Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg [31]

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Mitteilungen des

Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg Herausgegeben mit Unterstützung des Stadtrats Nürnberg im Auftrag des Vereins von

Dr. Emil Reicke, Archivdirektor a. D..

Einunddreißigster Band. Mit 6 Tafeln.

NÜRNBERG VERLAG VON J. L. SCHRÄG (Io Kommission)

1933.

Druck von J. L. Stich in Nürnberg.

Inhalt. Größere Abhandlungen1) : Ernst Mummenhoff f (1848—1931). Von Dr. Emil Reicke. Mit dem Bildnis des Verewigten nach einem Oelgemälde von Felix Mayer-Felice Der Nürnberger Religionsfriede von 1532. Von Kir­ chenrat Adolf Engelhardt, Stadtpfarrer i. R. . Kulturgeschichtliche Beiträge aus den Behaimschen Briefbeständen im Archiv des Germanischen Nationalmuseums. I. Die Reise des jungen Nürn­ berger Patriziersohnes Georg Hieronymus Behaim an den Hof des Fürsten Bethlen Gabor von Siebenbürgen (1614). II. Sprichwörter, Redens­ arten, Witz und Schilderung in Altnürnberger Briefen. Von Dr: Theodor Hampe Geh. Regie­ rungsrat, weiland 2. Direktor des Germanischen Nationalmuseums. Vorangehend ein Nachruf auf den Verstorbenen von Dr. Emil Reicke. Mit einem Bildnis : Hampe im 45. Lebensjahre.........................................................

Seite

1 — 16 17—123

125—205

Kleinere Mitteilungen: Nuremberc castrum oder die Altstadt nach den ersten Quellen. Von Erzbisch. Geistl. Rat Georg Goepfert, Bamberg.........................................................

206—215

Der Prozeß des Lübeckers Hinrich Drosedow gegen die Nürnberger Heinz und Wilhelm Rummel. Von Dr. Claus Nordmann.................................................. Eine Nürnberger Bilderhandschrift. Von Dr.-Ing. h. c. Franz M. Feldhaus, Berlin-Tempelhof. Mit einem Nachtrag : Martin Löffelholz, der Ritter und Techniker (gest. 1533). Enthüllungen über den Verfasser der Handschrift. Von Dr. Emil Reicke. Mit zusammen drei Tafeln.........................

222—239

Ein Nürnberger unbekanntes Kaufmannsporträt des 16. Jahrhunderts in der Dresdener Gemäldegalerie. Von Universitätsprofessor Dr. Jakob Strieder, Geh. Regierungsrat, München. Mit einer Abbil­ dung .....................................................................................

240—246

Der Rosenbäcker Georg Matthias Burger, der „Nürn­ berger Mystiker“. Von Wilhelm Kunze

246—264

215—221

4) Für den sachlichen Inhalt der einzelnen Artikel tragen die Verfasser allein die Verantwortung.

IV Bücherbesprechungen:

Seite

Urkunden des Hochstifts Eichstätt. 2. Band: Urkun­ den von 1306—1365, bearbeitet von Ludwig Stein­ berger und Josef Sturm. München 1932, Verl. d. Komm, für bayer. Landesgesch. [Monumenta Boica. 50. Bd. Neue Folge, 4. Bd. Hrsgg. von der Kommission für bayerische Landesgeschichte bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.] Besprochen von Dr. Emil Reicke..............................

265—*272

Die mittelalterliche Entwicklung der Gerichtsver­ hältnisse im alten Amte Fürth. Von Dr. Michel Hofmann (jetzt Staatsarchivrat). Kommissions­ verlag bei Jos. C. Huber, Diessen vor München, 1932. Besprochen von Dr. Emil Reicke

272—277

Der Schutz- und Trutzbau der ältesten Nürnberger Herrensitze. Von Heinrich Pöhlmann. Mit vielen Abbildungen im Text und 16 Tafeln. Erlangen, Palm und Enke, 1933 (Beiträge zur fränkischen Kunstgeschichte, hrsgg. von Friedr. Haack. Neue Folge, 4). Besprochen von Dr. Wilhelm Schwemmer

277—282

Das Einkaufsbüchlein der Nürnberg - Lübecker Mulich’s auf der Frankfurter Fastenmesse des Jahres 1495 von Fritz Rörig. Breslau, Ferd. Hirt, 1931 (Veröffentlichungen der Schleswig-Holstei­ nischen Universitätsgesellschaft. Nr. 36 [Schriften der Baltischen Kommission zu Kiel, Bd. XX]) Nürnberger Großhändler im spätmittelalterlichen Lübeck. Von Dr. Claus Nordmann. Nbg. 1933, Verl, der Hochschulbuchhandlung Krische & Co. (Nürnberger Beiträge zu den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Hrsgg. von Hans Proesler und Wilhelm Vershofen). Die Behandlung der Nürnberger im Ostseegebiet. Inaug.-Dissertation zur Erlangung der Doktor­ würde, der Hohen Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel vorgelegt von Erich Birkner aus Eberswalde. 1927. (Auch in der Zeitschrift des Westpreußischen Geschichts­ vereins in Danzig, Heft 69, 1929, S. 1 ff.) Vorstehende drei Schriften besprochen von Dr. Emil Reicke . . . . . . . . .

282—289

Die St. Bartholomäuskirche in Nürnberg-Wöhrd. Der Bau und seine Denkmäler. Von Dr. Wilhelm Schwemmer. Nürnberg, Lorenz Spindler, 1933* Besprochen von Dr. Emil Reicke............................

289—292

Veit Stoß. Ein Lebensbild. Von Reinhold Schaffer (Dr. phil., städt. Archivdirektor in Nürnberg). Nürnberg, J. L. Schräg, 1933. Besprochen von Dr. Emil Reicke . . . . . . .

292—295

Nikolaus Busch, Untersuchungen zur Lebensge­ schichte Dürers. Riga 1931, G. Löffler (Abhand-

V Seite

lungen der Herder-Gesellschaft und des HerderInstituts zu Riga, IV. Bd. Nr. i). Besprochen von Dr. Emil Reicke................................................................

295—298

Mittelalterliches Almosenwesen. Die Almosenord­ nungen der Reichsstadt Nürnberg. Von Dr. Willi Rüger, Dipl.-Kaufmann. Nbg., 1932. Verl, der Hochschulbuchhandlg. Krische & Co. (Nürnberger Beiträge zu den Wirtschafts- und Sozialwissen­ schaften. Hrsgg. von Hans Proesler und Wilhelm Vershofen. Heft 31). Besprochen von Dr. Emil Reicke..............................................................................

299—302

Alt-Nürnberg. Sagen, Legenden und Geschichten, erzählt von Franz Bauer. Buchschmuck vom Ver­ fasser. Nbg., Friedr. Kornsche Buchhandl. (1933). Besprochen von Stadtbibliothekar Dr. Karl Fischer

302—304

Ratschläge für bayerische Ortsgeschichtsforscher. Eine Einführung, hrsgg. vom Bayerischen Haupt­ staatsarchiv in München. 3. Aufl. 1932. Verl. Deutsche Gaue, Kaufbeuren. (Bibliothek für Volks- und Heimatkunde. Sonderheft zu den „Deut­ schen Gauen, Kaufbeuren“ 121.) Besprochen von Dr. Emil Reicke................................................................

304

Tafel i.

Dr. phil. h. c. Ernst Mummenhoff (t 25. April 1931)

Nach einem im Besitz der Stadt Nürnberg befindlichen Oelgemälde von Felix Mayer-Felice (f).

Ernst Mummenhoff t (1848- 1931)

Von Dr. Emil Reiche, Archivdirektor a. D., i. Vorstand des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg. Mit dem Bildnis des Verewigten nach einem Oelgemälde von Felix Mayer-Felice.

Ernst Mummenhoff + (1848—1931).

Von Dr. Emil R e i c k e. Rede, gehalten im Großen Rathaussaal in Nürnberg, Sonntag, den 10. Mai 1931, vormittags 11 Uhr bei der von der Stadt zusammen mit dem Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg veranstalteten Gedächtnisfeier zu Ehren des am 25. April 1931 Verstorbenen. Der Abdruck erfolgt hier mit einigen kleinen Abweichungen vom ursprünglichen Wortlaut. Ernst Mummenhoff wurde am 22. Dezember 1848 in Nordwalde bei Münster als Sohn eines Lehrers geboren. Katholischer Konfession, besuchte er die Gym­ nasien in Recklinghausen und Münster und studierte nach bestan­ denem Abiturientenexamen (1869) zuerst an der Akademie in Münster, seit 1872 an der Universität in München deutsche Philo­ logie und Geschichte. In Münster empfing er die stärksten Ein­ drücke von Professor Nordhoff, in München waren Wilhelm v. Giesebrecht und Konrad Hofmann sowie Franz v. Löher, dessen Archivschule er besuchte, seine Lehrer. Im Herbst 1873 trat er in die archivarische Praxis ein beim kgl. Allgemeinen Reichsarchiv (jetzt Hauptstaatsarchiv) in München. Außerdem praktizierte er am Kreisarchiv daselbst und am Kreisarchiv in Würzburg und wurde nach abgelegtem Archivsekretärsexamen am 1. März 1877 zum Kreisarchivsekretär in Nürnberg ernannt. Im April 1883 übernahm er als Stadtarchivar die Leitung des Städti­ schen Archivs in Nürnberg und nach dem Tode des Kustos Johann Paul Priem (1891) auch die der Stadtbibliothek. Ende 1897 wurde er zum städtischen Archivrat, am 1. April 1920 zum Archiv­ direktor ernannt. Mit dem Ende des Jahres 1920 trat er in den Ruhestand. Im Oktober 1903 wurde er Ehrendoktor der philo­ sophischen Fakultät der Universität Erlangen, am 1. Januar 1908 erhielt er den Michaelsorden 4. Klasse. Aus Anlaß seines 80. Geburts­ tages ernannte ihn die Stadt Nürnberg zu ihrem Ehrenbürger. Bei unserm Verein war er zuerst, seit dessen Gründung (1878), zweiter und danach erster Schriftführer, dann, von 1891 bis 1911 zweiter und von 1911 bis Anfang 1926 erster Vorstand. Am 20. Januar 1927 wurde er zum Ehrenvorsitzenden gewählt. Verheiratet war Mummenhoff seit dem 11. Mai 1880 mit Mathilde geb. Söllner. Der Ehe entsprossen fünf Kinder, wovon dreie am Leben sind.

Hochverehrte Trauerversammlung! Insonders sehr verehrte Leidtragende! Gestern vor vierzehn Tagen, an einem jener herben Vorfrühlingstage, wie wir sie alle kennen und zu lieben pflegen, wie sie auch unser Heimgegangener besonders liebte, ist der Mann zur ewigen Ruhe eingegangen, über den heute zu Ihnen sprechen zu dürfen mir eine gern über­ nommene Pflicht und Ehre zugleich ist. Ein gewisses An­ recht darauf gibt mir ja der Umstand, daß ich dem Ver­ storbenen beinahe vierzig Jahre lang dienstlich und persön­ lich nahegestanden, daß ich mit und unter ihm am Städti­ schen Archiv und an der Stadtbibliothek gearbeitet, daß ich wohl alle seine Bücher und Schriften mit Aufmerksamkeit gelesen und auf dem von ihm beackerten Felde der Wissen­ schaft zu graben mich gleichfalls bemüht habe. Vor allem aber stehe ich heute vor Ihnen als der Vertreter einer Kör­ perschaft in Nürnbergs Mauern, die in den mehr als fünfzig Jahren ihres Bestehens wohl ihr Daseinsrecht bewiesen haben dürfte, deren Gründung zu einem großen Teil auf die Entschlußfreudigkeit des damals noch nicht einmal dreißig­ jährigen jungen Archivsekretärs, eben unseres Mummen­ hoff, zurückzuführen ist, die er dann mit frohem Mut und nie erlahmender Teilnahme mit anderen Gleichgesinnten zur Blüte gebracht und darin zu erhalten gewußt hat, das ist der Verein für Geschichte der Stadt Nürnberg. Als am 2. Dezember des Jahres 1928 die Verdienste des Verewigten um den Verein aus Anlaß von dessen fünfzig­ jähriger Jubelfeier mit Recht in vollen Tönen gepriesen wurden, erklärte der damals schon fast Achtzigjährige, er sei sich dessen wohl bewußt, daß auch er umgekehrt dem Verein zu tiefer Dankbarkeit verpflichtet wäre. Er schulde 1*

4 ihm

eigentlich

Nicht gerade,

seine

ganze

wissenschaftliche

Tätigkeit.

daß er von einzelnen Personen,

etwa dem

früheren hochverdienten ersten Vorstand des Vereins, dem Justizrat Freiherrn von Kreß, oder von anderen Vereinsmitgliedern hätte.

den Hinweis auf seine Arbeiten

empfangen

Die Aufgaben, den Stoff wählte er sich selber. Aber

Vorträge im Verein mußten gehalten, Aufsätze für die „Mit­ teilungen“, das schriftstellerische Organ des Vereins, ge­ schrieben werden.

Zu allen Zeiten sind hier die Arbeiter

auf dem Gebiete der Nürnberger Geschichte nur sehr dünn gesät gewesen.

Da galt es für Mummenhoff einzusprin­

gen, wenn der Bedarf gedeckt werden sollte.

Nicht selten

war es dieser äußere Umstand, der ihn veranlaßte, in den Urkunden und anderen Quellen zu schürfen und daraus mit der

ihm

eigenen Gründlichkeit und Geschicklichkeit

ein

Bild zu entwerfen, das vor dem Richterstuhl der Geschichts­ forschung bestehen konnte und auch in einer fernen Zukunft, wie ich glaube, niemals entwertet werden wird.

Wie viel

Großes, in der Kunst ja wohl noch mehr als in der Wissen­ schaft, ist nicht aus äußeren Anlässen, aus Aufträgen zum Licht hervorgegangen! Freilich, ein innerer Drang des Herzens hätte den Ver­ schiedenen wohl auch ohne den Verein zu seiner wissen­ schaftlichen Tätigkeit geführt. nicht bloß rezeptiv sein.

Mummenhoff konnte wohl

Schon auf dem Gymnasium, hat er

mir erzählt, habe er seine deutschen Aufsätze immer gerne gemacht, und das Konvikt, auf dem er eine Reihe seiner Jugendjahre verbrachte, hat er mir gegenüber des öfteren um deswillen gelobt, weil es die Anregung zu der schrift­ lichen oder vortragsmäßigen Behandlung interessanter The­ mata gegeben hätte.

Als er dann das Universitätsstudium

in Münster und München und die ersten Jahre seiner archi­ varischen Praxis, in denen er sich in seinen Amtsberuf erst einarbeiten mußte, hinter sich hatte, trieb es ihn denn auch gleich ganz von selbst zu eigenem Schaffen. wählte er charakteristischer Weise ein Thema,

Und das

zwar ihm

wegen der Beziehungen seines neuen Wohnorts — er war seit 1877 in Nürnberg — zu seiner alten angestammten

5 westfälischen Heimat besonders am Herzen liegen mußte. „Nürnberg im Kampf mit der Verne“, darüber hat er seinen ersten Vortrag gehalten im Nürnberger Geschichtsverein, diesen Gegenstand behandelte er denn auch in dem 1882 er­ schienenen ersten Hefte unserer „Mitteilungen“, die ja heute bis zum 30. Hefte oder, wie wir schon seit langem wegen des Umfangs dieser Hefte sagen dürfen, bis zum 30. Bande gediehen sind. Daß es dahin gekommen, ist nicht zum geringsten das Verdienst Mummenhoffs. Denn abgesehen von den ersten Jahren, wo auch andere Mitglieder des Ver­ einsausschusses sich der Redaktion des Vereinsorgans annahmen, hat Mummenhoff bis auf die letzten vier Hefte, .für die er die Redaktion an mich abgab, die Herausgabe der Zeitschrift geleitet, die Beschaffung von Artikeln be­ sorgt, die ihm angebotenen mit strenger Kritik gelesen und sich die Arbeit nie verdrießen lassen, mit größter Peinlich­ keit die Druckkorrekturen zu lesen, so daß schließlich ein Text zustandekam, der infolge seiner Sauberkeit und kon­ sequenten Durchführung der Editionsprinzipien jeder Pub­ likation dieser Art zum Muster dienen konnte. Der Inhalt aber war, ganz abgesehen von Mummenhoffs eigenen Ar­ tikeln, wohl stets von der Beschaffenheit, daß wir Vertreter und Mitglieder des historischen Vereins mit Stolz sagen dürfen, unsere „Mitteilungen“ genießen in der gelehrten Welt nicht nur Deutschlands, sondern auch darüber hinaus ein höchst erfreuliches Ansehen. In den achtziger Jahren traten zwei neue große Auf­ gaben an Mummenhoff heran, von denen er die eine mit glänzendem Gelingen bewältigte, die andere aber wenig­ stens bis zu einem großen Teile ihrer Vollendung entgegen­ führte. Das waren das Standardwerk über das Nürnberger Rathaus, erschienen bei Schräg in Nürnberg 1891, und das Nürnberger Urkundenbuch. Mit dem ersteren begab er sich auf ein Gebiet, auf dem er auch fernerhin schöne Erfolge erringen sollte, das der Nürnberger Kunst- und Handwerks­ geschichte. Man hatte bis dahin die Ratsherren, die den Titel „Baumeister“ führten, zugleich auch als Architekten angesehen und so einem Wolf Jakob Stromer den künst-

6 krischen

Entwurf

zum

Bau

der

Fleischbrücke,

dem

Eustachius Holzschuher den des in breiter Front dem Chor hingelagerten

imposanten

Renaissancebaus des Rathauses zugeschrieben.

der

Sebalduskirche

gegenüber

Mummen­

hoff wies nach, daß diesen patrizischen „Baumeistern“ nur die Fürsorge für die städtischen Bauten oblag, daß sie, wie man heute sagen würde,

nur das Baureferat hatten,

daß

aber die eigentliche Architektenarbeit von den „Anschikkern“ und „Werkmeistern“

auf der Peunt,

städtische Bauhof, besorgt wurde,

das ist der

also von Männern, die

sich vom einfachen Maurer- und Steinmetzlehrling zu dieser künstlerisch maßgebenden Stellung emporgerungen hatten. Der Bau

der Fleischbrücke wurde nun dem städtischen

Werkmeister Jakob Wolff d. Ä„

dem

erfindungsreichen

Erbauer des Pellerhauses, der des Rathauses seinem Sohne, dem künstlerisch nicht minder bedeutenden, leider nur allzu­ sehr dem Trünke ergebenen Jakob Wolff d. J. zugeschrie­ ben.

Dies nachgewiesen zu haben, ist ein besonderes Ver­

dienst Mummenhoffs, das um so höher anzurechnen ist, als er dabei mit den festgewurzelten Vorurteilen eines in der Stadtverwaltung hatte.

sehr einflußreichen Mannes

zu

kämpfen

Mummenhoff ließ sich von seinen wissenschaftlich

begründeten Ansichten nicht abbringen und nötigte selbst seinem Gegner die Erklärung ab, er stehe ja mit einer Ueberzeugung wie Luther auf seinem Standpunkt und spreche mit

dessen Worten.

Diesem nicht ohne einen gewissen

Bekennermut geführten Kampfe

verdanken wir das sehr

lehrreiche Kapitel über die Ausbildung, Beschäftigung und Löhnung der reichsstädtischen Bauhandwerker im Rathaus­ werk, für welches übrigens Mummenhoff, was die spezifisch künstlerischen und bautechnischen Fragen betraf, hier wie auch sonst gelegentlich an dem im Jahre 1930 verstorbe­ nen Oberbaurat Heinrich Wallraff einen feinsinnigen Be­ rater hatte. Im übrigen kamen auch schon hier in seinem ersten größeren Werke die Vorzüge von Mummenhoffs Geschichts­ schreibung, Geschicklichkeit der Anordnung, Klarheit der Darstellung, ein gewählter Stil, sein festes Beharren auf

7 dem Boden des positiv Gegebenen, was sich auch darin zeigte, daß er hier wie auch späterhin die Quellen gern selber reden ließ, wirksam zur Geltung. Die Quintessenz seines Rathausbuches legte Mummen­ hoff dann noch in seinem im Auftrag des Stadtmagistrats 1896 erschienenen ,,Führer durch das Rathaus“ nieder, das er in seinen letzten Lebensjahren neuerdings in zweiter Auf­ lage, gründlich durchgearbeitet, herausgeben konnte. Die andere große Aufgabe, die Mummenhoff gestellt wurde, war das nürnbergische Urkundenbuch. Ein solches mangelte für Nürnberg; darauf hatte namentlich der bedeu­ tende Historiker der nahen Erlanger Universität, Karl v. Hegel, der Herausgeber der mittelalterlichen Nürnberger Städtechroniken, wiederholt mit Nachdruck hingewiesen. Die im 18. Jahrhundert unter dem Titel ,,Historia Norimbergensis diplomatica“ erschienene Urkundensammlung des Benedikt Lazarus v. Wölckern war ein zwar fleißiges, heute noch unentbehrliches, literarisch aber ganz wüstes, übrigens auch schon wegen seiner vielen Lücken doch recht ungenü­ gendes Machwerk. Den Bestrebungen unseres historischen Vereins, in erster Linie seinerFührer, Mummenhoffs und des Freiherrn von Kreß, gelang es, den Stadtmagistrat für dieses große, nur mit öffentlichen Mitteln zu bewältigende Unter­ nehmen zu gewinnen. Mummenhoff, der inzwischen (1883) Leiter des Städtischen Archivs geworden war, erhielt den ehrenvollen Auftrag, die Bearbeitung dieses Urkundenbuches zu übernehmen. Ihm widmete er fortan den Hauptteil seiner großen Arbeitskraft und Arbeitslust. Es war das auch eine Aufgabe, im höchsten Maße verlockend für einen Archivar, dessen Betätigungsdrang nicht allein durch die Ordnungs­ arbeiten und die Zufriedenstellung der Wünsche der Archivbenützer ausgefüllt werden konnte, denen er übrigens jeder­ zeit mit der größten Gewissenhaftigkeit nachkam, so daß seit ihm der Name des Nürnberger Städtischen Archivs einen vollen Klang besitzt in ganz Deutschland. Mummen­ hoff gab sich seiner Aufgabe mit Begeisterung, fast mit Leidenschaft hin. Ich entsinne mich noch mit Vergnügen der Zeit, da ich ihm beim Kollationieren der Abschriften hei-

8 fen durfte, wie er mir da des öfteren gestand, welche Freude er bei dieser Arbeit empfände, wie er es zumal nach einem freien Sonntag gar nicht erwarten könne, wieder aufs Bureau zu kommen, um sich hier mit frischen Kräften wie­ der über seine geliebten Urkunden zu machen. Die Arbeit war keineswegs eine leichte. Der Stoff sollte doch nach Möglichkeit vollständig herbeigeschafft, dann gesichtet und gesiebt, die Urkunden mußten wohl gar auf ihre Echtheit geprüft, jedenfalls aber aufs genaueste entziffert werden. Die Arbeit war dadurch in nicht geringem Maße erschwert, weil im Anfang des vorigen Jahrhunderts, nachdem Nürnberg bayerisch geworden war, alle Urkunden bis einschließlich 1400 aus dem ganzen neuen Königreich Bayern an die Archivzentrale, das früher etwas hochtrabend „Bayerisches Allgemeines Reichsarchiv“ genannte, jetzige Hauptstaats­ archiv“ in der Ludwigsstraße in München abgeliefert wor­ den waren. Das erforderte nun ein ewiges Hin- und Her­ senden, es geschah aber nicht allein deshalb, sondern aus schwerwiegenden praktisch - wissenschftlichen und, man darf sagen, moralischen Gründen, daß Mummenhoff und mit ihm jeder aufrichtige Freund der Nürnberger Geschichts­ forschung sich veranlaßt sahen, in wiederholten Erklärungen und Eingaben, die auch von der Stadt unterstützt wurden, für die Rückgabe der ihrem Ursprungsort entzogenen Ur­ kunden einzutreten. Bis jetzt leider ohne Erfolg, wenn auch anzuerkennen ist, daß die Münchener Urkunden neuerdings mit sehr viel freundlicherem Entgegenkommen zur Benüt­ zung nach Nürnberg entsendet werden. Denn, allerdings, zum Druck ist das Urkundenbuch bis jetzt noch nicht ge­ kommen. Das überstieg selbst die Kräfte eines Mummen­ hoff, der ja, wie ich noch zu sagen habe, durch andere großenteils ihm von Amts wegen zufallende schriftstellerische Verpflichtungen, vor allem aber durch den fortlaufenden archivarischen Dienst im höchsten Maße beansprucht war. So konnte er zwar außer in München auch noch aus anderen Städten, aus Frankfurt, Eger, Prag usw. ein schönes Mate­ rial zusammenbringen und zum Druck vorbereiten, die end­ gültige Herausgabe aber blieb ihm versagt, ein Verzicht,

9 der, als er sich in schon hohem Alter dazu entschloß, ihm gewiß nicht leicht gefallen sein dürfte. Doch wird ja sein Name auf dem Titelblatt des, wie wir hoffen, in nicht zu ferner Zeit an das Licht kommenden, nun von einer jüngeren Kraft bearbeiteten ersten Bandes und so auch auf allen fol­ genden Bänden dieses wissenschaftlich wie vaterländisch gleich bedeutsamen, weitläufigen Unternehmens nicht feh­ len. Der Name Mummenhoff wird mit dem des nürnbergischen Urkundenbuchs auf immer verbunden bleiben. Seiner Beschäftigung mit den nürnbergischen mittel­ alterlichen Urkundenbeständen, nicht minder aber auch sei­ ner durch wiederholte Forschungen gewonnenen eingehen­ den Kenntnis der großen reichsstädtischen Aktenserien, ins­ besondere der Ratsbücher, der Ratsprotokolle, der Stadt­ rechnungen usw. verdanken wir nun auch eine Fülle weiterer wissenschaftlicher Arbeiten, durch die die Nürnberger Ge­ schichtsforschung in ungemein vielseitiger Weise bereichert wurde. Im Jahre 1890 erschien in der Serie der Bayerischen Bibliothek des Verlags Büchner in Bamberg das nicht um­ fangreiche, aber eine Menge neuer Ergebnisse verarbeitende und daher, zumal bei seinem Erscheinen, sehr lehrreiche Buch ,,Altnürnberg. Schilderungen aus der älteren reichs­ städtischen Zeit bis zum Jahre 1350“. Ein Vortrag über Nürnbergs geschichtlichen Entwicklungsgang auf dem Deut­ schen Historikertag in Nürnberg 1898 zeitigte ein so betitel­ tes kleines, aber sehr beachtenswertes Büchlein, dem sich dann etwas später, 1908, auf dem gleichen Gebiete das wieder bei Schräg erschienene, in gewisser Hinsicht ab­ schließende Werk ,,Nürnbergs Ursprung und Alter“ an­ schloß. Hier wie schon in seinem 1896 zum ersten Male, 1926 in 4. Auflage herausgekommenen inhaltreichen Büch­ lein über die Burg war ihm Gelegenheit geboten, seine von älteren Auffassungen stark abweichenden Ansichten von der Entstehung der Burg und damit zugleich von der Entwick­ lung der Stadt niederzulegen. Er mutmaßte zuerst die Existenz eines Königshofs in Nürnberg, für den er dann später einen bisher unbeachtet gebliebenen Urkundenbeleg fand, er ersann für das Bestehen zweier Burgen auf dem

IO

Burgfelsen die glückliche Hypothese, daß die Burggrafen­ burg, deren Reste wir noch heute in dem sog. Fünfeckigen Turm und in der Walpurgiskapelle vor uns sehen, die ur­ sprüngliche Kaiserburg war, die dann den Burggrafen zu Erb und Eigen überlassen wurde, während sich Friedrich I. Rotbart eine neue Burg, die heute so genannte Kaiserburg, auf der Westseite des Burgplateaus erbaute. Der Ent­ stehung des Namens Nürnberg brachte er zeitlebens ein besonders starkes Interesse entgegen, wenn er auch die Er­ klärung, die er in seinem ,,Altnürnberg“ gab, wo er den alten Ausdruck „Nurung“ gleich neu gerodetes Land dafür geltend machen zu müssen glaubte, später wieder auf­ gegeben hat. Ungemein gefesselt wurde der Verlebte auch durch den Nachweis, soweit derselbe eben noch möglich war, der früheren Mauergürtel innerhalb der Altstadt, der Zeit ihrer Entstehung, wie überhaupt durch topographische Fra­ gen, wofür heftige Kontroversen mit dem schon länger ver­ storbenen Tübinger Universitätsprofessor Siegfried Rietschel, dem gleichfalls schon dahingegangenen Ingenieur­ offizier Emanuel Seyler, dem Kaplan Göpfert u. a. Zeugnis ablegen. Insbesondere nahm Mummenhoff eine der Sebaldusstadt vorausgehende Entstehung der Lorenzer Stadt­ hälfte, etwa als zielbewußte kaiserliche Marktgründung, als unerwiesen an, ebenso bestritt er, daß die Sebaldusstadt vor der Burg entstanden sei, und vollends einen altrömischen oder slavischen Ursprung Nürnbergs erklärte er — gewiß mit allem Recht — für völlig unmöglich. Er verlangte vor allem urkundliche Zeugnisse, mit denen er allerdings auch gern, wenn es irgend anging, die Resultate von Ausgrabun­ gen verband. Doch stand ihm der schriftliche, der Urkun­ denbeweis jederzeit an erster Stelle. Eine Frucht ortsgeschichtlicher Studien waren Mum­ menhoff s lehr- und inhaltsreiche Aufsätze über die Topo­ graphie des Nürnberger Marktplatzes und der ihn um­ gebenden öffentlichen und Privatgebäude, sowie seine Arbeiten über die Geschichte der Juden in Nürnberg, deren tragisches Schicksal hierselbst er nach verschie­ denen Seiten hin behandelte. Auch die Erforschung

II

der alten Wasserleitungsanlagen, der die Stadt einst in weitem Umkreis umziehenden sog. ,,Landwehr“, die Frage der unterirdischen Gänge, wobei er ebenso wie bei seinen Aufsätzen über die „Eiserne Jungfrau“ vielen schwer auszurottenden romantischen Vorurteilen entgegen­ treten mußte, ließen ihn Zeit seines Lebens nicht los. Hier­ her dürfen wir auch seine vielbeachtete Abhandlung über „die Besitzungen der Grafen von Nassau in und bei Nürn­ berg und das sog. Nassauerhaus“ rechnen (1902 in den „Mitteilungen“ unseres Vereins erschienen), worin er die Behauptung aufstellte, die prunkvolle Wappengalerie am Dache des Hauses sei von dessen reichem, patrizischem Be­ sitzer Ulrich Ortlieb 1432 deshalb angelegt worden, weil ihm in diesem Jahre der stets geldbedürftige Kaiser Sigis­ mund seine Krone verpfändet gehabt hatte. Weit über das örtliche Interesse hinaus, wie übrigens schon so manche der genannten Veröffentlichungen, gingen Mummenhoffs aufschlußreiche Arbeiten über das Handwerk in Nürnberg, als deren schönste Frucht das im Verlage von Eugen Diederichs in Jena unter den Monographien zur deutschen Kulturgeschichte 1901 erschienene, reich illu­ strierte Buch über den Handwerker in der deutschen Ver­ gangenheit zu betrachten ist. Immer wieder wies Mummen­ hoff darauf hin, daß es in Nürnberg keine selbstherrlichen Zünfte gab, daß hier der Rat den einzelnen Handwerkern ihre Ordnungen erteilte. Zünftisches Wesen aber hat sich natürlich auch bei uns immer sehr breit gemacht. Wenn Mummenhoff von der Stadt oder sonst von einer öffentlichen Stelle eine schriftstellerische historische Arbeit aufgetragen erhielt, so setzte er seinen Stolz darein, dieselbe zu einer nach möglichst vielen Richtungen hin fruchtbringen­ den zu gestalten. Hier besonders ist die Leichtigkeit zu rühmen, mit der er sich in die Behandlung der verschieden­ sten Wissensgebiete hineinfand. Für die 1893 in Nürnberg abgehaltene Naturforscherversammlung steuerte er zu deren vom Stadtmagistrat herausgegebenen Festschrift sehr in­ struktive Artikel über die mittelalterlichen Volkskrankheiten und sonstige, die Geschichte der Heilkunde in Nürnberg und

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in der alten Universitätsstadt Altdorf betreffende Fragen bei, die dann 1898 durch die Geschichte der öffentlichen Gesundheitspflege und im besonderen der Spitäler in Nürn­ berg in der Festschrift zur Eöffnung des neuen Kranken­ hauses hierselbst eine willkommene Ergänzung fanden. Eine eingehende Umsicht in botanischen Werken verlangte Mummenhoffs Aufsatz über das landwirtschaftliche Siede­ lungswesen, den Anbau der Kulturpflanzen, insbesondere auch der exotischen, der Kartoffel und des Tabaks, in der Umgebung Nürnbergs, die er 1894 für die 32. Wander­ versammlung bayerischer Landwirte in Nürnberg verfaßte. In demselben Jahre schrieb er im Auftrag der Stadt für das Hans Sachs - Jubiläum sein liebenswürdiges, volkstümliches Büchlein über den Schuhmacher-Poeten und veröffentlichte in den von Professor Stiefel herausgegebenen Hans SachsForschungen neu entdeckte Nachrichten über die Singschulcrdnung und die Singstätten der Meistersinger. Eine Fest­ schrift über das Findel- und Waisenhaus in Nürnberg ver­ dichtete sich zu einem zweibändigen umfangreichen Werke (1917), und als der Krieg ausgebrochen war und man von Stadt wegen die nachdenklicheren und gebildeteren unter den Einwohnern Nürnbergs über die gegenwärtigen schlim­ men Zeiten durch die Erinnerung an die Drangsale der Ver­ gangenheit trösten (wollte, schrieb Mummenhoff in de'n Jahren 1916 bis 1919 seine drei Bücher über Altnürnberg in Krieg und Kriegesnot, die die Leiden der Reichsstadt im zweiten markgräflichen Krieg, im Dreißigjährigen Kriege und unter den Einfällen der Franzosen um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert eindringend zu schildern wußten. Alles auf Grund zum Teil noch niemals angerührten Aktenmaterials, wie es denn Mummenhoffs Art nicht war, seine Arbeiten auf abgeleitete Schriftquellen zu stützen. Dies kam natürlich erst recht in seinen kleineren Arbeiten zur Gel­ tung, von denen ich hier nur die zahlreichen Artikel über namhafte Nürnberger Persönlichkeiten in der Allgemeinen Deutschen Biographie, den Artikel über Johannes Scharrer in den von der Gesellschaft für fränkische Geschichte heraus­ gegebenen ,,Lebensläufen aus Franken“ (1919) und die

Schilderung der Bürgermeister der bayerischen Stadt Nürn­ berg im Nürnberger Stadtbuch von 1927 erwähne. Nicht vergessen seien auch seine umfangreichen Arbeiten über die Pillenreuther und andere ehemalige Weiher bei Nürnberg, die ihn auch zu Studien über'das alte Fischereiwesen ver­ lockten. Gerade zu solchen Aufgaben fühlte Mummenhoff sich ganz besonders hingezogen. Es war gewiß eine seiner schönsten Freuden, wenn er auf seinen vielen Wanderungen durch den Reichswald, den er als rüstiger Fußgänger, der er früher war, so gründlich kannte und so liebte wie kaum ein geborener Nürnberger, wenn er da irgend einen alten verwachsenen Graben, einen Wall, eine Vertiefung auffand, die ihm seine aus den urkundlichen Quellen geschöpften An­ nahmen nun auch noch nach so viel darüber hingegangenen Jahrhunderten durch den Augenschein in der Natur be­ stätigten. Mummenhoff ging überhaupt in der reinen Gelehrten­ tätigkeit nicht auf. Es tat ihm wohl, auch einmal praktisch Hand anzulegen, wie z. B. bei der Gestaltung des Festzuges zum Hans Sachs - Jubiläum (1894), der Einrichtung der historischen Ausstellung auf der bayerischen Landes­ ausstellung von 1906, die er zusammen mit Professor Dr. Fritz Traugott Schulz besorgte, bei der Schriftleitung der Sängerfestzeitung im Jahre 1912. Seine nicht geringe dich­ terische Begabung verwendete er gern zur Erheiterung im Kreise seiner Freunde und bei öffentlichen Gelegenheiten durch die Abfassung ganzer Festspiele und kleiner Dramen (,,Im deutschen Dichterwald“, aufgeführt im Männergesangvereiti 1895; „Verheißung, Kampf und Erfüllung“, ein vater­ ländisches Spiel aus der Zeit der Freiheitskriege aus Anlaß des Deutschen Turnfestes 1903; das muntere Hans SachsSpiel zum fünfundzwanzigjährigen Jubiläum des Vereins für Geschichte, das bei dessen fünfzigjähriger Jubelfeier wieder­ holt wurde). Mit allen diesen Darbietungen fand er reichen Beifall, am meisten vielleicht, wenn er selbst das Podium bestieg in der historischen Gewandung des Hans Sachs und nun in dessen treuherziger, von Humor durchtränkter Sprache ein Festgedicht hersagte, wie Ort und Gelegenheit

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der Feier es erforderten. Zu solchen Feiern pflegten ja wohl Ehrengäste und andere Besucher von Nah und Fern zu erscheinen, und man kann sagen, daß er durch diese seine Hans Sachs - Prologe in ganz Deutschland auch bei denen populär wurde, die sich um seine wissenschaftliche Tätig­ keit wenig oder gar nicht kümmerten. Eine laute, weithin vernehmbare Sprache, deren allezeit westfälischer Klang ihrer Deutlichkeit jedenfalls keinen Abbruch tat, kam auch Mummenhoffs Vorträgen zugute, von denen er in unserm Geschichtsverein wie auch sonst bei öffentlichen Gelegenheiten eine große Zahl gehalten hat. Sehr geschätzt waren seine Führungen, insbesondere die durch die Burg. Vorträge, in denen er nur eigene For­ schungsresultate zu geben gewohnt war, hat er im Verein nicht weniger als 68 gehalten. Grund genug, daß man sagen konnte, was wäre der historische Verein ohne Mummenhoff. Wir müssen uns in das Unvermeidliche fügen, mußten es schon seit längerer Zeit, da Alter und Kränklichkeit ihn in den letzten Jahren von den Vereinssitzungen fernhielten. Eine große Genugtuung aber war es für uns, daß wir un­ serm Dank gegen den Verewigten noch in der Form Aus­ druck geben konnten, daß wir seine in Zeitschriften und Tagesblättern zerstreuten wertvollen wissenschaftlichen Aufsätze in einer Sammlung der gelehrten Welt vorlegten. Zunächst ist zwar nur der erste Band dieser Sammlung er­ schienen (bei Fromann hier in Nürnberg)/ aber weitere sollen folgen, zumal wenn wir uns weiterhin der dankenswerten Unterstützung des Stadtrats zu erfreuen haben werden. Für den ersten Band aber hat Mummenhoff noch eine ganze Reihe von Verbesserungen beigesteuert und mit der alten Aufmerksamkeit und Genauigkeit die Korrekturen gelesen, was ihm doch noch eine große Freude gewesen sein dürfte. Seine letzte Arbeit galt der Darlegung seiner Anschauungen über einige Fragen, den Königshof, die Burg, die älteste An­ siedelung der Juden in Nürnberg u. a. m. betreffend. Sie ist in dem 1931 herausgekommenen 30. Band der „Mitteilun­ gen“ unseres Geschichtsvereins enthalten. Eine so ausgedehnte fruchtbringende Tätigkeit wie die

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geschilderte konnte natürlich nur auf dem Grunde eines reichen Innenlebens erwachsen. Sie verlangte vor allem eine hingebende Liebe zu der gestellten Aufgabe, einen nie er­ mattenden Schaffensdrang, der sich nicht eher zufrieden gab als bis er das Geleistete für gut ansah. Diese Liebe zur Wissenschaft floß nun aber überhaupt aus einer ganz beson­ ders bemerkenswerten Charaktereigenschaft des Verewig­ ten, aus seiner warmherzigen Gesinnung. Daß er eine solche hatte, werden die, die ihm am nächsten standen, wohl auch am meisten empfunden haben, sie erwarb ihm aber auch überall Freunde, die seinen Humor, der sich garnicht ein­ mal laut geltend zu machen brauchte, der nur einfach aus seinen Augen leuchtete, liebten und den Mann, der diesen Humor besaß, verehrten. Ich verstehe unter Humor die Freude an Witz und Scherz, wobei das Gemüt beteiligt ist. Das warme Herz des Dahingegangenen äußerte sich vor allem auch in seiner starken, man darf wohl sagen, heißen Vaterlandsliebe. Daß wir den Krieg verloren, daß wir Ober­ schlesien und andere Teile deutschen Landes dahingeben mußten, erfüllte ihn mit dem tiefsten Schmerz, dem nicht einmal die Tränen genügten. Ein starkes Gemütsleben kann sich nun freilich auch in etwas minder angenehmen Zügen äußern. Auch Mummen­ hoff hatte seine Ecken und Härten. Wo er auf Wider­ stand stieß, konnte er wohl ausfahrend, selbst verletzend werden. Seine Feder war oft scharf, seine Polemik gefürch­ tet. Aber wenn er auch Widerspruch nicht liebte — wer liebte das? — so müßte ich doch lügen, wenn ich nicht sagte, er war bemüht, Widerspruch zu ertragen. Seine manchmal etwas rauhe Außenseite hat ihn nie gehindert, da, wo man seine Hilfe brauchte und er den zu Unterstützenden für wert erachtete, diesem beizustehen, selbst wenn er mit ihm in Streit gestanden hatte. Mummenhoffs markante Persönlichkeit, sein Charakter­ kopf, den wohl niemand vergaß, der ihn einml gesehen hatte, schwebten bis zuletzt gleichsam mahnend über allen Unter­ nehmungen unseres Vereins, sie werden dieselben auch begleiten, so lange es noch Mitglieder gibt, die sich des Ver-

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storbenen erinnern können. Dann freilich wird das Persön­ lich-Lebendige, das von diesem Manne ausging, zurück­ treten, und nur sein Werk wird sprechen, dieses aber, so lange es eine nürnbergische Geschichtsforschung und -Schrei­ bung überhaupt geben wird. Jetzt trauern wir um den Ver­ storbenen und sein Bild steht vor uns, noch mit der ganzen Fülle des Lebens. In künftigen Zeiten wird dieses leben­ dige Bild verschwunden sein, aber der Nachruhm bleiben.

Der Nürnberger Religionsfriede von 1532

Von

Kirchenrat Adolf Engelhardt Stadtpfarrer i. R.



Der Nürnberger Religionsfriede von 1532. Von Adolf Engelhardt. Der Abschied, mit welchem Karl V. den Reichstag von Augsburg am 19. November 1530 abgeschlossen hatte, lau­ tete für die evangelischen Stände überaus bedrohlich. Unter der erneuten Zusage eines Konzils, welches die Religions­ frage endgültig entscheiden sollte, hatte der Kaiser die einst­ weilige Unterwerfung und Rückkehr zur römischen Kirche gefordert. Gehorchten sie dieser Forderung innerhalb sechs Monaten nicht, so wollte er sie mit Waffengewalt dazu zwingen. Freilich war das eine Drohung, von der sich der Kaiser schon, als er sie aussprach, hätte sagen müssen, daß er sobald nicht in der Lage sein werde, sie auszuführen. In Wirklichkeit war er von Augsburg als der Besiegte geschie­ den. Die Niederzwingung der Evangelischen, zu der er den Reichstag vor allem berufen hatte, war an deren Be­ kennermut, an ihrer Glaubenstreue gescheitert. Auch jetzt ließ Papst Clemens VII., wie schon wiederholt, den Kaiser im Stich, indem er das Konzil, das dieser und die Reichs­ stände dringend wünschten, damit es den ‘Glaubensstreit schlichte und die nötigen Reformen durchführe, nicht berief, trotzdem er es versprochen hatte. Die politischen Verhält­ nisse aber hatten schon damals wieder begonnen, dem Kai­ ser die Hände zu binden. Das Königreich Ungarn, welches der Bruder des Kaisers, Ferdinand, an sich gebracht hatte, war ständig von den Türken bedroht und mit ihm das Reich. Wohl hatte Ferdinand schon im Mai 1530 durch das An­ gebot einer großen Geldsumme den Sultan von einem neuen Angriff auf sein Land abzuhalten versucht, aber mit Hohn und Spott war er von diesem abgewiesen worden. Nun war es unmöglich, Ungarn und Oesterreich ohne die Hilfe der Deutschen im Reiche zu halten. Die evangelischen Stände 2*

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aber sahen sich selbst durch den Kaiser und seinen Bruder bedroht. Auf ein Mandat, welches der Kaiser am 12. Januar 1531 von Aachen aus wegen der Türkenhilfe erlassen hatte, antworteten daher die evangelischen Stände, sie seien bereit, dem Kaiser und seinem Bruder ihre Hilfe zu leisten, aber sie müßten die Sicherheit haben, daß man dann nicht gewalt­ sam gegen sie selbst vorgehe *). Auch Ferdinand schrieb damals seinem Bruder, man müsse für gewiß halten, daß die Anhänger Luthers die Türkenhilfe nicht leisten würden, weil sie befürchten müßten, daß, wenn man mit ihrer Hilfe die Türken besiegt habe, man die Waffen gegen sie selbst richten werde, um sie wegen ihres Glaubens zu strafen *2). Darum riet jetzt König Ferdinand dem Kaiser, dieser möge mit den Evangelischen ein friedliches Abkommen tref­ fen, um sie für die Türkenhilfe zu gewinnen. Auch die beiden Kurfürsten von Mainz und von der Pfalz, die von jeher eine vermittelnde Stellung eingenommen hatten, empfahlen dem Kaiser ein solches Abkommen und boten sich ihm, wie dem Kurfürsten von Sachsen und dem Land­ grafen von Hessen als Vermittler zu einer friedlichen Ver­ ständigung an. Die letzteren waren denn auch beide zu Verhandlungen bereit. Da sie jedoch als Vorbedingung für solche die Einstellung der Prozesse forderten, mit welchen das Reichskammergericht aus Ermächtigung des Augs­ burger Reichstagsabschieds einzelne evangelische Reichs­ stände in Gläubenssachen zu verfolgen begonnen hatte, und da der Kaiser sich zunächst nicht entschließen konnte, auf diese Bedingung einzugehen, gerieten die begonnenen Verhandlungen wieder ins Stocken. Erst als der Erz­ bischof von Mainz durch Niklas von Ende bei dem Kur­ fürsten von Sachsen erneute Verhandlungen angeregt hatte, kam es in den Weihnachtstagen 1531 in Bitterfeld zu einer Aussprache zwischen dem magdeburgischen Kanzler Dr. Türk und dem Kanzler des Kurfürsten von Sachsen *) F. B. von Bucholtz, Geschichte der Regierung Ferdinands I. Bd. IX (Urkunden-Band), Wien 1838, S. 19. 2) L. von Ränke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Refor­ mation. III. Leipzig 1873. S. 289.

