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German Pages 366 Year 2002
Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg
89. Band 2002
Nürnberg 2002 Selbstverlag des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg
Schriftleitung: Dr. Michael Diefenbacher, Dr. Wiltrud Fischer-Pache, Dr. Clemens Wächter Für Form und Inhalt der Aufsätze und Rezensionen sind die Verfasser verantwortlich. Für unaufgefordert eingereichte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen.
Zum Druck des Bandes trugen durch Zuschüsse bzw. Spenden bei: Die Stadt Nürnberg, der Bezirk Mittelfranken, die Sparkasse Nürnberg. Der Verein dankt dafür bestens.
Gesamtherstellung: Verlagsdruckerei Schmidt GmbH, Neustadt/Aisch Gedruckt auf holzfreies, chlorfrei gebleichtes, säurefreies und alterungsbeständiges Papier. Alle Rechte, auch des Abdrucks im Auszug, Vorbehalten. Copyright by Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg (Geschäftsstelle: Marientorgraben 8, 90402 Nürnberg) ISSN 0083-5579
INHALT Wolfgang Buhl: Für Gertrud Buschmann-Gerardi (Nachruf) ...
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Susanne We g m a n n: Das Apostelcredo in der Nürnberger Lorenz kirche. Ein Beitrag zur Ausstattungsgeschichte des frühen 15. Jahrhunderts .....................................................................
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Christine Sauer: Ein Graduale von St. Sebald und ein PirckheimerEinband - zur Rückgabe von zwei Entfremdungen an die Stadtbibliothek Nürnberg.......................................................
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Walter Gebhardt: „Et foveat dives Laetum Noriberga poetam“: Erasmus Laetus und das Nürnberger Städtelob im 15. und 16. Jahrhundert........................................................................
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Michael Diefenbacher: Das Archiv der Patrizierfamilie Holzschuher von Harrlach im Stadtarchiv Nürnberg....................
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Herbert Maas: Neujahrs wünsche und Neujahrsgespräche in Nürnberger Mundart 1760-1800
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Udo Winkel: Der fünfte Vereinstag der Vereinigten Deutschen Arbeitervereine 1868 in Nürnberg und die Konstituierung der deutschen Sozialdemokratie....................................................
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Erhard Schraudolph: Die Nürnberger Zinngießerfamilie Herbst
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Ludwig C. Berlin / Senta Josephthal und Gerhard Jochem: Berlin, Metzger, Josephthal: Sechs exemplarische Biographien von Mitgliedern bedeutender jüdischer Familien aus Nürnberg
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Buchbesprechungen
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Neuerwerbungen des Stadtarchivs Nürnberg
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Jahresbericht über das 124. Vereinsjahr 2001 ...................................
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Mitgliederverzeichnis 2002 ................................................................
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Abkürzungen....................................................................................
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Neue Arbeiten zur Nürnberger Geschichte
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BUCHBESPRECHUNGEN Quellen und Inventare Regesten Kaiser Ludwigs des Bayern (1314-1437) nach Archiven und Bibliotheken ge ordnet. Hrsg, von Peter Acht. Heft 4 (Elsaß), bearb. von Johannes Wetzel; Heft 5 (Regierungsbezirk Schwaben), bearb. von Michael Menzel; Heft 6 (Schweiz), bearb. von Johannes Wetzel. Köln u.a. 1998-2000. (Walter Bauernfeind) ............................ Urkundenregesten zur Tätigkeit des deutschen Königs- und Hofgerichts bis 1451. Bd. 8: Die Zeit Karls IV. (1360-1364), bearb. von Ronald Neumann. Köln u.a. 1996. (Wal ter Bauernfeind) .............................................................................................................. Regesten Kaiser Friedrichs III. (1440-1493), nach Archiven und Bibliotheken geordnet. Hrsg, von Heinrich Koller und Paul-Joachim Heinig sowie (ab Heft 13) Alois Nie derstetter. CD-ROM-Ausgabe von Heft 1-10, Sonderband 1 und Chmel, Regesta Friderici, bearb. von Dieter Rübsamen; Heft 11 (Freistaat Sachsen), bearb. von Elfie-Marita Eibl; Heft 12 (Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Familienur kunden und Abschriftensammlungen 1440-1446), bearb. von Thomas Will ich; Heft 13 (Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Familienurkunden und Abschriften sammlungen 1447-1457), bearb. von Paul Herold und Kornelia Holzner-Tobisch; Heft 14 (Nürnberg 1440-1449), bearb. von Dieter Rübsamen; Heft 15 (Regensburg), bearb. von Franz Fuchs und Karl-Friedrich Krieger; Heft 16 (Sachsen-Anhalt), bearb. von Eberhard Holz; Sonderband 2: Das Taxregister der römischen Kanzlei 1471-1475 (Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Hss. „weiss 529“ und „weiss 920“), bearb. von Paul Joachim Heinig und Ines Grund. Wien u.a. 1998-2002 (Walter Bauernfeind) ............................................................................ Peter S c h m i d: Der Deutsche Orden und die Reichssteuer des Gemeinen Pfennigs von 1495. Die Grundherrschaft des Deutschen Ordens im Reich an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Neustadt a.d. Aisch 2000. (Jens Martin)..................................
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Topographie, Stadtteile und Landgebiet Rund um den Dutzendteich. Eine Nürnberger Stadtlandschaft im Wandel der Zeit. Doku mentation. Nürnberg 2001. (Alexander Schmidt)........................................................ Jörg Rainer Ruthrof: Nürnberger Herrensitze der Renaissance. Zur Typologie reichs städtischer Herrschaftsbauten. Simmelsdorf 1999. (Horst-Dieter Bey erste dt).......... Volker A1 berti /Lorenz Bau mann / Horst Holz: Burgen und Schlösser in Lauf und Umgebung. Unteres Pegnitztal. Simmelsdorf-Hüttenbach 1999. (Hermann Rusam) Volker Alberti: Jus Patronatus. Das Patronat der Nürnberger Patrizierfamilie von Tücher in Sankt Helena. Simmelsdorf 2000. (Enno Bünz)..........................................
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Politische Geschichte, Recht und Verwaltung Thomas Vogel: Fehderecht und Fehdepraxis im Spätmittelalter am Beispiel der Reichs stadt Nürnberg (1404-1438). Frankfurt am Main 1998. (Klaus Rupprecht).............. Hans-Walter Schmu hl: Die Herren der Stadt. Bürgerliche Eliten und städtische Selbst verwaltung in Nürnberg und Braunschweig vom 18. Jahrhundert bis 1918. Gießen 1998. (Martina Bauernfeind).........................................................................................
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Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Vereine Günther Schroth: Eisenerz im Nürnberger Land. Lauf an der Pegnitz 1999. (HorstDieter Beyerstedt)...........................................................................................................
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Dieter Piechullek: Das Rathaus der Wirtschaft. Handelsvorstand und IHK Nürnberg für Mittelfranken. Nürnberg 2001. (Horst-Dieter Bey erste dt).................................. Martina Bauernfeind: 100 Jahre Handwerkskammer für Mittelfranken. Hrsg, von der Handwerkskammer für Mittelfranken. Nürnberg 2000. (Steven M. Zahlaus).......... Inez Florschütz: Architektur und Arbeit. Die Fabrik in der bayerischen Früh industrialisierung. Frankfurt am Main 2000 (Rainer Mertens) ................................ Thomas R e i n w a 1 d: Victoria. Die Geschichte einer großen Motorradmarke. Brilon 2001. (Martina Bauernfeind)............................................................................................... Stefan 111 i g: Zwischen Körperertüchtigung und nationaler Bewegung. Turnvereine in Bayern 1848-1890. Köln 1998. (Alexander Schmidt) ................................................ Burkhart Lauterbach: Angestelltenkultur. „Beamten“-Vereine in deutschen Industrie unternehmen vor 1933. Münster u.a. 1998. (Martina Bauernfeind) ......................... Silvie Fisch: Zwischen Aufbruch und Verbot. Hans Schmidt (1882-1933) und die frei geistige Bewegung in Nürnberg. Neustadt am Rübenberge 2000. (Clemens Wächter) Dietmar Grypa: Die katholische Arbeiterbewegung in Bayern nach dem Zweiten Welt krieg (1945-1963). Paderborn 2000. (Clemens Wächter)............................................ Carolin Porzelt: Die Pest in Nürnberg. Leben und Herrschen in Pestzeiten in der Reichsstadt Nürnberg (1562-1713). St. Ottilien 2000. (Charlotte Bühl-Gramer) . . . Bernd Windsheimer: 100 Jahre Klinikum Nürnberg. Die Geschichte des Nürnberger Gesundheitswesens im späten 19. und 20. Jahrhundert. Nürnberg 1997. (Martina Bauernfeind)...............................................................................................................
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Kunst
Anja-Franziska Eichler: Albrecht Dürer 1471-1528. Köln 1999. (Matthias Mende) .... Albrecht Dürer. Das Gesamtwerk. Sämtliche Gemälde, Handzeichnungen, Kupferstiche und Holzschnitte. Mit der Monographie „Albrecht Dürer. Werk und Wirkung“ von Fedja Anzelewsky. Berlin 2000 (CD-ROM). (Matthias Mende).............................. Albrecht Dürer: Das druckgraphische Werk. Band 1. Kupferstiche, Eisenradierungen und Kaltnadelblätter. Bearb. von Rainer Schoch, Matthias Mende und Anna Scher bau m. München u.a. 2001. (Peter Zahn) ................................................................. Felix J. F. Steinraths: Albrecht Dürers Memorialtafeln aus der Zeit um 1500. Holzschuher-Epitaph, Glimm’sche Beweinung, Paumgartner-Altar. Rezeption, For schungsstand und offene Fragen. Frankfurt am Main u.a. 2000. (Matthias Mende) . Albrecht Dürer: Die drei großen Bücher. Marienleben, Große Passion. Faksimile der Originalausgabe Nürnberg 1511. Hrsg, und kommentiert von Matthias Mende. Nördlingen 2001. (Wolfgang Schmid)......................................................................... Christian Schön: Albrecht Dürer: Adam und Eva. Die Gemälde, ihre Geschichte und Rezeption bei Lucas Cranach d.Ä. und Hans Baidung Grien. Berlin 2001. (Peter Strieder)...................................................................................................................... Karlheinz Hegele: Hans Baidung. Ein Maler in Zeiten des Umbruchs. Schwäbisch Gmünd 1999. (Matthias Mende)................................................................................ Andreas Tacke (Hrsg.): „Der Mahler Ordnung und Gebräuch in Nürmberg“. Die Nürn berger Maler(zunft)bücher ergänzt durch weitere Quellen, Genealogien und Viten des 16., 17. und 18. Jahrhunderts. Bearbeitet von Heidrun Ludwig, Andreas Tacke und Ursula Ti mann. München u.a. 2001. (Christian Hecht)..................... Die Malerfamilie Kertz 1880-1950. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen. Dokumentation und Werkverzeichnis. Hrsg, von Peter Kertz in Zs.arb. mit den Museen der Stadt Nürnberg. Nürnberg 2000. (Silvia Glaser)................................................................. Anja Prölß-Kammerer: Die Tapisserie im Nationalsozialismus. Propaganda, Re präsentation und Produktion. Facetten eines Kunsthandwerks im „Dritten RHch“. Hildesheim u.a. 2000. (Alexander Schmidt)...............................................................
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Kultur, Sprache, Literatur, Musik Deutsche Handwerker, Künstler und Gelehrte im Rom der Renaissance. Akten des inter disziplinären Symposions vom 27. und 28. Mai im Deutschen Historischen Institut in Rom. Hrsg, von Stephan Fussel und Klaus A. Vogel. Wiesbaden2001. (HorstDieter Beyerste dt) ..................................................................................................... Hartmann Schedel: Weltchronik. Kolorierte Gesamtausgabe von 1493. Einleitung und Kommentar von Stephan F ü s s e 1.2. Aufl. Köln u.a. 2001. (Peter Zahn) ............... Gernot Michael Müller: Die „Germania generalis“ des Conrad Celtis. Studien mit Edi tion, Übersetzung und Kommentar. Tübingen 2001. (Horst-Dieter Beyerstedt) .... Reiner Reisinger: Historische Horoskopie. Das iudicium magnum des Johannes Carion für Albrecht Dürers Patenkind. Wiesbaden 1997. (Franz Machilek)........... Erika Bauer (Hrsg.): Lazarus Spengler als Übersetzer. (Ps.-)Eusebius De morte Hieronymi Nürnberg 1514. Heidelberg 1997. (Irmgard Höß) ................................ Lazarus Spengler: Schriften. 2 Bde. Hrsg, und bearb. von Berndt Hamm. Gütersloh 1995-1999. (Irmgard Flöß) ....................................................................................... Katalog der lateinischen Handschriften der Staatlichen Bibliothek (Schlossbibliothek) Ansbach, Bd. 2, Ms. Lat. 94 - Ms. Lat. 173, beschrieben von Sabine Schmolinsky und Karl Heinz Keller. Wiesbaden 2001. (Christine Sauer) .................................. Fränkische Kinderbücher aus fünf Jahrhunderten. Eine Ausstellung der Universitäts bibliothek, 19. Oktober - 11. November 2001. Katalog. Hrsg, von Christina Hofmann-Randall. Erlangen 2001. (Walter Gebhardt).............................................. Klaus Ridder / Hans Hugo Steinhoff (Hrsg.): Frühe Nürnberger Fastnachtspiele. Paderborn 1998. (Hartmut Kugler)............................................................................ Julia-Maria Heinzmann: Die Buhllieder des Hans Sachs. Form, Gehalt und sozial historischer Ort. Wiesbaden 2001. (Ulrich Feuerstein)............................................. Werner Kügel: Geschichte und Gedichte des Pegnesischen Blumenordens, Erstes Buch: 1699 bis 1794. Nürnberg 1998. (Renate Jürgensen)................................................... Herbert Maas: Bäiderla af alli Subbm. Die Sprichwörtersammlung des Benedict Wilhelm Zahn. Nürnberg 1997. (Alfred Klepsch).................................................................... Friedhelm K r ö 11: Die Archivarin des Zauberers. Ida Herz und Thomas Mann. Nürnberg 2002. (Horst-Dieter Beyerstedt)..................................................................................
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Kirchengeschichte, Judentum Volker A lberti / Brigitte von Tücher: Von Nürnberg nach Jerusalem. Die Pilgerreise des reichsstädtischen Patriziers Hans Tücher 1479 bis 1480. Simmelsdorf 2000. (Wil trud Fischer-Pache) ................................................................................................... Günther Zimmermann: Prediger der Freiheit. Andreas Osiander und der Nürnberger Rat 1522-1548. Mannheim 1999. (Jürgen Lorz)......................................................... Gerhard Jochem / Ulrike Kettner (Bearb.): Gedenkbuch für die Nürnberger Opfer der Schoa. Ergänzungsband. Nürnberg 2002. (Clemens Wächter)............................
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Schulwesen, Bildung, Wissenschaft, Technik Wolfgang von Stromer: Gutenbergs Geheimnis. Von Turfan zum Karlstein - die Seiden straße als Mittler der Druckverfahren von Zentralasien nach Mitteleuropa. Hrsg, von Dirk Reitz. Genf 2000. (Rudolf Endres)............................................................. Personen und Familien Hartmut Bock: Die Chronik Eisenberger. Edition und Kommentar. Bebilderte Geschichte einer Beamtenfamilie der deutschen Renaissance - Aufstieg in den Wetterauer Niederadel und das Frankfurter Patriziat. Frankfurt am Main 2001. (Horst-Dieter Beyerstedt)..................................................................................................................
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Hans Schwackenhofer: Die Reichserbmarschälle, Grafen und Herren von und zu Pappenheim. Zur Geschichte eines Reichsministerialengeschlechtes. Treuchtlingen u.a. 2002. (Richard Kölbel).............................................................................................. Irmgard Bezzel: Leonhard Heußler (1548-1597). Ein vielseitiger Nürnberger Drucker und geschickter Verbreiter von Neuigkeitsberichten. Wiesbaden 1999. (Ursula Rau tenberg) ............................................................................................................................
