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German Pages 294 Year 2016
Felix Müller Menschen und Heroen
Felix Müller
Menschen und Heroen Ahnenkult in der Frühgeschichte Europas
ISBN 978-3-11-033626-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-033629-0 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038929-6 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Coverabbildung: Lebensgroße Sandsteinstatue des ,Keltenfürst vom Glauberg‘ aus Grab 1 am Glauberg in Hessen, ca. 500 v. Chr., Ansicht von vorne (Detail). Ausstellungort: Museum Keltenwelt am Glauberg. Fotograf: Heinrich Stürzl – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY 3.0 über Wikimedia Commons Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Vorwort
VII
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Einleitung, Denkanstöße und Fragen
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Iulius Caesar, ein exemplarischer Heros?
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Griechische Heroen 23 23 Vor Ilions Mauern 27 Auf der Suche nach dem griechischen Heros 30 Heilige Gräber, heilige Häuser, heilige Stätten 49 Herakles, Alexander – und der bibliophile Celsus
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Römische Propagandaheroen und „Wegwerfmenschen“ 57 Das hellenistische Erbe 64 Das Heroon in der Stadt 74 Orte des Heldengedenkens 79 Das Grab als Erinnerungsort 93 Totenehrung und Manismus
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Griechenland und Rom im Vergleich 99 99 Die Quellen und ihre Aussage Grab und Bestattung als soziale Abgrenzung
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103
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Roms Provinzen im Norden 106 106 Theorie und archäologische Grundlagen 108 Akkulturation bis zur Romanisation 113 Gallien: Exemplarische Befunde 136 Britannien: Zeitlich versetzt
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Keltische nobilitas 152 Fließende Übergänge, verwischte Grenzen 162 Heiligtum wie Grabmonument 175 Eine verborgene Elite 187 Monumentalität und Qualität 196 Wo bleibt das Volk?
152
57
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Inhalt
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Hallstattzeitliche Fürstinnen und Fürsten 205 205 Heroinnen 212 Stämmige Helden in feinem Tuch 218 Ein Stein gewordener Heros 223 Das Zentrum der Sippe 228 Haus und Grab
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Alte und neue Eliten 240 Mehr als gewöhnliche Krieger 246 Schwert und Wagen
10 Schlussbetrachtung und Ausblick 255 Zeichen der Distinktion 11 Bibliografie
260
12 Ortsregister
283
13 Bildnachweis
285
240
255
Vorwort Sokrates, der alte Greis, Sagte oft in tiefen Sorgen: Ach, wieviel ist doch verborgen, Was man immer noch nicht weiss. Wilhelm Busch
Ahnenkult ist kein Thema, dem mit Statistiken beizukommen ist, wie das bei andern Fragestellungen in der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie eher möglich scheint. Eine Untersuchung über den Ahnen- und Heroenkult ist geprägt von geisteswissenschaftlichen Voraussetzungen, die je nach aktuellen Forschungstrends, angewandten Methoden oder persönlichen Kenntnissen eines Forschenden verschieden sein können. Entsprechend unterschiedlich fallen die Folgerungen und Resultate aus. Das Problem der Subjektivität kann bis zu einem gewissen Grad abgefedert werden, indem auch den Stimmen anderer Forschenden und benachbarter Wissenschaftsdisziplinen Gehör geschenkt wird. Ist das Forschungsfeld zeitlich und räumlich weit abgesteckt, so kann erst recht nicht erwartet werden, dass sich Menschen zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten auf eine Art verhalten hätten, die sich in der Archäologie regelhaft abzeichnen würde. Gerade das Denken und Fühlen, was den Tod betrifft, verschließt sich ohne schriftliche Quellen unseren Fragen fast vollständig. Und doch wäre zu überlegen, ob Spuren, wie sie sich in der Archäologie äußern, nicht auf ein menschliches Grundbedürfnis zurückzuführen sind, das sich je nach kulturellem Hintergrund auf individuelle Art und Weise manifestiert. Es kommt noch hinzu, dass selbst die archäologischen Artefakte immer sehr disparat erhalten sind. Wir verfügen nur über Bruchstücke, die wir zu deuten versuchen. Deshalb schleichen sich immer wieder Unwägbarkeiten ein, die sich dann auch in meinem Lauftext in der Wahrscheinlichkeitsform ausdrücken. Schon seit Jahren haben mich die Fragen beschäftigt: Wie ist Ahnenkult im archäologischen Fund und Befund feststellbar? Gibt es in der Vorgeschichte nördlich der Alpen überhaupt einen Ahnenkult und worin besteht seine Bedeutung? Bisweilen bin ich während meinen eigenen Literaturarbeiten bei Kolleginnen und Kollegen, die sich mit ähnlichen Themen beschäftigt haben, auf Zitate gestoßen, in denen sie oft ganz beiläufig für ihre Interpretationen einen Ahnenkult in Erwägung gezogen oder das Stichwort Heroisierung zur Diskussion gestellt haben. Auch sie gaben mir Anlass, nach einer ausführlicheren Begründung zu suchen. Verschiedentlich sind denn genau solche Zitate, die mir sozusagen als Leitersprossen gedient haben, in die vorliegende Studie eingeflossen. Mein zu verschiedenen Zeiten aufgesammeltes Grundlagenmaterial zum Thema hat sich im Laufe der Jahre durch Vorträge, Vorlesungen und Arbeiten am Museum stetig vergrößert. Eine erste Ideensammlung, die ich in meinen Papieren wiedergefunden habe, stammt tatsächlich vom Sommer 2004. Einzelne Teile und Ge-
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Vorwort
dankengänge entstanden beiläufig und oft in den stillen Rauhnächten von Bonfol oder während anregenden Tagen im Istituto Svizzero in Rom. Die zusammenhängende Niederschrift und Ausarbeitung erfolgten in einer intensiven Zeit zwischen Herbst 2014 und Sommer 2015. Erst im Winter 2014 ist mir bewusst geworden, dass ich auf meiner archäologischen Zeitreise auf bestimmten Wegstrecken verwandte Gefährten im Geiste besaß, die mir umso lieber waren, als sie mir eine gewisse Garantie boten, dass ich selber mich nicht auf dem Holzweg befand. Der eine ist Ralph Häussler mit seinem schönen Aufsatz über „Ahnen- und Heroenkulte in Britannien und Gallien“, den ich im Text kaum zitiert habe, weil ich es oft und oft hätte tun müssen (2010 in Deutsch und Englisch). Der andere ist Dirk Krausse, der in seiner Habilitationsschrift von 2006 das Heiligtum von Gournay-sur-Aronde aus einem etwas anderen Blickwinkel betrachtete, als es sonst üblich ist. Eine Überraschung bereitete mir Manuel Fernández-Götz ganz zum Schluss, als er 2014 Ahnenkult als ein Element von „Identity and Power“ beschrieb, während ich je länger je mehr zur Ansicht gelangte, dass Ahnenkult ein starkes Mittel ist, um „Identity“ zu bewirken und „Power“ durchzusetzen. Nicht weiter verwunderlich, dass alle drei Weggefährten ihre Erkenntnisse gewannen, indem sie ihre Vergleiche über die archäologischen Zeit- und Kulturgrenzen sowie über die akademischen Fachgrenzen hinweg gezogen haben. Aufrichtiger Dank gebührt allen Kolleginnen und Kollegen, die mich an ihrem Fachwissen teilhaben ließen, die mir Rede und Antwort gestanden oder mich auf andere Weise unterstützt haben. Namentlich sind es Ines Balzer (Glauberg), JeanJacques Charpy (Epernay), Christa Ebnöther (Bern), Leif Hansen (Esslingen), Thomas Hoppe (Stuttgart), Martin Jehne (Dresden), Arnd Kerkhecker (Bern), Clemens Krause (Fribourg), Sandra Lösch (Bern), Stephanie Martin-Kilcher (Basel), Negahnaz Moghaddam (Bern), Hans Nortmann (Trier), Karl Reber (Lausanne), Daniel Schmutz (Bern), Caty Schucany (Bern) und Luca Tori (Zürich). Schließlich geht ein besonderer Dank an Geneviève Lüscher und Christine Felber für Lektorat und Redaktion meiner Texte und an Jolanda Studer für die Bearbeitung der Bilder. D·M Semele Nerotrivia, Evia Oktober 2015
Felix Müller
1 Einleitung, Denkanstöße und Fragen Nicht die Götter schufen die Menschen, sondern die Menschen schufen die Götter. Sinngemäß Xenophanes um 500 v. Chr.
Es tönt paradox und trivial zugleich: Die zuverlässigsten Zeugnisse über das Leben der Menschen in der Vorgeschichte stammen von den Toten. Ihre Gräber sind die einzigen Quellen der Archäologie, die uns einzelne Schicksale näherbringen oder uns über soziale Normen in Menschengruppen informieren. In Epochen mit guten archäologischen Erhaltungsbedingungen existiert ein enormer Informationsschatz, den die Forschung seit jeher gewinnbringend auszubeuten wusste. Gräber in großer Zahl bilden hervorragende Grundlagen, um relativchronologische Sequenzen zu bilden, die sich mit etwas Glück auch in den absoluten Zeitstrahl einpassen lassen. Bisweilen ergeben sich trachtgeschichtliche, geschlechtsspezifische oder sozialdistinktive Erkenntnisse. Auch religiöse Aussagen werden den Befunden abgerungen, die allerdings über Kenntnisse allgemeiner Art nicht hinausgehen, da die transzendenten Bereiche der Religion jener Zeiten im Dunkeln liegen. Diese Studie geht der Frage nach, wie sich im archäologischen Befund ein Ahnenkult oder in seiner gesteigerten Form ein Heroenkult abzeichnet. Oder einfach gefragt: Wer erhält welches Grab und warum? Der Heroenkult ist in den griechischen Altertumswissenschaften seit jeher ein ausführlich behandeltes Thema, was in der protohistorischen Archäologie nördlich der Alpen erstaunlicherweise kaum je ein Echo gefunden hat. Unter diesen Voraussetzungen ist es eine probate Vorgehensweise, sich zuerst den griechischen und römischen Verhältnissen zuzuwenden, wo wir außer den archäologischen Befunden auch über historische Quellen verfügen, sodass sich die beiden Gattungen abgleichen lassen. Der nächste Schritt führt dann in die Regionen nördlich der Alpen und anschließend in einer konsequent retrograden Vorgehensweise entlang der Zeitachse in die Latène- und Hallstattzeit zurück. Insofern geht die Reise vom Jüngeren zum Älteren beziehungsweise vom besser Bekannten in nach und nach unbekanntere Gefilde. Methodisch hat das den Vorteil, dass eine Kritik dort einsetzen kann, wo die archäologischen Daten und Argumente nicht mehr tragfähig genug erscheinen. In dieser Untersuchung wurde fürs Erste das erste Jahrtausend v. Chr. ins Auge gefasst. Der Analogieschluss ist die einzige Methode, um Erkenntnisse in archäologischen Fragen der vorliegenden Art zu gewinnen. Sehr bewusst werden die Analogieschlüsse aus den griechischen und römischen archäologischen Befunden gezogen, die wenn möglich mit schriftlichen Quellen korrespondieren. Die Bezugnahme auf Deutungsmuster aus zeitgleichen und raumnahen Kulturen scheint mir sinnvoller als ein Vergleich mit zufallsgenerierten weltethnografischen Parallelen oder
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Einleitung, Denkanstöße und Fragen
mit Allgemeingültigkeit verheißenden sozialanthropologischen Theorien, die kaum je mit den archäologischen Realitäten zur Deckung gebracht werden können. Angesichts der Weitläufigkeit des Themas war es unumgänglich, sich bei der Auswahl der archäologischen Untersuchungsobjekte auf idealtypische Beispiele zu konzentrieren. Primär kamen nur Grabungsplätze infrage, die über Informationen in einer Qualität verfügten, die eine Befragung nach bestimmten Kriterien auch zuließ. Es ergibt sich das in der Archäologie bekannte Vorgehen, bei dem mittels Suchschnitten eine Gesamtinterpretation interpoliert wird. Gleichzeitig ist dies aber auch das ausschnitthafte Bild für den momentanen Forschungsstand zum Thema Ahnenkult nördlich der Alpen. Selbstverständlich gäbe es noch unendlich viele Belege an Fundplätzen, die man hätte anfügen können, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob sich dadurch der Gesamteindruck verändert hätte. Das Thema zu verdichten oder auch Befunde herauszuschälen, die das Gegenteil beweisen, wären die weiteren Schritte einer dialektischen Vorgehensweise. Der hier gewählte Argumentationsweg erfordert es, die akademischen Grenzen zwischen der klassischen, der provinzialrömischen und der vorgeschichtlichen Archäologie zu überschreiten sowie die historischen Quellen miteinzubeziehen, was methodische und fachliche Gefahren birgt, denen ich mich bewusst ausgesetzt habe. Mir schien dies der einzig mögliche Weg, um in einem solch weiten Forschungsfeld die argumentative Linie zu halten und den roten Faden nicht aus den Augen zu verlieren. Auch hier schließt sich eine differenziertere, weiterführende Analyse von Fachspezialisten nicht aus. Manche Kollegen und Kolleginnen mögen anmerken, dass Begriffe wie Heros, Heroenkult, Manismus, Ahnenkult, aber auch Religion, Elite und andere mehr kaum einmal definiert werden. Tatsächlich fällt es schwer, Definitionen zu finden, die allgemein akzeptiert sind, obwohl – oder weil – die Spezialliteratur zu diesem Thema momentan stark anwächst. Auch schien es mir unnötig, Begriffe wie zum Beispiel „Fürst“, „Fürstengrab“ oder „Fürstensitz“, die sich trotz bekannter Problematik eingebürgert haben, mittels Anführungs- und Schlusszeichen in ihrem Sinn zu relativieren. Mir geht es nicht darum, einem Begriff einen möglichst austarierten, breit akzeptierten Inhalt zu verschaffen, bis es möglich wird, ihn mit dem archäologischen Material zu Deckung zu bringen. Umgekehrt versuche ich ausgewählte archäologische Quellen auf einen bestimmten Sachverhalt hin, eben den Ahnenkult, zu befragen. Deshalb habe ich mich bemüht, einzelne archäologische und historische Phänomene, die durch menschliches Handeln entstanden sind, zu beschreiben und zu gliedern beziehungsweise verschiedene Fälle einander gegenüberzustellen, um Gemeinsamkeiten und Gleichläufigkeiten zu deuten. Vorliegendes Werk versteht sich auch als eine Sammlung von Sichtweisen und Fragen, die zu neuen Hypothesen führen, welche bei künftigen Grabungen und anhand alter Befunddokumentationen überprüft werden können. Es ist eine archäologische Binsenweisheit, dass man nur das erkennt, nach dem man die Schichten
Einleitung, Denkanstöße und Fragen
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und Plana bei der täglichen Beobachtung während der Grabung befragt. Sehr wahrscheinlich wurde das Thema Ahnenkult in der Forschungsliteratur nördlich der Alpen vernachlässigt, weil kaum einmal nach den entsprechenden Spuren Ausschau gehalten worden ist, wie sie zum Beispiel Kulthandlungen am Grab hinterlassen. Der Blick für solche Fragen muss vorgängig geschärft werden, um bei der Grabung Antworten zu finden. Menschliche Vorstellungen sind flüchtig, denn was nicht geschrieben steht, verliert sich im Verlauf der Geschichte. Ganze Gedankenwelten und alle Bereiche der geistigen Kultur von vorgeschichtlichen Epochen sind in der Tiefe der Zeit versunken. Um Ausmaß und Bedeutung der Verluste zu erahnen, empfiehlt sich ein Blick auf die eigene Zivilisation. Was bliebe zum Beispiel von unserem Wissen über die christliche Religion und deren Wirkung auf zwei Jahrtausende Geistesgeschichte Europas ohne das geschriebene Wort? Besonders die Religion ist ein kulturelles Abstraktum, geformt zuerst einmal von der menschlichen Vorstellungskraft. Ihre Inhalte können mündlich von Generation zu Generation weitergegeben worden sein, ehe sie festgeschrieben wurden. Die frühesten erhaltenen griechischen und römischen Schriftzeugnisse sind gerade einmal zweieinhalbtausend Jahre alt. Besteht überhaupt die Möglichkeit, Religion in der schriftlosen Vorgeschichte zu erkennen, wo doch nur die gegenständlichen Relikte Zeugnis ablegen von der menschlichen Existenz? Tatsächlich sind archäologische Funde, die mit Religion in einem direkten Zusammenhang stehen, kaum als solche zu identifizieren, solange wir die Religion selber nicht kennen. Begibt man sich auf den Weg zur Erkenntnis, so droht ein Teufelskreis. Dort, wo Religion sich in kultischen Handlungen äußert, könnten sich in Einzelfällen deren Wirkungen am archäologischen Fund und Befund andeuten.1 Gerade in der römischen Vorstellung ist Religion gleichbedeutend mit Kult beziehungsweise Opferkult. Aus diesem Grunde wird verständlich, wenn ein Votiv mit dem Kürzel VSLM versehen ist: votum solvit libens merito – „Das Gelübde wurde gerne eingelöst, wie es sich gehört“. Vorausgegangen ist offenbar die Bitte an eine Gottheit, die dann in Erfüllung gegangen ist. Zusammen mit dieser Formel haben sich Fürbitte und Dank in einer Gabe materialisiert. Da jedoch materielle Dinge die primären Quellen sind, mit denen sich die vorgeschichtliche Archäologie befasst, besteht eine der wissenschaftlichen Herausforderungen darin, Gaben an die Götter auch dann zu erkennen, wenn diese nicht beschriftet sind, was in manchen Bereichen für die ersten Jahrhunderte v. Chr. tatsächlich gelungen ist; darin hat die archäologische Forschung nördlich der Alpen in den letzten Jahren einige Fortschritte erzielt.
1 Ein diachronischer Versuch und dessen theoretischer Ansatz bei Müller 2002 und 2005, 123–125, samt kritischer Replik, 144.
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Einleitung, Denkanstöße und Fragen
In Übersichtswerken wird das Thema Religion oft einzig und allein mithilfe der Gräber abgedeckt; „Glaube, Kult und Gräber“ ist ein Standardtitel in solchen Abhandlungen. Zum einen geschieht das, weil die transzendenten Teile der Religion stets schwer fassbar bleiben und deshalb kurzerhand auf die Gräber ausgewichen wird, zum andern, weil mit den Gräbern eine für die archäologische Forschung bedeutende Fundgattung mit einer riesigen Datenmenge vorliegt, da Erdgräber tief unter der Oberfläche liegen, kaum der Erosion ausgesetzt sind und auch anorganisches Fundmaterial aufweisen können. Dass dieses Umgehungsmanöver vorbehaltlos und ohne Reflexion gewählt wird, hat allerdings auch einen tieferen Grund, der in unserer eigenen Kultur verankert ist. Die christliche Religion ist eine Erlösungsreligion, in der das Diesseits und das Jenseits fest miteinander verklammert sind: Das eine ist ohne das andere nicht denkbar; wie das Leben im Diesseits, so das Leben nach dem Tod. Als monotheistische Hochreligion besitzt das Christentum zudem kanonische Vorstellungen, die das Jenseits detailgenau festlegen, was nicht nur vereinheitlichend wirkt, sondern auch Folgen hat für den Bestattungsbrauch und den Totenkult einer sehr großen Religionsgemeinschaft. Es stellt sich nun aber die Frage, ob das bei einer Religion ohne codierte Vorstellungen und ohne anerkannte autoritative Lenkung ebenfalls der Fall ist? Wie muss man sich das Verhalten in einem vorchristlichen Umfeld ohne autoritative Gebote vorstellen? Müssten dann religiöse Auffassungen nicht kleinräumiger verbreitet sein? Könnten die Ansichten über den Tod und der Umgang mit Verstorbenen ohne genaue Vorschriften nicht unabhängiger und individueller, also gruppenspezifischer ausgestaltet sein? Hätten vielleicht soziale Faktoren, die bereits das Leben prägten, aus naheliegenden Gründen eine stärkere normative Kraft als ein – gar nicht vorhandenes – religiöses Regelwerk? Sollten sich in gewissen Bereichen dennoch Gesetzmäßigkeiten abzeichnen, so könnte sich in einem weiteren Schritt die Frage aufdrängen, ob dafür allgemeinmenschliche Verhaltensweisen, sogenannte Archetypen, verantwortlich sind, die in einem kollektiven Unterbewusstsein angesiedelt sind? Könnte das menschliche Verhalten im Umgang mit den verstorbenen Angehörigen gewisse Strukturen herausbilden, sie sich dann auch im archäologischen Befundbild abzeichnen? Tod, Totenrituale und Jenseitsvorstellungen, wie auch immer diese aussehen mögen, sind eng miteinander verbunden. Eine von verschiedenen möglichen Denkweisen in der Antike bestand darin, dass die Verstorbenen dort weiterlebten, wo auch ihre Überreste zu liegen kamen, was sich in den sogenannten Hausurnen versinnbildlicht,2 in denen die kremierten Überreste deponiert worden sind. Dazu gibt es Belege der späten Bronze- und frühen Eisenzeit mit einer weiten geografischen Verbreitung, nämlich nicht nur in Kreta und Mittelitalien, sondern auch in
2 Zu den mediterran-mitteleuropäischen Kontakten im Allgemeinen und den Hausurnen im Besonderen siehe Müller-Karpe 2009, bes. 179–219.
Einleitung, Denkanstöße und Fragen
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Abb. 1: Verbreitung von Hausurnen in Südskandinavien, Norddeutschland und Mittelitalien im 9./8. Jahrhundert v. Chr. Ein Hinweis auf frühe Kontakte oder Ausdruck einer weitverbreiteten Idee, dass die Toten in Häusern lebten?
Mitteldeutschland und Nordeuropa (Abb. 1). In Latium und Etrurien besitzen die Aschenbehälter die einheitliche Form von Rundbauten aus Holz und Lehm; die Wandflächen und besonders die Türe und Bedachung können so detailgenau dar-
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Einleitung, Denkanstöße und Fragen
gestellt sein, dass ihnen wohl reale Häuser als Vorbild dienten. Falls die nordischen Beispiele tatsächlich durch italische Vorbilder beeinflusst sind, so geschah dies „on a sophisticated abstract level“, wie es Serena Sabatini ebenso sophistisch wie abstrakt formuliert hat.3 Als Grundgedanke könnte man mindestens in Betracht ziehen, dass auch die Toten in Häusern lebten. In den Wandmalereien der etruskischen Gräber kommt besonders sinnfällig zum Ausdruck, dass man die Umgebung der Toten so angenehm wie im Leben, vor allem aber auch standesgemäß ausstatten wollte. Die Tomba dei Rilievi in Cerveteri bringt das besonders anschaulich zum Ausdruck, auch wenn sie nicht repräsentativ für alle etruskischen Grabkammern ist.4 In ihrem Grundriss entspricht sie einer domus mit zentralem atrium und rückwärtigen Gemächern. Dreizehn Nischen bieten Platz für die Gräber von Angehörigen der vornehmen gens Mantuna, wobei die am reichsten dekorierte Nische den zentralen Platz gegenüber dem Eingang einnimmt. Die Wände zieren Reliefs aus bunt bemaltem Stuck. Auf zwei Stützpfeilern erscheinen Motive, wie man sie sich in einem patrizischen Haushalt vorzustellen hat: Werkzeug, Geschirr und Gerät dienen dem täglichen Bedarf; Jagdwaffen und Würfeltisch zeugen von bequemem Müßiggang; selbst die vertrauten Hausgenossen, die man gerne um sich hat, fehlen nicht: Federvieh, Katze, Schildkröte und ein kleines Hündchen, das eine Eidechse fängt. Standesgemäße Motive sind die Porträtbüsten, der Klappsessel und weiteres Sakralgerät sowie die dekorativ drapierten Waffen wie Schwerter, Helme, Schilde, Beinschienen und Signalhörner. Die Auswahl der Gegenstände ist bestimmt vom privaten Hausgebrauch sowie von den Repräsentationspflichten und politischen Funktionen, wie sie die Mitglieder der gens Mantuna, die hier bestattet liegen, in der Öffentlichkeit wahrzunehmen hatten. Verschiedentlich wurde festgestellt, dass der ganze Wanddekor auf den Eingang ausgerichtet ist. Dadurch wäre er weniger (oder jedenfalls nicht ausschließlich) für die hier versammelten Toten gedacht, sondern richtete sich an Besucher, welche sich zu besonderen Anlässen hier einfanden. Tatsächlich reihen sich den Wänden entlang 32 Liegebänke, die wie bei einem Triklinium in einem vornehmen Wohnhaus angeordnet sind. Es stellt sich sogar die Frage, ob sich hier nicht die Familienangehörigen zu einem convivium, einem standesgemäßen Festmahl mit den verstorbenen Ahnen zusammengefunden haben könnten. Solche Bankette sind zwar sicher anzunehmen, bildliche Darstellungen und archäologische Beweise sind allerdings nach wie vor selten.5 Architektur und Stuckornamentik sind in ihren Dimensionen realistisch, und was die verwendeten Materialien betrifft, auf Dauerhaftigkeit ausgelegt. Vielleicht waren Mobiliar und Dekor für kultische Mahl-
3 Sabatini 2007, 157. 4 Blank/Proietti 1986; Prayon 2006, 100 f. 5 Prayon 2006, 44.
Einleitung, Denkanstöße und Fragen
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Abb. 2: Simpelveld (Niederlande). Römischer Sarkophag. Die Innenwände sind als Wohnraum der verstorbenen Frau samt Mobiliar und Vorräten gestaltet.
zeiten ausgerichtet, die die Hinterbliebenen im Beisein mit den Toten einnehmen konnten. Bezüglich der Dekormotive bildet die Tomba dei Rilievi allerdings eine Ausnahme; in andern etruskischen Gräbern des 4. bis 2. Jahrhunderts v. Chr. sind auch Szenen des Alltags aus Sport, Spiel und Vergnügen festgehalten. Ein in diesem Zusammenhang zusätzlich beachtenswertes Beispiel ist der Sarkophag von Simpelveld in den Niederlanden aus dem 2. Jahrhundert n. Chr.6 Er barg die verbrannten Überreste einer Frau, wie ein goldenes Schmuckset verrät. Zu Lebzeiten war sie wohl die Gutsherrin der benachbarten villa rustica, zu der der Gräberbezirk gehört. An den Innenseiten des Sarkophags ist das Mobiliar eines Wohnraumes in der Art eines Hochreliefs detailgenau wiedergegeben (Abb. 2): Außer der auf einer Bank ruhenden Verstorbenen erkennt man einen Korbsessel,
6 Bechert 1982, 129 f. 247; Holwerda 1931, 27–48.
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Einleitung, Denkanstöße und Fragen
Schränke und Kleidertruhen, einen Tisch mit Löwenfüßen und ein Regal mit großen Glasflaschen. Das Modell eines kompakten Gebäudes in der Form eines Getreidespeichers wird üblicherweise in einem Zusammenhang gesehen mit der Handelstätigkeit der Großgrundbesitzerfamilie, der die Verstorbene angehörte. Falls die Truhe tatsächlich einen Getreidespeicher darstellt, so könnte ihr Inhalt auch auf den beträchtlichen Mundvorrat anspielen, mit der die Verstorbene versorgt worden ist. Die entlang den Wänden aufgereihten Möbel und Gebrauchsgegenstände von Simpelveld erinnern auf den ersten Blick an die Tomba dei Rilievi. Der große Unterschied besteht jedoch in den Dimensionen. Der kleinformatige Nachbau von Raum und Ausstattung spricht hier für einen imaginären Wohnraum der verstorbenen Frau. Feierlichkeiten von Lebenden wie zum Beispiel Kultmahle konnten in ihren Räumlichkeiten jedenfalls keine abgehalten werden. Aufgrund des Fundortes ist der Sarkophag dem sogenannten gallorömischen Kulturkreis zuzuweisen, eine wie der Name besagt, nördlich der Alpen beheimateten „Mischkultur mit verschiedenen Einflüssen“. Es stellt sich daher die Frage, ob bei der Gestaltung der Innenseiten des Sarkophags römisch-italische Jenseitsvorstellungen wirkten oder ob sich eher gallisches Gedankengut ins Bild gesetzt hat – gemeint sind damit die vorrömisch keltischen Wurzeln. Als gemeinsamen Nenner der beiden Kulturkreise, des etruskischen und des gallorömischen, ließe sich festhalten, dass die Toten ihr Leben weiterführten in einer mehr oder weniger symbolischen Umgebung. Während im Fall der Tomba dei Rilievi festliche Mahlzeiten zusammen mit den Verstorbenen in der Grabkammer eingenommen werden konnten, ist diese Art von Feierlichkeit im Fall von Simpelveld nicht unmittelbar sichtbar. Ein entsprechender Gestus am Grab ist aber damit nicht ausgeschlossen. Im römischen Italien überwiegen die aus dem Etruskischen wie dem Griechischen entstammenden Jenseitsvorstellungen in den gegensätzlichen Varianten vom finsteren Hades bis zum glückseligen Elysium. Einer der Wege in diese Anderswelt führt über den Totenfluss Acheron, dessen Überfahrt man sich mit dem Charonspfennig erkaufen muss. Konkret schlägt sich das in der im Mittelmeergebiet weit verbreiteten Sitte nieder, den Verstorbenen eine Münze in den Mund oder in die Hand zu legen, die dazu dienen soll, den Fährlohn zu entrichten. In diesem Falle existieren die Verstorbenen in einem Jenseits frei von allen irdischen Bedürfnissen, lediglich die Reise dorthin muss prosaisch mit Geld bezahlt werden. Was ist jedoch davon zu halten, wenn genau diese Sitte der Geldmitgabe im Grab im 2. Jahrhundert v. Chr. auch nördlich der Alpen Einzug hält? Handelt es sich um die bloß oberflächliche Imitation einer fremdländischen Sitte oder findet hier eine schon immer vorhanden gewesene Idee der Jenseitsreise einen für die Archäologie erst in diesem Moment sichtbaren Ausdruck? In akademisch gebildeten Kreisen war spätestens seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. die Vorstellung verbreitet, dass im Geiste Epikurs nach dem Tod nichts anderes zu erwarten sei als das vollständige Nichts. Mit einem sarkastischen Unterton
Einleitung, Denkanstöße und Fragen
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setzt sich ein Grabspruch über eines der wohl grundsätzlichsten Probleme eines jeden Menschen hinweg: non fui, fui, non sum, non curo – „Ich bin nicht gewesen, ich bin gewesen, ich bin nicht mehr, was kümmert’s mich.“ 7 Dies hielt der Besitzer des Grabsteins mit dieser Inschrift allerdings nicht davon ab, sich nach den gängigen Regeln bestatten zu lassen. Diese Sentenz zeugt auch von einer entschiedenen Skepsis der intellektuellen Kreise gegenüber der Religion sowie in Bezug auf ein Weiterleben nach dem Tod. So meint der in Rom lebende Grieche Polybios (ca. 200–120 v. Chr.), dass der Glaube an Götter und die Vorstellung einer Unterwelt bloße „politische Erfindungen“ seien, um die öffentliche Meinung beeinflussen zu können. In einem Staatswesen aus lauter Gebildeten wären solche Maßnahmen gar nicht nötig.8 In Rom war Polybios nicht der Einzige, der so dachte. Eine solche Theorie mag den Intellekt befriedigt haben, ob sie allerdings auch die Seele des sterbenden Polybios noch zu beruhigen wusste, nachdem er im Alter von 82 Jahren vom Pferd stürzte und dem Tod ins Auge blickte, ist uns nicht überliefert. So vielfältig, wie die Erwartungen nach dem Tod in Rom ausfallen, so verschieden ist der Umgang mit den sterblichen Überresten der Verstorbenen. Die Spannweite reicht vom monumentalen Grabmal des Kaisers Hadrian, der heutigen „Engelsburg“, bis zu den puticuli, den berüchtigten Massengräbern, in die wohl die Überreste mindestens eines Teils der Stadtbevölkerung (zusammen mit Müll) „entsorgt“ worden sind.9 Da sich in diesen Unterschieden keine dogmatischen Religionsvorschriften äußern und auch nicht in allen Bevölkerungsschichten philosophische Kenntnisse vorausgesetzt werden dürfen, die zu einer Normierung geführt hätten, so stellt sich die Frage, welche normativen Kräfte diese enorme Diskrepanz bewirkt haben. Falls die Antwort im sozialen Regelwerk der Lebenden zu finden wäre, so könnte man den Umgang mit den Verstorbenen und ihren Grabbauten als eine veritable Spiegelung des Lebens sehen. Mögen die Standesunterschiede in Rom in der frühen Kaiserzeit sehr ausgeprägt gewesen sein, so war der Zugang zu den politischen Ämtern bereits in republikanischer Zeit der Nobilität vorbehalten. Der Aufstieg eines Einzelnen von ganz unten blieb die Ausnahme,10 denn „noblilitas war ohne Reichtum nicht denkbar“ und zudem fehlte es einem Aufsteiger aus dem Nichts an „einer archaischen, in einer ‚vorstaatlichen‛ Vorstellungswelt verwurzelten religiös-charismatischen Besonderheit“.11 Vorneuzeitliche Gesellschaften waren nie egalitär. Gewisse Menschengruppen verband stets ein Mehr an Können und Wollen, das andere aus-
7 CIL V, 2893. 8 Polyb. 6, 56, 9–12. 9 Thüry 2001, 21 f.; Schrumpf 2006, 127–133. 10 Hölkeskamp 2011, 33–45. 205–258. 11 Hölkeskamp 2011, 227. 242.
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schloss. Ein über Generationen angesammelter Erfahrungsschatz förderte das Bewusstsein über den eigenen Status und führte zu einer strategischen Planung der Zukunft, was zu einem wesentlichen Teil dem Erhalt von Vorrechten diente. Aristokratische Herrschaftsansprüche waren (im Gegensatz zu einer Monarchie) in der Frühgeschichte jedoch nie absolut gesichert, sondern mussten durch besondere Leistungen stets neu erworben und, was ein besonders kritischer Moment darstellte, über Generationengrenzen hinweg verlängert werden. Um Macht zu demonstrieren und zu perpetuieren, konnte unter anderem ein kultisch überhöhter Grabbrauch dienen. In Rom findet sich die große Masse der verstorbenen Stadtbevölkerung in den puticuli wieder. An andern Orten könnte aber genau diese Gruppe denjenigen Bevölkerungsteil ausmachen, der in der prähistorischen Archäologie kaum fassbar ist, da von ihm keine Gräber vorhanden sind. Das wäre der überwiegende Teil der lebenden Bevölkerung, der weder eine Erinnerung über Generationen hinweg besitzt noch ein Anrecht auf ein Leben nach dem Tod hat. In der graduellen Differenz im Aufwand des Grabbaues äußert sich somit die Steigerung vom Totenkult über den Ahnenkult bis zum Heroenkult.12 Das unvergängliche Grabmal hätte dann die Funktion eines demonstrativ sichtbar gemachten Mahnmals und eines Ortes, an dem die Kommunikation mit den im Jenseits Lebenden immer wieder aufgenommen werden kann. Als einfachstes Erinnerungsmal wird bereits in der Ilias der aus Erde aufgeworfene Grabhügel beschrieben. Für den tödlich verwundeten Patroklos wurde in der Ebene vor Troja eine prächtige Totenfeier abgehalten, wie es sich für einen mythischen Helden gebührt. Ausgerichtet wurde sie von einem andern Griechenhelden, seinem Freund Achilles. Nachdem der Leichnam samt den kostbaren Beigaben auf einem gewaltigen Scheiterhaufen verbrannt worden war, sammelten die Gefährten die übrig gebliebenen Gebeine auf und legten sie in eine goldene Urne.13 Anschließend errichteten die Gefährten das Grabmonument. Sie Maßen den Kreis des Males, und legten die Steine des Grundes Rings um den Brand, und häuften geschüttete Erde zum Hügel.
Offensichtlich wurde um die Urne herum ein Kreis abgezirkelt, in dem anschließend Erde zu einem Hügel aufgeworfen wurde. Wie auch immer die einzelnen Elemente des Heldenepos der Ilias datiert werden, ob nach einem allfälligen historischen Ereignis im 13./12. Jahrhundert oder nach ihrer Niederschrift im 8./7. Jahrhundert, so bleibt doch die Tatsache der wohl frühsten antiken Beschreibung für die Errichtung eines Grabmals für einen Heros, eines sogenannten Heroons.
12 In diesem Sinne Boehringer 2001, 40. 13 Hom. Il. 23, 255.
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Ahnenkult ist jedoch keine auf die griechisch-römische Antike beschränkte Erscheinung, sondern auch ein Thema der Ethnografie beziehungsweise den vergleichenden Religionswissenschaften. Allerdings basieren die Untersuchungen dort fast ausschließlich auf Interviews mit Informanten oder auf schriftlichen Geschichtsquellen. Da bei einem globalen Vergleich jeder einzelne Fall so eng mit dem eigenen Kulturleben verflochten ist und die Erscheinungsbilder so vielschichtig auftreten, ist der gemeinsame Nenner nur noch von ganz allgemeiner Natur. Ahnenkult ist zwar ein weltweit verbreitetes Phänomen, scheint sich aber auf sesshaft agrarische Ethnien zu beschränken. Eine ethnologisch begründete Gemeinsamkeit ist, dass der Ahn inmitten seiner Nachkommen weiterlebt; symbolisch sichtbar anwesend ist er zum Beispiel in einer Maske, einem Erdaltar, einem Baum oder einer Stele aus Stein – jedenfalls in einem dinglichen Objekt im Sinne eines Pars pro toto. Jede Sippe verehrt nur die durch die eigene Verwandtschaft verbundenen Ahnen.14 Der dabei verwendete Begriff lautet in der Fachsprache „Manismus“, was darauf hinweist, dass ein guter Teil des theoretischen Wissenschaftsapparates aus der Verehrung der römischen Hausgeister, der Manen, entstammt, da der römische pater familias in einem besonderen Verhältnis zu seinen Familienvorfahren stand. Auf die römische Version des Ahnenkultes wird noch ausführlicher eingegangen. Der Begriff „Ahn“ hat in der deutschen Fachsprache einen etwas anrüchigen Beigeschmack, wenn man ihn mit dem „Ahnenerbe“, einer von Heinrich Himmler 1935 gegründeten Forschungsgemeinschaft, verbindet, die sowohl okkulte wie kriminelle Machenschaften verfolgte.15 Dennoch wird „Ahnenkult“, „ancestor worship“ oder „culte des ancêtres“ selbst in der Fachsprache viel häufiger verwendet als „Manismus“, bei dessen Verwendung man sich eventuell doch stärker auf den römischen Sachverhalt eingeschränkt fühlt. Hier, in diesem Buch, soll das Wort „Ahn“ wertneutral im Sinne eines geachteten Vorfahren stehen. Die Ausgangspunkte der vorliegenden Untersuchung bilden die Verhältnisse in den mediterranen Schriftkulturen. Welche Antworten lassen sich aus den Grabungsbefunden dort gewinnen, und sind diese übertragbar auf die Verhältnisse im Norden ohne schriftliche Begleitinformationen? Als geografisches Untersuchungsfeld bietet sich ein Streifen zwischen dem Mittelmeer und der Nordsee an, dies im Sinne einer Versuchsanordnung, um zu testen, inwieweit sich die Erscheinungen und Mechanismen der Mittelmeerwelt im archäologischen Material nördlich der Alpen abzeichnen. Die Abgrenzung des Arbeitsgebietes ist nicht nur bedingt durch die Fachkenntnisse des Autors, sondern scheint auch gerechtfertigt im Hinblick auf die kulturge-
14 Zusammenfassend Hirschberg 1988, 16 f. 15 Kater 2006.
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schichtlichen und historischen Zusammenhänge, wie sie sich im 1. Jahrtausend v. Chr. abspielten. Die Verbindungsstränge von Süd nach Nord und umgekehrt verstärkten sich seit der späten Bronzezeit;16 Akkulturationsvorgänge in Religion, Kunst und Kultur kamen durch Migrationsbewegungen zustande17 und stabilisierten sich schließlich im Römischen Reich. Sehr ausführlich wurde in den letzten Jahrzehnten zum Thema „Heroenkult“ in der griechischen Altertumskunde geforscht. Aufbereitete Materialien und die gewonnene Systematik bilden eine gute Ausgangsbasis für die Fragestellungen dieses Buches. Sie verhelfen zu einem geschärften Blick auf Rom, der Verwalterin des hellenistischen Erbes, wo der „Ahnenkult“ (oder „Manismus“) im Mittelpunkt unseres Interesses stehen wird. Über die gallorömische Kultur führt der Weg zurück in die vorgeschichtlichen Zeiten nördlich der Alpen. Wie weit zurück dieser Pfad noch gangbar sein wird, wird Teil des Experiments sein. Zuerst soll aber ein Modellfall den Blick für die Details schärfen, veranschaulicht am Tod von Iulius Caesar und den unmittelbar darauf folgenden Ereignissen. Sie enthalten wesentliche Merkmale für den Kult um eine außergewöhnliche Person mit langlebigem Vorbildcharakter. Trugen nicht noch im 20. Jahrhundert ein deutscher Kaiser und ein russischer Zar seinen Namen als Titel und Programm?18
16 Mancherlei Belege finden sich bei Gebhard et al. 2011. 17 Müller 2002; Müller 2009; Birkhan 1997. 18 Anlässlich einer Wahlveranstaltung am 5. Juni 2013 für das Amt des Sindaco von Rom appellierte Ignazio Marino an den Stolz der Römer, die Nachfahren des Julius Cäsar zu sein. Er erntete Applaus – und gewann die Wahl.
2 Iulius Caesar, ein exemplarischer Heros? Letztlich können nur die abgebrochenen Schicksale als vollendet gelten. Emile Cioran
Gaius Iulius Caesar stand auf dem Höhepunkt seiner Macht. Er beherrschte das Imperium Romanum wie kein anderer vor ihm. Es war nur noch eine Frage der günstigen Gelegenheit, bis er sich vom Senat die Würde eines Königs verleihen lassen würde, und selbst die Vergöttlichung, wie sie einem hellenistischen Herrscher zustand, schien nicht ausgeschlossen. Bereits wurde seine Statue aus Elfenbein an einem Festumzug anlässlich der Zirkusspiele inmitten anderer Götterbilder mitgeführt. Er hatte einen Kreis von Männern um sich geschart, die ihm teils treu ergeben waren, teils vorsichtigerweise in vorauseilendem Gehorsam liebedienerten. Reihum fürchteten sich seine Gegner vor ihm; Feinde hatte er genug. Im Senat war die Meinung über ihn gespalten; das Volk hatte er auf seiner Seite. Die einen hielten ihn für den Totengräber der Republik, die andern sahen in ihm den Retter des römischen Staates. Dementsprechend unterschiedlich sind die Meinungen in den historischen Quellen, die über ihn urteilen. Kein Zweifel, dieser Mann hatte etwas an sich, was ihn von allen anderen Männern im Staat unterschied. Im Jahre 44 v. Chr. war Caesar Diktator auf Lebenszeit, er besaß damit die absolute und alleinige Befehlsgewalt über 34 Legionen, die im ganzen Reich verteilt waren. Gleichzeitig war er als Pontifex maximus der Vorsteher über das oberste Priesterkollegium, das für den Staat schwerwiegende Entscheidungen traf, da es die göttliche Vorsehung zu deuten, wenn nicht gar zu beeinflussen wusste. Unter diesen Voraussetzungen ist einiges von Bedeutung, was an den Iden des März und den darauffolgenden Tagen geschah, wenn man feststellen möchte, was in der Antike vor, beim und nach dem Tod einer herausragenden Person, wie Caesar eine war, vor sich ging. Insbesondere zielt das Interesse darauf, näheres zu erfahren über die Voraussetzungen, über die Biografie eines potentiellen Heros sowie über die Art und Weise, wie nach seinem Tode mit ihm verfahren wurde. Über Caesars letzte – und auch die folgenden – Stunden sind wir außergewöhnlich gut unterrichtet, besonders durch die Überlieferungen von Sueton und auch einigen anderen Historikern. Im Folgenden halte ich mich hauptsächlich an Sueton, den Privatsekretär des Kaisers Hadrian, wenngleich seine Aufzeichnungen mit einer Distanz von gut 150 Jahren erfolgten. Dabei begleite ich zuerst Caesar auf seinem schicksalhaften Weg am 15. März 44 v. Chr. von seinem Wohnhaus bis zum Senat, indem ich an entscheidenden Wegpunkten die Lebensabschnitte aufzugreifen versuche, welche den potentiellen Heros zu dem machten, was er bis zu den Iden des März wurde. Als Caesar seine Amtswohnung verlässt, die er als Pontifex maximus am Forum bewohnt, um die wartende Sänfte zu besteigen, gibt es schon eine ganze Reihe
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deutlicher Vorzeichen auf einen unglücklichen Tag. Zum Teil wurden diese dem fatalen Ereignis erst hinterher nachgesagt oder gar angedichtet, was jedoch nicht von Belang ist, wenn man nach der Wahrnehmung der damaligen Zeit fragt. Die ehemals für real gehaltene Fama ist in diesem Fall wichtiger als die historischen Tatsachen. Bei Ausgrabungen in Capua soll mehrere Monate vorher eine eherne Tafel zum Vorschein gekommen sein, deren griechische Inschrift die Ermordung eines Iuliers mit schweren Folgen für Italien voraussagte. Von weinenden Pferden am Rubicon war die Rede. Über der Curia des Pompeius wurde ein Zaunkönig mit einem Lorbeerzweig im Schnabel von mehreren andern Vögeln zerrissen. Caesar selber soll mehrmals im Traum über den Wolken geschwebt und Jupiter die Hand gereicht haben. Seine Gattin Calpurnia träumte, das Dach ihres Hauses stürze ein, ihr Gatte würde in ihrem Schoss erstochen. Die Türen und Fenster des Schlafzimmers öffneten sich von selbst, und die Waffen des Mars, die seit je in der Regia, dem Amtssitz des Pontifex maximus, aufbewahrt wurden, schlugen in der Nacht unter gewaltigem Lärm aneinander. Vieles und noch mehr an solchen Geschichten wurde hinterher erzählt.19 Vielleicht noch bedeutsamer war, dass sich eines der Ahnenporträts aus seiner Halterung löste und zu Boden fiel, gerade als Caesar das Atrium durchschritt, um das Haus zu verlassen. Eben dies wäre ein sicheres Zeichen gewesen, wenn man bedenkt, welch enge Bindung zwischen den Vorfahren und den lebenden Familienvorstehern der römische Ahnenkult vorsah. Später soll sich zwar herausgestellt haben, dass Calpurnia die Sache mit dem Ahnenporträt eingefädelt hat als einen letzten verzweifelten Versuch, ihrem Gatten das bevorstehende Unglück vor Augen zu führen.20 Jedenfalls ist nur schon die Erwähnung der Episode ein wichtiger Hinweis darauf, dass ein solcher Vorfall von jedem andern Römer als deutliche Warnung wahrgenommen worden wäre. Kaum weniger Bedeutung wäre der Voraussage seines Priesterkollegen, des Opferschauers Spurinna, beizumessen gewesen, der ihn inständig vor einer Gefahr an den Iden des Märzes warnte. Alle diese Prophezeiungen schlug Caesar offenbar in den Wind, was etwas über seine Geisteshaltung gegenüber solchem Aberglauben sagt; oder die Nachwelt hat sich die Prophezeiungen hinterher zusammengereimt, was etwas aussagt über die Legendenbildungen, die einen Heros erst ausmachen, wie wir noch sehen werden. Kurz nach 11 Uhr biegt Caesar eskortiert von einem langen Gefolge aus Liktoren und Haussklaven von der Domus publica, seinem Wohnsitz am Forum, in die Via sacra ein.21 Dieser ist er bereits zwei Jahre zuvor und unter riesigem Applaus als
19 Suet. Iul. 81; Dio Cassius 44,17–18; Plutarch, Caes. 63; Appianus, civ. 2, 115–116. – Ausführlich beschrieben bei Kissel 2004, 172–190. 20 So bei Kissel 2004, 174. 21 Zur Lokalisierung der regia/domus publica beim Tempel der Vestalinnen siehe Coarelli 1983, 22. 71–74; Scott 1999, 189–192.
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majestätischer Triumphator auf einem vergoldeten Vierspänner entlang gefahren, gefolgt von einem langen Zug seiner nicht minder stolzen Soldaten. Einen vierfachen Triumph über Gallien, Ägypten, Pontos und Numidien hatte ihm der Senat nach gewonnenen Kriegen zugestanden, bei denen vier Mal mindestens 5 000 tote Feinde zu beglaubigen waren. Der Triumphzug durch die Stadt war die wohl mächtigste Inszenierung der römischen Staatsidee und die höchste Auszeichnung für einen sterblichen Römer. In jenen Momenten war Caesar die personifizierte Macht Roms gewesen – ja er stellte sogar die Vergegenwärtigung des Göttervaters Iuppiter Optimus Maximus selber dar. Für kurze Zeit wurde ihm gottähnliche Allmacht zugestanden, die er jedoch am Ende des Zuges auf dem Kapitol demutsvoll wieder abzulegen hatte. Tausende von Legionären, die ihm damals im Triumph durch die tosende Menge gefolgt waren und die er zu höchstem Ruhm geführt hatte, blieben ihm treu ergeben. Ihnen gegenüber hatte er sich immer großzügig erwiesen bei der Verteilung der Beute, bei der Vergabe von Kriegssklaven und bei Ausschweifungen nach siegreicher Schlacht, die auf Kosten überwältigter Frauen und Mädchen gingen. Durch die ihm gewogenen Soldaten war die Legionen zu einem sicheren Garant seiner politischen Stärke geworden. Dabei stand Caesars Genialität als Stratege außer Zweifel, was er durch blitzschnelles, souveränes und konsequentes Handeln mehrmals unter Beweis gestellt hatte. Göttliche Fügung gewährte ihm zudem das Glück des Tüchtigen, was ihn selbst gegen übermächtige Gegner unverletzbar erscheinen ließ. Mehr als einmal entschied er den Schlachtenverlauf Seite an Seite mit seinen Legionären. Nicht vergebens sollte ihn die Weltgeschichte neben Alexander den Grossen und Napoleon zu den größten Heerführern zählen. Manche Episode physischer Höchstleistung wurde ihm nachgesagt: Gewaltige Marschleistungen, kühne Durchquerungen von hochgehenden Flüssen, außergewöhnliche Gewandtheit an den Waffen. Vieles mag in den Bereich der Fabel gehören, förderte jedoch den persönlichen Ruhm, wie es sich für einen großen Kriegsherrn gehört. Kräftezehrend waren ohne Zweifel die jahrelangen beschwerlichen Reisen auf dem Land und über das Meer, eingerechnet die mehrfachen Alpenüberquerungen, die Caesar in den vergangenen Jahren auf sich genommen hatte. Sie hätten von jedem Körper ihren Tribut gefordert. Auch an besagtem Morgen des 15. März leidet Caesar an seiner seit Längerem angegriffenen Gesundheit, die ihn zögern ließ, überhaupt das Haus zu verlassen, wozu er sich nun dennoch entschlossen hat. Nach wenigen Minuten und nur hundert Doppelschritten gelangt Caesars Begleittross ans andere Ende des Forums, wo sich zu beiden Seiten zwei großartige Bauwerke erheben, deren Wiederherstellung Caesar selber in Auftrag geben hatte. An der Basilica Iulia auf der linken Seite sind die Bauarbeiten noch im Gange. In dem mehrstöckigen Gebäude, das alle seine Vorgängerbauten an Größe und Pracht in den Schatten stellen sollte, finden die zivilrechtlichen Gerichtsprozesse Roms statt.
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Rechterhand entsteht die neue Curia, der eine Umplanung dieser ganzen Forumsecke zugrunde liegt, bei welcher der altehrwürdige Platz der Volksversammlungen, das Comitium, eliminiert werden soll: ein schier unglaublicher Eingriff in die geheiligten republikanischen Traditionen durch einen Privatmann. „Auf diese Weise wurde das einstige politische Zentrum zum Erinnerungsort einer einzigen Person ... In diesem Vorgang tritt die permanente Vergegenwärtigung eines Alleinherrschers offen zutage und zugleich leitete die Situation den Prozess der Entpolitisierung des Volkes ein.“ 22 Zwar ist die Curia am Forum der offizielle Versammlungsort des Senats; die Sitzung vom 15. März ist jedoch beim Theater des Pompeius auf dem Marsfeld anberaumt, wohin der Zug nun seinen Weg einschlägt. Im dem Moment, als Caesar am Rande des Forums den Carcer Tullianus am Fuße des Kapitolhügels passiert, denkt er kaum mehr an das Schicksal des Vercingetorix. Nach dessen Kapitulation vor Alesia, die das Ende der Gallischen Kriege eingeläutet hatte, und nachdem dieser gefesselt im Triumphzug durch Rom geschleppt worden war, verbrachte der Arvernerfürst hier sechs Jahre im düsteren Staatsgefängnis. Erst zwei Jahren zuvor wurde er nach gängigem Ritual erdrosselt und sein Leichnam auf die Treppenstufen hinter dem Gefängnis geworfen. Vermutlich sind die herrschenden Probleme brennender, als dass sich Caesar an die fernen Gallischen Kriege erinnern mag. Damals hatten sich die Gallier seinen elf Legionen und einer beträchtlichen Reitertruppe während mehr als sieben langen Jahren widersetzt, mehr als einmal brachten sie ihn an den Rand einer Katastrophe. Dabei brauchte Caesar unbedingt einen Sieg, um in Rom dem politischen Untergang zu entgehen: Je länger der Krieg dauerte, desto grausamer wurde er geführt und desto weniger kamen Unterworfene in den Genuss von Caesars sprichwörtlicher Milde. Für aufständische Städte und abfallende Anführer gab es bald keine Gnade mehr. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa ein Drittel der zehn Millionen Einwohner Galliens getötet, versklavt oder in die Flucht getrieben wurde.23 Doch finanziell hatte sich das Unternehmen gelohnt, da es Caesar persönlich gewaltige Summen einbrachte, die vor allem durch die Plünderung der Weihegeschenke, mit denen die gallischen Heiligtümer prall gefüllt waren, zusammenkamen. Städte seien öfter der Beute wegen erobert und zerstört worden als wegen eines feindlichen Verhaltens.24 Mit dem geraubten Gold konnte Caesar seine Soldaten belohnen und an sich binden, seine aufgelaufenen Schulden tilgen und erst noch prächtige Bauwerke für die Stadt Rom ins Auge fassen. Man erhält den Eindruck, „als ob ganz Rom von Caesars Geld ausgehalten wurde“ 25, und auch nicht unbegründet ist die süffisante Titulierung des „Herrn Julius Caesar“ als „Geschäftsmann“ im Romanfragment Bertolt Brechts.26 22 23 24 25 26
Freyberger 2009, 55 f. Baltrusch 2011, 73. – Mit niedrigeren Bevölkerungs- und Opferzahlen rechnet Stangl 2008, 286. Sueton, Iul. 54, 2. Baltrusch 2011, 73. Diese und andere Einschätzungen aus verschiedenen Perspektiven bei Christ 1994, bes. 252–255.
