153 103 21MB
German Pages 328 Year 2001
Linguistische Arbeiten
444
Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Hans Jürgen Heringer, Ingo Plag, Heinz Vater und Richard Wiese
Carlo Milan
Modalverben und Modalität Eine kontrastive Untersuchung D euts eh- Italienis ch
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2001
Für meinen Sohn Felix
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Milan, Carlo: Modalverben und Modalität : eine kontrastive Untersuchung Deutsch-Italienisch / Carlo Milan. - Tübingen : Niemeyer, 2001 (Linguistische Arbeiten ; 444) ISBN 3-484-30444-8
ISSN 0344-6727
© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2001 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung 1.1. Gegenstand und Ziel 1.2. Begründung von Gegenstand und Ziel 1.2.1. Warum eine Arbeit über Modalität? 1.2.2. Warum Modalität aus der Perspektive der Modalverben? 1.2.3. Warum eine kontrastive Analyse der Modalverben? 1.2.4. Warum müssen/sollen kontrastiert mit dovere? 2. Zur 2.1. 2.2. 2.3. 2.4.
1 1 2 2 3 5 11
Definition von Modalität 15 Die Kategorie der Modalität 15 Die Schwierigkeit einer Modalitätsdefinition 16 Die Modalverben als Klasse der modalen Ausdrucksmittel 19 Modalitätskonzepte 20 2.4.1. Zweidimensionale Modalitätskonzepte 20 2 . 4 . 1 . 1 . Die zwei logischen Grundmodalitäten 'notwendig' und ' m ö g l i c h ' . . . 2 0 2 . 4 . 1 . 1 . 1 . V O N WRIGHTS orthogonale Taxonomie der Modalitätstypen 23 2.4.1.2. Die Anwendung logischer Modelle auf die Sprache 24 2.4.1.2.1. Tel quel-AnWendungen 24 2.4.1.2.1.1. Alethische Bestimmungen 25 2.4.1.2.1.2. Die Mögliche-Welten-Semantik 26 2.4.1.2.1.3. KRATZERS Theorie der „Redehintergründe" 27 2.4.1.2.1.4. Nicht-alethische Bestimmungen 29 2.4.1.2.2. Tel ^ / - A n w e n d u n g e n sind inadäquat und defektiv 30 2.4.1.2.3. Ad /?oc-Anwendungen logischer Modelle auf die Sprache 34 2.4.1.2.3.1. F0URQUET(1971) 36 2.4.1.2.3.2. C A L B E R T (1975) 36 2.4.1.2.3.3. E H L I C H / R E H B E I N (1972) und B R Ü N N E R / R E D D E R ( 1 9 8 3 ) 37 2.4.1.2.4. Ad hoc-AnWendungen sind (definitions)defektiv 39 2.4.1.2.5. Die Suche nach der „dritten Dimension" 41 2.4.2. Eindimensionale Modalitätskonzepte 44 2.4.2.1. Subjektiv- und objektiv-epistemische Modalität 45 2.4.2.2. Einzelne Definitionen 49 2.4.2.2.1. HALLIDAY( 1 9 7 0 )
53
2 . 4 . 2 . 2 . 2 . MEUNIER ( 1 9 7 4 )
54
2.4.2.2.3. SIMONE/AMACKER(1977)
55
2.4.2.2.4. S A N D H Ö F E R - S L X E L ( 1988) 2.4.2.3. Diskussion und Ergebnisse 2.4.3. Dreidimensionale Modalitätskonzepte 2.4.3.1. WITTGENSTEINS Unendlichkeitsthese 2.4.3.2. SEARLES Taxonomie der Sprechakte 2.4.3.2.1. Sprechakttheoretische Modalitätsbestimmungen
57 58 67 69 69 70
VI
2.4.3.2.1.1. Die erste sprechakttheoretische Modalitätsbestimmung 2.4.3.2.1.2. Jüngste sprechakttheoretische Modalitätsbestimmungen 2.4.3.2.2. Modalität und Illokution 2.4.3.3. BUHLERS Modell der Zeichenfunktionen 2.4.3.3.1. HEMPEL (1973) 2.4.3.3.2. BUBLITZ(1978) 2.4.3.3.3. GORNIK-GERHARDT (1981) 2.4.3.3.4. LUDWIG (1988) 2.4.3.4. HABERMAS' Theorie des kommunikativens Handelns 2.4.3.5. Diskussion und Ergebnisse 2.5. Modalität als Ausdruck propositionaler Einstellungen 2.5.1. Modalität und Modalitätstypen 2.5.2. Die Klasse der propositionalen Einstellungen 2.5.3. Der Satz als Ausdruck von Modalität und Proposition 2.5.3.1. Die Ermittlung der Proposition 2.5.3.2. Die Begriffe 'Sachverhalt' und 'Proposition' 2.5.4. Sprecher, modale Instanz und propositionale Einstellung 3. Das Modalverb müssen 3.1. Die propositionalen Einstellungen des Sagens 3.2. Die propositionalen Einstellungen des Glaubens 3.2.1. Epistemische Modalverbsätze mit müssen 3.2.1.1. Die Begriffsopposition „epistemisch"/„nicht-epistemisch" 3.2.1.2. Der subjektiv-epistemische Modalitätstyp 3.2.1.3. Die Stellung von müssen im Bereich des Epistemischen 3.2.1.4. Indikatoren epistemischer Bedeutung 3.2.1.4.1. Der Begriff der „Doppel-" bzw. „Extramodalisierung" 3.2.1.4.1.1. RAYNAUD (1974; 1977) 3.2.1.4.1.2. DIELING (1982) 3 . 2 . 1 . 4 . 1 . 3 . DOHERTY ( 1 9 7 9 ) , ULVESTAD ( 1 9 8 4 a ) , LETNES ( 1 9 8 6 )
3.2.1.4.2. Indikatoren subjektiv-epistemischer Modalität 3.2.2. Der objektiv-bewertende Modalitätstyp 3.2.3. Der dispositionelle Modalitätstyp 3.3. Die propositionalen Einstellungen des Wollens 3.3.1. Der pragmatische Modalitätstyp 3.3.1.1. Kausale und finale Gründe zum Handeln 3.3.2. Der deontische Modalitätstyp 3.3.2.1. Typen von Normen 3.3.3. Der dynamische Modalitätstyp 3.3.4. Der objektiv-epistemische Modalitätstyp 3.3.4.1. Indikatoren objektiv-epistemischer Modalität 3.3.5. Der logisch-analytische Modalitätstyp..... 4. Das Modalverb sollen 4.1. Die propositionalen Einstellungen des Sagens 4.1.1. Der berichtende Modalitätstyp
70 71 72 77 79 81 82 82 86 89 90 92 93 96 97 98 99 101 102 102 102 102 104 106 107 109 109 109 110
111 114 118 121 121 126 130 133 136 140 140 143 147 148 148
VII
4.1.2. Der antizipierende Modalitätstyp 4.2. Die propositionalen Einstellungen des Glaubens 4.2.1. Der subjektiv-bewertende Modalitätstyp 4.2.2. Der deliberierende Modalitätstyp 4.2.3. Der eventive Modalitätstyp 4.3. Die propositionalen Einstellungen des Wollens 4.3.1. Der pragmatische Modalitätstyp 4.3.1.1. Beabsichtigte Sachverhalte 4.3.1.2. Erwünschte Sachverhalte 4.3.1.3. Geforderte Sachverhalte 4.3.1.3.1. Sprecher [+fordernder Aktant, +Adressat der Forderung] 4.3.1.3.2. Sprecher [+fordernder Aktant, -Adressat der Forderung] 4.3.1.3.3. Sprecher [-fordernder Aktant, +Adressat der Forderung] 4.3.1.3.4. Sprecher [-fordernder Aktant,-Adressat der Forderung] 4.3.2. Der deontische Modalitätstyp
153 156 156 163 166 173 173 174 180 186 187 192 192 194 197
5. Das Modalverb dovere 5.1. Die propositionalen Einstellungen des Sagens 5.1.1. Der berichtende Modalitätstyp 5.1.2. Der antizipierende Modalitätstyp 5.2. Die propositionalen Einstellungen des Glaubens 5.2.1. Der subjektiv-epistemische Modalitätstyp 5.2.2. Der (subjektiv-)bewertende Modalitätstyp 5.2.2.1. Indikatoren subjektiver Bewertung 5.2.3. Der objektiv-bewertende Modalitätstyp 5.2.4. Der dispositionelle Modalitätstyp 5.2.5. Der eventive Modalitätstyp 5.3. Die propositionalen Einstellungen des Wollens 5.3.1. Der pragmatische Modalitätstyp 5.3.1.1. Dovere- Sätze verweisen auf Gründe 5.3.1.2. Dovere-Sätze verweisen auf Intentionen 5.3.1.2.1. Beabsichtigte Sachverhalte 5.3.1.2.2. Erwünschte Sachverhalte 5.3.1.2.3. Geforderte Sachverhalte 5.3.2. Der deontische Modalitätstyp 5.3.3. Der dynamische Modalitätstyp 5.3.4. Der objektiv-epistemische Modalitätstyp 5.3.5. Der logisch-analytische Modalitätstyp
201 201 202 207 210 211 216 218 220 221 222 225 225 226 230 230 232 234 244 247 251 254
6. Zum Vergleich 6.1. Die propositionalen Einstellungen des Sagens 6.1.1. Der berichtende Modalitätstyp 6.1.2. Der antizipierende Modalitätstyp 6.2. Die propositionalen Einstellungen des Glaubens 6.2.1. Der subjektiv-epistemische Modalitätstyp 6.2.2. Der dispositionelle Modalitätstyp
257 258 259 260 262 263 264
Vili 6.2.3. Der bewertende Modalitätstyp 6.2.4. Der deliberierende Modalitätstyp 6.2.5. Der eventive Modalitätstyp 6.3. Die propositionalen Einstellungen des Wollens 6.3.1. Der pragmatische Modalitätstyp 6.3.2. Der deontische Modalitätstyp 6.3.3. Der dynamische Modalitätstyp 6.3.4. Der objektiv-epistemische Modalitätstyp 6.3.5. Der logisch-analytische Modalitätstyp
264 266 267 270 271 283 284 285 286
7. Rückblick und Ausblick 7.1. Die besondere Art der Bedeutung der Modalverben 7.2. Entwicklungstendenzen der Modalverben 7.2.1. Grammatikalisierung 7.2.2. Neulexikalisierung 7.3. Das Schicksal des Konjunktivs
289 289 292 292 293 294
8. Das Korpus 8.1. Das Korpusmaterial 8.2. Die Belegquellen 8.2.1. Das deutsche Korpus 8.2.2. Das italienisches Korpus 8.3. Die Häufigkeit von müssen, sollen und dovere
295 295 296 296 298 300
Literatur Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
303 319
1. E i n f u h r u n g
1.1. Gegenstand und Ziel
Gegenstand dieser Arbeit ist die Kategorie der Modalität aus der Perspektive der Modalverben in der deutschen und italienischen Gegenwartssprache. Im Vordergrund steht die fiinktional-semantische Leistung der Modalverben als Elemente des Modalbereichs. Das Untersuchungsmaterial liefern in erster Linie zwei Korpora von Modalverbsätzen, also von Sätzen, die im Deutschen mit den Modalverben müssen und sollen, dürfen und können, wollen und mögen, aber auch werden, möchten und (nicht) brauchen und anderen gebildet werden, im Italienischen mit dovere, potere und volere sowie sapere und noch weiteren. 1 Ausführlich untersucht werden allein die Modalverben müssen und sollen für das Deutsche und dovere für das Italienische, die übrigen nur am Rande behandelt. Es sollen ferner weitere Syntagmen herangezogen werden, die dem Funktionsbereich dieser drei letzten Modalverben angehören, in erster Linie die beiden Konstruktionstypen haben + zu + Infinitiv und sein + zu + Infinitiv (der sog. modale Infinitiv) 2 im Deutschen, die beiden entsprechenden Erscheinungen avere + da + Infinitiv und essere + da + Infinitiv im Italienischen sowie das „modale Partizip" 3 (andare + Partizip II) zusammen mit den Verben bisognare und occorrere. Auch diese modalen Ausdrucksmittel sollen nur in dem Maße untersucht werden, wie sie in Relation zu den drei Modalverben müssen und sollen sowie dovere stehen. Im einzelnen setzt sich die vorliegende Arbeit dreierlei zum Ziel: a.) Sie will sich mit dem Begriff der Modalität auseinandersetzen, um zu einer sprachlich adäquaten Definition von „Modalität" zu gelangen (vgl. Kapitel 2); b.)Sie will die „Tragfähigkeit" der Modalitätsdefinition an der Beschreibung der Bedeutungsfunktionen dreier Modalverben, zweier des Deutschen, müssen und sollen, sowie eines des Italienischen, dovere, exemplarisch aufzeigen (vgl. Kapitel 3, 4 und 5); c.)Sie will einen systematischen Vergleich der drei hier genannten Modalverben durchführen, dessen Ergebnisse sowohl für die theoretische wie auch für die angewandte Linguistik von Belang sein dürften (vgl. Kapitel 6). Weitgehend unberücksichtigt sollen hier Fragestellungen aus der Morphosyntax bleiben: Zum einem liegt hierzu bereits eine Fülle von Einzelstudien vor, zum anderen handelt es sich zumeist um spezifische morphosyntaktische Erscheinungen einzelner Sprachen. Dies gilt auch für die seit Beginn der modernen Sprachwissenschaft im Deutschen geführte Diskussion über die Modalverben als „geschlossene" morphologische Klasse der Präteritoprä1 2
3
Zum Korpus vgl. Kapitel 8. Der Terminus „modaler Infinitiv" im Hinblick auf die Verbindungen haben zu/sein ζκ+Infinitiv stammt von BRINKMANN (1962: 375). Ich benutze die Bezeichnung „modales Partizip" in Analogie zu der des „modalen Infinitivs". Es lassen sich zwei distinkte Klassen von andare+Partizip Ii-Konstruktionen unterscheiden: die mit voliti ver Modalbedeutung, die ich hier meine (Beispiel: Il lavoro va fatto bene!), sowie eine nichtmodale mit rein passivischer Bedeutung (Beispiel: La casa andò distrutta in un incendio).
2
kussion über die Modalverben als „geschlossene" morphologische Klasse der Präteritopräsentia,4 aber auch für die Debatte darüber, ob die Modalverben der Kategorie der „Hilfsverben" oder vielmehr der Kategorie der „Vollverben" zuzuordnen seien.5 Ebensowenig soll hier das Problem der doppelten Stellungsmöglichkeit klitischer Pronomina im Italienischen untersucht werden: Auch darüber fehlt es nicht an Literatur (vgl. S K Y T T E 1983: 86-94). Auch die weitaus interessantere Frage, ob die Gruppe der Modalverben ein in sich geschlossenes funktionales „System" bildet, wird hier weitgehend unberücksichtigt bleiben.6 Die kürzlich erschienene Arbeit D I E W A L D (1999) untersucht zwar die Funktionen der sechs deutschen Modalverben dürfen, können, mögen, müssen, sollen und wollen, sie tut es jedoch wesentlich aus der Perspektive ihrer Grammatikalisierung seit dem Althochdeutschen und ist somit einer ausgesprochen diachronen Betrachtung verpflichtet - wie dies nicht zuletzt ihre Textkorpora aus verschiedenen diachronen Stufen des Deutschen bezeugen. Auch erweist sich ihre Bestimmung der Modalverben als Faktizitätsmarker, d.h. als Ausdruck einer sprecherbasierten Einschätzung der Faktizität des dargestellten Sachverhalts wie etwa im Satz Sie muß Zuhause gewesen sein zum einen funktional zu eng, um der Vielfalt der Modal verbfunktionen gerecht zu werden, zum anderen theoretisch zu sehr auf die Gegebenheiten des Deutschen gemünzt, um fur einen Sprachvergleich nutzbar gemacht werden zu können.
1.2. Begründung von Gegenstand und Ziel
1.2.1. Warum eine Arbeit über Modalität? Mit der Frage nach dem Wesen der Modalität hat sich bereits A R I S T O T E L E S im 4. Jahrhundert vor Christus befaßt.7 Vom Anfang der griechisch-römischen grammatischen Diskussion über die mittelalterliche Schullogik bis heute wurde eine kaum mehr überschaubare 4
5
Zum Inventar der formalen Eigenschaften der sechs ,klassischen' Modalverben des Deutschen sollen, müssen, können, dürfen, wollen und mögen vgl. WELKE (1965: 8 - 2 3 ) , RAYNAUD (1974: 1-7), BRÜNNER/REDDER (1983: 14f.), zu ihrer semantischen Entwicklungsgeschichte vgl. FRITZ/GLONING (1997). W e r d e n und negiertes brauchen werden meistens zu den Modalverben gezählt, obwohl sie nicht alle formalen Merkmale der ,echten' Modalverben zeigen. Zur morphosyntaktischen Diskussion der Modalverben im Italienischen vgl. MULJACIC (1976), SIMONE/AMACKER (1977: 25-50), SKYTTE ( 1 9 8 3 : 7 5 - 1 1 5 ) , ferner SERIANNI(1991: 334f.). Für diese Problematik hat sich vor allem die Generative Transformationsgrammatik interessiert. S i e b e t r a c h t e t d i e M o d a l v e r b e n a l s H i l f s v e r b e n . V g l . u . a . FELTKAMP ( 1 9 6 9 ) , R o s s ( 1 9 6 7 ) , LAKOFF ( 1 9 7 2 ) , CALBERT ( 1 9 7 1 ) , RIVERO ( 1 9 7 2 ) u n d REINWEIN ( 1 9 7 7 ) . A u ß e r h a l b d e s g e n e r a t i v e n L a g e r s s e i e n h i e r d i e A r b e i t e n v o n WELKE ( 1 9 6 5 ) , Z E M B ( 1 9 6 9 ) , G L I N Z ( 1 9 7 3 ) , BUSCHA ( 1 9 7 3 ) , RAYNAUD ( 1 9 7 4 ) , CALBERT ( 1 9 7 5 ) , SCHNUR ( 1 9 7 7 ) u n d JÄNTTI ( 1 9 8 3 ) e r w ä h n t . E i n e Z u s a m m e n f a s s u n g z u r
Streitfrage „Hilfsverb oder Voll verb" findet sich in BRÜNNER/REDDER (1983: 16-18). PLANK ( 1 9 8 1 ) behandelt die (verwandte) Frage der geringeren Grammatikalisierung deutscher Modalverben im Vergleich mit den englischen. 6
Siehe die Debatte zwischen WUNDERLICH ( 1 9 8 1 ) als Gegner und PLANK ( 1 9 8 1 ) als Befürworter eines Systems der Modalverben des Deutschen, ferner BECH (1949; 1951), WELKE (1971b), FOLSOM (1972), VALENTIN(1984), FRITZ(1991). Zum Italienischen vgl. SIMONE/AMACKER(1977).
7
V g l . SEIFFERT( 1 9 9 0 : I 3 5 f . ) .
3 Thema zusammengetragen. 8 Der getriebene Aufwand scheint sich aber (zumindest) fur die Linguistik kaum gelohnt zu haben, denn wir haben immer noch keinen zufriedenstellenden Konsens darüber erlangt, was unter „Modalität" zu verstehen sei. An Übereinstimmung mangelt es in zweifacher Hinsicht: Es fehlt nicht nur ein Konsens über ihr genus proximum, d.h. über ihr Gattungsmerkmal, sondern auch über ihre differentiae specifìcae, d.h. über ihre unterscheidenden Merkmale - wenn wir uns der spezifischen Definitionskriterien des Aristoteles und der mittelalterlichen Schullogik bedienen wollen. 9 Das genus proximum festzulegen, bedeutet, über die Substanz der Modalität zu urteilen; und die differentiae specifìcae zu ermitteln, bedeutet, ihre charakteristischen Merkmale zu identifizieren. Erstere wie letztere können wir aber erst dann bestimmen, wenn wir schon vorher wissen, was alles zur Modalität zählt. Wir haben somit nicht nur die beiden Fragen zu beantworten: Was heißt Modalität? (genus proximum) und: Wodurch unterscheidet sich Modalität von NichtModalität? ( d i f f e r e n t i a specifica),10 sondern auch eine dritte: Wodurch wird Modalität ausgedrückt? 11 Die Bestimmung des Bedeutungsgehalts der Modalität setzt also die Bestimmung ihres Bedeutungsumfangs, d.h. die Ermittlung all ihrer Ausdrucksmittel, voraus. Diese Feststellung läßt sich als eine erste notwendige Bedingung fur die Definition der Modalität formulieren: Die intensionale Bestimmung der Modalität setzt ihre extensionale Bestimmung voraus. In Symbolen: (1)
DEF(MODINT) => DEF(MODEXT)
=
DEF{M,, M 2 ,..., M,,..., M N },
wobei DEF 'Definition', MOD 'Modalität', INT 'intensional', EXT 'extensional' bedeuten und => die analytisch-notwendige Implikation und {Mi, M 2 ,..., M¡, ..., M n } die Klasse aller modalen Ausdrucksmittel darstellen.
1.2.2. Warum Modalität aus der Perspektive der Modalverben? Im Rahmen der Modalitätsdiskussion in der deutschen Grammatik nehmen die Modalverben als eines der Kernprobleme der Linguistik seit jeher eine privilegierte Stellung gleich nach der Kategorie der Modi ein. Dazu Ö H L S C H L Ä G E R (1984: 30): Die Modalverben des Deutschen haben schon immer das Interesse der Sprachwissenschaftler auf sich gezogen, und dies aus einer Reihe von Gründen [...]: Sie nehmen als Präteritopräsentia mor8
Für einen Überblick über die Modalitätsbestimmung in der griechisch-römischen Tradition vgl. SIMONE/AMACKER ( 1 9 7 7 ) , f e r n e r SIMONE ( 1 9 7 5 ) , MEUNIER ( 1 9 7 9 ) , S E I F F E R T ( 1 9 8 9 ; 1 9 9 0 ) .
9
10
11
Nach dieser Lehre besteht eine Definition in der Angabe des Gattungsmerkmals (genus proximum) und der wesentlichen unterscheidenden Merkmale ( d i f f e r e n t i a specifica). Beide Bestandteile bilden das Definiens des zu bestimmenden Ausdrucks (Definiendum): Z.B. der Mensch: das Lebewesen, das mit Vernunft begabt ist. Vgl. CARTAGENA/GAUGER ( 1 9 8 8 : 4 7 1 - 4 7 3 ) , die versuchen, den Begriff der Modalität ex negativo („durch das, was sie nicht ist") zu bestimmen. Diese dritte Fragestellung ist in der Geschichte des Modalitätsforschung lange Zeit vernachlässigt worden. Bis vor kurzem wurde die modallinguistische Diskussion so gut wie ausschließlich anhand der Kategorien der Modi und der Modalverben gefuhrt. Erst vor relativ kurzer Zeit ist es gelungen, weitere Klassen von sprachlichen Audrücken als funktional autonome Modalkategorien eines übergreifenderen Modalsystems zu beschreiben, wie z.B. die Klasse der Modalpartikeln (vgl. BEERBOM 1 9 9 2 : 2 1 ) .
4 phologisch eine Sonderstellung ein, sie weisen eine ungewöhnliche Bedeutungsgeschichte auf, sie haben syntaktisch einen schillernden Status - sind sie Hilfsverben oder Vollverben? -, sie vertilgen über eine große Bedeutungsvielfalt und sie scheinen aufgrund ihrer semantischen Beziehungen zueinander eine Art geschlossenes System zu bilden.
In den letzten drei Jahrzehnten hat die Zahl der Untersuchungen zu den deutschen Modalverben sogar schlagartig zugenommen. 12 Dies gilt sicherlich auch für das Englische, wohl wiederum auf Grund der Besonderheiten seines Modalverbsystems, 13 nicht im gleichen Maße jedoch für die romanischen Sprachen, 14 insbesondere das Italienische. 15 Trotz dieser wenigstens für einige Sprachen scheinbar äußerst günstigen Ausgangsposition wissen wir aus sprachwissenschaftlicher Sicht immer noch nicht genug über die Funktionen der Modalverben in den einzelnen Sprachen. Es fehlt in erster Linie an einheitlichen Beschreibungsansätzen, die es ermöglichen würden, die Modalelemente - einzelsprachlich sowie übereinzelsprachlich - eindeutig zu ermitteln. Dies liegt sicherlich auch daran, daß es unmöglich ist, die Funktionen der Modalverben zu bestimmen, ohne sich vorher genügend Klarheit über den Begriff der Modalität verschafft zu haben. Eine befriedigende Beschreibung der Modalverben - innersprachlich wie kontrastiv - setzt demnach ihrerseits eine klare Definition von Modalität als notwendige Bedingung voraus. Wir gelangen hier somit zu einer zweiten Bedingung für eine Definition des Modalsystems: Die (extensionah wie intensionale) Bestimmung der Modalverben (wie aber auch jeder weiteren Klasse von modalen Ausdrucksmitteln) setzt die intensionale Bestimmung der Modalität voraus. In Symbolen: (2)
DEF{..., Mi,...}
=>
DEF(MODINT),
wobei das Symbol {..., M¡,...} für die Klasse der Modalverben aus der Klasse aller modalen Ausdrucksmittel steht. An den beiden Bedingungen in (1) und (2), die insofern in einer Zirkeldefinition stehen, als bei ihnen das zu Beweisende jeweils in der Voraussetzung enthalten ist,16 wird die Komplexität unseres Untersuchungsgegenstandes klar. Wir befinden uns in einem circulus vitiosus. Es ist eine gefestigte Erkenntnis der modernen Sprachwissenschaft, daß erst eine differenzierte Betrachtung der Ausdrucksseite den Zugang zur Inhaltsseite der Sprache ermöglicht. 17 Lassen wir nun diesen Grundsatz gelten, so müssen wir die erste Bedingung in 12
Es seien hier allein die bahnbrechenden Arbeiten über das „semantische System" der Modalverben des Deutschen vom Kopenhagener Strukturellsten GUNNAR BECH (1949; 1951) erwähnt, ferner WELKE ( 1 9 6 5 ) u n d R A Y N A U D ( 1 9 7 4 ) .
13
Man denke nur an die Fülle der Modalverbformen sowie an die zahlreichen morphosyntaktischen Merkmale, die sie als eine (relativ) homogene Klasse charakterisieren. Vgl. PALMER (1990: 33-49).
14
Z u m F r a n z ö s i s c h e n s e i h i e r a u f Η Υ Ο Τ ( 1 9 7 4 ) , DARRAULT ( 1 9 7 6 ) u n d M E Y E R ( 1 9 8 2 ) zum
Spanischen
a u f N A R B O N A JIMÉNEZ ( 1 9 8 1 ) ,
OTAOLA O L A N O ( 1 9 8 8 )
sowie
hingewiesen,
JIMÉNEZ JULIA
( 1 9 8 9 ) , z u m P o r t u g i e i s c h e n a u f DIETRICH ( 1 9 8 3 ) . 15
16
17
Zum Italienischen ist noch keine eigenständige Gesamtdarstellung des Modalverbsystems entstanden. Interessante Einzelstudien sind GIUSTI FICI (1976), SIMONE/AMACKER (1977), Di FEO (1981), SKYTTE (1983: 75-115) und SCHWARZE (1995: 639-662); einen Überblick über die Modalverbforschung bietet MULJACIC (1976). Vgl. MENNE (1985: 47): „Bei einer expliziten Definition steht links nur das zu erklärende Zeichen; dieses darf rechts nicht wieder auftreten (Verbot der Zirkeldefinition). Beispiel: CH =df Schweiz." Sowohl in (1) wie auch in (2) erscheint rechts wie links der Begriff „modal", Definiendum und Definiens implizieren einander: Die Definition ist zirkulär. Vgl. HEGER (1963: 3ff.), BALDINGER (1964) und STÖTZEL (1970), mit explizitem Bezug auf die Modalverbproblematik SANDHÖFER-SIXEL (1988: 3).
5 (1) als der zweiten in (2) Ubergeordnet ansehen. Dies hat aber zur Folge, daß der Weg zu einer jeglichen Modalitätsbestimmung nur noch über ihre Extension führen kann. Darüber, daß die Modalverben (speziell die Gruppe der sechs „klassischen" Modalverben) zur Extension der Modalität gehören, besteht in der Literatur kein Zweifel. Und da sie wie kaum eine andere modale Kategorie untersucht worden sind, schafft die Auseinandersetzung mit den vorliegenden Ansätzen die Voraussetzung für eine fruchtbare Analyse der Modalität selbst.
1.2.3. Warum eine kontrastive Analyse der Modalverben? Eine kontrastive Analyse der Modalverben findet im allgemeinen leicht eine zweifache Berechtigung: eine theoretischer und eine praktischer Art. Sie kann zuallererst dazu dienen, bestimmte auf den ersten Blick nicht leicht erkennbare Merkmale einer Sprache Li aufgrund der Gegenüberstellung mit einer anderen Sprache L2 ans Licht zu bringen. So wird z.B. der Sprachanalytiker auf die neue assertorische Funktion des Modalverbs dovere im gesprochenen Italienisch (Beispiel: Una donna davvero colta, deve sapere quattro lingue = [...] sie soll vier Sprachen können - und nicht: sie muß!) nicht zuletzt aufgrund der Kenntnis einer entsprechenden (und längst grammatikalisierten) Funktion beim deutschen Modalverb sollen aufmerksam (vgl. 5.1.1.). Sie kann aber vor allem dazu verhelfen, bestimmte festgefahrene theoretische Positionen zu überwinden und somit althergebrachte Theorien aufgrund neuer, aus anderen theoretischen Ansätzen gewonnener Erkenntnisse ,aufzufrischen'. Daß in der Theoriebildung kontrastive Verfahrensweisen eine wichtige Rolle spielen können, stellt GROßE (1969: 407) fest, wenn er auf das Verdienst ausländischer Wissenschaftler ausgerechnet in der Beschreibung des deutschen Modalverbsystems zu sprechen kommt:18 [...] es ist gewiß kein Zufall, daß die entscheidenden Anstöße zu einer Neubeschäftigung mit den Modalverben vom Ausland gekommen sind [...].
Außer einem unbestreitbaren allgemein-theoretischen Gewinn sprechen für eine kontrastive Analyse vor allem mehrere Besonderheiten der Modalverben, die sie zum einen als besonders wichtige, zum anderen als besonders schwer zu erlernende Wörter ausweisen - mithin als zentral in der Vermittlung einer Fremdsprache aufgrund ihrer hohen Anforderungen. Es handelt sich um die vier folgenden Besonderheiten: a.) Modalverben stellen gleichsam entscheidende interaktive Schnittstellen zu sehr wichtigen Bereichen des sozialen Lebens dar, sie erweisen sich insofern als unentbehrlich für zahlreiche, grundlegende Formen des sozialen Handelns (man denke etwa an sämtliche Formen institutioneller (d.h. in erster Linie deontischer) Kontexte).19 Vgl. hierzu D I T T M A R (1979: 86):
18 19
GROBE meint hier in erster Linie BECH ( 1949). Ein gutes Beispiel hierfür stellt die Tatsache dar, daß die CEN/CENELEC-Arbeitsgruppe (1984: 222) sogar spezielle DIN-Normen (DIN-Mitt. 63. 1984: Nr. 1) zum Gebrauch der Modalverben entwickelt hat: „Die Identität der Sprachauffassungen Europäischer Normen hängt entscheidend [...] auch davon ab, daß die modalen Hilfsverben sprachgerecht eingesetzt werden. Der Anwender einer Norm muß genau wissen, ob eine Festlegung in der Norm ein „muJ", eine „Empfehlung" für ein Verhalten oder eine Wahlmöglichkeit unter mehreren Lösungen darstellt, wenn er sich norm-
6 [...] die Bedeutung der Modalverben für die Beherrschung einer Zweitsprache [liegt] auf der Hand: Sie stellen jene sprachlichen Mittel zur Verfügung, mit deren Hilfe u.a. die semantischen Konzepte der Pflicht, Aufforderung und Absicht, der Fähigkeit, Möglichkeit und Vermutung, des Wunsches, Willens und der Erlaubnis zum Ausdruck gebracht werden können. Eine kleine Anzahl von Formen kann je nach „Redehintergrund" [...] ein relativ breit variierendes Spektrum dieser semantischen Konzepte auf sich vereinigen. Dies dürfte das häufige Verwendungsbedürfnis von Modalverben erklären [...]. b.) Wörter aber, die für wichtige Funktionen stehen, werden auch häufig gebraucht. Modalverben sind in der Tat unter den häufigsten Wörtern sowohl des Deutschen als auch des Italienischen (und dies scheint auch auf all die Sprachen zuzutreffen, die Modalverben kennen, in erster Linie auf das Englische). 20 Vgl. GROßE (1969: 407) in bezug auf die Verhältnisse im Deutschen: Im Häufigkeitswörterbuch von F.W. KAEDING (1897/98) gehören sie zu der kleinen Zahl von etwa 200 Wörtern [...], die mehr als 5000mal in dem Gesamtbestand von etwa 11 Millionen Belegen vorkommen. Häufiger erscheinen nur Pronomina, einige Konjunktionen und Präpositionen und die Hilfsverben haben, sein, werden. [...] KAEDINGS Zählungen liegen zwar ein Menschenalter zurück, und sie beruhten nur auf geschriebenen Texten [...]. Aber auch in jüngeren Häufigkeitswörterbüchern, wie in denen von WÄNGLER und PFEFFER, die auf Material aus der gesprochenen Umgangssprache aufbauen, zählen die Modalverben zu den Spitzenwörtern. Infolge des sprachökonomischen Prinzips sind aber in der Regel Wörter mit hoher Frequenz zugleich Wörter mit hoher Polysemie. Je höher aber der Grad an Polysemie, desto höher der Grad an Abstraktion der einschlägigen Bedeutungen. Diese hohe Abstraktion schlägt sich wohl bei den Modalverben in ihrer bekanntlich stark relationalen' (d.h. auf den (sprachlichen und situativen) Kontext verweisende) Bedeutung nieder. Dazu wiederum GROßE ( 1 9 6 9 : 4 0 7 ) :
Die Wörter, die in einer Sprache am häufigsten verwendet werden, sind in der Regel am schwersten in ihrer Bedeutung zu erfassen, weil sie sehr allgemein sind in ihrer Semantik und in zahlreichen Kommunikationsakten als Zeichen dienen können." c.)Und noch einmal GROßE (1969: 407) macht auf eine weitere Eigentümlichkeit des deutschen (wie aber auch jedes anderen) Modalverbsystems aufmerksam, und zwar auf die strukturelle Einzigartigkeit des Systems, die dessen Erlernen im Fremdsprachenunterricht in einem nicht unwesentlichen Maße erschwert: Hinzu kommt, daß dem Teilsystem der deutschen Modalverben wohl in den meisten anderen Sprachen kein paralleles, gleich oder ähnlich strukturiertes System gegenübersteht. Denken wir nur an die russischen Äquivalente aus dem Bereich der unpersönlichen Fügungen mit MOHCHO, HyiKHO, aoji5KeH etc. oder an die französischen Entsprechungen mit Formen von falloir, devoir, pouvoir, vouloir. Selbst in den verwandten germanischen Sprachen wie im Englischen und Niederländischen besitzen die Modalverben eine unterschiedliche Bedeutungsstruktur. Wer
20
gerecht verhalten will. [...] Normen müssen klar und unmißverständlich abgefaßt sein, wenn sie ihren Zweck [...] erfüllen sollen [...]. Nicht vom Normensetzer gewollte Interpretationsmöglichkeiten können [...] zu großen finanziellen und sogar sicherheitstechnischen Gefahren führen." Vgl. auch BARKOWSKI/HARNISCH/KUMM ( 1980: 341-363). Im Häufigkeitswörterbuch von HELEN S. EATON ( 1 9 4 0 ) , das Zählungen über die Frequenz der Modalverben im Englischen, Französischen, Deutschen und Spanischen enthält, befinden sich fast alle Modalverben unter den fünfhundert am häufigsten verwendeten Wörtern. Zum Deutschen liegt die Zählung von GLAS ( 1 9 8 4 : 1 2 1 - 1 2 5 ) vor. Im Kapitel 8 finden sich hier ebenfalls Zählungen zum Deutschen und zum Italienischen. Speziell zum Modalverbgebrauch im Italienischen von Grundschülern vgl. MARCONI/OTT/PESENTI/RATTI/TAVELLA(1994).
7 derländischen besitzen die Modalverben eine unterschiedliche Bedeutungsstruktur. Wer Deutsch lernt oder unterrichtet, muß deshalb viel Mühe an diesen Verbalbereich wenden [...].
Die Berechtigung einer kontrastiven Analyse der Modalverben im Hinblick auf ihre praktische Anwendung fußt also nicht zuletzt auf dem hohen Schwierigkeitsgrad ihrer Vermittlung im Fremdsprachenunterricht. Lehrenden und Lernenden wird aber von linguistischer Seite wenig geholfen: Es läßt sich zum einen leicht feststellen, daß die gängigen Grammatiken meistens ungenügende, oft irreführende, manchmal sogar falsche Informationen über die Bedeutungsfunktionen der Modalverben liefern. 21 Zum anderen liegen gründliche kontrastive Untersuchungen kaum vor, 22 für das Sprachenpaar Deutsch-Italienisch fehlen sie völlig. 23 Allgemeine und speziell kontrastive Untersuchungen über die Modalverben im Hinblick auf den Fremdsprachenunterricht sind aber um so notwendiger, als die charakteristische hohe Frequenz ihres Vorkommens diese Gruppe von Verben zu einer der häufigsten Fehlerquellen überhaupt werden läßt (bei welcher Sprachenkombination auch immer). 24 In den wenigen Grammatiken für den Fremdsprachenunterricht, die die Modalverben des Deutschen mit denen des Italienischen ansatzweise kontrastiv beschreiben, 25 werden in der Regel die sechs „klassischen" Modalverben des Deutschen paarweise den drei „klassischen" Modalverben des Italienischen gegenübergestellt und jeweils zwischen den drei auf diese Weise aufgestellten Paaren (mehr oder weniger stillschweigend) eine konstante Entsprechungsrelation (und zwar in den beiden Richtungen: Deutsch - » Italienisch und Italienisch Deutsch) angenommen. 26 Tabelle 1.1 zeigt die unterstellten Entsprechungsrelationen: Tabelle 1.1: Entsprechunsgrelationen zwischen deutschen und italienischen Modalverben
Ausgangsprache
Zielsprache und Ausgangsprache
dürfen und können müssen und sollen wollen und mögen
-> ->
potere dovere volere
Zielsprache Dürfen oder können müssen oder sollen Wollen oder mögen
-> -> ->
Ich belege meine Behauptung mit den entsprechenden Stellen aus drei kontrastiv angelegten Werken, die beiden ersten in der Richtung Deutsch-Italienisch, das dritte in der Richtung
21
Dies gilt um so mehr für die kontrastiv arbeitenden Grammatiken, denn hier summieren sich die Inkongruenzen der einsprachigen Grammatiken. Für eine Diskussion dieser Mängel im Deutschen v g l . VOGEL-ELSLER ( 1 9 8 3 ) , z u m I t a l i e n i s c h e n MULJACIC ( 1 9 7 6 ) u n d SIMONE/AMACKER ( 1 9 7 7 ) .
22 23
Dies gilt sogar für die Weltsprache E n g l i s c h - v g l . NEHLS (1986: 1). Einzige Ausnahme ist LICHEM (1983), eine eher dürftige Arbeit über den epistemischen Gebrauch deutscher und italienischer Modalverben.
24
V g l . D I T T M A R ( 1 9 7 9 ) , HARDEN ( 1 9 8 3 ) , A D A M Z I K ( 1 9 8 5 ) ,
25
Ich habe die folgenden zehn zum Deutschen hin kontrastiv ausgerichteten Grammatiken ausgewert e t : BRIGADOI ( 1 9 6 8 ) , TEN/MACK ( 1 9 7 6 ) ,
DIESCH(1988).
THE LINGUAPHONE INSTITUTE ( 1 9 7 3 ) ,
LEPSCHY/LEPSCHY ( 1 9 9 0 ) ,
SENF ( 1 9 8 6 ) ,
FIGGE/DE MATTEIS ( 1 9 7 6 ) ,
KIRS-
CAVIGLIA/MANDARA ( 1 9 8 9 ) ,
REU-
MUTH/WINKELMANN ( 1 9 9 0 ) , EPPERT ( 1 9 9 1 ), WALLY/CACCIALUPI ( 1 9 9 2 ) . 26
Einige Grammatiken ( w i e z.B. FIGGE/DE MATTEIS, SENF, EPPERT) versuchen allerdings über die Entsprechungsrelationen in Tabelle 1.1 hinauszugehen und weiter zu differenzieren, vermögen jedoch insgesamt kein deutliches Bild der Bedeutungsfunktionen zu vermitteln. Andere wiederum ( w i e KIRSTEN/MACK, LEPSCHY/LEPSCHY, REUMUTH/WINKELMANN, WALLY/CACCIALUPI) b e s c h r ä n -
ken sich auf syntaktische Probleme, andere noch (z.B. BRIGADOI) auf die Morphologie.
8
Italienisch-Deutsch. Diese drei Grammatiken stellen in Italien bekannte Lehrwerke zum Studium des Deutschen dar. Die erste Belegquelle ist der Corso di tedesco (1973) vom Londoner LlNGUAPHONE INSTITUTE, ein Werk, das (auch dank der aufwendigen Ausstattung mit Kassetten zum Selbststudium) nicht nur im schulischen, sondern auch im privaten Bereich (sowohl fur Berufs- wie auch für Bildungszwecke) gut bekannt ist. Dort (1973: 31) werden die Modalverben der beiden Sprachen wie folgt vorgestellt: „Anche können, come abbiamo già visto per müssen, mögen e wollen, è sempre seguito da un infinito che si trova in fondo alla frase. Questi verbi si chiamano verbi modali e corrispondono ai nostri verbi servili: potere, dovere, volereΡ I verbi modali tedeschi sono: können dürfen müssen sollen wollen mögen
- > ->
- >
-» -» —>
potere, essere in grado, (sapere) potere, avere la possibilità, essere lecito dovere (in senso assoluto) dovere (in senso morale) volere (in senso assoluto) volere piuttosto, desiderare."
Das zweite Werk, CAVIGLIA/MANDARA ( 1 9 8 9 ) , stellt eigentlich einen Lesekurs (deutscher Texte) mit integrierter Grammatik dar. Der computergestützte Kurs, ausgestattet mit einer aufwendigen Software auf Diskette, ist ein in Schule und Universität sehr erfolgreiches Hilfsmittel des Deutschunterrichts. Es stellt die folgenden Relationen unter den Modalverben auf ( 1 9 8 9 : 56f.): „I verbi modali della lingua tedesca corrispondono ai verbi servili italiani: potere, dovere, volere: können dürfen müssen sollen wollen mögen
->
-»
potere potere
- >
dovere dovere
- >
volere volere
- >
Das dritte Werk, BRIGADOI (1968), ein weit über den universitären Bereich hinaus bekannt gewordener „Essay" über die „Grundlagen der deutschen Sprache" (Originaltitel: Le caratteristiche fondamentali della lingua tedesca), geht von der umgekehrten Richtung aus und hebt die Entsprechungsrelation in Tabelle 1.1 hervor (1968: 79f.): „Una particolare menzione meritano i cosiddetti verbi ausiliari o modali. Essi sono:
27
volere
wollen mögen
(volontà) (voglia, desiderio)
potere
können dürfen
(potenza, capacità fisica o anche sapere per aver imparato) (licenza, permesso)
dovere
müssen sollen
(necessità) (obbligo, dovere morale, postulato, convenienza)."
„Servile" bedeutet in diesem Zusammenhang, daß das fragliche Verb „im Dienste" des (von ihm a b h ä n g i g e n ) Infinitivs steht (vgl. MULJAÔIC 1976: 5 0 2 mit A n m . 1).
9 Von Interesse ist hier zunächst die Feststellung, daß dieselbe Entsprechungsstruktur der Modalverben auch in den (mit dem Deutschen kontrastierten) Grammatiken bzw. von den deutschlernenden Sprechern anderer romanischer Sprachen, etwa des Französischen und des Spanischen, unterstellt wird. Vgl. zum Französischen etwa A L F R E D M A L B L A N C ( 1 9 6 6 : 267):28
Le français a peu d'auxiliaires de mode proprement dits. En face de müssen, sollen, dürfen, können, wollen, mögen et des nuances d'expression auxquelles leur emploi donne lieu, le français fait [...] l'effet d'un parent pauvre. A la série des auxiliaires de mode allemands il n'en oppose que trois: devoir, pouvoir, vouloir. SCTRICK ( 1 9 7 1 : 1 1 8 ) greift zu Recht diese an der Oberfläche erstarrte Position der traditionellen französischen Grammatik an und fordert eine tiefergehende Analyse des (französischen) Modalverbsystems auf der Basis des Begriffs der Polysemie:
[...] Il y a une ambiguïté inhérente à chaque verbe modal pris séparément. Il n'est pas intéressant de dire qu'en anglais ou en allemand, il y a deux pouvoir, deux devoir etc., si, inversement, on ne pose pas la question de savoir pourquoi en français un seul signe assume ce que d'autres systèmes de langue organisent de façon dédoublée.
Zum Spanischen lassen wir R O Q U E L I N A B E L D A R R A Í N JIMÉNEZ ( 1 9 7 9 : 2 7 2 ) zu Wort kommen. Die Autorin beanstandet die inkongruente Haltung von Schulgrammatik und Schulunterricht, die sich darin ausdrücke, daß für das Spanische generell ein dem Deutschen gegenüber defektives Modalverbsystem angenommen wird: [...] los estudiantes están convencidos que a los verbos modales alemanes (sollen, müssen, mögen, wollen, dürfen y können) les corresponden solamente los verbos deber, poder, tener y desear [...].
Nun sind die Gegenüberstellungen weiter oben in Tabelle 1.1 zwar nicht völlig verfehlt, sie sind aber sicherlich stark vereinfachend: Denn zum einen werden sie weder der Klassenextension der Modalverben gerecht, zum anderen unterdrücken sie die Komplexität der Entsprechungsstruktur zwischen Modalverben verschiedener Sprachen - eine Komplexität, die wohl einen Reflex der verschiedenartigen Struktur des Modalfeldes in der jeweiligen Sprache darstellt.29 Ein-eindeutige Zuordnungen, wie die hier stillschweigend angenommenen, haben unter (natürlichen) Sprachen eher Seltenheitswert. Vielmehr ist man sich längst einig darüber, „[...] daß Äquivalenz keine statische, absolute Größe ist, sondern dynamischen Charakter hat in dem Sinne, daß nicht immer nur ein ZS-Äquivalent akzeptabel ist." (GUTKNECHT/RÖLLE 1 9 8 8 :
28
155).30
Auch in der Neubearbeitung der Grammatik des heutigen Französisch von HANS-WILHELM KLEIN und HARTMUT KLEINEIDAM wird die Entsprechungsrelation devoir —> müssen, sollen angesetzt ( 1 9 9 4 : 136).
29
Gleiches wird fur das Rumänischen angenommen: Nach ENGEL/ISBÀEÇCU/STÂNESCU/NICOLAE lassen sich hier sieben deutschen Modalverben (brauchen, dürfen, können, mögen, müssen , sollen, wollen) nur drei (bzw. vier) rumänische (a putea 'können'/α iti 'können, vermögen', a trebui 'müssen, sollen, brauchen', a vrea 'wollen, mögen') gegenüberstellen. Zur Problematik der Entsprechungsstrukturen in der Übersetzungstheorie vgl. KOLLER ( 1 9 8 3 : 1 5 8 1 6 8 ) . KOLLER unterscheidet fünf Entsprechungstypen („Typen von potentieller Äquivalenz"): die Eins-zu-eins-Entsprechung (engl, five —» dt. fünf), die Eins-zu-viele-Entsprechung (engl, river —> frz. fleuve bzw. rivière), die Viele-zu-eins-Entsprechung (schwed. leka bzw. spela —> dt. spielen), die Eins-zu-Null-Entsprechung (dt. Berufsverbot —» frz. ?) sowie die Eins-zu-Teil-Entsprechung (frz. esprit —> dt. Geist). (1993: 412)
30
10 Was die Klassenextension der Modalverben in jeder der beiden Sprachen betrifft, so muß selbstverständlich auch gefragt werden, ob den wohl nach rein morphosyntaktischen Kriterien definierten Klassen von sechs bzw. drei „klassischen" Verben nicht noch weitere Elemente zugeordnet werden sollten, etwa (nicht) brauchen, möchten und werden für das Deutsche sowie sapere aber auch etwa fare, osare, solere, usare u.a.m. fur das Italienische. Weitaus wichtiger als diese Frage ist jedoch die Beobachtung, daß, während im Deutschen vieles dafür spricht, daß die Klasse der Modalverben tatsächlich ein relativ geschlossenes „System" bildet, dies nicht ohne weiteres für die romanischen Sprachen angenommen werden kann - zumindest nicht in dem gleichen Maße.31 Insgesamt erweist sich die Gruppe der Modalverben in den romanischen Sprachen als eine eher „unfeste", ja „offene" Klasse von Elementen, zu der „Pendel"-Einheiten gehören, - Einheiten, die in der Regel nicht-modal verwendet werden und sozusagen nur „gelegentlich" modale Funktion ausüben.32 Es liegt auf der Hand, daß derartige Verhältnisse nicht ohne Einfluß auf die Klassenextension der Modalverben in den romanischen Sprachen sind. Dies bedeutet aber für den Fremdsprachenunterricht (und die Translation) in beiden Richtungen auch eine zusätzliche Lehr- und Lernschwierigkeit, denn es gilt nun eine ganze Reihe weiterer modaler Ausdrucksformen zu lernen sowie in ihrem modalen und nicht-modalen Gebrauch genau auseinanderzuhalten. Bezüglich der Entsprechungsstruktur sind die oben erwähnten traditionellen Gegenüberstellungen zwar insofern richtig, als sie den tatsächlichen Häufigkeitsverhältnissen Rechnung tragen, sie verschleiern jedoch völlig, daß eben {nicht) dürfen und können nicht immer potere, sondern etwa auch dovere und sapere, müssen und sollen nicht immer dovere, sondern auch bisogna, occorre, (mi) tocca, volere, si dice etc. entsprechen - wenn wir uns auf die Klasse der Verbformen einschränken wollen. Erweitern wir dagegen unseren Blick auf die weiteren Klassen modaler Ausdrucksmittel, so stellen wir fest, daß ein und demselben Modalverb des Deutschen in den romanischen Sprachen, die im Vergleich mit dem Deutschen eine deutlich geringere Anzahl an („klassischen") Modalverben aufweisen, Einheiten aus diversen Formklassen des Modalbereichs entsprechen können - gelegentlich Modaladverbien, kaum Modalpartikeln, am meisten jedoch Elemente des Modussystems, das in den romanischen Sprachen generell stärker ausgebildet ist als im Deutschen.33 Eben dies Modussystem stellt im Romanischen das „Rückgrat" der Modalität dar, wohingegen im Deutschen den Modalverben (wie aber auch den Modalpartikeln und Modaladverbien) eine ungleich wichtigere Rolle zukommt. Anstelle eines Modalverbs findet man im Romanischen somit etwa als Entsprechung zum deutschen Modalverb sollen z.B. häufig Formen des Mo31
32
Zu den Schwierigkeiten einer Bestimmung der Modalverbklasse in den romanischen Sprachen vgl. auch DIETRICH (1983: 217): „Die Abgrenzung ist in den romanischen Sprachen nicht schon durch einfache formale Kriterien wie im Deutschen, Englischen und anderen germanischen Sprachen möglich, sondern vor allem durch semantische Kriterien." Dies gilt aber auch fur andere Sprachen. Vgl. etwa HAMMERICH (1960: 66): „Die Gruppe der Modalverba ist eine ausgesprochenen Eigentümlichkeit der neugermanischen Sprachen und hat kaum anderswo eine genaue Entsprechung. Bemerkenswert ist, daß das deutsche muß (müssen) in die beiden slavischen Nachbarsprachen Polnisch (musiec) und Tschechisch (museti/musiti) als Entlehnung aufgenommen ist [...]." Klassische Beispiele fur das Italienische sind hier außer sapere auch fare und usare. Weitere einschlägige Verformen sind solere, lasciare, amare, degnarsi, osare etc. Zu den Kriterien ihrer Zuordnung zum Modalbereich vgl. AGENO(1955) sowie SIMONE/AMACKER (1977).
33
Zu den Modaladverbien des Italienischen vgl. VENIER (1986), zu den Modalpartikeln (vor allem in B e z u g a u f d a s D e u t s c h e ) STAMMERJOHANN ( 1 9 8 0 ) , LICHEM ( 1 9 8 1 ) , HELLING ( 1 9 8 3 ) , BURKHARDT ( 1 9 8 5 ) , HELD ( 1 9 8 3 ; 1 9 8 8 ) .
11 dus Konjunktiv bzw. Konditional oder auch den reinen Infinitiv.34 Der „Übermacht" des Modussystems im Romanischen steht im Deutschen ein ausgeglicheneres Verhältnis der verschiedenen Klassen modaler Ausdrucksmittel gegenüber.35 Gehen wir andererseits vom Italienischen aus, so zeigt sich ein nicht weniger dichtes Geflecht von Entsprechungen: Dem italienischen Modalverb stehen von vornherein jeweils zwei deutsche Modalverben gegenüber, zu denen weitere Modalverben sowie Einheiten aus den übrigen Klassen der modalen Ausdrucksmittel des Deutschen kommen können - und zwar Einheiten aus den Klassen der Modi, der Modalpartikeln, der Modaladverbien, des modalen Infinitivs etc. Aus dem oben Gesagten hat sich somit ein deutliches Bild nichi nur der außerordentlichen Bedeutung abgezeichnet, die Modalverben in der alltags- und fachsprachlichen Kommunikation aufweisen, sondern auch ihrer Schwierigkeit sowohl als theoretisches (im Hinblick auf ihre Beschreibung) wie auch als praktisches (im Hinblick auf ihre Vermittlung) Problem der Linguistik.36 All diesen Problemen tragen aber weder die kontrastiv ausgerichteten Grammatiken unserer beiden Einzelsprachen noch die eher spärlichen und dürftigen Studien über die Modalverben in gebührender Weise Rechnung - geschweige denn, daß sie eine befriedigende Lösung anzubieten haben.37
1.2.4. Warum müssen/sollen kontrastiert mit dovere? Die Einschränkung der Analyse auf die beiden deutschen Modalverben müssen und sollen sowie auf das italienische Modalverb dovere entspringt wiederum sowohl theoretischen wie auch praktischen Überlegungen. Sie trägt zum einen der Tatsache Rechnung, daß ein klares Verständnis dessen, was alles als „modal" oder auch als „Modalverb" zu gelten habe, noch nicht besteht. Insofern ist ein Vorhaben, nicht nur das gesamte Modalfeld, sondern auch die Gesamtklasse der Modalverben zu beschreiben, von vornherein mit so vielen und so gravierenden Unsicherheitsmomenten verbunden, daß es sich als nur sinnvoll erweisen kann, vorläufig noch davon Ab-
34
35
36
37
Beispiel: Sollte er der Täter sein? Im Italienischen: Che sia lui l'assassino? Im Französischen: Serait-il l'assassin? Im Spanischen: Sería él el asesino? Mit der neuen assertorischen Funktion von dovere ist das italienische Modalverbsystem in einer Phase der Erweiterung begriffen (vgl. 5.1.1.). Dies reicht aber in keinerlei Weise an die Vielfalt der Formen des Deutschen (vgl. 4.1.1.). Daß es in anderen Sprachen diesbezüglich auch nicht wesentlich besser bestellt ist, hebt für das Englische PALMER (1990) im Vorwort zur ersten Auflage deutlich hervor: „There ist perhaps no aerea of English grammar that is both more important and more difficult than the system of the modals." Gleiches stellt SCHNUR (1977: 277) im Hinblick auf das Französische fest. Die Autorin bemängelt vor allem das Fehlen jeder Methodik in der Bestimmung von dem, was als „Modalverb" zu gelten hat: „Dieser methodischen Forderung genügen die einschlägigen Grammatiken in keiner Weise. Rein formale Merkmale oder inhaltsbezogene Gesichstpunkte rücken wechselweise in den Vordergrund, ohne daß sie sinnvoll koordiniert würden. Scheinbar waren hier intuitive Eindrücke maßgeblich, die keinem systematischen Interesse entsprangen. So ist es nicht weiter verwunderlich, daß die einzelnen Grammatiker die unterschiedlichsten Gruppierungen vornehmen, die sie womöglich noch mit denselben Bezeichnungen versehen."
12
stand zu nehmen. 38 Auch würde eine solche Untersuchung den Rahmen sowohl des Praktikablen wie auch des Nützlichen sprengen, denn die Erarbeitung eines alle Klassen modaler Ausdrucksmittel beinhaltenden Modalitätkonzeptes würde den Umfang einer eigenständigen Arbeit beanspruchen - vorausgesetzt, daß eine Beschreibung all der gemeinten modalen Klassen bereits vorliegt. Gesamtdarstellungen sind sicherlich insofern nützlich und wünschenswert, als sie einen Gesamtüberblick über ein bestimmtes Kapitel der Grammatik verschaffen, doch muß man sich darüber im klaren sein, daß jede bedeutende Erweiterung des Untersuchungsgegenstands zwangsläufig auf Kosten der Gründlichkeit geht. Zum anderen entgeht es einem aufmerksamen Sprachanalytiker nicht, daß die Erlernung - und somit auch die Vermittlung - der Gebrauchsbedingungen der in Tabelle 1.1 angeführten deutschen Modalverbpaare mit ihrer jeweiligen italienischen Entsprechung ungleich schwieriger ausfallen dürfte: Während in der Tat die Gruppen dürfen/können vs. potere und wollen/mögen vs. volere eine sehr hohe statistische Entsprechungsquote ihrer Formen - und zwar in beiden Richtungen - aufweisen, ist dies bei der dritten Gruppe nicht der Fall. 39 Die Interferenzgefahr scheint nämlich bei der Gruppe müssen/sollen vs. dovere weitaus größer zu sein als in den beiden anderen Fällen. Und für den Bereich der nicht direkten Entsprechung kommt hier nicht eine relativ kleine Gruppe von Modalausdrücken in Frage wie bei den beiden ersten Gruppen, sondern eine Fülle von z.T. sehr disparaten Ausdrucksmitteln. Dies alles berechtigt nun zu der Annahme, daß die Gruppe müssen/sollen vs. dovere weitaus schwerer zu erlernen (und zu vermitteln!) ist als die beiden anderen Gruppen. Schwer zu erlernen sind müssen und sollen schon allein deshalb, weil ihre Funktionsbereiche sich teilweise überschneiden: Beide Modalverben kommen in Sätzen vor, die Aussagen über Absichten, Forderungen, Normen etc. bezeichnen, d.h. in pragmatischen und deontischen Kontexten. Die feinen semantischen Unterschiede auseinanderzuhalten, die aus der Anwendung der einen oder der anderen Form resultieren, ist manchmal auch für den deutschen Muttersprachler keine leichte Aufgabe. 40 Die germanistische Sprachwissenschaft betont das enge Verhältnis zwischen müssen und sollen in einigen ihrer Bedeutungsfunktionen und die daraus resultierende Interferenzgefahr, die wohl auf ein bei dieser Formopposition „fein strukturiertes" System der Modalverbbedeutungen 41 bzw. auf ein in diesem Bereich von den Bedürfnissen alltäglicher Kommunikation her zu schwach motiviertes Unter-
38
39
40
41
Es ist mir nur eine Arbeit bekannt, die den Anspruch erhebt, ein allgemeingültiges Modalkonzept erarbeitet zu haben: GERSTENKORN ( 1 9 7 6 ) . VATER ( 1 9 7 7 ) hat die Arbeit unter die Lupe genommen und ein vernichtendes Urteil gefällt. Dem muß ich mich anschließen. Diese Aussage beruht auf der Analyse meines Korpusmaterials, wobei sowohl Originaltexte mit ihren Übersetzungen als auch Texte ohne Übersetzung herangezogen wurden. Man denke an die Bedeutungsunterschiede, die zwischen Sätzen wie Alle Menschen müssen arbeiten und Alle Menschen sollen arbeiten bestehen. Zu den Bedeutungsunterschieden zwischen müssen und sollen vgl. auch T H I M - M A B R E Y (1986), vor allem aber ÖHLSCHLÄGER (1989: 171), der daraufhinweist, daß KRATZER (1981: 63) und WUNDERLICH (1981: 40) die beiden Sätze Karl soll heute Klavier spielen und Karl muß heute Klavier spielen als bedeutungsgleich betrachten. Eine ähnlich „feine Strukturierung" der Bedeutungsfunktionen ist auch beim italienischen Modalverb dovere festzustellen: Dessen neue „assertorische" Funktion (vgl. 5.1.1.) sorgt für eine „Kollision" mit der längst grammatikalisierten „epistemischen" Funktion - mit dem Unterschied aber, daß es hier nicht darum geht wie im Deutschen, zwei Bedeutungen und zwei Formen auseinanderzuhalten, sondern zwei Bedeutungen ein und derselben Form, was eher im rezeptiven als im produktiven Bereich von Relevanz ist: Im Italienischen werden die damit verbundenen kognitiven Probleme sozusagen auf den Hörer „abgewälzt".
13
scheidungsvermögen zurückzuführen ist, was dann in der parole zu einer graduellen „Abschleifung" der im System angelegten Unterschiede führt. 42 Außer im Verhältnis zueinander weisen aber müssen und sollen bedeutungsfunktionelle Überschneidungen auch mit zahlreichen anderen Ausdrucksmitteln des Modalbereichs auf: Müssen u.a. mit negiertem dürfen (im Sinne des 'Verbots') bzw. negiertem brauchen (im Sinne des 'Nicht-Nötig-Seins'), mit Modaladverbien (in epistemischer Funktion) sowie mit dem Modalinfinitiv; sollen vor allem mit den Modalverben wollen (in voluntativer Funktion), können (in potentieller Bedeutung) und werden (bei starkem Bezug auf Zukunft), mit Modaladverbien bzw. -adjektiven (in epistemischer Funktion), mit dem Modus Konjunktiv (in optativischer Bedeutung) etc. Vergleiche Tabelle 1.2: Tabelle 1.2: Ausschnitt des Modalbereichs von müssen und sollen
MÜSSEN
SOLLEN
Kategorie
Ausdrucksform
Kategorie
Ausdrucksform
Modalverb
(nicht) dürfen ('Verbot') (nicht) brauchen ('Nicht-Nötig-Sein')
Modalverb
wollen (voluntativ) können (potentiell) werden (zukunftsbezogen)
Modaladverb
sicher
Modaladverb Modaladjektiv
angeblich
Modalinfinitiv
haben+zu+\nf sein·* zu* Inf
Modus
Konjunktiv (optativisch)
Andererseits ist dovere zweifellos die primäre Entsprechung der beiden deutschen Verben dies wird auch in den einschlägigen Grammatiken betont, nur viel zu einseitig. Denn bei müssen kommen außer dovere u.a. den unpersönlichen Verben bisognare, occorrere und toccare (a) wie auch dem modalen Infinitiv (mere+c/a+Infinitiv und úrvere+Ja+Infinitiv) sowie dem modalen Partizip (andare+Partizip II) zusammen mit Modaladverbien und Modaladjektiven als (Teil-)Entsprechungen 43 besondere Bedeutung zu, bei sollen stellen u.a. die Modalverben volere und potere, das futurum in praeterito (Beispiel: Er sollte seine Heimat nicht mehr Wiedersehen) sowie die Modi Konjunktiv und Konditional häufige ebenfalls wichtige (Teil-)Entsprechungen dar. Vergleiche Tabelle 1.3:
42
43
Dieser Prozeß der „Abschleifung" kann etwa bei können und dürfen in den Bedeutungsfunktionen als vollzogen betrachtet werden, in denen die beiden Modalverben (zumindest auf pragmatischer Ebene, d.h. im Hinblick auf die Satzillokution) austauschbar sind. Beispiel: Du kannst/darfst heute abend ins Kino gehen). Gleiches gilt (ungeachtet eventueller stilistischer Unterschiede) im Englischen für die Formopposition can/may: Tonight you can/may go to the movies. Vgl. PALMER (1990: 110): „The truth is [...] that, in some circumstances, the semantic distinction between different kinds of modality is very clear, and the choice of CAN and MAY determined. In others, the distinctions are far less clear and the choice between CAN and MAY is no longer determined." Die Bezeichnung „(Teil-)Entsprechung" steht hier für zwei Formen der Entsprechung: (a) für die alleinige Entsprechung einer bestimmten Bedeutungsfunktion unter allen Bedeutungsfunktionen (Beispiel: dovere für müssen in „dispositionellen" Kontexten wie Alle Menschen müssen sterben (es ist immer nur dovere möglich), (b) für eine partielle Entsprechung einer Bedeutungsfunktion neben anderen Formen (Beispiel: dovere für sollen im futurum in praeterito in Sätzen wie Er sollte jung sterben". Denn neben dovere (Doveva morire giovane) steht hier auch der Konditional II (Sarebbe morto giovane) zur Verfügung (vgl. 5.1.2.).
14 Tabelle 1.3: Ausschnitt der Entsprechungen von müssen und sollen im Italienischen SOLLEN
MUSSEN Kategorie
Ausdrucksform
Kategorie
Ausdrucksform
Modalverb
dovere bisogna, occorre, tocca (a)
Modalverb
Modaladjektiv Modaladverb Modalinfinitiv
(è) necessario necessariamente avere+da+Inf essere+da+lnf andare*Part. II
Unpersönliche Ausdrücke Modus
dovere volere potere si dice / dicono
Modalpartizip
Tempus
Infinitiv Konjunktiv Konditional futurum in praeterito
Der italienische Deutschlernende bzw. der deutsche Italienischlernende ist hier aufgefordert, sich nicht nur die Fülle der Formen einzuprägen, sondern auch - und dies ist weitaus problematischer - die Abgrenzungen der einzelnen (Teil-)Entsprechungen untereinander vorzunehmen und nachzuvollziehen sowie den Wechsel der Sprachebenen - vor allem im Hinblick auf ein idiomatisches Beherrschen der Modalverben - zu beachten. 44 Ihm diese Aufgabe zu erleichtern, wird ein wichtiges Ziel unserer Untersuchung sein.
44
Daß ähnliche Probleme etwa auch fur frz. devoir bestehen, versteht sich von selbst. Dazu F I E N E MANN (1991: III): „II faut prendre en considération [...] le fait que le français n'a qu'un verbe modal „devoir" pour exprimer „müssen1" et „sollen". Quand il y a une différenciation dans la L2 qui n'existe pas en LL, ceci pose un problème considérable pour l'apprenant."
2. Zur Definition von Modalität
2.1. Die Kategorie der Modalität
Modalität ist eine komplexe, zugleich übereinzelsprachliche wie einzelsprachliche Kategorie: Sie kommt (möglicherweise) in jeder Sprache vor, und in welcher Sprache auch immer sie vorkommt, wird sie durch eine heterogene Vielfalt sprachspezifischer Ausdrucksmittel realisiert. So wird sie im Deutschen außer als Modus (Indikativ, Konjunktiv und Imperativ) oder Verbaladjektiv (Gerundiv(um)) 1 auch durch spezielle Verblexeme (Modalverben und Modalitätsverben) 2 ausgedrückt, ferner durch Lexeme verschiedener anderer Wortarten (Modalwörter, Modalpartikeln, Modaladverbien sowie Modaladjektive und Modalsubstantive), 3 durch die Konstruktionen des Typs sein und haben mit dem Infinitiv (die sog. modalen Infinitive), 4 durch adjektivische Wortbildungsmorpheme wie -bar, -lieh, -wert, -würdig etc., durch Tempora (Futur, futurum in praeterito).5 Im Italienischen, dessen modale Ausdrucksmittel wir hier denen des Deutschen gegenüberstellen wollen, wird Modalität außer mit einigen beiden Sprachen gemeinsamen Formen auch mit einer Fülle spezifischer Mittel ausgedrückt. Zur Funktionsklasse des Modalverbs dovere, das hier speziell untersucht werden soll, zählt etwa Dl FEO (1981: 335) „[...] il verbo andare: il problema va (andava, andrà) esaminato attentamente; verbi 'difettivi' come bisogna e occorre·, perifrasi varie quali: è necessario, è obbligatorio, è indispensabile, è doveroso, ecc.; tutte le doppie negazioni con le modalità del 'permesso': non è possibile non, non è consentito non, non è permesso non, non è ammesso (ammissibile) non, non è concesso non, non è lecito non, ecc., l'espressione essere da+infìnito+-si: la questione è da ricondursi a....; certi aggettivi in bile aventi valore deontico: detestabile, biasimevo/e, lodevo/e, rivedi bile, ecc." Di F E O S Liste läßt sich leicht um einiges verlängern, etwa um die unpersönlichen Verben toccare (a) („gli è toccato pagare"), spettare (a) (spetta a te dar prova delle tue capacità"), 6 die Nominalausdrücke è dovere (di), è compito (di), è affare mio/tuo/suo/... + Infinitiv, die Modaladverbien der Gruppen wie necessariamente, possibilmente (alethische Adverbien) bzw. forse, evidentemente, senz 'altro (epistemische Adverbien) etc. 7 1
2
3 4
5
6
7
Es handelt sich um das sog. Partizipium Necessitatis lateinischer Herkunft (Beispiel: Eine zu lösende Aufgabe). Unter 'Modalitätsverben' versteht ENGEL (1988: 406f.) Verben wie drohen und pflegen in Sätzen wie Das Haus droht einzustürzen und Er pflegt zum Essen Wein zu trinkt n. Zu "Modalwörtern', 'Modalpartikeln' und 'Modaladverbien' vgl. BEERBOM (1992). Vgl. Anm. 3 im Kapitel 1. Weitere Konstruktionstypen sind die mit es gilt+zu+Infinitiv, es gibt+ zw-Infinitiv und es steht+zu+Infinitiv (Es steht zu erwarten, daß...), ferner der mit lassen+sich+ Infinitiv (Es läßt sich wohl sagen) und die Fügung sich - Verb+Angabe (Hier lebt es sich gut). Es handelt sich im ersten Fall um das „hypothetische" Futur (Beispiel: Er wird krank sein), im zweiten um Sätze des Typs Er sollte seine Heimat nicht mehr Wiedersehen (vgl. 4.1.2.). Toccare (a) wie auch spettare (a) haben die Bedeutung „essere dovuto per diritto o per dovere", d.h. sowohl die aktive Bedeutung „essere dovuto a qualcuno" als auch die passive ..essere dovuto da parte di qualcuno": Nur die passive Lesart hat modale Bedeutung. Zu den Begriffen 'alethisch' und "epistemisch' vgl. 2.4.1.1. Zu den Modaladverbien im Italienis c h e n v g l . VENIER ( 1 9 8 6 ) .
16 Die Tatsache, daß Modalität insofern eine einzelsprachliche Kategorie ist, als sie stets durch sprachspezifische Ausdrucksmittel realisiert wird, legt es nahe, daß eine Definition von Modalität stets sprachspezifisch sein müßte — ein Gedanke, den SVENDSEN (1991: 273) schon zu Ende gedacht hat: „There may be as many definitions of modality as there are languages." Da aber dieser Begriff jeder Sprache eigen zu sein scheint, erweist sich Modalität zugleich als eine übereinzelsprachliche, also eine noematische Kategorie der Universalgrammatik. Durch das Noem bewegen wir uns von der einzelsprachlich gebundenen Form zum übereinzelsprachlichen Begriff. Erst die noematische Dimension des Begriffs macht hier ein tertium comparationis und somit den Sprachvergleich überhaupt möglich. 8
2.2. Die Schwierigkeit einer Modalitätsdefinition
Modalität ist kein exklusives Untersuchungsobjekt der Linguistik. Auch andere Disziplinen haben sich mit ihr befaßt: sehr früh die Philosophie und die Logik, 9 zuletzt die Semiotik 10 sowie die Entwicklungspsychologie. 11 Die gemeinsame Erfahrung all dieser Disziplinen ist der verhältnismäßig hohe Schwierigkeitsgrad einer Modalitätsdefinition: Schon für die mittelalterliche Scholastik ist Modalität eine „heikle Angelegenheit" {de modalibus non gustabit asinus),12 den modernen Disziplinen ergeht es nicht anders. Die Psychologen BRAINE & RUMAJN ( 1 9 8 3 : 1 3 9 ) drücken sich unzweideutig aus: „[...] modality ist a tricky subject that the psychologist should approach warily." Der hohe Grad an Abstraktion wirkt sich zudem in praktischen Anwendungen besonders negativ aus: So meldet schließlich auch die maschinelle Übersetzung erhebliche Probleme mit dem Begriff der Modalität. 13 Dazu wieder SVENDSEN ( 1 9 9 1 : 2 7 3 ) : „[...] modality is not a trivial phenomenon to translate adequately in a simple way." Die negativen Erfahrungen im Umgang mit dem Begriff der Modalität sind auch der Linguistik nicht erspart geblieben. Es gibt in der Sprachwissenschaft kaum einen Bereich, in dem man so viel Gedanken entfaltet und dabei so wenig Übereinstimmung erzielt hat. Die bisher vorgelegten Definitionen sind in mehrfacher Hinsicht unbefriedigend. Darauf macht auch ÖHLSCHLÄGER ( 1 9 8 4 : 2 4 2 ) in seinem Forschungsbericht „Modalität im Deutschen" aufmerksam. Er faßt die Forschungslage wie folgt zusammen:
8
Z u m N o e m - K o n z e p t a l s tertium
9
Eine aktuelle Bestandsaufnahme der Thematiken in der philosophischen und logischen Modali-
comparationis
v g l . HENNE ( 1 9 7 2 ) , HEGER ( 1 9 7 6 ) .
t ä t s d i s k u s s i o n b i e t e n KLÖTZIG(1991), M A R C U S ( 1 9 9 3 ) u n d KNUUTTILA(1993). 10
11
Vgl. die einschlägigen Beiträge im Sonderheft 43 ( 1 9 7 6 ) der Zeitschrift Langages („Modalités: logique, linguistique, sémiotique"), vor allem aber die „Présentation" von DARRAULT, S. 3-9. Zur allgemeinen Fragestellung vgl. DIESCH (1988). Speziell zum Aufbau des Modalsystems in der K i n d e r s p r a c h e v g l . A D A M Z I K ( 1 9 8 5 ) , STEPHANY ( 1 9 8 5 ; 1 9 8 6 ) .
12
13
Zitiert aus BLANCHE ( 1 9 6 9 : 73): „[...] les théories de la modalité ont une réputation bien établie d'obscurité. Elles ne sont pas faites pour les imbéciles, disaient [ . . . ] les scolastiques: de modalibus non gustabit asinus." Mit dem Begriff der Modalität hat sich vor allem das EuROTRA-Projekt („Eurotra is a project for machine translation sponsored and organized by the Commission o f the European Communities") b e f a ß t . V g l . SGRENSEN ( 1 9 8 8 ) u n d SVENDSEN ( 1 9 9 1 ; 1 9 9 2 ) .
17 Zum einen ist deutlich geworden, wie heterogen die verschiedenen Phänomene sind, zum anderen zeigt sich, daß keiner der vorgeschlagenen Modalitätsbegriffe in der Lage ist, alle als modal bezeichneten Ausdrücke zu erfassen. Dies wird oft nur dadurch verdeckt, daß modal mehrdeutig oder anders verwendet wird, als es definiert wurde, falls es nicht einfach ohne Erläuterung gebraucht wird.
Diese Mißstände resultieren sicherlich nicht zuletzt daraus, daß sich im Bereich der Modalität sehr verschiedene Beobachtungen machen lassen, die für Grammatiker Anlaß zu immer neuen Beschreibungen, aber auch zu unterschiedlichen Bestimmungen von Modalität sind. Für das Scheitern einer brauchbaren Modalitätsdefinition lassen sich jedoch hauptsächlich methodische Unzulänglichkeiten verantwortlich machen. Es sind dies im wesentlichen die drei folgenden Inkongruenzen: a.)Eine wesentliche Voraussetzung für eine theoretisch befriedigende Darstellung eines Untersuchungsobjekts sind klar definierte Begriffe: 14 In der Modalitätsforschung läßt das Bemühen um eine klare Definition sehr zu wünschen übrig. Man kümmert sich häufig überhaupt nicht um eine Definition, man setzt sie stillschweigend voraus, etwa in der Annahme, jeder wisse, worum es geht. M E U N I E R (1974: 8) betont, daß dies unangenehme Folgen nach sich ziehen kann - nicht zuletzt deshalb, weil der Modalitätsbegriff einer Vielfalt von Disziplinen eigen, somit von vornherein mehrdeutig ist: Parler de modalités, sans plus de précision, c'est s'exposer à de graves malentendus. Le terme est, en effet, saturé d'interprétations qui ressortissent explicitement ou non, selon les linguistes qui l'utilisent, de la logique, de la sémantique, de la psychologie, de la syntaxe, de la pragmatique ou de la théorie de l'énonciation.
b.)Man geht ferner stillschweigend davon aus, daß modale Ausdrücke global modal sein müssen, d.h. modal in allen ihren Bedeutungsfunktionen. Aus der Feststellung, daß etwa das englische Modalverb can eine epistemische (Peter can be in London now) und eine deontische (You can borrow my car) modale Funktion hat, wird geschlossen, daß auch in allen anderen Kontexten, in denen es vorkommt (z.B. in She can speak French), modale Funktion vorliegen muß.15 Es ist dagegen denkbar, daß ein primär-modales Ausdrucksmittel auch (sekundäre) nicht-modale Funktionen aufweisen kann.16 Eine ebenso drasti14
15
16
Eine Empfehlung zum vorsichtigen Umgang mit Begriffen kommt von der analytischsten aller Disziplinen, d.h. von der sprachanalytischen Philosophie. Dazu HOCHE (1990: 121): „Eine der grundlegenden Aufgaben der Philosophie besteht darin, eine möglichst genaue Grenze zwischen Sinn und Unsinn zu ziehen; denn der Philosoph ist beständig in der Gefahr, mehr oder minder subtilen Unsinn zu reden. In dieser Gefahr steht allerdings auch der empirische Wissenschaftler und überhaupt jeder Mensch, der die Tragweite [...] der von ihm benutzten Begriffe nicht überprüft und von sinnvollen Formulierungen zu vermeintlich analogen, in Wahrheit aber sinnlosen Formulierungen übergeht." Ein mögliches Argument für eine nicht-modale Interpretation von She can speak French ist die Synonymität mit She speaks French: In beiden Fällen handelt es sich um eine Eigenschaftsprädikation. Dieses Argument kann aber nicht auf Eigenschafts- bzw. Fähigkeitsprädikationen generalisiert werden, denn She can swim ist nicht gleichbedeutend mit She swims. Überzeugender ist dagegen [...] das Argument der Nicht-Modalität von Fähigkeitsprädikationen mit dem Modalverb can aufgrund der Tatsache, daß ein zu diesem can (bzw. dt. können und it. potere) korrespondierender Notwendigkeitsbegriff nicht existiert (vgl. DIESCH 1988: 32). Vgl. dazu HOCHE (1990: 158f.): „Besonders häufig begegnet man in der Gegenwartsphilosophie fünf verschiedenen Arten, von 'möglich' und 'können' zu sprechen, die durch die folgenden Sätze exemplifiziert werden:
18 sehe wie konsequente Einschränkung des Inventars modaler Ausdrucksmittel und folglich modaler Funktionen wird im Rahmen der eindimensionalen Modalkonzepte (allein aus der Definition heraus) vorgenommen (vgl. 2.4.2.). c.) Der vielleicht gravierendste Fehler ist es gewesen, Modalität aufgrund einer bestimmten Klasse von modalen Ausdrucksmitteln zu definieren, um dann die auf diese Weise gewonnene Definition tel quel auf die weiteren Klassen von modalen Ausdrucksmitteln zu übertragen (vgl. K A T T E I N 1979: 89f.). In der Modalitätsdefinition hat die Kategorie der Modi seit den frühesten Anfängen eine Sonderstellung eingenommen. Infolgedessen ist man (mehr oder weniger unhinterfragt) immer wieder so verfahren, als ob Modalität und Modus identisch seien (vgl. G A L I C H E T 1970). Nun, daß die Verbalmodi ein privilegiertes Ausdrucksmittel der Modalität darstellen, wird schon daran deutlich, daß jede Äußerung an einen Modus gebunden ist. Die Modi stellen jedoch nur eine der modalen Kategorien dar. Die anderen Kategorien, und zwar an erster Stelle die Modalpartikeln, wurden nur am Rande oder gar nicht berücksichtigt, zum einem, weil sie innerhalb der linguistischen Diskussion noch nicht als eigenständige Modalkategorien galten, zum anderen, weil es Sprachen gibt, die sie nicht kennen zwei Faktoren, die eng miteinander zusammenhängen. Das Paradebeispiel stellt hier das Englische dar, das die Kategorie der Modalpartikeln, wie sie sich im Deutschen zeigt, nicht aufweist. 17 Da nun die Modalitätsdiskussion der letzten Jahrzehnte vornehmlich anhand der modalen Ausdrucksmittel dieser Sprache geführt wurde, konnte die Kategorie der Partikeln gar nicht wahrgenommen werden. Erst mit der verstärkten Untersuchung des deutschen Modalsystems (sowie dem Aufkommen der Pragmatik Anfang der 70er Jahre) wurde man auf diese Klasse von Modalausdrücken aufmerksam. Setzen wir nun die Existenz eines Modalsystems voraus, so müssen wir davon ausgehen, daß jeder Klasse von modalen Ausdrucksmitteln eine spezifische modale Funktion im Modalsystem zukommt. Wer sich mit Modalität beschäftigt, hat zunächst die Aufgabe, den jeweiligen modalen Beitrag der einzelnen Klassen von Modalausdrücken - selbstverständlich nach möglichst einheitlichen Kriterien - zu bestimmen, um erst daraus eine globale Theorie der Modalität abzuleiten. (a) (b) (c) (d) (e)
17
Es ist möglich, daß ein Mensch über hundert Jahre alt wird. Gabriele kann Klavier spielen. Der Verdächtige kann zur Tatzeit am Tatort g e w e s e n sein. Der Motorradfahrer hätte den Unfall überleben können. Es ist möglich, daß Tiger in Wahrheit gar keine Tiere sind, sondern raffiniert konstruierte Roboter. D i e Arten der Möglichkeit oder des Könnens, von denen in diesen Sätzen [...] die Rede ist, kann man [...] als (a) natürliche oder naturgesetzliche, (b) dispositionelle oder 'gesetzesartige', (c) relative oder subjektive, (d) kontrafaktische oder objektive, (e) absolute oder eidetische bezeichnen. [...] wenn wird uns überzeugen wollen, daß Menschen über hundert Jahre alt werden können oder daß Gabriele Klavier spielen kann, können wir uns voll und ganz an erfahrene Tatsachen halten. Insofern sind die Modalitäten der Typen (a) und (b) eigentlich bloße Pseudo-Modalitäten." Vgl. z.B. BUBLITZ(1978: 227): „[...] die deutschen MPn (=Modalpartikeln) sind [...] verwendbare Ausdrucksweisen der Sprechereinstellung, die keine lexikalischen Entsprechungen im Englischen (und Französischen - vgl. WEYDT 1969) haben. Es lassen sich keine englischen Partikeln nachweisen, deren semantische und pragmatische Strukturen denjenigen der deutschen MPn ähnelten oder ihnen gar gleich seien." Nach BEERBOM ( 1 9 9 2 : 2 1 ) stellen Vielfalt und Frequenz der Modalpartikeln „ein besonderes Charakteristikum des Deutschen" dar; nur w e n i g e Sprachen könnten mit ihm darin konkurrieren, z.B. das Altgriechische.
19 2.3. Die Modalverben als Klasse der modalen Ausdrucksmittel
Aber auch die Beschäftigung mit den Modalverben läßt methodisch viel zu wünschen übrig. Denn hier stößt man auf eine Vielfalt unterschiedlicher Verfahrensweisen: Diese reichen von durchaus einheitlichen, in der Logik fundierten Bestimmungen über äußerst eklektische Definitionsversuche bis hin zur ausdrücklichen Ablehnung einer jeglichen Definition zugunsten eines rein intuitiven Vorgehens. S C H N U R (1977: 276) bringt die Situation auf den Punkt: Eine eingehendere Untersuchung der 'modalen Hilfsverben' anhand entsprechender Fachliteratur erweckt den Anschein, daß dieser Begriff überhaupt einer soliden Grundlage entbehrt. Die auf diesem Gebiet herrschende Anarchie von Definitionen verrät die Unsicherheit der Grammatiker im Hinblick auf die terminologische Fassung des fraglichen Begriffs. Stellenweise wird sogar dessen Zweckmäßigkeit angezweifelt.
Logisch-fundierte Bestimmungen erweisen sich aber als weitgehend sprachfremd, eklektische Versuche lassen einen „roten Faden" vermissen, ein minimales Maß an innerer Strukturiertheit, und ein rein intuitives Vorgehen degeneriert allzuleicht in rein „kasuistische" Aufzählungen vermeintlicher Bedeutungsfunktionen, die meistens anderen Satzelementen bzw. dem weiteren Kontext zuzuschreiben sind. 18 Für eine Untersuchung der Modalverben ist aber eine (möglichst) genaue Definition „ihrer" Modalität unverzichtbar: Denn speziell die Modalverben zeigen viele Berührungspunkte mit anderen modalen Kategorien, zu denen sie in Konkurrenz stehen: zum einen mit den Modi (man denke nur an sollen und den Konjunktiv), zum anderen mit den Modalpartikeln, -adverbien und -adjektiven (man denke an müssen in epistemischer oder an sollen in assertorischer Funktion). Ohne ein klares Verständnis ihrer spezifischen modalen Leistung ist eine Abgrenzung von den übrigen Klassen modaler Ausdrucksmittel nicht zu leisten. Beim Versuch, die modale Leistung der Modalverben zu bestimmen, stütze ich mich auf die bisherigen Forschungsergebnisse sowohl zur Modalität im allgemeinen als auch zu den Modalverben im besonderen. Publikationen zu anderen Klassen modaler Ausdrucksmittel (vor allem zu den Modi wie auch zu den Modalpartikeln, über die inzwischen eine sehr reichhaltige Literatur vorliegt) sollen nur dann berücksichtigt werden, wenn sie einen direkten Zusammenhang mit den Modalverben aufweisen. Da aber schon die Literatur über Modalität und die Modalverben unüberschaubar geworden ist, bleibt nichts anderes übrig, als eine Auswahl zu treffen sowie eine zuweilen stark zusammenfassende Argumentation zu führen - in der Hoffnung, die zentralen Positionen erfaßt zu haben. Es kann also hier nicht darum gehen, einen erschöpfenden Überblick über die Modalitäts- und Modalverbforschung, die verschiedenen Analysemethoden sowie den heutigen Forschungsstand zu geben. Es sollen vielmehr lediglich die grundlegenden Konzepte in der Modalitätsforschung diskutiert, ausgewählte Definitionsansätze kritisch betrachtet sowie einige für das Verständnis unserer Problematik wesentliche Aspekte aufgegriffen mit dem Ziel, zu einer möglichst umfassenden sowie einheitlichen Modalitätsdefiniton zu gelangen. 18
Als Paradebeispiel läßt sich hier KAUFMANN (1962) anfuhren: Der Autor, der sich in seiner Studie über den Gebrauch der Modalverben sollen, müssen und wollen zum Ziel setzt, „nicht zu sehr in Einzelheiten [zu] gehen, sondern [nur] das fur einen Ausländer Notwendige auf[zu]zeigen", sieht sich genötigt, mehr als 30 Bedeutungen von sollen aufzulisten.
20 2.4. Modalitätskonzepte
Am Begriff der Modalität aus der Perspektive der Modi und der Modalverben sind in der modernen Modalitätsforschung die verschiedensten Analyseansätze erprobt worden. Die dabei erarbeiteten Modalitätsbestimmungen lassen sich im wesentlichen auf die drei folgenden Grundkonzepte zurückfuhren: a.)Eindimensionale Modalitätskonzepte: hier geht es vornehmlich um die zunächst an den Modi orientierten und später auf die Modalverben übertragenen Bestimmungen der Modalität als „Haltung des Sprechers zu dem, was er sagt". Diese Konzepte erweisen sich als defektiv definierend (insofern, als sie nur einen Teil der zur Modalität zu rechnenden Ausdrücken erfassen). b.)Zweidimensionale Modalitätskonzepte: hier handelt es sich im wesentlichen um logische Modelle sowie um die daraus abgeleitete Opposition 'epistemisch'/'nicht-epistemisch'. Diese Konzepte erweisen sich zum einen als sprachlich inadäquat (insofern, als sie in der Logik steckenbleiben), zum anderen als definitionsdefektiv (insofern, als sie bestimmte notwendige Unterscheidungen unter den Modalitätstypen nicht treffen). c.)Dreidimensionale Modalitätskonzepte: es handelt sich in erster Linie um sprachfunktions- (z.B. BÜHLER), sprechakt- (z.B. SEARLE) bzw. kommunikationstheoretisch (z.B. HABERMAS) orientierte Modelle, die im Zuge der pragmatischen Wende ab etwa 1 9 7 0 in der linguistischen Diskussion verstärkt aufgetreten sind. Diese Konzepte liefern einige für eine sprachgerechte (sowie übereinzelsprachliche) Modalitätsdefinition wesentliche Impulse. Da die zweidimensionalen Konzepte älteren Datums sind als die beiden anderen sowie deshalb, weil sie auf der für jede Modalitätsdiskussion unverzichtbare begrifflichen Opposition 'epistemisch'/'nicht-epistemisch' basieren, behandle ich sie an erster Stelle.
2.4.1. Zweidimensionale Modalitätskonzepte Die traditionelle Modalverbforschung hat sich bis in die 80er Jahre hinein im wesentlichen auf ein zweidimensionales Konzept der Modalität festgelegt, dessen oppositive Bezeichnungen 'epistemisch' und 'deontisch' der Modallogik entnommen sind. Um die Signifikanz dieser beiden Termini für linguistische Fragestellungen zu verdeutlichen, müssen wir uns kurz die Grundlagen der Modallogik ins Gedächtnis rufen.
2.4.1.1. Die zwei logischen Grundmodalitäten 'notwendig' und 'möglich' Die Modallogik kennt zwei Grundmodalitäten, Notwendigkeit und Möglichkeit, die durch die Modalfunktoren (oder -operatoren) 'notwendig' und 'möglich' ausgedrückt werden. Nimmt man dazu ihre entsprechenden Negate 'unnotwendig' und 'unmöglich', so erweitert sich die Anzahl der logischen Modalitäten auf vier: Es kommen Unnotwendigkeit und Un-
21 möglichkeit hinzu. Aus der orthogonalen Anordnung dieser vier (monadischen) Modalfunktoren 19 entsteht das sog. logische Quadrat mit den vier logischen Modalitäten Ν, Ζ, M und U 20 Np
Up
Mp
Zp
Abbildung 2.1: Logisches Quadrat
wobei Ν als NOTWENDIGKEIT („es ist notwendig, daß ρ"), M als MÖGLICHKEIT („es ist möglich, daß p"), U als UNMÖGLICHKEIT („es ist nicht möglich, daß ρ"), Ζ als UNNOTWENDIGKEIT („es ist nicht notwendig, daß /?") und ρ als ein beliebiger Satz (oder: Proposition) einer beliebigen natürlichen Sprache zu lesen sind. Außer auf den Modalfunktor wie in Abbildung 2.1 kann die Negation (~) aber auch auf die dem Modalfunktor untergeordnete Proposition (oder: Argument) angewandt werden. Die auf die Proposition, die dem Modalfunktor untergeordnet ist, angewandte Negation gilt als die 'innére' Negation; und die Negation, die den Modalfunktor selbst negiert, als die 'äußere' Negation. Durch Anwendung der beiden Arten von Negation auf die beiden (positiven) monadischen Modalfunktoren Ν und M läßt sich für beide Modalfunktoren j e ein logisches Quadrat konstruieren, das jeweils allein durch den Modalfunktor (N oder M) sowie die (innere und äußere) Negation definiert werden kann. 21 Aus Abbildung 2.2 wird deutlich, daß die vier Modalitäten in Abbildung 2.1 insofern eng miteinander zusammenhängen, als aus jeder von ihnen die drei anderen gewonnen werden können, und zwar durch Negation des Arguments (N~/?, M~/J etc.), des Modalfunktors (~N/?, ~ M p etc.), oder von beiden (~N~p, ~M~p etc.): (a)
Np
-N-p
N-p
~Np
(b)
~M~p
~Mp
Mp
M~p
Abbildung 2.2: Logische Quadrate der Notwendigkeit (a) und der Möglichkeit (b)
19
20
Die Modaloperatoren 'notwendig' und 'möglich' sind insofern monadisch (oder einstellig), als sie nur ein Argument fordern: es ist notwendig, daß ρ bzw. es ist möglich, daß p. Die logische Partikel 'und' ist z.B. dyadisch (oder zweistellig), weil sie zwei Argumente fordert: A und B; das Prädikat 'geben' ist triadisch (oder dreistellig), denn es fordert drei Argumente: A gibt dem Β das C. Zum 'logischen Quadrat' vgl. KAMLAH/LORENZEN (1992: 179-187), DÖHMANN (1974a: 57) und MENNE (1985: 56).
21
Gleiches gilt selbstverständlich für die beiden Negate Ζ und U - vgl. DÖHMANN (1974b: 57). Sie interessieren uns hier aber nicht weiter: Sie sind zwar für die Sprache der Logik grundlegend, in einer natürlichen Sprache werden sie bevorzugt durch ihre positiven Glieder (N und M) ausgedrückt. Die Opposition der inneren und äußeren Negation setzt die Zweigliedrigkeit des Satzes voraus. Wenn wir den Satz Ich bedauere, daß er gekommen ist einmal 'äußerlich' und einmal 'innerlich' verneinen, ergeben sich daraus zwei ganz verschiedene Sätze: Ich bedauere nicht, daß er gekommen ist und Ich bedauere, daß er nicht gekommen ist. (Beispiel aus HOCHE 1990: 151).
22 An den beiden logischen Quadraten in Abbildung 2.2 lassen sich zwei für den weiteren Verlauf unserer Arbeit (vor allem im Hinblick auf die Relationen der Negation mit den Modalverben des Deutschen müssen, dürfen und brauchen bzw. des Italienischen dovere, bisognare und occorrere) wichtige Beobachtungen machen (vgl. 6.3.1.): a.)Die logischen Ausdrücke in einander entsprechenden Ecken der Quadrate sind logisch äquivalent, also untereinander substituierbar. Es bestehen folgende Substitutionsrelationen·.22 - Νρ (notwendig ρ) ist substituierbar durch ~M~p (nicht möglich (nicht - ~ N ~ p (nicht notwendig (nicht p) ist substituierbar durch Μ ρ (möglich - Ν ~ p (notwendig (nicht p) ist substituierbar durch ~Mp (nicht möglich - ~ N ρ (nicht notwendig p) ist substituierbar durch M~p (möglich (nicht
p)), ρ)), p)), p)).
b.)In beiden logischen Quadraten kommt jeweils eine kontradiktorische, eine konträre und eine korrelative Negation vor. 23 Dabei gilt, „daß von zwei konträren Aussagen nicht beide wahr, von zwei korrelativen Aussagen nicht beide falsch und von zwei kontradiktorischen Aussagen weder beide wahr noch beide falsch sein können." (DIESCH 1988: 53). Es bestehen folgende Beziehungen: - Np und ~Np bzw. Mp und ~Mp sind kontradiktorisch, - Np und N~p bzw. ~Mp und ~M~p sind konträr, - ~Np und ~N~p bzw. Mp und M~p sind korrelativ.
Erläuterung: 24 Nichts kann zugleich notwendig und unnotwendig sein, aber nichts kann zugleich weder notwendig noch unnotwendig sein, nichts zugleich möglich und unmöglich und nichts zugleich weder möglich noch unmöglich, d.h. Notwendiges und Unnotwendiges schließen einander aus, genauso wie Mögliches und Unmögliches: Es handelt sich um kontradiktorische Beziehungen. Nichts Notwendiges ist unmöglich, nichts Unmögliches ist notwendig, „aber es kann der Fall eintreten, daß etwas zugleich nicht notwendig und nicht unmöglich ist" (SEIFFERT/RADNITZKY 1992: 217). Diese Art von Beziehung nennt man konträr. Einiges Unnotwendige ist jedoch möglich, genauso wie einiges Mögliche unnotwendig ist, d.h. „die Bereiche des Unnotwendigen und des Möglichen überschneiden sich [...]" (SEIFFERT/RADNITZKY 1992: 2 1 7 ) . D i e s e B e z i e h u n g b e z e i c h n e t m a n als
subkonträr.
Wenn etwas notwendig ist, so kann sein Gegenteil nicht zugleich notwendig sein, und wenn etwas möglich ist, so kann sein Gegenteil nicht zugleich möglich sein. Diese letzte Art von Beziehung gilt in der Logik als die korrelative. Modalfunktoren wie Ν und M sind logische Einheiten, die auf Propositionen angewandt werden und damit Aussagen bilden. 25 Unter einer 'Aussage' ist ein ¡sprachliches Gebilde zu verstehen, „das einen bestimmten Sachverhalt intendiert und dadurch den Charakter erhält, wahr oder falsch zu sein." (MENNE 1985: 24). „[...] Eine Aussage heißt wahr, wenn sie mit 22 23 24 25
Vgl. MENNE(1985: 55ff.), DIESCH(1988: 53), KAMLAH/LORENZEN(1992: 179ff.). Vgl. MENNE (1985: 31ff.), SEIFFERT/RADNITZKY (1992: 217), SCHWARZ/CHUR(1996: 121ff.). Vgl. KAMLAH/LORENZEN (1992: 180-184.) Zwischen 'Aussage' und 'Proposition' wird in der Philosophie und Logik nicht einheitlich unterschieden. Unter 'Aussagen' können Sätze verstanden werden, „die Objekten oder Sachverhalten der realen Welt Eigenschaften zuschreiben" (BUBMANN 1990: 113), und unter 'Proposition' „[...] der sprachunabhängige, bezüglich des Illokutionstyps neutrale gemeinsame Nenner der Bedeutung von Sätzen [...], die das Zutreffen eines Sachverhalts zum Inhalt haben" (BUBMANN 1990: 617). Häufig wird keine Unterscheidung getroffen.
23 dem intendierten Sachverhalt übereinstimmt. [...] Eine Aussage heißt falsch, wenn sie nicht wahr ist." ( M E N N E 1985: 25). Das 'Wahr-' oder 'Falsch-Sein' einer Aussage drückt eine (logische) 'Modalität' aus. Mit dieser Art von Modalitäten beschäftigt sich die alethische Logik. In Anlehnung an die alethische Logik werden eine epistemische und eine deontische Logik mit entsprechenden Funktoren eingeführt. Die epistemische und die deontische Logik stellen somit besondere Arten, Zweige oder Ausweitungen der Modallogik dar. Jede dieser drei Arten von Logiken drückt eine Klasse von Modalitäten aus. Diese Klassen von Modalitäten bilden ihrerseits 'Kategorien der Modalität' oder 'Modalitätstypen'.
2 . 4 . 1 . 1 . 1 . VON WRIGHTS
orthogonale Taxonomie der Modalitätstypen
Die bekannteste modallogische Klassifikation der Modalitätstypen aus dem logischen Quadrat heraus ist zweifellos die von G E O R G HENRIK VON W R I G H T ( 1 9 5 1 ) vorgeschlagene orthogonale Taxonomie. Diese Klassifikation unterscheidet insgesamt fünf Modalitätstypen: Zu den drei hier oben bereits erwähnten Typen - 'alethisch', 'epistemisch' und 'deontisch' - kommen die beiden weiteren Typen 'existentiell' und 'dynamisch' hinzu - ersterer ist jedoch für unsere Zwecke ohne Belang (siehe weiter unten), letzterer wird in 2.4.1.2.5. näher erläutert. Vergleiche Tabelle 2.1: Tabelle 2.1: VON WRIGHTS Klassifikation der Modalitätstypen ALETHISCH
EPISTEMISCH
DEONTISCH
EXISTENTIELL
DYNAMISCH
Notwendig
verifiziert
geboten
universal
-
Möglich
-
erlaubt
existierend
-
Kontingent
unentschieden
indifferent
-
-
Unmöglich
falsifiziert
verboten
leer
-
Erläuterung: Die alethischen Modalitäten 'notwendig', 'möglich', 'unmöglich' und 'kontingent' betreffen den Wahrheitsstatus von Aussagen: Notwendig wahr sind Aussagen, die logisch, d.h. aufgrund ihrer Form, wahr sind. Unmöglich oder notwendig falsch sind Aussagen, die aufgrund ihrer Form falsch sind. Kontingent sind Aussagen, die weder logisch wahr noch logisch falsch sind. Die epistemischen Modalitäten 'verifiziert', 'unentschieden' und 'falsifiziert' betreffen den Erkenntnisstatus einer Aussage. Mögliche umgangssprachliche Prädikate sind: 'es ist bekannt, daß...', 'es ist nicht bekannt, ob...' und 'es ist bekannt, daß nicht...'. Eine wichtige Rolle kommt auch den beiden Modalverben können und müssen zu. Die deontischen Modalitäten 'geboten', 'erlaubt', 'indifferent' und 'verboten' betreffen den Status von generischen Handlungen (Handlungstypen) in Abhängigkeit von Normen oder Konventionen. Wiederum sind hier die beiden Modalverben können und müssen (neben dürfen und sollen) wichtige Ausdrucksmittel. Der vierte Modalitätstyp, die 'existentiellen Modalitäten', wurde von VON W R I G H T aufgrund den zwischen den vier Quantifikatoren (oder kürzer: Quantoren) 'alle' und 'einige' (affirmativ) sowie 'nicht alle' und 'keiner' (negativ) bestehenden Beziehungen, die denen der anderen Modalitätstypen orthogonal parallel verlaufen, in die Klassifikation mit aufgenommen. Aufgrund ihrer binären oppositiven Struktur (zwei affirmative vs. zwei negative Einheiten) hängen die vier Quantoren in exakt analoger Weise miteinander zusammen wie die vier Modalfunktoren. Auch bei ihnen erhält
24 man durch Negation des Arguments (d.h. der prädikativen Aussage), des Funktors (hier des Quantors) oder beider (Argument und Funktor) vier den Modalitäten entsprechende logische Relationen (vgl. DÖHMANN 1974c: 92f.). Da aber Quantifikatoren keine Modalfunktoren, sondern Operatoren sind, die der Spezifizierung bzw. Quantifizierung von Mengen dienen, somit (logische) Konstanten (der Prädikatenlogik) darstellen, handelt es sich bei ihnen eigentlich nicht um Modalitäten (vgl. DIESCH 1988: 19). Für die Zwecke unserer Arbeit sind sie vernachlässigbar. Nicht aus den Augen verlieren dürfen wir dagegen den fünften von VON WRIGHT eingeführten und von den Logikern wenig beachteten Modalitätstyp: Aus der Feststellung heraus, daß nicht jede Handlung eine deontische ist, d.h. nicht immer relativ zu einer bestimmten Verhaltensregel gesehen werden kann, hat VON WRIGHT einen neuen Modalitätstyp eingeführt, um dieser Klasse von Handlungen Rechnung zu tragen. Diesen Modalitätstyp, der die (nicht-deontische) Notwendigkeit/Möglichkeit der Ausführung von Handlungen betrifft, nennt VON WRIGHT 'dynamisch' (vgl. 2.4.1.2.5.).
2.4.1.2. Die Anwendung logischer Modelle auf die Sprache Bei der Anwendung logischer Modelle in der Sprachanalyse ist zu unterscheiden zwischen Anwendungen, die in der schlichten Übertragung der (jeweils gewählten) logischen Kategorien auf die Sprachgegebenheiten bestehen, und Anwendungen, die mehr oder weniger stark ausgeprägte Adaptierungen solcher Modelle an die jeweiligen Sprachgegebenheiten darstellen. Die erste Gruppe dieser Anwendungen nenne ich hier 'tel gwe/-An Wendungen ', die zweite ' a d hoc-Anwendungen'. Bei tel gwe/-Anwendungen geht man davon aus, daß logisch definierte Kategorien ohne weiteres auf Sprache anzuwenden seien, bei ad hocAnwendungen werden dagegen diesbezüglich Einschränkungen eingeräumt. Paradebeispiel für die erste Position ist die Montague-Grammatik (vgl. MONTAGUE 1973). Grundlegend für diese Grammatik sind die zwei folgenden Postulate: a.) Jede natürliche Sprache läßt sich in eine formale Sprache übersetzen; b.)Zwischen natürlichen und formalen Sprachen besteht kein prinzipieller Unterschied. Bevor Stellung dazu genommen wird (vgl. 2.4.1.2.2.), möchte ich auf einige besonders repräsentative tel ¿/«¿/-Anwendungen auf die Klasse der Modalverben kurz eingehen.
2.4.1.2.1. Tel gue/-Anwendungen Logische Modelle, darunter vor allem das logische Quadrat, haben bei zahlreichen Versuchen der Bestimmung von Modalverben Pate gestanden. Kennzeichnend für all diese Bestimmungsversuche ist die MONTAGUEsche Annahme, daß (formale) Logik und (natürliche) Sprache isomorphe Strukturen aufwiesen. 2 6 Unterschiede, sofern vorhanden, seien nur in der Art der Modalitätstypen festzustellen, die in die Definition aufgenommen werden. Es lassen sich zwei Gruppen solcher Bestimmungen unterscheiden: die alethischen und die nicht-alethischen Bestimmungen.
26
Das Paradebeispiel stellt LYONS (1983: 150-186) dar.
25 2.4.1.2.1.1. Alethische Bestimmungen Die Grundthese der alethischen Bestimmungen ist, daß sich Modalität genauso wie die logischen Strukturen im wesentlichen auf die beiden (einzigen) Grundkategorien des Notwendigen und des Möglichen zurückfuhren läßt. Neben eher vorsichtigen Formulierungen wie „Modality has to do with necessity and possibility" ( K R A T Z E R 1981: 39) sowie „Most uses of the modal auxiliaries are expressible in terms of the categories of necessity and possibility" (KIEFER 1987: 72), sind auch durchaus kategorische Positionen zu verzeichnen. Das Paradebeispiel ist hier N E H L S (1986). N E H L S argumentiert apodiktisch: Er legt die Anwendbarkeit modallogischer Kategorien in der Beschreibung natürlicher Sprachen axiomatisch fest und beschreibt in der Folge das System der Modalverben im Englischen und Deutschen auf der Basis des eigens gesetzten Isomorphie-Postulats: [...] die philosophische Modallogik [kann] unseres Erachtens einen brauchbaren Bezugsrahmen für die Beschreibung der Modalverben in den indogermanischen Sprachen bereitstellen. Wir richten uns bei der Etablierung des Systems der Modalverben nach der alethischen Modallogik, die mit den Operatoren 'möglich' und 'notwendig' arbeitet. Nach unserer Auffassung dienen alle Funktionen der Modalverben dem Ausdruck von 'Möglichkeit' und 'Notwendigkeit' im weitesten Sinne [...]. (1986: 24). [Hervorhebung von mir].
Bei NEHLS, wie bei allen anderen Autoren, die logische Modelle tel quel auf Sprache anwenden, ist grundsätzlich zweierlei festzuhalten: Zum einen wird nicht nachgewiesen, daß die Modelle der Logik tatsächlich im Hinblick auf Sprache erklärungsfähig sind - dies wird schlicht postuliert; zum anderen wird generell so verfahren, als ob die gewählte Definition in keinerlei Beziehung zum weiteren Verlauf der Arbeit stünde, für diesen also nicht bindend wäre - d.h. es wird in Wirklichkeit eklektisch vorgegangen. 27 Bisweilen werden sogar alle vier Kategorien des alethischen Modalitätstyps definitorisch angesetzt: Aufbauend auf den vier aristotelischen Modalkategorien („lo necesario", „lo posible", „lo contingente", „lo imposible") schlägt H E R N Á N D E Z ( 1 9 8 1 ) ein Vier-ModalitätenSystem vor: „Los componentes-tipo de la estructura modal [...] lo·» designamos intuitivamente modalidad ilocutiva, modalidad presupositiva, modalidad referencial, y modalidad conclusiva." (1981: 14), wobei Modalität als eine „[...] estructura pragmática pre-verbal resultante de un proceso de combinación de propriedades lógicas, pragmático-intencionales y lingüístico-normativas [...]" (1981: 13) definiert wird. Versucht man H E R N Á N D E Z ' Definition auf ein Korpus von Modalverbsätzen anzuwenden, so kommt die Unbrauchbarkeit solcher Bestimmungen in aller Deutlichkeit zum Ausdruck: Nicht nur wegen der methodisch unzulässigen Verquickung aller nur denkar möglichen Definitionsebenen, sondern schon aufgrund der mangelnden Isomorphic von Logik und Sprache - die in diesem speziellen Fall nur 'intuitiv' begründet wird. 27
Dies gilt ebenfalls fur RAYNAUD (1974), die bezüglich der angeblichen Eignung logischer Kategorien für die Analyse der Modalverben genauso apodiktisch wie NEHLS (1986) verfährt (1974: 7): „les „modalités logiques" comprennent les notions du possible et du nécessaire et leurs contradictions, les notions „déontiques", qui leurs sont apparentées, les notions du probable et de l'éventuel etc. Il est incontestable que les Vm [= verbes modaux] sont capables d'exprimer des notions qui sont liées aux concepts de ces „modalités logiques"." [Hervorhebung von mir]. Im weiteren Verlauf ihrer Arbeit bedient sich die Autorin einer eher eklektischen Methode, die nicht nur der Logik, sondern auch der Sem-Analyse POTTIERS sowie der Wortfeldtheorie (davon ausgehend, daß die Modalverben ein geschlossenes System bilden) verpflichtet ist.
26 2.4.1.2.1.2. Die Mögliche-Welten-Semantik Zur Gruppe der alethischen Bestimmungen zählen auch die Ansätze, die auf der logischen Theorie der Mögliche-Welten-Semantik aufbauen. 28 In der Anwendung auf die natürliche Sprache hat diese Theorie mehrere Ausformulierungen erfahren. In ihrer Fragestellung Wann sind Propositionen (von Aussagen) wahr? - sowie in der Antwort darauf stimmen sie im wesentlichen überein: Um zu entscheiden, ob die Proposition einer Aussage wahr oder falsch ist, muß man die „spezifischen Umstände" (v. KUTSCHERA 1976: 23) kennen, für die sie zu gelten hat. Denn eine unter bestimmten Umständen falsche Proposition kann unter anderen Umständen wahr sein. Eine Summe von (genau selegierten) Umständen £i. n kann als eine „mögliche Welt" aufgefaßt werden, als „ein Ganzes von untereinander kompatiblen Ideen und Gesetzen" (GLÜCK 1993: 399): Grundlage dieser Theorie ist das sog. Widerspruchsprinzip. Nach SEIFFERT/RADNITZKY (1992: 217) beruht dieses Prinzip auf den drei folgenden Axiomen: a.) Was immer in sich widersprüchlich ist, ist unmöglich; b.)Was immer derart ist, daß seine Negation widersprüchlich ist, ist notwendig; c.) Was immer in sich widerspruchsfrei ist, ist möglich. Für jede Proposition p¡ läßt sich nun eine Menge von möglichen Welten {w¡, w2,..., w„} finden, in denen die Proposition wahr ist. 29 Eine bestimmte mögliche Welt w, ist dann eine Menge von Propositionen {ph p2,..., pm}, die in ihr wahr sind. Wahr ist demnach eine Proposition immer dann, wenn sie möglich ist, d.h. widerspruchsfrei relativ zu allen anderen Propositionen der Menge. Der Bereich des Möglichen ist umfassender als der Bereich des Wirklichen, denn dieser besteht allein aus der Summe der Umstände, die sowohl wahr als auch wirklich sind, ersterer beinhaltet dagegen alle Umstände, die wahr sind - also wirkliche wie auch unwirkliche. Es gibt also Propositionen, denen Wahrheit, aber nicht Wirk28
Ein von Gottfried Wilhelm Freiherr von LEIBNIZ ( 1 6 4 6 - 1 7 1 6 ) in die logische und erkenntnistheoretische Diskussion eingeführter Begriff, der alles andere ist als unumstritten. Dazu etwa MEYER (1987: 231, Anm. 3): „Auf der einen Seite gibt es Sprachphilosophen und Logiktheoretiker, die [...] diesen Begriff modallogisch fur grundlegend halten [...], auf der anderen Seite stehen Autoren, die den „possible worlds point o f view" als „dead wrong, deeply unsatisfactory, both philosophically and mathematically" kritisieren [...]." Eine akute Kritik aus (modal-)psychologischer Sicht liefert DIESCH ( 1 9 8 8 ) im Kapitel 2.10. DIESCH bezieht sich dabei in erster Linie auf die bei KRATZER (1977) vertretene Fassung der Mögliche-Welten-Semantik und bemängelt vor allem den fehlenden Bezug zur Realität konkreter sprachlicher Äußerungen: „Eine psychologisch realistische intensionale Semantik muß die Begrenzung der Speicherkapazität und der Verarbeitungsgeschwindigkeit des menschlichen Arbeitsgedächtnisses berücksichtigen. „Mögliche Welten" oder auch „mögliche Zustände der wirklichen Welt" können psychologisch daher nur durch die mentale Repräsentation konkreter Situationen und Sachverhalte, die durch finite Mengen von Propositionen beschreibbar sind, aber nicht durch im logischen Sinn vollständige Propositionenmengen, dargestellt werden."
29
Beispiel: Dem Satz Vielleicht ist der Weltfrieden möglich können nach SCHWARZ/CHUR (1996: 168) Überlegungen der Art zugrunde liegen, „[...] daß man sieht vorstellt, was wäre, wenn alle Waffen abgeschafft würden, wenn ein Verrückter die Regierung einer Atommacht übernähme, wenn alle weiter Angst vor dem Overkill haben, es aber trotzdem (oder gerade deswegen) nie zu einem Krieg käme, wenn die Menschen endlich vernünftig würden oder wenn Außerirdische alle hypnotisierten."
27 lichkeit zukommt. Dementsprechend gibt es mögliche Welten, die nie zur Wirklichkeit gelangen. Das Kriterium dafür, ob einer Proposition Wirklichkeit zukommen kann oder nicht, ist ihre logische Verträglichkeit mit allen anderen Propositionen, denen Wirklichkeit zukommt. Der Bereich der notwendigen Wahrheiten ist dagegen kleiner als der des Wirklichen, denn alles, was wirklich ist, muß zwar möglich sein, aber nicht unbedingt notwendig. Das Notwendige erweist sich somit als eine gemeinsame Teilmenge des Möglichen und des Wirklichen.
2.4.1.2.1.3. KRATZERS Theorie der „Redehintergründe" In einer Reihe von Arbeiten (1976; 1977; 1978; 1980; 1981) versucht nun KRATZER, die Modalverben müssen und können auf der Grundlage der Mögliche-Welten-Semantik zu erklären. Sie untersucht, unter welchen Bedingungen die Propositionen ρ von Aussagen wie in (1) und (2) (notwendig bzw. möglich) wahr sind: (1)
(a) (b)
Die Vorfahren der Maoris müssen aus Tahiti gekommen sein, Die Vorfahren der Maoris können aus Tahiti gekommen sein.
(2)
(a) (b)
Alle Maori-Kinder müssen die Namen ihrer Vorfahren lemen. Alle Maori-Kinder können die Namen ihrer Vorfahren lernen.
Die Wahrheit von (1) gründet auf unserem Wissen-von-Welt, die von (2) auf dem Umfang von Pflichten der Maori-Kinder. Bedingung für die Wahrheit von (1) und (2) ist somit, daß ρ logisch folgt bzw. nicht im Widerspruch steht zu dem, was wir wissen bzw. zu dem, was zum Umfang der Pflichten der Maori-Kinder gehört. Die Bedeutungsfunktionen von müssen und können erweisen sich demnach als „relativ" (oder - in der Terminologie von KRATZER - „relational"). KRATZER paraphrasiert müssen als „notwendig im Hinblick a u f ' und können als „möglich im Hinblick a u f ' , somit als zweistellige Prädikatoren P{x, y). Die beiden Argumente dieser zweistelligen Relationen sind der Gehalt der dem Satz unterliegenden Proposition ρ (= χ) sowie der durch den Äußerungskontext (einschließlich des propositionalen Gehalts von p) jeweils selegierte „Redehintergrund" (= y) - wobei unter Redehintergrund eine Funktion zu verstehen ist, die der möglichen Welt, der der jeweilige Satz angehört, eine Menge von Propositionen zuordnet: a.) „NOTWENDIG IM HINBLICK A U F ' > , Wissen-von-Welt; Umfang von Pflichten} b.)„MÖGLICH IM HINBLICK AUF" {p, Wissen-von-Welt; Umfang von Pflichten}, wobei ρ = „das Kommen der Vorfahren der Maoris aus Tahiti" bzw. „das Lernen der Namen ihrer Vorfahren seitens aller Maori-Kinder". Demnach lassen sich (1) und (2) als (3) und (4) paraphrasieren: (3)
(a) (b)
(4)
(a) (b)
Im Hinblick auf das, was wir wissen, müssen die Vorfahren der Maoris aus Tahiti gekommen sein. Im Hinblick auf das, was wir wissen, können die Vorfahren der Maoris aus Tahiti gekommen sein. Im Hinblick auf ihre Pflichten gegenüber dem Stamm müssen alle Maori-Kinder die Namen ihrer Vorfahren lernen, Im Hinblick auf ihre Pflichten gegenüber dem Stamm können alle Maori-Kinder die Namen ihrer Vorfahren lernen.