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VERZEICHNIS DER MITARBEITER
Bach-Damaskinos, Ruth, M.A., Kunsthistorikerin, Graudenzer Straße 25, 90491 Nürnberg Bauernfeind, Martina, Dr., Historikerin, Karl-Hertel-Str. 33, 90475 Nürn berg Bauernfeind, Walter, Dr., Archivoberrat, Nürnberg, Karl-Hertel-Str. 33, 90475 Nürnberg Berlin, Ludwig C., 39 Greenhill Hampstead High Street, London NWE 5UA Beyerstedt, Horst-Dieter, Dr., Archivoberrat, Thumenberger Weg 38, 90491 Nürnberg Bühl-Gramer, Charlotte, Dr., Wissenschaftliche Assistentin, Peterstr. 9, 90478 Nürnberg Buhl, Wolfgang, Prof. Dr., Schnaittacher Str. 10, 90482 Nürnberg Bünz, Enno, Dr., Univ.-Prof., Annastr. 12, 97072 Würzburg Diefenbacher, Michael, Dr., Ltd. Archivdirektor, Ringstr. 17, 91560 Heils bronn Endres, Rudolf, Dr., Univ.-Prof., An den Hornwiesen 10, 91054 Erlangen Feuerstein, Ulrich, Dr., Studienreferendar, Rieneckstr. 3, 97947 Grünsfeld Fischer-Pache, Wiltrud, Dr., Archivoberrätin, Keßlerplatz 7, 90489 Nürn berg Gebhardt, Walter, Bibliotheksamtmann, Drausnickstr. 8, 91052 Erlangen Glaser, Silvia, Dr., Kunsthistorikerin, Germanisches Nationalmuseum, Kar täusergasse 12, 90402 Nürnberg Hecht, Christian, Dr., Priv.-Doz., Institut für Kunstgeschichte der Univer sität Erlangen-Nürnberg, Schloßgarten 1 (Orangerie), 91054 Erlangen Höß, Irmgard, Dr., Univ.-Prof., Nordring 167, 90409 Nürnberg J o c h e m, Gerhard, Archivamtmann, Kobergerplatz 6, 90408 Nürnberg Josephthal, Senta, Kubbuz Gal-Ed, Doar Na Meggido, 19240 Israel Jürgensen, Renate, Dr., Literaturwissenschaftlerin, Sofienhöhe 5a, 90562 Heroldsberg Klepsch, Alfred, Dr., Germanist, Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Germanistik, Bismarckstraße 1, 91054 Erlangen Kölbel, Richard, Oberstudiendirektor i.R., Neuwerker Weg 66, 90547 Stein Kugler, Hartmut, Dr., Univ.-Prof., Universität Erlangen-Nürnberg, Institut für Germanistik, Bismarckstraße 1, 91054 Erlangen Lorz, Jürgen, Dr., Rektor, Predigerseminar Neuendettelsau, Johann-FlierlStraße 20, 91564 Neuendettelsau Maas, Herbert, Dr., Stud.-Dir. i.R., Kachletstr. 45, 90480 Nürnberg
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Machilek, Franz, Prof. Dr., Archivdirektor i.R., Hohenstauferstr.10, 96049 Bamberg Martin, Jens, M.A., Dr., Martin-Behaim-Str. 6, 91207 Lauf Mende, Matthias, Kunsthistoriker, Am Wasserschloss 8, 90552 Röthenbach Mertens, Rainer, Dr., Historiker, Bettelheimstr. 18, DB-Museum im Ver kehrsmuseum Nürnberg, Lessingstraße 6, 90443 Nürnberg Rautenberg, Ursula, Dr., Univ.-Prof., Universität Erlangen-Nürnberg, Buchwissenschaft, Harfenstr. 16, 91054 Erlangen Rupprecht, Klaus, Dr., Archivrat, Titusstr. 47, 96049 Bamberg Rusam, Hermann, Prof. Dr., Studiendirektor, Lutzstr. 8, 90491 Nürnberg Sauer, Christine, Dr., Leiterin der Abteilung Handschriften und Alte Drucke, Stadtbibliothek Nürnberg, Egidienplatz 23, 90317 Nürnberg Schmid, Wolfgang, Dr., Priv.-Doz., Universität Trier, Fachbereich III Ge schichtliche Landeskunde, Universitätsring 15, 54286 Trier Schmidt, Alexander, M.A., Historiker, Goldweiherstr. 16, 90480 Nürnberg Schraudolph, Erhard, Dr., Historiker, Friedrich-Bauer-Str. 38, 91058 Er langen Strieder, Peter, Dr., Museumsdirektor i.R., Eysöldener Str. 10, 90453 Nürnberg Wächter, Clemens, Dr., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Archiv der Friedrich-Alexander-Universität Weber, Marina, Verwaltungsangestellte, Stadtarchiv Nürnberg, Marientor graben 8, 90402 Nürnberg Weg mann, Susanne, M.A., Kunsthistorikerin, Karl-Alexander-Str. 20, 93051 Regensburg Winkel, Udo, Dr., Sozialwissenschaftler, Innerer Kleinreuther Weg 16, 90408 Nürnberg Zahl aus, Steven M., M.A., Historiker, Elbinger Str. 54, 90491 Nürnberg Zahn, Peter, Dr., Univ.-Prof., Bibliotheksdirektor a.D., Beltweg 14, 80805 München
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Gertrud Gerardi in der am 19. Mai 2000 im Bildungszentrum eröffneten Fotoausstellung mit ihren Werken (Foto: NN/Bernd Fischer)
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FÜR GERTRUD GERARDI GERTRUD BUSCHMANN-GERARDI - WIR GEDENKEN EINER BEMERKENSWERTEN FRAU* „Zum Engel der letzten Stunde, den wir so hart den Tod nennen, wird uns der weichste, gütigste Engel zugeschickt, damit er gelinde und sanft das niedersin kende Herz des Menschen vom Leben abpflücke und es in warmen Händen und ungedrückt aus der kalten Brust in das hohe wärmende Eden trage. Sein Bruder ist der Engel der ersten Stunde, der den Menschen zweimal küsset, das erstemal, damit er dieses Leben anfange, das zweitemal, damit er droben ohne Wunden aufwache und in das andere lächelnd komme, wie in dieses Leben wei nend.“ Diesen zwei Sätzen Jean Pauls in dem kleinen Prosastück „Der Tod eines Engels“ steht der Satz desselben Dichters gegenüber: „Leichenpredigt ist das Tischgebet für die Würmer.“ Er sei zitiert, um von vornherein deutlich zu machen, dass ich Gertrud Buschmann-Gerardi keinen pastoralen Nachruf sprechen will, sondern einen journalistischen. Der Journalistin gebührt das, was die große Liebe ihres Le bens war: eben der Journalismus, die Arbeit für den Tag, die Berichterstattung nicht mit Feder oder Schreibmaschine, sondern mit der Kamera. Im übrigen hätte sie, so wie ich sie kenne, von den zitierten Sätzen Jean Pauls dem letzten den Vorzug gegeben. Als sie 1949 nach Nürnberg kam - die Nürnberger Nachrichten erschienen seit der Währungsreform dreimal, ab 1. Oktober 1949 dann viermal in der Wo che -, war die Stadt ein Ruinenfeld. Fast ohne Behinderung konnte man vom Kreuzgassenviertel bis zum Läufer Schlagturm blicken. Dennoch wurde sie etwa analog der Trümmerfrauen - keine Trümmerfotografin. Dazu war sie zu lebensbejahend, zu energisch, um Unglück widerstandslos anzunehmen. Sie sah sehr viel weniger zurück als nach vorn. Der Mittelpunkt ihrer Arbeit war die Aktualität. Überall, wo etwas pas sierte, war der blonde Blitz zur Stelle. Hatte man schon in ihrem Geburtsort Münster, nachdem sie dort auf dem Dachboden ihrer Großeltern einen alten Fotoapparat gefunden und die Mutter ihr eine Dunkelkammer im Keller ein gerichtet hatte, auf sie gereimt: „Drum fängt sie alle, Groß und Klein, in ihrem schwarzen Kasten ein“, so wurde sie in Nürnberg zu einer stadtbekannten Per-
Gertrud Buschmann-Gerardi, geboren am 26. Februar 1914 in Münster/Westfalen, starb am 24. Januar 2002 in Nürnberg.
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Wolfgang Buhl
sönlichkeit. Gewiss, da war, nach der Ausbildung in München, wo man tatsächlich das sogenannte Lichtbildwesen studieren konnte, der jahrelange Aufenthalt in Stettin dazwischen, an der Pommerschen Zeitung, übrigens dem auflagenstärksten Blatt des einstigen Reiches, aber der Krieg und die schwere Zeit des Nachkriegs hinderten sie an jener Eleganz, die ihr irgendwie angebo ren schien. Wer so tief im Dreck steckte, sollte sich besondere Mühe geben, den tristen Alltag aufzuhellen. Hier scheint mir der Schlüssel dafür zu liegen, dass sie zu einer Kronzeugin des Wiederaufbaus wurde und nicht der Anklage gegen Vergangenes. Ein Prinzip, das sich sogar in ihrer Kleidung spiegelte. Sie brachte eine gera dezu mondäne Note in die Stadt. Ihre Hosenanzüge waren Legion, natürlich maßgeschneidert, denn so was trugen Frauen damals noch nicht - für sie war das Arbeitskleidung, da konnte man sich drehen und wenden nach Lust und Aufgabe. Berühmt wurde ein Bild, nicht von ihr als Autorin, sondern mit ihr im Mittelpunkt. Es ging weithin durch die Presse: Sie auf dem Dach eines Opels in der Kaiserstraße, dort wo die Adlerstraße einmündet, im Hintergrund die zerstörte Sebalduskirche, das halbe Dach gerade erneuert, die Türme nur noch Stümpfe, das ausgebrannte Rathaus gegenüber, im zweiten Hintergrund die zertrümmerte Burg, ein langer Menschenzug von der Museumsbrücke he rauf, flankiert von barackenähnlichen Häusern am Pegnitzufer, wahrscheinlich aufgenommen am Tag der Flüchtlinge 1950 - nicht, dass die vielen hundert, die da den Berg heraufkommen, verwahrlost aussähen oder heruntergekommen gar, aber man sieht ihnen den Krieg an, sie tragen seine Spuren, die Dame auf dem Dach des Opels aber adrett und gelenkig wie eh und je, die Leica in der linken Hand, das blonde Haar geradezu aufregend im Wind, die gestreifte Bluse mit Schillerkragen über einer messerscharfen Bügelfalte, an der linken Hinterseite des Autos ein Kollege, der ihr den Arm entgegenstreckt, um ihr vom Dach herunterzuhelfen gewissermaßen aus einer anderen, pieksauberen Welt, Überschrift: „Fotografin nahm einen Modetrend vorweg“ - ein Bild, das freilich auch als Element ihrer Arbeitsweise gelten kann: Sie fotografierte lei denschaftlich gern von oben herunter. Gewiss nicht aus Überheblichkeit oder um auf die Leute herabzuschauen, sondern um möglichst viel Überblick zu haben. Wer ihr Buch „Bilder aus Franken“ durchblättert, wird das auf den fast hun dert Fotos darin immer wieder feststellen können: ob bei einer Fronleichnams prozession am Weinstadel, einem Vogelschau-Motiv von Streitberg und dem Wiesenttal oder dem Blick ins Altmühltal bei Dollnstein in der südlichen Fran kenalb. Erst die Überschau ergab das Motiv, zumindest bei den inaktuellen Bil dern, bei denen die lieben Kollegen oft Packeseldienste zu leisten hatten, die sie mehr auf Trab hielten als die Redaktionsschreiberei. Der Marschbefehl kam
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MVGN 89 (2002)
Für Gertrud Gerardi
immer von ihr. Gegebenenfalls machte sie ihre Stimme stets zur Siegerin auch über das größte Organisationschaos. Einmal, ein einziges Mal, war ich verur teilt, mit ihr den rechten Turm von St. Lorenz zu besteigen, natürlich als Trä gersklave, wie sichs für ein braves männliches Wesen gehört, ging ich voran, wurde aber nach wenigen Minuten mit einem lieblich-harschen „Mehr Tempo, junger Mann“ an die Seite kommandiert, und als ich einige Zeit nach dem Überholvorgang oben ankam, hatte sie die Arbeit mit der Leica schon erledigt, und ich durfte den Krempel wieder nach unten tragen. Dass wir uns recht verstehen: Bei einer Zeitung, die, gemessen an ihrer Auf lage, zu den fünf größten der Republik zählte, und, was die Bebilderung betrifft, zweifellos den alleinigen Rekord hielt, war die Bildredaktion ein Zentralpunkt. Auswahl und Format bestimmte der Chefredakteur. Dass er mit ihr verheiratet war, bescherte ihr statt Vorteilen eher erhöhte Anforderungen. Fotos sollten we niger Illustrationen - obwohl die natürlich auch - als eigene, zusätzliche Aussa gen sein. Augen lesen nicht nur Texte, sondern eben auch Bilder, und dass gute Bilder besser sind als schlechte Texte, sieht wohl sogar schon ein Greenhorn. Daneben aber, und das nicht zuletzt, konnte und wahrscheinlich wollte sie auch nicht eine Spur Leni Riefenstahl verleugnen. Neben dem Blick fürs Ak tuelle wohnte das künstlerische Auge. Die „Fränkische Sonntagspost“, wie seinerzeit das Wochenend-Magazin der Nürnberger Nachrichten hieß, enthält Dutzende von Motiven zwischen Main und Altmühl und dem Raum um Nürnberg, Fürth und Erlangen, die jedem Kunstfotoband zur Ehre gereichten. Ob die Seku, das Taubertal oder das Wasserschloss Neuhaus - es sind in oft ta gelangen Erkundungen erspähte und ausgewählte Motive, die ihre musische Gewandtheit ans Licht beförderte und damit erstmals überhaupt einer größe ren Öffentlichkeit zeigte. Man bedenke, es waren die fünfziger Jahre, in denen das geschah, noch gab es keine Kunstfoto-Schwemme oder Menschen als Fo tografiermaschinen, die sich als einäugige Optik auf zwei Beinen durch die Welt knipsen. Eines dieser Bilder kann ich nicht vergessen. Es zeigte eine von Maulwurfshügeln zerackerte Wiese westlich von Buch, den Boden deckte eine dünne Eiskruste, etwa in der Mitte des Bildes, gekennzeichnet durch die Straße nach Erlangen, fuhr ein Linienbus nach Nürnberg, ein dichter Schneeregen ließ ihn wie einen Schemen zwischen den Alleebäumen schwimmen, die weißen Körner schienen gegen seine Scheiben zu platzen, und man meinte, dieses Geräusch zu hören, das sich über das Dach des Fahrzeugs nach oben ver dünnte, wo es eine Handbreite hoch stehen blieb, als Flimmer abgebildet wie ein gerissener Film. Ich war dabei, als Buschmann zur Schere griff, um den Leerraum zu beseitigen, denn er machte seine Zeitung kompress. Da griff sie ihm in den Arm und sagte leise „Nein“ und nach einer kurzen Pause „Bitte“. Es war das einzige Mal, dass er solchem Einspruch folgte. Aber nicht deshalb
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Wolfgang Buhl
ist dieses Foto ihr schönstes Bild, wenigstens für mich. Es ist einfach super, wie man heute sagt. Ein Symbol für unsere Verlorenheit in dieser entfesselten Welt. Wissen die NN, wen sie verloren, als sie 1967 die Zeitung verließ? Gewiss, sie war nicht leicht zu nehmen, und oft konnte sie sogar schwierig sein. Im blonden Engel wohnte durchaus das blonde Gift. Aber ihre Hilfsbereitschaft und Großzügigkeit brachten selbst lauteste Kräche in aller Stille zum Schweigen. Als sie zur Stadt ging, wurde es endlich licht in der kommunalen Dunkel kammer. Ihre Nürnberger Bilder, man denke nur ans Dürer-Jahr, gingen in alle Welt. Unzählige Kollegen hat sie beraten und hat ihnen geholfen. Die Bücher und Broschüren der Stadt in jener Zeit wären ohne sie nicht denkbar. Das Städ tische Bildarchiv wurde zur Fundgrube für Suchende aus nah und fern. Wie ihre Bilder bestachen, so bestach immer wieder die Leidenschaft, die sie her vorbrachte. Ihre Lieblingsfarbe war Rosa, aber sie fotografierte eher das Ge genteil. Wer immer sich im letzten Jahrhundert ein Bild von Nürnberg machen wollte, stieß auf ihre Bilder. Sie kannte nicht nur jeden Winkel zwischen Un terbürg und Gostenhof, zwischen Eibach und Thon, sondern hat mit und ohne Weitwinkel den Nürnbergern, und nicht nur ihnen, Motive und Perspektiven entdeckt, die zu Tausenden als Dokumente, als Augenzeugnisse über unsere eben abgelebte Gegenwart informieren und einst Späteren diese Jahre erklären werden. Sie ist lange und schwer, wenn auch ohne Schmerzen, gestorben. Sie hat es ihrem Tod nicht leicht gemacht. Sie war lebenszäh. Schon in den frühen Neun zigern sagte sie, mindestens die Jahrtausend wende wolle sie noch erleben. Ihr nächstes Ziel war die Neunzig. Ohne Grete Rippel aber, ihre Nachbarin, die selbst erst vor einem reichlichen Jahr ihren Mann verlor, hätte sie nicht im ent ferntesten geschafft, was sie erreicht hat, immerhin fast 88. Sie stand ihr bei fast bis zum Ende. Sie war der gute Geist ihrer letzten Zeit. Gertrud Gerardi war eine der ersten Fotojournalistinnen in Deutschland. In der Presselandschaft Frankens war sie absolut einmalig und in der Zeitungs geschichte der Stadt Nürnberg, die immerhin bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht, die einzige Frau von Bedeutung. 1975 erhielt sie die Bürger medaille, die sie jeweils mit einem Stolz, der ihr sonst nicht eigen war, beim Neujahrsempfang der Stadt sichtbar am Halse trug. Mit sechzig hing sie ihren Beruf an den sprichwörtlichen Nagel. Aber nicht die Kamera. Immer wieder, wenn auch zuletzt immer seltener, tauchte sie bei privaten oder sogar offiziel len Ereignissen auf. Ihre Neugier konnte es nicht leiden, nicht dabei zu sein. Die Bilder, die daraus entstanden, oft schnappschüssige Verblüffungen, schmücken manches Album und werden vielleicht erst später öffentlich. Auch die Fotografie kennt geheime Raritäten.