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Kaum am düsteren Tullianum vorbei, überwindet der Tross die flache Steigung des Clivus Argentarius an der Längsseite des Cäesarforums – auch dies ein Bauwerk, das durch die gewaltige Beute der Gallischen Kriege gespeist wurde, nachdem das Grundstück in teuerster Lage von Mittelsmännern für 60 Millionen Sesterzen (andere sprechen von 100 Millionen) aufgekauft worden war.27 Das neue Forum Iulium besteht aus einem Tempel und einem offenen Platz mit umgebenden Kolonnaden für Läden; es sollte ganz der Verklärung seines Stifters und dessen senatorischem Geschlecht dienen. Der Tempel ist der Venus Genetrix, der Mutter des Aeneas, geweiht, den die iulische Familie als ihren Urahn beanspruchte, womit die glänzende Geschlechterfolge, in der sich Caesar einreiht, ihre architektonische Umsetzung erfährt; in der Mitte des Forumsplatzes thront das bronzene Reiterstandbild des Diktators selber. Für einen handfesten Skandal hatte Caesar gesorgt, als er im Tempel eine goldene Statue mit den Zügen Kleopatras aufstellen ließ: Die Öffentlichkeit reagierte empört bei der Vorstellung, dass der Göttin Venus durch die Geliebte des Diktators Konkurrenz gemacht werden sollte. Noch verstörender hätte es gewirkt, wenn die mädchenhafte Herrscherin Ägyptens in voller Nacktheit dargestellt gewesen wäre, falls man sie mit der Marmorstatue der „Venus vom Esquilin“, die im Jahre 1874 in Rom ausgegraben worden ist, identifiziert. Eine solche Zuweisung hält Bernard Andreae jedenfalls für möglich, und auch die dazu nötige Überheblichkeit würde er dem Diktator zutrauen.28 Aus einer Liebesbeziehung mit der jungen Königin ging im Jahre 47 v. Chr. der Knabe Caesarion hervor, als sich Caesar während des Bürgerkrieges in Ägypten aufhielt. Eine spätere Heirat war nicht ausgeschlossen, eine dynastische Verbindung mit dem Ptolemäergeschlecht, das seinerseits in einer historischen Beziehung zum makedonischen Königshaus stand, hätte in jedem Falle glänzende Voraussetzungen für eine Alleinherrschaft geschaffen. Nun, zu Beginn des Jahres 44 v. Chr., weilt Kleopatra anlässlich eines zweiten Besuchs in Rom, vermutlich in Begleitung des kleinen Caesarion; sie bewohnt einen luxuriösen Palast, den ihr Caesar auf der andern Seite des Tibers zur Verfügung gestellt hat. Weiter geht der Weg am Fuße des Kapitols entlang. Linkerhand, hoch über dem Cäsarforum, thront das Heiligtum der Iuno Moneta, wo das Münzgeld für die Stadt und das Land geprägt wird. Die von den Münzmeistern in Auftrag gegebenen Münzbilder zeigten seit Alters her sinntragende Symbole, die auf historische Leistungen von Verstorbenen verwiesen, und die Bilder von Göttern, denen die glücklichen Fügungen zu verdanken waren. Caesar war der erste Sterbliche, dem der Senat erlaubte, noch zu Lebzeiten sein Porträt auf einer Münze zur Darstellung zu bringen. Auf seinem Haupt trägt er den Kranz der römischen Könige. Seit drei Monaten nun schüttet die staatliche Münzstätte Silberdenare mit Caesars Bild in gro-
27 Amici 1991, 29–58; Coarelli 2000, 112–114. 28 Die heute erhaltene Venus vom Esquilin ist eine claudische Kopie. Andreae 2001, 211–219.
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ßen Mengen aus.29 Die Botschaft ist klar: Ab nun ist das Schicksal Roms nicht mehr von göttlicher Bestimmung geleitet, sondern es liegt in der Hand eines Menschen, dessen Bild sich jedermann in seinem eigenen Geldbeutel in Erinnerung rufen kann. Das Profil des Diktators trägt strenge, asketische Züge. Einmal die Felsen des Kapitols hinter sich gelassen, trabt Caesars Trupp nun über das Marsfeld nach dem Theater des Pompeius. Dieser riesige Baukomplex war eine großzügige Vergabe seines letzten und mächtigsten Konkurrenten auf dem Weg zur Alleinherrschaft gewesen. Zuerst verbanden die beiden Strategen noch gemeinsame politische Ziele, was sich durch die Verheiratung von Caesars Tochter Iulia mit dem viel älteren Pompeius sogar bekräftigen ließ. Allmähliche Unstimmigkeiten führten von bloßer Entfremdung bis zur offenen Feindschaft, als Caesar am 11. Januar 49 v. Chr. den Rubicon überschritt, auf Rom marschierte, ohne die Legionen zu entlassen, und damit den Bürgerkrieg auslöste. Der Kampf um die Macht führte schließlich zur Ermordung des nach Ägypten entflohenen Pompeius und endete mit der Schlacht von Munda in Spanien im März 45 v. Chr. gegen die Söhne des Pompeius – also nur gerade ein Jahr zuvor.30 Unterdessen hat die lange Kolonne aus Liktoren, Hausdienern und Schaulustigen die am unteren Ende des weitläufigen Theaterkomplexes gelegene Curia Pompei erreicht, wo die heutige Senatsversammlung stattfinden soll.31 Auf dem Weg blieben weitere Warnungen unbeachtet, und auch die Deutung der Eingeweide eines Opfertieres, die wie üblich vor dem Betreten des Ratssaals geschieht, verheißt selbst nach einer Wiederholung nicht nur nichts Gutes, sondern sogar eine tödliche Gefahr. Doch die Senatoren sind bereits versammelt. Kaum hat sich Caesar auf den für ihn vorbereiteten Klappsessel gesetzt, wird er von mehreren Verschwörern umringt und stürzt unter deren Dolchstößen zu Boden – genau unter der Ehrenstatue seines alten Gegenspielers Pompeius, „es schien, als räche sich Pompeius selber an seinem Feinde, der zu seinen Füßen ... mit dem Tode rang“.32 Was diesem unerhörten Ereignis folgte, waren hochdramatische Stunden und Tage, die nicht in den normalen Bahnen verliefen, da das Regelwerk des Üblichen außer Kraft gesetzt war. Was im Einzelnen geschehen sein soll, wird von verschiedenen Historikern geschildert, wobei wir die eindrücklichsten und für unsere Fragen aufschlussreichsten Bilder den beiden Caesar-Biografen Sueton und Appian verdanken.33 29 Woytek 2003, 312. 413–423 und bes. 427. 30 Baltrusch 2011. 31 Zur Situierung des bedeutsamen Ortes siehe Etienne 1977, 71–79; Albers 2013, 91. 32 Plutarch, Caes. 66, 13. 33 Mit leichten Unterschieden, was Chronologie und Chorologie des Dramas betrifft: Sueton, Iul. 83–89; Appian, civ. 2, 118–149; Dio Cassius 44, 17–51; Plutarch, Caes. 66–68; Plutarch, Brut. 20. – Eindringlich zusammengefasst bei Kissel 2004, 172–190.
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Zuerst verfolgen die nicht am Komplott beteiligten Senatoren das ungeheuerliche Geschehen fassungslos, ehe sie sich panikartig zur Flucht wenden. Der Anführer der Verschwörung, Marcus Iunius Brutus, versucht noch eine vorbereitete Erklärung zu verlesen, da hat sich der Saal aber bereits geleert. Nun machen sich auch die Verschwörer davon und stürzen auf das Forum, um wenigstens vor dem Volk ihre Tat zu rechtfertigen. In der Curia zurück bleibt – erstaunlicherweise – alleine der ausgeblutete Leichnam des Ermordeten, bis ihn drei treue Sklaven aufheben und nach Hause tragen. Dass die Attentäter nicht kaltblütig genug waren, den Leichnam wie eigentlich geplant zum Tiber zu schleifen und dort, wie es sich für einen Tyrannen gehörte, zu versenken, sollte sich als verhängnisvoll erweisen. Damit hatten sie die Kontrolle über die nachfolgende Meinungsbildung und die Auswirkungen einer demonstrativen Leichenfeierlichkeit verloren. Draußen hat sich die Nachricht unterdessen in Windeseile verbreitet, was zu Tumulten in den Straßen und zu Verfolgungsjagden auf einzelne Politiker führt. Die Senatoren beider Parteien halten sich in den folgenden Tagen bedeckt, da niemand weiß, auf welche Seite die Stimmung kippen würde, bis schließlich nach langen Verhandlungen der Senat die offiziellen Bestattungsfeierlichkeiten für den 20. März beschließt. Der Sitte gemäß bewegte sich der Leichenzug vom Wohnhaus des Verstorbenen auf das Forum, wo nun die eigentliche Totenfeier durch Marcus Antonius, den verbliebenen zweiten Konsul, mit außergewöhnlichen Effekten inszeniert wird. Vor der Rednertribüne steht die vergoldete Nachbildung des Venustempels, in dessen Innern zunächst der Leichnam auf einem elfenbeinernen Bett mit golddurchwirkten Purpurdecken aufgebahrt worden ist. Am Kopfende überragt die auf ein Gestell gespannte, blutverschmierte und von den Dolchen der Mörder zerfetzte Toga gut sichtbar die Menge der Trauernden. Es folgen ausgewählte Theaterrezitationen, belobigende Nekrologe und vor allem, die berühmte Rede des Antonius, welche das versammelte Volk in eine starke Gemütsbewegung versetzt, die sich noch steigert, als über der Totenbahre ein in Wachs gefertigtes Abbild Caesars erscheint. Sowie die Menge den ganz mit blutigen Wunden übersäten Körper sieht, schlägt die Trauer in Zorn gegen die Mörder um. In diesem Moment gerät die Volksmasse außer sich. Einige eilen in alle Richtungen, um die Mörder zu finden, die sich unterdessen versteckt gehalten hatten. Die Zurückgebliebenen wollen den Leichnam sofort am Tatort, in der Curia des Pompeius, oder sogar im Jupitertempel auf dem Kapitol verbrennen, auch auf die Gefahr hin, einen Großbrand auszulösen. Doch plötzlich trägt die Menge am unteren Ende des Forumsplatzes mit dort vorgefundenen Hölzern und Möbeln, die man aus den benachbarten Werkstätten gezerrt hat, einen Scheiterhaufen zusammen, auf den man die Totenbahre hebt. Zwei Bewaffnete entfachen mit brennenden Wachstafeln das Feuer, und in aller Eile suchen die Umstehenden Brennmaterial zusammen, um es in die auflodernden Flammen zu werfen: Reisig, Richterstühle und mitgebrachte Weihegeschenke fliegen über die Köpfe.
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Darauf ziehen die Musikanten und Schauspieler ihre Festkleider aus, zerreißen sie und werfen sie samt ihren Instrumenten ins Feuer. Altgediente Legionsveteranen schleudern ihre Waffen hinterher, die sie zum feierlichen Anlass angezogen hatten. Einige Frauen tun es ihnen gleich mit dem Schmuck, den sie tragen, und mit Amuletten und den Kleidern ihrer Kinder. Andere wollten gesehen haben, wie der kostbare Prozessionsschmuck, mitgebrachte Kränze und militärische Auszeichnungen in die Flammen fliegen. „Und so wurde Caesars Leichnam gegen allen Brauch innerhalb des pomerium verbrannt, im Zentrum der Stadt, auf dem Forum“.34 Seine eingeäscherten Überreste werden dann allerdings auf dem Marsfeld beigesetzt, wo bereits am Vortag ein Holzstoß aufgeschichtet worden war, der nach den sich überstürzenden Ereignissen auf dem Forum dann überflüssig wurde. Das Marsfeld war ein privilegierter Bestattungsort, dem schon in der Antike eine Beziehung zum mythischen Stadtgründer Romulus und zu den etruskischen Königen nachgesagt wurde. Die in jungen Jahren verstorbene Iulia, die Tochter Caesars und Ehefrau des Pompeius, war bereits hier beigesetzt worden,35 und offenbar bestand die Absicht, an dieser Stelle eine iulische Familiengruft zu etablieren. Die genaue Lage dieses Grabmals auf dem Marsfeld ist nicht bekannt; es muss sich jedoch in der Nachbarschaft zum Mausoleum des Augustus befinden.36 Dass die Wahl beider Begräbnisplätze in einem sehr bewussten Zusammenhang mit den dynastischen Ambitionen steht, ist offenkundig. Das Aufrechterhalten der Erinnerung an die Ahnen konkretisiert sich hier auf dem Marsfeld. Die Stelle, an welcher der Leichnam Caesars auf dem Forum verbrannt worden war, erlangte als Erinnerungsstätte eine besondere Bedeutung. Zuerst errichteten seine Anhänger dort einen Altar und eine sechs Meter hohe Marmorsäule mit einer Gedenkinschrift an den „Vater des Vaterlandes“ (Parenti Patriae). Als aber der Senat im Jahre 42 v. Chr. Caesar zu einem Gott erklärte, begann man an genau der Stelle mit dem Bau eines Tempels, dessen Rückwand an die Regia stieß und in dessen Front der bestehende Altar eingelassen blieb.37 Zum ersten Mal wurde in Rom einer historischen Person göttliche Verehrung zuteil, wie sie sonst nur den offiziellen Gottheiten zustand, ein Vorgang, dessen Vorbilder im hellenistischen Herrscherkult des Ostens zu suchen sind. Am ersten Jahrestag der offiziellen Apotheose soll an sieben Abenden hintereinander ein Komet am Himmel erschienen sein.38 Die feierliche Einweihung des Tempels erfolgte erst im August des Jahres 29 v. Chr. durch Octavian. Dadurch diente der Sakralbau nicht nur der Vergöttlichung Caesars, sondern gleichzeitig auch der Herrschaftslegitimation seines Erben Augustus.
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Neumeister 1991, 206. Sueton, Iul. 84, 1. Coarelli 1997, 582–602; Albers 2013, 87. 207. 265. Coarelli 1985, 230–233; Freyberger 2009, 58–61. Sueton, Iul. 88.
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An Verehrern wie Verächtern fehlte es Gaius Iulius Caesar wahrlich nie. Zu seinen Lebzeiten und vor allem nach seinem dramatischen Tod haben sich unzählige Autoren zu seinem Leben und seinen Taten geäußert; moderne Abhandlungen, aus denen für diesen Rahmen nur die besonders interessierenden herausgepickt wurden, sind Legion.39 Bereits in den antiken Quellen existieren so viele Legenden und divergierende Meinungen, dass Dichtung und Wahrheit kaum mehr auseinanderzuhalten sind. Dazu gehört unter anderm auch die Caesar nachgesagte Epilepsie, die im Übrigen auch Alexander dem Großen und Napoleon unterstellt worden ist. Die den Lieblingen der Götter zugeschriebene Krankheit ist zwar schwer nachzuweisen oder zu bestätigen, gehört jedoch offensichtlich zum Erscheinungsbild, das man sich von einem außergewöhnlichen Tatmenschen macht. Die historische Wahrheitsfindung ist für unsere Fragestellung von geringerer Bedeutung, da Heroen sich nicht nur selber erfinden, sondern auch von ihrer Umgebung zu solchen erhoben werden. Insofern ist es fast wichtiger, was über eine solche Person subjektiv gedacht und geschrieben wird, als was der objektiven Wahrheit entspringt. Die erfundene Realität oder auch bewusste Propaganda bewirken eine Überhöhung, gar Heroisierung des Sterblichen. Gerade dadurch kann ein sehr zwiespältiges Bild entstehen, wozu ja gerade Caesar ein Schulbeispiel ist, indem er „seinen Platz in der Ehrengalerie der Weltgeschichte nicht als strahlender Held, sondern als schillernde Figur“ einnimmt.40 Für andere hingegen war „Caesar der Vollender der römischen Geschichte, die Inkarnation des Weltgeistes, eine wohl nie wieder zu erreichende Persönlichkeit ohne Grenzen für Begabung und Tatkraft“.41 Mindestens nach außen hin waren das öffentliche Leben und die politischen Institutionen am Ende der Republik noch immer von Mythologie und Religion geleitet. Als Epikureer und Verstandesmensch setzte Caesar sich jedoch entweder über die Traditionen hinweg, oder aber er nutzte sie für seine eigenen Zwecke. Davon legte er schon 31-jährig am Anfang seiner Karriere Zeugnis ab, als er auf dem Forum die Leichenrede seiner Tante Iulia zum Anlass nahm, um zu insistieren, dass die Iulier – und damit er selber – einerseits von den etruskischen Königen und andererseits von der Venus abstammten.42 Ob er dadurch tatsächlich ein „Heros“ im Sinne der historisch-archäologischen Wissenschaft ist, bleibt noch abzuklären. Von seinen Biografen – in der Alten wie in der Jüngeren Geschichte – wurde er jedenfalls kaum exakt so tituliert, und wenn einmal, dann nur in einem allgemeinen Sinne
39 Unter den wichtigen und neuesten Abhandlungen sind zu nennen: Gelzer 1983; Canfora 2001; Jehne 2008. 40 Jehne 2008, 120. 41 So die Sicht Theodor Mommsens in der Formulierung von Baltrusch 2011, 187. 42 Sueton, Iul. 6. – Canfora 2001, 29 f.
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des Wortes. Unbestritten war jedoch bereits bei seinen Zeitgenossen die außergewöhnliche Persönlichkeit und das starke Charisma Caesars, was sich in seinem Lebenslauf, seinem Tod und seinem Begräbnis deutlich widerspiegelt.
3 Griechische Heroen A man became a heros by dying. Ian Morris
Vor Ilions Mauern In der Ebene vor Troja wogten nicht nur die epischen Kämpfe zwischen den Achäern und Troern, sondern hier wurden die gefallenen Helden auch bestattet. Am ausführlichsten hat Homer die Begräbnisfeierlichkeiten und Totenspiele für Patroklos beschrieben, den Hektors Lanze tödlich durchbohrt hatte. Nach der Bergung des Erschlagenen dauerten die Zeremonien mehrere Tage, während denen der Leichnam gewaschen, gesalbt und – je nach Übersetzung – sogar einbalsamiert wurde. Anschließend wurde er mit einem Leichentuch umhüllt und aufgebahrt, damit in feierlichen Umgängen die Totenklage eröffnet werden konnte. Bei der Beschreibung der Begräbnisse von Hektor und von Achilles, die später ihr Leben ließen, wird berichtet, dass sie nach ihrem Tod während zweiundzwanzig beziehungsweise siebzehn Tagen unbestattet blieben, während denen die Leichenfeierlichkeiten andauerten.43 Reihenfolge und Umfang der einzelnen Handlungen konnten in den homerischen Epen variieren, verliefen aber immer in ähnlichem Rahmen. Nach einem ausgedehnten Mahl bewegten sich die Trauernden zum Verbrennungsplatz, wo der Körper des Patroklos auf einen gewaltigen Holzstoß gebettet, mit dem Fett von geschlachteten Opfertieren bedeckt und mit Töpfen voll Honig und Öl umstellt wurde (Abb. 3). Vier Pferde, neun Hunde und zwölf trojanische Jünglinge übergab der trauernde Achilles den Flammen, was jedoch eher als unüblich angesehen wird, da der großen Trauer und dem noch größeren Zorn des Achilles entsprungen. Bemerkenswert ist hingegen, dass weder Waffen noch Rüstungen, weder Mobiliar noch anderes Gerät als die zu erwartenden Grabbeigaben erwähnt sind, wohingegen Fett, Honig und Öl sowie die Pferde, Hunde und Menschen eher wie Opfer an Götter wirken. Steht Patroklos mehr als nur eine pompöse Grablegung zu, nämlich ein sakrales Opfer? Ist Patroklos mehr als ein gefallener Held, nämlich ein bereits vergöttlichter Heros? Die vier dem Feuer übergebenen Pferde, das Viergespann, das ihm in den Tod folgte, ist im Mythos jedenfalls das Gefährt von Göttern und Heroen. Als das Feuer niedergebrannt war, löschten die Gefährten die Glut mit Wein. Sie sammelten die verbrannten Knochenreste des Verstorbenen und legten sie in
43 Ausführlicher Kommentar zum Totenkult in den homerischen Epen bei Andronikos 1968.
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Abb. 3: Die Verbrennung des Patroklos in der antiken Ikonographie. Auf dem Scheiterhaufen mitverbrannt werden Menschen, Tiere und Waffen. Apulischer Krater, 4. Jahrhundert v. Chr.
eine goldene Urne, um die herum dann der Grabhügel aufgeworfen wurde.44 Zuvor brachte Achilles den Griechen seinen Wunsch zum Ausdruck, dass er nach seinem Tod im gleichen Hügel begraben werden wolle wie sein Freund Patroklos, was später dann auch tatsächlich geschah.45 Leicht anders ist man mit den verbrannten Gebeinen des später zu Tode gekommenen Hektor verfahren, indem die gesammelten Überreste in einem goldenen Kästchen in eine Grube versenkt wurden; darüber schichtete man Feldsteine zu einem massiven Kern und schüttete Erde zu einem Hügel auf.46 Der zweite Teil der Zeremonie für Patroklos umfasste Wettkampfspiele, für die Achilles die Siegespreise aussetzte: Neben Bronzegefäßen, Pferden, Maultieren und Stieren auch „schöngegürtete Weiber zugleich und blinkendes Eisen“.47 Es finden der Reihe nach die folgenden Einzelwettkämpfe statt, die nicht etwa bloße theatralische Vorführungen sind, sondern mit größtem Eifer geführt werden: Wagenrennen, Faustkampf, Ringkampf, Wettlauf, Zweikampf, Diskuswerfen, Bogenschießen und Speerwerfen.
44 45 46 47
Hom. Hom. Hom. Hom.
Il. 23, 161–255. Od. 24, 65–79. Od. 24, 796–798. Il. 23, 261.
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Zum Schluss erhielten alle am Wettkampf Beteiligten und auch die bloß Anwesenden einen Ehrenpreis, und zwar sollte die Gabe ausdrücklich dazu dienen, die Erinnerung an den hochgeschätzten Kampfgefährten Patroklos wachzuhalten.48 Es drückt sich darin der gleiche Wunsch aus, die Verstorbenen in der Erinnerung der Nachwelt zu verankern, wie bei den monumentalen Grabhügeln, die ja ebenfalls für die Ewigkeit gedacht sind. Während des langen Krieges um Troja mehrten sich nicht nur die Grabstätten der gefallenen Helden auf dem Kampfplatz, sodass sie mit der Zeit bei der Beschreibung des Kampfgeschehens im Epos als Orientierungspunkte dienten. Auf dem freien Feld erhoben sich dort bereits vorher die Grabmonumente von mythischen Troern. Mehrmals erwähnt wird das Grabmal von Ilos, dem eponymen Heros von Ilion, auf dem man sich nach den Worten Homers ein Steinmal in der Größe vorstellen muss, hinter dem sich ein Mann verbergen konnte.49 Offensichtlich hatte der Ort eine ganz besondere symbolische Bedeutung, da Hektor ihn in einem kritischen Moment des Kampfverlaufs als Versammlungsplatz wählte, um mit seinen Anführern Kriegsrat zu halten.50 Zweifellos suchte die Versammlung bewusst die Nähe zu ihrem Ahnherrn Ilos in der Hoffnung auf Beistand und gute Ratschläge ihres Altvorderen. Die große Bedeutung der Ilias in der Antike verlieh dem Ort Troja einen einzigartigen Nimbus. Offenbar war der Hügel von Hisarlik als der Schauplatz, wo Homers Epen stattgefunden hatten, in Erinnerung geblieben.51 Dabei spielten die in der Skamanderebene und an der Besikbucht gelegenen Tumuli eine besondere Rolle, da sie immer für die in der Ilias so genau beschriebenen Grabmonumente der getöteten Helden gehalten wurden. Alexander der Große hat bei seinem Besuch im Jahre 334 v. Chr. vor den Grabmälern von Achilles und Ajax die gebührenden Opfer vollzogen. Danach hinterlegte er im dortigen Athena-Tempel seine Rüstung als Weihegeschenk und bediente sich dafür an den Waffen, die vermeintlich noch aus den trojanischen Kriegen stammten, wozu er sich umso mehr für berechtigt hielt, als er sich als Nachfahre des Achilles betrachtete.52 Später wird ihm Diodor in den Mund legen, er habe sich mit der Absicht getragen, hier den größten Tempel zu bauen, den die Welt je gesehen hat.53 Mit Homer im Reisegepäck besuchten zahlreiche Reisende von Rang und Namen in hellenistischer und römischer Zeit das sagenumwobene Ilion, das zu einem antiken Wallfahrtsort und touristischen Zentrum erster Güte aufstieg.54 Auch Iulius
48 49 50 51 52 53 54
Hom. Il. 23, 618–619. Hom. Il. 11, 166. 371; 24, 349. Hom. Il. 10, 415–416. Rose 2014, 42. Arrian. anab. 1,11, 7; Diod. 17, 17, 3. – Schmidt-Dounas 2000, 83; Bringmann 2000, 64. Diod. 18, 4, 5. Halfmann 1986; Rose 2001, 180–187; Rose 2014, 223–270.
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Caesar erwies dem Ort aus dynastischen Gründen seine Referenz, verstanden sich die Iulier doch als Nachfahren von Aeneas und fühlten sich über eine lange Generationenkette mit dem trojanischen Herrscherhaus verbunden. Vor den Iden des März soll sogar das Gerücht kursiert haben, Caesar wolle den Regierungssitz von Rom nach Troja verlegen.55 Ähnliche Beweggründe wie Caesar, nämlich die Einschreibung in den mythischen Stammbaum, werden auch Augustus, Agrippa und Germanicus zu einem Besuch von Troja bewogen haben. In die lange Reihe illustrer Durchreisender reihen sich ferner die Kaiser Hadrian, Caracalla, Iulian und Konstantin, wobei ihre Anwesenheit immer auch zur Renovation von Tempeln und zur Wiederherstellung von Grabhügeln geführt hat. Eine bedeutende Stadt ist Ilion dennoch nicht mehr geworden; sie blieb aber die denkwürdige Stätte, wo die mythische Vergangenheit Realität war, von der die Gräber der gefallenen Helden und Vorfahren Zeugnis ablegten. In den Texten Homers wird der Begriff „Heros“ ganz neutral für einen Krieger oder eine sonstige wichtige, agierende Person verwendet, ohne dass eine religiöse Bedeutung oder ein institutionalisierter „Heroenkult“ sichtbar wäre. Bemerkenswert scheint mir aber doch, dass in den ganzen Beschreibungen Homers nur gerade ein paar Dutzend Helden aus dem Heer der namenlosen Krieger heraustreten. Ihre außergewöhnlichen Leistungen im Kampf und ihre soziale Stellung lässt sie in einem besonderen Licht erscheinen. Aus diesem schon kleinen Kreis tritt eine noch exklusivere Gruppe hervor, der nach dem Tod besondere Grabmonumente zustand, die als Stätte des Erinnerns gedacht waren, was zumindest eine Art von Kult impliziert. Und dass Hektor die sicheren Stadtmauern verließ, um für einen Kriegsrat die Nähe des Ahns zu suchen, ist ebenfalls auffällig. Dass in einem solchen Verhalten die Voraussetzungen für einen antiken Ahnen- und Heroenkult liegen, beweist die Motivation von Alexander, Caesar und Augustus, die alle nach den Spuren ihrer mythischen Vorfahren suchten und sie in den Tumuli vor Troja und in der Ruinenstadt selber auch fanden: Alexander als Nachkomme von Achilles, Caesar als Sprössling des trojanischen Königshauses und Augustus wiederum als Adoptivsohn Caesars. Dabei erübrigt sich eine archäologische Diskussion über das effektive Alter der Grabhügel in der Skamanderebene, da für unsere Fragestellung wichtiger ist, wofür man sie in hellenistischer und römischer Zeit gehalten hatte. Ebenso sekundär ist der Wahrheitsgehalt des Gerüchts über einen vermeintlichen Umzug Roms nach Ilion, das vor den Iden des März im Umlauf gewesen sein soll; entscheidender ist, dass die Herkunftssage der gens Iulia aus Troja den Zeitgenossen realistisch genug erschien, dass selbst ein solches Gerücht, die Hauptstadt nach Asien zu versetzen, für möglich gehalten werden konnte.
55 Sueton, Iul. 79, 3.
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Auf der Suche nach dem griechischen Heros Die griechischen Altertumswissenschaften haben mit beträchtlichem Aufwand versucht, den „Heros“ zu definieren und den „Heroenkult“ zu klassifizieren. Obwohl David Boehringer glaubt, dass es leichter sei, „einen Pudding an die Wand zu nageln“, als in dieser Sache eine allgemein akzeptierte Lehrmeinung einzuführen, ist es doch sein Verdienst, das Problemfeld übersichtlich abgesteckt und das Thema vertieft zu haben.56 Tatsächlich waren die Herangehensweisen vielfältig, und die Meinungen in der Forschung sind widersprüchlich geblieben. Als erster versuchte Lewis R. Farnell die in unterschiedlichen schriftlichen Quellen erwähnten Heroen und Heroinnen in sieben Gruppen zu klassifizieren, ohne daraus eine Chronologie beziehungsweise eine entwicklungsgeschichtliche Deutung abzuleiten.57 Er unterschied 1. Heroen, deren Name und Legenden auf einen Kult hinweisen und die je nach Landschaft auch als Götter verehrt wurden. 2. Priester oder Priesterinnen, die in einer engen Verbindung zu einer Gottheit stehen, sodass sich, wie im Beispiel von Iphigenie, deren Gestalt als Göttin und Priesterin zu einer Heroin vermischt. 3. Götter mit irdischer Herkunft wie Herakles, Asklepios oder die Dioskuren. 4. „Funktions- oder Kulturheroen“. Ihr Name steht für ihren Wirkungsbereich wie Schutz und Fruchtbarkeit von Mensch und Tier in Feld und Stall. 5. Heroen aus den Epen, die an Grabstätten verehrt werden. 6. Eponyme Heroen von Verbänden, Städten oder Landschaften, deren Verehrung sich oft als Ahnenkult entpuppt. 7. Kulte um reale Personen, die sich in einer öffentlichen Funktion besondere Verdienste erworben haben, zum Beispiel als Stadtgründer oder Gesetzgeber. Die Klassifizierung Farnells aus dem Jahre 1920 blieb lange Zeit die übersichtlichste, wenn auch nicht die einzige. Durchaus konträr verhielten sich später die beiden Thesen über die Entstehung des Heroenkults: die eine von John Nicolas Coldstream ausformuliert und die andere bei Alexander Mazarakis Ainian mindestens angedeutet. Coldstream (1927–2008) – selber eine Art Heros der Klassischen Archäologie – gab dem Forschungsthema Heroenkult einen entscheidenden Anstoß, als er der homerischen Überlieferung die Resultate archäologischer Ausgrabungen gegenüberstellte.58 Er berief sich auf eine Gruppe von Gräbern hauptsächlich in der Argolis, in Messenien und in Attika, die in mykenischer Zeit angelegt worden waren, an denen aber erst in spätgeometrischer Zeit, im späten 8. Jahrhundert v. Chr.,
56 Boehringer 2001, 13–36. 57 Farnell 1970. – Mit Kommentar bei Boehringer 2001, 34–37. 58 Coldstream 1976.
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Griechische Heroen
Weihegaben deponiert worden seien. Da die Lücke mehrere hundert Jahre beträgt, müsse ein triftiger Grund für das späte und unvermittelte Einsetzen der Rituale vorhanden gewesen sein. Der Anlass dazu war laut Coldstream die Verbreitung der homerischen Epen im 8./7. Jahrhundert v. Chr. im griechischen Mutterland. Sie lieferten den Menschen ein Erklärungsmodell für die mächtigen Grabhügel aus grauer Vorzeit, in denen sie die epischen Helden bestattet glaubten. Die neue Sitte der real ausgeführten Riten am Grab sei ein Reflex auf die Verse Homers. Da durch die lange Zeitlücke keine familiäre Bindung mehr zwischen den Verstorbenen und den Lebenden bestanden haben konnte, könne man von einem wirklichen „Heroenkult“ und nicht von einem bloßen Totenritual sprechen. Alexander Mazarakis Ainian warf die Idee auf, dass es genau umgekehrt gewesen sein könnte und die vorhandenen Grabhügel mit den dort abgehaltenen Praktiken die Vorlagen abgegeben hätten für die homerischen Lieder.59 Diese These gerät allerdings in einen chronologischen Konflikt nicht nur mit der mündlichen Vorphase der homerischen Überlieferungstradition, die ja weit vor das 8. Jahrhundert v. Chr. zurückreichen soll, sondern auch mit einer ganzen Anzahl von Grabungsplätzen, wo die Weihegaben eben doch älter zu sein scheinen. Einen stärkeren Einfluss auf den Heroenkult als die Epen Homers verursachten nach Antony Snodgrass soziale und ökonomische Prozesse, nämlich der Wechsel von der pastoralen zur Agrarwirtschaft im 8. Jahrhundert v. Chr., der jedoch nicht in allen griechischen Landschaften in gleicher Weise verlief. Mehrere Autoren haben seine Argumentation aufgenommen, weiterentwickelt und auf verschiedene Regionen übertragen.60 Der Kern der Theorie ist, dass die eindrücklichen Grabmonumente als Rechtsanspruch auf den Boden wahrgenommen worden seien, auf dem sie standen. Die Niederlegung von Opfergaben und die Aufrechterhaltung eines Kultes am Grab bezeugten eine Verbindung zu den Ahnen und legitimierten dadurch den Anspruch auf das Land, das die lebenden Besitzer genauso wie ihre Vorfahren bebauten. Ob es sich bei den Agierenden um Neuankömmlinge handelte, die brachliegendes Land samt Grabhügel für sich beanspruchten, oder ob es Alteingesessene waren, die sich gegenüber Zuwanderern rechtfertigen mussten, waren Themen, die zur Debatte standen. Die gleiche Bedeutung hatten auch Heiligtümer und deren Recht auf Kultausübung bei der Polis-Bildung. Um ihren Einfluss auf das Umland zu festigen, steckten einzelne Städte wie zum Beispiel Athen auf diese Weise ihr Territorium ab. Kultstätten, an denen altehrwürdige Heroen verehrt wurden, lieferten die geeignete Rechtfertigung zur Übernahme, indem sie in den Kultkalender aufgenommen wur-
59 Mazarakis Ainian 1999. 60 Snodgrass 1982. – Von der großen Zahl weiterer Arbeiten zum Thema seien nur genannt: Bérard 1982; Whitley 1988; Antonaccio 1995; Morris 1999.
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den. Irad Malkin vertrat deshalb die Meinung, dass ausschließlich die Polis-Bildung für den Heroenkult verantwortlich gewesen sei.61 Jedenfalls war es sogar möglich, dass zu diesem Zweck ein bestimmter Kult in die Stadt transferiert wurde, was der städtischen Aristokratie gleichzeitig ermöglichte, einen familiären Bezug zu den Heroen und Heroengräbern herzustellen, um dadurch ihren politischen Führungsanspruch zu rechtfertigen. Wohl nirgends zeigt sich die Verbindung von Heros und Landnahme klarer als bei den Gründungen von überseeischen Kolonien, die im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. stets ähnlich verliefen.62 Nach dem Tod des aristokratischen Koloniegründers bildete sein Begräbnis auf der Agora und die kanonische Einsetzung eines Heroenkultes am Grab ein wichtiger Akt: die Gründung eines ersten eigenen Kultes, der sich unterschied von den aus der Mutterstadt mitgebrachten traditionellen Götterkulten. Das Ritual betonte die neue politische Selbständigkeit, und mit den jährlich wiederkehrenden Feierlichkeiten am Heroengrab ließ sich eine eigene lokale Geschichtstradition aufbauen. Allem Anschein nach lag die Durchführung des Kultes in den Händen der Polis-Gemeinschaft – und nicht etwa bei den Nachkommen des Gründers, wodurch die Feier zu einer öffentlichen Angelegenheit wurde und nicht dem Aufrechterhalten von dynastischen Ambitionen diente. Aber auch hier wurden politische Ansprüche durch Kult zur Darstellung gebracht, ritualisiert und gefestigt. Offenbar war es das Vorbild der Kolonien, welches viele Mutterstädte veranlasste, ihre eigenen Gründungsheroen zu „erfinden“ und deren Kult zu propagieren. Die Verankerung in der mythischen Vergangenheit stärkte das Selbstwertgefühl gegen innen und betonte die Eigenständigkeit gegen außen. Waffengewandtheit und Führungsqualitäten im Krieg bildeten die ausschlaggebenden Voraussetzungen für einen Herrschaftsanspruch. Dies sind aber auch Eigenschaften, die einen Heros auszeichnen und die sich nach dessen Tod laut der herrschenden Ideologie automatisch auf die nachfolgenden Familienangehörigen übertrug, was Lynette Mitchell in den einprägsamen Worten zusammenfasst: „ruling was ... fundamentally heroic“ und „ruling was dynastic.“ Zwar dominierte in der Regel eine einzige Person die Familie, aber der Führungsanspruch konnte offenbar nicht nur der Älteste, sondern jedes befähigte Familienmitglied inklusive Frauen erheben.63 In einer ausführlichen philologischen Studie, basierend auf epigrafischen und literarischen Quellen, untersuchte Gunnel Ekroth die genaue Wortwahl für die unterschiedlichen Opferhandlungen bei den Griechen, hauptsächlich in spätarchaischer und klassischer Zeit mit Schwergewicht im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. Ekroth erschloss sich unter diesem Blickwinkel keine klare Trennlinie zwischen Göttern
61 Malkin 1993. 62 Leschhorn 1984, 98–105; Malkin 1987; Antonaccio 1999. 63 Mitchell 2013, 58, 65 f. 91.
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Griechische Heroen
und Heroen, und selbst die Gruppe der Heroen erwies sich als sehr heterogen, was sich im Laufe der Geschichte noch akzentuieren sollte, indem zum Beispiel alle Kriegsopfer oder sogar Athleten sprachlich unter diese Kategorie fallen konnten. Interessant unter einem soziologischen Gesichtspunkt sind wiederum die „historischen“ Heroen, die zu Lebzeiten eine außerordentliche Position in ihrer Gemeinde einnahmen – eine Stellung, die ihnen über den Tod hinaus zugebilligt wurde. Äußeres Zeichen für die Ausnahmestellung sind die vom Götterkult adaptierten Opferhandlungen am Grab und deren Begriffe, nämlich das Tieropfer (thysia) mit anschließendem gemeinsamem Mahl der Kultteilnehmer, die ihrerseits eine exklusive Gruppe von Adepten bildeten. Im Gegensatz zu den Göttern sind die Heroen zwar verstorbene Menschen, aber „ritually speaking, the heroes belonged with the gods“.64 Zugegebenermaßen lässt sich kaum ein Nagel finden, um den eingangs erwähnten Pudding an der Wand festzumachen. Unterdessen sind die Meinungen über Ursache und Wirkung des Heroenkults in der Forschung so weit von einander entfernt, dass man kaum noch von dem Heroenkult sprechen kann. Als gemeinsamer Nenner hat sich immerhin herausgestellt, dass der Heroenkult in verschiedenen Spielarten an Gräbern und in Heiligtümern stattfindet. Er kann Legitimation für Landbesitz sein oder Rechtfertigung für einen politischen Führungsanspruch. Ein archäologisches Thesengebäude steht erst auf sicherem Boden, wenn nicht nur die Grabungsbefunde im Detail, sondern auch die Chronologie gesichert ist, was Walter Burkert in einem herausfordernden Zitat zum Heroenkult treffend formuliert: „Wenn Begriff und Kultform erst relativ spät, gegen Ende des 8. Jhs. im Kraftfeld von adligem Totenkult, Polis-Anspruch und homerischem Epos fixiert worden sind, so schließt dies die Aufnahme sehr altertümlicher Traditionen in diesem Komplex nicht aus.“ 65
Heilige Gräber, heilige Häuser, heilige Stätten Brisant wird die Bemerkung des Altphilologen und Religionswissenschaftlers Burkert im Zusammenhang mit zwei Heroen, die in den Epen Homers vor Troja eine entscheidende Rolle spielten und die im Altertum an bekannten Kultplätzen verehrt wurden: Agamemnon und Menelaos. In diesem Falle drängt sich die Frage der Datierung auf. Begann der Kult an diesen Orten tatsächlich in homerischer Zeit? Oder gab es Vorläufer, an die sich dann der homerische Mythos anlehnte? Wie solide ist der archäologische Konnex mit den homerischen Heroen oder mit der homerischen Zeit?
64 Ekroth 2002, 335–341. 65 Burkert 1977, 314.
Heilige Gräber, heilige Häuser, heilige Stätten
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Das Agamemnoneion ist eine der kaum bekannten Grabungsstätten in der Argolis. Sie liegt etwa ein Kilometer südlich von Mykene, dem Palast des Agamemnon, und unmittelbar an der Stelle, wo der Prozessionsweg zum einst hochberühmten HeraHeiligtum von Argos die Schlucht des Chavos überquerte. Die Angaben zum Agamemnoneion beruhen auf Feldforschungen, die in Kampagnen von nur wenigen Tagen in den frühen Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts stattgefunden haben.66 Die angetroffenen Mauerzüge, Böden und Ziegelschichten ergaben keine klare Baugeschichte. Von besonderem Interesse ist eine mit Asche, Tierknochen und Keramik aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. gefüllte Grube, in deren Umkreis von mehreren Metern sich unregelmäßige Steinsetzungen mit auch älteren Votiven und „Kultresten“ ausbreiteten. Entscheidend für die Bedeutung des Platzes ist jedoch die Randscherbe eines Kraters mit dem eingeritzten Namenszug [Ag]amemno auf seiner gerade abgestrichenen Mündung. Aufgrund der Buchstabenform soll die Inschrift aus dem „4. Jh. oder frühhellenistisch“ sein,67 und wenn ihre Ergänzung stimmt, so verrät sie offenbar den Namen des Votivempfängers Agamemnon, des Anführers der Griechen vor Troja, der der Sage nach in Mykene residierte. Aufgrund der vorgefundenen Keramik setzte der Kult am Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr. ein und hinterließ während mindestens 200 Jahren deutliche Spuren. Zuerst dominieren unter den Weihegefäßen die Kratere fast vollständig; später erweitern Trinkgeschirre und Miniaturgefäße das Spektrum. Unter den handgemachten Terrakotten halten sich die Typen „sitzende Göttin“ und „Reiter/Pferd“ etwa die Waage. Vereinzelt gibt es Haustiere, aber auch Webgewichte sowie als einzige Waffe eine eiserne Lanzenspitze von ungewöhnlicher Länge. Bis in die hellenistische Zeit werden die Hinweise auf ein Kultgeschehen spärlicher, weshalb die schriftdatierte Agamemnon-Scherbe etwas irritiert. Gestempelte Ziegel aus dieser Periode zeichnen den Kultplatz jedoch als ein öffentliches Bauwerk aus. Eine kürzlich erfolgte Neuinterpretation der verwirrenden Baubefunde aus wasserbautechnischer Sicht führte zu neuen Überlegungen bezüglich des Standortes und der Organisation des Kultplatzes.68 Laut Jost Knauss hatte der Steg, über den der Prozessionsweg zum Heraion der Argiver führte, auch die Funktion einer Talsperre. War das Staubecken mit Wasser gefüllt, so lagen die Kultbauten des Agamemnoneions geschützt durch eine starke Stützmauer direkt über dem künstlichen See. Eine drei Meter breite Öffnung in der Mauer gewährte bei jedem Wasserstand den direkten Zugang zum Ufer. Der Einstieg über die Böschung hinunter war vermutlich überdacht, wie die an dieser Stelle zahlreich gefundenen Ziegel vermuten lassen. Aus dieser Sicht ließ sich mit etwas Fantasie einen Bogen schlagen zum gewalttätigen Ende des Agamemnon im Bade (Wasser!), als er mit einem Fischernetz (See!) gefesselt und dann erschlagen wurde. In Assoziation mit seinem Tod
66 Cook 1953; Boehringer 2001, 173–178. 200–203. 67 Boehringer 2001, 174. 68 Knauss 1997.
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Griechische Heroen
hätte der Standort am Wasser den idealen Anknüpfungspunkt für eine Agamemnon-Verehrung abgegeben. Allerdings stammt die Version der Ermordung des Agamemnon im Bade (beziehungsweise beim Baden) nicht aus der Illias, sondern von Aischylos (um 500 v. Chr.), was nicht in Übereinstimmung zu bringen wäre mit der Gründung des Kultes bereits im 8. Jahrhundert v. Chr. Da fast alle Argumentationen, die einen Agamemnon-Kult betreffen, schwächeln, liegt der Verdacht nahe, dass der Wunsch der Vater einer solchen Interpretation ist. „Dass das Agamemnoneion ein Agamemnoneion sei, wurde in der Forschung immer wieder in Frage gestellt. In der Tat ist die Identifizierung der Kultstätte wegen der Unvollständigkeit der Inschriften nicht restlos befriedigend. Nur wurde bisher keine bessere Lesung vorgeschlagen. Meistens wird ein vorhellenistischer Agamemnon-Kult bestritten. Ein Wechsel des Kultempfängers zu behaupten, ist freilich immer problematisch und die unwahrscheinlichere Argumentation.“ 69 Unbestritten ist die Identifizierung des Ortes als eine Stätte von Kulthandlungen, die im 8. Jahrhundert v. Chr. einsetzten. Die Keramikreste zeugen von Symposien und Libationen, die Terrakotten – und letztlich auch die Agamemnon-Inschrift – von eingelösten Voten. Das allfällige Grab eines Heros wurde nicht entdeckt, wobei allerdings die nur kurzzeitigen Ausgrabungen in Rechnung zu stellen sind. Die sterblichen Überreste des Agamemnon müssten sich laut Pausanias70 sowieso in den Schachtgräbern der Mykener Burg oder in den Kuppelgräbern davor befinden, was man jedoch nicht als eine historische Tatsache, sondern als die seinerzeitige Mutmaßung gelten lassen muss. Hinweise für einen vorhomerischen Kult gibt es somit keine. Ohne Homer und ohne Kenntnis der Scherbe mit Inschrift würde es schwerfallen, im Agamemnoneion ein Heroon von Agamemnon zu erkennen – und ganz ähnlich würde es uns mit dem Menelaion bei Sparta ergehen. Der Menelaion genannte langgestreckte Hügelzug liegt etwa zwei Kilometer südöstlich des heutigen Sparta und jenseits des Eurotas, wo sich dieser mit dem kleineren Flüsschen Magoula vereinigt. Die dort sichtbaren Ruinen zogen bereits im 19. Jahrhundert das Interesse auf sich. Ihre Abgleichung mit Ortsangaben, unter anderem bei Herodot und Pausanias71, nahmen Ludwig Ross, Heinrich Schliemann und Christos Tsountas zum Anlass, an dieser Stelle das in den antiken Quellen genannte Grab und Heiligtum des Menelaos und der Helena beziehungsweise deren Palast zu suchen. Also auch hier waren die Namen zweier bei Homer genannten Hauptakteure der Anlass für die Suche nach Heroen. Umfangreiche moderne Ausgrabungen fanden am Nordende des Hügelzuges statt, wo die British School of Archaeology at Athens zwischen den Jahren 1973
69 Boehringer 2001, 201. 70 Paus. 2, 16, 6. 71 Hdt. 6, 61; Paus. 3, 15, 3.
Heilige Gräber, heilige Häuser, heilige Stätten
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und 1985 eine bedeutende Siedlung aus der späten Bronzezeit vom 15. bis 12. Jahrhundert v. Chr. freilegte. Ein palastartiger Komplex mit großzügig konzipierten Räumen fiel um 1200 v. Chr. einem Großbrand zum Opfer und wurde nicht wieder aufgebaut.72 Das mit Menelaos und Helena in Verbindung gebrachte Bauwerk, das sogenannte Therápne, erhebt sich etwas südlicher, und zwar auf dem höchsten Punkt des leicht ansteigenden Höhenrückens. Hier fanden vor mehr als hundert Jahren, im Frühling 1909, dreiwöchige Ausgrabungen mit 20 bis 30 Hilfskräften statt.73 Die auch heute noch sichtbaren Ruinen stammen nach Ansicht der damaligen Ausgräber aus dem frühen 5. Jahrhundert v. Chr. Es sind die Überreste einer Plattform mit einem langrechteckigen Grundriss von 17 × 24 m. Eine seitliche Rampe erklomm die ursprünglich etwa 8 m hohe Terrasse, wo sich ein schlecht erhaltenes Bauwerk erhob, das die Ausgräber als Altar oder kleinen Tempel deuteten. Spuren von Vorgängerbauten, die aus bei Nachuntersuchungen entdeckten Architekturteilen rekonstruiert werden konnten,74 aber vor allem die geborgenen Funde weisen auf ältere Aktivitäten an dieser Stelle hin. Die eindrückliche Menge an Votiven setzte im 8. Jahrhundert v. Chr. ein, überdauerte mehrere Jahrhunderte, bis ihre Zahl dann im 4. Jahrhundert v. Chr. allmählich abnahm; die jüngsten Votive stammen aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. Sie lagen in schwarz verfärbten Erdschichten eingebettet. Unter den 300 Figurinen aus Terrakotta dominieren Reiterfiguren – genau genommen Reiterinnen –, die teils rittlings, teils seitlich auf ihrem Pferd sitzen. Weit zahlreicher sind die gegen 5 000 Bleifiguren. Unter diesen kommen am häufigsten Krieger mit Rundschilden und flatternden Helmbüschen vor sowie Frauenfiguren, zum Teil geflügelt, aber immer in prächtig verzierte Gewänder gehüllt. Daneben gibt es viele andere Motive zu beachten: Musikanten, Pferde, steigende Ziegen, Löwen, Sphingen, Miniaturspiegel. Schließlich sind kleine Kostbarkeiten und Schmuckstücke aus Bronze, Silber, Gold und Glas, Knochen, Elfenbein zu erwähnen. Die Darstellung von Kriegern sowie Reiterinnen und Flügelwesen verweisen auf den gesuchten Konnex zu Menelaos und Helena; Dedikationen an beide lieferten bei den Ausgrabungen 1975 die glückliche Bestätigung.75 Man kann sich gut vorstellen, dass in der Antike die noch besser erhaltenen bronzezeitlichen Ruinen am andern Ende des Hügelrückens für die Wohnstätten von Menelaos und Helena gehalten worden sind, was in nachhomerischer Zeit den Ausschlag für deren Verehrung an dieser Stelle gegeben haben könnte. Anhaltspunkte für die antike Deutung als Begräbnisplatz der beiden verbergen sich vielleicht in und unter dem heute noch sichtbaren Steinsockel aus dem 5. Jahrhundert v. Chr., der bei den Ausgrabungen von 1909 offenbar kaum angetastet worden ist.
72 73 74 75
Catling 2009. Wace et al.1909. Catling/Canavagh 1976; Catling 1977. Catling 1977, 36.
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Griechische Heroen
Wer weiß, ob sich darunter nicht ein Grabhügel verbirgt?76 Im Gegensatz zum Agamemnoneion von Mykene gelang beim Menelaion durch die glückliche Entdeckung der beschrifteten Votive in den Nachgrabungen die Verbindung mit den bei Homer genannten Heroen überzeugend. Im Falle von Eretria liegen die Dinge insofern anders, als keine historischen beziehungsweise mythologischen Überlieferungen bekannt sind, die den archäologischen Befund und dessen Deutung rechtfertigen müssten. Die Ausgrabungen, die zur Entdeckung des Heroons geführt haben, begannen 1965/66 und dehnten sich in den folgenden Jahren auf dessen unmittelbare Umgebung aus. Obschon auch hier die Auslegungen der Grabungsbefunde zu Widerspruch angeregt hatten, deren Diskussionen auch in die Publikationen des Ausgräbers Claude Bérard eingeflossen sind, ist der exklusive Begräbnisplatz mit langer Kulttradition in der Forschung eines der am häufigsten zitierten Beispiele für ein Heroon geblieben.77 Markant ist bereits die Lage auf einer Anhöhe über einem kleinen Wildbach, der seinen Lauf Richtung Meer nimmt und über den hinweg die wichtigste Ausfallstraße des antiken Eretria nach Westen führte. Genau an diesem strategischen Engpass mit der Furt entstand später das mächtige Westtor der Stadtbefestigung. Zum Zeitpunkt ihrer Anlage an dieser Stelle lagen die Gräber jedoch noch weit vom Siedlungskern entfernt und auch vornehm abgesetzt von den nahe am Meer gelegenen Nekropolen. Den Ausgangspunkt der Anlage bilden sechs Brandbestattungen mit exklusiven Beigaben, die zwar durchwegs auf dem Scheiterhaufen fast bis zur Unkenntlichkeit verbrannt waren (Abb. 4, 5–10). Bei allen ist der Leichenbrand in einem Bronzekessel deponiert, auch dies eine auffällige Exklusivität, da nirgendwo sonst in Griechenland so viele Bronzekessel als Urnen verwendet wurden. Für normale Verstorbene taten es auch Aschenurnen aus gebranntem Ton. Die Beisetzungen erfolgten etwa zwischen 720 und 680 v. Chr., ohne dass man eine zeitliche Reihenfolge festlegen konnte. Trotzdem glaubt der Ausgräber Claude Bérard, im Grab 6 den Nukleus und Ursprung der kleinen Nekropole sehen zu müssen (Abb. 5). In einer aus Bruchsteinen gefügten Kammer stand der rundbodige Bronzekessel, der mit einem zweiten Kessel abgedeckt war. Darum, also zwischen den Steinen und der Urne, lagen vier eiserne Griffzungenschwerter, alle stark verbrannt, verbogen, aufgerollt und in Stücke zerbrochen, sowie sechs Lanzenspitzen, deren Holzschäfte bereits auf dem Scheiterhaufen verbrannt sein müssen. Unter ihnen ein bronzenes Altstück, das man neben den Exemplaren aus Eisen eher als Vorzeigestück denn als Gebrauchswaffe bezeichnen muss und von dem sogar vermutet wurde, dass es
76 Siehe Catling 2009, Fig. 6a mit den das Monument umgebenden Höhenkurven. 77 Bérard 1970; Bérard 1978. – Neuerliche Vorlage der Gräber des Heroons: Blandin 2007/II, 35– 58.
