landmann: Einleitungen und Merkspr"che. S. 30. 11 Stefan George u. Karl Wolfskehl: Das Jahrhundert Goethes. S. 5.

3.1 Programmatische Merkspr#che in den Bl#ttern f"r die Kunst

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,Weimarer Klassik‘ um 1800 selbst eine dritte Bl#tezeit der Dichtung um 1900 einzul%uten. Georges Interesse an der mittelalterlichen Dichtung war jedoch offenbar nicht groß genug, um den philologischen Aufwand einer )bertragung aus dem Mittelhochdeutschen auf sich zu nehmen und den Plan einer Anthologie mit %lterer deutscher Dichtung selbst zu realisieren. Er #berließ die Ausf#hrung den beiden Mittelalter-Experten aus seinem direkten Umfeld, dem Germanisten Karl Wolfskehl und dem Historiker Friedrich Wolters. Im Jahre 1909 erschienen deren Anthologien mit )bertragungen althochdeutscher und mittelhochdeutscher Dichtungen: !lteste Deutsche Dichtungen, herausgegeben und #bersetzt von Karl Wolfskehl und Friedrich von der Leyen, sowie der von Friedrich Wolters gestaltete Band Minnelieder und Spr"che. 12 Eine Fußnote in der 1910 erschienenen zweiten Auflage von Deutsche Dichtung stellte diese B#cher als eine Art Fortsetzung des Anthologieprojekts dar: „Inzwischen erledigt durch eigne ausgaben von mitgliedern des kreises.“13 Bemerkenswert ist, dass die Bl#tter f"r die Kunst jetzt ihren Horizont von Kunst und Kultur hin zur Gesellschaft und Geschichte erweitern. Zur Verteidigung gegen den Vorwurf einer angeblich zu ,s#dlichen‘ Kunst greifen die Bl#tter-Redakteure jetzt sogar auf die mittelalterliche Kaiserund Reichsgeschichte zur#ck: Man hat uns vorgehalten unsere ganze kunstbewegung der ,Bl%tter‘ sei zu s#dlich zu wenig deutsch. nun ist aber fast die hervorragendste und nat#rlichste aller deutschen stammeseigenheiten: in dem s#den die vervollst%ndigung zu suchen, in dem s#den von dem unsere vorfahren besitz ergriffen, zu dem unsre kaiser niederstiegen um die wesentliche weihe zu empfangen, zu dem wir dichter pilgern um zu der tiefe das licht zu finden: ewige regel im Heiligen Rçmischen Reich Deutscher Nation.14

Die Hereinnahme konkreter politischer Bezeichnungen und Bez#ge markiert deshalb eine Wende, da sie der anf%nglichen Programmatik der Bl#tter 12 !lteste deutsche Dichtungen. )bersetzt und herausgegeben von Karl Wolfskehl und Friedrich von der Leyen. Leipzig: Insel 1909. Wolters: Minnelieder und Spr"che. Zu Wolfskehls )bertragungen %lterer deutscher Literatur und seiner Rezeption germanischer Mythologie siehe Mertens, Volker: Fern-N#he: !ltere deutsche Literatur und Mythologie im Werk Wolfskehls. In: „O d"rft ich Stimme sein, das Volk zu r"tteln!“. Leben und Werk von Karl Wolfskehl (1869 – 1948). Hrsg. von Elke-Vera Kotowski u. Gert Mattenklott. Hildesheim: Olms 2007. S. 133 – 148. 13 Stefan George u. Karl Wolfskehl: Das Jahrhundert Goethes. S. 5. 14 Bl#tter f"r die Kunst III/2 (1896); in: Landmann: Einleitungen und Merkspr"che. S. 17.

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3 Kulturkritischer Medi%valismus

f"r die Kunst widerspricht, derzufolge „alles staatliche und gesellschaftliche“15 aus der Zeitschrift herausgelassen werden sollte. In der Parallelisierung deutscher Kaiser und deutscher K#nstler zeichnet sich eine Engf#hrung des Politischen und des !sthetischen ab, die in Georges Dichtung in den folgenden Jahren eine grçßere Rolle spielen sollte. Claude David deutet Georges Nationalverst%ndnis um 1900 als ein kosmopolitisch und humanistisch gepr%gtes Nationalgef#hl im Sinne der Weimarer Klassik, insbesondere Schillers.16 Aber in der Formulierung „von dem unsere vorfahren besitz ergriffen“ hat wohl auch das imperialistische Denken des Wilhelminismus seine Spuren hinterlassen. Die Merkspr"che sind nicht frei von den Vokabeln des politischen Diskurses ihrer Zeit, so zum Beispiel, wenn 1901 vom „umschwung des deutschen wesens bei der jahrhundertwende“ die Rede ist,17 auch wenn diese Bestimmung eher im Sinne des Griechentums als des Mittelalters steht.18 Die Reflexion #ber das Deutsche im Verh%ltnis zum S#dlichen, das heißt Italienischen und Griechischen, nimmt um 1900 in Georges Werk eine zentrale Rolle ein. Solche )berlegungen werden im Essay Die zwei Linien des deutschen Geistes (1900/01) in Bezug auf die bildende Kunst fortgesetzt: Es ist eine billige vorspiegelung: formreinheit sei etwas dem deutschen geiste unangemessenes mehr dem S#den eigenes: die fr#hen kçlner und andern rheinischen meister sind so formstreng wie die gleichzeitigen italienischen primitiven – ebenso der gipfel der ganzen deutschen kunst: Hans Holbein. Es gibt allerdings zwei linien des deutschen geistes – und nur durch den best%ndigen hinweis auf die eine kam man zum glauben dass die andere nicht bestehe: freilich nach den staatlichen und glaubenswirren des 16. jahrhunderts machte sich im Deutschtum eine vorliebe geltend f#r alles platte eckige vern#nftelnde.19 15 Bl#tter f"r die Kunst I/1 (1892); in: ebd. S. 7. 16 David: Stefan George. S. 167. 17 Bl#tter f"r die Kunst IV/1 und 2 (1897); in: Landmann: Einleitungen und Merkspr"che. S. 25: „Dass ein strahl von Hellas auf uns fiel: dass unsre jugend jetzt das leben nicht mehr niedrig sondern gl#hend anzusehen beginnt: […] dass sie schliesslich auch ihr volkstum gross und nicht im beschr%nkten sinne eines stammes auffasst: darin finde man den umschwung des deutschen wesens bei der jahrhundertwende.“ 18 Zur Bedeutung des Griechischen im George-Kreis vgl. die diskursanalytische Studie von Stiewe, Barbara: Der „Dritte Humanismus“. Aspekte deutscher Griechenrezeption vom George-Kreis bis zum Nationalsozialismus. Berlin, Boston: de Gruyter 2011, insb. S. 103 – 169. 19 Bl#tter f"r die Kunst V (1901); in: Landmann: Einleitungen und Merkspr"che. S. 28 f.

3.1 Programmatische Merkspr#che in den Bl#ttern f"r die Kunst

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Der kurze Text zielt darauf ab, in der deutschen Kunstgeschichte eine Linie zu betonen, die der implizit als vorbildlich gedachten italienischen Kunst ebenb#rtig gewesen sei. Diese Linie wurde dem Essay zufolge durch die rheinischen K#nstler des Mittelalters, etwa die von George gesch%tzten K#nstler Stefan Lochner und Meister Wilhelm, sowie durch Hans Holbein den J#ngeren repr%sentiert. Mit dem Verweis auf Holbein und der Behauptung, diese Linie sei durch die Reformation und die Glaubenskriege an der Entfaltung gehindert worden, reaktiviert George einen in der Romantik vorgepr%gten Topos. In August Wilhelm Schlegels dialogisch angelegter Kunstbetrachtung Die Gem#lde (1799) erinnert Holbeins Bild des Basler B#rgermeisters einen der Gespr%chsteilnehmer an „die Zeit, wo wir auf dem Wege waren, die %chte einheimische Kunst zu bekommen, wenn ung#nstige Umst%nde und die Sucht des Fremden es nicht verhindert h%tten“, und zu Holbeins Werken wird bemerkt: „So gar altert#mlich finde ich das Ansehen von Holbeins Werken nicht: sie stehen darin ungef%hr auf derselben Stufe mit denen des Leonardo da Vinci, der freilich erst als Greis das neue K#nstlergeschlecht aufbl#hen sah.“20 Diese )berlegung griff Friedrich Wilhelm Schelling in seiner Philosophie der Kunst (1802/03) wieder auf, indem er das Dresdner Holbein-Bild des Basler B#rgermeisters21 als Verkçrperung des „%chten alten deutschen Styl[s]“ sah, „der dem italienischen bei weitem n%her ist als dem niederl%ndischen und den Keim eines Hçheren in sich tr%gt, der ohne die besonderen ungl#cklichen Verh%ngnisse Deutschlands auch sicher sich entfaltet haben w#rde“.22 Georges Essay Die zwei Linien des deutschen Geistes argumentiert auf ganz %hnliche Weise. Es wird sich auch in den folgenden Gedichtanalysen zeigen, dass George auf solche um 1800 gepr%gten Diskurse #ber das ,Deutsche‘ in der Kunst zur#ckgreift, um seine eigenen Dichtungen in einer deutschen Traditionslinie zu verorten.

20 August Wilhelm von Schlegel: Die Gem#lde. Gespr%ch. In Dresden 1798. In: Ders.: S#mmtliche Werke. Hrsg. von Eduard Bçcking. Leipzig: Weidmann’sche Buchhandlung 1846. S. 3 – 101, hier S. 37. 21 Bei diesem Gem%lde handelte es sich um eine F%lschung, wie sich sp%ter herausstellen sollte. 22 Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Philosophie der Kunst. In: Ders.: S#mmtliche Werke. Stuttgart, Augsburg: Cotta 1859. S. 353 – 736, hier S. 548.

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3 Kulturkritischer Medi%valismus

3.2 Medi%valismus und Kulturreflexion in Der Teppich des Lebens Die Forschung ist sich einig, dass der Gedichtband Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod mit einem Vorspiel einen Hçhepunkt vollendeter symbolistischer Formkunst darstellt und zugleich eine Wende in Georges Werk markiert, indem er endg#ltig die Abkehr von den romanischen Vorbildern des Fr#hwerks und eine Hinwendung zur deutschen Heimat und Kultur vollzieht.23 George selbst unterstrich diese programmatische Bedeutung, indem er den Band aus dem Jahre 1899 auf die Epochenschwelle 1900 vordatierte.24 Diese Grundtendenz von Kontinuit%t und Neuorientierung pr%gt auch den Medi%valismus im Teppich des Lebens. Im Hinblick auf die Mittelalterimaginationen vollzieht sich in diesem Band ein fließender )bergang vom Stil der Sagen und S#nge hin zu einem neuen kulturkritischen Konzept des Medi%valismus, das im Folgeband Der Siebente Ring (1907) zur vollen Entfaltung kommen sollte. Der Teppich des Lebens besteht aus drei Zyklen: Vorspiel, Der Teppich des Lebens und Die Lieder von Traum und Tod. Jeder der drei Zyklen umfasst 24 Gedichte. Wichtigstes Prinzip des Bandes ist sein antithetischer Charakter, der sich sowohl in der paarweisen Anordnung der Gedichte als auch in der inhaltlichen Auff%cherung in Gegensatz- und Kontrastpaare zeigt.25 Im Vorspiel erscheint ein nackter Engel, der als Bote des schçnen Lebens auftritt und in einer Initiationsszene das schaffensschwache lyrische Ich seiner Melancholie entreißt (SW V, 10). Die Epiphanie der Engelsfigur, die in der Forschung zumeist poetologisch-selbstbez#glich als Pr%figuration von Georges sp%terem Kunstgott Maximin gedeutet wird,26 ruft vielf%ltige Kontexte auf, die zwischen christlichem Verk#ndigungs- und Taufge23 Vgl. Herres, Nina: Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod mit einem Vorspiel (SW V). In: Stefan George und sein Kreis. Bd. 1. S. 156 – 174, S. 156 und 169. 24 Wie wohlkalkuliert diese Inszenierung ist, zeigt auch die Entstehungsgeschichte der Gedichte, die sich mit der Arbeit an den Gedichtb%nden Das Jahr der Seele (1897) und Der Siebente Ring (1907) #berschnitt (ebd. S. 156). 25 David: Stefan George. S. 195. 26 Die typologische Lesart geht auf Friedrich Gundolf zur#ck, der den Teppich des Lebens als „Weissagung“ und den Siebenten Ring zusammen mit dem Stern des Bundes als „Offenbarung“ bezeichnet hat (Gundolf: George 1920. S. 208). Paul Gerhard Klussmann, Claude David und Achim Aurnhammer deuten den Engel als Produkt eines Akts narzißtischer Selbstbespiegelung (Klussmann, Paul Gerhard: Zum Selbstverst#ndnis der Kunst und des Dichters in der Moderne. Bonn 1961. S. 121; David: Stefan George. S. 189 f.; Aurnhammer, Achim: Androgynie. Studien zu einem Motiv in der europ%ischen Literatur. Kçln: Bçhlau 1986. S. 240).

3.2 Medi%valismus und Kulturreflexion in Der Teppich des Lebens

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schehen,27 antiker Leibesfeier, dem Erscheinen Beatrices in Dantes Divina Commedia28 und den pr%raffaelitischen Bildwelten eines Dante Gabriel Rossetti changieren. Das Kernst#ck des Bandes, Der Teppich des Lebens, entwirft daraufhin eine Wahrnehmungs%sthetik des Sehens und Schauens, die unter anderem an einer Folge historischer Bilder durchgespielt wird. In den abschließenden Liedern von Traum und Tod ist die Mehrzahl der Gedichte einzelnen Freunden Georges gewidmet, und das letzte Gedicht f#hrt die Vereinigung der Gegens%tze im Gedicht vor: „Eh f#r uns sp%t am nacht-firmament / Sich vereint schimmernd still licht-kleinod: / Glanz und ruhm rausch und qual traum und tod.“ (SW V, 85.) Im Folgenden werden f#nf Aspekte des Medi%valismus im Teppich des Lebens beleuchtet: die gotisierende Buchgestaltung durch Melchior Lechter, die integral zum Werkkontext dazugehçrt (3.2.1); die Rolle des Medi%valismus in Kulturtypologien des Germanischen und Rçmischen (3.2.2); die Poetik des richtigen Sehens in medi%valisierender Szenerie (3.2.3); die Nennung historischer Vorbilder, Lehrer und Modelle aus dem Mittelalter (3.2.4) und schließlich Georges Beitrag zum Gotik-Diskurs (3.2.5). 3.2.1 Gotisierende Buchgestaltung Der Teppich des Lebens nimmt insofern eine Sonderstellung in Georges Werk ein, als er mit der Kombination aus strengem inhaltlichem Aufbau und %ußerer Buchgestaltung der Idee eines Gesamtkunstwerks am n%chsten kommt. Die von Melchior Lechter gestaltete Prachtausgabe des Teppichs des Lebens gilt noch heute als einer der Hçhepunkte der Jugendstil-Buchkunst. Lechters Kunst stand im Zeichen eines esoterischen Medi%valismus, der sich aus einem Gemisch von mittelalterlicher Mystik, romantischer Kunstreligion, Wagner’scher Mythenwelt und franzçsischer Dekadenzliteratur speiste.29 Aus dieser Geisteshaltung heraus schuf Lechter eine 27 Vgl. Treffers, Bert: „Gott und die Tr#ume“. Eine Kunst f#r und wider Stefan George. In: Melchior Lechter. Der Meister des Buches 1865 – 1937. Eine Kunst f#r und wider Stefan George. Amsterdam: Castrum Peregrini 1987. S. 61 – 78, hier S. 72; Herres: Der Teppich des Lebens. S. 168. 28 Zu Georges Besch%ftigung mit Dante siehe Kapitel 3.3.1. 29 Siehe dazu ausf#hrlich: Sch#tze: Ein Gotiker im George-Kreis und Krause, J#rgen u. Sebastian Sch#tze (Hrsg.): Melchior Lechters Gegen-Welten. Kunst um 1900 zwischen M#nster, Indien und Berlin. M#nster, Westf.: Landschaftsverband Westfalen-Lippe 2006.

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Ausgabe des Teppichs des Lebens in #bergroßem, quadratischem Format und gotisierender !sthetik.30 Die paarweise angeordneten Gedichte des Bandes umrahmte er im Stil gotischer Kirchenfenster oder Diptychen und durchzog die streng geometrische Komposition anschließend mit floralen Jugendstilelementen. Die buchk#nstlerische Gestaltung ist deshalb wichtig, weil sie zum einen die Rezeption in eine medi%valisierende Richtung lenkte,31 und weil sie zum anderen bestimmte inhaltlich-formale Aspekte des Bandes betonte, insbesondere seinen streng zyklischen Aufbau, die paarige Zusammengehçrigkeit der Gedichte, die Thematisierung von Malerei, Architektur und Skulptur sowie nicht zuletzt die sakrale Aura des Vorspiels. Lechters grafische Gestaltung des Vorspiel-Frontispizes unterstreicht den quasi-religiçsen Anspruch, indem er einen Engel zeigt, der in der Mitte einer Fensterrosette mit ausgespartem Maßwerk thront und ein Buch in der Hand h%lt, das die Initialen TDL f#r Teppich des Lebens tr%gt, und somit in einer grafischen ,mise-en-abyme‘ Georges Gedichtband in die N%he einer Gesetzestafel oder eines gçttlichen Verk#ndigungstextes r#ckt. Diese Gotisierung veranlasste Karl Wolfskehl dazu, den Teppich des Lebens assoziativ in einer Klosterbibliothek zu verorten: „jeder Besitzer sollte verpflichtet sein auf einem Singe- und Schaupult wie des Koranes oder der Missalen mittlerer Zeiten es f#r alle Zeit an Ketten geschlossen liegen zu haben und feierlich nur hin und wieder eine Seite wenden“.32

30 Urspr#nglich hatte Lechter den Prachtband als Herzst#ck seines auf der Pariser Weltausstellung pr%sentierten „Pallenberg“-Saals konzipiert. Wie ein „Evangeliar“ sollte es in der Mitte des Raumes auf einem gotischen Lesepult ruhen. Die W%nde dieses Saals hat Lechter mit Tempera-Gem%lden ausgeschm#ckt: Der Dichter, der Die Weihe am mystischen Quell empf%ngt, tr%gt das Konterfei Stefan Georges (Kluncker, Karlhans: Dichtung und Buchschmuck. In: Melchior Lechter. Der Meister des Buches 1865 – 1937. Eine Kunst f#r und wider Stefan George. Amsterdam: Castrum Peregrini 1987. S. 20 – 60, hier S. 45). Zur Zusammenarbeit Lechters und George bez#glich des Teppichs des Lebens siehe Sch#tze: Ein Gotiker im GeorgeKreis, insbes. S. 172 – 174. 31 Vgl. ebd. hier S. 177 und Kluncker: Dichtung und Buchschmuck. S. 27. 32 Brief von Karl Wolfskehl an Stefan George vom 7. 11. 1899 (W%genbaur, Birgit u. Ute Oelmann (Hrsg.): Von Menschen und M#chten. Stefan George – Karl und Hanna Wolfskehl. Der Briefwechsel 1892 – 1933. M#nchen: C.H.Beck 2015. S. 333).

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3.2.2 Medi%valismus im Kontext von Kulturtypologien Die ,nationale Wende‘, die den Gedichtband pr%gt, ist dem Engel als Prophezeiung in den Mund gelegt. Im f#nften Gedicht des Vorspiels heißt es: Du findest das geheimnis ewiger runen In dieser halden strenger linienkunst Nicht nur in mauermeeres zauberdunst. ,Schon lockt nicht mehr das Wunder der lagunen Das allumworbene tr#mmergrosse Rom Wie herber eichen duft und rebenbl#ten Wie sie die Deines volkes hort beh#ten – Wie Deine wogen – lebengr#ner Strom!‘ (SW V, 14)

In diesen Versen werden erstmals Italien und Deutschland, S#den und Norden, Rçmisches und Germanisches verglichen – ein Thema, das vor allem im Zyklus Teppich des Lebens im Mittelpunkt stehen wird.33 Wohl nicht zuf%llig alludiert der Reim „linienkunst“ / „zauberdunst“ (V. 2 f.) die bekannten Verse aus dem Finale von Richard Wagners Die Meistersinger von N"rnberg, in denen Wagner „die heil’ge deutsche Kunst“ gegen den „welschen Dunst“ ausspielt.34 George aktiviert in seinem Gedicht dieselbe Metaphorik mit derselben Zielrichtung: der Erhçhung germanisch-deutscher Kunst gegen#ber der romanischen. Das Gedicht verweist selbstbez#glich auf den Gedichtband als Ort, an dem das „geheimnis ewiger runen“ liegt, denn die Formulierung „dieser halden strengen linienkunst“ l%sst sich auf den streng architektonisch gestalteten Prachtband Des Teppichs des Lebens beziehen. Die „runen“ verweisen ebenfalls auf den Bereich der Schrift, insbesondere in den Bereich einer germanischen Vorzeitdichtung. In diese Atmosph%re passt die Formulierung von „Deines volkes hort“, in welcher der im Rhein versenkte Hort der Nibelungen anklingt, zugleich wiederum eine Allusion auf Richard Wagners Opern.35 Das Kunstwerk, in 33 Hier – wie sp%ter in Burg Falkenstein (vgl. Kapitel 4.3.1) – finden sich bereits die Opposition Statik / totes Gem%uer (Tr#mmer) vs. Fließendes / Leben (Wellen, lebensgr#ner Strom). 34 Richard Wagner: Dichtungen und Schriften. Tristan und Isolde. Die Meistersinger von N#rnberg. Parsifal. Hrsg. von Dieter Borchmeyer 1983. Bd. 4. S. 212. 35 Die programmatische Wende von der Fremde hin zur Heimat ist im motivverwandten Gedicht R"ckkehr aus dem Jahr der Seele vorbereitet, in dem die Inspiration aus den Wellen auftaucht, die gleichzeitig wie eine Landschaft mit einer aufbl#henden Rosenbl#te beschrieben werden: „Da taucht aus gr#nen wogen-

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diesem Fall der Gedichtband, ist der Ort, an dem dieser sagenhafte Schatz aus der Vorzeit geborgen liegt. Der Dichter wird zum H#ter der Tradition, entsprechend den oben dargestellten programmatischen !ußerungen #ber Tradition und )berlieferung in den Bl#ttern f"r die Kunst. Im siebten Vorspiel-Gedicht weist der Engel dem lyrischen Ich nun die Position des vates auf dem Berg zu: „hoch vom berge / Sollst du schaun wie sie im tale tun“ (SW V, 16). Dies ist zugleich die Position, die es erlaubt, die Gesellschaft mit ihren verschiedenen Glaubensformen aus der Distanz zu betrachten und sie einer Wertung zu unterziehen. Die Dichotomie von Berg und Tal, einsamer Beobachterposition und gesch%ftiger Welt ist dabei romantisch vorgepr%gt:36 In negativem Lichte erscheint das „gewimmel“ der diesseitsorientierten Masse, die an den Wert von harter Arbeit, Forschung und N#tzlichkeit glaubt („Laut ist ihr sich m#hendes gewimmel: / Forscht die dinge n#tzet ihre gaben“). Einem gealterten Christentum wird noch eine gewisse Wirkungskraft zugestanden („Kreuz du bleibst noch lang das licht der erde“), aber die grçßte Sympathie gilt der abgesonderten Minderheit, die an die griechische Idee glaubt („Hellas ewig unsre liebe“).37 In diesen drei Glaubensformen, in denen vage die drei Zeitstufen Gegenwart (Materialismus) – Vergangenheit (Christentum) – Zukunft (Hellas) durchscheinen, sind die gegens%tzlichen Pole beziehungsweise Grundideen des Zyklus Der Teppich des Lebens vorausgenommen. Der Medi%valismus %ußert sich im Zeitkolorit der historischen Bilder, die im Zyklus Der Teppich des Lebens entworfen werden. Die Gedichte, die auf das poetologische Erçffnungsgedicht Der Teppich folgen (SW V, 36), f#hren die sagenhafte Stimmung des Buchs der Sagen weiter. Sie stehen dem Genre der Sage nahe, insofern sie von merkw#rdigen Ereignissen berichten, die in einer historischen Vorzeit spielen. Passend dazu sind Archaismen eingestreut, welche die m%rchenhafte Atmosph%re unterstreichen. So erscheint etwa eine Hexe, die Attich und Ranunkel sucht und „im hornungschein“ ein Kind gebiert,38 das sie im Dorf zur#ckl%sst (Die Fremde, k%mmen / Ein wort · ein rosenes gesicht“ (SW IV, 59). Das „gesicht“ suggeriert hier sowohl ,Gedicht‘ als auch ,Vision‘ (zum Einsatz von Minimalpaaren als stilistischem Kunstgriff vgl. Martus: Werkpolitik. S. 613). 36 Vgl. Eichendorffs Gedicht Abschied: „O T%ler weit, o Hçhen, / O schçner gr#ner Wald, / Du meiner Lust und Wehen / And%cht’ger Aufenthalt! / Da draußen, stets betrogen, / Saus’t die gesch%ft’ge Welt“ (Eichendorff: S#mtliche Gedichte. S. 346). 37 Die „kleine schar“ der Griechenland-Verehrer wurde in der Forschung meist als Sinnbild f#r den George-Kreis gelesen. 38 J#rgen Egyptien weist zu Recht darauf hin, dass der Archaismus „hornungsschein“ hier auch nicht nur dem Kolorit dient, sondern „dass ,Hornung‘, urspr#nglich im

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SW V, 40). Der zeitliche Rahmen ist nun weiter gespannt, reicht von einer Urzeit bis zur Gegenwart. Darin hat jetzt auch das germanische Sagengut Platz: Das Gedicht Gewitter (SW V, 39), das zeitgleich mit den Gedichten des Buchs der Sagen und S#nge entstand und eine Szene aus der nordischen Mythologie verarbeitet, verçffentlichte George erst hier im Teppich des Lebens. Aber bereits die beiden Gedichte Urlandschaft (SW V, 37) und Der Freund der Fluren (SW V, 38) evozieren implizit das Germanische im Gegensatz zum Rçmischen, indem sie den Schwerpunkt auf die Natur legen. Damit rufen sie das seit Tacitus’ Schrift Germania gepflegte kulturelle Stereotyp vom barbarisch-nat#rlich-urw#chsigen Germanen und dem kultivierten Rçmer auf. So lçsen die Gedichte die Vorausdeutung im Vorspiel ein, dass nicht mehr das „tr#mmergrosse Rom“, sondern „herber eichen duft und rebenbl#ten“ im Vordergrund stehen mçgen (SW V, 14). Statt mit den Kulturbildern der Antike beginnt der Zyklus Der Teppich des Lebens mit den Naturbildern der germanischen Vorzeit. Die Betonung des Germanischen ist sozusagen eine Erweiterung des Medi%valismus in eine noch %ltere Zeit. Die Berufung auf die germanischen Vorfahren spielte in der Konstruktion einer deutschen Nationalidentit%t im 19. Jahrhundert eine fast ebenso große Rolle wie die Berufung auf das mittelalterliche Heilige Rçmische Reich Deutscher Nation.39 Durch Anspielung auf solche germanischen und medi%valisierenden Topoi betonte George seine Hinwendung zur deutschen Kulturtradition. Allerdings bezog er keine eindeutige Stellung zum Germanischen, sondern betrachtete das Rçmische als zur Vollendung notwendiges erg%nzendes Element. 3.2.3 Dichterische Schau ins dunkle Mittelalter Das den Zyklus erçffnende poetologische Gedicht Der Teppich (SW V, 36) beschreibt, wie sich bei einer bestimmten Betrachtungsweise aus dem Gewebe und den Einzelf%den des Teppichs bestimmte Bilder und Figuren abzeichnen und lebendig werden. Jedoch ist dieses Ereignis personell und zeitlich beschr%nkt: Die „lçsung“, das heißt das Heraustreten einzelner Altnordischen, auch den ,im verborgenen Winkel gezeugten Bastard‘ bezeichnen kann“ (Egyptien: Der Teppich des Lebens. In: Stefan George – Werkkommentar. S. 280 – 299, hier S. 283 f.). 39 Vgl. Kipper, Rainer: Der Germanenmythos im Deutschen Kaiserreich. Formen und Funktionen historischer Selbstthematisierung. Gçttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002.

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Figuren aus dem Kunstwerk, wird nur „den seltnen selten im gebilde“ (SW V, 36). Dies betrifft sowohl die produktions- als auch die rezeptions%sthetische Seite von Literatur, da es zum einen der Dichter ist, der durch seine eigene Schau aus dem Lebenszusammenhang einzelne Figuren und Bilder hervortreten l%sst – ein kreativer Vorgang, der nicht zu jeder Zeit beliebig abrufbar ist. Zum anderen ist dies zugleich als Rezeptionsanweisung an den Leser von Georges Lyrik gerichtet, der durch eine bestimmte Art des Sehens oder der Schau das textuelle Gewebe zum Leben erwecken soll. Die inhaltlichen Antithesen, die den Band Der Teppich des Lebens pr%gen, sind in diesem Sinne auch als Kontrastbildungen zu verstehen, welche durch den Wechsel von hell und dunkel, Vordergrund und Hintergrund, Sichtbarem und Unsichtbarem plastische ,gebilde‘ hervortreten lassen:40 Georges Gedichte gleichen Vexierbildern oder Suchbildern, die je nach Blickwinkel verschiedene Ansichten pr%sentieren und deren Wesentliches erst bei genauer Betrachtung sichtbar wird. Das Gedicht Herzensdame (SW V, 42) setzt das f#r den Band zentrale Thema des richtigen ,Sehens‘ in einer medi%valisierenden Szenerie um: HERZENSDAME In enger gasse winkelreichem d#ster Lief aus der kirche angsterf#llt der k#ster Und rief den frommen frauen seiner pfarre Dass jezt das gnadenbild nach oben starre Dass seine lippen redend offen st#nden . . Sie kamen denkend ihrer lezten s#nden Sie warfen sich zu boden vor dem wunder – Auch die gerechten zitterten jetzunder. Es wurde nacht und tief erschauernd wallten Sie aus dem tor . . nur sie in weissen falten Die als die erste kam und deren name Getreue ist und schçne herzensdame Sie hatte nur das zeichen wahr gesehen Ganz offen war es nur vor ihrem flehen – Sie schritt mit leicht geneigtem haupt in blauer Verz#ckung und in wunderbarer trauer. (SW V, 42)

Mittelalterliche Atmosph%re suggeriert gleich der erste Vers, indem er die verwinkelte Architektur einer mittelalterlichen Ortschaft evoziert und mit dem prominent am Versende platzierten Signalwort „d#ster“ das seit der 40 Zu Georges Poetik des ,gebildes‘ vgl. Martus: Werkpolitik. S. 624 – 634.

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Aufkl%rung stereotype Epitheton f#r das Mittelalter nennt.41 Da die Gedichte in einer losen chronologischen Bilderfolge gereiht sind und auf Herzensdame kontrastiv ein Gedicht mit einer rokokohaften Szene aus „scherzendem jahrhundert“ (SW V, 43) folgt, verortet auch die Stellung im Zyklus Herzensdame im Mittelalter. In historischem Pr%teritum und im erz%hlenden Tonfall einer Sage berichtet das Gedicht von den Reaktionen auf ein Wunder. Das Wunder wird hier zun%chst tats%chlich als Wundergeschichte erz%hlt, n%mlich in den Worten des K#sters, die in indirekter Rede wiedergegeben sind („Dass jezt das gnadenbild nach oben starre // Dass seine lippen redend offen st#nden . .“). Damit wird der Realit%tsstatus des Geschehens verunklart und das Wunder in den Bereich einer Legende ger#ckt. Mit dieser Thematik weist Herzensdame auf Das Bild aus dem Zyklus Sagen zur#ck, in dem gerade die „wundergeschichten“ eine zentrale Rolle spielten f#r die Hoffnung des Mçnchs auf Verlebendigung des Bildes. In Herzensdame ruft allein der Bericht des K#sters die Reaktionen der „frommen frauen seiner pfarre“ hervor, die von Furcht und Unterwerfung gepr%gt sind. Claude David hat deshalb in Herzensdame „ein abergl%ubisches und etwas mit Ironie betrachtetes Mittelalter“ portr%tiert gesehen.42 Die ironische Seite von Georges Lyrik, die eine der mçglichen Optionen ihrer charakteristischen Ambivalenz und ihres tropischen Sprechens darstellt, ist in der heutigen George-Forschung stark in den Hintergrund ger#ckt, da sie nicht recht zum ernsthaft-elit%ren Image Georges zu passen scheint.43 Allerdings finden sich in einigen medi%valisierenden Gedichten 41 Vgl. Goethes Schrift Von deutscher Baukunst (1773), wo vom „eingeschr%nkten d#stern Pfaffenschauplatz des medii aevi“ die Rede ist (Johann Wolfgang Goethe: Von deutscher Baukunst. D. M. Ervini a Steinbach. 1773. In: Ders.: S#mtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. M#nchner Ausgabe. Hrsg. von Gerhard Sauder, Karl Richter u. Herbert G. Gçpfert. M#nchen: Hanser 1987. S. 415 – 423, hier S. 422). Als Beschreibung einer mittelalterlichen Szene deuten auch David und Egyptien dieses Gedicht (David: Stefan George. S. 182; Egyptien: Der Teppich des Lebens. S. 286). Motivisch steht Herzensdame dem Gedicht Frauenlob aus den Sagen nahe: Beide evozieren zu Beginn die Architektur einer mittelalterlichen Stadt bzw. eines Ortes, in beiden sind Frauenfiguren mit den Motiven des ,weißen Gewands‘, des Glaubens und der Trauer verbunden. 42 David: Stefan George. S. 182; Egyptien mçchte diese Einsch%tzung jedoch nur f#r das vorausgehende Gedicht L#mmer gelten lassen (Egyptien: Der Teppich des Lebens. S. 298). 43 Beispielhaft f#r die vorherrschende Sicht auf George ist etwa Gabriela Wackers Bemerkung, George sei „relativ ironieresistent“ gewesen (Wacker, Gabriela: Poetik des Prophetischen. Zum vision%ren Kunstverst%ndnis in der Klassischen Moderne. Berlin, Boston: de Gruyter 2013. S. 110). Die Ironie in Georges Gedichten wurde fr#her eher gesehen als heute, so etwa von Hans Stefan Schultz und Claude David.

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Georges tats%chlich Anfl#ge von Ironie, wie im ersten Teil dieser Arbeit anhand der Gedichte Die Tat und Im ungl"cklichen Tone dessen von… aus dem Zyklus Sagen gezeigt werden konnte. Die Ironie im Gedicht Herzensdame liegt in einer Beschreibungsweise, die sich der Karikatur und der Groteske n%hert: Die #bertrieben schnellen und lauten Handlungen des K#sters werden durch den Binnenreim „lief“ / „rief“ ins Karikaturhafte gezogen und das „gnadenbild“ mit seiner Mimik aus starrenden Augen und offen stehendem Mund wirkt eher grotesk verzerrt denn sakral, wobei der Konjunktiv den komischen Effekt noch zus%tzlich unterstreicht. Auch die eigent#mliche Versgestaltung der indirekten Rede des K#sters #ber die Strophengrenze hinweg visualisiert im wahrsten Sinne des Wortes einen Bruch: „Dass jetzt das gnadenbild nach oben starre // Dass seine lippen redend offen st#nden . .“ (V. 4 f.) Der Begriff der „lezten s#nden“ (V. 6) erzeugt ebenfalls Komik,44 da das Adjektiv ,letzte‘ eine ganze Reihe von S#nden impliziert und etwa an notorische Ehebrecherinnen denken l%sst – was in ironischer Spannung zur alliterierenden Formulierung „fromme frauen seiner pfarre“ steht, welche die Komik auf sprachlicher Ebene weiterf#hrt. Ebenso f%llt der plumpe, fast sch#ttelversartige Reim „wunder“ / „jetzunder“ ins Auge, bei dem ein literaturad%quates Wort auf ein pseudo-altert#mliches Wort gereimt ist, das wie ein Stil-Zitat aus der historisierenden Lyrik eines Ludwig Uhland wirkt. Man kann hierin also eine Fortsetzung von Georges kritischer Auseinandersetzung mit der medi%valisierend-historistischen Literatur der Romantik und Nachromantik sehen, wie sie im Buch der Sagen und S#nge deutlich wurde. Bei dieser kritischen Haltung bleibt Herzensdame jedoch nicht stehen. Die Ironie der ersten beiden Strophen wird in den beiden letzten Strophen zugunsten einer positiven Gegenvision aufgehoben. Dem Verhalten der Mehrheit wird nun das Verhalten der „herzensdame“ gegen#bergestellt. Sie In der neueren Forschung finden sich vereinzelte Hinweise: Gunilla Eschenbach beleuchtet Georges sarkastische Anf%nge (Eschenbach: Imitatio im George-Kreis. S. 17 f. und 142 – 145) und Christian Baudisch untersucht die ironischen Momente von Georges Selbstinszenierung (Baudisch: Ironische Fingerzeige). Auch Georges Vers „Ihr kundige las’t kein schauern · las’t kein l%cheln · / Wart blind f#r was in d#nnem schleier schlief.“ aus Das Zeitgedicht im Siebenten Ring (SW VI/VII, 6) kann als Hinweis auf von Lesern nicht verstandene Komik und Ironie im Fr#hwerk gelesen werden. 44 Die „lezten s#nden“ lassen sich allerdings auch ernsthaft lesen, wenn man sie im katholischen Sinne als diejenigen S#nden versteht, die seit der letzten Beichte begangen wurden und damit noch nicht abgerechnet und vergeben sind. F#r diesen Hinweis danke ich Prof. Dr. Beatrice Sandberg.

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hat als einzige „das zeichen wahr gesehen“, wobei aufschlussreich ist, dass hier nicht mehr vom ,Wunder‘, sondern abstrakter vom ,Zeichen‘ die Rede ist. Die Herzensdame illustriert somit die Poetik des richtigen Sehens, die das Gedicht Der Teppich formuliert hatte – der Gedanke der Exklusivit%t und Seltenheit der Schau ist hier durch die einzige wahrsehende Herzensdame und den im Wort „gnadenbild“ (V. 4) angedeuteten gnadenhaften Aspekt der Schau repr%sentiert. Durch die Vision ist die Herzensdame selbst verwandelt, durchwirkt von der Traurigkeit des Gnadenbildes: „Sie schritt mit leicht geneigtem haupt in blauer / Verz#ckung und in wunderbarer trauer“. Die dem Bild zugehçrigen Attribute ,blau‘ als Farbe Marias45 und ,wunderbar‘ als Anspielung auf das Bildwunder sind der Dame zugeschrieben. Die damit angedeutete Identifikation und Wesensverschmelzung von Bildfigur und Bildbetrachterin kommt auch im doppeldeutigen Zentralbegriff ,Herzensdame‘ zum Ausdruck, der sowohl die getreue Gl%ubige als auch Maria umfasst.46 Mit dem Enjambement „blauer / Verz#ckung“ geht zudem eine Dynamisierung einher, welche die durch das Wort ,Zeichen‘ schon angedeutete Verselbstst%ndigung der Sprache konkret zu realisieren scheint. Dies zeigt sich auch im Reim, der den Umschlag des Gedichts von der Komik in den Ernst signalisiert: W%hrend der unreine Reim „d#ster“ / „k#ster“ in den ersten beiden Versen beinahe kalauerhaft wirkt, verdankt sich die kunstvolle Konstruktion der letzten beiden Verse vor allem dem Enjambement, das die Begriffe „blauer“ und „trauer“ in einer die ganzen Verse umfassenden Bewegung miteinander verbindet. Im ersten Fall hat die Rhetorik nur dienende Funktion. Im zweiten Fall verh%lt es sich genau umgekehrt: Der Reim tr%gt den Gedanken. Darin wird im Verlauf des Gedichts eine Autonomisierung der Sprache erkennbar. Herzensdame zeigt George einmal mehr als wirkungs%sthetisch hochbewussten Dichter, der Komik und Ironie als Formmittel einsetzt, um #berlieferte Bildvorstellungen im Gedicht sprachlich zu brechen. Die Ironie ger%t hier in einen Gegensatz zum Komischen. Denn w%hrend beispielsweise Sch#ttelverse oft auf eine Pointe zusteuern, also einen plçtzlichen Umschlag ins Komische vollziehen, funktioniert Georges Gedicht gerade umgekehrt: der Ernst und die Schçnheit werden der Sinnfixiertheit des rein Komischen entgegengesetzt. Die Komik des Ge45 Vgl. Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 182. 46 Zur Motivverwandtschaft der Herzensdame mit der Figur der ,dame au coeur haut‘ aus Jean Mor-as’ medi%valisierendem Zyklus Etrennes de Doulces im Gedichtband Le P(lerin passionn+ siehe Grigorian: The Poet and the Warrior. S. 188 f.

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dichtanfangs dient dabei vor allem dazu, die Schçnheit der letzten zwei Verse vorzubereiten. Diese Dialektik spiegelt sich auch in der Farbsymbolik des Gedichts, das zun%chst buchst%blich eine Schwarz-Weiß-Zeichnung bietet (,d#stere Gasse‘ vs. Herzensdame „in weissen falten“), dann jedoch mit der spirituelltranszendenten Farbe blau ausklingt. Dunkel und Hell sind in Herzensdame eindeutig mit den Wertungen ,falsch‘ und ,wahr‘, Aberglaube und Herzensglaube, verbunden und kçnnen im #bertragenen Sinn auch als Kontrastierung einer ,falschen‘ und einer ,wahren‘ Rezeptionshaltung gelesen werden: Auf einer metatextuellen Ebene f#hrt das Gedicht vor, wie durch die richtige Art der Schau aus dem vermeintlich ,dunklen‘ Mittelalter doch eine ,helle‘ Erscheinung hervortreten kann.47 Die Sehergabe des Dichters l%sst auch die positiven Kr%fte des Mittelalters sichtbar werden. Diesen Gedanken greift George im Stern des Bundes wieder auf und wendet ihn ins Zeitkritische: Die ihr die wilden dunklen zeiten nennt In eurer lughaft freien milden klugen: Sie wollten doch durch grausen marter mord Durch fratze wahn und irrtum hin zum gott. Ihr frevler als die ersten tilgt den gott Schafft einen gçtzen nicht nach Seinem bild Kosend benamt und greulich wie noch keiner Und werft ihm euer bestes in den schlund. Ihr nennt es EUREN weg und wollt nicht ruhn In trocknem taumel rennend bis euch allen Gleich feig und feil statt Gottes rotem blut Des gçtzen eiter in den adern rinnt. (SW VIII, 30)

3.2.4 Historische Vorbilder und Modelle Bekanntlich gehçrte die Verehrung von Vorbildern zu den Grundfesten des George-Kreises.48 Die Adoration von Helden und Dichtern, die zumeist als 47 Einen Ansatz zu einer solchen Deutung hat bereits David geboten, wenn er schreibt: „Hinter den herkçmmlichen Aspekten des Mittelalters, hinter der Schalheit eines altersschwachen Christentums, entdeckt, wer zu lesen versteht, bisweilen eine echte Lyrik, eine wahre Tiefe.“ (David: Stefan George. S. 182 f.) 48 Zur „Vorbild-Verdichtung“ im George-Kreis und deren theoretischen Voraussetzungen vgl. Wacker: Poetik des Prophetischen. S. 97 – 105. Schon in der Lobrede auf Mallarm+ (1893) werden – neben Mallarm- selbst – Pindar, Dante und Goethe als dichterische Vorbilder ausgewiesen.

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typologische Pr%figurationen Georges ausgedeutet wurden, erreichte ihren Hçhepunkt freilich erst im Siebenten Ring (1907) und den darauffolgenden Kreisaktivit%ten wie etwa den heroisierenden Gestalt-Monographien. Aber bereits im Teppich des Lebens sind solche Berufungen auf exemplarische Persçnlichkeiten innerhalb des Medi%valismus angelegt, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Mit der Evokation historischer Vorbilder tendiert der Medi%valismus im Teppich des Lebens zu einer neuen Konkretheit, die einen Kontrast zur Vagheit des Zeitkolorits in den sagen- und legendenhaften Gedichten vom Typus Herzensdame etabliert. Konkrete Bez#ge zu Mittelalterlichem stellen die drei aufeinanderfolgenden Gedichte Rom-Fahrer, Das Kloster und Wahrzeichen (SW V, 50 – 52) her, die durch Thema und Duktus eine Gruppe bilden: In allen dreien spielt das Verh%ltnis von Deutschland und Italien eine Rolle, und in allen dreien werden Gegenwartsdiagnosen mit Verweisen auf mittelalterliche Vorbilder verbunden, die in Form imperativisch formulierter Ratschl%ge an ein „Ihr“ gerichtet werden.49 Dabei wird die genealogische Betrachtung in der Logik des ,Einst und Jetzt‘ mit einer Ewigkeitsperspektive verwoben.50 Die Geschichte wird als schicksalshafter Verlauf dargestellt, in dem sich Zeiten der Bl#te und des Niedergangs zyklisch abwechseln. W%hrend der Medi%valismus in den Sagen und S#ngen bis auf die Nennung Frauenlobs personell unbestimmt blieb, ver%ndert sich Georges Medi%valismuskonzept mit dem Teppich des Lebens, indem er hier erstmals die Namen mittelalterlicher Kaiser aufruft: ROM-FAHRER Freut euch dass nie euch fremdes land geworden Der weihe land der v%ter paradies Das sie erlçst vom nebeltraum im norden Das oft ihr sang mehr als die heimat pries. Dort gaukelt vor euch ein erhabnes ziel Durch duft und rausch in marmor und paneelen 49 Die Anrede „Ihr“ unterscheidet die Gedichte von den vorhergehenden und den darauffolgenden Gedichten, die jeweils an ein unterschiedliches „Du“ gerichtet sind. 50 Die zeitliche Markierung von Vergangenheit („Wie einst die ahnen“ (Rom-Fahrer, V. 10), „Wie einst ein mçnch“ (Das Kloster, V. 16), „Der glanz der war“ (Wahrzeichen, V. 14)) ist in einer #berzeitlichen Perspektive aufgehoben: „Und ewig fesselt“ (Rom-Fahrer, V. 8), „nehmt ihr ewig teil“ (Rom-Fahrer, V. 13), „So ist bei euch das los“ (Wahrzeichen, V. 1) und „Die geister kehren stets“ (Wahrzeichen, V. 15).

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Dort lasset ihr vom besten blute viel Und ewig fesselt eure trunknen seelen Wenn auch verderbenvoll der schçne buhle . . Wie einst die ahnen denen d#rftig schien Die kalte treue vor dem f#rstenstuhle: Wunder der Welt! und s%nger Konradin! Durch euer sehnen nehmt ihr ewig teil An froher flucht der silbernen galeeren Und selig zitternd werfet ihr das seil Vor kçnigshallen an den azur-meeren.

Mit dem Titel Rom-Fahrer erinnert George an die zahlreichen deutschen Kaiser, Pilger, K#nstler und Gelehrte, die seit dem Mittelalter bis zu Georges Zeit nach Rom reisten.51 Wie Bernhard Bçschenstein gezeigt hat, parallelisiert das Gedicht „die Kriegsz#ge der s%chsischen, salischen und staufischen Kaiser des Mittelalters“ mit den „Reisen im Zeichen des Eros, bei denen […] eine oft gef%hrliche Hingabe an die schçnen J#nglinge zur Entfremdung von der Heimat f#hrt“.52 Hinzuzuf#gen sind die Reisen im Zeichen der Kunst, die mit den Begriffen „sang“ (V. 4) und „s%nger Konradin“ (V. 12) evoziert werden. Diese Fahrten stehen f#r die ambivalente Italien-Sehnsucht der Deutschen.53 Italien wird mit Sinnlichkeit, Rausch, Pracht und Dekadenz konnotiert – als gef%hrliche Versuchung. Das Gedicht erinnert mit Emphase an zwei Vertreter der Kaisergeschlechter des Heiligen Rçmischen Reiches: „Wunder der Welt! und s%nger Konradin!“ (V. 14). Symptomatisch f#r Georges subjektive und poetische Sicht der Geschichte ist dabei, dass er den einen Kaiser nur antonomastisch nennt – Otto III. ist #ber seinen Beinamen „Wunder der Welt“54 evoziert – 51 Rom-Fahrer war im 19. Jahrhundert ein fester Begriff vgl. den Titel Smidt, Hermann (Hrsg.): Deutsche Romfahrer von Winkelmann bis Bçcklin. Ein Jahrhundert rçmischen Lebens in Tagebuchbl%ttern und Briefen. Leipzig: Dyksche Buchhandlung 1903. Bekannte Rom-Fahrer des 19. Jahrhunderts waren etwa die Nazarener. 52 Bçschenstein, Bernhard: Stefan George und Italien. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts (1986). S. 317 – 333, S. 321. Bçschenstein deutet den „schçne[n] buhle[n]“ konkret als jugendlichen Liebhaber. 53 W%hrend Bçschenstein die Vorbild-Rolle Italiens uneingeschr%nkt hervorhebt, bietet Egyptien eine differenziertere Deutung, indem er auf die „feine Ironie“ hinweist, die in der Rede von Galeeren und Seilen („Narrenseil“) mitschwingt (ebd. S. 320; Egyptien: Der Teppich des Lebens. S. 290 f.). 54 Morwitz hat „Wunder der Welt“ als Umschreibung f#r Otto III. erl%utert (Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 189), die Forschung ist ihm in dieser Deutung bislang gefolgt. In der Tat wurde Otto III. mirabilia mundi ge-

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und den anderen Kaisernachkommen vor allem in seiner Eigenschaft als „s%nger“ r#hmt. Mit Otto III. und Konradin nennt George einen Vertreter des s%chsischen und einen Vertreter des staufischen Herrscherhauses, mithin einen der ersten Rçmisch-deutschen Kaiser und den letzten Staufer, womit er das Rçmisch-Deutsche Kaiserreich des fr#hen und Hochmittelalters assoziativ umrahmt. Otto III. wurde im 19. Jahrhundert als „undeutscher“ Kaiser betrachtet, da er Rom zum Zentrum seiner Politik gemacht hatte;55 deshalb war sein Name geeignet, eine Italien-Sehnsucht der Deutschen zu illustrieren. Im Gegensatz zu Otto III. wurde Konradin im 19. Jahrhundert durchweg als positive Figur gedeutet, als Vertreter des deutschen Kaisertums und der deutschen Nationalidee, der von den Gegnern des Reichs bek%mpft worden sei.56 Sowohl Otto III. als auch Konradin sind zwei Gestalten, deren außergewçhnliche Schicksale schon fr#h k#nstlerisches Interesse auf sich zogen und sowohl literarisch als auch bildk#nstlerisch vielfach verarbeitet wurden.57 Ihren Lebensl%ufen wohnte insofern ein tragisches Moment inne, als sie beide eines fr#hen Todes starben und ihre politischen Pl%ne nicht verwirklichen konnten. Mit Konradin als ,letztem Staufer‘ starb ein ganzes Kaisergeschlecht aus. Zudem sind beide als intellektuell interessierte und gebildete Kaiser ins Ged%chtnis der Nachwelt eingegangen. Sie repr%sentieren den Typus des jungen Helden und des k#nstlerisch begabten Herrschers, f#r den George sich besonders interessierte. In Georges Gedicht exemplifizieren Otto III. und nannt. Aber auch der Stauferkaiser Friedrich II. wurde „Wunder der Welt“ oder „Staunen der Welt“ (stupor mundi) genannt. 55 Diese nationale Sicht auf Otto III. spiegelt sich beispielsweise in August von Platens bekannter Ballade Klagelied Kaiser Ottos III. (1833), in der Otto III. sich selbst als „tatenlosen“ Mann „[v]oll unerf#llter Tr%ume“ bezeichnet, vor allem aber in der einflussreichen Geschichte der deutschen Kaiserzeit (1855) des preußischen Historikers Wilhelm von Giesebrecht, der Otto III. f#r eine Schw%chung des deutschen Kaisertums verantwortlich machte: „er brach die Herrschaft der Deutschen, um ein neues ideales Rçmerreich zu errichten, dessen Spitze wer weiß in welche luftige Hçhe hineinragte, das aber nirgends auf Erden mehr eine feste Basis hatte“ (Giesebrecht, Wilhelm: Geschichte der deutschen Kaiserzeit. Band 1: Geschichte des zehnten Jahrhunderts. Braunschweig 1855. S. 728). 56 Der nur sechzehnj%hrige Konradin unterlag 1268 in S#ditalien den Truppen des Franzosen Karls von Anjou und wurde im selben Jahr in Sizilien getçtet. 57 Zum Konradin-Bild der Wilhelminischen Zeit in der Historiographie, in Schulb#chern und in der Literatur vgl. M#ller, Andreas: Das Konradin-Bild im Wandel der Zeit. Bern: Lang 1972, insbes. S. 78 – 83; auch in Georges Schulbuch Deutscher Minnesang verwies Bruno Obermann im Vorwort auf zwei Lieder Konradins, die „weniger durch Kunst hervorragend, als um des jugendlichen S%ngers willen erw%hnenswert“ seien (Obermann: Deutscher Minnesang. S. 20).

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Konradin den Prototypus des deutschen Rom-Fahrers, der im S#den gleichermaßen Vollendung wie Verderben findet.58 Mit der erstmaligen Nennung zweier mittelalterlicher Kaisergestalten in einem Gedicht begab sich George auf ein neues Terrain und verlieh seinem Medi%valismus eine neue Konkretheit. Er beteiligte sich somit an einem im 19. Jahrhundert bekannten literarischen Mittelalter-Diskurs, der sich vor allem am tragischen Potential großer Herrschergestalten entz#ndete. Rom-Fahrer zeigt eine emphatisch-%sthetische Sicht auf zwei mittelalterliche Gestalten, in welcher der politische Kontext des Heiligen Rçmischen Reichs nur implizit anklingt. Unter einer solchen %sthetischen Perspektive steht auch die Erinnerung an das Modell der Klostergemeinschaft im darauffolgenden Gedicht Das Kloster (SW V, 51). Der in Rom-Fahrer skizzierten Fluchtbewegung in die Ferne des S#dens stellt dieses Gedicht eine Fluchtbewegung in die Enge des Klosters gegen#ber:59 „Mit wenig br#dern flieht die lauten horden / Eh eure kraft verwelkt im kalten gift“. Wie Heiko Hartmann differenziert dargelegt hat, referiert das Gedicht einerseits auf Charakteristika der mittelalterlichen Mçnchskultur, wendet diese jedoch andererseits als utopisches Ideal einer „neuen %sthetisch-geistigen Bruderschaft“ in die Zukunft.60 Als Lehrer wird „ein mçnch aus Fiesole“ genannt, eine Antonomasie f#r den italienischen Maler und Dominikaner-Mçnch Fra Angelico (um 1400 – 1455).61 Das historische Vorbild dient als Anleitung 58 Diesen Gedanken greift sp%ter die St%dtetafel Trausnitz: Konradins Heimat (SW VI/VII, 180) wieder auf, vgl. Kapitel 3.3.3. 59 Vgl. Egyptien: Der Teppich des Lebens. S. 291. 60 Hartmann: Mittelalterliches Mçnchtum. S. 432. Vgl. Bçschenstein: Stefan George und Italien. S. 319. Den weiteren Kontext der „Idee des ,K#nstlerklosters‘ im 19. Jahrhundert“ behandelt Harald Siebenmorgen, wobei bemerkenswert ist, dass Joris-Karl Huysmans in seinem 1898 erschienenen Roman La cath+drale genau wie George auf Fra Angelico verweist: „Nur ein Mçnch konnte solche Malerei versuchen“ (Siebenmorgen, Harald: Die Idee des ,K"nstlerklosters‘ im 19. Jahrhundert. In: Das Mittelalter des Historismus. Formen und Funktionen in Literatur und Kunst, Film und Technik. Hrsg. von Mathias Herweg u. Stefan Keppler-Tasaki. W#rzburg: Kçnigshausen & Neumann 2015. S. 225 – 234, S. 230.) 61 Zu Georges Vorliebe f#r Fra Angelico siehe sein fr#hes Gedicht Ein Angelico (SW II, 27) sowie dessen Interpretation durch Jçrg-Ulrich Fechner (Fechner: Der alte Meister und mein sehr fr"her verehrter Lehrer); Michael Thiemann weist darauf hin, dass Fra Angelico zum einen aufgrund seiner interessanten Biographie beliebt war, zum zweiten aufgrund seiner sakralen Tafelmalerei, die in den Zeitgeschmack des !sthetizismus passte, und zum dritten dass George hier auch von Melchior Lechter beeinflusst gewesen sein kçnnte, der Fra Angelico verehrte (Thimann, Michael: Bildende Kunst. In: Stefan George und sein Kreis. Bd. 2. S. 551 – 584, hier S. 559).

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zur )berwindung der eigenen Gegenwart. Der Medi%valismus nimmt damit eine explizit zeitkritische Dimension an. Das Gedicht Wahrzeichen (SW V, 52) f#hrt diesen kulturkritischen Aspekt des Medi%valismus weiter, nun jedoch mit Verweis auf deutsche Vorbilder. Das Gedicht fordert zur R#ckbesinnung auf vergangene Glanzpunkte der deutschen Kunst auf und empfiehlt dies als Mittel zur Erbauung in einer tr#ben Gegenwart: WAHRZEICHEN So ist bei euch das los: nach kurzen fristen Der stolzen bl#te hausen lichtver%chter Mit rohem schw%rmen und die vipern nisten. Nur heimlich sind dem zarten keime w%chter. Dann sucht der fr#hen bildner herbe wonnen Und holt euch rates wie sich mut gewinne Vorm keuschen zauber heimischer madonnen Und eurer ganzen schçnheit hçchster zinne Hans Holbein dem einzigen . . im rauhen sturme Besch#zt die glorienschar vom Rhein und Maine . . Und dorrt das land vom unfruchtbaren wurme: Das heiligtum steht unber#hrt im haine. Bescheidet euch mit alten leidensregeln! Der glanz der war bringt wenn auch sp%te spende Die geister kehren stets mit vollen segeln Zur#ck ins land des traums und der legende. (SW V, 52)

Wahrzeichen beschreibt eine gegenw%rtige Zeit des Niedergangs, die als schicksalhaftes „los“ (V. 1) der Deutschen begriffen wird. Das Gedicht h%lt diesem pessimistischen Befund die Hoffnung auf eine Wiederkehr des Schçnen entgegen. Denn einst gab es eine k#nstlerische Bl#tezeit, die glanzvolle Kunstwerke hervorgebracht hat. Diese Kunstwerke sollen nun Orientierung bieten, von ihnen solle Rat und Mut geholt werden. !hnlich wie im oben besprochenen Essay Die zwei Linien des deutschen Geistes weist das Gedicht auf die Schçnheit „heimischer madonnen“ hin, lobt die „fr#hen bildner“ und feiert Holbein als un#bertroffenen Meister. Durch die namentliche Nennung wird Holbein besonders hervorgehoben. Georges Verehrung von Hans Holbein dem J#ngeren (1497 – 1543) hat eine persçnliche und eine kunstgeschichtliche Komponente. Die persçnliche Vorliebe f#r Holbein entwickelte George schon in seiner Jugendzeit; als Gymnasiast hatte er im Darmst%dter Landesmuseum

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Holbeins Madonna neben Shakespeares Totenmaske gesehen.62 In Gespr%chen mit Edith Landmann brachte er in den 1920er Jahren mehrfach seine Bewunderung f#r Holbein zum Ausdruck, an dessen Kunst er das vollkommene Aufgehen des Inhalts in der Form sch%tzte.63 )ber das individuelle Geschmacksurteil hinaus l%sst Georges Anpreisen von Holbein vor dem geistesgeschichtlichen Hintergrund der kunstgeschichtlichen Diskurse des 19. Jahrhunderts signifikante Schl#sse zu. Nikolaus Meier hat insbesondere auf die rezeptionsgeschichtliche Konkurrenz zwischen Hans Holbein dem J#ngeren und Albrecht D#rer hingewiesen, die beide als Beispiele f#r die Ebenb#rtigkeit der altdeutschen und der altitalienischen Kunst herangezogen wurden.64 Beide konkurrierten im Laufe des 19. Jahrhunderts um den Ehrentitel des „Raffael des Nordens“.65 Georges Bevorzugung Holbeins gegen#ber D#rer l%sst sich, 62 Meier, Nikolaus: Hans Holbein d. J. im Kreis um Stefan George. In: Neue Z"rcher Zeitung (1988) 134; 11./12. Juni. S. 65 – 66, hier S. 65. 63 Vgl. Landmann, Edith: Gespr#che mit Stefan George. D#sseldorf: K#pper 1963. S. 100, 127 und 161. 64 Meier: Hans Holbein d. J. im Kreis um Stefan George, hier S. 65. 65 Albrecht D#rer und Hans Holbein der J#ngere (1497 – 1543) galten und gelten als die bedeutendsten deutschen K#nstler des 16. Jahrhunderts. Bereits bei Giorgio Vasari wurden sie in einem Atemzug mit Raffael, Correggio und Tizian genannt. Vasari stufte die beiden K#nstler allerdings gegen#ber den Italienern herab, indem er urteilte, D#rer und Holbein w%ren groß, vielleicht grçßer als Raffael, Correggio und Tizian geworden, wenn sie die „Werke der Alten“ unter der Sonne Italiens h%tten studieren kçnnen. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts regte sich in Deutschland jedoch Widerstand gegen Vasaris Deutung. Georg Wolfgang Knorr verçffentlichte 1738 ein Totengespr%ch zwischen D#rer und Raffael und schuf damit eine Gegen#berstellung, die in der Romantik durch Tieck und Wackenroder aufgegriffen wurde und sich in der Folgezeit zu einem festen Topos entwickelte. Knorr und seine Nachfolger postulierten die Ebenb#rtigkeit von deutscher und italienischer Kunst, als deren Repr%sentanten D#rer und Raffael eingesetzt wurden. Im 19. Jahrhundert zeugen Franz Pforrs Gem%lde D"rer und Raffael vor dem Thron der Kunst (1832 – 35) und Friedrich Overbecks Gem%lde Triumph der Religion in den K"nsten (1840) von dem nationalistisch motivierten Versuch einer Rehabilitation der deutschen Kunst im Namen D#rers. Die patriotische, nationalkonservative D#rer-Verehrung lebte um 1900 noch einmal neu auf: D#rer galt als eine der vorbildlichen Erscheinungen des Deutschtums, nach denen sich das Bildungsideal ausrichten sollte (Vgl. Kratzsch, Gerhard: Kunstwart und D"rerbund. Ein Beitrag zur Geschichte der Gebildeten im Zeitalter des Imperialismus. Gçttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1969. S. 171). Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gab es jedoch eine Parallelbewegung zum D#rer-Kult: Hans Holbein der J#ngere machte D#rer seinen Rang streitig und wurde als neuer „Raffael des Nordens“ gefeiert. Julius Schnorr von Carolsfeld, Leiter der Dresdner Gem%ldegalerie, stellte 1855 Holbeins Madonna zusammen mit Raffaels Sixtinischer Madonna aus und provozierte damit

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wie Meier dargestellt hat, als Wahl der klassisch-formvollendeten Option gegen#ber der sp%tgotisch-volksnahen Option bewerten.66 D#rer wurde zu Georges Zeit vor allem von deutschnationaler Seite vereinnahmt – indem George Holbein lobt, stellt er sich insofern auch gegen den zeitgençssischen D#rer-Trend. Die Abfolge der Gedichte Das Kloster und Wahrzeichen zeigt Georges Anliegen, den romanischen Vorbildern nun deutsche an die Seite zu stellen.67 Der Titel des Gedichts Wahrzeichen verweist dabei wiederum auf die Idee des ,Zeichen-wahr-Sehens‘ aus Herzensdame und, auf einer abstrakten Ebene, auf die Zeichenhaftigkeit der Geschichte. Der Dichter wird zu demjenigen, der die Zeichen der Geschichte liest und daraus Wahrzeichen, poetische Denkm%ler f#r die Gegenwart errichtet, welche die mit dem „Ihr“ angesprochene Gruppe der Rezipienten anschließend richtig lesen soll. Zudem sticht der W%chter- und Schutzgedanke hervor, der zwei Seiten hat: Einerseits werden die Reste des vergangenen Glanzes angesichts %ußerer Gefahren heimlich bewacht, andererseits scheint die sakrale Kunst auch das Land zu besch#tzen. Die offene Syntax der beiden Verse „Holbein dem einzigen . . im rauhen sturme / Besch#tzt die glorienschar vom Rhein und Maine . .“ (V. 9 – 10) macht die Formulierung ambivalent, wodurch das Verb ,besch#tzt‘ auf der Kippe zwischen Beschreibung und Aufforderung steht.68 Die Pflanzenmetaphorik der „zarten keime“ (V. 4) deutet an, dass der vergangene Glanz noch lebt und wieder aufbl#hen kann. Der Vers „Das heiligtum steht unber#hrt im haine“ (V. 12) verweist auf das Kunstwerk als den ,Hain‘,69 in dem das ,Heiligtum der zarten keime‘

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einen direkten Vergleich. Wie zuvor D#rer, sollte jetzt Holbeins Madonna die Gleichrangigkeit der deutschen und der italienischen Kunst verb#rgen. Der Streit um die Echtheit der Dresdner oder der Darmst%dter Madonna von Holbein erregte in den 1860er und 1870er die Gem#ter weit #ber den Kreis der kunstwissenschaftlichen Fachwelt hinaus (Vgl. B%tschmann, Oskar: Der Holbein-Streit. Eine Krise der Kunstgeschichte. In: Jahrbuch der Berliner Museen (1996) 38, Beiheft. „Kennerschaft“. Kolloquium zum 150sten Geburtstag von Wilhelm von Bode. S. 87 – 100). Meier: Hans Holbein d. J. im Kreis um Stefan George, hier S. 65. Egyptien hat in seiner Interpretation von Wahrzeichen zu Recht bemerkt, dass die Formulierung „Bescheidet euch mit alten leidensregeln!“ auf den mçnchischen Gedanken in Das Kloster zur#ckverweist (Egyptien, J#rgen: Interpretationen von Der T#ter (SW V, 45) und Wahrzeichen (SW V, 52). In: Stefan George – Werkkommentar. S. 299 – 306, hier S. 304). Vgl. dagegen ebd., hier S. 305. Im ,Hain‘ klingt die Vorstellung von poetischen W%ldern (silvae) mit. Vgl. die Metaphorik im Merkspruch: „was sie [unsre grossen vorfahren in der kunst] aus

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aufgehoben ist, mithin auf den Gedichtzyklus Der Teppich des Lebens selbst, in dem der Name Holbeins und die Erinnerung an die ,heimischen Madonnen‘ gesch#tzt sind, indem der Text fertig gedruckt zwischen zwei Buchdeckeln steht und dort von niemandem ,ber#hrt‘ werden kann. Zugleich ist damit die Vorstellung von einem heiligen Hain verbunden, einem Denkmal oder Tempel in der Landschaft, wie ihn etwa Arnold Bçcklin gemalt hat (Heiliger Hain, 1886). Mit den ,heimischen madonnen‘ und dem ,heiligtum‘ im ,haine‘ werden sowohl christliche, deutsche als auch mediterrane und germanische Vorstellungswelten gemeinsam evoziert. Zudem geht es um die Sph%re des Sakralen – zum einen im christlichen Glauben, zum anderen im heidnischen Opferkult –, die in einer feindlichen Widerwelt im Geheimen geborgen gehalten wird. 3.2.5 Griechisches und Gotisches Die Berufung auf Holbein im Essay Die zwei Linien des deutschen Geistes und im Gedicht Wahrzeichen steht im Kontext der Debatte um einen deutschen Stil, welcher dem italienischen gleichrangig sei. Zu dieser Reflexion #ber das Deutsche in der Kunst gehçrt genuin auch die Reflexion #ber die Gotik als deutschen Stil. Wie zuvor italienischen und deutschen Stil in der Malerei kontrastiert George nun griechischen und gotischen Stil in der Architektur: STANDBILDER · DIE BEIDEN ERSTEN Im maasse mit der landschaft wuchs dein haus Nicht hçher als der nahe baum es sinnt. Hier weihen tçchter dir ihr reines haar Und sçhne schliessen gl#hend grossen bund. Du siehst in blauer klarheit deine schar Stets f#r dein heiter tiefes fest bereit Die ihres leibes froh und seiner lust Und stolz und l%chelnd zwischen bl#ten geht. – In wolkige nebel deuten deine t#rme Befl#gelt floh der geist die schwere scholle Der kçrper muss zermalmt zum himmel streben Der sprçde stein in immer zartern rosen.

ungehauenen w%ldern unausgebeuteten feldern entnahmen, m#ssen wir aus den tiefen zu gewinnen suchen.“ (Landmann: Einleitungen und Merkspr"che. S. 18).