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Für Gertrud Gerardi
Das Bild, der eingefangene und festgenommene Augenblick, war die Lei denschaft, um nicht zu sagen, die große Liebe ihres Lebens. An ihrem Bett stand ein Fernsehapparat, der pausenlos, auch nachts, selbst in der letzten Nacht, in Betrieb war. Was mit Jean Paul begann, soll mit Jean Paul enden: „Der Mensch hat dritthalb Minuten, eine zum Lächeln, eine zum Seufzen, eine halbe nur zum Lie ben, denn mitten in dieser Minute stirbt er.“ Wolfgang Buhl
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DAS APOSTELCREDO IN DER NÜRNBERGER LORENZKIRCHE Ein Beitrag zur Ausstattungsgeschichte des frühen 15. Jahrhunderts Von Susanne Wegmann In der Nürnberger Lorenzkirche finden sich im Innern von vier Seitenschiff kapellen - sX, sXI, nX, nXI1 (Abb. 1) - in der Mitte der Außenwände die Dar stellungen von Aposteln. Nach einer restauratorischen Untersuchung der Wandmalereien im Jahre 1999 sollen hier die daraus gewonnenen Erkenntnisse eine erste kunsthistorische Einordnung erfahren.2 Auf gemalten Konsolen in einer leichten Schrittstellung stehend3, halten die Apostel, in Richtung des Chores gewandt, Kleeblattkreuze, die annähernd so groß wie die Figuren selbst sind. Auf den Konsolen sind sie inschriftlich benannt. Man erkennt in der Kapelle sX Johannes Ev. (Abb. 2), in der angrenzenden Kapelle sXI Jacobus den Älteren (Abb. 3) und in der Kapelle nX Judas Taddäus (Abb. 4). Die Namensbeischrift des vierten Apostels (Abb. 5) ist nicht mehr erhalten. Schriftbänder umfangen die Figuren bogenförmig. Zu lesen sind darauf Sätze des Credo. Johannes ist das Bekenntnis, ich gelaub an seinen einborn son unsern herren ihesum cristum, beigegeben. Jakobus der Ältere bezeugt den Satz, ich gelaub daß er ist empfangen von dem heiligen Geist geborn von marie der junckfrawen. Das Schriftband - ich glaub an die heiligen cristenhait - umgibt den unbekannten Apostel. Der Glaubenssatz, ich gelaub gemeinschaft der hei ligen vergebnisse der sünden, ist Judas Taddäus zugeordnet. Hinweise auf die Datierung gibt die restauratorische Untersuchung inso fern, als die Apostel nicht die erste Malschicht darstellen, darunter befindet sich ein steinimitierender, rosafarbener Anstrich.4 So lässt sich die Errichtung 1 Zählung der Seitenschiffkapellen nach dem Grundriss bei: Günther P. Fehring / Anton Ress / Wilhelm Schwemmen Die Stadt Nürnberg, Kurzinventar, München 21977, S. 87. 2 Dank für die Überlassung von Material, für Korrekturen und Hinweise geht an John P. Zeitler und Herrn Georg Stolz, beide Nürnberg. Vgl. Eberhard Holter: Nürnberg, Evang. luth. Pfarr kirche St. Lorenz, Wandfelder sX, sXI, nXI, nX, Wandmalereien: Apostelkreuze, Bericht zur Untersuchung, (unveröffentl.) Nürnberg 1999. Erwähnt wurden diese Apostelfiguren in der Forschung bislang von: Fehring/Ress/Schwemmer (wie Anm. 1), S. 102 f., genannt sind aller dings nur die Apostel in sX und nXI; Georg Stolz: Die Schätze der Kirche, 217 Kunstbetrach tungen in St. Lorenz Nürnberg, Nürnberg 1993, S. 105; Ursula Schädler-Saub: Gotische Wand malerei in Mittelfranken, Kunstgeschichte, Restaurierung, Denkmalpflege (Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege 109), München 2000, S. 158-162. 3 Sowohl Fehring/Ress/Schwemmer (wie Anm. 1), S. 103, als auch Schädler-Saub (wie Anm. 2), S. 158, sehen die Apostel kniend. Die ikonographische Tradition steht dem allerdings entgegen, ein Beispiel für kniende Apostel gibt es in diesem Zusammenhang nicht. Die Fresken selbst sind in dem Bereich stark zerstört, ein Knien der Apostel ist daraus nicht ersichtlich. 4 Holter (wie Anm. 2), S. 16.
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der Seitenschiffe - nach dem heutigen Forschungsstand um 1400 bzw. ab 1403 bis Mitte 15. Jh. oder um 1385 bis 14305 - nicht unmittelbar in Verbindung bringen mit der Entstehung der Wandmalereien. Die Datierungen, die Fehring/Ress/Schwemmer offenbar aufgrund der Baugeschichte mit „wohl 1. Hälfte 15. Jh.“, bzw. „Beginn des 15. Jh.“6 angeben, lassen sich aufgrund der schlechten Erhaltung der Figuren mit Stilvergleichen kaum präzisieren. Die Darstellung des Jakobus d.A. in der Kapelle sXI gibt für eine stilistische Ein ordnung noch die meisten Anhaltspunkte. So erscheint die Gestalt des Apos tels gedrungen, der Oberkörper leicht nach hinten geneigt und der Kopf direkt auf die schmalen, abfallenden Schultern aufgesetzt. Das Gesicht ist etwas derb, stark konturiert gestaltet mit einer rundlichen Nase und abfallenden Mund winkeln. Die Einflüsse der böhmischen Malerei sind unverkennbar. Vor allem die Physiognomie des Apostels weist große Ähnlichkeiten mit den um 1365 datierten Aposteldarstellungen des Meisters Theoderich in der Heiligkreuzka pelle der Burg Karlstein (Abb. 6, 7) auf.7 Da jedoch der Einfluss der böhmi schen Malerei in Nürnberg bereits seit Mitte des 14. Jahrhunderts nachweisbar ist und bis weit ins 15. Jahrhundert hinein spürbar bleibt8, kann auf diesem Wege keine genauere Datierung erreicht werden. Die Seitenschiffkapellen der Lorenzkirche Bau- und Ausstattungsgeschichte Die Bau- und Ausstattungsgeschichte der Lorenzkirche am Ende des 14. Jahr hunderts bis zum Beginn des Chorneubaus 1439 ist bislang von der Forschung fast völlig unbeachtet geblieben. Aufgrund dieses Forschungsdesiderats sind Aussagen über Entstehung, Ausstattung und Nutzung der durch die Erweite rung der Seitenschiffe entstandenen Seitenkapellen weitgehend spekulativ. Die Baumaßnahme wird in der Forschung meist um 1400 oder seit 1403 bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts angesetzt. Dabei werden weder Schriftquellen noch Bauuntersuchungen als Belege angeführt.9 Gerstenberg setzte die Errich5 Zu der Diskussion um den Entstehungszeitpunkt der Seitenschiffkapellen siehe im folgenden. 6 Fehring/Ress/Schwemmer (wie Anm. 1), S. 102 f. 7 Vgl. Antonfn Friedl: Magister Theodoricus, Das Problem seiner malerischen Form, Prag 1956, Abb. 9 ff. Karl Möseneder: Lapides Vivi, Uber die Kreuzkapelle der Burg Karlstein, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 34 (1981), S. 39-69, hier: 40. Ausst.-Kat. Die Parier und der schöne Stil 1350-1400, Europäische Kunst unter den Luxemburgern (Köln, Schnütgenmuseum 1978), hrsg. von Anton Legner, Köln 1978, Bd. 2, S. 725 f., 758 ff. Ausst.-Kat. Kunst der Gotik aus Böhmen (Köln, Schnütgen-Museum 1985), hrsg. von Legner, Anton, Köln 1985, Kat. Nr. 3, 4, S. 78-80. 8 Vgl. Ausst.-Kat. Köln 1978 (wie Anm. 7), Bd. 1, S. 359; Schädler-Saub (wie Anm. 2), S. 77 ff. 9 Vgl. Kurt Gerstenberg: Die St. Lorenzkirche in Nürnberg, Burg b. Magdeburg 1928, S. 5, 18. Jo sef Baader: Beiträge zur Kunstgeschichte Nürnbergs, Nördlingen 1860, S. 64, erwähnt keine
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tung der Imhoffempore (nXII) und der Emporen über dem mittleren Südpor tal (sXII), der sog. Bäckerempore, und dem Südwestportal (sXV), der Schmidmayer-Empore, aufgrund des „Fugenschnitts des inneren, tragenden Segment bogens“ nach der Erweiterung der Seitenschiffe an, also nach 1400.10 Dagegen glaubte Lutze ebenfalls aufgrund des Fugenschnitts und bezugnehmend auf stilistische Übereinstimmungen feststellen zu können, dass die drei Emporen gleichzeitig mit den Seitenschiffen aufgeführt wurden.11 Erst nachdem im Jahre 1983 Bauuntersuchungen an der Nordseite der Kirche vorgenommen wurden, finden sich konkretere Aussagen über die Abfolge der einzelnen Bauphasen. So sieht Stolz in der Erweiterung der Seitenschiffe „keine in sich abgeschlossene Baumaßnahme“ und weist darauf hin, dass die Außenwand der östlichen Sei tenschiffe im Mauerverband mit der Außenkante der Strebepfeiler steht. Daher muß seiner Meinung nach die Änderung der Bauplanung bereits vor dem Ab schluss des Langhausbaus erfolgt sein.12 Zudem belege eine Grabinschrift für Konrad Tracht aus dem Jahr 1391 eine frühere Datierung als „um 1400“ oder „1403“. Stolz nennt letztlich für die Entstehung der Seitenschiffkapellen den Zeitraum um 1385 bis 1430. Die Portalvorhallen und Emporen sind nach seiner Auffassung ebenfalls gleichzeitig mit den Kapellen entstanden.13
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Quelle für seine Aussage, „im Jahre 1403 arbeitete man an der Erweiterung der Kirche“. Eber hard Lutze: Die Nürnberger Pfarrkirchen Sankt Sebald und Sankt Lorenz, Berlin 1939, S. 47, be legt seine Angabe „seit 1403“ ebenfalls nicht. Gerstenberg (wie Anm. 9), S. 18 f. Lutze (wie Anm. 9), S. 48. Nach schriftlicher Auskunft von Herrn Stolz (Brief vom 22.1.2002) konnte bei der Außen wandrestaurierung der Nordseite 1983 „nachgewiesen werden, daß a. Der Vorzustand mit einer Abschlußwand am Seitenschiff beim Wandfeld nV (Tugendbrunnenportal) beibehalten wurde, b. bei den Wandfeldern nXII (...), nXIII und nXIV zwischen die vorhandenen, außenliegenden Strebepfeiler Brüstungselemente und Fensterzwickel eingefügt und nachträglich Seitenschiffka pellen errichtet wurden. Die Übereinstimmung im Erscheinungsbild des Fugenschnittes der ein zelnen Wandfelder läßt den eindeutigen Schluß zu, daß es sich hier bei Kapellen, Portalvorhalle und darüber befindlicher Empore um eine einheitliche Bauphase handelt, c. in den Wandfeldern nVIII - nXI die Gebäudeaußenmauer bereits bauzeitlich (im Mauerwerksverband) an der Außenkante der Strebepfeiler aufgeführt wurde, d.h. die Seitenschiffkapellen gehörten zum Zeitpunkt des Bauens schon zum Planungskonzept.“ Die vom Dach des im 2. Viertel des 16. Jhs. angebauten Ölbergs verdeckte Inschrift lautet nach Stolz: „AN(NO) MCCCXCI POST URBANI STARB KONRAD TRAHT BEY SPITAL TOR. ER LEIHT HIE MIT SEINE FRAUEN.“, vgl. Georg Stolz: 750 Jahre St. Lorenz Nürn berg, Kirche auf festem Grund, in: Mitteilungen des Vereins zur Erhaltung der St. Lorenzkirche in Nürnberg, NF 30 (1985), S. 3-41, hier: 21-23. Die Inschrift als Anhaltspunkt für die Datie rung der Seitenschiffe erwähnen auch: Fehring/Ress/Schwemmer (wie Anm. 1), S. 65. Walter Haas: Die mittelalterliche Altaranordnung in der Nürnberger Lorenzkirche, in: Herbert Bauer / Gerhard Hirschmann / Georg Stolz (Hrsg.): 500 Jahre Hallenchor St. Lorenz zu Nürnberg 1477-1977, Nürnberg 1977, S. 63-108, hier: 73, Anm. 48. Das Sterbedatum „1391“ muss aber nicht unbedingt den terminus ante quem für die Vollendung des entsprechenden Wandfeldes set zen. Die Anbringung derartiger Memorialinschriften erfolgte nicht zwangsläufig im direkten
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Als Motivation für die Erweiterung der Seitenschiffe vermutet man meist ein „größeres Raum verlangen“ aufgrund der wachsenden Bevölkerungszahl.14 Stolz führt zudem den „patrizischen Repräsentationswillen“ an: „Die Seiten schiffkapellen wurden durch Familienstiftungen Andachtsräume der Patrizier mit teilweise privatem Charakter und individueller Abgeschiedenheit. Die (...) Tmhoff-Empore’ beispielsweise hat einen eigenen Zugang von außen und ei nen eigenen Altar.“15 Zur frühen Ausstattung der Seitenschiffe gehören nach der Untersuchung von Haas der 1392 bezeugte Katharinenaltar16 und der 1416 gestiftete Wolf gangsaltar17. Der vermutlich urspünglich in der Kapelle sX aufgestellte Katha rinenaltar geht auf eine Stiftung von Kunigunde Tracht, der Witwe des Konrad Tracht, zurück. Als Stifter des Wolfgangsaltars für die Kapelle nVIII tritt Kunz Keßler auf. Erst 1499 stiftet die Patrizierfamilie Imhoff den Rochusaltar für die östlichste Seitenschiffkapelle der Südseite (sVIII).18 Der Standort des sog. Imhoff-Altars, der zwischen 1418 und 1422 von Kunz Imhoff gestiftet wurde, ist nicht sicher zu lokalisieren, möglicherweise war er ursprünglich nicht für die Lorenzkirche gedacht.19 Auch Fenster - hauptsächlich Wappenscheiben - sind erhalten, die zur er sten Ausstattung der Seitenschiffkapellen gehören und um 1400 datiert wer den. Ihre ursprüngliche Anordnung wird in der Literatur jedoch widersprüch lich und ohne Belege angegeben.20 Auf der Nordseite befanden sich um
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zeitlichen Zusammenhang mit dem Begräbnis. Wären die Seitenschiffkapellen beim Tod des Konrad Tracht noch im Bau gewesen, hätte man die Inschrift auch erst nach deren Vollendung anbringen können, zumal der Hinweis auf die Frau (oder Frauen?) Trachts bestätigt, dass eine feste Begräbnisstelle der Familie auf dem Kirchhof von St. Lorenz bestanden hat, die schon län ger in Gebrauch war. Leider ist über die Ehefrauen Conrad Trachts nichts bekannt, lediglich seine letzte Frau Kunigunde Tracht (+nach 1397) tritt in Erscheinung, siehe auch: Christa Scha pen Die Familie Tracht - Kaufleute und Unternehmer, in: MVGN 64 (1977), S. 46-85, hier: 51-53. Gerstenberg (wie Anm. 9), S. 5. Georg Stolz: Der Bau, in: Johannes Viebig u.a.: Die Lorenzkirche in Nürnberg, Königstein/Tau nus 1971, S. 10-12, hier: 11. Ursprünglicher Aufstellungsort vermutlich die Kapelle sX; dort ist der Altar auf einem Plan von 1903 verzeichnet. Zudem bezeugt eine Kredenznische eine mittelalterliche Altarsteile an diesem Ort. Vgl. Haas (wie Anm. 13), S. 73, 83, 98. Für den Katharinenaltar wurde 1485/90 ein neuer Altaraufsatz angefertigt. Sein ursprünglicher Aufstellungsort kann in der Kapelle nVIII angenommen werden. Vgl. Haas (wie Anm. 13), S. 72, 105; seine Aufstellung ist bis ins 18. Jh. an dieser Stelle nachzuweisen, also noch bevor im 19. Jh. die Anordnung der Altäre umfassend verändert wurde. Haas (wie Anm. 13), S. 80, 104. Haas (wie Anm. 13), S. 83f. Vgl. auch Peter Strieder: Tafelmalerei in Nürnberg, 1350-1550, Kö nigstein/Taunus 1993, S. 170. So beziehen sich Fehring/Ress/Schwemmer (wie Anm. 1), S. 100-107, mit der Inventarisierung des heutigen Bestandes und der Rekonstruktion der ursprünglichen Fensterverteilung auf Gott-
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13 90/140021 nach den Angaben bei Fehring/Ress/Schwemmer das Grundherr fenster (nVIII)22, das Muffelfenster (nIX)23, das Schürstabfenster (nX)24, das Schnödfenster (nXI)25 und das Imhoffenster (nXII)26. Weitere Fenster aus der Zeit um 1400 erwähnen Fehring/Ress/Schwemmer auf der Nordseite nicht.27 Auf der Südseite sind nach ihren Angaben für die Frühzeit der Ausstattungs geschichte zu rekonstruieren: das Stromerfenster (sVIII), das Nützel-Staudiegelfenster (sIX) und das Volckamerfenster (sX).28