Heilige Gräber, heilige Häuser, heilige Stätten
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Abb. 4: Eretria. Heroon, um 700 v. Chr. Gräber von Erwachsenen (schwarz) und Kindern (grau) mit dreieckigem Monument aus Steinplatten. Später hinzugekommen sind eine Grube (Bothros) mit Abraum von Opfern und ein kleiner Hallenbau (Oikos).
aus der Zone nördlich der Alpen stammt.78 In der Urne mit dem Leichenbrand vermischt fanden sich wiederum stark verbrannte Metallreste, darunter solche aus Gold, – aber auch ein Stempelsiegel aus grünem Serpentin in Skarabäusform, der nicht als Ring, sondern an einem Kettchen getragen wurde. Die vielen Waffen, vor allem die vier Schwerter, in ein und demselben Grab sind ungewöhnlich. Indem der Ausgräber sie als Beutegut einschätzt, sieht er im hier begrabenen Mann einen hervorragenden Krieger, den Ahnherrn der Sippe und eigentlichen Heros. Kaum weniger kostbar ausgestattet war Brandgrab 10, bei dem der Bronzekessel passgenau in einen massigen Steinblock versenkt und mit einem Bleideckel verschlossen war. Ohne Waffen, jedoch mit vielen Brandresten aus Gold und Silber, die vermutlich von Schmuck stammen, ist hier eine Frau begraben. Ihre Asche war in feine, farbige Textilien gehüllt. Daneben wirkten die vier übrigen Bestattun-
78 Blandin 2007/I, 115–117.
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Abb. 5: Eretria. Brandrab 6 eines erwachsenen Mannes, um 700 v. Chr. Die Urne besteht aus zwei Bronzekesseln; ungewöhnlich sind die Beigaben: vier Schwerter, sechs Lanzen und ein Stempelsiegel in Skarabäusform neben zur Unkenntlichkeit verbrannten Objekten aus Gold.
gen, wenngleich in Bronzeurnen und teilweise auch mit Eisenwaffen versehen, eher bescheiden. Wenig Beachtung fand die Grube 22, die im Ausgrabungsbericht nicht einmal als Grab eingeschätzt wurde, da sie offensichtlich gestört war. Auch sie enthielt ein Schwert und eine Lanzenspitze. Im Gegensatz zu den Erwachsenen wurden acht Kinder unversehrt der Erde übergeben (Abb. 4, 11–12. 14–19) . Brettersärge schützten ihre Körper vor der Berührung mit der bloßen Erde; kleine Male müssen die Grabstellen markiert haben, nur so ist deren Ausrichtung in zwei parallelen Reihen, ohne dass das eine Grab das andere überschnitt, zu erklären. Miniaturkeramik, improvisiert verkleinerter Erwachsenenschmuck und wohl auch Spielmarken aus Tonscherben in den Grabfüllungen sprechen für Kinder. Das jüngste wurde 6 bis 12 Monate alt, das älteste 12 bis 18 Jahre; das anthropologische Geschlecht ist bei keinem bekannt. Am reichsten ausgestattet war Grab 14 mit einem Diadem aus Goldblech, einem Collier aus 50 Glasperlen, zwei goldplattierten Bronzearmringen und einer goldenen Nadel. Der betriebene Aufwand und die Nähe zu den Erwachsenen machen eine verwandtschaftliche Beziehung sämtlicher hier begrabenen Personen höchstwahrscheinlich. Zum Teil neben und zum Teil auf den Brandgräbern der Erwachsenen und den Körpergräbern der Kinder entstand in den ersten Dezennien des 7. Jahrhunderts v. Chr. ein steinernes Monument mit einem Grundriss in der Form eines gleichschenkligen Dreiecks von 9,20 m Seitenlänge (Abb. 4). Schwere Bruchsteinplatten
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aus Kalkstein bildeten die unterste Schicht und die letzten Überreste eines Bauwerkes, von dem sich nicht sagen lässt, ob es sich um den Sockel eines hoch aufgehenden Denkmals, um eine niedrige Mauer oder bloß um eine Bodenmarkierung handelt. Für eine Funktion als Altar fehlen die Ascheschichten und Votive, die eigentlich vorhanden sein müssten. Aufschluss über die an den Gräbern stattgefundenen Riten brachten erst die Ausgrabungen im Jahre 1968, als man wenige Meter südlich des Dreieckmonumentes auf einen bothros, eine große Grube mit den Überresten von Opfermahlzeiten und Votiven, stieß (Abb. 4).79 Für eine sakrale Deutung des Abraums sprachen die dunkel verfärbten Schichten aus Asche und Holzkohle, in denen viele Tierknochen, vor allem Dutzende Schädel von Schafen, eingelagert waren. Typische Geschirrformen, Mischkrüge und Trinkbecher, zeugen von Banketten und Libationen, Tonlampen von nächtlichen Feiern, die unter freiem Himmel oder improvisierten Unterständen stattfanden; dazu kommen Tonstatuetten von Klagefrauen, Pferden und Reitern als Geschenke an die verehrten Heroen. Offenbar erreichte der Kult seinen Höhepunkt im Verlaufe des 7. Jahrhunderts v. Chr., als das ganze Areal eine Umgestaltung erfuhr. Stützmauern um und neben dem Dreieckmonument wurden erneuert, und vor allem entstand über dem nun versiegelten bothros ein oikos, ein Hallenbau mit Vorraum, in dem die Nachkommen der Heroen ihre Kultfeierlichkeiten abhalten konnten. Grundriss und Proportionen lassen eher ein kleines Heiligtum mit Kultstatue als ein bloßes Versammlungshaus vermuten. Zwei ausgeebnete Plätze vor der Halle und vor dem Dreieckmonument erleichterten das Zirkulieren der Festteilnehmer. Die Ausgrabungen der unmittelbar jüngeren Epochen sind nur noch kursorisch besprochen worden.80 Großzügige Gebäudefluchten, errichtet zwischen dem 7. und 5. Jahrhundert v. Chr., und ausgedehnte Palastbauten des 4. bis 2. Jahrhunderts v. Chr. schienen auf das ursprüngliche Heroon Bezug zu nehmen, worauf gewisse Mauerfluchten und die Ausrichtung einiger Räumlichkeiten hinweisen würden. Gedacht sind „Kulträume von verschiedenen Gruppen einer Adelsgesellschaft. Man wird hier Gelage zu Ehren der Ahnen abgehalten haben“. Und „die vornehmsten Säle bewahrten die Tradition des Kultes, der den Ahnen des Geschlechts gegolten haben wird“.81 Karl Schefold gelangte sogar zur Überzeugung, dass „hier mindestens zwei Familien, die sich auf die im Heroon verehrten Ahnen zurückgeführt haben werden“, wohnten.82 Diese Darstellung eines mehrhundertjährigen Heroenkultes mit Wohnsitznahme der Nachkommen am Ort selber tönten interessant; die archäologischen Fakten, die solchen Hypothesen standgehalten hätten, waren jedoch gering und haben sich bei späteren Untersuchungen der jüngeren Überbau-
79 80 81 82
Bérard 1969; Blandin 2007/I, 168 Anm. 1880. Auberson/Schefold 1972, 79–90. Auberson/Schefold 1972, 79. 87. Schefold 1968, 92.
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ungsphasen gänzlich verflüchtigt.83 Solch ein Idealfall griechischen Heroenkults scheint eher einem forschenden Wunschdenken entsprungen. Aus diesem Grunde beschränken sich sichere Schlussfolgerungen auf die vorgelegten Gräber am Dreieckmonument während der Anfangsphase des 8. und 7. Jahrhunderts v. Chr. Zu ihren Lebzeiten standen die hier so exklusiv Bestatteten vermutlich in enger verwandtschaftlicher Beziehung zueinander. Sie hatten am Aufschwung der Stadt im 8. Jahrhundert v. Chr. vielleicht entscheidenden Anteil. Dabei muss der Mann in Grab 6 mit der reichsten Ausstattung und den vielen Waffen nicht unbedingt die bedeutendste Persönlichkeit in der Ahnengalerie gewesen sein; für diese Rolle kommt jeder der fünf Waffenträger infrage. Der ursprüngliche Heros und Auslöser des Kultes könnte selbst der Mann sein, dessen Überreste in der gestörten Grabgrube 22 lagen, die immerhin exakt im Zentrum des Dreieckmonumentes liegt. Die starke Bewaffnung der Männer ist jedenfalls ein Hinweis darauf, dass „die Teilnehmer an den Bestattungsriten ebenso wie der Tote selbst Angehörige eines sicherlich gehobenen Standes sind, dessen Selbstverständnis sich durch das Waffentragen ausdrückt.“ 84 Von Bedeutung ist vielleicht auch der Ort des Heroons an der Ausfallstraße nach Chalkis, der ewigen Konkurrentin Eretrias. Eine Anziehungskraft übte wohl die topografische Überhöhung auf einem Hügel an einem Flussübergang aus. Mit etwas Fantasie könnte man sich den strategischen Punkt als einen der Kampfstätten in den kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Eretria und Chalkis ausmalen, bei denen es jedenfalls Gelegenheiten genug gab, sich mit Ruhm und Ehre zu bedecken.85 Eleusis ist bekannt als eine der wichtigsten Kultstätten Griechenlands, an der die alljährlichen Mysterienfeiern zu Ehren der Demeter stattfanden. Unmittelbar außerhalb der Temenosmauer des großen Heiligtums befindet sich ein Grabungsfeld, das in der Forschung unter dem Stichwort „Heiliges Haus“ bekannt geworden ist. Genau genommen handelt es sich um zwei durch eine Straße getrennte Areale, deren Geschichte jedoch durch einen Heroenkult miteinander verbunden scheint. Mehrere Ausgräber und Bearbeiter versuchten über Jahrzehnte hinweg die durch eine Folge von Ausgrabungen gewonnenen Einzelaspekte zusammenzufügen, die sich erst nach und nach zu einem Gesamtbild verdichtet haben. Da eine alle Details würdigende Gesamtbearbeitung fehlt, bleiben verschiedene Ungereimtheiten besonders in der zeitlichen Abfolge der Bauwerke und der Funktion einzelner Räumlichkeiten bestehen. Versucht man die groben Züge des Kultgeschehens dennoch zusammenzufassen, so entsteht ein interessantes Beispiel für einen Heroenkult, der sich über mehrere Jahrhunderte hinweg tradierte.86
83 Reber 1998, u. a. 19 f. 147. 84 Kilian-Dirlmeier 1993, 160. 85 Walker 2004, 164–167. 86 Übersichtliche Darstellungen einer bewegten Forschungsgeschichte liefern Mazarakis Ainian 1997, 150–153 und Fig. 163–180; Mazarakis Ainian 1999, 28–32; Boehringer 2001, 60–63.
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Abb. 6: Eleusis. Hügelgrab eines erwachsenen Mannes vor der Vorhalle eines Lehmbaues (8. Jahrhundert v. Chr.). Dazwischen die Ascheschichten von Brandopfern mit Keramik, kalzinierten Knochen und Muscheln. Sie bilden den Nukleus eines Heroons.
Das vermutlich älteste Element ist ein Megaron mit einer Vorhalle; seine Wände aus Lehmziegeln sind auf einem Fundament aus Stein hochgezogen (Abb. 6). Der genaue Grundriss des Hauses und seine Ausrichtung sind eine Frage der Interpretation. Die Bauzeit wird im 8. Jahrhundert veranschlagt. Das zweite und eigentlich wichtigste Element in der Ereigniskette gehört noch ans Ende desselben Jahrhunderts: die Bestattung eines etwa 30-jährigen Mannes. Das offenbar bei der Entdeckung noch gut erhaltene Skelett war genau auf den Eingang des Megarons ausgerichtet. Der Tote lag nicht in einem eingetieften Grabschacht, sondern war in gestreckter Rückenlage auf die Erde gebettet und von einzelnen Bruchsteinen eingefasst worden; der Schädel lehnte gegen eine flache Steinplatte. Über dem Toten wurde ein Grabhügel von 3 m Durchmesser aufgeworfen, dessen Höhe von mindestens einem Meter sich auch im aufgenommenen Schichtenprofil abzeichnet. Das völlige Fehlen von Beigaben wirkt zwar befremdend, diente jedoch dem Ausgräber als Argument für den hohen Status der hier
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bestatteten Person, vielleicht eines Hierophanten, eines Oberpriesters im Dienste der eleusinischen Demeter, der vor seinem Wohnhaus bestattet worden war. Mehrere Ascheschichten, die sich zwischen dem Tumulus und dem Megaron ausdehnten, stammen von Brandopfern. Sie enthalten nicht nur zerbrochene Tongefäße, kalzinierte Knochen und Muscheln, sondern auch verbrannte Lehmziegel vom Megaron selber, was zur Annahme bewog, dass das Gebäude entweder beim Errichten des Grabes oder unmittelbar danach niedergelegt worden war. Dies würde auch erklären, weshalb sein Mauerwerk nur noch in Teilen erhalten ist. Etwa zur gleichen Zeit, aber sicher auch noch später, erhob sich jenseits der Straße das sogenannte Heilige Haus. Es bestand eigentlich aus einer Flucht von mehreren Räumen, denen eine gedeckte Veranda vorgelagert war. Der größte Raum war eine rechteckige Halle von 20 m2; in drei kleineren Räumen bedeckte eine Schicht aus reiner Asche den Boden, die bis zu 10 cm dick war. Darin fanden sich Scherben von Amphoren, Pithoi, Schüsseln, Krügen und anderen, kleineren Gefäßen. Die größeren Behälter waren angeblich ebenfalls mit reiner Asche gefüllt; jedenfalls sind weder Tierknochen noch menschlicher Leichenbrand erwähnt. Die Ausgräber sahen vielmehr eine Verbindung zu den Ascheschichten am Hügelgrab im Zusammenhang mit Kultfeierlichkeiten, die sich zu beiden Seiten der Straße abgespielt hätten. In eine andere Richtung führten die Diskussionen um einen gemauerten Trog in einer der Raumecken, aus dem ein gedeckter Kanal ins Freie führte: Für die einen ein Bothros für Libationen, für andere eine gewerbliche Installation mit unterirdischem Abfluss. Die Idee einer profanen Nutzung – oder gelegentlichen Umnutzung – gewisser Räume des „Heiligen Hauses“ konnte nie ganz ausgeräumt werden. Als das „Heilige Haus“ am Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr. zerstört wurde, fand der Kult in Räumlichkeiten jenseits der Straße seine Fortsetzung. Über dem Grabhügel des Heros entstand (oder bestand schon früher) ein kleines Kultgebäude mit Vorbau. Es werden auch ein oder zwei Altäre vor oder in dem Gebäude erwähnt mit Kleinfunden: schwarzfigurige Keramik und weibliche Terrakotten in der gleichen Art wie im benachbarten Hauptheiligtum der Demeter. Auch ein Peribolos grenzte nun den Sakralplatz gegen außen ab. Zum Baudatum des Gebäudes samt Umfassungsmauer und zur Laufzeit des Kultes gibt es widersprüchliche Angaben, die sich im und um das 6. Jahrhundert v. Chr. bewegen. Den Schlusspunkt des Heroons von Eleusis bildet die Errichtung eines in Kalkstein gemauerten Tempels um 500 v. Chr. – diesmal wieder auf der andern Seite der Straße und über dem planierten „Heiligen Haus“. Dieser Bau lässt nun durch seine Architektur keine Zweifel mehr an einer sakralen Funktion aufkommen. Ob jedoch auch er noch immer in einem direkten Zusammenhang steht mit dem ursprünglichen Heroenkult am Grabhügel, ist Ansichtssache. Positiv gesehen dauerte der Heroenkult in Eleusis zwei- bis dreihundert Jahre. Schwierig nachzuvollziehen bleibt die Verkettung der bei den verschiedenen Grabungen entdeckten Bauwerke und Befunde zu beiden Seiten der Straße. Die Datie-
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rungen scheinen oft nicht auf den zutage geförderten Funden und Befunden zu beruhen, sondern eher einer Vorstellung der Interpreten geschuldet, wie sich ein Heroenkult zu entwickeln habe. Irritierend ist auch die sorgfältig gepflasterte Straße, die das Sakralgelände entzweischneidet und durchtrennt, was der Logik eines funktionalen Zusammenhanges auf den ersten Blick widerspricht. Die ursprüngliche Interpretation der Straße als ein streifig angelegter Hof wäre da einleuchtender gewesen, findet in der jüngeren Forschung aber offenbar keine Gnade mehr. Vielleicht spielt auch hier die Datierung den Ausgräbern einen Streich: Was zuerst eine Straße war, wurde später ein Hof – oder umgekehrt. Bemerkenswert bleibt die Kombination Grabtumulus mit Haus und Brandopfer, was jedenfalls für die kultische Verehrung einer verstorbenen Person spricht; für den Heroenkult typische Votive und Inschriften fehlen allerdings. Olympia ist von seinem Namen her das vielleicht berühmteste Beispiel, das anzuführen ist. Über die Ursprünge seiner Kultstätten existieren in der Forschungsgeschichte mehrere unterschiedliche Meinungen, die ihre Argumente hauptsächlich aus den Mythen schöpften. Im Mittelpunkt stand Pelops, auf den der Name der peloponnesischen Halbinsel zurückgeht. Als eine Art Ur-Herrscher Griechenlands und gesamtgriechischer Heros gilt er als der Stammvater der berühmtesten Herrschergeschlechter, denen so gewichtige Männer wie Agamemnon und Menelaos entsprossen sind. Vor Troja sei Pelops als Nothelfer aufgetreten: Als die Kämpfe ins Stocken gerieten, mussten die Griechen seine Gebeine herbeischaffen, um die Stadt zu Fall zu bringen.87 Gründliche Ausgrabungen in den Jahren 1987 bis 1994 lieferten neue Erkenntnisse für das Pelopion inmitten der Altis, des heiligen Bezirks der Wettkampfstätten, wo die Verehrung des Gründers der Olympischen Spiele stattfand.88 Da es sich um flächendeckende, tiefgehende Abtragungen des Geländes handelte, können zukünftige Untersuchungen und Neuinterpretationen aus archäologischer Sicht nur noch in geringem Maße erwartet werden. Die bedeutendste Struktur innerhalb der polygonalen Einfriedung des Pelopion in klassischer Zeit ist ein Tumulus von knapp 30 m Durchmesser, der die Bekrönung eines natürlichen, nach Süden abfallenden Hügelrückens darstellte und damit von Anfang an die Niederung am Zusammenfluss von Alpheios und Kladeos deutlich überragte. Er war von einem Steinkreis aus aufrecht stehenden Feldsteinen eingefasst, und seine Oberfläche bedeckten große Platten aus hellem Kalkstein, was ihm neben seinen Dimensionen eine zusätzliche Monumentalität verlieh. Laut Keramikfunden entstand der Hügel im Frühhelladikum (Frühe Bronzezeit) oder absolut datiert in der Zeit um 2500 v. Chr. Damit ist er nicht nur das älteste bis anhin bekannte Bauwerk von Olympia, sondern auch der älteste bronzezeitliche Großgrabhügel im helladischen Raum.
87 Paus. 5, 13, 4. 88 Rambach 2002.
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Bemerkenswert bleibt, dass auch bei den jüngsten Ausgrabungen keine Spuren einer Grablegung ausgemacht werden konnten. Ob die Anlage von Anfang an als Kenotaph gedacht war oder ob die Bestattung im Verlaufe von Umnutzungen und topografischen Veränderungen verloren gegangen ist, bleibt ein Rätsel. Als einiges jünger, nämlich in die Zeit um 2100 v. Chr. gehörend, erwiesen sich die schon aus früheren Grabungen bekannten Apsidenhäuser und Rechteckbauten, die sich zum Teil direkt an den Hügelfuß anlehnen. Auffällig ist ein Befund aus den neuen Ausgrabungen am Ostrand des Hügels. Eine rechteckige Steinsetzung von 70 × 50 cm wies in ihrer Längsachse genau auf die Hügelmitte zu und war mittels einer niedrigen Stufe vom davorliegenden Gehhorizont abgesetzt. Genau an dieser Stelle lag ein Miniaturflachbeil aus Bronze, und in etwa einem Meter Entfernung breitete sich eine starke Ascheschicht aus. Darin vermengt und in unmittelbarer Nachbarschaft fanden sich zahlreiche Keramikfragmente. Dass sich darunter gleich acht in situ zerbrochene und vollständig zusammensetzbare Gefäße, darunter ein Räuchergefäß, befanden, war innerhalb der Gesamtgrabung äußert ungewöhnlich. Ihre Verwendung im Kult ist sehr wahrscheinlich. Ein im unmittelbaren Vorfeld eruierter Bau IV samt Wasserfassung sowie der altarähnliche Ascheplatz mit dem Bronzebeil und die ganz erhaltenen Spendegefäße könnten laut Jörg Rambach Zeugnis ablegen für einen Kultplatz am Fuße des monumentalen Hügels oder gar für ein erstes „Heiligtum“ in Olympia in der Zeit um 2100 v. Chr.89 Mit ziemlicher Sicherheit in die gleiche Phase gehören mehrere Kinderbestattungen in Pithoi, die in den Hügel oder in dessen nächster Umgebung eingebracht worden waren. Um einiges jünger ist die sogenannte schwarze Schicht, die an mehreren Stellen in der Altis und auch bei den neuen Grabungen immer wieder angetroffen wurde.90 Sie besteht aus asche- und kohlehaltiger Erde, vermengt mit zahlreichen Votiven aus Ton und Bronze sowie Keramik, darunter ungewöhnlich große, hochstielige Kelchgefäße, wie sie im Kult Verwendung fanden. Dieser „Votivschutt“ wurde im fortgeschrittenen 7. Jahrhundert v. Chr. über eine große Fläche hinweg verteilt, da die sakral konnotierten Überreste der Opfertiere und die Votivstatuetten die Altis nicht verlassen durften. Die Knochen waren gewaltsam zu kleinteiligem „Schotter“ zertrümmert worden, was Kyrieleis zu einem Vergleich mit dem „Knochenklein“ veranlasste, wie er von spätbronze- und früheisenzeitlichen Brandopferplätzen in den Alpen her bekannt ist.91 Auch die Bronzen sind in Olympia durchweg rituell beschädigt und zertrümmert. Besonders massiv traten Ascheschicht und Votive am nördlichen Rande des Pelops-Hügels zutage, weshalb man an dieser Stelle einen Altar vermutet, von dem sich nur noch spärliche Steinfundamente erhalten haben. Da die ältesten Keramikfunde genau an dieser Stelle bereits in die frühe Eisenzeit, das heißt ins 11. Jahrhundert v. Chr. datieren und die Opferhandlungen
89 Rambach 2002, 198. 90 Kyrieleis 2006, bes. 27–55. 91 Kyrieleis 2006, 44.
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Abb. 7: Olympia, Pelopion. Der monumentale Hügel galt in der Antike als das Grab des Gründerheros Pelops. Ascheschichten und „Votivschutt“ zeugen von lange dauernden Opfern am Ort.
dann kontinuierlich und intensiv weiterlaufen, können diese Gaben laut Helmut Kyrieleis nur dem Hauptkult von Olympia, nämlich dem Kult des Zeus, gegolten haben. Dieser wurde dann um 600 v. Chr. bei einer Umorganisation des Heiligtums vom Tumulus zum großen Aschealter hin verlegt, von dem heute zwar nichts mehr zu sehen ist, der jedoch von Pausanias lokalisiert und ausführlich beschrieben worden ist. Frühestens nach dieser Neuordnung der Altis hätte die Verehrung des Pelops, dessen erste namentliche Erwähnung aus dem Jahre 476 v. Chr. stammt,92 am damals noch immer sichtbaren frühbronzezeitlichen Tumulus eingesetzt (Abb. 7). Da die in klassischer Zeit eingerichtete polygonale Umfassungsmauer des Pelopion direkten Bezug nimmt auf den Tumulus, ist davon auszugehen, dass dieser „zweifellos als das Pelops-Grab angesehen worden ist, als der Kult dieses Heros hier eingerichtet wurde.“ 93 Die kultische Verehrung Pelpos’ kann als eine einheitsbildende Maßnahme gedeutet werden, wozu sich die alle griechischen Stämme verbindende Heroengestalt besonders angeboten haben muss. Zur Zeit des Pausanias (im 2. Jahrhundert n. Chr.) war „das Monument von einer steinernen Mauer umge-
92 Pindar, Ol. 1, 95. 93 Kyrieleis 2002, 218.
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ben. Sein Inneres ist mit Bäumen bewachsen und mit Statuen bestückt. Der Eingang in den Bezirk liegt im Westen“.94 Welcher Altar und welche Votive zu welchem Zeitpunkt für wen bestimmt waren, ist im Einzelnen schwer abzuschätzen, denn insgesamt zeichnet sich eine Art „Konkurrenzkampf“ (beziehungsweise ein enges Zusammengehen) zwischen einem Heros und einem Gott ab, der je nach Blickwinkel oder Tendenz bereits von den antiken Autoren entweder zugunsten des Pelops oder des Zeus entschieden wurde.95 Zwar machen die Ausführungen der Ausgräber Helmut Kyrieleis und Jörg Rambach nicht deutlich, wem die frühbronzezeitlichen Anfänge des Kultes gegolten haben. Der Grabhügel aus der Zeit um 2500 v. Chr. mit den Spuren ritueller Handlungen spricht allerdings für einen verehrten Ahnen, der vielleicht schon damals, sicher aber später den Namen Pelops trug. Zusammenfassend kann man festhalten: In Olympia setzten an einem monumentalen Grabhügel aus der Frühen Bronzezeit (um 2500 v. Chr.) bald einmal kultische Handlungen ein – spätestens um 2100 v. Chr. Spätere umfangreiche Opfergaben (aus ihrem Abraum entsteht die „schwarze Schicht“) galten hypothetisch dem Zeus, und als um 600 v. Chr. der große Zeus- oder Aschealtar errichtet wurde, fiel das altehrwürdige Grabmonument definitiv dem Heroskult für Pelops zu, dem dann in klassischer Zeit, im 4. Jahrhundert v. Chr., mit dem Pelopion ein architektonisches Denkmal in Stein geschaffen worden ist. Würden wir nicht Namen und mythische Herkunft von Pelops kennen und wüssten wir nicht um den Göttervater Zeus, so müssten wir den archäologischen Befund von Olympia folgendermaßen deuten: Am Fuße eines monumentalen Grabes in exponierter topografischer Lage fanden an einem Altar Tieropfer und Niederlegungen von Votiven aus Terrakotta und Bronze statt, denen eine Ahnenverehrung zugrunde liegt. Mit Unterbrechungen reichte der Kult von der Frühen Bronzezeit bis in die Römische Epoche. Bei Lefkandi auf Euböa gelang eine der spektakulärsten Entdeckungen des sogenannten „Dunklen Zeitalters“ der griechischen Vorgeschichte. Allerdings scheiden sich in der Wissenschaft die Geister, ob die bei den Ausgrabungen zutage getretenen Strukturen tatsächlich genügen, um von einem Heroenkult zu sprechen. Für die einen weisen Grab und Monumentalarchitektur auf ein Heroon, für die andern fehlen die Anzeichen eines länger dauernden Kultes am Grab selber, die per definitionem zu einem Heroenkult gehören müssten.96 Auch sind in manchen Bereichen die beobachteten Grabungsergebnisse nicht eindeutig zu interpretieren, was mindestens zum Teil damit zusammenhängt, dass mutwillige Planierungen mit dem Bulldozer zu Beginn der Grabungen beträchtliche Zerstörungen verursacht haben.
94 Paus. 5, 13, 1–2. 95 Sinn 2004, 67–72. 96 Popham et al. 1982; Mazarakis Ainian 1999, 27.
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Zudem fehlen bis heute wesentliche Teile des Grabungsberichtes. Ein weiteres Hemmnis allgemeiner Art sind die Datierungen, die – auf der Keramiktypologie beruhend – bestenfalls auf ein halbes Jahrhundert genau sein können, wodurch die exakte Reihenfolge einzelner Ereignisse immer diskutierbar bleiben wird, was im Falle von Lefkandi von Bedeutung ist. Das heutige Lefkandi, vermutlich mit dem antiken Namen Lelanton, liegt zwischen Chalkis und Eretria an der Südküste von Euböa. Langjährige Ausgrabungen der British School of Archaeology at Athens haben auf dem Gemeindegebiet eine bedeutende Siedlung und mindestens fünf separate Gräberfelder zutage gefördert. Der spektakulärste, nun zur Diskussion stehende Platz ist allerdings die Örtlichkeit „Toumba“, ein prominenter Hügelrücken mit Weitsicht auf das Meer und die fruchtbare Ebene landseits. Auf dessen höchstem Punkt stand das besagte „Heroon“. Von primärer Bedeutung sind ein Haus, drei Gräber und eine Hügelaufschüttung.97 Das langrechteckige Gebäude mit einem absidialen Abschluss weist mit einer Länge von knapp 50 m und einer Breite von 13,8 m Dimensionen auf, die weit über das sonst Übliche in dieser Zeit hinausgehen (Abb. 8). Seine Wände bestehen aus einem Steinsockel, der zum Teil bis auf eine Höhe von 1,30 m erhalten war, und einer aufgehenden Wand aus getrockneten Lehmziegeln, abgestemmt auf der Innenseite durch die das Dach stützenden Holzpfosten. Der Firstbalken des Satteldaches wurde von einer Reihe mächtiger Mittelpfosten getragen. Die rekonstruierte Höhe würde genügend Raum für eine Dachkammer bieten, die über eine Treppe betreten werden konnte, von der sich Reste erhalten haben. Das weit vorspringende Dach war außen durch Pfosten abgestützt und bot auf diese Weise den Außenwänden entlang genügend Platz für eine geräumige „Ringhalle“. Dem Haupteingang ist eine 2,4 m breite Vorhalle vorgelagert, von der aus man bis zur gegenüberliegenden Apsis in fast 50 m Entfernung mehrere unterschiedlich große Raumeinheiten durchschreitet. Als Erstes betritt man durch eine weite Toröffnung einen quadratischen Raum von knapp 9 m Seitenlänge. Er war wohl durch eine Holzkonstruktion unterteilt, die Spuren im Boden hinterlassen hat; Brandplätze, Steinsockel und gemauerte Tröge in den Ecken lassen unterschiedliche Deutungen sakraler oder profaner Art zu. Es folgt der Hauptraum mit einer Länge von nicht weniger als 22 m, dessen archäologische Strukturen durch den Bulldozer jedoch weitgehend zerstört waren. Beidseits eines weiterführenden Mittelganges lagen zwei gleich große Kammern, gedeutet als Schlaf- oder Vorratsräume. Schließlich folgte die Apsis, wo ein Dutzend Gruben fundleer waren, die ursprünglich aber vielleicht große tönerne Vorratsgefäße aufnahmen. Nicht weniger spektakulär als das Gebäude waren Gräber, die im Hauptraum erst gegen Ende der Ausgrabungen zum Vorschein kamen. Der Schacht war 2,60 m
97 Popham/Sackett 1980; Blome 1991; Coulton/Catling 1993; Mazarakis Ainian 1997, 48–57; Antonaccio 2002 (mit Verweis auf den Magdalenenberg); Lemos 2010.
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Abb. 8: Lefkandi. Das Heroon besteht aus einem fast 50 m langen Absidialbau. In dessen Mitte liegen die außerordentlich reich ausgestatteten Schachtgräber einer Frau und eines Mannes. Darüber wurde um 950 v. Chr. ein Grabhügel aufgeschüttet.
tief in den anstehenden Felsen abgesenkt und bestand aus zwei Kammern. In einer lag eine 25- bis 30-jährige Frau mit einem ungewöhnlich reichen Goldschmuck für Kopf, Hals, Brust und Finger. Darunter ein goldener Halsschmuck vermutlich aus Syrien, eine angeblich sechshundert (sic!) Jahre alte Antiquität,98 die die Verstorbene zur eigenen Prestigesteigerung in Anspruch nahm, ein in der vorgeschichtlichen Archäologie höchst ungewöhnlicher Befund. Neben dem Skelett, in einer separaten Kammer, stand eine bronzene Amphore. Auch sie eine Antiquität aus dem 13. oder 12. Jahrhundert v. Chr., vermutlich aus Zypern. Sie barg den Leichenbrand eines 30- bis 45-jährigen Mannes, aber auch mehrere Textilien aus Wolle und Leinen, prächtig verziert und in einem unglaublich guten Erhaltungszustand, sodass bei ihrer Entdeckung einzelne Stoffbänder mit ihrem Dekor noch in Gelb, Braun und Rot aufschimmerten. Neben der Urne lagen ein eisernes Schwert in seiner Holzscheide, eine Lanzenspitze, ein Rasier-
98 Popham 1994, 15. – Mit differenzierteren Angaben bei Lemos 2010, 60.
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messer (oder Messer) und ein Wetzstein. Man möchte den Kriegsherrn und seine Begleiterin als Ehepaar ansehen; wer wem wann und unter welchen Umständen in den Tod folgte, bleibt dahingestellt. In einem zweiten Schacht, ebenfalls in den Fels abgetieft, lagen die Überreste von vier Pferden, also eine Quadriga. Zwei von ihnen hatten noch die eiserne Trense im Maul. Das Gebäude kann nicht sehr lange bestanden haben, bevor es systematisch niedergelegt und die Ruine mit Erdschutt, Steinen und Lehmziegeln aufgefüllt worden ist, wobei offenbar mit einigem Aufwand zu Werke gegangen wurde. Weiteres Material von geschätzten 4 000 bis 5 000 Tonnen wurde herbeigeschleppt und zu einem 4 m hohen Tumulus aufgeworfen, der einen ungefähr ovalen Grundriss von 25 × 50 m besaß. Man darf ihn als Grabmonument zu den Kammergräbern ansehen. Alle die geschilderten Ereignisse fanden archäologisch gesehen zur gleichen Zeit statt, nämlich zwischen 1000 und 950 v. Chr., da sie nach den vorhandenen Methoden im Einzelnen nicht exakter datiert werden können. Das bedeutet, dass aus historischer Sicht das eine Ereignis bis zu zwei oder sogar drei Generationen älter sein kann als das andere. Da wir nicht wissen, zu welcher Phase die beiden Prunkgräber gehören, bleibt auch ungewiss, ob das stattliche Haus ein „Tempel“, der vom Paar einst bewohnte „Palast“ oder ihr „Heroon“ war, eventuell seine Funktion sogar gewechselt hat. Die Diskussion in der Forschung hält an. Zwar fehlen die für ein Heroon geforderten Votive und Brandschichten von anhaltenden Kultopfern. Ein positives Argument liefert der enorme Aufwand, der von einer größeren Gemeinschaft abverlangt wurde, um den monumentalen Hügel aufzuwerfen. Bei einer Beweisführung für „Kult“ mussten auch drei Pfostenlöcher herhalten, welche die Ausgräber vor der Vorhalle festgestellt haben. Sie haben diese als Standbeine eines mächtigen Dreifußes gedeutet, der den Weg zum Eingang des Sakralbaus wies.99 Der Kessel hätte nach ihrer Berechnung einen Durchmesser von gegen 1,20 m haben müssen: eine allerdings ziemlich kühne Interpretationskette, ausgehend von lediglich drei Bodenverfärbungen. Ein zweiter Pluspunkt, der für ein Heroon sprechen könnte, bezieht sich auf das Gräberfeld, das sich unmittelbar vor dem Portal des Langhauses ausdehnte (Abb. 9).100 Die ältesten Bestattungen sind „gleich alt“ wie das Haus und seine Prunkgräber; in ihrer halbrunden Anordnung nehmen sie jedoch Bezug auf den zuletzt aufgeworfenen Hügel und bilden deshalb den letzten Akt der Geschehnisse auf der „Toumba“. Ihre zum Teil ähnlich prächtigen Ausstattungen umfassen Importe, die auf Verbindungen wiederum nach Zypern, Phönizien und sogar nach Ägypten verweisen; bei einigen handelt es sich auch hier um „Antiquitäten“
99 Popham/Sackett 1980, 214; Mazarakis Ainian 1997, 50. 100 Popham/Lemos 1996.
Abb. 9: Lefkandi. Die nicht weniger reich ausgestatteten Folgegräber aus dem 10./9. Jahrhundert v. Chr. scharen sich in einem Bogen um den Hügelfuß des Heroons.
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Herakles, Alexander – und der bibliophile Celsus
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verblüffenden Alters. Besonders beliebt bei prominenten Frauen waren Fayenceperlen, die zu Tausenden in den Gräbern lagen. Es drängt sich die Vermutung auf, dass hier die Nachkommenschaft des „royal couple“ begraben ist, die in einer Frühphase der griechischen Kolonisierung weitverzweigte Kontakte in der Ägäis und im Nahen Osten pflegte. Die Belegung des Gräberfeldes dauerte mindestens 150 Jahre, um dann am Ende des 9. Jahrhunderts v. Chr. abzubrechen. Der Grund des Endes ist unbekannt; spätestens dann muss den Akteuren der Sinnbezug zwischen Grabhügel und Gräberfeld abhandengekommen sein. Jedoch geht die Besiedlung auf dem benachbarten Hügelrücken Xeropolis offenbar weiter. Die großartigen Entdeckungen von Lefkandi sind in jeder Hinsicht einzigartig, da sie mehr als nur ein archäologisches Phänomen um 200 Jahre antizipieren. Sie geben erste Hinweise „auf die Herausbildung einer privilegierten Schicht und deren Demonstration von Macht und Reichtum in protogeometrischer Zeit“.101 Das herausragende Bauwerk, die reichen Grabbeigaben und das Grabmonument lassen den Schluss zu, dass der Verstorbene das Oberhaupt, der König (basileus), der hier ansässigen Elite war. In dieser Funktion war der Herrschaftsanspruch noch wenig gesichert, weshalb man kaum fehlgeht in der Annahme, dass auch ein Bedürfnis für dessen Erhaltung über die Generationenfolge hinweg entsteht. Dazu müssen die nötigen Strategien entwickelt werden. Hinweise auf einen Heroenkult beziehungsweise einen gesteigerten Ahnenkult sind in Lefkandi um 1000 v. Chr. vorhanden, wenn auch nicht in der von der archäologischen Forschung kanonisierten Form, dafür in ziemlicher Übereinstimmung mit den Bestattungen der Heroen vor Troja102 – jedenfalls vor dem Zeitalter der homerischen Epen, wie wir das bereits in Olympia mit aller Deutlichkeit festgestellt haben. Zwar standen die im Gräberfeld bestatteten Personen dem „royal couple“ in Bezug auf ihre soziale Stellung kaum nach, dennoch wählten sie ihre eigene Grablege aus Respekt gegenüber ihren Altvorderen im Schatten des monumentalen Grabhügels.
Herakles, Alexander – und der bibliophile Celsus Zuerst haben wir griechische Heroen aus den homerischen Epen kennengelernt, die vor den Mauern Trojas eines heldenhaften Todes gestorben und mit großer Prachtentfaltung begraben worden sind, wodurch sie ewigen Ruhm erlangten. Anhand der dort detailliert geschilderten Begräbnisfeierlichkeiten versuchte die Archäologie in aufwendigen Grabbauten, an denen während langer Zeit Kulthandlungen stattfanden, Personen zu identifizieren, die in der Geschichte die Rolle von
101 Kilian-Dirlmeier 1993, 171. 102 Blome 1991, 48 f.
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solchen Heroen realiter gespielt haben könnten, ohne dass man ihre Namen und Taten kennt. Schließlich gibt es den griechischen Heros im Mythos, bei welchem idealtypisches Handeln ganz im Vordergrund steht. Unter einer glänzenden Schar ist Herakles der Heros par excellence, der sogar die Auszeichnung eines Heroen-Gottes trägt.103 Die Voraussetzung zu seiner Stellung als Halbgott ist insofern gegeben, als er bei einer Begegnung von Zeus und Alkmene, der Gattin des thebanischen Königs Amphitryon, gezeugt worden ist. Andere Heroen wie zum Beispiel Pelops oder Ilos sind die Nachkommen von Menschen väterlicher- wie mütterlicherseits. Schon Pelops trat vor Troja für die Griechen als Nothelfer auf. Von Herakles „erzählt man“, dass Seher vorausgesagt hätten, Troja werde nicht fallen, solange nicht der (offenbar noch irgendwo vorhandene) Bogen des Herakles herbeigeschafft werde.104 Erst recht in der Tradition des helfenden Halbgottes, der zuerst als Mensch gelebt hat, bevor ihm göttliche Ehren zuteilwurden, steht der heilkundige Asklepios. Als ein Sohn des Apollon ist auch er von göttlicher Abkunft. Berühmt war Herakles bei Griechen und Römern durch seine zwölf Aufgaben, die ihm das Orakel von Delphi auferlegt hatte. Es sind zwölf übermenschliche Großtaten, bei denen jeder Normalsterbliche versagt hätte. Das Außergewöhnliche kündigte sich bereits an, als der Säugling in der Wiege die von Hera gesandten Schlangen erwürgte. Als Jugendlicher erbeutete Herakles das Fell des nemeischen Löwen, das ihn, wenn er es sich überstreifte, unverwundbar machte. Somit bestens gewappnet trat er zu seinen Heldentaten an. Er überlebte Kämpfe gegen die siebenköpfige Wasserschlange Hydra, den riesigen erymanthischen Eber, menschenfressende Vögel und Rosse und gegen den kretischen Stier. Er besiegte die Amazonenkönigin Hippolyte am Schwarzen Meer sowie ein menschliches Ungeheuer mit drei Köpfen, drei Leibern und sechs Armen in Iberien, wo er gerade noch die Meerenge von Gibraltar vor dem Einsturz bewahrte. Mit Intelligenz bewährte er sich als prosaischer Ausmister des Augiasstalles, indem er zwei Flüsse umleitete. Bei seinen Abenteuern durchschritt er schließlich die Unterwelt und stieß bis an den Rand der Erde vor. Zum Schluss starb er den tragischen Tod eines Sterblichen, indem er sich auf einem Scheiterhaufen selber verbrannte. Als Unsterblicher stieg er in den Olymp auf, wo er Hebe, die Tochter des Zeus und der Hera, zur Geliebten erhielt. Neben den klassischen zwölf Aufgaben ist eine schier unüberblickbare Vielzahl von weiteren Sagen, Märchen und Mythen aus der Antike überliefert, die zu einem dichten Legendenteppich verwoben sind. Als Hercle erfuhr Herakles bei den Etruskern kultische Verehrung und als Hercules bei den Römern. Zwar wird Herakles schon in der Ilias erwähnt, aber im Griechischen stammen die ältesten Biografien und Sagenteile erst aus der Zeit um 600 v. Chr.; bildliche Darstellungen gibt es offenbar schon früher. Ihrer Vielfalt und weiten Verbreitung liegt wohl eine gewisse
103 Farnell 1970, 95; Stafford 2012. 104 Paus. 5, 13, 4.
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Allgemeingültigkeit dieses Heroenbildes überhaupt zugrunde, dessen Ursprünge nach Walter Burkert weit tiefer in die Zeit zurückreichen und weit breiter im geografischen Raum angelegt sind, als dies antike Zeugnisse vermuten lassen.105 Stellen doch der Viehraub und das Töten von Tieren eine wesentliche Rolle in der indoeuropäischen Geisteswelt dar. Schlauheit, Mut und Gewandtheit einerseits sowie athletische Körperkraft und Ausdauer andererseits vereinigen sich in Herakles zu einem idealen Mannsbild, das aus allen Lebenssituationen als Sieger hervorgeht. Eine logische Folge davon ist seine hohe Wertschätzung bei Kriegern. Herakles betätigt sich aber auch als „Unheilabwehrer“ und Stadtgründer; gegen zwei Dutzend Orte sind nach ihm benannt. In lokalen Mythen erscheint er als Begründer von königlichen Genealogien, ist also Ahnherr von generationenübergreifenden sozialen Eliten, zum Beispiel in Sparta und Makedonien. Römische Feldherren und Kaiser sahen sich gerne in der Figur des Herakles verkörpert. An vielen Orten verehrt, liegt eines seiner bedeutendsten Heiligtümer auf Thasos, wo in speziellen Banketträumen die Festmähler zum Verspeisen der Opfertiere abgehalten wurden. Bemerkenswert ist allerdings, dass sich keine Polis als im Besitze seines Grabes ausgab. Im Gegensatz zu Herakles ist Alexander der Große ein historischer Heros. Mag er auch nicht ein Heros im klassischen Sinne der oben erwähnten Umschreibung sein, so hat die Geschichte und auch die Forschungsgeschichte aus ihm doch einen solchen gemacht: Die Fachliteratur ist riesig, wirkt auf den Forscher „schlicht deprimierend“.106 Bereits im Altertum beschäftigten sich mehr als fünfzig Historiker mit Alexanders Leben, bis heute geht die unüberschaubare Menge an Biografien und Traktaten in die Tausende, was alleine schon etwas aussagt über die Wirkungsmacht der Person. Hier nun sollen bloß ein paar für unser Thema relevante Szenen aus dem kurzen Heldenleben des Königs von Makedonien herausgegriffen werden. Seine Historizität ist gesichert: Alexander kam im Juni 356 v. Chr. zur Welt, und er starb am 10. Juni 323 v. Chr. mit knapp 33 Jahren in Babylon als König von Makedonien, Pharao von Ägypten und persischer Großkönig. Der Legende nach stammte er väterlicher- wie mütterlicherseits von Heroen im eigentlichen Sinne ab. Die Könige von Makedonien führten sich auf keinen Geringeren als Herakles zurück, dessen Porträt mit dem Löwenkopfhelm die von ihnen ausgegebenen Münzen ziert.107 Alexanders Mutter Olympias hingegen zählte Achilles zu ihren Urahnen, was sich in der Homerbegeisterung und dem persönlichen Trojabesuch Alexanders offenbarte. Die Stammbäume beider, von Herakles wie von Achilles, haben ihre Wurzeln in Zeus.
105 Burkert 1979, 78–98. 106 Demandt 2009, X; Malitz 2007; Hammond 2001; Ogden 2011; Worthington 2012. 107 Dahmen 2009.
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Die makedonische Monarchie war wenig institutionalisiert, sondern stark auf die Person des Herrschers bezogen. Die Bindung zwischen seinem Vater Philipp und dessen Gefolgsleuten und Heerführern beruhte auf persönlicher Autorität und wurde gefestigt durch großzügig ausgegebene Symposien bei reichlichem Weingenuss und risikoreichen Jagden mit dem Löwen als ehrgeizigstem Beutetier. Auf diese Weise stand der Hof in einem ständigen, kämpferischen Wettbewerb um die Gunst des Herrschers.108 Bereits als Jüngling eröffnete Alexander seine unerhörten Kriegszüge. Sie führten ihn erst einmal in seine nördliche und südliche Nachbarschaft nach Thrakien und Griechenland, dann gegen eine persische Übermacht durch Kleinasien, rund ums östliche Mittelmeer herum bis nach Ägypten, wo er im Frühjahr 331 v. Chr. die erste von vielen weiteren nach ihm benannten Städten, Alexandria, gründete. Vermutlich kurze Zeit später traf er in der Oasenstadt Siwa am Tempel des ZeusAmmon ein, wo ihn die Priester als Sohn des Zeus begrüßten, was ihm nach der offiziellen Titulatur als Pharao, der er unterdessen war, auch zustand. Das Orakel soll ihm beschieden haben, dass er die Weltherrschaft erlangen und selber ein Gott werden würde. Was nun folgte, war die militärhistorisch einmalige Großtat, nämlich der unglaubliche Zug durch das Achämenidenreich bis nach Baktrien, anschließend weiter über den Indus hinaus und dann zurück nach Babylon: innerhalb von sieben Jahren eine Distanz von grob gerechnet 25 000 km! Seine Überzeugungskraft und sein Charisma schweißten zehntausende Soldaten an seine Seite, er selber überlebte mehrere schwere Verwundungen. Seine Vision erschuf eine neue Denkwelt, seine grausame Durchsetzungskraft im entscheidenden Moment war gefürchtet. Alexanders reale, übermenschliche Fähigkeiten hoben ihn leicht an die Seite der idealisierten Heroen in den Epen. Verschiedene griechische Städte, die er vom persischen Joch befreite, verdankten es ihm mit göttlichen Ehrbezeugungen. Doch Alexander zahlte mit einem kurzen Leben; er starb vermutlich an Erschöpfung und geschwächt durch Alkoholexzesse, was seinen Ruhm jedoch nur noch beförderte: „Wen die Götter lieben, der stirbt jung“ war in der Antike ein geflügeltes Wort.109 Da die Nachfolge nicht geregelt war, begannen die Streitigkeiten um die Ordnung des Erbes sofort. Keiner seiner Generäle besaß die Legitimation der Nachfolge, alle waren ungefähr gleich unberechtigt, aber auch gleich stark. Daraus entwickelte sich ein bizarres Diadochengezänk um den Leichnam Alexanders, der im Verständnis der Zeit jedoch durchaus Sinn machte: Mit dem Besitz des Leichnams beziehungsweise des Grabes wäre auch die Nachfolgelegitimation geklärt gewesen. Verschiedene Quellen berichten über den Streit, der sich während Jahren hinzog.110
108 Sawada 2012. 109 Plutarch mor. 2, „Trostrede an Apollonius“ 34, nach Menander. 110 Rader 2011, 39–53.
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Abb. 10: Rekonstruktion des prunkvollen Leichenwagens, mit dem der Leichnam Alexanders von Babylon nach Ägypten transportiert wurde. Sein Bau dauerte zwei Jahre; er wurde von 64 Maultieren gezogen.
Zum Tumult kam es bereits an der Bahre des Toten, bevor dann beschlossen wurde, den Leichnam in die Oase Siwa in Ägypten zu überführen, wie es sich Alexander gewünscht hatte. Die Vorbereitungen und der Bau des von 64 Maultieren gezogenen Prunkleichenwagens soll alleine zwei Jahre gedauert haben (Abb. 10). Durch ein Ränkespiel geriet der Prozessionszug aber auf Abwege Richtung Makedonien, ehe er von Ptolemaios in Syrien abgefangen und nach Ägypten umgeleitet wurde. Vorerst erhielt Alexander in Memphis, der damaligen Hauptstadt der Satrapie Ägypten, eine Ruhestätte. Wenig später wurde die Alexanderleiche nach Alexandria überführt. Der Besitz des Leichnams als Herrschaftslegitimation ist vordergründig ein interessanter Aspekt. Nachhaltiger ist die Frage, was mit der Reliquie geschehen wäre beziehungsweise geschehen ist. Obwohl Alexander selber den Wunsch geäußert hatte, in Siwa beigesetzt zu werden, ist es nicht dazu gekommen. Wäre hingegen die Entführung nach Makedonien geglückt, so wäre die Beisetzung zweifellos in Aigai beim heutigen Vergina erfolgt, wo sich die Gräber des makedonischen Königshauses befinden. Von der Prachtentfaltung legt dort das sogenannte Grab Philipps II. Zeugnis ab. In Alexandria schließlich ruhte die prominente Leiche je nach Informant in einem Sarkophag aus Glas, Gold oder Alabaster, und um diesen herum gruppierten sich im Laufe der Zeit die ihm nachfolgenden ptolemäischen Pharaonen. Eine Pilgerreise sämtlicher Großen Roms ans Alexandergrab war die logische Folge.111 Die heilige Gruft soll sich im Palastbezirk auf der Meerseite befun111 Künzl 2011, 39–53.