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Dr. Erück, in welcher sich beide über die hauptsächlichsten beiderseitigen Bedingungen, welche an den Kaiser gebracht und mit dessen Zustimmung den einzuleitenden Friedens­ verhandlungen zugrunde gelegt werden sollten, einigten 3). Man hatte auf der kaiserlichen Seite gehofft, mit den Verhandlungen da wieder anknüpfen zu können, wo man sie seinerzeit in Augsburg abgebrochen hatte. Aber das war jetzt nicht mehr möglich. Die Evangelischen forderten jetzt die Anerkennung ihrer Protestation von Speyer und ihres Augsburgischen Bekenntnisses bis zur Entscheidung eines Konzils. Ferner verweigerten sie die Wieder­ unterwerfung ihrer Geistlichen unter die Jurisdiktion der Bischöfe. Aber ihnen soweit entgegenzukommen, schien dem Kaiser unmöglich. Ueberhaupt war bei dem Kaiser, wie bei seinem Bruder, auf ein Entgegenkommen im Sinne der Evangelischen nicht zu rechnen, so lange beide noch eine Möglichkeit zu sehen glaubten, zu einer Verständigung mit dem Sultan zu kommen. Lieber noch wollten sie sich diesem gegenüber aufs tiefste demütigen, indem sie die letz­ ten Reste Ungarns abtraten und eine hohe Geldsumme zahl­ ten, um ihn von Oesterreich fern zu halten, als daß sie den verhaßten Ketzern Zugeständnisse machten. Erst als der Sultan alle Anerbietungen des Kaisers und Ferdinands ab­ gelehnt hatte und sich mit einem gewaltigen Heer gegen beide in Bewegung gesetzt hatte, entschloß man sich, den Evangelischen etwas mehr nachzugeben. Sogar der Papst war inzwischen zu einem wesentlich anderen Standpunkt gegenüber den Evangelischen gekom­ men. Auch ihn hatte die Angst vor den Türken dahin geführt. Der Kaiser hatte sich entschlossen, auf dem bevor­ stehenden Reichstag zu Regensburg die Religionsfrage vor­ zunehmen und dabei über einen Frieden mit den Evan­ gelischen zu verhandeln. Im Hinblick darauf schrieb der Vertraute des Papstes Clemens VII. an den Kaiser: ,,Seine Heiligkeit hält dafür, daß Eure Majestät in Sachen des Reichstags (nämlich in der Religionsfrage) das äußerste tun müsse. Kann man nicht ausrichten, was man will, so möge *) Bucholtz IX. S. 23.

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man wenigstens tun, was sich jetzt tun läßt, und die Unter­ handlungen mit den Lutherischen nicht abbrechen, damit, wenn der Türke kommt, er nicht etwa wegen der Zwie­ tracht Deutschlands schwächeren Widerstand finde. Und überdies, wenn sie auch Lutherische wären, so seien sie doch immer Christen. Deshalb sei es das Beste, auf diesem Reichstag sich, so gut es gehe, zu vertragen, damit beide dazu helfen, den christlichen Glauben gegen die Türken zu verteidigen. Dann könne man mit der Zeit der Heilung des übrigen Raum geben, was noch unter ihnen zu tun sei.“ Ja, man ging sogar noch weiter. Noch waren es nicht ganz zwei Jahre, da hatte man in Augsburg und erst recht in Rom das von den evangelischen Ständen übergebene Glaubensbekenntnis als ganz und gar unchristlich und ket­ zerisch verdammt. Jetzt holte man dasselbe wieder hervor und prüfte £s aufs neue. Und siehe, welch eine Wandlung war nun mit diesem Bekenntnis geschehen! Mujetula schrieb jetzt: ,,Das Augsburgische Bekenntnis ist gar nicht so durch und durch verwerflich, wie es ihm (dem Papst) früher vorgekommen. Seine Heiligkeit hat jene Konfession, die die Lutherischen in Augsburg machten, von einigen der hiesigen Theologen untersuchen lassen und sie sagen ihm, daß Vieles darin ganz katholisch und anderes so sei, daß man es wohl so stellen könne, daß es nicht gegen den Glau­ ben wäre, wenn die Lutherischen sich zu einem Mittelweg wollten bereit finden lassen. Auch über anderes würde man sich verständigen können. Seine Heiligkeit zog von tüch­ tigen und gewichtigen Theologen Gutachten ein, die sich nicht auf Meinungen steifen, sondern Klugheit genug be­ sitzen, um einen Mittelweg zu ergreifen, auf dem die deut­ schen Angelegenheiten versöhnt und vereint werden kön­ nen“ 4). Inzwischen hatte der Kaiser die beiden Kurfürsten Erzbischof Albrecht von Mainz und den Pfalzgrafen Lud­ wig tatsächlich beauftragt, mit den evangelischen Ständen 4) Gg. Heine, Briefe an Karl I., geschrieben von seinem Beichtvater in den Jahren 1530—32. Berlin 1848. S. 257.

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wegen eines Friedens zu verhandeln. Jedoch wollte er nun die Verhandlungen doch nicht am Sitz des Reichstags haben, um jede Beeinflussung und Störung derselben, wie er sie von den katholischen Reichsst^nden befürchtete, hint­ anzuhalten, wohl auch darum, weil er selbst zunächst mög­ lichst aus dem Spiel bleiben wollte. So wurden die Ver­ handlungen nacli Schweinfurt verlegt. Um den Evan­ gelischen die Aufrichtigkeit* seines Friedenswillens zu zei­ gen, hatte der Kaiser Befehl gegeben, daß die bisher gegen sie eingeleiteten Religionspro^esse eingestellt werden soll­ ten 5). Unter dem i. März 1532 lud Kurfürst Johann von Sach­ sen die evangelischen Stände auf den 31. März nach Schwein­ furt ein 6). In Nürnberg wurde diese Einladung mit beson­ derer Freude begrüßt. Einen beständigen Frieden mit dem Kaiser empfand man hier als ein dringendes Bedürfnis,. Daß dieser der Stadt keineswegs freundlich gesinnt sei, hatte diese wohl vor kurzem recht schmerzlich zu fühlen bekom­ men. Im Februar, als der Kaiser auf der Reise nach Regens­ burg zum Reichstag in Dinkelsbühl weilte, hatte der Rat die drei Ratsherren Christoph Kreß, Hans Ebner und Cle­ mens Volkamer dorthin gesandt, um den Kaiser zu begrüßen und zu einem Besuch Nürnbergs einzuladen. Große Fest­ lichkeiten waren ihm zu Ehren geplant, kostbare Geschenke sollten ihm überreicht werden. Aber der Kaiser lehnte diese Einladung unfreundlich ab und erzeigte sich den Ge­ sandten gegenüber höchst ungnädig7). Der Kaiser konnte es den Nürnbergern nicht verzeihen, daß sie beharrlich am evangelischen Glauben hielten. Selbst daß die Stadt es ebenso beharrlich abgelehnt hatte, sich dem Schmalkaldischen Bund anzuschließen, den der Kaiser als gegen sich und die katholischen Stände gerichtet ansehen mußte, konnte ihn nicht versöhnen. Und doch lag den Nürnbergern soviel an der Gunst des Kaisers! Insbesondere lag ihnen daran, 5) Ansbacher Religionsakten (A. R. A.) 18 Bl. 55 u. 596) A. R.A. 18 Bl. 65 u. 71.

im

Staatsarchiv

Nürnberg

7) Staatsarchiv Nürnberg (St. A. N.) Ratsmanuale 1531 Heft 12 Bl. 2 u. 3; Ratsbuch 15 Bl. 237; S. VII L. 117 Nr. 94.

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wegen ihres Glaubens keinen weiteren Anfechtungen ausr gesetzt zu sein, umsomehr, als sie an Sachsen und den übrigen Mitgliedern des Schmalkaldischen Bundes, den sie abgelehnt hatten, keinen Rückhalt mehr hatten und mit Brandenburg-Ansbach, das ebenfalls dem Bunde fern ge­ blieben war, recht isoliert dastanden. So erfüllten sie die angekündigten Friedensverhandlungen mit neuen Hoff­ nungen. Zur Vertretung Nürnbergs sandte der Rat die beiden Ratsherren Bernhard Baumgärtner (Paumgartner) und Leo Schürstab nach Schweinfurt. Dieselben hatten auch die befreundeten Reichsstädte Weißenburg, Windsheim, Heil­ bronn und Schwäbisch Hall zu vertreten. Am 30. März kamen die Nürnberger mit den markgräflichen Gesandten Kaspar von Seckendorf und dem Kanzler Dr. Heller, mit denen sie verabredungsgemäß in Forchheim zusammen­ getroffen waren, in Schweinfurt an 8). Um sich mit Nürnberg schon vorher über ein ein­ mütiges Vorgehen in Schweinfurt zu verständigen, hatten die Markgräflichen den Rat ersucht, zu einer Besprechung darüber Vertreter nach Heilsbronn zu senden. Der Rat hatte das jedoch abgelehnt, da er z. Zt. noch mit seinen Theologen in Beratung darüber stehe und das Gutachten derselben abwarten wolle. Sobald aber dieses in seinen Händen war, schickte er dasselbe nach Ansbach. Von vorn­ herein hatte er seine Bereitwilligkeit erklärt, mit den Mark­ gräflichen Hand in Hand zu gehen 9). Der Rat hielt es für wünschenswert, daß auf einen all­ gemeinen Frieden gehandelt werde, durch welchen jedem Teil zugelassen würde, bei seinem Bekenntnis, wie auch bei seinen kirchlichen Ordnungen zu bleiben. Freilich be­ fürchtete er, daß man diesen Weg nicht gehen werde, son­ dern bestimmte Vereinbarungen über einzelne Punkte tref­ fen wolle, wie über die bischöfliche Jurisdiktion, die Priesterehe, das Sakramentreichen u. dgl. m., wobei man 8) St. A. N. S. I L. 78 Nr. 20 b Produkt 1; Briefbuch 104 Bl. 140 v, 14s r. ®) A. R.A. 18 Bl. 75 u. 77; Briefb. 104 Bl. 132 v, 125 v, ’i44 r.

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auf der Gegenseite versuchen werde, die Evangelischen zum Nachgeben in den genannten Punkten zu bewegen. Darum erschien ihm dieser Weg bedenklich. Einen bestimmten Befehl für diesen Fall seinen Gesandten mitzugeben, schien ihm aber nicht geraten. Nun hatte der Rat seinen Theologen das Gutachten zur Beratschlagung übergeben, welches Luther seinem Kur­ fürsten erstattet und in dem er sich dafür ausgesprochen hatte, daß man in den äußeren Dingen, wie in. den Zere­ monien, in der Jurisdiktion und anderem, soweit es sich mit Gottes Wort verantworten lasse, nachgeben könne, voraus­ gesetzt, daß man bei der evangelischen Lehre bleiben dürfe. Diesem Gutachten hatten die Nürnberger Theologen zugestimmt. Vor allem wünschten sie, daß bei den Verhandlungeh jede Disputation oder Vergleichung über ein­ zelne Lehrstücke vermieden und lediglich ein allgemeiner, äußerer Friede aufgerichtet werde. Bei den Zeremonien könne man nachgeben, soweit es mit Gottes Wort zu ver­ antworten sei. Sollte jedoch die Wiederunterwerfung der Geistlichen unter die Jurisdiktion der Bischöfe gefordert werden, so glaubten sie zu großer Vorsicht raten zu müs­ sen, da in diesem Fall die Gefahr bestünde, daß auf diesem Wege das gesamte Kirchenwesen wieder unter das Papst­ tum zurückgeführt werde. Die Ehegerichtsbarkeit sollte man den beiden Pröpsten von St. Sebald und St. Lorenz be­ lassen, wie sie dieselbe bisher gehabt, so zwar, daß die Appellation an den Bischof freistehen sollte. Das eingezogene Kirchengut könne man eventuell zurückgeben, wenn die Unterhaltung der Geistlichen und Schulen aus demselben gesichert würde. Unter dem Papsttum war es üblich gewesen, daß wenn ein Geistlicher ohne Testament verstarb, der Bischof erbberechtigt war. Für den Fall der Wiederunterstellung der Geistlichen unter den Bischof ver­ langten nun die Nürnberger Theologen die Sicherstellung des Erbrechts für ihre Hinterbliebenen. Sogar das Ordi­ nationsrecht wollten sie dem Bischof wieder zugestehen, nur verlangten sie von der Verpflichtung frei zu bleiben, in der Messe für Lebende und Tote zu opfern und ehelos zu

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leben. Endlich sprachen sie sich dafür aus, daß die Geist­ lichen erst nach einer gewissen Bewährungsfrist endgültig angestellt würden und im Fall der Untauglichkeit und Un­ würdigkeit abgesetzt werden könnten 10). Diese Vorschläge fanden auch die Zustimmung des Rats, der sie nun auch seinen Gesandten als Richtschnur nach Schweinfurt mitgab. Doch wurden letztere angewie­ sen, dieselben geheim zu halten, da sie die äußerste Grenze darstellten, bis zu der man in der Nachgiebigkeit gehen wollte. In besonderen Fragen sollten sich die Gesandten stets vor ihrer Stellungnahme Weisung vom Rat erholen. Um einen raschen Briefverkehr mit den Gesandten zu er­ möglichen, wurden nach dem etwa in der Mitte zwischen Nürnberg und Schweinfurt gelegenen Elsendorf im Steiger­ wald zwei Postteiter gelegt, welche auch den Markgräf­ lichen zur Verfügung stehen sollten 1X). Mit dem Nürnberger Programm war man auch in Ans­ bach einverstanden. Insbesondere hatte man auch hier ernstliche Bedenken gegen die Wiederherstellung der bischöflichen Jurisdiktion. Diese könne man sich nur gefal­ len lassen gegen die Zusicherung eines ,,Tutus accessus“, d. h. eines freien und sicheren Geleits für jeden Geistlichen, was auch die Nürnberger Theologen gefordert hatten 12). Außer dem Landgrafen Philipp von Hessen, Herzog Ernst von Lüneburg und dem Markgrafen von Brandenburg, welche sich durch ihre Gesandten vertreten ließen, waren die evangelischen Fürsten und Grafen persönlich erschienen. Für den kränklichen Kurfürsten Johann von Sachsen war dessen Sohn Herzog Johann Friedrich anwesend und führte den Vorsitz. Von den Reichsstädten waren durch eigene Gesandte vertreten: Nürnberg, Straßburg, Lübeck, Kon­ stanz, Ulm, Magdeburg, Braunschweig, Eßlingen, Reut­ lingen, Memmingen, Kempten, Lindau, Hamburg und Nord­ hausen 13). 10) u) 12) 13)

A. R. A 18 Bl. 89. Briefb. 104 Bl. 140 v; A. R. A. 18 Bl. 89 u. 109. A.R.A. 18 Bl. 105. S. I. L. 78 Nr. 20 b Prod. 3.

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Am Ostermontag, den i. April, versammelten sich auf Einladung der beiden Kurfürsten von Mainz und von der Pfalz die evangelischen Fürsten und deren Räte, wie die Botschaften der Fürsten und Reichsstädte auf dem Rathaus. Der Mainzer Kanzler Dr. Türk eröffnete die Verhandlung mit der Mitteilung, es sei der Wunsch des Kaisers, daß der Zwiespalt im Glauben „zu einem Vertrag und friedlichen Anstand“ gestellt werden möchte. Dazu sollten Mittel und Wege gefunden werden. Nun hatte Dr. Türk bereits bei seiner Zusammenkunft mit Dr. Brück in Bitterfeld diesem sechs Artikel genannt, welche als Grundlage für die Frie­ densverhandlungen dienen sollten, und beide hatten sich damals auch zunächst unverbindlich über diese Artikel aus­ gesprochen. Schon aus diesen Artikeln war zu ersehen, daß man den Evangelischen nicht etwa einen beständigen Frie­ den durch völlige Duldung, sondern nur einen beschränkten Waffenstillstand gewähren wollte. Noch deutlicher trat das zutage aus der Instruktion, welche der Kaiser den beiden Unterhändlern für ihre Verhandlungen mit den evangeli­ schen Ständen unter dem 7. Februar 1532 erteilt hatte, die zugleich eine bestimmte Formulierung seiner Bedingungen und Forderungen enthielt14). Vom Standpunkt des Kaisers aus gesehen war es gewiß ein großes Entgegenkommen, wenn dieser jetzt den Glau­ bensstand der Evangelischen, wie er in dem Augsburgischen Bekenntnis seinen Ausdruck gefunden hatte, überhaupt ein­ mal anerkannte und gelten ließ. Aber schon diese Anerken­ nung war zeitlich beschränkt. Nur bis zur endgültigen Ent­ scheidung, welche ein Konzil über jenen Glaubensstand tref­ fen würde, sollte sie Geltung haben. Zu dieser zeitlichen Beschränkung hatte der Kaiser seinem Entgegenkommen noch andere Grenzen gesetzt. Nur die bisherigen Anhänger und Bekenner der Augsburgsichen Konfession wollte der Kaiser bis zum Konzil dulden, keineswegs aber die Zwinglischen und Wiedertäufer. Ferner sollte jede weitere Aus­ breitung des evangelischen Glaubens in anderen als den bis14) Bucholtz IX. S. 28.

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herigen Gebieten verhindert werden und der Zurückführung der Abgewichenen zur römischen Kirche sollten die Wege offen bleiben. Zugleich sollten auch noch weitere politische Ziele erreicht werden. Nicht nur für die Türkenhilfe sollten die evangelischen Stände durch den zu schließenden Frieden gewonnen werden, auch die Anerkennung der Wahl Fer­ dinands zum römischen König, welche die Glieder des Schmalkaldischen Bundes bisher verweigert hatten, wie end­ lich die Auflösung dieses Bundes sollte der Preis des Frie­ dens sein. So enthielt der Friedensvertragsentwürf, welchen der mainzische Kanzler am i. April im Auftrag der beiden Kur­ fürsten den evangelischen Ständen vorlegte, folgende Be­ stimmungen: 1. Der Kurfürst von Sachsen und seine Glaubens­ verwandten sollten sich verpflichten, bis zu dem in Aussicht genommenen Konzil über die von ihnen zu Augsburg übergebene Konfession und Assertion hin­ aus keine weiteren Neuerungen vorzunehmen; 2. den Zwinglischen und Wiedertäufern sollten sie weder anhangen noch beistehen oder Gunst erzeigen; 3. keine der beiden Parteien sollte die Untertanen der anderen an sich ziehen oder annehmen und schützen, sondern jeden auf seinem Stand bleiben lassen; 4. die Anhänger der Augsburgischen Konfession sollten bis zum Konzil nichts predigen und in Glaubens­ sachen nichts durch den Druck veröffentlichen, was in ihrem Bekenntnis nicht enthalten sei; 5. keine der beiden Parteien sollte außerhalb ihres Lan­ des und Gebietes predigen lassen, keine sollte gegen die andere Schmähliches und Lästerliches reden oder schreiben; 6. bezüglich der Jurisdiktion der Bischöfe, der kirch­ lichen Gewohnheiten und Gebräuche in den evangeli­ schen Gebieten sowie bezüglich des Kirchengutes soll ebenfalls nichts Neues vorgenommen werden; viel­ mehr sollen Mittel und Wege gesucht und gefunden werden, um eine Ordnung alles dessen herbeizufüh-

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ren, die dem Kaiser und allerseits erträglich und zum Frieden dienlich wäre; 7. es soll auch guter Friede von beiden Teilen, von denen, die am alten Glauben hangen, wie von den Evangeli­ schen, gehalten werden; beide Teile sollen sich um ein baldmöglichstes Zustandekommen des Konzils be­ mühen, durch welches der Zwiespalt und die Be­ schwerden beigelegt würden, wofür auch der Kaiser seinerseits eintreten werde; auch sollten die evan­ gelischen Fürsten und Stände alles tun und leisten, was zur Wohlfahrt, Sicherheit und Ruhe und zur Er­ haltung der deutschen Nation dienen könne, die bereits zu Augsburg beschlossene und von ihnen zugesagte Türkenhilfe leisten und mit den übrigen Reichs­ ständen in der Ausführung der bisher gefaßten und noch zu fassenden Reichstagsbeschlüsse wie auch in anderen als den Glaubensfragen Zusammenarbeiten; 8. endlich sollten die evangelischen Stände dem Kaiser und dem römischen König ohne Widersetzung gehor­ sam sein, den gegen beide und die Altgläubigen ge­ schlossenen Bündnissen als unnötig entsagen, worauf zu hoffen wäre, daß auch der Kaiser und der König alles Mißfallen und allen Unwillen gegen die Evan­ gelischen fallen lassen, alle bisherigen Beschwerden vergessen und ihr gnädiger Kaiser und König sein und bleiben wolle. Würden diese Bestimmungen von den evangelischen Ständen* bewilligt und erfüllt, so könnte die Zusicherung eines gemeinen Friedens bis zu einem Konzil in Aussicht gestellt werden 15). Zur Beratung darüber, was auf diese Vorlage zu ant­ worten sei, bildeten die Evangelischen einen Ausschuß, in welchen die Fürsten und Grafen je 2 Räte, die Städte aber insgesamt 6 Vertreter abordneten, welch letztere von Nürn­ berg, Straßburg, Lübeck, Konstanz, Ulm und Magdeburg gestellt wurden. Nürnbergs Vertreter war Bernhard Baumlö) S. I. L. 78 Nr. 20 Prod. 4.

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gärtner. Dieser Auschuß trat sofort am dritten Oster­ tag zusammen, um mit der Beratung zu beginnen. Inzwischen hatte Herzog Johann Friedrich den Ver­ tragsentwurf näher angesehen und gefunden, daß in dem­ selben Bestimmungen enthalten seien, welche nicht alle Evangelischen gleichmäßig, sondern jeweils nur bestimmte Gruppen angingen. Während nämlich alle hier vertretenen evangelischen Stände als Anhänger der Augsburgischen Konfession galten, hatten sich einige, wie Markgraf Georg, Nürnberg und Kempten dem Schmalkaldischen Bund nicht angeschlossen; wiederum hatten nur die Fürsten den Bru­ der des Kaisers als römischen König abgelehnt, während die Städte an dieser Ablehnung unbeteiligt waren. Von den im 8. Artikel der Vorlage enthaltenen Forderungen wurden also die am Schmalkaldischep Bund bzw. die an der Ab­ lehnung des römischen Königs Unbeteiligten nicht berührt, und die Fürsten wollten dieselben daher bei der Beratung der sie nicht berührenden Bestimmungen nicht gegenwärtig haben. So ließ Herzog Johann Friedrich durch seinen Kanz­ ler Dr. Brück in der ersten Ausschußsitzung vom 2. April eine Teilung des Ausschusses in drei Gruppen vorschlagen, so daß jede Gruppe das, was sie betraf, für sich berat­ schlagen und ein schriftliches Gutachten darüber abgeben sollte. Die markgräflichen Räte mit den Gesandten Nürn­ bergs und Kemptens sprachen gegen eine derartige Son­ derung. Sie erklärten, sie wären von selbst entschlossen gewesen, an der Beratung und Beantwortung der Punkte, die sie nicht berührten, nicht teilzunehmen, Darum hätte es einer solchen Trennung nicht bedurft. Wolle man eine solche trotzdem, so möge man wenigstens über die erste und wichtigste Bestimmung, an der alle gleicherweise be­ teiligt seien, und um deren willen dieser Tag vor allem aus­ geschrieben worden sei, gemeinsam beraten. Dr. Brück lehnte jedoch diesen- Antrag ab mit der Begründung, die einzelnen Artikel hingen derart miteinander zusammen, daß, wenn man mit einem derselben anfange, dieser auch den andern auf seinem Rücken trage. So blieb es bei der

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Trennung. Die erste Gruppe des Ausschusses bildeten die Räte und Botschaften der Fürsten, die markgräflichen aus­ geschlossen, während in der zweiten Gruppe die letzteren mit den Vertretern Nürnbergs und Kemptens, in der drit­ ten aber die übrigen Städte vereinigt waren16). Die Fürsten und Städte sahen sich veranlaßt, bevor sie den Vertragsentwurf beantworteten, zu einzelnen Artikeln desselben um eine Erläuterung zu bitten. Vor allem woll­ ten sie Klarheit darüber haben, welche Stände zu den im ersten Artikel erwähnten „Mitverwandten“ des Kurfürsten von Sachsen, für welche der Friedensvertrag gelten sollte, von den Unterhändlern gerechnet würden. Davon hing ja sehr viel ab, und während der weiteren Verhandlungen spielte diese Frage eine große Rolle. Ferner war den Evangelischen das Konzil, welches endgültig über die Glaubensfrage entscheiden sollte, nicht deutlich genug, nämlich nicht als ein „gemeines, freies, christliches und in deutscher Nation zu haltendes“ bezeichnet, wie es wieder­ holt auf den letzten Reichstagen gefordert und beschlossen worden war. Darum suchten sie auch hier eine genauere Bezeichnung zu erreichen. Weiter wollten sie wissen, ob das Verbot von Neuerungen sich nur auf die Lehre oder auch auf die Zeremonien beziehe; sodann, ob auch die Aufnahme flüchtiger Glaubensgenossen aus anderen Ge­ bieten ihnen untersagt werden wolle. Zum sechsten Artikel wünschten sie zu erfahren, welche Mittel die Unter­ händler als zum Frieden in dem Streit um die bischöfliche Jurisdiktion und das Kirchengut dienlich erachteten. Daß sie im siebenten Artikel als die „vom alten Glauben Ab­ gewichenen“ bezeichnet wurden, müßten sie ablehnen. End­ lich wünschten sie zu wissen, wie die evangelischen Stände nach der Meinung und dem Willen des Kaisers und der Unterhändler das Konzil fördern sollten und könnten 17). Das Schriftstück, in welchem diese Aufklärungen er­ beten werden sollten, legten die Fürsten am 3. April der zweiten Gruppe des Auschusses zu deren Zustimmung vor. 10) A. a. O. Prod. 5. 17) A. a. O. Prod. 9 B.

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Dabei trat die Spannung, welche zwischen den evangelischen Fürsten und der markgräflich-nürnbergischen Gruppe be­ stand, noch stärker hervor, als sie sich schon bei der Tei­ lung des Ausschusses gezeigt hatte. Bei der Verlesung des genannten Schriftstückes war nämlich den Nürnbergern und den Markgräflichen aufgefallen, daß in demselben Straßburg und andere als zwinglisch bekannte Städte als Anhänger der Augsburgischen Konfession bezeichnet waren. In Augsburg hatte nämlich Straßburg die Unterzeichnung der Konfession abgelehnt, da es sich über den Artikel io derselben mit den Lutheranern nicht hatte einigen kön­ nen, und mit Konstanz, Memmingen und Lindau ein eigenes Bekenntnis übergeben hatte. Später aber war man mit Straßburg und dann auch mit den übrigen drei Städten zu einer Verständigung gekommen, sodaß man in Sachsen nun kein Bedenken mehr trug, sie in die Konfession und in den Schmalkaldischen Bund aufzunehmen. Das scheint den nürnbergischen und den branden­ burgsichen Gesandten unbekannt geblieben zu sein. Des­ halb stellte der markgräfliche Kanzler Dr. Heller bei dieser Gelegenheit die Frage, zu welcher Zeit und inwieweit sich jene Städte dem Bekenntnis angeschlossen hätten, wäh­ rend doch ihre Prediger und Theologen bis auf diesen Tag anders lehrten und andere Gebräuche hielten, als die Kon­ fession und deren Apologie auswiesen. Wiewohl nun Dr. Heller diese Frage „aufs allerglimpflichst“ gestellt hatte, erregte sie bei den andern Gruppen großen Unwillen und veranlaßte eine eingehende Beratung bei der Fürsten­ gruppe, zu welcher auch Straßburg, Ulm und Konstanz, eben jene Städte, um welche es sich handelte, zugezogen wurden. In der Nachmittagsversammlung gab dann Dr. Brück in längerer Rede die Antwort. Er erinnerte an die mehrfachen Verhandlungen, welche von dem Tag zu Rodach an mit den zwinglischen und anderen Städten stattgefunden und bei denen die evangelischen Fürsten Bedenken getragen hätten, sich mit jenen Städten in ein Verständnis einzulas­ sen. Aber gerade Nürnberg sei schon 1529 dafür eingetre­ ten, daß man jene Städte nicht abweisen solle. Ja, Nürn-

33 berg habe damals lieber auf ein Bündnis mit Sachsen ver­ zichtet, als daß es jene Städte aufgegeben hätte. Insbeson­ dere habe sich Lazarus Spengler damals für jene Städte ein­ gesetzt. Nachdem diese dann in Schmalkalden, wo der markgräfliche Kanzler Vogler und der Nürnberger Christoph Kreß zugegen gewesen, die ausdrückliche Erklärung ab­ gegeben hätten, daß sie der Augsburgischen Konfession anhängen und bei ihr bleiben wollten, eine Erklärung, die sie auch jetzt mündlich und schriftlich wiederholt hätten, habe man sie aufnehmen müssen, da man doch nicht um­ hin könne, deren Erklärungen für aufrichtig zu halten. Wenn es nun auch in den Zeremonien und Gebräu­ chen beim heiligen Abendmahl in jenen Städten nicht völlig gleich mit den andern gehalten werde, so. sei daran nicht viel gelegen. Nürnberg habe ja auch seine Besonderheiten, ja es halte, wie der lüneburgische und der hessische Kanzler dazu bemerkten, dem Kaiser zu lieb sogar noch die Messe, welche der Konfession noch viel mehr widerspreche, als die Abendmahlsordnung jener Städte — ein Vorwurf, der freilich nicht ganz zu den Tatsachen stimmte. Brück warf sogar den Nürnbergern vor, sie hätten die Uebergriffe des Kammergerichts gegen Evangelische gebilligt und sich auf dessen Seite gestellt! Ueber diese Auseinandersetzung berichteten die Nürn­ berger Gesandten ihren Herren Aeltern, es seien ,,manche höhnisch Wort“ und sogar eine Andeutung gefallen, als wüßten die Nürnberger zweien Herren zu dienen. Ueberhaupt, so schließen sie ihren Bericht, habe man sie ,,wohl gestriegelt“. Aber sie hätten sich zum Besten verant­ wortet und verteidigt. Bezüglich der ehemals zwinglischen Städte erklärten sie vor dem Ausschuß, ihre Absicht wäre nicht gewesen, jemand auszuschließen, sie hätten ihre An­ frage in guter Meinung gestellt, um ihren Herren rechten Bericht erstatten zu können. Wenn sich jene Städte der Konfession gemäß halten wollten, was sich ja in Zukunft erweisen werde, seien sie wohl zufrieden. Es sei ja wohl bekannt, daß Nürnberg eine einhellige Kirchenordnung für alle Evangelischen angestrebt habe, und an ihnen habe 3

34 es nicht gefehlt, wenn man es bisher zu einer solchen nicht gebracht habe. Aber Nürnberg habe seine Bemühungen darum noch nicht aufgegeben 18). Zwischen der Fürstengruppe und der markgräflichnürnbergischen scheint überhaupt auf dem Tag zu Schweinfurt eine ziemlich gereizte Stimmung geherrscht zu haben. Auf der Seite der Fürsten und wohl auch bei manchen Städten trug man es den Markgräflichen und besonders auch Nürnberg nach, daß sie sich dem Schmalkaldischen Bund versagt hatten. Man hatte kein rechtes Vertrauen mehr zu ihnen, wie auch umgekehrt die Nürnberger Ge­ sandten in ihren Berichten an den Rat wiederholt durchblicken ließen, daß Mißstimmung und Mißtrauen zwischen ihnen und den Schmalkaldischen stand. So schrieben sie schon am 2. April in ihrem ersten Brief: „Wir besorgen, es möcht sich allerlei Handlung zutragen, und der Fried eher auf unsrer Seite erwinden, als auf der andern“ 19). Dann am 6. April: „Wir können wenig Trosts schöpfen, daß die Sach vertragen werde, denn wir sehen, daß man mehr das Zeitliche vor Augen hält, denn Gottes Ehre sucht und die in der Verständnis (d. h. die dem Schmal­ kaldischen Bund Angehörenden) die lieb Kind sein, aber unser als des kleinen Häufleins gar wenig geachtet wirdet“ 20),. Nun darf nicht verschwiegen werden, daß das Miß­ trauen, welches die Schmalkaldischen in jenen Tagen gegen Nürnberg hegten, nicht ganz unberechtigt erscheint. Im Nürnberger Rat verfügte man jetzt nicht mehr über das Maß an Festigkeit und Entschiedenheit, das derselbe bis­ her, namentlich auf den letzten Reichstagen zu Speyer und Augsburg, bewiesen hatte. War man auch in der Lehre und im Glauben fest geblieben, so war man doch in der Vertretung des protestantischen Standpunktes etwas zag­ haft geworden. Mit der Politik des Schmalkaldischen Bundes war man . nicht einverstanden. Dieser forderte 18) A. a. O. Prod. 8. 19) A. a.O/Prod.2. *°) A. a. O. Prod. 8.

35 nach Nürnbergs Meinung zu viel. Mit dem Kaiser wollte man es nicht ganz verderben und suchte Alles zu ver­ meiden, womit man dessen Gunst verscherzen konnte. Eine gewisse Neigung zum Nachgeben, wo es irgend anging, hatte Platz gegriffen. Ja auch eine Neigung, eigene, be­ sondere Wege zu gehen. Es klang doch recht bedenklich, wenn die Nürnberger Gesandten in ihrem nach der eben geschilderten Aussprache mit den Räten der evangelischen Fürsten erstatteten Bericht an den Rat fortfuhren: „Mögen dem Eure Weisheit nachdenken, was ihnen für sich selbst samt dem Markgrafen für das best zu tun, oder bei kaiser­ licher Majestät und sonst zu handeln fügen will; vielleicht möcht es gar zu einem guten End schicken“! Sie empfah­ len damit dem Rat, noch ehe die Verhandlungen recht begonnen hatten, in einem Augenblick, wo feste Geschlos­ senheit und einmütiges Zusammenstehen der Evangelischen unbedingte Notwendigkeit und Pflicht war, den um die Augsburgische Konfession geschlossenen Kreis zu ver­ lassen und hinter dem Rücken der Glaubensgenossen in Son­ derverhandlungen einzutreten! In ihrer Antwort auf die Bitte der Evangelischen um nähere Erläuterung ihrer Friedensvorschläge bestätigten die beiden Kurfürsten, daß zu den Ständen, welche in den Frieden einbezogen sein sollten, alle diejenigen zu rechnen seien, welche das Augsburgische Bekenntnis als ihre Lehr­ norm angenommen hatten, wie sie in der Anfrage der Evangelischen namentlich aufgezählt worden waren, näm­ lich der Kurfürst Johann von Sachsen und dessen Sohn Herzog Johann Friedrich, Markgraf Georg von Branden­ burg, Landgraf Philipp von Hessen, die Herzoge Philipp, Ernst und Franz von Braunschweig-Lüneburg, Ernst und Wolfgang zu Anhalt, die Grafen Gebhard und Albrecht von Mansfeld; ferner die Städte Nürnberg, Straßburg, Ulm, Konstanz, Biberach, Isny, Reutlingen, Eßlingen, Memmin­ gen, Lindau, Heilbronn, Kempten, Weißenburg, Winds­ heim, Lübeck, Braunschweig, Magdeburg, Bremen, Goslar, Einbeck und Göttingen. Damit war die Augsburgische Konfession anerkannt 3*

36 und allen denen, die sich zu ihr bekannten, das Recht ge­ geben, bis zum Konzil nach derselben zu leben. Das zu berufende Konzil bezeichneten die Kurfürsten in ihrer Ant­ wort zwar als ein „christliches“, es aber zugleich als ein „freies“ zuzugestehen und festzulegen, umgingen sie. Ebenso wollten sie die Abhaltung desselben auf deutschem Boden nicht zugestehen, obwohl den Evangelischen an der Frei­ heit des Konzils und an der Ausschaltung überwiegend welschen Einflusses auf dasselbe viel gelegen war. Das Verbot der Aufnahme von Glaubensgenossen aus anderen, katholischen, Gebieten wollten die Kurfürsten als „zur Er­ haltung der Einigkeit und des Friedens notwendig“ auf­ recht erhalten wissen. Nur mit Erlaubnis der katholischen Obrigkeit sollte eine Auswanderung in evangelische Ge biete möglich sein. Bezüglich der bischöflichen Jurisdiktion, der Ordnungen und Zeremonien, wie auch der Kirchen­ güter wurde zugestanden, daß es damit bis zur Entscheidung durch das Konzil bei dem bisherigen Stand bleiben solle. Den Ausdruck endlich, in welchem die Evangelischen den Vorwurf beanstandeten, als wären sie vom altchristlichen Glauben abgefallen, erklärten die Unterhändler fallen lassen zu wollen 21). Mit diesen Erklärungen und Zugeständnissen waren nun freilich keineswegs alle Wünsche der Evangelischen erfüllt. Es galt nun die weiteren Wünsche anzumelden und geltend zu machen. Dies sollte in der Weise geschehen, daß die Fürsten zunächst die Gutachten der beiden anderen Gruppen einholten, um aus deren und den eigenen For­ derungen die Gegenvorschläge der evangelischen Gesamtheit zu formulieren und den Unterhändlern einzureichen. Die erste Gruppe, welche ihr Gutachten einreichte, waren Bran­ denburg, Nürnberg und Kempten. Diese verlangten vor allem, daß in den Frieden nicht nur die bisherigen Anhän­ ger der Augsburgsichen Konfession, sondern auch alle die­ jenigen eingeschlossen würden, welche dieselbe auch noch in Zukunft annähmen. Nachdrücklich betonten sie, daß sie ein allgemeines, freies Konzil in deutschen Landen haben 21) A. a. O. Prod. io D.

37 wollten. Zum dritten Artikel schlugen sie als Antwort vor, daß die evangelischen Stände niemand zu ihrem Glau­ ben herüberziehen und dringen, sondern jedermann die Frei­ heit eigener Entscheidung lassen wollten, daß sie aber sol­ chen, die aus eigenem Antrieb sich zum evangelischen Glauben wenden wollten, die Türe nicht verschließen könn­ ten, nachdem sie überzeugt seien, daß ihre Lehre in Gottes Wort gegründet sei. Zum vierten Artikel empfahlen sie zu betonen, daß bei ihnen wissentlich niemand gestattet werde, zu predigen, zu schreiben oder drucken zu lassen, was ihrem Bekenntnis entgegen sei. Doch wollten sie die Bestimmung dieses Artikels nicht so verstanden wissen, als dürfte nur das gepredigt, geschrieben oder gedruckt wer­ den, was in ihrem Bekenntnis wörtlich enthalten sei. Zum fünften Artikel wünschten sie die Erklärung, es denke bei den Evangelischen niemand daran, in eines andern Gebiet gegen dessen Willen predigen zu lassen, doch könnten sie, wenn sich jemand für berufen halte, zu predigen, ihn nicht daran hindern. Ein solcher tue das auf eigene Verant­ wortung. Andere mit Schmähreden anzutasten, liege ihnen fern. Wenn jedoch Gottes Wort selbst etwas enthalte, wodurch sich jemand unangenehm berührt fühlte, so könn­ ten sie darin dem Wort Gottes keinen Abbruch tun und auch niemand zu solchem verpflichten. Zu Punkt 7 möge man versichern, die evangelischen Stände seien bereit zu Allem, was der Wohlfahrt, Sicherheit und Ruhe der deut­ schen Nation dienlich sei, das Ihrige zu leisten. Jedoch sich zum voraus auf künftig erst zu fassende, ihnen noch un­ bekannte Beschlüsse zu verpflichten, sei bisher nicht Brauch gewesen, und sie könnten das auch jetzt nicht tun. Zum achten Artikel endlich glaubten sie keine Antwort geben zu müssen, da die darin enthaltenen Forderungen ihre Herr­ schaft nicht berührten. Sie gehörten weder einem „Ver­ ständnis“ an, noch hätten sie weder dem römischen König noch dem Kaiser den Gehorsam versagt22). Von diesem ihrem Gutachten hatten die Nürnberger Gesandten eine Abschrift an ihren Rat übersandt, der ihnen 22) A. a. O. Prod. 6.

3« am io. April seine Zustimmung und Anerkennung aus­ sprach 23). Auch von dem Gutachten der übrigen Reichsstädte hatten die Nürnberger durch Vermittlung Dr. Hellers eine Abschrift erhalten und an ihren Rat übersandt. Dieses Gutachten erklärte von vornherein die Friedensbedingun­ gen für unannehmbar. Ihr Einwand, daß man aus demselben nicht klar sehen könne, welche Stände in den Frieden ein­ bezogen seien, war allerdings durch die inzwischen er­ folgte Erläuterung der Kurfürsten hinfällig geworden. Aber die Städte hatten noch andere Bedenken. Würde das Ver­ bot von Aenderungen auch auf die Zeremonien bezogen, so müßten sie das ablehnen. Das allgemeine Verbot der Ge­ meinschaft mit den Zwinglischen und Wiedertäufern wünsch­ ten sie so gefaßt, daß die • Evangelischen keine Gemein­ schaft haben sollten mit solchen, welche bezüglich der bei­ den Sakramente anders als die Konfession lehrten. Ferner forderten sie nachdrücklich die Freiheit eigener Entschei­ dung für jedermann in Glaubenssachen und wollten nicht gezwungen werden, solche, die um ihres Glaubens willen verfolgt zu ihnen fliehen, auszuliefern. Ueber die bischöf­ liche Jurisdiktion und die geistlichen Güter wollten sie sich erst dann äußern, wenn ihnen die „ziemlichen Mittel“ er­ öffnet seien, welche zu diesem Artikel in Aussicht gestellt waren, eine Erklärung, welche ebenfalls durch die Erläute­ rung der Kurfürsten überholt war. In der Forderung eines „freien Konzils in deutscher Nation“ stellten sie sich auf die Seite der anderen. Auf künftige, ihnen noch un­ bekannte Beschlüsse wollten auch sie sich nicht verpflich­ ten lassen. Wenn sie erklärten, daß sie von einem „Ver­ ständnis gegen den Kaiser“ nichts wüßten, so wollten sie damit betonen, daß der Schmalkaldische Bund, dem sie allerdings angeschlossen waren, nur zur Verteidigung und nicht zum Angriff geschlossen sei. Schließlich wünschten sie für den Friedensvertrag eine Bestimmung, welche ihnen Sicherheit gebe, daß derselbe vom Kaiser oder König nicht beliebig aus eigener Machtvollkommenheit aufgehoben 2S) Briefb. 104 Bl. 161.