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fried Frenzei; allerdings stimmt dies nicht überein mit den Angaben in: Gottfried Frenzei: Die Farbverglasung aus St. Lorenz/Nürnberg, Augsburg 1968. Dieser bezieht sich mit den Benen nungen der Fenster meist auf den heutigen Bestand. Eine andere Publikation von Frenzei zu die sem Thema wird im Literaturverzeichnis bei Fehring/Ress/Schwemmer nicht aufgeführt und konnte auch nicht recherchiert werden. Eine erste Inventarisierung des Fensterbestands findet sich bei Johann Wolfgang Hilpert: Nürnbergs Merkwürdigkeiten und Kunstschätze, 2. Heft, Die Kirche des heiligen Laurentius, Nürnberg 1831, S. 29f, dessen Angaben aber auch nur selten mit der Rekonstruktion bei Fehring/Ress/Schwemmer übereinstimmen. Oder später, bis nach 1430, wenn man Stolz bei der Datierung der Seitenschiffkapellen folgt, vgl. Stolz: Bau (wie Anm. 15), S. 11. Fehring/Ress/Schwemmer (wie Anm. 1),'S. 100, als heutiger Bestand ist genannt eine Wappen scheibe der Muffel mit Beischild Stromer, um 1400, und eine weitere Wappenscheibe der Muffel mit Beischild Reich, um 1400; nach Frenzei (wie Anm. 20), S. 6 f.: Muffelfenster; nach Hilpert (wie Anm. 20), S. 30: „4 Scheiben mit Muffelischen Wappen; die her gewesenen Behaimischen von 1293 und 1295, ein Heldtisches und Glätzelmännisches sind fort.“ Fehring/Ress/Schwemmer (wie Anm. 1), S. 101, „hier seit 1390/1400 Muffelfenster“. Frenzei (wie Anm. 20), S. 6 f., nennt hier nur die Löffelholzscheiben des 16. Jahrhunderts. Hilpert (wie Anm. 20), S. 30, nennt „zwei Muffelische und zwei Löffelholzische Wappen; die vielen Pfinzingischen Wappen sind aber verschwunden, und mit ihnen noch zwei Muffelische“. Fehring/Ress/Schwemmer (wie Anm. 1), S. 102, als heutiger Bestand ist genannt eine Wappen scheibe mit Beischild Muffel, Ende 14. Jh., und eine Grundherr-Wappenscheibe aus nVIII, E. 14. Jh.; Frenzei (wie Anm. 20), S. 6 f., nennt hier das Grundherrfenster. Nach Hilpert (wie Anm. 20), S. 30, sind im Fenster ein „Grundherrisches, ein Steinlingerisches und zwei Schürstabische Wap pen, alle sehr alt; fünf andere der Schürstab sind fort.“ Fehring/Ress/Schwemmer (wie Anm. 1), S. 103, seit 1390/1400 Schnöd-Fenster; ebenso Frenzei (wie Anm. 20), S. 6 f. Hilpert (wie Anm. 20), S. 30, erwähnt hier „mehrere Schnödische Wappen und einige Heilige, im 16. Jhrhundert gemalt, letztere gestiftet von der Familie Fürer.“ Fehring/Ress/Schwemmer (wie Anm. 1), S. 105, seit etwa 1400 Imhoff-Fenster; ebenso Frenzei (wie Anm. 20), S. 6 f. Hilpert (wie Anm. 20), S. 30, erwähnt „Imhofische Wappen, darunter zwei aus dem 14. andere aus dem 17. Jahrhundert.“ Nach Frenzei (wie Anm. 20), S. 6 f., befanden sich um 1400 in der Kapelle nXIII das Behaimfenster und in der angrenzenden Kapelle nXIV das Stromerfenster. Hilpert (wie Anm. 20), S. 30, nennt als Bestand von nXIII „zwei Behaimische und zwei Muffelische aus dem 17. Jahrhundert“ und von nXIV „ein Stromerisches und ein Colerisches aus dem Jahr 1505; andere Stromerische fehlen.“ Fehring/Ress/Schwemmer (wie Anm. 1), S. 100, 101, 102; Frenzei (wie Anm. 20), S. 6 f., nennt lediglich für die Kapelle sIX das Staudigelfenster und die Schnödscheiben in der Kapelle sXII, die nach Fehring/Ress/Schwemmer (wie Anm. 1), S. 105, aus der Kapelle nXI stammen. Nach Hilpert (wie Anm. 20), S. 29, sind aus sVIII „die vielen Stromerischen und Kressischen Wappen, die sonst dieses Fenster schmückten, weggekommen.“ In sIX nennt er ebenfalls „Staudigelische und Nützelische Wappen“, Als Bestand von sX erwähnt er „4 gemalte Scheiben mit Schmidt-
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Neben den Apostelfiguren haben sich außerdem das um 1430 datierte Wen delinsfresko, dessen Stifterwappen bislang nicht identifiziert werden konnten, in der Kapelle sXI29, die um 1400/20 entstandene Kreuzigung Christi mit Ma ria, Johannes, einem hl. Bischof und Laurentius30 in der Seitenkapelle nIX und der Passionszysklus in nXI als Bestandteile der frühen Ausstattung der Seiten schiffe mit Wandmalereien erhalten. Die Ikonographie und Rekonstruktion des Apostelcredozyklus Allgemein schließt sich die Bildformulierung des Apostelcredo an eine pseudoaugustinische Predigt des 6. Jahrhunderts an31, wonach die Apostel zehn Tage nach der Himmelfahrt Christi durch die Ausgießung des Heiligen Geistes nicht nur in allen Sprachen reden konnten, um das Evangelium zu verkünden, sondern auch gemeinsam das Glaubensbekenntnis formulierten. Die Predigt 240 gilt als erste Quelle, nach der jeder Apostel einen Satz zum Credo beige tragen hätte: Petrus dixity Credo in Deum Patrem omnipotentem (...) Creatorem coeli et terrae (...). Andreas dixit, Et in Jesum Christum Filium eius (...) Unicum Dominum nostrum. (...). Jacobus dixit, Qui conceptus est de Spiritu sancto (...) Natus ex Maria virgine (...). Johannes dixit, Passus sub Pontio Pilato (...) Crucifixus, mortuus, et sepultus (...). Thomas dixit, Descendit ad inferna (...) Tertia die resurrexit a mortuis (...). Jacobus dixit, Ascendit ad coelos (...) Sedet ad dexteram Dei Patris omnipotentis (...). Philippus dixit, Inde venturus est judicare vivos et mortuos (...). mairischen Wappen (...), dagegen sind die sehr alten Volkamerischen, Stromerischen und Trachtischen Wappen nicht mehr vorhanden.“ In sXI waren 1831 Wappenscheiben aus St. Jakob als ursprünglichen Bestand nennt Hilpert verlorene „Stromerische Wappen“. 29 Vgl. Lutze (wie Anm. 9), S. 65, Abb. 24. Fehring/Ress/Schwemmer (wie Anm. 1), S. 104. Schädler-Saub (wie Anm. 2), S. 157 f. Aufgedeckt wurde das Fresko erst 1936. Der heutige Zustand lässt die Stifter und ihre Wappen nicht mehr erkennen. Die Aufnahme bei Lutze zeigt die Stifter noch vollständig mit dem zugehörigen Wappen. 30 Fehring/Ress/Schwemmer (wie Anm. 1), S. 101, 103. Schädler-Saub (wie Anm. 2), S. 156. 31 Vgl. Gertrud Schiller: Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 4,1, Die Kirche, Gütersloh 1976, S. 134. Beate Meier: Studien zum Apostel-Credo-Zyklus in der Regensburger Minoritenkirche St. Salvator, Magisterarbeit Regensburg 1994, S. 5 f. Ryszard Knapinski: Ikonographie des Apos tels Jakobus im Kontext der Darstellungen des Credo Apostolorum, in: Klaus Herbers, Robert Plötz (Hrsg.), Der Jakobuskult in „Kunst“ und „Literatur“ (Jakobus Studien 9), Tübingen 1998, S. 15-49, hier: 17.
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Bartholomaeus dixit, Credo in Spiritum sanctum (...). Matthaeus dixit, Sanctam Ecclesiam catholicam (...) Sanctorum communionem (...). Simon dixit, Remissionem peccatorum (...). Thaddaeus dixit, Carnis resurrectionem (...). Matthias dixit, Vitam aeternam (...).32 Doch weder in der schriftlichen noch in der bildlichen Überlieferung gibt es einen festen Kanon, nach dem die einzelnen Glaubenssätze an die Apostel zu gewiesen werden.33 Eine direkte Bezugnahme von Credozyklen auf die zitierte Predigt zeigt sich beispielsweise bei den 1499 datierten Tafeln aus der Pfarrkir che in Ebersbach an der Fils34 oder den etwa gleichzeitig entstandenen Wand malereien in der Regensburger Franziskanerkirche35. Dagegen stimmt das Nürnberger Apostelcredo mit der Predigt nur in der Verknüpfung des Jakobus Maior mit dem Bekenntnis der Empfängnis Jesu durch den Heiligen Geist und seiner Geburt durch die Jungfrau Maria überein. Dieser Satz ist - wie die Un tersuchung von Knapinski zeigt - in der ikonographischen Tradition bis auf seltene Ausnahmen üblicherweise mit diesem Apostel verbunden.36 Ebenso re gelmäßig führt Petrus als der wichtigste Apostel, dem durch Christus die Macht zu binden und zu lösen verliehen wurde, die Apostelreihe mit der Be stätigung der Existenz und Allmacht Gottes an. Den Abschluss bildet meist Matthäus, der als letzter Apostel für den Verräter Judas Iskariot berufen wurde.37 Seine Stelle kann allerdings auch Paulus einnehmen, der dann in Be ziehung zu Petrus gestellt wird.38 Die Grundrissdisposition von St. Lorenz lässt zudem Zweifel an der ur sprünglich geplanten Aufteilung der Glaubenssätze in Entsprechung zur zi tierten Textvorlage aufkommen. Nach dem Bekenntnis des Judas Taddäus in der Kapelle nX folgen mit Sicherheit noch zwei Apostel, die die Sätze „ Carnis resurrectionem“ und „ Vitam aeternam“ vortragen. Sie könnten für die Kapel len nIX und nVIII vorgesehen gewesen sein. Um alle zwölf Apostel in den zur 32 Pseudo-Augustinus, Sermo 240, in: Migne, PL 39, Sp. 2189. 33 Vgl. Curt F. Bühler: The Apostels and the Creed, in: Speculum 28 (1953), S. 335-339. James D. Gordon: The Articles of the Creed and the Apostles, in: Speculum 40 (1965), S. 634-640. 34 Vgl. Karl Haibauer: Die Apostel-Credo-Tafeln aus der Evangelischen Pfarrkirche in Ebersbach an der Fils, in: Walter Ziegler, Karl-Heinz Rueß (Hrsg.), Gotik an Fils und Lauter, Weißenhorn 1986, S. 247-257, hier: 250 f. 35 Vgl. Meier (wie Anm. 31), S. 24 ff. 36 Vgl. Knapinski (wie Anm. 31), S. 21. 37 Vgl. hierzu auch: Meier (wie Anm. 31), S. 74 f. 38 Vgl. Meier (wie Anm. 31), S. 77. Jürgen Michler: Ein spätgotischer Credo-Zyklus am Bodensee. Neu entdeckte Wandmalereien in Elmenau, in: Jahrbuch der Staatlichen Kunstsammlungen in Baden-Württemberg 26 (1989), S. 7-45.
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Verfügung stehenden zwölf Seitenkapellen platzieren zu können39 und um die anzunehmende symmetrische Verteilung zu gewährleisten, müsste Johannes in der Kapelle sX die dritte Stelle einnehmen und in den Seitenkapellen sVIII und sIX die ersten beiden Apostel erscheinen. Die Textverteilung in der zitierten Predigt 240 stünde einer Anordnung von zwei Aposteln vor dem Bekenntnis zum Gottessohn entgegen. Allerdings leitet in einer weiteren pseudoaugustinischen Predigt über das Credo Petrus den Zyklus mit dem Satz, Credo in Deum patrem omnipotentem, ein. Johannes setzt dies fort mit den Worten: Creatorem coeli et terrae.40 Damit wird in dieser Predigt der Satz, der im vorangegangenen Text noch vollständig Petrus zugeschrieben wurde, auf zwei Apostel verteilt.41 Dennoch kann auch diese Predigt nicht als unmittelbare Vorlage für den Nürn berger Zyklus gedient haben, da hier beispielsweise Jakobus Maior den Part des Nürnberger Johannes Ev. übernimmt.42 Nach Gordon ist die Abfolge der Apostel und die Teilung des Credotextes in zwölf Sätze unabhängig voneinander zu betrachten. Die Abfolge der Apos tel lehne sich meist an eine der Apostellisten des Neuen Testaments oder des Gebetes „Communicantes“ an, das im 5. oder 6. Jh. in den Messcanon einge fügt wurde.43 Vorrausgesetzt, dass - wie oben dargelegt - nach der ursprüngli chen Planung Johannes in der Kapelle sX die dritte Stelle in der Apostelfolge eingenommen hätte und nach Judas Thaddäus (nX) in den anschließenden Ka pellen noch zwei Apostel mit den Sätzen Carnis resurre ctionem und Vitam ae-
39 Zu denken ist dabei an die Kapellen s/n VIII-XI und XIII-XIV, da s/n XII und XV aufgrund der Emporeneinbauten, bzw. der Portalanlagen als Anbringungsorte nicht geeignet sind. 40 Pseudo-Augustinus, Sermo 241, in: Migne, PL 39, Sp. 2190. 41 Nach Gordon (wie Anm. 33), S. 636, ist die Trennung des Satzes - Credo in Deum Patrem om nipotentem creatorem caeli et terrae - in zwei Teile belegt, wenn auch selten. 42 Pseudo-Augustinus, Sermo 241, in: Migne, PL 39, Sp. 2190: „ Petrus: Credo in Deum patrem om
nipotentem. Johannes: Creatorem coeli et terrae. Jacobus (maior): Credo et in Jesum Christum filium eius unicum Dominum nostrum. Andreas: Qui conceptus est de Spiritu sancto, natus ex Ma ria virgine. Philippus: Passus sub Pontio Pilato, crucifixus, mortuus et sepultus. Thomas: Descendit ad inferna, tertia die resurrexit a mortuis. Bartholomaeus: Ascendit ad coelos, sedet ad dex teram Deipatris omnipotentis. Matthaeus: Inde venturus iudicare vivos et mortuos. Jacobus (minor): Credo et in Spiritum sanctum, sanctam ecclesiam catholicam. Simon: Sanctorum communionem, remmissionem peccatorum. Judas: Carnis resurrectionem. Matthias: Vitam aeternam. Amen. “ 43 Gordon (wie Anm. 33), S. 638, Mt. 10, 2-4: Petrus, Andreas, Jakobus d.Ä., Johannes, Philippus, Bartholomäus, Thomas, Matthäus, Jakobus d.J., Thaddäus, Simon, (Judas Iskariot), [Matthias]; Apg. 1,13: Petrus, Johannes, Jakobus, Andreas, Philippus, Thomas, Barholomäus, Matthäus, Ja kobus d.J., Simon, Judas Thaddäus, [Matthias]; Meßkanon: Petrus, Paulus, Andreas, Jakobus, Johannes, Thomas, Jakobus d. J., Philippus, Bartholomäus, Matthäus, Simon, Thaddäus. Vgl. auch Haibauer 1986 (wie Anm. 34), S. 255, Anm. 12. Die Abfolge im Messkanon entspricht der Predigt 240 des Pseudo-Augustinus, lediglich Paulus fehlt, stattdessen wird am Ende Matthias angefügt. Der Grund liegt wohl darin, dass Paulus erst nach dem Pfingstereignis berufen wurde.
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ternam gefolgt wären, würde sich der Nürnberger Zyklus an die Überlieferung der Apostelfolge nach Matthäus 10,2-4 anlehnen; lediglich Johannes und Jako bus wären in ihrer Abfolge vertauscht, was durch die erwähnte, traditionelle Verbindung des Jakobus Maior mit dem Bekenntnis der Jungfräulichkeit Mariens bedingt sein könnte. Befunde können diesen Rekonstruktionsvorschlag jedoch nicht stützen, da sich keinerlei Spuren von weiteren Apostelfiguren in den Seitenschiffkapellen nachweisen lassen.44 So muss angenommen werden, dass der Zyklus nie voll ständig zur Ausführung gelangt ist. Gründe könnten in der Ausstattungsge schichte der Kapellen zu finden sein. Die häufig geäußerte Auffassung, dass sie als private Familienkapellen geplant und genutzt wurden45, kann in dieser ver einfachenden Form nicht behauptet werden. Die rekonstruierbare Ausstattung der Kapellen zeigt ein uneinheitliches Bild. So erhielten sie nur zögerlich einige wenige Altarstellen, deren Stifter nach bisherigem Kenntnisstand in keinem Fall identisch sind mit den Stiftern der Fenster oder anderer Ausstattungsge genstände in der jeweiligen Kapelle. Die Apostelfiguren lassen keinerlei Rück schlüsse auf bestimmte Stifter zu, im Gegensatz etwa zum Apostelcredozyklus der Regensburger Franziskanerkirche; hier geht jede einzelne Figur auf einen anderen Stifter zurück, der sich zu Füßen „seines“ Apostels darstellen ließ. So bestätigt sich offenbar die These, die Haas im Hinblick auf die Altaran ordnungen in den Langhauskapellen und den 1439-1477 entstandenen Chor kapellen aufstellt: „Es scheint aber nie auch nur die Absicht bestanden zu ha ben, alle Nischen, die der Raum mit dem „Kapellen“säum des Langhauses und dem „Kapellen“kranz des Chorumganges erhielt, wirklich als Kapellen zu nut zen und mit Altären auszustatten.“46 Die Apostelfiguren könnten als Bestand teil einer ersten übergreifenden Planung zur Ausstattung zu sehen sein, die eine ausschließliche Nutzung als Privatkapellen nicht vorsah.47 Nur als These kann formuliert werden, dass die Aufgabe des Programms möglicherweise auf ge genläufige Interessen zurückzuführen ist. So wurde für die Imhoff-Empore ein externer Zugang errichtet mit einem Treppenaufgang in der Kapelle nXIII, der dort die Wandfläche extrem überschneidet. Wäre hier die Anbringung eines Apostels noch möglich gewesen, lässt dagegen die laut Fehring/Ress/Schwemmer um 1430/50 entstandene Treppenanlage in sXIV48, die sog. Rattentreppe, 44 Vgl. Holter (wie Anm. 2), S. 17. 45 Vgl. Stolz: Bau (wie Anm. 15), S. 10-12, hier: 11. Stolz: 750 Jahre (wie Anm. 13), S. 21, „Finanz kräftige und auf Anerkennung abzielende Handelsfamilien stifteten wesentliche Ausstattungs stücke und forderten eigene Familienkapellen.“ 46 Haas (wie Anm. 13), S. 89. 47 Trotz des fragmentarischen Charakters des Credozyklus blieben die Wandmalereien, wie der Befund zeigt, lange sichtbar, vgl. Holter (wie Anm. 2), S. 6. 48 Fehring/Ress/Schwemmer (wie Anm. 1), S. 76.