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den haben. Sämtliche Lokalisierungsversuche – und es sind deren viele – sind bis heute gescheitert. Bemerkenswert ist schließlich, dass Alexander seine letzte Ruhestätte, wenn durch die Erbstreitigkeiten auch eher zufällig, in der von ihm gegründeten Stadt fand, wie es für Koloniegründer üblich war. 112 Ein jeder der Diadochen hatte allen Grund, um seine Legitimität besorgt zu sein. „Er musste sein Reich nach außen schützen, seine Herrschaft nach innen sichern und die Loyalität seiner Führungsschicht erhalten. Grundsätzlich konnten diese Aufgaben nur erfüllt werden, wenn es gelang, Untertanen wie Führungsschichten von der Rechtmäßigkeit der Herrschaft zu überzeugen.“ 113 Eines der Mittel, um die fehlende dynastische Legitimität zu kompensieren, war im Falle der Ptolemäer die propagandistische Anbindung an den toten Heros – in diesem Falle ein voller Erfolg. Alexander war der letzte große Heros in einem vorhellenistischen Sinne. Übermenschliche Fähigkeiten in Krieg und Politik, normative Tatkraft, Städtegründungen, früher Tod und ein monumentales Grab mit fortdauerndem Kult, ja selbst die Vergöttlichung sind die biografischen Merkmale. Alexander der Grosse fand Eingang in die Bibel und in den Koran. Im Mittelalter verwoben sich seine Taten zu einem Mythen- und Sagengespinst von China bis Island, dessen Fäden bis ins 21. Jahrhundert reichen. Im Laufe des Hellenismus verändert sich der Wortinhalt von „Heros“ insofern, als nun jeder Persönlichkeit dieser Titel zusteht, die sich auf irgendeine Art und Weise um das öffentliche Wohl verdient gemacht hat, ohne dass sie selber in religiöse Sphären entrückt worden sein muss. In die Kategorie solcher herabgesunkener Heroen gehören zum Beispiel Dichter, Tyrannenmörder, Gründer, Wohltäter, Gesetzgeber, gefallene Soldaten, Athleten, Philosophen, Schriftsteller, Ärzte.114 Ihr Kult wird von Familienmitgliedern angeregt und bezweckt damit in erster Linie, die Erinnerung an einen aus ihren eigenen Reihen aufrechtzuerhalten. Jährliche Kulthandlungen am Grab oder an einem Denkmal sollen den Wohltäter und seine Leistungen der Öffentlichkeit stets von Neuem in Erinnerung rufen und vor Augen führen. Eine solche Heroisierung von öffentlichen Personen beginnt, besonders bei Athleten der Olympischen Spiele, schon früher; sie mehren sich jedoch im 1. Jahrhundert v. Chr. und dauern während der folgenden zweihundert Jahre an. Im römischen Osten sind sie, da vermutlich auf griechisches Erbe zurückgehend, häufiger als im Westen. Ein aufschlussreiches Beispiel dazu verbirgt sich in der Celsus-Bibliothek in Ephesos, einem Heroon der besonderen Art, an dem gleichzeitig dem Heros und
112 Leschhorn 1984, 203–216; Malkin 1987, 106–109. 113 Hose 2009, 134 f. 114 Boehringer 1996, 37; Hughes 1999.
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der Wissenschaft gehuldigt werden konnte.115 Bekannt geworden ist die Bibliothek vor einigen Jahren durch die Wiederaufrichtung ihrer prächtig gegliederten, zweigeschossigen Fassade. Sie wurde um 120 n. Chr. erbaut durch Titus Iulius Aquila Polemaeanus in Erinnerung an seinen Vater Titus Iulius Celsus Polemaeanus, einem in Asien gebürtigen Senator, der es bis zum Konsul gebracht hatte – wie übrigens sein Sohn auch. In Stein gemeißelte Ehreninschriften sind heute in der wenig tiefen Eingangshalle angebracht. Sie beschreiben die Ämterlaufbahn des Stifters, ohne dass dieser ausdrücklich als Heros bezeichnet wird.116 In die Wände des Bibliothekssaals waren Nischen eingelassen, in denen mehrere Tausend Bücherrollen lagerten. Dem Haupteingang gegenüber zog eine hohe Apsis den Blickfang des Eintretenden auf sich. Genau in dieser Apsis, aber unter dem Fußboden des Lesesaals verbirgt sich ein Gewölbe, das nur durch zwei enge seitliche Korridore zugänglich ist. In dieser Gruft steht ein schwerer Marmorsarkophag, das Grab des Celsus. Der Entdecker Joseph Keil ließ am 23. Oktober 1904 den Deckel heben, kroch hinein und nach genauer Untersuchung der letzten Überreste des Celsus, der in einem Bleisarg lag, „stieg ich aus dem feuchten Kasten heraus, der dann durch Senken des Deckels wieder geschlossen wurde.“ 117 Unter Berücksichtigung der engen und verwinkelten Zugänge zum Grabgewölbe muss man sich die Bauabfolge so vorstellen, dass zuerst der Sarkophag gesetzt und dann erst das ganze Gebäude darüber errichtet worden ist. Sinnigerweise ist die Grabkammer durch zwei schmale Schlitze mit dem Lesesaal verbunden, womit die Bibliotheksbenützer den Geist des Celsus atmeten – und umgekehrt. Vermutlich stand in der exakt darüber liegenden Apsis ein Abbild des Bücher-Heros Celsus. Testamentarisch wurde festgelegt, dass die Statuen an der Prunkfassade zu seinem Geburtstag und andern Feiertagen zu schmücken seien, womit auch geklärt war, wie man sich die jahreszeitlichen Totenkultfeiern vorzustellen hat. Durch die großzügige Stiftung erhielt Celsus an prominenter Stelle neben der Agora, mitten in der Stadt, seine exklusive letzte Ruhestätte. Architektonisch und ideell ist die Celsus-Biliothek eine verkleinerte Ausgabe des Trajan-Forums in Rom, wo die sterblichen Überreste des Kaisers unter der Bildsäule und symmetrisch zu den beiden Bibliotheksflügeln für die griechische und römische Literatur liegen. „Die Bibliotheken galten damals als der Aufbewahrungsort des ewig Gültigen, des Wissens der Welt“, eine Bedeutung, die sich durch die architektonische Verbindung auf das Grabmal und den dort bestatteten Heros übertragen sollte.118 Die ältere Forschung fand die Herabwürdigung des vergöttlichten Idealheros zum Gewöhnlichsterblichen in der allgemeinen moralischen und religiösen Dekadenz 115 116 117 118
Wilberg 1953. Meriç et al. 1981, 515–526, Nr. 5101–5114. Max Theurer, in: Wilberg 1953, 46. Hueber 1977, 81.
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des Hellenismus bestätigt. Heute begegnet man solchen Zeitphänomenen etwas vorurteilsloser.119 Eines ist jedoch sicher: Heroenkult in der hellenistischen und späteren Ausprägung ist Sache der sozialen Oberschicht; sie ist der anregende, ausführende und profitierende Part. Nur sie verfügt über die nötigen Mittel, um die Monumentalisierung von Grabstätten zu finanzieren, wodurch die Nachwelt – und selbst die archäologische Forschung – überhaupt und ausschließlich auf sie aufmerksam werden kann. Dazu gibt es Vorläufer, man denke zum Beispiel an die Prachtentfaltung, die Mausolos seinem Mausoleum angedeihen ließ. Allem Anschein nach galt dieses „Alleinstellungsmerkmal“ der für die Ewigkeit gedachten Grabmonumente einer herrschenden Klasse schon früher, aber erst in hellenistischer Zeit zeichnet sich deutlicher ab, dass Heroenkult weniger mit Religion, sondern mehr mit Soziologie zu tun hat.
119 Farnell 1920, 368; Boehringer 1996, 51 f.
4 Römische Propagandaheroen und „Wegwerfmenschen“ Un héros n’existait pas, il fallait l’inventer. Antony Snodgrass
Das hellenistische Erbe Um den Themenkomplex Ahnenkult nördlich der Alpen überhaupt angehen zu können, ist es sinnvoll, nicht nur auf die griechischen Verhältnisse einzugehen, sondern auch Italien und Rom stärker miteinzubeziehen, wo wir ebenfalls in der Lage sind, schriftliche Quellen zu benützen, um die archäologischen Befunde besser zu verstehen. Dabei ist die Stadt Rom und ihr Umland selber ein interessanter Kristallisationspunkt für unsere „Versuchsanordnung“. Hier sind die Überlieferungen aller Art dicht und die Entwicklungen über eine längere Zeit hinweg verfolgbar. Auch nimmt Rom nicht nur eine geografische Mittelstellung zwischen Griechenland und Mitteleuropa ein, sondern ist auch Erbin und Vermittlerin des antiken Griechenlands. Diese Rolle spielt die Stadt besonders in der späten Republik und in der frühen Kaiserzeit. Gerade in dieser Zeit sind aufgrund der politischen Verhältnisse auch die stärksten Impulse nach Norden, in die nordalpinen Provinzen zu erwarten. Am Ende des Zweiten Punischen Krieges, um 200 v. Chr., war Rom zwar von den jahrzehntelangen Waffengängen erschöpft, durch seine militärischen Erfolge aber auch zu einer Art Ordnungsmacht am Mare nostrum oder mindestens in dessen westlichem Teil aufgestiegen. Das östliche Mittelmeer und seine Anrainer standen noch ganz in der griechisch-hellenistischen Tradition. Schon während der karthagischen Kriege bahnte sich jedoch eine Konfrontation mit den hellenistischen Stadtstaaten des westlichen Kleinasiens an, die zu dieser Zeit eine kulturelle Hochblüte erlebten. Roms Einflussnahme auf die eigenwilligen Herrscherhäuser geschah zuerst auf diplomatischem Wege, dem aber militärische Interventionen in der Regel sofort folgten. In den Strudel eines länger dauernden Konfliktes mit Makedonien geriet schließlich auch das griechische Mutterland, was schlussendlich zur Errichtung der beiden römischen Provinzen Macedonia und Achaea (148/146 v. Chr.) führte. Größter Nutznießer der schon vorher sich zuspitzenden Auseinandersetzungen Roms mit den seleukidischen und ptolemäischen Herrscherhäusern war Eumenes II. von Pergamon, dem durch die Gunst Roms bedeutende Gebietsgewinne in Kleinasien zufielen. Von anfänglich geschätzten Verbündeten wurden aber auch die attalischen Herrscher mehr und mehr zu Marionetten Roms, bis schließlich der kinderlose Attalos III. das römische Volk zum Erbe seines Staates einsetzte. Drei Jahre später, im Jahre 129 v. Chr., ging das pergamenische Reich in der Provinz Asia minor auf.
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Römische Propagandaheroen und „Wegwerfmenschen“
Ägypten erlebte seine Blüte unter den Ptolemäern im 2. Jahrhundert v. Chr. Zwar waren die Römer von dessen Geschichte und Kultur schon immer fasziniert, zu einem politischen Brennpunkt geriet das Land am Nil aber erst im Verlaufe des 1. Jahrhunderts v. Chr. Seine Bedeutung verdankte es den Getreideausfuhren, die für die römische Metropole lebenswichtig waren, wodurch es zu einem bedeutsamen Nebenschauplatz von innerrömischen Auseinandersetzungen wurde. Pompeius, Caesar, Marcus Antonius und Kleopatra waren die Hauptakteure eines Schauspiels, das vor allem Alexandria betraf, ehe dann Aegyptus im Jahre 30 v. Chr. den Status einer Provinz erhielt. So weit die politischen Voraussetzungen in kurzer Übersicht und zum leichteren Verständnis des nun Folgenden. Der griechische beziehungsweise hellenistische Einfluss auf die Kultur und Kunst Roms kann nicht hoch genug eingeschätzt werden: Nach der Einverleibung der hellenistischen Staaten war Rom selber zu einer hellenistischen Stadt geworden.120 Es „wurde am ‚Ende‘ des Hellenismus und in der Kaiserzeit eine der großen, ja die größte Hauptstadt auch für den Hellenismus, der zu einem guten Teil gleichsam nach Italien übersiedelt wurde.“ 121 Verbindungslinien zwischen Griechen und Römern gab es zwar schon lange vorher. Griechische Vasen aus Attika, die man in Gräbern fand, trugen mit ihren Bilderthemen Botschaften nach Etrurien und Italien; griechische Götter wirkten in Latium. Griechische Tragödien und Lyrik wurden ins Lateinische übertragen, um sie dem römischen Publikum nahezubringen. Tiefgreifender jedoch war die Aneignung hellenistischer Kultur im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. Entscheidender Auftakt für den Kulturwandel war der „Brain drain“, der sich nach den Makedonischen Kriegen einstellte, als viele Exponenten der griechischen Intelligenz als Sklaven oder Geiseln nach Rom gelangten, wo sie bald zu angesehenen Mitbürgern aufstiegen. Die römische Oberschicht beherrschte die griechische Sprache fließend und kannte Athen, Alexandria oder Rhodos durch Studienaufenthalte und Bildungsreisen. Magistrate erlebten den griechischen Osten in diplomatischen Diensten und durch Militäreinsätze. Zahlungskräftige Liebhaber sicherten sich originale griechische Kunstwerke und Antiquitäten zur Ausschmückung ihrer Stadthäuser, Gärten und Villen und setzten damit auf der italischen Halbinsel gleichzeitig eine eigene eklektizistische Kunstproduktion nach griechischen Vorbildern in Gang. Das Stadtbild Roms veränderte sich vollkommen und erfuhr durch neue Bauformen besondere Akzentuierungen wie zum Beispiel im Pompeius-Theater, das mit seinem Raumprogramm einen Herrscherkult wenigstens anzutönen wagte: Das Kultbild der Venus und die Kolossalstatue des vom Erfolg verwöhnten Pompeius stehen
120 Cain 2007; Leonhardt 2009, 54 f. 121 Dobesch 1996a, 592. 596–599.
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sich gleichwertig gegenüber. Ein noch gigantischeres Bauvorhaben ähnlicher Art hatte Caesar mindestens in Planung, ehe er dem Mordanschlag zum Opfer fiel. Auch was die Mythen betrifft, übernahmen die Römer die als ideal geltenden griechischen Vorbilder umstandslos, ohne dass dies vorerst die altrömische Religion tangiert hätte. Die olympische Götterwelt bei Ovid und die Troja-Geschichte bei Vergil sind die bekanntesten Zeugnisse für solche relativ späte Adaptionen, wobei gerade die Aeneis und das Heroon des Aeneas in Lavinium den Anschein erwecken, als ob die Sage auf einer langen Vorgeschichte fußen würde und die Tradition des Heroenkultes auch auf italischem Boden weit zurückreiche. In Wirklichkeit lässt sich die Gemengelage aus Mythologie und Dichtung einerseits sowie aus historischen und archäologischen Fakten andererseits nicht so leicht entwirren. Lavinium (heute Pratica di Mare) liegt nahe der Küste in Latium und knapp 30 km südlich von Rom. Seine Bedeutung erhielt der Ort als zentrales Heiligtum des latinischen Städtebundes, das gleich mehrere Kulte beherbergte, sowie durch seine mythische Anbindung an Aeneas.122 Nachdem der trojanische Prinz (Sohn von König Anchises und der Aphrodite, also auch er ein Heros mit göttlichem Blut) das brennende Troja verlassen hatte, strandete er laut einem von mehreren bekannten Sagensträngen an der Küste von Latium. Er gründete hier eine Stadt, die er laut einer von mehreren Versionen nach seiner Ehefrau Lavinia benannte. Man nimmt an, dass der Aeneas-Mythos seit dem 6./5. Jahrhundert v. Chr. durch den verstärkten griechischen Einfluss in Latium bekannt gewesen sein muss (Abb. 11). Innerhalb des Kultbezirkes von Lavinium fanden sich die Überreste eines Grabtumulus mit einem Durchmesser von 18 m, der heute für das in der antiken Literatur genannte Heroon des Aeneas gehalten wird. Seine Geheimnisse gab er bei Grabungen im Jahre 1968 preis (Abb. 12). Ursprünglich und vorurteilslos handelt es sich um das Grab einer hochgestellten Person aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. Die Grabkammer aus Steinblöcken enthielt eine reiche Ausstattung: unter anderem mehr als 60 Keramikgefäße, eine silberne Dragofibel, ein eisernes Schwert und eine bronzene (eigentlich antiquiert wirkende) Lanzenspitze, Feuerböcke und Bratspieße sowie die metallenen Überreste eines zweirädrigen Kriegswagens. Der Ausgräber ging davon aus, dass das Grab bereits in antiker Zeit beraubt wurde beziehungsweise bestimmte Beigaben gezielt entfernt worden waren. Unklar bleibt, ob einige der Funde von einer zweiten, gestörten Grablegung zwar außerhalb der Steinkammer stammen, vielleicht aber noch älter sind als diese. Zu einem späteren Zeitpunkt wurde in den Hügel hinein ein kleines Sanktuarium eingerichtet, dessen Mauern mit der Grabkammer im Verbund stehen, also auf diese Bezug nimmt. Der Einbau bestand aus einer 8 m breiten Vorhalle. Den Zutritt zur dahinterliegenden, ebenfalls neuen Cella verwehrte eine zweiflüglige Scheintür aus zwei monolithischen Tuffplatten. Die Cella, die demzufolge nicht betreten wer-
122 Castagnoli 1972; Sommella 1974, 287–297; Dury-Moyaers 1981; Holloway 1996, 128–140.
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Römische Propagandaheroen und „Wegwerfmenschen“
Abb. 11: Aeneas trägt seinen alten Vater Anchises aus dem brennenden Troja. Ihre Flucht führt sie bis nach Latium, wo Aeneas die Stadt Lavinium gründet. Attische Amphora, um 500 v. Chr.
Abb. 12: Lavinium. Das zu einem Heroon ausgebauten Hügelgrab galt in augusteischer Zeit als das Grab des Aeneas, von dem das julische Kaiserhaus abstammte. Es barg Funde aus dem 7. Jahrhundert v. Chr.
den konnte, war eine Art Kenotaph und enthielt bei ihrer Entdeckung offenbar nichts weiter als die Fragmente von mindestens sechs Glockenkrateren, angeblich vom Ende des 4. Jahrhunderts v. Chr. Die geräumige Vorhalle hätte Platz für Kult-
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handlungen geboten und vielleicht auch zur Aufbewahrung von dargebrachten Weihegaben. Konkrete Hinweise dazu gibt es außer wenigen Keramikscherben allerdings kaum. Die Datierung der Glockenkratere beziehungsweise der Einbau des „Heiligtums“ in den Grabhügel wurde von der Forschung mit einem historischen Ereignis im Jahre 338 v. Chr. in Verbindung gebracht. Damals zerschlugen die Römer den latinischen Städtebund und nahmen das altehrwürdige Sanktuarium von Lavinium für den eigenen offiziellen Staatskult in Anspruch. In diesem Moment konnte es auch nützlich erscheinen, sich prestigeträchtiger Heroenkulte zu bemächtigen – oder solche sogar neu zu installieren. Den Anlass, das beschriebene Monument als das Heroon des Aeneas zu identifizieren, gab eine mäßig aufschlussreiche Beschreibung des Dionysios von Halikarnassos, der das Grab des Trojaners als ein am Fluss Numicus gelegener „Hügel, nicht groß und rings umgeben von regelmäßig gesetzten Bäumen“ beschreibt.123 Dionysios sind bisher noch alle Forscher gefolgt. Als er seinen Text um Christi Geburt niederschrieb, war das Grab keine Kultstätte mehr, sondern wieder ganz dem Mythos anheimgefallen. Dieser muss allerdings noch immer eine besondere Bedeutung besessen haben, wenn man sich daran erinnert, dass die Iulier – und damit auch der damals regierende Augustus – den Heros Aeneas als ihren Vorfahren beanspruchten. Vor diesem Hintergrund ist ja auch die Entstehung der Aeneis des Vergil zu sehen, die eigentlich eine Eloge auf das iulische Kaiserhaus darstellt. Im Fall des Heroons des Aeneas lässt der Grabungsbefund, dessen Details in der Literatur nie wirklich dargelegt worden sind, vieles offen. Selbst wenn der Mythos die historischen und archäologischen Fakten zu überdecken droht, so tauchen doch charakteristische Topoi auf wie Aeneas als Stadtgründer und kriegerischer Held oder das monumentale Grab mit Kult einer großen Gemeinschaft. Sie werfen immerhin ein bezeichnendes Licht auf die Vorstellungen und den Bewusstseinszustand einer Bevölkerung vor den Toren Roms und in der Stadt selber während der letzten Jahrhunderte vor und um Christi Geburt. Ein für die Frühgeschichte Roms bedeutsames Gravitationszentrum befindet sich am Nordende des Forums am Fuße des Kapitolhügels: das Comitium.124 An diesem geheiligten Platz trat seit dem frühen 6. Jahrhundert v. Chr. die gesetzgebende Volksversammlung der Stadt unter freiem Himmel zusammen, um ihre Beschlüsse zu fassen und Gericht zu halten. Im Comitium wurden alle wichtigen Dinge des Staates entschieden bis hin zu Krieg und Frieden. Hier stand angeblich auch der Feigenbaum, unter dem der Sage nach die Zwillinge Romulus und Remus von der Wölfin gesäugt worden sein sollen. In diese Anlage integriert war eine Kultstätte des Volcanus, der Volcanal, von der sich außer einem U-förmigen Altar und einer
123 Dion. Hal. 1, 64, 5. 124 Coarelli 1983, 161–178; Simon 1990, 249–251; Freyberger 2009, 14–18.
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Säulen- oder Statuenbasis kaum etwas erhalten hat. Und hier neben dem Altar, an diesem für den römischen Staat sakrosankten Ort, soll auch das Grab des Romulus, des Gründers und Namengebers von Rom, verehrt worden sein. So jedenfalls lautete eine von verschiedenen Versionen, die Sextus Pompeius Festus, der Verfasser einer Enzyklopädie aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., überliefert hat.125 Nach ihm soll ein schwarzer Stein beim Comitium (niger lapis in comitio) die Stelle des RomulusGrabes bezeichnen (locum funestum ... Romuli morti destinatum). Dieser aus der antiken Literatur bekannte Lapis Niger war der Stein des Anstoßes, durch den die Forschung zu Beginn des Jahres 1899 plötzlich in Bewegung geriet. Damals setzte Giacomo Boni beim Comitium den Spaten an und stieß am 10. Januar 1899 auf eine schwarze quadratische Steinplattenlage von zwölf Fuß Seitenlänge, die von der archäologischen Gelehrtenschaft sofort als Lapis niger identifiziert worden ist. Die Bodenmarkierung ist noch heute auf dem Forum sichtbar: Die dunkeln Platten sind in die helle Travertinpflästerung eingelassen und von einer Brüstung aus weißen Marmorplatten umstellt.126 Dieses Bodenniveau mit der schwarzen Markierung entspricht dem Gehhorizont im 1. Jahrhundert v. Chr. In den Schichten darunter legte die Mannschaft von Boni auf einem über Stufen erreichbaren Podium den bereits erwähnten Altar des Volcanus und den Säulenstumpf frei – aber auch einen Inschriftenstein, dessen Deutung die Forschung nicht mehr zur Ruhe kommen ließ (Abb. 13).127 Der zylindrische Tuffblock von 60 cm Höhe trägt auf fünf Flächen unterschiedlicher Größe klare, tief eingearbeitete Schriftzeichen, die zum Teil griechischen Buchstaben ähneln. Der in einem archaischen Latein abgefasste Text ist die älteste in Stein gemeißelte Inschrift, sie ist jedoch so verstümmelt und unverständlich, dass bis heute keine allgemein anerkannte Auslegung gelingen wollte, die einen akzeptierten Sinn machen würde. Andeutungsweise ist von einem Fluch die Rede gegen jeden, der den Ort entweiht, und auch ein rex wird erwähnt. Die Erwähnung des Königs und angeblich auch die Form der Buchstaben weisen den Stein mit einiger Sicherheit ins 6. Jahrhundert v. Chr. Er könnte sich auf zwei Statuen von Romulus und des sagenhaften Sabinerkönigs Titus Tatianus beziehen im Sinne eines gemeinsamen Heroons an dieser Stelle. Ob irgendjemand den Inhalt der Inschrift fünfhundert Jahre später noch verstanden hat, als man sie im 1. Jahrhundert v. Chr. mit dem Lapis Niger zudeckte und auf dem Fußboden markierte, ist fraglich. Gut möglich, dass damals die Idee aufkam, es handle sich um das Epitaph des Romulus. Später hat jedenfalls kein Römer mehr die verborgene Inschrift zu sehen bekommen, bis sie Boni 1899 wiederentdeckte.
125 Fest. P. 177. 126 Boni 1899, 151–158. 127 Coarelli 1983, 178–188; Carafa 1998; Porretta 2005; Battaglini 2009.
Das hellenistische Erbe
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Abb. 13: Rom. Der lapis niger auf dem Forum kennzeichnete das Heroengrab des Städtegründers Romulus. Den Anlass zu dieser Deutung bot ein Tuffblock (4) mit Schriftzeichen aus dem 6. Jahrhundert v. Chr.
Von einer kultischen Verehrung des Platzes während der ganzen Zeit der Republik zeugen eventuell die in Massen gefundenen Votive vom 6. bis zum 1. Jahrhundert v. Chr.: Erwähnung fanden unter anderem einheimische und griechische Keramik, Bronzestatuetten, Astragali, Fibeln aus Bronze, Waffen aus Eisen, eine beträchtliche Anzahl Miniaturgefäße aus Ton, schließlich Knochen von Rind, Schaf, Ziege, Schwein, Hund und – Geier. Durch die frühe Ausgrabung sind die stratigrafischen Zusammenhänge jedoch ganz und gar nicht klar, sodass nicht einmal sicher ist, ob nicht mindestens ein Teil des „Votivschuttes“ zugeführt worden ist, um das Terrain einzuebnen.128 Ganz abgesehen davon, könnten an dieser Stelle die Votive ebenso gut dem Volcanus wie dem Romulus gegolten haben. Aus den zahlreichen Schriftquellen geht schließlich hervor, dass der Ort auch als Grabstelle des Hirten Faustulus, der die Zwillinge Romulus und Remus gerettet hatte, und von Hostilius, dem Großvater des Königs Tillius Hostilius, gehalten wurde, was wiederum eine ganze Kette von Fragen nach sich ziehen würde. Die Geschichte des Ortes ist lang und wechselvoll, die archäologischen Funde und Befunde in keinem Fall eindeutig. Sie zeigen jedoch, welch eminente Bedeutung bei den
128 Carafa 1998, bes. 49–64.
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Römern die Stelle am Comitium mit dem Grab des Romulus als Erinnerungsstätte der ältesten Geschichte ihrer Stadt gehabt haben muss.129 Für Romulus spricht, dass man sich sein Grab auf dem Forum dachte, wie es für die Gründer griechischer Städte üblich war. Seine kriegerischen Fähigkeiten hatte er unter Beweis gestellt, als er den herkulischen Acro erschlug, seine Waffen dem Jupiter in einem Triumphzug weihte und damit auch den römischen Triumph begründet haben soll. „Die Gestalt des Romulus ist zweifellos nur eine Erfindung (Romulus ist von Rom abgeleitet und nicht umgekehrt)“.130 Aber wenn der Inschriftenstein unter dem Lapis Niger tatsächlich in direktem Zusammenhang mit einem Heroon des Romulus steht, so wäre damit mindestens klar, dass man sich die Sage des Stadtgründers bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. erzählte und dass sie im Lauf der Jahrhunderte nichts von ihrem imaginierten Wahrheitsgehalt verloren hat.
Das Heroon in der Stadt Während man am oberen Ende des Forum Romanum das Heroon des Romulus nur vermuten kann, so erhebt sich ihm gegenüber, am anderen Ende des Platzes, ein Heiligtum, das mit Iulius Caesar einer wirklich historischen Persönlichkeit geweiht ist. Der Tempel des Divus Iulius markiert die Stelle, an welcher der Ermordete verbrannt worden ist. Wie die Geschichte gezeigt hat, war der Ort der Einäscherung allerdings nicht geplant, sondern dem Zufall des tumultuarischen Verlaufs der Trauerfeierlichkeiten zu verdanken. Aber spätestens nachdem der Tempel fertiggestellt und am 18. August 29 v. Chr. offiziell eingeweiht worden war, musste seine architektonisch herausragende Positionierung offenkundig geworden sein. Seine Front richtet sich gegen den offenen Forumsplatz mit Blick auf den Kapitolshügel, in seinem Rücken steht die Regia; flankiert ist er vom Tempel der Dioskuren, zweier im 5. Jahrhundert v. Chr. aus Griechenland eingeführten Heroen, und etwas zurückversetzt vom vermuteten Tempel des Iuppiter Stator, dessen Kult angeblich vom Gründerheros Romulus installiert worden ist. Schiffsschnäbel, Trophäen aus der Schlacht von Actium, ließ Caesars Adoptivsohn Octavian hier anbringen. Mit dem offiziellen Senatsbeschluss der Vergöttlichung Caesars wurde eine eigene Priesterschaft bestellt, um den Kult am Standbild des neuen Gottes auszuführen, was zu dieser Zeit in Rom ein Novum darstellte, das in der Kaiserzeit dann zur Konvention werden sollte. In den Augen der Zeitgenossen war Caesar mehr als ein Heros, er war ein Gott.131
129 Hölkeskamp 2001. 130 Coarelli 2000, 72. 131 Freyberger 2009, 58–61; Montagna 1974.
Das Heroon in der Stadt
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Abb. 14: Rom. Tempel des vergöttlichten Iulius Caesar an den Iden des März 2013: Blumen an der Stelle, wo Caesar auf dem Forum verbrannt worden ist.
Heute ist von diesem symbolträchtigen Bau fast nur noch das Gussmauerwerk des hohen Podiums erhalten, auf dem der Tempel in Marmor einst aufragte. Seine Darstellung auf Münzen zeigt eine Vorhalle mit sechs Säulen in der Front. Dem Kultgebäude vorgebaut ist eine Rednertribüne, die Rostra aedis divi Iulii, auf die hinauf beidseits eine Treppe führte. Ihre zum Forumsplatz weisende Fassade besitzt in der Mitte einen halbkreisförmigen Einzug mit einem runden Altar, welcher ganz genau die Stelle markieren soll, an welcher der Diktator auf dem Scheiterhaufen brannte. Was die Berge von Blumen bedeuten, die noch heute (!) jeweils an den Iden des März am Altar des vergöttlichten Diktators auf dem Forum Romanum niedergelegt werden, bleibt vordergründig ein Rätsel (Abb. 14). Religionsgeschichtlich ist der Sachverhalt allerdings klar: Es handelt sich um einen Grabkult für einen göttlich verehrten Sterblichen, der seit mehr als 2000 Jahren tot ist! Weit gewaltiger und wirkungsvoller sollte das Grabmal werden, das sich Octavian für sich selber ausgedacht hatte. Den Plan für seinen Bau fasste Caesars Adoptivsohn nicht etwa, weil er sein Ende herannahen fühlte – er war kaum dreißig Jahre alt, und sollte noch weitere fünfzig Jahre leben –, sondern um ein politisches Zeichen zu setzen. Schon die Wahl des Bauplatzes zeigt den Spürsinn für eine öffentliche Implementierung der dynastischen Zusammenhänge. Octavian suchte die Nähe zur Grabstätte des vergöttlichten Caesar, deren exakte Lage heute zwar nicht bekannt ist, die man aber unter den umliegenden modernen Gebäuden im Marsfeld vermuten muss. Auch Octavians Stiefschwester Iulia, die Tochter Caesars, liegt hier begraben.132
132 Albers 2013, 207.
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Abb. 15: Rom. Mausoleum des Augustus auf dem Marsfeld. Der Form nach gleicht es einem gewaltigen, in die Höhe gestemmten Tumulus, flankiert von zwei Obelisken. Es diente dem Kaiserhaus während hundert Jahren als Grabstätte.
Konkreter wurde das Vorhaben während der Auseinandersetzungen mit Marcus Antonius und Kleopatra, als die Stellung Octavians in Rom prekär zu werden begann. Als politisch nützlich erwies sich das unrechtmäßig behändigte Testament von Marcus Antonius, das bei den Vestalinnen hinterlegt war und aus dem hervorging, dass Antonius in Alexandria begraben werden wollte, das heißt, nicht nur bei seiner Geliebten Kleopatra, sondern auch in der Nähe Alexanders des Großen. Dies sorgte bei Senat und Volk für Empörung: Ein Großer Roms sollte auch in Rom sein Grab finden. Diese Forderung ließ sich nach der Schlacht von Actium 31 v. Chr. und dem Tod von Marcus Antonius und Kleopatra leicht zum eigenen Programm erheben. Damit gab der Sieger Octavian der alten Hauptstadt ihre Würde zurück, nachdem ihr Alexandria beinahe den Rang abzulaufen drohte, und er setzte sich selber gleichzeitig ein bleibendes Denkmal.133 Entstanden ist ein riesiges Monument im Marsfeld nahe des Tibers, das mit seinen Dimensionen alle damals bekannten Grabdenkmäler in den Schatten stellte (Abb. 15). „Der große Tumulus erhebt sich über einer hohen gemauerten Basis aus hellem Stein. Er ist bis zu seiner Spitze von immergrünen Bäumen bestanden. Oben steht eine Bronzestatue des Augustus. Unter dem Tumulus befinden sich die Gräber des Kaisers und seiner Familie. Hinter dem Grabmal erstreckt sich ein großer Wald mit herrlichen Spazierwegen“.134 Die wirklichen Dimensionen des Bauwerks zeigten sich erst bei dessen Freilegung während der Ära des Faschismus in den Jahren
133 Kraft 1967. 134 Strabon 5, 3, 8.
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1934 bis 1937, obwohl die Zerstörungen im Innern so weit vorangeschritten waren, dass einige architektonische Details noch immer zur Diskussion stehen.135 An seiner Basis besaß der kreisrunde Tumulus einen Durchmesser von gut 87 m und türmte sich dann über mehrere Stufen bis zur Spitze empor, die selbst die 40 m hohen Hänge des Pincio überragt haben muss: Modellrekonstruktionen rechnen mit einer Gesamthöhe von rund 55 m bis zum Scheitel der krönenden Bronzefigur. Den Sockel bildete ein 12 m hoher Mauerring aus Travertin, dessen obere Abschlussplatten Aussparungen und Dübellöcher aufwiesen, die von reichem Metalldekor herrühren könnten: Schilde, Panzer und andere Waffenteile sind wahrscheinlich, sie würden das Grabmal auch zu einem Tropaion machen. Die Entlastungsbögen im Innern waren zum Teil mit Erde gefüllt und bildeten damit den Boden für den von Strabon erwähnten Baumbestand. Die Verkleidung der Wände bestand aus hellem Marmor. Die Spitze der Grabpyramide krönte eine Bronzestatue, die man auf mindestens dreifache Lebensgröße veranschlagte, und obwohl darüber nichts bekannt ist, darf man sie sich nackt vorstellen, wie es für hellenistische Herrscherfiguren und Heroen üblich war. Durch ein Portal und einen langen Korridor gelangte man ins Zentrum der Gruft, wo die Urne mit der Asche des Augustus stand. Darum herum waren Nischen für nahe Verwandte vorgesehen. Die Grabkammer konnte also begangen werden, was dafür spricht, dass sie von Anfang an als Dynastengruft gedacht war. Hingegen sind die Feierlichkeiten zur Begehung der jahreszeitlichen Speise- und Trankopfer in den engen Gewölbegängen kaum denkbar, da man sich bei der Wichtigkeit von solchen Zeremonien imperialen Zuschnittes doch ein größeres Publikum in repräsentativer Umgebung vorstellen möchte. Genügend Platz für solche Anlässe bot hingegen der mit großen Travertinplatten gepflasterte Vorplatz, auf dem sich auch die beiden Obelisken in die Höhe reckten, die heute vor dem Quirinalspalast und vor der Basilika Santa Maria Maggiore stehen. Zur Ausstattung des Platzes gehörten auch die großformatig in Bronze gegossenen res gestae. In diesen Rechenschaftsberichten verzeichnete Augustus schon zu Lebzeiten seine Leistungen gegenüber dem römischen Volk. Das Grabmal war von großzügigen, öffentlichen Gartenanlagen umgeben, und die Ustrina muss sich in seiner unmittelbaren Nachbarschaft befunden haben, da die beiden Monumente in antiken Quellen stets zusammen erwähnt werden. Ein architektonisch aufwendiges Bauwerk kann der Verbrennungsplatz selbst für die Verstorbenen des Kaiserhauses allerdings nicht gewesen sein, da er trotz ausgedehnten Grabungen in der Umgebung nie einwandfrei identifiziert werden konnte. In Betracht gezogen wurde ein offener rechteckiger Platz von 60 × 30 m mit Säulenreihen und Hallenbauten. In Zusammenhang mit den Parkanlagen beschreibt ihn Strabon hingegen als ein mit Pappeln bestandener Hain, der von einer kreisförmi-
135 von Hesberg/Panciera 1994; Davies 2000; Künzl 2011, 59–74; Albers 2013, 110–112. 251 f. – Zu den letzten Freilegungsarbeiten 2007–2010 siehe Agnoli et al. 2014.
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gen Mauer aus weißem Marmor umschlossen war.136 Angesichts der hohen Bedeutung der hier eingeäscherten Personen darf man mindestens ein dicht gesetztes Steinpflaster erwarten, da die verbrannten Leichenteile ja sorgfältig aus der Asche herausgeklaubt werden mussten, um sie anschließend in die Urne zu legen. Bereits in der Antike wurde das Grabmal des Augustus als Mausoleum bezeichnet in Angleichung an das als Weltwunder geltende Grabmal des Mausolos von Halikarnassos, das zwar weit geringere Dimensionen aufweist, in seiner Architektursprache aber wohl Vorbild für den römischen Ableger war.137 Der Baumbewuchs an den Hängen des Augustusgrabes schuf eine Art heiliger Hain, was unmittelbar an die bemerkenswerten Bäume erinnert, die den Grabtumulus des Aeneas in Lavinium umstanden. Gewiss geschah der Bezug von Augustus zum trojanischen Urahn und Heros nicht zufällig. Auch das Grab des Alexander darf man sich als Tumulus vorstellen. Augustus lernte diese Anlage mit den umliegenden Dynastengräbern persönlich kennen, als er sie anlässlich seines Besuches in Alexandria besichtigte. Im Moment der Errichtung war der dynastische Machtanspruch des noch jungen Octavian eine Option, die sich dann aber tatsächlich erfüllen sollte, indem das Mausoleum während 100 Jahren als letzte Ruhestätte des Kaiserhauses diente. Überliefert sind neben Augustus selber die folgenden Personen, deren Asche hier bestattet wurde: Marcellus, Agrippa, Octavia, Drusus, Germanicus, Livia, Agrippina Maior, Nero Caesar, Drusus Caesar, Poppaea, Nerva und vermutlich auch die beiden Brüder Lucius und Gaius Caesar, Drusus Minor und die beiden Kaiser Tiberius und Claudius. Auch die Urne Caesars soll hierher überführt worden sein (Klammerbemerkung: Angeblich wollte auch Benito Mussolini hier beigesetzt werden)138. Die Planung und der Bau dieser Dynastengruft durch den noch jungen Politiker war eine Selbstdarstellung unerhörten Ausmaßes. „Damit entwickelte Octavian wieder etwas Neues in Europa: das eigene Grab als politisches Programm. Octavian schuf – noch bevor man ihn Augustus nannte – etwas wie ein Pharaonengrab, etwas wie den Bau der eigenen Pyramide zu Lebzeiten, neben vielen Anspielungen auf die Heroentumuli, auf das Grab Alexanders des Großen, auf die Gräber von Hektor und Achilleus vor Troia.“ 139 Das Mausoleum des Augustus mag das höchste Bauwerk im Umkreis des antiken Rom gewesen sein. Die flächenmäßig größte Anlage hingegen, die man als Heroon in der Stadt bezeichnen darf, war das Forum des Traian. Alleine zur Vorbereitung des Bauplatzes waren gewaltige Anstrengungen nötig, um einen Ausläufer des Quirinals, der sich zum Fuß des Kapitols hin absenkte, abzutragen, damit ein
136 137 138 139
von Hesberg/Panciera 1994, 34; Albers 2013, 280. Abb. 40. Von Hesberg/Panciera 1994, 51 f. Albers 2013, 251. – Die Zeit, Nr. 31, 24. Juli 2014, 16. Künzl 2011, 65 f.
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ebener Baugrund gewonnen werden konnte.140 Diese Vorarbeiten scheinen bereits in der Regierungszeit des Domitian begonnen zu haben.141 Als Architekt zeichnete Apollodoros von Damaskus, der später angeblich auch das Pantheon entworfen hat. Finanziert wurde das in der Antike hochgerühmte Großprojekt mit der Beute aus den Dakerkriegen, auf die sich auch die dekorative Ausstattung und die statuarische Kunst am Bau bezog. Monumentale Trophäenzyklen mit Darstellungen von gefangenen Dakerfürsten erinnerten an die kriegerischen Großtaten des hier bestatteten Herrschers, der dem Römischen Reich seine maximale Ausdehnung verschafft hatte. Marmorskulpturen von Familienmitgliedern des Kaiserhauses bildeten eine Art Ahnengalerie, deren Zweck es war, den historischen Anspruch der herrschenden Dynastie bildhaft zu rechtfertigen. Die weite, offene Forumsfläche dominierte eine weit überlebensgroße Reiterstatue des Traian in Bronze, von der sich bei Ausgrabungen noch letzte Reste des Fundamentes im Boden erhalten haben. Gegen Norden bildete die Basilica Ulpia den architektonischen Abschluss. In diesem größten, fünfschiffigen Hallenbau der Stadt fanden die in ihrer Bedeutung gewachsenen Ämter und Gerichte ihre neue Unterkunft. Als dritter Komplex in der Abfolge schließt sich das Grabmal mit der Ehrensäule und die Bibliothek an. Traian verstarb 117 n. Chr. in Kilikien in der heutigen Türkei, wo er auch eingeäschert wurde, bevor seine sterblichen Überreste nach Rom gebracht worden sind. Auf Senatsbeschluss fand der goldene Aschebehälter seinen Platz im würfelförmigen Sockel der Siegessäule. Seine Gattin Pompeia Plotina starb fünf Jahre später, sie fand neben ihrem Kaisergemahl ihre letzte Ruhestätte. Nicht nur was den Ort mitten im Stadtgebiet, sondern auch was die Architektur betrifft, ist die Traianssäule für Rom ein ungewöhnliches Grabmal (Abb. 16).142 Die vier Außenwände des würfelförmigen Schreins sind über und über mit Waffen im Relief behängt. Die Ehrensäule kann auf einer engen Wendeltreppe bestiegen werden; mit ihren 30 m soll sie die Höhe des an dieser Stelle abgetragenen Hügelrückens anzeigen. So steht es auf der Marmortafel über dem Eingang zur Grabkammer geschrieben. Die Basis und die Statue auf der Spitze mitgerechnet werden es ursprünglich alles in allem gegen 150 Fuß, das heißt 45 m, gewesen sein. Auf der Säulenaußenseite windet sich spiralförmig der 200 m lange Bildfries mit den Kriegstaten des bereits vergöttlichten Herrschers empor. Auf der Spitze dieser gewaltigen „Litfasssäule“ aus 21 übereinandergetürmten Marmortrommeln reckte sich die Bronzestatue Trajans in heroischer Pose, ähnlich dem Augustus auf dem Marsfeld. Sie wurde im Jahre 1587 von Papst Sixtus V. durch den Apostel Petrus ersetzt. Zu beiden Seiten des Kaisergrabs und angelehnt an die Basilica Ulpia standen die beiden Bibliotheksflügel, vermutlich zur separaten Aufbewahrung der griechischen und der lateinischen Literatur – einer Aufteilung, wie sie in römischer Zeit 140 Dio Cassius 68, 16, 2. 141 Meneghini 2001; Meneghini/Santangeli 2007; Knell 2010, 27–62. 142 Settis 1988; Coarelli 1999.
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Abb. 16: Rom. Trajanssäule. Das Grab Trajans und seiner Frau befand sich im trophäengeschmückten Sockel. Das Bildband auf der Säule schildert die heroischen Taten des Kaisers.
üblich war –, aber auch zur Archivierung von juristischen Dokumenten. Mehrere Stockwerke boten ein genügend großes Raumvolumen. Im engen Hof zwischen den drei Gebäuden musste der reliefgeschmückte Grabsockel wie ein Aufmerksamkeit erregendes Hindernis gewirkt haben. Der Säulenabschluss überragte die umgebenden Dächer von Basilika und Bibliotheken nur knapp. Zudem verunmöglichten die Platzverhältnisse in dem engen Innenhof ein genaues Betrachten des ausgerollten, farbig bemalten Reliefbandes, das sich auf der Bildsäule nach oben schraubte. Das war bestenfalls aus den oberen Stockwerken der Basilika und der beiden Bibliotheksannexe möglich, und auch dann nur in Ausschnitten. Vielleicht ist das Bildband bloß die architektonische Umsetzung eines in seiner Bedeutung noch viel wichtigeren Dokuments, nämlich der Kommentarien der Dakerkriege, geschrieben vom Kaiser selber, die in den benachbarten Archiven aufbewahrt wurden.143 Den vergöttlichten Kaiser und Heros im Piedestal seiner Ehrensäule und sozusagen auf dem Forum zu bestatten, entsprang wohl einer Idee seines Nachfolgers
143 Coarelli 1999, 19–21; Galinier 2007; Knell 2010, 35–37. 49.
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Hadrian. Sie entspricht den Heroengräbern auf der griechischen Agora sowie dem Mythos des Romulusgrabes auf dem benachbarten Forum Romanum. Auch die Lage zwischen den beiden Bibliotheksflügeln macht Sinn, wenn man die Bibliotheken der Antike als Schätze des Wissens wahrnimmt beziehungsweise als symbolische Horte der Macht versteht. Die damals berühmtesten Bibliotheken standen in den hellenistischen Städten von Pergamon und Alexandria, deren Erbe Rom unterdessen angetreten hatte. An beiden Orten waren sie an prominenter Stelle im Palastbereich platziert und ihre Benützung war einem Fachpublikum beziehungsweise der Oberschicht vorbehalten: Im Falle von Pergamon wurden die Schriftrollen beim Tempel der Stadtbeschützerin Athena Nikephoros aufbewahrt; im Falle von Alexandria waren sie in der Nähe des Alexandergrabes untergebracht. Die architektonische Verbindung von Bibliothek und Bildsäule mit ihren Kriegsdarstellungen in der Form einer aufgedrehten Buchrolle symbolisiert die Gelehrsamkeit und die Tatkraft, sapientia et virtus, des Kaisers.144 Die Version „Grab kombiniert mit zweisprachiger Bibliothek“ haben wir im Kleinformat schon in der Celsus-Bibliothek in Ephesos angetroffen. In Rom regte als erster Iulius Caesar die Errichtung einer Bibliothek an, die auch der Öffentlichkeit dienen sollte. Mit der Realisierung der monumentalen Traians-Bibliothek auf dem Forum hat somit auch dieses Vermächtnis Caesars seine Erfüllung gefunden. Auf der vierten Hofseite, abgetrennt durch eine Kolonnade und als Abschluss des ganzen Forumskomplexes gedacht, rechneten frühere Rekonstruktionsmodelle mit einem monumentalen Tempel für den Divus Traianus und seine ebenfalls vergöttlichte Gattin Plotina. Als Indiz dienten eine gigantische Säule aus ägyptischem Granit und ein korinthisches Kapitell aus Marmor, die im 19. Jahrhundert entdeckt worden sind und die noch heute neben der Traianssäule zwischengelagert sind. Ausgrabungen in den Jahren 1991 bis 2007 haben an der erwarteten Stelle jedoch kein Heiligtum, sondern ein Wohnquartier zutage gefördert. Im Nachhinein glaubt man, dass der riesige Monolith samt Kapitell zusammen mit sieben weiteren Säulen zu einer kolossalen Eingangshalle gehörte, die das eigentliche Portal zum ganzen Forumskomplex bildete. Der in den schriftlichen Quellen genannte Tempel muss wohl anderswo gesucht werden, wenn nicht gar das Grabmonument, die Bibliotheken und die vorgestellte Säulenhalle selber als Sakralbau verstanden worden sind. Eine deutliche Bezugnahme auf die Vergangenheit und die Vorgänger ist auch bei Traians Nachfolger, bei Hadrian, in der Architektursprache offensichtlich. Sein zwischen 130 und 139 n. Chr. erbautes Mausoleum liegt im Weichbild der Stadt, jenseits des Tibers und eingebettet in ausgedehnte Gärten (horti Domitiae), die im Besitze des Kaiserhauses waren. Das Grabmonument einschließlich der zugehörigen Tiberbrücke hat als architektonisches Konzept die Zeit bemerkenswert gut überdauert. Der Grund liegt darin, dass im 15. Jahrhundert das Castel Sant’Angelo
144 Settis 1988, 60–75.
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Abb. 17: Rom. Die „Engelsburg“, das Mausoleum des Hadrian. Am Ufer des Tibers erhob es sich mitten in einer ausgedehnten Parkanlage. Seine Spitze krönte die Quadriga des Herrschers. In seiner Monumentalität ist es Sinnbild des gefestigten Kaisertums.
von den Päpsten zum Stützpunkt und stark befestigten Brückenkopf ausgebaut wurde. Dies hatte einige Veränderungen des Äußeren zur Folge, im Kern blieb der antike Monumentalbau allerdings erhalten.145 Was die Form und die Dimensionen des Bauwerkes betrifft, unterscheidet es sich prinzipiell nur wenig vom Mausoleum des Augustus. Bei beiden gibt es seitens der Architekturhistoriker unterschiedliche Vorstellungen, wie die sich gegen oben hin verjüngenden Pyramidenstufen ausgesehen haben. Im Falle des Hadriangrabes sind die schriftlichen Beschreibungen weniger präzise, dafür hat sich mehr von der Bausubstanz erhalten. Auch hier gibt es einen Unterbau, nun in der Form eines quadratischen Sockels von 87 m Seitenlänge, aus dem heraus der sich verjüngende Zylinder wächst, der ursprünglich mit Marmor verkleidet war; und auch hier rechnet man mit baumbepflanzten Erdanschüttungen (Abb. 17). Vom tiberseitigen Eingang her und durch ein Vestibül führt ein spiralförmig angelegter Rampenweg nach oben und bildet somit eine Art Umgang in der dritten Dimension bis in den Kern der Anlage, die quadratische Grabkammer mit Tonnengewölbe: Hier war die Asche Hadrians und seiner Gattin Vibia Sabina, obwohl er mit ihr eine ziemlich 145 Pierce 1925; Knell 2008, bes. 47–58; Albers 2013, 170–174. 252 f.
Das Heroon in der Stadt
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Abb. 18: Apotheose des Kaisers Antonius Pius und seiner Gattin Faustina. Das Herrscherpaar wird von einem Genius emporgetragen.
belanglose Ehe geführt hatte, aus formalen Gründen beigesetzt; ihnen folgte später eine ganze Reihe verstorbener Kaiser der antoninischen und severischen Dynastie. Der krönende Abschluss auf der Spitze des Bauwerkes zeigte Hadrian stehend in einer Quadriga, im Griechischen das Fahrzeug von Göttern und Heroen, jedenfalls auch in römischer Zeit ein nicht alltägliches Fortbewegungsmittel. Vom ursprünglich in großer Zahl vorhandenen Figurenschmuck hat sich fast gar nichts erhalten außer zwei vergoldeten Pfauen aus Bronze, die von der Forschung als Sinnbild der Apotheose gedeutet werden, das heißt als eine jedem Betrachter verständliche Allegorie auf den hier bestatteten Personenkreis. Das Monumentalgrab bildet eine architektonische Einheit mit der Aelianischen Brücke, die in gerader Linie vom Grabportal über den Tiber auf das Marsfeld führt, wo sich auch der zugehörige Verbrennungsplatz befindet. Sowohl der städtebauliche Entwurf wie die Monumentalität der einzelnen Baukörper sind programmatische Zeichen für eine neu zu etablierende Dynastie mit einer mittlerweile gefestigten monarchischen Herrschaftsform. Dadurch erweist sich das Grabmonument als ein für die Ewigkeit gedachtes politisches Symbol für dynastische Ansprüche. Ein dauerhaftes Leben nach dem Tode garantierte die Vergöttlichung des Herrschers aufgrund außerordentlicher Verdienste. Den Segen dazu gab bisher der Senat. Die Apotheose, eingesetzt als propagandistische Zurschaustellung, findet ihren sinnfälligen Ausdruck auf dem Sockel der Ehrensäule des späteren Antoninus Pius (138–161 n. Chr.) und seiner Frau Faustina. Das Herrscherpaar, beide ausgerüstet mit einem Zepter, entschwindet auf den Schwingen eines Genius gen Himmel (Abb. 18).
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Dahingegen war Hadrian, was sein eigenes Leben im Jenseits betrifft, deutlich skeptischer, wie die von ihm selber auf dem Sterbebett verfassten Verse vermuten lassen.146 ANIMULA VAGULA BLANDULA HOSPES COMESQUE CORPORIS QUAE NUNC ABIBIS IN LOCA PALLIDULA RIGIDA NUDULA NEC UT SOLES DABIS IOCOS Kleine Seele, schweifende, zärtliche, Gast und Gefährtin des Leibes, die du nun entschwinden wirst, wo es fahl ist, starr und bloß, und du nicht wie gewohnt mehr scherzen wirst.