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Wenn dein kasteiter #ber-spitzer finger Sich faltet weiss dein weit erhobnes auge Dass sich im frommen rausch die kniee lçsen Das ganze volk vorm wunder schluchzt und zittert. (SW V, 54)

Das Gedicht l%sst an zwei Skulpturen denken (Standbilder), die mit Du angeredet werden: Eine griechische Marmorstatue und eine gotische Skulptur mit einem turmartigen Baldachin #ber dem Kopf, wie sie beispielsweise an Kirchenportalen angebracht ist.70 Die beiden Stile, die sich in der Architektur manifestieren und zugleich mit einem bestimmten Lebensgef#hl verbinden, sind konsequent antithetisch gegen#bergestellt: dem Haus mit seinem nat#rlichen Maß stehen die bis in den Himmel ragenden T#rme entgegen, die Klarheit kontrastiert mit Nebel, die Kçrperfreude mit Kçrperfeindlichkeit, die nat#rlichen Bl#ten mit den Rosen aus Stein, die Leibeslust und die stolze Haltung stehen der Kasteiung und den gelçsten Knien gegen#ber. Das heitere Fest bildet die Antithese zum frommen Rausch,71 die kleine Schar steht im Gegensatz zum ganzen Volk. Dies spiegelt sich in der Form, indem die ersten beiden Strophen mit m%nnlichen und die beiden letzten mit weiblichen Kadenzen enden. Die Opposition von Maß und Unform wird metrisch durch eine Doppelsenkung im Wort „wolkige“ (V. 9) unterstrichen. In der Forschung wurde bislang vernachl%ssigt, dass Standbilder · die beiden ersten sich in einen Diskurs einschreibt, der #ber Stile als Ausdruck von Nationalkulturen reflektiert.72 Denn mit dieser Gegen#berstellung ruft das Gedicht lang tradierte Zuschreibungsmuster f#r griechischen und gotischen Stil auf. Der griechische Stil ist mit Vorstellungen von Maß, Harmonie und Formvollendung verbunden, der gotische Stil mit Vorstellung von Disproportion, Spitzbogen und Formlosigkeit – entsprechend des Begriffs gotico, #bersetzt ,in der Art der Goten‘, ,fremdartig‘ bzw. 70 Die Identit%t des angesprochenen Du ist jedenfalls nicht unmittelbar evident, wie die Deutungen von Morwitz und Egyptien zeigen: W%hrend Morwitz annimmt, es handle sich um Frauen, die auf Standbildern abgebildet seien, deutet Egyptien das Du als „eine Art Oberpriester“ (Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 192; Egyptien: Der Teppich des Lebens. S. 293). 71 Der letzte Vers des Gedichts „Das ganze volk vorm wunder schluchzt und zittert“ zitiert noch einmal die Szene in Herzensdame. 72 Zu der um 1900 gef#hrten Debatte um einen ,deutschen Stil‘ als Nationalstil, der dem Nationalcharakter analog sei, und zu den Versuchen, die selbstempfundene kulturelle R#ckst%ndigkeit durch Bezug auf antik-griechische Muster zu #berwinden siehe Stiewe: Der „Dritte Humanismus“. S. 117 – 123.

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,barbarisch‘, den der italienische Kunsthistoriker Giorgio Vasari Mitte des 16. Jahrhunderts als abwertende Bezeichnung f#r den mittelalterlichen Baustil eingef#hrt hatte. Vasari nannte die Gotik auch maniera tedesca (,deutscher Stil‘) und hielt diesen Stil f#r eine Monstrosit%t. Diese negative Bewertung hielt sich stabil bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, als der gotische Stil unter englischen Landschaftsg%rtnern und Architekten wieder beliebt wurde. Von England aus schwappte die neugotische Mode auch nach Frankreich und Deutschland. F#r die deutsche Gotik-Debatte ist im 19. Jahrhundert ist vor allem Johann Wolfgang von Goethes Schrift Von deutscher Baukunst (1773) einflussreich geblieben, ein Loblied auf den Erbauer des Straßburger M#nsters, Erwin von Steinbach. Bei Goethe findet sich ein pr%gnanter Katalog der damals g%ngigen Geschmacksurteile #ber antike und gotische Architektur: „Auf Hçrensagen ehrt ich die Harmonie der Massen, die Reinheit der Formen, war ein abgesagter Feind der verworrnen Willk#rlichkeiten gotischer Verzierungen.“73 Der Text selbst ist jedoch ein Zeugnis von Goethes Abwendung von der romanischen und Hinwendung zur gotischen Architektur, die durch den Anblick des Straßburger M#nsters ausgelçst wurde. Goethe bestritt den Vorrang der Baukunst der Franzosen und Italiener, welche angeblich nur die antike Architektur nachahmten, und erhob dagegen das gotische M#nster zum Inbegriff deutscher Kunstfertigkeit: „das ist deutsche Baukunst, unsre Baukunst, da der Itali%ner sich keiner eignen r#hmen darf, vielweniger der Franzos“.74 Dieses positive Bild der Gotik und deren nationale Aneignung als ,deutscher Stil‘ pr%gte die Debatten des 19. Jahrhunderts und wurde etwa durch die Studien von Wilhelm Worringer (Formprobleme der Gotik) ein integraler Bestandteil des Medi%valismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts.75 Georges poetischer Beitrag zu dieser Debatte vereint die g%ngigen Stereotype in konzentrierter Form. Ein positives Bekenntnis zur Gotik als deutschem Stil im Sinne Goethes l%sst sich aus diesem Gedicht nicht herauslesen. Im Gegenteil hat die Forschung es meist als Abwertung des 73 Goethe: Von deutscher Baukunst. S. 418. 74 Ebd. S. 420. 75 Worringer, Wilhelm: Formprobleme der Gotik. M#nchen: Piper 1911. Zur GotikDebatte in der Kunstwissenschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts und ihrer Bedeutung f#r den Expressionismus siehe Oexle: Die Gegenwart des Mittelalters. S. 28 – 43 und Oexle: Die Moderne und ihr Mittelalter – eine folgenreiche Problemgeschichte. In: Mittelalter und Moderne. Entdeckung und Rekonstruktion der mittelalterlichen Welt. Hrsg. von Peter Segl. Sigmaringen: Thorbecke 1997. S. 307 – 364, insb. S. 334 ff.

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gotischen gegen#ber dem griechischen Stil verstanden.76 Auch wenn eine solche negative Wertung mitschwingt, machte die Gotik f#r George einen Teil des eigenen Kulturerbes aus und gehçrte deshalb zwingend in den Rahmen seiner Erw%gungen zum Verh%ltnis von deutscher, nçrdlicher und antiker, s#dlicher Kunst.77 3.2.6 Zusammenfassung Der Medi%valismus im Teppich des Lebens steht im Zeichen einer kulturellk#nstlerischen Selbstvergewisserung. Das Mittelalter stellte einen von mehreren mçglichen Referenzpunkten dar, die George um 1900 auf der Suche nach Vorbildhaftem in der deutschen Tradition sichtete. In seinen Gedichten entwarf er Kulturtypologien, die sich imagologischer Zuschreibungsmuster von Nçrdlichkeit und S#dlichkeit bedienen; der Medi%valismus ist dabei tendenziell mit Nçrdlichkeit konnotiert, wohingegen S#dlichkeit mit Italien und Griechenland assoziiert wird. Speziell diese beiden L%nder mit ihrem antiken Erbe spielten f#r die Profilierung einer eigenen k#nstlerischen Identit%t in Deutschland traditionell eine zentrale Rolle. In der Reflexion #ber das Deutsche in der Kunst konnte George deshalb auf literarisch und kunsttheoretisch vorgepr%gte Topoi zur#ckgreifen. Dazu gehçrt zum einen die Antithese von Germanentum und Rçmertum, die in Anspielungen auf die urt#mliche Naturverbundenheit der Germanen sowie auf Stoffe der germanischen Gçtter- und Heldensagen evoziert wird. Dazu z%hlt zum zweiten die Diskussion um die Gleichrangigkeit altdeutscher und altitalienischer Malerei, in der George auf rheinische K#nstler am )bergang von Sp%tmittelalter zu Fr#hrenaissance verweist. Zum dritten bezieht sich George auf Topoi des Griechischen und des Gotischen, die einander kontrastiv gegen#bergestellt werden. Insbesondere die beiden letzten Punkte sind durch kunsttheoretische Reflexionen #ber die deutsche Kunst um 1800 vorbereitet. Der Schwer76 Bçschenstein: Georges widerspr"chliche Mittelalter-Bilder. S. 209 f. So sieht es in der Tendenz auch Egyptien, der allerdings die positiv gesehenen Mittelalter-Bilder dagegenh%lt und vorschl%gt, die „gotische Stufe […] als eine notwendige Durchgeistigung […] f#r die Wiederankn#pfung an die antike Haltung“ zu verstehen (Egyptien: Der Teppich des Lebens. S. 293). 77 In diesem Sinne %ußerte sich George 1916 gegen#ber Edith Landmann: „Alles geistig Gute in Deutschland ist seit der Renaissance an der Antike geschult. Es gab ja auch kein andres Bildungselement, hçchstens noch das bisschen Gotik.“ (Landmann: Gespr#che mit Stefan George. S. 60.)

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punkt der medi%valisierenden Gedichte liegt nach wie vor bei der Kunst: Wie man sie richtig sehen soll (Herzensdame), dass sie den Italienbezug braucht, selbst wenn er gef%hrlich sein kann (Rom-Fahrer), in welcher Umgebung man sie am besten erschaffen kann (Das Kloster), wann die deutsche Kunst groß war (Wahrzeichen) und wie sich der gotische Stil zum griechischen verh%lt (Standbilder · die beiden ersten). Auch die assoziativ aufgerufenen Bereiche Politik und Religion sind noch vorrangig im Zeichen der Kunst gesehen – Konradin wird als ,S%nger‘ apostrophiert und Fra Angelico als Maler gepriesen. Im Teppich des Lebens zeigt sich ein fließender )bergang vom %sthetischen Medi%valismus im Stil der Sagen zu einem kulturkritischen Medi%valismus, der mit einer st%rkeren historischen Konkretheit einhergeht. Die zeitliche Distanz zwischen eigener Gegenwart und Vergangenheit ist jetzt deutlich markiert, gleichzeitig wird der Blick vorsichtig auf eine utopische Zukunft gerichtet. Es zeigt sich eine Tendenz zur Personalisierung der Geschichte, so dass einzelne Persçnlichkeiten als Tr%ger bestimmter Kr%fte oder Repr%sentanten eines nationalen Schicksals erscheinen. Die namentliche oder antonomastische Nennung von historischen Personen wie Otto III., Konradin, Fra Angelico und Holbein bezieht andeutungsweise die historische Realwelt in die Dichtung mit ein, w%hrend in den Sagen und S#ngen vorrangig eine Traumwelt mit typisierten Gestalten evoziert wurde. Der Medi%valismus der Sagen und S#nge mit seinem %sthetizistischen Zugang war noch im 19. Jahrhundert verwurzelt, Stimmung war wichtiger als historische Verbindlichkeit. Im Teppich des Lebens ver%ndert sich das Medi%valismuskonzept: In hçherem Maße refereriert die Dichtung auf historische Personen, was klarere k#nstlerische, politische und kulturelle Verortungen ermçglicht. Die Konkretheit des Medi%valismus ist auch ein Zeichen einer direkten Selbstpositionierung innerhalb der Tradition. Der Schwerpunkt liegt jetzt nicht mehr auf Stimmung, sondern auf einem ehrf#rchtigen und emphatischen Umgang mit historischen Vorl%ufern, deren Grçße der vermeintlichen Kleinheit der eigenen Gegenwart entgegengehalten wird.

3.3 Subversiver Medi%valismus in Der Siebente Ring In den Sagen und S#ngen arbeitete George daran, den literarischen Mittelalter-Diskurs des romantischen und nachromantischen Schrifttums des 19. Jahrhunderts zu #berwinden und die medi%valisierende !sthetik Schillers, Uhlands oder Heines hinter sich zu lassen, um am altherge-

3.3 Subversiver Medi%valismus in Der Siebente Ring

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brachten Mittelalter-Stoff eine eigene Poetik zu erproben. Mit dem Gedichtband Der Siebente Ring (1907) erweiterte George das Einflussgebiet seines Medi%valismus vom rein Literarischen auf weitere Diskursfelder, so dass die im Teppich des Lebens bereits sp#rbare gegenwartskritische Tendenz des Medi%valismus nun zum bestimmenden Thema wird. Denn wie Ulrich Raulff diagnostiziert hat, begab sich George zwischen dem Siebenten Ring (1907) und dem Stern des Bundes (1914) auf das „Feld der metaphorischen Politik“, weil er die „politischen Schicksale und Schicksalsvokabeln der Deutschen“ bei den Machthabern und Ideologen des Wilhelminischen Reichs in den falschen H%nden glaubte.78 In einer Reihe monumentaler Bildprogramme inszenierte sich das Wilhelminische Reich als Nachfolger des Heiligen Rçmischen Reichs deutscher Nation. Dabei wurde Wilhelm I. zum Erben des mittelalterlichen Kaisers Friedrich Barbarossa erkl%rt, welcher der Sage nach schlafend im Berg darauf wartete, dass eines Tages das Reich wiederauferstehen w#rde. So suggerierte es etwa das Kyffh%userDenkmal im Harz, das in den Jahren 1890 bis 1896 errichtet wurde: Am Fuße des Denkmals ist der erwachende Friedrich Barbarossa in Sandstein gemeißelt, mit langem Bart und auf einem Thron sitzend, so wie die Kyffh%user-Sage ihn beschrieb; dar#ber ist ein monumentales Reiterstandbild Wilhelms I. installiert, der aus dem Berg zu reiten scheint.79 Die Komposition insinuiert eine direkte Genealogie von Barbarossa, dem Rotbart, zu ,Barbablanca‘, dem Weißbart, wie Felix Dahn den Reichseinigungskaiser Wilhelm I. in einem Gedicht voll nationalpatriotischen )berschwangs getauft hatte. Dieselbe Idee mythischer Nachfolge setzte der Maler Hermann Wislicenus in einem Gem%ldezyklus in Szene, den er in den Jahren 1879 bis 1897 f#r die Goslarer Kaiserpfalz schuf. Diese Goslarer Kaiserpfalz wurde in der zweiten H%lfte des 19. Jahrhunderts restauriert, allerdings nicht originalgetreu, sondern im Sinne einer nationalen Indienstnahme der mittelalterlichen Kaisergeschichte. Auch hier wurden an der Außenseite zwei Reiterstandbilder des Kaisers Friedrich Barbarossa und Wilhelms I. installiert. Die raumf#llenden Wandgem%lde von Wislicenus zeigten Szenen aus deutscher Sage und Geschichte, und an zentraler Position die „Apotheose des Kaisertums“, wiederum mit Kaiser Wilhelm I. als Bildmittelpunkt. In %hnlicher Weise verherrlichte der K#nstler Max 78 Raulff: Kreis ohne Meister. S. 114 f. 79 Zum Bildprogramm des Denkmals und den Verzweigungen der Kyffh%user-Sage siehe Raulff, Ulrich: In unterirdischer Verborgenheit. Das geheime Deutschland. Mythogenese und Myzel. Skizzen zu einer Ideen- und Bildergeschichte. In: Geschichtsbilder im George-Kreis. S. 93 – 115.

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Seliger Kaiser Wilhelm I. und Friedrich Barbarossa in Mosaiken, die er f#r die Vorhalle der Kaiser-Wilhelm-Ged%chtniskirche in Berlin entworfen hatte, auf Auftrag Wilhelms II. So betrieb das preußische Kaisertum Propaganda mit der mittelalterlichen Reichsgeschichte. George missbilligte sowohl diese nationalpolitische Instrumentalisierung als auch den wissenschaftlich-positivistischen Umgang des Kaiserreichs mit Geschichte und )berlieferung und betrachtete es als seine Aufgabe, „den geheiligten Begriffen der Reichs- und Kaisermystik der Deutschen ihren Verheißungsklang zur#ckzugeben“.80 Wie hier bereits durchscheint, spielt der Umgang mit dem mittelalterlichen Erbe eine zentrale Rolle. Vor diesem Hintergrund kann Georges Medi%valismus im Siebenten Ring als Versuch einer R#ckeroberung der Deutungshoheit #ber den politischen und gesellschaftlichen Mittelalter-Diskurs gelesen werden. Insbesondere in den beiden Zyklen Zeitgedichte und Tafeln setzte George eigene Mittelalter-Bilder in Opposition zu solchen des Wilhelminischen Kaiserreichs. Georges Oppositionshaltung bezog sich auf verschiedene Bereiche des zeitgençssischen Mittelalter-Diskurses: auf die mittelalterliche Kaiser- und Reichsgeschichte, auf die Religion, auf die Topographie, auf medi%valisierende Mythologeme, auf den Kanon an Helden- und Vorbildfiguren und schließlich auf die Ged%chtnis- und Erinnerungskultur inklusive der Denkmalskultur. Ein Schwerpunkt der folgenden Untersuchung wird auf den literarischen Verfahrensweisen von Georges ,kulturkritischem Medi%valismus‘ liegen. Gerade dieser Formaspekt, der in der Lyrik in gesteigertem Maße hervortritt, unterscheidet Georges poetischen Medi%valismus von den historiographischen, literarischen, architektonischen und anderen Auspr%gungen des Medi%valismus in Kunst und Wissenschaft des Wilhelminischen Kaiserreichs. Der Siebente Ring ist Georges siebter Gedichtband, erschienen 1907, sieben Jahre nach dem Teppich des Lebens. Die Zahl sieben bestimmt auch die Komposition: Der Band besteht aus den sieben heterogenen Zyklen Zeitgedichte, Gezeiten, Maximin, Traumdunkel, Lieder und Tafeln, die jeweils eine durch sieben teilbare Anzahl Gedichte enthalten.81 Im Zentrum des Bandes steht die poetische Geburt des Gottes Maximin, den George zur neuen Sinnmitte seiner Dichtung erhob; auf die neomystische Textur dieser autopoetischen Schçpfung wird in Kapitel 4.2 n%her einzugehen sein. Im Sinne des Untersuchungsfokus Medi%valismus werden im Fol80 Raulff: Kreis ohne Meister. S. 115 f. 81 Kauffmann, Kai: Der Siebente Ring (SW VI/VII). In: Stefan George und sein Kreis. Bd. 1. S. 175 – 191, S. 176.

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genden die beiden kulturkritischen Zyklen Zeitgedichte und Tafeln im Vordergrund stehen, welche den Siebenten Ring als erster und letzter Zyklus umrahmen. 3.3.1 Lorbeer statt Eichenlaub: Poetik des Zeitgedichts zwischen Medi%valismus und Renaissancismus Die Zeitgedichte, an Nietzsches Sicht einer monumentalischen Historie orientiert,82 fokussieren auf den Kontrast zwischen geistiger Hçhe und Banausentum. Dies wird anhand von zumeist außergewçhnlichen kulturgeschichtlichen Persçnlichkeiten der j#ngeren und ferneren Vergangenheit diskutiert, die sich jeweils in unterschiedlichen Epochen und kulturellen Kontexten einem Heer von Zeitgenossen gegen#bersehen, die ihre Grçße nicht erkennen, leichtfertig Kritik #ben oder ohne tiefere Einsicht Lob spenden. Die abgewerteten historischen Gegenwarten sind letztlich Projektionsfl%chen f#r Georges Kritik an seiner eigenen Zeit. Die imaginierte „Ahnengalerie“,83 die unter anderem Dante, Goethe, Nietzsche, Bçcklin und Papst Leo XIII. umfasst, dient als „Vorbild-Verdichtung“84 nicht zuletzt der Autorisierung einer neuen Sprecherrolle:85 Eine „kalkulierte Verwechslung“ zwischen lyrischem Ich und Autor-Ich betreibend,86 begab sich George in die Rolle des Mahners und Richters #ber 82 Vgl. Aurnhammer, Achim: Zeitgedichte. In: Stefan George – Werkkommentar. S. 335 – 355, hier S. 337. 83 Wacker: Poetik des Prophetischen. S. 173. 84 Ebd. S. 155. 85 Wie Gabriela Wacker gezeigt hat, werden die Vorbilder entweder negativ-korrigierend oder positiv stilisiert und in typologischer Denkweise als Vorl%ufer dargestellt – George selbst erscheint als )berwinder und Vollender (ebd. S. 103). 86 Andres, Jan: Gegenbilder. Stefan Georges poetische Kulturkritik in den ,Zeitgedichten‘ des ,Siebenten Rings‘. In: George-Jahrbuch 6 (2006/2007). S. 31 – 54, hier S. 38. Es scheint mittlerweile Forschungskonsens zu sein, dass das lyrische Ich in Georges Gedichten seit dem Siebenten Ring identisch mit dem Autor-Ich sei (vgl. Osterkamp, Ernst: „Ihr wisst nicht, wer ich bin“. Stefan Georges poetische Rollenspiele. M#nchen: Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung 2002. S. 35; Aurnhammer: Zeitgedichte. S. 342). Aurnhammer sieht darin einen f#r das Genre Zeitgedicht typischen Zug. Er spricht deshalb mit Bezug auf die beiden rahmenden Zeitgedichte sowie die Gedichte Franken und Carl August von einem „autofiktionale[m] Gestus“ (S. 342 f.), damit den %lteren Begriff ,autobiografisch‘ vermeidend und den Zwischenstatus zwischen autobiografischem und fiktionalem Text betonend. Zur Gattung des Zeitgedichts im 19. Jahrhundert siehe auch Andres:

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seine eigene Zeit. Im programmatischen Eingangstext Das Zeitgedicht spricht das lyrische Ich explizit die Zeitgenossen an („Ihr meiner zeit genossen“; SW VI/VII, 6) und korrigiert deren angeblich falsche Wahrnehmung: „Ihr sehet wechsel · doch ich tat das gleiche“ (SW VI/VII, 7). Dieser Vers wurde in der Forschung meist als rezeptionssteuernder Eigenkommentar zu Georges Werken gelesen; George betone die Kontinuit%t seines eigenen Werkes, wohingegen seine Leser einen deutlichen Bruch zwischen dem %sthetizistischen Fr#hwerk und den neuen zeitkritischen Dichtungen beklagten: „Gesang verkl%rter wolken ward zum schrei!“ (SW VI/VII, 7). Die Diskussion, ob Georges Werk vor und nach dem Siebenten Ring eher im Sinne von Kontinuit%t oder doch im Sinne eines radikalen Bruchs zu interpretieren sei, besch%ftigt die Forschung bis heute. Man kann Georges Werk vor und seit dem Siebenten Ring durchaus als zwei Seiten einer Medaille betrachten: Die implizite Gesellschaftskritik, die im !sthetizismus des Fr#hwerks verborgen lag, wendet sich mit dem Siebenten Ring in eine explizite Gesellschaftskritik, die nichtsdestoweniger weiterhin mit den Mitteln der Poesie und hohem Formbewusstsein artikuliert wird.87 In diesem Sinne muss selbst der Verzicht auf den Reim in den Zeitgedichten als ein formaler Kunstgriff gesehen werden, der dem zeitkritischen Inhalt der Gedichte angemessen erscheint. Die 14 Zeitgedichte sind identisch strukturiert; sie bestehen aus jeweils vier Strophen zu je acht Versen aus jambischen F#nfhebern.88 Der Zyklus wirkt somit nicht zuletzt in formaler Hinsicht sehr geschlossen und kann seinen Leser leicht #ber die unterschiedliche Entstehungszeit der Gedichte hinwegt%uschen. Im Folgenden soll gezeigt werden, wie George die Poetik des Zeitgedichts in konkreter intertextueller Bezugnahme auf Dante ausformuliert und sich damit an der Grenze zwischen Medi%valismus und Renaissancismus positioniert:

Gegenbilder. S. 41, sowie die Literaturhinweise bei Aurnhammer: Zeitgedichte. S. 342. 87 Eine solche Deutung steht im Einklang mit der neueren Forschung zu George; so schl%gt etwa Jan Andres eine vermittlende Position zwischen den beiden Thesen von Kontinuit%t und Bruch vor (Andres: Gegenbilder). 88 Aurnhammer bestimmt die Zeitgedichte formal als „antikisierende Stanzen“ und begr#ndet dies mit dem Hinweis auf die Reimlosigkeit, die unregelm%ßige Kadenzierung und die Variation des jambischen Versmaßes durch Doppelsenkungen (Aurnhammer, Achim: ,Der Preusse‘. Zum Zeitbezug der ,Zeitgedichte‘ Stefan Georges im Spiegel der Bismarck-Lyrik. In: Stefan George: Werk und Wirkung seit dem „Siebenten Ring“. S. 173 – 196, hier S. 187 f.).

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DANTE UND DAS ZEITGEDICHT Als ich am torgang zitternd niedersank Beim anblick der Holdseligsten · von gluten Verzehrt die bittren n%chte sann · der freund Mitleidig nach mir sah · ich nur noch hauchte Durch ihre huld und durch mein lied an sie: War ich den menschen spott die nie ersch#ttert Dass wir so planen minnen klagen – wir Verg%ngliche als ob wir immer blieben. Ich wuchs zum mann und mich ergriff die schmach Von stadt und reich verheert durch falsche f#hrer… Wo mir das heil erschien kam ich zu hilfe Mit geist und gut und focht mit den verderbern. Zum lohn ward ich beraubt verfehmt und irre Ein bettler jahrelang an fremde t#ren Aufs machtgebot von tollen – sie gar bald Nur namenloser staub indess ich lebe. Als dann mein tr#ber vielverschlagner lauf · Mein schmerz ob unsrer selbstgen%hrten qualen · Mein zorn auf lasse niedre und verruchte In form von erz gerann: da horchten viele Sobald ihr grauen schwand dem wilden schall Und ob auch keiner glut und klaue f#hlte Durchs eigne herz: es schwoll von Etsch bis Tiber Der ruhm zum sitz des fried- und heimatlosen. Doch als ich drauf der welt entfloh · die auen Der Seligen sah · den chor der engel hçrte Und solches gab: da zieh man meine harfe Geschw%chten knab- und greisentons . . o toren! Ich nahm aus meinem herd ein scheit und blies – So ward die hçlle · doch des vollen feuers Bedurft ich zur bestrahlung hçchster liebe Und zur verk#ndigung von sonn und stern. (SW VI/VII, 8 f.)

Georges Spiel mit der Rolle des Dichters Dante zeigt einmal mehr das vielschichtige Potential von Medi%valismen in seinem Werk: Eine direkte historische Bezugnahme auf das Mittelalter ist zun%chst die Wahl dieses Dichters an sich, den George an eine prominente Position innerhalb seines Zyklus’ gesetzt hat, als ersten einer l%ngeren Folge von herausragenden Persçnlichkeiten. Eine weitere Bezugnahme liegt in der Anspielung auf ein Minnes%nger-Ethos in der ersten Strophe, das in der Denkfigur ,ich lebe nur durch sie und durch mein lied an sie‘ sowie in mittelalterlichen Begrifflichkeiten („huld“, „minnen“, „klagen“) anklingt. Schließlich geht die

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Pointe in der vierten Strophe einher mit dem Bezug auf mittelalterliche kosmologische Vorstellungen, die Dantes Divina Commedia aufgenommen hat. In diesem medi%valisierenden Rahmen f#hrt George drei zentrale Anliegen zusammen: Die identifikatorische Selbstbespiegelung in dem großen Dichter des europ%ischen Mittelalters, den er als Pr%figuration seiner selbst versteht und somit zur Engf#hrung der eigenen Erlebnisse und Werkentwicklungen mit denen Dantes heranzieht. Zum anderen findet sich die Vorstellung von grçßter Seelenhçhe und Schmerz als Bedingung dichterischen Schaffens auf hçchstem Niveau. Zum dritten wird mit Dante ein geschichtlicher Durchgang begonnen, der zeigt, wie die grçßten Dichter und K#nstler geradezu gesetzm%ßig von ihren jeweiligen Zeitgenossen missverstanden wurden. Es ist bezeichnend f#r Georges ausnahmslos positive Wertung Dantes,89 dass er dieses Gedicht als historisches Rollengedicht angelegt hat;90 diese Form erlaubte ihm wiederum die )berblendung der eigenen dichterischen Stimme mit der des historischen Vorbilds. Im Vergleich etwa zum Dichtergedicht Frauenlob aus den Sagen f%llt jedoch auf, dass hier nicht nur das Typenhafte hervorgehoben wird, sondern Dante als individuelle Gestalt Form gewinnt. Dieser Effekt ergibt sich aus einem dichten Netz von biographischen Anspielungen, vor allem aber intertextuellen Bez#gen auf Dantes Jugendwerk Vita Nuova und sein Hauptwerk Divina Commedia. Tats%chlich ist Dante der einzige mittelalterliche Dichter, mit dessen Werk sich George intensiv und #ber einen l%ngeren Zeitraum hindurch auseinandergesetzt hat. Einen ersten Zugang fand er vermutlich #ber die Vermittlung der Pr%raffaeliten, konkret #ber Dante Gabriel Rossettis englische )bersetzung der Vita Nuova. 91 Schon in den 1890er Jahren finden sich Spuren einer Dante-Begeisterung in Georges Dichtung.92 Um 89 Wie Paul Gerhard Klussmann festgestellt hat, ist Dante die einzige Persçnlichkeit, die in den Zeitgedichten ausschließlich gelobt wird; alle anderen Gestalten werden lobend und kritisierend zugleich gew#rdigt (Klussmann, Paul Gerhard: Dante und Stefan George. )ber die Wirkung der Divina Commedia in Georges Dichtung. In: Stefan George Kolloquium. Hrsg. von Eckhard Heftrich. Kçln: Wienand 1971. S. 138 – 150, hier S. 139). 90 Dante und das Zeitgedicht ist neben Porta Nigra (SW VI/VII, 16 f.) das einzige Rollengedicht im Zyklus Zeitgedichte. 91 Arrighetti, Anna Maria: Dante · Die Gçttliche Komçdie (SW X/XI). In: Stefan George und sein Kreis. Bd. 1, S. 218 – 238, hier S. 218 f. 92 So stellte George dem Rat f"r Schaffende 1892 ein Motto aus dem Inferno voran (SW XVII, 68). Im Teppich des Lebens z%hlte Dante, antonomastisch als „der

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1900 begann er damit, einzelne Stellen aus Dantes Divina Commedia zu #bertragen. Diese Arbeit sollte ihn #ber Jahrzehnte begleiten und erst 1925 abgeschlossen werden. Insgesamt #bertrug George 50 Ges%nge aus dem Italienischen ins Deutsche, gut die H%lfte der gesamten Commedia. 93 Auf diese )bertragungen soll hier nicht genauer eingegangen werden, denn dazu liegen bereits sehr gute Beitr%ge vor.94 Es gen#gt festzuhalten, dass George Dantes Werk selektiv rezipierte, gem%ß seinen eigenen %sthetischen Vorlieben f#r gestische, zeremonielle und poetologische Szenen sowie sprachlich avancierte, herausfordernde Partien. Dieser selektive Blick zeigt sich auch in Dante und das Zeitgedicht. Das Gedicht ist als lebens- und werkgeschichtlicher R#ckblick angelegt: Die erste Strophe spielt auf Dantes Liebe zu Beatrice und die daraus entstandenen Dichtungen der Vita Nuova an. Die zweite Strophe umschreibt Dantes politisches Engagement und sein Exil. Die dritte Strophe bezieht sich auf die Dichtungen des Inferno aus der Divina Commedia, und die vierte Strophe auf das Paradiso. Alle Strophen sind kontrastiv aufgebaut: Den Taten und Werken des Dichters wird die Resonanz der Mitwelt gegen#bergestellt. Die Abfolge der dramatischen Stationen wird verklammert durch die anaphorische Zeitreferenz zum Strophenbeginn (Als – Als – Doch als), Strophe 2 variiert, indem sie ein Verb mit prozessualer Bedeutung einsetzt („Ich wuchs zum Mann“). Die einzelnen Stationen realisieren unterschiedliche Mçglichkeiten der Dichterexistenz: Dante erscheint als leidenschaftsgetriebener Canzoniere am Tor zum Haus der Florentiner“ umschrieben, zu den „hçchste[n] meister[n]“, die dem lyrischen Ich „trost und beispiel“ waren (SW V, 27). Die Engelserscheinung aus dem Vorspiel findet ihre Entsprechung bei Dante, und die Vergçttlichung Maximins im Siebenten Ring gleicht der Verkl%rung Beatrices zur himmlischen Gestalt (vgl. Oelmann im Anhang von SW VI/VII, 193, und Klussmann: Dante und Stefan George, S. 145). 93 Vgl. Oelmann im Anhang zu SW VI/VII, 193. Zu Auswahl und )bersetzungstechnik von Georges Dante-Umdichtungen siehe Rossi, Francesco: Dante-'bertragungen. In: Stefan George – Werkkommentar. S. 675 – 691; Arrighetti: Dante · Die Gçttliche Komçdie (SW X/XI); Schefold, Bertram: Stefan George als 'bersetzer Dantes. In: Stefan George – Dichtung & Charisma. Amsterdam: Castrum Peregrini 2004. S. 77 – 115, sowie die nicht unumstrittene Studie von Gerd Michels: Die Dante-'bertragungen Stefan Georges. Studien zur )bersetzungstechnik Stefan Georges. M#nchen 1967. 94 Die neuesten Beitr%ge von Franco Rossi und Anna Maria Arrighetti fassen nicht nur die vorliegenden Spezialstudien synthesierend zusammen, sondern bieten wesentliche eigene Akzentuierungen (Rossi: Dante-'bertragungen; Arrighetti: Dante · Die Gçttliche Komçdie (SW X/XI)).

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Geliebten (Str. 1), als politischer K%mpfer und mittelloser Exilant (Str. 2), als vielgereister und zorniger Mahner (Str. 3) und als weltabgewandter K#nder (Str. 4). Dies pr%ludiert die poetischen Rollen, die George selbst in den einzelnen Zyklen des Siebenten Rings einnehmen wird.95 Die erste Strophe stellt die Seelenqualen des jugendlichen Dante in den Vordergrund, dessen intensives Liebesleid ihn zum Gespçtt seiner Mitmenschen macht. Seine durch Leidenschaft bedingte Ruhelosigkeit und Ermattung finden ihre formale Entsprechung in den vielen Enjambements dieser Strophe. George spielt auf Erlebnisse an, die Dante in seiner Vita Nuova geschildert hat: seine Begegnung mit Beatrice (bei George antonomastisch ,Holdseligste‘ genannt), seinen Angsttraum und seine Krankheit („von gluten / Verzehrt die bittren n%chte sann“), die besorgten Freunde („der freund / Mitleidig nach mir sah“) und seine Entscheidung, f#r keine anderen mehr als f#r Beatrice zu dichten.96 Auch der zerr#ttende, lebensbedrohliche Charakter der Liebe ist in der Vita Nuova angelegt. George l%dt diese intertextuellen Referenzen symbolisch auf, indem er das Erlebnis „am torgang“ (V. 1) ansiedelt. Damit bezeichnet George nicht nur die Außenseiterposition des S%ngerdichters, der vor dem Haus der Geliebten seine Lieder singt, sondern spiegelt seine eigene, lebensver%ndernde Begegnung mit dem Gymnasiasten Maximilian Kronberger mit ein, den er

95 Vgl. Oelmann im Anhang zu SW VI/VII, 193. Georges Dante-Verehrung %ußerte sich auch in performativen Praktiken, etwa in den zahlreichen gemalten, modellierten und photographierten Profilbildern, welche Georges physiognomische !hnlichkeit mit Dante hervorheben (vgl. Stefan George in Darstellungen der bildenden Kunst. Ausstellung zum 50. Todestag des Dichters am 4. Dezember 1983. Bingen: Gesellschaft zur Fçrderung der Stefan-George-Gedenkst%tte 1983); 1904 kost#mierte er sich auf einem M#nchner Maskenfest als Dante. Robert Boehringer berichtet von zwei Fotos, die der Maler Richard F. Schmitz am Folgetag aufnahm: „Auf beiden [Fotos] erscheint George als Dante in weissem Gewand und weisser Kappe, mit Lorbeerkranz, begleitet von einem Florentiner Edelknappen – Maximin – der ganz in rot war.“ (Boehringer, Robert: Mein Bild von Stefan George. 2., erg. Aufl. M#nchen: K#pper 1967 (=1 (Textband)). S. 117; Fotos im Tafelteil, S. 87 ff.) Friedrich Gundolf res#mierte: „[I]n Dante fand George das erhabene Gleichnis seines eigenen Berufs und bis ins Kçrperliche hinein der eigenen Art.“ (Gundolf: George. S. 53.) 96 Vgl. Dante Alighieri: Vita nuova/Neues Leben. )bertragen von Sophie Hildebrandt. Kçln, Graz 1957. Der Traum: III. Kapitel, S. 10/11. Die Krankheit: XXIII. Kapitel, S. 76 – 81. Die besorgten Freunde: IV. Kapitel, S. 14, XIV. Kapitel, S. 42/44. Das Dichten f#r Beatrice: XVIII. Kapitel, S. 56.

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zum ersten Mal am M#nchner Siegesbogen gesehen hatte.97 Bekanntlich parallelisierte George Dantes Beatrice-Erlebnis mit seinem eigenen Maximin-Erlebnis.98 Im Gedicht wird Dante zum Gespçtt seiner Zeitgenossen, die nicht #ber dieselbe Sensibilit%t verf#gen und deshalb seine Ersch#tterungen nicht nachvollziehen kçnnen. Am Ende der Strophe wechselt die Sprecherperspektive zum Wir: Dante spricht #ber sich als K#nstler und als Mensch, der stellvertretend f#r die ganze Menschheit #ber die conditio humana nachsinnt: „wir / Verg%ngliche als ob wir immer blieben“. Damit ist erstmals die Relation zwischen Verg%nglichkeit und Ewigkeit angesprochen, die in den folgenden Strophen weiter variiert wird. Die Unsterblichkeit ist im Modus des „als ob“, mithin im Modus der Fiktionalit%t und des Imaginativen mçglich (im „planen minnen klagen“). Georges Spiegelung in Dante entspricht das spiegelbildliche Verh%ltnis der beiden Gedichte Das Zeitgedicht (SW VI/VII, 6 f.) und Dante und das Zeitgedicht (SW VI/VII, 8 f.). Im autofiktionalen Das Zeitgedicht spricht das lyrische Ich in der ersten Strophe davon, dass seine Zeitgenossen es f#r einen Z%rtling, einen „salbentrunknen prinzen“ hielten (SW VI/VII, 6). Ebenso wird bei Dante das ersch#tterbare, feinere Nervenkost#m hervorgehoben. Die zweite Strophe von Dante und das Zeitgedicht f#hrt Dantes Schicksal als Politiker vor Augen. Die Verbindung zur ersten Strophe stellt sich #ber die Emotionen her: Statt von Liebe ist Dante jetzt von moralischer Entr#stung ersch#ttert („mich ergriff die schmach / Von stadt und reich verheert durch falsche f#hrer…“). Die seelischen Ersch#tterungen erf%hrt Dante nun als %ußere Ersch#tterungen am eigenen Lebenslauf. Auch in dieser zweiten Strophe von Dante und das Zeitgedicht spiegelt sich die zweite Strophe von Das Zeitgedicht, wo von %ußeren Widersachern („des feindes haus“) und „einer ganzen jugend rauhen werken“ die Rede ist (SW VI/VII, 6). Schlaglichtartig ruft George einige Begebenheiten aus Dantes Leben auf: Dantes Kampf gegen die Ghibellinen, gegen die er sowohl in seiner politischen Schrift De Monarchia als auch unter Einsatz seines persçnlichen Besitzes Widerstand leistete („Mit geist und gut und focht mit den verderbern“); die Konfiszierung seines Hauses in Florenz, seine Verurteilung zum Tode und seine Verbannung aus Florenz, die ihn zum mittellosen Exilanten machte („Zum lohn ward ich beraubt verfehmt 97 Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 218. Vgl. Vorrede zu Maximin. In: Tage und Taten (SW XVII, 62) und SW IX, 39: „Ein tor-gang hallte von ersehntem schritte“. 98 Klussmann: Dante und Stefan George. S. 145.

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und irre / Ein bettler jahrelang an fremde t#ren“). Neben diesen konkreten Referenzen auf historische Verl%ufe unterliegt Dante einer Stilisierung zum k%mpfenden M%rtyrer f#r die gute Sache („heil“) sowie zu einer Art Odysseus, der rastlos durch die Welt irrt (tats%chlich dichtet Dante in seiner Divina Commedia unter anderem #ber Odysseus’ Irrfahrten). Ebenso wie die Irrende Schar in den Sagen erh%lt auch Dante keinen Dank f#r seinen Einsatz. Dieses Verh%ltnis zwischen Held und verst%ndnisloser Welt ist die Voraussetzung f#r die folgende Pointe, die durch ihre Position am Ende der zweiten Strophe, genau in der Mitte des Gedichts, stark betont ist – Dante triumphiert am Ende #ber seine Feinde: „sie gar bald / Nur namenloser staub indess ich lebe“ (V. 15 f.). Die Abw%gung zwischen Verg%nglichkeit und Unsterblichkeit vom Ende der ersten Strophe hat sich nun in Richtung Unsterblichkeit verlagert, denn durch sein Werk kann Dante aus der Perspektive eines ewig Gegenw%rtigen sprechen. Die dritte Strophe leitet in den Bereich der Poetik #ber, indem sie darstellt, wie erlittener Schmerz und Zorn im Kunstwerk aufgehoben wird. In Anspielung auf Horaz wird das Kunstwerk metaphorisch als „erz“ bezeichnet.99 In seiner Dichtung kann Dante seine Zeitgenossen f#r die Ewigkeit moralisch verurteilen, indem er sie als „lasse niedre und verruchte“ in die Hçllenkreise oder in das Fegefeuer verbannt, in Inferno und Purgatorio seiner Divina Commedia. Die Hçlle wird durch Anspielung auf Teufelsklaue und Hçllenbrand evoziert („glut und klaue“). Diese Dichtungen machten Dante in Italien ber#hmt. Georges Gedicht behauptet jedoch, dass dieser Ruhm auf einem falschen Verst%ndnis beruht: Nicht nur verkennen die Zeitgenossen die gegen sie gerichtete Kritik, sie f#hlen auch nicht „Durchs eigne herz“. Ihr Lob bleibt %ußerlich, der Ruhm wird dadurch entwertet. In den Begriffen „erz“ und „schall“ klingt die Wendung aus dem ersten Korintherbrief an: „Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und h%tte der Liebe nicht, so w%re ich ein tçnend Erz oder eine klingende Schelle.“ (1. Kor, 13). George wendet diese Aussage gegen das Publikum: Dantes Rezipienten fehle die Liebe, die innere Bewegtheit, genau wie es den Mitmenschen in der ersten Strophe an Ersch#tterungsf%higkeit mangelte. Dantes #berlegene Geistesgrçße kommt in den beiden Schlussversen dieser Strophe auch r%umlich zum Ausdruck, 99 Dieser Vergleich des Kunstwerks mit Erz geht auf Horaz zur#ck (Exegi monumentum aere perennius; Carmina 3, 30 – „Ich habe mir ein Denkmal gesetzt, dauernder als Erz.“). George verwendet dieses Bild mehrfach, bspw. „der g#ldnen alter erzgebild“ (SW IX, 17) und „Die ihr in fleisch und erz / muster dem menschentum geformt“ (SW IX, 13).

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indem evoziert wird, der Ruhm steige wie ein Wasserpegel zu seinem Aufenthaltsort: „es schwoll von Etsch bis Tiber / Der ruhm zum sitz des fried- und heimatlosen“. Zugleich ist die geographische Konkretisierung aufschlussreich, denn mit der „Etsch“ f#hrt George den Wirkungskreis von Dantes Dichtungen so weit wie mçglich an die Grenzen des sp%teren Deutschlands heran. Darin deutet sich bereits die Vereinnahmung Dantes als Bestandteil des deutschen Kulturerbes an, wie sie im George-Kreis sp%ter betrieben werden sollte.100 In der vierten und letzten Strophe l%sst George Dante die Wahrnehmung seines Werks durch die Zeitgenossen korrigieren, welche die Dichtungen des Paradiso in der Divina Commedia gegen#ber den ger#hmten Hçllenschilderungen abwerteten („da zieh man meine harfe / Geschw%chten knab- und greisentons… o toren!“). Die besondere Empfindungsf%higkeit des Dichters, die bereits in den ersten beiden Strophen hervorgehoben worden war, erscheint nun gesteigert als F%higkeit zur Schau und zum Hçren #berirdischer Welten („als ich drauf der welt enfloh · die auen / Der Seligen sah · den chor der engel hçrte“). Dante erkl%rt, zur Beschreibung der Hçlle habe er nur eines irdischen, profanen Feuers bedurft („aus meinem herd ein scheit“). Aber zur Beschreibung der „hçchste[n] liebe“ sei mehr erforderlich, n%mlich das ganze Himmelsfeuer – hierin scheint noch Dantes mittelalterliche Vorstellung vom Himmel als Empyreum, als Sph%re des Feuers und des Lichts und Wohnst%tte der Seligen durch. Diese Einsch%tzung entspricht wiederum Georges eigener Poetik: Das Positive sei ein w#rdigerer Gegenstand f#r die Dichtung als das Negative.101 George variiert am Ende dieser Strophe ein direktes Zitat aus der Divina Commedia, n%mlich deren Schlussvers: „L’amor que muove il sole e l’altre stelle“.102 Dies veredelt das Rollengedicht, indem ein fast authenti100 Einen %hnlichen Aneignungsprozess stellt Anders Kristian Strand f#r Georges Baudelaire-)bertragungen fest: George selbst bezeichnete sie als „deutsches denkmal“. Strand konstatiert, die )bertragungen fungierten „wie eine Art Bildungsprozeß“ (Strand, Anders Kristian: „Lebst du?“ Studien ausgew%hlter Texte aus dem )bersetzungswerk Stefan Georges und Rainer Maria Rilkes. Diss. Universit%t Bergen 2008. S. 304 ff.). Ganz wie die Bildungswelten der Vergangenheit sind auch die zeitgençssischen, aber fremden Kulturen Bildungswelten, die einer reflektierenden Aneignung offenstehen. 101 Arrighetti sieht dies als einen Hinweis auf „die enge Verkn#pfung zwischen gehobener Dichtung und Preisen“ sowie „die bereits vom stilnovistischen Dante gezogene Verbindung zwischen vollkommener Liebe und Seelenadel“ (Arrighetti: Dante · Die Gçttliche Komçdie (SW X/XI). S. 225 f.). 102 Zitiert nach: Kommentar zu SW VI/VII, 201.

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sches Sprechen Dantes simuliert wird. Zudem gleicht George dadurch sein Gedicht der Divina Commedia an und signalisiert die )berlagerung der beiden dichterischen Stimmen. Vor allem aber zeigt dieser intertextuelle Bezug Georges Umdeutung: Dantes Vers zeigt die Liebe als treibende Kraft, die Sonne und Sterne bewegt – dem liegt die christlich-mittelalterliche Vorstellung von Gott als primus motor zugrunde, der durch seinen Willen die Welt bewegt. George hingegen verschiebt den Schwerpunkt auf die poetisch-%sthetische Darstellung, indem er die „bestrahlung“ und die „verk#ndigung“ in den Mittelpunkt stellt. Die offene Syntax dieser Schlussverse l%sst mehrere Lesarten von „verk#ndigung“ zu. Man kann es als „verk#ndigung von sonn und stern“ lesen; sinnvoller erscheint jedoch, die Konstruktion „des vollen feuers“ und „von sonn und stern“ als Hyperbaton zu verstehen, so dass der Satz im Sinne von ,des vollen feuers von sonn und stern bedurft ich zur bestrahlung und verk#ndigung hçchster liebe‘ zu verstehen ist. Damit stehen die drei Kernbegriffe ,bestrahlung‘, ,verk#ndigung‘ und ,hçchste liebe‘ im Zentrum des Gedichts.103 Georges Spiegelung in Dante erreicht in dieser Strophe ihren Hçhepunkt. Die Formulierung „zieh man meine harfe / Geschw%chten knabund greisentons“ greift intertextuell die Vorstellung von „eines knaben stillem flçtenlied“ aus dem Schlussvers von Das Zeitgedicht wieder auf (SW VI/VII, 7). Die in Dante und das Zeitgedicht gezeigten Publikumsreaktionen auf die angedeutete Werkentwicklung von Liebesdichtung, politischer Dichtung, Zeitkritik in der Hçllendichtung und vision%rer Schau ,hçchster Liebe‘ spiegelt umgekehrt die Werkentwicklung, die Das Zeitgedicht autofiktional in Bezug auf Georges Werk schilderte.104 Eine der

103 Rossi sieht in dieser Strophe Georges „Reduktion des gesamten Zeichensystems der Komçdie auf wenige essenzielle Sinnbilder“ exemplifiziert (Rossi: Dante-'bertragungen. S. 678). 104 W%hrend Dante f#r seine #berirdische Liebesdichtung eines „knaben- und greisentons“ gescholten wird, wurde George f#r sein %sthetizistisches Fr#hwerk f#r einen „erdenferne[n]“ Z%rtling gehalten (Das Zeitgedicht). Den Aufruhr im Jugendwerk nahm das Publikum nicht wahr (ebd. Str. 2). Georges Liebesdichtung, die in Anspielung auf den Venusberg („wunderberge“) als verf#hrerische Dichtung gekennzeichnet wird, fand so großen Anklang, dass die Epigonen ihm nacheiferten („Nun da schon einige arkadisch s%useln“). Die neue kulturkritische Dichtung, die mit dem Siebenten Ring einsetzt, h%lt das Publikum f#r minderwertig („solche hoheit stieg herab!“) – vielmehr greift George diesem Vorwurf hier poetisch vor. Der Dichter inszeniert sich als Anf#hrer („schmetternd f#hrt er wieder ins gedr%ng“). George selbst h%lt allerdings seine apokalyptische Dichtung f#r nur eine Facette seines Werkes. Das Zeitgedicht behauptet: Ich bin der Fels, immer gleich in

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wichtigsten Spiegelungen besteht auch darin, dass Dante die Wahrnehmung seines Werkes durch die Zeitgenossen korrigiert. Damit berichtigt George zugleich die Wahrnehmung von Dantes Werk durch seine eigenen Zeitgenossen um 1900, die ebenfalls das Inferno hçher wertsch%tzten als Purgatorio und Paradiso. 105 Indem George hier eine gemeinsame Opposition gegen den jeweiligen Zeitgeist konstruiert, unterstellt er eine Art Seelenverwandtschaft mit Dante, die zugleich auch eine Vorgabe f#r die Rezeption der eigenen Dichtung darstellt: K#nstler, so der Subtext von Dante und das Zeitgedicht, kçnnen nur von derselben Seelenhçhe aus richtig verstanden werden. Im darauffolgenden Zeitgedicht Goethe-Tag wird in Abgrenzung dazu von der Masse die Rede sein, die „Nicht hçhen kennt die seelen-hçhen sind“ (SW VI/VII, 10). Die Zeitgedichte zeigen die Diskrepanz zwischen der Seelenhçhe des K#nstlers und der Niedrigkeit seiner Zeitgenossen, die dem K#nstler mit Unverst%ndnis begegnen oder ihn aus den falschen Gr#nden verehren. Das Gedicht Die tote Stadt (SW VI/VII, 30 f.) visualisiert den Gedanken der Seelenhçhe und der niedrigen Masse auch konkret r%umlich: Die geographische Hçhe, die Oberstadt, war die Wohnst%tte f#r diejenigen, die Geisteshçhe besaßen; in der Gegenwart achtet man nicht mehr auf ihre Andachtsbilder, die Heutigen in der Unterstadt sind unverst%ndig – aber, so prophezeit das Gedicht, es wird der Tag kommen, an dem die Unteren flehend zu den Oberen kommen und abgewiesen werden. In diesem Gedicht wird die Stadt personalisiert – die Stadt hat sich nicht ver%ndert, nur das Neue um sie herum – genau wie die großen Persçnlichkeiten, die sich jeweils ver%nderten Gegenwarten gegen#bersehen. Georges Einspiegelung in Dante ergibt sich also zum einen aus den Dichterrollen, die Dante zugeschrieben werden und die George selbst in den verschiedenen Zyklen des Siebenten Rings einnehmen wird;106 zum anderen aus der Parallele von Beatrice und Maximin, den literarischen Figurationen der ,hçchsten Liebe‘; zum dritten aus der Publikumsbewertung von kritisch-negativer Zeitdichtung und #berirdischer Liebesdichtung; zum vierten aus der Verkennung der Seelenqualen des K#nstlers durch das Publikum. Zudem reklamiert George f#r sich, Dante besser zu meiner Feinsinnigkeit, egal in welcher S%ngerrolle – nur wechselnde Zeiten finden Geschmack an meiner Dichtung oder nicht. 105 Hçlter, Eva: „Der Dichter der Hçlle und des Exils“. Historische und systematische Profile der deutschsprachigen Dante-Rezeption. W#rzburg 2002. S. 141 und 116; vgl. Hildebrandt, Kurt: Das Werk Stefan Georges. Hamburg 1960. S. 236; Klussmann: Dante und Stefan George. S. 138 f. 106 Vgl. Oelmann im Anhang zu SW VI/VII, 193.

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verstehen als seine Zeitgenossen – n%mlich aus derselben vertieften Empfindungs- und Leidensf%higkeit und derselben Seelenhçhe heraus. Dem Gedicht liegt ohnehin ein elit%rer, aristokratischer Gestus zugrunde, der die Reaktionen der Masse auf das eigene Werk f#r unerheblich erkl%rt, da diese Masse nicht in der Lage sei, das Werk mit dem Herzen zu verstehen. Insofern liest sich Dante und das Zeitgedicht wie ein Pl%doyer f#r eine Poetik, die sich nicht aus einer Verst%ndigungsabsicht mit dem Publikum her begr#ndet. Diese Problematik behandelte Das Zeitgedicht mit Anspielung auf Georges eigenes Werk. Die Verdopplung und Verst%rkung dieser Aussage durch die Rollenrede des grçßten Dichters des europ%ischen Mittelalters ist damit auch eine Autorisierungsstrategie. Zus%tzlich erhellen l%sst sich Georges Sicht auf Dante und dessen Stellung zwischen Mittelalter und Renaissance, wenn man Georges !ußerungen gegen#ber Edith Landmann heranzieht. Im Jahre 1916 sprachen die beiden recht ausf#hrlich #ber Dante.107 Aus Landmanns Aufzeichnungen wird deutlich, dass George sich aus einer empfundenen Wesensgleichheit mit Dante dazu bef%higt sah, diesen richtig erkennen zu kçnnen. In Dante sah George etwas „Antimodernes“, das er auf das Schlagwort „Bindung“ brachte und sich implizit selbst als Eigenschaft zuschrieb.108 Von einer identifikatorischen Ann%herung an Dante als kongenialen Vorfahren zeugt auch Georges Aussage, ihn interessiere an Dante vor allem die große geistige Wirkung, die er auf andere wichtige Denker seiner Zeit ausge#bt habe. In diesen Aussagen wird eine Herangehensweise an geschichtliche Persçnlichkeiten deutlich, die f#r die Wissenschaftskonzeption des George-Kreises charakteristisch ist. Wie Maximilian Nutz gezeigt hat, werden dabei Erkenntnisse als „Resultat eines esoterischen Wissens“ pr%sentiert, „das sich scheinbar nur einer personalen Qualit%t (,Seinshçhe‘) erschließt“.109 Aus dieser vorausgesetzten gemeinsamen ,Seinshçhe‘ mit Dante heraus betonte George an ihm st%rker die Bez#ge zur Antike als den mittelalterlichen Hintergrund, stellte Dante mithin eher auf die Seite der Renaissance. Das Mittelalter setzte George mit dem Christentum gleich und schlussfolgerte daraus: „Das Mittelalter hat keinen Dichter. Es konnte keinen Dichter haben – warum? Weil es keinen christlichen Dichter gibt. 107 Landmann: Gespr#che mit Stefan George. S. 41 f. 108 Maximilian Nutz untersucht, inwiefern sich der George-Kreis mit Vorliebe antimoderner Begriffe und Analogien bediente, um seine Kritik an der modernen, b#rgerlichen Gesellschaftsordnung zu artikulieren (Nutz, Maximilian: Werte und Wertungen im George-Kreis. Zur Soziologie literarischer Kritik. Bonn: Bouvier 1976. S. 131 f.). 109 Ebd. S. 70.

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Man kann nicht christlich dichten. Wenn man dichtet, ist man kein Christ. Dichten ist eine unchristliche Aktion. Dabei bleibts.“110 Die Abwertung der mittelalterlichen Dichtung begr#ndete George auch mit der stereotypen Annahme, es habe von der Zeit Karls des Großen bis zu Dante keine Individualit%t gegeben.111 !hnliches %ußerte George gegen#ber Berthold Vallentin: Dante sei „der erste europ%ische Dichter“ gewesen, denn erst durch die Entdeckung des Menschen und der Sprache sei „Dichtung mçglich geworden“112 – die Minnes%nger seien „keine urspr#nglichen Dichter“113 gewesen. Diese Aussagen Georges zeigen ein recht schematisches Denken in Gegens%tzen von Antimoderne und Moderne, Mittelalter/ Christentum und Renaissance/Individualit%t/Dichtung, verbunden mit einer tendenziellen Abwertung der mittelalterlichen Dichtung. Georges Verh%ltnis zum Mittelalter ist also ambivalent – einerseits nutzt er es als Imaginationsraum und Gegenentwurf zur Gegenwart, andererseits verweigert er sich dem zeitgençssischen Mittelalterenthusiasmus und dem ideologischen Versuch, die eigene Gegenwart eindimensional aus einer historischen Kontinuit%t heraus zu begr#nden. Vielmehr #bertrifft George dieses identifikatorische Ansinnen noch dadurch, daß er mit Dante eine mittelalterliche Figur w%hlt, die sich, wie er selbst, in Opposition zu ihrer eigenen Zeit befindet. Auf diese Weise wird ein #berzeitlicher Zusammenhang hergestellt, der sich den herkçmmlichen Gegens%tzen von Moderne und Antimoderne entzieht und das Mittelalter als Spielfeld und Projektionsfl%che sowohl moderner als auch antimoderner Impulse zu nutzen weiß. 3.3.2 Kaiser und Reich: !sthetische R#ckeroberung Im Teppich des Lebens hatte George erstmals die Namen von Kaisern aus dem Mittelalter evoziert; aber erst im Siebenten Ring erhielten solche Bezugnahmen eine direkt politische Ausrichtung. George beleuchtete bestimmte Momente der deutschen Geschichte und entwarf Visionen von mittelalterlichem Kaisertum und mittelalterlichen Reichen, die seiner ei110 Landmann: Gespr#che mit Stefan George. S. 42. 111 Ebd. S. 65; vgl. Gundolfs Abwertung des Minnesangs als rein gesellschaftlichkonventionelle Dichtung (Gundolf: George. S. 110). 112 Vallentin: Gespr#che mit Stefan George. S. 56. 113 Gespr%ch vom 7. Dezember 1921 in Berlin (Vallentin: Gespr#che mit Stefan George. S. 55).