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welche zur Schmidmayer-Empore führt, keinen Platz mehr für die Apostelfi gur. Um diese These zu stützen, wären jedoch weitere archivalische Forschun gen und Bauuntersuchungen notwendig. Funktion und Interpretation des Apostelcredozyklus Die Apostel dienten vorrangig der Unterweisung der Gläubigen49, da ihnen der ursprünglich geplante Zyklus den Text und die Bedeutung des Glaubensbe kenntnisses, das als der wichtigste katechetische Text neben dem Pater Noster und seit der Hochscholastik dem Ave Maria50 gilt, ständig präsent vor Augen führen sollte. Die Motivation für die Anbringung des Apostelcredo stützt sich sicherlich auf ähnliche Gründe wie die von Nikolaus von Cusanus (1400-1464) geforderte Anbringung von Katechismustafeln. Die Tafel in St. Lamberti in Hildesheim hält diese didaktische Absicht im Text fest: Do de dudesce Cardi nal Nicolaus van kusa (...) na dudescen landen gesant wart: de denne svnderlicken straffede dat gemeyne wertlike volk . dat se dat Pater noster vnde louen nicht recht spreken: dar vmme gaf he dat in scriften vnde heyt idt in de kerken hengen (.. J.51 Seit karolingischer Zeit mussten bei der Taufe Eltern und Paten das Glau bensbekenntnis ablegen, um ihre Eignung für die christliche Erziehung des Kindes zu belegen. Zu dieser Zeit wurde in mehreren Synoden bereits die Zulässigkeit bestätigt, das Credo in der Volkssprache abzulegen.52 In einem monumentalen Freskenzyklus ist eine deutschsprachige Version, wie sie in Nürnberg erscheint, erstmals um 1380/90 in der Stadtkirche in Mosbach/Ba den überliefert.53 So legt auch der Nürnberger Zyklus mit der Verwendung des
49 Vgl. zum Einsatz von Bildern als didaktisches Mittel für illiterati oder laici im Anschluss an Papst Gregor d.Gr. und der damit verbundenen Problematik dieser häufig bemühten Bildfunk tion: Klaus Krüger: Die Lesbarkeit von Bildern, Bemerkungen zum bildungssoziologischen Kontext von kirchlichen Bildausstattungen im Mittelalter, in: Christian Ritteimeyer, Erhard Wiersing (Hrsg.): Bild und Bildung, Ikonologische Interpretation vormoderner Dokumente von Erziehung und Bildung (Wolfenbüttler Forschungen 49), Wiesbaden 1991, S. 105-133. 50 Vgl. Meier (wie Anm. 31), S. 10. H. Holtzmann: Die Katechese des Mittelalters, in: Zeitschrift für praktische Theologie 20 (1898), S. 1-18/117-130, hier: S. 8. 51 Zit. nach: Josef Koch, Hans Teske: Cusanus-Texte, I. Predigten, 6. Die Auslegung des Vaterun sers in vier Predigten (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Phil.hist. Klasse 29, 1938/39), Heidelberg 1940, S. 284. 52 Meier (wie Anm. 31), S. 10. Holtzmann (wie Anm. 50), S. 5. 53 Vgl. Renate Neumüllers-Klauser: Frühe deutsch-sprachige Inschriften, in: Nikolaus Henkel, Nigel F. Palmer (Hrsg.), Latein und Volkssprache im deutschen Mittelalter 1100 - 1500, Re gensburger Colloquium 1988, Tübingen 1992, S. 178-198, hier: 186f. Neumüllers-Klauser stellt zudem fest, dass die volkssprachlichen Texte bei Apostel-Credo-Zyklen bis zur Mitte des 15. Jhs. „äußerst selten“ sind und „immer deutlich in der Minderheit“ bleiben.
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volkssprachlichen Textes Wert darauf, möglichst vielen Gläubigen verständlich zu sein. Die Bildkatechese steht damit im Einklang mit synodalen Beschlüssen des 14. Jahrhunderts, die die Seelsorger anhielten, die katechetischen Haupt stücke regelmäßig und vor allem in der Volkssprache vorzutragen.54 Die Apostelzyklen zählen generell zur gebräuchlichsten Ausstattung des Kirchenraums. In Nürnberg und auch andernorts werden Freskendarstellun gen häufig mit Statuenzyklen kombiniert.55 In St. Lorenz gibt es seit Ende des 14. Jahrhunderts einen derartigen Zyklus, der neben den Aposteln auch Chris tus zeigt.56 Verbildlicht wird in beiden Apostelzyklen die auf Gal. 2,957, Apoc. 21,1458, Eph. 2,2059 und Mt. 16,1860 gründende und von den Kirchenlehrern aufgegriffene Vorstellung der Apostel als Säulen, Fundamente oder lapides vivi der Kirche.61 So beschreibt beispielsweise Haimo von Halberstadt (+853) den Aufbau der Fundamente der Kirche: Ita in fundamento Ecclesiae primo positi sunt apostoli, deinde martyres, deinde confessores, virgines, viduae, caeterique f...J62. Nach Rupert von Deutz (1075/80-1129/30) werden die Gläubigen in der Kirche selbst zu lebenden Steinen des himmlischen Jerusalem, sie sind die 54 Zum Beispiel: Erzbischof Arnestus von Prag, Statutum Synodale, 1355, in: Joseph Hartzheim, Johann Friedrich Schannat (Hrsg.): Concilia Germaniae, Köln 1761 (Nachdruck Aalen 1970), Bd. 4, S. 406: (...) Inhibemus (...) quod universi Rectores Eccesiarum, seu ipsorum vices gereutes omnibus diebus Dominicis et Festivis ante sermonem seu exhortationem, quam facient ad populum, Dominicam orationem, et Symbolum Apostolorum in vulgari praemittant (...). Vgl. dazu: Meier (wie Anm. 31), S. 11; Peter Göbl: Geschichte der Katechese im Abendlande vom Verfalle des Katechumentats bis zum Ende des Mittelalters, Kempten 1880, S. 91f. 55 Kombination der Credozyklen mit Statuenzyklen der Apostel vgl. Meier (wie Anm. 31), S. 77; Georg Mörsch: Der Stommelner Apostelzyklus, in: Rudolf Wesenberg zum 60. Geburtstag (Beiträge zur Rheinischen Kunstgeschichte und Denkmalpflege Beiheft 16), Düsseldorf 1970, S. 193-198, hier: 194. 56 Fehring/Ress/Schwemmer (wie Anm. 1), S. 84. 1513 wurde dieser Zyklus noch durch eine Veit Wirsberger zugeschriebene Paulusfigur erweitert, vgl. Stefan Roller: Nürnberger Bildhauer kunst der Spätgotik, Beiträge zur Skulptur der Reichsstadt in der zweiten Hälfte des 15. Jahr hunderts (Kunstwissenschaftliche Studien 77), München-Berlin 1999, S. 44 f. 57 (...) Jakobus, Kephas und Johannes, die als die „Säulen“ Ansehen genießen (...). 58 Die Mauer der Stadt hat zwölf Grundsteine; auf ihnen stehen die zwölf Namen der zwölf Apos tel des Lammes. 59 Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut; der Schlussstein ist Christus Je sus selbst. 60 Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen (...). 61 Joseph Sauer: Symbolik des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Auffassung des Mittelalters, Münster 21964, S. 114, 134. 62 Haymo Halberstatensis, Expositio in Apokalysin, in: Migne, PL 117, Sp. 1204. Vgl. auch Inno zenz III. (1198-1216), Sermo in Communi apostolorum, in: Migne, PL 117, Sp. 603: Hic est primum et praecipuum, quasi fundamentum fundamentorum, de quo dicit Apostolus: ‘Fundamentum positum est praeter quod aliud poni nonpotest, quod est Christus Jesus (1 Cor. 3).' Super hoc fundamentum quasi secundaria fundamenta consurgunt apostoli et prophetae (...). Muri civitatis sunt universi fideles, superaedificati super fundamentum apostolorum et prophetarum (...).
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Steine, die auf dem Fundament der Apostel lagern, da die Apostel ihren Glau ben einem Fundament gleich tragen.63 Als ikonographische Besonderheit fällt auf, dass die Apostel des Nürnber ger Credo-Zyklus nicht mit ihren eigenen Attribute ausgestattet sind, sondern stattdessen große Kreuze mit Kleeblattenden in Händen halten. Die Apostel verlieren damit weitgehend ihre Individualität, lediglich die Inschriften erlau ben eine Identifizierung der Figuren. Die Ikonographie der Nürnberger Apos tel erinnert damit an den Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen Skulpturen zyklus der Apostel in der Pariser Saint-Chapelle, die statt individueller Attri bute jeweils eine Weihekreuzscheibe tragen. Ebenso zeigen aufwendiger gestal tete Konsekrationskreuze häufig die Apostel als Kreuzträger. Als Beispiele seien hier die um 1360/80 datierten Weihekreuze im Chor der Regensburger Franziskanerkirche (Abb. 8) oder die Ende des 13. bzw. Anfang des 14. Jahr hunderts entstandenen Konsekrationskreuze der Trierer Liebfrauenkirche (Abb. 9) genannt.64 Durandus von Mende (um 1235-1296) beschreibt im ‘Pontificalis ordinis Uber’ die Anbringung der Kreuze mit darüber befestigten Kerzen65 bei den Vorbereitungen für die Kirchweihe: Item depingantur in parietibus ecclesie intrinsecus per circiutum duodecim cruces, circa decem palmas super terram, videlicet tres ab Oriente, tres ab occidente, tres a meridie et tres a septentrione, super quasfiguntur duodecim candele.hb Die Weihekreuze dienten als Kennzeichnung der zwölf Stellen, die der Priester bei der Kirchweihe salbt. In den liturgischen Anweisungen werden diese zwölf Kreuze ebenso wie die zwölf Kerzen67 mit den Aposteln gleichgesetzt. Sicardus von Cremona (t 1215) deutet die Salbung der zwölf Kreuze während der Kirchweihe als Zeichen des Glaubens an die Passion, der durch die zwölf Apostel an die Völker weiterge geben wird.68 Michael Pachers Konsekrationskreuze im Chor der Pfarrkirche 63 Rupertus Tuitiensis, De Trinitate et operibus eius in: Migne, PL, Bd. 167, Sp. 1013: Porro spiritualiter nobis lapides vivi lapides magni apostoli et prophetae sunt, quifidem nostram velutfundamentum portant. 64 Leonie Reygers: Artikel „Apostelkreuz, Apostelleuchter“, in: RDK, Bd 1, 1937, Sp. 830-832. Hermann Bunjes u.a.: Die kirchlichen Denkmäler der Stadt Trier (Kunstdenkmäler der Rhein provinz Bd. 13, Abt. 3, Kunstdenkmäler der Stadt Trier, Bd. 3), Düsseldorf 1938, S. 195 f. 65 Die möglicherweise in der Mitte der Kleeblattkreuze in Nürnberg angebrachten Leuchter, vgl. Holter (wie Anm. 2), S. 17, 20-23, wären ebenfalls mit der Funktion der Konsekrationskreuze in Zusammenhang zu bringen. 66 Michel Andrieu: Le Pontifical Romain au moyen age, Bd. 3, Le Pontifical de Guillaume Durand, Vatikanstadt 1940, S. 457. 67 Vgl. Honorius Augustodunensis (12. Jh.), Sacramentum de Dedicatione ecclesiae, in: Migne, PL 172, Sp. 801: Duodecim candelae ardentes duodecim apostolorum significant. 68 Sicardus von Cremona: Mitrale sive Summa de officiis ecclesiasticis, in: Migne, PL 213, Sp. 34: Deinde perparietes ecclesiae duodecim cruces cum chrismate facit, incipiendo a dextro perveniens ad sinstrum. Haec unctio est fidespassionis, quaeper apostolos a Judaeis pervenit ad gentes (...).
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Abb. 1: St. Lorenz, Nürnberg, Grundriss (nach: Fehring/ Ress/Schwemmer 1977)
Abb. 2: Johannes Ev., Nürnberg, St. Lorenz, Seitenkapelle sX (Foto: Holter)
Abb. 3: Jakobus d.Ä., Nürnberg, St. Lorenz, Seitenkapelle sXI (Foto: Holter)
Abb. 4: Judas Taddäus, Nürnberg, St. Lorenz, Seitenkapelle nX (Foto: Holter)
Abb. 5: Apostel, Nürnberg, St. Lorenz, Seitenkapelle nXI (Foto: Holter)
Abb. 6: Meister Theoderich, Andreas, um 1365, Burg Karlstein, Heiligkreuzkapelle (nach: Friedl 1956)
Abb. 7: Meister Theoderich, Jakobus d.Ä., um 1365, Burg Karlstein, Heiligkreuzkapelle (nach: Friedl 1956)
Abb. 8: Weihekreuz, um 1360/80, Regensburg, St. Salvator (Foto: Wegmann)
Abb. 9: Weihekreuz, Ende 13./Anfang 14. Jh., Trier, Liebfrauenkirche (nach: Reygers 1938)
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Das Apostelcredo in der Nürnberger Lorenzkirche
von St. Wolfgang (3. Viertel 15. Jh.) belegen auch eine unmittelbare Verbindung der Weihekreuze mit dem Apostelcredo.69 In die Rahmung sind hier die Sätze des Credo einbezogen und den einzelnen Aposteln im Medaillon zugewiesen. Doch neben der Verbindung zur Ikonographie eines Typus von Konsekra tionskreuzen70 lassen sich auch Parallelen zur Darstellung der Apostel in der Heiligkreuzkapelle auf Burg Karlstein (Abb. 6, 7) feststellen, die über die be reits erwähnten stilistischen Ähnlichkeiten hinausreichen. Hier sind die Apos tel zwar noch anhand ihrer individuellen Attribute zu erkennen, doch zusätz lich halten sie ein kleines Kleeblattkreuz in der Hand. In Karlstein verweisen diese Attribute auf die Funktion der Kapelle als Aufbewahrungsort des Reichs kreuzes und des sog. „Landeskreuzes“ - ein Reliquienkreuz mit Partikeln des Kreuzes Christi, der Dornenkrone und vom Schwamm des Stephaton, das Kai ser Karl IV. 1357 gestiftet hatte.71 In Nürnberg sind die Kreuze als Attribute der Apostel wohl eher allgemeiner zu verstehen. Die Apostel verkünden mit den Credosätzen den Glauben als Grundlage der Kirche und tragen gleichzei tig das Kreuz als sichtbares und allgemein verständliches Glaubenssymbol, das den äußeren Sinn der Darstellung auch für Illiterati verständlich machte.
69 Vgl. Gertrude Tripp: Spätgotische Apostelmedaillons in der Pfarrkirche von St. Wolfgang, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 10 (1956), S. 54-57. 70 Funktional entsprachen die Nürnberger Apostelfiguren sicherlich nicht den Konsekrations kreuzen, aufgrund des zeitlichen Abstands zwischen Vollendung des Baus und der Anbringung der Apostel, den die Malschicht unter den Apostelfiguren nahe legt, und aufgrund der Unvoll ständigkeit des Zyklus, da für die Weihe zwölf Kreuze angebracht sein mussten. 71 Vgl. Möseneder 1981 (wie Anm. 7), S. 40.