Dieser Sinnspruch offenbart die Diskrepanz zwischen einer offiziellen Verlautbarung der Vergöttlichung und der privaten Befürchtung vor dem Nichts.147
Orte des Heldengedenkens Die in Worte gefassten res gestae des Augustus und der Bilderfries des Traian haben gemeinsam, dass sie der Öffentlichkeit die außerordentlichen, „heroischen“ Taten von Herrschern an deren Grab in einem leicht verständlichen Medium vermittelten. Dabei diente der Heroenkult zu einem guten Teil der Legitimierung eines an die folgende Generation vererbten Machtanspruchs durch die Verdienste eines einzelnen hervorragenden Exponenten. Mithilfe ähnlicher Mittel und in der gleichen Absicht konnten retrograd die Verdienste hervorragender Ahnen aufgewertet und zur Darstellung gebracht werden. An einem öffentlichen Platz bildlich in Szene gesetzt wird ein solcher Ort zur Stätte eines Heroenkultes, ohne dass effektiv ein Grab existiert. Sind die propagandistischen Mittel klug eingesetzt, so werden die Botschaft und deren Inhalt in jedem Falle mit der anvisierten Person und deren familiären Umfeld in Zusammenhang gebracht. Zwar nutzte schon Pompeius den von ihm geplanten und finanzierten Theaterkomplex zu seiner eigenen Selbstdarstellung, die sich jedoch noch auf dem Marsfeld und damit außerhalb des eigentlichen Stadtgebietes, des Pomerium, abspielte. Das Großprojekt seines erklärten Gegenspielers Caesar hingegen, das Forum Iulium, sollte sich unmittelbar an das Forum Romanum anschließen, somit dem mythi-
146 Hist. Aug. Hadr. 25, 9. 147 Zanker 2004, 70 f.
Orte des Heldengedenkens
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Abb. 19: Rom. Cäsarforum. Der Tempel ist der Venus geweiht, der Stammmutter der Iulier und somit der Vorfahrin Caesars. Dem Forum angeschlossen ist die neu erbaute Curia.
schen und politischen Mittelpunkt der Stadt und des Reiches.148 Bereits der Erwerb des Bauplatzes kostete Unsummen, die nur mit den Erträgen aus den Gallischen Kriegen gedeckt werden konnten. Lage und Architektur des neuen Forums sowie die Ausstattung der Bauten waren so gewählt, dass sie bei jedem Römer eindeutige Sinnbezüge hervorriefen. Den Forumsplatz umschlossen zweischiffige Hallenbauten, wodurch erstmals im engeren Stadtgebiet ein geschlossener öffentlicher Raum entstand, dem ein durchdachtes architektonisches Prinzip zugrunde lag (Abb. 19). Damit stand er in einem augenfälligen Gegensatz zum alten Forum Romanum, dessen Bauten und Anlagen eher einer historisch gewachsenen Regellosigkeit entsprachen, die kaum einen repräsentativen Auftritt ermöglichte, wie ihn Rom unterdessen benötigte. Eindeutig in das architektonische Konzept eingebunden ist die ebenfalls neu errichtete Curia, die in einem rechten Winkel an die südliche Hallenecke anstößt. Der ironischerweise nach dem Diktator benannte Ratssaal, die Curia Iulia, hat an ihren beiden Schmalseiten Eingänge und bildet damit einen metaphorischen Durchgang vom alten Forum Romanum zum neuen Forum Iulium – oder im übertra-
148 Knell 2004, 28–35; Meneghini/Santangeli 2007, 31–42.
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genen Sinn von der altersschwachen Republik zu einer neu heraufdämmernden Epoche der Diktatur. Es fragt sich, ob die Römer das bei der feierlichen Einweihung des Bauwerks am 26. September 46 v. Chr. auch so sahen. Betrat man jedenfalls von der Curia durch die Portikushalle kommend den neuen Forumsplatz, so beherrschten zwei Monumente das Blickfeld: die Tempelfront am gegenüberliegenden Ende des Gevierts und das Reiterstandbild des Diktators in der Mitte. Beide machten den öffentlichen Raum zu einem Sanktuarium Caesars und der Gens Iulia. Der der Venus Genetrix geweihte Tempel verwies klar auf die „mythologische Tatsache“, dass Caesar in einer Verwandtschaft stand mit Venus, der Mutter des Aeneas, dem Stammvater der Iulier. Das Reiterstandbild soll ursprünglich Alexander den Großen auf seinem Schlachtross Bukephalos dargestellt haben, ehe es angeblich auf Caesar umgemodelt worden ist.149 Mit der Anlage des Forums übertrumpfte Caesar nicht nur seinen persönlichen Widersacher Pompeius, sondern propagierte auch gleich seine göttliche Abkunft und seine Gleichsetzung mit dem größten Kriegsheros aller Zeiten: Eine wahrlich starke Bildsprache. Auch das Augustusforum bindet sich architektonisch klar an das Forum Iulium an. Mit seinen ursprünglich vier Apsiden wurde es später das kleinere und gedrungenere Vorbild für das wiederum jüngere Traiansforum, wobei ein entscheidender Unterschied nicht zu übersehen ist: An der Stelle, an der beim Caesar- und beim Augustusforum noch ein Tempel stand, schraubt sich beim Traiansforum das Grabmonument eines vergöttlichten Kaisers in den Himmel. Die Machtverhältnisse zwischen Senat und Kaiser hatten sich in den gut hundert Jahren so verschoben, dass dies möglich geworden ist. Beim Augustusforum gestaltete sich die Selbstdarstellung noch relativ zurückhaltend, indem sich der mythologisch begründete Herrschaftsanspruch vor allem im Dekor auf eine Art Ausdruck verschaffte, die aufgrund der Quellenlage in einigen Punkten recht zuverlässig rekonstruiert werden kann. Den langrechteckigen Platz flankierten zwei tiefe Säulenhallen mit vier halbrunden Exedren, in denen überlebensgroße Statuen in Wandnischen standen (Abb. 20). Das Bildprogramm ist bekannt, wenngleich die Standorte der einzelnen Themen neu überdacht werden müssen, nachdem die nach den jüngsten Ausgrabungen unterdessen vier Exedren eine neue Funktion als Gerichtssäle und Archive zugewiesen erhielten.150 In der nördlichen Halle reihten sich die hervorragenden Mitglieder der iulischen Familie; ihnen gegenüber, auf der anderen Seite des Platzes, standen die übrigen historischen Gestalten, die sich um den Staat verdient gemacht hatten, angefangen bei Romulus. Auf Tafeln am Fuß der Statuen waren die Namen genannt, die Taten und Verdienste der Geehrten aufgelistet. „Niemals war diese Fami-
149 Morselli 1995, 300. 150 Zanker 1968; Zanker 1987, 196–217; Geiger 2008. – Bis anhin waren zwei Exedren bekannt; nach den neuesten Ausgrabungen rechnet man hingegen mit vier: Carnabuci 2010.
Orte des Heldengedenkens
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Abb. 20: Rom. Augustusforum. Das Bildprogramm in den halbrunden Exedren erzählte die Geschichte der großen Männer der römischen Geschichte bis hin zu Augustus. Das Forum wurde zu einem Heroon ohne Grab.
liengenealogie so systematisch und mit so großem politischen Effekt betrieben worden wie unter Augustus ... In der Gegenüberstellung von Aeneas mit den Iuliern und Romulus mit den summi viri Roms soll die Untrennbarkeit von julischer Familientradition und römischer Geschichte demonstriert werden.“ 151 In Anlehnung an den Buchtitel von Joseph Geiger könnte man von einer „hall of a famous person“ sprechen, deren Aufgabe es war, den Römern vor Augen zu führen: „Augustus was the State.“ 152 Von besonderer Bedeutung ist die Aeneasgruppe, die aufgrund von Analogien zu einem Idealbild rekonstruiert werden kann (Abb. 21). Der flüchtende Aeneas führt an der Hand seinen kleinen Sohn Askanios aus dem brennenden Troja; auf seinem Rücken trägt er den Vater Anchises, der seinerseits die geretteten Penaten umklammert: eine eindrücklich konzentrierte Darstellung der generationenübergreifenden pietas, der ehrfürchtigen Verehrung der Ahnen. In der Verlängerung der nördlichen Säulenhalle und in gleicher Ausrichtung wie der dem Mars geweihte Tempel lag ein Saal, an dessen Rückwand eine Kolossalstatue stand – auf gleicher Höhe und in einer Linie mit dem Kultbild in der benachbarten Cella (Abb. 20). Das Standbild stellte vermutlich Augustus Divus dar und machte den Raum zu einem Heroon, das aber erst von der Folgegeneration,
151 Zanker 1968, 18. 152 Geiger 2008, 7.
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Abb. 21: Denar um 100 v. Chr. Die bildhafte Ideologie des Ahnenkultes als eine Verkettung der Generationen: Aeneas trägt seinen Vater Anchises auf den Schultern. Das Thema ist oft ergänzt durch den Sohn Askanios, den er an der Hand führt.
vermutlich unter Claudius, eingerichtet worden ist. Es gibt auch Anhaltspunkte für die Existenz einer Statue Caesars, die sicher einen Ehrenplatz eingenommen hat, wenn sie nicht gar in der Cella neben Mars und Venus stand. Auch zwei Bilder Alexanders des Großen sollen von Augustus aufgestellt worden sein. Eine zweite wichtige Komponente an diesem Ort war neben der Genealogie die Erinnerung an siegreich verlaufene Waffengänge, denen Rom seine Größe verdankte. Das Forum selber wurde aus dem Erlös von Kriegsbeute finanziert, und bereits an den Eingängen und an vielen prominenten Stellen zierten Beutewaffen die Gebäude, teils in Originalen, teils umgesetzt zu Architekturdekor. Auch das berühmte Schwert Caesars soll in der Cella des Tempels aufbewahrt worden sein. Mit seinem Forum beabsichtigte Augustus einen würdigen Rahmen zu schaffen, in dem sich die römische Autorität eindrücklich entfalten konnte, bei staatspolitisch entscheidenden Verlautbarungen, bei wichtigen Auftritten des Heeres und anlässlich von Empfängen ausländischer Gesandtschaften. Dem Caesar- und dem Augustusforum fehlen die Gräber, um sie zu echten Heroa zu machen; Gedenkstätten für vergöttlichte Heroen, die einem politischen Kalkül folgen, sind sie jedoch allemal. Ihre Tempel sind Gottheiten geweiht, die in einer klaren Beziehung stehen zu den Bauherren und ihren genealogischen Ansprüchen: Venus steht für Caesar und Mars für Augustus. Die gleiche Absicht steckt hinter Siegesmälern, die mit ähnlichen Mitteln die Verdienste von Eroberern feiern. Denkt man zum Beispiel an die Rundbauten des Tropaeum Alpium des Augustus und von Adamclisi des Traian, so fällt eine formale Verwandtschaft mit den imperialen Tumulusgräbern auf, was wohl seinen tieferen Sinn darin hat, dass alle diese Bauwerke keine religiösen Trauermale sind, sondern politische Verlautbarungen zum Vorteil der Hinterbliebenen. Die architektonische Analogie der Grabmäler von Maus-
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sollos, Aeneas und Augustus bis Hadrian war den einschlägigen Personenkreisen in Rom bekannt – und ihre politische Botschaft nicht minder. Wichtig war es, die dynastische Verkettung der Generationen nicht nur bildhaft, sondern auch durch persönliche Präsenz zu markieren. So erschien Augustus bei der Einweihung seines Forums im Jahre 2 v. Chr. in Begleitung seiner zwei Enkel und designierten Nachfolger Gaius und Lucius, wie zuvor Aeneas den kleinen Askanios von Troja nach Rom geführt hatte. In einem besonders kritischen Moment wie zum Beispiel beim Todesfall des Herrschers war die persönliche Anwesenheit und entschlossene Initiative des Nachfolgers von größter Wichtigkeit, wenn es darum ging, die sterblichen Überreste des Herrschers zu behändigen und die Totenfeierlichkeiten wirkungsvoll zu zelebrieren. Zwei Episoden im Zusammenhang mit weiter oben behandelten Grabmälern zeigen das exemplarisch. Hadrian holte persönlich die sterblichen Überreste seines Adoptivvaters Traian in Kilikien ab, um sie dann nach Rom zu überführen und im Sockel der Siegessäule beizusetzen. In der folgenden Generation sorgt Antoninus Pius dafür, dass der während der Kur in Baiae verstorbene Hadrian in Puteoli kremiert und zwischenzeitlich bestattet wird, bis alle politischen Verfahren und baulichen Vorkehrungen in Rom abgeschlossen waren, was ein ganzes Jahr dauerte. Die ausgewählten Beispiele stammen aus den 150 Jahren der Hochblüte des Römischen Reiches. Damals flossen aus einem Weltreich mit schier unbegrenzten Mitteln ungeheure Reichtümer in die Hauptstadt, sodass die regierende Elite für ihre politischen und weltanschaulichen Ideen erst eine eigene Formensprache erfinden musste, um diese in Steinarchitektur umsetzen zu können. Es war aber auch der Moment, in dem der tiefgreifende Wandel von der Republik zum Principat und Kaisertum einer Rechtfertigung bedurfte. Die Monumentalbauten waren ein wirkungsvolles Medium, um auch leseunkundige Bevölkerungsschichten eine Erinnerungskultur vor Augen zu führen, wie sie sonst der Geschichtsschreibung obliegt. Architektur und Kunst geben zusammen mit den schriftlichen Überlieferungen die Anhaltspunkte, um die damaligen Verhältnisse auf eine Art und Weise zu rekonstruieren, wie es für prähistorische Verhältnisse nördlich der Alpen nie möglich sein wird. Der Forschung werden aber Anhaltspunkte geliefert, wo sie erhöhte Sensibilität bei der Beobachtung von archäologischen Befunden walten lassen könnte.
Das Grab als Erinnerungsort Die monumentalen Grabanlagen von Augustus, Traian und Hadrian stellen sozusagen die Spitze des Eisbergs in der Geschichte des Bestattungswesens der Stadt Rom dar. Ihre zeitenüberdauernde Architektur und die zeitgenössischen Beschreibun-
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gen verhalfen der Forschung bei diesen Personen zu einem Kenntnisstand, der in einem schroffen Gegensatz zum ganzen Rest der Bevölkerung steht. Wie aber verhielten sich die übrigen Stadtbewohner gegenüber dem Ahnenkult für ihre verstorbenen Angehörigen? Auch hier eignet sich Rom relativ gut, um sich ein Bild zu verschaffen. Aus dem bisher Gesagten ist zu schließen, dass Aufwand und Erscheinungsbild der Gräber von verschiedenen Faktoren abhängig sind: von der herrschenden politischen Situation, von der Rolle des Verstorbenen beziehungsweise dessen Familie in der Gesellschaft sowie von einer eventuellen Absicht, mit der die Form des Grabmals gewählt wurde, um der sozialen Stellung gerecht zu werden. Aus archäologischer Sicht stellen sich die folgenden Fragen, denen punktuell und exemplarisch nachgegangen wird. Wie sind die Grabmäler gestaltet und wie ändert sich ihre Form je nach den Bedürfnissen? Sind archäologische Spuren von rituellen Handlungen erkennbar? Wie nicht anders zu erwarten, spielen die Stellung der gens, des Sippenverbands, und der familia, der Kernfamilie, eine entscheidende Rolle.153 Vor dem 3. Jahrhundert v. Chr. treten architektonisch gestaltete Gräber in Rom noch kaum in Erscheinung. Einzelne Friedhöfe mit einfachen Erdbestattungen streuen vor den Toren der Stadt locker verteilt im offenen Gelände. Aufwendigere Anlagen sind selten und scheinen einzelnen Familien der senatorischen Aristokratie vorbehalten gewesen zu sein. Das bekannteste und immer wieder angeführte Beispiel sind die Kammergräber der Scipionen in der Nähe der Via Appia, wenige hundert Meter vor der aurelianischen Porta Appia, heute Porta San Sebastiana.154 Das in einen niederen Tuffrücken hineingetriebene Kammersystem steht in der Tradition etruskischer Anlagen dieser Art. In den regelmäßig angeordneten, aber ziemlich engen Gängen öffnen sich Nischen, die Raum für höchstens dreißig Sarkophage boten. Pinselaufschriften und Inschriften an den Wänden der Sarkophage verraten die Namen und preisen die Verdienste der hier bestatteten Männer und – seltener – Frauen. Die älteste Inschrift nennt L. Cornelius Scipio Barbatus, der das Amt eines Konsuls im Jahre 298 v. Chr. innehatte; sein Sarkophag steht dem Haupteingang gegenüber am Ende des Mittelganges. Das letzte Familienmitglied, das hier Platz gefunden hatte, ist Paulla Cornelia, die zwischen 130 und 120 v. Chr. starb. Die Gruft war offenbar nur dem allerengsten Familienkreis vorbehalten; für entferntere Verwandte, Freigelassene oder Sklaven fehlt es ganz offensichtlich an Raum. An die Gesinnung der hier Gebetteten und deren Familienstolz erinnert die Inschrift am Sarkophag des Scipio Hispanus (Prätor im Jahre 139 v. Chr.). Sie ist in elegischen Distichen, einem griechischen Versmaß, abgefasst:
153 Heinzelmann 2001. – Überblicksarbeiten zu Grabbauten in Rom und den Provinzen siehe Eisner 1986; von Hesberg 1992. 154 Coarelli 1972; Coarelli 2000, 350–361.
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VIRTUTES GENERIS MIEIS MORIBUS ACCUMULAVI PROGENIEM GENUI, FACTA PATRIS PETIEI, MAIORUM OBTENUI LAUDEM, UT SIBEI ME ESSE CREATUM LAETENTUR, STIRPEM NOBILITAVIT HONOR Die Verdienste meines Geschlechts habe ich durch meinen Lebenswandel gemehrt, habe Nachkommenschaft gezeugt, den Taten meines Vaters nachgestrebt, habe an dem von meinen Ahnen erworbenen Ruhm festgehalten, so dass mich zum Nachkommen zu haben ihnen Grund zur Freude ist. Und die (von mir errungene) Ehre adelt meine Nachkommenschaft. 155
Mit aller Deutlichkeit bringt die Sentenz die Bedeutung der generationenübergreifenden Verkettung der Familienmitglieder, das heißt des innersten Zirkels der familia, zum Ausdruck, wenn man den Schlüsselworten folgt: „Wie man sieht, begreift sich der Einzelne hier noch ganz und gar als Glied seiner Sippe (gens) und als Verwalter ihres Ruhmes (laus). Durch das Zeugen von Nachkommen sorgt er für ihren Fortbestand, und ihren Ruhm erhält und mehrt er, indem er sich, den Taten (facta) seines Vaters und seiner Vorfahren nacheifernd, durch eigene Taten und Tugenden (virtutes), die sich in seinen Sitten (mores) manifestieren, selber Ruhm und Ehre (honos) erwirbt. Dadurch trägt er seinen Teil zum Adel (nobilitas) seiner Nachkommen bei, denn dieser beruht nach der hier sich ausdrückenden Auffassung vor allem auf den Leistungen der Vorfahren: honor maiorum progeniem nobilitat.“ 156 Das Scipionengrab erfuhr im 2. Jahrhundert v. Chr. eine Aufwertung, indem es eine prunkvolle Fassade vorgesetzt erhielt, deren architektonische Vorbilder aus dem hellenistischen Osten des Reiches stammen. Zu deren Rekonstruktion gibt es unterschiedliche Meinungen.157 Mit einer Breite von 27 m und einer Höhe von 9 m entstand jedenfalls ein stattlicher Prospekt: Über einem zwei Meter hohen Podium erhob sich eine Galerie von Halbsäulen. An den Wänden haben sich die Spuren von großflächigen Fresken mit militärischen Themen erhalten, es gibt aber auch Nachrichten von Standbildern der bedeutendsten Vertreter der Familie, die wohl in die Fassade eingelassen waren (Abb. 22). Damit wurde das Grabmal zu einem Denkmal, das an die Verdienste der ganzen Familie erinnerte. Zwei Felsvorsprünge zu beiden Seiten des Podiums bilden den Rahmen für einen Vorhof. Die Monumentalisierung der Grablege der Scipionen ist nicht etwa ein Einzelfall. Eine im 2. Jahrhundert v. Chr. neu einsetzende, allgemeine architektonische Aufwertung der Grabmäler aristokratischer Kreise steht im Zeichen des wirtschaftlichen Aufschwunges nach dem Zweiten Punischen Krieg, als beträchtliche Reichtümer in die Stadt zu fließen begannen. Die neue Wohlhabenheit führte zu einem
155 CIL VI 1293. 156 Neumeister 1991, 273 f. 157 Lauter-Bufe 1982; Coarelli 2000, 350–352.
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Abb. 22: Rom. Grab der Scipionen. Standbilder und großflächige Fresken verwiesen auf die Taten des ehrwürdigen Geschlechts. Aber nur die obersten Häupter der weitverzweigten Familie fanden hier im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. ihre letzte Ruhestätte.
politischen Wettbewerb unter den führenden Familienverbänden, die in der Ausgestaltung der Grabmäler ein zunehmend wichtiges Mittel sahen, um die Verdienste von verstorbenen Familienmitgliedern – und damit sich selber – ins richtige Bild zu setzen. In diese Argumentationslinie passt auch eines der heute noch bekanntesten Grabmäler Roms, das Grab der Caecilia Metella. Beim dritten Meilenstein an der Via Appia gelegen und von der leichten Höhenlage am Ende eines langgestreckten Lavarückens profitierend, überblickt der Rundbau die Campagna vor den Toren der Stadt, war aber auch für jeden Reisenden, der sich der Metropole auf der Hauptstraße von Süden her näherte, unübersehbar. Eine am Gebäude angebrachte Marmortafel identifiziert die hier bestattete Person als Caecilia Metella. Ein weiterer Blickfang an der Fassade bildet der Reliefschmuck in Form von Girlanden, Bukranien und Waffenreliefs (Abb. 23). Ist schon die Größe des Bauwerks ungewöhnlich für eine Frau, so ist die Wiedergabe des Tropaion als militärisches Siegessymbol geradezu unvereinbar mit dem Geschlecht der Caecilia Metella. Die Suche nach des Rätsels Lösung führt tief hinein in die Prosopografie und die politischen Verhältnisse der frühen Zwanzigerjahre vor der Zeitwende.158 Dann wird auch klar, dass Caecilia nicht nur aus der hochangesehenen Familie der Metelli stammte, sondern auch in die noch berühmtere Familie der Crassi eingeheiratet hatte, indem sie den Enkel des bekannten Triumvirs heiratete, nämlich M. Licinius Crassus. Da der Gatte der Caecilia Metella früh verstarb, muss der Auftraggeber für ihr Grab ihr gleichnamiger Sohn gewesen sein, von dem man weiß, dass er im Jahre
158 Gerding 2002; Paris 2000.
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Abb. 23: Rom. Relief am Grab der Caecilia Metella. Selbst das Grabmal einer Frau konnte mit Kriegstrophäen geschmückt sein, wenn es darum ging, die Verdienste der Familie in der Geschichte hervorzuheben.
30 v. Chr. das Amt eines Konsuls innehatte. Als damaliger pater familias und Erbe eines gewaltigen Familienvermögens war M. Licinius Crassus junior für die Gestaltung der Leichenfeier und den Bau des Grabmals seiner Mutter verantwortlich, folgt man Henrik Gerdings raffinierter Beweisführung. Dieser Sohn der Caecilia Metella brillierte nach seinem Konsulat mit ungewöhnlichen Militärerfolgen und persönlicher Tapferkeit vor dem Feind in Thrakien und Moesien, was zu einem „silent conflict“ mit dem etwa gleichaltrigen Octavian führen musste.159 Dem aufstrebenden Octavian gelang es, die verdiente Anerkennung der glänzenden Leistungen des Crassus mit formalen Ausflüchten zu hintertreiben – etwa zur gleichen Zeit, als er selber sich mit der Planung seines eigenen Mausoleums zum kommenden Heros aufwarf. Die Idee, mit gleicher Argumentation an der Via Appia ein Grab und Heroon zu bauen, ist die trotzige Reaktion eines um seinen Erfolg geprellten,
159 Gerding 2002, 65–73. 116–125.
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gekränkten Gegenspielers, aber gleichzeitig auch das politische Statement zweier mächtiger, ins Abseits gedrängter aristokratischer Familien der Metelli und der Crassi. Unter dem Deckmantel des Grabes einer Frau war diese Herausforderung ein Wagnis, das gerade noch eingegangen werden konnte. Es ist aber zu befürchten, dass die Rechnung gleichwohl nicht aufgegangen ist. Jedenfalls taucht der Erbauer des Grabmals, M. Licinius Crassus, trotz seiner glänzendsten Verdienste nicht mehr in den Annalen der Geschichte auf. Und das Grab der Caecilia Metella scheint einer der letzten privaten Monumentalbauten gewesen zu sein, die Augustus neben seinen eigenen Machtdemonstrationen noch tolerierte. Zylinderförmige Grabbauten, wie derjenige der Caecilia Metella beziehungsweise des M. Licinius Crassus, scheinen im 1. Jahrhundert v. Chr. ein Vorrecht von Feldherren, die einen Triumph feiern konnten, gewesen zu sein, was später nicht mehr von Bedeutung war, als überhaupt nur noch Augustus und Mitglieder des Kaiserhauses berechtigt waren, Triumphe zu begehen.160 Hingegen erregten Grabformen auch exotischer Art, die keine politischen Botschaften implizierten, keinen besonderen Anstoß. Ein gutes Beispiel dafür ist die Pyramide des Caius Cestius an der Via Ostiensis.161 Das eindrückliche Denkmal blieb hervorragend erhalten, da es als Bastion in der aurelianischen Stadtmauer miteinbezogen wurde und im Mittelalter als Wegmarke der christlichen Pilgerströme diente. Ihre vier steilen Seitenflächen sind glatt gefügt; die Kanten des quadratischen Grundrisses messen an der Basis 30 m. Vier Säulen markieren als architektonisches Beiwerk die Ecken; bei einer fanden sich die Überreste einer bronzenen Ehrenstatue, in der man das Abbild des Cestius selber vermutet. Eine ringsherum führende Mauer begrenzte den Sepulkralbezirk. Auf der von der Straße abgewandten Rückseite bilden zwei L-förmige Fundamente vielleicht die Überreste eines fest installierten Trikliniums für die Festgelage während der Totenfeiern und der Familienzusammenkünfte, die hier alljährlich zum Geburts- und zum Todestag des Cestius abgehalten wurden. Die Grabkammer im Innern wurde nach der Beisetzung fest verschlossen; es war also keine Totenfolge von Nachkommen vorgesehen, wie wir sie bei der vornehmsten Nobilität festgestellt haben. Eine Inschriftentafel schildert die zwar eindrückliche Ämterlaufbahn des Caius Cestius, bei der aber doch der krönende Abschluss, nämlich das Konsulat, fehlt. Dafür rühmt sich der Grabeigner in einer zweiten Inschrift der Freundschaft hochstehender Persönlichkeiten des Kaiserhauses. Aufgrund von Namensnennungen und von historischen Zusammenhängen rechnet man mit dem Tod des Cestius und dem Bau der Pyramide in den Jahren nach 20 v. Chr. Dieses Datum könnte vielleicht auch die Pyramidenform des Grabmals erklären, wenngleich ganz allgemein seit dem Bürgerkrieg alles, was mit Ägypten zusammenhing, in der römischen Gesell-
160 Gerding 2002, 88 f. 161 Krause 1999; Haase 2013.
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schaft hoch im Kurs stand. Genau genommen fanden aber 23/22 v. Chr. in Oberägypten Militäraktionen statt, die römische Truppen bis Napata nahe des vierten Nilkataraktes im heutigen Nordsudan geführt haben sollen. Das ist insofern von Interesse, als die dortigen Pyramiden im Gegensatz zu Unterägypten ebenso steilwandig sind wie diejenige des Cestius in Rom. Als hoher Beamter könnte Cestius selber in die Unternehmungen in Ägypten involviert gewesen sein und in der Folge durch seine Nähe zum Kaiserhaus auch zu einem Vermögen gelangt sein, über das er jedenfalls verfügt haben muss, wenn man sein Grabmal in Rechnung stellt. Und falls er aktiv und vor Ort oder auch nur indirekt am erfolgreichen Kriegsgeschehen in Oberägypten teilhatte, erhielte die Pyramide insgeheim doch auch den Gehalt eines – allerdings privaten – Siegesmonuments. Noch in Stadtnähe und an der stark begangenen Straße zum Meereshafen nach Ostia erheischten die blendend weißen Pyramidenflächen aus Luni-Marmor bei den Passanten zweifellos die gewünschte Aufmerksamkeit. In ihnen widerspiegelt sich „das Bild eines politischen Mitläufers aus der zweiten Reihe, stolz auf seine Verbindungen, auf seinen Reichtum und seinen Sinn für das feine Leben“.162 Weniger zurückhaltend musste sich die vermögende Oberschicht im 2. Jahrhundert n. Chr. geben, wenn es galt, ihre Sonderstellung im römischen Zivilleben zu manifestieren. Auch hier bot das Grabmal eine adäquate Form der Selbstdarstellung. Eine Exklusivität für Rom sind die Grabtempel, von denen sich in der Caffarella zwischen der Via Appia und der Via Latina gute Beispiele erhalten haben. Bereits die einen Tempel imitierende Bauform ist ein Hinweis darauf, dass den hier Bestatteten eine gottähnliche Verehrung zugestanden wurde. Im Kaiserhaus war die Apotheose von Familienmitgliedern auch der zweiten Reihe unterdessen üblich geworden, was sich offenbar mindestens der Form nach auf weitere Kreise übertrug. Da dies aber im öffentlichen Raum nicht möglich war, boten sich die stadtnahen, privaten Villengrundstücke für solche Gedenkstätten an: Ihre Gärten waren zu einem heiligen Hain ausgestaltet (man erinnere sich an die Parkanlagen rund um die Grabtumuli von Augustus und Hadrian), in denen das Grabtempelchen den Mittelpunkt bildete (Abb. 24).163 Beredtes Beispiel für ein solches Ansinnen sind zwei Inschriften, die bereits im 17. Jahrhundert an der Via Appia nahe San Sebastiano gefunden worden sind. Die zwei in Griechisch abgefassten Epigramme stammen aus dem Eingangsbereich eines Grundbesitzes des Herodes Atticus (101–177 n. Chr.) und beziehen sich auf seine Frau Annia Regilla, deren eigentliche Grabstätte sich allerdings in Athen befindet. Im wortreichen Text werden Eigenschaften der betrauerten Gattin zu den beiden Göttinnen Demeter und Persephone in eine Beziehung gesetzt, wodurch sich die
162 Neudecker 2005, 109. 163 Griesbach 2007, 30–56. – Das berührende Beispiel einer als Venus porträtierten Verstorbenen bei Walker 1985, 39, Fig. 28.
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Abb. 24: Rom. Valle di Caffarella. Das Grabmal in Form eines Tempels auf privatem Grundstück vor der Stadt versinnbildlicht die große Verehrung bis zur Heroisierung eines verstorbenen Familienmitglieds.
verstorbene Person und die Gottheiten gegenseitig so durchdringen, dass selbst eine im Grabtempel aufgestellte Statue mit göttlichen Attributen eine doppelte Deutung evozieren musste. Sinngemäß lauten denn auch die an den Besucher der Weihestätte gerichteten Verse: ... Du aber, wenn Du willst, bringe heilige Opfer dar! Es besteht zwar kein Zwang zum Opfer... es ist jedoch gut für die Gottesfürchtigen, auch die Heroen zu ehren. Regilla war nämlich nicht sterblich; sie war allerdings auch keine Göttin.“ 164
In diesem Falle entsteht eine auf raffinierte Weise offen gehaltene Fiktion zwischen menschlicher Vergänglichkeit und göttlicher Unsterblichkeit, was auch Wirkung zeigt auf die Interpretationen des Epitaphs durch die Forschung, die zwischen einer Heroisierung und einer „verklärenden Überhöhung der Verstorbenen, ohne dass damit eine gottähnliche Erhebung in Art einer Apotheose“ gemeint wäre, schwankt.165 Am ehesten ist die Verklärung ebenso der tiefen Trauer des Gatten
164 Griesbach 1992, 39. 165 von Hesberg 1992, 182.
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geschuldet wie einem gewissen Nachahmungstrieb des gesellschaftlichen Ideals, für welches das Kaiserhaus vorbildhaft wirkte. Dieser Trauergestus war an eine soziale Öffentlichkeit gerichtet, wo er seine Wirkung wohl kaum verfehlt haben wird, muss er doch auch als eine Aussage des trauernden Ehegatten in Bezug auf sein eigenes Selbstverständnis gesehen werden; offen bleibt, was sich der realdenkende römische Bildungsbürger bei der Apotheose beziehungsweise Heroisierung der Annia Regilla dachte. Diese Verwischung der Grenzen zwischen Menschen und Göttern im Totenkult stach besonders den christlichen Zeitgenossen ins Auge, wie aus den sehr präzise formulierten Beobachtungen Tertulians am Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. hervorgeht: „Den Göttern erbaut ihr Tempel, Tempel in gleicher Weise auch den Toten; den Göttern errichtet ihr Altäre, Altäre in gleicher Weise auch den Toten ... Die gleiche Gestalt gebt ihr den Bildern der Statuen, je nach dem, welche Kunst oder welches Handwerk einer ausübte oder in welchem Alter er war. Der Greis wird nach Saturn, der bartlose Jüngling nach Apollo, die Jungfrau nach Diana gebildet. Der Soldat wird in Mars und der Schmied in Vulkan konsekriert.“ 166 Die öffentlichkeitswirksame Ausgestaltung von Gräbern im Zuge der Hellenisierung Roms führte nicht nur zu den bekannten, beschriebenen Grabmälern der allerobersten Nobilität, sondern fand ihre Nachahmer auch in weiteren Kreisen, die etwas auf sich hielten.167 Das Grabmonument wurde zu einem wichtigen Mittel, um den Status einer Person oder Familie in der Öffentlichkeit zu demonstrieren, wobei ein gewisser sozialer Druck, dem Richtmaß zu genügen, nicht unterschätzt werden darf. Dabei galt es das Monument als Erinnerungsmal für die Ewigkeit möglichst wirkungsvoll in Szene zu setzen, was in den Gräberstraßen am effektivsten zu erzielen war. Dies hatte zur Folge, dass die Ausfallstraßen Roms – und in der Folge aller Städte des Reiches – dicht von Grabdenkmälern flankiert waren. Favorisiert waren natürlich die wichtigsten und am stärksten begangenen Magistralen, und hier waren die neuralgischen Punkte bevorzugt: Straßenkreuzungen und Abzweigungen erhöhten die Aufmerksamkeit, Standorte an Straßenbiegungen und auf Anhöhen zogen den Blick der Passanten auf sich. Da das Grundstück für ein Grabmal käuflich erworben werden musste, gerieten straßennahe Parzellen zu Spekulationsobjekten. Je nach Aufwand konnte man sich ein freistehendes, gut sichtbares Mal leisten. Platznot bewirkte jedoch eine erhöhte Nachfrage, je mehr Familien sich diese Ausgaben leisten wollten oder – um den standesgemäßen Erwartungen zu genügen – leisten mussten. Eine erhöhte Verdichtung erfasste daher alle Straßenzüge in Stadtnähe, sie erfolgte jedoch auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Die Zwischenräume einer locker der Straße entlang gesetzten Grabreihe konnte aufgefüllt werden. Ebenso war eine anschließende
166 Tertullian, nat. 1, 10, 26–27. 167 Von Hesberg/Zanker 1987, 10–12; von Hesberg 1992, 5–9; Purcell 1987; Griesbach 2007, 11–14.
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Abb. 25: Ostia. Das Gegenteil einer öffentlichkeitswirksamen Grabarchitektur sind die „Umfassungsgräber“. In abgeschlossenen, nicht einsehbaren Mauergevierten werden die Urnen den Mauern entlang vergraben.
Staffelung nach der der Straße abgewandten Seite in mehreren Reihen möglich, wenn es nicht sogar gelang, sich zwischen die erste Reihe und den Straßenrand vorzudrängen. Als die Bodenpreise ins Unermessliche stiegen, musste auf eigens gebaute, parallel geführte Nebenstraßen ausgewichen werden, um die Nachfrage nach Boden zu befriedigen. Im Verlaufe des 1. bis 3. Jahrhunderts n. Chr. änderten sich die Grabsitten stetig. Die bevorzugten Standorte befanden sich zwar noch immer in Straßennähe, die Bauten selber erfuhren jedoch eine zunehmend zurückhaltende Ausgestaltung, was ihre Außenwirkung betrifft: Die anfangs „extrovertierte Selbstdarstellung“ machte einer „introvertierten Repräsentation“ Platz,168 indem sich die Verwendung von kostbaren Baumaterialien sowie die künstlerische Ausgestaltung in Form von Bodenmosaiken und Wandmalereien von den Außenfassaden auf die Innenräume der Grabgebäude verlagerte. Diese Geisteshaltung offenbart sich am deutlichsten im Typus der sogenannten Umfassungsgräber (Abb. 25). Diese kennzeichnen ein hohes, oben offenes Mauergeviert, das den Einblick in einen kleinen Grabgarten, in denen die verschiedenen Angehörigen einer Familie bestattet sind, verwehrt. Die Urnen sind meist den Mauern entlang oder auch auf die Innenfläche verteilt in den Boden versenkt. Da bisweilen nicht einmal Tordurchlässe vorhanden sind, muss der Zutritt sogar mittels hölzernen Treppen oder Leitern über die Mauern hinweg improvisiert worden sein:
168 von Hesberg 1992, 22–45.
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Ein deutlicherer Ausdruck für die Privatheit des Totenkultes von Familienangehörigen ist kaum mehr möglich. Die Aufrechterhaltung des Totengedenkens, das einen immer weiteren Bevölkerungskreis erfasste, sowie der Platzmangel für Gräber auf geeigneten Arealen, der die Preise steigen ließ, führten in Rom zur „Erfindung“ der Columbarien, die auch etwas abseits den Straßen gelegen sein konnten.169 Diese oberirdischen Gebäudekomplexe boten auf mehreren Etagen nicht nur Platz für eine Vielzahl von Graburnen, deren Nischen an die Nistplätze in Taubenschlägen erinnern, daher der Name columbarium (Abb. 26), sondern sie umfassen auch Räume, in denen die Kultfeierlichkeiten abgehalten werden konnten. In Ostia zeigen wiederholte Instandstellungen von Triklinien, dass diese häufig für Festmähler benutzt wurden. Die Forschung geht davon aus, dass vermögende Sklaven und Freigelassene des Kaiserhauses und anderer senatorischer Familien wichtige Impulse für diese Art von Grabanlagen gaben, die sich dann aber rasch verbreiteten; unterhalten wurden sie von sich selbst organisierenden „Begräbnisvereinen“, deren zahlende Mitglieder sich aus einer städtischen Mittelschicht rekrutierten. Ähnlich in ihrem Charakter sind die unterirdisch in den Tuff gegrabenen Katakomben, oft weit verzweigte Gangsysteme und Kammern, deren Gemeinsamkeit die ebenfalls in die Wände eingelassenen, immer in mehreren Reihen übereinander angeordneten und zum Teil winzigen Urnennischen sind. Durch ihre frühe Entdeckung im 18. Jahrhundert und die vorausgegangene Suche nach Reliquien von christlichen Märtyrern wurden diese Anlagen jedoch meist wichtiger Informationen beraubt, weshalb es zu Fragen der Datierung, der Ausgestaltung und auch zum Personenkreis der hier Bestatteten nicht immer die gewünschten Antworten gibt. Eine luxuriöse, kompetitive Selbstdarstellung war in den Kreisen, die in Columbarien und Katakomben bestatteten, kaum möglich und auch nicht nötig. Wichtig war hingegen der individuelle Grabplatz an einem genau definierten Ort (loculus), vor dem die sich wiederholenden Kultfeierlichkeiten abgehalten werden konnten. Deshalb sind die Nischen manchmal auch mit den Namen und persönlichen Daten der Verstorbenen versehen, was sie von vielfach anonymen Bestattungen heraushob. Diese Form des Monuments kam den christlichen Glaubensgemeinschaften entgegen: Ihre Mitglieder verhielten sich egalitär, hingegen benötigten die Überreste ihrer Toten einen Aufbewahrungsort bis zur Wiederauferstehung zum Jüngsten Gericht. Für sie wurden die Nischen vergrößert, um Raum für Ganzkörperbestattungen zu schaffen. Diese Bestattungsart der Inhumation war im 2. Jahrhundert aber nicht nur bei Christen, sondern auch bei Mitgliedern altrömischen Glaubens in Gebrauch.
169 von Hesberg/Zanker 1987, 12–14; von Hesberg 1992, 76–93; Heinzelmann 2000, 63–72; Heinzelmann 2001, 185–186.
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Abb. 26: Rom. Colombario di Vigna Codini. Grabnischen in Katakomben und Columbarien konnten gegen Bezahlung erstanden werden. Aber auch sie waren nicht für jedermann erschwinglich.
Die vielfältigen und schnell wechselnden Erscheinungsformen der Grabbauten in der frühen und mittleren Kaiserzeit widerspiegeln die politischen und wirtschaftlichen Prozesse im Großraum Rom. Im Einzelnen sind sie durch die ökonomischen Verhältnisse und sozialen Anforderungen der Auftraggeber bedingt, wie sich am Beispiel von Ostia besonders eindrücklich zeigt.170 Eine besonders interessante Gruppe sind dort die augustales, zu denen auch Freigelassene gehören, die den örtlichen Kaiserkult besorgten. Dieses Amt musste mit eigenen Mitteln bestritten werden, war jedoch mit einem gewissen Prestige und Einfluss verbunden, obwohl Theodor Mommsen der Meinung war, dass dabei „nichts reell war als die Kosten
170 Heinzelmann 2000, 118–122.
Das Grab als Erinnerungsort
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und der Pomp.“ 171 Als Würdenträger hatten die Augustalen ein hohes Bedürfnis nach Selbstdarstellung, in die sie investieren mussten, was sich nicht zuletzt in der Architektur ihrer Grablegen äußerte. In seiner umfassenden Arbeit über die Nekropolen von Ostia setzte Michael Heinzelmann das wechselvolle Auf und Ab im Bestattungswesen von Ostia in einen sozialen, politischen und ökonomischen Zusammenhang mit der Geschichte Roms und seines Hafens. Eine religiöse Ursache für die vielschichtige Gestaltung wird nicht in Erwägung gezogen, geschweige denn diskutiert. Dazu gäbe es auch keinen Anlass. Durch den Eintritt in einen Begräbnisverein oder eine Religionsgemeinschaft war zwar für den dauernden Unterhalt des Grabes nach dem Tode gesorgt, bezahlt werden musste der Platz aber in jedem Falle vorher. Für einen beträchtlichen Teil des städtischen Proletariats dürfte diese Investition unerschwinglich gewesen sein. Zwar ist es aus heutiger Sicht unmöglich, eine direkte Abgleichung zwischen den unterschiedlichen Grabtypen und der in verschiedene Sozialschichten aufgespaltenen Gesamtbevölkerung herzustellen; dazu fehlen uns die statistischen Grundlagen. Es gibt jedoch gewisse Anhaltspunkte, die darauf hinweisen, dass bei Weitem nicht jeder Bewohner und jede Bewohnerin der Stadt ein persönliches Grab erhielt und ein großer Teil der Bevölkerung unter den bis jetzt beschriebenen Bestattungssitten gar nicht aufscheint. Noch als Einzelindividuen fassbar ist eine bestimmte Menschengruppe, die in den Villen des ländlichen Suburbium von Rom lebte und starb.172 Hinweise zu ihrer Stellung in der sozialen Hierarchie liefern punktuelle anthropologische Untersuchungen, die in den letzten Jahrzehnten am Skelettmaterial aus den Gräbern vorgenommen worden sind. Wiederkehrende Merkmale sind pathologische Erscheinungen, hervorgerufen durch schwere körperliche Arbeit: Arthrosen, Muskelüberbeanspruchungen, Traumata der Gelenke und Wirbelsäule sowie mannigfache Knochenbrüche, die beide Geschlechter gleichermaßen betreffen. Mangelerscheinungen, Infektionskrankheiten und Parasitenbefall sprechen von einer wenig komfortablen Lebensweise dieser Menschengruppe auf den ländlichen Vorstadtgütern. Unter den einfachen „Erdbestattungen“ gibt es dennoch einige wenige, die durch eine Steinsetzung oberirdisch markiert sind oder ein gehobeneres Beigabenniveau aufweisen und dadurch in einem Kontrast stehen zur weitaus größeren Zahl der übrigen „Normalgräber“. Hinter der Hierarchisierung verbergen sich höchstwahrscheinlich einerseits Verwalter der nahe gelegenen Villen und andererseits einfache Pachtbauern, Freigelassene, Lohnarbeiter oder Sklaven, die auf den Gütern arbeiteten. Die architektonisch gestalteten Monumentalgräber, die bisweilen
171 Der Kleine Pauly 1 (1979) 739 „Augustales“. 172 Griesbach 2007, 129–141.
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auf dem Areal der Villen ebenfalls zu finden sind, bilden hingegen eine Kategorie für sich; sie bergen die Toten der üblicherweise in der Stadt wohnenden Eigentümerfamilie. Um die Bestattung der Personen in den „sepolture povere ... di chi lavorava queste terre“ kümmerte sich der Grundbesitzer wohl kaum. Dennoch scheint es denkbar, dass diesen Personen zumindest an den Grundstücks- und Straßenrändern ein Grabplatz gewährt wurde, ohne dass sie den Boden kaufen mussten.173 Fehlten der städtischen Plebs die eigenen Geldmittel oder die Fürsorge eines Patrons, so blieben wohl nur noch die puticuli oder die staatlich eingerichteten „Verbrennungsanlagen“. Bei den berüchtigten puticuli handelt es sich um Massengräber, auf die man in den Jahren 1874 bis 1885 in der Gegend südlich der heutigen Stazione Termini in Rom gestoßen ist und die damals leider kaum dokumentiert zerstört worden sind.174 Von mehreren hundert ausgemauerten Schächten von bis zu zehn Metern Tiefe war die Rede, etwa 75 hat Rodolfo Lanciani selber untersucht. Sie waren aufgefüllt mit jeweils wohl mehreren hundert Leichen, vermengt mit Tierkadavern und Hausmüll. In einem Fall war ein Grabenabschnitt von 50 × 30 m, den man 1876 vor der Porta Esquilina entdeckte, mit den Überresten von hochgerechnet 24 000 Menschen verfüllt. Vielleicht zwang das rasche Anwachsen der Einwohner das Auffüllen des offenen Befestigungsgrabens, andererseits kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um die Opfer einer Epidemie handelt, die möglichst rasch unter die Erde gebracht werden mussten. Drei Inschriftensteine ähnlichen Inhaltes markierten die Grenzen einer Zone, in der das „wilde“ Deponieren von Unrat und Leichen verboten war. Dass mit dem in den Inschriften verwendeten Begriff cadaver keine Tierkadaver, sondern Menschen gemeint waren, veranschaulichten die archäologischen Entdeckungen am Ort. Dieses Areal vor der Porta Esquilina wurde in spätrepublikanischer Zeit mit Bauschutt planiert, womit das Problem der „Leichenentsorgung“ aber keineswegs gelöst war. Diese Art von „Armenfriedhöfen“ lässt sich nicht mit den „prächtigen Gräberstraßen vergleichen, die für römische Städte so charakteristisch geworden sind. Sie dienten nicht der Erinnerung an Verstorbene, sondern in erster Linie der Entsorgung“. Stefan Schrumpf fand in einigen Textstellen Hinweise, dass diese Aufgaben später von staatlich unterhaltenen Krematorien übernommen worden sind. Zu seinen Indizien gehören beiläufige Hinweise wie zum Beispiel bei Martial, der einen elenden Toten erwähnt, „wie sie der Scheiterhaufen zu tausenden aufnimmt“.175 Solche Verbrennungsplätze hinterließen jedoch keine archäologischen Spuren.
173 Griesbach 2007, 137. 174 Lanciani 1888, 64–67; Bodel 1994, 38–54; Schrumpf 2006, 119–138. 175 Schrumpf 2006, 123. 135. – Martial epigr. 8, 75, 10. Dort auch die Geschichte mit den vier Leichenträgern, die ihre Last kurzerhand in den Straßengraben werfen, als ihnen ein betrunkener Gallier einen besseren Preis anbietet, um bei Nacht nach Hause transportiert zu werden.
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Obwohl sich die Forschung einig ist über eine rasante Zunahme der Stadtbevölkerung in den letzten zwei Jahrhunderten v. Chr., herrscht keine Einigkeit über deren absolute Größe. Höchstwerte gehen in den letzten Jahrzehnten der Republik von 800 000 bis 1 000 000 Einwohnern aus, eingerechnet Sklaven, Freigelassene und Niedergelassene ohne Bürgerrecht – auch dies eine Zahl, die „at best the result of controlled speculation“ darstellt.176 Bei allen Vorbehalten gegenüber seinen eigenen Schätzungen rechnet John Bodel bei einer Einwohnerzahl von einer halben Million für das 1. Jahrhundert v. Chr. mit etwa 20 000 Toten pro Jahr. Bereits bei 1 000 bis 2 000 Leichnamen, um die sich niemand kümmerte, erwuchs jedenfalls nur schon aus hygienischen Gründen Handlungsbedarf.177 Die Quellen sind zwar dürftig, in ihrer sozialanthropologischen Aussage allerdings von Bedeutung, handelt es sich doch um eine anteilmäßig starke Einheit der stadtrömischen Bevölkerung, deren Spuren sich beinahe in der Geschichte verloren hätten. Zusammenfassend lässt sich „zweifelsfrei festhalten: der Gedanke, dass es sich bei diesen Leibern um tote Menschen handelte, die eigentlich einer ordentlichen Bestattung bedurften, sei es, dass die Seele dies verlangte, sei es, dass dies Tradition und Anstand erforderten, spielt nirgends eine Rolle. Man verstand diese Toten offenbar lediglich als ein logistisches Problem“, das sogar mithilfe von auf Müllbeseitigung spezialisierten Unternehmen gelöst wurde, woraus sich laut Stefan Schrumpf „wenig Anzeichen einer besonderen Betonung des Jenseitigen, Metaphysischen“ ergeben.178 Und wenn dem so ist, so erhebt sich die Frage, ob man bei dieser Geisteshaltung gegenüber der pauperisierten Bevölkerung auf dem Lande und in kleinen Ortschaften mehr Aufhebens gemacht haben sollte, wenn sie gestorben war?
Totenehrung und Manismus In Rom war die Bestattung – vom Ableben eines Toten bis zur Grablegung seiner irdischen Überreste – einer Reihe von Ritualen unterworfen, die sich in ihren groben Zügen während Jahrhunderten kaum geändert und zum Teil bis in die christliche Religion hinein fortgesetzt haben. Auch wenn sich die religiösen oder die philosophischen Grundsätze verändert haben, so hielt man gegen außen hin doch weitgehend an den überkommenen Regeln fest. Der Aufwand, mit dem die einzelnen Elemente einer Totenehrung betrieben wurden, konnte jedoch immense Unterschiede aufweisen. Zu den stadtrömischen Bestattungssitten stehen schriftliche und archäologische Quellen zur Verfügung, die selbstredend nur dokumentieren, was als berich-
176 Hin 2013, 200. 177 Bodel 1994, 41. 178 Schrumpf 2006, 138. 125.
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tenswert galt oder was in seiner Materialität die Jahrhunderte überlebt hat. Ihr Regelwerk wurde in der Forschung durch ausführliche, gestraffte oder detaillierte Arbeiten mehrfach und aus unterschiedlichen Blickwinkeln dargestellt.179 Nach dem Hinschied und der mehrfachen, lauten Anrufung (conclamatio) des Verblichenen bei seinem Namen erfolgte so bald wie möglich seine Waschung und Salbung, um die Zersetzung des Leichnams zu verzögern. Diese Aufgabe wurde in der Regel einem Bestattungsunternehmen anvertraut. Durch die großzügige Verwendung von wohlriechenden Ölen und Weihrauch sollten die nach einer gewissen Zeit auftretenden unangenehmen Gerüche überdeckt werden. Ein Mann von Stand wurde mit dem höchsten ihm zustehenden Ehrengewand samt den entsprechenden Amtsinsignien eingekleidet, dazu gehörten der Siegelring und eventuell auch ein goldener Kranz. Bei einer Frau war die Kostbarkeit ihres Schmucks der Gradmesser ihrer Vornehmheit. Allgemein üblich war die griechische Sitte, dem Toten eine Münze als Fährgeld über den Totenfluss in den Mund zu legen. Anschließend wurde der Leichnam auf prächtigen Tüchern und Stoffen gebettet im Atrium aufgebahrt, wo dem Verstorbenen während mehrerer (bis zu sieben) Tage die letzte Ehre erwiesen werden konnte, in erster Linie von Verwandten und Bekannten sowie natürlich von den Klienten, die in der Pflicht des Verstorbenen gestanden hatten und auch weiterhin in der Pflicht dessen Familie stehen würden. Im Atrium war der Verstorbene umgeben von den imagines, den Ahnenbildern der Familie, sodass jedem, der seine Aufwartung machte, die lange Kette bedeutender Familienangehöriger sofort in Erinnerung gerufen wurde. Dem eigentlichen Leichenzug zog eine Musikantengruppe voraus, um ein gehöriges Aufsehen zu erregen und sich einen Weg durch die Menge zu bahnen. Dahinter wurden wieder die Ahnenbilder mitgetragen oder es mimten sogar Statisten die einzelnen Persönlichkeiten aus der Familiengeschichte, sodass für jedermann offenkundig wurde, dass der Verstorbene das letzte Glied einer Reihe von berühmten Ahnen war. Den Familienangehörigen und Geladenen folgten Klagefrauen und Fackelträger. Der Verstorbene selber wurde in einem Sargkasten und gleichzeitig als in Wachs geformtes Lebensbild auf einer Bahre getragen, die enge Familienangehörige, nahe Verwandte oder Haussklaven schulterten. Einfache Trauerzüge führten direkt zum Ort der Beisetzung oder zum Verbrennungsplatz außerhalb der Stadtmauern, während herausragende Mitglieder der Nobilität ihren Weg über das Forum nahmen, wo die laudatio funebris abgehalten wurde. In dieser formalisierten Leichenrede ging es nicht darum, den Hinterbliebenen persönlichen Trost zu spenden, sondern vielmehr deren Ansehen in der Öffentlichkeit zu heben, indem die
179 Toynbee 1971, 12–61; Wesch-Klein 1993; Schrumpf 2006; Kolb/Fugmann 2008; Hope 2009; Hope/Huskinson 2011. – Eine Steigerung in der Intensität erfährt das Ritual der kaiserlichen Apotheose. Zanker 2004.