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genen Zeit diametral entgegengesetzt waren. Damit etablierte er einen neuen Kanon von Helden und Ereignissen, der zugleich eine Revision des Wilhelminischen Kanons darstellte. Vor allem aber richtete sich Georges Kritik auf die Formen der Ged%chtnis- und Erinnerungskultur des Kaiserreichs. Hier konnte er selbst ansetzen und Alternativen pr%sentieren. Das neunte Zeitgedicht Die Gr#ber in Speier markiert einen Hçhepunkt der dichterischen Evokation mittelalterlichen Kaisertums; es ist eines von Georges folgenreichsten Gedichten, indem es die Grundlage f#r den Stauferkult des George-Kreises in den 1920er Jahren bildete.114 Es reagiert auf ein zeitgeschichtliches Geschehnis, n%mlich die im Jahre 1900 vorgenommene .ffnung und wissenschaftliche Untersuchung der im Speyrer Dom befindlichen Herrschergr%ber (vgl. Abb. 7). George las dar#ber in der Zeitung, und in seinem Nachlass hat sich sogar noch ein Artikel erhalten – dieser berichtet von dem Beschluss, dass die Leichen nicht an den urspr#nglichen Pl%tzen wiederbestattet werden sollten und man die „bei den Leichresten aufgefundenen Gegenst%nde von geschichtlicher oder kunstarch%ologischer Bedeutung“ in einem gesonderten Raum aufbewahren wolle.115 Als George im Herbst des Jahres 1902 gemeinsam mit seinem j#ngeren Freund Friedrich Gundolf den Dom besuchte, schickte er von dort eine Postkarte an Karl Wolfskehl.116 George unterschrieb mit „STEFANUS FRIDERICUS“,117 was einerseits eine private, scherzhafte Anspielung auf das lateinische Mittelalter darstellt,118 andererseits als ein typisches Beispiel f#r kulturellen Praktiken einer b#rgerlichen Gelehrtenkultur gelten kann, die neben ernsthaften Besch%ftigungen mit ihrem jeweiligen Gegenstand auch Unernstes wie Parodien, karnevalesken Ulk, Kost#mierungen und das Spiel mit Rollen und Medien einschloss. Die folgende Analyse soll dar#ber Aufschluss geben, inwiefern sich in Die Gr#ber in Speier ein kulturkritischer Medi%valismus manifestiert und welche Formen der Erinnerungskultur George vorf#hrt:

114 115 116 117

Vgl. Raulff: Kreis ohne Meister. S. 116. Zeitungsnotiz aus der Kleinen Presse vom 24. Januar 1901 (Stefan-George-Archiv). Vgl. Anhang SW VI/VII, 205. George, Stefan, Friedrich Gundolf: Briefwechsel. Hrsg. von Robert Boehringer. M#nchen: K#pper 1962. S. 121. 118 Diese Unterschrift l%sst offen, ob damit ,Stefan‘ (George) und ,Friedrich‘ (Gundolf ) gemeint waren oder ob es sich um eine spielerische Identifikation Georges mit Kaiser Friedrich II. handelte.

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Abb. 7: .ffnung der Kaisergr%ber im Dom zu Speyer vom 16. August bis zum 1. September 1900, hier: kurz vor dem Requiem zur Wiederbeisetzung am 3. September 1900, Fotograf Jakob Schrçck (1861 – 1942), Scan und Retusche: Peter Haag-Kirchner, Inventarnr. Glasplattennegativ GPN_07111, Historisches Museum der Pfalz – Speyer.

DIE GR!BER IN SPEIER Uns zuckt die hand im aufgescharrten chore Der leichensch%ndung frische tr#mmer streifend. Wir m#ssen mit den tr%nen unsres zornes Den raum ents#hnen und mit unserm blut Das alte blut besprechen dass es hafte · Dass nicht der Sp%tre schleicht um tote steine Beraubte tempel ausgesognen boden . . Und der Erlauchten schar entsteigt beim bann: Des weihtums gr#nder · strenge kronenstirnen · Im missgl#ck fest · in busse gross: nach Konrad Der dritte Heinrich mit dem st%rksten zepter – In w%lschen wirren · in des sohnes aufruhr Der Vierte reichsten schicksals: haft und flucht ·

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Doch wer ihn wegen sack und asche hçhnte Den schweigt er stolz: der orte sind f#r euch Von schm%hlicherem klange als Kanossa. Urvater Rudolf steigt herauf mit sippe · Er sah in seinem haus des Reiches pracht Bis zu dem edlen Max dem lezten ritter · Sah tiefste schmach noch heut nicht heiler wunde Durch mçnchezank empçrung fremdengeissel · Sah der jahrtausendalten herrschaft ende Und nun die grausigen blitze um die reste Des stamms dem unsre treue klage gilt. Vor allen aber strahlte von der Staufischen Ahnmutter aus dem s#den her zu gast Gerufen an dem arm des schçnen Enzio Der Grçsste Friedrich · wahren volkes sehnen · Zum Karlen- und Ottonen-plan im blick Des Morgenlandes ungeheuren traum · Weisheit der Kabbala und Rçmerw#rde Feste von Agrigent und Selinunt. (SW VI/VII, 22 f.)

Anders als in anderen Zeitgedichten werden die Geistesgrçßen nicht sofort als Lebendige vorgestellt, die selbst von ihrem Leben und Werk Zeugnis geben, sondern sie m#ssen zuerst von den Toten heraufbeschworen werden. Das poetische Sprechen wird magisch aufgeladen, erscheint als performativer Akt der Reinwaschung nach dem Grabfrevel und der Wiederherstellung der verletzten Aura. Nach der Exposition in der ersten Strophe, welche das lyrische Wir im Chor des Speyrer Doms verortet, evozieren die folgenden Strophen das salische, habsburgische und das staufische Herrschergeschlecht. Die apostrophierten Herrscher aus der deutschen Geschichte werden doppelt emporgeholt, zuerst nur als stumme Relikte, als Leichenreste; erst die Beschwçrung l%sst die Kaiser als Personen der Geschichte, als „eine schar von erlauchten“ wiedererstehen. Das Zucken der Hand verr%t und visualisiert zugleich die affektive Ersch#tterung des Wir. Die Hand zuckt beim Streifen der „frische[n] tr#mmer“, eine Geste, die eine religiçse Praxis anklingen l%sst – das Ber#hren von Steinen oder anderen Gegenst%nden an heiligen Orten, zum Beispiel an Aufbewahrungsorten von Reliquien oder Gr%bern von Heiligen. Zugleich ist das Zucken am ehesten als ein Zur#ckzucken zu verstehen wie beim unbeabsichtigten Kontakt mit Unreinem. Dass diese Tr#mmer frisch sind, gehçrt mit zum Eindruck des Unstatthaften – an diesem Ort, dem heiligsten Platz innerhalb des Domes, sollten die alten Kaisergr%ber

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auratisch und w#rdevoll an der Heiligkeit des Ortes Anteil haben, sollte die tausendj%hrige deutsche Geschichte mit H%nden zu greifen sein. Die Vorsicht und Ehrfurcht, die in der streifenden Ber#hrung liegt, steht in krassem Kontrast zur Piet%tlosigkeit und Rohheit des Aufscharrens, der als solcher verurteilten Leichensch%ndung.119 George f#hrt die Tilgung dieses Frevels (Ents#hnung) mit der Totenbeschwçrung in einem Akt zusammen und gestaltet dies sprachlich als ein beziehungsreiches Spiel mit Verweisen auf christliche Vorstellungen von S#nde und Reinigung, damit zusammenh%ngende esoterische Imaginationen, lieux de memoire aus der Nationalgeschichte und, vor allem, intertextuellen Verweise auf %lteste deutsche Literaturdenkm%ler. Mit ihren Tr%nen mçchte das Wir den Ort reinwaschen und ents#hnen.120 Syntaktisch offen gehalten ist der Bezug von „und mit unserm blut“. Einerseits kann man dies zu den Tr%nen stellen – dann liest sich der Satz als Verweis auf klassische christologische Vorstellungen, denen zufolge S#nde oder Schuld durch Blut und Tr%nen getilgt werden kann. Andererseits kann man „und mit unserm blut“ zum Folgenden stellen; dann ergibt sich eine durch Enjambement auf Versende und Versanfang zerteilte Epanalepsis – „mit unsrem blut / Das alte blut“ –, welche die sakralisierten Kçrpers%fte in Kontakt setzt. Der wichtigste literarische Bezug liegt hingegen in intertextuellen Verweisen auf die Merseburger Zauberspr"che, und zwar zun%chst einmal in Form von #bernommenem Wçrtern: Georges „mit unserm blut / Das alte blut besprechen dass es hafte“ aktualisiert das „haften“ des Ersten Merseburger Zauberspruches, welches dort von zentraler Bedeutung ist: Einstens saßen Idisen saßen hierherum dortherum · Manche Hafte hefteten manche Heere schl%ferten · 119 In der Wortwahl ,scharren‘ klingt Nietzsches Klage #ber die antiquarisch-positivistische Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts an, die seiner Ansicht nach ein „widriges Schauspiel einer blinden Sammelwuth, eines rastlosen Zusammenscharrens alles einmal Dagewesenen“ biete (Nietzsche: Unzeitgem#ße Betrachtungen. S. 268). 120 Dazu die metapoetisch r#ckblickenden Verse im letzten Gedicht des Zyklus Zeitgedichte: „Ich sah die nun jahrtausendalten augen / Der kçnige aus stein von unsren tr%umen / Von unsren tr%nen schwer […]“ (SW VI/VII, 33). Der imaginative Aspekt des Medi%valismus kommt hier pr%gnant zum Ausdruck: Die Tr%nen des lyrischen Wir f#llen die Augen der steinernen Statuen, das lyrische Wir projiziert seine Tr%ume auf sie; #ber das Schauen und die Augen verschmelzen Betrachter und Statue miteinander.

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Manche umklaubten die klammernden Schn#re: Entspring den Haftbanden · entfahr den Feinden!121

Das Besprechen in Verbindung mit Blut und der Denkfigur „Blut zu Blut“ rufen den Zweiten Merseburger Zauberspruch auf: […] Da beschwor ihn Wodan der es wohl konnte: Wie die Beinrenke · so die Blutrenke · So die Gliedrenke: Bein zu Beine · Blut zu Blute Glied zu Gliede · wie wenn sie geleimt sein’n!122

Zudem weckt die Kombination von ,Besprechen‘ und ,Blut‘ unweigerlich Assoziationen an #berlieferte mittelalterliche Blutsegen, die eine blutenden Wunde „versegnen“, das heißt die Blutung stillen sollten. Die Merseburger Zauberspr"che m#ssen George bekannt gewesen sein. Bereits ein Jahr nach ihrer Auffindung 1841 erschien die editio princeps durch Jacob Grimm: 'ber zwei entdeckte gedichte aus der zeit des deutschen Heidentums. 123 Sie wurden immer wieder in Anthologien fr#her deutscher Literatur aufgenommen, unter anderem in Wilhelm Braunes Althochdeutsches Lesebuch, das erstmals 1875 erschien und bis heute viele weitere Auflagen erlebte.124 Vor allem aber hatte George in den Jahren um 1900 das Projekt verfolgt, zusammen mit Karl Wolfskehl eine Anthologie %lterer deutscher Dichtungen herauszugeben.125 Dies wurde von Wolfskehl allein #bernommen und umgesetzt. Die Merseburger Zauberspr"che sowie der Straßburger und Millst#dter Blutsegen fanden Eingang in die zweisprachige Ausgabe !lteste Deutsche Dichtungen, die Wolfskehl zusammen mit Friedrich von der Leyen herausgab (1909).126 Julia Zernack verweist in Zusammenhang mit 121 Zitiert nach Karl Wolfskehl u. Friedrich von der Leyen (Hrsg.): !lteste Deutsche Dichtungen. 2. Aufl. Leipzig: Insel 1920 (1. Aufl. 1909). S. 27. Im Original lautet der Spruch: „Eiris sazun idisi · sazun hera duoder · / suma hapt heptidun · suma heri lezidun · / suma clubodun umbi cuonio uuidi · / insprinc haptbandun · inuar uigandun“ (ebd. S. 26). 122 Zitiert nach ebd. S. 29. Der althochdeutsche Text lautet: „[…] thu biguolen Uuodan · so he uuola conda · / sose benrenki · sose bluotrenki · / sose lidirenki · / ben zi bena · bluot zi bluoda · / lid zi geliden · sose gilimida sin · “ (ebd. S. 28). 123 In: Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 1842/1865. S. 1 – 29 (= Kleinere Schriften, Bd. II). 124 Braune, Wilhelm: Althochdeutsches Lesebuch. Halle, Saale: Niemeyer 1875. Acht Auflagen bis 1921, dann fortgef#hrt von Karl Helm und Ernst A. Ebbinghaus. 125 Vgl. Kap. 3.1. 126 Leipzig: Insel, 1909. Vgl. 2. Aufl. 1920. S. 26 – 35.

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Georges Gedicht Der Krieg (1917, aufgenommen in Das Neue Reich (1928)) auf seine Kenntnis der Merseburger Zauberspr"che und die wissenschaftlichen Deutungen, die ihm Karl Wolfskehl vermitteln konnte.127 George #bernimmt mit dem „haften“ nicht dessen Kontext im Ersten Merseburger Zauberspruch, n%mlich den Sinn des Lçsezaubers, sondern er ruft mit dem zentralen, in diesem Zauberspruch dreimal abgewandelt wiederholten Wortstamm (hapt – heptidun – haptbandun) den Klang der alten Formel auf, l%sst aber wie so oft die genaue Bedeutung offen – man kann es im Sinne von „(das Blut) stillen“, aber auch von „verkleben, verbinden“ lesen. Die Allusion auf den Zweiten Merseburger Zauberspruch ist deutlich: „Blut zu Blute […] wie wenn sie geleimt sein’n“. Der Unterschied liegt freilich darin, dass die „Blutrenke“ ein Individuum betrifft, dessen wichtigster Kçrpersaft aus dem Gleichgewicht geraten ist und sich „verrenkt“ hat, ver%ndert, aufgeteilt, ohne dass die Teile sich wieder in richtiger Weise verbinden w#rden – das soll der Spruch bewirken. Bei George geht es um die Verbindung des jungen mit dem alten Blut, lebendige Memoria #ber Generationen hinweg, Teilhabe des Volkes am Kçnigsheil, die Anbindung der Gegenwart an die Vergangenheit und die Heilung der Wunde, die geschichtsvergessenes Banausentum der ehrw#rdigen Tradition geschlagen hat. Letzterer Aspekt wird durch die Assoziation mit den #berlieferten Blutsegen zus%tzlich authentifiziert und auratisiert. So soll die magische Besprechung das Blut der Herrscher im Boden fixieren – George bewegt sich hier in einem ideologischen Begriffsfeld, dessen unselige vçlkische Lesarten des 20. Jahrhunderts er zwar nicht direkt zu verantworten hat, das aber gleichwohl Fragen hinsichtlich seiner N%he zu solchem Gedankengut aufwirft. Zugleich erscheinen die offenen Gr%ber als mutwillig durch das Aufscharren zugef#gte Wunde, deren Blutung es zu stillen gilt. Die Aufz%hlung „tote steine / Beraubte tempel ausgesognen boden . .“ ruft schlaglichtartig das Schreckbild des gegenw%rtigen Zustands auf, eines Bildes, in welchem der Zustand des Domes und der Zustand des Landes vexierbildartig oszillieren. „Ausgesogen“ schließt sich #ber die Fl#ssigkeitsmetapher wiederum an die Blutsthematik an und evoziert somit die Gestalt des Blutsaugers, vampirisch-parasitische Ausnutzung, Blutleere bzw. die Vorstellung einer blutenden Wunde (vgl. Str. 3), und als

127 Julia Zernack: Nordische Mythen in der deutschen Literatur. Eddaspuren bei Stefan George und Karl Wolfskehl. In: Intermedialit#t und Kulturaustausch: Beobachtungen im Spannungsfeld von K"nsten und Medien. Hrsg. von Annette Simonis. Bielefeld: transcript 2009. S. 19 – 41, insbes. S. 33 – 35.

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Verursacher sowohl einheimische Banausen (wilhelminische Arch%ologen) als auch ausl%ndische Unterdr#cker (die „fremdengeissel“ der Str. 3). Die erste Strophe stellt somit zwei Arten des Umgangs mit dem mittelalterlichen Erbe gegeneinander, welche sich an den Gr%bern und Leichnamen der deutschen Kaiser festmachen: eine rational-forschende und eine emotional-sorgende. Die wissenschaftliche Erforschung, implizit mit dem positivistisch-historistischen Zeitgeist des verhaßten Wilhelminischen Kaiserreichs verbunden, wird verdammt.128 Die zweite, positiv gewertete Art des Umgangs mit der Vergangenheit findet sich dagegen ganz prominent in Die Gr#ber in Speier – sie ist von Ehrfurcht und Scheu getragen. Ehrfurcht vor den Großen der Geschichte gehçrte zu den Haltungsidealen des George-Kreises und machte eines der zentralen erkenntnistheoretischen Konzepte im Wissenschaftsverst%ndnis seiner Mitglieder aus. Friedrich Gundolf brachte dies 1927 in einem Brief an den Dante-Forscher Karl Vossler pointiert zum Ausdruck: „doch zur ,veritas‘ gehçrt die ,verecundia‘, die einsichtige Scheu vor den offenbaren Geheimnissen derjenigen Wesen, aus denen die Wahrheiten zu uns herabgelangt sind, wie verwandelt, entstellt oder berechtigt auch immer. […] Ehrfurcht ist heute, eben heute auch f#r die Wissenschaft und um der Wahrheit willen so nçtig wie Kritik und sie ist viel bedrohter“.129 Das Gedicht f#hrt performativ vor, wie die Bannrede die toten Herrscher wieder auferstehen l%sst. Deren Parade folgt einer chronologischen Ordnung: Zun%chst erscheint der Salier Konrad II. (1024 – 1039),130 Gr#ndervater des Speyrer Doms, darauf die positiv gewerteten Kaiser Heinrich III. (1039 – 1056) und Heinrich IV. (1056 – 1106). Die Strophe r#hmt die Tugendhaftigkeit dieser Kaiser und ruft bekannte historische Ereignisse wie den Investiturstreit und den Gang nach Canossa ins Ged%chtnis. Die Anspielung auf den Gang nach Canossa impliziert dabei 128 Im Stern des Bundes wird diese Form der Geschichtspolitik mit dem Diktum verurteilt: „Die art wie ihr bewahrt ist ganz verfall“ (SW VIII, 35). 129 Gundolf, Friedrich: Briefe. Neue Folge. Hrsg. von Lothar Helbing und Claus Victor Bock. Amsterdam: Castrum Peregrini 1965. S. 215 f. 130 Helmut Boockmann, der Die Gr#ber in Speier aus Sicht des Historikers interpretiert hat, gleicht Georges Anspielungen auf )bereinstimmung mit ihrem historischen Hintergrund ab, sieht den Text tendenziell in Vorstellungen des 19. Jahrhunderts verhaftet und deutet an, dass er Georges Gedicht f#r eine %sthetisch eher unbefriedigende Verbindung von Historie und Poesie h%lt (Boockmann, Hartmut: „Uns stockt der blick im aufgeschlagnen buche“. )ber ,Die graeber in Speier‘ von Stefan George. In: Der Aqu#dukt 1763 – 1988. Ein Almanach aus dem Verlag C.H.Beck im 225. Jahr seines Bestehens. M#nchen: C.H.Beck 1988. S. 356 – 364).

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zugleich eine Kritik an Bismarcks Reichspolitik.131 Das Gedicht stellt Heinrich IV. als erhaben #ber retrospektive Schm%chungen dar und pr%sentiert ihn sprachlich als Gegenw%rtigen („schweigt er“). Mit dem Schweigen wird hier abermals, wie schon in Dante und das Zeitgedicht, das Thema der diskursiven Kritik angesprochen und f#r die Option der Gleichg#ltigkeit gegen#ber Publikumsreaktionen pl%diert. Das Gedicht formuliert hier eine deutliche Absage an die gesellschaftspolitischen Diskurse und die zeitgençssische politische Diskussionskultur. In der dritten Strophe ist der Ahnherr des Habsburger Adelsgeschlechts, Kçnig Rudolf I. (1273 – 1291),132 zum Seher stilisiert. Die Geschichte seiner Dynastie steht ihm durch seine Nachfolger – erst auf den Thron, dann ins Totenreich – vollst%ndig vor Augen. Sie wird als Verfallsgeschichte erz%hlt und durch das anaphorische „Er sah“ in Bl#tezeit, Niedergang und Fall gegliedert. Die Zeit der Bl#te geht mit dem „lezten ritter“ Maximilian I. (1493 – 1519) zu Ende. Der Abstieg beginnt mit der Reformation, die als „mçnchezank“ abgetan wird.133 Mit „empçrung“ und „fremdengeissel“ spielt George auf Geschehnisse wie etwa den Bauernkrieg, den Dreißigj%hrigen Krieg und den Pf%lzischen Erbfolgekrieg an, der auch die Niederbrennung Speyers und das fr#here Aufscharren der Gr%ber umfasst; diese Aufst%nde und Kriege h%tten dem Gedicht zufolge Deutschland eine „noch heut nicht heile[] wunde“ zugef#gt.134 So werden wiederum Vergangenheit und Gegenwart ins Verh%ltnis gesetzt. Die Metaphorik der Wunde parallelisiert den zeitgençssischen Vorgang der Grabçffnung mit dem Schicksal des Reiches. Den Hçhepunkt und zugleich eine #berraschende Wende bildet die in der vierten Strophe beschworene Apotheose Kaiser Friedrichs II. Im Gegensatz zu den zuvor genannten Herrschern liegt Friedrich II. nicht im Dom zu Speyer begraben; Beatrix von Burgund, tats%chlich in Speyer 131 Aurnhammer: ,Der Preusse‘. S. 194. Aurnhammer deutet Georges Verse als Antwort auf Bismarcks sprichwçrtlich gewordenes Diktum „Nach Canossa gehen wir nicht“. 132 Boockmann sieht in der Hervorhebung des Hauses Habsburg einen Seitenhieb gegen das zeitgençssische Wilhelminische Deutschland – ein weiterer Hinweis auf die Konkretheit der gesellschaftspolitischen Bez#ge der Dichtung Georges im Siebenten Ring (Boockmann: „Uns stockt der blick im aufgeschlagnen buche“. S. 360). 133 Vgl. Kapitel 3.3.3.2. 134 Vgl. Georges Gespr%ch mit Edith Landmann: „Wir kamen auf das furchtbar zerstçrende, nie wieder gutzumachende deutsche Schicksal der Reformation und des Dreissigj%hrigen Kriegs zu sprechen, wodurch die deutsche Geschichte unheilbar zerrissen ist.“ (Landmann: Gespr#che mit Stefan George. S. 130.)

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bestattet, ruft ihn aus dem S#den zu Gast.135 Das komplexe Satzgef#ge mit Hyperbaton („von der Staufischen / Ahnmutter […] / Gerufen“) steigert die Spannung bis zur Erscheinung Friedrichs II. Innerhalb dessen wird zudem noch Enzio, Friedrichs Sohn, evoziert. Dabei scheint es, als w#rde George an dieser Stelle klassisch lateinische Syntax nachbilden und so die „Rçmerw#rde“ Kaiser Friedrichs II. auch sprachlich verbildlichen, %hnlich wie in der Unterschrift auf der Postkarte an Wolfskehl.136 Wie Hartmut Boockmann angedeutet hat, erinnert das Bild des am Arm von Enzio heraufspazierenden Friedrichs II. an die im George-Kreis praktizierte und auf zahlreichen Fotos dokumentierte Geste, bei der ein J#ngerer bei einem !lteren untergehakt spazierengeht.137 Das kritische Potenzial dieser medi%valisierenden Referenzen ist #berdeutlich: Der Superlativ „[d]er Grçsste Friedrich“ ist direkt gegen Preußenkçnig Friedrich den Großen von Hohenzollern gerichtet,138 dem das Gedicht damit den Rang streitig macht. Ebenso impliziert die Benennung „wahren volkes sehnen“ eine Kritik an einem ,falschen Volk‘.139 Zus%tzlich klingt im ,Sehnen‘ die Sehnsucht nach einer Wiederkehr des Messiaskaisers Friedrichs II. an, wie sie die Kyffh%usersage vom schlafenden, zur rechten Zeit wieder aufwachenden Kaiser prophezeit hatte.140 Eine stilistische Besonderheit sind die zahlreichen geographischen Angaben und s#dlichen Eigennamen, die in dieser Strophe genannt werden („Enzio“, „Agrigent“, „Selinunt“). Dies Verfahren erinnert an die %sthetizistische Katalogbildung: Kaiser und Orte werden im wahren Sinne des Wortes zu klangvollen Namen, welche, aneinandergereiht, eine exotische Textur bilden. Die im Eingangsgedicht Das Zeitgedicht behauptete Kontinuit%t des Werks zeigt sich an dieser Stelle also in der fortgesetzten Verwendung %sthetizistischer Techniken und Stilmittel. Die beiden Schlussverse r#hmen Friedrichs Weitblick, der nicht nur das Deutsche Reich („Karlen- und Ottonenplan“), sondern auch die drei mediterrannahçstlichen Kulturen des Judentums, des Rçmertums und des Griech135 Oelmann im Anhang zu SW VI/VII, 206. Boockmann meint hingegen, mit der „Staufischen Ahnmutter“ sei wahrscheinlich eher Constanze gemeint, die Mutter Friedrichs II. (Boockmann: „Uns stockt der blick im aufgeschlagnen buche“. S. 361). 136 Vgl. auch das zweite Hyberbaton „Gerufen […] / Zum Karlen- und Ottonen-plan“ (V. 27 – 29). 137 Boockmann: „Uns stockt der blick im aufgeschlagnen buche“. S. 361. 138 Vgl. Oelmann im Anhang zu SW VI/VII, 206. 139 Eine solche Dichotomie von ,wahr‘ und ,falsch‘ zeigte %hnlich schon das Gedicht Herzensdame (vgl. Kapitel 3.2.3). 140 Vgl. dazu Raulff: In unterirdischer Verborgenheit.

3.3 Subversiver Medi%valismus in Der Siebente Ring

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entums umfasst habe.141 Wie Kurt Hildebrandt und Marcus Thomsen bemerkt haben, stimmte Georges Deutung des Stauferkaisers im Wesentlichen mit derjenigen Friedrich Nietzsches #berein, f#r den Friedrich II. das „Genie unter den deutschen Kaisern“ gewesen war.142 George legt Friedrich II. den Traum von einer s#dlichen, klassisch-antiken Kultur in den Blick und stellt ihn damit ganz in die Tradition der Romverehrer und Italienreisenden der deutschen Klassik. Zugleich klingt in dieser %sthetischen Vision eine politische Vision an, die Idee eines gemeinsamen rçmisch-deutschen Reiches.143 Die Gr#ber in Speier #berblendet mittelalterliche Vergangenheit und wilhelminische Gegenwart, indem es an die ,wahrhaft‘ glanzvollen Gestalten erinnert und damit gegen die wilhelminische Geschichtspolitik polemisiert.144 Insofern l%sst sich hier von einem ,kulturkritischen Medi%valismus‘ sprechen. Das Gedicht pr%sentiert eine kontrafaktische Geschichtsdeutung, indem der Stauferkaiser Friedrich II. imaginativ mit der Grablege der deutschen Kaiser im Dom zu Speyer verbunden wird. In der chronologischen Vorgehensweise offenbart sich Georges Verwurzelung in der genealogischen Geschichtsauffassung des 19. Jahrhunderts.145 Die F#lle an historischen und geographischen Konkretionen bedeutet f#r die Poetik des Medi%valismus eine Wendung hin zu eher traditioneller his141 Bçschenstein erkennt im Vers „Feste von Agrigent und Selinunt“ eine Tendenz zur Hellenisierung Italiens und stellt fest, daß Italien und Griechenland im sp%teren Werk Georges meist zusammen gedacht werden (Bçschenstein: Stefan George und Italien. S. 330). 142 Hildebrandt: Das Werk Stefan Georges. S. 240; Thomsen, Marcus: „Ein feuriger Herr des Anfangs …“. Kaiser Friedrich II. in der Auffassung der Nachwelt. Ostfildern: Thorbecke 2005. S. 209 (Nietzsche-Zitat zitiert nach Thomsen, S. 161). Als einen der „Freigeister“ hatte George ihn freilich auch im Hçllenkreis von Dantes Divina Commedia vorgefunden (Dante Alighieri: Die Gçttliche Komçdie. Aus dem Italienischen, mit einer Einleitung und Anmerkungen von Karl Vossler. M#nchen: Piper 2006. S. 72. Dante nennt Friedrich II. im Inferno, Canto X, Vers 119. George hat nur einen Teil dieses Cantos #bersetzt (Vers 22 – 72; SW X/XI, 26), den Vers #ber Friedrich II. hat er nicht mit#bertragen.) 143 Boockmann liest die Formulierung „Feste von…“ als Hinweis auf die Br%uche des George-Kreises, sieht darin eher den Schwabinger Fasching um 1900 als Friedrichs mittelalterliche Feste (Boockmann: „Uns stockt der blick im aufgeschlagnen buche“. S. 361). Solche )berblendungen von Gegenwart und Vergangenheit sind charakteristisch f#r Georges Medi%valismus, wie im Laufe dieser Arbeit mehrfach gezeigt wurde. 144 Vgl. Kapitel 3.3.3.1 145 Zu dieser ,vertikalen‘ Vergangenheitssicht siehe Groebner: Das Mittelalter hçrt nicht auf. S. 124 f.

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torischer Dichtung. Gleichzeitig beh%lt die Dichtung selbst nach wie vor die Oberhand #ber alle anderen Themen: Das Gedicht demonstriert die magische Kraft des Wortes, die es vermag, die Toten wiederauferstehen zu lassen. Dies authentifiziert George mit der lexikalischen Anlehung an die althochdeutschen Merseburger Zauberspr"che, die genau wie die evozierte Kaisergeschichte in eine mittelalterliche Vorzeit verweisen. Der Clou des Gedichts liegt in den Formen: Das ehrf#rchtige Streifen, das identifikatorische Verschmelzen mit den Gestalten der Vergangenheit und die poetische Rede als Dienst an der Vergangenheit werden als die richtigen Formen des Umgangs mit der mittelalterlichen Kaisergeschichte vorgef#hrt. Der punktuell ungewçhnliche Gebrauch der Tempus-Formen kehrt die Zeitverh%ltnisse dergestalt um, dass die Vergangenheit aktueller erscheint als die Gegenwart. Und schließlich l%sst sich die Technik der %sthetizistischen Katalogbildung mit klangvollen, exotischen Namen auch als poetische Replik auf die positivistischen Faktensammlungen der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts lesen. Einerseits steht George also in der genealogischen Tradition; andererseits setzt er Schweigen gegen Diskurs, Epiphanie gegen Genealogie und Zeitlosigkeit gegen Geschichte. Das Wilhelminische Kaiserreich stellte bekanntlich die Realisierung der sogenannten ,kleindeutschen Lçsung‘ dar und konnte sich bez#glich der geographischen Ausdehnung nicht mit dem 1806 untergegangenen Heiligen Rçmischen Reich Deutscher Nation messen. Auch gegen diese realen Grenzziehungen schreibt George an.146 Im Siebenten Ring zeigt sich, wie George die Grenzen des ,Reichs‘ imaginativ grçßer fasst, und zwar mit Bezug auf mittelalterliche Reichsterritorien. In Die Gr#ber in Speier wird das mit Friedrich II. verbundene Reich imaginativ in den S#den, bis ans Mittelmeer, nach Italien und assoziativ sogar bis nach Griechenland ausgeweitet. Das Zeitgedicht Franken (SW VI/VII, 18), das autofiktional auf Georges Zeit in Frankreich und seine franzçsischen Dichterfreunde und -vorbilder anspielt,147 erh%lt durch seinen Titel und den letzten Vers eine medi%valisierende Rahmung: Wie oft noch sp%t da ich schon grund gewonnen In tr#ber heimat streitend und des sieges Noch ungewiss · lieh neue kraft dies fl#stern: 146 Auf diese Frage geht indirekt auch Ray Ockenden ein, wenn er in Gedichten des Siebenten Rings, des Stern des Bundes und des Neuen Reichs nach „physical correlatives“ von Georges „reich des geistes“ und „Geheimen Deutschland“ sucht (Ockenden: Kingdom of the Spirit. S. 98 f.). 147 Vgl. Aurnhammer: Zeitgedichte. S. 343.

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Returnent franc en france dulce terre. (SW VI/VII, 19)

George stellt seine eigene Lebensgeschichte hier in einen geschichtlichen Deutungsrahmen: Das Titelwort Franken ist nicht nur ein Archaismus f#r ,Franzosen‘, sondern spielt auf das Fr%nkische Reich des Mittelalters an, das seine grçßte Ausdehnung um 800 unter Karl dem Großen erreichte und weite Teile der sp%teren Staaten Deutschland und Frankreich umfasste. George verwies also auf eine Zeit, in der ,Deutsche‘ und ,Franzosen‘ noch in einem gemeinsamen Reich lebten, das die aktuellen nationalen Grenzen #berschritt.148 Auf Georges regionale Identit%t als ,Rheinfranke‘ anspielend, hat Friedrich Sengle das Gedicht deshalb „ein enthusiastisches Verwandtschaftsbekenntnis des fr%nkischen Dichters zu Frankreich“ nennen kçnnen.149 Da dieses Bekenntnis in eine Zeit f%llt, in der die deutschfranzçsischen Beziehungen auf politischer Ebene von Feindschaft und Rivalit%t gepr%gt waren, erh%lt der medi%valisierende Bezug auf das Frankenreich eine deutlich zeitkritische Komponente. Das Fl#stern aus der Vergangenheit, das aus einem Pseudo-Zitat aus dem altfranzçsischen Rolandslied besteht,150 klingt dabei wie eine Verheißung auf Wiederkehr: „Returnent franc en france dulce terre“.151 Das „returnent“ bezeichnet die R#ckw%rtsbewegung, und im Ausdruck „dulce terre“ schwingt die Vorstellung von einem paradiesischen Ort mit. Dieser archaisierende und gleichzeitig exotisierende Schlussvers fungiert wie eine Beglaubigung 148 Vgl. Ockenden: Kingdom of the Spirit. S. 98. 149 Sengle, Friedrich: Moderne deutsche Lyrik. Von Nietzsche bis Enzensberger (1875 – 1975). Heidelberg: Winter 2001. S. 74. 150 George selbst hat Edith Landmann erkl%rt, dass dieser Vers „ann%hernd aus dem Rolandslied genommen“ sei (Landmann: Gespr#che mit Stefan George. S. 76). Wie Ray Ockenden aufgeschl#sselt hat, handelt es sich jedoch um eine Verschmelzung verschiedener Zitate aus diesem altfranzçsischen Nationalepos (Ockenden: Kingdom of the Spirit. S. 98). Das Gespr%ch zwischen Landmann und George #ber Franken ist #brigens auch in hermeneutischer Hinsicht aufschlussreich: Landmann stellte George Fragen zum Gedicht, da sie „mehreres nicht verstanden h%tte“. George gibt daraufhin einige konkrete Hinweise, wie etwa den auf das Rolandslied. Haupts%chlich aber deutet er auf die Produktivit%t von Unklarheiten hin: „,Jede Generation […] wird etwas anderes verstehen. Was die eine nicht versteht, wird die andere finden. Manche Dinge, das sehe ich schon mit Schrecken, die werden missverstanden bleiben. Schadet aber all nichts. Dunkelheiten, das Infinite, ist schçpferisch, das vçllig Klare ist tot.‘“ (Landmann: Gespr#che mit Stefan George. S. 76). 151 Wçrtlich #bersetzt lautet der Vers: „Franken kehren zur#ck nach Frankreich s#ße Erde“.

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der gef#hlten Wahlverwandtschaft, die in einer mittelalterlichen Reichsform ihren Haltepunkt findet. So fließen in diesem Gedicht sprachlicher, geographischer und identit%tsbildender Raum zusammen. 3.3.3 Topographien des Mittelalters Georges kulturkritischer Medi%valismus manifestiert sich nicht nur in den Zeitgedichten, sondern auch in dem Zyklus Tafeln, der den Abschluss des Siebenten Rings bildet. Dabei handelt es sich um insgesamt 70 kurze Gedichte auf Personen, Orte, Kunstwerke und Zeiten. Der Gattung nach sind die Tafeln Epigramme, also Spr#che, die eine pointierte, oft #berraschende Sinndeutung eines Geschehens oder Sachverhalts pr%sentieren. Von den insgesamt 70 Tafeln sind 27 auf #berwiegend deutsche St%dte und Kunstwerke bezogen, so dass ein nationaler Deutungsrahmen aufscheint. Die Komposition dieser Tafeln folgt weder einer streng geographischen noch einer streng chronologischen Ordnung, jedoch zeichnen sich ein r%umlicher Schwerpunkt im Rheinland und ein zeitlicher Schwerpunkt im Mittelalter ab.152 Die gr#ndlichste Studie zu den Landschafts- und St%dtetafeln hat Joachim Mundt vorgelegt, der Gedicht f#r Gedicht die historisch-politischen Kontexte erhellt, oft gest#tzt auf die Erinnerungsliteratur des Kreises und getragen von einem intuitiven Einf#hlen in Georges Gedankenwelt.153 Jan Andres hat die Tafeln mit Pierre Noras Konzept der ,Erinnerungsorte‘ #berzeugend zu erfassen versucht, sieht in den Tafeln sowohl „Speicher geschichtlichen Wissens“ als auch performativen „Vollzug der Erinnerung“ und liest sie als „Topographie des neuplatonischen Staates […], der sich selbst als Geheimes Deutschland beschreibt“.154 Die quantitative und 152 Ausgangspunkt f#r die imagin%re Reise durch Raum und Zeit in den Tafeln ist das Rheinland (Rhein: I–VI). Insgesamt dominiert in der ersten H%lfte der St%dteTafeln der Bezug zum Rhein: Kçln (Kçlnische Madonna), Colmar (Kolmar: Gr"newald), Heisterbach (Heisterbach: Der Mçnch), Bonn (Haus in Bonn), Worms (Worms) und Winkel (Winkel: Grab der G"nderode). Die meisten anderen St%dte liegen im Harz oder in S#ddeutschland. Die medi%valisierenden St%dte-Tafeln im Siebenten Ring entwerfen schlaglichtartig ein Panorama mittelalterlicher Geschichte von Karl dem Großen (Aachen: Grabçffner) bis Konradin, dem letzten Staufer (Trausnitz: Konradins Heimat). 153 Mundt, Joachim: Politisch-historische Dichtung. Die Landschafts- und St%dte-Tafeln und die Jahrhundert-Spr#che in Stefan Georges „Siebentem Ring“. Amsterdam: Castrum Peregrini 1990. 154 Andres: Stefan Georges Erinnerungsorte, hier S. 181.

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qualitative Pr%senz des Mittelalters innerhalb dieser ,Topographie‘ ist auffallend: Von den 27 Tafeln, die auf Orte und Kunstwerke bezogen sind, spielen 15 auf Mittelalterliches an. Bçschenstein spricht deshalb davon, dass in den Tafeln „das deutsche Mittelalter wie in einem Museum beh#tet und gefeiert“ werde, und betont gleichzeitig die utopische Zielrichtung dieses Vergangenheitsbezuges.155 Im Folgenden sollen vor allem drei Aspekte hervorgehoben werden: Zum einen die Imagination eines rçmischdeutschen oder fr%nkischen Mittelalters, welches den von Bçschenstein und Andres erw%hnten nationalgeschichtlichen Bezug der Tafeln differenziert (3.3.3.1). Zum zweiten die katholische Pr%gung von Georges Mittelalter-Tafeln (3.3.3.2) und zum dritten die literarische Verfahrensweise des Medi%valismus, die einer Poetik des ,Medi%valismus im Postkartenformat‘ folgt und ein %sthetisches Gegenkonzept zur çffentlichen Ged%chtniskultur des Mittelalters im Wilhelminismus entwirft (3.3.3.3). 3.3.3.1 Rheinische Mythen und Rçmisches Deutschland Ein Herzst#ck von Georges kulturkritischem Medi%valismus bilden die sechs Gedichte Rhein: I – VI, welche innerhalb des Zyklus Tafeln die Sektion der auf Kunstwerke und Orte bezogenen Gedichte erçffnen. In den Rhein-Tafeln nimmt George eine subtile Neudeutung der Mythologeme von Rhein, Reich und Kaisertum vor: RHEIN: I Ein f#rstlich paar geschwister hielt in frone Bisher des weiten Innenreiches mitte. Bald wacht aus dem jahrhundertschlaf das dritte Auch echte kind und hebt im Rhein die krone. RHEIN: II Einer steht auf und schl%gt mit m%chtiger gabel Und sprizt die wasser g#ldenrot vom horte . . Aus çdem tag erwachen fels und borte Und pracht die lebt wird aus der toten fabel. (SW VI/VII, 174)

Wie ich andernorts ausf#hrlich gezeigt habe,156 lassen sich die Rhein-Tafeln sowohl poetologisch als auch politisch verstehen. Denn nach den Erinnerungen von Albert Verwey hatte George im August 1899 „ein Bild von 155 Bçschenstein: Georges widerspr"chliche Mittelalter-Bilder. S. 212. 156 Im Folgenden gebe ich eine verk#rzte und #berarbeitete Version meines Artikels „Des weiten innenreiches mitte“ wieder (Schloon: „Des weiten Innenreiches mitte“).

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einem grossen Gedicht“ #ber den Rhein entworfen, das ein „Verm%chtnis f#r J#ngere“ sein sollte, „sowohl dichterisch wie staatsm%nnisch f#r sie ein Wegweiser“.157 Die Tafeln Rhein: I und II entwickeln den ,Mythos Rhein‘ aus Anspielungen auf verschiedene mythische Topoi: So erinnert der „jahrhundertschlaf“ an die Kyffh%usersage vom schlafenden Kaiser im Berg, die „m%chtige[ ] gabel“ l%sst an Poseidon oder Vater Rhein denken, und in den Worten „wasser g#ldenrot vom horte“ klingen Nibelungenlied und Richard Wagners Rheingold an.158 Wer das „f#rstlich paar geschwister“ und das „echte kind“ sein kçnnten, hat den Interpreten seit jeher R%tsel aufgegeben, weshalb die Forschung, einschließlich Joachim Mundt, meist auf die Deutung von Ernst Morwitz zur#ckgegriffen hat, der das Geschwisterpaar zu Personifikationen von Philosophie und Musik und das Kind zur Personifikation der Plastik erkl%rt hat.159 Der historisch-politische Assoziationsraum dieser Strophen wird bei einer solchen Deutung ausgeblendet. Dabei l%sst sich Rhein: I durchaus auch als Anspielung auf die fr%nkische Reichsteilung im 9. Jahrhundert verstehen. Im Jahre 843 teilten die drei Enkel Karls des Großen das Frankenreich unter sich auf: das „f#rstlich paar geschwister“ sind in dieser Lesart Ludwig der Deutsche, der das Ostfrankenreich erhielt, und Karl II., dem das Westfrankenreich zufiel, und „des weiten Innenreiches mitte“ meint schließlich das Mittelreich Lothars I., das sogenannte Lotharingien, das vom Golf von Gaeta #ber Burgund bis zur Nordsee reichte.160 Die Anspielungen auf die historischen 157 Verwey: Mein Verh#ltnis zu Stefan George. S. 25 f. Zur Datierung siehe Seekamp, Hans-J#rgen, Raymond C. Ockenden u. Marita Keilson: Stefan George – Leben und Werk. Eine Zeittafel. Amsterdam: Castrum Peregrini 1972. S. 90. Unklar ist, ob es sich bei den sechs Rhein-Tafeln bereits um das fertige „grosse Gedicht“ handelt, oder ob die Tafeln nur als Teil eines grçßeren Zyklus geplant waren. Vgl. Salin, Edgar: Um Stefan George. Erinnerung und Zeugnis. 2., neugest. u. wesentl. erw. Aufl. M#nchen: K#pper 1954. S. 257 u. 348; Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 324; Oelmann im Anhang zu SW VI/VII, 230. 158 Im Nibelungenlied wird der Schatz als voll des r)ten goldes bezeichnet (Nibelungenlied 92,3; Das Nibelungenlied. Hrsg. von Karl Bartsch, Leipzig 2. Aufl. 1869, S. 20). Auch in Richard Wagners Rheingold ist von „rote[m] Gold“ die Rede (Wagner: Dichtungen und Schriften. S. 34). 159 Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 323. Auf diese Deutung greift auch Anika Meier im j#ngsten Beitrag zu den Tafeln zur#ck (Meier, Anika: Tafeln. In: Stefan George – Werkkommentar. S. 467 – 482, S. 470). 160 Ernst Curtius ist der einzige, der diese Zusammenh%nge so gesehen hat (Curtius, Ernst Robert: Europ#ische Literatur und lateinisches Mittelalter. 2. Aufl. Bern, M#nchen: Francke 1954. S. 19; Curtius, Ernst Robert: Stefan George im Gespr#ch. In: Ders.: Kritische Essays zur europ#ischen Literatur. 2., erw. Aufl. Bern: Francke 1954. S. 100 – 116, hier S. 105). Allerdings wurde sein Hinweis, der nur beil%ufig

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Herrscher und deren Reiche erfassen assoziativ die modernen Nachfolgestaaten Deutschland und Frankreich mit. In diese politische Deutung f#gen sich auch die Bilder vom ,Jahrhundertschlaf‘ und der ,Krone im Rhein‘: Beides sind Mythologeme, welche die Idee eines wiedererstehenden Kaisertums zum Ausdruck bringen. Das Bild der Krone im Rhein wurde seit der Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem Hort der Nibelungen in Verbindung gebracht: Man nahm an, im Hort seien die Reichskleinodien versteckt.161 Die Krone im Rhein erhielt dadurch politische Bedeutung und symbolisierte als imperiale Machtinsignie die mittelalterliche Reichsidee. Georges Rhein-Tafeln suggerieren die Vision eines von Lothar I. gef#hrten Innenreiches in der Mitte Europas, das von Rom bis an die friesische K#ste reicht. Die Tafel Rhein: I spielt mit der Idee des Krone-Hebens aus dem Rhein implizit auf die Krçnungsstadt Aachen an, und Rhein: VI verweist mit dem „rçmischen hauch“ auf die Kaiserstadt Rom: RHEIN: VI Sprecht von des Festes von des Reiches n%he – Sprecht erst vom neuen wein im neuen schlauch: Wenn ganz durch eure seelen dumpf und z%he Mein feurig blut sich regt · mein rçmischer hauch! (SW VI/VII, 175)

Der Rhein stellt so die Verbindung zwischen rçmischem Imperium und deutschem Reich her und wird durch die Erw%hnung von Wein und Blut zur Herzschlagader dieses Reiches. George verwendet hier dieselbe Bilderfolgte, in der George-Forschung vergessen. Siehe dazu Schloon: „Des weiten Innenreiches mitte“. S. 298. 161 Richard Wagner stellte in seiner Schrift Die Wibelungen. Weltgeschichte aus der Sage (1848) sogar bereits die Verbindung von Franken und Nibelungen her, indem er eine „mythische Identit%t des fr%nkischen Kçnigsgeschlechts mit jenen Nibelungen der Sage“ behauptete (Richard Wagner: Die Wibelungen. Weltgeschichte aus der Sage. (Sommer 1948). In: Ders.: Gesammelte Schriften und Dichtungen. 4. Aufl. Leipzig 1907 (= Zweiter Band). S. 115 – 155, hier S. 120). George kannte diese Schrift und empfahl sie Kurt Hildebrandt zur Lekt#re (Hildebrandt, Kurt: Erinnerungen an Stefan George und seinen Kreis. Bonn: Bouvier 1965. S. 176). Wagner versuchte in dieser Schrift die Vorbildung historischer Ereignisse im Mythos nachzuweisen. Der Hort verb#rgte Wagner zufolge gar das Recht auf Weltherrschaft (Wagner: Die Wibelungen. S. 146.). Zu Wagners WibelungenAufsatz siehe Wilberg, Petra-Hildegard: Richard Wagners mythische Welt. Versuche wider den Historismus. Freiburg im Breisgau: Rombach 1996. S. 77 – 180; Mertens, Volker: Das Nibelungenlied, Richard Wagner und kein Ende. In: Die Nibelungen. Sage – Epos – Mythos. Hrsg. von Joachim Heinzle, Klaus Klein u. Ute Obhof. Wiesbaden: Reichert 2003. S. 459 – 496, hier S. 462 – 464.

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lichkeit wie der patriotische Rheinromantiker Joseph Gçrres, der den Rhein als „Deutschlands hochschlagende Pulsader“ bezeichnete und schrieb: „das Herzblut Deutschland kreist in seinem Bette und der Wein der Begeisterung fließt in unseren Adern“.162 Jedoch waren Gçrres’ Verse gegen Frankreich gerichtet, w%hrend George entgegen solch nationalistischer Rhetorik Frankreich und Deutschland als „f#rstlich paar geschwister“ umschreibt und ein drittes, #bernationales und spezifisch rheinisches Reich imaginiert, dessen Herrscher das „dritte Kind“ sein soll.163 Die Mahnung in der letzten Rhein-Tafel (Rhein: VI), auf die Tonbeugung und Parallelismus zus%tzliche Aufmerksamkeit lenken: „Sprecht von des Festes von des Reiches n%he – / Sprecht erst […] / Wenn“ (Kursivierung: J. S.), ist daher auch eine Invektive gegen das Wilhelminische Reich, das eben nicht das ersehnte, wiedererstandene Heilige Rçmische Reich ist.164 Indem George auf das fr%nkische Mittelreich anspielte, aktualisierte er die romanischdeutsche Reichsidee, die neben der Idee einer germanisch-deutschen Reichserneuerung eine der beiden Reichsoptionen darstellt, die im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland virulent waren.165 Insofern 162 Diese Textpassagen druckten Friedrich Wolters und Walter Elze in ihrer Anthologie Stimmen des Rheines (1923) ab (Wolters, Friedrich u. Walter Elze (Hrsg.): Stimmen des Rheines. Ein Lesebuch f#r die Deutschen. Breslau: Hirt 1923 (=Werke der Schau und Forschung aus dem Kreise der Bl%tter f#r die Kunst). S. 87 f.). 163 Vgl. Curtius: Europ#ische Literatur und lateinisches Mittelalter. S. 144 f. Die Vorstellung von einem ,dritten Reich‘ gehçrt in den Bereich chiliastischen Geschichtsdenkens. Joachim von Fiore pr%gte den Begriff in seiner Vorstellung von einer aufsteigenden Abfolge dreier Reiche bzw. Zeitalter. Auf das Reich des Vaters folge das Reich des Sohnes und als drittes Reich das Reich des Heiligen Geistes. In abgewandelter Form und unterschiedlichen Nuancierungen nahmen G. E. Lessing, G. W. F. Hegel, F. Schelling, H. Ibsen und A. Moeller van den Bruck die Vorstellung einer Abfolge von drei Reichen in der Geschichte auf. Sp%ter eignete sich vor#bergehend der Nationalsozialismus den Namen an. Siehe dazu die grundlegende, immer noch lesenswerte Studie von Jean F. Neurohr: Der Mythos vom Dritten Reich. Zur Geistesgeschichte des Nationalsozialismus, Stuttgart 1957; vgl. auch Burchard Brentjes: Der Mythos vom Dritten Reich. Drei Jahrtausende Sehnsucht nach Erlçsung, Hannover 1997. 164 Im Schlussgedicht der Rhein-Sequenz f%llt auch zum zweiten Mal #berhaupt der Begriff „Reich“ in Großschreibung. Die erste Erw%hnung findet sich in Die Gr#ber in Speier. 165 Vgl. M#nkler: Die Deutschen und ihre Mythen. S. 399; vgl. den Aufsatz von Richard Faber, der Georges Reichs-Vorstellungen in den Kontext zeitgençssischer Reichs-Vorstellungen einordnet (Faber, Richard: Third Reich and Third Europe: Stefan George’s Imperial Mythologies in Context. In: A Poet’s Reich. Politics and culture in the George Circle. Hrsg. von Melissa S. Lane. Rochester, NY: Camden House 2011. S. 251 – 268).

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sind Georges Rhein-Tafeln nicht nur in „dichterischer“, sondern auch in ,staatsm%nnischer‘ Hinsicht ein „Verm%chtnis f#r die J#ngeren“.166 Diese tr%umten tats%chlich noch zu Beginn des Ersten Weltkrieges, so berichtet Edgar Salin, von „einer Vernichtung des verhassten Preussen-Reichs und einem neuen Rheinbund, an dessen Spitze der Dichter-Herrscher treten sollte“.167 Gegen die Usurpation des Rhein-Mythos und des Mittelalters durch das Wilhelminische Reich setzte George seine eigenen poetischen Bilder. Die Rhein-Tafeln fungieren wie eine Exposition zu den darauffolgenden Gedichten auf Kunstwerke und St%dte, in denen wiederum %sthetische, religiçse und politisch-historische Aspekte enggef#hrt werden. So greift etwa die Tafel Aachen: Grabçffner sowohl die Problematik des richtigen Umgangs mit den Kaisergr%bern aus Die Gr#ber in Speier als auch die Anspielung auf Aachen als Krçnungsstadt aus den Rhein-Tafeln wieder auf: AACHEN: GRAB.FFNER Wenn dies euch treibt so milderts euren frevel Die wieder ihr in heiligen gr#ften scharrt: Die dunkle furcht vor nahem pech und schwefel Die ahnung dass am tor das end schon harrt. (SW VI/VII, 178)

Auch in diesem Gedicht kommt die Idee eines ,rçmischen Deutschlands‘ zum Tragen, denn Karl der Große machte Aachen um das Jahr 800 zum Mittelpunkt seines europ%ischen Reiches und damit zum ,zweiten Rom‘. Er ließ dort eine Pfalzkapelle erbauen, in der er nach seinem Tod begraben wurde. Auch der Leichnam Kaiser Ottos III., auf den George im Gedicht Wahrzeichen im Teppich des Lebens anspielte,168 wurde 1002 dort beigesetzt. Daneben war Aachen der Krçnungsort der Kçnige des Heiligen Rçmischen Reiches Deutscher Nation, beginnend mit der Krçnung Ottos I. im Jahre 936, der damit programmatisch an die Reichsidee Karls des Großen ankn#pfte, bis zur Krçnung von Ferdinand I. im Jahre 1531.

166 Verwey: Mein Verh#ltnis zu Stefan George. S. 25 f. 167 Salin: Um Stefan George. S. 260; vgl. Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 324 f.; Raulff: Kreis ohne Meister. S. 113. 168 Vgl. Kapitel 3.2.4.

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Aachen: Grabçffner zeigt eine f#r die Gattung Epigramm typische Zweiteilung in ,Erwartung‘ und ,Aufschluss‘,169 hier in Form eines Bedingungsgef#ges. Die Tafel verurteilt zwar ebenso wie in Die Gr#ber in Speier den Grabfrevel des direkt angesprochenen ,Ihr‘, formuliert aber zugleich einen mildernden Umstand. Die beiden Schlussverse bieten den #berraschenden ,Aufschluss‘: Die Erwartung einer nahen Endzeit wird als legitimes Motiv gelten gelassen. Durch diese Schlusswendung wird die .ffnung der Gr%ber in ein apokalyptisches Szenario einger#ckt, das die Vorstellung auf den Kopf stellt: In der Apokalypse çffnen sich die Gr%ber, weil die Toten auferstehen – und nicht, weil die Lebenden die Gr%ber aufscharren. Im Heraufbeschwçren eines apokalyptischen Szenarios liegt einerseits eine Reminiszenz an die mittelalterlichen Angstvorstellungen vom nahenden Weltende, wie sie um das Jahr 1000 herum geherrscht haben mçgen, als Otto III. das Karlsgrab çffnen ließ,170 andererseits eine indirekte Warnung an die mit ,Ihr‘ angesprochenen frevelnden Zeitgenossen. Unmittelbar auf die in Aachen: Grabçffner angeprangerte Grabsch%ndung bezogen ist die nachfolgende Tafel Hildesheim: HILDESHEIM Dass euch die sch%ndung nicht zu sehr erbose Der heiligen çrter durch die niedre brut! Denn goldne knospe trieb in treuer hut – So schien es j#ngst – die Tausendj%hrige Rose. (SW VI/VII, 178)

Die Tafeln Aachen: Grabçffner und Hildesheim stehen in einem Korrespondenzverh%ltnis, indem Aachen: Grabçffner die Apokalypse evoziert und Hildesheim die Auferstehung und das neue Leben dagegenh%lt. Mit 169 Diese bekannte Definition des Epigramms geht auf Gotthold Ephraim Lessing zur#ck (Zerstreute Anmerkungen "ber das Epigramm und einige der vornehmsten Epigrammatiker, 1771). 170 Das Grab Karls des Großen in der Aachener Pfalzkapelle wurde im Laufe der Geschichte mehrmals geçffnet, darauf spielt das „wieder“ im zweiten Vers an. Die im 19. Jahrhundert bekannteste Episode war die legendenumwobene .ffnung des Karlsgrabs durch Kaiser Otto III. im Jahre 1000. Dieses Ereignis wurde mehrfach k#nstlerisch verarbeitet, etwa in August von Platens historischer Ballade Klagelied Kaiser Otto des Dritten (1833), in dem Otto III. #ber seinen Grabfrevel sinniert, und in Alfred Rethels Fresko Erçffnung der Gruft Karls des Großen durch Otto III. (1847). Weitere Grabçffnungen erfolgten 1165 anl%sslich der durch Friedrich Barbarossa veranlassten Heiligsprechung Karls des Großen (im Jahre 1215 ließ Friedrich II. dann die Gebeine in den Karlsschrein #berf#hren).

3.3 Subversiver Medi%valismus in Der Siebente Ring

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dem ,Ihr‘ werden jetzt nicht mehr die grabsch%ndenden Zeitgenossen angesprochen, sondern im Gegenteil die Gruppe derjenigen, die sich #ber die Grabsch%ndung aufregt. Die durch umarmenden Reim unterstrichene ,treue Hut‘, in der sich die Rose, das Wahrzeichen Hildesheims, befindet, kontrastiert mit der Grabsch%ndung in Aachen. Die tausendj%hrige Rose, auf die das Gedicht zul%uft, symbolisiert die noch lebendige )berlieferung zwischen Mittelalter und Moderne und die damit verbundene Mçglichkeit eines ,Wiederaufbl#hens‘ einer goldenen Zeit. In der eingeschobenen Einschr%nkung „[s]o schien es j#ngst“ klingt die schon in Herzensdame formulierte Idee wieder an, dass das Wunder nicht f#r alle gleichermaßen sichtbar sein kçnnte. Gleichzeitig ist im Verb ,scheinen‘ auch der %sthetische Schein des Kunstwerks angesprochen: Im Medium der Kunst wird die ,goldene Knospe‘ beh#tet, beziehungsweise die Kunst selbst steht vor einer ,gl%nzenden Wiedergeburt‘, wie in den 1890er Jahren in den Bl#ttern f"r die Kunst programmatisch angek#ndigt wurde. Mit den Bildern von Grab und Rose, Tod und Auferstehung stehen sich die beiden Tafeln Aachen: Grabçffner und Hildesheim als negative und als positive Vision gegen#ber, wobei das ,Dunkel‘ von ,pech und schwefel‘ mit dem Glanz des Goldes kontrastiert – die Ausgr%ber finden nur das dunkle Mittelalter, wohingegen in der Kunst das Gold, der eigentliche Schatz des Mittelalters verborgen liegt. !hnlich hatte es die Tafel Rhein: II im Bild des Hortes angedeutet. In den Zusammenhang von Franken und Rçmischem Deutschland gehçrt auch das Gedicht Bamberg, eine der enigmatischsten und deshalb meist interpretierten Tafeln:171 BAMBERG Du Fremdester brichst doch als echter spross Zur guten kehr aus deines volkes flanke. Zeigt dieser dom dich nicht: herab vom ross Streitbar und stolz als kçniglicher Franke! Dann bist du leibhaft in der kemenat Gemeisselt – nicht mehr Waibling oder Welfe – Nur stiller k#nstler der sein bestes tat · Versonnen wartend bis der himmel helfe. (SW VI/VII, 180)

Im Gedicht wird nicht unmittelbar ersichtlich, wer mit der starken Formulierung ,Du Fremdester‘ angesprochen wird. Der einzige Anhaltspunkt ist zun%chst die r%umliche Verortung im Dom zu Bamberg, welche durch 171 Laut Anika Meier ist Bamberg eine der wenigen Tafeln, welche die Forschung #berhaupt in beachtenswertem Maße interessiert hat (Meier: Tafeln. S. 472).

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)berschrift und dritten Vers angedeutet wird. Ernst Morwitz erl%utert in seinem Kommentar, dass sich das Gedicht auf zwei Plastiken im Bamberger Dom beziehe: Im ersten Quartett auf die Steinskulptur des sogenannten Bamberger Reiters und im zweiten Quartett auf die Figur des Arztes auf einem Relief Tilmann Riemenschneiders.172 Von der %lteren Forschung wurde Bamberg meist so gelesen, dass George sich in zwei Kunstwerken des Bamberger Doms wiedererkannt und sich mit den zwei abgebildeten Gestalten identifiziert habe. Joachim Mundt sieht Georges Gedicht deshalb als eine „steigernde Selbstbegegnung im Dom“.173 J#ngst haben Claus Victor Bock und Christophe Fricker eine neue Lesart vorgeschlagen, derzufolge es sich bei den beiden Vierzeilern um einen Dialog zwischen dem Arzt auf Riemenschneiders Relief und dem Bamberger Reiter handle – im ersten Quartett spreche der Arzt den Reiter an, im zweiten Quartett der Reiter den Arzt; George zeige damit ein „Gespr%ch in Stein“ zwischen Macht und Kunst.174 Dagegen soll im Folgenden gezeigt werden, dass Bamberg die beiden angesprochenen Figuren als identisch behauptet; zudem soll das Gedicht vorrangig im Kontext von Georges Reichs- und Kaiserideen gelesen werden. Als vermutlich erste und rçmische Reiterplastik auf deutschem Boden war der Bamberger Reiter schon zu Georges Zeiten ein Faszinosum – seine Existenz zeugt von einer Ann%herung an die Antike wie auch von Einfl#ssen aus der franzçsischen Kathedralskulptur.175 Die Steinskulptur ist um 1230 zur Zeit der sp%ten Stauferkaiser entstanden und im Inneren des Bamberger Doms platziert. Schon zu Georges Zeiten r%tselten die Kunsthistoriker #ber die Identit%t des Reiters. Mal wurde er als Konstantin der Große, mal als Stephan I. von Ungarn oder Heinrich II. gedeutet.176 172 Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 330; vgl. Kommentar zu SW VI/VII, 234. 173 Joachim Mundt bezieht sich auf Morwitz’ Hinweis, das Gesicht des Arztes weise !hnlichkeit mit Georges eigenen Z#gen auf (Mundt: Politisch-historische Dichtung. S. 55). 174 Bock, Claus Victor u. Christophe Fricker: Gespr#ch in Stein: Die Begegnung von Kunst und Macht in Stefan Georges Gedicht ,Bamberg‘. In: Publications of the English Goethe Society 79 (2010) H. 1. S. 5 – 17. 175 Gebhardt, Volker: Das Deutsche in der deutschen Kunst. Kçln: DuMont 2004. S. 179 f. 176 Vgl. Gockel, Heinz: Der Bamberger Reiter. Seine Deutungen und seine Deutung. M#nchen: Deutscher Kunstverlag 2006. Der Bamberger Reiter gehçrt heute zum festen Kanon der ,deutschen Erinnerungsorte‘. Wie Heinz Gockel konstatiert, war der Bamberger Reiter zu Georges Zeiten jedoch beinahe noch ein Geheimtipp, der außerhalb der Fachkreise kaum bekannt war. Im 18. und 19. Jahrhundert war der

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Auf den Sonderstatus des Bamberger Reiters spielen die beiden scheinbar paradoxen Benennungen an, die das erste Quartett umrahmen: Zu Beginn wird die ,Fremdheit‘ des Reiters superlativisch hervorgehoben und durch Großschreibung, Tonbeugung und Doppelsenkung betont („Du Fremdester“). Am Ende des Quartetts wird er dagegen als „kçniglicher Franke“ apostrophiert. Der Bamberger Reiter stellt also eine Synthese aus Fremdem und Eigenem dar – er ist fremd und „doch […] echter spross“. Er verb#rgt zudem eine messianische Hoffnung auf Wiederkehr (,gute kehr‘). Wiederum bezeugt das Pr%sens seine Gegenw%rtigkeit, die durch eine rhetorische Frage bekr%ftigt wird („Zeigt dieser dom dich nicht“). Das zweite Quartett spricht ebenfalls ein ,Du‘ an; es erscheint plausibel, anzunehmen, dass hier immer noch der ,Fremdeste‘ apostrophiert wird, der nun in einer zweiten Gestalt „leibhaft“ geworden ist.177 Im Gedicht werden die beiden Figuren also als identisch behauptet. Medi%valisierendes Flair erzeugen der Archaismus „kemenat“ und die Anspielung auf die staufischBamberger Reiter auf wenig Interesse gestoßen. Sogar Tieck und Wackenroder #bergingen ihn, obwohl sie den Bamberger Dom besuchten und ausf#hrlich beschrieben. Erst Ende des 19. Jahrhunderts fand der Bamberger Reiter verst%rkte Beachtung in der Kunstwissenschaft. Die Verçffentlichung von Georges BambergGedicht 1907 war deshalb noch „eine bewußt elit%re Geste“ (Ullrich, Wolfgang: Der Bamberger Reiter und Uta von Naumburg. In: Deutsche Erinnerungsorte. Hrsg. von Etienne Francois u. Hagen Schulze. M#nchen: C.H.Beck 2001. S. 322 – 334, hier S. 328). Die weitere Rezeptionsgeschichte des Bamberger Reiters hat Walter Ullrich dargestellt: Erst nachdem sich w%hrend des Ersten Weltkriegs die deutschfranzçsische Deutungskonkurrenz um die Gotik versch%rft hatte, begann eine Zeit der R#ckbesinnung auf die „deutsche Kunst“ des Mittelalters als der eigenen, nationalen Kunst. Massentauglich wurde der Bamberger Reiter durch die Fotografien von Walter Hege. Der Bamberger Reiter wurde nun zum Kultobjekt, das durch Kinderb#cher, Romane, Dramen und Gedichte weiter popularisiert wurde. In diese Zwischenkriegszeit fallen auch zwei Publikationen von Historikern aus dem George-Kreis: Wolfram von den Steinens Buch Kaiser Heinrich der Zweite, der Heilige (1924) und Ernst Kantorowicz’ Biographie Kaiser Friedrich II. (1927). Von den Steinen und Kantorowicz folgten in ihren Abhandlungen der Bamberger Bildkunst vor allem der Anregung aus Georges Gedicht und weniger den allgemeinen Rezeptionstrends der Zeit, die den Bamberger Reiter national und nationalistisch ausdeuteten. Die Nationalsozialisten feierten den Reiter und Uta von Naumburg als „deutsches Paar“ und vereinnahmten sie ideologisch, indem sie sogar eine Linie vom Bamberger Reiter zu Adolf Hitler zogen. So verwundert es nicht, dass der Bamberger Reiter nach dem Zweiten Weltkrieg als Symbol verpçnt war und das Interesse schlagartig wieder abflachte (ebd.). 177 Der Partikel „als“ in der Formulierung „als kçniglicher Franke“ deutet auf eine Rolle hin, zudem markiert das Adverb „Dann“ zu Beginn des zweiten Quartetts eine Sukzession.