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EIN GRADUALE VON ST. SEBALD UND EIN PIRCKHEIMER-EINBAND ZUR RÜCKGABE VON ZWEI ENTFREMDUNGEN AN DIE STADTBIBLIOTHEK NÜRNBERG
Von Christine Sauer Am 24. September 2001 nahm der Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg, Ludwig Scholz, vom Leiter der Handschriftenabteilung an der Pierpont Mor gan Library, William Voelkle, zwei wertvolle Bücher zur Kulturgeschichte Nürnbergs im 16. Jahrhundert entgegen.1 Beide Bände sind nachweislich alter Besitz der Stadtbibliothek Nürnberg und waren wohl 1945 entwendet worden. Dem feierlichen Übergabeakt in der Stadtbibliothek Nürnberg waren koope rativ geführte Verhandlungen zwischen der New Yorker und der Nürnberger Bibliothek vorausgegangen, in die das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in New York und das mit der Rückführung von Kulturgütern be fasste Referat beim Beauftragen der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien vermittelnd und beratend eingegriffen hatten. Damit kehrten die beiden Bücher nach mehr als einem halben Jahrhundert wieder an ihren ursprünglichen Aufbewahrungsort zurück. Diese zwei Bände und ihre Geschichte sollen anschließend vorgestellt werden, um sie auch der Forschung zur Nürnberger Stadtgeschichte zurückzugeben. Denn zu beiden Stücken lie gen lokale Untersuchungen aus der Zeit um den Zweiten Weltkrieg vor, doch konnten die darin gelegten Fährten aufgrund des Verlustes nicht weitergeführt werden. Erst jetzt besteht dazu wieder die Möglichkeit. Wiederentdeckung Im Frühjahr 1998 bestellte der Musikwissenschaftler Volker Schier im Rahmen seines Forschungsprojektes über die Musikkultur in der Reichsstadt Nürnberg vor der Reformation den Mikrofilm einer Choralhandschrift aus St. Sebald, die im Jahr zuvor von der Pierpont Morgan Library erworben worden war und die Signatur M. 1109 erhalten hatte. Auf die Handschrift war er vom Leiter der Handschriftenabteilung, William Voelkle, aufmerksam gemacht worden. Die 1 Siehe dazu die Berichterstattung in der lokalen Presse: Nürnberger Nachrichten, Nürnberger Zeitung, Abendzeitung und Bild Nürnberg vom 25.9.2001; vorausgegangen war die Ankündi gung der Rückgabe in der New York Times vom 20.2.2001 und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 25.4.2001, in den Nürnberger Nachrichten vom 26.4.2001 und der Nürnberger Zeitung vom 27.4.2001. - Der Beitrag ist eine überarbeitete und stark erweiterte Fassung des Kurzberichts zur Rückgabe, s. Christine Sauer: Zwei Kriegsverluste kehren aus New York zurück, in: Buch und Bibliothek 53 (2001), S. 602 f.
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Aufnahme des in den Buchdeckel eingeklebten Exlibris erinnerte Volker Schier an entsprechende Exemplare in Büchern, die er in der Stadtbibliothek Nürn berg eingesehen hatte. Der einschlägigen Literatur konnte er leicht entnehmen, dass die Handschrift tatsächlich als Besitz der Stadtbibliothek Nürnberg ge nannt und 1970 als Kriegsverlust bezeichnet wird. Im November 1998 infor mierte er die Pierpont Morgan Library über seine Erkenntnisse. Durch Zufall wusste William Voelkle von einem weiteren Bänd mit demselben Eignerzei chen, der von der Abteilung Alte Drucke im selben Haus erworben und mit der Signatur 127 960 Bdg. aufgestellt worden war. Es handelte sich dabei um zwei Drucke des Johannes Cochläus (1479-1552) aus dem Jahr 1511 in einem Einband des Nürnberger Humanisten Willibald Pirckheimer (1470-1530). Zum selben Zeitpunkt setzte Volker Schier auch die Stadtbibliothek Nürnberg über seinen Fund in Kenntnis. Hier wurden nun die Beweise für den recht mäßigen Besitz an der Handschrift zusammengetragen, die nach den ersten Kontakten mit der Pierpont Morgan Library auch auf den Sammelband im Pirckheimer-Einband ausgedehnt wurden. Besitznachweise Nach Ausweis des von Volker Schier wiedererkannten Wappenexlibris mit der Aufschrift „Ex Bibliotheca Norica Williana“ (Abb. 1) gehören die beiden Bände in die Privatbibliothek des Altdorfer Professors Georg Andreas Will (1727-1798).2 Will stammt aus einer Nürnberger Theologenfamilie, die sich väterlicherseits bis in das 17. Jahrhundert und mütterlicherseits bis auf Veit Dietrich in das 16. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Er baute die vor allem Drucke der Reformationszeit umfassende Familienbibliothek zu einer Nürn berg-Bibliothek aus, die noch heute für jegliche Beschäftigung mit der Vergan genheit der ehemaligen Reichsstadt eine unschätzbare Quellensammlung bie tet. Bereits 1792 entschloss sich der Rat zum Ankauf dieser Sammlung, für die sich jedoch Will das Nutzungsrecht vorbehielt. Nach seinem Tod 1798 wurden die Bücher nach Nürnberg überführt und 1816 in der Stadtbibliothek auf gestellt.3 Die Bibliotheca Norica Williana bildet mit über 15.500 gedruckten 2 Zur Biographie s. Friedrich Bock: Georg Andreas Will - Ein Lebensbild aus der Spätzeit der Univerisität Altdorf, in: MVGN 40 (1951), S. 404-426 und Stadtlexikon Nürnberg, hrsg. von Michael Diefenbacher und Rudolf Endres, Nürnberg 2000, S. 1181 f.; zur Bibliothek jetzt Re nate Jürgensen: Norimberga Literata, in: Sprache und Literatur im deutschen Sprachraum der Frühen Neuzeit, Bd. 1, hrsg. von Klaus Garber unter Mitwirkung von Stefan Anders und Tho mas Eismann, Tübingen 1998, S. 425-490, bes. S. 460-465, und dies.: Bibliotheca Norica. Patri zier und Gelehrtenbibliotheken in Nürnberg zwischen Mittelalter und Aufklärung (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 43), Wiesbaden 2002, S. 1575-1641. 3 Die Umstände des Ankaufs schildert ausführlich Karlheinz Goldmann: Geschichte der Stadt bibliothek Nürnberg, Nürnberg 1956, S. 35—40, 58 f.
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Ein Graduale von St. Sebald und ein Pirckheimer-Einband
Titeln und 2.300 Handschriften die umfangreichste Privatbibliothek im Besitz der Stadtbibliothek; lediglich 2.000 Urkunden wurden nach 1865 an das Stadt archiv und 5.000 Kupferstiche 1971 an die Graphische Sammlung der Museen der Stadt Nürnberg abgegeben.4 Der von Will selbst verfasste und zwischen 1772 und 1793 gedruckte siebenbändige Katalog ist unüberholt; noch heute sind die Bücher gemäß der von ihm entworfenen Systematik aufgestellt.5 6 Die von Will vergebenen Signaturen wiederholen die Bleistifteinträge aus ei ner Kombination von römischer und arabischer Ziffer, die auf den Exlibris der meisten Bände vorgefunden werden. Diese Ziffernfolgen sind auch in den bei den New Yorker Bänden vorhanden. Der Eintrag VII. 1425 4° in der Hand schrift M. 1109 führt in Teil VII der Bibliotheca Norica Williana unter der lau fenden Nummer 1425 zu folgendem Eintrag, der den Wortlaut des Titelblattes (Bl. Ir; vgl. Abb. 4) wiedergibt: Antiphonae, Responsoria, Hymni, Introitus, Mis sae, Alleluia, Tractus etc. qui Dnicis. dieb. itemque Festis Apostolorum etc. per annum in Templo Sebaldino choraliter cantari solent, collecti a loh. Schirmero, Scholae Sebald. Cantore, 1599. Dieses Choralbuch ist sehr schön geschrieben, und durchaus mit illuminirten Buchstaben und Zeichnungen von der Feder ver sehen! Auch die Aufschrift III. 647 4° vom in den Pirckheimer-Einband einge klebten Exlibris führt zu einer zutreffenden Beschreibung. Will bezeichnet die Drucke als a. Quadriuium Grammatices Io. Coclaei Norici und b. Tetrachordum Musices Io. Coclei von 1511, zu denen er weiter vermerkt: Mir ist außer der Sel tenheit dieser Bücher selbst das Exemplar schätzbar,; indem es aus der Pirkhei merischen Bibliothek herkommt, wie das auf dem Bande eingedruckte Wappen und die darunter stehende Worte, Liber Bilibaldi Pirckheimerc zu erkennen ge ben.7 Die Sammlung Will wurde 1888, 1952 und erneut 1989 Revisionen unter zogen. Gemäß den Vermerken im durchschossenen Handexemplar der Stadt bibliothek Nürnberg (Amb. 5335.8°) waren Will VII, 1425 und Will III, 647 1888 vorhanden, wurden jedoch 1952 und 1989 mit fehlt gekennzeichnet. Vor 1970 erteilte die Bibliothek Bartlett Russell Butler die Auskunft, dass die Hand schrift im Krieg zerstört worden sei.8 Der Eintritt des Verlustes lässt sich jedoch
4 Zu Umfang und Zusammensetzung der Bibliothek Renate Jürgensen: Stadtbibliothek Nürn berg, in: Handbuch der historischen Buchbestände in Deutschland, Bd. 12, Hildesheim 1996, S. 132-134. 5 Georg Andreas Will: Bibliotheca Norica Williana oder kritisches Verzeichnis aller Schriften, welche die Stadt Nürnberg angehen ..., Bd. 1-7, Altdorf 1772-1793. 6 Will (wie Anm. 5), Bd. 7, Altdorf 1792, S. 324. 7 Will (wie Anm. 5), Bd. 3/4, Altdorf 1774, S. 126 f. 8 Bartlett Russell Butler: Liturgical Music in Sixteenth-Century Nürnberg. A Socio-Musical Study, Diss. Univ. of Illinois 1970, S. 373: „According to the staff of StB, this valuable source was destroyed in 1945“.
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noch genauer fassen, denn 1936 hielt Bertha Antonia Wallner die beiden Stücke noch in der Hand, als sie den unpublizierten „Musikalien-Katalog“ erstellte.9 Verlust Die beiden Bände müssen also zwischen 1936 und 1952 verloren gegangen sein. Vermutlich trat der Verlust am Auslagerungsort der Sammlung Will nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein. Bereits im Oktober 1939 traf der damalige Biblio theksdirektor Friedrich Bock erste Vorsorge zur Sicherung der wertvollsten Bi bliotheksbestände, der dann ab 1942 die Auslagerung der gesamten Altbestan des folgte.10 Im Spätherbst 1942 wurde die Sammlung Will nach Hersbruck in ein Privathaus in der Grabenstraße 13 transportiert, musste jedoch wegen des nahen Baus einer unterirdischen Munitionsfabrik am 20. Oktober 1944 nach Markt Hohenburg (Landkreis Amberg-Sulzbach) „in den Tanzsaal einer Gast stätte“ ausgelagert werden.11 Als die Bibliothek am 9. August 1945 zurückgeholt werden sollte, bot sich dem Bibliothekspersonal folgendes Bild: „Der Tanzsaal hatte inzwischen den Amerikanern als Kantine gedient, unsere Willbände waren dort in einer kleinen Nische gestapelt. Sie sind von den amerikanischen Solda ten nicht immer ihrem Wert entsprechend behandelt worden“.12 Offensichtlich konnten sich also die Amerikaner ungehindert Zugang zu den Büchern ver schaffen. Es besteht somit Anlass zu der Vermutung, dass die beiden Bändchen im Quartformat von einem Soldaten als Souvenir mitgenommen wurden, der noch dazu Inhalt und Wert der zwei Bücher einschätzen konnte.13 Ankauf durch die Pierpont Morgan Library Beide Bände tauchten dann gemeinsam auf einer Auktion der Swann Galleries in New York am 21. November 1996 wieder auf, wo sie im Auftrag eines Einliefe rers als Lot 19A (Choralhandschrift) und 89A (Pirckheimer-Einband) angeboten 9 Bertha Antonia Wallner: Musikalien-Katalog (Noten in Handschriften und Druckwerken), auf den November 1951 datierter, kopierter Auszug in der Handschriftenabteilung der StBN; die Verfasserin führt aus, dass das Inventar aufgenommen wurde „im Aufträge der Gesellschaft zur Herausgabe von Denkmälern der Tonkunst in Bayern ... vom 20.4. bis 15.5.1936 und vom 5.10. bis 17.10. 1936“. Die Einträge zu Will VII, 1425 und III, 647 finden sich unter Nr. 265 sowie 443 und 462. 10 Margarete Meier: Die Verlagerung der Bücherbestände der Stadtbibliothek während des 2. Welt krieges, in: Mitteilungen aus der Stadtbibliothek Nürnberg 2, Heft 4 (1953/54), S. 11-22. 11 Meier (wie Anm. 10), S. 13. 12 Meier (wie Anm. 10), S. 19 f. Den zitierten Bericht zur schlechten Behandlung der Bücher er gänzt Karlheinz Goldmann, Direktor der Stadtbibliothek, in einem Schreiben vom 23. 12. 1958 um den Satz: „Sie [seil, die amerikanischen Soldaten] haben zum Teil damit Fußball gespielt“. 13 Vielleicht kann der in jüngerer Zeit auf Bl. 167r eingetragene Name David Spivey zur Auf klärung des Verbleibs in den USA beitragen.
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wurden. Die liturgische Handschrift ging für $ 3.910 weit unter Wert an die Maggs Bros. Ltd. in London, während der New Yorker Händler Fred Schreiber den Zuschlag für den Pirckheimer-Einband zu $ 5.570 erhielt. Von diesen An tiquaren wurden dann die beiden Stücke von der Handschriftenabteilung und der Abteilung Alte Drucke der Pierpont Morgan Library ohne Kenntnis voneinan der 1997 erworben. Die Choralhandschrift und der Sammelband im wertvollen Einband wurden dort mit den Signaturen M. 1109 und 127 960 Bdg. aufgestellt. Restitution Die von der Stadtbibliothek Nürnberg vorgelegten Beweise für die beiden Bände als alter und kriegsbedingt verlagerter Besitz erkannte die Pierpont Morgan Library an, obwohl keines der Bücher einen Bibliotheksstempel auf wies. Wohl aufgrund ihres Umfangs und des vielen Kleinschrifttums sind die Bände der Sammlung Will niemals durchgehend gestempelt worden. Die Ver handlungen wurden gemäß dem Grundsatz geführt, dass keiner der beiden be teiligten Bibliotheken ein finanzieller Schaden entstehen sollte. Als die beiden Antiquariate sich bereit erklärten, der Pierpont Morgan Library den Verkaufs preis zurückzuerstatten, und wiederum der Leiter der Swann Galleries, John Lowry, zugesichert hatte, die Händler auszubezahlen, war der Weg für eine Restitution frei. In ihrem ersten Fall von Rückführung kriegsbedingt verbrach ter Kulturgüter ist die Pierpont Morgan Library unter ihrem Direktor Charles E. Pierce Jr. somit äußerst großzügig und kooperativ verfahren. Vor allem in der letzten Phase vor der Rückgabe stand der Stadtbibliothek Nürnberg das für die Rückführung von Kulturgütern zuständige Referat beim Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien beratend zur Seite. Tatkräftige Unterstützung vor Ort erfuhr sie durch das Auswärtige Amt, dem Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in New York. Die nochmals durch den Terroranschlag auf das World Trade Center am 11. Sep tember 2001 gefährdete Rückführung konnte dann doch umgesetzt und mit ei nem feierlichen Übergabeakt am 24. September vollzogen werden. Die beiden Bände stehen nun wieder an ihrem ursprünglichen Standort unter den alten Will-Signaturen. Allerdings machte der Anschlag vom 11. September die in die amerikanische Zollbehörde gesetzte Hoffnung zunichte, den Namen des Ein lieferers bei der Auktion von 1996 zu ermitteln: Beim Einsturz der beiden Türme wurde auch das betreffende Archiv im unmittelbar benachbarten US Customs Service vernichtet. Der Pirckheimer-Einband (StBN, Will III, 647) Die beiden nun in die Stadtbibliothek heimgekehrten Bücher weisen - sei es durch Zufall oder als Resultat einer gezielten Auswahl - auffällige Berührungs-
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punkte auf. Zum einen beschäftigen sie sich beide zumindest teilweise mit Mu sik, zum anderen waren beide zum Gebrauch in den Schulen an den Pfarrkir chen St. Lorenz oder St. Sebald in Nürnberg bestimmt. Der ungewöhnliche Pirckheimer-Einband umschließt zwei Schriften des Jo hannes Cochläus, die während seiner Lehrtätigkeit an der Trivialschule von St. Lorenz entstanden. Johannes Dobneck (1479-1552), dessen Zuname eine Latinisierung seines Geburtsortes Raubersried in der Pfarrei Wendelstein (bei Schwabach, Mittelfranken) darstellt, gab zu Pfingsten 1510 seine Professur an der Kölner Universität auf und wurde Rektor (Schulmeister) an der Schule von St. Lorenz.14 Für die Berufung hatten sich vor allem der Propst bei St. Lorenz, Anton Kress (1478-1513), und Willibald Pirckheimer eingesetzt. Von Cochläus sowie von dem nahezu gleichzeitig an St. Sebald eingestellten Johan nes Romming erhofften sie sich die erfolgreiche Umsetzung einer humani stisch geprägten Schulreform, die vom Rat am 7. Mai 1509 für die beiden Schu len der Pfarrkirchen beschlossen und 1510 nochmals bekräftigt worden war.15 Demzufolge sollten vor und nachmittags zu jedem mal auf ain stund die jun gen knaben und andere, so die schul heimsuchen, in der neuen regulirten grammatica und poesie oder arte oratoria unterwiesen und gelernet werden. Mit der Überwachung der Kurse in arte humanitatis wurde unter anderen Willibald Pirckheimer als Visitator beauftragt.16 Die Ernsthaftigkeit, mit der Cochläus die Umsetzung der in ihn gesetzten Erwartungen verfolgte, bezeugt die Tatsa che, dass bereits 1511 die zwei ersten von insgesamt vier Lehrbüchern erschie nen, die zur Verbesserung des Unterrichts an der Schule bestimmt waren.17 Auf 14 Zur Biographie s. Stadtlexikon (wie Anm. 2), S. 186; zusätzlich Franz Machilek: Johannes Cochläus, in: Fränkische Lebensbilder, hrsg. von Gerhard Pfeiffer und Alfred Wendehorst, Neue Folge Bd. 8 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte VII A), Neu stadt an der Aisch 1978, S. 51-69, und Klaus-Jürgen Sachs, Art. Cochläus, Johannes, in: Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, 2. neubearb. Ausg. hrsg. von Ludwig Finscher, Personenteil 4, Kassel 2000, Sp. 1297-1300. Zur Berufung nach Nürnberg ausführlich Georg Frhr. von Kress: Die Berufung des Johannes Cochläus an die Schule bei St. Lorenz in Nürnberg im Jahre 1510, in: MVGN 7 (1888), S. 19-38. 15 Die Bemühungen um die Einführung einer humanistisch geprägten Bildungsreform in Nürn berg schildert Reinhard Jakob: Schulen in Franken und in der Oberpfalz 1250-1520. Verbrei tung - Organisation - Gesellschaftliche Bedeutung (Wissensliteratur im Mittelalter 16), Wiesba den 1994, S. 307-343, bes. S. 326-330 mit S. 172-174. Der erste Versuch zur Verankerung huma nistischer Bildungsideale in Nürnberg war 1509 mit der Aufhebung der 1485 gegründeten Poe tenschule gescheitert; Stadtlexikon (wie Anm. 2), S. 833. 16 Die beiden Ratsverlässe sind gedruckt bei Johannes Müller: Vor- und frühreformatorische Schulordnungen und Schulverträge in deutscher und niederländischer Sprache (Sammlung selten gewordener pädagogischer Schriften früherer Zeiten 13), Zschopau 1886, S. 163 f. 17 Carl Otto: Johannes Cochlaeus, der Humanist, Breslau 1874, S. 21-44; Jakob (wie Anm. 15), S. 326-330; ausführlich Monique Samuel-Scheyder: Johannes Cochlaeus. Humaniste et adversaire de Luther, Nancy 1993, S. 47-271.