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glorreichen Taten und Verdienste des Verstorbenen und all seiner Vorfahren gerühmt wurden, in deren Fußstapfen die verbliebenen Familienangehörigen nun selber treten würden. Polybios berichtet, dass vornehme Tote während der Feierlichkeiten an den Rostra in aufrechter Position zur Schau gestellt wurden, umgeben von den Büsten ihrer Ahnen, den imagines maiorum.180 Nach Ankunft am Begräbnisort wurde der Leichnam verbrannt oder unversehrt der Erde übergeben, wobei die Körperbestattung als die ursprünglichere und vornehmere Art galt, obwohl die Kremation das allgemein übliche Verfahren war. Ein neuerlicher Wandel zur Körperbestattung, die ganz im Sinne der jüdischen und christlichen Religionsgemeinschaften war, setzte erst im 2. Jahrhundert n. Chr. ein. Da es ansonsten keine staatlichen oder religiösen Vorschriften gab, waren für die Wahl der einen oder andern Art meist persönliche oder familiäre Präferenzen und die ökonomischen Verhältnisse ausschlaggebend. Sämtliche übrigen Riten im Zusammenhang mit der Bestattungsart blieben sich grundsätzlich gleich bis hin zu den Beigaben, die den Toten mitgegeben wurden. Entschied man sich für die Kremation, so musste diese auf einem dazu vorgesehenen ustrinum als „Einzelverbrennung“ abgehalten werden, damit die Familienangehören die Asche ihres Toten zum Schluss unvermischt in der Urne beisetzen konnten. Ein kaiserliches ustrinum hingegen wurde nur einmal benutzt beziehungsweise war den engsten Verwandten des Herrscherhauses vorbehalten. Jedes einzelne Element in der Form des geschilderten „Standardbegräbnisses“ (die Realität war weit weniger standardisiert) erforderte ziemliche pekuniäre Auslagen und konnte je nach Stellung des Toten und dessen Familie im Aufwand beträchtlich variieren. Das Spektrum reichte von einem Staatsbegräbnis oder gar einer kaiserlichen Apotheose mit größter Prachtentfaltung bis hinunter zum Abtransport der Armenleuteleichen durch ein mit solchen Angelegenheiten beauftragtes Müllunternehmen in die puticuli.181 Bereits nach Schließung des Grabes machte ein Totenmahl mit Opfergaben für den Verstorbenen den Auftakt zu einer ganzen Reihe von sich nun folgenden jahreszeitlichen Kultpraktiken.182 Die noch am Grab Versammelten taten sich an einem Mahl gütlich, von dem auch der Tote seinen Teil abbekam, und das sich dann neun Tage später mit der cena novemdialis wiederholen würde. Nicht nur Brot und Wein wurden gegeben und gerne genommen, sondern auch Fleisch und Eier, traditionellerweise Bohnen und Linsen, Kuchen und Obst. Großzügige Bankette konnten die politische Karriere der Nachkommen nur fördern. Die Toten erhielten ihre Speise nicht nur symbolisch, sondern häufig ganz konkret durch eine Öffnung im Grab
180 Polyb. 6, 53. 181 Wesch-Klein 1993; Zanker 2004; Schrumpf 2006, 125. 182 Toynbee 1971, 71–64; Kierdorf 1996, 91–93; Kolb/Fugmann 2008, 13.
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oder eine Rohrleitung zugeschickt, wobei es keine Rolle spielte, ob ihre Körper unverbrannt oder eingeäschert waren. Mit gleichen Mahlzeiten am Grab wurden auch die Geburtstage der Verstorbenen durch die Familienangehörigen begangen. Ein neuntägiges Erinnerungsfest (parentalia), das allen verstorbenen Vorfahren der Familie galt, fand vom 13. bis 21. Februar statt. Auch hier wurden die Gräber aufgesucht und kleine persönliche Geschenke mitgebracht. Die lemuria am 9., 11. und 13. Mai dienten dazu, die unruhigen Geister unter den Toten, deren Verhalten für die Lebenden unberechenbare Folgen haben konnte, mit Speisen und Opfergaben zu besänftigen. Am Rosenfest (rosalia) und am Veilchentag (dies violaris) wurden Blumen gebracht und die Gräber bekränzt. Alle diese Erinnerungsfeierlichkeiten beging man am Begräbnisplatz selber, sie waren in der Regel von Festmählern begleitet, an denen sich Verwandte und Freunde trafen, um gemeinsam mit den Verstorbenen zu speisen. Dies bedeutete, dass die großen Begräbnisplätze bei zunehmender Belegung bald einmal „einem ständig besuchten Picknickplatz geglichen haben“ müssen.183 Alle diese aufwendigen Festivitäten, die an den Gräbern selber stattfanden, verweisen auf die enge Verbundenheit, die zwischen den verblichenen und den lebenden Familienmitgliedern herrschte. Sie sind Zeichen eines ausgeprägten Ahnenkultes in der Form des römischen Manismus. Während die di manes die verstorbenen Vorfahren im Allgemeinen umfassen, bezieht sich der ebenfalls verwendete Begriff der di parentes auf die verstorbenen Verwandten in der direkten genealogischen Linie von den Eltern zu den Großeltern, Urgroßeltern und weiter. Die Unterschiede sind jedoch fließend. Das vorangestellte di verweist auf den göttlichen Respekt, den die Ahnen genießen, wodurch sie „d’une certaine façon dans l’éternité“, in eine Art Unsterblichkeit, eintreten.184 Ihr Kult manifestiert sich jedoch nur im aufwendig inszenierten Leichenzug mit dem Höhepunkt für die Nobiliät auf dem Forum sowie der Totenehrung am Grab, die auch eine breitere Bevölkerung zu pflegen in der Lage war. Eindrücklich schildert Polybios die Würde und Feierlichkeit, mit denen Verwandte und auch Passanten einer laudatio funebris vor den Rostra beiwohnten: Diese würdigte in den höchsten Tönen die Verdienste der Familie am Staate und war gleichzeitig Ansporn für die Jungmannschaft, es den Alten gleich zu tun.185 Darin kommen die moralischen Wertmaßstäbe zum Ausdruck, die fest verankert sind im römischen mos maiorum, der „althergebrachten Vätersitte“, welches festlegt, was die richtigen und was die falschen Handlungsweisen in der Gesellschaft sind. Dieses stark traditionsorientierte Denken, der „Glaube der maiores an die maiores“,186 lieferte der herrschenden oligarchischen Aristokratie die Rechtfertigung für ihre ererbten Rechte.
183 184 185 186
Heinzelmann 2000, 70. Bömer 1943, 6–8; Der Neue Pauly 7 (1999) 803 f. „Manes, Di“; Lavagne 1987, 163. Polyb. 6, 53, 9–10. Bömer 1943, 48.
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Pervertiert wurde das System am Ende der Republik anlässlich der Leichenfeiern auf dem Forum Romanum, indem diese zum hervorragenden Instrument wurden, um „die gegenwärtige Wichtigkeit der gens zu demonstrieren, sowie eine noch größere, zukünftige zu postulieren ... vor allem im Hinblick auf die konkurrierenden gentes mit denselben Zielen des Machterhalts und Machthinzugewinns. Das heißt allerdings nicht, dass sich Ablauf und Inhalte dieses Bestandteiles der Totenfeier mit dem Prinzipat grundlegend geändert hätten. Unterschiede hat es allerdings bei den Elementen gegeben, deren besondere Betonung eventuell den Argwohn des Kaisers hätte herauf beschwören können, beispielsweise bei den imagines“ 187 oder bei allzu monumentalen Grabbauten. Gerade in den imagines maiorum, in den im Atrium aufgestellten und auf den Leichenzügen mitgetragenen Ahnenbüsten,188 in denen sich wohl auch nur die Besten der Besten einer Familie dargestellt finden, materialisiert sich die historische Kontinuität und deshalb Rechtmäßigkeit des politischen Führungsanspruchs. Die imagines sind Ausdruck der nobilitas.189 Wer über keine Ahnenbüsten (oder „Ahnengalerie“ in unserem heutigen Sinne) verfügte – und das war in Rom die große Masse –, dem blieb der Anspruch auf Mitbestimmung verwehrt. Es stellt sich nun die Frage, wie weit zurück in der Geschichte sich der geschilderte römische Manismus beziehungsweise seine Kristallisation in den Ahnenbildern verfolgen lässt. Eine befriedigende Antwort ist nicht möglich. Die in Wachs gefertigten Ahnenbilder hat Polybios in der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. erstmals beschrieben, erhalten hat sich kein einziges. Ihre Herkunft könnte, wie vieles in der römischen Religion, im Etruskischen zu suchen sein. Ahnenkult hingegen ist ein weitverbreitetes Phänomen, dessen Wurzeln in Europa wohl tief in die Vorgeschichte zurückreichen,190 falls er nicht sogar als Archetypus im kollektiven Unbewussten des Menschen angelegt ist. *** Die Konzeption der monumentalen Grabmäler Roms verkündet eine öffentlichkeitswirksame Bezugnahme auf die mythische Vergangenheit. Platzwahl und Architektur bezeugen eine Anbindung an die verdienstvollen, heroischen Vorfahren, deren Persönlichkeit und Leistungen sogar im Bild dargestellt werden können. Dadurch überträgt sich deren Wirkung auf die Nachgeborenen. Mitgeliefert wird ein gesellschaftspolitisches Statement durch die überwältigende Größe des Monuments oder durch den Tabubruch, den Standort mitten in
187 Schrumpf 2006, 35. 188 Polybios 6, 53, 3–5; Plinius nat. 35, 2, 6–8; Juvenal 8, 1–20. – Flower 1996. 189 Flower 1996, 271. 190 Der „indogermanische“ Ursprung des Ahnenkultes hat, so wie der Begriff von Franz Bömer (1943, 11. 46. 113–115) verwendet wird, eine ideologische Schlagseite. Sein in vielen Fakten noch gültiges Buch wurde mitten im Krieg fertiggestellt.
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der Stadt zu wählen. Das monumentale Grab wird dadurch zum Ausdruck einer Elite samt ihrem Anspruch, die Macht über die Generationenstufen hinwegzuhalten und zu legitimieren. Vermögende Kreise können bedingt mithalten, indem sie einem hohen Ideal mit bescheidenerem Aufwand nacheifern; hingegen gelingt es der ganz großen Masse der Bevölkerung nicht annähernd, sich über den Tod hinaus eine bleibende Erinnerung zu verschaffen. Für sie hat der Ahnenkult eine geringe oder gar keine Bedeutung.
5 Griechenland und Rom im Vergleich Griechischer Heroenkult und römische Ahnenverehrung sind urverwandt. Franz Bömer
Die Quellen und ihre Aussage Die Behauptung Franz Bömers, der griechische Heroenkult und der römische Ahnenkult seien quasi homologe Erscheinungen, bedarf siebzig Jahre nach ihrer Formulierung einer neuerlichen Überprüfung.191 Dazu sollen die in den vorausgegangenen Kapiteln dargelegten Befunde nochmals gewichtet und einander gegenübergestellt werden mit dem Ziel, „die schriftlichen und die nicht-schriftlichen Quellengruppen nicht nur sachlich, sondern auch erkenntnistheoretisch“ zu verknüpfen, um einen Ahnenkult zu erkennen und zu erklären.192 Ein zweiter Schritt gilt der Überlegung, ob hinter dem „urverwandt“ im Zitat Bömers vielleicht die menschliche Absicht besteht, mit ähnlichen semiotischen Mitteln eine gleiche Wirkung zu erzielen, oder mit andern Worten: Was ist die tiefere Bedeutung eines Ahnenkultes in der griechischen und römischen Antike? Eines der Resultate von Boehringers systematischer Arbeit über den Heroenkult in Griechenland war die Erkenntnis, dass die Dinge nicht so einfach liegen, wie von der Forschung bis zu diesem Zeitpunkt gedacht und pauschalisiert.193 Selbst in den von ihm untersuchten Idealregionen Argolis, Messenien und Attika ergab sich für das 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. ein sehr differenziertes Bild, das sich bei einer ähnlich tiefgehenden Betrachtung weiterer Teile Griechenlands und der anschließenden Zeitabschnitte nochmals auffächern würde. Für eine vergleichende Untersuchung muss das Hindernis der Zersplitterung dennoch vermieden werden, um zu einer übergeordneten Erkenntnis zu gelangen. Übereinstimmungen sollen deshalb nicht in den Details gesucht, sondern in den Verhaltensmustern gefunden werden. Für die als Heroengräber qualifizierten Grablegungen in Griechenland haben sich im archäologischen Fundbild einige sich wiederholende Merkmale herauskristallisiert, die nicht als Einzelerscheinung, sondern in ihrem Befundzusammenhang im Vergleich mit anderen an Bedeutung gewinnen. Auf Sichtbarkeit bedacht sind Grabmonumente in topografisch erhöhter Lage und mit überdurchschnittlichen Dimensionen wie zum Beispiel die großen Grabhü-
191 Bömer 1943, 47. 192 Ein Vorgehen, dem Manfred Eggert (2006, 177–179) für die Mittelalter-Archäologie ein großes Potential vorausgesagt hat, das aber auch auf unsere Epoche übertragbar ist. 193 Boehringer 2001.
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gel von Lefkandi oder von Olympia, wo eine sonst unübliche Abdeckung mit hellen Kalksteinplatten ein zusätzliches Zeichen setzte. Auf dem höchsten Punkt eines gut sichtbaren Hügelrückens vor Sparta liegt der Therápne genannte Komplex; am Agamemnoneion (mit allerdings wenig Anhaltspunkten für einen Heroenkult) führt eine wichtige Prozessionsstraße vorbei. Eine vergleichbar monumentale Wirkung übte das dreieckige Steindenkmal von Eretria an der Ausfallstraße und über einem Flussbett aus. Unter den Grabfunden sind die Objekte aus Edelmetall besonders zu beachten; Fragen werfen allerdings die aus dem Nahen Osten stammenden Antiquitäten von Lefkandi auf, wenn man annimmt, dass sie aus ererbtem Familienbesitz stammten oder als besonders exklusive Auszeichnungen verstanden wurden zum Zeitpunkt, als sie ins Grab gelangt sind. Die Bronzekessel, die in Eretria als Urnen dienten, sind in Bezug auf ihren Materialwert nicht besonders kostbar, fallen jedoch durch ihre ungewöhnliche Verwendung auf. Waffen erlangen in Zusammenhang mit Heroen eine besondere Aufmerksamkeit, besonders wenn sie in Begleitung einer Quadriga erscheinen wie im Falle von Lefkandi. Bezeichnend für einen Heroenkult sind die archäologischen Spuren an den Gräbern selber. Bei allen erwähnten Beispielen waren es Ascheschichten in zum Teil beträchtlichen Ausmaßen, die vermischt sind mit tierischen Knochenresten von Brandopfern und am Grab abgehaltenen Mahlzeiten. Altäre oder altarähnliche Steinsetzungen sind für Eleusis und Olympia belegt. Die zum Teil in enormen Mengen angefallenen Votive in unterschiedlichsten Formen und Materialien müssen nicht unbedingt einen augenfälligen Sinnesbezug zum verehrten Heros aufweisen. In Eretria waren diese Kultüberreste in Gruben entsorgt. Auffällig ist die Lage von Bestattungen in einem Haus, wobei nie befriedigend geklärt wurde, ob es sich ursprünglich um ein Wohnhaus oder von Beginn weg um einen Sakralbau handelte. In Eleusis lag der Tote am Eingang eines Megarons; in Lefkandi waren die Schachtgräber einer Frau und eines Mannes mitten in einem Haus von ganz ungewöhnlicher Dimension und Ausstattungsqualität platziert. Andere bei den Gräbern festgestellte Gebäude stehen direkt oder indirekt im Zusammenhang mit der Ausübung eines Totenkultes oder mit Kultmählern am Grab. So werden sie jedenfalls von den Ausgräbern in Eretria und Olympia gedeutet; in Eleusis und auf dem Menelaion ist ihre Funktion als Kultbau ohnehin offensichtlich. Von besonderem Interesse ist die Kontinuität, mit der der Grabplatz eines Heros von nachkommenden Generationen in Ehren gehalten beziehungsweise der Kult aufrechterhalten worden ist. Auf dem Menelaion datieren die Votive vom 8. bis ins 4. Jahrhundert v. Chr. In Eretria dauerten die sich folgenden Grablegungen kaum hundert Jahre, während ein angeblich über Jahrhunderte weiter geführter Kult durch die undurchsichtigen Grabungsbefunde nicht gesichert ist. In Eleusis rechnet man mit einer Kultausübung von zwei- bis dreihundert Jahren. In ganz anderen Dimensionen spielt sich die Geschichte in Olympia ab, wo man mit ersten kultischen Niederlegungen am Tumulus bereits um 2000 v. Chr. rechnet; sie sollen
Die Quellen und ihre Aussage
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den Ausgangspunkt bilden für eine sich über Jahrtausende erstreckende Verehrung des Ortes. In Lefkandi sind keine Spuren einer Kultausübung sichtbar, jedoch schließt sich ein Gräberfeld zeitlich und örtlich unmittelbar an das Hügelgrab an. Die dort gefundenen Beigaben sind kaum weniger exklusiv als diejenigen in den Schachtgräbern im Hausinnern unter dem Hügel. Hier scheint ein Bezug zum „Gründerpaar“ von nachfolgenden Generationen während etwa 150 Jahren bewusst aufrechterhalten worden zu sein. Sehr interessant wäre in diesem Fall eine Analyse der Skelettreste, um eine genetische Verwandtschaft aller hier begrabenen Personen zu postulieren. Eine gleiche Untersuchung wünschte man sich bei den Erwachsenen und den Kindern am Dreieckmonument von Eretria. Nachzutragen bleibt, dass an diesen beiden Orten auch Frauen vorkommen, die keinen Statusunterschied zu den Männern aufweisen. Die einem Heroenkult zugewiesenen Befunde von Olympia und Lefkandi reichen bis mindestens ins 2. Jahrtausend v. Chr. zurück und sind damit älter als die Entstehungszeit der homerischen Epen, womit naheliegt, dass das Prinzip ‚Heroenkult‘ älter ist als das 8. Jahrhundert v. Chr. Dessen ungeachtet liefern Ilias und Odyssee eine Vielzahl an Details, die wichtig waren für die wissenschaftliche Definition des Heros überhaupt, bevor sie von der Archäologie in den Ausgrabungen bestätigt worden sind: Die vor Troja getöteten Heroen werden mit großem Pomp, begleitet von athletischen Wettkämpfen, in Erdhügeln bestattet. Dabei verteilte Geschenke sollen die Erinnerung an den Verstorbenen wachhalten. In hellenistischer Zeit suchte man die als authentisch angenommenen Hügel vor Hisarlik auf, um Beistand für eigene Waffengänge zu erbitten – oder im Falle des römischen Kaiserhauses zur Legitimation einer Ahnenreihe zurück bis in epische Vorzeiten. Im Mythos ist Herakles das beste Beispiel eines Menschen, der durch seine übermenschlichen Taten zwar nicht zu einem Gott, aber zu einem Halbgott aufgestiegen ist und Unsterblichkeit erlangte. Wie andere Halbgötter hat auch er stets ein offenes Ohr für die Nöte der Irdischen. Alexander der Große hat als Sterblicher nie gesehene Taten vollbracht, doch auch selber viel dazu beigetragen, um in den Augen seiner Entourage als Heros und Gott zu erscheinen. Der Streit um seinen Leichnam zeigt, wie wichtig für die Erben das Grab des Heros ist, um eigene Forderungen geltend zu machen. Ein Rechtsanspruch auf Grund und Boden ist wohl auch der Anlass, dass Koloniegründer mitten in ihrer Stadt begraben worden sind; auch Herakles und Alexander haben mehrere Städte gegründet. In einem ähnlichen Sinn hat Snodgrass den Kult am Grabhügel als Rechtsanspruch auf das Umland gedeutet.194 Im Späthellenismus kann ein Privatmann wie Celsus in Ephesos als Wohltäter an der öffentlichen Sache auftreten, wie es vor ihm die hellenistischen Könige getan haben. Damit kommt er in den Genuss einer Verehrung samt Grabstätte, die
194 Snodgrass 1982, 116 f.
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einem Heros oder Herrscher – in gemilderter Form mit fließenden Übergängen – gleicht. In Rom hatte diese Auffassung, eingeleitet durch Pompeius und Cäsar, mit dem Kaiserkult neu an Kraft gewonnen.195 Im Prinzipat benützte das Herrscherhaus die Geschichte des Aeneas für die eigene Hagiografie, indem seine Genealogie im Epos bis zurück in den Palast von Troja rekonstruiert wurde. Zwar könnte der Tumulus von Lavinium bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. als das Grab des Aeneas verehrt worden sein, seine eigentliche Bedeutung für Rom hat es erst später erlangt, indem es in die Geschichte des iulischen Kaiserhauses eingebunden worden ist. Ähnlich liegt der Fall beim Inschriftenstein auf dem Forum Romanum. Seit wann er als das Grab des Romulus gehalten worden ist, bleibe dahingestellt; als urzeitliches Relikt diente er jedenfalls als materialisiertes Zeugnis der heroischen Zeiten römischer Geschichte. Aeneas und Romulus stehen als Familien-, Stadt- und Staatsgründer ganz in der hellenistischen Tradition der Gründerheroen. Indem sie zu Vorfahren des Kaiserhauses gemacht werden, wird ihnen auch Ahnenkult zuteil. Die Medaille hat allerdings auch eine Kehrseite. Von einem Mann wie Caesar kann man sich keinen Moment vorstellen, dass er an die Realität einer Genealogie seiner Familie zurück bis auf Aeneas oder sogar Venus glaubte. Ihre propagandistische Wirkung in der Öffentlichkeit hingegen verkannte er nicht. Die Mausoleen von Augustus und Hadrian stehen in einem direkten Zusammenhang mit den altehrwürdigen Grabtumuli der griechischen und trojanischen Heroen.196 Architektonisch überhöht erheben sie sich auf einem Sockel aus Stein und gewinnen ein gigantisches Ausmaß, was ihre Dauerhaftigkeit für die Ewigkeit garantieren soll. Sie werden zu Familiengruften kommender Generationen. Besondere Bedeutung erhalten auch die benachbarten Verbrennungsplätze. Trophäen sind in der Ikonografie des Ahnenkultes ein gängiges Architekturmotiv. Sie schmücken die Grabmonumente in der Form von Beutewaffen oder als deren Abbild in Stein. Die Gräber von Caesar und Augustus liegen zwar nicht in der Stadt; die von ihnen gegründeten zentral gelegenen Foren besitzen aber Tempel mit allen Anzeichen ihrer Heroisierung, womit sie einem Herrscherkult dienen, der ganz im Sinn und Geist des Hellenismus steht. In diesem Spannungsfeld zwischen mos maiorum und hellenistischer Philosophie stand bereits das Grab der Scipionen. Es ist diese Gemengelage, welche in Zukunft den Gräberkult in Rom prägen wird. Die Idee der Gräber als Memorien und Orte des Ahnenkultes werden nun von einem größeren Bevölkerungskreis aufgenommen, was toleriert wird, solange ihre Wirkung nicht das Ansehen des Kaiserhauses beeinträchtigt.
195 Chankowski 2011, 10. 196 von Hesberg 1992, 94; Schwarz 2001; Künzl 2011, 66 f.
Grab und Bestattung als soziale Abgrenzung
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Die einzelnen Kulthandlungen am Grab entsprechen jedoch altrömischer Sitte und veranschaulichen deutlich, dass die Toten in diesen Gräbern ein Leben weiterführen, das sich nicht grundlegend vom Diesseits unterscheidet: Die Verstorbenen benötigen Geld, Nahrung, Zuwendung und besitzen gute und schlechte Charaktereigenschaften wie die Menschen auch.
Grab und Bestattung als soziale Abgrenzung Die formalen Unterschiede im Aufwand der Grabbauten muss man nicht weniger als exorbitant bezeichnen. Sie reichen von kolossalen Mausoleen über aufwendige Monumente und einfache Steinsetzungen bis zum „Nichts“, nämlich der Entsorgung im Massengrab ohne ein bleibendes Zeugnis. Durch das Zusammenwerfen mit Hunderten oder Tausenden von Leichen in einer offenen Grube oder durch das Vermischen des Leichenbrandes verliert ein Verstorbener seine Individualität. Man geht wohl kaum fehl in der Annahme, dass diese graduelle Abstufung die sozialen Schichten nachzeichnen, wodurch für Rom ein einmaliger Querschnitt durch eine Gesamtbevölkerung vorliegt, da an andern Orten üblicherweise die puticuli fehlen. Wie groß in absoluten Ziffern die einzelnen Bevölkerungsteile sind, ist allerdings schwer abzuschätzen. Mit Bezug auf Nicholas Purcell nennt Ian Morris die Zahl von 1 %, die ihre letzte Ruhe in den Columbarien gefunden hätte; er hält diesen Prozentsatz dann aber doch eher für zu gering.197 Rechnet man großzügig mit 10 %, die in Columbarien, Katakomben oder an einer Gräberstraße fassbar sind, und unterschlägt die Pyramidenspitze ihrer Kleinheit wegen als statistische Größe, so bleiben noch immer 90 % verschollen. Robert Knapp schätzt aufgrund von sehr ungefähren historischen Vergleichen, „that about 65 percent of the population, slave and free combined, lived ‚on the edge‘ – i. e. was at risk of death from any disruption of their subsistence existence by natural catastrophe, plague, famine, or other disaster.“ 198 So vage diese Annahmen auch sind, so muss in einer Metropole wie Rom mit einem eher noch höheren Prozentsatz von zugezogenen Randexistenzen gerechnet werden. Aus dieser Gruppe rekrutiert sich dann wohl auch der größte Teil der Anwärter auf die puticuli. Es handelt sich aber um grobe Schätzungen, da aus der Antike überhaupt keine quantitativen demografischen Zahlen vorliegen. Durch die fehlende Grabmarkierung war es einem sehr großen Teil der Stadtbevölkerung unmöglich, sich am Grab ihrer verstorbenen Angehörigen zu treffen, um ihre Familienbande zu festigen und in der Öffentlichkeit wirksam als Gruppe aufzutreten.199 Ohne semiotische Zeichenträger dürfte in der Antike die Erinnerung
197 Morris 1992, 44 f.; Purcell 1987, 39. 198 Knapp 2011, 103. 199 Heinzelmann 2001, 181.
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Griechenland und Rom im Vergleich
an ein Familienmitglied von kurzer Dauer gewesen sein, jedenfalls kaum zwei oder drei Generationen überdauert haben. Grabmäler und erst recht die Ahnenbilder der Nobilität waren zwar starke Zeichen, die jedoch entsprechende finanzielle Mittel voraussetzten. Sie erzeugen und perpetuieren in hohem Masse die einmal gezogenen sozialen Schranken unter den Lebenden. „Betrachtet man die lange Reihe der tradierten Leichenfeiern, ist evident, wie sich die funera führender Personen in der Zeit der ausgehenden Republik zu einem Instrument der Selbstdarstellung wie einem Demonstrationsobjekt der Macht, des finanziellen Vermögens, der politischen Einflussnahme der Ausrichtenden, das heißt der Hinterbliebenen und Erben, entwickelten. Persönliche Trauer, das Bestreben, den Verstorbenen durch ein entsprechendes Begräbnis und zu seinem Gedächtnis abgehaltene Feierlichkeiten zu ehren, treten hinter politischem Kalkül zurück.“ 200 Das System lässt sich deshalb auch instrumentalisieren, wie die inszenierten Leichenfeiern auf dem Forum unter den sich rivalisierenden gentes aufzeigen: „Basically, the more pressure there is on a group, the more emphatically they mark themselves off symbolically from their neighbours and rivals“ 201 in den Worten von Ian Morris, der sich dabei auf die bereits 1945 formulierte „Stresshypothese“ des Nestors Gordon Childe beruft, nach der Prunkgräber ein Anzeichen für eine instabile Elite sind, die sich durch aufwendigen Grabkult zu legitimieren versucht.202 Der tiefere Sinn der Verhaltensweise liegt darin, dass die prunkvolle Grablegung eine verdienstvolle Lebensweise des Verstorbenen insinuiert, von dem die Direkthinterbliebenen profitieren möchten, indem sie sein Erbe anzutreten und die soziale Stellung zu halten versuchen. Überdeutlich kommt die politische Bedeutung eines religiös aufgeladenen Begräbniszeremoniells bei der Apotheose römischer Kaiser zum Ausdruck, wenn es das Machtvakuum zwischen dem Tod des Kaisers und der Inthronisierung seines Nachfolgers füllt.203 Es gibt wohl keinen antiken Text, der uns so viel über die griechische und römische Religion vermittelt wie die drei Bücher „De natura deorum“ von Cicero aus dem Jahre 45 v. Chr. Ihr Inhalt geht auf ein Gespräch im Priesterkollegium der pontifices im Jahre 76 v. Chr. zurück. Weit entfernt von christlich frommer Anteilnahme ist die römische religio ein ziemlich abstraktes Regelwerk, das sich am knappsten auf die Formel religio, id est cultus deorum herunterbrechen lässt: Den Göttern muss nach althergebrachtem Ritual geopfert werden, damit man von ihnen eine Gegenleistung erwarten darf.204 In der Person von Cicero findet sich die Widersprüchlichkeit zwischen Philosophie und Religion beziehungsweise zwischen Hellenismus und mos maiorum treff-
200 201 202 203 204
Wesch-Klein 1993, 3. Morris 1992, 28. Childe 1945, 17. Zanker 2004. Muth 1998, 213–222.
Grab und Bestattung als soziale Abgrenzung
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lich personifiziert. Als hellenistischer Philosoph, der den Nachweis, dass Götter existieren, nicht erbringen kann, ist er Atheist. Als römischer Patrizier und Politiker hingegen hält er bedingungslos an der religio fest, da sie staatstragend ist. Diese Diskrepanz ist auch Thema des aus Syrien stammenden Griechen Polybios, der die Verhältnisse in Rom sehr genau kennt und beobachtet. Er nimmt an, dass die römische religio einer sinnvollen politischen Absicht entspringe, um gesetzeswidrige Begierden und Gewaltausbrüche der Masse durch die Einflößung von Angst zu unterbinden. „Die Alten scheinen die Vorstellung von den Göttern und den Glauben an die Unterwelt nicht unüberlegt, sondern mit kluger Überlegung der Menge eingeflößt zu haben“.205 Konkret: Religion hat sich als ein Mittel bewährt, eine bestehende soziale Ordnung aufrechtzuerhalten – oder mit andern Worten, mit Angst lässt sich Politik machen. Wesensverwandt mit der religio ist die pietas. Diese regelt die „Kultausübung innerhalb der Familie und der gens, insbesondere im Ahnenkult“ als „Wechselbeziehung etwa zwischen dem Sohn und dem verstorbenen Vater oder überhaupt zwischen den lebenden und den toten Mitgliedern der familia und der gens“.206 Sprechen wir also von einem Kult am Grab, so ist dessen Ursache nicht die religio (und noch weniger die Religion), sondern er ist eine Äußerung der pietas. Indem die pietas die uneingeschränkte Pflicht des Gehorsams gegenüber den Vorfahren und ihren Sitten beinhaltet, wirkt auch sie extrem systemerhaltend. Weiter ist zu folgern, dass diejenigen Kreise, die die Symbole der sozialen Distinktion ihren Verstorbenen mit ins Grab geben, offenbar mit einem Jenseits rechnen, in dem die irdischen Vorrechte wieder eingefordert werden können. Wer keine solchen Statusanzeiger vorzuweisen hat oder nicht einmal ein richtiges Grab erhält, für den besteht wenig Hoffnung auf ein Jenseits. David Boehringer hat vom Heroenkult als einem gesteigerten Totenkult gesprochen.207 Für Rom äußert sich die Abstufung „Kein Totenkult“ – Ahnenkult – Heroenkult in der Intensität des Aufwandes am Grabbau und in der Zurschaustellung der pietas am Grab und offenbart sich dadurch primär als soziale Distinktion. In den folgenden Kapiteln wird es nun darum gehen, die festgestellten Phänomene des Ahnen- und Heroenkultes im archäologischen Fundbild des vorgeschichtlichen Nordens zu erschließen.
205 Polyb. 6. 56. 9–12. 206 Muth 1978, 340. 207 Boehringer 2001, 40.
6 Roms Provinzen im Norden Tot ist einer erst, wenn sich niemand mehr an ihn erinnert. Niklaus Meienberg
Theorie und archäologische Grundlagen Die archäologischen Gegebenheiten der griechischen Antike und in Rom haben dank der Unterfütterung mit den schriftlichen Überlieferungen das recht klare Bild eines Ahnen- oder sogar Heroenkultes geliefert, der in erster Linie der sozialen Distinktion diente. In dieser Hinsicht sind auch die graduellen Unterschiede im Aufwand des Grabkultes verständlich, welche die soziale Stellung eines Verstorbenen innerhalb der Gesellschaft reflektieren. Im nächsten Schritt der Untersuchung sollen nun die nordwestlichen Provinzen des römischen Imperiums näher unter die Lupe genommen werden. Von der Forschung werden die innerhalb der kaiserzeitlichen Reichsgrenzen lebenden Völker weitgehend als Einheit betrachtet, was sich nicht zuletzt in der Abgrenzung des universitären Faches der „Provinzialrömischen Archäologie“ gegenüber der Vorgeschichte beziehungsweise der Protohistoire im französischen Sprachgebrauch äußert. So werden die durch die schriftlichen Überlieferungen gewonnenen, auf Rom bezogenen Erkenntnisse in einzelnen Fällen zwar diskutiert, im Allgemeinen aber als auf die nördlichen Provinzen übertragbar erachtet. Für Interpretationen innerhalb dieses Bereiches arbeitet man ohne viel theoretischen Aufwand mit „direkt-historischen“ Analogieschlüssen,208 solange die archäologischen Befundbilder übereinstimmen. Die von der Forschung kreierten Begriffe „gallorömisch“, „romano-british“ oder „romano-celtic“ nehmen bereits die Meinung vorweg, dass es sich um Mischkulturen handelt, die unter einem starken römischen Einfluss stehen. Das vorrömische Substrat schimmert oft nur noch in Einzelfällen und schwach im archäologischen Fundbild durch. Es sollte aber verstärkt aufscheinen, je weiter wir dann die einzelnen ins Auge gefassten Phänomene in die Vorgeschichte zurückverfolgen. Sobald wir unser Forschungsfeld über die provinzialrömische Epoche hinaus in die vorgeschichtlichen Tiefen erweitern, das heißt den Bereich der einfachen Analogieschlüsse verlassen, sind argumentative Erklärungen nötig für die Deutung von archäologischen Zusammenhängen über die traditionellen Epochengrenzen hinweg. Die Analogie ist das einzige Instrument, das der Wissenschaftsdisziplin der Vorgeschichte bei solchen Fragestellungen zur Verfügung steht.209
208 Im Sinne von Bernbeck 1997, 107. 209 Fischer 1990; Eggert 1998.
Theorie und archäologische Grundlagen
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Die historische Analogie schlägt den Bogen von der (sicheren) Quelle zum (interpretierten) Subjekt beziehungsweise vom Bekannten zum Unbekannten. Bei einer starken Analogie ist der zu überspringende Zeitraum beziehungsweise die zu überbrückende geografische Distanz „relativ“ gering, und Analogie wird nach Ulrich Fischer umso stärker, „je näher sie in Raum und Zeit zum verglichenen Gegenstand steht und je höher dieser im Kultursystem angesiedelt wird“.210 Diese wohl einleuchtende Theorie besitzt in der Anwendung auf die Praxis allerdings ihre Tücken. So kann die diagnostizierte Übereinstimmung der verglichenen Gegenstände durchaus einer gewissen Subjektivität unterliegen, und auch die „relative“ Nähe in Zeit und Raum ist recht eigentlich Ermessenssache. Bei der nun verfolgten Vorgehensweise handelt es sich vorerst um einen synchronen Analogieschluss im Raum (von der Stadt Rom in den provinzialrömischen Bereich nördlich der Alpen, unter Nichtberücksichtigung einer minimalen Zeitverschiebung). Der zweite Schritt führt mithilfe einer diachronen Analogienkette retrospektiv über die vorgeschichtlichen Stufen hinweg in die zeitliche Tiefe.211 Aus der Sicht einer „Weltarchäologie“ werden die vorgenommenen Analogien tatsächlich sehr eng in Raum und Zeit ausfallen, was bedeutet, dass im Grunde genommen homologe Gruppen verglichen werden. Homologien basieren in einem historischen Sinne auf einer gemeinsamen Tradition. „Interkulturelle Homologien können einerseits dadurch bedingt sein, dass die betreffenden Kulturen gemeinsame Ursprünge haben, es sich also um duplizierte Kopien desselben Originals handelt“ – in diesem Fall die gemeinsamen indoeuropäischen Wurzeln. Und „andererseits entstehen insbesondere zwischen benachbarten Kulturen Homologien durch Kulturkontakt (Handel, Migration, Akkulturation etc.)“, falls dieser von Dauer und nachhaltig ist.212 Die Gefahr einer „Zufalls-Analogie“, wie sie beim Vergleich eines singulären Befundes (Quelle) mit einem zeitlich und überregional weit entfernten Gegenstück (Subjekt) droht, ist im vorliegenden Fall jedenfalls deutlich minimiert.213 Ein bewusster Umgang mit Verstorbenen, dort wo diese in einer positiven sozialen Beziehung zu den Hinterbliebenen standen, wird als ein archetypisches Grundprinzip des menschlichen Verhaltens vorausgesetzt. In der Antike entstand daraus in besonderen Fällen eine rituelle Handlung, die sich als Ahnenkult im archäologischen Fundbild zu erkennen gibt. Bei einer diachronen Verkettung von archäologischen Phänomenen kann angesichts des sehr engen Analogieschlusses in Zeit und Raum auch deren Deutung übernommen werden, solange sich die Fragestellung in einem allgemeinen Rahmen bewegt und sich nicht in Details verfängt. Gezwun-
210 211 212 213
Bernbeck 1997, 89–92; Fischer 1990, 319. Im Sinne von Müller 2005. Krausse 2000, 125 f. Ickerodt 2010, 54 f.
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genermaßen muss es sich um eine „generalisierend-strukturelle Betrachtungsweise“ nach Manfred Eggert handeln,214 entsprechend unserer relativ offenen, auf das Allgemeine zielenden Fragestellung eines Ahnenkultes. Dieses Vorgehen kann bei der diachronen analogischen Verkettung so lange aufrechterhalten werden, wie genügend positive Merkmale zwischen Quelle und Subjekt vorhanden sind, was zugegebenermaßen (wie oben festgestellt) einer gewissen Subjektivität unterliegt. Jedenfalls kann auf diese Weise der wissenschaftliche Diskurs aufrechterhalten bleiben: Die analogischen Schritte sind nachvollziehbar bis zu jenem Punkt, wo die einsetzende Kritik deren Stabilität in Frage stellt, eine Falsifizierung vornehmen und eine neue These formulieren kann. Insofern wird der Forderung nach einer geisteswissenschaftlichen Theoriebildung, die auf unser Material auch anwendbar ist, im Sinne von Karl Popper auf triviale Weise Rechnung getragen.215
Akkulturation bis zur Romanisation Die engen kulturellen Verbindungen im Untersuchungsgebiet erklären sich nicht alleine durch eine hypothetische Homologie, sondern sind das Resultat einer lange dauernden Akkulturation, die sich seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. zunehmend intensivierte bis hin zur politischen Eingliederung der keltischen Gebiete nördlich der Alpen in das römische Imperium. Dieser Akkulturationsprozess wird in Gang gehalten durch den Austausch von Gütern und die Migration von Menschen. Die „Romanisierung“ bildet nur den Abschluss eines schon viel früher einsetzenden Austausches zwischen dem Norden und dem Süden, der eine allmähliche Hinwendung und in gewissen Belangen sogar eine „Mediterranisierung“ des Nordens zur Folge hatte. Der bedeutendste Transportweg waren die Rhone und die Saône, auf denen große Mengen auch von schwerer Ware auf bequemste Weise bis weit nach Mitteleuropa hinein verschifft werden konnten (Abb. 27). Entscheidend für die Intensivierung des Austauschs war die Gründung der griechischen Koloniestadt Massalia um 600 v. Chr.216 Eine zweite wichtige Verbindung führte auf dem Landweg durch die Alpen. Sie war weniger stark kanalisiert, da sie sich auf mehrere Routen über verschiedene Pass- und Höhenwege verteilte. Ausgangspunkt waren hier die Hafenstädte Adria und Spina in der Po-Mündung. Als Mittler für den Handel nach Norden dürfte der etruskische Umschlagplatz Forcello südlich von Mantua im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. eine zentrale Rolle gespielt haben. Mit einem rechtwinkligen Straßensystem erstreckte sich die Niederlassung über eine Fläche, die mehr als
214 Eggert 1996, 17. 215 Popper 2009, u. a. XIII–XIV. 478–496. 216 Kimmig 1983; Pape 2000.
Akkulturation bis zur Romanisation
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Abb. 27: Seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. strömten Exportgüter von Süden nach Norden. Transportwege waren die Flüsse. Vom Po aus führten verschiedene Wege durch die Alpen.
doppelt so groß war wie Spina. Unter den Siedlungsfunden ist griechische Transport- und Feinkeramik sehr geläufig; von den 300 Fibeln gehören ein Dutzend zu Typen, die aus Mitteleuropa stammen und einen Austausch in beide Richtungen belegen.217 Etruskisches Bronzegeschirr und griechische Keramik sind die häufigsten Exportgüter nach Norden. Bedenkt man, dass nur ein Bruchteil des ursprünglichen Bestandes heute von der Archäologie überhaupt erfasst werden kann, muss mit einem ursprünglich sehr bedeutenden Warenfluss gerechnet werden, der einem größeren Teil der Bevölkerung zugutekam als nur gerade der allerobersten sozialen Spitze. Daneben gibt es aber immer auch exklusive Preziosen wie zum Beispiel die Glasschale aus einem Grabhügel von Ihringen in der Nähe von Breisach am Rhein (Abb. 28). Diese zerbrechliche Kostbarkeit stammt jedenfalls aus dem Vorderen Orient, vielleicht aus einer achämenidischen Werkstatt.218 Aber auch handwerkliche Techniken und architektonische Konzepte wurden vermittelt, wie die Lehmziegelmauer und neuerdings das sorgfältig gefügte Mauerwerk am Torbau der Heuneburg belegen; auch die Bauweise von zwei Absidenhäusern auf dem Mont Lassois
217 Lüscher 1998, bes. 178–182; Reusser 2002 (Band 2) bes. 40–43; De Marinis/Rapi 2005, bes. 222– 228. 273–281; De Marinis 2010, bes. 112 f. mit Abb. 13. 218 Dehn 1996.
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Roms Provinzen im Norden
Abb. 28: Selbst zerbrechliche Glasware gelangte bis in ein Prunkgrab bei Breisach am Oberrhein. Die Schale stammt wohl aus einer achämenidischen Werkstatt in Palästina.
legen direkte Vorbilder aus dem Süden nahe, falls es sich nicht tatsächlich um homologe Erscheinungen handelt. Allerdings verleihen ihnen Lage und Dimension innerhalb des Fürstensitzes ein für nördliche Gefilde ungewöhnlich repräsentatives Profil, das einhergeht mit den frühesten Urbanisierungsversuchen nördlich der Alpen, denen dann allerdings kein Erfolg beschieden war.219 Nicht zu unterschätzen in ihrer Bedeutung ist die Übernahme der italischen Fibeltracht, stellt sie doch einen bedeutenden Bruch im traditionellen Erscheinungsbild besonders der Frauen dar. Auch hier verliefen die Kommunikationswege durch die zentralen und östlichen Alpen in das nördliche Alpenvorland. Innert kurzer Zeit bildeten sich zwischen Rhein und Main dann eigene Typenvarianten heraus, die in einer Gegenbewegung ihren Weg bis in die Po-Ebene fanden: Im Norden gefertigt und im Süden getragen, sprechen auch diese Beispiele für einen mehr als nur gelegentlichen Austausch.220 Da die Verbreitung der neuartigen Accessoires gleichzeitig mit weiteren Kulturelementen flächendeckend und stetig von Süden nach Norden voranschreitend erfolgte, kann man über die Ursachen, Begleitumstände und Auswirkungen spekulieren – nicht nur in Bezug auf die Kleidermode, sondern auch auf die Lebenswelt insgesamt. Diese frühen Akkulturationserscheinungen sind insofern ein „gesamtgesellschaftliches Phänomen“,221 als sie sich in denjenigen Sozialschichten mani-
219 Krausse 2010; Kurz 2008; Mötsch et al. 2011, 773–793. 220 Ettel 1995. 221 Baitinger 2013, 244–248.
Akkulturation bis zur Romanisation
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festieren, die mit archäologischen Mitteln fassbar sind: Für die tonangebenden Bevölkerungsschichten stellten die mediterranen Kulturen seit der Hallstattzeit keine fremde Welt mehr dar. Ganz im Gegenteil. Das Renommee des Südens war in den einschlägigen Kreisen bekannt genug, sodass sich um 400 v. Chr. keltische Stämme aus Abenteuerlust oder schierer Not auf den Weg ins gelobte Land machten. So jedenfalls lauten die mehr oder weniger gut fundierten historischen Quellen. Mitunter sind die Angaben über die Wanderungen sehr präzise, zum Beispiel bei der Nennung einzelner Stämme wie der Senonen, Boier und Lingonen oder der Lokalisierung des Alpenüberganges über den Großen Sankt Bernhard (Summus Poeninus).222 Eine erstaunliche Bestätigung für ausgewanderte Senonen liefert übereinstimmendes archäologisches Fundgut aus der Champagne sénonaise in Frankreich und der Sena Gallica im Piceno an der Adria.223 Allerdings scheinen sich die barbarischen Eindringlinge, einmal im Süden angekommen, recht schnell assimiliert zu haben, wie einzelne Grabkomplexe im Hinterland von Ancona und Bologna zeigen; genau diese kulturelle Schnittstelle könnte denn auch den Nährboden abgegeben haben für einen neuen Schub in der keltischen Kunst, der zum sogenannten Waldalgesheimstil führte.224 Politisch waren die keltischen Stämme in Oberitalien offensichtlich selbstsicher genug, um einen Konflikt mit dem nach Norden vordringenden Rom einzugehen – jedenfalls bis zur verhängnisvollen Entscheidungsschlacht von Telamon im Jahre 225 v. Chr. Eventuelle Abwanderungen und ein möglicher „rückläufiger Kulturstrom“ aus Italien nach dem keltischen Norden haben in der Forschung noch wenig Beachtung gefunden. Dennoch sind das Geldwesen, die Oppidazivilisation, die Verwendung der griechischen Schrift als Anzeichen einer Etablierung hellenistischer Kultur nördlich der Alpen zu werten; neue Bestattungssitten (Kremation und Münzbeigabe) zeugen augenfällig von Mentalitätsänderungen.225 Im Gleichschritt mit der territorialen Expansion Richtung Norden verbreitete sich römische Kultur bis in die Alpentäler hinein. Nach der Eroberung der Provincia bildete Genf den nördlichsten Brückenkopf mit einem zwischen 123 und 120 v. Chr. zu einem leistungsfähigen Umschlagplatz ausgebauten Hafen. Auf dem Wasserweg strömten über Rhone und Saône gewaltige Ladungen von Amphoren mit Wein in das westliche Mitteleuropa. Die einsetzende Sogwirkung hatte einen mannigfaltigen Kulturtransfer zur Folge, der sich in unscheinbaren archäologischen Funden
222 Livius 5, 34–35. – Tomaschitz 2002, 41–52. 223 Schönfelder 2010, 14–23; Kruta 2008. 224 Landolfi 1986; Müller 2009, 88–92; Müller 2012, 44. 225 Rieckhoff 2002, 360–373; Colin 1998; Fichtl 2012; Lenerz-de Wilde 1987, 85–87. – Die Münzbeigabe als Charonspfennig oder als Notgroschen im Jenseits Polenz 1982; Thüry 1999; vgl. auch Vitali/ Verger 2008, 47 f.
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äußern kann. So zeigt eine jüngst erschienene Studie, dass im mittleren Rhonetal und bis auf die Höhe von Mâcon in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. bereits Repräsentationsbauten „liés à la sphère religieuse ou aristocratique“ mit gebrannten Tonziegeln gedeckt wurden. Die um ein mehrfaches schwerere neue Bedachung muss Auswirkungen auf die Konstruktion der Dachstühle gehabt haben; zur Festigung der Ziegel auf der Dachschräge war Mörtel notwendig.226 Zur Sicherung der Passübergänge aus der Po-Ebene wird in günstiger Straßenlage am Anstieg zum Kleinen und Großen Sankt Bernhard im Jahre 100 v. Chr. die Kolonie Eporedia gegründet. Im Verlaufe des 1. Jahrhundert v. Chr. kommt römische Lebensweise in den Grabausstattungen hart am Alpensüdfuß immer deutlicher zum Ausdruck.227 Politische Realitäten schafft Caesar mit der Eroberung von Gallien ab 58 v. Chr. Nicht erst später während der Kaiserzeit, sondern bereits jetzt offenbaren sich die unterschiedlichen Verhaltensweisen der Fremdvölker dem römischen „way of life“ gegenüber. Sie werden von der Forschung mit den Begriffen Romanisierung und Romanisation apostrophiert. Die politische Führungsschicht, die keltische Nobilität, war im 1. Jahrhundert v. Chr. tief gespalten: Während die eine Seite, die römerfreundliche Partei, in Eigeninitiative die Romanisation anstrebte, musste der Gegenpartei die Romanisierung mit militärischen Mitteln aufgezwungen werden.228 Vorreiter und Träger des Wandels waren die einheimischen keltischen Eliten, die sich durch ihre Assimilierung Vorteile schufen und gleichzeitig das politische Rückgrat des römischen Herrschaftssystems bildeten. Sie waren auch Vorbild für diejenigen unteren Bevölkerungsschichten, denen ein opportunistisches Mittun zweckmäßig erschien und für die der Aufwand verkraftbar war. Nach einer kurzen Anlaufzeit verlief der Prozess des „Römerwerdens“ in allen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Belangen rasch und gründlich. In der Kaiserzeit gelang einzelnen Mitgliedern der Nobilität dank militärischer Karriere und vollständiger Integration der Aufstieg in die Reichsaristokratie, wo ihnen die Instrumente der Machtdemonstration und des Machterhalts, wie sie zum Beispiel der Herrscherkult in Rom zelebrierte, zur Selbstverständlichkeit wurden. Mit dieser nicht nur in Lyon, sondern auch in Rom agierenden Elite hatte sich die seit Jahrhunderten dauernde Assimilierung an griechische und italische Vorbilder schließlich auf das Reichszentrum Rom fokussiert. Für die provinzialrömische Oberschicht wurde das „Römischsein“ zur allgemeinen Richtschnur – hypothetisch auch was die Ausprägung des Heroen- und Ahnenkultes betrifft. Der kurze historische Abriss soll vor Augen führen, dass mindestens die kontinentalen Kelten mit der römischen Okkupation nicht einer völlig neuen Welt ge-
226 Clément 2013, 113–116. 125. 227 Martin-Kilcher 1998. 228 Personifiziert im Brüderpaar Diviciacus und Dumnorix (Caes. gall. 1, 18–20). – Alföldy 2005; Woolf 1998, 162–168; stellvertretend für weitere Literatur sei Schörner 2005 genannt.
Gallien: Exemplarische Befunde
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genüberstanden, sondern dank eines längeren vorausgegangenen Akkulturationsprozesses bereits in vielfältiger Weise von mittelmeerischen Zivilisationen beeinflusst waren.229 Wie sich das auf die archäologischen Äußerungen eines Ahnenkultes auswirkt, wird vorerst für die römische Zeit zu untersuchen sein, bevor wir dann weiter in die zeitlichen Tiefen vordringen.
Gallien: Exemplarische Befunde Ein wichtiger Zeiger für Romanisierung sind die neu entstandenen städtischen Zentren und die Monumentalisierung von Bauwerken. In beides investierte die gallorömische Aristokratie beträchtliche Mittel. „Monumentalization offers a chance to confirm or redefine the political order, and so much symbolic, as well as financial, capital is invested in such schemes that no powerful group or individual dare ignore them“.230 Das Zitat von Greg Woolf, das sich auf die Architektur in den Städten Galliens bezieht, könnte ebenso gut als These für die Architektur und Funktion der Grabmonumente mit ihrem offenkundigen Repräsentationscharakter dienen. Auf das hin sollen nun ein paar ausgewählte Beispiele aus der Schweiz, aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien näher untersucht werden. Sehr aufschlussreiche Befunde lieferten die Ausgrabungen von En Chaplix, knapp zwei Kilometer nördlich von Aventicum (Avenches), dem Hauptort der Civitas Helvetiorum. Aufgrund der Vorberichte und Monografien lässt sich die Geschichte der verschiedenen, an einer Stelle extra muros konzentrierten Grabstätten ziemlich gut rekonstruieren. Die älteste archäologische Struktur am Platz ist ein Brandgrab (Abb. 29, s).231 Die Verbrennung erfolgte offenbar am Ort, wie die festgestellten Brandspuren vermuten lassen. Nach der Zeremonie hatte man eine enge Schachtgrube von 23 cm Durchmesser ausgehoben. Darin fanden die Ausgräber folgende Beigaben, die mit drei Amphorenscherben abgedeckt waren: Einen rohen Bergkristall, einen Henkelgriff aus Silber, einen Anhänger aus Bronze, zwei norisch-pannonische Flügelfibeln und drei Distelfibeln, die alle absichtlich zerbrochen waren. Der untersuchte Leichenbrand stammt von einem erwachsenen, grazilen Individuum, zweifellos einer Frau, wenn man die Fibelkombination mitberücksichtigt. Ein Knochenfragment wurde als Radius eines Kindes (Knabe oder Mädchen) bestimmt. Das Grab schützte eine in Holz gebaute Ädikula, von der sich Pfostenspuren im Boden erhalten haben (Abb. 29, tp). Aus einer Schicht, die unmittelbar auf der
229 Botermann 2005, 47–118. 230 Woolf 2000, 126. 231 Castella/Flutsch 1990, 2–9.
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Roms Provinzen im Norden
Abb. 29: Avenches. En Chaplix. Über dem Grab einer Frau (s) entstand ein einfacher Pfostenbau (tp) und schließlich ein Heroon in der Form eines gallorömischen Umgangstempels, wie er sonst Göttern zustand.