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welfische Thronkonkurrenz im sp%ten 11. Jahrhundert, die in Bamberg 1208 mit der Ermordung des ,Waiblingers‘ Philipp von Schwaben ein vorl%ufiges Ende fand. )ber diesen politischen Fronten steht unparteiisch der K#nstler, der tr%umend (,versonnen‘) darauf wartet, dass sein menschliches Werk durch gçttliche Hilfe vollendet wird. Das R%tsel dieses Gedichts ist, wer mit dem ,Fremdesten‘ gemeint sein kçnnte. Georges Tafel nimmt gewissermaßen die r%tselhafte Aura des Kunstwerks auf: Sie fordert den Leser zu Identifizierungsversuchen heraus, genauso wie der Betrachter des Bamberger Reiter zu Identifizierungsversuchen herausgefordert wird. In den beiden Verkçrperungen des ,Fremdesten‘ sind deshalb, eher als konkrete Personen, die beiden komplement%ren Typen des K%mpfers und des K#nstlers zu sehen. Sie stehen stellvertretend f#r die beiden mittelalterlichen Modelle der vita activa und der vita contemplativa, die George %hnlich bereits im Gedicht Der Einsiedel aus den Sagen nebeneinander gestellt hatte. K%mpfer und K#nstler sind dabei Repr%sentanten ein und desselben Geistes, n%mlich des ,Fremdesten‘: Bamberg zeigt wie auf einem Medaillon den K#nstler als wesensverwandten Bruder des Ritters. Im Gedicht werden damit, so hat es Michael Thimann treffend formuliert, „zwei Figuren k#nftiger Verheißung, der T%ter und der Dichter“ zusammengef#hrt.178 Aufschlussreich f#r die Deutung des Bamberger Reiters im GeorgeKreis ist Ernst Kantorowicz’ Biographie Kaiser Friedrich der Zweite (1927).179 In einer Passage #ber die „Bildkunst von Bamberg“ deutet Kantorowicz den Bamberger Reiter als Verkçrperung des „rçmisch-antike[n] Deutsche[n]“, als Versprechen eines „weltweiten und dennoch deutschen Wesens“ und als einen „fast mittelmeerische[n] Germanentyp“.180 Demzufolge ist der ,Fremdeste‘ also deshalb zugleich „fremd“ und „echter spross“, weil er sowohl das rçmisch-antike Erbe als auch das germanisch-deutsche Erbe in sich tr%gt. K%mpfer und K#nstler w%ren dem178 Thimann: Bildende Kunst. S. 556. 179 Diese Biographie ging auf Georges Anregung zur#ck; George begleitete das Projekt intensiv in den Entstehungsjahren 1924 bis 1927, indem er Entw#rfe las, kommentierte und f#r die Publikation in der Reihe Werke der Wissenschaft aus dem Kreise der Bl#tter f"r die Kunst bei Bondi autorisierte (Gr#newald, Eckhart: Ernst Kantorowicz und Stefan George. Beitr%ge zur Biographie des Historikers bis zum Jahre 1938 und zu seinem Jugendwerk „Kaiser Friedrich der Zweite“. Wiesbaden: Steiner 2004. S. 59 f; Gr#newald, Eckhart: Kantorowicz, Ernst Hartwig. In: Stefan George und sein Kreis. Bd. 3. S. 1471 – 1477, hier S. 1474 f.). 180 Kantorowicz: Kaiser Friedrich der Zweite. S. 68.

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nach zwei unterschiedliche Auspr%gungen dieses Typus.181 Die Stadt Bamberg bot sich f#r solche Versuche germanisch-rçmischer Amalgamierung an, denn schon Heinrich II. hatte die Siebenh#gelstadt zum ,fr%nkischen Rom‘ stilisiert. Intermediale Bezugnahmen oder Kunstzitate wie diejenigen in der Tafel Bamberg fungieren #ber eine synekdochische Verweisstruktur: Mit dem ,Detail‘ wird ein ,Gesamtkontext‘ aktiviert.182 In diesem Fall evoziert George mit den beiden Kunstwerken aus dem Bamberger Dom zugleich den ,Gesamtkontext‘ der Stadt Bamberg, das heißt konkret den Kontext Bambergs als ,fr%nkisches Rom‘, den Kontext mittelalterlicher Kaiserherrlichkeit („Waibling oder Welfe“), den Kontext des fr#hmittelalterlichen Frankenreiches und der Stauferzeit, in der der Bamberger Reiter geschaffen wurde, und zuletzt ganz allgemein den Kontext des Heiligen Rçmischen Reiches – mit der Betonung auf rçmisch. Die s#dliche, gen Italien gerichtete Perspektive des mittelalterlichen Reichs stellt auch die Tafel Trausnitz: Konradins Heimat in den Mittelpunkt, indem sie im Zusammenspiel von Wahrnehmung, Erinnerung und Imagination den romantischen Staufer-Mythos alludiert: TRAUSNITZ: KONRADINS HEIMAT Hier sahst du wie die sp%ten deiner br#der Hinweg von heimischem fluss und flachem felde Mit dem entflammten sehnsuchtsblick der s#der Zu dem gebirge als dem tor der Selde. (SW VI/VII, 180)

Mit der Du-Ansprache inszeniert dieses Gedicht einen privaten Dialog mit dem letzten Staufer Konradin.183 Ein buchst%blicher ,Augenblick‘ der 181 So sieht Kantorowicz Ritter und Mçnch als die „[z]wei Formen adligen Lebens“, die in Deutschland zur Zeit des Stauferkaisers den Boden f#r die „große deutsche Plastik“ geschaffen h%tten (ebd. S. 68). 182 Ich beziehe mich hier auf Manfred Pfisters )berlegungen zur Intertextualit%t, die sich auf intermediale Zitate #bertragen lassen: Je „selektiver und pr%gnanter“ ein Verweis sei, schreibt Pfister, umso mehr komme „ihm die Struktur und Funktion einer Synekdoche, des pars pro toto, zu: Mit dem pointiert ausgew%hlten Detail wird der Gesamtkontext abgerufen, dem es entstammt, mit dem knappen Zitat wird der ganze Pr%text in die neue Sinnkonstitution einbezogen“ (Pfister, Manfred: Konzepte der Intertextualit#t. In: Intertextualit#t. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien. Hrsg. von Ulrich Broich, Manfred Pfister u. Bernd Schulte-Middelich. T#bingen: Niemeyer 1985. S. 1 – 30, hier S. 29). 183 Konradins Mutter, eine Wittelsbacher Prinzessin, ist auf der Burg Trausnitz aufgewachsen, und Konradin hat hier wohl Teile seiner Erziehung genossen. Trausnitz

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mittelalterlichen Geschichte wird hier nacherlebt und gestisch nachvollzogen: Der Sprecher des Gedichts versetzt sich in Konradins Position hinein und empfindet dessen Blick nach, der von der Burg Trausnitz zu den Alpen schweift; das ,Du‘ bezeichnet also sowohl Konradin als auch den Sprecher selbst. Der erste Vers zeigt den Standpunkt des Sprechers an, dem es aus der historischen Distanz heraus mçglich ist, Konradins S#denSehnsucht als Anfangsmoment einer kulturhistorischen Konstante zu erkennen, die sich bei geistesverwandten Seelen sp%terer Zeiten („die sp%ten deiner br#der“, V. 1) fortsetzt. Die drei weiteren Verse loten den Blick in seinem Verlauf und in seiner affektiven Aufladung aus, wobei der Kontrast von horizontaler Landschaft der Heimat und vertikaler Alpenlandschaft eine unterschwellige Wertung zu enthalten scheint. Die Alpen werden mit der Kraft des „sehnsuchtsblicks“, in dem das romantische Motiv des sehnsuchtsvollen Blicks aus dem Fenster anklingt,184 zur Himmelspforte und zum Eingang ins Elysium erhçht. Im Archaismus „tor der Selde“ klingt das mittelhochdeutsche Wort sælde an, ein zentraler Begriff der hçfischen Dichtung und des Minnesangs, der die durch Gott oder gl#ckliches Schicksal verliehene Tugend oder den Segen bezeichnete. In diesem Sinne markiert das Schwellensymbol des Tors den )bergang von der real geschauten Landschaft zur imaginierten Schau des Paradieses und der Seligkeit. In dem Adjektiv ,entflammt‘ schwingt sowohl die W%rme des S#dens als auch die Gefahr des Feuers mit, wodurch Italien wie im Gedicht Rom-Fahrer wiederum zum ambivalenten Sehnsuchtsraum stilisiert ist, in dem Konradin am Ende sein Verderben finden wird. Das ,Sehnen‘, das auf die Formulierung „wahren volkes sehnen“ in Die Gr#ber in Speier zur#ckverweist, unterstreicht die zukunftsgerichtete Erwartungshaltung, die in den medi%valisierenden Tafeln mitschwingt und eng mit dem staufischen Kaisertum des Mittelalter verbunden ist. Georges Tafel Trausnitz: war in der ersten H%lfte des 13. Jahrhunderts ein Zentrum der staufischen Kultur und Reichspolitik. Konradin soll sich im Jahre 1267 einige Tage auf der Burg Trausnitz aufgehalten haben, bevor er nach Italien zog, um dort sein Erbe zu sichern. 1268 unterlag der sechzehnj%hrige Konradin in S#ditalien den Truppen Karls von Anjou und wurde im gleichen Jahr in Sizilien hingerichtet. Das Schicksal des fr#hverstorbenen Kindkçnigs Konradin hat zahlreiche Dichter zu poetischen Werken angeregt (Vgl. M#ller: Das Konradin-Bild im Wandel der Zeit und Kapitel 3.2.4). 184 In der mittelalterlichen Literatur ist der sehnsuchtsvolle Blick von der Zinne, also vom Bergfried oder von der Mauer, zumeist der Dame vorbehalten, denn die Frauen blieben in der Burg, w%hrend die M%nner auf Kriegszug ziehen. Dies unterstreicht, dass in diesem Gedicht der kindliche, sehr junge Konradin angesprochen wird, der noch bei seiner Mutter aufw%chst.

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Konradins Heimat %sthetisiert die historischen Verl%ufe, indem sie das Sehen, die Schau und den entflammten, affektiven Blick in den Mittelpunkt stellt. 3.3.3.2 Katholisches Mittelalter versus preußischer Protestantismus Das Wilhelminische Reich war durch die preußische Vorherrschaft protestantisch dominiert, die katholische Konfession war im Kulturkampf unter Druck geraten. Das Rheinland war jedoch traditionell katholisch gepr%gt, und diese Ausrichtung spiegelt sich in Georges Medi%valismus wider. Georges Opposition zum Wilhelminischen Reich dr#ckt sich insofern auch in seinen katholischen Bildern vom Mittelalter aus. Explizit antiprotestantisch ausgerichtet ist die Tafel Worms, in der die Reformation als „gez%nk und starre s%tze“ abqualifiziert und zudem beschuldigt wird, den s#dlichen Einfluss und die Renaissance in Deutschland abgebrochen und verhindert zu haben:185 WORMS Neu war die welt erwacht: die fersten sch%tze Und bl#tenwolken trieb ins land ein fçhn . . Dann kam der frost: gez%nk und starre s%tze . . Der schçnste lenz entfloh uns mit gestçhn. (SW VI/VII, 177)

In den Naturmetaphern von „bl#tenwolken“ und „frost“ ist die kulturhistorische Entwicklung Deutschlands versinnbildlicht, wie sie aus Georges konfessioneller Perspektive erschien. Mehrere Tafeln evozieren religiçse Kunstwerke des Mittelalters. In der ersten Kunst-Tafel ruft das lyrische Ich eine Kçlnische Madonna als seine „Schirmherrin“ an, und die Madonna antwortet: „,Einst bracht ein volk so klar wie tief hervor / Mich l%chelnde Madonna mit der Wicke‘“ (SW VI/ VII, 176). Ganz im Sinne katholischer Marienverehrung spendet die Madonna hier Schutz und Trost, wobei die Religion ganz in der !sthetik aufgehoben ist, indem Maria als Sujet eines Kunstwerks in Erscheinung tritt und zudem in Rollenrede auf die eigene Kunsthaftigkeit hinweist (,hervorgebracht‘). Das Gedicht variiert mit den Attributen „so klar wie tief“ implizit das Thema der Ebenb#rtigkeit von altdeutscher und italie185 Georges konsequent %sthetische oder literarische Sicht auf die Geschichte %ußert sich auch in seiner Ansicht, die Renaissance habe in Deutschland erst mit der Goethezeit eingesetzt (Vallentin: Gespr#che mit Stefan George. S. 56).

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nischer Kunst, das im Teppich des Lebens verhandelt wurde.186 Die darauffolgende Tafel Bild: einer der drei Kçnige (VI/VII, 176) ist durch die Bedeutung der Stadt Kçln als Zentrum der Verehrung der Heiligen Drei Kçnige mit der Tafel Kçlnische Madonna assoziativ verbunden. Nach zwei Tafeln auf die ,nordische‘ Kunst187 evoziert das Gedicht Kolmar: Gr"newald die oberrheinische Kunst des sp%ten Mittelalters: KOLMAR: GR)NEWALD Dein wunder leib ertr%gt der henker klaue · Der ungeheuer huf und ekle h%rung Sein lebtag · dass er f#r ein nu sich schaue Im rosigen l%cheln siegender verkl%rung. (SW VI/VII, 176)

Das Gedicht verbindet zwei Bilder des Isenheimer Altars in Colmar, die Kreuzigung und die Himmelfahrt Christi, und bringt diese in einen konsekutiven Zusammenhang: Die qualvolle Marter zu Lebzeiten f#hrt zur )berwindung des Irdischen in der Zeitlosigkeit der mystischen Schau.188 Bemerkenswert ist, wie sich das Gedicht auch sprachlich mit dem Archaismus „h%rung“ der dunkel-mystischen Atmosph%re des Gem%ldes anpasst. Liest man, wie Joachim Mundt vorgeschlagen hat,189 das Gedicht nicht als Anrede an Christus, sondern als Anrede an Gr#newald selbst, ergibt sich hier eine Analogie zwischen Christus und dem K#nstler, dessen irdische Leiden f#r die Ewigkeit im Kunstwerk verkl%rt sind. Darin zeigt sich poetologisch eine durch Nietzsche vorgepr%gte Identifikation des modernen K#nstlers mit dem leidenden Gottessohn,190 und zudem eine Variation des „Heroismus des verlorenen Postens“.191

186 Vgl. Kapitel 3.2.2. 187 Nordischer Meister; Nordischer Bildner (SW VI/VII, 176). 188 Achim Aurnhammer vermutet in der Charakterisierung der „verkl%rung“ als ,siegend‘ einen intertextuellen Bezug zu Joris-Karl Huysmans’ kunsthistorischer Gr#newald-W#rdigung in Trois Primitifs aus dem Jahre 1905 (Aurnhammer, Achim: Joris-Karl Huysmans’ ,Supranaturalismus‘ im Zeichen Gr"newalds und seine deutsche Rezeption. In: Moderne und Antimoderne. Der Renouveau catholique und die deutsche Literatur. Hrsg. von Wilhelm K#hlmann. Freiburg i. Br., Berlin, Wien: Rombach 2008. S. 17 – 42, hier S. 35 – 36). 189 Mundt: Politisch-historische Dichtung. S. 30. 190 Vgl. Langer, Daniela: Diskussionsbericht. Zur Vorlage von Marx. In: Autorschaft. Positionen und Revisionen. Hrsg. von Heinrich Detering. Stuttgart: Metzler 2002. S. 170 – 172, S. 170 f. 191 Kolk: Literarische Gruppenbildung. S. 40. Vgl. Kapitel 2.3.3.

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Das darauffolgende Gedicht betont die schçpferische Kraft des Glaubens: HEISTERBACH: DER M.NCH Euch ward wodurch ihr bisher galtet: t#rme Ges%nge sagen siege durchs Gebet. Die welt die sein entr%t · die nun entsteht Ist spreu vorm Herrn und ihr vor ihm gew#rme. (SW VI/VII, 177)

Kernwort des Gedichts ist das durch Großschreibung hervorgehobene „Gebet“. Der Mçnch erinnert die Angesprochen daran, dass alle großen Werke und Taten, die den Angesprochenen Ruhm verschafft haben, aus der Kraft des Glaubens heraus entstanden seien. Der zweite Teil des Sinnspruchs enth%lt eine Warnung und Verdammung der modernen, glaubenslosen Welt. Die Tafel funktioniert wie ein mahnendes Exempel, indem sie auf die rheinische Sage von dem Heisterbacher Mçnch anspielt, der an seinem Glauben zweifelte und erst nach 300 Jahren auf wundersame Weise zur#ckkehrte.192 Das Motiv der Wiederkehr, das in dieser Sage wichtig ist, f#gt sich in die kulturkritisch-utopische Perspektive des Zyklus Tafeln; das Motiv wird hier nicht direkt gestaltet, sondern durch Anspielung auf die Sage im Titel Heisterbach: Der Mçnch impliziert. In der Tafel Quedlinburg bindet George den katholischen Aspekt der Heiligen als Schutzpatrone und die antiwilhelminische Erinnerung an mittelalterliche Kaiser zusammen: QUEDLINBURG An steilen bçgen und um wuchtige wand Sausten im sturm die Heiligen die Gesalbten: ,Wir schirmen noch die hçhn wenn sie auch falbten . . Ruft euer heil nicht hinten aus dem sand!‘ (SW VI/VII, 178) 192 Vgl. Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 326 f. Der Sage nach zweifelte ein Mçnch an seinem Glauben und qu%lte sich #ber dem biblischen Satz „Tausend Jahre sind dem Herrn wie ein Tag“. Er floh aus dem Kloster und kehrte auf wundersame Weise erst 300 Jahr sp%ter wieder zur#ck. Im 19. Jahrhundert war die Sage ein beliebtes Postkartenmotiv: Ein Bild der Ruine des Klosters Heisterbach wurde mit Wolfgang M#ller von Kçnigswinters Gedicht #ber die Sage zusammen abgedruckt (Assel, Jutta u. Georg J%ger: Sagen-Motive auf Postkarten. Der Mçnch von Heisterbach. Zug%nglich #ber http://www.goethezeitportal.de/wissen/illustrationen/ legenden-maerchen-und-sagenmotive/der-moench-von-heisterbach.html; letzter Abruf 24. 7. 2017).

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Mit Quedlinburg bedichtete George eine reformierte, preußische Stadt im Harz. Zwei einleitende Verse im Pr%teritum skizzieren den Rahmen, zwei weitere Verse sind als wçrtliche Rede der „Heiligen“ und „Gesalbten“ gekennzeichnet. Diese vage Benennung spielt auf die gesalbten Kçnige und Kaiser an, deren Namen mit Quedlinburg verbunden sind (Heinrich I., Otto I., Otto III.). Die Stiftskirche, die George 1906 besuchte und auf welche die Tafel referiert,193 wird durch architektonische Details aufgerufen, die durch Alliteration („wuchtige wand“) plastisch vor Augen gef#hrt werden. Die Statik des Geb%udes kontrastiert mit der Dynamik des Sturms, in dem die als Geister imaginierten „Heiligen“ und „Gesalbten“ lebendig werden. Sturm und Sprache sind #ber die akustische Wahrnehmung miteinander verbunden: Im Sturm werden die Stimmen der Heiligen vernehmbar. Der Sturm deutet zugleich eine Situation der Krise oder der Bedrohung an.194 Das Gedicht hat etwas Enigmatisches und zugleich Komisches, das sich in der beißenden Preußenkritik %ußert (besonders „hinten aus dem sand“, aber auch „sausten“). Wie die Kçlnische Madonna sprechen auch hier die Heiligen trçstende Worte und geben ein SchutzVersprechen („Wir schirmen“). Zugleich ermahnen sie: „Ruft euer heil nicht aus dem sand!“ – eine Mahnung an die Zeitgenossen, ihr Gl#ck nicht aus Preußen zu erwarten, auf das die Antonomie des ,m%rkischen Sands‘ f#r die Mark Brandenburg verweist. Auch das Bild der ,falbenden Hçhen‘ bewegt sich im gleichen semantischen Feld: Die Hçhen – deutscher Landschaft und Kultur, so erkl%rt einleuchtend Morwitz195 – werden zwar blasser, preußischer, vergilben wie Bl%tter im Herbst, aber die Geister der Heiligen besch#tzen sie. Nach dem Hildesheimer Rosenwunder ist die imaginierte Pr%senz der mittelalterlichen Kaiser ein weiteres Hoffnungszeichen in der Gegenwart, das eine Verbindung zwischen Mittelalter und Moderne leistet. Wie an diesen Tafeln deutlich geworden ist, liegt eine Funktion von Bezugnahmen auf das Mittelalter darin, dass sie elit%res Bildungswissen aufgreifen. Im Falle antonomastischer Namensumschreibungen etwa machen sich diese Bezugnahmen ein verr%tselndes Potential zunutze, um den gebildeten Leser in ein Spiel des Chiffrierens und Dechiffrierens einzuladen. Zur F#llung der enigmatischen, teilweise auch Mehrdeutigkeit herstellenden Leerstellen in Georges Gedichten sind sowohl geschichtliches 193 Kommentar im Anhang zu SW VI/VII, 233. 194 Vgl. den Vers „Hans Holbein dem einzigen . . im rauhen sturme / Besch#tzt die glorienschar vom Rhein und Maine . .“ (Wahrzeichen, SW V, 52). 195 Ebd. S. 329.

3.3 Subversiver Medi%valismus in Der Siebente Ring

253

Wissen als auch Kenntnisse von Georges Werk sowie der im George-Kreis gepflegten Interessen nçtig. Der allgemeine Leser erf%hrt so die Befriedigung, sozusagen das Gebildetenr%tsel aus der Sonntagszeitung gelçst zu haben, wenn er Bezugnahmen versteht. Mitglieder des Kreises im engeren Sinne d#rfen sich dar#ber hinaus als Eingeweihte f#hlen. Das Mittelalter als eine der von George ins Auge gefassten Bildungswelten erf%hrt gerade durch die fortw%hrende Verr%tselung oder nur andeutungsweise Nennung des Gemeinten eine Steigerung des ohnehin in Literatur angelegten dialogischen Potentials. 3.3.3.3 Zusammenfassung: Medi%valismus im Postkartenformat George ist zeitlebens viel auf Reisen gewesen, teils allein, teils in Begleitung seiner Freunde. Die Postkarte war dabei ein beliebtes Medium: Aus Speyer sandten George und Friedrich Gundolf 1902 eine Postkarte an Karl Wolfskehl, aus Quedlinburg schickten George und Ernst Gundolf im Dezember 1906 eine Ansichtskarte der Schlosskirche an Melchior Lechter, und im Februar 1906 hatte George aus Colmar eine Postkarte an Friedrich Gundolf geschrieben – „gruss aus dieser finstren unheimlichen Stadt mit dem unheimlichsten unsrer meister M. G“.196 Aus der Abk#rzung M. G. ließ sich sowohl ,Matthias Gr#newald‘, ,Meister Gr#newald‘ als auch ,Meister George‘ herauslesen. Diese Unterschrift deutet nicht nur auf den spielerisch-identifikatorischen Umgang Georges mit historischen Persçnlichkeiten hin, sondern zeigt bereits die Verk#rzung als Kunstgriff zur Verr%tselung und Vervielfachung der mçglichen Bedeutungen. Auf diesem Prinzip der Subjektivierung und Verk#rzung basieren auch Georges medi%valisierende Tafeln auf Kunstwerke und St%dte: Als Epigramme oder Sinnspr#che bieten sie einen ,Medi%valismus im Postkartenformat‘, da sie bestimmte Sehensw#rdigkeiten oder curiosit+s auf der Grçße einer Postkarte poetisch festhalten, etwa die tausendj%hrige Rose in Hildesheim (Hildesheim) oder den Isenheimer Altar in Colmar (Kolmar: Gr"newald). Freilich auf andere Weise, als es im 19. Jahrhundert sonst #blich war, wenn Gedichte und Bilder, die sich auf Sehensw#rdigkeiten bezogen, auf Postkarten abgedruckt und touristisch vermarktet wurden. Dennoch schreibt sich Georges Medi%valismus mit den Tafeln auf mittelalterliche Kunstwerke und St%dte in die Tradition literarischer Reise196 In: George/Gundolf: Briefwechsel. S. 172. Gr#newald selbst signierte seine Werke mit diesem K#rzel (Geissler, Heinrich: Meister Mathis – Leben und Werk. In: Mathis Gothart Nithart Gr"newald. Der Isenheimer Altar. Hrsg. von Max Seidel u. H. Geissler. Stuttgart: Belser 1973. S. 15 – 37, hier S. 16).

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3 Kulturkritischer Medi%valismus

und Landschaftsbeschreibungen ein. Die f#r die Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts charakteristische Verquickung von Raum und Zeit ist auch in Georges Tafeln zu beobachten: Die Reise durch die Landschaft ist zugleich eine Reise durch die Zeit. Die Zeitlichkeit wird dabei gelegentlich selbst zum Gegenstand der Reflexion, beispielsweise in der Anspielung auf die Apokalypse in Aachen: Grabçffner oder in der Kontrastierung einer vergangenen Zeit des Glaubens mit einer gegenw%rtigen Zeit des Unglaubens in Heisterbach: Der Mçnch. Die Tafeln folgen dabei weder einer streng geographischen noch einer streng chronologischen Ordnung, auch wenn sich das Rheinland und das Mittelalter als r%umlich-zeitliche Schwerpunkte abzeichnen. Die Tafeln liefern Momentaufnahmen, welche die chronologische Zeitlichkeit durchbrechen und die Erinnerung als epiphanisches Erlebnis inszenieren. Hierin n%hern sich die Tafeln dem griechischen Zeitkonzept des Kairos, des erf#llten Augenblicks, das George im Siebenten Ring im Gedicht Kairos (SW VI/VII, 188) bedichtete; „Augenblick als hçchster Gott“ (SW IX, 79) sollte sp%ter ein Vers im Neuen Reich lauten. Gegen das Fortschrittsdenken und das Denken der Zeit als linearen Verlauf setzte George zyklische Modelle der Bl#te und des Niedergangs, der Wiederkehr und der Wiederverkçrperung (bspw. Hildesheim, Worms). Zudem findet sich ein triadisches Geschichtsmodell, wie es f#r konservatives Denken seit der Romantik typisch war: die Geschichte im Dreischritt aus negativ gesehener Gegenwart, positiv gesehener Vergangenheit und utopischer Zukunft (bspw. Rhein: I – VI). Durch die TempusWahl wird ein Effekt von Pr%senz erzeugt: Viele der Kunstwerke und Personen in den Tafeln werden im Pr%sens angesprochen. Statt einer Historisierung, die mit historischem Pr%teritum einherginge, dominieren Vergegenw%rtigung, Gleichzeitigkeit und Simultanit%t. Die Epochen stehen direkt nebeneinander, ohne chronologische Ordnung. )ber allem liegt als Zeittechnik des Medi%valismus die Kontrastierung von Gegenwart und Vergangenheit, mithin eine der klassischen Funktionen von Mittelalterbildern – das Mittelalter als Gegenbild zur eigenen Gegenwart. Dies pr%gt das Medi%valismus-Konzept als ein kulturkritisches, denn im Gegensatz zu den im zeitlosen Raum angesiedelten Sagen und S#ngen erfolgt jetzt eine geographisch-zeitliche Konkretisierung. Jedoch umfasst die Augenblickskonzeption auch diese Konkretionen, so dass sie ihrer Konkretheit enthoben werden – auf diese Weise gewinnen selbst konkrete Personen und Orte eine #berzeitliche Dimension. Dies erst erlaubt ihre Wiederkehr. Nach wie vor ist die K#rze ein zentrales Merkmal von Georges Poetik – die K#rze setzt Auswahl und Weglassen voraus, sie impliziert einen Fokus auf Details, die kondensiert dargestellt werden. Auch hier geht George also

3.3 Subversiver Medi%valismus in Der Siebente Ring

255

experimentell andere Wege als die Historiographie oder die historistische Wissenschaft, die alles genau in ihrer Zeit verortet, eine F#lle von Details liefert, positivistisch alles sammelt und nichts ausl%sst. Dagegen f%llt bei George vor allem alles das auf, was weggelassen ist – also der weiße Raum um das Gedicht, um die Begriffe, die dadurch ein gesteigertes Assoziationspotential erhalten. Die Metonymie wird so zu einem zentralen literarischen Verfahren, bei dem einzelne Worte und Kunstzitate bestimmte Ereignisse, Konstellationen und Kontexte der Vergangenheit aufrufen. Die Subjektivierung betrifft dabei zum einen die Auswahl der Gedichtgegenst%nde und einen damit verbundenen selektiven Blick, der sich teils an großen Formen, teils an kleinen Gegenst%nden festhaftet. Zum anderen betrifft sie die Personalisierung der Darstellung: Kunstwerke, Personen auf Kunstwerken und Personen der Geschichte sprechen entweder selbst oder werden mit ,Du‘ angesprochen, oftmals ohne dass der Adressat #berhaupt klar hervorgeht. Die Rede #ber das Mittelalter erh%lt dadurch etwas von einem Dialog mit dem Mittelalter oder einer privaten Zwiesprache. George setzt der .ffentlichkeit und vor allem der çffentlichen Sichtbarkeit der wilhelminischen Mittelalter-Bilder, die sich etwa in Denkm%lern manifestiert, die Privatheit und Exklusivit%t seiner Bilder entgegen. Exklusiv wirken die Bilder deshalb, weil es f#r den ,uneingeweihten‘ Leser unklar bleibt, wer mit dem ,Du‘ jeweils gemeint sein kçnnte – w%hrend die Mitglieder des Kreises zumindest von sich behaupten konnten, die Anspielungen zu verstehen. Zu der ehrfurchtsvollen und bewundernden Ann%herung an die Großen der Vergangenheit gehçrt als sprachliches Mittel die Emphase, und in den Tafeln zeigt sich vielleicht am ehesten ein emphatisch-empathisches Mittelalter, wie Mathias Herweg und Stefan Keppler es f#r das 19. Jahrhundert als typisch ansehen.197 Dabei ergibt sich ein eigent#mliches Paradoxon aus Grçße und Kleinheit, das heißt historischer Grçße (Helden, K#nstler, Reiche) und Kleinheit der Darstellung, die sich in der Kompression langer Geschichtszeitr%ume zu einzelnen Momenten und in der Fokussierung von Details artikuliert, die wie mit einem Fernglas vergrçßert werden. Zugleich ist eine Tendenz zur Dynamisierung erkennbar, indem die Statik beispielsweise eines Denkmals oder eines Kunstwerks in Bewegung aufgelçst wird und in fließende Aggregatzust%nde #bergeht. Dies kontrastiert mit den gewaltigen und monumentalen Denkm%lern des Wilhelminischen Reichs wie etwa dem Kyffh%user-Denkmal, der Germania in R#desheim oder der Reiterstatue 197 Herweg u. Keppler-Tasaki: Das Mittelalter des Historismus. Umrisse einer Rezeptionskultur mit R#ckblicken auf den Humanismus. S. 25.

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3 Kulturkritischer Medi%valismus

Wilhelms I. am Deutschen Eck in Koblenz. Gegen diese offizielle, staatsaffirmative Denkmalsplastik setzte George mit den Epigrammen der Tafeln eine subversive, poetische Denkmalskultur: Die Epigramme sind zugleich als Grabinschriften lesbar, welche der Memoria der mittelalterlichen Kaiser und der mittelalterlichen Kunst dienen.

3.4 Zwischenfazit Als zweite Phase des Medi%valismus in Georges Werk wurde eine kulturkritische Aneignung des Mittelalters beobachtet, die in einer Reihe von Gedichten aus Der Teppich des Lebens (1900) und aus den Zyklen Zeitgedichte und Tafeln in Der Siebente Ring (1907) zum Ausdruck kam. Obgleich George auch weiterhin an den Grundz#gen seiner antimimetischen Poetik festhielt, zeigt sich ein gewandeltes Konzept von Medi%valismus. Der spielerisch-zweckfreie, %sthetizistische Charakter der fr#hen Mittelalterimaginationen wird durch einen feierlichen Gestus abgelçst, die Grundhaltung ist die der religiçsen Ehrfurcht und Emphase. Entsprechend wird die Dichterrolle aufgewertet vom Spielmann zum K#nder, so dass statt Frauenlob nun Dante als Identifikationsfigur auftritt. Der rezeptive Anteil des Medi%valismus l%sst sich in dieser zweiten Phase st%rker #ber Bezugnahmen auf Werke der bildenden Kunst bestimmen, auch wenn literarische Texte und vorg%ngige !sthetikdiskurse weiterhin miteinfließen. Das Mittelalter erh%lt durch diese Bez#ge tendenziell konkretere realweltliche Konturen und hebt sich damit vom vage und allgemein gehaltenen Mittelalter einer tr%umerischen Seelenwelt ab. Dennoch zeigt sich auch in dieser zweiten Phase ein pr%gnantes imaginatives Moment, insbesondere im Entwurf alternativer, kontrafaktischer und mythischer Mittelaltervisionen. Ein strukturell dominanter Zug des kulturkritischen Medi%valismus ist sein antithetisches Verfahren: Das Mittelalter wird in kontrastierendem Modus aufgerufen, als Gegenbild sowohl der Antike als auch der Gegenwart. Der Medi%valismus fungiert als Medium der Kulturreflexion, innerhalb derer das eigene Verh%ltnis zur nationalen Tradition genauer bestimmt werden kann. Das Nationale ist dabei eher als kultureller denn als politischer Begriff gedacht, das heißt unabh%ngig von der bestehenden Staatsform als verbindendes Kulturerbe. Den deutschtumsfixierten Definitionsversuchen einer Nationalkultur im Wilhelminischen Kaiserreich setzte George den Verweis auf die #bernational-katholische romanische Kulturtradition entgegen.

4 Esoterisch-prophetischer Medi%valismus Schon im antimimetischen, %sthetizistischen Sprechen der ersten Phase des Medi%valismus war ein Vorbehalt gegen#ber der Sprache als Ausdrucksund Verst%ndigungswerkzeug angelegt, der sich in der kulturkritischen zweiten Phase konkretisierte, indem in den ,Du‘-Ansprachen an mittelalterliche Kunstwerke eine Tendenz zu einer exklusiven, nicht jedermann zug%nglichen Kommunikation sichtbar wurde. Dadurch waren Sprechweisen vorbereitet, welche in der im Folgenden zu skizzierenden dritten Phase des Medi%valismus zur vollen Entfaltung kommen. In dieser dritten Phase wird der Medi%valismus zum Medium eines esoterisch-prophetischen Sprechens. Was im kulturkritischen Medi%valismus utopisches Denken im triadischen Geschichtsmodell und konkrete Prophezeihung war, wird nun zu einer Haltung des Sprechens. Diese neue Funktionalisierung des Medi%valismus wurzelt in Gedichten des Siebenten Rings, setzt sich in Der Stern des Bundes von 1914 fort und erreicht ihren Hçhepunkt im 1928 verçffentlichten Sp%twerk Das Neue Reich. Die dritte Phase des Medi%valismus steht zum einen im Zeichen der Sprachproblematik, zum anderen im Zeichen des Vision%ren. Sie betrifft Georges Rolle als Religionsstifter und poeta vates. Mit der autopoetisch gezeugten Heilandsfigur ,Maximin‘ verpflichtete George seinen Kreis auf eine gemeinsame Kultmitte und verlieh seiner Dichtung eine erhçhte soziale und religiçse Verbindlichkeit. George festigte die Gemeinschaft seines M%nnerbundes unter anderem dadurch, dass er historische Analogien zu mittelalterlichen Geheimb#nden und Orden heraufbeschwor (Kapitel 4.1). Damit ging eine kommunikative Abgrenzung gegen#ber der zeitgençssischen .ffentlichkeit einher, ein esoterischhermetisches Sprechen sollte vor dem Zugriff der Nicht-Eingeweihten sch#tzen. Umgekehrt wird diese Bedrohungssituation #berhaupt erst imaginiert, denn die Vorstellung eines drohenden Zugriffs durch NichtEingeweihte wird bençtigt, um sich als exklusive Gruppe verstehen zu kçnnen. So gesehen ist nicht das geheimnisvolle Sprechen das Mittel, um sich vor den Nicht-Eingeweihten zu sch#tzen, sondern die Vorstellung einer Bedrohung von außen legitimiert die Konstruktion einer esoterischen Sprache und auratisiert das eigene Sprechen. Dies %ußert sich insbesondere im Gedichtband Der Stern des Bundes (1914), dessen urspr#nglicher Titel

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4 Esoterisch-prophetischer Medi%valismus

Lieder f"r die heilige Schar und dessen Konzeption als „geheimbuch“ auf den George-Kreis als intendierte Adressaten verweisen. Obgleich ,Maximin‘ der ,Stern‘ ist, der #ber dem evozierten ,Bund‘ schwebt, wird sein Name im Buch selbst nie genannt. Dies deutet auf den Komplex des Unsagbaren hin, der wesentlich mit den Maximin-Dichtungen verbunden ist. Die mittelalterliche Mystik bot ein Themen- und Formenarsenal und einen historischen Ankn#pfungspunkt, um solche poetologischen Fragen zu fassen (Kapitel 4.2). In der Mystik fand George ein epistemisches Modell f#r die Sprach- und Darstellungsproblematik, die er in seiner Dichtung von Beginn an mitreflektiert hatte. In der Berufung auf Seher-Vorbilder wie Dante und Hçlderlin inszenierte sich George seit dem Siebenten Ring dezidiert als prophetischer Dichter.1 Bei Dante konnte er unter den „Sehern“ den prophetischen Denker des Mittelalters, Joachim von Fiore, wiederfinden. Dessen geschichtstheologische Vorstellung von einem ,Dritten Reich‘ sollte als politischer Mythos nach dem Ersten Weltkrieg weltanschauliche Relevanz erlangen. Solche Assoziationen weckte auch der Titel von Georges letztem Gedichtband Das Neue Reich, der zugleich auch Hçlderlin und Ibsen mitanklingen ließ. Georges prophetische Schau in die Zukunft wird in diesem Sp%twerk endg#ltig zu einem Blick in die Vergangenheit – dabei f#hrten die Wege wiederum ins Mittelalter (Kapitel 4.3).

1

Wie Gabriela Wacker gezeigt hat, nahm George von Beginn an die Prophetenrolle f#r sich in Anspruch, zun%chst im Rahmen einer Inspirationspoetik, sp%ter in der Rolle des Richter-Propheten, wenngleich sich die Vehemenz dieser Rolle im Lauf des Werks steigerte. Erst seit dem Siebenten Ring trete der Dichter-Prophet mit charakteristischem Gewaltanspruch als Zeitkritiker auf und repr%sentiere damit eine „transgressive Autorschaftspoetik“ an der Grenze vom !sthetischen zum Sozialen. In den Kriegsgedichten des Neuen Reichs (Der Krieg, Der Dichter in Zeiten der Wirren) wird die Prophetenrolle endg#ltig zur dominanten Figur (Wacker: Poetik des Prophetischen, hier S. 78, 148, 151). Wolfgang Braungart betont dagegen st%rker den Unterschied zwischen dem Typus des Priester-Dichters und des Propheten-Dichters. Braungart weist zu Recht darauf hin, dass die prophetische Rede mit bestimmten Schreibweisen, insbesondere einem hohen Stil verbunden ist (Braungart, Wolfgang: Priester und Prophet. Literarische Autorschaft in der Moderne. Am Beispiel Stefan Georges. In: Prophetie und Autorschaft. Charisma, Heilsversprechen und Gef%hrdung. Hrsg. von Christel Meier u. Martina WagnerEgelhaaf. Berlin, Boston: de Gruyter 2014. S. 335 – 353, hier S. 344).

4.1 Geheimb#nde und Orden

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4.1 Geheimb#nde und Orden Die fließende Grenze zwischen Medi%valismus und Esoterik zeigt sich nirgends deutlicher als in Georges poetischen Imaginationen von Geheimb#nden und Orden. Mit der Entstehung und Festigung des GeorgeKreises zu Beginn des 20. Jahrhunderts ging ein Interesse an historischen Formen von M%nnerb#nden einher. Dabei hielt das Mittelalter Modelle bereit, die Identifikationspotential besaßen. Im Folgenden soll herausgearbeitet werden, wie George in seiner Dichtung insbesondere die Erinnerung an die Tempelritter und an mittelalterliche Ordensgr#nder %sthetisch aktualisiert. Georges diesbez#gliche Interessen sind im Kontext einer esoterischen Gestimmtheit der Jahrhundertwende zu verorten, denn um 1900 florierten Geheimb#nde, okkulte Gesellschaften und exklusive Zirkel in ganz Europa. Nicht wenige von ihnen beriefen sich auf den geheimnisumwitterten Templerorden: 1892 gr#ndete Jos-phin P-ladan in Paris den Ordre de la Rose-Croix Catholique et esth+tique du Temple et du Graal, Adolf Lanz von Liebenfels gr#ndete 1900 einen vçlkischen Neutemplerorden, den er mit einer Rassentheorie verband; und schließlich wurde 1901 in Wien der okkulte Ordo Templi Orientis ins Leben gerufen.2 Templer und Gralsritter waren in Literatur, Geschichtsschreibung, Kunst und Musik des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Sujet, sei es in den historischen Romanen Walter Scotts und Gustav Freytags, in Richard Wagners Opern oder in Gem%lden Wilhelm von Schadows und Hermann Kaulbachs. Noch heute gehçren die Tempelritter zum festen Kern des modernen Mittelalter-Imaginariums, wie etwa die Romane von Umberto Eco oder Dan Brown beweisen. Es sind vor allem die zahlreichen Mythen und Legenden um den Templerorden, welche die Phantasie der Nachwelt angeregt haben: Der Templerorden, um 1120 in Jerusalem gegr#ndet, war der erste geistliche Ritterorden des Mittelalters; er verband die Ideale des Rittertums mit denen des Mçnchtums.3 Nach einem spektakul%ren Rechtsprozeß wurde der Orden 1312 aufgelçst, unter anderem wegen des Vorwurfs der Ketzerei und der Sodomie. Seitdem wurde #ber ein geheimes

2 3

Vgl. Dinzelbacher, Peter: Die Templer. Ein geheimnisumwitterter Orden? Freiburg i. Br.: Herder 2002. S. 143. Der Name der historischen Templer leitet sich davon ab, dass ihr Haupthaus in Jerusalem auf den Fundamenten des salomonischen Tempels erbaut worden sein soll. Die Tempelritter sollten die heilige Stadt verteidigen und die Pilger besch#tzen, die nach dem ersten Kreuzzug nach Jerusalem kamen.

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4 Esoterisch-prophetischer Medi%valismus

Weiterleben des Templerordens spekuliert. All diese Umst%nde d#rften die Templer auch f#r George zu einem attraktiven Sujet gemacht haben. Im Zyklus Gestalten, der zweiten Abteilung des Siebenten Rings, schwingt viel von der esoterischen Atmosph%re der Jahrhundertwende und Georges Begegnung mit den Kosmikern mit.4 In der Mitte dieses Zyklus findet sich eine Sequenz von Gedichten mit magisch-wilden Visionen zwischen Erotik und Askese: Sonnwendzug, Hexenreihen, Templer, Die H"ter des Vorhofs, Der Widerchrist (SW VI/VII, 48 – 57). Inmitten dieser Reihe unorthodoxer Gestalten steht also ein Gedicht, dessen )berschrift den mittelalterlichen Templerorden evoziert: TEMPLER Wie eins mit allen nur in goldnem laufe – Undenkbar lang schied unsre schar der haufe · Wir Rose: innre jugendliche brunst Wir Kreuz: der stolz ertragnen leiden kunst. Auf unbenamter bahn in karger stille Drehn wir den speer und drehn die dunkle spille. In feiger zeit schreckt unsrer waffen loh’n · Wir geisseln volk und schlagen l%rm am thron. Wir folgen nicht den sitten und den spielen Der andren die voll argwohn nach uns schielen Und grauen wenn ihr hass nicht #bermannt Was unser wilder sturm der liebe bannt. Was uns als beute fiel von schwert und schleuder Rinnt achtlos aus den h%nden der vergeuder Und deren wut verheerend urteil spie Vor einem kinde sinken sie ins knie. Der augen spr#hen und die freie locke Wie einst den herrn verriet im bettelrocke Verschleiern wir dem dreisten schwarm versch%mt Der unsre schatten erst mit glanz verbr%mt. Wie wir gediehn im schoosse fremder amme: Ist unser nachwuchs nie aus unsrem stamme – Nie alternd nie entkr%ftet nie versprengt Da ungeborne glut in ihm sich mengt. Und jede eherne tat und nçtige wende: Nur unser – einer ist der sie vollende – 4

Zu den Spuren des kosmischen Denkens im Siebenten Ring vgl. David: Das Werk Stefan Georges. S. 214 – 252.

4.1 Geheimb#nde und Orden

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Zu der man uns in arger wirrsal ruft Und dann uns steinigt: fluch dem was ihr schuf ’t! Und wenn die grosse N%hrerin im zorne Nicht mehr sich mischend neigt am untern borne · In einer weltnacht starr und m#de pocht: So kann nur einer der sie stets befocht Und zwang und nie verfuhr nach ihrem rechte Die hand ihr pressen · packen ihre flechte · Dass sie ihr werk willf%hrig wieder treibt: Den leib vergottet und den gott verleibt. (SW VI/VII, 52 f.)

Der Medi%valismus der )berschrift wird in der Lexik des Gedichts fortgef#hrt, die auf mittelalterliche Sachkultur referiert, und zugleich verst%rkt in Form von Doppelformen auftritt: ,Speer‘ und ,Spille‘, ,Schwert‘ und ,Schleuder‘, ,Sitten‘ und ,Spiele‘. Die rezeptive Dimension des Medi%valismus ist in diesem Fall durch Ernst Morwitz belegt, der schreibt, George habe ein Buch #ber die Tempelritter gekauft und „sorgf%ltig gelesen“ – „trotz seiner im Alter wachsenden Abneigung gegen dicke B%nde“.5 Mit diesem Wissen ausgestattet, gestaltete George ein Rollengedicht aus der Perspektive der Templer. Dieses Sujet erlaubte wiederum die Engf#hrung k%mpferischer, religiçser und k#nstlerischer Ideale, wie sie bereits in Georges fr#hem Medi%valismus zu beobachten war. Der naheliegende Vergleich etwa mit dem Gedicht Irrende Schar aus den Sagen zeigt jedoch, dass George solche Vorstellungen radikalisiert und die Sprecherperspektive in ein identifikatorisches ,Wir‘ wendet. Das Gedicht Templer entwirft das Bild einer verschworenen Gemeinschaft, die sich aus der umgebenden Gesellschaftsordnung abmeldet. Der Text etabliert strikte Grenzen zwischen ,Wir‘ und ,Ihr‘ und konstituiert die Gruppenidentit%t in Opposition zur Außenwelt. Darin enthalten ist eine Reflektion #ber das Verh%ltnis von Teil und Ganzem, Individuum und Gruppe. Das Gedicht erçffnet mit der Evokation zweier verschiedener Zeiten: einer mythischen Vorzeit der Einheit und einer bereits lang andauernden Zeit der Absonderung einer kleinen ,schar‘ von der Masse („Wie eins mit allen nur in goldnem laufe – / Undenkbar lang schied unsre schar der haufe ·“, V. 1 f.). Am Ende des Gedichts wird der zeitliche Rahmen 5

Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 244. Es handelte sich dabei vermutlich um Konrad Schottm#llers Buch Der Untergang des Templer-Ordens aus dem Jahre 1887 (Schultz, H. Stefan: Zur Deutung zweier Gedichte Stefan Georges. In: Deutsche Beitr#ge zur geistigen 'berlieferung. 7. Band. Heidelberg 1972. S. 145).

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4 Esoterisch-prophetischer Medi%valismus

assoziativ geschlossen, indem apokalyptische Vorstellungen von einer „weltnacht“ (V. 31) aufgerufen werden. Verbunden damit wechselt in den letzten drei Strophen die Perspektive von der Gruppe zum einzelnen Individuum, das aus der Gruppe hervortritt. Der Vers „Nur unser – einer ist der sie vollende –“ markiert den )bergang, indem er die Entstehung des ,einen‘ aus dem ,Wir‘ heraus performativ vorf#hrt („unser – einer“). Nur einer aus der Gruppe ist es, der am Ende zur existenziellen Tat im Stande ist: „So kann nur einer der sie stets befocht“. Das Gedicht f#hrt also mehrstufige Absetzungsbewegungen vor: Aus der urspr#nglichen Einheit in die Spaltung von Bund und Gesellschaft (,wir‘ und ,ihr‘) und die Apotheose des einzelnen Helden aus diesem Bund (,unser – einer‘). Deutlich wird hier der Konnex von Endzeitfurcht und Erlçsungserwartung, die mit der Idee einer Erlçserfigur verbunden ist. An die Stelle der christlichen Erlçserfigur Christus traten um 1900 verschiedene andere Figurationen, unter anderem auch der ,germanische Held‘ und ,Lichtbringer‘ Siegfried, um den sich in der vçlkischen Bewegung ein neuer Sonnenkult entwickelte, wobei man sich auf Deutungen in Friedrich Hebbels Drama-Trilogie Die Nibelungen (1855 – 1860) und Richard Wagners Ring des Nibelungen berufen konnte. Georges Gedicht pr%sentiert die anonyme Erlçserfigur des ,einen‘ zugleich als Erw%hlten. Der Templerorden diente George als Sinnbild, um die Machtverh%ltnisse zwischen mehrheitlicher und b#ndischer Ordnung zu reflektieren. Das Gedicht unterstreicht das subversive, widerst%ndige Wirken der Templerschar: Sie opponieren sowohl gegen die gesellschaftspolitische Ordnung („Wir geisseln volk und schlagen l%rm am thron.“, V. 8) als auch gegen gesellschaftliche Sitten und die Gesetze der Natur (V. 9 f. und V. 33). Die homoerotische Komponente dieser M%nnerbundkonzeption ist deutlich;6 sie liegt in der Anspielung auf den Templerorden selbst, klingt in der Rede vom „wilde[n] sturm der liebe“ an und %ußert sich im Kampf gegen die Natur (Str. 8, V. 4 ff.). Strophe sechs f#hrt zudem aus, dass sich der Nachwuchs des Ordens nicht durch nat#rliche Fortpflanzung rekrutiert, sondern durch Adoption oder Aufnahme in den Orden. Mit solchen Gedanken griff George zeitgençssische Dekadenz- und Degenerations6

Vgl. Dçrr: Muttermythos und Herrschaftsmythos. S. 307 – 310. Tina Winzen sieht im Templer-Gedicht einen Nachklag des platonischen Konzepts der geistigen Zeugung aus der mann-m%nnlichen Liebe (Winzen, Tina: Interpretationen von Die F"hrer (SW VI/VII, 38 – 39) und Templer (SW VI/VII, 52 – 53). In: Stefan George – Werkkommentar. Hrsg. von J#rgen Egyptien. Berlin, Boston 2017. S. 374 – 384, hier S. 381 f.).

4.1 Geheimb#nde und Orden

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vorstellungen auf und propagierte in Anspielung auf die Rosenkreuzer einen vitalistischen Jugendkult: „Wir Rose: innre jugendliche brunst“ (V. 3) / „Nie alternd nie entkr%ftet nie versprengt“ (V. 23). Georges Templer-Gedicht steht also einerseits noch im Zeichen des kulturkritischen, subversiven Medi%valismus, erçffnet andererseits jedoch eine neue, esoterische Sprechweise. Diese ist wiederum eng mit poetologischen Fragen verkn#pft. Die prominente Kunstthematik in Georges Werk erscheint hier noch einmal anders, medi%valisierend gewinkelt. Der Gedanke eines M%rtyrertums f#r die Kunst kommt gleich in der Rosenkreuzer-Allusion der ersten Strophe zum Ausdruck: „Wir Kreuz: der stolz ertragnen leiden kunst.“ (V. 4). Auch die bereits bekannte Denkfigur des Undanks zu Lebzeiten und Nachruhms nach dem Tode ist an zentraler Stelle des Gedichts positioniert, in der Rede vom „dreisten schwarm […] [d]er unsre schatten erst mit glanz verbr%mt“ (V. 19 f.).7 Die poetologische Reflexion reicht jedoch tiefer, wird weitergetrieben und radikalisiert: Das Gedicht behauptet nicht nur den Vorrang geistiger Schçpfung vor nat#rlicher Schçpfung. Es parallelisiert auch Textproduktion und Weltengetriebe. Die Templerschar erscheint so als K#nstlergruppe, die in apokalyptischen Zeiten die Weltkr%fte am Leben erh%lt. Dies bewirkt George durch Amalgierung von Textilmetaphorik und Anspielungen auf die germanische Mythologie, die sich vor allem in der achten Strophe verdichten. Die Assoziationskette von der „grosse[n] N%hrerin“ #ber den „untern borne“ bis zur „weltnacht“ und der Reim „zorne“/„borne“ evoziert ein Bild aus der altnordischen Mythologie bzw. der poetischen Edda und referiert auf die Interpretationen dieser Mythen durch Friedrich Hebbel und Richard Wagner im 19. Jahrhundert: Eine Norne, die am Brunnen unter der Weltesche Yggdrasil wacht, in Erwartung des nahen Weltendes oder der Gçtterd%mmerung (Ragnarçk). Charakteristisch f#r Georges Poetik ist wiederum die Aussparung – die Norne wird nicht genannt (so wie es zu Beginn des Gedichts heißt: „auf unbenamter bahn“), sondern nur durch den Reim evoziert. Der auff%llige Begriff „flechte“ in der Schlussstrophe oszilliert zwischen Vorstellungen von einem Geflecht aus dem von der Norne gesponnenen Schicksalsfaden und metaphorisch dem Text als Gewebe. Die in der zweiten Strophe beschriebenen T%tigkeiten der Templer – „in karger stille / Drehn wir den speer und drehn die spille“

7

!hnliche Denkfiguren lagen den Gedichten Frauenlob und Irrende Schar zugrunde, vgl. Kapitel 2.3.1 und 2.3.3.

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(V. 5 f.) – weisen ebenfalls auf das Weben des Schicksalsfadens hin;8 zudem stellt sich #ber den ,Speer‘ die Reminiszenz an Odins Speer ein. In Wagners Gçtterd#mmerung etwa flicht die %lteste Norne ein Seil an die Weltesche, Odin gab sein Auge und formte sich einen Speer aus der Weltesche (Odin ist auch im Vers „Wir Kreuz“ in der Kreuzigungsmetaphorik mit alludiert). Die „grosse N%hrerin“, die in der Forschung meist als Mutter Erde gedeutet wurde9 und an Wagners Erda erinnert, erh%lt #ber die Allusion auf die germanische Mythologie den Nebencharakter einer ,grossen N%herin‘, einer webenden Norne. Die Templer bezwingen also nicht nur die Natur und halten das Weltengetriebe in Gang, sondern sie zwingen auch das Schicksal und die Kunstproduktion hervor. Sie halten die Norne zur Schçpfungst%tigkeit an und fungieren als Stachel gegen Tr%gheit. Der Zorn der ,N%hrerin‘ ist deshalb geweckt, weil die Templer das nat#rliche Schçpfungsprinzip hintergehen („fluch dem was ihr schuf ’t!“). Das Templer-Gedicht h%ngt motivisch mit dem Gedicht Das Wort aus Das Neue Reich zusammen, darauf haben Gerhard Kaiser und Ralf Simon hingewiesen.10 Dort holt die Norne aus dem Brunnen der Sprache die richtigen Wçrter f#r die Einf%lle des Dichters herauf. Simon sieht deshalb zu Recht die Sprachproblematik im Zentrum der letzten Strophe von Templer stehen.11 Das Gedicht formuliert eine im Vergleich zu Das Wort herrischere Version: Die Templer zwingen die Norne, den ,leib zu vergotten und den gott zu verleiben‘, sie zwingen sie zur Wortfindung, zur „Signifikation“.12 Freilich l%sst sich der vielzitierte und vielschichtige 8 Winzen erkennt hierin zudem eine Anspielung auf den Faden der Ariadne (Winzen: Interpretationen. S. 383). Damit w%re die Orientierungs- und Leitbildfunktion der Templer-Schar f#r die Rezipienten des Gedichts implizit mit angesprochen. 9 Kommentar zu SW VI/VII, 210. Friedrich Gundolf nennt sie „die dunkle Mischerin der Stoffe und Kr%fte“ (Gundolf, Friedrich: Dichter und Helden. Heidelberg: Weiss 1921. S. 77). Vgl. Ockendens Analyse der Bildlichkeit des Pochens und Pulsierens in Georges Lyrik: „The ,Templer‘ fulfill their most important task at moments in history when the earth-mother is failing to continue the vital work of incarnation and divinization: her lack of vigor is expressed by the slowed beat of her pulse, which ,starr und m#de pocht‘.“ (Ockenden: Kingdom of the Spirit. S. 107). 10 Gerhard Kaiser: Geschichte der deutschen Lyrik von Goethe bis zur Gegenwart. Bd. 2: Von Heine bis zur Gegenwart. Frankfurt am Main 1996. S. 247 f. und 832. Simon, Ralf: Das Wasser, das Wort. Lyrische Rede und deklamatorischer Anspruch beim sp%ten Stefan George. In: Stefan George: Werk und Wirkung seit dem „Siebenten Ring“. Hrsg. von Wolfgang Braungart, Ute Oelmann u. Bernhard Bçschenstein. T#bingen: Niemeyer 2001. S. 48 – 68. 11 Simon: Das Wasser, das Wort. S. 64. 12 Ebd.

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Schlussvers auch als ,heilige Heirat‘ der Kulturen deuten, als Verbindung des christlichen Inkarnationsgedankens (den Gott verleiben) und der griechischen Idee der Vergçttlichung des Leibes – „der Griechische Gedanke: ,der Leib · dies sinnbild der verg%nglichkeit · DER LEIB SEI DER GOTT‘“, wird es 1910 in den Bl#ttern f"r die Kunst heißen.13 Das Templer-Gedicht zeigt, wie der Medi%valismus f#r George zu einem Medium eines magisch-esoterischen Sprechens werden konnte, in dessen Rahmen Textproduktion mit Welt- und Schicksalsproduktion parallelisiert wird. George deutete die Templer-Imago %sthetisch: Der existenzielle Auftrag dieser Gruppe, der in nichts weniger als der Rettung der schçpferischen Weltkr%fte besteht, nobilitiert die Kunst; das Sprechen im ,Wir‘ erlaubte den Lesern eine Identifikation. Gerade die TemplerAnalogie erlangte konstitutive Bedeutung sowohl f#r das Selbstverst%ndnis als auch f#r die Fremdwahrnehmung des George-Kreises. Klaus Mann etwa berichtet in seiner Autobiographie unter Verwendung von Zitaten aus dem Templer-Gedicht und Anspielung auf Nietzsches Tat-Philosophie: Meine Jugend verehrte in Stefan George den Templer, dessen Sendung und Tat er im Gedicht beschreibt. Da die schwarze Woge des Nihilismus unsere Kultur zu verschlingen droht, da die große N%hrerin in einer Weltnacht starr und m#de pocht, tritt er auf den Plan – der militante Seher und inspirierte Ritter. Er packt die Flechte der Stçrrischen, Erlahmten; von seinen Lippen kommt das magische Wort, welches bewirkt, dass sie ihr Werk willf%hrig weitertreibt: den Leib vergottet und den Gott verleibt. (Mann: Der Wendepunkt. S. 162)

Das Zitat weist auf den Umstand hin, dass George zu Beginn des 20. Jahrhundert eine jugendliche Verehrergemeinde hatte, die sich mit den in seiner Dichtung formulierten Botschaften identifizieren konnte. Wie Klaus Mann bezeugt, wirkten dabei insbesondere die kulturkritischen Aspekte, die im Siebenten Ring zum Ausdruck kamen, attraktiv f#r eine lebensreformerisch gesinnte Jugend auf der Suche nach einem gesellschaftlichen Aufbruch. In der Tat nahmen b#ndische Ideale, Vorstellungen von hierarchischen Graden und geheimem Wissen in Georges Dichtung seit dem Siebenten Ring einen zunehmend wichtigen Platz ein. Seinen Gedichtband Der Stern des Bundes (1914) mystifizierte er in der Vorrede zu einem „buch das noch jahrelang ein geheimbuch h%tte bleiben kçnnen“ (SW VIII, 5). Darin wird eine Dialektik aus Verh#llung und Offenbarung sichtbar, die das Ge-

13 Das Hellenische Wunder. In: Bl#tter f"r die Kunst IX/1 – 5 (1910). S. 2.

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heimnis zwar versteckt, aber auf seine Existenz hinweist.14 Diese Dialektik pr%gt insbesondere die Gedichte im Dritten Buch von Der Stern des Bundes. Dieses Buch h%ngt eng mit dem medi%valisierenden Templer-Gedicht aus dem Siebenten Ring zusammen: Einige der im Templer-Gedicht angesprochenen Prinzipien werden hier weiter expliziert, etwa die Feindschaft zum Weiblichen oder das Prinzip der K#r und Auslese, aus dem sich das „reich des Geistes“ zusammensetzt: „Aus der sohnschaft · der erlosten · / K#r ich meine herrn der welt“ (SW VIII, 83). Vor allem aber findet sich inmitten esoterischer Geheimnisbeschwçrungen wiederum eine Anspielung auf die Templer. Dies geschieht im Kontext von zwei aufeinander bezogenen, komplement%ren Gedichten, die paradigmatisch die Dialektik von Verh#llung und Offenbarung illustrieren. Denn w%hrend das erste Gedicht die symbolische Abschließung gegen#ber Unberechtigten inszeniert und vor tçdlichen Konsequenzen warnt: „Hier schliesst das tor: schickt unbereite fort. / Tçdlich kann lehre sein dem der nicht fasset“ (SW VIII, 100), hebt das zweite Gedicht diese vollst%ndige Abriegelung teilweise auf, indem es das geschlossene Tor metaphorisch wieder einen Spalt breit çffnet: So weit erçffne sich geheime kunde Dass vollzahl mehr gilt als der teile tucht Dass neues wesen vorbricht durch die runde Und steigert jeden einzelgliedes wucht: Aus dem liebesring dem nichts entfalle Holt kraft sich jeder neue Tempeleis Und seine eigne – grçssre – schiesst in alle Und flutet wieder r#ckw%rts in den kreis. (SW VIII, 101)

In medi%valisierendem Vokabular („tucht“, „Tempeleis“)15 pr%sentiert sich das Gedicht als Zahlenr%tsel, dessen Lçsung auf die Spur des geheimen Wissens f#hrt. Die Templer sind in diesem Gedicht offensichtlich eher in der Art der Runde der Artusritter imaginiert. Wie in Templer geht es auch 14 Im Templer-Gedicht heißt es beispielsweise: „Verschleiern wir dem dreisten schwarm versch%mt“ (SW VI/VII, 52). 15 Grimms Wçrterbuch erkl%rt den Begriff tempeleis aus dem mittelhochdeutschen „t/mpeleis t/mpleis (md. t/mplois) und schwachformig t/mpeleise t/mpleise aus dem altfranz. templois vom lat. templensis templer, tempelherr, auch ritter der die gralburg, den graltempel (tempel 1, d) besch#tzt; darnach auch nhd.: die tempelherren oder tempeleise“ (http://woerterbuchnetz.de/cgi-bin/WBNetz/wbgui_ py?sigle=DWB&mode=Vernetzung&lemid=GT02050#XGT02050; letzter Abruf: 24. 7. 2017).