28 Die müssen-Sätzs (3) (a) und (4) (b) sind (notwendig) wahr genau in den Welten, in denen ρ aus der durch den Redehintergrund diesen Welten zugeordneten Menge von Propositionen logisch folgt; und die können-Sätze (3) (a) und (4) (b) sind (möglich) wahr genau in den Welten, in denen ρ mit der durch den Redehintergrund diesen Welten zugeordneten Menge von Propositionen logisch verträglich ist. In KRATZERS Ansatz entscheidet somit nicht das Modalverb, sondern der jeweils selegierte Redehintegrund über die Modalität des Modalverbsatzes - denn die Modalverben sind hier zu Funktoren degradiert: müssen zum Funktor der logischen Folge (eines Satzes aus anderen Sätzen), können zum Funktor der logischen Verträglichkeit (eines Satzes mit anderen Sätzen). Dadurch wird aber das Problem der Bedeutungsbeschreibung der Modalverben nicht gelöst, sondern lediglich auf eine andere Ebene verschoben, die es noch zu beschreiben gilt. Auf dieser Ebene verfällt aber dann die Beschreibung zwangsläufig in eine rein kasuistische Inventarisierung der „Redehintergründe", somit in eine - vielleicht unendliche - Reihe von Bedeutungen des Modalverbs müssen (müssen\, müssen2,..., müssenm,...) und des Modalverbs können (könneni, können2,..., könnenn,...). So KRATZER (1977: 339): H o w many kinds o f 'must' do w e have to distinguish? H o w many deontic ones? H o w many epistemic ones? H o w many dispositional ones? And how many preferential ones? Obviously many, many o f each group. 3 0
Zum Nachteil gereicht KRATZERS Theorie dadurch auch insofern, als bei ihr der für uns sowohl theoretisch (als Merkmal zur Bildung von Klassen der Modalverben) wie auch systematisch (als Mittel für eine Typologie der Modalverbsätze) wichtige Begriff des 'Modalitätstyps' verlorengeht. Dabei liefert gerade KRATZER die besten Voraussetzungen für eine sinnvolle Ermittlung und Definition der Modalitätstypen, indem sie die Modalverben als relational definiert. Einen Katalog der Redehintergründe liefert KRATZER aber nicht - und gerade dies - zusammen mit einer Behandlung der Modalverben über können und müssen hinaus - brauchen wir. Hier muß man wohl BRÜNNER/REDDER (1983: 25) zustimmen: Der Begriff des Redehintergrunds ist [...] in seiner inneren Struktur und in seiner inhaltlichen Füllung noch unklar. Beispielsweise muß durch pragmatische Analysen noch geklärt werden, von welchem Typ Redehintergünde sein können und auf welcher Ebene sie lokalisiert sind.
Der Begriff des Modalitätstyps bietet nun die „natürliche" Fortsetzung des Gedankengangs KRATZERS sowie ein - wie ich sehe - hervorragendes Konzept für die Beschreibung der Modalverbfunktion auf relationaler Basis. Man könnte meinen, müssen und können verfügten tatsächlich nur über eine Bedeutung - etwa im Sinne der Formel „im Hinblick darauf, daß ...", eben wie von KRATZER ausgeführt. Dagegen spricht aber, daß verschiedene Realisierungen dieser Modalverben immer bestimmte unterschiedliche - und nur diese - Interpretationen zulassen, somit auf verschiedene Bedeutungsfunktionen schließen lassen - was aber dem Nachweis der Polysemie dieser Verben gleichkommt. Vergleiche (Beispiel von DIESCH 1 9 8 8 : 10): (5)
30
Peter muß sich in der Garage verstecken.
Beispiel für 'dispositionelle' Modalität: Wenn du niesen mußt, benutze wenigstens dein Taschentuch, fur 'präferentielle' Modalität: Als Kahukura-nui starb, sagten die Menschen von Kahungunu: Rakaipaha muß unser Häuptling werden (= Übersetzungen der englischen Beispiele in KRATZER ( 1977: 338): If you must sneeze, at least use your handkerchief und When Kahukura-nui died, the people of Kahungunu said: Rakaipaka must be our chief).
29 Für Satz (5) lassen sich mindestens drei verschiedene Interpretationen finden - wie in (6): (6)
(a) (b) (c)
Er möchte seiner Verhaftung durch die Polizei entgehen, Das gehört nun mal zu diesem Spiel, Sonst könnte ich ihn sehen.
Es handelt sich hier um die drei Modalitätstypen, die DLESCH (1988: 10) - in der Reihenfolge - als „pragmatisch", „deontisch" und „epistemisch" bezeichnet. Es ist nicht einzusehen, warum auf diese deutlichen Unterschiede in der Verwendung der Modalverben im Rahmen einer Theorie der Modalität verzichtet werden sollte - und dies ganz abgesehen davon, daß KRATZERS Ansatz nur auf (einige Verwendungsweisen von) müssen und können anwendbar ist (vgl. 2.4.1.2.2.). Wir halten somit fest am Begriff der Polysemie der Modalverben sowie an der Brauchbarkeit des Begriffs des Modalitätstyps. KRATZERS Begriff des 'Redehintergrunds' erweist sich hingegen als zentral für die Bestimmung der Bedeutungsfunktionen der Modalverben. Durch diesen Begriff wird die Bedeutung von Modalverbsätzen als eine „relationale" definiert: Es wird zum ersten Mal postuliert, daß sowohl epistemischen wie auch nicht-epistemischen Modalverbsätzen ein Schlußfolgerungsprozeß - zusammengefaßt in der Formel „im Hinblick darauf, daß ..." - zugrunde liegt. Diese Erkenntnis wird im weiteren Verlauf unserer Arbeit eine primäre Stellung einnehmen (vgl. 2.4.3.).
2.4.1.2.1.4. Nicht-alethische Bestimmungen Das erweiterte Modell der Modallogik umfaßt neben der alethischen auch die deontische und die epistemische Modalität. Vgl. z.B. WATTS (1984: 130): In modal logic a distinction is generally made between three types o f modal qualifications o f propositions, namely alethic, deontic and epistemic modality. Alethic modality is concerned with necessary and possible truth. [...] Deontic modality is concerned with the logic o f permission and obligation. [...] Epistemic modality [...] is concerned with the assertion o f logical necessity or possibility [...].
Die Funktion alethischer Modalitäten ist eine genuin logische: Sie besteht in der Herstellung logischer Folgerungen ('NOTWENDIG WAHR') sowie logischer Verträglichkeitsrelationen ('MÖGLICH WAHR') unter (Mengen von) Propositionen. In der Alltagssprache sind Anwendungen dieser Art jedoch eher untypisch: Es werden vielmehr Beziehungen unter Aktanten bzw. zwischen Aktanten und den sie umgebenden Sachverhalten prädiziert. Aufgrund dieser Feststellung wird der alethische Modalitätstyp aus dem Beschreibungsapparat natürlicher Sprachen meistens herausgenommen. Speziell im Bereich der Modalverben hätten sich die alethischen Kategorien als ungeeignet erwiesen, sprachliche Äußerungen adäquat zu erklären. Dazu wiederum WATTS (1984: 130): Logical alethic modality can be o f use in the semantic description o f the lexical items in a natural language, but it is not entirely appropriate, as LAURI KARTTUNEN ( 1 9 7 2 ) has shown, as a descriptive model for modal verbs, adjectives and adverbs. The distinction between deontic and epistemic modality offers us a more appropriate system.
Nicht-alethische logische Modelle privilegieren somit die Konstellationen 'Aktant/Aktant' bzw. 'Aktant/Sachverhalt' und bauen auf der Opposition 'deontisch'/'epistemisch' auf. Aus der Fülle von diesbezüglichen Ansätzen stelle ich hier nur ein Beispiel aus der italienischen Linguistik vor. Dl FEO (1981: 336), in Weiterfuhrung von PARRET (1976), stellt zwei Mo-
30 dalitätstypen auf mit jeweils vier bzw. sieben Modalitäten, gestaffelt nach Intensitätsgraden. Vergleiche Tabelle 2.2: 31 Tabelle 2.2: Die logische Opposition 'epistemisch'/'deontisch'. valore assiale F FW + -> ~ F W->~F ~ F + -> W ~ F W W
epistemico
deontico
certo-escluso
obbligatorio-vietato interno-forte obbligatorio-vietato esterno-debole almeno permesso, se non obbligatorio permesso interno-forte permesso esterno-debole permissorio non obbligatorio, eventualmente permesso
probabile possibile contestabile
capacità materiale
Dl FEOS Modalitätsbestimmung (wie auch noch mehr die PARRETS) bleibt weiterhin im Logischen stecken. Den alethischen Bestimmungen gegenüber stellt sie aber einen bedeutenden Schritt vorwärts in Richtung Sprache dar, weil jetzt nicht mehr rein logische (Wahrheits-)Begriffe, sondern genuine Formen sprachlichen Handelns in den Vordergrund gestellt werden. Aus Di FEOS Tabelle wird zudem ersichtlich, daß die beiden logischen Kategorien nicht ausreichen, allen (potentiellen) Modalverbsätzen gerecht zu werden: Sie erfassen wohl wichtige Bedeutungsfunktionen der Modalverben dovere und potere bzw. müssen und können - wobei die Menge der potere- bzw. können-Sätze, die weder deontisch noch epistemisch sind, vielmehr eine „(physische) Fähigkeit" („capacità materiale") bezeichnen, berechtigterweise aus dem Modalbereich ausgeklammert werden, lassen aber wesentliche Funktionen von dovere, die im Deutschen durch Formen von sollen ausgedrückt werden, völlig außer acht (vgl. Kapitel 4). Diese Feststellung eines defektiven Kategoriensystems wird zwangsläufig zu einer Erweiterung bzw. Umstrukturierung des Modalsystems fuhren (vgl. 2.4.1.2.3.).
2.4.1.2.2. Tel quel-Anwendungen
sind inadäquat und defektiv
Der Rückgriff auf logische Modelle ist zweifellos auch dadurch motiviert, daß man sich von der Anwendung formaler Methoden verspricht, höchsten Ansprüchen an wissenschaftliche Arbeit zu genügen. Nicht zuletzt deshalb greifen in der Regel anwendungs-orientierte Arbeiten (im Sprachvergleich, in der Übersetzungstheorie etc.), in erster Linie diejenigen Projekte, die sich mit der automatischen Übersetzung beschäftigen, auf eine logische Beschreibung der Modalverben nach dem Muster 'epistemisch'/'deontisch' zurück: Diese binäre Opposition ist einfach strukturiert und kann mit relativ wenig Aufwand an logischen Parametern (auch maschinell) überprüft werden. Ein Beispiel dafür stellt das EurotraProjekt von SVENDSEN (1992) dar. Das eigentlich Problematische an der Anwendung logischer Kategorien in der Sprachanalyse ist aber, daß logische Modelle a priori für geeignet gehalten werden, die betreffenden sprachlichen Zusammenhänge adäquat zu erklären. Aufgrund des (intensionalen wie 31
Die Symbole in der Tabelle stammen aus PARRET(1976: 57): „Fort (F) et Faible (W), par exemple: W ~ F: le faible provoque la non-existence du fort."
31
extensionalen) Nicht-Isomorphismus zwischen Logik und Sprache erweisen sich jedoch tel gwe/-Anwendungen logischer Modelle als inadäquat und defektiv: 32 Ihre Inadäquatheit resultiert aus der grundlegend verschiedenen Struktur von (formaler) Logik und (natürlicher) Sprache sowie aus ihren unterschiedlichen Zielen. Verschieden strukturiert sind Logik und Sprache auf Grund einer unterschiedlichen Ontogenese. Und das Anliegen einer (Modal-)Logik erweist sich von Grund auf verschieden von dem der Semantik einer natürlichen Sprache: Während die letztere nach der möglichst genauen sowie vollständigen Beschreibung aller Funktionen der Sprache strebt, ist die Logik eher um die Aufstellung einiger (weniger) Grundkategorien zum Zweck der Ausführung logischer Operationen bemüht. Dazu M E N N E (1985: 33): Unsere Umgangssprache ist nicht nach den Regeln der formalen Logik konstruiert. Sie ist vielmehr etwas historisch Gewachsenes, genauer: sie ist aus verschiedenen Sprachen zusammengewachsen, hat sich ständig verändert und verändert sich fortdauernd weiter. Das Zeichensystem der Logik stellt auch nicht, wie viele glauben, eine Präzisierung der Umgangssprache dar. Es wird nicht aus dieser gewonnen, sondern es besteht, ähnlich wie die Mathematik, auf bestimmten vorgegebenen Strukturen.
Die Anwendung logischer Vorgehensweisen auf Sprache erweist sich folglich als unmöglich. Erst nach tiefgreifenden manipulativen Eingriffen, wobei die umgangssprachlichen Modalbegriffe mit Hilfe der modallogischen Operatoren in rein logische Modalbegriffe umformuliert werden müßten, ließe sich logisch mit Sprache operieren. So M E N N E (1985: 33): Unter logischem Aspekt sind die Worte der Umgangssprache oft mehrdeutig, haben schwimmende Grenzen, werden analog und in verschiedener Supposition gebraucht. Ehe Logik auf Sprache angewandt wird, muß die Bedeutung der Worte geklärt, eine eindeutige Bedeutung festgelegt werden.
Reduktions- und Festlegungsprozeduren, wie sie die Logik in der Anwendung auf Sprache fordert, entstellen jedoch das Wesentliche an der Sprache: die der Beziehung von Sprachzeichen und Sprachbenutzer entspringende subjektive Komponente des Sprechens. Logische Konzepte sind nicht nur bei grundlegenden Erscheinungen wie etwa der Mitteilungsstrategie des Satzes überfordert, 33 auch bei genuin sprachlichen Funktionen wie der Sprechereinstellung zu den Sachverhalten greifen sie viel zu kurz. Dazu M E N N E (1985: 39f.): Ein und derselbe Sachverhalt [...] kann sprachlich auf verschiedene Weise ausgedrückt werden, j e nach dem, was daran besonders hervorgehoben werden soll oder wie er emotional gefärbt ist [...].
Funktionale Konnotationen dieser Art können in der Sprache der (Modal-)Logik nicht ausgedrückt werden. Für eine auf der Sprechereinstellung aufbauende Theorie der Modalität wie die hier angestrebte erweisen sich folglich rein logische Modelle als untauglich.
32
Zur Kritik an der Anwendung modallogischer Kategorien in der Behandlung der Modalverben und der Modalität
im allgemeinen
vgl.
DIETRICH ( 1 9 8 3 : 2 1 3 ) ,
WILDENHAHN ( 1 9 8 3 : 3 3 3 ) ,
KATTEIN
( 1 9 7 9 ) , HEIDOLPH/FLÄMIG/ MÖTSCH ( 1 9 8 1 : 5 2 0 f . ) , S A N D H Ö F E R - S I X E L ( 1 9 8 8 : 2 ) . 33
Der Mitteilungsschritt von schon Bekanntem zu noch Unbekanntem spielt in der (Modal-)Logik keine Rolle. Dazu KAMLAH/LORENZEN (1992: 193): „Eine Mitteilung muß berücksichtigen, was der Angeredete „schon weiß" und was er noch nicht weiß. Z.B. wird jemandem gesagt: „die alte Dame ist krank". In diesem Satz wird von der Kennzeichnung „die Dame" Gebrauch gemacht, und logisch wäre der Satz äquivalent mit dem Satz „die kranke Dame ist all ", sofern beide Sätze eine Konjunktion der Sätze „die Dame ist alt" und „die Dame ist krank" darstellen - logisch ist bekanntlich die Umstellung der Teilsätze einer Konjunktion erlaubt."
32 Auf Grund des Fehlens grundlegender Gemeinsamkeiten zwischen Logik und Sprache ist bei logisch orientierten Untersuchungen stets die Gefahr mit im Spiel, eher Logik als Linguistik zu betreiben. Überzeugende Kritik an rein logisch fundierten Verfahren im Umgang mit Sprache kommt ausgerechnet von der Seite, die von logischen Strukturen am meisten profitieren könnte: von der maschinellen Übersetzung. So SVENDSEN (1991: 276): Attempts to describe modal meaning by means of logical systems often suffer from the weakness that they have little in common with natural languages. If we want to describe modal expressions in a pragmatic, Euroversally acceptable way, we shall have to take recourse to a system that takes form as well as meaning into account.
Defektiv sind tel ^weZ-Anwendungen (modal-)logischer Konzepte auf Sprache deshalb, weil sie tatsächlich nur auf einen kleinen Ausschnitt der Bedeutungsfunktionen von Modalverben anzuwenden sind. So nimmt es nicht wunder, daß im Rahmen der (alethischen) Grundmodalitäten der NOTWENDIGKEIT und der MÖGLICHKEIT fast immer nur die beiden Modalverben müssen und können - zuweilen auch dürfen - behandelt werden. Daß zwischen diesen Modalverben und den beiden modallogischen Kategorien ein enger Zusammenhang besteht, weist DIESCH (1988: 19) nach: Es gibt Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den Modalitätstypen. Z.B. können mit Hilfe des Negationsoperators die jeweils einem Modalitätstyp untergeordneten Modalkonzepte wechselweise definiert werden: Wenn es notwendig ist, daß p, dann ist es unmöglich, daß (nicht p), wenn ρ verifiziert ist, dann ist (nicht p) falsifiziert, wenn ρ geboten ist, dann ist (nicht p) verboten, und wenn alle χ Ρ sind, dann ist kein χ (nicht P). Die Interdefinierbarkeit von Notwendigkeit und Unmöglichkeit findet man auch bei „müssen" und „können" (und „müssen" und „dürfen") wieder: Wenn ich aus (irgendwelchen Gründen) die Tür aufschließen muß, kann ich sie nicht (in derselben Hinsicht) zugeschlossen lassen. Und wenn das Geräusch, das ich höre, bedeuten muß, daß es regnet, kann es nicht bedeuten, daß es nicht regnet.
Der bestehende Zusammenhang ist aber nicht derart, daß er allen Bedeutungsfunktionen der beiden Modalverben müssen und können Rechnung trägt. Abgedeckt werden allenfalls ihre Kemfiinktionen. So tragen die beiden modallogischen Kategorien bei den Modalverben müssen und können ihrer ontologischen und gnoseologischen Deutung Rechnung, bei dürfen auch der deontischen, weitere wichtige Bedeutungsfunktionen bleiben jedoch im Dunkeln; bei den anderen Modalverben, wie etwa sollen, greifen sie hoffnungslos zu kurz: Sie können allein der ethischen Deutung dieses Verbs Rechnung tragen, in allen anderen Anwendungen erweisen sie sich als völlig überfordert. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt ÖHLSCHLÄGER (1984: 233) in seiner Analyse des von KRATZER (1978) benutzten Verfahrens. KRATZERS Ansatz sei [...] zu elegant, um alle Verwendungen von müssen oder können erfassen zu können - ich denke nur an das Fähigkeits-/tön«e«. Wie dürfen, mögen, sollen und wollen zu behandeln wären und wie die Beziehungen zu verwandten Ausdrücken [...] zu erklären sind, bleibt ohnehin offen.
Modallogische Kategorien bieten deshalb allein die Möglichkeit der Beschreibung eines kleinen Auschnitts des Modalverbsystems. Die Unzulänglichkeit von Modalverbuntersuchungen auf der Grundlage der logischen Modalkategorien kommt erst dann in aller Deutlichkeit zutage, wenn man ihnen empirische Untersuchungen gegenüberstellt. Dazu PALMER (1979) im Vorwort: There is, perhaps, no area of English grammar that is both more important and more difficult than the system of the modals. After considerable dissatisfaction with my own work as well as that of
33 others, I decided that the only way to make any approach to a solution was by a careful investigation of an extensive set of written and spoken texts. This book is the result of that decision.
Daß man erst bei Anwendung eines Korpus auf die Vielfalt der Bedeutungsfunktionen der Modalverben stößt, macht auch CILIBERTI (1984: 2) deutlich, die einen korpusgestützten Vergleich Englisch-Italienisch durchführt (vgl. auch 2.4.I.2.5.): 34 Per la maggior parte degli autori le nozioni centrali e basilari della modalità sono quelle di „possibilità" e di „necessità". Ma, accanto a queste vengono individuate altre nozioni [...]. Vengono [...] considerate nozioni modali anche quelle di volontà, desiderio ed intenzione.
Die festgestellten Einschränkungen gelten nicht nur für semasiologische (korpusgestützte) Ansätze, sondern auch für onomasiologische Verfahren - entgegen verbreiteter Meinung. Laut BLUMENTHAL (1976a: 41) stellen formale Modelle wie das logische Quadrat eine zuverlässige Grundlage zur Erforschung von Sprache dar, wenn man vom Signifikat ausgeht: Wie auch HELMUT SCHMID [(1966: 15ff.)] in seiner Tübinger Dissertation festgestellt hat, bietet sich als erste Orientierungshilfe für eine vom Signifikat ausgehende Strukturierung der Modalverben das logische Quadrat [...] an, das schon in der Scholastik zur Darstellung der logischen Modalitäten verwandt worden ist [...].
Eine Auseinandersetzung mit SCHMlDs Dissertation zeigt aber, daß sie von der vermeintlichen Eignung modallogischer Strukturierungen nicht gerade zu überzeugen vermag. Denn auch bei onomasiologischen Verfahrensweisen werden nur die logischen Ausgangskategorien erfaßt, alle weiteren Bedeutungsfunktionen der Modalverben bleiben weiterhin im Dunkeln. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß der für die Modallogik grundlegende Begriff der logischen Notwendigkeit in der heutigen logisch-philosophischen Diskussion nicht unumstritten ist. Von den drei möglichen Formen der Notwendigkeit - analytische, kausale und epistemische Notwendigkeit - wird nur eine Form, und zwar die analytische, als Notwendigkeit angenommen - wenn man (mit Aristoteles) nur das als notwendig gelten läßt, w a s nicht anders sein kann. V g l . TUGENDHAT/WOLF ( 1 9 8 6 : 2 5 9 ) : Wir haben also nur eine Bedeutung von „notwendig" gefunden, bei der sich das intuitive Kriterium, daß es sich nicht anders verhalten kann, begründet einlösen läßt, nämlich die Notwendigkeit in analytischem Sinn.
Manche, auch neuere Darstellungen des Modalverbs müssen operieren (fast) ausschließlich mit dem Begriff der Notwendigkeit, speziell der kausalen Notwendigkeit, die - genauso wie die epistemische - zunehmend in Frage gestellt wird. 35 Schließt man sich der Meinung von TUGENDHAT/WOLF (1986) an, so geht jeder modallogischen Bestimmung der Modalverben einer ihrer wichtigsten Begriffe abhanden - übrig bleibt allein der analytische Bereich. Damit wird aber auch jede Definition, die auf Notwendigkeiten epistemischer und kausaler Art gründet, zunichte gemacht. Daß aber auch die deontische Kategorie des „geboten" (als Oberbegriff für Anweisungen, Befehle, Aufforderungen, Einladungen etc. aufgefaßt), und zwar nicht nur der „individuellen Gebote", sondern auch der „generellen Gebote" (Beispiel: „Es ist jedermann gebo-
34
CILIBERTI ( 1 9 8 4 ) stützt sich auf das breite Korpus (Survey of English Usage und Lancaster pus, je aus etwa einer Million Wörter bestehend) von COATES ( 1 9 8 3 ) .
35
V g . u.a. LAETZ( 1 9 6 9 ) , L Y O N S ( 1 9 8 3 ) ,
ÖHLSCHLÄGER(1989).
Kor-
34 ten, seine Steuern pünktlich zu entrichten"), in der Alltagssprache keine absoluten - sondern bedingte - sind, weisen KAMLAH/LORENZEN (1992: 187) deutlich nach: Dabei wird sich herausstellen, daß die in unserer Lebenspraxis vorkommenden generellen Gebote, dir wir auch „Normen" nennen, stets bedingte Gebote sind, die folgende Form haben: Es gilt für jedermann: wenn er sich in der Situation S befindet, dann soll er so und so handeln (dann soll er nicht so und so handeln, oder dann darf er so und so handeln). Unbedingte („absolute") generelle Gebote können zwar vorkommen und sind historisch vorgekommen, z.B. als Tyrannenbefehle oder als dogmatische moralische Forderungen (KANT: „Du darfst unter keinen Umständen die Unwahrheit sagen"). Fragt man aber danach, wie sich generelle Gebote begründen lassen, dann wird man stets „Rücksicht nehmen" müssen, Rücksicht z.B. auf die Fähigkeiten und Bedürfnisse der betroffenen Personen, allgemein eben: auf die Situation, in der bestimmte Handlungen von bestimmten Personen ausgeführt oder unterlassen werden sollen. Auf einem „absoluten" Verständnis des Modalverbs sollen als einem sprachlichen Indikator der deontisch-logischen Kategorie des „geboten" fußen aber wiederum nicht wenige Arbeiten. 36 Gilt das, was KAMLAH/LORENZEN (1992: 187) ausgeführt haben, so verlieren solche Arbeiten jeden analytischen Wert. Der linguistische Modalitätsbegriff und der logische Modalitätsbegriff müssen folglich scharf auseinandergehalten werden.
2.4.1.2.3. Ad /jooAnwendungen logischer Modelle auf die Sprache Aus der speziellen Anwendung der (modal-)logischen Kategorien auf den Bereich der Modalverben ist das dichotomische Modalkonzept 'epistemisch' vs. 'nicht-epistemisch' hervorgegangen. Ich verwende hier diese beiden Bezeichnungen als Oberbegriffe für alle in der Auflistung weiter unten angeführten Paare von Begriffen. Dieses Konzept stellt die wichtigste Differenzierung zwischen Modalitätstypen im Bereich der Modalverben dar. Die kategoriale Opposition schlägt sich in einer ganzen Reihe unterschiedlicher Begriffspaare nieder. Trotz aller Vielfalt der Bezeichnungen ist die Bedeutung des zweiten Terms jedoch relativ konstant auf 'epistemisch' festgelegt, größere Variationen sind dagegen zur Charakterisierung des ersten Terms festzustellen. Unter epistemischer Modalität werden dabei alle umgangssprachlichen Modalprädikate subsumiert, die den Erkenntnisstatus einer Aussage charakterisieren, unter nicht-epistemisch alle übrigen, speziell die deontischen. Während der Begriffsapparat weiterhin der (Modal-)Logik entlehnt ist, ist hier der Ansatz zur Kategoriengewinnung ein genuin sprachlicher: Man geht direkt von den Modalverbformen aus und ist bemüht, ihren Bedeutungsfunktionen Rechnung zu tragen. Auch wird versucht, die Extension der beiden Begriffe - vor allem des nicht-epistemischen - so weit zu fassen, daß sie möglichst viele Klassen von Modalverbsätzen einschließt. Im folgenden gebe ich die wichtigsten der oppositiven Begriffspaare an - Bezeichnungen, die allesamt quer durch die Germanistik, Anglistik und Romanistik benutzt werden, selbstverständlich mit bestimmten Präferenzen für die eine oder die andere Form - , bespreche jedoch kurz nur drei von ihnen, die wichtige Aspekte thematisieren, und zwar die begriffliche Opposition 'objektiv'/'subjektiv' bei FOURQUET (1971), den kasusgrammatischen Ansatz CALBERTS (1975) und das handlungstheoretische Konzept von EHLICH/REHBEIN (1972) sowie das darauf aufbauende von BRÜNNER/REDDER (1983):
36
Dies gilt an erster Stelle für die Formel des Typs Du sollst nicht töten! (vgl. MAXWELL 1964).
35 Tabelle 2.3: Begiiffspaaroppositionen im Bereich der Modalltat
|Nr. |1. Term
2. Term
Autoren
01 02 03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30
subjektiv external epistemic sense inferential meaning Intransitiv modality kommunikativ-grammatisch non-complex System der Information Ebene der Verbalisierung epistemic meaning epistemic Gewißheitsmodalität propositionnel modalisierend nicht-pragmatisch grammatisch NichtWirklichkeit epistemic epistemic inferential Gewißheitsmodalität epistemisch intrinsic evidential wahrscheinlichkeitsorientiert sprecherbezogen indirekt (abtönend) Modalisation deiktisch
Schulz/Griesbach (1972) Bach (1964) Hofmann (1966) Lyons (1968)37 Ross (1967) Halliday (1970) Admoni (1982) Anderson (1986) Brinkmann (1975) Ehlich/Rehbein (1972) Lakoff (1972)38 Palmer (1990)39 Grepl/Masaflk (1974) Raynaud (1974)40 Raynaud (1975a) Gerstenkorn (1976) Tarvainen (1976) Kühnl (1977) Horgan (1977) Lyons (1983)41 Bolkestein (1980) Mückel (1982) Glas (1982) Quirk ef alii (1985) Anderson (1986) Neh Is (1986) Engel (1988) Heringer (1988) Stojanova-Jovóeva (1991) Diewald (1993)
37
objektiv internal root sense non-inferential meaning transitiv modulation logisch-grammatisch complex System der Realisierung Ebene der Sachverhalte root meaning non-epistemic voluntative Modalität prédicatif modifizierend pragmatisch lexikalisch Wirklichkeit circumstantial deontic deontic A ufforderungsmodalität präskriptiv extrinsic deontic handlungsorientiert subjektbezogen direkt Modifikation nicht-deiktisch
In der Nachfolge von LYONS ( 1 9 6 8 ) vgl. CALBERT ( 1 9 7 5 ) sowie in der deutschsprachigen Literatur mit der Opposition nicht-inferentiell vs. inferentiell. Große Verbreitung hat der Term root (modality) in der englischsprachigen Literatur infolge von COATES ( 1 9 8 3 ) gefunden. Vgl. PALMER ( 1 9 9 0 ) und BYBEE/PAGLIUCA/PERKINS ( 1 9 9 4 ) , wobei root modality in die zwei Untertypen der agent-oriented modality and speaker-oriented modality gegliedert wird. In Anlehnung an COATES ( 1 9 8 3 ) benutzt CILIBERTI ( 1 9 8 4 : 7 ) in der italienischsprachigen Literatur die Opposition significato radicale vs. significato epistemico. Vgl. auch KÖNIG ( 1 9 7 0 ) , LICHEM ( 1983 ), HANOWELL ( 1986), DIESCH ( 1988), ÖHLSCHLÄGER ( 1989) und FRITZ (1991) mit der Opposition nicht-epistemisch vs. epistemisch. Vgl. ÖHLSCHLÄGER (1983: 179): „[...] Wenn ein Satz mit einem Modalverb nur durch solche Sätze paraphrasierbar ist, die einen dem Modalverb entsprechenden auf eire Proposition bezogenen Ausdruck enthalten, handelt es sich bei dem betreffenden Modalverb um ein Modalverb im propositionalen Gebrauch, andernfalls um ein Modalverb im prädikativen Gebrauch." Auch KIPARSKY ( 1 9 7 0 ) , STEEDMAN ( 1 9 7 7 ) , PERSSON ( 1 9 8 1 ) , HARRIS ( 1 9 8 5 ) , TRAUGOTT ( 1 9 8 9 ) und GIACALONE RAMAT ( 1 9 9 2 ) ; in der italienischsprachigen Literatur PARISI/ANTINUCCI/CRISARI ( 1 9 7 5 ) und CILIBERTI ( 1 9 8 4 : 4 ) mit der Opposition significato deontico vs. significato epistemico sowie SERIANNI ( 1 9 9 1 : 3 3 5 ) mit der Opposition senso deontico vs. senso epistemico, in der französischsprachigen Literatur Groussier ( 1 9 8 5 ) mit der Opposition modalité déontique et modalité epistémique sowie in der spanischsprachigen Literatur OTAOLA OLANO ( 1 9 8 8 ) mit der Opposition modalidad deóntica vs. modalidad epistémica. BRÜNNER/REDDER(1983)
38
39
40
41
36 2.4.1.2.3.1. FOURQUET (1971) Das Begriffspaar 'objektiv' und 'subjektiv' - eine allerdings eher psychologisch als logisch gefärbte Dichotomie - stellt möglicherweise die bekannteste unter allen dichotomischen Bezeichnungen dar. Es kommt bereits bei SCHULZ/GRIESBACH (1972) vor, große Verbreitung findet es dann infolge der Arbeiten von JEAN FOURQUET. Diese funktionale Opposition leitet FOURQUET aus dem Satz in (7) ab: (7)
Diese Studenten müssen sich längere Zeit in Deutschland aufgehalten haben,
von dem er annimmt, er sei in dem Sinne zweideutig, daß er sowohl 'objektiv' wie auch 'subjektiv' gedeutet werden kann. Eine Erklärung der beiden Begriffe 'objektiv' und 'subjektiv' gibt FOURQUET allerdings nicht. Dies leisten SCHULZ/GRIESBACH (1972: 83f.): [Es] sind zwei wesentlicheVerwendungsarten der Modalverben zu unterscheiden: 1. Die objektive Aussageweise, bei welcher der Sprecher einen Sachverhalt als so gegeben darstellt. 2. Die subjektive Aussageweise, bei welcher der Sprecher seine subjektive Einstellung zu dem von ihm geschilderten Sachverhalt zum Ausdruck bringt.
Auf der Grundlage dieser semantischen Unterscheidung stellt FOURQUET (1971: 155) zwei verschiedene Inventare von Modalverbformen auf - in (8) (a) sind die 'objektiven' (d.h. nicht-epistemischen), in (8) (b) die 'subjektiven' (d.h. epistemischen) (die jeweils unterschiedlichen Inventarformen sind durch Fettdruck hervorgehoben): (8)
(a) (b)
A. Er muß, kann, soll, darf, will, möchte, (mag) sich ausruhen. B. Das muß, dürfte, wird (schon), kann, könnte, mag, soll wahr sein.
Im Hinblick auf unsere weiteren Überlegungen ist hier dreierlei festzuhalten. Zum einen ist die Gruppe der (sechs 'klassischen') Modalverben im Vergleich zu früheren Darstellungen um zwei Elemente größer geworden: Es kommen möchten zu den nicht-epistemischen und werden zu den epistemischen hinzu - es fehlt jedoch nach wie vor (nicht) brauchen, das im System der Bedeutungsfunktionen von müssen fest eingebunden ist. Zum anderen gibt FOURQUET (möglicherweise) als erster an, daß einige modale Bedeutungen nur durch idiosynkratische Formen realisiert werden, und zwar durch möchte bei den nicht-epistemischen und dürfte sowie könnte bei den epistemischen - wir werden sehen, daß auch müssen und sollen als evaluative Modalitäten idiosynkratische Formen aufweisen, denen der Status eigenständiger Grammeme zukommt (vgl. Kapitel 3 und 4). Drittens: Es fällt auf, daß unter den epistemischen Formen in Β das Modalverb wollen (Beispiel: Sie will davon nichts gewußt haben) fehlt. Dies stellt auch FOURQUET fest („In Β fehlen will, möchte, darf gegenüber A; hingegen kommen wird und dürfte vor.") (1971: 155), hindert ihn aber weiter unten (1971: 159) nicht daran, ein entsprechendes Beispiel mit epistemischem will anzuführen („er will dabei gewesen sein"). Epistemisches wollen nehmen wir zusammen mit sollen (Beispiel: Sie soll alles gewußt haben) aus der Gruppe der epistemischen Verben heraus und ordnen sie einer dritten Gruppe von Modalitäten (den „Modalitäten des Sagens") zu.
2.4.1.2.3.2. CALBERT (1975) CALBERT (1975) verfolgt das Ziel, ein universelles kasusgrammatisches Modell zur Generierung aller (modalen) Sätze zu entwickeln, „[...] which express various degrees of'possi-
37 bility' or 'necessity' [...]" (1975: 1) und gliedert das von ihm angenommene „logico-semantic system of modality" (1975: 18) in ein inferentielles und ein nicht-inferentielles Teilsystem. Er geht ferner von der Annahme einer allen modalen (sowohl epistemischen wie auch nicht-epistemischen) Ausdrücken zugrunde liegenden abstrakten semantischen Tiefenstruktur aus, die sich in einer „Quelle" (source), einem „Ziel" (goal) und der sie verbindenden Relation artikuliert. Als Quelle fungiert entweder ein (belebtes) Agens oder eine (unbelebte) Ursache, das Ziel stellt das/die in der Infinitivergänzung beschriebene Ereignis/Handlung (im nicht-inferentiellen Fall) oder der kognitive Prozeß des Erschließens der in der Infinitivergänzung ausgedrückten Proposition (im inferentiellen Fall) dar. Die zwischen Quelle und Ziel bestehende Relation ist derart, daß die Quelle zur Instanz für das Ermöglichen oder Erzwingen des Ziels wird. Graphisch dargestellt: SOURCE —> [+/- OBLIGATES] — > GOAL ( —> [+/- INFER] ) Abbildung 2.3: CALBERTS Modalitätskonzept
Nach CALBERT unterscheiden sich somit nicht-epistemische Modalverbsätze von epistemischen dadurch, daß erstere das Ermöglichen/Erzwingen eines Ereignisses oder einer Handlung prädizieren, letztere dagegen einen Erkenntnisprozeß des Sprechers. Der Ansatz CALBERTS, zweifellos einer der originellsten und elegantesten, hat viel Nachahmung gefunden, seine theoretischen Prämissen sind jedoch teilweise falsch. Dies weist DIESCH (1988: 23) nach: Die Relationen zwischen Quelle und Ziel versucht CALBERT durch das Prädikat (+OBLIGATES) und seine Negation (-OBLIGATES) darzustellen, aber diese Formulierung ist einfach falsch: Die Negation der Notwendigkeit einer Handlung oder Aussage ist nicht dasselbe wie die Affirmation der Möglichkeit derselben Handlung oder Aussage.
In der Tat besagen etwa Sätze wie „Es ist nicht notwendig, zu rauchen" und „Es ist möglich, zu rauchen" nicht dasselbe. Die Bedeutung CALBERTS (1975) liegt in seiner Erkenntnis, daß Modalverben in Sätzen vorkommen, die keine faktischen, sondern virtuelle Ereignisse oder Handlungen darstellen: Dies kommt in der Metapher von „Quelle" und „Ziel" sowie der sie verbindenden „Strecke", in der der Aktant des Modalverbsatzes „steckenbleibt", ohne sein Ziel zu erreichen, deutlich zum Ausdruck. Der Begriff der Quelle wird auch in unserer Modalitätsdefinition eine wesentliche Rolle spielen - als „modale Instanz". Aus den beiden Begriffen der Quelle und des Ziels artikuliert sich die „relationale" Bedeutung der Modalverben, somit ein allen (epistemischen und nicht-epistemischen) Modalverbsätzen zugrunde liegendes Merkmal eine weitere Erkenntnis, zu der CALBERT zwar kommt, die er jedoch nicht weiter verfolgt. Erst mit KRATZERS Begriff des Redehintergrunds findet dieser Gedanke eine theoretische Fundierung (vgl. 2.4.1.2.1.3.).
2.4.1.2.3.3. EHLICH/REHBEIN (1972) und BRÜNNER/REDDER(1983) Die von CALBERT ( 1 9 7 5 ) angenommene Differenzierung zwischen nicht-epistemischen (als Ausdruck von Handlungen oder Ereignissen) und epistemischen (als Ausdruck von Inferenzen) Modalverbsätzen findet sich wieder in ähnlicher Form im Ansatz von BRÜNNER/
38 REDDER (1983). Auch hier ist die Annahme grundlegend, Modalverbsätze drückten Hand-
lungen, und zwar nur virtuelle Handlungen aus. Aufbauend auf der Unterscheidung von EHLICH/REHBEIN (1972) zwischen einer „Ebene der Sachverhalte", auf der Handlungsent-
scheidungen getroffen werden, und einer „Ebene der Verbalisierung", die sich in der (Sprech-)Handlung der Behauptung in der Form der Inferenz (müssen, können) oder des Berichts {sollen, wollen) ausdrückt, schlagen BRÜNNER/REDDER ein handlungstheoretisches
Konzept vor, das sowohl den nicht-epistemischen wie auch den epistemischen Modalverbsätzen Rechnung tragen soll: Wir gehen davon aus, daß die Modalverben als einheitliche Ausdrücke ernst zu nehmen sind. Deshalb sollte ihre inferentielle wie nicht-inferentielle Verwendung möglichst einheitlich erklärt werden. Dies ist auf der Basis der handlungstheoretischen Bedeutungsbestimmung möglich. (1983: 46).
Ich beschränke mich hier auf die Analyse epistemischer Sätze auf der Basis der von EHLICH/REHBEIN ( 1 9 7 2 ) für die Ebene der Verbalisierung postulierten Eigenschaften des
Sprechakts der Behauptung: Jede Behauptung einer Proposition seitens des Sprechers beinhalte zugleich eine Aufforderung an den Hörer, die illokutionäre Kraft des Sprechakts zu akzeptieren. Die Grundlage dieser automatisch mit intendierten Aufforderung befinde sich im speziellen Regelapparat, der jedem Sprechakt der Behauptung zugrunde liegt. Die Modalverben (in epistemischer Verwendung) bieten nun zahlreiche Möglichkeiten der Differenzierung dieser Sprecher-Hörer-Aufforderungsrelation.
EHLICH/REHBEIN ( 1 9 7 2 )
heben
hervor, daß sollen und wollen in Sätzen wie (9) es dem Sprecher ermöglichen, sich vom propositionalen Gehalt der Behauptung zu distanzieren: (9)
(a) (b)
Er soll betrunken gewesen sein. Sie will davon nichts gewußt haben.
BRÜNNER/REDDER ( 1 9 8 3 ) übertragen tel quel
das K o n z e p t der Sprecher-Hörer-Aufforde-
rungsrelation v o n EHLICH/REHBEIN ( 1 9 7 2 ) auf den epistemischen Gebrauch v o n
müssen
und können in Sätzen wie (10): (10)
(a) (b)
Er muß betrunken gewesen sein. Sie kann davon einiges gewußt haben.
Für epistemische müssen-Sätze ist die Analyse, wenn nicht gerade zwingend, zumindest nachvollziehbar: Hier wird dem Hörer mitgeteilt, er müsse die assertorische Kraft des Sprechakts der Behauptung übernehmen, denn es gebe gute Gründe dafür. Bei epistemischen Äöwje«-Sätzen ist jedoch diese Annahme nicht mehr haltbar. Dies weist wiederum DIESCH ( 1 9 8 8 : 2 5 ) nach: Es ist nicht ganz richtig, zu behaupten, durch die Verwendug des „können" in epistemischen „Kann"-Sätzen würde dem Hörer mitgeteilt, er könne die assertorische Kraft des Sprechakts der Behauptung des Infinitivkomplements übernehmen. Tatsächlich wird de η Hörer nämlich nur mitgeteilt, daß etwas möglich sei, bzw., daß der Sprecher etwas für möglich halte. Was könnte es denn auch bedeuten, der Hörer könne die illokutionäre Kraft einer Behauptung übernehmen? Heißt es, daß es ihm freisteht? Es ist ein Prinzip rationaler Kommunikation, die illokutionäre Kraft begründeter Behauptungen zu akzeptieren und über die Akzeptanz nur schwach begründeter Behauptungen nicht zu entscheiden. Da epistemisch notwendige Behauptungen gut begründete Behauptungen sind, muß ihre illokutionäre Kraft akzeptiert werden. Behauptungen, die nur epistemisch möglich sind, fehlt eine gute Begründung. Die eigentliche Funktion des „können" in epistemischen „Kann-Sätzen" besteht also darin, die assertorische Kraft des Sprechakts abzumildern.
39 Das Ziel einer einheitlichen Beschreibung der Modalverbverwendungen auf der Basis des handlungstheoretischen Konzepts scheitert somit bereits an der von DIESCH aufgezeigten inneren Spaltung der epistemischen Klasse. Mit der Wahl eines handlungstheoretischen Rahmens handeln sich BRÜNNER/REDDER darüber hinaus das Problem ein, wie handlungsunabhängige Sachverhalte, die ja auch mit Modalverbsätzen ausgedrückt werden können, zu erklären sind. Es liegt auf der Hand, daß dieses Problem aus einer rein modal-taxonomischen Perspektive heraus nicht zu lösen ist.42 Von Bedeutung fur unser Vorgehen ist hier folglich vor allem die Einsicht, daß Modalität offensichtlich mehr ausdrückt als nur Sprecher-Hörer-Interaktionsformen.
2.4.1.2.4. Ad ΛοοAnwendungen sind (definitions)defektiv Im Gegensatz zu tel gwe/-Anwendungen, die eine durch den Apparat der (Modal-)Logik abgesicherte definitorische Basis aufweisen, sind ad Äoc-Anwendungen durch wesentliche definitorische Schwächen gekennzeichnet: Sie sind definitionsdefektiv. Definitionsdefektiv sind die hier angeführten ad /zooAnwendungen in erster Linie deshalb, weil sie zwei definitorische Kategorien gegenüberstellen, die an einem gemeinsamen Formeninventar festgemacht werden, für die aber kein innerer Zusammenhang im Hinblick auf ihre angenommene gemeinsame modale Leistung ermittelt wird. Ad /joe-Anwendungen stellen somit eine differentia specifica zwischen zwei Gruppen von Phänomenen (epistemisch und nicht-epistemisch) fest, sagen aber nicht, worauf ihr genus proximum (das gemeinsame Merkmal der Modalität) beruhen soll. Die Modalitätsdefinition bleibt hier somit auf halbem Wege stehen: Ihr fehlt eine funktionale Erklärung für die zwischen epistemischen und nicht-epistemischen Formen bestehende Relation. Auch ist eine Unterscheidung 'epistemisch' vs. 'nicht-epistemisch' nicht charakteristisch (im Sinne einer differentia specifica) für die einzelnen Modalverben, und nicht einmal für die Modalverben als Klasse unter allen Klassen modaler Ausdrucksmittel: Sie durchdringt vielmehr das ganze System der Modalität. So drücken etwa auch ein Modaladverb wie notwendigerweise oder eine Modalpartikel wie wohl ebenfalls die Spaltung in epistemisch und nicht-epistemisch aus. Eine Untersuchung über die Modalverben, die allein auf dieser Differenzierung als differentia specifica aufbaut - abgesehen davon, daß sie ein genus proximum ganz vermissen läßt - , hört da auf, wo sie eigentlich beginnen sollte. Definitionsdefektiv sind all diese Dichotomien aber auch deshalb, weil den beiden angesetzten Kategorien epistemischer und nicht-epistemischer Formen undifferenziert Erscheinungen verschiedener Natur zugeordnet werden. Im epistemischen Bereich sind vielmehr zwei Gruppen von Formen auseinanderzuhalten: Auf der einen Seite sind sollen und wollen anzusiedeln, auf der anderen die übrigen Formen in (8) (b): Denn im Gegensatz zu den restlichen Formen, die insgesamt (mehr oder weniger gut begründete) logische Schlüsse darstellen, somit den Wissensstand des Sprechers durch Inferenz aus einer bestimmten Sachverhaltskonstellation heraus charakterisieren, beziehen sich sollen und wollen nicht auf den Wissensstand des Sprechers, sondern sie stellen Behauptungen dar, und zwar 'Behauptun42
Vorstellbar ist nach DIESCH (1988: 15) eine Lösung des Problems „[...] im Rahmen einer psychologischen Theorie, die das kausale und logische Denken (und seine Entwicklung) auf das Handeln (und seine Entwicklung) bezieht."
40 gen aus zweiter Hand' (sollen) und 'Behauptungen einer dritten Person' (wollen). Der epistemische Bereich ist somit aufzuspalten in einen 'epistemischen' - oder genauer: 'inferentiellen' - und einen 'assertorischen' Unterbereich: a.)INFERENTIELL: muß, dürfte, wird (schon), kann, könnte, mag·, b.)ASSERTORISCH: soll, will. Daß es im Deutschen zu einer Subsumierung all der Formen in (8) (b) - plus will - unter der Kategorie des 'Epistemischen' gekommen ist, geht möglicherweise auf die Übernahme der ursprünglich für das Englische entwickelten kategorialen Opposition 'epistemisch' vs. 'nicht-epistemisch' zurück sowie auf die Notwendigkeit, die beiden assertorischen Verben bei Beibehaltung der dichotomischen Opposition zu klassifizieren. Diese Opposition eignet sich tatsächlich relativ gut für Sprachen wie das Englische, das kein Modalverb (dafür aber „Quasi-Modals" 43 oder Vollverben) in assertorischer Funktion kennt. Besitzt dagegen eine Sprache derart assertorische Verben, wie eben das Deutsche sollen und wollen oder auch das gesprochene Italienisch dovere (vgl. Kapitel 5), so ist die Dichotomie in der ursprünglichen Form nicht mehr zu halten. Vergleiche (11) und (12): (11)
(a) (b)
Xanthippe soll zänkisch gewesen sein; Xanthippe is said to have been quarrelsome.
(12)
(a) (b)
Er will ihn gesehen haben; He claims that he has seen him.
Daß die Leistung von sollen und wollen eine andere ist als die der anderen „epistemischen" Modalverben, wird auch in der Forschung (fast) durchweg erkannt. So ordnen EHLICH/ REHBEIN (1972) der Ebene der Verbalisierung außer „Inferenzen" auch „Berichte" (mit soll- und wz'//-Modalverbsätzen realisiert) zu (vgl. weiter oben unter 2.4.1.2.3.3.). Besond e r s d e u t l i c h d r ü c k e n sich FOURQUET ( 1 9 7 1 ) u n d ÖHLSCHLÄGER ( 1 9 8 3 ) d i e s b e z ü g l i c h aus.
FOURQUET (1971: 159) sieht in Modalverbsätzen mit sollen den Ausdruck einer „fremden Instanz", die sich in objektiver Verwendung in einem „Willen", in subjektiver in einer „Behauptung" niederschlage (und bezieht zugleich wollen als Parallele mit ein): Bei soll [...] erhält die Beziehung auf eine 'fremde Instanz' einen neuen Sinn; nicht der Wille dieser Instanz kommt zum Ausdruck, sondern eine Behauptung. Eine entsprechende Sinnänderung findet sich in einem Satz wie er will dabeigewesen sein, was nichts anderes bedeuten kann als: „er behauptet, dabeigewesen zu sein".
Eine konsequente Trennung der beiden Erscheinungsformen ist in der Modalitätsforschung jedoch nicht vorgenommen worden. Die Gruppe der 'subjektiven' Formen läßt FOURQUET genauso wie EHLICH/REHBEIN (1972) die 'Ebene der Verbalisierung' weiterhin undifferenziert als Gesamtgruppe bestehen. Nicht anders verfährt ÖHLSCHLÄGER (1983): Darum bemüht, die Schwächen der drei modalen Unterscheidungen 'subjektiv'/'objektiv', 'inferentiell'/'nicht-inferentieH' und 'epistemisch'/'deontisch' sowie die Vorzüge der von ihm ersatzweise vorgeschlagenen (und an RAYNAUD 1974 angelehnten) Opposition 'propositional'/'prädikativ' aufzuzeigen, betont ÖHLSCHLÄGER (1983: 180f.), daß
43
Unter 'Quasi-Modal' versteht man in der englischen Grammatik Verbformen, die zwar semantisch, nicht aber formal zur Gruppe der Modalverben gehören, wie z.B. be going to, have to und need.
41 [...] sollen und wollen in keinem Fall als inferentiell bezeichnet werden [können]. Wer beispielweise Er soll morgen kommen, im Sinne von Es ist gesagt worden, daß er morgen kommt, behauptend verwendet, drückt damit sicherlich nicht aus, daß seine Behauptung das Ergebnis eines von ihm vollzogenen Schlusses ist.
Aber auch seine neue Opposition vermag nicht, das Problem zu lösen: Denn 'propositional' kann nur als genus proximum der ganzen Klasse gelten, eine differentia specifica der beiden Untergruppen fehlt nach wie vor. Daß aber auch das Etikett 'epistemisch' nicht in Frage kommt, haben wir an den Beispielen in (11) und (12) deutlich gemacht - und dies gilt um so mehr für die FoURQUETsche Bezeichnung 'subjektiv'. Um das Problem zu lösen, ist eine Assertionstheorie vonnöten, die der spezifischen Leistung von soll- und w/7/-Modalverbsätzen als Modalitäten der Assertion Rechnung trägt. Unterstützung findet das Argument für die Aufspaltung des epistemischen Bereichs auch aus dem Sprachvergleich. Im heutigen (gesprochenen) Italienisch hat dovere (und zwar aus Gründen, die wir im Kapitel 5 näher erläutern werden) neben der längst grammatikalisierten 'epistemischen' Bedeutung eine neue assertorische Bedeutung entwickelt. Vergleiche Satz (13): (13)
Quella donna deve avere un rapporto col parroco,
der sich allein mit Ausdrücken aus der Klasse der verba dicendi wie in (14) adäquat paraphrasieren läßt, wie z.B. mit mormorare·. ( 14)
Si mormora che quella donna abbia un rapporto col parroco.
Da nun der Gebrauch von dovere in (13) dem von sollen (und nicht von müssen) entspricht, so kann sollen in entsprechenden Sätzen des Deutschen keine epistemische (bzw. inferentielle) Bedeutung aufweisen, sondern nur eine assertorische. Noch größere definitorische Probleme bietet aber der zweite Terminus der Opposition, denn unter dem Etikett 'nicht-epistemisch' werden sehr heterogene Bedeutungen von Modalverben subsumiert, die, wenn überhaupt erkannt, undifferenziert nebeneinander bestehen. Keiner der alternativ vorgeschlagenen Termini vermag, die Vielfalt der hier angesprochenen Erscheinungen begrifflich abzudecken. Man begibt sich somit allmählich auf die Suche nach einer dritten Dimension.
2.4.1.2.5. Die Suche nach der „dritten Dimension" Zur Gruppe der zweidimensionalen Bestimmungen gehören auch Dichotomien, in denen implizit (z.B. HOFMANN, NEWMEYER, EKART) oder sogar explizit (z.B. DOHERTY, ABRAHAM, SOMMERFELDT) unter 'nicht-epistemisch' weitaus mehr verstanden wird, als man dem Inhalt dieser logisch(-philosophisch)en Kategorie entnehmen kann. Mit HOFMANNS (1966) Oppositionpaar epistemic sense vs. root sense wird zum ersten Mal die logische Kategorienopposition 'epistemisch'/'nicht-epistemisch' auf die Sprache angewandt. Sie wird auch von NEWMEYER (1970) und EKART (1974) verwendet - ohne wesentliche Änderungen. In der Formulierung von EKART (1974: 417) heißt es: [...] the modal verbs can be used either in the epistemic sense as expressions of probability and degrees of possibility, or in the root sense to express such factual conditions on a process in a clause as permission, necessity and ability.
42 Unter 'root sense' wird also von vornherein mehr als nur Deontisches verstanden, nämlich neben permission auch Kategorien wie necessity and ability, die nicht (oder nicht nur) als deontisch aufgefaßt werden können. Auch DOHERTY (1985) und ABRAHAM (1991) sehen sich gezwungen, auf mehrere Be-
zeichnungen zurückzugreifen, um der Vielfalt der Bedeutungsftinktionen gerecht zu werden: DOHERTY bezeichnet die nicht-epistemische Klasse als „deontisch/intentional/volitional", ABRAHAM spricht von „deontisch/volitiv". Auffallend ist bei beiden Autoren die Betonung des Volitiven, das im Deontischen offensichtlich nicht enthalten ist. SOMMERFELDT (1973) verfährt zweigleisig: Neben der Opposition 'objektiv'/'subjektiv' benutzt er auch die Terminologie ADMONIS (1982) zur Bezeichnung einer (seiner Meinung nach) nur in bestimmten Fällen eintretenden Modalität: Zuweilen findet man noch eine dritte Art der Modalität, vielfach als 'logisch-grammatische Modalität' bezeichnet, im Gegensatz zur subjektiven, der 'kommunikativ-grammatischen Modalität'. Es geht hier um das Verhältnis des durch das Subjekt Bezeichneten zum Geschehen. Diese Art der Modalität wird vor allem durch Modalverben zum Ausdruck gebracht: Das Kind kann/darf/will ins Kino.
Im funktionalen Bereich schlägt DlK (1989) ein zweidimensionales Modell - inhärent vs. objektiv - vor, jedoch mit einer Unterteilung - 'epistemisch-objektiv' und 'deontischobjektiv': Die inhärente Modalität bezeichnet die Relationen zwischen einem Teilnehmer und der Realisierung von etwas, in das er involviert ist (können, wollen, willens sein, u.ä., müssen, haben+zu+Infinitiv, mögen)·, die objektive Modalität gliedert sich in epistemischobjektive Modalität ((un)sicher, (unwahrscheinlich, (un)möglich) und deontisch-objektive Modalität (obligatorisch-akzeptabel-nicht akzeptabel-verboten). Auch hier kommt die Absicht deutlich zum Ausdruck, mit der inhärenten Modalität dem voluntativen und nezessitativen Handlungsbereich über den deontischen hinaus Rechnung zu tragen. Die erste differenziertere Taxonomie stammt möglicherweise von PALMER (1979) - es handelt sich um die erste Auflage von Modality and the English Modalst In Anlehnung an VON WRIGHT (1951) unterscheidet PALMER von vornherein drei distinkte Typen der Modalität: außer der 'epistemischen' und 'deontischen' auch die 'dynamische' Modalität. Auf diese grundlegende Dreiteilung kommt PALMER nicht zuletzt infolge der korpusgestützten Analyse (vgl. oben S. 42). Von Interesse in unserem Zusammenhang ist die Unterscheidung zwischen deontischer und dynamischer Modalität. Die deontische nennt er auch discourseoriented modality, denn sie thematisiert die Interaktionsrollen des Handelnden in der sprachlichen Kommunikation (1990: 69f.; 74f.; 78f.); die dynamische unterteilt er in subject-oriented und neutral (or circumstantial) modality. Die subject-oriented modality bringt Fähigkeiten (ability) und Intentionen (willingness) des Subjekts zum Ausdruck (1990: 129131; 133-137), die neutral (or circumstantial) modality drückt die Möglichkeit oder Notwendigkeit (intentionsunabhängiger) Ereignisse aus (1990: 83-85). Die Bedeutung der Taxonomie PALMERS besteht zweifellos darin, daß sie genuin pragmatische Komponenten in die Modalitätsdefiniton mit einbezieht. Insofern ist sie auch von großem Nutzen für die (aus pragmatischen Überlegungen entsprungenen) dreidimensionalen Modelle (vgl. 2.4.3.). Im Zusammenhang unserer Arbeit, die auf der Theorie der propositionalen Einstellungen gründet, wirft jedoch die „subject-oriented modality" PALMERS, die unter 'Subjekt' grundsätz-
44
Inzwischen liegt die zweite - fast vollständig neu geschriebene - Auflage ( 1990) vor.
43 lieh das Satzsubjekt versteht, Probleme auf. Für uns kommt vielmehr eine 'speaker-oriented modality' in Frage, also Einstellungen des Sprechers zu Sachverhalten (vgl. 2.5.4.). PALMERS Taxonomie hat Schule gemacht und gilt immer noch als Standardmodell in der englischsprachigen Forschung. Eine interessante Weiterentwicklung von PALMER (1979) bietet DAVIDSEN-NIELSEN (1986), der im Sprachvergleich Englisch-Dänisch ein „3x3-
Koordinatensystem" vorschlägt und mit der dritten Koordinate „others" weitere Bedeutungsfunktionen von Modalverben „aufzufangen" versucht (1986: 1184f.): Tabelle 2.4: DAVIDSEN-NIELSENS „3x3-Koordinatensystem"
epistemic deontic subject-oriented
possible POSSIBILITY PERMISSION ABILITY
necessary NECESSITY COMPULSION VOLITION
„others" PRESUMPTION OBLIGATION RESOLUTION
SVENDSEN ( 1 9 9 1 : 2 7 6 ) w e n d e t DAVIDSEN-NIELSENS T a x o n o m i e in d e r m a s c h i n e l l e n Ü b e r -
setzung an und definiert dessen Modalkategorien wie folgt: Epistemic modality should be understood as that kind of modality which indicates a certain degree of commitment of the speaker to what he says. Deontic modality is concerned with the necessity or possibility of acts performed by morally responsible agents. Subject-oriented modality has little in common with the two other categories. It is more concerned with qualities of the subject (e.g. ability, volition) than with the speaker's qualifying of a proposition.
Bei SVENDSEN (1991) heißt es über die subject-oriented
modality noch expliziter:
The basic dichotomy in the classification is that between epistemic and deontic; subject-oriented modality occupies a status of its own. (1992: 49) [...] Semantically these expressions are only peripherally connected to our understanding of modality: the attitude or opinion of the speaker. Their nature is more lexical in that they are used to indicate volition or ability on the part of the subject and not necessarily the speaker. ( 1991: 51 ).
Diese letzte Gruppe von Konzepten bedeutet die endgültige Überwindung rein logischer Modelle und die erklärte Hinwendung zum Sprachlichen in seiner ganzen Komplexität. Sie stellen heute das vorherrschende Modell in der Modalitätsforschung dar - und nicht nur in der Linguistik: vgl. etwa DIESCH (1988: 10), der Modalität aus der Perspektive der Psycho-
linguistik untersucht (anstelle von 'dynamisch' ist hier von 'pragmatisch' die Rede): In Klassifikationen der Modalitätstypen häufig unterschiedene Formen sind die pragmatische, die deontische und die epistemische Modalität. Die pragmatische Modalität stellt eine modale Relation zu Handlungen, die deontische eine modale Relation zu sozial erwarteten Handlungen und die epistemische eine modale Relation zu Propositionen her.
Das Aufstellen einer dritten, autonomen Modalkategorie bedeutet sicherlich insofern einen Gewinn, als sie es ermöglicht, eine größere Anzahl von Erscheinungen in ein Modalkonzept adäquat einzugliedern. Alle Probleme vermag sie aber auch nicht zu lösen. Ungelöst bleibt weiterhin das Problem des Epistemischen (mit der Spaltung inferentiell vs. assertorisch). Auch sind andere Modalitätstypen, wie etwa der 'bewertende' 45 und der 'dispositio-
45
Gemeint sind hier Modalverbsätze wie Den Film solltest du auf jeden Fall sehen, Das Buch du unbedingt lesen.
mußt
44 nelle' 46 noch nicht thematisiert. Vor allem aber scheint die Annahme einer dritten Kategorie der Modalität, wie in den Ansätzen hier oben dargestellt, einem „Modalitätsmaximalismus" Tür und Tor zu öffnen, d.h. einer massiven Erweiterung des Inventars der zur Modalität zu rechnenden Erscheinungen und somit einer Inflationierung der Modalität selbst. Das hat - methodisch und theoretisch - diese Konsequenzen: Zum einen entwickelt sich daraus die Gegenreaktion zu einem „Modalitätsminimalismus", der sich in eindimensionalen Modellen ausdrückt (vgl. hier unten in 2.4.2.). Zum anderen wird aber auch zugleich ersichtlich, daß man in größeren funktionalen Dimensionen denken muß, um den Begriff der Modalität angemessen zu gliedern und nicht wiederum in reine Kasuistik zu verfallen - dieses Ziel verfolgen wir im Rahmen der dreidimensionalen Modelle (vgl. 2.4.3.).
2.4.2. Eindimensionale Modalitätskonzepte Unter 'eindimensionalen' Modalitätskonzepten verstehe ich definitorische Strukturierungen, die sich auf die Grundformulierung „Modalität ist die Haltung des Sprechers zu dem, was er sagt" zurückfuhren lassen. Eindimensional sind diese Konzepte deshalb, weil sie (zumindest in einer „engen" Auslegung ihrer Definition) nur die modalen Erscheinungen zu erfassen vermögen, die in zweidimensionalen Modellen unter der epistemischen Dimension der Modalität subsumiert werden. Die Qualifizierung von Aspekten der Modalität als „Haltung des Sprechers zu dem, was er sagt" ist nicht unbedingt spezifisch für eindimensionale Konzepte: Man begegnet ihr auch gelegentlich als Teildefinition in zweidimensionalen Konzepten - genauer: als Definition der epistemischen Dimension von Modalität. Ein gutes Beispiel stellt FULLERTONS (1984: 98f.) Modalbestimmung dar, in der Modalität als Opposition eines objective und subjective use und „subjektiv" ausdrücklich im Sinne einer „Haltung des Sprechers" definiert wird (Hervorhebung von mir): Modais in their normal, objective use - also called „root modals" - tell the relationship between a verb action or state and its realization. This is often explained as a condition on the subject. In - Karl muß den Stuhl reparieren. müssen tells that the relationship between the notion of Karl's fixing the chair and the execution of the repair work is one of necessity. (With sollen it is expectation, with können it is ability etc.) Alternatively, one could say for this active sentence that subject agent Karl is under the condition of obligation vis-à-vis the repair of the chair. With a passive sentence, however, it is not possible to interpret the modal as condition on the subject. In - Der Stuhl muß repariert werden. the chair is not obliged to get fixed. However, one can still say that there exists between chair repair and ist realization a relationship of necessity. Subjectively used modals - also called „epistemic modals" - are usually said to express an attitude of the speaker towards the state (not action) expressed in the rest of the sentence. With - Karl muß den Stuhl schon repariert haben. - Der Stuhl muß schon repariert sein. the speaker is expressing his certainty vis-à-vis (the state of) completion of the chair repair. Nowhere is necessity or obligation involved.
46
Beispiele daflir sind Alle Menschen müssen sterben sowie Ich mußte lachen. Der Terminus 'dispositionell' wurde in die Modalitätsdiskussion von GRABSKI ( 1 9 7 4 ) zur Erklärung von Sätzen des Typs wie Max kann ungemütlich werden eingeführt.
45 Zweidimensionale Modalitätsbestimmungen wie die FULLERTONS (1984) sind durch zwei für uns wichtige Merkmale gekennzeichnet: a.) Sie überwinden rein logische Positionen, die gleichfalls immer (mindestens) dualistisch sind, und orientieren sich eher an pragmatischen Dimensionen („rjot modals"); b.)Sie vollziehen den Übergang von einer als 'epistemisch' im Sinne von Charakterisierung des Erkenntnisstatus einer Aussage verstandenen Modalität zu einer 'epistemischen' im Sinne des Ausdrucks bestimmter Sprechereinstellungen zu den in der Infinitivergänzung prädizierten Sachverhalten. Diese beiden Perspektiven spiegeln zwei verschiedene Ansätze zu einer Modalitätsdefinition wider, die der unterschiedlichen Natur von Logik und Sprache entspringen: Auf der einen Seite steht ein auf rein logischen Denkstrukturen gründender Ansatz, auf der anderen der für natürliche Sprachen charakteristische subjektive Ansatz der Sprechereinstellung zu den Sachverhalten.
2.4.2.1. Subjektiv- und objektiv-epistemische Modalität In Modalitätsdefinitionen finden die beiden obigen Perspektiven gelegentlich ihren Niederschlag in der Unterscheidung von zwei Arten der epistemischen Modalität: einer 'subjektivepistemischen' und einer 'objektiv-epistemischen'. Diese begriffliche Opposition behandelt LYONS (1983: 396ff.) am Beispiel (15)
Alfred mag unverheiratet sein,
das als subjektiv-epistemisch (im Sinne der Ungewißheit des Sprechers über die betreffenden Tatsachen) zu deuten ist, wenn es etwa mit Kommentierungen wie in (16) ergänzt werden kann ( 16)
(a) (b)
aber ich bezweifle es, und ich neige zu der Meinung, daß er es ist,
ohne sich in Widersprüche zu verwickeln, d.h., wenn die Nachsätze in (16) die Festlegung des Sprechers auf seine subjektive Einstellung zum Sachverhalt des „Verheiratet-Seinsvon-Alfred" klar zum Ausdruck bringen. In dieser Deutung ist Satz (15) - mehr oder weniger - äquivalent mit ( 17) (a)/(b) : (17)
(a) (b)
Ich kann mir vorstellen, daß Alfred unverheiratet ist Vielleicht ist Alfred unverheiratet. 47
Satz (15) läßt aber auch eine objektiv-epistemische Interpretation zu. LYONS (1983: 397f.) illustriert sie an der folgenden Situation: Alfred befindet sich in einer Gruppe von 90 Leuten, von denen wir wissen, daß 30 verheiratet sind - ob Alfred einer davon ist, wissen wir nicht. Mit (15) kann der Sprecher ausdrücken, daß Alfred einer der 30 unverheirateten Leute ist, also eine objektive Einstellung zum Sachverhalt einnehmen - die sich als Tatsache erweisen kann oder nicht. Eine Tatsache (ein objektives Faktum) ist es auf jeden Fall, daß die Möglichkeit dazu besteht: Dies macht eben das Objektive am Epistemischen aus. Als Paraphrase für die objektive Lesart bietet sich (18) an: 47
Die englischen Originalbeispiele lauten für (15) Alfred may be unmarried, für (16) But I doubt it bzw. And I'm inclined to think that he is, für (17) (b) Perhaps, Alfred is married.
46 (18)
Es ist der Fall, daß Alfred unverheiratet sein kann.
Eine objektiv-epistemische Interpretation in diesem Sinne ist mit Nachsätzen wie (16) nur vereinbar, wenn der Sprecher weitere (intersubjektive) Argumente anführt - wenn er also die an-und-für-sich-subjektive Einstellung aus (16) wiederum einschränkt und zu einer neuen objektiven Einstellung übergeht; mit (17) ist sie hingegen grundsätzlich unvereinbar - dessen Ausführung würde bestimmte Sprechaktregeln unwiederbringlich verletzen. Mit der Illustration seiner epistemischen Unterscheidung macht LYONS (1983) deutlich, wie sich die Einstellung des Sprechers zu den Sachverhalten ändern kann, je nachdem, welche Haltung er ihnen gegenüber einnimmt. Das Einnehmen einer Haltung ist selbstverständlich mit bestimmten Komponenten der Äußerung verbunden. Diese Komponenten hat H A R E (1970) als die „neustische" und die „tropische" Komponente von Sprechakten bezeichnet - und genau auf diese beiden Begriffe geht die LYONSsche Unterscheidung zurück.48 Nach H A R E bestimmen diese beiden Komponenten die Eigenschaften der Illokution: Die neustische Komponente drückt als „Zeichen der Zustimmung" („sign of subscription") die Bindung des Sprechers („speaker commitment") an seine Äußerung aus, und die tropische Komponente zeigt als „Moduszeichen" 49 die Art des Sprechakts, d.h., ob es sich um eine Behauptung, eine Frage, eine Aufforderung etc. handelt. So erhalten etwa (affirmative) Behauptungen (durch den Sprecher) die Form ( 19)
(I-say-so) (it-is-so) that ρ,
wobei „(I-say-so)" die neustische und „(it-is-so)" die tropische Komponente des Sprechakts der Behauptung darstellt. Verändert man etwa die neustische Komponente wie in (20) (a) und die tropische Komponente wie in (20) (b) - beim Gleichbleiben der jeweils zweiten Komponente (20)
(a) (b)
(I-say-so (it-is-so
-> —>
I-wonder), let-it-be-so),
so erhält man aus einer Behauptung jeweils eine Frage - (I wonder) (it-is-so) that ρ - und eine Aufforderung - (I-say-so) (let-it-be-so) that p. Durch die Modifikation der neustischen Komponente des Sprechakts werden somit subjektiv-epistemische Aussagen, durch die Modifikation der tropischen Komponente objektiv-epistemische Aussagen erzeugt: Bei der (nicht-rhetorischen) Frage ist die neustische Komponente (I-say-so) stark eingeschränkt, bei der Aufforderung ist die tropische Komponente (it-is-so) erheblich bestärkt - subjektivepistemische Modalität entspringt somit einer Einschränkung der neustischen Komponente der Behauptung, objektiv-epistemische einer uneingeschränkten neustischen Komponente (I-say-so) und/oder einer zwischen einem minimalen und einem maximalen Grad der Wahrscheinlichkeit angesiedelten tropischen Komponente (it-is-so). Enthält eine Aussage eine uneingeschränkte oder kategorische neustische Komponente (I-say-so), so kann es sich
48
49
HARE (1970) unterscheidet allerdings auch eine dritte Komponente, und zwar die „phrastische", die für den propositionalen Gehalt (p) des Sprechakts steht. Wir können hier von ihr absehen; von Interesse ist sie, wenn es darum geht, den propositionalen Gehalt einer Äußerung von der Illokution und/oder der Modalität zu unterscheiden (vgl. 2.5.3.). HARE (1970) nennt diese Komponente „Moduszeichen" deshalb, weil sie tatsächlich in vielen Sprachen in der Kategorie des Modus weitgehend grammatikalisiert ist. Er führt als Beispiel u.a. die Opposition der beiden lateinischen Sätze an: Die mihi quidfecerit für einen Jussivsatz und Dicis mihi quid fecerit für den Deklarativsatz mit dem identischen propositionalen Gehalt.
47 nicht um eine subjektiv-epistemische Aussage handeln, vielmehr handelt es sich um eine objektiv-epistemische. In der (sprachphilosophischen und linguistischen) Modalitätsdiskussion ist die HAREsche Unterscheidung deshalb auf reges Interesse gestoßen, weil sich durch die Modifikation einer der beiden Komponenten mittels der Modaloperatoren 'möglich' oder 'notwendig' unterschiedliche Typen von Modalverbsätzen mit können und müssen - allerdings nur mit diesen zwei Verben 50 - bilden lassen. Auf fünf verschiedene durch Modifikation des Modaloperators 'möglich' erzeugte Typen von towwew-Modalverbsätzen wurde bereits hier in Anm. 20 hingewiesen. Nicht unproblematisch zeigt sich dagegen die Opposition subjektiv-epistemisch/objektiv-epistemisch. Im Rahmen der Modallogik besteht das Problem der Trennung der objektiv-epistemischen von der alethischen Modalität. Für den Sprachanalytiker stellt sich dagegen die Frage, wie die LYONSsche Unterscheidung in Sprachen wie dem Englischen, ebenso wie im Deutschen und im Italienischen, in denen keine formale Opposition für die beiden Arten von epistemischer Modalität besteht, nachzuvollziehen sei: Eine Unterscheidung läßt sich nicht immer scharf ziehen, so daß sich die Opposition im alltäglichen Sprachgebrauch nicht selten verwischt. 51 Diese Unterscheidung kann dagegen relativ leicht in den Sprachen nachvollzogen werden, die die Opposition auch formal unterscheiden, so z.B. das Ungarische. KIEFER (1987: 76f.) erläutert die fragliche Opposition an den beiden folgenden Beispielen: (21 )
(a) (b)
Pisti 'beteg lehet = 'Steve may be sick' Pist 'lehet beteg = 'It is possible that Steve is sick' -
wobei das Zeichen (') die jeweils fokussierte Satzkonstituente kennzeichnet, beteg 'sick' und lehet 'may' bedeuten. Satz (21) (a) kann paraphrasiert werden als 'Perhaps, Steve is sick' und ist somit der subjektiv-epistemische, Satz (21) (b) dagegen ist objektiv-epistemisch zu lesen im Sinne von 'It is not excluded that Steve is sick'. KLEFER (1987: 77) resümiert: „Thus, in Hungarian focus and word order are used to distinguish the two modal readings from each other." Bei der Unterscheidung einer subjektiv-epistemischen von einer objektiv-epistemischen Modalität stützt sich LYONS für die letztere, nicht aber für die erstere, auf ein Bezugssystem. Dieses Bezugssystem besteht aus (intersubjektiven) Informationselementen, wie etwa den 90 Leuten, darunter auch Alfred, von denen 30 unverheiratet sind. „Man neigt vielleicht sogar dazu, sich diese Gruppe in einem Raum versammelt vorzustellen" (DLESCH 1988: 116). Laut DIESCH liefert „die Metapher des geschlossenen Raums, des geschlossenen Systems" den „Schlüssel zum Verständnis der objektiv-epistemischen Modalität" (1988: 116f.) - somit auch zu ihrer Unterscheidung von der subjektiv-epistemischen: Epistemische Möglichkeiten werden [...] objektiv, wenn es dem Individuum gelingt, die von ihm als möglich konzeptualisierten oder vorgestellten Alternativen in ein geschlossenes kognitives Bezugssystem einzuordnen. [...] Ein Bezugssystem ist geschlossen, wenn die relevanten, es definierenden Merkmalsdimensionen feststehen. Epistemische Möglichkeiten bleiben subjektiv, wenn der Versuch, ein geschlossenes Bezugssystem zu konstruieren, fehlschlägt oder gar nicht erst unter-
50
51
Dazu DIESCH (1988: 38): „Es ist klar, daß die Reichweite dieses Ansatzes auf die handlungs- und subjektsunabhängigen Modalverben, im wesentlichen „können" und „müssen", beschränkt ist." Für eine Kritik der LYONSschen Unterscheidung zwischen 'objektiv-epistemisch' und 'subjektive p i s t e m i s c h ' v g l . u . a . HALLIDAY ( 1 9 7 0 ) , PALMER ( 1 9 7 9 ) , KIEFER ( 1 9 8 6 ) .
48 nommen wird. [...] Offene Bezugssysteme unterscheiden sich von geschlossenen dadurch, daß die relevanten Dimensionen in ihnen nicht feststehen, sie daher äußerst variabel sind, und so der kontextabhängigenn Intrusion von im Extremfall beinahe beliebigen Merkmalen und situationsbestimmten Gesichtspunkten keinerlei Widerstand entgegensetzen.
Unterstützung erfährt die Unterscheidung in subjektive und objektive Lesart von seiten der Sprechakttheorie. Hier läßt sich eine klare Beziehung zwischen diesen beiden Lesarten und den zwei wesentlichen Bedigungen, die nach SEARLE (1976) die Präsuppositionen des Sprechakts der Behauptung ausmachen, und zwar der „Aufrichtigkeitsbedingung" - der Sprecher glaubt, daß ρ - und der „Einleitungsbedingung" - der Sprecher hat Gründe fur die Behauptung von p. Dazu DIESCH (1988: 98f.): „Man könnte sagen, daß der Glaube, daß p, eine subjektive Bedingung, und daß das Vorliegen von Gründen für die Annahme von ρ eine objektive Bedingung des Sprechakts der Behauptung, daß p, ist. [...] Durch die Äußerung eines subjektiv-epistemischen Modalverbsatzes wird dessen Infinitivkomplement mit Hilfe des Modalverbs auf den mehr oder weniger stark ausgeprägten „Glauben" an die Geltung seines Infinitivkomplements bezogen; durch die Äußerung eines objektiv-epistemischen Modalverbsatzes wird das Infinitivkomplement auf notwendige oder hinreichende Gründe seiner Geltung bezogen." Eine absolute Unterscheidung zwischen subjektiv-epistemischer und objektiv-epistemischer Modalität ist laut DIESCH (1988: 118f.) jedoch nicht möglich: „Grenzüberschreitungen sind häufig", und zwar in Abhängigkeit von einem im alltäglichen Argumentieren ständig wechselnden Bezugssystem von „offen" zu „geschlossen" und umgekehrt - mit dem konsequenten Wechsel von „subjektiver" zu „objektiver" Lesart und umgekehrt. Über Anzahl und Qualität der relevanten Bezugsdimensionen zur Erstellung der objektiven Lesart kann es unter den am Gespräch Beteiligten nicht immer nur Übereinstimmung geben. Manchmal reicht nur eine relevante Bezugsdimension, manchmal sind mehrere vonnöten; manchmal wird eine bestimmte Bezugsdimension als relevant betrachtet sowie kollektiv anerkannt, manchmal wird sie von einigen oder von allen Gesprächsteilnehmern verworfen. Trotz dieser Abgrenzungsschwierigkeiten sowie der weiter oben angesprochenen Probleme ist die LYONSsche Ausdifferenzierung einer subjektiv-epistemischen und einer objektiv-epistemischen Modalität sowie die HAREsche Unterscheidung einer neustischen und einer tropischen Komponente des Sprechakts (der Behauptung) für unsere eigenen Ziele aus den folgenden drei Gründen von großem theoretischem Interesse: a.)HARES und L Y O N S ' Thesen postulieren und betonen eine subjektive Dimension des
Sprechens - sie reichen damit weitaus über die der „objektiven" Wahrheit verpflichtete Position der alethischen Modalität hinaus: Rein logische Positionen sind damit endgültig überholt. b.)Die beiden Thesen liefern ferner eine ausgezeichnete theoretische Grundlage zur Unterscheidung der assertorischen von der inferentiellen Modalität, wie wir sie unter 2.4.1.2.4 getroffen haben: HARES These erklärt die assertorische, LYONS' These die subjektivepistemische Dimension: Im ersten Fall handelt es sich um Akte des Sagens, d.h. um solche, denen Behauptungen zugrundeliegen, im zweiten Fall um Akte des Glaubens, d.h. um solche, die auf Vorstellungen, (subjektive) Einschätzungen etc. zurückgehen. Diese beiden Dimensionen werden wir zwei verschiedenen Klassen von Modalitäten zuordnen: erstere den Modalitäten des Sagens, letztere den Modalitäten des Glaubens. Die objektiv-epistemische Dimension wird einer dritten Klasse zugeordnet werden, und zwar
49 den Modalitäten des Wollens, denen eine Einstellung des (Er-)Forderns zugrundeliegt (vgl. 2.4.2.2. und 2.5.2.). c.)Für eindimensionale Modalitätskonzepte ist die subjektive Dimension des Sprechens wesentlich: HARE und LYONS liefern ihnen die notwendige theoretische Basis. LYONS' Unterscheidung ist somit auch modalitätsdefinitorisch insofern von Belang, als sie ermöglicht, den Übergang von den zweidimensionalen zu den eindimensionalen Konzepten theoretisch nachzuvollziehen. Der Übergang läßt sich in drei Phasen nachzeichnen. Tabelle 2.5 faßt die drei Phasen zusammen: Tabelle 2.5: Entwicklung von zweidimensionalen zu eindimensionalen Modellen
1. Phase:
ZWEIDIMENSIONAL (logisch-orientiert)
epistem isch (-objektiv) (=Erkenntnisstatus von Aussagen)
nicht-epistemisch
2. Phase:
ZWEIDIMENSIONAL (sprachlich-orientiert)
epistem isch (-su bjekti v) (=Sprechereinstellung)
nicht-epistemisch
3. Phase:
EINDIMENSIONAL
epistemisch(-subjektiv) (=Sprechereinstellung)
NULL
In den zweidimensionalen logisch-orientierten Modellen (tel gwe/-Anwendungen) der ersten Phase ist 'epistemisch' als 'objektiv-epistemisch' zu verstehen, in den zweidimensionalen sprachlich-orientierten Modellen (ad /¡oc-Anwendungen) der zweiten Phase ist 'epistemisch' als 'subjektiv-epistemisch' zu deuten - der Modalitätstyp 'epistemisch' besteht weiterhin neben dem 'nicht-epistemischen'. In einer dritten Phase wird der 'nicht-epistemische' Modalitätstyp aufgegeben - es verbleibt nur noch der 'subjektiv-epistemische'. Aufgegeben wird der 'nicht-epistemische' Modalitätstyp deshalb, weil Modalität immer mehr als 'subjektiv' und immer weniger als 'objektiv' verstanden wird. Dieser Übergang vollzieht sich, indem man sich von der Logik abwendet und sich aufgrund pragmatischer Überlegungen immer stärker zu den (subjektiven) Einstellungen des Sprechers bezüglich der im Infinitivkomplement des Modalverbsatzes prädizierten Sachverhalte hinwendet.
2.4.2.2. Einzelne Definitionen In der Verbreitung eindimensionaler Definitionen der Modalität als 'Beziehung des Sprechers zum mitgeteilten Inhalt' spielt sicherlich LYONS (1968) eine wichtige Rolle. Er bestimmt die Modalität ausdrücklich als „[...] the attitude of the speaker towards what he is saying" (1968: 307). In der deutschen Modalforschung sind inzwischen Termini wie 'Stellungnahme) (des Sprechers)', 'Haltung (des Sprechers)', 'Einstellung (des Sprechers)' bzw. 'Sprechereinstellung' etc. fest eingebürgert. Hier seien einige der bekanntesten Definitionen aus der deutschen Grammatik zitiert (Hervorhebungen jeweils von mir): [Modalität ist] die Geltung, die einer Äußerung sprachlich zuerkannt wird. (BRINKMANN 1975: 357).
Die Modalität enthält Urteile und Einschätzungen des Sprechers über die Realität, Irrealität, Wünschbarkeit, Möglichkeit, Notwendigkeit des Gesagten. (EICHLER/BONTING 1978: 109).
50 Attitüden/Einstellungen des Sprechers/Verfassers zum propositionalen Gehalt (Aussagegehalt) [...], von Gewißheit und Vermutung über Distanzierung und Bewertung bis zu Wollen, Erwarten, H o f f e n e t c . (VON POLENZ 1 9 8 8 : 2 1 2 ) .
Semantische Kategorie, die die Stellungnahme des Sprechers zur Geltung des Sachverhalts, auf den sich die Aussage bezieht, ausdrückt. (BUBMANN 1990: 491). [Modalität ist] das Verhältnis des Sprechers zur Aussage, [...] die Einstellung des Sprechers zu dem, was er sagt. (LÜHR 1993: 110). In all diesen Definitionen ist neu und zugleich ihnen allen gemeinsam, daß sie den Sprecher des Modalverbsatzes als Instanz der Modalität mit einbeziehen. Dem Sprecher kommt die Aufgabe zu, aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden modalen Ausdrucksmittel eine (wie auch immer geartete) „Beziehung" herzustellen. Die Definitionen gehen jedoch darin auseinander, „zu was" eine Beziehung hergestellt wird: Wird eine Beziehung zur gesamten Aussage oder aber nur zum propositionalen Teil (p) der Aussage hergestellt? In 2 . 4 . 2 . 2 . werden wir sehen, daß diese Frage fur die Modalitätsdefiniton entscheidend ist. N o c h umstrittener ist aber die 'Art' der durch den Sprecher hergestellten Beziehung: Erschöpft sich die Prozedur der Satzmodalisierung im Sprecher selbst als der letzten Instanz oder werden seine Äußerungen nachträglich auf eine obere Kontrollinstanz projiziert? Mit diesem Problemkreis berühren wir die äußerst komplexe Thematik des Verhältnisses zwischen Denken und Sprechen, besonders in Bezug auf die Funktionen von Sprache: Je nachdem, wie man diese Frage beantwortet, so wird sich auch dementsprechend die Modalitätsdefinition verändern. Die obige Gruppe von Definitionen sieht den kognitiven Prozeß der Satzmodalisierung sich im Sprecher erschöpfen: Hierin drückt sich eine Auffassung von Sprachfiinktion als sprecherimmanent aus. Modalität (MOD) wird als eine Funktion (f) der zwei Variablen Sprecher (S) und Aussage (p) aufgefaßt: (22)
MOD = f(S, p).
Unter den eindimensionalen Modalitätsdefinitionen ist aber auch eine wichtige Gruppe zu verzeichnen, die eine dritte Variable mit einbezieht: Neben der 'Stellung des Sprechers/ Schreibers (S/S) zur Satzaussage' wird zusätzlich der 'Bezug zur Wirklichkeit/Nicht-Wirklichkeit' (W) hervorgehoben: (23)
MOD = f(S, p, W).
Modalität wird hier im wesentlichen aus dieser dritten Variable heraus definiert. Der Sprecher ist somit nur noch höchstens eine, nicht mehr aber die letzte Instanz. Diese stellt vielmehr die Tatsächlichkeit des in der Aussage geschilderten Sachverhalts dar. In überspitzter Form findet sich diese Auffassung bei R Ü 2 I C K A ( 1 9 7 2 ) wieder, der sich mit der Problematik „einer gewissen Einheit der Modalität, eines Zusammenhangs aller Modalitäten" beschäftigt. Nach R Ü Z I C K A ( 1 9 7 2 : 3f.) besteht die Leistung aller modalen Ausdrucksmittel darin, „[...] den Inhalt eines Satzes, den im Satz beschriebenen Sachverhalt, in ein bestimmtes Verhältnis zu seiner Faktizität, also seinem Eintreten, seiner Realisierung zu setzen." Einige Definitionen dieser Gruppe sind die folgenden (Hervorhebungen von mir): [Modalität ist] die Art, wie die Realität des Satzinhalts [...] von Seiten des Sprechenden eingeschätzt wird. (ADMONI 1982: 242). Modalität ist eine [...] Kategorie, die [...] zum Ausdruck bringt, ob der in der Äußerung sprachlich fixierte Bewußtseinsinhalt des Sprechenden als mit der Wirklichkeit übereinstimmend bezeichnet
51 wird oder nicht. Aus diesen beiden Möglichkeiten der sprachlich fixierten Bezugsetzung des Äußerungsinhaltes zur Wirklichkeit ergeben sich die zwei Grundmodalitäten des Satzes: Wirklichkeit und NichtWirklichkeit. (KUHNL 1977: 101). [...] die Beurteilung der Realität der Aussage durch den Sprecher. (HELBIG/BUSCHA 1986: 449). [...] die Einschätzung des Geltungsgrades des Inhalts [einer] sprachlichen Äußerung in ihrer Beziehung zur objektiven Realität durch den Sprecher oder Schreiber. (STARKE 1980: 92). Mit seiner subjektiven Stellungnahme drückt der S/S - innerhalb der o.g. Grundmodalitäten Wirklichkeit und NichtWirklichkeit - Gewißheit, Ungewißheit, Vermutung, Bedingtheit, Notwendigkeit, Forderung, Möglichekit oder Unmöglichkeit eines Geschehens aus. (SKIBITZKI 1984: 13). All diese Definitionen beziehen die Einstellung des Wirklichkeit als Kontrollinstanz. Modalität wird dann Gegensatzes 'wahr' oder 'falsch' aufgefaßt. Wie dies dalverbsätzen zu verstehen ist, sagt uns W E L K E (1965:
Sprechers auf die außersprachliche nur noch in Termini des alethischen konkret im speziellen Fall von Mo121):
[...] auch Sätze, in denen z.B. Modalverben vorkommen, sind als Aussagen entweder wahr oder falsch, d.h. es kommt ihnen ein Wahrheitswert zu. Wenn etwas als notwendig, möglich, gewollt, befohlen bezeichnet wird, dann besteht die Notwendigkeit, der Wille, der Befehl entweder in der Realität und die entsprechende Aussage ist wahr, oder diese existieren nicht in der Realität, d.h. die entsprechende Aussage ist falsch. In W E L K E S Modalitätsbestimmung drückt sich eine Auffassung der Sprachfunktion als (vollkommene) Abbildung der Wirklichkeit aus: Eine Aussage ist entweder wahr oder falsch, j e nachdem, ob ihr Inhalt der Realität entspricht oder nicht. Dem Sprecher wird kein 'Freiraum' eingeräumt: Er erhält keine Möglichkeit der Abstufung von Realitätsgraden zugewiesen. Alleinverbindlich ist vielmehr die zwischen Aussage und Wirklichkeit bestehende 'entweder'-'oder'-Relation. Was dies für eine Modalitätsbestimmung für Konsequenzen hat, sagt uns K L A R E (1978: 584): Für uns ist die Modalität nicht nur die Haltung oder die Stellungnahme des Sprechers/Schreibers zum Inhalt seiner Äußerung. Diese Position enthält die Gefahr, den Stellenwert des Sprechers/Schreibers im Gesamtgefüge Wirklichkeit-Aussage-Sprecher zu überschätzen. Ebenso bedeutsam und damit ins Blickfeld der Modalität zu richten ist der objektive Faktor, also die objektiv existierenden Relationen zwischen Aussage und Wirklichkeit. Es handelt sich hier ausnahmslos um Modalitätsbestimmungen osteuropäischer Prägung, die der Lehre des Marxismus-Leninismus verpflichtet sind. Kernpunkt dieser Lehre ist Lenins 'Abbild-' bzw. 'Widerspiegelungstheorie'. Sie geht davon aus, „daß die Realität unabhängig und außerhalb des erkennenden Subjektes existiert und im Erkenntnisprozeß in Form von Empfindungen, Wahrnehmungen, Aussagen und schließlich Theorien in komplexer Weise widergespiegelt wird" ( S E I F F E R T / R A D N I T Z K Y 1992: 204). SEGETH (1974: 66) betont, daß die gemeinsame Charakteristik von Sprechhandlungen die einer detailgetreuen Abbildung der Wirklichkeit ist - darin besteht also ihre eigentliche Funktion: Es hat sich herausgestellt, daß Aufforderungen ebenso wie Aussagen Widerspiegelungen von Sachverhalten sind. [...] Aufforderungen und Äussagen unterscheiden sich also nicht darin, was sie widerspiegeln. Aussagen sind berichtende, beschreibende oder [...] kognitive Abbilder. Aufforderungen sind [...] konstruktive, vorschreibende oder [...] präskriptive Abbilder. Aussagen informieren den Menschen, Aufforderungen aktivieren, mobilisieren ihn. Nicht nur jede einzelne Sprechhandlung, sondern auch das (metasprachliche) Sprechen liber die Sprache vollzieht sich in der getreuen Widerspiegelungsfunktion der Wirklichkeit.
52 So unterstreicht z.B. EGGS (1977: 120) die Verbindlichkeit der (eigenen sowie der gesellschaftlichen) Wirklichkeitskenntnis für eine Grammatiktheorie: '[...] nicht nur Grammatiker müssen beim Schreiben einer Grammatik ihre Wirklichkeitskenntnisse unterstellen, sondern auch in der Grammatik der von ihnen beschriebenen Sprache ist die Wirklichkeitskenntnis der Sprecher 'dingfest' gemacht.
Positionen wie die hier erläuterten - welcher Provenienz auch immer sie sind - bleiben der alethischen Logik verhaftet. Daß es aber in der Sprache nicht auf Wahrheitswerte von Aussagen, sondern vielmehr auf deren (subjektive) Verarbeitung seitens des erkennenden Subjekts zum (kollektiven) Zweck gesellschaftlicher Kommunikation ankommt, ist Gemeingut der modernen Erkenntnistheorie. Sprache entspringt dem subjektiven Bewußtsein des Sprechers und schlägt sich in der konventionalisierten Norm der Sprechergemeinschaft nieder: Dies ist das einzig Objektive an ihr. So kann die Funktion von Sprache nicht die unmittelbare Abbildung von dem sein, was wir Wirklichkeit nennen, sondern deren Verarbeitung in Form von 'Erfahrungswerten'. Dies erläutert GROßE (1969: 409) in beeindruckender Weise wie folgt: In ihrer Sprache fixieren die Menschen ihre Denkergebnisse, ihre Kenntnisse, Einsichten, Erfahrungen, alles in allem Abstraktionsleistungen, die für die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts von großer Bedeutung sind; denn sie werden in der Sprache festgehalten, werden fixiert für spätere Generationen. Diese sprachlichen Mittel werden dann wieder verwendet als Bausteine neuer Gedankengebäude, als Vehikel neuer Denkakte. So ist in der Sprache zweifellos die objektive Wirklichkeit widergespiegelt, aber - und das ist entscheidend wichtig für die Linguistik - nicht unmittelbar. Dieser Spiegel reflektiert die Gegebenheiten der Wirklichkeit nicht direkt, sondern er bricht gewissermaßen die Strahlen, die aus der objektiven Wirklichkeit in ihn hineinfallen, durch die Stellungnahme des Menschen zu diesen objektiven Gegebenheiten, durch seine Ansichten, Aspekte (im wörtlichen Sinne), und das sowohl im einzelnen Urteil eines Sprechers während eines konkreten Kommunikationsvorganges wie auch in der kollektiven Einschätzung, die sich in den sprachlichen Normen niederschlägt, die in einer Sprachgemeinschaft gelten, in dem Bild, das sich eine Kommunikationsgemeinschaft, sei es eine kleine, eine Familie, ein Dorf, oder eine große, eine Nation oder eine Kulturgemeinschaft, von der Umwelt und ihren Kausalitäten macht.
Wir distanzieren uns deshalb von dieser zweiten Gruppe von Definitionen, die auf der sog. Abbildtheorie gründen, und konzentrieren uns auf die erste, durch die Formel in (23) gekennzeichnete Gruppe. Unser primäres Anliegen ist es zu verstehen, wie den oben geschilderten definitorischen Schwächen begegnet werden kann. Es muß eine Antwort auf die beiden folgenden Fragen gefunden werden: a.) Wie geht die Sprechereinstellung vor sich? b.) Worauf bezieht sich eigentlich der Sprecher? Mit diesen beiden Fragen eng verbunden ist aber auch das Problem des von der Definition erfaßten Formeninventars: Ein so aufgefaßter Modalitätsbegriff geht zwangsläufig mit einer drastischen Reduzierung von dem einher, was gemeinhin als „modal" gilt. Auch für diese Einschränkung bedarf es selbstverständlich einer Erklärung. Ich bespreche hier in der Folge die Ansätze einiger Autoren, die den Übergang von zweidimensionalen zu eindimensionalen Modalkonzepten deutlich zeigen. Am Anfang stehen eher zögernde terminologische Unterscheidungen zwischen den zwei fraglichen Klassen von Modalverbsätzen, die nach wie vor ein und demselben System zugeordnet werden und wobei die Stellungnahme des Sprechers nur im epistemischen Bereich angesetzt wird
53 (in 2.4.2.2.1.); ihnen folgen Konzepte, die trotz Beibehaltung der Dichotomie die Stellungnahme des Sprechers zur definitorischen Instanz beider Gruppen von Modalverbsätzen erklären (in 2.4.2.2.2.); schließlich zwei Konzepte, die nur den epistemischen Bereich als modal bezeichnen, alles andere als nicht-modal (in 2.4.2.2.3. und 2.4.2.2.4.).
2.4.2.2.1. HALUDAY (1970) H ALLIDA Y beschäftigt sich mit den Modalverben im Rahmen seiner funktionalen Sprachanalyse. Modale Strukturen - wie alle anderen sprachlichen Strukturen auch - drücken nach seiner Auffassung bestimmte Funktionen aus, die ihrerseits grammatische Systeme der Sprache bilden. Sprachliche Strukturen reflektieren drei grundlegende Funktionen: die ideationale, die interpersonelle und die textuelle Funktion. Die ideationale Funktion dient der sprachlichen Repräsentation propositionaler Gehalte, die interpersonelle der Festlegung der Rollen in Dialogsituationen sowie der Repräsentation des Sprecher-"involvement" und die textuelle der Repräsentation der Informationsstruktur von Texten und Sätzen. Daraus, daß etwa das Modalverbs must in den folgenden Sätzen (24) (25)
Yóu must be very careful You must be very careless
zwei unterschiedliche Bedeutungen realisiert, und zwar in (24) 'you are required to be' und in (25) 'it is obvious that you are', schlußfolgert HALLIDAY (1970: 326f.), daß Modalverbsätze zwei verschiedene Funktionen ausdrücken können: Epistemische Modalverbsätze drücken die interpersonelle, nicht-epistemische die ideationale Funktion aus. Verschiedene Funktionen gehören verschiedenen Systemen an. Da epistemische und nicht-epistemische Modalverbsätze verschiedenen Funktionen dienen, müssen sie auch verschiedenen Systemen der Sprache angehören. Epistemische Sätze gehören zum „System der Modalität" („system of modality"), das HALLIDAY wie folgt definiert: Modality is a form o f participation by the speaker in the speech event. Through modality, the speaker associates with the thesis an indication o f its status and validity in his own judgment; he intrudes, and takes up a position. Modality thus derives from what w e called above the 'interpersonal' function o f language, language as expression o f role. (1970: 335). [...] Modality, then, is the speaker's assessment o f probability and predictability. (1970: 349).
Die grundlegenden Konzepte des Systems der Modalität sind somit allein die kognitiven Kategorien der 'Wahrscheinlichkeit' und der 'Möglichkeit/Gewißheit', die von epistemisch verwendeten Sätzen wie in (26) und (27) ausgedrückt werden: (26) (27)
He could be on the next train. Y o u must have won the pools.
Nicht-epistemische (Modalverb-)Sätze gehören dagegen zum „System der Modulation" {system of modulation), das HALLIDAY wie folg definiert: Modulation [...] is part o f the ideational content o f the clause; it is a characterization o f the relation o f the participant to the process - his ability & c., to carry it out. (1970: 349).
Die grundlegenden Konzepte des Systems der Modulation sind die (aktiven) Kategorien 'Neigung/Fähigkeit' sowie die (passiven) Kategorien 'Erlaubnis' und 'Notwendigkeit' (mit
54 den Unterkategorien 'Verpflichtung' und 'Zwang'), die von nicht-epistemisch verwendeten Sätzen wie in (28) und (29) ausgedrückt werden: (28) (29)
You can play the piano very well. She must play the piano every evening.
Die beiden Systeme der Modalität und der Modulation unterscheiden sich dadurch, daß das erste (als Prädikation über p) satzextern ist, das zweite satzintern (denn das Modalprädikat ist in ρ enthalten). In ihren Grundzügen seien sie jedoch weitgehend isomorph und in bestimmten Kontexten - vor allem, wenn der Sprecher auch die Quelle der Modulation ist können sie ineinander Ubergehen: Sie stellten im Grunde Subsysteme ein und desselben Systems dar - unterschieden allein durch ihre verschiedene Funktionen: Modulation, especially of the passive type, is a condition imposed by someone, and if that someone is the speaker himself then it becomes a kind of modality - the speaker in his normal, modal function interfering as it were in the event, in the ideational content of the clause. Hence the term 'quasimodality' which I used above." (1970: 349). [Hervorhebung von mir]. Modality and modulation are the same system in different functions [...]: the one is interpersonal, the other ideational." (1970: 347).
terminologische Unterscheidung ist auf breite Resonanz gestoßen. Auch RAY(1974: 572ff.) benutzt anstelle des Gegensatzes 'epistemisch' vs. 'nicht-epistemisch' die dichotomische Unterscheidung 'Modalisation' und 'Modifikation' als Teilsysteme der Modalität - etwa in der gleichen Bedeutung, wie sie HEIDOLPH/FLÄMIG/MOTSCH ET ALU (1981: 526) verwenden: Modalverben modifizieren einen Sachverhalt, wenn sie „das modale Verhältnis zwischen dem Repräsentanten des Subjekts und dem Verbalgeschehen charakterisieren"; sie modalisieren einen Satz, wenn sie „eine Stellungnahme des Sprechers ausdrücken." So zuletzt auch STOJANOVA-JOVCEVA (1991: 67): „[...] die Modalität ist eine dichotome Kategorie, die aus der objektiven und der subjektiven Modalität besteht. Die objektive Modalität (Modifikation) drückt einerseits die Stellungsnahme des logischen Subjekts zu dem durch das Prädikat ausgedrückten Prozeß, andererseits die ontologischen Relationen zwischen ihnen aus. Die subjektive Modalität (Modalisation) drückt die Stellungnahme des Emittenten zu seiner Äußerung aus [...]•" Wie bei HALLIDAY (1970) 'Modalität' und 'Modulation', so werden auch die beiden Kategorien 'Modalisation' und 'Modifikation' bei all diesen Autoren expressis verbis weiterhin als Teilkomponenten einer dichotomischen Kategorie 'Modalität' aufgefaßt. Die Kategorie 'Stellungnahme des Sprechers' ist zwar ein wesentlicher definitorischer Teil, nur aber für die 'modalisierende' (d.h. 'epistemische') Bedeutung der Modalität. HALLIDAYS
NAUD
2.4.2.2.2. MEUNIER (1974) Ein dichotomisches Konzept von Modalität liefert auch MEUNIER (1974). Er unterscheidet die beiden Modalitätstypen der modalité d'énonciation (Ml) und der modalité d'énoncé (M2) (1974: 13f.): ( M l ) - Modalité d'énonciation: se rapporte au sujet parlant (ou écrivant). Elle intervient obligatoirement et donne une fois pour toutes à une phrase sa forme déclarative, interrogative ou impérative. [...] ( M l ) caractérise la forme de la communication entre Locuteur et Auditeur.
55 (M2) - Modalité d'énoncé: se rapporte au sujet de l'énoncé, éventuellement confondu avec le sujet de l'énonciation. [...] ( M 2 ) caractérise la manière dont le sujet de l'énoncé situe la proposition de base par rapport à la vérité, la nécessité (vrai, possible, certain, nécessaire et leurs contraires etc.), par rapport aussi à des jugements d'ordre appréciatif (utile, agréable, idiot, regrettable...) [...].
Mit Ml ist der 'Satztyp' gemeint, M2 schließt ihrerseits sowohl die epistemischen wie auch die nicht-epistemischen Modalverbsätze ein und wird ausschließlich aus der Kategorie 'Stellungnahme des Sprechers' heraus definiert. Neu ist ferner die Ansicht, daß auch 'Bewertungen' (Jugements d'ordre appréciatif') zur Modalität gehören. Im Vergleich mit den unter 2 . 4 . 2 . 2 . 1 . vorgestellten Positionen bedeutet diejenige von Meunier ( 1 9 7 4 ) insofern eine neue Dimension der Modalität, als diese zwar weiterhin dichotomisch ist, die Dichotomie aber nicht mehr als Opposition zweier Klassen von Modalverbsätzen definiert wird, sondern auf der einen Seite als eine formale (und zwar als 'Satztyp'), auf der anderen als eine inhaltliche (alle Modalverbsätze einschließende) Kategorie, der auch die bewertende Modalität zugeordnet wird. Der nächste Schritt wird in der Verbindung des Hallidayschen und des MEUNlERschen Konzeptes sowie in der Verwerfung der formalen Kategorie (Satztyp) bestehen. Diesen Schritt vollziehen SIMONE/AMACKER ( 1 9 7 7 ) u n d SANDHÖFER-SIXEL(1988).
2 . 4 . 2 . 2 . 3 . SIMONE/AMACKER ( 1 9 7 7 ) .
Das Ziel von SIMONE/AMACKER ist die Bestimmung der Klasse der Modalverben im Italienischen; zugleich wollen sie einen Beitrag zu einer allgemeinen Theorie der Modalität in natürlichen Sprachen leisten. Aus der Feststellung heraus, daß syntaktische Kriterien zu kurz greifen und daß eine Definition der Modalität erst auf semantischer Ebene gelingen kann ( 1 9 7 7 : 2 6 ) , identifizieren sie zwei wesentliche semantische Kriterien fur eine Modalitätsbestimmung·. [...] sono modali i verbi che (i) comportino una qualche 'aggiunta' di significato al verbo all'infinito che li segue, e che, in particolare (ii) attribuiscano a questo verbo una 'sfumatura soggettiva', che lo distinguerebbe dagli usi non modalizzati del verbo stesso. (1977: 51).
Modalität ist also zugleich (i) etwas, das (zur Proposition) hinzu kommt und (ii) etwas, das subjektiv verarbeitet wird. Um diese beide Definitionskomponenten genauer zu bestimmen, entwerfen SIMONE/AMACKER eine „Teoria dell'enunciazione dei verbi modali": An jeder (Modal-)Aussage sei ein P(arlante) (=Sprecher) beteiligt, der nicht mit dem S(oggetto) (=Subjekt) identisch ist. In modaler Hinsicht sei Ρ als die Quelle der Modalität („sede della modalità") zu betrachten. Aus der Feststellung heraus, daß der Sprecher nicht unbedingt immer als eine einzige Person identifiziert werden kann,52 definieren sie ihn ex negativo als nicht-S, symbolisch S. Die Klasse aller Sätze ließe sich nun in zwei Untermengen teilen, von denen die eine keine Unterscheidung, die andere dagegen eine Unterscheidung zwischen S und S leistet. Die Klasse der traditionell als Modalverben geltenden Formen gehörten zum Teil zur ersten, zum Teil zur zweiten Untermenge: Allein die Elemente der zweiten Gruppe seien aber als modal zu bezeichnen, denn nur sie implizierten immer einen aus der 52
Das verdeutlichen die folgenden Sätze (QdM = Quelle der Modalität): (a) Carlo deve essere giovane, w o QdM ist P; (b) Carlo sembra (essere) giovane, w o QdM ist P+ALTRI; (c) Carlo ti sembra (essere) giovane, w o QdM ist ALTRI (1977: 57).
56 Aussage zu gewinnenden Sprecher S als Quelle der Modalität, der die Subjektivität der Aussage garantiere.53 Betrachten wir die beiden folgenden Beispiele: (30) (31 )
Carlo deve uscire. Carlo deve essere uscito.
Im Satz (30) wird aus der Aussage heraus keinen S impliziert (wie aus der Paraphrasierung in (32) ersichtlich, wohl aber im Satz (31), der sich etwa wie in (33) paraphrasieren läßt (= Io): (32) (33)
È necessario che Carlo esca. Io suppongo che Carlo sia uscito.
Ermittelt man nun die Klasse aller Verben, die die S/S-Unterscheidung implizieren, so könne man leicht feststellen, daß sie alle der semantischen Kategorie der 'Supposition' angehören. SIMONE/AMACKER identifizieren also mit 'Supp' (=Supposition) die semantische Kategorie, die die Modalität im Italienischen ausdrückt (1977: 60): Der Sprecher S erfüllt die Bedingung (ii) der Subjektivität der Aussage, die Klasse der Modalverben erfüllt Bedingung (i) dadurch, daß sie der Aussage die Bedeutung „Suppositiv" hinzufügt. Von Belang ist der Beitrag von SIMONE/AMACKER für uns nicht deshalb, weil er die Modalität mit der Kategorie 'Suppositiv' identifiziert - denn das tun andere auch - , sondern deshalb, weil er sich mit den beiden Fragen in 2.4.2.2. beschäftigt, auf die wir eine Antwort finden wollen, d.h. mit den Fragen, wie die Sprechereinstellung vor sich geht und worauf sie sich bezieht. Nach SIMONE/AMACKER operiert die (suppositive) Modalität nicht über Sätze, sondern über abstrakte „Entitäten", die sie „fatti" nennen (1977: 60): [...] l'attribuzione di probabilità indeterminate non può essere compiuta su frasi, ma su una classe più vasta di oggetti, cioè su fatti [...]. Come oggetto astratto iniziale della modalità poniamo dunque F (Fatto) [...].
Zu dieser Einsicht gelangen die Autoren von der Feststellung her, daß es nicht immer möglich sei, die von BALLY als komplementär eingeführten Einheiten des modus und des dictum auf zwei distinkte Satzteile zurückzuführen (1977: 60), denn nur in der 'expliziten' Modalität - wie in (34) - sind beide Teile realisiert, in der 'impliziten'- wie in (35) - aber nicht: Hier erscheinen modales Subjekt und Modalverb nicht, der Modus wird am 'dictum' ausgedrückt - in der Regel durch den Verbalmodus. Vergleiche: (34) (35)
Je veux (j'exige) que vous sortiez. Sortez!
Diesem Problem könne man jedoch begegnen, wenn man die beiden Einheiten des modus und des dictum vom Zwang des Satzkorsetts befreit und auch mit abstrakten Einheiten anderer Art als Sätzen in Verbindung bringt, auf die sich eben die Kategorie der Supposition per deßnitionem - aufgrund der Regel S φ S! - zu beziehen hat: Il primo passo della modalizzazione è dunque l'applicazione di un operatore O ad un fatto F [...]. (1977: 60). 53
Daß dem nicht so immer ist, entgeht auch SIMONE/AMACKER nicht. In den folgenden Sätzen ist nämlich S=S: devo essere arrivato; sembro (essere) stanco; posso aver sbagliato; avrò finito di lavorare. Um das für die Subjektivitätsbedingung notwendige Kriterium der S/S-Unterscheidung doch noch zu retten, sprechen SIMONE/AMACKER von „sdoppiamento del parlante", sozusagen von einer Doppelrolle des Sprechers (1977: 58).
57
Was SIMONE/AMACKER tatsächlich unter F (Fatto) verstehen, ist zunächst nicht auszumachen, denn sie geben keine genaue Definition: [...] ciò che realmente conta nella nostra prospettiva non è la natura o la struttura di F, ma solo il fatto che l'operatore modale si applichi su un'entità non-linguistica. F va dunque inteso come un'entità iniziale, costituente il punto d'attacco dell'operazione di modalizzazione [...] (1977: 60).
Im weiteren Verlauf ihrer Argumentation verweisen sie jedoch auf DE MAURO ( 1970): [...] una sua definizione accettabile (utilizzata ad esempio in DE MAURO, 1970) è: F è uno stato dell'esperienza comunque identificato." (1977: 60).
Somit scheint F(Fatto) dem Begriff 'Sachverhalt' (engl, „state of affairs") zu entsprechen. Wichtig ist für uns der explizite Verweis darauf, daß das sprachliche Verfahren der Modalisierung auf nicht-sprachliche, vielmehr auf kognitive Einheiten operiert. Dies bedeutet, daß die Formel der Modalitätsdefinition als „Haltung des Sprechers zu dem, was er sagt" so zu verstehen ist, daß der Sprecher Bezug nicht zu sprachlichen Äußerungen, sondern zu Sachverhalten nimmt. Der Sprecher stellt sich zu den in der Sprechsituation relevanten Sachverhalten und qualifiziert sie mittels der Modalverben als notwendig, möglich, angebracht, empfehlenswert etc. Darin drückt sich seine Einstellung zu den Sachverhalten aus.
2.4.2.2.4. SANDHÖFER-SIXEL (1988) In Anlehnung an die Bestimmung der Modalität bei FILLMORE (1968) und vor allem bei
GERSTENKORN (1976) - die beide davon ausgehen, daß in der Tiefenstruktur von Modalverbsätzen zwei verschiedene Komponenten zu unterscheiden sind - definiert SANDHÖFERSIXEL (1988: 14) die Kategorie der Modalität (M) als eine besondere Form der „subjektiven Bewertung durch den Sprecher", und zwar genauer als die [...] subjektive Stellungnahme des Sprechers zu einem in Ρ dargestellten Gegenstand,
wobei Ρ fur 'Proposition' steht und Proposition für die Menge der denotativen Grundelemente der jeweiligen Sachverhaltsdarstellung. Z.B. in den Sätzen (36) und (37): (36) (37)
Anna wird schon kommen. Schön, daß Anna kommt.
ist Ρ jeweils als {komm-, Anna} anzugeben, M wird dagegen durch die Satzelemente wird schon bzw. schön repräsentiert. Da nun aber eine solche Unterscheidung zwischen einer propositionalen und einer nichtpropositionalen Komponente nur von epistemischen, nicht aber von nicht-epistemischen Modalverbsätzen geleistet werde - denn nur dort handele es sich um eine Prädikation über Ρ - , so seien nur die ersteren als modal anzusehen. Anders als SIMONE/AMACKER (1977) rechnet SANDHÖFER-SIXEL zum Bereich der Modalität nicht nur die Kategorie der „kognitiven Bewertung" - d.h. „umweltbeschreibende Urteile, mit denen der Sprecher darüber informiert, wie er einen bestimmten Gegenstand auf der Basis einer bestimmten Vergleichsgrundlage taxiert" (1988: 32), die sie auch als „Gültigkeitsmodalität" (GM) bezeichnet (vgl. Beispiel (36)), sondern auch die bereits von MEUNIER (1974: 14) erwähnte Kategorie der
„affektiven Bewertung", d.h. „selbstbeschreibende Urteile, mit denen ein Sprecher darüber informiert, wie er sich (evtl. gegenüber einem Gegenstand) erlebt" (vgl. Beispiel (37)). Die
58 kognitive und die affektive Komponente faßt SANDHÖFER-SIXEL unter dem Oberbegriff der „emotionalen Modalität" (EM) zusammen (1988: 32; 41), wobei unter 'Emotion' „die persönliche Anteilnahme des Sprechers (an einem in Ρ dargestellten Gegenstand)" zu verstehen sei. SANDHÖFER-SIXELS Modalitätsbestimmung beruht letztendlich auf der Annahme, daß „[...] Sprache [...] notwendig an die Faktoren der Subjektivität und Emotionalität gebunden [ist]: Alles, was wir sprachlich ausdrücken, ist das Ergebnis unserer subjektiven Wahrnehmung und Bewertung der Dinge." Dem „sprechenden Subjekt" kommt somit eine zentrale Rolle zu. Wichtig ist für uns die Arbeit von SANDHÖFER-SIXEL vor allem aus drei Gründen: Erstens, weil sie Modalität in Verbindung mit der Sprecherintention bringt, indem sie (wie auch SIMONE/AMACKER) von einer binären Struktur des Satzes als Modalität und Proposition ausgeht - somit zugleich frei von logischen Einflüssen und pragmatisch orientiert ist; zweitens deshalb, weil sie - wie bereits auch SIMONE/AMACKER - eine Beziehung zwischen Sprecher und Sachverhalten (und nicht Satzinhalten) unterstellt; drittens, weil sie eine wichtige, von SIMONE/AMACKER vemachläßigte Form der Modalität, nämlich die der Bewertung, in den Kern der Modalitätsdefinition einführt.
2.4.2.3. Diskussion und Ergebnisse l.)Bis zum Aufkommen der Pragmatik in den 70er Jahren, die auch in der Modalitätsdiskussion eine „pragmatische Wende" einleitet, orientieren sich Modalitätsbestimmungen im wesentlichen an zwei unterschiedlichen Gruppen methodischer Ansätze: In der Definition der Modi überwiegen Assertionstheorien, bei der Definition der Modalverben (zweidimensionale) logische Konzepte. Assertionstheorien eignen sich besonders gut zur Erklärung der Modusfunktionen: Der Indikativ läßt sich als Modus der uneingeschränkt gültigen Assertion, der Konjunktiv (I und II) als Modus der eingeschränkt gültigen Assertion definieren dadurch nicht erfaßt wird allerdings der Modus Imperativ. Eindimensionale Modalitätskonzepte sind den Assertionstheorien verpflichtet. So überrascht es nicht, daß diese Konzepte die nicht-epistemischen Modalverbsätze vielfach nicht berücksichtigen, denn diese sind inhaltlich dem Imperativ, also dem Modus des Appells im Sinne BÜHLERS (1934; 2 1965; 1982) ähnlich, und nicht den beiden Modi der Assertion. Nicht erfaßt werden generell die deontischen Modalverbsätze, d.h. die Klasse derjenigen Modalverbsätze, die eine Relation zu sozial erwarteten Handlungen darstellen und denen eine propositionale Einstellung des Wollens (von seiten einer Norminstanz) zugrunde liegt. Und geht man mit DIESCH (1988: 224) davon aus, daß auch pragmatische Modalverbsätze, d.h. diejenigen Modalverbsätze, die eine Relation zu nicht-kodifizierten Handlungen darstellen, eine zwischen „Wollen" und „Glauben" gespaltene propositionale Einstellung aufweisen, so werden auch sie nur zum Teil erfaßt. Nicht erfaßt werden sie, wenn sie „im Hinblich auf ein Handlungsziel" geäußert werden, womit ihnen eine propositionale Einstellung des Wollens (von seiten einer pragmatischen Instanz) zugrunde liegt, erfaßt werden sie jedoch (zumindest bei SANDHÖFER-SIXEL (1988), die außer rein epistemischen auch bewertende Modalverbsätze als modal gelten läßt (vgl. hier oben), wenn sie „im Hinblick auf Merkmale des Handlungsfeldes" geäußert werden, womit ihnen eine propositionale Einstellung des Glaubens (die eben auch die (subjektiv)-epistemischen Modalverbsätze kennzeichnet) zugrunde liegt. Vergleiche die beiden folgenden Sätze:
59 (38)
(a) (b)
Hans müßte endlich mal damit anfangen, vernünftig zu arbeiten, Hans muß vernünftig arbeiten, wenn er Erfolg haben will.
