Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [82]


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Table of contents :
Thomas Schauerte: Überlegungen zum gotischen Wandtabernakel
in der Nürnberger Sebalduskirche................................ 1
Gerd Schwerhoff: Falsches Spiel: Zur kriminalhistorischen
Auswertung der spätmittelalterlichen Nürnberger Achtbücher
..................................................................................... 23
Andrea Bend läge / Peter Schuster: Hüter der Ordnung.
Bürger, Rat und Polizei in Nürnberg im 15. und 16. Jahrhundert
.......................................................................................... 37
Rudolf End res: Musikinstrumentenbau und -handel in Nürnberg
im ausgehenden Mittelalter und in der Frühneuzeit . . 57
Bettina Wagner: Nürnberger Büchersammler um 1500. Inkunabeln
aus dem Besitz von Christoph Scheurl und einigen
seiner Zeitgenossen in Oxforder Bibliotheken..................... 69
Walter Gebhardt: Erbauliches aus vier Jahrhunderten: Die
Tucher-Bibliothek im Stadtarchiv Nürnberg......................... 89
Konrad Wickert: Joachim Camerarius und das Mattiolsche
Kräuterbuch (1586)............................................................... 139
Wilhelm Richard Berger: Hans Sachs: Narrenspiel - Narrenspiegel
.................................................................................... 155
Dieter Borchmeyer: „Jetzt schaun wir wie Hans Sachs es
macht“: Goethe — Lortzing — Wagner................................... 165
Franz Bau r: „Darzu truncken wir newen Wein . . .“ Elf Minuten
und elf Sekunden in Erinnerung an Hans Sachs und die fröhliche
Wissenschaft vom Wein................................................. 177
Franz Willax: Die Befestigungsanlagen Gustav Adolfs von
Schweden um Nürnberg 1632 ............................................... 185
Erhard Schraudolph: Die Nürnberger Zinnfigurenfabrik Georg
Spenkuch............................................................................... 237
Manfred Vasold: Cholera und Choleranotspitälerspitäler in
Nürnberg im 19. Jahrhundert............................................... 249
V
Clemens Wächter: Die Auseinandersetzungen der katholischen
Kirche mit dem nationalsozialistischen Regime in Nürnberg 275
Bertold Frhr. v. Haller: Friedrich Frhr. Haller v. Hallerstein
1872-1944 ............................................................................. 321
Michael Diefenbacher: Die Friedrich Freiherr von Hallersche
Forschungsstiftung. 50 Jahre Nürnberger Wissenschaftsförderung
.................................................................................... 329
Buchbesprechungen (siehe nächste Seite)...................................... 353
Neue Arbeiten zur Nürnberger Geschichte................................ 411
Jahresbericht über das 117. Vereinsjahr 1994 ............................... 415
VI
BUCHBESPRECHUNGEN
Günther Friedrich: Bibliographie zum Patriziat der Reichsstadt Nürnberg, Nürnberg 1994.
(Peter Zahn)......................................................................................................................
Helmut Flachenecker: Schottenklöster. Irische Benediktinerkonvente im hochmittelalterlichen
Deutschland, Paderborn 1995. (Hans Würdinger)................................................
Georg Stolz: Die Schätze der Kirche. 217 Kunstbetrachtungen in St. Lorenz Nürnberg,
Nürnberg 1993. (Veit Funk)............................................................................................
Ludwig Zintl: Der Schöne Brunnen in Nürnberg und seine Figuren. Geschichte und Bedeutung
eines Kunstwerkes, Nürnberg 1993. (Günter Bräutigam) ...................................
Malleus Maleficarum 1487 von Heinrich Kramer. Nachdruck des Erstdruckes mit Bulle und
Approbatio. Hrsg. u. eingeleitet von Günter Jerouschek, Hildesheim 1992 (Sabine
Gröne)...............................................................................................................................
Hans Günther Klemm: Der fränkische Mathematicus Johann Schöner (1477-1547) und seine
Kirchehrenbacher Briefe an den Nürnberger Patrizier Willibald Pirckheimer, Erlangen
1992. (Günther Löffladt) ................................................................................................
Hans Günther Klemm: Wissenschaftsgeschichte im regionalen Umfeld von Schulen. Zum
Beispiel: Der humanistische Mathematiker und Ingenieur Georg Hartmann aus Eggolsheim
(1489-1564), Erlangen 1993. (Günter Löffladt)...................................................
Focus Behaim Globus. Konzeption und Katalogbearb.: Johannes K. W. Willers, Nürnberg
1992. (Klaus A. Vogel) ...................................................................................................
500 Jahre Schedelsche Weltchronik. Akten des interdisziplinären Symposions vom 23-/24.
April 1993 in Nürnberg. Hrsg, von Stephan Füssel, Nürnberg 1994. (Horst-Dieter
Beyersted t) ......................................................................................................................
Handwerker - Dichter - Stadtbürger: 500 Jahre Hans Sachs. Ausstellungskatalog. Hrsg, von
Dieter Merzbacher, Wiesbaden 1994. (Johannes Rettelbach) ...................................
Dieter Wuttke: Der Humanist Willibald Pirckheimer - Namengeber für ein mathematischnaturwissenschaftliches
und neusprachliches Gymnasium? Festschrift zum Rinfundzwanzigjährigen
Bestehen des Pirckheimer-Gymnasiums Nürnberg 1968-1993, Nürnberg
1994. (Manfred Scharoun) ......................................................................................
Ursula Ti mann: Untersuchungen zu Nürnberger Holzschnitt und Briefmalerei in der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts. Mit bes. Berücksichtigung von Hans Guldenmund und
Niclas Meldeman, Münster 1993. (Peter Zahn) .............................................................
Jonathan W. Zophy: Patriarchal politics and Christoph Kress (1484-1535) of Nuremberg,
Lewiston 1992. (Reinhard Seyboth) ................................................................................
Mariko Teramoto / Armin Brinzing: Katalog der Musikdrucke des Johannes Petreius in
Nürnberg, Kassel 1993. (Martin Kirnbauer)...................................................................
Jürgen-Peter Schindler: Der Nürnberger Orgelbau des 17. Jahrhunderts. Leben und Werk
der Nürnberger Stadtorgelmacher Steffan Cuntz und Nicolaus Manderscheidt, Michaelstein/
Blankenburg 1991. (Armin Raab) ......................................................................
Peter Fleischmann: Der Pfinzing-Atlas von 1594. Eine Ausstellung des Staatsarchivs Nürnberg
anläßlich des 400jährigen Jubiläums der Entstehung, München 1994. (Günter Tiggesbäumker)................................................................................................................
.....
Bernhard Ebneth: Stipendienstiftungen in Nürnberg. Eine historische Studie zum Funktionszusammenhang
der Ausbildungsförderung für Studenten am Beispiel einer Großstadt
(15.-20. Jahrhundert), Nürnberg 1994. (Lambert F. Peters)................................
Das Nürnberger Wörterbuch des Johann Heinrich Häßlein (1737-1796) und seine Benutzung
durch Johann Andreas Schmeller. Hrsg, von Gabi Oswald-Müller, Grafenau 1993.
(Herbert Maas) ...............................................................................................................
355
356
356
359
361
362
363
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368
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373
374
376
378
353
VII
Michael Diefenbacher / Julia Lehner: Vom Augustinerkloster zum Lorenzer Platz. Zur Geschichte
der Hauptniederlassungen der Stadtsparkasse Nürnberg, Nürnberg 1994. (Clemens
Wächter)................................................................................................................... 380
Hans-Henning Roer: Alte deutsche Spielfiguren in Blei, Rommersheim 1993. (Erhard
Schraudolph) ................................................................................................................... 381
Jürgen Franzke: Schuco, Bing & Co. Berühmtes Blechspielzeug aus Nürnberg, Bd. 1, Nürnberg
1993. (Erhard Schraudolph) ................................................................................... 382
Elke Masa: Freiplastiken in Nürnberg. Plastik, Denkmale und Brunnen im öffentlichen
Raum der Stadt, Neustadt a. d. Aisch 1994. (Georg Stolz)............................................. 383
Ulrich Distier: Der Bildhauer Philipp Kittier (1861-1944), Schwabach 1994. (Elke Masa) . 384
Axel Schollmeier: Gartenstädte in Deutschland. Ihre Geschichte, städtebauliche Entwicklung
und Architektur zu Beginn des 20 Jahrhunderts, Münster 1990. (Jutta Tschoeke) 385
Helmut Beer / Maximilian Rosner: Grüße aus Nürnberg. Nürnberg in Ansichtskarten um
1900. Teil 2: Ereignisse, Feste, Freizeit, Nürnberg 1993. (Martina Fleischmann) . . . 387
Helmut Beer: Grüße aus Nürnberg. Nürnberg in Ansichtskarten um 1900. Teil 3: Lebendige
Altstadt, Nürnberg 1993. (Martina Fleischmann).......................................................... 388
Michael Maaß: Freizeitgestaltung und kulturelles Leben in Nürnberg 1930-1945. Eine Studie
zu Alltag und Herrschaftsausübung im Nationalsozialismus, Nürnberg 1994. (Clemens
Wächter)................................................................................................................... 389
Joseph Gelin: Nürnberg 1943-1945. Erlebnisse eines französischen Arbeiterpriesters, Nürnberg
1995. (Clemens Wächter).......................................................................................... 391
Karl Kunze: Kriegsende in Franken und der Kampf um Nürnberg im April 1945, Nürnberg
1995. (Udo Winkel).......................................................................................................... 392
Klaus Kästner / Ray D‘ Addario: Der Nürnberger Prozeß, Nürnberg 1995. (Hartmut Fromm“).......................................................................................................................
........... 393
OMGUS-Handbuch. Die amerikanische Militärregierung in Deutschland 1945-1949. Hrsg.
von Christoph Weisz, München 1994. (Udo Winkel)................................................... 394
Udo Winkel: Entstehung und Entwicklung des Kleingartenwesens in Nürnberg. Festschrift
75 Jahre Stadtverband der Kleingärtner e.V., Nürnberg 1995. (Ralf Nestmeyer) .... 396
Gesa Büchert / Harald Fuchs / Peter Löw (Hrsg.): Kleine Geschichte einer großen Fakultät.
75 Jahre Wirtschafts- und Sozialwissenschaft in Nürnberg, Nürnberg 1994. (Udo
Winkel)............................................................................................................................ 397
Harald Beck / Peter Wacker / Hans-Peter Walz: Vom Landsknecht zum Transportsoldaten.
35 Jahre Bundeswehr in 900 Jahren Nürnberger Garnisonsgeschichte, Nürnberg 1993.
(Stefan Nöth) ................................................................................................................... 398
Bundesbahndirektion Nürnberg — Fortschritt aus Tradition. Hrsg, von Horst Weigel, Darmstadt
1993. (Richard Kölbel) .......................................................................................... 399
Knud Willenberg / Rudolf Groh: Ziegelstein und Herrnhütte früher. Teil 2 (nach 1945),
Nürnberg 1990. - Knud Willenberg / Rudolf Groh: Schafhof - Ein Stadtteil im
Abseits? Nürnberg 1993.(Horst-Dieter Beyerstedt)................................................... 401
Hans Liebei: Zerzabelshof. Die Geschichte eines Stadtteils, Nürnberg 1993- (Horst-Dieter
Beyerstedt) ...................................................................................................................... 402
Hermann Kaussler: Eibach. Die Geschichte einer Nürnberger Vorstadt, Gunzenhausen
1992. (Horst-Dieter Beyerstedt)...................................................................................... 403
Städte in Franken - Europäische Ansichten. Hrsg, von den fränkischen Oberbürgermeistern,
Nürnberg 1993. (Richard Kölbel)................................................................................... 404
Gerhard Rechter: Die Seckendorff. Quellen und Studien zur Genealogie und Besitzgeschichte.
Bd. 2: Die Linien Nold, Egersdorf, Hoheneck und Pfaff, Neustadt a. d. Aisch
1990. (Martin Dallmeier) ................................................................................................ 405
Gerhard Rechter (Bearb.): Die Archive der Grafen und Freiherren von Seckendorff. Die Urkundenbestände
der Schloßarchive Obernzenn, Sugenheim, Trautskirchen und Unternzenn,
München 1993. (Martin Dallmeier) 407
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Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [82]

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Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

82. Band 1995

Nürnberg 1995 Selbstverlag des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg

Schriftleitung: Dr. Michael Diefenbacher, Dr. Wiltrud Fischer-Pache, Dr. Peter Fleischmann Für Form und Inhalt der Aufsätze und Rezensionen sind die Verfasser verantwortlich. Für unaufgefordert eingereichte Manuskripte wird keine Gewähr übernommen.

Zum Druck des Bandes trugen durch Zuschüsse bzw. Spenden bei: Die Stadt Nürnberg, der Bezirk Mittelfranken, die Stadtsparkasse Nürnberg. Der Verein dankt dafür bestens.

Gesamtherstellung: Verlagsdruckerei Schmidt GmbH, Neustadt/Aisch Gedruckt auf holzfreies, chlorfrei gebleichtes, säurefreies und alterungsbeständiges Papier. Alle Rechte, auch des Abdrucks im Auszug, Vorbehalten. Copyright by Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg (Geschäftsstelle: Egidienplatz 23, 90403 Nürnberg) ISSN 0083-5579

INHALT Thomas Schauerte: Überlegungen zum gotischen Wandtaber­ nakel in der Nürnberger Sebalduskirche................................

1

Gerd Schwerhoff: Falsches Spiel: Zur kriminalhistorischen Auswertung der spätmittelalterlichen Nürnberger Acht­ bücher .....................................................................................

23

Andrea Bend läge / Peter Schuster: Hüter der Ordnung. Bürger, Rat und Polizei in Nürnberg im 15. und 16. Jahrhun­ dert ..........................................................................................

37

Rudolf End res: Musikinstrumentenbau und -handel in Nürn­ berg im ausgehenden Mittelalter und in der Frühneuzeit . .

57

Bettina Wagner: Nürnberger Büchersammler um 1500. Inku­ nabeln aus dem Besitz von Christoph Scheurl und einigen seiner Zeitgenossen in Oxforder Bibliotheken.....................

69

Walter Gebhardt: Erbauliches aus vier Jahrhunderten: Die Tucher-Bibliothek im Stadtarchiv Nürnberg.........................

89

Konrad Wickert: Joachim Camerarius und das Mattiolsche Kräuterbuch (1586)...............................................................

139

Wilhelm Richard Berger: Hans Sachs: Narrenspiel - Narren­ spiegel ....................................................................................

155

Dieter Borchmeyer: „Jetzt schaun wir wie Hans Sachs es macht“: Goethe — Lortzing — Wagner...................................

165

Franz Bau r: „Darzu truncken wir newen Wein . . .“ Elf Minuten und elf Sekunden in Erinnerung an Hans Sachs und die fröhli­ che Wissenschaft vom Wein.................................................

177

Franz Willax: Die Befestigungsanlagen Gustav Adolfs von Schweden um Nürnberg 1632 ...............................................

185

Erhard Schraudolph: Die Nürnberger Zinnfigurenfabrik Georg Spenkuch...............................................................................

237

Manfred Vasold: Cholera und Choleranotspitälerspitäler in Nürnberg im 19. Jahrhundert...............................................

249 V

Clemens Wächter: Die Auseinandersetzungen der katholischen Kirche mit dem nationalsozialistischen Regime in Nürnberg

275

Bertold Frhr. v. Haller: Friedrich Frhr. Haller v. Hallerstein 1872-1944 .............................................................................

321

Michael Diefenbacher: Die Friedrich Freiherr von Hallersche Forschungsstiftung. 50 Jahre Nürnberger Wissenschaftsför­ derung ....................................................................................

329

Buchbesprechungen (siehe nächste Seite)......................................

353

Neue Arbeiten zur Nürnberger Geschichte................................

411

Jahresbericht über das 117. Vereinsjahr 1994 ...............................

415

VI

BUCHBESPRECHUNGEN Günther Friedrich: Bibliographie zum Patriziat der Reichsstadt Nürnberg, Nürnberg 1994. (Peter Zahn)...................................................................................................................... Helmut Flachenecker: Schottenklöster. Irische Benediktinerkonvente im hochmittelalterli­ chen Deutschland, Paderborn 1995. (Hans Würdinger)................................................ Georg Stolz: Die Schätze der Kirche. 217 Kunstbetrachtungen in St. Lorenz Nürnberg, Nürnberg 1993. (Veit Funk)............................................................................................ Ludwig Zintl: Der Schöne Brunnen in Nürnberg und seine Figuren. Geschichte und Bedeu­ tung eines Kunstwerkes, Nürnberg 1993. (Günter Bräutigam) ................................... Malleus Maleficarum 1487 von Heinrich Kramer. Nachdruck des Erstdruckes mit Bulle und Approbatio. Hrsg. u. eingeleitet von Günter Jerouschek, Hildesheim 1992 (Sabine Gröne)................................................................................................................................ Hans Günther Klemm: Der fränkische Mathematicus Johann Schöner (1477-1547) und seine Kirchehrenbacher Briefe an den Nürnberger Patrizier Willibald Pirckheimer, Erlangen 1992. (Günther Löffladt) ................................................................................................ Hans Günther Klemm: Wissenschaftsgeschichte im regionalen Umfeld von Schulen. Zum Beispiel: Der humanistische Mathematiker und Ingenieur Georg Hartmann aus Eggolsheim (1489-1564), Erlangen 1993. (Günter Löffladt)................................................... Focus Behaim Globus. Konzeption und Katalogbearb.: Johannes K. W. Willers, Nürnberg 1992. (Klaus A. Vogel) ................................................................................................... 500 Jahre Schedelsche Weltchronik. Akten des interdisziplinären Symposions vom 23-/24. April 1993 in Nürnberg. Hrsg, von Stephan Füssel, Nürnberg 1994. (Horst-Dieter Beyersted t) ...................................................................................................................... Handwerker - Dichter - Stadtbürger: 500 Jahre Hans Sachs. Ausstellungskatalog. Hrsg, von Dieter Merzbacher, Wiesbaden 1994. (Johannes Rettelbach) ................................... Dieter Wuttke: Der Humanist Willibald Pirckheimer - Namengeber für ein mathematisch­ naturwissenschaftliches und neusprachliches Gymnasium? Festschrift zum Rinfund­ zwanzigjährigen Bestehen des Pirckheimer-Gymnasiums Nürnberg 1968-1993, Nürn­ berg 1994. (Manfred Scharoun) ...................................................................................... Ursula Ti mann: Untersuchungen zu Nürnberger Holzschnitt und Briefmalerei in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Mit bes. Berücksichtigung von Hans Guldenmund und Niclas Meldeman, Münster 1993. (Peter Zahn) ............................................................. Jonathan W. Zophy: Patriarchal politics and Christoph Kress (1484-1535) of Nuremberg, Lewiston 1992. (Reinhard Seyboth) ................................................................................ Mariko Teramoto / Armin Brinzing: Katalog der Musikdrucke des Johannes Petreius in Nürnberg, Kassel 1993. (Martin Kirnbauer)................................................................... Jürgen-Peter Schindler: Der Nürnberger Orgelbau des 17. Jahrhunderts. Leben und Werk der Nürnberger Stadtorgelmacher Steffan Cuntz und Nicolaus Manderscheidt, Micha­ elstein/Blankenburg 1991. (Armin Raab) ...................................................................... Peter Fleischmann: Der Pfinzing-Atlas von 1594. Eine Ausstellung des Staatsarchivs Nürn­ berg anläßlich des 400jährigen Jubiläums der Entstehung, München 1994. (Günter Tiggesbäumker)...................................................................................................................... Bernhard Ebneth: Stipendienstiftungen in Nürnberg. Eine historische Studie zum Funkti­ onszusammenhang der Ausbildungsförderung für Studenten am Beispiel einer Groß­ stadt (15.-20. Jahrhundert), Nürnberg 1994. (Lambert F. Peters)................................ Das Nürnberger Wörterbuch des Johann Heinrich Häßlein (1737-1796) und seine Benutzung durch Johann Andreas Schmeller. Hrsg, von Gabi Oswald-Müller, Grafenau 1993. (Herbert Maas) ...............................................................................................................

353 355

356 356 359 361 362 363 365 366

368 369 370 371 373 374 376 378 VII

Michael Diefenbacher / Julia Lehner: Vom Augustinerkloster zum Lorenzer Platz. Zur Ge­ schichte der Hauptniederlassungen der Stadtsparkasse Nürnberg, Nürnberg 1994. (Cle­ mens Wächter)................................................................................................................... Hans-Henning Roer: Alte deutsche Spielfiguren in Blei, Rommersheim 1993. (Erhard Schraudolph) ................................................................................................................... Jürgen Franzke: Schuco, Bing & Co. Berühmtes Blechspielzeug aus Nürnberg, Bd. 1, Nürn­ berg 1993. (Erhard Schraudolph) ................................................................................... Elke Masa: Freiplastiken in Nürnberg. Plastik, Denkmale und Brunnen im öffentlichen Raum der Stadt, Neustadt a. d. Aisch 1994. (Georg Stolz)............................................. Ulrich Distier: Der Bildhauer Philipp Kittier (1861-1944), Schwabach 1994. (Elke Masa) . Axel Schollmeier: Gartenstädte in Deutschland. Ihre Geschichte, städtebauliche Entwick­ lung und Architektur zu Beginn des 20 Jahrhunderts, Münster 1990. (Jutta Tschoeke) Helmut Beer / Maximilian Rosner: Grüße aus Nürnberg. Nürnberg in Ansichtskarten um 1900. Teil 2: Ereignisse, Feste, Freizeit, Nürnberg 1993. (Martina Fleischmann) . . . Helmut Beer: Grüße aus Nürnberg. Nürnberg in Ansichtskarten um 1900. Teil 3: Lebendige Altstadt, Nürnberg 1993. (Martina Fleischmann).......................................................... Michael Maaß: Freizeitgestaltung und kulturelles Leben in Nürnberg 1930-1945. Eine Stu­ die zu Alltag und Herrschaftsausübung im Nationalsozialismus, Nürnberg 1994. (Cle­ mens Wächter)................................................................................................................... Joseph Gelin: Nürnberg 1943-1945. Erlebnisse eines französischen Arbeiterpriesters, Nürn­ berg 1995. (Clemens Wächter).......................................................................................... Karl Kunze: Kriegsende in Franken und der Kampf um Nürnberg im April 1945, Nürnberg 1995. (Udo Winkel).......................................................................................................... Klaus Kästner / Ray D‘ Addario: Der Nürnberger Prozeß, Nürnberg 1995. (Hartmut Fromm“)................................................................................................................................... OMGUS-Handbuch. Die amerikanische Militärregierung in Deutschland 1945-1949. Hrsg. von Christoph Weisz, München 1994. (Udo Winkel)................................................... Udo Winkel: Entstehung und Entwicklung des Kleingartenwesens in Nürnberg. Festschrift 75 Jahre Stadtverband der Kleingärtner e.V., Nürnberg 1995. (Ralf Nestmeyer) .... Gesa Büchert / Harald Fuchs / Peter Löw (Hrsg.): Kleine Geschichte einer großen Fakul­ tät. 75 Jahre Wirtschafts- und Sozialwissenschaft in Nürnberg, Nürnberg 1994. (Udo Winkel)............................................................................................................................. Harald Beck / Peter Wacker / Hans-Peter Walz: Vom Landsknecht zum Transportsoldaten. 35 Jahre Bundeswehr in 900 Jahren Nürnberger Garnisonsgeschichte, Nürnberg 1993. (Stefan Nöth) ................................................................................................................... Bundesbahndirektion Nürnberg — Fortschritt aus Tradition. Hrsg, von Horst Weigel, Darm­ stadt 1993. (Richard Kölbel) .......................................................................................... Knud Willenberg / Rudolf Groh: Ziegelstein und Herrnhütte früher. Teil 2 (nach 1945), Nürnberg 1990. - Knud Willenberg / Rudolf Groh: Schafhof - Ein Stadtteil im Abseits? Nürnberg 1993.(Horst-Dieter Beyerstedt)................................................... Hans Liebei: Zerzabelshof. Die Geschichte eines Stadtteils, Nürnberg 1993- (Horst-Dieter Beyerstedt) ...................................................................................................................... Hermann Kaussler: Eibach. Die Geschichte einer Nürnberger Vorstadt, Gunzenhausen 1992. (Horst-Dieter Beyerstedt)...................................................................................... Städte in Franken - Europäische Ansichten. Hrsg, von den fränkischen Oberbürgermeistern, Nürnberg 1993. (Richard Kölbel)................................................................................... Gerhard Rechter: Die Seckendorff. Quellen und Studien zur Genealogie und Besitzge­ schichte. Bd. 2: Die Linien Nold, Egersdorf, Hoheneck und Pfaff, Neustadt a. d. Aisch 1990. (Martin Dallmeier) ................................................................................................ Gerhard Rechter (Bearb.): Die Archive der Grafen und Freiherren von Seckendorff. Die Ur­ kundenbestände der Schloßarchive Obernzenn, Sugenheim, Trautskirchen und Unternzenn, München 1993. (Martin Dallmeier)

VIII

380 381 382 383 384 385 387 388

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VERZEICHNIS DER MITARBEITER Baur, Franz, MMag., Literatur- und Kulturhistoriker, Leibifing 175, A-6410 Pettnau Berger, Wilhelm Richard, Dr., Univ.-Prof., Facultes Universitaires Notre-Dame de la Paix, Departement d'Allemand, Rue de. Bruxelles, 61, B-5000 Namur Bendlage, Andrea, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Universität Bielefeld, Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie, Postfach 10 01 31, 33501 Bielefeld Beyerstedt, Horst-Dieter, Dr., Archivrat, Thumenberger Weg 38, 90491 Nürnberg Borchmeyer, Dieter, Dr., Univ.-Prof., Universität Heidelberg, Germanistisches Semi­ nar, Hauptstr. 207—209, 69117 Heidelberg Bräutigam, Günther, Dr., Hauptkonservator i.R., St. Georgen-Str. 10, 91336 Heroldsbach Dal Imeier, Martin, Dr., Archivdirektor, Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv, Em­ meramsplatz 5 (Schloß), 93047 Regensburg Diefenbacher, Michael, Dr., Archivdirektor, Ringstr. 17, 91560 Heilsbronn End res, Rudolf, Dr., Univ.-Prof., An den Hornwiesen 10, 91054 Erlangen Fischer-Pache, Wiltrud, Dr., Archivoberrätin, Mühlweg 14, 90547 Stein Fleischmann, Martina, Historikerin, Hans-Fallada-Str. 116, 90471 Nürnberg Fleischmann, Peter, Dr., Archivrat, Arminiusstr. 7, 90402 Nürnberg Frommer, Hartmut, Dr., berufsm. Stadtrat, Traubenstr. 3, 90584 Allersberg Funk, Veit, Pfarrer, Albertus-Magnus-Str. 19, 90547 Stein Gebhardt, Walter, Bibliotheksamtmann, Drausnickstr. 8, 91052 Erlangen Grüne, Sabine, Studentin, Georg-Hennch-Str. 13, 90431 Nürnberg Hirschmann, Gerhard, Dr., Ltd. Archivdirektor i.R., Gerngrosstr. 26, 90409 Nürn­ berg Kirnbauer, Martin, M.A., Musikwissenschaftler, Universität Basel, Musikwissen­ schaftliches Institut, Petersgraben 27, CH-4051 Basel Kölbel, Richard, Oberstudiendirektor i.R., Neuwerker Weg 66, 90547 Stein Löffladt, Günter, Oberstudienrat, Wielandstraße 13, 90419 Nürnberg Maas, Herbert, Dr., Studiendirektor i.R., Kachletstr. 45, 90480 Nürnberg Masa, Elke, Dr., Kunsthistorikerin, Mittlere Kreuzgasse 11, 90403 Nürnberg Nestmeyer, Ralf, M.A., Historiker, Cuxhavener Str. 69, 90425 Nürnberg Nöth, Stefan, Dr., Archivrat, Herzog-Max-Str. 34, 96047 Bamberg Peters, Lambert F., Dr., Oberstudienrat i.R., Vestnertorgraben 3, 90408 Nürnberg Raab, Armin, Dr., Musikwissenschaftler, Beethoven-Archiv, Bonngasse 24—26, 53111 Bonn Rettelbach, Johannes, Dr., Germanist, Nikolausweg 9, 97204 Höchberg Scharoun, Manfred, Pfarrer, Unter den Linden 24, 28759 Bremen Schauerte, Thomas, cand. phil., Am Wagnersberg 7, 91056 Erlangen Schraudolph, Erhard, Dr., Historiker, Marienbader Str. 50, 81058 Erlangen Schuster, Peter, Dr., Historiker, Universität Bielefeld, Fakultät für Geschichtswissen­ schaft und Philosophie, Postfach 10 01 31, 33501 Bielefeld Schwerhoff, Gerd, Dr., Historiker, Universität Bielefeld, Fakultät für Geschichtswis­ senschaft und Philosophie, Postfach 10 01 31, 33501 Bielefeld

IX

Seyboth, Reinhard, Dr., Historiker, Stefan-Zweig-Weg 22, 93051 Regensburg Stolz, Georg, Baumeister St. Lorenz i.R., Kuckucksweg 6, 90768 Fürth Tiggesbaumker, Günter, Dr., Hochstiftstr. 16, 33100 Paderborn Tschoeke, Jutta, Dr., Kunsthistorikerin, Austr. 70, 90429 Nürnberg Vasold, Manfred, Dr., Historiker, Jarezöd 15a, 83109 Großkarolinenfeld Vogel, Klaus A., Dr., Historiker, Max-Planck-Institut für Geschichte, Postfach 2833, 37018 Göttingen Wächter, Clemens, Historiker, Fürther Str. 96, 90429 Nürnberg Wagner, Bettina, Dr., Wissenschaftliche Bibliothekarin, Bodleian Library, University of Oxford, Broad Street, GB Oxford OXI 3BG Wickert, Konrad, Dr., Ltd. Bibliotheksdirektor, Universitätsbibliothek ErlangenNürnberg, Postfach 3509, 91023 Erlangen Willax, Franz, Baudirektor, Rollnerstr. 46, 90408 Nürnberg Winkel, Udo, Dr., Sozialwissenschaftler, Kleinreuther Weg 16, 90408 Nürnberg Würdinger, Hans, Dr., Pfarrer, Kirchplatz 2, 94152 Neuhaus am Inn Zahn, Peter, Dr., Univ.-Prof., Bibliotheksdirektor a. D., Fregestr. 7a, 12159 Berlin

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UNSER EHRENMITGLIED DR. D. GERHARD PFEIFFER 90 JAHRE In großer geistiger Frische konnte heuer am 14. Februar Professor Pfeiffer sei­ nen 90. Geburtstag begehen. Dazu überbrachte der Unterzeichnete die Glück­ wünsche des Geschichtsvereins, dessen Ehrenmitglied der Jubilar seit 1977 ist. Aus diesem Anlaß sei an dieser Stelle daran erinnert, wodurch sich Pfeiffer um den Verein verdient gemacht hat. Der in Breslau Geborene studierte in seiner Heimatstadt und in Tübingen Geschichte, Deutsch und Französisch. Mit einer Dissertation über „Das Bres­ lauer Patriziat“ und der Teilnahme an einem dreijährigen Lehrgang am Institut für Archivwissenschaft in Berlin-Dahlem schloß er 1930 seine Studien ab. Im gleichen Jahr fand Pfeiffer seine erste Anstellung an dem für die preußische Provinz Westfalen zuständigen Staatsarchiv in Münster. Als 1939 durch den Weggang von Dr. Reinhold Schaffer an das Stadtarchiv München die Stelle des Leiters des Stadtarchivs Nürnberg zu besetzen war, fiel die Wahl zum 1. Oktober 1939 auf den jungen preußischen Archivar. Gleich­ zeitig trat Pfeiffer dem Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg bei und wurde zum stellvertretenden Vereinsvorsitzenden berufen, im damaligen Sprachgebrauch „Vereinsführer“ genannt. Der plötzliche Tod des Vereinsvorsit­ zenden Stadtrat i. R. Hans Dürr am 23. Dezember 1940 hatte zur Folge, daß Gerhard Pfeiffer am 6. Februar 1941 an dessen Platz gewählt wurde. Bereits ein halbes Jahr später, am 27. August 1941, wurde er zum Wehrdienst eingezogen. Seine Stellvertretung im Verein übernahm Staatsarchivar Wilhelm Biebinger, bis infolge der Entwicklung des Krieges das Vereinsleben 1943 nahezu völlig zum Erliegen kam. Doch konnte sich Pfeiffer noch im Jahre 1940 durch einen gewichtigen Auf­ satz „Die Anfänge der Egidienkirche“ über Nürnbergs Frühgeschichte wissen­ schaftlich profilieren (MVGN Bd. 37); daneben ist es sein Verdienst, daß er Le­ ben und Werk seines Vorgängers als Vereinsvorsitzenden eingehend würdigte (MVGN Bd. 38, 1941). Weiterhin ist hervorzuheben, daß es ihm möglich war, unter dem Namen „Nürnberger Forschungen“ eine neue Buchreihe ins Leben zu rufen, die dazu dienen sollte, umfangreichere Arbeiten, meist Dissertatio­ nen, aus der Nürnberger Geschichte zu publizieren. Als Band 1 dieser Reihe er­ schien 1941 die Dissertation von Inge Stöpel, Nürnbergs Presse in der ersten Hälfte des 19- Jahrhunderts. In der Nachkriegszeit konstituierte sich mit Zustimmung der Militärregie­ rung der Verein in einer Hauptversammlung am 31. Oktober 1946 neu. Zum XI

Vorsitzenden wurde der Direktor des Landeskirchlichen Archivs Nürnberg D. Dr. Karl Schornbaum gewählt. Als sein Stellvertreter fungierte der damals vorübergehend vom Dienst entlassene Gerhard Pfeiffer. Fünf Jahre später, am 17. Januar 1952, trat Prof. Schornbaum aus Altersgründen zurück und Pfeiffer konnte nun auch die Leitung der Vereinsarbeit wieder übernehmen und erfolg­ reich fortführen. Vielfältige Aktivitäten, Vorträge, Stadtführungen und Exkur­ sionen, fanden großen Zuspruch und ließen die Mitgliederzahl stetig wachsen. Die Jahresbände der „Mitteilungen“ waren schon seit 1949 wieder erschienen, die der „Nürnberger Forschungen“ folgten seit 1955. In den zehn Jahren von 1952 bis 1961 schuf Pfeiffer in seiner gleichzeitigen Eigenschaft als Direktor des Stadtarchivs und als Vorsitzender des Geschichts­ vereins eine beachtliche Anzahl wissenschaftlicher Studien zur Geschichte Nürnbergs. Seine Forschungen waren von einer Vielfalt bestimmt im Hinblick auf Zeit und Thematik. Unbeeindruckt von den äußeren Schwierigkeiten der Nachkriegszeit brachte er das Jahrhundertwerk des Nürnberger Urkundenbu­ ches bis zum Jahr 1300 in mehreren Lieferungen im Jahr 1959 zum erfolgrei­ chen Abschluß. Zur 900-Jahr-Feier der Stadt gab er den reichhaltigen Sammel­ band „Nürnberger Gestalten aus neun Jahrhunderten“ heraus. Im gleichen Jahr würdigte er den Stadtbibliothekar Friedrich Wilhelm Ghillany als einen Typus des deutschen Bürgertums von 1848. Pfeiffers speziellem Interessengebiet, der fränkischen Kirchengeschichte, verdanken wir die sorgfältige Edition der Quel­ len zur Nürnberger Reformation in den beiden Jahren 1524 und 1525. Nach­ dem der Archivar und Historiker schon seit 1951 einen Lehrauftrag für Bayeri­ sche Kirchengeschichte bei der Theologischen Fakultät der Universität Erlan­ gen-Nürnberg innehatte, folgte er 1961 einem an ihn ergangenen Ruf der Phi­ losophischen Fakultät der gleichen Universität auf den Lehrstuhl für bayerische Geschichte. Dadurch endete seine Tätigkeit als Direktor des Stadtarchivs; gleichzeitig trat er als Vorsitzender des Geschiehtsvereins zurück, da er nun das Amt des wissenschaftlichen Leiters der Gesellschaft für Fränkische Geschichte zu übernehmen hatte. Pfeiffer blieb der Erforschung der Nürnberger Geschichte weiterhin eng ver­ bunden, zumal er als Beirat dem Geschichtsverein noch längere Zeit angehörte. Erinnert sei hier vor allem an das 1971 zum Dürerjahr erschienene Monumen­ talwerk „Nürnberg - Geschichte einer europäischen Stadt“. Seine eigenen Beiträge zu diesem gewichtigen Band reichen vom 14. Jahrhundert bis zum Zusammenbruch 1945 und Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Aus der Fülle seiner langjährigen Beschäftigung mit der Nürnberger und der frän­ kischen Geschichte konnten hier nur einige Werke ausgewählt werden. In der ihm zum 70. Geburtstag gewidmeten zweibändigen Festschrift umfaßt die Bi­ bliographie seiner Publikationen nicht weniger als 17 Seiten. XII

Äußeren Ehrungen war und ist Pfeiffer abhold. Ihm ging es bei allen Arbei­ ten immer nur um die Sache. Die eigene Person tritt bei ihm immer in den Hintergrund. Seine außergewöhnlich umfangreiche und vielseitige wissen­ schaftliche Leistung brachte ihm aber trotzdem verdiente Ehrungen. 1970 er­ hielt er den Kulturpreis der Stadt Nürnberg, im gleichen Jahr wurde er Ehren­ doktor der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen, seit 1977 ist er Ehrenmitglied des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg, der ihm am 14. Februar 1995 die besten Wünsche übermittelte. Sie sollen an dieser Stelle nochmals herzlich wiederholt werden. Gerhard Hirschmann

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ÜBERLEGUNGEN ZUM GOTISCHEN WANDTABERNAKEL IN DER NÜRNBERGER SEBALDUSKIRCHE Von Thomas Schauerte

1. Einleitung Der Wandtabernakel in der Sebalduskirche zu Nürnberg war bislang noch nicht Gegenstand einer monographischen Untersuchung. Gründe dafür mögen im Fehlen einer plausiblen Herleitung seiner Gestalt, wohl mehr aber noch im nachgeordneten Rang seiner figuralen Plastik innerhalb des engeren und weite­ ren stilistischen Umfeldes liegen. Daß er als gotisches Sakramentshaus zudem natürlicherweise stets im Schatten der ungleich bedeutenderen Arbeit des Adam Kraft in der Schwesterkirche St. Lorenz gestanden hat, tut hierbei wohl ein übriges, um den Tabernakel in St. Sebald an den Rand des kunsthistorischen Interesses zu verweisen. Erwähnung fand der Tabernakel bislang bei Fehring1, Dehio2 und Hoffmann3, wobei es sich bei letzterem Werk um die einzige aus­ führliche Monographie zu Bau, Geschichte und Ausstattung der Sebalduskirche bis zum heutigen Tage handelt. Sie stammt allerdings noch aus dem Jahre 1912. Diese Erwähnungen sind durchweg Textpassagen vorwiegend deskriptiv-inventarisierender Natur mit eher oberflächlichen ikonographischen Einlassun­ gen. Im Lichte der phänomenologischen Entwicklung des Tabernakels in Fran­ ken bezeichnet Naujoks1 die Sebalder Arbeit als Ausgangspunkt für einige ähn­ liche, zeitlich eng benachbarte Objekte in der fränkischen Kunstlandschaft, al­ len voran die Wandtabernakel in Rothenburg-St. Jakob und Bamberg-Zu U.L. Frau. Sie sieht sich jedoch nicht in der Lage, die Frage nach einer typologischen Herkunft auch nur näherungsweise beantworten zu können. 2. Beschreibung (vgl. Abb. 1 ) Im Zuge des Chorneubaus von 1361 bis 1372 dürfte auch die etwa einen hal­ ben Meter tief ins Mauerwerk reichende Nische zur Aufbewahrung des HH. Sa-

1 G. P. Fehring und A. Ress: Die Stadt Nürnberg (Bayerische Kunstdenkmale), München "1978, S. 131. - Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Bayern 1: Franken, München 1979, S. 596. 3 F. W. Hoffmann: Die Sebalduskirche in Nürnberg, Wien 1912, S. 120; S. 160 f. 1 Gerda Naujoks: Die Entwicklung des architektonischen Sakramentsbehälters in Franken im Laufe des Mittelalters, Diss. Erlangen 1948, S.12 f.

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kramentes entstanden sein.5 Sie befindet sich in der Wandzone des nördlichen Chorumgangs und grenzt südlich an dessen Stirnwand. Bereits 1372 hat also die Nachbarschaft zum Hauptaltar des Titelheiligen St. Sebald bestanden6, der dort bis zum letzten Krieg — als spätgotische Neuschöpfung - seine Aufstel­ lung hatte. Auf Vorkriegsaufnahmen ist stets ein etwa brusthohes Gitter zu se­ hen, das auf der unteren Stufe der Treppe angebracht ist und den Tabernakel vom übrigen Kirchenraum abschirmte. Es wurde inzwischen durch eine einfa­ che Seilabsperrung ersetzt. Auch fällt bei Vergleichen mit Aufnahmen der Jahr­ hundertwende auf, daß dort die unterste Stufe noch deutlich als solche zu er­ kennen war, während sie sich heute kaum mehr als 10 bis 15 Zentimeter über das Fußbodenniveau erhebt, was wohl als eine Folge der Wiederaufbaumaßnah­ men nach dem letzten Kriege zu gelten hat. Die Blendarchitektur des Tabernakels setzt auf einer hohen Sockelleiste an, die an der Innenseite der Außenmauer den gesamten Chorumgang durchmißt. Drei — also ursprünglich vier — Stufen führen über halbkreisförmigem Grun­ driß zum Schrein als Zentrum der Komposition empor. Alle im folgenden zu besprechenden Einzelformen sind als Teile einer aufwendigen Rahmung der Sa­ kramentsnische zu betrachten. Der Aufbau nimmt etwa drei Viertel der Breite der Mauerzone ein, deren Höhe er in Form einer Baldachinarchitektur bis weit in die Fensterzone über­ steigt. Das Ensemble mißt etwa 6,5 Meter in der Höhe bei einer Breite von 3,7 Metern.7 Die einzelnen Figuren sind in der Regel nahezu vollrund gearbeitet, die Wand dahinter grob ausgemuldet, wie ein Blick auf die vakante Nische zur Linken am deutlichsten erweist. Die durchschnittliche Relieftiefe beträgt circa elf Zentimeter.8 Dies gilt nicht für die Blendarchitektur, die deutlich raum­ greifender ist. Der Aufbau ist fünfachsig, wobei sechs Strebepfeiler die vertikale Gliederung übernehmen. Die Mittelachse mit der Sakramentsnische hat etwa die doppelte Breite von einer der vier Außenachsen. Die seitliche Begrenzung des Gesamtwerkes erfolgt durch zwei vergleichs­ weise schlichte Strebepfeiler, die durch mehrere Kaffgesimse horizontal geglie­ dert werden. Ihr oberer Abschluß in Gestalt eines schlanken Tabernakels mit bekrönender Fiale, Wimpergen, Krabben und Kreuzblumen findet bei allen weiteren Strebepfeilern seine Wiederholung. Von diesen äußeren Strebepfeilern

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Zur Frage der Datierung siehe Hoffmann (wie Anm. 3), S. 160, Fußnote. - Fehring/Ress, Dehio und Naujoks führen alle die nämliche Datierung an (zwischen 1370 und 1380). Eine Begründung die­ ser Datierung findet sichjedoch nirgends. Alle Datierungen jeweils a.a.O. 6 Hoffmann (wie Anm. 3), S .131. 7 Kurt Martin: Nürnberger Steinplastik im 14. Jahrhundert, Berlin 1927, S. 147. 8 Martin (wie Anm. 7), S. 147.

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aus stellen nun je zwei Strebebögen die Verbindung zum benachbarten Pfeiler­ paar her. Der untere Zwischenraum ist dabei jeweils von einem zweibahnigen Blendfenster mit Maßwerk ausgefüllt, während darüber der untere der beiden Strebebögen je einer der beiden kniend adorierenden Stifterfiguren eine schräge Standfläche bietet. Bei diesen handelt es sich links um ein männliches Mitglied der Familie Groland, rechts um eines aus dem Geschlecht der Muffel, wie die darüber angebrachten Wappenschilde verkünden. Über diesen Wappen befinden sich Figurennischen mit hockenden Konsolfiguren und aufwendigen Baldachinen über drei Seiten des Sechsecks. Sie enthal­ ten jeweils die Standfigur eines Engels mit einigen der arma Christi. Ihr Zu­ sammenhang mit dem Gesamtaufbau ist weniger tektonisch als vielmehr moti­ visch durch die Formensprache der Baldachine gewährleistet, die knapp unter dem profilierten Ansatz der Sohlbank schließen. Das nun folgende mittlere Strebepfeilerpaar ist aufwendiger gestaltet und besteht aus je einem Paar ge­ bündelter, übereck stehender Pfeiler, die nach etwa zwei Dritteln ihrer Ge­ samthöhe in zwei Fialen enden und sich bis ca. 20 cm zum Sohlbankansatz in je einer gleichartig gestalteten Fiale fortsetzen. Die Zwischenräume zum benach­ barten inneren Paar der Strebepfeiler — die bei identischer Gestaltung um etwa 30 Zentimeter höher ansetzen — sind in drei Zonen unterteilt, deren unterste von je einem knienden Blutengel eingenommen wird. Die Schräge des darüber verlaufenden Strebebogens bildet mit der horizontalen Standfläche der darüber befindlichen Figurennische ein dreieckiges Zwickelfeld aus, das links vom Re­ lief eines sich die Brust öffnenden Pelikans mit drei Jungen, rechts von dem ei­ ner Löwin mit ebenfalls drei Jungen eingenommen wird. Oberhalb folgt links die etwa 80 Zentimeter9 hohe Standfigur des zweiten Kirchenpatrons St. Petrus, dessen Pendant zur Rechten der Hl. Sebaldus bildet. Die Nischen schließen mit Baldachinen über spornförmigem Grundriß ab. Sie bilden zugleich den Sockel für die Nischen darüber mit den Sitzfguren zweier Propheten. Während bei den Nischen darunter die Vorderkanten der Balda­ chine zuhäupten der Kirchenpatrone in Knäufen enden, sind Sie oberhalb in Form von Säulen vor der Mittelachse der Prophetennischen fortgesetzt. Die Kreuzblumen ihrer Fialen greifen ebenso wie das innere Strebepfeilerpaar in den profilierten Sohlbankansatz. Die Mittelachse der Tabernakelwand ist über die Wandhöhe dreigeschossig, mit der Baldachinarchitektur in der Fensterzone also insgesamt viergeschossig aufgebaut. Im predellenartigen Unterteil ist hinter einem Spitzbogenfries eine insgesamt achtfigurige Salbung des Leichnams Christi wiedergegeben. Darüber

y Martin (wie Anm. 7), S. 147.

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folgt die kunstvoll mit vergoldeten Beschlägen versehene Eichenholztüre der Sakramentsnische. Die tiefe Kehle der eher schlichten Profilrahmung ist - von der Unterseite abgesehen - mit vergoldeten, unregelmäßig geformten Kriech­ blumen besetzt. In der Mitte der Türe sind zur Oberkante hin mehrere parallele Schlitze senkrecht eingelassen, vor denen ein kleines vergoldetes Gitter ange­ bracht ist. Der dahinter befindliche Wandschrank besitzt zwei hölzerne Einle­ geböden mit hochklappbarem Mittelteil, so daß eine Turmmonstranz im Inne­ ren Platz gefunden hat. Der Schrein ist schwarz ausgemalt und weist ein Mu­ ster aus goldenen Sternen auf. Die Zone darüber ist durch drei Baldachinarchitekturen gegliedert, wobei die beiden äußeren, die denen der arma-Christi-Engel gleichen, vom mittleren, das bei gleichem Giundriß aufwendiger gestaltet ist, an Breite und Höhe deut­ lich übertroffen werden. Dieser mittlere Baldachin überfängt den Gnadenstuhl, der links von Maria, rechts von Johannes Evangelista in jeweils eigenen Ni­ schen flankiert wird. Der mittlere Baldachin durchbricht als einziger Bestand­ teil der Blendarchitektur die Horizontale des Sohlbankansatzes und setzt sich — in eine Art Erd- oder Gesteinsformation übergehend — als Standfläche für die abschließende dreifigurige Gerichtsdarstellung fort. Sie besteht lediglich aus den Skulpturen des thronenden Richters, der von zwei kleinfigurigen Suppli­ kanten flankiert wird. Uber der Szenerie wölbt sich eine weitausgreifende Baldachinkonstruktion, die man als „Gerichtslaube“ aufzufassen geneigt ist. Ihr Giebel ist vollplastisch als eine Art Fialenturm ausgebildet. Er birgt im Inneren eine achtteilige Hän­ gekuppel, wird von vier überschlanken Fialen begleitet und endet nach etwa ei­ nem Viertel der Fensterhöhe vor dessen Mittelpfosten in einer vergoldeten Kreuzblume. Der Erhaltungszustand ist als gut zu bezeichnen. Ergänzt wurden lediglich Kelch und Arm des rechten Blutengels. Abgesehen vom Fehlen des rechten Ar­ mes beim Gerichts-Christus durch Kriegseinwirkung sind ansonsten keine ein­ schneidenden Dezimierungen oder Ergänzungen zu beklagen.10 Bei Restaurierungsarbeiten im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts sei nach Entfernung eines Olanstriches die heutige Farbigkeit zum Vorschein gekom­ men, berichtet Hoffmann." Es ist immerhin möglich daß diese Fassung jene aus dem Jahre 1514 ist: Die Nachkommen der Stifter verhinderten in diesem Jahr Abbruch und Ersatz der alten Familienstiftung und verfügten zugleich eine Instandsetzung des Wandtabernakels.

Hoffmann (wie Anm. 3), S. 120. Hoffmann (wie Anm. 3), S. 160 f.

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Außerhalb des tektonischen Zusammenhangs — und damit gesondert zu be­ trachten — sind die beiden seitlichen Baldachinnischen, deren linke die bereits erwähnte, etwa einen Meter hohe Standfigur eines Schmerzensmannes enthält.

3. Liturgiegeschichtliche Aspekte12 Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten der Herleitung, die Form und Aus­ sage des Sebalder Wandtabernakels zu erhellen vermögen, wenn Sie auch kaum strikt voneinander zu trennen sind. Während jedoch die stilgeschichtliche Phä­ nomenologie der Voranschaltung ikonographischer Einlassungen bedarf und daher nachstehend zu erfolgen hat, soll hier kurz auf die wesentlichsten funk­ tionalen und liturgischen Aspekte des Tabernakels eingegangen werden. Seiner Bestimmung nach ist der Tabernakel bis heute Ort der Aufbewahrung des Leibes Christi in Gestalt der konsekrierten Hostie. Seine Bedeutung wächst im Laufe des 13. Jahrhunderts, als man dazu überging, bei der Laienkom­ munion auf die Darreichung von Wein zu verzichten, wie es mit dem Konstanzer Konzil von 1415 dann verbindlich wurde. Spätestens damit wurde der Ta­ bernakel zum „Herz jeder katholischen Kirche“13, und wenn bislang auch noch bewegliche Holzschreine oder die Aufbewahrung im Corpus einer von der Decke hängenden Eucharistischen Taube gang und gäbe waren, so gewährlei­ stete letztlich doch nur eine feste Anbringung die Sicherheit vor entweihendem Zugriff und damit die unausgesetzte Präsenz im Kirchenraum. Dies kam dem wachsenden Schaubedürfnis entgegen, das Caspary11 den Menschen im Zeitalter der Gotik attestiert und das sich besonders im rapiden Bedeutungszuwachs der „Elevatio“ - dem Präsentieren der Hostie nach vollzogener Wandlung — seit etwa 1200 ablesen läßt. So sehr war die Volksfrömmigkeit auf die Heilswirk­ samkeit dieser Präsentation fixiert, daß Caspary von einer Entwertung des rest­ lichen Meßablaufes zugunsten der Elevatio spricht.15 Ebendiese bildet auch ei­ nen der liturgiegeschichtlichen Hintergründe für die Entstehung des Fron­ leichnamsfestes und seiner Prozessionen, letztlich auch für die Entwicklung der Monstranz. 1364 erklärte Papst Urban IV. den Fronleichnamstag als gleichrangig mit den anderen kirchlichen Hochfesten Weihnachten, Ostern und Pfingsten. In Vgl. zum folgenden Abschnitt Walter Prutscher: Das Tabernakel. Geschichte — Vorschriften — Aus­ führungen, Wien 1980, S. 3-44 (ausführlich) und Hans Caspary: Der Sakramentstabernakel in Ita­ lien bis zum Konzil von Trient, München 1965, dort die allgemeiner gehaltenen Abschnitte. 13 Caspary (wie Anm. 11), S. 3. 11 Caspary (wie Anm. 11), S. 10915 Caspary (wie Anm. 11), S. 110.

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dieser Zeit blühten im deutschen Sprachraum Hostienkult, eucharistische Pri­ vatfrömmigkeit und Sakramentsbruderschaften, so daß die Stiftung eines auf­ wendigen Wandtabernakels durch zwei Nürnberger Patrizierfamilien dem herrschenden Zeitgeist völlig entsprochen haben dürfte. Dabei gewährleistete die stellvertretende und immerwährende Präsenz der adorierenden Stifterfigu­ ren an einem Kunstwerk, das a priori im Zentrum jener Hostienfrömmigkeit stand, nach dem damaligen Verständnis vermutlich die denkbar größte Heils­ wirksamkeit. Es liegt damit nahe, in der Stiftung eines Tabernakels ein Privileg zu sehen, was auch die Erklärung dafür sein könnte, daß sich zwei Stifterfami­ lien diese Ehre zu teilen hatten. Dennoch kommt diese Spielart spätmittelalterlicher Frömmigkeit in St. Se­ bald nur eingeschränkt zum Ausdruck: Während es im ausgehenden Mittelal­ ter allgemein üblich war, die Hostie hinter einer massiven Eisenvergitterung dem ständigen Anblick der Gläubigen auszusetzen - wofür das Sakramentshaus der Schwesterkirche ein prominentes Beispiel gibt -, so repräsentiert die Sebalder Arbeit gemeinsam mit den wenig später entstandenen Werken der Ja­ kobs- und der Spitalkirche in Rothenburg offensichtlich eine Vorform, bei der kleinere Öffnungen in die schweren, eisenbeschlagenen Tabernakeltüren einge­ lassen sind, die nach damaligem Verständnis für die ungeminderte Entfaltung der Heilswirksamkeit der Hostie sicher unabdingbar waren. Mit all diesen Entwicklungen geht auch die Ausprägung bestimmter Sym­ bolismen und ikonologischer Termini einher, von denen besonders ein Aspekt vor der ikonographischen Einzeluntersuchung zu erwähnen ist. Die Rede ist von jener Stelle, an der ein Teil der Blendarchitektur möglicherweise selbst zum Träger einer Ikonographie wird, nämlich jene Gerichtslaube, der auf der Fen­ stersohlbank das Jüngste Gericht einbeschrieben ist und die zugleich den Über­ gang zu vollwertigen Architekturformen markiert. Über ihr erhebt sich jener turmartige Baldachin, dessen Grundriß von einem Oktogon definiert wird. Dies ist deshalb interessant, weil eines der Leitbilder des Zentralbaues in der ungenauen Überlieferungstradition16 des Mittelalters das Grab Christi in Jeru­ salem ist: Obwohl sich beim Original nur ein achtsäuliger Monopteros über dem Grabesbau erhebt, weisen abendländische Nachbauten mitunter oktogonalen Grundriß auf.17 ir> Vgl. hierzu Günter Bandmann: Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger, Darmstadt l(T904, S. 48 f. 17 Vgl. hierzu den Artikel „Heiliges Grab“ in: Harald Olbrich u. a. (Hrsg.): Lexikon der Kunst (LDK) 3, Leipzig 1990, S.186. Ferner den Artikel „Oktogon“ in: LDK (wie oben ) 5, Leipzig 1992, S. 268. Ferner Bandmann (wie Anm.l6), S. 201 f. Auch für sich allein betrachtet ist für die Zahl acht ein symbolischer Bezug zur ewigen Ruhe ebenso wie zur ewigen Seligkeit nachweisbar. Vgl. hierzu K. Schneider: Artikel „Achtzahl“ in: Reallexikon für Antike und Christentum, Stuttgart 1950, Sp. 79-81.

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Innerhalb eines Bildprogrammes, dessen Bestand auf ein unabdingbares, wenn auch sehr beziehungsreiches und aussagekräftiges Minimum reduziert wurde — wie im Folgenden zu zeigen sein wird -, fällt es schwer zu glauben, daß eine solche Anlehnung unabsichtlich und ohne Rücksicht auf ihre verhältnis­ mäßig leichte Assoziierbarkeit vorgenommen wurde. Eine Reihe weiterer, ähn­ licher ikonographischer Anknüpfungspunkte ist zwar niemals prinzipiell aus­ zuschließen, läßt sich aber am Sebalder Wandtabernakel nicht eindeutig nachweisen und kann daher unberücksichtigt bleiben.18

4. Zur Ikonographie Sinnmitte der Komposition ist die Wandnische des Tabernakels mit dem eucharistischen Leib Christi. Von den beiden Paaren der Sitzpropheten und Kirchenpatrone einmal abge­ sehen, nimmt die skulpturale Ausgestaltung der Schauwand direkten Bezug auf den leidenden, toten und wiederauferstandenen Christus, der in der ge­ weihten Hostie gegenwärtig ist. Der Anbringungsort der einzelnen Skulptur verleiht ihr über ihren unmit­ telbaren Eigenwert hinaus zusätzliche Bedeutung, sein „Oben“ oder „Unten“, „Innen“ oder „Außen“ entwickelt dabei zum Teil eindeutig hierarchische Qua­ litäten. Deutlich wird dies besonders an den beiden außen angebrachten StifterSupplikanten und dem Blutengelpaar ganz unten, deren vergleichsweise nach­ lässige bildhauerische Ausführung ihre Inferiorität womöglich bewußt unter­ streicht. Für die Skulpturenfolge in der Mittelachse mit Salbung, Gnadenstuhl und Weltgericht scheint eine im weitesten Sinne konsekutive Abfolge maßgeblich gewesen zu sein. Wiederum eine andere Art von Bedeutung könnte dem Anbringungsort des Sitzprophetenpaares zugrunde gelegen haben, worauf weiter unten noch einzu­ gehen sein wird. Dem architektonischen Gesamtaufbau einen ikonographischen Eigenwert beimessen zu wollen — etwa im Sinne einer kathedralhaften Gottesstadt-Sym­ bolik oder der eines Triumphtores -, erschien zunächst naheliegend, ist aber letzten Endes nicht beweisbar. Schließlich sei vorab noch am Rande vermerkt, daß eine vollständige und fehlerfreie ikonographische Aufschlüsselung des Skulpturenprogramms bislang 18 So z. B. Abbild des Salomonischen Tempels, Novum Sepulcrum oder Triumphbogen.

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noch nicht vorgenommen wurde. Auch die eingehendste Würdigung des Wandtabernakels bei Martin bezeichnet die beiden Engel unkritisch als „Leuchterengel“19 und verzichtet ferner auf eine Identifizierung der beiden Pro­ pheten, was beides auch bei Hoffmann der Fall ist, der darüber hinaus die Fi­ guren der Einbalsamierung als „Joseph von Arimathia im Beisein von sechs Jüngern“20 unrichtig identifiziert. Die niedrigste Stellung im Gesamtgefüge nehmen naturgemäß die beiden anbetenden Stifterfiguren (vgl. Abb. 2 und 3) - männliche Vertreter der Fami­ lie Groland (links) und Muffel (rechts) — ein. Sie sind in das Strebewerk förm­ lich hineingezwängt, dabei als einzige Profanfiguren tektonisch ausgegrenzt und einer Hervorhebung durch einen Sockel oder gar durch einen Baldachin unwürdig. Dieser so evozierte Eindruck von Demut und Bescheidenheit wird allerdings bei näherem Hinsehen durch den Umstand relativiert, daß die bei­ den Supplikanten aufgerichtet den übrigen Skulpturen an Größe ebenbürtig wären, während — um ein willkürliches Beispiel herauszugreifen — noch 150 Jahre später auf Cranachs Budapester Beweinung die Stifterfiguren eindeutig der Bedeutungsperspektive unterliegen. Im Falle der Sebalduskirche also einen Eindruck ratsherrlichen Selbstbewußtseins zu erkennen, mag vor diesem Hin­ tergrund nicht ganz von der Hand zu weisen sein. Mit den beiden Engeln (vgl. Abb. 4) zuseiten der Einbalsamierung setzt die Hierarchie des sakralen Figurenprogramms auf ihrer untersten Ebene ein. Streng genommen zwar unterhalb der beiden Stifter angeordnet, sind sie dem Allerheiligsten jedoch bedeutend näher als diese. Wenn nun bei der Benennung als „Leuchterengel“ durch Martin zuvor Zweifel angemeldet wurden, so ge­ schah dies aus folgendem Grunde: Obwohl Leuchterengel zuseiten des Grabes Christi durchaus naheliegend sind, kommen doch weder Kerze noch Flamme zur Darstellung. Ob Sie ursprünglich vorhanden waren und inzwischen verlo­ ren gegangen sind, ist heute nicht mehr zweifelsfrei auszumachen. Nur beim linken Engel findet sich auf der Oberseite des kelchartigen Gebildes ein Bohr­ loch, während die entsprechende Fläche rechts keinerlei Vertiefungen aufweist. Die Möglichkeit, daß man echte Kerzen, Wachslichter o. ä. verwendet haben könnte, erscheint angesichts des Fehlens jeglicher Rußspuren oberhalb als we­ nig wahrscheinlich. Somit kann für die korrekte Benennung der Engel eine weitere Möglichkeit herangezogen werden, die zugleich ihre engere Einbin­ dung in das eucharistische Heilsgeschehen bedeuten würde. Es könnte sich um sogenannte „Blutengel“ handeln, die auf manchen mittelalterlichen Darstel-

19 Martin (wie Anm. 7), S. 90. ■° Hoffmann (wie Anm. 3), S.160.

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lungen21 das Blut des Gekreuzigten, das seinen Wunden entströmt, in Kelchen auffangen. Sie hier nun in unmittelbarer Nähe des Gnadenstuhles anzubringen, hätte wohl beträchtliche Probleme in puncto Anbringung und Maßstäblichkeit aufgeworfen. So mag man sich im vorliegendem Falle mit einer entfernteren Anordnung begnügt haben und verzichtete damit zugleich auf eine direkte Verbildlichung von Blutstrahlen. Da die Selbstaufopferung Christi im Verströ­ men seines Blutes ja letztlich auch durch den mit Hostien gefüllten Kelch im Inneren des Schreins viel unmittelbarer veranschaulicht wird, bedurften die beiden Engel vielleicht auch nicht mehr unbedingt eines szenischen Bezuges, um von den damaligen Gläubigen richtig aufgefaßt werden zu können. Die Kelche figurieren zudem für sich genommen noch einmal als Symbole der Eu­ charistie.22 Einen ähnlich direkten Bezug zu Tod und Auferstehung haben auch die bei­ den Zwickelreliefs (vgl. Abb. 4) zuhäupten der beiden Engel — links den Peli­ kan, rechts die Löwin darstellend. Uber den Pelikan schreibt der „Physiologus“, daß er — von seinen Jungen ins Gesicht gepickt — diese im Zorne töte und nach drei Tagen der Trauer mit dem Herzblut seiner geöffneten Seite wieder zum Le­ ben erwecke23, wobei die Bezugnahme auf die Seitenwunde Christi auf der Hand liegt. Von den drei Deutungen, die der „Physiologus“ für den Löwen — bezie­ hungsweise die Löwin — angibt, ist im vorliegenden Falle die dritte zutreffend. Sie besagt, daß die Löwenjungen tot geboren würden und erst am dritten Tage der Vater käme, um ihnen Leben einzuhauchen, womit ein Bezug zur dreitägi­ gen Grabesruhe Christi unschwer herzustellen ist.21 Die Zwickelreliefs flankieren gemeinsam mit den Blutengeln die Szene der Einbalsamierung des Leichnams Christi (vgl. Abb. 5). Stark an die Predella ei­ nes Altars erinnernd, ist sie einem seichten Kastenraum einbeschrieben und zu­ gleich die einzige szenische Darstellung innerhalb des Skulpturenzyklus, wobei jedoch jede der sieben Figuren einem der Arkadenbögen gleicher Anzahl zuge­ ordnet ist, was ihre Herkunft von der Nischenfigur veranschaulicht. Nicht alle der sieben Personen sind identifizierbar. So erscheint der Typus des bärtigen Mannes mit Kopfbedeckung insgesamt viermal, und nur einer von ihnen ist Ein frühes Beispiel ist Giottos Kreuzigungsfresko in der Arenakapelle zu Padua (um 1305), Abb. bei E. Lucchesi-Palli: Artikel „Kreuzigung Christi“ in: Engelbert Kirschbaum (Hrsg.): Lexikon der christlichen Ikonographie (LCI) 2, Freiburg 1970, Sp. 617 f. , Abb. 10. Ein späteres Beispiel ist Schongauers Kreuzigungsstich, Abb. in: Martin Schongauer, Kupferstiche, Berlin 1924, Tafel 9. ” Vgl. hierzu den Artikel „Kelch“ in: LCI (wie Anm. 21), Sp. 496 f. -■ Otto Seel: Der Physiologus. Übertragen und erläutert von Otto Seel, München und Zürich 1973, S. 6 f. -M Seel (wie Anm. 23), S. 4.

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durch die Kanne mit dem Salböl möglicherweise als Nikodemus anzuspre­ chen.25 Zweifelsfreie Benennung ist nur bei dem bartlosen Mann in der linken Bild­ hälfte als Johannes Evangelista vorzunehmen, sowie bei der Trauernden in der Mitte als Gottesmutter. Die einzige Erwähnung der Salbung bei Joh 19,39 f. führt weiterhin an, daß im Zusammenhang mit der vorhergehenden Kreuzab­ nahme auch Joseph von Arimathia beteiligt gewesen sei, den man dann in ei­ nem der drei verbleibenden Bärtigen erkennen könnte. Die beiden restlichen Männer schließlich mögen als Apostel gelten, ohne daß dies zu beweisen wäre. Sowohl Poeschke als auch Schiller26 betonen, daß es sich bei der Salbung um eine eher seltene Darstellung aus der Passio Christi handele. Während die be­ sonders in der byzantinischen Kunst verbreitetere Darstellung von Christus auf dem Salbstein das dargebrachte Opfer versinnbildlicht, ist für den eigentlichen Vorgang der Salbung keine eindeutige Ikonographie ausfindig zu machen. Eine Reihe von Beobachtungen legt vielmehr die Vermutung nahe, daß die Szenerie für die Vorgänge im Gefolge der Kreuzabnahme gewissermaßen pars pro toto zu verstehen sein könnte: Die Anwesenheit von Maria und Johannes läßt an die beiden als Trauernde unter dem Kreuz denken; das Bahrtuch ist bei der Ver­ hüllung des Leichnams nach der Kreuzabnahme unverzichtbares Requisit, während der Salbstein seiner Form nach den Gedanken an die sich an­ schließende Grablegung evoziert. Auch könnte die Anwesenheit von Maria und Maria Magdalena den Gang der drei Marien zum Grabe in Erinnerung bringen, und schließlich läßt sich die Gruppe des Leichnams und der trauernden Gottes­ mutter ohne Mühe als Anspielung auf den Bildtypus des Vesperbildes verste­ hen, der sich in der zweiten Jahrhunderthälfte einer stark wachsenden Beliebt­ heit erfreute. Träfen all diese Beobachtungen nun zu, so wäre in der Darstellung der Sal­ bung des Leichnams Christi eine Tendenz zur Verknappung des Bildmaterials unter Beibehaltung der größtmöglichen Aussagekraft kaum von der Hand zu weisen — eine Feststellung, die sich weiter unten noch bestätigen wird. Die Nischen über den Blutengeln und den Zwickelreliefs werden von den Standfiguren des Hl. Petrus (vgl. Abb. 6) und Sebaldus (vgl. Abb. 7) einge­ nommen. Ihre sakrale Würde wird durch ihre Aufstellung zuseiten des Schrei­ nes mit dem Allerheiligsten und die Nischenbekrönung durch aufwendige Bal­ dachinarchitektur zur Geltung gebracht. Als Kirchenpatrone bedarf ihre An­ bringung keiner besonderen Legitimation durch eine ausdrückliche Bezug­ nahme auf das Leiden und Sterben Christi. 25 Vgl.hierzu J. Poeschke: Artikel „Salbung Jesu“ in : LCI (wie Anm. 21) 4, Sp. 13 f. 26 Gertrud Schiller: Ikonographie der christlichen Kunst 2, Gütersloh 1968, S. 185 f.

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St. Petrus — durch Schlüssel und Buch kenntlich gemacht — war neben Pau­ lus Patron der Sebalder Mutterkirche in Poppenreuth und wurde als solcher in Nürnberg zum Mitpatron der Sebalduskirche, dies allerdings mit rasch verblas­ sender Bedeutung gegenüber dem alsbaldigen Hauptpatron, eben dem Hl. Sebaldus. Dieser taucht mit dem nämlichen Kanon von Attributen — Pilgerstab und -hut, Muschel und Kirchenmodell — bereits um 1360 am westlichen Por­ talvorbau der Frauenkirche auf, wobei im vorliegenden Falle noch eine Um­ hängetasche als weiteres Symbol der Pilgerschaft gekommen ist. So selbstverständlich sein Erscheinen an einem Kunstwerk in der Kirche sei­ nes Namens auch ist, so aufschlußreich ist vor dem stadtgeschichtlichen Hin­ tergrund doch die Tatsache, daß er das Pendant zum Apostelfürsten Petrus bil­ det, obwohl er zur Zeit seiner Aufstellung der päpstlichen Kanonisierung noch entbehrte und also dem Range nach weit unter seinem Gegenüber rangierte. Die Erklärung dafür liegt in dem Umstand, daß Sebald in Nürnberg stets ein „politischer“ Heiliger war,27 dessen Leben und wundertätige Reliquien mit dem Prosperieren der Stadt im 14. Jahrhundert rückwirkend und ohne jede chroni­ kalischen Bedenken in Einklang gebracht wurden. Eine solch ambitiöse Beu­ gung des tradierten Legendengutes stellt z. B. die Hystorie von SandSebolden dar, eine auf deutsch (!) verfaßte und 1377 an alle Nürnberger Klöster versandte Le­ gendensammlung.28 Der Text enthält einige Passagen, die auf die Nürnberger Burggrafen gemünzt sind, die von 1365 bis 1385 noch einmal das Stadtschult­ heißenamt an sich bringen konnten.29 Damit wird das Einschwören der Stadt­ bevölkerung auf dieses Symbol materiellen Wohlergehens und des Widerstan­ des gegen auswärtige Usurpation wie auf ein gemeinsames Feldzeichen als Ab­ sicht offenbar. Und wenn Borst konstatiert, „. . . daß um 1380 eine Welle der Sebaldverehrung durch Nürnberg ging, vom Patriziat klug gefördert und vom Volk ins Ekstatische gesteigert ...“,30 so könnte man die hochrangige Anbrin­ gung des Heiligen am Sebalder Wandtabernakel als künstlerische Umsetzung dieser Tendenzen werten. Ob auch den beiden Sitzpropheten (vgl. Abb. 8 und 9) zuhäupten der Kir­ chenpatrone ein gewisser Gehalt an politischer Aussagekraft innewohnt, wird weiter unten zu untersuchen sein. Vorab muß jedoch ein Wort zu ihrer Identi­ fizierung gesagt werden. Die bisherige Literatur lieferte hierzu keinerlei An­ haltspunkte, obwohl die Benennung des linken Propheten anhand des Textes auf seinem Spruchband leicht vorzunehmen ist. In gotischen Minuskeln ist dort J7 Vgl.hierzu Arno Borst: Die Sebalduslegenden in der mittelalterlichen Kunst Nürnbergs, in: Jahr­ buch für fränkische Landesforschung 26 (1966), passim. Borst (wie Anm. 27), S. 57. Borst (wie Anm. 27), S. 60-62. Borst (wie Anm. 27), S. 69.

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die Weissagung des Propheten Jesaja, Ecce virgo accipiet etpariet filium (Jes 7,14), trotz Fehlstellen und Verschmutzungen zweifelsfrei rekonstruierbar. Schwieriger gestaltet sich die Benennung des Propheten auf der rechten Seite. Dort ist auf dem Spruchband lediglich die Wortfolge . . . tu(m ?) e verbum domini abzulesen, die zunächst keinen Aufschluß bietet. Das Spektrum der Identifizierungsmöglichkeiten engt sich erst ein, wenn man in Jesaja einen der vier „großen“ Propheten des Alten Testaments erkennt31, dem dann höchst­ wahrscheinlich ein ebensolcher gegenübergestellt worden sein dürfte. Einige Argumente sprechen mit ziemlicher Sicherheit dafür, daß es sich um Jeremia handeln muß: Das gelegentliche paarweise Auftreten der Propheten, wie es Lucchesi-Palli32 für die Mosaiken in Ravenna-S.Vitale oder Holländer33 für zwei Tafeln von Jan Mostaert feststellen; die tiefe Verwandschaft des ausgestoßenen Jeremia mit dem Gethsemane-Christus, wie sie Nötscher31 konstatiert und da­ mit der quasi-typologische Bezug des Propheten zur Passion35; die Beschrei­ bung, die Dionysos vom Berge Athos in seinem Malerhandbuch von Jeremia als einem Greis mit „kurzgeschnittenem dünnen Bart“36 gibt, der dann im vorlie­ genden Falle tatsächlich das einzige augenfällige Unterscheidungsmerkmal zu seinem Gegenüber darstellte; und schließlich noch einmal das Spruchband: Während zwar keine Prophezeihung Jeremias dem Wortlaut und Inhalt nach einen christologischen Sinn ergäbe, gibt es jedoch in der Vulgata eine Wen­ dung, die als Stereotyp zahlreiche Kapitel und Abschnitte bei Jeremia einleitet und die der Wortfolge auf dem Spruchband entsprechen könnte: Quodfactum est verbum Domini (häufig: adJeremiam). Nimmt man das e für est57 so ergibt sich zu­ mindest für den bibelkundigen Betrachter ein brauchbares Merkmal zur Iden­ tifizierung der Skulptur.38 Konnte nun also die korrekte Benennung der Figuren mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit vorgenommen werden, so ist eine weitere Beobachtung

31 Die Einteilung in zwölf „kleine“ und vier „große“ Propheten wurde zwar erst auf dem Tridentinum 1546 kanonisiert, doch gibt bereits Claus Sluters Mosesbrunnnen im Kreuzgang der Kartause zu Dijon (1395-1403) die vier großen Propheten in der nachmals verbindlichen Zusammenstellung — Jesaja, Jeremia, Ezechiel und Daniel - wieder. ■*J E. Luccchesi-Palli: Artikel „Jeremias“ in: Josef Höfer und Karl Rahner (Hrsg.): Lexikon für Theo­ logie und Kirche (LThK) 5, Freiburg I960, Sp. 895. - H. Holländer: Artikel „Isaias“ in: LCI (wie Anm. 21) 2, Sp. 356. F. Nötscher: Artikel „Jeremias in: LCI (wie Anm. 21) 5, Sp. 894. A. Heimann: Artikel „Jeremias“ in : LCI (wie Anm. 21) 2, Sp. 392. 'r> LCI (wie Anm. 21) 7, Sp. 60. 37 Adriano Cappelli : Dizionario di Abbreviature Latine ed Italiane, Mailand 1973, S .113. 38 Hierbei wurde stillschweigend davon ausgegangen, daß auch einfache und illiterate Kirchenbesu­ cher seinerzeit mit dogmatischen und ikonologischen Begriffen soweit vertraut waren, daß sie die Einzelfiguren und die ikonologischen Kernaussagen zu erkennen in der Lage waren.

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hinsichtlich des Prophetenpaares zwar eher spekulativer Natur, jedoch umso aufschlußreicher. Wie eingangs der ikonographischen Betrachtungen bereits er­ wähnt, besitzen sowohl der Ort wie auch die Art der Anbringung offensichtlich theologisch-hierarchische Aussagekraft. Demzufolge ist die Anbringung der Sebalder Propheten über Apostelfürst und Hauptpatron wohl kaum als zufälli­ ges Ergebnis einer Anordnung nach rein dekorativen Gesichtspunkten zu se­ hen, sondern vielmehr als eine bewußte Hervorhebung der beiden, was durch die aufwendige Nischenarchitektur augenfällig unterstrichen wird. Umsomehr tritt dies zutage, wenn man sich vor Augen hält, daß in mittelalterlichen Bild­ programmen Propheten meist einen vergleichsweise inferioren Rang einneh­ men. So kann man mit E. Trier sagen, „. . . daß der bedeutungsmäßige und zeit­ liche Abstand der Propheten von Christus räumlich hervorgehoben wurde. Die Propheten nehmen im Bildprogramm oder im Kirchenraum meist die äußeren oder unteren Zonen ein.“39 Ein Blick auf das nahe Bamberger Fürstenportal, wo die Apostel auf den Schultern der Propheten stehen, ist hierzu wohl recht in­ struktiv. Doch ist es im vorliegenden Falle ja die Ausnahme von der Regel, die interessiert, jene Ausnahme, wie sie gerade im 14. Jahrhundert mitunter und dann an prominenter Stelle gemacht wurde: Dabei handelt es sich um die Pro­ phetenzyklen, wie sie für die reichsstädtischen Rathäuser in Köln, Bremen oder Lübeck geschaffen wurden. Sie wurden damit zu Identifikationsfiguren patrizisch-ratsherrlichen Selbstbewußtseins, man erkannte in ihnen die „politischen Führer ihres Volkes“ und „Kämpfer für die soziale Gerechtigkeit“^0, zugleich die „Vertreter des gerechten Regiments‘M1. So fehlen Sie auch im Skulpturen­ programm des Schönen Brunnens nicht, und W. Haas vermutet aus einer ge­ wissen von ihm festgestellten Konkurrenzhaltung der Rathäuser von Köln (1360) und Nürnberg (1340) zueinander, daß sich unter der skulpturalen Erstausstattung des Nürnberger Rathauses auch Prophetendarstellungen be­ funden haben könnten7'2, die dann das Vorbild für den erhaltenen Kölner Zyklus gewesen sein dürften. Diese ikonographische Anreicherung des herkömmlichen Prophetenbildes dürfte auch dem zeitgenössischen Sebalder Kirchgänger bewußt gewesen sein, und damit symbolisierten die Sitzpropheten mit nicht geringer Wahrschein­ lichkeit die Ratsfähigkeit der beiden Stifterfamilien und zugleich ihren An­ spruch auf hohe und höchste politische Ämter. So wurde auch im Jahre 1385

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E. Trier: Die Prophetenfiguren des Kölner Rathauses, in: Wallraf Richartz-Jahrbuch 19 (1957), S.195. Tuer (wje Anm. 39), S. 209. H. Herkommen Heilsgeschichtliches Programm und Tugendlehre, in: MVGN 63 (1976), S. 201. W. Haas: Neue Forschungen am alten Rathaus zu Nürnberg, in: Jahrbuch der bayerischen Denk­ malpflege 35 (1981), S. 64.

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Nikolaus I. Muffel von König Wenzel als Nachfolger der Nürnberger Burggra­ fen mit dem Stadtschultheißenamt belehnt."13 Beiläufig sei noch erwähnt, daß eben jener Nikolaus I. Muffel, der sich mit der Sebalduskirche stets eng verbunden zeigte und auch mit dem König auf vertrautem Fuße stand, im Jahre 1367 mit Hans Groland auf einer Handels­ fahrt nach Passau befunden hatte4'1, was ihn als möglichen (Mit-)Stifter des Wandtabernakels durchaus in Frage kommen ließe. Die beiden Sitzpropheten erhalten in gewissem Sinne eine weitere Hervor­ hebung dadurch, daß sie die Gnadenstuhlgruppe (vgl. Abb.10) zuhäupten des Sakramentsschreines flankieren, in der sich die liturgischen Kernaussagen des Figurenprogrammes manifestieren, was durch die Überhöhung der Baldachine klar zum Ausdruck gebracht wird. Nach Schiller45 hat der Gnadenstuhl eine dreifache Bedeutung: 1. Gottvater hat das Opfer des Sohnes angenommen. 2. Die Wiederaufnahme des menschgewordenen Sohnes in die göttliche Herr­ lichkeit hat stattgefunden. 3. Gottvater weist den Gekreuzigten der Menschheit als Sühnemittel der Erlö­ sung vor. Diese drei ikonographischen Schwerpunkte treffen — obgleich einem allge­ meiner gehaltenen Kontext entnommem — auch und besonders im hier gegebe­ nen Falle zu. Ihr direkter Bezug zum Aufbewahrungsort von Christi Leib und Blut in Realpräsenz bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung. Werfen also diese leicht herzustellenden Sinnbezüge keine weiteren Fragen auf, so verlangen doch darüber hinaus zwei Sachverhalte nach Klärung. Wer sich beispielsweise den bekannteren Gnadenstuhl in der Totenkapelle des ehe­ maligen Bürgerspitals zu Würzburg (um 1345/50) im Vorfeld, oder den des Wandtabernakels in der Rothenburger St. Jakobskirche (zwischen 1390 und 1400) in der Nachfolge vor Augen hält, wird in Nürnberg die Taube des Heili­ gen Geistes zuhäupten Christi vermissen. Drängt sich zunächst die Vermutung auf, sie sei im Laufe der Jahrhunderte abhanden gekommen, so bemüht man sich doch vergeblich, Spuren einer ehe­ maligen Anbringung am oberen Kreuzesstamm zu entdecken. Es wäre jedoch voreilig, den Nürnberger Gnadenstuhl deshalb als unvollständig zu bezeich­ nen. In einer phänomenologischen Untersuchung über Darstellungsweisen der

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G. Hirschmann: Die Familie Muffel im 14 Jahrhundert, in: MVGN 41 (1950), S. 297-302. Hirschmann (wie Anm. 43), S. 304. Schiller (wie Anm. 26), S. 133-136.

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Dreifaltigkeit konstatiert Braunfels"16, daß der Gnadenstuhl „in Bezug auf den Kanon der Messe, auf die Bitte des Priesters, das Kreuzesopfer des Sohnes an­ zunehmen, . . . entstanden sein“ muß und folgert daraus: „Das bestimmende Motiv ist weniger in der Tatsache zu suchen, daß die drei göttlichen Personen dargestellt sind, als vielmehr in jener, daß Gottvater das Kreuz in Händen hält, sei es, um es wie ein Opfer anzunehmen, sei es, um es als ,hilasterion’ ,,als Süh­ nemittel, der Menschheit zu reichen‘M7. Demnach wäre also der Nürnberger Gnadenstuhl die ursprünglichere Form, während die Bereicherung durch die Taube zur Dreifaltigkeitsdarstellung als eine Umdeutung des authentischen Sinngehalts zu sehen wäre. Doch hat die Sebalder Arbeit ihrerseits eine Berei­ cherung aufzuweisen, die sie wiederum von den beiden genannten Beispielen abhebt. Es ist dies die Hinzufügung von Maria und Johannes in flankierenden Baldachinnischen.18 Vergleicht man Haltung und Mimik der beiden mit jener von Johannes und Maria unter dem Kreuz vom selben Meister außen an einem der Ostchorpfeiler, so sind sie — obwohl ihre tektonische Absonderung einen di­ rekten szenischen Bezug negiert - doch einigermaßen deutlich als Trauernde zu identifizieren. Damit begegnet erneut ein Phänomen, das schon im Zusam­ menhang mit der Salbung des Leichnams auffiel, nämlich, daß mit einer bezie­ hungsreichen Komprimierung des figuralen Bestandes eine Multivalenz der ikonographischen Aussagefähigkeit einhergeht: Neben den drei genannten eucharistischen Sinnbezügen läßt sich also in St. Sebald der Topos der Trauernden unter dem Kreuz isolieren. Ihre additive Anbringung und ihre — im Vergleich zum Crucifixus — merkliche Übergröße mag man dabei als Veranschaulichung ihrer großen Bedeutung als Fürbitter unter dem Kreuz verstehen; einer Bedeu­ tung, die ja für die beiden Stifterfamilien von größter Wichtigkeit war. Auf den Außenachsen der Blendarchitektur bildet das Nischenfigurenpaar der beiden Engel mit den arma Christi (vgl. Abb. 11 und 12) den oberen Ab­ schluß. Ihre periphere Anordnung und eher lockere tektonische Einbindung in die Gesamtkomposition scheint durch ihren engen thematischen Bezug zur Passion Christi und den dekorativen Aufwand der Figurenkonsole und des Dreisechstel-Baldachins ausgeglichen werden zu sollen. Wurden die arma dem Ursprünge nach zunächst wörtlich als Waffen Christi gegen das Böse und damit zugleich auch als Zeichen des Sieges verstanden, so trat seit dem Ende des 12. Jahrhunderts eine ikonographische Hinwendung zu Leiden und Sterben Christi an diese Stelle/9 Von den insgesamt etwa fünfzehn gängigen Leidenswerkzeuir' Wolfgang Braunfels: Die heilige Dreifaltigkeit, Düsseldorf 1954. 17 Braunfels (wie Anm. 46), S. XXXVII f. 48 Diese Darstellungsweise ist freilich nicht voraussetzungslos und taucht beispielsweise auf einer westfalischen Altartafel (SMPK Berlin-Dahlem) bereits um 1270 auf. 49 Schiller (wie Anm. 26), S. 198-210.

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gen kommen in Nürnberg links Kreuz, Dornenkrone und Nägel, rechts Lanze, Geißel und Rutenbündel zur Darstellung, wobei kaum mehr zu ermitteln sein wird, was dieser Engel in seiner verhüllten Linken gehalten haben mag. Wesentlich ist dabei im gegebenen Zusammenhang dreierlei: 1. Die Bildaussage der arma als „Stenogramm der Leiden Christi“50, wobei an die wesensgleichen Beobachtungen bei Salbung und Gnadenstuhl der Form halber erinnert sei. 2. Es kommt die Tatsache hinzu, daß die Darstellung der arma Christi im 14. Jahrhundert so weitverbreitet war, daß sie gleichbedeutend an die Stelle der eigentlichen Kreuzigung treten konnte51, was den zeitgenössischen Be­ trachter das Fehlen einer vollgültigen (d. h. einzelbildlichen) Darstellung derselben wohl leicht verschmerzen ließ. 3. Schließlich ist noch daraufhinzuweisen, daß spätestens seit den Tympana der französischen Hochromanik, wie St.-Pierre in Beaulieu (1123/30) oder Ste.Foy in Conques (1135/40) beispielsweise, die arma fester Bestandteil von Gerichtsdarstellungen sind.52 Ein solches Weltgericht (vgl. Abb. 13) befindet sich beim Sebalder Wandta­ bernakel in äußerst verknappter Form auf der Fenstersohlbank.53 Es erfährt aber hier über diese inhaltliche Verklammerung hinaus noch eine Einbindung in das Bildprogramm, der ein deutlich subtileres ikonographisches Motiv zugrunde liegt: Die Anordnung der Christusdarstellungen — bzw. der Christussymbole — ist offensichtlich der Form eines Kreuzes nachgebildet, dessen Zentrum der Crucifixus des Gnadenstuhles bildet, während Fuß- und Endpunkt des Stam­ mes in Salbung und Weltgericht, die Enden des Querbalkens aber in den bei­ den arma-Engeln zu suchen sind. Damit erfährt das Motiv des gekreuzigten Er­ lösers eine Darstellung von offensichtlich größerer Suggestivkraft, als sie die wörtliche Umsetzung ins Skulpturale vielleicht zu leisten vermocht hätte. Das 50 Schiller (wie Anm.26), S. 203. 51 Schiller (wie Anm. 26), S. 203. 5J Darüber hinaus sind gerade im 14 Jahrhundert die arma Christi als Abbreviaturen der Leidenssta­ tionen Christi eine direkte Aufforderung zur mystischen Compassio. Es läge somit durchaus nahe, einen Zusammenhang zu den mystischen Erlebnissen der Dominikanerinnen Christina Ebner und Adelheid Langmann im nahen Kloster Engelthal herzustellen. Doch konstatiert H. Paulus: Die ikonographischen Besonderheiten der spätmittelalterlichen Passionsdarstellung in Franken, Wiirzburg 1952, S. 10, daß „. . . ein so ausgesprochen religiöses Phänomen wie die Mystik im Bereich Nürnbergs zwar auftauchen, aber niemals Wurzeln schlagen“ konnte. 53 Interessanterweise besitzt die Gerichtslaube keine durchgehende Rückwand, so daß der richtende Christus lichthinterfangen ist - ein Effekt, dessen suggestive Aussagekraft dem zeitgenössischen Betrachter kaum entgangen sein dürfte, zumal bei östlichem Lichteinfall. Dieser Wirkung scheint sich offenbar erst wieder Tilman Riemenschneider zu Beginn des 16. Jahrhunderts beim Rothen­ burger Heiligblutaltar und beim Creglinger Marienaltar bedient zu haben.

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Kreuz ist zugleich bei Matthäus 24,30 das „Zeichen des Menschensohnes“, das sein Kommen zum Jüngsten Gericht ankündigt. Der thronende Christus als Weltenrichter weist seine fünf Wundmale vor, das beiseite geraffte Gewand ge­ währt den Blick auf die Seitenwunde, während die fehlende Rechte auf Vor­ kriegsaufnahmen zum Gestus der Richtens erhoben war. Weist noch das Welt­ gerichtstympanon des Südportals vom Beginn des Jahrhunderts eine geradezu wimmelnde und das Bamberger Vorbild übertreffende Vielfigurigkeit auf, so ist am Wandtabernakel das Personal geradezu radikal auf das Notwendigste be­ schränkt, nämlich neben dem Richtergott selbst auf lediglich zwei Supplikan­ ten. Der rex tremendae maiestatis des Hochmittelalters hat sich zum Christus passus, zum Gott der Milde und Gnade gewandelt, wie er sich hier in der ostentatio vulnerum offenbart.5/* Er wird von den ihrer Bedeutung nach maßstäblich klei­ neren Supplikanten flankiert, deren anbetende Haltung zugleich das Anliegen der Stifter auf höchster Ebene noch einmal versinnbildlicht: die immer­ währende Bitte um das Seelenheil der Familien Groland und Muffel.55 Innerhalb der Gesamtkomposition nimmt die Nischenfigur des Schmerzens­ mannes (vgl. Abb. 14) gewissermaßen eine Sonderstellung ein, da der Größen­ maßstab ein völlig anderer ist und auf eine tektonische Einbindung fast voll­ ständig verzichtet wird.56 Obwohl nicht zuletzt der Rothenburger Wandtabernakel die enge Zu­ gehörigkeit des Schmerzensmannes als Sinnbild der Passion und Symbol der ständigen Wiederholung der Eucharistie zum ikonologischen Programm eines Sakramentshauses bestätigt, erwecken bei näherem Hinsehen die leicht abwei­ chenden Details an Konsole und Baldachin sowie die mangelnde Paßgenauig­ keit von Konsole und Sockel gewisse Zweifel daran, daß zum einen die Ni­ schenarchitektur ursprünglicher Bestandteil der Gesamtkomposition gewesen sein muß, zum anderen, daß sie von Anfang an einen Schmerzensmann beher-

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Vgl.hierzu A. Legener: Artikel „Christus, Christusbild“ in: LCI (wie Anm. 21) 1, Sp. 414. Anders als bei den Altarstiftungen, die zumeist auch entsprechende Meßstiftungen enthalten ha­ ben, ist dies bei einem Tabernakel nur schwer vorstellbar. Das macht eine so bildlich-direkte Auf­ forderung an den Kirchenbesucher, für das Seelenheil des Stifters zu beten, umso notwendiger. Da keine alten Abbildungen oder Archivalien auf die ursprüngliche skulpturale Besetzung der ge­ genüberliegenden Leernische hinweisen, ist man hier auf Vermutungen angewiesen. Zieht man zum Vergleich die spätere Sakramentsnische in Rothenburg-St.Jakob (um 1390-1400), Abb. bei Anton Ress: Die Stadt Rothenburg o. d. T. Kirchliche Bauten (Die Kunstdenkmäler von Mittel­ franken 8), München 1959, Abb. 114, heran, so bildet dort das Standbild einer Muttergottes mit Kind das Pendant zum Schmerzensmann. Da der Rothenburger Wandtabernakel in mancher Hin­ sicht dem Sebalder Vorbild folgt, ist der Rückschluß, daß sich auch in der Leernische in Nürnberg eine Madonna befunden haben könnte - wenn sie denn überhaupt je besetzt war - vielleicht nicht ganz von der Hand zu weisen.

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bergt hat. Dessenungeachtet ergibt sich jedoch durch die beiden Nischen eine kompositorische Anbindung an jene beiden Nischenfigurenpaare, die die Fen­ sterlaibung oberhalb der Sohlbank flankieren. Der Vollständigkeit halber seien zur Abrundung der ikonographischen Ein­ lassungen noch einige Symbolismen sekundären Ranges angeführt. Die Plastik der Knäufe, Kapitelle und Schlußsteine haben in Bezug auf das Gesamtprogramm einen vorwiegend affirmativen Aussagewert. So ist die häu­ fig als Schlußstein auftretende Rose ebenso Erinnerung an das Rot des Blutes Christi57, wie sie durch ihren Todesbezug mitunter in Verbindung mit Stifterfi­ guren58 auftreten kann. Sie ist im vorliegenden Falle ebenso wie die anderen Schlußsteine, Kapitelle und Knäufe zum überwiegenden Teil gegossen, nicht gemeißelt.59 Ferner tauchen als gängige Zeichen für Sünde und Verführung Affenwesen und Dämonen auf, während die Konsollöwen der Petrus- und Sebaldus-Nischen eher als Christus- und Messiaszeichen anzusprechen sind. Dies gilt auch für die Tierfiguren der Knäufe über Schmerzensmann- und Leernische: Sie sind offensichtlich als Widder zu deuten, der zum einen Symbol der Auferstehung, ist zum anderen als Attribut Abrahams Sinnbild des angenommenen Opfers ist.60

5. Die Frage nach der stilgeschichtlichen und phänomenologischen Herkunft Wie eingangs bereits erwähnt, bietet die bislang erschienene Literatur61 keiner­ lei Anhaltspunkte für die Herkunft von Form und ikonographischem Pro­ gramm des Sebalder Wandtabernakels. Anders ausgedrückt gibt es weder im engeren Umfeld der fränkischen Kunstlandschaft, noch im weiteren des süd­ deutschen Raumes ein vergleichbares Objekt, das sich früher datieren ließe. Da die ausführliche Stilkritik, die Martin bei den Skulpturen des dritten Ostchor­ meisters vornimmt, über den Nürnberger Gesichtskreis nicht hinausweist,

57 R. Schuhmacher-Wolfgarten: Artikel „Rose“ in: LCI (wie Anm.21) 3, Sp. 564. 58 Schuhmacher-Wolfgarten (wie Anm. 57), Sp. 568. 5y Zum Problem des Steinguß Verfahrens vgl. Kurt Rossacher: Technik und Materialien der SteingussPlastik um 1400 (Alte und moderne Kunst 72/1964), S: 12-15. Hier sind die Materialien gemah­ lener Kalkstein, der mit gebranntem Kalk und Quark gebunden wurde. Die Methode ist seit dem 11. Jahrhundert belegt (vgl. S .13) und könnte daher für die angesprochenen Teile des Wandtabernakels — vorbehaltlich einer genaueren Untersuchung - in Betracht kommen. Diese Teile fallen durch ihre völlige Gleichförmigkeit auf. 60 S. Braunfels: Artikel „Widder“ in: LCI (wie Anm.21) 4, Sp. 527. 61 Vgl. hierzu die Anm. 1-4.

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Abb. 1: Wandtabernakel im Ostchor der Sebalduskirche, Nürnberg. Zwischen 1361 und 1372. Gesamtansicht.

Abb. 2: Linke Stifterfigur für die Familie Groland.

Abb. 3: Rechte Stifterfigur für die Familie Muffel.

Abb. 4: Blutengel links der Einbalsamierung Christi, darüber Zwickelrelief mit Pelikan.

Abb. 5: Blutengel rechts der Einbalsamierung Christi, darüber Zwickelrelief mit Löwin.

Abb. 6: Einbalsamierung des Leichnams Christi.

Abb. 7: Hl. Petrus.

Abb. 8: Hl. Sebaldus.

Abb. 9: Prophet Jesaja.

Abb. 10: Prophet Jeremia.

Abb. 11: Der Gnadenstuhl mit Maria und Johannes.

Abb. 1 2: Rechter Engel mit den arma Christi.

Abb. 13: Linker Engel mit den arma Christi.

Abb. 14: Das Weltgericht.

Abb. 15: Der Schmerzensmann.

Die Aufnahmen stammen von Mariusz Trojak und Beata Braksator, Nürnberg.

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führt Sie auf der Suche nach einer phänomenologischen Herleitung nicht wei­ ter.62 So muß sich der Blick notgedrungen weiten und prinzipiell alle Gebiete um­ fassen, die im 14. Jahrhundert zum ausgedehnten europäischen Einzugsbereich des Nürnberger Fernhandels gehörten. Den entscheidenden Denkanstoß liefert dabei einmal mehr ein interessanter Aspekt der ikonographischen Studien, die H. Herkommer dem Schönen Brun­ nen widmet.63 Auf der Suche nach Vorbildern zu dessen Gestalt gelangt er zu ei­ nem Brunnen, der sich ehedem im Atrium der Aachener Pfalzkapelle befunden hat. Ein noch evidenterer Fingerzeig nach Aachen bietet die enge Verwandt­ schaft, die G. Bräutigam zwischen der Nürnberger Frauenkirche und dem ka­ rolingischen Oktogon nachweist.64 Dabei ist im hier gegebenen Zusammen­ hang jedoch weniger der Bezug zu den Bauteilen des 8. und 9. Jahrhunderts re­ levant, sondern vielmehr jener zum Chorneubau des Aachener Münsters seit 1355. Auch hier ist Karl IV. als Spiritus rector auszumachen, und folglich hat das Vorhaben als eines der vornehmsten imperialen Bauprojekte jener Zeit im Römischen Reich zu gelten. Ist somit der Aachener Ostchor in seiner Gesamtheit a priori vorbildhaft für zeitgleiche Sakralbauten, so wird er es im vorliegenden Falle vollends dadurch, daß zwischen der Familie Muffel und dem luxemburgischen Königshaus eine enge Verbundenheit, ja im Falle von Nikolaus I. Muffel sogar Freundschaft be­ standen hat.65 Nun weist zwar der Aachener Chor heutzutage nichts mehr auf, was auf den Sebalder Wandtabernakel zu beziehen wäre, doch versammelt Faymonville66in seiner Monographie über das Aachener Münster einige chronikalische Belege für einen Tabernakel, das im Jahre 1782 restlos beseitigt wurde. Dort heißt es: Der Tabernakel erhob sich auf einem treppenförmigen Unterbau von sechs Stufen an der nördlichen Chorwand unter dem ersten Fenster. Das wäre die nämliche Stelle neben einem der Hauptaltäre, wie sie auch das Nürnberger Sakramentshaus innehat. Weiter berichtet ein Manuskript im Aachener Stadtarchiv, es habe sich um ein . . . mit eisernen Gattern wohlversehenes Behältnis . . . gehandelt, was ja auch für das Nürnberger Objekt zuträfe, wenn man die Aufnahmen der Jahrhundert­ wende zu Rate zieht.

r,J Vgl. hierzu Martin (wie Anm. 7), S. 90 f. Martins Stilanalyse in Bezug auf die Figuralplastik des Tabernakels hat im wesentlichen wohl bis heute ihre Gültigkeit behalten. r>? Herkommer (wie Anm. 41), S. 201 f. M Günter Bräütigam: Die Nürnberger Frauenkirche. Idee und Herkunft ihrer Architektur, in: Schle­ gel, Zoege von Manteuffel (Hrsg.): Festschrift P. Metz, Berlin 1965, S. 171 f. 65 Hirschmann (wie Anm. 43), S. 304.