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oder etwas dagegen gehandelt werden könne, desgleichen eine Bestimmung darüber, wer bei etwaigen Differenzen in der Auffassung und Auslegung der einzelnen Vertrags­ bestimmungen entscheiden solle 24). Bevor nun die evangelischen Fürsten die Friedens­ vorschläge der beiden Kurfürsten beantworten konnten, mußten dem Ausschuß noch die Erläuterungen bekannt­ gegeben und von diesem beraten werden, welche inzwischen eingelaufen waren. Auch das geschah nun wieder, wie die Nürnberger ihrem Rat am 9. April berichteten, möglichst umständlich, nämlich wieder in drei getrennten Gruppen. Wohl hatten sich die Nürnberger mit den Markgräflichen alle Mühe gegeben, bei den fürstlichen Räten eine gemein­ schaftliche mündliche Beratung durchzusetzen, jedoch ver­ gebens. So wurde denn wieder mit schriftlichen Gutachten gearbeitet. Die Markgräflichen, Nürnberg und Kempten glaubten in ihr diesmaliges Gutachten auch eine Sicherung gegen eine etwaige Wiederherstellung der bischöflichen Juris­ diktion über die Evangelischen, sowie auch eine solche für ihre Einkünfte an Zehnten, Zinsen und Gülten einfügen zu sollen. Nürnberg hatte mit einem Zehnten aus Iphofen un­ angenehme Erfahrungen gemacht und darum die Sache angeregt. Auch wurde bei dieser Gelegenheit aufs neue betont, daß in den Frieden nicht nur die jetzigen, sondern auch die künftigen Anhänger der Konfession einzuschließen seien, ebenso auch, daß das Konzil ,,ein frei, gemein, christ­ lich Konzil in deutscher Nation“ sein müsse. Gegenüber der Bestimmung, daß Evangelische aus katholischen Gebie­ ten nur mit Erlaubnis ihrer bisherigen Obrigkeit aus­ wandern und in evangelischen Gebieten aufgenommen wer­ den dürften, schlugen sie jetzt eine Milderung in der Weise vor, daß in Fällen, in denen Evangelische trotz ihrer Bereit­ willigkeit zur Erfüllung aller üblichen Bedingungen, wie Leistung der Nachsteuer und dergleichen, keine Erlaubnis zur Auswanderung erhielten, die evangelische Obrigkeit, unter die sie ziehen wollten, nicht gehalten sein sollte, solche 24)

S. I. L. 78 Nr. 20 b Prod. 9 C.

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Auswanderer abzuweisen. Dagegen waren sie damit ein­ verstanden, daß Klöster, Stifte, Propsteien und andere Prä­ laturen mit ihren Gütern hiervon ausgenommen sein sollten. Ihren Standpunkt, daß nur solches zu predigen oder zu ver­ öffentlichen verboten sein sollte, was mit ihrer Konfession nicht übereinstimmte, glaubte die Gruppe nicht aufgeben zu dürfen; ebensowenig den bezüglich der zu verbietenden Schmähungen und Lästerungen. Bezüglich der Jurisdiktion der Bischöfe, der kirchlichen Ordnungen und Zeremonien wie der geistlichen Güter wies die Gruppe erneut auf die Bemühungen Nürnbergs und Brandenburgs hin, zur Ueberwindung aller Mißbräuche und alles ärgerlichen Zwiespalts eine gemeinsame und gleichmäßige Kirchenordnung zu schaffen, was allerdings bisher nicht gelungen war, sö daß Nürnberg und Branden­ burg sich gezwungen sahen, nur für sich eine gemeinsame Ordnung aufzurichten. Sie teilten mit, dieselbe sei nun soweit fertiggestellt, daß sie nur noch der Begutachtung durch etliche auswärtige Theologen harre, um dann in Gebrauch genommen zu werden. Angesichts dessen wäre ihnen ein allgemeines Verbot von Neuerungen auf diesem Gebiet be­ schwerlich. Darum müßten sie darum bitten, daß bis zum Konzil nichts bestimmt werde, was ihre Kirchenordnung gefährden könnte. Ferner erinnerte die Gruppe daran, daß die Evangeli­ schen bisher sowohl vom Schwäbischen Bund, als auch vom Kammergericht und von anderen Seiten um ihres Glaubens willen wie auch wegen der bischöflichen Juris­ diktion und der geistlichen Güter vielfach angefochten, und daß deshalb trotz eingelegter Protestation und Appellation und trotz geltend gemachter Exzeptionen Mandate und Er­ kenntnisse gegen sie erlassen worden seien, und daß sie auch jetzt noch beständig solchen Verfahrens gewärtig sein müßten. Sollte nun ein wirklicher Friede aufgerichtet wer­ den, so müßte die Forderung erhoben werden, daß mit der Aufrichtung des Friedens auch alles derartige Vorgehen gegen sie eingestellt und an allen Orten abgetan werde, Nachdem endlich den evangelischen Ständen bzw. deren

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Stiftungen und Klöstern wiederholt liegende Güter, Zehnten, Gülten und andere Nutzungen eingezogen und vorenthal­ ten oder Leistungen an solche verboten würden, woraus viel Streit und Irrungen erwüchsen, müßten sie sich versichern, daß solches in Zukunft unterlassen, und, was genommen und vorenthalten würde, alsbald nach Aufrichtung des Frie­ dens unverzüglich und unbeschränkt zurückgegeben und nichts dergleichen wieder genommen werde 25). Dieses zweite Gutachten der Gruppe Brandenburg— Nürnberg—Kempten, welches das erste in wichtigen Punk­ ten ergänzte, veranlaßte zusammen mit dem, nach seinem Inhalt uns unbekannten, zweiten Gutachten der übrigen Städte eine weitere mündliche Beratung des vereinigten Ausschusses in der sächsischen Kanzlei, aus welcher Ver­ handlung schließlich am Samstag nach Ostern eine Antwort der evangelischen Stände zustande kam, welche sodann den beiden Kurfürsten übergeben wurde. Mit dieser Antwort waren die Nürnberger Gesandten, wie aus deren Schreiben an ihren Rat vom 9. April hervor­ geht, wenig zufrieden. Den Anregungen, welche die Mark­ gräflichen und Nürnberger zur Sicherung gegen geistliche Eingriffe und gegen die Wegnahme von Einkünften gegeben hatten, war von den fürstlichen Räten wenig Beachtung geschenkt worden. Insbesondere hatten die Lüneburgischen von einer solchen Sicherung nichts wissen wollen, wahr­ scheinlich deshalb, weil sie in deren Gebieten wohl mehr den Gegnern als ihnen selbst zu gut kam, während andrer­ seits die Städte auf eine solche Sicherung nicht verzichten wollten. Es dauerte längere Zeit, bis man sich einigte, und vielfach mußte der Entwurf der Antwort wieder geändert werden. Große Schwierigkeiten bereitete die Fassung des Artikels vom. Sakrament, da hier mehrere Städte sich mit den vorgeschlagenen Formulierungen nicht zufrieden geben wollten und noch im letzten Augenblick eine Aenderung durchsetzten. Die Nürnberger schrieben darüber an ihren Rat: ,,In Summa, wir hätten baß (besser) eines Unter­ händlers bedurft, der uns unter uns selbst concordiert, als 26) A. a. O. Prod. 13 E.

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uns im Haupthandel bisher not gewest ist.“ Die umständ­ liche, unpraktische Verhandlungs weise in dem dreifach geteilten Ausschuß verzögerte ebenfalls die Verhandlungen, so daß die beiden Kurfürsten sechs Tage lang auf die Ant­ wort der Evangelischen warten mußten und ,,etwas verdrussig“ wurden. Die Nürnberger und die Markgräflichen scheinen bei diesen Verhandlungen keinen leichten Stand gehabt zu haben infolge der Mißstimmung, welche bei den Fürsten und deren Räten gegen sie herrschte, weil sie dem Schmalkaldischen Bund fern geblieben waren, was ihnen bei dieser Gelegenheit von den hessischen und lüneburgi­ schen Räten wiederholt vorgehalten wurde 26). In der so zustandegekommenen Antwort erklärten die evangelischen Stände, als deren Mitverwandte hier auch die im ersten Verzeichnis versehentlich weggelassenen Städte Nordhausen und Hamburg nachgetragen wurden, daß sie bezüglich der Lehre bei ihrem zu Augsburg übergebenen Bekenntnis bleiben und nichts anderes predigen und lehren, schreiben und drucken lassen wollten, als was ihrem Be­ kenntnis und dessen Apologie gemäß sei. Auch bei den Zeremonien, Gewohnheiten und Bräuchen, welche sie als der in der Konfession niedergelegten Lehre und Gottes reinem Wort gemäß bei sich eingeführt und aufgerichtet hätten, und welche sie auch gegen Gott und das zu erwartende Konzil sich getrauten zu verantworten, wollten sie bis zu einem freien, gemeinen, unverdingten, christlichen Konzil in deut­ scher Nation, durch welche eine christliche Reformation der ungöttlichen Lehre und des Wandels wie der ungöttlichen Bräuche halben auf Grund des reinen Gotteswortes vor­ genommen werden solle, bleiben. Sie verpflichteten sich auch, neben den anderen Ständen des Reichs bei dem Kaiser mit allem Fleiß fördern und bitten zu helfen, daß es bald­ möglichst zu dieser Reformation durch das Konzil kommen möge, in der Zuversicht, daß auch der Kaiser es daran nicht fehlen lasse. Weiter wollten sie bei dem 1526 zu Speyer einmütig von allen Ständen gefaßten Beschluß und Abschied wie auch *6) A. a. O. Prod. 12.

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bei ihrer 1529 eingelegten Protestation und Appellation ver­ harren, worin ihnen von anderen Ständen bis zum Konzil nichts in den Weg gelegt werden möge. Sollten aber unter den evangelischen Ständen welche sein, die etwas gegen die Konfession lehrten und drucken ließen, so erklärten die den Vertrag schließenden Fürsten und Städte, daß sie diesen nicht anhangen noch beistehen wollten. Es sollte aber keine Partei ihre Untertanen um deßwillen, daß diese dem Glauben des andern Teils anhangen, wenn sie sich sonst der Aenderung an äußerlichen Bräu­ chen enthalten, an Leib und Leben oder Gut strafen, wie es bisher an vielen Orten geschehen, nachdem dadurch der Friede mehr als durch Worte zerrüttet werde. Dazu woll­ ten sich die evangelischen Stände schuldig erkennen, den in ihren Gebieten wohnenden Andersgläubigen auf deren Ansuchen zu gestatten, sich eigene Prediger zu halten. Sollte aber jemand, der unter einer Obrigkeit des andern Glaubens wohnt, in ein Gebiet seines Glaubens ziehen wol­ len, so sollte ihm das ohne Nachteil frei stehen, es sei denn, daß er in andern Dingen gefrevelt hätte, in welchem Fall man dem Kläger auch am Zufluchtsort des Frevlers über diesen Recht geben müßte. Es sollte auch keine Partei ihre Prediger in einem andern Gebiet predigen lassen, es sei denn mit Bewilligung der dortigen Obrigkeit oder auf der Reise eines Reichs­ standes, in welchem Fall ihm für sich und sein Gesinde die Predigt in seiner Herberge gestattet sein sollte. Ebenso sollte auf dem Kriegszug gegen die Türken im Heerlager oder auf Reisen in des Kaisers Geschäften die Predigt des Evangeliums den Beteiligten nach der Konfession und Apo­ logie und die Reichung des Sakraments nach Christi Ein­ setzung erlaubt sein. Zur Förderung des Friedens sollte überhaupt bis zum Konzil der Empfang des hl. Abendmahls in beider Gestalt überall unverboten sein. Es sollte auch keine Partei die andere mit Worten oder Werken schmähen, vielmehr sollten sie sich in äußer­ lichen Dingen gegeneinander freundlich halten, jedoch ohne daß offenbare Verfehlungen gegen Gottes Wort und grobe

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Sünden und Laster nachgesehen werden müßten. Denn Gottes Wort darf keinen Abbruch erleiden. In weltlichen Dingen aber solle das Recht entscheiden. Bei Gericht und bei der Bestzung von Reichsämtern solle wegen des Glau­ bens kein Unterschied gemacht werden. Bezüglich der geist­ lichen und Klostergüter, der Jurisdiktion und alles dessen, was mit der Religion mittelbar und unmittelbar zusammen­ hängt, möchten die Evangelischen bis zum Konzil un­ angefochten bleiben, und alle deshalb anhängig gemachten Prozesse, sei es am Kammergericht oder vor dem Schwä­ bischen Bund oder am Hofgericht zu Rottweil oder an an­ dern Orten, sollten abgestellt werden. Und wie auch die Kurfürsten, Fürsten und Stände des andern Teils wünsch­ ten, daß ihren Stiften, Prälaturen und Klöstern in den evan­ gelischen Gebieten nichts von ihren Gütern, Renten, Zin­ sen, Zehnten, Gülten und Nutzungen vorenthalten werden solle, so möge der Kaiser dafür sorgen, daß es auch dem evan­ gelischen Teil gegenüber bis zum Konzil ebenso gehalten werde. Doch ohne Abbruch für die betreffende Obrigkeit an ihrem Eigentum, Grund und Boden, Steuern und Rech­ ten, auch an besonderen Verträgen und Vergleichen aus früherer Zeit. Nachdem den Vertretern der evangelischen Stände nicht alle früheren Reichstagsbeschlüsse und Abschiede gegenwärtig sind, fällt es ihnen schwer, hierin über das hinaus, was sie bereits zugegeben haben, irgend etwas zu bewilligen. Doch wollen sie sich in alledem, was sie bis­ her bewilligt, und was auch in Zukunft zu des Reiches Ehre, Nutz und Wohlfahrt als dienlich befunden wird, unverweislich halten. Das gleiche versprechen sie auch für die Türkenhilfe. Dafür erwarten sie, daß auch der Kaiser für sich selbst und zwischen den Ständen einen allgemeinen Frieden auf­ richte und gegen den Landfrieden oder Recht und Billigkeit um keiner Sache willen jemand beschwere; daß der Kaiser auch weder von sich aus noch auf jemandes Anhalten etwas dagegen handle, oder in anderer Weise etwas verfüge, son­ dern ein friedlicher Anstand aufgerichtet und vollzogen

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und bestens versichert werde 27). Wir sehen, es war ein völlig neuer Entwurf zu einem Friedensvertrag, welchen hier die evangelischen Stände dem der beiden Kurfürsten entgegenstellten, und ganz neue Ge­ sichtspunkte und Grundsätze waren es, von denen sie dabei ausgingen. Sie begnügten sich auch nicht mit dem ihnen zugestandenen Recht, für sich bis zum Konzil nach ihrem Bekenntnis zu leben, dessen Sicherung für ihren Glaubens­ stand sie überdies noch durch die Apologie verstärkten, mit der sie in Augsburg ihr Bekenntnis gegenüber der katholischen Widerlegungsschrift verteidigt und aufrecht erhalten hatten. Sie forderten auch nicht nur aufs neue als Bürgschaft für den zu schließenden Frieden die Anerken­ nung des reichsrechtlichen Schutzes, den ihnen der Reichs­ tagsabschied von Speyer 1526 und ihre Protestatiön von 1529 für ihren Glaubensstand gegeben hatten; vielmehr suchten sie auch dem ihnen zugesagten Konzil, welches die Glaubensfrage endgültig lösen und entscheiden sollte, das in ihren Augen nötige Ziel und die allein genügende Auto­ rität zu geben und zu sichern, indem sie von demselben eine christliche Reformation der gesamten Kirche, ihrer Lehre und ihres Lebens erwarteten und zugleich die For­ derung erhoben, daß diese Reformation auf Grund des reinen Gotteswortes vorgenommen werde* Es war nur konsequent und durchaus modern gedacht, wenn die Evangelischen neben völliger gegenseitiger Toleranz auch völlige Gleich­ berechtigung mit den Katholiken namentlich bei den Ge­ richten und bei der Besetzung von Reichsämtern wie auch Freizügigkeit im ganzen Deutschen Reich für ihre Glau­ bensgenossen als Voraussetzungen und Bedingungen des Friedens forderten. Als selbstverständliche Wirkung dieses Friedens galt ihnen auch die Einstellung der Prozesse in Glaubenssachen. Man wollte eben aufs Ganze gehen! So erfreulich diese Entschiedenheit und dieses Ziel­ bewußtsein anmutet, so befremdlich erscheint es uns, daß diese Forderungen den Nürnberger Gesandten wie auch den Markgräflichen zu „weitläufig gestellt“ erschienen. 27) A. a. O. Prod. 14 F.

46 Sie glaubten, man habe damit zu viel gefordert28). Und doch hatten die evangelischen Stände keineswegs soviel gefordert als wir heute besitzen und als ganz selbstverständ­ lich ansehen! Für den Kaiser allerdings und für diejenigen, welche in seinem Namen zu verhandeln und seinen Standpunkt zu vertreten hatten, waren die Forderungen der Evangelischen tatsächlich viel zu weitgehend. Vergegenwärtigen wir uns, daß der Kaiser durchaus nicht freiwillig, sondern nur der zwingenden Not gehorchend einen Frieden mit den Evan­ gelischen suchte' und daß es ganz und gar gegen seinen religiösen und kirchlichen wie auch seinen politischen Standpunkt ging, den Glaubensstand der Evangelischen überhaupt, wenn auch nur vorübergehend, anzuerkennen. Wenn er das jetzt trotzdem für beschränkte Zeit tun wollte, so war er dabei fest entschlossen, den Evangelischen nur ein möglichst beschränktes Maß an Bewegungsfreiheit zu ge­ währen. War er doch der zuversichtlichen Hoffnung, schon nach kurzer Zeit mit Hilfe des Konzils die Glaubensfrage in seinem Sinn lösen und, sobald die Türkengefahr vorüber war, die Abtrünnigen nötigenfalls mit Gewalt zur römischen Kirche zurückführen zu können. Darum sollte es nur ein Provisorium sein, nur ein kurzer Waffenstillstand, der den Kampf gegen sie nur unterbrach, aber nicht aufhob, was der Kaiser jetzt den Evangelischen bot. Die Vermutung, welche die Nürnberger Gesandten einige Tage nach der Uebergabe des evangelischen Gegen­ vorschlags ihrem Rat gegenüber aussprachen, daß der Kai­ ser nicht weiter entgegenkommen werde, als man im ersten Entwurf gegangen war, traf auch tatsächlich zu. Die Grenze, bis zu welcher die Unterhändler gehen durften, war in der kaiserlichen Instruktion vom 7. Februar bereits fest­ gelegt. So verstehen wir es denn, wenn die beiden Kur­ fürsten, als sie am Donnerstag, den 12. April, alle evan­ gelischen Fürsten und Botschaften auf dem Rathaus um sich versammelt hatten, die Vorschläge der Evangelischen für unannehmbar erklärten, da dieselben zu weit gingen und *•) A. a. O. Prod. 12.

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Forderungen enthielten, auf welche der Kaiser niemals eingehen werde. Schon die Einfügung der „Apologie“ neben dem Augsburgischen Bekenntnis als Norm ihrer .Lehre erregte bei den Kurfürsten Bedenken. Bekanntlich hatte der Kai­ ser am 22. September 1530 Melanchthons Apologie der Kon­ fession abgelehnt und die Annahme der Schrift verweigert. Schon darum und weil auch in den bisherigen Verhandlun­ gen von diesem Schriftstück nicht die Rede gewesen war, fürchteten die Kurfürsten, durch die Bezugnahme der Evan­ gelischen auf dasselbe würden beim Kaiser neue Schwierig­ keiten entstehen. Die Konfession kannte der Kaiser. Er hatte sie in Augsburg für sich übersetzen lassen und gründ­ lich studiert. Die Apologie dagegen war ihm unbekannt. So war nicht anzunehmen, daß er sie als Lehrnorm anerken­ nen werde. Nur die Konfession würde er gelten lassen. Weiter machte es den Unterhändlern Sorge, daß die evangelischen Stände in den ersten Artikel auch die „Zere­ monien, Gewohnheiten und Bräuche“ hineingezogen hatten. Sie erklärten dazu, es werde bei dem Kaiser nicht zu er­ reichen sein, hier noch weitere Neuerungen zu gestatten. Es müsse vielmehr bei der erteilten Deklaration bleiben. Wenn ferner der Gegenbericht der Evangelischen auch eine Forderung bezüglich des Ortes enthalte, an welchem das Konzil zu halten,, desgleichen eine Bestimmung darüber, was bei dem Konzil zu handeln sei, so müsse bedacht wer­ den, daß solches nicht allein in der Macht des Kaisers stehe, sondern auch andere christliche Potentaten und Nationen mit zu bestimmen hätten. Wenn das Konzil zustande­ komme, werde es auch Zeit sein, darüber zu verhandeln, welche Lehre der hl. Schrift gemäß und darum zu erhal­ ten sei. Wenn ferner die Evangelischen jetzt forderten, daß nicht nur ihnen, sondern auch allen anderen Ständen gestat­ tet werde, sich bis zum Konzil nach der Augsburgischen Konfession zu halten, auch denjenigen, welche sich erst noch für dieselbe entscheiden würden, und daß dann auch diesen allen der Friede gelten sollte, so müßten sie beden-

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ken, daß es vor allem Sache des Kaisers sei, zu bestim­ men, wem er solches bewilligen wolle, und daß überdies auch die Reichsstände dabei mitzureden hätten. Jetzt handle es sich nur um ein Uebereinkommen zwischen dem Kaiser und den jetzigen evangelischen Ständen darüber, wie beide Teile sich bis zum Konzil zueinander verhalten sollten. Daß die beiden Kurfürsten diese Forderung der Evan­ gelischen abschlugen, begreifen wir, so berechtigt sie auch, vom Standpunkt der Gewissensfreiheit aus gesehen, sein mochte. Für den Kaiser, wie überhaupt auf der ganzen katholischen Seite, gab es eben keine Gewissens- Und Glau­ bensfreiheit. Ueberdies wußten auch sowohl beide Kur­ fürsten als der Kaiser ganz genau, daß, wenn man damals jedem, der es wollte, gestattet hätte, nach der Augsburgischen Konfession zu leben, ohne daß er vom Kaiser oder seiner sonstigen Obrigkeit etwas zu fürchten hatte, in kur­ zer Zeit, wenn nicht das ganze deutsche Volk, so doch die große Mehrheit desselben evangelisch geworden wäre! Auch die von den Evangelischen für alle geforderte Freizügigkeit hätte, wenn sie gewährt worden wäre, die Ausbreitung des Protestantismus gefördert und manches noch katholische Gebiet wäre recht dünn bevölkert geblieben. Das aber wollte man eben verhüten! Es war allerdings ein schlechter Trost für die evangeli­ schen Stände, wenn man ihnen damals sagte, sie brauchten sich in ihrem Gewissen nicht beschwert zu fühlen darüber, was andere Obrigkeiten mit den eigenen Untertanen in der Religionssache für Ordnungen träfen oder bei dem Kaiser suchten. Sie könnten froh sein, wenn man sie selbst bis zum Konzil bei ihrem Bekenntnis lasse. Uebrigens bezeichneten die Kurfürsten die Forderung der Evangelischen, daß ihre Glaubensgenossen in anderen Gebieten das Recht erhalten sollten, um ihres Glaubens willen in evangelische Gebiete überzusiedeln, für „höchst beschwerlich und dem Frieden nur hinderlich“ und. geeignet, nur noch mehr Schwierig­ keiten zu bereiten, weil dadurch Hoheitsrechte der Fürsten und Reichsstädte beeinträchtigt würden. Darum dürfe man den Kaiser damit überhaupt nicht befassen!

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Auch den Wunsch der evangelischen Fürsten, daß ihnen gestattet werde, aüf Reisen in anderen Gebieten oder im Krieg für sich und ihr Gesinde in ihren Herbergen predigen zu lassen, hielten die Kurfürsten für aussichtslos. Die Er­ fahrungen, die man 1529 bei dem Reichstag zu Speyer gemacht hatte, wo das Volk in großen Schaaren zu den Pre­ digten der Evangelischen strömte, hatten den Kaiser zu dem Predigtverbot in Augsburg 1530 veranlaßt. Man fürch­ tete den Erfolg dieser Predigten und wollte sie nicht mehr dulden. 'Bezüglich künftiger Reichstagsbeschlüsse, deren Annahme schon zum voraus von den Evangelischen verlangt werden wollte, erwiderte man ihnen, sie brauchten sich darüber nicht zu beschweren, weil Glaubenssachen dabei ausgenommen seien. Endlich Gezeichneten die Kurfürsten das Verlangen der evangelischen Stände, daß bis zum Konzil alle wegen der Jurisdiktion der Bischöfe und der geistlichen und Klostergüter anhängigen Prozesse und Urteile ein­ gestellt bzw. aufgehoben werden sollten, für unerfüllbar, weil dadurch auch andere hohe und niedere Stände berührt würden und bereits gefällte Urteile schwerlich kassiert wer­ den könnten. Doch glaubten sie bei dem Kaiser zu er­ reichen, daß es bezüglich der Jurisdiktion und der Güter bis zum Konzil bei dem bisherigen Stand bleiben könne. Die Forderung bezüglich der Gleichberechtigung der Evan­ gelischen im Kammergericht wollten sie dem Kaiser wenig­ stens vorlegen. Die Bestimmung, daß den kirchlichen Stif­ tungen der evangelischen Gebiete ihre Renten durch die katholischen Stände nicht entzogen werden sollten, ließen sich die Kurfürsten gefallen. Dagegen wollten sie jedoch den Geistlichen, welche ihre Klöster verlassen hatten, aber noch ihr Ordenskleid trugen und nach ihrer Ordensregel lebten, die Einkünfte, welche ihnen aus evangelischen Ge­ bieten zustanden, gewahrt wissen 2Ö). Mit der Ablehnung dieser Forderungen der Evange­ lischen wollten jedoch die Kurfürsten die Verhandlungen M) S. I. L. 78 Nr. 20 b Prod. 15 u. 16 G; O. Winckelmann, Der Schmalkaldische Bund 1530—32 u. Der Nürnberger Religionsfriede. Straßburg 1892. S. 195. 4

50 nicht abgebrochen haben. Sie entschlossen sich vielmehr, den Evangelischen neue Vorschläge vorzulegen, von denen sie glaubten, daß der Kaiser ihnen zustimmen werde. Doch bemerkten sie dabei ausdrücklich, daß dieselben ein für alle­ mal dargeboten und endgültig seien, und daß über dieselben hinaus nichts zu erreichen sei. Diese neuen Bedingungen waren folgende: 1. Die Evangelischen, welche sich zur Augsburgischen Konfession und deren Assertion bezüglich des Glau­ bens bekennen, sollen über dieselbe hinaus keine wei­ teren Neuerungen bis zum Konzil vornehmen. Die Kurfürsten werden sich bemühen, bei dem Kaiser zu erreichen, daß in dem Friedensvertrag die ihnen s. Zt. von den evangelischen Ständen bezeichneten Fürsten und Städte als in den Frieden einbezogen namentlich aufgeführt werden. 2. Dieselben sollen den Zwinglischen und Wiedertäufern weder anhängig noch beiständig sein, noch Gunst er­ zeigen, es sei denn, daß diese ihren Irrtum aufgeben und die Augsburgische Konfession annehmen. Nur in diesem Fall sollen auch sie in den Frieden einbezogen werden. 3.

Keine Partei soll die Untertanen der andern in Sachen des Glaubens an sich ziehen oder sie bei sich auf­ nehmen und schützen. Daß solche Personen, welche mit Wissen und Willen ihrer Obrigkeit in evangelische Gebiete auswandern und sich über die dazu erhaltene Erlaubnis schriftlich ausweisen, von den evangelischen Ständen aufgenommen werden dürfen, hoffen die Kur­ fürsten von dem Kaiser zu erreichen.

4. Die Evangelischen sollen sich bis zum Konzil ent­ halten, zu predigen oder zu schreiben und predigen und drucken zu lassen, was mit ihrer Konfession nicht übereinstimmt. Keine Partei soll im Gebiet eines an­ dern predigen lassen oder gegen andere Schmähliches reden oder schreiben. Sünden und Laster dürfen die Prediger in ihren Gebieten strafen.

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5. Die Kurfürsten wollen bei dem Kaiser dafür eintreten, daß zum Kammergericht auch Evangelische als Ab­ geordnete ihrer Stände zugelassen und dort in keiner Weise beeinträchtigt werden. 6. Bezüglich der Jurisdiktion, Gewohnheiten und Zere­ monien soll es in den evangelischen Gebieten bis zum Konzil bei dem gegenwärtigen Zustand bleiben. 7. Bezüglich der Stiftungen, Renten, Zinsen und Gülten wollen die Kurfürsten dafür eintreten, daß den Stif­ ten, Prälaturen und Klöstern beider Parteien ihre Güter, Renten usw. auch aus anderen Gebieten wie bis­ her unverboten und unverhindert bis zur Entscheidung des Konzils entrichtet und ausgefolgt werden sollen, jedoch ohne Abbruch und Schmälerung der betreffen­ den Obrigkeiten in ihrem Eigentum, ihren Rechten wie in besonderen Verträgen und Vereinbarungen. Prälaten und Ordenspersonen, welche zwar ihre Klö­ ster verlassen, aber ihr Ordenskleid nicht abgelegt haben und sich nach ihrer Regel halten, sollen die Rechte und Einkünfte, die sie bisher gehabt, nicht entzogen werden. 8. Weiter wird erwartet, daß zwischen beiden Teilen guter Friede gehalten und beide Teile sich ernstlich bemühen werden, daß das Konzil sobald als möglich zustande komme und die Zwietracht im Glauben besei­ tigt werde, wozu denn auch der Kaiser das Seine tun werde. Ebenso wird erwartet, daß die evangelischen Stände einmütig an dem allen mitwirken, was dem Reich zu Wohlfahrt, Sicherheit und Ruhe dienen mag, daß sie sich an der Türkenhilfe beteiligen und mit den übrigen Ständen den bisher gefaßten und noch zu fas­ senden Reichsbeschlüssen nachkommen. Die Kur­ fürsten glauben darauf umsomehr rechnen zu können, als die Beschlüsse in Glaubenssachen ausdrücklich davon ausgenommen sein sollen und sie selbst das wiederholt zugesagt haben. Wenn nun die Evangelischen in ihren Gegenbedingun­ gen gewünscht hätten, daß der Kaiser auch für sich selbst 4*

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und unter den Ständen einen allgemeinen Frieden aufrichte, und daß wider den Landfrieden oder gegen Recht und Billig­ keit um keiner Sache willen jemand beschwert werde, daß ferner auch der Kaiser weder aus eigenem Antrieb noch auf jemandes Anhalten etwas gegen die Evangelischen ver­ füge und den friedlichen Anstand bestens vollziehe, so glaub­ ten dagegen beide Kurfürsten noch betonen zu müssen, daß dies dann natürlich auch einschließe, daß alle evangelischen Stände dem Kaiser und seinem Bruder ohne alles Wider­ setzen gehorsam sein und, falls unter ihnen ein Bündnis gegen den Kaiser oder andere des katholischen Teils be­ stände, dasselbe aufheben würden. In diesem Fall würden gewiß auch der Kaiser und sein Bruder alles Mißfallen und allen Unwillen fallen lassen, alle Beschwerde vergessen und ihr gnädiger Kaiser und König sein. Schließlich fügten die Kurfürsten noch hinzu, daß sie selbst allen Fleiß anwenden wollten, damit alle diese Artikel vom Kaiser bewilligt würden. Freilich müßte auch der römische König Ferdinand in diesen Frieden mit eingeschlos­ sen werden. Geschehe dies nicht, so könnte es zu keinem allgemeinen und sicheren Frieden kommen. Endlich ermahn­ ten die Kurfürsten die evangelischen Stände, sie möchten die große Bedeutung der ganzen Handlung erwägen und beden­ ken, welche Folgen es haben müßte, wenn sie die ihnen gestellten Bedingungen ablehnten. Dieselben seien so ge­ stellt, daß sie ,,der Sachen allenthalben gemäß, leidlich, träglich, der Gewissen halb unbeschwerlich und in alleweg zu einem allgemeinen, beständigen Frieden dienlich“ seien. Durch ihre Annahme könnten die Evangelischen zeigen, daß es ihnen wirklich um Frieden und Einigkeit und die Wohl­ fahrt der deutschen Nation zu tun sei 80). Mit Recht stellten die Nürnberger Gesandten in ihrem Bericht an den Rat vom 13. April fest, daß diese neuen Ver­ mittlungsvorschläge eigentlich nur eine Wiederauflage der ersten Friedensbedingungen seien. Das Entgegenkommen in Artikel 3, wo den evangelischen Ständen die Erlaubnis gegeben wurde, solche, die um des Glaubens willen aus 30) S. I. L. 78 Nr. 20 b Prod. 16 u. 17 G. u. H.

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katholischen Gebieten, auswanderten, bei sich aufzunehmen, war ja soviel als wieder aufgehoben damit, daß die Aus­ wanderung von der Erlaubnis der bisherigen Obrigkeit ab­ hängig blieb. War doch als sicher anzunehmen, daß diese Erlaubnis nur in sehr wenigFällen, wenn überhaupt, gegeben werden würde. Einen wichtigen Fortschritt bedeutete es allerdings für die Evangelischen, daß über die Jurisdiktion und die Kirchenordnung nun nicht erst verhandelt zu wer­ den brauchte, sondern schon jetzt die Zusicherung gegeben worden war, daß hierin, wie auch bezüglich des Kirchen­ gutes und der Einkünfte der Geistlichen der Status quo bestehen bleiben sollte. Andrerseits war die von den Evan­ gelischen geforderte Einstellung der Prozesse in Glaubens­ sachen, die doch als ein wesentliches und wichtiges Stück des angestrebten Friedens angesehen werden mußte, ab­ gelehnt und die Unterwerfung unter den römischen König und damit unter die habsburgische Hauspolitik aufs neue und um so nachdrücklicher gefordert. Schon in Bitterfeld, bei seiner ersten Besprechung mit dem Vertreter des Kurfürsten Dr. Türk hatte d£r Kanzler Dr. Brück als Wunsch seines Kurfürsten ausgesprochen, daß die rein politische Frage der römischen Königswahl von den Verhandlungen über den Religionsfrieden ausgeschieden und für sich gesondert be­ handelt werden möchte. Trotzdem war die Lösung dieser Frage im Sinne des Kaisers in den ersten Artikeln der Kur­ fürsten als Bedingung für den Frieden aufgestellt worden, und auch jetzt kehrte diese Bedingung wieder. Ja, diese wie auch die Auflösung des Schmalkaldischen Bundes waren für den Kaiser von besonderer Wichtigkeit und neben der Tür­ kenhilfe die Hauptbedingungen des Friedens31). Trotzdem meinten die Nürnberger Gesandten, ihrem Rat würden diese Vorschläge „mit einer kleinen Besserung nit so gar zuwider sein“. Ihnen waren ja gerade die Bedin­ gungen, welche den Schmalkaldischen besonders anstößig waren, nämlich die Anerkennung des Königs Ferdinand und die Auflösung des Schmalkaldischen Bundes, gleichgültig, 31) Bucholtz IX. S. 23.

54 da Nürnberg die Königswahl Ferdinands anerkannt hatte und dem Schmalkaldischen Bund nicht angehörte. Ja, sie griffen jetzt alsbald wieder auf den Gedanken zurück, daß Nürnberg jetzt vielleicht mit Erfolg einen Sonderfrieden mit dem* Kaiser anstreben könijte. Wie schon gesagt, waren ihnen die von den Schmalkaldischen durchgesetzten und zuletzt übergebenen Forderungen zu weitgehend gewesen. Darum hatten sie beantragt, diese Forderungen sollten in einer nochmaligen gemeinsamen Beratung des gesamten Ausschusses überprüft und ermäßigt werden. Aber die fürst­ lichen Räte hatten das abgeschlagen, obwohl die übrigen Städte den Nürnbergern zugestimmt hatten. Die letzteren hatte das sehr verdrossen und sie hatten sich dadurch ihrem Rat gegenüber zu dem harten Urteil hinreißen lassen, daß es der Mehrzahl der evangelischen Fürsten weniger um den Frieden und um Gottes Ehre als um das Kirchengut zu tun sei und daß sie allzusehr auf ihre Macht pochten. Den Städten suchten sie die'Meinung beizubringen, als könnten sie alles durchsetzen. Auch die von den Nürnbergern und den Markgräflichen gemeinsam eingereichten schriftlichen Verbesserungsvorschläge hatten so wenig wie die der übri­ gen Städte bei den evangelischen Fürsten Beachtung gefun­ den. Darum seien sie überzeugt, daß der Friede an dem Widerstand der Schmalkaldischen gegen die Königs wähl Ferdinands, welche jene unter keinen Umständen anerken­ nen wollten, scheitern werde. Trete dies tatsächlich ein, dann müßten sie dem Rat zu bedenken geben, ob sie von Schweinfurt abreisen sollten, ohne einen weiteren Schritt zu unternehmen, oder ob sie mit den beiden Kurfürsten in Nürnbergs Namen neue Verhandlungen anknüpfen sollten, um bei dem Kaiser auf dem Reichstag zu Regensburg einen Sonderfrieden zu erhalten. Die Gesandten verbanden mit dieser Fragestellung die Mitteilung, der Kanzler Dr. Heller habe bereits Vollmacht, in solche Verhandlungen auch für Brandenburg einzutreten, falls Nürnberg sich ebenfalls dazu entschließen werd£. Einen bestimmten Antrag dazu wollten sie freilich nicht stellen, da auch zu bedenken sei, daß man die schmalkaldischen Glaubensgenossen doch „nicht ganz

55 auf sich laden“ und vor den Kopf stoßen dürfe. Was nun das Beste sei, möge der Rat entscheiden. Vertraulich sei ihnen gesagt worden, daß, wenn ein allgemeiner Friede nicht zustande komme, einzelne evangelische Stände einen Son­ derfrieden erhalten könnten, wenn sie einen solchen wünsch­ ten 32). Also auch hier die alte Praxis: „Divide et impera!“ Mit ihrem harten Urteil über die schmalkaldischen Fürsten waren die Nürnberger zweifellos im Unrecht. Ob es klug und gut war, wenn jene unnachgiebig auf ihrem Protest gegen die römische Königswahl beharrten, ist eine Frage der damaligen Politik. Aber den Schmalkaldischen Bund durften sie keineswegs auf lösen. Wer näher zusah und tiefer blickte, mußte erkennen, daß der Friede, wie er jetzt den evangelischen Ständen angeboten war, kein „beständiger“ und zuverlässiger, sondern ein höchst unsicherer Friede war. Schon die Weigerung des Kaisers, die kammergerichtlichen Prozesse in Glaubenssachen gegen die Evangelischen ab­ zustellen, bewies das mit aller Deutlichkeit und hätte auch den Nürnberger Gesandten die Augen öffnen müssen. Was wäre das für ein Friede gewesen, wenn die evangelischen Peichsstände jederzeit hätten Gefahr laufen müssen, wegen einer Religionshandlung vom kaiserlichen Fiskal vor das Kammergericht gerufen zu werden! Die weitere Entwick­ lung nach dem tatsächlich erfolgten Friedehsschluß hat ja die Unsicherheit dieses Friedens genugsam bewiesen. Wenn auch der Kaiser später die Einstellung dieser Prozesse ur­ kundlich versprochen hat, gehalten wurde dieses Ver­ sprechen nicht. Auch die zeitliche und anderweitige Be­ schränkung des angebotenen Friedens ließ erkennen, daß der Kaiser schon bei jenen Verhandlungen entschlossen war, den Frieden wieder aufzuheben, sobald die Zeit ihm dafür gün­ stig war. Er hat das ja auch tatsächlich getan im Schmal­ kaldischen Krieg. Darum war es das gute Recht der evan­ gelischen Fürsten, wenn diese bei den damaligen Verhand­ lungen bemüht waren, sich einen wirklichen und zuverlässi­ gen Frieden zu sichern zum Schutz und zur Erhaltung ihres evangelischen Glaubens. Es wäre gewiß auch viel mehr 3a) S. I. L. 78 Nr. 20 b Prod. 15. Bericht der Gesandten.

56 erreicht worden, wenn damals alle Evangelischen einig und fest geblieben wären! Der weiter als seine Gesandten blickende Rat war denn auch nicht geneigt, der von diesen gegebenen Anregung zu einer Absonderung von den übrigen Evangelischen Folge zu leisten. Die Gesandten hatten, wie s. Zt. schon die ersten, so auch jetzt die neuerdings übergebenen Friedens­ artikel der Kurfürsten nach Hause geschickt, und der Rat hatte dieselben seinen Rechtsgelehrten zur Beratschlagung vorgelegt. Unter diesen waren die Meinungen geteilt. Dr. Christoph Scheurl, der zwar beim Beginn der reformatorischen Bewegung in Nürnberg als entschiedener Anhänger derselben auftrat, bald aber anfing, zwischen der evan­ gelischen und der römischen Partei hin- und herzuschwan­ ken, schließlich jedoch mehr und mehr der letzteren zu­ neigte, verleugnete auch jetzt seinen Standpunkt nicht. Er fand die neuerlichen Friedensvorschläge der Kurfürsten „so leidlich“ gestellt, daß sie ihm für den Rat nicht nur annehm­ bar, sondern ganz und gar nach dessen Willen verfaßt schie­ nen. Selbst wenn sie zu Rom oder von noch weiter her hätten gesucht werden müssen, hätte man nicht unterlassen dürfen, sie zu holen. Ja, hätte der Rat diese Friedensbedin­ gungen selbst aufstellen dürfen, so hätte er sie nicht besser ausdenken können. Und wären sie auf dem Reichstag zu Speyer oder zu Augsburg eingebracht worden, so hätten alle evangelischen Stände sie mit großer Dankbarkeit an­ genommen, ohne ein Wort dagegen zu sagen. Soviel Gutes hätte er in dieser Sache nicht erwartet. Weil nun Gott also vor der Türe stehe und dem Rat der Friede so freundlich angeboten werde, dürfe man denselben nicht ablehnen. Solch eine Gelegenheit kehre so leicht nicht wieder. Benütze man diese jetzt nicht und lehne man diese Bedingungen ab, so werde sich der Kaiser eines andern bedenken; auch die bei­ den Kurfürsten würden jede weitere Vermittlung ablehnen und es werde zu keinem Frieden kommen, so gern man ihn auch später annähme. Allerdings trenne man sich mit der Annahme des Ver­ trags von den Schmalkaldischen. Aber daran wäre nichts

57 gelegen, und der Rat könne das mit gutem Gewissen tun. Denn er schaffe der Stadt den Frieden, die Gewissen seiner Untertanen blieben ungebunden, und diese könnten bei dem Wort Gottes bleiben. Was die andern täten, darauf brauche man nicht zu achten. Denn diese setzten ihre Sache aufs Verderben, ja sie wären schon zum Teil darin. Der Rat könne diesen Schritt um so eher tun, da er mit Sachsen nicht im Bündnis stehe und an der Ablehnung des römischen Königs nicht beteiligt sei; auch seien sie in Nürnberg der zwinglischen Lehre Feind und hätten so um dieser willen nichts zu fürchten. Darum sollte der Rat durch seine Ge­ sandten den evangelischen Fürsten sagen lassen, er hätte sich ihrer Ablehnung der Friedensbedingungen nicht ver­ sehen, er halte dieselben für ziemlich und annehmbar. Das möge man ihm nicht verübeln. Dann aber möge der Rat, noch ehe man in Schweinfurt auseinandergehe, sich durch seine Gesandten den beiden Kurfürsten gegenüber zur An­ nahme der vorgeschlagenen Mittel bereit erklären und bit­ ten, daß die Stadt bis zum Konzil dabei gelassen werde. Scheurl fand wohl die Zustimmung seines Kollegen Müller. Aber die beiden andern beteiligten Juristen Dr. Kötzler und Dr. Gugel erklärten sich gegen diese Vorschläge. Nach ihrer Meinung könnte man diesen Frieden annehmen, wenn ein besserer nicht zu erreichen wäre. Aber daß man sich so bloß gebe und sich von den evangelischen Ständen so ganz und gar trenne, könnten sie nicht raten. Man wisse ja noch gar nicht, ob der Kaiser überhaupt auf die Vor­ schläge der beiden Kurfürsten eingehen werde. Ausdrück­ lich habe er sich auch letzteren gegenüber die Entscheidung darüber noch Vorbehalten; man könne auch nicht sagen, ob nicht dieser Vorbehalt schließlich auf eine Trennung unter den Evangelischen und damit auf einen Betrug und nicht auf einen Frieden abziele. Ueberdies habe der Kurfürst von Sachsen den Städten zugesagt, daß die evangelischen Für­ sten in der Sache des Evangeliums, der Protestation und der fiskalischen Prozesse zu ihnen stehen wollten. Da dürfe man sich doch von ihnen nicht trennen! Solche Absonderung Nürnbergs würde sicher die Wirkung haben, daß der Kaiser

58 und die Päpstlichen gegen die fest gebliebenen Stände nur um so rücksichtsloser Vorgehen würden. Darum rieten die beiden, man solle die Gesandten von Schweinfurt abziehen lassen ohne weiteres Erbieten. Entschließe man sich dann später doch noch, die Vorschläge anzunehmen, und sei der Kaiser dann geneigt, einzelnen Ständen den Frieden zu ge­ währen, so könne das auch noch auf dem Reichstag zu Regensburg geschehen 33). Dasselbe Ratschlagbuch enthält noch ein weiteres Gut­ achten, dessen Verfasser nicht genannt ist. Vielleicht war es das Konzept Dr. Kötzlers, das dieser zu den Akten ge­ geben hat. Es betont noch bestimmter und entschiedener den Verdacht, es sei bei der Schweinfurter Tagsatzung hauptsächlich auf die Trennung der Evangelischen unter­ einander abgesehen. Gelänge diese, so würde es auch denen, welche dabei-zu Kreuz gekrochen seien, schlecht ergehen. Man würde immer wieder etwas gegen sie finden und zu dem, was sie nachgegeben, immer mehr fordern, um schließ­ lich die Sache wieder auf den alten Stand zu bringen. Son­ dert Nürnberg sich von den andern ab, so handelt man nach­ her mit ihm, wie man will. Den Gegnern dann noch zu widerstehen, ist es allein zu schwach. Man sagt, der Friede werde bewilligt bis auf ein Konzil. Das müsse bedenklich machen. Denn weder der Papst noch die andern Potentaten seien für ein Konzil. Darum bedeute jene Zusage ,,bis auf das Konzil“ soviel wie: „für immer“. Aber das sei keines­ wegs die Absicht der Gegner. Halte man damit die geheime Zusage der beiden Kurfürsten zusammen, daß auch einzelne Stände, denen die Bedingungen gelegen seien, den Frieden erhalten könnten, so sehe man darin die Absicht der Tren­ nung. Aber selbst wenn von der Gegenseite alles ehrlich und treu gemeint wäre, müßte man vor einer Absonderung Nürn­ bergs warnen. Denn auch dann könne und werde man dem Kaiser und den katholischen, wie auch den evangelischen Ständen gegenüber in Lagen kommen, welche zu immer neuen Konflikten führen müßten, wie der Verfasser an einer 33) St. A. N. Ratschlagbuch Nr. 7 Bl. 175 ff-

59 Reihe von Beispielen aufzeigt. Gegenüber den fiskalischen Prozessen werde Nürnberg ohne allen Schutz sein. Auch die Einführung einer evangelischen Kirchenordnung, an der dem Rat soviel gelegen sei, werde unmöglich werden. Den Mönchen werde man ihre Einkünfte lassen müssen. Wegen Nürnberg, Brandenburg und Kempten werde man kein Kon­ zil halterf1, sondern die Dinge nach eigenem Ermessen ordnen. So schließt das Gutachten mit dem Rat, es möge den Gesandten aufgetragen werden, sich bei den Kurfürsten für die Verhandlung zu bedanken und zu erklären, ihre Herren seien also gesinnt, daß sie nichts als Frieden und Einigkeit begehrten. Sei die Handlung auch nicht vertragen, so wäre das Resultat doch eine gute Grundlage zu weiteren Verhand­ lungen und eine gute Zurichtung zum Frieden. Darum möchten die Kurfürsten bei dem Kaiser nochmal dafür tätig sein, die Sache zum Frieden zu bringen. Damit wäre nichts abgeschlagen und nichts bewilligt, und man gewinne Zeit zu weiterer Ueberlegung 34). Obwohl nun im Rat eine starke Neigung zum Frieden vorhanden war, glaubte dieser dem Rate Scheurls nicht fol­ gen zu dürfen um eines Augenblickserfolges willen, der jedoch, wie Kötzler mit Recht betonte, voraussichtlich zu keinem wirklichen Frieden und zu keiner Glaubensfreiheit geführt, jedenfalls aber die Einigkeit unter den Evangeli­ schen völlig zerstört hätte. Man folgte vielmehr Kötzler, der weiter sah und die Lage richtiger beurteilte, und schrieb den Gesandten am 16. April ganz nach dessen Vorschlägen. Zugleich wurden die Gesandten beauftragt, die evangelischen Stände zu ersuchen, diese möchten im gleichen Sinne Vor­ gehen, falls die jetzigen Verhandlungen nicht zum Ziel führ­ ten. Sollten diese nicht darauf eingehen, dann sollten sich die Gesandten weitere Verhaltungsmaßregeln vom Rat er­ holen. Sei dazu keine Zeit mehr, dann sollten sie mit den Markgräflichen allein die entsprechenden Schritte tun. Damit werde nicht nur dem Markgrafen und Nürnberg gedient, es könne so auch die Einigkeit unter den evangeli­ schen Ständen erhalten bleiben, und man biete dem Kaiser 34) Ebenda Bl. 302 ff.