In (38) (a) wird eine (subjektive) Bewertung geäußert, indem auf Merkmale des Handlungsfeldes Bezug genommen wird: die Einstellung zum Sachverhalt ist eine Einstellung des Glaubens (das bewertende Subjekt hält den Einsatz bestimmter Mittel für erforderlich); in (38) (b) wird dagegen auf ein Handlungsziel Bezug genommen: die Einstellung zum Sachverhalt ist eine Einstellung des Wollens (ein bestimmtes Ziel fordert den Einsatz bestimmter Mittel - vgl. unter 3.3.1.). Im Kapitel 3 werden wir aber die beiden Klassen von Modalverbsätzen in (38) zwei unterschiedlichen Modalitätstypen zuordnen: die in (38) (a) dem bewertenden Modalitätstyp mit der propositionalen Einstellung des Glaubens (vgl. unter 3.2.2.), die in (38) (b) dem pragmatischen Modalitätstyp mit der propositionalen Einstellung des Wollens (vgl. unter 3.3.1.). 2.)Eindimensionale Modalkonzepte, wie sie SIMONE/AMACKER (1977) und SANDHÖFER-
SLXEL (1988) vorgelegt haben, zeichnen sich durch eine konsequente Anwendung ihrer definitorischen Prämissen aus. Zentral sind die Subjektivität der Aussage (in dem Sinne, daß „etwas Subjektives zum propositionalen Inhalt hinzukommt") sowie die Gleichsetzung von „Quelle der Modalität" (ganz und gar im Sinne CALBERTS (1975) - vgl. 2.4.1.2.3.2.) mit
dem „Sprecher" (als der aktuelle Urheber der Äußerung verstanden). Läßt man diese, und nur diese zwei Kriterien gelten, so fällt aus der Modaldefinition alles heraus, was nicht „subjektiv" im obigen Sinne ist: Die Definition schließt demnach nur epistemische sowie bewertende Modalverbsätze ein, denn nur bei diesen ließe sich von einer „Haltung, Einstellung, Stellungnahme etc. des Sprechers zu einer Größe x" sprechen, nicht dagegen bei nicht-epistemischen Modalverbsätzen, wie aus der Kontrastierung von (39) (a) mit (39) (b) deutlich wird: (39)
(a) (b)
Reinhold muß den Mount Everest bestiegen haben, Reinhold muß den Mount Everest besteigen.
In (39) (a) kommt zu ρ (="Das-Besteigen-des-Mount-Everest-durch-Reinhold") die subjektive Einstellung der Annahme (="Aufgrund der vorliegenden Tatsachen gehe ich davon aus, daß /?"), in (39) (b) käme zu ρ hingegen keine subjektive Stellungnahme hinzu - daß aber zu ρ eine Form des Modalverbs müssen hinzugekommen ist, bleibt allerdings ohne Kommentar. Die Kritik an den eindimensionalen Modalkonzepten konzentriert sich somit im wesentlichen auf die beiden folgenden Punkte: a.)die Angemessenheit der Modalitätsdefinition; b.)die drastische Einschänkung des Modalbereichs. Im Hinblick auf die Angemessenheit solcher eindimensionalen Definitionskonzepte lassen sich zwei extreme Positionen einnehmen: a.) entweder erkennt man die Definition als durchaus adäquat an und stuft folglich als modal nur die Modalverbsätze mit epistemischer Bedeutung ein (allenfalls unter Einbeziehung einer zusätzlichen emotionalen Modalkomponente, wie dies bei SANDHÖFER-SIXEL (1988) der Fall ist);
60 b.)oder aber man will an der Gesamterscheinung der Modalverben als modal festhalten, sie sozusagen als modal in toto retten, und sucht deshalb nach anderen Wegen zu einer geeigneten Definition. Zu diesen beiden Punkten nimmt ÖHLSCHLÄGER (1984: 242) in seinem Bericht über die Modalität im Deutschen ausführlich Stellung: Wenn man [...] davon ausgeht, daß Modalität - wie Vater in seinem Beitrag in CALBERT/VATER (1975) als communis opinio unterstellt - „nicht Bestandteil des in einem Satz beschriebenen Sachverhalts [ist], sondern etwas, das zusätzlich zu diesem Sachverhalt ausgedrückt wird" (CALBERT/VATER 1975: 104), dann kann man mindestens die Modalverben im nicht-inferentiellen (objektiven) Gebrauch und die modalen Infinitive nicht als modal bezeichnen, gleichgültig, wie man das, was zusätzlich ausgedrückt wird, bestimmt, ob als Stellungnahme oder wie auch immer. Denn mit einem Satz wie Hans kann Klavier spielen oder Hans darf Klavier spielen behaupte ich, daß der Sachverhalt besteht, daß Hans Klavier spielen kann bzw. daß Hans Klavier spielen darf; hier wird mit kann und darf nichts Zusätzliches ausgedrückt, es wird nicht behauptet, daß Hans Klavier spielt, und daß er dies kann oder darf.
Der Kern der Kritik ÖHLSCHLÄGERs läßt sich wie folgt zusammenfassen: Eindimensionale Modalkonzepte definieren sich über die Kategorie der „Stellungnahme" (durch den Sprecher). Diese Stellungnahme drückt sich in „etwas Zusätzlichem" aus, das durch das Modalverb zum Inhalt des Modalverbsatzes hinzukommt. Diese Definition hat zur Folge, daß nur epistemische Modalverbsätze als „modal" aufgefaßt werden können, weil nur sie dieses „etwas Zusätzliche" ausdrücken, was die Modalität eben ausmacht - alle übrigen Modalverbsätze, also die nicht-epistemischen generell, sind als nicht-modal aufzufassen, denn sie drücken lediglich aus, daß „etwas besteht" - ohne jegliche weitere inhaltliche Hinzufügung. Die eindimensionalen Konzepte bleiben hier tatsächlich eine Erklärung schuldig: Sie sagen nicht klar genug, warum die nicht-epistemischen Modalverbsätze wie in (39) (b) als nicht-modal zu betrachten sind. Ihnen haftet der Verdacht an, bei der Definition sei ein beträchtliches Maß an Willkür im Spiel. Denn eine Definition gilt als adäquat, wenn ihre Prämissen (ihre „primitiven Ausdrücke") ebenfalls als adäquat gelten können (SEIFFERT/ RADNITZKY 1992: 31). Ihre Prämissen sind hier aber aus einer Menge definitorischer Ansätze ohne weitere Begründung ausgewählt, was nicht unbedingt als eine gute Bedingung fur Definitionsschärfe angesehen werden kann. Auch vernachlässigen solche Ansätze gänzlich die Beziehungen, die zwischen epistemischen und nicht-epistemischen Modalverbsätzen bestehen und die etwa in den pragmatischen Modalverbsätzen wie in (38) (a) und (b) infolge ihrer grundsätzlich (mindestens) zweideutigen propositionalen Einstellung des Glaubens und des Wollens deutlich zum Ausdruck kommen, was aber wiederum auf eine zumindest partielle gemeinsame „modale" Leistung schließen läßt und für eine Erweiterung des Modalverbfeldes über das Epistemische hinaus spricht. Für eine Erweiterung des Modalverbfeldes über das Epistemische hinaus spricht aber auch die Tatsache, daß diese Konzepte in Wirklichkeit alles andere als einheitlich definiert sind. Der Definition kann man eine „enge" oder eine „weite" Interpretation zuordnen, je nachdem, was unter „Haltung, Einstellung, Stellungnahme etc. des Sprechers zu einer Größe x" verstanden wird. Bei einer engen Interpretation muß man, wenn die Größe χ mit der Satzaussage (d.h. Proposition) identifiziert wird, so konsequent sein wie SIMONE/AMACKER ( 1 9 7 7 ) u n d SANDHÖFER-SIXEL ( 1 9 8 8 ) u n d u n t e r M o d a l i t ä t n u r d i e e p i s t e m i s c h e M o d a l i t ä t
verstehen. Mehrere Definitionen dieser Gruppe lassen es aber wohl mehr oder weniger absichtlich offen, ob unter der Größe χ die (gesamte) Satzaussage oder aber der in ihr ver-
61 sprachlichte Sachverhalt zu verstehen sei, wieder andere scheinen ausdrücklich die Größe χ mit den gemeinten Sachverhalten in Verbindung zu bringen. Erst aufgund dieser zweiten, weiteren Definition wird es möglich, auch andere postulierte Formen der Modalität zu berücksichtigen, wie z.B. die intentionale oder die volitive Modalität, die bei einer engen Auslegung des Konzeptes völlig unter den Tisch fallen. Andersherum muß sich aber auch ÖHLSCHLÄGER (1984) die Frage gefallen lassen, warum Modalverbsätze wie die hier in (40), die von eindimensionalen Konzepten völlig ausgeklammert werden, kann darf
(40)
Hans muß Klavier spielen soll will möchte
als Sätze aufzufassen sind, die lediglich ausdrücken, daß „etwas besteht" und daß „nichts Zusätzliches" über das Assertieren des reinen Bestehens des Sachverhalts hinaus zum Satzinhalt hinzukommt. Wir sind dagegen der Meinung, daß auch bei den Modalverbsätzen in (40) - wie generell bei den epistemischen Sätzen - relationale Prädikationen angenommen werden können, die auf eine im Modalverbsatz nicht obligatorisch genannte, jedoch unbedingt anzunehmende Instanz abgebildet werden, die das jeweilige Handlungsziel erst möglich macht bzw. auf das das Handlungsziel gerichtet ist. Die Bezugsgröße dieser Relation kann als das „etwas Zusätzliche", das, was zum Inhalt eines Modalverbsatzes hinzukommt, aufgefaßt werden kurz: als eine Stellungnahme (des Sprechers) zum jeweiligen Sachverhalt. Sollte sich diese Überlegung als vertretbar erweisen, so hätten wir zum einen die Definitionsgrundlage eindimensionaler Modalkonzepte gerettet - und zugleich aber auch ihre Schwäche insofern aufgezeigt, als die bloße Einschränkung auf den epistemischen Bereich nun tatsächlich hinfällig wäre - , zum anderen hätten wir ÖHLSCHLÄGERs Kritik zurückgewiesen und eine Form der Definition gewonnen, die auch den nicht-epistemischen Bereich mit einschließt. ÖHLSCHLÄGERS Einwand, mit Modalverbsätzen wie in (40) behaupte der Sprecher, daß der Sachverhalt bestehe, also eine Tatsache sei, können wir uneingeschränkt zustimmen: Es fragt sich aber nur, in welchem Sinne dies gemeint ist. Daß diese Aussagen als 'Tatsachen' aufgefaßt werden können, wird auch in eindimensionalen Konzepten nicht bestritten - wobei Tatsachen „als (eine echte Teilmenge der) Sachverhalte aufzufassen [sind], nämlich als 'bestehende', 'erfüllte' oder 'wirkliche' Sachverhalte." Und da wir von sprachlich verschiedenen, aber inhaltsgleichen Aussagen behaupten können, daß sie den gleichen Sachverhalt darstellen, so müssen wir annehmen, daß Sachverhalte abstrakte Gegenstände sind „ähnlich wie eine Zahl oder ein Begriff" (KAMLAH/LORENZEN 1992: 132). So müßten nach HOCHE (1990: 109) Tatsachen nicht als bestehende Sachverhalte, sondern als wahre 'Gedanken' im Sinne FREGES aufgefaßt werden, da nur bei Gedanken Wahrheit in Frage kommen kann. Aussagen, folglich auch die Aussagen in (40), stellen somit kognitive Einheiten dar, die nur insofern als objektiv aufgefaßt werden können, als sie als mentale Vorstellungen des Sprechers tatsächlich bestehen. Daß es so ist, führen KAMLAH/ LORENZEN (1992:
137) an der Stelle aus, wo sie erklären, wie die Wendung „einen Sachverhalt darstellen" zu deuten ist:
62 Auch durch den Ausdruck „darstellen" dürfen wir uns hier nicht irreführen lassen. V o n einer Fotografie oder einem Portrait sagt man, es stelle eine Person dar. Durch Abbilder dargestellte Gegenstände sind aber auf die Abbildung nicht angewiesen, bestehen unabhängig von der Abbildung. Sachverhalte dagegen und somit auch Tatsachen „gibt es" unabhängig von den Aussagen, durch die sie dargestellt werden, keineswegs. Das Darstellen der Aussage ist kein Abbilden, und wie wir umgangssprachlich einen Sachverhalt angeben als den „Sachverhalt, datì...", so ist auch eine Tatsache stets „die Tatsache, daß...". Obwohl die Umgangssprache implizit Regeln enthält, die sich der hier vorgeschlagenen expliziten Regelung nähern, enthält sie andererseits Sprachgewohnheiten, die dieser Regelung zuwiderlaufen. Z.B. spricht man gern von den „konkreten Tatsachen", während die Tatsachen und die Sachverhalte nach unserer Vereinbarung „abstracta" sind. Die umgangssprachliche Neigung von „konkreten Tatsachen" zu reden, dürfte von der empiristischen Einstellung des modernen Denkens herrühren, die das „sinnlich Greifbare" für das sichernde Fundament aller wahrer Erkenntnis hält. Hat man aber solchen Fundamentalismus als verfehlt durchschaut, so wird man dem Ausdruck „konkrete Tatsache" nicht nachtrauern.
Der zweite Einwand ÖHLSCHLÄGERs, daß „mit kann und darf nichts Zusätzliches ausgedrückt" werde, ist leicht zu widerlegen: Mit seiner Auffassung des „Objektiv-gegebenseins" eines Sachverhalts bleibt ÖHLSCHLÄGER im Stadium der logischen Dichotomie epistemisch/nicht-epistemisch stecken. Es hat bei ihm den Anschein, als ob sprachliche Äußerungen per se bestehen würden, d.h. unabhängig von einem denkenden und sprechenden Subjekt, dessen ausschließliche Produkte sie sind, sowie von einem sprachlich-situativen Kontext, in den sie stets eingebettet sind. Sobald aber genuin sprachliche Gesichtspunkte in der Analyse von Modalverbsätzen angewandt werden, wird die subjektive Dimension des Sprechens mit der herausragenden Rolle des Sprechers ersichtlich. Daß auch in den Sätzen in (40) „etwas hinzukommt", läßt sich etwa mit CALBERT (1975), der die Existenz einer allen epistemischen und nicht-epistemischen Modalverbsätzen zugrunde liegende Tiefenstruktur postuliert, leicht nachvollziehen: In dieser Tiefenstruktur übt eine „Quelle" einen Einfluß auf ein „Ziel" aus. In Modalverbsätzen wird allein das Ziel - und zwar im Infinitivkomplement - explizit ausgedrückt. Alles andere ist hinein zu interpretieren. Das „Hinzukommende" ist folglich zum einen die Quelle der Modalität, zum anderen die Relation, die zwischen der Quelle der Modalität und dem propositionalen Gehalt seitens des Sprechers ausgedrückt wird, ferner ein „Bündel" von Bedigungen, die das Eintreten des Modalgeschehens betreffen. All diese Elemente lassen sich aus dem Kontext ohne weiteres rekonstruieren, und zwar anhand der gleichen inferentiellen Prozeduren, die auch epistemische Sätze charakterisieren. Wir können mit DIESCH (1988: 1) behaupten, daß die Bedeutung von Modalverbsätzen grundsätzlich kontextabhängig ist: „Einem Hörer erschließt sich die Außerungsbedeutung eines Modalverbsatzes nur dann, wenn es ihm gelingt, relevantes Köntextwissen zu aktivieren und auf den Modalverbsatz zu beziehen." Es ist eben das Verdienst der empirischen modalpsychologischen Studie von DIESCH, nachgewiesen zu haben, daß der Interpretation von sowohl epistemischen wie auch von nicht-epistemischen Modalverbsätzen ein in gleichem Maße inferentieller Prozeß zugrunde liegt (1988: 99): Die Äußerungen pragmatischer, deontischer und dispositioneller Modalverbsätze zugrunde liegende kognitive Koordination der durch die Satzergänzung beschriebenen Handlung mit Bedingungen ihrer Ausführung bzw. des durch die Satzergänzung beschriebenen Ereignisses mit den Bedingungen seines Eintretens ist nicht weniger ein inferentieller Prozess als die der Äußerung epistemischer Modalverbsätze unterliegende Koordination einer Proposition mit Bedingungen ihrer Gültigkeit. Z.B. wird das Unterziel „Fett in die Pfanne geben" durch den Rekurs auf ein geeignetes
63 Skript aus dem Oberziel „Steak braten" erschlossen. Dieser Schluß könnte der Äußerung des Satzes „Ich muß Fett in die Pfanne geben" zugrunde liegen. Der Unterschied zwischen epistemischen und nichtepistemischen Modalverbsätzen liegt also nicht darin, daß die ersteren inferentiell sind und letztere nicht.
Daß nicht nur der Äußerung epistemischer, sondern auch nicht-epistemischer Modalverbsätze ein Schlußfolgerungsprozeß zugrunde liegt, ist selbstverständlich auch von linguistischer Seite bereits postuliert worden: Der von CALBERT (1975) eingeführte, nur auf epistemische Kontexte bezogene, theoretisch jedoch nicht weiter ausformulierte Begriff der „infer"-Funktion (1975: 29f.) findet mit KRATZERS (1977) Theorie der „Redehintergründe" und der daraus abgeleiteten einheitlichen Bedeutungen von müssen als „notwendig im Hinblick a u f ' und von können als „möglich im Hinblick a u f ' eine plausible logische Erklärung. Ganz im Sinne KRATZERS erweitert auch WUNDERLICH (1981) die CALBERTsche Bedeutung von „inferentiell" auf nicht-epistemische, speziell auf deontische Kontexte und entwirft ein „inferentielles" System (1981: 40ff.), in dem „[...] der Sachverhalt mit Hilfe von Inferenzprozessen bezüglich des Redehintergrunds bestimmt [...]" sei (1981: 41). Der Grundgedanke von WUNDERLICHS Theorie ist, „[...] daß Sachverhalte (insbesondere die Ausführung von Handlungen) nicht faktisch zu nehmen sind, sondern hinsichtlich gewisser Alternativen. Wenn mögliche Alternativen im Blick sind, so heißt dies, daß die gerade betrachtete Welt, insbesondere die aktuale Welt, die eine passende Äußerungssituation einschließt, verschiedene Zukünfte zuläßt oder zu einer bestimmten Zeit anders sein könnte als sie ist. Alternativen sind nur hinsichtlich verschiedener möglichen Welten zu denken." (1981: 40).
In WUNDERLICHS Modell einer Menge von Alternativen, aus der eine bestimmte Alternative gewählt wird, wird jedoch nicht klar, wie durch die Äußerung eines Modalverbsatzes genau diese eine Alternative vom Sprecher selegiert und vom Hörer nachvollzogen wird. Eine Antwort darauf gibt das Konzept der „modalen Deixis" in der Formulierung von DlESCH (1988: 50f.). Dieses Begriffs bedient sich auch KRATZER (1977) - und in der Modalpsychologie auch JOHNSON-LAIRD (1978) - , in einer Form jedoch, die laut DlESCH (1988: 50) „durchaus problematisch" ist. Was der Begriff der Deixis mit Modalverbsätzen gemeinsam hat, ist ein kontextreferentieller Akt. Während aber bei der Raum-, Zeit- und Personendeixis das Koordinatensystem der Äußerung mit dem der Bezugssituation koinzidiert, so daß immer nur bestimmte Koordinaten in Frage kommen, ist dies bei der Äußerung von Modalverbsätzen nicht der Fall: Hier verweist das Modalverb auf mehrere mögliche Koordinatensysteme, von denen jedoch nur eines das vom Sprecher gemeinte ist. Den Modalverbsatz „Wir müssen 180 herausbekommen" (Beispiel aus DlESCH 1988: 51) können wir etwa äußern, wenn wir die Winkelsumme im Dreieck bestimmen oder die Winkelsumme im Kreis halbieren. Wie kann also der Hörer das „intendierte" Koordinatensystem rekonstruieren und den Modalverbsatz „richtig" verstehen? Mit seinem „Begriff der Relevanz" bietet DlESCH (1988: 51) aus sprachpsychologischer Sicht eine Lösung an, die „Modalverbsätze im Kontext von Handlungs- und Dialogsituationen" zugleich einschließt, also sowohl nichtepistemische wie auch epistemische Modalverbsätze: In jeder Handlungssituation sind in Abhängigkeit vom Handlungsziel bestimmte Sachverhalte relevant, andere nicht. [...] Wir können annehmen, daß die handlungs- und/oder diskursrelevanten Sachverhalte das relevante, in der Regel nicht geschlossene Referenzsystem der „modalen Deixis" bilden: Das „universe o f discourse" der Äußerungssituation bildet den einschlägigen Redehintergrund von Äußerungen von Modalverbsätzen.
64 3.)Die Annahme einer alle (epistemische und nicht-epistemische) Modalverbsätze bestimmende inferentielle Relation zieht die Frage nach sich, worin dann noch der Unterschied zwischen den beiden Klassen von Sätzen bestehen soll. Denn, besteht kein Unterschied mehr, so ist auch die Dichotomie 'epistemisch'/'nicht epistemisch' nicht länger aufrechtzuerhalten - vielmehr müßten wir von einem - unter diesem Aspekt - einheitlichen Modalitätstyp sprechen. Nach DlESCH (1988: 99) liegt der Unterschied zwischen epistemischen und nicht-epistemischen Modalverbsätzen darin, „daß die Äußerung der epistemischen anders als die Äußerung der nichtepistemischen einen Akt metakognitiver Reflexion der inferentiellen Koordination als einer inferentiellen Relation erfordert. Einen epistemischen Modalverbsatz äußern und dabei meinen, was der Satz gemäß den sprachlichen Konventionen bedeutet, heißt, inferentielle Relationen identifizieren und von anderen Formen der Begründung unterscheiden zu können." Wenn ich DlESCH richtig verstehe, so heißt dies, daß bei epistemischen Modalverbsätzen eine zweiphasige inferentielle Relation hergestellt wird: In einem ersten Schritt - und zwar allein aufgrund der Anwendung des Modalverbs, gleichsam in einer vorinterpretativen Phase - wird eine Relation zu einer Menge fraglicher Gründe hergestellt; in einem zweiten Schritt - d.h. in der eigentlich epistemischen, interpretativen Phase - werden aus dieser Menge die Gründe herausgewählt, die der Sprecher in eine direkte Relation zum Sachverhalt setzen will. Diese zweite interpretative Phase findet bei den nicht-epistemischen Modalverbsätzen nicht statt, denn es handelt sich bei ihnen nicht um Begründungen von Sachverhalten, sondern vielmehr um Beziehungen von Teilhandlungen aus größeren Handlungsplänen, für die sich - in der Regel - weitere Erläuterungen sowie Begründungen insofern erübrigen, als ihre Zugehörigkeit einem größeren Zusammenhang eindeutig ist. Diese unmittelbare Relation unter Sachverhalten besteht hingegen bei den epistemischen Modalverbsätzen nicht. Dies läßt sich leicht nachvollziehen an den beiden folgenden Modalverbsätzen: (41)
(a) (b)
Der Firma geht's schlecht. Er muß Geld auftreiben. Er muß eine Menge Geld haben. Er lebt sehr aufwendig.
Der nicht-epistemische Satz (41 ) (a) läßt sich spontan als Teilhandlung des Handlungsplans „die Firma vor der Pleite retten" verstehen, wohingegen für (41) (b) die Zusammenhänge zwischen den beiden Teilsätzen nicht von vornherein aufeinander bezogen sind: Erst die Interpretation des Modalverbsatzes als eines epistemischen macht die inferentielle Relation perfekt. 4.)Mit der LYONSschen Unterscheidung zwischen einer subjektiv-epistemischen und einer objektiv-epistemischen Modalität trägt man zwar den unterschiedlichen propositionalen Einstellungen des Glaubens und des Wollens Rechnung, man handelt sich aber auch das Problem ein, ob überhaupt und - falls ja - wie subjektiv-epistemische Modalverbsätze als inferentiell aufgefaßt werden können. Mit D I E S C H (1988: 116ff.) haben wir in der Tat festgestellt, daß der Unterschied zwischen diesen beiden Modalitätstypen darin besteht, daß für den objektiv-epistemischen ein Bezugssystem hergestellt wird, für den subjektivepistemischen dagegen nicht. Ein Prozeß der Inferenz könnte demnach nur für den ersteren, nicht für den letzteren geltend gemacht werden. Damit würden wir aber den Gewinn unserer Feststellung zunichte machen, daß alle Modalverbsätze (im Hinblick auf ihre Produktion und ihr Verstehen) - an erster Stelle selbstverständlich die epistemischen - durch einen Prozeß der Inferenz charakterisiert sind. Aus der Klemme hilft uns noch einmal DLESCH
65 (1988: 120f.): Er schlägt vor, beide Typen von epistemischer Modalität „als Suchprozesse darzustellen und den Unterschied zwischen ihnen als Unterschied im jeweils relevanten Suchraum aufzufassen. Während ein objektiver Suchraum aus einer Menge von „Zuständen" besteht, die durch mentale Transformationen erzeugt werden können, ist der subjektive Suchraum identisch mit der Menge dieser Transformationen selbst." Unter „Transformationen" sind mentale Prozeduren, Operationen etc. zu verstehen, die z.B. bei der Lösung eines kognitiven Problems angewandt werden können. Wird die Transformation erfolgreich angewandt, so ist ihr Output eine objektiv-epistemische Aussage; ist die Anwendbarkeit der mentalen Transformation dagegen „fraglich, aber nicht ausgeschlossen", so ist ihr Output eine subjektiv-epistemische Aussage. Der aktuellen Transformation der objektivepistemischen Modalität steht die virtuelle Transformation der subjektiv-epistemischen Modalität gegenüber. Die „prototypische" Situation subjektiv-epistemischer Modalität (als Möglichkeit) ist nach DlESCH (1988: 119f.) die der „Identifikation von Objekten unter erschwerten Wahrnehmungsbedingungen (Dunkelheit, große Entfernung, Nebel, tachistoskopische Darbietung)": In solchen Wahrnehmungssituationen „glaubt der Wahrnehmende, ein bestimmtes Objekt identifiziert zu haben, ist sich aber nicht ganz sicher und kann sein Wahrnehmungsurteil nicht oder nicht vollständig begründen. [...] Am Zustandekommen solcher Wahrnehmungsurteile dürften zwar ebenfalls verschiedene perzeptuelle und kognitive Referenzsysteme beteiligt sein. Aber solche Referenzsysteme bilden das Hintergrundwissen perzeptueller Urteile, sind dem wahrnehmenden Subjekt in der Regel nicht (voll) bewußt, werden nicht in der aktuellen Wahrnehmungssituation konstruiert und sind durch ihre unbestimmte Dimensionalität eher schlecht als gut definiert. [...] Bei den subjektiv-epistemischen Modalverbsätzen bleiben metakognitive Reflexionsprozesse auf die durch die Satzergänzung ausgedrückte Proposition beschränkt." Im Hinblick auf die Qualität des Referenzsystems können wir demnach zwischen einem „aktuellen" Referenzsystem bei objektiv-epistemischen Aussagen und einem „virtuellen" Referenzsystem bei subjektiv-epistemischen Aussagen unterscheiden. Daß die subjektiv-epistemische Modalität sich aber nicht in Situationen des perzeptuellen Bereichs erschöpt, vielmehr sich auch in rein kognitiven Operationen ausdrücken kann, illustriert DlESCH (1988: 120) an den folgenden Beispielen: Erfolglose Versuche, sich an den genauen Ablauf vergangener Ereignisse zu erinnern (z.B. bei der Suche nach einem vermieten Gegenstand); partielle Wiedererkennungsprozesse, wie sie anscheinend vorkommen, wenn wir uns sicher sind, eine Person schon einmal gesehen zu haben, ohne aber zu wissen, wann und wo und unter welchen Umständen; die Unsicherheit bei der Selektion der grammatischen Form sprachlicher Äußerungen (so z.B. beim Versuch eine grammatische Regel nachzuvollziehen).
Der Bereich des aktuellen (d.h. operational tatsächlich gelungenen) „logischen" Denkens bleibt jedoch dem objektiv-epistemischen Modalitätstyp vorbehalten. 5.)Wenn wir also annehmen können, daß zwischen epistemischen und nicht-epistemischen Modalverbsätzen kein Unterschied der „subjektiven Inferenz" besteht, auf dessen Annahme eindimensionale Konzepte ja gründen und von dem die Kritik ÖHLSCHLÄGERs im wesentlichen ausgeht, so lassen sich beide Gruppen von Modalverbsätzen als durch die gleichen
66 Prozeduren der Inferenz von subjektiven Einstellungen zum propositionalen Gehalt des Satzes charakterisieren. Demnach könnten wir etwa bei können insofern eine subjektive Einstellung zum Sachverhalt 'Klavier spielen' annehmen, als der Sprecher seine eigene Meinung darüber ausdrückt, wie gut oder schlecht Hans das Klavierspielen beherrscht, mit dürfen, müssen und sollen jeweils die (eigens oder von einer dritten Person erteilte) Erlaubnis, Verpflichtung oder Forderung zum besagten Sachverhalt besteht, mit wollen und möchten schließlich eine Absicht (des Subjekts) bezüglich des Sachverhalts. Hiermit haben wir auch für die Gruppe der nicht-epistemischen Modalverbsätze nachgewiesen, daß tatsächlich eine „zusätzliche" subjektive Inhaltskomponente ausgedrückt wird. In der Kritik ÖHLSCHLÄGERs, Sätze wie in (40) seien im Gegensatz zu epistemischen Modalverbsätzen als 'objektiv' zu verstehen, kommt ein weiteres Argument zum Ausdruck, das in dyadischen Konzepten zugunsten der Dichotomie 'epistemisch'/'nicht-epistemisch' oder in eindimensionalen Modellen zugunsten der Einschränkung modaler Funktion auf das Epistemische nicht selten geltend gemacht wird, und zwar die Annahme, epistemische Modalverbsätze seien (modale) Prädikationen über Propositionen, nicht-epistemische hingegen nicht. In nicht-epistemischen Modalverbsätzen gehöre vielmehr das Modalverb zur Proposition selbst, sodaß für einen Satz wie in (42) (42)
Karl muß Klavier spielen
als propositionaler Gehalt „Das-Klavier-spielen-müssen-von-Karl" anzunehmen wäre. Mit dem Begriff der 'Proposition' haben wir allerdings wiederum mit einem Terminus zu tun, der in Unklarheit dem Begriff der Modalität in nichts nachsteht. Wir gehen hier nicht von einem syntaktischen - wie dies sowohl in der traditionellen wie auch in der generativen Modalverbforschung üblich ist (vgl. z.B. REINWEIN 1977), sondern von einem kognitiven Begriff der Proposition aus, etwa in der Form, wie ihn JOHNSON-LAIRD (1983) auffaßt: Für JOHNSON-LAIRD, der „Propositionen" ausdrücklich von „Vorstellungsbildern" und mentalen Modellen („mental models") unterscheidet, stellen Propositionen „[...] die bewußten Objekte des Denkens dar, d.h. das, was wir wissen, glauben, denken, bezweifeln und in Sätzen ausdrücken" (DIESCH 1988: 133). Somit läßt sich ohne weiteres die Annahme entgegenstellen, daß Satz (42) sowohl in der nicht-epistemischen - vgl. (43) (a) - wie auch in der epistemischen Lesart, die hier ebenfalls besteht - vgl. (43) (b), ein und derselbe propositionale Gehalt zugrunde liegt, und zwar „Das-Klavier-spielen-von-Karl": (43)
(a) (b)
Jemand/etwas fordert, daß p, Jemand hat Grund anzunehmen, daß p,
wobei ρ für die explizite propositionale Form „(daß) Karl Klavier spielt" steht. Wir können somit davon ausgehen, daß sowohl epistemische wie auch nicht-epistemische Modalverbsätze Prädikationen über Propositionen sind und daß die ihnen zugrunde liegenden Äußerungs- und/oder Verstehensprozesse inferentieller Natur sind. Somit ist aber die Grundlage für die Formulierung einer einheitlichen Theorie der propositionalen Einstellungen geschaffen. Ein so aufgefaßter Begriff der propositionalen Einstellungen ermöglicht es in der Tat, nicht nur den epistemischen Modalverbsätzen in überzeugender Weise Rechnung zu tragen, sondern auch die nicht-epistemischen Modalverbsätze in ein einheitliches Modalitätskonzept einzugliedern. Ein solches Konzept kann aber nur ein mehrdimensionales sein, denn Modalverbsätzen liegen nicht nur die inferentielle, sondern auch weitere propositionale
67 Einstellungen zugrunde. Ihre Klasse zu ermitteln, bedeutet zugleich die Bedeutungsfunktionen der Modalverben festzulegen. Aber auch unsere beiden „alten" Fragen (vgl. S. 52) warten immer noch auf eine plausible Antwort: Was heißt „Einstellung"? Wie vollzieht sie sich? Einige neue Fragen sind hinzugekommen: Handelt es sich bei Einstellungen immer um Sprechereinstellungen oder nimmt der Sprecher auch Bezug auf fremde Einstellungen? Wer bestimmt die Einstellung: der Sprecher oder die „Quelle der Modalität"? Schließlich: Was heißt genau Quelle der Modalität? Im folgenden Abschnitt 2.4.3. wollen wir versuchen, eine Antwort auf all diese Fragen zu geben.
2.4.3. Dreidimensionale Modalitätskonzepte Bei der Diskussion der zweidimensionalen Modalitätskonzepte haben wir festgestellt, daß die vorgeschlagenen binären Begriffsoppositionen nicht ausreichen, um all den ihnen jeweils zugeordneten Erscheinungen Rechnung zu tragen. Es erwies sich zum einen als notwendig, die traditionell global als 'epistemisch' bezeichnete Klasse von Modalverbsätzen in zwei Bereiche aufzuspalten, und zwar in einen 'inferentiellen' und einen 'assertorischen' Modalitätsbereich (vgl. 2.4.1.2.4.). Da wir jedoch in 2.4.2.3. festgestellt haben, daß die Prozedur der Inferenz eine allen Modalverbsätzen zugrunde liegende kognitive Struktur ist, sprechen wir in der Folge von einem (echt) 'epistemischen' und einem 'assertorischen' Modalitätsbereich. Zum anderen zeigte sich, daß auch die Definitionen des nicht-epistemischen Bereichs begrifflich zu eng sind, um alle ihnen jeweils zugeordneten Klassen von Modalverbsätzen adäquat zu erfassen (vgl. 2.4.1.2.5.). Beim Versuch, die notwendigen Umstrukturierungen vorzunehmen, erfährt der Bereich der nicht-epistemischen Modalitäten disparate begriffliche Erweiterungen: So fugt beispielsweise PALMER (1990) den bereits erwähnten epistemischen, deontischen und dynamischen Modalitätstypen auch noch einen „rationellen" (1992: 105ff.) sowie einen „existentiellen" Modalitätstyp (1992: 107ff.) zur Erklärung bestimmter spezieller Prädikationen des Modalverbs can (The societies can expect to face difficult times bzw. Lions can be dangerous) hinzu. Von der Modallogik ausgehend rechnet RESCHER (1968: 24f.) zur Modalität außer alethischen und deontischen Modalverbsätzen auch evaluative (ausgedrückt durch Prädikate der Art von „es ist gut, daß p"), boulomaische (die Wünsche, Verwünschungen, Befürchtungen etc. zum Ausdruck bringen), temporale (differenziert durch Tempusoppositionen) und noch weitere. Die jweils vorgenommenen Erweiterungen sind jedoch im wesentlichen intuitiver Art, lassen ein strukturierendes Konzept vermissen und erschöpfen sich in pseudotaxonomischen „kasuistischen" Aufzählungen vermeintlicher Bedeutungsfunktionen der Modalverbsätze. ÖHLSCHLÄGER (1984: 242) fragt sich - vor allem mit Blick auf RESCHERS logische Bestimmungen, „wo man hier die Grenze ziehen soll". Ein Teil unserer Aufgabe wird somit darin bestehen müssen, diese auf rein intuitive Weise vorgenommenen begrifflichen Erweiterungen des nicht-epistemischen Modalbereichs durch ein konzeptfundiertes deduktives Modell zu ersetzen. Die Diskussion um die eindimensionalen Konzepte hat ihrerseits zum einen die Bedeutung der individuellen Komponente des Sprechens hervorgehoben - und zu der Erkenntnis geführt, daß zur (epistemischen) Modalität auch expressive Ausdrucksformen zu rechnen sind (vgl. 2.4.2.2.4.), zum anderen ist jedoch dabei klar geworden, daß die traditionelle
68 Aufspaltung in 'epistemisch' und 'nicht-epistemisch' und die Einschränkung des Modalen auf die erste Kategorie auf der Basis der Kriterien der Inferenzrelation und/oder der propositionalen Prädikation nicht zu halten ist: Inferentielle Prozesse sowie propositionale Prädikationen charakterisieren in gleichem Maße sowohl epistemische wie auch nicht-epistemische Modalverbsätze (vgl. 2.4.2.3.). Die Ergebnisse unserer Diskussion weisen somit in die Richtung, die die Modalitätsforschung seit den 70er Jahren in dezidierter Weise eingeschlagen hat: in Richtung auf dreibzw. mehrdimensionale Konzepte der Modalitätsdefinition, die es e rmöglichen sollten, die verschiedenen Typen der Modalität kritisch zu analysieren und systematisch zu erfassen. Begünstigt wurde dieses Umdenken vor allem durch die sich um 1970 in der Linguistik vollziehende Wende zur Pragmatik: In der Linguistik herrschen nun Fragestellungen der Art vor, die sprachliche Äußerungen nicht nur als rein kognitive Einheiten, sondern auch als Mittel „kommunikativen Handelns" (HABERMAS 1995) betrachten. Der Sprecher bedient sich der Sprache nicht nur, um sich Dinge und Verhältnisse nur-als-solche vorzustellen, sondern auch zur Vermittlung von Informationen, zur Einschätzung von Situationen sowie auch zum Vollzug von Aktionen im sozial-interaktiven Handlungsfeld: allesamt Aspekte, denen - wie wir hier in der Folge sehen werden - in dreidimensionalen Modalitätsdefinitionen eine zentrale Rolle zukommt. Pragmatische Fragestellungen sind für eine Modalitätsdefinition, die auf dem Begriff der propositionalen Einstellungen aufbauen will, sicherlich von Vorteil, denn hier wie dort geht es wesentlich um die Beziehung des Sprechers zu sprachlichen Zeichen - wenngleich mit unterschiedlichem Bezug: Die Bezugsgröße pragmatischer Betrachtungen stellt (in der Regel) der vollständige Satz - zusammen mit seinem Ko(n)text - dar, in Modalverbsätzen bezieht sich hingegen der Sprecher (mittels des Modalverbs) nur auf einen Teil des Satzes, nämlich auf den im Infinitivkomplement ausgedrückten Sachverhalt (vgl. 2.5.3.). Die Strukturen der Sprecher-Zeichen-Beziehung zu ermitteln, bedeutet folglich nicht nur, sich mit der grundlegenden Fragestellung einer Pragmatik zu beschäftigen, sondern auch womöglich - bei allen Unterschieden, die zwischen der Pragmatik von Äußerungen und der Semantik von Modalverbsätzen auch bestehen mögen - aus dieser Beziehung ein theoretisches Konzept zur Bestimmung von Modalität zu gewinnen. Die grundlegende Fragestellung einer linguistischen Pragmatik ist nun selbstverständlich: Wozu ist Sprache da? Genauer - denn der Sprecher steht im Zentrum des Handelns mit Sprache: Was kann der Sprecher alles mit Sprache tun? Die Antwort der Pragmatik seit AUSTIN und SEARLE - lautet: Mit Sprache kann man Sprechhandlungen vollziehen, und zwar unendlich viele Sprechhandlungen. Auf die Anzahl der möglichen Sprechhandlungen kommt es aber bei unserer Fragestellung gar nicht an. Von Interesse für uns sind ja nicht die individuellen Sprechhandlungen, sondern ausschließlich die Handlungsmuster, die ihnen zugrunde liegen. Im Hinblick auf die Frage, ob und wieviele Grundkategorien von individuellen Sprechhandlungen oder allgemeiner ausgedrückt - von Modi des Handelns mit Sprache es gibt, sind in der modernen sprachphilosophischen Diskussion zwei diametral entgegengesetzte Positionen vertreten worden: die erstere stammt von WITTGENSTEIN (1971), die letztere von SEARLE (1976). 54 54
Zu einem Versuch, diese beiden extrem gegensätzlichen Positionen aufeinander abzustimmen, vgl. ULKAN (1992: 5-9).
69 2.4.3.1. WITTGENSTEINS Unendlichkeitsthese Die Frage, wie viele Arten es gibt, etwas mit Sprache zu tun, hatte (der späte) WITTGENSTEIN in den Philosophischen Untersuchungen ( § 2 3 ) so beantwortet: Es gibt unzählige solcher Arten: unzählige Arten der Verwendung alles dessen, was wir 'Zeichen', 'Worte', 'Sätze' nennen. Obwohl WITTGENSTEIN nicht direkt von Sprechakten - genauer: illokutionären Akten - gesprochen hat, „an so etwas wie die sogenannten illokutionären Rollen hatte auch er sicherlich gedacht" ( U L K A N 1992: 6). Hinter WITTGENSTEINS Unendlichkeitsthese steckt offenbar „[...] der Gedanke an die Offenheit und Kreativität der Sprache [...], [zu der] auch alle mit dem Sprachverhalten mehr oder weniger eng verwobenen [...] Institutionen und Praktiken [...]" gehören, die in einem ständigen Wechselprozeß von Veralterung und Erneuerung, von Erscheinen und Verschwinden begriffen sind (vgl. ULKAN 1992: 7).
2.4.3.2. SEARLES Taxonomie der Sprechakte SEARLE (1976: 22f.; dt. 1982: 50) wendet sich entschieden gegen WITTGENSTEINS These einer unbegrenzten Anzahl von Modi der Sprachverwendung:
Anders als Wittgenstein [...] behauptet [hat], gibt es nicht unendlich oder unbestimmt viele Sprachspiele bzw. Sprachverwendungen. Die Grenzenlosigkeit der Sprachverwendungen ist vielmehr eine Illusion; sie erwächst aus einer enormen Unklarheit darüber, worin die Kriterien bestehen, mit denen ein Sprachspiel (oder eine Sprachverwendung) von einem (bzw. einer) andern abgegrenzt ist. Wenn wir den illokutionären Witz [i.e. die illokutionäre Absicht] als Grundbegriff der Klassifikation von Sprachverwendungen akzeptieren, dann gibt es nur sehr wenige gundlegende Sachen, die man mit Sprache machen kann. Die Menge aller möglichen Handlungsweisen des Sprechers läßt sich folglich nach SEARLE auf einige wenige Grundmodi zurückfuhren. Mittels des Begriffs der illokutionären Absicht als Klassifikationskriterium stellt SEARLE (1976: 23; dt. 1982: 50) eine Taxonomie der Sprechakte mit fünf grundlegenden Sprechaktklassen auf:55 Wir sagen andern, was der Fall ist (Assertive); wir versuchen sie dazu zu bekommen, bestimmte Dinge zu tun (Direktive); wir legen uns selbst darauf fest, gewisse Dinge zu tun (Kommissive); wir bringen unsere Gefühle und Einstellungen zum Ausdruck (Expressive); und wir führen durch unsere Äußerungen Veränderungen herbei (Deklarative)." 56 Schematisch zusammengefaßt: 57
55
56
57
Die drei zentralen Begriffe der 'lokutionären', 'illokutionären' und 'perlokutionären' Akte gehen auf A U S T I N (1962; 1975) zurück. Mit lokutionären Akten drückt der Sprecher Sachverhalte aus; er sagt etwas. Mit illokutionären Akten vollzieht der Sprecher eine Handlung, indem er etwas sagt. Mit perlokutionären Akten erzielt der Sprecher einen Effekt beim Hörer: Dadurch, daß er eine Sprechhandlung ausführt, bewirkt er etwas in der Welt. Beispiele für Sprechakte: Repräsentative sind z.B. 'Behaupten', 'Feststellen', 'Berichten'; Direktive sind z.B. 'Auffordern', 'Befehlen', 'Bitten', 'Raten', 'Fragen'; Kommissive sind z.B. 'Versprechen', 'Drohen'; Expressive sind z.B. 'Danken', 'Gratulieren', 'Kondolieren', '(sich) Entschuldigen', 'Entscheiden'; Deklarative sind z.B. 'Kündigen', 'Abdanken', 'Taufen', 'Ernennen' etc. Das Kürzel pc steht für „prepositional content" (propositionaler Gehalt).
70 Tabelle 2.6: Klassifikation der illokutiven Akte nach SEARLE (aus: LANG 1983: 337) Typenname / Typensymbol
illokutionärer Zweck direction of fit
1. Repräsentativ S verpflichtet sich Ii gegenüber H für die Wahrheit von ρ II. Direktiv S versucht zu errei/! chen, daß Η Λ tut III. Kommissiv S verpflichet sich geIC genüber H A zu tun IV. Expressiv S drückt psychischen IE Zustand bezüglich ρ gegenüber Η aus V. Deklarativ S versucht eine ÜID bereinstimmung zwischen ρ und der Welt herzustellen
expressed psychological state Wörter zu BELIEVE Welt Welt zu Wörtern Welt zu Wörtern
pc
Beispiel
(p)
John is coming
WISH / W A N T / (H does DESIRE A) INTENTION (S does A) (SIH + Ρ (verschieden) property)
Welt I Wörter
(p)
1 order you to leave 1 promise you to leave 1 thank you for...; 1 congratulate you on... 1 appoint you chairman; 1 declare the meeting open; 1 resign
SEARLES Theorie der Sprechakte ist für den weiteren Verlauf unserer Arbeit aus (mindestens) drei Gründen von Bedeutung: Erstens, weil mit dem Durchbruch seiner Sprechakttheorie auch deren zentrale These einer endlichen Menge von „Sachen, die man mit Sprache machen kann", sich - gegen „universalistische" Konzepte à la WITTGENSTEIN - durchsetzt. Zweitens, weil ihr grundlegender Begriff der Illokution nicht selten in Zusammenhang mit dem Begriff der Modalität gebracht wird - bis hin zur expliziten Annahme, Modalität und Illokution seien identisch (vgl. 2.4.3.2.1. und 2.4.3.2.2.). Drittens, weil sie weitere Konzepte der Sprachfunktionen mit beeinflußt hat, die sich zum Zweck einer mehrdimensionalen Modalitätsdefinition als nützlich erweisen (vgl. 2.4.3.4.).
2.4.3.2.1. Sprechakttheoretische Modalitätsbestimmungen Im folgenden Abschnitt gehe ich zunächst auf WELKES (1965) Modalitätsbestimmung ein, ferner stelle ich einige Modalitätsbestimmungen auf sprechaktheoretischer Basis (aus der modernen französischen Sprachwissenschaft) kurz vor. Im darauffolgenden Abschnitt behandle ich die Frage, ob zwischen 'Modalität' und 'Illokution'tatsächlich (die von einigen Autoren angenommenen) Beziehungen bestehen, und wenn ja, welcher Art sie sind.
2.4.3.2.1.1. Die erste sprechakttheoretische Modalitätsbestimmung WELKE (1965) liefert die erste Bestimmung der Modalität auf - intuitiv - sprechakttheoretischer Basis. Seine Theorie der Modalverben ist - trotz des expliziten Rekurses auf die Beschreibungsmittel der Modallogik - insofern eine dezidiert pragmatische, als sie sich im wesentlichen mittels der Beziehung zwischen Zeichenbenutzern (Sprecher, Hörer) und Sprachzeichen definiert. WELKE unterscheidet zwischen den beiden Kategorien der „Bedeutung" und des „kommunikativen Effekts" (KE) von Modalverben. Die Kategorie der Bedeutung definiert er wie folgt (1965: 25):
71 Bedeutung definieren wir [...] als die Funktion sprachlicher Zeichen, einen der kommunikativen Absicht des Senders des Zeichens entsprechenden kommunikativen Effekt (KE) beim Empfänger des Zeichens auszulösen bzw. bei der Auslösung eines KE mitzuwirken. D i e B e d e u t u n g ist s o m i t bei WELKE d i e - j e n a c h d e m n o t w e n d i g e o d e r h i n r e i c h e n d e - B e d i n g u n g f ü r d a s Z u s t a n d e k o m m e n e i n e s K E . A u f g r u n d s e i n e r B e d e u t u n g ( e n ) ist j e d e s M o d a l v e r b i m s t a n d e , eine g a n z e R e i h e v o n k o m m u n i k a t i v e n E f f e k t e n z u e r z e u g e n . D i e K a t e gorie der K E wird folgendermaßen definiert (1965: 25): Als KE bezeichnen wir die Reaktionen, die ein Sender (Sprecher) mit Hilfe sprachlicher Zeichen bei einem Empfänger (Hörer) auszulösen vermag. Dabei interessieren uns mögliche KE im wesentlichen nur als Begriffe und Gedanken, die bei einem Hörer durch Zeichen ausgelöst werden. WELKE ( 1 9 6 5 ) steht n i c h t u n t e r d e m E i n f l u ß v o n SEARLE ( 1 9 7 6 ) : S e i n e D e f i n i t i o n e n v o n ' B e d e u t u n g ' u n d ' k o m m u n i k a t i v e m E f f e k t ' - f ü r d i e e r k e i n e T a x o n o m i e liefert - , ä h n e l n j e d o c h in e r s t a u n l i c h e r W e i s e d e n b e i d e n SEARLEschen B e g r i f f e n d e r ' I l l o k u t i o n ' u n d ' P e r l o k u t i o n ' - m i t d e m U n t e r s c h i e d j e d o c h , d a ß d i e s e r letzte B e g r i f f bei ihm n u r k o g n i t i v (als ' B e g r i f f o d e r ' G e d a n k e ' ) a u f g e f a ß t w i r d , u n d n i c h t - w i e in d e r k l a s s i s c h e n S p r e c h a k t t h e o r i e seit AUSTIN ( 1 9 6 2 ; 1 9 7 5 ) - als d e r v o m S p r e c h e r d u r c h s e i n e Ä u ß e r u n g b e i m H ö r e r t a t s ä c h l i c h e r z i e l t e E f f e k t . D a d u r c h , d a ß b e i WELKE ( 1 9 6 5 ) d i e B e d e u t u n g n u r d a z u d a ist, u m e i n e n K E a u s z u l ö s e n o d e r bei d e s s e n A u s l ö s u n g m i t z u w i r k e n , d e f i n i e r e n sich d i e M o d a l v e r b e n in d e r k o n k r e t e n V e r w e n d u n g n i c h t ü b e r ihre B e d e u t u n g , s o n d e r n Uber d i e a u f g r u n d i h r e r B e d e u t u n g j e w e i l s e r z i e l t e n K E : WELKES F u n k t i o n s b e s t i m m u n g d e r M o d a l v e r b e n stellt s o m i t d i e p r a g m a t i s c h e V e r s i o n d e r l o g i s c h - s e m a n t i s c h e n „ T h e o r i e d e r R e d e h i n t e r g r ü n d e " v o n KRATZER ( 1 9 7 7 ) d a r . A u c h f ü r WELKE g e l t e n f o l g l i c h d i e b e r e i t s b e z ü g l i c h KRATZERS M o d a l v e r b b e s t i m m u n g
erwähnten
Einschränkungen
(vgl.
2.4.1.2.2.);
hinzu
k o m m e n Probleme, die grundsätzlich mit der A n w e n d u n g sprechakttheoretisch orientierter K o n z e p t e a u f M o d a l i t ä t s d e f i n i t i o n e n z u s a m m e n h ä n g e n (vgl. 2 . 4 . 3 . 2 . 2 . ) .
2.4.3.2.1.2. Jüngste sprechakttheoretische Modalitätsbestimmungen E i n e an d i e SEARLEsche T a x o n o m i e d e r S p r e c h a k t e e x p l i z i t a n g e l e h n t e D e f i n i t i o n v o n M o d a l i t ä t s t y p e n ist d i e v o n APFELBAUM/GIACOMI/STOFFEL/VÉRONIQUE ( 1 9 9 1 : 4 1 ) . D e r B e z u g a u f d i e S p r e c h a k t t h e o r i e SEARLES w i r d d e u t l i c h e r k e n n b a r im 5 - K a t e g o r i e n - M o d e l l , in d e r d u r c h w e g i l l o k u t i o n s b e t o n t e n R o l l e d e s S p r e c h e r s s o w i e in d e r k a t e g o r i e l l e n A f f i n i t ä t d e r kommissiven und der expressiven Äußerungen: 1. la modalité épistémique, entendu comme un calcul sur le degré de probabilité et de possibilité d ' u n événement, indépendamment de l'action de l'énonciateur. [...]; 2. la modalité déontique, définie comme l'expression par l'énonciateur du degré de contrainte et d'obligation de la proposition à son endroit ou à l'endroit d'un tiers; 3. la modalité volitive, entendue comme l'expression de la volonté d'action d ' u n énonciateur par rapport à une proposition. [...]; 4. la modalité commissive correspond dans notre classement, en modifiant le sens que SEARLE [...] attribue à ce terme, à l'expression de la capacité d'action; 5. la modalité expressive enfin, qui correspond à l'expression des sentiments et des attitudes à l'égard d'une proposition, terme repris de SEARLE [...].
72 Ebenfalls auf ein 5-Kategorien-Modell greift ARDITTY (1991: 92f.) in seiner Taxonomie der Modalitätstypen zurück, die auf einer Bestimmung der Modalität au" der Basis des Begriffs der propositionalen Einstellung beruht („Par modalisation j'entends l'activité par laquelle le locuteur indique sa position par rapport aux contenus énoncés"): 1. Dans le cas non marqué (assertion), il n'indique aucune réserve par rapport à la véracité de la proposition, ce qui est interprétable comme une prise en charge de fait. Les autres modalités sont combinables entre elles. Le locuteur peut ainsi: 2. (modalité subjective) attribuer ce qui est dit à une instance énonciatrice particulière (lui-meme, son interlocuteur, un tiers, un „on" englobant) et rapporter ainsi sa véracité à l'autorité de cette instance (ce qui peut en atténuer le caractère péremptoire); 3. (modalité épistémique) présenter la proposition (relativement à cette instance) comme indécidable, affectée d'un taux d'adéquation à la réalité (vrai, faux, approximatif...) ou d'une estimation de probabilité (certain, probable, simplement possible, éventuel, soumis à des restrictions spatiotemporelles...); 4. (modalité déontique) présenter la proposition comme relevant de contraintes ou d'obligations sur les actants (qui, lorsqu'elles n'émanent pas du locuteur, permettent de dégager sa responsabilité) ou d'absence de telles contraintes; 5. (modalité évaluative) porter sur elle un jugement de valeur (souhaitable ou non, difficile à réaliser [...]). C A U B E T ( 1991: 11 ) und CAIN ( 1991: 6 6 ) entwickeln in Anlehnung an CULIOLI ( 1985) einen
(sprechakt)theoretischen Rahmen mit vier verschiedenen Typen von Modalität (die Symbole So und SI stehen resp. für 'Sprecher' und 'Hörer'). Auch hier ist die N ä h e zu SEARLES Sprechakttheorie unverkennbar: Les modalités 1, qui permettent de définir à quel type d'énoncé on a affaire, selon les relations entre So und SI: assertion (affirmative ou négative), interrogation (affirmative ou négative), injonction (affirmative ou négative); Les modalités 2, ou modalités épistémiques, s'opposent à l'assertion, en ce que So ne se porte pas garant de ce qu'il avance et qu'il ne donne qu'un degré de probabilité que la relation prédicative soit validée (ce qui suppose la construction d'un gradient); Les modalités 3, ou modalités appréciatives, qui constituent une qualification sur une assertion, qualification d'ailleurs plus ou moins quantitative; Les modalités 4, ou modalités intersubjectives, qui regroupent toutes les relations entre So ou SI (coercition, déontique, volition, capacité, permission...). Trotz der jeweiligen terminologischen Abweichungen stellen all diese Definitionen Versuche dar, SEARLES Taxonomie der Sprechakte fur eine Taxonomie der Modalitätstypen fruchtbar zu machen. Inwiefern aber derartige sprechakttheoretische Konzepte sich tatsächlich für eine Modalitätsbestimmung eignen, wollen wir im folgenden Abschnitt prüfen.
2.4.3.2.2. Modalität und Illokution 1.) In Beziehung zueinander geraten Modalität und Illokution aufgrund einer zweifachen Annahme: Nach der funktionalen Semantik hafte jeder Äußerung eine Modalität an, laut der Sprechakttheorie ist j e d e sprachliche Äußerung zusätzlich mit einer bestimmten illoku-
73
tionären Kraft gekennzeichnet. Die Annahme dieser Beziehung gründet in einer jeweils zweiteiligen Struktur sprachlicher Äußerungen: Genauso wie ein jeder Satz sich - etwa in der Theorie FILLMORES (1968) - aus den beiden Komponenten der 'Modalität' und der 'Proposition' zusammensetzt - vgl. (44), gilt in der Sprechakttheorie, daß zum 'illokutionären Akt' („illocutionary act") außer der 'illokutionären Kraft' („illocutionary force") noch das gehört, was man mit SEARLE (1976) die 'Proposition' („proposition") oder den 'propositionalen Gehalt' („propositional content") zu nennen pflegt - vgl. (45): (44) (45)
sentence -> illocutionary act —»
modality + proposition; illocutionary force + proposition.
Aufgrund der Entsprechungsbeziehungen in (44) und (45) liegt der Schluß nahe, die illokutionäre Kraft (kurz: Illokution) könnte etwas mit Modalität zu tun haben. 2.)Der Versuch, die Frage zu beantworten, ob zwischen Modalität und Illokution ein Verhältnis besteht und welcher Art es ist, stößt zunächst auf die Schwierigkeit, daß wir eigentlich immer noch nicht genau wissen, was Modalität ist. Wir müssen daher hier mit einem Vorverständnis dieses Begriffs argumentieren. Der Begriff der Illokution ist seinerseits zwar eindeutiger definiert: Eine 'illokutionäre Handlung' ist das, was man 'in locutione', also 'im Sprechen', also „indem man etwas sagt" („in saying something"), tut.58 Indem man etwas sagt, kann man sehr Verschiedenes tun, sogar mehreres gleichzeitig - wie den folgenden Äußerungen leicht zu entnehmen ist: (46)
(a) (b) (c)
Er ist schon da. Ich werde kommen. Mach die Tür zu!
Mit (a) kann ich etwas feststellen oder behaupten oder den Hörer zur Eile antreiben oder warnen (oder mehreres davon zur gleichen Zeit); mit (b) kann ich etwas voraussagen, eine Willenserklärung abgeben oder eine Drohung ausstoßen; mit (c) kann ich einen Rat geben oder eine Bitte, einen Befehl etc. aussprechen. Feststellen, Behaupten, Auffordern, Warnen, Voraussagen, Versprechen, Drohen, Raten, Bitten, Befehlen etc. sind also Beispiele illokutionärer Akte, zugleich aber auch Beispiele verschiedener illokutionärer Kräfte (oder 'Rollen', wie man im Deutschen oft sagt). Es wird aufgrund der Definition sogleich einsichtig, daß auch der Begriff der Illokution nicht ganz unproblematisch ist. Probleme bereitet er zumindest in zweierlei Hinsicht: Da sind zum einen die sog. indirekten Sprechakte - wie in (47), (47)
58
(d) (e)
Dort ist die Tür. Kannst du mir das Salz geben?
Dieses Definitionskriterium ermöglicht die operationale Unterscheidung illokutionärer von nichtillokutionären Handlungen. Während etwa 'Feststellen', 'Behaupten', 'Mitteilen', 'Versprechen', 'Bitten' etc. klassische Fälle von illokutionären Handlungen darstellen, sind etwa 'Bedauern', 'Bereuen', 'Sich-Freuen', 'Bangen', 'Hoffen' etc. keine Sprechhandlungen und vor allem keine illokutionären Akte: Niemand bedauert/bereut etwas, freut sich über/auf etwas, bangt um etwas oder hofft auf etwas, 'indem' er das und das sagt. Mit der Äußerung etwa „Ich freue mich" teile ich meine Freude (über/auf etwas) mit, es handelt sich also um einen Akt des Mitteilens, mein Gefühl der Freude vollzieht sich aber nicht gerade dadurch: Das Gefühl von 'Bedauern', 'Reue', 'Freude', 'Bangen' und 'Hoffnung' schlägt sich nicht in einer (Sprech-)Handlung nieder, es ist ein substantiell sprecherimmanenter sowie -residenter Akt.
74 die formal (aufgrund des Satztyps oder weiterer Indikatoren) eine Illokution indizieren, die (vom Sprecher) gar nicht intendiert ist, wohingegen die tatsächlich vollzogene Illokution (im wesentlichen) dem (sprachlichen) Kontext sowie der (pragmatischen) Situation abzugewinnen ist - (d) ist eben keine Mitteilung, sondern eine Aufforderung (dazu, den Raum zu verlassen), (e) keine Informationsfrage, sondern eine Bitte (darum, das Salz zu reichen). 59 Zum anderen gibt gerade die unbestritten primäre Rolle des Kontext- und Situationsbezugs bei der Bestimmung der Illokution - wie in (46) - Anl///-Sätze sind dagegen sprechereigene Assertionen (vgl. dazu 4.1.1.) - , zum objektivepistemischen auch Sätze wie in (59) (a), zum subjektiv-epistemischen etwa solche wie in (59) (b), zum deontischen Modalitätstyp gehören ferner auch Sätze des Typs wie in (59) (c), zum dispositionellen Sätze der Art wie in (59) (d) etc. (vgl. dazu die entsprechenden Abschnitte in den beiden Kapiteln 3. und 4. - 3.3.4., 3.2.1., 3.3.2. und 3.2.3.) (59)
(a) (b) (c) (d)
Bei dem Wetter muß man krank werden Sollte er doch kommen, so werden wir uns freuen Er darf einmal die Woche ins Kino gehen Gerade jetzt mußtest du dies anstellen!
- allesamt Sätze, die ganz spezifische modale Bedeutungen zum Ausdruck bringen. Welche und wie viele Modalitätstypen durch müssen-, sollen- und dovere-Modalverbsätze ausgedrückt werden, soll im einzelnen in den jeweils einschlägigen Kapiteln (3, 4 und 5) untersucht werden.
2.5.2. Die Klasse der propositionalen Einstellungen Die Kategorie der propositionalen Einstellung haben wir als die zwischen der modaler Instanz und dem Sachverhalt ausgedrückte Art der Beziehung definiert. Diese Art der Beziehung haben wir als eine variable Beziehung ausgewiesen. Es kann sich etwa um die folgenden Beziehungen handeln: Beziehungen (a) des Behauptens-von-etwas, (b) des (logischen) Annehmens-von-etwas, (c) des Empfehlens-von-etwas, (d) des (indirekten) Auffordernszu-etwas, (e) des Erfordert-seins-von-etwas-infolge-bestimmter Gründe - insgesamt Arten von Relationen, die sich mit Modalverbsätzen wie in (56) und den folgenden ausdrücken lassen:
94 (60)
(a) (b) (c) (d) (e)
Alfred Alfred Alfred Alfred Alfred
soll jede Woche Lotto spielen, muß wohl Lotto spielen, sollte auch mal Lotto spielen, soll unbedingt Lotto spielen, muß leider Lotto spielen.
Alle Sätze in (60) weisen ein und denselben propositionalen Gehalt ρ auf (p = 'das Lotto spielen von Alfred'). Was sich in diesen Sätzen jeweils verändert, ist - von der Qualität der modalen Instanz abgesehen - die Art der zwischen der modalen Instanz I O D U N D dem Sachverhalt ρ bestehenden Relation, also die jeweils zugrunde liegende propositionale Einstellung: In (a) behauptet jemand etwas, in (b) glaubt jemand etwas, in (c) bewertet jemand etwas, in (d) verlangt jemand etwas von jemandem und in (e) zwingt etwas jemanden zu etwas. Die Klasse aller Modalverbsätze läßt sich aufgrund des Kriteriums der zwischen modaler Instanz und Sachverhalt bestehenden Relation insgesamt in drei inhaltliche Unterklassen einteilen, und zwar in Klassen von Modalverbsätzen, die M
a.) BEHAUPTUNGEN von p, b.)EVALUATIONEN von p, c.) VOLITIONEN von ρ (seitens einer modalen Instanz I O D ) ausdrücken. Im Anschluß an die drei Funktionen des sprachlichen Zeichens bei BÜHLER und an die drei (Grund-)Modi der Sprachverwendung bei HABERMAS können wir drei entsprechende Bereiche der Modalität unterscheiden: M
a.)die Modalitäten der BEHAUPTUNG, b.)die Modalitäten der EVALUATION, c.)die Modalitäten der VOLITION. In jedem dieser drei Bereiche der Modalität stellt der Sprecher mittels des Modalverbs eine Relation zwischen einer modalen Instanz ( I O D ) und dem Sachverhalt (p) her, der durch die Proposition des Modalverbsatzes ausgedrückt wird. Die Art der Relation SR { I O D . P } ist im ersten Fall eine behauptende, im zweiten eine evaluierende, im dritten eine volitive (und zwar eine (auf-)fordernde, aber auch eine implizierende und eine bewirkende). Auf der Basis dieser drei unterschiedlichen Arten (bzw. Modalitäten) von Relationen lassen sich die drei verschiedenen modalen Bereiche wie folgt definieren: M
M
a.)BEREICH DER BEHAUPTUNG: Die modale Instanz steht hier insofern in einer behauptenden Relation zu einem Sachverhalt, als sie Aussagen über dessen Geltung macht. Urheber der Behauptung kann entweder der Sprecher oder eine dritte Person sein. Je nach der Qualität der Behauptung ergibt sich ein Spektrum modaler Bedeutungsfunktionen, das von der Kategorie der Auskunft/Mitteilung über die Bejahung/Verneinung bis hin zum Nachweis des jeweils behaupteten Inhalts reicht. Die Funktion von soll- und w///-Modalverbsätzen besteht hier darin, die Prädikation von sprecherfremden Behauptungen über das Bestehen von Sachverhalten zu ermöglichen. b.)BEREICH DER EVALUATION: Die modale Instanz steht hier insofern in einer evaluierenden Relation zu einem Sachverhalt, als sie über diesen Überlegungen, Vorstellungen, Einschätzungen, Wahrnehmungen, Bewertungen, Deutungen, Intuitionen etc. vor-
95 nimmt. Die modale Instanz koinzidiert hier immer mit dem Sprecher. Dieser Bereich stellt somit die Domäne des rein Subjektiven dar. Er kommt immer dann zum Tragen, wenn der Sprecher mit seiner Äußerung keinen Bezug auf die objektive Welt geltend macht, sondern sich ausschließlich auf die eigene subjektive Welt beruft. Ist dies nicht der Fall, d.h. liegen in der jeweiligen Äußerung deutliche Bezüge intersubjektiver Art vor, so vollzieht sich damit der Übergang zur logisch-semantischen Dimension des Bereichs der Volition. Der hier vorherrschende Modalitätstyp ist der subjektiv-epistemische, sekundäre Bedeutung nimmt der dispositionelle ein. c.)BEREICH DER VOLITION: Die modale Instanz steht hier insofern in einer volitiven Relation zu einem Sachverhalt, als sie dessen Geltung logisch impliziert bzw. dessen Ausführung fordert, bewirkt oder beabsichtigt. Die bekanntesten Beispiele solcher Art von Relationen sind die zwischen Sprecher und Hörer sich abspielenden Relationen wie etwa diejenigen der (Auf-)Forderung, der Erlaubnis, des Verbots etc., die sich im pragmatischen und deontischen Modalitätstyp niederschlagen. Aber anders als bei BÜHLER und HABERMAS, die 'Appell' und 'Interaktion' (und somit auch 'Volition') ausschließlich als Ausdruck menschlicher Interaktionen verstehen, fallen hier in die Kategorie der Volition nicht nur die Sprecher-Hörer-Beziehungen, sondern auch alle Formen von Interaktion im weitesten Sinne, und zwar u.a. all die regulativen Prozesse des kausalen und finalen Handelns, der semantischen Implikation, der (indirekten) Aufforderung zum Handeln (wie etwa in Bewertungen, die zwischen Evaluation und Interaktion angesiedelt sind) etc. Durch die Integration all dieser Interaktionsformen erschließt sich hier eine zusätzliche Dimension, die weder BÜHLER in seinem semiotischen Modell noch HABERMAS in seiner Theorie des kommunikativen Handelns berücksichtigt hatten, und zwar die der logisch-semantischen Struktur der Sprache, die sich vornehmlich im objektiv-epistemischen Modalitätstyp ausdrückt. 78 Jedem dieser drei Modalitätsbereiche liegt somit eine spezifische propositionale Einstellung zugrunde, und zwar (in der gleichen Reihenfolge der drei Bereiche): a.)die propositionale Einstellung des SAGENs, b.)die propositionale Einstellung des GLAUBENs, c.)die propositionale Einstellung des WOLLENs. Die Klassen aller modalen Ausdrucksmittel verteilen sich unterschiedlich auf die drei propositionalen Einstellungen, so auch die Klasse der Modalverbsätze: Unter die Einstellung
78
Die hier vorgenommene Erweiterung des volitiven Bereichs über die reine Volition und die Kategorie der (Auf-)Forderung hinaus bis hin zur kausalen und logischen Implikation ist zwar nicht gerade geläufig in der Literatur zur Modalität, jedoch z.B. bereits bei GSELL/ WANDRUSZKA (1986: 32f.) zu finden: „Zu den volitiven [Sätzen] zählt man aber auch solche Äußerungen, die einen Willensträger bzw. eine Norm setzende Instanz zwar voraussetzen, aber nicht explizit benennen, wie etwa unpersönliche Konstruktionen der Art II est nécessaire! il faut bien que tout le monde vive." Auch werden in der Sprache kausale und logische Implikationsverhältnisse nicht selten mit volitiven (Modal-)Verben ausgedrückt. Beispiele: Deutsch: wollen („notwendig/ angebracht sein"): Das will genau überlegt sein. Italienisch: volere („richiedere"): un lavoro che vuole una lunga preparazione·, volerci/volercene („essere necessario, occorrere"): ci vuole un bel coraggio a dire cose simili.
96 des Sagens fallen ausschließlich soll- und will-Säize, unter diejenige des Glaubens vor allem kann-, muß- und wird-Sätze (außerdem Sätze mit mögen), unter diejenige des Wollens in erster Linie will-, soll- und muß-Sätze (ferner Sätze mit brauchen). Da jede beliebige Äußerung eine modale Äußerung ist, so ist sie ohne weiteres auf eine der drei obigen propositionalen Einstellungen rückführbar. Die Rückfiihrbarkeit auf eine dieser drei propositionalen Einstellungen läßt sich dadurch nachvollziehen, daß die betreffende Äußerung auf eine der drei folgenden abstrakten Satzstrukturen zurückgeht, die jeweils einer der drei propositionalen Einstellungen zugrunde liegt: a.)l M0 D SAGT, daß/?, b.)IM0D GLAUBT, daßp, C.)IMOD
WILL, daß p.
Die drei Prädikate „sagen", „glauben" und „wollen" sind als abstrakte Prädikate aufzufassen, die die jeweilige Art der Instanz-Sachverhalts-Relation tiefenstrukturell angeben. Sie stellen gleichsam Archilexeme (bzw. Hyperonyme) dar, denen dre, Klassen von (konkreten) Prädikaten zugeordnet werden können. Die Klassen dieser Prädikate setzen sich aus Elementen verschiedener Wortartenklassen zusammen: in erster Linie aus Verben, aber auch aus weiteren modalen Ausdrucksmitteln wie Substantiven, Adjektiven, Adverbien, Partikeln, Interjektionen etc.
2.5.3. Der Satz als Ausdruck von Modalität und Proposition Wenn wir davon ausgehen, daß die Äußerung eines Modalverbsatzes eine Operation über einen durch den propositionalen Gehalt eines Satzes dargestellten Sachverhalt ist, so müssen wir auch annehmen, daß der Satz eine zweiteilige Struktur mit den beiden Komponenten 'Modalität' und 'Proposition' wie in (61) aufweist: (61 )
Satz = Modalität + Proposition,
wobei das Zeichen + keine additive, sondern eine prädikative Beziehung darstellt: Prädikative Beziehungen sind per defmitionem nicht-additive semantische Beziehungen. Dieses Konzept der Zweiteilung des Satzes entstammt der (Modal-)Logik, wo Modalaussagen als binäre Konstrukte bestehend aus Modaloperator und Proposition ausgewiesen werden. Die Lehre der binären Struktur von Modalaussagen ist auch in der Linguistik fruchtbar gemacht worden, mitunter bei Bestimmungsversuchen der Modalität. Ich erwähne hier kurz die drei bekanntesten Konzepte, die von BALLY, FILLMORE und GERSTENKORN: 1.)BALLYS (1965; erste Fassung 1932) binäre Satzstruktur verläuft parallel zur Struktur der pensée, deren sprachliche Konkretisierung der Satz ist. Wenn nun die pensée aus einer Sachverhaltsdarstellung („représentation") und der diesbezüglichen Haltung des Sprechers dazu besteht, so gliedert sich die „phrase (explicite)" wie folgt auf: (62)
phrase
—> modus & dictum,
wobei „modus" die Sprecherhaltung widerspiegelt und „dictum" die Sachverhaltsdarstellung enthält (1965: 36f.).
97 2.)Im Rahmen seiner Kasusgrammatik entwirft FILLMORE (1968: 24) eine Basisstruktur von Sätzen bestehend aus den beiden Komponenten „Proposition" und „Modality": (63)
Sentence
—>
Modality +
Proposition
und definiert (1968: 23) „Proposition" (sowie „Modality" ex negativo in Bezug auf den zweiten Term der Satzstruktur) als [...] a tenseless set of relationsships involving verbs and nouns (and embedded sentences, if there are any), separeted from what might be called the 'modality' constituent. This latter will include such modalities on the sentence-as-a-whole as negation, tense, mood, and aspect.
3.)Schließlich ordnet GERSTENKORN (1976) dem Satz eine aus den beiden Komponenten MOD ('Modalität') und MAT ('Materielle Komponente'/'Materie') bestehende Struktur zu (64)
SATZ
->
MOD(MAT),
wobei es sich bei der Abkürzung MAT um den „nichtpragmatischen Komplex" (1976: 306) sprachlicher Äußerungen handelt, der der Beschreibung des Gegenstands oder Sachverhalts dient, wohingegen die Abkürzung MOD die pragmatische Komponente darstellt, welche den Hörer darüber informiert, „wie der Sprecher zu diesem Gegenstand steht." (1976: 11). Mit MAT ist somit die Proposition, mit MOD die Sprechereinstellung zum Sachverhalt gemeint.
2.5.3.1. Die Ermittlung der Proposition Wenn nun ein Satz aus den beiden Komponenten der Modalität und der Proposition besteht, so stellt sich die Frage, wie wir zwischen ihnen unterscheiden können. Und da die Proposition das konkretsprachliche Element ist, auf das die (abstrakte) Modalität operiert, so gilt an erster Stelle herauszufinden, was ρ ist. Wie können wir ρ vom Rest des Satzes trennen? Hierfür bieten sich zwei Ansätze an: SEARLES Unterscheidung von 'Indikator der illokutionären Rolle' und 'propositionalem Indikator' und HARES Unterscheidung von 'Phrastikon' und 'Neustikon'. 1.) Außer der illokutionären Kraft (oder: Rolle), deren Aufgabe es ist, festzulegen, um welchen Sprechakt es sich jeweils handelt, gehört nach SEARLE (1969) zum illokutionären Akt auch das, was er die 'Proposition' ('proposition') oder den 'propositionalen Gehalt' ('prepositional content') nennt. Um diese beiden Komponenten eines jeden illokutionären Aktes voneinander zu unterscheiden, kontrastieren wir einige Sätze miteinander, mit denen verschiedene illokutionäre Rollen vollzogen werden, jedoch jeweils auf ein und dieselbe Proposition Bezug genommen wird (Beispiele nach HOCHE 1990: 97): (65)
(a) (b) (c)
Du wirst morgen gut vorbereitet sein. Mögest du morgen gut vorbereitet sein! Sei morgen gut vorbereitet!
Der den drei Sätzen in (65) zugrunde liegende propositionale Gehalt ρ ist jeweils das „Gutvorbereitet-Sein" (des Hörers oder Lesers am Tag nach der Äußerung). Die jeweilige illokutionäre Rolle ist jedoch für jeden der Sätze eine andere, wie die folgenden (zweigliedrigen) Sätze verdeutlichen:
98 (66)
(a) (b) (c)
Ich behaupte, daß du morgen gut vorbereitet sein wirst. Ich wünsche dir, daß du morgen gut vorbereitet sein wirst. Ich bitte dich (oder: befehle dir), morgen gut vorbereitet zu sein.
Die illokutionäre Rolle des jeweils vollzogenen Sprechaktes ist in den Sätzen (65) (a), (b) und (c) implizit ausgedrückt - und zwar durch den Satztyp, die Wortstellung und vor allem die Intonation. Mit Hilfe der Sätze (66) (a), (b) und (c) kann sie dagegen explizit gemacht werden: Sie fällt mit dem ersten Teilsatz zusammen, den SEARLE 'Indikator der illokutionären Rolle' ('illocutionary force indicator') nennt. Was in (65) (a) behauptet wird, wird in (65) (b) erwünscht und in (65) (c) erbeten oder befohlen. Die drei illokutionären Rollen sind demnach: Behauptung, Wunsch und Bitte (oder: Befehl). Die Angabe der (allen drei Sätzen gemeinsamen) Proposition erfolgt hingegen durch den zweiten Teilsatz, den SEARLE als den 'propositionalen Indikator' bezeichnet. 2.)Im Hinblick auf bestimmte logische Zwecke nimmt HARE (1949) eine Art Normierung natürlich-sprachlicher Sätze vor, die im Fall unserer beiden Sätze in (65) (a) und (c) wie folgt aussieht (vgl. HARE 1949: 8): (67)
(a) (b)
Daß du morgen gut vorbereitet bist, ja. Daß du morgen gut vorbereitet bist, bitte.
Wie den Beispielen (67) (a) und (b) zu entnehmen ist, bietet die HAREsche Notation eine noch explizitere Unterscheidung als die SEARLES: Der daß-Satz stellt den propositionalen Indikator dar, das 'Phrastikon' ('phrastic'), durch das Komma vom Indikator der illokutionären Rolle scharf getrennt - den HARE (1952) als das indikativische bzw. Imperativische 'Neustikon' ('neustic') bezeichnet.
2.5.3.2. Die Begriffe 'Sachverhalt' und 'Proposition' Unter 'Sachverhalt' ist hier der propositionale Gehalt eines (Modalverb-)Satzes zu verstehen, d.h. das, was im Infinitivkomplement gesagt wird. Der propositionale Gehalt einer beliebigen Äußerung läßt sich als eine Konstante auffassen, der Satzrest dagegen als eine Variable. Dies wird daran deutlich, daß sprachlich verschiedene, aber inhaltsgleiche Aussagen ein und denselben Sachverhalt darstellen. So beziehen sich alle Sätze in (68) trotz ihrer unterschiedlichen Form auf ein und denselben Sachverhalt: 79
79
Als Kriterium, wonach formunterschiedliche Aussagen als inhaltsgleich (bzw. sachverhaltsgleich) gelten dürfen, geben KAMLAH/LORENZEN (1990: 135f.) folgendes an: „[...] Dem Wortlaut nach verschiedene Aussagen stellen genau dann denselben Sachverhalt dar, wenn sie auseinander ableitbar sind bezüglich des Regelsystems der Sprache, in der sie formuliert sind." A l s Beleg dafür führen sie die folgenden vier Beispiele an (es soll sich dabei um Zeugenaussagen in einem Prozeß handeln): a.) Zeugel : A m Neujahrstag habe ich gesehen, wie M. seine Frau geschlagen hat. b.) Zeuge2: M. schlägt seine Frau jeden Tag. c.) Zeuge3: Täglich wird Frau M. von ihrem Mann geschlagen. d.) Zeuge4: A m Neujahrstag hat M. seine Frau mit einem Ledergürtel verprügelt. Ein und denselben Sachverhalt drücken nur die Aussagen 2 und 3 (Aktiv- und Passivsatz) aus. Alle weiteren möglichen Gegenüberstellungen von Aussagen unterscheiden sich immer zumindest in einem wesentlichen Detail.
99 (68)
(a) (b) (c) (d)
Tu das, Matthias! Wird Matthias das tun? Matthias wird das tun. Hoffen wir, daß Matthias das tun wird.
Demzufolge erweist sich ein Sachverhalt als „ein abstrakter Gegenstand ähnlich wie eine Zahl oder ein Begriff' (KAMLAH/LORENZEN 1992: 132). Sachverhalte sind somit als mentale (kognitive) Repräsentationen von Weltwissen/Welterfahrung aufzufassen. Unter 'Proposition' verstehen wir hingegen den sprachlichen Ausdruck eines Sachverhalts. Einstellungen zu Sachverhalten sind somit - sprachlich gesehen - Einstellungen zu Propositionen, die Sachverhalte bezeichnen, kurz: propositionale Einstellungen. In der Folge werden wir undifferenziert von Einstellungen zu Sachverhalten oder von propositionalen Einstellungen sprechen.
2.5.4. Sprecher, modale Instanz und propositionale Einstellung Das Verhältnis zwischen Sprecher und modaler Instanz stellt ein kontrovers diskutiertes Problem im Hinblick auf die Urheberschaft der propositionalen Einstellung dar. Auf der einen Seite wird behauptet, propositionale Einstellungen seien immer Sprechereinstellungen, also Ausdruck eines Akts des Behauptens, des Glaubens oder des Wollens seitens des S p r e c h e r s . D i e s d r ü c k t z . B . INEICHEN ( 1 9 7 6 : 6 ) u n z w e i d e u t i g a u s : Die Modalität [...] übernimmt es, die deiktische Orientierung des propositionalen Satzes im Sinne des Sprechers festzulegen.
Nach EICHLER/BÜNTING (1978: 109) stellt die „Ich-Origo" sogar die Voraussetzung für die Kategorie der Modalität dar: Die Modalität ist Ausdruck der Ich-Origo des Sprechens: es sind ich-Urteile des Sprechers, die in den Modalformen zum Ausdruck kommen.
Diese beiden Definitionen orientieren sich jedoch vornehmlich an der Modalität der Modi, die zweifellos weitaus stärker sprecherbezogen ist als die der übrigen modalen Ausdrücke, einschließlich der Modalverben. So nimmt es nicht wunder, das sich aus solcher Voraussetzung eine besondere Hervorhebung der Sprecherrolle ableitet. Auf der anderen Seite steht aber die Meinung, Sprecher und modale Instanz könnten, müßten aber nicht identisch sein. Dazu OTAOLA OLANO ( 1988: 103) mit einem Beispiel alethischer Modalität: En el caso en que la modalidad se concibe en sentido amplio como expresión de la subjetividad del sujeto del enunciado, éste puede coincidir o no con el enunciador. Ej.: (a) Estoy seguro de que María vendrá (coincide). (b) Pedro está seguro de que María vendrá (no coincide. El sujeto modal es Pedro).
Im Hinblick auf die Modalität der Modalverben stellt auch CALBERT (1975: 56) fest, „[...] daß durchaus nicht immer die Einstellung des Sprechers ausschlaggebend ist, sondern daß auch ein 'reported speaker' - also ein in der Äußerung genannter Sprecher oder eine nicht genannte dritte Person Quelle der Modalität sein kann." Dies läßt sich in der Tat leicht an den folgenden Beispielen behauptender Modalität nachvollziehen, denn in (69) und (70) ist es eben eine dritte Person (Karl bzw. ein Fremder), die modal aussagt, indem sie sich der Modalverbformen will und soll bedient:
100 (69) (70)
Karl will Mathematik studiert haben. Karl soll Mathematik studiert haben.
Dies wird klar, wenn wir diese beiden Beispiele mit (69) vergleichen: (71)
Karl hat Mathematik studiert,
und dann all die drei Sätze in ihre behauptungsperformativen Formen umwandeln: Die Sätze in (69), (70) und (71) stellen ein und denselben Sachverhalt dar, nämlich das fragliche „Mathematik-Studium-von-Karl", ihre modale Instanz ist jedoch jeweils eine andere: Im Satz (72) tritt der Sprecher und in (73) wie auch in (74) jeweils eine dritte Person (im ersten Fall identisch mit dem Satzsubjekt, im zweiten Fall weder mit dem Sprecher noch mit dem Satzsubjekt identisch) als Urheber der Behauptung auf: (72) (73) (74)
Karl behauptet, daß er (Karl) Mathematik studiert hat. Jemand behauptet, daß Karl Mathematik studiert hat. Ich behaupte, daß Karl Mathematik studiert hat.
In (71) liegt eine Behauptung des Sprechers vor: Dies kommt durch Anwendung der Morpheme des Modus Indikativ auf den propositionalen Gehalt ρ (=das-Mathematik-Studiumvon-Karl) zustande. In (69) und (70) wird mittels der Modalverben sollen bzw. wollen auf Behauptungen von Dritten (von „Karl" und von ,jemand") Bezug genommen. Wenn wir '(propositionale) Einstellung' als die Relation zwischen modaler Instanz und Sachverhalt definieren, kann im ersten Fall ohne weiteres die Rede von einer '(propositionalen) Sprechereinstellung' sein. In den beiden anderen Fällen werden durch Rückgriff auf jeweils eine der beiden Modalverbformen Einstellungen zu ρ hergestellt, die nicht vom Sprecher stammen, sondern von Dritten. Die Rolle des Sprechers besteht hier darin, über die Behauptungen von Dritten, somit über ihre Einstellungen zu p, zu berichten. Dadurch wird selbstverständlich eine neue Einstellung zum Ausdruck gebracht: aber nicht zu ρ und nicht mittels der Modalverbformen soll und will, sondern zu ρ ' (als zu einer neuen der Proposition ρ übergeordneten Proposition) und wiederum mittels der Morpheme des Modus Indikativ.
3. Das Modalverb müssen
Modalverbsätze mit müssen drücken eine Fülle von Inhalten aus, die im wesentlichen den Sememkomplex „Zwang/Notwendigkeit/Pflicht" enthalten. 1 Sie werden zuallererst dazu gebraucht, um Formen des intentionalen Handelns auszudrücken, denen entweder eine ZielMittel-Relation (d.h. eine Relation derart, daß das Erreichen eines bestimmten Ziels den Einsatz bestimmter Mittel erforderlich macht) oder aber eine Ursache-Wirkung-Relation (d.h. eine Relation derart, daß die Ausführung einer Handlung aufgrund des Bestehens bestimmter situationeller Faktoren als notwendig angesehen wird) zugrunde liegt - vgl. (1) (a) und (b). Sie werden auch dazu benutzt, um Vorgänge auszudrücken, die sich aufgrund bestimmter vom beteiligten Aktanten nicht beeinflußbarer Ursachen abspielen - vgl. (2). Ferner werden hierdurch sowohl Formen moralischer und gesetzlicher Verpflichtung wie auch Regeln und Konventionen des sozialen Verhaltens oder gesellschaftliche Gepflogenheiten geäußert, die den Handlungsraum der Aktanten präskriptiv regeln - vgl. (3). Auch dienen sie dazu, (mehr oder weniger) zwingende Folgerungen aus bestimmten Präsuppositionen und Implikationen - vgl. (4) (a) und (b) - sowie logische Schlüsse aus bestimmten Prämissen zum Ausdruck zu bringen - vgl. (5). Sie werden schließlich gebraucht, um Verhaltensweisen von Aktanten auszudrücken, die natürlichen Dispositionen entspringen - vgl. (6): (1)
(a) (b)
Er muß nach Berlin fahren, um den Preis entgegenzunehmen. Er muß zurückkehren, weil sein ganzes Geld abhanden gekommen ist.
(2)
Bei dem Wetter muß man krank werden.
(3)
Jeder muß seine Pflicht erfüllen.
(4)
(a) (b)
Bei dem muß eine Schraube locker sein. Er muß den Verstand verloren haben.
(5)
Wenn es geregnet hat, dann muß der Boden naß sein.
(6)
Er muß bloß immer zanken und sucht immer Streit.
Je nach der Qualität des Zwanges, der Notwendigkeit, der Verpflichtung etc., die in Sätzen mit dem Modalverb müssen zum Ausdruck gebracht wird, lassen sich verschiedene Modalitätstypen unterscheiden. Jedem Modalitätstyp liegt wiederum eine der drei grundlegenden Modalitätsarten zugrunde, die durch die propositionalen Einstellungen des Sagens, des Glaubens und des Wollens realisiert werden.
Die Literatur zu müssen ist ziemlich umfangreich: Außer einer (allerdings einzigen) Monographie 1969) sowie dem einschlägigen Kapitel in Abhandlungen über das gesamte System der Modalverben ( z . B . BECH 1949, WELKE 1965, R A Y N A U D 1975a, REDDER 1984, ÖHLSCHLÄGER
(LAETZ
1 9 8 9 ) u n d i n G r a m m a t i k e n ( z . B . SCHULZ/GRIESBACH DEN-GRAMMATIK
1 9 7 2 , ENGEL 1 9 8 8 , EISENBERG 1 9 9 4 ,
1973; 1984; 1995) sind zahlreiche Aufsätze zu erwähnen ( z . B .
DU-
BETTERIDGE
1959; 1960a; 1960b; KAUFMANN 1962; 1963; 1965; WELKE 1971a; 1971b, TARVAINEN 1976,
(1976a; 1976b), REPP 1978, VATER 1980, WUNDERLICH 1981, K R A U S E 1986), sehr viele auf spezielle Aspekte des Modalverbs ausgerichtet, in erster Linie auf die epistemische Funktion ( z . B . SAEBOE 1979, FALKENBERG 1981, BRÜNNER 1981b, PERSSON 1981, ULVESTAD (1984a; BLUMENTHAL
1 9 8 4 b ; 1 9 8 7 ; 1 9 9 1 ) , LETNES ( 1 9 8 6 ) , ZYBATOW 1 9 8 6 , LEIRBUKT 1 9 8 8 , ABRAHAM 1 9 9 1 , FRITZ
1991 ), nicht wenige auf dessen Negation (z. B .
RAYNAUD
1976,
H ANOWELL
1976).
102 3.1. Die propositionalen Einstellungen des Sagens
Mmen-Modalverbsätze sind am Ausdruck der propositionalen Einstellungen des Sagens nicht beteiligt. Dadurch unterscheiden sie sich wesentlich von den so/Zerc-Modalverbsätzen, die in dieser Funktion - zusammen mit den wo//ew-Modalverbsätzen - eine zentrale Rolle im deutschen Modalverb- und Modalitätssystem spielen (vgl. Kapitel 4). Ebenfalls unterscheiden sie sich hierdurch von den dovere-Modalverbsätzen im Italienischen, die neuerdings auch in dieser Funktion benutzt werden (vgl. Kapitel 5).
3.2. Die propositionalen Einstellungen des G l a u b e n s
Modalverbsätze mit müssen stellen wichtige Ausdrucksmittel der propositionalen Einstellungen des Glaubens dar. Diese werden durch die drei folgenden Modalitätstypen realisiert: den subjektiv-epistemischen, den objektiv-bewertenden sowie den dispositionellen Modalitätstyp. Tabelle 3.1 faßt die drei Modalitästtypen zusammen: Tabelle 3.1: Die propositionalen Einstellungen des Glaubens bei müssen Modalità ts typ
Beispiel
1. subjektiv-epistemisch 2. objektiv-bewertend 3. dispositionell
Er muß wohl krank sein Er müßte sich endlich entscheiden Er muß sich immer mit allen streiten
3.2.1. Epistemische Modalverbsätze mit müssen Epistemischen Modalverbsätzen mit müssen liegen entweder propositionale Einstellungen des Glaubens oder aber propositionale Einstellungen des Wollens zugrunde: Im Kapitel 2 (unter 2.4.2.1.) haben wir mit LYONS (1983) die Unterscheidung zwischen einer subjektiven und einer objektiven Lesart epistemischer Aussagen getroffen und die ersteren den propositionalen Einstellungen des Glaubens, die letztere den propositionalen Einstellungen des Wollens zugeordnet. Der Darstellung der beiden epistemischen Typen sollen hier einige kurze Erläuterungen zur Differenzierung zwischen epistemischen und nicht-epistemischen Modalverbsätzen vorausgeschickt werden.
3.2.1.1. Die Begriffsopposition „epistemisch"/„nicht-epistemisch" Mit DIESCH (1988) haben wir festgestellt, daß es eine allgemeine Eigenschaft der Modalverbsätze ist, den in ihrem Infinitivkomplement ausgedrückten Sachverhalt in Relation zu weiteren Sachverhalten zu setzen. Durch die Äußerung eines Modalverbsatzes, ob epistemisch oder nicht-epistemisch, wird somit immer auch eine Inferenzrelation vollzogen. Infe-
103 renzrelationen, wie sie mit Modalverben ausgedrückt werden, können zweifacher Art sein: Sie können zum einen Beziehungen unter Sachverhalten auf der Ebene der Sachverhalte selbst beschreiben, zum anderen könnnen sie aber auch Beziehungen unter Sachverhalten auf der Ebene der Reflexion über Sachverhalte prädizieren. In diesem zweiten Fall sind die prädizierten Sachverhaltsbeziehungen Gegenstand eines Erkenntnisprozesses. Vergleiche den folgenden Satz: (7)
Um einen so aufwendigen Lebensstil fuhren zu können (p), muß Fritz über viel Geld verfügen (p ').
Satz (7) prädiziert entweder eine Mittel-Ziel-Relation mit Sachverhalt p' als Mittel und Sachverhalt ρ als Ziel: (8)
Fritz braucht viel Geld, um seinen aufwendigen Lebensstil zu finanzieren,
oder aber er stellt eine Reflexion über die Beziehung der betreffenden Sachverhalte dar und zwar in der Form einer Schlußfolgerung: (9)
(a) (b) (c)
Wer aufwendig lebt, verfugt über viel Geld. Fritz lebt aufwendig. Fritz verfugt über viel Geld.
In (8) sprechen wir von einer pragmatischen, in (9) von einer epistemischen Bedeutung des Modalverbsatzes. (9) ist zu entnehmen, daß die Akte der Bildung und des Verstehens epistemischer Sätze eine quasi-syllogistische Struktur wie in (10) aufweisen: (10)
(a) (b) (c)
Wenn p, dann ρ ' Fritz ρ Also Fritz ρ '
Kontrastiert man (8) mit (9), so wird deutlich, daß sich Bildung und Verstehen nicht-epistemischer Sätze in der einzigen Operation des Beziehens vom Sachverhalt der Infinitivergänzung auf einen weiteren Sachverhalt vollzieht. Die Äußerung und das Verständnis epistemischer Sätze durchlaufen dagegen einen dreistufigen Prozeß: a.)es wird eine Menge einschlägiger Informationen präsupponiert bzw. nachvollzogen; b.)es werden die Daten der aktuellen Situation assertiert; c.)es wird ein logischer Schluß vollzogen. In der Regel werden die drei Reflexionstufen epistemischer Sätze nicht explizit angegeben, sondern etwa in einem wwsse«-Modalverbsatz „verdichtet". Sie sind jedoch vom Hörer aufgrund der dazugehörigen Präsuppositionen und Implikationen (mehr oder weniger leicht) zu eruieren - so wie etwa im folgenden Beleg: (11)
Dann lag er still, lang ausgestreckt. Morgen müssen die Leichen stinken, bei dem heißen Wetter. Und dann kommen wohl auch die Würmer, und kriechen vielleicht auch zu ihm herüber, - während er noch lebt! (DE2060-A 35:3).
Beleg (12) versprachlicht indes in expliziter Form alle drei Stadien des „kognitiven Pfades" (DIESCH 1988: 47), der von der Konklusion (c) zu den Prämissen (a) und (b) zurückfuhrt: (12)
Ich habe früher einmal zu Eratosthenes geäußert: Das Kennzeichen des Geistes ist, daß er die Unendlichkeit will; nun sei die Scheibe unendlicher als die Kugel, also müsse die Erde eine Scheibe sein. (Alexander 15:5).
104 Sowohl in (8) wie auch in (9) handelt es sich um Schlüsse: im Fall pragmatischer Sätze sind es erfahrungsbedingte, im Fall epistemischer Sätze hingegen logisch zwingende Schlüsse. Dieser Unterschied läßt sich auch kognitiv gut beschreiben: Im ersten Fall handelt es sich um Akte der Kognition, im zweiten um Akte der Metakognition. Metakognition läßt sich hier als ein reflexiver Gebrauch von Kognition begreifen. Der Unterschied zwischen nichtepistemischen und epistemischen Aussagen besteht also darin, daß die ersteren ohne metakognitive Reflexion, die letzteren hingegen nur mithilfe metakognitiver Reflexion verstanden werden können. Nicht-epistemische Äußerungen stellen per definitionem kognitive, epistemische Äußerungen dagegen metakognitive Akte dar.
3.2.1.2. Der subjektiv-epistemische Modalitätstyp Die Opposition Kognition/Metakognition begründet den Unterschied zwischen nicht-epistemischen und epistemischen Modalverbsätzen. Nicht so leicht nachzuvollziehen ist dagegen die Opposition zwischen subjektiv-epistemischen und objektiv-epistemischen Modalverbsätzen: Diese zwei Klassen von Sätzen weisen keine grammatischen Unterschiede auf. Dies ist dagegen bei anderen Modalitätstypen der Fall. Bei der Verarbeitung von Modalverbsätzen spielen folgende Faktoren eine entscheidende Rolle (DLESCH 1988: 138f.): a.)die Form und der Inhalt des Satzes, b.)der propositionale Gehalt seines Redehintergrunds, c.)die formale Komplexität der Relation zwischen dem Redehintergrund und dem Infinitivkomplement des Satzes, d.)das Ausmaß des Unterschieds zwischen der kognitiven Perspektive des Sprechers und der des Hörers. Je mehr dieser Faktoren bei der Unterscheidung von Modalverbsätzen wirksam werden, desto problemloser fällt deren Verarbeitung aus. So läßt sich z.B. feststellen, daß epistemische Sätze vorzugsweise entweder eine Infinitivergänzung mit Infinitiv II - vgl. (13) (a,) und (a2) - aufweisen oder aber Zustände - vgl. (13) (bi) und (b2) - benennen: (13)
(a,) (a2) (b ι ) (b2)
Er muß das alles geträumt habeni Er muß mit dem Zug angereist sein. Er muß sehr reich sein. Er muß sich in Italien auflialten.
Pragmatische (wie auch deontische) Modalverbsätze weisen dagegen ungleich häufiger Infinitivergänzungen mit Infinitiv I auf und sie drücken vorzugsweise Handlungen aus. Dies stellt somit einen tendentiellen Indikator epistemischer Bedeutung im Kontrast zur nichtepistemischen dar. Bei der Unterscheidung von subjektiv-epistemischen und objektiv-epistemischen Modalverbsätzen ist auch dieser Faktor nicht mehr wirksam. Zu unterscheiden sind sie nur aufgrund zweier tiefenstruktureller Eigenschaften, die HARE (1970) die „neustische" (d.h. die Bindung des Sprechers an die Äußerung) und die „tropische" (d.h. die Art des Sprechakts) Komponente von Sätzen nennt. Im Kapitel 2 unter 2.4.2.1. haben wir festgestellt, daß subjektiv-epistemische Aussagen durch die Modifikation der neustischen, objektiv-epistemi-
105 sehe Aussagen durch die Modifikation der tropischen Komponente erzeugt werden. Zwischen den beiden Gruppen von Sätzen zu unterscheiden, bedeutet also darüber zu entscheiden, ob im Modalverbsatz eine Modifikation der neustischen oder der tropischen Komponente vorliegt. Wie dies praktisch vor sich gehen soll, hat HARE (1970) jedoch für den hier fraglichen Fall nicht expliziert. In Weiterführung von HARE (1970) und in Anlehnung an LYONS (1983) entwickelt DLESCH (1988) das Konzept des „geschlossenen Raumes" (d.h. des geschlossenen (Bezugs-)Systems) (vgl. 2.4.2.1.). Nach diesem Konzept gilt als objektivepistemisch das, was durch objektive, d.h. allgemein nachvollziehbare Koordinaten definiert wird, als subjektiv-epistemisch das, was allein im Ermessen des Sprechers liegt oder (absichtlich) liegengelassen wird. Objektiv-epistemische Aussagen stellen geschlossene kognitive Mikrosysteme dar. Sie sind „Systeme", da sie durch Koordinaten definiert werden, und sie sind „geschlossen", da die auf sie angewandten Koordinaten genügen, um das System von anderen möglichen Alternativsystemen abzugrenzen. Die Abgrenzung erfolgt, indem eine Menge von für das jeweilige System relevanten Variablen gefunden wird. Im Beispiel (14) werden zwei mögliche relevante Variablen zur Erklärung des in der Infinitivergänzung behaupteten Sachverhalts ρ identifiziert: (14)
„Am Donnerstag", erzählte er dumpf und müde wie ein alter Mann, „war zum Beispiel Appell mit Kleidungsstücken. Ganz plötzlich. Mir muß grade vorm Appell ein Knopf abgeplatzt sein, hinten an der Hose. Oder vielleicht hat ihn mir der Siebold abgeschnitten, der soll jetzt schon siebzehn Stück Hosenknöpfe und acht Waffenknöpfe haben." (AufrKind 112:7)
Gelingt es dem Sprecher jedoch nicht, eine ausreichende Menge von relevanten Variablen für die „Schließung" des Systems zu finden, so bleibt das System in dem Sinne „offen", daß es nun keine „Filterfunktion" mehr ausübt, im Extremfall sogar das unkontrollierte Eindringen aller nur denkbar möglichen Variablen zuläßt. „Offen" bleibt das System auch immer dann, wenn der Behauptende von ρ - aus welchem Grund auch immer - einen solchen Versuch gar nicht unternimmt. In beiden Fällen ist dann die epistemische Aussage eine subjektiv-epistemische (für Beispiele siehe hier unten in 3.2.1.4.). In subjektiv-epistemischen Modalverbsätzen kann somit die Frage nach der Geltung von ρ allein mit einem mehr oder weniger starken „Glauben an p" seitens des Behauptenden beantwortet werden. Diese Modalverbsätze weisen folglich die semantische Struktur in (15) auf: (15)
IMOD (= SPRECHER) GLAUBT, DASS P.
In objektiv-epistemischen Modalverbsätzen wird dagegen die Behauptung von ρ mit einer Menge von Präsuppositionen und Implikationen (PRÄSLMPL) untermauert, die für die Geltung von ρ sprechen. Objektiv-epistemischen Modalverbsätzen liegt folglich die semantische Struktur in (16) zugrunde: ( 16)
IMOD (= PRÄSlMPL) FORDERT, DASS P.
Im Fall der subjektiv-epistemischen Modalität verweist der Sprecher auf sich selbst als die modale Instanz. Im Fall der objektiv-epistemischen Modalität sind Sprecher und modale Instanz nicht identisch: der Sprecher verweist hier auf ein Geflecht von Präsuppositionen und Implikationen, das die modale Instanz darstellt.
106
3.2.1.3. Die Stellung von müssen im Bereich des Epistemischen Außer epistemisch-performativen Verben (wissen, glauben, vermuten, annehmen etc.), Adverbien (möglich, wahrscheinlich, sicher etc.), Modalpartikeln {wohl etc.,), können alle Modalverben mit Ausnahme von sollen und wollen zum Ausdruck epistemischer Sätze verwendet werden. Zu den klassischen sechs Modalverben gesellen sich in dieser Funktion auch werden2 sowie in der neuesten Forschung auch negiertes brauchen als Ersatz für epistemisches negiertes müssen? Als Ausdrucksmittel epistemischer Modalität stehen die Modalverben in paradigmatischer Beziehung zueinander. Vergleiche die folgende Tabelle:4 Tabelle 3.2: Das Paradigma der epistemischen Modalverben
muß müßte Peter
dürfte kann könnte m a g (auch) w i r d (wohl)
im Lotto gewonnen haben
Als epistemische Ausdrucksmittel stehen die Modalverben in einer funktionalen Opposition zueinander. Sie unterscheiden sich voneinander aufgrund der Intensität der Relation, die sie zwischen dem im Infinitivkomplement prädizierten Sachverhalt ρ und der modalen Instanz IMOD, auf die sie verweisen, ausdrücken. In der Tabelle 3.2 ist die Intensität dieser Relation in abnehmender Reihenfolge angegeben. Mit dem Rekurs auf wi^-Formen signalisiert der Sprecher, daß die angeführten Gründe für die Geltung von ρ zwingender sind, als wenn er auf die müßte-Formen oder erst recht auf die mag- oder vwVi/-Formen zurückgreifen würde. Je höher die Form im Paradigma liegt, desto stärker die Tendenz zum Ausdruck des Objektiv-Epistemischen, und umgekehrt: je niedriger die Form im Paradigma, desto stärker die Tendenz zum Ausdruck des Subjektiv-Epistemischen. Die wussen-Formen eignen sich somit vorzüglich zum Ausdruck objektiv-epistemischer, die werden-Formen dagegen zum Ausdruck subjektiv-epistemischer Modalität.
2
3
4
In der neueren Modalverbforschung wird werden als das epistemische Verb par excellence betrachtet - VATF.R (1975) schänkt sogar seine Funktion auf diese einzige Bedeutung ein. SALTVEITS (1960) provokative Frage („Besitzt die deutsche Sprache ein Futur?") sowie VATERS (1975) radikale These haben zahlreiche Studien über den Anteil an epistemischer Funktion von werden zur Folge gehabt: vgl. SALTVEIT (1962), GOHLISCH (1981), DIELING (1982), MATZEL/ULVESTAD (1982), ULVESTAD( 1984a; 1984b; 1987), TESSIER/LE FLEM ( 1985), JANSSEN ( 1989). Zu (nicht) brauchen in modaler Funktion vgl. KOLB ( 1 9 6 4 ) , FOLSOM ( 1 9 6 8 ; 1 9 7 1 ) , RAYNAUD ( 1 9 7 1 ) , PFEFFER ( 1 9 7 3 ) , SCAFFIDI-ABBATE ( 1 9 7 3 ) , BRÜNNER ( 1 9 7 9 ) , HOOGE ( 1 9 8 0 ) . Zum epistemischen Gebrauch von negiertem brauchen liegt eine einzige Studie vor: TAKAHASI ( 1 9 8 4 ) . Der Tabelle 3.2 ist zu entnehmen, daß die morphologische Distribution der Modalverbformen in epistemischer Funktion bestimmten Restriktionen unterliegt: Epistemisches müssen und können werden sowohl durch Indikativ- wie auch Konjunktivformen morphologisch realisiert, epistemisches dürfen ausschließlich durch Formen des Konjunktiv II und epistemisches mögen allein durch Indikativformen. Wie mögen verhalten sich übrigens auch epistemisches werden sowie epistemisches (negiertes) brauchen.
107 Die müßte-Formen werden dann verwendet, wenn der Sprecher sein „Glauben, daß /?" an wietere Bedingungen geknüpft sehen will, die für die muß-Formen nicht gelten. Die „Konditionalisierung" seiner epistemischen Aussage erreicht der Sprecher mittels der Verbindung von Modalverb und Modus. Mit mögen (besonders in Verbindung mit dem konzessiven Adverbial auch), vor allem aber mit werden (besonders in Verbindung mit der Modalpartikel wohl) erreicht der Sprecher den höchsten Grad an subjektiver Einstellung. Die Formen in mittlerer Position, dürfte, kann und könnte, können j e nach Situation entweder Objektiv-Epistemisches oder Subjektiv-Epistemisches ausdrücken. Die Differenzierung zu den übrigen Formen erfolgt aufgrund unterschiedlicher Grade der Geltung von p. Der Unterschied zwischen objektiv-epistemischen muß- und £a«w-M)dalverbsätzen besteht beispielsweise darin, daß bei den ersteren die Geltung von ρ als zwingend, bei den letzteren dagegen als möglich (neben anderen) betrachtet wird. 5 Die modale Instanz von objektivepistemischen Äwwen-Sätzen ist folglich keine des 'Fordems von p' ( I M O D FORDERT, DASS P) - wie die von den entsprechenden müssen-Sätzen, sondern eine des 'Zulassens von ρ' (IMOD LÄSST ZU, DASS P). Auch das Zulassen von ρ ist eine propositionale Einstellung des Wollens - denn man kann nur das zulassen, was man auch will. Mit den Konditionalformen dürfte und könnte schwächt der Sprecher den Behauptungsgrad von ρ noch weiter ab, indem er für die Geltung des Sachverhalts ρ zusätzliche Bedingungen einfuhrt. Den Modalverben in epistemischen Aussagen kommt somit die Funktion zu, die Geltung des im Infinitivkomplement prädizierten Sachverhalts skalar zu gliedern. 6
3.2.1.4. Indikatoren epistemischer Bedeutung Die Unterscheidung zwischen objektiv-epistemischer und subjektiv-epistemischer Modalität hat in der Modalitätsforschung kaum Beachtung gefunden hat. Soweit mir bekannt, hat bislang allein ÖHLSCHLÄGER (1989) eine systematische Analyse dieser epistemischen Dichotomie aufgrund des Wahrheitsbegriffs der „Mögliche-Welten-Semantik" versucht: Objektivepistemische Propositionen wiesen nach ihm das Prädikat „wahr", subjektiv-epistemische hingegen das Prädikat „(ziemlich) sicher" auf. Dazu hat ULVESTAD (1991) Stellung genommen. Er zeigt die Schwächen der von ÖHLSCHLÄGER aufgestellten „Restriktionsregeln"
5
6
D a ß , w i e DIESCH ( 1 9 8 8 : 2 5 ) in A n l e h u n g an EHLICH/REHBEIN ( 1 9 7 2 ) behauptet, d i e a s s e r t o r i s c h e
Kraft des Sprechakts mit kann (im Vergleich mit muß) abgemildert werden soll, versteht sich von selbst. Dies ist aber ein sprechakttheoretischer, also ein pragmatischer Gesichtspunkt, kein semantischer. Das Konzept der skalaren Gliederung der Geltungsgrade von ρ darf nicht mit der Fragestellung verwechselt werden, mit welcher Sicherheit das im Infinitivkomplement prädizierte Geschehen tatsächlich eintritt. Es ist davon auszugehen, daß sich Modalverbsätze diesbezüglich gänzlich neutral verhalten. Vgl. auch die Kritik von DIESCH (1988: 18) am Begriff der „Realisierungswahrscheinlichkeit": „Dieser Begriff spielt nach BOUMA (1975) in der Analyse der deutschen wie auch der englischen Modalverben eine zentrale Rolle. Nach BOUMAS Analyse ist die durch „müssen" und „wollen" indizierte Realisierungswahrscheinlichkeit größer als die durch „sollen" und „mögen" indizierte, und ist die durch „sollen" und „mögen" indizierte Realisierungswahrscheinlichkeit größer als die durch „dürfen" und „können" indizierte. Diese Hypothese mag plausibel erscheinen. Ob es sich hier aber tatsächlich um Bedeutungskomponenten der Modalverben und nicht vielmehr um jederzeit streichbare Konversationsimplikaturen handelt, d.h. um Inferenzen, von denen der Sprecher beabsichtigt, daß der Hörer sie aufgrund seiner Äußerung zieht, darf bezweifelt werden".
108 fìir die subjektiv-epistemische Modalität a u f und stellt die Adäquatheit seiner theoretischen Ausführungen grundsätzlich in Frage (1991: 370): Dadurch, daß er [Öhlschläger] die Größe logische Rationalität als ausschlaggebendes Kriterium einfuhrt und dieses als notwendigen Bestandteil der objektiven Epistemik bestimmt, und dazu auch die alethische Lesart als epistemisch postuliert, ist es G. Öhlschläger nur scheinbar möglich, zwischen den zwei epistemischen Klassen zu unterscheiden.
Eine Grenze zwischen den beiden epistemischen Subklassen zu zienen, hält ULVESTAD für eine „unmögliche Aufgabe" (1991: 368) und plädiert dafür, daß man sich bis auf weiteres des nicht weiter differenzierten Terminus 'epistemisch' bedient (1991: 375): Da es [...] mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, zwischen objektiver und subjektiver Epistemik hinreichend scharf zu unterscheiden, dürfte es sich empfehlen, vorläufig beim Alten, das heißt, bei der undifferenzierten Modalitätsbezeichnung epistemisch zu bleiben und diese dem Terminus alethisch gegenüberzustellen. Dabei soll natürlich die Tatsache nicht in Frage gestellt werden, daß die epistemischen Schlußfolgerungen von sehr unterschiedlicher Sprechersicherheit sein können. [Hervorhebung von mir].
Eben an der von ULVESTAD hervorgehobenen „Tatsache" unterschiedlicher Grade der Spre-
chersicherheit möchte ich hier anknüpfen und versuchen, die epistemische Dichotomie aufrechtzuerhalten. Dies kann aber nur gelingen, wenn wir uns vom logischen Wahrheitsbegr i f f , w i e ihn ÖHLSCHLÄGER ( 1 9 8 9 ) u n d ULVESTAD ( 1 9 9 1 ) b e n u t z e n , d i s t a n z i e r e n . D i e s h a t
dann zwei weitreichende Konsequenzen: a.)„Wahr" ist in der Sprache allein das, was der Sprecher für wahr hält - und nicht das, was in der (wie auch immer gearteten) Realität wahr ist; b.)„Wahrheit" ist demnach in der Sprache kein fester Punkt, sondern eher eine Linie, ein Kontinuum, das zwischen einem Pol der „schwachen" und einem Pol der „starken" Sicherheit verläuft. Nimmt man diesen Standpunkt ein, so wird man zwar mit D L E S C H ( 1 9 8 8 : 1 1 8 ) feststellen müssen, daß eine „absolute Unterscheidung" (d.h. eine eindeutige Unterscheidung in jedem einzelnen Fall) zwischen objektiv-epistemischer und subjektiv-epistemischer Modalität nicht getroffen werden kann, daß es aber durchaus möglich ist, eine Reihe von Regularitäten auszumachen, aufgrund derer in vielen Fällen eine eindeutige Interpretation gewährleistet werden kann. Die nicht entscheidbaren Fälle bilden dann die Schnittmenge C zweier Mengen A und B, von denen die erste alle Fälle enthält, die eine eindeutige Zuordnung zur subjektiv-epistemischen Modalität erlauben, die zweite alle Fälle einer eindeutigen Zuordnung zur objektiv-epistemischen Modalität. Das Scheitern einer absoluten Unterscheidungsmöglichkeit gründet in der extrem empfindlichen Art, mit der epistemische Äußerungen auf kontextuelle Reize reagieren: Ein ein7
Von den insgesamt fünf „Restriktionsregeln" ÖHLSCHLAGERS ( 1989) sind die ersten zwei grundlegend, die übrigen drei eher marginal (vgl. auch ULVESTAD 1991, 370f.). Die erste Restriktionsregel lautet: „Modalverben in subjektiv-epistemischer Bedeutung können keinen Hauptakzent tragen" (1989: 217), die zweite: „Modalverben in subjektiv-epistemischer Bedeutung - genauer: Sätze mit einem Modalverb in subjektiv-epistemischer Bedeutung - sind nicht negierbar." Der 1. Regel zufolge kann der Satz Der Angeklagte müß der Täter sein kein subjektiv-epistemischer sein, nach der 2. Regel ist der Satz Der Angeklagte muß nicht der Täter sein nur objektiv-epistemisch interpretierbar. ULVESTAD (1991: 370ff.) zeigt die Unhaltbarkeit der beiden Restriktionsregeln.
109 ziges Lexem, eine besondere Wortstellung, eine bestimmte Intonation sind mitunter in der Lage, die bestehende Lesart in die entgegengesetzte umzuwandeln. Es gilt somit, Klassen grammatikalischer Ausdrücke festzumachen, die für die eine und die andere epistemische Lesart unterscheidend sind. Die Qualität der epistemischen Aussage ließe sich demnach am Erscheinen bestimmter kontextueller Elemente ablesen. Wir können diese Elemente 'Indikatoren epistemischer Modalität' nennen.
3.2.1.4.1. Der Begriff der „Doppel-" bzw. „Extramodalisierung" Die Frage nach grammatikalischen Unterscheidungsmerkmalen für die subjektiv- und objektiv-epistemische Modalität ist genausowenig beachtet worden wie die epistemische Dichotomie selbst. Mehr Beachtung hat dagegen die Problematik der Monosemierung ambiger Modalverbsätze auf der Basis von Kontextelementen gefunden. Damit haben sich mehrere Autoren beschäftigt, z.B. RAYNAUD (1975b; 1977), DOHERTY (1979), DIELING (1982), ULVESTAD (1984a), LETNES (1986). Die dabei erzielten Ergebnisse können möglicherweise auch bei der Frage der epistemischen Differenzierung fruchtbar gemacht werden. Vor allem aber zeigen diese Studien, daß bestimmte Kontextelemente mit bestimmten Modalverbbedeutungen bevorzugt vorkommen, ja sogar, daß sie Einfluß auf die Modalverbbedeutung nehmen können. Aus dieser Perspektive läßt sich sinnvoll annehmen, derartige Kontextelemente könnten auch für die epistemische Dichotomie gefunden werden.