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Schließlich ist dann bei Faymonville auch noch ein Zitat zu finden, das im Hinblick auf eine in Nürnberg in ikonographischer Hinsicht mehrfach ge­ machte Feststellung sehr aufschlußreich ist: Nach P. Beeck habe man am Aa­ chener Sakramentshaus . . . den kurzen Inhalt der Grundsätze des orthodoxen Glau­ bens . . . ablesen können - eine Eigenschaft, die man der Nürnberger Arbeit an­ gesichts der wiederholt gemachten Beobachtung einer gleichzeitigen Verdich­ tung und Verknappung der theologischen Aussage kaum absprechen wird. Daß dabei auch in Aachen die wesentlichen dogmatischen Inhalte der figuralen Skulptur anvertraut waren, legt eine Passage in den Aachener Stiftsprotokollen bezüglich der Entfernung des Sakramentshauses nahe: ... et dictas statuas inde esse amovendas67. Nun können die oben festgestellten Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen selbstverständlich nicht den Rang eines lückenlosen Beweises für sich in An­ spruch nehmen: Letztlich ist in keinem der angeführten Zitate die Form des Wandtabernakels expressis verbis angeführt; auch bestünde — zumindest rein theoretisch — die Möglichkeit, daß der Aachener Wandtabernakel erst im Jahre der Fertigstellung des Chores — also 1414 und damit nach der Nürnberger Enstehungszeit — zur Aufstellung gekommen sein könnte, da sich eine genaue Da­ tierung nicht erhalten hat. Dem wäre allerdings entgegenzuhalten, daß sich der Aachener Chorbau sicherlich schon lange vor der Abschlußweihe in provisori­ schem gottesdienstlichen Gebrauch befunden hat, wie vergleichbare Fälle des Spätmittelalters — etwa Amberg St.Martin — lehren. Dementsprechend wird also auch in Aachen die Notwendigkeit einer ebenso sicheren wie würdigen Aufbewahrung des Allerheiligsten lange vor 1414 aufgetreten sein. Als letztes sei für eine mögliche Vorbildhaftigkeit des Aachener Sakraments­ hauses noch ins Feld geführt, daß sich Aachen durch die seinerzeit rapide an­ wachsende Verehrung der Reichsheiltümer in allen Bevölkerungsschichten größter Popularität erfreute, und ob sich nun ein Nürnberger Handelsreisender und Patrizier aus religiösen oder geschäftlichen Gründen nach Flandern oder Brabant auf den Weg machte — stets führte ihn die Reiseroute über Köln nach Brügge oder Antwerpen dicht an Aachen vorbei.68 Mit erschöpfender Klarheit wird das Abhängigkeitsverhältnis AachenNürnberg in Bezug auf die Sakramentshäuser wohl nur unter Schwierigkeiten zu belegen sein, doch könnte es sehr instruktiv sein, nach möglichen Vorbildern

66 K. Faymonville: Der Dom zu Aachen, München 1909, S. 209, dort bes. Anm. 3-5. 67 ...... müssen besagte Statuen daher entfernt werden“. 68 Zu den Nürnberger Handelsverbindungen im Spätmittelalter vgl. H. Ammann: Die wirtschaftli­ che Stellung der Stadt Nürnberg im Spätmittelalter ( Nürnberger Forschungen 13), Nürnberg 1970. Besonders aufschlußreich ist hierbei die Karte II.

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Gotischer Wandtabernakel in der Sebalduskirche

des Aachener Tabernakels zu forschen, um dabei gegebenenfalls auf Details zu stoßen, die möglicherweise bereits aus Nürnberg bekannt sind und so die Aa­ chener Arbeit phänomenologisch gleichsam „einkreisen“. Die engen Beziehungen, die Aachen in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhun­ derts zum französischen Königshof pflegte69, könnten künftigen Forschungen dabei einen gangbaren Weg weisen.

69 Faymonville (wie Anm. 66), S. 158 f.

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FALSCHES SPIEL. ZUR KRIMINALHISTORISCHEN AUSWERTUNG DER SPÄTMITTELALTERLICHEN NÜRNBERGER ACHTBÜCHER Von Gerd Schwerhoff Achtbücher und Verfestungsregister, Urfehdebriefe und Verhörprotokolle, Ur­ teilsbücher und Aufstellungen über Geldbußen, kurz: viele Arten von Quellen, die uns seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert über sanktionierte Normabwei­ chung Informationen geben, besitzen einen seriellen Charakter. Damit sind sie prinzipiell nicht nur qualitativen, sondern auch quantitativen Auswertungsme­ thoden zugänglich. Sie versprechen so wertvolle Einblicke in die Formen spät­ mittelalterlicher Devianz und ihrer rechtlichen Ahndung, ob es dabei um poli­ tischen Protest oder um professionelle Kriminalität, um gewaltsame Ehrenhän­ del oder Sittendelinquenz u. a. m. geht. Großangelegte Forschungen wurden bisher vor allem in Frankreich oder England betrieben, Ländern, die eine schon früh zentralisierte und vergleichsweise gut dokumentierte Gerichtsbarkeit be­ sitzen. So wertete Claude Gauvard jüngst die Gnadenbriefe (lettres de remission) der französischen Könige aus dem 14. und 15. Jahrhundert aus.1 In England hinterließen die herumreisenden königlichen Richter ebenso wie die Beamten vor Ort für viele Landesteile eine reiche Quellenüberlieferung, die detaillierte Studien schon für das 13- und 14. Jahrhundert möglich machen.2 Daß im Reich derartige Quellen weitgehend3 fehlen, weist aber nicht unbedingt auf einen deutschen Sonderweg hin: Für ganz Europa wurde jüngst eine „kommunale“ Phase von Kriminalität und Strafjustiz, die zwischen 1250 und 1450 angesetzt wird, von einer „monarchischen“ (1450-1650) bzw. einer „staatlichen“ (1650-1850) unterschieden.4 Auch in Deutschland sind es — ebenso wie im

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Claude Gauvard: «De Grace especial». Crime, etat et societe en France ä la fin du Moyen Age, 2 Bde., Paris 1991. 2 Vgl. nur Barbara A. Hanawalt: Crime and Conflict in English Communities 1300-1348, Cam­ bridge/Mass. 1979. Daß eine eingehende Quellenkritik natürlich auch hier unerläßlich ist, ver­ deutlicht J. B. Post: Crime in later medieval England: some historiographical limitations, in: Continuity and Change 2 (1987), S. 211-224. 3 Eine seltene Ausnahme bildet die Proskriptionsliste Ottos IV. aus dem Jahr 1209, vgl. Bernd Ul­ rich Hücker: Kaiser Otto IV., Hannover 1990, S. 108 ff. und S. 676 ff. (Neuedition). 4 Xavier Rousseaux: Existe-t-il une criminalite d’Ancien Regime? Reflexions sur l’histoire de la cri­ minalite en Europe (XlVe-XVIIIe siede), in: Benoit Garnot (Hg.): Histoire et Criminalite de l’Antiquite au XXe siede. Nouvelles approches, Dijon 1992, S. 123-166, hier S. 126.

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klassischen Land der Stadtkommunen5 — für diese Zeit nicht in erster Linie Kö­ nige und Fürsten, denen wir die Hinterlassenschaft von Kriminalquellen ver­ danken, sondern die städtischen Gerichte und Räte. Viele dieser Kriminalquellen stehen der Forschung durch Editionen schon seit längerem zur Verfügung.6 Eine der sorgfältigsten Quellenpublikationen zur Kriminalitätsgeschichte unternahm vor 35 Jahren Werner Schultheiß, der die Nürnberger Acht-, Verbots- und Fehdebücher vor allem des 14. Jahrhunderts mit einer umfänglichen Einleitung versah, die unter anderem einen nützlichen Überblick über die deutschen Strafrechtsquellen des 14. Jahrhundert enthielt.7 Analysen und Auswertungen dagegen waren bis vor wenigen Jahren rar, sieht man einmal von den meist mehr an den Strafrechtsnormen als an ihrer tatsäch­ lichen Umsetzung interessierten rechtshistorischen Arbeiten ab. Eine der weni­ gen Ausnahmen bildete eine für die damalige Zeit beachtliche Untersuchung über das Augsburger Achtbuch des 14. Jahrhunderts, die erst jüngst durch eine neue Arbeit überholt wurde.8 Mit quantifizierenden Analysen hält sich diese Arbeit ebenso zurück wie vergleichbare Untersuchungen über Verfestungs-

5 Für die italienischen Kommunen ist besonders auf die Arbeiten von Andrea Zorzi hinzuweisen, vgl. etwa: Aspects de la justice criminelle dans les villes italiennes ä la fin du moyen äge, in: Deviance et Societe 15 (1991), S. 439-454; Ders.: Ordine pubblico e amministrazione della guistizia nelle formazioni politiche Toscane tra Tre e Quattrocento, in: Italia 1350—1450: tra crisi, trasformazione, sviluppo. Atti del tredicesimo Convegno Internazionale di Studio tenuto a Pistoia nei giorni 10-13 maggio 1991, Pistoia 1993, S. 419-474. 6 Vgl. z. B. Das Verzeichnis der Rechtlosen, in: Heinrich Schreiber (Hrsg.): Urkundenbuch der Stadt Freiburg i. Br., Bd. 2, Freiburg i. Br. 1829, S. 135-167; E. Fidicin (Hrsg.): Das Buch der Übertre­ tungen, in: Historisch-diplomatische Beiträge zur Geschichte der Stadt Berlin. Erster Teil: Berlini­ sches Stadtbuch, Berlin 1837, S. 176-211; Otto Francke (Hrsg.): Das Verfestungsbuch der Stadt Stralsund, Halle 1875; Das Freiburger Verzählbuch, in: Hubert Ermisch (Hrsg.): Urkundenbuch der Stadt Freiberg in Sachsen, Bd. 1, Leipzig 1891, S. 177-265; Ein Bamberger Echtbuch (Über proscriptorum) von 1414-1444, in: 59. Bericht über Bestand und Wirken des historischen Vereins zu Bamberg 1898; Hermann Luppe (Hrsg.): Das Kieler Varbuch (1465-1546), Kiel 1899; Karl Siegl (Hrsg.): Das Egerer Achtbuch aus der Zeit von 1310 bis 1390, in: Mittheilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen 39(1901), S. 227-271 und S. 375—427; Ders.: Das Acht­ buch II des Egerer Schöffengerichts v. J. 1391 bis 1668, in: Ebd. 41 (1903), S. 345-386 und S. 524—579; Regensburger Wundenbuch ca. 1325-1350, in: Regensburger Urkundenbuch, Bd. 1 (Monumenta Boica Bd. 53), München 1912, S. 731-763; Das Soester Nequambuch, hrsg. von der historischen Kommission für die Provinz Westfalen, Leipzig 1924. 7 Werner Schultheiß (Hg.): Die Achts,- Verbots- und Fehdebücher Nürnbergs von 1285-1400, Nürnberg I960, hier S. I6*ff. - Für eine nützliche neuere, wenn auch nicht fehlerfreie Übersicht über spätmittelalterliche Kriminalquellen in Deutschland vgl. den Aufsatz von Martin Schiißler über Olmütz (wie unten Anm. 40), S. 245 ff. 8 A[dolf] Buff: Verbrechen und Verbrecher zu Augsburg in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg 4 (1878), S. 160-231; Karin Schneider-Ferber: Das Achtbuch als Spiegel für städtische Konfliktsituationen? Kriminalität in Augsburg (ca. 1348-1378), in: Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben 86 (1993), S. 45-114.

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bücher oder Urfehdeurkunden.9 Andere Quellen wie die Züricher Rats- und Richtebücher oder die Basler Leistungsbücher dokumentieren die spätmittelal­ terliche Delinquenz sicherlich umfassender, wenngleich bei weitem nicht lückenlos, und sind statistischer Erfassung damit zugänglicher.10 Daß die Quantifizierung aber auch und gerade bei besonders spröden Quellen einen ge­ winnbringenden Zugang bietet, beweist eine Studie über die Rechnungen des Stadtrichters von Krems und Stein aus dem 15. Jahrhundert.11 Die weitgehende Zurückhaltung hatte ihren Grund aber nicht allein in der Quellengrundlage; die Skepsis richtete sich gegen eine statistische Erfassung von Kriminalität in der Vergangenheit überhaupt. „Freilich fehlt der histori­ schen Kriminologie das wichtigste Hilfsmittel, dessen sich die Kriminologie der Gegenwart bedient: die Kriminalstatistik“, schrieben die Klassiker der hi­ storischen Kriminalitätsforschung.12 Zu verstreut seien die Zahlen, zu regional und zeitlich unterschiedlich das Strafrecht und zu undurchdringlich die Dun­ kelziffer. Bezeichnend ist, daß selbst ein Historiker, der sich 1976 über ‘stati­ stische Quellen’ in vorindustrieller Zeit Gedanken machte, beim Stichwort ‘Ju­ stizwesen’ eher die freiwillige, streitige Gerichtsbarkeit vor Augen hatte als die Kriminaljustiz. Eher am Rande notierte er die potentiellen Vorteile der Krimi­ nalstatistik, die über die Rechtswirklichkeit (und nicht nur über die Rechts­ ordnung, die fast ausschließlich die Rechtsgeschichte bisher beschäftigt habe) Aufschluß geben und „die Lage der sonst kaum faßbaren Unterschicht“ erhel­ len könnte.13 Aber es gibt auch andere Stimmen. Der Rechtshistoriker Karl Kroeschell wies 1973 auf die städtischen Verfestungsregister und Strafbücher als älteste Kriminalquellen hin und hielt die vorsichtige Erforschung relativer y Andrea Boockmann: Urfehde und ewige Gefangenschaft im mittelalterlichen Göttingen, Göttin­ gen 1980; Gerd Steinwascher: Die Osnabriicker Urfehden, in: Osnabrücker Mitteilungen 89 (1983), S. 25-59; Thomas Vogtherr: Verfestungen im mittelalterlichen Braunschweig, in: Braun­ schweigisches Jahrbuch 65 (1984), S. 7-35. Susanna Burghartz: Leib, Ehre und Gut. Delinquenz in Zürich Ende des 14. Jahrhunderts, Zürich 1990; Katharina Simon-Muscheid: Gewalt und Ehre im spätmittelalterlichen Handwerk am Bei­ spiel Basels, in: ZHF 18 (1991), S. 1-30; vgl. für einen eigenen Versuch über das sog. Erfurter Ur­ teilsbuch Gerd Schwerhoff: Kriminelle als Randgruppe? Überlegungen am Beispiel eines Erfurter Kriminalprotokolls um 1500 und eines Mühlhäuser Hexenprozesses 1659/60, in: Mitteilungen für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt N.F. 2 (1994), S. 7-33. 11 Herta Mandl-Neumann: Alltagskriminalität im spätmittelalterlichen Krems. Die Richterrechnun­ gen der Jahre 1462 bis 1478, in: Mitteilungen des Kremser Stadtarchivs 23-25 (1985), S. 1-143; dies.: Aspekte des Rechtsalltags im spätmittelalterlichen Krems, in: Bericht über den sechzehnten österreichischen Historikertag in Krems/Donau . . . 1984, Wien 1985, S. 312-327. Gustav Radbruch und Heinrich Gwinner: Geschichte des Verbrechens. Versuch einer historischen Kriminologie, Stuttgart 1951, S. 7; ähnlich Karl S. Bader: Aufgaben, Methoden und Grenzen einer historischen Kriminologie, in: Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht 71 (1956), S. 17-31. 13 Ernst Pitz: Entstehung und Umfang statistischer Quellen in der vorindustriellen Zeit, in: HZ 223 (1976), S. 1-39, hierS. 17.

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Häufigkeiten von Delikten für möglich. Und auch Frantisek Graus hielt 1981 die Erforschung der städtischen Achtbücher für ein Forschungsdesiderat.14 Vor dem Hintergrund der skizzierten Forschungssituation15 verdient der Versuch von Martin Schüßler Beachtung, auf der Basis der Edition von Werner Schultheiß die Nürnberger Kriminalität im späten Mittelalter unter die Lupe zu nehmen. Die wohl renommierteste rechtshistorische Zeitschrift in Deutsch­ land stellte ihm für seine Ergebnisse ihre Seiten zur Verfügung. Gleichzeitig wurde der Aufsatz in englischer Übersetzung einem internationalen Publikum präsentiert.16 Sein Anliegen ist es, im Anschluß an die englische Forschung eine statistische Auswertung des edierten Nürnberger Quellenmaterials zu unter­ nehmen, um über die bisher vorherrschende „impressionistische Methode“ (S. 118) hinauszugelangen. So richtig dieser Ansatz auch mir erscheint, und so be­ grüßenswert dieser Pionierversuch prinzipiell ist — er muß als Fehlschlag auf der ganzen Linie gewertet werden. Sein paradigmatischer Charakter kann gera­ dezu darin gesehen werden, daß er die ganze Bandbreite möglicher Interpreta­ tionsprobleme deutlich macht. Schüßlers Argumentationsgang folgt für die verschiedenen Themenkom­ plexe — u. a. werden Verbrechensraten, Deliktanteile, soziale Merkmale von Tä­ tern und Opfern, Tatumstände und Sanktionsformen diskutiert - dem immer­ gleichen Strickmuster: Nachdem er den statistischen Befund, sprich die ein­ schlägigen Zahlen seiner Tabellen präsentiert hat, folgt die Aneinanderreihung aller erreichbaren europäischen Vergleichszahlen, wonach ein kurzes Zwi­ schenresümee den Abschnitt beschließt. Der Tenor dieses Fazits ähnelt sich in fast allen Fällen: Nürnberg weise erstaunliche Übereinstimmungen mit dem Durchschnitt anderer spätmittelalterlicher Städte auf (S. 128), die Vorgehens­ weise der dortigen Verbrecher unterscheide sich nicht allzusehr von der „in an­ deren Ländern, Regionen und Städten“ (S. 132) und schließlich, nach vielen gleichlautenden Statements: „An allen diesen Entwicklungen hat Nürnberg seinen Anteil und weicht nicht von einer bestimmten Generallinie ab. Nürn­ berg muß folglich als typisch für die Entwicklung der Kriminalität und ihrer Bekämpfung im Westeuropa des 13. und 14. Jahrhunderts angesehen werden“ 14

Karl Kroeschell: Deutsche Rechtsgeschichte Bd. 2 (1250-1650), Opladen, 61986, S. 214; Frantisek Graus: Randgruppen in der städtischen Gesellschaft im Spätmittelalter, in: ZHF 8 (1981), S. 385-437, hier S. 421, Anm. 16. 15 Vgl. dazu allgemein Gerd Schwerhoff: Devianz in der alteuropäischen Gesellschaft. Umrisse einer historischen Kriminalitätsforschung, in: ZHF 19 (1992), S. 385-414. 16 Martin Schüßler: Statistische Untersuchung des Verbrechens in Nürnberg im Zeitraum von 1285 bis 1400, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 108 (1991), S. 117-193 (alle Seitenangaben im folgenden beziehen sich auf diesen Aufsatz). Vgl. ders.: German Crime in the Later Middle Ages: A Statistical Analysis of the Nuremberg Outlawry Books, 1285-1400, in: Criminal Justice History 13 (1992), S. 1-60.

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(S. 170). Die Reihung von Zahlen, meist ohne wirklichen Deutungs- und In­ terpretationsversuch, wirkt schnell ermüdend; die grob generalisierenden The­ sen erscheinen, abgesehen von interessanten Einzelbeobachtungen etwa zur To­ pographie, blaß und wenig bedeutungsträchtig (z. B. das „erstaunliche Phänomen“, daß „überall in Westeuropa rund ein Viertel der Kapitalverbrechen Tö­ tungen und etwa die Hälfte Eigentumsdelikte waren“17). Vor allem sind die Be­ urteilungskriterien, nach denen Abweichungen oder Gemeinsamkeiten festge­ stellt werden, kaum nachvollziehbar. Nehmen wir die Tötungsrate: Nachdem Schüßler für Nürnberg eine Tötungsrate zwischen 20 und 65 Fällen pro 100.000 Einwohner ermittelt haben will (dazu gleich mehr), gibt er einen Überblick über die europäischen Vergleichswerte, die zwischen 152 für Florenz in der Mitte und 8 für Paris am Ende des 14. Jahrhunderts18 liegen. Schlußfol­ gerung: „Nürnberg scheint in bezug auf die Tötungsrate einen für das 13. und 14. Jahrhundert typischen Mittelwert zu erreichen“ (S. 124). Typisch ist vor al­ lem diese Methode, auf der Grundlage scheinbar exakter statistischer Daten sehr impressionistische Urteile zu gründen und dabei alle Phänomene soweit zu vergröbern, bis sie einander ähnlich sehen. Derartige Interpretationsmethoden erscheinen allerdings noch harmlos ver­ glichen mit den Methoden, die zur Ermittlung der zugrundeliegenden Zahlen benutzt wurden. Heterogenität und Selektivität der untersuchten Quellen fin­ den ebensowenig angemessene Berücksichtigung wie die augenfälligen Über­ lieferungslücken oder die normativen Grundlagen, auf denen die hier aufgezeichnete Sanktionierung beruht. Zwar kann Schüßler nicht übersehen, daß in der Edition vornehmlich Achterklärungen, Stadtverweise und Selbstverban­ nungen, hingegen kaum andere Strafen auftauchen (S. 120), doch Konsequen­ zen daraus werden kaum gezogen — wie anders soll man es interpretieren, daß er sich an anderer Stelle (S. 163) über die Seltenheit von Hinrichtungen in Nürnberg ausläßt? Die Überlieferungslücken, die dazu führen, daß für einen nicht unerheblichen Teil des Untersuchungszeitraums kein einziger Eintrag oder nur eine Handvoll Fälle erhalten sind, werden nicht problematisiert; auf der anderen Seite führt diese Tatsache dazu, daß zur Ermittlung der Tötungs­ rate nur die Jahre mit den höchsten Fallzahlen herangezogen werden. Erwä17

Die Abweichung Nürnbergs von diesem Muster wird hier ausnahmsweise mit der Selektivität der Quelle erklärt, so daß die schon beschriebene Repräsentativität der Stadt wiederum gerettet wird (S. 128). 18 Die von Geremek ermittelten Zahlen des königlichen Gerichtsbezirks Chätelet, so konzediert Schüßler immerhin, müßten allerdings als Mindestwert angesehen werden (S. 123). Daß diese Zah­ len nur vor dem Hintergrund spezieller historischer und institutioneller Konstellationen verständ­ lich sind, thematisiert Esther Cohen: Patterns of Crime in Fourteenth-Century Paris, in: French Historical Studies 11 (1980), S. 307-327; vgl. auch Gauvard: «De Grace especial» (wie Anm. 1), S. 33 ff.

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gungen über die Art von Delikten, deren Aufzeichnung man in Acht- und Ver­ botsbüchern erwarten kann, fehlen; ansonsten wäre die Errechnung einer Kör­ perverletzungsquote für Nürnberg (zwischen 6 und 20 Fälle pro Jahr) sicher unterblieben, denn daß Verwundungen nur in den seltensten Fällen zu Pro­ skriptionen und Verweisen führten, sondern — wenn sie überhaupt in den Blick­ punkt der Obrigkeit rückten — als Friedbruch mit leichteren Sanktionen ge­ straft wurden, überrascht vor dem Hintergrund bisheriger Forschungsergeb­ nisse nicht. Ebensowenig überraschend ist die Feststellung, daß geistliche Tä­ ter in den Nürnberger Achtbüchern fast völlig fehlen (S. 136 f.), wurden diese doch durch das privilegium fori vor der weltlichen Gerichtsbarkeit geschützt. Überhaupt, die sozialgeschichtliche Analyse: Gerne wüßte man mehr über die Kriterien der Zuordnung von Tätern und Opfern unter die Adligen und Patri­ zier oder unter die ‘Berufsverbrecher’. Fast hinter jeden Befund, jeden Satz von Schüßlers Analyse gehört ein Fra­ gezeichen. Eine erschöpfende Kritik seiner Arbeit wäre ein mühsames Unter­ fangen und wohl überhaupt eine Arbeitsinvestition an falscher Stelle — viel­ mehr verdiente die Nürnberger Quellenedition eine neue und kontextbezoge­ nere Analyse. Das kann hier nicht geleistet werden. Um aber den Abstraktions­ grad der Kritik zu verringern, zugleich aber deutlich zu machen, welche Er­ kenntnismöglichkeiten die Achtbücher andererseits bergen, soll jetzt eine kleine Teilmenge der Einträge näher analysiert werden: diejenige, die Informa­ tionen über Spiel, Spieler und Spielverbote enthält.19 Schüßlers ‘Statistische Aufstellung der Verbrechen’ (Tab. 2, S. 171—174) bietet eine Rubrik ‘Falschspiel’, die als Summe für den gesamten Zeitraum von 1285—1403 die Zahl 35 ausweist. Diese Zahl soll offenbar die ‘Verbrechen’, nicht die ‘Täter’ repräsen­ tieren — eine wichtige Entscheidung, die allerdings nirgends diskutiert oder be­ gründet wird. Es macht schließlich einen wichtigen Unterschied, ob eine typi­ scherweise in Banden ausgeübte Tätigkeit wie Raub ebenso als ein Eintrag ge­ zählt wird wie ein Totschlag. Fragwürdiger noch ist das tabellarische Konti­ nuum von 114 nacheinander aufgelisteten Jahren, deren scheinbar selbstver­ ständliche Aufeinanderfolge der Quellengrundlage in keiner Weise entspricht. Das wird schon durch die unterschiedliche Fallzahl pro Jahr deutlich, die zwi­ schen einem einzigen Eintrag und 67 (für das Jahr 1392) schwankt. Was eben­ sogut in einer Schwankung der Zahl der begangenen bzw. aufgedeckten bzw. sanktionierten Kriminalität wie in der Gewissenhaftigkeit der aufzeichnenden Schreiber begründet liegen kann, findet hier zum großen Teil eine noch funda­ mentalere wie simplere Erklärung in der Heterogenität der Quellen und ihrer fragmentarischen Überlieferung. Schon das erste erhaltene Achtbuch — präziser 19 An dieser Stelle sei Stefanie Rüppel gedankt, deren Seminararbeit mich auf die Potentiale der Nürnberger Achtbücher zum Thema aufmerksam machte.

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zu kennzeichnen als ‘gemischtes Stadtbuch kriminalrechtlicher Art’, das Acht­ fälle, Selbstverbannungen, Stadtverbote sowie einige Urfehden, nicht jedoch vollzogene Todes- und Leibesstrafen enthält20 - ist keineswegs vollständig er­ halten, ebensowenig das dritte Acht-, Stadtverbots- und Strafbuch vom Ende des Jahrhunderts. Das dazwischenliegende Achtbuch II wurde 1854 durch ei­ nen korrupten Nürnberger Archivsekretär als Pergament an Goldschläger ver­ kauft und somit vernichtet. Die bei Schultheiß edierte Version stellt eine — nur eine sehr lückenhafte — Rekonstruktion auf der Grundlage späterer Abschriften dar.21 Darüberhinaus hat Schultheiß alle erreichbaren Strafbestimmungen aus anderen Quellen (z. B. Satzungsbüchern, Fehderegistern und Chroniken) in die Edition aufgenommen, deren heterogener Charakter eine gemeinsame ‘statisti­ sche' Auswertung äußerst fragwürdig macht. Weitere Ernüchterung bringt der Versuch, die Entstehung der ‘Statistik’ Schiißlers nachzuvollziehen. Der erste Eintrag in der Rubrik ‘Falschspiel’ zum Jahr 1290 bezieht sich auf einen gewissen Heinricus de Heinbrunnen deprehensus in falsitate\ Heinrich wird also wegen eines — nicht näher spezifizierten - Fäl­ schungsdelikts der Stadt verwiesen, von Falschspiel ist nicht die Rede (Nr. 170). Ebenso steht es um die beiden folgenden Einträge im ersten Nürnberger Achtbuch zu den Jahren 1316 (Nr. 259) und 1319 (Nr. 135). Anders verhält es sich mit den Fällen aus den Jahren 1331 und 1335 (Nr. 413; Nr. 463). Acht na­ mentlich genannte ruffiani et lusores werden am 30. November 1331 für zwei Jahre auf fünf Meilen aus der Stadt verwiesen, ähnlich am 26. Januar 1335 neun solcher ‘Gauner und Spieler’ mit zum Teil signifikanten Spitznamen wie Sichel­ stil oder Kobolt. Es ist offenkundig völlig verfehlt, eine solche Notiz als jeweils ‘ein’ ‘Falschspieldelikt’ zu zählen, ja es scheint noch nicht einmal wahrschein­ lich, daß hier überhaupt ein konkretes Delikt vorlag. Vielmehr wurde hier ein Kreis von unerwünschten, schlecht beleumundeten Personen aus der Stadt hin­ ausgeworfen, ohne daß ein konkretes, beweisbares Fehlverhalten vorliegen mußte. Die Wortwahl (. . . sunt a civitate exclusi. . .) legt nahe, daß es keines ge­ richtlichen Beschlusses bedurfte, sondern daß das städtische Willkürrecht genügte, um derartige Ruffiane zu expedieren. Was hier in kleinerem Maßstab erscheint, wurde im benachbarten Augsburg regelmäßig jedes Jahr am St. Gal­ lus-Tag in großem Stil betrieben; durchschnittlich 30 bis 50, in Spitzenzeiten auch schon einmal 278 übel beleumundete Personen wies der Rat wegen ihrer Bosheit und Ungeratenheit aus der Stadt.22 -’° -M ”

Schultheiß: Achtbücher (wie Anm. 7), S. 170*. Ebd., S. 208* ff. - Sämtliche Nummernangaben im laufenden Text beziehen sich auf die Schult­ heiß-Edition. Vgl. Schneider-Färber: Achtbuch (wie Anm. 8), S. 81 ff. und S. 97 f. - Im übrigen ist das Jahr 1335 ein gutes Beispiel für die große Kluft, die sich zwischen der Zählung nach ‘Verbrechen’ und der nach Personen auftut; Schüßler zählt 29 Verbrechen, aber die Einträge betreffen insgesamt 55 Personen.

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Damit ist bis 1349 zunächst Fehlanzeige in der Rubrik ‘Falschspier und es bleibt zu konstatieren, daß die bisherigen Fälle allesamt auf falscher Zuordnung beruhten. Ein anderes interessantes Phänomen im Zusammenhang mit dem Spiel verschwindet demgegenüber zu Unrecht bzw. es taucht nur am Rande und sehr summarisch in einer Tabelle über Bestrafungen (Tab. 12, S. 190) auf: Spielverbote als Sanktionen gegen Einzelpersonen. Zuerst wird ein solches ewi­ ges Spielverbot, kombiniert mit einem dauerhaften Waffen- und Wirtshausver­ bot, in der Urfehde von Hanse Steiner vom August 1323 erwähnt (Nr. 335); auch Chunrado dicto Weizze werden im Januar 1329 taberne, ludi taxillorum et omnia arma verboten (Nr. 378). Goetz mit dem Beinamen ‘der schöne Bäcker’ und ein gewisser Zuzu23 wurden demgegenüber Ende 1336 nur für die Frist ei­ nes Jahres mit diesen Verboten bestraft (Nr. 512 f.). Ab 1337 dann wurde sogar ein eigenes Register angelegt für Personen, die mit derartigen Strafen vom Rat belegt wurden.2/1 Dieses städtische Verbotsbuch bildet übrigens die Haupt­ quelle für Schüßlers statistische Analyse im Zeitraum 1337—1345, ungeachtet seines fundamental von dem eines Achtbuches unterschiedenen Charakters. In verschiedensten Kombinationen ist hier nun zwölfmal ein Spielverbot ausge­ sprochen, das fünfzehn Personen betrifft. Die Gründe für das Spielverbot sind nicht genannt. Es besteht kein Anlaß, die bestraften Männer mit Falschspiel in Verbindung zu bringen. Möglich ist immerhin, daß es um Disziplinierungs­ maßnahmen gegen individuelle Spielsucht ging25, aber sicher ist auch das nicht. Der Zusammenhang mit dem Verbot von leitheuser, sptl, mezzer und swert (Nr. 558) legt die Vermutung nahe, daß die Obrigkeit solche Zeitgenossen, die sich durch exzessives und gewaltsames Verhalten hervorgetan hatten, disziplinieren wollte. Das Spiel hätte in dieser Perspektive lediglich Teil eines Milieus darge­ stellt, das derartiges Verhalten begünstigte und von dem man die Bestraften, auf deren Besserung hoffend, abschneiden wollte. Bis hierher also trafen wir auf einige falsche Fährten, und, in Form von Aus­ gewiesenen oder Disziplinierten, auf Gestalten aus dem Zocker- und Kneipen­ milieu, nicht jedoch auf Falschspieler. Erst in Gestalt von Götze Steinhäuser, 23 Dieser geistert als einer der ersten namentlich bekannten Falschspieler durch die Fachliteratur, wohl aufgrund der Angaben bei Theodor Hampe: Die Nürnberger Malefizbücher als Quellen zur reichs­ städtischen Sittengeschichte vom 14.-18. Jahrhundert, Nürnberg 1927, S. 50; vgl. Robert Jütte: Die Anfänge des organisierten Verbrechens. Falschspieler und ihre Tricks im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit, in: Archiv für Kulturgeschichte 70 (1988), S. 1-32, hier S. 7 und ders.: Artikel ‘Falschspiel, Falschspieler’, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 4, München 1989, Sp. 246. 23 ln ditze ptich sol man schreiben alle di, di spile und leitheuser verheizzent vor den bürgern vom rat. . ., Schult­ heiß: Achtbücher (wie Anm. 7), S. 56. Allerdings finden sich dort weiterhin vereinzelte Stadtver­ weise. 25 Vgl. Stefanie Schröder-Kiel: Glücksspielbekämpfung und Spielgesetzgebung im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, masch. Magisterarbeit Bielefeld 1991, S. 232.

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Kriminalhistorische Auswertung Nürnberger Achtbücher

Vlrich dem Kugler und dem Milten haben wir im August 1349 eindeutig drei Falschspieler vor uns; von ihnen heißt es im Achtbuch II, daz sie gefüllt und valsch Würfel trugen und auf der leut ungelükk gingen (Nr. 629). Sie werden unter Androhung der Todesstrafe (bei dem sakk) aus der Stadt gewiesen. Das Füllen von hohlen Würfeln, d. h. die einseitige Beschwerung etwa durch Quecksilber oder Blei, stellte eine der gebräuchlichsten Falschspielermethoden dar, um dem Glück bei diesem ältesten und verbreitetsten Gewinnspiel gehörig auf die Sprünge zu helfen.26 Besitzer von ‘falschen oder ‘bösen’ Würfeln wurden in den letzten beiden Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts einige Male erwähnt, 1381 (Nr. 759) und 1383 (Nr. 875) werden jeweils ein Falschspieler, 1392 (Nr. 969, Nr. 1012 f.) gleich drei aus Nürnberg verwiesen. Der späte Zeitpunkt erklärt sich einmal mehr durch Lücken in den Quellen, die mit dem Achtbuch III erst seit 1381 wieder reichlicher Informationen liefern.27 Hier nun treffen wir auf eine neue Kategorie von Einträgen: Im August 1381 heißt es lakonisch von zwei Männern, sie seien von spils wegen verurteilt worden (Nr. 780). Derartige oder ähnliche Meldungen häufen sich von nun an. Meist geht es nur um Verurteilungen von spils wegen, das mit Stadtverweis bis zur Zah­ lung von 5 Pfund neuer Heller geahndet wird; manchmal verbindet sich das Delikt mit anderen wie Widersetzlichkeit, Messerzücken, Verwundungen oder Unzucht, wobei die Höhe der Geldstrafe entsprechend erhöht werden konnte (z. B. Nr. 788, Nr. 995), aber nicht mußte. Einzelne Bestimmungen verdeutli­ chen, daß der Stadtverweis als Drohung aufzufassen war, die im Falle der Nichtzahlung umgesetzt wurde.28 Dabei konnte im Einzelfall die Höhe der Geldbuße sehr flexibel gehandhabt werden.29

26 Walter Tauber: Das Würfelspiel im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Eine kultur- und sprachgeschichtliche Darstellung, Frankfurt/Main 1987, S. 42 ff.; Jütte: Anfänge des organisierten Ver­ brechens (wie Anm. 23), S. 16 ff. 27 Daß im Achtbuch II außer einem vereinzelten Spielverbot (Nr. 675) keine weiteren Einträge zu fin­ den sind, die sich auf das Spiel beziehen, mag mit der schon angesprochenen Tatsache Zusammen­ hängen, daß dieses nur zu einem Teil durch spätere Abschriften überliefert ist. - Für den Zeitraum nach Abschluß dieses Achtbuches, für die 1360er und 1370er Jahre, besitzen wir noch sporadi­ schere Informationen. - Der Eintrag bei Schüßler unter Falschspiel zum Jahr 1363 bezieht sich auf die Hinrichtung eines Juden seiner Betriegerey halb (Nr. 1080, nach Müllners Annalen). 28 Heinrich Edelmann, ein Fleischer, soll der Stadt verwiesen werden als lang, biz daz er gibt 5 lb. hlr. von spils wegen und hat frist uffPfingsten (Nr. 819 ad 1382 Mai 25). 29 Bei der üblichen Strafzumessung fiir Vlrich Reinl über den Stadtverweis bis zur Zahlung von 5 Pfund neuer Heller im Mai 1392 (Nr. 979) heißt es ergänzend, und wenn er si gibt, so sol man im die halb wider geben.

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Insgesamt ergibt eine Auszählung der Einträge ‘von Spiels wegen’ folgendes Bild: 1381 21 Verurteilte 1382 10 „ 1383 1384

4 12

„ „

1391 1392

3 6

„ „

total

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Die Lücke für den Zeitraum 1385 bis 1390 betrifft wiederum die gesamte Überlieferung und nicht allein die Einträge zum Spiel. Eigentümlich hingegen ist die Massierung der diesbezüglichen Einträge im Jahr 1381, wobei allein 15 Personen im September dieses Jahres mit Strafen ‘von Spiels wegen’ belegt wur­ den. Was ist nun das Delikt, das mit diesen Strafen sanktioniert werden soll? Daß es dabei keinesfalls um Falschspiel geht, ergibt sich ohne Zweifel aus den un­ terschiedlichen Formulierungen für den Sachverhalt — von falschen oder bösen Würfeln ist hier nicht die Rede - und der Differenz in der Strafhärte. Auf­ klärung verschafft ein Blick in die Satzungsbücher der Stadt aus dem 14. Jahr­ hundert, bequem zugänglich in einer modernen Edition.30 Nicht über die Sank­ tionierung des Falschspiels wird hier gehandelt, sondern über die Beschrän­ kung und das Verbot des Spieles überhaupt. Wie andere Städte auch, so ver­ suchte die fränkische Metropole im Spätmittelalter zunehmend, das als mora­ lisch verwerflich und ordnungspolitisch gefährlich angesehene Spiel zu regle­ mentieren. Seit Beginn des Jahrhunderts geschah dies in Form der Beschrän­ kung des Einsatzes bei Glücksspielen auf nicht mehr als 60 Haller und der Fest­ setzung einer Polizeistunde in den Wirtshäusern, nach der das Spiel verboten wurde.31 Um 1370 wird die Gesetzgebung entscheidend verschärft: Neben dem vollständigen Verbot von Kegeln, Schießen und anderen Spielen wird insbe­ sondere bei einer Strafe von fünf Pfund Haller angeordnet, daz niemant mit dbeinem wuerfel niht spilen sol in der stat. Schon der Besitz eines Würfels wurde bei ei­ ner Geldbuße von 60 Hallern, ersatzweise einer Stunde Pranger, verboten.32 In ,0 '■ 12

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Satzungsbücher und Satzungen der Reichsstadt Nürnberg aus dem 14. Jahrhundert, bearbeitet von Werner Schultheiß, Nürnberg 1965 (1. Lieferung) bzw. 1978 (2. Lieferung). Ebd. Nr. 16, S. 45; Nr. 104a, S. 66; Nr. la+b, S. 69; Nr. 69a-i, S. 117 f.; Nr. 89a-g, S. 127E; Nr. 52e, S. 234. Ebd. Nr. 92a-d, S. 277.

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Kriminalhistorische Auswertung Nürnberger Achtbücher

der nächsten — und für das 14. Jahrhundert letzten erhaltenen — Spielordnung fehlt diese rigide Bestimmung, auch gestattet sie explizit einige Spiele, die of­ fenbar nicht als gewinnträchtig angesehen wurden wie Pferderennen, Arm­ brustschießen, carten, scbafzagel, pretspil und kugeln. Vielleicht hatten sich die al­ ten Bestimmungen als überzogen und somit unpraktikabel herausgestellt. Im Kern aber blieb der Rat hart und bekräftigte, daz niemant dhein spil niht tun sol, wie daz genant ist, ez sei fraw oder man, damit man den pfennigk Verliesen oder gewin­ nen mag . . . Wahrscheinlich datiert diese Ordnung vom Mai 1381.33 Damit schließt sich der Kreis. Die Masse der bei Schüßler unter ‘Falschspiel’ rubrizierten Fälle betreffen in Wirklichkeit Verstöße gegen das Spielverbot überhaupt. Dieses Verbot, wahrscheinlich 1370 zum ersten Mal erlassen, wurde 1381 mit leichten Modifikationen bekräftigt und hatte eine Welle tatsächlicher Sanktionen zur unmittelbaren Folge. Wie stets lassen sich diese Befunde prin­ zipiell in (mindestens) zwei Richtungen interpretieren, in Richtung der Verän­ derung des Verhaltens einerseits, der verstärkten Sanktionierung andererseits. Angesichts der zeitlichen Koinzidenz von Normerlaß und Nachrichten über tatsächliche Bestrafung liegt es nahe, den Disziplinierungseifer der Obrigkeit für die Massierung der Fälle im Strafbuch verantworlich zu machen. Im übrigen blieb die Ahndung der Übertretung von Spielverboten im 15. Jahrhundert ein aktuelles Thema in der Nürnberger Ordnungspolitik. Stefanie Schröder-Kiel hat aus der Rubrik ‘Bußen und Unzucht’ der Nürnberger Stadtrechnungen er­ mittelt, daß das verbotene Spiel dort als zweithäufigstes Ordnungsdelikt nach dem Messerzücken auftaucht, wobei in Spitzenjahren bis zu vierzig oder fünf­ zig Bußen verhängt wurden.34 Ob man diesen Befund als Indiz für die Hart­ näckigkeit des Disziplinierungswillens des Nürnberger Rates, die Resistenz der Nürnberger trotz dieses Disziplinierungsanspruches oder einfach als einträgli­ che Fiskalisierung moralischer Ansprüche deuten will, ist hier nicht zu disku­ tieren. Zunächst bleibt festzuhalten, daß mit den Spielverboten und -Sanktio­ nen ein spannender, durch die Auswertung von Schüßler verschleierter Sach­ verhalt sichtbar geworden ist. Von den 35 Falschspieldelikten in seiner Tabelle dagegen sind für das 14. Jahrhundert gerade einmal acht Falschspieler übrig geblieben, davon vielleicht zwei Dreiergruppen und zwei Einzeltäter — ein Befund, der der Realität weitaus eher nahekommen wird. Falschspiel war in den Großstädten jener Zeit kein Massendelikt, aber doch ein endemisches, weit verbreitetes Phänomen. Obwohl - zumindest was die Todesdrohung betrifft — deutlich schärfer sanktioniert als 33 Ebd., Nr. 31, S. 266; für die Datierung vgi. dort Anm.l 1. 34 Schröder-Kiel: Glücksspielbekämpfiing (wie Anm. 25), S. 243 ff. Interessant ist übrigens, daß für das Jahr 1392, dem einzigen Schnittpunkt von Achtbuch und Stadtrechnungen, von den sechs oben genannten Übertretungen nur zwei im Rechnungsbuch verzeichnet sind.

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das verbotene Spiel, waren die Strafen (Stadtverweise und Selbstverbannungen) eher mild. Nehmen wir die sporadischen Notizen in Müllners Annalen zur Grundlage, dann deutet sich im 15. Jahrhundert so etwas wie eine Strafver­ schärfung für Falschspieler an, denen jetzt die Augen ausgestochen wurden.35 Aber die systematische Auswertung der archivalischen Überlieferung könnte diesen vorläufigen Eindruck korrigieren. Sie könnte sich zwar kaum auf die nur für wenige Jahre bzw. in Abschriften vorliegenden Achtbuchfragmente36 stüt­ zen, dafür aber auf Quellen anderer Art wie z. B. die Ratsverlässe oder die Stadt­ rechnungen. Am Schluß noch einmal zum prinzipiellen Anliegen dieses kleinen Beitra­ ges: Keineswegs sollte die Kritik an Schüßlers Untersuchung als ein Mißtrau­ ensvotum gegen die quantitative Auswertung37 spätmittelalterlicher Kriminal­ quellen überhaupt gelesen werden. Die zugrundeliegende Absicht, eine zen­ trale Quelle über die rechtliche und soziale Praxis zu erschließen, verdient - zu­ mal vor dem Hintergrund neuerer Untersuchungen, die aufgrund einer schma­ len normativen Quellenbasis weitreichende Schlüsse ziehen38 — Anerkennung. Bezweifelt wurde die konkrete Handhabung der ‘statistischen’ Methode, nicht ihr Ziel. Ohne die sorgfältige Beachtung des überlieferungsgeschichtlichen, rechtlichen und institutionellen Kontextes muß sie in die Irre gehen. Daß ein solches Vorgehen nicht auf Kosten prägnanter Ergebnisse gehen muß, belegt z. B. die bereits zitierte Arbeit von Karin Schneider-Ferber über das Augsburger Achtbuch.39 Scharf tritt hier nicht nur der prozessuale Unter­ schied zwischen den auf Betreiben eines Klägers vom Vogtgericht ausgespro­ chenen Ächtungen und den arbiträren Stadtverweisen des Rates zutage. Auch das Profil von Delikten und Beteiligten unterscheidet sich in diesen beiden Sphären klar voneinander: hier die fast völlige Dominanz von Gewaltvergehen wie Tötungen oder Verwundungen, Delikte, bei denen die Männer als Täter wie als Opfer fast ganz unter sich sind; dort die Vorherrschaft von Diebstählen, Widersetzlichkeiten und nicht näher bezeichneten „Bosheiten“, wobei sich un­ ter den Verwiesenen ein nennenswerter Anteil von Frauen befindet. Wo die 35 Johannes Müllner: Die Annalen der Reichsstadt Nürnberg von 1623, Teil II, hrsg. von Gerhard Hirschmann, Nürnberg 1984, S. 543 und S. 582. 36 Das einzige orginale Achtbuch des 15. Jahrhunderts (StAN, Rst. Nürnberg, AStB 205) ist - im we­ sentlichen für die Jahre 1403-1412 - lediglich fragmentarisch erhalten. 37 Von ‘statistischer Auswertung’ zu sprechen, wo eine Häufigkeitsauszählung bestimmter Merkmale betrieben wird, erscheint mir ein wenig hochtrabend. 38 Vgl. Werner Buchholz: Anfänge der Sozialdisziplinierung im Mittelalter. Die Reichsstadt Nürn­ berg als Beispiel, in: ZHF 18 (1991), S. 129-147, der ausschließlich auf der Quellenbasis der - z. T. überholten — Edition von Joseph Baader über die Nürnberger Polizeiordnungen von 1861 argu­ mentiert. 39 Vgl. Anm. 8.

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Ächtungen tatsächlich vorwiegend auf eine bestimmte Form von Konfliktver­ halten verweisen, spiegelt sich in den Stadtverweisen auch das strafende und disziplinierende Bemühen des Rates. Insgesamt hat sich die Autorin in quanti­ fizierender Hinsicht zurückgehalten; sie konstatiert aber doch einen zahlen­ mäßigen Rückgang der Vergehen im Achtbuch nach der „Zunftrevolution“ 1368 und versucht, ihn mit der veränderten politischen Situation zu erklären. Sicher wäre in dieser Hinsicht noch mehr möglich gewesen; man muß die Zurückhaltung der Autorin gegenüber der Quantifizierung nicht teilen. Eine Auswertung von Achtbüchern ohne Tabellen und Auszählungen ist möglich, läßt aber einige wichtige Erkenntnismöglichkeiten ungenutzt. Umgekehrt je­ doch erscheint das analytische Gebäude einer ‘statistischen’ Auswertung von Achtbüchern ohne Beachtung des Kontextes auf Treibsand gebaut/0 Eine Ge­ schichte der Nürnberger Kriminalität im Spätmittelalter, die neben der Edition von Schultheiß eine breite archivalische Quellenüberlieferung auszuschöpfen hätte, bleibt ein dringendes Desiderat der Forschung.

10 Martin Schüßler hat inzwischen eine neue kriminalstatistische Analyse vorgelegt mit dem Titel: Verbrechen im spätmittelalterlichen Olmütz. Statistische Untersuchung der Kriminalität im Osten des Heiligen Römischen Reiches, in: Zeitschrift flir Rechtsgeschichte, Germanistische Ab­ teilung 111 (1994), S. 148-271. Sie folgt, unbeschadet differenzierterer quellenkritischer Überle­ gungen in der Einleitung, demselben Strickmuster wie der Aufsatz über Nürnberg.

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HÜTER DER ORDNUNG BÜRGER, RAT UND POLIZEI IN NÜRNBERG IM 15. UND 16. JAHRHUNDERT1 Von Andrea Bend läge und Peter Schuster Im 16. Jahrhundert wurden tiefgreifende Wandlungsprozesse in Gang gesetzt, die mit dem Schlagwort „Formierung der Moderne“ treffend charakterisiert worden sind. Die spezifische Ausprägung dieses Prozesses hat die fachwissen­ schaftliche Forschung mit der Formulierung prägnanter Paradigmen zu erfas­ sen versucht, die unter den Stichworten „Sozialdisziplinierung“, „Konfessionalisierung“ und „Zivilisationsprozeß“ mittlerweile weite Verbreitung und Aner­ kennung gefunden haben. Als gleichsam eingewoben in die allgemeinen Ent­ wicklungslinien wurde eine zunehmende „Disziplinierung der Gesellschaft durch verschärfte Strafgewalt“ festgestellt2. Demnach kommt dem Strafrecht eine wichtige Bedeutung als Instrument und Katalysator der dargestellten Ent­ wicklungen zu. Seine mittelalterlichen Wurzeln und Traditionen ließen es je­ doch für diese Aufgabe nicht prädestiniert erscheinen. So urteilt der Rechtshi­ storiker Wolfgang Sellert: „Das überkommene Straf- und Prozeßrecht war — ganz abgesehen davon, daß es keine funktionsfähigen Strafverfolgungsbehörden gab — nicht in der Lage, auf die neuen Verhältnisse angemessen zu reagieren.“3 Insofern war die im 16. Jahrhundert vorgenommene Ausarbeitung und Syste­ matisierung des Strafrechts, die mit der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V., der sogenannten ‘Carolina’, 1532 in ein bedeutendes und auch in Nürnberg eingehend rezipiertes Rechtsdenkmal zusammenlief, eine entschei­ dende Reform. Weniger eindeutig ist, ob parallel zu den reformerischen Im­ pulsen auf dem Gebiet der Rechtssetzung eine effektive Strafverfolgung von seiten der Behörden einsetzte. Nach den bisherigen Befunden der in Deutschland erst jungen kriminalhi­ storischen Forschung scheint eher Skepsis geboten zu sein. Gerd Schwerhoff fol-

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Dieser Aufsatz ist im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Schwerpunktprogramms zur Entstehung des öffentlichen Strafrechts entstanden. Unser Teilprojekt unter der Leitung von Professor Neithard Bulst (Universität Bielefeld) untersucht die Strafverfol­ gungspraxis im Spätmittelalter. - Richard van Dülmen: Formierung der europäischen Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, in: Ders., Gesellschaft der Frühen Neuzeit. Kulturelles Handeln und sozialer Prozeß, Wien u. a. 1993, S. 16-62, hier S. 593 Wolfgang Sellert: Die Krise des Straf- und Strafprozeßrechts und ihre Überwindung im 16. Jahr­ hundert durch Rezeption und Säkularisation, in: Heinz Angermaier (Hg.): Säkulare Aspekte der Reformationszeit (Schriften des Historischen Kollegs 5), München 1983, S. 27-48, hier. S. 37.

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gert aus der dünnen Personaldecke der Exekutive im Köln des 16. Jahrhunderts einen geringen Disziplinierungsdruck: „Zumindest für Köln ergeben sich aus diesem Befund schwerwiegende Probleme für den Wirklichkeitsgehalt des So­ zialdisziplinierungsparadigmas. Wo keine Stäbe existieren, um den Normen Geltung zu verschaffen, bleiben diese nur allzu oft Makulatur. Die Zentralisie­ rung aller Entscheidungsbefugnisse beim Rat kann über diese tatsächliche Schwäche nicht hinwegtäuschen.“14 Nun * * ist Nürnberg nicht Köln. Gerade die fränkische Reichsstadt hat der Hamburger Historiker Werner Buchholz als eine der frühen Hochburgen der Sozialdisziplinierung herausgestellt, da sie bereits seit dem 15. Jahrhundert mit einem dichten Netz von Gesetzen und Verord­ nungen „tief in das Privatleben der Bürger eingriff'.5 Eine solche Interpretation bleibt jedoch recht vordergründig, solange nicht überprüft wird, ob die zuneh­ mende Produktion von Ordnungen und Erlassen mit einer Straffung und Ef­ fektivierung der Exekutive einherging. Der vorliegende Beitrag untersucht, mit welchen personellen Mitteln, mit welchem Erfolg und mit welcher Reso­ nanz in der Bevölkerung die Nürnberger Polizei im 15. und 16. Jahrhundert versuchte, den Gesetzen des Rates Geltung zu verschaffen. 1. Die Nürnberger Polizei6: Ämter und Aufgaben Nürnbergs Polizei im 15. und 16. Jahrhundert in ihrer vielschichtigen Struk­ tur zu analysieren, ist eine nicht ganz leichte Aufgabe. Der Nürnberger Rat und die Amtsträger hatten neben der Stadt ein weites Territorium zu verwalten und zu sichern. Verfassungsrechtlich wurde zwischen innerer und äußerer Sicherheit wenig Unterschied gemacht. Die vom Rat ursprünglich für außenpolitische Aufgaben angeheuerten Schützen konnten im Innern eingesetzt werden und die für innere Angelegenheiten zuständigen Stadtknechte im Äußern. Ähnliches gilt für andere Ämter, die die städtische Sicherheit gewährleisten sollten. Die für die acht Stadtviertel zuständigen Viertelmeister7 organisierten nicht nur den 1

Gerd Schwerhoff: Köln im Kreuzverhör. Kriminalität, Herrschaft und Gesellschaft in einer früh­ neuzeitlichen Stadt, Bonn 1991» S. 61. 5 Werner Buchholz: Anfänge der Sozialdisziplinierung im Mittelalter. Die Reichsstadt Nürnberg als Beispiel, in: Zeitschrift für Historische Forschung 18 (1991), S. 129-147, hier S. 144. 6 Der Begriff wird im folgenden im neuzeitlichen Sinn zur Benennung der staatlichen (städtischen) Exekutivorgane verwandt. Im vormodernen Sprachgebrauch umfaßt der Begriff „Policey“ alle Fel­ der der Staats- bzw. Stadtverwaltung. Vgl. F. L. Knemeyer: Art. Polizei, in: Geschichtliche Grundbe­ griffe, Bd. 4, hg. von Otto Brunner, Reinhart Koselleck und Werner Conze, Stuttgart 1978, S. 875897. Nach Knemeyer findet sich der Begriff erstmals 1464 in einer deutschsprachigen Quelle. 7 Die Viertelmeister wurden vom Rat teils aus seinen Mitgliedern, teils aus den angesehensten der Genannten des größeren Rates ernannt und unterstanden unmittelbar dem Rat. Sie hatten jedoch auch den obersten Hauptleuten eidlich Gehorsam zu geloben. Vgl. Paul Sander: Die Reichsstädti­ sche Haushaltung Nürnbergs. Dargestellt auf Grund ihres Zustandes von 1431 bis 1440, Leipzig 1902, S. 168

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Bürger, Rat und Polizei in Nürnberg im 15. und 16. Jahrhundert

Einsatz der Bevölkerung bei Bränden oder anderen inneren Gefahren, sondern regelten zudem den Kriegseinsatz des Stadtviertels und die Straßenpolizei. Soweit wir es bisher zurückverfolgen konnten, entstand das Schützenamt im Zusammenhang mit den außenpolitischen Aufgaben der Stadt. Während des Markgrafenkriegs 1449/50 wurden allein 50 Schützen benötigt, um die fünf Stadttore zu sichern. Mehrfach entsandte der Rat dem verbündeten Konrad von Heideck 30 bis 50 Schützen. Zur Unterstützung der Reichsstadt Windsheim schickte Nürnberg 32 sowie 30 Schützen nach Gräfenberg. Regelmäßig ver­ merken die Nürnberger Ratsverlässe neue An Werbeaktionen, weil es unter die­ sen Schützen wiederholt zu Verletzungen der Dienstpflichten kam und sie aus­ gemustert oder verhaftet wurden. Acht der zur Burg Heideck abkommandier­ ten Schützen widersetzten sich den Befehlen und wurden schließlich im Som­ mer 1449 ins Nürnberger Lochgefängnis gebracht. Ein aus Lichtenau zurück­ gekehrter Schütze weigerte sich mit der puchsen zu gen und ging dafür ebenfalls ins berüchtigte Nürnberger Gefängnis.8 Die Schützen jener Zeit waren, folgt man den überlieferten Quellen, unzuverlässig und in ihrer Mehrzahl untaug­ lich. Es waren Hasardeure, die sich auf einen Kriegsdienst einließen, der hohes Risiko, geringen Verdienst und noch weniger Zukunft verhieß. Offenbar hatte der Nürnberger Rat im 15. Jahrhundert jedoch erkannt, daß sich die Schützen gut als polizeiliche Sondertruppe einsetzen ließen. Nach dem Krieg blieben da­ her weiter Schützen in der Stadt. Die festbesoldeten Stadtknechte und Büttel gehörten hingegen schon seit der Mitte des 14. Jahrhunderts zum Stadtbild Nürnbergs.9 Bis 1430 gab es zunächst vier, ab 1431 fünf Stadtknechte. Im genannten Markgrafenkrieg wurde ihre Zahl noch einmal vorübergehend um vier Knechte erweitert.10 1465 waren es acht Stadtbüttel und sechs Stadtknechte, denen besonders die innere Sicherheit der Stadt oblag.11 Gegen Ende des 15. Jahrhunderts lag ihre Zahl wohl wieder bei vier oder fünf Knechten. Im 16. Jahrhundert erhöhte sich diese Zahl auf 16 Stadt knechte.12 Ihre wichtigste Aufgabe bestand darin, gemeinsam mit den Schützen die ‘öffentliche Sicherheit’13 in der Stadt zu gewährleisten, 8

Alle Beispiele aus Irene Stahl (Hg.): Die Nürnberger Ratsverlässe, Heft I: 1449/50, Neustadt a. d. Aisch 1983, passim. 9 Hermann Knapp: Das alte Nürnberger Kriminalverfahren bis zur Einführung der Karolina, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 12 (1892), S. 200-276 und S. 473-552, hier S. 212. 10 Sander: Reichsstädtische Haushaltung (wie Anm. 7), S. 149. 11 Staatsarchiv Nürnberg (= StAN), Reichstadt Nürnberg (= Rst. Nbg.): Ratsbuch lb, f. 83. StAN, Rst. Nbg., Amts- und Standbücher (= AStB) Nr. 155b, f. 738. 13 Für die öffentliche Sicherheit gab es zudem noch Nacht-, Schar- und Turmwächter, den „Hüter in Springen“, Bauernbüttel etc., Einzelämter, die in ihrer konkreten Ausgestaltung noch genauer zu untersuchen sind.

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Delinquenten zu verhaften, den Bürgern verbotene Waffen abzunehmen, bei Hinrichtungen und öffentlichen Strafen zu assistieren11 sowie die Einhaltung der obrigkeitlich verfügten Ordnungen zu kontrollieren.15 Sie hatten Tag und Nacht für Ruhe und Ordnung auf den Gassen zu sorgen und bei Feuergefahr die Bürger- und Viertelmeister zu benachrichtigen. Ein Teil der Stadtknechte un­ terstand schließlich direkt dem 1470 eingerichteten Rugamt, für welches sie die fälligen Strafgelder der verurteilten Einwohner einzutreiben hatten. Zu­ gleich oblag einigen Knechten die Aufsicht über die Gefangenen im Schuld­ turm. Folgt man einem Ratsbucheintrag von 1480, so erhielten Stadtknechte mit ihrer Einstellung das Bürgerrecht ‘geschenkt’.16 Die Schützen hingegen wa­ ren eine Art mobile Einsatztruppe, die bei Bedarf für innere und äußere Polizeiund Waffeneinsätze angefordert wurden. Sie waren somit faktisch Stadtknechte zweiter Klasse, die vorwiegend auf dem Lande rekrutiert wurden und vermut­ lich nicht ohne weiteres das Bürgerrecht erwerben konnten.17 Offenbar nahm die Bedeutung der Schützen für die innere Sicherheit der Stadt zum Ende des 15. Jahrhunderts zu, denn 1477 erhielten sie das Recht, auch innerhalb der Stadt wehre zu tragen, d. h. bewaffnet umherzugehen.18 Seit dieser Zeit zeichnete sich zugleich eine Aufgabenverteilung innerhalb des Si­ cherheitspersonals ab, nach der überwiegend die Schützen im Alltag die Staats­ macht repräsentierten. Sie standen an den Ecken und unter dem Rathaus auf Wache. Sie bestraften die Leute wegen kleiner Vergehen, etwa wenn sie nachts ohne Licht umhergingen, und sie überprüften die neuralgischen Treffpunkte der Handwerksgesellen, an denen es immer wieder, besonders sonntags und montags, zu Unruhen kam. Wenn Verdächtige auf den Gassen Unfug trieben, so ermutigte 1561 noch einmal das Kriegsherrengremium, sollten die Schützen dieselben ebnermassen zerstören und angretjfen .19 Gerade wo Ärger zu erwarten war, wurden die Schützen angefordert. Ihre Einsätze waren berüchtigt. Auch im Frauenhaus, dem städtischen Bordell, hat­ ten sie neben den Stadtknechten womöglich einen ständigen Wachdienst. Zu­ dem wurden sie bei besonderen Anlässen wie zur Fasnacht, bei Kaiserbesuchen, Jahrmärkten, aber auch Hinrichtungen und inneren Unruhen in massierter Form zur Unterstützung der Stadtknechte eingesetzt.20 Eine weitere wichtige 14 15 ir> 17 18 19 20

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St AN, Rst. Nbg., Ratsbuch 2, f. 27 3v. Neben der Kontrolle der Spielverbote hatten sie auch die Einhaltung der in Nürnberg schon im 13. Jahrhundert einsetzenden Luxusverordnungen zu überwachen. Langen Hans, der jeger bei Paulus Ritter ist, zu einem stattknecht uf zu nemen und im das burgerrecht zu schenken. St AN, Rst. Nbg., Ratsbuch 3, f. 2v. Vgl. Knapp: Kriminalverfahren (wie Anm. 9), S. 268. StAN, Rst. Nbg., Ratsbuch lb, f. 84v. Knapp: Kriminalverfahren (wie Anm. 9), S. 266 ff. StAN, Rst. Nbg., AStB Nr. 155b, f. 723. Vgl. z.B. Sander: Reichsstädtische Haushaltung (wie Anm. 7), S. 482.

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Bürger, Rat und Polizei in Nürnberg im 15. und 16. Jahrhundert

Aufgabe der Stadtknechte und Schützen war es, Gefangene in die Stadt Nürn­ berg zu eskortieren und dem Hochgericht zuzuführen. Einer überlieferten Auf­ stellung der Kosten für Auffhalten und Streiffen im Jahr i486 ist die rege Fest­ nahmetätigkeit der Schützen und Stadtknechte zu entnehmen: Item man hatt ge­ ben den dren schützen von Tenele [=Tennenlohe?] 6 sold, betten ain dieb da angenom­ men . . . Item man hat geschickt die drey stattknecht und 8 schütze von hin und 4 schützen zu Eltersdorff, als die von Erlangen ain dieb gefangen hatten . . . Item man hat geschickt 4 schütze am freitag vor Pfingsten gen Eschenotv ziven gefangene, die da einkome waren, herein in das loch ze füren . . .21 Vor allem den verhafteten Dieben drohte in der Stadt das Schicksal, durch die Hand des Henkers zu enden. 2. Polizei und Rat im 15. Jahrhundert Die Nürnberger Polizei wurde auf ihren Dienst nicht vorbereitet, schlecht be­ zahlt und war ebenso schlecht beleumdet. So verwundert es auch nicht, daß es immer wieder zu Konflikten in dem Dreiecksverhältnis Rat — Schützen / Stadt­ knechte — Bürger kam. Die Verhaftungstätigkeit der Schützen und Knechte unterlag strenger Kontrolle und war begleitet von den Klagen des Rates über willkürliche Mißhandlungen und Verhaftungen von Bürgern durch das Polizei­ personal. Schon die angesprochene Bewaffnung der Schützen hatte den Rat 1477 zu der warnenden Feststellung veranlaßt, daß bei einem mißbräuchlichen Waffeneinsatz ain rate sy harter dann ander darumb straffen werde.22 Die stichprobenhafte Auswertung der Nürnberger Ratsverlässe von 1491 offenbart die Pro­ blemlage. Im Februar waren die Schützen zur Fasnacht eingesetzt worden, um Raufbolde und gewalttätige Bürger zu entwaffnen. Daraus entstand ein Streit um das alte Privileg der Stadtknechte, ob diesen allein die beschlagnahmten Waffen zustanden. Diesmal durften die Schützen das beschlagnahmte Gut be­ halten. Im Frühjahr nahm der Rat zwei Schützen fest und ließ sie ins Lochge­ fängnis führen, weil sie einen Gast und seinen Gesellen im Frauenhaus gehouet und mißhandelt hatten. Noch in derselben Woche wurden drei weitere Schützen in das Lochgefängnis geführt, weil sie ohne Grund in einem Wirtshaus einigen Böhmen die Waffen abgenommen und sie daraufhin festgenommen hatten.23 Gelegentlich drängt sich der Eindruck auf, als seien die Polizeiorgane bei der Beurteilung einer konkreten Situation überfordert gewesen. Denn die unzuläs­ sige Verhaftung der Böhmen war beileibe kein Einzelfall: Item die zwen schützen, die einem im pierhauß angenommen und in das loch gefuret vor den funffen zur rede halStAN, Rst. Nbg., Stadtrechnungsbelege Nr. 265, f. 1-9 (unpaginiert). Knapp: Kriminalverfahren (wie Anm. 9), S. 268. StAN, Rst. Nbg., Ratsverlässe (= RV) Nr. 261, f. lb-2b. Vielleicht war im letzteren Fall die Strafe strenger, weil man außenpolitische Weiterungen aus diesem Fall befürchtete.

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ten und tva(nn) sie den handel nit wol verantivurten mögen, sie zu straffen. Und sie sol­ len die atzung für den gefangnen zalen.24 Der gelegentliche Übereifer von Schützen und Stadtknechten war stadtbe­ kannt. Der Nürnberger Hans Rosenplüt verglich daher schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts in einem Spruchgedicht die Treue zwischen Huren und ihren Zuhältern mit der treu von statknecht und puttein, die do die leut slagen mit geisein und knütteln: die lieb und treu von disen allen Wolt ich mit einem arswisch beza len.25 1471 ermahnte der Rat die Stadtknechte wegen ihrer besonders in der Nacht eingerissenen gewalttätigen Übergriffe gegen die Bürger. Gerade bei Einsätzen in der Nacht standen die Stadtknechte unter fortwährendem Entscheidungs­ druck, da sie den Rechtsstatus der Verdächtigen bei ihren Amtshandlungen zu berücksichtigen hatten. Nichtbürger, die nachts bewaffnet angetroffen wurden oder sich sonst verdächtig verhielten, durften sie in das Lochgefängnis führen. Gegenüber Bürgern war dieses Zwangsmittel untersagt. Ihnen sollten sie ge­ bieten, sich am folgenden Tag vor dem Niedergericht der Stadt, den Fünfern, zu verantworten. Zur Bekräftigung dieses Gebots war es ihnen allenfalls gestattet, den Bürgern ein Pfand abzunehmen.26 Mit solchen differenzierten Dienstanwei­ sungen offenbar überfordert, entschieden sich die Knechte und Schützen im Zweifelsfall für ein aggressives Vorgehen. 1494 schärfte der Rat den Stadt­ knechten ein, jemanden, der sich von ihnen nicht entwaffnen lassen wollte, nicht zu verprügeln, sondern dem Rat zu melden.27 Diese Gewaltexzesse waren es, die die Bürger gegen das Polizeipersonal aufbrachten. 1533 schrieb ein Nürnberger Bürger an den Rat eine Supplikation, in der er ein strafrechtliches Vorgehen gegen einen Wächter forderte, der seine Frau mit blosser wehr überloffen und nach ir . . . gehouen.28 Berüchtigt wie ihre Gewalttätigkeit war ihre Nachläs­ sigkeit bei der Verfolgung der Amtsgeschäfte. Zwar hatte der Rat 1461 bei der Bestellung neuer Stadtknechte warnend angekündigt: welker unfleißig ist, sich unendlichen heit und trunken wirt, den wil ein Rate alsdann feyern lassen, also entlas­ sen29, doch das konnte den Schlendrian nicht verhindern. Das Einkommen der Stadtknechte und Büttel ist, wie bei allen städtischen Bediensteten, nur schwer zu bestimmen, da es sich aus verschiedenen Quellen -M 25 26 27

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StAN, Rst. Nbg., Ratsbuch 2, f. 205 (1478). Karl Euling: Hundert noch ungedruckte Priameln des 15. Jahrhunderts, Paderborn/Miinster 1887, S. 87. Für diesen Hinweis danken die Verfasser Valentin Groebner, Basel. StAN, Rst. Nbg., Ratsbuch 2, f. 328. Valentin Groebner: Der verletzte Körper und die Stadt. Wahrnehmung, Regelung und Verrech­ nung physischer Gewalt in Nürnberg am Ende des 15. Jahrhunderts, in: Alf Lüdtke / Thomas Lin­ denberger (Hg.): Physische Gewalt, Frankfurt/M. 1995 (im Druck) - Knapp, Kriminalverfahren (wie Anm. 9), S. 267 f. StAN, Rst. Nbg., Stadtrechnungsbelege Nr. 13. Knapp, Kriminal verfahren, S. 267.

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speiste. Sie erhielten von der Stadt ein geringes Grundgehalt, zudem wurde jede Amtshandlung gesondert vergolten. Für die Jahre zwischen 1431 und 1440 hat Sander für die fünf Stadtknechte ein jährliches Grundgehalt von je 30 lb (Pfund) ermittelt. Zudem erhielten sie jährlich zum Pfingstfest, zur Mögeldorfer Kirchweih, zur Sonnenwende und an Ägidien je 272 ß (Schilling) zusätzlich.30 Legt man den Rechnungskurs zugrunde, den Valentin Groebner in seiner Untersuchung zur Ökonomie der Unterschichten in Nürnberg ermittelt hat, entspräche dieses Grundgehalt einem durchschnittlichen Einkommen von ca. 2,5 d (Pfennig) pro Tag. Das entsprach in etwa einem Viertel des Tagelohns eines ungelernten Arbeiters, der ca. 10 d pro Tag verdiente.31 Bei erhöhtem Sicherheitsbedarf in der Stadt, wie etwa bei Kaiserbesuchen, erhielten sie eine gesonderte Vergütung.32 Die Beschlagnahmung verbotener Waffen brachte ein zusätzliches Einkommen, da die Hälfte des Erlöses aus dem Verkauf der Waffen den Stadtknechten zustand. Diese Regelung löste unter den Stadtknechten und Schützen immer wieder Differenzen aus. Letztere wurden insbesondere zu Fas­ nacht und anderen Gelegenheiten gemeinsam mit den Knechten zum Dienst ausgeschickt (s. o.). Der Rat sah sich daher 1491 genötigt, die Regelung be­ züglich der Waffen zu spezifizieren und den Schützen ihren Anteil am Erlös zu sichern, nicht ohne die Stadtknechte zu ermahnen, daß sie nichtz daran haben sollen.-Jene Stadtknechte, die im Dienste des Hadergerichts standen und Geld­ bußen einzubringen hatten, wurden noch einmal extra entlohnt und mußten diese Einnahmen ausdrücklich nicht mit den anderen Knechten teilen. Für je­ des eingenommene Pfund erhielten sie eine Vergütung von einem Pfennig.31 Für die wöchentliche Besichtigung der Gefangenen im Schuldturm erhielt der zuständige Stadtknecht einen zusätzlichen Geldbetrag, der in den Ratsverlässen jedoch nicht eindeutig benannt wird. In einer Verordnung aus dem Jahre 1530 wird der Betrag mit 24 Pfennigen beziffert.35 Neben den Einnahmen für Bo­ tengänge außerhalb der Stadt und Einbringung von Straftätern wurde den Stadtknechten 1484 erlaubt, von den Amtleuten und neuen Bürgern ein be30 Vgl. Sander: Reichsstädtische Haushaltung (wie Anm. 7), S. 481. Zur Lohnstruktur der städtischen Bediensteten vgl. auch Valentin Groebner: Ökonomie ohne Haus. Zum Wirtschaften armer Leute in Nürnberg am Ende des 15. Jahrhunderts, Göttingen 1993, insbesondere S. 134-137. 31 Für das Pfund (lb) wurde ein Wert von 30 d zugrundegelegt, für den Schilling (ß) ein Wert von 8 d. Vgl. Groebner, Ökonomie, S. 37 ff. 32 StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 268, f. 10: item den vier fronboten yede 2 lb. n. ... und walth(er) statkn(ecbt) 1 lb n. zu erung ze geben, des wine(?) halben, so sie die zeit als die fiirstl. herren gewest sind gehalt haben von ains rats wegen. 33 StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 261, f. 2. 31 StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 300, f. 8. 35 StAN, Rt. Nbg., AStB Nr. 101, f. I45v.

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scheidenes Trinkgeld zu nehmen.36 Diese zusätzliche Einnahme wurde in eine gemeinsame Büchse gelegt und regelmäßig unter den Stadtknechten und Büt­ teln aufgeteilt. Vor 1489 scheint einer der Stadtknechte den Schlüssel zu dieser Büchse in Verwahrung gehabt zu haben, bis schließlich im genannten Jahr der Hausmeister des Rathauses die Aufsicht über die Stadtknechtskasse erhielt. Zukünftig sollten alle Stadtknechte die Hälfte ihres Lohnes in die Büchse le­ gen, der dann unter alle Knechte aufgeteilt wurde. Vermutlich wollte der Rat auf diese Weise Sorge dafür tragen, daß sich die Knechte nicht gegenseitig übervorteilten.37 Eine Zuwendung von den Wirten zu fordern, wurde ihnen seit dem späten 15. Jahrhundert wiederholt untersagt.38 Gerade im sensiblen Bereich der Gastund Wirtshäuser, wo die Knechte ihre Kontrollgänge machten, um Spielver­ bote, Sperrstunden und dergleichen zu überwachen, und die nicht selten Brenn­ punkte der eskalierenden Gewalt waren, setzten sich die Stadtknechte und Schützen der besonderen Gefahr der Bestechlichkeit aus. Regelmäßig wurde den Knechten daher verboten, das sie keynerley opfergelt oder kirchtaggelt noch der gleichen von nymant nemen sollen, weder gevordert noch ungevordert, desgleichn sollen sie auch von den wirten keynerley schanckung oder erung nemen.39 Angesichts dieser dif­ fusen Einkommenslage ist es schwierig zu bestimmen, wie arm die Polizei­ kräfte in Nürnberg tatsächlich waren. Sicher ist jedoch, daß ihr Einkommen zum Leben selten reichte™. Daher nutzten die Knechte immer wieder ihre Dienstzeit, um anderen Beschäftigungen nachzugehen und weitere Einnahme­ quellen zu erschließen, während sie ihre städtischen Aufgaben Dritten, bei­ spielsweise Familienangehörigen, anvertrauten/11 Die städtischen Verordnun-

36 StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 183, f. 12: Item zue erfaren die puttel undstatknecht halb, nach dem sy ietz wie vil amptleute und newe purgerngelt neme, wie solchs von alter herkomen ist. . .; RV Nr. 186, f. 7: Item es ist erteilt, das die statknecht von amptleut und andern personen trinckgelt nemen mögen, von den sie wie alters her trinckgelt genommen habn, doch das sie es damit beschaidenlich und wie inen vor bevolhen sey, halten. 37 StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 245, f. 12. 38 StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 215, f.6 (1487); RV Nr. 258, f. 6 (1490); RV Nr. 263, f. 15 (1491), RV Nr. 186, f. 7; RV Nr. 192, f. 9- Zur Bedeutung von Geschenk und Gabe im spätmittelalterlichen Nürnberg als sozialem Scharnier zwischen Geber und Empfänger, die Verbindungen und Ver­ pflichtungen konstituierten vgl. Groebner: Ökonomie, S. 160-177. y> StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 259, f. 2 (1491). Nach Groebner: Körper (wie Anm. 27) wurden allein im Jahre 1490 drei von vier Stadtknechten wegen Bestechlichkeit ausgewechselt. In den Ratsver­ lässen der Zeit tauchen diese Beschuldigungen nicht auf. 40 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Heinrich Riithing: Höxter um 1500. Analyse einer Stadtge­ sellschaft, Paderborn 21986, S. 213, der die Stadtknechte und Büttel in Höxter als durchweg arm bezeichnet. 11 So wurden sie beispielsweise ermahnt, bei Hochzeitsfeierlichkeiten, wo sie die Einhaltung der Hochzeitsbestimmungen zu beobachten hatten, selbsten bey den hochzeiten und täntzen auffzuwarten / und nicht ihre weiber an ihr statt dahin zustellen. StAN, Rst. Nbg., Mandate, o.f., 16. September 1617.

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gen für die Stadtbüttel und -knechte des 16. Jahrhunderts ermahnen denn auch wiederholt die städtischen Diener, keiner Nebentätigkeit nachzugehen und ausschließlich dem Rat der Stadt zur Verfügung zu stehen.42 Das Pflichtbewußtsein dieser ‘Polizisten’ entsprach dem niedrigen Einkom­ men: Während des Dienstes wurde gespielt und getrunken. Straftaten wurden nur halbherzig verfolgt, und nicht selten waren Stadtknechte, Schützen und Büttel in Händel verwickelt, die sie eigentlich verhüten sollten. Klagen und Strafreden wegen mangelnder Dienstpflicht gehören zum Ritual städtischer Personalpolitik. Eine Stichprobe der Ratsverlässe von 1482 bis 1494 ergab, daß allein in den ersten sechs Jahren der Auswertung, ungeachtet der regelmäßigen Strafreden und Verwarnungen, sieben Stadtknechte oder Büttel wegen ihrer Vergehen bestraft wurden oder ihren Dienst quittieren mußten. Die Anklagen gegen Büttel und Knechte reichten von Diebstahl, Mißhandlungen bei Ein­ treibung von Strafgeldern, Anstiftung zu Aufruhr und Gewalt, verbotenem Spiel und Beleidigungen bis hin zum Ehebruch. Die Verurteilungen bedeute­ ten jedoch nicht, daß die Deliquenten auf ewig aus dem Stadtdienst verbannt wurden; eher das Gegenteil war der Fall. So wurde beispielsweise der Stadt­ knecht Ulrich 1482 wegen Diebstahls bestraft/3 Er blieb jedoch trotz seines Vergehens im Amt und erhielt schließlich 1484 das Bürgerrecht geschenkt.41 Doch noch im gleichen Jahr wurde er zusammen mit Heintz Putz, ebenfalls Stadtknecht, zu vier Tagen und Nächten Lochgefängnis verurteilt, des unterlass des geordent nachtgeens vast für einen ursach angesehen ist. Von einer Entlassung ist jedoch nicht die Rede.45 Ähnlich lag der Fall des Stadtknechts Walther, der we­ gen unbilliger Verletzung eines unschuldigen Meckelober (?) 1484 im Frauen­ haus seinen Dienst quittieren mußte.46 1487 wurde er wieder als Stadtknecht geführt und seine auferlegte Buße bis Fasnacht ausgesetzt. Ein Jahr später er­ ließ der Rat ihm seine gesamte unbezahlte Buße. 1492 verließ er schließlich seinen Dienst, um das Amt des Anstechers am Weinmarkt anzunehmen.47

L> So beispielsweise in einer Ordnung vom 2. Mai 1537: .. . unnddas sie auch alles, das so inen . . . bevölhn wirdet gewenlich fürderlich und one alles vertziehen handeln werben unnd außrichten, unnd sich hinfüro ainichs kriecht verdingens, oder annderer hendel außerhalb irr dienst nit zuunderstehen . . ., StAN, Rst. Nbg., AStB Nr. 100, f. 698v. Für die Stadtbediensteten bedeutete dieses Verbot eine grundsätz­ liche Benachteiligung gegenüber anderen Lohnarbeitern außerhalb des städtischen Dienstes, denn bei den armen Handwerkern war es durchaus üblich und lebensnotwendig, den Verdienst bei­ spielsweise im städtischen Dienst als Wache auf den Türmen aufzubessern. Vgl. Groebner: Ökono­ mie (wie Anm. 30), S. 128 f. ^ StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 150, f. 16. 11 StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 172, f. 8. StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 178, f. 4. iri StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 188, f. 12. 47 StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 188, f. 12, RV Nr. 216, f. 7; RV Nr. 220, f. 11; RV Nr. 275, f. 1.

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Schillernd ist auch die Karriere des Michel Drotzech. 1484 wurde er in den Dienst als Stadtbüttel genommen.48 i486 erschien er als Opfer von Mißhand­ lungen in den Quellen. Er war in Ausübung seines Dienstes im Deutschen Haus geschlagen worden.49 Kurze Zeit später wurde er selber auffällig und we­ gen offenen Ehebruchs, der kein Einzelfall unter den Stadtknechten war, ent­ lassen. Durch ein Gnadengesuch des Königs von Polen, der sich in der Stadt aufhielt, erreichte er jedoch seine Wiedereinstellung.50 1490 verlor er dann end­ gültig wegen sein gesellen handlung halb mit den armen tochtern und abnemen halb etlieh geld von des puchdruckers51 das Amt. Die wenig konsequente Haltung des Rates muß angesichts der zunehmen­ den Gewalt auf den Gassen und Straßen und einer durch die intensivierte Ver­ ordnungstätigkeit belegten Politik verstärkter obrigkeitlicher Kontrolle über­ raschen. Geeignetes Personal scheint jedoch ein Mangel gewesen zu sein. Zu­ mindest erfahren wir wenig über die ‘Einstellungsmodalitäten’. In den Quellen heißt es dazu lapidar, man möge nach einem neuen Büttel oder Stadtknecht fra­ gen.52 Schied jemand aus dem Amt wie etwa Walther 149253, so mußte er noch so lange im Stadtdienst verweilen, bis sich ein neuer Knecht gefunden hatte.54 Und trotz mangelnder Dienstpflicht und Unfleiß seiner Diener mußte sich der Rat 1494 fast resignierend dazu entschließen, die Stadtknechte und Büttel alle wieder anzunehmen und sie das jar mit ine versuchen, mit ein strefflichn redP Der 48 St AN, Rst. Nbg., RV Nr. 175, f. 7. Einschränkend muß jedoch angemerkt werden, daß die Rats­ verlässe für 1485 nur unvollständig überliefert sind. 49 Das Haus des Deutschen Ordens war eine rechtliche Enklave, die nicht der Jurisdiktion des Rates unterstand. Daher konnte dort auch billiger Wein ausgeschenkt werden, der nicht mit den städti­ schen Verbrauchssteuern belegt war. Trotz ständiger Verbote besuchten die Nürnberger dieses Lokal. Vgl. Groebner, Ökonomie (wie Anm. 30), S. 95 f. 50 StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 197, f. 11; RV Nr. 199, f. 12; RV Nr. 200, f. 8. 51 StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 251, f. 2. 5J StAN, Rst.Nbg., RV Nr. 154, f. 2: Item nach personen zugeäencken und zuerfaren aus den ein oder zweti piitel zu nemen seyen. 53 Ein erster Eindruck der Nürnberger Verhältnisse läßt vermuten, daß Stadtknechte und Schützen wohl in der Regel im städtischen Dienst verblieben, wenn sie aus ihrem Amt ausschieden. So wech­ selten sie wie Walther zum Weinmarkt oder Schützen übernahmen das Amt des Bauernbüttel. Das Amt des Lochhüters hatte bis 1492 der ehemalige Stadtknecht Heinrich Pollinger inne. Vgl. Sander: Reichsstädtische Haushaltung (wie Anm. 7), S. 213. 51 StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 275, f. 1. 55 StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 304, f. 5. Valentin Groebner vertritt in diesem Zusammenhang die be­ merkenswerte These, daß die Schwäche der Exekutivgewalt mit ‘Vollzugsdefizit’ oder ‘Ineffizienz’ nur unvollständig beschrieben sei. Nicht Disziplinierung, sondern Schlichtung und Spektakel öf­ fentlicher Strafe seien die Parameter, die den Umgang der Nürnberger Obrigkeit mit der Gewalt­ tätigkeit in der Stadt prägten. „Vor diesem Hintergrund wird auch klar, daß die vermeintlich ziel­ lose Brutalität und Korruption der Stadtknechte nicht ‘zügellos’ oder dysfunktional ist, sondern zum Funktionieren der Ordnung notwendig: Mit ihrer relativ geringen Anzahl. . . müssen sie de­ monstrativ gewalttätig sein, um die Gewalt der Stadt. . . darzustellen und zu verkörpern“; Groeb-

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Kriegsherren56 Bedencken, wie der Unfleiß der Stadtknechte abzustellen sei, liest sich denn auch wie ein Offenbarungseid. Strafreden und Strafen aller Art hatten über die Jahre hin nichts genutzt. Stadtverwiesene Personen, auf die die Stadt­ knechte ein besonderes Augenmerk halten sollten, gingen ein und aus und wur­ den von den Polizeikräften nicht belangt. Eine Reform wußten auch die Kriegsherren nicht zu formulieren. Ein Gulden Belohnung für jeden in der Stadt erfaßten Verwiesenen war die einzige Neuerung, die aus ihrer kritischen Bestandsaufnahme erwuchs.57 3. Die Reaktion der Bürger: Polizei und Ehre im 16. Jahrhundert In den Quellen vor und um 1500 ist es ausschließlich der Rat, der Mängel an der Polizei der Stadt thematisiert. Nicht die Bürger als die Opfer, sondern der Rat als Dienstherr prangert die Brutalität, Bestechlichkeit und Unzuverlässig­ keit der Schützen und Stadtknechte an. Die Bürger setzten sich allenfalls indi­ viduell und spontan zur Wehr. 1503 wies der Nürnberger Rat einen Bäcker­ sohn aus der Stadt, nachdem er einen Gefangenen aus den Händen der Stadt­ knechte befreit hatte. Im selben Jahr weigerte sich ein Mann namens Keser, den Stadtknechten seine Waffe abzuliefern. Auch er erhielt eine drakonische Strafe: Ihm wurde die Stadt für zehn Jahre verboten.58 Um die Mitte des 16. Jahrhunderts hatten sich die Verhältnisse grundlegend umgekehrt. Die Bürger begannen sich systematisch gegen den maroden Poli­ zeiapparat zu wehren. Am 29. April 1569 verfaßten die Nürnberger Kriegsher­ ren eine Denkschrift, um erneut auf Mißstände und Unterschleif im Bereich der inneren Sicherheit zu verweisen und dem Rat Empfehlungen zu deren Abstel­ lung zu unterbreiten. Dabei kamen die Kriegsherren auch auf die Stadtknechte ner: Körper (wie Anm. 27). Nach dieser Interpretation ist das Vorgehen des Rates gegen die Gewalt der Polizeiknechte nur eine Maßnahme gegen besondere Exzesse. In Groebners Deutung sind je­ doch Voraussetzungen eingeflossen, über die sich wohlfeil streiten ließe. Ging es dem Nürnberger Rat in seinem politischen Handeln ausschließlich um Herrschaft und Macht, so wäre Groebners These zuzustimmen. Fühlte sich der Rat jedoch dem Frieden als oberstem Ziel städtischer Politik verpflichtet, müßte das Vorgehen des Rates gegen die Gewalt der Polizei moralisch günstiger be­ urteilt werden. Klären läßt sich dieses Problem wohl nur über eine breiter angelegte Untersuchung über die Motive ratsherrlicher Politik in Nürnberg. Vgl. zur Idee des städtischen Friedens allge­ mein Peter Schuster: Dschungel aus Stein? Theorie und Realität der Stadt im Mittelalter, in: Kea. Zeitschrift für Kulturwissenschaften 8 (1995), S. 191-208. 5,5 Bei den Kriegsherren handelte es sich um einen Ausschuß, der mit vier Mitgliedern des inneren Ra­ tes und einem von den Handwerkern benannten Vertreter besetzt war. Ihre Kompetenz erstreckte sich auf alle Angelegenheiten der äußeren und inneren Sicherheit. Vgl. StadtAN Bll Nr. 120; Sander: Reichsstädtische Haushaltung (wie Anm. 7), S. 187 f. 57 StAN, Rst. Nbg., AStB Nr. 155b, f. 790 (1526). 5a Die Chronik des Heinrich Deichsler 1488-1506, in: Die Chroniken der deutschen Städte im 14. bis ins 16. Jahrhundert, hrsg. von Carl Hegel, Bd. 11, Leipzig 1872, S. 661, 663.

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und die Schützen zu sprechen. Und nachdem nun dahin kummen, wo vor jarn, so paldt man schützen und stadtknecht gesehenn, jederman davon gelauffen . . . sonnder sie nun auch zu etlich mahlen mit blutige köpffen unndfeusten abgewiesen und inen etwa die genommene wehren [=Waffen] darzu mit gewallt wieder abgedrungen. Und sie sust auch mit wortten und wercken dermassen vom povel tractiert und sie unnd ire kinder uff den handtwercken gar nit gefordert werden wollen, das niemandt, der sich sonst im wenigsten etwas nehren kan, des schützen ampts ferrer begeret, wie dann auff diese stundt dem aller, die man uff die gassen gebrauchen kan . . . über 23 nit seygen.59 Das zurückliegende Jahrhundert hatte sich schon 1569 zur guten alten Zeit verklärt, in der die Nürnberger Bevölkerung vor den Schützen und Stadt­ knechten vermeintlich respektvoll zurückgewichen sei. Dem stand eine Gegen­ wart entgegen, in der junge Handwerksburschen den offenen Konflikt mit der Polizei suchten. Hinzu kam, daß die Handwerksmeister sich weigerten, ehe­ malige Stadtknechte, Schützen oder deren Kinder aufzunehmen. 1570 präzi­ sierten die Kriegsherren dieses Bild von den Schützen in der Öffentlichkeit, in­ dem sie beklagten, die schützen werden für des henkers hetzbruder und keiner ehren wirdig eracht60. Diese Ausgrenzung machte auch vor den Stadtknechten nicht halt. Als sich 1580 einige Nürnberger Bürger beklagten, daß ihnen beim Lo­ sungschwur zugemutet wurde, neben dem Helfer des Henkers, dem Löwen, stehen zu müssen, erfaßte die vom Rat verfügte Ausgrenzungsmaßnahme auch die Knechte. Löwe und Stadtknechte sollten fürderhin von der Ehrbarkeit ab­ geschieden werden und gesondert schwören.61 Die Exekutivorgane insgesamt wurden in die Nähe der unehrlichen Berufe gerückt. Die Stadtknechte waren sich ihrer niederen Stellung in der Gesellschaft wohl bewußt und nutzten ihr schlechtes Ansehen daher bisweilen aus, um den Dienst zu verweigern. Als bei­ spielsweise die Schüler der Pfarrschule von St. Sebald in Nürnberg 1500 den Aufstand probten und ihren Schulmeister aussperrten, schickte der so be­ drängte Magister nach den Stadtknechten. Die ließen ihm aber, statt zu Hilfe zu kommen, höhnisch antworten, er habe ja selbst noch kürzlich gesagt, sie sollten Diebe am Galgen regieren, mit seinen Schülern wolle er schon selber fer­ tig werden. Erst eine Beschwerde beim Rat sorgte dafür, daß die Stadtknechte sich aufmachten, um die Schule ‘zu befreien’.62 Die Haltung der Stadtobrigkeit blieb vor dem Hintergrund dieser Entwick­ lung widersprüchlich. Auf der einen Seite benötigte sie eine funktionierende w St AN, Rst. Nbg., AStB Nr. 155b, f. 730v. r'° St AN, Rst. Nbg., AStB Nr. 155b, f. 801b. 61 Hermann Knapp: Das Lochgefängnis. Tortur und Richtung in Alt-Nürnberg. Auf Grund urkund­ licher Forschung, Nürnberg 1907, S. 67. 62 Die Chronik des Heinrich Deichsler 1488-1506, in: Die Chroniken der deutschen Städte im 14. bis ins 16. Jahrhundert, hrsg. von Carl Hegel, Bd. 11, Leipzig 1872, S. 620 und 659 f.

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‘Polizei’, um ihre Politik durchzusetzen und zu kontrollieren. Der Rat ver­ suchte daher, der Infamierung seiner Polizeikräfte den Grund zu entziehen und den Kontakt der Stadtknechte mit dem Henker und dem Löwen auf die ge­ meinsame Arbeit zu beschränken. Schon 1541 untersagte er dem Nachrichter und dem Löwen das Spielen und Zechen und verwarnte sie, die Statknechte nit also zu sich zu ziehen?- 1561 wurde den Stadtknechten geboten, sich mit dem nachrichter, lewen undpappenheimer [Nachtarbeiter], nit so gemein [zu] machen, und also gefreß und zechen in den wirthsheussern mit ihnen haltenM. Andererseits förderte der Rat jedoch indirekt die Ausgrenzung seines Personals. In einer Ordnung von 1554 gestattete der Rat den Stadtknechten nur bei den gemeinen Tänzen zu wachen, während er zugleich den Bürgern erlaubte, sich bei ihren Feierlichkei­ ten in den privaten Räumen zu huetung derselben tentz, einen erbarn Raths diener; oder ander iren darzu gefellig zunehmen Auch der Lebensraum der Knechte und Schützen lag am Rande der Stadt, wo ihnen der Rat in den Stadttürmen Wohnraum zur Verfügung stellte. Dort hatten sie zugleich die Aufsicht über die Ge­ fangenen im Schuld türm. Den Schützen hatte man ein Haus am Gottesacker gebaut66, und schon 1481 wohnten die Stadtknechte auf dem alten Schwib­ bogen beim Schuld türm, dadurch vorhin die Pegnitz in die Stadt geflossen. Auch diente ihre Kammer zuweilen als Aufbewahrungsort für ‘leichtfertige’ Frauen oder auch einmal für eine Wiedertäuferin, die wegen ihrer blodigkeit der Hin­ richtung entronnen und zur Besserung zum statknecht an ein schellen geschlossen wurde.67 Die Reformvorschläge der Kriegsherren gestalteten sich vor dem Hinter­ grund dieser Ehrminderung und Ausgrenzung der Polizeikräfte eigentümlich vage und vordergründig. Man müsse es dahin bringen, das ains erbarn raths re-

Knapp: Lochgefängnis (wie Anm. 61), S. 64, Anm. 18. StAN, Rst. Nbg., Ämterbüchlein, Nr. 80. Vgl. auch die Ordnung vom 2. März 1588, StAN, Rst. Nbg., AStB Nr. 101, f. 439r. Vermutlich war es auch in Nürnberg üblich, daß sich Scharfrichter und Knechte nach getaner Arbeit im Wirtshaus einfanden. In Zürch bezahlte der Scharfrichter den Stadtknechten nach einer vollbrachten Exekution einen Abendtrunk. Vgl. die Scharfrichter- und Wasenmeisterordnung von 1701, § 14, in: W. H. Ruoff: Vom Scharfrichter und Wasenmeister im alten Zürich, in: Schweizerisches Archiv für Volkskunde 34 (1935/36), S. 1-27, hier S. 5. r*5 StAN, Rst. Nbg., AStB Nr. 101, f. 437v. M StAN, Rst. Nbg., RV Nr. 279, f. 9 (1492). Welcher Gottesacker hier konkret gemeint ist, wird aus der Quelle nicht deutlich. Im Mittelalter wurden die Toten auf den Friedhöfen der beiden Pfarrkir­ chen der Stadt (St. Sebald und St. Lorenz) bestattet. 1518 untersagte der Rat jedoch die Bestattun­ gen auf diesen Friedhöfen, so daß die Verstorbenen künftig bei St. Johannis und auf dem neu ange­ legten Friedhof zu St. Rochus beerdigt wurden. Vgl. Gerhard Pfeiffer (Hg.): Geschichte Nürnbergs in Bilddokumenten, München 1970, S. 42. 67 Knapp: Kriminalverfahren (wie Anm. 9), S. 268. ('■

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putation mehr dann der stattknecht und schützen gewallt gefürchtet werde68. Den Schüt­ zen und Stadtknechten sollte eingeschärft werden, daß sie nicht gewalttätig, sondern bescheiden in Konfliktsituationen auftreten sollten.69 Diese Reform­ vorschläge sind als umso zurückhaltender zu bewerten, wenn man bedenkt, daß die Denkschrift der Nürnberger Kriegsherren von 1569 nicht die erste ihrer Art war. Seit den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts reißen die obrigkeitli­ chen Klagen über das schlechte Los der Nürnberger Polizeibediensteten nicht ab. Während die Literatur im allgemeinen im 16. Jahrhundert die Tendenz zur Ausbildung eines obrigkeitlichen Gewaltmonopols und damit zur Ausweitung staatlicher Macht erkennt, ist der Verfall der Nürnberger Polizei zumindest auf der Ebene der Schützen schon quantitativ zu erkennen. 1569 sollen noch 23 Schützen in der Stadt ihren Dienst getan haben. Damit war eine Entwicklung fortgegangen, die schon ein Vierteljahrhundert zuvor die Kriegsherren beunru­ higt hatte. 1545 waren zwar noch 54 Schützen im Amt gewesen, aber man sah schon deutliche Verfallstendenzen, da ihre Zahl/V lenger, je weniger [geworden sei. Früher, so die Kriegsherren, gab es genug Schützen. Es sollen an die hundert vordem die innere Sicherheit gewährleistet haben.70 Die Schützen als das schwächste Glied in der Hierarchie der Exekutivämter waren offenbar in be­ sonderer Weise von den Wandlungen in der öffentlichen Wahrnehmung der Polizeikräfte betroffen. Ihr gesellschaftlicher Niedergang soll im folgenden ge­ nauer analysiert werden. Für den zahlenmäßigen Rückgang der Schützen machten die Herren, die ob dem Kriege sind1' vor allem zwei Faktoren verantwortlich: die schlechte Bezah­ lung der Schützen und ihre geringe Reputation in der Bevölkerung. Aus der Sicht der Schützen bedingte das eine das andere. 1546 argumentierten sie an­ läßlich ihrer Forderung nach Gehaltsaufbesserung, das sie solchen iren schützen dienst, vielleicht auch armut halben, schwerlich zu zunfften kommen und niendert gern von den bürgern eingenommen [=beherbergt] oder mit arbait gefurdert werden. Welches dann auch ursach gibt, das niemandt tuglichs an solchen dienst pleibt oder daran begert. Die Kriegsherren standen diesen Argumenten durchaus aufgeschlossen gegen­ über. Das Grundgehalt erhöhte sich von 1545 bis 1555 von 10 Pfund auf 42 und schließlich auf 50 Pfund. Jeder Tag Dienst wurde weiterhin extra vergütet.