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hier um das Verh%ltnis von Teil und Ganzem, jedoch diesmal in einem zirkul%ren Denkmuster: Die St%rke des einzelnen potenziert sich auf magische Weise durch den reziproken Kr%fteaustausch im Kreis. Der ,Bund‘, der im Stern des Bundes konstituiert wird, steht also in direkter Verbindung mit dem Gemeinschaftsmodell der Templer.16 In diesem Gedicht erweist die Templer-Imago abermals ihr positives Identifikationspotential und erscheint als integraler Bestandteil eines esoterischen Medi%valismus. Neben den Templern als historisch-mythischem Modell eines M%nnerbundes evoziert George in Der Stern des Bundes auch Franz von Assisi und Bernhard von Clairvaux als charismatische Ordensgr#nder des Mittelalters. Deren Namen fallen im Gedicht Du hast des adlers blick der froh zur sonne, das am Ende des Ersten Buchs platziert ist (SW VIII, 45). Das Gedicht richtet sich an ein Du, mit dem nach einhelliger Meinung der Forschung Ludwig Derleth (1870 – 1948) angesprochen wird. Er gehçrte zum Kreis der M#nchner Kosmiker, dem George um die Jahrhundertwende nahestand. Derleth verstand sich selbst als Stifter eines auf Armut, Keuschheit und Gehorsam verpflichteten Bundes und verçffentlichte 1904 eine weltanschauliche Schrift mit dem Titel Proklamationen,17 in der er ein „dionysisches Christentum“18 verk#ndete, das dem Rationalismus der Moderne entgegentreten sollte.19 Als historische Vorbilder f#r seine Ordensgr#ndung nannte er synkretistisch „rçmische Infanterie, das Korps der Assassinen, die Kompanie Jesu“,20 aber auch die Templer. George beurteilte Derleths Versuche ambivalent. Die Verse An Derleth aus dem Siebenten Ring %ußerten gleichermaßen Kritik wie ein Gef#hl der Verbundenheit (SW VI/VII, 172). Im Stern des Bundes griff George Derleths Ambitionen als moderner Ordensstifter auf und verglich ihn mit den Ordensgr#ndern des Mittelalters: Du hast des adlers blick der froh zur sonne Sich wendet – abw%rts nur zu schlag und biss. 16 Auf das Identifikationspotential f#r den George-Kreis deutet nicht zuletzt der Titel der Zeitschrift Castrum peregrini (1951 – 2007) hin, die Wolfgang Frommel 1950 in Amsterdam gr#ndete und deren Titel auf die Pilgerburg der Templer in Haifa anspielte. 17 Derleth, Ludwig: Das Werk. Hrsg. von Dominik Jost. Bellnhausen #ber Gladenbach: Hinder & Deelmann 1971 – 1972. 18 Jost, Dominik: Ludwig Derleth. Gestalt und Leistung. Stuttgart 1965. S. 51. 19 Zu Derleths ,militantem Katholizismus‘ siehe Braungart: !sthetischer Katholizismus. S. 180 f. 20 Derleth: Das Werk. S. 54.

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Du kommst von derer zunft die strick und geissel Erfanden f#r das allzu feile fleisch Den matten sinn mit zorn und strenge frischten. So ging Franziskus arm und keusch durchs land Den unrat f%rbend mit seraphischem licht So spornte Bernhard an den kreuzes-taumel . . Dir wehrte raum ein enggewordner schooss Dir m#der kirche sp%t-gebornem k%mpen – Erdstrçme bargst du die sie nicht mehr fing. (SW VIII, 45)

Das Gedicht w#rdigt Derleths Wirken, indem es ihn zun%chst in einem symbolischen Bild apostrophiert, dann in einem zweiten Schritt mit Franziskus und Bernhard parallelisiert und am Ende eine Art Konklusion bietet. Im Gegensatz zu den medi%valisierenden Rollengedichten kennzeichnet dieses Gedicht eine deutlich historische Perspektive, die das Mittelalter als eine vergangene Zeit erkennt und die Position des Angesprochenen als die eines modernen Sp%tlings und Nachfahren markiert. Das starke, einpr%gsame Bild vom Adler, der in die Sonne blickt, verbindet rçmische Emblematik mit christlicher Symbolik.21 Es ist zugleich eine Referenz auf Derleths Einsatz des Adler-Symbols im Zeichen eines „Christus Imperator Maximus“ in den Proklamationen. Mçglicherweise hat George sich hier sogar auf eine Formulierung Hildegards von Bingen bezogen, wie Wolfgang Frommel vermutet; Hildegard sprach den Heiligen Bernhard in einem Brief mit den Worten an: „Du bist der Adler, der in die Sonne schaut.“22 Auf Georges Verh%ltnis zu Hildegard von Bingen wird im folgenden Kapitel 4.2.1 n%her eingegangen werden; f#r den Moment gen#gt die Feststellung, dass George durch die intertextuelle Bezugnahme auf Hildegard seinen eigenen Vergleich zwischen Derleth und Bernhard zus%tzlich bekr%ftigt und geistesgeschichtlich nobilitiert. Das Bild des in die Sonne blickenden Adlers versinnbildlicht Derleths vision%r-utopischen Idealismus. Der zweite Vers f#gt diesem Denkbild noch die k%mpferische Komponente hinzu, wobei das Emjambement die ge%nderte Blickrichtung des Adlers nachvollzieht. Derleths Geist, so legt dieses Bild nahe, ist auf 21 Als rçmisches Feldzeichen der Macht und christliches Auferstehungssymbol (Heinz-Mohr: Lexikon der Symbole. S. 25 f.). J#rgen Einhorn weist darauf hin, dass „nach dem allegorischen Tierbuch des Physiologus der Adler […] das einzige Tier [ist], das unverwandt in die Sonne blicken kann“ (J#rgen Werinhard Einhorn: Franziskus im Gedicht. Texte und Interpretationen deutschsprachiger Lyrik 1900 – 2000. Kevelaer 2004. S. 20). 22 Frommel, Wolfgang: Templer und Rosenkreuz. Ein Traktat zur Christologie Stefan Georges. Amsterdam: Castrum Peregrini 1991. S. 25.

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Hçheres gerichtet und l%sst sich auf die schnçde materielle Welt nur im Angriffsmodus ein. Damit sind die Eigenschaften der H%rte und Strenge angesprochen, die sich leitmotivisch durch das Gedicht ziehen und das verbindende Element zwischen Derleth und den mittelalterlichen Ordensgr#ndern darstellen. Derleth wird als eine vom mittelalterlichen Mçnchtum herkommende Gestalt stilisiert, indem insbesondere Aspekte der kçrperlichen Kasteiung und geistigen Zucht hervorgehoben werden. Im semantischen Feld von „zunft“, „strick und geissel“23 klingen dabei mittelalterliche Organisationsformen und Marterinstrumente an; die „geissel“ stellt einen assoziativen Bezug zum Templer-Gedicht aus dem Siebenten Ring her („Wir geisseln volk“, SW VI/VII, 52). Nach dieser allgemeinen Analogie-Bildung konkretisiert das Gedicht den Bezug durch namentliche Nennung der beiden Ordensgr#nder Franziskus und Bernhard. Georges Franziskus-Allusion ist dabei zweifach literarisch codiert: Zum einen dadurch, dass sich Derleth selbst in seinen Proklamationen auf Franz von Assisi berief und ihn in milit%rischer Metaphorik als „Feldherrn der Armut“ charakterisierte, der „die Mçnchsorden en masse gegen die Kirche zu kommandieren“ gehabt habe.24 Zum anderen verwendet George die bei Dante vorgepr%gte topische Lichtmetaphorik f#r Franziskus: „Den unrat f%rbend mit seraphischem licht“ (V. 7).25 George legt den Akzent damit wiederum auf das !sthetische, die transformierende Kraft der auratischen Persçnlichkeit, welche die vorgefundene widrige Umwelt verwandelt. An Bernhard erinnert das Gedicht dagegen vor allem als denjenigen, der im Dienste des Papstes zum zweiten Kreuzzug aufrief, wobei im Ausdruck „kreuzes-taumel“ eine ambivalente Wertung mitschwingt. Auf Bernhards kriegsmissionarische T%tigkeit hatte George bereits 1894 im lyrischen Drama Die Herrin betet angespielt (den Gatten hat „des grossen mçnches wort erleuchtet“; SW XVIII, 49), und das Gebet des Heiligen Bernhard gehçrte zu den ersten Ges%ngen, die George 1901 aus Dantes Divina Commedia #bertrug (SW X/XI, 140 – 142). Im Gedicht Du hast des adlers blick der froh zur sonne wird Bernhard jedoch nicht f#r seine

23 Einhorn sieht hierin eine Allusion auf Franziskus (mit dem ,strick‘) und Bernhard (mit der ,geissel‘) (Einhorn: Franziskus im Gedicht. S. 20). 24 Derleth: Das Werk. S. 70. 25 Oelmann weist im Kommentar auf Dantes Verse hin (Divina Commedia, Paradiso, 11. Gesang, 37; SW VIII, 137). George hat diese Stelle nicht selbst #bertragen, aber er wird sie gekannt haben.

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Marienmystik, sondern nur im Hinblick auf die Kreuzz#ge evoziert. Die Auslassungspunkte am Ende des Verses regen zu weiteren Assoziationen an. Die drei Schlussverse wenden sich wieder direkt an Derleth. Das Pr%teritum und die medi%valisierende Lexik („k%mpen“, V. 10) unterstreichen seine Verwandtschaft mit den mittelalterlichen Ordensgr#ndern, aber inhaltlich wird die historische Distanz hervorgehoben. Derleth erscheint als Zu-sp%t-Geborener und anachronistischer Nachfahre, der besser ins Mittelalter gepasst h%tte als in seine eigene Zeit. In kulturkritischem Ton wird die zeitgençssische Kirche als eine #berlebte, nicht mehr vitale Organisation benannt.26 Im gleichen Atemzug stilisiert das Gedicht das Individuum Derleth zum Retter und Besch#tzer von Kr%ften, die innerhalb der Kirche keinen Raum mehr finden („Erdstrçme bargst du die sie nicht mehr fing.“).27 Das Gedicht deutet Derleths Versuche einer Ordensgr#ndung in der Moderne als Symptom einer Sp%tzeit und eines Bedeutungsverlusts der institutionellen Kirche.28 Damit bewegt sich das Gedicht im Kontext zeitgençssischer Reflexionen #ber eine Erneuerung des Katholizismus in der Moderne, wie sie paradigmatisch etwa im franzçsischen Renouveau catholique vorangetrieben wurde. Schriftsteller wie Joris-Karl Huysmans, Georges Bernanos und Paul Claudel vertraten zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch auf %sthetischem Feld einen rigorosen Katholizismus, der sich stark am mittelalterlichen Mçnchstum orientierte. In Deutschland stand die katholische Zeitschrift Hochland f#r %hnliche Bestrebungen. George hatte Sympathien f#r solche Intiativen, wie das an Derleth adressierte Gedicht zeigt, verschrieb sich selbst jedoch nie einem so explizit k%mpferischen Katholizismus. Gerade der Medi%valismus erlaubte es ihm, solche Vorstellungen dennoch in seine Dichtung zu integrieren. Das Kapitel hat verschiedene Reminiszenzen an mittelalterliche Gemeinschaftsformen in Georges Dichtung aufgezeigt. Im Rahmen eines esoterischen Medi%valismus aktualisierte George die Erinnerung an oppositionelle Gruppierungen des Mittelalters. Die Gedichte zeugen von 26 Vgl. das siebte Gedicht des Vorspiels zum Teppich des Lebens (SW V, 16), das ebenfalls die sinkende Kraft des Christentums vor Augen f#hrt. 27 Dass diese Energiestrçme imaginativ in der Erde angesiedelt sind, erinnert an %hnliche geschichtsromantische Bilder in Gedichten wie Geheimes Deutschland (vgl. dazu Kapitel 4.3.2). 28 !hnlich sollte es sp%ter Ernst Kantorowicz f#r die staufische Epoche konstatieren; in seiner Biographie Kaiser Friedrich der Zweite (1927) beschreibt er den Franziskaner- und den Dominikanerorden als die „beiden Bettelorden […], die ,in der schon alternden Zeit‘ dem Schoße der Kirche entsprossen“ (Kantorowicz: Kaiser Friedrich der Zweite. S. 124).

4.2 Medi%valismus und Mystik der Moderne

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mehr oder weniger latenten Identifikationsbem#hungen und historischen Analogiebildungen. Das besonders große Identifikationspotential der Templer lag in der Synthese k%mpferischer und religiçser Ideale, in ihrer b#ndischen Organisationsform und ihrem legend%ren geheimnisvollen Ruf. George macht die Templer zum Sinnbild einer elit%ren K#nstlergruppe, die abseits der Gesellschaft einen existenziellen Kampf f#r das schçne Leben f#hrt. Sein Rollengedicht verbindet den Templer-Mythos mit germanischer Mythologie und wendet diese Mythensynthese zugleich ins Kulturkritische und Poetologische. Der naheliegende Bezug zum George-Kreis verst%rkt sich im Stern des Bundes, in dem die Templer-Chiffre in Form eines R%tselgedichts wiederaufgegriffen wird. Daneben personalisiert George die Erinnerung an mittelalterliches Mçnchstum, indem er Ludwig Derleth als sp%ten Erben der beiden charismatischen Ordensgr#nder Franziskus und Bernhard w#rdigt. )ber Dantes Divina Commedia und Hildegard von Bingen fand George einen %sthetischen Zugang zur mittelalterlichen Welt des Glaubens, der seinem eigenen, schçnheitsorientierten Anliegen entgegenkam.

4.2 Medi%valismus und Mystik der Moderne Eine der wichtigsten Triebfedern f#r Georges Medi%valismus sind religiçse Projektionen und Deutungskontexte. Das Mittelalter war deshalb attraktiv, weil es die Projektion einer ,echten‘ beziehungsweise ,tiefen‘ Religiosit%t und Frçmmigkeit erlaubte. Insofern eignete sich das Mittelalter als Bezugspunkt im Kontext einer religiçsen Sinnsuche, wie sie sich in esoterischen und neomystischen Strçmungen niederschlug. Wie gezeigt, lag bereits den Sagen die Vorstellung eines mystischen und gottesf#rchtigen Mittelalters zugrunde,29 das mit seinem Changieren zwischen religiçsem und erotischem Minnediskurs Ankn#pfungspunkte f#r ein mehrdeutiges Sprechen bot. Solche Imaginationen erfahren in der dritten Phase des Medi%valismus eine Vertiefung und Radikalisierung, indem Georges Dichtung mit dem Siebenten Ring selbst den Anspruch religiçser Dichtung erhebt, Minnekonzepte von Mystik abgelçst werden und die Rezeption mittelalterlicher Sprechweisen zu einer Arkanisierung, Verfremdung und Heiligung des lyrischen Sprechens verhilft. In der Mystik fand George einen nicht nur thematischen oder formalen, sondern erstmals auch einen gedanklichen Bezug zum Mittelalter. 29 Vgl. die Ausf#hrungen zu Das Bild, Kapitel 2.3.4.

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Im Rahmen einer ,vagierenden Religiosit%t‘30 war um die Jahrhundertwende ein gesteigertes gesellschaftliches Interesse an Mystikern und mystischem Gedankengut zu verzeichnen. Im Lichte moderner Ansichten und )berzeugungen wurde die traditionelle Mystik dabei neu ausgelegt. Dieses Ph%nomen haben Martina Wagner-Egelhaaf als „Mystik der Moderne“31 und Uwe Spçrl als „gottlose Mystik“32 beziehungsweise „Neomystik“ beschrieben und vor allem in Prosatexten von Autoren der literarischen Moderne nachgewiesen. Umso erstaunlicher erscheint es, dass Stefan George in diesem Zusammenhang bis vor kurzem wenig Beachtung gefunden hat. Auch Spçrls 2015 erschienener Aufsatz Gottlose Mystik und Georges poetische Religion f#llt diese L#cke nur teilweise.33 Bei dem Versuch, das in seiner Dissertation entwickelte Konzept der ,gottlosen Mystik‘ auf George anzuwenden, sieht Spçrl in Georges „poetischer Religion“ mehr Unterschiede zur ,gottlosen Mystik‘ als Gemeinsamkeiten mit ihr.34 Spçrl bietet zwar einen gelungenen )berblick #ber die zeitgeschichtlichen Kontexte von Sprachkrise und S%kularisierung. Jedoch #berpr#ft er sein 30 Mit diesem Begriff bezeichnet Thomas Nipperdey Formen der außerkirchlichen Religiosit%t bzw. die „religiçse Gestimmtheit“ des B#rgertums um die Jahrhundertwende (Nipperdey: Arbeitswelt und B"rgergeist. S. 521). 31 Wagner-Egelhaaf, Martina: Mystik der Moderne. Die vision%re !sthetik der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert. Stuttgart: Metzler 1989. 32 Spçrl, Uwe: Gottlose Mystik in der deutschen Literatur um die Jahrhundertwende. Paderborn: Schçningh 1997. Der Begriff „gottlose Mystik“ geht urspr#nglich auf Fritz Mauthner zur#ck (ebd. S. 86 f.). 33 Spçrl, Uwe: Gottlose Mystik und Georges poetische Religion. Zwei Arten %sthetischer Religiosit%t in und mit der Literatur um 1900. In: Stefan George und die Religion. Hrsg. von Wolfgang Braungart. Berlin, Boston: de Gruyter 2015. S. 80 – 97. 34 Als wichtigste Unterschiede zur ,gottlosen Mystik‘ benennt Spçrl erstens von Friedrich Gundolf artikulierte Vorbehalte gegen#ber Mystik, die auch mit der Trennung von den Kosmikern zu tun h%tten; zweitens die soziale Organisation des Kreises um George als Meister und F#hrer, die der Selbstauslçschungstendenz des Mystikers widerspreche; drittens die „ordnungs- und identit%tsstiftende“ Funktion des Maximin-Mythos, die im Gegensatz stehe zur Auflçsung von Ordnung und Identit%t in der Mystik; und schließlich viertens die Ineinssetzung von poetischem Text und religiçser Erfahrung bei George, wonach Maximin als „mythopoetischer Gott“ zu klassifizieren sei, der durch die Dichtung selbst gezeugt werde – wobei bei diesem letzten Punkt nicht recht deutlich wird, inwiefern dies nicht mit dem Konzept der gottlosen Mystik zu vereinbaren ist. Methodisch greift Spçrl auf die von Bettina Gruber entwickelte Unterscheidung von ,Mystik‘ und ,Esoterik‘ zur#ck, wonach Mystik durch rein subjektive Erfahrung und Esoterik durch Bezug auf vorg%ngiges, mçglichst abgelegenes Wissen gekennzeichnet seien. In diesem Modell sieht er George eher auf der Seite der Esoterik als auf der Seite der Mystik (ebd. hier S. 82 bis 94 f.).

4.2 Medi%valismus und Mystik der Moderne

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Konzept der ,gottlosen Mystik‘ eher an der neueren Sekund%rliteratur zu George als anhand von Georges Texten selbst. In %lteren Beitr%gen zur George-Forschung wurde zwar punktuell auf mystische Motive vor allem in Der Stern des Bundes hingewiesen,35 aber diese sind bislang weder systematisch aufgearbeitet noch in den grçßeren Zusammenhang einer ,gottlosen Mystik‘ der Moderne gestellt worden. Das folgende Kapitel wird deshalb die Frage nach Georges Verh%ltnis zur mittelalterlichen Mystik und zur ,gottlosen Mystik‘ der Moderne neu stellen und sie auf Grundlage von konkreten Rezeptionszeugnissen und Textanalysen zu beantworten suchen. In einem ersten Schritt soll Georges Mystik-Rezeption skizziert werden, wie sie sich aus Briefen und Gespr%chsnotizen erschließen l%sst. Ausgehend von Spçrls Definition der ,Neomystik‘ sollen in einem zweiten Schritt anhand ausgew%hlter Gedichte ,neomystische‘ Texturen in Georges Dichtung aufgezeigt werden. Zun%chst muss aber gekl%rt werden, was hier unter Mystik verstanden wird. Denn Mystik ist ein religiçses Ph%nomen, das sich in vielen verschiedenen Epochen und Kulturen beobachten l%sst, sowohl in griechischen und alt%gyptischen Mysterienkulten als auch im Buddhismus, im 35 Schon Max Weber %ußerte sich 1910 kritisch #ber den Mystizismus des GeorgeKreises, in dem er ein „Streben nach Selbstvergottung“ zu erkennen meinte, das „entweder durch die ekstatische Entr#ckung, oder aber durch die kontemplative Mystik“ erreicht werden kçnne, aber letztlich gelange George nicht #ber ein „rein formale[s] Prophetentum“ hinaus (Weber, Marianne: Max Weber. Ein Lebensbild. 3. Aufl. T#bingen: Mohr 1984. S. 466 f.). Vereinzelte Hinweise auf mystische Motive gibt Jan Aler in seiner stilgeschichtlichen Untersuchung zum Stern des Bundes (Aler, Jan: Im Spiegel der Form. Stilkritische Wege zur Deutung von Stefan Georges Maximindichtung. Amsterdam: Menno Hertzberger 1947. S. 145, 148, 181, 190, 192, 197, 205, 235, 240, 245, 261, 263). Zur !hnlichkeit mit Motiven der j#dischen Mystik im Stern des Bundes siehe Maydell, Bodo von: Vom ,Stern des Bundes‘ zum ,Stern der Erlçsung‘. In: Judaica (1958) Vol. 14, Heft 4. S. 211 – 215. Auch Gustav-Adolf Zekert betont die mystischen Elemente im Stern des Bundes (Zekert, Gustav-Adolf: Zu Georges ,Stern des Bundes‘. In: Gr"ße. Hans Wolffheim zum sechzigsten Geburtstag. Hrsg. von Klaus Schrçter. Frankfurt am Main: Europ%ische Verlagsanstalt 1965. S. 51 – 74). Wolfgang Frommel assoziiert in seinen Meditationen zum zweiten Buch des „Stern des Bundes“ Aussagen von Mystikern mit einigen von Georges Gedichten (Frommel, Wolfgang: Meditationen zum zweiten Buch des „Stern des Bundes“ von Stefan George. In: Castrum peregrini 43 (1994) 211/ 212. S. 5 – 106). Zahlreiche Parallelen zwischen Georges Dichtung und mystischer Literatur zieht Ernst Morwitz; er verweist beispielsweise auf Angelus Silesius, Mechthild von Magdeburg, Bernhard von Clairvaux, Johannes Tauler, Meister Eckhart und die deutsche Mystik allgemein (Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges). Insbesondere Claude David spricht mehrfach von Georges „Mystizismus“ (David: Stefan George. S. 258 ff., 288, 307).

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Judentum, im Islam und eben im christlichen Mittelalter. Die vorliegende Darstellung bezieht sich vor allem auf die mittelalterliche Mystik im deutschsprachigen Raum, da gerade diese Tradition zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland eine Renaissance erlebt.36 Die Etymologie des Wortes ,Mystik‘, das vom griechischen myein f#r ,die Augen, den Mund schließen‘ abgeleitet ist, weist auf den Geheimnischarakter des mystischen Denkens und die Unsagbarkeit mystischer Erfahrung hin. Im Mittelpunkt steht die Einswerdung der Seele mit Gott, die unio mystica. In der Vereinigung wird die Grenze zwischen Subjekt und Objekt aufgehoben.37 Klassisch geworden ist Thomas von Aquins Definition der Mystik als cognitio dei experimentalis, zu Deutsch ,erfahrungsm%ßige Erkenntnis Gottes‘. Sie betont sowohl den Erkenntnisanspruch als auch den Erfahrungscharakter der Mystik.38 F#r den Mystiker ist seine Gotteserfahrung ein Wissen letzter Evidenz. Es ist geradezu im Wesen der Mystik begr#ndet, dass diese Erfahrung das sprachlich Sagbare #berschreitet. Daher sind Stil und Argumentation mystischer Texte oft durch Bilderreichtum und k#hne Paradoxien gepr%gt. Zu den rhetorischen Verfahren, mit denen die Mystiker das Problem der Unsagbarkeit zu lçsen versuchten, gehçren Verfahren des Verschweigens (sanctum silentium), Wortschçpfungen mit verneinenden Pr%fixen (via negativa) und die Verwendung von Analogien und Vergleichen (syllogismus mysticus).39 W%hrend Hildegard von Bingen ihre Visionen auf Lateinisch verfasste, schrieb Meister Eckhart sowohl in lateinischer als auch mittelhochdeutscher Sprache. Dieser )bergang vom Latein zur Volkssprache bedingte im Falle Eckharts eine ausgiebige sprachschçpferische T%tigkeit, aus der viele neue Worte in den allgemeinen deutschen Wortschatz eingingen. In den Schriften der rheinischen Mystiker Meister Eckhart und seiner Sch#ler Johannes Tauler und Heinrich Seuse erfuhr die Christus- und Gottesminne im 13. und 14. Jahrhundert eine spezifische Auspr%gung, welche im deutschsprachigen Raum die nachhaltigste Ausstrahlung auf sp%tere Jahrhunderte gehabt hat. Im 19. Jahrhundert wurde die mittelalterliche Mystik sowohl in wissenschaftlicher als auch in popul%ren Formen rezipiert, so dass eine klare Abgrenzung zwischen Mystik und Mystizismus nicht zielf#hrend ist; mystische Konzepte vermischten sich um die Jahrhundertwende mit eso36 37 38 39

Vgl. Spçrl: Gottlose Mystik. S. 17; Wagner-Egelhaaf: Mystik der Moderne. S. 5. Vgl. Spçrl: Gottlose Mystik. S. 18; Wagner-Egelhaaf: Mystik der Moderne. S. 3. Dinzelbacher, Peter: Wçrterbuch der Mystik. Stuttgart 1989. S. 368. Spçrl: Gottlose Mystik. S. 20 f.

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terischen und geheimb#ndlerischen Ideen.40 Gerade auf moderne K#nstler wirkte die Mystik anziehend, da sie Denkmodelle und Ausdrucksweisen f#r moderne Problemstellungen wie Sprachskepsis und immanenter Gotteserfahrung anbot. Im Folgenden sollen insbesondere die gedanklichen und sprachlichen Strukturen der Mystik als Leitfaden dienen. Spçrl hat dies in seiner Definition von ,Neomystik‘ pointiert. Ihr zufolge kann eine Erfahrung als ,neomystisch‘ bezeichnet werden, die der unio mystica „strukturell gleicht, ohne auf einen persçnlichen Gott oder einen anderen transzendenten Gegenstand bezogen zu sein“.41 Gegenstand der mystischen Reflexion in Literatur und Kunst der Moderne ist stattdessen die Form des k#nstlerischen Ausdrucks selbst. Die strukturelle Parallele von Mystik und Neomystik betrifft erfahrungsm%ßige, funktionale, affektive und temporale Aspekte, vor allem aber auch sprachliche Merkmale.42 Insbesondere die Unsagbarkeitsproblematik der Mystik und die rhetorischen Strategien zur ihrer )berwindung erwiesen sich f#r die Moderne um 1900 als anschlussf%hig. Dies zeigt sich besonders in der Dichtung.43 4.2.1 Georges Rezeption mittelalterlicher Mystik Georges Besch%ftigung mit mystischem Schrifttum ist bislang nicht aufgearbeitet worden, weshalb im Folgenden einiger Raum darauf verwendet werden wird, die verstreuten Zeugnisse erstmals gesammelt darzustellen. Auf diese Weise soll eine Grundlage f#r die Interpretation der neomystischen Texturen von Georges Gedichten geschaffen werden. Der fr#heste Beleg f#r Georges Interesse an Mystik ist ein Brief von Friedrich Gundolf an Stefan George vom 27. Dezember 1900.44 Gundolf schreibt, er habe sich auf Georges Anregung hin mit „%lterer Deutscher Litteratur“ befasst, habe sich allerdings nicht mir ihr anfreunden kçnnen. Abschließend kommt er zu folgendem Urteil: Furchtbar fett und schwielig sind alle diese alten Offenbarungen auch wenn sie Hand und Fuss haben. Am meisten hçherer Geist scheint noch aus den alten Mystikern zu holen welche durch ihre geistliche W#rde durch ihre Einsamkeit 40 41 42 43 44

Vgl. Wagner-Egelhaaf: Mystik der Moderne. S. 27 f. Spçrl: Gottlose Mystik. S. 26. Ebd. S. 20 f. Vgl. ebd. S. 21; Wagner-Egelhaaf: Mystik der Moderne. S. 3 f. und 208 – 229. George/Gundolf: Briefe. S. 66.

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und durch ihren Gegenstand einigermassen #ber dem T#desken erhalten wurden. Meist warens musikalische Seelen und ganz Seele. Ich will suchen was ich von Meister Eckhart dem Frankforter Tauler und Suso auffinde f#r Deine sprachlich geistigen Zwecke. Was ich von ihnen weiss habe ich aus kleinen mitgeteilten Fragmenten aus Kunz’dickleibiger Litteraturgeschichte. (George/ Gundolf: Briefe. S. 66.)

Diese Passage ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich: Erstens bringt sie Gundolfs ambivalente Bewertung der %lteren deutschen Literatur und eine gewisse Wertsch%tzung der Mystiker zum Ausdruck. Zweitens vermittelt sie einen Einblick in die Interessensgebiete, die George mit Gundolf teilte, zu denen offensichtlich am Rande auch die %ltere deutschsprachige mystische Literatur gehçrte.45 Drittens deutet Gundolf in der Passage ein selektives Erkenntnisinteresse an: Die Sichtung des Materials solle Georges „sprachlich geistigen Zwecke[n]“ dienen. Viertens bezeichnet sie die Quelle, auf die sich Gundolf st#tzt: Den ersten Band der dreib%ndigen Literaturgeschichte von Heinrich Kurz,46 in der Ausschnitte mystischer Schriften von Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse abgedruckt sind.47 Gundolfs Kenntnisse speisen sich zu diesem Zeitpunkt also nicht aus intensiver Lekt#re und tiefgehender Besch%ftigung, sondern aus einer )berblicksdarstellung, die f#r den schnellen Einstieg gedacht ist und nur eine schmale Auswahl an Textstellen bietet. Dies ist bezeichnend f#r die geringe Verbreitung mystischer Schriften in Deutschland im Jahre 1900. Zwar lag zu dieser Zeit bereits eine von Franz Pfeiffer 1857 herausgegebene Ausgabe von Meister Eckharts Predigten und Traktaten auf Mittelhochdeutsch vor,48 aber erst 1903 erschienen die ersten modernen 45 Vermutlich h%ngt Georges Bitte an Gundolf, die %ltere deutsche Dichtung zu sichten, mit seiner Arbeit an den Anthologien Deutsche Dichtung zusammen (Seekamp, Ockenden u. Keilson: Zeittafel. S. 105). Darin war auch ein Band mit %lterer deutscher Dichtung geplant (vgl. Kapitel 3.1). 46 Im editierten Briefwechsel steht irrt#mlicherweise „Kunz“ statt Kurz. Entweder es handelt sich dabei um einen Schreibfehler Gundolfs oder um einen Transkriptionsfehler der Herausgeber. 47 Kurz, Heinrich: Geschichte der deutschen Literatur mit ausgew#hlten St"cken aus den Werken der vorz"glichsten Schriftsteller. Leipzig 1876 (=Band 1: Von den %ltesten Zeiten bis zum ersten Viertel des 16. Jahrhunderts). 48 Pfeiffer, Franz (Hrsg.): Meister Eckhart. 1. (Einzige) Abteilung. Predigten, Traktate. Leipzig 1857. Weitere mittelhochdeutsche Ausgaben erschienen 1889 und 1895: Wilhelm Schçpff (Hrsg.): Meister Eckhart: Ausgew#hlte Predigten und verwandte Schriftst"cke. Leipzig 1889. Franz Jostes (Hrsg.): Meister Eckhart und seine J"nger. Ungedruckte Texte zur Geschichte der deutschen Mystik. Freiburg 1895.

4.2 Medi%valismus und Mystik der Moderne

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)bersetzungen: Eine Ausgabe von Gustav Landauer,49 der sich unter dem Einfluss von Fritz Mauthners Sprachkritik vor allem f#r Eckharts Sprache interessierte, und eine sehr erfolgreiche Eckhart-Ausgabe von Herman B#ttner,50 die noch bis 1959 mehrere Neuauflagen erlebte und das Eckhart-Bild des fr#hen 20. Jahrhunderts maßgeblich pr%gte.51 Erst B#ttners Ausgabe machte Eckhart f#r ein grçßeres Publikum greifbar und breitete damit die Basis der großen Eckhart-Renaissance insbesondere in den 1920er und 1930er Jahren. Gundolfs Brief an George datiert also aus einer Zeit, zu der die Schriften der deutschen Mystiker noch nicht popularisiert waren. Um die Jahrhundertwende bewegte sich George in M#nchen in einem Milieu, in dem arkane, esoterische und mythische Ideen zirkulierten. George stand dem Kosmiker-Kreis nahe, einer Gruppe Intellektueller um Karl Wolfskehl, Alfred Schuler und Ludwig Klages, die auf der Grundlage von Johann Jakob Bachofens Das Mutterrecht eine eigene ,kosmische‘ Weltanschauung entwarfen.52 Claude David beschrieb die Kosmiker als einen „Kreis, der von mystischer und gnostischer Literatur ges%ttigt“ gewesen sei.53 Auch wenn George sich 1904 von den Kosmikern Schuler und Klages distanzierte,54 blieb er doch von deren kosmischen Ideen nicht unber#hrt. Ludwig Klages sollte 1922 ein Buch mit dem Titel Vom kosmogonischen Eros herausbringen, in dem er mystische und magische Traditionen von der Antike bis zu Nietzsche darstellte und einen ,Eros der Ferne‘ beschrieb.55 Abgesehen von Gundolfs Briefpassage, die indirekt und vermittelt Georges Interessensgebiete andeutet, gibt es wenig Material, das Einblicke in Georges Mystik-Rezeption erlauben w#rde. Einzig in den Aufzeichnungen, die Edith Landmann seit 1913 #ber ihre Gespr%che mit Stefan 49 Meister Eckharts Schriften in unsere Sprache "bertragen von Gustav Landauer. Berlin 1903. 50 Meister Eckehart. Schriften und Predigten. )bertr. und eingel. von H. B#ttner. Jena 1903. 51 Degenhardt, Ingeborg: Studien zum Wandel des Eckhartbildes. Leiden: Brill 1967. S. 230 – 233. 52 Siehe dazu Egyptien, J#rgen: Die ,Kreise‘. In: Stefan George und sein Kreis. Ein Handbuch. Hrsg. von Achim Aurnhammer, Wolfgang Braungart u. a. Bd. 1. Berlin, Boston: de Gruyter 2012. S. 365 – 407, hier S. 372 f. 53 David: Stefan George. S. 258. 54 Zum Bruch mit den Kosmikern siehe Großheim, Michael: Klages, Ludwig. In: Stefan George und sein Kreis. Bd. 3. S. 1485 – 1490, hier S. 1487 f. 55 Zu den mystischen Z#gen in diesem Werk siehe Wagner-Egelhaaf: Mystik der Moderne. S. 40 – 42.

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George f#hrte, finden sich einige Bemerkungen #ber Mystik und Mystiker. Diese !ußerungen legen nahe, dass George sich vor allem f#r die Sprache der Mystiker beziehungsweise f#r die Mystiker als Dichter interessiert hat. Landmann zufolge bezeichnete George 1916 die Dichtung als die „alleinige Form“, in der „mystisches Erfahren“ darstellbar werde, und nannte im gleichen Atemzug Platons „philosophische[] Form“ als Ausnahme – mit der Begr#ndung, Platon sei „etwas mehr als ein Philosoph“ gewesen.56 !hnlich %ußerte sich George im Winter 1927: „Alle Mystiker, die er kenne, hatten eins gemeinsam: Halbbildung. Mystik, wenn sie was taugen soll, muss auch ein bisschen poetisch sein.“57 Neben diesen Reflexionen #ber Mystik und poetische Sprache hat Landmann auch einige abwertende Kommentare Georges #ber Mystik notiert. Im 1920 h%tten sie #ber „Mystik und Buddhismus, die ihm, wie alles quiete, verhasst sind“, gesprochen.58 George habe gesagt: „gewisse Buss#bungen der Asketen, da wird mir schlecht. Wenn ich die Wahl habe zwischen Nero, der #ber dem Brand von Rom die Ilias singt, und einem indischen B#sser, der sich von L%usen auffressen l%sst, so w%hle ich Nero.“59 Es waren die Schriften Arthur Schopenhauers, die einem deutschen Publikum im 19. Jahrhundert den Blick f#r den Buddhismus und die !hnlichkeiten von buddhistischer und abendl%ndischer Mystik gesch%rft hatten.60 Dieser Konnex wirkt offensichtlich auch bei George noch nach. Weitere negative oder relativierende Kommentare zur Mystik fielen im Zusammenhang mit Melchior Lechters Arbeit an einer Ausgabe der Imitatio Christi des belgischen Mystikers Thomas a Kempis, die sich #ber die Jahre 1914 bis 1922 hinzog. Als Textgrundlage diente Joseph Gçrres’ )bersetzung; Landmann zufolge las und redigierte George diesen Text.61 56 57 58 59 60 61

Landmann: Gespr#che mit Stefan George. S. 45. Ebd. S. 171. Ebd. S. 99. Ebd. S. 99 f. Vgl. Degenhardt: Studien zum Wandel des Eckhartbildes. S. 228 – 230. Landmann, Michael: Figuren um Stefan George. 10 Portr%ts. Amsterdam: Castrum Peregrini 1982. S. 15. Urspr#nglich sollte die Thomas a Kempis-Ausgabe beim Verlag Eugen Diederichs erscheinen, bei dem neben B#ttners Eckhart-)bersetzung mittlerweile auch Heinrich Seuses Deutsche Schriften (1911) und eine Auswahl von Johannes Taulers Predigten (1913) im Verlagsprogramm waren (Heidler, Irmgard: Der Verleger Eugen Diederichs und seine Welt. (1896 – 1930). Wiesbaden: Harrassowitz 1998. S. 277 f.). Sie wurde schließlich 1922 als Prachtausgabe unter dem Titel Die vier B"cher von der Nachfolge Christi in Lechters eigenem Verlag Einhorn-Presse verçffentlicht (Die vier B"cher von der Nachfolge Christi. Auf

4.2 Medi%valismus und Mystik der Moderne

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Im Zusammenhang mit dieser Arbeit hat George sich distanziert gegen#ber Joseph Gçrres’ Christlicher Mystik und gegen#ber Lechters Begeisterung f#r Thomas a Kempis ge%ußert. Lechters Liebe zu dem belgischen Mystiker teilte George nicht.62 Auf Julius Landmanns Frage, „ob man Gçrres lesen solle“, soll George geantwortet haben: „,Ja, wozu wollen Sie das? Bibliotheken sind wie eine Reihe von Medizinfl%schchen. Wozu brauchen Sie’s?‘“63 Diese Aussage zeigt ein instrumentelles Verst%ndnis von Bildung; wie auch in manchen von Georges Versen auf Wolfskehl und Gundolf deutlich wird, hielt George nichts davon, große Mengen an Wissen und Lekt#ren anzuh%ufen. Er ließ nur das an %ußeren Impulsen zu, was er f#r seine eigene Produktion bençtigte. In Gundolfs Brief klingt an, dass mystische Schriften vor allem unter dem Blickwinkel ,sprachlich-geistiger Zwecke‘ in Betracht kamen. W%hrend Georges Aussagen zur Mystik allgemein eher negativ ausfielen, %ußerte er sich wertsch%tzend #ber zwei der bekanntesten mittelalterlichen deutschen Mystiker: Meister Eckhart und Hildegard von Bingen. Meister Eckhart zieht er als Beispiel heran, um die Behauptung zu widerlegen, Luther habe eine neue Sprache erfunden: „Eckart schrieb auch auf deutsch und ein edleres […].“64 Dieses Zitat bezeugt, dass George zumindest eine gewisse Kenntnis von Meister Eckharts deutschen Schriften gehabt haben muss;65 in jedem Fall kommt hier abermals Georges prim%r %sthetisches Interesse an der Sprache der Mystiker zum Ausdruck. Meister Eckhart wird auch in einer Leseliste genannt, die Ernst Glçckner f#r Stefan George erstellt hat. Diese handschriftliche Liste ist #berschrieben mit Index. Zur Bibliothek eines jungen Menschen. Auf Georges Wunsch entworfen und war laut Glçckner als eine Art „Kreis-Kanon“ gedacht.66 Mit der

62 63 64 65

66

Grundlage der Gçrresschen 'bertragung durchgesehene Ausgabe. Mit Symbolen von Melchior Lechter. Opus IV der Einhorn-Presse, 1922). Landmann: Gespr#che mit Stefan George. S. 46. Ebd. S. 70. Ebd. S. 105. George hing offensichtlich einem zeittypischen Eckhart-Bild an, das im Wesentlichen von Herman B#ttner gepr%gt war, der im Vorwort zu seiner neuhochdeutschen Eckhart-)bersetzung von 1903 ein Bild von Eckhart als „Schçpfer einer deutschen Prosa in hçherem Sinne“ gepr%gt hatte. Zu B#ttners maßgeblicher Rolle f#r die Eckhart-Rezeption siehe Wagner-Egelhaaf: Mystik der Moderne. S. 28 f. Zu den Umst%nden der Ausarbeitung der Leseliste siehe: Glçckner, Ernst: Begegnung mit Stefan George. Ausz#ge aus Briefen und Tageb#chern 1913 – 1934. Heidelberg: Stiehm 1972. S. 131 – 132. Die Leseliste teilte Autoren und Werke in drei Kategorien ein: „Die Unbedingten“, „Die Nçtigen“ und „Die N#tzlichen“; Meister Eckhart gehçrt zur mittleren Kategorie, in Klammern ist die Ausgabe von

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Mystikerin Hildegard von Bingen teilte George dieselbe Heimatstadt; die wichtigsten St%tten von Hildegards Wirken lagen direkt vor seiner Haust#r.67 Gegen#ber Edith Landmann bekannte George 1919, die Heilige Hildegard habe ihn „aufs %usserste gefesselt“, vor allem als er erfuhr, dass sie eine „eigne Sprache getr%umt und niedergeschrieben habe mit griechischen und lateinischen Elementen und die so %hnlich klang wie der Schluss der ,Urspr#nge‘ [dem Gedicht aus dem Siebenten Ring]“.68 George sah in Hildegard von Bingen eine Geistesverwandte, weil sie genau wie er selbst eine Geheimsprache erfunden hatte – dies ist insofern bemerkenswert, als George sich sonst ausschließlich auf m%nnliche Geistesverwandte beruft. Nach Landmanns Aufzeichnungen ist George gut zehn Jahre sp%ter, im Winter 1927, noch einmal auf Hildegard von Bingen zu sprechen gekommen: „Die heilige Hildegard, die eine eigne Sprache erfand: ,Das ist bei uns so in Bingen. Da ist ein unterirdischer Herd. Sie w%r zu anderen Zeiten eine Dichterin geworden. Ja, ja, mit der h%tt man reden kçnnen.‘“69 Die Geistesverwandtschaft zwischen Hildegard und George wird nun durch den Hinweis auf eine geheime Kraft im Erdreich mystifiziert.70 George sah Hildegard als verhinderte Dichterin, deren Dichterberufung die eigene Zeit entgegenstand. Eine solche Deutung hatte auch Joseph Gçrres in seiner Christlichen Mystik vorbereitet, der Hildegards sprachschçpferische T%tigkeit hervorhob und die Mystiker aufgrund ihrer „Einbildungskraft“ in die N%he von K#nstlern r#ckte.71 Diese Paralleli-

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68 69 70

71

Pfeiffer spezifiziert (ebd. S. 219 – 224). Die B#cherliste ist vollst%ndig abgedruckt bei Groppe: Die Macht der Bildung. S. 480 – 497. Das von Hildegard um 1150 gegr#ndete Kloster Rupertsberg bei Bingen, in dem die meisten Schriften Hildegards entstanden sind, existierte zu Georges Lebzeiten zwar nicht mehr. Daf#r wurden im 19. Jahrhundert zahlreiche Gedenkst%tten f#r Hildegard gebaut. Zur Hildegard-Verehrung im 19. Jahrhundert siehe Hinkel, Helmut: Hildegard von Bingen: Nachleben. In: Hildegard von Bingen. 1098 – 1179. Hrsg. von Hans-J#rgen Kotzur. Mainz: von Zabern 1998. S. 145 – 153, S. 51 und Stadt Bingen, Kulturb#ro u. Historisches Museum am Strom – Hildegard von Bingen (Hrsg.): Die „romantische“ Hildegard. Verehrung und Kritik im 19. Jahrhundert. Bingen 2002. Landmann: Gespr#che mit Stefan George. S. 84. Das im Gespr%ch erw%hnte Gedicht Urspr"nge von George enth%lt zwei Verse der Geheimsprache, die er als Kind erfunden hatte. Ebd. S. 175. Der Gedanke einer geheimen Kraft, die in der Erde verborgen liegt und sich zu bestimmten Zeiten in bestimmten Persçnlichkeiten verkçrpert, kommt in vielen Gedichten Georges zum Ausdruck, ganz zentral in Geheimes Deutschland (siehe Kapitel 4.3.2). Gçrres, Joseph: Die christliche Mystik. Regensburg: Manz 1837. S. 152 – 154.

4.2 Medi%valismus und Mystik der Moderne

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sierung von Mystik und Dichtung zeigt nicht nur Georges persçnliches Interesse, sondern gibt auch eine im 19. Jahrhundert vorbereitete und bis heute weiterbestehende Einsch%tzung wider. 4.2.2 Neomystische Texturen in Der Siebente Ring und Der Stern des Bundes Im folgenden Abschnitt soll gezeigt werden, dass George in einer ganzen Reihe von Gedichten mystische Gedankenfiguren und Sprachformeln einsetzt. Dabei handelt es sich weniger um Bez#ge zu einzelnen Mystikern oder bestimmten Texten, sondern um Strukturen, Modelle und spezifisch mystische Ausdrucksformen, die als Folie f#r Georges neomystische Texturen fungieren. Der eindeutige Schwerpunkt neomystischer Gedichte liegt im n%heren und weiteren Umkreis der sogenannten Maximin-Dichtungen in Der Siebente Ring (1907) und Der Stern des Bundes (1914). Mit der MaximinGestalt schuf George einen Kunstgott, den er zur neuen Sinnmitte seiner Dichtung erhob. Folgerichtig steht der aus 22 Gedichten bestehende Zyklus Maximin genau in der Mitte des Siebenten Rings. Ohne namentlich genannt zu werden, bildet Maximin auch die Zentralgestalt des Gedichtbandes Der Stern des Bundes;72 Maximin selbst ist der ,Stern des Bundes‘. Die Idee einer Erlçserfigur war in Georges Dichtung zwar schon fr#her angelegt, etwa in der Figur des Engels in Der Teppich des Lebens und allgemein als „denkbild“, wie George selbst es formulierte (SW XVII, 63). Aber erst die Begegnung mit dem 17-j%hrigen Gymnasiasten Maximilian Kronberger 1902 in M#nchen erlaubte es George, diese Idee in der Wirklichkeit wiederzufinden. In seiner Vorrede zu Maximin schrieb er: „je n%her wir ihn kennenlernten desto mehr erinnerte er uns an unser denkbild“ (SW XVII, 63). Das „denkbild“ #berformt endg#ltig die Wirklichkeit, als George Kronberger nach dessen fr#hem Tod 1904 zum neuen Heiland mythisiert. Aufgrund der zentralen Bedeutung der Maximin-Gestalt f#r Georges Dichtung liegt mittlerweile eine umfangreiche Forschung zu ihr vor. W%hrend einige betonen, Georges sogenanntes Maximin-Erlebnis sei eine genuin religiçse Erfahrung mit einem weitreichenden Wahrheitsan72 Heftrich, Eckhard: Stefan George. Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann 1968. S. 85.

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spruch,73 dominiert in der neueren Forschung eine poetologische Auffassung der Maximin-Gestalt als „mythopoetischer Gott“.74 Eine vermittelnde Position zwischen diesen beiden Lesarten bietet Claude David, der „Fiktion und Glaubensbekenntnis“ bei George als „ein unentwirrbares Geflecht“ beschreibt.75 Offensichtlich ging es George in den MaximinDichtungen darum, den Gegensatz von Poesie und religiçsem Erlebnis, von Kunst und autobiographischer Wirklichkeit aufzulçsen. Er griff dabei auf ein mystisches Denkmodell zur#ck, das ihm erlaubte, beide Aspekte zu integrieren. Dieses mystische Modell zeigt sich besonders deutlich im Gedicht Einverleibung aus dem Maximin-Zyklus des Siebenten Rings (SW VI/VII, 109). Ausgehend vom fr#heren Gedichttitel Kommunion 76 liest Braungart das Gedicht Einverleibung als poetisches Abendmahlsritual, in dem sich poetologische, religiçse und sexuelle Bilder vermischen.77 Braungart interpretiert Einverleibung im Hinblick auf die poetischen Rituale des George-Kreises, indem er im „eucharistischen ,Bund‘ [den] Bund des Kreises einbeschlossen“ sieht.78 Die soziale Funktion betont auch Simon Reiser, der das poetische Ritual im Rahmen des im George-Kreis gepflegten Totenged%chtniskults verortet.79 Obwohl insbesondere die %ltere Forschung vereinzelt auf den mystischen Sprachgebrauch in Einverleibung aufmerksam gemacht hat,80 ist der neomystische Charakter des Gedichts bislang nicht systematisch herausgearbeitet worden. 73 So zuletzt Gunilla Eschenbach (Eschenbach, Gunilla: Maximin. In: Stefan George – Werkkommentar. Hrsg. von J#rgen Egyptien. Berlin, Boston: de Gruyter 2017. S. 414 – 427). 74 Wolfgang Braungart erinnert mit Recht an die f#r die Literaturwissenschaft fundamentale wichtige Unterscheidung zwischen literarischen Figuren und empirischen Personen, wenn er betont: „Er ist ein mythopoetischer Gott: Maximin, nicht Maximilian Kronberger. Es gibt ihn nur im poetischen Text, und an ihn ist er gebunden.“ (Braungart: !sthetischer Katholizismus. S. 237.) 75 David: Stefan George. S. 259. 76 Siehe Kommentar zu SW VI/VII, 218. 77 Braungart: !sthetischer Katholizismus. S. 235 – 253. 78 Ebd. S. 246. 79 Reiser, Simon: Totenged#chtnis in den Kreisen um Stefan George. Formen und Funktionen eines %sthetischen Rituals. W#rzburg: Ergon 2015. S. 137. 80 Linke: Das Kultische. S. 114 ff.; Schultz: Studien zur Dichtung Stefan Georges. S. 150 f.; David: Stefan George. S. 258 ff.; Braungart: !sthetischer Katholizismus. S. 244 f. 247 ff.; Eschenbach, Gunilla: Interpretationen von Einverleibung (SW VI/ VII, 109) und Entr"ckung (SW VI/VII, 111). In: Stefan George – Werkkommentar. Hrsg. von J#rgen Egyptien. Berlin, Boston: de Gruyter 2017. S. 428 – 432, hier S. 429.

4.2 Medi%valismus und Mystik der Moderne

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EINVERLEIBUNG Nun wird wahr was du verhiessest: Dass gelangt zur macht des Thrones Andren bund du mit mir schliessest – Ich geschçpf nun eignen sohnes. Nimmst nun in geheimster ehe Teil mit mir am gleichen tische Jedem quell der mich erfrische Allen pfaden die ich gehe. Nicht als schatten und erscheinung Regst du dich mir im gebl#te. Um mich schlingt sich deine g#te Immer neu zu seliger einung. All mein sinn hat dir entnommen Seine farbe glanz und maser Und ich bin mit jeder faser Ferner brand von dir entglommen. Mein verlangen hingekauert Labest du mit deinem seime. Ich empfange von dem keime Von dem hauch der mich umdauert: Dass aus schein und dunklem schaume Dass aus freudenruf und z%hre Unzertrennbar sich geb%re Bild aus dir und mir im traume. (SW VI/VII, 109)

Das Gedicht beschreibt die verschiedenen Stadien einer sich wandelnden Beziehung zwischen Ich und Du.81 Die erste Strophe rekurriert auf das typologische Denkschema von Verheißung und Erf#llung, liefert damit zugleich die Vorgeschichte und das Resultat. In den n%chsten f#nf Strophen 81 In der Forschung wird das lyrische Du zumeist mit Maximin identifiziert, was aufgrund des Zyklus-Titels Maximin und der Kongruenz von Formulierungen in Einverleibung und in der Vorrede zu Maximin naheliegt. Methodisch problematisch hingegen ist der von Gunilla Eschenbach benannte Forschungskonsens, das lyrische Ich der Maximin-Dichtungen mit George gleichzusetzen. Eschenbach bezieht sich dabei auf Ernst Osterkamps Argument, dass „die Wahrheit des Sehers“ sich „allein in der persçnlichen Gotteserfahrung“ Georges begr#nden ließe (Eschenbach: Maximin. S. 417; vgl. Osterkamp: „Ihr wisst nicht, wer ich bin“. S. 35). So sehr bei George Dichtung und Leben ineinander #bergehen, so wichtig ist es doch, die Trennung zwischen fiktionalem Ich und biographischem Ich aufrechtzuerhalten, genauso wie Maximilian Kronberger als empirische Person und Maximin als fiktionale Gestalt auseinandergehalten werden m#ssen.

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steigert sich sukzessive die Intensit%t der Beziehung: Von der Teilnahme (Str. 2) #ber die Vereinigung (Str. 3) zur vollst%ndigen Wesenstransformation (Str. 4), die in Empf%ngnis (Str. 5) und Geburt (Str. 6) kulminiert. Insgesamt zeigt das Gedicht also eine gegenl%ufige Bewegung aus Hinein und Heraus – Einverleibung und Geburt. Der performative Charakter von Einverleibung wird darin evident, dass sich die Transformation der Beziehung zwischen Ich und Du im Text selbst ereignet, so signalisiert es der Sprachgestus des ersten Verses („Nun wird wahr“). Die erste Strophe ist dabei durch das semantische Feld von Verheißung, Thron, Bund und Geschçpf in eine religiçs aufgeladene Aura getaucht, die das Geschehen vage in einen biblischen Deutungsrahmen einr#ckt. Der Begriff des ,andren Bundes‘ changiert zwischen religiçsem, sozialem und emotionalem Bund. Am Ende der ersten Strophe gleitet die Rede in mystisches Sprechen #ber, wenn das Resultat des geschlossenen Bundes als Paradox formuliert ist: „Ich geschçpf nun eignen sohnes“ (V. 5). In der christlichen Mystik wird der Mensch sowohl traditionell als Gottes Geschçpf gesehen als auch im mystischen Sinne als Vater Gottes, denn die Mystiker gingen davon aus, dass sich in der Seele des Menschen die Geburt Gottes vollziehen kann. Diese mystische Denkfigur eines ,Zusammenfalls der Gegens%tze‘ (coincidentia oppositorum) deutet George poetologisch82 und damit neomystisch um: Das lyrische Ich weist dem Du im Text GottStatus zu – „Ich seh in dir den Gott / den schauernd ich erkannt“ (SW VI/ VII, 90), heißt es in einem der vorangegangenen Gedichte – und ist insofern einerseits poetischer Schçpfer dieses Gottes. Anderseits ver%ndert sich durch diesen poetischen Akt das Verh%ltnis zwischen Ich und Du, da sich das Ich nun gleichzeitig auch als ,Geschçpf‘ des Gottes begreifen kann. Durch die paradoxe Verschmelzung von ,erkennen‘ und ,sehen‘, von religiçser Erfahrung und dichterischer Weihe, realisiert George die coincidentia oppositorum auf %sthetischem Terrain.

82 Das poetologische Moment betonen auch Braungart, Wolfgang: Poetik, Rhetorik, Hermeneutik. In: Stefan George und sein Kreis. Bd. 2. S. 495 – 550, insbes. S. 545 – 549; Brokoff, J#rgen: Prophetie und Erlçsung in Stefan Georges Lyrik nach 1900. In: Stefan George und die Religion. Hrsg. von Wolfgang Braungart. Berlin, Boston: de Gruyter 2015. S. 27 – 41, insbes. S. 37 f.; Reiser: Totenged#chtnis; Plumpe, Gerhard: Mythische Identit#t und modernes Gedicht. Stefan Georges „Maximin“. In: Moderne Identit#ten. Hrsg. von Alice Bolterauer u. Dietmar Goltschnigg. Wien: Passagen 1999. S. 109 – 122, insbes. S. 37 f.; Simon, Ralf: Die Bildlichkeit des lyrischen Textes. Studien zu Hçlderlin, Brentano, Eichendorff, Heine, Mçrike, George und Rilke. M#nchen: Fink 2011. S. 216.

4.2 Medi%valismus und Mystik der Moderne

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Die folgenden vier Strophen zeigen die allm%hliche Verwandlung des lyrischen Ich. Der ,andere Bund‘ wird nun in der Sprache der Brautmystik als ,geheimste ehe‘ gefasst und spiegelt sich formal in den umarmenden Reimen wider, welche sich vom Kreuzreim der Eingangsstrophe abheben. Von Strophe zu Strophe steigert sich die Vereinigungsmetaphorik. In der zweiten Strophe geht es zun%chst um eine Teilnahme an allt%glichen und zugleich symbolischen Handlungen wie Essen, Trinken und Bewegen. In dieser Strophe treten die Anspielungen auf das Abendmahl, die Wolfgang Braungart betont hat, am deutlichsten zutage. In der dritten Strophe erreicht der mystische Sprachgebrauch einen Hçhepunkt, indem hier die unio mystica geschildert wird. Im Stil der via negativa, der Ann%herung an das unsagbare Gçttliche durch Negation,83 n%hern sich die ersten Verse dem Geheimnis der Verm%hlung: „Nicht als schatten und erscheinung / Regst du dich mir im gebl#te.“ (V. 9 f.) Diese Formulierungen lassen sich sowohl im Bedeutungskontext der Eucharistie als auch platonisch auslegen, als konkrete leibliche Pr%senz in der Kommunion oder als Bezugnahme auf Platons Urbild-Abbild-Theorie.84 Von dieser kçrperlichen Metaphorik wechseln die folgenden Verse wieder in den spirituellen Bereich, indem nun die personifizierte „g#te“ des Dus das Ich ,umschlingt‘. Die Vereinigungsmetaphorik erreicht ihre Klimax im Begriff der „selige[n] einung“, der besonders hervorgehoben ist durch seine Platzierung in der Mitte des ganzen Gedichts und durch die metrische Abweichung in Form einer Doppelsenkung, die aus dem ansonsten regelm%ßigen Kontinuum troch%ischer Vierheber heraussticht. W%hrend sich in Georges neomystischen Texturen meist kaum rezeptive Formen identifizieren lassen, ist hier ausnahmsweise einmal ein eindeutiger Bezug konstruierbar: Der Begriff ,einung‘ als deutsche Version des lateinischen unio ist ein charakteristischer Begriff, der eindeutig mystischem Vokabular entspringt und vor allem im mystischen Konzept Meister Eckharts einen zentralen Platz einnimmt.85 Denn Eckhart beschrieb die Gottesgeburt im 83 Vgl. dazu Wagner-Egelhaaf: Mystik der Moderne. S. 17. 84 Vgl. Versari, Margherita: La Poesia Einverleibung di Stefan George. In: Obscuritas. Retorica e poetica dell’oscuro. Hrsg. von Giosu* Lachin, Francesco Zambon u. Furio Brugnolo. Trento: Dipartimento di Scienze Filologiche e Storiche 2004. S. 495 – 505, S. 499; Versari, Margherita: Strategien der Liebesrede in der Dichtung Stefan Georges. W#rzburg: Kçnigshausen & Neumann 2006. S. 80. Zur platonischen Interpretation siehe Reiser: Totenged#chtnis. S. 137. 85 Das Wort „einung“ verwendet George in Einverleibung zum ersten Mal in seiner Dichtung. Die Wort-Konkordanz verzeichnet nur drei weitere Verwendungen im Stern des Bundes und im Neuen Reich (Bock: Wort-Konkordanz. S. 109 f.).

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Menschen als sÞlige einunge. 86 Auch in der Formulierung „[i]mmer neu“, die prominent an den Versanfang gestellt ist, klingt Eckharts mystische Vorstellung der Gottesgeburt als eines sich ewig wiederholenden Geschehens, als incarnatio continua an.87 George reichert diese mystischen Denkfiguren noch mit zus%tzlichem Bedeutungspotential an, indem er die Einung als ,selige einung‘ spezifiziert und damit, wie Wolfgang Braungart gezeigt hat, auf Goethes Gedicht Selige Sehnsucht aus dem West-çstlichen Divan anspielt, das eine %hnliche Thematik von „hçherer Begattung“ und Metamorphose beleuchtet.88 Auch die vierte Strophe bewegt sich weiterhin im mystischen Bildbereich. George wandelt zwei Gleichnisse ab, mit denen die Mystiker zum einen das Leerwerden der Seele und zum anderen deren Transformation beschrieben. Die Farbwahrnehmung des Auges diente ihnen als Gleichnis daf#r, dass die Seele ,entwerden‘ (leer werden) m#sse, um Gott empfangen zu kçnnen.89 George verkehrt diesen Gedanken in sein Gegenteil, indem das lyrische Ich „farbe glanz und maser“ dem Du aktiv ,entnimmt‘ (V. 13) und nicht etwa passiv auf die Erf#llung wartet. Diese Bewegung korrespondiert mit dem „Ich seh in dir den Gott“ (SW VI/VII, 90), dem ,Hineinsehen‘, Ernennen und Weihen. W%hrend bisher das lyrische Du agierendes Subjekt war, tritt in der vierten Strophe das lyrische Ich in den Vordergrund, was die spezifisch aktivische Deutung der mystischen Transformation unterstreicht. Der Gedanke einer vollkommenen )berformung des lyrischen Ichs durch das Du wird in der Feuer-Metapher am Ende der Strophe noch eindr#cklicher formuliert.90 Die Mystiker setzen die Wirkung des gçttlichen Geistes in Analgoie zur transformierenden Kraft des Feuers,91 wobei sie sich auf die biblische Feuer-Metaphorik be86 Pfeiffer (Hrsg.): Meister Eckhart. S. 376 und 382 (Traktat 1: Von den XII Nutzen unsers Herren L.chames). 87 Vgl. Eckhart, Predigt VI: […] sie solten fri unde lidig s.n, als unser herre JÞsus Kristus fri unde lidig ist und enpfenget sich alle z.t niuwe $ne underl$z und $ne z.t von s.me himelischen vater und ist sich in deme selben n& $ne underl$z wider in geberende vollekomenl.che mit dancbÞrem lobe in die veterl.che h)cheit in einer gel.cher w"rdekeit (Pfeiffer (Hrsg.): Meister Eckhart. S. 35). 88 Braungart: !sthetischer Katholizismus. S. 247. 89 Vgl. Eckhart, Predigt XCVI: Sol min ouge sehen die varwe, s) muoz ez lidic s.n aller varwen (Pfeiffer (Hrsg.): Meister Eckhart. S. 312). 90 Vgl. den Vers „Ich bin ein funke nur vom heiligen feuer“ in Entr"ckung (SW VI/ VII, 111). 91 Vgl. Eckharts Gleichnis von der Wesensangleichung des Holzes durch das Feuer: Wenne daz fiur w"rket unt an gez"ndet unt entbrennet daz holz, s) machet daz fiur alze cleine daz holz unt sich selben ungel.che, benimet ime gropheit, keltin unde

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ziehen konnten. Auf diese Symbolik spielen Georges Verse an, um die substantielle Verwandlung des Ichs bildlich auszudr#cken. Auf die Vereinigung (Str. 3) und Wesenstransformation (Str. 4) folgt in der f#nften Strophe die Schilderung einer Empf%ngnis. Die Verwendung von Formulierungen aus der religiçsen Tradition der Brautmystik erlaubt hier eine Beschreibung, die zwischen konkret-sexueller und geistig-metaphorischer Bedeutung oszilliert:92 Das lyrische Ich erh%lt in hingegebener Pose („hingekauert“) eine Befriedigung seines ,Verlangens‘ in Form von Speisung („seim“), Einpflanzung („keim“) und „hauch“. Man kann hierin eine Umschreibung von Beischlaf und Kuss sehen,93 aber auch klassische Topoi von Inspiration94 im ganz wçrtlichen Sinne von Beseelen und Einhauchen, die in der altnordischen Mythologie in der Metapher des Skaldenmets auch eine nahrungs-bezogene Variante haben. Die f#nfte Strophe endet mit einem Doppelpunkt, darin die anhebende Geste des allerersten Verses in der ersten Strophe imitierend und somit die sechste Strophe als Resultat und Hçhepunkt pr%sentierend. Diese Strophe formuliert erstmals die Idee der ,geistigen Zeugung‘, die laut David „bald das Hauptmysterium der Lehre darstellen“ sollte.95 Zun%chst werden die Zutaten aufgerufen, aus denen die Geburt hervorgeht. Es handelt sich um eine Geburt aus Antithesen („aus schein und dunklem schaume“, „freudenruf und z%hre“). Das Wort „schein“ deutet dabei in den %sthetischen Bereich hin#ber, indem es als Allusion auf den Scheincha-

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sw$rheit unt fiuhti des wazzeres unt machet daz holz sich selben, dem fiure, gel.che ie m+ unt ie m+ (Pfeiffer (Hrsg.): Meister Eckhart. S. 431 (Daz Buoch der gçtl.chen Troestunge)). Vgl. Braungart: !sthetischer Katholizismus. S. 249. Die Brautmystik ermçglicht auch Auslegungen im Sinne mann-m%nnlicher Erotik (vgl. Keilson-Lauritz: Von der Liebe, die Freundschaft heißt. S. 92). Solche vereindeutigenden Lesarten sind mçglich, zeugen letztlich aber vor allem wieder von der kommunikativen Offenheit von Georges Gedichten. Osterkamp sieht hierin mit Recht das Motiv des heiligen Seelenkusses, in dem sich eine „oskulatorische )bertragung des gçttlichen Hauchs“ vollziehe, und h%lt den Kuss f#r das „Zentralsymbol des ,Siebenten Rings‘“ #berhaupt (Osterkamp, Ernst: Die K"sse des Dichters. Versuch #ber ein Motiv im ,Siebenten Ring‘. In: Stefan George: Werk und Wirkung seit dem „Siebenten Ring“. Hrsg. von Wolfgang Braungart, Ute Oelmann u. Bernhard Bçschenstein. T#bingen: Niemeyer 2001. S. 69 – 86, hier S. 85 f.). Eine solche Lesart best%tigt Plumpes These, dass George „das Projekt einer Resubstantialisierung poetischer Rede durch die Suggestion ihrer Abkunft aus externen – numinosen – Quellen“ betreibe (Plumpe: Mythische Identit#t und modernes Gedicht. S. 118). David: Stefan George. S. 267.