6o und den Römischen nicht das Bild der Uneinigkeit 35). Wie man damals im Nürnberger Rat den in juristischen und diplomatischen Angelegenheiten sehr gewandten Dr. Scheurl als Kirchenpolitiker einschätzte, zeigen uns zwei Ratsverlässe aus dieser Zeit. Kurz vor Beginn der Verhand­ lungen zu Schweinfurt hatte der Rat Scheurl auf Ansuchen gestattet, nach Regensburg zu reisen, um dort die Familie Pfinzing in einer Rechtssache zu vertreten. Dabei hatte jedoch der Rat die Bedingung gestellt, daß derselbe nicht länger als vierzehn Tage ausbleibe und „daß er sich zu Regensburg mit den — dort zum Reichstag eingetroffe­ nen — Kardinälen oder anderen der jetzigen streitigen Lehr halben gar nit einlasse, oder was handel, das in solchem einem Rat oder sunder Personen zu Unglimpf oder Unrat reichen mag“. Man traute ihm offenbar nicht und fürchtete, er könnte bei seiner Freundschaft mit dem päpstlichen Lega­ ten Kardinal Campeggi in der kirchlichen Frage zuviel nach­ geben. Als dann der Rat am 24. April der befreundeten Stadt Weißenburg den Ratschlag seiner Juristen vom 15. April übersenden ließ, ordnete er an, daß in der hiefür zu fertigenden Abschrift das Gutachten Scheurls wegzulassen sei. Offenbar war es dem Rat unerwünscht, daß dasselbe bekannt würde 36). Zu den am 12. April den evangelischen Ständen über­ gebenen ,,endgültigen“ Friedensbedingungen reichten die Markgräflichen mit Nürnberg und Kempten an die evangeli­ schen Stände zugleich im Namen der von Nürnberg mit ver­ tretenen Städte ein Gutachten ein, in welchem sie zwar wie­ derholt die Forderung vertraten, daß in den Friedensvertrag auch die Stände einzubeziehen seien, welche sich der Kon­ fession in Zukunft noch anschließen würden, im übrigen aber einige Milderungen vorschlugen, welche man bei den Kur­ fürsten an deren Forderungen beantragen sollte. So wünsch­ ten sie das Verbot der Auswanderung Evangelischer aus katholischen und der Aufnahme derselben in evangelischen Gebieten nur auf die Fälle beschränkt, in denen die Aus35) Briefb. 104 Bl. 169 V. 30) Ratsverl. v. 8. März u. 24. April 1532.

6i wandernden ihre Pflichten gegen ihre bisherige Obrigkeit nicht erfüllt hätten. Ferner sollte das Predigt- und Druck­ verbot nur für das gelten, was der Konfession „zuwider, un­ gemäß und entgegen“ sei. Ebenso wünschten sie, daß Neue­ rungen bezüglich der Jurisdiktion, Gewohnheiten und Zere­ monien nur insoweit untersagt sein sollten, als sie im Wider­ spruch mit der Konfession stünden. Die im 7. Artikel aus­ gesprochene Sicherung der Einkünfte für deren bisherige Empfänger wünschten sie auf diejenigen Einkünfte be­ schränkt, in deren „unwidersprechlichem, ruhigem Besitz und Gebrauch sie bisher gewesen und noch seien“; für die­ jenigen aber, welche ihre Pfründe verlassen hätten, sollte das Einkommen auf eine jährliche Unterhaltung ermäßigt wer­ den und nach dem Ableben der Nutznießer der Stiftung zu­ fallen bis zur Entscheidung des Konzils. Endlich wollten sie zur Leistung der Türkenhilfe nur mit „gebührlichen, gleichmäßigen Anschlägen nach eines jeden Vermögen“ und bezüglich künftiger Reichstagsbeschlüsse nur allgemein zu einer „Haltung als getreue Glieder des Reiches“ verpflichtet werden37). Die Mehrheit der evangelischen Reichsstände entschloß sich jedoch nach sechstägiger Beratung zu einer wesentlich entschiedeneren und weiter gehenden Antwort, indem sie erklärten, daß „die ihnen zuletzt übergebenen und repetier­ ten Mittel der Gewissen halb gar nit tunlich, auch zu ge­ meiner christlichen Ruhe und Eintracht nit dienstlich“ seien. Wenn man sie und ihre Prediger allein an ihre Kon­ fession und deren buchstäbliche Fassung binde, so sei das zu eng. Die dem Kaiser in Augsburg als Schutzschrift für ihre Konfession und gegen die Konfutation übergebene Apologie enthalte keine andere Lehre, als die in der Kon­ fession bereits summarie zusammengezogene. Sie habe nur noch besonders auf die Mißbräuche hingewiesen, welche dem Wort Gottes und ihrem Bekenntnis entgegen seien. Durch die Streichung der Apologie aus dem Friedensvertrag, wie sie durch die letzten Vorschläge der Kurfürsten erfolgt sei, komme jene Konfutation wieder in Geltung und sei'die 37) A. R. A. 18 Bl. 274.

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Freiheit des Wortes Gottes wieder eingeschränkt. So könnte ihre Wortverkündigung leicht als Neuerung ausgelegt und ihnen der Vorwurf gemacht werden, als seien sie dem, was sie im ersten Artikel versprochen hätten, nicht nachgekom­ men, während ihnen eine Neuerung gegenüber ihrer Kon­ fession und Apologie völlig fern liege. Unrechte Lehre nach Gottes Wort zu strafen, hielten sie für keine Schmähung und Lästerung, und sie könnten darauf nicht verzichten, da verführerische Lehre eine der größten Sünden sei. Die Zeremonien nicht nach Gottes Wort gestalten zu dürfen, sei ihnen unerträglich. Damit wären sie auch nicht bei ihrer Konfession belassen, wie man ihnen doch zugelassen habe, und sie müßten so die von ihnen be­ anstandeten Mißbräuche beibehalten. Auf der Forderung eines ,,gemeinen, freien, christlichen Konzils, in deutscher Nation zu halten“, wie es die früheren Reichstage beschlossen hätten,, müßten sie bestehen bleiben. Alle Lehren und Bräuche der Kirche, solange dieselben auch in Uebung gewesen, müßten allein nach Christi Wort gerich­ tet und gestaltet werden. Solle die Glaubensspaltung durch das Konzil beseitigt werden, so sei dasselbe am besten in dem Land zu halten, in welchem die Spaltung am größten sei. Nachdem Christus befohlen habe, sein Evangelium aller Kreatur in aller Welt zu verkündigen, halten sich die Evan­ gelischen für schuldig, sich der Not ihrer Brüder anzuneh­ men und zu verlangen, daß ihre Glaubensgenossen, die in katholischen Gegenden wohnen, nicht mehr wie bisher um ihres evangelischen Glaubens willen an Leib, Leben un*i Gut gestraft werden. Zum Frieden sei das dringend nötig. Soll keine Partei die andere um ihres Glaubens willen schmähen und verketzern, dann darf auch keine Obrigkeit ihre Unter­ tanen, die sich sonst als gehorsam erzeigen, um ihres evan­ gelischen Glaubens willen strafen. Verbietet eine Obrigkeit ihren Untertanen, nach Gottes Wort zu leben, so hat sie das vor Gott zu verantworten, wie auch derjenige, welcher sich aus irdischen Rücksichten darein fügt. Aus Gewissensgrün­ den können sich jedoch die evangelischen Stände nicht ver­ pflichten, sich derjenigen, die den evangelischen Glauben an-

63 genommen haben und zu ihnen kommen, ohne Zustimmung ihrer bisherigen Obrigkeit nicht anzunehmen. Durch eine solche Verpflichtung würden sie dazu helfen, daß die von altersher übliche Freizügigkeit beeinträchtigt würde. Für eine Förderung des Friedens hielten es die evan­ gelischen Stände, wenn die Feier des hl. Abendmahls in bei­ der Gestalt überall freigegeben würde. Für sich selbst könn­ ten sie auf Reisen in anderen Gebieten, sei es zu Reichs­ tagen oder in des Kaisers Geschäften, auf die evangelische Predigt und die Feier des hl. Abendmahls nach der Schrift nicht verzichten. Beides sei ihnen nötig fürs Leben und fürs Sterben, und niemand wisse ja, wann für letzteres die Stunde schlage. Dazu komme, daß sie mit ihrer Unterwerfung unter das Predigtverbot selbst gegen die hl. Schrift handeln wür­ den, nach welcher Gottes Wort nicht gebunden sein soll. Die Fassung der Bestimmung bezüglich der Kammergerichts’pefcsonen durch die Unterhändler war den Evangeli­ schen zu eng. Sie wünschten, daß es bei der von ihnen vor­ geschlagenen Fassung bleibe. Mit der Bestimmung bezüg­ lich der Jurisdiktion usw. erklärten sie sich nur dann ein­ verstanden, wenn hier nur solche Neuerungen verboten sein sollten, welche mit ihrer Konfession in Widerspruch stün­ den, da sie andernfalls nicht bei ihrer Konfession gelassen wären. Wenn für Prälaten und Ordenspersonen, die ihre Klöster verlassen, aber ihr Ordenskleid nicht abgelegt hät­ ten, der ungeschmälerte Fortbezug ihrer Einkünfte gefordert werde, so müßten um der Gleichheit willen auch solchen Prälaten und Ordenspersonen, welche zum evangelischen Glauben übergetreten seien, ihre Einkünfte ebenfalls; weiter gereicht werden. Darum schlügen die Evangelischen vor, daß die Gefälle an dem Ort, wo die Klöster oder Stifte lägen, gereicht werden sollten, so zwar, daß den Ausgetretenen, gleichviel, ob sie in ihrer Observanz blieben oder nicht, ein angemessener Lebensunterhalt gewährt, aber nach "ihrem Absterben der betreffenden Stiftung heimfallen sollte. Wäh­ rend sich die Evangelischen gern verpflichteten, den auf­ zurichtenden Frieden nach bestem Vermögen zu fördern und zu erhalten, glaubten sie sich auf künftig erst zu fassende

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Reichstagsbeschlüsse auch jetzt nicht zum voraus verpflich­ ten zu können, um so weniger, als für die katholischen Stände eine derartige Verpflichtung nicht verlangt wurde. Darum wünschten sie, daß man auch sie darin unverbunden lassen möchte. Würden sie eines solchen Friedens ver­ sichert und auch wegen ihrer Stellungnahme zur Königs­ wahl nicht angefochten, würden sie ferner mit der Türken­ hilfe gerecht und billig nach ihrem Vermögen angezogen und gestatte man ihnen endlich während des Kriegszugs evan­ gelische Predigt für sich und die Ihrigen und das hl. Abend­ mahl nach ihrer Konfession, dann würden sie sich auch auf dem Reichstag zu Regensburg als untertänig vernehmen lassen. Dieser Friede werde dann auch von selbst den Bund, den die Evangelischen zu ihrem Schutz gegen Unrecht und ohne jemand angreifen zu wollen und insbesondere nicht gegen den Kaiser geschlossen hätten, unwirksam und un­ gefährlich machen. Von denjenigen, welche es bezüglich beider Sakramente anders hielten als sie, hätten sie sich ohnedies in ihrem letzten Bedenken bereits ausdrücklich losgesagt. Schließlich erklärten sich die Evangelischen bereit und willig, auf Mittel, welche sie und ihre Herrschaften mit Gott und gutem Gewissen noch bewilligen könnten, weiter zu handeln. Wollten jedoch die Kurfürsten auf ihren zu­ letzt übergebenen Bedingungen beharren, so müßten die Ver­ handlungen als gescheitert angesehen werden, und sie be­ dauerten, daß man sich dann vergebliche Mühe und Kosten gemacht habe. Es bleibe darin nichts anderes übrig, als auf den Reichstagsabschied von 1526 zurückzugreifen, nach welchem es jeder Stand in Sachen des Glaubens bis zu einem Konzil so halten möge, wie er es vor Gott und dem Kaiser zu verantworten sich getraue 88). Mit dieser Antwort hatte sich die Mehrheit der evan­ gelischen Stände in der Hauptsache auch zu den Forderun­ gen bekannt, welche die dem Schmalkaldischen Bund an­ geschlossenen Reichsstädte, voran die oberländischen, in *®) A. R. A. 18 Bl. 312—324 M; übergeben am 18. April 1532.

65 einem besonderen Gutachten gegenüber den von den Kur­ fürsten am 12. April übergebenen Artikeln geltend gemacht hatten 39). Bei den Schmalkaldischen war man so wenig zum Nachgeben bereit, daß Herzog Johann Friedrich- an dem­ selben Tag, an welchem diese Antwort der evangelischen Stände übergeben wurde, im Namen der Wahlbundsfürsten eine Schrift einreichte, in welcher König Ferdinand auf­ gefordert wurde, auf die römische Königswürde zu verzich­ ten, da seine Wahl nicht nach den Vorschriften der goldenen Bulle erfolgt sei. Geschehe das nicht, dann wollten die Für­ sten die Gründe, aus denen sie Ferdinands Wahl angefochten hätten, vor einem unparteiischen Gericht darlegen und die Sache zum Austrag bringen. Auf alle Fälle müßten einmal die Beschwerden, welche die Fürsten gegen Fer­ dinands Wahl erhoben, vom Kaiser in Gegenwart der Kur­ fürsten, Fürsten und Stände gehört werden, damit die letz­ teren Gelegenheit hätten, sich von der Berechtigung des gegen die Wahl erhobenen Widerspruchs zu überzeugen 40). Nach der Vollmacht, welche die beiden Kurfürsten vom Kaiser für den Tag zu Schweinfurt mitbekommen hatten, waren ihnen jetzt weitere Verhandlungen eigentlich un­ möglich. Trotzdem glaubten sie doch noch einen Versuch machen zu sollen, um vielleicht doch noch zu einer Ver­ ständigung mit den Evangelischen zu kommen. Am 20. April erschienen sie persönlich in einer Versammlung der evangelischen Fürsten und Stände auf dem Rathaus und schlugen diesen vor, einen kleinen Ausschuß zu bilden, in welchem man sich über die zuletzt beiderseits übergebenen Artikel freundlich und gütlich aussprechen und so vielleicht doch eine Einigung finden könnte, die man dann nach Zu­ stimmung beider Teile an den Kaiser bringen wollte. Die Evangelischen waren mit diesem Vorschlag ein­ verstanden, unter der Bedingung, daß der Aussprache ihre letzten Vorschläge zu Grunde gelegt würden. Auch wünsch­ ten sie, daß von beiden Seiten immer nur ein Sprecher zu 39) A.R.A. 18 Bl. 277 f40) Winckelmann S. 196. 5

66 Wort kommen sollte. Sie wünschten das wohl darum, weil sie ein Interesse daran hatten, daß ihre Forderungen mög­ lichst einheitlich vertreten und keine zwiespältigen Mei­ nungen auf ihrer Seite zum Ausdruck gebracht wurden. Von den Kurfürsten wurde Dr. Türk, von den Evangelischen Dr. Brück als Sprecher bestimmt. Die Aussprache begann am Sonntag Jubilate den 21. April. Der dabei unternommene Versuch, sämtliche Artikel einzeln durchzusprechen, erwies sich bald als nicht zum Ziel führend. Man einigte sich daher, jedem der beiden Sprecher Gelegenheit zu geben, die Stellungnahme seines Teils zu sämtlichen strittigen Punkten zusammenhängend darzulegen und zu vertreten 41). So trug nun Dr. Türk am 22. April in längerer Rede vor, was die Kurfürsten an den Artikeln der Evangelischen auszusetzen hatten, während am folgenden Tag Dr. Brück den Standpunkt der Evangelischen verteidigte. Ueber beide Vorträge sind protokollarische Niederschriften vorhan­ den 42). Auch die markgräflichen Räte hatten mit sämt­ lichen Gesandten der Städte noch am Abend des 22. April unter sich zu den Ausführungen Dr. Türks Stellung genom­ men und ihr Bedenken den übrigen evangelischen Ständen schriftlich übergeben. Zwischen beiden Gruppen kam dann eine „Vergleichung“ zustande, welche am 23. April den kur­ fürstlichen Räten übergeben wurde 43). Diese Schriftstücke gewähren uns einen genaueren Ein­ blick in die Beweggründe und Ziele, von welchen beide Par­ teien bei der Aufstellung und Formulierung ihrer Forderun­ gen und Bestimmungen sich leiten ließen. Schon früher konnten wir feststellen, daß dem Kaiser und seinen Beauf­ tragten bei allen Zugeständnissen, die sie den Evangelischen zu gewähren genötigt waren, zugleich daran gelegen war, dem Fortschreiten der evangelischen Reformation auch wäh­ rend des zu schließenden Friedens soviel als möglich Schran­ ken zu setzen. Als Maß und Schranke hiefür hatten sie von Anfang an die Augsburgische Konfession bestimmt. Zu ~

41) A.R.A. 18 Bk 331h; Dr. Hellers Bericht. 42) A. R. A. 18 Bl. 333 ff. u. 383 ff. Beide abgedruckt bei Winckelmann Anhang S. 298 ff. u. S. 304 ff. 48) A.R.A. 18 Bl. 349 ff. u. 362 ff. P.

67 dieser hatten nun die Evangelischen als Maß noch ihre eben­ falls in Augsburg übergebene Apologie hinzugefügt. Sie begründeten dies damit, daß letztere eine Schutzred und Er­ klärung ihrer Konfession darstelle, deren Verfassung und Uebergabe durch die erfolgte Ablehnung und versuchte Widerlegung ihrer Konfession von seiten der Gegner not­ wendig geworden sei. Auch glaubten die Evangelischen, es könnte geschehen, daß die Gegner die Konfession nur in ihrem buchstäblichen Wortlaut als Maß gelten ließen und jede durch diesen nicht gedeckte Lehre oder Ordnung als unerlaubte Neuerung ansähen. Darum hatten sie noch die Einfügung des Zusatzes in die Friedensbedingungen ge­ wünscht, daß auch alles, was der Konfession und Apologie nach rechtem christlichem Verstand gemäß und nicht zu­ wider* wäre, nicht als Neuerung angesehen werden sollte. Konnte man sich auch zunächst darüber nicht einigen, so führten doch die weiteren Verhandlungen dazu, daß die Ein­ führung der Apologie von den Unterhändlern zugestanden wurde, was eine Sicherung mehr für die Evangelischen bedeutete. Ein besonderes Interesse, den Evangelischen Schranken zu setzen, hatten die Römischen bei der Verhandlung über die kirchlichen Bräuche und gottesdienstlichen Ordnungen. Jede Aenderung und Neugestaltung nach evangelischen Grundsätzen auf diesem Gebiet bedeutete einen Fortschritt der Reformation und eine Befestigung derselben, die nicht so leicht wieder rückgängig zu machen war. Wieviel den Römischen daran lag, solche Fortschiritte zu hemmen, zeigt das Verhalten des Bischofs von Bamberg gegen die Nürn­ berger Pröpste, als diese 1524 das hl. Abendmahl in beider Gestalt gereicht hatten. Im engsten Zusammenhang mit die­ ser Frage stand die der bischöflichen Jurisdiktion. Wo diese fiel, da vollzog sich die Lösung von der römischen Kirche. Daß die Evangelischen sich die bis dahin errungene Bewe­ gungsfreiheit auf diesem Gebiet auch weiterhin nicht be­ schränken lassen wollten, ist ebenso verständlich wie die Be­ mühungen der Unterhändler, fest zu halten, was noch zu halten war. Darum war es immerhin ein nicht geringes Entä*

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gegenkommen, wenn die Unterhändler zugestanden, daß es bis zum Konzil bei dem gegenwärtigen Stand bezüglich der Jurisdiktion bleiben solle. Einen Streitpunkt bildete auch das Kirchengut, d. h. die Frage des Eigentums und des Nutzungsrechtes an dem­ selben. Die Evangelischen beanspruchten für die evangelisch gewordenen Gemeinden das Eigentums- und das Nutzungs­ recht an allen bei ihnen vorhandenen kirchlichen Stiftungen und damit das Recht, solchen Geistlichen, welche nicht evan­ gelisch werden wollten, ihre Einkünfte aus diesen Stiftun­ gen zu entziehen und sie abzusetzen. Die endgültige Ent­ scheidung hierüber wollten sie dem Konzil überlassen. Aus diesem Grunde forderten sie auch die Einstellung der gegen sie wegen Einziehung von solchen Nutzungen und Absetzung von Geistlichen eingeleiteten und noch einzuleitenden Pro­ zesse. Dagegen sahen die Unterhändler in der Einziehung von Kirchengütern eine Beraubung, welche gerichtlich zu verfolgen und zu bestrafen sei. Eine Verständigung schien hier unmöglich. Von entscheidender Bedeutung erschien beiden Parteien die Konzilsfrage. Schon auf den Nürnberger Reichstagen hatten die Evangelischen für ihre Anerkennung des beantrag­ ten Konzils bestimmte Bedingungen gestellt und dieselben auch durchgesetzt. Ein gemeines, freies und christliches sollte es sein, und in deutschen Landen sollte es gehal­ ten werden. Diese Bedingungen hatten sie stets wiederholt und geltend gemacht, so oft von einem Konzil die Rede war. In ihren letzten Friedensvorschlägen aber hatten sie noch den Zusatz eingefügt, daß das Konzil nur ,,nach dem reinen Gotteswort“ entscheiden solle. Bei ihrer Auffassung von der Autorität eines Konzils mußte natürlich dieser Zusatz für die römische Partei höchst unbequem sein. Während nun Dr. Türk sich bereit erklärte, die Abhaltung des Kon­ zils in Deutschland bei dem Kaiser zu befürworten, lehnte er die Einfügung des erwähnten Zusatzes ab mit der Be­ gründung, derselbe sei überflüssig, weil die bereits zu­ gestandene Eigenschaft des Konzils als eines christlichen genügende Sicherheit gebe. Ueherdies dürfe man einem

69 Konzil für seine Entscheidungen überhaupt keine Norm vor­ schreiben. Die Evangelischen hatten auch von einem ,,unverdingten, freien“ Konzil gesprochen. Auf die Frage Dr. Türks, was sie damit sagen wollten, konnte ihn Dr. Brück auf die Reichstagsabschiede von 1523 und 1524 verweisen, welche klar und deutlich besagten, was die Evangelischen von dem Konzil verlangten und erwarteten. Im übrigen seien die Evangelischen bereit, jede nähere einschränkende Bezeichnung des Konzils im Friedensvertrag zu unterlassen, sobald man ihnen das Recht gebe, nach Abschluß des Ver­ trages öffentlich bekannt zu geben, daß sie ein Konzil nur dann anerkennen könnten, wenn sich dasselbe als Aufgabe und Ziel' setze, auf Grund des reinen Gotteswortes alle Mißbräuche, alle Unrechte Lehre und allen schlechten Wan­ del der Geistlichen vom obersten bis zum niedrigsten ab­ zutun, und wenn nur solche Mehrheitsbeschlüsse Geltung haben sollten, welche sich auf das reine Gotteswort grün­ deten, und bei denen nicht nur Prälaten und Bischöfe, son­ dern alle der heiligen Schrift Kundigen mitberaten und abgestimmt hätten. Daß auch hier bei der grundsätzlich einander entgegengesetzten Einstellung auf beiden Seiten eine Verständigung nicht möglich war, muß einleuchten. In den Bedenken und Ratschlägen, mit welchen die ein­ zelnen Gruppen der Evangelischen zu den von den Unter­ händlern aufgestellten Friedensbedingungen Stellung nah­ men, wie auch in den Erwiderungen der evangelischen Ge­ samtheit war wiederholt die Forderung erhoben worden, daß der aufzurichtende Friede nicht nur den damaligen Anhän­ gern der Augsburgischen Konfession gelten sollte, sondern auch allen denjenigen, welche sich derselben in Zukunft an­ schließen würden. Auch in dem zuletzt, am 18. April, über­ gebenen Schriftsatz der evangelischen Stände war auf An­ trag der Nürnberger und Markgräflichen auf dieser For­ derung bestanden worden. Nun aber hatten die Evangeli­ schen der Erfüllung dieser Forderung unvorsichtigerweise selbst einen Riegel vorgeschoben, indem sie gleich beim Be­ ginn der Verhandlungen, um, wie sie meinten, ganz sicher zu gehen, den Wunsch geäußert hatten, daß diejenigen

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Stände, welche in den Vertrag eingeschlossen sein sollten, im Text der Vertragsurkunde namentlich aufgeführt wür­ den 44). Das war ihnen in der ,,Erklärung“ der beiden Kur­ fürsten zu ihren Friedensartikeln45) gewährt worden. Jetzt benützte das Dr. Türk gegen die Evangelischen, indem er unter Verweisung auf jene Erklärung entgegnete, mit jener Forderung, daß der Friede auch zukünftige Anhänger der Konfession schützen solle, suchten sie „fremde Sachen“ in die Verhandlung zu bringen. Der Kaiser verhandle jetzt lediglich mit den im Vertragsentwurf namentlich aufgeführ­ ten evangelischen Ständen und nur mit diesen wolle er den Vertrag schließen. Damit sei jedoch anderen Ständen der Anschluß an die Evangelischen nicht abgeschnitten.'Dagegen konnten freilich die Evangelischen geltend machen, daß ja der dritte Artikel der von den Kurfürsten übergebenen Frie­ densbedingungen tatsächlich den Uebertritt zu den Evan­ gelischen unmöglich mache, indem derselbe letzteren ver­ biete, sich solcher anzunehmen, welche in Glaubenssachen sich auf Neuerungen einließen. Im engsten Zusammenhang damit stand auch der Wunsch der Evangelischen, es möge in den Friedensvertrag eine Bestimmung aufgenommen werden, nach welcher die Obrigkeiten ihre andersgläubigen Untertanen, wenn sie sich sonst ruhig und gehorsam verhielten, um ihres Glaubens willen nicht an Leib und Leben oder Gut strafen sollten. Dagegen erklärte Dr. Türk, es gehe nicht an, den einzel­ nen Landesobrigkeiten vorzuschreiben, wie sie es in ihrem Regiment halten sollten. Damit würde man sie in ihrem Gewissen beschweren. Jede Obrigkeit habe ihr Verhalten selbst zu verantworten. Wogegen allerdings Dr. Brück gel­ tend machen konnte, daß dann die evangelischen Christen viel schlechter behandelt würden als die Juden. Diese dürf­ ten allenthalben in christlichen Landen frei und ungehindert ihres Glaubens leben, während evangelische Christen in katholischen Gebieten um ihres Glaubens willen verfolgt und gestraft würden. Man verlange ja für sie nicht einmal 44) S. I. L. 78 Nr. 20 b Prod. 9. 4Ö) Ebd. Prod. 10.

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das gleiche Recht, wie es die Juden hätten! Trotzdem kam es zu keiner Verständigung in diesem Punkte. Nur darin wurde man wenigstens einig, daß Evangelischen, welche um ihres Glaubens willen sich aus einem katholischen in ein evangelisches Gebiet begeben wollten, die Auswanderung zu gestatten sei, wenn sie vorher alle Verbindlichkeiten gegen ihre bisherige Obrigkeit erfüllt und sich nicht eines Ver­ gehens schuldig gemacht hätten. Es machte nur noch Schwierigkeiten, eine Fassung für die Bestimmung zu fin­ den, welche die Auswanderer davor schützen sollte, daß etwa der Glaubenswechsel selbst als ein Verbrechen und darum als Hindernis für die Auswanderung angesehen würde. Die evangelischen Fürsten hatten auch, wie schon er­ wähnt, das Recht für sich in Anspruch genommen, wenn sie sich in katholische Gebiete begeben müßten, wie z. B. zu Reichstagen, ihre eigenen Prediger mit sich zu nehmen und in ihren Herbergen predigen zu lassen. Das glaubten jedoch die Unterhändler nach ihrer Instruktion nicht zulassen zu dürfen. Noch größere Bedenken hatten sie dagegen, daß die evangelischen Fürsten auch auf Kriegszügen und in Feldlagern ihren evangelischen Gottesdienst nicht missen wollten. Durch zwiespältiges Predigen könnte leicht Streit und Mißhelligkeit entstehen. Nur wenn die Prediger beider Teile verpflichtet würden, sich auf die Predigt des /einen, lauteren Evangeliums zu beschränken und jede Polemik zu unterlassen, könnte die Predigt gestattet werden. Dagegen versprachen beide Kurfürsten, dem Kaiser empfehlen zu wollen, daß er den Evangelischen die Feier des hl. Abend­ mahls nach ihrer Weise gestatte. Bezüglich der Personen, welche von den Ständen und Kreisen zum Kammergericht abzuordnen waren, hatten die Unterhändler zugestanden, daß hinfort die von den evangeli­ schen Ständen abgeordneten Personen als Richter wegen ihres evangelischen Glaubens nicht mehr, wie es bisher geschehen war, zurückgewiesen werden sollten. Die Evan­ gelischen aber bestanden darauf, daß dieses Zugeständnis auf alle Abordnungen, auch auf die von den Kreisen vorzuneh-

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menden, wobei katholische und evangelische Stände oft zu­ sammenwirkten, ausgedehnt werde, wozu sich die Unter­ händler nicht verstehen wollten. Dr. Türk machte bei dieser Gelegenheit noch den Ver­ such, die evangelischen Stände zu dem Versprechen zu bewegen, daß sie nach dem Zustandekommen des Friedens­ vertrags ihre Bündnisse aufgeben wollten. Er wies dabei auf die Beziehungen zu den Zwinglischen hin wie auf die Vereinigung, welche einzelne Fürsten aus Anlaß der römi­ schen Königswahl geschlossen hatten, während er den Schmalkaldischen Bund unerwähnt ließ. Dr. Brück konnte darauf entgegnen, daß Bündnisse, welche einen Angriff auf den Kaiser oder sonst jemand zum Zweck hätten, überhaupt nicht bestünden. Sie hätten sich nur zu dem Zweck unter­ einander verbündet, sich zu verteidigen, falls sie angegriffen werden sollten. Komme der Friede zustande, so sei von die­ sen Verbindungen überhaupt nichts mehr zu befürchten. Einer förmlichen Auflösung bedürfe es darum nicht. Auf diesen Standpunkt konnte sich Brück umsomehr stellen, als der Friedensvertrag den Evangelischen eine Gemeinschaft mit den Zwinglischen nur in der Lehre, aber nicht in äuße­ ren Dingen verbot und sie eine solche sich auch nicht ver­ bieten lassen wollten. Eine Erörterung über den Wahlbund lehnte Brück ab, da derselbe mit der religiösen Frage nichts zu tun habe und auch nicht alle evangelischen Stände an­ gehe. Das waren im wesentlichen die Streitpunkte, von denen in dieser Aussprache zwischen den beiden Kanzlern gehan­ delt wurde. Die Kurfürsten waren durch dieselbe zu der Erkenntnis gekommen, daß innerhalb der Schranken, welche ihnen ihre Instruktion für die Verhandlungen gesetzt hatte, eine Verständigung mit den evangelischen Ständen aus­ geschlossen sei. Das teilten sie denn auch dem Kaiser nach Regensburg mit und baten um eine neue Instruktion. Dabei bemerkten sie, daß Milderungen in den Friedensbedingun­ gen nicht zu umgehen seien, wenn man zum Frieden kom­ men wolle. Die Kurfürsten hatten es bisher nicht gewagt, dem Kaiser von den Schwierigkeiten zu berichten, die ihnen

73 bei den Verhandlungen begegnet waren. Nur einmal hatten sie, am 12. April, gemeldet, die Verhandlungen hätten begon­ nen, aber man komme nur langsam vorwärts. Als der Kai­ ser dann nichts mehr hörte, drohte er am 23. April, wenn nicht bald günstige Nachrichten kämen, mit den katholischen Ständen zu Regensburg ohne die Evangelischen die Glau­ bensfrage in Ordnung zu bringen. Dieser Brief kreuzte sich mit dem Bericht, den die Kurfürsten nach der Aussprache vom 22. und 23. April am 24. an den Kaiser gesandt hatten. Aktenstücke hatten sie diesem Bericht nicht beigelegt, son­ dern sich auf die Mitteilung beschränkt, die Evangelischen hätten „unfürträgliche“ Vorschläge gemacht, mit denen sie den Kaiser nicht bemühen wollten 46). Die Antwort des Kaisers ließ auf sich warten. Die evangelischen Stände wurden ungeduldig und drohten mit ihrer Abreise, wenn nicht ein Bescheid eintreffe47). Am Donnerstag nach Cantate erklärten sie, noch zwei Tage auf die Antwort des Kaisers warten zu wollen. Sollten die Kur­ fürsten nach Ablauf derselben noch keine Vollmacht haben, die Verhandlungen zum Abschluß zu bringen, so möchten dieselben sich selbst und die evangelischen Stände nicht län­ ger zu Schweinfurt aufhalten. Wolle dann der Kaiser ihre Friedensvorschläge annehmen, so könne die Sache zu Re­ gensburg abgeschlossen werden. In diesem Fall wollten die Evangelischen ihren Gesandten zu Regensburg die ent­ sprechenden Vollmachten erteilen. Man hatte nämlich in Schweinfurt gehört, der Kaiser habe sich entschlossen, die Friedensfrage in Regensburg mit den Reichsständen zu er­ ledigen 48). Ueber dem Warten auf die Entscheidung des Kaisers waren in diesen Tagen die Verhandlungen zum Stillstand gekommen. Die Nürnberger Gesandten hatten ihre Herren um die Erlaubnis gebeten, nach Hause reisen zu dürfen. In Nürnberg aber war man jetzt selbst ratlos geworden. Die Lage schien dem Rate hoffnungslos. Eine klare Weisung 40) Winckelmann S. 203 f. 47) Dr. Hellers Bericht A. R. A. 18 Bl. 390 v. 48) A. R. A. 18 Bl. 391 ff.

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für ihr weiteres Verhalten wußte er seinen Gesandten nicht zu geben. Das eine glaubte er jetzt als gewiß zu erkennen, daß es dem Kaiser und seinem Bruder eigentlich nicht um eine friedliche Lösung der Glaubensfrage zu tun sei, daß vielmehr beiden Monarchen politische Interessen im Vorder­ gründe stünden, nämlich die Anerkennung der römischen Königswahl durch die evangelischen Fürsten und die Auf­ lösung des Schmalkaldischen Bundes. Das sei ,,die Braut, um die man auf dem Tag zu Schweinfurt tanze“. Auch der römischen Partei, und ihr vor allen sei es keineswegs Ernst damit, Einigkeit und Frieden in der Glaubenssache her­ zustellen. Nur um jene politischen Ziele zu erreichen und dazu noch die Evangelischen für die Türkenhilfe zu gewin­ nen, habe man den Religionsfrieden in Aussicht gestellt. Habe man diese Ziele erreicht und wieder freie Hand gewon­ nen, dann werde man nicht anstehen, die Glaubensfrage zu gelegener Zeit mit Waffengewalt im Sinne Roms und des Kaisers zu lösen. Nicht nur das bisherige Resultat der Schweinfurter Verhandlungen, auch die Nachrichten vom Reichstag zu Regensburg, hinter denen beiden für den Rat „ein sunder Mysterium und Geheimnis“ sich zu verbergen schien, wiesen darauf hin. Ja, der Rat glaubte sogar an­ nehmen zu dürfen, auch der Mehrheit der evangelischen Stände, d. h. den am Schmalkaldischen Bund Beteiligten sei es weniger um den Religionsfrieden als um politische Inter­ essen zu tun, was wohl in Wirklichkeit nicht zutraf, wenn jene auch im Kampf um den Frieden die Verweigerung der Türkenhilfe als Waffe und Druckmittel benützten und den Frieden nicht mit der Anerkennung Ferdinands erkaufen wollten. Aber wenn so der Rat um diese Zeit wenig oder keine Hoffnung hatte, daß es noch zu einer Verständigung mit dem Kaiser in Schweinfurt • kommen werde, glaubte er doch seinen Gesandten befehlen zu sollen, vorerst noch dort aus­ zuharren und weiteren Bescheid abzuwarten 49). Auch die von den evangelischen Ständen gesteckte Frist verstrich, ohne daß von Regensburg ein Bescheid ein49) Briefb. 104 Bl. 184. Schreiben des Rats vom i.Mai 1532.

75 traf. Endlich, in der Nacht vom 3. auf den 4. Mai, kam ein solcher, gerade noch recht, um die Evangelischen zu wei­ terem Bleiben zu veranlassen. Freilich sagte derselbe recht wenig. Er bestand lediglich in dem Auftrag an die Kur­ fürsten, von den Forderungen der Evangelischen soviel als möglich abzuhandeln und dann wieder zu berichten. Der Kaiser war auch gar nicht in der Lage gewesen, einen be­ stimmteren Bescheid zu erteilen, da ihn ja die Kurfürsten über die Forderungen der Evangelischen gar nicht unter* richtet hatten. Erst jetzt sandten sie die bisherigen Nieder­ schriften über die Verhandlungen mit dem Bemerken, sie hätten damit bisher gezögert, „um Zerrüttung der Hand­ lung zu verhüten“ 50). Am 4. Mai wurden die Evangelischen zu den kurfürst­ lichen Räten beschieden, wo ihnen durch Dr. Türk mitgeteilt wurde, die erwartete Post von Regensburg sei nun an­ gekommen und die Kurfürsten hielten es für gut, mit ihnen noch eine kleine Unterredung zu halten, um über die vor­ geschlagenen Artikel zu einer Verständigung zu kommen. Dr. Türk ging sodann auf die einzelnen zuletzt von den Evangelischen gestellten Forderungen ein, um darzulegen, inwieweit und wie dieselben zu ändern und zu bessern wären, um von den Kurfürsten angenommen und dem Kaiser vorgelegt werden zu können. Dr. Brück sprach darauf das Einverständnis der Evangelischen mit einer nochmaligen Besprechung aus, soweit diese zur Aufklärung etwaiger Mißverständnisse in den übergebenen Artikeln dienen könne. Nachdem das nun geschehen sei, wünschten die Evangeli­ schen andere Vorschläge. Insbesondere wünschten sie zu hören, wie der Kaiser gesinnt sei, von dem die Kurfürsten nunmehr Post empfangen hätten. Wenn der Kaiser weiter nichts nachlassen wolle, seien die Verhandlungen des Aus­ schusses abgeschnitten. Ohne zu wissen, was der Kaiser noch zulasse, könnten sie sich auf weitere Verhandlungen nicht einlassen. Man wolle doch nicht vergeblich handeln. Nunmehr gestand Dr. Türk, die Kurfürsten hätten die letzten Vorschläge der Evangelischen dem Kaiser gar nicht 50) Winckelmann S. 207.

76 mitgeteilt, weil sie dieselben „zu rauh“ befunden und geglaubt hätten, daß durch dieselben der Handel mehr gehin­ dert, als gefördert werde. Wollte man dem Kaiser Mittel Vorschlägen, dann müßte man sich über dieselben zuerst verständigt haben und einig sein. Darum hätten sie den Weg der Unterredung als den besten vorgeschlagen, damit man zu Mitteln komme, die dem Kaiser vorgelegt werden könnten. Der Kaiser habe jetzt Befehl gegeben, sie sollten versuchen, wie sie mit den Evangelischen zusammenkämen. Dazu wären sie bereit, Mittel vorzuschlagen. Ueber diese könne man dann in Nürnberg weiter verhandeln, wo­ hin nach dem Wunsch des Kaisers die Ver­ handlungen verlegt werden sollten51). Nachdem die Evangelischen sich durch Dr. Brück damit einverstanden erklärt hatten, wurden ihnen am 6. Mai die neuen Vorschläge übergeben 52). Schon am folgenden Tag erfolgte die Antwort der evangelischen Stände. Diese hat­ ten die Vorschläge geprüft, da und dort nach ihren Wün­ schen geändert und gebessert und so zurückgegeben 53). In ihrem neuen Entwurf war nun neben der Augsburgisc.hen Konfession auch die Apologie als Lehrnorm für die Evangelischen anerkannt und diesen zugestanden, in den Zeremonien auf Grund derselben und in Uebereinstimmung mit beiden Bekenntnisschriften Aenderungen vorzunehmen. Auch insofern war den Evangelischen größere Freiheit gegeben, als ihnen zugestanden wurde, daß Lehren und Reformen, welche dem Bekenntnis „nach rechtem, christ­ lichem, billigem Verstand gemäß“ wären, nicht als unter­ sagte Neuerungen gelten sollten. Die Evangelischen aber hatten sich verpflichtet, bezüglich der geistlichen Juris­ diktion den gegenwärtigen Bestand bis zum Konzil un­ angetastet zu lassen. Mit diesen gegenseitigen Zugeständ­ nissen waren die beiden Parteien einander nicht unwesent­ lich näher gekommen. Immerhin blieben noch Streitpunkte übrig, welche noch einen weiteren Schriftenwechsel verßl) A.R.A. iS Bl. 401 ff. ö2) A.R.A. 18 Bl. 413 ff. ft3) A. R. A. 18 Bl. 423 ff.