68 Man beachte, daß hier der Gedanke eines Beamtentums formuliert wird. Nicht wegen ihres per­ sönlichen Auftretens gebühre den Stadtknechten Respekt, sondern aufgrund der durch sie verkör­ perten Staatsmacht. 69 St AN, Rst. Nbg., AStB Nr. 155b, f. 730v. 70 StAN, Rst. Nbg., AStB Nr. 155b, f. 790v. 1591 waren noch 32 Schützen im Amt. Vgl. StadtAN B 11 Nr. 120. 71 Sander, Reichsstädtische Haushaltung (wie Anm. 9), S. 187.

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Hier stieg der Tagessold von 14 Pfennige auf 24 Pfennige.72 Zudem wurde eine Art Sozialversorgungssystem eingeführt. Langgediente, nunmehr alt und ge­ brechlich gewordene Schützen sollten zu geminderten Bezügen im Dienst ge­ halten werden. So würde auch interessierten Bewerbern für dieses Amt deutlich gemacht, daß die Stadt die von der Bevölkerung gehaßten Schützen im Alter nicht allein lasse, sondern zu ihnen stehe.73 Insgesamt sollten die Lohnerhöhun­ gen das Amt für Bewerber attraktiver machen sowie die Armut der Schützen mindern. Vielleicht, so hoffte man nach der Lohnerhöhung von 1555, reiche es ja jetzt bei dem einen oder anderen Schützen dazu, ein Haus zu mieten und da­ durch sein Ansehen zu steigern.74 Mit der ökonomischen Besserstellung der Schützen verband sich ein weiteres Ziel, nämlich die Hoffnung auf eine höhere Attraktivität des Polizeidienstes für potentielle Bewerber. Mittlerweile, so die Kriegsherren, sei es dahin gekom­ men, daß gar niemandt, denn die etwa mit ruten außgestrichen oder den[en\ die stat sonnst versagt gewesen wahr, sich um solch ambt ansuchet P Nur Böcke strebten also nach dem Gärtneramt. Immer wieder plädierten die Kriegsherren dafür, die Reihen der Schützen zu überprüfen und Unqualifizierte auszumustern. 1546 wurde den Schützen, die geeignete Kandidaten vorschlugen, eine Belohnung von 10 Kreuzern versprochen. Die Qualifikationsanforderungen waren denkbar gering. Tugenlich und rechtschaffen waren die nachgefragten Eigenschaften bei den Schützen. Um solche Männer für das Amt zu erwärmen, so die Kriegsher­ ren 1546, müsse sich die Obrigkeit zukünftig deutlicher hinter die Schützen stellen. Wo ain schützen sins dienst halbes von jemant angetast oder geschmeckt wurde, das man, wo es geclagt wirdt, mit gepurlicher straff gegen denselben unableßlich handle und anndern ain exempel mach, weil solch schmecken und verachten ein jeder schewet, der villeicht den dinnst wol leydenn möchtJG Offensichtlich hatten die Gehaltsaufbesserungen um die Mitte des 16. Jahr­ hunderts wenig zur Abstellung des schlechten Rufs der Schützen beigetragen. Deutlich erkennbar setzte sich ab etwa 1560 eine andere Strategie bei den Kriegsherren durch. Das Schützenproblem war durch höhere Gehälter allein nicht zu lösen. 1564 bilanzierten die Kriegsherren das Resultat ihrer Bemühungen um die ökonomische Besserstellung der Schützen: So hat ir ainer von seinem verdienst auß der kriegsstuben an wartgelt, gassen solden und anndern nach ungefehrlichen uberschlagen jerlich. . . nit über 20 Gulden unnd da man dan gleich noch 16 fl. zulegte, würde es dennoch nit können ausreichen. Das man kain solch gellt also 11 73 74 75 7r>

St AN, StAN, StAN, StAN, StAN,

Rst. Rst. Rst. Rst. Rst.

Nbg., AStB Nbg., AStB Nbg., AStB Nbg., AStB Nbg., AStB

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

155b, f. 790v; 791v; 793v. . 155b, f. 792v. 155b, f. 793v. 155b, f. 793. 155b, f. 792v.

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vergeblich hinauß geben sollt, ivere ja nit zu rathen. Unnd würde der stettige müssiggang bey solchen gesindt alles args unnd eben das verursachen, das sy mehr schadjen] dann nutzten]. Unnd wan man ir etwas zu ein einfall oder sonst in der eyll bedurfft (wie dann des jars offt zu schulden kumbt) niendert zufinden oder zesamen zebringen sein würden J1 Schuld an dem fortwährenden Müßiggang der Stadtbediensteten und ihrer Unzuverlässigkeit war in den Augen der Kriegsherren nicht der Rat der Stadt, sondern die Schützen selbst und nicht zuletzt die Handwerker der Stadt. Da das Schützenamt eine Art Bereitschaftsdienst war, der besonders in ruhigeren Zei­ ten für sich genommen seinen Mann nicht nährte, boten die Schützen in der Zeit, wo die Stadt ihrer nicht bedurfte, traditionell an der Peunt, dem städti­ schen Bauhof, ihre Arbeitskraft für Tagelöhnerdienste an. Mittlerweile war es aber angeblich dazu gekommen, daß die Schützen, wenn sie überhaupt dorthin kamen, auf der Peunt nur herumlungerten. Die Schützen klagten, dies ge­ schehe, weil die Bauhandwerker sich weigerten, sie zu beschäftigen. 1567 be­ tonten sie, das geschehe allein auß Verachtung unnd würden dieselben über die arbait nit zu clagen habend1*. Auch wäre es ein Unding, daß Rat und Bürger den Schützen verwehrten, eigenen Rauch zu halten, d.h. einen eigenen Hausstand zu führen. Zudem weigerten sich Handwerker, die Kinder von Schützen in ihr Handwerk aufzunehmen. Bis zu 50 Meilen mußten diese Schützensöhne wandern, um ei­ nen Handwerker zu finden, der bereit war, sie trotz des väterlichen Berufs in die Lehre zu nehmen.79 Dem passiven Widerstand der Handwerker zur Seite stand der aktive Wi­ derstand der Bürger gegen das Polizeipersonal, der nicht selten mit Verletzten endete. Im dem bei Fürth gelegenen Dorf Poppenreuth sollten am 5. März 1586 zwei Schützen den gerade dort in Dienst getretenen Knecht Götz fest­ nehmen und nach Nürnberg ins Lochgefängnis führen. Als die beiden Schützen den Knecht verhaften wollten, leistete er heftigen Widerstand. Sein Bauer und drei Nachbarn kamen hinzu und verprügelten die Schützen mit Mistgabeln und anderem Ackergerät. Nur der Pfarrer des Ortes vermochte Schlimmeres zu verhüten. Die Zeugenaussagen in diesem Fall widersprechen sich. Ein Tatbetei­ ligter, der Bauer des Knechtes, bemängelte darin auch das Verhalten der Schüt­ zen. Auf seine Frage, was gegen seinen Knecht vorliege, erhielt der Bauer den arroganten Hinweis, er werde es schon früh genug erfahren. Auch auf sein An­ gebot, selbst die Schützen in die Stadt zu begleiten und die Rechtsangelegen­ heit des Knechtes zu regeln, mochten die Schützen nicht eingehen. Stattdessen, so der Bauer, hätten sie ihre Waffen gezogen und so erst die Gewalteskalation

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StAN, Rst. Nbg., AStB Nr. 155b, f. 794v. StAN, Rst. Nbg., AStB Nr. 155b, f. 196m. StAN, Rst. Nbg., AStB Nt. 155b, f. 794.

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Bürger, Rat und Polizei in Nürnberg im 15. und 16. Jahrhundert

eingeleitet.80 Was immer in Poppenreuth passiert sein mag, so ist eine große Ablehnung der Stadtschützen und auch der Stadtknechte durch die Bevölke­ rung unverkennbar: Sie wurden beschimpft, angegriffen, mit Steinen und Schneebällen beworfen oder verprügelt.81 1521 wurde gar ein Schütze im Nürn­ berger Stadtbordell getötet. 1544 war die Mißachtung gegen die Schützen be­ reits so weit entwickelt, daß in der neuen Feuerordnung zum Schutz gegen Plünderungen und zur Erhaltung der allgemeinen Ordnung nicht mehr wie bisher der Einsatz von Schützen, sondern von drei Rotten Landsknechten fest­ geschrieben wurde. Die Begründung erscheint gleichermaßen lakonisch wie re­ signierend. Mit Schützen war die Ordnung nicht herzustellen, dann auff Schüt­ zen gibt niemand nichts?1 Wirksame Reformmaßnahmen vermochten die Kriegs­ herren nicht zu formulieren. Die Schützen blieben daher unterbeschäftigt, trotz mehrfacher Lohnerhöhungen arm und in weiten Teilen mit minderen Rechten, etwa das Recht auf einen eigenen Hausstand, ausgestattet. Faßt man es prä­ gnanter, so waren die Schützen zu einer unehrlichen Berufsgruppe geworden. 4. Ehre ist Zwang genug Blicken wir nun über Nürnberg hinaus, so wird schnell offenkundig, daß die schlechte Qualität und der schlechte Ruf des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Polizeiwesens nicht auf die fränkische Reichsstadt beschränkt war. Auch anderswo waren die Polizisten korrupt, gewalttätig, nachlässig und unbeliebt. Bürger und Einwohner verachteten und fürchteten sie.83 Vor uns breitet sich daher ein strukturelles Problem der vormodernen Strafrechtspraxis aus: Mit solchen Polizisten war kein Staat zu machen. Wenn auch das Rechts­ wesen im Spätmittelalter und vor allem in der Frühen Neuzeit umfänglich re­ formiert, modernisiert und damit vereinheitlicht wurde und schließlich auch 80 StAN, Rst. Nbg., AStB Nr. 226d, Fall 59 und 60. 81 1527 wurden während der Hinrichtung eines Nürnberger Bürgers der Kaplan, der Nachrichter und die anwesenden Stadtknechte mit Steinen beworfen. Vgl. Knapp: Lochgefängnis (wie Anm. 61), S. 63. 8J Emil Reicke: Geschichte der Reichsstadt Nürnberg von dem ersten urkundlichen Nachweis ihres Bestehens bis zu ihrem Übergang an das Königreich Bayern, Nürnberg 1896, S. 572, Anm. *. 83 Vgl. für Frankreich zuletzt Nicole Gonthier: Delinquence, Justice et Societe dans le Lyonnais medieval, Paris 1993, S. 41 ff. - Claude Gauvard: «De grace especial». Crime, Etat et Societe en France ä la fin du Moyen Age, 2 Bde., Paris 1991, passim. - Für Konstanz vgl. Peter Meisel: Verfassung und Verwaltung der Stadt Konstanz, Konstanz 1957, S. 136 ff. - Für Breslau: Paul Frauenstädt: Die Breslauer Strafrechtspflege im 14. bis 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für die gesamte StrafrechtswissenschaftlO (1890), S. 1-35 und S. 229-250 -Für Avignon: Jacques Chiffoleau: Les Justices du Pape: Delinquance et Criminalite dans la Region d’Avignon au I4e siede, Paris 1984, S. 65 ff. - Für Rom: Peter Blastenbrei: Zur Arbeitsweise der Römischen Kriminalgerichte im späteren 16. Jahrhundert, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken, hrsg. vom Deutschen Historischen Institut Rom, Band 71, Tübingen 199L S. 425-481, bes. S. 433 f.

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dazu beitrug, ein staatliches Gewaltmonopol durchzusetzen, so blieb doch eine Reform der Polizei aus. ‘Polizisten’ waren schlecht bezahlt und blieben es. Und so waren es vorwiegend arme oder anderswo gescheiterte Menschen, die um die­ ses Amt nachsuchten.*1 Wie in Nürnberg, so war auch anderswo das Amt eines Schützen oder Stadtknechtes nur ein ‘Teilzeitjob’. Die Polizisten mußten ihr geringes Gehalt aufbessern, indem sie Nebentätigkeiten annahmen oder der Korruption verfielen. Doch auch wenn wir für das 15. und 16. Jahrhundert eine gleichbleibend schlechte Qualität der Polizei in Nürnberg konstatieren können und auch die Klagen der Einwohner wie der Obrigkeit nicht abreißen wollen, so spielten sich doch hinter der scheinbar so gleichen Fassade im 16. Jahrhundert tiefgreifende Wandlungsprozesse ab. Als unehrliche Berufsgruppe begegnen uns Schützen und Stadtknechte erst seit dem 16. Jahrhundert. Und seit dieser Zeit hatte der Rat gravierende Probleme, geeignetes Personal für die öffentliche Sicherheit der Stadt zu rekrutieren. Soldanhebungen konnten diese Entwicklung nicht aufhalten, da sie kaum die Verluste ausgleichen konnten, die durch die Weige­ rung der Handwerksmeister entstanden, Stadtknechte und Schützen zu be­ schäftigen. Folgt man den Darstellungen der Schützen und Stadtknechte, so hatte der Verlust der Ehre zunächst für die gesamte Familie ökonomische Kon­ sequenzen. Warum die Nürnberger Bürger ihrer Polizei die Ehre absprachen, und warum der Rat dies zuließ, kann erst die weitere Untersuchung der Nürn­ berger Verhälnisse offenlegen. Die Forschung machte bisher zwar das Phäno­ men plausibel, indem insbesondere der ständige Umgang der Polizeikräfte mit Malefizpersonen und auch ihre Mithilfe bei der Folter und der Hinrichtung als Ursachen genannt wurden85, erklärt jedoch nicht die Gründe für den Wandel gerade im 16. Jahrhundert. Eine undatierte Eingabe der Basler Gerichtsknechte an den Rat aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts könnte uns jedoch einer

84 Vgl. für Konstanz die Fallstudie von Peter Schuster: Der gelobte Frieden. Täter, Opfer und Herr­ schaft im spätmittelalterlichen Konstanz, Konstanz 1995. 85 Jutta Nowosadtko: Scharfrichter und Abdecker. Der Alltag zweier „unehrlicher Berufe“ in der Frühen Neuzeit, Paderborn u.a. 1994, S. 164. — Zu Nürnberg vgl. die älteren Arbeiten von Jürgen Üiesselhorst: Die Bestrafung der Selbstmörder im Territorium der Reichsstadt Nürnberg, in: MVGN 44 (1953), S. 58-230 und Ernst Mummenhoff: Die Kettenstöcke und andere Sicherheits­ maßnahmen im alten Nürnberg, in: MVGN 13 (1899), S. 1-38. - Für Augsburg vgl. Kathy Stuart: Unehrlichkeitskonflikte in Augsburg in der frühen Neuzeit, in: Zeitschrift des historischen Vereins für Schwaben 83 (1990), S. 113-129, bes. S. 121. In Basel hingegen nahm der oberste Stadtknecht ohne Einbuße seiner Ehre, so Gernhuber, bis 1541 die ganze Hinterlassenschaft der verstorbenen Scharfrichter an sich. „Er verlor dieses Recht nicht, weil man um seine Ehre besorgt war, sondern weil wegen der irregulären Beerbung des Henkers in Basel kein rechtschaffener Scharfrichter dort mehr Dienst begehrte.“ Joachim Gernhuber: Strafvollzug und Unehrlichkeit, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Germanische Abteilung 74 (1957), S. 119-177, hier S. 137.

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Antwort näher bringen, denn dieser Brief läßt die Spannungen ahnen, die aus dem steigenden obrigkeitlichen Disziplinierungsdruck erwuchsen. Die Eingabe der Basler Gerichtsknechte richtete sich gegen die vom Rat ver­ fügte strengere Verfolgung des Ehebruchs in Basel. Taktisch geschickt argu­ mentierten sie zunächst, den Leser vor Augen, daß bei konsequenter Anwen­ dung öffentlicher Strafen bei Ehebruchdelikten auch Mitglieder des Rates in eine schwierige Situation geraten könnten. Vor diesem Hintergrund sei nicht klar, wieviel empfindungen daraus ervolgen würden. Auch würde sich der Zorn ge­ gen die strenge Strafpraxis gegen sie als ausführende Organe richten und sie in noch stärkerem Maße aus der Gesellschaft ausgrenzen: Bevorab, so etwa einer undere uns von sinem dinst solte abkomen, so dürft er sich uff ehrsam zunfften oder sonst bey erlichen luten nit mer finden lassen. Wäre es da nicht besser, wie vor funffzig, sechzig und mer jaren auch gehalten, die Delinquenten den Heimlichem zu melden und nichtöffentlich abzustrafen?86 Es war demnach nicht nur die eingangs von Gerd Schwerhoff benannte personelle Schwäche der Exekutive, sondern auch der zum Teil massive Widerstand der Bevölkerung gegen die obrigkeitlichen Eingriffe in ihre Lebensgestaltung, die im 16. Jahrhundert die Durchsetzung der Poli­ zeiordnungen erschwerten. Den Versuch, mit Hilfe des Strafrechts und einer in­ tensivierten Gesetzgebung moralischen und pädagogischen Druck auf die Be­ völkerung auszuüben, beantworteten die Bürger mit ihrem eigenen Werte­ system, der Ehre. Die Ehre, die im Spätmittelalter wesentlich die Beziehungen der Bürger untereinander regelte und somit als (konkurrierendes) Normen­ system neben den städtischen Satzungen stand, richtete sich nun gegen eine ob­ rigkeitliche Normenproduktion, die alle Beziehungen mittels Ordnungen und Gesetzen regeln und das traditionelle System der Ehre überformen wollte. In­ dem das Konzept der Ehre zur Ausgrenzung und Diffamierung der Polizeibe­ diensteten eingesetzt wurde, verhinderten die Bürger die lineare Durchsetzung einer frühen Sozialdisziplinierung in der Stadt. Gleichzeitig zeigten sie damit der Obrigkeit ihre Grenzen auf: Indem die Bürger die Polizeikräfte mit Hilfe des Ehrbegriffs aus der Gesellschaft ausgrenzten, schlugen sie den Hund und meinten den Herrn.

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StA Basel: Strafe und Polizei C 10, Blatt 2.

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MUSIKINSTRUMENTENBAU UND -HANDEL IN NÜRNBERG IM AUSGEHENDEN MITTELALTER UND IN DER FRÜHNEUZEIT Von Rudolf Endres 1. Die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen Nürnberg war im Spätmittelalter und während der Renaissance anerkannter­ maßen eine Großstadt von europäischem Rang. Als eine der volkreichsten und bedeutendsten Städte im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ver­ dankte es seine herausragende Stellung nicht nur seiner Wirtschaftskraft, sei­ nem reichen Exportgewerbe und weltweiten Handel, sondern auch seiner ho­ hen Kulturblüte und seiner einzigartigen Verbindung von wissenschaftlichem Geist und bürgerlichem Gewerbe, die Nürnberg neben Florenz zur „Wiege der abendländischen Technik“ werden ließ.1 Dazu kamen die Funktionen als bevorzugter Tagungsort von Reichsver­ sammlungen, als Nachrichtenzentrum und vor allem als Hüterin der Reichsin­ signien, was Nürnberg den Ruf als „heimliche Hauptstadt des Reiches“ ein­ trug.2 Als centrum Europe simul atque Germanie, als Mittelpunkt Europas und Deutschlands, rühmten in ihrem „Städtelob“ die Humanisten die Reichsstadt an der Pegnitz,3 und der Reformator Martin Luther konstatierte: Nurmberg leucht warlieh jnn gantz Deudsches land wie eine sonne unter mon und Sternen .4 Bereits im Jahre 1219 hatte Kaiser Friedrich II. in dem sog. „Großen Frei­ heitsbrief“5 Nürnberg als carissima civitas bezeichnet, aber zugleich auch hervor­ gehoben, daß es sehr ungünstig gelegen sei, nämlich an einem Ort, der weder Weinberge noch Schiffahrt besitzt, dafür aber einen sehr harten Boden. Die natürlichen Voraussetzungen für die Königsstadt an der Pegnitz waren also ungünstig, aber dafür war die geostrategische und verkehrsgeographische Lage um so besser. Denn im Pegnitz-Regnitz-Gebiet lag die Kreuzung zweier wich­ tiger Handelsstraßen, von denen die eine Italien mit Nordeuropa und die an­ dere Frankreich sowie die Niederlande mit der Donau und weiter mit dem 1

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Vgl. Nürnberg. Geschichte einer europäischen Stadt, hrsg. von Gerhard Pfeiffer, München 1971, S. 155-264; Rudolf Endres: Nürnberg in der Frühneuzeit, in: Europäische Städte im Zeitalter des Barock. Gestalt - Kultur - Sozialgeflige, hrsg. von Kersten Krüger, Köln - Wien 1988, S. 141-167. Rudolf Endres: Nürnberg. „Carissima civitas“ - Kaiserstadt und Aufbewahrungsort der Reichsin­ signien, in: Hauptstadt. Zentren, Residenzen, Metropolen in der Deutschen Geschichte, hrsg. von Bodo-Michael Baumunk und Gerhard Brunn, Bonn - Köln 1989, S. 72-88. Fritz Schnelbögl: Die fränkischen Reichsstädte, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 31 (1968), S. 427. Luther: Werke. Weimarer Ausgabe Bd. 30, Abteilung II, S. 518. Abgedruckt in: Nürnberger Urkundenbuch, bearb. von Gerhard Pfeiffer (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Nürnberg 1), Nürnberg 1959, Nr. 178, S. 111-114.

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Osten und Südosten Europas verband. Als „Spinne im Netz“ des europäischen Fernstraßensystems stieg Nürnberg bald zu überregionaler Bedeutung auf.6 Schon in dem „Großen Freiheitsbrief' von 1219 wurde festgelegt, daß Nürn­ berg keinen anderen Herrn haben sollte als den König. Dieses enge Band zwi­ schen der Reichsstadt und dem Kaiser sowie Nürnbergs Kaisertreue und Reichsbewußtsein waren die grundlegenden Elemente der Politik und die Grundlinien der Geschichte Nürnbergs bis zum Ende des Alten Reiches.7 Dieser Bund zwischen Reichsstadt und Reichsoberhaupt brachte Vorteile für beide Seiten. So stellte Kaiser Ludwig der Baier als Dank für die treue Un­ terstützung der Reichsstadt im Kampf mit dem Gegenkönig und Papst Nürn­ berg zahlreiche Urkunden und Privilegien aus, und im Jahre 1332 gewährte er schließlich den Kaufleuten und Handelsunternehmen in der Reichsstadt an 72 Orten des Reiches die Zollfreiheit, wodurch das weitgespannte Handelsnetz der Nürnberger in Mitteleuropa endgültig abgesichert wurde.8 So verwundert es auch nicht, daß noch unter Ludwig dem Baiern die Nürnberger sogar gegen die übermächtige Konkurrenz der Venezianer und gegen die Unterdrückung des deutschen Handels in Venedig vorgingen. Sie übernahmen nun im „Fondaco dei Tedeschi“ den Vorsitz und gewannen so entscheidenden Einfluß auf die Märkte in Europa für die gesuchten und kostbaren Waren aus dem Orient wie Gewürze, Drogen, Baumwolle, Seide oder andere Luxusgüter.9 Noch erfolgreicher waren die Nürnberger Kaufleute im Osten, in Prag und vor allem in Polen. Von König Kasimir von Polen erhielten die Nürnberger Kaufleute das Privileg, in seinem ausgedehnten Königreich frei handeln zu dürfen, womit Polen für die nächsten Jahrhunderte zu einer Domäne des Nürn­ berger Fernhandels wurde. Zwischen Nürnberg und Krakau begann nun ein reger wirtschaftlicher, aber auch geistiger und kultureller Austausch, und über Lemberg hinaus drangen die Nürnberger Kaufleute sogar bis ans Schwarze Meer vor.10 Im Westen Europas erschwerten Frankreich und England das Vordringen des oberdeutschen Handels, doch über Genua und Südfrankreich eröffneten sich 6 Ilse von Strampf: Die Entstehung und mittelalterliche Entwicklung der Stadt Nürnberg in geogra­ phischer Betrachtung. Erlangen 1929; Wolfgang von Stromer: Handel und Gewerbe der Frühzeit, in: Nürnberg (wie Anm. 1), S. 46-54. 7 Eugen Franz: Nürnberg, Kaiser und Reich. Studien zur reichsstädtischen Außenpolitik. München 1930; R. Endres (wie Anm. 2), S. 72-88. 8 Stromer (wie Anm. 6), S. 48-54. 9 Emil Reicke: Geschichte der Reichsstadt Nürnberg von dem ersten urkundlichen Nachweis ihres Bestehens bis zu ihrem Übergang an das Königreich Bayern (1806). Nürnberg 1896, Nachdruck 1983, S. 190 f. 10 Wolfgang von Stromer: Wirtschaftsleben unter den Luxemburgern, in: Nürnberg (wie Anm. 1), S. 92-100.

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auch für die Nürnberger Firmen die Wege nach Spanien, wo der Handel mit dem kostbaren Safran eine wichtige Rolle spielte.11 Doch Fernhandel und Großunternehmungen waren nur die eine Seite des Nürnberger Wirtschaftslebens, die andere war der hohe technische Stand des Nürnberger Handwerks, das bereits sehr differenziert und spezialisiert war. Der „Nürnberger Witz“, der Erfindungsgeist und der Erfinderreichtum seiner Handwerker und Künstler waren sogar sprichwörtlich! Schon das Meisterver­ zeichnis von 1363 nennt etwa 1200 Meister in 50 verschiedenen Berufssparten, wobei rund ein Viertel aller Meister die hochspezialisierten Metallhandwerker stellten. Sie produzierten den „Tand“ oder die Waren, die eigentlich Nürnbergs Weltruf ausmachten und die zu den begehrtesten Exportgütern Europas im Orient gehörten, nämlich Nadeln, Scheren, Messer, Spielzeug, Leuchter und andere Haushaltungsgegenstände, aber auch Rüstungen und Waffen aller Art.12 Der unverkennbare finanzielle und wirtschaftliche Niedergang der Reichs­ stadt nach dem Dreißigjährigen Krieg, der durch die Verlagerung der großen Handelswege und Handelsströme und vor allem durch die vielen merkantilistischen Zollschranken, Importsperren und Handelshindernisse der großen Terri­ torien verursacht wurde, führte schließlich zu einem Rückgang der Bevölke­ rung und zu einem deutlichen Verlust der bisherigen politischen Bedeutung. Das negative Bild vom Niedergang Nürnbergs ist aber nur die eine Seite der Medaille, denn Nürnberg konnte noch immer gerade auf kulturellem Gebiet erstaunliche Leistungen und Aktivitäten vorweisen, wenn auch die künstle­ rische Hochblüte der Dürer-Zeit nicht mehr erreicht wurde. Dafür wandte sich nun der bürgerliche Geist den neuen Wissenschaften zu, insbesondere den Na­ turwissenschaften und der Technik. Nürnberg wurde nun zu einem Zentrum der Kulturentfaltung, zu einem Umschlagplatz für Wissen, da offensichtlich die modernen Naturwissenschaften und die Technik dem praktischen Geist und der handwerklichen Tradition der Reichsstädter entgegenkamen. Auch war Wissenschaft jetzt nicht mehr Sache einiger weniger heraus ragender Individuen und Künstler, sondern breite handwerkliche Kreise befaßten sich damit und wandten sich ihr interessiert zu.13 11

Hermann Kellenbenz: Oberdeutsche Safranhändler. Fremde Kaufleute auf der iberischen Halbinsel, in: Kölner Kolloquium zur internationalen Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Köln 1970; Ludwig Veit: Handel und Wandel mit aller Welt. Aus Nürnbergs großer Zeit (Bibliothek des Germani­ schen National-Museums Nürnberg 14), München 1970, S. 11 f. ,J Rudolf Endres: Zur Lage der Nürnberger Handwerkerschaft zur Zeit von Hans Sachs, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 37 (1977), S. 107-123; ders.: Das Handwerk in Nürnberg im aus­ gehenden Mittelalter, in: Nürnberg und Bern. Zwei Reichsstädte und ihre Landgebiete, hrsg. von Rudolf Endres (Erlanger Forschungen Reihe 4, Bd. 46), Erlangen 1990, S. 49-80. '■ Zur Neubewertung der Geschichte Nürnbergs nach dem Dreißigjährigen Krieg siehe Endres (wie Anm. 1), S. 141-167; ders.: Nürnberg im 18. Jahrhundert, in: MVGN 75 (1988), S. 133-153.

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Internationaler Handel brachte aber auch den Austausch von Ideen und Wis­ sen mit sich, was wiederum den technischen Fertigkeiten und Innovationen in der Reichsstadt zugute kam. Auch holten sich weitgereiste und weltoffene Kaufleute oder auch Künstler, wie Veit Stoß oder Albrecht Dürer, wertvolle Anregungen und Eindrücke in Krakau, Prag, Flandern oder Italien.14 Die weit­ gespannten internationalen Handelsbeziehungen im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit nützten auch die Tonsetzer und Organisten wie Georg Paumann (1410-1473), Hans Leo Häßler (1564-1612), Johann Staden (1581—1634) oder Pachelbel (1653—1706). Sie reisten nach Böhmen, Wien oder Italien, um dort durch Anregungen, Inspirationen und Aufnahme neuer Musikstile den eigenen musikalischen Horizont zu erweitern, so daß Nürnberg „an der Schwelle zur Neuzeit als musikalisches Hauptzentrum des deutschen Sprachraums von europäischer Weite“ Geltung besaß.15 Früh wurde die „heim­ liche Hauptstadt des Reiches“ auch Treffpunkt fahrender Musikanten aller Stände und Professionen,16 die das Musikleben bereicherten und Nürnberg zu einem Zentrum des Orgelbaus und der Blasinstrumentenfertigung vom ausge­ henden Mittelalter bis in das 18. Jahrhundert werden ließen.17 2. Der Orgelbau und der Orgelhandel in Nürnberg Die Pflege weltlicher Musik war zunächst Ausdruck ständischen Bewußtseins des patrizischen Stadtregiments, später aber musizierten viele kunstsinnige Pa­ trizier auch in sog. „Musicalischen Gesellschaften“ oder „Musikkränzlein“ in privater Atmosphäre zusammen mit hauptamtlichen Musikern. Wichtige Im­ pulse in der Fortentwicklung des Instrumenten- und vor allem des Orgelbaus, der bereits in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts einen bedeutenden Auf­ schwung erfuhr18, kamen jedoch aus dem Bereich der geistlichen Musik. Schon zur Zeit des blinden Organisten Konrad Paumann19 — er wurde um 1410 geboren — waren sowohl die beiden Hauptpfarrkirchen St. Sebald und 14 15

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Vgl. Ludwig Grote: „Hier bin ich ein Herr“. Dürer in Venedig (Bibliothek des Germanischen National-Museums 2-3), München 1956. Zitat bei Franz Krautwurst: Musik des 15. und der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts, in: Nürnberg (wie Anm. 1), S. 211. Weiterhin Franz Krautwurst: Musik der 2. Hälfte des 16. und des 17. Jahr­ hunderts, in: Nürnberg (wie Anm. 1), S. 287-291; ders.: Hans Leo Häßler, in: Fränkische Lebens­ bilder 11 (1984), S. 140-162. Krautwurst: Musik (wie Anm. 15), S. 213. Franz Krautwurst: Musik des 18. Jahrhunderts, in: Nürnberg (wie Anm. 1), S. 344-346. Krautwurst, Musik (wie Anm. 15), S. 213; Uwe Martin: Die Nürnberger Musikgesellschaften, in: MVGN 49 (1959), S. 185-225. Franz Krautwurst: Konrad Paumann, in: Fränkische Lebensbilder 7 (1977), S. 33—48; ders.: Neues zur Biographie Konrad Paumanns, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 22 (1962), S. 141-156.

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St. Lorenz als auch die Frauenkirche und die Heilig-Geist-Spitalkirche sowie wahrscheinlich auch die St. Egidienkirche mit neuen Orgeln ausgestattet. Paumann, der zunächst mit einer Stelle als Organist in St. Sebald betraut worden war, wurde am 11. August 1447 schließlich zum Stadtorganisten ernannt. Zu den Amtspflichten des Stadtorganisten zählte auch, bei den Festlichkeiten des Rates, bei Tänzen oder Umzügen mit dem Portativ, der Tragorgel, die musika­ lische Unterhaltung zu übernehmen. Darüber hinaus oblagen dem Stadtorgani­ sten die technische Wartung und, wenn erforderlich, die Reparaturen aller in der Reichsstadt vorhandenen Orgelinstrumente. Mit Paumann setzte in Orgel­ bau und Orgelspiel eine Aufwärtsentwicklung ein, die Nürnberg bald als „deutsche Orgelstadt“ erstrahlen ließ.20 Seit Paumann und seinem Schülerkreis kann in Nürnberg in lückenloser Folge die Bestallung von Orgelmachern nachgewiesen werden, die aus dem Schreinerhandwerk hervorgegangen waren und der strengen Aufsicht des städ­ tischen Rugamtes unterstanden. Da die großen Gotteshäuser der Reichsstadt bereits über bedeutende Orgelinstrumente verfügten, wirkten die bestallten Orgelbauer vor allem außerhalb Nürnbergs. So fertigte Peter Grünewald, seit 1579 Orgelmacher in Nürnberg, im Jahre 1596 für die Stadt Ellingen, 1597 für das Predigerkloster in Eichstätt und 1601 für Heilsbronn je eine Orgel und untermauerte damit die führende Stellung der Reichsstadt im Kirchenorgel­ bau, und zwar über die Konfessionsgrenzen hinweg.21 Auch sein Sohn Niclas Grünewald übernahm neben Reparaturaufträgen in Nürnberg, Eger, Ansbach, Aschaffenburg und Frankfurt in den Jahren 1609/1610 die Ausstattung der Ansbacher Stiftskirche St. Gumbert und 1624 der Frankfurter Barfüßerkirche mit neuen Orgeln.22 Niclas Grünewald folgte jedoch nur kurze Zeit seinem Va­ ter im Amt des Nürnberger Stadtorgelmachers, denn wegen sittlicher Verfeh­ lungen und hoher Verschuldung mußte er bald das Amt aufgeben.23 Sein Nach­ folger Steffen Cuntz schuf vier Orgelneubauten, wobei sich unter den Auftrag­ gebern auch die Grafen von Hohenlohe-Ohringen befanden. 1623 löste ihn sein ehemaliger Geselle Nicolaus Manderscheidt ab, den alle Nürnberger Organi­ sten um Übernahme des Amtes als Stadtorganist auf Lebenszeit gebeten hatten. Zusammen mit seinem Sohn Andreas, der 1662 als Stadtorganist seine Nachfolge antrat, setzte er insbesondere den Portativbau in Nürnberg, welcher durch die reiche Musikpflege rasch aufblühte und zur Domaine der Stadtorgel20 Krautwurst: Konrad Paumann (wie Anm. 19), S. 35. 21 Hermann Fischer/Theodor Wohnhaas: Die Nürnberger Orgelbauer Grünwald, in: MVGN 76 (1989), S. 299-310, hier S. 303. 22 Fischer/Wohnhaas (wie Anm. 21), S. 308. 25 Jürgen-Peter Schindler: Der Nürnberger Orgelbau des 17. Jahrhunderts, Michaelstein/Blanken­ burg 1991, S. 14.

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macher des 17. Jahrhunderts wurde.24 Mit der Entwicklung dieses neuen Or­ geltyps, der zum Markenzeichen des Musikinstrumentenbaus der Reichsstadt werden sollte, lief allerdings die lange Tradition des Nürnberger Kirchenorgel­ baus langsam aus. Doch die intensive Musikpflege im privaten und häuslichen Bereich steigerte die Nachfrage nach den kleinen transportablen Orgelwerken im 17. Jahrhundert ganz beträchtlich. Die Handlichkeit der neuen Or­ gelinstrumente mit ein-, eineinhalb-, zwei- oder höchstens vierfüßigen Pro­ spekten machte sie besonders als Handelsgut geeignet, das leicht auch überre­ gional transportiert und vertrieben werden konnte. So erwarben nicht nur die Patrizier in der Reichsstadt die neuartigen Instrumente, sondern Händler und fahrende Musiker aller Stände trafen sich in Nürnberg, dem führenden Zen­ trum des Orgelbaus in Europa.25 Mit Recht führte Joseph Ferdinand Roth in seiner Zusammenstellung der wichtigsten Nürnberger Handelswaren im 17. Jahrhundert auch die Orgeln auf.26 Da die Nürnberger Orgeln ein wichtiges und begehrtes Handelsgut darstell­ ten und in Kirchen, Gymnasien, Privathäusern und an den Fürstenhöfen weite Verbreitung fanden, unterstützte der Nürnberger Rat nachdrücklich diesen wichtigen Handelszweig. Er sorgte für eine ausreichende Zahl von Instru­ mentenbauerwerkstätten in der Stadt, kontrollierte aber auch die Einhaltung der Lieferzeiten und die Qualität der Orgeln mit aller Strenge. Nach dem Dreißigjährigen Krieg stieg die Nachfrage nach den Orgelwerken aus Nürn­ berg noch einmal sprunghaft an, denn die vielen zerstörten oder geraubten In­ strumente mußten ersetzt werden. Aber auch die Einführung des Hausgottes­ dienstes führte nicht nur in der Reichsstadt selbst zu einem Anstieg des Ab­ satzes von Orgeln.27 3. Der Blasinstrumentenbau Neben dem Orgelbau war Nürnberg auch im Blasinstrumentenbau vom 16. Jahrhundert bis zum Ende des Alten Reiches in Europa, zusammen mit Vene­ dig, führend und verlieh der Reichsstadt den Glanz einer herausragenden Mu­ sikmetropole. Das vielfältige musikalische Leben in der Stadt und die günstige Lage im Fernverkehrsnetz boten beste Voraussetzungen für das Aufblühen des bedeutenden Gewerbes. Grundlage für die Etablierung der verschiedenen Blasinstrumentenmacher­ gewerbe in Nürnberg stellte die Verleihung des Privilegs zum Gebrauch von 24 25 26 27

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Schindler (wie Anm. 23), S. 17-23. Schindler (wie Anm. 23), S. 21. Joseph Ferdinand Roth, Geschichte des Nürnbergischen Handels, Leipzig 1801, Bd. 2, S. 290. Schindler (wie Anm. 23), S. 22 f.

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Trompeten und Pauken durch Kaiser Sigismund 1431 dar, welches nicht nur dem ausgeprägten Repräsentationsbedürfnis des patrizischen Rates Rechnung trug, sondern damit auch die rechtlichen Voraussetzungen für die Herstellung und den Handel mit Instrumenten schuf.28 Denn seit dem späten Mittelalter war die Verwendung von Pauken und Trompeten allein der Hofhaltung re­ gierender Fürsten und noch einigen wenigen Reichsstädten Vorbehalten. Des­ halb gehörten gutausgebildete Musiker genauso zu den Herrschafts- und Sta­ tussymbolen der wichtigsten Reichsstädte wie erstklassige Instrumente. Die Stadttrompeter und -posauner in Nürnberg fertigten und reparierten ihre In­ strumente selbst, doch noch im 15. Jahrhundert spezialisierte sich aus dem Rotschmiedehandwerk, einem der angesehensten Handwerke in der Reichs­ stadt, das Trompetenmachergewerbe. Der älteste nachweisbare Trompetenma­ cher in Nürnberg war der Stadtpfeifer Hans Neuschel, der noch als „Rotschmieddrechsel“ bezeichnet wurde.29 Seine Blasinstrumente fanden europaweit Verbreitung. Er wurde sogar Hoflieferant Kaiser Maximilians I., und auch für Papst Leo X. schuf er mehrere silberne Posaunen. Als er 1533 starb, übernahm sein Sohn Georg seine Werkstatt und pflegte weiterhin den Geschäftskontakt zu Fürstenhöfen, wie z. B. dem des Markgrafen von Brandenburg, dem er zahl­ reiche Posaunen, Trompeten, Zinken, Flöten, Rauschpfeifen und Heerpauken lieferte.30 Weitere Kunden waren die Könige von England, Dänemark und Po­ len. Mit seinem Tod 1557 erlosch jedoch die Familie.31 Etwa zur gleichen Zeit bekleideten die aus München stammenden Gebrüder Erasmus und Hans Schnitzer d. Ä. das Amt des Stadtpfeifers in Nürnberg und erwarben als Trom­ petenmacher sogar das kaiserliche Privileg zur Kennzeichnung ihrer Pro­ dukte.32 Ein weiteres Mitglied der Familie Schnitzer, die als Trompetenmacher bis ins 17. Jahrhundert tätig war, Anton Schnitzer d. Ä. (gestorben 1608) be­ lieferte u. a. Kaiser Maximilian II. Andere hervorragende Trompetenmacher­ meister waren Jakob Bauer, Anton Drewelweck und Conrad Lißner, die alle in geschäftlichen Verbindungen mit den großen Fürstenhöfen im ganzen Reich standen.33 Weniger Repräsentations- als vielmehr Gebrauchsgegenstände stellten die Produkte der Pfeifenmacher oder der Verfertiger von Holzblasinstrumenten 28 Krautwurst: Musik (wie Anm. 15), S. 212. 29 Willi Wörthmüller: Die Nürnberger Trompeten- und Posaunenmacher des 17. und 18. Jahrhun­ derts. Ein Beitrag zur Geschichte des Nürnberger Musikinstrumentenbaus, in: MVGN 45 (1954), S. 208-335, hierS. 212. 30 Wörthmüller (wie Anm. 29), S. 212. 31 Ekkehart Nickel: Der Holzblasinstrumentenbau in der Freien Reichsstadt Nürnberg (Schriften zur Musik 8), München 1971, S. 14. 32 Nickel (wie Anm. 31), S. 25. 33 Wörthmüller (wie Anm. 29), S. 213 f.

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dar. Ihren Absatzmarkt bildeten nicht die Fürstenhöfe, sondern vielmehr Städte und vor allem die vielen fahrenden Spielleute und auswärtigen Musiker, die entweder nach Nürnberg kamen oder sich auf den großen Messen mit Nürn­ berger Holzblasinstrumenten versorgten. So waren etwa auf der Nördlinger Messe, dem Verteilermarkt für Nürnberger Waren nach Oberdeutschland, regelmäßig Nürnberger Pfeifenmacher vertreten.34 Als der Nürnberger Flöten­ bau 1535 den siebenstimmigen Pommernsatz als epochale Neuentwicklung hervorbrachte, verhalf diese Erfindung dem Holzblasinstrumentenbau sogleich zu einem ersten Höhepunkt.35 4. Der Handel mit Blasinstrumenten Nicht nur im Fertigen oder Bauen von Blasinstrumenten nahm Nürnberg eine unbestrittene Spitzenstellung ein, sondern auch im Handel. Zwar wurden in der Regel die Holzblasinstrumente wie Zinken und Flöten aus venezianischen Werkstätten bevorzugt, jedoch beherrschten im Bereich der Blechblasinstru­ mente eindeutig Nürnberger Produkte den Markt. In seiner Geschichte des Nürnberger Handels weist Joseph Ferdinand Roth auf die Bedeutung und räumliche Verbreitung der Nürnberger Trompeten hin: Die Arbeiten der hiesigen Trompetenmacher waren immer an allen europäischen Höfen sehr geschätzt; besonders er­ hielten sie vor diesem häufige Bestellungen aus dem Österreichischen und Sächsischen.36 So beauftragte etwa der Innsbrucker Hof den Handelsmann Georg Wagger, Po­ saunen und Trompeten zur Bereicherung des höfischen Glanzes in der Reichs­ stadt zu bestellen.37 Durch den weiten Handel fanden Nürnberger Instrumente aber in ganz Europa Verbreitung. 1521 wurden Posaunen und Flöten nach Ant­ werpen, Köln und Mainz geliefert, und ein Jahr später ging eine weitere große Lieferung in die Niederlande. In Leipzig kamen laufend Flöten und Zinken aus Nürnberg an, und 1538 fertigten Sigmund und Mathes Schnitzer für den Pfalz­ grafen sogar Rauschpfeifen an, von denen auch der Königsberger Hof etliche er­ hielt. 1549 erreichte die Stadt Schweidtnitz eine Lieferung von Krummhörnern aus Nürnberg, und 1597 erhielt Heidelberg zahlreiche Instrumente.38 Die stete Präsenz der Nürnberger Instrumentenbauer und -händler auf den Messen in Nördlingen, Aachen, Leipzig oder Frankfurt sorgte zusätzlich für die Verbrei­ tung der Erzeugnisse aus der Reichsstadt.

34 35 36 37 38

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Nickel (wie Anm. 31), S. Nickel (wie Anm. 31), S. Roth (wie Anm. 26), Bd. Nickel (wie Anm. 31), S. Nickel (wie Anm. 31), S.

22. 22. 4, S. 152. 80. 81.

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5. Das Blasinstrumentengewerbe und der Handel im 17. und 18. Jahrhundert Anfang des 17. Jahrhunderts erhielt der Nürnberger Trompetenbau dank der weitsichtigen Wirtschaftspolitik des Nürnberger Rates neue Impulse zur Wei­ terentwicklung. Denn mit dem Erlaß einer „Trompetenmacher-Ordnung“ 1625 wandelte der Rat die freie Kunst der Blasinstrumentenfertigung in ein gesperrtes Handwerk um und sicherte durch die Beschränkung der zugelasse­ nen Meister den Handwerksbetrieben ihr Auskommen. Vornehme Heiraten, Hauskäufe und kunstvolle Grabstätten dokumentieren den Wohlstand vieler Nürnberger Instrumentenbauer im 17. Jahrhundert und die absolute Vorrang­ stellung Nürnbergs im kontinentalen Trompeten- und Posaunenbau. Herausra­ gende Vertreter des Handwerks stellte die Trompetenmacherfamilie Ehe, wel­ che von 1612 bis 1794 mit fünf Generationen dem Gewerbe angehörte. Der Fa­ milienbegründer Isaac Ehe, 1612 erstmals als Trompetenmacher erwähnt, zählte zu seinen Kunden sogar den Kaiser, für dessen Hoftrompeter er 20 In­ strumente anfertigte, sowie den Kurfürsten von Brandenburg, für den er 36 sil­ berne Trompeten lieferte. Georg Ehe, der als ehrlicher und beglauhter Handelsmann bezeichnet wurde, verkaufte 1628 an den König von Polen eine silberne Trom­ pete und versandte u. a. 1655 zwölf Messingtrompeten und eine Silbertrompete auf den Crembser Simoni Markt.™ Sebastian Hainlein d. J., 1594 geboren und Vertreter einer weiteren heraus­ ragenden Trompetenmacherfamilie, zeichnete sich auch durch eine außeror­ dentlich rege Handelstätigkeit mit Blasinstrumenten aus. Zu seinen wichtig­ sten Kunden zählte der kunstsinnige Erzbischof Paris Lodron aus Salzburg. Eine kostspielige Erziehung und mehrere Auslandsreisen seines Sohnes Paul, der wiederum Musiker, Komponist und Instrumentenbauer wurde, belegen den Reichtum der Familie, die allerdings Anfang des 18. Jahrhunderts ausstarb.40 Wie schon im 16. Jahrhundert, so bildeten auch nach dem Dreißigjährigen Krieg die Städte und vor allem die Fürstenhöfe die wichtigsten Absatzmärkte, wobei die Zahl der Großaufträge sogar noch zunahm. Insbesondere im barocken Glanz des 18. Jahrhunderts behielt die Trompete als wichtigstes Prunkinstru­ ment ihre Bedeutung bei. Dabei konnten trotz der wachsenden Konkurrenz aus Leipzig und Dresden die Nürnberger Werkstätten ihre Vorrangstellung noch lange behaupten. Zu ihren wichtigsten Auftraggebern zählten Erzherzog Ferdi­ nand von Graz, Herzog Johann Friedrich von Württemberg, der spätere Kur­ fürst von Bayern und Kunstmäzen Karl Theodor von der Pfalz und der fürstli­ che Hof zu Bamberg.

39 Wörthmüller (wie Anm. 29), S. 217-220. 40 Wörthmüller (wie Anm. 29), S. 232.

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Wenn auch der Bedarf der Stadtmusikanten und Kirchenmusiker an Trom­ peten nicht mit den Großaufträgen durch die barocken Fürstenhöfe konkurrie­ ren konnte, so bedeutete die Nachfrage in den Städten doch einen festen Kun­ denkreis, der von den Nürnberger Instrumentenmachern mit versorgt wurde. Allein Käufer aus Leipzig, darunter ein Stadtpfeifer, erwarben in den Jahren 1600 bis 1672 acht Posaunen, zwei Zinken, eine Altposaune, zwei große und zwei kleine Mundstücke, und die Leipziger gaben auch defekte Instrumente in Nürnberger Werkstätten zur Reparatur. Aber nicht nur Einzelnachfragen pri­ vater Kunden, sondern auch laufende Aufträge für Kircheninstrumente spielten eine wichtige Rolle. So bauten Johann Leonhard Ehe und Wilhelm Haas Trom­ peten für die Braunschweiger Brüderkirche, und Johann Leonhard Ehe fertigte zwei Trompeten, die die Tuchknappeninnung 1735 dem Kirchenchor der Stadt Schweidnitz zum Geschenk machte. Zum weltlichen Kundenkreis gehörte auch der Rat von Basel, der für seinen Herold eine prunkvolle repräsentative Trompete bei Sebastian Hainlein d. J. in Auftrag gab.'11 Die meisten Handwer­ ker der äußerst spezialisierten Musikinstrumentenbauer vertrieben aber ihre Er­ zeugnisse nicht selbst, sondern verkauften sie an Nürnberger oder durchrei­ sende Kaufleute. Insbesondere die Nürnberger Metallwarenhändler unter­ hielten nebenher einen ausgedehnten Fernhandel mit Musikinstrumenten. Es waren aber nicht allein fürstliche oder städtische Repräsentations­ ansprüche und Bedürfnisse sowie die Entfaltung des barocken Musiklebens in Konzert, Oper und Oratorien, die im 17. und 18. Jahrhundert für die Blüte im Instrumentenbau und Instumentenhandel sorgten, sondern auch das Mililtär und die Kriegsführung brachten neue Absatzmärkte. So erreichte der Bedarf der Heere an Trompeten als Signal- und Prunkinstrumente während des Dreißigjährigen Krieges einen Höhepunkt und bildete eine weitere Facette im ohnehin blühenden Nürnberger Waffenhandel. Noch im späten 18. Jahrhun­ dert galten Nürnberger Trompeten als die besten in Deutschland.^ 6. Der Holzblasinstrumentenbau im 17. und 18. Jahrhundert Um 1600 hatte der Holzblasinstrumentenbau und -handel in Nürnberg seinen ersten Höhepunkt bereits überschritten. Das Aussterben der führenden Familie Schnitzer, fehlender Nachwuchs und die wachsende Vorliebe für Zupf- und Streichinstrumente bereiteten der Nürnberger Pfeifenmachtertradition ein Ende. Die wertvollen Produkte der Nürnberger Lauten- und Violinmacher 41 42

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Wörthmüller (wie Anm. 29), S. 303. Krautwurst: Musik (wie Anm. 15), S. 291. Siehe auch Ekkehard Wiest: Die Entwicklung des Nürnberger Gewerbes zwischen 1648 und 1806 (Forschungen zur Sozial- und Wirtschaftsge­ schichte 12), Stuttgart 1968, besonders S. 174 und 179.

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Busch, Vogel und Hummel waren nun in ganz Europa begehrt, während das Holzblasinstrumentarium weitgehend auf Zinken und Fagotte in einfacher Ausführung reduziert blieb. Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts erholte sich der Holzblasinstrumentenbau wieder, doch führte dies nun zu einer zunehmen­ den Differenzierung. Die Entwicklung zum Soloinstrument, an deren Ende die Oboe und die Klarinette standen, machte auch die Flötenbauer zu Individuali­ sten, die ihre Kunstwerke mit persönlichem Signum versahen. Der berufliche Status änderte sich damit vom Massen- oder Gebrauchswarenproduzenten hin zum Künstler. Ein weiteres Resultat der Spezialisierung und der Holzinstrumentenvielfalt war das neue Handwerk der Wildruf- und Horndreher. Ihre Produkte oder In­ strumente aus Tierhorn wurden sowohl als Lockmittel während der Jagd als auch in der Jagdmusik eingesetzt. Am 13. Mai 1667 setzte der Rat mit der „Wildruffund Horndreher Ordnung“einem jahrelangen Streit zwischen den Wild­ drehern und den Drechslern ein Ende, aus denen sie hervorgegangen waren. Auch Kaufleute hatten sich für eine Klärung der Streitigkeiten engagiert, da­ mit das Gewerb nicht auf hießiger Stadt an andere frembde Ort gebracht werde43. Das Interesse der Händler lag vor allem in der Sicherung ihres Monopols für den Verkauf der Holzblasinstrumente. Ein weiteres wichtiges und gesuchtes Pro­ dukt der Horndreher waren die Jagdhörner, die der Verständigung unter den Jägern dienten. Doch trotz der günstigen Absatzbedingungen waren vermö­ gende Horndreher selten, und viele unbesungene Beerdigungen sind Hinweise für die Armut und Not zahlreicher Familien. Als 1868 der letzte Meister aus der Familie Hermann verschied, starb mit ihm auch der Berufsstand der Horn­ dreher in Nürnberg aus.44 Aus dem Handwerk der Drechsler, Wildruf- und Horndreher erwuchs um die Mitte des 17. Jahrhunderts ein weiterer neuer Zweig der Holzblasinstrumentenfertigung. Denn der Drechslermeister Hieronymus Kinsecker bezeichnete sich erstmals als „Flötenmacher“, anstatt, wie bisher üblich, als Pfeifenma­ cher.45 Bis 1806 waren insgesamt 19 Flötenbauer in Nürnberg tätig, von denen die Familien Denner, Schell, Gähn, Oberlender und Engelhard die wichtigsten und bekanntesten Handwerker stellten. Insbesondere Johann Christoph Denner (1655—1707), der zwar die Klarinette nicht erfunden, aber doch deren Entwick­ lung nach französischen Vorbildern maßgeblich gefördert und konstruktiv mit­ gestaltet hat, gehörte zu den profiliertesten Flötenmachern in Deutschland.46

43 Nickel (wie Anm. Nickel (wie Anm. 45 Nickel (wie Anm. 46 Nickel (wie Anm.

31), S. 3D, S. 3D, S. 31), S.

109 f. 122 f. 172. 199—214.

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Auch die Flötenbauer betätigten sich als rege Händler und Verkäufer ihrer Instrumente. Johann Ferdinand Roth benennt als ihre Handelsgegenstände und -produkte Flütentravers mit 3 Mittelstücken, von Buchsbaum, mit Elfenbein garniert; Fagot von Ahornholz; Waldhorn, messingenes; Clarinetten von Buchsbaum mit Elfen­ bein . . .47. Aus diesem reichhaltigen Angebot bestellte etwa das österreichische Kloster Göttweig und von Jakob Denner gleich mehrere Flöten. 1699 gab der Hof in Innsbruck in Nürnberg ein Fagott in Auftrag, und 1710 interessierte sich Generalfeld marschall Johann Franz Graf von Gronsfeld für Flöten und Klarinetten aus der Werkstatt Denner. 1741 belieferte Johann David Denner die Reichsstadt Nördlingen mit seinen Instrumenten, und für 1768 belegt das Inventar des Darmstädter Hofes mehrere Schnabelflöten aus den Werkstätten Denners und Gahns.48 Gerade die familiäre Kontinuität der Flötenbauer in Nürnberg, wie die der Familie Denner, garantierte über lange Zeit das außergewöhnlich hohe Niveau des Instrumentenbaus. Mit Recht spricht man von einer „Nürnberger Schule“ des Musikinstrumentenbaus.49 Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erlag Nürnberg jedoch mehr und mehr der Konkurrenz anderer aufstrebender Städte, voran Dresden und Leipzig. Die Wirren der „Ara Napoleon“ mit dem Verlust der traditionellen Märkte kosteten schließlich Nürnberg die führende Position in Produktion und Handel mit Musikinstrumenten.

47 Roth (wie Anm. 26), Bd. 2, S. 305. 48 Nickel (wie Anm. 3D, S. 325 f. 49 Nickel (wie Anm. 31), S. 331.

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NÜRNBERGER BÜCHERSAMMLER UM 1500. Inkunabeln aus dem Besitz von Christoph Scheurl und einigen seiner Zeitgenossen in Oxforder Bibliotheken Von Bettina Wagner Die bedeutenden Privatbibliotheken, die prominente Einwohner der Reichs­ stadt Nürnberg im 15. und frühen 16. Jahrhundert anlegten und in denen sich ihre literarischen Interessen und der Einfluß humanistischen Gedankenguts manifestierten, sind heute in den meisten Fällen in alle Winde zerstreut. Oft erbten die Bücher schon wenige Generationen nach dem Tod der Sammler ent­ fernte und auswärtige Verwandte, deren finanzielle Lage und bisweilen man­ gelndes Interesse an veralteter’ Literatur dazu führten, daß die Sammlungen verkauft und damit aufgelöst wurden. Nur in Ausnahmefällen blieben Biblio­ theken als Einheit erhalten, wie es die testamentarischen Verfügungen ihrer Be­ sitzer fast immer bestimmt hatten. Auf dem Weg durch die Hände von Buch­ händlern, Bibliophilen und Bibliothekaren gingen dann viele Merkmale verlo­ ren, mit denen der Erstbesitzer ein Buch für seine Zwecke gestaltet und als sein Eigentum gekennzeichnet hatte: Frühe (Holz-)Einbände wurden wegen ihres Gewichts abgenommen, mußten wohl auch weichen, wenn ein späterer Besit­ zer auf das homogene Erscheinungsbild seiner Bibliothek Wert legte oder zu­ sammengebundene Werke einzeln aufstellen wollte; Exlibris-Eintragungen auf Vorsatzblättern wurden ausradiert, überklebt oder beim Neubinden entfernt, Marginalnotizen ausgewaschen oder beschnitten. Erst seitdem die Provenienz­ forschung sich nicht nur mit mittelalterlichen Handschriften befaßt, sondern auch die in erheblich größerer Zahl überkommenen gedruckten Bücher als Do­ kumente des literarischen Lebens an der Epochenwende auswertet, werden selbst spärlichste Indizien registriert und zum Sprechen gebracht, die bisweilen zur Rekonstruktion verlorener Bibliotheken beitragen und damit ein geistiges Profil ihrer Besitzer zeichnen können. Nach dem Vorbild der neueren Inkunabelkataloge europäischer Bibliothe­ ken1 *ist3 nun auch in der Bodleian Library der Universität Oxford ein Katalog 1 Vgl. z. B. J[ohn] C[laud] T[rewinard] Oates: A Catalogue of the Fifteenth-Century Printed Books in the University Library Cambridge, Cambridge 1954. - Vera Sack: Die Inkunabeln der Univer­ sitätsbibliothek und anderer öffentlicher Sammlungen in Freiburg im Breisgau und Umgebung, 3 Bände (Kataloge der Universitätsbibliothek Freiburg im Breisgau 2, 1-3), Wiesbaden 1985. Bibliotheque Nationale [Paris], Catalogue des incunables, Band 2, Paris 1985, Band 1/1, Paris 1992. - Bayerische Staatsbibliothek, Inkunabelkatalog, hg. v. Elmar Hertrich, Band 1 ff, Wies­ baden 1988 ff.

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der Inkunabelsammlung im Entstehen begriffen,2 die (obwohl die ursprüngli­ che Bibliothek schon im 15. Jahrhundert gegründet wurde) ihre Bedeutung als die zweitgrößte Sammlung Englands vor allem Schenkungen und Erwerbun­ gen im 19. Jahrhundert verdankt. Aus den nach der Säkularisation aufgelösten süddeutschen Klosterbibliotheken und bei Versteigerungen privater Sammlun­ gen kamen zu dieser Zeit zahlreiche Inkunabeln nach Oxford. In England en­ dete damals vielfach eine Reise, die begonnen hatte, als ein Nürnberger Patri­ ziersohn während seiner Studienzeit in Italien eine literarische Neuerscheinung oder ein wissenschaftliches Standardwerk kaufte und seine Bücher wenig später bei seiner Rückkehr in die Heimat über die Alpen nach Norden brachte. Die Sammlung des Nürnberger Ratskonsulenten Christoph II. Scheurl (1481-1542)3 ist zwar eine der wenigen Humanistenbibliotheken, die sich noch heute am gleichen Ort und sogar im Besitz der gleichen Familie befindet;4 dennoch ist auch sie nicht von Verlusten verschont geblieben. In der Inkuna­ belsammlung der Bodleiana werden einige Frühdrucke aus dem Besitz von Christoph Scheurl aufbewahrt, die Licht auf den Bildungshintergrund und die literarischen Interessen ihres Erstbesitzers zu werfen vermögen. Scheurl ist bis heute besonders wegen seiner Rolle bei der Einführung der Reformation in Nürnberg bekannt, als er sich um eine Vermittlung zwischen der päpstlichen und der lutherischen Partei bemühte.5 Viele Jahre bevor er zu einer einflußreichen Gestalt im Nürnberger Rat wurde, legte er wie so viele

2 Ein in den siebziger Jahren von Leslie Sheppard angelegter Katalog blieb leider ungedruckt und ist lediglich in der Form eines Kartenindex in der Bibliothek verfügbar; im folgenden beziehen sich Verweise auf Sheppard auf die Nummer der jeweiligen Karte. Das Katalogisierungsprojekt wird von der Thyssen-Stiftung und der Kulturstiftung der Länder gefordert. 3 Zu seiner Biographie vgl. Wilhelm Graf: Doktor Christoph Scheurl von Nürnberg (Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance 43), Leipzig / Berlin 1930 und zuletzt Sieg­ fried Frhr. Scheurl von Defersdorf, Christoph II. Scheurl, Humanist und Jurist, 1481-1542, in: Berühmte Nürnberger aus neun Jahrhunderten, hg. v. Christoph von Imhoff, Nürnberg 21989, S. 97-98. 4 Für Informationen sowie den bereitwillig gewährten Zugang zu den Archivalien danke ich Herrn Dr. Siegfried Freiherr von Scheurl sehr herzlich. 5 Vgl. Franz Freiherr von Soden: Beiträge zur Geschichte der Reformation und der Sitten jener Zeit mit besonderem Hinblick auf Christoph Scheurl II., Nürnberg 1855. - Felix Edmund Streit: Chri­ stoph Scheurl, der Ratskonsulent von Nürnberg, und seine Stellung zur Reformation, Plauen 1908, S. 24-38. - Philipp Norton Bebb: The Lawyers, Dr. Christoph Scheurl, and the Reformation in Nürnberg, in: The Social History of the Reformation, hg. v. Lawrence P. Buck und Jonathan W. Zophy, Ohio 1972, S. 52-72. - Wolfgang Reinhard: Die Anfänge der Reformation in Nürnberg, in: Nürnberg und Italien. Begegnungen, Einflüsse und Ideen (Erlanger romanistische Dokumente und Arbeiten 6), hg. v. Volker Kapp und Frank-Rutger Hausmann, Tübingen 1991, S. 9-24. - An einer Dissertation über Christoph II. Scheurl und die Reformation in Nürnberg arbeitet Frau Christine Rießbeck.

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Nürnberger Büchersammler um 1500

Nürnberger Patriziersöhne6 die Grundlage zu seiner juristischen Karriere durch ein langjähriges Studium (von 1498 bis 1506) an der damals bedeutendsten Hochschule für Recht, der Universität von Bologna. Über Scheurls Leben in Italien in den Jahren 1505 und 1506 sind wir durch eine Vielzahl von Briefen unterrichtet, die er an seine Nürnberger Verwandten und Freunde schickte und die in seinem sogenannten ‘Briefbuch’ erhalten sind.7 Sie liefern zugleich wich­ tige Angaben über die Bücher, die Scheurl während seiner Studienzeit erwarb und die den Grundstock seiner Bibliothek bildeten. Obwohl Christoph Scheurl immer wieder den Entschluß faßte, sich verstärkt dem Studium der Rechte zu widmen8, vermochte er sich doch nicht ganz den literarischen Kreisen Bolognas zu entziehen, deren Mittelpunkt der Humanist Philippus Beroaldus (1453—1505)9 bildete. Beroaldus, der seit 1479 als Profes­ sor der Rhetorik und Poetik in Bologna lehrte, scharte eine große Zahl deut­ scher Schüler um sich, unter denen die Humanisten Johannes Rhagius Aesticampian, Konrad Peutinger aus Augsburg10, Johann Kitzscher aus Naumburg und Jakob Locher Philomusus besondere Erwähnung verdienen.11 Seine Vorle­ sungen zogen genügend Studenten an, um die Drucklegung des behandelten Stoffs als ein finanziell lohnendes Unternehmen erscheinen zu lassen. Die freundschaftlichen Verbindungen, die Beroaldus mit ehemaligen Schülern in ganz Europa kultivierte, zeigen sich in den Widmungsbriefen der gedruckten Ausgaben seiner Werke. Während Geldgeschenke ehemaliger Schüler eine

r’ Vgl. Franz Xaver Pröll und Werner Schultheiß: Nürnberg und Italien. Die kulturellen und wirt­ schaftlichen Beziehungen (Ausstellungskatalog der Stadtbibliothek Nürnberg 44), Nürnberg 1965. - Siehe auch Niklas Holzberg: Willibald Pirckheimer. Griechischer Humanismus in Deutschland (Humanistische Bibliothek 1/41), München 1981, S. 29. 7 Franz Freiherr von Soden und J. K. F. Knaake: Christoph Scheurls Briefbuch, ein Beitrag zur Ge­ schichte der Reformation und ihrer Zeit. Erster Band: Briefe von 1505-1516, Potsdam 1867, Zweiter Band: Briefe von 1517-1540, Potsdam 1872 [zitiert als: Briefbuch]. Ergänzungen wurden vorgelegt von Gustav Bauch: Zu Christoph Scheurls Briefbuch, in: Neue Mitteilungen aus dem Ge­ biet historisch-antiquarischer Forschungen 19 (1898), S. 400-456. 8 Am 29. Januar 1506 teilt Scheurl Sixt Tücher mit: Exacti sunt quatuor anni, quibus in secularibus litteris nullam lectionm nisi quandoque doctoris honorandi gratia audivi; non tarnen eo infitias me aliquando, ubi tuas disertas litteras accepi, ad ea studia calcaria suscepisse et in Ulis succisivis horis animi causa versatum fuisse. Nam dies noctisque interdum magnam partem vendicarunt sibi, ut iusseras, graviora illa iuris civilis studia, tametsi nondum ad optatum finem pervenire potuerim (Briefbuch I Nr. 6, S. 10). Die Bevorzugung der artes vor den ungeliebten jura ist ein verbreitetes Motiv humanistischer Biographien, vgl. Holz­ berg (wie Anm. 6), S. 42. 9 Zu Beroaldus vgl. Konrad Krautter: Philologische Methode und humanistische Existenz (Humani­ stische Bibliothek 1/9), München 1971. 10 Zu Scheurls Kontakten mit Peutinger vgl. Streit (wie Anm. 5), S. 29. - Briefe Scheurls an Peutin­ ger: Briefbuch II Nr. 156 und 236. 11 Vgl. Krautter (wie Anm. 9), S. 18-20, zu Scheurls Lehrern in Bologna vgl. Graf (wie Anm. 3), S. 28-29.

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willkommene Aufbesserung des kärglichen Professorengehalts darstellten, bil­ deten die Bologneser Studenten den Absatzmarkt, an dem sich die Auflagen­ höhe hauptsächlich bemaß. Vom Erfolg der professoralen Lehrtätigkeit und des verlegerischen Kalküls zeugt ein Buch aus dem Besitz von Christoph Scheurl, das sich seit dem frühen 19. Jahrhundert in der Bodleian Library befindet (Signatur Auct. N inf. 2.20).12 Es handelt sich um eine Ausgabe des Goldenen Esels (Asinus aureus) des Apuleius, eines antiken Romans, dessen Held als Strafe für seine Hybris (er möchte sich in Cupido verwandeln) die Gestalt eines Esels erhält, nach zahlreichen schmerz­ haften Erlebnissen aber wieder zu einem Menschen wird. Philippus Beroaldus verfaßte einen umfangreichen Kommentar zu diesem Werk, den er dann einer Vorlesung zugrundelegte. Für die gedruckte Ausgabe versah er den Kommen­ tar mit einem Widmungsbrief (fol. aur—aivv) und einem Schlußgedicht (fol. XXVV) an einen ehemaligen Schüler, Peter Varadi, der 1481 Erzbischof von Kalocsa (Ungarn) geworden war.13 Die reichlich dick aufgetragene Schmeichelei11 verfehlte ihr Ziel nicht: Der Erzbischof revanchierte sich mit dem Versprechen, den Esel mit Gold beladen an den gelehrten Kommentator zurückzuschicken.15 Mit dem Verleger Benedictus Hectoris (Faelli) schloß Beroaldus 1499 einen Vertrag, dem zufolge er im folgenden Studienjahr ausschließlich über Apuleius lesen sollte, um den Absatz der 1200 gedruckten Exemplare zu garantieren.16 Auch Christoph Scheurl besuchte offensichtlich diese Vorlesung und erwarb im Jahre 1503 das zugehörige Buch, in dem er den Preis (40 Bolognini) und die Kosten des Bindens (9 Bolognini) säuberlich vermerkte: Auf dem Vorsatzblatt des Exemplars der Bodleiana findet sich von seiner Hand der Eintrag Iste liber est mei Christoferi Scbewrli Nurenbfergensis] quod Emi Bon[onie] bon[ontnorum] 40 et ligaturam bonfoninorum] 9 Anno domini 1503. Der ursprüngliche Einband17 ist zwar noch erhalten, aber in sehr schlechtem Zustand. Als die Bodleian Library

12 GW 2305 (Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Bände 1-7 hg. von der Kommission für den Ge­ samtkatalog der Wiegendrucke, Leipzig 1925-1938; Band 8 ff. hg. von der Deutschen Staatsbi­ bliothek zu Berlin, Stuttgart / Berlin / New York 1978 ff. [zitiert als GW]); Sheppard 5399-5400. 13 Vgl. Krautter (wie Anm. 9), S. 16. 14 I dextro pede, sidere et secundo, / foelix Pannoniam petas, aselle [ . . J Commentaria nostra sarcitiasque / Perfer nauiter, offerasque munus / Petro pontifici pio eloquenti, / Quo nil doctius elegantiusque, / Quo nil sanctius est benigniusque.

15 Vgl. Krautter (wie Anm. 9), S. 24. 16 Albano Sorbelli: Storia della stampa in Bologna, Bologna 1929, S. 55-62. - Curt F. Bühler: The University and the Press in Fifteenth-Century Bologna (Texts and Studies in the History of Mediaeval Education 7), Notre Dame, Indiana 1958, S. 39. - Krautter (wie Anm. 9), S. 26 und 38-40. 17 Informationen über den Einband verdanke ich Prof. Anthony Hobson; es handelt sich wohl um ei­ nen Verlegereinband, bei dessen Anfertigung Bruchstücke eines älteren Manuskripts in Bologneser Schrift als Rückenverstärkung verwendet wurden.

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das Buch 1826 erwarb18, wurde es mit rotem Maroquin überzogen und mit dem Supralibros der Bibliothek versehen. Das ganzseitige, hier kolorierte Exlibris im Vorderspiegel des Buches, das sich Christoph Scheurl um 1540 von einem Künstler der Cranach-Schule19 hatte anfertigen lassen, blieb jedoch weitgehend unversehrt. Es zeigt auf einem Holzschnitt, der von Bibelzitaten umgeben ist, den Besitzer des Buchs mit seinen beiden Söhnen in kniender Haltung vor ei­ nem Kruzifix und vor dem Hintergrund der Nürnberger Burg; links im Vor­ dergrund befindet sich das Wappen Scheurls und ein kleineres Wappen der Katharina Fütterer, die Scheurl 1519 geheiratet hatte.20 Eine Aufschrift am un­ teren Rand lautet: Liber Christ[opbori] Scheurli l[uris] V[triusque] Dfoctoris] qui natus est 11. Nouembfris] 1481. / Filij uero Georg[ius] 19. April[is] 1532. & Christ[ophorus] 3. Augusfti] [1535]. Daß Christoph Scheurl stärker an den zeitgeschichtlichen und autobiogra­ phischen Exkursen seines Lehrers interessiert war als an Apuleius und den Er­ läuterungen zum Asinus aureus, zeigen seine wenigen Anmerkungen in der ge­ druckten Ausgabe. Unter den Stellen, die Scheurl durch Anstreichungen und Notizen besonders hervorhob, ist eine längere Passage im Kommentar zum 6. Buch, in dem die Hochzeit von Amor und Psyche geschildert wird.21 In ihr er­ zählt Philippus Beroaldus nach allgemeinen Ausführungen über die zwei Typen von Ehefrauen22 von seiner eigenen Frau: Nach langer Scheu vor einer Ehe23 habe er sich vor kurzem verheiratet und hege die besten Hoffnungen für eine glück-

18 Vgl. A Catalogue of Books Purchased for the Bodleian Library, with a Statement of Monies Received and Expended, during the Year ending November 8, 1826, Privatdruck Oxford 1826, S. 2. 19 Vgl. Campbell Dodgson: Catalogue of Early German and Flemish Woodcuts Preserved in the De­ partment of Prints and Drawings in the British Museum, London 1911, Nachdruck 1980, Band 2, S. 352 Nr. 7. - Zu Lucas Cranachs Porträt Christoph Scheurls von 1509 vgl. Lucas Cranach. Ein Maler-Unternehmer aus Franken. Katalog zur Landesausstellung in der Festung Rosenberg, Kronach, 17. Mai-21. August 1994 (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 26/94), hg. v. Claus Grimm, Johannes Erichsen und Evamaria Brockhoff, Augsburg 1994, S. 335 Nr. 159- Ebenfalls im Jahr 1509 widmete Scheurl Cranach eine gedruckte Ausgabe seiner Oratio [. . .] attingens litterarum prestantiam necnon laudem ecclesie collegiate Vittenburgensis. Leipzig: Martin Landsberg, Dezember 1509. In der Widmungs-Vorrede lobt Scheurl die realistische Darstellungs­ weise Cranachs besonders, vgl. Soden (wie Anm. 5), S. 18-20. Eine Übersicht über die Werke, die Scheurl ab 1505 veröffentlichte, gibt Maria Grossmann: Bibliographie der Werke Christoph Scheurls, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 10 (1969/1970), Sp. 371-396, hier Sp. 379 Nr. 24. 20 Vgl. Eugen Frhr. Löffelholz von Kolberg: Dr. Christoph II. Scheurls Hochzeit mit Katharina Füttererin am 29- August 1519, in: MVGN 3 (1881), S. 155-168. - Streit (wie Anm. 5), S. 39. - Graf (wie Anm. 3), S. 72-73. 21 Vgl. Apuleius, Der goldene Esel, hg. v. Edward Brandt und Wilhelm Ehlers, München 31980, S. 238. 22 Fol. Ziir: Namque uxoris species duae sunt: una matrnm familias, altera ttsu. 23 Fol. Zür: Ego, qui hactenus a ducenda uxore semper abhorrui nec quicquid libero lectulo censui esse iucundius.

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liehe Zukunft. Ausführlich erörtert Beroaldus die Vor- und Nachteile der Ehe und diskutiert die Ansichten verschiedener klassischer Schriftsteller zum Thema, bevor er sich zu einem Anhänger Ciceros erklärt: Nunc sentio cum M. Tüllio, qui libro tertio de finibus consentaneum ait esse naturae ut sapiens uelit uxorem sibi adiungere (fol. Züv).24 Für einen unverheirateten jungen Studenten wie Scheurl scheint das Studium der Klassiker also eher ein Stück Lebenshilfe ge­ wesen zu sein; die eigentlichen philologischen Fragen stießen bei ihm dagegen auf geringeres Interesse. Eine weitere Passage, die von Scheurl markiert wurde, ist der Exkurs über die Geschichte Mailands, den Beroaldus bei Gelegenheit ei­ ner Anspielung auf die caeca fortuna in Buch 7 einschob (fol. &iVv—&vv). Die Blindheit und Wechselhaftigkeit des Glücks exemplifiziert Beroaldus am Schicksal eines Zeitgenossen: dem Sturz des Ludovico Sforza, inter duces omnis maximum, inter reges famigeratum, inter mortales memoratissimum, inter homines terrenum deum (fol. &vr)-25 Indem er zeitgeschichtliche Ereignisse diskutierte, ver­ mochte Beroaldus die Aufmerksamkeit seiner Hörer und Leser in höherem Maße zu fesseln als andere Professoren, die ihrerseits jedoch den abschweifenden Stil des Bolognesen mit beißender Kritik übergossen.26 Wohl nach seiner Heimkehr ordnete Scheurl seine Bücher und beschriftete sie auf dem Schnitt mit Kurztiteln und Signaturen. Ein Bibliothekskatalog aus dieser Zeit ist leider nicht erhalten; der älteste noch im Familienbesitz befind­ liche Katalog von etwa 154027 enthält keine der heute in der Bodleiana aufbe­ wahrten Inkunabeln, sondern scheint hauptsächlich spätere Erwerbungen zu umfassen. In einem Katalog, der im 18. Jahrhundert angelegt wurde und Catalogus aller Bücher welche sich in der alten Christoph Scheurlischen Bibliotheque vorge­ funden haben28 betitelt ist, stehen hingegen unter den Signaturen, die auf den Exemplaren der Bodleian Library angebracht sind, passende Einträge. So ist auf S.ll unter der Nummer 165 die Apuleius-Ausgabe verzeichnet, deren ältere Signatur 198 war. Der Catalogus ist nach Buchformaten untergliedert, folgt jedoch innerhalb der einzelnen Teile keiner strengen Systematik. Er weist Spuren einer Uberar24 Cicero, De finibus bonorum et malorum III 68. - Vgl. Krautter (wie Anm. 9), S. 47-48. 25 Vgl. Krautter (wie Anm. 9), S. 42. 26 Krautter (wie Anm. 9), S. 48-49. - Auch ein zeitgenössischer Leser der von Beroaldus herausgege­ benen Reden Ciceros (gedruckt Bologna: Benedictus Hectoris, 13. April 1499 [GW 6771]) brachte seine Mißbilligung der Vorgehensweise des Editors in einer Marginalnotiz zum Ausdruck, die sich im Exemplar der Bodleian Library (Auct. N 2.30 [Sheppard 5395]) auf Blatt Rviv findet: Wide quod ineptissimus fuerit Beroaldus qui has orationes cunctas peruertit nec ullam in suo ordine posuit: primo loco ponit hanc de reditu quam alias que sunt ante exilium; et omnes ita sunt deprauate, ut sine summa indignatione legi non possint. 27 Signatur XI A.4. 28 Signatur XI B.3.b [zitiert als: Catalogus].

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beitung auf, bei der die am rechten Seitenrand eingetragene Numerierung geändert wurde. Während die Signaturen auf dem unteren Schnitt der ScheurlBücher sich vermutlich auf den verlorenen ältesten Katalog der Sammlung be­ zogen und im Catalogus nicht aufzufinden sind, entsprechen diejenigen auf dem Vorderschnitt den durchgestrichenen Nummern des jüngeren Verzeichnisses. Es ist anzunehmen, daß die Umsignierung im Zusammenhang mit einer Neuaufstellung der Bibliothek erfolgte, in der die Bücher zunächst liegend auf­ bewahrt worden waren (so daß der untere Schnitt sichtbar war), dann aber ste­ hend, mit dem vorderen Schnitt, also nicht etwa dem Buchrücken, nach vorne angeordnet wurden.29 Sofern es sich beim Catalogus nicht um die Abschrift eines älteren Katalogs handelt, ist das Verzeichnis ein Anhaltspunkt dafür, daß sich die versprengten Inkunabeln noch am Ende des 18. Jahrhunderts im Scheurischen Familienbesitz befanden, also nicht aus jenem Teil der Bibliothek stammen, der 1670 hinausgeerbt wurde. Als nach 1867 ein neuer Katalog an­ gelegt wurde30, hatten die Bücher die Bibliothek verlassen. Auf S. 13 des Catalogus erscheint unter der Nummer 186 ein weiterer Band, der heute in der Bodleian Library nachweisbar ist (Signatur Auct. P 4.3). Ne­ ben den Satiren des Juvenal mit Kommentaren verschiedener Humanisten31 enthielt er ursprünglich auch eine Ausgabe der Satiren des Persius, wie die Ein­ träge iuuenalis persius auf dem unteren und vorderen Schnitt zeigen; früher hatte er die Signatur 190. Wie in die Apuleius-Ausgabe trug Christoph Scheurl auf dem Titelblatt der Juvenal-Edition den Zeitpunkt des Erwerbs und den Preis von Buch und Einband ein: Iste liber est mei Christoferi Schewrli NurenbfergensisJ quod valet Bon[onie] bonfoninorum] 20 et ligatura bonfoninorum] 8 Anno domini 1499; von seiner Lektüre des Buches zeugen Marginalnotizen. Im 19- Jahrhun­ dert wurde der Sammelband aufgelöst; der jetzt in der Bodleiana aufbewahrte erste Teil geriet in den Besitz des Frankfurter Sammlers Georg Franz Burkhard

!9 Diese Aufstellung zeigt noch eine Photographie der Scheurischen Bibliothek, die um 1896 aufge­ nommen wurde, als die Sammlung im Archivbau des Germanischen Nationalmuseum verwahrt wurde, vgl. Das Germanische Nationalmuseum Nürnberg 1852-1977. Beiträge zu seiner Ge­ schichte, im Auftrag des Museums hg. v. Bernward Deneke und Rainer Kahsnitz, München / Ber­ lin 1978, S. 571 Abb. 329. 10 Signatur XI B.4. '' Decimus Junius Juvenalis, Satyrae, mit Kommentaren des Domitius Calderinus, Georgius Merula und Georgius Valla. Venedig: Simon Bevilaqua, [um 1496-97] (Ludwig Hain: Repertorium Bibliographicum, in quo libri omnes ab arte typographica inventa usque ad annum MD. typis expressi ordine alphabetico vel simpliciter enumerantur vel accuratius recensentur, Stuttgart 1826-1838, Nachdruck Mailand 1948 [zitiert als: H] und Walter Arthur Copinger: Supplement to Hain’s Re­ pertorium Bibliographicum or Collections towards a New Edition of that Work, 2 Bände, London 1895-1902, Nachdruck Mailand 1950 [zitiert als C], Nr. *9712; Sheppard 4476).

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Kloß (1787-1854)32, der ihn neu binden ließ. Bei der Versteigerung der KloßSammlung im Jahre 183533 erwarb die Bodleian Library die Juvenal-Inkunabel. Auf S. 43 des Catalogus ist ein Sammelband mit Werken des Pomponius Laetus verzeichnet, der von der Bodleian Library ebenfalls 1835 aus dem Besitz von Kloß gekauft wurde (Signatur Auct. O inf. 1.31).31 In seinem Exemplar vermerkte Christoph Scheurl neben dem Wert des Buches (35 Bolognini), daß er die einzelnen Teilbände im Jubeljahr 1500 in Rom35 und (um diese Zeit) in Bologna gekauft hatte: Iste liber est mei Christofen Schewrli Nure[nbergensis] quod partim Emi rome Anno Jubileipartim Bon[onie] - et v[alet] totus cum ligatura bon[oninorum] 35 Laus deoP6 Im Inneren des Bandes finden sich wenige Anmerkungen von Scheurls Hand sowie eine durchgehende Foliierung.37 Auf dem unteren und vorderen Schnitt steht jeweils die gleiche Signatur (300 pom. let. de. vs. sa. bzw. 300 pompon. laetus)> die allerdings im Catalogus nicht angegeben ist. Der Kata­ logeintrag listet zehn einzelne Werke auf, von denen acht heute nicht mehr in diesem Band vorhanden sind, da das Buch für Kloß neu gebunden wurde. Trotz ihrer Knappheit ermöglichen es diese Angaben, fast alle der ehemals im Band enthaltenen Werke zu identifizieren, zumal Scheurl in Rom und Bologna vor­ wiegend Bücher gekauft haben dürfte, die an diesen Orten (auf jeden Fall aber in Italien) gedruckt worden waren. Der Band enthielt ursprünglich wohl fol­ gende Werke: 1. Pomponius Laetus, Romanae historiae compendium. Venedig: Bernardinus Venetus, de Vitalibus, 23. April 1499 (HC *9830; Sheppard 4593). 2a. Pomponius Laetus, De romanorum magistratibus. [Bologna: Benedictus Hectoris, nach 1497] (H 9832; Sheppard 5402). 2b.Pomponius Laetus, Grammaticae compendium. Venedig: Baptista de Tortis, 31. März 1484 (HCR 9834;38 Sheppard 3845).

32 Vgl. Allgemeine deutsche Biographie 16 (1882), 227-228. Ein handschriftlicher Katalog seiner Sammlung, den Kloß 1826-1827 anlegte, wird in der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main aufbewahrt (Signatur Ms. Ff. G. Kloß III.6) [zitiert als: Kloß-Katalog (1826/27)]; die Juvenal-Ausgabe trägt die laufende Nummer 1566 und wurde von Kloß wohl 1825 erworben. Für freundliche Auskünfte danke ich Dr. Gerhardt Powitz und Dr. Bernhard Tönnies von der Stadtund Universitätsbibliothek Frankfurt am Main. 33 Catalogue of the Library of Dr. Kloss, of Franckfort a M., Professor, London: Sotheby’s & Son 7. Mai 1835, Nr. 2467 [zitiert als: Kloß-Katalog (1835)]. 34 Kloß-Katalog (1826/27), Nrr. 1605, 1607 und 1610; als Erwerbungsjahr ist ebenfalls 1825 ange­ geben. Kloß-Katalog (1835), Nr. 2153. 35 Zu Scheurls Reise nach Rom vgl. Soden (wie Anm. 5), S. 6. 36 Eintrag auf dem Titelblatt (air) von Teilband 1. 37 Die Foliierung reicht von 1 bis 116. 38 Dietrich Reichling: Appendices ad Hainii-Copingeri Repertorium bibliographicum. Additiones et emendationes, indices, 6 Bände, München 1905-1911, Supplement Münster 1914 [zitiert als: R].

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3. Leonardus Brunus Aretinus, De temporibus suis. Venedig: Peregrinus de Pasqualibus Bononiensis [und Dionysius Bertochus], 5. Februar 1485 (GW 5625). 4. Sextus Rufus, De historia Romana, hg. v. Angelus Tiphernas. Rom: Eucharius Silber, 23. August 1491 (HCR 14032). 5. Johann Camers, De modo studendi in utroque iure epistola. Rom: [Eucharius Silber], 26. Mai 1491 (GW 5936). 6. Matheolus Perusinus, De memoria. O.O. o .J.39 7. Claudivius, De vita beati Hieronymi. Bologna: Caligula de Bazaleriis,1502. 8. Pamphilus, De amore. 0.0. o.J.40 9. Franciscus Zambecharius, Elegiarum liber de amoribus Chryseae et Philocbrysi. Bologna: Benedictus Hectoris, 25. Dezember 1496 (H 16270 = HC 5014). 10. Domicus Palladius Soranus, Epigrammata, elegiae et genethliacum urbis Romae. Venedig: [Bernardinus Venetus, de Vitalibus], für Johannes Baptista Sessa,l6. Mai 1498 (HC *12278). Heute sind nur noch die drei Ausgaben des Pomponius Laetus (Nr. 1, 2a und 2b) im Band enthalten. In seiner Verbindung von historischen41, juristischen und literarischen Wer­ ken zeugt der Sammelband vom umfassenden Interesse Christoph Scheurls an den unterschiedlichsten Gebieten. Daß er darüber trotz zeitweise geringer Nei­ gung12 das Studium der Rechte nicht vernachlässigte, auch wenn Sixt Tücher bisweilen am Studieneifer seines Neffen zweifelte, wird aus der vierten ScheurlInkunabel im Besitz der Bodleiana ersichtlich, in der sich zahlreiche Margina­ lien von der Hand Scheurls finden. Dieser Band (Signatur Auct. 3Q 1.17) wurde ebenfalls 1835 aus der Sammlung Kloß erworben.43 Der umfangreiche Foliant mit der alten Signatur 42 enthält ein juristisches Standardwerk, das Di-

39 Das Werk erschien in zahlreichen italienischen Editionen; Scheurl erwarb vermutlich eine der nach 1480 in Rom gedruckten Ausgaben: [Rom: Stephan Plannck, um 1490] (HR 10907); [Rom: Ste­ phan Plannck, zwischen 1490 und 1500] (R 1570); [Rom: Johann Besicken und Sigismundus Mayer, 1493] (HC 10906). 40 Auch dieser Text war in zahlreichen Ausgaben römischer Drucker verfügbar: Rom: Eucharius Sil­ ber, 3- Sept. 1487 (H 12294); [Rom: Stephan Plannck, um 1488-1490] (H 12293); [Rom: And­ reas Freitag, 1492-1493] (H 12292?). 41 Scheurl selbst behandelte in seinen Briefen bisweilen zeitgeschichtliche Ereignisse, vgl. den Brief an Sixt Tücher vom 3. August 1506 (Briefbuch I Nr. 16, S. 24). 42 Vgl. den Brief an Sixt Tücher vom 3. Mai 1507: In Italia studebam ad voluptatem: si quam nauseam leges attulerant, eam seculares litterae adimebant (Briefbuch I Nr. 26, S. 44). 43 Kloß-Katalog (1826/27), Nr. 1441, erworben 1826. Kloß-Katalog (1835), Nr. 2243. - Sheppard 3861.

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gestum novum des Justinian, das um die Glossa ordinaria des Accursius und die Summarien nach Bartolus de Saxoferrato und Paulus de Castro erweitert wurde. Die Ausgabe wurde am 12. Februar 1498/99 vom venezianischen Drucker Baptista de Tortis gedruckt.44 Im Gegensatz zu den anderen Inkunabeln, die Scheurl bereits in Bologna binden ließ, trägt die Justinian-Ausgabe einen Nürnberger Einband45 — vielleicht wollte sich Christoph Scheurl auf der Heim­ reise nicht mit einem schweren Holzdeckelband belasten. Beim nachträglichen Binden wurden viele der Marginalnotizen beschnitten; Scheurl hatte also das Buch schon während seiner Studienzeit gründlich durchgearbeitet. In den Band klebte Scheurl nach 1535 ein Holzschnitt-Exlibris ein, das eine stehende weib­ liche Figur mit den Wappen der Scheurl und Tücher zeigt und von Bibel- sowie Klassikerzitaten und anderen Beischriften umgeben ist.46 Nur aufgrund einer handschriftlichen Anmerkung kann eine weitere Inku­ nabel der Bodleian Library als Scheurl-Buch identifiziert werden. Der Band (Signatur Auct. 2Q 6.39) enthält die Bononia illustrata des Nicolaus Burtius, eine bildhafte (jedoch nicht illustrierte) Beschreibung der Stadt Bologna, ihrer Bauwerke und Einwohner,47 sowie eine Verteidigung der Naturgeschichte des älteren Plinius, um den zwischen italienischen Humanisten eine Auseinander­ setzung entbrannt war, als deren Exponenten Nicolaus Leonicenus und Pandulphus Collenucius fungierten.48 In Scheurls Catalogus ist die Bononia illustrata mit dem Impressum Venedig 1498 angeführt. Diese falsche Angabe erklärt sich vielleicht aus einer früher beigebundenen Inkunabel. Der ursprüngliche Sam­ melband wurde im 19. Jahrhundert aufgelöst, wobei die Buchdeckel mit der Abschrift einer deutschsprachigen Nürnberger Urkunde von 1546 überzogen wurden, die der Familie des Melchior Schedel Turnierzeichen gewährt. Die Nürnberger Provenienz des Bandes steht also außer Frage; ein deutscher Ein­ trag in der charakteristischen Handschrift Christoph Scheurls auf Blatt civr des ersten Teilbandes und die nur fragmentarisch erhaltenen (und daher nicht les-

44 GW 7720. 45 Vgl. Ernst Kyriß: Verzierte gotische Einbände im alten deutschen Sprachgebiet, 4 Bände, Stuttgart 1951-1958, Tafel 243, Nr. 1-4, 6. 46 Das nach 1512 entstandene, hier unkolorierte Exlibris wird Wolf Traut zugeschrieben, vgl. Dodgson (wie Anm. 19), Band 1, S. 516-517 Nr. 10. 47 Die einzige Inkunabelausgabe erschien in Bologna: Franciscus (Plato) de Benedictis, 1494 (GW 5794). Das Oxforder Exemplar (Sheppard 5349) weist eine frühe Seitenzählung von 89 bis 126 auf. 48 Pandulphus Collenucius, Pliniana defensio adversus Nicolai Leoniceni accusationem. Ferrara: Andreas Beifortis, Gallus, [1493] (GW 7164; Sheppard 4775). Vgl. auch Claudio Varese: Pandolfo Collenuccio umanista, Pesaro 1957, S. 21-27. Das Exemplar weist eine frühe Seitenzählung von 197 bis 248 auf, die von der gleichen Hand wie im ersten Teilband eingetragen wurde, aber wohl nicht von Scheurl stammt.

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baren) Titel auf dem unteren und vorderen Schnitt sind zwingende Indizien dafür, daß es sich bei der Inkunabel um ein Buch handelt, das Scheurl während seiner Zeit in Bologna erwarb. Nicht nur auf die britischen Inseln gelangten Inkunabeln aus dem Besitz von Christoph Scheurl. In der Universitätsbibliothek Uppsala findet sich eine In­ kunabelausgabe von De antiquitate Vicecomitum des Georgius Merula, in die ein Scheurl-Exlibris eingeklebt ist;49 der Druck wurde wohi im Dezember 149950 vom mailändischen Drucker Guillermus Le Signerre herausgebracht. Das Buch stammt aus der Sammlung des schwedischen Bibliophilen Per Hierta (1864-1924), die 1953 von der Universität Uppsala erworben wurde. Selbst nach Amerika verschlug es Scheurl-Inkunabeln. Die Bibliothek der Universität Harvard besitzt eine Ausgabe der Briefe des Franciscus Philelphus, die vor dem Juli 1496 vom Basler Drucker Johann Amerbach fertiggestellt wurde.51 Scheurls sorgfältiger Kaufeintrag, der von einem späteren Besitzer des Buches jedoch weitgehend ausgelöscht wurde, erlaubt es, die Drucklegung des Buches zeitlich genauer zu fixieren als dies bisher möglich war; er lautet: Iste liber est mei Christoferi Scheurli m[ens]e Julij Nurembergae [ . . ] 1496 [ . . Bevor der Band 1972 an die Universitätsbibliothek Harvard geschenkt wurde, war er im Besitz von Robert Travers, einem Mitglied des Trinity College, Dublin und dem früheren Bibliothekar der Marshs Library am gleichen Ort.52 Uber Scheurls Bücherkäufe während seiner Studienzeit geben neben den er­ haltenen Büchern auch seine Briefe aus Italien und der Catalogus Auskunft. Wiederholt berichtet Scheurl seinen Nürnberger Verwandten von den neuesten Erwerbungen53, ohne damit immer auf Wohlwollen zu stoßen.54 Die vor 1510

19 Hans Sallander: Katalog der Inkunabeln der Kgl. Universitätsbibliothek zu Uppsala. Neuerwer­ bungen seit dem Jahre 1907 (Bibliotheca Ekmaniana Universitatis Regiae Upsaliensis 59), Uppsala / Wiesbaden / Den Haag / Genf 1953, Nr. 1849. 5° j_ic *11095 = h 11096; zum Druck)ahr vgl. Catalogue of Books Printed in the XVth Century now in the British Museum, Band 6, London 1930, Nachdruck (mit handschriftlichen Ergänzungen) 1963-1985, S. 791. 51 James E. Walsh, Catalogue of the Fifteenth-Century Printed Books in the Harvard University Li­ brary, Band 1: Books Printed in Germany, German-Speaking Switzerland, and Austria-Hungary, Binghamton, New York 1991, Nr. 1190 (HC *12928). 52 Vgl. T. K. Abbott, Catalogue of Fifteenth-Century Books in the Library of Trinity College, Dublin and in Marsh’s Library, Dublin, Dublin 1905, Nr. 116. 53 Zu Scheurls Bekanntschaft mit Buchhändlern und Johannes Koberger vgl. Graf (wie Anm. 3), S. 69 und S. 140 Anm. 121. 54 Vgl. den Brief an Jodocus Trutvetter vom 28. Oktober 1511: ingemiscente aliquando matre, quodpropter me patiper sit facta, quod ipsa propter libros meos egeat (Briefbuch I Nr. 56, S. 82). - Graf (wie Anm. 3), S. 20 und 45.

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in Italien gedruckten Bücher, die im Catalogus angeführt sind, lassen sich mit Sicherheit als Erwerbungen Scheurls während seiner Studienjahre und bei ei­ nem späteren Aufenthalt in Bologna ansehen.55 Sie sind von den zahlreichen Beispielen des Reformationsschrifttums aus Scheurls Nürnberger Zeit deutlich abzugrenzen. Außer ihnen enthält der Catalogus vorwiegend Werke zum Kir­ chenrecht sowie historische Literatur; Ausgaben klassischer und humanistischer Texte sind verhältnismäßig selten, aber fast ausschließlich in Inkunabeldrucken italienischer Herkunft vorhanden. Neben Werken seiner humanistischen Lehrer wie der 1499 von Benedictus Hectoris in Bologna gedruckten Declamatio ebriosi, scortatoris et aleatoris des Phi­ lippus Beroaldus56 besorgte sich Scheurl in Italien zeitgemäße Klassikereditio­ nen wie den Polyhistor des Solinus57 und die Briefe des jüngeren Plinius,58 beide in Ausgaben des Beroaldus. Zeitgenössischen philosophischen Strömungen stand Scheurl ebenfalls aufgeschlossen gegenüber: In seinem Besitz befanden sich Traktate der Neuplatoniker Marsilio Ficino und Giovanni Pico della Mirandola, dessen Neffen Giovanni Francesco59 freundschaftliche Beziehungen mit den Nürnberger Humanisten, besonders mit Willibald Pirckheimer, verban­ den.60 Mit dem Italienischen war Scheurl offensichtlich ausreichend vertraut, um die Briefe der italienischen Nationalheiligen Katharina von Siena61 zu lesen, die erst 1461 vom Humanistenpapst Pius II. (Aeneas Sylvius Piccolomini) ka­ nonisiert worden war. Seine in anderen Städten Norditaliens gedruckten Inkunabeln hat Scheurl wohl ebenfalls während seiner Studienzeit gekauft. Sie zeugen von seiner Lek­ türe antiker Autoren, neben Cicero, Vergil und Ovid auch des Plinius und Lukan, und seiner Beschäftigang mit der römischen Geschichte,62 worin er seinen humanistischen Lehrmeistern ebenso folgte wie im Interesse für ‘lokale’ Ge-

55 Im Jahre 1510 kehrte Scheurl kurz an seinen Studienort zurück, um die Bücher auszulösen, die er wegen finanzieller Schwierigkeiten bei der Abreise verpfändet hatte - eine Gelegenheit, die er nicht ohne weitere Erwerbungen Vorbeigehen ließ, wofür er noch eigens einen Abstecher nach Mailand machte; vgl. Streit (wie Anm. 5), S. 16 und Graf (wie Anm. 3), S. 44-45. 56 GW 4130. 57 Bologna: Benedictus Hectoris, 1500 (H 14886). 58 Bologna: Benedictus Hectoris, 19. Oktober 1498 (HC *13115). 59 De morte Christi. De Studio divinae et humanae philosophiae. Bologna: Benedictus Hectoris, 20. Juli 1497 (HC *13002). 60 Vgl. Holzberg (wie Anm. 6), S. 60-61 u.ö. 61 Bologna: Johannes Jacobus de Fontanesis, Regiensis, 18. April 1492 (GW 6221). 62 Plutarch, Vitae illustrium virorum, hg. v. Pylades Brixianus. Brescia: Jacobus Britannicus, 9 — 13. Au­ gust 1499 (HC *13131). Valerius Maximus, Facta et dicta memorabilia, kommentiert von Oliverius Arzignanensis. Venedig: Bonetus Locatellus für Octavianus Scotus, 30. April 1493 (HC *15792).