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rakter des Kunstwerks gelesen werden kann; in der Geburt aus „dunklem schaume“ klingt die Schaumgeburt der Aphrodite an, und die Formulierung „freudenruf und z%hre“ l%sst es zu, hierin eine Orgasmus-Metaphorik zu erkennen. In optativem Konjunktiv wird schließlich die vollst%ndige Verschmelzung beschworen: Aus der unio mystica entsteht das „Bild aus dir und mir im traume“. Im letzten Vers verschiebt George die Transformation in die Sph%re des Imagin%ren, indem das Gedicht poetologisch auf sich selbst zur#ckweist, da es selbst als das genannte „Bild aus dir und mir“ gesehen werden kann.96 In einem Essay 'ber Dichtung hatte George den Verschmelzungsgedanken in das Zentrum seines Dichtungsverst%ndnisses gestellt und Dichtung mit Traum parallelisiert: „Das wesen der dichtung wie des traumes: dass Ich und Du · Hier und Dort · Einst und Jezt nebeneinander bestehen und eins und dasselbe werden“ (SW XVII, 69). Das mystische Modell von Gottesgeburt in der Seele und Vereinigung der Seele mit Gott bot f#r George einen passenden Rahmen f#r seine poetologischen )berlegungen, erlaubte aber gleichzeitig die Integration einer religiçsen Perspektive. Die neomystischen Texturen tragen somit zu einer Sakralisierung der Dichtung bei, treffen aber gleichzeitig auch ins Zentrum sowohl von Georges Poetik als auch seiner „poetischen Religion“. Um diese These zu erh%rten, sollen im Folgenden vier Aspekte von Georges Neomystik hervorgehoben werden: Selbstaufgabe und Erf#llung, unio mystica und Paradoxien, mystische Schau und Wiederkehr sowie die Grenze des Sagbaren. Dabei wird auf Beispiele sowohl aus dem Siebenten Ring als auch aus dem Stern des Bundes zur#ckgegriffen. Der Stern des Bundes, erschienen 1914, ist oft als Georges esoterischstes Buch bezeichnet worden. Denn nicht nur beziehen sich viele Gedichte auf Okkultes und Geheimlehren, sondern auch der Aufbau der Gedichtzyklen ist nach dem Muster von Mysterienkulten mit Schweigegeboten und Stufen strukturiert.97 So verwundert es nicht, dass auch mystische Denkstrukturen in diesem Band stark vertreten sind.

96 !hnlich deutet Cornelia Blasberg das Gedicht als „,Kind‘ dieser hochzeitlichen Begegnung“ (Blasberg, Cornelia: „Auslegung muß sein“. Zeichen-Vollzug und Zeichen-Deutung in Stefan Georges Sp%twerken. In: Stefan George: Werk und Wirkung seit dem „Siebenten Ring“. Hrsg. von Wolfgang Braungart, Ute Oelmann u. Bernhard Bçschenstein. T#bingen: Niemeyer 2001. S. 17 – 33, S. 27). 97 Vgl. David: Stefan George. S. 295.

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4.2.2.1 Selbstaufgabe und Erf#llung Die Aufgabe des Selbst, welche die Erf#llung durch den gçttlichen Geist ermçglicht, z%hlt zu den Grundannahmen der Mystik. Der Mensch m#sse sich von allen irdischen Affekten freimachen, seinen Geist reinigen und sein Ich aufgeben, um die Geburt Gottes in der Seele vorzubereiten. Die Mystik basiert auf dem Gedanken der Einheit – und diese Einheit mit Gott kann nur erlangt werden, wenn der Mensch sich aus seiner ,Vielheit‘ lçst. Meister Eckhart etwa nennt diesen Zustand ,Gelassenheit‘ oder ,Abgeschiedenheit‘; der Mensch soll alle irdischen Dinge ,lassen‘ und von sich ,abscheiden‘.98 Solche Gedanken klingen im Stern des Bundes an, etwa in Georges Gedicht [Was ist geschehn dass ich mich kaum noch kenne]: Ich war noch arm als ich noch wahrt und wehrte Seitdem ich ganz mich gab hab ich mich ganz. (SW VIII, 65)

Der Vorgang ist hier wiederum als Paradox gefasst: Irdische Affekte, Widerstand und Eigenwillen m#ssen aufgegeben werden, um zu wahrem Reichtum und eigentlichem Sein gelangen zu kçnnen.99 Mehrfach begegnet in Georges Dichtung auch das paradoxe Schema von notwendigem Opfer und Erf#llung, Tod und Neugeburt: Wie sein gesetz ist dass sich der erf#llt Der sich und allen sich zum opfer gibt Und dann die tat mit seinem tod gebiert. (Ergeben steh ich vor des r#tsels macht, SW VIII, 14)

Die Idee von Selbstaufgabe und Erf#llung verbindet sich in einigen Gedichten mit einem weiteren Aspekt, der ebenfalls in der traditionellen Mystik angelegt ist und sich als anschlussf%hig f#r poetologische Reflexionen erwies: der Zusammenhang zwischen Gottesgeburt in der Seele und sprachlichem Handeln. Die Mystiker bezogen sich hierf#r auf den logoszentrierten Schçpfungsmythos des Christentums, wie er im Johannesevangelium zum Ausdruck kommt: „Im Anfang war das Wort, und das 98 Vgl. Eckharts Predigten XII und LIII (Pfeiffer (Hrsg.): Meister Eckhart. S. 61 und 173). 99 Vgl. Eckharts Predigt XII: S) d& dich gote mÞre g.st, s) d.n Þwigiu s(likeit mÞre ist (Pfeiffer (Hrsg.): Meister Eckhart. S. 64). Einen ganz %hnlichen Gedanken fasste Friedrich Gundolf 1912 in einem Brief an George ins Gedicht: „Durch Dich, f#r Dich – dies bleibt mein Heil. / So schenk ich mich und bleibe mein. So bin ich ganz und habe teil / Und mein ist alles weil ich Dein.“ (George/Gundolf: Briefe. S. 231.) Braungart erkennt darin ebenfalls einen „fast mystischen Gedanken“ (Braungart u. a.: Platonisierende Eroskonzeption. S. 253).

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Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ (Joh 1, 1.) Meister Eckhart etwa begriff Gott als ein sprechende werk und Jesus als die Inkarnation des gçttlichen Wortes, als ein spruch w"rkende. 100 Die Gottesgeburt im Menschen entsprach f#r ihn dem Einsprechen des Wortes in die Seele: Wan s* sich got in die s(le sprichet, s) h%t er sich mit ir vereinet. 101 Um das Wort Gottes hçren zu kçnnen, m#sse der Mensch Kçrperlichkeit, Vielheit und Zeitlichkeit #berwinden, so predigte Eckhart.102 Vor diesem Hintergrund wird die Analogie zwischen Sprechakt und Gottesgeburt deutlich, die uns bei den Mystikern begegnet: Die Einheit mit Gott vollzieht sich durch das Einsprechen des Wortes in die Seele. Solche Gedanken des Leerwerdens und Hçrens klingen im Gedicht Empf#ngnis im Zyklus Traumdunkel des Siebenten Rings an: Nimm und weih mich zum gef%sse! F#lle mich: ich lieg und lausche! (SW VI/VII, 128)

Das Leerwerden und Gef#lltwerden ist hier im sehr konkreten Bild des ,Gef%ßes‘ visualisiert, das etwa auch Friedrich Hçlderlin als Metapher f#r den Dichter gebrauchte („Heilige Gef%ße sind die Dichter“).103 Georges Gedicht konterkariert jedoch die beschriebene Passivit%t („ich lieg und lausche!“) durch die imperativische Sprechhaltung, die das ,Bef#llen‘ fast erzwingen zu wollen scheint. Dieser handelnde Gestus, der auch in der vierten Strophe von Einverleibung als eigenwillige Abwandlung des traditionellen Mystik-Konzepts in Erscheinung trat, kann als Charakteristikum von Georges Neomystik angesehen werden. Als Du-Ansprache in Imperativen ist auch das Gedicht Breit’ in der stille den geist aus dem Stern des Bundes gehalten: Breit’ in der stille den geist Unter dem reinen gewçlk Send ihn zu horchender ruh Lang in die furchtbare nacht Dass er sich reinigt und st%rkt Du dich der h#llen befreist Du nicht mehr stumm bist und taub Wenn sich der gott in dir regt 100 101 102 103

Pfeiffer (Hrsg.): Meister Eckhart. S. 92 (Predigt XXII). Pfeiffer (Hrsg.): Meister Eckhart. S. 403 (Von der s(le werdikeit und eigenschaft). Vgl. Eckhart, Predigt XC (Pfeiffer (Hrsg.): Meister Eckhart. S. 296). Gabriela Wacker macht an Hçlderlins Gedicht das grunds%tzliche Verh%ltnis von Dichter und Held in der Dialektik von Meisterschaft und Dienerschaft fest (Wacker: Poetik des Prophetischen. S. 94 ff.).

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Wenn dein geliebter dir raunt. (SW VIII, 50)

Diese Verse lassen sich als Beschreibung einer via purgativa lesen, als Anleitung, wie das Du sich reinigen und vorbereiten soll, um sich mit Gott vereinigen zu kçnnen.104 Der Geist soll alles !ußere ablegen, um hçren zu kçnnen. Gott erscheint dabei als immanenter Gott, als Teil des Selbst („der gott in dir“). Im Schlussvers „Wenn dein geliebter dir raunt“ klingt der Gedanke an, dass die Vereinigung mit Gott ein Einsprechen des Wortes in die Seele bedeutet. Vor allem betont der Vers den sprachlichen Aspekt: Die Reinigung soll dazu dienen, Kommunikation mit dem Gott zu ermçglichen, der hier in brautmystischer Terminologie mit der Antonomasie ,geliebter‘ umschrieben wird. Das Du soll „nicht mehr stumm und taub“ sein, sondern vielmehr sprechen und hçren kçnnen, wenn das Gçttliche spricht. Diese sprachaffinen Gedanken der Mystik inkorporierte George in seine eigenen poetologischen Reflexionen. 4.2.2.2 Unio mystica und coincidentia oppositorum Das Ziel der Mystiker ist die unio mystica, die Vereinigung mit Gott. In Einverleibung war dies als ,einung‘ und ,geheimste ehe‘ beschrieben. Im Stern des Bundes werden sowohl die Idee der Vereinigung als auch die dazugehçrigen Paradoxien wieder aufgegriffen, sie erscheinen hier sowohl im Kontext eines dionysischen Reigens mit erotischer Konnotation („aller einung im gemischten kuss“, SW VIII, 12) als auch in Variation der in Einverleibung gepr%gten Terminologie: Ergeben steh ich vor des r%tsels macht Wie er mein kind ich meines kindes kind . . (SW VIII, 14) Nun wachs ich mit dir r#ckw%rts in die jahre Vertrauter dir in heimlicherem bund. (SW VIII, 15)

Zentral ist die Idee der Einswerdung aus der Zweiheit heraus oder die Verbindung von Gegens%tzen in der Einheit: Der du uns aus der qual der zweiheit lçstest Uns die verschmelzung fleischgeworden brachtest Eines zugleich und Andres · Rausch und Helle: […] Wir schm#ckten dich mit palmen und mit rosen 104 Vgl. Kommentar zu SW VIII, 138.

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Und huldigten vor deiner doppel-schçne Doch wussten nicht dass wir vorm leibe knieten In dem geburt des gottes sich vollzog. (SW VIII, 9)

In diesem Gedicht ist die Geburt des Gottes im lyrischen Du angesiedelt und nicht mehr im lyrischen Ich wie in Einverleibung. Die ,Verschmelzung‘ der Gegens%tze betrifft hier sowohl das Du als auch das Wir: Das Du ist durch ,doppel-schçne‘ gekennzeichnet und erlçst das Wir aus dessen ,qual der zweiheit‘, in der religiçse Vorstellungen etwa vom Sturz aus dem Paradies oder der Trennung in Tag und Nacht anklingen. Dies wird durch die offene Syntax des dritten Verses verst%rkt – „Eines zugleich und Andres · Rausch und Helle“ –, der sich sowohl auf das Du als auch auf das Wir beziehen l%sst. Die Austauschbarkeit der Personalpronomen bezeugt insofern die eingegangene Einheit. Innerhalb des christlich-mystischen Handlungsschemas werden gleichzeitig antike Vorstellungen aufgerufen, etwa der platonische Mythos von der Sehnsucht der Liebenden nach ihrer urspr#nglichen Einheit mit dem Geliebten (,qual der zweiheit‘) und vom dritten Geschlecht der Androgynen (,doppel-schçne‘), daneben auch die Opposition von Dionysischem und Apollinischem („Rausch und Helle“). Die Denkfigur der coincidentia oppositorum, dem ,Zusammenfall der Gegens%tze‘, zeigt sich besonders deutlich im Gedicht Ich bin der Eine und ich bin Beide: Ich bin der Eine und bin Beide Ich bin der zeuger bin der schooss Ich bin der degen und die scheide Ich bin das opfer bin der stoss Ich bin die sicht und bin der seher Ich bin der bogen bin der bolz Ich bin der altar und der fleher Ich bin das feuer und das holz Ich bin der reiche bin der bare Ich bin das zeichen bin der sinn Ich bin der schatten bin der wahre Ich bin ein end und ein beginn. (SW VIII, 27)

Das Gedicht ist als Ich-Aussage gefasst, was die Anaphern betonen, durch die der Text fast monoton-meditativ wirkt. Melchior Lechter soll gesagt haben, „in diesem Gedicht komme George der Mystik am n%chsten“.105 Gustav-Adolf Zekert hat darin eine !hnlichkeit zu Friedrich R#ckerts 105 Landmann: Figuren um Stefan George. S. 16.

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)bertragungen von Ghaselen des persischen Mystikers Djelal-ed-dinRumi erkannt.106 Aber auch die platonische Ideenlehre von Urbild und Abbild scheint in der Formulierung „Ich bin der schatten bin der wahre“ durch. Der Zusammenfall von ,Zeichen‘ und ,Sinn‘ im Ich, der im drittvorletzten Vers angesprochen ist, deutet auf die poetologische Ebene hin und darauf, dass der ,Sinn‘ von Georges Gedichten nicht in deren Inhalt, sondern im ,Zeichen‘ selbst zu finden ist. Diese performative Dimension verst%rkt sich in Georges sp%teren Gedichten. Im letzten Vers, „Ich bin ein end und ein beginn“, kommt ein weiterer wesentlicher Aspekt von Georges neomystischem Modell zum Ausdruck, n%mlich die ver%nderte Zeitkonzeption. 4.2.2.3 Mystische Schau und Wiederkehr Im Anschluss an die platonische Lehre der Schau als hçchster Erkenntnis kommt dem Gedanken der Schau und Vision in der Mystik eine zentrale Rolle zu, denn das Auge ist das Organ, mit dem Gott in einem hçheren Sehen wahrgenommen und erkannt werden kann.107 Das %sthetische Moment, das dem Schauen innewohnt, begr#ndet eine Affinit%t zwischen Mystik und moderner Literatur und Kunst, die sich etwa in der Figur des vision%ren K#nstlers oder dem poeta vates manifestiert.108 Die Schau und das Sehen sind auch Kernideen von Georges Poetik, wie sie sich beispielsweise in den Gedichten Der Teppich und Herzensdame artikuliert. Im Zusammenhang mit Maximin erh%lt die Schau in Georges Dichtung mystische Qualit%ten und verbindet sich mit einem ver%nderten Zeitkonzept. F#r die Mystiker glich die Schau Gottes einem zeitlosen Zustand, sie gerieten in ein zeitloses „nu“, wie Meister Eckhart es nannte.109 Solche Vorstellungen von Zeitlichkeit und Zeitlosigkeit gestaltete George auch in mehreren Gedichten aus dem Stern des Bundes. In einem bildstarken Gedicht verbindet er das Motiv der Wellen eines Stroms mit dem Motiv der Spiegelung und der Epiphanie des Gottes: Der strom geht hoch . . da folgt dies wilde herz Worin ein brand sich w%lzt von tausendjahren Den es verbreiten mçcht in licht und tiefe Und nicht entladen kann – den spiegelungen. 106 107 108 109

Zekert: Zu Georges ,Stern des Bundes‘. S. 62 f. Wagner-Egelhaaf: Mystik der Moderne. S. 10 f. Vgl. ebd. S. 59 – 61. Eckhart spricht vom Þwigen unwandelbÞren n& in der Þwikeit (Pfeiffer (Hrsg.): Meister Eckhart. S. 376 (Traktat 1: Von den XII Nutzen unsers Herren L.chames)).

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Es seufzt den wellen nach als soviel wesen Die ihm entrinnen ihm entronnen sind Und weiss nicht rat eh die paar tropfen bluts Verstrçmt sind in die endlos laute f#lle . . Da tauchst du Gott vor mir empor ans land Dass ich von dir ergriffen dich nur schaue · Dein erdenleib dies enge heiligtum Die spanne kaum f#r eines arms umfassen F%ngt alle sternenfl#chtigen gedanken Und bannt mich in den tag f#r den ich bin. (SW VIII, 11)

Das Gedicht setzt mit apokalyptischen Bildern von hochkochendem Wasser und Weltenbrand ein. Die Wellen im f#nften Vers illustrieren dagegen das Verrennen der Zeit, die Verg%nglichkeit, aber auch Endlosigkeit. In dem Wunsch nach einem Sich-Verstrçmen und Sich-Entladen des ,wilden Herzens‘ kommt ein Drang nach Auflçsung, )berschreitung der eigenen Grenzen und Vereinigung mit der Materie zum Ausdruck. Erst das Verstrçmen von Blut, also die Mischung des eigenen Lebenssaftes mit den Wellen, beschwçrt als eine Art ritueller Handlung oder Blutopfer den Gott herauf. Die Begriffe Herz und Blut suggerieren dabei zugleich das Bild eines blutenden Herzens oder einer blutenden Liebeswunde, das die katholische Herz-Jesu-Frçmmigkeit gepr%gt hat. Die Selbstbez#glichkeit dieses Vorgangs wird durch das prominent gesetzte Spiegelmotiv angedeutet: Das Herz hat den Gott durch sein eigenes Blut aus dem eigenen Spiegelbild gezeugt.110 Der Gott steigt aus den Wellen empor wie die schaumgeborene Venus aus der Muschel, aber hier ist es ein jugendlicher Gott, dessen Kçrper so schmal ist, dass er mit weniger als einer Arml%nge umschlungen werden kann („Dein erdenleib dies enge heiligtum / Die spanne kaum f#r eines arms umfassen“). Die Weite, die sich am Anfang des Gedichts auch in der mythischen Zeitspanne einer 1000 Jahre lang angestauten Sehnsucht ausdr#ckt, wird am Ende des Gedichts zu einer Enge: Die Epiphanie des Gottes f#hrt zu einer ,Schau‘ und einem ver%nderten Zeitempfinden, n%mlich zu einer B%ndigung der strçmenden Gedanken und einem Anhalten der kontinuierlich fließenden Zeit: „Dein erdenleib […] bannt mich in den tag f#r den ich bin.“

110 Zum Gebrauch der Spiegel-Metapher in der Mystik siehe ebd. S. 15. Vgl. Pfeiffer (Hrsg.): Meister Eckhart. S. 378 (Traktat 1: Von den XII Nutzen unsers Herren L.chames).

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Die Vereinigung des Ichs mit dem Du f#hrt f#r das Ich zu einer ver%nderten Sicht auf die Geschichte, wie ein weiteres Gedicht aus dem Stern des Bundes zeigt: Nun wachs ich mit dir r#ckw%rts in die jahre Vertrauter dir in heimlicherem bund. Du strahlst mir aus erlauchter ahnen werke Entz#ckten fehden und berauschten fahrten Und wesest wach wie schamvoll auch verh#llt Im weisesten im frçmmsten seher-spruch. Was #ber noch so stolzen nachbarn f#rstet – Im blut ein uralt unerschçpftes erbe: Du wirfst in fristen fruchtend in das all Ein zuckend lohen eine goldne flut. Wie muss der tag erst sein · gew%hr und hoffen · Wo du erschienen bist als schleierloser Als herz der runde als geburt als bild Du geist der heiligen jugend unsres volks! (SW VIII, 15)

Das Ich erkennt im Du einen Geist, der sich in verschiedenen Epochen wieder verkçrpert. Darin klingt die mystische Idee der immerw%hrenden Geburt an, der incarnatio continua („Du wirfst in fristen fruchtend in das all“), wobei sich das mystische Modell hier stark mit kosmischen Vorstellungen verbindet. Der letzte Vers konkretisiert erstaunlich stark („geist der heiligen jugend unsres volks“) und appelliert damit auch an ein Publikum, das im lyrischen ,Du‘ nicht nur Maximin erkennen wollte, sondern sich selbst mit solchen Bildern identifizieren konnte. In dem Begriff „volk“ materialisiert sich das kulturkritische Potenzial von Georges Dichtungen im Siebenten Ring und im Stern des Bundes, in denen sich eine Wendung des Medi%valismus ins Nationale abzeichnet. Der Gedanke der Wiedergeburt und Wiederkehr war bereits f#r Georges fr#he Dichtung wesentlich – nun erh%lt er durch kosmische, mystische und allgemein mythische Denkmodelle noch zus%tzliche Pr%gnanz. 4.2.2.4 Grenzen des Sagbaren Ein Faszinosum mystischer Texte ist das Ringen der Mystiker um den ad%quaten Ausdruck ihres religiçsen Erlebnisses, das die Grenzen des Sagbaren #berschreitet. Gerade dieser Aspekt der Mystik geriet im Zuge des Sprachzweifels in der Moderne in den Fokus. F#r George war sein Maximin-Erlebnis ein „#bersinnliches Ereignis“, wie er in einem Brief an

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Melchior Lechter aus dem Jahre 1905 bekannte.111 Tats%chlich kommt gerade in den mit Maximin assoziierten neomystischen Gedichten Georges wiederholt eine Grenze des Sagbaren zum Ausdruck: )ber Wunder sann ich nach In der weisheit untern kammern: War der gott der mich erleuchtet War der geist der mir erschienen Fern aus unermessnen hçhn? Hab ich selber ihn geboren? Schweig gedanke! seele bete! […] (SW VIII, 70)

Das „Wunder“ l%sst sich durch rationale Durchdringung nicht erfassen – eine spirituelle Haltung (Beten) scheint die einzig mçgliche Reaktion darauf. So antwortet das lyrische Ich auch seinen fragenden Gef%hrten: Die tiefste wurzel ruht in ewiger nacht . . Die ihr mir folgt und fragend mich umringt Mehr deutet nicht! ihr habt nur mich durch ihn! Ich war verfallen als ich neu gedieh . . Lasst was verh#llt ist: senkt das haupt mit mir: ,O Retter‘ in des dunklen grauens wind. (SW VIII, 14)

Das lyrische Ich warnt vor dem Versuch, das Geschehen rational zu verstehen und fordert stattdessen eine Haltung der fraglosen Demut vor dem Geheimnis ein. Ein anderes Gedicht spricht geradezu ein Rede- und Benennungsverbot aus: Wem Du dein licht gabst bis hinauf zu dir Weiss dass er nie dich sagen darf und wort Das daf#r steht hinausgebracht zur menge Nur eine weile wirkt und dann verdirbt Bis neuer wecker kommt der neu es spendet. (SW VIII, 24)

In der Formulierung „bis hinauf zu dir“ klingt die mystische Lehre vom Aufstieg zum Gçttlichen an, das in der Metaphorik des Lichts gefasst ist. Ein Wort f#r den Gott wird in der .ffentlichkeit sofort profaniert und darf deshalb gar nicht erst ausgesprochen werden. Ein anderes Gedicht beleuchtet die Relativit%t der Benennungen:

111 Kommentar zu SW VI/VII, 218.

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Nennt es den blitz der traf den wink der lenkte: Das ding das in mich kam zu meiner stunde . . Ungreifbar ists und wirklich wie der keim. Nennt es den funken der dem nichts entfahren Nennt es des kreisenden gedankens kehr: Nicht spr#che fassen es: als kraft und flamme F#llt es in bild in welt- und gottesreich! Ich komme nicht ein neues Einmal k#nden: Aus einer ewe pfeilgeradem willen F#hr ich zum reigen reiss ich in den ring. (SW VIII, 25)

Das Unsagbare ist hier explizit angesprochen – „ungreifbar ists“ und „Nicht spr#che fassen es“ – einzig Bilder vermçgen es zu repr%sentieren. Hierin zeigt sich eine Parallele zu der Bildsprache der Mystiker. Zugleich scheint in diesem Gedicht auch eine Forderung nach einer Literatur der Tropen formuliert, wie sie Georges Gedichte mit ihren zahlreichen Metonymien, Antonymien, Metaphern, ihrer Ironie und sonstigen Mittel des indirekten Sprechens exemplarisch vorf#hrt. Georges Gedichte sind in hohem Maße von einer bildlichen Sprache gepr%gt, hierin zeigt sich das Primat des !sthetischen bei George. Dies erhellt auch das Verh%ltnis von Literatur und Wirklichkeit in den Maximin-Gedichten, denn George hat sich Maximin sozusagen als literarisches Mittel zurechtgegelegt. Im Wort „funken“ klingen ebenfalls mystische Assoziationen mit, denn der Seelenfunken – scintilla animae – war den Mystikern zufolge der Teil der menschlichen Seele, der gçttlichen Wesens war und der deshalb, aufgrund der gleichen gçttlichen Natur, die Vereinigung mit Gott #berhaupt erst ermçglichte.112 Die verschiedenen Benennungen stellt das Gedicht selbst jedoch als austauschbar und unzureichend dar. Wie in vielen anderen Gedichten Georges kommt in diesen neomystischen Versen eine Sehnsucht nach einem Verlassen des Gedankenraums und nach einem Eintreten in einen Bilderraum zum Ausdruck. Die zweimal angesprochene Kreisform verweist zum einen wiederum auf die Selbstbez#glichkeit der unsagbaren Erfahrung: „des kreisenden gedankens kehr“ deutet an, dass es sich bei diesem Erlebnis um eine Gedankenkonstruktion handelt, also in poetologischer Lesart die Maximin-Dichtungen einer Gedankenkonstruktion oder einem Geistesblitz („blitz der traf“) entsprungen sind. Zum anderen wird mit der Kreisform ein alternatives Zeitkonzept angesprochen. Denn aus der als Pfeil gedachten Fortschrittsgeschichte formt das Ich durch seine ,F#hrung‘ 112 Vgl. Eckhart: Von der Geburt des Ewigen Wortes in der S(le (Pfeiffer (Hrsg.): Meister Eckhart. S. 480).

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eine Kreisbewegung: „Aus einer ewe pfeilgeradem willen / F#hr ich zum reigen reiss ich in den ring“. Der Reigen evoziert einen Tanz, gleichgerichtete Bewegung zu Musik, und der Ring symbolisiert die Idee des Bundes, welche im Titel des Gedichtbands Der Stern des Bundes steht. Das Ich inszeniert sich als Anf#hrer dieses Bundes. 4.2.3 Zusammenfassung Dieses Kapitel hat Georges Neomystik als eine Spielart des Medi%valismus in seinem Werk aufgezeigt. Mystik und Neomystik stehen in einem %hnlichen Verh%ltnis zueinander wie Mittelalter und Medi%valismus: In Neomystik und Medi%valismus verschwimmen die Grenzen zwischen Rezeption und Imaginationen so stark, dass eine analytische Trennung der Bereiche weder mçglich noch zielf#hrend ist. In Georges Neomystik verbindet sich die Tradition christlicher Mystik mit deren antiken Wurzeln, vor allem der platonischen Tradition, aber auch mit kosmischem Denken. ,Einverleibung‘ ist damit zugleich ein poetologisches Signalwort f#r die Art von Traditionsaneignung, die George betrieb: Wer sich etwas einverleibt, k#mmert sich im Allgemeinen nicht im Einzelnen um den Inhalt des Einverleibten, sondern verschlingt alles in einem St#ck. Das neomystische Modell mit der geistigen Zeugung des Gottes schien einige Problemlagen zu lçsen, die in fr#heren medi%valisierenden Gedichten virulent waren. In Das Bild aus den Sagen etwa blieb dem Mçnch in seiner Zelle die erwartete Erlçsung verwehrt. In den Maximin-Dichtungen erscheint eine solche Erlçsung auf einmal mçglich: Das Ich kann sich nun „in tçnen lçsen“ (Entr"ckung, SW VI/VII, 111), sich selbst aufgeben und zum Gef%ß werden. Georges #bersinnliches Maximin-Erlebnis wird in seiner Dichtung zum Signum einer lebensver%ndernden Liebeserfahrung. Die religiçs-erotischen Affekte, die sich in den Sagen und S#ngen auf Marienbilder richteten, erfahren in der Mystik eine Steigerung: In der Sprache der Mystiker fand George einerseits neue Ausdrucksformen f#r diese neue, umfassende Liebeserfahrung, gleichzeitig stellte die mystische Idee der Gottesgeburt in der Seele ein geeignetes Gedankenmodell dar, in das er sein Erlebnis einschreiben konnte. George schçpfte also nicht nur aus dem Fundus mystischer Sprechweisen, sondern er machte sich vor allem die Grundidee der Verinnerlichung zu eigen. Die Geburt fasste er als geistige Geburt. Die unio mystica bedeutet in Georges Lyrik die )berwindung der Zweiheit und das Eingehen oder auch die R#ckkehr in eine Einheit. Dies geht so weit, dass die Sprecherinstanzen Ich und Du aus-

4.2 Medi%valismus und Mystik der Moderne

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tauschbar werden. Die Sehnsucht nach Einheit erscheint als symptomatisch f#r das Lebensgef#hl der Moderne; auch George teilte die zivilisationskritischen Topoi von einer Partikularisierung aller Gesellschaftsbereiche und den Wunsch nach ,Gesamtmenschentum‘ (Gundolf ), nach Ganzheit und Einheit. Seit der Romantik war gerade das Mittelalter ein bevorzugter Imaginationsort einer solchen Einheit. Neben den leuchtenden Bildern eines idealisierten Rittertums sind es also die geheimnisvollen Praktiken der christlichen Mystik des Mittelalters, die in Georges Dichtung medi%valisierend aufscheinen. Die Neomystik verweist ins Zentrum der Poetik des Siebenten Rings und des Stern des Bundes: Das mystische Denkmodell verbindet sich mit dem Anliegen der Maximin-Dichtung und erlaubte es George, religiçse, erotische, poetologische Ebenen miteinander zu verbinden. George ersetzt in seinem neomystischen Modell den christlichen Gott durch einen knabenhaften Kunstgott und schuf dadurch eines der %sthetischen Erlçsungsangebote der Moderne. Insofern entsprechen Georges Maximin-Dichtungen Uwe Spçrls Definition der Neomystik, der zufolge eine neomystische Erfahrung der unio mystica in der Struktur gleicht, aber die Position Gottes durch eine andere Gestalt oder ein anderes Objekt ersetzt wird. Georges Besetzung des traditionell-christlichen, trinitarischen Modells ist symptomatisch f#r eine „formale[ ] Retheologisierung“113 in der Literatur der Jahrhundertwende: Der Dichter kann in diesem Modell sowohl die Rolle des Vaters und Schçpfers als auch die Rolle des leidenden Sohnes einnehmen,114 und hierf#r bietet die Denkfigur der unio mystica einen geeigneten Rahmen. Was George mit anderen K#nstlern seiner Zeit verbindet, ist der von Wagner-Egelhaaf hervorgehobene Umstand, dass die unio mystica „zum Modell der k#nstlerischen Inspiration in einem Augenblick [wird], in dem das autonom gewordene Subjekt seine Selbstbest%tigung in der eigenen Leistung finden muss und dabei zum (Kunst-)Werk des eigenen (Kunst-) Werks wird“.115 Nach dem Wegfallen externer Legitimierungsinstanzen wie der Religion wendet sich die moderne Literatur in die Selbstreflexivit%t. Mit der Neomystik wird eine klare Option ausgesprochen f#r eine Subjektivierung der Wahrnehmungs- und Darstellungsproblematik und f#r eine Grenze der Sprache. Die Mystik zielt ins Zentrum einer Kommunikation ohne Sprache beziehungsweise einer Kommunikation #ber die Sprache, da in ihren Kern ein Nicht-Sagbares steht. Vor allem um diesen 113 Langer: Diskussionsbericht. S. 171. 114 Ebd. S. 170 f. 115 Wagner-Egelhaaf: Mystik der Moderne. S. 217.

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bestimmten Aspekt der Sprach- und Darstellungsdimension ging es George. Denn die Bildsprache der Mystiker und die rhetorischen Strategien zur )berwindung der Unsagbarkeitsproblematik erweisen sich als anschlussf%hig f#r eine moderne !sthetik gerade auch in der Lyrik, wie Georges Gedichte zeigen. Die literarische Dimension dieses Konzepts besteht darin, dass es sich bei der Neomystik um einen erneuten Versuch handelt, den Primat des !sthetischen im Sinne einer Literatur der Tropen weiterzuf#hren. Das Problem der %sthetischen Grenze hat George offensichtlich im Leben und auch in der Literatur herausgefordert, dies zeigt sich in der Maximin-Gestalt. Es scheint, als wollte George diese Grenze eigentlich nicht #berschreiten, sondern vielmehr Maximilian Kronberger #ber diese Grenze hin#berziehen. !sthetizismus setzt eine absolute %sthetische Grenze voraus, aber gerade die Mystik behauptet das Gegenteil, den Zusammenfall aller Gegens%tze. Die neomystische Kreation der Maximin-Gestalt bezeichnet einen Schritt vom radikalen !sthetizismus hin zu einer sozialen Dimension, in der Georges Dichtung zum Kultzentrum einer Gemeinde wird. In dem Zusammenhang zwischen Literatur und Wirklichkeit spielt Maximin die Rolle einer Grenzfigur, die aus der Wirklichkeit in die Literatur einverleibt wird.

4.3 Medi%valismus zwischen Nostalgie und Prophetie Der Erste Weltkrieg bedeutete einen tiefen Einschnitt f#r Georges Schaffen. Der Schwerpunkt seiner T%tigkeit verlagerte sich von der eigenen poetischen Produktion hin zum p%dagogischen Wirken in seinem Kreis.116 Georges letzter Gedichtband, Das Neue Reich, erschien 1928, mehr als ein Jahrzehnt nach dem Stern des Bundes von 1914. Das Neue Reich enthielt viele %ltere Gedichte, deren Entstehung teilweise bis ins Jahr 1908 zur#ckreichte.117 Vor allem in den neueren Gedichten nahm das Mittelalter einen zentralen Platz ein. Vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des Ersten Weltkriegs und seinen Folgen liegt die Vermutung nahe, dass Georges Medi%valismus in 116 George regte die J#ngeren zu wissenschaftlichen Arbeiten an und wirkte an der Entstehung dieser Werke teilweise minutiçs redigierend, kommentierend und autorisierend mit. Zu Georges ,verschwiegener Coautorschaft‘ siehe Raulff: Kreis ohne Meister. S. 124 ff. 117 Vgl. Kommentar zu SW IX, 114; Osterkamp, Ernst: Das Neue Reich (SW IX). In: Stefan George und sein Kreis. Bd. 1. S. 203 – 217, S. 204 – 206.

4.3 Medi%valismus zwischen Nostalgie und Prophetie

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den 1920er Jahren eine st%rkere politische Brisanz gewann. W%hrend des Ersten Weltkriegs war Medi%valismus im çffentlichen Diskurs mit Ideen von Nibelungentreue, ritterlichem Heldentum und Heldentod verbunden gewesen. Sowohl in der deutschen als auch in der englischen Kriegspublizistik standen politische Medi%valismen hoch im Kurs.118 Die auf Plakaten und Postkarten, in Flugschriften und Gedichten evozierten heroischen Bilder standen dabei teilweise in grotesker Diskrepanz zur Realit%t des modernen Maschinenkriegs. Nach Kriegsende brach der medi%vale Diskurs nicht ab, sondern setzte sich unter anderen Vorzeichen fort. Das Deutsche Kaiserreich war zusammengebrochen, der Kaiser wurde zur Abdankung gezwungen und die neue Republik stand durch Gebietsverluste und Reparationsforderungen stark geschw%cht da. Gerade in dieser politischen Situation erschien es vielen konservativen Kr%ften verlockend, das Heil in der Vergangenheit zu suchen. Die Idee eines ,Neuen Mittelalters‘ fand breiten Anklang in der Publizistik, Geschichtswissenschaft und Literatur der Zwischenkriegszeit.119 Der Titel von Georges letztem, 1928 erschienenem Gedichtband, Das Neue Reich, war durchaus geeignet, seine Dichtung in gedankliche N%he zu zeitgençssischen Reichsideen der ,konservativen Revolution%re‘ und der Vordenker des nationalsozialistischen ,Dritten Reichs‘ zu r#cken.120 Tats%chlich werfen einige der Gedichte in Das Neue Reich prek%re Fragen nach ihrem weltanschaulichen Gehalt auf. In der Forschung wurde diskutiert, ob Das Neue Reich als Ausdruck eines vçlkischen, nationalistischen oder gar pr%faschistischen Denkens gewertet werden m#sse. Schl#sselworte wie „vçlkisches banner“, „rassenschande“, „f#hrer“, zudem die Legitimation von Gewalt und Krieg zum Zwecke der Erneuerung, die m%nnerb#ndnerischen und frauenfeindlichen Tiraden lassen solche As118 Vgl. dazu die komparative Studie von Stefan Goebel #ber den Medi%valismus in der Erinnerungskultur der Jahre 1914 bis 1940 in Deutschland und Großbritannien. Goebel zeigt anhand des Gefallenenkultes im und nach dem Ersten Weltkrieg, wie stark verbreitet medi%valisierende Ausdrucksformen insbesondere in Deutschland waren (Goebel, Stefan: The great war and medieval memory. War, remembrance and medievalism in Britain and Germany, 1914 – 1940. Cambridge: Cambridge Univ. Press 2007). 119 Zu diesem Komplex sind die Arbeiten von Otto Gerhard Oexle und Bastian Schl#ter einschl%gig, beispielsweise Oexle: Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus. Insbes. S. 137 – 215, und Schl#ter: Explodierende Altert"mlichkeit. Vgl. auch Thomsen: „Ein feuriger Herr des Anfangs…“. S. 213 f. 120 Zum Titel und seinen mçglichen Bedeutungsfacetten siehe Oelmanns Kommentar im Anhang zu SW IX, 119 sowie Osterkamp: Das Neue Reich (SW IX). S. 120. Zu Vorstellungen eines ,dritten Reichs‘ vgl. Kap. 3.3.3.1, Fußnote 89.

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soziationen durchaus zu. Die Schlussverse des Gedichts Der Dichter in Zeiten der Wirren, die den „einzigen der hilft den Mann“ beschwçren, erschien manchen als prophetische Vorwegnahme der nationalsozialistischen Machtergreifung: „[…] er heftet / Das wahre sinnbild auf das vçlkische banner / Er f#hrt durch sturm und grausige signale / Des fr#hrots seiner treuen schar zum werk / Des wachen tags und pflanzt das Neue Reich“ (SW IX, 30).121 Die Offenheit und Ambivalenz von Georges Gedichten h%lt zweifellos ein Potential bereit, das von Lesern unterschiedlich aktualisiert werden konnte und kann. In der Tat war Georges „Politik des Unpolitischen“122 gerade in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg von Widerspr#chen und Br#chen gepr%gt. So hat sich George bekanntlich dem Nationalsozialismus gegen#ber nicht klar positioniert;123 da er im Herbst 1933 starb, erlebte er nur noch die Anf%nge des nationalsozialistischen Regimes mit, was ihm eine deutlichere Stellungnahme wohl ersparte. Die Frage der politischen Implikationen ist besonders mit Blick auf Georges Medi%valismus und seine Rezeption germanischer Mythologie relevant,124 da sich gerade diese Themengebiete auch f#r nationale oder nationalistische Deutungen anboten. Georges Vision eines ,Neuen Reichs‘ ist jedoch nicht in weltanschaulichen Texten ausformuliert, sondern im Medium der Poesie entworfen. Es scheint deshalb geboten, die Eigengesetzlichkeit des Mediums zu beachten und zuallererst die Gedichte selbst nach der Vision des ,Neuen Reichs‘ zu befragen. Der Schwerpunkt der folgenden, exemplarischen Analysen wird daher auf der !sthetik und li121 Die nationalsozialistische Rezeption dieser Verse erhellt Jan Stottmeister (Stottmeister, Jan: Der George-Kreis und die Theosophie. S. 389 – 398). 122 So der treffende Titel von Klaus Landfrieds Studie zum politischen Gehalt von Georges Dichtung (Landfried: Politik des Unpolitischen). Eine differenzierte Abw%gung der Forschungspositionen zum Verh%ltnis vor allem des George-Kreises zum Nationalen bietet Kolk (Kolk: Literarische Gruppenbildung. S. 348 – 354). 123 Einerseits hat George den ihm von der nationalsozialistischen Regierung angetragenen Posten des Kulturministers abgelehnt, andererseits gegen#ber Morwitz zugestanden: „die ahnherrschaft der neuen nationalen bewegung leugne ich durchaus nicht ab und schiebe auch meine geistige mitwirkung nicht beiseite“ (zitiert nach: Hoffmann, Peter: Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Die Biographie. M#nchen: Pantheon 2007. S. 127; Hoffmann erçrtert differenziert die Umst%nde dieser !ußerung, S. 127 ff.). Vgl. auch Stottmeister: Der George-Kreis und die Theosophie. S. 376 – 398; Sch%fer, Armin: Die Intensit#t der Form. Stefan Georges Lyrik. Kçln: Bçhlau 2005. S. 32 – 41; Breuer: !sthetischer Fundamentalismus. S. 233 – 240. 124 Zu Georges Rezeption germanischer Mythologie, insbesondere in Der Krieg, vgl. Zernack: Nordische Mythen in der deutschen Literatur.

4.3 Medi%valismus zwischen Nostalgie und Prophetie

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terarischen Verfasstheit des Medi%valismus in Georges sp%tem Werk liegen. Im Mittelpunkt dieses Kapitels wird eine Analyse des Gedichts Burg Falkenstein stehen; abschließend werden kurze Seitenblicke auf das Gedicht Geheimes Deutschland sowie auf ein thematisch verwandtes Gedicht aus Georges Nachlass geworfen. 4.3.1 Die Poetologie des ,goldenen Tons‘ in Burg Falkenstein Die Forschung hat in den beiden Hymnen Burg Falkenstein (SW IX, 41 – 44) und Geheimes Deutschland (SW IX, 45 – 49) den „geschichtsprophetischen Kern“125 des Gedichtbands Das Neue Reich erkannt. Beide Gedichte wurden in Das Neue Reich zum ersten Mal verçffentlicht, sind vermutlich deutlich j#ngeren Entstehungsdatums als die Mehrzahl der anderen Gedichte dieses Bandes und erf#llen somit eine Art Scharnierfunktion f#r den inneren Zusammenhalt von Das Neue Reich. 126 Das Gedicht Burg Falkenstein ist zugleich der pr%gnanteste Ausdruck von Georges sp%tem Medi%valismus. Dem Mittelalter kommt bei der Ausgestaltung von Georges poetischer Reichsvision somit eine zentrale Bedeutung zu.127 Laut Georges j#ngerem Freund Ernst Morwitz geht Burg Falkenstein auf eine gemeinsame Wanderung zur Burg Falkenstein im Taunus im Sommer 1922 zur#ck. Die Widmung „An Ernst“ und die Dialogform des Gedichts rufen diesen lebensgeschichtlichen Hintergrund in Erinnerung, jedoch konterkariert die hochartifizielle Form des Gedichts dessen vermeintlich authentischen Gespr%chscharakter. Im Folgenden sollen insbesondere die Raum- und Zeitstrukturen des Gedichts in den Blick genommen werden, 125 Osterkamp: Das Neue Reich (SW IX). S. 215. 126 Nach aktuellem Forschungsstand sind beide Gedichte nicht vor 1922 entstanden (siehe Oelmann im Anhang zu SW IX, 150). 127 Trotz dieser zentralen Bedeutung von Burg Falkenstein liegt bisher keine erschçpfende Einzelinterpretation dieses Gedichts vor (auch im neuen Stefan-George-Werkkommentar r%umt Bruno Pieger dem Gedicht verh%ltnism%ßig wenig Raum ein; Pieger, Bruno: Interpretationen von Die Winke, Gebete, Burg Falkenstein und Geheimes Deutschland (SW IX, 35 – 49). In: Stefan George – Werkkommentar. S. 588 – 608, hier S. 596 – 598). Ein Schicksal, dass Burg Falkenstein mit vielen Gedichten des Neuen Reichs teilt (vgl. Osterkamp: Das Neue Reich (SW IX). S. 217). In den meisten )berblickswerken wird lediglich die Schlussstrophe von Burg Falkenstein zitiert, beispielsweise in Groebners Arbeit zu modernen Mittelalter-Bildern: Groeber bezeichnet die entsprechenden Verse als zu Fritz Langs Metropolis „dazugehçrige[r] Sound in Kleinschreibung“ (Groebner: Das Mittelalter hçrt nicht auf. S. 98).

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um die spezifische !sthetik des Medi%valismus in Georges sp%tem Werk herauszupr%parieren. BURG FALKENSTEIN An Ernst Zur bewaldeten kuppe stieg ich an neben dir Wo auf rauh-gradem eckturm sich der rundturm erhebt Und aus verwitterter fuge ein lebendiger baum. Hier liegt der heiden-wall dort das tr#mmerkastell · Unten stufig sich senkend ringsum h#gel und ort Bis zum fernen geleucht unseres ewigen Stromes. Ich deutete abw%rts: sieh das r%tselgesicht Dieser massigen veste gegen#ber im blau Und das liebliche bachtal . . da f#hl ich wie einst In der friedvollen vorzeit gem%chlichem graun In dem murmeln der haine und abends im h#ttenrauch Eine ganze vertr%umte kindheit erzittern. Nachdenklich sprachst du: ,solch ein m%chtigstes ding · Zauber – ist anderer art geht nicht gang der natur · Kommt nicht aus geisterhusch #ber gem%uer-verfall Noch aus hangender zweige nachtgespenstischem wehn. Uns ist immer dahin frist behaglichen gl#cks Und der altv%ter gef#hl mit den schalmeien der sch%fer.

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Denk dies volk und sein loos: streng bem#ht bis zur fron Selten heimisch bei sich ohne freude sein tun Das – wie lang nicht – versp#rt den befreiteren drang · Voll gedanken entbehrt leichteren gçttersinn. Wo sie h%user gebaut engt ein klemmender druck Wo ein lied ihnen quoll meist war es klage.‘ Aber schon deutlichen klang wittr’ ich durch schl%frige luft · Eh eine saite zerriss war schon die neue gespannt. Ungewohnt noch dem ohr schwingt sich der goldene ton: Fr#hester ahnen geheiss unseres gottes verspruch . . . Ab von dem schillernden sund #ber der t%ler gewell Dunstiger st%dte betrieb zuckt er durchs alternde herz. )ber das felsengebirg bis zu der zedern gewçlb Bis an den strahlenden golf ohne vielstimmig gewirr Hallend von reinerm metall dringt der gewaltige hauch . . Mit der gestalten zug flutet zum norden zur#ck M%r von blut und von lust m%r von glut und von glanz: Unserer kaiser gepr%ng unserer k%mpfer gedrçhn. (SW IX, 41 – 44)

Ausgangspunkt der Mittelalter-Imagination ist in diesem Fall ein historisches Relikt, die titelgebende Burg Falkenstein. 128 Diese Benennung erlaubt 128 Ein wichtiger Bezugstext f#r Georges Burg Falkenstein kçnnte Friedrich Hçlderlins Gedicht Burg T"bingen gewesen sein. Bekanntlich war Hçlderlin f#r George zur Entstehungszeit des Gedichtbands Das Neue Reich die hçchste literarische Autorit%t, so dass sich Spuren von Georges Hçlderlin-Verehrung in mehreren Gedichten zeigen. Burg Falkenstein wurde allerdings bislang noch nicht in diesen

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zusammen mit den Metonymien des „ewigen stroms“ f#r den Rhein und der „massigen veste“ f#r die benachbarte Burg Kçnigstein eine konkrete geographische Verortung.129 Aber schon die Verwendung von Metonymien zeigt an, dass das Gedicht weniger auf das reale Landschafts- und Architekturensemble abzielt als auf deren symbolischen Wert.130 Zentrales Symbol ist die Burgruine, die zum Ort des )bergangs zwischen Kultur und Natur, Vergangenheit und Gegenwart, Altem und Neuem wird.131 Im Laufe des Gedichts wird die Materialit%t des historischen Relikts immer st%rker von einer fiktionalen Geschichtserz%hlung abgelçst und #berlagert. Im Medium der Poesie vollzieht sich eine Wiederbelebung der durch die Ruine repr%sentierten mittelalterlichen Welt. Eine latente Spannung zwischen Archaik und Modernit%t spiegelt sich bereits in der vielschichtigen Form des Gedichts wider. Burg Falkenstein ist eine Hymne, die sechs Strophen zu je sechs Langzeilen mit Mittelz%sur umfasst. Durch diese ungewçhnliche Versgestaltung erh%lt das Gedicht eine archaische Optik, die an vormoderne Heldenlieder erinnert. Zugleich visualisieren die Halbverse den antithetischen Charakter des Gedichts, das als Dialog angelegt ist: Auf Einleitung und Rede des lyrischen Ichs (V. 1 – 12) folgt die Entgegnung des lyrischen Du (V. 13 – 24) und schließlich erneut eine Rede des lyrischen Ichs (V. 25 – 36).132 Diese szenische Form

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Zusammenhang gestellt. Dabei gleicht Georges Gedicht demjenigen Hçlderlins sowohl in der Titelgebung als auch in der Gedankenf#hrung. Wie bei allen anderen Hçlderlin-Spuren in Georges Werk handelt es sich jedoch auch bei Burg Falkenstein um eine sehr subtile Anlehnung und keine allzu direkt vorgehende intertextuelle Bezugnahme. Zur Bedeutung Hçlderlins f#r Das Neue Reich siehe Oelmanns Kommentar im Anhang von SW IX, 116 f. und Osterkamp: Das Neue Reich (SW IX). S. 208. Auch hier zeigt sich also die enge Verbindung von Medi%valismus und Rheinland, wie sie in sehr vielen medi%valisierenden Gedichten im Laufe dieser Arbeit aufgezeigt werden konnte. Der Konnex Mittelalter/Rheinland kann somit als konstitutives Merkmal von Georges Medi%valismus angesehen werden. Zur Landschaftsdarstellung in anderen Gedichten des Neuen Reichs vgl. Apel, Friedmar: Landschaftsdarstellung als Zeitkritik im Sp#twerk Georges. In: Stefan George: Werk und Wirkung seit dem „Siebenten Ring“. S. 213 – 224, inbes. S. 219 – 223. Apels treffende Beobachtung einer „klingende[n] Landschaft als Medium der Verheißung“ in Der Dichter in Zeiten der Wirren l%sst sich ebenso auf Burg Falkenstein #bertragen (ebd. S. 221). Zum Ruinengedicht, seiner Raum- und Zeitstruktur und dem Zeichencharakter der Ruine siehe die systematischen )berlegungen von Katharina Gr%tz (Gr%tz: Zeitstrukturen in der Lyrik. S. 177 – 182). Zur Form des dialogischen Gedichts vgl. Klussmann, Paul Gerhard: Spruch und Gespr#ch in szenischen Gedichten des Sp#twerks von Stefan George. In: Stefan George:

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bedingt zum einen eine Subjektivierung der Perspektive, da die Aussagen explizit als Figurenrede gekennzeichnet sind, und zum anderen eine Kontrastierung, indem zwei Ansichten gegeneinander abgewogen werden – eine eher pessimistische und eine eher optimistische Sichtweise. Schon durch die ungleich verteilten Redeanteile wird allerdings deutlich, dass der Aussageschwerpunkt dieses Gedichts bei der Rede des lyrischen Ichs liegt.133 Gleich die erste Strophe inszeniert den transitorischen Charakter der Ruine zwischen Kultur und Natur. Dieser ruinenpoetische Topos134 zieht sich durch alle Ebenen der Beschreibung: Die Architektur der Burg steht dem Panorama des Rheintals gegen#ber, die geometrische Form des unteren Burgturms („rauh-grade[r] eckturm“) kontrastiert mit der organischen Form des oberen Burgturms („rundturm“), und schließlich w%chst aus dem Stein ein Baum, Sinnbild f#r das neue Leben, das sich auf dem Boden der Vergangenheit entwickelt.135 Als sichtbares Zeugnis von Zerstçrung und Verfall symbolisiert die Ruine die Verg%nglichkeit der Kultur, wohingegen die Landschaft f#r #berzeitliche Kontinuit%t einsteht (,ewiger Strom‘). Die zweite Strophe f#hrt eine weitere Burgruine ein, deren Zeichencharakter explizit hervorgehoben wird. Das lyrische Ich weist seinen Gespr%chspartner auf die gegen#berliegende Burgruine Kçnigstein hin: „Ich deutete abw%rts: / sieh das r%tselgesicht / Dieser massigen veste“ (V. 7 f.). Indem die Burgruine anthropomorphisierend als „r%tselgesicht“ benannt wird, erscheint das historische Relikt als eine Chiffre, die der Entzifferung harrt. Das R%tsel der Burg wird nun zum Gegenstand einer Deutung und zum Anlass einer Geschichtsschau. Dass die T%tigkeit des Deutens hier zentral ist, zeigt die polyvalente Formulierung „Ich deutete“ (V. 7) an, denn neben dem wortwçrtlichen Deuten im Sinne von Zeigen schwingt hier die Konnotation des Interpretierens mit. Die etymologische Figur „sieh das Werk und Wirkung seit dem „Siebenten Ring“. S. 102 – 113, insbes. S. 105, und Wertheimer: Dialogisches Sprechen. 133 Dies stimmt mit J#rgen Wertheimers Analyseergebnis #berein, der „die einseitige Ausrichtung des Argumentationsverlaufs, wobei stets ein Sprecher als #berlegen, der andere als unterlegen geschildert wird“ als Charakteristikum fast aller Gedichte des Neuen Reichs herausgearbeitet hat (ebd. S. 153). 134 Zu typischen Gestaltungsmustern des Ruinengedichts siehe Gr%tz: Zeitstrukturen in der Lyrik. S. 177 – 182. 135 Zudem wird die Natur anthropomorphisiert („Unten stufig sich senkend / ringsum h#gel und ort“) und sp%ter auch mit Architekturmetaphern #berformt („zedern gewçlb“).

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r%tselgesicht“ betont den Aspekt der Schau und stellt zugleich den Zusammenhang zwischen Deuten und Sehen her.136 Das lyrische Ich k#ndigt also implizit an, dass es im Folgenden zur Deutung schreiten wird, und l%dt das lyrische Du zur gemeinsamen Schau ein. Neben der textinternen Ebene scheint an dieser Stelle eine selbstreflexive Dimension auf: Das Bezeichnete (die Burgruine) verweist auf das Bezeichnende (das Gedicht) zur#ck – das Gedicht selbst erscheint somit als „r%tselgesicht“, das den Leser zur Deutung und Schau einl%dt. F#r diese Lesart spricht das Argument, dass George gerade das Wort ,gesicht‘ h%ufig in poetologischer Doppelbedeutung f#r ,gedicht‘ und Vision verwandte, so etwa im Vers „verwinde leicht im herbstlichen gesicht“ (Komm in den totgesagten park und schau).137 Burg Falkenstein enth%lt also eine poetologische mise-en-abyme: Das Bezeichnete spiegelt den Charakter des Bezeichnenden wider. F#r die Schau, die in der zweiten Strophe des Gedichts beginnt, ist der Standpunkt der beiden lyrischen Subjekte wesentlich: Sie wandern gemeinsam auf eine Bergkuppe und nehmen damit einen erhabenen Standpunkt ein. Diese Position auf dem Gipfel erlaubt eine Fernsicht, die nicht nur den Raum souver%n #berblickt, sondern auch die Zeit. Der Blick in die Landschaft wird im Gedicht zun%chst zu einem R#ckblick in die Vergangenheit und am Ende des Gedichts zu einem Blick in die Zukunft – das lyrische Ich wird zum prophetischen Seher, zum „vates auf dem Berg“.138 Es ist wiederum das Ensemble aus Landschaft und Burgruinen, das diesen imagin%ren )bergang vom Raum in die Zeit ermçglicht. Das 136 Eine %hnliche Formulierung und einen %hnlichen Gedanken, aber mit zweifelndem Gestus, findet sich im ebenfalls dem Band Das Neue Reich zugehçrigen Gedicht Horch was die dumpfe erde spricht: „Dir kam ein schçn und neu gesicht / Doch zeit ward alt · heut lebt kein mann / Ob er je kommt das weisst du nicht // Der dies gesicht noch sehen kann.“ (SW IX, 103.) 137 Auch in einem von Robert Boehringer #berlieferten Bonmot stellte George eine innere Verbindung zwischen ,Gesicht‘ und ,Gedicht‘ her: „ob einer ein Dichter sei, das erkenne er ebenso am Gesicht wie am Gedicht“ (Boehringer: Mein Bild. Textband. S. 50). Vgl. Martus: Werkpolitik. S. 613. 138 Die Position auf der Bergkuppe ist diejenige des Sehers, des Propheten, die Position des ,vates auf dem Berg‘, die auch der Dichter im Gedicht Der Krieg im selben Gedichtband einnimmt. Vgl. dazu Beßlich, Barbara: Vates in Vastitate. Poetologie, Prophetie und Politik in Stefan Georges Der Dichter in Zeiten der Wirren. In: Poetologische Lyrik von Klopstock bis Gr"nbein. Gedichte und Interpretationen. Hrsg. von Olaf Hildebrand. Kçln: Bçhlau 2003. S. 201 – 219 und Wacker: Poetik des Prophetischen. S. 168 – 172. Klussmann weist auf eine %hnliche Bergbesteigungsszene im Gedicht Vor-abend war es unsrer bergesfeier aus Der Stern des Bundes hin (Klussmann: Spruch und Gespr#ch. S. 104 f.).

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lyrische Ich verleiht dem Panorama die Gestalt einer mythischen Landschaft, bei der idyllische Z#ge („das liebliche bachtal“) mit der Wucht der „massigen veste“ kontrastieren. Die Gef#hle, welche die Betrachtung dieses Ensembles beim lyrischen Ich hervorruft, bilden die Br#cke zwischen Gegenwart und Vergangenheit: „da f#hl ich wie einst / In der friedvollen vorzeit / gem%chlichem graun“. Der zeitliche Rahmen dieser Vergangenheit bleibt offen; die mehrdeutige Formulierung umfasst sowohl biographische als auch realgeschichtliche und mythische Zeitvorstellungen: die Kindheit als die eigene lebensgeschichtliche Vorzeit, die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg als ,friedvolle‘ Vorzeit und die mythische Vorzeit, die mit animistischen Naturvorstellungen beziehungsweise dem Glauben an Naturgçtter verbunden war („murmeln der haine“, V. 11). Die aufsteigenden Erinnerungsbilder oszillieren in fl#chtigen Atmosph%ren – in der D%mmerung („graun“), im Wind, der #ber die Gr%ber der Vorzeit streicht („murmeln der haine“), und im Rauch, der von den Feuerstellen aufsteigt („h#ttenrauch“). Diese Atmosph%ren sprechen die drei verschiedenen Sinne Sehen, Hçren und Riechen an und machen die Erinnerung somit zu einem multisensorischen Erlebnis. Indem die Formulierung „gem%chliche[s] graun“ stark die zeitliche Komponente betont, schwingt auch hier die Idee des )bergangs zwischen verschiedenen Zust%nden mit, die sich leitmotivisch durch das ganze Gedicht zieht. Die Erinnerungsbilder und die mit ihnen verbundenen Gef#hle sind verschwommen und ambivalent – im „gem%chlichem graun“ verbinden sich Vorstellungen von Zwielicht und langsamer D%mmerung mit der Vorstellung von etwas Erschreckendem. Dieser Aspekt wird vom suggestiven Verb „erzittern“ noch betont: Die Bilder der „vertr%umte[n] kindheit“ sind nicht nur idyllisch, sondern zugleich latent unheimlich. Den Aspekt des Unheimlichen greift das lyrische Du in seiner Replik in der dritten Strophe auf, wobei unklar bleibt, worauf sich das Du genau bezieht: „,solch ein m%chtigstes ding · / Zauber – ist anderer art / geht nicht gang der natur […]‘“. Im Vergleich zum lyrischen Ich vertritt das lyrische Du eine viel st%rker rationalisierende Betrachtungsweise, was auch im Vokabular zum Ausdruck kommt („Nachdenklich sprachst du:“; „,Denk dies volk und sein loos:‘“; Hervorhebungen von J. S.). Einen „Zauber“ scheint das lyrische Du zwar anzuerkennen, evoziert aber nur deshalb den Katalog schauerromantischer Vorstellungen von Ruine, Nacht, Geistern und Gespenstern, um solche Erkl%rungen zu negieren. Burg Falkenstein zeigt hier wiederum eine selbstreflexive Dimension, da auf den romantischen Topos des Schaurigen der Ruine zwar angespielt wird, dieser Topos jedoch im Gedicht selbst diskutiert und – zumindest aus der Figuren-

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perspektive des lyrischen Du – zur#ckgewiesen wird. Auch dem Gedanken an eine Zeit bukolischer Idyllik erteilt das lyrische Du eine Absage: „Uns ist immer dahin / frist behaglichen gl#cks / Und der altv%ter gef#hl / mit den schalmeien der sch%fer“ (V. 17 f.). Der Replik des lyrischen Du in der dritten und vierten Strophe von Burg Falkenstein kommt also zum einen die Aufgabe zu, eine Gegenstimme mit desillusionierendem Tenor in das Gedicht einzubringen. Zum anderen hebt das lyrische Du das Gespr%ch auf eine neue Ebene, indem es die individuelle Selbstbetrachtung des lyrischen Ichs zu einer kollektiven Geschichtsbetrachtung erweitert. Er fordert das lyrische Ich zu einer Reflexion #ber „dies volk und sein loos“ (V. 19) auf. Die folgende Aufz%hlung negativer Eigenschaften macht deutlich, dass mit dem „volk“ die Deutschen gemeint sind. Das lyrische Du listet Eigenschaften auf, wie sie stereotyp einem vermeintlich unver%nderlichen deutschen Nationalcharakter zugeschrieben wurden: pflichtgetreue Arbeitsmoral und Obrigkeitshçrigkeit, Fernensehnsucht, Freudlosigkeit, Gedankenschwere, Enge und seelische Bedr#ckung.139 Es fehle den Deutschen der „leichtere[ ] gçttersinn“ (V. 22), der #blicherweise den Hellenen zugeschrieben wurde. Diese Schwermut schlage sich auch in der Architektur („h%user“) und der Dichtung („lied“) der Deutschen nieder, mithin in ihren materiellen und geistigen Schçpfungen.140 Das Personalpronomen „sie“ im Vers „Wo sie h%user gebaut“ zeigt an, dass das lyrische Du sich selbst und das lyrische Ich aus diesem Pauschalurteil herausnimmt. Diesem pessimistisch gef%rbten Mittelteil des Gedichts sind die zwei letzten Strophen von Burg Falkenstein adversativ entgegengestellt („Aber“): Auf die pessimistische Stimme des lyrischen Du antwortet die optimistische Stimme des lyrischen Ichs. Das lyrische Ich l%sst sich auf die Ebene der kollektiven Geschichtsbetrachtung ein, erweitert den Blick jedoch auf die Zukunft und setzt dem negativen Verdikt des lyrischen Du die Ahnung einer Erneuerung entgegen. Dominierten in den ersten beiden Strophen optische Eindr#cke, so kommen nun weitere Sinneswahrnehmungen hinzu, die sich zu Syn%sthesien verbinden: Das lyrische Ich ersp#rt mit feinem Geruchssinn einen „klang“, der durch einen Luftzug herangetragen wird („deutlichen 139 Oelmann verweist hier auf %hnliche Gedanken in Hçlderlins Gedicht An die Deutschen: „Denn, ihr Deutschen, auch ihr seid / Tatenarm und gedankenvoll.“ (Anhang zu SW IX, 149.) 140 Hier sind zugleich die zwei dominanten Pole des Gedichts genannt, Architektur/ Burg und Dichtung/Lied.