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das „Quadrivium grammatices“ und das „Tetrachordum musices“ von 1511 folgten im nächsten Jahr ein Kommentar zur „Meteorologia“ des Aristoteles und die um die bekannte „Brevis Germanie descriptio“ erweiterte Neuausgabe der „Cosmographia“ des Pomponius Mela.18 Die letzten beiden Werke, die die fortgeschritteneren Schüler in das Studium der Naturbetrachtungen einführen und bei ihnen das Verständnis für die Philosophie wecken sollten, können hier außer Betracht bleiben. Näher in Augenschein zu nehmen sind dagegen die beiden Texte aus dem Jahr 1511, denn sie liegen zusammengebunden in dem von der Pierpont Morgan Library zurückgegebenen Band vor. Die Abfolge in der Herausgabe der Schulbücher spiegelt die elementare Be deutung, die den behandelten Unterrichtsfächern zukam. Das „Quadrivium grammatices“, eine Lateingrammatik, erschien am 1. März 1511, gedruckt von Johann Stuchs in Nürnberg.19 Es wurde bereits 1513 in Tübingen wiederaufgelegt und danach von Hieronymus Gebwiler (J 1545), Rektor der Schulen in Schlettstadt, Straßburg und Hagenau, in fünf Ausgaben bis 1519 verbreitet.20 Das Erler nen der lateinischen Sprache war von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der geistlichen Schulen.21 Jedoch musste Cochläus nach seinem Amtsantritt in Nürn berg feststellen, dass keine der gebräuchlichen Grammatiken für seinen von hu manistischen Idealen geprägten Unterricht tauglich war.22 Die bekannten Lehr bücher waren entweder zu knapp oder zu ausführlich und bestimmt vom For malismus scholastischer Lehrmethoden. Der Humanist Cochläus verstand das Erlernen der lateinischen Sprache jedoch nicht als Ziel an sich, sondern als Mittel, um möglichst schnell Zugang zu den Texten der großen Autoren der Antike und der von ihnen beeinflussten Verfasser der Gegenwart zu gewinnen. Die von ihm zusammengestellte Grammatik sollte daher kurz in der Darstellung, klar in den Erklärungen und abwechslungsreich in den Gegenständen sein. Das Einprägen der Regeln wurde den Knaben erleichtert durch eine gute und sorgfältige Gliede rung in vier Teile (nämlich Etymologie oder Flexionslehre, Diasynthetik oder Syntax, Prosodie und Orthographie) mit Traktaten und Kapiteln. Cochläus
18 Die beiden Texte aus dem Jahr 1511 werden im Anschluss ausführlich behandelt; zu den Drucken von 1512 s. Otto (wie Anm. 17), S. 39-44 und Samuel-Scheyder (wie Anm. 17), S. 143-271. Edition der Brevis Germanie descriptio, hrsg. von Karl Langosch (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 1), Darmstadt 1960. 19 Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts (VD 16), Stuttgart 1983 ff., C-4365. 20 VD 16 (wie Anm. 19), C-4366, Otto (wie Anm. 17), S. 34-36. 21 Jakob (wie Anm. 15), S. 313-316 mit Literaturangaben. 22 Zum folgenden s. Otto (wie Anm. 17), S. 27-37; Samuel-Scheyder (wie Anm. 17), S. 75-111; Jakob (wie Anm. 15), S. 327 f.
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strebte an, die Schüler schon im Verlauf eines Semesters mit der Grammatik ver traut zu machen, so dass sie an die Lektüre guter Autoren herantreten konnten.23 Darüber hinaus wollte er - ebenfalls ganz im Sinne des Humanismus - den Schülern die Fähigkeiten zum Schreiben von Gedichten und Briefen vermitteln. Der Praxis der Poesie war daher die Prosodie als einer der vier Teile der Gram matik gewidmet. Cochläus benutzte das „Quadrivium grammatices“ seinen eige nen Angaben zufolge im Unterricht24 und umschreibt den Erfolg dieser Anwen dung folgendermaßen: Brevi enim didicerunt epistolia et carmina secundumpraescriptas leges exarare, nominum verborumque inflexiones paucis facile absolvere, orationes autorum ex regulis prompte cognoscere, syllabarum quantitates ex prosodia quotidie duorum versuum in lectione Virgiliana declarare, elegantiarum flosculos excerpere sicque imitatione quoque ingenii ruditatem excolere.25 Die vom Verfasser intendierte klare Darstellung unterstützte der Drucker Johann Stuchs durch die Verwendung einer gut lesbaren Antiqua-Type.26 Stuchs gibt für den Druck als Datum den 1. März 1511 an, während Cochläus die beiden Widmungen an Anton Kress auf den 28. Februar 1511 und an Willi bald Pirckheimer auf den 3. Februar 1511 datiert. Noch nicht einmal ein halbes Jahr später, nämlich bald nach dem 11. Juli 1511, ließ Cochläus bei Johann Weißenburger ein bisher fehlendes und als dringendes Desiderat empfundenes Handbuch für den Musikunterricht mit dem Titel „Tetrachordum musices“ drucken.27 Das Singen war neben dem La23 So beschrieben in der Widmung des „Quadrivium grammatices“ an Propst Anton Kress vom 28.2.1511: Omnium grammaticae partium precepta in unum (quapotui brevitate et claritate) re-
degi compendium, opere pretium fore arbitratus, tenera eorum ingenia excitare verborum brevi tate, sententiarum facilitate ac varietate materiae, memoriam insuper adiuvare bono ordine diligentique distinctione, partium quidem in tractatus, tractatuumque in capita, quae suis regulis exceptionbusque digesta mentibus eorum fideliter insiderent altioribusque studiis moram non facerent. Poterunt enim in uno semestri sic erudiri adolescentes, ut de omni grammatices materia dicere queant bonosque simul audiant latini eloquii authores; vgl. Otto (wie Anm. 17), S. 32 f.; Samuel-Scheyder (wie Anm. 17), S. 91-98. 24 Widmung an Willibald Pirckheimer im „Tetrachordum musices“, Bl. D IVv: Etenim grammati
ces quadrivium nuper hic impressum nostris iuvenculis nunc haud sine fructu (deo sint gratiae) quottidie communicatur, Willibald Pirckheimers Briefwechsel, Bd. 2, hrsg. von Emil Reicke, München 1956, Nr. 191, S. 80. 25 Widmung an Anton Kress in der Ausgabe des „Quadrivium grammatices“ von 1513; vgl. Otto (wie Anm. 17), S. 28 f. 26 Zu Johann Stuchs, bei dem viele bekannte Humanisten drucken ließen, s. Walter Baumann: Die Druckerei Stuchs zu Nürnberg (1484-1537), in: Gutenberg-Jahrbuch 29 (1954), S. 122-132, bes. S. 124-126. 27 VD 16 (wie Anm. 19), C-4401; Paul Cohen: Die Nürnberger Musikdrucker im sechzehnten Jahrhundert, Regensburg Diss. 1927, S. 47 Nr. 13. Johannes Cochläus: Tetrachordum musices, Hildesheim 1971 (Nachdruck der Ausgabe von 1512). Zum Text s. Samuel-Scheyder (wie Anm. 17), S. 112-139 und Cristle Collins Judd: Reading Renaissance Music Theory. Hearing with the Eyes, Cambridge 2001, S. 82-90. - Zu Johann Weißenburger, der zwischen 1501 und 1513 in
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teinlernen ein zweiter Schwerpunkt der Trivialschulen, da der Chor der Schüler unter Anleitung des Schulmeisters an der liturgischen Gestaltung der Gottesdienste maßgeblich beteiligt war. Infolgedessen hatte der Rektor immer auch über grundlegende Kenntnisse der theoretischen und der praktischen Musik zu verfügen.28 Für die Berufung des Cochläus nach Nürnberg war daher von Bedeutung gewesen, dass er sich auf diesem Gebiet 1507 durch die Her ausgabe eines Musiktraktats ausgewiesen hatte.29 In seiner Widmung an Anton Kress vom 11. Juli 1511 benennt Cochläus explizit die tadellose Ausführung des täglichen Chorgesangs und die Einführung der Polyphonie neben der Pflege humanistischer Studien als Gründe für seine Anstellung.30 Das in die vier Teile Elemente der Musik, Gregorianischer Gesang, die acht Töne und Mensuralmusik unterteilte Lehrbuch füllte eine Lücke und wurde fünfmal wieder aufgelegt.31 Für den Erfolg war auch in diesem Fall die klare und ver ständliche Darstellung der Materie entscheidend. Diese beiden Lehrbücher sind nun in dem nach Nürnberg zurückgekehrten Exemplar unmittelbar nach ihrem Erscheinen im Jahr 1511 zusammengebun den worden.32 Vor- und Nachsatz bestehen nämlich aus Papierbögen mit Was-
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Nürnberg vor allem humanistische Schriften druckte, s. Josef Benzing: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet, 2., verbesserte und ergänzte Auflage (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 12), Wiesbaden 1982, S. 353. Butler (wie Anm. 8), S. 386-395; Jakob (wie Anm. 15), S. 317 f. Musica ..., Köln: Johann Landen 1507; VD 16 (wie Anm. 19), C-4344; Samuel-Scheyder (wie Anm. 17), S. 121-124. Widmung an Anton Kress im „Tetrachordum musices“; s. dazu den Nachdruck (wie Anm. 27) und Otto (wie Anm. 17), S. 27 f. VD 16 (wie Anm. 19), C-4402-4405; Cohen (wie Anm. 27), S. 47, Nr. 12, 14, 16, 20, 26. StBN, Will III, 647 = Pierpont Morgan Library, 127 960 Belg.; Cochläus, Johannes: Quadriuium Grammatices Joannis Coclaei Norici ... Nürnberg: Johann Stuchs 1.3.1511 (s. Anm. 19), [4], XCIII (recte: XCV), [1] Bl.; zusammengebunden mit: Cochläus, Johannes: Tetrachordum Musi ces Joannis Coclei Norici ... Nürnberg: Johann Weißenburger 1511 (s. Anm. 27), [30] Bl. Buch block: 21x15 cm. Im „Quadrivium grammatices“ ist die gedruckte und falsche Foliierung später handschriftlich korrigiert und im „Tetrachordum musices“ die fehlende Foliierung handschrift lich ergänzt worden; bemerkt wurden die beim Binden vertauschten Bl. E und Eli im zuletzt ge nannten Druck. Vor- und Nachsatz je 2 Doppelblätter mit Wasserzeichen Ochsenkopf (s. die fol gende Anm.), im Vorsatz das erste und im Nachsatz das letzte Blatt als Spiegel mit dem Einband verklebt. Einband: 22x16 cm; braunes Leder über Holz, Nagellöcher einer ausgebrochenen Schließe in der Mitte von Vorder- und Rückdeckel sowie von vier seidenen Schließbändern in Grün. Plattenabdruck auf dem Vorderdeckel (nur Wappenplatte ohne Inschriftenplatte) 15,3x11,8/11,9 cm, Plattenabdruck mit Blattwerk auf dem Hinterdeckel 13,9x0,79 cm. Vorder schnitt mit Inhaltsangabe in brauner Tinte. Für Literatur zum Einband s. Ernst Kyriss: Notes on Nuremberg Panel Stamps before the Reformation, in: The Papers of the Bibliographical Society of America 44 (1950), S. 59-62 (deutsches Typoskript von Ernst Kyriss als Vorlage für die Über setzung von Lawrence S. Thompson in der Stadtbibliothek Nürnberg mit der Signatur Nor. 1541.2° = Rar); Ders.: Einmalige Nürnberger Plattenstempel vor der Reformation, in: Mitteilun gen aus der Stadtbibliothek Nürnberg 2, Heft 1 (1953/54), S. 6-9; Reicke (wie Anm. 24), Nr. 188.
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serzeichen vom Typ Ochsenkopf mit doppelkonturiger Schlange, dessen Ver wendung in Prutz, Rattenberg und Rothenburg ob der Tauber in den Jahren 1512 bis 1515 belegt ist.33 Der Quartband erhielt damals einen braunen, mit Blindstempeln dekorierten Ledereinband über Holzdeckeln. Der Buchrücken wurde mit freien fünfblättrigen Rosetten zwischen Streicheisenlinien im Rau tenmuster verziert, während in den Bezug des Hinterdeckels eine Platte mit ach sensymmetrischem Blattwerk in einem Rahmen mit fortwährend wiederholten Einzelstempeln gepresst wurde.34 Der Vorderdeckel jedoch erhielt ein Wappensupralibros (Abb. 2), das der Buchbinder mit den zwei Holzstöcken herstellte, von denen ein um 1502 entworfenes Exlibris von Willibald Pirckheimer ge druckt worden war (Abb. 3).35 Das eigentliche, mit dem größeren Holzstock er zeugte Bucheignerzeichen zeigt von Füllhörnern und Fruchtgirlanden gerahmt das Allianzwappen von Willibald Pirckheimer und seiner Frau Crescentia Rieter (t 1504) mit einem darüber von zwei Putten gehaltenen Stechhelm. Darunter bekämpfen sich zwei kleinere, mit Rübe und Windrad bewaffnete Putten. Über dem Stechhelm ist die Inschrift SIBI ET AMI CIS P[ositus] zu lesen, während der untere Bildabschluss von einer Leiste mit der eigentlichen Besitzangabe ge bildet wird: LIBER BILIBALDI PIRCKHEIMER. Über diesem Bucheigner zeichen ist, von einem separaten Holzstock eingeprägt, eine Inschriftentafel mit dem Psalmvers 110,10 in Lateinisch, Hebräisch und Griechisch zu lesen: INICIUM SAPIENTIAE TIMOR DOMINI. Offensichtlich konnte der Buchbinder bei der Wiederholung des Prägevorgangs die größere Platte mit den Wappen nicht deckungsgleich aufsetzen, so dass der Abdruck in Partien gedop pelt und das Wappensupralibros somit schwer zu erkennen ist.36 Auf dem Vor derschnitt hielt der Besitzer den Inhalt des Sammelbandes mit brauner Tinte fest: Grammatica et Musica. Der so entstandene Einband ist ein Unikat, das auf der einen Seite wegen seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung, auf der anderen Seite wegen der besonderen Technik der Einbandverzierung Beachtung verdient. 33 Gerhard Piccard: Ochsenkopf-Wasserzeichen (Die Wasserzeichenkartei Piccard im Haupt staatsarchiv Stuttgart, Findbuch II, 1-3), Stuttgart 1966, Typ XVI, 153 (Ochsenkopf mit dop pelkonturiger Schlange, h= 180mm, a=61mm). 34 Zur Verwendung von Plattenstempeln in der Zeit um 1500 s. Ernst Kyriss: Nürnberger Kloster einbände der Jahre 1433 bis 1525, Erlangen Diss. 1940, S. 52 f. 35 Albrecht Dürer: Das druckgraphische Werk, hrsg. von Rainer Schoch, Bd. 2: Holzschnitte, München 2002 (im Druck), Nr. 138; für die vorzeitige Überlassung des Manuskriptes zu diesem Eintrag danke ich Herrn Dr. Rainer Schoch, GNM. Das Supralibros entspricht dem ersten Zu stand mit dem separaten, oben angefügten Schriftblock, der im Germanischen Nationalmuseum in einem Exemplar vorhanden ist (GNM, Kapsel 18, H 5947, Abb. 3). Die Maße des Abdrucks vom Wappenholzstock im Leder (15,3x11,8/11,9 cm) weichen leicht vom Abdruck auf Papier ab (15,3x12,0 cm). Zum Exlibris s. auch Viviane Glanz: Albrecht Dürers gedruckte Wappen und heraldische Bilder, in: MVGN 88 (2001), S. 93-138, bes. S. 100-102. 36 Wahrscheinlich hatte der Buchbinder die Bewegung des feuchten Leders falsch berechnet; dies gilt auch für den Hinterdeckel.