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Schichtsschreibung,63 die Kunst des Briefschreibens64 und ethische Fragen.65 Aber auch theologische Standardwerke wie die seit dem 13. Jahrhundert über­ aus verbreitete Sammlung lateinischer Heiligenleben, die Legenda aurea sanctorum, sive Lombardica historia des Jacobus de Voragine,66 brachte Scheurl aus Ita­ lien mit. Unter Scheurls Büchern finden sich daneben zahlreiche deutsche Werke, die er vielleicht schon während seiner Heidelberger Studienjahre (1496—1498) er­ worben hatte. So besaß er eine Reihe von Produkten Straßburger, Augsburger und Mainzer Offizinen: Deutsche Ausgaben der Goldenen Bulle Kaiser Karls IV.67 sowie zwei Exemplare des besonders bei juristischen Laienpraktikern beliebten Satansprozesses des Jacobus de Theramo68. Aus Augsburg bezog Scheurl den Wolfdietrich, ein Beispiel der mittelhochdeutschen Heldenepik, das noch im 16. Jahrhundert Leser fand69, und die einzige im 15. Jahrhundert gedruckte (latei­ nische) Ausgabe der Geschichte Friedrichs Barbarossa des Burchard von Ursberg70. Die reich illustrierte Sachsenchronik, ein niederdeutsches Geschichts­ werk, das in einer Mainzer Ausgabe erschien,71 fand sich ebenfalls unter Scheurls Büchern. Aus Mainz stammte daneben sein Exemplar der rhetorischen Anwei­ sungen des Elsässer Humanisten Jakob Wimpfeling.72 Besonderer Beliebtheit in humanistischen Kreisen erfreute sich eine Liebesgeschichte, die der spätere Papst Pius II. verfaßt hatte,73 vor allem deswegen, weil die zwischen den beiden Liebenden ausgetauschten Briefe sich zur aktualisierenden Verwendung anboten — schon der Nürnberger Frühhumanist Hermann Schedel bediente sich des Werkleins als Quelle und Modell eigener, vermutlich fiktiver Liebesabenteuer.71 65 Leonardus Brunus Aretinus, Historiae Florentinipopuli in der italienischen Übersetzung des Donatus Acciaiolus. Venedig: Jacobus Rubeus, 12. Februar 1476 (GW 5612). M Matthaeus Bossus, Epistolae familiäres et secundae. Mantua: Vincentius Bertochus, 9- November 1498 (GW 4956). 65 Baptista Mantuanus, Depatientia. Brescia: Bernardinus de Misintis, 30. Mai 1497 (GW 3304). M Venedig: Manfredus de Bonellis, de Monteferrato, 20. September 1493 (CR 6460). 67 Straßburg: Johann Prüss, 1485 (H 4081). Consolatiopeccatorum, seit Processus Belial. Augsburg: Günther Zainer, Juni 1472 (C 5805) und Straß­ burg: Heinrich Knoblochtzer, 1483 (C 5813). r,i> Augsburg: Hans Schönsperger, 24. März 1491 (H *8420). 70 Historia Friderici Imperatoris. [Augsburg: SS. Ulrich und Afra, 1472] (GW 5737). 71 Konrad Bote, Ckronecken der Sassen. Mainz: Peter Schoeffer, 6. März 1492 (GW 4963). 11 Elegantiarum medulla oratoriaque praecepta. [Mainz: Peter von Friedberg, nach dem 16. Oktober 1493] (H *16165), im Catalogus jedoch mit dem Druckjahr 1490 verzeichnet. 73 De dtiobus amantibus Euryalo et Lucretia. Im Catalogus als undatierte Wiener Ausgabe angeführt; ein Wiener Inkunabeldruck des Textes ist aber nicht nachweisbar. 71 Vgl. Richard Stäuber: Die Schedelsche Bibliothek. Ein Beitrag zur Geschichte der Ausbreitung der italienischen Renaissance, des deutschen Humanismus und der medizinischen Literatur (Studien und Darstellungen aus dem Gebiete der Geschichte 6/2,3), Freiburg 1908, Nachdruck Nieuwkoop 1969, S. 40: „Die in zwei Briefen an Wilhelm von Reichenau erzählten Liebesabenteuer [sind] mit­ unter wörtlich aus der Liebesnovelle von Eurialus und Lucrezia des Enea Silvio herübergenommen“.

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Schon diese knappe Übersicht zeigt, daß Scheurls Sammlung ihrem Um­ fang75 und ihrer Zusammensetzung nach den Bibliotheken seiner Nürnberger Zeitgenossen nicht nachsteht, die vom Schicksal jedoch weniger begünstigt wurden und heute fast alle zerstreut sind; aus ihnen sind ebenfalls einzelne Exemplare nach Oxford gelangt. Unter den Nürnberger Humanisten der älte­ ren Generation, die in Italien studiert hatten, ragen besonders die Ärzte Hart­ mann Schedel (1440-1514) und Hieronymus Münzer (1437-1508) als Bücher­ sammler hervor; Sebald Schreyer (1446—1520) verwaltete die Kirchenbiblio­ thek von St. Sebald, besaß aber auch Bücher für die private Verwendung. Die Bibliothek Hartmann Schedels, in der ein Teil der Sammlung seines äl­ teren Vetters Hermann (1410—1485)76 aufgegangen war, blieb wie die seines Fachkollegen Münzer zunächst im Familienbesitz. Erst 1552 verkaufte Mel­ chior Schedel77 die Bücher seines Großvaters an Johann Jakob Fugger, mit des­ sen Sammlung sie 1571 von Herzog Albrecht V. für die Hofbibliothek erwor­ ben wurden. Immerhin etwa die Hälfte der Schedelschen Bibliothek, der um­ fangreichsten Nürnberger Humanistensammlung, gelangte so nach München, wo sie bis heute in der Bayerischen Staatsbibliothek aufbewahrt wird.78 Doch auch andere Mitglieder der Familie Schedel hatten bibliophile Neigungen: Ein Sebastian Schedel, vielleicht der Sohn oder Enkel79 Hartmanns, klebte auf den Vorderspiegel einer Ausgabe des Narrenschiffs von Sebastian Brant80 sein ge­ drucktes und koloriertes Wappen mit dem Motto Ich laß passiern ein.81 Ein Le­ severmerk von 167782 zeigt, daß sich die Inkunabel noch im 17. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum befand; in die Bodleiana gelangte sie 1834 als Teil des

75 Die Sammlung umfaßte beim Tod Christoph Scheurls etwa 610 Bände. 76 Vgl. MBK III/3 798-802 (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, Band III/3: Bistum Bamberg, hg. v. Paul Ruf, München 1939). 77 Vgl. oben den Einband der Scheurl-Inkunabel Auct. 2Q 6.39. 78 Vgl. MBK III/3 802-844: Schedels Bücherverzeichnis von 1498-1507 (München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 263) führt 667 Bände an; gedruckt bei Stäuber (wie Anm. 74), S. 103-145, eine Liste der Schedel-Handschriften in der Bayerischen Staatsbibliothek München, der Stadtbib­ liothek Nürnberg, der ehemaligen Bibliothek Oettingen-Wallerstein in Maihingen und der Stadt­ bibliothek Hamburg sowie der erhaltenen Drucke bietet Stäuber auf S. 149-225. - Vgl. auch Bea­ trice Hernad, Die Graphiksammlung des Humanisten Hartmann Schedel (Bayerische Staatsbiblio­ thek, Ausstellungskataloge 52), München 1990. 79 Ein jüngerer Sohn Schedels mit diesem Namen lebte von 1494 bis 1541, dessen gleichnamiger Sohn von 1520 bis 1547, vgl. Stäuber (wie Anm. 74), S. 7. 80 Gedruckt Basel: Johann Bergmann de Olpe, 12. Februar 1499 (GW 5047); in der Bodleian Library mit der Signatur Douce 66 (Sheppard 2563). 81 Vgl. J. Siebmachers grosses und allgemeines Wappenbuch, Band V/l: Die Wappen bürgerlicher Geschlechter Deutschlands und der Schweiz, hg. v. Otto Titan von Hefner, Nürnberg 1857, S. 55 und Tafel 76. 82 1677 12 Febr. auß geläßen ieden menschen zur bäßerung ist auf dem rückwärtigen Spiegel eingetragen.

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Vermächtnisses von Francis Douce, des Leiters der Handschriftenabteilung des Britischen Museums in London (heute British Library). Weniger günstig als der Bibliothek Hartmann Schedels war das Schicksal der kleineren Sammlung des Nürnberger Arztes Hieronymus Münzer, deren Hauptteil zusammen mit derjenigen seines Schwiegersohns Hieronymus Holzschuher (1469—1529) am Ende des 16. Jahrhunderts von dem österreichischen Bibliophilen Ferdinand von Hoffmann (fl607) erworben wurde. Hoffmann lebte seit 1586 vorwiegend am Hof Kaiser Rudolfs II. in Prag; als seine Fami­ lie zwei Generationen nach seinem Tod in der männlichen Linie ausstarb, schenkten Hoffmanns Urenkelinnen die Bücher ihrem Vormund, Fürst Ferdi­ nand von Dietrichstein. Nachdem die Jesuiten von Brünn theologisch an­ stößige Literatur aussortiert (und für sich reklamiert) hatten, kam die Biblio­ thek schließlich 1669 nach Nikolsburg (Mikulov) in Mähren, wo sich noch 1928 zahlreiche Münzer-Bände fanden.83 Bei der Versteigerung dieser Biblio­ thek in den Jahren 1933 und 1934 wurde Münzers Sammlung jedoch ausein­ andergerissen; in Oxford konnte bisher keine Inkunabel aus seiner Bibliothek entdeckt werden. Die Existenz einer anderen zeitgenössischen Bibliothek bezeugen nur ein­ zelne erhaltene Bände. Sebald Schreyer, von 1482 bis 1503 Kirchenmeister von St. Sebald81, dokumentierte zwar seine Tätigkeit für die Bibliothek der Sebalduskirche bis ins einzelne; von seiner eigenen Büchersammlung wissen wir aber nur aus Schenkungen und der Beschreibung seiner ‘Vorderstube’, deren huma­ nistisches Ausstattungsprogramm die literarischen Interessen des Bewohners ebenso reflektiert wie die praktischen Notwendigkeiten der Bücheraufbewah­ rung.85 Obwohl in Schreyers autobiographischen Aufzeichnungen kein Biblio­ thekskatalog erhalten ist und uns das Schicksal seiner privaten Sammlung bis­ her verborgen ist,86 zeugen Inkunabeln im Besitz des Germanischen National­ museums87 und der Bodleian Library von Schreyers Sammel- und Stiftertätig8- Weitere 76 Werke, die Münzer an St. Nicolaus in Feldkirch geschenkt hatte, verbrannten dort wohl 1697, vgl. E.P. Goldschmidt: Hieronymus Münzer und seine Bibliothek, London 1938, S. 103. Goldschmidts Katalog von Münzers Bibliothek (S. 116-145) umfaßt 185 Titel. - Vgl. auch Hein­ rich Kramm: Deutsche Bibliotheken unter dem Einfluß von Humanismus und Reformation. Ein Beitrag zur deutschen Bildungsgeschichte (Centralblatt für Bibliothekswesen, Beiheft 70), Leipzig 1938, Nachdruck Nendeln / Wiesbaden 1968, S. 191-192. M Vgl. Theodor Hampe: Sebald Schreyer, vornehmlich als Kirchenmeister von St. Sebald, in: MVGN 28 (1928), S. 155-207. 85 Vgl. Elisabeth Caesar: Sebald Schreyer. Ein Lebensbild aus dem vorreformatorischen Nürnberg, in: MVGN 56 (1969), S. 1-213, hier S. 127-129. 86 Zu den erhaltenen ‘Merkbüchern’ Schreyers vgl. MBK III/3 718-719 und 845. 87 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Inc. 8954 (von Schreyer i486 an die Kirchenbibliothek von St. Sebald geschenkt) und Merkel Hs. 1122, vgl. Barbara Hellwig und Walter Matthey: Inkun­ abelkatalog des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg, Wiesbaden 1970, Nr. 191 und 283.

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keit. Unter den Büchern, die der Kirchenmeister mit seinem handgemalten Wappen88 versah, befindet sich ein Brevier der Diözese Bamberg mit den Ge­ beten für die Tagzeiten89, das die Oxforder Bibliothek 1859 beim Verkauf der Sammlung des skrupellosen Büchersammlers Graf Guglielmo Libri (1802— 1869)90 erwarb, sowie eine Ausgabe eines juristischen Werkes, des Modus legendi abbreviaturas in utroque iure9\ die mit fünf Drucken des 16. Jahrhunderts, dar­ unter der Reformation der Stadt Nürnberg und Des lantgericbts zu Bamberg Reforma­ tion von 1503, sowie vier Einblattdrucken zusammengebunden ist und 1826 nach Oxford kam. Die Familienbibliothek der Pirckheimer, deren Grundstock am Anfang des 15. Jahrhunderts von Franz Pirckheimer d. A. gelegt worden war,92 erfuhr un­ ter seinem Urenkel Willibald (1470—1530) bedeutenden Zuwachs. Er nahm unter den Büchersammlern in Scheurls Generation wohl die prominenteste Stellung ein; seine Bibliothek übertraf die anderer Nürnberger vor allem hin­ sichtlich der zahlreichen Ausgaben griechischer Texte, die Pirckheimer wegen seiner Griechischstudien erwarb.93 Der zur gleichen Zeit wie Scheurl als Rats­ konsulent tätige Johannes Protzer (um 1470-1528) hatte sich ebenfalls länger in Italien aufgehalten und dabei Bücher gekauft, während der etwas jüngere Hector Pömer (1495—1541) von der Universität Wittenberg (an der Scheurl fünf Jahre lang gelehrt hatte94) nach Nürnberg berufen wurde. Die Bibliothek des Willibald Pirckheimer gelangte schon im 17. Jahrhun­ dert nach England, als sie im Jahre 1636 an den englischen Sammler Howard Earl of Arundel verkauft wurde.95 Während die Handschriften 1830 in das Bri­ tische Museum in London kamen, wurden Pirckheimers gedruckte Bücher zwi­ schen 1874 und 1925 versteigert und gerieten so in Bibliotheken der ganzen

88 Vgl. J. Siebmacher’s grosses und allgemeines Wappenbuch, Band VI/1: Abgestorbener Bayerischer Adel, bearbeitet von Gust[av] A. Seyler, Nürnberg 1884, S. 91 und Tafel 89. 89 Diurnale Bambergense. Nürnberg: Georg Stuchs, 4. Februar 1493 (GW 8528); Bodleian Library, Auct. Q sup. 3.8 (Sheppard 1641) mit Schreyers Eintrag Vtens hoc libro oret pro Sebaldo Schreyer suisque progenitoribus auf Blatt 16\ 90 Vgl. Giuseppe Fumagalli: Guglielmo Libri, hg. v. Berta Maracchi Biagiarelli, Florenz 1963. - P. Alessandra Maccioni-Ruju und Marco Mostert: The Life and Times of Guglielmo Libri (1802-1869), Scientist, Patriot, Scholar, Journalist and Thief. A Nineteenth-Century History, Hil­ versum 1994. 91 Nürnberg: Friedrich Creussner, 10. März 1492; Bodleian Library, 4 Delta 26 (10) (Sheppard 1594). 9J Vgl. MBK III/3 796-797 und Holzberg (wie Anm. 6), S. 37. 93 Holzberg (wie Anm. 6), S. 87-91. 94 Vgl. Gustav Bauch: Christoph Scheurl in Wittenberg, in: Neue Mitteilungen aus dem Gebiet hi­ storisch-antiquarischer Forschungen 21 (1903), S. 33-42. 95 Vgl. Kramm (wie Anm. 83), S. 108. - A. Reimann: Die älteren Pirckheimer. Geschichte eines Nürnberger Patriziergeschlechtes im Zeitalter des Frühhumanismus (bis 1501), hg. v. Hans Rupprich, Leipzig 1944, S. 215-228. - Holzberg (wie Anm. 6), S. 17-18 und 20-21.

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Welt. In die Sammlung des Oxforder Dominikanerklosters (Blackfriars) ge­ langte Pirckheimers Exemplar der Elegien des Properz.96 Weitere Inkunabeln werden heute in Cambridge97 und (durch Rückkauf) im Germanischen Nationalmüseum Nürnberg98 aufbewahrt. Oft wurden Sammlungen aber schon unmittelbar nach dem Tod ihrer Besit­ zer aufgeteilt und zerstreut. Als Johannes Protzer seine 290 Bande umfassende Bibliothek seiner Heimatstadt Nördlingen vermachte, entschied der Nördlinger Rat „gegen den erklärten Willen des Stifters“99, die Bücher zwischen der Stadtbibliothek und der Bibliothek der Georgskirche aufzuteilen. Erstere er­ hielt den Großteil der Sammlung, 176 Bände, während an die Kirchenbiblio­ thek 114 Bücher gegeben wurden. Verluste aus beiden Bibliotheken traten im 18. und 19- Jahrhundert ein, als man Bücher verschenkte oder verkaufte.100 In der Bodleian Library befinden sich heute vier Inkunabeln aus dem Besitz Protzers; eine weitere gehört der Bibliothek des Oxforder Pembroke College.101 Im einzelnen handelt es sich um ein Werk des Dio Chrysostomus102, um Sebastian Brants Geschichte des Königreichs Jerusalem103 und um einen Band mit zwei juristischen Standardwerken, den Institutiones und kleineren Werken des Justinian.10^ Das letztgenannte Buch wurde (zusammen mit Scheurl-Inkunabeln) 1835 bei der Londoner Versteigerung der Sammlung Kloß gekauft.105 Die Bi90 Bologna: Franciscus de Benedictis für Benedictus Hectoris, 1487 (Goff P-1017), vgl. Dennis E. Rhodes: A Catalogue of Incunabula in all the Libraries of Oxford University outside the Bodleian, Oxford 1982, Nr. 1472. 91 Oates (wie Anm. 1), Nr. 2298. 98 Inc. 31931 (Hellwig [wie Anm. 87], Nr. 294) mit einem Leseeintrag Pirckheimers von 1491 am Ende und zahlreichen Marginalnotizen. 99 Peter Amelung: Nochmals zur Bibliothek des Johannes Protzer aus Nördlingen. Ein ergänzender Beitrag zur Kenntnis spätmittelalterlicher Büchersammlungen, in: Gutenberg-Jahrbuch 56 (1981), 277-283, hier S. 281. 100 Vgl. Kramm (wie Anm. 83), S. 128-129. - Amelung (wie Anm. 99; mit älterer Literatur). 101 Vgl. Dennis E. Rhodes, A Fifteenth-Century German Book-Collector in Italy: Johannes Protzer, in: Hellinga-Festschrift, hg. v. A. R. A. Croiset van Uchelen, Amsterdam 1980, S. 435-439, Nr. 2, 6, 9 und 12. I0J De regno, übersetzt von Franciscus de Piccolominis. Bologna: Franciscus (Plato) de Benedictis, 1493 (GW 8369); Bodleian Library, Auct. 6Q6.77 (Sheppard 5345) mit dem Eintrag Johannes Protzer I.V. Licent[iatus] Mccccxciiij. Conparavit in Italia .j. lib.\ 1860 erworben. l0- De origine et conversatione bonorum regum et de laude civitatis Hierosolymae. Basel: Johann Bergmann de Olpe, 1. März 1495 (GW 5072); Bodleian Library, Auct. 7Q 4.57 (Sheppard 2553) mit dem Ein­ trag Johannes Protzer I.V. Licentiatus Mccccxcviiij Comparauit in Germania xliiij d.; 1861 erworben. 11 Venedig: Baptista de Tortis, 1. Juli 1489 (GW 7621), zusammengebunden mit Novellae constitutiones; Codicis libri X-XII; Libri feudorum; Extravagantes. Venedig: Baptista de Tortis, 7. Mai 1489 (GW 7762) als Bodleian Library, Auct. 3Q 1.23 (Sheppard 3852-3) mit dem Eintrag lohannes Protzer I. V. Doctor M cccc xc Conp[ar]a[vi]t ln Italia sowie dem Exlibris des Nürnberger Juristen Johann Konrad Feuerlein (1725-1788). ,M Kloß-Katalog (1835), Nr. 2259-

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bliothek des Pembroke College besitzt Protzers Exemplar der Werke des Ari­ stoteles.106 Auch Hector Pömer, der seit 1521 Probst der Nürnberger Lorenzkirche war,107 besaß Bücher. In der Bodleiana findet sich ein Inkunabeldruck der Historiae adversus paganos des Paulus Orosius,108 der mit historischen Werken zusam­ mengebunden ist, die 1527-1529 in Basel gedruckt wurden. In den Sammel­ band klebte Pömer sein Holzschnitt-Exlibris ein, das neben der Jahreszahl 1525 in hebräischer, griechischer und lateinischer Sprache das Motto Omnia munda mundis trägt,109 und notierte die Daten 1528 und 1529, wohl die Erwerbungsjahre der einzelnen Teilbände.110 Dieser Band ging ebenfalls durch die Hände von Georg Kloß und wurde 1835 bei seiner Auktion erworben.111 Zwischen den Nürnberger Humanisten bestanden enge Verbindungen, nicht nur wegen der häufigen familiären Beziehungen, sondern auch aufgrund beruflicher Zusammenarbeit (Münzer und Schedel waren Ärzte, Protzer und Scheurl Ratskonsulenten) und der gemeinsamen literarischen Interessen und Aktivitäten. Das Projekt der 1493 gedruckten Schedelschen Weltchronik ist undenkbar ohne die engen Kontakte zwischen dem Autor Hartmann Schedel, dem Geldgeber Sebald Schreyer sowie dem weitgereisten Hieronymus Münzer, dessen geographische Kenntnisse eingearbeitet wurden.112 Man tauschte Hand­ schriften und Frühdrucke aus: Bücher aus der Bibliothek von Hermann Schedel gelangten nicht nur in die Sammlung seines Vetters Hartmann, sondern über Sebald Schreyer auch in die Kirchenbibliothek von St. Sebald, Hartmann Sche­ del schrieb Pirckheimer-Handschriften für sich ebenso ab113 wie eine Hand­ schrift114, die Stäuber zufolge erst auf Veranlassung des erheblich jüngeren Chri106 Venedig: Gregorius de Gregoriis für Benedictus Fontana, 13. Juli 1496 (GW 2341) mit dem Ein­ trag lohannes Protzer l.V. Doctor Al if xii Comp[era]uit ln Germania ij Pe. Re. , vgl. Rhodes (wie Anm. 96), Nr. 136. 107 Graf (wie Anm. 3), S. 89-90. - Bebb (wie Anm. 5), S. 60. 108 Venedig: Christophorus de Pensis, de Mandello, für Octavianus Scotus, 18. Juli 1499 (HC *12103). Bodleian Library, U 2.18 Th. (Sheppard 4323). 109 Vgl. Friedrich] Warnecke, Die deutschen Bücherzeichen (Ex-Libris) von ihrem Ursprünge bis zur Gegenwart, Berlin 1890, Nr. 1593, und K. E. Graf zu Leiningen-Westerburg, Deutsche und öster­ reichische Bibliothekzeichen. Exlibris. Ein Handbuch für Sammler, Bücher- und Kunstfreunde, Stuttgart 1901, S. 117-118. 110 Auf der Rückseite des letzten Blattes der Inkunabel steht in blaßroter Tinte Anno mdxxviii die xv maij, auf den Teilbänden 1 und 2 findet sich das Datum 1. April 1529. 1,1 Kloß-Katalog (1835), Nr. 1564. 112 Vgl. Holzberg (wie Anm. 6), S. 49-55. - Elisabeth Rücker, Hartmann Schedels Weltchronik. Das größte Buchunternehmen der Dürer-Zeit, München 1988, S. 17-23. 113 Holzberg (wie Anm. 6), S. 50. 114 Der Codex der Bibliothek Scheurl mit der Signatur 4° Cod. 163 enthält Bullen und Chronistik und ist teilweise eine Abschrift der Schedel-Handschrift München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 338; für die Schedel-Handschrift Clm 442 diente er als Vorlage; vgl. Stäuber (wie Anm. 74), S. 63-67.

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stoph II. Scheurl zusammengebunden wurde, der Schedel kaum persönlich ge­ kannt haben dürfte. Wenn die Abschrift eines Dokumentes, das sich auf Mel­ chior Schedel bezog, noch im 19. Jahrhundert für den Einband einer ScheurlInkunabel verwendet wurde, macht dies ebenfalls die engen Verbindungen zwi­ schen den Familien deutlich. In der Epistola ad Charitatem Pirchameram, die Scheurl zusammen mit lateinischen Gedichten, fiktiven Briefen und liturgi­ schen Kurztexten drucken ließ,115 gab er seiner Bewunderung für Willibald Pirckheimer Ausdruck, die erst mit dem Erscheinen der Satire Eckius dedolatus 1520 eine Abkühlung erfuhr.116 Ein enger freundschaftlicher Kontakt bestand zwischen Hector Pömer und Christoph Scheurl. Pömer studierte in Witten­ berg, wo Scheurl von 1507 bis 1512 die Rechte lehrte, und stand mit diesem schon in brieflicher Verbindung, bevor er nach Nürnberg übersiedelte.117 Der gemeinsame Bildungshintergrund der Nürnberger Humanisten hat vielfach seinen Ursprung in ihren italienischen Jahren, erfuhr aber in der zugleich um­ grenzten und weltoffenen Atmosphäre der Reichsstadt eine jeweils eigene Prä­ gung. Die Nürnberger Bibliotheken um 1500 vermögen wichtige Aufschlüsse darüber zu geben, wie unterschiedliche Persönlichkeiten die Anregungen einer geistigen und religiösen Umbruchszeit rezipierten und auf sie reagierten. Jede wiedergefundene Inkunabel Nürnberger Provenienz liefert damit ein Mosaiksteinchen für ein Panorama der Reichsstadt am Beginn der Neuzeit.

115 Nürnberg: Johann Weißenburger, 20. Januar 1513; Bodleian Library, Antiq. e. G. 1513.5; vgl. Grossmann (wie Anm. 19), Sp. 376 Nr. 13. 116 Vgl. Holzberg (wie Anm. 6), S. 186-195 und 210-211. 117 Vgl. Streit (wie Anm. 5), S. 43.

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ERBAULICHES AUS VIER JAHRHUNDERTEN: DIE TUCHER-BIBLIOTHEK IM STADTARCHIV NÜRNBERG Von Walter Gebhardt Es war in erster Linie das Patriziat der Reichsstadt, das für die wirtschaftliche und kulturelle Blüte Nürnbergs vom 14. bis zum 16. Jahrhundert verantwort­ lich zeichnete. Als eines der ältesten ratsfähigen Geschlechter waren die Frei­ herren von Tücher daran von Anfang an beteiligt. Im Anschluß an ihre Zeit als erfolgreiche Kaufleute1 zogen sie sich vom Handel zurück, wirkten aber poli­ tisch und durch ihre kulturellen und sozialen Stiftungen weiter.2 Erst seit dem 19- Jahrhundert bestimmen wieder Kaufleute die Geschicke der Familie — augenfällig heute noch im Brauereinamen dokumentiert.3 Das Archiv einer solch einflußreichen Familie stellt zwangsläufig eine erst­ rangige Quelle zur Stadtgeschichte dar. Seit 1974 liegt es - aufgesplittet in die Teilarchive „Ältere Linie“ (E 29/IV—VII) und „Jüngere Linie und Gesamtge­ schlecht“ (E 29/I-HI) — im Stadtarchiv Nürnberg in Verwahrung.4 Dort nah­ men Karl Kohn und Albert Bartelmeß eine Neuordnung und -Verzeichnung des Archivalien bestand es5 vor. „Terra incognita“ blieb die dabei übergangene Bibliothek aus dem Tucherschen Verwaltungsamt6, über deren Herkunft und Inhalt bisher weder heutigen Eigentümern noch Verwaltern Genaueres bekannt war. Da sie immerhin Werke aus vier Jahrhunderten enthält, soll sie hier erst­ mals als Ganzes beschrieben und im Einzelnen per Katalog vorgestellt werden. Mit ihrer heute durchlaufenden Zählung entstand die Tucher-Bibliothek durch die Zusammenlegung von drei eigenständigen Büchersammlungen. Zwei davon liefern, eingebettet in ihr ursprüngliches Umfeld, bisher unbe­ kannte Mosaiksteine zu Tucherischen geistlichen Stiftungen, während die dritte vom privaten Interesse der Familie zeugt.

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Neben den Imhoff stellten die Tücher die letzte handeltreibende Nürnberger Patrizierfamilie dar. Vgl. Michael Diefenbacher: Handel im Wandel. Die Handels- und Wirtschaftsmetropole Nürn­ berg in der frühen Neuzeit (1550-1630), in: Stadt und Handel (Stadt in der Geschichte 22), S. 1-19, hier: S. 17. Wilhelm Schwemmer: Das Mäzenatentum der Nürnberger Patrizierfamilie Tücher vom 14.—18. Jahrhundert, in: MVGN 51 (1962), S. 17-59Albert Bartelmeß: Die Patrizierfamilie Tücher im 17. und 18. Jahrhundert, in: MVGN 77 (1990), S. 243Zur Geschichte des Archivs s. Gerhard Hirschmann: Die Archive der Familie von Tücher in den letzten 50 Jahren, in: Mitteilungen für die Archivpflege in Bayern 21 (1975), S. 39-43StadtAN E 29/II-IV. Die von Wilhelm Schwemmer vor dem Zweiten Weltkrieg erstellten Find­ bücher waren ungenau und wegen der kriegsbedingten Teilvernichtung des Archivs der Jüngeren Linie und des Gesamtgeschlechts überholt.

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Die Wöhrder Frühmeßpfründe und ihre Bibliothek (Katalog Nr. 3-27) 1431 stiftete Anna Groland, geb. Tücher, für die St. Bartholomäuskirche in Wöhrd eine Frühmeßpfründe.7 Sie war die älteste von drei Ewigmessen in Wöhrd, im Stiftungsjahr war die Kirche noch nicht einmal geweiht. Der erfor­ derliche Geistliche sollte jeweils durch den Senior der Familie Tücher präsen­ tiert und mußte durch den Bischof von Bamberg bestätigt werden. Er hatte wöchentlich vier Messen auf dem eigens für ihn eingerichteten St. Leonhardsal­ tar zu lesen;8 vom Seelsorgedienst waren die Pfründner ausgeschlossen. Die Stif­ ter finanzierten die Stelle aus den Abgaben dreier Bauernhöfe und spendeten darüberhinaus Meßgewänder, ein Kreuz, ein kleines Meßbuch und Hausrat.9 Niklas aus Böhmen, der erste Kaplan der Pfründe, trug ein puch haißt manipulum florum10 bei, das als mögliche Nummer 1 unserer Bibliothek leider nicht mehr vorhanden ist. Die in der Reformation übliche Säkularisierung der Pfründstiftungen als Kirchenvermögen konnte die Familie Tücher verhindern, indem sie die Ver­ waltung bei sich behielt; gegen die Zerstörung der Kirche im Zweiten Mark­ grafenkrieg 1552 war sie indessen machtlos. Doch bereits 1557/58 ließen die Patrizier das Wohnhaus des Predigers (Wöhrder Schulgasse 1) wiedererrichten. Linhart (I.) Tücher erklärte sich als Familienältester außerdem bereit, aus den Einnahmen der geistlichen Stiftung einen zweiten Geistlichen in Wöhrd neben dem Gemeindepfarrer zu finanzieren. Die jährlichen Bezüge wurden auf 80 Gulden und sechs Gulden für Brennholz festgesetzt.11 Die Tücher behielten sich wiederum das Präsentationsrecht vor; die Bestätigung hatte nunmehr durch den Rat zu erfolgen. Mit ihren Personalentscheidungen bewiesen sie eine ausgesprochen glückli­ che Hand. Wöhrd entwickelte sich zu einer sehr angesehenen Pfarrei mit her­ vorragenden Predigern.12 Die Stelle des Diakons in der Bartholomäuskirche bil6 7

StadtAN E 29/VII. Christoph August Wilhelm von Tücher: Zur Geschichte der Geistlichen Stiftung des Tucherischen Geschlechtes in Nürnberg, Nürnberg 1897, S. 48-52. 8 Wilhelm Schwemmen Aus der Geschichte der Pfarrei Nürnberg-Wöhrd (Schriftenreihe der Altnürnberger Landschaft 6), Hersbruck 1956, S. 10. 9 Tücher: Stiftung (wie Anm. 7), S. 53. 10 Tücher: Stiftung (wie Anm. 7), S. 54. 11 Schwemmer: Wöhrd (wie Anm. 8), S. 16-17. 12 Schwemmer: Wöhrd (wie Anm. 8), S. 22. - Andreas Würfel: Diptycha Ecclesiae S. Bartholomaei das ist Verzeichnüß und Lebensbeschreibungen der Herren Pfarrer und Diaconorum, welche seit der gesegneten Reformation biß hieher, an der Kirche zu St. Bartholomäus in der Vorstadt Wöhrd gedienet. . . , Nürnberg 1763. Forts dazu: Georg Ernst Waldau: Diptycha Ecclesiarum Norimbergensium Continuata das ist: Verzeichniße und Lebensbeschreibungen aller Herren Geistlichen in der Reichsstadt Nürnberg von 1756 biß zum Schluß des Jahres 1778, Nürnberg 1779-

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Die Tücher-Bibliothek im Stadtarchiv Nürnberg

dete bald die höchste Stufe unter dem Patronat der Tücher. So war der Karriere­ weg für zahlreiche Geistliche unter den Fittichen der Familie vorgezeichnet: Nach dem Studium (meist in Altdorf) führte er von St. Helena (nahe des Fami­ liensitzes Simmelsdorf) oder Behringersdorf über die Suttenpredigerstelle im Nürnberger Heilig-Geist-Spital bei entsprechender Eignung nach Wöhrd. Die Besoldung der Kapläne trug dem Rechnung. Bereits 1636 und noch im Jahr 1807 standen 200 Gulden zur Verfügung,13 ein für den damals nicht eben an­ gesehenen Stand der Geistlichen enormer Betrag. Üblich dürfte in etwa die Hälfte gewesen sein.14 Umgewandelt in ein Präsentationsrecht für die erste Pfarrstelle „in zwei von drei Erledigungsfällen“ bestand das Patronat noch bis zum Jahr 1968.15 1969 trat ein neues Landeskirchengesetz zur Pfarrstellenbesetzung in Kraft, das die Privatpatronate in Bayern abschaffte. Die St. Bartholomäuskirche als „Lieblingskind“ pflegte insbesondere Paul (IV.) Tücher, der als Familienältester die Geistliche Stiftung von 1580 bis 1603 verwaltete. Er ließ eine Gruft in den Chor bauen, in der neben ihm und seiner Familie auch der größte Teil seiner Nachkommenschaft aus der älteren Linie beigesetzt wurde. Paul (IV.) Tücher legte auch den Grundstock für die Kirchenbibliothek. Von den heute vorhandenen 24 Nummern (in 41 Bänden) entstammen allein 15 sei­ ner Ägide, darunter die Wittenberger Werkausgabe von Martin Luther in zwölf Bänden, erschienen von 1539—1561 (Katalog Nr. 3). Bis 1708 steuerten Anton (IX.) Tücher (1562-1636) und Paul (XII.) Tücher (1656-1709) weitere Bände bei. Die Bücher wurden meist wenige Jahre nach Erscheinen übergeben, so daß sich die Bibliothek in ihrem zeitlichen Rahmen etwa von 1550 bis 1700 mit der nachreformatorischen Epoche der lutherischen Orthodoxie deckt. Erbau­ ungsliteratur war damals angesagt: Hauptbestandteil ist die Postille, eine theo­ logische Literaturgattung, in der biblische Textstellen, deren Wortlaut jeweils dem Kommentar vorangehen, erklärt werden. Der Begriff wurde später ausge­ weitet auf die meist von Superintendenten verfaßten Predigtanleitungen durch den Jahreslauf. Da die Abfassung der Predigt als zentralem Teil des Gottes­ dienstes in den reformatorischen Kirchen bedeutend schwieriger geworden war,

13 StadtANE 29/11 Nr. 1590. 11 Bei den diversen Kirchenvisitationen zählten Klagen über die zu geringe Besoldung zu den häu­ figsten Beschwerden, vgl. z. B. Gerhard Hirschmann: Die Kirchenvisitation im Landgebiet der Reichsstadt Nürnberg 1560 und 1561 (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns 68), Neustadt a. d. Aisch 1994, S. 17-18. 15 Personalstand der Evang.-Luth. Kirche in Bayern, Ausg. 35 (1967), S. 233.

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dienten sie den Geistlichen als konkrete Vorlagen. Typisch der Hinweis bei Nr. 17: sonderlich für junge Prediger. Auffällig ist der geringe Anteil von in Nürnberg gedruckten Büchern. Gilt etwa auch der Drucker als Prophet im eigenen Land nichts? Nur ein Buch des Heilig-Geist-Spital-Predigers Christoph Weihammer, das dieser selbst 1636 gestiftet hat, sowie ein Nachdruck der brandenburgisch-niirnbergischen Kir­ chenordnung von 1533 sind hier erschienen.16 Weitere Nürnberg-Bezüge finden sich versteckter. Der Ahbt zu Alpersbach im Pürstenthumb Würtemberg Matthäus Vogel (Nr. 15) ist am 7. September 1519 hier geboren. 1548 wurde er Diakon in der Jakobskirche; „weil er sich der Formulae interimisticae widersetzte, so mußte er 1549 ins Elend gehen“17. Konrad Agricola (Bauer) war Buchdrucker in Nürnberg. Seine in jahrelanger mühevoller Kleinarbeit entstandene deutsche biblische Konkordanz (Nr. 19) erschien 1609 in Nürnberg und wurde als Standardwerk mehrfach nachgedruckt.18 Daß Paul (IV.) Tücher die Historia von der Augspurgischen Confession gleich dreimal (Nr. 11—13) angeschafft hat, muß nicht unbedingt auf Vergeßlichkeit beruhen. Nur die Widmung im ersten Exemplar bedenkt eindeutig die Werder Stifftung. Die weiteren Exemplare könnten aus anderen geistlichen Stiftungen nach Wöhrd gelangt sein. Umgekehrt ist nicht sicher, ob der Bestand vollständig überliefert ist. Je­ denfalls listet das „Findbuch für das Archiv des Ev.-Luth. Pfarramts NürnbergSt. Bartholomäus Wöhrd“ des Landeskirchlichen Archivs in Nürnberg das im Zweiten Weltkrieg verlorene Bibliotheksgut auf. Der Bereich Theologie um­ faßt darin 17 Nummern aus dem Zeitraum von 1519 bis 1846. (Daneben sind einige landeskundliche Bücher aufgeführt.) Ob ehemalige Bände der Tucherschen Pfarrbibliothek von den Verlusten betroffen waren, muß ungeklärt blei­ ben, da kein Inventar mehr existiert. Wann und warum hat die Bibliothek ihren Weg zurück zur Tucherschen Stiftungsverwaltung gefunden? Zu vermuten ist ein Zusammenhang mit der Erhebung des Kaplans Johann Friedrich Häcker zum Pfarrer im Jahr 1811. Die Kaplanstelle wurde dabei eingezogen und das Diakonatshaus, in dem sich die Bibliothek befunden haben muß, zwei Jahre später für 1125 Gulden verkauft.19

16 Zum Vergleich: In der „Alten Bibliothek“ des Evang.-theol. Landesseminars zu Herborn (!) stam­ men immerhin 15 % der 964 Reformationsdrucke aus Nürnberg. Vgl.: Hermann Erbacher: Schatz­ kammern des Wissens, Neustadt a.d.Aisch 1966, S. 78. 17 Deutsches biographisches Archiv, München 1986, Fiche 1311, 378-385. 18 Deutsches biographisches Archiv, München 1986, Fiche 8, 430-435. 19 Schwemmen Wöhrd (wie Anm. 8), S. 32.

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Die erste Suttenpredigerstelle und ihre Bibliothek (Katalog Nr. 30-32, 34-35, 37-42, 44-55) Am 15. Februar 1507 stifteten die Brüder Anton (II.) Tücher (1458-1524) und Dr. Sixtus Tücher (1459—1507) eine Priesterpfründe im Heilig-Geist-Spital20 zur Betreuung der Kranken und Siechen. Eine eigene geistliche Betreuung der Kranken wurde in dem 1518 fertiggestellten Neubau der Krankenstube not­ wendig21, da es von dort keinen direkten Übergang in die Kirche mehr gab. Die neue „Sutte“, wie die Krankenstube genannt wurde, befand sich in dem später zur berühmten Nürnberg-Ansicht avancierten westlichen Brückenbau des Spi­ tals über der Pegnitz. Der Kaplan sollte vier Messen pro Woche lesen, das Sonn­ tagsevangelium verkünden und eine kurze Ansprache halten, die Kranken zur Geduld in ihren Leiden ermahnen, zur Fürbitte für die Stifter auffordern und mit dem Sündenbekenntnis beschließen. Der Gottesdienst sollte eine halbe Stunde nicht überschreiten. Der Priester war dem Custos der Spitalkirche nicht unterworfen. Er bezog ein Gehalt von jährlich 52 Gulden und erhielt eine Wohnung (Spitalgasse 15). Die Stiftung war als „Movendelpfründe“ angelegt, d. h. der Stelleninhaber war entgegen den üblichen Gepflogenheiten absetzbar. Letzteres sollte sich im Lauf der Zeit als positiv im Sinne der Stifter erweisen, denn die Besetzungen der Suttenpredigerstelle waren offenbar nicht immer von Weitsicht geprägt. Allerdings mögen die unerquicklichen Umstände, in denen die Priester — nach der Reformation: die Prediger — ihren Dienst an jeweils etwa 60 Kranken versehen mußten, eine gebührende Rolle gespielt haben. Ermessen lassen sich die Verhältnisse vielleicht am ehesten in den sich steigernden ety­ mologischen Deutungen des Wortes Sutte (oder Sude) durch Herbert Maas: „1. Ort, wo es heiß zugeht, wo Heißwasser verwendet wird. 2. Ort, wo es schmut­ zig zugeht und wie in einer Jauchegrube stinkt. 3. Ort, wo es wie in der Hölle zugeht“22. Beschwerden über die Suttenprediger hagelte es zuhauf: Sie seien unvleissig2\ benähmen sich unwürdig, ja bettelten sogar24, predigten nicht und seien ständig betrunken25. Im Gegenzug forderten die Beklagten - verständli­ cherweise - mehr Gehalt, was ihnen sogar einige Male vom Rat per Sonderzu­ wendung gewährt wurde. Daß die frommen Buchstiftungen der Tücher nicht immer auf fruchtbaren Boden gefallen sind, illustriert auch das Beispiel des -,0

22 -’3 -M 25

StadtANE 29/H Nr. 1561. Michael Diefenbacher: 650 Jahre Hospital zum Heiligen Geist in Nürnberg 1339-1989 (Ausstel­ lungskataloge des Stadtarchivs Nürnberg 4), Nürnberg 1989, S. 80. Herbert Maas: Die Etymologie des Wortes Sutte, in: MVGN 76 (1989), S. 159. Ulrich Knefelkamp: Das Heilig-Geist-Spital in Nürnberg vom 14.-17. Jahrhundert (Nürnberger Forschungen 26), Nürnberg 1989, S. 120. Knefelkamp: Heilig-Geist-Spital (wie Anm. 23), S. 122. Knefelkamp: Heilig-Geist-Spital (wie Anm. 23), S. 123—124.

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Suttenpredigers Johann Jakob Ernst. Er trat sein Amt 1632 an, dem Todesjahr dreier seiner Vorgänger.26 Zu dieser Zeit wütete die Pest in Nürnberg. Ob ihr Tod mit der Krankenbetreuung zusammenhing, ist der Quelle leider nicht zu entnehmen. Vier Jahre später wird Ernst wegen Zänkereien seiner Stelle entho­ ben und als gewalttätig und tobsüchtig zunächst auf dem Fröschturm, dann auf dem Luginsland festgehalten, wo er schließlich nach fast vierzig Jahren in Ver­ wahrung 1671 starb.27 Solche Beispiele dürfen aber kein falsches Bild entstehen lassen. Grundsätz­ lich erforderte das Predigeramt eine Qualifikation, die den Inhaber über die an­ deren — vielfach ungebildeten — Geistlichen stellte.28 Im allgemeinen gelang es dem Patronat durchaus, auch in dieses mit extremen Belastungen verbundene Amt fähige Diakone einzusetzen. Während der Reformationszeit hatte es für zehn Jahre der bedeutende Humanist Thomas Venatorius29 inne; aus dem Pie­ tismus des 18. Jahrhunderts sei Ambrosius Wirth30 genannt und schließlich der Professor für Kirchen- und Gelehrtengeschichte Georg Ernst Waldau, der seine Erfahrungen aus seiner Zeit in der Sutte (1772-1791) 2. B. in seine „Andach­ ten für Leidende, Kranke und Sterbende“ (Nürnberg 1778) und zahlreiche Pre­ digtensammlungen einfließen ließ. Obschon einige Suttenprediger selbst zur Feder gegriffen haben, besteht die Bibliothek wiederum ausschließlich aus Werken der „großen“ zeitgenössischen Theologen. Linhart (I.) Tücher, als Stiftungsverwalter von 1536—1568 zustän­ dig, begründete die Bibliothek durch den Kauf des 14 Bücher umfassenden Nachlasses des Predigers Veit Zott im Jahr 1544. Er bezahlte dafür fünf Gul­ den, das Einmalen der Familienwappen kostete ihn weitere zwei Gulden, vier Pfund und sechs Pfennige.31 In dem Nachlaß befanden sich noch einige Schrif­ ten von Luther und Brenz aus der Reformationszeit. Nürnberger Reformatoren wie Veit Dietrich oder Andreas Osiander fehlen dagegen. Die in der Folgezeit ausgetragenen heftigen Richtungskämpfe der protestantischen Theologie schlagen sich kaum im Bestand nieder. Bevorzugt wurden unverfängliche er26 Andreas Würfel: Diptycha Ecclesiae Ad Spiritum Sanctum. Das ist Verzeichniß und Lebensbe­ schreibungen der Herren Prediger, Herren Diaconorum u. Herren Süden-Prediger, welche seit der gesegneten Reformation biß hieher, an der Neuen Spital-Kirche zum Heil. Geist in Nürnberg und bey der Kranken-Stube in der Süden gedienet haben, Nürnberg 1759, S. 127-129* 27 Ernst Mummenhoff: Die öffentliche Gesundheits- und Krankenpflege im alten Nürnberg, in: Fest­ schrift zur Eröffnung des neuen Krankenhauses der Stadt Nürnberg, Nürnberg 1898, S. 78-80. 28 So ließ der Suttenprediger Andreas Döber 1525 seine Krankenmesse drucken und schuf damit ei­ nes der ältesten Zeugnisse des deutschen evangelischen Gottesdienstes. Vgl. Matthias Simon: Die Nürnberger Spitalmessen der Reformationszeit, in: ZBKG 28 (1959), S. 143-153* 29 Deutsches biographisches Archiv, München 1986, Fiche 1304, 124-137. 30 Karl Schornbaum: Zur Tätigkeit des Suttenpredigers Ambr. Wirth, in: MVGN 42 (1951), S. 369-372. 31 Tücher: Stiftung (wie Anm. 7), S. 112.

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bauliche Autoren wie der weitverbreitete Johann Arndt (Nr. 43) angeschafft, der geschildert wird als „einzig ... in einer polemisch erhitzten, in schul­ mäßigem Dogmatismus erstarrten Zeit, in der Periode zwischen dem Abschluß des lutherischen Concordienwerks und dem Ausbruch des 30jährigen Krie­ ges“32. Angebunden an die Institutiones catecheticae des Conrad Dieterich (Nr. 42), ein Standardwerk der lutherischen Dogmatik, findet sich ein sicher nicht zufäl­ lig gekauftes Werk des Augsburger Reformators Urbanus Rhegius mit dem Ti­ tel Seelen Ertzney für die Gesunden und Krancken in Todts nöten. Salomon Glass (Nr. 46) gilt wie Arndt, dessen Anhänger er war, als Mann der Versöhnung, der eher christlichen Geist erwecken als dogmatische Kontroversen auslösen wollte.33 Auch er ist ein typisches Beispiel für den Charakter unserer Kirchenbibliothek: ausgleichend, moderat, unpolemisch. Letztlich die gleiche Haltung zur Refor­ mation bestimmte die Politik der Reichsstadt Nürnberg gegenüber Kirche und Kaiser. Für die Suttenpredigerbibliothek existiert ein Verzeichnus derer Mobilien so die in der Hochadel. Tucherischen Stiftung der Behaußung der Spital-Gassen zu finden*4,

angelegt vom 1695 bis 1714 amtierenden Prediger Matthias Kläckel35. Dank seiner Liste läßt sich die weitgehend vollständige Überlieferung des Bestandes feststellen. Es fehlen: — Frobenii [Johannes] Concorcftantiae] Majores Sacr. Bibi., gestiftet 1527 — Marggräfl. und Nürnbergische Kirchen-Ordnung, von Herrn Paulo Tücher gestiftet 1592 — Agricola [Konrad]: CcwnWlantiae] BibUiorum] von Herrn Antoni Tücher gestiftet

1630 — Erasmi Schmidii [Schmidt] Nota & Anima [= Opus sacrum posthumum] von Herrn Tobias Tücher gestiftet 1690 — Pfeiffer, A#g[ust]: Gazophylacion Evang[elicum] von Herrn Pauls Tücher gestiftet 1695 — Knopken [Andreas]: Interpret[atio] in Epist[olam] ad Roman[os] — [Johann] Feinlers Krancken-Trost-Ührlein von Herrn Carlo Tücher gestiftet 1676.

Dieses Ergebnis bestätigt ein anonymer Catalogus der jenigen Bücher, welche in der Hochadel. Tucherischen Bibliothek des Stift Pfründ-Haußes der Herren Tücher in der Spitalgassen sich befinden56. Etwa um die gleiche Zeit entstanden, führt der Catalogus die gleichen heute fehlenden Bände auf.

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ADB, Bd. 1, Leipzig 1875, S. 549. ADB, Bd. 9, Leipzig 1879, S. 218. StadtANE 29/II Nr. 1570. Würfel: Diptycha (wie Anm. 26), S. 120 (hier: Matthias Klöckel) StadtANE 29/11 Nr. 1570.

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Die Rückkehr der Bibliothek zur Stifterfamilie dürfte mit der Neuordnung des Stiftungswesens in Nürnberg nach dem Ende der reichsstädtischen Zeit Zu­ sammenhängen.37 Die beiden Suttenpredigerstellen wurden damals - vorüber­ gehend — eingezogen. Daß dabei die Amtswohnung in der Spitalgasse zum Schullehrerseminar umfunktioniert wurde, könnte der Bibliothek ihren Auf­ enthaltsort gekostet haben. Exkurs: Die zweite Suttenpredigerstelle und ihre Bibliothek Für die zweite Krankenstube in der Sutte stiftete Hans (IX.) Tücher im Jahr 1518 eine weitere Movendelpriesterpfründe im Heilig-Geist-Spital. Zu der Pfründe gehörte ein Haus (Unterer Bergauer Platz 6), in dem der zweite Sut­ tenprediger eine in Art und Größe vergleichbare Bibliothek unterhielt. Deren Ende entschied der Stadtrat: Nach Magistrats-Beschluß von 16 May 1828 sind die von der freyherrlichen von Tucherischen familia nach und nach angeschafften in der Sudenprediger-Wohnung außewahrten Bücher in die Stadt-Bibliothek zu schaffen58. Der damalige Stadtbibliothekar Ranner legte nach Empfang der Bände am 13. Au­ gust 1828 eine 43 Nummern umfassende Liste an.39 Nur diese Bibliothek wurde später unter der Bezeichnung „Suttenpredigerbibliothek“ der Fenitzerbibliothek zugeschlagen, die sich heute im Landeskirchlichen Archiv befin­ det.40 Damals wurden Dubletten aus der eigentlich sechs theologische Biblio­ theken umfassenden Sammelbezeichnung „Fenitzerbibliothek“ ausgeschieden, so daß die kleine Suttenpredigerbibliothek dort stark dezimiert worden sein dürfte. Die Existenz der ersten Suttenpredigerbibliothek scheint unbekannt oder bereits vergessen gewesen zu sein. Nach dem Tod des zweiten Suttenpredigers Kaufmann 1827 wurden die bei­ den Stellen vereinigt. Im Gegensatz zur Gemeinde Nürnberg-Heilig-Geist exi­ stiert das Amt — zumindest seiner Bezeichnung nach — heute noch. Der derzei­ tige Inhaber der Suttenpredigerstelle gehört der Gemeinde St. Jakob an und leitet den „City-Dienst“, eine Anlauf- und Beratungsstelle für Menschen in Krisensituationen im Hauptbahnhof. Wie bei der Bartholomäusgemeinde ver­ zichteten die Tücher erst im Jahr 1969 auf ihr Patronat. 37 vgl. dazu: Karlheinrich Dumrath: Die Heilig-Geist- und die Elisabeth-Spitalstiftung zu Nürnberg, in: ZBKG 24 (1955), S. 48-88. 58 StadtAN C 6 Nr. 1300, fol. 162 (Freundlicher Hinweis von Dr. Renate Jürgensen). 39 StadtAN C 6 Nr. 1300, fol. 161. Daneben ist diese Bibliothek häufiger in den Gült- und Zins­ büchern der Familie Tücher inventarisiert: StadtAN E 29/III Nr. 99, fol 206r+v (1546), E 29/IH Nr. 100,fol. 191r+193r(1565)undE29/HINr. 101,fol. 374v+375r (1575). Zuletzt hatte sie hier einen Umfang von 30 Bänden. (Für Lesehilfen vielen Dank an Karl Kohn und Adelheid Schmidt) 10 Die Herkunft der Suttenpredigerbände ist dort im handschriftlichen Bandkatalog von Hilpert mit Xenod{ochii auli) bezeichnet.

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Die Bibliothek der Stiftungsverwaltung (Nr. 56-129) Einen gänzlich anderen Bibliothekstypus haben wir mit der in der Tucheri­ schen Stiftungsverwaltung aufbewahrten privaten Sammlung der Familie vor uns. Vom Umfang her in etwa so groß wie die beiden Pfründbibliotheken zu­ sammen, enthält sie primär Standardwerke zur Nürnbergischen Geschichte mit Schwerpunkt im 18. Jahrhundert, wobei — wie zu erwarten - der Bereich Patri­ ziat stark vertreten ist/1 Die eigene Familie betreffen die Katalognummern 69—72, darunter Stellungnahmen zu den sich über Jahrzehnte hinziehenden Streitigkeiten mit Johann Georg von Tücher (1735-1805), dem gleich dreifa­ ches Fehlverhalten vorgeworfen wurde: Er hatte das Nürnberger Bürgerrecht aufgegeben, war zum katholischen Glauben konvertiert und als Hof- und Re­ gierungsrat in kurbaierische Dienste getreten. Aus dem 16. Jahrhundert sind zwei Nürnberger Rechtsordnungen (Nr. 56 und 58) und die (an Caritas Pirckheimer gerichteten) Viertzig sendbriefe des Suttenpredigerstifters Sixtus Tücher aus dem Jahr 1515 (Nr. 91) vorhanden. Wie aus den Beispielen schon hervor­ geht, entspricht die Nummernfolge nicht mehr chronologisch den Erschei­ nungsjahren, so daß sich auf eine vermutlich im späten 18. Jahrhundert begon­ nene, unsystematisch geführte und eher aus zufälligen Quellen gespeiste Bi­ bliothek schließen läßt. Darauf deuten auch diverse ehemalige Besitzvermerke in einigen Büchern hin. Außerdem haben sich inzwischen weitere Bände aus dem 17.-19. Jahrhundert angesammelt, die im alten Repertorium von 1935/37 noch nicht erfaßt waren (jetzt Nr. 118—129). Neben antiquarischen Erwerbungen dürften auch Geschenke aufgenommen worden sein. Dazu zählen sicher die Vermischten Beyträge zur Geschichte der Stadt Nürnberg (Nr. 80) von Georg Ernst Waldau, der uns schon als Suttenprediger bekannt ist. Die Wid­ mung an seinen Patron Johann Georg Tücher ist im Werk enthalten. Das Nürn­ berger Pfarrerbuch des gleichen Verfassers"12 fehlt dagegen, was den eher zufälli­ gen Charakter der Sammlung unterstreicht. Manches dürfte aus den Privatbe­ ständen einzelner Familienmitglieder aussortiert und der Stiftungsverwaltung hinzugestellt worden sein.

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Die bisher vertretene Auffassung (z. B. in: Bartelmeß: Tücher (wie Anm. 2), S. 237), daß den Grundstock der heutigen Tucher-Bibliothek die Bibliothek des Gratian Tücher (1617-1693) bil­ det, ist falsch. Von den im Catalogus Librorum (StadtAN E 29/H, Nr. 1172) genannten 237 Büchern, die der damalige Familiensenior testamentarisch der Tucherischen weltlichen Stiftung vermacht hat, ist kein einziges in der Tucher-Bibliothek. Die Sammlung des Gratian Tücher be­ stand hauptsächlich aus juristischer, allgemein historischer und schöngeistiger Literatur. Ihr Ver­ bleib ist unbekannt. Waldau: Diptycha (wie Anm. 12).

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Hingewiesen sei noch auf die nürnbergischen Handschriften in der TucherBibliothek: zwei Chroniken (Nr. 62—63), ein Geschlechterbuch (Nr. 64) und fünf Tucherbücher (Nr. 67, 121, 123, 124=Großes Tucherbuch, 129). Gegenüber dem vor dem Zweiten Weltkrieg erstellten Repertorium fehlen heute einige Bände. Nicht mehr vorhanden sind diverse Genealogica von Jo­ hann Gottfried Biedermann (Nr. 92—98) und die neuere historische Literatur aus der Zeit der Jahrhundertwende. Die Vermutung, daß es sich dabei um Kriegsverluste handeln könnte, ist naheliegend, aber unzutreffend: Eine Liste der in Feldmühle außewahrten Bücher aus dem Tucherischen Familienarchiv43 von Jobst von Tücher aus dem Jahr 1954 weist die Bände noch nach. Die Vollstän­ digkeit der Bibliothek scheint größeren Schwankungen unterworfen gewesen zu sein. In der ihrerseits unvollständigen Liste vermerkt eine spätere Hand ei­ nige Bände als fehlend, die heute wiederum vorhanden sind.

Das äußere Erscheinungsbild der Bibliothek Mit Ausnahme weniger erst aus dem 18. Jahrhundert stammender Pergament­ bände spendierten die Tücher für die Bücher der geistlichen Stiftungen Ganzle­ dereinbände auf Holzdeckeln. Meist wurde Schweinsleder verwendet. Die vor­ deren Einbanddeckel sind vielfach mit in Blindpressung aufgebrachter Orna­ mentik verziert, ab dem 17. Jahrhundert ließ die Familie zusätzlich ihr Wap­ pen in Gold als Supralibros aufprägen. Die Messingschließen sind meist noch komplett vorhanden, in manchen Fällen fehlen die Haken, selten auch Ober­ und Unterteil. Auf den Buchrücken stehen handschriftlich kurze Titelangaben, teilweise sind diese auch zusätzlich auf den Einband vorne geprägt. Die üppige Ausstattung setzt sich im Innendeckel fort durch mehr oder we­ niger aufwendig gestaltete Tucherwappen und eine Widmung durch den je­ weiligen Familienältesten als Stiftungsverwalter. Andreas (VI.) Tücher verwen­ dete ein Exlibris mit der handschriftlichen Ergänzung Tucher-Stifftung (Nr. 38-43). Von einigen Wurmfraßstellen abgesehen, befinden sich die Bände in ausge­ zeichnetem Zustand. Für Gebrauchsliteratur wirken sie wenig benutzt, auch Marginalien bilden die Ausnahme. Aussehen und repräsentativer Charakter der Bücher lassen die Annahme zu, daß sie wohl nie die eigentlichen Arbeitsmit­ tel der Geistlichen darstellten. Vielmehr ist zu vermuten, daß die Prediger in erster Linie eigene Predigtensammlungen und Gesangbücher (die in der Bi­ bliothek ohnehin fehlten) zur Vorbereitung benutzten. Die Privatsammlung ei­ nes frühen Suttenpredigers bildete ja entsprechend auch die Grundlage für die 43 StadtAN E 29/11 Nr. 29.

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Abb. 1: Lesepult mit Tucherwappen in der Wöhrder Bartholomäuskirche. Das aufliegende, 1667 von Tobias (IV.) Tücher gestiftete Gesangbuch ist nicht in die heutige Tucher-Bibliothek gelangt. Lavierte Handzeichnung. (StadtAN E 29/H Nr. 1610,60).

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Brenz. Johannes: In D. Iohannis Evangelion / Iohannis Brentij Exegesis. — Per Authorem iam novissime correcta & emendata. — Haganoae : Set­ zer, 1534.-[8], 351, [1] Bl. Gestiftet im Andenken an Sixtus Tücher (von Linhart (I.) Tücher)

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Brenz. Johannes: In Evangelii Quod Inscribitur secundum Lucam / Autore Ioanne Brentio. - Halae Suevorum : Braubach

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Gestiftet im Andenken an Sixtus Tücher (von Linhart (I.) Tücher) [TA.] Duodecim priora Capita, Homiliae Centum & decem. - 1538. [4], 321 Bl. [T.2.] Duodecim posteriora capita, Homiliae octoginta. — 1540. — [4] Bl., Bl. 439-802, [1] Bl. 33

Melanchthon. Philipp: Loci Commvnes [Communes] Theologici Recens / Collecti Et Recogniti A Philippo Melanchthone. — Vitebergae : Seitz, 1538.-[216] Bl. Besitzvermerk: G. B. H. Caspar Stochingeri

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Luther. Martin: Devteronomion [Deuteronomion] Mose cum Annotationibus / Mart. Luther. - Wittembergae : Lufft, 1525. - [8], CCLXVII Bl. Gestiftet im Andenken an Sixt Tücher (von Linhart (I.) Tücher) Angebunden 1: Melanchthon, Philipp: In Danielem Prophetam Commentarius / editus a Philippo Melanchtone. - Vitebergae : Lufft, 1543- 148 Bl. Angebunden 2: Luther, Martin: Commentarivs [Commentarius] Martini Lvtheri in Ionam Prophetam, iam novissime post aliorum tralationes latinus / factus ä Vincentio Obsopoeo [Vincentius Obsopoeus]. — Haganoae : Setzer, [15]26. — [84] Bl. Angebunden 3: Luther, Martin: Habacvc [Habacuc] Propheta / Cum Annotationibus Marti. Lvthe. Iohanne Lonicero [Johann Lonicer] Interprete. - Argentorati: Knobloch, 1526. - [74] Bl.

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Eber. Paul: Postilla Das ist Außlegung der Sonntags und fürnembsten Fest Evangelien durch das gantze Jar / Deß Ehrwirdigen und Hochge­ lehrten Herrn Pauli Eberi, der H. Schrifft Doctorn, Weilandt Superin­ tendenten zu Wittenberg. Auffs fleissigste nachgeschrieben, zusammen gefast und der gemeynen Christenheit zu gut jetzundt zum Ersten in Druck verfertiget Durch Iohannem Cellarivm [Johannes Cellarius] Budissinum. — Franckfurt am Mayn : Basse Einheitssacht.: Evangeliorum dominicalium expositio Gestiftet von Paulus (IV.) Tücher 1588 T.l. Vom Advent biß auff Ostern. - 1578. - [6], 199 Bl. : 111. T.2. Von Ostern biß auffs Advent. - 1578. - [2], 234 Bl. : 111. T.3. Von den fürnembsten Festen durchs gantze Jar. - 1578. - [2], 107, [1] Bl. : 111. 111

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Habermann. Johann: Postilla Das ist Außlegung der Evangelien welche durchs gantze Jar an allen Sontagen und gewönlichen namhafften Festen in der Kirchen üblich und gebräuchlich sind / Gepredigt und in drey unterschiedliche Theil gefasset Durch Johannem Habermann von Eger, der heiligen Schrifft Doctorn. — Jetzt auffs neuw vom Authore selber mit sonderm fleiß über alle vormals im Truck außgangene Editionen er­ sehen, . . . gebessert. . . und . . . gemehrt. — Franckfurt am Mayn : Feyerabend (Franckfurt am Mayn : Rab) T.l. Winterteil. - 1582. - [6], 194 S. : 111. T.2. Von Ostern biß auff das Advent. - 1582. - 306 S. : 111. T.3. An den fürnembsten Festen durch das gantze Jar. — 1582.— 150 S., [1] Bl. : 111. Angebunden: Habermann, Johann: Postilla Das ist Außlegung der Epi­ steln welche durchs gantze Jar an allen Sontagen und gewöhnlichen namhafften Festen in der Kirchen üblich und gebräuchlich sind / gepre­ digt und jedes in drey unterschiedliche Theil gefasset Durch Johannem Habermann von Eger, der heiligen Schrifft Doctorn. — Jetzt auffs new vom Authore selber mit sonderm fleiß über alle vormals in Truck außgegangene Editiones ersehen, . . . gebessert und . . . gemehret. Franckfurt am Mayn : Feyerabend (Franckfurt am Mayn : Schmidt) T.l. - 1584.-[8], 170 S. : 111. T.2. Von Ostern biß auff das Advent. - 1584. — [6], 256 S. : 111. T.3. An den fürnembsten Festen durch das gantze Jar. - 1584. - [6], 119 S. : 111.

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Sack. Siegfried: Erklerung. Vber [Uber] die SontagsEvangelia und über die fürnembsten Fest durchs gantze Jahr . . . Geprediget in der Ertzbischöfflichen Primat Kirchen zu Magdeburg / Durch Siegfridvm Saccvm, D. Thumpredigern doselbst. - Magdeburg : Kirchner (Magde­ burg : Gene) T.3. - 1595. - [8] S., S. 1065-1395, [40] S. : 1 Portr. T.4. Darinnen etliche besondere Tractatus begriffen werden ... — 1594. - [8], CCXII, [6] Bl. Portr. auf der Haupttitelseite herausgeschnitten Angebunden: Sack, Siegfried: Erklerung Vber [Uber] die Trostreiche Historiam des Leidens und Sterbens unsers Herrn und Heilandes Jhesu Christi, welche billich Historia Historiarum genant wird, ordentlich in fünff Actus außgetheilt. . . Gepredigt in der Ertzbischöfflichen Primat Kirchen zu Magdeburg / Durch Siegfridvm Saccvm D. Thumprediger daselbst. — Ist die andere Edition mit vleiß ubersehen und corrigirt

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sampt einem newen und vleißigen Indice ... — Magdeburg : Gene, 1595. _ [io], 146 Bl. : 1 Portr. 38

Texton Bernhard us: Pandectae Sacrarum Concionum : In tria Volumina Digestarum / Authore Bernhardo Textore Ecclesiaste Tillenburgensi. — Herbornae Nassoviorum : [Rab] Gestiftet durch Andreas (VI.) Tücher 1620 1.- 1599.-[34], 137, 74 S. 2.- 1599.-[32], 460 S. 3.- 1599.-[24], 274, 191 S.

39

Mollen Martin: Praxis Euangeliorum [Evangeliorum]. Einfeltige Erklerung und nützliche betrachtung der Evangelien so auff alle Sontage und vornemesten Fest Jährlich zu predigen verordnet sind. . . . / Durch Martinum Mollerum, Weiland der Christlichen Gemeine zu Görlitz Mini­ strum Primarium. — Görlitz : Rambau Gestiftet von der „Tucher-Stifftung“ durch Andreas (VI.) Tücher T.l. Vom Advent biß auff Laetare. - 1614. - [15], 417, [1] S. T.2. Von Laetare biß auff den Vierdten Sontag nach Trinitatis. — 1614. -[16], 445, [1]S. T.3. Vom Fünfften Sontage nach Trinitatis biß auff den letzten. — 1614. -[151,444, [2] S. T.4. Darinnen alle vorneme unbewegliche FestTage begriffen sind. — 1614.-[16], 390, [2] S.

40

Scultetus. Abraham: Außlegung Der Sontäglichen Evangelischen Tex­ ten / Gestehet Durch M. Abrahamum Scultetum Grünbergensem Silesium. — Zerbst : Dörffer, 1614. — [15], 423, 542 S. Gestiftet von der „Tucher-Stifftung“ durch Andreas (VI.) Tücher 1620

41

Strack. Johann: Das Buch deß Heiligen Manns Gottes Jobs : Darinnen ein jedes Capittel in gewisse Hauptstück verfasset und auß Gottes Wort und der Vätter Zeugnuß erkläret wird ... /. . . Durch weyland Johannem Strackium, Dienern der Kirchen Gottes in der Alten Stadt zu Cas­ sel im Fürstenthumb Hessen. — Editio Secunda. — Franckfurt am Mayn: Unckel Gestiftet von Andreas (VI.) Tücher 1620 T.l. - 1618.-[8], 464 S. T.2.-1618.-[8], 407 S.

42

Dieterich. Conrad: Anführung zum Catechismo, Das ist Wie mann dem Catechismo deß theuren Manns Gottes D. Martini Lutheri in den fünff 113

Walter Gebhardt

Hauptstücken recht unter Augen sehen, erwegen und lernen soll: . . . / Erleuttert Durch den Ehrwürdigen und hochgelehrten Herrn Cvnradvm Dieterich, der H. Schrifft Doctorem, Pfarrherrn in der weltberhümbten Keyserlichen freyen Reichsstadt Ulm und der Ulmischen Kirchen Superintendenten. Nun aber auß dem Lateinischen . . . verset­ zet Durch M. Lvdovicvm Seltzerum [Ludwig Seltzer] Gissensem, Pfarr­ herrn zu Münster. - Franckfurt am Mayn : Schmidt (Franckfurt am Mayn : Kempfer), 1618. — [40], 872 S. Einheitssacht.: Institutiones catecheticae Gestiftet von Andreas (VI.) Tücher 1620 Angebunden: Rhegius, Urbanus: Seelen Ertzney für die Gesunden und Krancken in Todts nöten / Durch D. Vrbanum Regium. - Nürmberg : Hain, [ca. 1555].-[79] Bl. 43

Arndt» Johann: Der gantze Catechismus, Erstlich in sechtzig Predigten außgelegt und erkleret, mit schönen Exordiis gezieret und in nöhtige und nützliche Fragen und Antwort verfasset . . . Item Die Haußtaffel, das ist Beschreibung der göttlichen Stände und Ordnungen, so Gott der Herr eingesetzt, in zehen Predigten richtig erkleret und auff vielfältiges Begehren in Druck verfertiget / Durch Johannem Arndten, des Fürstenthumbs Lüneburg General Superintendenten zur Zella. - Jetzo zum andern mal gedruckt, und vom Autore selbst zuvor mit Fleiß ubersehen und an etlichen Orten vermehret. — Jehna : Steinmann, 1620. — 434 Bl. Gestiftet von Andreas (VI.) Tücher 1624

44

Heermann. Johann: [Labores Sacri] Laborum Sacrorum Continuatio Geistliche Kirchen Arbeit Fortstellung Das ist Ferner Erklärung der SontagsEvangelien Darinnen auff ein Jedes etliche Predigten gerichtet. / Durch Johannem Heermannum Pfahr zu Koben an der Oder. — Lü­ beck: Junge Gestiftet von Thomas (II.) Tücher 1638 T.l. - 1636. - [28], 968, [35] S. : 1 Portr. T.2. - 1636. - [16], 950, [33] S.

45

114

Heermann. Johann: [Labores Sacri] Laborum Sacrorum Continuatio Festivalis. Dritter Theil der Fortstellung Geistlicher Kirchen-Arbeit Das ist: Fernere Erklärung Aller Fest-Evangelien darinnen auff ein jedes etliche Predigten Gerichtet / durch Johannem Heermannum Pfarrn zu Koben. — Leipzig : Müller (Leipzig : Köler), 1638 [erschienen] 1639. — [39], 1559, [46] S.

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Titelbl. und Kupfertitel fehlen Gestiftet von Thomas (II.) Tücher 1640 46

Glass. Salomon: Evangelicorum Et Epistolicorum Textuum, Qui Dominicis & festis diebus in Ecclesia tractari solent, Exegesis. / Autore Salomone Glassio, D. Ecclesiarum & Scholarum in Ducatu Saxo-Gothano Superintendente. - Gotae [u. a.] : Endter (Gotae : Reyher) Gestiftet von Tobias (IV.) Tücher 1659

46.1

T.l. A Domin. I. Adventus; usq[ue] ad festum Purificationis Mariae. 1647. - [26] Bl., 1328, [39] S. : 1 111., 1 Portr. T.2. A Festo Purificationis, ad Dominicam Iubilate. - 1648. - [32], 1344, [32] S. T.3. A Dominica Iubilate, ad Dominicam IX. Trinitatis. - 1649* - [52], 1334, [42] S. T.4. A Dominica IX. Trinitatis usque ad finem. — 1649. — [32], 1255, 338, [49] S.

46.2 46.3 46.4

47

Röber. Paul: Centuria Funeralium Singularis, Oder Ein hundert sonder­ barer Leichpredigten : Worinnen Allerhand wunderliche Casus und traurige Todtes-Fälle, Vornemlich aber Die dreyfache Christenkunst: recht zu Glauben, Christlich zu Leben und selig zu Sterben: Zu Witten­ berg abgehandelt worden / von Weiland Herrn Paul Röbern, der H. Schrifft Doct. & Prof. Publico, auch Superintendenten deß Churfürstli­ chen Geistlichen Consistorii Assess. und deß Chur-Kreyses General-Inspectore, p.m. ... - Franckfurt am Mäyn : Wust, 1662. — [6] BL, 548, 596, [23] S. : 1 Portr. Gestiftet von Carl (VI.) Tücher 1676

48

Röber. Paul: [Arcus Triumphalis] Arcus Roberi Triumphalis Oder Tri­ umph-Bogen, Welchen auß herzlichen Sprüchen des Heiligen Worts Gottes vielen in und durch den Herrn geistlich Siegreichen Christen bey ihren Begräbnissen in Hall und Wittenberg auffgerichtet hat / Wei­ land Herr Paulus Röber, der H. Schrifft Doct. & Profess. Publ. auch Superintendens, des Churfürstlichen Sächsischen Geistlichen Consistorii in Wittenberg, Assessor, und des Churkreises generalis Inspector, p.m. — Franckfurt am Meyn : Wust Zum Gedenken an den Tod von Carl (VI.) Tücher 1676 übergeben an den Prediger Johann Jakob Frörnteich (vermutlich durch Tobias (V.) Tü­ cher) 115

Walter Gebhardt

48.1 48.2 48.3

T.l. - 1657. - [8] BL, 1318 S. : 1 I1L, 1 Portr. T.2. — 1657. - [10], 1648, [17] S. T.3. - 1657. - [8], 1321, [16] S.

49

CrelL Paul: Novum Promptuarium Biblicum, Oder Newe Biblische Concordantien : Darinn alle und jede derer in H. Schrifft Meldung ge­ schieht Personen, Länder, Stätte, Flecken, Gegenden, Wasser, Berge, Gottes- und Götzen-Häuser, Jüdische und Heidnische Götzen und Ab­ götter, Gebräuche und Sitten der Juden, Geburts-Linien und Zeit-Re­ gister, Jüdische Müntze, Gewichte und Masse außführlich beschrieben: . . . Anfänglich auff Gnädigste Verordnung und Befehl Weyland Chur­ fürsten Augusti zu Sachsen [etc.] Christlicher Gedächtnüß kürtzlich colligirt und zusammen getragen / Durch Paulum Crellium Seel, der Heil. Schrifft Doctorn und der Zeit Professorn zu Wittenberg. — Nachmals aber mit grosser Mühe und besonderm Fleiß . . . erweitert . . . Nun­ mehr aber . . . vermehrt und zu einem Neuen außführlichen Biblischen Werck gemacht. . . / Durch M. Danielem Fesselivm [Daniel Fessel] Fribergensem Misnicum, Churfürstl. Brandenburgischen ConsistorialRath und Superintendenten zu Cüstrin ... - Franckfurt am Mäyn : Societät, 1662. - [8] BL, 5, 402*, 996, [23] S. : 1 111. Gestiftet von Tobias (IV.) Tücher 1669

50

Geier. Martin: Johannis Buß-Stimme : Nach Gelegenheit der ordentli­ chen Sonn- und Fest-Tags-Evangelien Im Jahr Christi 1668. In der Schloß-Kirchen zu Dreßden dergestalt vorgetragen, Daß nach vorherge­ gangener Erklärung eines jeden Evangelii Aus Matth. III, 10. und Luc. III, 9. I. Der Baum, II. Die Frucht, III. Der Hieb, IV. Der Brand erwo­ gen worden / von Hn. D. Martino Geiern, weiland Chur-Fürstl. Sächsi­ schen Ober-Hof-Predigern, Beicht-Vattern und Kirchen-Rath. — Pirna : Stremei, 1686. - [10] BL, 554, 572, [12] S. Gestiftet von Paul (XII.) Tücher 1695

51

Geier. Martin: D. Martini Geieri, Ebraeae Quondam Linguae, Ac Postea Theologiae In Acad. Lips. Professoris Publici, Et Superintendentis . . . Commentarius in Psalmos Davidis, Fontium Ebraeorum Mentem, Et Vim Vocum Phrasiumque Sacrarum, ... — Editio Tertia, Accurato Stu­ dio prius revisa ... — Dresdae [u. a.] : Winckler (Pirnae : Ludewig), 1697. - [5] BL, 2656 Sp., [19] Bl. : 1 Portr. Gestiftet von Paulus (XII.) Tücher 1698

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Scriver. Christian: M. Christian Scrivers E.E. Ministerii Sen. und Pastoris zu S. Jacob in Magdeburg Herrlichkeit und Seligkeit der Kinder Gottes, Dessen Sie Vor denen ungläubigen Weltkindern als ein sonder­ lich Vorrecht im Leben, Leiden und Sterben durch die Gnade Gottes zu geniessen haben; Welche ... In öffentlicher KirchVersammlung in der alten Stadt Magdeburg von Ihm erkläret. / Nun mehro . . . Mit nützli­ chen Registern versehen und zum Druck übergeben Von dessen Eydam M. Johann Heinrich Hävecker. - Nürnberg : Hoffmann (Jena : Nisius), 1688. - [12] BL, 712, 470, [32] S. Gestiftet von Tobias (V.) Tücher 1690

53

Scriver. Christian: M. Christian Scrivers, Pastoris zu S. Jacob in Magde­ burg, Seelen-Schatz : Darinn Von der menschlichen Seelen hohen Würde, tieffen und kläglichen Sünden-Fall, Busse und Erneuerung durch Christum . . . gehandelt wird. Vor etlichen Jahren In den or­ dentlichen Wochen-Predigten seiner anvertrauten Christlichen Ge­ meine fürgezeiget, Nachmals aber auff Anhalten vieler gottseligen See­ len weiter ausgeführet, mit nützlichen Registern versehen und zum Druck übergeben. - Leipzig [u. a.] : Lüderwald (Leipzig : Hahn) Gestiftet von Tobias (V.) Tücher 1690

53.1 53.2

T.l-3. - 1682. - [8] BL, 1874, [47] S. : 1 Portr. T.4. - 1684. - [5] BL, 1164, [55] S. Angebunden: Anhang zum Vierten Theil. - 1683. - [4], 334, [22] S. T.5,[l]. - 1694. - [4] BL, 532, [24] S. : 1 Portr. Gestiftet von Paulus (XII.) Tücher 1695 Register. - 1689. -[316], 595, [20] S. : 1 111. T.5,2. Von der Auserwehlten Seelen frölichen Abschied und allerselig­ sten Zustand in jenem ewigen Leben. — Magdeburg [u. a.] : Seidel, 1715. -[1] BL, 232, [20] S.

53.3 53.4 54

55.1

Lange. Joachim: Mosaisches Licht und Recht, Das ist, Richtige und er­ bauliche Erklärung Der fünf Bücher Mosis, . . . / Von D. Joachim Lan­ gen, S. Theol. Prof. Ordin. auf der Königl. Preuß. Friedr. Universität Halle. - Halle [u. a.] : Walther, 1732. - [14] BL, 208, 1252, [14] S. : 1 Portr. Gestiftet von Christoph Wilhelm (II.) Tücher 1738

55.2

Lange. Joachim: D. Joachim Langens, Fac. Theol. Hall. Senioris, Pro­ phetisches Licht und Recht, Oder Richtige und erbauliche Erklärung Der Propheten: ... — Halle [u. a.] : Francke, 1738. — [8] BL, 68, 617, 117

Walter Gebhardt

629 S., [5] Bl., 128 S. Gestiftet von Christoph Wilhelm (II.) Tücher 1738 55.3

Lange. Joachim: D. Joachim Langens, S. Theol. Prof, zu Halle Davidisch-Salomonisches Licht und Recht, Oder Richtige und Erbauliche Erklärung Der geistreichen Psalmen Davids ... - Halle [u. a.], : [Francke], 1737. - [8] Bl., 676, [20], 604, 550 [i.e. 150], [2] S. Gestiftet von Christoph Wilhelm (II.) Tücher 1738

55.4

Lange. Joachim: Biblisch-Historisches Licht und Recht, Das ist, Rich­ tige und Erbauliche Erklärung Der sämmtlichen Historischen Bücher Des Alten Testaments, Von dem Buche Josuä an biß auf das Büchlein Esther, Mit hinzugethanem Buche Hiobs: . . . / Ausgefertiget Von D. Joachim Langen, S. Theol. Prof. Ordin. zu Halle. — Halle [u. a.] : [Francke], 1734. - [7] Bl., 56, 494, 818, [8] S. Gestiftet von Christoph Wilhelm (II.) Tücher 1738

55.5

Lange. Joachim: Evangelisches Licht und Recht, Oder Richtige und Er­ bauliche Erklärung Der heiligen Vier Evangelisten, Und der ApostelGeschichte, . . . / Von D. Joachim Langen, S. Theol. Prof. Ordin. zu Halle. - Andere Auflage. - Halle [u. a.]: Francke, 1736. - [19] BL, 764, 674, [8] S. Gestiftet von Christoph Wilhelm (II.) Tücher 1738

55.6

Lange. Joachim: Apostolisches Licht und Recht, Das ist, Richtige und erbauliche Erklärung Der sämtlichen Apostolischen Briefe Pauli, Jacobi, Petri, Johannis und Judä: . . . / Von D. Joachim Langen, S. Theol. Prof. Ord. auf der Kön. Preuß. Friedrichs-Univ. — Halle : Wäysenhaus Gestiftet von Christoph Wilhelm (II.) Tücher 1738 [T.l.]. - Die andere Auflage. - 1733. - [12] BL, 824 S. T.2.- 1732.-783, [25] S. Angebunden: Lange, Joachim: Apocalyptisches Licht und Recht, Das ist Richtige und erbauliche Erklärung Des Prophetischen Buchs Der heiligen Offenbahrung Johannis: ... / Von D. Joachim Langen, S. Theol. Prof. Ordin. Hall. - Halle : Francke, 1730. - [24], 56, 273, [3] S.

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II. Bibliothek der StiftungsVerwaltung 56

Der Stat Nürmberg verneute Reformation. - Nürmberg : Geißler, 1564.-[45], 240, [1] Bl. : 1 111.

57

Woelckern. Lazarus C. von: Commentatio succincta in codicem iuris statuarii Norici Oder Die im Jahr 1564 verneuerte nunmehr Nach dem heutigen Statu eingerichtete, . . . , und mit vielen so einheimischen als fremden sehr nützlichen Anmerckungen und Praejudiciis erläuterte Nürnbergische Reformation . . . / [Lazarus Carl von Woelckern]. — Nürnberg : Endter

57.1 57.2

T.l. Die erste Zwölff Titul ... - 1737. - [16] Bl., 1010 S. : 111. T.2. Von Contracten und allerlei Handthierungen. -[1737].-[4], 532 S. T.3. Von Testamenten, letzten Willen und Erbschafften ohne Testa­ ment. - [1737]. - 360, [36] S.

58

Vernewte Pollicevordnung. Mandata vnd [und] Gesetz, järlich am Er­ sten oder Andern Sontag in der Fasten auff dem Lande zuverkünden. — Nürmberg : Gerlatz, 1572. - [50] Bl. Vorne vier Seiten mit gemalten Wappen Nürnberger Familien, hinten 23 hs. Seiten mit Nürnberger Verordnungen des 16. Jhs.

59

Der hochwirdigen fürsten vnd [und] herren Herrn Georgen erwelten und bestettigten zu Bischove zu Bamberg , . . gedechtnuß: Herrn Melchiorn Bischove zu Wurtzburg und Hertzogen zu Francken Auch ains Erbarn Raths der Stat Nürnberg. Summarischer bestendiger gegenbe­ richt und Verantwortung auff des erklerten und publicirten Echters Marggrave Albrechts von Brandenburg letzt außgangen groß unerber leychtfertig Schmachbuch. ... - [Bamberg], 1556. - CLXIX, [1] Bl.

60

Woelckern. Lazarus C. von: Historia Norimbergensis Diplomatica oder Zusammentrag der Vornehmsten von den Glorwürdigsten Römischen Kaysern und Königen der Reichs-Freyen Stadt Nürnberg Allermildest ertheilten Freyheiten Begnadigungen und Concessionen . . . Urkunden und Zeugnussen . . . Reichs als auch Nürnbergische Geist- und Weltli­ che Geschichte Geseze und Rechte . . . insonderheit aber die Historiam Medii Aevi und erläuterte Nürnbergische Reformation ... : in dreyen unterschiedenen Periodis und Haupt-Theilen . . . / [Lazarus Carl von Woelckern]. - Nürnberg : Endter, 1738. - 384, 1076, [12] S. : 111. 119

Walter Gebhardt

61

Landrecht der Churfürstflichenl Dulrchlauchtl in Bavrn. etc. Fürstenthumbs der Obern Pfaltz. — München : Jäcklin, 1657/58. — [16], 693, [38] S. Enth.: Summarischer Proceß, Gerichtsordnung, Landrecht, Landts- und Policeyordnung, Malefitz-Broceßordnung, Forstordnung Auf dem Einbanddeckel außen aufgepreßt: Pfleg. Ampt Harttenstein

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[Chronik der Stadt Nürnberg]. Handschrift 16. Jh. von Stammhand bis zum Jahr 1597 geführt (fol. 1—312). Ohne Titelblatt. Überschrift (fol. 1): Das ist der Anfang diser Cronica / von der löblichen Reichstat / Nurmberg geschriben / mit aigner Handt / von M. A. Se. / Anno 1583 den / 18. Junii. Fol. 313-318 Nachträge von anderer Hand (Eintrag zum Jahr 1621, der unvermittelt abbricht; Von dem Spital zu Lauf; Extract aus dem Läufer Stadt-Buch; Extract und gründliche Beschreibung der Prophezeihung des hochberühmten D. Philippi Theophrasti Paracelsi. Anno 1541; Historia von der Königin Theresie zu N. N. als sie gereißt ist nach Frankfurth am Main). Fol. 319—410 leer. Vorgebunden: Personen-, Orts- und Sachregister von Stammhand, 30 Bll. unfol. Auf dem Buchdeckel: Nürnbe. Chronica // MAS // 1584

63

Nürmbergische Cronica oder Eine kurtze Beschreibung von dem Ur­ sprung und ersten erbawung der kayserlichen ReichsStatt Nürnberg . . . geschrieben . . . MDCXII. Handschrift 17. Jh. - Titelblatt Per­ gament. — Exlibris: Johannes Adolphus Khol. Norib. 1642. Auf dem Buchdeckel: IAK // 1612.

64

Geschlecht Buch deß heiligen Reichs Stat Nürnberg, Darinen alle alte und neue Adeliche Geschlecht, daraus der Rath von 300 Jaren hero erwölth worden, hierin zusamgebracht Anno 1610. Handschrift 17. Jh., unfol. Mit Titelstich und 83 ganzseitigen, durchnumerierten Kupfersti­ chen sowie 3 Seiten Register der behandelten Familien. Vorgebunden ca. 50 leere Blätter, dazwischen auf 4 Seiten familiengeschichtliche Ein­ tragungen eines Vorbesitzers (1604-1620, 1630). Auf dem BuchdeckekA E // 1611. Auf dem Buchrücken aufgeklebte Altsignatur: Bll.

65

Biedermann. Johann G.: Geschlechtsregister des Hochadelichen Patriciats zu Nürnberg : welches aus denen bewährten Urkunden, Kauf- Le­ hen- und Hayrathsbriefen, gesammleten Grabschriften und eingeholten

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genauen Nachrichten von innen beschriebenen Gräflich-Freyherrlichund Edlen Häusern in gegenwärtige Ordnung verfasset und richtig zu­ sammen getragen worden / von Johann Gottfried Biedermann P.A. — Bayreuth : Dietzel, 1748. - [8], 15, DCXXIV S. Nach Tafel DXXVI (= Tücher) hs. Ergänzungen 66 Volckamer. Christoph F. von: Johann Gottfried Biedermanns Ge­ fehlt] schlechtsregister des Patriciats der vormaligen Reichsstadt Nürnberg bis zum Jahre 1854 fortgesetzt und herausgegeben / von Christoph Friedrich Wilhelm von Volckamer. — Nürnberg : Selbstverl. d. Verf., 1854. -IV, 146 S. Forts, von: Biedermann, Johann G.: Geschlechtsregister des Hochadelichen Patriciats zu Nürnberg Titelaufnahme aufgrund StadtAN Rep. C 36/11 Nr. 39 (67)

Neue Signatur: E 29/III Nr. 260 Tucherbuch 17. Jh.

(68)

Neue Signatur: E 29/IH Nr. 14 [Aus den Stiftungsrechnungen gezogene Notizen über Aufwendungen (1555—1731) für Tucherische Monumente]

69

Tuchen Johann G.: Summarische Deduction Von dem Alterthum, Thurnier- Ritter- und Stifftsmäßigkeit, auch Reichs-Immedietät des Geschlechts der Tücher von Simmelsdorf und Winterstein [et]c. [et]c. Nebst einer Beschreibung Dererselben merkwürdigen Civil- und Militair-Chargen, geist- und weltlichen Fundationen, Güter Acquisitionen, . . . , Mit einem Vorbericht und Fortsetzung der gründlichen Wi­ derlegung der Meynung als ob der Patriciat zu Nürnberg Anno MCXCVII. seinen Anfang genommen hätte / . . . von J. G. T. — Schwa­ bach : Enderes, 1764. - [2] BL, XXX, 180 S., II Bl. : 111.

70

[wie Nr. 69]

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An Ein Hochpreißliches Corpvs Evangelicorvm [Corpus Evangelicorum] zu Regensburg unterthänig- gehorsam- und ergebenste höchstbemüsigte Beschwehrungs-Anzeige und angefügte Bitte Unser der sämmtlichen Geschlechts-Verwandten der Adelich von Tucherischen Familie in Nürnberg das wider im Normal-Iahr gegründete StiftungsVerfassung der Evangelischen von Tucherischen Familie . . . betreffend. — Nürnberg, 1764. — [4] Bl. 121

Walter Gebhardt

Angebunden: Rechtsgegründete Ausführung von der ohnumstößlichen Gültigkeit der Familien-Anordnungen des altadelichen Geschlechts de­ rer Tuchere von Simmelsdorf [et]c. [et]c. : Mit Beylagen von N. 1—14 / [Hrsg.: Michael Friedrich Lochner]. - [s.l.], 1764. - 68, 124 S. s. auch Nr. 72 72

Rechtsgegründete Ausführung von der ohnumstößlichen Gültigkeit der Familien-Anordnungen des altadelichen Geschlechts derer Tuchere von Simmelsdorf [etlc. fetlc.: und der daraus erwachsenden Befugnüß ei­ nen Agnaten, der das Nürnbergische Burger-Recht aufgegeben, und die Evangelische Religion geändert, von dem persönlichen Genuß der Geschlechts-Stifftungen, Alter-Gelder, und einige andere Linien-Fideicommiß-Güter nicht mehr einzuraumen, ingleichen von der Unzuläßigkeit einer verbottenen Selbst-Hülffe wider die denen ohnverbrüchlichen Familien-Urkunden nachlebende Tucherische Familie. Mit Beylagen von N. 1—14 / [Hrsg.: Michael Friedrich Lochner]. - [Nürn­ berg], 1764.-68, 124 S. Angebunden: Documentirter Nachtrag zu der in der Reichs-Adelich von Tucherischen Familien-Streitigkeit Anno 1764. zum Vorschein ge­ kommenen Druckschrift; Insonderheit die durch des Churfürstlich Bayerischen Herrn Hofrath Johann Georg von Tuchers vieljährigen Umtrieb des Puncti paritionis bißher aufgehaltene Vollziehung und allerunterthänigste Gelebung des in dieser Sache ergangenen Conclusi Caesarei Clementissimi d.d. 10. Sept. 1765 betreffend. Mit Anlagen vonNro. 15.-27. - Wien: Gerold, 1777.-40, 24 S., [1] Bl. Angebunden: Weiterer Nachtrag zu denen in der Reichs-Adelich von Tucherischen Familien-Streitigkeit zum Vorschein gekommenen Druckschriften; Insonderheit die in hac Causa emanirten neuesten Conclusa Caesarea und den sich hieraus für beyde Theile ergebenden modum paritionis betreffend. Mit Anlagen sub Nro. 28. & 29. — Wien : Gerold, 1777. - 12 S. [2 Ex.]

73

Fürer von Haimendorff. Christoph: Christoph Fürers von Haimendorff, Ritters, Deß Eltern geheimen Rahts, vordersten Losungers, Schult­ heißen und Obristen Kriegshaubtmanns der Stadt Nürnberg, auch des löblichen Fränkischen Kraises Kriegsrahts Reis-Beschreibung. In Egyp­ ten, Arabien, Palästinam, Syrien, etc. mit beygefügter Landtafel und derselben Erklärung: Sambt kurtzem Anhang Jacob Fürers von Hai­ mendorff, seines Bruders, Constantinopolitanischer Reise. — Nürnberg : Endter, 1646. - [11] BL, 384, [20] S. : 6 111., 1 Portr., 2 Kt. In Pergament mit lateinischem Text gebunden Besitzvermerk: Frhr. v. Ebner

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WagenseiL Johann C.: Joh. Christophori Wagenseilii De Sacri Rom. Imperii Libera Civitate Noribergensi Commentatio : Accedit, De Germaniae Phonascorum Von Der Meister-Singer Origine, Praestantia, Utilitate, Et Institutis, Sermone Vernaculo Liber. — Altdorfi Noricorum : Kohles, 1697. - [1] Bl., 576 S. : 13 I1L, 2 Kt., Notenbeisp. Enth.: Hessus, Helius E.: Vrbs [Urbs] Norimberga : Carmine Heroico IIlustrata / Per Helivm Eobanvm Hessvm. - S. [3931-432 Besitzvermerk: Poehlmann Angebunden: Planer, Johann A.: M. Ioannis Andreae Planeri, Ord. Phi­ los. Adi. in Acad. Vitembergensi, Historia Varisciae, Sigillatim Urbis Curiae. — Vitembergae : Ludwig, 1701. — [4] BL, 174 S., [1] Bl. : 1 111.

75

Gundling, Nicolaus H.: Historische Nachricht Von dem Ursprünge und Wachsthum Des Heil. Röm. Reichs freyer Stadt Nürnberg : Aus uralten glaubwürdigen documentis und Urkunden vorgestellet / [Nico­ laus Hieronymus Gundling]. — Franckfurt [u. a.] : Bachmeyer, 1707. — [71 BL, 541 S., [16] BL : 7 gef. 111. ( z. T. defekt), 1 Kt. Unvollständiges Ex.: Frontispiz, 111. pag. 107, S. 107-108 fehlen Besitzvermerk: Held zu Lauff 1805 Angebunden: Gundling, Nicolaus H.: Des Heilfigen] Römischen Reichs Freye Stadt Nürnberg / [Nicolaus Hieronymus Gundling]. — [s.L, 1707].-[3] BL, 158S.,[1] BL

76

Glück. Johann P.: Deliciae Topo-Geographicae Noribergenses, Oder Geographische Beschreibung Der Reichs-Stadt Nürnberg Und dersel­ ben In dem Marggräflich-Brandenburgischen Territorio Situirten Ge­ gend : accurat und mit besonderm Fleiß, nach allen in diesem LandesBezirck gelegen und größtentheils Jure Superficiei nach Nürnberg gehörigen Schlössern, Städten, Märckten, Dörffern, Weylern, Höfen, Gütern, Mühlen und Unterthanen beschrieben Und . . . mit LandCharten versehen / [Johann Paul Glück; Johann Philipp Andreae]. — [Nürnberg], 1733. - [6] BL, 114, [9] S. Landkarten fehlen

77

Falckenstein, Johann H. von: Wahre und Grund haltende Beschreibung der heutiges Tages weltberühmten Des Heiligen Römischen Reichs Freyen Stadt Nürnberg : in fünf Büchern abgefasset; Von dem wahren Ursprung dieser Stadt, und allem demjenigen, was in derselben von Jahren zu Jahren bis auf jetzige Zeiten merkwürdiges geschehen und vorgefallen. Alles aus bewährten alten Geschichtschreibern und gesi­ cherten Urkunden . . . glaubwürdig und unwidersprechlich erwiesen; 123

Walter Gebhardt

Auch sonsten mit Anführung und Erläuterung verschiedener Altertü­ mer dieses Landes und einigen säubern Kupfern ausgefertiget / Ioannis Ab Indagine [Johann Heinrich von Falckenstein]. - Erfurt : Nonnen, 1750. - [12] BL, 884, [18] S. : 9 I1L Besitzvermerk: H. Petersen 78 Ausführlich-documentirte Geschichts-Erzählung und Rechtsgegrün[fehlt] dete Rettung des althergebracht- und gemeinnutzlichen Reichs-Stadt Nürnbergischen Bothen-Wesens wider die harte Bedruckungen und grundverderbliche einseitige Einschränkungen des Löblich Kayserli­ chen Reichs-Ober-Postamts allda / [Hrsg.: Johann Michael Friedrich Lochner]. - Nürnberg : Fleischmann, 1765. - 32, 56, 48 S. Titelaufnahme aufgrund StadtAN C 36/11 Nr. 39 79

Murr. Christoph G. von: Beschreibung der vornehmsten Merkwürdig­ keiten in des H. R. Reichs freyen Stadt Nürnberg und der hohen Schule zu Altdorf : nebst einem chronologischen Verzeichnisse der von Deut­ schen, insonderheit Nürnbergern, erfundenen Künste, vom XIII. Jahr­ hunderte bis auf jetzige Zeiten. Mit Kupfern. / Christoph Gottlieb von Murr, der Reichsstadt Nürnberg Waag- und Zollamtmanns, . . . — Nürnberg : Zeh, 1778. - [16], 762 S., [8] Bl. : [8] 111.

80

Vermischte Bevträge zur Geschichte der Stadt Nürnberg / Herausgege­ ben von Georg Ernst Waldau ält. Hospitalprediger. — Nürnberg : Selbstverl. 1.- 1786.-493,12] S. 2.- 1787.-488, [6] S.