Grababdeckung lag, stammen unter anderem ein zerschmolzener gallischer Quinar (?) sowie verbrannte Glas- und Keramikgefäße frühaugusteischer Datierung. Auffallen müssen 79 Münzen (inklusive zehn Halbstücke), die jüngste eine tiberische Prägung. Die Ädikula war umgeben von einem quadratischen Grabensystem von 23 m Seitenlänge. Gewisse Spuren ließen die Ausgräber an eine Palisade auf der Grabenaußenseite denken. Funde in der Grabenfüllung konzentrierten sich im Eingangsbereich im Osten, darunter wiederum frühe Sigillata. Die festgestellten Befunde lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Hier wurde eine Frau (die eventuell aus dem Donauraum stammte) mit Schmuck aus den letzten Jahrzehnten v. Chr. bestattet. Dies geschah etwa zu der Zeit, als in Rom
Gallien: Exemplarische Befunde
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das Mausoleum des Augustus entstand. Über ihrem Grab baute man eine Ädikula aus Holz; den Grabbezirk umschloss ein Grabensystem mit einer Umzäunung. Verbranntes Geschirr zeugt von Riten am Begräbnisplatz; die 79 Münzen sind Zeichen einer kultischen Verehrung der hier bestatteten Frau und damit als Votive, wie sie sonst Göttern vorbehalten sind, zu deuten.232 Eine zweite Ausbauetappe zum richtiggehenden Kultplatz offenbart die Bedeutung, mit der die heroisierte Ahnfrau verehrt worden ist. Denn in tiberischer Zeit, etwa zwischen 25 und 30 n. Chr., wurde die einfache Holzädikula durch ein Fanum in der Form eines gallorömischen Umgangstempels mit einer quadratischen Cella von 5 m Seitenlänge ersetzt.233 Die Fundamente sind allerdings so schwach, dass die Ausgräber mindestens in Teilen auch hier noch mit einer Holzbauweise rechnen. Der Graben wurde zugeschüttet, an seiner statt umfasste eine neue, räumlich verschobene Temenosmauer den Sakralbezirk. Die Überreste eines im Hof freigelegten Fundaments stammen vielleicht von einer Statuenbasis oder eher von einem Altar. Die Votive gehen weiter beziehungsweise setzen jetzt erst im großen Umfang ein. Die Keramik datiert vom 1. bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. Interessant ist die Orientierung der neuen Anlage in Tempelform. Sie hält sich an die ursprüngliche Grabädikula und steht deshalb wie diese quer zur erst jetzt in tiberischer Zeit ausgebauten Überlandstraße, die aus der Stadt hinaus, am Begräbnisplatz vorbei ins östliche Mittelland führt. Unmittelbar südlich anschließend entstand zur gleichen Zeit ein zweites Fanum der gleichen Art (Abb. 30, 12 „temple sud“), unter dem sich offenbar kein Grab fand. Für beide Fana zusammengefasst werden im Vorbericht eine beträchtliche Anzahl an Funden erwähnt, die als Votive gedeutet werden: „des centaines de monnaies“, worunter ein knappes Dutzend aus dem 4. Jahrhundert n. Chr., sowie eine noch nicht publizierte Anzahl von Fibeln und andern Metallgegenständen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite standen zwei monumentale Mausoleen mit respektablen rekonstruierten Höhen von 23 beziehungsweise 25 m und reichem Figurenschmuck (Abb. 31).234 Monument Nord weist ein dendrochronologisch abgesichertes Baudatum von 28 n. Chr. auf; der Figurenschmuck umfasst eine überlebensgroße Frau und zwei leicht kleinere Togaträger. Monument Süd wird zwischen 40 und 45 n. Chr. datiert; hier ist die größte Statue ein Mann begleitet von einem togatus und einer Frau. Monumentalisierende Architektur und statuarische Ausstattung sind Ausdruck einer Heroisierung auch der hier bestatteten Personen. Beide Monumente sind wie ihre Umfassungsmauern parallel auf die Straßenlinie ausgerichtet. Die dargestellten Männer tragen die Toga, besitzen also das römische Bürgerrecht. Innerhalb der beiden Mauergevierte lagen mehrere Grä-
232 Münzwurf nach dem Verschluss der Gräber und erst recht in solchem Umfang ist sonst ganz ungewöhnlich, vgl. Rasbach 1999. 233 Castella/Flutsch 1990, 9–12. 234 Castella 1990, 12–27; Flutsch/Hauser 2012.
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Abb. 30: Avenches. En Chaplix. Zwei Generationen nach dem Umgangstempel (9) wurden die turmartigen Grabmonumente (3 und 5) jenseits der Straße gebaut. An deren Außenmauern drängen sich mehr als 200 einfachere Gräber (6) der Folgegenerationen.
ber aus dem 1. bis 2. Jahrhundert n. Chr., worunter fünf von Säuglingen. An drei Stellen konzentrierten sich die Überreste von ustrina. Obwohl stark fragmentiert, zeugen die Beigaben von der hohen Qualität der auf dem Scheiterhaufen mitverbrannten Gegenstände: unter anderem Schmuckstücke aus Gold, reichhaltiges Bronzegeschirr, beinerne Zierelemente einer Totenliege sowie eine beträchtliche Menge an Weinamphoren, die von Trauerfeierlichkeiten und Totenmählern herrühren.235 Eine größere Gruppe von mehr als 200 Körper- und Brandgräbern liegt in einer Parzelle, die entlang der Straße die architektonische Fortsetzung der Grabgärten um die beiden Monumente bildet (Abb. 30). Auch chronologisch ist sie deren natür-
235 Castella et al. 2002.
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Abb. 31: Avenches. En Chaplix. Bunt bemalt, reich dekoriert und weitherum sichtbar an der Ausfallstraße ist das Grabmonument einer hochgestellten Persönlichkeit.
liche Fortsetzung, überdauert das 2. und reicht bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. hinein. Eine umfassende Studie wertet zusammenfassend den großen „Reichtum und die Verschiedenartigkeit der Beigaben“ sowie den Aufwand an Särgen aus Holz und Blei als ein Zeugnis der „hohen sozialen Stellung der Verstorbenen“. Die anthropologischen Untersuchungen diagnostizieren zwar eine unausgewogene Ernährung; andererseits zeugen die seltenen traumatischen Verletzungen von „einem recht geruhsamen Leben ohne große physische Aktivitäten.“ 236 Dass die hier beerdigten Personen in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu den bei den Monumenten Beigesetzen stehen, ist wahrscheinlich. Für einen Beweis fehlen bis anhin die genetischen Analysen. Zwar ist die Geschichte der einzelnen Baukomplexe von En Chaplix noch nicht zu Ende geschrieben. Bemerkenswert ist jedoch die Tatsache, dass das Grab mit
236 Castella 1999, 330 f.
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Abb. 32: Avenches. Der Gräberkomplex En Chaplix liegt in oder am Rande einer großen Villenanlage Russalet, die erst durch Luftbilder erfasst ist.
der Holzädikula der Heroin älter ist als die frühesten römischen Siedlungsspuren, die bis anhin je im Stadtgebiet von Aventicum zutage gekommen sind. Dies könnte zu Überlegungen führen, die durch weitere Beobachtungen genährt werden. Etwa 400 m hangaufwärts und das ganz Gelände beherrschend, macht sich in der Flur Russalet eine sehr große Villenanlage breit, die bis jetzt aber erst durch Luftbilder erfasst worden ist (Abb. 32). Ihre Mauerzüge liegen etwa in gerader Linie mit der Temenosmauer des Umgangstempels mit dem Heroinnengrab, was vermuten lässt, dass die beiden Fana diesseits der Straße auf einem Gelände lagen, das zur Villa gehörte; zudem weisen Laurent Flutsch und Pierre Hauser darauf hin, dass die Mittelachse der pars urbana eventuell explizit auf den Gräberkomplex En Chaplix an der Überlandstraße ausgerichtet ist. Dies könnte zu weiteren Spekulationen Anlass geben, wie sie die beiden Autoren formuliert haben und denen man im Sinne von Thesen ruhig folgen darf, solange diese auch als solche verstanden werden.237 Am kopfseitigen Ende des um 125 n. Chr. erbauten Kanals zum Seehafen wurde 1990 eine Statuenbasis aus Kalkstein entdeckt. Laut der Inschrift war die heute verlorene Statue Silvanus und Neptun geweiht, und zwar gespendet von Aprilis,
237 Flutsch/Hauser 2012, 107–121; Frei-Stolba1996.
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dem Sklaven von Caius Camillus Paternus. Das Hafengelände und der Standort des Denkmals liegen hart am rekonstruierten Rande der Domäne von Russalet, deren Besitzer am Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. dann wohl ein Camillus war. Damit taucht der Name einer Familie auf, die die Geschichte von Aventicum wesentlich geprägt hat. Ihr glänzendstes Mitglied, Caius Iulius Camillus, verkehrte als Militärtribun persönlich mit Sulpicius Galba, dem späteren Kaiser. Im Range eines Stabsoffiziers wurde er im Britannienfeldzug unter Claudius im Jahre 43 n. Chr. mit den höchsten militärischen Ehren ausgezeichnet. Und angenommen, die genealogischen Verbindungen der Camilli reichen tatsächlich bis in cäsarische Zeit zurück,238 so müssten Vertreter dieser Familie – und darunter bemerkenswerterweise auch Frauen – bei der Gründung des helvetischen Vorortes Aventicum eine bedeutende Rolle gespielt haben. Zusammengefasst sind in En Chaplix alle Elemente einer klassischen Heroisierung klar belegt: Das Grab einer Frau wandelt sich zu einem Heiligtum mit den dafür typischen Opferhandlungen an einem Heroengrab. Diese brechen auch nicht ab, als auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwei Mausoleen errichtet werden in einer Architektursprache, wie sie selbst in Rom verstanden wird. Die beiden hoch aufragenden Zwillingsgrabtürme sind Zeichen des sozialen Aufstiegs einer vornehmen einheimischen Familie. Verbindet man alle diese Bauwerke, Fana und Mausoleen mit den historischen Quellen der rekonstruierten Familiengeschichte der Camilli, so finden sich dort auch die für Heroen unabdingbaren kriegerischen Verdienste und vielleicht sogar die Funktion als Stadtgründer. Die zeitüberdauernden Zeugnisse, die sich archäologisch überhaupt fassen lassen, konzentrieren sich auf die oberste Spitze der vornehmen Familie. Ebenfalls zu diesem engeren Familienkreis gehören die am Fuße der beiden Monumente und noch innerhalb der Grabgärten beigesetzten Erwachsenen und Säuglinge. Die große Gruppe gleich außerhalb der Temenosmauern könnte von weiteren Mitgliedern der familia stammen, die sich um ihre verehrten Ahnen scharen. Was die Tradition des in En Chaplix festgestellten Ritualverhaltens und die Geschichte von Avenches betrifft, haben sich in den letzten Jahren sehr bemerkenswerte neue Erkenntnisse eingestellt. Obwohl in römischer Zeit mit dem Epitheton Helvetiorum ausgezeichnet, ist man während jahrhundertelanger Grabungstätigkeit im Stadtareal von Aventicum nie auf latènezeitliche Strukturen gestoßen. Dies gilt jedoch nicht für fünf in jüngerer Zeit entdeckte Gräber, die alle in einem Zusammenhang mit gallorömischen Sakralbauten stehen.239 In prominenter Lage zwischen dem „Sanctuaire du Cigonier“ (mit dem Fundort der goldenen Büste des Marc Aurel) und dem szenischen Theater kamen 1998 zwei gallorömische Umgangstempel zum Vorschein. Der eine wurde über einer spätlatè-
238 Flutsch/Hauser 2012, 121; Kaenel/Martin-Kilcher 2002, 162 f. 239 Mehrere Grabungsberichte zusammenfassend: Morel 2001, 60–69; Morel et al. 2005, 29–32.
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nezeitlichen Urnenbestattung errichtet, die von einer der Peristylmauern bei deren Bau touchiert wurde. Im Rücken der beiden Tempel umschloss eine Hofmauer die sumpfige, schlecht entwässerte Senke von Lavoëx. Ein eingeschlossener langrechteckiger Baukomplex von ungewöhnlicher Form wurde von den Ausgräbern versuchsweise mit einem Nymphäum, also einem Quellheiligtum, in Verbindung gebracht. An dessen Südostecke stießen sie auf eine Urne mit verbrannten Metallen, unter anderem zwei Fibeln und einem Lanzenschuh: Datierung zwischen 150 und 120 v. Chr. Weiter hangaufwärts neben dem Amphitheater in der Flur „Derrière La Tour“ zeichneten sich mehrere vorrömische Strukturen ab, die im Einzelnen schwer zu deuten sind. Über diesen saß wiederum ein Umgangstempel, und auch hier lag unter dem Fußboden eine spätlatènezeitliche Brandbestattung. Ganz Außergewöhnliches hingegen barg der Untergrund des benachbarten Rundbaus (tholos) mit polygonalem, zwölfeckigem Rundumperistyl. Die Überraschung bestand aus zwei aufrecht sitzenden Hockern. Einer war männlichen Geschlechts und 35 bis 45 Jahre alt, der andere blieb unbestimmt. Laut der anthropologischen Begutachtung sind die beiden Verstorbenen erst nach ihrer Mumifizierung in sitzender Haltung beerdigt worden. Da weder eigentliche Votive noch andere Mitfunde genannt wurden, bleibt vorerst nur die so publizierte, etwas unbefriedigende C14-Datierung von 250 bis 20 v. Chr. Die römerzeitliche Sakralzone zwischen dem Amphitheater und dem szenischen Theater bezeichnete schon lange den Rand des Siedlungszentrums von Aventicum. Neu hingegen ist, dass unter oder knapp neben jedem der gallorömischen Tempelbauten spätlatènezeitliche Gräber, also aus der Zeit der keltischen Helvetier, liegen. Falls die Koinzidenz Grab–Heiligtum keinem Zufall unterliegt, so haben wir es hier mit den Bestattungen von Ausnahmepersonen zu tun, deren rituelle Verehrung in römischer Zeit ein festes Gebäude in Form eines Tempels nach sich zog. Aufgrund der Überreste muss man auf einen Ahnen- oder Heroenkult schließen, dessen keltische ideologische Voraussetzungen eine römische Ausgestaltung erfahren haben. Somit dürfte nach heutigem Ermessen die Bedeutung des vorrömischen Aventicum Helvetiorum im sakralen Bereich zu suchen sein, wobei ein gesteigerter Ahnenkult, der auch Frauen miteinschloss, offenbar eine bedeutende Rolle spielte. Dass die heroenartige Totenverehrung in der landbesitzenden Elite verwurzelt war, erhärtet sich in Grabmälern auf den Grundstücken von Gutshöfen, die man in den letzten Jahrzehnten im zentralen und östlichen Mittelland der Schweiz ausgegraben hat. Wo das Bewusstsein für eine solche Fragestellung während der Ausgrabungen nicht geschärft war, sind auch die nachherigen Interpretationen nicht immer eindeutig. Am klarsten ist der Befund in Biberist vor den Toren des vicus Salodurum.240 240 Schucany 1995; Schucany 2006.
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Abb. 33: Biberist bei Solothurn. Im Zentrum des Villenareals ist ein langrechteckiger Hof (Parkanlage?) ausgespart, wo sich auch das Umfassungsgrab des Gutsbesitzers befindet.
Innerhalb der pars rustica des 5 ha großen Gutsbetriebs war ein zentraler Innenhof durch eine Mauer vom Rest abgeschlossen (Abb. 33). Die einzige gemauerte Konstruktion in der sonst freien Fläche war ein quadratisches Geviert von 9 m Seitenlänge, das sich als Grabeinfriedung erwies. Die eigentliche Grabstätte bestand aus einem massiven Kalksteinblock und einer fundreichen Kremationsgrube, worin eine „Stele“ (Länge 2, 13 m) in Form eines sekundär verwendeten Architekturstückes steckte. Der verstreute Leichenbrand stammt von zwei bis drei Personen: einem 50-jährigen Mann („gut ernährt“) und einem Säugling; nur aufgrund der Beigaben ist auch mit einer „nicht mehr ganz jungen Frau“ zu rechnen.241 Auf diese deuten Glasperlen und eine Schminkplatte unter den sonst zahlreichen, aber voll-
241 Schucany 1995, 145.
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kommen verbrannten und zerschmolzenen Funden, die offensichtlich auf dem Scheiterhaufen gelegen hatten: ausgezählt mindestens 300 Gefäße aus Ton und abgewogen 1 kg tierischer Knochenbrand, 2 kg geschmolzenes Glas sowie 2,3 kg Eisen, Bronze und Blei. Balsamarien, Spielwürfel und ein kleiner Hund in der Größe eines Spitzes zeugen von einer in Muße verbrachten Lebensweise; verbrannte Datteln und Backwaren sowie die große Menge an Weinamphoren widerspiegeln einen beachtlichen Wohlstand. Während und nach der Bestattung fanden zwar Speise- und Trankopfer statt, jedoch sind keine Hinweise auf Münzopfer oder kontinuierliche Feierlichkeiten über Generationen hinweg festzustellen, und auch der architektonische Aufwand ist bis auf die rätselhafte Stele und das Mauergeviert bescheiden.242 Hingegen nimmt die Grabstätte innerhalb des Gutshofes eine prominente Lage ein. Sie ist nur von der hangaufwärts gelegenen pars urbana einsehbar, aber sonst durch die zweifache Ummauerung von der profanen Betriebsamkeit des Gutes abgeschirmt. Die hier Bestatteten sind nicht die Hofgründer des 1. Jahrhunderts n. Chr., sondern gehören zur Generation, die im 2. Jahrhundert die Villa in Stein auszubauen und zu vergrößern vermochte. Diese Generation sah sich denn auch in der Lage (oder in die Pflicht genommen), ein entsprechendes Grabmonument zu errichten. Während der gut zweihundert Jahre, in denen das Gut in Betrieb war, besaßen nur zwei oder drei Personen, ein Mann, eine Frau und ein Säugling, das Privileg einer Grabstätte solcher Art. Ähnlich, wenn auch nicht so klar, sind die Verhältnisse in Neftenbach im Kanton Zürich, wenn sich unser Augenmerk auf das wiederum zentral gelegene Gebäude 55 richtet.243 Es besitzt einen quadratischen Grundriss mit 13,2 m Außenmaßen. Unter anderem aufgrund der „sehr genau orthogonalen“ Ausführung und der im Vergleich zum übrigen Gutshof außergewöhnlichen Qualität des Mauerwerks hält der Ausgräber dieses Bauwerk für einen Tempel. Ein zentrales, massives Fundament könnte für ein Standbild sprechen. Komplizierte stratigrafische Verhältnisse machen eine Datierung der Anlage im 2. Jahrhundert n. Chr. wahrscheinlich. Das Sockelfundament des Standbilds stört allerdings eine ältere (fundleere) Grube, und die Gebäudemauer schneidet ein ebenfalls älteres Brandgrab aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. Für den Ausgräber „nicht erklärbar ist die Lage von Grab 9 inmitten der Gutshofanlage“.244 Offensichtlich ist dieses Grab laut dem stratigrafischen Befund älter als der Kultbau, und die Indizien sprechen dafür, dass das Grab der Anlass gewesen sein könnte für die Errichtung des Sakralgebäudes in Stein. Zudem bemerkenswert ist in Neftenbach das spätlatènezeitliche Brandgrab 4 eines juvenilen Individuums „unbestimmbaren Geschlechts, das im Alter von 16
242 Schucany 2006, 113–128. 243 Rychener 1999, 394–400. 244 Rychener 1999, 135 f.
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bis 17 Jahren gestorben ist. Das ist erstaunlich, denn dieses Brandgrab ist das reichste und am sorgfältigsten angelegte von allen hier vorgelegten Gräbern“ römischer Datierung.245 Mangels eines publizierten Gesamtplans des Gutshofes ist seine topografische Einordnung nicht möglich und bleibt auch seine Wertung für den Gesamtzusammenhang unklar. Weitere mehr oder weniger eindeutige Sakralbauten in Gutshöfen mit Hinweisen auf eine Grabfunktion lassen sich anfügen. In Dietikon, ebenfalls Kanton Zürich, ist es das Gebäude G mit einer zentralen Grube mit 64 Fundmünzen aus dem 1.− 4. Jahrhundert n. Chr. und der „Tempel 1953“, beide im Innern des Hofgutes, in der pars rustica, gelegen.246 Im Furttal liegen sich die beiden Gutshöfe von Buchs und Dällikon an den Talhängen in Sichtweite gegenüber. Bei beiden fanden sich Bauspuren von vermuteten, aber nicht vollständig gesicherten Sakralbauten außerhalb der Umfassungsmauern.247 In Meikirch sind zwei quadratische Steinsetzungen von 3,2 m Seitenlänge und im Abstand von 90 cm zueinander wohl eher als die Fundamente von Grabmälern zu deuten als von Kleinsttempeln. Sie stehen hangaufwärts, 30 m von der pars urbana entfernt, aber um mehr als 15 m zu deren Symmetrieachse verschoben.248 Bei den bis jetzt geschilderten Fällen scheinen immer die Oberhäupter der Villenbewohner erfasst worden zu sein; nur die zweihundert Toten neben den Monumenten von En Chaplix müssen zu einem weiteren Familienkreis gehört haben. In vielem vergleichbar mit En Chaplix ist der Friedhof von Couroux (Kanton Jura), nämlich was die Anzahl der Gräber, die Dauer der Belegung und die Lage an der Außenseite der Hofmauer betrifft. Hier stellt sich die Frage nach der Größe der lebenden Population, die den Friedhof unterhielt. Man kann auf verschiedene Formeln zurückgreifen, die Resultate von En Chaplix und Courroux schwanken jeweils zwischen zwei und drei Dutzend Personen.249 Für Courroux glaubt Stefanie Martin, damit die „paysans et serviteurs, avec leur famille“ erfasst zu haben,250 wohingegen es sich in En Chaplix nach Aussage der Anthropologie eher um eine höhere Sozialschicht handelt, nämlich um die Bewohner der pars urbana. Die Ausdehnung der im Luftbild erfassten Raumfluchten auf Russalet ist tatsächlich sehr groß und böte Wohnraum für viele Personen. Caty Schucany rechnet mit weit mehr als zwei bis drei Dutzend „Landarbeitern“, die in der Villa von Biberist die täglichen Arbei-
245 246 247 248 249 250
Rychener 1999, 132 f. Ebnöther 1995, 177–187. 195–197; Käch 2013, 8–11. Horisberger 2004, 69 f. 282–285. Suter 2004, 52–54 mit Abb. 7 und 193. Suter 1984, 88 f.; Berger/Matt 1994, 95. Martin-Kilcher 1993, 158.
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ten verrichten mussten: im Maximum bis zu hundert Männer, Frauen und Jugendliche.251 Jede dieser Kopfzahlen ist natürlich abhängig von der Größe des Betriebs. Für den Verbleib der großen Masse von Menschen „di chi lavorava queste terre“ 252, wie man sie vor den Toren Roms mindestens zu einem Teil erfasst zu haben glaubt, gibt es in der untersuchten Region einstweilen keine sicheren Anhaltspunkte. Um zu prüfen, ob die im schweizerischen Mittelland festgehaltenen Kriterien allgemeingültig sind für den gallorömischen Kulturraum, müsste die Untersuchung idealerweise flächendeckend ausgeweitet werden. Da ein solches Verfahren hier nicht möglich ist, sollen zur Kontrolle Beispiele aus dem Großraum Trier herangezogen werden. Dort stehen mit Newel und Bierbach zwei in der Literatur häufig zitierte Grabungen und mit Bartringen ein aktuelles Beispiel aus der luxemburgischen Nachbarschaft zur Verfügung. Für einiges Aufsehen sorgten die jüngsten Entdeckungen auf dem Gelände einer palastartigen Villa bei Bartringen an der Heeresstraße von Reims nach Trier.253 Hier waren Architekturteile eines ursprünglich wohl dreigeschossigen Grabbaues als Spolien in einem spätantiken Burgus verbaut. Obwohl es nicht den geringsten Hinweis auf den ursprünglichen Standort des Grabmals gibt, ist sein Zusammenhang mit der Villa nicht von der Hand zu weisen. Bedauerlicherweise fehlt ein architektonischer Bezug zur Gesamtanlage, und auch über das Verhältnis zu weiteren Gräbern lässt sich nichts aussagen. Zur Datierung des Grabmonuments gibt es zwei kaum differierende Ansätze, die innerhalb des zweiten Viertels des 1. Jahrhunderts n. Chr. liegen. Auf einem der Reliefblöcke des Sockelgeschosses ist eine Szene dargestellt, die sich als Reitergefecht von Römern gegen Barbaren interpretieren lässt, während das Fragment einer Männerstatue einen Mann capite velato, mit über das Haupt gezogener Toga, zeigt. Die beiden Bildelemente, das Relief und die Porträtstatue, könnte man so interpretieren, dass der Verstorbene neben einer Militärkarriere auch eine zivile Laufbahn verbunden mit einem Priesteramt vorweisen konnte. Das Herrenhaus der Domäne besaß zum Zeitpunkt seiner größten Ausdehnung eine Front mit zwei mächtigen Risalitbauten und einer stattlichen Länge von 160 m. Obwohl die Auswertung dieses Teil der Ausgrabung noch nicht in Angriff genommen worden ist, gibt es klare Hinweise auf eine frühe Holzbauphase, von der unter anderem mächtige, in den Fels hineingetriebene Pfostengruben zeugen. Zusammen mit diversen Streufunden lässt sich ein ausgedehntes keltisches Hofgut „der nachcaesarischen Zeit“ erschließen, „welches ab mittelaugusteischer Zeit ro-
251 Schucany 2006, Abb. 18/5. 252 Griesbach 2007, 137. 253 Kremer 2009; Panhuysen 2012.
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Abb. 34: Newel bei Trier. Der Begräbnispatz der Besitzerfamilie liegt 100 m vom Gutshof entfernt an der Durchgangsstraße nach Trier.
manisiert wurde“.254 Falls man von einer ungebrochenen Erbfolge wie in Aventicum ausgeht, was sich allerdings nicht bestätigen lässt, so zeichnet sich die geglückte Romanisierung einer einheimischen Familie ab, die sich auf konsequente Weise römische Ideale zu eigen machte. Dem mit dem prächtigen Monument geehrten Familienoberhaupt gelang offenbar der Schritt vom keltischen Großgrundbesitzer in den senatorischen Adelsstand, was durch Palast und Mausoleum der Öffentlichkeit vor Augen geführt werden sollte. Mehr Informationen dank umfangreicheren Ausgrabungen existieren über den Gutshof von Newel. Er liegt unweit von Trier und wurde von den Ausgräbern im regionalen Vergleich als Betrieb von mittlerer Größe und mittlerer Wirtschaftskraft eingestuft (Abb. 34).255 Die Wohnfläche der über einen Abhang vorspringenden pars urbana ist flächenmäßig entsprechend bescheiden, verfügt allerdings über einen Badetrakt. Von einer Portikus aus öffnet sich bergwärts ein langrechteckiger Hof (ca. 115 × 55 m), der auf drei Seiten von Ökonomiegebäuden umschlossen ist. Aufgrund der Funde vermutet man den Baubeginn in der Zeit um 100 n. Chr.; ein massiver Ausbau in Stein erfolgte im Verlaufe des 2. Jahrhunderts n. Chr. Etwa 120 m vom Haupteingang entfernt liegt ein Bestattungsplatz, der, obwohl kein direkter architektonischer Zusammenhang sichtbar ist, zweifellos zum Gutshof gehört. Seine Baufluchten sind auf die römische Überlandstraße ausgerichtet, die direkt an ihm vorbeiführt (Abb. 35).
254 Kremer 2009, 24. 255 Cüppers/Neyses 1971.
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Abb. 35: Newel bei Trier. Der zum Gutshof gehörende Gräberkomplex besteht aus einem Umgangstempel und einem viereckigen Grabgarten, in dem sich ein gemauertes Monument mit Figurenschmuck sowie vier Grabhügel drängen.
Die ältesten archäologischen Strukturen auf dem Areal des straßenseitigen Sakralplatzes sind zwei Gruben, die offenbar zeitlich und funktional zusammenhängen, da sie anpassende Scherben enthalten. „Die Einfüllung bestand aus Holzkohle und Asche, grünlich verfärbtem Boden, Scherben, Nägeln und stark verschmorten Glasresten“ sowie aus „sehr einheitlich wirkenden Sigillaten“. In stratigrafisch tiefen Lagen der Umgebung werden im Grabungsbericht wiederholt ein
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verglühter Schwemmlandboden, „Ascheschichten“ und eine „brandverglühte Laufschicht“ erwähnt.256 Über der genannten Doppelgrube erhob sich ein Umgangstempel mit einer fest gemauerten Cella, deren lichte Weite 5,70 × 5,50 m beträgt. Die zugehörigen Funde stammen aus dem 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. Den Inhalt der beiden miteinander verbundenen Gruben versuchten die Ausgräber als vergrabene Tempel- und Votivgaben zu deuten, die hier nach ihrer Zerstörung versenkt worden seien. Diese Interpretation ist verständlich, da bei den Ausgrabungen (1962/63) und deren Publikation (1971) noch nicht bekannt war, dass unter solchen Tempeln auch Gräber liegen können. Heute würde man bei diesem Befund als Interpretation gerade so gut ein Grab oder jedenfalls die Überreste des Bustums in Erwägung ziehen. Offenbar jünger ist der Grabgarten von 20 × 13 m, der den Raum zwischen Tempel und Straße einnimmt und durch eine Umfassungsmauer begrenzt wird. Hauptelement ist der sorgfältig in Kalkstein gemauerte Fundamentsockel eines Grabdenkmals, von dem noch die Reste von überlebensgroßen Statuen und vermutlich einem Pferd identifiziert werden konnten. Eine daneben liegende Grube mit Asche und Keramik aus der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. wird in diesem Fall von den Ausgräbern als Bustum erkannt, das ziemlich sicher zum Grabmonument gehört. Ebenfalls noch in den ummauerten Bezirk zwängen sich vier Grabhügel, die allerdings durch Beackerung fast vollständig abgetragen worden sind, sowie zwei Brandschüttungen und eventuell eine unbekannte Anzahl weiterer zerstörter Gräber. Offenbar war von Anfang an ein großzügiges Grabmonument geplant, um das sich anschließend weitere Gräber in Form von Tumuli und einfachen Erdbestattungen drängten. Mindestens vier Gräber außerhalb des Mauergevierts (darunter mindestens ein Sarkophag) gehören ins 3. bis vielleicht 5. Jahrhundert. Aufgrund der eher bescheidenen Ausmaße des Wohntrakts schlossen die Ausgräber auf einen „Familienbetrieb“, da nichts darauf hindeuten würde, „dass sozial untergeordnete Familien oder Gemeinschaften an der Hofgemeinschaft Anteil hatten“. Dem möchte man allerdings widersprechen in Anbetracht des nicht unbescheidenen Bestattungsplatzes, an dem „Religiosität mit pietätvoller Verehrung der Ahnen auch architektonisch zum Ausdruck gebracht“ wird.257 Es ist kaum vorstellbar, dass die in diesen Grabmonumenten Beerdigten eigenhändig im Schweiße ihres Angesichts die Felder bebaut haben: Man denke nur an die überlebensgroßen Statuen samt Pferd. Also kann auch hier die Anzahl der vorgefundenen Gräber bei Weitem nicht der Gesamtbewohnerschaft des Gutbetriebs entsprechen. Falls man unter dem Umgangstempel ein Grab postuliert, so könnten die angefallenen Funde aus dem 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. tatsächlich mit sehr lange aufrechterhaltenen Kultpraktiken in Zusammenhang stehen.
256 Cüppers/Neyses 1971, 200. 257 Cüppers/Neyses 1971, 219–221.
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Abb. 36: Bierbach im Saarland. Vor dem Portal der Villa und von der vorbeiführenden Überlandstraße aus gut sichtbar erhebt sich das Grabmal des Besitzers. Seine Skulptur stand wohl unter dem baldachinartigen Dach des Monuments.
Im Vergleich mit Newel oder gar Bartringen wirkt die Villa von Bierbach mit einer Fassadenlänge von 67 m eher bescheiden.258 Dafür bildete ihre Portikus mit den beiden Eckrisaliten die perfekte Hintergrundkulisse für ein Grabmal, das sich in nur 9 m Entfernung vor dem Haupteingang und auf der Mittelachse der Anlage präsentierte (Abb. 36). Beidseits vom Haupthaus abgehende Gebäude- und Mauerfluchten bildeten einen weiten, polygonalen Vorhof, an welchem entlang die Überlandstraße von Metz nach Worms vorbeigezogen sein musste, da für deren Trasseeführung aufgrund der topografischen Verhältnisse kaum eine Alternative besteht. Von der Rückseite der Villa bot sich ein reizvoller Ausblick über einen nassen Wiesengrund, der landwirtschaftlich von geringem Nutzen war. Da die pars rustica fehlt, handelt es sich nicht um einen Gutsbetrieb, sondern um eine „Vorstadtvilla“ oder Sommerresidenz eines vornehmen Bewohners, der vielleicht im nahegelegenen Vicus von Schwarzenacker seine Geschäfte führte oder Politik betrieb. Von seinem Grabmal mit Baldachinarchitektur, unter dem er wohl auch in Lebensgröße dargestellt war, haben sich Reliefplatten mit figürlichen Darstellungen erhalten. Sie zeigen mythische Szenen von Apollon und Diana, aber auch drei Heldentaten des Herakles. Vielleicht lieferten gerade die Heraklesszenen dem hier Bestatteten das Vorbild und die Hoffnung, dass ein sterblicher Mensch durchaus die Statur eines Heros erlangen kann. In diesem Zusammenhang macht das Zitat des Althistorikers Michael Rostovtzeff Sinn, das Alfons Kolling zur Illustration seiner Deutung verwendet hat. Zur Darstellung kommt demnach das „religiöse und sittliche Ideal der kultivierten Bevölkerungsklassen des Reiches: Durch ein musterhaftes, erfolggekröntes Leben, durch strenge Pflichterfüllung, wie sie auf Grabmälern geschil-
258 Kolling 1968; Kempchen 2001.
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dert wird, erwarben ihre Besitzer das Recht auf schließliche „Apotheose“.259 Die Datierungen sind im Falle von Bierbach wenig stabil. Die frühesten Funde sollen aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. stammen, die Masse gehört allerdings ins 3. und 4. Jahrhundert; für das Grabmal wird eine Bauzeit zwischen 220 und 230 n. Chr. vorgeschlagen.260 Die bis jetzt ausgewählten Beispiele stimmen in mehreren Punkten überein. So liegen zum Beispiel Familiengrabstätten auf dem Privatgelände von bedeutenden Villenanlagen in der Nähe von wichtigen Durchgangsstraßen oder sind sogar explizit auf diese ausgerichtet. In En Chaplix und eventuell auch in Newel war ein Grab der Anlass für den Bau eines gallorömischen Umgangstempels. Ihm folgte ein Mausoleum nach römischer Art, um das sich Sekundärgräber scharten. Trotz relativchronologisch ähnlicher Abfolge ist das Beispiel von Newel absolutchronologisch rund hundert Jahre jünger als En Chaplix. Zweimal, in En Chaplix und Bartringen, gibt es Anzeichen dafür, dass die genealogischen Wurzeln der prunkvoll bestatteten Familienoberhäupter bis in vorrömische Zeit zurückreichen. In den bildlichen Darstellungen kommt mehr oder weniger deutlich die Heroisierung der hier Bestatteten zum Ausdruck. Die Attribute der Heroisierung finden, wie der Fall von Bierbach zeigt, selbst bei einer lokalen Größe Anklang. Ähnlich geartet und ähnlich spät datiert sind die jüngst sorgfältig untersuchten drei Grabmonumente von Vâton in der Normandie.261 Durch ihren geografischen Abstand zu den bis jetzt behandelten Beispielen eignen sie sich für eine Überprüfung der Frage, ob die festgestellten Schlüsse allgemein gültig sind. Ausgangspunkt ist auch hier eine großzügige Villa mit achtzehn zum Teil hypokaustierten Räumen (ausgegraben bereits 1834) und einem Münzspektrum, das vom 2. bis ins 4. Jahrhundert n. Chr. reicht. Die Grabstätte selber liegt 800 m entfernt, allerdings an einer ausgewählten Stelle, wo sie sich im Umkreis von mehreren Kilometern den Blicken eines Betrachters darbot (Abb. 37). Nicht weit davon entfernt kreuzen sich auch zwei Straßentrassees. Zudem ist wohl von Bedeutung, dass sich die drei Gräber entlang eines Grenzgrabens aufreihen, der von einer antiken Parzellierung stammen muss und der sich mehrere hundert Meter schnurgerade durch die Landschaft zieht. Das älteste Monument besitzt so starke Fundamente, dass man sich auch ein höheres Bauwerk vorstellen könnte, als es die Autoren in ihrer Rekonstruktion vorgeschlagen haben (Abb. 38). Auch ist mit einer Bedachung zu rechnen. Das Gebäude beherbergt das Grab einer Frau, die in einem imposanten Baumsarg aus einem Eichenstamm lag. Die Grabgrube war so geräumig und ihre Seitenwände in einer Weise getreppt, dass man mit vielen Beigaben rechnen muss, die hier abgestellt
259 Zitiert nach Kolling 1971, 71. 260 Kolling 1971, 37; Kempchen 2001, 108. 261 Hincker et. al. 2012.
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Abb. 37: Vâton in der Normandie. Die Villa aus dem 2. bis 4. Jahrhundert n. Chr. wurde bereits im 19. Jahrhundert ausgegraben. Drei zugehörige, tiefer am Hang gelegene Grabmonumente aus Stein orientieren sich an einer älteren Hofanlage.
waren, sich jedoch nicht erhalten haben. Übrig geblieben sind lediglich die Knochenreste eines stattlichen Fleischvorrates; genau genommen werden im Grabungsbericht genannt: ein Schwein, zwei Schweinchen, eine Gans, zwei Hühner, ein Hahn und ein Hähnchen. Neben dem Skelett lagen drei Glasflaschen sowie ein Sesterz des Antoninus Pius von 140 bis 144 n. Chr., der einen terminus post quem abgibt. Die Frau in den Vierzigern besaß eine „morphologie gracile, apparemment peu soumise à des activités physiques intensives, et dont le squelette est exempt
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Abb. 38: Vâton in der Normandie. Das überdachte Gebäude birgt das Grab einer Frau in einem Baumsarg. Zwei angeschlossene Grabgärten umfassen die Sarkophage zweier Männer (2./3. Jahrhundert n. Chr.).
de pathologie carentielle ou dégénérative“.262 Beträchtliche Zeit später – im Abstand von 50 bis 250 Jahren – hat man in geringer Tiefe, jedoch exakt über dem Grab, einen ganzen Widder deponiert. Dieser Vorgang entsprang wohl kaum dem Zufall, sondern eher einem Opferritual. An dieses Grabmonument angebaut wurden die Mauern eines kleinen Grabgartens von rund 3,50 × 6,00 m. In dessen Mitte war ein niedriger Steinsarkophag in den Boden versenkt. Auch der hier bestattete Mann von 19 bis 22 Jahren verrichtete keine schweren Arbeiten, litt jedoch an einer Krankheit an der Ferse, wie sie in der Adoleszenz auftreten kann. Das Grab wurde – wohl schon in der Antike – von Grabräubern heimgesucht, die jedoch glücklicherweise einen Sesterz des Commodus 186/ 187 n. Chr. übersahen. Ebenfalls übrig geblieben sind die Scherben von rund zwei Dutzend Gefäßen, die entweder vom Leichenschmaus am Tage des Begräbnisses stammen oder von sich wiederholenden späteren Feierlichkeiten am Grab. Ein zweiter angebauter, wenig größerer Grabgarten barg ebenfalls einen Sarkophag, in dem die gut erhaltenen Skelettreste eines 59- bis 60-jährigen Mannes lagen. Seine kräftige Statur trägt die Spuren von früher „sportlicher“ Betätigung, aber auch von Rippenbrüchen und Verstauchungen. Eine C14-Datierung ist zwar wenig präzise, liefert aber immerhin einen terminus ante quem von etwa 250 n. Chr. Dass die drei in größeren Abständen Verstorbenen, die Ahnfrau und die zwei Männer, miteinander verwandt waren, kann man vermuten. Die Resultate der DNAAnalysen waren im Jahre 2012 bei der Publikation der Ausgrabungen noch nicht bekannt. Für eine Gesamtwürdigung des Fundplatzes Vâton sind weitere, bescheidenere Gräber und Befunde im Umkreis der drei Monumente von Interesse, die im vorlie-
262 Hincker et. al. 2012, 126.
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Abb. 39: Vâton in der Normandie. Die drei Monumente sind auf den Grenzgraben der Villenanlage ausgerichtet. Einfachere Gräber aus dem 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. liegen in der Auffüllung des Grabens.
genden Grabungsbericht jedoch nur noch rudimentär behandelt worden sind (Abb. 39).263 Unmittelbar neben dem mittleren Monument fanden sich zwei Gräber beziehungsweise deren Spuren in Superposition, – und zwar in der Auffüllung des langen Grenzgrabens, der sich von der Villa, an den Monumenten vorbei bis zu den
263 Hincker et al. 2012, 157–161 mit Fig. 2 und 4.
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„enclos protohistoriques“, auf die noch zurückzukommen sein wird, erstreckt: unten die beigabenlose Körperbestattung und darüber die Überreste eines Bustums mit einer Münze des Usurpators Victorinus aus dem Jahre 271 n. Chr. In Abständen, aber immer in der Auffüllung des Grabens, folgten sich mindestens drei weitere Gräber, deren Keramik pauschal von der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts bis in die Mitte des 2. Jahrhunderts n.. Chr, datiert worden ist. Die unterschiedlichen Grabformen erwecken den Eindruck von unterschiedlichen sozialen Klassen der hier bestatteten Personen, sodass wohl im Titel des Grabungsberichts nicht zu Unrecht von einer „nécropole aristocratique rurale“ gesprochen wird. Von größtem Interesse wäre deshalb eine DNA-Analyse nicht nur der drei Skelette in den Monumenten zur Bestätigung der Generationenfolge, sondern des gesamten anthropologischen Materials zur Abklärung von sozialanthropologischen Fragen. Bei der Wahl des Grabplatzes könnte nicht alleine die aussichtsreiche Position, sondern auch der Grenzgraben ausschlaggebend gewesen sein (Abb. 37). „La pérennité de cette limite est par ailleurs envisageable en raison précisément des différentes tombes qui ont été installées le long de son tracé. Le choix d’un tel lieu pour inhumer des défunts ou enfouir des résidus mixtes de crémation suggère que ce fossé était appelé à se maintenir dans le paysage pour une longue durée. Inversement, la présence de tombes à l’ombre de cette limite parcellaire devait en partie la garantir contre les tentatives de déplacement ou d’effacement.“ 264 Oder mit andern Worten: Es geht auch hier darum, mithilfe der Gräber von Mitgliedern der familia den Besitzanspruch auf das Land geltend zu machen. Deshalb ist es vielleicht kein Zufall, dass alle Gräber auch in oder am Rande der oben erwähnten „enclos protohistoriques“ liegen, von denen wenig bekannt ist, außer dass sie um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. aufgelassen worden sind. Sie könnten somit den Vorläufer der in Stein gebauten Villa darstellen, deren Münzreihe im 2. Jahrhundert n. Chr. beginnt. Die Gräber hätten somit auch den Wohnstätten der Vorfahren ihre Referenz erwiesen. Dieser Versuch, zum eigenen Vorteil und zur Hebung des Prestiges an alte Traditionen anzuknüpfen, findet in der Geschichte des Ortes eine anschauliche Fortsetzung. Nach einem Hiatus von fünf Jahrhunderten pflanzte sich nämlich ein merowingerzeitlicher Friedhof mit 45 Gräbern in und neben die drei Monumente ein. Die einmal festgehaltenen Beobachtungen wiederholen sich und unterstreichen, dass der mit Ahnenkult verbundene Repräsentationsaufwand eine Sache der sozialen Klassierung ist. Seit der frühen Kaiserzeit äußert sich diese Verhaltensweise in Aufmerksamkeit erheischenden Gräberarealen entlang der Ausfallstraßen größerer und kleiner Siedlungen.
264 Hincker et al. 2012, 159.
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Ebenfalls aufschlussreich sind großflächige Untersuchungen im Braunkohletagbau, wo Siedlungs- und Grabungsplätze für einmal systematisch freigelegt werden konnten, wie zum Beispiel im Hambacher Forst zwischen Köln und Aachen. Unter den rund 300 identifizierten Gräbern aus dem 1. bis 3. Jahrhundert n. Chr. zeichnen sich nur sehr wenige durch besonderen Reichtum in den Beigaben oder durch eine bemerkenswerte Architektur aus. Und unter Berücksichtigung der Belegungsdauer pro Siedlungseinheit fehlt eine jeweils beträchtliche Anzahl von Gräbern. Wolfgang Gaitzsch sucht die Ursache in der Jülicher Lössbörde bei der Erosion, die dann allerdings von beträchtlichem Ausmaß und tiefgreifend gewesen sein müsste. Er rechnet damit, dass dadurch bis zu Dreiviertel der hypothetisch erwarteten Gräber verlustig gegangen sind.265 Trotz einer riesigen Zahl an Gräbern in den römischen Provinzen wird der Nachweis für einen Kult nach der Schließung des Grabes nur in den seltensten Fällen einmal erbracht. Es mangelt an übergreifenden Arbeiten, die sich dieses Themas annehmen, und dort wo solche vorhanden sind, offenbaren sich die Gründe für dieses Fehlen rasch. Allzu oft konzentrieren sich die Ausgrabungen in Ermangelung einer Fragestellung auf das Grab selber, sodass die feineren archäologischen Spuren in dessen Umkreis zu wenig gut dokumentiert werden. Selbst bei einem positiven Befund ist das chronologische Problem kaum lösbar: Handelt es sich bei den festgestellten Spuren um die Überreste eines Begräbnisrituals, das am offenen Grab vollzogen worden ist, oder von Feierlichkeiten, die Tage, Wochen oder Monate später stattfanden? Oder handelt es sich gar um einen Heroenkult, der sich über Jahrzehnte hinzog? Eine entsprechende Untersuchung von „Post-Funeral-Practices“ in der Provinz Moesia inferior (das Gebiet zwischen dem rechten Unterlauf der Donau und dem Schwarzen Meer) hat nachgewiesen, dass in neun von zehn Fällen die Feierlichkeiten nach der Schließung des Grabes an einem monumentalen Grabhügel stattgefunden haben, ein Umstand „which can be considered signs of an elite“.266 In den westlichen Provinzen sind Grabstätten, die sich durch ihre Monumentalität auszeichnen, weit verbreitet; die bis jetzt genannten Beispiele sind nicht die einzigen. Bei herrschaftlichen Villen fehlen sie eigentlich nie (Abb. 40). Sie markieren nicht nur den sozialen Aufstieg eines Einzelindividuums,267 sondern eben auch das demonstrative Bemühen der Nachkommenschaft, Status und Grundbesitz zu halten. Dabei unterscheidet sich auf den Grabsteinen offenbar die Darstellungsweise zwischen Römern und Provinzialen, was auf unterschiedlichen Traditionen und Kommunikationsformen beruht. Die Intension der Selbstdarstellung und der Selbstklassifizierung in der gesellschaftlichen Rangordnung bleibt aber die gleiche. Allerdings konnte das, was in Rom von größter Wichtigkeit war, in der Provinz
265 Gaitzsch 1993. 266 Ota 2009, bes. 136. 267 von Hesberg 2004.
Gallien: Exemplarische Befunde
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Abb. 40: Wölfersheim in der Wetterau. Das exemplarische Bild einer Villa mit Hofmauer und den gut sichtbaren Grabmonumenten der Besitzerfamilie an der Straße.
auch etwas in den Hintergrund treten, wo es leichter möglich war, an den althergebrachten Sitten und Gebräuchen festzuhalten.268 Diese Eigenart tritt besonders gut im sogenannten Testament des Lingonen zutage, dessen Herkunft und Bedeutung noch nicht restlos geklärt sind.269 Entstanden ist das in einer Abschrift aus dem 10. Jahrhundert n. Chr. erhaltene, in Latein verfasste Testament am ehesten in der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. Der letzte Wille eines vornehmen Lingonen unbekannter Identität ist eine rare Quelle, weshalb einige Passagen in der französischen Übersetzung wörtlich wiedergegeben werden sollen: Je veux que la chapelle funéraire [memoriae] que j’ai fait édifier soit achevée suivant le plan que j’ai donné, de telle façon qu’il y ait une exèdre [exedra] une statue assise soit placée, en marbre, de la pierre d’outre-mer la plus belle possible, de bronze, en utilisant le bronze en feuilles le plus beau possible, haute de cinq pieds au moins; qu’une litière soit établie sous l’exèdre, et deux banquettes aux deux côtés, en pierre d’outre-mer; pour la garniture, que l’on y place ce qui doit servir à garnir aux jours où la chapelle funéraire [cella memoriae] sera ouverte, deux couvertures et deux coussins de table assortis et deux manteaux, une tunique; qu’un autel [ara] soit placé devant cet édifice [aedificium], en pierre de Luna la plus belle possible, sculptée le mieux possible, dans lequel mes restes [ossa] soient déposés, et que cet édifice [aedificium] soit fermé de pierre de Luna, de telle façon qu’il puisse être aisément ouvert et refermé; que cet édifice [aedificium] et ce verger [pomaria] avec le bassin [lacus] soient entretenus … … et que soient inscrits sur l’édifice [aedificium] à l’extérieur les noms des magistrats sous lesquels aura été commencé cet édifice [aedificum], et le nombre des années de ma vie.
268 Schrumpf 2006, 36 und 76. 269 Le Bohec 1991.
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… mon petit-fils Aquila, et qu’il fournisse annuellement de quoi donner nourriture et à boire, pour être distribué aux participants, en-dessous, devant la chapelle funéraire [cella memoriae] (…) et que là ils consomment ces mets et qu’ils restent là jusqu’à ce qu’ils aient consommé le tout. … de plus, je veux que tout l’équipement que je me suis constitué pour la chasse aux bêtes et la capture des oiseaux soit brûlé avec moi, y compris les piques, les glaives, les coutelas, les rets, les filets, les lacets, les gluaux, les tentes, les épouvantails, les balnearibus, les litières, la chaise à porteurs, et tout ingrédient ou équipement concernant ce sport, et mon canot en jonc, de telle façon que rien n’en soit soustrait, et en fait d’étoffes damassées et brodées, tout ce que j’aurai laissé, et toutes les étoiles en cornes d’élan.
Das Grabgebäude (aedificum) besteht aus mehreren Räumen, wobei in der Wortwahl cella memoriae bereits eine sakrale Auffassung mitschwingt. Die umgebenden Parkanlagen (pomaria) müssen recht ausgedehnt sein, dass sie von drei Gärtnern und deren Gehilfen unterhalten werden sollen. Zusammen mit einem Wasserbecken (lacus) wird das ganze Areal von einer Mauer (saepta) umschlossen. Die Asche (ossa) des Verstorbenen soll in einem Altar (ara) aus Carrara-Marmor untergebracht werden. Für die sich wiederholenden Riten, die im und vor dem Gebäude vorgeschrieben sind, werden Verantwortliche genannt, die dafür zu sorgen hatten, dass Speis und Trank reichlich vorhanden waren und von der Festgemeinde bis zum letzten Bissen zu verzehren waren. Der Verstorbene war offensichtlich sehr reich. Jedenfalls besaß er viele Sklaven, und für alles sollen nur die kostbarsten Materialien verwendet werden. Er selber will als lebensgroße Sitzstatue dargestellt sein, wie es sich für einen Magistraten gebührt. Schließlich ist sein innigster Wunsch, dass seine gesamten Jagdgeräte auf dem Scheiterhaufen mitverbrannt werden: Edler Müßiggang war auch im Jenseits unverzichtbar. Zusammengenommen ergibt sich das Bild von einem „véritable sanctuaire de héros, comme un tombeau-temple“,270 wie es sich bereits andernorts in den archäologischen Funden in Gallien abgezeichnet hat.