3.2.1.4.1.1. RAYNAUD (1974; 1977) Speziell im Hinblick auf die Funktion des „Modaladverbs" wohl betrachtet RAYNAUD das gleichzeitige Vorliegen im Satz von Modalverb und Modaladverb nicht als ein modales Zusammenwirken, sondern als eine Redundanzerscheinung: „[...] dans la bonne langue, muss ne se combine pas avec l'adverbe modal qui lui est sémantiquement équivalent. Ex.: *(die Sonne musste sicherlich schon hoch am Himmel stehen). Une telle formation est ressentie comme un pléonasme." (1974: 475). Und an anderer Stelle noch expliziter: „Pour obtenir la nuance souhaitée, le locuteur se sert souvent d'un adverbe modal qui souligne l'incertitude, mais qui est tout de même redondant; on pourrait supprimer ou bien Mü [=müssen] ou l'adverbe modal. L'adverbe le plus fréquent est wohl (12 examples dans notre fichier)." (1974: 485). RAYNAUD (1975b; 1977), diskutiert die Frage, welchen Anteil an Bedeutungsbestimmung jeder der beiden Satzeinheiten „Modalverb" oder „Modaladverb" in epistemischen Sätzen wie „Sie [= die Sonne] mußte wohl schon am Himmel stehen" jeweils zukommt: Sie ordnet generell dem Modaladverb die Funktion des „determinatum ultimum" zu, was aber in einem offenen Widerspruch zur traditionellen Auffassung steht, das Modalverb stelle in Modalverbsätzen das „determinatum ultimum" dar.
3.2.1.4.1.2. DIELING (1982) DIELING (1982) läßt eine epistemische Graduierung des Modalverbsatzes durch ein Modaladverb nur bei werden gelten, nicht bei müssen und können:
110 „Im Gegensatz zu müssen und können läßt sich werden [...] verschieden graduieren: a. Udo wird jetzt möglicherweise/wahrscheinlich/ganz gewiß in Leipzig arbeiten. b. (*) Udo kann jetzt gewiß in Leipzig arbeiten. c. (*) Udo muß jetzt möglicherweise in Leipzig arbeiten." (1982: 329f.).
Die Sätze (b) und (c) seien nur akzeptabel, wenn die Modalverben als Modifikatoren (d.h. in nicht-epistemischem Gebrauch) verstanden werden. (1982: 330).
3 . 2 . 1 . 4 . 1 . 3 . DOHERTY ( 1 9 7 9 ) , ULVESTAD( 1 9 8 4 a ) , L E T N E S ( 1 9 8 6 )
Daß dem jedoch nicht so ist, führen DOHERTY (1979: 106-108, 117-121) fur müssenModalverbsätze mit wohl, vor allem aber ULVESTAD (1984a) und LETNES (1986) aus. Bei Modalverbsätzen, in denen außer dem Modalverb „auch ein weiteres modalisierendes Element" steht, z.B. wohl·. Pia muß/wird wohl allein sein, spricht ULVESTAD (1984a: 375) von „Doppelmodalisierung", wobei die Funktion des Modaladverbs darin besteht, den durch das jeweilige Modalverb als konstant ausgedrückten Sicherheitsgrad der Aussage in einer differenzierteren Sicherheitsskala zu gliedern. Die Skala der durch Modaladverbien hevorgerufenen Sicherheitsgrade sowie ihre Distribution bezüglich der zwei epistemischen Verben müssen und werden sehen bei ULVESTAD - bei abnehmendem Sicherheitsgrad - wie folgt aus (1984a: 382): Tabelle 3.3: Ausdrucksmittel der Doppelmodalisierung Modaladverbien
müssen
werden
1. unbedingt, offenbar, zwangsläufig etc. 2. sicher, bestimmt, gewiß etc. 3. wahrscheinlich, vermutlich, wohl eie. 4. vielleicht, möglicherweise, womöglich etc.
+
-
+ +
+
+
+
-
Dasselbe Phänomen - d.h. epistemische Sätze mit dem Modalverb müssen und einem Modaladverb wie z.B. doch, wohl, aber, ja, unbedingt, sicher etc. - bezeichnet LETNES (1986) als „Extramodalisierung". Er geht auf die Frage ein, „wie die beiden modalisierenden Elemente, das Modalverb müssen und das in derselben Äußerung vorkommende Modaladverb, zueinander stehen." (1986: 511). LETNES analysiert die vier Modaladverbien wohl, doch, ja, aber und gelangt zur Feststellung einer auffallend regelmäßigen Korrelation „zwischen bestimmten Modaladverbien und expliziten bzw. impliziten Begründungen" (1986: 521), wobei als explizite Begründung eine tatsächlich versprachlichte, als implizite dagegen eine dem Kontext abzugewinnende Begründung gilt. Die Ergebnisse der Untersuchung sind in der folgenden Tabelle zusammengefaßt (vgl. LETNES 1986: 518f.): Tabelle 3.4: Ausdrucksmittel der Extramodalisierung Begründung
wohl
doch
ja
aber
explizite Begründung implizite Begründung
80% 20%
17% 83%
18% 82%
0% 100%
Ill Wichtig ist für uns die Feststellung, daß alle vier untersuchten Formen Verweise auf Begründungen darstellen, wohl mit ausgesprochener Neigung zur expliziten Begründung, doch und ja umgekehrt mit klarer Tendenz zur impliziten, sowie daß aber ausschließlich als Verweis auf implizite Begründungen verwendet wird. Der Verweis auf Begründungen stellt aber auch die Hauptfunktion des Modalverbs müssen dar. Modalpartikeln und Modalverben können somit in ihren Funktionen korrelieren. Von der Perspektive des Modalverbs her bietet die Modalpartikel zusätzliche Hilfe zu dessen Interpretation. Gerade daraufkommt es bei der epistemischen Dichotomie an: Auf Kontextelemente, die entweder fur die subjektivepistemische oder aber für die objektiv-epistemische Interpretation des Modalverbsatzes eintreten.
3.2.1.4.2. Indikatoren subjektiv-epistemischer Modalität Das Ausdrucksmittel subjektiv-epistemischer Modalität schlechthin ist das Modalverb werden, besonders in Verbindung mit der Modalpartikel wohl. Das Modalverb müssen dient dagegen stark tendentiell zum Ausdruck der objektiv-epistemischtn Modalität. Epistemische Modalverbsätze mit müssen sind somit zunächst einmal als objektiv-epistemisch zu bewerten. Es sind aber Situationen möglich, in denen das Modalverb müssen subjektivepistemisch gebraucht wird. Dies ist immer dann der Fall, wenn die beiden folgenden Bedingungen erfüllt sind: a.)der Sprecher ist von der Geltung von ρ überzeugt; b.)der Sprecher kann für die Behauptung von ρ keine relevanten Variablen finden, d.h. er kann das System nicht schließen. Bedingung (a) begründet die Anwendung von müssen, Bedingung (b) läßt die Interpretation als subjektiv-epistemisch zu. Gilt Bedingung (a) nicht, so kann der Sprecher nicht auf müssen zurückgreifen, sondern er muß - je nach subjektivem Sicherheitsgrad - auf andere Modalverben (können, mögen, dürfen, werden) ausweichen. Bei der Interpretation von epistemischen Modalverbsätzen mit müssen als subjektiv-epistemisch kommt es zunächst einmal darauf an zu zeigen, daß Bedingung (b) erfüllt ist. Dafür sind nicht nur die expliziten, sondern auch mögliche implizite Begründungen zu berücksichtigen. Wird eine epistemische Einstellung mit dem Modalverb müssen nicht ausreichend begründet und unterliegt sie nicht der „allgemeinen Evidenz der Tatsachen", so erweist sie sich mit größter Wahrscheinlichkeit als eine subjektiv-epistemische Einstellung. Dies ist etwa in den drei folgenden Beispielen der Fall: (17)
„Es gibt Sünden in Worten, Werken und Gedanken, und wenn ihr so sprecht, muß ich auch an so was denken, und ich muß es natürlich beichten. Ihr denkt wohl, es ist schön, zu beichten?" - „Nee", sagte Wrobel tief überzeugt und lachte verlegen, und ein Evangelischer sprach voll Angst: „Es muß schrecklich sein/" (AufrKind 97:2).
(18)
Ich bin nicht wahnsinnig - ich bin nicht - oder bin ich es doch? - Aber er konnte doch nicht, er war doch an den Sessel festgebunden, er schwebte in einer Wolke Dampf, der aus seinem Körper kam und sogleich zu Wasser wurde. Paul Peteroff versuchte logisch zu denken. Etwas Schreckliches muß ich in der letzten Zeit angestellt haben, überlegte er, aber ich weiß nicht, wann und ich weiß auch nicht, wie. (Prager-B 386:3).
112 (19)
Wie ein meteor, der aus dem all ins all schießt, würde ein ja an der Zustimmung vorbeigehen, der unglückliche ephemär durch einen ungewollten hut bekleckert, der rowdy durch einen blitzsieg aufs äußerste befriedigt, kein kugelwechsel aus kaltem metall in warmes fleisch, ein toter weniger, ein Steckbrief weniger, ein erwachen mit dem schönen ausruf, mein gott, ich lebe ja noch! oder ich muß das alles geträumt haben! (Erz-60-B 205:2).
Kontrastieren wir die Belege hier oben mit (20): Dieser Beleg enthält eine implizite relevante Bezugsdimension, nämlich den „Bericht über Rom", so daß die durch müssen erzeugte epistemische Einstellung eher als eine objektiv-epistemische aufzufassen ist: (20)
Einmal berichtet er von Rom, der Stadt, und was er in Rom gesehen und gehört hat in fünf Jahren. Rom muß schön sein, das weiß Lynn. (Montauk 92:1 ).
Gleiches gilt für den folgenden Beleg, der eine relevante Bezugsdimension in der Form eines impliziten Hinweises auf eine vergangene Handlung und deren Folgen („das Einkaufen des Käses und dessen Vorhandensein") aufweist: (21)
Karl ging in das Zimmer zurück und öffnete die Schublade des Schreibtisches. „Magst du ein paar Pfefferminz?" sagte er. „Bei der Hitze braucht man 'vas im Mund. Reicht das Fahrgeld noch? Kauf Brot, Käse muß noch da sein." (Erz-60-A 85:5).
Für die Interpretation eines epistemischen Modalverbsatzes mit müssen als subjektiv-epistemisch ist Bedingung (b) nicht nur notwendig, sondern auch hinreichend. Die subjektivepistemische Interpretation kann jedoch durch zusätzliche Ausdrucksmittel unterstrichen werden. Als sprachliche Indikatoren subjektiv-epistemischer Modalität lassen sich anhand des Korpusmaterials etwa die folgenden Gruppen sprachlicher Ausdrücke ermitteln: 1.) Epistemische Verben, Nomina und Adverbien, die einen mehr oder weniger eingeschränkten Grad der Sicherheit ausdrücken, wie etwa scheinen, dünken, überzeugt sein („es ist meine Überzeugung, daß"), Überzeugung , wahrscheinlich, möglicherweise, vielleicht etc. Vergleiche die beiden folgenden Belege: (22)
Alles deutete darauf, daß anderes Wetter im Anzug sei, aber die Luft stand still wie Glas, und der Himmel war ohne Trübung. Mir schien, als müsse irgendein schlechtes Abwasser die Fische vertrieben haben [...]. (Spiele 1 189:2).
(23)
Lehrer hauen auch, und manche gebrauchen Worte! Wie sich zum Beispiel sogar der Sanitätsrat ausgedrückt hat, damals in der ersten Spittelstunde bei der Untersuchung: Es sind nicht alle Leute feine Leute, das muß wahrscheinlich so sein. (AufrKind 211:3).
2.)Verben (sowie daraus abgeleitete Substantive) der individuellen Meinung - häufig parenthetisch verwendet - wie etwa glauben, Glaube, meinen, Meinung, denken, Gedanke, finden, halten für, vermuten etc. sowie Adverbien wie etwa vermutlich. Vergleiche: (24)
„Aber ich will dir sagen, Ida, es ist nicht gut, ich halte es nicht für gut, daß ihm alles so nahegeht. Der Fuhrmann steht um drei Uhr auf - nun, mein Ii îber Gott, dafür ist er ein Fuhrmann! Das Kind - soviel weiß ich schon - neigt dazu, alle Dinge mit zu eindringlichen Augen anzusehen und sich alles zu sehr zu Herzen zu nehmen... Das muß an ihm zehren, glaube mir." (Brook C 473:7).
(25)
Lisa fragte dagegen: Du liest noch? Wenn ich dazu komme, sagte Susanne. Vielleicht ist es wirklich eine Flucht, Lesen, Musik, sagte Lisa, aber ohne diese Flucht, was soll ich machen, gefiele es mir nicht mehr. Vielleicht ist das unser Ausdruck dafür, daß uns etwas fehlt. Früher haben sie ans Jenseits geglaubt, weil sie meinten, für das, was fehlt, müsse es einen Ort geben. (Spiele 3 794:2).
113 (26)
„Na, Baumeister, was denkst du denn? Baust du ein Rathaus? Baust du eine Kirche?" „Nee", sagt er grinsend, „ich baue gerade mal ein Gefängnis." Er denkt: das muß komisch sein, wenn mal ein Baumeister in einem Gefängnis sitzen muß, das er selber gebaut hat. (AufrKind 144:1).
3.)Verben und vor allem Substantive der psychosomatischen Sphäre wie etwa spüren, fühlen, ahnen, empfinden, sich einbilden, sich vorstellen, Ahnung, Gefühl, Empfindung, Eindruck, Vorstellung, Mißtrauen, Verdacht etc. Im Beleg (29) ist wohl von Verdachtsmomenten die Rede, also von einem Ansatz von Bezugsdimensionen, deren Dürftigkeit wird dennoch in einem Nachsatz ausdrücklich unterstrichen: (27)
Wie auch immer, die Begegnung mit Phares muBte, wenn auch auf traumhafte Weise, vorbereitet gewesen sein. Ich spürte schon bei der Begrüßung ein starkes déjà-vu. (Aladin 117:3).
(28)
Leupold setzte sich langsam, sein Mund stand weit offen, ich hatte den Eindruck, jeden Augenblick müßten ihm die Augen aus den Höhlen fallen. (Kriminal 34:7).
(29)
Ich bildete mir fest ein, daß meine Tante in diesem Augenblick nackt gewesen sei, trotzdem ich nur ihren Schatten gesehen hatte. Von nun an verfolgten mich Vorstellungen von wüsten Szenen, die sich nachts zwischen der Tante und meinem Vater abspielen mußten. Ich hatte keinen Anhaltspunkt, als dieses eine nächtliche Erlebnis. Und auch später ereignete sich nichts, das klar meine Meinung bestätigt hätte. (Prager-B 397:3).
4.)Subjektive Attribuierungen - Anstelle rationaler Überlegungen führt der Sprecher (meistens mittels attributiver Adjektive, aber auch durch Gradadverbien wie durchaus, überaus, gar, sogar, selbst etc.) subjektive Qualifizierungen von Sachverhalten ein. Daß solche Attribuierungen vom Sprecher tatsächlich subjektiv gemeint sind, wird häufig durch weitere Merkmale deutlich gemacht, z.B. durch den Rekurs auf Metaphern, die Superlativierung, die Exklamation, die markierte Wortstellung mit Modalverb am Satzangfang etc. Vergleiche: (30)
Er heiratete eine Frau, die sich sehr einfach trug, aber jedermann gab zu, daß es ein wahrer Segen sein mußte, sie als Gefährtin zu haben. (DE2060-B 359:4).
(31 )
Haugk sah einem Bussardpaar zu. Schön, sagte er. Ich beobachte sie schon ein paar Tage. Muß wahnsinnig interessant sein, da oben einen Heiratsantrag anzubringen [...]. (Erz-60A 108:2).
(32)
Überhaupt macht der Text im ganzen eher den Eindruck einer lästigen Pflichtübung. Selbst einem radebrechenden Ausländer muß die Lieblosigkeit dieser Prosa auffallen, besonders wenn er sie mit den großartigen Formulierungen der alten schwedischen Königseide und Königsversprechen vergleicht. (Europa-A 32:1).
5.) Vor allem durch die Konjunktion (so) wie eingeleitete und auf den propositionalen Gehalt des Infinitivskomplements bezogene Vergleichsterme, die - genauso wie die subjektiven Attributionen (vgl. weiter oben) - eine klare Tendenz zum Metaphorischen aufweisen. Vergleiche: (33)
„Wie eine vom Blitz getroffene Säule", sprach er träumerisch, „muß ich zu Boden gekracht sein und riß bedauerlicherweise den Apparat um." (AufrKind 25:2).
(34)
„[...] Wahrhaftig, wenn ich nach solch einer anstrengenden Aufführung mit heißem Kopf mein Theater zusammenpackte, so erfüllte mich eine glückliche Mattigkeit, wie ein starker Künstler sie empfinden muß, der ein Werk, an das er sein bestes Können gesetzt, siegreich vollendete." (Frueh A 110:3).
114
6.)Ausrufesätze als das Mittel schlechthin zur Äußerung subjektiver Empfindungen - häufig eingeleitet durch Fragepronomina wie was (für), was (=wieviel), wieviel, wie, welch- etc. So zum Beispiel: (35)
Wieviel Erfahrung mußte dieser junge Mann schon gesammelt haben! Einen Blick hatte er auf mein Haus und meinen Garten und einen Blick auf mich geworfen, und er wußte, was er wissen mußte. (Erz-60-A 70:3).
(36)
Ein Gefühl des Mitleids überkam sie, Mitleid mit Paris, mit ihrem guten Marcel, mit den Leuten auf der Straße unten, mit sich selbst, mit Herrn Swetz. Welche Todesangst der Mensch hinter seinem Koffer ausgestanden haben mußte! (Spiele 2 427:6).
(37)
Was müssen die Kerle in den letzten Tagen heimlich geschuftet haben! Wie froh ist er, daß er sie alles allein hatte erfinden und machen lassen, daß er sich gar nicht um die Vorbereitung des Festes gekümmert, ihnen den freudigen Ansporn der Möglichkeit der Überraschung gegeben hat. (KriegLit 139:3).
Die Indikatoren objektiv-epistemischer Modalität werden weiter unten im Rahmen der propositionalen Einstellungen des Wollens untersucht (vgl. 3.3.4.1.).
3.2.2. Der objektiv-bewertende Modalitätstyp Mwsert-Modalverbsätze werden auch dazu benutzt, um Bewertungen vorzunehmen. Die Bewertung gilt der Handlung als Mittel zu einem gegebenen Ziel oder als Wirkung einer bestimmten Ursache. A/wsse«-Bewertungen, d.h. Modalverbsätze mit müssen, die Bewertungen ausdrücken, werden ausschließlich mit den beiden konjunktivischen Verbformen müßte und hätte müssen gebildet. Es handelt sich hier somit um einen idiosynkratischen Modalitätstyp, der auf die beiden folgenden Strukturtypen eingeschränkt ist: (38)
(a) (b)
Subjekt + müßte + Infinitivergänzung. Subjekt + hätte + Infinitivergänzung + müssen.
In dem Fall von müßte-Sätzen wird die Bewertung in Bezug auf noch zu treffende Entscheidungen bezüglich einer gegenwärtigen oder zukünftigen Situation vorgenommen, bei hätte müssen-Sätzen bezieht sich dagegen die Bewertung entweder auf eine gegenwärtige oder zukünftige Situation oder aber (und zwar meistens) auf eine bereits vergangene Situation je nachdem, ob die Haupthandlungszeit, d.h. die Zeit der dem Modalverbsatz zugrunde liegenden Handlung, ebenfalls in der Vergangenheit - wie in (39) - oder aber in der Gegenwart - wie in (40) - liegt: (39)
Auf dem Asphalt standen kleine Pfützen. Es regnete kaum. Wenn das Verkehrslicht der Straßenkreuzung wechselte, flog ein Stoß hocherhobener Schirme über den Fahrdamm. Auf seinem Terminkalender war der Geburtstag seiner Freundin eingetragen. Er hätte ein Geschenk besorgen müssen. (Liter-50 100:6).
(40)
Beim Skat kommt ja manchmal eine Runde vor, über die sich alle Teilnehmer so aufregen, daß sie noch tagelang davon reden müssen. Selbst beim Einschlafen macht man sich Vorwürfe, weil man eine andere Karte hätte ausspielen müssen. (Erz-60-A 65:1).
Die /wwssen-Bewertungen hängen eng mit der Idee der Rationalität zusammen: Sie stellen nämlich immer rationale Abwägungen einer bestimmten Handlungssituation im Lichte be-
115 stimmter Gründe dar. M/ssew-Bewertungen sind demnach Prädikationen von SprecherAnsichten über Ziel-Mittel- bzw. Ursache-Wirkung-Relationen: Der Sprecher hält die Ausführung einer bestimmten Handlung für erforderlich, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen bzw. auf eine Ursache angemessen zu reagieren. Kontrastieren wir bewertende müssen-Sätze mit pragmatischen müssen-Sätzen wie etwa hier in (41): (41)
(a) (b)
Karl muß hart arbeiten Karl müßte härter arbeiten,
so wird klar, daß pragmatische müssen-S&tze Prädikationen darüber sind, daß bestimmte Gründe die betreffende Handlung zwingend notwendig machen, bewertende müssen-Sätze dagegen Prädikationen darüber, daß ein Sprecher die Ausführung einer bestimmten Handlung für erforderlich hält - und zwar im Hinblick auf bestimmte Gründe (Ursachen oder Ziele). Die Gründe, die pragmatischen Sätzen zugrunde liegen, sind kausaler {weil..., da.... etc.) oder finaler (um... zu..., damit...) Art; diejenigen, die bewertenden Sätzen zugrunde liegen, sind dagegen rein erklärender {denn...) Art. Dies läßt sich an den folgenden Beispielen aus dem Korpus leicht nachvollziehen, die pragmatische (oder deontische) Sätze mit bewertenden kontrastieren: (42)
Und er weiß auch, so eine Gelegenheit kommt nicht wieder: Die Schule fällt aus, Frau Weise ist krank, sagt der Direktor und: Ihr habt heut frei. Er müßte in den Hort gehen, er ist kein HAUSKIND, aber er muß j a nicht in den Hort gehen, und heute ist er neun geworden und will fliegen. Du bist oben am Himmel und schwebst, und alles ist ganz klein. Also weg, also raus. (Spiele 3 670:3)
- hier ist deutlich die Opposition „es wäre eigentlich erforderlich, daß p" {müßte) vs. „es besteht für ihn keine Verpflichtung zu p" (deontisches muß) herauszulesen; (43)
„Sie tun Ihre Pflicht, Sie setzen Ihr Leben ein, das ist höchster Ehren wert - jeder von euch müßte das Eiserne Kreuz haben -, aber vor allem muß die gegnerische Front in Flandern durchbrochen und dann von oben aufgerollt werden." (Westen 155:1)
- der Aussage „ich halte für erforderlich, daß p " steht hier die Feststellung „die Lage macht es notwendig, daß p" gegenüber; (44)
[...] und als er in dieser Richtung weiterforschte und sich ans Dämmerlicht da drinnen gewöhnt hatte, sah er auch Mutters Bett. Am Fußende der Bettstatt hing ein Kleid. „Ich werde aufräumen", dachte er „ich werde Ordnung schaffen, die Latten müssen neu tapeziert werden. Zeitungspapier sieht scheußlich aus, man müßte mindestens Wurstpapier nehmen." (AufrKind 41:2)
- schließlich konfrontieren sich hier „Gründe, die ρ notwendig machen" mit Überlegungen darüber, daß „eigentlich ρ erforderlich wäre". Wie wir im Kapitel 4 über das Modalverb sollen sehen werden, gibt es parallel zu den /wMssert-Bewertungen auch so//ew-Bewertungen, die mit den beiden entsprechenden Verbformen des Konjunktiv II sollte und hätte sollen gebildet werden - somit ebenfalls einen idionsynkratischen Modalitätstyp bilden (vgl. unter 4.2.1.). Genauso wie die müssenBewertungen stehen auch die so//e«-Bewertungen in Zusammenhang mit Gründen zur Ausführung der Handlung, sie drücken aber eine andere Einstellung dazu aus: Die Ausführung der Handlung hält hier nämlich der Sprecher nicht für 'erforderlich (aufgrund bestimmter Gründe)', sondern für 'angebracht (nach dem Ermessen des Sprechers)'. Vergleiche das Beispielpaar in (45):
116 (45)
(a) (b)
Wir müßten mehr arbeiten, Wir sollten mehr arbeiten.
Der Unterschied zwischen (45) (a) und (45) (b) besteht darin, d a ß im ersten Fall die Bewertung der Situation auf der Grundlage bestimmter Gründe vorgenommen wird, die als f ü r die Situation bestimmend angesehen werden, im zweiten Fall gründet der Sinn der Äußerung dagegen nicht in der Realität der Tatsachen, sondern allein im Ermessen des Sprechers. Es handelt es sich somit um subjektive Einschätzungen bezüglich einer bestimmten Situation, ohne jeglichen Hinweis auf Gründe, die sie erforderlich machen würden. 8 Vergleiche die folgenden Belege, die bewertende müßte- mit bewertenden so//ie-Formen kontrastieren: (46)
„Ich hätte nicht Amtsarzt werden dürfen, zumindest hätte ich den Polizeidienst vermeiden sollen, ich bin kein Beamter, es ödet mich an, ich bin eine schöpferische Natur und hätte jetzt das Alter für einen gediegenen kleinen Lehrstuhl. Für wen arbeite ich und wozu lebe ich? Es macht keinen Spaß. Ich müBte mir mehr körperliche Bewegung machen. Vielleicht sollte ich heiraten oder Tennis spielen. Man muß etwas vor sich haben. Wenn ich jetzt einen Schlaganfall bekäme, würde mich niemand vermissen." (Liter-50 100:6)
- der „Überzeugung v o m Erforderlich-Sein von ρ (aufgrund bestimmter G r ü n d e ) " steht hier die vage Vorstellung von alternativen Lebens- und Unterhaltungsformen gegenüber; (47)
Grade das Gegenteil tun ist auch eine Nachahmung, und die Definitionen der Nachahmung müßten von Rechts wegen beides unter sich begreifen. Dieses sollten unsere großen nachahmenden Originalköpfe in Deutschland beherzigen. (Aphorism 90:2).
- zu der Bedeutung „ich halte ρ f ü r erforderlich von Rechts wegen" gesellt sich die emotivgeladene Forderung des Aphoristikers G e o r g Christoph Lichtenberg, daß p. A u f g r u n d dieser Prämissen unterscheide ich hier, parallel zu der im epistemischen Bereich in Anlehnung an L Y O N S ( 1 9 8 3 ) getroffenenen Differenzierung zwischen einem objektiv-epistemischen und einem subjektiv-epistemischen Modalitätstyp, die beiden folgenden Modalitätstypen: Die mwssew-Bewertungen fasse ich unter dem Begriff des 'objektiv-bewertenden Modalitätstyps' und die so//ew-Bewertungen unter dem Begriff des 'subjektiv-bewertenden Modalitätstyps' (vgl. 4 . 2 . 1 . ) zusammen. Die diesen beiden Modaltätstypen zugrunde liegenden propositionalen Einstellungen sind die des Glaubens und ihre semantische Struktur kann wie folgt repräsentiert werden (wobei die modale Instanz I M O D jeweils der Sprecher ist): (48)
(a) (b)
I MO D(= SPRECHER) HÄLT / ' F Ü R ERFORDERLICH 'MOD ( = SPRECHER) HÄLT Ρ FÜR ANGEBRACHT
= =
(MÜSSTE) (SOLLTE)
Die propositionale Einstellung des Glaubens von miissen-Bewertungen kann sogar anaphorisch (seltener auch kataphorisch) zur müßte-Vorm lexikalisiert (meistens mittels des Verbs glauben und immer in der ich-Form, denn der Sprecher ist die modale Instanz) vorkommen, wie in den folgenden Belegen: (49)
8
„Ich glaube, man müßte die Füße abnehmen, um die Beine zu retten", sagt er ruhig. „Wenn Sie erst im Lazarett sind, werden die Ärzte schon Rat wissen", tröstet Erika.
Einen indirekten Beweis für die Richtigkeit dieser Differenzierung von müssen- und sollenBewertungen liefert die Textsortenanalyse: Während etwa möisen-Bewertungen in streng normierten deontischen Kontexten (wie z.B. in Gesetzestexten) - wenn auch selten, jedoch - möglich sind, da sie rationale Überlegungen ausdrücken, sind dagegen so//e«-Bewertungen dort gänzlich ausgeschlossen, denn sie stellen durchwegs subjektive Einstellungen dar.
117 „Glauben Sie, daß dann noch Zeit sein wird? Im Frühjahr?" „Sicher. Die Erfrierung greift nur ganz langsam um sich und es könnte ja auch schon bälder sein." (KriegLit 127:2). (50)
„Ich glaube nicht, daß Sie mir helfen könnten", sagte er, „um mir wirklich zu helfen, müßte man Beziehungen zu hohen Beamten haben. Sie aber kennen gewiß nur die niedrigen Angestellten, die sich hier in Mengen herumtreiben. [...]" (Proceß 78:1).
(51)
Ich habe bisher mein Zahnradsystem mit dem Daumen betrieben, und ich glaube, es ist immer noch das Beste von den dreien; aber es müßte noch einfacher gehen, wenn man z.B. die ja bei jedem Schritt zwangsweise erfolgende Beugung des Knies verwerten könnte! Nur wie diese auf ein automatisches Zählwerk übertragen?! (Alexander 12:1).
Bei den müßte-fovmen in /wässew-Bewertungen handelt es sich selbstverständlich nur formal um konjunktivische Formen. Der tatsächliche Modus ist hier das Konditional. 9 ModusMorphem und Modalverb-Lexem erzeugen hier die zwei Komponenten ein und derselben Bedeutung: Das Konditional-Morphem schränkt die Gültigkeit der Aussage dadurch ein, daß es auf den Sprecher als die bewertende Instanz verweist, somit eine propositionale Einstellung des Glaubens erzeugt, das Modalverb müssen verweist auf vorliegende Gründe und sorgt somit für die Charakterisierung von ρ als erforderlich (für das Erreichen eines bestirnten Ziels oder als Reaktion auf bestimmte Ursachen). 10 Dies geht aus den folgenden Belegen deutlich hervor: Die ersten drei Belege stellen Überlegungen Uber Ziele dar: (52)
„Um einen Advokaten heranzuziehn, dazu ist die Sache doch zu kleinlich, aber einen Ratgeber könnte ich gut brauchen." „Ja, aber wenn ich Ratgeber sein soll, müßte ich wissen, um was es sich handelt", sagte Fräulein Bürstner. „Das ist eben der Haken", sagte K., „das weiß ich selbst nicht." (Proceß 43:1).
(53)
Um so kleine Objekte wie Elektronen zu beobachten, müßte man ein Mikroskop wählen, das mit der sehr viel energiereicheren Gamma-Strahlung betrieben wird. (Weltbild 84:5).
(54)
Wenn es der Menschheit nur bald gelänge, sich zu vernichten; ich fürchte zwar: es wird noch lange dauern, aber sie schaffen es bestimmt. Fliegen müßten sie auch können, damit man leichter Feuerbrände in die Städte werfen kann [...]. (Alexander 19:3),
der folgende Beleg thematisiert dagegen eine Ursache („das zu Empfindlich-Sein"), zu deren Überwindung der Sprecher eine bestimmte Handlung („das Erleben eines richtigen Nordosters") für erforderlich hält: (55)
Der Wind wurde langsam stärker; bei jeder Biegung fauchte er uns entgegen: „ - Ach, sei nich so empfindlich, Agraule! Du müßtest mal einen richtigen Nordoster erleben: so einen, der Dir die Ohren abbläst" (Alexander 478:6),
und schließlich kommen in den beiden folgenden Belegen zugleich Ziele (kursiv hervorgehoben) und Ursachen (unterstrichen hervorgehoben) vor, für die die Handlung als erforderlich erklärt wird: (56)
9
10
Murmann vertiefte sich in die Untersuchung. Er nickte ein paarmal... „Das Kaliber ist das gleiche", sagte er still. „Ob die Hülse von der Waffe da abgeschossen worden ist, kann ich
Da das Deutsche über kein eigenes Paradigma dafür verfügt, wird das Konditional durch Formen des Konjunktivs II ersetzt oder aber mittels des Syntagmas würde+Infinitiv umschrieben. Die Verbindung von Modalverb und Konjunktiv-Morphem ist typisch für die idiosynkratischen Konstruktionen. Wir kommen im Kapitel 4 ausfurlich darauf zurück, weil mit dem Modalverb sollen mehrere idiosynkratische Typen gebildet werden.
118 nicht so ohne weiteres sagen. Es sind heikle Sachen. Man miißte den Einschlag prüfen... (Studer 71:13). (57)
„[...] Unter ihren Sachen befanden sich Gegenstände, über die sie sich nicht ausweisen kann. Wir vermuten, daß auch sie entwendet sind, und ich soll mich erkundigen, ob in Ihrem Haushalt etwas vermißt worden ist, nachdem das Mädchen gegangen war." „Nun, in einem Haushalt wird wohl immer etwas vermißt. Ich mtißte meine Tochter fragen. Um welche Gegenstände handelt es sich denn?" Der Polizist zog eine Liste hervor [...]. (Liter50 105:5).
In (56) stellt die Auskunft das Ziel und der problematische Gegenstand eine Ursache für die Handlung, in (57) ist wiederum eine Auskunft (über Vermißtes) das Ziel und das alltägliche Verlieren von Gegenständen die Ursache dafür, daß der Sprecher die Handlung für erforderlich hält.
3.2.3. Der dispositionelle Modalitätstyp Modalverbsätze zu verstehen bedeutet im wesentlichen, die ihnen zugrunde gelegte propositionale Einstellung zu identifizieren. Daß dies nicht immer ein leichtes Unterfangen ist, haben wir bereits im Bereich des Epistemischen feststellen müssen (vgl. 3.2.1.4.). Auch dispositionelle Modalverbsätze bieten Interpretationsschwierigkeiten - jedoch aus einem anderen Grund: Im Gegensatz zu allen übrigen Modalitätstypen liegt ihnen eine gespaltene propositionale Einstellung zugrunde. Dispositionelle Modalverbsätze sind Eigenschaftsprädikationen. Eigenschaften liegen in der Natur des Gegenstandes, der sie aufweist. Subjektive Äußerungen zeigen eine deutliche Vorliebe für bestimmte Klassen von Eigenschaften. Dies trifft sicherlich nicht auf geometrische Eigenschaften zu, zweifellos aber auf die Art und Weise des Verhaltens. Dispositionelle Modalverbsätze sind eine spezielle Art der Eigenschaftsprädikationen: Sie sind Prädikationen über Verhaltensweisen. Die gespaltene propositionale Einstellung dispositioneller Sätze entsteht dadurch, daß der Sprecher (als modale Instanz) die im Modalverbsatz prädizierten Verhaltensweisen auf Dispositionen des Gegenstandes zurückführt und diese wiederum als der Natur des Gegenstandes entspringend ansieht. Dispositionelle Modalverbsätze enthalten somit eine subjektsund eine objektsbezogene Bedeutungskomponente. Die subjektive Projektion der Verhaltensweisen auf Dispositionen begründet die propositionale Einstellung des Glaubens über q ( I M O D GLAUBT, DASS Q) und die als in der Natur des Gegenstandes fußend angenommenen Dispositionen begründen die propositionale Einstellung des Wollens über ρ ( I M O D BEWIRKT, DASS P). Die dispositionellen Modalverbsätze sind demnach zwischen den propositionalen Einstellungen des Glaubens und den propositionalen Einstellungen des Wollens anzusiedeln. 11 11
Meine These einer „gespaltenen" propositionalen Einstellung bei dispositionellen Modalverbsätzen findet auch Bestätigung in den empirischen psychologischen Untersuchungen von DIESCH (1988): Obwohl der Autor dispositionelle Modalverbsätze einer einzigen propositionalen Einstellung, nämlich der des Glaubens, zuordnet (1988: 229), stellt er fest, daß Kinder in einschlägigen Tests diese Art von Sätzen einer propositionalen Einstellung des Wollens zuordnen („Es gab mehr Kinder, die dem epistemischen „Muß"-Satz die propositionale Einstellung des Glaubens und dem dispositionellen „Muß"-Satz die propositionale Einstellung des Wollens zuschrieben, als Kinder,
119 Die semantische Struktur der ihnen zugrunde liegenden propositionalen Einstellung läßt sich wie folgt formulieren: (58)
I MOD (= SPRECHER) GLAUBT, DASS (IMOD (= DISPOSITION) BEWIRKT, DASS P).
Beleg (59) indiziert explizit die Ausdrucksmittel, die für die beiden propositionalen Einstellungen stehen: Die Glaubenseinstellung wird durch das Verb meinen ausgedrückt („Bertha glaubt, daß q"), im Nachsatz kommt ein expliziter Verweis auf die Disposition als Ursache des betreffenden Verhaltens hinzu („Meine Natur bewirkt, daß /?"): (59)
Bertha meint, ich müsse auf jeden Trumpf noch einen weiteren setzen - das entspricht meiner Natur. (Aladin 110:2).
Die Rückführung der Dispositionen auf die Natur der prädizierten Größe wird häufig ausdrücklich versprachlicht. Dies bestätigen die beiden Belege (60) - „es ist jemandes Natur, daß p"- sowie (61 ) - „es liegt an jemanden, daß p": (60)
Theo stritt sich gern mit seinem großen Bruder. Er nannte das Spittel eine Hundedressuranstalt, ja, er ging soweit, zu sagen, ein Soldat sei eigentlich für jeden Beruf verpfuscht außer für Hundedressur. Weil er zwölf Jahre jünger war, nahm Herr Vater solche Reden nicht übel, er fand sogar irgend etwas Schmeichelhaftes dabei. Es war Theos Natur seit je: er mußte sticheln, und er tat es entzückend, blankäugig, lustig, wortreich, sehr geschickt und konnte gerade im richtigen Augenblick etwas Versöhnliches sagen. (AufrKind 196:3).
(61)
Natürlich habe ich nicht für jede Frau den gleichen Entwurf. Es läßt mir keine Ruhe, ich muß wissen, wen ich liebe. Erfahrungen mit einer Partnerin zu übertragen auf die nächste Partnerin, davor hüte ich mich. Wenn ich es aus Versehen trotzdem tue, so weiß ich mich im Unrecht. Es muß an mir liegen, wenn ähnliche Verhaltensweisen wiederkehren, oft sogar haargenau. (Montauk 110:1).
Eine weitere Besonderheit dispositioneller Modalverbsätze, die wiederum unterstreicht, daß Dispositionen als der Natur des Gegenstandes entspringende Eigenschaften betrachtet werden, ist der für solche Sätze typische Nachsatz „(gar) nicht anders können", der die einzige kausale Erklärung „weil in der Natur so angelegt" zuläßt: (62)
Und schließlich von Betrug ist überhaupt nicht die Rede: denn er hat es doch gewußt! Er hat es doch gewußt, daß sie beim Theater ist. Aber er muß bloß immer zanken und sucht immer Streit. In Frieden kann er nicht leben. (Spiele 1 43:2).
(63)
ELAINE [lacht]: Entschuldigen Sie, daß ich so drauflosrede! Wenn ich begeistert bin, dann muß ich reden, ich kann nicht anders, ich weiß schon, daß sich das nicht gehört. (Merlin 150:5).
(64)
FRAU: Dann wartest halt so lang bis kalt is. MANN: Eine kalte Supp'n mag ich auch nicht. FRAU: Dann - jetzt hätt' ich bald was g'sagt. MANN: Ich weiß schon - nach'm Essen. FRAU: Jeden Tag und jeden Tag muß bei uns gestritten werden, anders geht's nicht. MANN: N a j a , du willst es ja nicht anders haben. (Spieltex 42:11).
Daß es sich bei dispositionellen Sätzen tatsächlich um Eigenschaftsprädikationen handelt, machen die beiden folgenden Belege deutlich, in denen explizit adjektivisch prädizierte Eigenschaften („eitel sein" bzw. „im Innern hohl sein") mit den /wö.r.se«-Dispositionen korrelieren („auf Teufel komm raus ein adeliges Bettgemahl besitzen wollen" bzw. „es immer etdie dem epistemischen „Muß"-Satz die propositionale Einstellung des Wollens und dem dispositionellen „Muß"-Satz die propositionale Einstellung des Glaubens zuschrieben ." (1988: 247)).
120 was geben müssen, immer eine besondere Rolle spielen müssen") und gemeinsam ein komplexes Eigenschaftsprädikat bilden: (65)
[...] nicht weil er eitel war und auf Teufel komm raus ein adeliges Bettgemahl besitzen mußte, sondern weil er eine Dynastie gründen und seine Nachkommenschaft auf ein Geleise setzen wollte, welches zu höchstem gesellschaftlichem Ansehen und politischem Einfluß führte. (Parfüm 254:1).
(66)
„Ja, der Ellenberger", sagte Studer, ganz freundschaftlich, so, wie man sich an einen Kollegen um Auskunft wendet. „Was haltet Ihr vom Ellenberger?" „Eh", sagte Aeschbacher. „Ihr kennt doch diese Sorte Leute. Immer muß etwas geben, immer müssen sie eine Rolle spielen, weil sie im Innern hohl sind. [...]" (Studer 176:3).
Als Eigenschaftsprädikationen drücken dispositionelle Sätze keine punktuellen Geschehnisse aus - wie dies bei anderen Modalitätstypen der Fall ist, sondern dauerhafte (gewohnheitsmäßige) Handlungsformen (genauer: Verhaltensweisen). Die beiden folgenden Belege, die auf den ersten Blick wohl für Dispositionsausdrücke gehalten werden könnten, erweisen sich bei näherem Hinsehen als Äußerungen über punktuelle Geschehnisse, sie drücken also keine Dispositionen aus: Beim ersten Beleg handelt es sich um einen pragmatischen Modalverbsatz in dem eine dispositionelle Einstellung („nicht um des schieren Besitzes... willen") mit einer pragmatischen („sondern um der Ruhe seines Herzens willen") kontrastiert und ein einmaliges Geschehen prädiziert wird; beim zweiten handelt es sich um einen dynamischen Modalverbsatz, der ein wiederholtes punktuelles Geschehen („etwas los sein") thematisiert: (67)
Ihm schwante sonderbar, dieser Duft sei der Schlüssel zur Ordnung aller anderen Düfte, man habe nichts von den Düften verstanden, wenn man diesen einen nicht verstand, und er, Grenouille, hätte sein Leben verpfuscht, wenn es ihm nicht gelänge, diesen einen zu besitzen. Er mußte ihn haben, nicht um des schieren Besitzes, sondern um der Ruhe seines Herzens willen. (Parfum 51:1).
(68)
FRAU: Mein Gott! - Die ganze Küche ist voll Rauch - macht die Ofentüre auf - Jessas, der Has' ist verbrannt! MANN: Ja ja, bei uns muß ja immer was los sein! (Spieltex 43:16).
In den folgenden Belegen werden dagegen ausschließlich Dispositionen in Form von gewohnheitsmäßigen Verhaltensweisen prädiziert, die über eine (nicht weiter definierte) Zeitstrecke hinweg bestehen: (69)
„[...] ich sehe in alledem auch etwas Gesundes. Ihr andern müßt euch immer an eine Regel halten, und an dieser Regel geht ihr zugrunde. Wir dagegen delegieren nichts an das Kollektiv, und das macht uns zu freien Menschen." (Europa-A 78:1).
(70)
„Mußt du auch heute am Festtage unangenehm auffallen, du Ekel?" sprach sie ganz leise. (AufrKind 130:2).
(71)
FRAU EULER: [...] Müller, du mußt dich wohl hier in deiner Rolle als Klassenkasper bewähren. Du wirst dich deinem Freund bei seiner Strafarbeit anschließen [...]. (Spieltey 71:15).
Daß es sich bei Dispositionen um gewohnheitsmäßige Handlungsformen (als Verhaltensweisen) handelt, wird häufig durch bestimmte Ausdrucksmittel unterstrichen, z.B. durch Wiederholungsadverbien wie „immer" bzw. „auch heute" in den Belegen (69) und (70). Schließlich drückt sich die besondere Art der Prädikation auch darin aus, daß nur bestimmte Klassen von Verben in Frage kommen - und zwar nur diejenigen, die mit dem Ausdruck von dispositionellen Eigenschaften verträglich sind.
121 3.3. Die propositionalen Einstellungen des Wollens
Modalverbsätze mit müssen stellen häufige Ausdrucksformen der propositionalen Einstellungen des Wollens dar. Diese werden durch die folgenden fünf Modalitätstypen realisiert: den pragmatischen, den deontischen, den dynamischen, den objektiv-epistemischen und den logisch-analytischen Modalitätstyp. Tabelle 3.5 faßt die fünf Modalitätstypen zusammen: Tabelle 3.5: Die propositionalen Einstellungen des Wollens bei müssen
Modalitätstyp
Beispiel
1. pragmatisch 2. deontisch 3. dynamisch 4. objektiv-epistemisch 5. logisch-analytisch
Er muß hart arbeiten Kinder müssen ihren Eltern gehorchen Ermußte auch die Zerstörung seiner Stadt erleben Er muß der Täter sein Wenn es geregnet hat, muß die Erde naß sein
3.3.1. Der pragmatische Modalitätstyp Die pragmatische Modalität stellt eine Modalität des Handelns dar. Die Modalitäten des Handelns sind die grundlegenden Modalitäten jedes Modalsystems. Daß sie grundlegend sind, wird auch daran deutlich, daß ihr Erwerb dem aller übrigen Modalitäten vorausgeht (insbesondere dem der epistemischen Modalitäten). 12 In diesem frühen Erwerb ist offensichtlich eine Konsequenz dessen zu sehen, daß epistemische Modalitäten (über die kognitive Inferenzrelation hinaus, die jeder Art von Modalität zugrunde liegt) eine metakognitive Inferenzoperation seitens des Sprechers erfordern, die bei den Modalitäten der Handlung nicht notwendig ist. Modalitäten der Handlung sind durch eine weniger komplexe kognitive Struktur als die epistemischen charakterisiert und ermöglichen einen früheren Erwerb. Handeln kann man nun intentional oder aber auch nicht-intentional ( V O N W R I G H T 1994: 209ff.). Pragmatische Modalverbsätze mit müssen drücken intentionales Handeln aus. Handeln bedeutet Handlungen ausführen. Intentionales Handeln hat mit individuellen oder interindividuellen Handlungen zu tun. Pragmatische Modalverbsätze mit müssen drücken individuelle Handlungen aus. Aufgrund der beiden Eigenschaften des „intentionalen" sowie des „individuellen" Handelns unterscheiden sich die pragmatischen Modalverbsätze zum einen von den dynamischen, die nicht-intentionales Handeln ausdrücken, zum anderen von den deontischen, die sich mit der interindividuellen Regelung menschlichen Zusammenlebens beschäftigen. Intentionales Handeln ist aber nicht in den Sinne zu verstehen, daß der Handelnde nur das tut, was er will. Eine Gruppe von Modalverbsätzen mit müssen drückt nämlich Hand-
12
Vgl. u.a. SALTVEIT ( 1 9 7 9 : 87), BRÜNNER/REDDER ( 1 9 8 3 : 51), VALENTIN ( 1 9 8 3 : 34ff.), ABRAHAM
(1991: 5). Diese Hypothese findet in der Psychologie und der Psycholinguistik Zustimmung. Vgl. DIESCH (1988: 2): „Einer Hypothese Piagets [...] zufolge ist die Entwicklung kognitiver Kompetenzen und speziell logischer Kompetenzen auf die Entwicklung von Strukturen der Handlungsregulation rückbeziehbar." Vgl. auch DIESCH (1988: 59f.; 68f.; 103ff.).
122 lungen aus, die nicht unbedingt dem Willen des Handelnden entspringen, die aber nicht unterlassen werden können - und zwar nicht aus deontischen Gründen, wie etwa es wohl bei der Handlung DIE S T E U E R N Z A H L E N der Fall wäre, sondern deshalb, weil man aufgrund von (physischem) Zwang, von (höherer) Gewalt etc. dazu gezwungen ist, wie etwa bei der Handlung D A S R A U C H E N E I N S T E L L E N . Hier liegt gewissermaßen ein Z w a n g zum Tun vor. Auch in diesem Fall kann insofern von intentionalem Handeln gesprochen werden, als der Handelnde, etwa im Rahmen eines Abwägungsprozesses, die Notwendigkeit der auszuführenden Handlung einsieht und sich d e m daraus entstandenen Z w a n g beugt. Auch ist individuelles Handeln nicht in dem Sinne aufzufassen, daß es allein die Handlungen eines einzelnen Individuums betrifft. Es kann vielmehr j e d e Form kollektiven Handelns thematisieren, nicht aber solches, das durch einen spezifischen deontischen Codex geregelt ist. Die Handlungsentscheidung liegt hier vielmehr allein im Ermessen des bzw. der Handelnden. Handlungen sind als Regulationsprozesse aufzufassen, die auf einem Handlungskonzept fußen. Als solche lassen sie sich als Global- oder als Teilhandlungen unterscheiden, j e nachdem, ob die betreffende Handlung als ein in sich abgeschlossener Prozeß oder aber als ein Teilprozeß eines übergreifenden Regulationsprozesses begriffen wird. Teilhandlungen sind somit Ausschnitte aus einem größeren Handlungszusammenhang. 1 3 Diese Unterscheidung ist nicht unwesentlich: Es läßt sich feststellen, daß pragmatische Modalverbsätze vorzugsweise Teilhandlungen, deontische Modalverbsätze dagegen Globalhandlungen ausdrücken (vgl. weiter unten in 3.3.2.). Jeder Handlungsregulationsprozeß artikuliert sich in Stadien (z.B. Evaluation, Planung etc.). 1 4 Jedes Handlungsstadium besteht aus einer grundlegenden (Global-)Handlung, die sich ihrerseits aus einer finiten M e n g e von Einzelhandlungen zusammensetzt. Diese Teilhandlungen bilden eine geordnete Handlungskette. Jede Handlung (H) kann also als eine Menge von untergeordneten Handlungen (h¡) aufgefaßt werden. Schematisch: (72)
H={h b h 2 ,...hi,...h n }.
So setzt die Handlung S P A Z I E R G E H E N voraus, daß man eine bestimmte (geordnete) Menge von Teilhandlungen ausführt, wie z.B. S T R A S S E N S C H U H E A N Z I E H E N , A U F D A S W E T T E R R Ü C K S I C H T N E H M E N , D A S H A U S V E R L A S S E N etc. Wiederum kann auch die Handlung H¡ ein Element eines übergeordneten Systems von Handlungen H* darstellen. Schematisch: (73) 13
14
tí
= {H„ H2I...
//,....
HJ.
Im Zusammenhang mit Modalverbsätzen, die Teilhandlungen ausdrücken, spricht D I E S C H (1988) von „empragmatischen" Modalverbsätzen und charakterisiert sie wie folgt: „In diesen Fällen ist die Äußerung des Modalverbsatzes auf die im Infinitivkomplement beschriebene Handlung zentriert und entspricht der propositionale Gehalt des Infinitivkomplements einer in einem übergreifenden Handlungsplan vorgesehenen Teilhandlung" (1988: 103). Empragmatische Modalverbsätze stellten demnach einen Untertyp der pragmatischen: Sie kennzeichnen die Wege, über die das jeweilige Ziel der Globalhandlung realisiert werden kann. Nach D I E S C H (1988: 103f.) stellt der „empragmatische" Gebrauch von Modalverbsätzen eine (kognitiv) notwendige Übergangsphase in der Entwicklung der epistemischen Modalität aus der pragmatischen. Bei „empragmatischen" Modalverbsätzen läßt sich jedoch feststellen, daß auch dieser Unterschied der metakognitiven Reflexion entfällt (1988: 114). R E H B E I N (1977: 137ff.) unterscheidet insgesamt fünf Stadien des Handlungsprozesses: Einschätzen, Motivation, Zielsetzung, Planen und seine Phasen sowie Handlungsausführung.
123 So kann etwa die Handlung SPAZIERGEHEN als Teilhandlung des übergreifenden Handlungssystems GESUND LEBEN aufgefaßt werden. Aus (72) und (73) läßt sich entnehmen, daß jede Handlung im Vorblick auf beabsichtigte Sachverhalte und/oder im Hinblick auf schon bestehende Sachverhalte erfolgt. Im Rahmen eines Handlungsregulationsprozesses stellen beabsichtigte Sachverhalte (mögliche) Ziele, bestehende Sachverhalte (potentielle) Ursachen dar. Handlungen sind konstitutiv finalund/oder kausal motiviert. 15 Es sind also Ziele und Ursachen, die dun Menschen zum Handeln bewegen. 16 Ursachen und Ziele stellen somit die '(Beweg-)Gründe' jedes (menschlichen) Handelns dar. 17 Die Struktur von Handlungssystemen fußt auf diesen beiden Kategorien von (kausalen und finalen) Gründen. Sie bilden die beiden grundlegenden Klassen von Relationen, die zwischen Handlungen in Handlungssystemen bestehen: die finalen und die kausalen Relationen. Finale Relationen sind Mittel-Ziel-Relationen: Sie drücken aus, daß das Erreichen bestimmter Ziele vom Einsatz bestimmter Mittel abhängig ist („A fordert B"). Kausale Relationen sind Ursache-Wirkung-Relationen: Sie drücken aus, daß bestimmte Ursachen bestimmte Wirkungen erzeugen („B bewirkt A"). A/wssew-Modalverbsätze sind wichtige Ausdrucksmitel dieser beiden Relationen. Sie stellen Prädikationen über die zwischen bestimmten Gründen (zum Handeln) und der in der Infinitivergänzung ausgedrückten Handlung bestehenden Beziehung dar. (Müssen-)Moá&\verbsätze sind also selbst keine Handlungsprädikationen, sondern Relationsprädikationen: In pragmatischen mwsse«-Modalverbsätzen wird durch müssen nämlich nicht Bezug auf die Handlung selbst genommen, sondern auf die für die Ausführung der Handlung bestehenden Gründe. Im Satz (74) etwa (74)
Peter mußte nach Berlin fahren,
wird nicht ausgesagt, daß „Peter nach Berlin fuhr", sondern daß bestimmte Gründe für „das Fahren von Peter nach Berlin" bestanden. Das Modalverb hebt das Merkmal der Handlungsaktualisierung vollständig auf und läßt offen, ob die Handlung ausgeführt wird oder nicht. Die Angabe der Handlungsrealisierung, falls die Handlung tatsächlich ausgeführt wird, wird weiteren Elementen überlassen - und zwar von Fall zu Fall und von Sprache zu Sprache variabel: Bei Satz (74) wird sie etwa im Deutschen durch weitere Kontextelemente getragen, im Italienischen (wie auch in anderen romanischen Sprachen) durch die aspektuelle Opposition zwischen den Tempora „imperfetto" und „passato remoto" (doveva : dovette). Wenn Handlungen also kausal und/oder final motiviert sind und pragmatische Modalverbsätze mit müssen als Aussagen über Handlungsregulationsprozesse aufgefaßt werden können, so liegt es nahe, die pragmatischen /wtoe«-Modalverbsätze über ihre Ursachen und 15
16
17
Diese zwei verschiedenen Ausgangspunkte - Ursache und Ziel - bezeichnet die mittelalterliche Philosophie als causa efficiens und causa flnalis. Eine causa efficiens ist auf einen kognizierten Sachverhalt (der Sachverhalt besteht bereits) ausgerichtet, während die causa flnalis auf ein Handlungsziel (der Sachverhalt ist noch zu realisieren). Neben intentionalistischen und kausalistischen Handlungstheorien, die sowohl Ziele und Ursachen als Gründe zum Handeln betrachten, gibt es solche, die entweder nur auf Zielen (das sind die intentionalistischen oder rationalen Theorien der Handlungserklärung) oder aber auf Ursachen (das sind die kausalistischen Handlungstheorien) beruhen. Vgl. VON WRIGHT (1994: 141ff.). Die Relation zwischen Handlung und Grund stellt für VON WRIGHT (1994: 178) die notwendige (und hinreichende) Bedingung zum Erklären und Verstehen von Handlungen dar: „Wir verstehen eine Handlung, wenn wir die Handlung mit einem Grund in Verbindung gebracht haben."- Zur Frage, ob auch Tiere handeln können, vgl. VON WRIGHT (1994: 254f.).
124 Ziele zu definieren. Dies bedeutet, daß die ihnen zugrunde liegende propositionale Einstellung eine ist, die Gründe (als Ursachen oder Ziele) zu modalen Instanzen werden läßt: Eine bestimmte Ursache bewirkt eine bestimmte Handlung als Reaktion, ein bestimmtes Ziel fordert die Ausführung einer bestimmten Handlung. Wandeln wir die kausale Erklärung „B bewirkt A" in „A fordert B" um, so lassen sich beide Klassen von pragmatischen Handlungen (die kausal- und die finalmotivierten) über ein und dieselbe propositionale Einstellung des Wollens definieren. Ihre semantische Struktur kann wie folgt dargestellt werden: (75)
I m o d (= GRÜNDE) FORDERT, DASS P.
wobei die modale Instanz entweder durch die auslösenden Ursachen (kausale Gründe) oder das zu erreichende Ziel (finale Gründe) repräsentiert ist. Die beiden folgenden Beispiele aus dem Korpus versprachlichen explizit die volitive modale Instanz durch die volitiv-performativen Verben wollen und verlangen - dabei wirken die Modalverbformen von müssen zum einen zwar redundant, zum anderen unterstreichen sie nachdrücklich die „Quelle des Wollens" (d.h., daß die Gründe für die Ausführung der Handlung im Willen des einschlägigen Aktanten liegen): 18 (76)
SIR LANCELOT König, willst du das? KÖNIG ARTUS Versöhnt euch! Versöhnt euch! SIR GAWAIN Ich versöhne mich nicht. Wenn du ihn wieder aufnehmen willst, dann bin ich morgen fort [...]. Aber ich werde nicht ruhen, bis meine Brüder gerächt sind! SIR LANCELOT Willst du, daß ich dein Land verlassen muß? (Merlin 327:5).
(77)
Simone Machard ist ein Kind. Brecht hat verlangt, daß die Rolle bei Theaterauffiihrungen ausdrücklich durch ein kleines Mädchen dargestellt werden müsse. (Aussen 62:1).
Der Umstand, daß pragmatischen m ¿¿wert-Modal verbsätzen propositionale Einstellungen des Wollens zugrunde liegen, legt den Schluß nahe, mit ihnen ließen sich Aufforderungen (zur Ausführung von Handlungen) ausdrücken. Sie werden deshalb in der Tat immer wieder in die Nähe des Imperativs gebracht (vgl. z.B. DUDEN-GRAMMATIK 1973: 71; 1984: 99; 1995: 96) - ein Standpunkt, der weit über die Grenzen der Sprachwissenschaft verbreitet ist, wie der folgende Beleg aus der Werbesprache bestätigt: (78)
Eine raffinierte Umwandlung in eine Form der Höflichkeit fuhrt zum Imperativ. 'Gönnen Sie Ihrem Motor eine kleine Erfrischung... BP - machen Sie sich ruhig das Vergnügen.' Direkter, als Befehl klingt der Imperativ der zweiten Person Singular: 'Mach mal Pause mit Coke.' Elliptisch gebrauchte Infinitive (vgl. Militärsprache) klingen noch schärfer: 'Alete verlangen - auf Alete bestehen.' Im Imperativischen Sinn wirken auch die Modalverben: 'Man muß bei Mann gewesen sein', 'Knittax muß ins Haus'. (Werbung 60:1)
Diese Auffassung beruht jedoch auf der Verwechslung der beiden Begriffe der 'Aufforderung' und der 'Forderung'. Die Kategorie der 'Aufforderung' ist eine sprechakttheoretische, 18
Anstelle von müssen könnte der Konjunktiv stehen: Willst du, daß ich dein Land verlasse?, Brecht hat verlangt, daß ... durch ein kleines Mädchen dargestellt werde. Das Nebeneinanderbestehen von volitiv-performativem Verb und Modalverb müssen im Modalverbsastz kann durch das Modalverb sollen ersetzt werden. Vergleiche: (a) Soll ich dein Land verlassen? (b) Nach Brecht soll die Rolle bei Theaterauffuhrungen ausdrücklich durch ein kleines Mädchen dargestellt werden. Weder der Konjunktiv noch sollen können jedoch die Verbindung von volitiv-performativem Verb und müssen semantisch adäquat ersetzen: In beiden Fällen bleibt zwar die volitive Einstellung erhalten, die explizite Hervorhebung der „Quelle des Wollens" geht jedoch verloren.
125
die der 'Forderung' eine semantische. Aufforderungen sind direkt ausgedrückte Forderungen, wie dies etwa mit dem Imperativ, mit der heischenden Frage, mit einer bestimmten Intonation etc. erfolgen kann, so z.B. in (79): (79)
(a) (b) (c)
Mach die Tür zu! Willst die Tür zumachen? Du wirst aber jetzt die Tür zumachen!
A/wssew-Modalverbsätze drücken dagegen lediglich aus, daß es Gründe für die Ausführung einer Handlung gibt. Sie drücken also keine direkten Forderungen aus, sondern indirekte Forderungen - also: das Bestehen von Forderungen (aufgrund bestimmter Gründe - die entweder Ursachen oder Ziele sind). Vergleiche: (80)
(a) (b)
Du mußt die Tür zumachen - weil es zieht Du mußt die Tür zumachen - damit das Zimmer warm bleibt
(= URSACHE) (= ZIEL).
Aufforderungen sind folglich Sprechakttypen, mittels derer Forderungen direkt ausgedrückt werden können. Sie sind direkt formulierte Forderungen und stellen somit nur eine Untermenge der Forderungen dar. Die Aufforderungsbedeutung von Aufforderungssätzen ist eine rein pragmatische Bedeutung, die besonderen Anwendungskontexten entspringt - d.h. solchen Kontexten, in denen es darauf ankommt, Forderungen direkt auszudrücken. Dies läßt sich an folgendem Beleg gut nachvollziehen, in dem eine bestimmte Ursache („das irrationale Verhalten der Menschen") für die im Modalverbsatz ausgedrückte Forderung verantwortlich gemacht wird: (81)
Was nützen der Burg die höchsten Mauern, die tiefsten Gräben? dachte Bracke. Von innen heraus ergreift uns ja stets der unheilvollste Feind - aus unserm eigenen Herzen. Krieg muß wieder sein! Die Spree muß Leichen schwemmen! (Bracke 98:4).
Das Modalverb müssen kann somit zwar in Aufforderungssätzen verwendet werden, zur Bedeutung des Aufforderns trägt es jedoch höchsten sekundär bei - und zwar aufgrund von grammatischer Implikatur, wie (80) belegt. Dies gilt auch für die direkten Personalformen mußt, mußt und (Sie) müssen, wo die Bedeutungsfunktion des Aufforderns besonders naheliegend zu sein scheint. 19 Vergleiche:
19
(82)
„Das hat keinen Sinn!" sagte sie, kroch vorsichtig wieder Schlamm von Armen und Händen. „Ich hole so eine ... Wald", sagte sie. „Du mußt ganz ruhig bleiben. Ich glaube, mehr du zappelst. Ich laufe, so schnell ich kann!" (Kriminal
zurück und wischte sich den eine Hopfenstange aus dem daß du immer tiefer sinkst, je 16f :5).
(83)
„Etwas muß ich euch bitten", begann Hugo zu keuchen, „ihr müßt in die Schule gehn und mich vom Turnunterricht befreien." „Was heißt das, was ist das schon wieder?" paffte verdrießlich der Vater. „Alle lachen mich aus, weil ich nicht klettern und springen kann, das ist der Grunct\ log Hugo. (Prager-B 325:2).
Dazu vermerkt die D U D E N - G R A M M A T I K (1995: 96): „Die Notwendigkeit gründet bei dieser Variante in dem Willen einer Person, die an eine andere eine Forderung richtet. Dementsprechend kann müssen hier immer durch sollen [...] ersetzt werden: Du mußt/sollst mich lieben! Ihr müßt/sollt dem sinnlosen Treiben ein Ende bereiten!" Daß dem nicht so ist, dürfte bereits hinreichend klar geworden sein: Nicht der „Wille einer Person" ist die modale Instanz bei müssen, sondern bestimmte außerhalb des Sprechers bestehende Gründe. Bei sollen ist es dagegen tatsächlich der" Wille einer Person" (vgl. Kapitel 4). Müssen und sollen sind somit auch bei dieser „Bedeutungsvariante" nicht synonym!
126 (84)
Sie müssen umkehren, junger Mann, und zwar so schnell wie möglich, es muß Ihnen doch aufgefallen sein, daß diese Straße hier gesperrt wird. [...] Also beeilen Sie sich, kehren Sie um, rief der Jüngere noch einmal [...]. (DDRStory 141:1).
In keinem der drei Belege (82) bis (84) drückt das Modalverb müssen eine Aufforderung aus. Die Funktion der müssen-Formen ist vielmehr die des Verweisens auf Ziele bzw. Ursachen, die die Ausführung der im Infinitivkomplement prädizierten Handlung erfordern. Die Aufforderungsbedeutung Hegt als Satzbedeutung vor: Sie wird pragmatisch durch Bezug auf die Gesamtäußerung realisiert. Die Tatsache, daß /wössew-Modalverbsätze Forderungen ausdrücken, hat aber auch Konsequenzen für die Klasse der Verben, die in der Infinitivergänzung solcher Sätzen vorkommen können. Denn fordern kann man nur entweder Handlungen oder Aspekte von Handlungen - nicht aber statische Zustände, Dispositionen oder (handlungsunabhängige) Ereignisse. Aspekte von Handlungen sind entweder Handlungsergebnisse (also handlungsabhängige Zustände) oder die Voraussetzungen von Handlungen, d.h. Teilhandlungen. Die phänomenologische Dimension der pragmatischen Modalität ist somit eingeschränkter als die der epistemischen Modalität, denn diese kann metakognitiv nicht nur über Handlungen, deren Voraussetzungen und Ergebnir.se, sondern auch über Nicht-Handlungen reflektieren - also auch über handlungsunabhängige (dynamische) Ereignisse sowie über (statische) Zustände. Tabelle 3.6 faßt diese Aspekte zusammen: Tabelle 3.6: Phänomenologische Verteilung von epistemischer und pragmatischer Modalität
Phänomenologische Erscheinungen
Epistemische Modalität
Pragmatische Modalität
1. Handlungen 2. Ergebnisse von Handlungen 3. Voraussetzungen zu Handlungen (Teilhandlungen) 4. (dynamische) Ereignisse 5. (statische) Zustände
+ + + + +
+ + + —
Dies soll aber nicht bedeuten, daß auf den phänomenologischen Bereich der Nicht-Handlung allein mit epistemischen müssen-Sätzen Bezug genommen werden kann. Dies trifft weder auf die (dynamischen) Ereignisse, die selbst einen eigenen Modalitätstyp darstellen (vgl. unter 3.3.3.), noch auf die (statischen) Zustände zu, die durch weitere Modalitätstypen (dispositionell und logisch-analytisch) ausgedrückt werden können (vgl. 3.2.3. und 3.3.5.).
3.3.1.1. Kausale und finale Gründe zum Handeln Die Nennung der kausalen und finalen Gründe in mwssew-Sätzen erfolgt nach kommunikativen Gesichtspunkten. Ebenso wie die Agensangabe in Passivsätzen ist hier die Nennung von Gründen in bestimmten Fällen fakultativ, in anderen obligatorisch. Bei der Nicht-Nennung expliziter Gründe bleibt es im Modalverbsatz zunächst offen, ob es sich um kausale oder finale Gründe handelt. Bezieht man aber den Ko(n)text mit ein, so läßt sich feststellen, daß müssen-Sätze in der Regel beim Vorliegen kausaler Gründe anaphorisch-thematische Beziehungen und beim Vorliegen finaler Gründe kataphorisch-rhematische Beziehungen zum Ko(n)text aufweisen. So verweist etwa der Modalverbsatz hier unten in (85) auf das Thema „einen (schwer) Verletzten haben", weiter unten in (96) hingegen auf das Rhema
127
„Bescheid erhalten": Im ersten Fall liegt ein kausaler, im zweiten ein finaler Grund vor. Ich benenne im folgenden einige allgemeine Kriterien fìir die Nennung bzw. Nicht-Nennung expliziter Gründe. A.) Typen von kausalen Gründen (Ursachen) 1 .)Die Gründe werden nicht benannt a.)weil sie unmittelbar nachvollziehbar sind - Es handelt sich um Handlungen, die Alltagssituationen darstellen. Alle müssen-S&izt lassen sich hier durch einen kausalen Nebensatz (eingeleitet durch die Konjunktionen weil..., da..., denn... etc.) ergänzen: (85)
„Wir haben einen Verletzten bei uns", sagte Carla. „Er muß so schnell wie möglich behandelt werden." (Erz-60-B 179:3).
b.)weil allgemein bekannt - Hier brauchen die betreffenden Gründe nicht weiter expliziert zu werden. Ihre PräsuppositionsfMhigkeit beruht auf dem Allgemeinwissen der Angehörigen eines bestimmten Kulturkreises: (86)
Sie erzählt nicht viel, er j a auch nicht, sie reden: WHAT DO YOU THINK zum Beispiel über Richard Nixon. Er müsse vor Gericht gestellt werden, meint Lynn. (Montauk 98:6).
c.)weil sie geheimgehalten werden sollen - Hier wird zwar erwähnt, daß es Gründe gibt welche es sind, wird jedoch verschwiegen: (87)
Er machte eine kurze Pause, konsterniert, daß ihn von Schwendi unverwandt schweigend anglotzte, und fuhr dann fort, aber nun schon ganz unsicher, er sollte wissen, ob der ermordete Schmied bei von Schwendis Klienten Gastmann Mittwoch zu Besuch gewesen sei, wie die Polizei aus gewissen Gründen annehmen müsse. (Richter 44:1 ).
á.)weil sie dem weiteren Kontext zu entnehmen sind - Hier referiert die Handlung auf vorerwähnte Vorkommnisse: (88)
Es war ganz dunkel in der Kirche, nur wo der Leichnam aufgebahrt war, standen schimmernde Kerzen. - Dieses schöne Mädchen hat ihren Leib zerfetzt und verstümmelt, damit alle Welt sehen könne, wie sehr die Liebe zu Lancelot in ihm gewütet hat, dachte Königin Ginevra. Meine Liebe zu Lancelot aber muß immer verborgen bleiben. (Merlin 197:6).
e.)weil sie im Verb der Infinitivergänzung implizit enthalten sind - Die Semantik des Verbs macht eine explizite Angabe überflüssig (z.B: „etwas zugeben" = man gibt zu, was den Tatsachen/der Evidenz etc. entspricht): (89)
Jeder hat sein Amt, seine Aufgabe. Was war unser Schöpfungsgedanke, wozu sind wir berufen - wer uns davon auch nur eine Ahnung vermittelt, hat uns nobilitiert. [...] Nun bin ich kein Dichter; das muß ich zugeben, obwohl ich, „was ich leide", ausdrücken kann freilich nur im Selbstgespräch. (Aladin 9:5).
2.)Die Gründe werden benannt Gründe werden immer da explizit angegeben, wo die durch sie ausgedrückten kausalen Relationen unter (Teil-)Handlungen für das Verständnis des Modalverbsatzes erforderlich sind. Von Interesse ist hier die Art der möglichen Gründe. Anhand des Korpusmaterials lassen sich einige Gruppen definieren. Die Gründe bestehen aus:
128 a.) Handlungsinteraktionen - Zwei oder mehrere Handlungen bedingen einander. Die Ausdrucksmittel dieser Gruppe sind äußerst unterschiedlich: Neben kausalen Nebensätzen kommen vor allem deklarative Sätze vor: (90)
„Ich geh ins Wasser, und ihr, ihr treibt mich selber rein! Ich weiß mir keinen Rat! Kinder, Kinder ich muß euch ins Spittel geben, ich kann euch nicht ernähren, ihr seid schon angemeldet." (AufrKind 58:1).
b.)Ereignissen - Hier stellen die modalisierten Handlungen keine Reaktionen auf weitere bestehende Handlungen, sondern Reaktionen auf nicht kontrollierbare Geschehnisse dar: (91 )
MORGAUSE Was erzählst du mir denn diese alten Geschichten? SIR LAMORAK Stundenlang? Stundenlang kann man nicht in die Sonne sehen, davon wird man blind. Sie übertreiben. SIR MORDRED [schreit:] Ich bin fast blind geworden] Seitdem muß ich eine dunkle Brille tragen. Sie verdammter Schwätzer! (Merlin 215:4).
c.) (physischen oder psychischen) Zwängen - Es handelt sich hier um den weiter oben erwähnten Handlungsbereich, in dem die freie Entscheidung des Handelnden weiterhin besteht, jedoch erheblich eingeschränkt ist: (92)
SIR GAWAIN Komm herunter und kämpfe mit mir. Wir beide wollen so lange miteinander kämpfen, bis einer von uns beiden tot ist! SIR LANCELOT Ich will nicht mit dir kämpfen, Gawain. SIR GAWAIN Ich muß mit dir kämpfen, ich kann nicht mehr schlafen, ich kann nicht mehr essen, ich habe keinen anderen Gedanken mehr. Komm herunter! (Merlin 334:6).
ά.)Eigenschaften (93)
- Eigenschaften können ebenfalls als kausale Handlungsgründe wirken:
„Papperlapapp. Man ist tugendsam oder nicht. Das Kind ist vom Teufel besessen. [...] Er muß in strenge Zucht kommen. Er muß ein ehrenwertes Handwerk lernen. Mag er Brauer oder Stellmacher oder Metzger werden." (Bracke 23:1 ).
e . ) A n f o r d e r u n g e n - Als Unterklasse der (indirekten) Forderungen wirken auch Anforderungen als kausale Instanzen des Handeln: (94)
Heute ist das Verhältnis Theologie-Wissenschaft fast umgekehrt wie zur Zeit Galileis: Die Theologie steht unter dem Beweiszwang, sich als Wissenschaft nach den strengen Grundsätzen legitimieren zu müssen, die sich in den Naturwissenschaften bewährt haben. (Weltbild 213:2).
f.) Erkenntnissen - Auch rein kognitive Erlebnisse können als zwingend notwendige Impulse zum Handeln aufgefaßt werden: (95)
Im ersten Kapitel der Bibel heißt es: „Seid fruchtbar, mehret euch, füllet die Erde und macht sie euch Untertan!" Gott gibt dieses Gebot dem Menschen als einen Segen. Mit dem heutigen Wissen müssen wir sagen: Kein Gebot könnte falscher sein; nach diesem Gebot zu handeln wäre ein Fluch. Geburtenbeschränkung und Verantwortung für die Natur, so muß das neue Gebot heißen. (Weltbild 263:6).
B.) Typen von finalen Gründen (Ziele) 1 .)Die Ziele werden nicht benannt Die Nicht-Nennung von Zielen in muwert-Modalverbsätzen - ein weitaus seltener Fall als die Nicht-Nennung von Ursachen (s. hier weiter unten) - unterliegt denselben kommunika-
129 tiven Kriterien, die der Nicht-Nennung von Ursachen zugrunde liegen. Wie weiter oben in 3.3.1.1. unter A.) erläutert, weisen solche Modalverbsätze kataphorisch-rhematische Beziehungen zum weiteren Kontext auf, die es in jedem Fall ermöglichen, das Handlungsziel genau zu rekonstruieren - wie etwa im folgenden Beispiel, w o das intendierte Ziel (^Vermittlung einer Information') von einer bestimmten Handlung (,mit der Tochter sprechen') abhängig gemacht wird: (96)
„Wie gesagt, ich muß mit meiner Tochter sprechen, die ausgegangen ist. [...] Sie erhalten Bescheid. Es war sehr freundlich, daß Sie sich bemüht haben." (DE2060-A 121:3).
2.)Die Ziele werden benannt Die Klasse der /Hwssew-Modalverbsätze mit expliziter Nennung der Ziele weist zwei syntaktische Grundtypen auf: Der eine besteht aus einem durch eine Konjunktion eingeleiteten Nebensatz, der andere aus einem Nominalsyntagma. In der Gruppe mit einleitender Konjunktion lassen sich folgende Subtypen von Nebensätzen unterscheiden: a.) Konditionale Nebensätze - mit dem Modalverb wollen, eingeleitet durch die Konjunktion wenn bzw. konditionale Nebensätze mit dem Modalverb sollen. Die beiden Typen sind syntaktisch äquivalent, wenn man bedenkt, daß wollen und sollen in reziproker Beziehung zueinander stehen (vgl. 4.1.1.): (97)
„ Wenn Ihr etwas wissen wollt, Wachtmeister, miißt Ihr nach Gerzenstein kommen, Euch das Kaff anschauen. Es lohnt sich..." (Studer 34:11).
(98)
Die Zusammenhänge zwischen Staat und Kirche werden nicht genugsam gewürdigt; jeder Staat ist in gewissem Sinne [...] auch ein Kirchenstaat; er schließt eine Ehe mit der Kirche, und soll diese Ehe glücklich sein, so müssen beide zueinander passen. (Wuthenow 21:6).
b.) Finai e Nebensätze (99)
„Weg, weg! Gehen Sie doch schon! Es ist ein Rückfall!" - „Ja, îs regt ihn wahrscheinlich auf', meinte Uli. [...] Wärter mußten kommen, um den Knaben zu bändigen. (AufrKind 227:2).
c.) Temporale (100)
Nebensätze
- eingeleitet etwa durch die Konjunktion bevor:
Seit einigen Wochen habe ich morgens ein leichtes Gesichtszucken; das linke Augenlid hat sich ein wenig gesenkt. Bevor ich schwierige Wörter wie „Phänomenologie" ausspreche, muß ich kurz nachdenken [...]. (Aladin 11:4).
d.)Adversative (101)
- eingeleitet durch die Konjunktionen um oder damit.
Nebensätze
- eingeleitet durch die Konjunktion sonst:
SIR KAY stottert: Das Meer... das Meer... es hat gerauscht, König. SIR KAY Oh Kay, du lügst! SIR KAY Ich hab's nicht fertiggebracht, König. Das schöne Schwert... Hab's versteckt...KÖNIG ARTUS Du mußt das Schwert ins Meer werfen, sonst kann ich nicht sterben. (Merlin 368:14).
Bei den Nominalsyntagmen handelt sich zumeist um substantivierte Infinitive von Handlungsverben mit der finalen Präposition zu: ( 102)
Der Pfarrer war ohne Zigaretten, war ohne Brot. Fünf Hostien besaß er noch, und davon sollte er, er wußte nicht wie vielen sterbenden Mündern, die Wegzehrung spenden. Und das heilige Öl mußte er tief in der Hosentasche bewahren, um es vor dem Einfrieren zu
130 schützen; und wenigstens eine Hand mußte er warm erhalten, zum Auflegen, zum Austeilen der Sterbesakramente. (KriegLit 126:1).
zum
Segnen,
Finale Gründe in /wwssew-Modalverbsätzen sind insgesamt seltener als kausale Gründe. Sie stehen zu diesen in einem Verhältnis von etwa 1 : 2,5. Die durch müssen ausgedrückte pragmatische Modalität ist also in erster Linie eine Modalität der kausalen Begründungen von Handlungen. Die durch sollen ausgedrückte pragmatische Modalität ist dagegen (vgl. Kapitel 4) primär eine Modalität der Ziele. Dies findet möglicherweise eine Erklärung darin, daß müssen-SäXzt häufiger Handlungen ausdrücken, die in einer Kausalitätskette stehen, sollenSätze dagegen in erster Linie auf Intentionen zum Handeln ausgerichtet sind.
3.3.2. Der deontische Modalitätstyp Deontische Sätze drücken Normen aus. Modalverbsätze mit müssen - wie auch mit (nicht) brauchen, (nicht) dürfen, können und sollen - haben großen Anteil am Ausdruck von Normen. In vielen Sprachen stellen sie Standardformen von Norm-Formulierungen dar. Normen sind Regeln zum Handeln - genauer: zum interindividuellen Handeln. Darin unterscheiden sich deontische Modalverbsätze von pragmatischen Modalverbsätzen, die individuelle Handlungen thematisieren. Das Kennzeichen der Normen ist ihr Gebots- oder Verbotscharakter. Sie erklären gewisse Dinge (Handlungen oder Zustände) für obligatorisch, erlaubt oder verboten. Pragmatische Modalverbsätze sind deskriptiv, deontische Modalverbsätze präskriptiv. „Normen schreiben etwas vor und beschreiben nichts. [...] Normen sind nicht Beschreibungen (Deskriptionen), sondern Vorschriften (Präskriptionen)." (VON WRTGHT 1994: 40; 45). Normen behaupten also nichts über die Wirklichkeit. Ein weiterer Unterschied zwischen pragmatischen und deontischen Modalverbsätzen besteht folglich auch darin, daß die ersteren Fakten, die letzteren dagegen Normen (also Präskriptionen) ausdrücken: Die ersteren sind demnach wahr oder falsch, die letzteren weder wahr noch falsch. Laut VON WRIGHT (1994: 137) lassen sich Normen nach dem Kriterium unterscheiden, ob sie Handlungen oder aber Teilhandlungen regulieren: „Normen der ersten Art sagen uns, daß gewisse Dinge getan werden sollten oder getan werden dürfen. Normen der zweiten Art sagen uns, wie gewisse Handlungen vollzogen werden." Deontische Modalverbsätze, die ebenfalls Handlungsmodalitäten sind, definieren sich grundsätzlich als Globalhandlungen. Pragmatische Modalverbsätze, vor allem aber die „empragmatischen" Modalverbsätze,20 sind dagegen Modalitäten der Teilhandlungen, die ihre Beziehungen untereinander über Gründe (als Ursachen oder Ziele) definieren. Sie ermöglichen somit stets eine Hinterfragung der Handlungsforderungen, die sie ausdrücken. Deontische Modalverbsätze definieren sich dagegen grundsätzlich nicht über Gründe, sondern allein über eine Norm-Autorität, die entweder an Normen appelliert (und zwar mit sollen-Sätzen) oder aber auf Normen (mit /wwisew-Sätzen) hinweist - vgl. weiter unten. Daß hinter den Normen jedoch auch Gründe 20
Auch die „empragmatische" Modalität im Sinne von DIESCH ( 1 9 8 8 : 103ÍF.) - vgl. Anm. 2 7 - ist in gewisser Hinsicht eine Modalität der Normen - denn sie besagt, wie (d.h. nach welchen Mustern) gewisse (Global-)Handlungen mittels einer finiten Menge von Teilhandlungen ausgeführt werden sollen, aber sie ist keine Modalität der deontischen Normen, sondern eine Modalität der praktischen Normen - denn dazu besteht keine Verpflichtung seitens einer Norm-Autorität.
131 für deren Formulierung in der oder der anderen Form bestehen, liegt auf der Hand: Jede deontische Norm entspringt entweder einer anderen deontischen oder aber einer pragmatischen Norm. Beleg (103) thematisiert ausdrücklich die kognitive Suche nach möglichen Erklärungen für die betreffende deontische Norm: (103)
In Frankfurt stellte sich heraus, daß der einzige Zug, der „plombiert" durch die französische Zone nach Köln fährt, bereits abgefahren war. Für alle anderen Züge brauchte man ein französisches Durchreisevisum. Aus irgendwelchen Gründen müssen Deutsche, die von Frankfurt nach Köln wollen oder auch nur von Rüdesheim nach Bad Honnef, dieses Visum haben. (Reportag 71:7).
Normen bestehen also nicht per se. Wenn sie aber einmal gegeben sind, so müssen sie per se beachtet werden, solange sie bestehen. Die Norm-Autorität von müssen-Sätzen ist eine unhinterfragbare Norm-Autorität - im Gegensatz zur Norm-Autorität, die durch sollenSätze ausgedrückt wird (vgl. 4.3.2.). In deontischen müssen-Sätzen geht es eben nicht darum, weshalb Normen bestehen, sondern allein darum, daß sie bestehen - wie aber auch darum, daß die Norm-Subjekte, deren interindividuelles Handeln sie regeln wollen, sie zu beachten haben (vgl. V O N W R I G H T 1994: 26). Eben in diesem Sinne stellen sie Modalitäten von Globalhandlungen dar. Der folgende Beleg (104) unterstreicht die Unantastbarkeit von Normen: (104)
Himmelstoß merkte nun doch, was los war, und schob ohne ein Wort ab. Bevor er verschwand, krakeelte er zwar noch: „Das werde ich euch eintränken" - aber es war vorbei mit seiner Macht. Er versuchte es noch einmal in den Sturzäckern mit „Hinlegen" und „Sprung auf, marsch, marsch". Wir befolgten zwar jeden Befehl; denn Befehl ist Befehl, er muß ausgeführt werden. Aber wir führten ihn so langsam aus, daß Himmelstoß in Verzweiflung geriet. (KriegLit 26:7).
Deontischen Sätze liegen somit propositionale Einstellungen des Wollens zugrunde. 21 Ihre semantische Struktur lautet wie folgt: ( 105)
IMOD
(= NORM-AUTORITÄT) FORDERT, DASS P.
Die Norm-Autorität kann fordern, daß etwas der Fall ist (daß ρ ) oder das etwas nicht der Fall ist (daß -ρ): Sie kann Gebote oder Verbote erlassen. In ( 106) handelt es sich um ein (beanstandetes) Gebot: Kraft ihrer Autorität gebietet die Bibel, daß Kinder ihren Vätern gehorchen: (106)
21
DER TEUFEL Das kann ich nicht! Vor mir erschrecken sie. Dazu brauche ich einen Menschensohn. Vor dir, Merlin, werden sie nicht erschrecken. MERLIN Ich weiß noch nicht, ob ich da mitmache.: Vielleicht.: Vielleicht nicht. DER TEUFEL Was! Du gehorchst mir nicht? Du mußt deinem Vater gehorchen! MERLIN Wieso? Wohl, weil es so in der Bibel steht? DER TEUFEL Unverschämter! Anarchist! (Merlin 42:7).
Dies unterstreicht auch VON WRIGHT (1994: 31): „Wer [...] ein Gebot oder Verbot erläßt, von dem kann normalerweise gesagt werden, er wünscht oder 'will', daß das Vorgeschriebene geschieht. Und wer eine Erlaubnis erteilt, ist bereit, wenn nicht dazu zu ermutigen, so doch zumindest zu tolerieren, daß die, denen die Erlaubnis erteilt wurde, auch davon Gebrauch machen." Und an anderer Stelle (1994: 42): „Zustimmung ist [...] eine präskriptive und keine deskriptive (mentale) Tätigkeit." sowie (1994: 70): „Aus „Sollen" folgt „Dürfen"; das Gebotene ist notwendigerweise auch erlaubt. Vgl. ferner auch THIM-MABREY (1986: 242): „Da überdies ein Erlauben abgeleitet ist aus Normen, die fordern und verbieten, wird die 'Instanzbezogene Möglichkeit' (im Sinne von 'dürfen') in die 'Instanzbezogene Notwendigkeit' eingeschlossen."
132
In (107) verweist hingegen das Norm-Subjekt (der Gefängniswächter) auf das von der Norm-Autorität erlassene Verbot (der Ausführung bestimmter Handlungen: über den betreffenden Fall oder über die Haftbedingungen zu sprechen) ausdrücklich hin: (107)
„Es tut mir leid, daß ich soviel Ungelegenheiten mache", sagte Richard. „Vielleicht war es eine große Dummheit von mir - aber es hat eben so irre Spaß gemacht..." „Was hat?" fragte ich. „Wenn Sie über den Fall reden", sagte der Wächter, „muß ich den Gefangenen in die Zelle zurückbringen." Den Gefangenen, dachte ich, und fragte: „Kriegst du auch genügend Schlaf, Richard?" „Jetzt ja." Er zögerte. „Zuerst hat mich das Licht gestört. Es ist keine starke Birne, aber sie brennt." „Es ist verboten, über die Haftbedingungen zu sprechen", sagte der Wärter. (DDRStory 53:5).
Wir haben oben gesagt, daß eine Norm-Autorität an Normen appellieren oder aber auf sie verweisen kann. Deontische Sätze können somit zum Ausdruck von zwei unterschiedlichen Typen von Prädikationen dienen: Sie werden zum einen dazu gebraucht, um 'Normen' auszudrücken, d.h. um Verhaltensweisen vorzuschreiben, zum anderen dazu, um zu beschreiben oder festzustellen, welche Normen, Vorschriften überhaupt bestehen - also um 'NormPropositionen' zu formulieren. 22 Die kategoriale Opposition 'Norm'/'Norm-Proposition' hat sich zwar in der von G E O R G H E N R I K V O N W R I G H T begründeten deontischen Logik etabliert, sie ist jedoch innerhalb der deontischen Linguistik unbekannt und auch aufgrund der logischen Prägung des Propositionsbegriffs wenig nützlich. Ich verwende hier deshalb alternativ die Begriffsopposition 'Norm-Appell' und 'Norm-Verweis'. Da mit müssen auch in deontischen Sätzen keine direkten Forderungen, sondern nur Hinweis auf das Bestehen von Normen ausgedrückt werden, sind deontische Modalverbsätze mit müssen Modalitäten der Norm-Verweise. Zum Ausdruck der Norm-Appelle greift das Deutsche dagegen auf das Modalverb sollen zurück. Im Italienischen - wie wir im Kapitel 5 sehen werden - gibt es dafür ein einziges Verb: dovere. Die Unterscheidung der beiden Kategorien von Normen erfolgt durch andere Mittel. 23 Es ist auffallend, daß in deontischen Sätzen mit müssen häufig anaphorische oder kataphorische Beziehungen zwischen der ausdrücklichen Bezeichnung der deontischen Kategorien und den jeweiligen Modalverbformen bestehen. (Die Bezeichnungen erfolgen zumeist durch substantivische Lexeme.) Die ausdrückliche Nennung der Norm-Autorität entspringt kommunikativen Informationsstrategien - und zwar nach folgendem Muster: Mit der Anwendung von müssen wird automatisch auf eine Instanz verwiesen. Ist diese dem Kontext nicht zu entnehmen, so muß sie explizit ausgedrückt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie eine deontische sein soll. Denn: Wird sie nicht als deontisch explizit angegeben, so sucht der Hörer/Leser nach den möglichen Gründen, auf die müssen verweist, und interpretiert sie höchstwahrscheinlich als pragmatisch (aufgrund dessen, daß die pragmati-
22
2
Zu den beiden Begriffen der "Norm' und der "Norm-Proposition' vgl. VON WRIGHT (1994: 30). Im alltäglichen Sprachgebrauch gilt jedoch der Begriff der Norm als Oberbegriff sowohl fur Normen wie auch für Norm-Propositionen - und in diesem Sinne verwende ich ihn auch in der Folge. Z u r Unterscheidung zwischen deontischen Sätzen mit müssen und mit sollen vgl. 4.3.2.; zur deontischen Bedeutungsfunktionen der weiteren Modalverben des Deutschen - (nicht) dürfen, können und nicht-brauchen - vgl. 6.3.1. Auch nicht-brauchen, das die deontische Negation von müssen darstellt, behandle ich im Kapitel 6 im Rahmen der Negation von dovere. Im deontischen Sinn bedeutet nicht-brauchen. daß eine bestimmte Verpflichtung V, fur einen bestimmten Norm-Subjekt nicht besteht. Beispiel: Du brauchst nicht in die Schule zu gehen = Für dich besteht die Verpflichtung (in die Schule zu gehen) nicht\
133 sehe Modalität der deontischen vorausgeht, nicht aber umgekehrt), der Sprecher/Schreiber würde sein kommunikatives Ziel verfehlen. Soll dies vermieden werden, so hilft nur die explizite Nennung der Norm-Autorität. Versuchen wir dies an den beiden folgenden Belegen nachzuvollziehen: (108)
,,... denn heute gehört uns Roma, und morgen die ganze Welt...", so singen ja die Zehnjährigen bei ihren Marschübungen. Während jedes Quartalskrieges müssen dann auch die 100-jährigen Pfeilspitzen schmieden; und die Heldenmütter jauchzen, wenn sie die Nachricht erhalten, daß wieder einmal ein Sohn gefallen ist. (Alexander 17:1).
(109)
„Sehen Sie, ich hätte damals nie und nimmer Direktor der Münze werden können. Die Vorschrift Schloß die Ernennung eines Fachmanns kategorisch aus. Die Direktoren muBten aus der Verwaltung kommen. Sie kamen und gingen, alle 4-5 Jahre ein neuer. Sie hatten keine Ahnung davon, wie man Münzen schlägt, und sie hatten auch keine Zeit, es zu lernen, denn bevor es soweit hätte kommen können, wurden sie pensioniert." (Europa-A 100:1).
Während in (108) die Kriegssituation für sich spricht, ist dies in (109), falls die explizite Nennung der deontischen Instanz „Vorschrift" weggelassen wird, nicht unbedingt der Fall: Der Hörer/Leser könnte auf seiner kognitiven Suche nach einer möglichen Begründung von müssen leicht zu pramatischen Erlärungen gelangen - so z.B. zur Annahme einer bestimmten inoffiziellen Praxis der Verteilung von Arbeitsposten, von innerparteilichen Machtkämpfen zur Ausübung von Einfluß auf die in der staatlichen Verwaltung zu treffenden Entscheidungen etc. Erst die die ausdrückliche Nennung der deontischen Quelle setzt dem so entstandenen Rätsel ein Ende.
3.3.2.1. Typen von Normen Die Art der Verpflichtungen, die mit deontischen müssen-S'äizzn ausgedrückt werden können, ist sehr vielfältig. Eine grundlegende Linterscheidungsmöglichkeit, zu der das Korpusmaterial anregt, ist die zwischen 'externen' und 'internen' Verpflichtungen. Externe Verpflichtungen sind diejenigen, die auf einen Normgeber zurückgehen, der mit dem Verpflichteten nicht identisch ist. Unter internen Verpflichtungen sind dagegen diejenigen zu verstehen, bei denen Verpflichtender und Verpflichteter ein und dieselbe Person sind. Im ersten Fall kommen die Verpflichtungen von außen (z.B. Gesetz), im zweiten Fall kommen sie dagegen vom Handelnden selbst. Hier lassen sich drei Fälle unterscheiden: Es gibt Situationen, in denen die Verpflichtung nur von einem Aktanten einzuhalten ist. Das ist der Fall des Versprechens (der versprechende Aktant verpflichtet sich zur Ausführung bzw. Unterlassung einer bestimmten Handlung zugunsten einer weiteren Person). Meistens betrifft jedoch die Übernahme der Verantwortung zwei Parteien, von denen jede die eigenen Interessen vor der anderen Partei schützen will: Dies ist der Fall z.B. der Wette (der Aktant verpflichtet sich dazu, die getroffene Vereinbarung zu respektieren), der Versteigerung (der Aktant verpflichtet sich zum Kauf des versteigerten Gegenstandes, wenn er einmal die Hand erhoben hat), des Abkommens (zwei Seiten einigen sich offiziell über ein bestimmtes Verhalten in rechtlichen Belangen), des Spiels (die Spielteilnehmer einigen sich auf die Beachtung bestimmter für einen reibungslosen Spielverlauf notwendiger Regeln) etc. Es läßt sich aber auch eine dritte Gruppe definieren, die Merkmale von den beiden anderen aufweist: Das ist der Fall von konventionalisierten Handlungen (wie etwa von Bräuchen und Sitten), die zum
134 einem dem Willen einer Kollektivität entspringen, also externe Verpflichtungen sind, zum anderen der Akzeptierung des Einzelnen bedürfen, somit auch als interne Verpflichtung zu gelten haben. Ich beschränke mich im folgenden auf einige wenige Beispiele aus dem Korpusmaterial, die zum einen das Verständnis deontischer miissen-Modalverbsätze erleichtern, zum anderen verschiedene Typen deontischer Normen (nach der Art der Verpflichtung) illustrieren sollen. A.) Deontische Kategorien l.)Externe Verpflichtungen a , ) G e s e t z e - Dazu sind zu zählen sowohl die rechtlich bindenden Vorschriften des Staates vgl. (110) - wie auch moralische Gesetze, die auf Prinzipien (wie z.B. Gerechtigkeit etc.) beruhen - vgl. (111): (110)
Artikel 2 / ( 1 ) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muB demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben. (GG GBG 26:9).
(111)
KÖNIG ARTUS Ich konnte es doch nicht anders machen, Kay! ich mußte sie doch verurteilen! Die Gerechtigkeit, verstehst du, Kay! SIR KAY Verstehe. KÖNIG ARTUS Das Gesetz muß erfüllt werden, verstehst du? Das Prinzipl SIR KAY Verstehe. KÖNIG ARTUS Auf mich persönlich kommt es doch gar nicht an. (Merlin 313:11).
b.)Anordnungen, Anweisungen, Befehle, Bestimmungen, Festlegungen, Verfügungen, Verordnungen, Vorschriften etc. - Es handelt sich um en détail schriftlich verordnete Maßnahmen zur Regelung einzelner Verpflichtungen dem Staat oder vergleichbaren Institutionen gegenüber: (112)
„Ach, sieh da!: Justinian hat angeordnet, daß der 25. Dezember von jetzt ab offiziell als Geburtstag Christi zu gelten hat, und in allen Kirchen gefeiert werden muß?: siehst Du, wird wieder der alte natalis solis invicti geschicktest benützt! Methoden sind das! — „ (Alexander 470:7).
(113)
KÖNIG VON CORNWALL Es sind mehrere Könige hier, Merlin. Welchen meinst du? KÖNIG VON WALES Da König Uther keinen Nachkommen hinterlassen hat... Mein Haus ist doch durch die Schwester meiner Mutter... SIR GAWAIN Er muß gewählt werden! So ist es festgelegt. MERLIN Der das Schwert aus dem Stein zieht! Der wird der König über die Könige sein! Der Tag ist gekommen! (Merlin 59:18).
(114)
„Bis vor kurzem", sagen die Arbeiter, „mußten wir die Münzen mit der Hand zählen, Stück für Stück. Die Vorschriften, nach denen wir arbeiten müssen, stammen aus dem Jahr 1921. Die Leitung ist absolut unfähig. Die Münze ist total verwahrlost." (Europa-A 96:4).
c.) Pflichten und Verpflichtungen im engeren Sinne - Handlungs- und Verhaltensweisen sowie auch praktische Aufgaben, die der allgemeinen ethischen Grundordnung jeder Gesellschaft entspringen: (115)
Als sie gegangen war und das Dunkel sie einhüllte, rückte Peter plötzlich heran und klammerte sich zitternd fest - sein Körper war fiebrig heiß -, und er flüsterte: „Ich dachte schon beinahe, du bist tot." - „Ausgeschlossen", antwortete Uli ergriffen, „ich bin doch der Älteste, ich muß noch mal für euch alle arbeiten." (AufrKind 51:1).
135 (116)
Drei Sonntage kamen, dreimal war den Bergers der Ausgang gestrichen, aber der Gottesdienst war keine Gnade, sondern Pflicht, also mußten sie teilnel imen. (AufrKind 105:3).
(117)
KÖNIG ARTUS Siege ich morgen, Merlin? MERLIN Worum kämpfst du denn, Artus? KÖNIG ARTUS Gerade als ich eben im Traum war, hatte ich es vergessen, ich schrie nach dir, um dich danach zu fragen. MERLIN Jetzt aber weißt du es? KÖNIG ARTUS Weil ich muß!... Ich bin der König... ich habe die Verpflichtung, mein Reich zurückzuerobern... das mein Sohn mir streitig macht... (Merlin 358:13).
d,)Gebote im engeren Sinne - Es handelt sich um moralische oder religiöse Gesetze, die ein bestimmtes Handeln als vorbildlich (und somit als zwingend) vorschreiben: (118)
„Ich werde Euch nicht gehorchen, auch wenn Ihr mein Vater seid", sagte Bracke. „Auch der Schinder ist ein Mensch. Die Menschen haben ihn dazu verurteilt, Schinder zu sein, und eine Bürde ihm auferlegt, die selbst zu tragen sie sich schämen. Zu feige sind sie, ihre Feigheit zu gestehen. Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen." (Bracke 27:10).
(119)
„Ach, Herr Pfarrer", sagte sie, „wozu soll ich das da noch füttern?" Sie schaute an sich herunter wie an etwas Fremdem. „Liebe Frau", sagte der Pfarrer ernst, „der Körper gehört Gott. Wir haben kein Recht darüber. Wir müssen auf ihn achtgeben und ihn ernähren, weil er Gott gehört." (Spiele 2 541:2).
e.) Regelungen (Haus-, Studien-, Verkehrsordnung etc.,) sowie Vorschriften im engeren Sinne - Mündlich oder schriftlich getroffene Vereinbarungen zur Bestimmung der Verhaltensweise von Aktanten in alltäglichen Situationen: (120)
Der Streitfall Wagenlader-Schröder war erledigt, der Wortwechsel hörte völlig auf, morgen wurde 'gemessen', kein Wort mehr war nötig. Morgen mußten sie im Klosett so lange miteinander kämpfen, bis einer schrie: „Ich bin Besiegter!" (AufrKind 82:2).
(121)
„Sie müssen die linke Straßenseite benutzen, mein Herr, hier zu spazieren ist für Sie verboten. (DDRStory 139:1).
(122)
Da stöhnte Berger II: „Siehst du, die andern haben Räder. Der fährt jetzt so spazieren. Wir müssen Punkt sechs im Spittel sein, sonst gibt's!" - „Das ist eben die Hausordnung, und Ordnung muß nu mal sein", meinte Berger I mürrisch und begriff den Zweck des Jammerns nicht, weil alles war, wie es war und nicht anders werden konnte. (AufrKind 176:1).
2.)Interne Verpflichtungen: Abkommen, Spiele, Wetten, Versprechen etc. (123)
Der Gerzensteiner, um den es sich handelte, hatte mit der Kantonalbank vor einer Woche ein Abkommen getroffen. Die Wechsel waren heute fallig gewesen, die Bank hatte sie vor einer Woche mit Ach und Krach auf acht Tage verlängert [...]. Also heute in acht Tagen mußten sie bezahlt werden. Zehntausend Franken. (Studer 119:3).
(124)
Aber manchmal blieben die Tröster aus. Dann saß der Papa allein mit dem Dolmetscher, der so rund vierzig Sprachen beherrschte und über 300 Gedichte auf die Gose verfaßt hatte. Dann spielten die beiden alten Herren „Bildung", wie sie es nannten. Das heißt: sie warfen sich gegenseitig Zitate an den Kopf, und der andere mußte die Quelle nennen. (Feuillet 159:4).
3.)Zugleich externe und interne Verpflichtungen: Bräuche, Sitten, Konventionen (125)
SIR MORDRED Sie müssen ab heute Trauer tragen, wenn Sie unter die Leute gehen, Madame. Sie sind Witwe. Tragen Sie Schleier! Tragen Sie Schwarz! (Merlin 348:3).
136 (126)
In vier, fünf Tagen sind wir in Astrachan. Der Kapitän hat seine Frau schlafen geschickt. Er ist seine eigene Bemannung. Jetzt brät er einen Schaschlik. Wahrscheinlich wird er fett und hart sein, und ich w e r d e ihn essen müssen. (Reportag 35:4).
(127)
„Lächerliche Ceremonien\" brummte er noch, hob aber schon einen Rock vom Stuhl und hielt ihn ein Weilchen mit beiden Händen, als unterbreite er ihn dem Urteil der Wächter. Sie schüttelten die Köpfe. „Es m u ß ein schwarzer Rock sein", sagten sie. K. warf daraufhin den Rock zu Boden und sagte - er wußte selbst nicht, in welchem Sinn er es sagte -: „Es ist doch noch nicht die Hauptverhandlung." Die Wächter lächelten, blieben aber bei ihrem: „Es m u ß ein schwarzer Rock sein." (Proceß 18:2).
3.3.3. Der dynamische Modalitätstyp
Pragmatische Modalverbsätze drücken Handlungen aus, die aus Gründen ausgeführt werden: Ihnen liegt stets eine Intention zugrunde. Nach VON WRIGHT (1994: 231) gibt es aber
auch Klassen von Handlungen, auf die diese Charakterisierung nicht zutrifft: Handlungen können nichtintentional sein, irrtümlich getan werden oder 'aus keinem besonderen Grund'. Manche solcher Handlungen gehen in einen 'Reflex' über. Wenn wir sie erklären wollen, müssen wir nach Ursachen in Stimulationen des Akteurs suchen, die innerhalb oder außerhalb seines Körpers liegen können. Unter dem Blickwinkel ihrer Erklärung sind diese Handlungen nichts anderes als Bewegungen von Gliedern und Organen des menschlichen Körpers oder Blockierungen solcher Bewegungen.
Eine dieser Klassen von nicht-intentional ausgeführten Handlungen, die Reflexe auf besondere Stimulationen sind, wird durch Verben wie lachen, husten, gähnen u.a.. ausgedrückt. Um diese Handlungen von den intentionalen Handlungen des pragmatischen Modalitätstyps zu unterscheiden, benenne ich sie 'Reflex-Handlungen'. Solche Handlungen sind zwar nicht-intentional, sie können aber (zumindest teilweise) unterdrückt werden - in einem gewissen Sinne liegen sie also noch in der Gewalt des Handelnden. Vergleiche die drei folgenden Belege: (128)
Der Reisende mußte ein Lächeln unterdrücken; so schwer gehalten hatte. (Kafka El 128:2).
so leicht war also die Aufgabe, die er für
( 129)
Daher bemühte ich mich, den ersten Husten zu unterdrücken halten. (KriegLit 48:2).
( 130)
Du brauchst dein Gähnen nicht zu unterdrücken. Wenn du müde bist, hast du auf Gähnen ein Recht. Leg dich hin und schlaf [...]. (Erz-60-B 310:5).
und mit dem Atem hauszu-
Reflex-Handlungen nehmen eine Mittelstellung zwischen den intentionalen Handlungen und den vom Menschen nicht beeinflußbaren Ereignissen ein. Eine besondere Bedeutung kommt hier den Naturereignissen zu. VON WRIGHT ( 1 9 9 4 : 2 3 1 ) charakterisiert sie w i e folgt: Naturereignisse werden typischerweise durch Ursachen erklärt, die diese Ereignisse unter bestimmten Umständen als notwendig erscheinen lassen, wobei die Gültigkeit bereits bewährter Regelmäßigkeiten des Naturverlaufs vorausgesetzt ist.
Sowohl Reflex-Handlungen wie auch (Natur-)Ereignisse können mit /wwssen-Modalverbsätzen ausgedrückt werden. Die Bedeutungsfunktion von müssen besteht hier im Verweis auf bestimmte Ursachen, die für die Reflex-Handlung bzw. für ein bestimmtes Ereignis verantwortlich gemacht werden können.
137
Diese beiden Gruppen von mwsse/î-Modalverbsâtzen fasse ich unter dem Begriff des 'dynamischen' Modalitätstyps zusammen.24 Die ihnen zugrunde liegende Bedeutung der propositionalen Einstellung des Wollens ist die des „Bewirkens von etwas (seitens einer Ursache)" - wobei die Ursache die modale Instanz I M O D und das Bewirkte den propositionalen Gehalt ρ darstellt. Sie kann wie folgt ausgedrückt werden: (131)
IMOD (= URSACHE) BEWIRKT, DASS P.
Im folgenden sollen die beiden Gruppen von dynamischen /wässert-Modalverbsätzen durch Angabe der Untertypen von Reflex-Handlungen sowie von (Natur-)Ereignissen näher charakterisiert werden. 4.)Typen von Reflex-Handlungen Zur Klasse der wimew-Modalverbsätze, die Reflex-Handlungen ausdrücken, gehören drei verschiedene Gruppen von Verben, die drei unterschiedliche Arten physiologischer Reflexe ausdrücken. Es sind die folgenden: a.) Verben, die vegetative Körperreaktionen ausdrücken. Es sind die Verben lachen, lächeln, husten, aber auch grinsen, kichern, feixen, zwinkern, brechen, sich erbrechen, sich übergeben, gegen einen Brechreiz ankämpfen, kotzen, weinen, heulen, tränen, grienen, schluchzen, schreien, schlucken, niesen, erschrecken, Appetit bekommen u.a.m. Bei /wwüe/j-Modalverbsätzen mit solchen Verben handelt es sich um kausale Relationen zwischen der vegetativen Erscheinung und einer auslösenden Ursache: „Etwas bewirkt, daß ich lache" = „ich muß lachen". Vergleiche die folgenden Belege:25 (132)
In den ersten Sherry, den sie dann trank, stürzten noch viele Tränen, in den zweiten verirrten sich noch zwei oder drei, in den dritten keine mehr und den vierten hätte sie beinahe verschüttet, so sehr mußte sie lachen, weil sie sich Peters Gesicht vorstellte und es nachzumachen versuchte: „Also wie ein Gelehrter sag ich dir, Robert! Rechtes Auge ganz hochgezogen, linkes ganz zugekniffen. Fehlt ihm nur noch ein Gehrock und die Brille, dann ist der Professor fertig: Ein spickiger Kerl, Robert!" (AufrKind 59:2).
(133)
Winzige, glänzende Staubteilchen tanzten in den Lichtbalken, die vom Dach zum Boden reichten. „Und?" fragte Studer. Er mußte husten. Die Luft im Schuppen legte sich ihm auf die Lungen. (Studer 103:5).
(134)
Hierauf verlangte Herr Klöterjahn Kaffee, - Kaffee und Buttersemmeln, und er hatte eine anschauliche Art, den K-Laut ganz hinten im Schlunde zu bilden und „Bottersemmeln" zu sagen, daß jedermann Appetit bekommen mußte. (Frueh A 221:4).
b.)Verben, die speziell die Reflexe der Sinnesorgane betreffen. Es kommen hier vor allem die beiden Verben sehen (in unterschiedlichen Bedeutungen, wie etwa 'begegnen', 'anblicken', 'erblicken', 'zu sehen bekommen', 'anstarren', 'feststellen' u.a.) und hören (in den Bedeutungen 'erfahren', 'zu hören bekommen' u.a.) in Frage, ferner aber auch gele24
25
In der Forschungsliteratur wird der Terminus 'dynamisch' in anderer Bedeutung verwendet - gewöhnlich in der Bedeutung, die wir hier als 'pragmatisch' bezeichnet haben. Es ist anzumerken, daß Modalverbsätze mit Verben dieser Klasse (Beispiel: Ich mußte lachen/niesen/gähnen etc.) in der Forschungsliteratur gewöhnlich zur 'dispositionellen' Modalität gerechnet werden. Ich betrachte sie dagegen nicht als solche, denn sie drücken keine Dispositionen (zu einer Handlung), sondern Relationen zwischen Ursachen und (Reflex-)Handlungen.
138 gentlich ansehen, hinsehen, zusehen, entgegensehen, in die Augen sehen, anstarren, bemerken, erfahren, in Erfahrung bringen, riechen u.a.m. Die Bedeutungsfunktion von müssen ist hier die des Verweises auf eine Konstellation von situationeilen Faktoren, die eine entsprechende Sinneserfahrung bewirken. Vergleiche die folgenden Belege: (135)
Dann drehte er sich um, plötzlich und kraftvoll, das Gesicht braun vom Rauch und zuckend in ungehemmter Lust, und fur einen Augenblick mußte ich dieses Gesicht sehen, und ich bemerkte in seinen Augen den Widerschein des Brandes. (Spiele 2 562:1).
(136)
Sie schienen überhaupt vielleicht erst jetzt auf den Ernst ihrer Verluste gekommen zu sein, wo sie sehen mußten, wie ihr Geld für solche sinnlosen Essereien hinausgeworfen wurde. (DE2060-A 42:2).
(137)
Solche Lieder seien dem einfachen Gemiite gewidmet, so daß die Kirchengemeinde sie ohne Mühe singen könne. Und zwar vielstrophig, damit der singende Christ von Strophe zu Strophe seiner Schwäche entkomme, Glaubensstärke gewinne und ihm Trost zuteil werde in schlimmer Zeit. Das zu tun, dem armen Sünder zu ihm gemäßem Gesang zu verhelfen, habe Schütz verschmäht. Selbst der Beckersche Psalter sei, wie er vielenorts hören müsse, den Kirchgemeinden zu vertrackt. (Telgte 95:3).
c.) Verben der zerebralen Sphäre, die entweder physiologische oder kognitive Reaktionen auf äußere Impulse kennzeichnen können. Es handelt sich hier eigentlich fast ausschließlich um das Verb denken (und zwar in dem speziellen Sinne von 'etwas ins Gedächtnis rufen'), es kommen aber auch bisweilen weitere Verben wie z.B. sich vorstellen, sich erinnern (an), staunen, (mit etwas) rechnen u.a.n. vor. Vergleiche die Beispiele: (138)
„Was spielst du da?!" sagte der Herr. „Warum fragst du?! Das ist meine 'Albert-Etüde', Bertini Nr. 18; wenn ich die spiele, muß ich immer an dich denken." „Warum—?!" - „Ich weiß nicht; es ist schon so." (Spiele 1 78:2).
(139)
„Ach, Ida, bitte, komm doch noch ein bißchen herüber! Ich kann nicht schlafen, will ich dir sagen, ich muß so viel denken, daß der Kopf mir weh tut [...]. (Brook Β 343:10).
(140)
Im Schlaf: Was ist der Zweck? Warum schläft Alles? Der Hof hängt an blauen Rauchseilen; ja, was ist der Zweck? Das ewige Friedensreich doch wohl; oder - -? - Ein Weltreich; ja, ja. - Ich muß mir immer vorstellen, wie er schon in Thrazien die Vorbereitungen für das Troja-Theater trifft; das Altar-Bau-Kommando wird eingeteilt, so ganz kalt. Widerlich! (Alexander 88:1).
5.)Typen von Ereignisbezeichnungen
a.)Eine erste Gruppe faßt alle Verben zusammen, die zur Bezeichnung von Ereignissen im allgemeinen oder auch von Naturereignissen im besonderen benutzt werden, angefangen mit performativen Verben des Geschehens wie passieren, sich ereignen, stattfinden etc. bis zu spezielleren Verben wie erleben, erleiden, sterben etc. Vergleiche die Beispiele: (141)
Als sie in Bozen ausgestiegen waren, sprachen sie von ihm; er habe die Schwindsucht, sagte der Pater, und werde wohl bald sterben müssen. Die ganze Nacht dachte der Erwin an den Leutnant und daran, daß dieser sterben müsse [...]. (Spiele 1 19:1).
(142)
Was half es ihm, daß er bei Kräften und bei Mannesfülle war? Wenn man es ihm ins Gesicht sagte, daß er nicht so aussehe, wie er auszusehen hätte, dann mußte er für einen Augenblick aus dem Gleichgewicht fallen, mußte sich für einen Augenblick sagen, der andere wird wohl recht haben, man hat es mir bloß nicht gesagt bisher, es geht wohl allmählich dahin. (Feuillet 177:1).
139 (143)
„Wie Ihr hier beieinander sitzt", rief Leni, die mit der Tasse zurückgekommen war und in der Tür stehen blieb. Sie saßen wirklich eng beisammen, bei der kleinsten Wendung mußten sie mit den Köpfen aneinanderstoßen, der Kaufmann, der abgesehen von seiner Kleinheit auch noch den Rücken gekrümmt hielt, hatte K. gezwungen, sich auch tief zu bücken, wenn er alles hören wollte. (Proceß 244:2).
b.)Eine semantisch eigenständige Gruppe von dynamischen Modalverbsätzen bildet die durch die Konjunktion als (ob) ... + müssen (im Konjunktiv I oder II) gekennzeichnete syntaktische Struktur dar. Er handelt sich um Vergleichssätze, die auf eine tatsächlich vorliegende oder auch nur vorgestellte Konstellation von Faktoren hinweisen, von der angenommen wird, daß sie für das einschlägige Ereignis verantwortlich ist. Beispiele: (144)
Die Häuserreihen sind schwarze Kästen, flach und vorgeneigt, als müßten sie fallen, leere, erstorbene Schachteln, wie zum Spiel aneinandergereiht. (Feuillet 165:2).
(145)
Der Abend und die Nacht vor ihrer Abreise waren schal. Sie hatte ihn nicht besiegt. Und auch er besiegte sie nicht. Er strich mit seinen Händen über sie hin, aber sie sträubte sich. Ihr war, als müsse sie unterliegen, wenn sie ihm jetzt zu Willen war. (DDRStory 99:1).
(146)
Aber sein stummes Dastehn mußte auffallend sein und wirklich sahen ihn das Mädchen und der Gerichtsdiener derartig an, als ob in der nächsten Minute irgendeine große Verwandlung mit ihm geschehen müsse, die sie zu beobachten nicht versäumen wollten. (Proceß 98:2).
c.)Eine besondere Gruppe bilden auch die folgenden Belege deshalb, weil sie alle die semantische Komponente der „Schicksalsbestimmung" gemeinsam haben. Der Sprecher stellt gleichsam eine notwendige Beziehung her zwischen dem im Infinitivsatz beschriebenen Ereignis und einigen (nicht immer näher spezifizierten) Ursachen, die er eben als (negatives) Schicksal kennzeichnet. Es läßt sich leicht nachvollziehen, daß die „Schicksalbedeutung" eine vom Sprecher implizierte Satzbedeutung ist - im Sinne der GRICEschen Implikatur. Vergleiche die folgenden Korpusbelege: (147)
Was bleibt noch zu erzählen übrig? Gebe das Schicksal, daß der arme Peteroff, der wahnsinnig werden mußte, weil er sich um ein paar Silben verhört hatte, bald wieder aus der Irrenanstalt herauskommt. (Prager-B 391:5).
(148)
Petrus gehörte zum Kreis derer, die Jesus persönlich gekannt hatten. Er hatte Jesus begleitet, seine Taten miterlebt, und schließlich die Hinrichtung seines Vorbildes erfahren müssen. (Weltbild 167:4).
(149)
SIR BERNHARD Ach, guter Sir Lancelot, was muß ich für einen schrecklichen Tag erleiden! Meinen Sohn verliere ich und meine Tochter wird vor Kummer sterben [...]. (Merlin 185:2).
d.)Einen dynamischen Modalitätstyp drücken schließlich auch Modalverbsätze mit müssen aus, die das 'Nicht-Unterlassen-Können' einer bestimmten Handlung ausdrücken. 26 Die Möglichkeit der Unterlassung der Handlung steht zwar immer noch im Ermessen des Aktors, bestimmte Faktoren lassen jedoch die Ausführung der Handlung als zwingend notwendig erscheinen. Diese Satzbedeutung wird gelegentlich auch lexematisch explizit ausgedrückt - etwa mit entsprechenden Adverbien wie unweigerlich hier unten in (150): 26
Zur dynamischen Bedeutung von müssen als „nicht umhinkönnen" vgl. DÖHMANN (1974b: 67f.). Es handelt sich um einen Untertyp des Dynamischen: vgl. altgr. ούκ ε ό ο όπως ού, neugr. δέν μπορώ παρά và, lat .facere non possum quin, it. non posso fare a meno di, frz. je ne peux pas faire à moins de, span, no se puede dispensar, engl. I cannot but, I cannot do without etc.