81

Materialien zur Nürnbergischen Geschichte / Herausgegeben von D. Johann Christian Siebenkees, Professor der Rechte zu Altdorf. — Nürn­ berg : Schneider

81.1

1.- 1792.-[8], 377 S. 2.- 1792.-S. 388-758, [10] S. 3.- 1794. -384 S. 4.- 1795.- S. 388-756, [12] S. Angebunden: [Materialien zur Nürnbergischen Geschichte / Beylagen] Der Beylagen der Materialien zur Nürnbergischen Geschichte . . . Sammlung . . . Nr. . . . / Zusammengetragen von Johann Carl Sigmund Kiefhaber, Substitut der beyden Klosterämter St. Clara und Pillenreuth und des Pegnesischen Blumenordens Mitglied. - [Nürnberg]

81.2 81

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81.1 81.2

Sammlung 1 = Nr. 1-12. - 1793. - 190, [16] S. Sammlung 2 = Nr. 13-23. - 1794. - 176, [16] S.

82

Nachrichten zur altern und neuern Geschichte der freven Reichsstadt Nürnberg. Ein Beytrag zur Geschichte der Reichsstädte in Teutschland. / Bearbeitet und herausgegeben von Johann Carl Sigmund Kiefhaber. Nürnberg : Lechner Früher u.d.T.: Monathliche historisch-litterarisch-artistische Anzeigen zur altern und neuern Geschichte Nürnbergs. - Mehr nicht erschienen

82.1

l._ 2.3. 1. -

82.2 82.3

1803.-[6], 304, [20] S. 1804.-[2] Bl.,228, [20] S. 1805/06. - 148, [3] Bl., 250, [24] S. 1803. - [6], 304, [20] S.

83

Monathliche historisch-litterarisch-artistische Anzeigen zur altern und neuern Geschichte Nürnbergs / Herausgegeben von Johann Carl Sig­ mund Kiefhaber, Substitut des Amts St. Clara ... — Nürnberg : Schnei­ der Später u.d.T.: Nachrichten zur ältern und neuern Geschichte der freyen Reichsstadt Nürnberg. — Mehr nicht erschienen

83.1 83.2 83.3 83.4 83.5 83.6

1.2. 3.4. 5. 6. -

84

Würfel. Andreas: Diptycha Ecclesiae Egydianae das ist: Verzeichnüß und Lebensbeschreibungen der Herren Prediger, Herren Seniorum und Herren Diaconorum, welche seit der gesegneten Reformation biß hieher an der Kirche zu St. Egydien in Nürnberg gedienet, nebst einer Be­ schreibung der alten und neuen Kirche / gefertiget von Andreas Würfel, Pfarrer in Offenhaussen. — Nürnberg : Roth, 1757. — 126 S. Angebunden 1: Würfel, Andreas: Diptycha Ecclesiae S. Jacobi das ist: Verzeichnüß und Lebensbeschreibungen der Herren Prediger, Herren Mittag-Prediger u. Herren Diaconorum, welche seit der gesegneten Re­ formation biß hieher, an der Kirche zu St. Jacob in Nürnberg gedienet, nebst einer Beschreibung der Kirche / gefertiget von Andreas Würfel, Pfarrer in Offenhaussen ... - Nürnberg : Roth, 1760. — 64 S. Angebunden 2: Würfel, Andreas: Diptycha Ecclesiae Ad Spiritum Sanctum das ist Verzeichnüß und Lebensbeschreibungen der Herren Predi-

1797.-[3] 1798. - [3] 1799.-[5] 1800. - [3] 1801. - [4] 1802. - [4]

Bl., 208, [15] S. Bl., 192, [11] S. BL, 192, [15] S. Bl., 192, [14] S. Bl., 192, [14] S. Bl., 192, [12] S.

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Walter Gebhardt

ger, Herren Diaconorum u. Herren Süden-Prediger, welche seit der ge­ segneten Reformation biß hieher, an der Neuen Spital-Kirche zum Heil. Geist in Nürnberg und bey der Kranken-Stube in der Süden gedienet haben, nebst einer Beschreibung der Kirche / ge fertiget von Andreas Würfel, Pfarrer in Offenhaussen,... — Nürnberg : Roth, 1759. — 150 S. Angebunden 3: Würfel, Andreas: Diptycha Capellae B. Mariae das ist Verzeichnüs und Lebensbeschreibungen der Herren Prediger, und Her­ ren Diaconorum, welche seit der gesegneten Reformation biß hieher, an der Capelle zu St. Marien oder Marien-Saal gedienet, nebst einer Be­ schreibung der Kirche und bey derselben angerichteten Gesellschaft der Fürspänger / gefertiget von Andreas Würfel, Pfarrer in Offenhausen, ... - Nürnberg : Roth, 1761. - 76 S. 85-86 Will. Georg A.: Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon oder Beschreibung aller Nürnbergischen Gelehrten beyderley Geschlechtes nach Ihrem Le­ ben, Verdiensten und Schrifften zur Erweiterung der gelehrten Ge­ schichtskunde und Verbesserung vieler darinnen vorgefallenen Fehler aus den besten Quellen in alphabetischer Ordnung / verfasset von Georg Andreas Will der freyen Künste Magister, der Weltweisheit Doctor in Altdorf, ... — Nürnberg [u. a.] : Schüpfel Ab Bd. 5 im Selbstverl. Nopitsch, Altdorf, erschienen 85.1 85.2 85.3 85.4

86.1 86.2 86.3 86.4 87

126

1. A-G. - 1755. - [14] BL, 594 S. : 1 111. 2. H-M. - 1756. - [8], 706 S. 3. N-S. - 1757. - [4], 818 S. 4. T-Z. nebst den nöthigen Supplementen, und einer Vorrede, welche einen Vorrath zur Nürnbergischen Kirchengeschichte beschreibet. — 1758.-[44], 490 S. 5. 1. Supplementband von A-G. / fortgesetzet von Christian Conrad Nopitsch Pfarrer zu Altenthann. - 1802. - [8], 448 S. 6. 2. Supplementband von H-M. / fortgesetzet von Christian Conrad Nopitsch Pfarrer zu Altenthann. - 1805. - [6], 484 S. 7. 3. Supplementband von N-R. / fortgesetzet von Christian Conrad Nopitsch, Pfarrer zu Altenthann. - 1806. - [4], 340 S. 8. 4. Supplementband von S-Z. / ergänzet und fortgesetzet von Chri­ stian Conrad Nopitsch Pfarrer zu Altenthann. — 1808. — [10], 512 S. fNürnbergische Münz-Belustigungenl Der Nürnbergischen Münz-Belustigungen . . . Theil : in welchem so seltne, als merkwürdige Schauund Geld-Münzen sauber in Kupfer gestochen, beschrieben und aus der Geschichte erläutert worden, nebst einem Vorbericht, die Sammlung der Nürnbergischen Goldgülden enthaltend, / herausgegeben von Ge-

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org Andreas Will, Kais. Hof- und Pfalzgrafen, der Weltw. und Dichtk. öff. ord. Lehrer zu Altdorf... — Altdorf: Monath Mehr nicht erschienen. — Reg. dazu s. Nr. 88 Besitzstempel in allen Bänden: Oscar Gebhardt Nürnberg 87.1 87.2 87.3 87.4

1. 2. 3. 4. -

88

Will. Georg A.: Repertorium der Nürnbergischen Geschichte und Münzkunde. In einem Hauptregister über die Nürnbergischen Münz­ belustigungen, dem noch ein kleines Nebenregister über die Sprüche oder Motti auf den beschriebenen und angeführten Münzen beygefügt wird / von dem Verfasser eben dieser Münzbelustigungen [Georg And­ reas Will]. Nach dessen Tode herausgegeben von Johann Carl Sigmund Kiefhaber. - Nürnberg : Riegel, 1800. - [8], 124 S. Besitzstempel: Oscar Gebhardt Nürnberg

89

Reichsritterschaft / Ritterkreis Franken: Des Heiligen Römischen Reichs ohnmittelbar-freyer Ritterschaft, der sechs Ort in Franken er­ neuerte vermehrte und confirmirte Ordnungen, samt demselben von denen Römischen Kaisern und Königen, allerhöchst-löblicher Gedächtniß, erlangten renovirten und confirmirten Privilegien und BefreyungsBriefen, auch Kaiserlichen Rescripten. - [s.l.], 1772. - [2] Bl., 346, [41] S. : 2 111. Bayern: Churbaierische Intelligenzblätter für das Jahr . . . / Herausge­ geben von dem Churfürstl. Intelligenz- und Addreß-Comtoir. — Mün­ chen

90

1764. 1765. 1766. 1767.

- [12] Bl., 422, [2] S. : 111. - [16] Bl., 422, [2] S. : 111. - [8] Bl., 422, [2] S. : 111. - [7] Bl., 423, [3] S. : 111.

1773.- 322, [14] S. 1774.-326, [10] S. 91

Tuchen Sixtus: Viertzig sendbriefe aus dem Latein in das Teutsch gezo­ gen durch etliche gelert, gotsforchtig un[d] gaistlich personen, zueinan­ der geschriben und mit vil hailsamen Christenlichen leren vermengt: den lesenden zü sonder frucht unnd rayzung inprünstiger andacht dien­ lich. . . . / [Sixtus Tücher. Übers.: Christoph Scheurl]. — Nürenberg : Peypus, 1515. - [4], LXIII, [2] Bl. : 2 111. Titelblatt ist Faksimile 127

Walter Gebhardt

Anm.: Die Nrn. 92—99 sowie 101—116 sind im alten Findbuch Rep. C 36/11, FbA, 39 verzeichnet, wurden jedoch nicht dem Stadtarchiv über­ geben. Die folgenden Kurztitelaufnahmen gründen sich auf die dorti­ gen Angaben und wurden nach Exemplaren aus der Bibliothek des Stadtarchivs erstellt. 92 Biedermann, Johann G.: Genealogie der Hohen GrafenHäuser im [fehlt] Fränckischen Cräyse, ... - Erlangen : Becker T.I.- 1745. 93 Biedermann, Johann G.: Genealogie der hohen Fürstenhäuser im Frän[fehlt] kischen Crayse ... - Bayreuth : Dietzel T.I.- 1746. 94 Biedermann, Johann G.: Geschlechts-Register Der Reichs-Frey-unmit[fehlt] telbaren Ritterschaft Landes zu Francken Löblichen Orts Gebürg . . . — Bamberg : Gertner, 1747. 95 Biedermann, Johann G.: Geschlechtsregister Der Reichsfrey unmittel­ tfehlt] baren Ritterschaft Landes zu Franken Löblichen Orts Baunach . . . — Bayreuth : Dietzel, 1747. 96 Biedermann, Johann G.: Geschlechtsregister Der Reichsfrey unmittel­ tfehlt] baren Ritterschaft Landes zu Franken Löblichen Orts an der Alt­ mühl ... — Bayreuth : Dietzel, 1748. 97 Biedermann, Johann G.: Geschlechts-Register Der Reichs-Frey un[fehlt] mittelbaren Ritterschaft Landes zu Francken, Löblichen Orts Steiger­ wald . . . —Nürnberg : Köngott, 1748. 98 Biedermann, Johann G.: Geschlechtsregister Der Reichsfrey unmittel­ tfehlt] baren Ritterschaft Landes zu Franken Löblichen Orts Rhön und Werra ... — Bayreuth : Dietzel, 1749. 99 Biedermann, Johann G.: Geschlechts-Register der Reichs Frey un[fehlt] mittelbaren Ritterschafft Landes zu Francken löblichen Orts Ottenwald . . . — Culmbach : Spindler, 1751. 100

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Tücher. Christoph A. von: Zur Geschichte der Geistlichen Stiftung des Tucherischen Geschlechtes in Nürnberg / Für die Familienmitglieder

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Die Tucher-Bibliothek im Stadtarchiv Nürnberg

geschrieben und in Druck gegeben von Christoph August Wilhelm Freiherrn von Tücher. — Nürnberg : Sebald, 1897. — XV, 175 S. 101 Löher, Franz von: Archivlehre. — Paderborn : Schöningh, 1890. [fehlt] 102 Simonsfeld, Henry: Der Fondaco dei Tedeschi in Venedig und die [fehlt] deutsch-venetianischen Handelsbeziehungen. — Stuttgart: Cotta, 1887. 103 Nagel, Friedrich A.: Architektur und Kunstgewerbe aus alten Nürn[fehlt] berger Gärten und Edelsitzen. 50 Photographien in Kassette. — Bibliographisch nicht nachweisbar 104 Schwemmer, Wilhelm: Die S[ank]t-Bartholomäuskirche in Nürnberg [fehlt] Wöhrd. — Nürnberg : Schulz, 1933. 105 Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg: Jahresbericht über das [fehlt] . . . Vereinsjahr ... - Nürnberg Bandaufführung fehlt 106 Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg: Mitteilungen des Vereins für [fehlt] Geschichte der Stadt Nürnberg. - Nürnberg 1. 1879 3. 1881 -23. 1919 26. 1926 28. 1928 31. 1933 - 33. 1936 107 Gesellschaft für Fränkische Geschichte: . . . Jahresbericht der Gesell­ tfehlt] schaft für Fränkische Geschichte über das Jahr ... - Würzburg : Selbstverl. 2. 1906-7. 1911 13. 1917 108 Gesellschaft für Fränkische Geschichte: Neujahrsblätter. — Würzburg : [fehlt] Stürtz 1. Fester, Richard: Franken und die Kreisverfassung. - 1906. 2. Gleichen-Rußwurm, Alexander von: Aus den Wanderjahren eines fränkischen Edelmannes. — 1907. 129

Walter Gebhardt

3. Schrötter, Georg: Die Nürnberger Malerakademie und Zeichenschule im Zusammenhang mit dem Kunstleben der Reichsstadt von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis 1821. — 1908. 5. Schottenloher, Karl: Die Entwickelung der Buchdruckerkunst in Franken bis 1530. — 1910. 6. Knapp, Fritz: Wanderungen durch die Werkstätten fränkischer Bild­ hauer. — 1911. 12. Kahn, Max: Die Stadtansicht von Würzburg im Wechsel der Jahr­ hunderte. - 1918. 109—116 = Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte 109 Universität : Die Matrikel der Universität Altdorf / hrsg. von [fehlt] Elias von Steinmeyer. — Würzburg : Stürtz 1. Text. - 1912. 2. Register. - 1912. 110 Wagner, Karl: Register zur Matrikel der Universität Erlangen 1743[fehlt] 1843. - München [u. a.] : Duncker & Humblot, 1918. 111 Gymnasium : Die Matrikel des Gymnasiums Hof / bearb. von [fehlt] Karl Weissmann. — Würzburg : Stürtz, 1914. 112

Chroniken der Stadt Bamberg / . . . hrsg. von Anton Chroust

[fehlt] 2. Chroniken zur Geschichte des Bauernkrieges und der Markgrafen­ fehde in Bamberg. — 1910. 113 Amrhein, August: Archivinventare der katholischen Pfarreien in der [fehlt] Diözese Würzburg. - Würzburg : Stürtz, 1914. 114 Büchner, Franz X.: Archivinventare der katholischen Pfarreien in der [fehlt] Diözese Eichstätt / bearb. von Franz Xaver Büchner. — München [u. a.] : Duncker & Humblot, 1918. 115 Das Würzburger Land vor hundert Jahren / bearb. u. hrsg. von Anton [fehlt] Chroust. — Würzburg : Stürtz, 1914. 116 Heidingsfelder, Franz: Die Regesten der Bischöfe von Eichstätt. — Inns[fehlt] bruck [u. a.]:Wagner [u. a.], 1915-1938 Unvollständig 130

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(117) Neue Signatur: E 29/H Nr. 1610 Tuchersche Monumenta in Nürnberg und auswärtigen Kirchen. 118

Ludovici. Jacob F.: Einleitung Zum Civil-Proceß : . . . Nebst einem An­ hänge, Von der Art die Acten und Registraturen zu verfertigen, auch die Acta zu excerpiren und zu referiren, Wie auch einer Instruction für ei­ nen Gerichtshalter auf dem Lande / Jacob Friederich Lvdovici, JC. Vorietzo Mit vielen Anmerckungen . . . vermehret . . . Von Johann Ger­ hard Schlitte, D. Königl. Preuß. Hof-Rath, und Prof. Jur. Ordinario. — 12. Ed. - Halle : Wäysen-Haus, 1750. - [22] Bl., 523, [49] S. : 1 Portr. Angebunden 1: Ludovici, Jacob F.: Einleitung zum Peinlichen Proceß: . . . Nebst Einem Anhang Von der Art, die Acten und Registraturen in peinlichen Sachen zu verfertigen, auch die Acten zu excerpiren, und in Gerichten zu referiren. / Jacob Friederich Lvdovici, JC. Vorietzo mit un­ terschiedenen Zusätzen . . . vermehret . . . Von Johann Gerhard Schlitte, D. Königl. Preuß. Hof-Rath, und Prof. Jur. Ordinario. — 12. Ed. - Halle : Wäysen-Haus, 1750. - [16], 195, [23] S. Angebunden 2: Ludovici, Jacob F.: Einleitung zum Concurs-Proceß : . . . / Jacob Friederich Lvdovici, JC. Voritzo mit vielen Zusätzen . . . vermehret . . . Von Johann Gerhard Schlitte, JCto, Kön. Preuß. HofRath, und Prof. Jur. Ord. — 10. Aufl. — Halle : Wäysen-Haus, 1749. — [24], 183, [22] S.

119

Ludovici. Jacob F.: Einleitung zum Wechsel-Proceß : ... / Jacob Frie­ derich Lvdovici, JCti. Voritzo mit vielen Zusätzen . . . vermehret . . . von Johann Gerhard Schlitte, JCto., Königl. Preuß. Hof-Rath und Professore Juris ordinario. — 10. Aufl. — Halle : Wäysenhaus, 1753. — [24], 420, [28] S. Angebunden 1: Ludovici, Jacob F.: Einleitung zum Lehns-Proceß : . . . Zum Anhang ist beygefüget Der Richtsteig über das Sächsische Landund Lehn-Recht, Nebst nöthigen Registern / Jacob Friedrich Lvdovici, D. Königl. Preußl. Hof-Raths und Prof, public, ordin. zu Halle. — 8. Aufl.-Halle : Wäysenhaus, 1752.-[8], 301, [11] S. Angebunden 2: Ludovici, Jacob F.: Einleitung Zum Consistorial-Proceß: . . . / Jacob Friedrich Lvdovici, D. Prof. Pub. Ord. zu Halle. — 9. Aufl. - Halle : Wäysenhaus, 1745. - [20], 182, [14] S. Angebunden 3: Ludovici, Jacob F.: Einleitung Zum Kriegs-Proceß Nebst Einem Anhang Derer Königl. Preußl. allerneuesten Kriegs-Artickel . . . / Jacob Friederich Lvdovici, D. Prof. Publ. Ord. zu Halle. — 9. Ed. - Halle : Wäysenhaus, 1749. - [20], 220, [16] S. 131

Walter Gebhardt

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Nehring. Johann C.: loh. Christoph Nehrings Historisch-Politisch-ju­ ristisches Lexicon : in welchem über die Erklärung derer Juristischen und bey der Kauffmannschafft gebräuchlichen . . . Redens-Arten, In­ gleichen verschiedene . . . Kunst-Wörter In richtiger Alphabets-Ord­ nung dargestellet und erkläret werden. Nebst einem sechsfachen An­ hänge ... — Nach des Autoris Ableben bey dieser 8. Aufl. An unzehlichen Orten vermehret, verbessert und geändert. — Gotha : Mevius, 1725. - [6] BL, 1260 Sp., 132 S. : 1 111.

(121) Neue Signatur: E 29/HI Nr. 15 Geburtsstamm und Genealogia deß alt herkommenden Geschlechts der Tücher 1570 122

[fehlt]

(123) Neue Signatur: E 29/III Nr. 17 Geschlechterbuch der Tücher (= Vorlage des Tucherbuchs) 1590—1701 (124) Neue Signatur: E 29/III Nr. 258 Das Große Tucherbuch (= Geschlechterbuch der Gesamtfamilie) 17. Jh. 125

Rezat-Kreis: Königlich-Bayerisches Intelligenzblatt für den RezatKreis. — Ansbach 1827.- 3856, 40 Sp.

126

Jungendres. Sebastian T.: Einleitung zur Heraldic : Für die Jugend in Frag und Antwort gestehet; Für Erwachsene aber mit Anmerkungen er­ läutert, und mit vielen hierzu dienlichen Kupfern und Wapen versehen / Aufgesetzt von M. Sebastian Jacob Jungendres, Norimberg. — Nürn­ berg : Monath, 1729. - [14] BL, 240, [27] S., XIII, X Bl. : 24 111.

127

Doppelmavr. Johann G.: Historische Nachricht Von den Nürnbergischen Mathematicis und Künstlern : welche fast von dreyen Seculis her Durch ihre Schrifften und Kunst-Bemühungen die Mathematic und mehreste Künste in Nürnberg . . . befördert ... In Zweyen Theilen . . . / von Johann Gabriel Doppelmayr, Der Kayserl. Leopoldino-Carolinischen Academiae Naturae Curiosorum, ... — Nürnberg : Monath, 1730. - [20], 314, [18] S., XV Bl. : 15 111.

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Colerus. Johannes: Oeconomia Ruralis Et Domestica : Darin[n] das gantz Ampt aller trewer Hauß-Vätter, Hauß-Mütter beständiges und

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Die Tucher-Bibliothek im Stadtarchiv Nürnberg

allgemeines Hauß-Buch vom Haußhalten, Wein-Acker-Gärten-Blumen und Feld-Bau begriffen . . . Sampt beygefügter einer experimentalischer Haußapotecken und kurtzer Wundartzney-Kunst wie dann auch eines Calendarii perpetui, . . . / Hiebevor von M. Joanne Colero, zwar beschrieben, Jetzo aber auff ein Newes in vielen Büchern mercklich corrigirt, vermehret und verbessert in Zwey Theil abgetheilet und mit schönen Newen Kupfferstücken gezieret Sampt vollkommenem Regi­ ster. — Mäyntz : Heil T.l. - 1665. - [6], 128, [12], 732, [35] S. : 111. T.2.- 1645.- 358, [7] S. Angebunden: Leunclavius, Johannes: Traumbuch Apomasaris, das ist: Kurtze Außlegung und Bedeutung der Träume nach der Lehr der India­ ner, Persianer, Egypter und Araber / Erstlich auß Griechischer Sprach ins Latein bracht durch Herrn Johann Lewenklaw. Jetzund aber dem ge­ meinen Mann, so das Latein nicht verstehet, zum besten . . . verdeut­ schet [et]c. - Franckfurt : Kempfer, 1645. — [1] BL, 59, [3] S. 129

Tucherbuch Kopie der Originalhandschrift von Dr. Christoph Scheurl im British Museum Sign. PSI 1840

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Konkordanz Nr. der Wöhrder Pfründbibliothek

3 4 5

1 2

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Nr. der Sutten­ predigerbibliothek 1 2

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Die Tucher-Bibliothek im Stadtarchiv Nürnberg

Register der Personen und anonymen Sachtitel Agricola, Konrad Amrhein, August An ein Hochpreißliches Corpus Evangeiicorum . . . Andreae, Johann P. Arndt, Johann Augspurgische Confession Aurifaber, Johannes Ausführlich-documentirte Geschichts-Erzählung . . . Balduin, Friedrich Baumgarren, Johann Bayern Biedermann, Johann G. Brandenburgisch-Nürnbergische Kirchenordnung Brenz, Johannes Büchner, Franz X. Calov, Abraham Cellarius, Johannes Chronik der Stadt Nürnberg Chroniken der Stadt Bamberg Chroust, Anton Churbaierische Intelligenzblätter . . . Colerus, Johannes Commentatio succincta in codicem iuris statuarii Norici . . . Conradus Crell, Paul Deliciae Topo-Geographicae Noribergenses . . . Dieterich, Conrad Documentirter Nachtrag zu der in der Reichs-Adelich . . . Doppelmayr, Johann G. Eber, Paul Falckenstein, Johann H. von Fessel, Daniel Fester, Richard Fürer von Haimendorff, Christoph Geier, Martin Geschlecht-Buch deß Heiligen Reichs Stat Nürnberg Gesellschaft für Fränkische Geschichte Glass, Salomon Gleichen-Rußwurm, Alexander von Glück, Johann P.

19 113 71 76 43 11/12/13 4 78 22 9 90 65/92-99 27 31/32 114 1/2/29 35 62/63 112 112/115 90 128 57 30 49 76 42 72 127 35 77 49 108 73 50/51 64 107-116 46 108 76

135

Walter Gebhardt

Gründliche Warhafftige Historia Von der Augspurgischen Confession Gründtliche Warhafftige Historia Von der Augspurgischen Confession Gründtliche Warhafftige Historien Von der Augspurgischen Confession Gundling, Nicolaus H. Gymnasium Habermann, Johann Hävecker, Johann H. Heermann, Johann Heidingsfelder, Franz Heiligen Römischen Reichs Freye Stadt Nürnberg Heiligen Römischen Reichs ohnmittelbar-freyer Ritterschaft ... Hessus, Helius E. Historia Norimbergensis Diplomatica ... Hochwirdigen fürsten und herren Herrn Georgen ... Indagine, Ioannis ab Ioannis Junge, Christian G. Jungendres, Sebastian J. Kahn, Max Katechismus oder Kinderpredig Kiefhaber, Johann C. Kirchenordnung in meiner gnedigen Herrn der Marggrafen zu Brandenburg Kirchner, Tomotheus Knapp, Fritz Königlich-Bayerisches Intelligenzblatt für den Rezat-Kreis Konrad Landrecht der Churfürstlichen Durchlaucht in Bayrn ... Lange, Joachim Lochner, Johann M. Lochner, Michael F. Löher, Franz von Lonicer, Johann Ludovici, Jacob F. Luther, Martin Materialien zur Nürnbergischen Geschichte Materialien zur Nürnbergischen Geschichte / Beylagen Matrikel der Universität Altdorf Matrikel des Gymnasiums Hof Melanchthon, Philipp

136

11 13 12 73 111 36 52 44 / 45 116 75 89 74 60 59 77 77 28 126 108 27 81/82/83/88 27 11/12/13 108 125 30 61 55 78 71/72 101 34 118/119 3/4/7/34 81 81 109 111 33/34

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Die Tucher-Bibliothek im Stadtarchiv Nürnberg

Menzel, Hieronymus Möller, Martin Monathliche historisch-litterarisch-artistische Anzeigen . . . Murr, Christoph G. von Nachrichten zur altern und neuern Geschichte . . . Nagel, Friedrich A. Nehring, Johann C. Nohtwendige Vertheidigung des heiligen Römischen Reichs Evangelischer Chur-Fürsten Nopitsch, Christian C. Nürnbergische Münz-Belustigungen Obsopoeus, Vincentius Olearius, Johann Pauli, Simon Planer, Johann A. Pomarius, Johannes Rechtsgegründete Ausführung von der ohnumstößlichen Gültigkeit . . . Reichsritterschaft / Ritterkreis Franken Rezat-Kreis Rhegius, Urbanus Röber, Paul Roth, Heinrich Sack, Siegfried Scheurl, Christoph Schlitte, Johann G. Schmidt, Sebastian Schottenloher, Karl Schrötter, Georg Schwemmer, Wilhelm Scriver, Christian Scultetus, Abraham Seltzer, Ludwig Siebenkees, Johann C. Simonsfeld, Henry Spangenberg, Cyriacus Stangewald, Andreas Stat Nürmberg verneute Reformation Steinmeyer, Elias von Strack, Johann Sturm, Wenzel Summarische Deduction Von dem Alterthum . . . Textor, Bernhardus

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39 83 79 82 103 120

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16/17/37 91/129 118/119 23/24/25/26 108 108 104 52/53/54 40 42 81 102

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Walter Gebhardt

Tilesius, Nathanael Tücher, Christoph A. von Tücher, Johann G. Tücher, Sixtus Tucherbuch Tucherische Monumenta Universität Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg Vermischte Beyträge zur Geschichte der Stadt Nürnberg Vernewte Poiliceyordnung, Mandata und Gesetz ... Vogel, Matthäus Volckamer, Christoph F. von Wagenseil, Johann C. Wagner, Karl Wahre und Grund haltende Beschreibung der heutiges Tages ... Waldau, Georg E. Weissmann, Karl Weiterer Nachtrag zu denen in der Reichs-Adelich ... Weihammer, Christoph Will, Georg A. Woelckern, Lazarus C. von Würfel, Andreas Würzburger Land vor hundert Jahren

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18 100 69 91 67/121/123/ 124/ 129 68/117 109 105/106 80 58 15 66 74 110 77 80 111 72 21 85/86/87/88 57/60 84 115

JOACHIM CAMERARIUS UND DAS MATTIOLI SCHE KRÄUTERBUCH (1586) Von Konrad Wickert Im Jahr 1548 erschien erstmals in Venedig eine italienische Ausgabe des medi­ zinischen Werkes des Pedacius Dioskourides, herausgegeben und mit Kom­ mentaren versehen von Pier Andrea Mattioli.1 Nach mehreren Neuauflagen er­ schien 1554 eine lateinische, nunmehr mit zahlreichen Abbildungen versehen, und 1555 eine nun ebenfalls illustrierte italienische Ausgabe. Beide erwiesen sich als Bestseller. Bis 1563 waren bereits 32.000 Exemplare dieser Ausgaben und einer französischen Übersetzung verkauft. Die letzte Auflage in italieni­ scher Sprache erschien 1712, die letzte in Latein 1744. Bereits 1562 erschien in Prag eine böhmische Übersetzung und 1563, ebenfalls in Prag, eine stark über­ arbeitete deutsche Fassung.2 Da damit der Bedarf in Deutschland nicht gedeckt werden konnte, besorgte der Nürnberger Arzt Joachim Camerarius d. J. eine neue deutsche und lateinische Ausgabe, die beide 1586 in Frankfurt/M. er­ schienen. Die deutsche Ausgabe erwies sich als so erfolgreich, daß sie, später in überarbeiteter und ergänzter Form, immer wieder neu aufgelegt wurde, zuletzt im Jahr 1744. Während die Entstehung anderer Kräuterbücher des 16. Jahrhunderts schon relativ gut erforscht ist, hat man sich bei den beiden Ausgaben des Werkes von Mattioli, die von Camerarius besorgt worden sind, bisher mit dem begnügt, was Camerarius selbst in den beiden Vorworten geschrieben hat. Der sachliche Gehalt der beiden Vorworte in dieser Hinsicht beschränkt sich auf die Mittei­ lung, daß sein Neffe Joachim Jungerman beteiligt gewesen ist und daß für die Abbildungen Druckstöcke aus dem Besitz des Züricher Mediziners und Bota­ nikers Konrad Gesner verwendet worden sind. In der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg wird der von Medizinern und Naturforschern stammende Teil einer Briefsammlung aufbewahrt, die von mehreren Generationen der Familie Camerarius zusammengetragen wurde. Der weitaus größere Teil befindet sich jetzt in der Bayerischen Staatsbibliothek.3 Der Erlanger Anteil enthält u. a. 125 Briefe des von Camerarius erwähnten

1

Pedacius Dioscorides: II Dioscoride dell'eccelente Dottor P. A. Matthioli co i suoi discorsi . . . , Vinegia 1548. ’ Pier Andrea Mattioli: New Kräuterbuch . . . durch Georgium Handsch verdeutscht, Prag: Melantrich 1563. 3 Catalogus codicum Latinorum Bibliothecae Regiae Monacensis. Ed. Carolus Halm et Guilelmus Meyer. II, 1. Monachia 1824. Collectio Camerariana (codd. lat. 10.351-10.428), S. 189—386.

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Neffen Joachim Jungerman.4 Ein knappes Drittel dieser Briefe stammt aus der Zeit der Vorbereitung der beiden Ausgaben des Mattioli’schen Werkes. Der In­ halt der Briefe ist fast völlig von diesen Vorbereitungen erfüllt. Damit bietet sich die nicht häufige Gelegenheit, die Entstehung eines derart aufwendigen Werkes wenigstens zeitweise in Einzelheiten verfolgen zu können und auch zu einem wesentlich differenzierteren und begründeteren Urteil über die daran be­ teiligten Personen zu gelangen. Gleichzeitig bieten diese in Nürnberg entstan­ denen Briefe auch einen Einblick in das rege wissenschaftliche Leben der zwei­ ten Hälfte des 16. Jahrhunderts und seine vielfältigen Verknüpfungen. Schließ­ lich belegen sie auf einem bisher noch nicht ausführlich erforschten Gebiet die geisteswissenschaftliche Bedeutung der Reichsstadt Nürnberg, die für andere Bereiche längst gewürdigt worden ist. Die Botanik hatte sich erst zu Beginn des 16. Jahrhunderts als eigenständige Wissenschaft entwickelt. Bis dahin gehörte sie zur Medizin. Wie in der Medi­ zin wurde auch in der Botanik im Mittelalter das Wissen der Antike weiterver­ wendet, aber kaum weiterentwickelt. Die wenigen Ausnahmen wie etwa die Mystikerin Hildegard von Bingen (1098-1179) und der in Köln wirkende Ge­ lehrte Albertus Magnus (ca. 1200-1280), die eigene Beobachtungen zur Grundlage ihrer Werke machten, blieben zunächst ohne Nachfolger. Als kano­ nisch galt, was bei Plinius d. Ä. (23/24—79 n. Chr.), Dioskourides (Mitte des 1. Jhdts. n. Chr.) und sonstigen antiken Autoren wie Aristoteles, Galenos, Theophrastos und anderen stand. Das galt auch für die überlieferten Pflanzendarstellungen. Erst im 16. Jahrhundert begann man, eigene Forschungen über das Aussehen und die Wirkungen der verschiedenen Pflanzen zu betreiben. Gleichzeitig entdeckte man das Pflanzenreich als eigenständiges Forschungsge­ biet, unabhängig vom Nutzen für Küche und Gesundheit. Die antiken Texte wurden weiter verwendet, kritisch durchgesehen, korrigiert und ergänzt, ins­ besondere durch die große Anzahl bisher unbekannter Pflanzen, die infolge der Entdeckungsreisen nach Westen und Osten in großer Zahl nach Europa einge­ führt wurden. Als Ergebnis dieser neuen Forschungen erschienen auch neu­ artige Pflanzenbücher. An erster Stelle sind die Werke der „deutschen Väter der Botanik“ zu nennen, Otto Brunfels (1488-1534), Hieronymus Bock (14981554) und Leonhart Fuchs (1501-1566). Andere folgten.5 In diese Reihe gehört auch die kommentierte Ausgabe des Dioskurides von Mattioli. Pier Andrea Mattioli (1500—1577) hatte in Padua Medizin studiert, 4

5

Erlangen, Universitätsbibliothek, Briefsammlung Trew; vgl. Eleonore Schmidt-Herrling: Die Briefsammlung des Nürnberger Arztes Christoph Jacob Trew (1695-1769) in der Universitätsbi­ bliothek Erlangen (Katalog der Handschriften der Universitätsbibliothek Erlangen 5), Erlangen 1940, S. 310-312. Karl Mägdefrau: Geschichte der Botanik, 2. Aufl. Stuttgart 1992, S. 23-32.

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war Arzt in Siena, Perugia und Rom, von 1554 bis 1562 Leibarzt von Kaiser Ferdinand I. und Kaiser Maximilian II., und ließ sich 1562 als Arzt in Trient nieder, wo er auch starb.6 Der wissenschaftliche Wert seines Kommentars zu Dioskurides war schon zu seiner Zeit umstritten, doch konnte das den buch­ händlerischen Erfolg nicht mindern. Die Bedeutung des Buches lag wohl in sei­ ner praktischen Anwendbarkeit im täglichen Leben sowohl durch Arzte wie durch entsprechend gebildete Laien. Auch ein Register der Pflanzennamen, der Krankheiten und der dagegen anzuwendenden Pflanzen trug zur besseren Be­ nutzbarkeit bei. Die Übersetzungen in verschiedene Volkssprachen und deren Erfolg beweisen den praktischen Nutzen. Die erste deutsche Ausgabe erschien 1563 in Prag. Übersetzer war Georg Handsch (ca. 1520-1595).7 Handsch hatte in Prag Medizin studiert und in Pa­ dua promoviert. Als Arzt machte er sich in Böhmen bald einen Namen und trat auch als medizinischer und botanischer Schriftsteller und als lateinischer Dich­ ter hervor. 1556 wurde er geadelt. Wohl um 1564 wurde er Leibarzt von Erz­ herzog Ferdinand von Tirol und seiner Familie. In diesem Amte starb er 1595 in Innsbruck. Es ist anzunehmen, daß Handsch Mattioli zuerst in dessen Ei­ genschaft als kaiserlicher Leibarzt kennenlernte. Die Anregung zur Überset­ zung scheint von Mattioli ausgegangen zu sein. Er habe Handsch mehrfach ge­ drängt, wenn man dem Vorwort Glauben schenken darf und es sich bei diesem Hinweis nicht nur um einen rhetorischen Topos handelt.8 Doch Handsch hat nicht nur übersetzt. Sein Verdienst ist die Einführung ei­ nes festen Schemas bei der Beschreibung aller Pflanzen in einer bestimmten Reihenfolge: Name, Gestalt, Fundort, Zeit und Wirksamkeit, diese wiederum nach den Anwendungen geordnet. Die Disputationes, so dem gemeinen man zu wis­ sen nicht dienstlich nötig sindt, also das wissenschaftliche Beiwerk, hat er wegge­ lassen, um die Benutzbarkeit zu verbessern. Schließlich hat er auch Pflanzen aufgenommen, die Mattioli noch nicht kannte und so noch in keinem Kreutterbuch bißher außgangen.9 Das Werk des Mattioli war zunächst ohne Abbildungen erschienen. 1554 er­ schien eine erste illustrierte Ausgabe mit großen Abbildungen, seit 1559 auch Ausgaben mit kleinen Abbildungen, die aber nicht einfach den großen Abbil­ dungen nachgestochen worden sind. Die Handsch sehe deutsche Übersetzung enthält die großen Abbildungen der lateinischen. Der venezianische Drucker

6

Wilhelm Haberling /. . . Pagel: Mattioli, Pietro Andrea, in: Biographisches Lexikon der hervorra­ genden Ärzte aller Zeiten und Völker, 3. Aufl. München 1962, S. 1197 Deutsches Biographisches Archiv. München. 1. Folge, s.v. Handsch. 8 Mattioli (wie Anm. 2), Vorrede, Bl. 2 iii v. 9 S. Anm. 8

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der lateinischen Ausgaben, Valgrisi, hat sich nach Ausweis des Titelblattes auch an den Unkosten der deutschen Übersetzung beteiligt. Man kann daher anneh­ men, daß auch er die Publikation einer deutschen Ausgabe unterstützte, wohl um aus den vorhandenen Druckstöcken der Pflanzenabbildungen zusätzlichen Gewinn zu ziehen. Von der Handsch’schen Fassung ist nur eine einzige Ausgabe erschienen, ob­ wohl die lateinische Fassung ständig und die etwas spätere deutsche des J. Camerarius mehrfach neu aufgelegt wurde. Die Erklärung ist wohl nicht in einer mangelnden Nachfrage zu suchen, sondern liegt in den Verhältnissen der Pra­ ger Druckerei, in der das Werk erschienen war. Die Druckerei gehörte wohl Jiri Melantrich z Aventina (Georg Melantrich von Aventin, 1511-1580.).10 Melantrich war Tscheche und Lutheraner. In Basel und Nürnberg hatte er das Druck­ handwerk gelernt. Nach Prag zurückgekehrt, arbeitete er zunächst als Drucke­ reigehilfe und erwarb 1552 eine eigene Druckerei. Hauptsächlich ließ er Werke in tschechischer Sprache drucken, so z. B. eine tschechische Bibel, die mehrere Auflagen erfuhr, und auch eine tschechische Ausgabe des Mattioli’schen Wer­ kes. Die deutsche Ausgabe kann man daher als Folgeauftrag betrachten, der mehr aus finanziellen Gründen übernommen wurde. Auch dürfte die Kapazität der Druckerei nicht allzu groß gewesen sein. So erschien die nächste deutsche Ausgabe erst 1586 in Frankfurt/M., zwar unter Verwendung des Handsch sehen Textes, aber doch völlig neu bearbeitet von dem Nürnberger Arzt und Botaniker Joachim Camerarius d. J. Gleichzei­ tig erschien in Frankfurt/M. die erste in Deutschland gedruckte lateinische Ausgabe, ebenfalls in einer Bearbeitung von J. Camerarius. Joachim Camera­ rius d. J. (1534—1598), Sohn des gleichnamigen und wesentlich bekannteren Professors der klassischen Philologie an der Universität Leipzig, studierte an deutschen und italienischen Universitäten Medizin. 1564 ließ er sich in seiner Heimatstadt Nürnberg als Arzt nieder, wo er später insbesondere durch seinen Entwurf für die Gründung des Collegium medicum11 sich einen Namen machte. Er war Leibarzt der Kurfürsten August und Christian von Sachsen, des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen und des Bischofs von Bamberg, Ernst von Mengersdorf. Auch als Botaniker war er berühmt, sodaß Wilhelm IV. ihn mit der Einrichtung eines botanischen Gartens in Kassel beauftragte. Was veranlaßte nun Camerarius, das Werk des Mattioli deutsch und latei­ nisch neu herauszugeben? Camerarius gibt in seinen Vorworten dafür zwei

10 Archiv (wie Anm. 7) s.v. Melantrich, Georg; Masaryküv Slovnik Naucny, 4. Prag 1929, S. 854 s.v. Melantrich z Aventina, Jiri. 11 Karl Gröschel: Des Camerarius Entwurf einer Nürnberger Medizinalordnung Kurtzes und ordentli­ ches Bedencken 1571, Diss. TU München 1977.

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Gründe an: zum einen sei er von Freunden gedrängt worden, das botanische Werk Gesners, das dieser unvollendet hinterlassen und Camerarius erworben hatte, endlich herauszubringen; zum anderen, weil das Teutsche Kreutterbuch deß hochgelehrten H. Mattioli seligen . . . ein grosse nachfrag hettl und keine Exemplaria mehr zu finden weren}2 In der lateinischen Ausgabe heißt es noch ergänzend , daß die Verleger einen Nachdruck wünschten (typographi, . . ea recudere cuperent)}Betrachtet man diese Gründe näher, wird man, abgesehen von dem eher ste­ reotypen Hinweis auf das Drängen von Freunden, feststellen, daß die deutsche Ausgabe von Handsch offensichtlich vergriffen war, der Bedarf nach einer neuen Ausgabe gegeben war und deshalb einzelne Verleger hierin ein lohnen­ des Verlagsobjekt sahen. Daß man nun nicht einfach die Handsch sehe Über­ setzung nachdruckte, sondern Camerarius eine völlig neue Ausgabe erarbeitete, hing mit dem von Camerarius erwähnten Nachlaß Gesners zusammen. Konrad Gesner (1516-1565) lebte in Zürich als Arzt und Universalgelehr­ ter. Sein besonderes Interesse galt der Tier- und Pflanzenwelt. Er sammelte Ab­ bildungen von Pflanzen und Tieren, indem er sie teilweise selber herstellte, teil­ weise andere mit der Herstellung von Abbildungen beauftragte und sich von anderen Gelehrten und Freunden entsprechende Zeichnungen schicken ließ. Sein Ziel war es, die damals bekannten Tiere und Pflanzen in einem großen Werk vorzustellen. Vier Bände der ,Historia animalium' erschienen zwischen 1551 und 1558.M Die Vorbereitungen für die ,Historia plantarum' waren bei Gesners Tode zwar weit gediehen, aber noch keinesfalls abgeschlossen. Er hin­ terließ mehrere hundert Blätter mit Pflanzenzeichnungen, davon hergestellte Vorlagen für die Anfertigung von Druckstöcken und schließlich auch eine An­ zahl fertiger Druckstöcke. Diesen Nachlaß übernahm der Züricher Altphilo­ loge Kaspar Wolf mit dem ausdrücklichen Auftrag, daraus das geplante Werk fertigzustellen. Da ihm dieses nicht möglich war, übernahm im Jahr 1580 Ca­ merarius den Nachlaß und die daran gebundene Verpflichtung. Doch auch er fand nicht die Zeit, Gesners Werk druckfertig zu machen, insbesondere wegen seiner zahlreichen Reisen, die seine Tätigkeit als Leibarzt verschiedener Fürsten erforderte. Um nun wenigstens einen Teil der Pflanzenzeichnungen der Öffent­ lichkeit zugänglich zu machen, entstand der Plan, eine erweiterte Neuausgabe des Mattioli’schen Kräuterbuches mit Zeichnungen aus dem Gesnerschen Nachlaß herauszugeben und diesem später das Gesnersche Werk folgen zu las­ sen. Dazu ist Camerarius allerdings nicht mehr gekommen. Der Gesnersche

12 I? M

Pier Andrea Mattioli: Kreuterbuch. . . gemehret und verfertiget durch. . . Ioachimum Camerarium, Franckfurt am Mayn: Feyerabend 1586. Bl. 8r. Pier Andrea Mattioli: De plantis epitome utilissima, Francofurti ad Moenum 1586. Bl. 5r. Conrad Gesner: Historia animalium, Tiguri: Froschauer 1551-1558.

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Nachlaß gelangte schließlich in den Besitz des Nürnberger Arztes Christoph Jacob Trew (1695-1769), der endlich die Herausgabe der Gesnerschen ,Opera botanica‘ mit den Pflanzenzeichnungen veranlaßte.15 Camerarius wußte, daß er mit der Neuausgabe des Kräuterbuches keine ein­ fache Aufgabe übernommen hatte. Zwar verwendete er die Übersetzung von Handsch, doch mußte diese ergänzt werden, wo er neue Pflanzen einfügte. Auch wurde der vorhandene Text insbesondere bei den medizinischen Anwen­ dungen nach den neuesten Erkenntnissen ergänzt und erweitert. Der Text für die lateinische Ausgabe mußte nach dem Muster der Handsch sehen Überset­ zung völlig neu eingerichtet und ebenfalls ergänzt werden. Wesentlich größere Mühe machte die Herstellung der Abbildungen. Da er Zeichnungen von Gesner verwenden wollte, für die, wenn auch nur in geringem Umfang, bereits Druckstöcke vorhanden waren, mußten alle anderen Abbildungen an deren Format angepaßt werden.16 Der weitaus größere Teil der Pflanzen mußte je­ doch, wie er selbst in den Vorworten angibt, neu gezeichnet und auf Druck­ stöcke übertragen werden. Diese Aufgabe bereitete offensichtlich besondere Mühe, weil die Reisser vnd Formschneider . . . mehrer teil nach jhrem gutdüncken und zufall offtermal solch iverck verrichten wollen, vnd viel mehr auff die zierligkeit, dann natürliche eigenschafft der gewechs sehen, oder auch offt auß hinlessigkeit solche depravirn vnd verderben.17 Schließlich sollten auch nicht nur die Pflanzen selbst, wie in den bisherigen Ausgaben, dargestellt werden, sondern nach Gesnerschem Vor­ bild zusätzlich wesentliche Pflanzenteile daneben, wie etwa Blüten, Samen, Wurzeln u. ä., teilweise auch noch in Querschnitten. Da Camerarius auch wei­ terhin seinen ärztlichen Pflichten nachkommen mußte, die, wie bereits er­ wähnt, eine häufige Abwesenheit von zu Hause erforderten, nahm er sich für die Herausgabe des Kräuterbuches einen Gehilfen, seinen Neffen Joachim Jungerman, den Sohn seiner Schwester Ursula, die den Leipziger Juristen Kaspar Jungerman geheiratet hatte. Joachim Jungerman (1562-1591), älterer Bruder des später berühmten Alt­ dorfer Professors der Medizin und Botanik Ludwig Jungerman18, hatte nach dem Besuch des Gymnasiums zunächst in Leipzig studiert, 1581 das Baccalaureat erworben und im Wintersemester 1582/83 den Magistergrad.19 Von 1584 bis 1588 lebte er bei seinem Onkel Joachim Camerarius in Nürnberg. Von dort reiste er zusammen mit seinem Vetter Joachim Camerarius III. nach Padua, um 15 16 17 18 19

Conrad Gesner: Opera botanica. Ed. Casimirus Christ. Schmidel. Norimbergae 1751-1771, 2 Bde. Mattioli (wie Anm. 12), Bl. 8v. Mattioli (wie Anm. 12), Bl. 8r. Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 683-684; Bayerische Biographie, Hrsg. v. Karl Bosl, Re­ gensburg 1983, S. 398-399. Georg Erler: Die jüngere Matrikel der Universität Leipzig 1559-1809, Bd. 1, Leipzig 1909, S. 211.

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Medizin zu studieren. 1591 trat er eine Reise in den östlichen Mittelmeerraum an, um dort insbesondere die von antiken Autoren erwähnten Pflanzen zu stu­ dieren. Noch im selben Jahr starb er, ohne nach Hause zurückgekehrt zu sein.20 Eigentlich hatte Jungerman schon früher nach Nürnberg reisen sollen, um von Anfang an bei der Neuausgabe mitzuarbeiten. Doch hatten es wohl seine Eltern nicht erlaubt (. . . initio mecum esse non tili fuit concessum).21 Offensichtlich gaben sie erst im November 1583 die erwünschte Erlaubnis, im nächsten Früh­ ling zu reisen.22 Ende Mai 1584 traf Jungerman in Nürnberg ein, während Ca­ merarius abwesend war. Aus der Zeit zwischen seiner Ankunft in Nürnberg und dem Erscheinen der Neuausgabe in der ersten Hälfte des Jahres 1586 sind 31 Briefe an Camerarius erhalten, die sich im wesentlichen mit Problemen der Neuausgabe befassen, daneben auch Neuigkeiten aus des Camerarius Garten und gelegentliche Bemerkungen über das Ergehen der Söhne des Camerarius enthalten.23 Camerarius selbst, der übrigens erstaunlicherweise seinen Neffen nur im Vorwort der lateinischen Ausgabe, nicht aber in der deutschen Ausgabe er­ wähnt hat, gibt an, daß dieser hauptsächlich die Herstellung der Abbildungen überwachen sollte {ad hancpartem Medicinaeplane natus).24 Es nimmt daher nicht wunder, daß wir aus den Briefen über die Textgestaltung nichts erfahren. Sie war wohl bereits abgeschlossen, als Jungerman nach Nürnberg kam. Wie Jun­ german sich seine botanischen Kenntnisse erworben hatte, ist unbekannt. In Leipzig besaß er offensichtlich einen eigenen Garten.25 Auch geht aus den we­ nigen erhaltenen Briefen, die er aus Leipzig an seinen Onkel geschrieben hat26, hervor, daß er mit diesem in regem Austausch über botanische Fragen stand. Wenn es stimmt, wie einige Autoren behaupten27, daß er seinen jüngeren Bru­ der Ludwig zur Botanik hinführte, kann dieses nur geschehen sein, während er noch in Leipzig war. Später haben sich die Brüder nicht mehr gesehen. Jeden­ falls besaß Jungerman offensichtlich bereits mit zwanzig Jahren die botani­ schen Kenntnisse, die nach Meinung seines Onkels für die Betreuung eines so anspruchsvollen Werkes wie des Kräuterbuches notwendig waren. 20 Vinzenz Schmuck: Leichpredigt . . . Beim begrebnis des . . . Herrn Caspar Jungermans . . ., Leip­ zig: Lantzenberger 1606, Bl. C iiii r. 21 Mattioli (wie Anm. 13), Bl. 5v. 22 Brief (wie Anm. 4) Nr. 3 vom 8.11.1583. 23 Briefe (wie Anm. 4) Nr. 7 bis 37. 21 Mattioli (wie Anm. 13), Bl. 5v. 25 Brief (wie Anm. 4) Nr. 14 vom 7.3.1585. 2r> Briefe (wie Anm. 4) Nr. 1 bis 6. 27 Johann H. Zedier: Grosses vollständiges Universal-Lexikon, 2. Nachdr., Graz 1993, Bd. 14, 1, Sp. 1607 s.v. Jungerman, Ludovicus; Georg A. Will: Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon, Bd. 2, Nürn­ berg 1756, S. 262: hier ist Joachim fälschlich als jüngerer Bruder von Ludwig bezeichnet.

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Konrad Wickert

Jungerman war Ende Mai 1584 in Nürnberg eingetroffen. Das Vorwort der Neuausgabe des Kräuterbuches ist auf den Februar 1586 datiert. Von diesen 21 Monaten ist Camerarius nach Ausweis der Briefe Jungermans wenigstens 7 Monate, wahrscheinlich noch länger, mit Unterbrechungen nicht in Nürn­ berg gewesen.28 Der Anteil Jungermans an der Entstehung der Pflanzenabbil­ dungen, die im wesentlichen in diese Zeit fällt, ist also keineswegs gering ein­ zuschätzen. Jungermans konkrete Aufgabe bestand darin, daß die benötigten ca. 1.010 Pflanzenabbildungen zunächst gezeichnet und dann nach den Zeich­ nungen Druckstöcke aus Holz hergestellt wurden. Die Zeichnungen (imagines) lieferten die Reisser (pictores), die Druckstöcke (typi) wurden von den Form­ schneidern (sculptores) hergestellt. Ein Zeichner lieferte die Vorlagen für meh­ rere Formenschneider.29 Es wurden offensichtlich fast alle Abbildungen neu ge­ schaffen, obwohl es bereits lateinische Ausgaben mit kleinen Abbildungen gab, deren Größe in etwa der der neuen deutschen Ausgabe entsprach. Warum diese nicht wenigstens zum Teil verwendet worden sind, ist nicht bekannt. Die Neu­ ausgabe enthält außerdem ca. 200 Abbildungen mehr als die von Handsch. Dafür konnten also keine gedruckten Vorlagen verwendet werden. Bisher ist die Meinung vertreten worden, daß Camerarius die von ihm aufgekauften Fi­ guren Gesners verwendete und die übrigen den kleinen Figuren der älteren la­ teinischen Ausgaben von Valgrisi nachgeschnitten worden seien.30 Danach wäre die Aufgabe Jungermans relativ einfach gewesen. Gemäß Briefen Jungermans kann aber diese Ansicht nicht mehr aufrecht erhalten werden. Jungerman nennt mehrere Quellen als Vorlagen für die Pflanzenbilder. An erster Stelle sind die Zeichnungen und Druckstöcke Gesners zu erwähnen.31 Auch aus Augsburg, Prag und Straßburg wurden Zeichnungen und Druck­ stöcke nach Nürnberg geschickt, aus Augsburg von dem Arzt Georg Laubius (1554-1597).32 Von gedruckten Werken werden die lateinische Ausgabe des Mattioli und je ein Werk von Leonhart Fuchs und Hieronymus Bock33 genannt. An ungedruckten Quellen sind erwähnt das Herbarium von Johannes Kentmann (1518—1574), seit 1563 im Besitz des Kurfürsten August von Sachsen

28

Insbesondere in der ersten Hälfte des Jahres 1585 war Camerarius für mehrere Monate in Dresden, um Kurfürst August ärztlich zu betreuen. 29 Brief (wie Anm. 4) Nr. 29 vom 26.5.1585: Sculptores nostri diligentes sunt, pictor quoque diligentior\ vgl. auch Briefe Nr. 27 und 28. 30 Claus Nissen: Die botanische Buchillustration, Bd. 2, Stuttgart 1951, S. 119* 31 Konrad Gesner ist erwähnt in den Briefen (wie Anm. 4) Nr. 14, 25, 29, 32 und 36; Zeichnungen und Druckstöcke aus Zürich s. Nr. 7, 8, 13, 24, 25, 27, 32 und 33. 32 Georg Laubius und Augsburg sind erwähnt in den Briefen (wie Anm. 4) Nr. 7, 8, 10, 12, 17, 18, 24, 25, 29 und 30; Prag s. Briefe Nr. 9 und 27; Straßburg s. Briefe Nr. 8, 9, 11,13, 29 und 30. 33 Mattioli s. Briefe (wie Anm. 4) Nr. 17 und 19, Leonhart Fuchs s. Briefe Nr. 15 und 16; Hieronymus Bock (Tragus) s. Nr. 16.

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Joachim Camerarius und das Mattioli’sche Kräuterbuch

(1526—1586)34, das Herbarium des Nürnberger Apothekers Georg Öllinger (1487—15 54)35 und Zeichnungen nach Pflanzen, die der Augsburger Leonhart Rauwolf (Rauchwolf; f 1596) von einer Reise in den Orient mitgebracht hatte.36 Daß ihm in der Bibliothek seines Onkels auch die übrige botanische Li­ teratur der Antike und seiner Zeit zugänglich war, ist als selbstverständlich an­ zunehmen, da aus späteren Briefen Jungermans hervorgeht, daß Camerarius nicht nur eine große Privatbibliothek besessen, sondern sie auch stetig ver­ mehrt hat. Schließlich stand auch eine große Anzahl von Pflanzen in Nürnber­ ger Gärten lebend als Vorlage zur Verfügung. Camerarius selbst besaß wenig­ stens zwei große Gärten37, deren Pflanzenliste38 er 1588 veröffentlichte. Aus ei­ nem BriefJungermans (Nr. 41) erfahren wir von einem Garten des Nürnbergers Willibald Imhof. Auch andere Nürnberger Patrizier und Gelehrte haben Gär­ ten mit seltenen Pflanzen besessen, die Camerarius und Jungerman bekannt und zugänglich waren.39 Sie konnten daher für ihre Pflanzenabbildungen aus ei­ ner großen Zahl von Vorlagen auswählen. Zunächst wurde offensichtlich geprüft, welche Vorlagen überhaupt in Frage kamen. Jungerman erwähnt aus dem Ollingerschen Herbarium vier Pflanzen (Brief Nr. 21; Stramonia, Anguria, Melanzane, Pistacia), die man vielleicht ver­ wenden könnte. Von den im Kräuterbuch gedruckten Abbildungen entspricht aber allenfalls die Pistacia (Bl. 94d)40 dem Ollingerschen Vorbild. Auch die Gesnerschen Zeichnungen entsprachen nicht immer den Wünschen Junger­ mans. So ließ er den Dracunculus neu zeichnen, weil bei Gesner die Wurzel fehlte.41 Es scheint eine Verwechslung vorzuliegen, da dieses im Kräuterbuch als Dracunculus bezeichnete Gewächs wohl überhaupt nicht mit dem Dracun­ culus bei Gesner identisch ist. Dieser entspricht mehr dem Nardus Indicus des

34 Dresden, Landesbibliothek Mscr. B 71, Briefe (wie Anm. 4) Nr. 8 und 14. 35 Brief (wie Anm. 4) Nr. 21. 36 Rauwolf, Leonhard: Aigentliche beschreibung der Raiß, so er. . . in die Morgenländer.. . volbracht, Laugingen 1582-83. Briefe (wie Anm. 4) Nr. 13, 17, 18 und 25. 37 Zu den Gärten des Camerarius s. Konrad Wickert: Süddeutsche Gartenkultur in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und das „Camerarius-Florilegium“, in: Natur im Bild. Anatomie und Botanik in der Sammlung des Nürnberger Arztes Christoph Jacob Trew (Universitätsbibliothek ErlangenNürnberg. Schriften 26), Erlangen 1995. S. 75-97. 38 Joachim Camerarius: Hortus medicus et philosophicus, Francofurti ad Moenum 1588. 39 Als Quelle dazu s. insbesondere StAN, Waldamt Sebaldi, Rep. 76/111: Neue Gartten Beschreibung Ao. 1680; dazu s. a. Friedrich August Nagel: Die Gärten des Sebalder Burgfriedens zu Nünberg, München 1914. 40 Georg Oellinger / Samuel Quicchelberg: Magnarum Medicine partium herbariae et zoographiae imagines, 1553, Bl. 94d. 41 Brief (wie Anm. 4) Nr. 25; Conrad Gesner: Historia plantarum, Faks. Dietikon/Zürich 1987-1991, 2 Bde, Bl. 233a rund 235v.

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Kräuterbuches (Bl. 6a). Gelegentlich wurden auch verschiedene Abbildungen derselben Pflanze zu einer kombiniert (Brief Nr. 17: nos non frustra Matthioli Sycomorum cum Rauchiv. coniunxisse in icone nostra). Bei Piper Indicum wurden ein­ zelne Pflanzenteile von Gesner übernommen, andere aus anderen Vorlagen hin­ zugefügt.42 In wohl den meisten Fällen konnten allerdings die Vorlagen unver­ ändert oder fast unverändert übernommen werden, wenn nicht nach der Natur neue Zeichnungen angefertigt wurden. Teilweise wurden vorhandene Vorlagen ergänzt, so z. B. bei Plantago maior eine Blüte und Samen (Bl. I45d), bei Mala insana eine Sorte mit runderen Blättern nach Rauwolf, die aber später wieder entfernt wurde, und bei Salvia minor ein weiteres Exemplar mit Gallen.43 Nicht alle gewünschten Vorlagen konnten tatsächlich herangezogen werden. So bleibt offen, ob die gewünschten Zeichnungen aus dem Herbarium von Jo­ hannes Kentmann tatsächlich in Nürnberg eingetroffen sind. Im März 1585 hoffte Jungerman noch darauf.44 Doch selbst wenn die Zeichnungen noch in Nürnberg eingetroffen sind, zeigt ein Vergleich der genannten Pflanzen, daß die Kentmannschen Abbildungen nicht als Vorlage verwendet worden sind. Die sehnlichst erwünschte ,Historia generalis plantaruirf von Jacques Dalechamps45 erschien erst kurz nach dem Kräuterbuch im Herbst 1586 und konnte deshalb nicht mehr benutzt werden. Nachdem die Vorlagen ausgewählt waren, mußten die Zeichnungen herge­ stellt werden, die für die Erstellung der Druckstöcke als Vorlage dienten. Denn die ausgewählten Vorlagen sind häufig abgeändert oder ergänzt übernommen worden. Auch wurden ja völlig neue Pflanzen teilweise nach der Natur ge­ zeichnet, wobei man sich nach dem Wachstumszyklus der einzelnen Pflanzen richten mußte.46 Einen Teil der Zeichnungen ließ man von auswärts kommen. In Zürich sorgte Kaspar Wolf für Zeichnungen nach Gesner, in Augsburg Georg Laubius für Abbildungen von Pflanzen aus dem Besitz von Leonhart Rauwolf. In Prag dürfte Georg Handsch oder sein Verleger die Quelle gewesen sein. In Straßburg war der Arzt Melchior Sebicius (1539-1625) der Vermittler, der seit 1575 das Kräuterbuch von Hieronymus Bock17 betreute und in mehre­ ren Neuauflagen herausbrachte. Schließlich beschäftigte Camerarius auch in Nürnberg einen Zeichner.

42 43 44 45

Vgl. z. B. Corcorus bei Mattioli (wie Anm. 12), Bl. 182a und Gesner (wie Anm. 41), Bl. 239v. Mattioli (wie Anm. 12) Bl. 242d; vgl. dazu Brief (wie Anm. 4) Nr. 27. Brief (wie Anm. 4) Nr. 14: De Kentmanni Herbario non putavi fore nt spe deciderem. Jacques Dalechamps: Historia generalis plantarum, Lugduni 1586—1587. Vgl. Briefe (wie Anm. 4) Nr. 16,25,27,28 und 33. 46 Z. B. über Cochiearia in Brief (wie Anm. 4) Nr. 15: Pullulanti primo vere spacium inscultum relinqui fed. 47 Hieronymus Bock: Kreüter Buch, Straßburg: Rihel 1539 u. ö.

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Jungerman hat vier Zeichner erwähnt: Bechtelius, Nicolaus, Petrus und Leo­ nard Vischer.48 Bechtelius könnte identisch sein mit dem Maler Bartholomaeus Bechtelius, der zwischen 1558 und 1600 in Nürnberg nachweisbar ist.49 Nico­ laus ist sonst nicht bekannt. Er scheint Zeichnungen für das Titelblatt geliefert zu haben (in pingendis insignibus), jedoch nicht für Pflanzen. Jungerman tadelte ihn wegen fehlenden Fleißes. Leider konnte der Zeichner Petrus, der in Jungermans Briefen häufig ge­ nannt ist und wohl auch den größten Teil der Zeichnungen sowohl für das Kräuterbuch wie auch für den 1588 erschienenen Hortus medicus des Camera­ rius angefertigt hat, bis heute nicht eindeutig identifiziert werden. Man kann noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob Petrus der Vorname oder der Nach­ name ist. Nissen50 erwähnt einen „Formschneider Peterlin, der . . . eigens nach Nürnberg berufen worden war“. Die von Nissen genannte Quelle51 gibt keine Belege für diese Behauptung. Als einziger direkter Hinweis findet sich im Kräuterbuch einmal52 das Monogramm PH. Eine Durchsicht der einschlägigen Verzeichnisse hilft nicht weiter. In den Nürnberger Ämterbüchlein, die neben den Inhabern der städtischen Ämter auch Buchdrucker, Buchhändler und Zeichner nachweisen, ist in den Jahren 1584, 1585 und 1591 ein Briefmaler Peter Steinbach genannt. Er erhielt 1576 das Nürnberger Bürgerrecht, wurde auch als Formschneider bezeichnet und besaß eine eigene Druckerei. Er starb 1636.53 Das Monogramm würde auf ihn allerdings nicht passen. Auch ist nicht bekannt, daß er nach Nürnberg zugezogen ist. Zwischen 1587 und 1608 ist in Nürnberg nachweisbar der Maler und „Kunstreisser“ Peter Hochheimer.54 Er lebte zunächst in Frankfurt/M., zog wohl 1596 endgültig nach Nürnberg, erhielt 1597 das Bürgerrecht und wurde am 1.5.1608 in Nürnberg begraben. Laut Ratstatenbuch des Nürnberger Rates wurde er sonst mahler Peter genannt. Peter Hochheimer könnte mit dem in den Briefen Jungermans, häufig auch noch nach 1586, genannten Maler Petrus identisch sein. Auf ihn würde sowohl das Monogramm passen wie auch die bei Nissen allerdings nicht durch Belege bewiesene Nachricht, daß Camerarius sei­ nen Hauptzeichner habe von auswärts kommen lassen. Ein völlig sicherer Be18 Bechtelius: Briefe (wie Anm. 4) Nr. 35, 36 und 40; Nicolaus: Brief Nr. 27; Petrus: Brief Nr. 30, 24, 35 und 40; Leonard Vischer: Brief Nr. 18. 49 Ulrich Thieme / Felix Becker: Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart, Bd. 4, Leipzig 1910, S. 559 s.v. Brechtei, Bartholomaeus. 50 Nissen (wie Anm. 30), Bd. 1, S. 56; Bd. 2, S. 31 Nr. 311. 51 Wilhelm Ludwig Schreiber: Die Kräuterbücher des 15. und 16. Jahrhunderts, in: Johannes de Cuba: Hortus sanitatis, München 1924, S.L. 52 Mattioli (wie Anm. 12), Bl. 16D. 53 Thieme-Becker (wie Anm. 49), Bd. 31 (1937), S. 54954 Thieme-Becker (wie Anm. 49), Bd. 17 (1924), S. 167.

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weis steht allerdings noch aus.55 Petrus wird zuerst in einem Brief vom 25.5.1585 erwähnt, zuletzt in einem Brief6 vom 22.6.1589. Er könnt auch identisch sein mit einem namentlich nicht genannten Zeichner (pictor) in früheren Briefen.57 Jedenfalls stand er mindestens vier Jahre in Kontakt mit Camerarius und hat sowohl für das Mattioli sehe Kräuterbuch wie auch für den ,Hortus medicus' Zeichnungen geliefert. Offensichtlich war die Zusammenar­ beit mit ihm nicht leicht. In einem Brief vom 17.10.1585 berichtet Jungerman an Camerarius, daß er Petrus erst erwarte, wenn er seinen täglichen Rausch aus­ geschlafen habe.58 Ein andermal heißt es, daß Jungerman über Petrus täglich Schlimmeres höre, ja sogar Schändliches.59 Und noch im Schreiben vom 22.6.1589 aus Padua ärgert er sich über Petrus, der, wie sein Onkel ihm wohl schriftlich mitgeteilt hatte, nach Fertigstellung des ,Hortus medicus* noch ein Geschenk erwarte, obwohl er es wegen seiner Nachlässigkeit gar nicht verdient habe.60 Leonard Vischer, der sowohl als Zeichner wie auch als sculptor, also Holz­ schneider61 gearbeitet hat, läßt sich anderweitig nicht verifizieren. Vielleicht ist er ein Bruder des Formschneiders Ulrich Vischer. Ob und in welchem Um­ fang Jobst Amman (1539—1591) als Pflanzenzeichner beteiligt ist, kann nicht geklärt werden. Im März 1585 schrieb Jungerman, daß die Abwesenheit des Zeichners (gemeint ist wohl Petrus) immer unerträglicher werde und er daher gezwungen sein können, mit Amman zusammenzuarbeiten.62 Weshalb Junger­ man nur in einer Zwangslage mit Amman, der doch viel bekannter geworden ist als alle anderen Zeichner des Kräuterbuches, Zusammenarbeiten wollte, bleibt unbekannt. Vielleicht war er zu teuer. Auf jeden Fall stammt ein Titel­ blatt von Amman. Die Erstausgabe der Bearbeitung des Mattioli durch Camerarius erschien 1586 mit zwei verschiedenen Titelblättern. Auf dem einen Titelblatt befindet sich im unteren Drittel ein Holzschnitt, der in einer querovalen Bordüre einen Garten, ein Krankenzimmer, eine Gruppe beratender Ärzte und eine Apotheke 55 Die Hinweise auf Peter Hochheimer verdanke ich der Freundlichkeit von Frau Dr. Ursula Timann, Nürnberg. Dafür bin ich ihr zu herzlichem Dank verpflichtet. 56 Briefe (wie Anm. 4) Nr. 30 und 68. 57 Briefe (wie Anm. 4) Nr. 12, 19 und 25. 58 Brief (wie Anm. 4) Nr. 35 .Petrum non expectarim donec edormiat suas crapulas, quas cotidianis commessationibus contrahit. 59 Brief (wie Anm. 23) Nr. 40 vom 25.10.1586: Nam de Petro quotidie audio deteriora, pene turpiora dixerim.

60 Brief (wie Anm. 4) Nr. 68: St meminit te illi promisisse munusculum, cur non etiam mernmit se illtid non promeruisse neglegentia suaP.

61 Brief (wie Anm. 4) Nr. 15. 62 Brief (wie Anm. 4) Nr. 19 vom 25.3.1585: Cogar agere cum /. Ammano.

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zeigt. Der Holzschnitt trägt keinerlei Hinweis auf einen Künstler. Auf dem an­ deren Titelblatt ist der Text rundum von einer breiten Holzschnittbordüre um­ geben. Sie zeigt links von oben nach unten einen Putto mit Geräten aus der Apotheke, einen Arzt und Chloris, eine griechische Vegetationsgöttin, und rechts einen Putto mit Gartengeräten, einen Gärtner und Panacaea, Tochter des Asklepios, eine griechische Heilgöttin. Oben ist in der Mitte Hygieia in einem Oval dargestellt, unten in einem Queroval eine ländliche Szene mit einem pflü­ genden Bauer, einem Hirten mit Schafen und einer hügeligen Landschaft mit einer Burg. Auffällig ist die Vertauschung der beiden Göttinnen. Links unten findet sich das Monogramm CS, rechts unten IA. Die Auflösung der linken Mo­ nogramms ist bisher noch nicht gelungen, das rechte bezieht sich auf Amman, der wohl nicht nur, wie bisher bereits bekannt, den Titelholzschnitt gezeichnet, sondern auch entworfen hat. In dem Entwurf Ammans waren unten Ceres und Bacchus vorgesehen. Am 27.2.158563 schrieb Jungerman an seinen Onkel, er hätte stattdessen Chloris und Panacaea vorgeschlagen, wenn er gewußt hätte, daß Jodocus Amman dort noch etwas habe hinsetzen wollen. Ein Grund ist nicht angegeben. Vielleicht waren für Jungerman Ceres und Bacchus zu sehr Symbole der leiblichen Freuden und nicht unbedingt der Gesundheit dienlich. Camerarius hat den Vorschlag offensichtlich aufgegriffen. Auch ein zweiter Vorschlag von Jungerman wurde realisiert. In die Mitte der Seitenbordüren hatte Camerarius Apollon und die personifizierte Erde setzen wollen. Junger­ man schienen diese beiden Gestalten dem Geist der großen Menge, der dieses Werk zugedacht war, als zu fremd. Er schlug stattdessen die Abbildungen eines Arztes und eines Gärtners vor, wie sie jetzt auf dem Titelblatt zu sehen sind.64 Etwas bekannter als die Zeichner ist ein Teil der Künstler, die nach den Zeichnungen die Holzstöcke für den Druck geschnitten haben: Martinus Geisius, Georg Höfler, Lucas Mairus, Ulrich Piscator, Sporelus (Spoerelus), Leonard Vischer, Ulrich Vischer und ein weiterer namentlich nicht genannter sculptor. Martinus Geisius65, gestorben 1615, hatte 1570 das Nürnberger Bürgerrecht erhalten und ist in den folgenden Jahren häufig urkundlich nachgewiesen. Der Formschneider Georg Höfler66 ist urkundlich nachweisbar. Er starb wohl nach

63 Brief (wie Anm. 4) Nr. 12. 64 Brief (wie Anm. 4) Nr. 7 vom 23.1.1585: et visae sunt (sc. Apollinis et Terrae picturae) quodammodo a vulgi ingenio, cut haeeparerga accomodare cupis, alieniores. Die deutsche Ausgabe war eben für die breite Masse bestimmt. Deshalb durfte auch das Titelblatt nicht zu sehr mit Gelehrsamkeit überfrachtet werden. 65 Briefe (wie Anm. 4) Nr. 10, 21, 22, 24, 26 und 28; Thieme-Becker (wie Anm. 49), Bd. 13 (1920), S. 350. 66 Briefe (wie Anm. 4) Nr. 8, 21, 22, 24, 25, 28, 32 und 40; Thieme-Becker (wie Anm. 49), Bd. 17 (1924), S. 192.

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1630. Der Formschneider Lucas Mairus67 ist urkundlich bekannt. Er erhielt 1567 das Bürgerrecht. 1572 saß er im Gefängnis. Er ist auch als Herausgeber von Landkarten nachweisbar. Jungerman war nicht mit ihm zufrieden und ta­ delte seine unerträgliche Nachlässigkeit. Ulrich Piscator68 ist anderweitig nicht nachweisbar. Vielleicht ist er identisch mit Ulrich Vischer69, der als Form­ schneider urkundlich nachweisbar ist. Bei Sporelus70 dürfte es sich wohl um den Formschneider Conrad Spoerl handeln, der 1582 und später in Nürnberg ur­ kundlich erwähnt ist. Leonard Vischer ist bereits als Zeichner erwähnt worden. Ein namentlich nicht genannter Formschneider71, ein Bekannter von L. Mairus, hat nur ganz wenige Aufträge bekommen. Jungermans Aufgabe war nicht leicht. Er hatte dafür zu sorgen, daß die benötigten etwas über 1.000 Druckstöcke für die Pflanzenabbildungen ange­ fertigt wurden. Dabei war zunächst festzustellen, ob es bereits für eine be­ stimmte Pflanze einen fertigen Druckstock gab, z. B. aus dem Nachlaß Gesners, oder ob ein neuer Druckstock angefertigt werden mußte. In diesem Fall mußte eine passende Vorlage aus bereits vorliegenden gedruckten Abbildungen oder auch aus unpublizierten Herbarien herausgesucht werden. Andernfalls mußte er feststellen, ob und wo eine Pflanze nach der Natur oder auch nach ei­ nem getrockneten Exemplar gezeichnet werden konnte. Aber auch wenn alle Vorlagen festgelegt waren, blieb noch genügend zu tun. Die Sendungen von auswärts, wie z. B. aus Zürich oder aus Straßburg, trafen nur mit Verzögerung ein. Sie entsprachen auch nicht immer Jungermans Vor­ stellungen, so daß zusätzlich neue Zeichnungen und Druckstöcke angefertigt werden mußten. Manche Pflanzen ließ er mehrfach schneiden, weil die gelie­ ferten Druckstöcke nachlässig gearbeitet waren. Auch die in Nürnberg beschäf­ tigten Zeichner und Formschneider erwiesen sich nicht immer als zuverlässig. Manchmal übernahmen sie andere Aufträge, die sie von der Arbeit für Camerarius und Jungerman abhielten: Letzterer beschwerte sich im März 1585 darü­ ber, daß die Formschneider damit beschäftigt waren, mehrere Mönche zu por­ trätieren, die sich zufällig in Nürnberg aufhielten.72 Auch finanzielle Querelen 67 68 69 70 71 72

Briefe (wie Anm. 4) Nr. 22 und 23; Thieme-Becker (wie Anm. 49), Bd. 24 (1930), S. 490; MVGN 50 (I960) S. 280 und 58 (1971) S. 360. Briefe (wie Anm. 4) Nr. 22, 25 und 27. Brief (wie Anm. 4) Nr. 28; Thieme-Becker (wie Anm. 49), Bd. 34 (1940), S. 418. Briefe (wie Anm. 4) Nr. 10, 12 und 32 (Spoerelus), Thieme-Becker (wie Anm. 49), Bd. 31 (1937), S. 397. Briefe (wie Anm. 4) Nr. 22 und 25. Briefe (wie Anm. 4) Nr. 15 vom 12.3.1585: Leonhard Vischer erhält einen Auftrag, weil er allein nicht durch die Bilder der Priester und Mönche abgehalten ist {quod is solus non impediretur nihili Clericorum Monachorwnque iconibus)', Nr. 21 vom 28.3.1585: Die Holzschneider haben die törichten Mönche verabschiedet {Sculptores ignavis monachis valedixerunt, et ad operas iam redeuni).

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blieben nicht aus. Im Mai 1585 forderten die Formschneider einen höheren Stücklohn. Die Zeichner schlossen sich dieser Forderung an. Jungerman mußte sie auf die Rückkehr von Camerarius vertrösten.73 Nicht immer konnte Junger­ man die Arbeiten kontinuierlich vergeben, so daß Zeichner und Formschneider feiern mußten.74 Wenigstens einmal, im September 1585, mußte Jungerman nach Frankfurt/M. reisen, um dort mit dem Verleger des Werkes, Feyrabend, zu verhandeln. Im Ganzen ergeben die Briefe ein buntes Mosaik der Leiden eines Buchherstellers im 16. Jahrhundert, die sich von denen eines heutigen Bücher­ produzenten in vielen Dingen kaum unterscheiden. Leider geben auch Jungermans Briefe nur ab und zu Hinweise auf die Frage, welche Pflanzen welcher Quelle entnommen wurden. Wohl lassen sich aus den Briefen einzelne Zeichnungen bestimmten Zeichnern, Formschneidern und Vorlagen zuweisen. Doch sind es nur wenige. Der Gesnersche Anteil ist auf je­ den Fall sehr viel kleiner, als der Hinweis im Vorwort bisher vermuten ließ. In einem Brief5 ist von 54 Druckformen (typi) die Rede, die von Zürich nach Nürnberg geschickt wurde. Ein Vergleich der Zeichnungen Gesners mit den Abbildungen im Kräuterbuch hat ergeben, daß etwa 50 Vorlagen Gesners übernommen worden sind, für weitere Darstellungen wurden Einzelheiten von Gesnerschen Vorbildern, wie z. B. Samen oder Blüten, verwendet. Ebenso kann die Zahl der Übernahmen aus anderen Werken, insbesondere von Bock und Rauwolf, nicht allzu hoch gewesen sein. Auch aus den älteren Ausgaben des Werkes von Mattioli sind nicht viele Bilder übernommen worden. Vermutlich wurden zwischen 80 und 90 Prozent der Druckstöcke neu gefertigt und eben­ falls deutlich über 50 Prozent der Vorlagen. Mit diesem Befund stellt sich abschließend die Frage nach der Leistung von Camerarius und Jungerman neu. Bisher wurde die deutsche Ausgabe des Kräu­ terbuches von Camerarius eher negativ bewertet, da Camerarius nur einen be­ reits vorhandenen Text geringfügig geändert, Abbildungen von Gesner über­ nommen und ansonsten die schon vorhandenen Abbildungen der älteren latei­ nischen Ausgaben mit leichten Abwandlungen weiterverwendet habe. Dieser Abwertung ist zu widersprechen. Camerarius hat etwa 20 Prozent mehr Pflan­ zen einschließlich der dafür notwendigen Texte hinzugefügt. Von Gesner wur­ den erstaunlich wenige Abbildungen übernommen, ebenfalls nur wenige aus den älteren Ausgaben. Camerarius und Jungerman haben wohlüberlegt ihre Vorlagen ausgewählt und ergänzt und in weit mehr Fällen, als bisher vermutet worden ist, neue Zeichnungen als Vorlagen für die Druckstöcke anfertigen las-

7* Brief (wie Anm. 4) Nr. 28 vom 22.5.1585. 71 Z. B. Brief (wie Anm. 4) Nr. 25 vom 24.4.1585. 75 S. Anm. 74.

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sen. Jungermans Aufgabe bestand im wesentlichen in der Beschaffung der Illu­ strationen. Denn es ist kaum anzunehmen, daß Jungerman nur während der Abwesenheit von Camerarius so tätig gewesen ist, wie die Briefe es uns zeigen. Daß in der erfolgreichen deutschen Ausgabe nur der Name des Camerarius, nicht aber der Jungermans erwähnt ist, hat er offensichtlich nicht verdient.

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HANS SACHS: NARRENSPIEL - NARRENSPIEGEL1 Von Wilhelm Richard Berger In Umberto Ecos Roman ,Der Name der Rose' kommt es zum Schluß, ehe die Benediktinerabtei mit ihren geheimnisvollen Bücherschätzen in Flammen auf­ geht, zu einem letzten großen Disput zwischen dem wahrheitssuchenden Fran­ ziskaner William von Baskerville und dem alten blinden Mönch Jorge von Burgos, einem fanatischen Fundamentalisten, der die Macht der Kirche gegen jede liberale und aufklärerische Anfechtung zu verteidigen sucht. Es geht um den verlorenen Teil der uns ja nur fragmentarisch überlieferten ,Poetik' des Aristo­ teles, von dem sich aber, so Ecos Fiktion, noch ein einziges Exemplar in einer spätantiken Handschrift des Klosters erhalten habe, sorgsam geschützt gegen neugierige Blicke; das Labyrinth der Bibliothek ist im Grunde nur angelegt, um jedem Unbefugten den Zugang gerade zu diesem Text zu verwehren. Er handelt vom Lachen und von der Narrheit des Menschen, und nach dem Dafür­ halten des greisen Eiferers ist das eine so brisante Konterbande, daß man sie um der christlichen Lehre willen vor der gemeinen Menge verborgen halten müsse. Auf Williams Frage, was ihn denn so schrecke am Lachen, das man ja nicht aus der Welt schaffen könne, indem man einen philosophischen Traktat darüber aus der Welt schafft, antwortet Jorge: Nein, gewiß nicht. Das Lachen ist die Schwäche, die Hinfälligkeit und Verderbtheit unseres Fleisches. Es ist die Kurzweil der Bauern, die Ausschweifung des Betrunkenen, auch die Kirche in ihrer Weisheit hat den Moment des Festes gestattet, den Karneval und die Jahrmarktsbelustigung, jene zeitlich begrenzte Verunreinigung zur Abfuhr der schlechten Säfte und zur Ablenkung von ande­ ren Begierden, anderem Trachten. Kurz, so fährt er fort, das Lachen bleibt etwas Nied­ riges und Gemeines, ein Schutz für das einfache Volk, ein entweihtes Mysterium für die Plebs. . . Statt euch aufzulehnen gegen die gottgewollte Ordnung, lacht lieber und ergötzt euch an euren unflätigen Parodien auf die Ordnung . . ., spielt eure verkehrten Saturna­ lien! . . . das hinterläßt keine Spuren, das vergeht wie der Karneval, und es schadet nicht viel, wenn sich kurzzeitig während des Festes auf Erden die Epiphanie der verkehrten Welt ereignet. . . Das Lachen befreit den Bauern von seiner Angst vor dem Teufel, denn auf dem Fest der Narren erscheint auch der Teufel als närrisch und dumm, mithin kon­ trollierbar. 2 *

1

2

Festvortrag aus Anlaß des 500. Geburtstages von Hans Sachs, gehalten am 5.11.1994 im Alten Rathaussaal der Stadt Nürnberg. Siehe auch die Beiträge von Dieter Borchmeyer und Franz Baur in diesem Band. Umberto Eco: Der Name der Rose. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber, München 51982, S. 602 f.

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All das kann die Kirche dem einfachen Volk gestatten, denn Lachen und Narrheit gehören zur menschlichen Natur, sind „Zeichen unserer Beschränkt­ heit als Sünder“3, und die göttliche Weltordnung kann dadurch nicht ins Wan­ ken gebracht werden. Aber — und das ist der Hauptpunkt in der flammenden Philippika des Mönchs — wenn ein Philosoph und jener heidnische Aristoteles zumal mit seiner unerhörten Autorität, der sich sogar schon die Heiligen und Päpste fügten - wenn dieser Philosoph gleichsam eine Wissenschaft vom La­ chen entwickelt hat, dann muß man sein Buch an die Kette legen, denn es be­ droht die geistliche und die weltliche Ordnung. Während die Verkehrung der gottgewollten Herrschaftsverhältnisse im fastnachtlichen Narrentreiben nichts ist als ein gelächtervolles Spiel und eine ungefährliche Illusion, könnte sich, so die Schreckensvision des Mönchs, eine Philosophie des Lachens zur theoreti­ schen Handreichung für den gesellschaftlichen Umsturz instrumentalisieren lassen. Es mag uns heute befremdlich anmuten, Lachen und Fastnachtsbelustigung in einen solch theologisch-politischen Zusammenhang gerückt zu sehen, aber es ist nicht so, als ob hier dem Autor Umberto Eco die dichterische Phantasie durchgegangen wäre. Was er dem alten Benediktinermönch des 14. Jahrhun­ derts in den Mund legt, ist keine Poetenerfindung, es fußt auf theologischen Debatten über Lachen und Narrheit, wie sie tatsächlich stattgefunden haben, und führt unmittelbar hinein in die Narrenliteratur des ausgehenden Mittelal­ ters und damit zugleich in die Welt des Hans Sachs. Die lange Agonie und der zuletzt dramatische Einsturz des mittelalterlichen Weltbildes, jene Kopernikanische Wende also, die den Menschen der narzißstischen Eitelkeit beraubte, Mittelpunkt der Schöpfung zu sein, hatte zugleich ein sprunghaftes Anwachsen der Narrenliteratur zur Folge. Die Welt, im Glauben des Mittelalters wohlge­ borgen im göttlichen Plan, war mit einem Mal in eine bestürzenden metaphy­ sische Schieflage geraten, und es war der Narr, der aus diesen verrutschten Weltverhältnissen wie der Teufel aus der Kiste hervorsprang. Die Narrenlitera­ tur als Gattung, der Narr als literarische Figur sind gleichsam Zerfallsprodukte des mittelalterlichen Weltbildes. Nicht, als ob es den Narren nicht vorher gegeben hätte: als Hofnarr, dessen Wiege im Orient stand, war er im Altertum, im Mittelalter und bis weit in die Neuzeit hinein überall an den Höfen vertreten — im Dienst von Sultanen und Kaisern, Päpsten und Bischöfen, Königen und Duodezfürsten. Er war eine in­ stitutionalisierte Figur des Hoflebens, ein fest angestellter Beamter fürs Lachen, der für seine Arbeit, nämlich Kurzweil zu verbreiten, und das Privileg, seinem

3 Ebd.,S. 604.

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Hans Sachs: Narrenspiel - Narrenspiegel

Herrn den Narrenspiegel der Wahrheit Vorhalten zu dürfen, gut besoldet wurde. Indes ist der Narr als Hofbeamter etwas anderes, als wenn die ganze Welt un­ ter das Szepter der Narretei gerät. Die Welt als Theatrum stultitiae, als ein ein­ ziges großes Narrentheater, dieser literarische Topos hat in der Tat das ganze 16. Jahrhundert in den Bann geschlagen. 1494, im Geburtsjahr des Hans Sachs, er­ schien Sebastian Brants ,Narrenschiff, das die Tradition der Narrenliteratur recht eigentlich begründet, ein Buch, immer wieder aufgelegt, in viele Spra­ chen übersetzt; vor Goethes ,Werther‘ hat kein Werk der deutschen Literatur einen solch unerhörten internationalen Erfolg gehabt.4 5 Brants ,Narrenschiff ist das Abbild der Welt, und die Reisegesellschaft, die sich in ihm zur tolldreisten Ausfahrt nach „Narragonien“ versammelt hat, ist das satirische Modell einer Gesellschaft, in der vom König bis zum Bettler und durch alle Stände und Berufe hindurch ausnahmslos alle in Narren verwandelt sind. Narrheit, im Mittelalter noch Zeichen des Außenseitertums, ist zum Aus­ druck einer höchst fatalen Gemeinsamkeit aller geworden. Nicht mehr der aus dünkelhafter Glaubenssicherheit heraus verspottete Out-cast ist der Narr, son­ dern wir alle sind es; Narrheit ist der menschlichen Natur so unfehlbar beige­ geben wie die Erbsünde, ja die Sünde selbst kommt als Narrheit daher, so wie die Narrheit nichts ist als die verlarvte und buntscheckig kostümierte Sünde. Es sind natürlich vor allem die sieben christlichen Haupt- und Todsünden, die Brant als die Wurzel der menschlichen Narrheit ausmacht: Hoffart, Wollust, Völlerei, Neid, Trägheit, Geiz und Zorn. Dazu gesellen sich Verstöße gegen die zehn Gebote, aber auch die vielen läßlichen Alltagstorheiten, mit denen wir uns so bequem arrangiert haben. Wenn aber die ganze Welt im Sittenverfall der universalen Narrheit zu ver­ sinken droht, so gibt es doch ein Mittel gegen sie: die Selbsterkenntnis, die Ein­ sicht in das Verkehrte und Närrisch-Fehlbare des eigenen Tuns. Wer die Kraft hat, in den Narrenspiegel zu sehen, den der Autor ihm vorhält, wer sich über­ windet, im verfratzten Zerrbild des Narrentums seiner selbst gewahr zu wer­ den, dem kann vielleicht geholfen werden: Dann wer sich für ein narren acht Der ist bald zä eym wisen gmacht?

4

Vgl. Hans Sachs Werke, hrsg. von Adeibert von Keller und Edmund Goetze, 26 Bde, Stuttgart 1870-1908, Bd. 26, S. 154. 5 Sebastian Brant: Das Narrenschiff. Nach der Erstausgabe (Basel 1494) mit den Zusätzen der Aus­ gaben von 1495 und 1499 sowie den Holzschnitten der deutschen Originalausgaben, hrsg. von Manfred Lemmer, Tübingen 31986, S. 4.

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Brants ,Narrenschiff war das Werk eines humanistisch gebildeten Juristen. Der Autor hatte das Buch vermutlich zunächst als eine Folge von losen Flug­ blättern geplant, d. h. ihm war es an Breitenwirkung gelegen, wofür vor allem die reichen Holzschnittillustrationen sprechen, mit denen er auch die große Masse der Analphabeten erreichen konnte. Auch Hans Sachs hat das Thema der Narrheit in mehreren in Flugschriftform herausgekommenen Spruchgedichten behandelt, was aber die Rezeption durchs einfache Publikum angeht, so stand ihm im Gegensatz zu Brant eine sehr wirkungsvollere Gattung zur Verfügung, das im städtischen Brauchtum verwurzelte Fastnachtspiel6. Das Fastnachtspiel gibt dem Narren die rechte Bühne für seinen Auftritt; hier darf er sich produ­ zieren und ungehemmt auslassen, mit seinen Dreistigkeiten und Drolerien, sei­ nem derben Witz und den drastischen Effekten, die er der Situationskomik ab­ zugewinnen weiß; der Narr ist der geborene Schauspieler. Die ins Närrische verkehrte Welt im ,Lob der Torheit4 des Erasmus von Rotterdam, diesem ver­ gnüglich-tiefsinnigsten Buch über die Narrheit überhaupt, mag uns in eine heitere Stimmung, ja geradezu in den Zustand philosophischer Kontemplation versetzen, aber das Lachen als elementarer Ausdruck auch der unbewußten Triebregungen unserer Psyche bedarf schon derberer Kost und schärferer Sti­ mulanzien, und die hatte das Nürnberger Fastnachtspiel schon vor Hans Sachs reichlich zu bieten. Hans Sachsens Vorgänger in Nürnberg waren der Rotschmied und Büchsen­ macher Hans Rosenplüt und der Barbier und Meistersinger Hans Folz; die mei­ sten der anonym überlieferten Spieltexte dürften von ihnen stammen. Inhalt, Charakter, Stil, Umfang und Personenzahl: all das war auf das alljährliche Fast­ nachtsbrauchtum zugeschnitten. Die Schauspieler waren zumeist junge Hand­ werker, als Aufführungsstätten dienten bis 1550 in der Regel Wirtsstuben, in denen sich die umherziehenden Trupps einfanden und ohne Kulissen und große Requisiten vor dem zechenden Publikum ihre Stücke zum besten gaben. Un­ terhaltungsware und Volkstheater mithin, die Aufführungsdauer währte höch­ stens eine halbe Stunde, Publikumsanreden waren vonnöten und beliebt, der Plot mußte handfest und übersichtlich sein, das dramatische Geschehen war auf einen Akt zusammengedrängt, und im Durchschnitt kam man mit drei bis 6

Zum Fastnachtspiel vgl. vor allem Eckehard Catholy: Das Fastnachtspiel des Spätmittelalters. Ge­ stalt und Funktion, Tübingen 1961; Werner Lenk: Das Nürnberger Fastnachtspiel des 15. Jahr­ hunderts. Ein Beitrag zur Theorie und zur Interpretation des Fastnachtspiels als Dichtung, Berlin 1966; Dietz-Rüdiger Moser: Fastnacht und Fastnachtspiel. Zur Säkularisierung geistlicher Volks­ schauspiele bei Hans Sachs und ihrer Vorgeschichte, in : Horst Brunner, Gerhard Hirschmann und Fritz Schnelbögel (Hrsg.): Hans Sachs und Nürnberg. Bedingungen und Probleme reichsstädti­ scher Literatur, Nürnberg 1976, S. 182-218; Dieter Wuttke: Versuch einer Physiognomie der Gat­ tung Fastnachtspiel, in: Dieter Wuttke (Hrsg.) : Fastnachtspiele des 15. und 16. Jahrhunderts, Stuttgart41989, S. 441-461.

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sechs Schauspielern aus; bei Hans Sachs sind elf, dreizehn oder gar siebzehn dramatis personae die Ausnahme. Den Aufführungsbedingungen entsprach der Charakter der Stücke. Hand­ lungsstarker Realismus, kleinbürgerliche Konfliktsituationen, ungeschlachte Komik, Grobianismen, drastische Obszönität und jene interessanten Spezialitä­ ten aus dem Gebiet der Fäkalsphäre, für die ein Wirtshauspublikum immer dankbar empfänglich ist — all das gehört zum Arsenal des Fastnachtspieles. Hans Sachs hat sich des Vorgefundenen Repertoires bedient; auch bei ihm kom­ men skatologische Derbheiten mit derselben unbefangenen Direktheit vor, wie wir sie etwa von Luther und aus der gesamten spätmittelalterlich-frühneuzeit­ lichen Literatur kennen. Dennoch hat Hans Sachs gerade das bei seinen Vorgängern noch massiv vor­ handene obszöne und fäkalische Element zurückzudrängen versucht, aus eige­ ner Moralüberzeugung gewiß, aber auch im Hinblick auf die Ratszensur, die alle zur Aufführung vorgesehenen Stücke vorher darauf überprüfte, ob sie nicht etwa der Erregung öffentlichen Ärgernisses dienen könnten. Was weiter hinzukam bei ihm, war die obligate Formel zur moralischen Nutzanwendung. So einfaltig, so grob gekantet, so gezielt auf ihren komischen Unterhaltungswert zugeschnitten die Stücke immer sein mochten, sie hatten gleichwohl Exempelcharakter: nie fehlte der Appell ans Publikum, sich auch den einfältigsten Schwank noch zur sittlichen Ermahung dienen zu lassen. Hat­ ten die Fastnachtspiele des katholischen Nürnberg noch vor allem eine Art so­ zialer kathartischer Funktion, indem sie nämlich das Bedürfnis des Volks, sich wenigstens einmal im Jahr ungehemmt aus den Zwängen des Alltags zu lösen, auf stellvertretende Weise befriedigten, so folgten die Fastnachtspiele des Hans Sachs bei aller genuinen Komik gewissermaßen einer protestantisch geprägten, volkserzieherischen Idee, die Unterhaltung ohne lehrhafte Unterweisung nicht mehr zuließ. Die ersten beiden Fastnachtspiele des Dichters entstanden umittelbar nach seiner Rückkehr von der Gesellenfahrt, in den Jahren 1517 und 1518, darunter ,Das Hofgesindt Veneris', mit dreizehn Personen nicht nur eines der figuren­ reichsten Stücke, sondern interessant vor allem im Hinblick auf den Versuch, städtisches Brauchtum und literarische Überlieferung miteinander zu ver­ schmelzen. Das Stück greift auf das Tannhäuser- und Venusbergmotiv zurück und läßt allein dadurch schon ehrgeizigeren künstlerischen Anspruch erkennen als den der bloßen Fastnachtsbelustigung. Die dramatische Struktur freilich ist noch ganz geprägt von den älteren Vorbildern. Statt dramatischer Konfliktspannung gibt es eine Art Reihenspieltechnik, d. h. eine revueartig verknüpfte Folge von

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Einzelszenen, in denen die Schauspieler auftreten, ihren Part sprechen und wie­ der abgehen. Der hölzern-stereotype Aufzug der Figuren wird vom getreuen Eckart, dem Tannhäuser und der Frau Venus selbst angeführt und stellt einen repräsentativen Querschnitt der Gesellschaft dar. Ritter, Doktor, Bürger, Bauer, Landsknecht, Spieler, Trinker, Jungfrau und Fräulein: Sie alle wähnen sich ge­ gen die Pfeile der Venus gefeit, alle aber, gleich welchen Standes, Alters und Geschlechts, erliegen ihrer Macht. Das Stück endet mit einer Ansprache der Frau Venus an ihr neu erworbenes Hofgesinde, in welcher sie überschwenglich die Freuden und Herrlichkeiten ihres Reichs preist. Höchst ungewöhnlich für Hans Sachs, daß er hier, in seinem ersten Theaterstück überhaupt, auf die explizite moralische Nutzanwendung, mit der er später all seine dramatischen Versuche in formelhafter Routine ab­ schließt, völlig verzichtet. Wohl möglich, daß er danach selbst zu der Einsicht kam, einem Publikum wie dem seinen dürfe er einen derart offenen und mißverständlichen Schluß nicht zumuten. Freilich macht die Handlung ja evident, daß das Schlußwort der Venus nur als eine ironische Apotheose des Hörselbergs zu verstehen ist. Das ,Hofgesindt Veneris' soll nicht für das Reich der Sinne werben, sondern vielmehr vor ihm warnen. Hans Sachs zeigt den dämonischen Zauber der Venusminne und führt exemplarisch an den verschiedenen Repräsentanten der Gesellschaft vor, wohin die Triebverfallenheit den Menschen bringen kann. Jene „böse Lust“, wie sie Wagners Tannhäuser im Venusberg genießt und sodann abbüßt, bevor ihm mit Hilfe des Romwunders Erlösung zuteil wird, ruiniert bei Hans Sachs die soli­ den Existenzen von Bauer, Bürger und Gelehrtem: Vom Venuszwang besessen, wirft der eine seinen Dreschflegel hin, der andere verliert sein Geld und Gut, der Doktor gibt seine Bücher und geliebten Studien auf, verblendete und hörige Toren sie alle, von der Liebesgöttin zuletzt am Narrenseil in den Venus­ berg abgeführt. Der Unterschied zum älteren Nürnberger Fastnachtspiel ist deutlich. Dort ging es um derbe Unterhaltung, die im Rahmen des Brauchtums der Lust des Menschen an der animalischen Mitgift seiner Natur eine sozial erwünschte Triebabfuhr gestattete. Hans Sachs hingegen gestaltet schon in seinem ersten Stück ein Thema von allgemeinem Interesse, das über das bloß Schwankhafte entschieden hinausgeht. Die Gefährlichkeit der Venusminne, ihr bedrohlicher, die Existenz des ihr Verfallenen womöglich zerrüttender Charakter — das war ein aus der Antike, speziell von Ovid übernommenes Thema, das schon das frühe Hochmittelalter fasziniert und dann in Gottfrieds Versepos von »Tristan und Isolde' seine unver­ gleichliche geistige Gestalt gewonnen hatte. Ein ernsthaftes Thema mithin, ei160

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gentlich ungeeignet für ein Fastnachtspublikum im Wirtshaus, und gewiß hat es Hans Sachs, auch nach Maßgabe seiner eigenen Fähigkeiten, auf den Erwar­ tungshorizont seiner Zuschauer zugeschnitten, ebenso gewiß aber ist er auch darüber hinausgegangen. Neu bei ihm ist das sehr viel stärkere Hervortreten eines ideologischen Ele­ ments. Unterhaltend sollten seine Spiele sein, sie sollten das Publikum zum La­ chen bringen, es zugleich aber belehren und erziehen. Moralischer Appell, di­ daktische Intention, sozialpädagogische Tendenz — das ist der Hauptzug, der sich in der Schwank- und Fastnachtspielproduktion des Hans Sachs mit der Zeit immer deutlicher ausprägt, charakteristisch nicht nur für dieses Genre, sondern für sein gesamtes Werk überhaupt. Das von der Renaissance neu be­ lebte poetologische Prinzip der Antike, die Doppelformel vom „prodesse et delectare“, vom „utile und dulce“ — Hans Sachs hat es sich auf seine Weise ange­ eignet. Das ,Hofgesindt Veneris4 unterhält, indem es den komischen Aufzug der Liebesnarren, die sich von Frau Venus ins Verderben abschleppen lassen, dem Gelächter des Publikums preisgibt, es belehrt zugleich, indem es die Ve­ nusminne als dämonisch betörende Verzauberung, als Liebswahn diagnosti­ ziert, von dem man sich fernhalten muß, soll es einem nicht so gehen wie den zur abschreckenden Belustigung vorgeführten Figuren des Spiels. Venusminne, das ist die außereheliche, die von der gesellschaftlichen Moral nicht gebilligte, von der Kirche nicht abgesegnete Liebe: es ist die Liebe als schiere Wollust, als schändliche Buhlerei, sie ist - ganz im Sinne des späten Mittelalters - Narrheit als eine der sieben christlichen Hauptsünden. Die Belehrung wird also am Negativbeispiel exemplifziert, und in der Tat er­ weist sich die Didaktik in den Fastnachtspielen des Hans Sachs als eine negative Didaktik. Demonstrativ führen die Spiele Laster vor, die es zu meiden gilt, und befinden sich damit in völliger Übereinstimmung mit der von Kirche und welt­ licher Obrigkeit erwünschten Ventilfunktion des Fastnachtstreibens, die eben darin bestand — und es sei erlaubt, noch einmal den alten Mönch aus Ecos Ro­ man zu zitieren —, durch eine zeitlich begrenzte Verunreinigung zur Abfuhr der schlechten Säfte und zur Ablenkung von anderen Begierden, anderem Trachten zu dienen. Dennoch hat sich das Nürnberger Fastnachtspiel seit seinen Anfängen nicht in den Dienst religiöser Sanktionen nehmen lassen, indem es etwa mit der Androhung der Höllenstrafe und ähnlichem operiert hätte. Wenn es menschli­ che Triebverfallenheit und Kreatürlichkeit vorführt, so eben nicht predigend und drohend, sondern indem es, nach dem Wort des Horaz7, lachend die Wahr­ heit sagt. Die Strafe trifft nicht den Sünder, sondern den Narren, nicht die Sünde, sondern den Fehler, das falsche Verhalten; nicht die Hölle ist der 7

Sat. 11,24.