77 anlaßten 54). So hatten die Evangelischen in ihrer „Verbesserung der Artikel“ wieder gefordert, daß auch diejenigen in den Frie­ den einbezogen werden sollten, welche sich ihrer Konfes­ sion in Zukunft noch anschließen würden; ferner hatten sie an der Bedingung festgehalten, daß das Konzil in deutschen Landen zu halten sei und allein nach Gottes reinem Wort entscheiden dürfe. Bezüglich der geistlichen Güter und Einkünfte wollten die Evangelischen nicht zugeben, daß, wie die Unterhändler forderten, allen Geistlichen ohne Un­ terschied ihre bisherigen Bezüge gesichert bleiben sollten. Sie wollten vielmehr dieses Recht nur denjenigen gesichert wissen, welche ,,an dem Ort geblieben wären, dahin die­ selben Güter und Einkommen von altersher gehören“. Die­ ser Antrag sollte es den Evangelischen ermöglichen, Geist­ lichen in evangelischen Gebieten, welche die Reformation nicht annehmen wollten und aus ihrem Amte weichen muß­ ten, ihre bisherigen Einkünfte aus Stiftungen zu versagen. Daß die Kurfürsten diese Anträge ablehnten, ist ven* ständlich. Sie wären auch vom Kaiser unter keinen Um­ ständen genehmigt worden, da dieser mit ihrer Annahme die evangelische Reformation, die er bekämpfte, nur gefördert hätte. Aber auch in anderen, wenn auch weniger wichtigen Punkten glaubten die Unterhändler nicht nachgeben zu dür­ fen. So lehnten sie im zweiten Artikel, in dem es sich um das Verhältnis zu den Zwinglischen und Wiedertäufern handelte, eine von den Evangelischen gewünschte Milderung ab, ebenso auch im dritten Artikel. Andere Wünsche woll­ ten die Kurfürsten unentschieden lassen und dem Kaiser vorlegen, die einen empfehlend, andere, wie es scheint, ohne selbst dazu Stellung zu nehmen. Ueber die noch streitigen Artikel in Schweinfurt weiter zu verhandeln, war beiden Teilen nicht erwünscht. Die Kurfürsten gedachten dem Kaiser zunächst die beiderseitigen letzten Friedensentwürfe vorzulegen und sich weitere Weisungen zu erbitten. Die Evangelischen aber begrüßten die Pause, welche durch die 54) A. R. A. 18 Bl. 433: Weiteres Bedenken der Kurfürsten. Ebd. 18 Bl. 441 ff.: Letzte Schrift der evangelischen Stände.

7« vom Kaiser gewünschte Verlegung der Verhandlungen nach Nürnberg entstand, weil sie das Bedürfnis hatten, die Lage der Dinge mit ihren Auftraggebern zu beraten und sich mit diesen darüber klar zu werden, welche ihrer Forderungen sie bei den künftigen Verhandlungen unter allen Umständen festhalten müßten und worin sie etwa weiter nachgeben könnten. Nachdem sie ihre Wünsche und Forderungen noch einmal in ihrer „letzten Schrift“ kurz begründet hat­ ten, erklärten sie ihre Zustimmung zur Verlegung der Ver­ handlungen nach Nürnberg und versprachen, am Montag nach Corporis Christi, den 3. Juni, daselbst zu erscheinen, wobei sie den Wunsch aussprachen, daß auch die beiden Kurfürsten in Nürnberg persönlich erscheinen und die Ver­ handlungen führen möchten. Eine Sache, die von Interesse für uns ist, war noch in Schweinfurt erledigt worden. Die Reichsstadt Schwäbisch-Hall hatte sich noch im April an Nürnberg mit der Bitte gewendet, der Rat möge sich dafür einsetzen, daß auch Hali in den zu schließenden Frieden aufgenommen werde, nachdem inzwischen gestattet worden sei, daß zwinglische Städte, welche die Augsburgische Konfession anneh­ men wollten, zu demselben zugetassen würden 55). Der Rat hatte daraufhin seine Gesandten zu Schweinfurt beauftragt, bei dem Herzog Johann Friedrich den entsprechenden An­ trag zu stellen 56). In ihren Vorschlägen vom 7. Mai hatten die evangelischen Stände dann die Stadt Schwäbisch-Hall als zu ihrer Konfession gehörig aufgeführt und mündlich Antrag zur Aufnahme derselben in den Frieden gestellt57). So gern und eifrig sich auch der Nürnberger Rat hier um die Aufnahme Halls in den Frieden bemühte, so wenig Hoffnung hatte man in diesen Tagen auf ein wirkliches Zu­ standekommen dieses Friedens. In dem schon erwähnten Brief vom i.Mai 1532 an seine Gesandten in Schweinfurt nannte er den Frieden „zweifelig, weitläufig und unverhöfflich“, 'die Schuld daran schob er nicht nur dem Kaiser und 65) Briefb. 104 Bl. 181; Archiv für Reformationsgeschichte 26 Bl. 251. w) Briefb. 104 Bl. 183. 57> A. R. A. 18 Bl. 423 u. 433; ferner 441.

79 den Päpstlichen zu, er machte auch die Schmalkaldischen dafür verantwortlich, weil diese nach seiner Meinung allzu hoch gespannte Forderungen stellten, die den Frieden ver­ hinderten 58). Diese wenig hoffnungsvolle Stimmung hielt auch in den nächsten Wochen an, wie die folgenden Briefe des Rates an seine Gesandten zu Regensburg zeigten 59). Als dann am 12. Mai die Gesandten von Schweinfurt heimgekehrt waren und die letzten beiderseitigen Vorschläge wie den Abschied mitgebracht hatten, entschloß sich der Rat am 14. Mai 60), den Abschied und die letzten Vorschläge von Schweinfurt durch seine Gelehrten beratschlagen zu las­ sen, um sich für eine entsprechende Stellungnahme bei den im Juni zu Nürnberg fortzusetzenden weiteren Verhand­ lungen entscheiden zu können. Die Statthalter und Räte zu Ansbach ersuchten, die Schriftstücke ebenfalls beratschlagen zu lassen 61). • : Während nun ein den damals in Ansbach gesammelten Ratschlägen beigeheftetes Gutachten mit der Ueberschrift: „Was der Schweinfurtischen Tagshandlung halb zu beden­ ken vonnöten sei“, dessen Verfasser nicht genannt ist, geradezu empfahl und vorschlug, die Markgräflichen v und Nürnberg sollten sich von den Schmalkaldischen, die doch nur den Frieden hinderten, trennen und mit dem Kaiser für sich einen Sonderfrieden abschließen 62), traten die Ans­ bacher Theologen in ihrem Gutachten63) für die Aufrecht­ erhaltung der letzten Vorschläge der Evangelischen auch bei den weiteren Verhandlungen ein* Dagegen vertraten die Nürnberger Theologen einen mehr vermittelnden Standpunkt. In ihrem ausführlichen Gutachten glaubten sie feststellen zu können, daß nach den letzten Vorschlägen beider Parteien eigentlich nur noch über drei Artikel ein Streit bestünde, nämlich über die Fassung der Bestimmungen für das Konzil, über das Verbot, c(ie 68) 59) ®°) 61) ®2) ea)

Briefb. 104 Bl. 184. Briefb. 104 Bl. 185 v., 194 r. Ratsverl. vom 14. Mai 1532, Heft 2 Bl. 15 v. Briefb. 104 Bl. 196; A. R. A. 19 Bl. 1. A. R. A. Supplement Band VII Bl. 3. Ebd. Bl. 28.

8o Untertanen anderer Stände in Sachen des Glaubens an sich zu ziehen, und endlich über die Erstreckung des Friedens auch auf diejenigen, welche noch in Zukunft sich der Augsburgischen Konfession anschließen würden. Ferner sprachen sich die Verfasser dahin aus, daß jene Vorschläge annehm­ bar seien, wenn es möglich wäre, die genannten drei noch strittigen Artikel so zu gestalten und ihnen einen solchen Sinn zu geben, daß sie dem Gewissen der Evangelischen nicht mehr beschwerlich fielen und dem Frieden dienlich wären. Nach ihrer Meinung war dies möglich. Bezüglich des Konzils glaubten nämlich die Theologen, daß man auf der evangelischen Seite auf nähere Bestimmun­ gen über dessen Charakter wie über die Maßstäbe für seine Entschließungen überhaupt verzichten könnte, nachdem man sich ohnedies die Freiheit Vorbehalten müsse, den Ent­ schließungen des Konzils sich nicht zu unterwerfen, wenn dasselbe wider Gottes Wort beschließen sollte. Insbesondere sei es dann nicht nötig, jetzt im Friedensvertrag vorzuschrei­ ben, wie und wonach das Konzil zu erkennen und. zu be­ schließen habe. Ja, eine solche Vorschrift könnte sogar gefährlich werden, da die Gegner auf alle Fälle behaupten würden, sie hätten nach Gottes Wort beschlossen. Ueber den Sinn der Bestimmung, daß keine Partei der anderen Untertanen in Sachen des Glaubens an sich ziehen sollte, war die Auffassung der Theologen geteilt. Ein Teil derselben verstand sie so, wie sie auch tatsächlich gemeint war, daß den Evangelischen verboten sein sollte, Unter­ tanen katholischer Stände zu ihrem evangelischen Glauben herüberzuziehen, während der andere Teil sie dahin auffaßte, daß evangelische Stände den katholischen ihre Untertanen nicht abspenstig machen und unter ihre Obrigkeit zu brin­ gen suchen sollten. Merkwürdigerweise war die Mehrheit für diese letztere Auffassung. Sie hatte es nun leicht, dem Rat die unbedenkliche Annahme dieses Artikels zu empfeh­ len. In diesem Sinn konnte derselbe ja den Evangelischen nicht anstößig sein, da bei ihnen niemand daran dachte, einer anderen Obrigkeit die Untertanen abspenstig zu machen. Indeß hielt man es doch für gut, zu betonen, daß



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der Artikel unannehmbar sein würde, wenn die Auffassung der Minderheit die richtige wäre. Und das war auch gut! Denn die Unterhändler wollten in der Tat die Propaganda der Evangelischen für ihren Glauben unter katholischen Untertanen mit jenem Verbot unterbinden! Wenn dann die Theologen noch wünschten, daß in der fraglichen Bestim­ mung, wie überhaupt in den Friedensbedingungen der Aus­ druck „Partei“ vermieden und dafür das Wort „Stand“ gewählt würde, so wollten sie dadurch verhüten, daß sie von seiten der Gegner als Sekte angesehen und behandelt werden könnten. Auch die Forderung der evangelischen Stände, daß der Friede auch auf diejenigen zu erstrecken sei, welche die evangelische Lehre in Zukunft noch annehmen würden, schien den Nürnberger Theologen nicht so nötig und wich­ tig, daß man an deren Ablehnung durch die Unterhändler den Frieden scheitern lassen mußte. Vor allem war nach ihrer Meinung nicht zu befürchten, daß man gegen solche, welche in Zukunft die evangelische Lehre annehmen wür­ den, mit Gewalt Vorgehen werde. Hätten doch die Unter­ händler ausdrücklich versichert, daß es durch den von ihnen vorgeschlagenen Wortlaut des Friedensvertrags niemand unmöglich gemacht werde, den evangelischen Glauben anzunehmen. Wenn jetzt der Kaiser den Evangelischen Frieden anbiete, werde er gewiß nicht ihr Verderben wol­ len. Man könne dem Kaiser nicht zumuten, daß er sich verpflichte, sich dessen zu enthalten, was er in der Tat nicht vorhabe. Auch wäre es zuviel verlangt, wenn man ihm zumutete, eine Lehre zu schützen und zu fördern, die er nun einmal für falsch und unrecht halte. Er käme ja damit in schwere Konflikte mit dem Papst und den katholi­ schen Ständen. Endlich wäre es für die evangelische Sache gar nicht gut, wenn man den Anschluß an dieselbe allzu leicht machte. Viele würden dann zum Evangelium kom­ men, die ihm keine Ehre machten. Es sei nur gut, wenn solche durch die Gefahr der Verfolgung abgeschreckt und die Spreu vom Weizen gesondert werde. So kamen die Theologen zu dem Schluß, daß an den 6

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drei noch strittigen Artikeln nicht soviel gelegen sei, daß man an ihnen den Frieden scheitern lassen sollte. Sie rieten daher, man solle den Frieden annehmen, auch wenn man nicht mehr erreichen könne, als was die Unterhändler nun­ mehr dem Kaiser zur Genehmigung vorschlagen wollten. Wäre es allerdings noch möglich, die fraglichen Artikel nach dem Willen der Schmalkaldischen zu gestalten, dann sollte man mit allem Fleiß darauf bedacht sein. Da sie selbst jedoch nicht darauf zu hoffen wagten, schlugen sie noch eine Milderung der evangelischen Forderung bezüg­ lich des Konzils in der Form vor: „daß das Konzil dem reinen, gewissen Wort Gottes nichts widerwärtig oder ent­ gegen entscheiden solle". Um jeden Schein zu vermeiden, als wäre es den Evangelischen darum zu tun, fremde Un­ tertanen politisch zu beinflussen, empfahlen sie, in den fraglichen Artikel noch die Verpflichtung aufzunehmen, daß die Evangelischen katholische Untertanen „nach Ausweisung christlicher Lehr zum Gehorsam ihrer Obrigkeit weisen und vermahnen" sollten. Endlich wollten sie zufrieden sein, wenn in dem Artikel von der Erstreckung des Frie­ dens keine Bedingung gestellt, sondern lediglich die Bitte an den Kaiser gerichtet würde, dieser möge der Annahme des evangelischen Glaubens durch andere Stände nichts in den Weg legen64). Wenn sö die Nürnberger Theologen zu sehr weitgehen­ der Nachgiebigkeit in den noch strittigen Punkten rieten, so standen sie damit keineswegs allein. Der Kurfürst von Sachsen hatte alsbald nach dem Abschluß der Schweinfurter Verhandlungen die Niederschriften über dieselben an Luther übersandt und diesen um ein Gutachten über die letzten Vorschläge der Unterhändler ersucht. Luther hielt die Vorschläge für „leidlich und glimpflich gestellt" und meinte, man sollte darüber nicht weiter Streiten, selbst wenn die von den Evangelischen gewünschten Verbesserungen nicht zu erreichen wären. Insbesondere war Luther der Anschau­ ung, daß man dem Kaiser nicht zumuten könne, den Frie­ den im voraus auch denjenigen fcuzusichem, welche in l) A.R.A. 19 Bl. 56 ff.

83 Zukunft die evangelische Lehre annehmen, würden. Denn damit würde er ja selbst zur völligen Zerstörung der römi­ schen Kirche beitragen, was er doch bei seinem Standpunkt unmöglich mit gutem Gewissen tun könne. Andererseits könnten die Evangelischen mit gutem Gewissen auf ihre Forderung in dieser Beziehung verzichten. Sie alle hätten die evangelische Lehre auf eigene Gefahr angenommen, ohne irgend eines Schutzes versichert zu sein. Nun könn­ ten und sollten das auch diejenigen tun, welche ihnen nachfolgen wollten. Durch den Frieden werde es ihnen ohnedies erleichtert. Man könne den Kaiser nicht zwingen, das, was er den jetzigen Bekennern des Evangeliums gewähre, auch anderen zu gewähren. Es sei genug, wenn der Frie­ densvertrag die Annahme des Evangeliums nicht geradezu verbiete. Wenn auch in den anderen Artikeln noch manche Verbesserung wünschenswert erscheine, so solle man doch um zeitlicher Dinge willen wie z. B. wegen der Kloster­ güter nicht so sehr streiten. Denn wichtiger als alles Zeit­ liche sei doch der Friede 65). In einem zweiten Gutachten, welches Luther damals zusammen mit Bugenhagen für den Kurfürsten verfaßte, vertraten beide den gleichen Standpunkt. Das Nötige um­ stoßen um des Unnötigen willen, ist gegen Gott und Ge­ wissen. Wenn ein leidlicher Friede geboten wird, soll man nicht Anlaß zum Streit geben. Wir sollen uns um der an­ deren Heil und Wohlfahrt annehmen, so gut wir können; was aber nicht zu erreichen ist, sollen wir nicht erzwingen wollen. Wer zu viel haben will, der kriegt zu wenig. Luther und Bugenhagen hielten sogar die Sicherung des Konzils durch die Bezeichnung ,,frei und christlich“ für genügend. Helfe dieser Zusatz nicht, so werde auch der weitere Zusatz: „nach dem reinen Wort Gottes“ nichts hel­ fen, da die Römischen auch bei einem Beschluß gegen den Standpunkt der Evangelischen behaupten würden, nach dem Wort Gottes gehandelt zu haben 6e). Der Standpunkt, welchen Luther und Bugenhagen hier öö) A. R. A. 19 Bl. 77. De Wette IV 369. M) A. R. A. 19 Bl. 74, De Wette IV 372. 6*

84 einnahmen, war auch von Anfang an der des Kurfürsten von Sachsen gewesen. Aber sowohl sein Kanzler Dr. Brück als auch der Herzog Johann Friedrich vertraten in Schweinfurt stets den Standpunkt des Landgrafen Philipp von Hes­ sen, welcher es für eine unbedingte Pflicht der evangeli­ schen Stände hielt, der weiteren Ausbreitung der evangeli­ schen Lehre keine Schranke setzen zu lassen, und zwar nicht nur vom religiösen, sondern auch vom politischen Standpunkt aus. Auch die übrigen schmalkaldischen Bun­ desfürsten und die aberländischen Städte, ja auch Mark­ graf Georg in Nürnberg teilten diesen Standpunkt, wenn derselbe auch von den Städten nicht so nachdrücklich ver­ treten wurde 67). Bevor wir uns nun den weiteren, von Schweinfurt nach Nürnberg verlegten Friedensverhandlungen zuwenden, ist es nötig, daß wir uns nach Regensburg begeben, um unsere Aufmerksamkeit zunächst den Verhandlungen zu schenken, welche inzwischen auf dem daselbst am 17. April eröffneten Reichstag gepflogen wurden. Denn wenn auch der Kaiser die Friedensfrage aus wohlerwogenen Gründen nicht auf den Reichstag zu bringen, sondern dieselbe gesondert zu behandeln und erst nach ihrem Abschluß den Reichs­ ständen vorzulegen gedachte, so erwies sich doch mit der Zeit eine völlige Ausscheidung der Friedensfrage aus den Reichstagsverhandlungen als undurchführbar. Außerdem übten die Vorgänge auf dem Reichstag zugleich eine starke Wirkung auf die Friedensverhandlungen aus, wie um­ gekehrt die Verhandlungen in Schweinfurt und Nürnberg und deren Resultate die Stellungnahme des Kaisers unci besonders auch der Reichsstände auf dem Reichstag wesent­ lich beeinflußten. In seiner Thronrede hatte der Kaiser in Aussicht gestellt, auf dem Reichstag auch die religiöse Frage zu behandeln. Aber angesichts der immer drohender wer­ denden Kriegsgefahr mußte ihm daran liegen, vor allem über die Vorkehrungen zum Kampf gegen die Türken zu einer Einigung mit den Ständen zu kommen. Dann erst 67) Winckelmann S. 232.

85 gedachte und hoffte er auch die Glaubensfrage einer einst­ weiligen Lösung zuführen zu können. So war ihm ja auch von Rom aus geraten worden 68). Die Reichsstände waren damit einverstanden. Aber schon beim Beginn der Ver­ handlungen über die Türkenhilfe erklärten die Vertreter der evangelischen Stände, sie könnten sich nicht ent­ schließen, mit großen Kosten ihre Habe und ihr Volk von Verteidigungsmitteln zu entblößen und gegen die Ungläu­ bigen zu kämpfen, während sie gleichzeitig durch das unter dem Schein des Rechtes zu erwartende Vorgehen des Fiskals mit tätlicher Handlung überzogen werden könnten 69). Um nun von den evangelischen Ständen unabhängig zu sein und den durch die Weigerung derselben entstehen­ den Ausfall zu ersetzen, beantragte der Kaiser bei den Ständen eine Erhöhung des ihm seiner Zeit in Augsburg bewilligten Anschlags. Anstatt nun aber den Kaiser gegen die Evangelischen zu unterstützen, machten ihm auch die katholischen Stände Schwierigkeiten. Nach längeren Ver­ handlungen bewilligten sie zwar den Augsburger Anschlag, aber die Erhöhung desselben lehnten sie ab 70). Dadurch war der Kaiser erst recht auf die Hilfe der Evangelischen angewiesen. Diese aber war allein durch ein Entgegen­ kommen in der Glaubensfrage zu gewinnen. Nun hatte der Kaiser schon beim Beginn des Reichstags einen Fühler ausgestreckt, um zu erfahren, wie sich die katholischen Stände zu den Forderungen der Evangelischen in der Frie­ densfrage stellten. Aber jene hatten lediglich mit der Gegenfrage geantwortet, was denn die Schweinfurter Ver­ handlungen mit den Evangelischen bisher ergeben hätten. Der Kaiser hatte ihnen Bescheid darüber zugesagt, sobald er selbst von den Kurfürsten unterrichtet sei. Als dann letztere nach dem Abbruch der Schweinfurter Verhandlun­ gen nach Regensburg gekommen waren, rieten sie dem Kaiser, er möge die Reichsstände nicht weiter mit der Frie­ densfrage befassen, da diese kaum zu lösen sei, wenn die 68) Heine S. 257. 69) A. Westermann, Die Türkenhilfe u. die politisch-kirch­ lichen Parteien auf dem Reichstag zu Regensburg 1532. Heidelb. 1910. S. 61. — 70) Westermann S. 87.

86 erbittertsten Gegner der Evangelischen ihre Hand mit im Spiel hätten. Darum beschränkte nun der Kaiser seine Antwort an die Stände auf die Bitte, diese möchten darüber nachdenken, wie man die Evangelischen zur Beteiligung an der Türkenhilfe bewegen könne. Aber auch jetzt gingen die Stände aus ihrer Zurückhaltung nicht heraus. Sie spra­ chen die Erwartung aus, es werde dem Kaiser möglich sein, die Evangelischen ,,durch gnädige Handlung von ihrer Protestation in diesem christlichen Werk abzuweisen und zu bewirken, daß allenthalben christliche, gute Einigkeit gehalten werde“. Dabei fiel ihnen jedoch nicht ein, dem Kaiser zur Gewinnung der Evangelischen und zur Herstel­ lung des Friedens mit ihnen irgendwie behilflich zu sein. Im Gegenteil bemühten sich die katholischen Stände in der Folge auf jede Weise, dem Kaiser jede Verständigung mit den Evangelischen unmöglich zu machen, indem sie jedes Zugeständnis in der Glaubensfrage zu verhindern such­ ten 71). Mochte dieser Widerstand bei einzelnen katholischen Ständen in ihrem religiösen und kirchlichen Standpunkt begründet sein, so waren doch die meisten dabei vor allem durch politische Beweggründe geleitet. Das gilt nament­ lich von den Herzogen von Bayern, welche jedes Entgegen­ kommen den Evangelischen gegenüber auf das entschieden­ ste bekämpften, aber durchaus nicht nur im Interesse der römischen Kirche, sondern vielmehr darum, weil sie in der Fortdauer des kirchlichen Zwiespalts ein treffliches Mittel sahen, die Habsburger Brüder an der vollen Entfaltung ihrer Macht zu hindern. Der Wille zur Verhinderung einer Verständigung zwischen dem Kaiser und den Evangelischen trat bei den katholischen Reichsständen viel schroffer her­ vor, als in der römischen Kurie. Jene stellten sich jetzt sogar in Gegensatz gegen den Papst, der wenigstens einen vorläufigen Vergleich mit den Evangelischen wünschte, zwar nicht aus ehrlicher Duldsamkeit, sondern weil er hoffte, durch eine einstweilige Verständigung um die Not­ wendigkeit der Veranstaltung des ihm höchst unbequemen 71) Winckelmann S. 225 f.

87 Konzils herum zu kommen 72). Wie der darin vom Kardinal Loaysa beratene Papst, so glaubte auch der uns von Worms her bekannte, damals in Regensburg weilende Nuntius Aleander einen Vergleich mit den Evangelischen empfehlen zu sollen. Aenderten sich später die politischen Verhältnisse und gewinne der Kaiser wieder freie Hand, so werde man mit den Ketzern schon fertig werden, sei es in Güte oder mit Gewalt. An­ ders freilich dachte der päpstliche Legat Campeggi. Dieser war über den Stand der Schweinfurter Verhandlungen sehr genau unterrichtet und hatte versucht, darüber eine Unter­ redung mit dem Kaiser herbeizuführen. Letzterer war nicht darauf eingegangen und hatte nur erwidert, er gedenke in den nächsten Tagen seine Entscheidung über die Frie­ densartikel zu treffen. Trotz dieser Abweisung überreichte Campeggi sodann ein schriftliches Gutachten, in welchem er den Friedensentwurf der beiden Kurfürsten als unannehm­ bar erklärte, die Erneuerung des Wormser Edikts forderte und dazu noch die Veröffentlichung der Konfutation des Augsburgischen Bekenntnisses empfahl 73). Dem Kaiser war es natürlich unmöglich, auf diese Vorschläge einzugehen. Diese Maßnahmen hätten den Riß nur erweitert, statt ihn zu heilen. Der immer näher rückende Türkenkrieg und ein gleichzeitiger Angriff, der von Frank­ reich drohte, forderten unbedingt ein friedliches Abkommen mit den Evangelischen. Der Tag von Nürnberg, auf wel­ chem die Entscheidung darüber fallen mußte, rückte näher. So wurde im engeren Rate des Kaisers in den ersten Tagen des Juni ohne Anhörung der Stände und der päpstlichen Gesandten beschlossen, den letzten Friedensentwurf der beiden Kurfürsten, welcher den Evangelischen bereits in Schweinfurt Vorgelegen war, mit einigen geringen Aenderungen zu genehmigen. Die Kurfürsten wurden ermäch­ tigt, auf dieser Grundlage mit den Evangelischen den Frie­ den in Nürnberg zu vereinbaren. Derselbe sollte dann in Regensburg durch den Kaiser und die Reichsversammlung 72) Heine S. 257.

73) Winckelmann S. 229.

88 ratifiziert werden. Diese Vollmacht wurde am 7. Juni den itizwischen nach Nürnberg abgerittenen Kurfürsten nach­ gesandt 74). Die beiden Kurfürsten trafen am 6. Juni mit einer Ver­ spätung von drei Tagen in Nürnberg ein. Sie hatten in Regensburg ihre Abreise verzögern müssen, weil ihre Voll­ machten nicht rechtzeitig ausgefertigt waren. Für den Pfalzgrafen Ludwig hatte der Rat im Plobenhof Quartier besorgt75). Bezüglich des Erzbischofs von Mainz ist hierüber nichts erwähnt. Herzog Johann Friedrich und Franz von Lüneburg waren schon am 5. Juni eingetroffen. Ersterem war durch den Rat vergönnt worden, im Prediger­ kloster oder, wo er sonst wünschte, jeden Tag für sich und sein Gesinde predigen zu lassen 76). Die Kurfürsten konnten die Verhandlungen mit den Evangelischen nicht sogleich nach ihrer Ankunft beginnen, da sie auch jetzt noch auf ihre Vollmacht warten mußten. Endlich, am 8. Juni, beschieden sie die evangelischen Stände auf das Rathaus und legten ihnen, um sie nicht länger war­ ten zu lassen, einstweilen ihre zuletzt in Schweinfurt am 6, Mai übergebenen und von den Evangelischen am 7. Mai bereits beantworteten Vorschläge noch einmal vor. Dabei bemerkten sie, daß diese vom Kaiser noch nicht genehmigt seien und diesem erst noch zur Prüfung vorzulegen seien. Die Evangelischen lehnten jedoch am 9. Juni eine Verhand­ lung über diese Artikel, die sie ja bereits in Schweinfurt als unannehmbar bezeichnet hätten, ab, unter Hinweis auf das ihnen damals gegebene Versprechen der Kurfürsten, diese Artikel dem Kaiser vorlegen und sich von diesem weitere Weisung erbitten zu wollen. Sie bestanden darauf, daß ihnen nunmehr die vom Kaiser daraufhin gestellten neuen Bedingungen bekannt gegeben würden. Zugleich wünschten sie Aufschluß darüber, ob die Kurfürsten nun­ mehr vom Kaiser Vollmacht hätten, mit den Evangelischen abzuschließen. Würde man jetzt über die Schweinfurter 74) Bucholtz IX. S. 34. 75) Briefb. 105 Bl. 7v u. 12 r. 7Ö) Ratsverl. vom 4. Juni 1532.

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Artikel noch einmal disputieren und müßten dieselben dann noch einmal an den Kaiser gebracht werden, so würde damit die Sache allzulange verzogen 77). Inzwischen war die kaiserliche Instruktion für die Kur­ fürsten angekommen, und nunmehr eröffneten diese den Evangelischen, sie hätten ihre letzten Schweinfurter Artikel und der Evangelischen Gegenvorschläge dem Kaiser vor­ gelegt. Dieser habe sie jedoch abgelehnt und ihnen neue Bedingungen nachgesandt, die sie ihnen jetzt übergäben. Es seien aber die letzten Vorschläge, die ihnen der Kaiser darbiete. Eine Vollmacht, auf Grund derselben mit den Evangelischen endgültig abzuschließen, hätten sie auch jetzt nicht. Vielmehr hätten sie Befehl, diese Artikel, wenn die Evangelischen sie bewilligt hätten, wieder nach Re­ gensburg zu schicken, wo sie den Reichsständen zur Beschlußfassung vorgelegt werden würden. Denn der Kai­ ser wolle nicht ohne diese, welche die Sache auch angehe und welche in den Frieden ebenfalls mit eingeschlossen werden müßten, endgültig beschließen 78). Als die Evangelischen am io. Juni die neuen kaiser­ lichen Friedensbedingungen gehört und schriftlich aus­ gehändigt erhalten hatten, zeigte es sich, daß dieselben sich nur sehr wenig von den seiner Zeit am 6. Mai in Schweinfurt von den Kurfürsten übergebenen unterschieden und daß überdies die vorgenommenen Aenderungen durchweg zu Ungunsten der Evangelischen ausgefallen waren. Die For­ derung der Evangelischen, daß der Friede auch auf die künftigen Anhänger der Konfession erstreckt werde, war wieder gestrichen, ebenso diejenige, daß das Konzil nur nach dem reinen Gotteswort entscheiden sollte, die Fassung des die Zwinglischen und Wiedertäufer betreffenden Ar­ tikels war so, wie sie die Kurfürsten seiner Zeit vor­ geschlagen, wiederhergestellt, nur war hirjizugefügt, daß auch die Zwinglischen und Wiedertäufer in den Frieden 77) A. R. A. 19 Bl. 121 ff. O. Winckelmann, Politische Korre­ spondenz der Stadt Straßburg im Zeitalter der Reformation II Nr. 146; A. R. A. 19 Bl. 131. 78) A. R. A 19 Bl. 137 ff. Polit. Korrespondenz II Nr. 146 S. 151; Bucholtz IX S. 34.

9o eingeschlossen werden sollten, wenn sie sich im Glauben mit dem Kaiser und den katholischen Ständen verglichen! Das von den Evangelischen geforderte Recht, auf Reisen in andern Gebieten evangelischen Gottesdienst halten zu las­ sen, war für jeden einzelnen Fall von einer besonderen Erlaubnis abhängig gemacht und, falls dieselbe gewährt würde, auf eine Hausandacht beschränkt. Auf Feldzügen sollte überhaupt keine evangelische Predigt gehalten wer­ den, sondern lediglich eine Schriftverlesung ohne Zusatz und Auslegung und an einem sonderen Ort ad partem und allein für die, „so ihres Anhangs sind, gestattet sein“. Das heilige Abendmahl sollte zwar in beider Gestalt, aber auch nur in den Herbergen zu feiern erlaubt sein. Bei den evangelischen Ständen riefen diese Friedens­ bedingungen große Enttäuschung und zugleich auch schwie­ rige Verhandlungen untereinander hervor. Besonders bewegte sie die Frage, ob man es sich gefallen lassen sollte, daß der weiteren Ausbreitung der evangelischen Lehre solch enge Schranken gezogen bleiben sollten, wie sie in diesem Friedensentwurf aufgerichtet waren. Die Ratschläge, welche die einzelnen evangelischen Stände von ihren Gelehrten bei sich hatten, standen gerade in dieser Frage zu einander im Widerspruch. Die einen meinten, man könne auf die Forderung, daß der Friede auf die künf­ tigen Anhänger der Konfession erstreckt werde, mit gutem Gewissen verzichten, während die anderen glaubten, darauf nicht verzichten zu dürfen. Zu letzteren gehörten außer Sachsen auch Markgraf Georg und Nürnberg, welche in diesem Punkt dem Urteil Luthers nicht zustimmen konn­ ten. Schließlich aber einigte man sich, diesen Friedens­ entwurf abzulehnen. Bei der Uebermittlung dieses Beschlusses an die Kur­ fürsten begründeten die Evangelischen noch einmal aus­ führlich ihren Standpunkt in den einzelnen Artikeln, über welche sie mit dem Kaiser und seinen Beauftragten nicht einig werden konnten, und schlossen ihre Darlegungen mit der Bitte an den Kaiser, dieser möge ihnen die Ablehnung seiner Vorschläge nicht übelnehmen, da ihr Gewissen sie

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dazu gezwungen habe. Zugleich sprachen sie die Erwartung aus, der Kaiser werde sie bei ihrer rechtmäßig angestellten Protestation und Appellation schützen und handhaben, sodaß sie ,,bis zu einem gemeinen, freien, christlichen Konzil durch niemand dieser Sachen halben im Schein vermeinten Rechtes oder sonst mit der Tat molestiert würden, wie sie sich denn auch ihres Teils an Gleich und Recht begnügen zu lassen geneigt, auch ungern jemand dawider be­ schweren wollten“. Bestünde aber doch noch eine Möglich­ keit, daß die Kurfürsten diese Bedingungen mildern oder andere Vorschläge machen könnten, welche dem Kaiser genehm und ihrem Gewissen nicht beschwerlich und zum Frieden dienstlich wären, so würden sie solche gern hören und sich nach aller Billigkeit darauf wieder vernehmen las­ sen. Auch wollten sie, wenn der Friede zustande käme, sich nochmals zur Leistung der Türkenhilfe erbieten. Sollte jedoch der Kaiser bei seinen letzten Bedingungen bleiben wollen, so bäten sie um Verständigung, damit sie nicht län­ ger hier aufgehalten würden79). Mit der Bitte an den Kaiser, sie bis zu einem Konzil durch niemand ihres Glaubens halber belästigen zu lassen, waren die evangelischen Stände auf einen Gedanken zurück­ gekommen, den sie schon einmal in Schweinfurt ausgespro­ chen hatten und der in der Folge den Friedensverhandlun­ gen eine ganz andere Richtung und einen anderen Inhalt geben sollte. Hatte man bisher versucht, in einer Reihe von Artikeln das künftige Verhältnis der gegenseitigen Rechte und Pflichten zwischen den Evangelischen Augsburgischer Konfession und den Zwinglischen und Wieder­ täufern einerseits und den katholischen Ständen wie dem Kaiser andrerseits festzulegen, um dann den geschlossenen Vertrag durch die Stände auf dem Reichstag sanktionieren zu lassen, so baten jetzt die Evangelischen, der Kaiser möge sie ohne Rücksichtnahme auf die Reichsstände in den im Jahre 1521 zu Worms aufgerichteten Landfrieden, von dem man sie in Augsburg 1530 ausgeschlossen hatte, wieder aufnehmen und sie auf Grund desselben bis zum Konzil 79) A. R. A. 19 Bl. 147 ff.

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nicht nur in äußeren und weltlichen Dingen, sondern auch in ihrem Glauben schützen und bewahren. Auch die bei­ den Kurfürsten sahen nun in diesem Vorschlag die ein­ fachste und beste Lösung der ganzen schwierigen Frage. In ihrem am 14. Juni dem Kaiser erstatteten Bericht mach­ ten sie diesem von der gegebenen Anregung Mitteilung und überließen es ihm, ob er durch Milderung seiner Be­ dingungen es noch einmal versuchen wolle, zu einem Abkommen mit den Evangelischen zu gelangen, oder ob er durch Aufrichtung „eines gemeinen Friedens außerhalb besonderer Spezifikation vieler disputierlicher Artikel“ allen Schwierigkeiten entgehen wolle, wobei sie aber auf den letzteren Ausweg das größere Gewicht legten 80). Der Kaiser überlegte sich die Sache längere Zeit.. Während derselben unternahmen die Kurfürsten noch einen Versuch, die evangelischen Stände zur Annahme der kai­ serlichen Friedensbedingungen zu bewegen. Sie ließen durch den Kanzler Dr. Türk den Evangelischen sagen, sie hätten in deren letzter Antwort „etlich Wort dunkel und weitläufig“ gefunden und schlugen nun vor, es sollte zu besserer Verständigung ein engerer Ausschuß von beiden Seiten Zusammenkommen. Die Evangelischen waren damit insoweit einverstanden, als sie sich bereit erklärten, die .Meinung der Kurfürsten zu hören, sie-auch schriftlich in Empfang zu nehmen und sich darauf unverweislich halten zu wollen. Am 14. Juni hielt dann Dr. Türk einen län­ geren Vortrag, in welchem er die Bedenken der Evangeli­ schen gegen die kaiserlichen Friedensbedingungen zu zer­ streuen suchte, indem er die einzelnen Artikel derselben in einem den Evangelischen möglichst günstigen Sinn erläu­ terte und darstellte. Aber die Evangelischen ließen sich dadurch nicht einfangen. In ihrem Namen antwortete Dr. Brück am 18. Juni, die Erklärungen Dr. Türks lauteten zwar beruhigend und wären dankbar zu begrüßen; aber dieselben hätten für die Evangelischen nur dann einen Wert, wenn sie auch vom Kaiser bestätigt und urkundlich in den Frie­ densvertrag mit aufgenommen würden. Denn die Bestim80) Winckelmann S. 235.

93 mungen des letzten ihnen übergebenen Friedensentwurfs seien vielfach unklar und zweideutig. Es sei daher mit Sicherheit zu erwarten, daß sie in Zukunft von den Geg­ nern bei jeder Gelegenheit zum Nachteil der Evangelischen ausgelegt werden würden. Wolle der Kaiser, wie sie glaubten annehmen zu müssen, eine solche urkundliche Er­ klärung dem Friedensvertrag nicht einverleiben, dann könn­ ten sie sich trotz Dr. Türks Erläuterungen auf jene Frie­ densartikel nicht einlassen. Vielmehr hielten sie die ein­ fache Verkündigung eines ,,äußerlichen Landfriedens“ für den besten Ausweg. ,,Damit aber zwischen den Ständen des Reichs hiezwischen und dem Konzil in anderen, äußer­ lichen Sachen, die Gottes Wort und das Gewissen nit be­ langen, gute Einigkeit mag erhalten werden, ist an die Kurfürsten ihr freundlich, untertänig Bitt, die Sachen dahin freundlich und gnädig zu fleißigen, daß berührter äußerlicher Sachen halben auf einen gemeinen, beständigen Landfrieden gehandelt und derselbe aufgericht mocht wer­ den, damit sich männiglich gegen einander friedlich hielte und man der Religionssachen halben an allen Orten und Gerichten bis auf das Konzil unangefochten bleib“ 81). Inzwischen war jedoch eine Wendung eingetreten, welche die weitere Entwicklung der Dinge für die Evan­ gelischen ungünstig beeinflußte. Die bisherige Geschlossen­ heit der evangelischen Front war ins Wanken geraten. Wir hörten, daß die Nürnberger Gesandten bereits am 13. April ihrem Rat vorschlugen, den Gedanken an einen Sonder­ frieden für Nürnberg in Erwägung zu ziehen, womit sie allerdings damals keinen Erfolg hatten. Anders ging es in der Frage der Türkenhilfe. Beim Beginn der Beratung über dieselbe hatten die evangelischen Stände einmütig ihre Beteiligung am Türkenkrieg von der Gewährung eines Religionsfriedens durch den Kaiser abhängig gemacht. Aber am gleichen Tag, an welchem diese Erklärung auf dem Reichstag abgegeben wurde, beauftragte der Nürn­ berger Rat seinen Gesandten zu Regensburg, Clemens 81) Polit. Korrespondenz II Nr. 159 S. 163; A. R. A. 19 Bl. 157 F.; A.R.A. 19 Bl. 173 ff-

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Volckamer, dafür zu sorgen, daß die in dieser Sache dem Kaiser zu erteilende Antwort und was darin ferner er­ folgen möge, „des evangelischen Teils halben zum aller­ glimpflichsten, bescheidenlichsten, auch dermaßen geschehe, damit man aus derselben nit spüren mög, als ob unser Teil die Türkenhilf mit der Irrung des Glaubens verhinderte und auf ihrem Erinnern endlich beruhen wolle. Denn für unser Person gedenken wir im Ende die Türkenhilf mit nichten zu weigern“ 82). Wenn auch diese Weisung des Nürnberger Rates zu spät in Regensburg eintraf, um die bereits am 20. April ab­ gegebene Antwort der Evangelischen noch beeinflussen zu können, so hatte doch diese Weisung, die auch im Ein­ vernehmen mit den Markgräflichen gegeben war, eine, wenn auch nach außen hin nicht bekannte, Lockerung der evangelischen Front herbeigeführt. Bei einer am 9. Mai erfolgten Besprechung der evangelischen Stände wegen der Türkenhilfe waren dieselben in dem Entschluß einig, ihre Hilfe ohne einen Religionsfrieden nicht zu bewilligen. Nur bemerkten jetzt die Nürnberger Gesandten, sie hätten bereits vor zwei Jahren in Augsburg nach anfänglicher Weigerung zuletzt die Türkenhilfe bewilligt. Wenn jetzt die Not wirklich so groß sei, wie sie geschildert werde, dann könnte Nürnberg aus Gewissensgründen die Hilfe nicht abschlagen. Vorerst allerdings hätten sie nicht vor, sich von den Schmalkaldischen zu trennen, sie wollten auch von ihrer Absicht nach außen hin nichts merken lassen 83). Somit war Nürnbergs Ausscheiden aus der geschlos­ senen Front nur noch eine Frage der Zeit. Es erfolgte jedoch viel rascher, als die Gesandten selbst gedacht hat­ ten. In Augsburg war für den Türkenkrieg ein bestimm­ tes Truppenkontingent bewilligt worden, über welches die Stände auch jetzt nicht hinausgehen wollten. Beteiligten sich nun die Evangelischen nicht, so entstand bei dem Heer ein beträchtlicher Ausfall. Um nun einen genauen Ueberblick über die von dem Augsburger Anschlag zu erwarten82) Briefb. 104 Bl. 173. 83) Westermann S. 88.

95 den Abgänge zu gewinnen, war auf dem Reichstag eine besondere Kommission gebildet worden, vor der nun die Stände auf Befehl des Kaisers einzeln anzugeben hatten, ob sie gewillt seien, die Hilfe zu leisten oder nicht, und in welcher Höhe sie dieselbe leisten wollten. Hier erklärten nun die markgräflichen Gesandten, welche auch seiner Zeit in Augsburg mit der Bewilligung der Türkenhilfe die ersten gewesen waren, der Markgraf sei bereit, die auf ihn tref­ fende Quote an Truppen zu stellen. Diesem Beispiel folg­ ten nun noch am gleichen Tage die Nürnberger mit der gleichen Erklärung für ihre Stadt. Daß ihnen nun auch Weißenburg und Windsheim, die sich ja stets nach Nürn­ berg richteten, folgen würden, war mit Sicherheit voraus­ zusehen. Dasselbe galt auch von Augsburg und Frank­ furt 84). Bei den übrigen evangelischen Ständen war man von diesem Schritt des Markgrafen und der Nürnberger nicht überrascht. Beide hatten ja schon immer in den politischen Fragen eine Sonderstellung eingenommen und sich darum auch vom Schmalkaldischen Bund fern gehalten. Es waren durchaus keine unedlen Beweggründe, von denen sie sich dabei leiten ließen. Vielmehr war es der Grundsatz, daß man zwar in Glaubenssachen sich die Freiheit und das Recht der eigenen Ueberzeugung wahren müsse, weil die weltliche Obrigkeit darüber nicht Herr sei, daß man aber in den äußeren Dingen und in vaterländischen Angelegen­ heiten dem Kaiser gehorchen und seine Pflicht erfüllen müsse. In Nürnberg war es bekanntlich der angesehene und einflußreiche Ratsschreiber Lazarus Spengler, der mit aller Entschiedenheit den Standpunkt vertrat und für den­ selben auch den Rat gewonnen hatte, daß man gegen den Kaiser keinen Bund schließen und nicht die Waffen ergrei­ fen dürfe. Auf dem gleichen Standpunkt stand auch Mark­ graf Georg. Vollends gegen den Feind der Christenheit mitzukämpfen, wenn es not tat, war beiden unbedingte Pflicht. Uebrigens war auch für die Schmalkaldischen die Verweigerung der Türkenhilfe lediglich ein taktisches 84) Ebd. S. 89.