140 ( 150)
Tagebuch. - Nachmittags bei einem Gang durch die Stadt kommt mir der Gedanke: „Ich muß unweigerlich das Bier kosten, das hier gebraut wird ..." Leser, es hat nicht gelohnt. Ich trank ja sowas schon einmal, in Amerika, vor zwei Jahrzehnten. Aber da war Prohibition ... (Feuillet 188:5).
(151)
Tjaden wird auf die Frage nach dem Chausseegraben vor Wut sogar witzig. „Nee, das warst du alleine." Jetzt kocht Himmelstoß auch. Tjaden kommt ihm jedoch eilig zuvor. Er muß seinen Spruch loswerden. „Was du bist, willst du wissen? Du bist ein Sauhund, das bist du! Das wollt ich dir schon lange mal sagen." (KriegLit 28:6).
3.3.4. Der objektiv-epistemische Modalitätstyp In 3.2.1. haben wir die objektiv-epistemische Modalität der subjektiv-epistemischen gegenübergestellt. Wir haben festgestellt, daß subjektiv-epistemischen Modalversätzen die propositionale Einstellung des Glaubens und objektiv-epistemischen die propositionale Einstellung des Wollens zugrunde liegt. Die für objektiv-epistemische Modalverbsätze spezifische semantische Struktur haben wir wie hier unten in (152) angegeben (die 1MOD wird durch eine spezifische Menge von Präsuppositionen und Implikationen gebildet): ( 152)
I M 0 D (= PRÄSIMPL) FORDERT, DASS P.
Zur Illustration einige Beispiele aus dem Korpus: (153)
Jemand mußte Josef K. verleumdet haben, denn ohne daß er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet. (Proceß 7:2).
(154)
„Mittwoch? Warten Sie, Mittwoch sagen Sie? Ach, ich weiß jetzt, die Alkoholleiche..." „Alkoholleiche?" fragte Studer. „Ja, denken Sie, 2,1 pro Mille Alkoholkonzentration im Blut. Der Mann muß gesoffen haben, bevor er erschossen wurde... (Studer 36:13).
(155)
[...] das Rufen ist furchtbar. [...] Zuerst hat er immer nur um Hilfe geschrien - in der zweiten Nacht muß er etwas Fieber haben, er spricht mit seiner Frau und seinen Kindern, wir können oft den Namen Elise heraushören. (Westen 118:4).
Die kursiv hervorgehobenen Sachverhalte stellen intersubjektiv hinreichende Begründungen flir den im Infinitivkomplement des Modalverbsatzes behaupteten Sachverhalt dar.
3.3.4.1. Indikatoren objektiv-epistemischer Modalität Müssen stellt das Modalverb schlechthin zum Ausdruck objektiv-epistemischer Modalität dar. Die Bedeutungsfunktion von epistemischem müssen besteht somit in einem hohen Grad des Verweises auf objektive Bezugsrelationen (vgl. 3.3.1.1.). Parallel zu den Gruppen von Ausdrucksmitteln, die in Modalverbsätzen mit müssen eine subjektiv-epistemische Deutung hervorrufen können, lassen sich auch hier einige Gruppen von Lexemen feststellen, die die per se bestehende objektiv-epistemische Bedeutungsfunktion von müssen generell zusätzlich unterstreichen, im Zweifelsfall zugunsten des Objektiv-Epistemischen monosemieren. Am einfachsten sind epistemischen Modalverbsätze mit müssen als objektiv-epistemisch zu deuten, wenn sie die Gründe für die Geltung von ρ explizit genug benennen. Eine hinreichend explizite Nennung dieser Gründe kann in vielfältiger Weise erfolgen: Sie kann in ei-
141 nem Nominalsyntagma enthalten sein, in einem ganzen Vorsatz oder Nachsatz, ferner in einem Nebensatz - eingeleitet durch Konjunktionen und Adverbien kausaler Art (wie z.B. denn, da, daß (kausal), wenn (kausal), weil etc.), konsekutiver Art (wie z.B. daß, so... daß etc.), adversativer Art (wie z.B. sonst, ansonsten etc.). Vergleiche die folgenden Belege: (156)
Den Gerüchen aus ihrer Küche nach mußten sie sich an fetten Speisen, unkontrollierbarer, jedenfalls nicht ehrlicher Herkunft, überfressen haben. Die Folge davon war, daß sie es auf ihren Stühlen nicht aushalten konnten. (DE2060-A 93:3)
( 157)
Sigi entstammte einer Familie, die verarmt und wieder zu Reichtum gekommen war. Sie mußte eine natürliche Beziehung zum Geld haben. (Aladin 81:3)
(158)
Und immer wieder fragte man mich nach Eva Braun. Ich wußte damals gar nichts von ihr. Sie muß sehr unscheinbar ausgesehen und immer geschwiegen haben, daß sie mir nicht aufgefallen war. (Spiele 3 684:2)
Die Gründe für die Geltung des Sachverhalts können aber auch gut nachvollziehbar, d.h. der klaren „Evidenz der Tatsachen" leicht zu entnehmen sein. In diesem Fall erübrigt sich ihre explizite Nennung. Häufig wird die Evidenz des postulierten Sachverhalts durch Konsekutivkonjunktionen wie also, dann, folglich etc. zusätzlich unterstrichen - etwa in der Form syllogistischer Denkkonstrukte: (159)
„Doch", sagte K., „glauben Sie denn, daß ich schuldlos bin?" „Nun schuldlos ...", sagte das Fräulein, „ich will nicht gleich ein vielleicht folgenschweres Urteil aussprechen, auch kenne ich Sie doch nicht, immerhin, es muß doch schon ein schwerer Verbrecher sein, dem man gleich eine Untersuchungskommission auf den Leib schickt. Da Sie aber doch frei sind - ich schließe [...] aus Ihrer Ruhe, daß Sie nicht aus dem Gefängnis entlaufen sind - so können Sie doch kein solches Verbrechen begangen haben." (Proceß 42:1).
(160)
Er sah sich sorgfältig um. Der Raum besaß keine Fenster, doch in jeder Wand eine Türe, die zu weiteren Zimmern führen mußte. (Richter 22:1 ).
(161)
Da sind zwei Gehöfte, also müssen auch Kähne da sein; einen genommen und rüber zum festen Lande, und so weiter, und so weiter. (Alexander 62:3).
Lexikalisch läßt sich die objektiv-epistemische Deutung in erster Linie durch die beiden folgenden Klassen von Elementen unterstreichen: a.) Durch „kognitiv-rationale" Verben, d.h. Verben des Erkennens wie etwa erkennen, ersehen, überlegen (=darüber nachdenken), verstehen, begreifen, klar werden etc., Verben des Schlußfolgerns wie (be)rechnen, entnehmen, (er)schließen, folgern, urteilen etc., auch durch von ihnen abgeleitete Substantive wie Berechnung, Beurteilung, Folgerung etc. sowie Adjektive und Adverbien wie ersichtlich, offensichtlich, natürlich, selbstverständlich etc., die häufig in anaphorischer (manchmal auch in kataphorischer) Beziehung zur objektiv-epistemischen Modalität stehen: (162)
Eine Stunde später wurde Grenouille verhaftet. Der Wirt und sein Stallknecht aus Napoule [...] erkannten ihn sofort als den Gerbergesellen wieder, der bei ihnen übernachtet hatte: Dieser sei's und kein anderer, dieser müsse der gesuchte Mörder sein. (Partum 287:1).
(163)
Schwamm drückte die Klinke herab. Er Schloß die Tür wieder und tastete mit flacher Hand nach dem Lichtschalter. Da hielt er plötzlich inne: neben ihm - und er schloß sofort, daß da die Betten stehen miißten - sagte jemand mit einer dunklen, aber auch energischen Stimme: „Halt! Bitte machen Sie kein Licht. Sie würden mir einen Gefallen tun, wenn Sie das Zimmer dunkel ließen." (Liter-50 156:2).
142 ( 164)
Die Hinterwand des Hauses war erleuchtet, aus einer Fensterreihe des ersten Stocks brach helles Licht. Er vernahm die Töne eines Flügels, und wie er näher hinhorchte, stellte er fest, daß jemand Bach spielte. Er schritt weiter. Er mußte nun nach seiner Berechnung aufTschanz stoßen [...]. (Richter 31:2).
b.)Durch einige Modalpartikeln, die sich als ausgezeichnete Indikatoren objektiv-epistemischer Modalität erweisen - an erster Stelle die Partikel doch, der die Bedeutung „anders ist es nicht zu erklären" zugrunde liegt, dann wohl und ja, die einen unmittelbaren Verweis auf die „Evidenz der Tatsachen" leisten, d.h. auf bereits vorgebrachte oder immer noch vorliegende Bezugsdimensionen, ferner aber mit der Bedeutung „Alles deutet daraufhin, daß" sowie eigentlich u.a.n. Vergleiche die Beispiele: (165)
„Inge spielt auch Schach?" fragte Hagger und schien endlich das gefunden zu haben, nach dem er so lange gesucht hatte. „Davon habe ich nichts gesagt!" „Warum haben Sie denn von Inge gesprochen, wenn Sie nicht Schach spielt? Irgend etwas muß doch die Erinnerung an Ihre Schwester ausgelöst haben!" (Kriminal 43:12).
( 166)
Aber warum zum Teufel knöpft er den langen, weißen Paletot nicht auf? Das heißt weiß na, ursprünglich wird es wohl weiß gemeint sein. Er muß ja schauerlich schwitzen. (Spiele 1 47:2).
(167)
„[...] Und aus Berlin? Was tut sie in Berlin? Wie kommt sie nach Berlin?" „Ich weiß es nicht, Tom, ich begreife es noch nicht; die Depesche ist vor zehn Minuten gekommen. Aber es muß etwas geschehen sein, und wir müssen abwarten, was es ist. [...]" (Brook Β 378:3).
Wir haben bereits feststellen müssen, daß die Grenzen zwischen den beiden Arten epistemischer Modalität mitunter nicht leicht zu ziehen sind. Der Grund dafür liegt zum einen in der Natur des Epistemischen selbst, das sich nicht immer (und zwar aufgrund unzureichender Begründung) von weiteren Modalitätstypen eindeutig trennen läßt, zum anderen im eventuell gleichzeitigen Vorliegen mehrerer epistemischer Indikatoren, bisweilen im Einfluß weiterer grammatikalischer Ausdrucksmittel und Kontextelemente. Diese können verstärkend wirken im Sinne einer bestimmten Modalität, wie z.B. hier unten in (168), wo mehrere Indikatoren subjektiv-epistemischer Modalität nebeneinander bestehen (nämlich: Ausruf, intensivierendes Adverb, subjektiv-qualifizierendes Adjektiv und Ausrufesatz): (168)
„Aber nun du, Tom! Ich spreche beständig von mir, ich bin ein eigennütziges Weib! Nun erzähle du. O Gott, wie glücklich du sein mußt!" (Brook Β 308:4),
oder in (169), wo das Vorkommen des „kognitiv-rationalen" Verbs erklären und die durch die kausale Konjunktion denn eingeleitete Begründung die objektiv-epistemische Modalitätsdeutung mit Nachdruck unterstreichen: (169)
Die Angriffe wechseln mit Gegenangriffen, und langsam häufen sich auf dem Trichterfeld zwischen den Gräben die Toten. Die Verwundeten, die nicht sehr weit weg liegen, können wir meistens holen. Manche aber müssen lange liegen, und wir hören sie sterben. Einen suchen wir vergeblich zwei Tage hindurch. Er muß auf dem Bauche liegen und sich nicht mehr umdrehen können. Anders ist es nicht zu erklären, daß wir ihn nicht finden; denn nur wenn man mit dem Munde dicht auf dem Boden schreit, ist die Richtung so schwer festzustellen. (Westen 117:3),
sie können aber auch bisweilen die Äußerung in entgegengesetzter Richtung beeinflussen und so die Entscheidung darüber, welcher Modalitätstyp vorliegt, beträchtlich erschweren. Vergleiche etwa die beiden folgenden Belege:
143 (170)
„Es kommt bei Lungenentzündungen oft vor... Es hat sich dann so eine wässerige Flüssigkeit in den Lungenbläschen angesammelt, und wenn es schlimm wird, so kann man nicht mehr atmen... Ja, ich weiß es... „ Die Hände vor sich gefaltet, blickte der Senator zum Himmelbette hinüber. „Wie furchtbar sie leiden muß!" flüsterte er. (Brook C 577:4).
(171)
„Gut, daß er weg ist, wo nun der Mann gekommen ist", meinte der Wirt. „Wer weiß, sonst hätten wir hier am Ende noch Mord und Totschlag gekriegt, Hannchen! „Ja, glatt möglich... Aber verstehen kann ich die junge Frau schon. Das muß auch kein Leben sein mit dem Ekelpaket, diesem Rechtsanwalt." (Kriminal 156:4).
Sowohl in (170) wie auch in (171) stehen sich Indikatoren subjektiv-epistemischer Modalität (intensivierendes Adverb, subjektiv-qualifizierendes Adjektiv, Ausrufesatz bzw. subjektive Zustande- und Eigenschaftsqualifizierungen) und die „Evidenz der Tatsachen" (das physische Leiden bzw. die schlechten Eigenschaften eines Menschen) gegenüber. Die Möglichkeit einer eindeutigen Grenzziehung ist hier nicht gegeben. Aus dieser Perspektive ist es wohl vorstellbar, daß in manchen Fällen subjektiv-epistemische und objektiv-epistemische Modalität nicht eindeutig genug auseinanderzuhalten sind .
3.3.5. Der logisch-analytische Modalitätstyp Eine propositionale Einstellung des Wollens liegt schließlich auch dem logisch-analytischen Modalitätstyp zugrunde. Dieser Typ von Modalität drückt das Bestehen einer notwendigen Abhängigkeitsrelation zwischen zwei Tennen A und Β nach der Formel „wenn A, dann B" aus. Die Abhängigkeitsrelation beruht auf dem Prinzip der „analytischen Notwendigkeit" im Sinne von TUGENDHAT/WOLF (1986). Die Autoren untersuchen (1986: 248ff.), inwiefern die drei folgenden traditionellen Typen von Notwendigkeit (a) (b) (c)
die analytische Notwendigkeit die kausale Notwendigkeit die metaphysische Notwendigkeit,
die sie jeweils anhand der folgenden Beispielen illustrieren: ( 172)
(a) (b|) (b2) (C|) (c2)
Junggesellen sind unverheiratet Alles, was aus Zucker ist, ist wasserlöslich Immer, wenn es blitzt, donnert es Katzen sind Tiere Gold ist Metall
dem aristotelischen Postulat des Notwendigkeitsbegriffs („Notwendig ist alles, was sich nicht anders verhalten kann") entsprechen. Sie kommen zum Schluß, daß ihr Kriterium weder auf (b) - denn es könnte durchaus auch anders sein 27 - noch auf (c) - das sich als ein besonderer Fall der analytischen Notwendigkeit entpuppt, 28 - sondern nur auf Sachverhalte 27
28
Die Auffassung, Naturgesetze wie in ( 172) (bj/b2) seien keine (kausalen) Notwendigkeiten, sondern stellten allein (nicht unbedingt notwendigen) Regelmäßigkeiten dar, wird bereits von H U M E vertreten: Nach ihm sind Naturgesetze einfach „Aussagen über das regelmäßige Zusammenkommen von Ereignissen" ( T U G E N D H A T / W O L F 1986: 252). Daß Sätze wie (172) (c|/c2) tatsächlich nichts anderes als (verkappte) analytische Sätze sind, läßt sich leicht belegen: Im Wort „Katze" steckt bereits die Bedeutung „Tier" genauso wie im Wort „Junggeselle" die Bedeutung „unverheiratet" von vornherein enthalten ist. Vgl. dazu T U G E N D H A T / W O L F (1986: 256ff.) mit weiteren Argumentationen.
144 wie in (a) zutrifft - denn es kann aufgrund der Bedeutung der Wörter nicht anders sein: Satz ( 1 7 2 ) ( a ) ist nicht nur wahr, sondern notwendigerweise wahr. Analytisch wahre Aussagen sind Aussagen, deren Wahrheit in ihrer Bedeutung gründet (vgl. TUGENDHAT/WOLF 1986: 41). 2 9 Analytische Sätze können auch mit müssen gebildet werden. Vergleiche (173): 3 0 (173)
Wenn ein Satz rechtmäßig gebildet ist, so muß er einen Sinn haben.
Die spezifische Art des Wollens ist hier die einer logisch-analytischen Implikation des Terms Β durch den T e r m A („eine rechtmäßige Satzbildung impliziert notwendigerweise, daß der Satz einen Sinn hat"). Wir können demnach die diesem Modalitätstyp zugrunde liegende semantische Struktur wie folgt formulieren - wobei die modale Instanz d e m Term A und die Proposition ρ d e m Term Β entspricht: ( 174)
I M0D (= BEDEUTUNG VON A) IMPLIZIERT, DASS Ρ (= Β).
Ein Beispiel aus dem Korpus, das die beiden T e r m e der analytisch notwendigen Relation explizit enthält: ( 175)
Wir generalisieren eine Erfahrung, die wir einige Male gemacht haben, zu einem allgemeinen Sachverhalt: „Erwachsene Schwäne sind weiß." Andere Strukturen sind die Gesetze der Logik: „Wenn die Züge zu jeder vollen Stunde fahren und es gleich 20 Uhr ist, dann muß der nächste Zug sofort kommen." Das ist ein Beispiel für die logische Regel des Modus ponens. (Weltbild 67:5).
Logisch-analytische Modalverbsätze drücken genauso wie objektiv-epistemische M o d a l verbsätze Implikationsbeziehungen aus. Zwischen den beiden Klassen von Modalverbsätzen besteht j e d o c h ein grundsätzlicher Unterschied: Analytische Sätze sind notwendigerweise wahr, epistemische möglicherweise wahr: „Mit ' E s ist sicher, daß p ' wird nicht gesagt, daß es nicht anders sein kann, sondern es wird nur gesagt, daß aufgrund des Erkenntnisstandes, in dem wir uns zum Zeitpunkt der Äußerung befinden, alles d a f ü r spricht, daß ' p ' wahr ist." (TUGENDHAT/WOLF 1986: 255). M.a.W.: Dem logisch-analytischen Modalitätstyp liegen keine phänomenologischen - wie dagegen dem objektiv-epistemischen Modalitätstyp -, sondern ausschließlich logische Strukturen zugrunde. Objektiv-epistemische Modalverbsätze sind metakognitive Akte, die (in zweiter Instanz) auf Aussagen über die Welt gründen, und die also, genauso wie pragmatische Modalverbsätze, durch Erfahrung (a posteriori) auf ihre Wahrheit hin überprüft werden können. Logisch-analytische (Modalverb-)Sätze gründen dagegen in ihrer Bedeutung selbst und lassen sich also nicht empirisch, sondern nur a priori verifizieren. An den folgenden Belegen aus d e m Korpus sind die obigen Prinzipien leicht nachzuvollziehen. Die Notwendigkeit der analytischen Relation läßt sich j e w e i l s aus der Bedeutung des ersten Terms ableiten: ( 176)
29
30
Der positive Satz muß die Existenz des negativen Satzes voraussetzen und umgekehrt. (LogoPhil 118:5).
Das Fazit von TUGENDHAT/WOLF (1986: 259) lautet: „Wir haben also nur eine Bedeutung von 'notwendig' gefunden, bei der sich das intuitive Kriterium, daß es sich nicht anders verhalten kann, begründet einlösen läßt, nämlich die Notwendigkeit in analytischen Sinn." Es handelt sich um eine leichte Adaptierung des FREGESchen Satzes „Jeder rechtmäßig gebildete Satz muß einen Sinn haben".
145 (177)
Der Fleck im Gesichtsfeld muß zwar nicht rot sein, aber eine Farbe muß er haben: Er hat sozusagen den Farbenraum um sich. Der Ton muß eine Höhe haben, der Gegenstand des Tastsinnes eine Härte etc. (LogoPhil 10:4).
(178)
Liebe muß aus dem Herzen kommen und kann nicht durch Zwang entstehen. (Merlin 196:5).
In all den drei Fällen läßt sich der Term Β (= ρ) aus der impliziten Bedeutung des Terms A analytisch ableiten. Die folgenden Belege thematisieren ausdrücklich logisch-analytische Beziehungen zwischen zwei Termen A und B: (179)
Das ist eine Frage der logischen, nicht der technischen Analyse. Denn intelligent sein heißt soviel wie: seine eigene bisherige Programmierung durch bewußte Willensakte, dem aufgestellten Ziele entsprechend, abändern zu können. Somit kann zwar ein „Roboter" für alle Ewigkeit für den Menschen vollkommen ungefährlich bleiben, aber dann muß er auch gewissermaßen dumm sein. Soll er aber intelligent, auf eigene Faust handeln können, muß er die Möglichkeit haben, sein eigenes Programm beliebig abzuändern. (ScienceF 155:3).
(180)
Es ist sicher und durch die Sinneserfahrung verbürgt, daß etwas in dieser Welt bewegt wird [...]. Unmöglich ist es [...], daß etwas sich selbst bewege. Es muß also alles, was bewegt wird, von einem anderen bewegt werden. Wenn also dasjenige, von welchem es bewegt wird, gleichfalls bewegt wird, dann muß dieses von einem anderen bewegt werden und dieses wieder durch ein anderes. (Weltbild 183:1).
(181)
Es ist einfach eine Frage schlichter Konsequenz und Folgerichtigkeit. Wenn Sie zugeben, daß ein anderer einen Grund hätte, sie in einer ähnlichen Situation nicht zu schädigen, und wenn Sie zugeben, daß dieser Grund ein sehr allgemeiner wäre und nicht allein Sie oder ihn beträfe, so müssen Sie konsequenterweise zugeben, daß es auch für Sie in der gegenwärtigen Situation denselben Grund gibt, die Handlung zu unterlassen. Sie sollten den Schirm nicht stehlen, und Sie sollten sich schuldig fühlen, falls Sie es doch tun [...]. (DasAlles 57:2).
Mme/j-Modalverbsätze wie oben in (173) sind in der Forschung bereits behandelt und ihre logische Struktur („wenn A, dann B") als eine notwendige („A impliziert notwendigerweise B", „B ist eine notwendige Folge von A" etc.) richtig erkannt worden. Es besteht jedoch die Tendenz, dem Modalverb müssen modale Funktion abzusprechen. So behauptet z.B. VAN 31 DER A U W E R A ( 1 9 8 1 ) aufgrund des Satzpaares ( 182)
(a) (b)
Wenn es regnet, dann sind die Straßen naß Wenn es regnet, dann müssen die Straßen naß sein,
daß das Modalverb müssen „die Bedeutung des Satzes nicht wesentlich ändert" (1981: 88), S/EB0 (1980: 64) spricht dem Modalverb eine Bedeutung zu, die „[...] eher temporaler als modaler Natur ist. Radikal ausgedrückt: ausschließlich temporaler Natur."32 V A N DER A U W E R A ( 1 9 8 1 ) gibt immerhin indirekt zu, daß ein (wenn auch sublimer) Unterschied besteht („... nicht wesentlich ändert"). Ich halte an der These einer funktionalen 31
32
VAN DER AUWERA (1981: 88) argumentiert wie folgt: „Die relative Notwendigkeit des Verbums müssen wiederholt ja die relative Notwendigkeit des wenn... dann. Daß die erste Notwendigkeit präsuppositional ist und die zweite nicht, macht nichts aus, da der Unterschied neutralisiert wird. Das zweite Relatum des Verbums müssen wird von dem Antezedens ergänzt und verliert eben dadurch, im Hinblick auf den ganzen Satz, seine Präsuppositionalität." Die Bedeutungsfunktion des Modalverbs besteht nach S^B0 (1980: 64ff.) in der temporalen Umkehrung von Bedingung und Bedingtem (bzw. Antezedens und Konsequens) im Konditionalsatz.
146 Bedeutungsopposition zwischen den beiden Sätzen fest und begründe die semantische Leistung von müssen mit dem expliziten Ausdruck der analytischen Notwendigkeit der zwischen den beiden Sätzen bestehenden Relation - eine Relation, die im Satz ohne Modalverb nur präsupponiert ist: ( 183)
(a) (b)
Die Straßennäße ist eine (notwendige) Folge des Regens Die Straßennäße ist eine notwendige Folge des Regens
In analytischen Sätzen wie (182) (b) wird müssen zu einem performativen Ausdruck des Notwendigen - und dies ist auch der einzige Fall, wie wir oben gesehen haben, in dem dieses Modalverb „notwendig" bedeutet. Daß auch in Sätzen wie (182) (a) es sich ebenfalls um analytische Relationen handelt, steht außer Zweifel: Hier ist aber die Bedeutung „notwendig" nur in unserer Kenntnis-von-Welt implizit begründet.
4. Das Modalverb sollen
Im Vergleich zu Modalverbsätzen mit müssen, die im wesentlichen Inhalte des Sememkomplexes „Zwang/Notwendigkeit/Pflicht" ausdrücken, erweisen sich Modalverbsätze mit sollen als semantisch weitaus komplexer. 1 Die größere Vielfalt an Bedeutungen der sollenModalverbsätze gründet zum einen darin, daß sie als Ausdrucksmittel aller drei grundlegenden Modalitätsarten dienen, zum anderen aber auch sicherlich darin, daß sollen Funktionen übernommen hat, die früher durch den Modus Konjunktiv ausgedrückt wurden: gemeint sind vor allem die berichtenden und die optativischen Funktionen. Als Ausdrucksmittel der propositionalen Einstellungen des Sagens werden Modalverbsätze mit sollen dazu gebraucht, fremde Behauptungen neutral wiederzugeben - somit stehen sie in enger Beziehung sowohl zum Indikativ als dem Modus der uneingeschränkt gültigen Behauptung sowie zum Konjunktiv als dem Modus der eingeschränkt gültigen Behauptung, ferner dienen sie zur Vorwegnahme von Behauptungen über zukünftige Geschehen aus der Vergangenheitsperspektive - vgl. ( l ) ( a ) und (b). Als Mittel der propositionalen Einstellungen des Glaubens dienen sie zum Ausdruck der Bewertung, wie aber auch der Einschätzung und Deliberation über Sachverhalte - vgl. (2) (a), (b) und (c). Als Mittel der propositionalen Einstellungen des Wollens werden sie schließlich zum Ausdruck verschiedener Formen von aktantiellen Volitionen benutzt, die durch den Sememkomplex „Absicht/Wunsch/Forderung" gekennzeichnet sind - vgl. (3) (a) und (b): (1)
(a) (b)
Er soll im Lotto gewonnen haben. Er sollte seine Heimat nie mehr Wiedersehen.
(2)
(a) (b) (c)
Er sollte fleißiger arbeiten. Sollte er der Täter sein? Wenn er der Täter sein sollte,...
(3)
(aO (a 2 ) (a 3 ) (b)
Das Werk soll nach Fern-Ost verlagert werden. Du sollst nicht leiden! Er soll sich sofort bei mir melden! D u sollst nicht töten!
Kennzeichnend für die Menge der Modalverbsätze mit sollen ist eine ausgeprägte Tendenz zur Bildung idiosynkratischer, d.h. satztypabhängiger Konstruktionen mit eigenständiger Satzbedeutung. Dies ist sowohl der Fall in (1) (b) wie auch in (2) insgesamt. Für die epistemischen Modalverbsätze in ( l ) ( a ) wie auch für die pragmatischen und deontischen in (3) (b) bestehen dagegen keinerlei morphosyntaktische Einschränkungen. 1
Die Literatur zu sollen wartet zwar mit zwei Monographien (MAXWELL 1964, GLAS 1984) auf, ist jedoch insgesamt ärmer als die zu müssen. Informationen über sollen liefern ferner Abhandlungen des Modalverbsystems
(z.B.
BECH 1 9 4 9 ,
WELKE 1 9 6 5 ,
RAYNAUD 1 9 7 5 a ,
SCHLÄGER 1 9 8 9 ) s o w i e G r a m m a t i k e n ( z . B . ENGEL 1 9 8 8 , EISENBERG 1 9 9 4 ,
REDDER 1 9 8 4 ,
ÖHL-
DUDEN-GRAMMATIK
1973; 1984; 1995). D i e einschlägigen Aufsätze behandeln die Abgrenzung von sollen zu müssen (vgl. RAYNAUD 1977, RAMGE 1986, 1987), die Beziehung zum Konjunktiv (WELKE 1971a, 1971b) sowie speziellere Problemen, wie die Rolle von sollen in der indirekten Rede (z.B. RAYNAUD 1975b, SCHEIDWEILER 1980), dessen futurischen Bedeutung (MAXWELL 1968, TEN CATE 1991) sow i e d e s s e n s a t z t y p a b h ä n g i g e s V o r k o m m e n ( G L A S 1 9 7 1 , HEDBERG-SCHLAUG 1 9 8 2 , B R A N D T / P E R S SON/ROSENGREN 1 9 8 2 ) .
148 Je nach der Qualität der modalen Instanz, die der jeweiligen Klasse von Modalverbsätzen zugrunde liegt, lassen sich verschiedene Modalitätstypen unterscheiden. Jeder Modalitätstyp bringt wiederum eine der drei grundlegenden Modalitätsarten zum Ausdruck, die durch die propositionalen Einstellungen des Sagens, des Glaubens und des Wollens realisiert werden.
4.1. Die propositionalen Einstellungen des Sagens
Modalverbsätze mit sollen - zusammen mit Modalverbsätzen mit wollen - sind wichtige Ausdrucksformen der propositionalen Einstellungen des SAGENS - im Gegensatz zu müssew-Modalverbsätzen, die daran nicht beteiligt sind (vgl. Kapitel 3). In dieser Funktion bilden io//e«-Modalverbsätze die folgenden beiden Modalitätstypen: den berichtenden und den antizipierenden Modalitätstyp. Tabelle 4.1 faßt die beiden Modalitätstypen zusammen: Tabelle 4.1: Die propositionalen Einstellungen des Sagens bei sollen Modalitätstyp
Beispiel
1. berichtend 2. antizipierend
Er soll im Lotto gewonnen haben Er sollte seine Heimat nie mehr Wiedersehen
4.1.1. Der berichtende Modalitätstyp Über Sachverhalte zu sprechen, bedeutet, Behauptungen aufzustellen. Behauptungen sind entweder wahr oder falsch. So stellen die Sätze in (4) (a) und (b) bzw. (c) und (d) Behauptungen jeweils über ein und denselben Sachverhalt („das heutige Regnen" bzw. „Rom ist Hauptstadt von") dar, von denen jeweils zwei wahr und zwei falsch sind: (4)
(a) (b) (c) (d)
Heute regnet es. Heute regnet es nicht. Rom ist die Hauptstadt Italiens. Rom ist die Hauptstadt Deutschlands.
Das modale Ausdrucksmittel schlechthin zur Äußerung von Behauptungen ist der Modus Indikativ. Will aber der Sprecher auf bereits geäußerte Behauptungen Bezug nehmen, ohne auf ihren Wahrheitswert einzugehen, so kann ihm der reine Indikativ nicht weiterhelfen. Zu diesem Zweck muß er auf andere modale Ausdrucksmittel ausweichen - auf die folgenden: a.)der Modus Konjunktiv (der indirekten Rede), b.)performative Verben der Behauptung {sagen, behaupten etc.), c.) Modalverben (sollen und wollen), d.)Modaladverbien sowie -adjektive (angeblich etc.). Vergleiche die folgenden Beispiele, die die verschiedenen Klassen modaler Ausdrucksmittel verdeutlichen:
149 (5)
(a) (Karl sagt), er habe im Lotto gewonnen. (b) Paul behauptet, daß Karl im Lotto gewonnen hat. (c) Karl soll/will im Lotto gewonnen haben, (di) Karl hat angeblich ¡'m Lotto gewonnen. (d2) Der angebliche Lottogewinn von Karl...
Diese Klassen von Ausdrucksmitteln sind nicht synonym, sondern stehen in komplementärer Distribution zueinander. Kontrastieren wir die Modalverbsätze in (5) (c) mit den Konjunktivsätzen in (5) (a) sowie den Sätzen mit performativen Verben in (5) (b), so lassen sich ihre jeweiligen Funktionen wie folgt beschreiben: Die Sätze mit den Modalverben sollen und wollen enthalten zwei Bedeutungskomponenten bezüglich des behaupteten Sachverhalts p, die sich wie in (6) (a) und (b) formulieren lassen: (6)
(a) (b)
jemand (hat) behauptet, daß p\ der Sprecher geht nicht darauf ein, ob ρ (wahr ist).
Die entsprechenden Konjunktivsätze sowie die Sätze mit performativen Verben enthalten dagegen nur die erste der beiden Komponenten: „Jemand (hat) behauptet, daß p". Mit anderen Worten: (6) (a) ist die Äußerung einer Behauptung (von p), (6) (a) und (b) ist eine Stellungnahme zur Behauptung von ρ in dem Sinne, daß der Sprecher ausdrücklich betont, daß er auf die Wahrheit von ρ nicht eingeht. Auch berichtendes wollen läßt sich genau in diesem Sinne definieren, mit dem einzigen Unterschied, daß in berichtenden wo//e«-Modalverbsätzen der Urheber der Behauptung immer ausgedrückt wird, also (wobei A für den Urheber der Behauptung steht): (7)
(a) (b)
A (hat) behauptet, daß p\ der Sprecher geht nicht darauf ein, ob ρ (wahr ist).
Berichtendes wollen hat nicht das Merkmal [+Zweifel], wie oft in der Literatur (sowie von Informanten!) behauptet wird.2 Wenn im berichtenden w///-Satz die Bedeutungskomponente des Zweifels über ρ besteht, so geht diese nicht auf wollen zurück, sondern sie stellt eine konventionelle Implikatur dar. Eine Bedeutungskomponente des Zweifels kann ohne weiteres - infolge von unserer Kenntnis-von-Welt - für (8) und (9) angenommen werden, nicht aber für (10) und (11):
2
(8)
Nicht einmal Ende des Jahres 1988, als Johannes Zwick mit Tandlers Finanzministerium gerade über eine bevorstehende Niederschlagung verhandelte, will der damalige Minister bei einem Treffen mit dem Zwick-Sohn über die elterlichen Steuerschulden gesprochen haben, sondern nur über ein Gewerbesteuerproblem. (SZ 26.07.1995:3).
(9)
Völlig undurchsichtig ist der Fall Möller. Der Dortmunder hatte auf den Schiedsrichter eingeredet und ihn am Ärmel gezupft. Er habe nicht protestiert, sagte Möller hinterher kurioserweise wurde im Spielberichtsbogen aber ein Foul als Grund für die Verwarnung angegeben. Riedle will keinen Pfiff gehört, den Ball nicht weggekickt, sondern ganz einfach weitergespielt haben. Eine Ausrede. Seit wann stürmt man außerhalb der Linien weiter? (SZ 6.4.1995:58).
(10)
Minister Waigel will schon mehrmals zu einem sparsamen Umgang mit Steuergeldern im Osten gemahnt haben. Dafür habe er nur böse Kritik geerntet. (RADIO BAYERN 5, 15.5.1995).
Vgl. z.B. G L A S (1982: 96), E N G E L (1988: 473), D U D E N - G R A M M A T I K (1995: 101). E N G E L E N (1973: 51 ) behauptet sogar, daß mit soll und will „Der Inhalt der Aussage als mutmaßlich zweifelhaft oder sogar nicht richtig hingestellt [wird]."
150 (11)
Musikalisch [...] war Wittgenstein ein Mann des neunzehnten Jahrhunderts [...]. Eine Zeitlang ließ er nur Bach gelten, dann war Brahms wieder besonders wichtig, und in der Berliner Zeit will er, wie bereits erwähnt, die „Meistersinger" dreißigmal gehört haben. (Schulte 28:2).
Lassen wir also gelten, daß in (10) und (11) an der Glaubwürdigkeit Waigels und Wittgesteins nicht gezweifelt werden kann, so läßt sich die (wohlbegründete) Bedeutungskomponente des Zweifels in (8) und (9) allein als Implikatur verstehen. Es kann sogar vorkommen, daß der Sprecher mittels lexikalischer oder prosodischer Komponenten für das Bestehen des behaupteten Sachverhalts eintritt - wie in (12): (12)
Ich möchte mal wirklich nach Schottland. Es soll eine wunderbare (Mündlicher Beleg).
Landschaft sein!
In komplementärer Distribution steht hier sollen aber auch zu Modaladverbien sowie Modaladjektiven. Dies beweist (13): (13)
(a) (b) (c)
Übrigens kann man ja mit dem Professor einmal reden. Er verkehrt jeden Tag bei Fräulein Kwet, sie wird ihn angeblich heiraten. (Prager-B 325:2). [...] *sie soll ihn heiraten werden. [...] sie soll ihn nächsten Monat heiraten.
Das Modaladverb angeblich steht da, wo sollen kollokativ nicht möglich ist, und zwar z.B. in Behauptungen über temporal unspezifizierte zukünftige Sachverhalte - vgl. (13) (b). Sobald der zukünftige Zeitpunkt spezifiziert wird, ist auch behauptendes sollen wieder möglich - vgl. (13) (c). Dies ist auch in (14) der Fall: (14)
[...] Zenobia. Am linken Ufer mündet ein beträchtlicher Fluß ein; auch er hatte einen Namen, wie alle ordentlichen Dinge in dieser Welt: Aborrhos. Und nun soll dann morgen die Wüste zu beiden Seiten beginnen. (Alexander 93:6).
Angeblich (als Adverb oder Adjektiv) kann anstelle von sollen immer dann verwendet werden, wo es monosemierend wirken soll. So ist (15) (a) aufgrund des stark polysemen Modalverbs sollen mehrdeutig, (15) (b) aufgrund von angeblich eindeutig: ( 15)
(a) (a,) (a 2 ) (b) (b0
Sie soll ihn bald heiraten. = jemand behauptet, daß p. = jemand fordert, daß p. Sie heiratet ihn angeblich bald. = jemand behauptet, daß p.
Eindeutigkeit im Sinne der Wiedergabe von Behauptungen ist auch immer dann gewährleistet, wenn das Modaladverb bzw. -adjektiv angeblich zum Modalverb sollen im Satz dazukommt - wie in den folgenden Beispielen: (16)
Auf der Galerie. König Artus auf dem Thron neben dem Reichsteppich; Sir Kay, Ritter. Auf der anderen Seite Mordred, Sir Gawain. Nervöse Vorkehrungen in Erwartung Königin Ginevras und Sir Lancelots. SIR GAWAIN Sind sie schon da? SIR MORDRED Ja, ja, sie sind schon vor der Tür. Sie warten auf ihren Auftritt. Sie soll angeblich einen Ölzweig in der Hand halten, es fehlen nur die Flügel, darin wäre der Unschuldsengel perfekt. (Merlin 322:4).
(17)
„Ja bitte?" Die Stimme klang nicht unfreundlich, ließ aber auch keinen Zweifel daran, daß man Frau Loll weder ein Zeitschriftenabonnement noch sonstw is andrehen konnte. „Entschuldigen Sie die Störung, aber ich suche einen Herrn Kartte, Christian Kartte, der angeblich hier wohnen soll." (TotMann 79:6).
151
In (16) leistet angeblich tatsächlich eine Monosemierung von der Bedeutung 'Forderung' weg, in (17) ist der Gebrauch von angeblich eher redundant, denn die berichtende Bedeutung von sollen ergibt sich bereits als konversationelle Implikatur. In der Redesituation der Wiedergabe fremder Rede wird sollen dazu benutzt, Informationen aus zweiter Hand zu geben. So//e«-Modalverbsätze in dieser Funktion sind selbst keine Behauptungen von p, sondern sie stellen berichtete Behauptungen dar, genauer: Berichte über Behauptungen von p. Ihnen liegt die propositionale Einstellung des Sagens zugrunde und ihre semantische Struktur lautet: ( 18)
IMOD
(= SPRECHER) BERICHTET, DASS BEHAUPTET WIRD, DASS P.
Vergleiche die folgenden Belege, aus denen die Bedeutung der Wiedergabe fremder Behauptungen leicht zu entnehmen ist: (19)
§ 92 - In der Begründung der Beschwerde sind das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich verletzt fühlt, zu bezeichnen. (GG GBG 121:2).
(20)
„Die Franzosen selbst sind über den Misanthrop nicht ganz klar; bald soll Molière das Muster dazu von einem genannten, derb auftretenden Hofmann genommen, bald sich selbst geschildert haben." (Aussen 27:1).
Neben Präsensformen von sollen sind in dieser Funktion auch Praeteritumformen möglich. Diese werden gebraucht, wenn der Sprecher auf Behauptungen Bezug nimmt, die in der Vergangenheit bestanden haben. Vergleiche: (21)
Kinder wurden vermißt und gesucht, Menschen sollten auf den Feldern vom Hagel erschlagen worden sein. (Spiele 1 193:3).
(22)
Marat wurde angeklagt, weil er die Girondisten, die fur das Leben des Königs eingetreten waren, denunziert haben sollte. (Die Zeit, 26.6.89:50).
(23)
„Ach, Lyko: was meinst Du, was ich schon an Kosmogonien überlebt habe! - Einmal sollte die eine Seite der Sonne blau und schillernd sein und nur ganz schwach leuchten! Einmal hieß es: die beiden Hälften der Erdkugel paßten nicht ganz genau aufeinander, weshalb sich am Äquator ein Rundumwasserfall von 100 Fuß Höhe bilde, den kein Schiff passieren könne!" (Alexander 483:3).
Daß mit sollen-Moda\verbsätzen tatsächlich über Behauptungen berichtet wird, machen explizite anaphorische bzw. kataphorische Beziehungen zu performativen Verben („verba dicendi" wie sagen, behaupten, erzählen - auch negativ konnotierte wie lästern, schwätzen etc. bzw. „verba sentiendi" wie erfahren, hören etc.) oder entsprechende Nominalausdrücke (z.B. Behauptung, Gerücht etc.) im Satz oder im näheren Kontext deutlich. Vergleiche: (24)
Von den Gletschern aus soll man einen großen Teil unseres Landes sehen können, sagt man. (Spiele 3 784:8).
(25)
„Ich suche eine Vertragsabschrift", sagte er, „die sich wie der Vertreter der Firma behauptet, bei Ihnen befinden soll. Wollen Sie mir nicht suchen helfen?" (Proceß 187:1).
(26)
Niemand wird behaupten wollen, den Schweden fehle es einfach an Gründen, sich aufzuregen. Der Staatshaushalt soll, wie ich höre, ein Defizit von 78 Milliarden Kronen aufweisen [...]. (Europa-A 11:2).
Berichte von Behauptungen können nach dem Sicherheitsgrad unterschieden werden, mit dem sich das Behauptete behaupten läßt. Wir können von einem bei Null liegendem, über
152 einen mittleren bis zu einem sich bei 100%-Sicherheit befindenden Sicherheitsgrad skalieren. Bei einer groben Skalierung lassen sich die drei folgenden Bereiche unterscheiden: a.)Am untersten Ende der Skala steht die 'Welt der Mythen und der Gerüchte' (typische performative Äußerungen sind man sagt, man erzählt, daß ρ etc.) - Hier geht es um die Fama, um Mythen, Sagen und Legenden sowie um nicht überprüfbare Gerüchte: (27)
Dionysos ist mehr und weniger denn ein Gott - er ist enthüllte Erde, offenbarte Natur. Er ist ein Dämon, ein vielgestaltiger Titan. Dem widerspricht nicht, daß nach einer der vielen Mythen, die sich an ihn knüpfen, Titanen ihn zerrissen haben sollen [...]. (Aladin 67:1).
b.)In der Mitte steht die 'Welt der Behauptungen' (die typische performative Äußerung ist hier man behauptet, daß p) - Hier geht es um die Wiedergabe von Behauptungen, die den alltäglichen Interaktionsformen des Hören-Sagens entspringen: (28)
KÖNIG ARTUS Der Tisch! Ich meine den Tisch! Da steht doch ein Tisch im Hintergrund! MERLIN Ach ja. Ich sehe. Das ist der Tisch von König Lodegrance von Cameliard. Den bekommt sie als Mitgift. KÖNIG ARTUS Dann will ich sie heiraten! Wie heißt sie? MERLIN Ginevra. Sie soll sehr schön und charmant und klug sein. (Merlin 80:3).
c.)Am obersten Ende der Skala steht die 'Welt der Verdachtsmomente (Indizien)' (typische performative Äußerungsform ist hier es scheint so zu sein, daß p) - Hier geht es um Behauptungen, die in der Wissenschaft, in der Forschung etc. formuliert werden oder allgemein einer analytischen Einstellung zu den Sachverhalten entspringen: (29)
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erkannte man aus astronomischen Beobachtungen, daß alle Galaxien sich voneinander entfernen [...]. Man schließt daraus, daß vor langer Zeit alle Galaxien ganz nahe benachbart waren. Ja, es soll sogar eine Zeit gegeben haben, in der die ganze Welt nur ein kleines Gebiet mit riesiger Energiekonzentration war. (Weltbild 136:1).
Im folgenden Beleg sind zugleich zwei der Skalenpositionen belegt, und zwar die unterste ('Welt der Gerüchte') sowie die oberste ('Welt der Indizien'): (30)
Hitler, der für sie geschwärmt haben soll (man kann sich seine Bewunderer nicht aussuchen), soll ihr mehrfach die Heimkehr ins Reich offeriert haben, mit ausgerolltem roten Teppich und Triumphzug. (Spiegel 20/1992:225).
Die Weglassung der Quelle der Behauptung ist bei berichtendem sollen die Regel - denn es kommt nicht auf Wahrheitswerte an. Zu Zwecken der Prädikation kann jedoch notwendig werden, den Behauptenden anzugeben (meist eingeleitet durch bzw. gefolgt von Präpositionen wie laut, gemäß, nach bzw. zufolge) - wie in (31 ): (31)
Diese Grundbestimmung des Besorgens bildet nun den Rahmen, in welchem Heidegger zu zeigen versucht, worin jener „Umschlag" der Umsicht auf zuhandenes Zeug in das Erkennen von vorhandenen Dingen bestehe. Dieser Umschlag, welcher im Prinzip dann auch der Ursprung von Naturwissenschaft als dem ausgezeichneten Fall der Erkenntnis von Vorhandenem wäre, soll nach Heidegger als eine „Thematisierung" von Seiendem erfolgen, welche dieses Seiende „objektiviert". (SeinZeit 42:2).
Berichtete Behauptungen sind meistens Behauptungen über Dritte; mitunter sind sie aber auch Behauptungen über den Sprecher oder den Angesprochenen: (32)
Ich soll, wie man mir später sagte, ungewöhnlich wenig Lärm gemacht haben, woraus man Schloß, daß ich entweder bald eingehen müsse oder daß ich, falls es mir gelingt, die erste kritische Zeit zu überleben, sehr dressurfähig sein werde. (Kafka El 168:4).
153 (33)
Die berechtigte Ohrfeige Es spielen: Zwei Freunde DER EINE: Du sollst neulich in der Straßenbahn einer dir völlig fremden Frau eine Ohrfeige gegeben haben. DER ANDERE: Ach so, das! Ja, ja, das stimmt schon. Das tat ich tatsächlich. (Spieltex 10:7).
(34)
„Sie haben nicht das Recht, uns aufzuschreiben", sagte Leo. „Sie würden sich wundern, wenn Sie wüßten, wozu ich das Recht habe", erwiderte er, ganz ruhig. Leo spürte, wie Carla ihre Hand auf seine Schulter legte. „Keine Angst", sagte er laut. „Ich tu ihm schon nichts." Der Polizist sah ihn an. „Sie sollen vorhin einen Taxifahrer bedroht haben", sagte er. (Erz-60-B 181:16).
In der Frageform dient hier sollen nicht zum Berichten über Behauptungen, sondern zum informativen oder rhetorischen Erfragen von Behauptungen - vgl. (35) und (36); rhetorische Effekte erzielt auch der Ausrufesatz - vgl. (37): (35)
Die beiden sitzen schweigend. DER MANN: Was kann er schon gehört haben? DIE FRAU: Du hast doch über die Zeitung gesprochen. Das über das Braune Haus hättest du nicht sagen dürfen. Er empfindet doch so national. DER MANN: Was soll ich über das Braune Haus gesagt haben? DIE FRAU: Da mußt du dich doch erinnern! Daß dort nicht alles sauber ist. (Spieltey 63:4).
(36)
In diesem Glasschrank warten noch große Werte, für die Vater einst zärtlich Gelder vergeudet hat, auf Verkauf oder Versatz. Olly schaut sehnsüchtig in den Glasschrank, nachdenklich, spöttisch. Eine einzige Tasse soll über 50 Mark gekostet haben? Wer es glaubt, wird selig, wer's nicht glaubt, kommt auch in den Himmel. (AufrKind 22:1).
(37)
DER MANN: Müssen wir ein Mädchen haben, dessen Vater Blockwart ist? DIE FRAU: Darüber haben wir doch, denke ich, genug gesprochen. Das letzte, was du sagtest, war, das habe seine Vorteile. DER MANN: Was ich alles gesagt haben soll! Sag so etwas nur deiner Mutter, und wir können in den schönsten Salat kommen. (Spieltey 60:4).
In (35) und (37) weist der aktuelle Sprecher die Behauptung von sich, er hätte ρ behauptet er distanziert sich somit von einer ihm nachgesagten Behauptung; in (36) zieht er die Gültigkeit des von einem Dritten behaupteten Sachverhalts in Zweifel.
4.1.2. Der antizipierende Modalitätstyp Über die Bedeutungsfunktion von sollte-Sätzen wie hier unten in (38) gehen die Meinungen stark auseinander: (38)
[...] ... arme Tony! Der Tod ihres zweiten Kindes war weder der letzte noch der härteste Schlag, der sie treffen sollte... (Brook Β 377:1).
Es handelt sich um einen idiosynkratischen Konstruktionstyp, bestehend aus dem Präteritum Indikativ von sollen + Infinitivsatz. Uneinigkeit besteht u.a. deshalb, weil dieser Konstruktionstyp als Bezeichnung zukünftiger Geschehen aus der Vergangenheit heraus mit der wiirde-Form (= „... weder der letzte noch der härteste Schlag, der sie treffen würde") in Konkurrenz tritt. Unklar ist nicht nur, worin sich die beiden Konstruktionstypen unterscheiden, sondern auch, ob sollen in solchen Sätzen als modal zu werten sei. WELKE (1965: 104) spricht dem Konstruktionstyp jede modale Funktion ab und stuft ihn gleichsam als Tempusgrammem mit dem „KE" (^kommunikativen Effekt) der „Zukunft in der Vergangenheit" ein. Andere Autoren sprechen ihm jedoch modale Bedeutung zu, so z.B. MAXWELL (1964; 1968): „[...] expresses an element of modality" (1968: 416), sowie RAYNAUD (1976b: 66),
154 die mit der Konstruktion eine bivalente temporal-modale Funktion verbindet: „Même dans cet emploi sémantico-temporel, sollen ne s'est donc pas entièrement grammaticalisé. Pour cette raison, on hésite à intégrer cet emploi de sollen dans le système temporel." Wird sollen als modal betrachtet, so wird es gewöhnlich mit einer Bedeutungsbestimmung in Verbindung gebracht, die BECH (1949: 15) als „ein schicksalbestimmtes futurum in praeterito" formuliert hat. Tatsächlich ist in vielen sollen-Sätze dieser Klasse von 'Schicksal' die Rede. Es ist jedoch zweierlei zu fragen: a.) Ist diese Bedeutunsgkomponente für die Konstruktion konstitutiv? b.)Geht diese Bedeutung tatsächlich auf sollen zurück? Was die erste Frage angeht, so läßt sich zum einen feststellen, daß dies wohl oft der Fall ist - w i e z.B. in (38) und (39): (39)
[...] Arme Tony: Dieser Empfang sollte sich unendlich traurig gestalten, und diese Taufe, die ihr als ein entzückendes kleines Fest mit Blumen, Konfekt und Schokolade vor Augen geschwebt hatte, sollte überhaupt nicht stattfinden, - denn das Kind, ein kleines Mädchen, sollte nur ins Leben treten, um nach einer armen Viertelstunde, während welcher der Arzt sich vergeblich bemühte, den unfähigen kleinen Organismus in Gang zu halten, dem Dasein schon nicht mehr anzugehören... (Brook Β 375:3).
zum anderen aber auch, daß die generell postulierte Schicksalsbedeutung anderen - wie etwa den folgenden - Belegen (mehr oder weniger) fremd ist: (40)
Noch kürzlich war sein längstes Eheversprechen von einer Danziger Handwerkerstochter namens Elisa mißachtet worden, worauf sie ihm in Gedichten zur treulosen Flora wurde. Erst im folgenden Jahr sollte er in Hamburg ehelich werden, zur Ruhe kommen und ein einträgliches Geschäft besorgen. (Telgte 77:2).
(41 )
Sie ahnten nur sehr undeutlich, daß sie das schöne Mädchen mit den roten Haaren soeben zum letzten Mal gesehen hatten. Sie ahnten, daß Laure Richis verloren war. Diese Ahnung sollte sich als richtig erweisen, obwohl sie auf völlig falschen Voraussetzungen beruhte. (Parfüm 264:2).
(42)
Studer stellte die Queue auf den Boden, blinzelte und sagte ärgerlich: „Bitzli z'wenig Effet." Und gerade in diesem Augenblicke hörte er zum ersten Male die dröhnende Stimme, die er noch oft hören sollte. (Studer 29:13).
Somit läßt sich die zweite Frage in dem Sinne beantworten, daß die Schicksalsbedeutung eine zugleich konventionelle und konversationelle Implikatur sein muß. Konventionell ist diese Implikatur deshalb, weil die Schicksalsbedeutung der Bedeutungsfunktion der sollteKonstruktion (als Kennzeichnung zukünftiger Geschehen) entspringt, und als konversationeil deshalb, weil die Schicksalsbedeutung (auch) von bestimmtem kontextuellen lexikalischen Angaben herrührt (im Beispiel (39) kursiv hervorgehoben). GLAS (1984: 99) kritisiert BECHS Interpretation der 'Schicksalbestimmung' und plädiert
dafür, sollte-Sätze als „Elemente der gehobenen Rede über Vergangenes", also als eine rein stilistische Erscheinung einzustufen. Eine interessante Position nimmt ENGEL (1988: 467) ein, der einzige Autor, soweit ich sehe, der sich um eine Abgrenzung der sollte-Sätze von der würde-Form bemüht. Er schreibt: „Der wesentliche Unterschied liegt darin, daß zukünftiges Geschehen bei sollte aus der Sprecherperspektive, bei würde aus der Perspektive der Subjektgröße gesehen wird." Wichtig ist bei ENGEL (1988), zu verstehen, wo nach ihm die Sprecherperspektive liegen soll. In Prädikationen über vergangene Geschehen kann die
155 Sprecherperspektive im Präsens (bei perfektivischem Aspekt) oder aber auch in der Vergangenheit (bei imperfektivischem Aspekt) liegen. An anderer Stelle heißt es bei ENGEL (1988: 467): „In dieser Bedeutung [...] signalisiert [sollen] die Zukunftsperspektive aus der Vergangenheit, oft auch eine rekapitulierende Sprechäußerung 'ex post'." Es dürfte nicht schwer sein, nachzuvollziehen, daß die Bedeutung der „rekapitulierenden Sprechäußerung 'ex post'" genauso eine konversationelle Implikatur darstellt wie die Bedeutung der „Schicksalbestimmung" weiter oben. Zutreffend ist dagegen die Ansiedlung der Sprecherperspektive in der Vergangenheit - ein Merkmal, das aber auch auf die würdeForm zutrifft. Was dagegen auf diese letzte nicht zutrifft, ist der Umstand, daß sollte-Sätze immer tatsächlich stattgefundene Ereignisse prädizieren. Mit würde-Sätzen wird dagegen auf zukünftige Sachverhalte Bezug genommen, deren Eintreten grundsätzlich offen bleibt. Mittels dieser beiden Charakterisierungen sind wir jetzt in der Lage, die modale Funktion dieser Klasse von sollte-Sätzen näher zu bestimmen: Sollte-Sätze, die Aussagen über zukünftige Geschehen der Vergangenheit sind, stellen antizipierte Prädikationen von ρ dar: Der Sprecher (S) prädiziert das Eintreten des Sachverhalts ρ vor dessen tatsächlichen Realisierung in to- Dies erreicht er, indem er die Erzählperspektive (EP) von der links- bzw. vergangenheitsgerichteten Sprechzeit ( ^ t+0 auf die rechts- bzw. zukungfsgerichtete Betrachtzeit (t_i •>) spiegelsymmetrisch zu to umstellt - wie hier unten in (43) dargestellt: (43)
(a) (b) (c)
Betrachtzeit - EP 1 t-1
ρ findet (erst) in to statt, S stellt EP von t+i auf L, um, S prädiziert ρ von t+i aus.
Epräp sowie Eakk -> Enom). Zu dieser Behauptung hat GLAS (1984: 50ff.) ausführlich Stellung genommen und gezeigt, daß die These in der kategorischen Formulierung WELKES (1965) unhaltbar ist. GLAS zeigt, daß es sich bei der wo//e«-so//eH-Transformation „nicht immer und nicht nur um Fokussierung handelt" (1984: 51): Außer sprachstrategisch sei die Möglichkeit der Transformation „stilistisch eingeschränkt" (1985: 48). Uns interessiert hier aber nicht nur die Beziehung von sollen zu wollen, die aus (136) herrührt, sondern auch die zur Klasse der performativen Verben des „Beabsichtigens", wie sie in (138) formuliert ist. Es gilt demnach nicht nur zu zeigen, inwiefern sich sollen von wollen, sondern auch wie es sich von dieser Klasse der performativen Verben in seiner Funktion unterscheidet. Wir werden feststellen, daß sollen neben textuellen Funktionen auch eine eigenständige semantische Leistung erbringt. Die thematische Anknüpfung an das Rhema des Vorsatzes zur Ermöglichung weiterer Prädikation (Fokussierung) ist sicherlich eines der auffallendsten Merkmale von sollenSätzen als Prädikationen über beabsichtigte Sachverhalte. Dies läßt sich am Beispiel (150) zeigen: (150)
Die deutsche Chemiefirma Hoechst begann im Jahre 1923 mit der Herstellung des Insulins, im Ersten Weltkrieg hatte sie Gaskampfstoffe produziert, heute investiert Hoechst auch in gentechnische Forschung: „Hoechst entwickelt und fertigt Produkte, die am Markt ausgerichtet sind. Sie sollen die Grundbedürfhisse der Menschen erfüllen, die Lebensqualität verbessern und den Lebensstandard sichern und erhöhen." (Geschäftsbericht 1987). (Weltbild 257:2).
Der Rückgriff auf wollen hätte zur unnötigen Angabe des beabsichtigenden Aktanten gezwungen - unnötig deshalb, weil dieser im Vorsatz erwähnt wird. Der Rückgriff auf ein performatives Verb dieser Klasse würde einen weiteren Nachteil nach sich ziehen. Zum einen würde es, genauso wie bei wollen, zur unnötigen Angabe des beabsichtigenden Aktanten fuhren, zum anderen würde satzintern die intensionale Angabe einer Bedeutung ausgedrückt, die bereits durch andere Satzelemente genügend gesichert ist: Der propositionale Gehalt („die Grundbedürfhisse der Menschen erfüllen, die Lebensqualität verbessern und den Lebensstandard sichern und erhöhen") des sollen-Satzes in (150) versteht sich von selbst als eine Menge von Zielen und beeinflußt die Auslegung von sollen im Sinne eines Funktionsverbs des Beabsichtigens in einem ausreichenden Grad, so daß die Einführung explizit performativer Prädikate wie anstreben, vorhaben, bestrebt sein etc. überflüssig wird. Anders verhält es sich dagegen in (151): Hier erweist sich der propositionale Gehalt des sollen-Satzes („[...] 60 Pfennig kosten"), den der Sprecher informativ vermitteln will, als nicht ausreichend zur Ermöglichung einer eindeutigen Interpretation des Modalverbs sollen als Funktionsverbs des Beabsichtigens. Denn für sich genommen könnte der Satz genauso gut als Bericht, als Forderung oder auch als Absicht formuliert werden. Die satzinternen Angaben sind unzureichend für eine eindeutige Interpretation. Zur Monosemierung bedarf der Satz somit satzexterner Angaben, die ihn als Ausdruck zur Prädikation über Sachverhalte deuten lassen. In Frage kommen entweder wollen oder aber Performative. Da aber selbst wollen nicht explizit genug ist, um die Prädikation des Beabsichtigens gegen andere Prädikationstypen, wie Wünsche und Forderungen, die es ebenfalls ausdrückt, durchzusetzen, so wird hier die Einführung eines Performativs unausweichlich: Im Vorsatz befin-
177
det sich das performative Verb des „Beabsichtigens" planen. Im Nachsatz soll der beabsichtigende Aktant wieder ins Gedächtnis des Lesers gerufen werden: Hier erweist sich der Rückgriff auf wollen ausreichend, denn die intensionale Bedeutung „Beabsichtigen" des Performativs wirkt nach: (151)
Telekom plant höhere Gebühren für Auskunft - Bonn (AP) - Eine Telephonauskunft über einen oder zwei Anschlüsse im Inland soll künftig 60 Pfennig kosten. Für die Auskunft über zwei Auslandsanschlüsse will die Telekom von Beginn nächsten Jahres an 96 Pfennig verlangen. Das bestätigte die Telekom am Freitag. (SZ 24./25.6.1995:1).
Wollen in (151) leistet aber viel mehr als nur die Vermeidung eines (unnötigen) Performativs: Würde ein Performativ eingesetzt, so könnte dieses nur bestimmte (syntaktische) Propositionsformen zulassen - das Verb planen etwa nur eine bestimmte Klasse von Akkusativobjekten und eine bestimmte Klasse von untergeordneten Infinitivsätzen. Zur Klasse der Akkusativobjekte gehört nun zwar „(höhere) Gebühren", zur Klasse der Infinitivsätze aber nicht „(etwas) verlangen" (*Telekom plant, höhere Gebühren für Auskunft zu verlangen). Will nun der Sprecher aus bestimmten informationsstrategischen Gründen genau diesen Inhalt vermitteln, so ist er bei den Performativen schlecht beraten, wollen leistet ihm dagegen einen besseren Dienst: Daß hier die Form will allein als ein „Beabsichtigen" gedeutet werden kann, geht auf das Konto der satzinternen Angaben („von Beginn nächsten Jahres an 96 Pfennig verlangen"). Bei sollen wäre dagegen der Sprecher fehl am Platze: Denn der entsprechende sollen-Satz („Für die Auskunft über zwei Auslandsanschlüsse soll die Telekom von Beginn nächsten Jahres an 96 Pfennig verlangen") könnte als Aussage über Behauptungen aufgefaßt werden, ferner wäre auch eine Deutung als Forderung seitens eines Dritten (etwa des Staates) nicht ganz abwegig. Modalverben zeigen somit zum einen negative Seiten darin, daß sie sich schlecht auf eine bestimmte Bedeutung(sfimktion) festlegen lassen, zum anderen aber positive Seiten darin, daß sie äußerst „flexible" Ausdrucksmittel sind. Dadurch, daß sie semantisch neutral sind, sind sie auch syntaktisch unbestimmt. In der extremen Bedeutungsflexibilität der Modalverben (wie hier für wollen und sollen dargelegt) steckt eben auch ihre Stärke. Sie weisen nämlich eine enorme Prädikationsflexibilität auf: Sie ermöglichen Formen von Prädikation, die durch andere Ausdrucksmittel ausgeschlossen wären. Sprachliche Information bedarf der Form und des Inhalts: Diese beiden Aspekte in Einklang zu bringen, bedeutet Abstriche auf der einen oder anderen Seite hinnehmen zu müssen. Bei den Modalverben sind formale wie auch vor allem inhaltliche Einschränkungen am wenigsten ausgeprägt: Sie ermöglichen präzise und detaillierte Informationsabfolgen da, wo die Performative versagen. Je eindeutiger die satzinternen Angaben bezüglich der gewünschten Prädikation, desto wahrscheinlicher der Gebrauch von sollen anstelle eines Performativs - und umgekehrt: Je schwächer diese Angaben, um so notwendiger der Rückgriff auf Performative. Damit erweist sich aber GLAS' (1984: 69) Behauptung, sollen in Aussagen über Absichten und Absichtsäußerungen sei „auch initial" möglich, nicht ganz zutreffend: Es ist es nur in den Fällen, wo die Prädikation des Beabsichtigens satzintern genügend abgesichert ist. Ist dies nicht der Fall, so muß sollen ein Performativ oder aber wollen vorausgehen. Vergleiche das folgende Beispiel: (152)
Sie sollen in hübschen grünen Uniformen ein vollständiges wohlorganisiertes und bewehrtes Bataillon, mit Offizieren und Unteroffizieren aus ihrer Mitte, formieren und als „Speranza" die Pflanzschule künftiger Vaterlandsverteidiger sein. (Feuillet 89:2).
178 Der sollen-Satz in (152) könnte mit jeder beliebigen der drei grundlegenden Bedeutungen von sollen in Verbindung gebracht werden:12 Er könnte genauso gut eine Aussage über eine Behauptung oder eine Forderung oder eine Absicht darstellen. Daß es im vorliegenden Text dem Sprecher darauf ankommt, über fremde Absichten zu referieren, wird in (153) deutlich: (153)
Im Laufe des Winters will man auch die Schulbuben von 10 bis 15 Jahren ein kriegerisches Corps bilden lassen. Sie sollen [...] ein vollständiges wohlorganisiertes und bewehrtes Bataillon, mit Offizieren und Unteroffizieren aus ihrer Mitte, formieren und als „Speranza" die Pflanzschule künftiger Vaterlandsverteidiger sein. (Feuillet 89:2).
Hier geht dem sollen-Satz in (153) ein Vorsatz mit wollen voraus. Die Einfuhrung von wollen schränkt die Deutungsmöglichkeit auf die Prädikation eines beabsichtigten Sachverhalts ein, läßt allerdings die eines geforderten noch leicht mitschwingen. Betrachten wir (154): (154)
Die Guardia civica, ihre Bewaffnung, ihre Übungen nehmen alle Gedanken gefangen. [...] Im Laufe des Winters will man auch die Schulbuben von 10 bis 15 Jahren ein kriegerisches Corps bilden lassen. Sie sollen in hübschen grünen Uniformen ein vollständiges wohlorganisiertes und bewehrtes Bataillon [...] formieren und als „Speranza" die Pflanzschule künftiger Vaterlandsverteidiger sein. (Feuillet 89:2).
Es handelt sich um den gleichen Beleg wie in (152) und (153), nur um einen neuen Vorsatz mit Performativ erweitert. Es ist die Leistung des Performativs alle Gedanken gefangen nehmen (metaphorisch für: „sich allein auf dieses Ziel konzentrieren") aus der Menge der Bedeutungsfunktionen zunächst von wollen und dann von sollen die des Beabsichtigens herauszufiltern und sie als die intendierte festzulegen. Beleg (154) bietet einen Überblick darüber, wie Performative auf Modalverben und wollen auf sollen Einfluß nehmen können. Der Bezug von sollen auf wollen wird in vielen Sätzen realisiert, zum Teil der Angabe des beabsichtigenden Aktanten wegen. Zum Zweck der Monosemierung ist dieser Bezug jedoch weder notwendig noch hinreichend. Denn diese kann erst durch den Rückgriff auf einen performativen Ausdruck vollständig geleistet werden. Vergleiche: (155)
Der Himmel hängt tagsüber voll Fesselballons. Es heißt, daß von drüben jetzt auch hier Tanks eingesetzt werden sollen und Infanterieflieger beim Angriff. Das interessiert uns aber weniger als das, was von den neuen Flammenwerfern erzählt wird. (Westen 100:2).
Ohne den Vorsatz mit dem Performativen Es heißt in (155) würde der sollen-SaXz als Aussage über eine Forderung verstanden - erst die performativ erzielte Bedeutung „Man sagt, daß..." führt zur Wahl der Bedeutungsfiinktion „Aussage Uber (fremde) Absichten". Nominalausdrücke sind genauso gut performativ wie verbale: So geht in (156) die richtige Deutung der beiden sollen-Sätze als Aussagen über (fremde) Absichten auf das Substantiv „Kompromiß" (denn Kompromisse sind Verhaltensformen zum Erreichen eines Ziels): (156)
12
FDP signalisiert Entgegenkommen - Erstmals Kompromiß zur Pflegeversicherung in Sicht - Zunächst soll nur ein Feiertag abgeschafft werden/Über mögliche weitere Schritte soll erst 1996 entschieden werden (SZ 15.11.1993:1).
Ich nenne diese drei Bedeutungsfunktionen „grundlegend", um sie von den Bedeutungsfunktionen der idiosynkratischen Modalitätstypen zu unterscheiden, die aufgrund ihrer morphosyntaktischen Einschränkungen eher „okkasional" (d.h. auf sehr spezielle Inhalte festgelegt) sind. Von der uneingeschränkten morphologischen Freiheit dieser grundlegenden Typen (hier: Aussage über Absichten) mag der folgende Beleg mit sollen im Partizip Präsens überzeugen: [...] „Weiter", sagte Studer. Aber Schwemm bedurfte dieser Aufforderung nicht. Er sprach und begleitete seine Rede mit pathetisch sein sollenden Bewegungen. (Studer 113:10).
179 Beleg (157) fuhrt uns bei unseren Überlegungen über die Art der Performative einen Schritt weiter: Auch hier spielt zwar das (verbale) Performativ zugeflüstert die entscheidende Rolle fur die Interpretation als Aussage über (fremde) Absichten: (157)
„Die vielen Soldaten!" hat er uns entschuldigend zugeflüstert, hen diesmal. (Alexander 79:10).
„es soll gegen Arabien ge-
Aber (157) wäre auch ohne das obige Performativ richtig im obigen Sinn - und nicht als Aussage über eine Behauptung - gedeutet worden, und zwar aufgrund des Ausrufesatzes („Die vielen Soldaten!"), der die indirekte Frage nach ihrem Sinn („Wozu sind sie denn da?") impliziert. Aus dieser letzten Feststellung folgt, daß Performative nicht nur verbale oder nominale Ausdrucksmittel sein können, sondern daß es sich auch um nicht-lexikalische Ausdrucksmittel handeln kann - somit auch suprasegmentale (wie eben die intonativen in (156)) oder pragmatische und andere: Präsuppositive Elemente dürften hier ebenso eine wichtige Rolle spielen wie syntaktische Konstruktionen. Zur näheren Erläuterung weise ich hier auf einige nicht-lexikalische Performative hin: a.) Performativ im Sinne der Bedeutung „Aussage über Absichten" wirkt das Syntagma (so) als + Konjunktiv II. Die Erklärung liegt darin, daß dieses Syntagma die Vorstellung einer bestimmten Absicht intensional evoziert: (158)
Über dem graumelierten Haarkranz des Toten war ein kreisrunder Schnitt angebracht worden, so als hätte sein Skalp genommen werden sollen. (Erz-60-B 282:1).
(159)
Im oberen Stockwerk liefen Schritte auf und ab. [...] Studer blätterte weiter in den Heften. Er stieß auf ein paar Stellen, die angestrichen waren, und las: „Da stieg es in ihr auf, heiß und brennend. Sie warf sich in seine Arme, sie umklammerte seinen Hals, als sollte sie ihn nie, nie mehr loslassen..." (Studer 66:8).
b.)Ebenfalls performativ mit der Bedeutung „Aussage über Absichten" wirken die durch die Finalkonjunktion damit eingeführten sollen-Sätze. Es handelt es sich um eine Redundanzerscheinung, wenn die Absichtsbedeutung von sollen bereits anderweitig (durch weitere Performative) gesichert ist, ansonsten handelt es sich um eine eigenständige performative Form:13
13
(160)
„Wie ich ins Auto gestiegen bin. Da hat ihn auch der Augsburger gesehen, den Cottereau nämlich..." Jetzt eine Platte da haben! dachte Studer, und das Gespräch aufnehmen! „Warum habt Ihr den Augsburger im gestohlenen Auto nach Thun geschickt, damit er sich verhaften lassen soll? Denn das habt Ihr doch gewollt?" (Studer 175:8).
(161)
Wir schwelgen in Erinnerungen. Kropp lacht plötzlich und sagt: „In Löhne umsteigen." Das war das liebste Spiel unseres Korporals. Löhne ist ein Umsteigebahnhof. Damit unsre Urlauber sich dort nicht verlaufen sollten, übte Himmelstoß das Umsteigen mit uns in der Kasernenstube. (Westen 43:5).
In Redundanzbeziehung zu wollen steht sicherlich sollen in einem Nebensatz, der von einem wol/en-Hauptsatz abhängig ist - wie hier unten. Es handelt sich jedoch um eine sehr seltene (sowie umgangssprachliche) Erscheinung: Der Mann trat ein paar Schritte zurück und fiel hölzern auf seinen Stuhl. „Nur mir hat's der Doktor gesagt. Wir fuhrn nach Hause, und sie legte sich hin. Sie war nicht gewöhnt, lange zu liegen. Am Nachmittag behauptete sie, sich besser zu fühlen. Weil ich nicht wollt ', daß sie was merken sollte, ließ ich sie aufstehn. Sie zog sich an und begann, die Wohnung zu putzen. Es war halb sechs; ab acht, hatte der Doktor gesagt -„ Der Mann konnte nicht weitersprechen, er sah gläsernen Blicks vor sich hin. (Kriminal 175:1).
180 c.)Ein letzter nicht-lexikalischer Fall performativer Bedeutungsfunktion stellt die pragmatische Situation des Autors eines Buches dar, der gleich zu Beginn dem Leser seine Ziele näher erläutern will: Im Vorwort von Publikationen wird sollen häufig initial verwendet. Die Monosemierung erfolgt hier nicht notwendigerweise durch lexikalische Performative, sondern sie ist in der Situation bereits impliziert - vgl. (162). Auch Beleg (163), bei dem die Bedeutung der „(fremden) Forderung" mitklingt, läßt keinen Zweifel über die tatsächliche Verwendung von sollen aufkommen. In (164) geht der Autor dagegen expliziter vor: Er steckt zwei Ziele ab und führt beide in sollen-Sätzen vor, denen jeweils ein Performativ vorausgeht: (162)
Dieses Buch soll weder eine Anklage noch ein Bekenntnis sein. Es soll nur den Versuch machen, über eine Generation zu berichten, die vom Kriege zerstört wurde - auch wenn sie seinen Granaten entkam. (Westen 6:1).
(163)
KARL GUTZKOW TZSCHOPPE Nicht von Jean Pauls unsterblichem Schoppe soll dies Blättchen reden, sondern von dem verstorbenen Herrn von Tzschoppe, weiland Königlich preußischem wirklichen Geheimen Oberregierungsrate und Präsidenten des Oberzensurkollegiums in Berlin. (Feuillet 19:3).
(164)
Ich habe mir vorgenommen, Wittgenstein vorzustellen: Der Leser soll mit diesem Philosophen bekannt gemacht werden. Das heißt, dieses Buch ist nicht nur für diejenigen bestimmt, die sich schon auskennen, sondern es soll auch denen einen Hilfe sein, die nicht mit Wittgenstein vertraut sind. (Schulte 7:1).
An (151) lassen sich die Merkmale ablesen, die sollen einerseits von wollen, andererseits von den Performativen unterscheidet: Von wollen unterscheidet sich sollen durch die Möglichkeit der Weglassung des beabsichtigenden Aktanten, von den Performativen zusätzlich durch die Reduktion intensionaler Bedeutung, falls diese anderweitig (satzintern und/oder satzextern) geleistet wird. Diese beiden Merkmale stellen eine hinreichende Bedingung fibden Gebrauch von sollen dar: Werden in einer Prädikation über beabsichtigte Sachverhalte diese beiden Merkmale notwendig, so ist der Rückgriff auf sollen die bessere Wahl.
4.3.1.2. Erwünschte Sachverhalte
Erwünschte Sachverhalte sind nicht leicht zu erfassen: Sie teilen Eigenschaften der beabsichtigten sowie der geforderten Sachverhalte, sind aber weder das eine noch das andere. GLAS (1984: 74) versucht sie von den beabsichtigten Sachverhalten über den Zielbegriff zu differenzieren: „[...] die Sachverhalte, die durch den Infinitiv und seine Komplemente bezeichnet werden, sind hier nicht als Handlungsziele qualifiziert, sie sind lediglich Zielvorstellungen, deren Wirklichwerden von dem beabsichtigenden Aktanten gewünscht wird; sie sind, kürzer gesagt, Ziele, nicht Handlungsziele." Eine Begriffsdifferenzierung gelingt damit GLAS (1984) nicht. So nimmt es auch nicht wunder, daß er sie schließlich - ganz im Sinne der Tradition - zu den beabsichtigten Sachverhalten zählt und sie in einer zweiten Definition mit der Theorie der Emphasis zu begründen versucht: „Im übrigem hat sollen in Wunschsätzen dieselbe Bedeutung wie in Absichtsäußerungen, aber mit einer zusätzlichen emphatischen Komponente." Wenn GLAS' (1984) zweite Definition der Wunschsätze mit sollen so zu verstehen ist, daß sie emphatische Absichtsäußerungen sind, so sind ( 165) bis (167) Wunschsätze:
181 (165)
(a) (b) (c) (d) (e)
Der soll mir nur mal kommen! Dir soll Gerechtigkeit widerfahren! Das soll nicht wieder vorkommen! Das sollst du bereuen! Das soll sie mir büßen!
(166)
„Ein Junge, Tony! - Der soll den Bürgermeister zum Gevatter haben!" (Brook Β 406:2).
(167)
Er wütet weiter. Über das ganze Geschlecht überhaupt. Er kennt die Bande jetzt; nicht über die Straße darf man einer trauen; nichts als Heuchelei und Lüge! Und besonders über sie... aber sie soll etwas erleben! (Spiele 1 41:2).
Das sind sie aber nicht: (165) (a) bis (e) sowie (166) und (167) sind vielmehr indirekte Sprechakte, die Handlungsziele prädizieren. Nach G L A S ' ( 1 9 8 4 ) erster Definition sind sie Absichtsäußerungen (d.h. vom Sprecher beabsichtigte Sachverhalte). Das Merkmal [+emphatisch] erweist sich als keine hinreichende Bedingung zur Differenzierung von erwünschten und beabsichtigten Sachverhalten. In der Folge komme ich vielmehr zu dem Schluß, daß Wunschsätze mit sollen weder beabsichtigte (sondern geforderte) Sachverhalte sind noch emphatische Sätze sein müssen. Die Emphase in Wunschsätzen ist eine konversationeile Implikatur, die nicht nur durch die Intonation, sondern auch und vor allem durch die Dramatik des Inhalts zustande kommt. Dies belegen eindeutig einige Beispiele für Wunschsätze, die (neben anderen) in den gängigen Grammatiken angeführt werden: ( 168)
(a) (b) (c) (d) (e)
Hoch lebe der König! Es lebe die Freiheit! Gott bewahre uns! Das verhüte Gott! Hol' dich der Teufel!
Andere Grammatiken, darunter die D U D E N - G R A M M A T I K ( 1 9 9 5 : 1 5 7 ) im Kapitel über die Wortarten, definieren als Wunschsätze auch Sätze mit dem Modalverb mögen (und möchte) in Zweitstellung:14 (169)
(a) (b) (c) (d)
[...] und so bat ich Gott, er möge es doch einrichten, daß Jerome Kein Pferd von mir verlangte [...]. Seine Aufforderung, sie möge ihm zuhören, stieß auf taube Ohren Mögest du es nie bereuen! „Mächt ' es doch eine noch verwandelbare Welt sein [...]!"
An einer anderen Stelle (im Kapitel über die Satztypen) gibt die D U D E N - G R A M M A T I K ( 1 9 9 5 : 5 9 6 ) eine von der ersten abweichende Definition von Wunschsatz und zählt dazu Beispiele dieser Art: ( 170)
(a) (b) (c) (d)
Für nähere Auskünfte wende man sich an das Rektorat. Man stelle sich doch einmal die Konsequenzen vor! Man nehme 6 Eier, 300 g Mehr und 300 g Zucker... Hoch lebe unser verehrter Herr Bürgermeister!
Vergleicht man ( 1 6 8 ) mit ( 1 7 0 ) , so wird das intuitive Verständnis dessen, was Wunschsätze sind, merklich getrübt: Tatsächlich sind die in (170) angeführten Beispiele - mit Ausnahme von (d) - keine Wunschsätze: (a) und (c) sind Handlungsanweisungen, also Forderungen, 14
Die Beispiele (168) (a)/(b) stammen aus der DUDEN-GRAMMATIK (1995: 157), (c)/(d) aus ERBEN ( 12 1980: 113).
182 (b) ist eine Aufforderung, d.h. eine erstmalig ausgedrückte Forderung. Dies läßt sich leicht beweisen, wenn man diese konjunktivischen Sätze in sollen-Sätze umwandelt: (171)
(a) (b) (c) (d)
Für nähere Auskünfte soll man sich an das Rektorat wenden. Man soll sich doch einmal die Konsequenzen vorstellen! Man soll 6 Eier, 300 g Mehr und 300 g Zucker nehmen ... Hoch leben soll unser verehrter Herr Bürgermeister!
In (171) steht ein einziger Wunschsatz neben drei Forderungssätzen. Warum diese zwei Kategorien von Sätzen auf einen Haufen geworfen worden sind, erklärt die D U D E N - G R A M M A TIK(1995) nicht. Die Nebeneinanderstellung von Sätzen verschiedener Inhaltskategorien in (171) ist jedoch nicht zufällig, sie entspricht vielmehr der Intuition: Denn auch Wunschsätze sind Forderungen, nur solche einer ganz bestimmten Art. Wünsche sind vom Wünschenden nicht erfüllbare Forderungen. Es ist ein innerer Widerspruch zu behaupten, daß ich mir etwas wünsche, wenn ich selbst das Gewünschte herbeifuhren kann. Der Wunsch setzt somit eine zumindest partielle Handlungsunfähigkeit des Wünschenden voraus. Hierin nämlich, in der Offenlegung der eigenen Ohnmacht, gründet sich die mit dem Ausdruck von Wünschen herkömmlich verbundene Emphase. Die Erfüllung des Wunsches wird nur in Aussicht gestellt, jedoch nicht weiter verfolgt. Beispiele: (172)
[...] ein alter Mann gab auch dem Kneipenduo zwei doppelte Klare aus. „Auf dein spezielles", prostete der eine; und der andere rief: „Herzlichen Glückwunsch, hundert Jahre sollst du werden!" (TotMann 173:6).
(173)
CLOWN Dann ist es wieder nichts! Reich, vornehm und spendabel, - ach hättest du es mir lieber nicht gesagt! Wenn wir schon nicht an ihn rankommen, dann soll er arm und geizig sein! Das ist mir lieber. (Merlin 36:11).
( 174)
„Uns geht es schlecht. Dann soll es denen aber auch schlecht gehen. Auch sie sollen in den Abgrund, in die Katastrophe!" Diese Katastrophe spielen die Deutschen aus wie einen Trumpf beim Kartenspiel. (Essays 53:2).
Da Wunschsätze Forderungen sind, so können sie nur im Hinblick auf die Zukunft geäußert werden - d.h. auf die Zeit, wo Wünsche realiter erfüllbar sind. So sind aus meiner Perspektive sog. irreale Wunschsätze wie in (175): ( 175)
(a) (b) (c)
Wären wir nur schon da! (ENGEL 1988: 67) Wenn es doch nur nicht so weh täte! (DUDEN-GRAMMATIK 1995: 159) Wäre Peter doch damals dabei gewesen! (GLAS 1984: 74)
keine Wunschsätze, sondern Bewertungen bestehender Sachverhalte (mit der Bedeutung: „der Sprecher glaubt, daß ρ gut (gewesen) wäre"). Die Bedeutung des Wunsches ist hier eine konventionelle Implikatur, die dem Satztyp des Ausrufs entspringt. Als Wunsch kann grundsätzlich nur das gelten, was auch erfüllbar ist. Die in (175) dargestellten Sachverhalte sind nicht (mehr) erfüllbar: Sie sind also auch keine Wunschsätze. Da Wünsche seitens des wünschenden Aktanten nicht erfüllbare Forderungen sind, so kann dieser nichts Wesentliches über die Modalitäten seiner Erfüllung angeben. Gibt er dagegen relevante Informationen zur Erfüllung eines Handlungsziels an, läßt er also die Frage nach der Erfüllbarkeit seiner Ziele nicht grundsätzlich offen, so liegt kein Wunschsatz mehr vor, sondern eine Aussage über (eigene) Absichten oder (eigene) Forderungen. In (176) handelt es sich um eine Absicht, in (177) um eine Forderung:
183 (176)
Er schwieg, schaute sie an. Dann gab er ihr seine Pelzmütze und sagte: „Da, setzen Sie wenigstens die auf. Sie ist zwar nicht nach der neuesten Mode, aber Sie sollen mir unterwegs nicht erfrieren." (DDRStory 83:8).
(177)
ORGELOUSE Wer ist es denn? Seht doch einmal vor die Tür. Mädchen gehen hinaus. SIR GAWAIN Ja! Holt ihn herein! Es soll keiner heute nacht vor meiner Tür liegen, und wenn es mein schlimmster Feind wäre. (Merlin 262:16).
Daß es auch sich in (178) um Forderungen - und nicht um Wünsche im hier intendierten Sinne - handelt, geht nicht nur aus dem Kontext, sondern auch aus der wiederholten Korrelation mit forderndem wollen hervor: ( 178)
„Wir, die Bourgeoisie, der dritte Stand, wie wir bis jetzt genannt worden sind, wir wollen, daß nur noch ein Adel des Verdienstes bestehe, wir erkennen den faulen Adel nicht mehr an, wir leugnen die jetzige Rangordnung der Stände... wir wollen, daß alle Menschen frei und gleich sind, daß niemand einer Person unterworfen ist, sondern alle nur den Gesetzen untertänig sind!... Es soll keine Privilegien und keine Willkür mehr geben!... Alle sollen gleichberechtigte Kinder des Staates sein, und wie keine Mittlerschaft mehr existiert zwischen dem Laien und dem lieben Gott, so soll auch der Bürger zum Staate in unmittelbarem Verhältnis stehen!... Wir wollen Freiheit der Presse, der Gewerbe, des Handels... Wir wollen, daß alle Menschen ohne Vorrechte miteinander konkurrieren können, und daß dem Verdienste seine Krone wird!... (Brook A 140:1).
Beleg (179) zeigt mit Deutlichkeit den Übergang von einer Phase des Wunsches in Phase der mentalen Zielverwircklichung, also der Ausführung eines Plans. Die ersten den Formen von sollen referieren auf Wünsche (auch performativ hervorgehoben), der te sollen-Satz bezieht sich dagegen auf die Modalitäten des Erreichens des Ziels, er ist eine Aussage über die Absichten des Sprechers: (179)
eine beidritalso
Was ich in der nächsten Stunde tat, war schändlich. Ohne zu bedenken, daß ich das Unglück selbst verschuldet hatte, lief ich besinnungslos vor Wut ins Haus zurück. Die eine Krähe, die in meiner Hand war, sollte mir fur alles büßen, was geschehen war. Ich fand sie in der Küche unter einem kleinen Schrank verkrochen. Als ich sie hervorzog, hackte sie mich wieder in die Hand. Ich schlug sie auf den Kopf. Da sie keinen Laut des Schmerzes von sich gab, wurde ich nur wütender; ich war versucht, sie auf der Stelle zu erwürgen, trug sie aber schließlich in den Schuppen. Langsam, unter Qualen sollte sie verenden, das war mein Wunsch. Ich band sie auf ein Brett. Einfach war das nicht, sie wehrte sich und hackte um sich. Als ich fertig war, stellte ich mich hinter sie, um zu sehen, ob sie sich auch nicht befreien könnte. Sie versuchte es nach einer Weile. Aber rücklings auf das Holz geschnürt, war es ihr nicht möglich, die Kordel aufzubeißen; denn diese lag so eng an ihrer Kehle, daß sie den Hals, als sie den zum erstenmal nach vorn bewegte, gleich zurückzog. So an das Brett geschnürt sollte sie im Nachen auf dem Wassergraben liegen und Hungers sterben. (Spiele 2 532:6).
Aufgrund des bisher Gesagten ist die den sollen- Wunschsätzen zugrunde liegende Struktur ( 180)
S(PRECHER) WÜNSCHT Ρ
genauer zu spezifizieren mittels der beiden folgenden Eigenschaften der Wunschsätze: (181)
(a) (b)
„S fordert P" „P ist keine von S erfüllbare Forderung".
Auf einen möglichen Aktanten, der den geäußerten Wunsch möglicherweise erfüllt, wird in Wunschsätzen nicht Bezug genommmen. Darin unterscheiden sich Wunschsätze wesentlich von Forderungssätzen, in denen Wünsche an einen Aktanten weitergegeben werden, von
184 dem der Fordernde annimmt, daß er sie erfüllen kann. Eine Ausnahme bilden jedoch supranaturale Instanzen (wie „Gott", „Teufel" etc.), Naturkräfte („Schlag" etc.) sowie abergläubische Objektprojektionen („Scherben" etc.), bei denen eine bestimmte Erwartungshaltung der Wunscherfiillung kulturell vorgegeben ist und der Glaube daran, daß der Wunsch in Erfüllung geht, dem Einzelnen überlassen wird. Vergleiche: (182)
TREVRIZENT [schlägt sich]: Ich muß mich schlagen, ich muß leiden, Gott soll sich erbarmen. Ich schlage mich, bis ich tot hinfalle oder bis Gott sich meines Bruders erbarmt. (Merlin 271:19).
(183)
[...] Sind unterwegs, jaja. Aus dem Norden, nach Afrika. Der Libeccio-Sturm von gestern hat sie abgetrieben. Die Zugvögel meiden sonst die Abruzzen. Zu kalt." „So? Unten bei uns machen sie um die Zeit immer Halt." „Die amerikanischen Düsenjäger?" „Te pijasse un colpo! Der Schlag soll dich treffen, die mein' ich nicht. Sondern die Schwalben. Unsre Bauern fangen sie in Netzen und drehn ihnen die Hälslein um." (DE2060-B 326:15).
(184)
Der ungewohnte Wagen, der Alkohol... Prost!" Er trank, während das Band weiterlief, warf sein Glas gegen die Wand. „Da hörst du's, die Scherben sollen dir Glick brüngen... verdammt!" (Kriminal 103:1).
Die volitive Komponente der Wunschsätze im allgemeinen läßt sich mit Performativen des Wollens unterstreichen (wollen, wünschen, möchten aber auch verlangen, begehren, sich sehnen etc.). In (185) korreliert sollen mit wollen: (185)
Doch daran will ich nicht denken, ich wische es fort. Das Zimmer soll sprechen, es soll mich einfangen und tragen, ich will fühlen, daß ich hierhergehöre, und horchen, damit ich weiß, wenn ich wieder an die Front gehe. (Westen 158:4).
Außer verbalen wie in (186) sind auch nominale Performative möglich (es kommt zumeist das Substantiv Wunsch vor, gelegentlich aber auch weitere wie etwa Verlangen, Erwartung, Anliegen etc.): ( 186)
Ich bin aufgeregt; aber ich möchte es nicht sein, denn das ist nicht richtig. Ich will wieder diese stille Hingerissenheit, das Gefühl dieses heftigen, unbenennbaren Dranges verspüren, wie früher, wenn ich vor meine Bücher trat. Der Wind der Wünsche, der aus den bunten Bücherrücken aufstieg, soll mich wieder erfassen, er soll den schweren, toten Bleiblock, der irgendwo in mir liegt, schmelzen und mir wieder die Ungeduld der Zukunft, die beschwingte Freude an der Welt der Gedanken wecken; - er soll mir das verlorene Bereitsein meiner Jugend zurückbringen. Ich sitze und warte. (Westen 158:2).
Für die eigentliche performative Form des Wunschsatzes halten jedoch die Grammatiken des Deutschen den Modus Konjunktiv bereit, einige zählen verbale Performative wie wünschen dazu, unter den Modalverben allenfalls mögen und möchten. Sollen als Ausdrucksmittel von Wunschsätzen wird nicht einmal am Rande gestreift (vgl. z.B. ERBEN 121980: 113, ENGEL 1988: 66f., DUDEN-GRAMMATIK 1995: 157, 159, 596). Dabei hat sich sollen längst einen festen Platz im Ausdruck der Wunschsätze erobert - wie überhaupt allgemein als Ersatzform des Konjunktivs und Optativs (vgl. W E L K E 1971a; 1971b). Als Ausdrucksmittel für Wunschsätze erfüllt sollen im heutigen Deutsch die beiden folgenden Funktionen: a.)Es ist Ersatzform des Konjunktivs, eines Modus, der in diesem Funktionsbereich im Untergang begriffen ist. Dies läßt sich daran feststellen, daß sogar feststehende Wunschäußerungsformen im Konjunktiv I durch sollen ersetzt werden: In (187) und (188) wird jeweils (a) durch (b) ersetzt:
185 (187)
(a) (b)
Gott bewahre uns! Beim zweiten Frühstück erkundigte sich Tonio Kröger, was vor sich gehe. „Gäste!" sagte der Fischhändler. „Ausflügler und Ballgäste aus Helsingör! Ja, Gott soll uns bewahren, wir werden nicht schlafen können, diese Nacht! Es wird Tanz geben, Tanz und Musik, und man muß fürchten, daß das lange dauert. (Frueh Β 329:4).
(188)
(a) (b)
Hol' dich der Teufel! Was? Herrgott, er dreht doch erst noch. Ich muß noch an Bord, ich muß, - mein Gepäck - j a natürlich - Himmelschockschwerenot ist das eine Niederträchtigkeit was fang ich nur an - ach was - das bißchen Seegang - der Teufel soll dieses Rindvieh von Kellner holen - (Spieltex 61:9).
Die Ersatzfunktion von sollen gilt selbstverständlich auch für die vom Konjunktiv vertretenen Funktionen des Optativs: (189)
(a) (b)
Wenn es mal endlich regnen würde! Es soll doch mal endlich regnen!
b.)Sollen ist eine zum Konjunktiv komplementäre Form als Ausdrucksmittel für Wunschsätze. Es erfüllt hier wiederum zwei Funktionen: Erstens: In den Fällen, in denen aufgrund von Überlappungen zwischen den Formenparadigmen von Konjunktiv und Imperativ die Bedeutung des Wunsches verlorengeht, tritt das Modalverb sollen kontextuell (d.h. mit Hilfe des - näheren oder weiteren - Kontextes) performativ ein: (190)
[...] Ob ich alles nach Wunsch gefunden habe. Ich möge nur äußern, was mir etwa noch fehle. „Herr Pfarrer soll sich hier wohl fühlen." (Spiele 2 554:1).
(191)
Wer warst du vorher? Ich weiß nicht, sagte der Mann, ich glaube, ich lebe zum erstenmal. Laß mich los, du erdrückst mich. Die Frau zog ihre langen Arme noch fester um den Mann. Der Mann röchelte und die Frau lachte. Du sollst Angst haben vor mir, sagte sie, du sollst niemanden mehr fürchten als mich. (Spiele 3 739:7).
Äußerungsformen wie etwa Fühle sich wohl bzw. Habe Angst vor mir und Fürchte niemanden mehr als mich würden an der in (199) und (200) intendierten Bedeutimg des Wunsches vorbeigehen - zugunsten einer Bedeutung der Aufforderung. Zweitens: Auch in den Fällen, in denen aufgrund der Verbsemantik des Inifinitivsatzes eine funktionale Unterscheidung zwischen Imperativ und Konjunktiv erhalten bleibt, tritt das Modalverb sollen immer dann bevorzugt ein, wenn es gilt, dessen volitive Komponente hervorzuheben: (192)
[...] Grieta! Grieta! Was fur ein Frühling soll das werden, jubelte Bracke, was für ein Sommer! Grieta! Unser Glück soll himmlisch blühen und reifen! Grieta, ich will einen Sohn in dieser Sylvesternacht mit dir zeugen, der soll Tiere und Bäume und Sterne reden hören, und das Meer soll sich vor ihm teilen wie vor Mose. Er soll mit seiner Hand den Lauf der Sonne anhalten und den Mond aus der Nacht in den Tag hinüberschleudern. (Bracke 81:14).
In (192) wird die durch sollen ausgedrückte Volition durch wollen unterstützt, entsprechende Konjunktivformen würden sie dagegen unterdrücken. Sowohl in den beiden Beispielen (190) und (191) wie auch in (192) ermöglicht das Modalverb sollen Fälle von Prädikation, bei denen andere Ausdrucksmittel (wie etwa der Konjunktiv) versagen. Hierdurch erfüllt sollen wiederum eine der grundlegenden Funktionen von Modalverben, die ihrer intensionalen Schwäche entspringt.
186 4.3.1.3. Geforderte Sachverhalte Zur Klasse der geforderten Sachverhalte gehören sollen-Sätze, die Forderungen, Erwartungen, Aufträgen etc. an einen Adressaten seitens eines wollenden - genauer: „fordernden" Aktanten ausdrücken. Die in (137) für alle pragmatischen sollen-Sätze geltende innere Struktur ist im speziellen Fall der geforderten Sachverhalte genauer wie in (193) anzugeben: (193)
IM0D FORDERT Ρ VON A .
Die innere Struktur von sollen-Sätzen in (193) weist das dreistellige Prädikat (IMOD, A, P) auf, wobei IMOD den fordernden Aktanten, A der Adressat der Forderung und Ρ (= ρ ) den geforderten Sachverhalt darstellen. Im Gegensatz zu den beabsichtigten (und noch mehr zu den erwünschten) Sachverhalten, die das Handlungsziel im kognitiven Bereich des beabsichtigenden Aktanten belassen, stellen geforderte Sachverhalte Formen von Interaktionen unter Aktanten dar, bei denen das Handlungsziel an den Adressaten zum Handlungsvollzug weitergereicht wird. Je nachdem, in welcher Relation der Sprecher zu den beiden für den Ausdruck von geforderten Sachverhalten wesentlichen Rollen des fordernden Aktanten und des Adressaten der Forderung steht, ergeben sich (mindestens) vier verschiedene Redesituationen. Es ist zunächst zu unterscheiden, ob Sprecher und der fordernde Aktant identisch sind oder verschieden; ferner, ob der Adressat der Forderung der Sprecher ist oder aber ein wieterer Aktant. Faßt man diese beiden Kriterien zusammen, so ergeben sich u.a. die vier folgenden Möglichkeiten: Tabelle 4.6: Geforderte Sachverhalte und Rollenverteilung des Sprechers 1. Fall
Sprecher ist
+ fordernder Aktant
+ Adressat der Forderung
2. Fall
Sprecher ist
+ fordernder Aktant
- Adressat der Forderung
3. Fall
Sprecher ist
- fordernder Aktant
+ Adressat der Forderung
4. Fall
Sprecher ist
- fordernder Aktant
- Adressat der Forderung
Eine weitere wichtige Unterscheidung betrifft den Fall, ob die Forderung erstmalig geäußert wird, oder ob auf das Bestehen einer Forderung verwiesen wird. Im ersten Fall spreche ich von „aktueller", im zweiten Fall von „bestehender" Forderung. Eine letzte Unterscheidung, vor allem im Hinblick auf die Überprüfung einschlägiger Aussagen von GLAS (1984), wird die zwischen „initialer" und „nicht-initialer" Verwendung von sollen sein: Initiale Verwendung liegt vor, wenn dem Modalverb sollen kein (explizites) Performativ der Forderung vorausgeht; geht ihm ein solches Performativ voraus, so handelt es sich um eine nicht-initiale Verwendung. 1 5 Abgesehen davon, daß die Beziehungen von Modalverben zu Performativen nicht nur anaphorischer, sondern auch kataphorischer Art sein können, läßt sich entgegen der Behauptung von GLAS (1984: 15) zeigen, daß mit sollen ausgedrückte Forderungen auch initial 15
Mit „Performativen" sind hier lexikalische Performative gemeint. Definiert man als Performativ aber auch nicht-lexikalische Elemente, w i e die Satzbedeutung insgesamt, pragmatische situationelle Faktoren etc., so läßt sich auch annehmen, daß sollen immer - im inneren oder im äußeren Kontext - mit einem Performativ verbunden ist. Die Konsequenz daraus wäre dann, daß sollen nie initial sein könnte, denn es würde immer mit einem Performativ vorkommen.
187 möglich sind, wenn der propositionale Gehalt des Infinitivkomplements performativ genug ist, um die Bedeutung der Forderung von möglicherweise weiteren konkurrierenden Bedeutungen abzugrenzen. Im Laufe dieses Kapitels werden wir immer wieder Position zur [¿initialen] Verwendung von sollen beziehen.
4.3.1.3.1. Sprecher [+fordernder Aktant, +Adressat der Forderung] Hier ist zunächst zu unterscheiden, ob die Forderung des Sprechers auf ein reelles Handlungsziel oder auf hypothetische Handlungsbedingungen gerichtet ist. Im ersten Fall spreche ich von „tatsächlichen", im zweiten von „virtuellen" Forderungen. 1 ^Tatsächliche Forderungen Hier ergeben sich zwei Fälle, je nachdem, ob der Sprecher seine Forderung an einen in der Redesituation anwesenden oder nicht-anwesenden Adressaten weitergibt. Gibt der Sprecher seine Forderung an einen anwesenden Adressaten weiter, so ergeben sich auch hier zwei verschiedene Fälle, je nachdem, ob die Forderung zum ersten Mal oder aber zu einem wiederholten Mal weitergegeben wird. Im ersten Fall handelt es sich um die Äußerung einer Forderung, im zweiten um die Wiederholung einer Forderung. Ist der Adressat nichtanwesend, so handelt es sich immer um die Delegierung einer eigenen Forderung an Dritte. Einen vierten Fall stellt die Situation der Erwähnung einer eigenen früheren Forderung an einen anwesenden oder nicht-anwesenden Adressaten dar. a.) Äußerung einer eigenen Forderung Der Sprecher als der fordernde Aktant wendet sich an einen anwesenden Adressaten und fordert ihn dazu auf, ρ zu tun. Es sind sowohl initiale wie nicht-initiale Verwendugen möglich. Beispiele: In (194) ist sollen redundant zum verbalen Performativ verlangen, das ist aber deshalb notwendig, weil die initiale Anwendung von sollen als deontisch (und nicht pragmatisch) aufgefaßt würde (Sie sollen nicht lügen!). Die performative Klarstellung macht die darauffolgende initiale Anwendung von sollen möglich. (194)
Ich verlange nicht, daß Sie lügen sollen; keineswegs; Sie sollen nur kurz antworten, etwa: 'Ja, ich habe die Exekution gesehen,' oder 'Ja, ich habe alle Erklärungen gehört.' Nur das, nichts weiter. (Kafka El 130:1).
Daß es sich hier tatsächlich um Forderungen und nicht um Aufforderungen handelt, wird daran ersichtlich, daß eine auffordernde Form wie etwa die des Imperativs (Lügen Sie nicht!) ausgeschlossen ist: Hier geht es nicht darum, jemanden vom Lügen abzubringen, sondern darum, ihm nahezulegen, daß man dies von ihm nicht will. Die drei folgenden Anwendungen sind alle initial (also ohne explizites Performativ). Die jeweilige Redesituation schafft genug Klarheit, um die Bedeutung der Forderung in den Vordergrund zu stellen: (195)
Nora ist nicht [...] hübsch. Das soll sie auch gar nicht sein. (DDRStory 82:1).
(196)
Wir leben technisch, der Mensch als Beherrscher der Natur, der Mensch als Ingenieur, und wer dagegen redet, der soll auch keine Brücke benutzen, die nicht die Natur gebaut hat. (Technik 77:1).
188 (197)
„Also höre, mein Sohn! Ich gebe dir heut ein französisches Lehrbuch mit, das reicht für die AnfMnger ein ganzes Jahr, aber für dich soll es nur ein halbes reichen. Du sollst eine Klasse überspringen, verstandez-vous! Ein Lebensjahr ersparen [...]" (AufrKind 101:2).
Daß initiale Anwendungen kontextuell definiert sind, läßt sich an de i Belegen hier oben gut nachvollziehen. Die Satzbedeutung der Forderung entspringt einer besonderen Struktur der Sätze: Sie betrachten ein und denselben Sachverhalt aus zwei verschiedenen Perspektiven und beziehen Stellung fur einen von beiden. Besonders geeignet sind inhaltliche Strukturierungen dieser Art fìir politische Kommentare: (198)
Die Behörden in West und Ost sollen nicht durch die Finger sehen, wenn sich ein schwarzes Schaf um eine Anstellung bei ihnen bewirbt. Aber es können nicht Hunderttausende von Leuten auf ihre politische Zuverlässigkeit hin überprüft werden. Ein PDSMitglied soll ebenso Briefträger oder Lokomotivführer werden dürfen wie jeder andere Kommunist. Das Volk dürstet nicht nach Rache. (Spiegel 14/1991, 21).
In (198) prangert Rudolf Augstein eine (seiner Meinung nach) mangelhafte Praxis in der Rechtssprechung an und fordert Korrektur. b.) Wiederholung einer eigenen Forderung Der Sprecher als der fordernde Aktant erinnert den anwesenden Adressaten der Forderung an eine von ihm entweder in der aktuellen oder in einer vorhergehenden Redesituation gestellte Forderung zu p. In dieser Funktion kann sollen nicht-initial gebraucht werden und die Aufforderung, aus der die bestehende Forderung hervorgeht, erfolgt mittels des Imperativs (Halt den Mund!) oder einer anderen Form des Aufforderns (Schnauze! etc.). Dies läßt sich wie folgt schematisch darstellen: SPRECHER
ADRESSAT
1. (Aufforderung)
Halt den Mund!
2. (Erinnerung daran) Du sollst den Mund halten! Abbildung 4.3: Wiederholung einer eigenen Forderung
Beispiele aus dem Korpus: ( 199)
- Ich habs gewußt, sagte der Mann.- Sei still, sagte die Frau, sei ganz still und riech an dem Wind. Was hast du gewußt? - Daß du so bist. - Ich bin nicht so, du sollst still sein. (Spiele 3 736:11).
(200)
SIR ORILUS Hört mal auf mit eurem Geschmuse, ihr beiden Schwulen! SIR BEAUFACE hört auf zu tanzen, künstlich erstaunt: Wie, Onkel? SIR ORILUS Hast du nicht verstanden? Aufhören sollt ihr! (Merlin 167:6).
(201)
SIR TURQUINE Blasius, gib mir eine Antwort! Warum sind wir in der ganzen Welt herumgeirrt? Was haben wir denn nur gesucht? DER CHRONIST BLASIUS Früher hast du nicht gefragt, jetzt fragst du. Warum hast du früher nicht gefragt? SIR TURQUINE Du sollst mir eine Antwort geben! (Merlin 281:3).
Daß es sich auch um die Wiederholung einer in der Vergangenheit gestellten Forderung handeln kann, belegt (202): (202)
Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen. Du sollst nicht höflich sein zu mir, ich sagte es dir schon einmal. Sag mir, ob du Hunger hast. (Erz-60-B 309:8).
189
Auch muß die wiederholte Forderung nicht genau dem Wortlaut der ursprünglich gestellten Forderung entsprechen. Sie kann von dieser vielmehr frei abweichen: In (203) ist sie ein negativ konstatierender Ausrufesatz, in (204) eine andere lexikalische Besetzung: (203)
HERZELOIDE Nun sei nur still, mein Kind. Komm herein, es wird dunkel und kalt. PARZIVAL [wütend]: Du glaubst mir nicht! Es ist wahr! HERZELOIDE Komm, gib mir die Hand. PARZIVAL [wirft sich auf den Boden und schreit] : Ich habe einen Engel gesehen! Du sollst mir glauben, du sollst mir glauben! (Merlin 62:13).
(204)
Die Klappe des Türspions hob sich: Ilona hatte dazugelernt. Die Klappe fiel wieder herab, die Wohnungstür blieb verschlossen. Er klopfte erneut. „Machen Sie bloß, daß Sie abhauen:!" „Ich muß Sie sprechen." „Sie sollen mich in Ruhe lassen!" (TotMann 147:9).
Schließlich muß die ursprünglich gestellte Forderung auch nicht unbedingt durch eine sprachlich hervorgebrachte Aufforderung zustande gekommen sein. Diese kann vielmehr auch nur intendiert bleiben und durch kontext-situative Merkmale klar werden, wie in (205): (205)
- „Ich bitt dich, fahren wir wo anders hin." - „Wie du willst." - Er rief dem Kutscher, der aber nicht zu hören schien. Da beugte er sich vor und berührte ihn mit der Hand. Der Kutscher wandte sich um. - „Sie sollen umkehren. [...] Wir fahren in die... wissen Sie, die Allee, die zur Reichsbrücke führt." (Spiele 1 57:14).
In (205) bleibt die ursprüngliche Aufforderung zur Handlung ρ erfolglos. Der Sprecher greift trotzdem auf die sollen-Form zurück, weil es sich aus seiner Perspektive um die Wiederholung einer intendierten Forderung handelt. c.) Delegierung einer eigenen Forderung Der Sprecher als der fordernde Aktant delegiert eine in der aktuellen Redesituation anwesende Person dazu, eine bestimmte Forderung an den nicht-anwesenden Adressaten weiterzugeben. Die angesprochene dritte Person übt hier nur eine Übermittlerfunktion aus. Es handelt sich eigentlich um eine doppelte Prädikation, und zwar um die Aufforderung an den Übermittler, eine Forderung weiterzugeben, und um die Forderung selbst an den Adressaten. Der erste Teil der Prädikation bleibt impliziert - und eben hierin drückt sich die Leistung des Modalverbs sollen aus (wiederum als Ersatz eines in dieser Verwendung veralteten Konjunktivs: Er beeile sich!).]6 Schematisch: SPRECHER
ÜBERMITTLER
ADRESSAT
1. (Sag ihm, daß) 2. Er soll sich beeilen!
^
Abbildung 4.4: Delegierung einer eigenen Forderung
Beispiele aus dem Korpus:
16
(206)
„Da", sagte er; „geben Sie das hier ans Dezernat durch, Döpke. Die solin gleich mal mit ranfahrn bei ihm und Tatbestand aufnehmen; klar?" „O.K., Chef." (Kriminal 170:1).
(207)
„Was beabsichtigt Ihr also zu tun," fragte ich und wollte aufstehn; aber ich konnte nicht; zwei junge Tiere hatten sich mir hinten im Rock und Hemd festgebissen; ich mußte sitzen
Möglich sind selbstverständlich auch Formulierungen wie Er möge/möchte sich beeilen!, die jedoch eine ausgesprochen höfliche Bedeutungskomponente zum Ausdruck bringen.
190 bleiben. „Sie halten deine Schleppe," sagte der alte Schakal erklärend und ernsthaft, „eine Ehrbezeugung." „Sie sollen mich loslassen!" rief ich, bald zum Alten, bald zu den Jungen gewendet. (Kafka El 151:6). (208)
„Ja, Fräul'n... aber wo find' i denn ein' Doktor im Franz Josefsland?',, - „So soll von dort jemand in die Stadt und - „ - „Fräul'n wissen's was! I denk mir, die werden dort vielleicht ein Telephon haben. [...]" (Spiele 1 63:6).
(209)
[...] und bitte ich Dich so dringend, ihm nun doch kurzerhand plausibel zu machen, daß ich jetzt noch tausendmal weniger als vor sechs Wochen in der Lage bin, ihm mein Jawort fürs Leben zu erteilen, und daß er mich endlich in Frieden lassen soll, er macht sich j a lächerlich. (Brook A 148:3).
Daß es sich hier stets um eine „verkürzte" Prädikation aus einer doppelten Struktur mit erstem Prädikat als verbum dicendi {sagen, ausrichten, mitteilen etc.) im Imperativ und zweitem Prädikat sollen im abhängigen Nebensatz handelt, belegt (210), wo es explizit heißt: Sagt den jungen Frauen, daß sie nicht gehorchen sollen: (210)
Der 8. März 1927 war kein besonderer Tag. Alle haben den Schleier verbrannt. Das war doch einfach. - Wenn der Aufruf kommt, die Parandscha wieder zu tragen? - Sagt den jungen Frauen: Die Parandscha ist unbequem. Sie sollen nicht gehorchen. (Spiegel 21/1992, 180).
d.)Erwähnung einer eigenen Forderung Der Sprecher als fordernder Aktant teilt einem Angesprochenen die Forderung mit, die er zu einem früheren Zeitpunkt an einen (anwesenden oder nicht-anwesenden) Adressaten gestellt hat. Die Verwendung von sollen kann hier initial oder nicht-initial sein, die Redesituation, auf die Bezug genommen wird, ist stets nicht-aktuell (und wird häufig durch ein verbum dicendi eingeführt). Beispiele: (211)
PARZIVAL Oh Mutter, ich habe heute eine Amsel getötet! - Ich wollte sie in der Hand halten und sie sollte singen. Als ich sie mit der Schleuder vom Himmel heruntergeholt hatte, war sie ganz stumm und tot. Und ich wollte doch, daß sie singt. Da habe ich sie in den Bach geworfen. (Merlin 64:5).
(212)
Ich zog Brumberg aus dem Büro. Unterwegs fand ich eine Vierkantlatte von ungefähr zwei Metern Länge. Brumberg wollte fragen, ich winkte ab. Brumberg folgte mir zum sechsten Stock an die Stelle, wo Althammer abgestürzt war. Ich schickte ihn zum Ende des Gerüstes. Als er dort angekommen war, rief ich, daß er kommen sollte. (Kriminal 23:6).
2.)Virtuelle Forderungen Virtuelle Forderungen unterscheiden sich von tatsächlichen dadurch, daß sie zwar einen fordernden Aktanten und einen Adressaten der Forderung benennen, diesen aber nicht zur Erfüllung der Forderung auffordern. Der Adressat der Forderung ist nicht in der aktuellen Redesituation anwesend, sondern es wird auf ihn nur Bezug genommen. Auch wird kein Übermittler damit beauftragt, die ausgesprochene Forderung an den ausdrücklich genannten Adressaten weiterzuleiten. Anders als bei den tatsächlichen Forderungen, rechnet hier der fordernde Aktant nicht damit, daß der Adressat die geforderte Handlung tatsächlich ausführt. Die Forderung bleibt sozusagen auf halbem Wege zwischen forderndem Aktanten und angesprochenem Adressaten stecken. Die Redesituation ist der der erwünschten Sachverhal-
191
te ähnlich: Auch dort werden Forderungen gestellt, deren Erfüllung grundsätzlich offen bleibt. Charakterisiert sind virtulle Forderungen durch eine starke emotionale Komponente. Sie sind ferner immer aktuell und initial. Die Einstellung zur Nicht-Erfullungserwartung virtueller Forderungen ist nicht einheitlich. Sie zerfällt vielmehr in (mindestens) zwei semantische Gruppen, denen zwei unterschiedliche emotionale Einstellungen des Sprechers zugrunde liegen: a.)Die „meinetwegen"-Einstellung: Der Sprecher steht der Ausführung der Handlung gleichgültig gegenüber. Seine Forderung beschränkt sich auf Merkmale des Handlungsfeldes, das er für sich beansprucht. Die emotionale Komponente kommt hier in zahlreichen Modalpartikeln zum Ausdruck (an erster Stelle nur, aber auch meinetwegen, ruhig, doch), die eine gewisse Distanzierung des Sprechers zum Sachverhalt erzeugen sollen. Beispiele: (213)
- Wenn der Wachtmeister etwas zu fragen habe, so solle er nur eintreten... „Ich habe nichts zu verbergen", sagte sie. (Studer 107:3).
(214)
Der Bursche Schlumpf schien ganz zufrieden zu sein, von nebensächlichen Dingen zu sprechen. Aber wenn man vom Mord anfing, versuchte er abzubiegen. Studer war einverstanden. Der Schlumpf sollte nur abschweifen, wenn er Freude daran hatte. Nicht drängen! Es kommt alles von selbst, wenn man genügend Geduld hat... (Studer 14:9).
(215)
„[...] Eine gräßliche Nachbarschaft! Nichts wie Störungen, solange ich denken kann. 1974 wurde sogar geschossen, sie kamen mit Panzern, sie standen praktisch vor der Tür, stellen Sie sich das vor! Sollen sie ihre Revolutionen machen, meinetwegen, aber doch nicht hier!" (Europa-A 204:1).
b.)Die „tu-lieber-das"-Einstellung: Der Sprecher tritt in entschiedener Weise für die Ausführung der Handlung ein, die er einem (für ihn) negativen Pendant gegenüberstellt. Auch hier kommen bisweilen Modalpartikeln vor {ruhig, doch etc.), die emotionale Ausdruckskraft entspringt im wesentlichen der dualen Handlungsopposition. Beispiele: (216)
„Wozu sind eigentlich Waisenhäuser da", fragte er strenge, „wenn nicht für solche Fälle? Wozu sitzt Stadtrat Hanke, mit dem der selige Reinhold oft genug Schach gespielt hat, im Wohlfahrtsamt? Er soll ruhig etwas tun für die armen Kinder. (AufrKind 52:2).
(217)
SIR KAY am Fenster, sieht hinunter: Der kann ja wohl gar nich' lesen, so wie der da rummacht. Fummelt mit seinem Wisch vorm Gesicht rum. Der soll sich doch mal die Brille putzen. Da geben die einem Kerl so'n hohen Posten und nu' steht er da und kann nich' mal 'ne simple Bekanntmachung lesen. (Merlin 305:1).
(218)
Die Mama wird wieder ein G'sicht machen, wenn sie meinen Brief bekommt! - Ah, sie soll zum Onkel geh'n, der hat Geld wie Mist; auf die paar hundert Gulden kommt's ihm nicht an. (Gusti 31:1).
Die emotionale Komponente bei virtuellen Forderungen zeigt sich auch darin, daß diese häufig in Ausrufesätzen vorkommen: (219)
KÖNIG ARTUS Der Tisch ist für König Artus! SCHREINER Soll der mal kommen, dein König! Soll er sich mal zeigen! Soll er mal erscheinen! [Er wirft König Artus vor die Tür:] Wir sind Kelten! (Merlin 78:7).