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Bußort, sondern die Welt selbst, in welcher der Narr mit dem Schaden zugleich den Spott davonträgt. Die „Sünden“, die das Fastnachtspiel genüßlich abstraft, sind nicht in der Transzendenz, sie sind in der Immanenz der Welt verwurzelt. Bei Hans Sachs ist die negative Didaktik freilich nur die eine Seite der Me­ daille, komplementär geht aus ihr eine affirmative Didaktik hervor. Gewiß, der Auftrieb der Narren in den Fastnachtspielen entlarvt den Menschen in seiner triebgebundenen Lächerlichkeit, doch dient er zugleich als Kontrastfolie zu ei­ ner Tugendpropaganda, die Hans Sachs, im Großteil seiner Fastnachtspiele und anders als noch im ,Hofgesindt Veneris', in erbaulich-handfeste Beschlußfor­ meln verpackt hat. In ihnen preist er Fleiß, Arbeitsamkeit, Genügsamkeit, Mäßigkeit, Sittsamkeit, Zucht, Treue, Ehrbarkeit, Redlichkeit, Anstand und Vernunft — es ist der ganze Tugendkatalog frühbürgerlicher Moral Vorstellungen, der sich aus dem Zerrspiegel der Fastnachtspiele zuletzt als moralische Maxime entziffert. Die verkehrte, die närrische Welt ist das Inversionsmodell der richtigen und erstre­ benswerten. Sich in ordentlichen Verhältnissen redlich, fleißig und zufrieden zu arrangieren, das war die Botschaft, die Hans Sachs diesen in der städtischen Folklore verhafteten Stücken mitgab. Im drastischen Bühnengeschehen konnte sich jeder selbst wiedererkennen, jeder konnte lachen über sich selbst, indem er sich mit den komischen Figuren des Spiels identifizierte, doch im Lachen wurde er zugleich belehrt über die eigenen Fehler und Fehlbarkeiten, und in der treuherzig formulierten Schlußmoral durfte er eine Weisheit mit nach Haus tragen, die über den schnell verfallenden Gebrauchswert dieser Stücke doch entschieden hinausging. Ein gutes Beispiel ist ,Das Narren-Schneiden‘, bis heute eines der meistgespielten Stücke des Genres, nobilitiert dadurch, daß Goethe es 1776 durch das Liebhabertheater des Weimarer Hofes zur Aufführung brachte. Das Stück ist nach heutigem Verständnis nicht mehr als ein komischer Sketch mit drei auf­ tretenden dramatischen Figuren. Der Kranke, begleitet von seinem Knecht, er­ scheint beim Arzt und klagt über seine entsetzlichen Bauchschmerzen, der Arzt kommt durch Urinbeschau zu der Diagnose, daß es sich hier um einen Fall von schwerer Narrenkrankheit handeln müsse, der die sofortige Notoperation erfor­ dert. Auf offener Bühne wird dem Patienten der Bauch aufgeschnitten, ohne Narkose, denn der Chirurgus und der Operierte unterhalten sich während der Arbeit ganz munter miteinander, weil es ja einen dramatischen Dialog geben muß, der aus mehr besteht als aus solch rudimentären Dialogfetzen wie Tupfer, Schere und Skalpell. Der Arzt fördert aus dem Bauch des Operierten sieben ver­ schiedene Narrheiten zutage, es sind — wen wundert es — die sieben ins Närri­ sche verkörperten Todsünden. Der Kranke, der sich hier unter das Messer legt, 162

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ist der Mensch selbst, der sich an seinen Sünden vollgefressen hat und den nun ein gewiß marktschreierischer, aber zugleich kluger und wohlmeinender Arzt davon befreit. Die Anknüpfung an das Narrenkonzept des Sebastian Brant ist evident, und dieser intertextuelle Bezug wird im Stück ausdrücklich formu­ liert. Der Arzt zieht zuletzt noch ein ganzes wimmelndes Nest voller junger Narren aus dem Bauch des Patienten hervor : Summa summarum, wie sie nannt Doktor Sebastianus Brant, ln seinem Narrenschiff zu fahren .8

In seinem krudem Naturalismus, mit Harnbeschau und Operation auf offe­ ner Bühne, ja sogar, zwecks Erstellung der Diagnose, dem Trinken des eigenen Brunnens durch den Patienten, erinnert das Stück sehr an das frühe Nürnberger Fastnachtspiel, etwa an das ,Arztspiel‘ des Hans Rosenplüt. Man fragt sich, wie die schönen und empfindsamen Seelen der Weimarer Gesellschaft solch drasti­ sche Handwerkerbelustigung wohl aufgenommen haben mögen. Goethe hat es jedenfalls gewagt, dem höfischen Publikum dieses Stück zuzumuten, Zeichen der außerordentlichen Wertschätzung, die er dem Werk des Schusters entge­ genbrachte. Der Schlußapostrophe des Arztes ad spectatores durfte indes auch eine Höflingsgesellschaft des 18. Jahrhunderts beifällig zustimmen, vielleicht wohl auch die festlich gestimmte Gesellschaft, die sich heute morgen zu Ehren des Hans Sachs hier versammelt hat. Im ,Narren-Schneiden‘ verkündet der Arzt zuletzt sein erbauliches „fabula docet“: Ein jeglicher, dieweil er lebt, Laß er sein Vernunft Meister sein Und reit sich selb im Zaum gar fein Und tu sich fleißiglich umschauen Bei reich und arm, Mann und Brauen, Und wem ein Ding übel ansteh, Daß er desselben müßig geh, Nach weiser Leute Lehr und Rat ! Zu Rfand setz ich ihm Treu und Ehr, Daß alsdenn bei ihm nimmermehr Gemeldter Narren keiner wachs, Wünscht euch mit guter Nacht Hans Sachs.9

Ich wünsche Ihnen, meine verehrten Damen und Herren, ich wünsche uns allen einen guten Tag mit Hans Sachs. 8 9

Hans Sachs: Werke in zwei Bänden. Auswahl, Einleitung und Anmerkungen von Reinhard Hahn, Berlin und Weimar 1992, Bd. 1, S. 28. Ebd., S. 30.

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JETZT SCHAUN WIR, WIE HANS SACHS ES MACHT“: GOETHE - LORTZING - WAGNER1 Von Dieter Borchmeyer Da steti ich in der Fremde ganz allein; Wer weist mich an? Wer führt mich ein? Wer sagt mir, welch ein Geist hier waltet?

Doch seh ich hier die weiten edlen Kreise Versammelt aufmerksamer stiller Weise; Ich höre kaum ein leises Atemholen, Und daß ihr da seid, zeigt, ich hin empfohlen.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren! Von den Versen, die ich da soeben zitiert habe, muß ich mich gleich ein wenig distan­ zieren. Ich fühle mich durchaus nicht in der Fremde ganz allein. Und die Frage „Wer führt mich ein?“ wäre angesichts der liebenswürdigen Einführung durch Herrn Bergfeld2 ganz einfach unziemlich, und so darf ich wohl mit Recht sagen: „Ich bin empfohlen“. Den Deutschen geschah gar viel zu Lieb’: Als man eintausendfünfhundert schrieb, Ergab sich manches zu Nutz und Ehren, Daß wir daran noch immer zehren. Und wer es einzeln sagen wollte, Gar wenig Dank verdienen sollte, Da sich’s dem Vaterland zu Lieb Schon tief in Geist und Herzen schrieb. Doch weil auf unsern deutschen Bühnen Man preist ein löbliches Erkühnen, So führen wir vor Aug und Ohr Euch heut einen alten Dichter vor. Derselbe war nach seiner Art Mit soviel Tugenden gepaart, 1 Festvortrag aus Anlaß des 500. Geburtstages von Hans Sachs, gehalten am 5.11.1994 im Alten Rat­ haussaal der Stadt Nürnberg. Siehe auch die Beiträge von Wilhelm Richard Berger und Franz Baur in diesem Band. 2 Dipl. Ing. Wolfgang Bergfeld, Richard-Wagner-Verband Nürnberg.

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Daß er bis auf den heu?gen Tag Noch für’n Poeten gelten mag, Wo deren doch unzählig viel Verderben einer des andern Spiel.

An Ihren versonnenen Gesichtern, meine Damen und Herren, sehe ich, daß Sie darüber nachgrübeln, was ich denn da eigentlich rezitiere. Sie werden es kaum erraten. Und obwohl ich nicht daran zweifle, daß jeder von Ihnen eine vortreffliche Goethe-Ausgabe im Bücherschrank stehen hat und diese weitge­ hend gelesen,wenn nicht memoriert hat, bin ich doch sicher, daß Ihnen die Verse, die ich soeben vorgelesen habe, unbekannt sind. Um Poesie von Goethe handelt es sich also in der Tat, aber Sie gehen ganz richtig in der Annahme, daß die zitierten Verse gar nicht in seinem berühmten Gedicht ,Hans Sachsens poe­ tische Sendung' aus dem Jahre 1776 stehen, das Sie selbstverständlich im Kopf haben. Mit dieser fingierten »Erklärung eines alten Holzschnittes' (so beginnt der Titel des Gedichts) hat der junge Goethe nach langer Schmach der Verken­ nung, ja der höhnischen Mißachtung des Nürnberger Meisters dessen ruhmrei­ che Wirkungsgeschichte eingeläutet. Auf ,Hans Sachsens poetische Sendung' beziehen sich aber auch die von mir (re)zitierten Verse. Lassen Sie mich das er­ klären. Im Jahre 1828 setzte der Berliner Intendant Graf Brühl das ein Jahr zuvor im Druck erschienene „dramatische Gedicht“ »Hans Sachs' von Johann Ludwig Deinhardstein auf den Spielplan des Königlichen Schauspielhauses. Deinhardstein war ein Wiener Bonvivant und Beamtenschriftsteller, der sich nachmals als Direktor des Burgtheaters und gleichzeitiger Zensor der Wiener Polizeihof­ stelle seine Sporen verdiente — ein beflissener Kulturfunktionär des MetternichStaates. Deinhardstein hatte seinem Stück einen Prolog vorangestellt, der dem Grafen Brühl nicht gefiel, und deshalb wandte dieser sich an Goethe mit der Bitte, statt des Deinhardsteinschen Prologs seine »Erklärung eines alten Holz­ schnittes vorstellend Hans Sachsens poetische Sendung' rezitieren lassen zu dürfen. Goethe war gerührt, sein altes Gedicht wieder ins Gedächtnis zurück­ gerufen zu finden, und erklärte sein Einverständnis, ja er bot von sich aus an, die »Erklärung eines alten Holzschnittes' zu besserem Verständnis des Publi­ kums mit einer Einleitung zu versehen, die ein „Meistersänger“ in historischer Tracht als Prologus sprechen sollte. Sie bezog sich im Grunde mehr auf Goethes eigenes Gedicht — das im Anschluß an den Prolog von Eduard Devrient rezi­ tiert wurde - als auf den literarisch ziemlich dürftigen »Hans Sachs' von Dein­ hardstein. Dieser hat gleichwohl Goethes Prolog zusammen mit seinem eige­ nen dem Abdruck des Stücks im sechsten Band seiner »Gesammelten dramati­ schen Werke' (1853) selbstgefällig beigefügt. Aus Goethes Einleitung also stammen die Verse, die ich Ihnen soeben vorgetragen habe.

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Haas Sachs war zu seiner Zeit, ja noch einige Jahrzehnte nach seinem Tode ein viel gelesener und aufgeführter Autor. Daß er im Barock fast mit einem Schlage in Vergessenheit geriet, hängt mit der neuen poetologischen Orientie­ rung dieser Epoche zusammen, die auf humanistische Gelehrsamkeit und Formmodelle romanischer Provenienz setzte. Da war für die biderbe Poesie ei­ nes Nürnberger Handwerkers kein Platz mehr. Hans Sachsens Vergessenheit war jedoch immer noch besser als der Spott, den im 18. Jahrhundert die frühe Aufklärung mit seiner vermeintlich bornierten Kunstausübung trieb. Aus die­ ser Zeit stammen die Ihnen allen bekannten Verse, welche die Knittelversreimerei des dichtenden Schusters zum Gespött machen sollten: Hans Sachse war ein Schuh­ macher und Poet dazu. Daß diese so häufig zitierten Verse ursprünglich als reine Spottverse gedacht waren, hat man inzwischen vergessen — vor allem seit Richard Wagner sie in den ,Meistersingern von Nürnberg' Sachs selber in den Mund gelegt hat — als Schlußverse seines Lieds „Als Eva aus dem Paradies/ von Gott dem Herrn ver­ stoßen“. In Albert Lortzings Oper ,Hans Sachs' (1840), deren Libretto eine sehr freie Bearbeitung von Deinhardsteins „dramatischem Gedicht“ darstellt, ver­ wendet Sachsens Nebenbuhler, der Ratsherr Eoban Hesse, jene Verse noch ganz in ihrem ursprünglich herabsetzenden Sinne, freilich auf Sachsens Lehrbuben Görg bezogen, der ebenfalls dichtet: Dann seid Ihr ja ein Schuh- / Macher und Poet dazu, bemerkt Eoban mit Spott. Görg antwortet seinerseits ironisch auf diesen Spottreimvers: Ei, ei, ei, ei, das war sehr fein, / Zu brauchen auf’nen Leichenstein. Es war die Zeit des Sturm und Drang, die nach dem Verwelken einer franzö­ sierenden Aufklärungspoetik den Boden bereitete für die neue, positive Sicht Hans Sachsens. Im Rahmen seiner Zuwendung zur Welt und zur Dichtung des 16. Jahrhunderts, in deren volkstümlich-kraftvoller Sprache er eine Alternative zur anämischen, späthöfisch-klassizistischen Literatur suchte, entdeckte Goethe den verachteten Schuhmacher-Poeten wieder, knüpfte mit seinen dramatischen Farcen und Hanswurstiaden wie dem Jahrmarktsfest zu Plundersweilern', dem ,Fastnachtsspiel vom Pater Brey' oder dem ,Satyros‘ an Sachsens Dramentypus an und widmete seinem Andenken jene »Erklärung eines alten Holzschnitts', deren Spuren bis in Wagners »Meistersinger' zu verfolgen sind. Dort ist es Hans Sachs selber, der auf Goethes Verbannung aller Verächter des Meisters in den Froschpfuhl anzuspielen scheint, wenn er seine Schlußansprache mit der Mah­ nung beginnt: Verachtet mir die Meister nicht / und ehrt mir ihre Kunst! Goethes Gedicht erschien aus Anlaß des 200. Todestages von Hans Sachs 1776 in Wielands Zeitschrift ,Der Teutsche Merkur', und der Herausgeber sel­ ber steuerte eine biographische Skizze unter dem Titel »Zugabe einiger Lebens­ umstände Hans Sachsens' bei. Damit war dieser literarisch nobilitiert. Wer 167

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hätte zu Beginn des 18. Jahrhunderts ahnen können, daß die als absoluter Tief­ punkt der deutschen Literaturgeschichte verhöhnte Knittelverspoesie des Nürnberger Schuhmachers am Ende des Jahrhunderts ausgerechnet das Modell der ersten Szene des Gipfelwerks der deutschen, ja der modernen Welt-Litera­ tur bilden würde: Wir reden von Goethes ,Faust' und dem Eingangsmonolog des Titelhelden. Der von Hans Sachs übernommene Knittelvers bilde die Basis für das „ungeheuer Volkstümliche“ des ,Faust', äußert Richard Wagner einmal in einem Gespräch mit Cosima am 13. Dezember 1878. Die Synthese des Po­ pulär-Naiven mit dem Sublimen gebe Goethes Weltdichtung ihr unvergleich­ liches Gepräge, schreibt Wagner schon in seinem Aufsatz »Über Schauspieler Sänger' (1872). Der „Wunderbau . . ., den Goethe auf jenem sogenannten Knit­ telvers aufführte“, in dem sich seine Poesie mit der „rohen Kunst unseres alten Volksdichters Hans Sachs“ begegne, scheine die „Grundlage vollendetster Po­ pularität nie zu verlassen, während er sich auf ihr bis in die höchste Kunst der antiken Metrik schwingt“. Bereits in seiner autobiographischen Rechtfertigungsschrift »Eine Mittei­ lung an meine Freunde' (1851) hat Wagner Sachs als „die letzte Erscheinung des künstlerisch produktiven Volksgeistes'' bezeichnet. Wagner selbst hat aus diesem Grunde die „rohe Kunst“ des Nürnberger Meisters in gewisser Weise zur stofflichen Basis seines Musikdramas gemacht. Der Dichter der Venus-, Tri­ stan- und Siegfried-Stücke (die in Wagners Dresdener Bibliothek gestanden ha­ ben) betritt in den ,Meistersingern' schließlich persönlich die Bühne, spielt auf sein „traurig Stück“ von Tristan und Isolde an und wird im „Wacht’ auf'-Chor in seinen eigenen Versen gefeiert. Wie sehr dieser Hans Sachs aus dem Geiste Goethes, nämlich seines Gedichts ,Hans Sachsens poetische Sendung' gebildet ist, das hat schon Hugo von Hofmannsthal in seiner liebevollen ,MeistersingerHuldigung im Brief an Richard Strauss vom 1. Juli 1927 eindrucksvoll belegt: „Das Geistige, das den Hans Sachs umwittert, und das Nationale zugleich, das Repräsentative, das dankt Wagner Goethes wunderbarer Interpretation der Sachs-Gestalt. . .; auch die beiden allegorischen Frauengestalten des Preisliedes finden Sie darin schon vorgebildet — die Muse als das humanistische Element, und ihr gegenüber das schlicht-häusliche sinnennahe der Seele, in einem Weib verkörperte Wesen.“ Dieses Weib spricht den Meister mit Worten an, deren Reflex wir in im „Wahn“-Monolog von Wagners ,Sachs' fast wörtlich wiederfinden werden: Ich hab’ dich auserlesen Vor vielen in dem Weltwirr-Wesen, Daß du sollst haben klare Sinnen, Nichts Ungeschicklichs magst beginnen.

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Hans Sachs: Goethe, Lortzing, Wagner

Wenn andre durcheinander rennen, Sollst du’s mit treuem Blick erkennen; Der Natur-Genius an der Hand Soll dich führen durch alle Land. Soll dir zeigen all das Leben, Der Menschen wunderliches Weben, Ihr Wirren, Suchen, Stoßen und Treiben, Schieben, Reißen, Drängen und Reiben, Wie kunterbunt die Wirtschaft tollert, Der Ameishäuf durcheinander kollert! Mag dir aber bei allem geschehn, Als tatst’s in ein’m Zauberkasten sehn. Schreib das dem Menschenvolk auf Erden, Ob’s ihnen möcht’ zur Witzung werden.

Ist das nicht schon der Wirbel der Johannisnacht im zweiten Aufzug der ,Meistersinger' und die Lehre, die Sachs in seinem Monolog zu Beginn des drit­ ten Aufzugs daraus zieht? Mann, Weib, Gesell’ und Kind fällt sich da an wie toll und blind; und will’s der Wahn gesegnen, nun muß es Prügel regnen, mit Hieben, Stoß’ und Dreschen den Wutesbrand zu löschen. Jetzt schaun wir, wie Hans Sachs es macht, daß er den Wahn fein lenken kann.

Bei Wagner waltet ein feingesponnener Beziehungszauber zwischen der hi­ storischen Gestalt des Hans Sachs und seinen Schauspielen, seiner poetischen Deutung durch Goethe und dessen poetischer Anknüpfung an die „rohe Kunst“ des Nürnberger Meisters, der Wagnerschen Dramatisierung von Stoffen, die einst auch Sachs bearbeitet hat, und der Vertonung von dessen eigenen Versen bis hin zu seiner Beschwörung als dramatische Gestalt, in der sich Historisches, Goethesches und Wagnerisches untrennbar vermischen. „Worauf der große Reiz und die große Kraft der »Meistersinger' (rein als Dichtung genommen) beruhen, wodurch sich dieses Werk noch über alle ande­ ren Werke dieses einzigartigen Mannes heraushebt“, schreibt Hofmannsthal an Strauss, das sei die unvergleichliche Beschwörung Nürnbergs als des Hinter­ grunds und der alle Handlungsfäden zusammenführenden Seele dieser Oper.

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Der Nürnberg-Mythos der deutschen Romantik verschmelze hier mit den von Wagner in »Mein Leben' „genau und unvergeßlich“ erzählten eigenen Erlebnis­ sen inklusive der nächtlichen Prügelei und des Nachtwächters, der die Ruhe wiederherstellt. „Dieses Stadtganze“, so weiter Hofmannsthal, „wie es in den dreißiger Jahren [des neunzehnten Jahrhunderts] noch unverderbt dastand, die deutsche bürgerliche Geistes-, Gemüts- und Lebenswelt von 1500 nicht bloß widerspiegelnd, sondern wahrhaft vergegenwärtigend, das war eines der großen entscheidenden Erlebnisse der Romantik, von Tieck, Wackenroders »Herzens­ ergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders' mit der Dürergestalt im Hintergrund, über Arnims [Achim und Bettina] und E. T .A. Hoffmann zu dem Vollender der Romantik Richard Wagner.“ In den von Hofmannsthal erwähnten »Herzensergießungen' von Wackenro­ der und Tieck findet sich, und zwar im »Ehrengedächtnis unseres ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers' eine Huldigung an das vergangene Nürnberg, die auch Hans Sachs einschließt. Nürnberg! du vormals weltberühmte Stadt! Wie gerne durchwanderte ich deine krummen Gassen; mit welcher kindlichen Liebe betrachtete ich deine altvaterischen Häuser und Kirchen, denen die feste Spur von unsrer alten vaterlän­ dischen Kunst eingedrückt ist! Wie innig lieb ich die Bildungen jener Zeit, die eine so derbe, kräftige und wahre Sprache führen! Wie ziehen sie mich zurück in jenes graue Jahrhundert, da du, Nürnberg, die lebendigwimmelnde Schule der vaterländischen Kunst warst und ein recht fruchtbarer, überfließender Kunstgeist in deinen Mauern lebte und webte: — da Meister Hans Sachs und Adam Kraft, der Bildhauer, und vor allen Albrecht Dürer mit seinem Freunde Willibaldus Pirckheimer und so viel andre hochgelobte Ehren­ männer noch lebten! Wie oft hab ich mich in jene Zeit zurückgewünscht!

Sätze wie diese klingen nach in Sachsens Liebeserklärung an „sein“ Nürnberg im „Wahn“-Monolog der »Meistersinger'. Und wenn Wackenroders „Kloster­ bruder“ sich erinnert, wie er in deinen ehrwürdigen Büchersälen, Nürnberg, in einem engen Winkel, beim Dämmerlicht der kleinen rundscheibigen Fenster saß und über den Folianten des wackeren Hans Sachs . . . brütete, so ist es bei Wagner zu Beginn des dritten Aufzugs Hans Sachs selbst, der vor sich auf dem Schoße einen großen Foli­ anten hat und im Lesen vertieft ist. Der Wagnersche Sachs hat gewissermaßen

schon die »Herzensergießungen eines empfindsamen Klosterbruders' gelesen und betrauert wie dieser das Schwinden der vaterländischen Kunst. Vor dem Hintergrund des von Goethe vorbereiteten romantischen Nürn­ berg-Mythos und der in ihn eingeschriebenen „vaterländisch“-volkstümlichen Züge nimmt sich nun recht eigentümlich aus, was Deinhardstein im Vorwort zum sechsten Band seiner »Dramatischen Werke' schreibt. Er erteilt diesem My­ thos nämlich eine recht schnöde Abfuhr — typisch für die kulturelle Situation in Wien, wo die literarische Romantik nie eine rechte Heimstatt hatte. Deinhard­ stein wehrt sich gegen den Vorwurf der Kritiker, er habe zu wenig Rücksicht auf 170

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die so vielfach gerühmte „bürgerliche Größe Nürnbergs“ genommen, mit dem Argument, sie werde ebenso überschätzt wie die poetische Bedeutung des Mei­ stersangs. „Was die Dichtkunst betrifft, war sie in Nürnberg zu jener Zeit, in welcher das Stück spielt, nicht nur nicht groß, sondern ganz unbedeutend. Die Meistersänger waren steife, förmliche, lächerliche Gesellen, ihre Art, die Kunst zu behandeln, schadete der deutschen Kunst in ihrem Entwicklungsgänge, da sie Förmlichkeit und Zwang dort einführen wollte, wo nur ein freies Regen gei­ stiger Anlage zum Ziele führt.“ Deinhardsteins Verachtung des Meistersangs geht so weit, daß er absurderweise Goethes folgenden Prolog verfälscht, indem er den als Sprecher desselben eingeführten Meistersänger gegen einen Minne­ sänger vertauscht. Selbst die Bedeutung Sachsens wird von Deinhardstein rela­ tiviert, indem er behauptet, jener verdiene Bewunderung „weit weniger als Dichter überhaupt“ denn als derjenige, der in einer Zeit der Zerstörung der Dichtung deren Anspruch aufrechterhalten habe und „der einzige Dichter“ ge­ wesen sei. Das ist auch das Thema von Deinhardsteins eigenem Prolog zu sei­ nem Drama, den Graf Brühl für die Berliner Erstaufführung verschmähte. Deinhardsteins ,Hans Sachs' stellt den Nürnberger Meister als radikalen Außenseiter der Gesellschaft dar, von allen als Meister Superklug gehaßt, weil er die „Leges Tabulaturae“ mißachtet, immer anders ist, als wir es sind ( so der Bäcker Jakob) und doch nichts als ein Schuster ist. Ist dies dein Segen, Poesie! Verlästert und verhöhnt zu sein? fragt sich Sachs. Selbst seine Geliebte Kundigunde kann sich mit seinem niedrigen Stand nicht abfinden und erpreßt ihn förmlich, sein plumpes Handwerk aufzugeben, das der Ehe mit ihr, der Tochter des standesstolzen Goldschmieds, im Weg stehe und auf das er doch aufgrund seines Reichtums nicht angewiesen sei. Doch der Schuster bleibt bei seinem Leisten und lehnt es selbst um den Preis des Verlusts der Liebe Kunigundes ab, mehr zu scheinen, als ich bin. So emigriert er schließlich, ein zweiter Coriolan, aus der Vaterstadt. Nur der Zufall, daß er auf der Flucht Kaiser Maximilian und seinem Gefolge begegnet, die auf dem Weg nach Nürnberg sind - nicht zuletzt, um dort Hans Sachs zu treffen -, bewirkt, daß er in die Stadt zurückkehrt. Dort ist inzwischen Kunigundes Vater zum Amtsvorgänger von Herrrn Dr. Schönlein gewählt wor­ den, und er will seine Tochter — was Herr Dr. Schönlein natürlich nie tun würde -gegen ihren Willen mit dem Augsburger Ratsherrn Eoban verheiraten. Sachs, der heftig dagegen aufbegehrt, wird aus der Stadt verbannt. Der Wolf, der sich in unsern Schafstall schlich, l... I Der Meister Sachs wird aus der Stadt gejagt. Doch Kaiser Maximilian führt als Deus ex machina alles zum guten Ende. Sachs er­ hält seine Kunigunde, wird von dieser mit dem Dichterlorbeer gekrönt, und das Drama schließt mit dem freudigen Jauchzen der Bürger — freilich nicht für Sachs, sondern für den Kaiser: Heil Kaiser Max! / Heil Habsburg! Heil für immer! So lauten die Schlußverse des Dramas. 171

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Der Dichter, von den Bürgern seiner Stadt ausgestoßen, findet allein die Un­ terstützung der höchsten Macht im Reich. „Machtgeschützte Innerlichkeit“ — mit Thomas Mann zu reden! Der Leser von Deinhardsteins ,Hans Sachs' darf sich wohl fragen: Wieso ist ein Schuster so verachtet, wenn andere Handwerker wie der Bäcker Jakob, der Krämer Martin und der Schlosser Niklas angesehene Bürger sind? Gewiß, als Handwerker war dem historischen Sachs die Mitwir­ kung im Stadtregiment versagt, aber er genoß gleichwohl die Hochschätzung seiner Mitbürger, auch wenn er immer wieder Schwierigkeiten mit der Zensur bekam — dies das winzige Körnchen historische Wahrheit in Deinhardsteins Drama. Wieso aber wird er hier zum Outcast, wo er doch so reich ist, daß er das Handwerk aufgeben könnte — was der historische Sachs in späteren Jahren wirklich getan hat? Sachs spielt in Deinhardsteins Nürnberg fast die Rolle ei­ nes Juden: reich und doch verachtet, aufgrund seiner Geistesgaben gefürchtet oder beneidet und doch geringgeschätzt. Das Originalgenie unter lauter klei­ nen Geistern und bösartigen Spießbürgern, die ihn aus der Gemeinde ausstoßen und zugrunderichten würden — wenn er nicht wie ein Hofjude den Schutz des Kaisers erlangt hätte. Deinhardsteins „dramatisches Gedicht“ erfreute sich lange großer Beliebt­ heit auf den deutschen Bühnen und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Die­ ser Erfolg war Lortzing nicht beschieden, als er 1840 seine „komische Oper“ ,Hans Sachs' auf die Bühne brachte, deren Libretto er zusammen mit Philipp Salomon Reger nach Deinhardsteins Schauspiel konzipiert hatte. Da der Büh­ nenerfolg sich nicht so recht einstellen wollte, überarbeitete Lortzing die Oper — vor allem deren Schluß - zusammen mit Philipp Jakob Düringer noch ein­ mal. Doch auch die neue Version aus dem Jahre 1845 verschwand bald vom Theater, wurde also keineswegs erst von Wagners »Meistersingern' verdrängt, deren Marienbader Prosaentwurf übrigens im gleichen Jahr 1845 niederge­ schrieben wurde, in dem die Zweitfassung von Lortzings »Hans Sachs' zur Auf­ führung gelangte. Kein Zweifel, daß diese Oper die wichtigste Quelle der Meistersinger-Hand­ lung ist. Erst Lortzing und Reger haben den Sängerwettstreit, das Volksfest, Diebstahl und Verballhornung eines Liebesgedichts und überhaupt die komi­ sche Szenerie in Deinhardsteins tragisch-ernste Vorlage eingeführt. Wagner hätte es freilich nicht nötig gehabt, seine Quelle zu verleugnen, denn erst sein Libretto — die wohl bedeutendste Operndichtung, die je geschrieben wurde — hat die neuen Einfälle der Lortzingschen Oper dramaturgisch und psycholo­ gisch zwingend verarbeitet, ihre Spannung und ihren Witz erst recht zur Gel­ tung kommen lassen. Die wichtigste Brücke von Deinhardstein zu Wagner ist die Einführung des Volks als quasi handelnder Person in Lortzings Oper, mit ihr aber die Restitu172

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ierung des romantischen Nürnberg-Mythos und des volkstümlichen HansSachs-Bildes ä la Goethe und Wackenroder, die Deinhardstein verdrängt hatte, in dessen Drama das Volk nur als Staffage vorkommt. Hans Sachs wird auch noch in Lortzings Oper von den etablierten Bürgern und Zunftgenossen gehaßt (jetzt freilich nicht mehr seiner Geistesgaben, sondern seiner „Einfalt“ wegen), aber das Volk liebt ihn, steht bei dem Sängerwettstreit mit Eoban Hesse zu Be­ ginn des zweiten Akts auf seiner Seite — in Opposition gegen das eigennützige Urteil der Zunftbürger. Und wenn nach wie vor Kaiser Maximilian das glück­ liche Ende herbeiführt, so vollzieht er doch gleichsam den Willen des Volkes. Wie Sachs der Volkskünstler, so ist Maximilian I. der Volkskaiser. Ist er nicht Vater seines Volks? Lebt Einer in dem Reich, der nicht den Kaiser liebt? fragt Hans Sachs im ersten Akt den „Unbekannten“, d. h. den inkognito in seine Schuster­ stube eintretenden Kaiser. Auch die Idee des Volkskönigs ist romantisches Erbe. „Der ächte König wird Republik, die ächte Republik König sein“, schreibt Novalis in ,Glauben und Liebe', und Achim von Arnim will den „ganz revolutionär“ gesinnten Herrscher daran erkennen, daß „die Stimme des Volkes“ in seiner „eigenen Brust“ erklingt. Eben das geschieht auch in Lort­ zings ,Hans Sachs‘. Während es dem Deinhardsteinschen Sachs nur um Poesie und Liebe ging, verkündet der Lortzingsche: Was war es denn, das dich zur Poesie gewandt? / Der Liebe Glück, das deutsche Vaterland. Dieses Junktim von Liebe und Vaterland wird von Sachs immer wieder besungen, auch in seinem Preislied zu Beginn des zweiten Akts. Als er sich wie sein Deinhardsteinscher Vorgänger entschließt, Nürnberg zu verlassen, tröstet ihn doch der Gedanke, daß deutsches Land auch anderweit. Die deutsche Einigung wirft ihren Schatten voraus. Wie 1848 das Frankfurter Parlament den preußischen König zum deutschen Kaiser wählte, so jubelt am Ende von Lortzings Oper das Volk - in ziemlich erbärm­ lichen Versen — Kaiser Maximilian zu: Wir jauchzen laut aus voller Brust Heil Max Dir, Deutschlands Sonne! Du bist des Volkes Glück und Lust, Bist seine höchste Wonne. Drum jauchze, wer ein deutscher Mann: Heil lebe Maximilian! Obwohl auch in Richard Wagners politischem Denken die romantische Idee des Volkskönigtums eine bedeutende Rolle spielte — auch und gerade in der Zeit seiner revolutionären Aktivität —, hat er doch die Gestalt des Kaisers aus seinem Hans-Sachs-Drama eliminiert. Maximilian I. wird durch Hans Sachs selber ersetzt, der die Liebeshandlung und das Künstlerdrama, deren Träger er bei Deinhardstein und Lortzing war, an ein neues Paar: an Stolzing und Evchen abgibt, während er selbst über alles Handlungsinteresse erhaben, um eine ganze

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Lebensstufe gealtert und gereift erscheint. Er ist eine Art ästhetischer Volkstri­ bun, vom Volk geliebt, von den Zunftgenossen hochgeachtet — ein Bürger von patrizischem Gepräge, dem man das Schusterhandwerk nicht mehr recht ab­ nehmen mag. Nürnbergs teurem Sachs, nicht mehr der habsburgischen Kaiser­ macht gelten die „Heil“-Rufe am Schluß. Der Dichter und nicht mehr der Kai­ ser knüpft die Fäden der Handlung zu einem glücklichen Ende. Die Welt Nürnbergs ist in den »Meistersingern' merkwürdig entpolitisiert. Nicht nur der Kaiser fehlt, ja die Möglichkeit, daß sich das heil’ge röm’sche Reich in Dunst auflösen könnte, zeichnet sich am Horizont ab, sondern auch die Stadt Nürnberg erscheint auf der Bühne ohne Stadtregiment. Der Bürgermeister — bei Deinhardstein und Lortzing noch eine Schlüsselfigur — tritt nicht mehr auf. Wolfgang Wagner bedauert es deshalb zutiefst, Sie, sehr geehrter Herr Ober­ bürgermeister, in seiner Neuinszenierung der ,Meistersinger im nächsten Jahr nicht brauchen zu können. Man hat den Eindruck: Nürnberg hat sich in eine Art ästhetischen Staat verwandelt, der sich in der Übergangsphase von einer ständischen zu einer demokratischen Ordnung befindet, so wie sich die alte normative Poetik der »Meistersinger' in eine neue, freie, vom Volk unterstützte und in der schöpferischen Individualität gründende Kunstübung verwandelt — gemäß der Maxime, mit der Sachs die Frage Walthers Wie fang ich nach der Re­ gel an? beantwortet: Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann. Diese neue Kunst ist nicht mehr von einer privilegierten Schicht, sondern vom Volk getragen: als Stolzing auf der Festwiese sein Preislied beendet hat, wird ihm der Sieg vom Volk selber zuerkannt : Reich ihm das Reis, beauftragt es Eva: sein der Preis. Erst dann erheben sich die Meister und entscheiden, das Votum des Volks bestäti­ gend: Ja, holder Sänger, nimm das Reis; /Dein Sang erwarb dir Meisterpreis. Damit verwirklichen die Meister den Reformvorschlag Sachsens, den sie im ersten Aufzug noch so entschieden abgelehnt hatten: daß einmal im Jahr, am Johan­ nistag, das Volk auch Richter sein soll, damit man — gewissermaßen vor einer Le­ gislaturperiode - die Regeln selbst probier’. Kunst und Künstler geben allein den Ton in diesem vollständig ästhetisierten Gemeinwesen an, in dem wir vergeb­ lich nach politischen Organen suchen, und so verkündet Hans Sachs am Ende seiner Schlußansprache: zerging’ in Dunst das heil’ge röm’sche Reich, uns bliebe gleich die heil’ge deutsche Kunst/ Thomas Mann hat im Hinblick auf dieses — vom Volk wiederholte — „Kernund Schlußwort der »Meistersinger'“ von einer „schlechthin anarchischen Gleichgültigkeit gegen das Staatliche“ gesprochen, „falls eben nur das geistig Deutsche, die »deutsche Kunst' bewahrt bleibt“. Politik löst sich in eine demo174

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kratisierte Kunst auf, das deutsche Reich in einen ästhetischen Staat. Und des­ sen Künder ist Hans Sachs, der Nürnberger Schuhmacher-Poet. Was aber hat die Wagnersche Sachs-Gestalt noch mit ihrem historischen Ur­ bild gemeinsam? Nicht mehr viel, so scheint es. Und doch kann es kein Zufall sein, daß gerade der Nürnberger Meister eine solche romantisch-demokratische Apotheose im 19- Jahrhundert erleben konnte. Große geschichtliche Gestalten haben anders als normale Sterbliche zwei Leben: das ihres eigenen Wirkens und das ihrer Nachwirkung, ja sie erleben immer wieder ihre Auferstehung als Kunstgestalten. So hat auch Hans Sachs zwei Leben gelebt, das in seiner Zeit und das in der Dichtung der Nachwelt. Diese beiden Leben stehen wie zwei kontrapunktische Linien zueinander, bisweilen weit voneinander entfernt, bis­ weilen sich verschränkend. Warum sollte man auf eine dieser beiden Linien zu­ gunsten der anderen verzichten? Erst beide zusammen machen das Ganze einer geschichtlichen Persönlichkeit aus. Eine historische Figur läßt sich ohnehin nicht ,an sich' erfassen. Auch in der Literaturgeschichtsforschung hat sich das Bild Sachsens immer wieder radikal geändert — kaum weniger als in der Dich­ tung. Deshalb wollen wir an diesem seinem fünfhundertsten Geburtstag den Dich­ ter wie den gedichteten Hans Sachs lieben und preisen und demjenigen, der das nicht will, die Verwünschung Goethes entgegenschleudern: In Froschpfuhl all das Volk verbannt, Das seinen Meister je verkannt!

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DARZU TRUNCKEN WIR NEWEN WEIN .. /q (KG 9, 514) Elf Minuten und elf Sekunden in Erinnerung an Hans Sachs und die fröhliche Wissenschaft vom Wein Von Franz Baur Sehr geehrte Damen und Herren!3 Als Begrüßungstrunk zur geistigen Ernährung4 sind zehn Minuten für die fröhliche Wissenschaft vom Wein vorgesehen. Zur Erinnerung an Hans Sachs sehe ich mich aber gezwungen, den zeitlichen Rahmen zu sprengen. Mein Re­ ferat wird nicht zehn Minuten, sondern 11 Minuten und 11 Sekunden dauern. Diese Redezeit ergibt sich aus mehreren Gründen: (1) Die literarisch stilisierten Erinnerungen von Hans Sachs an Schwaz knüp­ fen sich an einen 11.11., welcher damals der Martinstag war und heute den Fa­ schingsbeginn markiert.5 Ich übersetze dieses Datum in Minuten und Sekun­ den: 11.11. = IT & 11“.

1 Das Motto zum Kurz(weil)referat für die Abendfeierlichkeit am 5.11.1994 im Alten Rathaus Nürnberg ist dem Schwank über die Bäuerin mit der dicken Milch entnommen, in dem Sachs seine Beziehung zur Knappenstadt Schwaz literarisch gestaltete. Im Schwazer Bergwerksgericht bestand bis zum Bombenabwurf vom 15. Dezember 1944 ein Meistersingersaal, der mit Bildern zu Spruch­ gedichten von Hans Sachs ausgestaltet war. Die Stadt Schwaz veranstaltete zur Erinnerung an Hans Sachs in Schwaz vom 20.5. bis 19.6.1994 ein Festival mit Vorträgen, Ausstellungen, Theaterpro­ duktionen und musikalischen Darbietungen. Über den Bezug zur Nürnberger Partnerstadt Schwaz hinaus klingt im Motto vom „newen wein“ Symbolisches an: Neuer Wein birgt in sich die Gefahr, alte Schleuche zu sprengen. (Der bildungsfreudige Sachs wüßte in diesem Zusammenhang wahr­ scheinlich die Bibel zu zitieren). Der neue Wein ist ein symbolreiches Bild für ein Schaffen in (mittel)alterlichen Schieuchen. Sachs bietet einen neuen Wein, dessen gärende Sprengkraft wohl nur dann ansatzweise begriffen wird, wenn man die alten Schleuche kennt. . . - „KG“ bezieht sich auf die Werkausgabe: Adelbert von Keller/Edmund Götze (Hrsg.): Hans Sachs, 26 Bände, Stuttgart 1870-1908. ? Die „Sprechfassung“ eines Referats ist im Druck eine „Lesefassung“, womit sich der Charakter des Textes verändert. Das lesende Auge hat eine andere Wahrnehmungslogik als das Ohr. Dem „lesen­ den“ Ohr werden beispielsweise nur in seltenen Fällen Fußnoten und Zwischenüberschriften dar­ geboten. 4 ... bei dem „Hans Sachs Geburtstagsbankett der Stadt Nürnberg: 5. November 1994, 18.00 bis 23.00 Uhr. Alter Rathaussaal - Ehrenhalle. Für die Einladung danke ich dem Schul- und Kultur­ referat der Stadt Nürnberg. Herrn von Dewitz sei für die Ermunterung gedankt, Texte des Hans Sachs zwischen Lehre und Unterhaltung für das „gastrokulturelle Bankett“ zu beleben. 5 Über die Bezüge Nürnberg - Schwaz informierte in einer Grußbotschaft vor dem Referat Kultur­ referent Dr. Hans Lintner, Schwaz. Hans Sachs lernte gemäß seiner literarischen Erinnerung (KG 9, 514-517) in Schwaz den Wurst Hans kennen. - Der „Hans-Wurst“ oder „Wurstel“ wurde aller­ dings erst wesentlich später zu einem österreichischen Grundbegriff.

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(2) Die Elf hat für das Jahr 1494 eine Signalbedeutung. Im Jahr 1494 er­ scheint zu Basel das ,Narrenschiff, ein psychomoralisches Lehrpanoptikum des Sebastian Brant. Die Welt ist im Geburtsjahr des Hans Sachs der (literari­ schen?) Narren voll. Der neuzeitliche Mensch erkennt, daß er die Zehn Gebote nicht (mehr?) achtet. Er wird im Zeichen der Elf geboren, die als Ziffer über der Ordnungszahl Zehn steht und das Risikogefühl im neuzeitlichen Leben „kurz vor Zwölf“ ausspricht.6 (3) Ein weiterer Grund für die verlängerte Redezeit: Das Wort „fünfhundert“ hat elf Buchstaben. - So gestatten Sie mir bitte, zum fünfhundertsten Geburts­ tag von Hans Sachs elf Minuten7 zu sprechen. Weinerinnerung8 Zur Diagnostizierung des Narrentums gibt es etliche Möglichkeiten.9 Ein Verfahren, das sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat, besteht im Weinge­ nuß. Intensiver Weingenuß läßt das Wesen des Menschen psychotypisch erken­ nen.10 Der gehobene Alkoholspiegel ist ein Erkenntnisspiegel11 für die Grund­ natur eines Menschen. Aus welchen Ursachen dem Wein diese Erkenntnisfunk­ tion zukommt, darüber gibt Sachs eine Aufklärung in dem Spruchgedicht ,Die vier wunderberlichen eygenschafft und würkung des weins, ein kurtzweyliger spruch( (KG 4, 237-243). Diesen lehr-fröhlichen Text nehme ich in den folgenden Ausführungen als Quelle für Bemerkungen zur Weinphilosophie. Damit Sie dem Text von Hans Sachs leichter folgen können, liegt Ihnen als zeitgenössische 6 Vgl. Dietz-Rüdiger Moser: ,Der Nar halt die Gebot Gottes nit‘. Zur Bedeutung der Elf als Nar­ renzahl und zur Funktion der Zahlenallegorese im Fastnachtsbrauch, in: Ders. (Hrsg.): Narren, Schellen und Marotten. Elf Beiträge zur Narrenidee, Remscheid 1984, S. 135-160. 7 Elf Sekunden, in denen auf Beziehungen zur Knappenstadt Schwaz hinzuweisen war, sind bereits verflossen. — Auch das Wort „Beziehungen“ hat elf Buchstaben. 8 Die Erinnerung an den Wein ist eine Erinnerung an die Säftetheorie, die ihrerseits daran erinnert, daß der Mensch ein von Säften durchflossenes Wesen ist, dessen Verhalten sich unter dem Einfluß von Weinsäften verändert. 9 Eine überaus bekannte Verfahrensweise besteht darin, den eigenen Harn zu verkosten. Sachs ge­ staltet diese Möglichkeit im berühmten Fastnachtspiel ,Das Narrenschneiden“, das von Goethe in Weimar aufgeführt wurde. Vgl. hierzu unter anderem: Franz Baur: „Gebt her euren Harn!“, in: Ders.: Hans Sachs hat Tradition in Schwaz, Schwaz 1994, fol. 7r. 10 Psychotypische Veränderungen des menschlichen Verhaltens unter Weineinfluß werden in der Li­ teratur häufig besungen. Erinnert sei beispielsweise an ein Lied von Oswald von Wolkenstein über die zwölf Menschentypen der Trunkenheit, mit dessen Einleitungsversen sich der Sänger in das Ge­ dächtnis der Nachwelt einschrieb: Und swig ich nu die lenge zwar,/ so wiird mein schier vergessen gar,/ durch churze jar niemand mein gedächte. (Kl 117, 1—3. „Kl“ bezieht sich als Abkürzung auf: Die Lie­ der Oswalds von Wolkenstein. Hrsg, von Karl Kurt Klein, Tübingen 31987.) 11 Wie Esthiles, der weiß, auch schreibt.7 Ein paliert ertz ein Spiegel bleybt,/ Darinn der mensch sein gstalt er­ sieht,/ So sey der wein auch anderst nicht,/ Denn ein Spiegel, der das gemiit/ Anzaigt, wenn er darinnen wüt. (KG 4, 233/234)

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Abb. 1:

Holzschnitt von Erhard Schön zu den vier Eigenschaften und Wirkungen des Weins, 1528.

/jrfe noeein?wenig*«*?gepfl%t vnvo bewein gemmefebetbo wart) ettmnden xmempl^ffetk^etinbe tobet' STL ttacH. bo mv d)«m bte fd>am fernes vatevs fat>c ver?iwbct et bas ferne $waic bmbcrtt.bic bebedfete m mit eme mä tel auflf fein acbfel gelegt bic fcljam bes Vaters vn fette bie auge ab vn fabe fein fefytm ott.bo mt> noe wolt findet be ebam be got gefegnet bet.bo fluchet et ebattaan be futt dya* rmb bic belästig fernes Vaters.als bieuot ba«5 mclbßg befctyifyt*

Abb. 2:

Noe schläft betrunken nach dem Weingenuß und wird entblößt von Cham entdeckt, während Sem schamvoll die Scham des Vaters bedeckt und Iaphet sich die Augen zuhält, Schedelsche Weltchronik, Nürnberg 1493, fol. 15'.

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Hans Sachs: Weinweisheit

Illustration ein Holzschnitt von Erhard Schön vor, der 1528 im Druck er­ schien.12 Weinspiegel im Bild13 Im Zentrum der Bildkomposition von Erhard Schön ist eine Weinrebe zu se­ hen, um die sich vier Tische gruppieren, an denen vier Menschengruppen Platz genommen haben. - Eine friedliche Gesellschaft, streitende Landsknechte, aus­ scheidende Landleute und eine Gruppe mit närrisch-verrückten Beschäftigun­ gen sind im Bild zu sehen. Zu den vier Menschengruppen gesellen sich Tiere, ein Schaf, ein Bär, zwei Schweine und ein Affe. - Die menschlichen Verhaltens­ weisen spiegeln sich in den (positiven und) negativen (Laster-)Eigenschaften der Tiere. Das Lamm ist friedlich und leichtmütig, der Bär zänkisch und zorn­ mütig, die gefräßigen Schweine lecken Erbrochenes, und der närrische Affe hat — wohl als Zeichen seiner veschroben-äffischen Natur — eine Narrenkappe um den Hals hängen. Im Hintergrund ist ein Weinbauer zu sehen, der nach dem Text von Hans Sachs als Noach zu identifizieren ist. Spiegelbilder im WeinM Eins mals ich eynen doctor fragt Und batt ihn fast, das er mir sagt, Von wann doch khem dem wein die krafft, Das er yeb die vier eygenschafft, Inn dem er überhand gewinnet, Das sie werden anders gesinnet. (KG 4, 237) Das Spruchgedicht beginnt mit der Frage an einen Gelehrten: Woher ist dem Wein die bemerkenswerte Kraft gegeben, die menschliche Grundnatur er­ kennbar zu machen? Diese Einleitungsfrage beschäftigt die wissenschaftliche Welt (zumindest) seit dem pseudoaristotelischen Problem XXX, I, in dem zur 12 Der Holzschnitt zu den Wirkungen des Weins war im Programm zur Abendveranstaltung abge­ druckt. Vgl. Abb. 1. IJ Im Holzschnitt von Erhard Schön (Abb. 1) spiegelt sich der Text zur fröhlichen Weinwissenschaft. Es ist hilfreich, den Bildtypus zunächst zu „lesen“, um eine Bildvorstellung von und vor der Sachs­ lektüre zu entwickeln. — Die Holzschnitte aus der Zeit des Hans Sachs können als ein Teil der li­ terarischen Überlieferung „angesehen“ werden. Vgl. die Welt des Hans Sachs. 400 Holzschnitte des 16. Jahrhunderts, hrsg. von den Stadtgeschichtlichen Museen Nürnberg, Nürnberg 1976. - Wei­ tere Literatur zum Holzschnitt von Erhard Schön sowie zur ikonographischen Einordnung der Bildtypik findet sich dort unter der Nummer 28. 14 Die fröhliche Wissenschaft vom Wein entdeckt im Weingenuß vier Spiegelbilder der menschlichen Natur, nämlich Sanguiniker, Choleriker, Phlegmatiker und Melancholiker. Zur Integration der vier Temperamente, der vier Jahreszeiten, der vier Winde und der vier Elemente im Bild der Philoso­ phie vgl. Dieter Wuttke: Humanismus als integrative Kraft. Die Philosophia des deutschen ,Erz­ humanisten' Conrad Celtis, Nürnberg 1985.

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Erklärung der melancholischen Begabung auf Erfahrungen mit Wein zurück­ gegriffen wurde: „Wein in großer Menge genossen versetzt offensichtlich Menschen in solche Zustände, wie wir sie bei den Melancholikern finden, und ruft bei den Trinkenden die verschiedenen Charakterzüge hervor, indem er sie zum Beispiel jähzornig, menschenfreundlich, rührselig oder draufgänge­ risch macht; doch weder Honig noch Milch, noch Wasser, noch etwas an­ deres dieser Art hat eine solche Wirkung.“15 Hans Sachs faßt die Sachverhalte der Problemstellung in vier Verspaare, die das Bild der vier Temperamente deutlich hervortreten lassen. Durch intensiven Weingenuß zeigen sich folgende Wirkungen: Die ersten macht er frölich, friedsam, Gutwillig, milt, gütig und mietsam; Die andern raytzet er zu zorn, Das sie wüten, zancken, rumorn; Die dritten macht er alle sampt Grob, wüst, kindisch und unverschambt; Den vierdten ist der wein ein stewer Zu fantasey und abenthewer. (KG 4, 237) Woher kommen nun diese bemerkenswerten Wirkungen des Weins? Der vom Dichter befragte Gelehrte holt zur Antwort weit aus. Die Geschichte der Weinwirkungen beginne bei Noach, der nach der Sintflut den ersten Weinberg pflanzte. Die Erde aber war nach der großen Flut unfruchtbar. So nahm Noach den Dünger von vier Tierarten, welche in den Revieren weideten, nämlich den Mist von Schafen, Bären, Schweinen und Affen. Durch diese Düngung kamen in Spurenelementen die Eigenarten der vier Tiergruppen in den Rebensaft.16 15 Die Textstelle aus dem Problem XXX, I zitiere ich nach dem Standardwerk zur Melancholiefor­ schung von Raymond Klibansky, Erwin Panofsky und Fritz Saxl: Saturn und Melancholie. Studien zur Geschichte der Naturphilosophie und Medizin, der Religion und Kunst, Frankfurt am Main 1990, S. 61. 16 Im Spruchgedicht von Hans Sachs gibt der „doctor“ mit folgenden Versen über die skizzierten Zu­ sammenhänge Bescheid: Er sprach: Des will ich dich bescheydend Es hschreihen uns die weysen heydend Nach dem die sindfluß was vergangen,! Da hat herr Noa angefangenf Von aller-erst zupflantzen wein./ Nun wollt die erd unfruchtpar sein./ Da fand Noa, der alt, den list,/ Das er die erd thunget mit rnist./ Also thungt er nachmals die erdt/ Und erwischet auch on geferdt! Den mist von den viererley thieren,/ Die umb-luffen in den rifieren./ Nemlich nam er den mist von schaffen,/ Von beren, sewen und von affen,/ Damit er thunget sein Wein­ berg/ Nach der lenge und uber-zwerg./ Und als der wein nun zeytig wart,/ Het er dieser vier thiere art,/ Da­ mit er Noa selber quelt. (KG 4, 237/238) - Der letzte Vers deutet an, daß Noach selbst sich der Wein­

wirkungen nicht erwehren konnte. Die Bibel berichtet in einer ausführlichen und folgenschweren Erzählung vom Wein und seinen Wirkungen bei Noach (Gen 9, 18-27; als „Lesebild“ zum bibli­ schen Text vgl. die Schedelsche Weltchronik fol. 15v = Abb. 2). Von der Trunkenheit Noachs und der anschließenden Verfluchung des Ham leitet Hugo von Trimberg in der Lehrdichtung .Der Ren-

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Hans Sachs: Weinweisheit

Zusätzlich zu diesem historischen Befund aus den ersten Lebensjahren17 der Menschheit ist die physiologische Tatsache zu beachten, daß der Mensch ein von Säften durchflossenes Wesen ist. Nur wenige Millimeter unter der Haut be­ findet sich ein wohlgestaltetes Kanalsystem, in dem unterschiedliche Säfte wie Blut, Galle und Schleim fließen. Vier Säfte oder „humores“ sind es, die den Hu­ mor des Menschen bestimmen.18 Vom Blut (lat. sanguis) leitet sich die Be­ zeichnung „Sanguiniker“ her, die Galle charakterisiert den Choleriker, der Kör­ perschleim macht den Phlegmatiker aus, und der Melancholiker ist durch seine „Schwarzgalligkeit“ bestimmt. Aus der Säftetheorie ergibt sich neben den historischen Ereignissen um Noach und die Rebendüngung mit den vier Mistarten eine zweite Erklärungs­ voraussetzung für die Wirkungen des Weins. Wenn der Weinsaft in den Kör­ per einfließt, so bewirken die Spurenelemte im Wein eine Verstärkung der cha­ rakteristischen Elemente19 im Menschen, so daß die typologische Natur des je­ weiligen Menschen besser erkennbar wird: Was nun jeder mensch mag sein,! Darzu übt ihn die art im wein. (KG 4, 238) Im Sanguiniker bewirkt der Weingenuß des lambs natur, Das er wirt freundlich und gantz gütig, Gutwillig, friedsam und senfftmütig, Frölich lachend und freudenreich, Singet mit saytenspiel der-gleich. (KG 4, 238) Der Sanguiniker ist unter dem Ein-fluß des Weins wie ein Schaf. Er Beist. . . nyemand, wie ein schaff!“ und legt sich nach dem Zechgelage . . . friedlich in sein pett, Acht nicht wies auff der gassen geht. Frü wenn auff-geht der sonnen glantz, So ist im sein schaff-peltz noch gantz . . .

ner‘ (V. 1309-1393) das „Los“ der Bauern ab. - Aber dies wäre eine andere Geschichte vom Wein und seinen Wirkungen . . . 17 Das historische Muster der mittelalterlichen Weltchroniken unterteilt die Geschichte der Mensch­ heit in sieben „Alter“. Die folgenschwere Geschichte um Noach und seine drei Söhne fällt im Ge­ schichtsbild der Weltchronisten (vgl. hierzu etwa die Schedelsche Weltchronik) in das zweite (Lebens-)Alter der Menschheit. 18 Auf Zusammenhänge zwischen den „Feuchtigkeiten“ oder Säften (= lat. humores) und dem Humor wird in den Theorien zum Lachen mehrfach verwiesen. Vgl. etwa Helmut Thielicke: Das Lachen der Heiligen und Narren. Nachdenkliches über Witz und Humor, Freiburg im Breisgau 1974, S. 63. 19 Nun sind von Got all menschen pur! Gesch'öpfft auch viererley natur, / Von lufft, fewer, ivasser und erdd Philosophia das bewerdt. (KG 4, 238) - Zur Verbindung der Lehre von den vier Säften mit der Lehre von den vier Elementen vgl. Heinrich Schipperges: Der Garten der Gesundheit. Medizin im Mittelalter, München 1985, S. 64-66.

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Und hat den schaf-wein auß-geschlaffen. Das ist im wein die art von schaffen. (KG 4, 239)

Der Choleriker, der seine „art vom fewer“ hat, So der zu viel wein henckt inn schopff Bald steyget im die hitz in kopff Und wird gantz grimmig wie ein her. Zu hader, rach steht sein beger. (KG 4, 239)

Der dritte Menschentyp, der Phlegmatiker, wenn der durch übermäßigen Weinkonsum im „flegmaticus“ bestärkt wird, Der von wasser hat sein natur, So gwindt er einer sawfigur. Wan ihm der wein auffplet sein wampen, So will er noch mehr fressen, schlampen . . . Biß er heim lendet in sein hauß. Da muß sein fraw in ziehen auß. Dann stinckt er wie ein widhopff-nest. Bringt sie in inn das pett zu-lest Und deckt ihn zu wol und genaw, So gröltzt fartzt er wie ein saw. . . . Vil-leicht pruntzt er auch in das pett. Ein saw wol hey im narung het. Dann schleft und schnarcht er wie ein schein. Biß das der mittag-stern schein.™ (KG 4, 240/241)

. . . Soweit die Beschreibung des Phlegmatikers. Die vierte Eigenschaft, die der Wein im Menschen hervorheben kann, ist die des Melancholikers. Wenn der melancolicus Wein trinkt, so wird in ihm die Phantasie und der Hang zu Phantastereien geweckt. Den vierdten ist der wein ein stewer Zu fantasey und ahenteuer. (KG 4, 237)

Mit dem Verhältnis des Weins zur Schwarzgalligkeit schließt sich der Kreis der Weinerfahrung zur Narrendiagnose. Des affen art im wein (KG 4, 238) läßt den Melancholiker Nerrisch, kindisch, dörfisch undpew-risch werden Das sein muß lachen yederman (KG 4, 242).21 20 Zum besseren Verständnis dieser Verse ist ein lautes Lesen sowie der Vergleich mit der bildhaften „Übersetzung“ bei Erhard Schön (Abb. 1) förderlich. 21 Das Gären des Neuen in alten Schläuchen (vgl. die erste Fußnote) könnte exemplarisch am Beispiel der Melancholie bei Sachs gezeigt werden. In dem .Gesprech der Philosophia mit eynem melancolischen, betrübten jüngling' (KG 4, 141-146) kommt die personifizierte Philosophie zu dem Me­ lancholiker. Der Gestaltungsrahmen dieser Begegnung geht auf das erste Buch aus dem .Trost der

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Hans Sachs: Weinweisheit

Ich komme zum Schluß, zur Summa und Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach der fröhlichen Wissenschaft vom Wein. Doch hitt ich: nimb von mir zu danck Die lehr in eynem guten schivanck! Doch will ich dir zu dem abschied Dein frag stellen recht zu fried. Wein ist von Gott geschaffen gut. Wer ihn fein messig trincken thut, Dem selben erfreut er sein hertz. Unmessig truncken pringt er schmertz Und blendet sinn und die vernunfft, Setzt ein man in der narren zunfft.22 (KG 4, 243)

Moral: Der Wein fordert und fördert den Menschen. Er fordert den Men­ schen zum kultivierten Umgang mit sich selbst heraus, und er fördert das sinn­ liche Gespür für das Menschliche, welches den Menschen zur Selbsterkenntnis führen könnte. In Gesellschaft getrunken ist der Wein ein humanistisches Mit­ tel zur Erkenntnis des Menschen. Maßvoller Weingenuß erfreut das Herz, während Unmäßigkeit Schaden bringt. Aus der humor-vollen Belehrung über die Wissenschaft vom Wein formuliert Sachs seine Empfehlung: Darumb ein bider man sich sol Vor übrigem wein hüten wol, Das im darauf kein Unglück wachs. Den rath gibt von Nürnberg Hans Sachs. Anno salutis 1528, am 7 tag Septembris. (KG 4, 243)

Philosophie* des Boethius zurück, welches im Mittelalter als Lehrbuch gelesen wurde. Unverkenn­ bar ist jedoch der „neue Wein“, der in der Form des alten Gesprächs zwischen der Philosophie und ihrem Zögling bei Sachs transportiert wird. Während Boethius an Lethargie leidet, der üblichen Krankheit eines genarrten Geistes, beklagt sich der Jüngling bei Sachs über seine melancholische Verstimmung. Im veränderten Krankheitsbild zeigt sich ein kreatives (Miß-?)Verständnis der Vor­ lage, das bereits den gärenden Geist der Renaissance spüren läßt, auch wenn Sachs keine positive Anfwertung der Schwarzgalligkeit zur „Göttin“ der Dichter und genialischen Denker vornimmt, sondern die Melancholie - anstelle der Musen bei Boethius - durch die Philosophie vertreiben läßt. Im der zweiundzwanzigsten (= 11 & 11) Fußnote sei darauf verwiesen, wie sehr die vom Gelehrten gezogene Summa der biblischen Weisheit entspricht. Jesus Sirach, der bescheiden die reife Frucht seiner herbstlichen Lehrernte mit einer Nachlese hinter Winzern verglich (Sir 33,16), stellt in sei­ ner „zechleer“ fest: Den Wein peschueff got allersach,! Das er den menschen frölich machJ Messig erfrewt er leib und sei,/ Ziv vilpringt er dem herczen quell Den druncknen macht der ivein noch föllerj Den dollen nar­ ren macht er toller . . . (KG 19, 136; Reimfassung zu Sir 31,27-30)

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DIE BEFESTIGUNGSANLAGEN GUSTAV ADOLFS VON SCHWEDEN UM NÜRNBERG 1632 Von Franz Willax Das politisch-strategische Umfeld Als König Gustav Adolf von Schweden das von Tilly geführte Heer der Liga am 17. September 1631 bei Breitenfeld geschlagen hatte, folgte er diesem nicht auf dessen Rückzug an den Untermain, sondern überquerte den Thüringer Wald und stürmte am 18. Oktober Würzburg und dann die Festung Marienberg. Um Tilly zu begegnen, der sein Heer bei Mainz sammelte, und gleichzeitig sei­ nem Verbündeten Frankreich, das ein Protektorat über die Rheinlande an­ strebte, zuvorzukommen, beschloß er, Tilly zur Räumung von Untermain und Mittelrhein zu zwingen.1 Obwohl er mit den drei wichtigsten fränkischen Stän­ den, Bayreuth-Kulmbach, Ansbach und Nürnberg, am 2. November den „Würzburger Vergleich“ geschlossen hatte, der ihm umfangreiche Zahlungen sicherte, marschierte Gustav Adolf mainabwärts und nahm am 23- Dezember Mainz.2 Dieses baute er zum Stützpunkt seiner Macht aus: Er ließ die Stadt irregulär-bastionär befestigen und links des Mains an dessen Einfluß in den Rhein die Regularfestung Gustavsburg auf sechseckigem Grundriß anlegen.3 * 5 Ohne Widerstand zu leisten, hatte sich Tilly tauberaufwärts zurückgezogen und Rothenburg und Windsheim genommen. Statt aber den Rückzug Rich­ tung Bayern fortzusetzen, erschien er am 29- November vor den Toren Nürn­ bergs. Die Stadt war in höchster Gefahr. Ohne jedoch diese anzugreifen, zog Tilly wieder ab. Der Rat war nicht gewillt, die Front zu wechseln, für eine Be­ lagerung war die Jahreszeit ungeeignet und Tillys Heer in einem zu maroden Zustand. Als Tilly bei einem erneuten Vorstoß am 28. Februar / 9. März 1632^ das Korps des schwedischen Feldmarschalls Gustav Horn bei Bamberg schlug, sah 1

Franz Willax: Gefährliche Patrioten und schädliche Leuth. Antischwedischer Widerstand in Nürnberg 1631-1635, in: MVGN 78 (199D, S. 125. J Friedrich P. Kahlenberg: Kurmainzische Verteidigungseinrichtungen und Baugeschichte der Festung Mainz im 17. und 18. Jahrhundert (Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz 19), Mainz 1963, S. 105-106. 5 Aus Kahlenberg (wie Anm. 2), Abb. 16, S. 112 (= Stadt Mainz) ist die Bedeutung von „irregulärer Befestigung" (unregelmäßiger Grundriß; stärkerer Ausbau der strategisch wichtigen Gelände­ punkte) und aus Abb. 17, S. 114 (= Festung Gustavsburg) der Begriff „Regularfestung“ (regel­ mäßiger Grundriß: Vier- und Mehreck) zu ersehen. Mainz und Nürnberg konnten als gewachsene Städte nur irregulär befestigt werden. Gustavsburg wurde auf „grüner Wiese" geplant und konnte deshalb auf regelmäßigem vier- oder sechseckigem Grundriß erstellt werden. 1 Entsprechend der Datierung der Quellen werden Datumangaben nach dem in den evangelischen Territorien gebräuchlichen Julianischen Kalender (alter Stil = a. St.), dem Gregorianischen Kalen-

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sich der Schwedenkönig nun doch gezwungen, den zweiten Gefahrenherd, das Kurfürstentum Bayern, anzugreifen. Er besiegte Tilly bei Rain am Lech, der tödlich verwundet bald darauf starb, doch blieb sein Versuch, die bayerische Landesfestung Ingolstadt zu nehmen, vergeblich. Er vermochte auch nicht zu verhindern, daß der bayerische Kurfürst Maximilian I. Regensburg besetzte und damit die Donaulinie behauptete. Dadurch hielt sich dieser die Möglich­ keit eines Rückzugs nach Böhmen offen. Gustav Adolf verweilte in Bayern zu lange, beschäftigt mit Kontributionieren und Plünderung der kurfürstlichen Kunstschätze, um sich des dritten Ge­ fahrenherdes zu bemächtigen. In Böhmen war sein Breitenfelder Verbündeter, Kursachsen, eingerückt und hatte Prag genommen. Am 13. April bestellte Kaiser Ferdinand II. angesichts der allgemeinen Rückschläge Wallenstein zum Oberbefehlshaber mit absoluter Befehlsgewalt über ein von diesem zu werben­ des Heer. Mit seinen neugeworbenen und deshalb ungefestigten Regimentern gelang es Wallenstein, die Sachsen wieder aus Prag zu verdrängen. Unklar blieb, ob er sich nun gegen Sachsen selbst oder gegen Nürnberg wenden werde. Gustav Adolf mußte sich auf beide Möglichkeiten einstellen. Schon Ende März hatte der schwedische „Generalingenieur“ Franciscus de Traytorrens Nürnbergs Befestigungen besichtigt. Der Rat hatte ab November 1631 an der Südfront der Stadt unmittelbar dem Graben vorgelagerte Schanzen zu errichten begonnen. Diese waren von dem in der „niederländischen Fortifikationsmanier“ an den Hamburger und Lübecker Befestigungsanlagen geschul­ ten Bürgersohn und Hauptmann im reichsstädtischen Regiment Leubelfing Wilhelm Schmidt geplant worden. Traytorrens äußerte sich dem Rat gegen­ über so positiv über das bisher Geleistete, daß ihn dieser aus der Herberge lösen ließ und ihm 200 fl aushändigte.5 Ganz gleich, ob Wallenstein Sachsen oder Nürnberg angreifen würde, Gu­ stav Adolf hielt es nun doch für notwendig, den Geschehnissen näher zu sein. Er ließ einige Einheiten südlich der Donau zurück, eilte nach Norden und kam­ pierte am 7. Juni a.St. bei Fürth.6 Er forderte vom Nürnberger Rat, daß ein Tranchement angelegt werden sollte. Dazu müßten 6.000 Schanzer aufgeboten werden. der (neuer Stil = n. St.) der katholischen Länder oder, den Originalen entsprechend, in kombinier­ ter Form angegeben. Die Datumdifferenz betrug zehn Tage, d. h. der 31.12.1631 des Julianischen Kalender entsprach dem 10.1.1632 im Gregorianischen Kalender. 5 StAN, Rst. Nbg., Verlässe der Herren Älteren (= VHÄ) 37, Bl. 222, 30.3.1632. Der König hatte der Stadt Nürnberg seinen Ingenieur schon Anfang Januar 1632 angeboten (StAN, Rst. Nbg., Schwedische Kriegsakten 15, S. 279, 5.1.1632. 6 Stephan Donaubauer: Gustav Adolf und Wallenstein vor Nürnberg im Sommer des Jahres 1632. Den Teilnehmern am 5. Deutschen Historikertag gewidmet vom VGN, Nürnberg 1898, S. 54.

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Nachdem er sich in Nürnberg von der Bürgerschaft hatte feiern lassen und dadurch wertvolle Zeit verlor, brach der König am 21. Juni auf, um mit seinem nur ca. 20.000 Mann starken Heer die Regimenter des bayerischen Kurfürsten abzufangen. Dieser wollte sich im Norden der Oberpfalz mit Wallensteins Ar­ mee vereinen. Der König kam jedoch zu spät, um dieses Treffen zu verhindern. Er mußte sich am 25. Juni auf Hersbruck zurückziehen.7 Er wußte, daß er mit seinem durch viele Abstellungen geschwächten Heer den Armeen Wallensteins und des Kurfürsten nicht gewachsen war. Bevor er wieder die Offensive ergrei­ fen konnte, mußte er erst Verstärkung an sich ziehen, die in bedeutender Zahl, aber weit entfernt, meist in Norddeutschland, stand. Er mußte versuchen, Zeit zu gewinnen! Einige in Franken geworbene Regimenter wie das des Nürnber­ ger Generalmajors Balthasar Jacob von Schiammersdorff waren noch unge­ festigt und von geringem Wert.8 Planung und Ausführung einer Zirkumvallationslinie Angesichts der anmarschierenden feindlichen Übermacht war dem schwedi­ schen König vorrangig daran gelegen, sein zahlenmäßig schwächeres Heer durch die Anlage einer Befestigungsanlage so lange zu schützen, bis die in großer Stärke in Westfalen, Sachsen und Schwaben stehenden, von ihm ange­ forderten Verstärkungen eingetroffen waren. Da Nürnberg eine wertvolle Hilfsquelle darstellte (Geld, Waffen und Fourage), durfte es keinesfalls in feind­ liche Hände fallen. Sein Heer und Nürnberg zu schützen, glaubte der König dadurch zu erreichen, daß er sein Lager und die Stadt mit einer Zirkumvallati­ onslinie umgab. Deren Planung sollte durch die Ingenieure des Königs verfer­ tigt werden, wobei Nürnberger Sachkundige ihre Ortskenntnisse einbringen sollten. Die Stadt hatte die Schanzer und die notwendigen Hilfsmittel zur Ver­ fügung zu stellen. Auf die Nürnberger Bürger glaubte sich Gustav Adolf ver­ lassen zu können. Selbst bei dem bei der Bürgerschaft unbeliebten Schanzbau konnte er unter den gegebenen Umständen (Gefährdung des evangelischen Glaubens und der städtischen Freiheiten) auf Einsatzwillen hoffen. Hätte das Verhalten von Rat und Bürger bei Gustav Adolf Zweifel aufkommen lassen, so wäre er — das brachte der König wiederholt zum Ausdruck — bis zum Main

7 Willax (wie Anm. 1),S. 155-157. 8 Franz Willax: Der Nürnberger Kriegsrat vom November 1631 und seine personelle Zusammenset­ zung, in: Blätter für Fränkische Familienkunde 13 (1990), S. 274-278. Ähnliche Mängel wiesen auch drei andere in Franken geworbene Regimenter auf. Die schwedischen Korps in Norddeutsch­ land und die ihrer Verbündeten, Hessen-Kassel und der welfischen Herzoge, waren, bedingt durch die Uneinigkeit ihrer Kommandeure und sich daraus ergebender Koordinationsmängel, durch den Führer der Liga-Truppen Graf Gottfried Heinrich Marschall von Pappenheim gebunden. Barbara Stadler: Pappenheim und die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, Winterthur 1991, S. 577-646.

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zurückgegangen, jedoch nicht auf das strategisch wichtigere, aber katholische Würzburg, sondern auf das ebenfalls evangelische Schweinfurt.9 Schon am 13. Juni war dem Nürnberger Rat bekannt geworden, daß Gustav Adolf seinen Ingenieur Olphhanson nach Nürnberg beordern werde, um die Möglichkeit eines tranchements der Gärten vor Ort zu überprüfen.10 Aber dazu kam es nicht, da der Schwedenkönig noch hoffen konnte, zuerst die bayerischen und dann die Wallensteinischen Regimenter zurückzuschlagen. Nach dem er­ folglosen Vorstoß in die Oberpfalz hatte sich die Lage völlig geändert. Der Kö­ nig inspizierte am 19. Juni die neuangelegten Nürnberger Schanzen. Bei einem anschließenden Mittagsmahl mit den Herren Älteren auf dem Herrensitz Thumenberg versicherte sich der König der Bereitschaft der Stadt zur weiteren Zu­ sammenarbeit und stellte daraufhin seine Forderungen, darunter u. a. rings um die Stadt ein durch die Gärten führendes Retranchement zu ziehen. Die Arbei­ ten sollten von 6.000 bis 7.000 Schanzern in drei bis vier Tagen (!) ausgeführt werden; er werde dazu seinen Generalquartiermeister entsenden.11 Die Herren Älteren beschlossen daraufhin, entsprechend altem Herkommen, die Genannten des Größeren Rates von den Forderungen des Königs in Kennt­ nis zu setzen, die wiederum die Bürger zu informieren hatten. Wie bei sehr Wichtigem üblich, sollte ein entsprechender Ratsverlaß von den Kanzeln ver­ lesen werden. Schon am nächsten Tag (20. Juni) wurde mit dem Abstecken der Werke und einen Tag später mit den Schanzarbeiten (21. Juni) und zwar im Süden der Stadt im Bereich Lichtenhof - Hundsschlagerhaus (ca. 600 Meter östlich des Herrensitzes) begonnen. Drei der acht Viertel der Stadt sollten dazu 3.000 Schanzer stellen. Notfalls sollte noch ein weiteres Viertel aufgeboten werden. Dazu kamen besoldete Schanzer, meist geflohene Bauern der Umgebung, Sol­ daten und, wie die Herren Älteren vermerkten, erstmalig in der Geschichte der Stadt, das Aufgebot der sieben stadtnahen Hauptmannschaften, in denen die Nürnberger Untertanen organisiert waren: Mögeldorf, Gostenhof, Eibach, Kraftshof, Poppenreuth, Ziegelstein und Heilig Kreuz.12

y StAN, Rst. Nbg., VHÄ 38, Bl. 62, 19.6.1632. 10 StadtAN A 26/11 Nr. 97a, Bl. 13, 13.6.1632. 11 Christoph Gottlieb von Murr: Beyträge zur Geschichte des dreyßigjährigen Krieges, insonderheit des Zustandes der Reichsstadt Nürnberg während desselben . . ., Nürnberg 1790, S. 56. — Donau­ bauer (wie Anm. 6), S. 56. - StAN, Rst. Nbg., VHÄ 38, Bl. 62, 19.6.1632 - StAN, Rst. Nbg., Handschriften (Hs.) 157a, Bl. 23; StadtAN A 22 Nr. 74.2°, Bl. 239- Olphhanson, in Nürnberger Archivalien auch Olof oder Olff Hanson, Oluf Hanssen, ist identisch mit dem untengenannten Ge­ neralquartiermeister. StAN, Rst. Nbg., Ratsverlässe (RV) 2135, Bl. 105. - StAN, Rst. Nbg., VHÄ 38, Bl. 61-62, 19.6.1632. - StAN, Rst. Nbg., RV 2136, Bl. 109, 21.6.1632.

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Am 23. Juni ließ der König den Rat durch den in Nürnberger, jetzt auch in schwedischen Diensten stehenden General Wachtmeister Balthasar Jacob von Schiammersdorff folgendes mitteilen:13 Er wolle von Wöhrd aus eine tranchee (Laufgraben) zum Rechenberg ziehen und auf der Höhe ein Realfort mit vier Bollwerken errichten.14 Herrn Andreas Imhoffs Haus und Schoppershof würden als Vorposten besetzt. Hier wolle er seine Kavallerie postieren. Das Lager und die teils in Bau befindlichen, teils geplanten Trancheen15 seien in vier Comentheus (Kommandobezirke) zu teilen: von Dürrenhof bis zum Rave­ lin am Pegnitz-Einfluß kommandiere sein Oberst Hebron (Hepburn), vom Pegnitz-Einfluß bis zu den Sieben Kreuzen und der Straße nach Thon General­ major von Schlammersdorff, von den Sieben Kreuzen (an der Bucherstraße) bis zum Rechenberg General Torsten (Linhart Torstenson) und vom Rechenberg bis Wöhrd Graf Nilles. Jedem dieser Offiziere wurden vier Nürnberger Bürger, meist Patrizier oder Genannte, beigegeben. An erster Stelle werden Wolf Friedrich Stromer, Sig­ mund Pfinzing, Georg Christoph Groland und Christoph Derrer genannt. Sie standen an der Spitze einer vom Rat Ende 1631 aus Jungen Bürgermeistern, jüngeren Alten Genannten und Genannten gebildeten „Deputation zum Schanzwerk“. Diese „Schanzherren“ waren keine Befestigungsfachleute.16 Das Entstehen dieser Ratsdeputation ist typisch für die Entwicklung reichs­ städtischer Behörden. Sie werden bei Bedarf vom Inneren Rat aus seinen Reihen gebildet und wieder aufgelöst, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt haben, andernfalls aber beibehalten. Sie entwickelten sich dann zu „Ämtern“ wie etwa die Losungund Kriegsstube oder das Landpflegamt. Als das Problem des Schanzbaues im Spätherbst 1631 akut wurde, wurden zuerst Einzelne vom Rat aus seinen Rei­ hen mit der Aufsicht über die Durchführung der Arbeiten betraut (Wolf Fried­ rich Stromer, Sigmund Pfinzing).17 Mit wachsendem Umfang der Aufgaben und Zunahme des Personals entwickelte sich die „Deputation zu dem Fortifikationswerk“18 bzw. „zur Fortifikation“,19 „zum Schanzen“20 und „zum Schanz13 StadtAN A 22 Nr. 278.2°, Protocoll der Kriegsstuben de Annis 1631, 1632, 1633, Bl. 88-89,

23.6.1632. 11 Sternschanze, hier mit regelmäßigem Viereck als Grundriß. 15 StadtAN A 22 Nr. 278, Bl. 89 ist von „vorhabenden“ Trancheen die Rede. 16 Ratslaufbahn und Ämtertätigkeit der Deputierten wurde StadtAN Bll Nr. 125, Ämterbuch der Reichsstadt Nürnberg, angelegt ca. 1735, entnommen. Siehe Bl. 41, 422, 473 und 524. Zur Ge­ nealogie siehe Johann Gottfried Biedermann: Geschlechtsregister des Hochadelichen Patriciats zu Nürnberg, Bayreuth 1748. 17 StadtAN A 22 Nr. 278, Bl. 39, 2.12.1631. 18 StadtAN A 26/11 Nr. 97a, Bl. 1-2 o. D. (1631/32). ly StadtAN A 22 Nr. 278, Bl. 71, 26.1.1632. StadtAN A 26/11 Nr. 97a, Bl. 18-19, 19.6.1632.

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werk“.21 Auf dem Höhepunkt ihrer Tätigkeit (Juni 1632) werden die Mitglie­ der der Deputation in den Ratsverlässen als „Schanz-Herren“22 bezeichnet, ver­ gleichbar dem Titel „Kriegsherr“ oder „Zeugherr“ für die in der Kriegsstube oder im Zeugamt tätigen Ratsherren. Dies waren jedoch Ämter, die schon eine 200jährige Geschichte aufwiesen — ein Zeichen dafür, welche Bedeutung der Rat der Deputation beimaß. Die Schanzherren waren, bevor sie in den Rat gewählt wurden, entweder in der städtischen Verwaltung (z. B. als Waldamtmann) oder als Gerichtsschöffen tätig. Aus Behörden mit sachverwandten Aufgaben, etwa dem Kriegsamt oder der Bauverwaltung, ging keiner hervor. Wolf Friedrich Stromer war allerdings der Sohn des 25 Jahre als reichsstädtischer Baumeister verdienstvoll tätigen Wolf Jacob Stromer,23 und Sigmund Pfmzing hatte in niederländischen Kriegs­ diensten gestanden und wurde am 20. April 1632 als „Kriegsverordneter“ in die Kriegsstube gewählt.24 Die Tätigkeit in einer Deputation war das Sprung­ brett in wohldotierte Ämter. Nachdem die Schanzarbeiten ihr Ende gefunden hatten, wechselten die „Schanzherren“ bis auf Sigmund Pfmzing in das Land­ pflegamt über, dem Georg Seyfried Koler seit 1630 schon angehörte: Wolf Friedrich Stromer war in diesem Amt, zu dessen Aufgaben das Aufgebot der Schanzer und des Landausschusses gehörte, von 1633 bis 1635, Christoph Derrer von 1643 bis 1659 tätig.25 Außerdem forderte der König, das Luder- oder Hundsschlagerhaus, das un­ mittelbar am Saum des Lorenzer Waldes lag, abzureißen. In Gostenhof sollten die vorhandenen Werke mit Flanken versehen werden. Die Gräben seien aus­ zuräumen und die flache Abdachung der Brustwehren zu ändern.26 Die Schwei­ neställe am Judenbühl sollten beseitigt und auf dem Fünfeckigem Turm einige Halbkarthaunen (24-pfündige Langrohrgeschütze) aufgestellt werden. Aus dem Plan des Königs, auf dem Rechenberg ein Real werk zu erbauen, ist zu ersehen, daß er in Nürnberg die gleichen Befestigungsanlagen wie in Mainz 21 StadtAN A 26/11 Nr. 100, Bl. 12-13, 7.3.1632. 22 StadtAN A 26/11 Nr. 97a, Bl. 20, 19.6.1632. 2? Biedermann (wie Anm. 16), CCCCLXIX; zu WolfJacob Stromer: StadtAN B 11 Nr. 125, Bl. 195. 24 Biedermann (wie Anm. 16), CCCCXV; StadtAN B 11 Nr. 125, Bl. 473. 25 StadtAN Bll Nr. 125,Bl.422. Am 22.1.1633 erging ein Rats verlaß, Groland und Derrer sollten sich wieder ganz ihrer Ratsstelle widmen und Stromer alle Schanzarbeiten übernehmen (StadtAN A 22 Nr. 278, Bl. 170, 22.1.1633): Stromer arbeitete mit 130 „guten“ Schanzern, die wöchent­ lich nicht ganz 200 fl kosteten, am Kronwerk vor dem Frauentor weiter (ebd., Bl. 166, 8.1.1633). 26 Wie aus StAN, Rst. Nbg., VHÄ 38, Bl. 79, 17.7.1632 zu ersehen ist, mußte der schwedische Kö­ nig seine Forderung, die vorhandenen Gräben und Brustwehren von Gostenhof auszubessern und mit neuen Außenwerken zu versehen, nach seiner Rückkehr aus Bayern wiederholen. Es war an­ scheinend zwischenzeitlich nichts geschehen.

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bauen lassen wollte. Wie bei der Fortifikation der dortigen Höhen von St. Al­ ban und Jakob und des Hauptsteins, die vor der Stadt lagen und deren Vorfeld beherrschten, mit Sternschanzen,27 wollte er auch die Verteidigungskraft Nürn­ bergs durch die Anlage von Außenforts verbessern. Das geschah dann auch im westlichen Vorgelände der Stadt. An einer Stelle, wo im Bereich der Teutschberren-Bleich, der zugehörigen Weiher und der Pegnitzauen feuchtes Terrain das Anlegen von Erd werken erschwerte, wurde im hoch wasserfreien Bereich die „Bärenschanze“ errichtet. Um einen Angreifer unter Kreuzfeuer nehmen zu können, wurde nördlich der Pegnitz auf erhöhtem Gelände, dort wo der Kir­ chenweg nach St. Johannis gegen Süden abbiegt, ein zweites Realwerk, die „Sternschanze“ angelegt, beide bastionär befestigt auf quadratischem Grundriß. Ähnliches plante der König auch im Osten der Stadt. Markgraf Albrecht Alcibiades von Kulmbach hatte die strategisch günstige Lage des Rechenbergs im Osten der Stadt erkannt, als er 1552 von hier und einer vorgelagerten Höhe aus Nürnberg mit einem wahren Feuerhagel überschüttete. Gustav Adolf wollte hier ebenfalls ein Realwerk errichten lassen, das durch einen mit Palisaden ver­ sehenen Laufgraben mit der Zirkumvallationslinie verbunden werden sollte.28 Der Plan kam nicht zur Ausführung, da Wallenstein und der bayerische Kur­ fürst die Stadt nicht in direkter Verfolgung ihres Anmarschweges, d. h. nicht pegnitzabwärts, angriffen, sondern weit nach Südwesten abbogen. Sie mar­ schierten über Amberg und Neumarkt gegen Schwabach. Aber auch von hier aus stießen sie nicht direkt gegen das schwedische Lager bei Lichtenhof vor, sondern bezogen bei Zirndorf (Alte Veste) ein befestigtes Lager.29 Diese Richtungswechsel des Feindes zwangen den Schwedenkönig, zuerst Wöhrd und dann den Bereich Lichtenhof — Haller Weiherhaus flir die Vertei­ digung in Betracht zu ziehen. Da jedoch die Gefahr bestand, daß der zahlen­ mäßig überlegene Gegner die schwedischen Truppen durch einen Scheinangriff im Süden binden würde und dann mit seiner Hauptmacht über die Pegnitz set­ zen werde, um Wöhrd anzugreifen, mußte er auch dessen Verteidigungsfähig­ keit verbessern. Wöhrd und das seit 1622 bastionär befestigte Gostenhof waren im Sinne der schwedischen Fortifikationstaktik „Außenwerke“. Wöhrd ver­ fügte über den „Rahm“, einen geschlossenen, aus der Rückfront der Häuser ge-

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Kahlenberg (wie Anm. 2), S. 106-110 mit Abb. 15, S. 92, Abb. 12, S. 112, Abb. 16. Die Belage­ rung von Mainz 1635 zeigte, daß die Außenwerke nicht gehalten werden konnten und der Angrei­ fer sie nach ihrer Einnahme zur Abwehr von Ausfällen, aber auch zum Angriff nutzen konnte. 28 StadtAN A 22 Nr. 278, Bl. 89, 23.6.1632. 29 Helmut Mahr: Wehrtechnische Bauten im Landkreis Fürth, I. Wallensteins Lager 1632, Kultur­ kunde des Bibert- und Zenntales, Nr. 3, Fürth 1978, S. 19. - Heinrich Schlüpfinger: Schwabachs Schicksal im Jahre 1632, Schwabacher Heimat, Heimatkundliche Beilage zum „Schwabacher Tag­ blatt“, Jh. 23, 26.6.1982, S. 15-22.

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bildeten, mit Schießscharten versehenen Mauerzug mit vier Torhäusern und vorgelegtem Graben.30 Diese Anlage konnte nur noch als Infanteriestellung ge­ nutzt werden. Der König ließ deshalb um den Ort einen Halbkreis mächtiger Schanzen aufwerfen, der im Süden an der Pegnitz begann und im Norden bis zum Stadtgraben zurückreichte. Unschlüssig war der König, ob er gegebenen­ falls sein Lager in den Bereich nördlich der Pegnitz verlegen, und deshalb eine Schanzlinie rechts der Pegnitz von Wöhrd bis zum Nürnberger Pegnitzeinfluß oder links des Flusses von Dürrenhof bis zum Flaschenhof errichten lassen solle.31 Für ein Lager südlich der Pegnitz sprach die gesicherte Trinkwasserver­ sorgung. Bei der Verlegung des Lagers nach Wöhrd hätte nur die Pegnitz zu diesem Zweck zur Verfügung gestanden. Wäre die Verteidigungslinie aus­ schließlich rechts des Flusses verlaufen, hätte feindliches Artilleriefeuer sehr bald eine Entnahme von Trinkwasser unmöglich gemacht, weshalb man plante, die Schanzlinie links der Pegnitz verlaufen zu lassen. Für ein Lager ausschließ­ lich im Süden der Pegnitz sprach die Möglichkeit, auch das Wasser des Fisch­ bachs und des Langwassers nutzen zu können, solange der Angreifer diese nicht ableitete. Auf jeden Fall gesichert war hierbei die Wasserentnahme aus der Peg­ nitz. Sie konnte wegen der Distanz auch durch feindlichen Geschützbeschuß kaum behindert werden. Die gesicherte Wasserversorgung für Mensch und Tier sprach für ein Lager südlich der Pegnitz. Ebenso wichtig war jedoch die Sicherheit Wöhrds, da von hier die Stadt, vor allem aber das königliche Lager im Rücken beschossen wer­ den konnte. Zwischen dem 21. und 24. Juni schlugen die schwedische Infanterie und die Artillerie hinter den in Bau befindlichen Schanzen im Südosten des Frauentors ihr Lager auf. Am 27. Juni folgte die Kavallerie. Erstere konzentrierten sich zwischen Lichtenhof, Haller Weiherhaus und dem Landgraben. Hier befanden sich auch das Hauptquartier, die Unterkünfte des Generalfeldmarschalls, des Generalquartiermeisters, des Generals der Artillerie und des General-Gewaltigers (Feldpolizei), die Marketenderei und die Zelte der Garde und eines halben Regiments Artillerie. Die Kavallerie lagerte weit auseinandergezogen zwischen der Wäsch (Untergalgenhof), Galgenhof (Obergalgenhof/Glockenhof), St. Peter und dem Frauentor. Zwischen Weiherhaus, Gleißhammer und der Tullnau war je ein Regiment Reiter und Musketiere stationiert. Nördlich der Pegnitz, vom Judenbühl westwärts, standen nur Wachabteilungen.32 50 Franz Willax: Das Verteidigungswesen der Reichsstadt Nürnberg im 17. und 18. Jahrhundert, in: MVGN 66 (1979), S. 198. 11 StadtAN A 22 Nr. 273, Bl. 89, 23.6.1632. ” StAN, Rst. Nbg., Hs. 158, Bl. 400; Hs. 157a, Bl. 23-24; Stadtbibliothek (StB) Nürnberg, Ambg. 523.4°, Bl. 505—506; Amb. 74.2°, Bl. 239—240. — Relation oder Nürnbergische Kriegs-Cronica

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Der König hatte eine zehn Punkte umfassende Anfrage an Bürgermeister und Rat gerichtet. Sie bezog sich auf die Fortifikation der Stadt, die Neuglie­ derung der bewaffneten Bürgerschaft und die Ausweisung aller die Verteidi­ gung nur belastenden Flüchtlinge. Der mit der Antwort an Gustav Adolf ent­ sandte Hans Jacob Tetzel33 referierte am 27. Juni,34 daß königliche Majestät mit der Antwort zufrieden sei. Die Kriegsverordneten, wie die dem reichsstädtischen Kriegsamt, der „Kriegsstube“, vorstehenden Ratsherren genannt wurden, hat­ ten hierzu noch einige Fragen, konnten aber andererseits noch einige klärende Ergänzungen zu noch offenen oder teilweise geklärten Fragen geben: Mit der Bürgerschaft, vor allem mit Frauen,35 sei beim Schanzen im Grundwasserbe­ reich und auf hartem Boden kein Baufortschritt zu erwarten. Graf Nilles, der schwedische Ingenieur-Offizier, forderte deshalb noch am gleichen Nachmit­ tag, die Bürger der Viertel, die an solchen Stellen schanzten, durch andere zu und Historische Beschreibung der fürnehmsten denkwürdigsten Händel, Scharmützeln und Tref­ fen, so sich zwischen der Königlichen Schwedischen Armee eines Theils, dann auch der Wallensteinischen und Bayrischen Armee andern Theils bey Nürnberg von den 4. Junij biß auff den 8., 9-, 12. und 13. September dieses 1632. Jahr verloffen und zugetragen hat. . ., (Nürnberg) 1632, S. 7. - (Michael Truckenbrot): Nürnberg im dreißigjährigen Kriege oder kurzgefaßte Geschichte des Antheils den die Stadt Nürnberg an diesem Krieg gehabt. . ., Nürnberg 1789, S. 62-66. - Murr (wie Anm. 11), S. 56—57. — Johan Friedrich Eger: Das denkwürdige Jahr 1632 oder das Treffen bei Fürth zwischen Gustav Adolf und Wallenstein, Nürnberg 1819, S. 274-277. - Franz von Soden: Gustav Adolf und sein Heer in Süddeutschland von 1631 bis 1635. Zur Geschichte des dreißig­ jährigen Krieges, Erlangen 1865—1869, Bd. 1, S. 323—325. - Ernst Mummenhoff: Altnürnberg in Krieg und Kriegsnot. 2. Aus den schlimmsten Tagen des dreißigjährigen Kriegs, Nürnberg 1917, S. 10-18. - Donaubauer (wie Anm. 6), S. 56. - Helmut Weigel: Franken im Dreißigjährigen Krieg. Versuch einer Überschau von Nürnberg aus, in: ZBLG 5 (1932) S. 40. 33 Johann Jacob Tetzel, geb. 1595, 1620 Alter Genannter, 1622 Junger Bürgermeister und erst seit kurzem (6. 5. 1632) Kriegsverordneter, wurde am 8.7.1632 zum „Obercommandanten“ der neu aufgestellten 27 Bürgerkompanien ernannt, zu denen die Stadt 24, Wöhrd zwei und Gostenhof eine stellte. Ihm, dem zwei Stabsoffiziere und zwei Adjutanten beigegeben waren, unterstanden 108 Offiziere, 159 Korporale und 2931 Gemeine, insgesamt 3203 Mann; Willax (wie Anm. 8), S. 270-271. Er wurde 1633 Alter Bürgermeister, 1642 Alter Herr und starb 1646 (StadtAN B 11 Nr. 125, Bl. 41, 473; StB Nürnberg, Gen. TI, 5. 54 StAN, Rst. Nbg., VHÄ 38, Bl. 68, 27. 6. 1632, zu Punkt 1-7. 35 Bei den „Weibspersonen“ handelt es sich um Dienstboten und Ehalten, vielleicht auch um die Ehe­ frauen der Handwerker, auf keinen Fall aber um die der Ehrbaren. Die Pflicht zum Schanzen oder ein „Wochengeld“ zu geben umfaßte alle Bürger, Einwohner und Schutzverwandte, auch alle Sol­ daten, Büchsenmeister, Einspännige, Monatsreuther und Provisoner; StadtAN A 26/11 Nr. 101, Bl. 2, 19-6.1632; Franz Willax: Bürgerausschuß und Feuergehorsam im Nürnberg des 17. und 18. Jahrhunderts, in: MVGN 75 (1988), S. 118-120. Bei Geistlichen, Kirchen- und Schuldienern, den Witwen mit Freiplatz in der Kartause, Seelfrauen, Gebrechlichen, Peuntknechten, Nachtwächtern und Türmern sollte das Schanzen auf zwei Tage pro Woche beschränkt werden. Die Schanzpflicht konnte hier durch zehn Kreuzer wöchentlich abgegolten werden. Insgesamt konnten aus der Ein­ wohnerschaft 3917 Schanzer aufgeboten werden. Der Rat gab unter dem 13.6.1632 bezüglich des Schanzens ein Dekret im Druck heraus, das bei Strafe des Stadtverweises gebot, nur „tüchtige Leut“ zum Schanzen zu entsenden; StadtAN A 26/11 Nr. 101, Bl. 4-7; StAN, Rst. Nbg., Mandate E 51.