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klang / wittr’ ich durch schl%frige luft · “, V. 25).141 Der Raum, den das Gedicht bisher durchschritten hat, wird jetzt imagin%r erweitert und gewinnt eine poetologische Dimension. Die Syn%sthesie „goldene[r] ton“ (V. 27) f#hrt visuellen und akustischen Eindruck zusammen und zeigt eine ins Abstrakt-Amorphe gef#hrte Verbindung von Raum und Zeit: Die imaginierte Reise des ,goldene Tons‘ vom Norden in den S#den (V. 29 – 32) wird zugleich als Zeitreise in die Vergangenheit inszeniert, in das Zeitalter der Kaiser und K%mpfer – nicht zuf%llig weckt der ,goldene ton‘ Assoziationen an ein ,goldenes Zeitalter‘ und an ein damit verbundenes klassisches Ideal. Die letzte Strophe entwirft die Vision einer r#ckl%ufigen Bewegung vom S#den in den Norden: „gestalten“ (V. 34)142 und Erz%hlungen („M%r“) fließen in den Norden zur#ck. Der Statik der Burgruine am Gedichtanfang stehen am Gedichtende dynamische Bewegungen entgegen: Schwingungen, Wellen, Zucken, Zug, Hauch, Fluten – Metaphern aus dem Bereich der Elemente Luft und Wasser. Diese Dynamiken sind zusammen mit der Metapher des ,goldenen Tons‘ und des Oxymorons „gewaltige[r] hauch“ zentral f#r die poetologische Aussage des Gedichts. Der „gewaltige hauch“ ist die Stimme des Poeten, der einen ,goldenen Ton‘ in den S#den aussendet, dessen Echo zu ihm in den Norden zur#ckklingt.143 Diese Bewegung spiegelt sich formal im Versmaß wider, das in den letzten beiden Strophen von freien Rhythmen zu Pentametern wechselt. Das Gedicht selbst zeigt also, wie sich der ,goldene ton‘ im S#den mit klassischer Form anreichert und in dieser Gestalt in die deutsche Dichtung zur#ckkehrt. Dass dieser Ton noch „ungewohnt“ klingt (V. 27), weil er im Deutschen selten Verwendung findet, unterstreicht der Vers selbst durch verk#rzte Silbenzahl und ,o‘-Assonanz: „Ungewohnt noch dem ohr“ (V. 27). Die Doppelformeln in den Schlussversen potenzieren die heroischen Vorstellungswelten: „M%r von blut und von lust / m%r von glut und von glanz: // Unserer kaiser gepr%ng / unserer k%mpfer gedrçhn.“ Die Binnenund Stabreime („blut“ / „glut“, „gepr%ng“ / „gedrçhn“) n%hern die antiken 141 Das lyrische Ich verf#gt also #ber die prophetische Gabe, das Kommende, Zuk#nftige mit allen Sinnen zu erahnen, wo andere es heute noch nicht wahrnehmen kçnnen. Im Gegensatz zu den gedankenschweren Deutschen verf#gt das lyrische Ich womçglich #ber den „leichteren gçttersinn“ – es hat zumindest die F%higkeit, selbst das Fl#chtige und Ephemere wahrzunehmen – und das ist eine poetische Wahrnehmung: ,den klang wittern‘ ist allererst eine sprachliche Konstruktion. 142 Oelmann erl%utert „gestalten zug“ als „die Italien- und Kreuzfahrer vergangener Jahrhunderte“ (Anhang zu SW IX, 150), schafft damit jedoch eine Vereindeutigung, die vom Gedicht so nicht vorgegeben ist. 143 Vgl. Kapitel 3.3.3.1 zum ,rçmischen hauch‘ in den Rhein-Tafeln.

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Pentameter dem germanischen Heldenliedvers an; in dieser Weise amalgamiert das Gedicht performativ die antike mit der germanischen Heldendichtung. Die Bilder von Vorzeit, Helden und Kaisern, welche in der letzten Strophe imaginativ vor dem Auge des lyrischen Ichs und damit auch des Lesers vorbeiziehen, stehen in einem engen Zusammenhang mit den beiden Burgruinen. Sie sind sozusagen durch die Burgruinen ausgelçst: Die erhabene Lage der Burgen und ihre schweren Mauern erinnern an ihre Funktion als Wohnsitz und Verteidigungsanlage im Mittelalter, aber auch an die Verg%nglichkeit ihrer Grçße; die Ruine ist das noch in der Gegenwart greifbare Zeichen der Zerstçrung dieser einstigen Monumentalbauten, sei es durch Verfall oder Kampfhandlungen.144 Die Burgruine steht sinnbildlich f#r das zerstçrte Reich, wohingegen „der gestalten zug“ die Vorstellung von einem geschlagenen Heer evoziert, das sich sammelt – das Gedicht verbindet also Bilder von Kollaps und Neugeburt. Die distanzierte Betrachtung der Deutschen in der dritten Strophe („sie“) weicht im Schlussvers einem identifikatorischen Pathos und einem kollektivistischen Sprechen: „Unserer kaiser gepr%ng / unserer k%mpfer gedrçhn.“145 Wird hier tats%chlich eine Wiederkehr der in Rom gekrçnten deutschen Kaiser des Mittelalters heraufbeschworen, und l%sst sich daraus ein politisches Bekenntnis ableiten? Die Atmosph%re der letzten Strophe ist kriegerisch-heroisch, sie ist gespickt mit Worten, die Assoziationen an Kampf und Sterben wecken: Metall, Gewalt, Blut, Glut, Gedrçhn (V. 33 – 36). Zugleich ist diese Dimension verkl%rt durch Bilder von Helligkeit, Reinheit und Glanz. George evoziert hier Vorstellungen von einem strahlenden, gl%nzenden Heldentum,146 von dem eine %sthetische Faszination ausgeht. Aber der Status und Ort dieser r#ckkehrenden Helden bleibt ambivalent, was sich in der eigent#mlichen Semantik des ,Gedrçhns‘ 144 All diese Aspekte machten die Ruine insbesondere zur Zeit der Romantik zu einem beliebten Sujet in Malerei, Literatur und Gartenkunst. Als geb#rtiger Rheinl%nder kannte George sicherlich einige der rheinromantischen Gedichte von Clemens Brentano, August Wilhelm Schlegel und Achim von Arnim, die von den Burgruinen entlang des Rheins inspiriert waren. Die Verbindung von Burg am Rhein und Ritterleben wurde dadurch zu einem festen Topos, der schließlich in der Butzenscheibenlyrik des sp%teren 19. Jahrhunderts zum Klischee gerann. 145 Auch hier stehen in den Kollektivneutra „gepr%ng“ und „gedrçhn“ das Optische und das Akustische nebeneinander, wodurch leitmotivisch die Sinnest%tigkeiten des Sehens und Hçrens wieder aufgegriffen werden. 146 Zur topischen Verbindung von Glanz und Heldentum vgl. Gelz, Andreas: Der Glanz des Helden. )ber das Heroische in der franzçsischen Literatur des 17. bis 19. Jahrhunderts. Gçttingen: Wallstein 2016.

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beziehungsweise ,Drçhnens‘ andeutet, die Steffen Martus an anderer Stelle „als Ton der Latenz, als Nachklang und Vorklang einer abwesend-anwesenden Macht“147 herausinterpoliert hat. Denn auf der einen Seite ist von „gestalten“ die Rede, die nach Norden ziehen. Auf der anderen Seite sind die Kaiser und K%mpfer explizit in den Kontext von Literatur eingebunden: „M%r von blut und von lust / m%r von glut und von glanz“. Die Syntax çffnet sich hier zu einem Netz von Bedeutungen und erzeugt den Eindruck einer Vielfachverbindung, bei der nicht mehr klar unterschieden werden kann, wie Gestalten, M%r, Kaiser und K%mpfer zueinander stehen. Georges Medi%valismus hat hier sogar eine intertextuelle Dimension, denn im Archaismus ,m%r‘ f#r ,Erz%hlung‘ klingt die Eingangsstrophe der ber#hmtesten mittelhochdeutschen Heldenerz%hlung, des Nibelungenliedes, an: Uns ist in alten mæren wunders vil geseit von helden lobebæren, von gr+zer arebeit, von frçuden h+chgez1ten, von weinen und von klagen, von k#ener recken str1ten muget ir nu wunder hoeren sagen.

Das Nibelungenlied l%sst sich durchaus als „M%r von blut und von lust“ zusammenfassen, da seine zwei großen Handlungsstr%nge aus einer Liebesund einer Gewaltgeschichte bestehen – der Liebesgeschichte zwischen Siegfried und Kriemhild im ersten Teil und dem Untergang der Burgunden als Resultat von Kriemhilds blutigem Rachefeldzug im zweiten Teil. In dieser Lesart st#nde das Nibelungenlied als pars pro toto f#r die germanische Heldendichtung, die erst im S#den ihre dichterische Vollendung findet und in solch verwandelter Gestalt in den Norden zur#ckkehrt. Dies gilt freilich auch f#r Georges eigene Dichtung, die sich als im Norden angesiedelte, aber vom S#den maßgeblich inspirierte Rede versteht. Der ,goldene Ton‘, der poetologisch f#r ein klassisches Ideal und die Dichtung der Zukunft steht, stellt also eine Synthese aus Antike und Mittelalter oder germanischer Vorzeit dar. Die letzten beiden Gedichtstrophen verkçrpern diese Synthese, indem Elemente der antiken und der germanischen beziehungsweise mittelalterlichen Dichtung kombiniert werden – antiker Pentameter, germanischer Stabreim und Langzeile.148 147 Martus bezieht sich auf den Vers „Ich bin ein drçhnen nur der heiligen stimme“ aus dem Gedicht Entr"ckung im Siebenten Ring (Martus, Steffen: Stefan Georges Poetik des Endens. In: George-Jahrbuch 6 (2006/2007). S. 1 – 30, hier S. 22). 148 Diese Synthese aus antikem und germanischem Erbe wurde bereits in der ersten Strophe von Burg Falkenstein angedeutet, in der – metonymisch umschrieben – keltische Mauerreste (vgl. Oelmann, Anhang zu SW IX, 149) und mittelalterliche

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Abschließend l%sst sich abstrahieren, dass Burg Falkenstein im Gespr%ch der beiden Wanderer den Prozess vorf#hrt, wie historischen Relikten und Landschaft Bedeutung zugeschrieben wird, und letztlich auch, wie aus historischen )berresten geschichtliche Verl%ufe konstruiert werden. Die Vergangenheit erscheint als R%tsel, das zu Schau und Deutung einl%dt. Das Gedicht ist nach dem Schema These – Antithese – Synthese strukturiert. Zun%chst werden zwei Geschichtsauffassungen miteinander kontrastiert: Das lyrische Du vertritt eine eher pessimistische und rational-aufgekl%rte Sicht, welche die gl#ckliche Vorzeit f#r unwiederbringlich verloren h%lt und das Schicksal der Deutschen f#r freudlos und beklemmend erkl%rt. Das lyrische Ich, dessen Stimme die Gesamtaussage des Gedichts dominiert, entwirft dagegen eine positive Vision, die in der Mischung aus germanischem und rçmischem Erbe eine strahlende, gl%nzende Zukunft erahnt. F#r eine solche Zukunft hielt das Mittelalter ein Vorbild bereit, das George zufolge eine „gl#ckliche[ ] Synthese von Deutschtum und Rçmertum“ darstellte.149 Diese Mischung aus rçmischem und germanischem Erbe wird dem Gedicht zufolge zuerst in der Dichtung realisiert. Hierin liegt die performative Dimension von Burg Falkenstein: Die Transformation geschieht w%hrend des Redens, die Rede selbst verwandelt sich zum Schluss in den ,goldenen Ton‘, der antikes und germanisches Erbe vereint. Das Gedicht zeigt zudem Deutung und neue Sinnstiftung im Vollzug; es zeigt, wie aus den )berresten der Vergangenheit, die dem zeitlichen Wandel unterliegen, und Landschaft, die #berzeitliche Kontinuit%t verkçrpert, etwas Neues entsteht.150 Die Dynamik der Erz%hlung – der Flug des ,goldenen Tons‘ – konkurriert in Burg Falkenstein mit der Statik der Burgruine. Selbstreflexiv Burgruine im selben Vers nebeneinanderstehen: „Hier liegt der heiden-wall / dort das tr#mmerkastell“ (V. 4). Julia Zernack hat anhand der Verse „Appollo / lehnt geheim an Baldur“ aus Georges Gedicht Der Krieg herausgearbeitet, wie George eine griechisch-germanische Mythensynthese in der Tradition der deutschen Romantik, insbesondere Hçlderlins, imaginiert; sowohl die griechische Kultur als auch die germanische Mythologie wurden als Teil der deutschen kulturellen Identit%t aufgefasst (Zernack: Nordische Mythen in der deutschen Literatur. S. 35 f. und 41). 149 Diese !ußerung Georges aus dem Winter 1898/99 hat Oscar A. H. Schmitz in seinen Memoiren #berliefert (Schmitz, Oscar A. H.: D#mon Welt. Jahre der Entwicklung. M#nchen 1926. S. 220). 150 Dass dies im Gedicht in Gespr%chsform geschieht, verweist zugleich auf die Realit%t des George-Kreises in den 1920er Jahren, in denen George vor allem in der persçnlichen Begegnung, in Gespr%chen und Diskussionen mit seinen Sch#lern indirekt Wirkung entfaltete.

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weist das Gedicht somit auf die Konkurrenz zwischen der Materialit%t des historischen Relikts und dem erweitertem Mçglichkeitsraum der Dichtung hin. Im Medium der Dichtung, so zeigt Burg Falkenstein, kann eine Wiederbelebung und Wiederbevçlkerung der verfallenen Ruine stattfinden. Die Formulierung „zuckt durchs alternde herz“ spielt allerdings darauf an, dass diese Wiederbelebung mit heftigen Kraftimpulsen verbunden sein wird – was wiederum auf den teilweise martialischen Ton von Georges sp%ten Gedichten hinweist. Die Symbolik von Ruine und Baum, die formale Ausgestaltung mit der Anmutung einer Heldenliedstrophe und dem Wechsel zum Pentameter am Ende sowie die Anspielung auf das Nibelungenlied sind Ausdruck ein und derselben Denkfigur: Das Neue und Zuk#nftige wurzelt in der Tradition, in der )berlieferung – sei es in der Architektur der Burg oder in mittelalterlichen Heldenerz%hlungen. Die Zukunft kommt aus der Vergangenheit. Auch der ,goldene Ton‘ erscheint als die Einlçsung einer fr#heren Verheißung oder eines fr#heren Versprechens: „Fr#hester ahnen geheiss / unseres gottes verspruch“.151 Die neue Dichtung bedient sich alter Formen: dem Genre der Ruinenpoesie, dessen Bl#tezeit in der Romantik zur Entstehungszeit von Burg Falkenstein schon lange zur Vergangenheit gehçrt, den Versmaßen der Heldendichtung aus Antike und Mittelalter und einem archaisierenden Vokabular.152 Auch das Personal dieser neuen Dichtung gehçrt der Vergangenheit, ja sogar dem Reich der Toten an: Es ist eine Wiederkehr und eine R#ckkehr von ,Gestalten‘ der Vergangenheit.153 Das Oszillieren der Erinnerungsbilder in fl#chtigen Medien wie Luft und Wasser deutet jedoch darauf hin, dass Georges medi%valisierende Visionen, seine Helden- und Kaiserd%mmerung, letztlich unklar und ambivalent bleiben. Hierin liegt das spezifisch moderne Moment von Georges Dich151 In der Forschung gibt es verschiedene Vorschl%ge, wer mit den „fr#hesten ahnen“ gemeint sein kçnnte. Ernst Morwitz dachte an Hildegard von Bingen und Meister Eckhart (Morwitz: Kommentar zu dem Werk Stefan Georges. S. 439) und Claude David an Goethe und Hçlderlin (David: Stefan George. S. 362). Auch wenn gerade der Hçlderlin-Bezug durch andere Gedichte des Neuen Reichs plausibilisiert werden kann, sind solche Identifikationsversuche letztlich m#ßig, da es George gerade auf einen mçglichst offenen Assoziationsraum ankam. 152 Vgl. auch den Vers: „Eh eine saite zerriss / war schon die neue gespannt“, der zum Ausdruck bringt, dass der neue Ton schon erklingt, w%hrend der alte noch nicht verklungen ist. 153 Ernst Osterkamp sieht in der „Wiederkehr der Toten“ zu Recht einen zentralen Gedanken des gesamten Gedichtbands Das Neue Reich und deutet dies als Zeichen f#r den „geringe[n] Realit%tsstatus“ der Reichsvision und f#r das Gef#hl von „Isolation“ des %lteren George (Osterkamp: Das Neue Reich (SW IX). S. 216).

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tung: Die Zukunft kommt eben nicht nur aus der Vergangenheit; sie kommt vor allem aus der Gegenwart, n%mlich aus der Gegenwart des Textes und seinem performativen Vollzug im Geschrieben- und Gelesenwerden. 4.3.2 Medi%valismus und ,Geheimes Deutschland‘ Die Idee eines ,Geheimen Deutschlands‘ war f#r das Selbstverst%ndnis des George-Kreises bekanntlich von essentieller Bedeutung. Der Vorstellungskomplex um einen ,heimlichen Kaiser‘ der Deutschen und ein ,Geheimes Deutschland‘ war bereits in den kulturkritischen Schriften Paul de Lagardes und Julius Langbehns vorgepr%gt gewesen, als Karl Wolfskehl ihn 1910 erstmals direkt auf den George-Kreis m#nzte. Im Einleitungsartikel zur ersten Ausgabe des Jahrbuchs f"r die geistige Bewegung 1910 stellte er die Dichtung der Bl#tter f"r die Kunst als Manifestation eines anderen, ,geheimen‘ Deutschlands dar, das sich vom ,offiziellen‘ Deutschland unterscheide.154 Der Begriff ,Geheimes Deutschland‘ diente also zun%chst zur Selbstbeschreibung des George-Kreises. Dar#ber hinaus bezeichnete er jedoch auch eine imagin%re Gemeinschaft des Kreises mit einer Reihe von Dichtern und Heldengestalten aus der Vergangenheit.155 So schrieb der Historiker Ernst Kantorowicz 1927 in der Vorbemerkung zu seiner Biographie #ber den Staufer Kaiser Friedrich der Zweite: „Als im Mai 1924 das Kçnigreich Italien die Siebenhundertjahrfeier der Universit%t Neapel beging, einer Stiftung des Hohenstaufen Friedrich II., lag an des Kaisers Sarkophag im Dom zu Palermo ein Kranz mit der Inschrift: SEINEN KAISERN UND HELDEN / DAS GEHEIME DEUTSCHLAND.“156 Dem Verweis auf diese Anekdote zufolge z%hlte der mittelalterliche Kaiser Friedrich II. also explizit zu den Kaisern und Helden des ,Geheimen Deutschlands‘. Damit bestand implizit auch ein Zusammenhang zwischen der Idee des ,Geheimen Deutschlands‘ und Georges Medi%valismus in Der Siebente Ring (1907), in dem das Gedicht Die Gr#ber in Speier die poetische Wiederauferstehung Friedrichs II. aus der Kaisergrablege in Speyer inszenierte. Von diesem Gedicht ausgehend formierte sich in den 1920er Jahren ein regelrechter Staufer-Kult im George-Kreis, politisch motiviert 154 Wolfskehl, Karl: Die Bl#tter f"r die Kunst und die neuste Literatur. In: Jahrbuch f"r die geistige Bewegung 1 (1910). S. 1 – 18, hier S. 14 f. 155 Gr#newald: Ernst Kantorowicz und Stefan George. S. 74 – 80. 156 Kantorowicz: Kaiser Friedrich der Zweite. Berlin: Bondi 1927. Vorbemerkung (o. S.).

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durch die konservativ-ablehnende Haltung gegen#ber der Weimarer Republik.157 Davon zeugen die durch Wolfram von den Steinen edierten Staatsbriefe Kaiser Friedrichs des Zweiten (1923) und die Biographie Ernst Kantorowicz’, welche den Mythos um Friedrich II. zu einer der wirkungsm%chtigsten historischen Erz%hlungen des George-Kreises avancieren ließen.158 Einen Zusammenhang zwischen Medi%valismus und ,Geheimem Deutschland‘ stellte George auch in Das Neue Reich her, indem er das Gedicht Geheimes Deutschland (SW IX, 46 – 49) direkt auf Burg Falkenstein folgen ließ – zumal die Schlussverse von Burg Falkenstein eine mittelalterliche Helden- und Kaiserwelt anklingen ließen: „Unserer kaiser gepr%ng / unserer k%mpfer gedrçhn.“ Durch die Possessivpronomen und die Doppelformel erscheinen diese Verse fast wie eine Variante der von Ernst Kantorowicz berichteten Aufschrift: „SEINEN KAISERN UND HELDEN“. Auch weckt die Schlussstrophe von Burg Falkenstein bereits Assoziationen an ein ,Reich‘, indem der Flug des ,goldenen Tons‘ einen weiten geographischen Raum umgreift. In diesem Kontext scheint der Gedichttitel Geheimes Deutschland eine Konkretisierung der angedeuteten Reichsvorstellungen zu versprechen. Die Zyklusanordnung und die Schlussverse r#ckten Georges Medi%valismus zumindest assoziativ in die N%he der Idee des ,Geheimen Deutschlands‘. Es fragt sich nun, ob diese assoziative N%he auch durch das Gedicht Geheimes Deutschland selbst gedeckt wird. In der Tat f#hrt Geheimes Deutschland einige der Themen aus Burg Falkenstein weiter, n%mlich die Reflexionen #ber Raum und Zeit, Vergangenheit und Zukunft. Die Erwartung aber, in diesem Gedicht eine r%umliche Konkretisierung von Georges medi%valisierenden Reichstr%umen zu finden, wird entt%uscht. So konkret der L%ndername ,Deutschland‘ im Gedichttitel ist, so abstrakt bleibt doch die Raumbeschreibung im Gedicht selbst. Dennoch spielen vor allem r%umliche Kategorien eine zentrale Rolle: Das inhaltlich nur lose zusammenh%ngende Gedicht be157 Als George im Jahre 1923 die Br#der Claus, Berthold und Alexander Stauffenberg vorgestellt wurden, begr#ßte sie der Kreis mit großer Verehrung als Nachfahren der Staufer. Zum Verh%ltnis der Stauffenberg-Br#der zu George und seinem Kreis vgl. Hoffmann, Peter: Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine Br"der. Stuttgart 1992. S. 61 – 78; Riedel, Manfred: Geheimes Deutschland. Stefan George und die Br#der Stauffenberg. Kçln: Bçhlau 2006, insbes. S. 165 – 180. 158 Wolfram von den Steinen: Staatsbriefe Kaiser Friedrichs des Zweiten, Breslau 1923 (Werke der Schau und Forschung aus dem Kreise der Bl#tter f"r die Kunst). Zum Staufer-Mythos im George-Kreis vgl. Raulff: Kreis ohne Meister. S. 116 – 119.

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schreibt eine Aufw%rtsbewegung von einem „Abgrund“ #ber einen „grund“ hinauf auf einen „Gipfel“. Der ,Abgrund‘ bezeichnet eine Situation von „%ussersten nçten“, die im ersten Sinnabschnitt in kulturkritischem Vokabular abstrakt skizziert wird – die Erde sei beherrscht von „uners%ttliche[r] gierde“, „unerbittlicher grelle“ und Maßlosigkeit und habe ihre Verbindung zum Mythischen verloren (SW IX, 46). Wichtigster Gedanke ist die Idee eines geheimen Raumes, der im Gedicht auf zwei verschiedene Arten verbildlicht ist – zun%chst abstrakt als ,Raum-im-Raum‘ und am Ende des Gedichts konkret als tiefer Schaft in der Erde. Mit R#ckgriff auf die griechische Mythologie wird in der f#nften Strophe der geheime Raum als gçttliche Schçpfung dargestellt: Da in den %ussersten nçten Sannen die Untern voll sorge · Holten die Himmlischen gn%dig Ihr lezt geheimnis . . sie wandten Stoffes gesetze und schufen Neuen raum in den raum . . . (SW IX, 46)

Der ,neue Raum im Raum‘ kann als Umschreibung des neu entstandenen ,Geheimen Deutschlands‘ gelesen werden, das im bereits bestehenden ,offiziellen Deutschland‘ angesiedelt ist.159 Dies legt jedenfalls der weitere Verlauf des Gedichts nahe. In der sechsten Strophe wechselt das Gedicht n%mlich zur Ich-Perspektive und leitet einen R#ckblick auf vergangene Erlebnisse und Begegnungen des lyrischen Ichs ein. Der R#ckblick beginnt im S#den: „Einst lag ich am s#dmeer / Tief-vergr%mt wie der Vorfahr“ (SW IX, 47).160 Dort erscheint dem lyrischen Ich eine Pan-%hnliche Gestalt, die es zur R#ckkehr in die „heilige heimat“ auffordert und verspricht, dass das lyrische Ich dort mit einem ver%nderten Blick neue Gebiete erschließen wird. Ein zweizeiliger Vers k#ndigt den )bergang vom ,Abgrund‘ zum ,Grund‘ an: „Fittich des sonnentraums / Streiche nun nah am grund!“ (SW IX, 47). Der ,Grund‘ bezeichnet offensichtlich die Heimat des lyrischen Ichs in Deutschland, wo die n%chsten acht Strophen verortet sind. Das Gedicht geht #ber in anekdotische Erz%hlungen, welche die George-Forschung grçßtenteils als biografische Anspielungen auf einige von Georges 159 Wie in Burg Falkenstein kommt auch hier implizit die Idee zum Ausdruck, dass das Neue sich aus dem Alten, Bestehenden heraus entwickelt. 160 Der ,Vorfahr‘ wird von der Forschung zumeist als Antonomasie f#r Hçlderlin gedeutet (vgl. Wacker: Poetik des Prophetischen. S. 164.)

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Freunden gelesen hat,161 was im Einklang steht mit Wolfskehls Identifikation des ,geheimen Deutschlands‘ mit dem George-Kreis. Dazwischen widmet sich eine Strophe dem Erscheinen von Georges jugendlichem Kunstgott Maximin und eine weitere evoziert in apokalyptischen Bildern das „brausen des schlachtengetobs“ des Ersten Weltkrieges (SW IX, 48). Der letzte Sinnabschnitt des Gedichts wird wiederum durch einen Zweizeiler eingeleitet: „Heb mich auf deine hçh / Gipfel – doch st#rze mich nicht!“ Die Position auf dem ,Gipfel‘ erlaubt dem lyrischen Ich schließlich wiederum den prophetisch-vision%ren Zukunftsblick, mit dem auch Burg Falkenstein endete. Auf ein „mahnwort“ an die ,Br#der‘ folgt in der Schlussstrophe der Hinweis auf einen geheimen Schutzraum in der Erde: Nur was im sch#tzenden schlaf Wo noch kein taster es sp#rt Lang in tiefinnerstem schacht Weihlicher erde noch ruht – Wunder undeutbar f#r heut Geschick wird des kommenden tages. (SW IX, 49)

Die in Burg Falkenstein erw%hnte „schl%frige luft“, durch die das lyrische Ich den ,goldenen Ton‘ zu hçren glaubt, verwies bereits auf diese zentrale Vorstellung: Die Zukunft liegt tief verborgen in der Erde, liegt im Schlaf und wartet nur darauf, eines Tages aufzuwachen. Der Gedanke von Schlaf und Erwachen, auf den die Schlussstrophe von Geheimes Deutschland anspielt, war ein beliebter Topos in den geschichtsmythologischen Dichtungen des 19. Jahrhunderts und wurde dort nicht selten mit mittelalterlichem Kaisertum und Heiligem Rçmischen Reich assoziiert, so etwa in Friedrich R#ckerts Gedicht Der alte Barbarossa. 162 Auf solche Vorstellungen hatte George in den Tafeln Rhein: I – VI aus Der Siebente Ring angespielt, dort allerdings mit konkreten Verweisen auf die Konturen eines lotharingischen Mittelreichs.163 In Geheimes Deutschland ist ein solcher Mittelalter-Bezug nicht pr%sent. Osterkamps Beobachtung, dass beide Gedichte „die Vorstellung einer Tagwerdung unter dem Druck der Zeit aus dem Bereich der Fern- in die Naherwartung“ r#cken,164 ist insofern zu differenzieren: In Burg Falken161 Die biographische Zuordnung der Strophen erl%utert Oelmann im Kommentar zu SW IX, 151 – 153. 162 Zur Ideengeschichte dieser Denkfigur siehe Raulff: In unterirdischer Verborgenheit. 163 Vgl. Kapitel 3.3.3.1. 164 Osterkamp: Das Neue Reich (SW IX). S. 215.

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stein versuchen die beiden Sprecher sich an einer Deutung der Ruinen, und das lyrische Ich hçrte schon den Klang der Zukunft, der aus der Vergangenheit kam – in Geheimes Deutschland ist das „Wunder“ noch „undeutbar“, und „kein taster“ kann es „sp#ren“.165 Von Burg Falkenstein zu Geheimes Deutschland zeigt sich also ein deutlicher Unterschied in der zeitlichen Distanz, indem das „Wunder“ aus dem Bereich der Naherwartung im zweiten Gedicht in eine ferne Zukunft verschoben wird.166 Dass George die urspr#nglich geplante Abfolge der Gedichte – in der Sammelhandschrift stand Geheimes Deutschland vor Burg Falkenstein – umdrehte,167 deutet darauf hin, dass George die eindeutige Entwicklung von Gedicht zu Gedicht nicht w#nschte, dass er also nicht wollte, dass das erwartete Wunder von der Fernerwartung in Geheimes Deutschland hin in die Naherwartung von Burg Falkenstein r#ckt und vom Leser als medi%valisierende, germanisch-antike Synthese konkretisiert wird. Das Gedicht Geheimes Deutschland greift also auf griechische Mythologie, Georges eigene Privatmythologie um Maximin und die romantisch gepr%gten Bild165 Petersdorff hat die Schlussstrophe von Geheimes Deutschland als Ausdruck einer „Selbstentmachtung“ des Dichter-Sehers gelesen und George eine „Einsicht in die Irrelevanz seiner gegen-modernen Visionen im 20. Jahrhunderts“ unterstellt. Davon ausgehend interpretiert er vor allem die Das Neue Reich abschließende Sektion mit Liedern als Ausdruck einer „Relativierung seines geschichtsphilosophischen Anspruchs und der entsprechenden lyrischen Rolle“ (Petersdorff, Dirk von: Als der Kampf gegen die Moderne verloren war, sang Stefan George ein Lied. Zu seinem letzten Gedichtband Das Neue Reich. In: Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 43 (1999) XLIII. S. 325 – 352, S. 338 und 340). Dagegen l%sst sich kritisch einwenden, dass es George nicht prim%r um konkrete Verwirklichungsmçglichkeiten in der Gegenwart ging, sondern dass sich seine Visionen, wie in diesem Kapitel gezeigt, zuallererst performativ in der Dichtung selbst verwirklichten. Osterkamp hat zudem gegen Petersdorffs These einschr%nkend eingewandt, dass viele der Gedichte bereits aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammen, und #berzeugend daf#r argumentiert, dass man deshalb in den Liedern nicht prim%r eine R#cknahme von Georges geschichtsprophetischen Anspr#chen sehen sollte, sondern dass sie vielmehr als eine %sthetische Beglaubigung von Georges Rolle als S%nger seines Volkes lesbar seien (Osterkamp: Das Neue Reich (SW IX). S. 216). 166 In diesem Zusammenhang steht auch das „mahnwort“ an die „br#der[ ]“ in der vorletzten Strophe: Aus der Perspektive der Hçhe erscheint das, was heute hoch ist, morgen tot und niedrig. Zu den Referenzen auf Hçlderlins Hymne Germania in dieser Strophe siehe Bçschenstein, Bernhard: Stefan Georges Sp#twerk als Antwort auf eine untergehende Welt. In: Stefan George: Werk und Wirkung seit dem „Siebenten Ring“. S. 1 – 16, S. 14. 167 Anhang zu SW IX, 114.

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welten der politischen Mythologien des 19. Jahrhunderts zugleich zur#ck,168 ohne diese Bildwelten konkret medi%valisierend zu f#llen. 4.3.3 Ritterlicher Heroismus in Georges letztem Gedicht W%hrend Georges Medi%valismus zumeist poetologisch motiviert ist und sich auf der %sthetischen Grenze zwischen Kunst und Politik entwickelt, findet sich in Georges Nachlass auch ein Beispiel f#r ein politisch stark vereindeutigendes Gedicht. Wie in Burg Falkenstein verband George auch in diesem Gedicht die Frage nach dem Schicksal der Deutschen mit einem medi%valisierenden Bild: Das im innersten lieb Wie kann dieses volk bestehn? Dieses volk wie kanns bestehn Rings nur nachbarn offnen mauls Sp%hend uns ein weitres st#ck Auszuhaun aus unsrem fleisch Und kein helfer fern noch nah! Weh der feind sizt in selbst Gleiche < > f#llt169 Bundgenoss der wimmelwelt Ist verwehrt was wir erw#nscht Hat bestehen dann noch sinn? Fallen wir wo sie auch tost Ritter in der lezten schlacht (Abgedruckt in: Boehringer 1967. S. 182.)

168 Die Forschung hat mehrfach auf die N%he von Georges Mythologie in Das Neue Reich und konservativen Mythen der Romantik hingewiesen: David: Stefan George, S. 239, und 241 – 243; Landfried: Politik des Unpolitischen. S. 199 f. (zu den romantischen Wurzeln); Braungart: !sthetischer Katholizismus. S. 99; Egyptien, J#rgen: Die Haltung Georges und des George-Kreises zum 1. Weltkrieg. In: Stefan George: Werk und Wirkung seit dem „Siebenten Ring“. S. 197 – 212, S. 211 f. (zu einer mçglichen N%he zu Fichtes Gedanken zur deutschen Nation und der Philosophie des deutschen Idealismus). 169 Gunter Grimm hat die bei Robert Boehringer ausgelassene, schwer lesbare Manuskriptstelle in Vers neun entziffert als: „Gleiches streben alle f#llt“ (Grimm, Gunter E.: ,Der Feind in uns selbst‘. Nochmals zur Entzifferung und Deutung eines nachgelassenen Gedichts von Stefan George. In: Castrum peregrini (1978) CXXXIV–V. S. 111 – 121).

322

4 Esoterisch-prophetischer Medi%valismus

Robert Boehringer, der dieses Gedicht in seinem Erinnerungsbuch Mein Bild von Stefan George herausgegeben hat, datierte es auf den Winter 1927/ 28.170 Es ist nicht bekannt, ob es sich um eine Entwurfsfassung oder ein bereits fast fertiges Gedicht handelte – in jedem Fall gab es George zu Lebzeiten nicht zur Verçffentlichung frei. Wie Gunter Grimm gezeigt hat,171 l%sst das Gedicht einen deutlichen zeitgeschichtlichen Bezug erkennen und erscheint als eine Reflexion auf die Situation Deutschlands in den 1920er-Jahren.172 George bietet hier seine eigene Version der Dolchstoßlegende: Nicht Deutschlands feindliche gesinnte Nachbarl%nder seien an der deutschen Misere schuld, sondern die Deutschen selbst. Die „wimmelwelt“, die metonymisch f#r die von George verabscheute moderne Zivilisation, die b#rgerliche Welt und den Kapitalismus stehen, werden als die wahren Feindeskr%fte deklariert. Als Reaktion auf die desolate Situation empfiehlt das Gedicht eine heroische Haltung: Der Ritter dient hier als Sinnbild des Helden, der lieber im Kampf den Heldentod stirbt als aufzugeben.173 Dies ist ein Bild, wie es %hnlich in der Kriegspropaganda vor allem in der Fr#hphase des Ersten Weltkriegs heraufbeschworen wurde, um die Kampfmoral der Soldaten zu st%rken – die Vorstellung eines ,Heldentodes‘ stand dabei im perfiden Kontrast zum massenhaften Sterben in der Realit%t des Ersten Weltkrieges. In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch die vulg%re Wortwahl („maul“) und die brutale kçrperliche Metaphorik von „fleisch aushaun“ in Georges Nachlassgedicht, mit der die im Versailler Vertrag auferlegten Gebietsabtretungen umschrieben sind. Auf der einen Seite bringen solche Formulierungen die animalische Gewalt der Kriegsgegner zum Ausdruck, auf der anderen Seite erinnern sie an die martiale Rhetorik der Kriegspublizistik, 170 Robert Boehringer hat dies Gedicht aus dem Nachlass verçffentlicht (Boehringer: Mein Bild. S. 182.). 171 Grimm: ,Der Feind in uns selbst‘. S. 117 – 120. 172 Dies mag ein Grund sein, warum dieses Gedicht nicht zu Georges Lebzeiten verçffentlicht wurde; %hnlich wie bei den Nachlassgedichten Der Preusse und der „Teuflischen Stanze“ kçnnte auch hier der Fall vorliegen, dass ein Gedicht zu direkt und eindeutig, zudem zu negativ getçnt war, als dass George es verçffentlichen wollte. Ein solches Argument vertreten Landfried im Falle der „Teuflischen Stanze“ und Aurnhammer im Falle von Der Preusse (Landfried: Politik des Unpolitischen. S. 187 f.; Aurnhammer: ,Der Preusse‘. S. 194). 173 Kolk sieht hierin zu Recht eine „Metaphorik des ,verlorenen Postens‘“ und erkennt in der Idee des Opfers „ein Kernst#ck konservativen Denkens“ (Kolk: Literarische Gruppenbildung. S. 243). !hnliche Gedanken werden auch in den Gedichten Der Waffengef#hrte aus den Sagen (SW III, 52 f.) und Victor * Adalbert aus Das Neue Reich (SW IX, 94 – 96) verhandelt.

4.3 Medi%valismus zwischen Nostalgie und Prophetie

323

die den Gegner entmenschlichte, indem sie ihn als Raubtier oder Bestie darstellte.174 Das Gedicht zeigt, dass die Ritter-Imago f#r George zeitlebens relevant blieb und von ihm wohl vor allem als Inbegriff eines selbstlosen Heldentums verstanden wurde. Der Ritter war f#r George ein Sinnbild f#r einen Tatmenschen und K%mpfer, der den Tod um eines hçheren Ideals willen nicht scheut. Hierin %hnelt der Ritter dem K#nstler, dem George ebenfalls heroische Attribute zuschrieb – auch der K#nstler stellte in Georges Augen sein Leben in den Dienst eines hçheren Ideals und nahm daf#r persçnliche Einbußen in Kauf. Insofern besaß der Ritter f#r George zeitlebens großes identifikatorisches Potential. Im Nachlassgedicht taucht der Ritter im Plural, im Verbund auf, %hnlich wie im fr#hen Gedicht Irrende schar (SW III, 50 f.). W%hrend die Ritterschar in Irrende schar noch in mythischer Vagheit verortet blieb, erh%lt Georges Verkl%rung des Heroismus und der Opferbereitschaft durch die reale Kriegserfahrung und das Massensterben des Ersten Weltkriegs einen schalen Beigeschmack. 4.3.4 Zusammenfassung Auf Georges Medi%valismus der 1920er Jahre trifft zweifellos Claude Davids Beobachtung zu, dass George in Das Neue Reich „den Kreis seiner Gedanken“ schließe und sich in diesem Band „Themen und Tendenzen wieder[finden], von denen man glauben konnte, dass er sie hinter sich gelassen h%tte“.175 In seiner sp%ten Lyrik griff George auf das Repertoire medi%valisierender Bilder und Topoi zur#ck, dass er sich in seinem fr#heren Werk erarbeitet hatte. Dazu gehçren die Verortung der ,mittelalterlichen‘ Stimmung an Burgen und am Rhein, die Beschwçrung von ,Ahnen‘ und die darin implizierte genealogische Sicht auf Vergangenheit ebenso wie die Verbindung von Ritter- und Heldentum, die Idee einer im Medium der Dichtung wiederbelebten Geschichte und schließlich die Idee einer Erg%nzung des Nçrdlichen durch das S#dliche. Auch das negative Verdikt #ber die Moderne, die mit einer strahlenden Vergangenheit kontrastiert wird, war ein h%ufiges Deutungsschema von Georges Medi%va174 Vgl. dazu Wertheimers feinsinnige Analyse von Georges Verh%ltnis zur ,affirmativen‘ Kriegslyrik und zur Sprache expressionistischer Lyrik; das Gedicht Der Krieg sei „,!ußerung #ber !ußerungen‘ […] zum Ph%nomen Krieg“ (Wertheimer: Dialogisches Sprechen. S. 170 und 171 f.). 175 David: Stefan George. S. 368.

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4 Esoterisch-prophetischer Medi%valismus

lismus seit dem Siebenten Ring. Gleiches gilt f#r das zyklische Geschichtsbild und den utopischen Fluchtpunkt von Georges MittelalterImaginationen. Aber Georges Medi%valismus erreicht mit Burg Falkenstein eine neue Qualit%t, indem Geschichte als R%tsel vorgef#hrt wird, das zu Schau und Deutung einl%dt. Dem prophetischen Dichter obliegt es, den Zeichenvorrat der Vergangenheit zu deuten und im Medium der Literatur imaginativ wiederzubeleben. Die mittelalterlichen Burgruinen sind dabei nur ein Zeichen aus einem ganzen Arsenal von Verweisen, die George in Das Neue Reich angelegt hat, um den Leser zu Sinndeutungen einzuladen.176 Georges Verwendung bedeutungsschwerer Schl#sselwçrter und seine offene Syntax, wie sie etwa die Schlussverse von Burg Falkenstein pr%gt, f#hren zu einer „Intensivierung eines diffusen Sinns“177 und einer Potenzierung der Deutungsmçglichkeiten, welche Georges Lyrik dann auch f#r politische Lesarten verf#gbar macht. Dies wird vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund von Erstem Weltkrieg und Zwischenkriegszeit relevant, da sich Georges Medi%valismus nun im gef%hrlichen Fahrwasser des politischen Medi%valismus dieser Zeit bewegte. !sthetisch avancierte Gedichte wie Burg Falkenstein und Geheimes Deutschland entziehen sich durch ihre poetische Mehrdimensionalit%t der politischen Vereindeutigung. Das nachgelassene Gedicht Das im innersten uns lieb zeigt jedoch, dass George zumindest gedanklich durchaus auch das konventionelle Register des politischen Medi%valismus bediente, damit aber nicht an die .ffentlichkeit trat. Schließlich bleibt als wichtig zu betonen, dass George den Medi%valismus wie schon in seiner fr#hen Lyrik so auch im Sp%twerk nicht absolut setzte, sondern das Mittelalter meist in einem Atemzug mit der Antike evoziert. Ebenso wie Georges Antiken-Bilder in Das Neue Reich eine Auseinandersetzung mit der Antiken-Begeisterung der Klassik implizieren – so in Goethes lezte Nacht in Italien (SW IX, 7 – 10) – setzt sich Georges Medi%valismus zugleich poetologisch mit der Mittelalter-Begeisterung der Romantik auseinander. In Burg Falkenstein wird dies im Zitat romantischer Topoi von Ruine, Schauer und Gespensterspuk deutlich, die im Gedicht 176 Vgl. Stottmeisters )berlegungen zum „Sinnbild-Verweissystem“ im Neuen Reich, dort am Beispiel des Swastika-Zeichens (Stottmeister: Der George-Kreis und die Theosophie. S. 396 f.). 177 Sch%fer: Die Intensit#t der Form. S. 41. Sch%fer charakterisiert Georges Sprache als „totalit%re Sprache“ und zeigt in seiner Studie die „wortk#nstlerischen Verfahren, rhetorischen Strategien und Medientechniken“ auf, mit denen George in seiner Lyrik Sinn intensiviert (ebd. S. 40 f.).

4.4 Zwischenfazit

325

selbst reflektiert werden. In Georges sp%ter Lyrik l%sst sich zudem eine Tendenz zur Synthesenbildung erkennen, die Mittelalter und Antike nicht einfach nebeneinanderstellt, sondern die beiden Epochen zumindest in der Versform zusammenbindet. F#r Georges Vergangenheits-Imaginationen ist die poetologische Metapher des ,goldenen Tons‘ essentiell: Sie verbildlicht die Dynamik der dichterischen Erz%hlung, die mit der Statik des historischen Relikts in Konkurrenz tritt – die Stimme des Dichters, der einen Ruf in ferne R%ume und Zeiten aussendet und von dort ein Echo seiner eigenen Stimme zur#ckschallen hçrt.

4.4 Zwischenfazit Die dritte Phase des Medi%valismus in Georges Werk wurde mit den Adjektiven ,esoterisch‘ und ,prophetisch‘ charakterisiert. Die )berg%nge zum kulturkritischen Medi%valismus erwiesen sich insbesondere zu Beginn dieser Phase als fließend, dennoch zeigt sich eine gewandelte Funktionalisierung des Medi%valismus. Im Zentrum steht nun die Idee der Schau, zum einen als neomystische Schau des neuen Gottes, zum anderen als prophetische Schau in Zukunft und Vergangenheit. Die Ann%herung an Mittelalterliches verlagert sich tendenziell von einer Ebene des Konkreten auf eine Metaebene, auf der Fragen der sprachlichen und historischen Sinngebung verhandelt werden. So spiegelt sich im Medium des esoterischprophetischen Medi%valismus die gesteigerte Selbstbez#glichkeit und Performativit%t von Georges Dichtung wider. Die Resakralisierung hat ihren Sitz nun nicht mehr allein im Bezug auf das katholische Mittelalter, sondern findet im Herzen der Dichtung selbst statt. Die Synthese wird zur dominierenden Strategie. Dies gilt f#r die Amalgamierung verschiedener religiçser Sprechweisen, vor allem aber f#r die Mythensynthese, die Antikes, Platonisches, Germanisches und Mittelalterliches bis zur Ununterscheidbarkeit vermischt und verdichtet. Georges Verh%ltnis zum Nationalen, das so eng mit dem Medi%valismus verbunden ist, bleibt bis zuletzt gespalten. In der Denkfigur der Wiederkehr und der !sthetisierung von Heldentum n%hern sich seine Prophetien einem politischen Messianismus, der es mçglich machte, in George nicht nur den heimlichen Kaiser des Geheimen Deutschlands und K#nder eines Neuen Reichs zu sehen, sondern ihn auch als Propheten des Dritten Reichs zu vereinnahmen.

5 Ergebnisse Unter dem Leitbegriff des Medi%valismus hat diese Arbeit verschiedene Formen der Rezeption und Imagination des Mittelalters im Werk Stefan Georges in den Blick genommen und nach ihren mçglichen Funktionen gefragt. Die Ergebnisse sollen im Folgenden zusammengefasst und verallgemeinert werden.

5.1 Mehrwert des Konzepts Medi%valismus Das Konzept ,Medi%valismus‘, so hat diese Arbeit argumentiert, besitzt einen Mehrwert gegen#ber dem herkçmmlichen Konzept der ,Mittelalterrezeption‘. Das Verst%ndnis des Medi%valismus als ein doppelseitiges Ph%nomen aus Rezeption und Imagination erlaubt es, die Quellen-Fixierung der traditionellen Mittelalter-Rezeption zu #berwinden und nicht mehr zwangsl%ufig von einem klassischen Rezeptionsobjekt ausgehen zu m#ssen. Medi%valismus, das zeigt gerade das Beispiel George so eindr#cklich, beruht grçßtenteils nicht auf eindeutigen Referenzen – die ,Endreferenz Mittelalter‘ wird #ber ein zeitgebundenes inter- und transmediales Mittelalter-Diskurs-Wissen vermittelt. Anstatt hier von ,vermittelter Rezeption‘ oder ,Rezeption zweiten‘, ,dritten‘ oder ,x-ten Grades‘ zu sprechen, bietet es sich vielmehr an, die Mehrschichtigkeit des Medi%valismus als integrales Wesensmerkmal des Ph%nomens zu begreifen. Gerade bei George erschçpft sich der Rezeptionsakt nicht in Text-TextBez#gen, sondern umfasst eine Vielzahl von anderen Allusionsmomenten. Oftmals handelt es sich mehr um Ankl%nge als um verifizierbare Bez#ge, mehr um Andeutungen als um eindeutige Referenzen. Die Bedeutungen und Allusionsfacetten, die in diesem Prozess entstehen und die #ber reine Verweise auf Einzeltexte hinausgehen, lassen sich mit dem Begriff Medi%valismus besser fassen als mit dem der Rezeption. Der Begriff scheint zudem gerade f#r die Gattung der Lyrik fruchtbar zu sein, indem er ein Fassbar-Machen von Unkonkretem und Polysemantischem erlaubt. Gedichte wie Sporenwache oder Irrende Schar operieren mit Codewçrtern und Mittelalter-Signalen, die eine medi%vale Szenerie evozieren. Es geht um die Evokation eines ,Gef#hls von Mittelalter‘, das nur zu einem gewissen Grad

328

5 Ergebnisse

aus analytisch nachvollziehbaren Rezeptionsvorg%ngen resultiert, sondern vielmehr auf einer modernen Wirkungs%sthetik beruht. Medi%valismus ist zum guten Teil ein Rezeptionseffekt, der im Kopf des Rezipienten entsteht, indem dieser die Suggestionen und Evokationen des Textes mit Bedeutung ausf#llt. Die kalkulierte Offenheit und semantische Vagheit von Georges Dichtungen setzt auf die kognitive Erg%nzung durch den Rezipienten. Die Palette der Wirkungsmittel reicht dabei von Emphase und feierlichem Ernst #ber die Komik und Ironie bis zu einem tropischen Sprechen, das religiçs-mystische Z#ge annehmen kann. Die Poetik des Vexierbilds und des Suchbilds, die George etwa im Teppich des Lebens entwirft und bei der sich je nach Blickwinkel des Rezipienten verschiedene Gestalten, Ansichten und damit Deutungsmçglichkeiten abzeichnen, ist konstitutiv f#r Georges moderne Wirkungs%sthetik. Die imaginative Seite des Medi%valismus ist also nicht nur auf der produktions%sthetischen Seite des Autors, sondern auch auf der rezeptions%sthetischen Seite des Lesers wirksam: Der Leser muss die Leerstellen der Texte ausf#llen und so (s)ein Mittelalter konstruieren. Im Resultat entstehen divergente Vorstellungen von ,Mittelalterlichkeit‘, abh%ngig von der individuellen Aktualisierung des Textes durch den einzelnen Leser. In dieser Pluralit%t mçglicher Epochenbilder zeigt sich die anti-positivistische Stoßrichtung von Georges Medi%valismus – es geht ihm nicht um die Festschreibung als objektiv wahrgenommener historischer Verl%ufe, sondern um den %sthetischen Vorgang subjektiver Aktualisierung, der in den Gedichten angestoßen wird. Vor diesen Hintergrund ließe sich die hermeneutische Offenheit von Georges Dichtung, in der Auslassungen und Leerstellen den Vorgang der literarischen Kommunikation als unabgeschlossenen Prozess anzeigen, mit dem Konzept der Mittelalter-Rezeption nur unzul%nglich erschließen. Die Burgruine, die in Burg Falkenstein explizit als deutungsbed#rftiges Zeichen apostrophiert wird, ist zugleich Sinnbild f#r das bruchst#ckhaft #berlieferte und imaginierte Mittelalter, das der hermeneutischen Bem#hung um Sinnstiftung bedarf.

5.2 Formen des Medi%valismus Vorliegende Studie hat drei Phasen des Medi%valismus konturiert, die sich, trotz im Einzelnen fließender )berg%nge, durch jeweils spezifische strukturell dominante Merkmale auszeichnen. In der ersten Phase des ,%sthetischen Medi%valismus‘ diente das Mittelalter als poetische Gegen-

5.2 Formen des Medi%valismus

329

welt, zum einen in Form einer sagenhaften Seelenwelt, zum anderen in Form eines simulativen Medi%valismus und zum dritten in Form einer medi%valisierenden Dramen%sthetik. Dabei zeigte sich ein hybrider Medi%valismus, der sich sowohl auf Literatur und Kultur des Mittelalters als auch auf vorg%ngige Medi%valismen des 19. Jahrhunderts bezog. So gelang eine produktive Verarbeitung der Tradition, ohne sie epigonal nachzuahmen. Georges Medi%valismus trug einen spielerisch-%sthetizistischen Charakter, im Sinne des l’art pour l’art standen Fragen der Kunst, des K#nstlerschicksals und der Poetologie im Vordergrund. Insgesamt zeichnete sich eine unkonventionelle Schwerpunktverlagerung ab, indem George andere Bereiche des Mittelalters hervorhob als seine Zeitgenossen: Bei George ist die Kirche dominanter als der Kampf, der milit%rische Aspekt ist erstaunlich unterrepr%sentiert – wenn #berhaupt K%mpfer gezeigt werden, dann bei der Ruhepause, bei der Einkehr, beim Schlafen oder nur in der Ferne. Von Heldentaten wird kaum berichtet, und wenn, dann oftmals in ironischem Duktus. Insofern kennzeichnet den %sthetischen Medi%valismus eine Entmilitarisierung und Resakralisierung des Mittelalters. Bevorzugte Gattungen sind das Rollengedicht, die historische Ballade, das lyrische Drama sowie vereinzelt mittelalterliche Gedichttypen wie etwa das Tagelied. Von den Stilmustern des %sthetischen Medi%valismus entfernte sich George in seinen sp%teren Werken. Im ,kulturkritischen Medi%valismus‘ der zweiten Phase bewegen sich Georges Mittelalteraneignungen im Spannungsfeld von Nationalisierung und Entnationalisierung. Einerseits zeigen die Gedichte st%rker als zuvor ein ,deutsches‘ Mittelalter, das auf deutsche Topographie und Geschichte bezogen ist und zudem mit traditionellen Diskursen um Germanisches und Gotisches verkn#pft wird. Andererseits zeichnet sich im gleichen Atemzug eine Entnationalisierung des Mittelalters ab, indem die Gedichte vor allem auf Spuren des antiken, rçmischen Erbes im Mittelalter hinweisen und an den #bernationalen Charakter mittelalterlicher, insbesondere fr%nkischer Reiche erinnern. Damit verweigerte sich Georges Medi%valismus einer nationalpatriotischen, gegen Frankreich gerichteten Instrumentalisierung des Mittelalters, wie sie im Rahmen der Wilhelminischen Geschichtspolitik betrieben wurde. Einem zeitkritischen Impuls entsprang auch die im Medium des Medi%valismus betriebene Resakralisierung, mit der George sich gegen den Materialismus seiner eigenen Zeit stemmte. Der kulturkritische Medi%valismus zeichnet sich zudem durch einen antimodernen Habitus aus, der in der identifikatorischen Bezugnahme auf Dante historisch verankert wurde. Der Medi%valismus ist Medium der Kulturreflexion und Kulturkritik. Bevorzugte formal%sthetische Darstellungs-

330

5 Ergebnisse

weisen sind neben der Bildung von Kontrastpaaren und der Poetik des Vexierbildes vor allem das Genre des Zeitgedichts sowie des epigrammatischen Spruchs, welches im Zyklus Tafeln mit der Idee einer topographischen Dichtung verbunden wurde. Die dritte Phase des ,esoterisch-prophetischen Medi%valismus‘ kennzeichnet ein Zug ins Vision%re und Performative. Das Vision%re %ußert sich zum einen in der Schau des autopoetisch gezeugten Gottes ,Maximin‘ im Rahmen eines neomystischen Deutungsrahmens, zum anderen in der prophetischen Schau in Zukunft und Vergangenheit. Georges Zugang zum Mittelalter erscheint zugleich tiefer und abstrakter als in den vorherigen Phasen: Der Medi%valismus steht im Zeichen einer versch%rften religiçsen sowie sprach- und darstellungsbezogenen Problematik, die zwar von Beginn an hineingespielt hatte, nun aber endg#ltig ins Zentrum r#ckt. Fragen von Sinn und Zeichen, sprachlicher Bedeutungszuweisung und ethisch%sthetischer Sinnstiftung in der Moderne verleiten zur suchenden R#ckwendung ins Mittelalter, das als ein imaginiertes Zeitalter einer ungebrochenen Frçmmigkeit geeignete Denkformen und soziale Modelle zur Verf#gung stellen konnte. Der Medi%valismus wird so zum Medium einer religiçs motivierten Dichtung. Zudem versichert die esoterische Pr%gung der Mittelalterbez#ge Exklusivit%t, im ,Wir‘ der Bruderschaft konstituiert sich eine religiçs-k%mpferische Gemeinschaft, die sich auf mittelalterliche Orden oder Vorstellungen eines Geheimen Deutschlands bezieht. Die existentielle Mission dieser Gemeinschaft wird mythisch #berhçht, sie bewahrt, h%lt am Leben, wartet auf den Moment ihrer Wiederauferstehung. Die performative Dimension %ußert sich nicht zuletzt darin, dass sich die Wiederkehr, die nach dem tiefen Einschnitt des Ersten Weltkriegs nicht zuletzt als eine Wiederkehr des Mittelalters konkretisiert wird, in der Dichtung selbst vollzieht, so dass der apokalyptische Antagonismus der Gegenwart in der poetischen Synthese zusammengef#hrt und #berwunden werden kann. Bevorzugte Formen sind in dieser Phase das religiçse Gedicht, das identifikatorische Gedicht mit einem ,Wir‘ als Sprecher sowie das hymnische Ruinengedicht in dialogischer Form. Grob vereinfacht zeigen sich folgende durchgehende Linien: In den drei Phasen des Medi%valismus vollzieht sich zum einen eine Aufwertung des Dichters vom Spielmann #ber den K#nder zum Seherdichter. Exemplarisch spiegelt sich dies in den Dichtervorbildern Frauenlob und Dante; als Prophet eines ,Neuen Reichs‘ tritt George zudem in der dritten Phase implizit die Nachfolge des mittelalterlichen Propheten Joachim von Fiore an, des Propheten eines geschichtstheologischen ,Dritten Reichs‘. Zum zweiten tendiert der Medi%valismus vom Allgemeinen #ber das Konkrete

5.3 Zeitgebundene Zeitlosigkeit

331

zum Zeichenhaften, das heißt von der tr%umerischen Imagination einer Bildungswelt zur historisch-topographischen Konkretisierung bis hin zum abstrakten Reflexionsmedium #ber Sprache, Sinn und Zeichen. Zum dritten ver%ndert sich die Relationierung des Mittelalters zu anderen Epochenrepertoires: In der ersten Phase stehen Antike, Mittelalter und Orient gleichberechtigt nebeneinander, in der zweiten Phase ger%t das Mittelalter in Opposition zur Antike und in der dritten Phase vermischen sich Mittelalterliches, Germanisches und Griechisches in der Metapher des ,goldenen Tons‘.