Im Beispiel (219) gesellt sich zur (wiederholt) ausrufenden Satzstruktur auch die (wiederholte) syntaktische Position des Verbs in Erststellung mit derselben emotionserzeugenden Funktion.
192 4.3.1.3.2. Sprecher [+fordernder Aktant, -Adressat der Forderung] Hier ergeben sich zwei Fälle, j e nachdem, ob der Sprecher als fordernder Aktant seine Forderung nur an sich selbst oder aber auch an weitere (in der aktuellen Redesituation anwesende oder nicht-anwesende) Adressaten richtet. Im ersten Fall handelt es sich um individuelle, im zweiten um kollektive Forderungen. Da jedoch Forderungen im Normalfall nicht an sich selbst gerichtet werden, handelt es sich hier um eine marginale Erscheinung. 1.individuelle Forderungen Hier erlegt sich der Sprecher selbst bestimmte Verpflichtungen im Hinblick auf bestimmte Handlungsziele auf: Es handelt sich um selbst gestellte Forderungen. Sie sind immer aktuell und (nicht-)initial: (220)
Ich sagte mir, daß du mein bester Freund warst, daß du mehr durchgemacht hattest als ich, daß ich mich freuen sollte über dein Leben, über deinen Schlaf. (Erz-60-B 234:2).
2.)Kollektive Forderungen Der Sprecher als der fordernde Aktant verweist hier auf bestehende Forderungen, die kollektiv (also auch für ihn) verpflichtend sind. Hier sind allerdings die Grenzen zum Deontischen hin nicht mehr sauber zu ziehen. Die Forderungen sind wie die deontischen (vgl. hier unter 4.3.2.) immer initial und aktuell: (221)
MERLIN Kay, gib mir eine von den Schüsseln auf dem Tisch. SIR KAY Da soll man sich drin die Hände waschen, das habe ich neu eingeführt. (Merlin 173:3).
4.3.1.3.3. Sprecher [-fordernder Aktant, +Adressat der Forderung] Der Sprecher als Adressat der Forderung informiert über eine an ihn (und möglicherweise auch zugleich an andere Adressaten) gestellte Forderung seitens eines (in der aktuellen Redesituation anwesenden oder - wie auch zumeist - nicht-anwesenden) fordernden Aktanten. Dieser wird zwar in der Regel (meistens anaphorisch, mitunter kataphorisch) ausdrücklich genannt - wie in (222) und (223): (222)
Die Visite kommt einmal die Woche. Fragen werden mir keine beantwortet. Doktor Müller, der immer verlangt, ich soll ihm Zeichnungen machen, kam einmal abends, um nach seiner „liebsten" Patientin zu sehen. (Erz-60-B 264:6).
(223)
Das will ich dir sagen. Mein Papa, das ist nämlich ein Bequemer, der spielt gern den großen Chef. Bis um acht, halb neun wälzt er sich in seinem Sündenbett und macht sich ein schönes Leben. Aber der Bub, der soll schon um sieben aus den Federn und soll um acht, wenn der Herr Vater als sogenanntes Vorbild sich grad auf die andere Seite dreht, bereits an seinem Schreibtisch sitzen und schuften in der Buchhaltung. (Kriminal 76:8).
oder ist aus dem inneren oder äußeren Kontext leicht zu eruieren - wie in (224) und (225) es sind jeweils eine Behörde bzw. ein Vorgesetzter: (224)
„Uno, sei vernünftig. Ich habe den Auftrag erhalten. Ich soll dich nach Uppsala zurückbegleiten." (Spiele 2 584:12).
193 (225)
„Mein Name ist Ahrens, Katharina Ahrens. Ich bin die Sekretärin von Herrn Trompp. Ich bin gerade nach Hause gekommen und finde die Nachricht vor, daß ich die Kriminalpolizei anrufen soll..." (Kriminal 123:2).
kann aber auch - aus textuellen Interessen heraus - in sehr allgemeiner Form angegeben (z.B. durch das Indefinitpronomen man) - wie in (226) - oder gänzlich verschwiegen werden wie in (227): (226)
Wenn ich darüber nachdenke, kommt es mir selbst heute noch so vor, als ob man damals am liebsten von uns Buben gefordert hätte, wir sollten aufrichtig lügen. (DE2060-A 77:2).
(227)
Entschuldigen Sie die Störung, sagt sie. Vielleicht können Sie mir helfen. Ich soll einer Familie etwas Wichtiges ausrichten und habe die Adresse verloren. Sie muß in dieser Straße wohnen. Ich weiß auch, daß die Leute eine heranwachsende Tochter haben, vielleicht zwischen 17 und 19 Jahre. (Erz-60-B 221:7).
In (228) stellt der Sprecher nur einen aus der Klasse der Adressaten dar, an die die Forderung gestellt worden ist: (228)
Darum doch sperrst du dich in dein Bureau, niemand soll stören, der Chef ist beschäftigt - nur damit du deine falschen Briefchen nach Rußland schreiben kannst. (Prager-A 213:5).
In dieser Gruppe von Sätzen kann sollen sowohl initial wie auch nicht-initial gebraucht werden. Bei nicht-initialer Verwendung korreliert es anaphorisch (bisweilen auch kataphorisch) mit einem Forderungsverb (fordern, verlangen, bitten etc.) oder einen damit verwandten nominalen Ausdruck (Auftrag, Forderung, Bitte etc.) - vgl. hier oben (222) sowie (224). In der indirekten Rede wird der anaphorische (oder kataphorische) Bezug durch ein verbum dicendi hergestellt, zumeist sagen - vgl. (229) und (230): (229)
Er hat mir gesagt, ich soll die blaue Bluse anziehen, die er mir geschenkt hat, und abends zu ihm kommen, er gibt ein kleines Fest. (Prager-A 230:1).
(230)
Am Ersten soll ich meine Sachen packen und gehn. Ich habe sie gehaßt für jedes Wort, das sie gesprochen hat. (Prager-A 231:4).
In initialer Verwendung kann sollen immer dann vorkommen, wenn der propositionale Gehalt des Infinitivkomplements inhaltlich ausreichend definiert ist, um die Bedeutung der Forderung in den Vordergrund zu stellen. Dadurch wird der Rückgriff auf ein Performativ überflüssig; und dadurch, daß die Beziehung des Adressaten der Forderung zum fordernden Aktanten im Vorsatz stets ausdrücklich erfolgt, erübrigt sich zugleich die anaphorische (oder kataphorische) Koppelung mittels des verbum dicendi. Vergleiche: (231 )
Aber er, - als ich ihn zärtlich mit Küssen weckte, als er erfuhr, was ich vorhatte, - er wurde tobsüchtig vor Zorn über meine Zumutung. Sofort solle ich ihn freilassen, damit er noch den Zug erreiche. (Prager-A 198:1).
(232)
Nach vier Monaten versuchen mich die Schwestern auf die Beine zu stellen, die bis oben hin vergipst sind. Sie schleppen mich zwischen sich, ich weine. Es ist kein Gehen. So ein paar Wochen lang. Ich bekomme dann Krücken, soll mich selber fortbewegen. (Erz-60-B 266:1).
(233)
Ich fühle mich schuldig. Meine Frau denkt auch daran, ich seh's, nur geben wir es uns nicht zu. Ich halte ihre schwitzende Hand, bis der Arzt mich wegschickt; ich soll mich ins Wohnzimmer setzen und einen Schnaps trinken, man werde mich rufen. (Montauk 73:1).
194 Der Rückgriff auf ein Performativ muß nicht unbedingt durch einen inhaltlich nicht ausreichenden propositionalen Gehalt des Infinitivkomplements im Sinne der Forderung motiviert sein. So reicht z.B. der prädizierte Gehalt in (222) vollständig aus, um die Bedeutung der Forderung von möglicherweise konkurrierenden abzugrenzen. Gleiches gilt für (224) mit nominalem Performativ. In keinem der beiden Fälle kann die Bedeutung der Absicht die der Forderung ernsthaft gefährden. Motiviert ist vielmehr das Performativ in (222) durch den Zweck weiterer Prädikation über ein bestimmtes thematisches Element - und zwar über den „Doktor Müller", von dem eine gewisse Verhaltensweise prädiziert werden soll, in (224) dadurch, daß der Adressat der Forderung glaubt, auf seine zu erfüllende Pflicht hinweisen zu müssen, um den vorgesehenen Handlungsablauf sichern zu können.
4.3.1.3.4. Sprecher [-fordernder Aktant, -Adressat der Forderung] Hier ergeben sich zwei Fälle, je nachdem, ob der Sprecher die Forderung eines in der Redesituation nicht-anwesenden dritten Aktanten an den anwesenden Adressaten weitergibt, oder aber, ob er über Forderungen eines nicht-anwesenden fordernden Aktanten an einen ebenfalls nicht-anwesenden Adressaten referiert. Im ersten Fall erfolgt die Weitergabe, im zweiten die Erwähnung fremder Forderung. Eine dritte marginale Erscheinung stellt die Redesituation der Erwähnung einer unausgesprochenen Forderung dar. 1.) Weitergabe einer fremden Forderung Bei der Weitergabe von Forderungen eines Dritten ist der Sprecher weder fordernder Aktant noch Adressat der Forderung. Am Vermittlungsprozeß wird er trotzdem beteiligt: Er übernimmt die Rolle des Übermittlers der von einem (in der aktuellen Redesituation nichtanwesenden) fordernden Aktanten an einen (in der aktuellen Redesituation anwesenden) Adressaten gerichteten Forderung. Es handelt sich hier auch - wie bereist bei der Delegierung einer eigenen Forderung - um eine Zwei-Schritt-Prädikation (1. Sag ihm, daß p; 2. Du sollst p), nur mit verstauschten Rollen. Schematisch: FORDERNDER AKTANT
SPRECHER
Sag ihm, daß er sich beeilen soll
Du sollst dich beeilen
ADRESSAT
Abbildung 4.5: Weitergabe einer fremden Forderung
Beispiel: (234)
S T I M M E A U S D E M A R T U S - H E E R - K ö n i g A r t u s will keinen K r i e g in s e i n e m eigenen Land. S T I M M E A U S D E M M O R D R E D - H E E R - W e n n A r t u s nicht k ä m p f e n will, d a n n soll er U n t e r h ä n d l e r schicken [...]. ( M e r l i n 363:4).
Sollen-Sätze in dieser Funktion stellen stets aktuelle Prädikationen dar und sind durch eine einheitliche Prädikationsstruktur gekennzeichnet, die sich aus der Mitteilung der fordernden Instanz sowie der darauffolgenden Übermittlung der Forderung an den Sprecher zusammensetzt. Erst diese strukturelle Einheitlichkeit macht den hier stets initialen Gebrauch von sollen möglich.
195 Wesentlich fur den Aufbau dieser Prädikation ist somit die Angabe des fordernden Aktanten. Dieser wird meistens ausdrücklich genannt - in (235) in anaphorischer und in (236) in kataphorischer Position: (235)
Da rief eine Stimme von der Türe her seinen Namen. „Wa isch los?" „Der Untersuchungsrichter von Thun hat telephoniert. Du sollst nach Gerzenstein fahren... (Studer 36:4).
(236)
„In Thun haben sie den Mann erwischt", sagte er. „Ich muß es holen gehen. Aber Ihr sollt ans Telephon kommen, Wachtmeister, der Untersuchungsrichter will mit Euch reden..." (Studer 97:1).
- oder aber er ist leicht aus dem äußeren Kontext zu rekonstruieren: (237)
„Es ist gut, daß Sie da sind, Tschanz", sagte Bärlach. „Wir müssen den Fall Schmied besprechen. Sie sollen ihn der Hauptsache nach übernehmen, ich bin nicht so gesund." „Ja", sagte Tschanz, „ich weiß Bescheid." (Richter 16:2).
In (237) deutet der Nachsatz Ich weiß Bescheid daraufhin, daß der Adressat der Forderung die fordernde Instanz hat identifizieren können und die so//e«-Prädikation nicht als eine Forderung des Sprechers, sondern eines nicht-anwesenden fordernden Aktanten auffaßt. 2.) Erwähnung fremder Forderungen Es handelt sich hier um die - sowohl statistisch wie auch inhaltlich - am meisten ausgeprägte Funktion von sollen innerhalb der Forderungen: Der Sprecher informiert über eine von einem fordernden Aktanten an einen (in der aktuellen Redesituation anwesenden oder nichtanwesenden) Adressaten ergangene Forderung. Möglich ist nicht nur die für diese Funktion naheliegende Redesituation des fiktionalen Erzählens über Vergangenes - wie etwa in (238), sondern auch die Redesituation des nichtfiktionalen Gesprächs in der aktuellen Rede - wie etwa in (239): (238)
Sie fuhren in der Elektrischen. Der Bruder trug den Rucksack und bot Georg „Ägyptische" an. Die Mutter verlangte, er solle etwas aus Rußland berichten. Georg Pichler sagte, aus Rußland wisse er nichts Erzählenswertes. Sein Blick war im Vorüberfahren auf das Firmenschild einer Rasierstube gefallen. (Prager-A 190:3).
(239)
„Nach einem schweren Foul, so haben Sie unlängst gefordert, soll ein Spieler künftig nicht mehr nur vom Platz gestellt, sondern sein Team zugleich mit einem Elfmeter bestraft werden. Warum eine doppelte Sanktion?" (Spiegel 23/1993, 238).
Inhaltlich erstreckt sich die Klasse dieser Bedeutungsfunktionen von sollen von der Kategorie des „Vorschlags" über den „Ratschlag", die „Empfehlung", den „Appell", die „Anweisung", die „Forderung" bis hin zum „Befehl". In der Funktion der Erwähnung von Forderungen kann sollen ebenfalls sowohl initial wie auch nicht-initial vorkommen. Auch hier erfolgt bei nicht-initialer Verwendung ein anaphorischer (oder auch kataphorischer) Verweis auf ein verbales (etwa mit fordern, verlangen, befehlen, anordnen, bitten etc.) oder ein nominales Performativ (z.B. mit Auftrag, Forderung, Bitte, Befehl etc.); auch die Korrelation mit wollen ist hier häufig. Vergleiche: (240)
Die Mutter forderte,
er solle zu Bett gehen und Tee trinken. (Prager-B 315:2).
(241)
König Artus befahl, man sollte die Leiche in das Münster tragen und sie dort aufbewahren, damit man sie in den nächsten Tagen bestatte. (Merlin 197:2).
196 (242)
Sie solle ihm nicht böse sein, bat er stockend, daß er sich in letzter Zeit so wenig um sie gekümmert habe. „Aber du weißt ja, wie ich dich liebe", sagte er. (Spiele 2 304:4).
(243)
Wenn ich diesen Vorschlag richtig verstanden habe [...], so läuft er auf eine ebenso einfache wie dreiste Forderung hinaus: Die Kapitalisten sollen den Strick bezahlen, an dem die Gewerkschaften sie erwürgen wollen. (Europa-A 11:2).
(244)
Er kommt ganz nahe. Sie soll sich verteidigen. Er will sie nicht ungehört verdammen. Sie mag sagen, was etwa ihr Verbrechen mildern kann. Er wird sehen. (Spiele 1 42:5).
Anstelle eines Performative können anaphorische (oder kataphorische) Beziehungen zwischen dem Modalverb sollen und der ihm zugrunde gelegten inhaltlichen Kategorie mittels eines verbum dicendi erstellt werden - mit sagen, aber auch mit ausrichten, erklären, klarmachen, meinen etc., mit konnotativ besetzten wie raten, einreden, anbrüllen, (an)schreien etc., mit Denotativa wie telephonieren, Zeichen machen, eine Nachricht hinterlassen etc.: (245)
Schließlich sagte Dach ohne Übergang: Nachdem sich nun alles geklärt und gefunden habe, solle jetzt wieder fleißig gelesen werden, sonst laufe ihnen mit dem Stoffel der Morgen davon. (Telgte 155:2).
(246)
Nüt Apartigs, meinte die Frau. Fieber, Brustfellentzündung, Oberarm gebrochen, Schlüsselbeinfraktur. Er solle froh sein, daß er noch nicht tot sei. (Studer 180:1).
(247)
Carola war noch nicht da, als er zu Schulte-Bebrungs kam. Sie hatte angerufen und ließ ausrichten, daß sie mit ihren Berichten noch nicht fertig war, sich aber beeilen würde; man sollte mit dem Kaffee schon anfangen. (Erz-60-B 248:8).
(248)
Plötzlich blieb sie stehen. Mit aller Gewalt konnte Franta sie nicht mehr vorwärts treiben. Er rief den Rumänen und machte ihm Zeichen, er solle warten. (Prager-A 164:4).
(249)
Als er wach wurde, war es Nacht, er stand auf, wusch sich und zog sich frisch an, es war ihre Nachricht. Daß er zu ihr kommen sollte. (Erz-60-B 334:1 ).
Initiale Verwendung von sollen (d.h. ohne ausdrückliches Performativ) ist hier ebenfalls immer dann möglich, wenn die Bedeutung der Forderung durch den Kontext inhaltlich abgesichert ist. Vergleiche: (250)
„Nur weiter, nur weiter... Ich hör' schon zu..." - Es scheine nicht, meinte Murmann, über was denn Studer so tief nachgedacht habe? - Er werde es ihm später sagen. Murmann solle jetzt die beiden Tage schildern, die Entdeckung der Leiche, die Untersuchung, die Flucht des Schlumpf... (Studer 74:6).
(251 )
Sie bekam am gleichen Tag bei einer anderen Herrschaft einen guten Posten, dreißig Kronen Lohn, ganze Verpflegung, sollte aber auch die Nacht dort zubringen. (Prager-A 174:1).
(252)
Dieses Kind haßt Ulrich Berger grenzenlos. Er darf nicht laut auftreten, wenn es schläft, ja, er soll nicht einmal husten und sich die Nase schnauben. „Pst, Ulrich, das Kind!" (AufrKind 44:3).
In all den Belegen hier oben lenken jeweils bestimmte kontextuelle Angaben die Interpretation von sollen auf Forderung und sichern sie gegen möglicherweise konkurrierende ab: Dies ist in (250) die vorhergehende Aufforderung „Nur weiter, nur weiter... Ich hör' schon zu...", in (251) der in der pragmatischen Situation zu erwartende Kontrast zwischen Rechten und Pflichten, in (252) die Korrelation zu negiertem dürfen. Die Feststellung, daß nicht nur lexikalische (verbale oder nominale) Performative, sondern auch Angaben des internen und externen Kontextes sowie pragmatische Faktoren die
197
Bedeutungsfunktion von sollen steuern können, stellt die von GLAS (1984) an lexikalische Performative gebundene Dichotomie „initial"/"nicht-initial" grundsätzlich in Frage. Lexikalische Performative stellen nur eine von mehreren Klassen performativer Faktoren dar. Aus dieser Perspektive folgt, daß der Gebrauch von sollen nie initial sein kann: Denn es ist in jedem Fall entweder der innere (d.h. der propositionale Gehalt des Modalverbsatzes) oder der äußere Kontext (darunter auch die lexikalischen Performative), der die Bedeutungsfunktion von sollen bestimmt. In Prädikationen, die lexikalische Performative entbehren können, übernimmt sollen die morphosyntaktischen Funktionen zur Besetzung der Verbstelle und trägt zur Konstituierung der Satzbedeutung nur insofern bei, als es aufgrund seiner semantischen Undefiniertheit die Suche nach einer Satzdeutung auf die weiteren konstitutiven Einheiten des Satzes lenkt - aus denen sich dann schließlich die Satzbedeutung konstituiert. Eben hierin, in dieser Lenkungs- oder Verweisfimktion besteht die eigentliche Leistung von sollen - und wie wir im Kapitel 3 gesehen haben - auch von müssen. 3.Unausgesprochene Forderungen Der Sprecher berichtet von einem fordernden Aktanten, der zwar eine Forderung formuliert, sie aber entweder an keinen konkreten oder aber an einen bestimmten, in der aktuellen Redesituation jedoch nicht-anwesenden Adressaten gedanklich richtet. Zur Bezeichnung des unbestimmten Adressaten kommen zumeist Indefinitpronomina (wie etwa keiner, kein Mensch, niemand etc.) vor. Beispiel: (253)
Dühring richtete sich auf und lauschte. Er hatte Angst, zu laut zu werden, wenn er jetzt sprach, zu laut für die Nachbarn links und rechts hinter den Neubauwänden. Jetzt war er soweit, und jetzt sollte ihn niemand mehr stören. (Kriminal 102:3).
Mit den virtuellen Forderungen haben unausgesprochene Forderungen gemeinsam, daß auch sie den Adressaten tatsächlich nicht erreichen. Von den virtuellen unterscheiden sie sich aber dadurch, daß sie mit der Handlungsausführung tatsächlich rechnen.
4.3.2. Der deontische Modalitätstyp Im Kapitel 3 unter 3.3.2. haben wir uns mit der Deontik des Modalverbs müssen beschäftigt und versucht, sie von der des Modalverbs sollen zu unterscheiden. Dazu haben wir die Unterscheidung zwischen Norm-Verweisen (für müssen-S&tze) und Norm-Appellen (für sol/e/j-Sätze) benutzt. Wir wollen jetzt diese Unterscheidung näher theoretisch begründen sowie mit einschlägigen Beispielen von sollen-Sätzen illustrieren. Der Unterschied zwischen der Deontik von müssen und der Deontik von sollen gründet auf dem Unterschied zwischen Legalität und Legitimität: Gesetze sind legal, wenn sie vom Gesetzgeber ordnungsgemäß beschlossen sind - das ist eine formale Anforderung. Gesetze sind dagegen legitim, wenn sie mit der Sittlichkeit übereinstimmen - und damit sind wir mit der Kernfrage der Moral konfrontiert: Normen stimmen mit der Sittlichkeit überein, wenn sie dem Gerechtigkeitsempfinden eines jeden Menschen entsprechen. Da aber Menschen auf das Zusammenleben mit anderen angewiesen sind, entwickelt sich daraus ein Normensystem - das ist eine anthropologische Voraussetzung. Beispiele von Normen, die einem gemeinsamen sittlichen Empfinden entspringen, sind etwa die folgenden:
198 (254)
(a) (b) (c)
Du sollst nicht töten! Du sollst keine Tiere quälen! Du sollst einen Menschen in Not unterstützen!
Legitime Normen sind somit Appelle zur Befolgung bestimmter Formen menschlichen Verhaltens, die den individuellen oder den kollektiven Intentionen des/der Verpflichtenden entspringen. Während also die Deontik von müssen auf das Bestehen von Normen verweist, appelliert die Deontik von sollen an die ihnen zugrunde liegenden Intentionen. Die Deontik von müssen ist eine Deontik der Schrift, die von sollen eine Deontik des Wortes. Wir können auch sagen, daß, während mit müssen auf das Resultat von Normierungsprozessen hingewiesen wird, die zu (orts- und zeitgebundenen) kodifizierten Regelsystemen des menschlichen Zusammenlebens geworden sind, nehmen deontische Sätze mit sollen Bezug auf den Willen des Verpflichtenden. Und dessen Wille drückt sich in Forderungen nach bestimmten Verhaltensweisen aus, die für sowohl individuell wie auch kollektiv verbindlich erklärt werden. Beispiel: (255)
„Zuerst habe ich Amerika gehaßt", beschreibt Jamaoka ihre Gefühle. Aber ihre Botschaft [...] lautet: „Ihr sollt kein Land hassen. Ihr sollt keine Menschen hassen. Ihr sollt den Krieg hassen. Denn der Krieg zerstört die Herzen der Menschen." (SZ 8.8.1995, 8).
Die pragmatische Situation in (255) eröffnet einen deontischen Rahmen: Fordernde Instanz und Adressaten der Forderung stehen einer Frage gegenüber, der kollektives Interesse zukommt. Die Forderung entspringt nicht einem kodifizierten Gesetz, das sie für verpflichtend erklärt, sondern der individuellen sittlichen Auffassung des Fordernden. Wird diese Forderung allgemein geteilt, so nimmt sie den Status einer deontischen Forderung an. Die Verbindlichkeit einer geforderten Verhaltensweise beruht somit auf dem Prinzip der Akzeptierung einer Instanz als verpflichtend. Wird die fordernde Instanz nicht für verpflichtend betrachtet, so wird die aus ihr ergangene Forderung hinfällig. Wird dagegen die Instanz als verpflichtend akzeptiert, so stellt sie eine deontische Instanz dar und deren Forderung eine deontische Norm. Wir können folglich die innere Prädikationsstruktur der deontischen Sätze mit sollen wie folgt darstellen: (256)
IMOD
(= DEONTISCHE INSTANZ) FORDERT, DASS P.
Legitimitätsbegründete Normen sind aber nicht nur die grundlegenden Normen des Naturrechts wie oben in (254). Es liegen vielmehr Klassen von Normen vor, die in die individuelle Sphäre des Einzelnen eindringen und ihn zu bestimmten konventionalisierten Verhaltensweisen auffordern. Eine wichtige Gruppe bilden etwa die Lehrsätze des christlichen Glaubens, die zum Teil noch im allgemeinen Naturrecht, zum Teil in der spezifischen Weltanschauung ihren Niederschlag finden: (257)
„Alles daher, was ihr wollt, daß euch die Menschen tun, sollt auch ihr ihnen ebenso tun." (Matthäus-Evangelium).
(258)
„Du sollst deinen Toten in Ehren halten und ihn nicht schädigen an seinem Antlitz." (Bibelspruch).
(259)
„Gut, gut, wir sollen christlich und barmherzig sein, Justus. Wie wir vergeben unseren Schuldigem, heißt es [...]." (Brook Β 256:5).
(260)
„Mutter!" sagte sie „o Gott, man soll seinem Nächsten nichts Übles nachsagen... [...]." (Brook Β 286:5).
199 (261)
Vater Pagel klopfte Sprüche wie: „Er soll dein Herr sein!" - „Es sollen die Weiber ihren Männern Untertan sein!" und andere. (Kriminal 143:5).
Den deontischen sollen-Sätzen in (257) bis (261) liegen keine formalen Anordnungen zugrunde - wie dies stets bei deontischen müssen-Sätzen der Fall ist, sondern Auffassungen von Verhaltensweisen, die in bestimmten Intentionen der fordernden Instanz fußen. Aufgrund ihrer kollektiven Verbindlichkeit gelten sie als deontische Normen. Die Dimension des Kollektiven ist fur deontische Normen grundlegend, denn kollektive Ziele implizieren kollektive Verpflichtungen. Dies findet sich in expliziter Form in folgender Erklärung vor: (262)
„So wie Mein seliger Großvater und wie Ich Uns unter der höchsten Obhut und dem höchsten Auftrage unseres Herrn und Gottes arbeitend dargestellt haben, so nehme Ich das von einem ehrlichen Christen an, wer es auch sei. Wer in dieser Gesinnung arbeitet, dem wird es aber klar, daß das Kreuz auch verpflichtet! Wir sollen in brüderlicher Liebe zusammenhalten..." (Kaiser Wilhelm, 29.8. 1910) (KriegLit 81:10).
Deontische Normen sind also dazu da, menschliche Handlungen von kollektivem Interesse aufeinander abzustimmen und sie fur verpflichtend zu erklären. Soll dabei nicht auf das Bestehen einer Norm verwiesen, sondern an die ihr zugrunde liegenden Intentionen appelliert werden, so wird auf sollen- und nicht auf müssen-Sätze zurückgegriffen.
5. Das Modalverb dovere
Im Italienischen steht das Modalverb dovere den beiden Modalverben des Deutschen müssen und sollen gegenüber.1 Mit diesem Modalverb drückt das Italienische dieselben Modalitätstypen aus, die im Deutschen auf die beiden Modalverben müssen und sollen entfallen jedoch mit Ausnahme des deliberierenden Modalitätstyps (Sollte er der Täter sein?), bei dem das Italienische auf den Modus zurückgreift (vgl. 5.2.5.). Femer stellt die Verwendung von dovere für den berichtenden Modalitätstyp (Sie soll vier Sprachen können/Deve sapere quattro lingue) eine neue Entwicklung des Italienischen dar (vgl. 5.1.1.). Wesentliche Unterschiede werden sich jedoch auch in der Intension herausstellen, mit der dovere die Modalitätstypen zum Ausdruck bringt: Die Intension von dovere ist mit der von müssen vergleichbar, der von sollen aber weit unterlegen - vor allem im pragmatischen Bereich. Hier zeigt sich, daß im Italienischen (im Gegensatz zum Deutschen) der Modus Konjunktiv (aber auch das Konditional) nach wie vor eine große Rolle im Ausdruck der Modalität spielt. Um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, verzichte ich in diesem Kapitel immer dann auf theoretische Ausführungen über die einzelnen Modalitätstypen von dovere, wenn entsprechende Darlegungen bereits für das Deutsche vorliegen. Ich verweise dabei jeweils auf die entsprechenden Stellen bei müssen bzw. sollen. Dies gilt insbesondere für die Angabe der jeweiligen modalen Instanz, die sich jedoch intuitiv ableiten läßt. Auch erschien es mir sinnvoll, bereits in diesem Kapitel einige kontrastive Aspekte zwischen müssen/sollen und dovere zu behandeln, die eigentlich erst im nächsten Kapitel zur Sprache hätten kommen sollen. Dies betrifft in erster Linie die pragmatischen Modalverbsätze (vgl. 5.3.1.): Hier besteht eine stark ausgeprägte Unterkategorisierung des Modalitätstyps, bei der das Deutsche mit den beiden Modalverben müssen und sollen auskommt, das Italienische dagegen, was den Anteil der sollen-Sätze angeht, außer auf dovere zusätzlich auf eine Fülle von Mitteln zurückgreifen muß. Eine Darstellung der Untertypen sowie der daran beteiligten Ausdrucksmittel erschien mir demnach allein auf der Grundlage eines Kontrasts möglich.
5.1. Die propositionalen Einstellungen des Sagens
Modalverbsätze mit dovere bringen zwei Modalitätstypen zum Ausdruck, denen propositionale Einstellungen des Sagens zugrunde liegen. Es handelt sich um dieselben Modalitätstypen, die auch mittels der Modalverbsätze mit sollen ausgedrückt werden: den berichtenden sowie den antizipierenden Modalitätstyp. Vergleiche Tabelle 5.1: 1
Die Literatur zu dovere ist sehr spärlich: Es liegt keine Monographie vor, wie für müssen und sollen im Deutschen oder devoir im Französischen - Η Υ Ο Τ ( 1 9 7 4 ) und M E Y E R ( 1 9 8 2 ) , sondern nur einige Beiträge in Arbeiten größeren Umfangs, wie A L I S O V A ( 1 9 7 2 : 1 8 4 - 1 8 8 ) und S K Y T T E ( 1 9 8 3 : I 7 5 - 1 1 5 ) sowie Artikel, wie LEONE ( 1 9 6 6 ) , HERCZEG ( 1 9 6 6 ) , CÂRSTEA ( 1 9 6 9 ) , PARISI/ANTINUCCI/ CRISARI ( 1 9 7 5 ) , GIUSTI FICI ( 1 9 7 6 ) , Lo CASCIO/NAPOLI ( 1 9 7 9 ) , HARRIS ( 1 9 8 5 ) , die sich mit der dichotomischen Spaltung des Modalverbsystems in „epistemisch'/'nicht-epistemisch' oder mit Detailproblemen wie der Stellung klitischer Pronomina in Modalverbsätzen beschäftigen.
202 Tabelle 5.1: Die propositionalen Einstellungen des Sagens bei dovere Modalitätstyp
Beispiel
1. berichtend 2. antizipierend
Deve sapere quattro lingue Doveva essere la sua ultima notte con Maria
5.1.1. Der berichtende Modalitätstyp Zur neutralen Wiedergabe fremder Behauptungen erwähnen Grammatiken des Italienischen die drei folgenden Gruppen von Ausdrucksmitteln: a.)unpersönliche Ausdrücke aus der Klasse der verba dicendi (in der 3. Person Singular mit Indefinitivpronomen si wie si dice, si racconta, si narra, si afferma, si sostiene etc. oder in der 3. Person Plural dicono, raccontano, narrano, affermano, sostengono etc.), b.)schwach epistemische Ausdrücke (wie pare che, sembra che, forse etc.), c.)den Modus Konditional des jeweiligen propositionalen Verbs. Beispiele: (1)
Dicono che la polizia abbia sparato ancor prima di intimare l'alt.
(2)
Sembra che la polizia abbia sparato ancor prima di intimare l'alt.
(3)
La polizia avrebbe sparato ancor prima di intimare l'alt.
Diese drei Klassen modaler Ausdrucksmittel sind miteinander nicht beliebig austauschbar. Sie dienen vielmehr dazu, Abstufungen von Glaubwürdigkeit der ursprünglich behauptenden Instanzen auszubilden - und zwar in einer Skala, an deren Basis die Ausdrucksformen mit den verba dicendi, in der Mitte die schwachen Epistemika und ganz oben die Konditionalformen stehen. Diese letzten kommen vorzugsweise in formalen Kontexten der geschriebenen Sprache vor, vor allem in der journalistischen Berichterstattung. In keiner Grammatik des Italienischen, soweit ich sehe, finden sich (auch nur flüchtige) Hinweise auf eine vierte Möglichkeit: die mittels Modalverben. In Frage kommen hier sowohl volere wie auch dovere - genauso wie im Deutschen wollen und sollen (vgl. 4.1.1.). Da wir volere nicht näher untersuchen wollen, belege ich diese Funktion mit dem Beispiel: (4)
Contrariamente a quanto avviene con altre specie di squali, che si vuole aggrediscano sotto la spinta di conflittualità di vario tipo, lo squalo bianco attacca l'uomo semplicemente per mangiarselo. (CdS, 4.2.89, 11).
In (4) wird mit dem Syntagma vwo/e+Konjunktiv" die Bedeutung „man behauptet, daß ρ" zum Ausdruck gebracht. Daß volere in (4) tatsächlich diese Funktion hat, wird auch daran ersichtlich, daß es mit performativen Ausdrücken der Behauptung (anaphorisch oder kataphorisch) korrelieren kann - wie in (5): (5)
[...] era stato preso dagli uomini del vescovo proprio in casa di quelle donne, fatto questo che mi stupiva, perché un uomo di chiesa non dovrebbe recarsi ad amministrare i sacramenti in luoghi così poco adatti, ma questa pareva essere la debolezza dei fraticelli, il non tener in debita considerazione le convenienze, e forse c'era qualcosa di vero nella voce pubblica che li voleva, oltre che eretici, di dubitevoli costumi [...]. (Rosa-A 237:1).
203 Der anaphorische Bezug auf das nominale Performativ des Sagens („nella voce pubblica") läßt für volere keine andere Deutungsmöglichkeit zu. Die Gründe für das Übersehen dieser zusätzlichen Ausdrucksformen fremder Behauptung in den Grammatiken des Italienischen sind gleich gefunden. Es sind ein sprachexterner sowie ein sprachinterner Grund: Einserseits steckt die Modalverbforschung des Italienischen in den Anfängen, andererseits ist die Anwendung von dovere in diesem Bereich (immer noch) eher peripher sowie zum Teil auf den mündlichen Bereich eingeschränkt. Zu dem Mangel an gründlichen Arbeiten im Bereich der Modalität kommt der Umstand, daß die einschlägigen italienischen Arbeiten sich gewöhnlich am Englischen orientieren - an einer Sprache, die in dieser Funktion bekanntlich keine Modalverben, sondern Performative des Sagens (vgl. 2.4.1.2.4.) einsetzt. Die italienische Modalverbforschung hätte sicherlich einen anderen Verlauf genommen, wenn sie sich etwa am Deutschen orientiert hätte. Weitaus schwerwiegender als dieses Versäumnis wirkt sich der zweite - sprachinterne Grund aus: Von den drei Klassen einschlägiger Ausdrucksmittel sind die beiden ersten ausreichend performativ, um die Bedeutungsfunktion der neutralen Wiedergabe fremder Behauptungen eindeutig zu kennzeichnen. Dem ist mit dem Konditional nicht so: Dieser Modus - und Tempus - dient auch dem Ausdruck weiterer Funktionen. Nicht etwa nur dem Ausdruck vom „futurum in praeterito" (vgl. 5.1.2.), vielmehr in erster Linie der Kennzeichnung von Bedingungssätzen, in zweiter Linie von Bewertungsäußerungen (vgl. 5.2.1.). Wird das Konditional in der berichtenden Funktion verwendet, so muß diese Bedeutung (intern oder extern) kontextuell genug abgesichert sein, um Deutungsinterferenzen etwa mit Bedingungs- oder Bewertungssätzen zu vermeiden - denn hier erweisen sich die spezifischen Modusmerkmale des Konditionals sozusagen als „multiperformativ" - m.a.W.: als „performativ undifferenziert". Vermutlich ist diese „Multiperformativität" der Modi Konjunktiv und (im Italienischen) Konditional der Grund dafür, daß Modalverben ihren Funktionsbereich ausweiten, indem sie traditionelle Bezeichungsfimktionen der Modi teilweise übernehmen. Dies ist im Deutschen an sollen, im Italienischen an dovere gut nachzuvollziehen. In berichtender Funktion weist dovere die beiden folgenden Anwendungsbereiche auf: a.) Es tritt zum Konditional hinzu, wenn auch die kontextuellen Angaben sich als performativ unzureichend erweisen; dovere hat hier die Funktion, potentiell konkurrierende Bedeutungen (Bedingung, Bewertung etc.) zu neutralisieren; b.)Es tritt als alternative Form der beiden Klassen von expliziten Performativen (verba dicendi und schwache Epistemika) auf, wenn der Kontext eindeutig genug ist. Warum dovere sich hier als (scheinbar unnötige) Alternative anbietet, besprechen wir weiter unten. In der ersten dieser beiden Funktionen kommt dovere nicht nur in mündlicher, sondern auch in schriftlicher Anwendung vor. Es ist nicht auf die Formen des Konditionals I (condizionale presente) festgelegt, vielmehr sind auch Formen des Konditionals II (condizionale passato) möglich. 2 Die berichtende Funktion von dovere in (6) wir durch ein anaphorisches Performativ eindeutig ausgewiesen: (6)
2
[ . . . ] si è in attesa [ . . . ] della sentenza definitiva del processo che, a quanto vrebbe essere istruito nei prossimi giorni dal Vaticano. (ItalRead 51:2).
si dice,
do-
Das Korpus enthält keine Formen des Konditionals II. Daß sie möglich sind, belegt die Umwandlung von (6): [...] che, a quanto si diceva, avrebbe dovuto essere istruito nei prossimi giorni [...]."
204 In (6) ist dovere allerdings redundant. Anapahorische oder kataphorische Beziehungen von dovere zu parenthetischen Performativen wie „a quanto si dice", „a quando pare", „come si dice", „come sembra" etc. sind durchaus geläufig. Es scheint sich sogar eine gewisse Tendenz zur gleichzeitigen Äußerung dieser beiden Teile durchgesetzt zu haben. Läßt man aber diese beiden Teile wegfallen, so ist die intendierte Bedeutungsfunktion der neutralen Berichterstattung äußerst gefährdet. Sie könnte wiederum nur noch durch anderweitige Performative gesichert werden. Dies belegt (7): (7)
In attesa di novità molto più importanti la Fiat dovrebbe presentare a Ginevra una nuova versione della Ί 2 7 ' , la '3 porte', da noi precedentemente annunciata. (ItalRead 146:5).
Ohne den kataphorischen Bezug auf das Performativ „da noi precedentemente annunciata" wäre die Konditionalform in (7) nicht ohne weiteres als Kennzeichnung neutraler Berichterstattung zu deuten: Eine bewertende Satzbedeutung („ich glaube, Fiat täte gut daran...") wäre nämlich nicht ganz abwegig. In der Regel ist dovere in berichtender Funktion jedoch durch den inneren Kontext (d.h. den reinen propositionalen Gehalt) genügend abgesichert. Je mehr potentiell konkurrierende Deutungen bestehen, desto größer fällt der Bedarf an performativ wirkenden Einheiten aus. Vergleiche etwa (8), wo nur die Interpretationsmöglichkeit der Bewertung die Satzbedeutung streitig machen könnte, und (9), wo neben einer bewertenden auch eine epistemische Deutung in Frage kommt: (8)
Nel 1974 è stato inaugurato a Greenwich, una cittadina vicino a New York, un museo dedicato espressamente ai fumetti. Un altro dovrebbe prossimamente aprirsi a Rapallo. (Fumetto 121:1).
(9)
Ricorderemo brevemente, a titolo di curiosità, tre filoni particolari: i fotoromanzi propagandistici, quelli con le vite dei santi e quelli demografici. I primi fotoromanzi elettorali dovrebbero essere stati realizzati dal Psi durante la campagna per le elezioni politiche del 13 giugno 1971. (Fumetto 130:2).
In (8) schließt die Infinitivergänzung die potentiell konkurrierende Bedeutung der Bewertung aus - aufgrund der reflexiven Form aprirsi; da Bewertungen sich auf Handlungen beziehen, müßte die Form in dem Fall essere aperto (Handlung im Passiv!) lauten. In (9) sorgt der Infinitiv II der Infinitivergänzung dafür, daß nur Vergangenheitsbezüge, also Berichte über Vergangenes, in Frage kommen. Damit ist eine Deutung als Bewertung ausgeschlossen. Die möglicherweise ebenfalls konkurrierende epistemische Deutung („es müßte so gewesen sein, daß /?") muß allerdings durch den äußeren Kontext neutralisiert werden. Die zweite der beiden oben erwähnten Funktionen von dovere in der neutralen Berichterstattung ist aber in unserem Zusammenhang weitaus interessanter als die erste: Denn sie ist zum einen nicht peripher, in dem Sinne, daß sie nur monosemierende Hilfsfunktionen ausübt, sondern zentral, denn sie verdrängt nicht etwa das schwach performative Konditional, sondern ausgerechnet die einschlägigen starken Performative (verba dicendi und schwache Epistemika); zum anderen stellt sie eine neuartige Erscheinung des gesprochenen Italienisch dar, die zur berichtenden Form schlechthin zu werden verspricht. Ihr ausschließlich mündliches Vorkommen ist vermutlich einer der Gründe dafür, daß sie die Modalverbforschung übersehen hat. Im Korpus ist diese Form nicht belegt - auch nicht in der Wiedergabe direkter Rede. In der gesprochenen Sprache sieht es aber vielversprechender aus: Ist man sich erst einmal des Problems bewußt und hört man bei mündlicher Rede genau hin, ja provoziert man sogar
205 durch gezielte Fragen einschlägige Antworten, so stößt man auf eine Fülle von Sätzen mit dem Modalverb dovere, welche die eindeutige Funktion der Wiedergabe fremder Behauptungen ausdrücken. Aus meinem Korpus, das inzwischen etwa fünfzehn authentische mündliche Belege enthält, führe ich fünf Belege an - vgl. (10) bis (14). Sie entstammen bestimmten Redesituationen, die in Klammern knapp erläutert werden. Von diesen sind die ersten drei ohne weiteres als einschlägige Ausdrucksformen berichtender Funktion zu verstehen, die letzten zwei dagegen bieten interpretative Probleme. Vergleiche: (10)
Abbiamo fortuna! Domani deve far bello... ho appena sentito le notizie radio... (Ausdruck der Freude über schönes Wetter im Hinblick auf einen Ausflug).
(11)
E una donna affascinante, molto istruita..., deve sapere quattro lingue... (Äußerung aus einer lockeren Unterhaltung über Lilli Gruber, eine Journalistin aus Südtirol).
(12)
Ha superato anche lui quell'esame, ma non deve essere molto facile... (Äußerung über einen Prüfungskandidaten, dem man das Bestehen der Prüfung nicht zutraute).
Beleg (10) läßt keine Alternative zu: Der performative kataphorische Bezug auf die einschlägige Nachrichtenquelle räumt jeden Zweifel aus. Beleg (11) ist durch die potentielle epistemische Bedeutung nicht ernsthaft gefährdet: Es bedarf keiner langen Überlegung, um dovere mit der Bedeutung „si dice che" in Zusammenhang zu bringen. Beleg (12) ist etwas schwieriger nachzuvollziehen: Hätte der Satz „[...] ma non deve essere molto diffìcile" gelautet, so wäre eine epistemische Deutung nicht abwegig, vielleicht sogar dominierend obwohl die einleitende adversative Konjunktion ma in dieser Hinsicht stört, epistemisch deutlicher wäre sicherlich eine kausal-deklarative Konjunktion wie quindi, perciò, di conseguenza etc. gewesen, oder aber auch die Weglassung jeglicher einleitenden Konjunktion. In der Formulierung mit „facile" läßt der Satz jedoch keine andere Wahl zu: „Der Prüfling hat die Prüfung bestanden, von der man behauptet, sie sei nicht so einfach". Wenden wir uns nun (13) und (14) zu: (13)
No, non la conosciamo di persona, ma se ne parla spesso... deve essere una bella donna... e inoltre... (Aus einem Männergespräch über eine bestimmte Frau).
(14)
È sulla bocca di tutti, è diventata un po' la favola del paese... deve averne combinate delle belle... (Situation wie oben).
Die Versuchung, diese beiden Belege als epistemische Äußerungen aufzufassen, ist groß: Denn, wenn man von jemandem so oft spricht, dann aus einem bestimmten Grund - also ein logischer Schluß. Es spricht aber auch vieles für eine berichtende Funktion - allerdings vor allem nicht-lexikalische Mittel wie die pragmatische Situation des Berichtens über jemanden sowie gezielt eingesetzte prosodische Mittel wie die Intonation, die Pausen etc., aber auch bestimmte Satzteile wie in (13) „e inoltre", was daraufhinweist, daß der Sprecher keinen Schluß gezogen hat (denn damit wäre sein Argument abgeschlossen), sondern ein weiteres Merkmal zur Charakterisierung der Person anführen will; in (14) wirkt dagegen das limitierende Gradadverbiale „un po'" epistemisch unterdrückend - eine epistemische Argumentation ist, um schlüssig zu sein, auf eine deutlichere Charakterisierung angewiesen. Je nachdem, auf welche Situationsmerkmale das Hauptgewicht gelegt wird, erhält man eine epistemische oder aber eine berichtende Deutung des jeweiligen Satzes. Wichtig für uns sind die beiden folgenden Feststellungen, die für dovere dieselben Funktionen belegen wir für sollen (vgl. 4.1.1.):
206 a.) dovere kommt in berichtenden Sätzen vor, in denen es die Bedeutung der expliziten Performative (verba dicendi und schwache Epistemika) vertritt; b.)die einschlägige Bedeutung geht nicht auf dovere zurück, sondern auf performative Ausdrücke des (inneren oder äußeren) Kontextes. Es scheint, daß die Sprecher des Italienischen sich dieser neuen Ausdrucksmöglichkeit (immer noch) nicht ganz bewußt sind. Danach gefragt, ob er diese Formen für korrekt hält, reagiert mancher Informant eher skeptisch - ohne vielleicht darauf zu achten, daß er im anschließenden Gespräch eben so eine Form verwendet. Die Skepsis, mit der derartige Ausdrucksformen von dovere aufgenommen werden, bezeugen, daß es sich um eine Funktion in statu nascendi handelt, die noch nicht ins Bewußtsein des Sprechers gedrungen ist. Sie läßt aber zugleich die Frage aufkommen, wie und warum sich eine solche Wandlung im Modalsystem vollzieht. Über die Mechanismen, die der Entwicklung von Modalverben zugrunde liegen, informiert PORÁK(1968: 97): „Die Modalverben [...] entstehen in den Sprachen auf zweierlei bzw. dreierlei Art: erstens aus ursprünglichen Vollverben, deren Bedeutung sich verschiebt, z.B. lat. debeo, habeo, valet, tschech. smëti, miti. [...] Eine zweite, weniger häufige Möglichkeit ist die Entlehnung; sie ist charakteristisch z.B. für die westlichen slawischen Sprachen. Die westslawischen Sprachen und das Ukrainische mit dem Belorussischen (diese wahrscheinlich über das Polnische) haben [...] das deutsche Modalverb müssen, das Ober- und Niedersorbische und das Alttschechische auch noch dürfen entlehnt. Als dritte [...] Möglichkeit treten dann verschiedene wechselseitige Einflüsse und Kontakte verschiedener Sprachen, sog. Europäismen, auf; in verschiedenen Sprachen können nämlich ähnliche, oft voneinander unabhängige Prozesse beobachtet werden, die jedoch in einer Reihe von Fällen bestimmt zusammenhängen und einen gemeinsamen Ausgangspunkt haben, vgl. z.B. lat. debeo, russ. όοΛονεπ, alttschech. dluzen.
In unserem Fall liegt weder eine Bedeutungsverschiebung (denn dovere behält weiterhin seine weiteren Bedeutungen bei) noch eine Entlehnung oder Europäismus (die Annahme eines Einflusses etwa von dt. sollen wäre hier mehr als abwegig) vor.3 Es handelt sich vielmehr um eine Funktionserweiterung von dovere. Wie kommt es aber dazu, daß dovere die expliziten Performative im Bereich der Assertion verdrängt? Vermutlich zielt der Sprecher mit der neuen Anwendung von dovere nicht auf die explizit Performative, die ja gute Dienste leisten, sondern auf das, was sie mit implizieren: sowohl verba dicendi wie auch schwache Epistemika ziehen den Konjunktiv nach sich (si dice che sia..., pare che abbia... etc.). Im Bereich der Assertion ist aber der Konjunktiv bekanntlich in eine Krise geraten.4 Daraus entsteht für manche assertive Funktion Bedarf an neuen Formen. Hier stellt dovere sicherlich einen geeigneten Kandidat dar - denn es ist bereits in dem benachbarten epistemischen Bedeutungsbereich vertreten: Wie wir bereits oben in (13) und (14) gesehen haben, ist der Übergang von der epistemischen zur berichtenden Funktion von dovere nur ein kurzer Schritt. Schematisch: 3
4
Intemationalismen/Europäismen sind Erscheinungen wie die Verbreitung lexikalischer Einheiten (engl, to realize, dt. realisieren, frz. réaliser, it. realizzare etc. in der Bedeutung „begreifen") oder syntaktischer Muster (engl, filhrt zu dt. In 1994, dt./frz-/it. etc. führt zu engl. How goes it?). Auf die Gründe für die Krise des Konjunktivs kann hier nicht eingegangen werden. In unserem speziellen Fall mögen strukturvereinfachende Ziele die Ursache sein: Es ist weitaus einfacher ein unflektiertes Wort (der von dovere abhängiger Infinitiv) anzuwenden als sich ein (relativ kompliziertes) Verbalparadigma (das Konjunktiv-Paradigma!) einzuprägen.
207 Tabelle 5.2: Epistemische und berichtende Modalität bel dovere Epistemische Modalität
Berichtende Modalität
ctovereindikativ
Performativ + Konjunktiv
+
Infinitiv
+ kontextuelle Angaben
Der Rückgriff auf das Syntagma „dovere+Infinitiv", um die syntagmatische Kombination „Performativ+Konjunktiv" zu vermeiden, führt aber auch zu Deutungskollisionen zwischen der berichtenden und der epistemischen Modalität. Zur Monosemierung der beiden Funktionsbereiche müssen daher geeignete kontextuelle Angaben eingesetzt werden - in der Art, wie dies in (13) und (14) geschieht.
5.1.2. Der antizipierende Modalitätstyp Parallel zu den Modalverbsätzen mit sollen (vgl. 4.1.2.) gibt es auch eine Klasse von dovere-Sätzen, bei der die Einstellung zum propositionalen Gehalt in der vorweggenommenen Prädikation eines zukünftigen Geschehens besteht. Die erfolgt in vier perfetto
vorweggenommene Prädikation von Ereignissen mittels dovere-Sätzen dieser Klasse immer aus der Perspektive der Vergangenheit, nie aus der der Gegenwart, und kann verschiedenen Tempora ausgedrückt werden: In der Regel lautet das Tempus auf imindicativo - wie in (15):
(15)
Ada ebbe l'assoluta certezza d'essersi montata la testa. Come scusarsi, di fronte a Maria, d'averla creduta a quel punto? Sospettare un atto simile, era un po' giustificarlo ed attenderlo. Il timore del ridicolo la decise a restare. Doveva essere quella l'ultima notte ch'io passavo con Ada, approfittando di un'assenza dei genitori di lei. (RacNov 3 601:6),
mitunter sind aber auch das imperfetto congiuntivo - wie in (16), der infinito presente in (17) - sowie das condizionale passato - wie in (18) - möglich:
- wie
(16)
Senonché era segnato che le delizie dello spiare e del riferire, del congetturare e del dedurre, segrete delizie che la fantasia, sovvertendo l'intransigenza dei propositi di severità testé formulati, tendeva già a dilazionare verso un vago futuro senza limiti, proprio alla fine di quella stessa giornata dovessero subire un brusco arresto di fronte alla sostanza dei fatti. (RacNov 4 977:3),
(17)
Era l'estate del '43. Si sperava in una fine prossima della guerra. Fu un periodo sereno, furono gli ultimi mesi che passavamo insieme, Leone e io. Mia madre infine parti e io andai ad accompagnarla ad Aquila, e mentre aspettavamo la corriera sulla piazza, io avevo la sensazione di prepararmi a un lungo distacco. Avevo anzi la confusa sensazione di non doverla rivedere mai più. (Lessico 166:2).
(18)
„La biblioteca è testimonianza della verità e dell'errore," disse allora una voce alle nostre spalle. Era Jorge. Ancora una volta mi stupii (ma molto avrei dovuto stupirmi ancora nei giorni seguenti) per il modo inopinato in cui quel vecchio appariva d'improvviso, come se noi non vedessimo lui e lui vedesse noi. (Rosa-A 136:3).
Die Wahl des imperfetto congiuntivo ist allein durch konjunktivauslösende Ausdrücke bedingt (hier oben: „era segnato che"), nicht durch Tempusrelationen: Es handelt sich somit um eine stellvertretende Tempusform für das imperfetto indicativo. Aber auch die Wahl des infinito presente ist syntaktisch bedingt. Dieses Tempus wird in Abhängigkeit von Ausdrü-
208 cken des mentalen Zustandes (hier: „avere la sensazione") gewählt, die häufig benutzt werden, um die „Dramatik" dieser Gruppe von Sätzen einzuleiten (vgl. 4.1.2.). Nach Ausdrücken dieser Art wählt das Italienische immer dann Infinitiv I, wenn die Subjekte des Hauptund des Nebensatzes identisch sind (avere la sensazione di.../*che...). Die Angabe der Tempusrelationen untereinander erfolgt zeitadverbiell, in (17) durch „mai più". Vergleiche (19): (19)
L'automobilista che oggi si fermasse in prossimità del viadotto del fiume Sesia, sull'autostrada tra Torino e Milano, affacciandosi verso sinistra e verso sud potrebbe ancora vedere in mezzo ai boschi alzarsi il fumo dei fuochi di Zardino, se Zardino esistesse: ma non c'è. Nella primavera del 1600 Zardino invece esisteva, ed era anzi del tutto inconsapevole di dover scomparire entro pochi anni [...]. (Chimera 66:3).
Der Infinitiv I in (19) ist von einem Ausdruck des mentalen Zustandes abhängig („essere inconsapevole"), er prädiziert „dramatische" Vorgänge, die Subjekte von Haupt- und Nebensatz sind identisch, die Tempusrelationen untereinander werden durch ein Zeitadverb („entro pochi anni") ausgedrückt. Demnach ist auch der Infinitiv I eine stellvertretende temporale Form für imperfetto indicativo. Bei der Wahl von congiuntivo imperfetto und infinito presente statt impefetto indicativo handelt es sich um eine servitude grammaticale. Anders verhält es sich mit dem condizionale passato in (18). Es läßt sich feststellen, daß das condizionale passato immer in ein imperfetto umgewandelt werden kann - dies läßt sich genauso an (18) wie auch an (20) leicht nachvollziehen: (20)
Ora, dopo i recenti fatti avvenuti all'abbazia, l'Abate era inquieto e manifestò i suoi dubbi a Guglielmo. Se la legazione arrivava all'abbazia mentre era ancora ignoto l'autore di due delitti (il giorno dopo le preoccupazioni dell'Abate avrebbero dovuto aumentare, perché i delitti sarebbero stati tre) si sarebbe dovuto ammettere che circolava entro quelle mura qualcuno capace di influenzare con atti violenti il giudizio e il comportamento dei legati pontifici. (Rosa-A 153:1).
Umgekehrt gilt aber auch, daß jede imperfetto-Form von dovere sich in eine des condizionale passato umwandeln läßt. Die Transformation von imperfetto zu condizionale passato von dovere ist bedeutungserhaltend. Diese beiden Tempora sind in der Funktion der Behauptung zukünftiger Geschehen aus der Vergangenheitsperspektive heraus miteinander synonym. An der Vorkommenshäufigkeit der beiden Formen läßt sich jedoch der Schluß ziehen, daß eine deutliche Tendenz zur Grammatikalisierung des imperfetto von dovere besteht (das Verhältnis ist 20 : 1 zugunsten des imperfetto). Der Grammatikalisierungsprozeß ist - im Gegensatz zum Deutschen, wo nur sollte und nicht hätte sollen in dieser Funktion eingesetzt werden kann - im Italienischen noch nicht abgeschlossen. Die Grammatikalisierungstendenzen von imperfetto anstatt von condizionale passato stellen keine Besonderheit dieser modalen Funktion dar: Es läßt sich vielmehr feststellen, daß dieses Phänomen das Tempussystem im allgemeinen betrifft: Sowohl im Italienischen wie auch in anderen romanischen Sprachen (in erster Linie im Französischen, aber auch im Spanischen) besteht eine deutliche Tendenz der Übertragung bestimmter Tempusfunktionen des condizionale passato an das imperfetto,5 In der gesprochenen Umgangsprache ist dieser Prozeß so gut wie abgeschlossen, in der geschriebenen Sprache noch nicht. In der Verwen5
Vgl. it. Non dovevi trattarla così male für Non avresti dovuto trattarla così male bzw. Se rimanevi a casa non succedeva nulla fur Se fossi rimasto a casa non sarebbe successo nulla. Entsprechende Grammatikalisierungstendenzen sind im Deutschen erst in den Anfängen begriffen (vgl. Kap. 4).
209 dung von Formen des condizionale passato wie in (18) und (20) kommen vermutlich stilistische Intentionen zum Ausdruck. Als Ausdrucksmittel des „futurum in praeterito" stehen die beiden Tempusformen des imperfetto und des condizionale passato von dovere mit abhängigem Infinitiv in Relation zum condizionale passato des von dovere abhängigen Infinitivs. Die Art der Relation ist nicht ohne weiteres syntax- oder bedeutungserhaltend. Dies läßt sich an den folgenden Belegen gut nachvollziehen: (21)
La nonna aveva appena finito di sparecchiare che la mamma accusò brividi di freddo, si portò al balcone, al sole, ma non resse alla fatica di tenersi all'impiedi. Tornò a letto, dal quale non doveva alzarsi mai più [...]. (RacNov 4 905:1).
(22)
Cosa si dissero là dentro protetti dalle tendine abbassate nessuno lo raccontò mai. Forse lei chiese al nipote una capitolazione totale. Forse fu Pietro Giuseppe che di fronte a quella zia cosi amante della legalità si chiuse in un rifiuto caparbio, senza pentimenti. Doveva essere l'ultima volta che si vedevano [...]. (Strade 202:1).
(23)
Maledette spiegazioni in cui tutto si perde: e invece tu devi rivivere in queste pagine, rimorire, riessere mia come lo fosti. Spiegazioni inutili poi: più presto che non sperassi dovevo rendermi ragione di ogni cosa. (RacNov 3 699:1).
In (21) ist die einschlägige Transformation zwar durchführbar (non doveva alzarsi mai più non si sarebbe alzata mai più), sie unterdrückt aber den Verweis auf die einschlägigen kausalen Gründe des Geschehens, die durch dovere zum Ausdruck kommen, und läßt dessen Begründung offen. Gleiches gilt für (22): Die Weglassung von dovere läßt eine intentionale Deutung für das prädizierte Geschehen zu, was den Intentionen des Erzählers deutlich zuwiderläuft. In (23) ist die morphosyntaktische Umwandlung überhaupt nicht möglich, denn hier stehen sich zwei nicht miteinander vereinbare Tempusperspektiven gegenüber: Die Perspektive von „più presto che non sperassi" geht von der Vergangenheit aus, die von „dovevo rendermi ragione di ogni cosa" von der Gegenwart (denn ich weiß erst jetzt, daß p); ersetzt man ¿/overe+Infinitiv mit dem condizionale passato des abhängigen Infinitivs, erhält man eine Perspektive aus der Vergangenheit („mi sarei reso ragione di ogni cosa"), die der von „sperassi" vorausgeht: Nun ist es offensichtlich paradox, auf die Verwirklichung von etwas zu hoffen, von dem man weiß, daß es bereits verwirklicht ist. Bisweilen jedoch ist die Weglassung von dovere für die spezielle Bedeutung der vorweggenommenen Behauptung zukünftiger Geschehen nicht beeinträchtigend. Dies ist immer dann der Fall, wenn genügend kontextuelle Angaben vorliegen. Vergleiche: (24)
(25)
Così era il mio maestro. Non soltanto sapeva leggere nel gran libro della natura, ma anche nel modo in cui i monaci leggevano i libri della scrittura, e pensavano attraverso di quelli. Dote che, come vedremo, gli doveva tornar assai utile nei giorni che sarebbero seguiti. (Rosa-A 33:1). Racconto quest'incidente in tutti i particolari perché - non subito, ma in seguito, - fu considerato una premonizione per tutto quello che doveva succedere [...]. (Notte 79:2).
In (24) sind die temporalen Angaben durch das Zeitadverb „nei giorni che sarebbero seguiti" getragen und die Vorwegnahme der Behauptung von ρ durch den parenthetischen Satz „come vedremo" ausgedrückt. Für die Anwendung von dovere sind vermutlich nur noch Intentionen der Vermeidung von Wiederholung der darauffolgenden Form des condizionale passato entscheidend gewesen. In (25) liegen ebenfalls genügend kontextuelle Angaben vor (in erster Linie das zukunfìsperformative „premonizione"), welche die Deutung einer vorweggenommenen Behauptung sichern. Wichtig ist die Feststellung, daß die Funktion von
210 dovere im Verweis auf die kausalen Gründe für das prädizierte Geschehen besteht. Sind diese Gründe anderweitig performativ ausgedrückt, so stellt das condizionale passato des von dovere abhängigen Infinitivs eine Ausdrucksalternative dar. Ist dies nicht der Fall, so kann auf dovere nicht verzichtet werden - wie auch hier unten in (26): (26)
La nonna giunse con un paio di stivaletti che le ragazze mi agganciarono servendosi delle forcine. Poi A b e mi regalò un sillabario, paziente e divertita ripeteva con me: „ A - E - I - 0 - U " , e io mi vergognavo a sentirmi dire dallo zio: „Così grande e grosso e ancora alle vocali". E la mamma non dovevo più rivederla, il babbo dal tram mi sventolava il suo fazzoletto, il nonno mi guardava lui pure con gli occhi lustri [ . . . ] . (RacNov 4 914:1).
In (26) wird die Relation zwischen dem im Infinitiv ausgedrückten Geschehen und den ihm zugrunde liegenden kausalen Gründen allein von dovere getragen. Dessen Weglassung („E la mamma non l'avrei più rivista") bedeutet die Aufhebung dieser Relation. Daß auch bei dovere, wie wir bereits bei sollen festgestellt haben (vgl. 4.1.2.), die Bedeutung des „dramatischen Geschehens" eine konversationelle Implikatur darstellt, läßt sich leicht belegen: (27)
I contadini ascoltavano sbalorditi. Perché mai - si chiedevano - questo n u o v o cappellano non si limita a minacciarci l'Inferno nell'altra vita, c o m e tutti i preti, lasciandoci poi liberi di fare in questo mondo quello che vogliamo? Inferno o Paradiso, sono fatti nostri; ma non sapevano, i tapini, che il piti e il peggio ancora dovevano arrivare. (Chimera 100:2).
(28)
[...] che si riportavano lo scemo a casa e lo chiudevano col catenaccio dentro al suo sgabuzzino, e con tutti gli abitanti del villaggio che se ne andavano a dormire contenti, perché avevano avuto quel supplemento di spettacolo che s'aspettavano; ma nessuno sapeva, o poteva prevedere, che il più e il meglio ancora dovevano succedere. (Chimera 139:2).
In (27) wird auf ein eher dramatisches, in (28) auf ein eher heiteres Geschehen Bezug genommen. Was beiden Prädikationen zugrunde liegt, ist die Ankündigung eines weiteren Geschehens über das bereits Erlebte hinaus: Dies ist aber nichts anderes als die ausdrückliche Bedeutungsfunktion dieses Typs von Sätzen.
5.2. Die propositionalen Einstellungen des G l a u b e n s
Modalverbsätze mit dovere stellen Ausdrucksformen der propositionalen Einstellungen des Glaubens dar. Diese werden durch die fünf folgenden Modalitätstypen realisiert: den subjektiv-epistemischen, den subjektiv-bewertenden, den objektiv-bewertenden, den dispositionellen und den eventiven Modalitätstyp. Tabelle 5.3 faßt die fünf Modalitästtypen zusammen: Tabelle 5.3: Die propositionalen Einstellungen des Glaubens bei dovere Modalitätstyp
Beispiel
1. 2. 3. 4. 5.
Deve proprio aver vinto al lotto quello lì! Dovremmo forse lavorare con maggior costanza Dovresti pensare anche al tuo futuro Deve sempre fare il pagliaccio dovunque si trovi Se dovesse venire Paolo, avvertimi subito
subjektiv-epistemisch subjektiv-bewertend objektiv-bewertend dispositionell eventiv
211
5.2.1. Der subjektiv-epistemische Modalitätstyp Parallel zu den Modalverbsätzen mit müssen werden mittels Modalverbsätzen mit dovere epistemische Prädikationen geäußert. Auch im Italienischen läßt sich die Unterscheidung zwischen objektiv-epistemisch und subjektiv-epistemisch vornehmen - je nachdem, ob der Sprecher seine Reflexionen über Sachverhalte in ein geschlossenes System relevanter Faktoren einbindet, sie also intersubjektiv begründet, oder aber in dem Sinne offen läßt, daß er sein Glauben an das Eintreten des Sachverhalts nicht weiter begründet. Genauso wie müssen (vgl. 3.2.1.3.), nimmt auch dovere in einer paradigmatischen Hierarchie des Epistemischen nach dem Kriterium der Sicherheitsgrade hinsichtlich der Realität des prädizierten Sachverhalts die oberste Stellung ein. Vergleiche die Beispiele in der folgenden Tabelle: Tabelle 5.4: Das Paradigma der epistemischen Modalverben im Italienischen
„ . Carlo
deve dovrebbe , può potrebbe
aver ereditato una fortuna
(FUTUR)
avrà ereditato una fortuna
Tabelle 5.4 führt die Formen der beiden epistemischen Modalverben (dovere, potere) sowie (als Pendant zum Modalverb werden des Deutschen) das Futurparadigma als epistemische Ausdrucksmittel des Italienischen in abnehmender Reihenfolge hinsichtlichtlich des vom Sprecher eingeschätzten Sicherheitsgrades an. Der Tabelle ist demnach zu entnehmen, daß sich dovere grundsätzlich zum Ausdruck der Objektiv-Epistemischen und das Futurparadigma zum Ausdruck des Subjektiv-Epistemischen eignet, während das Modalverb potere die Mittelstellung einnimmt, die im Deutschen dürfen und können zukommt (vgl. 3.2.1.3.). Mit potere kann der Sprecher eine dritte Art epistemischer Modalität ausdrücken, nämlich eine neutral-epistemische, wenn einerseits die Kraft seiner kognitiven Reflexion zu keinem geschlossenen System führen kann, andererseits doch Argumente bestehen, die einem offenen System widersprechen. Zum Ausdruck subjektiv-epistemischer Modalität stehen auch dem Italienischen, wie auch dem Deutschen (vgl. 3.2.1.2.), in erster Linie die Formenparadigmen des Futurs I und II zur Verfügung. Futursätze drücken tendentiell subjektiv-epistemische Einstellungen aus. Zum Ausdruck dieser Art von Einstellungen trägt auch der Umstand bei, daß in epistemischen Futursätzen in der Regel auf Gründe für die Behauptung von ρ nicht verwiesen wird. Die Neigung des epistemischen Futurs zum Subjektiv-Epistemischen kann aber mit entsprechenden epistemischen Performativen entweder verstärkt oder aber ins Umgekehrte, d.h. ins Objektiv-Epistemische, umgewandelt werden. Mit dovere verhält es sich genau umgekehrt: Es ist von sich aus tendentiell objektiv-epistemisch. Die tendentiell objektiv-epistemischen dovere-Formen lassen sich jedoch mittels subjektiv-epistemischer performativer Angaben zum Ausdruck subjektiv-epistemischer Prädikationen verwenden. In Frage kommen die gleichen Klassen subjektiv-epistemischer Ausdrücke, die auch im Deutschen zum Ziel subjektiv-epistemischer Prädikation mittels müssenSätzen eingesetzt werden - jedoch mit einigen Restriktionen. Diese betreffen in erster Linie die Klasse der Modalpartikeln (wie z.B. wohl, doch, ja, aber etc.), die bekanntlich ein Spe-
212
zifikum des Deutschen darstellen und im Italienischen eher prosodisch als lexikalisch ausgedrückt werden. Zu den Indikatoren subjektiv-epistemischer Modalität gehören alle epistemischen Ausdrucksmittel, denen propositionale Einstellungen des Glaubens zugrunde liegen, also alle diejenigen, die das Glauben an das Bestehen des Sachverhalts nur für das reflektierende Subjekt gelten lassen. Dafür, daß ein miissen-S&Xz als subjektiv-epistemisch gedeutet werden kann, sind aber explizite subjektiv-epistemische Indikatoren nicht unbedingt notwendig. Es bieten sich zwei Fälle: Entweder gibt es im Satz spezifische Indikatoren oder es gibt keine. In dem Falle, daß es keine subjektiv-epistemischen Indikatoren gibt, ist der müssen-Salz subjektiv-epistemisch nur unter der Bedingung, daß er der „Evidenz der Tatsachen" nicht unterliegt. Unterliegt er der Evidenz der Tatsachen nicht, so gründet das „Glauben, daß allein auf der Einschätzung des Subjekts, das für sein Glauben keine Begründung anführen kann oder will. Beispiele: (29)
„Sfido io, mi preme la pelle", disse il Mancuso. Quindi levando verso Silvio gli occhi neri e biliosi: „Mi dica un po' lei se non c'è da aver paura... sulla strada di Viterbo mi si mette a far la gara di velocità con la macchina di quattro giovanotti sguaiati... dovevano anche essere ubriachi... per poco non sbattevano contro un albero... chiunque avrebbe avuto paura..." (RacNov 3 630:1).
(30)
La signorina Dolika la guarda sorpresa, indecisa di rispondere: ha chiesto all'agenzia di collocamento una camerieretta da poco, senza pretese alte di paga, e si vede arrivare questa contadinella che deve essere il primo servizio che cerca. Chi sa che bisogno in famiglia ha indotto la madre a mandare per serva la figliola, pensa Dolika ... o forse rivede se stessa che pur non venendo dal contado, era tanto semplice e credula? (RacNov 1 134:2).
(31 )
Verso le undici Jill cominciava a insistere che la giornata era troppo bella per non andare alla spiaggia. Scostava la tenda alla finestra che dava sul parcheggio, per farmi vedere quanto sole c'era. Mi diceva ,,Daa-i Giovanni. Guarda che sole". Spesso usava un tono lamentoso e infantile, che doveva considerare seducente. (Cream 87:3).
In (29) bis (31) stellt sich der Sprecher zu Sachverhalten, die er für geltend erklärt, ohne sie weiter zu begründen. Dem Hörer werden keine Anhaltspunkte geliefert dafür, die Sprecherperspektive einnehmen oder dessen Glauben nach vollziehen zu können. Die Reflexion verbleibt somit im Subjektiven. Der Fall subjektiv-epistemischer Modalität mit spezifischen Indikatoren ist leichter nachzuvollziehen. Hier bringt der Sprecher bestimmte Indikatoren ins Spiel, mit denen er dem Hörer ausdrücklich mitteilen will, daß er sein „Glauben, daß p" auf sich selbst einschränkt. Es handelt sich um Indikatoren sehr verschiedener Art: a.)Mit epistemischen Verben wie credere, pensare, ritenere, reputare, giudicare, trovare (in der Bedeutung „essere dell'opinione che..."), essere dell'opinione/dell'avviso, supporre, presumere, intuire, rimuginare tra sé, cacciarsi in testa etc. sowie daraus abgeleiteten Substantiven wie pensiero, giudizio, opinione etc. in Verbindung mit Possessivpronomina (mio, tuo, suo etc.), die auf die subjektive Identität hinweisen sollen, schränkt der Sprecher das „Glauben, daß ρ" auf das reflektierende Subjekt ein - wie etwa in den folgenden Belegen: (32)
„Ma non sono affatto nostri parenti! Ma che dice, signorina Tavanati?" La voce armoniosa, un po' nasale, s'era fatta durissima, ferma. „Soltanto la sorel,a del cognato di una terza cugina del mio povero... del povero conte... Lei crede proprio, scusi tanto, che i Brocchi debbano esser per forza parenti del primo venuto?..." (RacNov 2 339:1).
213 (33)
Abbiamo parlato ancora, scegliendo tacitamente argomenti brevi, separati, che potevano essere interrotti in qualsiasi punto, al momento in cui sarei dovuto andare via. Solo una volta lei ha detto soprapensiero: „Doveva essere molto faticoso cambiare sempre, come faceva lui; voglio dire ricominciare tutto da capo. Non trova?" Ho risposto: „Si, credo di si". (Stadio 54:1).
(34)
Lui era sparito nel piccolo andito dove c'erano le cabine telefoniche. Perché la cosa doveva essere urgentissima, drammatica, rimuginavo tra me. O per togliersi subito il pensiero. O non piuttosto perché, telefonando dalla nostra suite, io avrei per forza sentito quello che diceva? (Amante 184:3).
(35)
Furono visitati ed esaminati i due bambini più grandi. Furono interrogati a lungo. Le loro risposte intimidite, smarrite e confuse accrebbero i sospetti. Non è difficile ottenere da un bambino risposte che suonino incerte e dunque ambigue, quando ci siamo cacciati in testa che debbano celarsi nella sua esistenza dei segreti sinistri. Tutti e tre quei bambini erano, secondo la pediatra e gli altri medici, vittime di violenza sessuale. (Serena 56:1 ).
In (32) konfrontiert der Sprecher den Hörer mit dessen falscher Einschätzung der Situation, in (33) sucht der Sprecher Zustimmung beim Hörer im Hinblick auf seine eigenen Empfindungen, in (34) verbleibt die Reflexion beim Subjekt, in (35) prangert der Sprecher eine Form des irrationalen Denkens an. b.)Die Einschränkung des geglaubten Sachverhalts auf das reflektierende Subjekt kann der Sprecher auch mittels der expliziten Nennung des Subjekts selbst erreichen. In dem Fall erwähnt der Sprecher zwar den geglaubten Sachverhalt, übernimmt aber dafür keine Gewähr, indem er auf die Quelle seiner Information - eingeführt durch Formen wie secondo/in base a/stando a/a prestar fede a + (Pro-)Nomen etc. - hinweist. (36)
Lui parlava e parlava. Lei sgranava gli occhi, poi annuiva [...]. Poi alzava il mento, chiedeva qualcosa (stupida, non aveva capito). A un certo punto si mise una mano sulla bocca e spalancò talmente gli occhi da far pensare a un prossimo svenimento. Doveva aver avuto chissà quale, secondo lei, rivelazione suprema. (Amante 176:9).
(37)
Si fermò il traffico alla Porta Sant'Agabio, ci furono scambi concitati di messaggi tra la porta e il castello; dal castello, arrivò dopo pochi minuti un ufficiale spagnolo che accompagnò personalmente il forestiero - doveva essere, stando alle voci che poi corsero in città, un vicario del procuratore fiscale cioè del ministro di Giustizia dello Stato del Papa [...]. (Chimera 120:1).
c.)Mit negierten epistemischen Ausdrücken wie non sapere, non essere informato, non essere al corrente di etc. bzw. non capire, non rendersi conto di etc. teilt der Sprecher dem Hörer von vornherein mit, daß er für sein eigenes „Glauben, daß ρ" keine stichhaltigen Argumente anfuhren kann - und zwar deshalb, weil er über die notwendigen Informationen bzw. Wahrnehmungen nicht verfügt. Beispiele: (38)
Ma a un certo punto della festa lui si apparta in un angolo con una bionda e parla, parla, parla, come fanno gli innamorati. 'Chi è quella bionda?' uno domanda. Rispondono: 'Non so, deve essere forestiera, da queste parti non si è mai vista. Rispondono: 'Pare che sia una amica della Sandra Bortolin.' (I tal Read 81:6).
(39)
„Certo", ella ammise con un sollievo visibile, „anzi lo sono senz'altro... io", soggiunse con umiltà, „spesso non so quello che dico. Perdo la testa e probabilmente invento. Perciò, te ne prego, dimentica tutto quello che posso averti raccontato su Gino e su mia madre. In quei giorni non mi sentivo bene, ero come pazza e non me ne rendevo conto... debbo avertene dette di tutti i colori". (RacNov 3 670:3).
214
d.)Der radikalen epistemischen Negation im Hinblick auf die Geltung von ρ wie oben in c.) steht die abgeschwächte Behauptung des „Glaubens, daß p" gegenüber. Der Sprecher wagt zwar einen Versuch der Begründung des Sachverhalts p, schwächt aber zugleich deren Aussagekraft durch den Einsatz bestimmter epistemisch abschwächender Ausdrucksmittel ab. Dies sind in erster Linie performativ epistemische Ausdrücke wie die Verben parere, sembrare, avere l'impressione che etc. - vgl. (40), epistemische Adverbien wie forse, magari, probabilmente etc. 6 - vgl. (41), ferner das Futurparadigma von dovere (vor allem im Verbund mit epistemischen Adverbien) 7 - vgl. (42). Beispiele: (40)
Lei ha aggiunto: „Poteva essere cresciuto soltanto qua. Era un fiore di questa città, e di quella particolare epoca di questa città". Taccio ancora. Mi sembra che „in quella particolare epoca" tutto doveva essere molto importante, e cruciale. Cioè molto sentimentale. E come se ci fosse una grande distanza. Ho pensato: „Ora è diverso; più solido e sobrio, con una complicatezza più leggera. Tutto è leggermente più verso i margini". (Stadio 61:5).
(41)
Cosi il bassotto giunse a un punto in cui la foresta finiva e c'era un prato. Due leoni di pietra seduti su pilastri reggevano uno stemma. Di qua forse doveva cominciare un parco, un giardino, una parte più privata della tenuta del Tolemaico: ma non c'erano che quei due leoni di pietra, e al di là il prato, un prato immenso, di corta erba verde, di cui solo in lontananza si vedeva il termine, uno sfondo di querce nere. Il cielo dietro aveva una lieve patina di nuvole. Non un uccello vi cantava. (Barone 200:2).
(42)
EDIPO Ma sei pure vissuto praticando gli dèi. Le stagioni, i piaceri, le miserie umane ti hanno a lungo occupato. Si racconta di te più di una favola, come di un dio. E qualcuna cosi strana, cosi insolita, che dovrà pure avere un senso - magari quello delle nuvole nel cielo. (Dialoghi 22:1).
e.)Subjektiv-epistemisch ist auch die Einstellung des Sprechers, der als Begründung für sein „Glauben, daß ρ" mehrere Alternativen ins Feld führt: Ihm fehlt ein rationales Konzept, das ihm ermöglichen würde, ein geschlossenes System für ρ zu bilden. Der Sprecher durchläuft dagegen das sich ihm anbietende offene System auf der (erfolglosen) Suche nach einer plausiblen Erklärung. Das Umherirren im offenen System macht Beleg (40) besonders deutlich: Der Sprecher wechselt in rascher Reihenfolge von einer Einstellung zur nächsten („chi sa", „sì", „forse", „così", „certamente così"), das System bleibt auch zum Schluß offen. Beispiele:
6 7
(43)
La rivedeva, ora, ritta in piedi sul ciglio della trincea, con quelle gambe brune guizzanti; e desiderò più che mai di correre a fare il bagno con lei alle saline. Il sole non era ancora tramontato; era il momento più propizio. Purché Norma rinvenisse subito. Ma chi sa che non fosse già rinvenuta? Sì, doveva aver ripreso i sensi, da un pezzo. Forse non era neanche svenuta; mà soltanto rimasta tramortita, per pochi istanti. Si era rialzata da sé, mentr'egli correva in casa e perdeva inutilmente tutto quel tempo. Doveva essere così, era certamente cosi, la vedeva, di nuovo, saltare dentro e fuori della trincea con quelle gambe nude. (RacNov3 835:1).
(44)
In quella passa il napoletano. Viola getta un biglietto anche a lui. L'ufficiale lo legge, lo porta alle labbra e lo bacia. Dunque si reputava il prescelto? E l'altro, allora? Contro quale dei due Cosimo doveva agire? Certo a uno dei due, Donna Viola aveva fissato un appuntamento; all'altro doveva solamente aver fatto uno scherzo dei suoi. O li voleva beffare tutti e due? (Barone 220:2).
Zu den epistemischen bzw. modalen Adverbien im Italienischen vgl. V E N I E R (1986). Zur epistemischen Funktion von dovere im Futur vgl. P A R I S I / A N T I N U C C I / C R I S A R I (1975) sowie BERTINETTO(1986: 491ff.).
215
f.) Gültigkeitseinschränkend im Sinne subjektiv-epistemischer Einstellung zur Aussage sind auch Reflexionen des Sprechers, die sich in der Welt der eigenen Vorstellungen, der eigenen Überzeugungen, des eigenen Glaubens etc. bewegen. Indiziert wird diese Art von Prädikationen mittels besonderer Lexeme wie der psychischen Verben pensare a, immaginarci) etc.- vgl. (45), ad hoc gebildeter Metaphern, die eng an die Imagination des Sprechers gebunden sind - vgl. (46), aber auch prosodisch durch eine bestimmte Intonation. Charakteristisch für diese Klasse von Reflexionen ist eine starke emotionale Anteilnahme des Sprechers am dargestellten Sachverhalt - vgl. (47). Syntaktisch schlägt sich diese emotionale Komponente in der Struktur des Ausrufesatzes nieder. Beispiele: (45)
Qualcuno era già seduto a quei tavolini con la faccia distratta e le mani intrecciate; non c'erano donne. Sandra entrò senza guardarli. Mentre beveva il latte al banco, e il garzone non faceva di lei nessun caso, pensò che vita doveva essere quella, a pochi passi dalla spiaggia per anni e anni. (RacNov 3 723:5).
(46)
Di colpo tutto sembrava incredibilmente complicato, diffìcile da congegnare. Mi sono chiesto se era possibile sfuggire al controllo di Arnold; se esistevano scuse abbastanza plausibili da convincerlo. Ho pensato che inventare una scusa adeguata a lui doveva essere come costruire un orologio: con decine di piccole molle, rotelle dentate di ragioni e pretesti. (Cream 189:2).
(47)
A proposito grazie per la lettera dalla Nuova Guinea, che viaggio emozionante deve essere stato, mi sembrava di guardare il National Geographie a leggere la tua lettera! (Cream 15:4).
g.)Genauso wie das ww/J/e-Paradigma im Deutschen (vgl. 3.2.1.3.), so bewirken auch die Konditionalformen von dovere im Italienischen (dovrebbe-Paradigma) eine Abschwächung der Behauptung vom prädizierten Sachverhalt. Der Sprecher hat zwar Argumente für sein „Glauben, daß ρ", diese reichen ihm jedoch nicht aus, um Alternativen auszuschließen. Mit der Konditionalform unterstellt er die Gültigkeit seiner Aussage der Geltung der in der einschlägigen Handlungssituation erwarteten Bedingungen, wappnet sich aber zugleich vor dem Hörer im Hinblick auf das Mißglücken seiner Behauptung, falls doch - wider Erwarten - außergewöhnliche Bedingungen eintreten sollten. Beispiele: (48)
„È tardi," disse Guglielmo, „e quando si ha poco tempo, guai a perdere la calma. Dobbiamo agire come se avessimo l'eternità davanti a noi. Ho un problema da risolvere, come penetrare nel finis Africae, perché là dovrebbe esserci la risposta finale. (Rosa-B 454:9).
(49)
„È andata a fare una gita in campagna con il fidanzato", rispose la De Cherini buttando un'occhiata dalla parte della finestra; „sa come avviene quando si è fidanzati: si vuol stare il più possibile insieme... ma ormai non dovrebbero tardare". (RacNov 3 626:3).
(50)
- Che incidente? - Non ti posso spiegare, è tutta una situazione complicata, ma in ogni modo noi... - E quando venite? - Facciamo le valigie e nel giro di un'ora al massimo dovremmo essere da voi. Saluta tutti. (Palio 83:17).
Daß es sich bei den dovrebbe-Formen in (48) bis (50) tatsächlich um eigenständige epistemische Prädikationen handelt, wird daran deutlich, daß diese Formen durch nichtkonditionale Formen von dovere nicht ohne Bedeutungsverlust ersetzbar sind. Werden sie ersetzt, so geht der durch sie zum Ausdruck gebrachte explizite Verweis auf bestimmte Bedingungen, die für das „Glauben, daß p" gelten sollen, gänzlich verloren. Die spezifische Bedeutung dieser Formen stellt somit einen besonderen Fall von Doppelmodalisierung dar, der durch die Verbindung von Modus und Modalverb entsteht.
216 5.2.2. Der (subjektiv-)bewertende Modalitätstyp Genauso wie im Deutschen mit müssen und sollen können auch im Italienischen mit dovere Bewertungen ausgedrückt werden. Ebenfalls parallel zum Deutschen lassen sich auch im Italienischen zwei Arten von Bewertungen ausdrücken: subjektive und objektive Bewertungen. Von subjektiven Bewertungen sprechen wir, wenn die Bewertung aus der Interessenlage der bewertenden Instanz heraus erfolgt (vgl. 4.2.1.), von objektiven immer dann, wenn die bewertende Instanz auf außerhalb von ihr selbst liegende Instanzen - also auf (kausale oder finale) Gründe - hinweist, die die bewertete Handlung für erforderlich erklären (vgl. 3.2.2.). Im Hinblick auf die bewertende Instanz können wir sagen, daß sich in der subjektiven Bewertung instanzinterne, in der objektiven Bewertung instanzexterne Interessen widerspiegeln. Wir haben deshalb die objektiven Bewertungen mit der Rationalität, die subjektiven dagegen mit der Emotionalität des Bewertenden in Zusammenhang gebracht. Im Rahmen des bewertenden Modalitätstyps wartet das Deutsche mit einer formalen Unterscheidung auf: Das Modalverb müssen kommt in objektiv-bewertenden, das Modalverb sollen in subjektiv-bewertenden Sätzen vor. Das ist aber nicht so zu verstehen, daß müssen eine Bedeutung „objektiv-bewertend" und sollen eine Bedeutung „subjektiv-bewertend" hätten. Vielmehr ist es so, daß müssen in objektiv-bewertenden und sollen in subjektivbewertenden Sätzen eingesetzt werden, die bereits als solche (durch weitere Mittel) ausgewiesen sind. Die beiden Modalverben stehen demnach in einer komplementären Distribution zueinander hinsichtlich der Ausdrucksfunktion von Bewertungen dar. Der Beweis dieser komplementären Distribution ist, daß wir objektive Bewertungen mit sollen und subjektive Bewertungen mit müssen bilden können, bei denen zwar auffällt, daß das falsche Modalverb verwendet worden ist, die Möglichkeit einer Unterscheidung der Bewertung jedoch weiterhin erhalten bleibt. Die Bedeutung der Bewertung geht auf das Modusmorphem zurück, die Unterscheidung zwischen objektiv und subjektiv auf den Kontext sowie auf jeweils objektiv-bewertende und subjektiv-bewertende Performative. Zu diesen Performativen zählen nun auch müssen und sollen insofern, als sie aufgrund ihrer komplementären Distribution „Signalfunktion" für die eine oder die andere Inhaltskategorie ausüben. Gleiches gilt selbstverständlich für das Paradigma der Modalverben im epistemischen Bereich (vgl. im Kapitel 3 unter 3.2.1.3. und hier unter 5.3.2.1.). Die formale Unterscheidung des Deutschen besteht im Italienischen nicht. In den beiden Klassen von Inhalten kommt hier vielmehr als Entsprechung zu den beiden Modalverben des Deutschen müssen und sollen allein das Modalverb dovere vor. Die Situation des Italienischen im bewertenden Modalitätstyp ist der des Deutschen bei der Unterscheidung des Objektiv- und Subjektiv-Epistemischen ähnlich: Zum Ausdruck des Epistemischen setzt nämlich das Deutsche müssen, aber nicht sollen ein. Die Unterscheidung objektiv-epistemisch und subjektiv-epistemisch erfolgt (außer mit weiteren Modalverben und dem Futurparadigma) wesentlich über Klassen von explizit Performativen (vgl. 3.2.1.2. und 3.3.4.1.). Das bedeutet nun, daß sowohl im Deutschen wie auch im Italienischen die inhaltliche Unterscheidung objektiv-bewertend vs. subjektiv-bewertend grundsätzlich kontextuell erfolgt. Wenn die Bewertung des Sachverhalts sich im Hinblick auf Gründe vollzieht, handelt es sich um eine objektive Bewertung, wenn aber im Hinblick auf Ansichten des Sprechers, dann um eine subjektive Bewertung. Es ist eben grundsätzlich der Bezug auf Gründe bzw. auf Ansichten, der dieser inhaltlichen Unterscheidung zugrunde liegt - und nicht der Einsatz von müssen bzw. sollen. Aber während im Deutschen eine formale Kennzeichnung mittels
217
der formalen Unterscheidung müssen vs. sollen hinzu kommt, die als performative Bestätigung wirkt, wird im Italienischen die einschlägige Unterscheidung allein dem Kontext überlassen. Versuchen wir dies an einem Beispiel nachzuvollziehen: (51)
(a) (b)
(Sono dell'opinione che) per superare l'esame dovremmo studiare di più. Credo che dovremmo comportarci meglio in classe.
Für (51) (a) setzt das Deutschen müßten ein, für (51) (b) sollten: In (51) (a) werden Gründe angegeben, in (51) (b) Ansichten des Sprechers. Dies läßt sich jeweils an den kontextuellen Angaben ablesen („per superare l'esame" vs. „credo che"). Müßten in (51) (a) wird auch dann eingesetzt, wenn performative Ausdrücke der eigenen Meinung (wie etwa „sono dell'opionione che") vorkommen: Die Angabe der Gründe (Objektivität) überwiegt die Angabe der eigenen Ansicht (Subjektivität). Kontrastieren wir jetzt (51) mit (52): (52)
(a) (b)
(Ich glaube) Wir müßten mehr lernen (um die Prüfung zu bestehen), (Ich glaube) Wir sollten uns in der Schule besser benehmen.
Während im Deutschen auf kontextuelle Angaben (als Gründe oder als Ansichten) aufgrund der formalen Opposition müssen vs. sollen verzichtet werden kann, muß das Italienische solche Angaben machen - und dies bestätigt sich grundsätzlich bei der Analyse der beiden Typen (vgl. hier weiter unten in 5.2.2.1. und 5.2.3.). Während der Deutsch-Sprecher dem Hörer signalisiert, daß er mit müssen auf Gründe und mit sollen auf (eigene) Ansichten Bezug nimmt, steht diese Kennzeichungsfunktion dem Italienisch-Sprecher nicht zur Verfügung. Dies hat zur Folge, daß das Italienische weitaus stärker auf die Nennung einschlägiger performativer Ausdrücke angewiesen ist als das Deutsche, falls die einschlägige pragmatische Situation nicht performativ genug ist. Parallel zum Deutschen handelt es sich auch im Italienischen um einen idiosynkratischen Modalitätstyp, festgelegt auf die beiden Tempora des Konditionals I und II sowie auf folgende Struktur: (53)
(a) Subjekt + dovrebbe + Infinitivergänzung (b,) Subjekt + avrebbe dovuto + Infinitivergänzung (b2) Subjekt + doveva + Infinitivergänzung.
Beim ¿/oveva-Paradigma in (53) (b2) handelt es sich um die Funktion des Tempus imperfetto als piuccheperfetto (vgl. BERTINETTO 1986: 389ff.). Im modernen Italienisch ist der Ersatz von Plusquamperfekt durch Imperfekt (doveva für avrebbe dovuto) bereits vollständig grammatikalisiert. Das Korpusmaterial gibt Aufschluß über ein weiteres Neuerungsphänomen in diesem Bereich: Es finden sich einige subjektive Bewertungen, die nicht die erwartete Konditionalform dovrebbe, sondern die Indikativ-Präsensform devi aufweisen. Beispiel: (54)
Spero che siate riusciti a fare delle foto super anche se il fotografo il Signor Formaro era cosi stupido, ci hai fatto morire dal ridere a raccontarci le vostre discussioni. Ron dice che devi metterti anche tu a scrivere perché hai un modo comico di raccontare, io gli do ragione, non ho mai riso cosi tanto con una lettera, davvero. (Cream 15:4).
In (54) steht devi für dovresti: Die Konditionalfunktion der subjektiven Bewertung wird ausschließlich lexikalisch durch dice che ausgedrückt! („Ron dice che" = „Ron ist der Ansicht, daß"). Bewertungsäußerungen mit dem Indikativ Präsens von dovere sind vor allem in der gesprochenen Sprache anzutreffen. Hier liegt möglicherweise ein weiteres Indiz für den
218 Abschwächungsprozeß des Modussystems vor, der nun außer dem Konjunktiv auch das Konditional betrifft. Da es sich hier jedoch nur um Ansätze handelt, behandeln wir diese Formen nicht weiter. Für das Italienische gilt es nun, die jeweiligen Klassen von Ausdrücken zu ermitteln, die jeweils performativ im Sinne von subjektiv-bewertend und objektiv-bewertend wirken.
5.2.2.1. Indikatoren subjektiver Bewertung Es lassen sich folgende Klassen von Indikatoten subjektiv-bewertender Modalität aufstellen: a.)„Null-Indikatoren" - Das Fehlen expliziter Begründungen stellt einen indirekten Hinweis darauf dar, daß es sich bei der Bewertung um Ansichten des Sprechers, also um subjektive Bewertungen, handelt. Die pragmatische Situation wirkt hier performativ genug. Bestätigt wird dies dadurch, daß objektive Bewertungen (fast) ausschließlich mit expliziter Begründung vorkommen (vgl. hier weiter unten in 5.2.3.). Beispiele: (55)
- Vi siamo grati, cavaliere, della canzone che avete composta affinché si conservi nella memoria questa vicenda in cui noi, suppongo, siamo gli artefici della rovina -. Sospirò dolorosamente, poi aggiunse: - Dovremmo sempre misurare le nostre colpe prima di chiedere agli altri di pagare le loro - (Odilia 96:3).
(56)
Inventare storie con i giocattoli è quasi naturale, è una cosa che viene da sola se si gioca con i bambini: la storia non è che un prolungamento, uno sviluppo, un'esplosione festosa del giocattolo. Lo sanno tutti i genitori che trovano il tempo di giocare con i loro figli alle bambole, alle costruzioni, alle automobiline: un'attività che dovrebbe in qualche modo essere resa obbligatoria (e possibile, naturalmente). (Fantasia 109:3).
(57)
Quante cose di lei era riuscito a capire quel ragazzo in così poco tempo: lei era proprio come lui le aveva rimproverato di essere, cioè sfiduciata, priva di entusiasmi, tutta involtolata in un pessimismo che ammazzava le speranze prima ancora che nascessero. Invece doveva essere più fiduciosa, e sorridere spesso [...]. (ItalAmor 98:1).
b.)Explizit performative Verben (wie credere, ritenere, reputare, pensare („credere"), trovare („essere dell'opinione") etc.) und Verbalausdrücke wie è mia convinzione che etc., adverbielle Nominalsyntagmen (wie a mio giudizio, a mio parere, a mio avviso, secondo il mio avviso, secondo la mia opinione, secondo me etc.), parenthetische Ausdrücke der subjektiven Meinung (wie che (ne) so (io)!, che (cosa) vuoi che (ne) sappia (io)! etc.). Beispiele: (58)
„Penso che forse dovrei cercare di rendermi utile, di dare una mano, aiutare il sordo, il paralitico, il suicida... E insieme penso - nell'assurda logica che lavora dentro di me - che cosi facendo potrei sincerarmi se per caso non stanno chiamando me [...]. (Notte 136:3).
(59)
„Voi Ciro non lo conoscete: ne vedete solo i difetti... questa sua gelosia feroce, per esempio... Ma mi vuol bene, sai, a suo modo: lo dimostra cosi! Non doveva prender moglie, ecco tutto: era nato per un'altra vita... che so! per far l'esploratore..." (Turno 26:1).
(60)
Secondo la smarrita Cosimo, a quanto potei capire, io avrei dovuto supplicarlo, intercedere praticamente in ginocchio presso di lui, promettergli qualsiasi cosa perché stasera venisse a sostituire l'infortunato Cesarino. (Amante 145:1).
c.)Epistemische Ausdrucksmittel der Unsicherheit, und somit der Subjektivität, wie die Verben und Verbalausdrücke sembrare, parere, avere l'impressione, dare l'impressione
219 che etc., ferner die Adverbien forse, probabilmente, Beispiele:
eventualmente,
possibilmente
etc.
(61 )
A me sembra che la giustizia e la legge dovrebbero essere una cosa sola. So bene quanto spesso non sia cosi, però è cosi che dovrebbe essere. Come si fa a pensarle divise? Le leggi non sono fatte per difendere la giustizia? per difendere i diritti dei più deboli contro i più forti? (Serena 96:1).
(62)
Tutti furono d'accordo con il ragionamento di ser Francesco, e andavano rivolgendo in cuor loro quali rimedi opporre alla calunnia. Il cavaliere disse lasciando vagare lo sguardo incerto sui presenti: - Forse dovrei lasciare questa casa, e venirci, come fate voi, quando qualche necessità lo richiede. (Odilia 85:3).
d.) Performative der emotionalen Sphäre wie die Verbalausdrücke avere la sensazione, avere il presentimento che etc., an erster Stelle aber die Interjektion (che) peccato!, speziell in der Verbindung peccato che + Konjunktiv - vgl. (63), ferner der Modus Adhortativ, der den sprechereigenen Wünschen besonderen Nachdruck verleiht - vgl. (64), sowie jegliche Form emotiver (und somit zugleich irrationaler und subjektiver) Argumentation - vgl. (65). Kennzeichnend für diese Gruppe von Indikatoren ist ferner die besondere Intonation des Ausrufesatzes. Beispiele: (63)
La sera, mia madre leggeva ai bambini Senza famiglia. - Com'è bello il Senza famiglia! diceva sempre. - È uno dei libri più belli che ci sono! - Erano molto belli anche i libri della marchesa Colombi, - diceva. - Peccato che non si trovano più in giro. Dovresti dire al tuo editore, - mi diceva, - di ristampare i libri della marchesa Colombi. Erano bellissimi! (Lessico 213:5).
(64)
Tutte le città del Nord dovrebbero avere, in qualche loro spaziosa e nitida piazza, un monumento alla Primavera. Milano dia l'esempio: ci sono scultori, c'è marmo, c'è denaro, è maggio, che si aspetta? (Narrltal 24:4).
(65)
Ma s'era mai visto una parente, una sorella seguire un feretro, vestita a quel modo? Con quel cappottino di taglio maschile, ostentatamente bianco, con quel berrettone di pelo in testa come se fosse in Siberia? Bastonare, non lei, ma i genitori si sarebbe dovuto, che le permettevano una simile profanazione. E lei era o malvagia o pazza, perché l'originalità arriva solo fino ad un certo punto. (RacNov 1 239:2).
e.) Schließlich stellen auch die rhetorische Frage sowie die stilistische Figur der Ironie Kennzeichen subjektiver Bewertung dar. Vergleiche: (66)
Quando le istituzioni si sono mosse, si sono mosse allora con una rapidità fulminea, senza tener conto di nulla. Se intendevano far qualcosa, non dovevano forse agire prima che si fosse creato, fra la bambina e i Giubergia, un rapporto cosi forte e profondo? Il sospetto delle istituzioni è durato quattordici mesi. La loro decisione è durata poco più d'un giorno ed è stata allora fulminea, lacerante, impietosa. (Serena 58:1).
(67)
Il comportamento della coppia era stato giudicato scorretto perché mai, andando a visitare un bambino, avrebbero dovuto manifestare una qualche preferenza. Il loro dovere di futuri genitori era quello di passare fra i piccoli ricoverati come Dio in una nube. (Serena 18:5).
In (66) bemüht sich der Sprecher (Natalia Ginzburg über Mißstände des italienischen Adoptionsgesetzes) rhetorisch um die Anerkennung der eigenen Meinung, in (67) wird auf ironische Art genau das Gegenteil von dem behauptet, was in der Aussage steht: Derartige Formen von Argumentation, die beide besondere Verfahren der emotiven Bekräftigung der eigenen Meinung darstellen, deuten von sich aus auf subjektive Einstellungen hin.
220 5.2.3. Der objektiv-bewertende Modalitätstyp Die Analyseergebnisse des Korpusmaterials bestätigen in erstaunlicher Weise, daß das Italienische stärker als das Deutsche auf die explizite Nennung der Gründe für die Bewertung angewiesen ist. Nur 2 von 75 objektiven Bewertungen enthalten keine Nennung von Gründen - vgl. (68) und (69). Die Nennung der Gründe muß ferner soweit wie möglich im inneren Kontext geschehen: Je weiter entfernt vom Satzkern (also vom dovere-Satz) die Nennung erfolgt, desto undeutlicher wird die Beziehung der genannten Gründe zu dem im Infinitivkomplement des dovere-Satzes prädizierten Sachverhalt - und umgekehrt. Es lassen sich demnach die beiden folgenden Fälle unterscheiden: 1 .)Gründe für die ausgesprochene Bewertung werden nicht explizit genannt: Sie unterliegen der „Evidenz der Tatsachen", d.h. sie liegen in der Situation selbst performativ genug vor. Der bewertete Sachverhalt liegt im umittelbaren (positiven oder negativen) Interesse des Bewertenden und/oder des Adressaten der Bewertung. Vergleiche die beiden folgenden Beispiele: (68)
Noi stavamo uscendo, lui stava entrando, ci trovammo tutti e tre nel vano della porta. Malachia disse, in modo piuttosto ridondante: „Cercavo il fratello erborista... Ho... ho male al capo." „Deve essere l'aria chiusa della biblioteca," gli disse Guglielmo con tono di premurosa comprensione. „Dovreste fare dei suffumigi." (Rosa-B 270:5).
(69)
- E lei che ne dice? - Niente: è lei che deve dirne qualcosa. - Giusto: sono io che debbo dirne qualcosa... Io e il professor Palicatti... Il professor Palicatti - spiegò - è uno psichiatra. - Ah - fece Candido. Non se l'aspettava, ma doveva aspettarselo, che ci sarebbe entrato lo psichiatra. (Candido 109:6).
In (68) erfolgt die Bewertung als Ratschlag zur Überwindung eines physischen Übels (eine möglicherweise seitens des Adressaten der Bewertung erwünschte Überwindung des Übels würde aus der Sicht des Bewertenden den Einsatz bestimmter Mittel („suffumigi") erforderlich machen), in (69) korrigiert der Bewertende die eigenen falschen Erwartungen im Hinblick auf den bewerteten Sachverhalt aufgrund der neu gewonnenen Einsichten („il professor Palicatti è uno psichiatra"). 2.)Das Anfuhren expliziter Begründungen stellt den Normalfall dar. Je nach Stellung sowie Art der Begründung in Bezug auf den Satzkern mit dem Modalverb dovere lassen sich wiederum die beiden folgenden Fälle unterscheiden: a.)Die Begründung wird meistens im inneren Kontext angeführt (sie wird gewöhnlich mittels Final-, Konditional- und Kausalsätze ausgedrückt): (70)
- Cavaliere, questo bosco dovrebbe essere tagliato per far luogo alle vigne, - disse Odilia. - E questo bosco è vivo. Senza contare che ci fornisce fascine e legna per l'inverno. (Odilia 51:3).
(71)
- Non ho altra aspirazione che d'essere riconosciuto figlio di questo Sacro Ordine, - provò a insistere, - per il quale nutro una ammirazione sconfinata! - Se ammiri tanto il nostro Ordine, - disse l'anziano, - non dovresti avere altra aspirazione che d'essere ammesso a farne parte. (Cavalier 336:3).
(72)
Da una dichiarazione dell'Anfaa, frammento riportato da „La Stampa", 31 marzo 1989. „Anziché tener conto degli interessi generali futuri, i giudici avrebbero dovuto curare l'interesse della piccola Serena, perché questo era il loro compito." (Serena 23:7).
221 b . ) D i e Begründung wird im äußeren Kontext angeführt (und wird meistens mittels anaphorischer oder kataphorischer Deklarativsätze, bisweilen mit Fragesätzen ausgedrückt): (73)
„Cosa vuoi... bevi, bevi e bevi, doveva finire così. Anche l'anno scorso gli è venuto lo stesso assalto. Crede gli abbiano strappato il fegato. Oramai è un impiastro questo benedetto uomo. Qui non fa che impacciare. Giù al banco non può stare. Io e mia madre si dovrebbe sorvegliarlo come un bambino; e quasi è meglio che Dio se lo tolga." (RacNov 2 413:3).
(74)
Lei dice: „Oggi, mentre aspettavo che lei arrivasse, ho fatto una cosa che non dovevo fare. Ho bevuto un bicchiere di cognac. Una volta ero una grande appassionata del cognac, poi ho smesso... E adesso prendo delle medicine che non vanno col cognac". Stadio 58:4).
(75)
„Dove sta tutta la mia saggezza? Mi sono comportato da ostinato, inseguendo una parvenza di ordine, quando dovevo sapere bene che non vi è un ordine nell'universo." (Rosa-B 495:2).
5.2.4. Der dispositionelle Modalitätstyp Im Vergleich mit den deutschen Sätzen mit müssen, die Dispositionen ausdrücken (vgl. 3.2.3.), stellen dispositionelle Sätze mit dovere eine eher periphere Erscheinung dar. Zum Ausdruck von Dispositionen greift das Italienische auf mehrere andere Ausdrucksmittel zurück (vgl. 6.2.2.). Mit dovere in dispositionellen Sätzen wird auf Eigenschaften hingewiesen, die der Sprecher als Dispositionen betrachtet und die er für die j e w e i l i g e Ursache des im Infinitivsatzkomplement prädizierten Verhaltens hält. Die Disposition wird als natürlich begründet und das daraus entstehende Verhalten als ein unvermeidliches betrachtet - was sich in der Paraphrasierung „nicht umhinkönnen, ρ zu tun" (bzw. it. „non poter fare a meno di far p") niederschlägt. Beispiele: (76)
Micheline era infatuata della propria bellezza, se la portava in giro come un uccello tropicale. Frédérique era più bella di Micheline, ma non ne ha mai fatto un trionfo. Micheline, che era meno raffinata, spontaneamente e con semplicità doveva offrire a tutti la sua bellezza, trionfando. Era una creatura esteriore, e questa fu la prima peculiarità che mi attirò. (Castigo 67:3).
(77)
Se ne andava giù per il corso re Umberto, piccolo, dritto, con la sua cartella sotto il braccio, e si fermava però a guardare le motociclette e le motorette nei posteggi, perché aveva grande curiosità di tutte le macchine, e per le motociclette una tenerezza speciale. Pavese diceva di lui: - Ma perché deve sempre parlare mentre gli altri lavorano? (Lessico 160:4).
(78)
CASTORE Smettila, Polideute. Nessuno ci ascolta. È evidente che gli Atridi e i loro padri hanno sempre sposato la medesima donna. Forse noi suoi fratelli non sappiamo ancor bene chi Elena sia. C'è voluto Teseo per darcene un saggio. Dopo di lui l'Atride. Ora Paride frigio, lo domando: Possibile che sia tutto casuale? Sempre lei deve imbattersi in simili tipi? È evidente che è fatta per loro, come loro per lei. (Dialoghi 128:7).
D a dispositionelle dovere-Sätze
auf Ursachen für Arten von Verhalten B e z u g nehmen, ist
ihre Abgrenzung von den dynamischen, vor allem aber den pragmatischen Modalverbsätzen mit dovere, (79)
nicht immer leicht vorzunehmen. Vergleiche: Non mi guardava, poi cominciò a guardarmi indefinibilmelnte dal suo alone di notte. Notturni aveva anche i capelli colla frangetta, e certo anche l'altra piccola chioma nascente...
222 Ma perché seguitare questo farnetico, questo delirio della memoria? In breve, ben presto seppi che dovevo averla; che non potevo fare a meno di lei e di averla; sarei morto se no, morto soffocato. Era amore? Non so, non mi importa: era una fiamma, un vulcano, una fontana di sangue dentro di me. (RacNov 3 698:1). (80)
„Pensare a me!" - questa, la mia nuova divisa. Ce n'è voluto per persuadermi a intestarne tutti gli atti di questa mia nuova vita, chiamiamola così. Ma come Dio vuole, non facendo nulla... Basta. Se io ora, per modo d'esempio, mi fermo sotto la finestra d'una casa ove sappia c'è gente che piange, debbo subito vedere a quella finestra la mia smarrita, sparuta immagine, la quale, affacciandosi, ha l'obbligo espresso di gridarmi di lassù, crollando un po' il capo e appuntandosi l'indice d'una mano sul petto: „E ic?". Così. Sempre: „E io?" in ogni occasione. Che è qui la base della vera saggezza. (RacNov 1 67:2).
In (79) liegt ein dynamischer Modalverbsatz vor: Der Sachverhalt läßt sich zwar als Eigenschaftsprädikation beschreiben, der Vorgang drückt jedoch ein punktuelles Geschehnis aus, und zwar das Bewußtwerden eines Triebes. In (80) handelt es sich dagegen um einen pragmatischen Satz: Der Handelnde nimmt zwar Bezug auf eine Handlungsweise, diese wird jedoch von ihm bewußt gesteuert - es handelt sich somit um eine intentionale Handlung.
5.2.5. Der eventive Modalitätstyp Eventive Modalverbsätze mit dovere bilden parallel zu den Modalverbsätzen mit sollen einen idiosynkratischen Modalitätstyp - jedoch mit einem Unterschied: Während im Deutschen allein die Formen des Konjunktivs Präteritum (das so//ie-Paradigma) zugelassen sind, kommen im Italienischen neben den Standardformen des congiuntivo imperfetto (das dovesse-Paradigma) mitunter auch Formen des congiuntivo piuccheperfetto (das avesse dovutoParadigma) vor. Vergleiche: (81)
E ripeteva a ciascuno che Cristo era povero e che così avevano detto anche santo Francesco e santo Domenico, e che se a professare questa retta opinione avesse dovuto essere condannato al supplizio, tanto meglio, perché in breve tempo avrebbe potuto vedere ciò che dicono le scritture, e i ventiquattro vegliardi dell'Apocalisse, e Gesù Cristo, e san Francesco, e i gloriosi martiri. (Rosa-A 238:1).
Der eventive dovere-Satz wird in der Regel durch konditionale Konjunktionen eingeleitet (meistens durch die Konjunktion se, bisweilen durch qualora oder nel caso che). Vergleiche die beiden folgenden Beispiele: (82)
So che fu anche alla corte di Brabante, ma senza conseguenze per me. Ti dico di lui e dei brabantini ciò che già ti ho detto della pulcella di Brennberg da me pugnalata. Se dovessero mai assassinarmi, tu non muovere un dito!" (Konrad-A 29:1).
(83)
La terza fila o retroguardia, buona a far muro e rilancio qualora le prime due dovessero retrocedere, era fatta di noi germanici, avendo al centro me e Fredu. (Konrad-B 243:2).
Möglich ist aber auch die Spitzenstellung der Konjunktivform von dovere. Begünstigt wird diese Position im Italienischen durch besondere illokutionäre Ziele des Sprechers, vor allem die emotionale Wirkung seiner Rede - vgl. (84). Auch hier, wie im Deutschen (vgl. 4.2.3.), dient die Spitzenstellung dazu, „Erwartungspole" zu prädizieren, d.h. das positive (+p) oder negative (-p) Eintreten eines Ereignisses zu kontrastieren - vgl. (85): Hier besteht die positive Erwartung, mit dovere wird auf die negative Bezug genommen. Vergleiche die folgenden Beispiele:
223 (84)
„Lo ami? E allora aiutalo, dovessi tu anche andare all'inferno! Non lo ami? E allora perché perdiamo altro tempo?" (Konrad-B 270:2).
(85)
Guardai Fredu, i cui occhi brillavano di brama. Ma subito dopo si spensero, vedendomi nell'angoscia: come sarei rimasto, senza di lui? Sviò lo sguardo dal Castigliano e crollò il capo. „II mio posto è qui" disse aspro: „con Corredino, a difenderlo in ogni evenienza. Dovesse capitargli un male, chi incarnerebbe più la causa sveva?" (Konrad-B 242:2).
Erwartungspole können selbstverständlich auch außerhalb der Spitzenstellung prädiziert werden - wie etwa in (86): Hier geht man von der positiven Einstellung zum Sachverhalt aus, die negative wird mit dem dovere-Satz aufgegriffen. Es sprechen möglicherweise syntaktische Gründe fiir die Standardstruktur mit einleitender Konjunktion („Dovessi farti qualcos'altro che non ti garba, perdonami!" wirkt stark rhetorisch, zudem würde die Korrelation zur ersten Aufforderung („Salutami Roma!") aufgegeben): (86)
Quando già vedevo baluginare la via tra le frasche udii Federico gridare: „Salutami Roma, Konradin! E perdonami se qualcos'altro dovessi farti che non ti garba. Tu sei libero, certo. Ma lo sono anch'io". (Konrad-B 258:4).
Eine dritte Möglichkeit der Kollokation von dovere in eventiven Sätzen außer der Einleitung mittels konditionaler Konjunktionen und der Spitzenstellung ist die Einleitung durch ein Indefinitpronomen (qualsiasi, qualunque, (d)ovunque, bisweilen qualsivoglia). Vergleiche das folgende Beispiel: (87)
Pannwitz è alto, magro, biondo; ha gli occhi, i capelli e il naso come tutti i tedeschi devono averli, e siede formidabilmente dietro una complicata scrivania. Io, Häftling 174 517, sto in piedi nel suo studio che è un vero studio, lucido pulito e ordinato, e mi pare che lascerei una macchia sporca dovunque dovessi toccare. (Uomo 133:5).
Die Verwendung von Indefinitpronomina in eventiven Sätzen mit dovere wie in (87) wirkt performativ unterstützend auf die Satzbedeutung, die in der Prädikation von für grundsätzlich möglich, aber weder fur wahrscheinlich noch für unwahrscheinlich erachteten Geschehnissen besteht (vgl. 4.2.3.). Dies läßt sich an (88) und (89) gut ablesen: (88)
Non mi è mai accaduto in vita, come invece accadde a molti miei confratelli, di essere visitato dal diavolo, ma credo che se esso dovesse apparirmi un giorno, incapace per decreto divino di celare appieno la sua natura anche quando volesse farsi simile all'uomo, esso non avrebbe altre fattezze di quelle che mi presentava in quell'istante il nostro interlocutore. (Rosa-A 53:4).
(89)
Quanto a me, non pretendo che tu mi ringrazi, ma ti proibisco )gni rimprovero. Ho agito come dovevo: per il bene tuo, mio e di molti altri. [...] Sappi però, legittimo erede al mio trono: se tu dovessi fallire, non aspettarti ch'io mi sieda sulla tua tomba o vegli sotto la torre ove tu fossi prigioniero. (Konrad-A 106:1 ).
Mit (88) und (89) liegen zwei Standardäußerungen eventiver Modalität vor: Der Sprecher stellt sich zur Möglichkeit des Eintretens bestimmter Ereignisse und schätzt sie als jeweils neutral ([±möglich]) ein. Der Wahrscheinlichkeitsgrad des Eintretens eines Sachverhalts in eventiven dovereSätzen ist aber nicht immer neutral wie hier oben in (88) un (89). Durch performative Elemente kann der Sprecher eine eher optimistische oder eine eher pessimistische Haltung zum Eintreten des Ereignisses zum Ausdruck bringen. Zwei Adverbiale spielen hier eine besondere Rolle: mai und anche, die stes in Verbindung mit der Konjuntion se, die beiden Adverbialsyntagmen se mai, se anche bilden.
224 Daß aufgrund der Verwendung von Lexemen wie mai und anche im eventiven Satz eine Verschiebung der Satzbedeutung in Richtung auf [ wahrscheinlich] bezüglich des Eintretens des prädizierten Sachverhalts stattfindet, geht aus der Kontrastierung der beiden Belege in (90) und (91) deutlich hervor - hier handelt es sich jeweils um einen und denselben Sachverhalt, einmal als neutral erwartet ([¿möglich]), einmal als eher negativ erwartet ([-wahrscheinlich]): (90)
E stata anche indirizzata [...] una istanza al Tribunale di Strasburgo. Ma anche il Tribunale di Strasburgo, dicono, ha tempi lunghissimi. Se il decreto dovesse essere accolto, se ne gioverebbero però le madri straniere in carcere. (Serena 42:3).
(91)
Il Parlamento ha dei tempi lunghi. Il decreto-legge di Vassalli, chissà quando sarà affrontato e discusso. Se anche dovesse venire ratificato, per Serena e per i Giubergia potrebbe essere troppo tardi. (Serena 42:3).
In (90) ist die Einstellung des Betrachters neutral (es wird grundsätzlich offen gelassen, ob der Vorgang stattfinden wird oder nicht, obwohl eher Gründe („tempi lunghissimi") fur die Annahme des Gegenteils bestehen), in (91 ) führt der Betrachter dieselben Gründe („tempi lunghi") für seine Annahme eines eher unwahrscheinlichen Eintretens („chissà quando") des Sachverhalts ins Feld: die Bedeutungsveränderung geht auf das Adverbial anche zurück. Die ebenfalls durch das Adverbial mai eher negativ konnotierte Erwartung ([-wahrscheinlich]) des Eintretens eines Ereignisses belegt (92): (92)
Due anni fa [...] molti fedeli di Manfredi passarono all'Angioino, e così la battaglia fu persa. Oggi è impossibile: con un tal guanto di sfida in faccia, Carlo, se dovesse mai vincere, ci sbranerebbe tutti. Non ci resta dunque che vincere o morire!'" (Konrad-B 241:2).