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Manöver, und keiner dachte im Grunde daran, das Vater­ land in seiner Not im Stiche zu lassen. Sie hatten gehofft, durch den geschlossenen Widerstand in dieser Frage die Duldung des evangelischen Glaubens zu erzwingen, welche der Kaiser freiwillig nicht gewähren wollte. Es kam nur darauf an, wie lange man bei diesem Widerstand beharren wollte. Solange noch die Möglichkeit bestand, dadurch den Frieden zu gewinnen, lag es tatsächlich im Interesse der Evangelischen, den nun einmal aufgenommenen Wider­ stand geschlossen fortzusetzen. Aber durch das Aus­ scheiden einiger Stände aus der geschlossenen Front war der Erfolg zweifelhaft geworden. Es bedeutete eine Schwä­ chung der evangelischen Stellung gegenüber dem Kaiser und den katholischen Ständen. Jedenfalls sahen diese beiden in der vaterländischen Gesinnung, welche ein Teil der Evangelischen mit der Bewilligung der Türkenhilfe —im Interesse der evangelischen Sache allerdings zu früh— an den Tag legte, nichts als Schwäche. Sie hofften, dem Beispiel der wenigen würden alsbald auch die übrigen fol­ gen. Und darum glaubten sie es nun nicht mehr nötig zu haben, den Evangelischen in der Glaubensfrage entgegen­ zukommen. Zwar der Kaiser wollte und suchte auch jetzt noch einen Vergleich, aber er hoffte einen solchen auch durch ein geringeres Entgegenkommen zu erreichen. Aber die katholischen Stände wollten überhaupt keinen Vergleich zulassen. Nicht nur aus religiösen und kirchlichen, son­ dern viel mehr noch aus politischen Gründen. Eine Ver­ ständigung mit den Evangelischen konnte die Macht und das Ansehen des Kaisers nur steigern und dagegen ihren Einfluß beschränken. Sie wollten den Kaiser, mit dessen Regierungsmethoden sie ohnedies unzufrieden waren, nicht zu stark werden lassen. Darum bereiteten sie ihm, an­ statt ihm gegen die Ketzer beizustehen, Schwierigkeiten, wo sie nur konnten. Der Reichsversammlung zu Regensburg hatte der Kai­ ser bis dahin noch keine Mitteilungen über den Stand der Friedensverhandlungen mit den Evangelischen gemacht. Aber die katholischen Stände hatten auf besonderen Wegen

97 Kenntnis davon erhalten und waren über das weitgehende Entgegenkommen, welches der Kaiser in ihren Augen den Evangelischen bewiesen hatte, äußerst beunruhigt. Hatten sie sich bisher in der kirchlichen Frage noch zurückgehal­ ten, so traten sie jetzt umso schroffer gegen die Evangeli­ schen auf, so vor allem auf der Kanzel, wo namentlich der Bischof von Wien, Johann Faber, einer der leidenschaft­ lichsten Kämpfer gegen die Evangelischen, sich in An­ klagen und Schmähungen nicht genug tun konnte, aber auch im Reichsrat85). In diesem, welcher alle wichtigen Fra­ gen vorzuberaten hatte und aus den einflußreichsten Per­ sönlichkeiten im Reiche bestand, ging nun die katholische Mehrheit, sobald die Frage der Türkenhilfe in der Haupt­ sache erledigt war, von sich aus zum Angriff über, indem sie die Glaubensfrage zur Verhandlung brachte. Am 9. Juni stellte sie dem Kaiser ein Bedenken zu, in welchem sie unter Berufung auf die früheren Reichstage, auf denen die Notwendigkeit eines Konzils stets betont und auch vom Kaiser und Papst anerkannt worden sei, die Berufung des versprochenen Konzils innerhalb sechs Monaten nach Be­ endigung des Reichstags und die Abhaltung desselben in deutschen Landen binnen Jahresfrist forderte und zugleich um Auskunft darüber ersuchte, was der Kaiser in dieser Angelegenheit bisher getan und was er damit bei der römi­ schen Kurie erreicht habe. Dabei bemerkte sie, die Ketzerei habe sich nunmehr so sehr ausgebreitet, daß unbedingt etwas geschehen müsse, um die christliche Religion in Deutschland zu erhalten und die Zerrüttung des ganzen Reiches zu verhindern. Die Verhandlungen, welche der Kaiser zurzeit mit den Protestanten führen lasse, könnten der Sache nicht endgültig helfen, denn damit werde die Sekte nicht ausgereutet. Wolle der Papst das Konzil nicht berufen, dann solle der Kaiser dasselbe aus eigener Macht­ vollkommenheit berufen, den Papst und andere Potentaten dazu einladen und in eigener Person dabei erscheinen. Sollte auch das nicht geschehen, dann möge der Kaiser seine Zu­ stimmung zu einer deutschen Nationalversammlung geben, 85) Westermann S. 96. 7

98 welche darüber zu ratschlagen habe, wie die irrigen Punkte in christliche, gute Einigkeit und Vergleichung zu bringen seien m). Von diesem Antrag war der Kaiser peinlich berührt. Er hatte sich, namentlich seit dem Reichstag zu Augsburg, ernstlich bemüht, bei dem Papst die Berufung eines Konzils zur Schlichtung des Glaubensstreites zu erreichen.. Aber alle seine Bemühungen waren vergeblich gewesen. Mit allerlei Schlichen und Ausreden hatte sich der Papst um das ihm unangenehme Konzil zu drücken gesucht. Jetzt war es auch dem Kaiser nicht erwünscht, durch weiteres Drängen auf ein Konzil hin die Spannung zwischen ihm und dem Papst zu vergrößern. Auch der Legat Carnpeggi wünschte das nicht. Erst nachdem der Kaiser den Antrag der Stände den Vertretern des Papstes, Aleander und Camvorgelegt und deren Gutachten darüber erhalten hatte, erteilte er am 20. Juni den Ständen seine Antwort. Es sei ohnedies seine Absicht gewesen, den Ständen über seine Bemühungen wegen des Konzils und der Beschwer­ den gegen den römischen Stuhl und die Geistlichen zu be­ richten und mit ihnen zu beraten, was weiter in der Sache zu tun sei. Jedoch sei er durch die Türkengefahr und die Verhandlungen darüber bisher daran gehindert worden. Abgesehen von der Mühe und Arbeit, die er auf dem Reichs­ tag zu Augsburg mit der Religionsfrage gehabt, habe er treffliche Personen zum Papst und den Kardinälen gesandt, um das Ausschreiben eines Konzils zu erreichen. Ein sol­ ches habe der Papst zugesagt, aber noch Näheres über die Gründe dafür und über die Malstatt desselben, wie auch über die Punkte und Beschwerden hören wollen, über welche auf dem Konzil zu handeln sei. Auch der König von Frankreich habe seine Zustimmung gegeben, jedoch über ,,Form und Manier" wie über die Malstatt habe man sich noch nicht einigen können. Weiter sei man mit dem Papst nicht gekommen. Er,* der Kaiser, wolle das Konzil weiter • 86) Johannes Ficker, Akten zu den Religionsverhandlungen des Reichstags zu Regensburg. Zeitschrift für Kirchengeschichte XII S. 588 ff.

99 zu fördern suchen, wenn er demnächst mit dem Papst per­ sönlich zusammenkomme. Nur sollten auch die Stände bei dem Papst und vielleicht auch bei dem König von Frank­ reich und anderen Potentaten deshalb tätig sein. Bezüglich der Beschwerden gegen den römischen Stuhl verweise er auf die Verhandlungen, die man in Augsburg mit dem Legaten gepflogen habe. Dieser könne ja Aufschluß darüber geben, was er in der Sache weiter getan habe 87). Mit dieser Antwort ließ der Kaiser zugleich die Akten über den Stand der Nürnberger Verhandlungen zwischen den beiden Kurfürsten und den evangelischen Ständen vor­ legen. Dabei ersuchte er die katholischen Stände, ohne über seine eigene Steilung und seine Absichten etwas zu sagen, um ihren Rat, „was darauf ferner zu tun am nütz­ lichsten und besten sei“ 88). Schon zwei Tage darauf lief die Antwort der katholi­ schen Stände auf diesen Bescheid bei dem Kaiser ein. Sie versicherten diesem, aus den Friedensartikeln des Kaisers „christliches, gnädiges und mildes Gemüt“ gegenüber den Evangelischen sowie den Fleiß der beiden Kurfürsten ge­ spürt zu haben, bemerkten jedoch, daß die Friedensartikel selbst in dem Umfang, wie sie der Kaiser habe bewilligen wollen, nach ihrer Meinung dermaßen weitgehend und beschwerlich seien, daß daraus nichts Fruchtbares erfolgen könne. Da diese Artikel das Hauptstück und Fundament des christlichen Glaubens beträfen, sei es den Ständen un­ möglich, auf dieselben einzugehen, auch wenn der Reichs­ tag vollzählig besucht wäre. Vom Kaiser aber müßten sie erwarten, daß er als ein christlicher Kaiser im Verein mit dem Papst und anderen dafür sorge und eintrete, daß diese Irrung und Spaltung abgetan und die deutsche Nation wie­ der in christliche Einigkeit gebracht und darin erhalten werde. Zur Beilegung des Zwiespalts gebe es kein anderes Mittel als das Konzil. Bis zu dessen Entscheidung aber möge der Reichstagsabschied von Augsburg erneuert wer87) Ebd. S. 592 ff. 88) Ebd. S. 595 ff. 7*

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den.

Damit sei für den Frieden genugsam gesorgt8vDemmen“ vorgeworfen. Einzelheiten mögen indessen — schon aus Raumgründen — einer Veröffentlichung der kultur­ geschichtlich wertvollsten dieser Briefe, wie ich sie schon seit länger plane, Vorbehalten bleiben 4). Der Verkehr mit den in Poitiers zahlreicher vorhan­ denen Deutschen,, der sich als den französischen Sprach­ studien abträglich erwies, war denn auch für die „Compagnia“, d. h. für die vier jungen Nürnberger und ihren Men­ tor Agricola (s. oben S. 66) mit ein Grund, nach nicht ganz einjährigem Aufenthalt Anfang August 1609 von dort nach Angers zu „verrücken“, wo dann noch ein weiteres Jahr jenen Studien obgelegen wurde. Aber im Vordergründe stehen doch in den meisten die­ ser Aufzeichnungen, in denen es sich ja nicht um Geschäfts­ briefe handelt, einmal die eigentlichen Lebensbedürfnisse und dann ganz vornehmlich Familienangelegenheiten aller Art. Da ertönt, wie sich denken läßt, häufig genug seitens der auswärtigen Söhne an die haushälterischen Väter daheim 4) Auch dieses Vorhaben wie so manches andere ist durch den uns allen viel zu früh gekommenen Tod des Verfassers unaus­ geführt geblieben.

174 die Bitte um Erhöhung des Wechsels, um Genehmigung von Tanz- und Musikstunden, um die Erlaubnis, die Reisen weiter, als ursprünglich ausgemacht, ausdehnen zu dürfen, um die Begleichung unbezahlter Rechnungen, kontrahierter Schulden u. dgl. m. Schon Lukas Friedrich B., für den ja der angeworbene Präzeptor die Kasse führte, murrt (Oktober 1608) mit geziemendem Respekt darüber, daß er allein ,,ohne Silber, wie eine Kuh, von Schweinau (bei Nürnberg) bis Poitiers“ habe reisen müssen, während ,,meine Reisegesellen die schönsten Dukaten und Kronen, so man ihnen auf die Reis geschenkt, mit sich geführt, welche mir in den Augen wehe getan haben und noch tun“. Er selbst erlebte nachmals große, oft bis zu schwerer Verwicklung und heftigen Auseinandersetzungen gehende Schwierigkeiten mit seinem verschwenderischen, aber nach seiner besonders vollzählig erhaltenen Korrespondenz tem­ peramentvollen und trotz seiner Schwächen sympathischen Sohne Hans Jakob (1621—1646), der, gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges in französischen Kriegsdiensten, bei der Belagerung von Mardyck (bei Dünkirchen) die Todes­ wunde erhielt. Bei Lebzeiten war „seines Beutels beschwer­ licher Krankheit“ kaum abzuhelfen, und immer aufs neue hatte sich der Vater über ihm zuflatternde „Fledermäuse“, d. h. die Schuldscheine und unbezahlten Rechnungen des lebenslustigen Ingenieur-Leutnants zu ärgern und ernstlich zu sorgen. Denn infolge des Kriegselends stockte überall und so auch in Nürnberg Handel und Wandel, und nicht nur ihm, schreibt einmal der Vater (14. Februar 1645), son­ dern vielen vornehmen Leuten seien die Mittel zu größeren Ausgaben gesperrt und wohl gar benommen, so sei u. a. auch aus der Losungsstube der Reichsstadt, in der man Kapitalien verzinslich anzulegen pflegte, nur noch äußerst schwer Geld zu bekommen. „Deinen Bettelbrief“, hatte es schon früher (18. November 1643) einmal geheißen,, „hat dein Bruder empfangen, auch seine Bettelcommission bei mir abgelegt; weil ich aber diese 20 Thaler (um die es sich damals drehte) bei hiesiger Losungstuben erst selbsten bet-

175 tein muß, als haben ich und du zu warten, ob wir beede was erbetteln werden.“ Auch von leichtsinnigen, unbotmäßigen oder nachlässi­ gen Beamten oder selbst Teilhabern des ausgedehnten Han­ delshauses vernehmen wir wiederholt. Von einem solchen berichtet u. a. Jeronimus Imhoff „im Adler“ (d. h. aus Aquila in den Abruzzen, einer Hauptstätte für den Safran­ handel, wo die Firma zum Schrecken ihrer dahin verschla­ genen Beamten eine Niederlassung besaß) im März 1547 in einem sehr temperamentvollen Schreiben an seinen Vetter Paulus (I.) B.: „Glaub, er versteht sich ebenso gut auf das Bücher- und Kassehalten, wie eine Kuh aufs Brettspielen. Wenn man die Cassa mit Spazierenreiten und Bankettieren verrichten könnt, so wäre er dazu der geschickteste Mensch, den die Herren haben könnten. Es sollt einer eher einen Wachtelhund dann ihn abrichten; will gern sehen, wie lange ers treiben und Kassier sein und bleiben wird.“ Und von einem betrügerischen Gesellschafter heißt es in dem gleichen Brief: „Wollte den Herren (d. h. immer: der Firma) eher raten, sie ließen es sich ein 2 oder 3 hundert Gulden kosten, daß man ihn auf eine Galeeren schmiedet und ließ ihn ein Jahr 2 oder 3 mit der langen Federn schreiben, ob 1 ihm die Kaiches (?) desto leichter würd und ihm die Wilde ein wenig verging.“ Eine große Rolle spielt bei den Klagen der jungen Leute, zumal der Kaufmannslehrlinge in den Kontoren, die nicht selten mangelhafte Kost und die Sorge um den nötig­ sten Hausrat und namentlich um die Kleidung. Wenn Lukas Friedrich B. von der abscheulichen Ver­ pflegung auf seiner Seefahrt nach Jerusalem berichtet,' die ihm und seinen beiden Genossen — es waren dies Rudolph von Bünau und der Bünausche Hausmeister Tobias Adam — zuteil ward, so mußte er auf solche Widerwärtig­ keiten gelegentlich der unternommenen Pilgerreise aller­ dings gefaßt sein. Wir lesen darüber in einem seiner Briefe in die Heimat (Venedig, 11. Februar 1612): „Sonsten haben wir unsere Reis auf Constantinopel nach Jerusalem, gott­ lob, gar glücklich und wohl verrichtet, sind allezeit frisch

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und gesund gewesen, haben doch nichtsdestoweniger mit guten Zähnen sehr oft übel gegessen und, was das aller­ beschwerlichste auf der Hineinreis gewesen, ist, daß wir nicht allein große Hitze gehabt, sondern auch in derselben keinen guten, sag nicht (d. h. nicht zu reden von) frischen Trunk Wasser haben haben können, sondern alle Zeit das stinkende faule Wasser, so nicht allein so blau als der Him­ mel, sondern auch noch voller Würm und Wurmgeschmeiß gewesen, haben trinken müssen und habens darzu noch nicht einmal allzeit genug gehabt. Wir haben wohl star­ ken candischen (von Candia, Kreta) Wein genug gehabt, aber doch denselben wegen seiner Stärke und der Hitz zur selben Zeit nicht trinken können.“ Etwas anderes ist es, wenn sich der achtzehnjährige Kaufmannslehrling Michel (V!) Behaim (1510—1569) über die mangelhafte Kost und kontraktwidrige Behandlung, die er bei seinem Lehrherrn, dem Breslauer Kaufmann Hans Stüblinger, erhielt, bitter beklagt. Er hatte 200 Gulden Rheinisch in Stüblingers Handel einschießen müssen, ,,daß er dieselben brauch zu seinem Nutz“. ,,Darzu soll ich ihm auch geben alle Jahr 10 Gulden Rheinisch für die Kost, und soll zu ihm versprochen sein drei Jahr lang.“ Auch sonst waren die Bedingungen, wohl von Stüblingers Vertreter in Nürnberg, Hans Rappolt, genau festgelegt,, wurden aber von Seiten des Breslauer Handelsherrn nicht genau inne­ gehalten. Die Klagen Behaims, der seinen Vater (Stephan B.) schon mit einem Jahre verloren hatte, gehen denn auch nicht nur an seine Nürnberger Verwandten, sondern auch an jenen Rappolt. „So ich nun in meinen Dienst getreten bin“, schreibt er an diesen unterm 3. Dezember 1528, „hat man mich an des Wirts Gesinds Tisch gesetzt, da dann eurer vorigen Knechte (d. h. Lehrlinge) nie keiner nit hat wollen an essen. Und Ihr wißt ohn Zweifel auch wohl, wie es mit unserem Essen zugeht, davon ich dann weiter nit will reden. Aber auf daß Ihr nit meint, daß ich das allein sei, der über solches klagt, mögt Ihr wohl Forschung vom an­ dern Gesind haben, was je zu Zeiten über unseren Tisch kommt; und nachdem unserer also viel sind: ehe dann daß

177 unser einer das Maul gewischt, ist schon nichts mehr in der Schüssel.“ Dieses Schreiben war wohl einem Briefe an des Schrei­ bers Vetter und Vormund Friedrich (VII.) Behaim (1491 bis 1533) beigeschlossen und hat vermutlich den Adressaten gar nicht erreicht. Denn der Vormund redete offenbar als­ bald zum Guten, wie aus einem Briefe Michels an ihn vom 7. Januar 1529 hervorzugehen scheint, in dem es u. a. heißt: „Du schreibst mir auch, du hättest dich zu mir nit ver­ sehen, daß ich also ungeduldig werd und alsobald fliegen wollt ohne Flügel. . . . Aber ich stell dir in dein selbsten Gemüt, wo du deinen eigenen Sohn hättst an einem Ort und alsdann sein Geld für ihn zahltest, wie ich meinem Herrn tun muß, und er würde also gehalten mit Essen, Liegen [d. h. wohl Lagerstatt], Kleidung etc., wie ich noch bisher bin gehalten gewest, und er dir solches klaget, ob dus ihm nit wenden würdest. ... Zu viel leiden verdreußt auch einen Esel.“ Einen breiten Raum nehmen in den Briefen vieler die­ ser jungen Leute insbesondere Garderobefragen ein. Hin und wieder sind sie ohne Zweifel von der Notwendigkeit diktiert, in den meisten Fällen jedoch, zumal in dem 17. Jahr­ hundert, das ja trotz allem Kriegselend auch seine gecken­ hafte Seite hatte, wie wir namentlich durch den „Monsieur Aiamode“ wisen, durch Brauch und Sitte, Mode und Luxus­ bedürfnis. Für das wirklich dringende Bedürfnis und das 16. Jahr­ hundert bleibe ich noch einmal bei der Breslauer Zeit Michel (V.) Behaims, dessen Klagebriefe oft mehrere eng geschriebene Folioseiten lang sind. „Ich geh daher vor den Leuten“, so schreibt er unterm 1. November 1528 an seinen Vormund, „nicht wie ein Kauf­ knecht, sondern wie ein Bettler und Lottersbub. Hab immerdar gewartet, bis Hans Rappolt heim ist kommen nach des Stüblingers Zusagung, alsbald er heim komme, so sollt er mich versorgen mit Kleidern. Nun, so er kommen ist, so ist er 10 Tag allhie gewest, hat sich aber meiner nit lassen anfechten und mich noch in meinem alten Wesen 12

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gelassen, wie ich von Nürnberg bin auszogen, und ist nun wieder hinein gen Krakau gefahren und kommt vielleicht noch in 14 Tagen oder länger nit wieder, also daß ich muß ginaffen 5) und daherschliefen, wie und wie lange es ihnen (nämlich dem Stüblinger und dem Rappolt) eben ist. So magst du selbst wohl wissen, was ich für Kleider mit mir hab genommen. Dieselben trag ich noch auf die gegen­ wärtige Stund am Hals, nur ein ledernes Paar Hosen und ein parchates (d. i. barchentenes, grob - baumwollenes) Wamms, das mir meine Herren haben lassen mache«, dasselb hab ich darzu. Das ist schon auch zerrissen und der Winter kommt daher, und es hebt mich auch an zu frisen (frieren) und kann der Kält auch nit wohl erleiden. So bin ich ja auch nit ein Hund, daß ich ganz nackt daher wollte gehen, und will es auch nit tun, sondern, wo es nit anders kann sein, ehe ich also bei meinen Herren in dieser Mei­ nung will sein, vernimm wohl, wie ich noch bisher bin gewest, so wollt ich eher arbeiten, daß mir das Blut zu den Nägeln, Händen, Füßen sollt herauslaufen, oder wollt mich eher unterstehen, zu verlaufen, daß kein Mensch sollt von mir wissen und käme ich gleich mein Leben lang nimmer heim. „Und magst dem Stüblinger solches alles wohl fürhalten und, wo er mich nit selbst wollt lassen kleiden und mich halten, wie andere seine Knecht, denen er Lohn hat müssen geben — will geschweigen, daß ich ihm Geld zu Lohn muß geben —, so will ich meine Verschreibnus (d. h. den Kon­ trakt) widerruft haben, itz und auf diese Stund, und soll auch widerruft sein, wo mir dies alles nit gewendt wird. Denn wie soll ich etwas lernen und mit Kaufleuten einen Kauf machen, wenn ich daher gekleidet muß gehen einem Narren gleich, wie es meinen Herren vielleicht gefiel.“ So setzt sich die Litanei noch lange fort und durch­ zieht auch noch die folgenden Briefe. „Und itzund“, heißt es zum 7. Januar 1529, „als es so 6) d. h. Maulaffen feil halten. Vgl. Schmeller-Frommann, Bayer. Wörterbuch I, 119. Hier also wohl etwa so viel wie: das Nachschauen haben.

179 grimmig kalt allhie ist, hab ich mich länger in meinem alten Röcklein nit kunnen behelfen und hab mir die Wochen auch Tuch zu einem Rock ausgenommen; das ist nun zum Schnei­ der. Denn die Kalt hat mir also weh getan, daß ich itzund an allem meinen Leib voller geschwär [Geschwüre] bin und kann schier weder gehen noch stehen. . . . Mich bedünkt, wo das Wesen noch lang sollt währen, so müßt ich sterben in einer kurzen Zeit. . . . Wie ich ihm (dem Hans Rappolt, der nach Leipzig verritten war) dann auch von solchen allem hab geschrieben, hat er mir kein ander Antwort darauf geben, als: er woll mich nit nackend lassen gehen. Da schlag der Teufel zu! Mich bedünkt auch, ich sei noch bisher nit nackend gangen und hab doch großen Frost und andre Not müssen leiden. Es geht auch kein Hund nicht nackend; will geschweigen, daß er mich sollt nackend lassen gehn. Nun, es ist genug . . .“ Es geht jedoch gleichwohl noch weiter, zeigt aber — und darum habe ich diese Stellen hier einmal ausführ­ licher wiedergegeben — wie energisch der Jüngling, der offenbar unter der Ungebühr seiner Herren schwer zu lei­ den hatte, sein gutes Recht verfocht und in welch hohem Grade er des Wortes mächtig war. Bei Lukas Friedrich Behaim dagegen, um noch ein paar Proben dieser Art aus dem 17. Jahrhundert folgen zu lassen, handelt es sich nach Ausweis der betreffenden Brief­ stellen zumeist um die Wahrnehmung der Gelegenheit zur wohlfeilen Erwerbung feiner Stoffe und Kleidungsstücke. Aus Florenz schreibt er am 16. Juli 1611 an den Vater,, nachdem er diesem den Plan seiner weiteren Reise ent­ wickelt und sich auch ausführlich über einen „sauberen Wintermantel“, den er sich in Flornz habe machen lassen, und über seine sonstigen Garderobenverhältnisse verbrei­ tet hat: „Ich will Euch auch zum höchsten gebeten haben, Ihr wollets kein Unwillen tragen, wo ich mir etwan zu Milano ein 2 oder 3 Paar seidene Strümpf, zu Genua zu einem Kleid Sammet und allhier zu 2 oder 3 Wamms Atlas oder anderen Zeug einkaufe; dann ich nicht vermeine, daß das 12*



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Geld solchergestalt übel angelegt sei, da man den Wert daran hat und solchen noch zu Ehren gebrauchen kann, als so es an nasse (d. h. wohl unsolide gearbeitete) War ge­ wandt wird.“ Aehnlich lesen wir auch im folgenden Jahr, wiederum aus Florenz (7. April 1612): . Und weil hier aller seidener Zeug und solche Waren, so zur Kleidung notdürftig, wohlfeiler und schöner sein als an anderen Orten, also hab ich nicht unterlassen wollen,, ein paar Kleider mir allhie anmachen zu lassen, welche Ihr in Kürze von den Scheurlischen werdet zu empfangen haben.“ Solche Kleider wurden also in Vorrat gekauft und durch ein befreundetes Handelshaus nach Nürnberg ge­ schickt. Für Unterzeug, Nachtgewand und dergl. wendet er sich indessen wohl durch den Vater an die Stiefmutter und die Schwestern, so in einem aus Padua vom 16. Februar 1612 datierten Briefe: ,,Meine gar hoch und fleißige Bitt ist auch an die Frau Mutter, daß, wo sie mit ihrem ersten und notwendigsten Hausrat, nämlich dem Windelzeug, fertig, ein Hemd als 3 oder 4, etliche Fäzinetlein, Haartücher und Schlafhauben woll die Schwestern machen lassen, welches ich wieder mit meinem Gehorsam und allen demjenigen, so ich kann, schul­ dig verschulden will.“ Gelegentlich findet sich auch wohl eine Verspottung der Modetorheiten öder der Herrschaft der französischen Mode. So spricht 1645, also gegen den Schluß des Dreißig­ jährigen Krieges, der 28jährige Paul (IV.) Behaim (1617 bis 1691; es ist jenes Mitglied der Nürnberger Patrizier­ familie, dem 1677 von Kaiser Leopold der Namenszusatz „von Schwarzbach“ „erneuert“ und das Wappen gebessert wurde) in einem aus Hamburg datierten, inhaltsreichen und temperamentvollen Brief an seinen Vetter Hans Jakob Behaim, einen der Söhne des Lukas Friedrich, von einem anderen „Vetter“ Hans Hieronymus Imhoff, den er in Hamburg getroffen habe und der im Begriff stehe, nach

Schweden zu reisen. „Gemelter Monsieur Imhoff“, schreibt er, ,,wird noch mit Gott nach Lübeck und von da in Schwe­ den seinen Curs richten in Meinung, weilen die französischen Modes schier wieder auf den alten Schlag kommen, eine neuere aus Lapp- und Finnland herauszuholen.“ Natürlich liegen den Briefen auch manche Schneider­ rechnungen bei, die uns hinsichtlich der Bezeichnungen namentlich der Stoffe — man denke nur an die rasch wech­ selnde Terminologie unserer Zeit — allerlei Rätsel auf­ geben: schwarzer Paya“ für Trauerkleider, 26 Ellen schwarzen ,,Hengl“, 23/4 Ellen schwarz ,,Englisch Croy“, 1J/4 Ellen ,,grien Cadiß“, 1j4 Ellen schwarz ,,Herosey“ u. s. f. Dergleichen Benennungen genauer nachzugehen, kann aber hier nicht unsere Aufgabe sein und würde uns auch viel zu weit führen. Ich muß solches also der weiteren Textil- und Trachtenforschung überlassen. Ebenso muß ich hier auch, wo es mir lediglich um eine Charakterisierung des familiären Briefstils zu tun ist, auf jegliche Auswertung des riesigen Materials zu handels­ geschichtlichen Zwecken von vornherein verzichten. Aller­ dings treten in diesen Behaimschen Beständen die eigent­ lichen Geschäftsbriefe sehr zurück, aber auch aus den Brie­ fen der Söhne an die Väter oder der Geschäftsfreunde über die Söhne würde sich manches willkommene Licht über die Handelsbeziehungen der verschiedenen Nürnberger Kaufmannsfirmen und deren Niederlassungen, über Geld­ wesen,, Kredit- und Wechsel-Betrieb usw. gewinnen lassen. Beim Verkehr mit Vorgesetzten Behörden hören wir hin und wieder auch von den dazu nötigen Bestechungs- oder Schmiergeldern. So insbesondere in dem schon erwähnten Briefwechsel über das von Sigmund Heidt (Held, s. oben S. 167) angestrebte Pfalzgrafenamt. Seinem Vetter und Mündel Paulus Behaim scheint es zunächst gar nicht an­ genehm gewesen zu sein, so intensiv mit dieser Angelegen­ heit befaßt zu werden, die übrigens auch zu keinem Ab­ schluß gekommen zu sein scheint. Gleich in dem Erwiderungsschreiben (vom 1. August 1581) auf die erste von Heidt ausgehende Anzapfung sucht

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Behaim den Vormund von seinem Vorhaben abzuschrecken, indem er ihm ein Geschichtchen mitteilt, wie er schon früher einmal ohne Erfolg in einer solchen Sache den Unterhändler gespielt habe: ,,Und weiß ich mich an einen gleichen Fall von zwei Jahren her zu.erinnern, daß ich des Kurfürsten von Cöln Rat, einem Herrn, Dr. Caspar Glaser genannt, eben ein solch Palatinat sollicitieren sollen. Und demnach ich es bei dem Herrn Vicekanzler nach Notdurft angebracht, er aber leichtlich gesehen, daß kein Schmieren zu hoffen, hat er mir gleich mit denen formalibus verbis zur Antwort geben: Ihr Majestät (damals Kaiser Rudolf II.) wären wahr­ lich mit solchen Gnadensachen viel genauer und ekler dann weiland Kaiser Maximilian (II.); würde deshalben schwer­ lich zu erhalten sein. Er solle es aber auf einen Reichstag sparen, da er ihm dann gern selbst, so viel ihm möglich, dazu behilflich sein wolle. Dabei- hat ers also ohne Schmie­ ren bleiben lassen, da es sonsten vielleicht mit einem Becher (also einer hübschen Goldschmiedearbeit) wohl wär heraus­ gebracht worden.“ Auch in einem der folgenden Briefe ist noch einmal von den Schwierigkeiten die Rede;, die es mache, ein voll­ ständiges Palatinat zu bekommen. Auch der Alexander, oder wie er sonst mit Vornamen heiße, Stockhamer, habe vor 3/4 Jahren trotz aller Bemühungen nur ein solches beschränktes Amt ,,allein Notari zu creieren, zu legitimieren und zu adoptieren“ erlangen können. ,,Item ist ihm die Tax deshalben angeschlagen worden 60 Goldgulden und für Kanzleigerechtigkeit und Schmiergeld 8 Taler. Das Wappenausgeben (auf das es Sigmund Heidt wohl vor allem an­ kam) hat er auf so starks vielfältigs Ansuchen nit erhalten können.“ Nur langsam scheint sich Heidt zur „Verheißung eines schönen Trinkgeschirrs“ entschlossen zu haben. In niedrigeren Sphären geht es natürlich einfacher her. Der Altdorfer Notar Konrad Iberer richtet am 5. Mai 1645 ein Schreiben an den Ratsherrn und Scholarchen Lukas Friedrich Behaim und bittet ihn, sein Kosthaus für Studen-

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ten durch Empfehlung zu fördern. Er legt seinem Briefe eine sehr ausführlich und nicht uninteressante ,,Speise­ ordnung an Conrad Iberers Universitatis Altorfinae Notarii Publici Tisch für seine Herren Convictores“ bei und kün­ digt in einem Postscriptum auf besonderem Blatt „ein klein Fäßlein Bier“ an, das er aus schuldiger ,,Devotion“ und „Affection“ übersende. Als Lukas Friedrichs Vater, Paulus (II.) B., als jun­ ger Mann von 1579—1581 in Diensten des aus Trient stammenden angesehenen und reichen kaiserlichen Reichs­ hofrats Dr. Andreas Gayl in Prag steht, legt er u. a. ein Verzeichnis der von diesem betätigten „Verehrungen“ an, das sich bei seinen Briefschaften erhalten hat. Darunter fallen allerdings vor allem die größeren und kleineren Trink­ gelder, womit ja damals vielfach auch noch die Entlohnung von Künstlern und Kunsthandwerkern gemeint war, sowie die nachträglichen Erkenntlichkeiten für geleistete Freund­ schaftsdienste und Förderungen auf. So sandte auch Lukas Friedrich in übelster Kriegs­ zeit (1646) einige zarte, zum Teil silbergefaßte Schwanhardtsche Kunstgläser nach den Niederlanden, die dem Gouverneur von Grevelingen, Grafen von Gransay, und an­ deren Persönlichkeiten zum Dank für die Ernennung seines Sohnes Johann Jakob Behaim zum Leutnant überreicht werden sollten. Ueber die Schicksale diesr Gläser gedenke ich demnächst eingehender zu handeln 6). Nun aber zu den eigentlichen, den intimeren Familien­ angelegenheiten, wie sie uns in diesen, die Zeit so lebendig widerspiegelnden Briefen entgegentreten und geschildert werden. Eine besonders große Rolle spielen dabei die Hei­ ratspläne und ihre Verwirklichung, wegen deren auch Väter, Vormünder und Onkel dauernd um ihre Söhne, Mündel und Neffen bemüht sind und die sich vielfach als reine geschäftliche,, um nicht zu sagen finanzielle Erwägun­ gen, Unterhandlungen und Schritte darstellen. Man lese nur die Vorschläge, die Siegmund Heidt in dem wiederholt angezogenen Briefwechsel' über die von 6) Auch dazu ist es nicht mehr gekommen. A. d. H.

184 ihm angestrebte Verleihung des Palatinats als Vormund seinem Vetter Paulus (II.) B. macht und mit denen er die­ sen offenbar für die Mühe, die er ihm in Sachen des ersehn­ ten Pfalzgrafenamtes zumutet, zu entschädigen sucht. „Da nun“, schreibt er am 20. August 1581, „der Vetter so weit gearbeitet, daß er die Kost frei hat und es allein um die Kleidung nunmehr zu tun ist, versehe ich mich, der liebe Gott werde ihm durch Sollicitieren (d. h. Bittgesuche) und andere Nebenhändel auch dasselbige (nämlich Bestreitung der Kosten für die Kleidung) und noch ein übriges geben. Daneben hab ich mir auch bei einer schönen Wittib, ob­ wohl schlechtes Herkommens, doch guten Vermögens, des Vettern halben zu handeln furgenommen, wann nur das Leid ein wenig baß hinfür ist (wir würden etwa sagen: sobald nur das Trauerjahr halbwegs herum ist). Der liebe Gott wolle auch Gnad darzu verleihen. Und ist dieses Orts (nämlich im Besitz der betreffenden Wittib) ein schön Haus, Hof und was dazu gehört.“ Paul Behaim, damals in Prag, antwortet ihm nach zwei Wochen (2. September 1581) darauf: „Und bedank ich mich zuvörderst eueres freundlichen Vermeldens der verhofften Gelegenheit wegen. Und stelle ich solches alles eurem wohl­ meinenden Rat und Gefallen anheim, der Ihr für Euch selbst erachten könnt, im Fall daß Kinder vorhanden, mag das Gut auch so groß sein als es wöll: wie wenig einem Manne künftig damit beholfen und wie solche Heiraten gemeiniglich übel geraten.“ Im nächsten Brief (vom 1. Oktober) kommt der Vor­ mund und Vetter erneut auf die Sache zurück und macht weitere Vorschläge: „Soviel nun des Vettern Handlung betrifft, erstlich die vorgeschlagene Wittfrau, dazu der Vetter keine Lust, wie ich aus seinem Schreiben vernommen, so laß ichs für meine Person auch dabei bleiben. Aber wegen des Weyer­ manns Tochter bin ich hernach zu der Mutter (nämlich Paul Behaims) gegangen, derhalben mit ihr zu reden, wie dann geschehen. Aber sie hat mich bald beantwort und , angezeigt, sie hab dem Vettern schon alle Gelegenheit zu-

geschrieben. Es sei nichts mit diesen zwei Heiraten; sie muß auf andere Weg gedenken, und zeigt mir an von des Elans Christoph Geuders seligen Wittib wegen, da wollt sie Nachfrage haben. Welches ich mir für meine Person wohl gefallen lasse, weiß aber nit, was sonderen Vermögens allda sein mag und ob sie auch der Vetter kennt oder nit. Das weiß ich aber, daß sie kein eigen Haus hat und in einem Bestandshaus sitzt (also zur Miete wohnt). Wird aber meistes Teils an dem liegen, ob bede Teil Lust zusammen haben. Dieweil aber die Mutter seithero ferners mit mir nichts davon geredt, hab ichs auch dabei bleiben lassen. ,,Mich dünkt aber, eine Wittfrau zu heiraten, welche noch jung und schön, Haus und Hof und was dazu gehört und noch mehr Erbfäll zu gewarten hat, sich bei ihrem ver­ storbenen Mann wohl verhalten, freundlich und wohl gelebt, sei nit zu verachten; ob sie gleich ihres Herkommens geringen Standes“ — er denkt offenbar wieder an die früher offerierte Wittib — „so muß doch eins das andere hin­ tragen ; und tut wohl, wann einer in ein solches Haus kommt, daß er einen Rock auf das Faulbett legt, seine Wehr und Piret (Barett) an den Nagel hängt, zu Nacht mit der Frauen zu Bett gehet und des andern Tags früh als ein Herr im Haus aufstehet. „Derhalben,, lieber Vetter, was ich vorgeschlagen, hab . ich guter, treuherziger Meinung getan und bin noch des Erbietens, was ich dem Vetter und seinen Geschwisterten zu Dienst und Gefallen tun kann, sollen sie mich willig finden.“ So geht das Abwägen der verschiedenen Möglichkeiten und Vorteile auch in den folgenden Briefen neben der Palatinats-Angelegenheit noch länger fort, bis es dann schließlich in einem Briefe Heidts vom 3. Dezember heißt, die Mutter vermeine, es sei besser, wenn zuvor eine oder zwei von den Schwestern verheiratet würden, „wie ich denn“, schreibt der vorsorgliche Vormund, „Herrn Endres und Jakob Imhoff (der erstere war als Vermittler von Hei­ raten geradezu berühmt) derwegen gebeten, auf etliche Personen bedacht zu sein, aber hishero sich nichts zutragen

186 wollen,, also daß man der Hoffnung leben muß.“ Noch im gleichen Jahre (31. Dezember 1581) starb die Mutter und bald darauf auch der Vormund Siegmund Heidt. Wie Paulus (II.) dann zu der reichen Ursula Sitzingerin gekommen ist, mit der er sich 1583 vermählte und die die Mutter Lukas Friedrichs wurde, darüber geben uns irgendwelche Briefe in dem Behaimschen Archiv des Germanischen Museums leider keine Nachricht. Abgesehen von solch ernstlicher Heiratsvermittlungs­ arbeit, wie wir sie in dem Briefwechsel Heidt - Behaim kennen lernten und die ich als Beispiel hierfür etwas aus­ führlicher behandelt habe, finden sich, zumal in den Brie­ fen, welche die jungen Leute miteinander austauschen, besonders zahlreiche Hinweise und Anspielungen auf Liebe und Ehe, die oft genug in solche Derbheiten ausarten, daß sie hier nicht wiedergegeben werden können. ,,So versieh ich mich“, schreibt im Februar 1544 Jeronimus Imhoff aus Venedig an seinen ,,lieben Oheim Pau­ lus (I.) Behaim“ (1519—1568) in Nürnberg, ,,du werdest dich diese Faßnacht auch weidlich umtun und dir um ein feines Dockelein trachten. Mir ist für dich leid, daß du dir das Pfinzing Werblein (d. h. Barbara Pfinzing) aus den Ftänden hast lassen gehen; wirst aber am End ein Werblein haben müssen,, sollt es gleich das Koberger Werblein sein. Gott verleih, was dir am nützesten und besten für Seel und Leib sei.“ Und in dem schon oben einmal zitierten Brief des glei­ chen Jeronimus Imhoff aus Aquila an ebendenselben Vetter lesen wir: „Drum, liebe Gesellen, nehmt nur flugs Weiber und macht dem Kaiser Volk, denn er wird dessen bedürfen! Gott verleih einem jeden, was ihm gut ist.“ Auch von den Liebesangelegenheiten der jungen Da­ men ist in diesen Briefen nicht selten die Rede. „Deiner Schwester Susanna“, schreibt einmal (17. Mai 1644) Lukas Friedrich an seinen in französischen Kriegs­ diensten stehenden Sohn Hans Jakob, „ist der schwarze Schlüsselfelder und dir des Herrn Tetzeis finstere Toch-

1*7 ter entwischt“; und Hans Jakob äußert sich dem Vater gegenüber mehrere Monate darauf (Breda, 4. Dezember 1644) in einer größtenteils bereits von Steinhausen (a. a. O. II, 97) veröffentlichten Briesstelle über die Schwester: ,,Mich wundert, daß meine Schwester Susanna, welcher alles, was bei uns vorlaufet, bekannt, ihrem Bruder die Mucken aus dem Kopf zu treiben, nicht eine Kuhhaut voll neuer Zeitungen, der Hochzeiten und anderm mehr, was zu Zeiten Dolles mit ihr vorgehet, berichtet. Will nicht hoffen, daß sie die Gedanken nach einem Mann also vergeßlich machen oder daß sie als eine ausgemästete Gans zu Hause sitzet und nicht unter die Leute kommt. . . . Wann sie aber die Braut des alamodischen Elinger Wolfen ist, soll sie michs durch einen eigenen Kurier wissen lassen, auf daß ich die Carmina von der nicht gar gesottenen und ungeschmalzten Rüben, auch seinen schönen Locken schmie­ den mög.“ Gegen den Vorwurf der vernachlässigten Korrespon­ denz verwahrt sich Susanna in einem besonderen Antwort­ schreiben, das zugleich ihren Glückwunsch zum neuen Jahre 1645 enthält: es seien so wenig Neuigkeiten mitzuteilen, „daß ich dir nit eine Flöh-Haut davon voll wüßt zu machen.“ Die damals Einundzwanzigjährige verheiratete sich übrigens erst 9 Jahre später (1653),, und zwar mit Gottlieb Volckamer, kurbayerischem Hauptmann und Pfleger und Kommandant der Festung Lichtenau. In zweiter Ehe war sie seit 1668 mit dem um 15 Jahre jüngeren Georg Imhoff, Stifter der Andreas-Georgischen Linie des Imhoffschen Ge­ schlechts, verheiratet und starb erst 1705 (vgl. Biedermann, Geschlechtsregister Tabula 10 und 259). Von einer Bekannten, die sich zu einer Reise ins Oesterreichische rüstet, schreibt der spottlustige Hans Jakob, der, wie es scheint, Absichten auf dieses Fräulein gehabt hatte, in einem an die gleiche Schwester direkt gerichteten Brief (vom 14. September 1643): „So wünsche ich auch Jungfrau Helena Murrin viel Glück zur Reis; und weil ihr die Zeit zu lang fallen würde, bis die neu gebackenen Kavaliere aus Frankreich ankommen

188 werden“ — dabei denkt er wohl in erster Linie an sich selbst und seine Heimkehr nach errungener militärischer ,,Fortune“ — ,,mag sie sich urti einen österreichischen Nudelfresser und Flaschentrager bewerben. . . .“ Um nun aber von diesen Scherzen, Wünschen und Aspirationen zu den ernstlichen Verlobungen und Hoch­ zeiten zu kommen, muß ich zunächst noch einmal in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts und auf Michel (V.) Behaim zurückgreifen, von dessen entbehrungsreicher Lehr­ lingszeit in Breslau wir durch Klagebriefe an seinen Vetter und Vormund Friedrich (VII.) B. so genaue Kunde haben. Aber am 22. Mai 1533, also nach nunmehr fünfjährigem Aufenthalt in Schlesien, schreibt er voller Jubel an den Vor­ mund in Nürnberg: ,,Weiser, ehrbarer und günstiger lieber Herr Vetter, so weiß ich Euch in aller guter treuer Meinung länger nicht zu bergen, daß mich mein himmlischer Vater, der allmäch­ tige ewige Gott, mit einem frommen ehrbaren Jungfräulein begabt und versorgt hat, das ich dann bisher um Seine Göttliche Gnade (der * Ausdruck erinnert fast an eine Be­ titelung) nit verdient hab. Kann es auch nimmermehr ver­ dienen, da sie einmal nach meinem Gefallen frommer und ehrbarer, tapferer7) Leute Kind allhie ist, auch daneben einer ziemlichen Nahrung, ja eines tapferen Vermögens, wenn die Mutter mit Tod abgehet, erwartend, darzu eigen Haus und Hof, daß ich Gott dem allmächtigen genügsamen Dank nicht sagen kann, daß er mir ein solch Glück beschert hat, denn ich mir nie gedacht hätt, daß ich allhie zu Bres­ lau in ein solch tapfer Geschlecht heiraten hätt sollen. Doch sollt Ihr diesem meinem Schreiben keinen Glauben geben, sondern habt zu Nürnberg Forschung bei denen, so allhie verwandt seind, ob ich recht oder unrecht getan hab.“ Es werden nun einige Referenzen aufgegeben, darunter Herr Sebald Pfinzing — es wird sich hier wohl um den IV. dieses Namens handeln, der 1511 in den Nürnberger Rat kam und 1543 starb — und dann noch einige Angaben über ---------------;-----------------------

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7) Ein damals sehr beliebtes Modewort etwa unserem „tüchr tig“ oder trefflich entsprechend.