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ersetzen und die Ablösung die Nacht durcharbeiten zu lassen. Der König schlage vor, die schwierigen Arbeiten am Judenbühl und bei Wöhrd für 500 Reichstaler durch seine Finnländer machen zu lassen.36 Der Rat stimmte dem zu, doch sollten alle Realwerke von Soldaten hergestellt werden. Die Nachtar­ beiten sollte das Regiment Leubelfing37 ausführen. Auch die in die Stadt ge­ flüchteten Bauern des Umlandes sollten dazu herangezogen werden. Da die Be­ festigung von Wöhrd dessen Bürgern zugute käme, sollten 500 Taler von ihnen aufgebracht werden. Der Rat ließ Dr. Chemnitz,38 dem schwedischen Verbin­ dungsmann, fast 1.000 fl überweisen. Bei dieser Summe blieb es allerdings nicht. Daraus läßt sich errechnen, daß die Soldaten des Königs fast 6.000 Manntage ableisteten.39 Um der Forderung des Schwedenkönigs, das unnütze Gesind aus der Stadt zu schaffen, nachkommen zu können, schlugen die Kriegsherren (Kriegsverordneten) Lagerplätze vor der Stadt vor, die noch im Schutz der November 1631 be­ gonnenen Schanzen lagen. Es waren die Hallerwiese, der Rahmgarten, die Fin­ delwiesen, der Scherlische Garten zwischen Frauentor und Flaschenhof und die Gärten bei der Mistgrube, vor der Veste am Kühberg (zwischen Tiergärtnertor und Vestnertor) und vor dem Wollentor zu Wöhrd. Noch am 27. Juni sollten die Untertanen, d. h. die geflüchteten Bauern der Nürnberger Pflegämter, aus Wöhrd und Gostenhof, den Gärten vor der Stadt und dann aus dieser selbst ge­ wiesen werden. Die Ausführung sollte durch die derzeit funktionslosen Wald­ herren überwacht werden.40 Die Zuordnung des Stadtschreibers läßt vermuten, daß die Zahl der Flüchtlinge festgestellt werden sollte, um sie als Schanzer, not­ falls auch als von der Stadt bewaffneten Ausschuß, nutzen zu können und ihren Brotbedarf abzuschätzen. Schon aus diesen Gründen sollten sie auf den obenge­ nannten Plätzen konzentriert werden. Der Schwedenkönig dachte daran, zur Verteidigung der Schanzen auch die Bürgerschaft heranzuziehen. Noch am 27. Juni war an die Viertelmeister und Kriegsherren die Weisung ergangen, die Waffenfähigen in Rotten oder Fähn­ lein zu teilen.41 Die Bürger sollten aufgefordert werden, sich mit Musketen an­ stelle der untauglichen Spieße auszustatten. Gegen einen niedrigen Preis soll­ ten Gewehre aus dem Zeughaus abgegeben werden.42

36 StAN, Rst. Nbg., VHÄ 38, Bl. 69, 27. 6. 1632, zu Punkt 1. 37 Johann von Leubelfing war seit 1620 als Oberst in Nürnberger Diensten; Willax (wie Anm. 8), S. 278-281. ” Willax (wie Anm. 8), S. 262 f. und Anm. 12. 39 StAN, Rst. Nbg., B-Laden, Akten (BLA), S I L 217, Nr. 22, Lit. A, Nr. 2: 994 fl, 10 Kreuzer. 40 StAN, Rst. Nbg., VHÄ 38, Bl. 68-70, 27. 6. 1632 (Punkt 3). 41 Ebd. Bl. 69’ (Punkt 5-7). « Ebd. Bl. 70.

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Trotz der Notwendigkeit, die Lebensmittelversorgung ihrer Familien sicher­ zustellen, Vorräte anzulegen und dem Rat als Schanzer oder Bewaffneter zur Verfügung zu stehen, gab es immer noch Müßiggänger, die sich nicht an den Schanzarbeiten beteiligten. Der Rat mußte deshalb am 28. Juni43 ein Mandat erlassen, daß nur dann Bürger und Gesinde die Tore passieren durften, wenn sie bereit waren, am Schanzwerk teilzunehmen. Höhepunkt des Einsatzes der Nürnberger Bürgerschaft zum Schanzbau war der 3. Juli, als die Nachricht eintraf, der Feind habe sich auf zwei Meilen (= ca. 15 km) der Stadt genähert.41 Es war der Tag, an dem Schwabach eingenommen und geplündert wurde.45 Gustav Adolf mußte nicht nur hilflos Zusehen, er mußte sogar befürchten, daß der Feind über die Pegnitz setzen und die noch of­ fene Sebalder Seite seiner Zirkumvallation angreifen werde. Das Weinmarktviertel, mit Lukas Friedrich Behaim46 und Burkhart Löffel­ holz als Viertelmeistern,47 erhielt den Auftrag, mit den Gärtnern hinter der Ve­ ste und bei Wöhrd nebst einigen besoldeten Bauern mit acht Wägen 58 Ru­ ten48 am Judenbühl zu verschanzen. Eine Rute zu zwölf Schuh (= 0,304 m) sollte in acht Stunden verfertigt werden. Dabei sollten fünf Schanzer vier Stun­ den arbeiten und dann abgelöst werden — ein Zeichen für den Zeitdruck, unter dem der Rat durch das unablässige Drängen der Schweden stand. Als eine Inspektion durch den Schwedenkönig am gleichen Tag ergab,49 daß bei St. Jobst sogar noch 900 Ruten (ca. 3,3 km) offen standen, wurden die Vier­ telmeister beordert, nicht nur Bürger und Schutzverwandte, sondern auch die in ihren Vierteln Zuflucht suchenden Untertanen der reichsstädtischen Pflegämter und sogar die der Markgrafentümer aufzubieten. Die Viertelmeister erhielten zu dieser Anweisung Ausführungspläne, denn im Ratsverlaß ist ver­ merkt, daß das Schanzen von Lit. C bis D geschehen solle. Die „Deputation zum Schanzwerk“ wies die Viertelmeister in ihre Arbeit vor Ort ein,50 da die Fach­ leute des Rates, wie Johann Carl mit der Aufstellung der Artillerie und Haupt­ mann Wilhelm Schmidt mit Planungsarbeiten beschäftigt waren.51 4J 44 45 46 47 48 4y 50

StAN, Rst. Nbg., Mandate E 57, 28.6.1632. StadtAN A 26/11 Nr. 103, B1.5, 2.7.1632. Mahr (wie Anm. 29) und Schlüpfinger (wie Anm. 29). Willax (wie Anm. 8), S. 261 f. und Anm. 19. StadtAN B 11 Nr. 535. 58 rheinische Ruten zu 12 Schuh ä 0,304 Meter entsprechen ca. 210 Metern. StAN, Rst. Nbg., RV 2137, Bl. 12, 2.7.1632; StadtAN A 26/11 Nr. 103, Bl. 2, 22.6.1632. StadtAN A 22 Nr. 278, Bl. 4,7.11.1631, Bl. 5,8.11.1631, Bl. 12, 11.11.1631, Bl. 71,26.1.1632; StadtAN A 26/11 Nr. 97a Bl. 1-2, Bl. 12-13, 13.6.1632, Bl. 18-20, 19-6.1632. 51 StadtAN A 22 Nr. 278, Bl. 103, 14.7.1632 (Johann Carl); StadtAN A 26/11 Nr. 97a, Bl. 13, 13-6.1632 (Schmidt). Schmidt überwachte die Bauausführung der von ihm geplanten Schanzen vor dem Stadtgraben der Südfront und unterstützte die schwedischen Ingenieure bei der Planung der Zirkumvallationslinie.

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Die zum Schanzen aufgebotenen Bürger hatten sich unter ihren Gassen­ hauptleuten in aller Frühe vor dem Haus des ältesten Viertelmeisters einzufin­ den. Gemeinsam marschierten sie zur Baustelle. Zum Ansporn wurde die ko­ stenlose Brotration auf einen halben Laib, die Haferration für gestellte Ge­ spanne auf zwei Reuttermäßlein verdoppelt.52 Wie aus der Zahl der unentgeltlich gereichten Brotrationen zurückgerechnet werden kann, waren am 7. Juli bei St. Johannis ca. 840 Schanzer tätig.53 Fünf Tage später wurde festgelegt, mittags zwischen 11 und 1 Uhr eine Pause einzulegen, um die Kräfte der Schanzer in der heißen Jahreszeit zu schonen.51 Die Arbeiten an der Fortifikation dauerten, bis die Schanzen in Defension bzw. in vollkommenen Stand gebracht waren, nach Angaben zeitgenössischer Historio­ graphen und Chronisten acht bis zehn, nach anderen 14 Tage.55 Wahrscheinlich kam es hier darauf an, welcher Ausbauzustand angestrebt wurde: „nackte“ Erdwälle und Gräben oder Wälle mit Wasenabdeckung oder mit Palisaden, Sturmpfählen, Gattern, Corps de garde (Wachhäuser), Geschützbettungen, Schanzkörben (zum Schutz der Batterien) etc. versehen. Die Schanzzeit war abhängig von den Abmessungen der Gräben und Wälle: Die Schanzgräben seien 12 Fuß breit und acht Fuß tief gewesen, an gefährlichen Stellen 18 Fuß breit und 12 Fuß tief.56 Nach anderen Angaben seien die Lauf­ gräben 15 Fuß breit und 12 Fuß hoch gewesen.57 Der Bereich bei Lichtenhof — Haller Weiherhaus - Pegnitz (und Wöhrd) wurde wahrscheinlich deshalb möglichst schnell und zwar noch vor dem Raum Gostenhof — Bärenschanze — Sternschanze verschanzt, weil der Feind bei Schwa­ bach, dann im Raum Zirndorf — Alte Veste stand. Die eigentlichen Erdarbeiten im Lagerbereich waren vermutlich in acht bis zehn Tagen abgeschlossen, während die im Norden der Stadt sich bis in den Spätherbst hinzogen.58

52 StAN, Rst. Nbg., RV 2137, Bl. 12-13, 2. 7. 1632, Bl. 14, 4.7.1632; StadtAN A 26/11 Nr. 103, Bl. 7, 2.7.1632, Bl. 8, 4.7.1632, Nr. 97a, Bl. 21-22, 12.7.1632. 53 StadtAN A 26/11 Nr. 97a, Bl. 27, 8.7.1632. 54 StAN, Rst. Nbg., RV 2137, Bl. 63, 12.7.1632. 55 Kriegs-Cronica (wie Anm. 32), S. 7-8 (8-10 Tage). - Truckenbrot (wie Anm. 32), S. 64 (8-10 Tage). - Murr (wie Anm. 11), S. 56-57 (14 Tage). - Soden (wie Anm. 32), S. 322 (15 Tage). - StB Nürnberg, Amb. 523.4°, Bl. 505 f. (8-10 Tage); Nr. 74.2°, S. 239 f. (14 Tage). - StAN, Rst. Nbg., Hs. 157 a, Bl. 23 f. (14 Tage). 56 Truckenbrot (wie Anm. 32), S. 65 f. 57 StAN, Rst. Nbg., Hs. 158 (Leubelfingsche Chronik), S. 400, 20. 6. 1632. - Soden I (wie Anm. 32), S. 322. 58 StadtAN A 22 Nr. 278, Bl. 121, 2.10.1632, Bl. 125, 17.10.1632. Am 3.10.1632 sollte mit den Arbeiten an einem Kronwerk vor dem Frauentor entsprechend einem Befehl Gustav Adolfs vom 17.8.1632 begonnen werden; StadtAN A 26/11, Nr. 97a, Bl. 26, 17.8.1632; StAN, Rst. Nbg., RV 2138, Bl. 87, 17.8.1632; StadtAN A 22 Nr. 278, Bl. 121,2.10.1632.

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Für die Befestigung des schwedischen Lagers bei Werben an der Elbe, das Tilly 1631 vergeblich anzugreifen versuchte, wird als Bauzeit der neuen Werke zwei Wochen und für den Umbau eines Elbedamms zu Verteidigungszwecken drei Tage angegeben.59 Die Angabe, das „Wallensteinische Lager“ bei Zirndorf — Altenberg - Unterasbach mit starken vorgeschobenen Schanzen an der Alten Veste und einer Sternschanze südwestlich von Unterasbach sei in drei Tagen „errichtet“60 wor­ den, kann sich nicht auf den Bau der gesamten Befestigung beziehen. Vom Be­ zug des Lagers am 13- bis 17. Juli bis zu den ersten Angriffen der Schweden am 31. August61 standen Wallenstein und dem bayerischen Kurfürsten sechs Wo­ chen zur Verfügung, ihr Lager zu befestigen, wobei auch sie sich bemüht haben dürften, den feindnahen Bereich möglichst schnell verteidigungsfähig zu ma­ chen. Die Trasse der Zirkumvallationslinie und der Lagerbefestigung Gustav Adolf und seine Offiziere und Ingenieure hatten, nach Überlegungen, die ständig die sich ändernden Voraussetzungen berücksichtigen mußten, eine Lösung gewählt, die Lager und Stadt gleicherweise schützten: - Das Lager wurde in den Südosten vor die Stadt verlegt, wo die Trinkwasser­ versorgung gewährleistet war. - Stadt und Lager wurden von einer gemeinsamen Zirkumvallationslinie um­ schlossen und geschützt. - Die Befestigung von Wöhrd und Gostenhof, im kleineren Umfang Bären­ schanze und Sternschanze wurden als allseits verteidigbare Außenforts ge­ staltet, die allenfalls gegen die Stadt offen waren. - Die starke Verschanzung von Wöhrd war so weitläufig, daß das gesamte schwedische Fußvolk darin Platz gefunden hätte, wenn die militärische Si­ tuation, z. B. feindlicher Artilleriebeschuß, einen Wechsel der Flußseite notwendig gemacht hätte. - Selbst ein Rückzug in den geschützten Bereich nördlich bzw. nordwestlich der Stadt war denkbar, wenn feindlichen Kanonaden ausgewichen werden mußte. Hier wäre allerdings die Trinkwasserversorgung ein Problem gewe­ sen. 59 60 61

Matthäus Merian see 1. Erben: Theatrum Europaeum, Bd. 2, Frankfurt/Main 1679, nach S. 416. Mahr (wie Anm. 29), S. 20. Mahr (wie Anm. 29), S. 51.- Robert Monro: His Expedition . . . with the Scots Regiment, London 1637, S. 133-149 gibt die Dauer des Schanzens an der Nürnberger Lagerbefestigung ebenfalls mit zehn Tagen an.

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Seine ursprünglichen Pläne hatte der König einschränken müssen: Auf das Realwerk auf dem Rechenberg und einen Laufgraben, der dieses mit der Stadt verbunden hätte, verzichtete er. Auch das eine oder andere Außenwerk der La­ gerbefestigung dürfte nicht zur Ausführung gekommen sein. Der Grundgedanke der schwedischen Planung geht aus einer im Stockhol­ mer Kriegsarchiv verwahrten Skizze hervor.62 Ohne auf genaue Abmessungen zu achten, ist sie von unbekannter Hand, wahrscheinlich unmittelbar vor Ort, scheinbar flüchtig hingeworfen, beruht aber auf unterschiedlichen Planungs­ vorstellungen, die hier zu einem Ganzen zusammengefaßt wurden. Sie enthält alle wichtigen Planungsdetails. Sie dürfte in eine ganze Anzahl von detaillier­ ten Ausführungsplänen umgesetzt worden sein, die den für die einzelnen Tras­ senabschnitten verantwortlichen Ingenieuren, Schanzherren und Viertelmei­ stern ausgehändigt wurden. Nach weitgehender Vollendung der Schanzarbeiten wurde ein Bestandsplan erstellt, der das Datum 12. August 1632 und den Namen Olao Johanne Gotho63 trägt. Die Bauausführung könnte auch die Darstellung im „Theatrum Europaeum“, Band II, wiedergeben.64 Auch die Abbildung aus der Vogelschau des Nürnberger Ingenieur-Hauptmanns Johann Kaler soll laut Legende den letzten Stand der Schanzarbeiten wiedergeben: Des H. Rom. Reichs Statt Nürnberg, wie die

62 Krigsarkivet Stockholm, Serviges Krig 3: 57, Nr. 3 „Nürnbergh 1632“ mit deutscher Beschriftung u. a. der Lagerplätze der Regimenter und der Kommandeure, der Nürnberger Vororte und Tore. 63 Ebd. 3: 55, Nr. 1 „Plan de Nörmbergk, ex Olao Johanne Gotho, die Aug. 12 Anno 1632“ mit deut­ scher Beschriftung der Lagerplätze der Regimenter und ihrer Kommandeure, der Nürnberger Vor­ orte und Herrensitze. Ebd. 3: 59 ist eine Kopie von 3: 55 gefertigt von K. F. von Röök. Keine Ko­ pie von ebd. 3:55, wenn auch fast identisch, ist StadtAN A 4 Nr. 1275 (Reproduktion aus dem Ba­ dischen Generallandesarchiv Karlsruhe, HfK, Bd. XVIII, Bl. 18). Nicht dargestellt ist der Linien­ bereich von Gleißhammer bis zur Viereckschanze nordöstlich der Tullnau, der Schanzzug rechts der Großen Pegnitz zwischen Wöhrd und Pegnitzeinfluß, die Flesche östlich von Wöhrd und die Schanze Nr. 2 bei Gostenhof. Die übrigen Werke sind hier in der Kehle offen, wie auch die Schanze auf viereckigem Grundriß nordöstlich der Sternschanze. In der Stadt sind einige Gebäude (Burg, Waffenhöfe des Laufertors, Frauentors und Spittlertors) genau festgelegt, ebenso die Straßen und Wasserläufe vor der Stadt. Dagegen fehlt der Landgraben. - Zur Rekonstruktion ist jedoch die Dar­ stellung wenig geeignet, da die charakteristischen Bezugspunkte im Vorgelände fehlen: Lichtenhof, Hummelstein, Haller Weiherhaus, St. Peter, Kirche und Wassertor von Wöhrd, „Aichenbühl“, Gleißhammer, Glockenhof. - Das gleiche gilt für StadtAN A 4 Nr. 552; diese Karte gibt den ganzen Linienzug nördlich der Pegnitz wieder und ebd. Nr. 553 die Befestigungen am Pegnitzein­ fluß, das Kronwerk vor dem Frauentor, die beiden Schanzen zwischen Frauentor und Spittlertor un­ mittelbar vor dem Graben und Gostenhof - Bärenschanze. Da in ebd. Nr. 552 die Schanzenlösung des 17. Jahrhunderts mit Veränderungen bei Wöhrd und zahlreiche Angaben zu Straßen, Wegen, Gattern, Stegen über Gräben und Besitzernamen der Gärten wiedergegeben sind, dürfte es sich um einen um 1700 entstandenen Plan handeln. Angaben zur Lagerbefestigung fehlen gänzlich. 64 Merian (wie Anm. 59), S. 660 „Castra Suecica ad Norimbergam Kön. Schwedische Läger Anno 1632“.

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von Gustavo Adolpho, König zue Schweden ist fortifizirt worden.65 Alle drei Zeich­ nungen weichen jedoch in einer Reihe von Einzelheiten voneinander ab. Auf diese soll noch eingegangen werden. In den Beständen des schwedischen Kriegsarchivs befindet sich auch ein Plan der Verschanzung von Wöhrd,66 der jedoch in allen Details mit der „Skizze“ und Gothos „Bestandsplan“ überein­ stimmt. Bei der Rekonstruktion der Lagerbefestigung wurde von jenem Plan ausgegangen, der das Datum 12. August 1632 und den Namen Olao Johanne Gotho trägt. Begründet ist dies durch die Persönlichkeit Gothos, seine Stellung im schwedischen Heer und seine Erfahrung als Ingenieur:67 Gotho, in den Nürnberger Ratsverlässen als Olphhansson, in den Bestandsrepertoiren des Kriegsarchivs68 und in der deutschsprachigen Gustav-Adolf-Literatur69 als Olof Hansson Örnehufvud bezeichnet, entwarf die Befestigungsanlagen der schwe­ dischen Heerlager von Werben/Elbe, Mainz-Gustavsburg, Nürnberg und Naumburg/Saale, die sich alle durch die Ausnutzung der natürlichen Gegeben­ heiten auszeichnen. Die von Gothos Plan abweichenden Darstellungen des „Theatrum Europaeum“ und Kalers betreffen nur Details, so daß sie bei der Schilderung des Trassenverlaufs ausgeklammert werden können. Bei der Beschreibung des Trassenverlaufs der Lagerbefestigung und der Erör­ terung der getroffenen Detaillösungen, soll in Anlehnung an den beigelegten Plan (siehe Falttasche am Ende des Bandes) im Südosten Nürnbergs und zwar unmittelbar südlich der Pegnitz begonnen werden. Hier wurden die natürli­ chen Voraussetzungen von den schwedischen Ingenieuren besonders gut ge-

65 Stadt AN A 4 Nr. 474 „Des H. Röm. Reichs Statt Nürnberg wie die von Gustavo Adolpho König zue Schweden etc. ist fortificirt worden . . . Herrn Johann Wilhelm Kress von Kressenstein unnd Neunhof. . . deticirt [durch] Joh. Kaller Jun.“ Die Stadtviertel und Gassenhauptmannschaften sind in Legende angegeben. Links unten Darstellung Gustav Adolfs auf einem mit vier Rossen be­ spannten, mit schwedischem Wappen und Kriegstrophäen geschmückten Triumphwagen begleitet von zwei, Standarten tragenden Siegesgöttinnen. 66 Krigsarkivet Stockholm, Utländska kartor, Tyskland, Stads- och fästningsplaner (SFP) Nürnberg, Nr. 6 „Werdt Vorstadt bei Nörrenbergh“. Durch Schreiben vom 29. 7. 1982 teilte das Kriegsarchiv Stockholm mit, daß „der von Ihnen nachgefragte Traytorrens-Plan (Handritade kartverk nr. 22 sid 89 + 90) ist leider vergessen“ (verloren?) worden. 67 Michael Roberts: Gustavus Adolphus. A History of Sweden 1611-1632, London/New York/Toronto 1953, Bd. 2, S. 718f. „The work (Nurmeberg leaguer) was completed, under the king’s personal direction, by his brilliant engineer Olof Hansson örnehufvud; and it was pushed on with such speed that by the time Wallenstein arrived before Nuremberg it was virtually finished“. Die Linie hätte weitläufig Raum für Manöver innerhalb der Werke geboten, ebd. S. 71968 Z. B. Krigsarkivet Stockholm, Serviges Krig, 3:55, Nr. 2, Ur: Olof Hansson örnehufvud. 69 Felix Berner: Gustav Adolf - Der Löwe aus Mitternacht, Stuttgart 1982, S. 448, 464. - Marcus Junkelmann: Gustav Adolf (1594-1632), Schwedens Aufstieg zur Großmacht, Regensburg 1993, S. 240, 397,429,448.

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meistert. Die Verschanzung war hier in der Ostflanke des Lagers zweifach hin­ tereinander gestaffelt. Es wurden die teilweise schon im 14. Jahrhundert künst­ lich angelegten Läufe des Fischbachs und des Goldbachs, des Siechengrabens bei St. Peter und die von diesen gespeisten Weiherketten als Annäherungshin­ dernis genutzt. Am weitesten nach Osten vorgeschoben war südlich der Pegnitz eine Vier­ eckschanze. Diese lag auf einer Anhöhe, die nach Osten kaum sichtbar, zur Senke der Tullnau und zur Pegnitz jedoch steil abfällt. Sie war, um das Vor­ gelände optimal beobachten zu können, am höchsten Punkt angelegt worden (heute: Cimbernstraße 7). Von hier verlief ein Palisadenzaun bis zur Pegnitz hinab und auf der anderen Seite ein Schanzgraben bis zum Weiherdamm der Tullnau. Den schwedischen Ingenieuren galten der Weiher, bis er durch den Ei­ senbahnbau in der Mitte des 19- Jahrhunderts wesentlich verkleinert wurde, und dessen Steilabfälle als ausreichendes Annäherungshindernis, so daß hier nur eine lange Schanze mit halbkreisförmigem Grundriß und einem etwa 70 Meter langen Wallgraben angelegt wurde, der die nassen Wiesen vom oberen Weiherende bis zum Gleißhammer begleitete. Er endete an der „Befestigung“, die jene Höfe umgab, die vor dem Brückenkopf des Herrensitzes lagen. Während dieser inmitten eines ebenfalls durch den Eisenbahnbau verkleinerten Weihers lag und dadurch geschützt war,70 umgab die zugehörigen Höfe, nach Art der Darstellung, eine Mauer mit kleinen Türmen auf halbkreisförmigem Grundriß, z.T. als Schalentürme ausgebildet. Merkwürdigerweise ist diese Ver­ teidigungsanlage, möglicherweise mittelalterlichen Ursprungs, nur auf Gothos Plan dargestellt. Die von den schwedischen Ingenieuren geschaffene Verbindung von Natur und Befestigungskunst war in diesem Bereich so hervorragend gelöst, daß ein Angriff massiver Artillerievorbereitung bedurft hätte. Die Schweden hatten zu­ dem hier acht Kompanien Fußvolk stationiert. Der Schanzgraben des hier beginnenden Südost-Abschnitts verlief bis zum Haller Weiherhaus (ehemals am Ostrand eines großen, schon im 19. Jahrhun­ dert weitgehend aufgegeben Weihers, kriegszerstört und überbaut). Der Durch­ laß des Wegs nach Zerzabelshof wurde durch einen Haken im Schanzverlauf flankiert, der sich unmittelbar an die Höfe des Gleißhammers anlehnte. Der Straßenüberwachung dienten zwei Viereckschanzen, wie sie auch zum gleichen Zweck der Mainzer Umwallung vorgelegt wurden. Die nördliche, die in den Linienzug eingebunden war, deckte den Durchlaß der Straße, die vom Frauen­ tor, an St. Peter und dem Weiherhaus vorbei, nach Mögeldorf und von dort

Heute: Zeltnerweiher.

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pegnitzaufwärts führte. Keine hundert Meter südlich lag der Durchlaß der Re­ gensburger Straße, die sich hier mit dem obengenannten Straßenzug kreuzte. Hier war ca. 90 Meter vor dem Linienwall eine zweite Viereckschanze errichtet worden. Beide Werke lagen so nahe beieinander, daß sie sich durch Handfeuer­ waffen unterstützen konnten. Die Linie umging in einem weiten Bogen den Haller Herrensitz und den Weiher und lief dann über 1.250 Meter nach West­ südwest. Vom Weiherhaus zog sich in Gothos Planung westlich an dem Siechkobel St. Peter und seinen Teichen und Fischbehältern vorbei eine zweite Schanzlinie nach Norden. Sie endete bei Dürrenhof in einer über der Pegnitz gelegenen Viereckschanze. Im Wallgraben jedoch, der sich im leichten Bogen nach Westsüdwest zog, waren sechs geschlossene Schanzen auf fünfeckigem Grundriß einbezogen wor­ den. Nur die sechste Schanze hatte viereckigen Grundriß. Der Abstand der Schanzen voneinander war unterschiedlich 120 bis 280 Meter und richtete sich nicht nach der Musketenschußweite, die nicht ganz 250 Meter betrug,71 son­ dern nach der Lage der Straßen- und Wegdurchgänge. Zwischen dritter und vierter Schanze lag unmittelbar hinter der Linie (im Bereich Holzgarten-, Bal­ durstraße) die Fallmeisterei, das Hundsschlagerhaus, die Wirkungsstätte des Meisters vor dem Wald oder des Nachtjägers, wie der Schinder genannt wurde. Der Hof war also nicht beseitigt worden, wie dies der Schwedenkönig gefordert hatte. Durch diese Linienführung waren auch der südlich des Weiherhaus gele­ gene Hallersche Ziegelstadel und der Forsthof am Fischbach erhalten geblie­ ben. Nach der sechsten Schanze, die südlich des Lichtenhofs lag, bog die Linie fast unter rechtem Winkel nach Nordnordwest ab. Bei Kaler liegt diese Schanze weiter östlich, wie überhaupt die Ecklösung eine andere ist. Ebenfalls nur in der „Skizze“ und bei Gotho, nicht aber bei Kaler und im „Theatrum“, sind zwei der Zirkumvallation vorgelagerte Schanzen dargestellt. Die erste ist in der Mitte zwischen dieser sechsten Schanze und Hummel­ stein eingeplant. Sie hat die Form eines Hornwerks, deren Flanken nicht bis zum Wallgraben zurückführen. Ihre Form mag dadurch beeinflußt worden sein, daß hier zwei aus dem Raum Schwabach-Neumarkt kommende Straßen unter spitzem Winkel Zusammentreffen. Die Schanze war gegen den etwa 1.000 Meter entfernten Hasenbuck ausgerichtet, der die Umgebung um etwa

71

Nach Alois Veltze: Ausgewählte Schriften des Raimund Fürsten Montecuccoli, Bd. II, Wien 1889, S. 224 galt eine Musketenschußweite von 300 Schritt = 60 rheinische Ruten ä 12 Wiener Fuß (= 0,316 Meter).

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40 Meter (342,7 m ü. NN.) überragte und für einen Angreifer eine ausgezeich­ nete Artilleriestellung abgegeben hätte. Um es verteidigen zu können, mußten die Flanken und die Kehle dieses Werks durch die Aufstellung von Palisaden sturmfrei gemacht werden. Wenn nicht wenigtens die Flanken achtzig Meter lang als Wall aufgeworfen wurden, waren die Facen dieser Schanze leicht zu enfilieren, d. h. in Richtung des Wallverlaufs zu bestreichen. Noch näher am Ha­ senbuck lag die Hügel- oder Igelschanze (etwas nördlich der Sperberstraße im Be­ reich des Budapester Platzes). Als weit vorgeschobene Schanze, die alleinge­ stellt verteidigt werden mußte, war sie, wie eine Viereckschanze, völlig ge­ schlossen (mit schmalem Zugang im Rücken). Die feindseitige Front bestand jedoch aus einem vollen und zwei halben, äußerst kurzen, sägezahnartigen Redans (Werk in Form einer Pfeilspitze). Diese Form erschwerte dem Gegner den enfilierenden Beschuß. Wenn vom Hasenbuck aus Gefahr drohte, stellte das etwa 250 Meter südlich der fünften und sechsten Schanze der Lagerbefestigung gelegene Herrenhaus Hummelstein eine gut zu verteidigende Infanteriestellung dar. Inmitten eines Weihers gelegen, d. h. ein typisches Weiherhaus, besaß es eckturmbewehrte Mauern. Wurde das Dach des Hauptbaues abgeworfen, konnte auf dem ober­ sten Geschoß mittelschwere Artillerie aufgestellt werden. Wegen des Gewichts eines Sechspfünders von ca. 20 Zentnern hätte die Dachgeschoßdecke mit ei­ nem Balkengerüst verstärkt werden müssen. Da ein Sechspfünder bei 1 Grad Elevation eine Reichweite von 600, bei 45 Grad aber von 4.000 Schritt besaß, der Hasenbuck jedoch nur 1.000 Schritt entfernt lag, wäre er vom Hummel­ stein aus beschießbar gewesen. Wie schon geschildert, bog an der sechsten Schanze des Mittelabschnitts der Lagerbefestigung (bei Lichtenhof) die Linie fast rechtwinkelig nach Nordnord­ west ab und verlief, in der Trasse immer stärker konkav gekrümmt, auf die Südseit der Stadtmauer zu, wo im Bereich des Tafelhofs der Fischbach seit Jahr­ hunderten über den Stadtgraben in die Stadt geleitet wurde. Dort hatte der Rat im November 1631 beiderseits des Spittlertors drei Erd­ bastionen vor jene Mauerstellen legen lassen, wo gefährliche Setzungserschei­ nungen das Zwinger-Mauerwerk gefährdeten: eine Bastion beim FischbachEinfluß, ein Hornwerk am östlichen Ausgangspunkt der Gostenhofer Umwal­ lung und eine weitere Bastion, die die Senke beim Deutschherren-Weiher be­ herrschen sollte — alles Werke mit kurzen Flanken, um dem Gegner das Enfilieren zu erschweren. Geplant hatte diese Werke der in Hamburg und Lübeck im Niederländischen Bastionärsystem geschulte Hauptmann im Regiment Leubelfing Wilhelm Schmidt, der Sohn eines Nürnberger Bürgers war.72 72 Zu Wilhelm Schmidt (1598-1659) siehe Anhang.

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Die schwedischen Planer der Lagerbefestigung (Juni 1632) sahen für deren Westabschnitt drei Schanzen auf fünfeckigem Grundriß und unmittelbar bei Tafelhof eine Tenaille, einen die Bestreichung der Kurtine ermöglichenden Wallwinkel, vor. Dort, wo die vom Frauentor aus nach Rothenburg und Ulm führende Straße zwischen dem zweiten und dritten Werk den Wall durchstieß, wurde dem Durchgang ein fleschenartiges Ravelin vorgelegt. Dieser Westabschnitt der Lagerbefestigung vom Sommer 1632, Schmidts östlich des Spittlertors gelegene Schanzen vom Spätherbst 1631 und die Ost­ flanke der Gostenhofer Umwallung von 1622 waren für die schwedischen Pla­ ner eine funktionelle Einheit. Topographische Besonderheiten hatten diese Lö­ sung nicht erzwungen: keine strategisch wichtigen Höhen, keine Flußüber­ gänge. So weit das Auge reichte, ebenes, waldloses Gelände, nichts als Gärten, Wiesen und Felder, darin eingebettet ein Dorf (Steinbühl) und einige Gehöfte. Vom Tafelhof zum Gostenhof, d. h. über eine Distanz von fast 1.500 Metern, wurde von den schwedischen Ingenieuren keine durchgehende Schanzlinie ge­ plant. Anscheinend hielten sie Schmidts Schanzen und die vier hinter der Stadt­ mauer aufgestellten Artillerieplattformen73 für ausreichend. Die Kampflinie war allerdings nun dreimal so lang, wie wenn der Westabschnitt der Lagerbefe­ stigung direkt mit der Gostenhofer Verschanzung verbunden worden wäre. Da beide weitgehend konkav gekrümmt waren, war im Bereich des von den Schweden als Aicbenbühl bezeichneten Steinbühl ein trichterförmiger Leerraum entstanden. Hier wurden von den schwedischen Ingenieuren im halbkreisför­ migen Bogen sechs Viereckschanzen, 25 Meter im Geviert, mit je einem Ab­ stand von 180 bis 270 Metern eingeplant. Sie lagen unmittelbar hinter dem (mittelalterlichen) Landgraben,74 der hier über etwa 200 Meter nach Norden ausbuchtete, und vor den Gehöften von Steinbühl mit seinem als Infanterie­ stellung nutzbaren Weiherhaus. Für die trichterförmige Schanzentrasse und die sechs Viereckschanzen bietet sich folgende Erklärung an: Das Verlassen eines verschanzten Lagers erforderte es, die engen Durchlässe in Kolonnen zu passie­ ren, d.h. bei der Lineartaktik der Zeit die Schlachtordnung aufzugeben. Es war dies ein Spezialfall des klassischen taktischen Problems des so genannten „Debouchierens eines Defiles“, des Passierens eines Engweges (durch Waldungen, und Sümpfe), eines Gebirgspasses, einer Furt oder Brücke. In Gegenwart eines Feindes war es jedoch äußerst gefährlich, die Schlachtordnung aufzugeben, da

7? Franz Willax: Die Nürnberger Mauerbatterien, in: MVGN 76 (1989), S. 345-347. 74 Ernst Mummenhoff: Die Wiederaufrichtung der Landwehr i. J. 1499 und den folgenden Jahren und die weitere Wegrückung der Fraischsäulen von der Stadt i. J. 1504, in: MVGN 10(1893), S. 267-271. - Ders.: Die Nürnberger Landwehr. Aufsätze und Vorträge zur Nürnberger Ortsge­ schichte, Bd. 1, Nürnberg 1931, S. 105-127. - Willax (wie Anm. 30), S. 204.

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deren Neubildung Stunden dauern konnten. Es waren Stunden der Wehrlosig­ keit, die den Feind, wenn er sich ungesehen nähern konnte, wie Beispiele aus dem Dreißigjährigen Krieg zeigen, zum sofortigen Angriff, zum Überfall reiz­ ten. Gefechte um Defiles sind meist sehr blutig und hatten nicht selten ent­ scheidende Niederlagen zur Folge. Da das Verlassen eines verschanzten Lagers in Kompaniekolonnen und das anschließende regimenterweise Aufstellen zur Schlachtordnung nicht nur Zeit, sondern auch Raum erforderte, dürfte der Trichter bei Steinbühl als Aufmarschareal für das schwedische Heer geplant wor­ den sein. Die sechs Viereckschanzen übernahmen während des Verlassens des Lagers und der Neubildung der Schlachtordnung den Schutz des schwedischen Heers. Ein Angreifer mußte in unmittelbarer Nähe der Schanzen den Landgra­ ben überqueren und konnte von Gostenhof und dem Westabschnitt der Lager­ befestigung in der Flanke beschossen werden.75 Die westlich anschließende Befestigung Gostenhofs war schon ab 1622 nach Plänen des Nürnberg Ingenieurs (seit Mai 1631 Zeugmeister) Johann Carl76 entstanden. Das Dorf war aus einer Siedlung entlang zweier Straßen erwachsen, die beide vom Spittlertor nach Südwesten führten. Der Rat hatte sich Dezember 1631 entgegen den Vorstellungen Schmidts nicht dazu entschließen können, nur den stadtnahen Teil zu befestigen, den anderen aber dem Erdboden gleich zu ma-

75 Roberts (wie Anm. 67), S. 719. 76 Hans Carl (1587-1665): Die Laufbahn Carls als Nürnberger Fortifikationssachverständiger begann mit einem Verlaß der Herren Älteren vom 15.10.1613, die Kriegsverordneten sollten mit ihm eine monatliche Bestallung aushandeln. Da dieser inzwischen beim Kurfürsten von Brandenburg eine Bestallung angenommen hatte, erging am 11.3.1614 der Befehl, ihn in Wartgeld zu nehmen. Im August 1615 wurde er beordert, Meister Jakob Wolff beizustehen, die fortiflkatorischen Vorschläge Meinhard von Schönbergs „wegen des Newen Gepewen“ an der Stadtmauer in eine Zeichnung um­ zusetzen (StAN, Rst. Nbg., VHÄ 27, Bl. 75, 122; VHÄ 28, Bl. 31. Franz Willax: Die bastionären Befestigungsanlagen der Reichsstadt Nürnberg. Schriftenreihe Festungsforschung der Deutschen Gesellschaft für Festungsforschung 12 (1993), S. 191 (beinhaltet Entwicklung bis ca. 1630). Als der Rat aus akutem Anlaß am 24.9.1621 beschloß, angesichts des bevorstehenden Durchzugs eines Heeres des Winterkönigs unter Graf Mansfeld, Gostenhof zu umschanzen und wenige Tage danach mit den Materialtransporten begonnen wurde, fertigte Carl die Pläne, übernahm die Bauleitung und vollzog am 21.3.1623 die Bauabrechnung in Höhe von 9163 fl, 5 Schillingen, 2 Hellern zu­ züglich Materialaufwand in Höhe von ca. 2500 fl (StAN, Rst. Nbg., RV 1995, Bl. 19, 24.9.1631, Bl. 39, 26.9.1631; Karten und Pläne 203-205; Stadtrechnungen 40, Bl. 137). Da er am 7.5.1631 zum reichsstädtischen Zeugmeister bestellt wurde, übernahm er die Ausrüstung der Festungsbau­ ten mit Artillerie, während der im Herbst 1631 eingestellte Capitain Wilhelm Schmidt und dann 1632 die schwedischen Ingenieure für die Planung der Fortifikation und die Bauausführung zu­ ständig waren (StadtAN Bll Nr. 125, Bl. 471). Die Angabe in Christoph von Imhoff (Hg.): Berühmte Nürnberger aus neun Jahrhunderten, Nürnberg, 2. Aufl. 1989, S. 175, Carl habe im Auftrag des Rates und des Schwedenkönigs Gustav Adolf um 1630 in Nürnberg eine Neubefesti­ gung mit Erdschanzen durchgefuhrt, ist deshalb zu berichtigen.

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chen.77 So war die südwestlichste der insgesamt sieben Bastionen Gostenhofs über 720 Meter von der Stadtmauer entfernt und konnte von dort her kaum mehr artilleristisch unterstützt werden. Die nordwestliche und südöstliche Front hingegen, die fast parallel zueinander auf die Stadtmauer im Bereich des Spittlertors zuliefen, hatten an der engsten Stelle nur eine Distanz von ca. 360 Metern voneinander. Beschoß der Feind beide Fronten gleichzeitig, bestand die Gefahr, daß die Verteidiger der einen Front jene Kugeln in den Rücken beka­ men, die frontal den der anderen zugedacht waren. Während die Südostflanke artilleristisch von den Zwingern und Türmen der Stadtmauer und von der Westfront der Lagerbefestigung (nördlich des Landgrabens) unterstützt werden konnte, wurde zur Flankierung der viel stärker gefährdeten Nordwestflanke Gostenhofs zwischen diesem und der Pegnitz, etwas nördlich der Fürther Straße, ein starkes, weit vorgeschobenes Regularwerk, die „Bärenschanze“, er­ richtet. Jeder Eckpunkt des viereckigen Grundrisses war feindseitig mit einer ganzen, stadtseitig mit einer halben Bastion versehen. Wie überall, wo die Pla­ nung vom niederländischen Bastionärsystem ausging, standen die Flanken der Bastionen senkrecht auf der Kurtine. In der Diagonalen maß das Sternwerk ca. 225 Meter von Bastionsspitze zu Bastionsspitze. Von der östlichen Bastion ver­ lief ein Wall bis zur Pegnitz, wo er, einen Winkel bildend, noch eine kleine Strecke pegnitzaufwärts verlief. Jenseits des Flusses, um ca. 200 Meter nach Osten versetzt, begann an der Westseite des Sebastianspitals, um diese Zeit auch Pestbaus genannt (die spätere reichsstädtische Kaserne) der Wallgraben von neuem. Er verlief, eine fast recht­ winkelige Tenaille (zangenförmiges Werk) bildend, zu einem weiteren Regu­ larwerk, der St. Johannis- oder späteren Sternschanze. Sie beherrschte nicht nur die rechts der Pegnitz über Fürth verlaufende Straße nach Westen, sondern konnte (ca. neun bis zehn Meter über Talgrund) die Bärenschanze und die links der Pegnitz nach Fürth - Würzburg — Frankfurt verlaufende Straße mit Artil­ leriefeuer bestreichen. Von hier aus stieg die Schanzlinie bis zu einer ca. 120 Meter nördlich liegenden Schanze auf der Höhenlinie geradlinig weiter. Hier änderte sie, eine Schanze bildend, die Richtung nach Ostnordost. Nach ca. 540 Metern bildete sie durch eine dreifache Änderung des Wallverlaufs eine Art fla­ ches Bollwerk und wandte sich dann wieder etwa 200 Meter nach Nordnordost bis zum Durchlaß der Bücher Straße. Der äußerst spitze Winkel, den die gera­ dewegs nach Nordnordwest verlaufende Straße mit der Nordnordost zustreben­ den Linie bildete, war verkehrstechnisch äußerst ungünstig, da er die Straße in einem Abstand von wenigen Metern zu zwei fast rechtwinkeligen Richtungs­ änderungen zwang. Dieser Mißstand ist aus den Nürnberger Karten des 18.

77 StadtAN, A 26/11 Nr. 97, Bl. 2-3, 25. 12. 1631 (Punkt 4).

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Jahrhunderts unschwer zu erkennen. Die schwedische Planung sah hier vor, die zum Schutz der Straße angelegte Schanze etwas östlicher zu errichten, so daß die Straße senkrecht auf das westlich davon verlaufende Wallstück getroffen wäre, doch kam diese Lösung nicht zur Ausführung. Da die Straße Richtung Bamberg und nach Sachsen sehr frequentiert war, schuf man später eine gerade Durchfahrt, was eine breite Lücke im Wall zur Folge hatte. Vom Durchgang Bücher Straße verlief die Linie wie auf einem Teilkreisbo­ gen zuerst nach Ostnordost und dann immer stärker nach Südost über eine Di­ stanz von etwa 1350 Metern auf dem Höhenkamm bis zum Judenbühl. Mit etwa gleicher Distanz voneinander und gleichen Abmessungen waren fünf Schanzen in diesen Teil des Linienwalls eingebunden. Am Judenbühl endete die Linie in einer Halbbastion, obwohl die Planung eine ganze Bastion vorgesehen hatte. Der rechts anschließende, ca. 250 Meter lange Wall stellte die Verbin­ dung zur Wöhrder Verschanzung dar. Diese Wöhrder Schanzen waren auf der Grundlage einer eigenständigen Pla­ nung errichtet worden.78 Sie bestanden, wieder einen Kreisbogen bildend, aus fünf ganzen und zwei halben Bastionen und einem den Straßendurchbruch Richtung Lauf deckenden Ravelin. Diese Verschanzung war im Nordosten, im Bereich des Judenbühls, gegen Umgehung geschützt: Die linke Flanke der nordwestlichsten Halbbastion war weit in Richtung Stadtgraben zurückgezo­ gen — nach den Planungen von 1632 (Gotho, Kaler, Theatrum) über 400 Meter bis zum Rondell Backofen, nach Karten des 18. Jahrhunderts allerdings nur etwa 200 Meter. War so die linke Flanke der Wöhrder Schanzen gegen Umge­ hung geschützt, so ist es nur umso erstaunlicher, daß aus letzteren Karten zu er­ sehen ist, daß auf der rechten, pegnitznahen Flanke im Südosten Wöhrds keine Verschanzung zur Ausführung kam, die eine Überflügelung verhindert hätte. Die schwedischen Planungen nehmen hier keine Rücksicht darauf, daß die feuchten Wiesen beidseits des vom Wöhrder Wassertors ausgehenden Straßen­ dammes, die ständig von Überschwemmungen bedroht waren, eine Ableitung der Großen Pegnitz (rechter Pegnitzarm) notwendig gemacht hätten. In diesem Bereich bezeichnenderweise über- und nebeneinandergezeichnet, sind in einunddemselben Plan mehrere Trassen eingetragen. Bei Gotho ist die Planung punktiert eingezeichnet, wahrscheinlich sollte sie nur eine Diskussionsgrund­ lage darstellen. Zur Ausführung dürfte keine der vorgeschlagenen Linien­ führungen gekommen sein. Vielleicht bot der Wöhrd umgebende Rahm den Schweden genügend Schutz. Es war jener durchlaufende Mauerzug, der aus den fensterlosen Rückfronten der Häuser bestand.

78

Siehe Anm. 66.

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Die schwedischen Planungen bei Gotho, Kaler und im Theatrum geben ge­ rade im Bereich Wöhrd-Süd unterschiedliche Lösungsversuche an. Es erscheint deshalb notwendig, den Inhalt der Pläne dieser teils namentlich bekannten, teils anonymen Zeichner zu vergleichen und gegeneinander abzuwägen. Ein Vergleich dreier Pläne Der Plan im Theatrum Europaeum gibt, wenig diffizil dargestellt, drei Bastio­ nen und eine Tenaille im Bereich Wöhrd-Süd an, Kaler hingegen fünf sehr re­ gulär aneinandergereihte ganze Bastionen. Diese Lösung erscheint fortifikatorisch am sinnvollsten, nimmt aber, wie die sehr ähnliche Gothos, keine Rück­ sicht auf die Bodenverhältnisse im Bereich der Großen Pegnitz. Südlich der Pegnitz weisen die drei Pläne folgende Unterschiede in den Lö­ sungen auf: 1. Die bei Gotho und im Theatrum (nordöstlich des Haller Weiherhauses) der Linie vorgelagerte Viereckschanze fehlt bei Kaler; ebenso alle die der Linie vorgelagerten oder in sie eingebundenen Schanzen zwischen Gleißhammer und Tullnau. 2. Zwischen der Viereckschanze, die bei allen drei Plänen nördlich der Tullnau auf dem Steilabfall zur Pegnitz liegt, der Tullnau und dem Gleißhammer fehlen bei Kaler alle verbindenden Schanzen, Wälle und Gräben. 3. Die bei Gotho und im Theatrum dargestellte zweite, weiter westlich der Li­ nie Tullnau - Gleißhammer längs des Siechgrabens (und St. Peter ausschlie­ ßend) gegen Dürrenhof verlaufende Linie ist bei Kaler ebenfalls nicht dar­ gestellt. 4. Bei den Schanzen nördlich von Wöhrd läßt Gotho bei den drei Werken des südlichen Bereichs von Süden nach Norden zwei halbe und eine ganze Ba­ stion aufeinander folgen und legt der Kurtine zwischen zweiter und dritter Bastion eine Flesche vor. Diese Interpretation mag allerdings durch die sehr schematische Darstellung Gothos bedingt sein. Bei Kaler und im Theatrum ist diese Flesche als echtes Ravelin ausgebildet. Die Darstellungen Kalers und die im Theatrum weichen von Gothos Pla­ nung in folgenden Details ab: 1. Beide geben bei der Gostenhofer Umwallung (entgegen dem Uhrzeigersinn gesehen) von den sieben Bastionen Gothos die erste (nördlichste) und die sechste Bastion nicht an. Im Theatrum ist hingegen eine weitere Bastion zwischen der dritten und der vierten wiedergegeben, was militärisch sinn­ voll gewesen wäre, da hier der wichtigste Straßenausgang nach Südwesten die Schanzen durchbrach. 207

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2. Der Verbindungswall Bärenschanze — Pegnitz bei Kaler und im Theatrum fehlt bei Gotho. 3. Kalers Gostenhofer Bastionen haben offene Kehlen, die Gothos und im Theatrum sind geschlossen. 4. Die sechs Viereckschanzen zwischen Tafelhof und Gostenhof, die Gothos Plan und der des Theatrum zeigen, fehlen bei Kaler. 5. Dort, wo im eigentlichen Lagerbereich, südsüdwestlich von Lichtenhof, die Linie abrupt von Nord-Süd nach West-Ost abbiegt, stellt Kaler die Ecklö­ sung differenzierter dar als Gotho und das Theatrum, die hier übereinstim­ men. Nachdem Kaler etwas südlich des Landgrabens die Kurtine doppelt abwinkelt und diese dadurch um etwa zwanzig Meter nach Osten ver­ schiebt, verlegt er die Eckbastion nochmals um ca. 50 Meter in die gleiche Richtung, so daß die Richtungsänderung Nord-Süd in West-Ost nicht ei­ nen scharf rechtwinkeligen, sondern einen bogenförmigen Grundriß erhält. Dadurch liegt die Eckschanze bei Gotho westlich, bei Kaler aber östlich der Verbindungslinie Lichtenhof — Hummelstein. Kalers Änderungen stellen fortifikatorisch Verbesserungen dar: Durch die doppelte Abwinkelung der Kurtine kann diese in Richtung Landgraben besser enfiliert werden. Die von Kaler nach Osten verschobene Eckschanze liegt etwas höher als die Go­ thos. 6. Das bei Gotho zwischen der Eckbastion der Lagerbefestigung und Hum­ melstein angeordnete Hornwerk fehlt bei Kaler und im Theatrum ebenso wie die Igel- oder Hügelschanze. Sie dürften nicht zur Ausführung gekom­ men sein, da Gustav Adolf erkannte, daß das katholische Heer nicht den Schmausenbuck, sondern die Alte Veste als Lager wählte. 7. Während Gotho das Hundsschlagerbaus des Meisters vorm Wald nicht ver­ merkt, ordnet Kaler den Nachtjäger zwischen der dritten und vierten Schanze (nach der Eckbastion) an, und zwar innerhalb der Linie, im Thea­ trum zwischen der fünften und sechsten, d. h. eine bedeutende Distanz wei­ ter östlich, und zwar außerhalb der Linie. Der Hof ist deshalb hier im Schutz einer Flesche dargestellt. 8. Kaler geht bei den unmittelbar dem Stadtgraben vorgelegten Schanzen weit über das bei Gotho eingeplante hinaus und folgt hier der Planung Wilhelm Schmidts vom November, Dezember 1631:79

79 GNM, S. P. 10420, Kp. 1054b. Hierzu Peter Fleischmann: Der Nürnberger Zeichner, Baumeister und Kartograph Hans Bien (1591-1632), München 1991, S. 114 f., 128.

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— Im Zwickel des Grabens vor den Fazunischen Werken der Reichsveste wer­ den zwei Fleschen angeordnet. — Vor der Schere (bei den Sieben Zeilen) liegt eine Bastion, vor dem Rondell Backofen ein Krön werk. — Vor dem Laufertor ist, wie bei Schmidt, schematisch ein in der Tiefe doppelt gestaffeltes Hornwerk dargestellt — eine für 1610, 1620 typische Planung. — Vor dem Frauentor ist punktiert ein Kronwerk eingezeichnet, das erst im Herbst 1632, nach der Schleifung der Lagerbefestigung, auf Befehl Gustav Adolfs erstellt wurde. Das Theatrum weist hier, wie vor dem Neutor, einen Zug von drei aneinanderhängenden Bastionen auf. Gotho hingegen verzich­ tet an beiden Stellen auf zusätzliche Werke. Kaler geht in seiner Darstellung der Linie, die mit vielen Details versehen ist (Herrensitze und Dörfer im Vorfeld der Stadt) über Gothos Planung hinaus. Er ergänzt und verbessert diese. Die Vorlage im Theatrum schließt sich weitge­ hend an die schwedische Planung an und hat in dieser ihr unmittelbares Vor­ bild. Das bedeutet, daß Gotho die Planung erstellt und Kaler die Ausführung in allen Einzelheiten wiedergibt, und nicht nur das! Es ist im 17. und 18. Jahr­ hundert durchaus üblich, in der Architektur Geplantes so darzustellen, als ob es schon ausgeführt sei. So ist es z. B. unwahrscheinlich, ob die im Norden der Stadt unmittelbar vor den Graben liegend dargestellten Werke auch nur be­ gonnen wurden. Zu Ende geführt wurden sie nie. Kollegiales Planungsprinzip und Federführung Wie aus den Stockholmer Plänen und den Nürnberger Archivalien zu ersehen ist, stammt die detailübergreifende Gesamtplanung der Nürnberger Fortifikation von Olao Johanne Gotho, dem schwedischen Generalquartiermeister. Go­ tho verfügte über einen Planungsstab, doch sind Namen und Zusammenset­ zung aus den Nürnberger Archivalien nicht ersichtlich. Er war in dem angese­ henen Gasthaus Zum Bitterhold abgestiegen. Als seine Zeche am 19- Juli, nach Angaben des Wirts, 710 fl überstieg, ordnete der Rat am 23. Juli an,80 dem Wirt nicht die Kosten für die Aufenthaltszeit von einem Monat, sondern nur für drei Tage zu bezahlen, die der Dauer von Gothos für den Rat geleistete Arbeit entsprach. Die Höhe der dem General zu gewährenden Verehrung sollte danach bemessen werden, ob er seine Zeche bezahle. Am 9. August81 erging ein Ratsverlaß mit dem Wirt auf die Person zu handeln und alle Nebengäste (!) zu besei-

"° StAN, Rst. Nbg., RV 2137, Bl. 117 f., 23.7.1632. 81 StAN, Rst. Nbg., RV 2138, Bl. 57, 9.8.1632.

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tigen, wenn das Kriegsamt den General noch weiterhin benötige. Da es zeitüb­ lich war, daß höhere Offiziere und leitende Ingenieure an der Tafel ihres „Chefs“ mitspeisten, dieser jedoch zudem öfters Gäste hatte, die er auf königlichen Be­ fehl über seine Arbeit zu unterrichten hatte, kann bei einer Summe von über 700 fl pro Monat davon ausgegangen werden, daß fünf bis zehn Mitarbeiter von Gothos Stab an diesen Arbeitsessen teilnahmen. Geometer und Zeichner vervollständigten diesen Arbeitsstab, zu dem auch Nürnberger gehört haben dürften: Capitain Wilhem Schmidt und vielleicht auch andere Orstkundige waren vom Rat Gotho zugewiesen worden. Davon zeugt auch das Eindringen des Nürnberger Idioms in die Bezeichnungen der schwedischen Zeichnungen. Mit Ausnahme des Nörenbergk in der Legende und weniger anderer Namen wie Tutscberdich für Dutzendteich sind die Bezeichnun­ gen in Gothos Plan vom 12. August 1632 deutsch, ja nürnbergisch: Statt Hügelschanz in der der Zeichnung vom 12. August vorausgehenden „Skizze“, die aus Gothos Hand stammen dürfte, findet sich nun, durch die für „Ü“ ortsübliche Verwendung von „I“, über Higelschanze die Bezeichnung Igelschanz. Gotho wandte wie üblich ein kollegiales Planungsprinzip an: Er gliederte Zirkumvallation und Lagerbefestigung in Abschnitte und übertrug Planung und Bauleitung in diesen Bereichen jeweils einem seiner leitenden Ingenieure. Diese bestimmten für ihren Linienabschnitt die Details der Planung. Kam es zu keiner endgültigen Lösung, mußte Gotho auf Grund der ihm zustehenden Fe­ derführung eine Entscheidung treffen. Das letzte Urteil fällte allerdings der König. An Hand der planerischen Details können mehrere Beteiligte unterschieden werden, deren namentliche Identität sich allerdings nicht feststellen läßt. Die Unterscheidungskriterien sind: — Art, Form und Abmessungen der Bastionen und — Länge des Schanzwalls zwischen den Bastionen, der Kurtine. Ein weiteres Kriterium wäre der Querschnitt (Breite, Tiefe, Neigungswin­ kel) von Wall und Graben, doch machen hierzu die Pläne keine Aussage. Die früheste dieser Detailplanungen ist im Plan Werdt, Vorstatt bei Nörrenbergh82 dargestellt und beinhaltet, im Gegensatz zu allen anderen schwedischen Planungen, eine in sich geschlossene Befestigungslinie: Sie schirmt Wöhrd ge­ gen den nördlich anschließenden Zirkumvallationsbereich durch einen Wall­ graben ab, der bis zum Stadtgraben zurückreicht. Für die Südseite längs des

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Krigsarkivet Stockholm, SFP Tyskland, Nr. 6, Biblioteket 17: 108.

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rechten Ufers der Großen Pegnitz (nördlicher Pegnitzarm) gibt er drei Planun­ gen wieder: — (von Ost nach West) drei ganze Bastionen, ein Ravelin vor dem Wassertor und ein viertes, unreguläres Werk, dessen Flanke bis zum Pegnitzeinfluß zurückreicht. Diese Planung ist über die beiden folgenden (mit etwas stär­ keren Strich) hinweggezeichnet, so daß diese schwer erkennbar sind. Sie ent­ halten (in feinem Doppelstrich gezeichnet) drei Bastionen und eine Tenaille, wobei, aus dem genannten Grund, zwei Werke schwer zu rekonstruieren sind, und (punktiert) zwei Bastionen, eine Tenaille und ein viertes, ebenfalls nicht völlig rekonstruierbares Werk. Gotho entschied sich im Rahmen seiner Federführung für die erste Lösung, die er etwas änderte: feinpunktiert zeichnet er in seinen Gesamtplan vom 12. August 1632 vier ganze Bastionen und jenes Werk ein, dessen Flanke bis zum Pegnitzeinfluß zurückreicht. Die Grundfläche seiner Werke ist etwas kleiner als die seines Mitarbeiters. Die feinpunktierte Darstellung läßt vermuten, daß sich Gotho selbst nicht ganz schlüssig war. Es scheint, daß der König dann ent­ schieden hat, auf die Befestigung dieses Bereichs zu verzichten. Wahrscheinlich hielt er einen feindlichen Vorstoß durch die Auen zwischen den beiden Peg­ nitzarmen für undurchführbar und diese Sumpfwiesen mit großen Lachen und nassen Gräben, zusammen mit den beiden Pegnitzarmen, als ausreichende Annäherungshindernisse. Das heißt, daß Gothos feinpunktierte Planung nicht zur Ausführung kam. Diese Werke sind auch in den Karten des 18. Jahrhun­ derts nicht enthalten. Sie zu beseitigen, etwa im Zusammenhang mit der Schleifung der Lagerbefestigung Herbst 1632, wäre ein fortifikatorischer Feh­ ler gewesen, der wenig glaubhaft ist. Wie die erste Variante der Detailplanung längs der Großen Pegnitz weisen auch die Wöhrder Schanzen Gothos die „massigen“ Bastionsformen und die kurzen Kurtinen seines Mitarbeiters auf. Demnach hat er die charakeristischen Details seines Mitarbeiters übernommen. Die für diesen Bereich geplanten Ba­ stionen sind in der Front mindestens doppelt so breit wie in den anderen Pla­ nungssektoren und haben bei fast senkrecht aufeinanderstehenden Facen eine um etwa die Hälfte größere Flankenlänge. Dadurch war die Möglichkeit, An­ griffe auf die Kurtinen zu flankieren, wesentlich besser als bei Bastionen mit kurzen Flanken. Das Verhältnis Länge der Kurtine zu Bastionsflanke, das den Fortifikationstheoretikern mit 3,0 bis 4,0 optimal erschien,83 betrug hier 2,7 bis 3,4. Dagegen lag es in den Bereichen Sternschanze bis Judenbühl zum Teil

9-

Berechnet nach Alexander von Zastrow: Geschichte der beständigen Befestigung, Leipzig, 3. Auf]. 1854, Pläne T. II- VII, X, XVIII.

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bei 10! Nicht wesentlich besser war es im Sektor Haller Weiherhaus — Lichtenhof — Tafelhof. Der Planer der Wöhrder Umwallung erstrebte eine Konzentra­ tion der artilleristischen Feuerkraft auf engstem Raum und konnte dadurch hoffen, einen Angriff schon im Vorfeld zum Stehen zu bringen. Erst Jahrzehnte später stellten die Planer jedoch fest, daß sie dadurch grundsätzlich nur den An­ griff von den Kurtinen auf die Bastionsfacen ablenkten. Wie hier und bei ähn­ lichen Lösungen des von den Schweden angewandten niederländischen Bastionärsystems war es nicht möglich, wie später von Vauban und vor ihm von Daniel Speckle erstrebt, daß die Facen von den Flanken oder sogar von den Facen benachbarter Bastionen flankiert wurden. Dabei drängte im vorliegenden Fall die konvexe Wölbung der Linie die Lö­ sung auf, die „Kurtine zu brechen“, abzuwinkeln und dadurch Nebenflanken zu bilden, die die Flankierung verbesserten.84 Ein Schritt weiter wäre gewesen, die Bastionen mit fünfeckigem Grundriß durch Tenaillen zu ersetzen. Der Planer, der südlich der Pegnitz die östliche Flanke der Lagerbefestigung zwischen Tullnau und Haller Weiherhaus entwarf, bevorzugte im krassen Ge­ gensatz zu seinem Kollegen, der die Wöhrder Schanzen schuf, lange gerade Schanzlinien mit relativ kleinen Viereckschanzen, die in den Wallgraben einge­ bunden wurden oder vor diesem lagen. Flankiert wurde der lange gerade Wall­ graben durch den Redan des Gleißhammers und eine relativ weit feindwärts vorspringende Wölbung, mit der der Wallgraben das Haller Weiherhaus und das Südende des zugehörigen Weihers umfaßte. Die Befestigung der Südfront des Lagers und deren westlichen Flanke vom Haller Weiherhaus über Lichtenhof bis Tafelhof hatte wiederum einen anderen Ingenieur zum Planer. Er verwendete wesentlich kleinere Bastionen als sein Wöhrder Kollege, allerdings ebenfalls auf regulären fünfeckigem oder, wo es die örtliche Situation erforderte, mit viereckigem Grundriß. Die Facen hinge­ gen waren ungewöhnlich breit und bildeten zueinander einen extrem stumpfen Winkel. Die Flanken, die der Flankierung von Wall und Graben dienen sollten, waren extrem kurz, — beides im Gegensatz zur Wöhrder Losung. Der Planer hatte die Schanzen so in den Wall eingebunden, daß sie nicht nur feindwärts, sondern auch Richtung Lager, und damit wenig sinnvoll, im Grundriß über den Wall (horizontal) hinausragten. Mit einer Ausnahme waren alle Schanzen bis auf eine schmale Zufahrt auf ihrer Rückseite geschlossen. All dies erhöhte

Daniel Speckle, Architectura von Vestungen . . Straßburg 1589. In den Abbildungen nach Bl. 64, 66, 71, Fig. G und H sind gebrochene Kurtinen dargestellt, ein Nachweis, daß diese 1632 schon bekannt waren. Das Verhältnis Kurtine zu Bastionsflanke betrug bei ihm 2,9 bis 3,5, bei Wilhelm Dilich: Peribologia oder Bericht von Vestungsgebewen . . ., Frankfurt/Main 1640, der dem niederländischen Bastionärsystem nahesteht, 4,5 bis 4,6, bei den Niederländern 3,7 bis 4,2.

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den Arbeitsaufwand, doch konnten die geschlossenen Werke auch dann noch verteidigt werden, wenn der Angreifer die Linie durchbrochen hatte. Das gleiche gilt für die Verschanzung zwischen Sternschanze und Judenbühl, nur daß die Schanzen in der Front etwas schmäler waren. Sie dürften vom glei­ chen Planer entworfen worden sein. Trotz der Unterschiede in den einzelnen Planungsvarianten liegen diese im engen Rahmen des niederländischen Bastionärsystems. Eine Ausnahme bilden die beiden sternförmigen Werke, die Bären- und die Sternschanze zu St. Johannis. Sie haben ihre Vorbilder in ähnlichen Lösungen für Mainz:85 St. Alban, St. Jakob und im gewissen Sinne auch Hauptstein, nur daß dort der Grundriß dem Gelände angepaßt werden mußte. Das gilt auch für Gustavs bürg, doch hat deren sechseckiger Grundriß größere Abmessungen. Auch hier wurden, wie später in Nürnberg, Viereckschanzen im Vorfeld zur Überwachung von Straßenkreuzungen benutzt. Gewisse Lösungen, die sich aus der Kriegserfahrung der letzten Jahrzehnte als negativ erwiesen hatten, fehlen nun: Horn- und Kronwerke, die weit ins Feld schlugen, und in Mainz nur noch einmal zur Einbeziehung von St. Peter in die Umwallung angewendet wurden, fehlen in Nürnbergs Zirkumvallation und der schwedischen Lagerfestung. Noch zwölfJahre vorher waren sie modisch gewesen und häufig verwendet wor­ den, auch bei den für Nürnberg gedachten Planungen.86 Hier hatte 1623 der in baden-durlachischen Diensten stehende Wolf Friedrich Löscher, ein Nürnber­ ger Bürgersohn, die Stadt mit 300 bis 400 Meter weit ins Feld springenden Hornwerken - mit denen zum Schutz Gostenhofs und Wöhrds insgesamt sechs -, die in der Front doppelt gestaffelt waren, verschanzen wollen. Die Stadt sollte eine Zirkumvallationslinie umschließen, die nördlich der Pegnitz aus großen Tenaillen, südlich davon aus Wallgraben und kleinen Viereckschanzen bestanden hätte.87 Der geistige Urheber der Detachierten Forts in Mainz und Nürnberg, die erst hundert Jahre später Allgemeingut der Fortifikationskunst wurden, ist un­ bekannt. Es könnte Gotho oder ein nicht vor Nürnberg anwesender schwedi­ scher Ingenieur, wie etwa Traytorrens, gewesen sein, vielleicht sogar der König selbst!

85 Kahlenberg (wie Anm. 2), S. 107 f., 112, Abb. 16. 86 Noch am Ende des Dreißigjährigen Krieges, d. h. als sie über genügend Erfahrung verfügten, stat­ teten die schwedischen Ingenieure die Festungen mit einer z. T. großen Anzahl detachierter Forts aus. Horn- und Kronwerke wurden nicht mehr eingeplant. Siehe Henning Eichberg: Militär und Technik, Schwedenfestungen des 17. Jahrhunderts in den Herzogtümern Bremen und Verden, Düs­ seldorf 1976, z. B. S. 228, Abb. 4. 87 StAN, Rst. Nbg., Karten und Pläne 17. - Willax (wie Anm. 76), S. 190, Abb. 1.

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Das gleiche gilt für die der Südfront der Lagerbefestigung vorgelegten Werke. Die Hügel- oder Igelschanze war zu klein, um ausreichend Artillerie aufnehmen zu können. Sie konnte jedoch von den ca. 500 Meter entfernt lie­ genden Schanzen der Lagerumwallung mit Geschützfeuer unterstützt werden. Ein ähnliches irreguläres Werk wurde bei der Errichtung des Wallensteinischen Lagers erbaut.88 In einem Fall sind die Planungsabsichten des unbekannten Fertigers unver­ ständlich: Werke wie die im äußersten Süden im Bereich Lichtenhof und Hum­ melstein den Schanzen vorgelegten hornwerkartige „Zange“ wurden Jahrzehnte später als „Grabenscheren“ zwischen zwei Bastionen zur Grabenbestreichung, meist aber zum Schutz eines Tores, vor die Kurtine gelegt. Im Gelände fanden sie nur Verwendung, wenn sie sich mit beiden Flanken an unüberschreitbare, unumgehbare Geländehindernisse anlegen konnten. Ein typisches Beispiel sind zwei im Grundriß gleiche Werke auf der Oberen und Unteren Wörth zu Re­ gensburg, die wenig später von den Schweden zum Schutz der strategisch wich­ tigen Donaubrücke auf zwei im Strom liegenden Inseln angelegt wurden. Aber schon hier zeigt sich der Nachteil solcher Lösungen, da sie flankiert, enfiliert und sogar im Rücken angegriffen werden konnten, wenn sie ohne Flanken wa­ ren. In der Darstellung der Belagerung von Regensburg 1634 ist die Zange der Unteren Wörth bezeichnenderweise inzwischen mit Flanken versehen. Die Pla­ nung dieser hornwerkartigen „Scheren“ kann keinem der in Nürnberg tätigen schwedischen Ingenieure zugeordnet werden. Technik des Schanzbaus — Schanzleistung Wie bei allen Tiefbauarbeiten ist beim Anlegen von Schanzgräben die ange­ wandte Technik und die aufzuwendende Zeit abhängig von den örtlichen Bo­ denverhältnissen. Der Nürnberger Stadtgraben ist ca. 5.000 Meter lang. Davon verlaufen etwa 1.000 Meter in steinigem, die übrigen 4.000 Meter in sandigem Boden. Während der Bereich nördlich der Pegnitz zu fast 60% steinigen Un­ tergrund aufweist, ist dieser südlich des Flußes zu 70% sandig. Dazwischen verläuft auf beiden Pegnitzseiten Schluff, verfestigter Morast. Sand ist nach technischer Normung „wasserhaltender, leichter Boden“. Er ist leicht zu bre­ chen, hat aber (bei starken Regenfällen, vor allem nach Trockenperioden) ge­ ringe Standfestigkeit: Die ausgehobenen Gräben werden wieder zuge­ schwemmt. Hier war es deshalb notwendig, die Wälle mit Grassoden zu ver­ kleiden. Das Problem war 1631, aber auch 1703 der Transport des Sodens, also die Bereitstellung von Wägen und Vorspann.



Mahr (wie Anm. 29), nach S. 29, Abb. 11.

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Nicht verfestigter Schluff besteht aus „labilem, breiigem Material“. Beim Ausheben von Gräben in diesem Bereich stößt man rasch auf Grundwasser, so daß die fortifikatorisch notwendige Grabentiefe mit den Mitteln der Zeit schwer zu erreichen war. Die ausgehobene breiige Masse eignete sich auch nicht zum Wallbau. Die Schweden verzichteten deshalb im Schluffbereich, z. B. an der Südfront Wöhrds, auf die Anlage von Schanzgräben. Gestein steht im Keuper-Bereich nördlich der Pegnitz (neben 3% Burgsand­ stein) weit überwiegend in Form von Blasen- oder Stubensandstein an. Dieser ist, unterhalb einer Tiefe von zwei Metern, im Sinne der Norm „mittelschwerer Boden bis leichter Fels“, in dem Bänke von sehr hartem Gestein (Quarzit) ein­ gelagert sein können. Dieser Boden ist schwer zu brechen, hat aber eine hohe Standfestigkeit.89 Es gab somit 1632 Bereiche, in denen harte Arbeit gewohnte Handwerker­ frauen den sandigen Untergrund bewältigen konnten, und andere, felsige, wo die männliche Bürgerschaft durch Jurabauern aus den nördlichen Pflegämtern, die steinigen Untergrund gewohnt waren, oder sogar durch die zähen Finnen des Königs ersetzt werden mußten. Die Stadt stellte als Arbeitsgerät für die aufgebotenen Schanzer Pickel, Schippen und große blecherne Flaschen zur Sprengung des Erdreichs zur Verfü­ gung. Die Schippen waren zum Teil aus Holz und nur mit Blech verstärkt. Zum Transport des Aushubs dienten Körbe und Hürten, Karren und, wenn notwendig, die aufgebotenen Fuhrwerke.90 Das eigentliche Problem des Schanzbaus 1632, das den Rat, die Kriegsverordneten und die Deputierten zum Schanzbau ständig belastete, war es, die not­ wendige Anzahl von Schanzern aufzubieten und diese auch auf die Baustellen zu bekommen. Alle männlichen und weiblichen Bürger mit Ausnahme der notwendigen Wachen, die Schutzverwandten, die in die Stadt geflüchteten Bauern, gleich ob eigene oder fremde Untertanen, wurden zum Schanzen aufgeboten, nicht aber z. B. die Geistlichkeit. Selbst weibliche Schutzverwandte sollten mit Hand anlegen oder eine Ersatzperson stellen. Die Streifer der Stadt hatten alle Bettler zu den Schanzarbeiten zusammenzutreiben.91 Vierteimeister und Gassenhauptleute hatten sich an die Spitze der Schanzer zu stellen. Als Ludwig Rieter,92 seit vergangenem Jahr Alter Bürgermeister, das

*’ Richard G. Spöcker: Der Untergrund von Nürnberg, Nürnberg 1964, S. 18 f., 26—28, 63 f., 72—74, Kartenbeilage 1. StAN, Rst. Nbg., B-Laden, Akten S I L 217, Nr. 22, Zu 4-, Lit. C, Bl. 40-45. 91 StAN, Rst. Nbg., RV 2140, Bl. 55, 4.10.1632. « StadtAN B 11 Nr. 125, Bl. 40, 542.

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Amt des vier Wochen amtierenden Regierenden Bürgermeisters zu überneh­ men hatte, wurde er durch seinen Verwandten Niklaus Albrecht Rieter ersetzt, damit er seinen Pflichten als Viertelmeister bey denen Barfüßern nachkommen und sich an die Spitze seiner zum Schanzen ausziehenden Bürger stellen konnte.93 Trotzdem mußten die Herren Älteren am 29. August 1632 feststellen, daß man mit den zum Schanzen geschickten Leuten nicht gut vorankomme. Es sollte deshalb die Fortifikationsarbeit bei Wöhrd im Taglohn für 1.000 fl durchgeführt werden.94 Ein besonderes Problem war es, für den Wasen- und Palisadentransport die notwendigen Fuhren, vor allem die Bespannung zu organisieren. Der Rat sah sich genötigt, im schwedischen Lager Beutepferde zu kaufen.95 Während in einem Ratsverlaß vom 17. September 1632 bereits von den vom König befohlenen Rasierungsmaßnahmen im Lagerbereich die Rede ist,96 fehlte bei Werken, die erhalten werden sollten, noch die Wasenabdeckung.97 Am längsten dauerten die erst im Herbst 1632 begonnenen Arbeiten am Kronwerk vordem Frauentor. Die Kriegsverordneten wurden am 5. Juli 1633 angewiesen, die Arbeiten an diesem Werk (endlich) zu Ende zu bringen.98 Der Rat hatte zu Beginn der Schanzarbeiten gefordert, daß die Kriegsver­ ordneten handwerklich geschulte Spezialisten des Erdbaus anwerben ließen, ein Zeichen, daß die neue Technik in Franken noch weitgehend unbekannt war. Es waren dies Bergknappen, wahrscheinlich aus Sachsen oder Böhmen. Mitte Juni 1632 wurden einige dem schwedischen König überlassen, der sie als Minierer gegen den kurbayerischen Rothenberg einsetzen wollte. Ende Juli wurden sie als Handlanger den Batterien in den Außenwerken zugeteilt.99 Dies könnte ein Zeichen sein, daß ihre Fachkraft nicht mehr benötigt wurde. Und es waren Werkpagen, d. h. Spezialisten des Deich- und Wallbaus aus den Niederlanden,100

95 StAN, Rst. Nbg., RV 2137, Bl. 14, 4.7.1632. 94 StAN, Rst. Nbg., VHÄ 38, Bl. 111,29.8.1632. 95 StAN, Rst. Nbg., RV 2135, Bl. 5, 3.5.1632, RV 2140, Bl. 1, 20.9.1632, RV 2142, Bl. 29f., 23.11.1632. StadtANA 22 Nr. 125, 17.10.1632. * StAN, Rst. Nbg., RV 2139, Bl. 116, 17.9.1632. 97 StAN, Rst. Nbg., RV 2147, Bl. 4, 23.4.1633. 98 StAN, Rst. Nbg., RV 2149, Bl. 62f., 5.7.1633. 99 StAN, Rst. Nbg., RV 2136, Bl. 97, 18.6.1632, RV 2137, Bl. 107, 20.7.1632; VHÄ 38, Bl. 57, 17.6.1632. StadtAN A 26/11 Nr. 97a, Bl. 24 f., 21.7.1632. 100 StAN, Rst. Nbg., RV 2140, Bl. 55, 4.10.1632, RV 2144, Bl. 75, 28.1.1633, RV 2180, Bl. 4, 15.10.1635. StadtAN A 22 Nr. 278, Bl. 104, 23.7.1632, Bl. 129, 19.10.1632, Bl. 145, 12.11.1632. Bl. 170, 22.1.1633, Bl. 176, 28.1.1633.

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die der italienische Kaufmann Bartalotti101 angeworben und an die Stadt wei­ tervermietet hatte. Dem Rat ging es darum, die neue Technik an seine aus den Reihen der Bürgerschaft stammenden Mitarbeiter weitervermitteln zu lassen und nahm deshalb einen von ihnen, Heinrich Tretterwind, für sechs Jahre zum Schanzmeister für die hohe Summe von 32 Reichstalern pro Monat, freie Woh­ nung und sechs Meß Holz pro Jahr an.102 Die anderen Werkpagen verließen zu­ meist nach und nach die Stadt. Schon im Oktober 1635 beabsichtigte der Rat jedoch, Tretterwind durch zwei jüngere Werkpagen zu ersetzen, deren Dienste nicht so kostspielig waren.103 Bereits Ende Januar 1633 sah sich der Rat zur Reduzierung der Unkosten der Kriegsstube veranlaßt, die Deputation zur Fortifikation aufzulösen und nur Wolf Friedrich Stromer in dieser Funktion beizubehalten sowie die Besoldung der unteren Chargen, z. B. des Schanzzeugaufsehers Tobias Bernstein herabzu­ setzen.101 Die fremden Fachkräfte sollten durch einheimische ergänzt und er­ setzt werden. Zu den Arbeiten an den Schanzen wurden Teichbauer und Soden­ setzer aus der näheren Umgebung herangezogen.105 Am 1. April 1633 wurde das Korbsetzeramt, dessen Aufgabe Herstellung, Erwerb und Aufstellen von Schanzkörben war, mit einem Bürger besetzt, der fachfremd war.106 Der Grund für dieses Verhalten des Rates war die kriegsbedingt hohe Ver­ schuldung der Stadt, denn es mußte monatelang die schwedische Armee unter­ halten und bezahlt werden. Der Beitritt zum Prager Frieden 1635 ermöglichte es, Maßnahmen zum Bauunterhalt an den Schanzen auf ein Minimum herabzu­ setzen. Vor allem die Sodenverkleidung der Wälle, die durch weidendes Vieh immer wieder beschädigt wurde, mußte ausgebessert werden.107 Was die Leistung anbelangt, die jeder Schanzer zu erbringen hatte, so for­ derte der Rat, daß zehn Mann eine Rute (zu 12 Fuß = ca. 3,6 Meter) Wallgra­ ben mit hundert Quadratfuß Querschnitt zu fertigen hätten, wobei jeder Schanzer vier Stunden arbeiten, dann aber abgelöst werden sollte.108

"" Lambert F. Peters: Der Handel Nürnbergs am Anfang des Dreißigjährigen Krieges, VSWG Beiheft 112, Stuttgart 1994, S. 308, 544, 551, 552. ’0J StAN, Rst. Nbg., RV 2144, Bl. 75, 28.1.1633. ,w StAN, Rst. Nbg., RV 2180, Bl. 4, 15.10.1635. StadtAN A 22 Nr. 278, Bl. 170-173, 2.1.1633. ,m StadtAN A 22 Nr. 278, Bl. 166, 8.1.1633. "* StadtAN A 22 Nr. 278, Bl. 185, 1.4.1633. Da zwischen dem Deich- und dem Schanzgrabenbau technische Ähnlichkeiten bestanden, sei auf Roberts Stadelmann: Meet-Deich-Land. Küstenschutz und Landgewinnung an der deutschen Nordseeküste, Neumünster 1981, S. 84—89, 96—100 verwiesen; zum Sodensetzen Abb. 97.2—4. StadtAN A 26/11 Nr. 103, Bl. 5, 2.7.1632. Nach StAN, Rst. Nbg., Differentialakten 341, Bl. 56, 4.3.1699 hatten die in die Linie einbezogenen „Werklein", fast siebzig Jahre nach ihrer Erbauung,

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Diese Arbeitsleistung war jedoch nur dann zu realisieren, wenn es gelang, die Schanzer nicht nur auf die Baustelle zu bringen, sondern auch so zu moti­ vieren, daß sie die geforderte Leistung auch erbrachten. Als Anreiz gab es nur eine Brotration gratis. Den Schanzern Leistung abzufordern, und zwar Tag für Tag, war schwierig, wie die Schanzarbeiten in Gostenhof von Ende September 1621 bis März 1623 gezeigt hatten.109 Unter Berücksichtigung von Stillstandszeiten im Winter und in der Erntezeit und somit einer Gesamtarbeitszeit von 240 bis 270 Tagen er­ gibt sich aus den ausbezahlten Arbeitslöhnen bei einem Taglohn von zehn Kreuzern (angesichts der Geldentwertung der Kipper- und Wipperzeit) eine Anzahl von durchschnittlich 45 bis 80 Schanzern und eine Arbeitsleistung pro Schanzer von 0,29 bis 0,47 rheinischen Ruten bzw. von 3,3 bis 5,4 Kubikme­ tern pro Tag bzw. 0,41 bis 0,67 Kubikmetern pro Stunde.110 In der archäologischen Literatur111 wird die Arbeitsleistung „bei mäßigen Bodenverhältnissen und nur teilweise eisernen Werkzeugen“ mit 0,3 Kubik­ metern pro Stunde bzw. „bei sehr hartem Lehmboden“ mit 1,5 Kubikmetern

noch folgende Abmessungen (in Fuß): Brustwehr 12 hoch und 10 stark, Graben 10 tief, obere Gra­ benbreite 10-15, untere 4-5. Die Zahlenangaben für die Brustwehr scheinen vertauscht, da aus Darstellungen der Bärenschanze und der Sternschanze zu ersehen ist, daß die Wälle niedriger und stärker, die Gräben flacher und breiter waren. Willax (wie Anm. 76), S. 202, Anm. 26. 109 StAN, Rst. Nbg., RV 1995, Bl. 19, 24.9.1621, Bl. 39, 26.9.1621; Stadtrechnungen 39, Bl. 139, 23.3.1622; 40, Bl. 137, 21.3.1623. 110 Bei der Berechnung der Lohnkosten für die Gostenhofer Schanze 1621-1623 wurden drei Versio­ nen untersucht. Bei Variante I wurden die in StAN, Rst. Nbg., Stadtrechnungen 39, Bl. 139 ge­ nannten Kosten von 9163 fl zu 100% angesetzt. Bei Variante II wurden von den 9163 fl 20% ab­ gezogen, um die Kosten für die Beschaffung von Werkzeugen, Fuhren und Bespannung etc. damit zu erfassen, doch wurden Werkzeuge aus dem Zeughaus und der Peunt ausgegeben und auch bei Wagen und Bespannung konnte meist auf dort Vorhandenes zurückgegriffen werden. Bei Variante III wurde von 9163 fl. ebenfalls 20% abgezogen, jedoch die Kosten für „Material und Schanzzeug wieder an seinen Ort liefern, ausputzen und bessern“ und „Wartgeld für die Fortifikationswerkleute“ in StAN, Rst. Nbg., Stadtrechnungen 41, Bl. 133 (378 fl. und 1189 fl) anteilig (86,7%) hinzugerechnet, was jedoch in etwa den Kosten von Variante I entsprach. Die Materialko­ sten sind in StAN, Rst. Nbg., Stadtrechnungen 40, Bl. 137 anteilig mit 3269 fl gesondert erfaßt. - Bei den in den Stadtrechnungen 1621-1623 genannten Kosten mußte die Geldentwertung der Kipper- und Wipperzeit berücksichtigt werden. Das geschah durch einen überschlägigen Vergleich der bei Paul Sander: Die reichsstädtische Haushaltung Nürnbergs, Leipzig 1902, S. 919, Beil. IV genannten Getreidepreise und mit den Angaben in StB Nürnberg, Nor. H. 501, 1, S. 1. — Bei den Berechnungen wurde davon ausgegangen, daß es sich bei den Ruten-Angaben um „rheinische Ru­ ten“ zu 12 Fuß handelt. Bei der meist „Klafter“ genannten Rute zu 6 Fuß wäre die geforderte Lei­ stung nur halb so hoch gewesen. Die Schanzer hätten dann diese nicht nur erfüllt, sondern sogar um 60% überschritten, was nicht glaubhaft erscheint. 111 Hanns Hubert Hofmann: Kaiser Karls Kanalbau, Sigmaringen/München 1969, S. 43-47. - Mahr (wie Anm. 29), S. 31). — Ludwig Wämser: Wagengräber der Hallstattzeit in Franken, in: Franken­ land 11 (1981), S. 250.

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pro Tag angegeben. In enem 1907 erschienenen „Lehrbuch des Tiefbaues“112 werden genannt: Für losen Sand, der mit Spaten und Schaufel bewältigt wurde 1,1 bis 2,0, für Fels, der mit Spitzhacke und Brecheisen gelöst wurde, 0,22 bis 0,30 Kubikmeter pro Stunde. Der Forderung des Rates hätten 0,84 Kubikmeter pro Stunde entsprochen. Die Gostenhofer Schanzer erbrachten jedoch nur die Hälfte, maximal 80% der geforderten Leistung, doch hatte der Rat diese 1632 zweifellos überzogen, um dem Schwedenkönig seinen guten Willen zu zeigen. Höhere Leistung hätte sich bei höherer Bezahlung (20, besser 30 Kreuzer pro Tag) ergeben, doch konnte der Rat nur an die Liebe zur Vaterstadt und den Willen appellieren, Religion und Reichsfreiheit zu bewahren. Möglicherweise war die Leistung der Bürger beim Schanzbau 1632 höher als 1621/23, da jetzt die Gefahr der Einnahme der Stadt, Plünderung und Mord, drohten. Die Zirkumvallationslinie und Lagerbefestigung von 1632 umfaßte ein­ schließlich der geschlossenen (und offenen) Schanzen ca. 5.500 Ruten (ohne Gostenhofer Verschanzung). Auf Befehl des Königs sollte sie in zwei Wochen erstellt werden. Seine Heeresangehörigen, die sich an den Arbeiten beteiligten, erhielten 994 fl,113 was 6.000 Manntagen entsprach. Geht man von zwölf Ar­ beitstagen aus, so mußte der König täglich 500 Mann aufbieten. Bei einer Li­ nienlänge von 5.500 Ruten und bei einer vom Rat geforderten Leistung von ei­ ner Rute bei einem Grabenquerschnitt von 100 Quadratfuß, die von jeweils fünf Schanzern in vier Stunden zu erbringen waren, mußten insgesamt 27.500 Manntage aufgebracht werden. Das bedeutet, daß ohne die schwedischen 6.000, die Schanzer der Stadt 21.500 Manntage übernehmen mußten. Das ent­ sprach bei zwölf Arbeitstagen der Leistung von 1.800 Schanzern. Sie aufzu­ bringen war für den Rat schwierig, aber nicht unmöglich. Technische Ausführung der Fortifikationslinie - Errichtung von Batterien Üblicherweise ergaben sich Probleme, die aufgeworfenen Wälle gegen starken Regen zu schützen, der die ausgehobene Erde, vor allem bei Sand, wieder in die Gräben schwemmte. Am besten hatte sich die Abdeckung mit Wasen bewährt, den zu stechen und vor allem zu transportieren die vorhandenen Kapazitäten an Fuhren übertraf. Eine andere Möglichkeit war es, den oberen Teil des Walls mit zwei bis drei Fuß dicken Reisigbündeln abzudecken. Das geschah vor allem

112 Karl Esselborn: Lehrbuch des Tiefbaus, Leipzig, 2. Aufl. 1907, S. 13. 113 StAN, Rst. Nbg., B-Laden, Akten SIL 217, Nr. 113, Bl. 22, Lit. A „Der Losungstuben Ausga­ ben“. Bezüglich der Entlohnung von Handlangern und Schanzern siehe StadtAN B 1 Nr. 58, BI. 125,26.10.1632.

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dann, wenn die Sorge vor einem feindlichen Angriff zur äußersten Eile zwang.114 Die hin und wieder genannten Büschel könnten zu diesem Zweck ver­ wendet worden sein, aber auch zur Stabilisierung der Wälle gegen Abrutschen, indem sie zwischen das aufgeworfene Erdreich eingeschichtet wurden.115 Die technischen Voraussetzungen waren im Nürnberger Umland gegeben, gab es doch im Raum zwischen Steigerwald und Zenn, aber auch in der Oberpfalz zahlreiche Weiherbauer. Als nach starken Regenfällen die auf dem Michelsberg bei Hersbruck angelegten Schanzwälle abrutschten, wurde ein Weiherbauer als Fachmann herbeigerufen.116 Die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an­ gewandte Technik, das Erdreich der Schütten durch Fachwerk aus Holzbohlen zu stützen, wird nicht mehr erwähnt, da diese verfaulten und dann jede Stütz­ funktion verloren, so daß Setzungserscheinungen auftraten, die das Abrutschen des Erdreichs eher auslösten, statt es zu verhindern.117 Innerhalb der Lagerbefestigung bauten die Schweden ihre Unterkünfte, wozu die Stadt Zimmerleute und Baustoff stellte. Noch Mitte August erging an den Rat die Forderung, für den König eine zweite, etwas größere Hütte erstel­ len zu lassen.118 Der Ausbau der Erdwerke mit Staqueten und Palisaden ging schleppend voran. Wie Dezember 1631 wurde auch 1632 mit dem Bau wetterfester Corps de quarden begonnen, als Mitte November strenger Forst einfiel, so daß zwei Schweden des Regiments Monro erfroren.119 Die Anlage von Batterien forderte der schwedische König schon am 27. Juni, und der Rat ließ, adressiert an Bau- und Zeugmeister, diese umgehend anlegen.120 Es wurden 300 Stücke auf Türme, Stadtmauer-Batterien, Zwinger und die neuangelegten Bollwerke gebracht. Der Schutz der Batterien vor Beschuß mit Schanzkörben ging zu langsam voran, was aber keine Nachteile brachte, da Wallenstein das schwedische Lager nicht angriff.

114 Bildliche Darstellung und Beschreibung einer französischen Festung im nördlichen Florida mit Wällen aus neun Fuß hohen Reisigbündeln, Planken und Hürten und aus grobem Sand zusam­ mengetragen. Der obere Teil des Walls war mit zwei oder drei Fuß dicken Reisigbündeln beschla­ gen. Gereon Sievernich (Hg.): America - de Bry, 1590-1634, Amerika oder die Neue Welt, Ber­ lin/New York 1990, S. 76 f. 115 StadtAN B 1 Nr. 58, Bl. 127, 21.11.1632. 116 Franz Willax: Eine kleine Festung auf Hersbrucks Hausberg, in: Heimat-Beilage zur Hersbrucker Zeitung 49 (1979), Nr. 4, S. 15. 117 Willax (wie Anm. 76), S. 200, Anm. 72. 118 StadtAN B 1 Nr. 58, Bl. 113, 26./27.6.1632, Bl. 116, 13.8.1632. StAN, Rst. Nbg., RV 2142, Bl. 29 f, 23.11.1632. StadtAN B 1 Nr. 58, Bl. 127, 21.11.1632, Bl. 126, 15.11.1632, Bl. 108, 12.12.1631. 120 StadtAN B 1 Nr. 58, Bl. 113, 27.6.1632.

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Verteidigung der Zirkumvallationslinie Einschließlich der 1621 bis 1623 angelegten Verschanzung Gostenhofs und der (auch rückwärts geschlossenen) Erdbastionen der von König Gustav Adolf ge­ planten und angelegten, die ganze Stadt ringförmig umschließenden Zirkum­ vallationslinie hatte diese, wie aus den Plänen ersichtlich, eine Gesamtlänge von 600 rheinischen Ruten (=22 km). Zu ihrer Verteidigung standen dem Kö­ nig, bis die angeforderten Verstärkungen eintrafen, 20.000 bis 24.000 Mann zur Verfügung. Diese Linie und die Schanzen mit den Mitteln zu verteidigen, die Nürnberg selbst zur Verfügung standen, mußte zum unlösbaren Problem werden, wenn der König mit seinem Heer die Stadt wieder verlassen sollte. Nürnberg ver­ fügte im Sommer 1632 über 27 Bürgerkompanien (einschließlich der Vor­ städte) zu ca. 3.200 Mann, eine Kompanie Reiter, das ca. 3.000 Mann starke In­ fanterieregiment Leubelfing und die 1.800 Mann des noch im Aufbau befindli­ chen Regiments Schlammersdorff. Die Bürger konnten erfahrungsgemäß nur dort eingesetzt werden, wo es un­ mittelbar um die Verteidigung von Haus und Hof, Frau und Kind ging und sie gegen Witterungsunbilden geschützt waren. Der Rat vertraute ihnen deshalb die Verteidigung der Stadtmauer und ihrer Tore und Türme an, allenfalls die im Süden unmittelbar der Stadtmauer vorgelagerten Schanzen. Uneingeschränkt einsetzbar war nur das Regiment Johann von Leubelfings. Dessen Oberst war seit 1620 in Diensten der Stadt erprobt und genoß das un­ eingeschränkte Vertrauen des Rates. Sein Regiment mußte allerdings die Kader für das neuzuwerbende und noch unvollständige Regiment des Generalmajors Balthasar Jacob von Schlammersdorff abgeben. Letzteres war als Einheit ohne Kampferfahrung, hatte, wie die hohe Zahl von Deserteuren zeigte, keinen Zu­ sammenhalt und sollte zudem, auf die Forderung des Königs hin, an die schwe­ dische Armee abgegeben werden. Der König überließ der Stadt, als er im Herbst 1632, nach der Schlacht an der Alten Veste, sein Lager aufgab und abzog, einige Regimenter, die allerdings bis auf zwei wieder sehr bald abberufen wurden. Sie waren 2.844 Mann stark gewesen.'2' Diese beiden Regimenter Hastver und Monro waren zwar unter tüchtigen Kommandeuren kampferprobt, aber auf insgesamt 520 Mann zu­ sammengeschmolzen.122 Das Regiment Leubelfing wies ebenfalls nur noch 1.800 Mann auf.

StadtAN A 22 Nr. 278, Bl. 123, 10.10.1632. l-’~’ StadtAN A 22 Nr. 278, Bl. 111, 8.9.1632, Bl. 123, 10.10.1632. Schreibweise: Manroe und Hastfer.

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Die 27 Bürgerkompanien mitgerechnet, standen dem Rat im Oktober 1632 nicht mehr 8.000 Mann eigene Kräfte zur Verfügung, sondern nur noch 5.500 Mann, von denen nur ca. 3-300 zur Verteidigung der die Stadt umschließenden Fortifikationslinie eingesetzt werden konnten! Am anschaulichsten ist auch hier der Vergleich mit Mainz. Als Gustav Adolf, wenige Monate vor Nürnberg, Befestigungen anlegte, die die Stadt und sein Lager umgeben sollten, tat er dies für eine Armee, die 16.000 Mann stark war.123 Im März 1632 vertrat er die Ansicht, 7.000 Soldaten seien zu deren Ver­ teidigung notwendig, dazu für Gustavsburg noch weitere 3.000.124 Als es 1635 tatsächlich zu einer Belagerung von Mainz durch kaiserliche Truppen kam, war die schwedische Garnison nur noch 4.000 bis 6.000 Musketiere stark.125 Geht man davon aus, daß der Schwedenkönig im Sommer 1632 um Nürnberg ein La­ ger für 20.000 bis 24.000 Mann anlegen ließ, so hätte er nach Mainzer Vorbild zur Verteidigung von Lager und Zirkumvallation 9.000 bis 10.000 Mann als Minimum benötigt. Eine Verteidigung der 22 km langen Linie war somit weder mit 5.500 noch mit 3-300 Soldaten, über die Nürnberg verfügte, möglich. Selbst dann nicht, wenn der Rat sich auf die Besetzung der ca. 40 Bastionen und anderer Werke beschränkt hätte, von denen vor allem die Bären- und die Sternschanze, die Ba­ stionen Gostenhofs und die der eigentlichen Lagerbefestigung im Rücken ge­ schlossen und deshalb nach allen Seiten verteidigbar waren. Konnte König Gustav Adolf längs der Linie alle zwei Meter einen Mann po­ stieren, wenn es notwendig war, so verfügte er auch dann noch über eine Re­ serve von 10.000 bis 12.000 Mann, vor allem über seine Kavallerie. Nürnberg konnte hingegen mit den zur Verfügung stehenden Kräften nur für alle sieben Meter einen Verteidiger abstellen, hatte aber dann keinerlei Reserven mehr, die bei einem punktuellen Durchbruch durch die Linie eingesetzt werden konnten. Mit den militärischen Kräften der Reichsstadt war die Linie also nicht zu hal­ ten. Trotzdem widersetzte sich Nürnberg nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges (1648), den Forderungen der brandenburgischen Fürstentümer Ans­ bach und Kulmbach-Bayreuth nachzukommen und die Linie zu schleifen. Nur die eigentliche Lagerbefestigung war noch auf Befehl Gustav Adolfs im Herbst 1632 beseitigt und durch das Kronwerk vor dem Frauentor ersetzt worden.

123 Kahlenberg (wie Anm. 2), S. 106. 1:1 Hermann-Dieter Müller: Der schwedische Staat in Mainz 1631—1636, Beiträge zur Geschichte der Stadt Mainz 24, Mainz 1979, S. 228-235. Müller (wie Anm. 124), S. 221.