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Das Wappensupralibros lässt den allerdings nicht zwingenden Schluss zu, dass sich das um 1512/1515 gebundene Bändchen in der Bibliothek des Willi bald Pirckheimer befand.37 Da von den vom Buchbinder benutzten Holz stöcken sein erstes Exlibris gedruckt wurde, ist es jedoch naheliegend, dass der Einband in seinem Auftrag entstand.38 Den Entwurf für dieses Besitzzeichen hatte um 1502 Albrecht Dürer (1471-1528) geliefert, dessen Freundschaft mit Willibald Pirckheimer bis in das Jahr 1495 zurückdatiert.39 Bereits ab 1496 schmückte er Inkunabeln im Auftrag Pirckheimers mit Miniaturmalereien. Den Entwurf des Bucheignerzeichens würdigt Rainer Schoch folgendermaßen: „Es ist nicht nur Dürers erster Wappenholzschnitt, sondern auch das erste druckgraphische Zeugnis der Freundschaft zwischen dem Gelehrten und dem Künstler".40 Pirckheimer ließ das Exlibris tatsächlich in einige Bände seiner Büchersammlung einkleben, scheint jedoch häufiger spätere Bucheignerzeichen bevorzugt zu haben.41 Ein Grund dafür könnte der frühe Tod seiner Frau Crescentia Rieter sein, denn nach 1504 vermied es Pirckheimer offensichtlich, das bisher benutzte Allianzwappen weiter zu führen. Er ließ oft nur noch sein Wappen anbringen.42 Es ist daher vermutet worden, die Druckstöcke seien nach 1511 dem Einband nur zum Schmuck und nicht in der Funktion eines Be sitzzeichens aufgeprägt worden.43 Da aber Pirckheimer und Cochläus mitein37 Pirckheimer besaß zwei zusätzliche Exemplare des „Quadrivium grammatices“ in der Ausgabe von 1513, von denen eines mit dem „Tetrachordum musices“ von 1511 und einer Bulle von Papst Julius II. aus dem Jahr 1512 zusammen gebunden ist. Dieser Sammelband (British Library, Hirsch. I. 125) weist das von Albrecht Dürer um 1502 entworfene Holzschnitt-Exlibris auf und stammt damit wahrscheinlich aus der Pirckheimer-Bibliothek; für diese Auskunft danke ich Su san Reed, British Library. Zur Pirckheimer-Bibliothek s. Emile Offenbacher: La Bibliotheque de Willibald Pirckheimer, in: La Bibliofilfa 40 (1938), S. 241-263, bes. S. 245 und 254. 38 Zum Exlibris s. jetzt Albrecht Dürer (wie Anm. 35), Nr. 138. 39 Dazu Hans Rupprich: Dürer - Pirckheimer. Geschichte einer Freundschaft, in: Albrecht Dürers Umwelt. Festschrift zum 500. Geburtstag Albrecht Dürers am 21.5.1971 (Nürnberger For schungen 15), Nürnberg 1971, S. 78-100, bes. S. 80, 86. 40 Albrecht Dürer (wie Anm. 35), Nr. 138. 41 Zu einer belegten Verwendung des Holzschnitt-Exlibris von Albrecht Dürer durch Willibald Pirckheimer noch um 1513 s. Anm. 37. Walter L. Strauss vermerkt zum Exlibris: „But surprisingly this bookplate was placed in very few of Pirckheimer's books“; s. Albrecht Dürer. Wood cuts and Woodblocks, hrsg. von Walter L. Strauss, Ney York 1980, Nr. 71. Sehr viel häufiger scheint das gestochene Portrait von 1524 als Bucheignerzeichen verwendet worden zu sein; dazu The Intaglio Prints of Albrecht Dürer: Egravings, Etchings and Drypoints, hrsg. von Walter L. Strauss, New York 1981, Nr. 102.- Zur Bibliothek Willibald Pirckheimers s. Offenbacher (wie Anm. 37), bes. S. 244 und 250 f.; Kurt Pilz: Willibald Pirckheimers Kunstsammlung und Biblio thek, in: Willibald Pirkheimer 1470/1970. Dokumente - Studien - Perspektiven. Anläßlich des 500. Geburtsjahres hrsg. vom Willibald-Pirkheimer-Kuratorium, Nürnberg 1970, S. 93-110. 42 Pilz (wie Anm. 41), S. 108. 43 So Kyriss: Plattenstempel (wie Anm. 32), S. 8: „Da Pirckheimer nach dem Tode seiner Frau nur sein eigenes Wappen benützte, ist es nicht ausgeschlossen, daß das Exlibris auf dem Buch nur als reine Schmuckform, nicht als Besitzzeichen Verwendung fand“.
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ander befreundet waren, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Humanist die ersten zwei Lehrbücher des von ihm geförderten Schulmeisters durch einen besonderen Einband hat auszeichnen wollen. Zwischen Cochläus und Pirckheimer bestanden vielfältige Kontakte. Wie bereits beschrieben, hatte Pirckheimer die Anstellung des Cochläus als Rektor befürwortet. Seit seiner Ankunft in Nürnberg zählte der Schulmeister zum Freundeskreis des großen Humanisten.44 Neben Anton Kress widmete Cochläus diesem seine Schulbücher, wenn auch erst an nachgeordneter Stelle im „Quadrivium grammatices“ und im „Tetrachordum musices“. Im „Quadrivium grammatices“ fügt Cochläus seine auf den 3. Februar 1511 datierte Wid mung vor dem zweiten Traktat zur Diasynthetik (Syntax) ein. Er stellt darin die Studien und Wohltaten seines Förderers heraus und rühmt dessen große Bi bliothek sowie seine Verdienste um den Unterricht.45 Im Musikbuch gar ist die Dedikation vom 5. Juli 1511 erst vor dem vierten Traktat zur Mensuralmusik anzutreffen.46 Cochläus bringt darin seine Dankbarkeit gegenüber Pirckheimer zum Ausdruck und lobt dessen Interesse an der Musik. Auf dem Titelblatt fin det sich zusätzlich ein Epigramm des Pirckheimer auf Cochläus.47 Auch als Cochläus 1515 aus dem Schuldienst austrat, um Pirckheimers Neffen nach Ita lien zu begleiten, stand ihm der Humanist nicht im Weg. Der Einband, mit dem Pirckheimer die beiden Drucke schützen ließ, kann vielleicht auch als ein Zei chen der Wertschätzung gedeutet werden, die er Cochläus entgegenbrachte. Seit dem letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts experimentierten die Nürn berger Buchbinder im Zuge einer zunehmenden Ökonomisierung des Einband dekors unter anderem mit Plattenstempeln. Der Einsatz von bis zu 30 Platten des charakteristischen Granatapfelmusters konnte bisher nachgewiesen werden, während Beispiele für die im 16. Jahrhundert dann so beliebten figürlichen Plat ten nur vereinzelt bekannt geworden sind.48 Mit die ältesten Beispiele stammen aus der Werkstatt des sogenannten Weltchronik-Meisters und zeigen eine nach 1493 benutzte Darstellung der Wurzel Jesse sowie eine 1497/98 verwendete Wiedergabe der mystischen Einhornjagd. In der Regel handelte es sich um gra44 45 46 47 48
Otto (wie Anm. 17), S. 53-58; Samuel-Scheyder (wie Anm. 17), S. 61-67. Bl. XXXVIIIv; abgedruckt mit Kommentar in Reicke (wie Anm. 24), Nr. 188. Bl. D IVv; abgedruckt in Reicke (wie Anm. 24), Nr. 191. Reicke (wie Anm. 24), Nr. 192. Ilse Schunke und Konrad von Rabenau: Die Schwenke-Sammlung gotischer Stempel- und Einbanddurchreibungen (Beiträge zur Inkunabelkunde, 3. Folge, Bd. 10), Berlin 1996, S. 196 f. Kyriss: Notes (wie Anm. 32), S. 59, und Ders.: Verzierte gotische Einbände im alten deutschen Sprachgebiet, Stuttgart 1956, Taf. 235-236 zu den Platten mit Granatapfelmustern. Zum Ge brauch figürlicher Platten s. die beiden in Anm. 32 genannten Aufsätze von E. Kyriss sowie Ilse Schunke: Studien zum Bilderschmuck der deutschen Renaissance-Einbände (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 8), Wiesbaden 1959, S. 14-33.
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Ein Graduale von St. Sebald und ein Pirckheimer-Einband
vierte Metallplatten, die im Prägeblock oder der Stockpresse auf den Einband gesetzt wurden. Gerade im Fall der Wurzel Jesse-Darstellung ist allerdings nicht auszuschließen, dass der Abdruck von einem Holzstock genommen wurde. Aufgrund ikonographischer Übereinstimmungen nämlich stammt die Vorlage von einem der Künstler, die an den Entwürfen der Holzschnittillustrationen in der Schedelschen Weltchronik beteiligt waren.49 Das Bändchen mit dem Pirckheimer-Supralibros belegt nun eindeutig, dass eigentlich zum Buchdruck be stimmte Holzstöcke tatsächlich bei der Einbandprägung zur Anwendung kom men konnten. In diesem Fall wurde das Supralibros mit sekundär verwendeten, eigentlich für den Druck von Bucheignerzeichen bestimmten Holzstöcken er zeugt. Insofern nimmt der Einband auch in technischer Hinsicht eine interes sante Sonderstellung ein. Nicht zuletzt wegen der Abnutzung der Platte infolge des beim Aufpressen ausgeübten Druckes blieb der Einband ein Unikat. Die ersten Würdigungen des Einbandes stammen von Ernst Kyriss in zwei nahezu identischen Beiträgen zu Nürnberger Plattenstempeln vor der Refor mation aus den Jahren 1950 und 1953.50 Darin stellt er den Pirckheimer-Ein band als ein Zeugnis für den frühen Gebrauch von Plattenstempeln in der Zeit von 1498 bis 1520 und als Unikat vor. Er hat vor der Veröffentlichung den Ein band nicht mehr im Original konsultiert, sondern griff auf seine vor 1940 zur Vorbereitung der Dissertation angefertigten Stempeldurchreibungen zurück.51 Ein eindeutiges Indiz für diese Arbeitsweise ist der falsche Hinweis auf den als schmucklos bezeichneten Rückdeckel.52 Erwähnt wird der Einband 1956 im zweiten Band der Edition des Briefwechsels von Willibald Pirckheimer, der aus dem Nachlass des bereits 1950 im Alter von 85 gestorbenen ehemaligen Leiters des Stadtarchivs Nürnberg, Emil Reicke, veröffentlicht wurde.53 Reicke war al lerdings bereits 1943 aus Nürnberg nach Steinebach bei Schondorf am Am mersee verzogen, so dass auch er den Band noch vor dem Verlust in der alten Stadtbibliothek studiert haben muss.54 49 Kyriss (wie Anm. 48), K 117 sowie die zwei in Anm. 32 genannten Aufsätze des Verfassers; Schunke/von Rabenau (wie Anm. 48), S. 208 f. Zum Einband mit der Wurzel Jesse vgl. E. Ph. Goldschmidt: Gothic & Renaissance Bookbindings. Exemplified and Illustrated from the Author's Collection, London 1928, Nr. 38 mit Taf. 17. 50 Kyriss: Plattenstempel (wie Anm. 32) und Ders.: Notes (wie Anm. 32). 51 S. Kyriss: Plattenstempel (wie Anm. 32), S. 6; ein Foto der Durchreibung vom Vorderdeckel des Pirckheimer-Einbandes liegt dem in Anm. 32 erwähnten Typoskript als Abbildungsvorlage bei. Zur Dissertation s. Anm. 34. 52 Kyriss: Plattenstempel (wie Anm. 32), S. 8: „Der Rückdeckel blieb mit Ausnahme einer freien fünfblättrigen Blüte am Übergang der Bünde in die Deckel unverziert“. Zum Rückdeckel s. oben bei Anm. 32. 53 Reicke (wie Anm. 24), Nr. 188. 54 Zu diesen biographischen Angaben s. das Vorwort von Siegfried Reicke in Reicke (wie Anm. 24), S. I.
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Christine Sauer
Wie die beiden Schulbücher im wertvollen Einband in die Bibliotheca No rica von Georg Andreas Will gelangt sein könnten, muss offen bleiben. Erste Verkäufe von Büchern aus Pirckheimers Kunstsammlung fanden 1633 und 1634 statt; eine weitere Veräußerung folgte nach dem Tod des Käufers der Bi bliothek, Lord Thomas Howard Earl of Arundel (f 1646).55 Uber unbekannte Zwischenstationen muss das Bändchen dann an Will gekommen sein. Das Graduale für St. Sebald (Will VII, 1425) Die aus New York zurückgekehrte Handschrift war ursprünglich zum Ge brauch in der Pfarrkirche St. Sebald bestimmt. Das Graduale oder Choralbuch enthält die vom Chor während der Messe einstimmig zu singenden Texte.56 Der Hauptteil der Gregorianischen Gesänge De Dominicis atque Festis diebus ist, beginnend mit dem 1. Adventssonntag und endend mit dem 24. Sonntag nach Trinitatis, dem Kirchenjahr folgend aufgezeichnet (Bl. 2r-124v). Daran schließt sich noch ein schmaler Teil De apostolis an (Bl. 125r-134r), der mit 55 Pilz (wie Anm. 42), S. 106 f. 56 StBN, Will VII, 1425 = Pierpont Morgan Library, M. 1109; Graduale; Papier; VIII + 197 Bl. (Bl. 197 = hinterer Spiegel); 18,9x14,7 cm; Nürnberg, 1607-1618. Bl. I-VIII und Bl. 134-197 sind un beschrieben. Die Handschrift besteht mit Ausnahme von Vorsatzblättern und Bl. 1 (Titelblatt mit reicher Federzeichung) aus sehr dünnem Papier. Lagenformel wegen enger Bindung nicht feststellbar. Schriftspiegel: 17x12,5 cm. Jede Seite mit 8 Notensystemen aus fünf mit roter Tinte gezogenen Linien und 8 Zeilen Text; Hufnagelnotation mit Ausnahme von Bl. 7r mit weißer Mensurainotation zu „Erhalt uns Gott bei deinem Wort“. Text und Buchmalereien in roter, brauner und grüner Tinte von einer Hand mit wenigen späteren Ergänzungen; selten gelbe Tinte. Gregorianische Choräle in einer eine Antiqua imitierenden späten Humanistica, liturgi sche Anweisungen und Rubriken oft phrasenweise wechselnd in Humanistica, Kanzlei und Tex tura, der Schriftwechsel geht in der Regel mit einem Wechsel der Tintenfarbe einher; Tintenfar ben können auch buchstabenweise alternieren. Handschrift ist durch stellenweisen Tintenfraß gefährdet. Zeitgenössischer schwarzer Ledereinband über Holzdeckeln mit identischer Gold prägung auf Vorder- und Rückdeckel, im Zentrum jeweils ein ovaler Stempel mit Kreuzigung Christi. Das Titelblatt (Bl. Ir, Abb. 4) nennt als Kompilator der Handschrift den Kantor an St. Sebald, Johann Schirmer (nachgewiesen 1598-1620, Kantor an St. Sebald 1607-1618, s. unten); nachträglich von anderer Hand ergänzt wurde die unter den Titel gesetzte Jahresangabe A. 1599, ebenso der Eintrag im unteren Seitenrand Wolfgang Wittenhauwr ii armorum, dazu s. unten. Auf Bl. VHIr ein späterer Wappenstempel der Nürnberger Patrizierfamilie Grundherr. Vorder deckel innen mit Resten eines abgerissenen, nicht mehr rekonstruierbaren Bucheignerzeichens, darüber Wappenexlibris des Georg Andreas Will (Abb. 1). Zwischen 1945 und 1997 ist der Ein trag mit Bleistrift auf Bl. 167r zu datieren: David Spivey. Zur Handschrift s. Max Herold: Das Buch des Kantors bei Sankt Sebald in Nürnberg, in: Vierter Vereinstag des Kirchengesang-Ver eins für die Evangelisch-lutherische Kirche Bayerns in Erlangen, 1897, Gütersloh 1898, S. 22-45; Ders.: Aus dem Gottesdienst der S. Sebaldus-Kirche in Nürnberg. 1599, in: Siona 24 (1899), S. 69-79; Butler (wie Anm. 8), S. 373; Volker Schier: Römischer Choral im polyphonen Umfeld der Lutherischen Liturgie, in: Musical Life in Collegiate Churches in the Low Countries and Europe - Chant and Polyphony (Yearbook of the Alamire Foundation 4), Leuven 2000, S. 313-330. Von Volker Schier geplant ist die Herausgabe eines vollständigen Faksimiles der Handschrift.
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Abb. 1: Exlibris des Georg Andreas Will (StBN, Will VII, 1425)
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Abb. 2: Einband mit Wappensupralibros des Willibald Pirckhei mer (StBN, Will III, 647)
Abb. 3: Exlibris des Willibald Pirckheimer (GNM, Kapsel 18, H 5947)
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Abb. 4: Titelblatt des Graduales von St. Sebald (StBN, Will VII, 1425, Bl. Ir)
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Abb. 1: Kaiser mit Stadtpanorama (StBN Nor. 282.2° Nr. 42, 1735)
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