5.3 Zeitgebundene Zeitlosigkeit Georges Sicht auf das Mittelalter im Besonderen und auf Geschichte im Allgemeinen l%sst sich auf die Formel einer ,zeitgebundenen Zeitlosigkeit‘ bringen. Zeitgebunden sind Georges Imaginationen, indem sie sich zum einen auf das Mittelalter beziehen und zum anderen eng mit der Zeit ihrer Entstehung im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert verbunden sind. Zeitlos sind sie insofern, als sie das Mittelalter transzendieren und entzeitlichen. Die Zeitgebundenheit von Georges Medi%valismus liegt in seinen bildungsgeschichtlichen Voraussetzungen, die im Begriff der ,Bildungswelten‘ impliziert sind. Eine Grundbedingung des Medi%valismus liegt in der breiten Zug%nglichkeit des durch Schule, Universit%t und allgemeine Geschichtskultur vermittelten Wissens #ber mittelalterliche Geschichte und Literatur im 19. Jahrhundert. Davon nicht zu trennen ist die zeitgençssische Pr%senz mittelalterlicher Sach#berreste, die zum einen der Memoria dienten und zum anderen dank zunehmender touristischer Erschließung zu Sehensw#rdigkeiten und beliebten Ausflugs- und Reisezielen wurden. Beides, sowohl das Erlesene als auch das Erschaute, gehçrt zu den f#r George relevanten Bildungswelten, die sich in seiner Dichtung in Form intertextueller und intermedialer Bezugnahmen niederschlagen. Georges Medi%valismus ist auch insofern zeitgebunden, als er an zeitgençssischen europ%ischen Mittelalterdiskursen partizipiert, die sich etwa in der Kunst der englischen Pr%raffaeliten, in den Mythenwelten Richard Wagners, in der Lyrik der belgischen und franzçsischen Symbolisten und nicht zuletzt auch in der Mittelaltermode der nachromantischen und gr#nderzeitlichen Massenliteratur manifestieren. Georges Medi%valismus steht zu diesen zeitgençssischen Strçmungen in einem komplexen Verh%ltnis von !hnlichkeit und Differenz, wie im Laufe dieser Arbeit

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5 Ergebnisse

aufgezeigt wurde. Zugleich markiert Georges Medi%valismus eine %sthetische Gegenposition zur Historiographie seiner Zeit. Seine Dichtung l%uft parallel zu großen Quelleneditionen mittelalterlicher Schriften und Dokumente; der wissenschaftlichen Fixierung und Handhabung des Mittelalters setzte George die poetische Lizenz der Fiktion entgegen, welche andere Wege sucht, die Vergangenheit vital zu halten. In Georges medi%valisierender Dichtung offenbart sich eine Sicht auf Geschichte, die wesentlich auf den Denkfiguren der Wiederbelebung, Wiederauferstehung und Wiederkehr beruht. Gr%ber und Ruinen sind deshalb bevorzugte Initiationsorte, an denen Imaginationen vom Mittelalter ihren Ausgangspunkt nehmen. Die Denkfigur der Wiederbelebung impliziert einen zeitlichen Bruch, eine vergangene Pr%senz und eine gegenw%rtige Nicht-Pr%senz, in welche das in der Vergangenheit Pr%sente zur#ckkehren kann. Eine solche Sicht auf die Geschichte ist nicht nur symptomatisch f#r ein Ungen#gen an der eigenen Gegenwart und eine kulturkritische Haltung, sondern sie verleiht dem Medi%valismus auch ein utopisches Potential, das #ber die Gegenwart hinausweist. George, so haben die Analysen gezeigt, betonte die zentrale Rolle des Dichters in diesem Prozess, indem er das Dichten als schçpferisch-magischen Akt der Wiederbelebung inszenierte. In der Metapher des ,Hauchs‘ kommt die Macht des Schçpfers zum Ausdruck, den toten Dingen wieder Leben einzuhauchen. Die solchermaßen betriebene Resakralisierung des Dichteramts h%ngt eng mit der Fiktion des poeta vates zusammen, der von einem souver%nen Standpunkt aus sowohl Vergangenheit als auch Zukunft #berblickt und daraus eine Sendung und Mission ableitet. Daneben gr#ndet sich Georges Medi%valismus auf eine genealogische Sicht auf die Geschichte, in der die Wiederkehr personal gedacht ist und im Sinne eines Erbes verstanden wird. Die ,Ahnen‘ als Vorfahren in Kunst und Geschichte bilden in Georges Dichtung eine wichtige Bezugsgrçße, sowohl im Rahmen poetologischer Reflexionen #ber die Mçglichkeit der Wiederbelebung historischer Formen und Schreibweisen als auch im Zuge seiner eigenen Autorschaftsinszenierung. Die suggerierten Wahlverwandtschaften etwa zum Ritter St. Georg, zu Frauenlob, Dante oder dem Templerorden konstruieren eine imagin%re Genealogie vom Mittelalter bis zu George. Demgegen#ber manifestiert sich in der konsequenten Vergegenw%rtigung und Entzeitlichung des Mittelalters eine eigene Zeitlosigkeit. Georges Medi%valismus liegt kein fest umrissenes Epochenkonzept zugrunde; er ist vielmehr zu den R%ndern hin offen, so dass sich in den evozierten Vorstellungen von Fr#he und Urspr#nglichkeit sowohl der Bereich des Germanischen als auch die romantische Volksliedidee als an-

5.3 Zeitgebundene Zeitlosigkeit

333

schlussf%hig erweisen. Dieser Synkretismus, charakteristisch f#r die Stilhaltung des Historismus, pr%gt Georges Epochen- und Raumimaginationen vom Fr#h- bis zum Sp%twerk. Georges Medi%valismus spannt sich zwischen ,Diwan und Dante‘, zwischen Orient und Renaissance, zwischen Rçmischem und Griechischem. Besonders h%ufig tritt der Medi%valismus im Verbund mit Momenten der Antike-Rezeption auf, sei es als Nebeneinanderstellung ganzer Zyklen wie in den B"chern der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und S#nge und der h#ngenden G#rten, sei es als Zusammenfall platonischer und christlich-mystischer Elemente in den neomystischen Texturen im Siebenten Ring und im Stern des Bundes, oder sei es als germanisch-rçmisch-medi%vale Mythensynthese in Das Neue Reich. Durch die poetische Technik der Vergegenw%rtigung werden alle diese Epochen und R%ume auf einer Wirkungsebene synchronisiert. Zu Georges Zeiten hatte das Mittelalter eine fast hundertj%hrige Geschichte der nationalen Indienstnahme hinter sich und gehçrte sp%testens seit der Romantik zu den festen Bezugspunkten der deutschen Geistesgeschichte. Als eine imaginierte Zeit der Grçße wurde es in Literatur, bildender Kunst und Musik mit Ideen von Urspr#nglichkeit, Jugend, Unverbrauchtheit und Schçnheit verbunden. Insofern konnte George diese integrale und zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs virulente Bildungswelt nicht ignorieren, wenn er Anspruch auf Relevanz und klassische Universalit%t erheben wollte. Im Gegensatz zur Antike erlaubte das Mittelalter eine Reflexion #ber die eigene Vergangenheit und Kulturtradition. Georges Medi%valismus offenbart jedoch ein ambivalentes Verh%ltnis zum Mittelalter, das einerseits als Teil des Eigenen, der eigenen Bildungswelt und deshalb als etwas Integrales begriffen wird, andererseits jedoch insbesondere in seinen spezifisch deutschen Anteilen wie der Gotik als tendenziell kalt, sprçde und sinnenfeindlich erscheint. Vor allem aber lieferte das Mittelalter zentrale Topoi, die George mit seinem Interesse f#r Fr#he und Aufbruch, f#r R#ckschau und Wiederkehr und f#r mystische Denkformen entgegenkamen. Zeitlosigkeit und Synkretismus haben ihre Voraussetzung in einer konsequent %sthetischen Wirklichkeitsauffassung, wie sie in einem Merkspruch aus den Bl#ttern f"r die Kunst zum Ausdruck kommt: „wir sehen in jedem ereignis jedem zeitalter nur ein mittel k#nstlerischer erregung“.1 Dieser %sthetisierende Blick auf das Mittelalter bedingt eine subjektive Auswahl der Gegenst%nde, heftet sich teilweise an Einzelheiten fest und beansprucht weder Vollst%ndigkeit noch Repr%sentativit%t. Wie 1

Bl#tter f"r die Kunst II/2 (M%rz 1894), S. 34.

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5 Ergebnisse

gezeigt, spielt der %sthetische Sinn, die Wahrnehmung eine zentrale Rolle innerhalb des Medi%valismus – im semantischen Feld von Auge, Blick und Schau ist das imaginative, vision%re und prophetische Moment angesprochen, aber auch die affektive Aufladung des Mittelalters, die sich beispielsweise im „sehnsuchtsblick der s#der“ als Zusammenfall von dichterischem Blick und dem Blick der historisch verb#rgten Persçnlichkeit ereignet. Im strahlenden Glanz des Helden und in der Syn%sthesie des ,goldenen Tons‘ verbinden sich zeitliche Vorstellungen und poetologische Ideale von Schçnheit zu einer untrennbaren Einheit. Der %sthetische Modus ist der Modus des ,Als ob‘, der Modus des %sthetischen Scheins, der im simulierenden Medi%valismus der S#nge eines fahrenden Spielmanns besonders deutlich zum Tragen kam. George, so hat diese Arbeit argumentiert, ging es in erster Linie um den %sthetischen Schein von Mittelalterlichkeit, nicht um eine antiquarisch-philologische Reaktualisierung mittelalterlicher Dichtungsformen. Zwar griff George vereinzelt mittelalterliche Gedichttypen wie etwa das Tagelied, die Minneklage, das Mariengedicht oder die Frauenstrophe auf, er bevorzugte sonst aber Gedichttypen wie etwa das Rollengedicht oder das szenische Gedicht, die einen hohen Grad an Pr%senz, Unmittelbarkeit und Vergegenw%rtigung ermçglichten und deshalb gut zum zentralen poetologischen Anliegen von Georges subjekt- und gegenwartsorientiertem Medi%valismus passten. Vor allem aber betrifft Georges Strategie der Vergegenw%rtigung die Formen der Dichtung selbst. So geht das traditionelle Konzept von Handlung, das etwa die Gattung der historischen Ballade pr%gt, in Georges Dichtung in Auflçsung. Die Dichtung selbst ist nun die ,Tat‘, die Sprache selbst wird zum handelnden Element, sie erh%lt eine zunehmend performative Dimension. Ihr wird wahrnehmungssteuernde und wirklichkeitspr%gende Kraft zugewiesen: In dem Gedicht Im ungl"cklichen Tone dessen von… macht nur das Wort des Dichters aus der grausamen Dame eine ,schçne Dame‘, und erst in der Dichtung werden die Helden der Irrenden Schar ,selig‘ und verewigt. In Die Gr#ber in Speier erscheint die Dichtung selbst gar als magische Bannrede, die ents#hnen und resakralisieren kann. Im mystischen Sprechen fallen Religion und Eros zusammen, die Geburt des Gottes in der Seele vollzieht sich als Geburt des Wortes in der Dichtung (Einverleibung). Ein Gedicht wie Templer zeigt zudem die esoterische Komponente von Georges Medi%valismus. Das Irrationale, Beschwçrende erh%lt den Vorzug vor dem Rationalen, Erforschenden. Die Idee des Geheimnisses ist zentral, der Dichter wird zum H#ter dieses Geheimnisses, die Dichtung zum Aufbewahrungsort und Speicher – dies wird unter anderem im medi%valisierenden Bild des Hortes gefasst. Zum %sthetischen Schein

5.4 Funktionen des Medi%valismus

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gehçrt die Bedeutung von Ritual und Zauber in Georges Lyrik. Ihre Performativit%t zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Konzepte wie ,Geheimnis‘, ,Schçnheit‘ und ,Frçmmigkeit‘ den Objektbereich von Georges poetischem Sprechen verlassen und auf dieses selbst #bergreifen – das Gedicht spricht #ber ein Geheimnis und wird davon selbst erfasst, es wird selbst geheimnisvoll. Ebenso die Schçnheit: Das Sprechen #ber das Schçne wird selbst schçn. F#r George ist ein selbstreflexives, das heißt spiegelndes und gespiegeltes Sprechen authentisch. George transzendiert durch dieses Konzept der Performativit%t die absolute %sthetische Grenze der Romantik. Der Zusammenhang zwischen Zeitgebundenheit und Zeitlosigkeit liegt also auch in der Zeitverbundenheit des Gedichts, in seiner poetischen Gegenwart im Moment des Vollzugs.

5.4 Funktionen des Medi%valismus Ausgehend von Richard Utz’ Definition von Medi%valismus als Indienstnahme des Mittelalters f#r zeitgençssische Bed#rfnisse („medievalism is the use of the middle ages for contemporary needs“), gilt es im Folgenden nach den Funktionen des Medi%valismus in Georges Werk zu fragen. Denn das Mittelalter war f#r George weit mehr als nur Maske, Kost#m oder bloßer Motiv- und Bildspender. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie machen deutlich, dass sich das Deutungspotential von Georges Medi%valismus darin nicht erschçpft. Die folgenden Funktionen sind nicht exklusiv auf eine der drei konturierten Phasen des Medi%valismus beschr%nkt, sie liegen teilweise quer zu ihr. 5.4.1 !sthetische Funktionen Wie der Blick auf die Entstehungsgeschichte von Georges medi%valisierenden Dichtungen gezeigt hat, erf#llte das Mittelalter zun%chst die Funktion eines Stoffreservoirs in einer k#nstlerisch und privat krisenhaften Zeit. Georges Medi%valismus entsprang einer Abwendung von der deutschen Gegenwart, die sich sprachlich im Plan des Wechsels zum Franzçsischen als Dichtersprache und %sthetisch in der Praxis einer symbolistischen Evokations%sthetik %ußerte. Seit den sp%ten 1880er Jahren war George beseelt vom Projekt einer k#nstlerischen Erneuerung. Auf den ersten Blick mag es paradox wirken, dass Georges Anspruch auf Erneuerung und %sthetische Innovation mit der Wahl mittelalterlicher

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5 Ergebnisse

Stoffe und Stile zusammengeht, wie etwa anhand des lyrischen Dramas Die Herrin betet deutlich wurde. Auf den zweiten Blick erscheint aber gerade diese paradoxe Zusammenstellung von Moderne und Mittelalter als charakteristisch f#r die Aufbruchsstimmung der Jahrhundertwende. Das viel beschworene Janusgesicht, das vorw%rts in Richtung Zukunft und zur#ck in Richtung Vergangenheit blickt, symbolisiert das komplexe Verh%ltnis von Tradition und Erneuerung in allen Gesellschaftsbereichen in Deutschland um 1900. Ein solches paradoxes Verh%ltnis kennzeichnet auch Georges Buch der Sagen und S#nge aus dem Jahre 1895. Denn Georges intendierte Erneuerung der deutschen Dichtung und Kultur setzte bei der Tradition an, war als „Wiedergeburt“ vergangener Bl#tezeiten konzipiert. Sein Medi%valismus ist eine Auseinandersetzung mit den ,Bildungswelten‘, dem Erbe und Traditionsbestand der deutschen Literatur, eine ,Variation #ber deutsche Themen‘, wie es der programmatische Titel Variations sur Th(mes germaniques des entstehungsgeschichtlich fr#hesten Gedichts mit Mittelalter-Bezug nahelegt. Es ging um eine Sichtung des eigenen Kulturerbes, das nicht nur Antike und Mittalter, sondern auch Klassik und Romantik als die beiden Epochen der deutschen Literaturgeschichte umfasste, in denen das Erbe von Antike und Mittelalter bereits zuvor ,wiedergeboren‘ und angeeignet worden war. Der im Brief an Saint-Paul 1891 formulierte Ekel gegen#ber dem Wilhelminischen Deutschland mit seinem nationalistischen Pomp und seiner platten Repr%sentationskunst – dieser Ekel vor dem zeitgençssischen Deutschland also bedingte bei George eine Auseinandersetzung mit dem deutschen Erbe ,gegen den Strich‘. Wie die Analysen gezeigt haben, kommt dies zum einen in ironischen oder parodistischen Untertçnen und zum anderen in einer !sthetik der Leerstellen zum Ausdruck, welche die tats%chliche Visualisierung dem Rezipienten #berl%sst. In den Sagen und S#ngen ist der Medi%valismus das Resultat eines Versuchs, tote Formen mit Leben zu f#llen; er ist als Poesie inszeniert, die buchst%blich aus dem Grabe aufersteht. Auf metapoetischer Ebene wird dieses Vorgehen im Zyklus Sagen selbst reflektiert, im Schlussgedicht Das Bild. Die Bewertung dieses Vorgehens f%llt gemischt aus: Bilder von Abwesenheit, Distanz, Verschwinden und K%lte zeigen letztlich eine un#berwindliche Distanz des modernen Dichters zur Tradition der mittelalterlichen Dichtung an. W%hrend die Romantik das Mittelalter noch voll ergriff und als goldenes Zeitalter idealisierte, ist dies dem modernen Dichter George nicht mehr ungebrochen mçglich. Zweifel an der Mçglichkeit einer Wiederbelebung und Mehrdeutigkeiten mit ironischem Potential pr%gen daher Georges Medi%valismus in den Sagen und S#ngen.

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Erst in der Sprache der mittelalterlichen Mystik, so konnte gezeigt werden, erçffneten sich im Siebenten Ring und im Stern des Bundes Mçglichkeiten zu einem anders akzentuierten Medi%valismus. Die Bildsprache der Mystiker und die rhetorischen Strategien zur )berwindung der Unsagbarkeitsproblematik erwiesen sich als anschlussf%hig f#r Georges moderne !sthetik. 5.4.2 Identit%tsstiftung, Vorbild- und Richtlinienfunktion Neben den genuin %sthetischen Funktionen erf#llt Georges Medi%valimus eine sinn- und identit%tsstiftende Aufgabe. Er fungiert als Reflexionsmedium sowohl individueller als auch kollektiver Identit%ten. Schon in den Sagen und S#ngen sind die Bildungswelten zugleich Wertewelten, denn im Konzept der ,ritterlichen Haltung‘ sind Leitbilder und Ideale von Dienst, Selbstbezwingung, Durchhaltewillen und Opferbereitschaft impliziert, die sinnbildlich auf die Haltung des K#nstlers #bertragbar sind. Die RitterImago blieb f#r George zeitlebens relevant, wie anhand eines Gedichts aus seinem Nachlass sichtbar wurde. Daneben werden im Medi%valismus auch Ideale von Liebe und Freundschaft sowie unterschiedliche Lebensmodelle verhandelt, sei es in der Spannung zwischen erotischer und spiritueller Liebe, zwischen vita activa und vita contemplativa oder in der Gegen#berstellung von Frauendienst und M%nnerfreundschaft, in die zudem der p%dagogische Eros zwischen !lterem und J#ngerem hineinspielt. Solche Bilder einer unter Umgehung eindeutiger Geschlechtszuweisung in eine ideale Vergangenheit projizierten Zweisamkeit erçffnen eine Gegenwelt geschlechtlicher Ambivalenz, die auch homoerotische Deutungspotentiale birgt. Der Medi%valismus, so wurde deutlich, erçffnet als Flucht- und Seelenraum eine Dimension der tr%umerischen Vagheit. Zudem ermçglicht er eine – zumindest fiktive – Reintegration religiçser Einstellungen, die in der Moderne fragw#rdig und problematisch scheinen, im Mittelalter als einer imaginierten Zeit des Glaubens aber ihren nat#rlichen Platz finden. Die Vermittlung von Religion im Medium des Kunstwerks, h%ufig des Marienbildes oder der Marienskulptur, betont letztlich jedoch den Rang der Kunst selbst als hçchsten Ideals und Leitbildes innerhalb des Medi%valismus. In diesem Sinne dienen auch die aufgezeigten historischen Genealogien in erster Linie der poetischen Selbstnobilitierung und der Bekr%ftigung der eigenen Geisteshçhe. Es hat sich gezeigt, dass der Medi%valismus seit dem Teppich des Lebens (1900) eine noch direktere Orientierungs- und Vorbildfunktion annimmt. Die Perspektive erweitert sich, der Medi%valismus wird in ein Modell von

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5 Ergebnisse

Kulturoppositionen zwischen Nord und S#d, Antike und Mittelalter transformiert. Die Erinnerung an mittelalterliche Kunstwerke, K#nstler und Kaiser dient der Errichtung von Vorbildern, die in zeitkritischer Absicht gegen die eigene Gegenwart in Stellung gebracht werden. Georges Medi%valismus pr%sentiert sich zugleich als %sthetische Opposition zur Geschichtspolitik des Wilhelminismus und dessen Umgang mit dem Erbe des Mittelalters. Georges medi%valisierende Dichtungen pl%dieren f#r religiçse Ehrfurcht anstelle von wissenschaftlicher Erforschung, f#r das feine Postkartenformat anstelle von megalomanen Monumentaldenkm%lern. Zugleich fungiert der Medi%valismus in Georges Werk auch als Ausdruck einer spezifisch rheinischen Identit%t. Er ist gewissermaßen ein lokales Ph%nomen, das im Rheinland ansetzt. Der Bezug auf die Burgenromantik, die Rheinromantik und die rheinische Sagenwelt erwiesen sich als pr%gend f#r die Sagen und S#nge sowie das Drama Die Herrin betet. Georges sp%tere Medi%valismen bleiben ebenfalls rheinisch orientiert, sowohl in der Auswahl der Sujets, als auch in ihrer katholischen Pr%gung und in ihrer Skepsis gegen#ber dem Preußentum. In entnationalisierender Variation der Vorpr%gung des Rheins als deutschem Strom wird das Rheinland zum Identit%tsraum stilisiert, zu einer Geschichtslandschaft, einem Ensemble aus Landschaft und Kultur, das sowohl das rçmische als auch das mittelalterliche Erbe Deutschlands repr%sentiert. In der Parallelisierung von Rhein-Strom und dichterischer Stimme gelingt in Georges Medi%valismus eine Engf#hrung von geographischer, politischer, mythischer und poetologischer Dimension, wie beispielsweise die Interpretationen der Tafeln Rhein: I – VI und Burg Falkenstein zeigen konnten. Der Rhein wird zum metaphorischen Verbindungsfluss sowohl in r%umlicher als auch in zeitlicher Hinsicht – zwischen S#den und Norden, Italien und Deutschland, aber eben auch zwischen Antike, Mittelalter und Gegenwart. Die Konstruktion einer rheinischen Zwischenidentit%t, die in der Allusion auf das lotharingische Reich evoziert wird, ist ein Pl%doyer gegen den preußischen Nationalismus. Der Medi%valismus ermçglicht also nicht zuletzt eine Transgression des engen Nationalverst%ndnisses im nationalen Stoff selbst. Die katholisch-kunstreligiçse Ausrichtung des Medi%valismus und die poetische Vision eines rçmischen Deutschlands bilden eine Gegenposition zu germanozentrischen Identit%tsbestimmungen der Nation.

5.4 Funktionen des Medi%valismus

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5.4.3 Soziale Funktionen In Georges Medi%valismus ist eine soziale Funktion angelegt, die in der Aktualisierung durch den George-Kreis ihre Wirkung entfaltete. Die Erstellung eines Kanons, der vorbildhafte Figuren und Kunstwerke umfasst, diente zusammen mit gemeinsamen Verehrungspraktiken und Reisen der Stabilisierung einer spezifischen Gruppenidentit%t des Geheimen Deutschlands. Georges Dichtung enth%lt Spuren, die ins Soziale deuten. So legen etwa die poetischen Bilder mittelalterlicher Gemeinschaftsformen wie Ritterorden und Kloster ein Identifikationspotential f#r den Kreis nahe, ohne doch ganz darin aufzugehen. Die Beziehungsdimension des Medi%valismus wurde insbesondere in den Gedichten Die Gr#ber in Speier und Burg Falkenstein evident, die das Erinnern und die Sinnstiftung aus der Vergangenheit als gemeinschaftliche Praxis inszenieren. In Das Neue Reich h%lt das Mittelalter Zeichen bereit, zu deren Deutung eingeladen wird. Im Wandel der Sprechhaltung deutet sich seit dem Teppich des Lebens eine Ausdifferenzierung des Adressatenkreises an – mit dem ,Ihr‘ werden einmal die Zeitgenossen, ein andermal die Gemeinschaft der Gleichgesinnten angesprochen, wodurch eine private Gruppenidentit%t in Abgrenzung von der çffentlichen Vielheit etabliert wird. Sowohl in der h%ufig auftretenden Du-Anrede als auch im antonomastischen Sprechen, das die explizite Benennung des Gemeinten vermeidet, liegt zudem ein elit%rer Gestus, da das suggerierte R%tsel nur f#r denjenigen zu lçsen ist, der #ber das entsprechende arkane Wissen verf#gt. Das antonomastische Sprechen sch#tzt also einerseits davor, dass die Implikationen des Medi%valismus von allen verstanden werden kçnnen und vermittelt andererseits den Verst%ndigen die Gewissheit, sich als Mitglieder eines exklusiven Clubs von Eingeweihten f#hlen zu d#rfen. Georges Medi%valismus enthielt nicht zuletzt eine prophetische Aufgabe f#r Nachfolgegenerationen, die auf das Mittelalter verpflichtet wurden. Seine Dichtung strahlt auf die Schriften seiner Kreismitglieder ab und wird darin gebrochen. Sie enth%lt eine Latenz, die in den Werken seiner Sch#ler in verschiedene Richtungen weitergedacht wird. Die festgestellte Tendenz zu st%rkerer Konkretisierung von historischen und politischen Bezugnahmen, die sich in Georges Dichtung ab 1900 abzeichnete, verst%rkt sich in den von George inspirierten Kreisschriften #ber mittelalterliche Gegenstandsbereiche und den Gestaltmonographien #ber mittelalterliche Kaiser und Ordensstifter. In den Schriften des Historikers Friedrich Wolters h%lt der Medi%valismus Einzug in die weltanschauliche Literatur. In den 1920er Jahren vollzog sich eine zunehmende Politisierung

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des Medi%valismus, die sich sowohl in Ernst Kantorowicz’ Kritik an der „unkaiserlichen Zeit“ als auch in Wolters’ nationalistischen Reden #ber den Rhein (Vier Reden "ber das Vaterland, 1927), seiner Anthologie Die Heldensagen der germanischen Fr"hzeit (1921) und seinem Schulbuchprojekt #ber die deutsche Geschichte manifestierte.2 Die Ambivalenz, welche den Medi%valismus in Georges Dichtung pr%gt, wird dadurch negiert und zugunsten außerliterarischer Zwecke aufgegeben.

5.5 Jahrhundertwenden und Epochenschwellen Abschließend stellt sich die Frage, welche Relevanz Georges Tr%ume vom Mittelalter heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch haben. Im Zeitalter des ,Postheroismus‘,3 der ,Postmoderne‘ oder gar der ,Post-Postmoderne‘4 erscheinen Georges Medi%valismen als Dokumente eines l%ngst vergangenen Zeitgeistes, der von den Entwicklungen des 20. Jahrhunderts weit #berholt wurde. Georges Medi%valismus bewegt sich in Vorstellungen von Kontinuit%t, Hoffnung auf Wiederkehr und religiçser Ehrfurcht vor den großen Individuen der Geschichte, kurzum in Vorstellungen, die durch den Umgang der Nationalsozialisten mit dem mittelalterlichen Erbe pervertiert und desavouiert wurden. Sind Georges Tr%ume vom Mittelalter deshalb heute nur noch von historischem Interesse? Frank Schirrmacher schrieb 1996: „Die Vergangenheit, die einmal Gegenwart war, hat ihre Zukunft, die wir geworden sind, bis in die letzten 2

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Wolters, Friedrich u. Carl Petersen (Hrsg.): Die Heldensagen der germanischen Fr"hzeit. Breslau: Hirt 1921; Wolters, Friedrich: Sicht in Vorzeit und Mittelalter. Breslau: Hirt 1926; Wolters, Friedrich: Vier Reden "ber das Vaterland. Breslau: Hirt 1927. Den Begriff ,Postheroismus‘ hat Herfried M#nkler gepr%gt. Die deutsche Gesellschaft sieht er als ,postheroische Gesellschaft‘, die nach den Gewalterfahrungen des Zweiten Weltkriegs von ihren ehemals heroischen Vorstellungen Abschied genommen hat (M#nkler, Herfried: Heroische und postheroische Gesellschaften. In: Merkur 61 (2007) H. 700. S. 742 – 752). Die Bezeichnung ,Post-Postmoderne‘ ist eines von mehreren begrifflichen Etiketten, die aktuell f#r die ,Literatur nach der Postmoderne‘ diskutiert werden; dabei wird laut Albert Meier der )bergang von der Postmoderne zur Postpostmoderne in der deutschen Literatur etwa um das Jahr 1998 angesetzt, in dem Hans-Peter M#ller im Merkur erstmals das „stille Ende der Postmoderne“ konstatierte (Meier, Albert: Postmoderne: Philosophie – Literatur. Unter Mitarbeit von Zara Zerbe und Aljoscha Leptin. Kiel: Christian-Albrechts-Universit%t Institut f#r Neuere Deutsche Literatur und Medien 2017. S. 130).

5.5 Jahrhundertwenden und Epochenschwellen

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Winkel erfasst und ausgebeutet.“5 Dichter wie George h%tten das ganze 20. Jahrhundert vorausgeahnt. Schirrmacher sah das Moderne, das Geistesverwandte am apokalypischen Denker George. Tats%chlich erlebt Georges Dichtung gerade jetzt, an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert eine erstaunliche Renaissance. George scheint in der literarischen und kulturellen .ffentlichkeit wieder verst%rkt wahrgenommen zu werden. J#ngere Dichter wie Lutz Seiler und Norbert Hummelt beziehen sich auf ihn. F#r Zafer S¸enocak, einen deutschen Schriftsteller t#rkischer Herkunft, ist gar das ,Geheime Deutschland‘ immer noch Synonym f#r ein typisch deutsches Kulturverst%ndnis.6 Gerade Georges Medi%valismus zeigt eine romantisch-konservative Seite seiner Lyrik, die zum ,neuen Konservativismus‘ unserer Gegenwart zu passen scheint. Georges Medi%valismus entspann sich in einer historischen Schwellensituation, am )bergang vom historistischen 19. Jahrhundert zur Moderne im engeren Sinne. Die besondere Qualit%t seiner poetischen Medi%valismen liegt in ihrer selbstreflexiven Dimension. Denn George verf#gte #ber ein Wissen um den modischen Mittelalterkult seiner Zeit und wusste um die stets lauernde Gefahr des Klischees. In seinen Gedichten finden sich Andeutungen, dass das Konzept von Kontinuit%t, personaler )berlieferung und ,Bildungswelten‘ der Tradition br#chig ist: das Abstreiten eines geschichtlichen Gehalts, die radikale Vergegenw%rtigung und Subjektivierung, das Aufbrechen chronologischer Zeitlichkeit in Diskontinuit%t und Augenblickshaftigkeit, nicht zuletzt die Fokussierung auf Details und Einzelheiten, die den Verzicht auf Ganzheit und Vollst%ndigkeit impliziert. Georges Medi%valismus erscheint als r#ckprojiziertes Epochengef#hl, das gleichzeitig metapoetisch reflektiert ist. Wenn man das ,Postmoderne‘ als Vielstimmigkeit und Palimpsesthaftigkeit begreift, dann erscheint Georges Medi%valismus als historische Vorstufe – seine gegen die Eindeutigkeit aufgestellte Bilder- und Stimmenvielfalt transportiert letztlich den Medi%valismus des 19. Jahrhunderts ins 20. Jahrhundert. Georges Dichtung beharrt, gerade auch dort, wo sie im Medi%valismus auf den ersten Blick historische Bez#ge herzustellen scheint, auf dem Primat der Form. Damit r#ckt nicht das Gesagte, sondern das Sagen, nicht das Besprochene, sondern das Sprechen selbst in den Mittelpunkt. Diese Form eines konservativen, jedenfalls weltabgewandten, ,mçnchischen‘ 5 6

Schirrmacher, Frank: Die Stunde der Welt. F#nf Dichter – ein Jahrhundert. George, Hoffmansthal, Rilke, Trakl, Benn. M#nchen: Blessing 2017. S. 17. S¸enocak, Zafer: Deutschsein. Eine Aufkl%rungsschrift. Hamburg: ed. KçrberStiftung 2011. S. 48.

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5 Ergebnisse

Sprechens konnte zu einem wichtigen Bezugspunkt f#r eine j#ngere, experimentelle und formbewusste Literatur nach 1945 werden. Dagegen wurde die Aufmerksamkeit f#r %sthetische Autonomie unter den gesellschaftspolitischen Bedingungen des 20. Jahrhunderts ideologieverd%chtig. Die Abstinenz gegen#ber solcher Funktionalisierung, die formale Verweigerung der Indienstnahme ist eine wesentliche und bis heute aktuelle Qualit%t der Dichtung Georges: ihre Zeitlosigkeit, ihre Verweigerung des Historischen. Das Bild des Mçnchs ist hier die Chiffre f#r ein autonomes Sprechen gegen den Geist der Zeit.

6 Anhang 6.1 Vergleichstexte zu Sporenwache Der schwere Traum. Ich hab’ die Nacht getr%umet wohl einen schçnen Traum, Es wuchs in meinem Garten Ein Rosmarienbaum. Ein Kirchhof war der Garten, ein Blumenbeet das Grab, und von dem gr#nen Baume fiel Korn und Bl#te ab. Die Bl#ten t%t ich sammeln in einen goldenen Krug. Der fiel mir aus den H%nden, daß er in St#cken schlug. Draus sah ich Perlen rinnen und Trçpflein rosenrot. Was mag der Traum bedeuten, ach, Liebster, bist du tot? Zitiert nach: Auswahl deutscher Dichtungen aus dem Mittelalter. Nach den besten )bersetzungen und Bearbeitungen zusammengestellt f#r Schulen von C. Gude. 7. Aufl. Leipzig: Brandstetter 1913, S. 244. Rosmarien. M!ndlich. Es wollt die Jungfrau fr#h aufstehn, Wollt in des Vaters Garten gehen, Roth Rçslein wollt sie brechen ab, Davon wollt sie sich machen, Ein Kr%nzelein wohl schçn. Es sollt ihr Hochzeitskr%nzlein seyn: „Dem feinen Knab, dem Knaben mein, Ihr Rçslein roth, ich brech euch ab, Davon will ich mir winden, Ein Kr%nzelein so schçn.“ Sie gieng im Gr#nen her und hin, Statt Rçslein fand sie Rosmarien: „So bist du, mein Getreuer hin!

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6 Anhang

Kein Rçslein ist zu finden, Kein Kr%nzelein so schçn.“ Sie gieng im Garten her und hin, Statt Rçslein brach sie Rosmarien: „Das nimm du, mein Getreuer, hin! Lieg bei dir unter Linden, Mein Todtenkr%nzlein schçn.“ Zitiert nach: Arnim, Achim von u. Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder. Hrsg. von Heinz Rçlleke. Kritische Ausg. Stuttgart: Philipp Reclam 2006. Band 1. S. 228.

6.2 Abdruckgenehmigungen Zwischenergebnisse dieser Arbeit sind in folgende Beitr%ge eingeflossen: Schloon, Jutta: „Des weiten Innenreiches mitte“. Mittelalter-Imaginationen in der Dichtung Stefan Georges. In: Rezeptionskulturen. F#nfhundert Jahre literarischer Mittelalterrezeption zwischen Kanon und Popul%rkultur. Hrsg. von Mathias Herweg u. Stefan Keppler-Tasaki. Berlin, Boston: de Gruyter 2012. S. 289 – 307. Schloon, Jutta: Mittelalter-Rezeption. In: Stefan George und sein Kreis. Ein Handbuch. Redaktion: Birgit W%genbaur. Hrsg. von Achim Aurnhammer, Wolfgang Braungart u. a. Berlin, Boston: de Gruyter 2012. S. 672 – 682. Schloon, Jutta: Das Buch der Sagen und S#nge. In: Stefan George – Werkkommentar. Hrsg. von J#rgen Egyptien. Berlin, Boston: de Gruyter 2017. S. 124 – 139. Schloon, Jutta: Interpretationen von Im ungl"cklichen tone dessen von… (SW III, 49) und Das lied des zwergen (SW III, 64 – 65). In: Stefan George – Werkkommentar. Hrsg. von J#rgen Egyptien. Berlin, Boston: de Gruyter 2017. S. 139 – 148. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags Walter de Gruyter habe ich Passagen dieser Beitr%ge in #berarbeiteter Form in vorliegende Studie #bernommen. Dies ist jeweils durch Fußnoten nachgewiesen.

6.3 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Einband der Anthologie Deutschlands Helden in der deutschen Dichtung, herausgegeben von Franz Br#mmer (Stuttgart: Greiner & Pfeiffer, ca. 1891). Abb. 2: Tuschezeichnung von Auguste Donnay: „St. Georg“ Drachentçter, Signatur STGA: Kunst-0087. Abb. 3: Miniatur Frauenlob, Codex Manesse; Universit%tsbibliothek Heidelberg, Codex Manesse, 399r, – CC-BY-SA 3.0. Abb. 4: Miniatur Heinrichs von Veldeke, Codex Manesse; Universit%tsbibliothek Heidelberg, Codex Manesse, 30r, – CC-BY-SA 3.0.

6.3 Abbildungsverzeichnis

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Abb. 5: Werkhandschrift Stefan Georges: „Sagen und S%nge“, Umschlagvorderseite, Signatur STGA: George I, 0309. Abb. 6: Werkhandschrift Stefan Georges: „Die Herrin betet“, Signatur STGA: George I, 1802. Abb. 7: .ffnung der Kaisergr%ber im Dom zu Speyer vom 16. August bis zum 1. September 1900, hier: kurz vor dem Requiem zur Wiederbeisetzung am 3. September 1900, Fotograf Jakob Schrçck (1861 – 1942), Scan und Retusche: Peter Haag-Kirchner, Inventarnr. Glasplattennegativ GPN_07111, Historisches Museum der Pfalz – Speyer. Der Stefan George Stiftung danke ich f#r die großz#gige Publikationsgenehmigung f#r die Abbildungen aus Archivalien des Stefan George Archivs, Stuttgart (Abb. 2, 5 und 6). Dem Historischen Museum der Pfalz, Speyer, danke ich f#r die Abdruckgenehmigung f#r Abb. 7.

7 Literaturverzeichnis 7.1 Prim%rliteratur 7.1.1 Werke von Stefan George George, Stefan: Die Fibel. Auswahl erster Werke. Stuttgart: Klett-Cotta 2003 (=S%mtliche Werke Bd. 1). George, Stefan: Hymnen, Pilgerfahrten, Algabal. Stuttgart: Klett-Cotta 1987 (=S%mtliche Werke Bd. 2). George, Stefan: Die B"cher der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und S#nge und der h#ngenden G#rten. Stuttgart: Klett-Cotta 1991 (=S%mtliche Werke Bd. 3). George, Stefan: Sagen und S#nge. Faksimile der Handschrift. Hrsg. von Hubert Arbogast u. Ute Oelmann. Stuttgart: Klett-Cotta 1996. George, Stefan: Das Jahr der Seele. Stuttgart: Klett-Cotta 1982 (=S%mtliche Werke Bd. 4). George, Stefan: Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod mit einem Vorspiel. Stuttgart: Klett-Cotta 1984 (=S%mtliche Werke Bd. 5). George, Stefan: Der Siebente Ring. Stuttgart: Klett-Cotta 1986 (=S%mtliche Werke Bd. 6/7). George, Stefan: Der Stern des Bundes. Stuttgart: Klett-Cotta 1993 (=S%mtliche Werke Bd. 8). George, Stefan: Das Neue Reich. Stuttgart: Klett-Cotta 2001 (=S%mtliche Werke Bd. 9). George, Stefan: Dante. Die Gçttliche Komçdie. )bertragungen. Stuttgart: KlettCotta 1988 (=S%mtliche Werke Bd. 10/11). George, Stefan: Tage und Taten. Aufzeichnungen und Skizzen. Stuttgart: KlettCotta 1998 (=S%mtliche Werke Bd. 17). George, Stefan: Schlussband. Stuttgart: Klett-Cotta 2013 (=S%mtliche Werke Bd. 18). George, Stefan u. Karl Wolfskehl: Jean Paul. [Nachdr. der Ausg. Berlin, von Holten, 1900]. Stuttgart: Klett-Cotta 1989 (=Deutsche Dichtung Bd. 1). George, Stefan u. Karl Wolfskehl: Goethe. [Nachdr. der Ausg. Berlin, von Holten, 1901]. Stuttgart: Klett-Cotta 1991 (=Deutsche Dichtung Bd. 2). George, Stefan u. Karl Wolfskehl: Das Jahrhundert Goethes. [Nachdr. der Ausg. Berlin, von Holten, 1902]. Stuttgart: Klett-Cotta 1995 (=Deutsche Dichtung Bd. 3).

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7 Literaturverzeichnis

7.1.2 Bl#tter f"r die Kunst Bl#tter f"r die Kunst I/1 (1892) Bl#tter f"r die Kunst I/2 (Dezember 1892) Bl#tter f"r die Kunst I/4 (Mai 1893) Bl#tter f"r die Kunst II/2 (M%rz 1894) Bl#tter f"r die Kunst II/3 (August 1894) Bl#tter f"r die Kunst II/4 (Oktober 1894) Bl#tter f"r die Kunst III/1 (Januar 1896) Bl#tter f"r die Kunst III/2 (M%rz 1896) Bl#tter f"r die Kunst III/4 (1896) Bl#tter f"r die Kunst IV/5 (1899) Bl#tter f"r die Kunst IX/1 – 5 (1910) Bl#tter f"r die Kunst XI und XII/1 – 10 (1919)

7.1.3 Briefwechsel George, Stefan/Friedrich Gundolf: Briefwechsel. Hrsg. von Robert Boehringer. M#nchen: K#pper 1962. George, Stefan/Ida Coblenz: Briefwechsel. Hrsg. von Georg-Peter Landmann u. Elisabeth Hçpker-Herberg. Stuttgart: Klett-Cotta 1983. Gundolf, Friedrich: Briefe. Neue Folge. hrsg. von Lothar Helbing und Claus Victor Bock. Amsterdam: Castrum Peregrini 1965. Petzet, Erich (Hrsg.): Der Briefwechsel von Emanuel Geibel und Paul Heyse. M#nchen 1922. W%genbaur, Birgit u. Ute Oelmann (Hrsg.): Von Menschen und M#chten. Stefan George – Karl und Hanna Wolfskehl. Der Briefwechsel 1892 – 1933. M#nchen: C.H.Beck 2015.

7.1.4 Sonstige Prim%rliteratur Auswahl deutscher Dichtungen aus dem Mittelalter. Nach den besten )bersetzungen und Bearbeitungen zusammengestellt f#r Schulen von C. Gude. 2., verb. und verm. Aufl. Leipzig: Brandstetter 1879. Auswahl deutscher Dichtungen aus dem Mittelalter. Nach den besten )bersetzungen und Bearbeitungen zusammengestellt f#r Schulen von C. Gude. 7. Aufl. Leipzig: Brandstetter 1913. Arnim, Achim von u. Clemens Brentano: Des Knaben Wunderhorn. Alte deutsche Lieder. Hrsg. von Heinz Rçlleke. Kritische Ausg. Stuttgart: Philipp Reclam 2006. Baumbach, Rudolf: Neue Lieder eines fahrenden Gesellen. Leipzig: A. G. Liebeskind 1880. Bechstein, Ludwig: Deutsches Sagenbuch. Leipzig: Georg Wigand 1853.

7.1 Prim%rliteratur

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Br#mmer, Franz (Hrsg.): Deutschlands Helden in der deutschen Dichtung. Eine Sammlung historischer Gedichte und ein Balladenschatz f#r Schule und Haus. Stuttgart: Greiner & Pfeiffer [o. J., ca. 1891]. B#ckmann, L.: Zwergkçnig Laurin. Ein Spielmannsgedicht aus dem Anfange des 13. Jahrhunderts. Aus dem Mittelhochdeutschen #bers. v. L. B#ckmann und H. Hesse. Leipzig: [Reclam] o. J. Carmina Burana. Lieder der Vaganten. Lateinisch und Deutsch. Eine Auswahl. Hrsg. von Reinhard D#chting u. Ludwig Laistner. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2004. Dante Alighieri: Die Gçttliche Komçdie. Aus dem Italienischen, mit einer Einleitung und Anmerkungen von Karl Vossler. M#nchen: Piper 2006. Deutsche Gedichte von den Anf#ngen bis zur Gegenwart. Hrsg. von Benno von Wiese. D#sseldorf: August Bagel 1963. Deutscher Minnesang. Lieder aus dem 12. bis 14. Jahrhundert. #bertr. v. Bruno Obermann. Leipzig: Reclam 1876. Derleth, Ludwig: Das Werk. Hrsg. von Dominik Jost. Bellnhausen #ber Gladenbach: Hinder & Deelmann 1971 – 1972. Eichendorff, Joseph von: S#mtliche Gedichte. Versepen. Hrsg. von Hartwig Schultz. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 2006. Meister Eckhart. 1. (Einzige) Abteilung. Predigten, Traktate. Herausgegeben von Franz Pfeiffer. Leipzig 1857. Meister Eckharts Schriften in unsere Sprache #bertragen von Gustav Landauer. Berlin 1903. Meister Eckehart. Schriften und Predigten. )bertr. und eingel. von H. B#ttner. Jena 1903. Gautier, Th-ophile: Premi(res Po+sies. 1830 – 1845. Paris: Charpentier 1873. G-rardy, Paul: Les chansons na-ves. Br#ssel: Presses de Flor-al 1892. G-rardy, Paul: Roseaux. Les chansons na0ves, Les croix, Les ballades na0ves, Les chansons du prince Lirelaire, A tous ceux de la ronde. Paris 1898. Goethe, Johann Wolfgang von: Von deutscher Baukunst. D. M. Ervini a Steinbach. 1773. In: Ders.: S#mtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. M#nchner Ausgabe. Hrsg. von Gerhard Sauder, Karl Richter u. Herbert G. Gçpfert. M#nchen: Hanser 1987. S. 415 – 423. Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Texte. Hrsg. von Albrecht Schçne. Frankfurt am Main: Deutscher Klassiker Verlag 1999. Grimm, Jacob u. Wilhelm: Kinder- und Hausm#rchen. Frankfurt am Main: Fischer 2008. Heine, Heinrich: S#mtliche Werke. Neue Ausgabe in 12 B%nden. Hamburg: Hoffmann und Campe 1884. Kantorowicz, Ernst H.: Kaiser Friedrich der Zweite. Berlin: Bondi 1927. Kantorowicz, Ernst H.: Kaiser Friedrich der Zweite. 7., ver%nd. Aufl. Stuttgart: Klett-Cotta 1994. Kommersbuch. Studentenliederbuch. Lieder fahrender Sch#ler. 3. Aufl. Leipzig: Reclam 1897. Kronberger, Maximilian: Gedichte, Tageb"cher, Briefe. Hrsg. von Georg Peter Landmann. Stuttgart: Klett-Cotta 1987.

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8 8.1

Register

Werk- und Gedichttitel Stefan Georges

Altert#mliche Gesichte 124 [Aus dem Nachlass] – Das im innersten lieb 321, 324 Das Jahr der Seele 31, 51, 186 – Entf"hrung 32 – Komm in den totgesagten park und schau 308 – Nachtwachen 32, 51 – R"ckkehr 32 – Spr"che f"r die Geladenen in T… 32 Das Neue Reich 28, 229, 257 f., 264, 300–303, 305 f., 308, 315, 317, 320–324, 333, 339 – Burg Falkenstein 189, 303–306, 308–310, 313–315, 317–321, 324, 328, 338 f. – Das Wort 264 – Der Dichter in Zeiten der Wirren 258, 302, 306 – Der Krieg 229, 258, 308, 314, 323 – Geheimes Deutschland 270, 280, 303, 317, 319 f., 324 – Goethes lezte Nacht in Italien 324 – Horch was die dumpfe erde spricht 308 – Victor * Adalbert 322 Der Siebente Ring 7 f., 28, 114, 180, 186, 194, 197, 209–212, 216, 220 f., 223, 234, 236, 254, 256– 258, 260, 265–267, 269, 271, 280–282, 288, 290, 295, 299, 316, 319, 324, 333, 337 – Aachen: Grabçffner 241–243, 254 – An Derleth 267 – Bamberg 243 f., 246 f. – Bild: einer der drei Kçnige 250

– Dante und das Zeitgedicht 213, 215, 217, 220–222, 231 – Das Zeitgedicht 194, 212, 217, 220, 222, 232, 234 – Der Widerchrist 260 – Die Gr#ber in Speier 224 f., 230, 233 f., 240–242, 248, 316, 334, 339 – Die H"ter des Vorhofs 260 – Die tote Stadt 221 – Einverleibung 282–285, 290–292, 298, 334 – Empf#ngnis 290 – Entr"ckung 273, 286, 298, 313 – Franken 211, 234 f., 243 – Goethe-Tag 221 – Heisterbach: Der Mçnch 251, 254 – Hexenreihen 260 – Hildesheim 242 f., 253 f. – Kairos 254 – Kolmar: Gr"newald 250, 253 – Kçlnische Madonna 236, 249 f., 252 – Quedlinburg 251 f. – Rhein: I-VI 81, 237–239, 241, 243, 254, 311, 319, 338 – Sonnwendzug 260 – Templer 259–261, 263–266, 269, 271, 334 – Trausnitz: Konradins Heimat 200, 247, 249 – Worms 236, 249, 254 Der Stern des Bundes 28, 186, 196, 209, 230, 234, 257, 265–267, 271, 273, 281, 288–291, 293, 295, 298–300, 308, 333, 337 – Aus einer ewe pfeilgeradem willen 298 – Breit’ in der stille den geist 290

374

8 Register

– Der du uns aus der qual der zweiheit lçstest 291 – Der strom geht hoch . . da folgt dies wilde herz 293 – Die tiefste wurzel ruht in ewiger nacht . . 296 – Du hast des adlers blick der froh zur sonne 267, 269 – Ergeben steh ich vor des r#tsels macht 289, 291 – Hier schliesst das tor: schickt unbereite fort 266 – Ich bin der Eine und ich bin Beide 292 – Nennt es den blitz der traf den wink der lenkte 297 – Nun wachs ich mit dir r"ckw#rts in die jahre 291, 295 – So weit erçffne sich geheime kunde 266 – 'ber Wunder sann ich nach 296 – Vor-abend war es unsrer bergesfeier 308 – Was ist geschehn dass ich mich kaum noch kenne 289 – Wem Du dein licht gabst bis hinauf zu dir 296 Der Teppich des Lebens 7, 28, 32, 59, 87, 110, 179, 181, 186–192, 197, 204, 207–210, 214, 223, 241, 250, 256, 270, 281, 328, 337, 339 – Das Kloster 9, 197, 200, 203, 208 – Der Freund der Fluren 191 – Der Teppich 191, 195, 293 – Die Fremde 190 – Gewitter 32, 191 – Herzensdame 192–197, 203, 205, 208, 232, 243, 293 – Ich forschte bleichen eifers nach dem horte 52 – Nachtwache 47 – Rom-Fahrer 197 f., 200, 208, 248 – R"ckkehr 189 – Standbilder · das sechste 110 – Standbilder: die beiden ersten 205 – Urlandschaft 191 – Wahrzeichen 197, 201, 203 f., 208, 241, 252

Die B#cher der Hirten- und Preisgedichte, der Sagen und S%nge und der h%ngenden G%rten 30–32, 40, 44, 46, 66 f., 73, 87, 108, 113, 117, 119, 123, 154, 170, 180, 183, 333 Die Herrin betet 28, 33, 87, 135, 137, 168, 170–172, 174–177, 269, 336, 338 Fibel – Erkenntnis 81 Hymnen, Pilgerfahrten, Algabal 30 f. – Die Spange 149 – Ein Angelico 87 – Ich wandelte auf çden d"stren bahnen 52 – Im Park 60 – Verj#hrte Fahrten 30 Lobrede auf Mallarm+ 196 Sagen und S%nge 5–8, 26–28, 30–33, 42 f., 47, 49, 51, 53, 63, 66 f., 71 f., 77, 79, 86 f., 95, 99, 104, 106 f., 110, 112–114, 118–127, 129 f., 133–136, 138, 141–143, 145 f., 151 f., 154 f., 157, 162 f., 165, 167–169, 175, 177, 179 f., 186, 190 f., 193 f., 197, 208, 214, 218, 246, 254, 261, 271, 298, 322, 334, 336–338 – Aus den knospen quellen sachte 138, 151 f. – Das Bild 71, 104, 106 f., 109, 111 f., 175, 193, 271, 298, 336 – Das lied des zwergen 72, 149, 152, 161–164, 175 – Dass ich deine unschuld r"hre 138 f., 146, 160 – Der Einsiedel 9, 71, 95, 102, 106, 246 – Der Waffengef#hrte 61, 95, 100– 104, 175, 322 – Die Tat 66, 68 f., 71, 73–75, 77, 81, 95, 175, 194 – Dieses ist ein rechter morgen 138, 146, 152, 161 – Ein edelkind sah vom balkon 63, 114, 128, 138 f., 146–148, 150, 152, 155, 160, 175

8 Register

– Erwachen der braut 129, 139, 144– 146, 152 – Frauenlob 61, 77–80, 82, 92, 97, 101, 141, 166, 174 f., 178, 193, 214, 263 – Heisst es viel dich bitten 140, 159 f. – Im ungl"cklichen Tone dessen von… 83 f., 89, 91, 93 f., 96, 99 f., 103, 194, 334 – Irrende Schar 95 f., 98–100, 103 f., 167, 175, 218, 261, 263, 323, 327, 334 – Ist es neu dir was vermocht 148

8.2

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– Lilie der auen 129, 138, 144–146, 152, 161 – Sieh mein kind ich gehe 138, 141– 143, 152, 160 f. – Sporenwache 47–54, 56, 58–66, 69, 71, 80, 99, 112, 174 f., 327 – Tagelied 83–87, 89, 109, 169, 175, 329 – Vom ritter der sich verliegt 104, 106, 144, 159, 175 – Worte tr"gen · Worte fliehen 115– 119, 126, 139, 152, 158, 160

Personen- und Werkregister

Angelus Silesius 273 Anonym – Carmina burana 235 – Chanson de Roland 235 – Codex Manesse 72, 82, 130–134 – Edda 263 – Merseburger Zauberspr"che 227 f., 234 – Nibelungenlied 29, 50 f., 121, 172, 174, 238, 313, 315 – Nibelungensage 68, 74 Aphrodite 64, 288 Arnim, Achim von 312 Arnim, Achim von und Brentano, Clemens – Des Knaben Wunderhorn 62, 117, 127, 147, 153 Bachofen, Johann Jakob 277 – Das Mutterrecht 277 Baudelaire, Charles 41, 219 Bauer, Karl 49 Baumbach, Rudolf 34, 38 f., 120 – Lieder eines fahrenden Gesellen 34, 120 – Neue Lieder eines fahrenden Gesellen 34, 39 – Spielmannslieder 34 Beatrice (Dante) 187, 215 f., 221 Beatrix von Burgund 231 Bechstein, Ludwig 81 – Deutsches Sagenbuch 81

Benjamin, Walter 1 f., 162 Bernanos, Georges 270 Bernhard von Clairvaux 267–269, 271, 273 Bismarck, Otto von 231 Bçcklin, Arnold 204, 211 Bodenstedt, Friedrich von 116 Borchardt, Rudolf 51 Bouts, Thierry (Dierick) 157 Brentano, Clemens 117, 147, 312 Brown, Dan 259 Br#mmer, Franz 35, 37 B#ttner, Herman 277, 279 Chamisso, Adelbert von 120 Chr-tien de Troyes 59 – Yvain 59 Claudel, Paul 270 Coblenz, Ida 31, 67, 69, 87 Curtius, Ernst Robert 19 f., 238 – Deutscher Geist in Gefahr 19 f. Daedalus 149 Dahn, Felix 33, 36, 209 Dante Alighieri 77, 179, 187, 196, 211–223, 230, 233, 256, 258, 269, 271, 329 f., 332 f. – De Monarchia 217 – Divina Commedia 179, 187, 214 f., 218–220, 233, 269, 271 – Vita Nuova 214–216 Derleth, Ludwig 267–271 – Proklamationen 267–269

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8 Register

Dietmar von Aist 128 Donnay, Auguste 69 f. D#rer, Albrecht 202 f. Ebers, Georg 33 Eckhart (Meister Eckhart) 273 f., 276, 278 f., 285–287, 289 f., 293 f., 297, 315 Eco, Umberto 259 Eichendorff, Joseph von 51, 57, 109, 147 f., 190 Elisabeth von .sterreich 58 Elze, Walter 240 Enzio 226, 232 Erda 264 Erwin von Steinbach 206 Eyck, Hubert van 157 Ferdinand I. 241 Fichte, Johann Gottlieb 321 Fra Angelico 200, 208 Franz von Assisi 267–269, 271 Frauenlob, i. e. Heinrich von Meißen 72, 77–80, 82 f., 131, 134, 256, 330, 332 Freytag, Gustav 259 Friedrich Barbarossa 29, 209 f., 242 Friedrich der Große von Hohenzollern 232 Friedrich II. 199, 224, 231–234, 242, 316 f. Friedrich von Hausen 118, 140 Frommel, Wolfgang 267 f., 273 Fuchs, Johann Georg Peter 157 Gautier, L-on 51 – La Chevalerie 51 Gautier, Th-ophile 51, 54, 62 f. – Com+die de la Mort 63 Geibel, Emanuel 33, 36, 116 Georg Friedrich von Preußen 170 George, Anna 135 G-rardy, Paul 52, 67, 147, 155–159 – Les ballades na-ves 127, 155 – Les chansons na-ves 67, 127, 155 f. – Roseaux 159 Giesebrecht, Wilhelm von 199 Glçckner, Ernst 279 Goethe, Johann Wolfgang von 41 f., 57, 64–66, 77, 87, 182, 193, 196, 206, 211, 286, 315

– Faust 41 f., 87 – Von deutscher Baukunst 193, 206 – West-çstlicher Divan 41, 286 Gçrres, Joseph 240, 278–280 – Die christliche Mystik 279 f. Gçtz von Berlichingen 93 Grimm, Jacob 31, 228 Grimm, Jacob und Wilhelm 57, 156 – Deutsches Wçrterbuch 31 Grimm, Wilhelm 31 Gr#newald, Matthias 250, 253 Gundolf, Ernst 253 Gundolf, Friedrich 95, 103, 186, 216, 224, 230, 253, 272, 275–277, 279, 289, 299 Hagen 174 Hallwachs, Karl 119 f. Hartmann von Aue 59, 104 – Erec 59, 104, 166 – Iwein 59, 104 Hebbel, Friedrich 20, 262 f. – Die Nibelungen 262 Hege, Walter 245 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 240 Heiliger Georg 49, 332 Heine, Heinrich 63 f., 117 f., 120, 127, 142 f., 159, 208 – Buch der Lieder 118, 120, 127, 142 Heinrich I. 252 Heinrich II. 244, 247 Heinrich III. 230 Heinrich IV. 230 f. Heinrich von Morungen 31, 118, 128, 139 Heinrich von Veldeke 130, 132–134 Herder, Johann Gottfried 114 f., 117, 126, 153, 156 H-rold, Ferdinand 67 – Chevaleries sentimentales 67 Heyse, Paul 33 f., 39, 116 Hildegard von Bingen 268, 271, 274, 279 f., 315 Hitler, Adolf 245 Hofmannsthal, Hugo von 9, 72, 116, 169, 176, 181 Holbein, Hans 184 f., 201–204, 208, 252

8 Register

Hçlderlin, Friedrich 77, 258, 290, 305 f., 310, 314 f., 318, 320 Horaz 218 Hugo, Victor 79 f. – Le Rhin 79 f. Hummelt, Norbert 341 Huysmans, Joris-Karl 200, 250, 270 – La cath+drale 200 Ibsen, Henrik 240, 258 Jean Paul 64, 77, 102, 182 – Flegeljahre 102 Joachim von Fiore 240, 258, 330 Kantorowicz, Ernst 4 f., 245 f., 270, 316 f., 340 – Kaiser Friedrich der Zweite 4 f., 245 f., 270, 316 Karl der Große 223, 236, 238, 241 f. Karl II. 238 Karl von Anjou 199, 248 Kaulbach, Hermann 259 Klages, Ludwig 45, 277 – Vom kosmogonischen Eros 277 Klein, Carl August 40, 175 Kleist, Heinrich von 81, 175 – Das K#thchen von Heilbronn 175 – Prinz Friedrich von Homburg 81 Konrad II. 230 Konradin 198–200, 208, 236, 247 f. Konstantin der Große 244 Kriemhild 172, 313 Kronberger, Maximilian 104, 216, 281–283, 300 Kuno von Falkenberg 170 K#renberg, Der von 89, 142 f. Lachmann, Karl 153 – Des Minnesangs Fr"hling 153 Lagarde, Paul de 316 Landauer, Gustav 277 Landmann, Edith 202, 207, 222, 231, 235, 277, 280 Landmann, Julius 279 Lang, Fritz 303 Langbehn, Julius 316 Lanz von Liebenfels, Adolf 259 Laurin 127, 154, 162, 167 Lechter, Melchior 4, 187 f., 200, 253, 278 f., 292, 296 Leo XIII. 211

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Leonardo da Vinci 185 Lerberghe, Charles van 176 Lessing, Gotthold Ephraim 240 Leyen, Friedrich von der 183, 228 Lochner, Stefan 138, 185 Lothar I. 238 Ludwig der Deutsche 238 Luther, Martin 31, 279 Maerlant, Jacob van 157 Maeterlinck, Maurice 156 f., 169, 176 Mahler, Gustav 120 – Lieder eines fahrenden Gesellen 120 Mallarm-, St-phane 51, 196 Mann, Klaus 1 f., 265 Maria 56, 58, 63 f., 88, 107, 109, 113, 134, 138, 143–145, 152, 161, 195, 249 Mauthner, Fritz 272, 277 Maximilian I. 231 Mechthild von Magdeburg 273 Meister Wilhelm 185 Melusine 69, 71–73, 75, 178 Memling, Hans 157 Merrill, Stuart 67, 97 – Les fastes 67, 97 Mime 149 Mockel, Albert 155–157 – Chantefable un peu na-ve 155 – Propos de litt+rature 156 Moeller van den Bruck, Arthur 240 Mor-as, Jean 67, 94, 195 – Le P(lerin passionn+ 67, 195 – Les Cantil(nes 94 Morwitz, Ernst 303 M#ller, Wilhelm 120 M#nchhausen, Bçrries Freiherr von 10 – Die Balladen und ritterlichen Lieder 10 Nero 278 Nietzsche, Friedrich 9, 45, 66, 116, 211, 227, 233, 250, 265, 277 Oberon 167 Odin 264 Odysseus 218 Olin, Pierre-Marie 155 – L+gendes pu+riles 155

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8 Register

Otto I. 241, 252 Otto III. 198 f., 208, 241 f., 252 Overbeck, Friedrich 202 Parzival 97 Paschal, L-on 155 P-ladan, Jos-phin 259 Pfeiffer, Franz 276, 280 Pforr, Franz 202 Philipp von Schwaben 246 Pindar 196 Platen, August von 80, 199, 242 – Klagelied Ottos III. 80 Platon 6, 278, 285 Poseidon 238 Raffael 202 Rassenfosse, Edmond 41, 67, 107, 122, 128, 155, 157 f. – Dit un page 67, 127, 155, 157 f. R-gnier, Henri de 67 – Po(mes anciens et romanesques 67 Reich-Ranicki, Marcel 10 Rethel, Alfred 242 Riemenschneider, Tilmann 244 Rossetti, Dante Gabriel 57, 180, 187, 214 Rousseau, Jean-Jacques 156 R#ckert, Friedrich 29, 120, 292, 319 – Der alte Barbarossa 29, 319 Rudolf I. 231 Rudolf von Rheinfelden 93 Rumi, Djelal-ed-din 293 Runge, Philipp Otto 153 Ruskin, John 17 Ruysbroek, Jan van 157 Saint-Paul, Albert 43, 66–68, 155, 336 Salin, Edgar 4, 241 Schack, Adolf Friedrich 36 Schadow, Wilhelm von 259 Scheffel, Victor von 34 f., 38, 177 – Der Trompeter von S#ckingen 34 – Ekkehard 34 – Lieder eines fahrenden Sch"lers 38 Schelling, Friedrich Wilhelm 185, 240 – Philosophie der Kunst 185 Schiller, Friedrich 64, 73 f., 76, 87, 93 f., 102, 184, 208

– Der Handschuh 93 f. – Der Kampf mit dem Drachen 73 f. – Die B"rgschaft 102 Schlegel, August Wilhelm 185, 312 – Die Gem#lde 185 Schmitz, Oscar A. H. 314 Schnorr von Carolsfeld, Julius 202 Schopenhauer, Arthur 278 Schubert, Franz 120 – Die schçne M"llerin 120 – Winterreise 120 f. Schuler, Alfred 277 Schumann, Robert 120 – Dichterliebe 120 – Frauenliebe- und leben 120 Schwanthaler, Ludwig 78 Scott, Walter 259 Seiler, Lutz 341 Seliger, Max 210 S¸enocak, Zafer 341 Seuse, Heinrich 274, 276, 278 S-verin, Fernand 155 – Le Don d’enfance 155 Shakespeare, William 202 Shelley, Mary 176 – Franckenstein 176 Siegfried 49, 68, 74, 77, 92, 174, 262, 313 Sigismund, Berthold 34, 38, 120 – Lieder eines fahrenden Sch"lers 34, 120 Simrock, Karl 35 Skrabina, Helmut 49 Stauffenberg, Alexander Schenk Graf von 317 Stauffenberg, Berthold Schenk Graf von 317 Stauffenberg, Claus Schenk Graf von 317 Steinen, Wolfram von den 4, 245, 317 – Kaiser Heinrich der Zweite, der Heilige 245 – Staatsbriefe Kaiser Friedrichs des Zweiten 317 Stephan I. von Ungarn 244 Stolterfoht, Adelheid von 170 Tacitus 191

8 Register

– Germania 191 Tauler, Johannes 273 f., 276, 278 Thomas a Kempis 278 f. – Imitatio Christi 278 Thomas von Aquin 274 Thormaehlen, Ludwig 121 Tieck, Ludwig 111, 120, 129, 153, 202, 245 – Minnelieder aus dem Schw#bischen Zeitalter 120, 129, 153 Troeltsch, Ernst 4 Tylor, Edward B. – Primitive Culture 19 Uhland, Ludwig 73–76, 92, 147 f., 150, 194, 208 – Siegfrieds Schwert 73–75 Vallentin, Berthold 65, 81, 223 Vasari, Giorgio 202, 206 Vater Rhein 238 Venus 294 Verlaine, Paul 119, 127 – La bonne chanson 127 Verwey, Albert 42, 237 Vesper, Will 49 – Die Nibelungen-Sage 49 Volker der Spielmann 121 Vossler, Karl 230 Wackenroder, Wilhelm 51, 111, 202, 245 Wackenroder, Wilhelm und Tieck, Ludwig – Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders 111 Wagner, Richard 29, 51, 66, 97 f., 149, 156, 166, 175, 189, 238 f., 259, 262–264, 331 – Der Ring des Nibelungen 149, 262 – Die Meistersinger von N"rnberg 189

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– Die Wibelungen 239 – Gçtterd#mmerung 263 f. – Lohengrin 175 – Parsifal 66, 97, 166 – Rheingold 238 Walther von der Vogelweide 121, 127 f. Weber, Max 273 Wieland der Schmied 149 Wilhelm I. 209 f., 256 Wilhelm II. 210 Winterhalter, Franz 58 Wislicenus, Hermann 209 Wolff, Julius – Die Pappenheimer 34 Wolfram von Eschenbach 97 f. – Parzival 97 Wolfskehl, Karl 64, 157, 182 f., 188, 224, 228 f., 232, 253, 277, 279, 316 Wolfskehl, Karl und Friedrich von der Leyen – !lteste Deutsche Dichtungen 183, 228 Wolfskehl, Karl und George, Stefan – Deutsche Dichtung 64, 182 f., 276 Wolters, Friedrich 65 f., 82, 134, 183, 240, 339 – Die Heldensagen der germanischen Fr"hzeit 340 – Minnelieder und Spr"che 82, 183 – Sicht in Vorzeit und Mittelalter 340 – Vier Reden "ber das Vaterland 340 Wolters, Friedrich und Walter Elze – Stimmen des Rheines 240 Worringer, Wilhelm 206 – Formprobleme der Gotik 206