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In den Kriegen des 18. Jahrhunderts trachtete der Nürnberger Rat stets da­ nach, die Regimenter des Fränkischen Kreises, zu denen Nürnberg selbst 20% stellte, bei akuter Gefährdung, etwa durch Kurbayern im Spanischen Erbfolge­ krieg (1701-1714), zum Schutz der Stadt heranzuziehen. Zumindest sollte der Landausschuß aufgeboten werden, von dem 4.000 Mann um die Stadt, 2.000 Mann aber in die Linie verlegt wurden. Der kaiserliche Gesandte Graf von Löwenstein-Wertheim, der auf Grund seiner diplomatischen Mission in Nürn­ berg weilte und als Stand des Fränkischen Kreises am Schutz Nürnbergs inter­ essiert war, hielt es für möglich, die „schwedischen Werke“ durch 2.500 bis 3.500 Schanzer in drei bis vier Tagen wieder in verteidigungsfähigen Zustand zu versetzen und gleichzeitig hinter dieser Linie eine zweite aufzuwerfen.126 Der Kreiskonvent stimmte zu und bot im Umkreis von drei Meilen auch die Schan­ zer anderer Kreisstände auf. Nördlich der Pegnitz, an der Bärenschanze und in Gostenhof wurden nur Ausbesserungen durchgeführt. Dagegen wurde zwi­ schen Gostenhof über Galgenhof und Glockenhof bis zum Dürrenhof ein neuer Linienwall errichtet, zeit- und raumsparend meist in flachen Tenaillen. Die neue Trasse verlief, um nicht die Proteste des Ansbacher Markgrafen herauszu­ fordern, weit innerhalb des Landgrabens, so daß sie Feuerunterstützung durch die im Bereich der Stadtmauer aufgestellte Artillerie erhalten konnte. Die Bau­ zeit betrug dann allerdings mit vielen Unterbrechungen, vor allem in der Ern­ tezeit, von Anfang Juni bis Ende Dezember 1703. Da der Landausschuß aufgeboten wurde und die fränkischen Kreis truppen 8.000 Mann stark sich östlich Nürnbergs konzentrierten, griff weder die zwi­ schen Inn und Lech und in der Oberpfalz agierende kurbayerische Armee noch das unter Marschall Villars zwischen Lauingen und Dillingen verschanzte fran­ zösische Heer Nürnberg an, was zur Folge hatte, daß die bayerische Veste Ro­ thenberg, später Amberg kapitulieren mußten. Daß die Stadt im Siebenjährigen Krieg (1756—1763) den Preußen kampflos in die Hände fiel, hatte seine Ursache nicht in der Überalterung ihrer Verteidi­ gungseinrichtung, sondern in der inneren Zerrissenheit: Rat und Patriziat wa­ ren meist kaiserlich, die Bürgerschaft überwiegend „fritzisch“ gesinnt. Die fränkischen Regimenter konnten in entscheidenden Momenten, bedingt durch die strategische Situation, nicht zu Hilfe kommen. — Den Heeren der französi­ schen Revolution und Napoleons konnte die Stadt keinen Widerstand mehr entgegensetzen. Nürnberg blieben zwar, nach der Eingliederung in den bayeri­ schen Staat (bis 1866) Festungseigenschaften,127 doch wurde die Zirkumvallation in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts beseitigt. 126 StAN, Fsm. Ansbach, Kreistagsakten 200, Bi. 145, 183, Bl. 33, jeweils 4.6.1703. 127 Thomas Bruder: Nürnberg als bayerische Garnison von 1806 bis 1914, Nürnberger Werkstücke 2ur Stadt- und Landesgeschichte 48, Nürnberg 1992, S. 67-101.

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Die Methodik der Auswertung der archivischen Karten Es ist naheliegend, daß zur maßgenauen kartographischen Rekonstruktion von Zirkumvallation und Lagerbefestigung keine Darstellungen und Ansichten aus der Vogelschau (wie im Theatrum Europaeum bzw. in Johann Kalers Zeich­ nung) verwendet werden konnten. Es mußte deshalb auf die Pläne des schwe­ dischen Kriegsarchivs zurückgegriffen werden. Nach kontrastiver Prüfung wurde der Plan de Nörrenbergk, ex Olao Johanne Gotho, die Aug: 12. Anno 1632l2H als Grundlage der Rekonstruktion gewählt, da es sich bei den übrigen ein­ schlägigen Beständen des Kriegsarchivs um Detailentwürfe129 und skizzenhafte Vorstudien130 zu Gothos Plan oder von diesem völlig abhängige Nachzeichnun­ gen handelt.131 In einem zweiten Schritt wurde ein Vergleich markanter Geländepunkte an­ gestellt, die sowohl in Gothos Plan als auch in der Stadtkarte Nürnberg132 ent­ halten sind. Es wurden folgende Geländepunkte benutzt: — Wöhrd, Kirche — Mitte Weiherdamm des Tullnau-Weihers — Gleißhammer, Herrenhaus — Kapelle St. Peter — Haller Weiherhaus (Lage über Urkataster-Plan erschlossen) — Hummelstein, Herrenhaus — Lichtenhof, Herrenhaus — Wiesenstraße (Lage des Herrenhauses Sündersbühl über Urkataster-Plan er­ schlossen) — Offiziershaus in der Bärenschanze — Pegnitzeinfluß und -ausfluß — Frauentorturm und Spittlertorturm, Fischbacheinfluß und andere Punkte der Stadtmauer. Die nicht sehr gravierenden Winkelverzerrungen in Gothos Plan wurden berücksichtigt. Dazu boten sich jene Geländepunkte an, von denen eine weite, ungehinderte Sicht möglich war: die Burg mit Sinwellturm und Luginsland, die Türme der Stadtmauer, die Herrensitze (Obergeschosse) und bestimmte Geländeerhöhungen wie etwa der Rechenberg und nördlich der Tullnau. 128 Krigsarkivet Stockholm, Serviges Krig, 3:55, Nr. 1. - Für die kostenlose Überlassung von Kopien dieses und folgender Pläne bedankt sich der Verf. beim Kgl. Schwedischen Kriegsarchiv. 129 Krigsarkivet Stockholm, Utländska Kartor Tyskland SFP, Nr. 6. 130 Krigsarkivet Stockholm, Serviges Krig, 3: 57, Nr. 3. 131 Krigsarkivet Stockholm, Serviges Krig, 3: 59, Nr. 5, 3: 61, Nr. 8, 3: „Nurenberg miter Lagerung vom König Swede Anno 1632“. 132 Stadt Nürnberg, Stadtvermessungsamt: Stadtkarte Nürnberg 1 : 5000, hg. 1975, Ausg. 1988, Bl. 33, 34, 43,44, 53, 54.

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Diese Untersuchungen ergaben, daß innerhalb von Gothos Plan der Maßstab zwischen 9-150 und 10.100 : 1 schwankte. Er beruht nicht auf exakten Ver­ messungen, sondern die Entfernungen zwischen den Geländepunkten wurden durch Abschreiten festgestellt. Durch die unterschiedliche Schrittlänge von Mensch (0,65 bis 0,8 Meter) und Roß ergaben sich Ungenauigkeiten, die je­ doch offensichtlich durch öftere Wiederholung dieses „Meßverfahrens“ in Grenzen gehalten wurden. Schwerwiegender und erst nach mehrfacher Wiederholung des Rekonstruk­ tionsverfahrens auszumerzen war, daß Gotho die Lage von Lichtenhof und da­ mit des königlichen Hauptquartiers etwa 90 bis 100 Meter zu weit südwestlich angenommen hatte. Die Berücksichtigung dieser Tatsache engt die Schwan­ kungsbreite des Maßstabs auf 9-300 bis 9-400 : 1 ein. Der Verlauf von Fischbach und Goldbach und des ehemals zur Rednitz ent­ wässernden Landgrabens wurde durch Stadterweiterung, Bau der Eisenbahntrassen seit 1835 und den Straßenbau schon im 19- Jahrhundert, der der Peg­ nitz vor und nach der Stadt im 20. Jahrhundert stark verändert. Da der Verlauf der Gewässer und die Lage der Weiher sich ab 1631 bis Anfang des 19- Jahr­ hunderts nicht wesentlich verändert haben dürfte, wurden der Rekonstruktion die Pläne des Urkatasters von 1811 zugrundegelegt. Zur Wiedergabe der Schanzen nördlich der Pegnitz, des Gostenhofs und der Bärenschanze, aber auch der obengenannten Gewässer und Weiher wurden fol­ gende Karten, Pläne und Beschreibungen verwendet: - Beschreibung von Ober- und Untergalgenhof, zwei Ziegelhütten, der Wäsch, Leusbühell und Tafelhof, vom 30.5.1543 (Stadtbibliothek Nürn­ berg, Nor.H. 121). - Dr. Sörgels Garten, um 1710 (Staatsarchiv Nürnberg, Rst. Nürnberg, Kar­ ten und Pläne, Nr. 217). - (Gottlieb) Trost, Obristleutnant, Grundriß der Stadt Nürnberg, samt denen Vor-Städten, Gärten, Retrenchement, der Landwehren und übriger Situa­ tion, 1718 (Germanisches Nationalmuseum, S.P. 6503; siehe auch Staatsar­ chiv Nürnberg, Rst. Nürnberg, Karten und Pläne, 23) (Maßstab ca. 1:11.700). - Joh(ann) Bap(tist) Homann (Hg.), Prospect und Grundriss der des Heil. Röm. Reichs-Stadt Nürnberg samt ihren Linien und Gegend auf eine Meil wegs herumb, ca. 1725 (Staatsarchiv Nürnberg, Rst. Nürnberg, Karten und Pläne, Nr. 22 und 49a) (Maßstab ca. 1: 25.000). - Georg Christoph Petz von Lichtenhof, Grundriß der Stadt Nürnberg, samt denen Vorstädten, Garten, Retranchemens, Landwehren und übriger Situa­ tion, 1773 (Alt-Nürnberg, Kulturgeschichtliche Bilder aus Nürnbergs Ver225

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gangenheit, Alt-Nürnbergs Bürger in Waffen, Blatt 16, Verlag von Herde­ gen-Barbeck, Nürnberg 1898) (Maßstab ca. 1:11.800). Friedr(ich) Albr(echt) Annert, Geometrischer Grundriß der Reichsstadt Nürnberg, Anno 1793 (Historischer Atlas von Bayern- Teil Franken, Heft 4, Nürnberg-Fürth, Beilage 1; siehe Staatsarchiv Nürnberg, Rst. Nürnberg, Karten und Pläne, Nr. 45) (Maßstab ca. 1: 5.500). Grundriß der Bärenschanz, I.F.H.p. sculpsit, Nürnberg 1793 (siehe Willax, Verteidigungswesen, S. 245, Anm. 174. Bei Günter Tiggesbaumker, Hand­ gezeichnete Karten und Pläne der Stadtbibliothek Nürnberg, Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 23 (1988) nicht erwähnt). Pläne 1: 5.000 des Urkatasters 1811, NW LXII - LXIV, 14-17. Plan der k. bayr. Stadt Nürnberg nach dem Stand vom 1. Jan. 1878 (1: 5.000), städt. Geometer G. Schwarz (Staatsarchiv Nürnberg, Rst. Nürn­ berg, Karten und Pläne, Allgemeine Reihe, Nr. 5045). Situationsplan über definitive Canalisierung ... in der Gibitzenhofstraße (Bereich Landgraben-, Singerstr.), (1 :1.000), (Stadtarchiv Nürnberg, C 7/1 Nr. 6192). Fischbach — Ehemalige und heutige Trasse zwischen Dutzendteich und Un­ schlitthaus, 1: 5.000, Tiefbauamt der Stadt Nürnberg, Stadtentwässerung, Dipl.Ing. Lauer, 21. Februar 1989. Verlauf des ehemaligen Südstadt-Landgrabens von der Wilhelm-SpäthStraße bis zur Rednitz, 1:10.000, Tiefbauamt der Stadt Nürnberg, Stadt­ entwässerung, Dipl.Ing. Lauer, 14. Dezember 1989.

Das Stadtarchiv Nürnberg verwahrt eine von Herrn Fritz Gries, Stadtpla­ nungsamt der Stadt Nürnberg, in den Jahren 1959-1963 gefertigte Rekon­ struktion der Nürnberger Zirkumvallation, „dargestellt aufgrund der Kataster­ pläne 1: 5.000, übertragen auf eine moderne Stadtkarte 1 : 2.000“ (StadtAN A 4 Nr. 1467/1785 (Abzug),133 — eine kartographisch exakte, durch die farbige Gestaltung sehr prägnante Rekonstruktion des gesamten Wallringes. Der Teil der Linie von Gostenhof über Glockenhof zum Dürrenhof entspricht dem Stand 1703/04. Die im Herbst 1632 geschliffenen Werke der schwedischen Lagerbe­ festigung sind nicht angegeben. Bei der vom Verfasser vorgenommenen Rekonstruktion der schwedischen Werke wurden zudem die in dem Beitrag von Franz Willax: Das Verteidi­ gungswesen Nürnbergs im 17. und 18. Jahrhundert, in: MVGN 66 (1979), S. 192—247 genannten Karten und Pläne verwendet. Inwieweit die Pläne Ka133 Für die Einsichtnahme in die genannten Pläne und für fachkundige Erläuterung bedankt sich der Verf. bei Herrn Dipl.-Ing. Dieter Lauer, Tiefbauamt der Stadt Nürnberg, Stadtentwässerung. - Für den Hinweis auf die Karte von Fritz Gries und für langjährige Unterstützung bedankt sich der Verf. bei Herrn Karl Kohn, Nürnberg.

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lers und der schwedischen Ingenieure und Kartographen von älteren Nürnber­ ger Kartendarstellungen abhängig sind, wurde aus Zeit- und Platzgründen nicht untersucht.l33a Vom Verfasser wurden 1992/93 in den Stadtteilen, in denen schwedische Li­ nien verliefen, diese jedoch restlos beseitigt und im Zuge der Stadterweiterung im 19- Jahrhundert überbaut wurden, Begehungen durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, daß die schwedischen Planer bei der Trassierung der Linie den Kämmen auch relativ geringfügiger Erhebungen und Geländewellen folgten, so daß feindliche Angriffe zum frühest möglichen Zeitpunkt erkannt werden konnten. Ein Einblick in Stadtpläne 1 : 10.000 mit Höhenschicht-Linien (EinMeter-Teilung, Stand 1958/9) bestätigte dies. Die Begehungen dienten im Südosten der Linie, im Bereich Tullnau, Gleißhammer, Haller Weiherhaus, Siechgraben, Neubleichweiher, Dürrenhof der allein mit Hilfe der schwedi­ schen Pläne nicht ausreichend zu klärenden Frage nach der planerischen Kom­ bination von Weihern, Bächen, wasserführenden Gräben mit Erdbefestigun­ gen. Es ergab sich, daß die schwedischen Planer, wahrscheinlich in enger Zu­ sammenarbeit mit den reichsstädtischen Ingenieuren wie Schmidt und Kaler, für die Verteidigung optimale Lösungen entwickelten, die es unter Einbezie­ hung der Herrensitze und Weiherhäuser ermöglichten, die Ostflanke des La­ gerbereiches mit einem Minimum an Bewaffneten zu verteidigen. Die Tatsache, daß die Lagerbefestigung Herbst 1632 auf Gustav Adolfs Be­ fehl hin geschliffen und 1703/04 durch eine Linie ersetzt wurde, die wesentlich stadtnäher lag, führte im 18. und selbst noch im 20. Jahrhundert zu fehlerhaf­ ten Rekonstruktionen, Fehlern die selbst fachkundigen Militärs und Histori­ kern unterliefen: So erlag Leutnant Hennert, „Ingenieur de Son Altesse royale Monseigneur le Prince Henri“, diesem Irrtum mit seinem „Plan du camp retranche autour de Nurrenberg, occupe par les Suedois sous les Ordres du Roi Gustave Adolphe . . . 1632“,134 in dem er die Stadt, das schwedische Lager und die Schlacht an der Alten Veste wiedergibt. Er stellt den Verlauf der Fortifikation des Lagers in dessen südwestlichen Bereich zu weit nördlich dar, so daß Lichtenhof (und damit das königliche Hauptquartier), der Huntshoff und die östlich davon gelegene Ziegelhütte vor der Schanzenlinie zu liegen kamen. Da­ bei hatte Hennert vermutlich sogar Ortskenntnis: Carl Wilhelm Hennert,135 Siehe die Schilderung der Methode bei Walter Satzinger, Entwicklung, Stand und Möglichkeiten der Stadtkartographie dargestellt vorwiegend an Beispielen aus Nürnberg (Deutsche Geodätische Kommission, Reihe C: Dissertationen, Nr. 71), München 1964, S. 61-66). 134 Krigsarkivet Stockholm, Serviges Krig 3: 67; eine Kopie von Erasmus Heermann, Bas-Officier des Gardes, ebd. 3: 68, trägt das Datum Februar 1783. 135 Max Jähns: Geschichte der Kriegswissenschaften vornehmlich in Deutschland, Bd. II und III, München/Leipzig 1890/91, S. 1693, 1843, 1897. Hennert veröffentlichte zwischen 1774 und 1790 kriegswissenschaftliche Einzeluntersuchungen, die auch Fortifikationstechnisches umfaßten.

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geb. 1739, kämpfte als Artillerie-Leutnant in der Armee König Friedrichs II. in Preußen und wurde Schloßbauinspektor jenes Prinz Heinrich, der die Armee seines Bruders kommandierte, die meist in Sachsen und Thüringen operierte und 1757 und 1762 Streifkorps gegen Nürnberg entsandte. Wenn Hennert daran beteiligt war, so stand ihm bei diesen Gelegenheiten jedoch wenig Zeit zur Verfügung, Recherchen vor Ort zu machen, und die Nürnberger dürften ihm hierbei nicht behilflich gewesen sein. So dürfte er sich bei der Erstellung seines dekorativen Plans, bei der er zweifellos auch auf Genauigkeit bedacht war, im wesentlichen auf die Darstellung im Theatrum Europaeum gestützt ha­ ben, die Lichtenhof nicht angibt und, wie Hennert, das Hundsschlagerhaus vor die Linie legt. Auch bei einer modernen Veröffentlichung, die auf Breitenwirkung abgestellt ist, scheint über die letzte Phase der Nürnberger Fortifikation keine völlige Klarheit bestanden zu haben: Der „Bayerische Geschichtsatlas“136 gibt Karten 1:25.000 „Uber das Werden der großen Städte“ wieder. Während für sieben der acht Städte im Kartenteil und in den „Erläuterungen“ genaue Angaben zur Entstehungszeit der „letzten“ Stadtbefestigung gemacht werden (z. B. Mün­ chen 1640, Würzburg 1649 ff.) fehlen für Nürnberg im Kartenteil entspre­ chende Daten, und in der Erläuterung wird vermerkt: „Der weite Bering, ei­ gentlich eine verstärkte Landwehr, ist seit 1620 entstanden und durch die schwedischen Schanzwerke von 1632 geschlossen worden. Er bestand aus Erd­ wällen und zwei starken Schanzen, der Sternschanze und der Bärenschanze, im Westen“. Daß die schwedische Lagerbefestigung weder erwähnt noch abgebil­ det ist, mag berechtigt sein. Dagegen ist die Linie von 1703/04 zwar, ohne An­ gabe der Jahreszahl, wiedergegeben, aber in der Erläuterung nicht erwähnt. Mit der mittelalterlichen Landwehr, im Süden dem Landgraben, stimmt der Verlauf der Befestigungslinie Gustav Adolfs nicht überein. Daß diese aus Erdwerken bestand, rechtfertigt den Vergleich nicht. Zudem fehlt der schwedischen Linie der für Landwehren charakteristische Heg-Bewuchs, das Gebück, und die Land türme an den Durchlässen.137

136 Max Spindler/Gertrud Diepolder (Hg.): Bayerischer Geschichtsatlas, München 1969, S. 43-45, 120-127. 37 Max Herchenröder (Bearb.): Gebück und Burgen an der Grenze des Rheingaues, in: Kunstdenk­ mäler des Landes Hessen, Der Rheingaukreis, München 1965, S. 47-54 „. . . undurchdringliche Hecke aus gebückten Hainbuchen, von etwa fünfzig Schritt Breite. - Herbert Woltering: Die Reichsstadt Rothenburg ob der Tauber und ihre Herrschaft über die Landwehr, T. I, in: Jahrbuch des Vereins Alt-Rothenburg (1965/66), S. 109-111, Karte. - Walter Hollatz: Aachener Reich Grenzen, Landgraben, Gebück, Grenzsteine, Kelmis 1978, Abb. 1,3, 20. — Hans Mattern/Reinhard Wolf: Die Haller Landheg. Ihr Verlauf und ihre Reste, Forschungen aus Württembergisch Franken 35, Sigmaringen 1990, S. 17.

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Zusammenfassung Spätestens hier erscheint es notwendig, Zeitdaten und Angaben über Umfang und Ablauf der Arbeiten an der Nürnberger Zirkumvallationslinie zusammen­ zufassen: - 1621 bis 1623 wurde die Umwallung Gostenhofs angelegt.138 - Ab Spätherbst 1631 entstanden die unmittelbar dem Stadtgraben vorgeleg­ ten Schanzen zwischen dem Fischbachübergang, Tafelhof und dem Rondell Basteien (nordwestlich des Spittlertors) nach den Plänen des Nürnberger Hauptmanns Wilhelm Schmidt. Abgeschlossen wurden die Arbeiten erst nach der Rückkehr Gustav Adolfs aus Bayern Anfang Juni 1632.139 - Mit der ganz Nürnberg umgebenden Zirkumvallationslinie wurde nach der Rückkehr des Schwedenkönigs von seinem Vorstoß in die Oberpfalz begon­ nen, der vergeblich bezweckt hatte, die Vereinigung Wallensteins mit den Regimentern des bayerischen Kurfürsten und deren Vormarsch auf Nürn­ berg zu verhindern (29. Juni 1632 n.St.). Planer waren schwedische Ingeni­ eure unter Leitung des Generalquartiermeisters Olao Johanne Gotho Örnehufvud, auch Olf Hanson genannt. Der Rat hatte ihnen Hauptmann Wil­ helm Schmidt zugeordnet. Während die eigentliche Lagerbefestigung im Südosten der Stadt (Tafelhof- Lichtenhof — Haller Weiherhaus - Gleißham­ mer - Tullnau) innerhalb von ca. zwei Wochen erstellt wurde, zogen sich die Arbeiten nördlich der Pegnitz bis Ende September hin.140 - Am 17. August,M1 d. h. noch vor der Schlacht an der Alten Veste (31. Au­ gust - 4. September 1632 n.St.), ließ Gustav Adolf dem Rat nahelegen, vor dem Frauentor ein Kronwerk zu errichten. Die Arbeiten waren im Oktober noch nicht abgeschlossen. - Mitte September 1632 gab der schwedische Reichskanzler Oxenstierna nach Abzug Gustav Adolfs (und Wallensteins) nach Sachsen dem Rat den Hin­ weis, die eigentliche Lagerbefestigung schleifen zu lassen.142 - Im Spanischen Erbfolgekrieg (1701—1714) wurde ab 475. Juni 1703 wegen der Bedrohung Nürnbergs durch kurbayerische und französische Armeen

w 110 141 112

StAN, Rst. Nbg., RV 1995, Bl. 19, 24.9.1621, Bl. 39, 26.9.1621; Stadtrechnungen 39, Bl. 139’, 23.3.1622, 40, Bl. 137, 21.3.1623. StadtAN A 26/11 Nr. 97, Bl. 2f., 25.12.1631, Bl. 7-10, 27.12.1631, Bl. I4f., 28.12.1631. StAN, Rst. Nbg., VHÄ 38, Bl. 111, 29.8.1632, Bl. 125,7.9.1632. StAN, Rst. Nbg., RV 2138, Bl. 88, 17.8.1632. StadtAN A 26/11 Nr. 97a, Bl. 26, 17.8.1632; A 22 Nr. 278, Bl. 125, 17.10.1632. StAN, Rst. Nbg., VHÄ 38, Bl. 127, 7.9.1632, Bl. 134, 136, 16.9.1632; RV 2139, Bl. 116, 17.9.1632.

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eine Linie errichtet, die von Gostenhof (Tafelhof, Galgenhof und Glocken­ hof ein- und St. Peter ausschließend) bis zur Pegnitz (bei Dürrenhof) reichte. Die Arbeiten zogen sich bis zum Frühjahr 1704 hin.143 Anhang: Wilhelm Schmidt (1598 bis ca. 1659) Er wurde am 18.7.1598 als Sohn des Nürnberger Bürgers Balthasar Schmidt getauft.144 In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts hielt er sich in Ham­ burg auf, doch können trotz Namengleichheit mit anderen keine genaueren Angaben gemacht werden.145 Wie aus Schreiben des Hamburger Rates vom 3. Juli und 4. August 1628 hervorgeht, wurde Wilhelm Schmidt als Capitainleutnant nach Lübeck entsandt und war von Juli bis vermutlich September 1628 als Ingenieur gutachtlich für den Lübecker Rat tätig. Nach Prüfung der dort vorgelegten Pläne über den Schanzbau vor dem Äußeren Holstentor wurde mit den Arbeiten 1630 begonnen.146 Im Februar 1629 ist Schmidt als Anführer einer der insgesamt 17 Hamburger Kompanien genannt, doch wird er Novem­ ber 1629 nach einer Truppenreduzierung nicht mehr erwähnt.147 Im Sommer 1631 fertigte er für den Nürnberger Rat Pläne über eine Roßmühle (15. Juli 1631).148 Er hatte dem Rat seine Dienste angeboten, wollte jedoch, als dieser sich nicht entschließen konnte allen Forderungen Schmidts nachzukommen, zu Weib und Kind nach Hamburg zurückkehren.149 Der Rat stimmte dem zuerst zu, bot ihm aber am 17. Oktober 1631 eine Kompanie des Regiments Leubelflng an.150 Die Herren Älteren forderten die Kriegsverordneten am 20. Novem­ ber 1631 auf, mit Schmidt einen Anstellungsvertrag abzuschließen.151 Er sollte

143 Willax (wie Anm. 30), S. 205-208. 144 Landeskirchliches Archiv (LKA) Nürnberg, Taufbuch St. Lorenz, Bl. 277. 145 Eike E. Unger: Nürnberger Handel mit Hamburg im 16. Jahrhundert und beginnenden 17. Jahr­ hundert, in: MVGN 54 (1966), S. 44 (Martin Schmidt). - Peters (wie Anm. 101), S. 106 f., 376. 1621 sind in den Nürnberger Ratsverlässen zwei Personen namens Wilhelm Schmidt genannt, die nicht mit dem in Hamburger Diensten Stehenden identisch sind: Ein kaiserlicher Capitain, der um eine Anstellung nachsuchte, aber abgewiesen wurde, und ein Prozeßführender, der am Stadtgericht zu einer Appellation zugelassen wurde. StAN, Rst. Nbg., RV 1993, Bl. 96, 21.8.1621, RV 1983, Bl. 68, 24.11.1620). Letzterer ist vielleicht identisch mit dem späteren Dr. jur. Wilhelm Schmidt, der von 1628 bis 1633 „Geschworener Advocat gemeiner Bürgerschaft“ war. StadtAN Bll Nr. 125, Bl. 263. 146 W. Brehmer: Beiträge zu einer Baugeschichte Lübecks, 5. Die Befestigungswerke Lübecks, in: Zeit­ schrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 7 (1898), S. 420. 147 Schreiben des Staatsarchivs Hamburg v. 29.5.1984. 148 StAN, Rst. Nbg., LPflA, PflA Betzenstein S I L 339, Nr. 11, Bl. 1. 149 StAN, Rst. Nbg., RV 2126, Bl. 34f., 9.9.1631. 150 StAN, Rst. Nbg., RV 2127, Bl. 74, 17.10.1631; Stadtrechnungen 49, Bl. 238. 151 StAN, Rst. Nbg., VHÄ 37, Bl. 76, 20.10.1631.

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als Gehalt im Range eines Ingenieurs und Hauptmanns 200 fl im Vierteljahr erhalten, doppelt sowiel wie die anderen Capitaine.152 Ende Oktober 1631 ließ sich der Rat von ihm und anderen Sachverständigen im Fortifikationswesen Zeichnungen vorlegen, um die Stadt in einen besseren verteidigungsfähigen Zustand zu bringen. Die Planungen Schmidts wurden als besonders tauglich befunden, da sie einen optimalen Schutz der Stadttore vor­ sahen.153 Doch ausgeführt wurde dieser großangelegte Plan zum Schutze der ge­ samten Stadt nicht. Schmidt erhielt den Auftrag, die Fortifikation von Gostenhof zu verbessern, wo die Schanzen mit Flanken versehen werden sollten. Ähn­ liches war für die Pegnitzein- und -ausflüsse vorgesehen,154 wo die vorhandenen Erdwerke eine Steinverkleidung erhalten sollten. Als Tilly mit seinem Liga-Heer anrückte, erhielt Schmidt am 18. November 1631 die Order, im Zwinger zwischen Frauentor und Spittlertor aus Erde Ca­ valiere zur Aufstellung von Geschützen aufschütten zu lassen. Dies führte, als Tilly schon abgezogen war, aber noch in gefährlicher Nähe stand, am 25. No­ vember zum Bruch der Zwinger-Futtermauer, der Escarpe. Der Wiederaufbau sollte in drei Wochen und zwar für 500 Reichstaler abgeschlossen sein, war aber nicht nur teurer, sondern zog sich auch länger hin.155 Am 16. Dezember 1631 machte Schmidt dem Rat den Vorschlag, dem sich Johann Carl im wesentlichen anschloß, vor den gefährdeten, schwachen Stellen des Zwingers 15 bis 16 Bollwerke zu errichten, die man zu einem Wallwerk Zu­ sammenhängen könne.156 Graf Georg Friedrich von Hohenlohe, der militärische und außenpolitische Berater des Rates,157 war gegen diese Lösung eines Real­ werkes, da die Vororte beseitigt werden müßten, der Bau viel Zeit erfordere und man trotzdem bei jeder Schanze mit den Flanken, hier als „Flügel“ bezeichnet, bis zum Stadtgraben zurückreichen müsse. Schon 1622 hatten Sachverständige des Fortifikationswesens aus Ulm daraufhingewiesen, daß bei der Einnahme ei­ ner Schanze des Realwerks durch den Feind die anderen nicht zu halten seien158 und daß deshalb die Flanken der Bastionen immer bis zum Stadtgraben zurück­ geführt werden müßten. Der Rat entschied, Schmidt solle die notwendigen Werke zwischen Frauentor und Spittlertor abstecken und vor Ort mit Graf Ho-

152 StAN, Rst. Nbg., Stadtrechnungen 49, Bl. 238. 153 StAN, Rst. Nbg., VHÄ 37, Bl. 88, 1.11.1631. 154 StadtAN A 22 Nr. 278.2°, Bl. 11, 11.11.1631, Bl. 15, 13.11.1631. StAN, Rst. Nbg., RV 2130, Bl. 29f-, 28.12.1631. 155 StadtAN A 22 Nr. 278.2°, Bl. 21, 18.11.1631, Bl. 45f., 6.12.1631. StAN, Rst. Nbg., RV 2129, Bl. 10,25.11.1631. 156 StadtAN A 22 Nr. 278.2°, Bl. 54, 16.12.1631. 157 Willax (wie Anm. 8), S. 271-274. 158 StAN, Rst. Nbg., VHÄ 32, B1.7, 5.5.1622.

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henlohe entscheiden. Schmidt nutzte die kurze Spanne Zeit um eine Erklärung, betreffend die Fortifikation der Stadt (25. Dezember 1631 )159 auszuarbeiten. Er ging nun unter Berücksichtigung örtlicher Besonderheiten davon aus, den schwachen Mauerstellen unmittelbar vor dem Graben Werke vorzulegen. Seine Planung wurde am 27. Dezember von den Kriegsverordneten und schon einen Tag später vom Rat allerdings mit Einschränkungen angenommen.160 Die Kriegsräte waren der Meinung, im Gegensatz zu Mitbewerbern wie Johann Carl zeichne sich Schmidts Entwurf durch Kürze der Bauzeit, geringste Kosten und die wenigsten Schäden durch Abriß von Gebäuden und Gärten aus. Aller­ dings wurde seine Planung mit dem Graben unmittelbar vorgelegten Erdwer­ ken nur südlich der Pegnitz und auch hier nur teilweise ausgeführt: ein Hornund ein Kronwerk und zwei Bastionen anstelle der geplanten drei Kronwerke, ein bis zwei Hornwerke und sechs Bastionen,161 die Werke am Pegnitzein- und -ausfluß nicht gerechnet. Dem Teilabriß des Vororts Gostenhof und der Befe­ stigung des zu erhaltenden Teils mit je zwei ganzen und zwei halben Bastionen stimmte der Rat nicht zu. Schmidt wurde jedoch mit der Bauausführung be­ traut, die ihn voll auslastete. Die Bitte des Markgrafen Christian von Kulmbach vom 5. Februar 1632, der deswegen seinen Baumeister nach Nürnberg entstandte, Schmidt für Befesti­ gungsmaßnahmen auf der Plassenburg abzustellen, mußte der Rat am 21. Fe­ bruar ablehnen, da man Schmidt wegen gefährdeter Straßen nicht hazardiren las­ sen könne.162 Am 28. März erhielten er und Johann Carl den Auftrag der königlichen Maje­ stät zu Schweden, Obriste Ingenieur Franz Treitoron (Franciscus de Traytorren) auf einem Ritt um die Stadtmauer zu begleiten. Dieser sollte eine Zeichnung oder ein Gutachten erstellen.163 Am 13. Juni erhielt Schmidt die Order, den von Gu­ stav Adolf entsandten Ingenieur Olphhansen bei der Trangierung der Gärten, d. h. bei der Planung von Zirkumvallation und schwedischer Lagerbefestigung zu unterstützen. Die Schanzarbeiten zogen sich bis in den Spätherbst hin.164 Der Rat wies Schmidt und Johann Carl festumrissene Arbeitsbereiche zu, um Kompetenzstreitigkeiten möglichst zu vermeiden. Schmidt wurden die

159 160 161 162 163 164

StadtAN A 26/11 Nr. 97, Bl. 2 f., 25.12.1631, Bl. 7-10, 27.12.1631, Bl. 14 f., 28.12.1631. Ebd. GNM, S. P. 10.420, Kp. 1054b. StAN, Rst. Nbg., RV 2132, Bl. 28, 21.2.1632. StadtAN A 26/11 Nr. 100, Bl. 14 f., 21.2.1632. StAN, Rs. Nbg., RV 2133, Bl. 35, 28.3.1632; VHÄ 37, Bl. 222, 30.3.1632. StAN, Rst. Nbg., VHÄ 38, Bl. 54, 13.6.1632. StadtAN A 26/11 Nr. 97a, Bl. 13, 13.6.1632.

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Fortifikationsarbeiten übertragen, Carl165 erhielt am 14. Juli 1632 das Kom­ mando über die städtische Artillerie auf den Batterien und AußeniverV,166 Als die Stabsoffiziere des Regiments Leubelfing Ende November 1632 ihren seit 1. November 1631 ausstehenden Sold in Höhe von 21.000 fl forderten, ver­ hielt sich Schmidt mit ihnen soldidarisch.167 Zusammen mit den Deputierten zum Schanzwerk erhielten Carl und Schmidt nach dem Abzug der Schweden vom Rat den Auftrag168 zu überschlagen, was die Fortführung der Schanzarbei­ ten kosten werde. Dieses Gutachten legten sie am 4. Oktober 1632 vor.169 Die Erdarbeiten und der Ausbau der Schanzen (Wasen- und Staketensetzen) wurde in den folgenden Monaten fortgesetzt, ebenso der Bau eines Kronwerk vor dem Frauentor, dessen Errichtung noch Gustav Adolf angeordnet hatte.170 Das Verhältnis zwischen Schmidt und dem Rat blieb auf die Dauer nicht rei­ bungslos. Im Januar 1633 kam es zwischen ihm und Oberst von Leubelfing zum Streit, als Schmidt seinen Führer (wegkundigen Unteroffizier) entließ.171 Den Rat mag eine Äußerung Schmidts verärgert haben, ihm liege nicht allzu­ viel an seiner Kompanie. Diese war ihm auch nur unter der Bedingung verlie­ hen worden, einen fähigen Leutnant zu engagieren. Dieser führte dann auch die Truppe in den Gefechten, z. B. gegen die in den Nürnberger Ämtern plün­ dernde Forchheimer Garnison.172 Der Ärger des Rates währte nicht lange, denn im April 1633 wurde Schmidt zum Genannten des Größeren Rates erwählt und zwar in diesem Wahlgang als sechster nach fünf Patriziern, doch lehnte Schmidt ab.173 Am 24. März 1634 stellten die Herren Älteren fest, von allen Of­ fizieren könne man sich nur auf Capitain Schmidt verlassen.174 Wieder wurde Schmidt zum Genannten ernannt und wieder lehnte er ab.175 Nun war der Rat erzürnt und machte seiner Verärgerung Luft: Schmidt hat den Ehrenstand nicht an­ genommen. Er solle befragt werden, warum er als hiesiges Bürgerkind diese Ehre so ver-

165 StadtAN B 11 Nr. 125, Bl. 471. StadtAN A 22 Nr. 278.2°, Bl. 103, 14.7.1632. 167 StAN, Rst. Nbg., VHÄ 38,Bi. 162, 29.11.1632. 163 StAN, Rst. Nbg., VHÄ 38, Bl. 142, 25.9.1632. 169 StAN, Rst. Nbg., RV 2140, B 1. 55, 4.10.1632. 170 StadtAN A 22 Nr. 278.2°, Bl. 121, 2.10.1631, Bl. 213, 29.7.1632 (Sicherungsarbeiten). StAN, Rst. Nbg., RV 2141, Bl. 52, 1.11.1632 (Kronwerk vor dem Frauentor). RV 2143, Bl. 92, 5.1.1632, RV 2147, Bl. 4, 23.4.1633 (Palisaden- und Wasensetzen). StadtAN A 22 Nr. 278.2°, Bl. 137, 31.10.1632, Bl. 165, 7.1.1633. Akten 10: Schmidts Bestal­ lung von 800 fl jährlich wurde „von Haus aus" zum 29.10.1635 verlängert. in StAN, Rst. Nbg., RV 2143, Bl. 2, 13.12.1632. StadtAN A 22 Nr. 278.2°, Bl. 229, 31.10.1633. m StAN, Rst. Nbg., RV 2147, Bl. 6, 24.4.1633. 1,4 StAN, Rst. Nbg., VHÄ 39, Bl. 222, 24.3.1634. 175 StAN, Rst. Nbg., RV 2159, Bl. 28, 5.4.1634.

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äcbtlich hinansetzt. Drei Tage später bedankte sich Schmidt, doch sei ihm als Sol­ dat mit dieser Ehre nicht gedient. Der Rat verfügte daraufhin, ihn aus dem Genanntenbuch zu streichen. Der Vorfall hatte keine Konsequenzen, denn Schmidt wird weiterhin als Anführer einer Kompanie und als Fortifikationssachverständiger des Rates erwähnt.176 Hatte der Rat bisher Schmidt mit Ausnahme eines Leipziger Messekonvois von Windsheim nach Nürnberg im Januar 1633, eine Reise die der Fortifikation der befreundeten Stadt gedient haben dürfte,177 keine Aufträge erteilt, die seine Person gefährdet hatten, so wurde er jetzt durch den schwedischen Heer­ führer Bernhard von Weimar zur Belagerung von Forchheim angefordert. Schmidt rückte am 18. Juni 1634 mit 300 Mann des Regiments Leubelfmg ab.178 Er berichtete alle zwei, drei Tage über die Belagerung und das gleichzei­ tige Unternehmen des Generals Johann Philipp Cratz von Scharffenstein gegen die bayerische Festung Rothenberg. Beide Unternehmungen scheiterten, und die Nürnberger mußten drei Geschütze in Forchheim zurücklassen, dessen Be­ satzung Plünderungszüge gegen Nürnberger und Kulmbacher Ämter sofort wieder aufnahm.179 Die Spannungen zwischen dem Nürnberger Rat und seinem Capitain hatten sich inzwischen merklich gemindert: Am 2. Oktober 1634 wurden Schmidt für drei Jahre je 100 fl Hauszins gewährt.180 Mit 800 fl jährlich, Hauszins und Ein­ nahmen als Anführer einer Kompanie und aus Konvoigeldern (für eine Nacht 5 fl,181 wofür ein Handwerksgeselle einen halben Monat arbeiten mußte), konnte Schmidt einen Teil seines Soldes ansparen. Auch die Ausgaben für Speis und Trank waren nicht groß, da Arbeitsessen der Stadtkasse verrechnet wurden. Als Olof Hansson vom 19- Juni bis 19. Juli 1632 im Bitterhold, einer der vor­ nehmsten Gaststätten der Stadt, 710 fl Zehrkosten hatte, obwohl er sich nur zwei bis drei Tage im Auftrag des Rats hier aufgehalten hatte, hat auch Schmidt an dessen Tafel gesessen.182 Schmidt konnte 1.800 fl in der Losungsstube hinterlegen.183 Dabei zahlte die ungeheuer verschuldete Stadt zu diesem Zeitpunkt schon keine Zinsen mehr.

176 StAN, Rst. Nbg., RV 2163, Bl. 51, 14.7.1634.-Kurt Schall: Die Genannten in Nürnberg, (Nürn­ berger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte 6), Nürnberg 1971, S. 19. 177 StadtAN A 22 Nr. 278.2°, Bl. 174, 24.1.1633. 178 StAN, Rst. Nbg., VHÄ 40, Bl. 53, 5.6.1634, Bl. 60, 17.6.1634. 179 StAN, Rst. Nbg., VHÄ 40, Bl. 64, 23.6.1634, Bl. 66, 24.6.1634; RV 2163, Bl. 51, 14.7.1634, Bl. 111, 29.7.1634. - Konrad Kupfer: Forchheim, Nürnberg 1968, S. 60. 180 StAN, Rst. Nbg., Stadtrechnungen 51, Bl. 162. 181 StadtAN A 22 Nr. 278.2°, Bl. 170,24.1.1633. 182 StAN, Rst. Nbg., RV 2137, Bl. 117-218. 183 StAN, Rst. Nbg., Stadtrechnungen 52, Bl. 110.

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Eine Ausnahme war Oberst Leubelfing, dem eine schon lange anstehende Ein­ lage von 7.000 fl mit 6% verzinst wurde. Weitere 1.368 fl brachten aber auch ihm nichts ein. Härter traf die Sparpolitik des Rates Generalmajor von Schlammersdorff, der die Auszahlung von 22.200 fl forderte. Der Rat drückte die Summe auf 20.000 fl herab, die jedoch festverzinslich stehen bleiben mußte und zahlte im Mai 1635 nur 1.500 fl aus.184 Der Grund war, daß der Kaiser und Kursachsen am 30. Mai 1635 n.St. den Prager Frieden geschlossen hatten und Nürnberg, dessen östliche Ämter von Kurbayern verwüstet wurden, ihm beitreten mußte. Die enorme Schuldenlast der Kriegskosten (1635 7,5 Millionen fl; jährliche Verzinsung und Tilgung 307.000 fl) zwang die Reichsstadt ihre Truppen aufzulösen.185 Selbst Oberst von Leubelfing mußte 1637 die Nürnberger Dienste quittieren.186 Die Zahlun­ gen an Schmidt wurden von 575 fl (einschließlich Hauszins) im Jahr 1635, auf insgesamt 250 fl für 1636 und 1637 herabgesetzt. Im Mai 1638 wurden ihm noch 150 fl ausbezahlt, dann endete die Tätigkeit des Wilhelm Schmidt im Dienste der Reichsstadt Nürnberg.187 Am 29. September 1646 erschien er in einer Erbschaftsangelegenheit vor dem Nürnberger Stadtgericht188 als fürstlich Brandenburgischer Major und In­ genieur. In dem inoffiziellen (und fehlerhaften) „Verzeichnis aller Genannten des Größeren Raths“ von 1802 ist als Ende von Schmidts Genanntenwürde 1659 angegeben, ein Datum das (den Ausschluß oder) seinen Tod anzeigen dürfte.189

185 186 187 188 189

Willax (wie Anm. 8), S. 277. Sander (wie Anm. 110), S. 805, Spalte d und S. 836, Spalte a. Willax (wie Anm. 8), S. 280. StAN, Rst. Nbg., Stadtrechnungen 52, Bl. 110, 240; 53, Bl. 237; 54, Bl. 230; 55, Bl. 230. StadtAN B 14/1 Nr. 160, Bl. 159 f. Johann Ferdinand Roth: Verzeichnis aller Genannten des Größeren Raths, Nürnberg 1802, S. 121.

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DIE NÜRNBERGER ZINNFIGURENFABRIK GEORG SPENKUCH Von Erhard Schraudolph Die Herstellung von Kinderspielzeug aus Zinn hat in Nürnberg und Fürth eine lange Tradition. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich dann ein bedeutender Gewerbezweig mit weltweitem Absatz. Neben einem umfangreichen Angebot für die Puppenstuben waren es vor allem die Figuren, die, in unterschiedlichen Größen und Stärken angeboten, den Ruhm der Nürnberg-Fürther Offizinen begründeten. Jährlich verließen einige Millionen Figu­ ren die Werkstätten und gelangten in die Hand von Kindern aller Schichten, wobei sie die Erlebniswelt besonders der männlichen Jugend entscheidend prägten. Die Zinnfiguren gingen mit der Zeit; kaum ein aktuelles oder histori­ sches Ereignis, das es nicht in Zinn gab, wobei kriegerische Auseinanderset­ zungen im Mittelpunkt standen. Natürlich konnten nur große Offizinen ein breites Themenangebot offerieren, während kleinere Hersteller sich fast aus­ schließlich auf allgemein gängige Themen beschränkten. Zu den großen Offi­ zinen zählte Spenkuch; die Gründung erfolgte, verglichen mit den anderen großen Offizinen, relativ spät.1 Georg Barnabas Spenkuch wurde am 11.8.1850 in Nürnberg als Sohn des Nachtlichterherstellers Barnabas Spenkuch (f 1865) und seiner Frau Marga­ retha (geb. Hollerer) geboren.2 Die schulische und die berufliche Ausbildung von Georg Spenkuch bleibt im dunkeln, vielleicht arbeitete er eine Zeitlang in der Zinnfigurenfabrik seines Schwagers. Georg Spenkuchs Schwester Katharina Adelheid (* 17.12.1845; f 1917) hatte nämlich am 10.9.1871 den gelernten Graveur Christian Friedrich Ammon geheiratet.3 Ammon gehörte neben Heinrichsen und der Nürnberger Zinn-Compositions-Figuren-Fabrik damals zu den größten Offizinen in Nürnberg. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit war Spen­ kuch einige Zeit in der zuletzt genannten Offizin tätig. Die Nürnberger Zinn-Compositions-Figuren-Fabrik hatte am 12.7.1854 der Graveur Friedrich Wilhelm Langenbach (* 17.5.1814; f 17.10.1891) zusam­ men mit dem Kaufmann Johann Leonhard Speiser gegründet, später leitete den Betrieb der Kaufmann Friedrich Dedel.4 Die Räumlichkeiten befanden sich zu1

Die großen Offizinen in Nürnberg und Fürth hießen: Allgeyer (gegründet noch im 18. Jahrhun­ dert), Ammon (gegr. 1768), Haffner (gegr. 1838), Heinrichsen (gegr. 1839), Gebrüder Heinrich (gegr. 1863), die Nürnberger Zinn-Compositions-Figuren-Fabrik (gegr. 1854), Schildknecht (gegr. 1848) und Spenkuch (gegr. 1880). - StadtAN C 7/II Nr. 18239. 3 Erhard Schraudolph: Die traditionsreiche Nürnberger Offizin Ammon, in: MVGN 81 (1994), S. 227. 4 Erhard Schraudolph: Die Nürnberger Zinn-Compositions-Fabrik, in: MVGN 80 (1993), S. 253 ff.

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letzt in der damaligen Oberen Kanalstraße Nr. 12. Am 26.8.1880 verzichtete Dedel auf seine Gewerbekonzession und verließ Nürnberg. Georg Spenkuch hatte bereits am 23-8. ein eigenes Gewerbe: Zinncompositionsfigurenfabrik in der Oberen Kanalstraße Nr. 12 angemeldet.5 Da Spenkuch dort wohnte, ist an­ zunehmen, daß er Dedel zumindest kannte. Vielleicht verkaufte dieser den For­ menschatz und die Einrichtung bzw. Teile davon an ihn. Allerdings firmierte Spenkuch von Anfang an unter eigenem Namen. Da wir weder über die Pro­ duktion der Nürnberger Zinn-Compositions-Figuren-Fabrik, die in flachen und vollplastischen Figuren unterschiedlicher Qualität und Thematik bestand6, noch über die Anfangszeit von Spenkuch Bescheid wissen, können wir nicht mit Bestimmtheit sagen, ob und in welchem Umfang Spenkuch Formen dieser Fabrik nutzte. Am 3.1.1881 heiratete Georg Spenkuch Anna Elisabetha Birkmann (* 27.3.1857), Tochter des bereits verstorbenen Gartenbesitzers Konrad Birk­ mann. Nach der Heirat verlegte Spenkuch seinen kleinen Betrieb in die dama­ lige Gostenhofer Hauptstraße Nr. 59.7 Bereits auf der Landesgewerbe- und Kunstausstellung in Nürnberg 1882 erhielt Spenkuch seine erste Auszeich­ nung, die zweite erfolgte dann ein Jahr später auf der Weltausstellung in Am­ sterdam. Erneut ausgezeichnet wurden die Erzeugnisse der Firma auf der Bayerischen Landes- und Gewerbeausstellung in Nürnberg 1896.8 Damals war Georg Spenkuch bereits verstorben; ob er Nachkommen hatte, ist ungewiß. Seine Witwe meldete am 8.2.1893 das Gewerbe ab und veräußerte Gebäude und Inventar (am 1.2.1893) an Wilhelm Schwarz (* 18.11.1862).9 Wilhelm Schwarz (Abb. 5) schuf aus der kleinen Offizin innerhalb kurzer Zeit eine renommierte Zinnfigurenfabrik mit Weltgeltung. Von Haus aus Kaufmann (?), betätigte er sich anscheindend nicht in der Produktion; für die jeweiligen Entwürfe konnte er hervorragende Graveure gewinnen, so u. a.. Ludwig Frank (* 24.8.1870; f 4.10.1957), Andreas Ferner (* 3.10.1871; •j* 7.7.1937) und einen nicht näher bekannten Graveur namens Junker.10 Von ei­ nem weiteren Graveur kennen wir lediglich die Anfangsbuchstaben seines Vorund Nachnamens; er gravierte zwischen 1907 und 1912 für Spenkuch. In den zeitgenössischen Katalogen oder in Werbeanzeigen wurden häufig Spenkuch5 6 7 8

StadtAN C 22/11 Nr. 1290 und Nr. 782 (für 1880). Vgl. Werbeanzeige aus dem Nürnberger Adreßbuch von 1878, Anzeigenteil, S. 46. StadtAN C7/II Nr. 18239. Auf den Deckeln der Originalschachteln wurde mit diesen Auszeichnungen geworben. In den ein­ schlägigen Ausstellungskatalogen ließ sich Spenkuch seltsamerweise nicht finden, so daß wir we­ der wissen, welche Auszeichnung er erhielt, noch was er ausstellte. 9 StadtAN C 22/11 Nr. 239 und Nr. 179 (für 1893). 10 Horst Becker: Die Zinnfigurenfabrik von Georg Spenkuch, in: Sammlerbrief der Vereinigung Freie Zinnfigurensammler e.V., 1992, Heft 2, S. 27.

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Die Nürnberger Zinnfigurenfabrik Georg Spenkuch

Kartons abgebildet; neben dem Kürzel G. S. N. (für: Georg Spenkuch Nürn­ berg) bzw. G. S. erscheint häufig noch die Abkürzung B. E. Diese Abkürzung ließ sich bisher nicht erschließen, es ist kein Graveur mit diesen Initialen be­ kannt. In den damaligen Nürnberger Adreßbüchern stoßen wir nur auf eine Person mit diesen Initialen: Benno Ermreuther.11 Ermreuther betrieb seit dem 29. Mai 1906 zusammen mit Georg Laucks in der Gostenhofer Hauptstraße Nr. 54, schräg gegenüber von Spenkuch, eine kleine Metallwarenfabrik. Bereits nach knapp einem Jahr, am 26. März 1907 mußte die Fabrik schließen, und Ermreuther war arbeitslos.12 Alle SpenkuchKartons, bei denen das Kürzel B. E. erscheint, enthielten halb- oder vollplasti­ sche Figuren, deren Formen aus Metall hergestellt wurden. Es wäre immerhin möglich, daß Ermreuther die Formen für Spenkuch anfertigte bzw. anfertigen ließ. Benno Ermreuther, am 3.10.1882 in Erlangen als Sohn des Viehhändlers Jakob und seiner Frau Ceilly Ermreuther geboren, absolvierte wohl noch in Er­ langen eine Kaufmannslehre. Als Kaufmannsgeselle kam er am 15.10.1897 nach Fürth und arbeitete dort bis 4.12.1901 bei der optischen Warenfabrik Adolf Lehmann in der Königswarterstraße Nr. 58, später Engelhardtstraße Nr. 4. Anschließend übersiedelte er nach Nürnberg, wo inzwischen auch seine Eltern wohnten. Der Vater gab den Viehhandel bald auf und firmierte als Hop­ fen- und Immobilienhändler, der Sohn gründete die oben genannte Fabrik.13 Die Tätigkeit von Ermreuther für die Firma Spenkuch ist bislang eine Hy­ pothese, der Beweis steht noch aus. Andererseits kann hinter diesen Entwürfen nicht irgendein unbekannter Graveur oder Arbeiter bei Spenkuch vermutet werden, denn dafür sind die Entwürfe zu gelungen, außerdem: warum sollte man mit den Initialen eines Unbekannten werben? Ermreuther kommt deshalb in Betracht, weil in seiner Fabrik neben Metallwaren aller Art auch Metallfor­ men hergestellt wurden, er somit das Herstellungsverfahren kannte. Eigentlich alle Figuren der Firma Spenkuch zeichnen sich durch eine anatomisch richtige und harmonische Haltung aus; ebenso exakt und ordentlich war die Bemalung. Besonders schön sind jedoch die Kartons mit den halbplastischen Figuren und dem reichhaltigen Zubehör, die B. E. geschaffen hatte (Abb. 11—13). Der ältesten Werbeanzeige von 1898 (Abb. 1) entnehmen wir, daß Schwarz seine Erzeugnisse nur über Nürnberger und Fürther Großhändler absetzte, sich 11

12 13

In den Nürnberger und Fürther Adreßbüchern vor dem Ersten Weltkrieg finden wir keine Perso­ nen, auf die das Kürzel B. E. oder E. B. für den Vor- bzw. Nachnamen zutrifft, geschweige denn auf einen Graveur; Benno Ermreuther ist der einzige. Daß neben dem Firmenkürzel zusätzlich noch ein weiteres Kürzel verwandt wurde, ist ein in dieser Branche damals wohl einmaliger Vorgang. StadtAN C 22/11 Nr. 1773 und Nr. 3609 (für 1906) und Nr. 666 (für 1907). StadtAF, Personalbogen Benno Ermreuther; Adreßbücher von Nürnberg 1907 ff.; Adreßbuch von Fürth 1896, S. 116, und 1901, S. 129 (jeweils Teil I).

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Erhard Schraudolph

also um den Vertrieb nicht zu kümmern brauchte — ein durchaus branchenübli­ ches Verfahren. Um sich vor billigen Nachahmungen zu schützen, ließ Schwarz 1894 eine Schutzmarke: platzende Bombe (Abb. 2 und 4) patentamtlich eintra­ gen. Zur Schutzmarke gesellte sich 20 Jahre später eine Reklamemarke (Abb. 2). Die Reklamemarke zierte nicht nur die Kartons und Schachteln der Firma, sondern wurde auch an Interessenten zu Werbezwecken gratis abgege­ ben.14 Wie wir heute an einzelnen Beispielen nachweisen können, fand das Ko­ pieren in dieser Branche häufig statt; es gab kaum Möglichkeiten, sich dagegen zu schützen, da die Figuren zumeist nicht signiert waren und die Schachteln und Kartons häufig anonyme Etiketten trugen. Erst die patentamtlich eingetra­ gene Schutzmarke bot dem jeweiligen Erzeugnis eine gewisse Sicherheit vor Nachahmung, auch auf den ausländischen Märkten. Schutzmarken finden wir ab den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts bei fast allen wichtigen deut­ schen Zinnfigurenherstellern. Durch das Fehlen bzw. Vorhandensein von Schutz- und (oder) Reklamemarken an Originalkartons von Spenkuch läßt sich das Alter der darin enthaltenen Figuren relativ exakt bestimmen. Wilhelm Schwarz gründete 1905 den Verband deutscher Zinnfigurenfabri­ kanten mit Sitz in Nürnberg; Versammlungsort war das „Cafe Plärrer“, am Plärrer 3. Der Zweck des Verbandes ist die Wahrung und Förderung der gemeinsamen gewerblichen Interessen: 1. die Förderung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen den Mitgliedern; 2. die Ergreifung von Massnahmen zur Beseitigung bereits vorhandener oder künftig eintretender Missstände, die insbesondere durch gesetzliche oder behördliche Vorschriften oder sonstige die Gewerbeinteressen schädigende Vorgänge hervorgerufen wer­ dend Der ehrenamtlich tätige Vorstand, für ein Jahr von der Generalversamm­ lung gewählt, bestand aus dem Vorsitzenden - bis 1933 blieb dies Wilhelm Schwarz -, dem Schriftführer und gleichzeitig stellvertretenden Vorsitzenden, dem Verbandskassierer und zwei Beisitzern. Schriftführer war zunächst, bis No­ vember 1911, Max Erlanger, Inhaber der Firma Johann Haffners Nachfolger, Nürnberg, und Kassierer bis 1915 Wilhelm Heinrich, Teilhaber der Firma Ge­ brüder Heinrich in Fürth; die Beisitzer hießen seit 1907 Josef Bi sc hoff, Inhaber gleichnamiger Nürnberger Firma, sowie Ludwig Hörauf, Besitzer der Firma Schildknecht und Sohn in Fürth.16 Zu den Gründungsmitgliedern gehörten 11

Wegweiser für die Spiel-, Galanterie- und Kurzwarenindustrie, Bd. 1914, Nr. 663, S. 12, und Bd. 1913, Nr. 635, S. 16. 15 StadtAN C 7/V Nr. 3894, Satzung des Verbandes deutscher Zinnfigurenfabrikanten vom 21.12.1905, § 2. 16 Ebd., § 9 und Niederschriften ab 1906. Schriftführer und Stellvertreter war ab 1911 Ludwig Hör­ auf, Kassierer ab 1915 Paul Herbst, von der Nürnberger Firma Christof Herbst, und Beisitzer ab 1911 Max Erlanger. Bis Mitte 1933 erfolgte kein weiterer Wechsel im Vorstand; die Beisitzer wur­ den nicht mehr aufgeführt. Seit Juli 1933 hieß der erste Vorsitzende Jean Schmidt; Schriftführer war der Kaufmann Hans Heider.

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Die Nürnberger Zinnfigurenfabrik Georg Spenkuch

außerdem folgende Betriebe: Christoph Ammon, Friedrich Ammon, Emst Heinrichsen, Rudolf Lauter, Karl Metzger (alle aus Nürnberg), Hans Dörfler, Ursula Engert, Johann Georg Heinrich, Max Koch, Adolf König, Johann Ge­ org Rupprecht, Margarethe Wabel, Gebrüder Zolles (alle aus Fürth), Theodor Krause (Gotha) und Carl Scheller (Kassel).17 Nach der Satzung von 1905 mußten Mitgliedsanträge schriftlich gestellt werden, über die Aufnahme entschied dann die Vorstandschaft. Die Aufnahme­ gebühr betrug 3.- Mark (ab 1909 30.- Mark), der Jahresbeitrag jeweils 10.- Mark: Mitglied kann nur derjenige werden, der Zinnfiguren fabriziert...18 Mit­ glieder wurden im Laufe der Zeit die wichtigsten deutschen Zinnfigurenher­ steller. „Die Mitgliederliste des Verbandes wies 1934 noch 28 Firmen auf, da­ von 17 einheimische und 8 auswärtige.“19 Von den Gründungsmitgliedern exi­ stierten damals nicht mehr: C. Ammon, F. Ammon, U. Engert, Gebrüder Hein­ rich, J.G. Heinrich, J.G. Rupprecht, C. Scheller, M. Wabel, Gebrüder Zolles20, und auch der Nachfolgebetrieb von J. Haffner produzierte keine Zinnfiguren mehr. Der neue Vorsitzende Jean Schmidt, Teilhaber der Firma Spenkuch, konnte die sinkende Bedeutung des Verbandes nicht mehr aufhalten; so löste sich der Verband am 6. Mai 1935 auf. Inwieweit der Verband während seines dreißigjährigen Bestehens wirkungsvoll in Erscheinung trat, läßt sich nicht mehr eindeutig belegen.21 „Der soeben erschienen Nachtrag zum reich illustrierten Katalog der Firma Georg Spenkuch zeigt uns getreue Abbildungen von den bereits ausgegebenen neuen Darstellungen vom Krieg am Balkan mit den daran beteiligten fünf Na­ tionen. Ferner eine militärische Flieger-Abteilung mit reizenden Flugapparaten (Doppeldecker und Rumpler-Taube), Benzinschuppen und großer AeroplanHalle. . . . Dann eine Karawane, wie sie in unseren deutschen Kolonien in Afrika vorkommt mit beladenen Kamelen u.s.w. ist prächtig und plastisch dar­ gestellt. Nicht minder anregend ist die Darstellung einer Treibjagd im Sommer mit allen Vorkommnissen. Ein ganz besonderes Interesse an der Hundertjahr­ feier der Erhebung Deutschlands wird zweifellos die Völkerschlacht bei Leipzig bringen, welche Spenkuch ... in historisch getreuer Art dargestellt hat; jedem Karton ist eine wissenschaftliche Beschreibung beigegeben.“22 17 Verband deutscher Zinnfigurenfabrikanten (Hrsg.): Ein Stück Nürnberger Tand im Kampf um Sein oder Nichtsein, Nürnberg 1934, S. 2. 18 Satzung (wie Anm. 15), § 3. 19 Der Nürnberger Zinnsoldat, in: Nürnberger Schau, Monatsschrift der Stadt der Reichsparteitage Nürnberg, Nürnberg 1935, S. 346. 20 Verband deutscher Zinnfigurenfabrikanten (wie Anm. 17). J1 Ebd.; Satzung (wie Anm. 15), Niederschriften ab 1906, besonders aber von 1935. Die Geschäfts­ briefe des Verbandes sind nicht mehr auffindbar. Wegweiser (wie Anm. 14), Bd. 1913, Nr. 626, S. 1048.

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Erhard Schraudolph

Wie die anderen großen Zinnfigurenhersteller war auch Spenkuch stets upto-date, aktuelle Themen, hier des Jahres 1913, wie der Balkankrieg und das Gedenken an die Völkerschlacht bei Leipzig, griff man auf und bot die entspre­ chenden Kartons im Weihnachtsgeschäft an. Einen großen geschäftlichen Er­ folg im In- und Ausland hatte Spenkuch mit seinem 1911 neu erschienenen Karton zum italienisch-türkischen Krieg erzielt und hoffte nun, mit den neuen Kartons ähnlich erfolgreich zu sein.23 Für den deutschen Markt waren besonders Themen wie der Krieg von 1870, die neuen Kolonien, die kaiserliche Armee und die durch das wilhelminische Flottenbauprogramm stark vermehrte Ma­ rine nach wie vor aktuell. Große Faszination auf die Jugend übten die techni­ schen Neuheiten wie Flugapparate, Telegraph, Telephon usw. aus (Abb. 11). Neben den aktuellen Themen bemühte sich Spenkuch um die Darstellung historischer Begebenheiten, so beispielsweise die Erstürmung einer Ritterburg, die Schlacht von Murten, Wallensteins Lager, Andreas Flofer und der Freiheits­ kampf der Tiroler, der Siebenjährige Krieg, Wild-West und vieles andere. Natürlich fehlte Ziviles nicht, mehrere Kartons mit Jagdmotiven, bäuerlichen Szenen, Wintersport, Zirkus, Märchendarstellungen und verschiedenen Eisen­ bahnfiguren kamen bis 1914 auf den Markt.Die Eisenbahnfiguren paßten vorzüglich zu den beliebten Blecheisenbahnen von Bing, Carette, Märklin u. a.. Eine Krippendarstellung und ein Stierkampf: Corida de toros, hauptsächlich für den von Spenkuch anscheinend stark belieferten spanischen bzw. südameri­ kanischen Markt produziert (Abb. 4), rundeten das Programm ab. Die eben erwähnten Kartons mit halbplastischen Figuren, in unterschiedli­ chen Größen (38, 40, 42, 52 und 85 mm) und zu unterschiedlichen Preisen er­ hältlich, begründeten vor allem den guten Ruf der Offizin. „Alle diese Kästen sind höchst lebendig gestaltet. Es ist fast immer das gleiche Schema: In der Mitte des Kastens eine Gruppe als optischer Mittelpunkt, meist mehrere Figu­ ren auf gemeinsamem Boden vor einem Hintergrund oder einem Gebäude. Die Gruppen sind in der Regel einseitig graviert. Die Rückseite ist glatt, trägt sel­ ten die Initialen GSN . . . Viele Gebäudedarstellungen sind perspektivisch ver­ kürzt, so gekonnt übrigens wie bei kaum einem anderen Hersteller . . . Selte­ ner sind Gruppen, bei denen unter Zuhilfenahme von Luffabäumen und einzel­ stehenden Figuren eine gewisse Dreidimensionalität erreicht wird“25 (Abb. 8 und 9). Neben diesen exzellenten halbplastischen Figuren gab es noch schöne vollplastische Figuren in der Größe 55 mm, teilweise mit beweglichem Arm (Abb. 6 und 10). „Die Karikatur erfreut sich bekanntlich in unserem heutigen Leben allge­ meinen Interesses. Während sie früher ihre Pflege nur in Witzblättern fand, 23 Ebd., Bd. 1912, Nr. 619, S. 9678. 24 Ebd., S. 9676 f. und Bd. 1908, Nr. 514, S. 4961; Becker (wie Anm. 10).

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Abb. 2: Werbeanzeige von 1913 mit Reklame- und Schutz­ marke, aus: Wegweiser, Bd. 1913, Nr. 634, S. 24.

Abb. 3: Karikatur-Soldaten paradierend, aus: Wegweiser, Bd. 1908, Nr. 505, S. 4588.

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Abb. 4: Deutsch-spanische Werbeanzeige von 1912, aus: Wegweiser, Bd. 1912, Nr. 619, S. 9672.

Abb. 5: Wilhelm Schwarz (18.11.1862 - um 1940), aus: Deutsche Spielwarenzeitung, 25. Jg. Januar 1933, S. 7.

Neuheiten. Hurra! Diese Soldaten stellen sich auf einen Ruck auf I Unter diesem Titel hat soeben die durch ibre Spezialitäten wohl bekannte Zinnfiguren-Fabrik von Georg Spenkuch in Nürnberg einen Artikel auf den Markt gebracht, der entschieden eine gediegene Neu­ heit bildet. Der Karton mit den extrafein und ganz plastisch aus­ geführten Bleisoldaten, Kanone und Zelten wird wie Fig. 1 mit beiden Händen gefasst und durch einen kurzen, kräftigen Ruck so gedreht, Fil- 1 dass der Boden nach oben zeigt wie Fig. 2, durch langsames Umdrehen wird der Carton in seine ursprüngliche Lage zurückgebracht und sämtliche Figuren und Zelte haben sich regel­ recht aufgestellt, Fig. 3. Wenn man die 4 Klammern löst, welche die Einsatzkarte mit dem Kasten verbinden, so kann man die Karte mit den Soldaten heraus­ nehmen und auf den Tisch stellen, , nach den Soldaten wird nunmehr * Fig.! geschossen, Fig. 4. Es zählt jeder Gemeine 1 Punkt, Trompeter 2, Fähnrich 3, Offizier 4, Hauptmann zu Pferd 5, Kanonier 2 Punkte. Wer

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die meisten Punkte erreicht hat, ist Sieger. Die Figuren können durch Lösen der rückseitigen und durch die Karte ge­ Blechklammern von der steckt und der eine Blech­ Karte weggenommen und lappen nach oben, der einzeln wie jede andere andere nach unten umge­ Figur aufgestellt werden. Fig. 9 bogen; Fig. 5. — Will man die Soldaten Diese Neuheit ist durch wieder auf der Karte be­ D. R. G. M. geschützt und festigen, so wird die Blechdürfte wegen seiner Origi­ klammer durch den Schlitz nalität den verdienten An­ der Standplatte der Figur klang finden. Mitte April gibt fri die Firma Georg____ Spenkuch ______ einen ___ ___ ____ neuen ___ reich ___ illustrierten Katalog mit vielen anderen Neuheiten heraus, der Interessenten zur Verfügung steht.

Abb. 6: Neuheit von 1906, aus: Wegweiser, Bd. 1906, Nr. 457, S. 2318.

Abb. 7: Glückssymbole für das Neue Jahr, aus: Wegweiser, Bd. 1908, Nr. 514, S. 4961.

Abb. 8: Treibjagd im Winter, beachtenswert die auf ein Blech gelötete Gruppe am unteren Bildrand, aus: Wegweiser, Bd. 1908, Nr. 514, S. 4961.

Abb. 9: Fachwerkhaus, einseitig graviert, Signatur: G. S. (über dem oberen Fenster), Gesamthöhe 10,5 cm; Sammlung: Dr. Erhard Schraudolph, Erlangen.

Abb. 10: Vollplastische Römer mit Streitwagen, Figurenhöhe 4,7 cm, aus: Deutsche Spielwarenzeitung, 25. Jg., Januar 1933, S. 15.

Abb. 11: Wenige Jahre nach dem Erstflug eines Zeppelins war er schon als Spielzeug erhältlich, aus: Wegweiser, Bd. 1908, Nr. 514, S. 4962.

Abb. 12: Hereroaufstand in Deutsch-Südwest-Afrika 1904-1906, aus: Wegweiser, Bd. 1908, Nr. 514, S. 4961.

Abb. 13: Eroberung des Sultanats Marokko durch Frankreich 1906, aus: Wegweiser, Bd. 1908, Nr. 514, S. 4961.

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Die Nürnberger Zinnfigurenfabrik Georg Spenkuch

neigt der Geschmack des Publikums zurzeit auch in Spielwaren nach solchen Artikeln, bei denen das Charakteristische der Form durch die Karikatur betont wird. Was würde sich hier wohl besser eignen, als unser Militär? Diese Er­ kenntnis veranlaßte die Firma Gg. Spenkuch . . . ein eigenes, durch D.R.G.M. geschütztes Sortiment von Karikatur-Soldaten auf den Markt zu bringen.“26 Diese Soldaten, in den Gliedmaßen beweglich, bestanden aus Holz und Metall und kamen auf der Leipziger Herbstmesse 1908 neu heraus (Abb. 3).27 „Ein Ar­ tikel . . . möge noch Erwähnung finden und zwar die Spenkuchschen Glücks­ nüsse und Glücksfiguren, die wegen ihrer gediegenen Form und des soliden In­ halts (lOOfache scherzhafte Gegenstände und Orakelsprüchchen) schon aller­ orten wohlbekannt sind“ (Abb. 7)28. Trotz allem blieb der Schwerpunkt der Produktion bei den flachen, halbund vollplastischen Figuren unterschiedlicher Größen, u. a.. auch für Gesell­ schaftsspiele.29 „Mit ihrem außerordentlich großen Bestand an Gießformen, die über 15 000 verschiedene Figuren, Gruppen, Häuser etc. in sich schließen, ist sie (die Firma Spenkuch, Anm. des Verfassers) in der Lage, jedes aktuelle Vor­ kommnis aufs Intimste darzustellen.“30 In einer anderen Quelle von 1910 lesen wir, daß die Firma „über einen Formenschatz von weit über 6000 Nummern verfügt“31, d.h. daß die meisten Formen zwei oder mehr Figuren bzw. Darstel­ lungen ermöglichten. Der Umfang des Formenschatzes war für eine erst seit 30 Jahren bestehende Offizin enorm, jedoch wissen wir nicht, ob Spenkuch nicht Formen von der Nürnberger Zinn-Compositions-Figuren-Fabrik übernommen hatte. Im Vergleich dazu verfügte die 1839 gegründete Offizin Heinrichsen, damals der größte Flachfigurenhersteller in Nürnberg, um 1900 über circa 8000 Formen.32 „Das moderne Spielzeug, insbesondere die Bleisoldaten-Industrie, muß mi­ litärischen Ereignissen rasch entschlossen folgen. Die Firma Georg Spenkuch bringt daher in allbekannter gediegener Ausführung den Völkerkrieg 1914 in erschöpfender Weise mit 32 Nummern auf den Markt.“33 Spenkuch hatte si­ cherlich wie die anderen Zinnfigurenhersteller unter der Kriegs- und Nach­ kriegszeit zu leiden. Der Verlust der ausländischen Absatzmärkte und die man25 26 27 28 29 30 31 32

Hans Henning Roer: Alte deutsche Spielfiguren in Blei, Rommersheim 1993, S. 91 f Wegweiser (wie Anm. 14), Bd. 1908, Nr. 501, S. 4419. Ebd., Nr. 505, S. 4588. Ebd., Nr. 514, S. 4962. Vgl. dazu Abbildungen in Roer (wie Anm. 25), S. 112-116. Wegweiser (wie Anm. 14), Bd. 1912, Nr. 619, S. 9676. Ebd., Bd. 1910, Nr. 562, S. 7272. Alfred R. Sulzer: 150 Jahre feinste Zinn-Compositionsfiguren Ernst Heinrichsen, Nürnberg, hg. v. Zinnfigurenmuseum Zürich und der Figurina Helvetica, Zürich 1989, S. 79. 33 Wegweiser (wie Anm. 14), Bd. 1914, Nr. 669/670, S. 14.

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gelnden bzw. sehr teuren Rohstoffe zwangen zu Produktionsbeschränkungen. Der verlorene Krieg mit seinen Millionen Toten und Kriegsversehrten führte zunächst auch beim Spielzeug in Deutschland zu einem gewissen Umdenken, was das Militärspielzeug, bzw. was man dafür hielt, anbelangt. Die „Feld­ grauen“ und ihre Gegner verschwanden ebenso wie die wilhelminische Armee. Bedeutende Zinnfigurenhersteller, gerade im Raum Nürnberg-Fürth, gaben ihr Gewerbe auf oder engagierten sich anderweitig. Heyde in Dresden, Rieche in Hannover, Schildknecht in Fürth, Heinrichsen und Spenkuch in Nürnberg, um nur einige zu nennen, gelang es andererseits, sich trotz großer Schwierig­ keiten zu behaupten. War schon das Geschäftsjahr 1929 ungünstiger als die Vorjahre, so hat sich 1930 die absteigende Tendenz wesentlich verschärft. Der Einkauf von Zinnfiguren, Bleisolda­ ten und Zinnspielwaren seitens der Kundschaft vollzog sich heuer ungemein schleppend und vorsichtig ... In Rücksicht auf die gesunkene Kaufkraft des Volkes wurden billige und mittlere Sorten bevorzugt, und nur an Spielwaren-Spezial-Geschäfte in größeren Städten konnten die feinen und daher teureren Sorten, aber auch nur in geringeren Men­ gen verkauft werden. Durch die hohen Zölle des Auslandes, wie USA 70 Prozent Wert­ zoll . . . ging der Export zurück. . . . Alles in allem genommen dürfte der Umsatz in unseren Artikeln dieses Jahr um 20 bis 25 Prozent zurückgegangen sein, und zwar hauptsächlich infolge der so sehr verschlechterten allgemeinen Wirtschaftslage.M Trotz

der schon seit Jahren sehr angespannten Wirtschaftslage behauptete sich Spen­ kuch auf dem in- und ausländischen Markt. Zum 50jährigen Geschäfts­ jubiläum erschien ein 16 Seiten umfassender, reich illustrierter Katalog, in dem über 400 verschiedene Kartons bzw. Sätze, u. a. auch Reichswehrtruppen, feil­ geboten wurden. Ganz hervorragend sind die historischen Figuren aus der Römer-, Ritter- und Germanenzeit u.s.w. Besonders beliebt sind zur Zeit alle Indianer und Cow­ boy-Zusammenstellungen in allen Preislagen; die Auswahl darin ist unübertroffen35

(Abb. 10). Dem in den zwanziger Jahren durch das Aufkommen der kulturhistorischen Zinnfigur neu entstandenen Markt der Sammler schenkte Spenkuch wenig Be­ achtung, wie übrigens die meisten Hersteller mit Ausnahme von Heinrichsen. Unter der kulturhistorischen Zinnfigur versteht man generell die zumeist drei Zentimeter hohe, nach historisch korrekten Quellen gravierte (und bemalte) Flachfigur. Die bislang produzierten Spielzeugfiguren genügten den strengen Kriterien der Sammler meist nicht und eigneten sich daher kaum zur exakten

34 45

Deutsche Spielwarenzeitung, 22. Jg., Dezember 1930, S. 34; aus dem Geschäftsbericht des Ver­ bandes deutscher Zinnfigurenfabrikanten e.V. von 1930. Deutsche Spielwarenzeitung, 22. Jg., März 1930, S. 37.

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Die Nürnberger Zinnfigurenfabrik Georg Spenkuch

Darstellung historischer Ereignisse; umgekehrt taugt die kulturhistorische Zinnfigur nur wenig als Spielzeug. Der größte Teil der Zinnfigurenhersteller produzierte also weiterhin hauptsächlich für den Spielzeugmarkt, und dies ob­ wohl die gestiegenen Preise von den potentiellen Kunden kaum noch zu bezah­ len waren, während die Bedürfnisse der zahlungskräftigeren Sammler unbefrie­ digt blieben. Eine große, kaum zu überschätzende Konkurrenz entstand den bisherigen Spielzeugfiguren durch die sehr preisgünstigen, einfach und billig herzustel­ lenden Massefiguren, die erstmals 1912 die Firma Hausser herausbrachte. Die Marktführer hießen später Elastolin (Hausser) und Lineol. Ende der zwanziger Jahre produzierte Spenkuch ebenfalls Massefiguren in der 7 cm-Größe unter dem Markennamen: Gloria, in welchem Umfang ist nicht bekannt.36 Anschei­ nend brachte die Firma schon seit etwa 1930 politische Figuren heraus. Einer undatierten Postkarte an ein Spielwarengeschäft entnehmen wir folgende Pas­ sage: Infolge Aufhebung des Uniform-Verbots der SA- und SS-Abteilungen wird das In­ teresse für meine Hitler-Figuren . . . stärker als zuvor aufleben und bitte ich Sie mir Ihren Bedarf hierin baldgefl. aufzugeben. Hochachtungsvoll gez. Georg Spenkuch.*1 Ei­ nen ersten Hinweis auf diese Figuren finden wir in der Juli-Ausgabe der Deut­ schen Spielwarenzeitung von 1933. In der September-Ausgabe des gleichen Jahres steht dann zu lesen: Es ist selbstverständlich, daß alle Arten SA- und SSFiguren, sowohl aus Metall als auch aus der von der Firma eingeführten Gloria-Hartmasse (soviel wie unzerbrechlich und mit Drahteinlagen versehen), im illustrierten Ka­ talog eingereiht worden sind, die der nationalen Bewegung entsprechend, ungemein stark begehrt sind**. Die Produktion dieser Art von Figuren läßt keine eindeutigen Rückschlüsse auf die politische Einstellung des Herstellers zu, denn dieser war zunächst einmal Geschäftsmann und besonders in der damals schwierigen wirt­ schaftlichen Lage an einem steigenden Absatz interessiert. So lassen sich in den dreißiger Jahren fast ausnahmslos bei allen Herstellern von Figuren, also nicht nur bei den Zinnfigurenherstellern, solche politischen Figuren nachweisen. Wilhelm Schwarz leitete den Betrieb 30 Jahre lang allein, ab dem 20.2.1923 beteiligte er seinen Schwiegersohn Jean Schmidt an der Firma.39 Der am 13.10.1887 in Nürnberg geborene Jean Schmidt trat Mitte Juli 1900, wohl als Lehrling, in die Firma ein. Welche Art von Lehre er dort absolvierte, ist nicht

36 Ulf Leinweber: Die kleine Figur - Geschichte in Masse und Zinn, in: Schriften zur Volkskunde 3, Staatliche Kunstsammlung Kassel 1985, S. 236. 37 Ebd., S. 177 f. 38 Deutsche Spielwarenzeitung, 25. Jg., September 1933, S. 16; ähnlich bereits Juli 1933, S. 28. 39 StadtAN C 22/11 Nr. 725 (1923).

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bekannt, später wird er nur als Kaufmann bezeichnet. Er heiratete Emma Schwarz (*j* um 1983), die Tochter des Firmeninhabers. Am 15. Juli 1925 feierte Jean Schmidt sein 25jähriges Geschäfts) ubiläum.40 Wilhelm Schwarz (Abb. 5) schied im Alter von 71 Jahren am 6.8.1934 aus der Firma aus und pri­ vatisierte; er verstarb um 1940 in Nürnberg.41 Jean Schmidt, nunmehr Alleininhaber, behielt, zumindest offiziell, die Figu­ renherstellung bis circa 1941 bei, dann mußte er sie wahrscheinlich aufgrund von Rohstoffknappheit bzw. staatlicher Verordnung (15. Mai 1943 Herstel­ lungsverbot von Spielwaren) aufgeben. Laut Nürnberger Adreßbuch firmierte er ab 1942 bis 1949 als Spiel Warengroßhandlung, ab 1953 als Kurz-, Galante­ rie- und Spielwarengroßhandlung. In der Zwischenzeit betrieb er unter eige­ nem Namen einen Kaffeeversand bzw. eine Vertretung für Kaffee und Tee, ebenfalls in der Gostenhofer Hauptstraße 59. Im Adreßbuch von 1955 finden wir unter dieser Adresse nur noch die Witwe Emma Schmidt, die beiden Ge­ schäfte sind scheinbar aufgelöst worden.42 Interessant ist noch der Verbleib der Formen; den größten Teil des umfang­ reichen Formenbestandes übernahm um 1952 Walter Merten (1907—1984). Merten betrieb seit etwa 1945 in Berlin eine Firma, die vollplastische Metall­ figuren in den Größen 20, 40 und 60 mm, vorwiegend Indianer, Cowboys, Rit­ ter, Tiere und Eisenbahnfiguren, produzierte. In den fünfziger Jahren erfolgte eine schrittweise Umstellung von Metall auf Plastik, heute liegt der Schwer­ punkt der Produktion bei den Eisenbahnfiguren der unterschiedlichen Maß­ stäbe. Trotzdem gab es immer wieder Abgüsse aus den einstigen SpenkuchFormen, die vor allem über das Berliner Zinnfigurengeschäft Werner Scholtz zu beziehen waren bzw. sind.43 Auch im Katalog der Offizin Babette Schweizer in Dießen am Ammersee lassen sich Spenkuch-Figuren finden. Ein anderer Teil der Formen von Spenkuch gelangte, wohl in den Nachkriegswirren, in die Ver­ einigten Staaten. „Es waren Formen für insgesamt 45 Gußteile. Vollplastische Römer und Germanen, eine Quadriga, Friederizianer und Landsknechte, sowie Neger und Araber sind bekannt geworden. Jene Formen kamen in den Besitz eines August Wooster, New York, und wurden dort weiterhin ausgegossen.“44 Das Angebot der großen Offizinen umfaßte alle Möglichkeiten der Darstel­ lung in Zinn, allerdings spezialisierte sich jeder Hersteller, aus unterschiedli­ chen Gründen, auf einen besonderen Bereich, so beispielsweise Allgeyer, Am-

40 41 42 43 44

Deutsche Spielwarenzeitung, 17. Jg., Juli 1925, S. 19StadtAN C 22/11 Nr. 2969 (1934); Nürnberger Adreßbücher von 1938-1942. Vgl. Nürnberger Adreßbücher von 1940-1955. Roer (wie Anm. 25), S. 94; Leinweber (wie Anm. 36), S. 115. Roer (wie Anm. 25), S. 94.

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Die Nürnberger Zinnfigurenfabrik Georg Spenkuch

mon und Heinrichsen auf die Flachfigur, die Gebrüder Heinrich und Heyde auf die Vollfigur. Die Domäne der Firma Spenkuch hingegen war eindeutig die halbplastische Figur; hier wurde von den Graveuren Hervorragendes und Ein­ maliges geleistet. Die Firma existierte knapp 75 Jahre und produzierte nur un­ gefähr 60 Jahre lang „Figürliches“ in Zinn. Über 40 Jahre lag die Leitung der Firma in den Händen von Wilhelm Schwarz, der sie maßgeblich prägte.

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CHOLERA UND CHOLERANOTSPITÄLER IN NÜRNBERG IM 19. JAHRHUNDERT Von Manfred Vasold In den 1820er Jahren erlebte Europa ein wunderliches Schauspiel: Im östlichen Indien war 1817 eine schreckliche Choleraepidemie ausgebrochen,1 und diese Seuche bewegte sich nun langsam, aber unaufhaltsam nach Westen. Jahr für Jahr rückte sie ein Stück weiter - 1822 stand sie in Damaskus und Aleppo, in Syrien. Die gelehrte Welt Europas beobachtete das Vorrücken dieser Infekti­ onskrankheit mit großer Sorge. „Es wurde sogar die Behauptung gewagt, daß sie in vier Jahren bereits am Rhein eintreffen könnte“, schrieb der Tübinger Arzt Friedrich Schnurrer 1825 am Ende seines zweibändigen Werkes „Chronik der Seuchen in Verbindung mit den gleichzeitigen Vorgängen in der physi­ schen Welt und in der Geschichte der Menschen“.2 Als Schnurrer diese Zeilen schrieb, stand die Cholera in Astrachan an der Wolga, wo sie angeblich zwei Drittel der Erkrankten tötete. 1830 langte sie in Odessa an, im September gleichen Jahres noch in Moskau, wo sie im Verlauf des Winters 8731 Menschen ergriff und rund 4500 ins Grab riß. Von Moskau zog sie weiter, nord- und westwärts. Sie erreichte St. Petersburg und ergriff die Be­ wohner sehr heftig, zog dann weiter entlang der Ostsee nach Mittel- und West­ europa.3 Der dreifach gesicherte Militärkordon, den die preußische Regierung hatte aufstellen lassen, nützte gar nichts; die Erhebung der Polen in ebendiesem Jahr gegen die russische Herrschaft half im Gegenteil noch, die Seuche weiter­ zutragen.4 Im Frühjahr 1831 wurden die großen Ostseestädte Königsberg und 1 Jacob Jameson: Bericht über die Cholera-Seuche, welche das Gebiet der Präsidentschaft von Ben­ galen in den Jahren 1817, 1818 und 1819 heimgesucht hat, Stuttgart-Tübingen 1832, S. 9, 14. Die Cholera scheint dort erst 1817 ausgebrochen zu sein, nicht schon 1816, wie Hubert H. Lamb: Klima und Kulturgeschichte. Der Einfluß des Wetters auf den Gang der Geschichte, Reinbek 1989, S. 272, 330 f., meint, der diesen Ausbruch mit der gewaltigen Eruption des Mount Tambora (1815) und der folgenden Abkühlung in Verbindung zu bringen versucht. - Bd. 2, Tübingen 1825, S. 610. - Eine brauchbare Karte von der Ausbreitung der Cholera in Europa 1829-1837 gibt llja Mieck: Wirtschaft und Gesellschaft Europas von 1650 bis 1850, in: Hdb. d. Europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 4, hrsg. von I. Mieck, Stuttgart 1993, S. 53. Die Ausbreitung der Cholera gab einer neuen Disziplin wichtige Impulse, nämlich der medizini­ schen Kartographie. Siehe z. B. Friedrich Schnurrer: Charte über die geographische Ausbreitung der Krankheiten, München 1827; sowie H. H. Buek: Die bisherige Verbreitung der jetzt besonders in Rußland herrschenden Cholera, erläutert durch eine Karte und eine dieselbe erklärende kurze Geschichte dieser Epidemie, Hamburg 1830. ? Dazu Maximilian Heine: Die Cholera in St. Petersburg, Petersburg 1851; sowie zuletzt Roderick E. McGrew: Russiaand the Cholera 1823-1832, Madison 1965. 4 Theodor Stamm-Kuhlmann: Die Cholera von 1831. Herausforderung an Wissenschaft und staat­ liche Verwaltung, in: Sudhoffs Archiv 73 (1989), S. 176-189.

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Danzig heimgesucht: in Königsberg erkrankten 2221 Bewohner, 127 verstarben an der Cholera, mehr als 2 Prozent der Bewohner.5 Die Cholera verursachte ein riesengroßes Erschrecken, denn sie war einerseits eine in Europa bislang völlig unbekannte Krankheit und andererseits eine an­ steckende Krankheit, die einen großen Teil der Erkrankten — die Hälfte und mehr — ins Grab riß. Es gab in Europa eine Infektionskrankheit, die ihr ober­ flächlich ähnelte, die sog. einheimische Brechruhr oder Cholera nostras, weswe­ gen man die neue Krankheit als Cholera asiatica oder asiatische Brechruhr bezeichnete.6 Erschreckend war sie noch aus einem dritten Grunde: Sie ging mit fürchterlichen Durchfällen einher, was offenbar in diesem scheinbar so beschau­ lichen Zeitalter — dem Biedermeier — als ganz besonders furchtbar angesehen wurde,7 und der Tod trat innerhalb einer sehr kurzen Frist ein, sofern der Er­ krankte nicht genas. Die Medizin als Heilkunst und Wissenschaft war damals noch sehr wenig entwickelt; aber sie vermochte sehr gute, anschauliche Be­ schreibungen der Symptome zu liefern. Und weil diese Krankheit so neu und schrecklich war, wurde sie bald auch im Conversationslexikon von Brockhaus ausführlich beschrieben.8

5 Walter Krehnke: Der Gang der Cholera in Deutschland seit ihrem ersten Auftreten bis heute (Ver­ öffentlichungen aus dem Gebiete des Volksgesundheitsdienstes 49), Berlin 1937, S. 345-348. 6 Der Begriff ‘Cholera’ war viel älter, nicht jedoch diese Krankheit, die Cholera asiatica. Sie trat in Europa erstmals in den 1830er Jahren auf. Siehe zuletzt Alexander Stollenwerk: Die Cholera im Re­ gierungsbezirk Koblenz, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 5 (1979), bes. S. 241 f.; Roland Otto, Reinhard Spree und Jörg Vögele: Seuchen und Seuchenbekämpfung in deutschen Städten während des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Stand und Desiderate der Forschung, in: Medizinhistorisches Journal 25 (1990), bes. S. 291 f.; Manfred Vasold: Pest, Not und schwere Pla­ gen. Seuchen und Epidemien vom Mittelalter bis heute, München 1991, S. 327 Anm. 35. 7 Richard J. Evans: Tod in Hamburg. Stadt, Gesellschaft und Politik in den Cholera-Jahren 1830-1910, Reinbek 1990, bes. S. 297 f. Siehe Michael Stolberg: Gottesstrafe oder Diätsünde. Zur Mentalitätsgeschichte der Cholera, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte (Jahrbuch für Ge­ schichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung 8), Stuttgart 1991, bes. S. 9 f. 8 Bilder Conversations-Lexikon für das deutsche Volk von Brockhaus, Bd. 1, Leipzig 1837, Art. Cho­ lera, S. 419 f. „Cholera (die) oder Brechruhr, auch asiatische, epidemische, bösartige Cholera und Brechdurchfall, jene Krankheit, welche die Welt in der neuesten Zeit durch ihre schnelle Tödtlichkeit, wie durch ihre Verbreitung über den großem Theil der bewohnten Erde mit Schrecken erfüllt hat [...]. Sie kündigt sich durch eigenthümliches unangenehmes Ziehen in den Beinen, schmerz­ haften Druck in der Nabelgegend, Veränderung im Ausdruck der Gesichtszüge und mehr oder we­ niger heftigen Durchfall an, durch welchen anfänglich noch dünnflüssiger Darmkoth, bald aber nur eine geruch- und geschmacklose, gelblichweiße Flüssigkeit in großer Menge ausgeleert wird. [. . .] Dieser [. . .] Krankheitszustand, welcher dem Ausbruche der wirklichen Cholera voranzugehen pflegt, [. . .] ist von den Ärzten mit der Benennung Cholerine belegt worden [...]. Befällt aber die Cholera ohne Vorausgang der Cholerine plötzlich oder nimmt diese einen bösartigen Charakter an, so werden die Stuhlausleerungen und das Erbrechen immer stürmischer, wiederholen sich alle Vier­ telstunden und noch öfter und entleeren, nachdem die etwa genossenen Speisen abgegangen sind, eine wässrige, molkenartige, weißliche, dem abgekochten Reiswasser oder dünner Hafergrütze ähn-

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Cholera und Choleranotspitäler in Nürnberg im 19. Jahrhundert

Schon in der ersten Jahreshälfte 1831 stand das Königreich Bayern in größter Bestürzung. Seit Ende April waren die Zeitungen voll mit Hinweisen auf die asiatische Cholera. In Nürnberg erscheint bereits in diesem Jahr eine Schrift mit dem Titel „Was haben wir von der Cholera morbus zu befürchten? Ein Ver­ such, die aufgeschreckten Völker zu beruhigen“.9 Anfang Juli 1831 veröffent­ lichte das Intelligenzblatt des Rezatkreises eine Extra-Beilage mit einer „Be­ lehrung über die asiatische Cholera für Nichtärzte“.10 In den folgenden Wochen erscheinen fast in allen Zeitungen und in jeder Ausgabe Hinweise auf die Ver­ breitung der Cholera in Norddeutschland - der Süden des Landes blieb nämlich verschont, was aber vorläufig niemand wissen konnte. In fieberhafter Eile versuchten auch die Staaten und Kommunen Süd­ deutschlands sich gegen dieses Übel zu wappnen. Das Großherzogtum Baden bestimmte, daß keinerlei Waren mehr eingeführt werden sollten, wenn sie nicht mit Ursprungsscheinen und Gesundheits-Pässen versehen sind, aus welchen ersichtlich ist, daß sie aus einem Lande kommen, in welchem die Krankheit herrscht, oder daß, und wie lange sie an einem solchen Orten gelegen sind, wo die Cholera noch nicht ausgebrochen ist.n Auch die Regierung von Mittelfranken verfügte, keine verdächtigen Ki­ sten in geschlossenen Räumen zu öffnen und Vorsicht walten zu lassen beim Umgang mit fremden Textilien; Waren, die für unverdächtig befunden, wur­ den mit einem Gesundheitszeugnis versehen.12 In Nürnberg wird bereits am 5. Juli 1831 beschlossen, etwaige Cholera­ kranke in der Stadt im Sebastianspital unterzubringen, das noch immer als Iso­ lierhaus für Kranke mit ansteckenden und ekligen Krankheiten diente. Außer­ dem sollte das Katharinenspital als zweites Reservespital eingerichtet werden.13 Vorläufig empfahl der zuständige Gerichtsarzt Dr. August Solbrig den Bür-

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liche, mit kleinen häutigen Flocken untermengte, geruch- und geschmacklose Flüssigkeit oft in ungeheurer Menge [...]. Das Gesicht verfällt sehr schnell, die Augen sinken tief in ihre Höhlen [...]. Dabei quält die Kranken unlöschbarer Durst, besonders nach [. . .] kaltem Wasser [...]. Lip­ pen und Nägel färben sich ganz blau und das bisher vorhandene Ziehen in den Beinen wird zum Krampfe, der vorzugsweise die Waden und Vorderarme befällt [...]. Trügerisch ist die um diese Zeit manchmal eintretende scheinbare Besserung, denn bald folgen ihre Betäubung, Schlafsucht, Irrereden, ja selbst Tobsucht und kurz darauf der Tod. [. . .] Die große Mehrzahl der Todesfälle er­ eignet sich schon innerhalb der ersten 24 Stunden nach der Erkrankung. [. . .] Daß die Cholera übrigens bei besonderer Bösartigkeit und weiter Verbreitung auch einen An­ steckungsstoff entwickeln könne, dürfte nach vielen und völlig beglaubigten Erfahrungen keinem Zweifel mehr unterliegen.“ - Siehe auch Robert Froriep: Symptome der asiatischen Cholera im No­ vember und December 1831 zu Berlin abgebildet und beschrieben, Weimar 1832. Verfasser war der Nürnberger Arzt Karl Preu; Nürnberg 1831. Siehe bes. S. III f. StadtAN C 7/1 Nr. 7928, Bl. 71-77. Siehe ferner ebd., Bl. 19-21. 29-30. Intelligenz-Blatt der Stadt Nürnberg v. 19.8.1831, Nr. 97, S. 1278. StadtAN C 5 Nr. 220, Bl. 1. StadtAN C 7/1 Nr. 7926, Bl. 26.

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gern, zweimal des Tag’s seine Wohn- und Schlafstelle mit Essig, oder noch weit besser mit einer Chlorkalk-Auflösung zu besprengend Allerdings riefen diese Vorsichtsmaßnahmen auch den Widerspruch der Be­ völkerung hervor. Kaufleute, Fabrikanten und Gewerbsleute klagten über die in den Contumaz-Anstalten an den Gränzen des Reiches wegen der Cholera bestehenden nachtheiligen Maasregelnd Und aus der Nachbarschaft des alten Sebastianspitals

war gleichfalls Widerspruch zu vernehmen. Die Groß- und Kleinweidenmühle bestand seinerzeit aus zwei Mahlmühlen, drei Hammerwerken und zwei Gast­ stätten.16 Von ihnen erging am 20. Juli 1831 eine Unterthänigst gehorsame Be­ schwerde der Werksbesitzer zu Groß- und Kleinweidenmühle in Nürnberg gegen den Ma­ gistrat der Kgl. bayerischen Stadt Nürnberg die Errichtung eines Lazaretts für CholeraKranke betr(effend)d Die Klagenden fürchteten, es könnten von diesem Lazarett üble Ausdünstungen sowie ein Miasma ausgehen; der Wirt sehe keinen Gast mehr in seinem Hause; sie wollten nicht, daß wir in unserer Naehe in der sich ohnehin der große Kirchhof St. Johannis befindet, auch noch mit Resthäusern belästigt werdend

Auf derlei Klagen konnte der Magistrat von Nürnberg keine Rücksicht neh­ men; das Gemeinwohl ging vor. Am 11. August 1831 gab die Regierung in Ansbach ihre Zustimmung, daß die nöthigen baulichen Einrichtungen in derJohan­ niskaserne und nach Umständen im Catharinenkloster vorgenommen werden, obschon dies mit erheblichen Kosten verbunden war.19 Was die Benützung des Kathari­ nenklosters anbetraf, gab es allerdings noch Schwierigkeiten mit dem könig­ lich-bayerischen Militär, das dieses Kloster noch immer als Lazarett benützte und darauf nicht einfach verzichten wollte.20 Ende August waren diese Schwie­ rigkeiten soweit behoben, daß der Magistrat von einigen Nürnberger Hand­ werkern Kostenvoranschläge einholen konnte, was ein Ausbau des Kathari­ nenklosters kosten würde.21 Gegenstände des täglichen Bedarfs — wie Bettücher, aber auch Bekleidungsstücke für Kranke — wollte die Stadt von Privatleuten er­ werben. Am 1. September 1831 erfolgte die Räumung des Katharinenklosters, das nun als Choleraspital eingerichtet werden sollte.22

14 ScadtAN C 7/1 Nr. 7940, Bl. 19 a. - Zur Person Sölbrigs siehe die Allgemeine Deutsche Biogra­ phie (ADB), Bd. 34, S. 554 f. 15 StadtAN C 7/1 Nr. 18 303. '»'e 'i&afyvi)cit

HERAUSGEBER : JULIUS STREICHER

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