Aufgrund ihrer erwartungsneutralen Prädikation bieten sich eventive Sätze mit dovere - genauso wie die entsprechenden sollte-Sätze des Deutschen - zum Zweck von Skalierungen der Wahrscheinlichkeitserwartung von Sachverhalten an. Dabei nehmen die eventiven Sätze die neutrale Mittelstellung ein, links stehen eher wahrscheinlichkeitspositive Sachverhaltsprädikationen mit dem Syntagma ,¿e + Indikativ Präsens oder Futur", rechts eher wahrscheinlichkeitsnegative Sachverhaltsprädikationen mit dem Syntagma ,rse + congiuntivo imperfetto" des im Infinitivkomplement enthaltenen Verbs.Vergleiche: Tabelle 5.5: Wahrscheinlichkeitsgrade des Eintretens eines Sachverhalts bei dovere
Das Eintretens des Sachverhalts ist ••-erwartet terwartet
-erwartet
se+Präslnd/Fut I se viene/verrà...
se+Conglmpf se venisse...
se+dovesse se dovesse venire...
Beispiele: (93)
L'occhio di Federico mi sottopose a un lungo esame. La risposta fu: „A me, lo domandi? Se proprio a me, ti dico: Konradin, piccolo falco senza malizia, torna alle nostre selve e vivi là come duca di Svevia: indebitato e tapino ma almeno vivo. Più avanti, se Lale ti verrà a noia o dovesse morire, segui la tua più vera vocazione e chiuditi in convento. Questo il mio consiglio, ora cheti lascio. [...]". (Konrad-B 171:2).
(94)
- Mi stufo! - diceva mia madre. - Non mi diverto! Sono stufa! Non c'è niente di peggio che stufarsi! Se almeno mi venisse qualche bella malattia! (Lessico 124:4).
225 (95)
A me piacerebbe andare in cucina e stare con Giulia, ma lei mi scaccia, dice che non vuole nessuno tra i piedi quando cucina, proprio nessuno, nemmeno la mia zia-nonna, se le venisse in mente di aiutarla o di tenerle compagnia. (Patio 185:2).
In (93) werden zwei verschiedene Ereignisse im Hinblick auf ihr hypothetisches Eintreten prädiziert: Mit dem Syntagma + Futur" läßt der Sprecher das Eintreten des ersten Sachverhalts als wahrscheinlicher gelten als das Eintreten des zweiten im eventiven Satz mit dovere. In (94) und (95) erwartet der Sprecher das Eintreten der prädizierten Sachverhalte nicht: In ersten Fall, weil der Sachverhalt tatsächlich nicht erwünscht, im zweiten, weil er bislang noch nie eingetreten ist.
5.3. Die propositionalen Einstellungen des Wollens
Modalverbsätze mit dovere sind Ausdrucksformen der propositionalen Einstellungen des Wollens. Diese werden durch die fünf folgenden Modalitätstypen realisiert: den pragmatischen, den deontischen, den dynamischen, den objektiv-epistemischen sowie den logischanalytischen Modalitätstyp. Tabelle 5.6 faßt die fünf Modalitästtypen zusammen: Tabelle 5.6: Die propositionalen Einstellungen des Wollens bei dovere Modalitätstyp
Beispiel
1. 2. 3. 4. 5.
Ha dovuto partire all'improvviso Ciascuno deve compiere il proprio dovere Quando lo vide dovette ridere Deve essere stato lui, non c'è alcun dubbio Se non è morto, dev'essere ancora vivo
pragmatisch deontisch dynamisch objektiv-epistemisch logisch-analytisch
5.3.1. Der pragmatische Modalitätstyp Im pragmatischen Modalitätstyp steht das italienische Modalverb dovere den beiden Verben des Deutschen müssen und sollen gegenüber. Mittels dovere müssen demnach die Unterscheidungen getroffen werden können, die im Deutschen aufgrund der Opposition müssen : sollen bestehen. Denn wir haben gesehen, daß Sätze mit den beiden Modalverben des Deutschen hinsichtlich pragmatischer Prädikationen komplementär distribuiert sind: PragmatischeOTMiie/j-Sätzeverweisen auf Gründe, sollen-Sätze auf Intentionen (vgl. 3.3.1. für müssen und 4.3.1. für sollen). Dies bedeutet selbstverständlich nicht, daß zwischen dovere einerseits und müssen/sollen andererseits eine 1:1 -Entsprechung bestünde. Es zeigt sich vielmehr, daß sowohl auf der Seite von dovere wie auch auf der Seite von müssen/sollen mehrere andere Ausdrucksmittel eingesetzt werden: So z.B. im Italienischen in erster Linie die unpersönlichen Verben bisognare und occorrere, im Deutschen vor allem negiertes brauchen sowie negiertes dürfen (vgl. 6.3.1.). Wenn wir nun die Menge aller pragmatischen dovere-Sätze analysieren, stellen wir fest, quod erat demonstrandum: Und zwar, daß die dovere-Sätze sich in zwei Gruppen einteilen
226 lassen: in eine erste Gruppe, die auf (kausale oder finale) Gründe, und eine zweite, die auf Intentionen (Absichten, Wünsche, Forderungen) verweist. Gründe und Intentionen stellen jeweils die modalen Instanzen dar, die den im Infinitivkomplement der Modalverbsätze jeweils prädizierten Handlungen zugrunde liegen. Die zweifache Verweisftinktion auf Gründe und Intentionen, die dovere-Sätze alternativ ausdrücken können, kommt etwa hier unten in (96) deutlich zum Ausdruck - das Verb volere steht hier in Korrelation zu dovere und drückt die Volition des Subjekts hinsichtlich der im Konjunktivsatz prädizierten Handlung („tagliare i capelli") aus, dovere greift diese Handlung wieder auf, somit zugleich die Volition des Subjekts, und verweist seinerseits auf die Gründe („era grande") für die beiden im eigenen Infinitivkomplement geforderten Handlungen („mettere le brache e tagliare i capelli"): (96)
E il Giai, al'era nent bel, il Giai? dice la Gonda, lei lo ricorda bambino, era il più bello di tutti e quando andava a messa il vecchio Prevosto lo faceva sedere sui gradini dell'altare, i capelli erano cosi lunghi che sfioravano la pietra. Il Gran Masten, dice ancora la Gonda, voleva che glieli tagliassero, diceva che era grande e doveva mettere le brache e tagliare i capelli ma la madre non voleva, aveva timore a sciupare tanta bellezza. (Strade 32:1).
Diese beiden Verweisfunktionen auf Gründe und Intentionen sollen in den beiden folgenden Abschnitten (5.3.1.1. und 5.3.1.2.) belegt und nach inhaltlichen sowie syntaktischen Kriterien näher klassifiziert werden.
5.3.1.1. Dovere-Sätze verweisen auf Gründe Die explizite Nennung von Gründen, auf die der dovere-Satz verweisen soll, ist nicht obligatorisch, sie stellt jedoch die Regel dar. Die Entscheidung darüber, ob Gründe genannt werden sollen oder nicht, unterliegt den bekannten kommunikativen Informationsstrategien (vgl. 3.3.1.1.). Werden Gründe nicht genannt, so müssen sie grundsätzlich dem internen oder externen Kontext zu entnehmen sein. Ist dies nicht der Fall, so ist die Deutung des pragmatischen Modalverbsatzes als eines kausal oder final begründeten gefährdet und der Weg zur einer Interpretation des Verweises auf Intentionen frei. Vergleiche: (97)
Per un mese tenne la bambina con sé e quando piangeva la notte era il Mandrognin a cullarla e a darle da bere perché una volta che le aveva dato il latte la Limasa non la toccava più. La contadina dove metterla a balia, fu ancora il Mandrognin a sceglierla, doveva essere giovane e robusta e abitare in collina, non troppo lontano. (Strade 178:1).
Der dovere-Satz in (97) kann entweder auf pragmatischen kausalen oder finalen Überlegungen fußen - und dann ist er kausal oder final begründet - oder aber als auf die Präferenzen des volitiven Aktanten bezogen verstanden werden. Gelingt es nicht, eindeutige Entscheidungselemente festzumachen, so bleibt die Deutungsambivalenz bestehen. Daß dies nicht ohne Folgen fur die Übersetung des dovere-Satzes ins Deutsche ist, liegt auf der Hand (vgl. 6.3.1.). In (98) bis (100) werden keine Begründungen vorgenommen. Daß es sich aber jeweils um kausal oder final begründete Sachverhalte handelt, ist entweder der Logik der Dinge, der Evidenz der Tatsachen oder der Kenntnis von Welt eindeutig zu entnehmen: (98)
Quando la casa di Olga fu bombardata, i suoi parenti si trasferirono in provincia; ma la ragazza doveva proseguire gli studi e il fidanzato chiese a Donn'Amalia di ospitarla [...]. (Patio 112:2).
227 (99)
- Nuria sudava e quelle parole le facevano fresco. Venne il dottore. La sua voce pareva il brontolio di una pentola di coccio piena di fagioli messi a cuocere. - La febbre deve scendere! - ordinò. (Patio 71:3).
(100)
A ritardare il matrimonio fra Renzo e Lucia non furono soltanto Don Rodrigo e Don Abbondio; fu anche Alessandro Manzoni, che a dare una definitiva conclusione alla loro storia impiegò quasi vent'anni, dal '21 al '40. Nessun romanzo, credo, fu mai tanto tribolato. Ma un motivo c'era. L'autore non dovette inventare soltanto una vicenda. Dovette inventare una lingua. (ItalRead 37:4).
In ( 9 8 ) gründet der dovere-S&Xz in der Logik der Dinge, in ( 9 9 ) liegt eine allgemein nachvollziehbare Evidenz der Tatsachen vor, in ( 1 0 0 ) entspringt die Begründung des ersten Modalverbsatzes ebenfalls der Logik der Dinge, die Deutung des zweiten erfordert dagegen eine spezifische Kenntnis von Welt. l.)Kausale Gründe D a ß die Modalität der Begründungen eher eine Modalität des Kausalen als des Finalen darstellt, haben wir bereits im Fall von müssen festgestellt (vgl. Abschnitt 3.1.1.). Gleiches trifft auf die Klasse der pragmatischen dovere-Sätze zu: Sie sind vornehmlich kausal begründet, finale Begründungen stellen eher den Ausnahmefall dar. Ihr Verhältnis zueinander ist im Fall der dovere-Sätze etwa 1 : 5, somit noch ausgeprägter als im Fall der miissenSätze (1 : 2 , 5 ) . Die Angabe kausaler Gründe in dovere-S ätzen erfolgt sehr unterschiedlich. Mit Hilfe des Korpusmaterials lassen sich die folgenden sechs Gruppen syntaktischer Konstruktionen hervorheben: a.) Kausalsätze - entweder eingeleitet durch die kausalen Konjunktionen perché, sowie visto che, dato che + Verb bzw. dat-/vist(-o/a/i/e)
poiché,
+ N o m e n oder als absolute Par-
tizipialkonstruktionen: (101)
[...] il campo è seminato di morti [...]. Appena viene sera, silenziosi, dagli opposti campi, camminando carponi, arrivano gli spogliatori di cadaveri. Gli avvoltoi risaliti a vorticare in cielo, aspettano che abbiano finito. Le prime luci illuminano un campo biancheggiante di corpi tutti ignudi. Gli avvoltoi ridiscendono e cominciano il gran pasto. Ma devono sbrigarsi, perché non tarderanno ad arrivare i becchini, che negano agli uccelli quel che concedono ai vermi. (Cavalier 298:5).
(102)
Ma la pioggia non smise per giorni, e data la precarietà della capanna del giardiniere, il cavaliere dovette dimorare in una cella del convento, una delle tre o quattro che sempre erano vuote. (Odilia 56:2).
(103)
- Jadis, c'était seulement la Nature qui créait des phénomènes vivants, - concluse; maintenant c'est la Raison -. E il vecchio sapiente si rituffò nel chiacchiericcio delle sue pinzochere teiste. Presto dovetti interrompere il viaggio e ritornare a Ombrosa, richiamato da un dispaccio urgente. (Barone 197:5).
b.)Konditionalsätze - eingeleitet durch die beiden Konjunktionen se (mit Indikativ) und qualora (mit Konjunktiv): (104)
„Sento un gran peso," disse, „è come se avessi mangiato un rospo." „È un po' di imbarazzo di stomaco," lo consolò Angiolina, „non è niente, devi masticare di più." Dopo una settimana Federico continuava a lamentarsi. „Se non mi passa dovrò farmi vedere da un dottore." (RacNov 5 1306:4).
228 (105)
- Aiuto! - quando vide nel cerchio del pozzo, contro il cielo, la sagoma del Gramo che le disse: - Volevo solo parlarvi. Ecco quanto io ho pensato: in compagnia di vostra figlia Pamela si vede spesso un vagabondo dimezzato. Dovete costringerlo a sposarla: ormai l'ha compromessa e se è un gentiluomo deve riparare. Ho pensato cosi; non chiedete che vi spieghi altro. (Visconte 65:5).
c.) Konsekutivsätze - zumeist eingeleitet durch die beiden Konjunktionen cosí che und (cosí) tanto che: (106)
Quando, su quella piccola nave, bianca e azzurra, che si infingeva da crociera, il console parti alla volta dell'isola con la famiglia, fece nei saloni la conoscenza della signora di Son Batle. Alla signora piacque il baciamano del console. Allora era cosi corpulenta che un servitore doveva aiutarla a sollevarsi dalla poltrona. (Patio 4:6).
(107)
Le notizie che arrivano dal Sacarlott dicono che la Luisón è guarita ma è rimasta tanto debole che hanno dovuto sistemarle un letto nella sala perché non riesce a fare le scale e lei parla con i dipinti delle volte. (Strade 62:3).
d.)Temporalsätze - eingeleitet durch die temporalen Konjunktionen quando, che etc.: ( 108)
allorché,
dopo
Il padre morì e Maria Nunziata, del tutto muta, non poteva raccontarne nulla. Partiva a Pasqua per il manicomio con l'altro figlio e le portava focacce. Quando chiusero i manicomi dovettero riprendersela in casa. (Patio 174:6).
e.) Gerundio - Konstruktionen, die für Kausalsätze stehen (sie lassen sich in poiché kativ-Sätze umwandeln):
+ Indi-
(109)
Naturalmente, trovandomi di fronte a un estraneo, ho dovuto nascondere l'ambiguità delle mie reazioni, e mi sono dimostrato interessato solo a raccogliere tutti i dati necessari per intentare un processo. (Notte 179:3).
(110)
Andavano sempre i Balbo, nell'inverno, in montagna a skiare. Si portavano dietro, ora, i figli. Dovevano però raggiungere il Nord: disprezzando le montagne basse, ventose e affollate dei dintorni di Roma. (Lessico 209:2).
f.) Deklarativsätze - eine Klasse disparater Ausdrucksmittel: (111)
(112)
(113)
Tempo fa, i giornali riferivano d'una ricca famiglia di Torino, che aveva adottato quattro bambini ecuadoriani. I bambini dovettero essere ricoverati in ospedale con ecchimosi e costole rotte: la madre adottiva li picchiava a sangue. (Serena 66:2). - Per fortuna, dice la nonna pesando la mortadella sulla bilancia, siamo in tanti e se ne deve comprare molta, a cinquanta grammi a persona se ne devono prendere quasi tre quarti. In percentuale quindi il peso della carta non incide troppo. (Patio 185:1). È mio cugino Adamo, - disse Ezechiele,- un lavoratore eccezionale. - Ma voi dovete riposarvi e nutrirvi, vecchio come sieteì - stava dicendo il Buono, ma Ezechiele lo trascinò via bruscamente. - (Visconte 59:2).
2.)Finale Gründe Die Angabe finaler Gründe in dovere-Sätzen den syntaktischen Konstruktionen:
erfolgt ausschließlich durch die beiden folgen-
a.) Finalsätze - eingeleitet durch die finalen Konjunktionen per, allo scopo di (mit Infinitiv), durch perché in der Bedeutung von „affinché" (mit Konjunktiv), sowie durch a (mit Infinitiv):
229 (114)
La Sireina si chiamava in realtà Maria Carlotta e aveva sposato uno dei signori di Pomaro ma per raggiungere lo scopo aveva dovuto usare tali arti di seduzione che la voce popolare le aveva dato il soprannome di Sireina. (Strade 221:4).
(115)
La guerra cominciò in primavera; la neve se ne era andata da poco e al mattino la nebbia confondeva ancora gli alberi, la Limasa doveva passare ad accendere le stufe perché i bambini alzandosi non prendessero freddo. (Strade 160:4).
(116)
La lezione ormai poteva considerarsi finita. In quella stanzetta non c'era l'attacco della luce elettrica. E le giornate si stavano accorciando. Felice sarebbe dovuto andare in cucina a prendere il lume a petrolio. Patio 149:2).
b.)Konditionalsätze - Es handelt sich um eine besondere Gruppe von Konditionalsätzen, nämlich um die Gruppe, die durch die Struktur ,¿e+volere+Infinitiv"
gekennzeichnet ist
und in der die volitive Bedeutung durch das Verb volere zum Ausdruck gebracht wird: (117)
Ma più di tutto gli piacciono le stelle e quando sarà grande farà l'astronomo. Lo dice al Prevosto che gli insegna il latino e invece delle Favole di Fedro vuole che gli legga qualcosa sulla luna e gli astri. Ma il Prevosto dice che il latino deve impararlo se vuole un giorno conoscere i nomi delle stelle e cercare di capire il loro mistero. (Strade 51:3).
(118)
Cosi, disse: - Ci sto. E Pamela: - Mettetevi d'accordo con mio babbo. Di li a un po', Pamela incontrò il Buono sul suo mulo. - Medardo, - disse lei, ho capito che sono proprio innamorata di te e se vuoi farmi felice devi chiedere la mia mano di sposa. (Visconte 66:16).
(119)
Per concludere, fra tali e tante disuguaglianze, l'Italia, se vuole davvero avviare uno sviluppo economico nuovo, deve per prima cosa rendersi più autonoma. (Econltal 114:2).
3.)Kausale und/oder finale Gründe Bei manchen Syntagmen, vor allem beim Nominalsyntagma „peri-Nomen", ist die Art der Prädikation nicht eindeutig festgelegt: Es können sowohl kausale wie auch finale Gründe angenommen werden: (120)
Una mattina Tracy mi ha svegliato per chiedermi se volevo accompagnarla a Beverly Hills, visto che doveva andarci per una commissione. (Cream 27:5).
(121)
Venne così il tempo che, per affari di terre e di privilegi, dovetti andare a Costanza con zio Ludwig. (Konrad-A 109:2).
In einer Gruppe von dovere-Sätzen
werden keine Begründungen vorgenommen, sondern es
werden Gründe filr die prädizierte Handlung (direkt oder indirekt) erfragt. Beispiele: (122)
E, d'altronde, perché gli piaceva tanto? Anche dimenticando tutta la parte negativa del suo carattere, cosa aveva nel fisico questa donna perché lui avesse dovuto perdere la testa come un novellino? (ItalAmor 134:4).
(123)
- Non te lo chiedo per curiosità, non è che voglio impicciarmi, cu capisci. - Capisco. Andai avanti, stringendo i denti. - Vorrei solo sapere: c 'è qualcuno che ti cercai ti devi nascondere? Ecco. - (Amante 107:8).
( 124)
- Ti metterò alla prova, - disse, - devi dimostrarmi d'essere dalla parte mia, non dalla loro. - Dimmi tutto quello che vuoi che faccia. - Devi procurarmi delle corde, lunghe e forti, perché per fare certi passaggi devo legarmi; poi una carrucola, e ganci, chiodi di quelli grossi... - Ma cosa vuoi fare? Una gru? - Dovremo trasportare su molta roba [...]: tavole, canne... - Vuoi costruire una capannuccia su un albero! E dove? (Barone 94:5).
230 5.3.1.2. Dovere-Sätze verweisen auf Intentionen Wie dovere-Sätze, die auf Gründe verweisen, in Beziehung zu müssen-Sätzen stehen, so besteht bei den dovere-Sätzen, die auf Intentionen verweisen, eine direkte Beziehung zu den entsprechenden sollen-Sätzen. Genauso wie diese nehmen auch intentionale dovere-Sätze Bezug auf Sachverhalte, die sich je nach der Art der Volition des Aktanten als beabsichtigte, erwünschte oder geforderte Sachverhalte auffassen lassen. Daß mit Jovere-Sätzen Volitionen ausgedrückt werden können, scheint auch den modernen italienischen Grammatiken nicht aufgefallen zu sein - genausowenig wie die deutschen Grammatiken registriert haben, daß mit sollen-Sätzen auf erwünschte Sachverhalte Bezug genommen wird. S E R I A N N I (1991), eine der modernsten Grammatiken des Italienischen, charakterisiert die Bedeutungsfunktion der Modalverben potere, dovere und volere wie folgt: „Dal punto di vista semantico, questi verbi qualificano una particolare modalità dell'azione, incardinata sulla possibilità {potere), sulla necessità {dovere), sulla volontà {volere)" (1991: 396). Vom deflatorischen circulus vitiosus („i verbi modali qualificano una modalità dell'azione") abgesehen, fällt auf, daß auch S E R I A N N I (1991) das Modalverb dovere allein zum Ausdruck der Notwendigkeit, also des Verweises auf Gründe in unserer Terminologie, in Beziehung setzt. In den übrigen, jüngeren wie älteren, Grammatiken des Italienischen sieht es nicht anders aus.8
5.3.1.2.1. Beabsichtigte Sachverhalte Die Prädikationsstruktur von beabsichtigten Sachverhalten ist eine zweistellige: Sie setzt neben dem beabsichtigten Sachverhalt auch einen beabsichtigenden Aktanten voraus. Die Relation zwischen beabsichtigendem Aktanten und beabsichtigtem Sachverhalt gründet in der Volition des Aktanten, den Sachverhalt herbeizufuhren. Es handelt sich somit um eine propositionale Einstellung des Wollens. Daß auch zwischen dovere und volere eine direkte Beziehung - genauso wie für sollen und wollen - besteht, läßt sich an (125) leicht nachvollziehen, wo Ziele prädiziert werden, die mittels dovere in sowohl anaphorischer wie auch kataphorischer Beziehung zu volere stehen (die Art der intentionalen Prädikation wird zusätzlich durch das Performativ tendere a („streben nach") unterstrichen): (125)
IL nuovo interventismo vuole che si fissino delle precise priorità negli investimenti e nei consumi. Esse devono tendere ad elevare la produttività sociale, a mobilitare tutte le risorse e in primo luogo il lavoro. Si vuole giungere qui a sintesi unitarie, nelle quali e per le quali si stabiliscano volontà politiche coerenti per realizzare lo sviluppo interno assieme a quello esterno. (Econltal 126:2).
Der Sprecher der aktuellen Redesituation und der beabsichtigende Aktant können identisch oder verschieden sein. In (126) sind sie identisch, in (127) verschieden: (126)
8
„O Roma o Marte!" Bartoli vuol fare qualcosa di letterario, non di politico. Gli suggerisco di tentare questo disegno: il marziano che dalla terrazza del Pincio guarda commosso il
Vgl. z.B. FOGARASI (1983), PANZINI (1989), DARDANO/TRIFONE (1993). Die einzige Studie, in der eine volitive Funktion von dovere angedeutet wird, ist ALISOVA (1972: 185): „I verbi 'potere' e 'dovere' hanno la caratteristica di lessemi autonomi aspettivo-modali o propriamente modali nella sfera semantica di 'volontà' - 'necessità'."
231 suo piccolo lontano pianeta natio. „Non fa ridere" osserva Bartoli. „Non deve far ridere" replico „deve anzi commuovere." (RacNov 3 861:1). (127)
„Dall'interno? E lui da dove esce?" L'Abate fissò Guglielmo per un attimo, serio in volto: „Certo non dorme in cucina," disse bruscamente. E affrettò il passo. „Bene bene," mi sussurrò Guglielmo, „dunque esiste un'altra entrata, ma noi non la dobbiamo conoscere." (Rosa-A 104:7).
In dovere-Sätzen, die beabsichtigte Sachverhalte ausdrücken, steht dovere fur Performative des Beabsichtigens, in erster Linie für die explizit verbalen wie avere il proposito di, avere l'intenzione di, intendere, proporre, desiderare, prospettare, prefiggersi, riproporsi, mirare a etc. sowie die nominalen wie intenzione, proposito, progetto, desiderio, voto, disegno, idea, meta, intento, mira, scopo, fine, obiettivo etc. Die Angabe von explizit performativen Ausdrücken des Beabsichtigens, vor allem des nominalen Typs, ist in dovere-Sätzen dieser Klasse sehr häufig (zur Erklärung dieses häufigen Vorkommens vgl. 6 . 3 . 1 . ) . In ( 1 2 8 ) bis ( 1 3 0 ) korreliert dovere jeweils mit einem nominalen Performativi (128)
[...] la madre [...] aspettò il ritorno del figlio con un'ansia che dolorosamente cresceva ad ogni minuto che passava. Ad un certo punto ebbe l'atroce rivelazione di quel che era effetivamente accaduto. Uscì di casa: e trovò il figlio morto davanti alla casa dell'uomo che quella notte, nei piani e nei voti, avrebbe dovuto essere ucciso. (Caleidos 154:1 ).
(129)
Ma io avevo smesso di ascoltarlo, sia perché dei mori lo sapevo già, sia perché m'era parso d'indovinare, d'un tratto, a quali superiori disegni dovesse servire la cena da Cosima. (Amante 145:5).
(130)
Il fatto che i paesi più legati agli Stati Uniti d'America preferiscano fare scambi fra di loro, trasforma le economie come quella italiana in economie satelliti. Lo stesso Fondo monetario internazionale, che avrebbe dovuto per programma contribuire ad ampliare gli scambi fra tutti i paesi, e quindi in particolare verso quelli meno sviluppati, divenne in realtà uno degli strumenti dell'egemonia imposta dai più forti. (Econltal 26:3).
Die beabsichtigten Sachverhalte, über die der Sprecher referiert, gehören sehr unterschiedlichen inhaltlichen Kategorien an, die konversationelle Implikaturen - und nicht Bedeutungen von dovere - darstellen. Dies wird daran deutlich, daß die jeweils prädizierte Inhaltskategorie durch Elemente des internen und des externen Kontextes bestimmt wird. Es handelt sich um die Kategorien der Absichten, der Ziele und Vorhaben, der Anliegen, Vorsätze und Wünsche, der Zwecke und Bestimmungen etc. Vergleiche: (131)
Dissi: „Uff' con la massima indignazione. Credetti di aver detto qualche cosa ed anzi restai per un istante fermo come se mi fossi atteso che a quel mio „uff 4 , un grido che doveva ferire lei e dar sfogo al mio profondo sconforto, essa avrebbe risposto qualche cosa. Ma né lei, né io dissimo altro. (RacNov 1 44:5).
(132)
Spalancò il balcone e rimase un po' fuori al fresco. Chantal lo raggiunse. Si era strofinata la fronte col profumo per cancellare l'odore di aceto e ravviati i capelli. Stava meglio. [ . . . ] - E io che dovevo andare a pesca con Antonio! - (Patio 151:8).
(133)
La sorella del Prevosto fu incaricata di darle lezioni di disegno. Per il Sacarlott spendere in una cosa tanto inutile era un sacrificio ma forse ne valeva la pena se un giorno le sue figlie tutti dovevano desiderarle in moglie. (Strade 34:1 ).
Eine initiale Verwendung von dovere im Sinne von GLAS ( 1 9 8 4 ) , d.h. ohne anaphorischen (oder kataphorischen) Bezug auf ein ausdrückliches Performativ des Wortfeldes des Beab-
232 sichtigens, ist bei dovere-Sätzen immer dann möglich, wenn die inhaltliche Kategorie des Infinitivsatzkomplements genügend abgesichert ist im Sinne eines beabsichtigten Sachverhalts. Dies ist sicherlich auch in den beiden folgenden Belegen der Fall: (134)
„Li uccido" pensa „con queste due mani, gli stringerò il collo, il collo deve diventare una corda sottile dentro le mie mani" e il sudore gli gocciola dalla fronte, anch'essa densa di muscoli. (RacNov 3 796:3).
(135)
Maledette spiegazioni in cui tutto si perde: e invece tu devi rivivere in queste pagine, rimorire, riessere mia come lo fosti. Spiegazioni inutili poi: più presto che non sperassi dovevo rendermi ragione di ogni cosa. (RacNov 3 699:1 ).
An (134) und (135) wird aber zugleich ersichtlich, daß dovere auf vorhergehende Prädikation Bezug nimmt - und sie fortsetzt: Im ersten Fall wird die intendierte Handlung („Li uccido") näher beschrieben, im zweiten soll die beabsichtigte Handlung die unerwünschten Folgen einer vorhergehenden Handlung („spiegare") vermeiden. Daraus folgt, daß die Klasse der expliziten Performative des Beabsichtigens nur eine Klasse von Performativen des Beabsichtigens darstellt. Denn diese Art von Prädikation kann z.B. auch durch Handlungsrelationen bzw. -Oppositionen wie hier oben hergestellt werden. Es erweist sich somit einmal mehr (wie bereits bei sollen - vgl. 4.3.1.1.) als nicht sinnvoll, von initialer Verwendung von sollen nur unter Bezug auf die expliziten Performative zu sprechen.
5.3.1.2.2. Erwünschte Sachverhalte Mit ¿overe-Sätzen lassen sich zwar beabsichtigte sowie geforderte Sachverhalte, aber keine erwünschten ausdrücken. Zum Ausdruck erwünschter Sachverhalte stehen vielmehr im Italienischen die beiden folgenden Möglichkeiten zur Verfügung: a.) explizit Performative des Wunsches, also Lexeme des Wortfeldes von „augurare" wie volere, augurar(si), desiderare, chiedere, domandare etc. (mit den entsprechenden nominalen Ausdrücken wie augurio, desiderio, richiesta etc.), b.)der Modus Konjunktiv (speziell in Verbindung mit den optativischen Konjunktionen che, (oh) se, almeno oder magari). Wunschsätze sind demnach (nach unserer Definition - vgl. 4.3.1.2.) ohne weiteres Sätze wie in (136) bis (139): (136)
- [...] vi auguro di campar mill'anni [...]. (Turno 188:5).
(137)
„L'ho fatto una creatura mia, sensibile e morale, puro e grande nelle sue aspirazioni. Il mio solo desiderio è vederlo in alto, sopra gli uomini tranquillo e dominante [...]." (RacNov 1 266:5).
(138)
„[...] che possa buttare il sangue, che possa spendere in purghe tutto ciò che ruba" [...]. (Pietra 40:2).
(139)
„Dev'essere proprio questo, fottutissimi porci! Che la dea dell'amore li vada a trovare quando sono a letto con le loro troie e gli trasformi il battaglio nella più molle lumaca che mai abbia sbavato su una foglia di cavolo!" (Konrad-B 192:1 ).
Die Äußerungen in (140) bis (142) stellen ebenfalls Wunschsätze dar - jedoch einer anderen Art als die hier oben sowie diejenigen, die im Deutschen mit sollen ausgedrückt werden
233 (vgl. 4.3.1.2.). Die Eigentümlichkeit dieser Wunschäußerungen im Vergleich mit den vorhergehenden liegt darin, daß der Wünschende einen seiner Meinung nach im Prinzip erfüllbaren Wunsch äußert, zugleich aber die Aussichtslosigkeit seiner Erfüllung eingestehen muß. Um diese beiden Gruppen von Wunschäußerungen voneinander zu unterscheiden, nenne ich die ersten - von (136) bis (139) - 'neutrale', die folgenden - von (140) bis (142) - 'negative' Wunschsätze: (140)
„[...] oh, se potessi rinascere un'altra volta!..." (Pinocchi 77:1).
(141)
Almeno tacesse - pensava - ma no, deve parlare. (Indiffer 60:13).
(142)
„Io non vedo l'ora di andarmene via di qua. E magari potessi dimenticarvi tutti, dimenticare anche i vostri nomi." (RacNov 1 276:14).
Diese beiden Gruppen von Wunschsätzen unterscheiden sich auch darin, daß die neutralen mit dem Konjunktiv I, die negativen mit dem Konjunktiv II gebildet werden. Auch im Deutschen liegt eine Differenzierung der Ausdrucksmittel vor: Die ersteren werden bevorzugt mit Modalverben (sollen, mögen) oder Konjunktiv I (eher gestelzt oder idiomatisiert), die letzteren mit Konjunktiv II (eingeleitet durch die Konjunktion wenn) und Modalpartikeln (nur etc.) gebildet. Bei den hier oben angeführten Beispielen von Wunschsätzen fällt auf, daß das Modalverb potere eine wichtige Rolle spielt. Gleiches läßt sich selbstverständlich auch für volere belegen, denn wir wissen, daß Wunschsätze Äußerungen von Forderungen sind, die der Wünschende an keinen bestimmten Adressaten richtet und deren Verwicklichung er nicht weiter verfolgt. Volere in Wunschsätzen kommt vornehmlich in syntagmatischer Beziehung mit dem Konjunktiv (und nicht mit dem Indikativ wie potere) sowie in den festen Redewendungen voglia/volesse il cielo che... vor (mit der gleichen Differenzierung wie oben). Beispiele: (143)
Due anni dopo veniva eletto ad Avignone il nuovo papa, Giacomo di Cahors, [...] col nome appunto di Giovanni XXII, e voglia il cielo che mai più alcun pontefice assuma un nome ormai così inviso ai buoni. (Rosa-A 20:4).
(144)
- Volevo dire, cittadino ufficiale, che ci sarebbe il sistema di svegliare i vostri uomini da un letargo ormai pericoloso. - Lo volesse il Cielo, cittadino. (Barone 247:7).
Ob und inwiefern auch der folgende Beleg mit dovere einen Wunschsatz ausdrückt, ist mir nicht vollkommen klar. Er scheint die Merkmale der Wunschsätze zu erfüllen (= eine vom Wünschenden selbst nicht erfüllbare Forderung), trotzdem klingt die Bedeutung einer echten Forderung mit, so als ob der Wünschende eine tatsächlich zu erfüllende Forderung an die (für ihn vielleicht weniger als für uns) supranaturale Macht stellte: (145)
Squallida e pietosa, la folla dimenticava se stessa, per accompagnare la presunta vittima con parole di conforto e indignazione contro un'antica ingiustizia, che ora a tutti trapelava: „Gesù Cristo la deve consolare... quella Mamma del Carmine l'aiutarrà... Dio sopra la piaga mette il sale," [...]. (RacNov 4 1006:1).
Möglicherweise handelt es sich auch hier um eine neue Entwicklung im System des italienischen Modalsystems, wonach Modalverben vor allem auf Kosten des Konjunktivs an Boden gewinnen würden.9 9
Dieses Phänomen bezeichnet SERIANNI (1991) als „erosione del congiuntivo" (1991: 476) oder „morte del congiuntivo" (1991: 555), sieht aber eine Gefahr allein im konkurrierenden Modus Indikativ (1991: 476, 555), die er allerdings fur sehr eingeschränkt hält („Sull'erosione del congiun-
234 Auch Beleg (146) könnte uns auf den ersten Blick zu dem Schluß führen, es handle sich um einen Wunschsatz mit dovere. Er ist es aber nicht. Es handelt sich vielmehr um eine Forderung, die der fordernde Aktant (hier der Gott Apollon höchstpersönlich) an sich selbst stellt und die er kraft seiner göttlichen Macht auch prompt in Erfüllung gehen läßt - somit aber sowohl die erste („S wünscht P" - nicht von sich selbst: dies wäre eine contradictio in adjecto) wie auch die zweite Bedingung („P ist kein von S erfüllbarer Wunsch") der Wunschsätze nicht erfüllt ist: (146)
II re Mida era un grande spendaccione, tutte le sere dava feste e balli, fin che si trovò senza un centesimo. Andò dal mago Apollo, gli raccontò i suoi guai e Apollo gli fece questo incantesimo: - Tutto quello che le tue mani toccano deve diventare oro. (FavolTel 73:2).
Eindeutige Forderungen - und keine Wunschsätze - stellen schließlich die folgenden Belege in (147) bis (149) dar: (147)
Nella scorsa primavera, i giudici del Tribunale di Torino hanno ricevuto lettere anonime con minacce di morte. „Dovete restituire Serena Cruz ai suoi genitori adottivi". (Serena 33:5).
(148)
Anche la tanto celebrata intelligenza dell'uomo non era altro che un vedere e non vedere, un raccontarsi vane storie più fragili d'un sogno: la giustizia, la legge, Dio, l'Inferno... „Maledetta strega! Devi crepare! A morte! Al rogo!" (Chimer-B 292:2).
(149)
Tutti festeggiavano quel giorno di felicità, in cui la bassa si liberava d'una strega che era la causa dei bambini che morivano, e della pioggia che non veniva, e del caldo, e dell'estate che non si decideva a finire... „Maledetta strega! Devi bruciare! A morte! Al rogo!" (Chimer-B 296:4).
Die drei Belege weisen ein und dieselbe prädikative Struktur auf: Aktanten stellen ihre Forderung an einen Adressaten (Staatsorgane), dessen Aufgabe es ist, sie zu erfüllen oder abzuweisen. Die Forderung ist erfüllbar, ihre Erfüllung wird hier verfolgt und miterlebt. Beleg (147) läßt sich aufgrund der eindeutigen Situation ohne weiteres als Forderung ausweisen. Wenn Äußerungen wie in (148) und (149) dennoch in einen Zusammenhang mit Wunschsätzen gebracht werden, dann geschieht dies aufgrund konversationeller Implikaturen, die in der Dramatik der Situation sowie den prosodischen Merkmalen begründet sind.
5.3.1.2.3. Geforderte Sachverhalte Die Prädikationsstruktur von geforderten Sachverhalten ist eine dreistellige: Sie setzt neben dem geforderten Sachverhalt auch einen fordernden Aktanten sowie einen Adressaten der Forderung voraus. In dovere-Sätzen, die geforderte Sachverhalte ausdrücken, steht dovere für Performative des Forderns, in erster Linie für verbale wie volere, desiderare (richiedere, domandare, esigere, ordinare, intimare, comandre, pretendere, sostenere, ritenere etc. und nominale wie volontà, desiderio, richiesta, ordine, comando, intimazione, domanda, petizione, pretesa etc. Die Angabe von explizit performativen Ausdrücken des Forderns, vor allem des no-
tivo ad opera dell'indicativo - generalmente sopravvalutata rispetto all'effettiva portata del fenomeno [·..]") (1991: 476) - von einer Gefahr für den Konjunktiv seitens der Modalverben ist bei ihm, wie aber auch bei den übrigen Autoren, keine Rede.
235 minalen Typs, ist auch in dovere-Sätzen dieser Klasse sehr häufig (zur Erklärung dieses häufigen Vorkommens vgl. 6.3.1.). In ( 1 5 0 ) bis ( 1 5 2 ) korreliert dovere j e w e i l s mit einem verbalen Performativ: (150)
I malumori dello Zatoposki erano violenti e bestiali: chiamato Mr Edouard, il suo restauratore, lo coprì di ingiurie intimandogli di liberare seduta stante la tela da quell'intruglio, domattina non doveva essercene più traccia. Inutile replicare, Mr Edouard si strinse nelle spalle e disse: O.K. (RacNov 2 407:1).
(151)
Eppure sembrava che il Cristianesimo dovesse portare a un riscatto della figura femminile: San Paolo, ad esempio, nella Lettera ai Galati, afferma che non vi deve più essere „né giudeo, né greco, né schiavo, né uomo libero, né donna, né uomo". Invece per le donne continua il silenzio. (LettFemm 45:3).
(152)
E cosi, nell'estate del 1935, il Ministero della cultura popolare incomincia a interessarsi anche ai fumetti. Sono gli anni della campagna etiopica e dell'intervento nella guerra civile spagnola. Anche i fumetti devono riflettere quel clima e le storie devono essere realizzate da autori italiani. (Fumetto 111:4).
In ( 1 5 3 ) bis ( 1 5 5 ) korreliert dovere j e w e i l s mit einem nominalen Performativ: (153)
Tutto ciò ebbe una conseguenza nello scontro di classe: vennero abbassate le richieste dei mezzadri e dei coloni, le quali volevano sostituire ai vecchi contratti agrari un nuovo modo di condurre la terra. Secondo tali richieste, a dirigere la produzione avrebbero dovuto essere i contadini, liberamente associati in cooperative. (Econltal 81:1).
(154)
Lui diceva: consideratevi pure possessori purché, se qualcuno manca di ciò che voi possedete, gliene concediate l'uso, e per obbligo, non per carità. Ma la questione non è se Cristo fosse povero, è se debba essere povera la chiesa. (Rosa-B 349:4).
(155)
Gli esuli tenevano spesso adunanze su una vasta quercia, parlamenti in cui stilavano lettere al Sovrano. Queste lettere in principio dovevano essere sempre d'indignata protesta e di minaccia, quasi degli ultimatum; ma a un certo punto, dall'uno o dall'altro di loro venivano proposte formule più blande, più rispettose, e cosi si finiva in una supplica in cui si prosternavano umilmente ai piedi delle Graziose Maestà implorandone il perdono [...]. (Barone 186:5).
U m eine kontrastive Gegenüberstellung der Bedeutungsfunktionen von dovere und sollen zu ermöglichen, beschreibe ich hier im folgenden die Klasse der dovere-Sätze als Ausdruck von geforderten Sachverhalten in denselben Kategorien, die ich der Beschreibung der entsprechenden sollen-Sätze zugrunde gelegt habe (vgl. 4.3.1.3.). Es lassen sich demnach die folgenden vier Fälle unterscheiden: A.) Sprecher [+fordernder Aktant, - A d r e s s a t der Forderung] In dieser Konstellation ist zu unterscheiden zwischen tatsächlichen und virtuellen Forderungen: Die ersteren sind auf ein reelles Ziel gerichtet, die letzteren stellen dagegen lediglich Ansätze von Forderungen dar. 1 ^Tatsächliche Forderungen Es ist zu unterscheiden, ob der Adressat der Forderung in der aktuellen Redesituation anwesend oder nicht-anwesend ist. Ist er anwesend, so kann ihm die Forderung erstmalig oder zum wiederholten Male gestellt worden sein. Ist er nicht-anwesend, so delegiert der for-
236 dernde Aktant die eigene Forderung an Dritte. Unabhängig davon, ob er anwesend oder nicht-anwesend ist, kann der Sprecher eine von ihm zu einem früheren Zeitpunkt an einen bestimmten Adressaten gestellte Forderung erwähnen. a.) Äußerung einer eigenen Forderung Der Sprecher als der fordernde Aktant fordert den in der Redesituation anwesenden Adressaten der Forderung erstmalig dazu auf, den Gehalt seiner Forderung zu erfüllen. Die Forderung kann initial sein und ist stets aktuell. Beispiele: (156)
„Mi ritolgo i calzoni che mi son messo, e mi metto quelli eguali ai tuoi." Il fratello accese mezzo sigaro, e gli disse: „Sei contento che le parli io per te?" „Che le dici?" „Tu non lo devi sapere. Non te ne deve importare niente. Sei contento che le parli io? Hai paura che me n'innamori?" (RacNov 1 166:14).
(157)
E come si chiama la sua fidanzata? Laura... bel nome... E che età ha? Ah è più vecchia di lei... Però di due anni soltanto, tanto vale dire che avete la stessa età... E cos'è, studentessa? Ah insegna? Questo è bene, molto bene, la donna deve lavorare come l'uomo [...]" (RacNov 3 674:4).
(158)
Io non sostengo che questo sia il modo più utile di leggere il giornale, né che esso debba essere introdotto nelle scuole solo per essere fatto a pezzi. La carta è una cosa seria. La libertà di stampa pure. Ma il gioco non lede il rispetto per la carta stampata, anche se può servire a scoraggiarne il culto. (Fantasia 37:11).
b.) Wiederholung einer eigenen Forderung Der Sprecher als der fordernde Aktant fordert erneut den anwesenden Adressaten der Forderung dazu auf, den Gehalt seiner Forderung zu erfüllen. Die erstmalige Forderung wird in der Regel mittels des Imperativs gestellt. Die Wiederholung der eigenen Forderung kann im Italienischen nicht mit dovere-Sätzen ausgedrückt werden. Es stehen die beiden folgenden Alternativformen zur Verfügung, beide markiert durch das c//re-Syntagma ti/vi ho detto (di), wobei dem Verb dire, wie auch dem Modalverb sollen im Deutschen, die Aufgabe zukommt, den Adressaten der Forderung an das Bestehen der Forderung explizit zu erinnern: 1. Ti (vi) ho detto di + INFINITIV 2. IMPERATIV + ti (vi) ho detto (159)
„Bellissima", rispose scuro il Mancuso. „Tanto meglio", disse la De Cherini. E poi voltandosi verso la figlia: Andiamo, vieni di là un momento, ho da dirti qualche cosa". Con stupore, Silvio osservò che, a queste parole, gli occhi della ragazza i riempirono di apprensione, le sue labbra presero puerilmente a tremare. „Ma o, mamma", supplicò, „ora bisogna che guardiamo il progetto del signor Merighi... quelle cose me le dirai dopo". „Ti ho detto di venir con me", ripetè la madre senza alzare la voce. (RacNov 3 631:1 ).
(160)
E una mattina, all'avvicinarsi di un passeggiero, un autista accese il motore e gli andò incontro con lo sportello aperto. Scuotolantonio, all'impiedi e a cassetta, attaccato alle redini di Cucca, che s'impennò, con la frusta nell'altra mano, gridava: „Salite qua." L'autista accelerò il motore e strombettava per impaurire Cucca. E Scuotolantonio, infuriato: „Salite qua, vi ho detto." (RacNov 4 1142:5).
Folgender Beleg mit dem gleichen ¿//re-Syntagma wie hier oben scheint eine dritte Möglichkeit der Wiederholung eigener Forderungen seitens des Sprechers bereitzustellen - und zwar entgegen der obigen Behauptung mit dem Modalverb dovere + Infinitiv ti (vi) ho detto che + (non) devi (dovete) + INFINITIV:
237 (161)
Bisogna sapere che una congiura di palazzo era stata ordita in quei giorni e ne facevano parte anche gli sbirri. Si trattava d'imprigionare e sopprimere l'attuale mezzo visconte e consegnare il castello e il titolo all'altra metà. Questa però non ne sapeva niente. E la notte, nel fienile dove abitava si svegliò circondata dagli sbirri. - Non abbiate paura, - disse il caposbirro,! - il visconte ci ha mandato a trucidarvi, ma noi, stanchi della sua crudele tirannia, abbiamo deciso di trucidare lui e mettere voi al suo posto. - Che sento mai? E l'avreste già fatto? Dico: il visconte, l'avreste digià trucidato? - No, ma lo faremo senz'altro in mattinata. - Ah, sia ringraziato il cielo! No, non macchiatevi d'altro sangue, che troppo già ne è stato sparso. Che bene potrebbe venire da una signoria che nasce dal delitto? - Fa niente: lo chiudiamo nella torre e possiamo star tranquilli. - Non alzate le mani su di lui né su nessuno, vi scongiuro! Anche a me addolora la prepotenza del visconte: eppure non c'è altro rimedio che dargli il buon esempio, mostrandoglisi gentili e virtuosi. - Allora dobbiamo trucidare voi, signore! - E no! Vi ho detto che non dovete trucidare nessuno. (Visconte 62:3).
Beleg (161) stellt keine Wiederholung einer eigenen Forderung dar, er drückt vielmehr das Erinnern an eine bestehende Verpflichtung aus. Die Bedeutung der Forderungswiederholung ist somit eine sekundäre, abgeleitet von der der bestehenden Verpflichtung, an die die deontische Instanz das (zum Gehorsam) verpflichtete Subjekt erinnert. Diese Deutung findet auch eine Bestätigung darin, daß im Deutschen deontisches nicht-diirfen und nicht pragmatisches sollen als Entsprechung in Frage kommt - im Gegensatz zu (159) und (160), wo pragmatisches sollen die einzig mögliche Entsprechung darstellt. Diese Opposition pragmatisch vs. deontisch erkärt sich nicht nur kontextuell, sondern auch strukturell: Im Kapitel 6 werden wir sehen, daß zwischen den Syntagmen dire di + Infinitiv und dire che + dovere + Infinitiv eine entsprechende komplementäre Distribution besteht. c.) Delegierung einer eigenen Forderung Der Sprecher als der fordernde Aktant delegiert einen in der Redesituation anwesenden Dritten dazu, seine Forderung an den nicht-anwesenden Adressaten zu überbringen. Die Delegierung der eigenen Forderung kann im Italienischen nicht mit dovere-Sätzen ausgedrückt werden. Zur Verfügung stehen die beiden folgenden Konstruktionen mit ^/re-Syntagma: 1. Digli (dille/dì loro) di + INFINITIV 2. Digli (dille/di loro) che + KONJUNKTIV I. Dem Verb dire im Imperativ kommt hier die Aufgabe zu, den im Infinitiv- bzw. im Konjunktivsatz enthaltenen propositionalen Gehalt als Forderung an den in der Redesituation nicht-anwesenden Adressaten zu kennzeichnen: Einer Aufforderung liegt per definitionem eine Forderung zugrunde. Diese Funktion kommt dagegen im Deutschen dem Modalverb sollen (im Indikativ) zu, das sich somit im Bereich des Ausdrucks von Forderungen als wesentlich leistungsfähiger erweist als das italienische Modalverb dovere. Beispiele: (162)
- Comunque ha detto che, se vuoi, invece di dargli i soldi, gli puoi dare un pezzo di Monte Comune. Dice che gli serve l'erba per le vacche. - Va bene, digli di passare domani dal notaio. E tu oggi vallo ad avvisare. E ora lasciami dormire... (Patio 154:2).
(163)
Quando ebbero il loro primo bambino, criticava il modo com'era tenuto, diceva che dovevano fargli fare più bagni di sole, se no diventava rachitico. - Lo faranno diventare rachitico! - urlava a mia madre. Non lo tengono al sole! Digli che lo tengano al sole! [...] (Lessico 86:5).
(164)
Sapete benissimo che il barone mi ha promesso di legarmi nel suo testamento il suo appartamento, che un vero e proprio patto scritto è intercorso tra noi; che sono quindi anni
238 che pubblico, in realtà gratis, tutte le sue opere. Invece di tormentarmi con tutte queste virgole, ditegli quindi che anticipi altri soldi! o che si sbrighi a morire! (Patio 202:1).
Wird dagegen der einschlägige propositionale Gehalt durch das Syntagma „dire (im Imperativ) + che + Indikativ" eingeleitet: digli (dille, Λ loro) che + INDIKATIV,
so liegt mit diremPERATIV zwar wiederum eine Aufforderung vor, der propositionale Gehalt stellt aber keine Forderung mehr an den nicht-anweseneden Adressaten dar. Die aus der Aufforderung resultierende Forderung richtet sich vielmehr an den Angesprochenen, der dazu aufgefordert wird, den Inhalt des indikativischen dire-Satzes an den durch das Pronomen gekennzeichneten Adressaten zu überbringen. Beispiel: (165)
- Volevamo anche ossequiar la signora, - riprese il Salvo. - Ma se non si può... - Non si può! - disse il Coppa, con un tono che non ammetteva replica, guardando fisso negli occhi Mauro. - Andiamo via tutti e sospendiamo l'incomodo. Poi rivolgendosi a Pepè, aggiunse: - Va' dalla signora; dille che avrò l'onore di venire a trovarla qui, domani, in tua compagnia. (Turno 78:10).
Hier liegt ein Bereich vor, der deutlich macht, wie im Italienischen die modalen Kategorien der Modi (Indikativ, Konjunktiv und Imperativ) häufig für das eintreten, was das Deutsche vielfach durch Modalverben - in diesem speziellen Fall mit sollen - zum Ausdruck bringt. Die Imperativformen von dire und die Modi Indikativ und Konjunktiv sind hier komplementär distribuiert im Hinblick auf die Verteilung der Forderung an den in der Redesituation anwesenden oder nicht-anwesenden Adressaten. Schematisch: Tabelle 5.7: Ausdrucksmittel der Forderung im Italienischen
Zusammenspiel von Ausdruck und Funktion bei Forderung Syntaktische Konstruktion Forderung ist gerichtet an d/'reiMPERATiv + PersPron + di + INFINITIV c//reiMPERATiv + PersPron + che + KONJUNKTIV d/reiMPERATiv + PersPron + che + INDIKATIV
nicht-anwesenden Adressaten nicht-anwesenden Adressaten anwesenden Adressaten
Die komplementäre Distribution der Modi Infinitiv, Konjunktiv und Indikativ bezüglich der Kennzeichnung des Adressaten der Forderung wird in den folgenden Belegen, in denen die beiden Konstruktionen in ein und demselben Kontext verwendet werden, besonders deutlich. Vergleiche: (166)
- La Miranda, - raccontava mia madre a mio padre, - ha giocato al Casinò di San Remo. Hanno perso diecimila lire. - Diecimila lire! - tuonava mio padre. - Ma guarda che imbecilli che sono! Digli di non giocare mai più! Digli che glielo proibisco assolutamente! (Lessico 188:3).
(167)
- Mamma, c'è Lino il macellaio col conto! La voce del ragazzo squillò festosa e sorniona nella penombra della stanza. - Digli che ho l'emicrania... E che aspetti novembre quando arriva il ricavato dell'olio di Puglia. (Patio 137:8).
Mit digli di + Infinitiv bzw. digli che + Konjunktiv fordert der Sprecher den Angesprochenen auf, seine Forderung an den nicht-anwesenden Adressaten zu überbringen, somit liegen nun zwei unterschiedliche Forderungen vor; mit digli che + Indikativ wird der Angespro-
239 chene dazu aufgefordert, an einen nicht-anwesenden Dritten eine Nachricht zu überbringen. Es liegt nun eine einzige Forderung vor: die an den Angesprochenen. d.)Erwähnung einer eigenen Forderung Der Sprecher als der fordernde Aktant teilt dem Angesprochenen die Forderung mit, die er zu einem der aktuellen Redesituation vorausgehenden Zeitpunkt an den (anwesenden oder nicht-anwesenden) Adressaten gestellt hat. Die Forderung ist stets nicht-aktuell: (168)
Mentre io mi dedicavo a quest'esame tecnico, David andava avanti da libero turista e guardando per conto suo come gli avevo chiesto·, solo a giro finito avrebbe dovuto dirmi se uno dei quadri, per una ragione qualsiasi, l'avesse insospettito. (Amante 119:2).
( 169)
Pensai che fosse un uomo straordinario, se indovinava tutto, e mi vergognai di non essere alla sua altezza. Perciò dissi, spavalda: „Ci sei cascato". Lui domandò: „Che vuoi dire?" „Non ti sei accorto che ho fatto la commedia". Restò male e io risi dicendo che non doveva prendersela; accade a tutti, una volta, di essere presi in giro. (ItalAmor 62:1).
(170)
Ella dette in un grido soffocato e gutturale, [...] parve poi calmarsi; ma di lì a un attimo dovette sentirsi bagnata e balzò convulsamente a sedere; stava certo per accendere la lampada sul comodino. Ebbene no, non doveva: non doveva perché non doveva, ossia per se medesima e per l'orrore che avrebbe provato al vedersi così. (RacNov 3 716:8).
2.)Virtuelle Forderungen Der Sprecher als der fordernde Aktant stellt eine Forderung an einen in der Redesituation nicht-anwesenden Adressaten: Die Erfüllung der Forderung liegt zwar im Interesse des fordernden Aktanten, dieser rechnet aber nicht damit. Im Italienischen können virtuelle Forderungen nicht mit dovere-Sätzen ausgedrückt werden. Hierfür steht die folgende Konstruktion mit dem Modus Konjunktiv und fakultativem Modalwort zur Verfügung: (che) + KONJUNKTIV I + (Modalwort).
Auch im Italienischen lassen sich parallel zum Deutschen (vgl. 4.3.1.3.) zwei verschiedene Einstellungen zur Nicht-Erfüllungserwartung der Forderung seitens des Sprechers unterscheiden, je nachdem welche Modalwörter im Spiel sind: a.)Die che-faccia-pure-EmsleWung: Der Sprecher stellt sich der Ausführung der Handlung grundsätzlich gleichgültig gegenüber. Als Modalpertikeln kommen hier hauptsächlich in Frage pure, per me (noi), per quanto mi (ci) riguarda, per quel che me (ce) ne importa, per quel che m '/c 'interessa, per quel che me (ce) ne frega (vulgär), per quel che me (ce) ne impippa (familiär) etc. Alternativ kommen Nachsätze des Typs von (pure) con chi vuole, come vuole, dove vuole, quando vuole etc. vor, die ebenfalls die Gleichgültigkeitshaltung des Sprechers der Handlungsausführung gegenüber unterstreichen sollen. Beispiele: (171)
[...] la politica. Sempre la politica nel mezzo. Invece che guardare l'economia. 1 socialisti nel governo. Una di nuovo. Non ce n'hanno più da pensare. La Demo vuole andare coi rossi? Che ci vada: che vada con chi vuole, ma il mio voto, zufola. Noi italiani siamo fatti così. Disfattisti. (RacNov 5 1388:4).
(172)
Dice Pistilli: „II personaggio mi somiglia. Come me, e' uno che vive sui tetti, e che prende la vita non troppo sul serio. Io non capisco i giovani attori di oggi, cosi' drammaticamente tesi alla ricerca del successo". La Masiero e' soddisfatta: „Perfetto il ruolo per me.
240 Il teatro brillante e' il mio pane. Commerciale? Lo dicano pure, a me sembra invece solo noia molta parte del cosiddetto 'teatro di cultura'". (CdS 16.11.1993:48). (173)
Se in dicembre il sole ardisce mostrarsi, un calcio del gigante subito lo scaraventa di nuovo dietro le nubi; ma viene ridente Aprile ed eccolo qua l'imbattibile eroe, d'improvviso odora qualcosa nel vento, sussulta, s'impensierisce, getta il cappuccio, getta gli scarponi e si dà a precipitosa fuga. Più corre e più si consuma; per me crepi: che i gelatai lo afferrino e fino a ottobre lo schiaccino senza pietà in fondo ai loro allegri e turbinosi cilindri di rame. (Narrltal 24:4).
b . ) D i e che-faccia-piuttosto-Einstellung.
Hier tritt der Sprecher für die Ausführung der
Handlung vehement ein und mißbilligt zugleich die aktuelle Haltung des Adressaten der Forderung. Sein Interesse bekundet er mit Modalwörtern wie piuttosto, invece, una buova volta, una volta per tutte, finalmente etc., mit denen er Partei für die entgegengesetzte Haltung des Adressaten ergreift. Beispiele: (174)
„Che dica piuttosto come sono andate davvero le cose!" (Turno 12:3).
(175)
„E comunicate 'in cifra' al clero americano che d'ora in poi invece di casseforti e di dollari si decidano una buona volta a regalarci un santo - uno che è uno! - che finora non ci son riusciti!" (ItalRead 45:9).
(176)
Dicono, dicono, poi magari va a sapere quanto c'è di vero... [...] Che Gavriel si metta a lavorare la terra, la smetta di andare sempre in quella casa a rimirare la Elisabetta, lui lo vede dalla finestra sempre a gironzolare li attorno, che ci può fare quella santa donna della signora Bocca se non cercare di avviarlo a delle sante pratiche, portarlo a visitare quei santuari che tutti stanno dimenticando, non è più come una volta... (Strade 45:2). Daß virtuelle Forderungen zusätzlich mit einer emotionalen Komponente versehen sind, läßt sich leicht nachvollziehen. D i e s e entspringt einmal der uninteressierten, ein andermal der interessierten Haltung des Sprechers der Handlungsausführung gegenüber. B.) Sprecher [+fordernder Aktant, +Adressat der Forderung] In dieser Konstellation ist der Sprecher zugleich fordernder Aktant und Adressat der Forderung. Die Forderungen sind aktuell und (nicht-)initial. Es lassen sich die beiden folgenden Fälle unterscheiden: 1 .)Individuelle Forderungen Der Sprecher stellt eine Forderung entweder nur an sich selbst: (177)
- Al lavoro! al lavoro! Non devo pensare a nulla, fino a tanto che la lite non sarà vinta, fino al giorno in cui Stellina non sarà mia... qui, qui, in questa stessa casa, proprio qui... (Turno 98:3).
2.)Kollektive Forderungen Der Sprecher richtet seine Forderung außer an sich selbst an weitere Adressaten: ( 178)
„Perché scappiamo?". Nella strada era un grande silenzio, poi un cane abbaiò e si udì un fischio lungo di treno. Essa disse: „Perché scappiamo?". Io ero infocato nel volto, e nel cuore, le dissi: „Non dobbiamo tornare a casa, tutti ci odiano, e fanno i loro sporchi mestieri". (RacNov 4 963:2).
241 C.) Sprecher [-fordernder Aktant, +Adressat der Forderung] Der Sprecher ist Adressat der Forderung und berichtet darüber. Die Forderung kann an ihn allein gestellt worden sein - vgl. (179) - oder aber auch an weitere Adressaten - vgl. (180) und (181). Dovere kann dabei initial - vgl. (179) - oder aber in Abhängigkeit von einem Forderungsverb oder einem verbum dicendi (als Stellvertreter des Forderungsverbs) - vgl. (180) bzw. einem nominalen Performativ - vgl. (181) - verwendet werden. Beispiele: (179)
Mi porgeva un libro di Carolina Invernizio, ritagliato dall'appendice di un giornale, con una grossolana rilegatura in cartone. Dovevo leggere, a bassa voce, accostandomi ancor più a lei. (RacNov 4 943:1).
(180)
Si scambiavano informazioni. Si dicevano: „Vuole partire! Vuole andare a Re! E ha mandato a svegliarci nel bel mezzo della notte perché dice che dobbiamo salutarlo o partire con lui: subito subito, in fretta in fretta, lui è fatto cosi! Chissà mai cos'avrà nella testa, quel... sant'uomo!" (Chimer-B 267:3).
(181)
„S1, sì, io c'ero, e nessuno sapeva più cosa si facesse, volevamo anticipare il momento del castigo, eravamo le avanguardie dell'imperatore mandato dal cielo e dal papa santo, dovevamo affrettare il momento della discesa dell'angelo di Filadelfia, e allora tutti avrebbero ricevuto la grazia dello spirito santo e la chiesa sarebbe stata rinnovata, e dopo la distruzione di tutti i perversi solo i perfetti avrebbero regnato!" (Rosa-B 386:5).
Der fordernde Aktant kann ausdrücklich angegeben sein, wie in (182); in der Regel wird er jedoch aus textuellen Gründen verschwiegen und kann ohne weiteres aus dem internen oder dem externen Kontext gewonnen werden: (182)
Cosa è avvenuto? E avvenuto che a forza di sentirmi dire che lo scopo della mia vita era sposarmi e farmi una famiglia, ho strafatto, cioè sono andata al di là dei suggerimenti e degli incitamenti dei miei allevatori, voglio dire dei miei genitori. Dovevo essere, secondo loro, donna e soltanto donna; cioè una persona chiusa nei limiti della propria fisiologia. (Caleidos 78:4).
(183)
Anche Micheline partì. Baciò e abbracciò tutte, un grande enfatico addio al collegio, al tempo che lasciava dietro di sé, alle sue risa, che forse avrebbero fatto germogliare altre risa. [...] Mi raggiunse di corsa, per baciare anche me, ripiegando le sue braccia come ali. E non dovevo dimenticare il suo grande ballo, la più beila e sfarzosa festa d'Europa, e il suo daddy. [...] „C'est promis". „C'est promis" risposi. (Castigo 85:2).
(184)
Così fu. Soltanto che due giorni dopo trovai all'albergo un cablo: il film era annullato. Dovevo tornare in Italia col primo mezzo. E l'aeroporto era chiuso. (RacNov 2 524:10).
In (183) ist der fordernde Aktant dem internen Kontext, in (184) dem externen leicht zu entnehmen. D.) Sprecher [-fordernder Aktant, -Adressat der Forderung] Der Sprecher ist weder fordernder Aktant noch Adressat der Forderung. Sein Anteil an der Äußerung beschränkt sich darauf, die Forderung weiterzugeben oder sie zu erwähnen. Es lassen sich die folgenden drei Fälle unterscheiden: a.) Weitergabe einer fremden Forderung Der Sprecher gibt einem in der Redesituation anwesenden Adressaten die Forderung eines in der Redesituation abwesenden fordernden Aktanten weiter. In dieser Funktion werden
242 Sätze mit dovere in der Regel nicht verwendet. Dafür stehen zwei andere Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung: 1. Die übliche Konstruktion besteht aus einem verbum dicendi + di + Infinitiv (als Verben des Sagens kommen hier außer dire als Archilexem grundsätzlich alle Verben in Frage, die sich für einen Informationsaustausch anbieten - wie z.B. far sapere, comunicare, annunciare, scrivere, telefonare etc.): dire di + INFINITIV. (185)
Non avevo mai visto uomini anziani nudi. Il signor Bergmann portava il cinto erniario, e chiese all'interprete se doveva posarlo, e l'interprete esitò. Ma il tedesco comprese, e parlò seriamente all'interprete indicando qualcuno; abbiamo visto l'interprete trangugiare, e poi ha detto: - Il maresciallo dice di deporre il cinto, e che le sarà dato quello del signor Coen -. (Uomo 24:3).
2. Die zweite Konstruktion besteht aus einem Forderungsverb (zumeist volere, desiderare und chiedere) mit entweder einer Lokalangabe, welche die geforderte Handlung ausdrücken soll - vgl. (186) und (187) - , oder aber einem abhängigen Satz als Infinitiv- oder Konjunktivsatz - j e nachdem , um welches Forderungsverb es sich handelt (vuole che + Konjunktiv, desidera che + Konjunktiv und chiede che + Konjunktiv/ίή + Infinitiv). Von diesen Verbindungen (Forderungsverb + Nebensatz) stellt chiedere + di + Infinitiv einen häufigen Fall d a r - v g l . (188): (186)
L'Evasio si è affacciato alla porta: - La mamma ti vuole in casa, - ha detto alla Piulott. (Strade 223:7).
( 187)
„Signorino! La zia Maddalena lo desidera al telefono, „avvertì Luigia. (RacNov 2 360:3).
( 188)
- Mi dispiace che non ci sia Cosima. Salutamela tu, perché io non so se potrò vederla prima di ripartire. - Ah, ma dovrai assolutamente. Figurati che voleva averti già stasera, strappandoti a me. In cambio ti chiede di partecipare viva o morta alla sua gran cena di dopodomani, in onore di non so più quale presidente. (Amante 47:2).
Im Korpusmaterial findet sich jedoch ein (einziger) Beleg mit dovere als Komponente des folgenden dreiteiligen Syntagmas: dire che + dovereINDIKATIV + INFINITIV (189)
Andiamo in su e in giù senza costrutto, e parliamo, ciascuno parla con tutti gli altri, questo fa molto chiasso. Si apre la porta, entra un tedesco, è il maresciallo di prima; parla breve, l'interprete traduce. - Il maresciallo dice che dovete fare silenzio, perché questa non è una scuola rabbinica - . (Uomo 26:2).
Dovere in dieser Verwendung ist zwar ungewöhnlich, aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Es kann immer dann verwendet werden, wenn die Deutung von dovere als Wiedergabe fremder Forderung nicht mit der deiktischen Funktion von dovere, auf Gründe und Normen zu verweisen, kollidiert - was in dieser Konstellation von Faktoren allerdings leicht ist. Den Beweis führt gleich Beleg (189): Dem dovere-Satz folgt eine scheinbare kausale Erklärung („perché questa non è una scuola rabbinica"). Nur der Hörer, der weiß, daß die Erklärung nur eine scheinbare ist, denn sie ist ironisch gemeint, vesteht den Satz richtig als die vermittelte Forderung des im Satz genannten Aktanten („II maresciallo"). Weiß der Hörer dies nicht, dann schließt er mit hoher Wahrscheinlichkeit, daß mit dem dovere-Satz auf eine entsprechende Norm verwiesen wird - und übersetzt mit müssen, anstatt mit sollen.
243 Auch hier läßt sich vielleicht - wie schon mehrmals - ein neuer Expansionsbereich der Modalverben (nicht nur auf Kosten der Modi) feststellen. Allerdings, wie ich sehe, mit wenig Aussicht auf Erfolg, denn derartige Verwendungen von dovere belasten den Verständnisprozeß des Hörers aufgrund der oben erwähnten leicht möglichen Kollision mit weiteren Funktionen des Modalverbs stark. Noch stärker wirkt die Kollision, wenn dovere initial (d.h. ohne verbum dicendi) verwendet wird: ( 190)
?Dovete fare silenzio, perché questa non è una scuola rabbinica.
In dem Stadium von (190) ist das deutsche Modalverb sollen schon längst angekommen („Du sollst ans Telephon kommen..."): Charakteristisch für die initiale Verwendung ist die Weglassung des fordernden Aktanten. Entsprechende Aussichten für dovere stehen aufgrund der genannten Kollisionspunkte schlecht. Diese lassen sich allein durch die ausdrückliche Angabe des fordernden Aktanten wirksam vermeiden: Die italienische Konstruktion muß hier folglich auf initiales dovere verzichten. b.)Erwähnung einer fremder Forderung Der Sprecher nimmt Bezug auf Forderungen, die von einem in der Redesituation an- oder abwesenden Aktanten an einen ebenfalls an- oder abwesenden Adressaten gestellt wurden. Die Forderung ist stets inaktuell, die Verwendung von dovere kann auch initial sein - vgl. (191) und (192): (191)
II principe, nella deposizione che fece alla polizia, fu reticente, ma escluse che la persona con cui aveva viaggiato potesse essersi resa responsabile di quella perdita. Perciò non doveva essere ricercata. (Caleidos 8:3).
(192)
Ricordarono insieme la cugina Monette che aveva predetto alla Limasa un marito zoppo e ricco [...] e alla Marlatteira un figlio generale. Probabilmente, disse la Marlatteira, la cugina Monette si era sbagliata, il marito zoppo e ricco l'avrebbe sposato lei e la Limasa avrebbe invece avuto il figlio generale. Quel bambino doveva tenerlo e lo Zuavo mandarlo all'inferno. (Strade 173:1).
Da auf bereits vorliegende Forderungen Bezug genommen wird, wird der dovere-Satz in der Regel durch ein verbum dicendi eingeleitet (zumeist dire, es kommen aber auch andere vor wie comunicare, convenire, scrivere etc.): (193)
Un pomeriggio, al ritorno, trovò Gavriel che lo aspettava sul viale e come fu a portata di voce Gavriel cominciò a rimproverar lo, doveva finirla, gli disse, con tutto quel bighellonare mentre loro si rompevano le ossa dalla fatica. (Strade 175:3).
(194)
Tutti convennero che la badessa aveva ragione, e che il cavaliere doveva vegliare sulla incolumità e la virtù delle monache, anche se, per avventura, non si dovesser mai vedere in quelle terre né lincantropi né leprecauni. (Odilia 87:2).
(195)
Mio padre, quell'estate, [...] tenne un lungo carteggio e con Gino in Germania, e con i Lopez e i Terni, e con l'ingegner Olivetti, sempre a proposito di quel matrimonio; e ai Terni, ai Lopez, all'ingegner Olivetti, mio padre scriveva che dovevano dissuadere Gino dallo sposarsi, a venticinque anni e senza ancora una carriera avviata. (Lessico 76:5).
c.) Unausgesprochene Forderungen Im Fall von nur gedanklich formulierten Forderungen (an unbestimmte - vgl. (196) - oder an bestimmte - vgl. (197) - Adressaten), auf die der Sprecher aktuell Bezug nimmt, kann im Italienischen nicht auf das Modalverb dovere zurückgegriffen werden. Dafür steht die
244 optativische Verwendung des Konjunktivs II (congiuntivo imperfetto) mit (weglaßbarer) einleitender Konjunktion che zur Verfügung: (196)
[...] mese dopo mese, stagione dopo stagione, erano ormai trascorsi quattro anni da quando la sentenza contro di lui era stata pronunciata e lui ancora se ne stava là, gli sbirri non erano venuti ad arrestarlo e nessun vero prete s'era presentato per fare il cappellano al posto suo; il vescovo non moriva, non succedeva niente. Sembrava quasi che il tempo si fosse fermato: ma a don Michele andava bene anche cosi. Che lo lasciassero in pace: non chiedeva di meglio! (Chimera 57:1).
(197)
Quando la porta di ferro si fu chiusa dietro le sue spalle lei avanzò a tentoni d'alcuni passi, appoggiandosi al muro; poi, si sedette. Soltanto allora si accorse di non essere sola e si girò contro la parete, perché l'altra prigioniera capisse che non voleva parlare con nessuno, e la lasciasse in pace [...]. (Chimera-B 282:2).
In der Verwendung des Konjunktivs II zeigt sich eine Verwandtschaft mit den negativen Wunschsätzen (vgl. 5.3.1.2.2.). Vergleiche: (198)
Adesso il marito l'aveva raggiunta e le prendeva il braccio mormorando: „Scusami." „Scusami tu," rispose lei con un vivo senso di ipocrisia, voltandosi e scoccandogli un bacio sulla guancia. Intanto pensava: „se ne andasse ... mi lasciasse sola." (ItalAmor 50:1).
In (198) liegt ein negativer Wunschsatz vor, für den auch das Deutsche den Konjunktiv II einsetzt („Wenn er nur fortginge... mich alleine ließe!"). Der Konjunktiv II wird aber im Italienischen nicht nur zum Ausdruck von negativen Wunschsätzen und unausgesprochenen Forderungen verwendet, sondern auch zum Ausdruck tatsächlicher Forderungen. Vergleiche (199) und (200): (199)
Ma i denari! Era un affar serio anche quello! L'avvocato de' provinciali si grattò la pera sessantaduenne, o per dir meglio il cece: chiamò Eròte, il suo servo-amministratore, specializzatosi nel tenergli in ordine la contabilità: che venisse subito, che piantasse 11 ogni altro mestiere. (RacNov 2 348:3).
(200)
Ora tale chiesa esiste, e l'anno dopo la decollazione le due casse furono murate sotto il suo aitar maggiore. Dieci anni dopo, ho sentito dire, su quella tomba fu apposta una targa di marmo con una scritta denotante rispetto e pietà: ma Carlo ordinò che venisse rimossa e frantumata. (Konrad-B 308:1).
In (199) und (200) handelt es sich um zwei Forderungssätze, bei denen alternativ auch das Modalverb dovere hätte stehen können. Im Deutschen ist hier dagegen der Konjunktiv II nicht möglich, es muß das Modalverb sollen stehen.
5.3.2. Der deontische Modalitätstyp Wir haben die deontische Leistung von müssen- und sollen-Sätzen dadurch charakterisiert, daß die ersteren Verweise auf Normen, die letzteren degegen Appelle an Normen sind (vgl. 4.3.2.). Die Normen der ersten Art sind Einheiten von kodifizierten Systemen, die das kollektive pragmatische Handeln von Menschen regeln. Die Normen der zweiten Art sind dagegen solche, die den ersteren zugrunde liegen: Sie beruhen auf den Grundsätzen, die menschliches Zusammenleben erst möglich machen. Die Normen der ersten Art bedürfen keines gesellschaftlichen Konsenses, sie werden mitunter von der Norminstanz ohne die gesellschaftliche Akzeptanz der Normsubjekte bestimmt. Die Normen der zweiten Art bedür-
245 fen dagegen grundsätzlich der allgemeinen Akzeptanz der Normsubjekte: Denn erst ihr kollektives Einvernehmen läßt sie zu Norminstanzen werden. Mit cfovere-Sätzen lassen sich Normen des ersten Typs, nicht aber Nonnen des zweiten Typs ausdrücken. Deontische dovere-Sätze leisten somit immer einen Verweis auf bestehende Normen, sie drücken nie einen Appell an Normen aus. Daß Normen des ersten Typs geschlossene Systeme bilden und wie sie aussehen können, zeigt der folgende Beleg, der ein abstraktes Modell normativen Verhaltens darstellt: (201)
II Manuale di robotica del 2085 A.D. di Asimov recita le tre leggi fondamentali, i comandamenti del robot: „1. Un robot non può fare del male a un essere umano, o permettere, per incuria, che a un essere umano venga fatto del male. 2. Un robot deve obbedire agli ordini di un essere umano, eccetto nel caso in cui questi ordini constrastino con la prima legge. Un robot deve difendere la propria esistenza a meno che tale difesa non contrasti con la prima e la seconda legge" (Fumetto 95:4).
Ich illustriere im folgenden die Funktionen deontischer Sätze mit dovere mittels der Angabe einiger Klassen von Norm-Verweisen, die sie zum Ausdruck bringen (häufig steht die dovere- Form in Relation zu einem deontisch-performativen Ausdruck): a.) Gesetze, die die Grundrechte des Menschen sichern: (202)
Art. 1. Tutti gli esseri umani nascono liberi ed eguali in dignità e diritti. Essi sono dotati di ragione e di coscienza e devono agire gli uni verso gli altri in spirito di fratellanza. (HumRight 1:1).
(203)
Art. 26. 1. Ogni individuo ha diritto all'istruzione. L'istruzione deve essere gratuita almeno per quanto riguarda le classi elementari e fondamentali. L'istruzione elementare deve essere obbligatoria. L'istruzione tecnica e professionale deve essere messa alla portata di tutti e l'istruzione superiore deve essere egualmente accessibile a tutti sulla base del merito. (HumRight 25:2).
b.)Gesetze zur Regelung einzelner Handlungen: (204)
La legge 184 sulle adozioni, del 4 maggio 1983, dice: „Chiunque, non essendo parente entro il quarto grado, accoglie stabilmente nella propria abitazione un minore, qualora l'accoglienza si protragga per un periodo superiore a sei mesi, deve, trascorso tale periodo, darne segnalazione al giudice tutelare, che trasmette gli atti al Tribunale dei Minorenni con relazione informativa. (Serena 10:1).
(205)
Verso la metà degli anni trenta, visto il successo dei romanzi polizieschi, il Ministero della cultura popolare decretò alcune norme alle quali autori ed editori dovevano rigidamente attenersi: l'assassino non doveva assolutamente essere italiano e non poteva sfuggire in alcun modo alla giustizia. (Fumetto 60:1 ).
(206)
„Ho udito persone che ridevano su cose risibili e ho ricordato loro uno dei principi della nostra regola. E come dice il salmista, se il monaco si deve astenere dai discorsi buoni per il voto di silenzio, a quanto maggior ragione deve sottrarsi ai discorsi cattivi. (Rosa-A 87:2).
c.) Bräuche, Sitten, Konventionen: (207)
Un giorno Joan si mise a lavorare e sposò una ragazza, quasi una fanciullina. Andarono a vivere in una stanza in cima a una scala di pietra fuori del patio. Dida condusse Nuria a vedere la sposa alla sua casa. Ma non si poteva salire. Da sotto la chiamò: - Estel! Estel! La sposa usci sul terrazzino in pantofoline e vestaglia. Per una settimana non doveva uscire di casa né ricevere visite né vestirsi; doveva sempre stare chiusa in casa e in vestaglia. (Patio 42:2).
246 (208)
Ma Malachia, come bibliotecario, per tradizione, aveva dovuto eleggere l'Abate come suo confessore, mentre tutti gli altri si confessano da Jorge [...]. (Rosa-B 423:1).
(209)
La donna lo stava guardando [ . . . ] . - Qualcosa che non va? - lui chiese. - Ma non si stanca mai di leggere? - disse la donna. - Non si può dire che lei sia un tipo di compagnia! Non sa che con le signore si deve fare conversazione? - (ItalRacc 226:2).
d.) Spielregeln: (210)
La corsa [...] è brevissima. I cavalli [...] devono percorrere tre soli giri di pista, e lo fanno in un centinaio di secondi. Ma quel minuto e mezzo, atteso, preparato, immaginato, sognato per un anno intero da un'intera città, e intollerabilmente represso dall'ultima, sapiente, torturante dilazione del corteo storico, esplode infine con un furore liberatorio che non ha eguali in nessun'altra competizione del mondo. (Palio 29:3).
Zum Ausdruck der Norm-Appelle, also der Modalität, die im Deutschen mit so//en-Sätzen ausgedrückt wird, greift das Italienische auf verschiedene Mittel zurück, in erster Linie auf die drei folgenden - aber niemals auf dovere: 1. Futur I 2. Imperativ 3. si + Indikativ. Das Futur fungiert immer noch in vielen Sprachen als Jussiv (vgl. DÖHMANN 1974b: 67). Funktional erklärt es sich daraus, daß Aufforderungen per defmitionem auf die Zukunft gerichtet sind. Im Italienischen ist es in dieser Funktion nicht mehr produktiv.10 Es lassen sich dafür nur Belege älteren Datums anführen, die entweder einen entschiedenen Befehl - vgl. (211) und (212) - oder aber einen kategorischen Imperativ - (213) - ausdrücken: (211)
„Me lo direte, me l'avete a dire!" (Sposi VIII, 7).
(212)
„Ci andrai tu, Nina mia: metti dunque lo scialle e avverti Annarosa." (Incendio 20:5).
(213)
Non avrai altro Dio all'infiiori di me!
Die Formen des Imperativs als Ausdruck deontischer Normen sind im heutigen Italienisch weitaus lebendiger als die des Futurs und werden vor allem dazu benutzt, die ethischen Gundnormen auszudrücken, wie sie etwa in den zehn Geboten der christlichen Moral zusammengefaßt sind - vgl. (214) bis (216); (217) stellt eine inoffizielle Erweiterung der christlichen Gebote dar: (214)
Non uccidere!
(215)
Onora il padre e la madre!
(216)
Ama il prossimo tuo come te stesso!
(217)
„Benvenuta, Antonia!" - „Vivi in pace con gli abitanti di Zardino, e che loro vivano in pace insieme a te! Rispetta e onora questi tuoi affidatari come se fossero i tuoi genitori naturali, mandati a te per volontà di Dio! Adora Dio e ubbidisci ai suoi comandamenti. Sii felice!" (Chimera 49:1 ).
Die indikativischen Formen mit dem Morphem si stellen das normative Ausdrucksmittel des modernen Italienischen schlechthin dar. Die s/'-Formen werden bevorzugt eingesetzt, wenn der damit verbundene Appell nicht einer spezifischen Norminstanz, wie bei den christlichen 10
Zu den Funktionen des Futurs vgl. BERTINETTO(1986: 483ff.).
247 Geboten, sondern einer unspezifischen sowie allgemeingültigen Instanz entspringt - was sich eben in der Verwendung des Morphems si widerspiegelt.11 Appelle an Normen mit siFormen werden zumeist als Korrekturakte von Fehlverhalten geäußert - deshalb in der Regel als Verbote mit dem Syntagma «ow+s/'+Verb: (218)
Non si fa la spia!
(219)
Non si maltrattano gli animali!
(220)
Non si giudicano le persone dalle apparenze!
Beleg (221) stellt keinen Widerspruch zu der These dar, dovere werde in Norm-Appellen nicht verwendet: (221 )
- „Per Dio," fece la bimba, „domani le devo vincere tutte." - „Franca," la rimproverò la mamma. - „Cosa?" - „Non si dice: per Dio." - „E come, allora?" - „In nessuna maniera. Dio non si deve nominare." (RacNov 4 1053:9).
Der Norm-Appell erfolgt in (221) mittels der jf-Form („Non si dice"), der darauffolgende dovere-Satz bringt hingegen einen Verweis auf eine bereits kodifizierte und deshalb zu beachtende Norm zum Ausdruck.
5.3.3. Der dynamische Modalitätstyp Dovere-Sätze - parallel zu müssen-Sätze (vgl. 3.3.3.) - können auch den dynamischen Modalitätstyp ausdrücken. Dynamische Modalverbsätze mit dovere sind solche, die Vorgänge, denen nicht-intentionale Handlungen zugrunde liegen, oder Ereignisse, insbesondere Naturereignisse, prädizieren. Mit dem Modalverb dovere wird auf die Ursachen dieser Vorgänge und Ereignisse Bezug genommen und damit eine propositionale Einstellung des Wollens ausgedrückt. Auch im Italienischen läßt sich die Anwendung von dovere in mehreren Typen von Reflex-Handlungen sowie von (Natur-)Ereignissen belegen. Es lassen sich zwar die gleichen Klassen wie im Deutschen unterscheiden (nach den Verben, die im Infinitivkomplement von dovere erscheinen), es fällt jedoch auf, daß im Italienischen starke Einschränkungen bei der Bildung entsprechender dovere-Sätze bestehen, für die allerdings zahlreiche Alternativformen zur Verfügung stehen. A.) Reflex-Handlungen a.) Verben, die vegetative Körperreaktionen ausdrücken (wie ridere, sorridere, tossire, vomitare, piangere, gridare etc.) - Es sind nur einige Verben zugelassen, darunter sorridere (nicht ridere), tossire und arrossire:
11
(222)
„Prima vi ho vista piangere. Vi succede qualcosa?" Allora Sandra dovette sorridere e fece una smorfia, e finì per dire: „Sono una stupida". (RacNov 3 726:2).
(223)
Mi si fermò davanti, lasciando cader la mano che mi aveva ghermito. Pensavo che intendesse punirmi e gli scoccai un sorrisino sghembo, aprendo le braccia come chi dice: „Ho
Zu den Anwendungen des SJ'-Morphems im Italienischen vgl. WEHR (1995). Die deontische Funktion dieser Formen berücksichtigt die Autorin allerdings nicht.
248 sbagliato? Son qui". Ma improvvisamente mi tirò sul suo petto e mi batté così forte sulla schiena che dovetti tossire. (Konrad-A 112:2). (224)
S'incrociavano i saluti e i motti, più d'una ragazza di fuori doveva arrossire e stringersi nelle spalle se si scontrava [...] con un mozzo di stalla sui diciassette [...]. (Pietra 87:1).
Als Alternativformen zum dovere + Infinitiv-Syntagma bieten sich hier mehrere feste Syntagmen, in erster Linie die folgenden: 1. venire da + Infinitiv 2. scappare da + Infinitiv 3. venire voglia di + Infinitiv 4. mettersi a + Infinitiv 5. prendere a + Infinitiv etc. Jedes dieser fünf Ausdrucksmittel ist unterschiedlich konnotiert, sie haben aber alle das Denotat „nicht-intentional (ausgeführte Handlung)" gemeinsam. Unter den Verben, die als Infinitiv erscheinen, bestehen wiederum Unterschiede in der Kombinierbarkeit mit den verschiedenen Syntagmen: sorridere erweist sich dabei als sehr flexibel, für andere Verben wie tossire bestehen wiederum Restriktionen (*mi venne voglia di tossire), schließlich sind weitere Verben wie arrossire mit keinem der drei Syntagmen verträglich und nur als Infinitivform von dovere möglich): (225)
CIRCE [...] Appena capii tutto - lui aveva fatto un balzo e messo mano alla spada - mi venne da sorridere - tanta fu la contentezza e insieme la delusione. (Dialoghi 113:2).
(226)
Allora si alzò e cercò lo sbocco del vicolo e cominciò a salire, con un passo che le parve inverosimile tant'era sciolto e vigoroso. Le scappò da sorridere. (RacNov 3 730:2).
(227)
I marinai mangiano a prua quasi in silenzio e c'è letizia; la sera fresca, il vento leggero accarezza i volti, viene voglia di sorridere [...]. (RacNov 3 791:2).
(228)
La signora, raggiunta da una boccata di fumo del marito, si mise a tossire con una salvietta davanti agli occhi. (RacNov 2 565:6).
(229)
Quando si fu convinto che, intorno, di disturbatori ormai non ne sarebbero più passati e che la donna aspettava sì, ma non una persona precisa, s'alzò e prese a tossire. Allora la barbona si voltò e sorridendo gli disse: „Cercavi di me?" (RacNov 5 1253:3).
b.)Verben, die speziell die Reflexe der Sinnesorgane betreffen (wie vedere, sentire, provare {dolore, sensazione, ripugnanza etc.) etc.) - Belegt ist im Korpus nur sentire, vedere ist jedoch möglich („Cosa devono vedere i miei occhi?"), provare z.T. möglich („Quella sera dovetti provare di nuovo una grande delusione"), z.T. ausgeschlossen („Provai una sensazione di sollievo/ripugnanza" aber nicht ""'Dovetti provare una sensazione di..."): (230)
- Taglia sempre tutto in due, - disse il babbo, - ma quel che lo scoiattolo ha di più bello, la coda, lo rispetta... - Questo messaggio forse vuol dire, - fece la mamma, - che quanto tu hai di buono e di bello lui lo rispetterà... Pamela si mise le mani nei capelli. - Cosa devo sentire da voi, padre e madre! Qui c'è qualcosa sotto: il visconte v'ha parlato... - Parlato no, - disse il babbo, - ma ci ha fatto dire che vuol venirci a trovare e che s'interesserà delle nostre miserie. - Padre, se viene a parlarti scoperchia gli alveari e mandagli incontro le api. (Visconte 41:12).
c.) Verben der zerebralen Sphäre (wie pensare (a qualcuno/qualcosa), immaginar (si), ricordar(si), meravigliarsi etc.) - Dovere ist hier wiederum stark eingeschränkt: Es ist bedingt möglich mit ricordar(si), immaginarci'·) und meravigliarsi, mit pensare scheint es
249 ausgeschlossen zu sein (*dovetti pensare weiter unten): (231)
a wird zu qualcosa mi fece fensare
a - vgl.
„So tutto di te, sei come l'aria che respiro. Ti conosco come un libro stampato" risposi. „Oh, grullo" essa disse, e v'era un tono nella sua voce, di affetto e di sconforto insieme, che dovevo poi ricordare. (ItalAmor 76:2).
Als alternative Ausdrucksmittel stehen hier zur Verfügung u.a.: 1 ,fare+ Infinitiv 2. far tornare in mente 3. venire in mente etc. Beispiele: (232)
Al di là delle casette dalle terrazze fiorite, il tramonto grondava di lave incandescenti. Le sabbie s'infocarono. Poi, lentamente, al soffiar della brezza notturna, le fiamme e le porpore s'abbassarono. Il paesaggio si vellutò d'ametista, e il sole, morendo, gocciò in ori liquefatti e saporosi che mi fecero pensare a un'amia grondante di miele. (RacNov 1 92:5).
(233)
Gli vengono le vertigini a quella parola, che gli fa tornare in mente le sue fidanzate di gioventù, e allora gli arriva un capogiro col vortice. (RacNov 5 1458:5).
(234)
„Devo ammettere" concluse l'impiegato sorridendo „che le sue foto, ma ancora di più la sua insistenza, mi hanno fatto ricordare una bella pagina della mia infanzia che avevo completamente dimenticato. Ecco." (RacNov 5 1295:1).
B.)
(Natur-)Ereignisse
(Natur-)Ereignissen lassen sich mit c/overe-Sätzen nahezu uneingeschränkt ausdrücken. Einschränkungen, wie sie beim Ausdruck der Reflex-Handlungen bestehen, liegen hier nicht vor - jedoch mit einer Ausnahme. Diese betrifft die Gruppe von Sätzen, die das 'NichtUnterlassen-Können' einer Handlung bezeichnen. Zum Ausdruck dieser Bedeutung muß auf Alternativformen zurückgegriffen werden. Ich unterscheide hier - wie auch bei den mtoew-Sätzen im Deutschen - die folgenden vier Gruppen (nach dem Kriterien (a) der Typen von Ereignissen, (b) der syntaktischen Konstruktion sowie (c) der speziellen Konnotationen): a.)Eine erste Gruppe bilden dovere-Sätze, die allgemeine Ereignisse des Alltagslebens bezeichnen, die auf rein natürliche Ursachen zurückzuführen sind - und die modale Instanz darstellen, auf die mit dovere verwiesen wird. Als Verben im Infinitivkomplement können hier alle ereignisbezeichnenden Ausdrücke vorkommen, in erster Linie accadere, succedere, capitare bzw. nascere und morire: (235)
Se gli domandi delle sue sventure, egli ti agghiaccia col racconto freddo e conciso, che tra un colpo e l'altro del suo martello te ne fa come di cose che debbano necessariamente accadere. La sua figliola maritata partorì alla macchia dov'era andata a far legna, e fu trovata morta lei e la creatura; il genero, che pareva tanto un buon giovane, scappò con una donnaccia e finì per le prigioni dopo avergli lasciato un nipotino che era la sua consolazione. Ma anche quello il Signore lo volle per sé [...]. (ItalReal 112:3).
(236)
Beato Cucca, non sapeva nulla di nulla. Egli non si capacitava del perché era dovuto nascere proprio al tempo dei taxi. Che ci voleva a farlo nascere al posto del padre o del nonno; palafreniere del Re, e il nonno e il padre, uomini tremendi, che avrebbero vinto tutti anche adesso, al posto suo? (RacNov 4 1144:4).
250 (237)
Fece una pausa fissando il suolo con il capo chino, poi aggiunse: - Forse solo nel momento che cade, ferito a morte, uno pensa. Ho soccorso una volta un amico morente, trascinandolo fuori dal campo di battaglia, e mi sono sorpreso sentendo che parlava delle persone amate, di ciò che doveva lasciare. Era disperato di dover morire. E le sue ultime parole furono: „Cerca di non morire, salvati, fuggi fin che sei in tempo". (Odilia 55:1).
b.)Eine besondere Gruppe von Prädikationen stellen Movere-Vergleichssätze mit den drei folgenden Syntagmen dar: 1. sembrava che + dovere (im Konjunktiv II) 2. quasi + dovere (im Konjunktiv II) 3. come + dovere (im Konjunktiv II). Es werden tatsächlich mögliche oder nur imaginäre Folgen von Naturereignissen, von Eigenschaften oder von Reflexhandlungen beschrieben. Die letzteren stellen die jeweilige modale Instanz dar: (238)
Sibilava urlava schiantava il vento; la goretta tremava cigolava, le sue costole scricchiolavano, sembrava che da un momento all'altro una raffica più impetuosa la dovesse sollevare da terra. (RacNov 1 246:3).
(239)
Sacramentava in dialetto, in francese, e si diceva pronto ad ammazzare Gavriel. Dava calci alla sedia, ai cocci della brocca in terra, al cane che ora guaiva sotto la tavola. Gavriel ne guardava ipnotizzato il collo gonfio quasi dovesse scoppiare, le mani grandi e pallide che tremavano dal desiderio di spezzargli le ossa. (Strade 47:1).
(240)
Appiccarono il fuoco. E frate Michele, che già aveva intonato il Credo, intonò dopo il Te Deum. Ne cantò forse otto versi, poi si piegò come dovesse starnutire, e cadde per terra, perché si erano arsi i legami. Ed era già morto, perché prima che il corpo bruci del tutto già si muore per il gran calore che fa scoppiare il cuore e il fumo che invade il petto. (Rosa-A 242:3).
c.)Eine Gruppe dynamischer dovere-Sätze bezeichnet das Eintreten von Ereignissen als die unvermeidbare Folge eines (negativen) Schicksals, das die modale Instanz darstellt. Sätze dieser Art weisen die besondere Konnotation der „Schicksalsbestimmung" auf: (241)
MENDICANTE Non capisco. Ringrazia che sei stato signore e hai mangiato, hai bevuto, hai dormito dentro un letto. Chi è morto sta peggio. EDIPO Non è questo, ti dico. Mi duole di prima, di quando non ero ancora nulla e avrei potuto essere un uomo come gli altri. E invece no, c'era il destino. Dovevo andare e capitare proprio a Tebe. Dovevo uccidere quel vecchio. Generare quei figli. Val la pena di fare una cosa ch'era già come fatta quando ancora non c'eri? MENDICANTE Vale la pena, Edipo. A noi tocca e ci basta. Lascia il resto agli dèi. (Dialoghi 65:6).
(242)
Me disgraziata, si lagna la lavandaia, con tante belle pitture di Madonne e Santi in gloria che si vedono per Napoli, vere immagini di paradiso, allegre come mazzi di fiori, proprio a me doveva capitare questo San Pietro traditore che già gli balena in faccia il fulmine del Giudizio Universale, né si può capire perché il Signore gli abbia perdonato [...]. (RacNov 2 388:2).
(243)
PATROCLO Avresti poveri ricordi, Achille. Saresti un ragazzo. Meglio soffrire che non essere esistito. ACHILLE Ma chi ti dice che la vita fosse questa?... Oh Patroclo, è questa. Dovevamo vedere il peggio. (Dialoghi 61:12).
d.)Die dynamische Bedeutung des 'Nicht-Unterlassen-Könnens' einer bestimmten Handlung kann nicht mit dovere-Sätzen ausgedrückt werden. Dafür stehen jedoch im Italienischen mehrere Alternativausdrücke zur Verfügung - alle gekennzeichnet durch die Nega-
251 tion des Modalverbs potere. Dies erklärt sich daraus, daß dynamisches dovere nichts anderes bedeutet als „non potere non" (genauso wie dynamischem müssen „nicht können nicht" entspricht). Vergleiche: (244)
E fu un fatto che doveva accadere, che non poteva non accadere. (Candido 63:2).
Als Ausdrucksmittel stehen in erster Linie die folgenden Syntagmen zur Verfügung: 1. non poter far a meno di + Infinitiv 2. non poter non + Infinitiv 3. non poter/saper resistere/sottrarsi alla tentazione di + Infinitiv.
Beispiele: (245)
Però non poteva fare a meno di ridere, pensando alle parole di Livio. (RacNov 1 164:1).
(246)
La nonna siede di fronte a me all'altro capo del tavolo. Siamo molto lontane ma non può non vedermi. Cosi continua a parlarmi. (Patio 188:3).
(247)
Mentre il taxi s'inoltra a tutta velocità in una polverulenta periferia, tu non puoi resistere alla tentazione d'aprire il libro per verificare se Corinna ha detto il vero. (Notte 213:2).
In all den drei hier oben beschriebenen Fällen stellt die Unfähigkeit des Aktanten, sich der zwanghaften Ausführung einer bestimmten Handlung zu entziehen, die modale Instanz der wider Willen zustande gekommenen Handlung dar.
5.3.4. Der objektiv-epistemische Modalitätstyp In 5.2.1. haben wir dovere als subjektiv-epistemisches Ausdrucksmittel ausgewiesen und dabei deutlich gemacht, daß zur Erzeugung dieser Bedeutungsfunktion in der Regel bestimmte subjektiv-epistemisch wirkende Performative notwendig sind. Aufgrund seiner konstitutiven Verweisfunktion auf Gründe für die Behauptung von Sachverhalten bedarf dovere dagegen (genauso wie müssen im Deutschen) keiner explizit performativen Indikatoren zur Erzeugung objektiv-epistemischer Sätze. Voraussetzung dafür ist, daß keine gegenteiligen Angaben im inneren oder äußeren Kontext vorkommen. Sind keine solchen Angaben vorhanden, so liegt der Fall der „Evidenz der Tatsachen" vor. Diese Evidenz ergibt sich aus der Zusammensetzung der einschlägigen Faktoren, auf die dovere konstitutiv hinweist. Während also in subjektiv-epistemischer Modalität die sprechereigene Perspektive maßgebend ist, sind es hier die vorliegenden evidenten Gründe, die den Behauptenden zu ganz bestimmten Schlußfolgerungen logisch zwingen. Vergleiche die beiden folgenden Beispiele: (248)
Una bella casa quieta, le finestre danno su piazza Navona. Uno studio dove convivono il lampadario stile Liberty e le poltrone di cuoio dell'ultimo design, il tavolo che potrebbe essere uscito dalla sala nautica di un vecchio veliero e le fredde librerie bianche da rivista di arredamento. Il padrone di casa, si direbbe, deve essere un tipo tranquillo, uno di quei tipi che sono disposti a tutto pur di non avere fastidi. (ItalRead 97:1).
(249)
Dall'obiettivo, grosso come una bocca di cannone, pendeva fin quasi a terra un piccolo tubo di gomma rossa che terminava in una pompetta. Sulla parete di fronte alla finestra accecata c'era un ingrandimento in lavorazione, fissato a una tavola. Doveva essere un uomo di campagna, ritratto molti anni prima, quando usavano i baffi a manubrio, il cappello alla calabrese e il colletto con le punte rovesciate. (RacNov 4 880:2).
252 In den Fällen, in denen die Evidenz der Tatsachen nicht ausreicht, die Behauptung des Sachverhalts aureichend zu begründen oder aber immer dann, wenn der Behauptende die vorliegende Evidenz vermittels weiterer Informationen stützen will, muß auf explizit objektiv-epistemische Ausdrucksmittel zurückgegriffen werden. Auch hier lassen sich verschiedene Klassen unterscheiden - vor allem nach dem Kriterium der Behauptungskraft der einzelnen Ausdrucksmittel. Als wichtige Indikatoren objektiv-epistemischer Modalität in Movere-Sätzen lassen sich die beiden folgenden Klassen von Ausdrucksmitteln ausweisen: a.) Performative Verben (wie dedurre, derivare, concludere, giudicare, capire, rendersi conto, accorgersi etc.) sowie Nomina (wie deduzione, conclusione, ragione etc.) und Konjunktionen (wie pertanto, perciò, quindi, di conseguenza etc.) des logischen Schlusses. Mit diesen Ausdrucksmitteln stellt sich der Behauptende zum Sachverhalt und zieht aufgrund einschlägiger Überlegungen einen logisch begründeten Schluß. Beispiele: (250)
- Tra i suoi erratici mestieri infatti [...] non dev'essere mancato quello del mercenario, del soldato di ventura. - E da che cosa lo deducei - Dal fatto che il Silvera, a pagina 127, dice di saper fare una quantità di piccoli lavori domestici - come rammendare calzini, ricucire bottoni, perfino rattoppare scarpe - tipici del soldato e in particolare del mercenario. (Amante 208:5).
(251)
Guardandoci intomo rilevammo quello che ormai era evidente anche dalla mappa: per ragioni di logica oltre che di rigorosa simmetria, quel torrione doveva avere la sua stanza eptagonale, ma essa non c'era. (Rosa-B 321:1).
(252)
Jorge osservava che non è lecito ornare di immagini ridicole i libri che contengono la verità. E Venanzio osservò che lo stesso Aristotele aveva parlato delle arguzie e dei giochi di parole, come strumenti per scoprire meglio la verità, e che pertanto il riso non doveva essere cosa cattiva se poteva farsi veicolo di verità. (Rosa-A 119:3).
b.)Explizit performative kausale Erklärungen - und zwar entweder uneingeleitet (in Form von koordinierten Sätzen oder von Satzgliedern) oder aber eingeleitet durch kausale (perché, poiché, giacché etc.), adversative (altrimenti, se no, in caso contrario etc.), temporale (dopo, in seguito a etc.), deklarative (tanto è vero che) Konjunktionen, ferner aber auch in gerw«J/o-Konstruktionen mit kausaler Bedeutung. Beispiele: (253)
[...] di certe rondini che avevano nidificato un palmo più su della finestra, al riparo del cornicione, lo insospettirono. Balzò allora a sedere sul letto stropicciandosi gli occhi umidi: la stanza era piena della luce mite e indiretta del tramonto, aveva dormito cinque ore; e l'Amelia non era venuta. „Deve proprio essere avvenuto qualcosa di grave", pensò. (RacNov 3 664:3).
(254)
Arrivò fino allo stradone per Giarole. Da Braida dove si ballava qualcuno la vide, con il velo bianco e la veste, e pensò si fosse perduta. Lei si fermò all'ombra di un gelso, tutta quella camminata vestita com 'era doveva averla stancata, il sudore le faceva odorare addosso gonne e sottogonne, corsetti, gorgiere. Non aveva neanche vent'anni e si appoggiò con la schiena al tronco del gelso e li rimase a lungo a guardare quelli che ballavano. (Strade 84:3).
(255)
Lo Zanzìa fii ammazzato la notte del 7 febbraio del 1863 . Mori soffocato nel fango giù alla Pontisella e nessuno nelle case li intorno dichiarò di aver visto o sentito nulla. Eppure di fracasso dovevano averne fatto tanto perché il parapetto del ponte si era schiantato e dappertutto c'erano sangue e indumenti strappati. (Strade 189:2).
(256)
„La biblioteca doveva pur avere un sistema di areazione," disse Guglielmo, „altrimenti l'atmosfera sarebbe irrespirabile, specie d'estate." (Rosa-A 181:1).
253 (257)
I villani ascoltavano, stupefatti e increduli. Qualcuno anche diceva a don Teresio che si sedesse, che bevesse qualcosa di corroborante: doveva essere stanco, dopo tutta quella pioggia e quelle notti trascorse dormendo sulla pietra, e dopo aver percorso a piedi tutta quella strada, nel fango! Forse anche era digiuno... Gli chiedevano: „Volete mangiare qualcosa? Avete già mangiato?" (Chimera 116:1 ).
(258)
„Li per lì protestò con disprezzo, giurò che avrebbe sposato Merighi, povero com'era, a tutti i costi, era così urtante nella sua esaltazione che finalmente mi seccai e la mandai via. Ma durante la notte deve averci pensato. Tanto è vero che stamani viene a sedersi sul mio letto e mi domanda se tu sapessi della sua decisione. Appena le risposi che non te ne avevo parlato, dalla gioia mi buttò le braccia al collo: aveva cambiato idea ancora una volta." (RacNov 3 668:1).
(259)
Leone fu arrestato in una tipografia clandestina. Avevamo quell'appartamen-to nei pressi di piazza Bologna; ed ero sola in casa con i miei bambini, e aspettavo, e le ore passavano; e capii cosi a poco a poco, non vedendolo ritornare, che dovevano averlo arrestato. (Lessico 174:3).
Daß den angeführten Gründen für die Behauptung des Sachverhalts in objektiv-epistemischen Überlegungen ein hoher Grad an Sicherheit zukommt, ist (260) deutlich zu entnehmen: Aufgrund einschlägiger Gründe ordnet hier der Sprecher dem epistemischen Satz den gleichen Stellenwert wie dem behaupteten Satz im Indikativ zu: (260)
„Malachia!" urlò il cellario, „poco fa mi hai giurato che non farai nulla contro di me!" Malachia si volse appena verso l'imputato, a cui dava le spalle, e disse a voce bassissima, che quasi non lo udivo: „Non ho spergiurato. Se potevo fare qualcosa contro di te, l'avevo già fatto. Le lettere erano state consegnate al signor Bernardo questa mattina, prima che tu uccidessi Severino..." „Ma tu sai, tu devi sapere che io non ho ucciso Severino! Tu lo sai perché eri già tò!" (Rosa-B 379:9).
Mit epistemischen Behauptungen kann entweder auf ein in sich abgeschlossenes Ereignis, auf ein Teilereignis oder auf eine Folge von Teilereignissen Bezug genommen werden. In (261) nimmt der Behauptende auf drei verschiedene Teilereignisse innerhalb ein und derselben Situation Bezug: (261)
Sono sceso nel cortile-parcheggio, dove l'aria era fredda e umida. Jill stava cercando di far partire la macchina, ma era cosi nervosa che doveva aver ingolfato il motore. Insisteva a girare la chiave di avviamento. La vedevo curva sul volante, alla luce dei lampioni da cortile. Le candele dovevano essere sporche; o le puntine consumate. Le ho aperto la portiera, chiesto se non poteva evitare la scenata nel mezzo della notte. Lei faceva finta di non sentirmi; girava la chiavetta. La batteria doveva essere quasi scarica. (Cream 177:1).
Im Rahmen der subjektiv-epistemischen Einstellungen haben wir behauptet, daß das Futurparadigma bevorzugt in subjektiv-epistemischen, das Modalverb dovere dagegen in objektiv-epistemischen Sätzen verwendet wird (vgl. 5.2.1.). Ferner haben wir festgestellt, daß dovere im Futur auch subjektiv-epistemische Modalität ausdrücken kann - und zwar unter der Voraussetzung, daß entsprechende performative kontextuelle Angaben vorliegen. Nun kann aber die Verbindung von Modalverb und Tempusmorphem auch objektiv-epistemische Modalität ausdrücken, falls wiederum entsprechende performative Angaben dazukommen. Dies ist in (262) der Fall: (262)
„Tieni d'occhio quel punto," mi disse Guglielmo. „Potrebbe esserci un passaggio che porta all'Edificio." „Sotto il cimitero?" „E perché no? Anzi, ripensandoci, ci dovrà essere da qualche parte un ossario, è impossibile che da secoli seppelliscano tutti i monaci in quel lembo di terra." (Rosa-A 105:1).
254 Das rationale Argument („è impossibile che da secoli seppelliscano tutti i monaci in quel lembo di terra") zwingt der Behauptenden zum einzig möglichen logischen Schluß („ci dovrà essere da qualche parte un ossario"). Die Kondionalformen von dovere (das ¿ovreòòe-Paradigma) haben wir ebenfalls zu den propositionalen Einstellungen des Glaubens als Ausdruck subjektiv-epistemischer Modalität gerechnet (vgl. 5.2.1.). Die Verbindung von Modalverb und Modus drückt Behauptungen aus, die vom Eintreten bestimmter Bedingungen abhängig gemacht werden. Handelt es sich nicht um die Erwartung bestimmter Vorkommnisse in Abhängigkeit von der Erfüllung einschlägiger Bedingungen - vgl. (48) bis (50) - , sondern um in sich schlüssige Argumentationen, so liegt objektiv-epistemische Modalität vor. Dies ist in (263) der Fall: (263)
[...] anche Berengario sia morto. Invece sappiamo che quella di Adelmo fu dovuta alla sua volontà..." „È vero," disse Guglielmo, „ma la stessa mente diabolica, o malata, potrebbe avere tratto ispirazione dalla morte di Adelmo per organizzare in modo simbolico le altre due. E se così fosse, Berengario dovrebbe trovarsi in un fiume o in una fonte. E non ci sono fiumi e fonti all'abbazia, almeno non tali che qualcuno ci possa annegare o vi possa essere annegato..." (Rosa-A 258:4).
In (263) knüpft der Sprecher den Gültigkeitsgrad seiner Behauptung an das Vorliegen bestimmter Bedingungen: Sind diese erfüllt, so gilt das Behauptete zwingend. Sind sie dagegen nicht erfüllt, so gilt das Gegenteil.
5.3.5. Der logisch-analytische Modalitätstyp Die analytische Notwendigkeit, die dem Ableiten eines Terms Β aus einem Term A einer binären Relation (A,B) zugrunde liegt, kann parallel zu den miissen-S&Xzen (vgl. 3.3.5.) auch mit dovere-Sätzen ausgedrückt werden. Es handelt sich dabei um den Typus wie hier unten in (264): (264)
Potevo uccidermi, e non lo avrò fatto per viltà; ma questo non c'entra. Che dunque m'ha tenuto in vita, perché non s'è compita la sorte? Ah: perché, fosse pure ella non diversa cosa da me, io ero diversa cosa da lei, non v'è altra spiegazione. Ma, se io ero diversa cosa da lei, lei stessa doveva essere diversa cosa da me... O insulsa logica, ma quale inaspettato vigore tu acquisti se ti allei ai più segreti sensi! (RacNov 3 718:2).
Analytisch ist die durch dovere angezeigte Relation zwischen den beiden Termen A und Β in (264) deshalb, weil die Bedeutung des Terms A („se io ero diversa cosa da lei") die Ergänzung durch den Term Β („lei stessa doveva essere diversa cosa da me") logisch impliziert - nach dem Muster „wenn A, dann B". Es liegt somit eine propositionale Einstellung des Wollens zugrunde und die modale Instanz besteht in der Bedeutung von A. Die analytische Notwendigkeit des Folgerns von Β aus A gründet nicht in der Rationalität der beiden Terme, sondern im konsequent „logischen" Aufbau des Systems, auf den jeweils Bezug genommen wird. Entscheidend ist nicht der Gehalt der Terme, sondern ihre Zugehörigkeit zu einem logisch „fertigen" Denksystem. Eben in dieser Art von „Apriorismus" besteht ihre Eigentümlichkeit gegenüber dem Epistemischen (vgl. 3.3.5.). Vergleiche: (265)
Marlene Vito Cruz ha ora diciassette anni, non diciotto come è scritto nei documenti. Non ha mai messo al mondo, dice, nessun bambino. D'altronde se la bambina adesso ha tre anni, lei l'avrebbe dovuta avere a quattordici anni. Succede. Succede ma a lei comunque non è successo. Cosi dice. (Serena 31:3).
255 (266)
„Io sono quel famoso che tutti chiamano il Caccetta, - disse il Caccetta: - e se fosse vera la metà delle favole che in Milano e in Novara si raccontano sul mio conto, dovrei essere un animale crudelissimo, dedito al sangue e ad ogni sorta di eccessi, che ammazza, brucia e fa rapire le vergini. Invece voi vedete, e lo dice anche il proverbio, che il Diavolo non è cosi brutto come si dipinge". (Chimera 111:3).
(267)
„Scaduti i mille anni inizia il regno dei giusti, poi viene l'Anticristo a confondere i giusti, e poi sarà la battaglia finale..." „Ma i giusti regneranno per mille anni," disse Guglielmo. „ 0 hanno regnato dalla morte di Cristo sino alla fine del primo millennio, e quindi è allora che doveva venire l'Anticristo o non hanno ancora regnato, e l'Anticristo è lontano." (Rosa-A 163:13).
(268)
Antonia improvvisamente s'era buttata su di lei, le dava pugni, le tirava i capelli. „Non è vero niente! Sono tutte bugie! Tu sei cattiva!" Singhiozzava: „Vuoi farmi andare all'Inferno! Io non ti ascolto!" Si faceva un segno di croce dopo l'altro e guardava la compagna: se era il Diavolo, doveva sparire! (Chimera 35:2).
In allen Fällen wird ohne weiteres analytisch argumentiert („wenn A, dann B"), aber nicht immer beziehen sich die beiden Terme der Relation auf rationale, somit jederzeit nachvollziehbare Tatsachen: Dies geschieht etwa nicht in (268): Hier wird auf Wertvorstellungen B e z u g genommen, die nur im „logischen" Systems des denkenden Inviduums (sowie möglicherweise seiner örtlichen und zeitlichen Umgebung) Geltung haben. Trotzdem handelt es sich auch hier um eine analytische Notwendigkeit: Denn die Schlußfolgerung läßt sich genauso so analytisch wie in den anderen Fällen aus der Prämisse ableiten.
6. Zum Vergleich
In diesem Kapitel sollen die drei Modalverben müssen, sollen und dovere im Hinblick auf ihre Leistung kontrastiert werden. Mit „Leistung" ist hier zunächst ihre jeweilige Extension gemeint, d.h. ihre Beteiligung am Ausdruck von Modalitätstypen in den drei grundlegenden propositionalen Einstellungen des Sagens, des Glauben und des Wollens in der jeweiligen Sprache. Kontrastiv ist aber auch die Frage ihrer Intension von Interesse. Es soll ermittelt werden, ob die jeweiligen Modalverben der beiden Sprachen die sie betreffenden Modalitätstypen mit gleicher oder unterschiedlicher Intensität ausdrücken. Eng zusammen mit dem Problem der Intension hängt die Frage nach der Menge von Ausdrucksmitteln, die in einer bestimmten Sprache als Entsprechung für das Modalverb der Kontrastsprache bei einem bestimmten Modalitätstyp in Frage kommen. Da das italienische Modalverb dovere den beiden Modalverben müssen und sollen des Deutschen gegenübersteht, ist damit zu rechnen, daß im Italienischen mehr zusätzliche Ausdrucksmittel benötigt werden als im Deutschen. Dovere ist bekanntlich im heutigen Italienisch außer Modalverb auch Vollverb und Substantiv.1 Auch in diesen syntaktischen Rollen kann es jedoch modale Funktion haben - was sich durch gezielte Transformationen leicht belegen läßt: a.) Als Vollverb im Syntagma dovere + NOMEN Beispiel: (1)
„Frate," disse a Guglielmo con rispetto, „non parlavo male del vostro ordine e degli uomini santissimi che vi stanno. Parlavo a quel falso minorità e falso benedettino che non è né carne né pesce." - „So da dove viene," disse Guglielmo conciliante. „Ma ora è monaco come te e gli devi rispetto fraterno." (Rosa-A 129:1). IT ... lo devi rispettare come un fratello. DT ... du schuldest ihm brüderlichen Respekt. DT ...du mußt ihn wie einen Bruder respektieren.
b.)Als Substantiv im Syntagma avere + DOVERE Beispiel: (2)
„Oh, voi sapete bene, viviamo ora in tempi molto oscuri, e arrossisco dirvi che non molti anni fa il concilio di Vienne ha dovuto ribadire che ogni monaco ha il dovere di prendere gli ordini [...]". (Rosa-A 44:2). IT ... che ogni monaco deve prendere gli ordini. DT ... daß jeder Mönch die Pflicht hat, die Weihe zum Priester zu empfangen. DT ... daß jeder Mönch die Weihe zum Priester empfangen muß.
Von diesen zusätzlichen syntaktischen Konstruktionen des Verbs dovere sehen wir hier ab und schränken unseren Vergleich mit dt. müssen/sollen auf die gemeinsame Struktur „Modalverb + Infinitiv" ein. Über die jeweilige Extension der drei Modalverben gibt die folgende Übersicht Auskunft: 1
It. dovere geht etymologisch auf lat. debëre, dies auf altlat. de-habëre zurück - mit der Bedeutung „von (jemandem) etwas (bekommen) haben", d.h. „Schulden haben", „schuldig sein", „schulden", „verpflichtet sein", „sollen" (auch „verdanken"). So bedeutet it. dovere auch „schulden" (Devo a lui la mia carriera) und als Substantiv „Pflicht" (E dovere di ogni cittadino difendere la patria).
258 Tabelle 6.1: Die proposltionalen Einstellungen des Sagens, des Glaubens und des Wollens
MÜSSEN
SOLLEN
DOVERE
Propositionale Einstellungen des Sagens
0 0
1. berichtend 2. antizipierend
1. berichtend 2. antizipierend
Propositionale Einstellungen des Glaubens 1. subjektiv-epistemisch 2. dispositionell 3. objektiv-bewertend
0 0 0
0 0 0
1. subjektiv-bewertend 2. deliberierend 3. eventiv
1. 2. 3. 4.