189 die angesehene Familie der Braut gemacht, der Tochter des nach Biedermann aus Görlitz stammenden Hans Em­ merich und einer Horneckin — ,,und seind die Horneckischen allhie fast die obersten im Rat. Zeig Euch solches nur darum an, damit Ihr nicht denkt, daß ich mich etwa hinter was Unrichtiges begeben hätt. In summa, mein Wort ist ein halb Wort. Wollets mir nicht verargen, daß ich in dieser Sach zuvor Eueres Rats nit gepflegt hab. Hat viel Ursach; so ist der Weg von hinnen gen Nürnberg auch zu weit. Gott der allmächtige verleih Glück und Heil, Amen“. Nunmehr folgt die Einladung zur Hochzeit an die ge­ samte Verwandtschaft und Freundschaft, auf den 15. Juni (1533) nach Breslau, an Alle,, denen der Herr Vetter die Ehre zu geben für nötig halte. Einzeleinlädungen ergehen zu lassen, sei keine Zeit mehr, da der Ueberbringer dieses Schreibens, der Bote, ,,morgen früh mit dem Aufschließen des Tors hinweg laufen müsse“. Er fürchte ohnehin, daß sich aus Nürnberg wohl nur wenige zu der in drei und einer halben Woche anberaumten Hochzeit einfinden wer­ den; ,,welche kommen wollen, dürfen sich nicht lang säu­ men. Euch wird alle Ehr erzeigt werden“. Zur Hochzeit erschien denn auch tatsächlich gar nie­ mand aus Nürnberg, was zum guten Teil gewiß seinen Grund in der Kürze der Zeit und in der Beschwerlichkeit der weiten Reise nach Breslau gehabt haben wird, zum Teil aber auch in dem argen Mißfallen, mit dem die Nachricht von der Verlobung von den Verwandten aufgenommen worden war. Wenn es den Vormund schon schwer verdrossen hatte, daß er nicht bei dem so wichtigen Schritt des jungen Vet­ ters um seinen Rat angegangen worden war, so hatte die Stelle in dem Briefe des glücklichen Bräutigams, daß er nie gedacht habe, einmal in Breslau in ein so tapferes Geschlecht einheiraten zu können, die ganze Familie geradezu in helle Empörung versetzt. Als ein Verächter, ein Schänder der Behaimschen Familienehre wird er deswegen in den Ant­ wortschreiben hingestellt, und namentlich gegen diesen Vor­ wurf verwahrt er sich dann in dem letzten dieser Briefe

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(vom 25. Juli 1533), den er bereits als junger Ehemann schrieb, dem erbosten Vormund gegenüber, der übrigens wenige Wochen darauf (am 17. September) starb. „Als Ihr mich aber anzieht als einen Verächter der Behaim und vermeint, all euer Leben lang keinen gehört zu haben, der die Behaim also geschändet hätte, wie ich getan soll haben mit dem Wortla: ich hätt mir nit gedacht, aus diesem Geschlecht allhie eine zu überkommen, darauf wißt, lieber Herr Vetter: bei diesen Herren, als ich hieher gegeben worden, bin ich stets als ein Kehrbesen und Hauspüffel gehalten gewest, wie ich Euch denn oftmalen an­ gezeigt hab, was gestalt man mich allhie gehalten hat, auch zu was trefflichen Händeln ich gebraucht worden bin,, da ich doch stets mein eigen Geld eingebüßt und nix erobert habe. Man hat mich nit gekannt, daß ich ein Behaim von Nürnberg gewest bin. Derhalben müßt Ihrs verstehen, daß ich nit gemeint hätt, dieser Zeit eine aus solchem Geschlecht zu überkommen; verhoff demnach, ich hab in dem Fall keinen Behaim oder mich selbst geschmäht, ob ich gleich zu keinem Fürsten geheiratet hab.“ Daß keiner von allen seinen Freunden Lust verspürt habe, nach Breslau auf seine Hochzeit zu kommen, heißt es dann weiter, daran sei wohl vor allem die weite Reise und die etwas späte Einladung schuld, für die seine Schwester ihm nur mit spöttischen Worten den Dank der Verwandten entboten habe, teilweise aber auch die mangelnde Freund­ schaft, von der er seines Erinnerns niemals um den Wert eines Hellers genossen habe außer daß sie ihn kaum mehr als zweimal „Freundschafts halber“ — es stand erst „Schan­ den halber“ da — zu Gast gebeten hätten. Um aber den ehemaligen Vormund und so viel älteren Vetter mit seiner Heirat einigermaßen auszusöhnen, berich­ tet er ihm dann „guter treuer Meinung“ sehr genau über die Mitgift seiner Frau und über den mit den vermögenden Schwiegereltern geschlossenen Ehevertrag, um schließlich noch auf das eigene Handelsgeschäft, auch mit Seidenstoffen und Fischen, nach Leipzig, Nürnberg, Frankfurt a. O., das er noch nach Polen auszudehnen gedenke und für das er des

Herrn Vetters weitere Unterstützung in Nürnberg erbitte, kurz einzugehen. Auch diese letzteren Teile des langen Briefes bieten noch manches kulturgeschichtlich wertvolle Moment, müssen indessen für diesmal auf sich beruhen bleiben, wie ich denn auch hier Michel (V.) Behaim nur wegen der tiefen Ein­ blicke in das damalige Familienleben, die seine Briefe ge­ währen, wiederum so ausführlich habe zu Wort kommen lassen. In den Briefstellen und in den Vorkommnissen, den Berichten von Verlobungen und Hochzeiten sind die dunk­ len und hellen Farben, wie in dem Fall Michels (V.), oft gar seltsam gemischt, was wohl hie und da auch seinen tieferen Grund in allerlei Neid und Mißgunst haben mag. Aus dem 16. Jahrhundert sei hier als ein weiteres Bei­ spiel noch die Aufzählung von stattgehabten Hochzeiten in einem Briefe der Magdalena Behaimin an ihren Bruder Paulus (II.) in Prag vom io. Juni 1581 angeführt, wobei namentlich die Schilderung einer ,,Nachhochzeit“ von Inter­ esse ist, die ein ziemlich bedenkliches Ende nahm. Der Brief ist, wie die meisten Frauenbriefe der Zeit, in einer sehr viel krauseren Orthographie geschrieben als die Briefe der Männer, was zum Teil von der geringeren Schulbildung, zum Teil aber auch von dem Mangel eines auch die Schrift normierenden geschäftlichen Betriebes herrühren mag. An Natürlichkeit und daraus entspringender unmittelbarer Wir­ kung aber sind gerade die Frauenbriefe jenen anderen viel­ fach überlegen. Hören wir also die Magdalena Behaimin: ,,Lieber Bru­ der Paulus“, schreibt sie, ,,ich hab gleich nit unterlassen können, dir mit der Mutter zu schreiben, wiewohl sich, seit du hinweg bist, nit viel hat zugetragen. Du wirst vielleicht auch nit wissen, wie du hinweg bist kommen, denn du wohl bestebewst [? so!] und bezecht auf die Kutschen (geschrie­ ben: kuczsen“) bist gesessen; nit weiß ich, wie dtf wieder herab bist kommen. Das Tetzel Durla (Dorothea Tetzel) sagt mir, wie du ihnen so fröhlich (geschrieben: ,,frelig“) bekummen (d. h. wohl: begegnet) wärst, als sie von des

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Sitzingers Hochzeit sind kommen, es ist acht Tag her, nach des Drechslers (sc. Hochzeit) gewesen. Hernach der Fürerin Tochter, darnach des Carl Imhoff, jetzt von 5 Tagen des Peter Rieters mit Detzel Marta (Martha Tetzel). Ist der Tanz bei dem Welser gewesen, hat sich an der Nachhochzeit zugetragen am letzten Reien (Reihen, Tanz) bei 4 Heter (? so; wohl: viererlei Hader oder Streitigkeiten). Haben vom Leder zogen der Philipp Imhoff und der alt Paulus Dietherr. Der Wilibald Imhoff gibt dem Christoph Dietherrn dem jungen ein Maultaschen (Maulschelle, Ohrfeige) vor jedermann. Liegen also diese Wochen auf dem Turm: der alt Paulus Dietherr 6 Tag, der Philipp Imhoff 6 Tag, der Wilibald Imhoff 4 Tag, der Jerg Baier (geschrieben: „Paeir“) 4 Tag,, der Carl Tetzel 3 Tag. Ist also ein ziem­ liches Turnier jetzt zu Nürnberg (gewesen). . . .“ Humorvoll schreibt — wir wenden uns wieder zum 17. Jahrhundert — Georg Friedrich Behaim am 29. Juli 1642 an seinen Bruder Hans Jakob, damals, wie wir wissen, in französischen Kriegsdiensten, dem er seine Verlobung mit „Jungfrau Maria Salome (1623—1652), Herrn Tobiae Tuchers (1594—1675), des Innern Rats allhie, ehelicher einiger Tochter“ mitteilt und noch über verschiedene andere Verlobungen und Hochzeiten in der Vaterstadt berichtet. „In Summa“, so schließt er seine Uebersicht, „das Creseite und M u ltiplicamini wird bei uns stark prak­ tiziert, und wird keine Hochzeit vollbracht, es wird eine andere dabei erdacht. Dannenhero tu deine Sachen so an­ stellen, daß du mögest in tempore kommen, ehe die besten Vögel ausfliegen, und dir keiner die Schuh austrete. . . .“ Gemessener schreibt der Vater der beiden Brüder am 7. Oktober 1645 an Hans Jakob: „Heut hält der junge Wimpf (d. i. Wimpfen) Johann Friedrich seinen Handschlag mit einer jungen Fürlegerin, über 80 m (mille) fl. reich. Du aber trachte, daß du selbsten so viel erwerben und hernach ein schön Weib, gleich dir, erlangen mögest. Hingegen hat künftigen Montag Wilhelm Kreß mit einer schwarzen (d. h. wohl häßlichen) Viatistochter Hochzeit, dafür dich Gott bewahre, dem ich dich

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mit unserem gesamten Gruß zu Schutz befehle." Auch von richtigen Einladungsschreiben zur Hochzeit könnte ich noch ein paar, für ihre Zeit sehr charakteristische hier anführen; aber eines derselben, von 1642, findet sich bereits bei Steinhausen (a. a. O. II, 39. Anm. 1) gedruckt, und wie dieses stammen auch einige andere, z. B. das beson­ ders graziös gezierte und geschraubte des Georg Tobias Schwendendörfer zur Hochzeit seiner Tochter Anna Justina mit dem Universitätsprofessor Hieronymus Cromeyr (Leip­ zig, 20. Oktober 1646), natürlicherweise von auswärts, sind also keine Nürnberger Produkte, weswegen ich mich hier mit diesem Hinweis begnügen kann. Reizvoll sind dann wieder einzelne Episteln der jungen Frauen an ihre Schwäger, so die zierlich geschriebene erste Auslassung der oben genannten Maria Salome Georg Fried­ rich Behaimin, geb. Tucherin von Simmelsdorf, an Hans Jakob B. als Nachschrift zu einem Briefe des Gatten vom 10. März 1643: „Geliebter Herr Schwager! Ob ich zwar längst an denselben schreiben und meiner wenigen Person Ihme be­ fehlen sollen, so hab ich doch die Sorge getragen, es würde mein unförmliches Weiberschreiben ihme zuwider sein; will also meine gebührliche Erbietung bis auf seine glückliche Zurückkunft verspart haben. Unterdessen befehle ich ihn dem lieben Gott und verbleibe Seine jederzeit getreue Schwägerin Maria Salome Behaimin." Hier mag auch gleich noch ein weiterer Brief dieser Maria Salome, die ihrem Gatten in zehnjähriger Ehe fünf Töchter und einen schon nach einem halben Jahre wieder gestorbenen Sohn gebar und selbst bereits 1652 neunundzwanzigjährig starb, Platz finden. Er ist (4. August 1643) an den gleichen Schwager Hans Jakob gerichtet als Er­ widerung auf dessen Glückwunsch zur Geburt des ersten Kindes, einer Tochter, die nach der Mutter Maria Salome (1643—1704) genannt wurde: „Geehrter Herr Schwager! Es wäre meine Schuldig­ keit gewesen, dessen geliebtes Schreiben, welches ich in 13

194 währendem meinem Kindbett wohl empfangen, längst zu beantworten. Weil es mir aber an der Gelegenheit geman­ gelt (der Brief ist wieder einem Schreiben des Gatten als Nachschrift angefügt) und ich mit dem Windelwaschen auch umgehen muß, als hoffe ich, der Herr Schwager werde es in Unwillen nicht vermerken; bedanke mich jedoch seines guten Angedenkens, versichere ihn dabei, daß mein Liebster und ich seiner vielfältig gedenken und nichts mehr wün­ schen, als daß es ihm zu Wasser und zu Land wohl ergehen möge, damit wir ihn nach vollendeter seiner Reis mit Freu­ den einholen mögen. Indessen sei der Herr Schwager von meinen lieben Eltern und allen den Meinigen auf das fleißig­ ste gegrüßt und Gott befohlen. Des Herrn Schwagers dienstwillige Geschwey Maria Salome Behaimin.“ Daß nach erfolgter Hochzeit das meist in angemessener Zeit, um mich modern auszudrücken: im Anrollen befind­ liche Kind von der ganzen Familie mit Ungeduld und Span­ nung erwartet wurde, darf uns in einer Zeit, in der es zu­ mal bei den regierenden Geschlechtern so viel auf das wei­ tere Blühen und Gedeihen des Stammbaumes ankam, nicht eben wundernehmen. Zu bedauern sind nur die armen Frauen, die es freilich nicht anders wußten, als daß sie, wenn sie nicht alsbald männlicher Nachkommenschaft das Leben gaben, in der Regel nach vielen Geburten mit einem frühen Tode für solchen Ausfall büßen mußten. Paulus (II.) B. hatte von seiner ersten Frau, mit der er acht Jahre verheiratet war, zwei Kinder, von seiner zweiten Frau in neunzehnjähriger Ehe neun und von seiner dritten Frau, die ihn um 20 Jahre überlebte, in zehnjähriger Ehe sechs Kinder. Als das erste Kind aus dieser dritten Ehe etwas länger auf sich warten läßt — es wurde erst knapp andert­ halb Jahre nach der Hochzeit geboren —■ beginnt man bereits ungeduldig zu werden, wie aus einem Brief Lukas Friedrich, des Sohnes aus erster Ehe, an seinen Vater her­ vorzugehen scheint: „Ich hab auch“, schreibt er (am 3. März 1612 aus Flo­ renz), „mit sonderer Freud vernommen, daß die Frau Mut­ ter auf dem Wahn ist, schwanger zu sein; da ich doch viel-

195 mehr gehofft und vermeint hab, sie solle nicht allein schon unser Geschlecht vermehrt haben, sondern allbereits mit einem andern (Kinde) wieder auf der Meinung sein, wo sie in der verstorbenen Frau Mutter seel. (der ersten Stiefmutter des Briefschreibers) Fußtapfen treten will/1 Natürlich ist hier Ernst mit Scherz gemischt, wie denn überhaupt in jener Zeit keine allzu große Zartheit in der Behandlung dieser Fragen obwaltet. So schreibt der gleiche Lukas Friedrich dreißig Jahre später (19. Dezember 1642) auch an seinen Sohn Hans Jakob ins Feld: „Von Neuem andbers nicht als daß vorgestern deine Schwester Harsdörferin sich gestehet, als wollte sie kindein; hat sie aber der Schimpf bald gereut und zapft noch um, unwissend, wie lang sie damit umgehen wird, daher deine Mutter jetzo gar viel zu schaffen und gar nicht die Weil hat, jetzo mit dem Wappenring (zum Briefsiegeln), welches mehr einem Schreiber als einem Reuter anständig, umzugehen.“ Die letzte Wendung ist wohl eine Art von Mahnung an den jungen Avantageur, sich nicht zu viel mit Brief­ schreiben abzugeben. Und als dem Georg Friedrich B. seine erste Tochter geboren wird, schreibt er (4. August 1643) an den Bruder: „Mon tres-cher Frere! Mein von Gott beschertes Haus­ glück habe ich, wiewohl in feminino genere, bereits vor 12 Wochen empfangen; ob sich aber der Sexus ins künftig mutieren werde, stehet von Gott zu erwarten“ — es war dies, wie wir bereits wissen, kaum der Fall. „Bei meiner Frauen“, heißt es vor der Geburt der zwei­ ten Tochter (in einem Briefe an denselben vom n. Novem­ ber 1645), dem mit der Ausdrucksweise wohl dem In­ genieur- und Artilleristenberufe des Bruders Rechnung ge­ tragen wird, „ist die Mine zum springen fertig und hast du mit nächstem zu vernehmen, was bei Einnehmung ihres Kindbetts es für Beute geben werde. Indessen läßt sie dich grüßen und ermahnen, du sollest an verbotenen Orten kein Feuer einlegen“ 8). 8) Zum Teil schon gedruckt bei Steinhausen, a. a. O. II, 48. 13*



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Auch sonst waren für dergleichen Fälle merkwürdige, für unsere Begriffe nicht gerade sehr geschmackvolle Scherze im Schwange, wie denn z. B. Vater Lukas Friedrich dem fernen Sohn Hans Jakob berichtet, daß ,,deine Schwester und Geschwey eine jede 4 Ohren hat“ (17. Mai 1644), Georg Friedrich ziemlich gleichzeitig (15. März 1644) dem Bruder von seiner jungen Frau als ,, uxor mea quadrupes“, sowie von der ,,vieröhrigen Harsdorferin“ und der „zweinäsigen Paul Grundherrin“ schreibt. Nach glücklich erfolgter Geburt folgt dann die Taufe des Neugeborenen.

Es begegnen in unseren Briefen hüb­

sche Einladungsschreiben zu einem solchen Familienfeste; so von Georg Pömer, Pfleger zu Velden, an Paulus (II.) Behaim (vom 15. Juli 1612) oder von Johann Perian aus Hersbruck „datum im Lager zu Mallgom“ — diesen Ort, offenbar in den Niederlanden, habe ich bisher nicht genauer feststellen können — an Hans Jakob Behaim, der dabei als einer der beiden Taufpaten fungieren sollte (vom n.Juli 1644).

Wir haben auch eine kurze Schilderung dieser Tauf­

feierlichkeit aus der Feder des Mitpaten und Vetters Pau­ lus Behaim, des nachmaligen reichsstädtischen Pflegers zu Hohenstein (1617—1691); es gibt Einladungen zur Kirch­ weih, z. B. von Alexander Geuder in Heroldsberg an Pau­ lus (II.) B. (vom 31. Juli 1588) und längere oder kürzere Schilderungen anderer Feste und Geselligkeiten, bei denen, zumal von der Herrenwelt, meist weidlich gebechert wurde. Gerade für die Geschichte der Trinksitten und -gewohnheiten — das 17. Jahrhundert ist ja die Zeit der Hochblüte dieses

deutschen Lasters,

die Zeit auch des angeblichen

Rothenburger Meistertrunks — ließe sich aus den reichen Behaimschen Briefbeständen manch wertvoller Zug gewin­ nen, doch muß ich mich hier auf einige wenige Hinweise beschränken. Schon Lukas Friedrich B., obgleich kein Kostverächter oder Duckmäuser, hält sich während seiner Studienzeit in Poitiers über das übermäßige Trinken der dortigen Deut­ schen auf und führt die Verpflichtungen (mit Zutrinken, Nachkommen, Runden, den „Extra“ usw.), die ihm diese

a.9; Unsitte in der Gesellschaft auferlege, sogar als einen der Gründe an, weswegen er den Aufenthaltsort lieber wechseln möchte. ,,Spielen kann und mag ich nicht“, schreibt er (20. Januar 1609) an den Vater, „hab auch die Zeit meines Lebens niemals Lust dazu gehabt. Uebermäßiges und großes Trinken ist hie zu Lande bei Franzosen nicht bräuchlich; aber bei Teutschen mehr als schier in Teutschland selbst, weswegen ich auch an Extra viel ersparen könnte.“ Aber in Angers, wohin die ,,Compagnia“ dann ja unter Führung ihres Mentors Agricola verzog, scheint es in dieser Beziehung auch nicht anders gewesen zu sein. Wenigstens lesen wir in einem Briefe Pauls (III.) B., damals (Novem­ ber 1612) in Angers, an seinen Bruder Lukas Friedrich, derzeit in Nürnberg: , , „Das Ballenhaus pflege ich nicht gar hart zu drücken, wie man zu sagen pflegt, weilen ich keine Gesellschaft hab und mir auch nicht gefallen will, mich mit viel Teutschen bekannt zu machen; Ursach: dieweil sie über die Maßen unhöflich und in Zusammenkünften nichts als schlemmen und fressen tun, wie denn dieser Tage ihrer zwen Schlesi­ sche von Adel sich die Häls abgesoffen und gestorben und der dritt, einer derselben Gesellschaft, auch zu Orleans be­ graben worden.“ Aber einem guten, die Geselligkeit belebenden und an­ feuernden Tropfen waren auch die wohlerzogenen Nürn­ berger Patriziersöhne keineswegs abgeneigt. In seiner bereits erwähnten und ja auch schon größten­ teils im Druck erschienenen Reisebeschreibung erzählt Lukas Friedrich (1611), nachdem er die Kunstkammer von Schloß Ambras eingehend beschrieben und der Bibliothek daselbst gedacht hat, wie den Reisenden der Kapitän (d. h. wohl: der Hauptmann der Schloßwache) „ein wackerer, höf­ licher Mann, noch einmal eins zugebracht, daß wir gar einen guten Anfang und schier halben Weg zu einem teut­ schen und nicht schlechten Rausch gehabt, mit welchem wir nun denselben Abend sein gar nach Hall geritten.“ Und als er im folgenden Jahre, da er sich in Florenz

I9S aufhält, um seinen Rat angegangen wird wegen der geplan­ ten Italienfahrt seines Stiefbruders Paul (III.) (1592—1^37)> da empfiehlt er dem Vater, den Sohn für das Sommer­ semester lieber noch in Jena zu belassen: ,,Ich bitt auch, Ihr wellet des Pauli Reis in Italien aufschieben bis in den Plerbst, damit ich möge sehen, wie dem unzeitigen Kind­ lein, so acht Tag nach seiner Geburt nicht hat essen und trinken können, das Bier zu Jena hab zugelegt; und wie ich vermeine, wird er den Halbgewachsenen an Größe und Stärk nicht gar ungleich sein, weil er zu Altdorf schon einen guten Anfang dazu gehabt und ihm die Extra, so er seit­ her in Jena gemacht, nicht wenig dazu werden geholfen haben.“ Das Gesundheittrinken, das Vor- und Nachkommen wurde um jene Zeit auch gern brieflich übermittelt und er­ widert. In einem ganz italienisch geschriebenen Brief Lukas Friedrichs an seinen Vetter Albrecht Behaim (Florenz, 12. Juni 1612) findet sich eine Reminiszenz an die im vorauf­ gehenden Jahre stattgehabte Hochzeit des Vaters mit seiner dritten Frau Maria Magdalena Bayerin, bei der die Gesund­ heit des fernen Sohnes ausgebracht worden war: ,,Poi mi fu scritto da sign. Bayer, che alle nozze di sign, mio padre tutta la compagnia, che ci era stata, da me tenuta una si buona memoria et honesta ricordanza, non parI a n d o solamente honestissimamente da me, ma b e v e n d o ancora (alla usanza della nostra amata Allemaignia) allegramente in mia santita (sic).“ So schreibt auch der wiederholt erwähnte Vetter Pau­ lus (IV.) Behaim aus Hamburg (24. Mai 1645) an Hans Jakob Behaim, daß er in Hamburg verschiedene gemein­ same Bekannte getroffen habe und sie des Vetters, sowie des Monsieur Magnus Carl, der mit Hans Jakob als Feuer­ werker bei derselben Truppe diente, ,,den 22. Mai zwischen II und 12 im Rathauskeller in Alicantewein und frischen Ausfern mit Überlaufehdem Glas und rinnenden Augen ein­ gedenk“ gewesen seien. Magnus Carl, übrigens ein Sohn des bekannten nürnbergischen Baumeisters, Ingenieurs und reichsstädtischen

199 Zeugmeisters Johann Carl (1587—1665) und Enkel des noch bekannteren Peter Carl (1541—1617), des Erbauers der Nürnberger Fleischbrücke, war es auch, der nach dem frühen Tode des Leutnants Behaim im folgenden Jahre (1646) dessen spärlichen Nachlaß zu ordnen und auch für den ,,Gedächtnis-Trunk“ zu sorgen hatte, der, wie er an den Vater des Verstorbenen schreibt, „am 6. Decembris, dem Tage St. Nicolas als Patrons aller Feuerwerker und Büchsenmeister in Frankreich“, von statten ging. ,,Ist selber“ (nämlich der Gedächtnistrunk) sehr wohl abgelau­ fen . . . und wir haben uns auch die Freiheit genommen, Euerer Herrlichkeit Gesundheit allemal mit Losschießung eines Kegels (?) herumgehen zu lassen, wie auch des selig verstorbenen Monsieur Johann Jakob Behaim sei., dessen wir des öfteren in bester maßen gedacht.“ Zum Schluß die­ ses Schreibens werden noch die Festlichkeiten aufgezählt — ,,ist also an guten Geschirren gar kein Mangel ge­ wesen“ — und dem Nürnberger Ratsherrn und betrübten Vater für den Ersatz der Kosten dieser Festivität gedankt. Gelegentlich zeigen auch dergleichen Antoastungs- oder Anprostungsbriefe mehrere Unterschriften und schon Stein­ hausen (a. a. O. II, 214) hat ein solches Schriftstück aus dem Behaimschen Archive gewissermaßen als den Vorläufer unserer heutigen ,,Bierkarten“ bezeichnet. Wie über die Trinksitten ließen sich nun auch über zahlreiche andere Gewohnheiten, Bräuche, Situationen und Verhältnisse des täglichen Lebens aus unserem reichen Briefmaterial manche Stellen als Beispiele für die damalige Art der Schilderung und des Ausdrucks anführen: arge Derbheiten in der Korrespondenz der jungen Männer unter­ einander, die sich dabei gelegentlich mit bedenklichen Uebernamen anreden, treue Ermahnungen der besorgten Mütter, seltsame Anzüglichkeiten in den Briefen junger, auf Ge­ schäftsreisen befindlicher Ehemänner an ihre Frauen, Aus­ lassungen über Angestellte und Dienstboten oder, wie man damals sagte, Ehehalten u. s. f. Ich will als Proben für diese Themen und Motive hier lediglich noch die Stelle aus einem Briefe Pauls (II.) Be-

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haim, den er am 25. Mai 1583 aus Oeblarn (an der Enns, ani Fuß des Grimming, heute berühmt durch Paula Groggers namentlich in seinem ersten Teil so bedeutenden steiermärki­ schen Roman „Das Grimmingtor“) an seine ,,liebe Haus­ frau Ursula Paulus Behaimin“, geb. Sitzinger, richtete, die ihm vor knapp drei Monaten (4. März 1583) angetraut wor­ den war, anführen und der Klage Friedrichs (VIII.) Behaim an seinen Bruder Paulus (II.) über eine unzufriedene Kinds­ magd Erwähnung tun, um dann noch etwas ausführlicher bei den Nachrichten über Todesfälle zu verweilen. Dem Briefe des Paulus B. an seine Frau, die er durch­ weg mit „herzliche (nicht vielleicht „herzliebe? A. d. H.) juilge Frau“ anredet, aus Steiermark gingen schon andere von der Reise dorthin — der erste ist aus München vom 29. April datiert* es war also wohl die erste Trennung des jungverheirateten Paares — voraus, sie sind aber ebenso wie spätere Briefe (1587) des Gatten an seine erste Frau so voller sonderbarer, z. T. schwer verständlicher Aus­ drücke und Redewendungen, daß ich es hier bei dem Anfang des Briefes aus Oeblarn bewenden lasse: Er hoffe, so schreibt er, daß die Reise, die er wohl in Bergwerksangelegenheiten seiner Familie angetreten hatte, von Nutzen sein werde, „damit ich auch der bisher von dir überkommenen Brautlkrätz möcht abkommen; wenn ich nur hernach, wie den Grind, auch ein Kind von dir bekäme und haben müßt. Wohl mag ich leiden, daß du es habst und ichs ziehe. Du verstehst mich wohl. Gott verleihe uns nur solchen Segen, am übrigen solls meinesteils nit man­ geln; und geb uns Geduld, bis daß wir einmal wieder zu­ sammen hinauskommen“. Wie die Geschichte des Witzes, des derben wie des fei­ neren, ist auch die Geschichte der Schimpfwörter noch keineswegs topographisch, etymologisch und psychologisch vertieft geschrieben. So wettert Friedrich Behaim (1563 bis 1613), der 1588 Ursula Geuderin geehelicht hafte und zur Zeit seines oben zitierten Schreibens an den. Bruder (vom 18. April 1589) in Heroldsberg wohnte: „Mein verzweifelter Schleppsack, die Kindsmagd, will

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nit länger h^'raüßW bleiben,^ obgleich ich ihr doch alle Wochen ein Ort (d. i. x/4 Gulden) zu geben mich erboten habe und sie mehr als 8 Gulden im Kindbett j(d..;h. aus Anr laß der Geburt des ersten Kindes, 3. Januar 1589) be­ kommen.“ Der Zug in die Städte machte sich also wohl schon damals gelegentlich geltend. Das hauptsächlichste Modeschimpfwort für mißratene männliche Individuen war übrigens^zu jener Zeit „Lecker“, „loser Lecker“, „erzverzweifelter Leckersbub“ u. s. f. Auch bei Todesfällen macht sich die Derbheit der Zeit und der Umgangssprache, wenn es sich nicht um nahe An­ verwandte oder besonders verdiente und verehrte Mitglieder der Gesellschaft handelt, gelegentlich in geradezu krasser Weise geltend. „Daß deine Muhme, die Letscherin, gestorben ist“, schreibt Sebastian Imhoff am 17. November 1544 aus Lyon an Paulus (I.) Behaim in Nürnberg, „hab ich nit gern gehört; denn was wirst du mit dem (ererbten) Geld allem tun. Erst wirst du den Preis haben vor allen jungen Ge­ sellen und nit lang ohn ein Weib bleiben. Du stellst dich traurig um ihren Tod; ich glaub, du habst Sorg, sie ersteh wiederum auf. In summa de mei (?) halben ist mirs um sie nit leid, denn alte böse Weiber soll man fahren lassen*“ Wie schön drückt sich dagegen Sigmund Heidt aus, als er in seinem Briefe vom 4. Januar 1582 dem Vetter und Mündel Paulus (II.) B., damals in Wien, von dem Sterben und Ableben seiner Mutter Mitteilung macht: „So kann ich dem Vettern auch nit verhalten, daß in der Christnacht jüngst vergangen die Mutter an ihrer alten Schwachheit mit großem Husten nieder- und zu Bett kom­ men, Doctor und andere Mittel gebraucht, aber das alles zur Besserung nit dienen oder zur Erledigung ihrer Schwach­ heit hat helfen wollen, sondern den 31. Dezember */4 nach ein gen Nacht seliglich in Gott entsfchlafen ist, also lind, daß ich nit glaub, daß sie den Tod empfunden habe, danii sie zuvor mit dem Priester christlich gebetet und gesagt, weiches ihre letzten Worte gewesen: Ich kann nit mehr;,

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und darauf alsbalden eingeschlafen und den dritten Jenner ehrlich zu der Erden bestattet worden. Der Liebe Gott wolle ihr und uns allen gnädig sein, auch eine fröhliche Urständ verleihen, Amen.“ Und in ähnlich gebührender und würdiger Weise schreibt auch Paulus (II.) B. seinerseits auf die Nachricht von dem Tode Willibald Imhoffs (1580), der gleichfalls einer der Vormünder der Behaimschen Kinder gewesen war, an Siegmund Heidt: „Den tötliehen Abgang Herrn Willibald Imhoffs, un­ seres geliebten Herrn Schwagers, belangend, ist derselbe uns — menschlich zu schreiben und in Erwägung daß Gott dem Herrn diesfalls keine Ordnung zu geben (d. h. keine Vorschriften zu machen sind) — wohl etwas zu früh ge­ schehen, dann er uns armen Waisen noch wohl eine zeitlang hätt vorstehen können, sonderlich und dieweil . . . unser dritter Vormund Jakob Imhoff mit seinen eigenen Han­ delsgeschäften dermaßen beladen, daß er unserer nur wenig abwjarten kann oder will.“ So setzten denn jetzt er und seine Geschwister ihre ganze Hoffnung und ihr höchstes Vertrauen auf ihn, Siegmund Heidt, dessen Schutz sie sich befehlen und der sie sicherlich auch ferner mit Rat und Tat unterstützen werde. „Dagegen wir dann der Gebühr nach, wie gehorsamen Pflegkindern wohl anstehen will, uns wie­ derum zu verhalten erbieten tun“ (Brief vom 10. April 1580). So betrübte auch Lukas Friedrich B., damals in An­ gers, die Nachricht von dem Tode eines alten Lehrers tief. Er schreibt darüber an seinen Vater (16. Januar 1610): „Endlich hab ich auch aus der Frau Mutter (gemeint ist seine Stiefmutter, die zweite Frau Pauls [II.] B., Rosina, geb. Paumgartnerin) Schreiben mit großem Schmerz verstanden, daß mein lieber Praeceptor, Herr M. Reipp, gestorben, welches mich sehr betrübt. Bitte derwegen, Ihr wollet euch der Wittib annehmen, die sich allezeit wohl um mich und meine Brüder verdienet“ (d. h. verdient gemacht hat). Wenige Monate darauf (7. April 1610) starb auch Rosina Behaimin bei der Geburt des zehnten Kindes, „unser

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aller getreue Hausmutter", wie sie der Vater in dem Brief nach Angers vom 14. April 1610 nennt, ,,die der liebe Gott am heiligen Osterabend in den Kindswochen aus diesem Jammertal zu sich in die ewige Freud und Herrlichkeit ab­ gefordert hat", auf welche Todesanzeige dann der ferne Sohn mit einem fünf Folioseiten umfassenden Brief ant­ wortet, dessen wesentlicher Inhalt aus überschwenglichen Beileidsbezeugungen besteht. Auch manche Trauerfälle aus der großen Welt finden in diesen Briefen des Behaimschen Archives ihren Nieder­ schlag, so der Tod Kaiser Rudolfs II., über den Paulus (II.) B. am 18. Februar 1612 seinem Sohne Lukas Friedrich nach Florenz schreibt: „Vom Tag der Begräbnis Ihrer Majestät hat oder weiß man auch noch nichts Eigentliches. Wird meines Erachtens ohne großes Pompa abgehen, weil die edlen Knaben und alles Hofgesind noch in ihren alten ge­ färbten (d. h. farbigen) Kleidern gehen, auch wenig Trauern zu Prag verspürt wird, dem (nämlich dem „Pompa") zu Gefallen nit 3 oder 4 Wochen nachzuziehen wäre." Wie es scheint, war zwischen Vater und Sohn die Frage aufgetaucht bzw. von Lukas Friedrich angeschnitten wor­ den, ob es nicht angebracht sei, zum Leichenbegängnis des Kaisers, bei dem man gewiß viel zu sehen bekommen werde, nach Prag zu reisen. Auch über den Tod des englischen Thronfolgers „Henrici Noni", wie er genannt wird, des ältesten Sohnes König Jakobs I. und Enkel der Maria Stuart, und über die Ge­ rüchte, die über die Ursachen dieses Todes des zwanzig­ jährigen Prinzen umliefen, können wir Ausführliches in einem langen Briefe lesen, den am 14. November 1612 Con­ rad Bayer aus London an seinen „freundlichen lieben Vet­ ter" Lukas Friedrich in Nürnberg schrieb. Und daß die Ermordung König Heinrichs IV. von Frankreich durch den Fanatiker Ravaillac auf die damals unter Führung des Andreas Agricola in Angers weilende „Compagnia", die sich auf der Heimreise nach Paris und Poitiers vor noch nicht zwei Jahren, wie wir uns erinnern, einer so liebenswürdigen Begrüßung durch den leutseligen Fürsten hatte erfreuen

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dürfen, einen erschütternden Eindruck gemacht hatte, läßt sich gut denken. . Agricola schreibt darüber am 22. Mai 1610 den „Prin­ zipalen“ (d. h. den Vätern seiner Zöglinge) nach Nürnberg: ,, . . . Obwohlen aber mir nit zweifelt, daß EE. EE. und HH. aus Zeitungen in Wissenschaft werden gebracht haben, daß Heinrich der vierte, König in Frankreich, hoch­ löblichster Gedächtnis tot ist und den 14. ds. zu Abends um 4 Uhr in Paris auf öffentlicher Gassen, sitzend in seiner Kutsche neben zwei anderen Herren, umgebracht und mit, einem langen Messer mörderischer und verräterischer Weis von einem verkehrten Bösewicht jämmerlich erstochen wor­ den, daraus dann allerlei Veränderung und künftige Gefahr dieser Lande möchte zu besorgen sein, so ist doch kundig und gewiß, daß nach solcher mörderischen und teuflischen Tat die vornehmsten Fürsten und Herren den Monsieur Dauphin als primogenitum Regni zum König erkläret und erkannt, welcher auch in Paris öffentlich dafür ausgerufen worden. . . . Die Krönung der Königin ist ver­ blieben (d. h. unterblieben), der mörderische Täter aber in Verhaft gebracht worden. Was ihn dazu verursacht und aus was Antrieb er solchen Mord an dem König vollbracht, gibt die Zeit, da auf viel und ungleiche Meinung und Reden nicht zu gehen ist. Der Täter ist ein frangois, welcher gewesen ist ein Diener und Soldat des Mareschal de Birow, welchen der itzt entleibte König vor der Zeit wegen vor­ gehabter Conspiration wider ihn hat hinrichten lassen. Dieses alles nun hab EE. EE. und HH. ich zu diesem mal, erheischender Notdurft nach, unangemeldet nicht lassen sollen.“ Mit diesem Bericht des Agricola aus Frankreich und über König Heinrich IV., der sich ja auch gut an die Schil­ derung in den ersten Abschnitten unserer Darstellung fügt, sei der Ring geschlossen, in den ich den Wiederschein des Lebens, wie er uns in den Behaimschen Briefen des 16. und 17. Jahrhunderts entgegentritt, einzufangen gesucht habe. Allerdings war es mir diesmal weniger um die chronologische Ordnung und die in den Aufzeichnungen berichteten Tat-

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sächlichkeiten als um Stil und Diktion, um Auffassung und Sinnesart der alten Briefschreiber zu tun. Ich hoffe aber doch, daß das buntscheckige Mosaik, das ich noch dazu in kaleidoskopartigem raschen Wechsel von Zeiten, Schau­ plätzen und Personen geboten habe, auf den ja ohne Zweifel kinogewohnten Leser nicht allzu verwirrend gewirkt, son­ dern neben jenen Aeußerlichkeiten, wodurch die Anordnung bedingt wurde, auch dargetan hat, wieviel gerade für die Geschichte des inneren Lebens der Menschen früherer Zei­ ten, um nicht zu sagen für unsere Kenntnis der Entwicklung der Volksseele, aus dergleichen umfangreichen alten Brief­ sammlungen wie der des Behaimschen 'Familienarchivs im Germanischen Nationalmuseum gewonnen werden kann9).

9) Daß schon im 3. Heft unserer „Mitteilungen“, S. 73—154, Joh. Kamann unter dem Titel:,„Aus Paulus Behaims I. Briefwech­ sel“ eine Reihe fesselnder, aus den Jahren 1533—1535 stammender Briefe aus der Behaimschen Familienkorrespondenz veröffentlicht hat, scheint dem sonst immer so vortrefflich unterrichteten Ver­ fasser entgangen zu sein. A. d. H.

KLEINERE MITTEILUNGEN. Nuremberc castrum oder die Altstadt nach den ersten Quellen. Von Erzbisch. Geistl. Rat Georg Goepfert, Bamberg. „Als Castrum Nuorenberg wird immer nur die Burg angesehen. Und doch wird derjenige zur einwandfreien Erklärung der ältesten Quellen gelangen, welcher das im ii. und 12. Jahrhundert so oft genannte Castrum N. als die Sebaldusstadt mit dem Grabe des Heiligen annimmt." Dies der Kern einiger Sätze aus den „Deutschen Gauen" 1924. Sie waren der Ausdruck meiner Erfahrung an den Mainkastellen und für die Nürnberger Forschung nur als wohlmeinende Anregung gedacht. Statt dessen wurde diese These in Nürnberg wie eine Kriegserklärung aufgefaßt und seitdem heftig bekämpft zugunsten der Anti­ these: Castrum ist nur die Burg, zu deren Füßen die Stadt Straße um Straße entstand. An eine Kontroverse hatte ich umso weniger gedacht, als ich dem strittigen Material nur sehr äußerlich gegenüber­ stand. Aber ein völliges Stillschweigen zum Gegenstoß ging auch nicht an, da ich hierdurch mit den einzelnen Quellen vertraut und schrittweise von der Richtigkeit meiner These überzeugt wurde. Freilich hätte das nicht ausgereicht, um einem Histo­ riker vom Rufe Mummenhoffs standzuhalten, wenn es sich nicht um einen beschränkten Ausschnitt der Frühgeschichte gehandelt hätte, ein Gebiet, auf dem Mummenhoff meines Erachtens sich als unbekehrbaren Anhänger einer überlebten alten Schule erwies. Neu aufgefundene oder noch nicht genügend beachtete Urkundenstellen könnten noch manche neue Erkenntnis bringen und manche in Rechnung gesetzte Position könnte sich doch als unhaltbar erweisen; allein was heute an ge-

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sicherten Bausteinen vorhanden und geklärt ist, reicht doch aus zum wesentlichen Plan der Stadt. Um diese Frucht eines mehrjährigen Ringens für die Geschichte Nürnbergs nicht verloren gehen zu lassen, über­ gebe ich dem Verein f. G. d. St. N. diese Skizze zum Ab­ druck *).

I. Die Franken im Nordgau. 1. Mit Uebergehung vorgeschichtlicher Fragen läßt sich für Nürnbergs Umland geschichtlicher Boden gewinnen seit dem Eindringen der Franken in den Nordgau. Im Jahre 743 besiegen Pippin und Karlmann den Bayernherzog Odilo am Lech (Fredegars Chronik) und okkupieren den west­ lichen Teil des Nordgaus (so schon Rudhart, Aelteste Gesch. Bayerns 1841). Karl der Große baut hier die „böh­ mische Mark“, aus gegen die Tschechen um 805. Diese ver­ läuft nach Norden ohne Grenze in slavisches Gebiet und gibt gegen Osten dem sogenannten Handelslimes seine Be­ stimmung als Grenze. Im Jahre 843 fällt im Vertrag von Verdun der ganze ostfränkische Reichsteil an König Lud­ wig den Deutschen zu Regensburg und damit an Bayern zurück. Das sind hundert Jahre Frankenkultur. 2. In diesem Nordgau liegen alle Curiae (so z. B. auch Neuburg am rechten Ufer der Donau!), die mit Servitien zum Königstisch belastet sind und im Indiculus curiarum zu Bayern gezählt werden. Demnach gehen die hier ge­ nannten zwölf Kurien auf die fränkische Okkupation des Nordgaues zurück als Königsgut im Neuland. Zusammen haben die Königshöfe 26 Servitien zu liefern, wovon 9 auf Nürnberg, 2 auf die Curia und 7 auf die Stadt (castrum) treffen. Ist hier die fränkische Kolonisierung in der Folge*) Wir glaubten, Göpfert auch einmal in unserer Zeitschrift zu Worte kommen lassen zu müssen. So bedauerlich es ist, daß Mummenhoff ihm nicht mehr antworten kann, so ist doch an­ zunehmen, daß er seinen Gegengründen, die er hier (Mitteilungen Bd. 25, S. 239—266; Bd. 30, S. 292—303; vgl. auch Bd. 26, S. 385) hinreichend klargelegt hat, kaum noch etwas hinzuzufügen gehabt hätte. Im übrigen weisen wir wiederholt darauf hin, daß die Verantwortung für die einzelnen Artikel stets deren Verfasser zu tragen haben.