0
subjektiv-epistemisch dispositionell objektiv-bewertend subjektiv-bewertend
5. eventiv
Propositionale Einstellungen des Wollens 1. 2. 3. 4. 5.
pragmatisch deontisch dynamisch objektiv-epistemisch logisch-analytisch
1. pragmatisch 2. deontisch
0 0 0
1. 2. 3. 4. 5.
pragmatisch deontisch dynamisch objektiv-bewertend logisch-analytisch
Der Tabelle läßt sich eine Fülle von Fakten entnehmen. Die wichtigsten: a.) Müssen und sollen sind komplementär distribuiert. Nur in zwei Fällen kommen sie in ein und demselben Modalitätstyp vor: im pragmatischen und deontischen. Aber auch hier drücken sie unterschiedliche modale Untertypen aus (vgl. 6.3.1. und 6.3.2.). b.)Dovere drückt alle Modalitätstypen aus, die auch müssen und sollen ausdrücken - mit der einzigen Ausnahme des deliberierenden Modalitätstyps. Bei diesem greift das Italienische auf die Kategorie des Modus zurück (vgl. 6.2.5.). c.) Dovere drückt nicht mehr als müssen und sollen aus. Seine Leistung ist also sowohl extensiv wie auch intensiv eingeschränkter als die der beiden Modalverben des Deutschen zusammengenommen. Der eigentliche Unterschied zwischen müssen/sollen und dovere liegt jedoch nicht in der Extension, sondern in der Intension. Am Ausdruck mehrerer Modalitätstypen beteiligt sich dovere nur partiell, am Ausdruck anderer, in erster Linie des berichtenden Modalitätstyps, ist seine Beteiligung erst in den Anfängen begriffen, in den wenigsten Fällen gibt es eine nahezu vollkommene Entsprechung (etwa im logisch-analytischen Bereich).
6.1. Die propositionalen Einstellungen des Sagens
Am Ausdruck der propositionalen Einstellungen des Sagens ist im Deutschen nur sollen, im Italienischen dovere beteiligt. Die beiden Modalverben kommen in denselben Modalitätstypen (berichtend und antizipierend) vor - jedoch mit sehr unterschiedlicher Gewichtung: Sol-
259 len ist hier vollständig grammatikalisiert, dovere nur im antizipierenden Modalitätstyp. Müssen ist in dieser Verwendung nicht zugelassen. Vergleiche Tabelle 6.2: Tabelle 6.2: Die propositionalen Einstellungen des Sagens bei müssen, sollen und dovere
Müssen
Sollen
Dovere
0
berichtend
290
2,8%
berichtend
0
0,0%
0
antizipierend
95
0,9%
antizipierend
35
0,6%
0
Gesamt
385
3,7%
Gesamt
35
0,6%
Die Übersicht bietet für jeden Modalitätstyp Angaben über die absolute und die relative Häufigkeit (Angaben auf 5 gerundet). Der Anteil von sollen am Ausdruck der propositionalen Einstellungen des Sagens ist über 6mal so groß wie der von dovere. Der Grund liegt darin, daß dovere beim Ausdruck des berichtenden Modalitätstyps zwar vielversprechende Ansätze zeigt, jedoch immer noch keinen Durchbruch geschafft hat.
6.1.1. Der berichtende Modalitätstyp Die propositionalen Einstellungen des Sagens sind die typische Domäne des Modus. Hier spielt die Opposition zwischen Indikativ und Konjunktiv eine zentrale Rolle. Für manche Zwecke der Prädikation ist es jedoch notwendig, weitere Ausdrucksmittel einzusetzen. Will man etwa eine Behauptung neutral wiedergeben, ohne deren Urheber nennen zu müssen, d.h. darüber lediglich berichten, so kommt im Deutschen am besten ein Modalverb in Frage, nämlich sollen. Im Italienischen hat sich in dieser Funktion ein Modus durchgesetzt, das Konditional, neben weiteren performativen Ausdrucksmitteln, wie verba dicendi in Verbindung mit dem unpersönlichen Pronomen si, das die Anonymität der Behauptung gewährleistet, sowie schwache Epistemika (wie sembrare, parere, forse etc.), die die Informationsquelle ebenfalls im Dunkeln lassen und den Aussagegehalt als nicht überprüfte Behauptung weiterzugeben ermöglichen. Im gesprochenen Italienisch gewinnt jedoch allmählich auch dovere an Boden. Vergleiche Tabelle 6.3: Tabelle 6.3: Vergleich des berichtenden Modalitätstyps
Deutsch
Italienisch
-
- SI + VERBA DICENDI
sollen Modaladjektive Modaladverbien Modalpartikeln
- man + VERBA DICENDI
- schwache Epistemika - Modus Konditional - dovere
-> - >
1. dovrebbe 2. deve
- schwache Epistemika
Auch im Deutschen bestehen neben dem Modalverb sollen weitere Ausdrucksmittel für diese Funktion: neben Modaladjektiven und -adverbien (angeblich, vermeintlich etc.) auch Modalpartikeln (wohl etc.) und wie Italienischen die verba dicendi in Verbindung mit dem unpersönlichen Pronomen man und schwache Epistemika (wie scheinen, vielleicht etc.).
260 Sollen ist jedoch in dieser Funktion vollständig grammatikalisiert. Es stellt das Ausdrucksmittel schlechthin dar, wenn es darum geht, auf fremde Behauptungen neutral Bezug zu nehmen. Dovere zeigt Ansätze in dieser Richtung, doch von Grammatikalisierungstendenzen in dieser Funktion kann nicht die Rede sein. Bei den dovere-Formen, die hier eine Rolle spielen, ist zwischen zwei Paradigmen zu unterscheiden: zwischen dem Paradigma des Konditionals {dovrebbe-Paradigma) (im Korpus sind lediglich acht Belege enthalten und alle im Konditional I) und dem der nicht-konditionalen Formen (t/eve-Paradigma). a.)In der ersten Gruppe erfüllt dovere lediglich Aushilfsfiinktionen. Es wird eingesetzt, wenn das Konditional allein nicht ausreicht, um eine neutrale Berichterstattung auszudrücken. Der Einsatz von dovere erfüllt hier insofern eine monosemierende Funktion, als es die potentiell konkurrierenden Bedeutungen epistemischer oder bewertender (bisweilen aber auch konditionaler) Art unterdrückt und die der Berichterstattung in den Vordergrund stellt (vgl. 5.1.1.). b.)Die zweite Gruppe von Sätzen, in denen dovere berichtende Funktion erfüllt, stellt eine neuartige Erscheinung der gesprochenen Sprache dar. Hier übernimmt dovere autonome Funktion im Sinne der neutralen Berichterstattung und verspricht, sich allmählich zu einer dem deutschen Modalverb sollen äquivalenten Form zu entwickeln. Die Situation ist gegenwärtig so, daß das Italienische zum Ausdruck der neutral berichteten Behauptung nach wie vor auf Performative der verba dicendi, auf schwache Epistemika oder auf das Konditional des propositionalen Verbs zurückgreifen muß. Der entscheidende Durchbruch von dovere ist nicht in Sicht.
6.1.2. Der antizipierende Modalitätstyp Das Italienische zeigt größere Flexibilität im Umgang mit den Tempora. In der vorliegenden Funktion kommt dovere in vier verschiedenen Tempora vor (imperfetto indicativo und congiuntivo, Infinitiv I und Konditional II). Die Paradigmen des imperfetto congiuntivo und des Infinitivs I stellen jedoch im Italienischen Erscheinungen von servitude grammaticale dar: Sie sind bedingt durch syntaktische Strukturen (vgl. 5.1.2.). Das condizionale imperfetto bildet dagegen eine echte Alternativform zum imperfetto indicativo. Dabei handelt es sich aber um eine Erscheinung der Schriftsprache. Die Entwicklung zeigt eine deutliche Tendenz zur Ersetzung des condizionale passato durch das imperfetto indicativo. Im Deutschen ist hier allein Präteritum sollte zulässig (und vollständig grammatikalisiert), die Form hätte sollen ist ausgeschlossen. Sie ist fur die subjektive Bewertung (einer bereits ausgeführten oder einer unterlassenen Handlung) reserviert (vgl. 4.2.1.). Vergleiche Tabelle 6.4: Tabelle 6.4: Vergleich des antizipierenden Modalitätstyps Deutsch
Italienisch
Subjekt+so//fe+lnfinitivkomplement Sie sollte ihn nie mehr Wiedersehen
S u bjekt+do ve va+ Infinitivkomplement Non doveva verdello mai più Subjekt+awetobe dovufo+lnfinitivkomplement Non avrebbe dovuto verdello mai più
261 Es läßt sich statistisch belegen, daß im Italienischen dovere in dieser Funktion wesentlich seltener als sollen im Deutschen verwendet wird (absolute Häufigkeit 35 : 95). Dies kann nur bedeuten, daß im Italienischen andere Ausdrucksmittel eingesetzt werden. Tatsächlich spielt hier das Konditional II (condizionale imperfetto) eine herausragende Rolle. Eingesetzt werden kann das condizionale imperfetto anstelle des cfoveva-Paradigmas immer dann, wenn performative kontextuelle Angaben die Spezifik von dovere mittragen. Dies ist der Fall, wenn etwa Adverbien wie mai, mai più, non più etc. und Dauerangaben wie per tutta la vita, fino alla fine della vita etc. im Satz enthalten sind. Beispiele: (3)
Er frage sich, schrieb Cotta in einem respektvollen Brief an Cyane, der die Via Anastasio niemals erreichen sollte [...]. (LetzWelt 198:5). IT ... in una lettera... che non sarebbe mai arrivata in via Anastasio...
(4)
Aber dahin sollte es nie kommen, denn Grenouille [...] sollte das Meer, das eigentliche Meer, den großen Ozean, der im Westen lag, in seinem Leben niemals sehen [...]. (Parfum 47:1). IT ... perché Grenouille non avrebbe mai visto in tutta la sua vita il mare ...
In Verbindung mit den kontextuellen Angaben „mai" und „mai in tutta la sua vita" stellt das condizionale passato eine bedeutungserhaltende Alternative zu dovere dar. Unter gleichen Bedingungen kommt allerdings auch im Deutschen als Alternative zum so//fe-Paradigma (selbstverständlich auch zum condizionale passato) die wmfe-Fügung in Frage. Beispiel: (5)
Mia madre infine parti e io andai ad accompagnarla ad Aquila, e mentre aspettavamo la corriera sulla piazza, io avevo la sensazione di prepararmi a un lungo distacco. Avevo anzi la confusa sensazione di non doverla rivedere mai più. (Lessico 166:2). DT ... Ich hatte sogar die unbestimmte Ahnung, ich würde sie nie Wiedersehen.
Wir haben aber in den jeweiligen Kapiteln belegen können, daß der Ersatz der sollte- bzw. doveva-Formen durch die wm/e-Ftlgung bzw. das condizionale passato nicht immer möglich ist (vgl. 4.1.2. und 5.1.2.). Diese Alternativformen sind also zum einen nur eingeschränkt möglich, zum anderen grundsätzlich an kontextuelle Angaben gebunden, die die Spezifik von dovere ausdrücken. In manchen Fällen stellen lexikalische Performative wie „era destino che", „era destinato a" etc. eine weitere Alternative zum i/oveva- Parad i gm a im Italienischen dar. Dementsprechend läßt sich annehmen, daß Ausdrücke wie „es war sein Schicksal, daß" etc. im Deutschen ebenfalls alternativ zum so///e-Paradigma eintreten können. Es handelt sich um die Bedeutung, die manche Autoren für die Spezifik dieser Klasse von Sätzen überhaupt halten (vgl. 4.1.2. und 5.1.2.). Beispiel: (6)
[...] - unter den Traglasten dieser Nacht befand sich doch nur eine einzige, die das Leben Tomis so sehr verändern sollte, daß es schließlich schien, als habe die Fahrt des Thessaliers allein dem Zweck gedient, diese kleine Last an die Küste der eisernen Stadt zu schaffen [...]. (LetzWelt 208:3). IT ... tra i carichi di quella notte ce n'era soltanto uno destinato a cambiare radicalmente la vita di Tomi...
Eine Ausdrucksform dieser Art kommt aber nur dann in Frage, wenn dem Satz tatsächlich eine entsprechende Bedeutung der „Schicksalsbestimmung" zugrunde liegt. Ist dies nicht der Fall, so ist auch die Anwendung entsprechender Syntagmen nicht möglich. Fassen wir die drei möglichen Ausdrucksmittel zusammen, so ergibt sich filr die beiden Sprachen Deutsch und Italienisch die folgende Situation:
262 Tabelle 6.5: Vergleich der Ausdrucksmlttel der „Schicksalebestimmung" Deutsch
Italienisch
- sollte + Infinitiv - würde + Infinitiv - Performative (Schicksal, schicksalhaft etc.)
- doveva (avrebbe dovuto) + Infinitiv - avrebbe/sarebbe + Infinitiv - Performative (destino, destinât- etc.)
Das Ausdrucksmittel zur Kennzeichnung antizipierter Ereignisse von der Vergangenheit aus ist im Deutschen sollen, im Italienischen dovere. Alternativ und in Abhängigkeit von bestimmten Bedingungen kommen die beiden anderen hinzu. Das Deutsche macht allerdings einen weitaus häufigeren Gebrauch von sollen als das Italienische von dovere, wohingegen im Italienischen das condizionale passato eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielt. Die dritte Erscheinung („Schicksalsbestimmung") stellt in beiden Sprachen eine reine konversationeile Implikatur dar und ist ausgesprochen peripher.
6.2. Die propositionalen Einstellungen des Glaubens
Am Ausdruck der propositionalen Einstellungen des Glaubens sind im Deutschen müssen und sollen, im Italienischen dovere beteiligt. Hier sind müssen und sollen komplementär distribuiert. Sie drücken jeweils unterschiedliche Modalitätstypen bzw. -untertypen aus. Dovere drückt seinerseits alle Modalitätstypen aus wie die beiden deutschen Verben zusammen, außer einem: dem deliberierenden Modalitätstyp. In der Ausdrucksintension der einzelnen Modalitätstypen lassen sich jedoch z.T. erhebliche Unterschiede feststellen. Vergleiche Tabelle 6.6: Tabelle 6.6: Die propositionalen Einstellungen des Glaubens bei müssen, sollen und dovere
MÜSSEN subjektiv -epistemisch dispositionell objektiv -bewertend
Gesamt
SOLLEN
DOVERE
185 1,8% 45 0,4% 310 3,0%
540 5,2%
subjektiv -epistemisch dispositionell objektiv -bewertend subjektiv -bewertend
subjektiv -bewertend deliberierend eventiv
520 5,0% 50 0,5% 135 1,3%
eventiv
Gesamt
705 6,8%
Gesamt
270
4,6%
15 230
0,3% 3,9%
195
3,3%
55
0,9%
765
13,0%
Der Anteil von müssen und sollen am Ausdruck der propositionalen Einstellungen des Glaubens im Deutschen entspricht im großen und ganzen dem von dovere im Italienischen (12% : 13,0%). Der deliberierende Modalitätstyp, an dessen Ausdruck zwar sollen, aber nicht dovere beteiligt ist, ist eher peripher (0,5%).
263 6.2.1. Der subjektiv-epistemische Modalitätstyp Beide Sprachen verfügen über ein spezielles Paradigma von Modalverben zum Ausdruck des Epistemischen, wobei das Deutsche weitaus mehr Formen als das Italienische aufweist. Abgegrenzt ist das epistemische Feld in beiden Sprachen oben (höchster Sicherheitsgrad) durch müssen bzw. dovere, unten (niedrigster Sicherheitsgrad) durch das Futurparadigma. Müssen und dovere sind von sich aus genuine Ausdrucksmittel des Objektiv-, das Futurparadigma dagegen ein Ausdrucksmittel des Subjektiv-Epistemischen. Durch epistemische Performative können jedoch auch die beiden Modalverben zum Ausdruck des Subjektiv-, das Futurparadigma des Objektiv-epistemischen beitragen. Die Klasse dieser subjektivepistemischen Indikatoren sind in den beiden Sprachen weitestgehend äquivalent. Sie stellen zunächst einen Reflex der menschlichen Kognition und erst sekundär einen Ausdruck der Einzelsprache dar (vgl. 3.2.1. und 5.2.1.). Vergleiche Tabelle 6.7: Tabelle 6.7: Vergleich des epistemischen Modalltätstyps Deutsch
Italienisch
- müssen + Infinitiv OBJEKTIV-EPISTEMISCH
- dovere + Infinitiv OBJEKTIV-EPISTEMISCH
- müssen + Performativ + Infinitiv SUBJEKTIV-EPISTEMISCH
- dovere + Performativ + Infinitiv SUBJEKTIV-EPISTEMISCH
Der Anteil von dovere am Ausdruck des Epistemischen ist im Italienischen weitaus größer als der von müssen im Deutschen. Im subjektiven Bereich ist das Verhältnis 4,6% : 1,8%, im objektiven 12,7% : 5,2%, insgesamt 17,3% : 7%. Zum Ausdruck des Epistemischen greift somit das Italienische 2,5mal häufiger auf dovere zurück als das Deutsche auf müssen. Die Erklärung liegt darin, daß das Deutsche über ein vielfältigeres Inventar an epistemischen Ausdrucksmitteln als das Italienische verfügt. Während sich das Italienische fast ausschließlich der Modalverben bedient, spielen im Deutschen die folgenden fünf Klassen von Ausdrucksmitteln eine primäre Rolle beim Ausdruck des (Subjektiv-)Epistemischen: a.) Müssen (häufig in Verbindung mit der Modalpartikel wohl)\ b.)Modalpartikeln und -adverbien {wohl, aber, ja, doch, bestimmt, sicher, gewiß, freilich, natürlich, offenbar, offensichtlich, anscheinend, ohne Zweifel, zweifellos, wahrscheinlich, vermutlich, vielleicht etc.); c.) Futur (vor allem in Verbindung mit der Modalpartikel wohl); d.)Unpersönliche (scheinen etc.) sowie persönliche (glauben etc.) epistemische Verben; e.) Weitere Modalverben aus dem epistemischen Paradigma (dürfte, könnte etc.). Im Italienischen sind zwar ebenfalls epistemische Adverbien (wie forse, probabilmente, certo, certamente, sicuro, sicuramente, indubbiamente etc.), epistemische Verben (wie sembrare, parere etc.) sowie das Futurparadigma (Futur I häufig in Verbindung mit forse oder Futur II ohne epistemische Ergänzung) möglich, ihre Beteiligung am Ausdruck des (Subjektiv-)Epistemischen ist aber im Vergleich zum Deutschen stärker eingeschränkt.
264 6.2.2. Der dispositionelle Modalitätstyp Während im Deutschen müssen als Ausdrucksmittel für Dispositionen grammatikalisiert zu sein scheint, spielt dovere im Italienischen eine untergeordnete Rolle (das absolute Verhältnis zum Deutschen ist 15 : 45). Zum Ausdruck von Dispositionen bevorzugt das Italienische anderer Ausdrucksmittel, vor allem bestimmte Periphrasen, wie die folgenden: a.) avere/trovare sempre da + Infinitiv (borbottare, brontolare, contestare, eccepire, protestare, recriminare etc.), b.)non potere (non) + Infinitiv, c.)non poter fare a meno di + Infinitiv/Nomen. Vergleiche Tabelle 6.8: Tabelle 6.8: Vergleich des dispositionellen Modalitätstyps Deutsch
Italienisch
- müssen + Performativ + Infinitiv
-
dovere + Performativ + Infinitiv Verbalperiphrasen: ha/trova sempre da non può (non) non può fare a meno di etc.
Beispiele: (7)
- Calmati, sta' buono, - gli fecero gli altri, - tu che hai sempre da eccepire sulle imprese degli altri, non puoi impedire che qualcuno trovi da ridire sulle tue... (Cavalier 311:7).
(8)
Non trovo mai la giusta temperatura, - diceva. Mio padre diceva: - Che noiosa che sei col caldo e col freddo! Trovi sempre da brontolare! (Lessico 49:3).
(9)
Se Gavriel non poteva lasciarla, la Rosetta del Fracin non poteva fare a meno di lui. Le sembrava che il Camurà, il nuovo paese dove era venuta a vivere, perfino il giardino e quelle stufe in ogni stanza, le diventassero insopportabili senza Gavriel. E la vita una strada senza uscita. (Strade 99:2).
Sowohl im Deutschen wie im Italienischen spielen lexikalische Performative wie immer, stets etc. bzw. sempre eine besondere Rolle. Sie dienen zur Kennzeichnung der Verhaltensweise, die das Individuum charakterisiert (vgl. 3.2.3.). Bei den Periphrasen des Italienischen bleibt mitunter das Performativ erhalten, der durch dovere hergestellte Bezug auf die dispositionelle Ursache des Verhaltens geht allerdings verloren.
6.2.3. Der bewertende Modalitätstyp Der formalen Opposition von müssen und sollen, die im Deutschen der Unterscheidung von objektiver und subjektiver Bewertung zugrunde liegt, stellt das Italienische allein das Modalverb dovere gegenüber. In negativen Sätzen kommt im Deutschen ein drittes Modalverb der Bewertung hinzu, nämlich dürfen - wobei zur Negation nicht nur die explizite Negation
265 non {nicht), sondern auch implizite Negationsausdrücke wie solo, soltanto, semplicemente etc. (nur, bloß, einfach etc.) zu zählen sind. Das Zurückgreifen auf dürfen stellt im Deutschen eine durch die Negation bedingte servitude grammaticale dar. Dürfen ist hier demnach komplementär distribuiert zu müssen bzw. sollen, je nachdem, ob es sich um eine objektive oder subjektive Bewertung handelt (zu dieser Unterscheidung vgl. 3.2.2. und 4.2.1.). Beispiele: (10)
Cose simili non fanno ridere. Cose simili non dovrebbero succedere. Non succedevano, con la clientela di una volta. (Amante 109:5). DT ... So was dürfte nicht vorkommen ...
(11)
Dovrei dire semplicemente che qualcosa di male avvenne ma che non è onesto ripetere cosa fu, e non turberei né me stesso né il mio lettore. (Rosa-A 246:4). DT Eigentlich dürfte ich einfach nur sagen, das etwas Schlimmes geschah...
Die formale Unterlegenheit gegenüber dem deutschen Kennzeichnungssystem von Bewertungen pariert das Italienische mit einer Vielfalt an Formen, die dovere immer dann alternativ ersetzen können, wenn Eindeutigkeit im Sinne der Bewertung überhaupt wie auch der Opposition subjektiv/objektiv gewährleistet werden soll. Statistisch läßt sich belegen, daß Bewertungen mit dovere viel seltener vorgenommen werden als mit müssen/sollen (das Verhältnis der absoluten Werte ist 425 : 830). An die Stelle von dovere in Bewertungen können folgende Klassen von Ausdrucksmitteln treten: a.)Die unpersönlichen Verben bisognare und bastare + Infinitiv; b.)Fügungen wie fare bene/meglio a + Infinitiv, essere bene/meglio che + Konjunktiv, essere il caso di + Infinitiv, essere il caso che + Konjunktiv; c.)Das Syntagma andare + Partizip II. Vergleiche Tabelle 6.9: Tabelle 6.9: Vergleich des bewertenden Modalitätstyps Italienisch
Deutsch - müssen - sollen - (nicht) dürfen
->
OBJEKTIV
->
SUBJEKTIV
- dovere
OBJEKTIV/SUBJEKTIV
- bisognerebbe/basterebbe + Infinitiv - Periphrasen mit bene/meglio etc. - andare + Partizip II
Beispiele: (12)
Orgel auch?... Orgel habe ich sehr gern... So, das laß' ich mir g'fall'n - sehr schön! Es ist wirklich wahr, man sollt' öfter in Konzerte gehen... (Gusti 31:1). IT ... bisognerebbe andare più spesso ai concerti.
(13)
Und jetzt habe ich Zeit, viel Zeit... Ja, dachte Brinkhoff, Invalide müßte man sein. (Erz60-A 106:10). IT ... invalidi bisognerebbe essere.
(14)
Ein Kamin in meinem Studio scheint mir nicht nötig; zwar wäre es schon vorhanden und mUBte nur verbessert werden; ich meine: Lassen wir's. (Montauk 180:1). IT ... in realtà ci sarebbe già e basterebbe aggiustarlo...
266 (15)
„Was tung? IT IT
willst du mit diesem abgelebten Kram? Glaubst du, das hätte irgendeine BedeuDu solltest dich lieber um die Zukunft kümmern." (Europa-A 37:2). ... Faresti meglio/bene a pensare al futuro. ... (forse sarebbe meglio che mi tenessi maggiormente verso sud-ovest?).
(16)
Menschen sollte man doch nach dem beurteilen, was eben den Menschen vor den anderen Lebewesen auszeichnet: nach dem Geiste. (Alexander 105:1). IT Gli uomini andrebbero giudicati in base a ciò che distingue l'uomo dagli altri esseri viventi...
Die unpersönliche Verbform bisognerebbe wird bei unpersönlichem Subjekt (im Deutschen kommt zumeist man vor) oder aber beim Passiv eingesetzt. Im ersten Fall wird die Anonymität des Subjekts gewahrt, im zweiten der eher eingeschränkten Passivfreundlichkeit des Italienischen Rechnung getragen. Die Verbform basterebbe („genügen, (aus)reichen") wird in Sätzen mit einschränkendem Adverbial (wie im Deutschen nur, bloß etc.) eingesetzt. Dafür bietet sich gerade bastare aufgrund der eigenen Bedeutung an (bastare + Infinitiv übersetzt dann müssen nur/bloß + Infinitiv). Die Periphrasen mit bene/meglio etc. werden zum Ausdruck von Alternativen eingesetzt, d.h. wenn es darum geht, zwei Sachverhalte gegeneinander abzuwägen (im Deutschen steht dann meistens sollen mit Adverbialien wie lieber, besser, doch etc.). Sie sind Ausdruck subjektiver Einstellungen. Gleiches gilt für die Fügung andare + Partizip II, die vorzugsweise zum Ausdruck der Kategorie der Werturteile angewandt wird. Die Verben bisognare und bastare werden bevorzugt in objektiven Bewertungen, die Periphrasen fare bene/meglio + Infinitiv, essere bene/meglio che + Konjunktiv etc. sowie das Syntagma andare + Partizip II dagegen vor allem in subjektiven Bewertungen eingesetzt. Auf diese Weise kommt das Italienische der formalen Unterscheidung des Deutschen aufgrund von müssen und sollen sehr nahe.
6.2.4. Der deliberierende Modalitätstyp Am Ausdruck der Deliberation (Sollte er der Täter sein?) ist im Deutschen sollen beteiligt, im Italienischen ist dovere nicht möglich. Fügungen mit dovesse + Infinitiv (*Dovesse essere lui l'asssassino?) sind grundsätzlich ausgeschlossen. Das Italienische greift hier auf den Modus Konjunktiv zurück. Die Fügung setzt sich aus der deliberativen Konjunktion che und dem Konjunktiv (es sind alle Tempora möglich) des abhängigen Verbs zusammen. Das Subjekt kann sich in Endstellung (bei Substantiv oder wenn rhematisch) oder zwischen Konjunktion und Verb (bei pronominaler Besetzung) befinden. Vergleiche Tabelle 6.10: Tabelle 6.10: Vergleich des deliberierenden Modalitätstyps Deutsch
Italienisch
sollte + Subjekt + Infinitiv? Sollte Peter der Täter sein?
che + VerbKonjuni
sollen
->
-» -> - >
Verweis auf Gründe Verweis auf Intentionen: beabsichtigte Sachverhalte erwünschte Sachverhalte geforderte Sachverhalte
dovere
-» - >
-»
Verweis auf Gründe Verweis auf Intentionen: beabsichtigte Sachverhalte 0 geforderte Sachverhalte
Von einigen Sonderfällen abgesehen (wie Negation, unpersönliche Subjekte, Passivkonstruktionen, die Einfluß auf die Wahl des Modalverbs nehmen können und mit denen wir uns weiter unten beschäftigen), lassen sich pragmatische Modalverbsätze des Deutschen mit müssen ohne weiteres mit dovere ins Italienische übersetzen. Der umgekehrte Weg ist ebenfalls relativ klar (von den oben erwähnten Sonderfällen abgesehen). Pragmatische dovereSätze, die auf Gründe verweisen, sind ins Deutsche mit müssen zu übersetzen (oder aber mit (nicht) brauchen bzw. (nicht) dürfen, die unter bestimmten Bedingungen in komplementärer Distribution zu müssen stehen). Als weitaus schwieriger erweist sich dagegen der Umgang mit pragmatischen sollenSätzen ab. Aus zwei Gründen. Zum einen deshalb, weil vom Deutschen ausgehend zunächst zu entscheiden ist, welche Art von Intention vorliegt. Je nachdem, ob es sich um beabsichtigte, erwünschte oder geforderte Sachverhalte handelt, stehen im Italienischen jeweils unterschiedliche Klassen von Ausdrucksmitteln bereit. Zum Ausdruck erwünschter Sachverhalte steht dovere nicht zur Verfugung. Zum Ausdruck der beabsichtigten oder geforderten Sachverhalte in den meisten Fällen, aber nicht ausschließlich (vgl. 5.3.1.). Zum anderen muß der Italienisch-Sprecher zuallererst entscheiden, ob er dovere überhaupt mit sollen oder aber mit müssen zu übersetzen hat. Eine Entscheidung, die mitunter schwer zu treffen ist, wenn nicht eindeutig dem Satz zu entnehmen ist, ob die einem Modalverbsatz eventuell
272 beigegebene Begründung sich auf den modalisierten Sachverhalt oder aber auf sekundäre Merkmale des Handlungsfeldes bezieht. Im ersten Fall läge Verweis auf Gründe vor, also wäre auf müssen zurückzugreifen, im zweiten möglicherweise eine Prädikation über Intentionen, was für die Anwendung von sollen spricht. Zwei Beispiele: (36)
- L'hai costruita tutta da te? - E con chi, allora? È segreta. - lo potrò venirci? - No, mostreresti la strada a qualcun altro. - Il babbo ha detto che non ti farà più cercare. Dev'essere segreta lo stesso. - Per via di quei ragazzi che rubano? Ma non sono tuoi amici? - Qualche volta sì e qualche volta no. - E la ragazza col cavallino? - Che t'importa? - Volevo dire se è tua amica, se ci giochi insieme. (Barone 126:10).
(37)
La sua mira è di penetrare chiaramente nel remoto, nell'assente, nell'oscuro. Non solo la storia, la letteratura, la geografia, i principi delle scienze, ma anche la geometria e l'aritmetica contengono una quantità di argomenti su cui deve operare l'immaginazione se devono essere compresi... (Fantasia 174:3).
Liest man (36) nur bis zum Modalverbsatz, so würde man auf sollen schließen (Forderung des Sprechers = Ich will, daß p), geht man aber zum nächsten Satz („Per via di quei ragazzi che rubano?") über und läßt man ihn als Begründung für den Modalverbsatz gelten, so ist mit müssen zu übersetzen. Beleg (37) enthält die Prädikation eines beabsichtigten Sachverhalts („se devono essere compresi"), der zur finalen Begründung des pragmatischen Sachverhalts („su cui deve operare l'immaginazione") wird. Das erste ist ein sollen, das zweite ein müssen. A.) Der Verweis auf Gründe l.)Wie übersetzt man pragmatisches „müssen" ins Italienische? Wir haben oben gesagt, daß pragmatisches müssen in der Regel dovere entspricht. Es sind jedoch die drei folgenden Fälle zu besprechen, für die im Italienischen nicht nur dovere, sondern vorzugsweise weitere Ausdrucksmittel gewählt werden: a.) müssen in Sätzen mit unpersönlichem Subjekt; b.)müssen in Verbindung mit den einschränkenden Adverbialien nur, bloß etc.; c.) müssen in Verbindung mit Negation (nicht etc.) sowie in der Bedeutung „nicht brauchen", „nicht nötig sein (haben)", „nicht notwendig sein". Müssen-Sätze mit unpersönlichem Subjekt sind entweder Sätze mit dem Subjekt man, oder mit unpersönlichem es oder aber es sind Passivkonstruktionen ohne Nominativsubjekt. Wenn pragmatisches müssen in Sätzen dieser Art verwendet wird und die Bedeutung „notwendig sein" hat, ist im Italienischen das Verb bisognare (in seinen einfachen Formen der 3. Person Singular: bisogna, bisognava, bisognò, bisognerà, bisognasse, bisognerebbe) zu wählen. Als hochsprachliche Variante bietet sich occorrere (ebenfalls in den einfachen Formen der 3. Person Singular: occorre, occorreva, occorse, occorrerà, occorresse, occorrerebbe) an. Die Wahl dieser Verben, die beide defektiv unpersönlich sind, ist durch die pragmatische Situation der apersonellen Handlungsprädikation bedingt (im Französischen ist hier ebenfalls ein unpersönliches Verb zu wählen, nämlich falloir)·? 3
Zu falloir im Französischen vgl. MARTINS-BALTAR ( 1989).
273 (38)
Heutzutage muß man ein wachsames Auge haben auf seine Kinder; sie haben gelernt, eines zu sagen und ein anderes zu denken (DDRStory 43:2).
(39)
Großmütig reichte er seinen Gegnern „die ausgestreckte Hand"; väterlich ermahnte er sie, nun müsse es Schluß sein mit der Konfrontation [...]. (Europa-A 15:1).
(40)
Im allgemeinen werden Sensor und Effektor räumlich getrennt sein. Dann muß zwischen ihnen eine Verbindung hergestellt werden: Das ist bei den Lebewesen die Nervenzelle. (Weltbild 107:5).
Wenn pragmatisches müssen in Verbindung mit den einschränkenden Adverbialien nur, bloß etc. vorkommt, ist im Italienischen das Verb bastare zu wählen (in den Formen der 3. Person). Die Wahl dieses Verbs ist semantisch bedingt. Hier weist müssen nämlich die Bedeutung „brauchen nur", „nur nötig sein, zu...", „allein notwendig sein, zu..." etc., was eben genau der Bedeutung von it. bastare genau entspricht. Dovere in Verbindung mit den italienischen Entsprechungen von nur, bloß, allein etc. (d.h. solo, soltanto, solamente etc.), ist jedoch nicht ausgeschlossen: (41)
Phares also kein Magier? Was aber sonst? Vielleicht ein Suggestor von ungewöhnlicher Kraft? Er zeigt einen Kiesel und verwandelt ihn in Gold. Doch steckt nicht Gold in jedem Kiesel, wie Helena in jedem Weibe steckt? Wir müssen nur zur Gottheit vordringen. (Aladin 114:1).
(42)
Schleifen ziehen sie durch das weite und sanfte Hügelland voll grüner Einsamkeit, ach, man müßte bloß aus dem Wagen steigen können, und es wäre so, wie es Jean-Jacques Rousseau sich nicht natürlicher erträumen könnte. (Technik 93:2).
Wenn pragmatisches müssen in Verbindung mit Negation (nicht etc.) in der Bedeutung von „nicht brauchen", „nicht nötig sein", nicht notwendig sein" etc. vorkommt, ist es ins Italienische vorzugsweise mit entsprechend äquivalenten Ausdrücken wie esserci bisogno, essere necessario etc. zu übersetzen. Häufig sind Sätze dieser Art zusätzlich unpersönlich (Passivkonstruktion): (43)
SIR LANCELOT Oh Ginevra! KÖNIGIN GINEVRA Wie glücklich sind wir! Endlich lauscht niemand mehr hinter den Türen, keine mißtrauischen Blicke... du mußt dich nicht mehr die halbe Nacht im Schrank verstecken... keine verschlüsselten Botschaften... nicht mehr lügen... ich muß keine Dienstboten mehr bestechen... Ich muß nicht wachliegen und vergeblich warten, muß mich nicht ängstigen um dich!... Wir können miteinander reden, den ganzen Tag bis in den Abend und am nächsten Morgen immer noch, niemand hindert uns, niemand ist mißtrauisch... keine Küsse mehr, die einen anderen kränken... (Merlin 319:10).
(44)
[...] Und Harsdörffer rief: O, hätten wir doch gegen die schlimme Zeit eine Kürbislaube, weit genug fur uns alle! Mehr mußte nicht gesagt werden. (Telgte 163:3).
Wir fassen zusammen: Tabelle 6.14: Entsprechungen für müssena„,„,,. tm Italienischen
Deutsch - müssen + - müssen + - müssen + - müssen +
Italienisch 0
—>
man nur, bloß
->
NEGATION
->
->
- dovere - bisogna (occorre) -basta - esserci bisogno (essere necessario)
274 2.) Wie übersetzt man pragmatisches „dovere" ins Deutsche? Für pragmatisches dovere, das auf Gründe verweist, gilt, daß es in der Regel müssen entspricht. Dies gilt sogar nahezu uneingeschränkt für unnegiertes dovere. Wird aber dovere negiert, so ist die Entsprechung nicht mehr unbedingt müssen. Problematisch ist hier das Italienische, weil es bei non dovere weder zwischen innerer und äußerer Negation noch zwischen der Negation der Verpflichtung und der Negation der Erlaubnis formal unterscheidet - wie es in zahlreichen anderen Sprachen der Fall ist, darunter im Deutschen mit der Opposition müssen (brauchen) : dürfen.4 Ein Satz wie (45): (45)
Non devi comportarti in questo modo.
läßt demnach (mindestens) sieben unterschiedliche Lesarten zu (die im Italienischen kontextuell oder durch Performative mühelos auseinandergehalten werden können) - und zwar die folgenden: (46)
(a) (b) (c) (d) (e) (f) (g)
Non voglio che tu ti comporti in questo modo. Voglio che tu non ti comporti in questo modo. Non c'è alcun motivo per cui tu ti debba comportare in questo modo. C ' è un qualche motivo per cui tu non ti debba comportare in questo modo. Non c'è alcun obbligo per cui tu ti debba comportare in questo modo. C'è un qualche obbligo per cui tu non ti debba comportare in questo modo. Non c'è alcun permesso per cui tu ti debba comportare in questo modo.
Wir können diese sieben Lesarten des Syntagmas „Negation + dovere" wie folgt formalisieren (durch den Fettdruck wird die jeweilige Bedeutung von dovere im Zusammenspiel mit der Negation hervorgehoben): (47)
(a) (b) (c) (d) (e) (f) (g)
Ich will nicht, daß ρ Ich will, daß nicht ρ Es besteht kein Grund dazu, daß ρ Es besteht ein Grund dazu, daß nicht ρ Es besteht keine Verpflichtung dazu, daß ρ Es besteht eine Verpflichtung dazu, daß nicht ρ Es besteht keine Erlaubnis dazu, daß ρ
Die Lesarten (47) (a) und (d)/(e) fallen hier weg, denn sie sind keine pragmatischen. Die erstere verweist auf Intentionen, ist also mit sollen zu übersetzen; die beiden letzteren stellen deontische Sätze dar, sie werden weiter unten behandelt (vgl. 7.3.2.). Die Lesarten (47) (b) und (c) sind pragmatisch. Sie unterscheiden sich dadurch voneinander, daß die erstere eine äußere, die letztere eine innere Negation aufweist. Die äußere Negation ist die Negation der Gründe, die nicht bestehen. Es wird aiso ein müssen, d.h. das Bestehen von Gründen, schlicht negiert: Man erhält ein nicht müssen. Die innere Negation ist die Negation der Proposition. Hier bestehen Gründe dafür, daß die propositionale Handlung nicht ausgeführt wird. Es wird somit eine pragmatische Begründung für -p angeführt, was im Deutschen mit nicht dürfen ausgedrückt wird. Auf die beiden Lesarten fallen demnach zwei unterschiedliche Ausdrücke: für die erstere Lesart negiertes müssen, für die letztere negiertes dürfen·.
4
Diese formale Unterscheidung gibt es ebenfalls im Latein (cantare non debeo, cantandum non est vs. cantare non licet) und z.B. auch im Kroatischen (ne moras citati/ne snùjes citati).
275 (48)
(a) (b)
Du mußt dich nicht so verhalten, Du darfst dich nicht so verhalten.
Die Bedeutung von (48) (a) ist die des Nicht-Bestehens von Gründen, daß ρ („es muß nicht, daß p"), also des Nicht-Nötig-Seins, daß ρ (des Nicht-Bedürfens, daß p). Für diese Bedeutung („nötig haben") hat das Deutsche ein spezielles Verb: brauchen. Ein Nicht-Müssen, daß ρ wird somit zu einem Nicht-Brauchen, daß ρ („es braucht/bedarf nicht, daß p). Anstelle von pragmatischem nicht müssen kann im Deutschen fakultativ pragmatisches nicht brauchen eingesetzt werden. Die Bedeutung von (48) (b) ist die des Bestehens von Gründen, daß -p („es muß, daß -p"), also des Nötig-Seins, daß -p (des Bedürfens, daß -p). Auch dafür hat das Deutsche ein spezielles Wort zur Verfügung: dürfen. Ein Müssen, daß -p wird somit zu einem pragmatischen Nicht-Zulassen, daß ρ („es läßt nicht zu, daß p"). Bestimmte Gründe lassen nicht zu, daß ρ - d.h. sie fordern -p. Anstelle von pragmatischem nicht müssen muß im Deutschen (und dies gewährleistet die Differenzierung gegenüber der obigen Bedeutung) obligatorisch pragmatisches nicht dürfen eingesetzt werden. Beispiele aus dem Deutschen: a.)Nicht-müssen in der Bedeutung „Es besteht kein Grund dafür, daß /?" (= fakultatives nicht-brauchen): (49)
„Ich will euch erzählen", flüsterte der junge Mann, „was in den sieben Himmeln ist. Im ersten Himmel ist das große Schweigen, da dürfen endlich einmal alle Leute den Mund halten. Sie müssen endlich einmal kein Blatt vor den Mund nehmen. Sie müssen endlich einmal nicht loben, was sie tadeln wollen. Sie brauchen nicht das Maul aufzureißen, als ob sie wunder was wären - und sie sind doch nur arme, kleine Leute. (DE2060-A 210:8).
(50)
Ginevra schreibt an Isolde. Liebe Isolde, Du mußt nie über Deine Liebe zu Tristan nachdenken, sondern immer nur darüber, wie ihr die Hindernisse überwinden könnt, um zusammenzukommen. Wie glücklich Du bist! Deine Liebe macht mich mutlos. Ich werde nie so sein können wie Du, aber ich werde es mir immer wünschen. (Merlin 125:4).
(51)
SIR LANCELOT Oh Ginevra! [Schweigen.] KÖNIGIN GINEVRA Wie glücklich sind wir! Endlich lauscht niemand mehr hinter den Türen, keine mißtrauischen Blicke... du mußt dich nicht mehr die halbe Nacht im Schrank verstecken... keine verschlüsselten Botschaften... nicht mehr lügen... ich muß keine Dienstboten mehr bestechen... Ich muß nicht wachliegen und vergeblich warten, muß mich nicht ängstigen um dich!... Wir können miteinander reden, den ganzen Tag bis in den Abend und am nächsten Morgen immer noch, niemand hindert uns, niemand ist mißtrauisch... keine Küsse mehr, die einen anderen kränken... (Merlin 319:10).
In (49) bis (51) weist nicht müssen die Bedeutung „Es gibt keinen Grund, daß /?" auf. In allen Fällen läßt sich nicht müssen durch nicht brauchen ersetzen. Die Tendenz zu nicht brauchen ist eine Grammatikalisierungstendenz: Der Sprecher neigt dazu, nicht brauchen in all den Kontexten zu verwenden, in denen nicht müssen eine andere als die Bedeutung nicht dürfen hat. Dies beweist (52): (52)
PARZIVAL Muß ich denn immer allein sein? HERZELOIDE Allein ist man am sichersten. Allein mußt du nicht teilen. Allein mußt du nicht streiten. Allein mußt du niemandem danken. Allein bist du nicht enttäuscht. (Merlin 83:10).
In (52) sind das erste und dritte nicht müssen als nicht brauchen („es nicht nötig haben") ohne weiteres interpretierbar. Das zweite nicht müssen („Allein mußt du nicht streiten") bedeutet zwar „Es besteht kein Grund, daß p", eine Bedeutung „Es ist nicht nötig, daß pu ist
276 jedoch nicht vorhanden. Trotzdem ist hier eine Paraphrasierung mit „Allein (= wenn du allein bist) brauchst du nicht zu streiten" jederzeit möglich. Nicht brauchen wird demnach in der Bedeutung „Es besteht kein Grund, daß somit über seine eigene spezifische Bedeutung („es nicht nötig haben") hinaus verallgemeinert. Negationen sind nicht nur explizit negierende Elemente wie nicht und niemand in den vorhergehenden Belegen, sondern es können auch implizit negierende wie einschränkendes nur, bloß, allein etc. sein: (53)
- Die Ärzte haben gesagt, wahrscheinlich werde ich mich nie ohne Rollstuhl fortbewegen können. Zuviel kaputt da drin, sage ich in einem Versuch zu scherzen und klopfe auf den Gips. - Quatsch, sagt Lotte. - Du mußt nur wollen. (Erz-60-B 283:6).
Die Bedeutung von nur müssen in (53) ist „Es gibt einen Grund für ρ und keinen Grund für etwas, was über ρ hinausgeht", d.h. „Du mußt nichts weiteres tun, als p" (= Es gibt keinen Grund, mehr als ρ zu tun). Nur müssen kann wiederum sowohl die Bedeutung von nur brauchen wie (auch wenn nur gelegentlich) die von nur dürfen haben. In (53) liegt die Bedeutung von nicht brauchen, in (54) die von nur dürfen vor: (54)
Erinnern muss man nur an Dinge, die nicht jeder ohnehin schon kennt. Das gilt für viele Bilder und Sätze, an die jetzt, zum Jahrhundertende, erinnert wird, obwohl sie gar niemand vergessen kann. Viele solcher Bilder und Worte, die sich diesem Jahrhundert eingeprägt haben, entstanden in Berlin. (F.A.Z., Berliner Seiten, Montag / 20.12.1999 / Nr. 296 / Seite BS3)
b,)Nicht-müssen in der Bedeutung „Es besteht ein Grund dafür, daß -p" (= obligatorisches nicht-dürfen): (55)
Die männliche Stimme sagte: „Wieviel Geld brauchst du?" Als Antwort kam ein guttural dunkles Lachen. [...] „So sag mir doch, wieviel du brauchst." [..] Wieder das dunkle Lachen. [...] „Woher hast du denn soviel Geld?... und selbst wenn du s hättest, von dir nähme ich es nicht." [...] „Ich liebe dich ja." - „Eben deshalb darfst du nicht von Geld sprechen." (DE2060-A 172:7).
(56)
DER MANN: Das hilft j a alles nicht. DIE FRAU: Karl, du darfst jetzt nicht den Kopf sinken lassen! Du mußt stark sein, wie es der Führer immer... (Spieltey 66:5).
(57)
„Ich will Vater und Mutter verlassen um deinetwillen, wie es in der Bibel steht", sagte das kleine Mädchen. Bracke strich ihr über die Stirn. „Du darfst nicht bei mir bleiben. Ich habe den bösen Blick." (Bracke 146:5).
In (55) bis (57) weist nicht dürfen die Bedeutung „Es gibt einen Grund dafür, daß -p" auf: In (55) wird mit „deshalb" darauf verwiesen, in (56) mit Jetzt", in (57) ist es „Ich habe den bösen Blick". Nicht dürfen ist in dieser Funktion komplementär distribuiert zu nicht müssen, das eintritt, um performative Dienste zu leisten. Es ermöglicht eine eindeutige Monosemierung gegenüber der Bedeutung „Es gibt keinen Grund, daß /?". Für die These von nicht dürfen als komplementär distribuiert zu nicht müssen sprechen die beiden folgenden Tatsachen: Zum einen weisen auch Sprecher des Deutschen Unsicherheiten auf im Gebrauch von nicht müssen und nicht dürfen, geben also eine Beziehung der beiden Formen indirekt zu, zum anderen finden sich im deutschen Schrifttum gelegentlich auch Beispiele von nicht müssen, die eindeutig für nicht dürfen stehen („Es gibt einen Grund dafür, daß -p"). Diese Belege geben eine Beziehung von nicht dürfen zu nicht müssen explizit zu:
277 (58)
Dann sagte Κ.: „Du glaubst also der Mann wurde nicht getäuscht?" - „Mißverstehe mich nicht", sagte der Geistliche, „ich zeige Dir nur die Meinungen, die darüber bestehn. Du mußt nicht zuviel auf Meinungen achten. Die Schrift ist unveränderlich und die Meinungen sind oft nur ein Ausdruck der Verzweiflung darüber." (Proceß 298:1).
(59)
„Die abschließenden Entscheidungen des Gerichtes werden nicht veröffentlicht, sie sind nicht einmal den Richtern zugänglich, infolgedessen haben sich über alte Gerichtsfälle nur Legenden erhalten. Diese enthalten allerdings sogar in der Mehrzahl wirkliche Freisprechungen, man kann sie glauben, nachweisbar sind sie aber nicht. Trotzdem muß man sie nicht ganz vernachlässigen, eine gewisse Wahrheit enthalten sie wohl gewiß, auch sind sie sehr schön, ich selbst habe einige Bilder gemalt, die solche Legenden zum Inhalt haben." (Proceß 208:1).
(60)
„Wenn ihr draußen seid, könnt ihr aber zum Beispiel Zettel verstreuen, am Wochentag. Da wundert sich die Frau Mutter wie das möglich ist, weil wir doch kaum noch aus dem Hofe dürfen. Ihr miißt sie nicht in der Nähe der Schule verstreuen, sondern gerade in der feinsten Gegend, am besten, wo die reichen Kaufleute wohnen." (AufrKind 162:1). „Ihr dürft mir nicht eure Sachen schicken, Mutter. Wir haben draußen genug zu essen. Ihr könnt es hier besser brauchen." Wie arm sie in ihrem Bette liegt, sie, die mich liebt, mehr als alles. Als ich schon gehen will, sagt sie hastig: „Ich habe dir noch zwei Unterhosen besorgt. Es ist gute Wolle. Sie werden warm halten. Du mußt nicht vergessen, sie dir einzupacken." (Westen 169:4).
(61)
(62)
„Hat der Wendelin Witschi damals wirklich unrecht gehabt mit seiner Behauptung? Nein, schweigt jetzt. Ihr könnt nachher reden. Ihr miißt nicht meinen, ich sei ein Stündeier. Ich versteh auch Spaß, Aeschbacher; aber irgendwo muß der Spaß aufhören. Ihr habt vieles auf dem Gewissen, nicht nur den Wendelin Witschi." (Studer 171:2).
Die ersten beiden Belege stammen aus Franz Kafkas „Proceß", erstmals 1925 erschienen; der dritte stammt aus Arnold Ulitz' Roman „Aufruhr der Kinder", erschienen 1928; der vierte ist Erich Maria Remarques Roman „Im Westen nichts Neues" entnommen, erschienen ebenfalls 1928; der letzte ist neueren Datums. Er stammt aus dem Kriminalroman „Wachtmeister Studer" des schweizerischen Schriftstellers Friedrich Glauser. Der Rückgriff auf nicht dürfen erfolgt bei den Autoren keineswegs systematisch, sondern durchaus gelegentlich. Dies beweist (61), w o neben regelhaftem nicht dürfen abweichendes nicht müssen erscheint. Der Gebrauch von nicht müssen anstelle von nicht dürfen in (58) bis (62) stellt eine offensichtliche Abweichung von der Regel dar, bei Bedeutung „Es besteht ein Grund, daß -p" nicht dürfen einzusetzen. Beispiele aus dem Italienischen: a , ) N o n dovere in der Bedeutung „Es besteht kein Grund dafür, daß p" (63) (64)
(65)
„Sempre cosi; ma sta buono una volta! Ho detto facciamo i comodi nostri; noi non dobbiamo dar conto a nessuno [...]" aggiunse supremamente conciliante. (Pietra 123:1). - Ma tu, - ecco la sola domanda che ti viene alla mente, - mentre lei legge, cosa fai? - A me non dispiace vederla leggere, - dice Irnerio. - E poi qualcuno che legga i libri ci vuole, no? Almeno posso star tranquillo che non devo leggerli io. (Notte 150:6). Se lo svarione è d'autore, dal punto di vista filologico non è un errore e non deve essere corretto. Se l'autore è un ignorante o un cretino, è giusto che risulti tale davanti al lettori. Non devo impicciarmi di difendere il suo buon nome intervenendo contro la sua volontà. (Filology 117:2).
In (63) bis (65) weist non dovere jeweils die Bedeutung „Es besteht kein Grund dafür, daß auf und es entspricht dt. nicht müssen = nicht brauchen.
278 b,)Non dovere in der Bedeutung „Es besteht ein Grund dafür, daß -p" (66)
Ci fu silenzio. Il Mancuso masticava la punta della sigaretta, cupo e muto; la De Cherini aveva ripreso il suo atteggiamento abbandonato contro la spalliera del canapè. „Tu non devi mostrarle che sei geloso", riprese poi, „ma devi aspettare che essa venga a te... se saprai fare verrà a te..." (RacNov 3 668:2).
(67)
E andando verso la porta della Giustizia molti gli dicevano: „Nega, nega, non voler morire;" e lui: „Cristo morì per noi." E loro: „Ma tu non sei Cristo, non devi morire per noi!" e lui: „Ma io voglio morire per lui." (Rosa-A 242:2).
(68)
Un mistico medievale non ragionerà come un professore di logica matematica dei nostri giorni. In una profezia non devo aspettarmi lo stesso rigore di concetti e di termini presente in una dimostrazione filosofica. (Filology 120:2).
In (66) bis (68) weist non dovere jeweils die Bedeutung „Es besteht ein Grund dafür, daß p" auf und es entspricht dt. nicht müssen = nicht dürfen. Auch im Italienischen sind selbstverständlich Negationen nicht nur die negationsperformativen N-Wörter wie non, nulla, nessuno etc., sondern auch implizite Negationen wie die einschränkenden Adverbialien solo, soltanto, esclusivamente etc. - in (69) entspricht dovere solo dt. nur müssen (nur brauchen), in (70) nur dürfen: (69)
Ho sviluppato una sensibilità da cameriere che mi permetteva di prevenire di qualche secondo la mia esposizione. Gli altri camerieri erano come volpi da ristorante: fiutavano questi momenti. Dovevano solo girare la testa verso un tavolo, per capire se un cliente era sul punto di chiamarli. (Cream 68:2).
(70)
Naturalmente, - aggiunse ancora, - se vuoi provare piacere devi andare soltanto con quelli che ti piacciono. Se sei costretta a farlo per soldi e vai con tutti, come facevo io prima di ritornare qua dentro, ad ascoltare le scemenze delle monache, dopo un po' provi fastidio o addirittura schifo". (Chimera 30:2). Wir fassen zusammen: Tabelle 6.15: Entsprechungen für dovere0rUnd. im Deutschen
Deutsch
Italienisch - dovere: - non dovere: - non dovere:
GRUND, DASS Ρ KEIN GRUND, DASS Ρ GRUND, DASS NICHT Ρ
-» -» - >
- müssen - nicht müssen / nicht brauchen - nicht dürfen
B.) Der Verweis auf Intentionen l . ) W i e übersetzt man pragmatisches „sollen" ins Italienische? In pragmatischen Sätzen mit sollen drücken sich drei unterschiedliche intentionale Einstellungen zu Sachverhalten seitens des Aktanten aus: Es kann sich um beabsichtigte, um erwünschte oder um geforderte Sachverhalte handeln. Je nachdem, welche Art von Intention vorliegt, stehen im Italienischen jeweils unterschiedliche Klassen von Ausdrucksmitteln zur Verfügung: Dovere nur zum Ausdruck von beabsichtigten und geforderten Sachverhalten, allerdings neben weiteren Klassen von Ausdrucksmitteln, die eine gezielte Monosemierung ermöglichen. Vergleiche:
279 Tabelle 6.16: Entsprechungen für sollenQ,und. Im Italienischen Deutsch
sollen
Italienisch
-> - >
-»
beabsichtigte Sachverhalte erwünschte Sachverhalte geforderte Sachverhalte
-> ->
->
dovere/andere Ausdrucksmittel 0
dovere/ändere Ausdrucksmittel
1 a.) Sollen-Sätze als Ausdruck von beabsichtigten Sachverhalten Die primäre italienische Entsprechung von sollen in Sätzen, die beabsichtigte Sachverhalte ausdrücken, ist dovere. Sie ist in dieser Funktion uneingeschränkt möglich. Unter bestimmten Bedingungen, vor allem in Korrespondenz zu entsprechenden performativen Ausdrücken im Satz, kommen die folgenden monosemierenden Ausdrücke alternativ in Frage: a.)Das Modalverb volere; b.)Lexikalische Performative des Wortfeldes von intendere („avere l'intenzione di"); c.) Finalsätze {per, da + Infinitiv, affinché + Konjunktiv); d.)Das Tempus Futur. Beispiele: (71)
„[...] Und auch der alte Ellenberger wußte von der Sache?" - „Vielleicht nachher. Der Cottereau hat auch zuerst gar nicht gewußt, daß ich den Witschi erschossen habe. Ich habe nur vorbeugen wollen, er sollte es Euch nicht gleich erzählen, daß er mich dort gesehen hatte." (Studer 175:4). IT ... Volevo solo prevenire, non volevo che vi raccontasse subito di avermi visto là.
(72)
In dieser Situation eines Paradigmenwechsels soll unsere Anthologie erstmals nahezu das gesamte Spektrum der Prager deutschen Literatur zwischen Neuromantik und Neuer Sachlichkeit eröffnen [...]. (Prager-A 10:2). IT ... la nostra antologia si propone per la prima volta di....
(73)
„Warum habt Ihr den Augsburger im gestohlenen Auto nach Thun geschickt, damit er sich verhaften lassen soll? Denn das habt Ihr doch gewollt?" (Studer 175:8). IT Perché avete mandato Augsburger a Thun con la macchina rubata affinché si lasciasse arrestare?
(74)
Stockholm (TT). Die Briefmarkenkrise. Briefe, die mit Kaugummi frankiert sind, sollen in Zukunft nicht mehr befördert werden. Darauf hat die schwedische Post ihre Kunden hingewiesen. (Europa-A 103:2). IT ... non verranno più inoltrate al destinatario.
In (71) korreliert sollen mit wollen, dieses wirkt performativ und macht im Italienischen die Wiederholung von volere akzeptabler als ein Zurückgreifen auf dovere, das kausale Interpretationen nahelegen könnte. In (72) geht es um klar abgesteckte Ziele: ein intentionales Performativ („proporsi") ist hier wiederum dovere vorzuziehen, zumal dieses wiederum auf kausale Zusammenhänge ablenken könnte. Mit (73) liegt auch im Deutschen ein Finalsatz vor. Das Italienische meidet die Redundanz und wählt Finalsatz ohne dovere. In (74) liegt auch performativ Zukunfstbedeutung vor. Die Absichtsbedeutung übernimmt im Italienischen das Futur. Wir fassen zusammen: Dovere ist fiir beabsichtigendes sollen die allgemei-
280 ne Entsprechung. In den Fällen, in denen aufgrund der starken Polysemie von dovere ein Verweis auf (zumeist kausale) Gründe nicht auszuschließen ist, kann auf performativ monosemierende Ausdrucksmittel zurückgegriffen werden: Tabelle 6.17: Entsprechungen für soliente,**, Im Italienischen Italienisch
Deutsch -
sollen sollen sollen sollen sollen
= +
+ + +
beabsichtigte Sachverhalte wollen ZIEL damit ZUKUNFT
-> - >
->
-
dovere volere Wortfeld „intendere" FINALSATZ FUTUR
lb.)5o//e«-Sätze als Ausdruck von erwünschten Sachverhalten In 4.3.1.2. sowie 5.3.1.2.2. haben wir festgestellt, daß der Ausdruck erwünschter Sachverhalte im Deutschen auch mit sollen, im Italienischen nie mit dovere erfolgt.5 Das Italienische greift hier entweder auf den Modus Konjunktiv, eingeleitet durch optativische Konjunktionen wie che, (oh) se, almeno, magari etc. zurück, oder aber auf verbale bzw. nominale Performative des Wünschens wie augurar(si), chiedere, domandare etc. bzw. augurio, desiderio, richiesta etc. Beispiele: (75)
[...] Er [MERLIN] steigt hinauf bis in die gewaltige Baumkrone. DER TEUFEL Verdorren soll der Baum! (Merlin 43:1). IT ... Che l'albero rinsecchisca!
(76)
DON LOLO: Zum Teufel mit euch! Seid ihr hier vielleicht in einer Taverne? Hört auf damit! Den Hals sollt ihr euch brechen! (Spielety 57:10). IT ... Che vi possiate rompere il collo!/Mi auguro che vi rompiate il collo!
Zusammenfassend: Tabelle 6.18: Entsprechungen für so/fenwunuh Im Kallenischen Wie übersetzt man pragmatisches so//er>wunsch ins Italienische? - sollen
=
erwünschte Sachverhalte
- (che) + KONJUNKTIV - Wortfeld von „augurare/augurio" + KONJUNKTIV
1 c.) Sollen-Sätze als Ausdruck von geforderten Sachverhalten In 4.3.1.3. hat es sich als sinnvoll erwiesen, die Gesamtklasse der sollen-Sätze, die geforderte Sachverhalte ausdrücken, in verschiedene Unterklassen nach dem Kriterium der Sprecherrolle im Hinblick auf den geforderten Sachverhalt zu untergliedern. Es wurde danach unterschieden, ob der Sprecher fordernder Aktant (fA) und/oder Adressat der Forderung (AdF) ist. Es ließen sich die vier folgenden Fälle unterscheiden: 5
Auf möglicherweise neue Tendenzen im Italienischen, die dovere zum Ausdruck von erwünschten Sachverhalten zuließen, habe ich mit Beispiel (145) im Kapitel 5 („Gesù Cristo la deve consolare... [...]". (RacNov 4 1006:1).) hingewiesen.
281 (i) (ii) (iii) (iv)
Sprecher Sprecher Sprecher Sprecher
[+fordernder Aktant, -Adressat der Forderung], [+fordernder Aktant, +Adressat der Forderung], [-fordernder Aktant, +Adressat der Forderung], [-fordernder Aktant, -Adressat der Forderung].
In 5.3.1.2.3. haben wir die dovere-Sätze, die geforderte Sachverhalte ausdrücken, nach den gleichen Kriterien analysiert und die Klassen der Ausdrucksmittel im Italienischen für die entsprechenden sollen-Sätze in den vier verschiedenen Sprecherrollen ermittelt. Ich verweise deshalb auf die in den Kapitel 4 und 5 erarbeiteten Ergebnisse. Hier ist die Vielfalt von Ausdrucksmitteln, die das Italienische für die Wiedergabe von sollen einsetzt, besonders auffallend: Neben dem Modalverb dovere kommen verba dicendi im Verbund mit dem Imperativ, dem Konjunktiv oder dem Infinitiv vor, ferner performative Verben des Forderns. Auffallend ist in erster Linie der Rückgriff auf den Konjunktiv sowohl bei den virtuellen wie auch bei den unausgesprochenen Forderungen, der den Ausdruck der erwünschten Sachverhalte kennzeichnet: Die gemeinsame Ausdrucksform dieser drei Gruppen von Inhalten im Italienischen läßt sich dadurch erklären, daß diese beiden Klassen der Forderungen den Äußerungen von Wünschen sehr nahe stehen (vgl. 4.3.1.2. und 5.3.1.2.2.). Auch hier bestätigt sich die immer wieder beobachtete Tendenz des Italienischen zum performativen Ausdruck (in dem speziellen Fall zu den Verben des Forderns). Hierin spiegelt sich mit Sicherheit das Bedürfnis nach einem genügend monosemierenden Ausdruck wider: Auf performative Ausdrucksmittel greift der Sprecher immer dann, wenn dovere aufgrund seiner vielfältigen Ausdrucksaufgaben sich als überfordert erweist, eine bestimmte Bedeutung zu tragen. Zusammenfassend (wobei: fA = fordernder Aktant, AdF = Adressat der Forderung): Tabelle 6.19: Entsprechungen für so//enFom.rung Im Italienischen Italienisch
Deutsch - sollen:
A.) Sprecher [+fA, -AdF] 1.) Tatsächliche Forderungen a.) Äußerung einer eigenen Forderung b.) Wiederholung einer eigenen Forderung c.) Delegierung einer eigenen Forderung d.) Erwähnung einer eigenen Forderung 2.) Virtuelle Forderungen B.) Sprecher [+fA, +AdF] a.) Individuelle Forderungen b.) Kollektive Forderungen
-»
- >
- >
-
dovere ti ho detto di + INFINITIV IMPERATIV + ti ho detto di digli di + INFINITIV digli che + KONJUNKTIV dovere (che) + KONJUNKTIV
-» - >
C.) Sprecher [-fA, +AdF] Erwähnung von Forderungen an sich selbst -»
- dovere - dovere
D.) Sprecher [-fA, -AdF] a.) Weitergabe einer fremden Forderung b.) Erwähnung einer fremden Forderung c.) Unausgesprochene Forderungen
- dovere - >
- >
-
dire di + INFINITIV Forderungsverb dovere (che) + KONJUNKTIV
282 2.) Wie übersetzt man pragmatisches ,,dovere¡ntent¡onai" ins Deutsche? Intentionales dovere drückt entweder beabsichtigte oder aber geforderte Sachverhalte aus jedoch keine erwünschten: a.)£>overe-Sätze als Ausdruck von beabsichtigten Sachverhalten Wenn dovere in Sätzen verwendet wird, die beabsichtigte Sachverhalte ausdrücken, ist die deutsche Entsprechung generell sollen. Soll die Volition des beabsichtigenden Aktanten in den Vordergrund gerückt werden, kann auf wollen zurückgegriffen werden: (77)
Chantal si era ritirata in camera da letto. Felice la raggiunse. Chiuse la porta e la finestra. Dovevano sentire Radio Londra. (Patio 150:8). DT ... Sie wollten Radio London hören.
Die Negation von beabsichtigendem sollen ist nicht sollen - und nicht nicht dürfen, wie man nicht gerade selten in Übersetzungen zu lesen bekommt. Beabsichtigendes non dovere ist also stets im Deutschen mit nicht sollen wiederzugeben: (78)
Guglielmo [...] mi mise dalla parte dei minoriti, dove stavano Michele coi suoi e altri francescani della corte di Avignone: perché l'incontro non doveva apparire come un duello tra italiani e francesi, ma una disputa tra sostenitori della regola francescana e i loro critici [...]. (Rosa-B 341:5). DT ... denn das Treffen sollte nicht wie ein Duell zwischen Italienern und Franzosen erscheinen...
Wir fassen zusammen: Tabelle 6.20: Entsprechungen für doverekbtk:M im Deutschen Italienisch - dovere - dovere - dovere
Deutsch +
+ +
0 VOLITION NEGATION
- >
- sollen - wollen/sollen - nicht sollen
b.)Dovere-Sätze als Ausdruck von geforderten Sachverhalten Wird dovere in Sätzen verwendet, die geforderte Sachverhalte ausdrücken, ist die deutsche Entsprechung stets sollen. Die Negation von forderndem sollen ist ebenfalls nicht sollen: Forderndes non dovere ist also stets im Deutschen mit nicht sollen wiederzugeben: (79)
L'aborto è una cosa ben triste: una forma vivente che viene uccisa. Non deve essere clandestino ma legale. (Serena 79:6). DT ... Sie soll nicht gesetzwidrig, sondern legal sein.
Wir fassen zusammen: Tabelle 6.21: Entsprechungen für dovereFord.rung Im Deutschen Italienisch - dovere - dovere
Deutsch + *
0 NEGATION
- >
- sollen - nicht sollen
283 6.3.2. Der deontische Modalitätstyp Im deontischen Bereich stehen sich im Deutschen müssen und sollen wiederum in komplementärer Distribution zueinander: Sie nehmen jeweils auf unterschiedliche Weise Bezug auf Normen: Deontische Sätze mit müssen haben wir als Ausdruck von Norm-Verweisen, deontische Sätze mit sollen dagegen als Ausdruck von Norm-Appellen charakterisiert (vgl. 3.3.2. und 4.3.2.). Im Italienischen steht dovere nur als Ausdrucksmittel der Norm-Verweise zur Verfügung. Die Norm-Appelle werden mittels des Futurs (Non avrai altro Dio all'infuori di me!), des Imperativs (Non uccidere! Onora il padre e la madre!) oder des Indikativs mit dem unpersönlichem Pronomen si (z.B.: Non si uccidono gli animali! Si sta composti a tavola!) ausgedrückt (vgl. 5.3.2.). Vergleiche: Tabelle 6.22: Vergleich des deontischen Modalitätstyps Italienisch
Deutsch NORM-VERWEISE
NORM-APPELLE
NORM-VERWEISE
NORM-APELLE
müssen
sollen
dovere
- FUTUR - IMPERATIV - INDIKATIV
Schwierigkeiten bei der Übersetzung (vom Deutschen ins Italienische) bereitet wiederum die Negation von müssen. Negiertes müssen hat genauso wie im pragmatischen Bereich auch im deontischen zwei Bedeutungsfunktionen: Es bedeutet zum einen „Es besteht keine Verpflichtung zu p", zum anderen „Es besteht eine Verpflichtung zu -/>", je nachdem, ob die Negation eine äußere oder eine innere ist. Im ersten Fall ist nicht müssen wiederum stets fakultativ ersetzbar durch nicht brauchen, im zweiten wird nicht müssen obligatorisch durch nicht dürfen ersetzt. a.) Beispiele aus dem Deutschen: (80)
SIR KAY Seid ihr denn immer noch da? Jetzt ist aber Schluß hier oben! Jetzt verlaßt ihr aber die Galerie! Da ist nur der König zugelassen, und vielleicht bin ich noch da, falls er mich brauchen sollte. SIR MORDRED Der König muß aber doch auch auf den Richtplatz gehen! SIR KAY Muß er nicht, muß er nicht! Das ist nach'm Gesetz nich' nötig. Lehr du den König, was seine Pflicht ist! (Merlin 306:4).
(81)
Was sollte er tun. Sie lag oben mit einem anderen im Bett. Zurückgehen. Er wußte es, er hatte es ja gewußt. Sie wollte jetzt nicht sprechen. Das war ihr verabredetes Zeichen. Sie hatte Besuch. Und wie er den Schlüssel im Schloß hatte, wußte er, das darfst du nicht tun. Er tat es. (Erz-60-B 323:3).
In (80) liegt die Bedeutung „Es besteht keine Verpflichtung zu p" vor, die italienische Entsprechung ist non dovere oder non esserci bisogno di + Infinitiv, non essere tenuto a + Infinitiv etc., in (81) liegt die Bedeutung „Es besteht eine Verpflichtung zu -p" vor, die italienische Entsprechung ist hier non dovere oder auch (durch Umwandlung des Verbots in eine Nicht-Erlaubnis) non potere, non essere permesso + Infinitiv etc. b.)Beispiele aus dem Italienischen:
284 (82)
„L'inquisitore è sottratto a ogni giurisdizione regolare," disse Guglielmo, „e non deve seguire le norme del diritto comune. Gode di speciale privilegio e non è neppure tenuto ad ascoltare gli avvocati." (Rosa-B 373:6). DT Der Inquisitor steht über jeder regulären Gerichtsbarkeit - antwortete William - , er braucht die Normen des gewöhnlichen Rechts nicht zu befolgen, er genießt Sonderrechte und ist nicht einmal gehalten, die Verteidiger anzuhören.
(83)
Per fortuna il signor Torquat una volta portò un bellissimo libro. Era un libro prezioso. Nuria e Narcis non dovevano toccarlo. Si chiamava un incunabulo. Lui solo poteva sfogliarne le pagine. (Patio 65:2). DT ... Nuria und Narcis durften es nicht anfassen.
Fassen wir zusammen: 1.) Deutsch - > Italienisch Tabelle 6.23: Entsprechungen für deontisches müssen/sollen im Italienischen Deutsch müssen müssen
Italienisch + + +
0 ÄUSSERE NEGATION INNERE NEGATION
sollen
- dovere - non dovere/non esserci bisogno etc. - non dovere/non potere etc.
- > - > - >
- FUTUR - IMPERATIV / INDIKATIV
- > - >
2.)Italienisch —> Deutsch Tabelle 6.24: Entsprechungen für deontisches dovere im Deutschen Italienisch dovere dovere
Deutsch + + +
0 AUSSERE NEGATION INNERE NEGATION
- > —> - >
- müssen - nicht müssen/nicht - nicht dürfen
brauchen
6.3.3. Der dynamische Modalitätstyp Der dynamische Modalitätstyp wird im Deutschen mit müssen, im Italienischen mit dovere ausgedrückt. Im Italienischen ist allerdings der Gebrauch von dovere stark eingeschränkt. Die absolute Häufigkeit ist 360 : 165 zugunsten des Deutschen. Dies bedeutet, daß das Italienische zum Ausdruck von dynamischen Sätzen häufig auf andere Ausdrucksmittel zurückgreift als auf dovere. Wir haben in 3.3.3. diesen Modalitätstyp theoretisch begründet und in 5.3.3. bereits eine Kontrastierung von müssen mit dovere vorweggenommen. Wir können deshalb die dort erarbeiteten Ergebnisse zusammenfassen. Wir haben die Klasse der dynamischen Sätze in die beiden Gruppen der „Reflex-Handlungen" und der „(Natur-)Ereignisse" untergliedert und festgestellt, daß dovere starke Einschränkungen beim Ausdruck der ersten Gruppe erfährt, während es als Ausdrucksmittel der zweiten Gruppe uneingeschränkt zugelassen ist - mit
285 der einzigen Ausnahme der Kennzeichnung des 'Nicht-Unterlassen-Könnens' einer Handlung, fur die andere Ausdrucksmittel einzusetzen sind. Die ungleiche Verteilung von dovere auf dynamische Sätze hängt möglicherweise mit der Tendenz des Italienischen zusammen, auch Reflex-Handlungen insofern als teilweise intentionale Handlungen aufzufassen, als dem Handelnden immerhin noch die Möglichkeit des Unterdrückens eines physischen Impulses verbleibt, sie also weniger als das Deutsche in die Sphäre des Kausalen einzugliedern, auf das müssen (wie ebenfalls dovere) einen expliziten Hinweis gibt. Wir fassen zusammen: Tabelle 6.25: Vergleich des dynamischen Modalitatstyps Deutsch müssen:
Italienisch A.) R E F L E X - H A N D L U N G E N a.) vegetative Körperreaktionen
->
b.) Reflexe der Sinnesorgane c.) zerebrale Sphäre
-> ->
B.) ( N A T U R E R E I G N I S S E a.) tatsächliche Ereignisse b.) vorgestellte Ereignisse
-> ->
c.) „Schicksalsbestimmung" d.) „Nicht-Unterlassen-Können"
-> ->
dovere stark eingeschränkt; dafür: - venire/scappare da + Infinitiv - venire voglia di + Infinitiv - mettersi/prendere a + Infinitiv - dovere oder einfaches Verb - fare + Infinitiv - far tornare in mente - venire in mente etc. dovere zugelassen bis auf in d.) - dovere + Infinitiv - sembrare + dovereKONjuNKnv n - quasi/come + dovereKONJUNKTiv ιι - dovere + Infinitiv - non poter fare a meno di + Infinitiv - non poter non + Infinitiv - non poter (saper) resistere (sottrarsi) alla tentazione di + Infinitiv etc.
Der Tabelle 6.25 ist deutlich zu entnehmen, daß dynamisches dovere ohne weiteres im Deutschen mit müssen wiedergegeben werden kann.
6.3.4. Der objektiv-epistemische Modalitätstyp Die statistischen Werte (vgl. 6.2.1.) machen deutlich, daß objektiv-epistemische Sätze mit müssen und dovere häufiger sind als die entsprechenden subjektiv-epistemischen sowie daß im Italienischen epistemisches dovere wesentlich häufiger als müssen im Deutschen vorkommt. Ersteres findet eine Erklärung darin, daß müssen und dovere genuine Ausdrucksmittel des Objektiv-Epistemischen sind, letzteres darin, daß das Deutsche über eine Fülle von alternativen Audrucksmitteln verfugt, die im Italienischen nicht oder nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. So läßt sich auch erklären, daß der Unterschied der Satzmengen in den beiden Sprachen im subjektiv-epistemischen Bereich größer ist als im objektiv-epistemischen. Hier funktioniert müssen (genauso wie dovere) von vornherein als objektiv-epistemisch; die Notwendigkeit, auf alternative Ausdrucksmittel zum Zweck der Monosemierung zurückzugreifen, ist demnach geringer als im subjektiv-epistemischen Bereich.
286 Als Entsprechung von müssen kommen im Italienischen außer dovere allenfalls starke Epistemisker vor wie die Adverbien certamente, sicuramente, senza (alcun dubbio) etc. oder Periphrasen wie non poter essere altrimenti che... etc. Wir halten fest: Tabelle 6.26: Entsprechungen für objektiv-epistemisches müssen im Italienischen
Deutsch
Italienisch
mÖSSe/JOBJEKTIV-EPISTEMISCH
- dovere - STARKE EPISTEMIKA - non poter essere altrimenti che...
->
Nicht wesentlich zahlreicher, sicherlich aber häufiger, sind dagegen die Entsprechungsmittel des Deutschen für it. dovere·. Außer müssen kommen vielfach starke Epistemika zum Einsatz, wie etwa die Adverbien sicher(lich), ohne weiteres, ohne Zweifel etc., alternative Modalverbformen (besonders dürfte), ebenfalls Verbalperiphrasen (wie nicht anders sein können als...). Wir halten fest: Tabelle 6.27: Entsprechungen für objektiv-epistemisches dovere im Deutschen
Italienisch d o VereoBJEKTIV-EPISTEMISCH
Deutsch - >
-
müssen STARKE EPISTEMIKA MODALVERBEN (dürfte) nicht anders sein können als...
6.3.5. Der logisch-analytische Modalitätstyp Der logisch-analytische Modalitätstyp ist in beiden Sprachen weitestgehend ähnlich strukturiert: Im Deutschen kommt müssen, im Italienischen dovere vor. Im Deutschen scheint er etwas häufiger verwendet zu werden als im Italienischen (absolute Häufigkeit 105 : 75), die Anwendungsbedingungen entsprechen sich jedoch vollkommen. Diese grundsätzliche Ähnlichkeit geht möglicherweise auf die übereinzelsprachlich geltenden Charakteristiken der logischen Denkstruktur („Wenn A, dann B") zurück. Alternativ kommt im Italienischen das Syntagma non potere non + Infinitiv (= dovere necessariamente) vor. Zur Illustration die folgenden Beispiele: (84)
Der räumliche Gegenstand muß im unendlichen Räume liegen. [...] Der Fleck im Gesichtsfeld muß zwar nicht rot sein, aber eine Farbe muß er haben: Er hat sozusagen den Farbenraum um sich. Der Ton muß eine Höhe haben, der Gegenstand des Tastsinnes eine Härte, usw. (LogoPhil 10:4). IT La macchia nel campo visivo può non essere rossa, ma un colore non può non averlo. [...] Il suono deve avere un'altezza...
(85)
Die Anwendung der Logik entscheidet darüber, welche Elementarsätze es gibt. [...] Wenn ich die Elementarsätze nicht a priori angeben kann, dann muß es zu offenbarem Unsinn führen, sie angeben zu wollen. (LogoPhil 132:4). IT ... volerle indicare non può non condurre a un evidente nonsenso.
287 (86)
Der erste Gedanke bei der Aufstellung eines ethischen Gesetzes von der Form „Du sollst...." ist: Und was dann, wenn ich es nicht tue? Es ist aber klar, daß die Ethik nichts mit Strafe und Lohn im gewöhnlichen Sinne zu tun hat. Also muß diese Frage nach den Folgen einer Handlung belanglos sein. (LogoPhil 168:9). IT ... Dunque, questo problema delle conseguenze di un'azione non può non essere irrilevante.
Wir halten fest: Tabelle 6.28: Entsprechungen für logisch-analytisches müssen im Italienischen Deutsch fTlÜSSenLOGISCH-ANALYTISCH
Italienisch ->
- dovere
Tabelle 6.29: Entsprechungen für logisch-analytisches dovere im Deutschen Italienisch CtovereLOGISCH-ANALYTISCH
Deutsch - müssen - non potere non + Infinitiv
7. Rückblick und Ausblick
Wir haben die drei Modalverben müssen, sollen und dovere einer ausführlichen funktionalen und kontrastiven Analyse im Rahmen eines dreidimensionalen Modalitätskonzeptes unterzogen. Wir wollen uns jetzt resümierend fragen: Welche Ergebnisse lassen sich (einzelund übereinzelsprachlich) daraus ableiten? Was für eine Art von Verben sind eigentlich die Modalverben? Welche Prognosen lassen sich über die Entwicklung des Modalitätssystems der beiden Sprachen, speziell über die Rolle der Modalverben und der Modi, aufstellen? Eine Detailarbeit wie die vorliegende verbirgt zuallererst eine Fülle von Einzelergebnissen. Diese betreffen zum einen die Spezifik der untersuchten Modalverben, zum anderen die Struktur der behandelten Sprachen im untersuchten Bereich. Für die eine wie die andere verweise ich auf die einschlägigen Kapitel zu den drei Modalverben sowie auf das Kapitel zum Sprachvergleich. Sie ermöglicht aber auch, auf Fragen größeren Umfangs eine Antwort zu geben, welche die Rolle der Modalverben als Klasse modaler Ausdrucksmittel insgesamt betreffen. Die drei folgenden Fragen halte ich in diesem Zusammenhang für zentral: a.) Welche Art von Bedeutung haben Modalverben? b.) Welche Entwicklung machen die Modalverben durch? c.) Wie ist es mit dem Konjunktiv bestellt?
7.1. Die besondere Art der Bedeutung der Modalverben
Darum, den Modalverben eine Bedeutung zuzusprechen, kommt man nicht herum. Tut man das nicht, so läßt sich nicht erklären, warum bei gleicher Umgebung unterschiedliche Modalverben auch unterschiedliche Bedeutungen hervorrufen: (1)
(a) Karl muß heute Klavier spielen, (b) Karl soll heute Klavier spielen.
Daß in (a) Bezug auf Gründe und in (b) auf den Willen einer Person ungleich Karl genommen wird, muß mit den Modalverbformen muß und soll zusammenhängen. Mehr noch: Die Bedeutungsopposition in (1) ist von der formalen Opposition unabhängig, sie besteht weiterhin bei ein und derselben Modalverbform: (2)
Carlo deve suonare il piano questa sera.
In (2) bestehen die beiden in (1) festgestellten Bedeutungen: Entweder sind es bestimmte Gründe oder aber der Wunsch einer dritten Person, die für die Ausführung der Handlung eintreten. Die beiden Bedeutungen liegen somit beim Verb; welche der beiden tatsächlich vorliegt, kann man erst unter Bezug auf den Kontext entscheiden. Dies gilt nicht nur für die polyseme Form dovere in (2), sondern grundsätzlich für jedes Modalverb - denn Modal ver-
290 ben sind stark extensionale Lexeme mit wenig Sinn für Referenz: Was sie tatsächlich meinen, muß uns der Kontext verraten. Daß es tatsächlich der Kontext ist, der die jeweils „richtige" Bedeutung des Modalverbs selektiert, wollen wir ein letztes Mal erläutern - an der folgenden SZ-Schlagzeile: (3)
Diesel soll umweltfreundlicher werden (SZ 19.10.95, 1).
Die Schlagzeile ist mindestens dreideutig: (1) bei der Wahl eines Redehintergrunds wie „Man unternimmt gerade Anstrengungen in Richtung auf eine bessere Umweltverträglichkeit des Diesels" stellt sie eine Aussage über Absichten dar; (2) bei einem Redehintergrund wie „Die Regierung ergreift Maßnahmen zu einer Verbesserung der Umweltbedingungen, worunter auch der Diesel fällt", stellt sie eine Aussage über fremde Forderungen dar; (3) ist der Redehintergrund dagegen eine Kulisse von „Behauptungen darüber, daß man von bestimmter Seite erwägt, den Diesel umweltfreundlicher zu produzieren", so handelt es sich um eine Aussage über fremde Behauptungen. In allen drei Fällen kann somit nur kontextuell entschieden werden, welche Bedeutung von sollen tatsächlich vorliegt; und zwar nicht einmal der innere Kontext (verstanden als der propositionale Gehalt ρ des zugrunde liegenden Satzes, hier also „Der Diesel wird umweltfreundlicher"), sondern erst der äußere Kontext gibt Aufschluß darüber. Gehen wir zum nächsten Absatz über, auf den sich die Schlagzeile bezieht, so erfahren wir immer noch nicht genau, worauf sich das Modalverb bezieht: (4)
Phoenix aus dem Staub/Weniger Schwefel und Stickoxide: Katalysatoren und Rußfilter sollen Diesel-Fahrzeuge umweltfreundlicher machen. (SZ 19.10.95, 24).
Auch in (4) ist immer noch nicht zu entscheiden, welche der drei oben gennanten Bedeutungen vorliegt: Zwei sind auf jeden Fall noch möglich: die Aussage über Absichten oder die Aussage über Forderungen - die dritte Möglichkeit der Aussage über Behauptungen fällt hier weg aufgrund des vorangestellten Information „Weniger Schwefel und Stickoxide", die sicherlich eher an eine Absicht denken läßt, aber auch eine Forderung nicht ausschließt. Erst die Lektüre des ersten Absatzes des Zeitungsartikels bringt endgültige Klarheit darüber, was der Artikelschreiber uns eigentlich vermitteln will: (5)
Erst verhätschelt und steuerbegünstigt, dann verstoßen und als Krebsauslöser gebrandmarkt, taucht er jetzt wie Phoenix aus dem Rußstaub wieder auf: Der Diesel, verkünden Deutschlands Autobauer, sei der Motor der Wahl fürs anvisierte Drei-Liter-Gefährt. Sparsam ist er sowieso, und nun soll auch sein Öko-Image aufpoliert werden. Die Mineralölindustrie bringt jetzt, ein Jahr früher als von Brüssel vorgeschrieben, Dieselsprit auf den Markt, der nun noch ein halbes statt bisher zwei Promille Schwefel enthält [...]. (SZ 19.10.95, 24).
Es sind also erst die kontextuellen Angaben des letzten Satzes, welche die nötige Klarheit verschaffen. Es handelt sich nicht um eine staatliche Forderung, sondern um die Absicht der Autoindustrie, das prädizierte Ziel zu erreichen. Daß Modalverben auf den Kontext angewiesen sind, um Bedeutungen auszudrücken, geht darauf zurück, daß ihre „referentiellen Kapazitäten" (LEISS 1992: 127) äußerst eingeschränkt sind. Geringe referentielle Kapazitäten sind für Formen mit stark extensionaler Bedeutung charakteristisch - und umgekehrt: Formen mit stark intensionaler Bedeutung weisen große referentielle Kapazitäten auf. In bezug auf die Wortarten Verb, Adjektiv und Substantiv nimmt LEISS (1992: 127f.) folgende Zuordnungen vor:
291 Tabelle 7.1 : Merkmale stark intensionaler und stark extensionaler Bedeutung stark intensional
stark extensional
viele semantische Merkmale + Weltwissen gehören offenen semantischen Feldern an Lexeme mit vorwiegend referentieller Funktion (maximal referentiell) e.) vorwiegend (konkrete) Substantive
a.) wenige semantische Merkmale b.) - Weltwissen c.) gehören geschlossenen semantischen Feldern an d.) Lexeme mit vorwiegend relationaler Funktion (minimal referentiell) e.) vorwiegend Verben, Adjektive und Abstrakta
a.) b.) c.) d.)
Die von LEISS (1992) erarbeiteten Merkmale für stark extensionale Wortarten treffen auf die Modalverben uneingeschränkt zu: a.) Modalverben weisen eher diffuse semantische Markmale auf - denn ohne Kontext sind ihre Bedeutungen nicht zu fokussieren; b.)Modalverben tragen in keiner Weise zum enzyklopädischen Wissen bei - denn sie haben keine denotative Funktion; c.) Modalverben gehören einer geschlossenen Gruppe an - trotz aller Schwankungen in den einschlägigen Definitionen; d.)Modalverben haben ausschließlich relationale Funktion - denn sie verweisen konstitutiv auf modale Instanzen, sie sind demnach in höchstem Maße kontext- und situationsabhängig· Nimmt man nun KARL BÜHLERS ('1934; 1965; 1982) „Zweifelderlehre" als Maßstab einer
allgemeinen Klassifikation von Bedeutungen, so gehören Modalverben sicherlich nicht zum „Symbolfeld", sondern in entschiedener Weise zum „Zeigfeld" der Sprache. Sie gehören zur Gruppe von Lexemen, die im Redekontext mittels ihrer deiktischen Funktion Kontextverweise herstellen. Die Bedeutung der Modalverben besteht grundsätzlich in der zweifacher Funktion a.)des Verweises auf eine modale Instanz - sowie b.)der Herstellung einer Relation (propositionalen Einstellung) zwischen modaler Instanz und Proposition. Die Bedeutungen ein und desselben Modalverbs unterscheiden sich voneinander, weil sie auf unterschiedliche modale Instanzen verweisen, die in einer bestimmten Relation zu ρ stehen. Und da es so viele modale Instanzen gibt wie auch Modalitätstypen, so entsprechen die Bedeutungen der Modalverben den Modalitätstypen, die sie ausdrücken. Was darunter liegt, ist ausschließlich als konversationeile Implikatur aufzufassen, also als reine Kontextbedeutung - so etwa die verschiedenen Schattierungen der „Empfehlung" im bewertenden Modalitätstyp sowie die unterschiedlichen Konstellationen von Aktantenbeziehungen im pragmatischen Bereich. Modalverben unterscheiden sich untereinander, weil sie sich über die Verweisfunktion auf unterschiedliche Mengen von modalen Instanzen definieren. So ist etwa die Menge der Verweisfunktionen des Modalverbs müssen {IMos} eine andere als die des Modalverbs sollen {ISOL} etc.
292 7.2. Entwicklungstendenzen der Modalverben
Es hat sich gezeigt, daß Modalverben einen zweifachen Entwicklungsprozeß durchlaufen: Zum einen neigen sie dazu, in feste Syntagmen eingebunden zu werden, zum anderen auf Kosten anderer modaler Ausdrucksmittel zu expandieren. Das erste Phänomen ist als Grammatikalisierung bekannt (vgl. DIEWALD 1993), beim zweiten handelt es sich um „Neulexikalisierungstendenzen".
7.2.1. Grammatikalisierung Wenn man unter „Grammatikalisierung" den Sprachwandelprozeß versteht, in dessen Verlauf eine autonome lexikalische Einheit die Funktionen einer abhängigen grammatischen Kategorie übernimmt, so interessiert dieses Phänomen sicherlich beide Sprachen, das Deutsche jedoch in einem stärkerem Maße als das Italienische.1 In einem weit gefaßten Sinne des Wortes betreffen Grammatikalisierungstendenzen eigentlich das gesamte Feld der Modalverben - denn aufgrund ihrer kontextuellen Abhängigkeit sind Modalverben lexikalisch minimal autonome Einheiten. In einem engeren Sinne des Wortes betrifft jedoch dieses Phänomen hauptsächlich die beiden folgenden Gebiete: a.)die idiosynkratischen Modalitätstypen; b.)den epistemischen Modalitätstyp. In einem weit fortgeschrittenen Stadium der Grammatikalisierung, das sich in einem hohen Grad des Verlustes lexikalischer Autonomie manifestiert, befindet sich zweifellos die Gruppe der idiosynkratischen Modalitätstypen, jedoch mit unterschiedlichen Abstufungen: Am meisten grammatikalisiert ist vielleicht der antizipierende Modalitätstyp (Typ: Er sollte seine Heimat nie mehr Wiedersehen), wo neben modalen Funktionen (Behauptung + Vorwegnahme des Geschehens) sicherlich auch temporale (p findet in t| < to statt) ausgedrückt werden (vgl. 4.1.2.), die im Bewußtsein des Sprechers allmählich die modalen in den Schatten stellen. Eine mittlere Position belegen möglicherweise der deliberierende (Typ: Sollte er der Täter sein?) sowie der eventive (Typ: Wenn er doch kommen sollte,.../Sollte er doch kommen,...) Modalitätstyp: Im ersteren Fall entwickelt sich sollte zu einem Teilmorphem dieses speziellen Fragesatztyps (vgl. 4.2.2.), im letzteren allmählich zu einer rein konditionalen Konjunktion (vgl. 4.2.3.). Am wenigstens grammatikalisiert scheint der bewertende Modalitätstyp (Typ: Er müßte/sollte das Rauchen einstellen) zu sein: Hier gewährt die formale Opposition den beiden Formen noch eine gewisse lexikalische Eigenständigkeit, die Fixierung auf das Tempus Konjunktiv Präteritum spricht jedoch deutlich fiir einen Prozeß ihrer „Morphematisierung". Im Italienischen ist dieser Prozeß weniger ausgeprägt: Es bildet den deliberierenden Modalitätstyp nicht mit dovere (sondern mit dem Konjunktiv), es weist eine deutlich geringere Häufigkeit idiosynkratischer Anwendungen auf (und gleicht dies mit dem Rückgriff auf Al1
Zum Prozeß der Grammatikalisierung der Modalverben im Deutschen vgl. DIEWALD (1999).
293 ternativformen aus), auch zeigt es einen größeren Spielraum bei der Anwendungen der Tempora sowohl im antizipierenden und eventiven wie auch im bewertenden Modalitätstyp: Allesamt Merkmale, die auf größere Eigenständigkeit hindeuten als im Deutschen (vgl. 5.1.2.). Die Grammatikalisierungstendenzen im epistemischen Bereich zeigen sich zum einen in der Herausbildung eines festen Paradigmas von Einheiten (muß/müßte/dürfte/kann/könnte/ mag/wird) mit unterschiedlichen inhaltlichen Funktionen (abnehmender Sicherheitsgrad von muß zu wird) zum anderen in der Spaltung der Inhaltsfunktionen ein und desselben Modalverbs (muß/müßte und kann/könnte), die nicht nur in paradigmatischer Oppositon zu den übrigen Einheiten des Paradigmas stehen, sondern auch zueinander. In anderen Modalitätstypen, in erster Linie im pragmatischen und deontischen, stellen dagegen muß und müßte sowie kann und könnte unterschiedliche Formen ein und desselben Modalitätstyps dar und keine Einheiten eines Paradigmas. Speziell die Herausbildung eines Paradigmas stellt einen deutlichen Hinweis auf einen Grammatikalisierungsprozeß dar. Dieser geht ausnahmslos mit einem erheblichen Verlust an lexikalischer Eigenständigkeit einher. Das gilt übrigens im gleichen Maße für das Italienische, das ebenfalls ein paralleles epistemisches Formenparadigma {deve/dovrebbe/può/potrebbe/?UTUR) sowie dieselbe Spaltung der inhaltlichen Funktionen ein und desselben Modalverbs (deve und dovrebbe, può und potrebbe) aufweist. Im pragmatischen wie in deontischem Bereich besteht im Deutschen eine binäre paradigmatische Beziehung zwischen müssen und sollen zum Ausdruck von Gründen bzw. Intentionen, aber keine inhaltliche Spaltung des Formeninventars ein und desselben Modalverbs. Hier ist die lexikalische Autonomie von müssen weitaus größer als im epistemischen Bereich - und die von sollen größer als in den idiosynkratischen Modalitätstypen. Italienisches dovere bildet hier kein Paradigma mit anderen Modalverben und zeigt demnach einen höheren Grad an lexikalischer Eigenständigkeit als die beiden entsprechenden Modalverben des Deutschen.
7.2.2. Neulexikalisierung Linter „Neulexikalisierung" verstehe ich die Neuorganisierung des semantischen Bestands eines Lexemes, also dessen Erweiterung oder dessen Verringerung. Dieses Phänomen geht mit funktionalen Verschiebungen innerhalb des einschlägigen Systems einher. Daß im Deutschen sollen sich zu einem ernsten Konkurrenten des Konjunktivs im modalen Bereich entwickelt hat, ist von W E L K E (1971a; 1971b) dargelegt worden. Interessant sind die heutigen Entwicklungen von dovere im Italienischen. Hier scheint das Modalverb neue Funktionen im Bereich des Sagens und des Wollens zu übernehmen: Im Bereich des Sagens übernimmt dovere allmählich die Funktionen der neutral berichteten Behauptung eines Dritten (Typ: Ulli Gruber deve sapere quattro lingue), die ansonsten mittels der Syntagmen des Typs si dice/dicono che + Konjunktiv etc., der schwachen Epistemika wie etwa sembrare, forse etc. sowie des Modus Konditional ausgedrückt werden (vgl. 5.1.1.). Im Bereich des Wollens scheint dovere auch desiderative Funktionen anzustreben (Typ: Gesù Cristo la deve consolare...), die bisher ausschließlich dem Konjunktiv vorenthalten waren (vgl. 5.3.1.2.2.). Das italienische Modalverb dovere scheint somit gegenwärtig eine
294 Entwicklung nachholen zu wollen, die sollen im Deutschen bereits seit geraumer Zeit (und zwar bereits in mittelhochdeutscher Zeit) durchgemacht hat (vgl. FRITZ 1991).
7.3. Das Schicksal des K o n j u n k t i v s
Der so häufig totgesagte Modus Konjunktiv erfreut sich im Italienischen eigentlich noch guter Gesundheit. In vielen Fällen stellt er nämlich die primäre Entsprechung zum deutschen Modalverb sollen dar. Dies ist nicht nur der Fall im deliberierenden und eventiven Modalitätstyp sowie bei der Äußerung von Wünschen, sondern auch vielfach im pragmatischen Bereich - etwa bei den virtuellen und den unausgesprochenen Forderungen. Aber gerade in diesen Bereichen sind Ermüdungserscheinungen nicht zu übersehen. Andere Ausdrucksmittel machen hier dem Konjunktiv seine Vormachtstellung streitig. Von einer „morte del congiuntivo" kann aber sicherlich nicht die Rede sein, schon eher von einer allmählichen „erosione del congiuntivo" (vgl. SERIANNI 1991: 476). Es handelt sich um die drei folgenden Erscheinungen: a.) Das Modalverb dovere dringt allmählich in den Bereich des Optativen ein: Es liegen Ansätze zum Ausdruck von Wünschen vor - dies geschieht offensichtlich in Analogie zum Ausdruck der Forderungen, von denen Wünsche eine Unterklasse darstellen. b.)Der Modus Indikativ setzt sich allmählich (als Futur und im Verbund mit Modalpartikeln) zum Ausdruck des Deliberierenden durch (Typ: Non sarà mica lui l'assassino?). Der Übergang zum Indikativ Futur erfolgt aufgrund inhaltlicher Analogie zum (Subjektiv-)Epistemischen. Die Negation und der Fragesatztyp sorgen fur die Monosemierung. c.) Bestimmte Konjunktionen (in erster Linie se poi) im Verbund mit dem Indikativ verdrängen den Konjunktiv aus dem Bereich des Eventiven (Typ: Se poi piove, restiamo a casa). Im Eventiven ist allerdings auch das Modalverb dovere durch das Syntagma „Konjunktion + Konjunktiv" ernsthaft gefährdet (Typ: Qualora venisse, fammelo sapere). In beiden Fällen erfolgt der Übergang durch Übertragung der eventiven Bedeutung an die eventive Konjunktion - die Folge ist ein Vermeiden von Redundanz. Mit einem Wort: Auch im Bereich des Konjunktivs scheint das Italienische heute nachholen zu wollen, was das Deutsche längst vollzogen hat. Der Konjunktiv wird zugunsten des Modalverbs dovere und des Modus Indikativ in engere Schranken verwiesen.
8. Das Korpus
8.1. Das Korpusmaterial
Die vorliegende Arbeit stützt sich auf ein ad hoc zusammengestelltes Korpus von Belegen authentischen sprachlichen Materials, das größtenteils der deutschen bzw. italienischen geschriebenen Sprache entstammt. In nur einigen Fällen, und zwar nur dann, wenn neue Entwicklungstendenzen oder diatopische, diastratische oder diaphasische Variation zu belegen waren, wurden auch mündliche Belege berücksichtigt. Diese entstammen entweder Rundfunksendungen oder der Alltagskonversation. Die Fixierung auf die geschriebene Sprache rührt zum einen von der Tatsache her, daß bis zur Fertigstellung meines Korpus (etwa Ende 1993) noch keine Korpora der deutschen bzw. italienischen gesprochenen Sprache bekannt oder leicht zugänglich waren, zum anderen von daher, daß bei einer so ubiquitären sprachlichen Erscheinung wie der Modalität davon auszugehen ist, daß zwischen der geschriebenen und der gesprochenen Varietät, also im Hinblick auf die diamesische Variation, keine wesentlichen Unterschiede speziell im Gebrauch der Modalverben zu erwarten sind. Das Belegkorpus setzt sich aus zwei autonomen Teilen zusammen: aus einem „geschlossenen" und einem „offenem" Teil. Der geschlossene Teil erfüllt zwei Aufgaben: Er dient zum einen dazu, die zur Untermauerung der Theorie notwendigen Belege zu liefern, zum anderen dazu, verläßliche statistische Aussagen über die (absolute) Häufigkeit der untersuchten Modalverbformen auf der Grundlage eines für die beiden Sprachen möglichst genau strukturierten Belegkorpus zu ermöglichen (vgl. 8.2. und 8.3.). Der offene Teil setzt sich aus vereinzelten Belegen zusammen, wonach nur dann gesucht wurde, wenn sich das Material des geschlossenen Korpusteils als unzureichend erwies, bestimmte Erscheinungen im Modalverbbereich zu belegen. Insgesamt machen die Belege des geschlossenen Korpus gut 99% des Gesamtkorpus aus, die Belege des offenen Korpus etwas weniger als 1%. Das geschlossene Belegkorpus enthält eine umfangreiche Sammlung deutscher bzw. italienischer Textbelege - (genau 16.139) - aus den (Unter-)Gattungen der Belletristik (wobei neben Erzählungen und Romanen auch Theaterstücke vertreten sind, ferner Kriminalromane und Science Fiction) und der Fachliteratur (mit den Bereichen Jura, Philosophie, Feuilleton und Essay, Reportage, Anekdoten, Technik, Werbung und Witz). Die Belege des offenen Korpus - (genau 155) - entstammen fast ausschließlich (deutschen wie italienischen) Tageszeitungen (Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Neue Zürcher Zeitung bzw. Il Corriere della Sera, La Repubblica) und Wochenzeitschriften bzw. Nachrichten-Magazinen (Der Spiegel, Die Zeit bzw. L 'Espresso, Panorama), gelegentlich aber auch Texten fachsprachlicher, besonders philosophischen Inhalts (s. etwa hier unten den Verweis auf Lichtenbergs „Aphorismen"). Sämtliche Belegquellen des offenen Korpus sind mit einem Sternchen (*) vor der jeweiligen bibliographischen Angabe gekennzeichnet. Der Zeitraum der benutzten Texte erstreckt sich größtenteils auf die letzten fünfzig Jahre. Einige wenige Texte, wie z.B. Thomas Manns Buddenbrooks und Frühe Erzählungen, vor allem aber Erzählungen aus anthologischen Werken, entstammen der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Sämtliche Belege des offenen Korpusteils sowie die mündlichen Beispiele
296 gehen auf die letzten Jahre zurück (ab 1992). In einem (einzigen) Fall führte die Suche nach einem geeigneten Beleg zu einem Text älteren Datums - zu den „Aphorismen" von Georg Cristoph Lichtenberg, erschienen um 1800 als postume Teilveröffentlichungen aus den Sudelbüchern (Kapitel 3, Beispiel (47), S. 116). Insgesamt bietet das Korpus sowohl flir das Deutsche wie auch für das Italienische ein durchaus repräsentatives Spektrum sprachlicher Äußerungen im Modalverbbereich des ganzen zwanzigsten Jahrhunderts.
8.2. D i e Belegquellen
Im folgenden sind die einzelnen Datenquellen angeführt. Jeder Korpusbeleg ist mit einem Kürzel versehen, das aus einem (gelegentlich abgekürzten) Wort bzw. Akronym und einer (stets durch Doppelpunkt getrennte) Doppelzahl besteht. Das Wort bezieht sich auf das Werk, dem der jeweilige Beleg entnommen wurde, die Doppelzahl setzt sich aus der jeweiligen Seiten- und Absatzangabe zusammen. Beispiel: Aladin 15:7 = Beleg aus Aladins Problem von Ernst Jünger, Seite 15, Absatz 7. Die Kürzel sind in alphabetischer Reihenfolge angeordnet sowie getrennt nach deutschem und italienischem Korpus.
8.2.1. Das deutsche Korpus Aladin Alexander Anekdot Aphorism Argument
AufrKind Aussen Bracke Brook A/B/C/D
Charly DasAlles
DDRStory
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Erz-60-A/-B
Essays Europa-Α
F.A.Z. Feuillet Frueh A/B
GG GBG
Goethe Gusti Kafka El KlassMod KriegLit
Kriminal LetzWelt Liter-50 LogoPhil Lust Merlin Montauk NZZ Parfüm Prager-A/-B Proceß Reportag
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298 Richter ScienceF SeinZeit SPIEGEL Spiele 1/2/3 Spieltex Spieltey Studer SZ Technik Telgte Thukydid TotMann Viterbo Weltbild Werbung Westen Witz Wuthenow ZEIT
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8.2.2. Das italienisches Korpus
Amante Barone
Caleidos Candido Castigo Cavalier
CdS
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299 Chimera-A/B Costitut Cream Dialoghi Econltal Espresso Fantasia FavolTel Filology Fumetto Incendio Indiffer ItalAmor ItalRacc ItalRead ItalReal Konrad-A/B LaRep Lessico LettFemm Narrltal Notte Odilia Palio Panorama Patio Pietra Pinocchi RacNov 1/.../5 Rosa-A/B Serena Sposi
Vassalli, Sebastiano (1990): La chimera. - Torino: Einaudi. Bortolani, Carlo (1989; '1983): Guida alla costituzione. - Bologna: Zanichelli. De Carlo, Andrea (1981): Treno di panna. - Torino: Einaudi (= Nuovi Coralli 301). Pavese, Cesare (1973; '1947): Dialoghi con Leucò. - Torino: Einaudi. (= Nuovi Coralli 58). Spesso, Ruggero (1980): L'economia italiana dal dopoguerra a oggi. Roma: Editori Riuniti (= Libri di base 5). •L'Espresso (Wochenzeitschrift). Milano. Rodari, Gianni (1973): Grammatica della fantasia. Introduzione all'arte di inventare storie. - Torino: Einaudi (= Piccola Biblioteca Einaudi 221 ). Rodari, Gianni (1971; '1962): Favole al telefono. - Torino: Einaudi (= Gli struzzi 14). Cesarini Martinelli, Lucia (1988; '1984): La filologia. Dagli antichi manoscritti ai libri stampati. - Roma: Editori Riuniti (= Libri di base 70). Bordoni, Carlo/Fossati, Franco (1985): Dal feuilleton al fumetto. Generi e scrittori della letteratura popolare. - Roma: Editori Riuniti (= Libri di base 90). Deledda, Grazia (1931): L'incendio nell'oliveto. - Milano: Treves. Moravia, Alberto (1986): Gli indifferenti. In: A. M.: Opere 1927-1947. - Milano: Bompiani (= Classici Bompiani). Schumacher, Theo (Hg.) (1990): Amore all'italiana - Italienische Liebesgeschichten. - München: dtv zweisprachig. Schumacher, Theo (Hg.) (1989): Racconti italiani - Italienische Erzählungen aus dem 20. Jahrhundert. - München: dtv zweisprachig. Holme, Timothy (ed.) (1974): The Penguin Italian Reader. - London: Penguin Books. Hösle, Johannes (Hg.) (1985): Erzählungen des italienischen Realismus. Italienisch/Deutsch. - Stuttgart: Reclam (= Universal-Bibliothek 8022). Chiusano, Italo Alighiero (1990): Konradin. Romanzo. - Milano: Arnoldo Mondadori (= Scrittori italiani). •La Repubblica. Editoriale „La Repubblica" S.p.A. (Tageszeitung). - Roma. Ginzburg, Natalia (1981; '1963): Lessico famigliare. - T o r i n o : Einaudi. Rasy, Elisabetta (1984): Le donne e la letteratura. - Roma: Editori Riuniti (= Libri di base 73). Hinterhäuser, Hans (Hg.) (1972; '1961): Piccola antologia della narrativa italiana contemporanea. - München: Hueber. Calvino, Italo (1979): Se una notte d'inverno un viaggiatore. - Torino: Einaudi. Mancinelli, Laura (1989): Il miracolo di santa Odilia. - Torino: Einaudi (= Nuovi Coralli 419). Frutterò, Carlo/Lucentini, Franco (1988; '1983): Il palio delle contrade morte. Milano: Arnoldo Mondadori (= Bestsellers Oscar Mondadori). •Panorama (Wochenzeitschrift). - Milano: Arnoldo Mondadori. Ramondino, Fabrizia (1983): Storie di patio. - Torino: Einaudi. (= Nuovi Coralli 348). Landolfi, Tommaso ( 1990; 1 1939): La pietra lunare. Scene della vita di provincia. - Milano: Rizzoli (= La Scala). Collodi, Carlo (1979; '1883): Le avventure di Pinocchio. Storia di un burattino. Prefazione di Giovanni Jervis. - Torino: Einaudi. Siciliano, Enzo (a cura di) (1983): Racconti italiani del Novecento. - Milano: Arnoldo Mondadori (= I Meridiani). Eco, Umberto (1981; '1980): Il nome della rosa. - Milano: Bompiani. Ginzburg, Natalia (1990): Serena Cruz o la vera giustizia. - Torino: Einaudi (= Gli Struzzi 379). •Manzoni, Alessandro (1987): / promessi sposi e Storia della colonna infame. A cura di Tommaso di Salvo. - Bologna: Zanichelli.
300 Stadio Strade Turno Uomo Visconte
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8.3. Die Häufigkeit von müssen, sollen und dovere
Die folgenden Angaben zur absoluten Häufigkeit der drei Modalverben müssen, sollen und dovere in der deutschen und in der italienischen Schriftsprache basieren auf dem geschlossenen Teil des Belegkorpus. Sämtliche Korpusbelege wurden in digitalem Datenbankformat (Polydat 5.0) aufgearbeitet und nach verschiedenen Kriterien ausgewertet. Um die gleiche Menge von Textmaterial als Ausgangspunkt der korpusbasierten Untersuchung für jede der beiden Sprachen zusâmmenstellen zu können, wurden die digitalen è/7-Mengen einer (vollen) Seite jeder Textquelle auf die jeweilige Quelle abgebildet und so verfahrend zwei vergleichbare Belegkorpora mit einem Umfang von jeweils etwa 25 MB erstellt. Auf diese Weise konnte zudem eine sichere Basis für die statistische Auswertung der drei Modalverben gewährleistet werden. Es wurden insgesamt 10.410 Modalverbformen im Deutschen (6.586 für müssen und 3.824 für sollen) und 5.890 im Italienischen (für dovere) ermittelt. Das Häufigkeitsverhältnis zwischen müssen und sollen ist 1,7 : 1. Das Häufigkeitsverhältnis zwischen Deutsch und Italienisch beträgt 1,8 : 1. Tabelle 8.1 zeigt die absolute Vorkommenshäufigkeit der einzelnen Formen der drei Modalverben:
301 Tabelle 8.1 : Vorkommenshäufigkeit der Formen von müssen, sollen und dovere
Müssen
Sollen
gemußt müsse müssen muß mußt müßt mußte müßte mußten müßten mußtest müßtest müßtet
1 318 1360 2466 212 51 1382 371 302 101 2 12 2
soll solle sollen sollenden sollst sollt sollte sollten solltest solltet
Müssen
6.580
Sollen
Dovere 1522 167 516 1 98 54 1088 329 44 5
3.824
debba debbano debbo debbono deva deve devi devo devono dobbiamo dovè dovemmo dovendo dovere dovesse dovessero dovessi dovessimo doveste dovete dovette dovettero dovetti doveva dovevamo dovevano dovevate dovevi dovevo dovrà dovrai dovranno dovrebbe dovrebbero dovrei dovremmo dovremo dovreste dovresti dovrete dovrò dovuta dovute dovuti dovuto Dovere
62 17 78 47 2 831 196 349 193 175 9 5 21 339 121 29 27 3 1 44 196 27 28 987 39 304 11 23 170 99 35 19 270 114 110 61 55 20 47 17 48 58 24 29 550 5.890
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Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle
1.1: Entsprechunsgrelationen zwischen deutschen und italienischen Modalverben 1.2: Ausschnitt des Modalbereichs von müssen und sollen 1.3: Ausschnitt der Entsprechungen von müssen und sollen im Italienischen 2.1 : VON WRIGHTS Klassifikation der Modalitätstypen 2.2: Die logische Opposition 'epistemisch'/'deontisch' 2.3: Begriffspaaroppositionen im Bereich der Modalität 2.4: DAVIDSEN-NIELSENS „3x3-Koordinatensystem" 2.5: Entwicklung von zweidimensionalen zu eindimensionalen Modellen 2.6: Klassifikation der illokutiven Akte nach SEARLE (aus: LANG 1983: 337)
Tabelle 2.7: BÜHLERS (1934) „Organonmodell" T a b e l l e 2 . 8 : SEARLE ( 1 9 7 6 ) i m V e r g l e i c h m i t BÜHLER ( 1 9 3 4 )
Tabelle 2.9: Illokutive und perlokutive Verbalausdrücke Tabelle 2.10: HABERMAS' (1976) Modell des kommunikativen Handelns Tabelle 3.1: Die propositionalen Einstellungen des Glaubens bei müssen Tabelle 3.2: Das Paradigma der epistemischen Modalverben Tabelle 3.3: Ausdrucksmittel der Doppelmodalisierung Tabelle 3.4: Äusdrucksmittel der Extramodalisierung Tabelle 3.5: Die propositionalen Einstellungen des Wollens bei müssen Tabelle 3.6: Phänomenologische Verteilung von epistemischer und pragmatischer Modalität Tabelle 4.1 : Die propositionalen Einstellungen des Sagens bei sollen Tabelle 4.2: Die propositionalen Einstellungen des Glaubens bei sollen Tabelle 4.3: Wahrscheinlichkeitsgrade des Eintretens eines Sachverhalts bei sollen Tabelle 4.4: Normale Erwartungen und Hypothetisch-Mögliches Tabelle 4.5: Die propositionalen Einstellungen des Wollens bei sollen Tabelle 4.6: Geforderte Sachverhalte und Rollenverteilung des Sprechers Tabelle 5.1: Die propositionalen Einstellungen des Sagens bei dovere Tabelle 5.2: Epistemische und berichtende Modalität bei dovere Tabelle 5.3: Die propositionalen Einstellungen des Glaubens bei dovere Tabelle 5.4: Das Paradigma der epistemischen Modalverben im Italienischen Tabelle 5.5: Wahrscheinlichkeitsgrade des Eintretens eines Sachverhalts bei dovere Tabelle 5.6: Die propositionalen Einstellungen des Wollens bei dovere Tabelle 5.7: Ausdrucksmittel der Forderung im Italienischen Tabelle 6.1 : Die propositionalen Einstellungen des Sagens, des Glaubens und des Wollens Tabelle 6.2: Die propositionalen Einstellungen des Sagens bei müssen, sollen und dovere Tabelle 6.3: Vergleich des berichtenden Modalitätstyps Tabelle 6.4: Vergleich des antizipierenden Modalitätstyps Tabelle 6.5: Vergleich der Ausdrucksmittel der „Schicksalsbestimmung" Tabelle 6.6: Die propositionalen Einstellungen des Glaubens bei müssen, sollen und dovere Tabelle 6.7: Vergleich des epistemischen Modalitätstyps Tabelle 6.8: Vergleich des dispositionellen Modalitätstyps Tabelle 6.9: Vergleich des bewertenden Modalitätstyps Tabelle 6.10: Vergleich des deliberierenden Modalitätstyps Tabelle 6.11 : Vergleich des eventiven Modalitätstyps Tabelle 6.12: Die propositionalen Einstellungen des Wollens bei müssen, sollen und dovere Tabelle 6.13 : Vergleich des pragmatischen Modalitätstyps Tabelle 6.14: Entsprechungen für möiie« Gründe im Italienischen Tabelle 6.15: Entsprechungen für dovereoninde ¡ m Deutschen Tabelle 6.16: Entsprechungen für sollen^mnde im Italienischen Tabelle 6.17: Entsprechungen für so//e«Absicht im Italienischen Tabelle 6.18: Entsprechungen für io//e«wunsc)1 im Italienischen
7 13 14 23 30 35 43 49 70 77 78
79 88 102 106 110 110 121 126 148 156 168 171 173 186 202 207 210 211 224 225 238 258 259 259 260 262 262 263 264 265 266 268 270 271 273 278 279 280 280
320 Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle
6.19: Entsprechungen für 5o//e«Fordenj„g im Italienischen 6.20: Entsprechungen fur dovere Absicht ' m Deutschen 6.21 : Entsprechungen fur cfovereForderung im Deutschen 6.22: Vergleich des deontischen Modalitätstyps 6.23: Entsprechungen für deontisches müssen/sollen im Italienischen 6.24: Entsprechungen für deontisches dovere im Deutschen 6.25: Vergleich des dynamischen Modalitätstyps 6.26: Entsprechungen für objektiv-epistemisches müssen im Italienischen 6.27: Entsprechungen für objektiv-epistemisches dovere im Deutschen 6.28: Entsprechungen für logisch-analytisches müssen im Italienischen 6.29: Entsprechungen für logisch-analytisches dovere im Deutschen 7.1 : Merkmale stark intensionaler und stark extensionaler Bedeutung 8.1 : Vorkommenshäufigkeit der Formen von müssen, sollen und dovere
Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung
2.1: Logisches Quadrat 2.2: Logische Quadrate der Notwendigkeit (a) und der Möglichkeit (b) 2.3: CALBERTS Modalitätskonzept 2.4: Dreistufige Hierarchiestruktur der Modalität 4.1: Umstellung der Sprecherperspektive bei der Behauptung von ρ 4.2: Das Kontinuum von Real zu Irreal 4.3: Wiederholung einer eigenen Forderung 4.4: Delegierung einer eigenen Forderung 4.5: Weitergabe einer fremden Forderung
281 282 282 283 284 284 285 286 286 287 287 291 300 21 21 37 93 155 170 188 189 194