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zeit noch sehr kräftig markiert, so finden sich in der Um­ gebung Nürnbergs noch besondere Erinnerungsmale wie „terra ettermini Francorum“, Centhut im Sebaider Wald und besonders Altenfurt mit seinen grundherrlichen Nach­ klängen, Erinnerungen an Karl den Großen usw. 3. Wie die äußere Kultur, trägt auch der hierarchische Ausbau der Christianisierung ganz fränkischen Charakter. Obwohl der Nordgau von 843 ab rechtlich wieder zu Bayern gehörte, wurde die nachmals errichtete Diözese Eichstätt nicht an Salzburg, sondern an Mainz, an die fränkische Kirchenprovinz, angeschlossen. Wie aus einer versunkenen Welt klingt die Sage herüber von einer Martinskirche, die Karl der Große, und einer Peterskirche, die der Papst erbaut haben sollte, während die Ueberreste feierlicher Gottes­ dienste zu Altenfurt zum geschichtlichen Bestand Alt­ nürnbergs gehören. 4. Den hl. Sebald läßt Sage und Legende zur Zeit die­ ser Bistumgründung als Apostel der Noriker bei Altenfurt wirken, mit verwirrter Chronologie in der Stadt Nürnberg selbst, während Meisterlin Altenfurt als „das alte Fürth“ und damit als Ueberrest jener fränkischen Kulturperiode bezeichnet, in welcher zu dem nachmaligen Nürnberg schon nach seiner wirtschaftlichen, rechtlichen und religiösen Seite der Grund gelegt wurde. Altenfurt darf als „locus Furti“ einer Urkunde Ludwigs des Kindes von 907 festgehalten werden, so lange der Ort nicht anderswo gefunden wird. '

,:■* '■ ' • II. Die Kaiserstadt Nürnberg. 1. „Actum Nuorenberc 1050.“ So tritt Nürnberg in dem wieder bayerischen Nordgau in die Geschichte ein mit einer Entstehungszeit um etwa 1040. Dem urkundenden Kaiser Wohnung und den bayerischen Fürsten einen Ver­ sammlungsort bietend, ist Nürnberg für damalige Begriffe schon als Stadt anzusprechen. Das persönliche Verhältnis des Kaisers Heinrich III. zu der neuerschienenen Stadt läßt der Annalist hervortreten mit „N. in suo fundo“, womit die auf Reichsgrund vom Kaiser angelegte Siedlung angedeutet

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ist (Zuschrift von dem jüngst verstorbenen Würzburger Rechtshistoriker Geheimrat Professor Dr. Ernst Meyer). 2. Die in häufigen Urkunden wiederkehrende Rever­ sierung, daß „die Stadt mit den Wäldern gestiftet“ sei, gibt zweierlei zu erkennen: die Zuteilung der Wohnungen durch fundatio, Baustätten, und plantatio, Siedlung, und dazu das Recht, den Reichswald als wirtschaftliche Grundlage für die Lebensfähigkeit der Siedlung auszunützen mit Bau-, Brenn-, Werkholz, Eichelmast, „Wunne und Weide“. Wir erkennen die Herkunft der bürgerlichen und städtischen Nutzungsrechte bzw. der „Altnürnbergisch-Eingeforsteten“. Die ersten Stadtsiedler bilden eine Nutzungsgenossenschaft mit genau festgesetzten Rechten. Gerade hierin liegt der sicherste Beweis für die planmäßige Ansiedlung der ersten Stadt. 3. Als Volksteile treten schon heraus die später noch zahlreich vorhandenen Hübner mit Feldbau und Viehzucht, diese auch von den Gewerblern mitbetrieben. Dem Ge­ werbe gab schon die Bautätigkeit der Gründung einen mächtigen Antrieb,, ferner die Lebensnotdurft der Stadt­ siedlung und endlich der Holzreichtum für Metallindustrie und selbst Kunst. Kuria, Kirchen! Das sogleich mit der Stadt erscheinende Markt-, Zoll- und Münzrecht dient dem Verkehr einer gewiß entsprechenden Bevölkerung und be­ nötigt einen Beamtenstab, der zusammen mit dem kaiser­ lichen Hofstaat, selbst ohne die bayerischen Granden, schon 1050 ein vornehmes Straßenleben bieten konnte. 4. Für die topographische Seite der ältesten Stadt bie­ tet helles Licht die inzwischen auf dem linken Pegnitzufer entdeckte Kuria, die wohl 1050 dem Kaiser Herberge bot. Die Altstadt liegt dem Königshof gegenüber am Hange des Burgberges. Wir finden sie später beschrieben als in vier Viertel geteilt, wobei die Umwallung des einen Viertels auch die Burg umschließt. Die Burg ist also ein Teil der Altstadt um St. Sebald. Die vier Viertel sind stehender Typus jener Stadtgründungen und ahmen über die Castelia der Franken hinweg noch immer die Vierteilung des römi­ schen Lagers nach.

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5. Von den Gebäuden der Stadt bei der Gründung dürf­ ten wir eines wenigstens mit Sicherheit finden in einer Petruskirche oder -Kapelle, deren Spuren sich in der Krypta von St. Sebald finden. Diese Petruskirche mit der Leiche des hl. Sebald machte das junge Nürnberg zu einem Wall­ fahrtsort für das weite Land, für ,,beide Gallien“. Das Volk strömte zum Grabe des Nothelfers ,,seligen An­ gedenkens“, wie Chronisten melden. Damit wird von Zeit­ genossen Sebalds Leben von der jungen Stadt getrennt und auf eine frühere Epoche hinaus verlegt. Aber im Tode noch gilt St. Sebald durch diese Verehrung als mächtiger Förderer der Stadt, die sich von Anfang an unter seinen besonderen Schutz gestellt hatte. 6. Wer einen Beweis verlangt, daß es sich bei all dem um eine Neusiedlung handelt, findet ihn zuverlässig in der anfänglichen Zugehörigkeit Nürnbergs zur Pfarrei Poppen­ reuth. Entscheidend war die Lage, der neuen Stadt rechts der Pegnitz im Territorium dieser Pfarrei. Aus gleichem Grund unterstand die Kuria auf dem linken Ufer der Pfar­ rei Fürth,, die sich schon vorher von Poppenreuth los­ gelöst hatte. Mit rasch wachsender Bedeutung gelangten beide Teile zu selbständiger Wahrung ihrer religiösen Be­ lange ! in gemeinsamem Pfarrverband (oder gleich in zweien?). 7. Auf religiösem Gebiet liegt aber auch ein gleich starker Hinweis auf die fränkische Kulturperiode vor, aus der Nürnberg hervorging. Der schon lange gehegten Ver­ ehrung folgte die Heiligsprechung erst 1425 mit dem Hin­ weis der Urkunde, daß Sebald schon mehr als 500 Jahre als hl. Stadtpatron gelte. Gegen die Ansicht, es handle sich nur um eine vage Zahl, stellt nun der damalige Pfarrherr von St. Sebald in einer Anmerkung fest: 500 Jahre und mehr bis zu Karl dem Großen. Man wollte also mit Nach­ druck die Lebenszeit Sebalds in die Karolingerzeit ver­ ankern (vgl. Dr. Martin Weigel in seiner Abhandlung über Dr. Conrad Konhofer, Mitt. d. V. f. G. d. Stdt. Nbg., 29. Bd. S. 211). So stehen tiefere Forschungsergebnisse der neue­ sten Zeit eindeutig zur Frankenkultur als Mutter der Stadt.

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III. Kaiser Heinrich III. Fundator. 1. Zu dem sprachlichen Anklingen des fundus Nürn­ berg an seinen Fundator kommt eine urkundliche Mel­ dung, nach der Kaiser Heinrich III. die Stadt mit Markt, Zoll und Münze ausgerüstet hatte auf Kosten des älteren Fürth. Die Gründung oder Stiftung der Stadt selbst mußte schon von derselben starken Hand ausgegangen sein, die die höchsten Regalien dahin verlegte. Für eine Entwicklung von einem zum andern hätte eine so kurze Regierung, 1039 bis 1056, gar nicht hingereicht. Das Gesamtbild von 1050 ist für die ahnungslose Welt nur möglich, wenn Gründung und Ausstattung durch einen Akt beschlossen und in rascher Folge vollzogen wurden. Karlstadt a. M., Neustadt a. d. S. und Freiburg in der Schweiz traten so ins Dasein. Nürnberg, mit den Wäldern gestiftet, gibt damit einen be­ sonderen Beleg für große kaiserliche Huld, wobei ja auch hauspolitische Nebenabsichten der Salier und Staufer aus den folgenden Ereignissen offen heraustreten. 2. Hat Nürnberg vom Kaiser aus Reichsgut viel emp­ fangen, so mußte die Stadt für ihre Stiftungsrechte und Nutzungen auch angemessene Gegenleistungen auf sich nehmen. Die Dörfer und Einzelhöfe sind für ihre Wald­ nutzung mit den üblichen Naturalreichnissen an den Grund­ herrn verpflichtet. Nach den Waldbüchern z. B. mit Holz­ korn, Forsthühnern von Haus zu Haus, während die Lei­ stung Nürnbergs in diesen Verzeichnissen fehlt. Dafür er­ halten wir vollen Einblick durch den Indiculus curiarum ad mensam regiam 1064—1065. Eine spätere Datierung die­ ser wichtigen Urkunde würde an Inhalt und Charakter die­ ser reinen Naturallieferung kaum etwas ändern 2). Der Genuß des Reichsgutes wird mit Servitien, die wie Vor­ läufer der Zivilliste für den Unterhalt des Königs aufkommen, abgegolten. 3. Wieder charakteristisch für die bayerischen Kurien des Nordgaues ist das fränkische Maß für ein Servitium, 2) Bekanntlich ist diese lange unbeachtet gebliebene Quelle in die Zeit Kaiser Heinrichs VI. verlegt worden. Der Inhalt ist aber nur aus der fränkischen Kulturperiode (743—843) zu erklären. 14*

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nämlich 40 Schweine, 7 Ferkel, 50 Hühner, 500 Eier, 5 Kühe usw. Zwei solche Servitien produziert der Königshof selbst, die curia, dagegen sieben leistet die Stadt, das castrum N. des Verzeichnisses. Gerade hier, wo Nuremberc castrum zum erstenmal3) in den Quellenschriften er­ scheint, kann es nur die Stadt sein. Die suo loco nögliche Uebersetzung „Burg“, ist hier glatt abzulehnen, schon weil es undenkbar ist, daß neben der curia am Wasser auf der Burghöhe noch ein solcher Betrieb unterhalten worden wäre, ohne Wasser, und bei dem Umfang von 7 Servitien, während die Stadt nichts zu leisten hätte. 4. Wem die Auflage für die Stadt N. übergroß er­ scheinen möchte, dem sei ein ,,Hauemberc“ mit 7 Servitien gegenübergestellt, das auf Amberg gedeutet wird. Es ist nicht an uns, die Angaben eines amtlichen Verzeichnisses zu bezweifeln. Bei richtiger Einstellung müßten diese viel­ mehr als Maßstab dienen für die damalige Leistungsfähig­ keit und Größe der betreffenden Orte. Diese Servitien werden jeweils vor Ankunft des Königs angefordert und sind solidarisch zu liefern, wie die Ein­ geforsteten auch korporativ ihre Nutzungsrechte genießen. 5. Diese Naturalreichnisse werden im 11. und 12. Jahr­ hundert zunehmend durch eine dem Stadtleben besser ent­ sprechende Geldsteuer „künigesstiure“, Bürgersteuer, als servitii redemptio ersetzt. Nürnberg hat dafür 2000 Pfund und von 1370 an 2000 Goldgulden aufzubringen mit der bei Bodenzinsen allgemeinen Stabilität der Jahressumme. Daß es sich dabei um den gleichen Betreff wie bei den 7 Ser­ vitien handelt, zeigt der große Freiheitsbrief Kaiser Fried­ richs II. Mit der gleichen „Gnade“ wie alle Vorgänger (also bis auf Heinrich III. zurück) gestattet er die gemeinsame Erlegung der Königssteuer, wozu der Einzelne pro posse heranzuziehen ist. Und nochmals, 1266, tritt dieser Zu­ sammenhang scharf heraus, indem der König dem Konrad Waldstromer alle forstamtlichen Befugnisse im Reichswald überträgt, „jedoch unbeschadet aller Rechte und Servitien, 3) Dies wäre also nach der vorhergehenden Fußnote zu be­ zweifeln. A. d. H.

213 welche alljährlich von da unserer Kurie nach Recht und Herkommen zu leisten sind“. Das mit 7 Servitien bedachte Nuremberc castrum ist hier klar erwiesen als die später 2000 Pfund zahlende Stadt oder genauer als die Bürger­ schaft Nürnberg. Bruno Heusinger (Servitium regis etc., Archiv f. Urk.Forschung, Berl. 1922, S. 26—159), der hier bahnbrechende Forschung geleistet hat, schreibt: ,,Nuremberc castrum wird wohl mit Recht auf N. gedeutet, weil es sich durch die hohe Zahl seiner Servitien auszeichnet.“ Dies gegen den Zweifel, ob „Nuremberc“ ein anderer Ort sein könnte. Es verdient vermerkt zu werden, daß mit Ent­ deckung der Kurie links der Pegnitz wohl auch der letzte Grund gefunden ist für die Gegenüberstellung im Indikulus von castrum und curia, und daß auch letztere mit 2 Ser­ vitien einen stattlichen Betrieb darstellte. Muß Nuremberc castrum anerkannt werden als die Stadt mit 7 Servitien und später 2000 Pfund zum Königs­ tisch, dann ist die zu Eingang gestellte These sichergestellt. Das erspart aber nicht einen nochmaligen Klärungsversuch für die Kriegsjahre 1105 und 1127 mit Belagerung der Stadt und Burg, wo castrum und castellum eine besondere Rolle spielen. IV. Castrum = die Burg. 1. Als Naturburg dürfte der Festungsberg schon in der ältesten Besiedelung der Gegend gedient haben. Sicher gab er Anlaß, die Stadt hier anzulegen. Mit Gründung der Stadt wird der Berg in diese einbezogen. ,,Diese sei fast viereckig gewesen. Das erste Viertel sei gangen vom Thier­ gärtner Thor um das Schloß herum bis zu dem Thurm am Schwabenberg . . .“ Dadurch ward der Berg schon zum Refugium, zur Fliehburg mit dem sog. Fünfeckigen Turm als Bergfried. Die Bezeichnug ,,Altnürnberg“ weist im Volksbewußtsein damit ebenso auf die Gründungszeit der Stadt zurück, wie ihn fachmännisches Urteil in die Mitte des 11. Jahrhunderts verlegt.

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Der Bergfried, roh und unwohnlich in Stein ausgeführt, schützt als erster Kunstbau die Burgfläche an der bedroh­ ten Seite. Hier vermutet man für den Anfang etwa Block­ hütten, bis eine Burg im modernen Sinne beginnt. Einst­ weilen ist „,Burg und Stadt ein Ding“ und wird von Otto von Freising gesehen als Noricum Castrum, die Festung des Nordgaues. 2. Die verfolgten Juden suchen 1146 Schutz beim Kai­ ser in oppido principis, quod Noricum seu Norenberg appellatur, also in der Kaiserstadt Nürnberg. Wenn aber in den Gesta (Barbarossabrief) K. Friedrich I. von seinem „castrum in N.“ spricht, so tritt jetzt die Burg heraus, die wieder in einer Judenverfolgung 1298 als castrum regale in Nürnberch als Zufluchtsstätte dient. Will Otto von Freising die Burg von der Stadt unterscheiden, so schreibt er arx in Castro, auch arx in burgo. Dieser rein begrifflichen Tren­ nung von Stadt und Burg folgt die materiell-räumliche erst 1367, indem die Bürger, des Mutwillens der ,,Hofbuben in allen Gassen“ müde, den Zugang zur Stadt abmauerten und für dieses rasche Werk von 40 Tagen Kaiser Karls IV. ob­ siegendes Urteil im nachfolgenden Prozeß errangen. Diese Linien der Burgentwicklung hätten nie Anlaß zur Verwechs­ lung mit castrum als Stadt oder Burg geben dürfen. 3. Eine Verwirrung herrscht tatsächlich bis in die Kreise der Herausgeber der Monumenta Germaniae be­ züglich der beiden Kriegsjahre. 1105 stand Nürnberg auf Seite Kaiser Heinrichs IV. und wurde darum von Hein­ rich V. zwei Monate belagert und nach der Einnahme zer­ stört. So berichten alle Geschichtschreiber von der politi­ schen Seite. 1127 wurde die Stadt von Kaiser Lothar be­ lagert, konnte sich aber mit Hilfe der Enkel Heinrichs IV. behaupten. In beiden Fällen verwenden die Chronisten castrum und oppidum, auch urbs für die belagerte Stadt und oppidani für ihre Bürger. Aber in falscher Umdeutung der Worte übersetzt man beispielsweise „,oppidani oppidum tradunt“ mit: „die Besatzung übergibt ihre Burg“ — Jahr­ hunderte, bevor man an Burgen mit kasernierter Besatzung dachte. Die Berichte sind in beiden Fällen zwingend für die

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Verteidigung der Stadt durch ihre Bürger4). Hiezu mehr zu sagen erübrigt sich nach den voraus­ gehenden Darlegungen über den wirklichen Charakter von Nuremberc castrum im 11. Jahrhundert als die Altstadt um St. Sebald.

Der Prozeß des Lübeckers Hinrich Drosedow gegen die Nürnberger Heinz und Wilhelm Rummel. Von Claus Nordmann. In dem in Band 29 dieser Mitteilungen a) erschienenen Aufsatz von Albert Gümbel, ,,Beiträge zur älteren Nürn­ berger Buchdruckergeschichte“, wird ein Prozeß erwähnt, der in den Jahren 1474—78 zwischen dem Lübecker Hein­ rich Troscaw und den Nürnbergern Heinz und Wilhelm Rummel vor dem Rate zu Nürnberg spielte. Mit einer größeren Arbeit über das Eindringen der Nürnberger Groß­ händler in das Hansegebiet beschäftigt*2), fand ich im Staatsarchiv Lübeck einige Akten, die diese etwas unklare Streitsache einigermaßen aufzuklären geeignet sind. Zu­ nächst stellte sich heraus, daß Hinrich Drosedow — in die­ ser Form taucht sein Name in den Lübecker Quellen auf — niemals Buchdrucker gewesen ist. Er gehörte zu den an­ gesehensten Lübecker Großhändlern und Bankiers3). ,,Ick hebbe in der guden stat to Lubeke togedan wesen XLIIII jare myt groter swarer handelunghe, alzo dat ick to einer 4) Als Schrittmacher für Nürnberg dürfte Karl Hegel als Herausgeber der Chroniken der deutschen Städte (I. Bd. S. XIV. Anm. 3) in Frage kommen. Er schreibt: „Oppidum steht gleich­ bedeutend mit dem vorhergehenden castellum.“ Das ist richtig, wenn er oppidum = castellum = Sebaldstadt deutet, falsch, wenn er deshalb oppidum mit „Burg“ übersetzt. *) S. daselbst, S. 299—334, bes. S. 305 ff. und 318 h (Zu den Ausführungen und Urkundenabdrucken Giimbels bietet der hier folgende Artikel eine willkommene Ergänzung aus niederdeutschen Quellen. A. d. H.). 2) Vgl. meine Dissertation: Nürnberger Großhändler im spät­ mittelalterlichen Lübeck, in: Nürnberger Beiträge zu den Wirt­ schafts- und Sozialwissenschaften, Heft 37/38, Nbg., Krische & Co., 1933. Die Arbeit ist unten vom Herausgeber besprochen. 3) Vgl. auch Lübeckisches Urkundenbuch Bd. X, Nr. 159; XI, 54L 59i> 663.

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tid van der Travenen zeghelde unde bleff dar sovendusent mark schuldich . . . unde darto groten Ionen unde ghunst gehat an allen framen luden . . .“, so schrieb er 1473 4). Bei dem Prozeß, den er gegen die Gebrüder Rummel führte, handelte es sich um aus Wechselkäufen resultierende Forderungen5). Zuerst hören wir davon 1472; am 22. Juni dieses Jahres klagte Drosedow vor dem Lübecker Rat gegen Michel Volkmer (Volckamer,, siehe Gümbel) 6), den Bevollmächtigten der Gebr. Rummel, ,,umme ene rekenschop unde vorhandelinge van wegene Hintzen Rummels“. Volkmer sagte, er wäre bei Heinz und Wilhelm Rummel in Nürnberg gewesen; diese hätten bekannt, dem Drosedow 1074 rh. Gulden 4 sch. lüb. schuldig zu sein, und ihm durch ihren Diener Hermann Witterde darüber auch eine ,,rekenschop unde inseggent“ gesandt. Von diesem Betrag hatte Volkmer 820 Gulden zur Ueberweisung an die Rum­ mel erhalten — nach einer bei Henning Deterdes und Otto Engeltaler 7) liegenden Abrechnung. Außerdem schul­ dete Volkmer Hinrich Drosedow noch 20 rh. fl. Drittens hatte Drosedow bei Volkmer mehrere Wechsel gekauft, und zwar einen auf 162 Dukaten, den die Rummel zu Vene­ dig auszahlen sollten, weiterhin 13 Wechselbriefe im Ge­ samtwerte von 722 Dukaten, gezogen auf die Bank Spinelli zu Rom, einen Wechsel von 90 rh. fl. für Schack Rantzau auf die Bank Siccluß (in Rom?) und einen Wechsel von 200 rh. fl.,, der von den Rummel an Hans Möller auszuzahlen war. Drosedow klagte nun, daß sämtliche Wechsel ,,van vorsumenisse wegene Hintzen Rummels“ nicht bezahlt und 4) Staatsarchiv Lübeck Senatsakten, Reichsstädte, Nürnberg Vol. II. fase. 5. 5) 1470 bereits führten die Rummel finanzielle Aufträge für die Stadt Lübeck aus; es handelte sich um die Ueberweisung hoher Summen, die Lübecks Syndikus Johann Osthusen am kaiserlichen Hofe zu Wien und Prag benötigte. Lüb. Urkundenbuch Bd. XI, Nr. 651 und 664. 6) St. A. Lüb. Niederstadtbuch 1472 Petri et Pauli, S. 2 u. 3. Vgl. Beilage I. Im Auszug bei Pauli, Lübische Zustände im Mit­ telalter, II, S. 141. 7) Engeltaler war einer der bedeutendsten Nürnberger Lübeckhändler; schon seit 1464 stand er mit der Travestadt in Verbindung. Er starb 1482.

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nach Lübeck wieder zurückgeschickt worden wären; des­ halb wäre er auch „van den fromen luden, de ere gelt to Rome nicht gekregen hedden, to groteme schaden unde vorderve gekomen“. In der Tat war von allen Kanzeln der Bann gegen ihn verkündet worden 8); und ferner klagte er, daß ihm dadurch ein Gewinn von 600 rh. fl. oder mehr ver­ loren gegangen sei. Man kam zu der vorläufigen Einigung, daß Drosedow von Michel Volkmer einige ausstehende Schuldforderungen und einen größeren Posten Waren als Sicherheit erhielt, und zwar: 67 Ellen Damast, 42 Ellen Samt (fluel), 340 Pfund Ingwer, 62 Pfund Nelken. Die Sache sollte weiter verhandelt werden, wenn ein — sonst nicht bekannter — Hans Bünger aus Nürnberg zurück­ kehrte; bis dahin verpflichtete sich Volkmer, Lübeck ohne Zustimmung Drosedows nicht zu verlassen. Am 3. Dezember 1472 fand die nächste Verhandlung vor dem Lübecker Rat statt9). Drosedow klagte diesmal gegen Michel Volkmer „alse umme 820 rh. fl. unde 162 ducaten, de he deme sulfften Michele geantwort scholde hebben, umme de Hintzen Rummele vort overtoantwortende“. Volkmer gab zu, dies Geld zur Ueberweisung an die Rummel erhalten zu haben; er habe folgender­ maßen darüber verfügt, nämlich: 400 rh. fl. an Otto Engel­ taler, 220 rh. fl. an Andreas Stromer, 162 Dukaten an Tho­ mas Körte und 200 rh. fl. an Heinz Rummel selbst gegeben (overgeantwordet). Er, Volkmer, habe jedoch bei alledem nur als Beauftragter (alse eyn knecht) gehandelt und seinen verdienten Lohn dafür empfangen; er beschwor seine Aus­ sage, und der Rat sprach ihn daraufhin von der Anklage Drosedows frei. Somit konnte Volkmer nicht belangt werden, und Drosedow mußte den Prozeß in Nürnberg gegen die Rum­ mel selbst weiterführen. Zuerst kam es noch zu einigen — die Rummel nicht betreffenden — Auseinandersetzungen zwischen Drosedow und Volkmer in Lübeck. So beglich 8) St. A. L. Nürnberg Vol. II. fase. 5. 9) St. A. L. Niederstadtbuch 1472 Conceptionis Mariae, S. 2. Vgl. Beilage II.

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der letztere seine Schuld von 20 rh. fl. im Februar 1473 10); im Mai 1473 21) klagte umgekehrt Volkmer gegen Drosedow „van etlikes geldes wegene, dat Michell Volkmer uppe Hinrike Drosedowen . . . to achter wesen scholde“. Man einigte sich vergleichsweise dahin, daß Drosedow 40 m. lub. an Volkmer zahlen sollte 12), doch war von dieser Ver­ einbarung „uthgescheden de sake, de Wilhelm unde Hintze Rummel und Hinrik Drosedow tosamemie to schaffende hebben“. Dieser Hauptprozeß spielte, wie gesagt, vor dem Nürnberger Rat. Vom 5. Mai 1474 haben wir die erste Nachricht; die Verhandlungen zogen sich hin bis 1478 13), ohne daß wir aus den Nürnberger Akten die endgültige Entscheidung kennen. Wahrscheinlich wurde der Prozeß in Nürnberg garnicht zu Ende geführt, sondern wiederum vor den Lübecker Rat gebracht. Denn wir haben vom 23. März 1478 — die letzte Nachricht aus Nürnberg über diese Sache stammt vom 2. Januar 1478 — das Konzept eines Briefes Lübecks an Michel Volkmer, in welchem die­ sem sicheres Geleit für seinen Aufenthalt in und um Lübeck versprochen wurde 14). Urkundliche Zeugnisse über den weiteren Verlauf der Verhandlungen sind in Lübeck nicht vorhanden. Nur zwei Notizen über Michel Volkmer von 1482 sind noch erhalten: am 20. März einigte er sich mit dem Lübecker Johan van Berken über ihrej„kopenschop“ und „handelinge“ 15); am 25. März klagte er gegen den Lübecker Gerd Prediker wegen der 40 m., die ihm in der Auseinandersetzung mit Drosedow zugesagt waren lö) und für die sich Prediker ver­ bürgt hatte. Volkmer versprach, sich freiwillig dem Urteil des Lübecker Rates unterwerfen zu wollen unter Verzicht 10) St. A. L. Niederstadtbuch 1473 Valentini, S. 3. ir) Ebd. 1473 Cantate, S. 5. 12) Vgl. auch den Brief Drosedows an Lübeck von 1476, Febr. 6. (St. A. L. Nürnberg Vol. II. fase. 5), wo es heißt: dat ik em do moste geven XL m... ik was em en penwerdscherff nicht schuldich. 13) Ueber das Einzelne vgl. Gümbel a. a. O. S. 305 ff. 14) St.A. L. Nürnberg Vol. II. f. 5. lö) St. A. L. Niederstadtbuch 1482 Benedicti abbatis S. 1. 10) Vgl. oben, Zeile 5 und 6.

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auf Appellation17). Seitdem hören wir nichts mehr über diese interessante Streitsache; selbst in dem sonst so aufschlußreichen Nieder­ stadtbuch finden sich keine Eintragungen; doch das ist durchaus kein Beweis für die endgültige Beilegung des Prozesses, liegt doch z. B. schon die Vermutung nahe, daß eine der beiden Parteien an das kaiserliche Hofgericht appel­ liert hat — das war nach Hinrich Drosedow die Absicht Heinz Rummels 18); oder daß dem Rat zu Lüneburg die letzte Entscheidung anvertraut wurde, wozu sich z. B. Drosedow bereit erklärte 19). Auf jeden Fall werden wir schon aus dem bisherigen so nebenbei darüber belehrt, eine wie bedeutsame Rolle die Nürnberger Handelshäuser in der Geldvermittelung von Lübeck und dem Hansegebiet nach Oberdeutschland und Italien spielten; zugleich jedoch auch, daß mit dem Geld­ geschäft nach wie vor ein durchaus beachtlicher Handel mit kostbaren Samtstoffen und Gewürzen Hand in Hand ging, eine Erscheinung, die bei fast allen Nürnberger Großhänd­ lern, die mit dem Norden in Beziehung standen, zu be­ obachten ist 20). Beilagen. Beilage I. Staatsarchiv Lübeck, Niederstadtbuch 1472 Petri et Pauli, Seite 2 und 3. Witlik zij, dat int jar LXXII 0 des mandages vor nativitatis Johannis baptiste [22. Juni] de beschedene Hinrik Drosedouw, borger to Lubeke, vor deme ersamen rade darsulvest dede tosprake to Michel Volkmer van Nurenberge umme ene rekenschop unde vorhandelinge van wegene Hintzen Rummels; dar desulfte Michel to antworde unde zede, wo dat he gewest were bij Hintzen 17) Niederstadtbuch 1482 Cath. Petri, S. 2. 18) Brief an Lübeck 1476 Febr. 6. (St.A.L. Nürnberg Vol. II. f. 5.) 10) Undatiertes Konzept eines Briefes (nach 1475) Drosedows an den Nürnberger Rat, ebd. 20) Vgl. z. B. die Familie Mulich (nach der Arbeit von Fritz Rörig, Das Einkaufsbüchlein der Nürnberg-Lübecker Mulichs auf der Frankfurter Fastenmesse des Jahres 1495- Veröffentlichungen d. Schlesw.-Holst. Universitätsgesellschaft Nr. 36, Breslau, Ferd. Hirt, 1931, S. 16 f. und 58 f. Siehe auch Pappenheimfestschrift, 19131, S. 526 f. und 568 f.). Für weitere Beispiele verweise ich auf meine jüngst erschienene Dissertation. Auch Rörigs Buch soll weiter unten vom Herausgeber besprochen werden.

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und Wilhelmen Rummell, broderen, to Nurenberge, unde hedde de rekenschop vorhandelt van Hinrikes Drosedouwen wegene, so dat de gesechten Hintze unde Wilhelm Rummell Hinrike Drosedouwen schuldich sint dusent veerundesoventich rinsche güldene, veer Schil­ linge lub., so Hintze unde Wilhelm sodaner rekenschop woll tovreden sint uppe ere rekenschop unde inseggent, de Hintze Rum­ mel Hinrike Drosedouwen gesant hefft bej zineme denere Hermenn Witterde. Alsus so bekande Michel vorscreven, dat eme Hinrik Drosedouw geantwordet hedde van der vorscr[even] summe geldes achtehundert twintich rinsche güldene, de Michel den erben[anten] Rummelen van Hinrikes Drosedouwen wegene vortan geantwordet schole hebben na inneholde ener rekenschop, de bij Henninge Deterdes unde Otten Engeltalern wesen schall, dar se ere zake in fruntliker wijse vor frunden so vorhandelt hebben. Item noch is Michel schuldich Hinrike Drosedouwen vorscrjeven] twintich rinsche güldene; item noch so hefft Hintze Rummel to Venedie upgebort hunderttweundesostich ducaten, de Hinrike Drosedowen tobehoren, de Michel overschreff an Thomase Korten; item noch uppe desse vorscrjeven] summen geldes hefft Michel Volkmer overscreven in de banck Spinelle dorteyn wesselbreve, de summe sovenhundert unde tweundetwintich ducaten, de dorteyn personen gehöret scholden hebben; item noch overgescreven in de banck Siccluß negentich rinsche güldene, Schacken Rantsouwen tobehorende; item noch overgescreven twehundert rinsche güldene, de Hintze Rummel geven scholde Hanse Moire unde betalet hebben van Bernhardi Tobinghes wegene etc. Alsus beclagede zijk Hinrik Drosedouwe vorscrjeven], dat de wesselbreve wedderumme to Lubek gekomen unde de wessele nicht betalet weren van vorsumenisse wegene Hintzen Rummels vorscr[even]; deshalven de genante Hinrik Drosedouw van den vromen luden, de ere gelt to Rome nicht gekregen hedden, to groteme schaden unde vorderve gekomen were. Item noch so beclagede zijk de vorscr[even] Hinrik Drosedouw, dat he bij Hintzen Rummel hebben scholde to gewinne soßhundert rinsche güldene edder meer in overkofftem gelde; in dessen saken will Hinrik Drosedouw vorscrfeven] zijk zines rechten unvorsumet wesen umme zin vorscr[even] geld, dat eme Hintze unde Wilhelm Rummel jegen god, ere unde recht vorentholden schole, wedder to manende. Item desse zake, so zijk Hinrik Drosedouw beclaget achter to wesende, darup hefft Michel Volkmer vorscrjeven] demsulften Hinrike Drose­ douwen overgeantwordet sovenundesestich eien damasch, tweundevertich eien fluelß, drehundertvertich punt engebaiß [Ingwer] unde tweundesostich punt negelken to truwer hand; item desse vorscr[even] gudere unde allent, dat de vorscr[even] Michel noch an gelde unde an schulden bij zijk hefft, dat hefft de erben[ante] Hinrik Drosedouwe mit rechten besätet; des denne Michel zijk vorwillet hefft, Hinrike Drosedouwen de intobringende unde overtoantwortende, jodoch unde bij also, dat umme bede willen fromer lüde de besäte stan schall in fruntschop, dat recht nicht to vordervende, so lange dat Hans Bünger wedderkumpt van Nurenberge, welk Hinrike Drosedouwen in zLneme rechte unschedelick schall zin sunder argelist. Unde des so hefft zijk Michel vorwillet, dat he van Lubeke nicht scheiden will sunder vulbord, willen unde weten Hinrike Drosendouwen vorscr[even], zines rechtes in allen saken unvorsumet to zinde. Hijr sint bij, an unde ovet' gebest de beschedenen manne, mit namen: Henningk Deterdes, Dyitfeg Träveiivoget unde Johan van

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Bingen, borgere to Lubeke, van Hinrikes Drosedouwen wegene; Frederik Loer, ok borger to Lubeke, Hans Rapholt1) unde Pankraß Sigerstorff2), borger to Nurenberge, van Michel Volkmers wegene darbij gebeden. Jussu consulum. Actum sexta feria ante Petri et Pauli apostolorum [Juni 26] 3). Beilage II. Staatsarchiv Lübeck, Niederstadtbuch 1472 Conceptionis Marie, S. 2 Witlick zij, dat int jar unses heren dusent veerhundert twenndesoventich ame sonnavende vor Katherine virginis [21. November] de beschedene Hinrik Drosedouw, borger to Lubeke, vor deme ersamen rade darsulves to Lubeke tosprake gedan hefft to Michel Volkmer van Nurenberge alse umme achtehundert unde twintich rinsche gülden unde hundert unde tweundesostich ducaten, de he demesulften Michele geantwort scholde hebben, umme de Hintzen Rummele, borger to Nurenberge, vort overtoantwortende. Dar denne Michel Volkmer to antworde unde zede, dat yd war were, dat eme Hinrik Drosedouw geantwordet hedde achtehundert unde twintich rinsche güldene, hundert unde tweundesostich ducaten, umme de deme erscrevenen Hintzen Rummele vort overtoant­ wortende, der he denne Otten Engeltalre verhundert, Andrese Stromere twehundert unde twintich < unde Hintzen Rummell twehundert rinsche gülden unde de nastanden hundert unde tweunde­ sostich ducaten Thomase Kort to Hinrikes Drosedouwen behoff overgeantwordet hedde unde entstünde Hinrike Drosedouwen van sodanes vorgenanten geldes wegene mit alle nicht to unde en hedde des ok anders nicht to donde denne alse eyn knecht unde en hedde des ok nicht to schaffende edder ichtes wes genoten denne zin vordende lone, eme sodann vorg[enant] geld nicht mede gulde, ok dar ane part noch deel, hellingk noch penningk darvan bij zijk hedde etc. Dar up de rad to Lubeke delede vor recht: Wolde Michel Volkmer eyn sodans, alse vorscreven is, mit zineme rechte beholden, darmede mochte he van Hinrike Drose­ douwen der vorscr[even] tosprake halven mit rechte scheden; deme Michel alse overbodich was to donde; des denne de rad to Lubeke Hinrike vragede, offt he den eed van Michele hebben wolde, darto Hinrik antworde und ya zede. [Volkmer beeidet seine Aussage.] Des denne de rad to Lubeke den obgen[anten] Michel Volk­ mer sulker bovenscr[evener] tosprake der vorgenfanten] summe geldes halven delede notloß, welk desulfte Michel begerende was in desset der stad Lubeke boek to schrivende, deme de rad so bevell to bescheende. Jussu consulum. Actum V a feria post Conceptionis Marie [3. Dezember]. 1) Er führte in demselben Jahre im Aufträge des Nürnberger Großhändlers und Bankiers Reimer Munter einen Prozeß gegen dessen Bruder, den Lübecker Claus Munter. 2) Auch er war Kaufmann; die Stadt Lübeck beauftragte ihn öfter zu Silberkäufen für ihre Münze. Ueber Rapholt, die Munter und Sigerstorff näheres in meiner Dissertation. 3) Drosedouw hatte seine Klage am 22. Juni eingereicht, ver­ handelt wurde die Sache am 26. Juni.

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Eine Nürnberger Bilderhandschrift Von Dr.-Ing. h. c. Franz M. Feldhaus, Berlin-T empelhof. Mit drei Tafeln. Unlängst wurde ich auf eine aus Nürnberg stammende, höchst eigenartige Bilderhandschrift aufmerksam gemacht, die sich unter den alten preußischen Beständen in der Ber­ liner Staatsbibliothek befindet. Bei der ersten Durchsicht erkannte ich, daß es sich hier um eine seltene Niederschrift handelt, die uns beweist, wie hoch das technische Denken im alten Nürnberg gewertet wurde. Die auf Papier geschriebene Handschrift im QuartFormat umfaßt 76 Blatt, von denen nur wenige leer geblie­ ben sind. Der Verfasser der Handschrift nennt sich nicht. Als Titelbild ist das Wappen der Nürnberger Patrizierfamilie Löffelholz (ein schreitendes Lamm) zu sehen. Das bei­ liegende Frauenwappen zeigt einen Affen, der einen Spiegel hoch hält. Ueber dem Wappen liest man das Entstehungs­ jahr der Handschrift, 1505 a). Die Signatur ist Codex german. quart. 132. Bis Blatt 55 ist die Handschrift durchweg bebildert. Die Bilder sind vorzüglich gezeichnet und lebhaft koloriert. Fast alle Bilder haben erläuternde Beischriften, die ersichtlich von der gleichen Hand geschrieben sind. Hinter Blatt 55 folgen Rezepte, z. B. gegen die Tollwut der Hunde, zur Bearbei­ tung des Eisens usw. Diese Rezepte stammen auch vom Verfasser der Handschrift. Die Schrift wird aber allmählich immer unsicherer. Vermutlich hat der Verfasser der im Jahr 1505 eingebundenen Bilderhandschrift in späteren Le­ bensjahren, und wohl bis in ein hohes Alter hinauf, Rezepte, die ihn interessierten, an die erste zusammenhängende Niederschrift angehängt. Ich habe keinerlei Vermutung, wer der Verfasser der Handschrift sein könnte. Aus der Familie Löffelholz ist 4) Das Frauenwappen ist das der Familie Haug. Danach war der Besitzer der Handschrift Martin Löffelholz, von 1499 bis 1527 nürnbergischer Pfleger in Lichtenau (gest, 1533). Ueber ihn und seine leidvollen Schicksale wird unten in einem Exkurs des näheren gehandelt. A. d. H.

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mir kein Techniker bekannt geworden. Vielleicht war einer der Löffelholz nur der Besteller und der Besitzer dieser von einem erfindungsreichen Handwerker niedergeschriebenen Handschrift. Unter den vielen mir aus dem In- und Ausland bekannt gewordenen technischen Bilderhandschriften ist keine einzige so aus der technischen Praxis geschöpft wie diese Nürnberger Bilderhandschrift. Deshalb kommt ihr eine ganz besondere Bedeutung zu. Man muß berücksichti­ gen, daß viele technische Bilderhandschriften das Kuriose, das Staunenswerte, das Wunderbare in den Vordergrund stellen. Infolgedessen sind die darin niedergelegten Ideen recht geistvoll und witzig, aber man müß sich heute oft fra­ gen, ob es den Leuten ehemals überhaupt möglich war, ihre technischen Ideen durchzuführen. Die Löffelholz-Bilder­ handschrift aber bringt keine einzige Idee, die sich nicht ohne Weiteres von einem Handwerker hätte ausführen lassen. Nun wissen wir insbesondere durch die Ouellenedition von Hampe (Nürnberger Ratsverlässe über Kunst und Künstler, Leipzig 1904), daß der Nürnberger Rat bzw. das Nürnberger Rugsamt den erfinderischen Handwerkern das Leben recht schwer machte, weil sie den Anzeigen und Kla­ gen mißgünstiger Handwerkskollegen meist offen standen. So kommt es, daß eine Reihe wertvoller Nürnberger Erfin­ dungen, von denen wir Kunde haben, nicht dauernd zur Aus­ führung kam. Es würde hier zu weit führen, auf diese Dinge näher einzugehen. Es sei nur gesagt, daß unsere heu­ tige schnell arbeitende Drehbank in ihren Grundideen schon vor Jahrhunderten in Nürnberg ausgeführt wurde. Aber das Rugsamt bzw. der Rat fuhr jedes Mal dazwischen, ver­ bot den Erfindern die Benutzung solcher Drehbänke, ließ die Maschinen zerschlagen oder steckte den Erfinder in den Turm. Die Niederschriften der Ratsbeschlüsse sind äußerst knapp. Deshalb ist es nur in wenigen Fällen möglich ge­ wesen, den technischen Wert alter Nürnberger Erfindungen klar zu erkennen. Aus der Löffelholz-Handschrift aber sehen wir Blatt für Blatt, welchen hohen Stand die nürnbergische Technik vor 425 Jahren hatte.

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Ich kann hier, auch ohne auf technise Einzelheiten ein­ zugehen, einen kurzen Ueberblick über die Ideen des Ver­ fassers der Löffelholz-Handschrift geben. Ein eigentliches Titelblatt fehlt der Handschrift. Dem Inhalt nach könnte man den Titel als ,,Neue Werkzeuge“ angeben. Die Werkzeuge, die der Verfasser abbildet und be­ schreibt, sind für jene Zeit durchweg eigenartig. Er bleibt aber nicht immer bei reinen Werkzeugen, sondern schweift manches Mal auch auf Dinge des häuslichen Lebens oder der Jagd ab. So enthält die Handschrift z. B. die früheste bis­ her bekannte und in allen Einzelheiten genaue Darstellung des Nürnberger Drehsessels, jenes Möbels, das irrtümlicher­ weise als ,,Lutherstuhl“ weltberühmt wurde. Und dieser Drehsessel steht im Jahre 1505 schon auf vorzüglich kon­ struierten eisernen Möbelrollen. Eine der witzigsten Ideen in der Löffelholz-HandsGhrift ist eine Wendeltreppe, die man gegen unerwünschten Be­ such mit einem Griff oben und unten absperren kann. Der Mittelbaum der Wendeltreppe dreht sich nämlich unten und oben in eisernen Lagern. Rings um das Geländer der Wen­ deltreppe liegt eine Holz-Verschalung. Diese hat unten eine Eingangs- und oben eine Ausgangsöffnung. Will man die Treppe unzugänglich machen, dann stellt man sie um eine halbe Drehung so herum, daß die beiden Zugänge in der Ecke des Treppenhauses sitzen. Dann findet der Besucher oder der Dieb keine Treppe, sondern einen vollkommen ge­ schlossenen, ihm rätselhaften Holzverschlag. Nur wer im Hause Bescheid weiß, kann diesen Holzverschlag so drehen, daß die beiden Zugangstüren in die richtige Lage kommen. Unter den Werkzeugen fallen zweckmäßig konstruierte starke Bohrer auf. Unter ihnen ist ein dreifacher Bohrer zu finden, an dem man zwei Bohrer immer als Griff des drit­ ten Bohrers benutzen kann. Diese Anordnung kam um 1850 von Amerika nach Europa, und deshalb heißen solche kom­ binierte Bohrer heute „amerikanische“. Ein großer Bohrer dieser Handschrift ist mit einem Schneidemesser versehen, so daß man mit diesem Werkzeug größere runde Platten aus

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Tafel 3.

Rundschneidezirkel. Aus der technologischen Handschrift Cod. germ. qu. 132 der Berliner Staatsbibliothek, Blatt 1 Y.

Tafel 4.

Geheime Wendeltreppe. Aus der technologischen Handschrift Cod. germ. qu. 132 der Berliner Staatsbibliothek, Blatt 11 v.

Tafel 5.

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