Britannien: Zeitlich versetzt Kolonisierung und Romanisierung Britanniens sind nur indirekt mit der Geschichte Galliens vergleichbar, da die Britischen Inseln doch noch ein ganzes Stück weiter vom Epizentrum Rom entfernt liegen. Der kulturelle Einfluss durch den Süden war von kürzerer Dauer und weniger nachhaltig, sodass Caesar bei seiner ersten Erkundungsexpedition im Herbst 55 v. Chr. Neuland betreten musste und auf heftige Ge-
270 Le Bohec 1991, 46.
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genwehr stieß. Während einer zweiten, gründlicher vorbereiteten Invasion im darauffolgenden Jahr rückten fünf Legionen von der Küste bei Dover bis über die Themse hinaus ins Landesinnere vor. Die Bewohner des Landes bezeichnete Caesar als Britannier und Barbaren, deren Lebensweise sich besonders an der Südostküste kaum von derjenigen Galliens unterscheide.271 Trotz der schönredenden Berichterstattung Caesars war die Eroberung Britanniens vorerst gescheitert, und es vergingen ganze hundert Jahre, bis römische Legionen erneut ihren Fuß auf die Insel setzten. Im Sommer des Jahres 43 n. Chr. führte der von Claudius veranlasste Kriegszug von der Küste über die Themse und in einem Bogen nach Osten bis nach Camulodunum (Colchester), das zum ersten römischen Machtzentrum aufgebaut wurde. Die einheimischen Stammesverbände waren untereinander zerstritten, sodass die fremden Eroberer teils auf Sympathie stießen, teils heftige Abwehrreaktionen hervorriefen. Insofern glich die politische Großwetterlage derjenigen in Gallien hundert Jahre früher ziemlich genau. Das ganze restliche Jahrhundert nach der Eroberung war jedenfalls erfüllt von Parteikämpfen und Revolten der Britannier. Die weiteren römischen Vorstöße nach Norden verliefen daher verhalten und kamen dann im südlichen Schottland ganz zum Stehen. Eine durchdringende Romanisierung mit Städten und Villenwirtschaft gelang nur in der Südosthälfte Englands. Erst im 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. unterschied sich dann diese Region in ihrer römischen Gesinnung kaum von dem nördlichen Gallien auf der andern Seite des Ärmelkanals. Der Anlass für das Errichten von Grabdenkmälern in der Art der oben beschriebenen von Vâton in der Normandie unterscheidet sich deshalb kaum von Lullingstone südlich der Themse. Die Verhältnisse in der römischen Villa von Lullingstone in Kent sind deshalb von großem Interesse, weil sie ein neues Glied in der Indizienkette liefern, nämlich einen Heroenkult, der bis in die christliche Ära reicht.272 Die ältesten Teile des bereits in Stein errichteten Haupthauses gehen zwar bis ins 1. Jahrhundert n. Chr. zurück; der Ausbau zu einer Risalitvilla erfolgte aber erst in der Zeit um 280 n. Chr. Am rückwärtigen Hang, auf einer Geländeterrasse, von der man das ganze Gut überblickt, kamen die Überreste eines „Temple-Mausoleum“ zum Vorschein, deren Geschichte die Ausgräber folgendermaßen interpretierten (Abb. 41).273 Als Erstes wurde eine rechteckige Grabkammer bis in den anstehenden Kalkstein hinein abgetieft. Sie bot Raum für zwei Särge aus Blei und aufgereihte Beigaben, die aus einem doppelten Geschirrensemble samt einem Set Spielmarken bestanden. Der eine Sarg wurde zwar bereits in antiker Zeit gehoben; einige zurückgelassene Knochen stammen von einer Frau zwischen 20 und 25 Jahren. Ein wenig älterer Mann
271 Caes. gall. 4, 20–38; 5, 1–23. 272 Meates 1979; Meates 1987. 273 Meates 1979, 122–132.
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Abb. 41: Lullingstone (Kent). Das Mausoleum in Form eines Umgangstempels barg in einem Grabschacht zwei Bleisärge in einer Kammer aus Eichenbohlen. Um 300 n. Chr.
lag im zweiten, noch intakten Bleisarg, an dessen Kopf- und Fußende insgesamt acht Kammmuscheln („Jakobsmuscheln“) eingestanzt waren (Abb. 42).274 Eine Grabkammer aus starken Eichenbohlen schützte die Särge vor dem direkten Kontakt mit der Erde. Außerhalb, das heißt zwischen der Kammer- und der Grubenwand, fanden sich weitere Utensilien, die für ein Festmahl zur Verfügung gestanden haben, nämlich ein Gittergrill, ein Schöpflöffel und ein Henkelbottich. Über dem Doppelgrab errichtete man ein Gebäude, dessen Mauerzüge einem Umgangstempel entsprechen.275 Dies alles geschah innerhalb relativ kurzer Zeit um rund 300 n. Chr.; die Beraubung des einen Sarges erfolgte ein knappes Jahrhundert später. Für das Weitere ist die Geschichte des Wohnhauses von Interesse, wo, ebenfalls gegen Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr., in die Räume des Westflügels eine christliche Hauskapelle eingebaut worden ist: In den Paneelen der nach der Ausgrabung sorgfältig wiederhergestellten Wandmalereien dominiert das Christusmo-
274 Meates 1987, 88. Fig. 38 Nr. 218. 275 Eher fraglich die angedachte Kuppel aus Tuffstein bei Meates 1979, Fig. 32a und Pl. 30. – Eine ganz andere Rekonstruktion liefert De la Bédoyère 1993, Fig. 108, was jedoch keinen Einfluss auf die Interpretation des Gesamtbefundes hat.
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Abb. 42: Lullingstone (Kent). Einer der Bleisärge war mit „Jakobsmuscheln“ verziert, was auf Christen hinweisen könnte. Geschirr, Besteck und ein Gittergrill zeugen von Gastmählern.
nogramm mit integrierten alpha- und omega-Zeichen in leuchtenden Farben. Zusammen mit einem Fries von sechs Adoranten bilden sie ein frühes Zeugnis für das Christentum in England. Ein schmaler Vorhang hinter einem der jungen Männer könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Dargestellte verstorben ist.276 Während hier im Erdgeschoss Gottesdienste abgehalten wurden, geschah ein Stockwerk tiefer in den fensterlosen Kellerräumen jedoch Merkwürdiges: Ein Quellbrunnen in der Mitte des größten Raumes und die Wandmalereien lassen an ein Nymphäum denken. Auf einer Wandbank wurden am Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. zwei bereits verwitterte und beschädigte Marmorbüsten von bärtigen Männern aufgestellt, vor denen bis ins 4. Jahrhundert hinein wiederholt Opfer vollzogen wurden: Drei Töpfe und ein feiner Faltenbecher, die bis zu ihrem Rand in den Fußboden eingelassen waren, nahmen Libationen auf. Der Becher enthielt das Rippenfragment eines Schafes und ein Schneckenhaus, die als Mahlzeitreste gedeutet worden sind; in einem der Töpfe blieb eine Spendemünze des christlichen Kaisers Konstantin (Fel. Temp. Rep., 345–361 n. Chr.) liegen. Solche im Boden versenkte Libations- und Münzopfer entsprechen weder christlichen noch römischen Gepflogenheiten. Fest steht aber, dass selbst während „Christian worship was ta-
276 J. E. A. Liversidge und Fran Weatherhead, in: Meates 1987, 33. 35.
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king place in the upper room, pagan libations continued to be made ... to the manes of the persons whose features were depicted in the marble, right up to the time of final destruction by fire sometime in the early years of the fifth century. Christian worship and pagan ritual thus continued together“.277 Wenden wir uns nochmals dem „Temple-Mausoleum“ oberhalb des Wohntraktes zu und erinnern uns an die Muschelzier auf dem intakten Bleisarg. In der paganen Symbolik steht die Muschel für Venus und Erotik, während die Christen in ihr ein Todes- und Auferstehungssymbol sahen. Die zweite, die christliche Version, würde auf einem Sarg eher Sinn machen – umso mehr, wenn wir uns an die Interpretation des verstorbenen Jünglings im Adorantenfries erinnern. Darum stellt sich die Frage, ob in den zwei Särgen getaufte Christen lagen, und weiter auch, wie die „Beraubung“ des Frauensarges zu deuten ist: Als Suche nach pekuniären Wertsachen oder nach Reliquien? Auffallend in diesem Zusammenhang ist schließlich die kleine Kirche, die ganz exakt über der Grabkammer errichtet worden ist. Ihre erste Erwähnung stammt aus dem Jahre 1115, die Erbauung kann aber auch um einiges weiter zurückliegen.278 Die verschiedenen Elemente sind einigermaßen verwirrend und entziehen sich einer einfachen Interpretation. Unter dem Strich entsteht das Bild eines fließenden Überganges von einem römischen Ahnenkult (mit eventuell sogar vorrömischen Zügen) zu einer christlichen „Heiligenverehrung“. Ein ähnliches Verhalten im Kult zeichnet sich zeitlich parallel (im Kellerraum und in der Hauskirche darüber) sowie chronologisch gestaffelt (auf Grabkammer mit Umgangstempel folgt Kirche) ab. Unter diesen Umständen kann man vermuten, dass dieses Verhalten kaum religiösdogmatischen, sondern eher allgemeinmenschlichen Ursprunges ist. Ein sehr merkwürdiger, vorläufig ebenfalls nicht klar zu deutender Gebäudekomplex von Wood Lane End erweckt Aufmerksamkeit, nicht nur weil er in der Nähe von Verulamium (St. Albans) nördlich von London liegt (Abb. 43). Hier erhob sich innerhalb eines trapezoiden Mauergeviertes und auf dessen Symmetrieachse ausgerichtet ein markantes, quadratisch ausgelegtes Bauwerk, das der Bearbeiter David Neal als „Romano-Celtic temple-mausoleum“ tituliert hat und das im Prinzip einem gallorömischen Umgangstempel entspricht.279 Aufgrund seiner breiten Grundmauern und der Eckverstärkungen hat man für die turmförmige cella eine Höhe von gut 15 m veranschlagt (Abb. 44). Dem gegenüber fällt der Umgang mit rund 2 m Breite eher schmal aus. Eine in den Boden der Cella eingetiefte Zentralkammer hätte zwar leicht Raum für zwei Bestattungen oder Sarkophage geboten, bei der Ausgrabung war sie jedoch völlig leer. Zehn Meter entfernt und auf der gleichen Symmetrieachse genau ausgerichtet, entstand wenig später eine kleinere Version des Zentralbaues – ebenfalls mit vor-
277 Meates 1979, 36–39. 278 Meates 1979, 125. 279 Neal 1983; Neal 1984.
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Abb. 43: Wood Lane End bei Verulamium. Das Zentrum einer großflächigen Anlage mit Bädern und Wirtschaftsgebäuden bilden zwei unterschiedlich große Grabanlagen mit quadratischem Grundriss aus dem 2. Jahrhundert n. Chr.
springenden Ecken, jedoch ohne sichtbare Spuren eines Umgangs (Abb. 43, 6). Die Andeutung eines Fundaments in der Mitte des Raumes könnte der Aufstellung einer Statue oder eines Sarkophages gedient haben. Eher unerwartet in diesem Zusammenhang ist ein Badehaus gleich am Eingang des ummauerten Areals (Abb. 43, 7). Es ist zwar klein dimensioniert und schlecht gemauert, verfügt jedoch über einen vollständigen Zyklus von Kalt-, Warm- und Heissbad. Zwei weitere „Wirtschaftsgebäude“ liegen dem Bad gegenüber, jedoch bereits außerhalb der Umfassungsmauer (Abb. 43, 3–5). Das eine mit komplexer Raumanordnung samt Apsis und Portikus wurde als schola gedeutet, in dem Zusammenkünfte einer „guild of worshippers“ abgehalten werden konnten.280 Eine Veranda verband die Portikus der schola direkt mit dem „temple-mausoleum“. 280 Neal 1984, 199.
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Abb. 44: Wood Lane End bei Verulamium. Das größere der beiden Mausoleen hat die Form eines Umgangstempels. Aufgrund der Mauerstärken wurde die Cella turmhoch rekonstruiert.
Die ganze Anlage von Wood Lane End ist im 2. Jahrhundert in Funktion gesetzt, jedoch sehr bald auch wieder aufgelassen worden, vielleicht mit Ausnahme des kleineren Turmgebäudes. Obwohl sozusagen im Niemandsland – die nächsten Siedlungen liegen in 4 km Entfernung (Gadebridge Park im Westen, Gorhambury im Osten) – muss der Ort doch eine besondere Bedeutung gehabt haben. Er ist weit herum sichtbar, die Straße von Verulamium muss nahe daran vorbei geführt haben, sodass man sich gut vorstellen kann, dass sich zu besonderen Anlässen hier viel Volk eingefunden hat. Seine Kurzlebigkeit war damals natürlich nicht voraussehbar. Seine Auflassung steht aber nicht alleine, sondern fällt mit einem allgemeinen Niedergang im Umland von Verulamium am Übergang zum 3. Jahrhundert n. Chr. zusammen.281 Näher bei Verulamium und ein knappes Jahrhundert auf dem Zeitstrahl zurück, stoßen wir auf einen Schlüsselbefund, was den provinzialrömischen Heroenkult und das Kultgeschehen am Grab überhaupt betrifft. Wir stehen nun mitten in der Zeit der römischen Eroberung von 43 n. Chr. und der daran anschließenden Phase
281 Neal 1990, 92–96.
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Abb. 45: Folly Lane bei Verulamium. Die in den Boden eingetiefte Grabkammer besitzt die Form eines Hauses. Der festgetrampelte Umgang zwischen Kammer und Schachtwand zeugt von einer intensiven Begehung (1. Jahrhundert n. Chr.).
der erzwungenen Romanisierung beziehungsweise bereitwilligen Romanisation. Die Rede ist von der Fundstelle Folly Lane wenige hundert Meter vor den Toren von Verulamium, 30 km nordwestlich von London. 282 Hier wurde eine Person höchsten Ranges in der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. begraben, ein knappes Jahrzehnt nach der römischen Okkupation. Die dazu auserkorene Stätte liegt innerhalb eines großflächigen Oppidums. Dank minutiösen Ausgrabungen und deren ausführlicher Publikation lässt sich die Abfolge des komplizierten Ritualgeschehens etwa folgendermaßen rekonstruieren:283 Als Erstes wurde ein Schacht ausgehoben und der Aushub unmittelbar daneben aufgeschichtet. Der Schacht selber erhielt einen perfekt gezimmerten Einbau in der Form einer doppelten Schwellbalkenkonstruktion (Abb. 45) – in der Mitte eine quadratische Kammer von 3,5 m Seitenlänge und in einem Abstand darum herum eine äußere Wand von 7 × 7 m zur Abstützung der Grubenböschung. Ein Dach muss man sich über der Kammer oder über der ganzen Anlage vorstellen. Damit entspricht der Grundriss einem Umgangstempel, der in den Erdboden versenkt ist. Der hart getretene Fußboden im Umgang zwischen der Kammer und der Wand lässt darauf schließen, dass Menschen die Kammer intensiv umkreist haben, während es vielleicht nur einer kleinen Gruppe vorbehalten war, das Innere zu betreten, wo der Tote vorübergehend aufgebahrt lag.
282 Niblett 1999. 283 Niblett 1999, bes. 5–72. 133–194.
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Abb. 46: Folly Lane bei Verulamium. Das Kammergrab ist von einer mächtigen Grabenanlage (170 x 117 m) umgeben. Es wird abgelöst von einem Umgangstempel in Stein um 100 n. Chr.).
Etwa gleichzeitig (oder kurz zuvor oder kurz danach) wird um die versenkte Kammer herum eine langrechteckige Grabenanlage (170 × 117 m) mit beachtlichen Dimensionen angelegt: Der Graben ist bis zu 3 m tief und 6 m breit (Abb. 46). Nach einer gewissen Zeit wird die Aufbahrungskammer geleert, die Beigaben samt dem Körper des Toten auf den Schachtauswurf getragen und dort verbrannt. Anschließend wird die hölzerne Kammer niedergerissen und der ganze Schacht aufgefüllt. Die aufgesammelten Brandreste kommen in eine eher bescheidene Grabgrube unmittelbar neben dem verschlossenen Kammerschacht. Sie bilden zusammen mit den in der Kammer liegengebliebenen Objekten ein höchst aufschlussreiches Inventar, das stichwortartig folgende Fundeinheiten umfasst: ‒ Metallteile vom Zaumzeug und von einem Wagen, verziert teils mit den typisch britannischen Emaileinlagen in Rot, teils mit eher römischen Motiven in Silber. ‒ Metallbeschläge von verschiedenen Möbeln und Kästen sowie Elfenbeinfragmente, vielleicht von einer Liege, die ohne Zweifel ein prestigeträchtiges Importstück darstellte. ‒ Ein Kettenpanzer sowie drei Bronzezylinder, die man spekulativ zu einem Sitzmöbel, einer Trompete oder einem Zepter ergänzt hat. ‒ Die Keramikfragmente stammen zum größten Teil aus der Kammer, waren also bei Zeremonien vor der Kremation in Gebrauch. Es sind auffällig viele Teller und Platten, teils von südgallischer Terra Sigillata; zudem Bruchstücke von mindestens sechs italischen Weinamphoren. ‒ Zerschmolzene Silberklumpen von insgesamt 2,5 kg stammen vermutlich von Trinkgeschirren.
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Unter dem verbrannten Knochenmaterial identifizierte man den Leichenbrand einer erwachsenen Person sowie die Knochen von Rind, Schaf/Ziege, Schwein, Pferd und Hase (oder Katze!).
Nach der Einfüllung des Schachtes und der Grabgrube wird der ganze Platz mit einer dicken Torfschicht überdeckt; den Verbrennungsplatz markiert ein Pfosten (mit einem Tropaion?). Zur zeitlichen Dauer der ganzen Prozedur von der Anlegung des Kammerschachtes bis zur Aufrichtung des Pfahls gibt es wenig Anhaltspunkte; sie kann sich über Tage, Wochen oder Monate hingezogen haben. Vielleicht noch im 1. Jahrhundert n. Chr. (die Datierungshinweise sind schwach) entstand über dem Verbrennungsplatz ein gemauerter Umgangstempel mit einer Cella von 8 × 10,5 m (Abb. 46). Er besitzt die exakt gleiche Orientierung wie die unterdessen im Boden versiegelte Holzkammer, und der Eingang auf seiner Längsseite zielt genau auf diese hin. Der mächtige Graben, der die ganze Anlage umfasste, blieb immer offen; neu hingegen ist eine dreiseitige Palisade, deren offene vierte Seite den Blick von der vorbeiführenden römischen Straße auf den Sakralbezirk und den Tempel freigibt, die aufgrund ihrer überhöhten Lage ohnehin weitherum sichtbar sind. Gleich außerhalb des Grabengeviertes, vor dem auf die Stadt gerichteten Tor, wurden im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. mehrere Tote begraben. Eine wie auch immer geartete Bezugnahme zur Kultstätte ist offensichtlich. Stratifizierte Funde, die auf langdauernde kontinuierliche kultische Verrichtungen nach der Grablegung hindeuten würden, fehlen, da die Hügelkuppe einer starken Erosion unterworfen war, sodass selbst vom Tempel nur gerade die untersten Steinlagen des Fundaments erhalten geblieben sind. Aber die jüngsten Funde am Platz stammen aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. Dadurch ist die funktionale Kontinuität beeindruckend genug, sodass die Ausgräberin Rosalind Niblett mit gutem Grund von einem Heroenkult an einem Mausoleum spricht. Das Bauwerk überblickt das römische Stadtzentrum von Verulamium „in the same way as the Capitol of Rome overlooked the Roman Forum“.284 Es gibt sogar Hinweise, dass das Mausoleum von Folly Lane anlässlich der Planung der Stadt ein wichtiger Bezugspunkt war, wenn man zum Beispiel die Straße in Rechnung stellt, die von der Mitte des Sakralplatzes durch die Lücke im Grabengeviert Richtung Stadt führt: Ihre Verlängerung bildet die Hauptachse von Verulamium und tangiert dessen Forum längsseits. Somit muss der auf Folly Lane begrabene Mann eine Persönlichkeit allerersten Ranges gewesen sein: „The quality of the pyre goods alone would suggest an aristocratic burial. Added to this is the size of the surrounding enclosure, the isolation of the burial within it, the imposing position of the site, well away from contemporary cemeteries, and the elaborate design of the mortuary shaft. These factors, together with the subsequent construction of the temple and the continued veneration of the site, all suggest that he came from an élite group which was able
284 Niblett 1999, 70.
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to maintain its power, position and wealth after the conquest.“ 285 Der einheimische Aristokrat war offensichtlich ein römischer Parteigänger der ersten Stunde, wenn nicht sogar ein Kommandant von römischen Auxiliareinheiten. Der Kettenpanzer verweist jedenfalls auf seinen kriegerischen Status; die Lage des Grabmonuments könnte in einem Zusammenhang mit der Gründung der Stadt stehen. Eine Art Déjà-vu-Erlebnis suggeriert die Situation von Stanway, dessen ausführlicher Grabungsbericht den bereits vielsagenden Untertitel „An élite burial site at Camulodunum“ trägt.286 Die Fundstelle liegt knapp außerhalb des Grabensystems eines großflächigen Oppidums, in nächster Nähe der „royal farmstead“ von Gosbecks und eine Wegstunde entfernt von der römischen Stadt Camulodunum (Abb. 47). Diese Örtlichkeiten waren 43 n. Chr. das primäre Ziel der römischen Angriffsspitze, weshalb man hier den Sitz eines einflussreichen Hochkönigs vermutet. Aber bereits hundert Jahre früher, während der cäsarischen Expeditionen, existierte in Stanway eine kleine Hofstatt oder wurde ungefähr zu eben dieser Zeit verlassen. Ein etwa 3 m tiefer Spitzgraben sicherte eine rund 0,15 ha große Innenfläche; die Ausgräber rekonstruierten ein etwas exzentrisch gelegenes Rundhaus von ziemlichem Durchmesser. Die Verlängerung eines der vier Seitengräben konnte Richtung Norden bis auf einen halben Kilometer weiterverfolgt werden. Sie wurde als Viehtriebweg gedeutet, lässt aber auch die Deutung als Flurgrenze offen. Dieser Platz war etwa von der Mitte des 3. bis zur Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. belegt. Chronologisch und auch präzise topografisch anschließend folgte eine quadratische Grabeinfriedung von rund 90 × 90 m. Eine seitlich verschobene und wenig kleinere Einfriedung datiert um 40 n. Chr., und an diese reihen sich zwei weitere Anlagen, leicht abgeknickt und zehn bis zwanzig Jahre jüngeren Datums. Mittelpunkt von allen vier Grabeinfriedungen war eine in den Boden versenkte hölzerne Kammer, die verstreuten Leichenbrand enthielt und eventuell auch mit einem Erdhügel überdeckt war. An weiteren Strukturen innerhalb der Grabengevierte sind kleine Grabgärten (zur Aufbahrung der Toten?), Verbrennungsplätze und Gruben mit Brandresten zu nennen. Von dem halben Dutzend Brandgräber neben den Kammern sind drei aus der Zeit um 50 n. Chr. von besonderem Interesse: das „Kriegergrab“ mit Waffen, einem Set Spielsteinen, vom Kontinent importierten Fibeln und italischem Bronzegeschirr; das „Schreibergrab“ mit einem Tintenfässchen; das „Arztgrab“ mit mehrteiligem chirurgischem Besteck, acht „Divinationsstäben“ und einem Brettspiel samt Spielsteinen in situ. Vom Schriftgebrauch zeugen auch sieben Graffiti auf Keramikscherben aus einem der Kammergräber, die auffälligerweise die Namen Caius und Sestius tragen. Kriegertum, spielerischer Müßiggang und Geheimwissen sind die Merkmale einer aristokratischen Lebenshaltung, die vielen Graffiti aus dem Kammergrab ein Statement der Bildung: „The
285 Niblett 1999, 412. 286 Crummy et al. 2007.
Abb. 47: Stanway bei Camulodunum. Die mehrphasige Anlage mit eingefriedeten Grabgärten aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. nimmt Bezug auf einen älteren Wohnkomplex. Ganz in der Nähe befindet sich das bedeutende Stammeszentrum von Gosbecks.
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deceased was élite not only by virtue of wealth or birth, but also through his or her comprehension of the new skill of literacy.“ 287 Durch ihre einheitliche Ausrichtung und gegenseitige Anbindung bilden alle fünf Einfriedungen eine Einheit selbst bei unterschiedlicher Funktion als Siedlungs- und Bestattungsplätze. Größe und Struktur verliehen besonders den Grabanlagen eine repräsentative Wirkung. Eine detaillierte Idealrekonstruktion der einzelnen Grabrituale und deren chronologische Abfolge verdeutlicht, dass sich besonders die in den drei jüngeren, architektonisch verbundenen Gevierten begrabenen Personen eigentlich persönlich gekannt haben müssen, da sie innerhalb von knapp zwei Jahrzehnten zwischen 30 und 50 n. Chr. verstarben. Ihre familiäre Verwandtschaft wird dadurch sehr wahrscheinlich. Die zeitlich vorausgehende kleine Siedlung mit der angrenzenden, flächenmäßig größten Grabeinfriedung von allen wurde dann offenbar den eigenen Ahnen zugeschrieben. Der zeitliche Abstand von zwei bis drei Generationen ist nicht besonders groß. Selbst in dieser kleinen elitären Gruppe kamen unterschiedliche Bestattungsrituale zur Ausübung, wobei die in den Kammern bestatteten Personen eine privilegierte Stellung eingenommen haben müssen.288 Weniger klar ist der topografische – und soziale – Zusammenhang mit einer kleinen Gräbergruppe in 200 m Entfernung. Jedenfalls fehlt dort den drei Brandgräbern mit mehrteiligen Keramiksätzen und den fünf Gruben mit Überresten von Scheiterhaufen eine architektonische Monumentalisierung.289 Die untersuchte Grabungsfläche war allerdings klein. Einen zweifellos noch höheren Status als Stanway besitzt die benachbarte Anlage von Gosbecks, die sich nach den ersten Ausgrabungen als ein quadratischer Umgangstempel in einem gewaltigen Grabengeviert von 100 m Seitenlänge und einer umlaufenden Portikus zu erkennen gab. Die Vermutung, dass sich darunter ein Vorgängerkomplex verbergen muss, verstärkte sich, nachdem sich unterdessen Grabungsberichte mehrten, die von Grabstätten unter gallorömischen Umgangstempeln zu berichten wissen,290 eine Vermutung, die sich nun auch in Gosbecks zu bestätigen scheint.291 Neuerliche Sondierungen und vor allem geophysikalische Messungen zeigen Anomalien, die je nach dem als zentral gelegener Umgangstempel, als Kammergrab oder Verbrennungsplatz gedeutet werden können. Da sich die Datierung ebenfalls in der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. einpendelt, ist man versucht, darin die Grabstätte einer Persönlichkeit zu sehen, die bei der römischen Eroberung und der Erhebung von Camulodunum zur colonia victrix auf Seiten der einheimischen Trinovanten eine wichtige Rolle spielte.
287 288 289 290 291
Dazu Paul R. Sealey, in: Crummy et al. 2007, 307–314, bes. 313. Crummy et al. 2007, 423–444. Crummy et al. 2007, 400–422. 426. Vgl. Müller 2002, 49; Niblett 2004, 35–37. Crummy et al. 2007, 447–449.
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Es besteht kein Zweifel, dass es sich bei den in Gallien und Britannien erwähnten Gräbern um die Ruhestätten von Personen aus einer obersten Sozialschicht, wenn nicht zum Teil sogar deren obersten Spitze handelt. Bisweilen gruppieren sich um solche Monumente weitere Gräber, in denen man eine Personengruppe vermuten kann, die zum engeren Familienkreis gehört. Darüber hinaus gibt es zwar selbstverständlich einen riesigen Pulk an „normalen“ römerzeitlichen Gräbern, deren prozentualer Anteil an der Gesamtbevölkerung jedoch schwer zu definieren ist. Und auch hier steht hypothetisch in der Realität auf der untersten Sozialskala eine Gruppe von Menschen, die eventuell bei einer Gräberanalyse nicht fassbar ist, da sie gar nicht „regulär“ bestattet worden ist. In der Stadt Rom hat man diese Gruppe in den riesigen Massengräbern vermutet, wie sie in der provinzialrömischen Archäologie kaum bekannt sind. Umso aufsehenerregender sind differenzierte anthropologische Analysen, die britische Forscher an einem Massengrab in Gloucester forciert haben. Eines der größeren Gräberfelder, „Wotton cemetery“, zieht sich über mindestens 500 m entlang einer Ausfallstraße des römischen Gloucester.292 Zwar ist es nur ausschnittweise bekannt, aber bei der Freilegung eines Areals mit 75 Brand- und Körperbestattungen stieß man auf ein Massengrab, das ursprünglich ziemlich abseits der prestigeträchtigen Straßenfront lag. Der quadratische Schacht mit 3,5 m Seitenlängen und senkrechten Wänden war nur gerade 85 cm tief, barg jedoch auf engstem Raum und dicht gedrängt die Überreste von mindestens 91 Individuen, die ohne Sorgfalt eingebracht und durcheinander lagen. „The entangled nature of the remains suggests that at least some of the corpses were deposited together, perhaps dumped from a cart or wheelbarrow.“ 293 Das übrige Fundmaterial aus Metall und Keramik war zwar verschwindend gering, gab jedoch Anhaltspunkte für eine Datierung in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. Die genannten Beobachtungen ließen die Vermutung aufkommen, dass die 91 Menschen in der Folge eines einmaligen Ereignisses zu Tode kamen, am ehesten bei einem der Pestzüge, wie sie für das 2. Jahrhundert n. Chr. im Römischen Reich (jedoch nicht für Britannien) bezeugt sind. Zur Stützung dieser These einer Epidemie sollte die Mortalitätskurve der aus dem Schacht geborgenen Verstorbenen dienen. Sowohl die dazu verwendete anthropologische Statistik wie die EpidemienTheorie stießen auf Kritik.294 Dass die ausgeschachtete Grube über längere Zeit mit Verstorbenen eines mittellosen Bevölkerungsteils von Gloucester gefüllt wurde, ist nach wie vor eine Option. ***
292 Simmonds et al. 2008. 293 Simmonds et al. 2008, 15 f. 140. 294 Simmonds et al. 2008, 40 f. 139–141. – Gowland/Chamberlain 2005; Hurst 2010.
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In den für Gallien und Britannien ausgewählten Befunden werden Elemente eines Ahnenkultes sichtbar oder sogar eines Heroenkultes, wie er für Griechenland definiert worden ist.295 Es sind sowohl Männer wie Frauen, denen eine solche Verehrung zuteilwurde. Obwohl archäologisch schwierig nachweisbar, so fand an einigen Gräbern doch ein Kult statt, der Jahrzehnte und Jahrhunderte über die Bestattungsfeierlichkeiten hinaus weitertradiert worden ist. In einem ähnlichen Sinn als Erinnerungsritual sind die in Stein gebauten Gräberkomplexe zu deuten, die sich über Generationen hinweg architektonisch aneinanderreihen. Die Kulthandlungen an den Gräbern von Heroen entsprechen denjenigen in den Tempeln für Götter, weshalb es logisch erscheint, wenn sich die Gebäude, an denen solches stattfindet, auch formal gleichen: Es hat sich gezeigt, dass ein Umgangstempel ebenso dem Götterkult dienen kann wie dem Kult am Grab eines männlichen oder weiblichen Heros. Es stellt sich somit die Frage, ob nicht öfters als bisher angenommen sich unter einem Umgangstempel ein Grab verbirgt. Die architektonische Form des Umgangstempels impliziert die rituelle Umkreisung und dennoch eine nur begrenzte Annäherung an den sakralen Mittelpunkt, die Cella beziehungsweise die Grabkammer. Einfriedungen und das zurückgelassene Geschirr vermitteln den Eindruck von pompösen Bestattungsfeierlichkeiten bei Speis und Trank auf einem speziell hergerichteten Platz. Die Architektur eines Heroons ist auf Sichtbarkeit und Unvergänglichkeit ausgerichtet; sie gibt in gewissem Sinne die Unsterblichkeit des Heros wieder. Als Standort bietet sich deshalb eine erhöhte topografische Lage oder mindestens die Nähe einer möglichst stark frequentierten Straße an. Auffällig ist auch der enge Bezug der Grabstätte zur Wohnung des Verstorbenen oder eventuell sogar dessen Vorfahren. Auf Dauerhaftigkeit angelegt sind die Erdaufschüttungen und die Architektur in Stein. Alleine schon der Aufwand für die Realisierung solcher Bauwerke demonstriert das Vermögen und die Dynamik der Auftraggeber, wohl der Erben der verstorbenen Person. Die eigene Distinktion kommt auch zum Ausdruck, wo sich die monumental überhöhten Grabmäler von den übrigen Gräbern in nächster Umgebung absondern, entweder durch räumliche Distanz, durch Mauern oder durch einen Grüngürtel in Form einer Parkanlage. Eine gewisse Nähe erlauben sich die in jedem Falle bescheideneren Gräber einer auserwählten Entourage, die wohl noch immer zur Familie zu rechnen ist. Die Rechtfertigung für einen Sonderstatus wird genährt durch eine gewisse Leistungsorientierung, die auch dem Gemeinwohl zugutekommen soll. Sie kann sich in Grabausstattungen äußern, die auf spezielle Fähigkeiten einer verstorbenen Person oder ihre militärischen Verdienste hinweisen. Sogar die Mitwirkung bei der Gründung oder Neuordnung einer Stadt ist möglich. Weiter gibt es Anhaltspunkte, dass die von den Hinterbliebenen errichteten Grabmonumente sowohl zur Legitimation der Führungsrolle wie als Rechtsanspruch auf Landbesitz interpretiert wer-
295 Für das Folgende siehe in wesentlichen Punkten auch Häussler 2010.
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den können, wo sie Grenzverläufe markieren. Beide ererbten Rechte sind besonders in Zeiten des Umbruchs gefährdet durch neue Rechtsvorstellungen, weshalb es logisch erscheint, dass der monumentale Heroenkult in Gallien in frühaugusteischer Zeit und in Britannien in der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. deutlicher zum Ausdruck kommt. Die archäologische Abgrenzung der unteren und untersten Sozialschichten ist mithilfe der Gräberarchäologie auch für diese Regionen und Zeiten nach wie vor problematisch. Jedoch weist der beschriebene Totenkult der Mischkulturen Galliens und Britanniens neben den römischen auch autochthone Züge auf, die sich bei genauerem Hinsehen in der vorrömischen Latènezeit noch stärker abzeichnen müssten.
7 Keltische nobilitas Fließende Übergänge, verwischte Grenzen „La classe aisée était naturellement portée à identifier tombe et temple, avec tout ce que cette conception peut comporter pour le culte et le rituel funéraire. Si elle a si facilement adopté cette conception romaine, sans doute y était-elle amenée par d’anciennes traditions.“ 296 Diese scheinbar so mühelos verlaufene Übernahme römischer Sitten in Gallien (beziehungsweise Akkulturation der keltischen Oberschicht) war kein Zufall, sondern hat ihren tieferen Grund in „Gemeinsamkeiten, die beiden Kulturräumen in die Wiege gelegt“ worden waren.297 Diese Gemeinsamkeiten gründen in Wirklichkeit auf einer auf Homologie beruhenden Verwandtschaft, die ihre Spuren nicht nur in Kult und Grabsitten, sondern auch in manch andern kulturellen Bereichen hinterlassen hat. Eine wichtige Voraussetzung für die politische Annäherung der mediterranen und nördlichen Kultursysteme im 1. Jahrhundert v. Chr. war die einsetzende Protourbanisierung nördlich der Alpen als Folge eines ökonomischen und politischen Wandels. Förderlich waren nachhaltige Prozesse wie zum Beispiel die Einführung des Geldwesens oder der Übergang von den Stammesorganisationen zu Staatswesen (civitates). In der Erforschung der ländlichen Besiedlung in der Spätlatènezeit vollzog sich in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel. Ausschlaggebend war, dass man die Ausgrabungen von Gutshöfen unterdessen tiefer als nur bis auf die römischen Schichten vortrieb und dabei öfters auf spätlatènezeitliche Vorgängerbauten stieß. Auch hat die Luftbildarchäologie auf vorher unbekannte, vorrömische Grabenstrukturen aufmerksam gemacht. Wenn nicht explizit von einer Neuaufsiedlung und Kolonisierung ganzer Landstriche im römischen Stil auszugehen war, so kamen in Gallien unter dem römischen Gemäuer fast immer vorrömische Funde und Befunde zum Vorschein. Dabei zeichnete sich eine Kontinuität nicht nur bei einzelnen Gebäudekomplexen ab, sondern oft auch in der Organisation des Raumes.298 Es stellt sich jedoch die Frage, ob sich die Kontinuität auch auf die Nutzung und die Eigentumsverhältnisse bezieht, da nicht von vornherein davon ausgegangen werden kann, dass eine Immobilie über die entscheidenden Bauphasen hinweg in
296 Zitat Jean-Jacques Hatt nach Flutsch/Hauser 2012, 110. 297 Metzler 1995. 298 Bei regional stark unterschiedlichem Forschungsstand von Grabungsberichten bis zu monographischen Aufarbeitungen u. a. Bayard/Collart 1996; Roymans/Derks 2011; Trément/Dousteyssier 2003, bes. 664–666.
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Abb. 48: Goeblingen-Nospelt. Grabhügel mit je einer Kammer sind Abbild der Generationenfolge einer aristokratischen Familie zwischen 50 und 20 v. Chr. In einem abgesonderten Quadranten liegen die einfachen Erdbestattungen und der Verbrennungsplatz.
der Hand der gleichen Familie verblieb. Hinweise für den Macht- und Besitzstanderhalt der einheimischen Eliten über die Epochengrenze hinweg wurden in Gallien und Britannien bereits angetönt. Mit einem höheren Grad an Wahrscheinlichkeit als bei Siedlungen lässt sich die Frage der Kontinuität bei Gräbern beantworten, wobei sich die nun folgenden Untersuchungsschritte auf den treverischen Raum fokussieren, weil dort besonders anschauliche Forschungsergebnisse vorliegen. Beispielgebend für das 1. Jahrhundert v. Chr. ist die Serie von reich ausgestatteten Gräbern von Goeblingen-Nospelt, Clemency und Lamadelaine in Luxemburg.299 Die „nécropole aristocratique trévire“ von Goeblingen-Nospelt in der Flur „Scheierheck“ umfasst einen ganzen Komplex von Grabhügeln und Erdbestattungen mit einer plausiblen chronologischen Abfolge (Abb. 48).300 In jedem der sechs
299 Zusammenfassend Köstner 2011. 300 Metzler/Gaeng 2009.
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Hügel ist jeweils eine einzige Person begraben. Durchwegs handelt es sich in den Grabhügeln wie in den Erdgräbern um Brandbestattungen. Es konnte der Verbrennungsplatz nachgewiesen werden, und dicht daneben breitete sich ein Teppich von kleingehackten Amphoren aus, die während der Kremation im Feuer standen, wie Brandspuren an den Scherben nahelegen. Brandreste und Scherbenkonzentration stammen wohl von mehreren Kremationen. Sie liegen beide im südwestlichen Viertel, im ältesten Teil der Anlage, zusammen mit einer Gruppe von einfachen Erdgräbern sowie vier Keramikdepots, die ebenfalls in einem Zusammenhang mit den Totenfeiern stehen. Von diesen abgetrennt durch einen schmalen Graben und aufgereiht in einer Linie liegen drei kleinere Grabhügel mit gezimmerten Kammern, welche zwischen 50 und 30 v. Chr. datieren. Ihre lineare topografische Aneinanderreihung und ihre chronologische Fortsetzung finden sie in zwei anschließenden Hügeln aus den Dreissiger- und Zwanzigerjahren. Durch ihre Größe und je eine rechteckige Grabeneinfassung wirken diese zwei jüngeren Beispiele monumentaler, und auch die Ansammlung von Beigaben in den Kammern ist im Laufe der Zeit umfangreicher geworden. Sporen, Langschwerter mit in Durchbruchsarbeiten verzierten Scheiden und ein römischer Gladius sind die Hinweise auf adelige Reiterführer, die hier ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Das jüngste Hügelgrab mit dem größten Grabgarten gehört jedoch einer Frau, die um etwa 20 v. Chr. gestorben ist. Der Umfang ihrer Beigaben steht demjenigen der Männer in keiner Weise nach. Dazu gehört wie schon bei den beiden jüngsten Reitergräbern ein mehrteiliges Ensemble an aus Italien importiertem Geschirr. Vermutlich erst gegen Ende der Belegung wurde die ganze Anlage mit einem rechteckigen Gabensystem von 61 × 34 m eingefasst. Schon der kleinere Grabenzug zwischen den repräsentativen Grabhügeln und den bescheidenen Erdgräbern der ersten Belegungsphase weist auf eine soziale Schranke hin, wenngleich diese nicht genauer zu definieren ist. Wenn wir in den Kammergräbern die tonangebenden Persönlichkeiten erkennen, so müssen die Verstorbenen in den einfacheren Gräbern nebenan nicht einen wesentlich tieferen Rang eingenommen haben. Ihnen wäre sonst kaum diese Nähe und ein Platz innerhalb des eingefriedeten Bezirks zugestanden worden. Die Männer und die Frau in den privilegierten Kammergräbern verstarben in relativ kurzen Abständen, sodass man nicht zwingend schließen darf, es handle sich jeweils um das Familienoberhaupt. Es können auch besonders herausragende Figuren innerhalb der Sippe gewesen sein. Dass sie untereinander verwandt waren, ist aus dem ganzen Zusammenhang zu vermuten. Die in den Gräbern gefundenen Tierknochen, die von den Fleischbeigaben stammen, zeugen von einem gewaltigen Fleischkonsum – nicht nur imaginär der Toten, sondern wohl auch realiter der Lebenden. Weitaus am häufigsten sind es ganze Teile von Schweinen, die oft jünger waren als ein Jahr, als sie geschlachtet wurden. Die Frau und einer der Reiter in den Kammergräbern von GoeblingenNospelt erhielten Fleischrationen, die das im 1. Jahrhundert v. Chr. sonst Übliche bei Weitem übertrafen. Auch sonst sind die Fleischbeigaben, dort wo geeignete
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Erhaltungsbedingungen herrschen, von bedeutendem Wert, wodurch überhaupt erst der wirkliche Reichtum und die tatsächliche Bedeutung des Verstorbenen zur Geltung kommen.301 Die in großer Zahl vorhandenen Amphoren enthielten Wein aus Italien, Tarragona und Marseille sowie Fischsauce aus Südspanien. Hier herrschte kein Mangel. Offensichtlich gehören die hier Begrabenen zu einer führenden Adelssippe. Aus der schriftlich überlieferten Geschichte der Treverer sind bemerkenswerte Ereignisse bekannt, die um die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. stattgefunden haben. Während des Gallischen Krieges kam es im Winter 54/53 v. Chr. zu einer Erhebung der belgischen Stämme, in deren Folge die römische Militärmacht arg ins Wanken geriet. Eineinhalb Legionen wurden bei den unerwartet aufflammenden Kämpfen aufgerieben. Und dies, obwohl die Treverer, wie so manch andere Stämme in Gallien auch, politisch gespalten waren. Führender Kopf der römerfeindlichen Partei war der princeps Indutiomarus. Der Widerstand ebbte erst ab, als Indutiomarus von Labienus in einen Hinterhalt gelockt und getötet wurde. Im Jahre 30 v. Chr. kam es zu einem neuerlichen Aufstand, der jedoch innerhalb weniger Monate von Marcus Nonius Gallus niedergeschlagen wurde.302 Zwar ist uns das Sterbealter von keiner der in Goeblingen-Nospelt zwischen 50 und 20 v. Chr. verstorbenen Personen bekannt. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass sie alle auf irgendeine Art und Weise in die geschilderten Auseinandersetzungen involviert waren. Die Menge an aus Italien importiertem Geschirr sowie der Gladius könnten Hinweise sein, dass hier Parteigänger Roms begraben sind. Die postulierte Verwandtschaft und die Monumentalität des Bestattungsortes sind bereits Indizien für einen Ahnenkult. Darüber hinaus gibt es eindeutige Beweise für eine kultische Verehrung am Grab, wie es einem Heroenkult vorbehalten ist. Am deutlichsten zeichnete sich der archäologische Befund bei der zuletzt verstorbenen Frau ab. Er wird von den Ausgräbern folgendermaßen interpretiert:303 Ein etwa 50 cm hohes Vorratsgefäß aus Ton stand auf der hölzernen Grabkammer und wurde beim Aufschütten des Hügels bis zu seinem Rande mit Erde überdeckt (Abb. 49). Sein Boden war ausgeschlagen, und falls auch die Holzdecke der Kammer ein Loch besaß, so entstand eine durchgehende Öffnung von der Hügelspitze bis in die Grabkammer hinein. Durch den Behälter konnten der Toten flüssige oder sogar feste Opferspenden direkt zugeführt werden. Zudem war die Hügelschüttung durchsetzt von einer großen Zahl kleiner Gruben (Durchmesser 20–30 cm) mit den verbrannten Knochenüberresten von kultischen Mahlzeiten oder Speiseopfern (Abb. 50). In 58 dieser Gruben lag eine Münze, sodass in diesem einmaligen Falle die Dauer des Kultes am Grab bestimmt werden kann. 25 Münzen gehören in die Regierungszeit des Augustus; der Rest verteilt sich bis zu einer Prägung des Marc
301 Patrice Méniel, in: Metzler/Gaeng 2009, 215–224; Metzler et al. 2007. 302 Dobesch/Anton 2006, 173–178. 303 Metzler/Gaeng 2009, 156. 479–483. 501–506.
Abb. 49: Goeblingen-Nospelt. Ein Vorratsgefäß nimmt die Speiseopfer für den Toten auf. Nach dem Einbruch der Kammer dient der Einsturztrichter als Verwahrungsort von Votiven.
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Abb. 50: Goeblingen-Nospelt. Im Hügelaufwurf über der Grabkammer sind kleine Gruben eingelassen. Speiseresten und Münzen zeugen von kontinuierlichen Kulthandlungen während fast 200 Jahren.
Aurel. Dies belegt eine Kommemoration an die verstorbene Ahnin von beinahe 200 Jahren. Schließlich stürzte die hölzerne Decke der Grabkammer ein und hinterließ eine trichterförmige Grube, die dann mit Sandsteinplatten ausgekleidet wurde (Abb. 49). Da hinein gerieten zwei Tonstatuetten von Muttergottheiten, bevor sich das Ganze mit Sediment wieder verfüllte. Diese Geste sowie die spezifische Wahl von Muttergottheiten verrät die Erinnerung an eine Frau und ihre außergewöhnliche Wirkung – auch noch 200 Jahre nach deren Tod. Die Überreste von großen Vorratsgefäßen bei zwei Reitergräbern lassen an ähnliche Vorrichtungen denken; ihre archäologischen Spuren waren bei der Ausgrabung allerdings weniger deutlich erhalten. Die Adelsgräber in der „Scheierheck“ liegen auf einem niedrigen Plateau, das auf einer Seite leicht abfällt zum Standort einer gallorömischen Villa mit großem
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Abb. 51: Clemency. Der Grabhügel um 70 v. Chr. ist von einem Grabengeviert eingefasst. Ascheschichten, Scherbenteppiche von Amphoren und kleine Gruben mit Speiseresten (schwarze Punkte) zeugen von Kulthandlungen während und nach den Bestattungsfeiern.
Nebengebäude, die seltsamerweise beide von einem Wall umgeben sind.304 Einige spätlatènezeitliche Funde und Bauspuren aus Untersuchungen vor 1973 scheinen den Ausgräbern zu bescheiden, um hier die Wohnstätten der im Friedhof oberhalb Begrabenen zu identifizieren.305 Auf eine Überraschung müsste man trotzdem gefasst sein, sollte der Spaten je wieder und gezielt an diesem Ort ansetzen. Wenige Kilometer von Goeblingen-Nospelt entfernt liegt die Fundstelle Clemency „Fulleswiss“, und von dort sind es dann nur noch 5 km Luftlinie bis zum bedeutendsten Oppidum der Region, dem Titelberg. In Clemency treten verschiedene unterdessen bereits bekannte Details wieder auf, nur dass es sich nun um einen solitären Hügel mit einem geschätzten Durchmesser von 13 bis 16 m handelt, eingefasst von einem quadratischen Grabengeviert mit rund 35 m Seitenlänge und mit einer deutlichen Lücke, wo sich der Eingang befand (Abb. 51).306 Auch hier sind der Verbrennungsplatz und ein Scherbenteppich von verbrannten Amphoren zu
304 Metzler et al. 1973; Köstner 2011, 178 f. 305 Metzler/Gaeng 2009, 19; noch weniger skeptisch Metzler et al. 1991, 171. 306 Metzler et al. 1991.
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verzeichnen. Aber aufgrund der Keramik und einem Fibelfragment ist Clemency um 70 v. Chr. angelegt worden und ist damit eine bis zwei Generationen älter als die frühesten Gräber von Goeblingen-Nospelt. Das bedeutet, dass der hier begrabene Mann, dessen Sterbealter auf 40 bis 50 Jahren diagnostiziert wurde, starb, noch bevor der Gallische Krieg ausbrach, also bevor die römische Staatsmacht ihren Fuß auf die Gallia Braccata gesetzt hatte. Zwar wurde die Grabkammer, noch ehe sie einstürzte, von Plünderern heimgesucht und ihrer Wertsachen inklusive vermutlich der Waffen beraubt. Was jedoch zurückblieb, gibt immer noch einen Anhaltspunkt für die Bedeutung dieses Mannes über seinen Tod hinaus. Zu Lebzeiten war er nach Einschätzung des Leichenbrandes eine stattliche „hochwüchsige“ Erscheinung mit „extrem kräftigen Langknochen mit sehr starken Muskelansätzen“.307 Zu seiner Verköstigung im Grab dienten mindestens vier Schweine, von denen aber nur noch die Zähne übrig geblieben sind, weshalb offen bleibt, ob diese als Ganzes oder in Teilen ins Grab gelangten. Zu deren Zubereitung diente ein eiserner Grillrost. Zehn italische Amphoren enthielten hochgerechnet gut 250 l Wein.308 An weiteren Südimporten liegen nur gerade ein campanisches Öllämpchen und ein Bronzebecken vor. Zwanzig bis dreißig Amphoren gerieten bereits während der Bestattungsfeierlichkeiten in die Flammen des Scheiterhaufens, was zusätzlichen 370 bis im Extremfall, je nach Rechnung, 750 l Wein entspricht! Eine Serie von Trinkschalen aus Ton kam auf die Decke der Kammer zu stehen, wohl ebenfalls anlässlich der Beisetzungsfeiern und jedenfalls, noch bevor der Hügel aufgeschüttet wurde. Für uns von besonderem Interesse sind wiederum kleine Opfergruben, die diesmal nicht im Hügelaufwurf selber festgestellt worden sind (falls sie vorhanden gewesen wären, müssen sie der Einebnung des Hügels zum Opfer gefallen sein), sondern dem Hügel vorgelagert (Abb. 51). 29 kleine Gruben, etwa 30 cm im Durchmesser und rund 14 bis 40 cm tief, lagen teils innerhalb, teils außerhalb des Umfassungsgrabens. Sie waren gefüllt mit Holzkohle und Asche, vermengt mit Knochenbrand vom Schwein, vom Rind und von einem Pferd. Da sie keine Münzen enthielten, ist die Dauer des Kultes am Grab nicht so leicht abzuschätzen wie in Goeblingen-Nospelt. Immerhin liegen fünf der kleinen Gruben im Verfüllungssediment des Umfassungsgrabens eingebettet, was bedeutet, dass solche Feierlichkeiten noch stattfanden, als die Anlage bereits vernachlässigt wurde. Zusammenfassend hat Jeannot Metzler im Jahre 1991 den Befund von Clemency folgendermaßen gedeutet: „Au stade actuel de nos connaissances, il est certainenement prématuré de formuler une interprétation globale des rites funéraires gaulois,
307 Manfred Kunter, in: Metzler et al. 1991, 105. – Zehn Bärenkrallen sind nicht das einzige germanische Indiz nicht nur bei diesem Mann, sondern bei den Treverern überhaupt. 308 Üblicherweise wird eine amphora auf 26 l veranschlagt. Bei einem konkreten Versuch im Bernischen Historischen Museum fasste eine ganz erhaltene Amphore Dressel 1 (Inv. 16’406) 18,5 l; aber auch dann ergeben sich noch beeindruckende Mengen.
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mais néanmoins un certain nombre d’aspects peuvent être dégagés .... Le rituel funéraire gaulois, ou au moins les gestes que nous arrivons à en discerner à travers l’aménagement du site et l’organisation de la tombe aristocratique de Clemency, a des antécédents lointains remontant à l’époque de Hallstatt, mais aussi à bien des cultures du bassin méditerranéen ... Ces fosses avec des restes incinérés se retrouvent dans l’enclos, en dehors de celui-ci et dans les remblais du fossé d’enclos ... et elles soulignent à l’évidence l’existence d’un culte des morts en milieu gaulois, culte qui démontre encore une fois la parenté de certains aspects des rites funéraires gaulois avec ceux observés dans les cultures méditerranéennes. On ne peut pas trancher la question si, dans le cadre de ce culte des morts, un repas funéraire a été partagé sur la tombe entre les vivants et le mort, comme cela est attesté dans le culte des morts à Rome, mais à l’évidence la possibilité existe.“ 309 Einen Sinn für üppige Festessen offenbaren die archäologischen Funde (der Grill sowie Fleisch und Wein in Hülle und Fülle) sowohl innen in der Grabkammer wie außen am Fuße des Hügels auf jeden Fall. Festmähler am Grab unter Einbezug der Verstorbenen, wie in Rom überliefert, sind deshalb nicht abwegig und erfahren in Lamadelaine, dem dritten hier behandelten treverischen Grabplatz im Großherzogtum Luxemburg, eine weitere Bestätigung. Lamadeleine bildet nach Goeblingen-Nospelt und Clemency den retrospektiven chronologischen Abschluss. Die Belegung mit 74 Brandgräbern und 18 Gruben beginnt um 120 v. Chr. und endet nach vier bis fünf Generationen um 20 v. Chr. Der Friedhof Lamadeleine liegt am Aufgang zum Oppidum auf dem Titelberg, etwa 200 m vor dessen Nordtor.310 Bemerkenswert an diesem Gräberkomplex ist nicht alleine die hundertjährige Kontinuität an sich, sondern auch die Regelhaftigkeit, mit der die Beigaben in den Schächten angeordnet worden sind, was wohl so zu interpretieren ist, dass die handelnden Personen über Generationen hinweg als enge Gemeinschaft agierten, die sich an vorgegebene Rituale hielt. Auch hier gibt es beträchtliche Mengen an Fleisch, vor allem Teilstücke vom Schwein (Abb. 52). Importe aus dem Süden sind gering. Ein einziges Grab enthielt eine vollständige Waffenausrüstung, bestehend aus Schwert, Schild und zwei Lanzen. Ein regionaler Vergleich im Treverergebiet warf neue Fragen zu den Bestattungsritualen auf, die jedenfalls erheblich länger gedauert haben müssen, als es die archäologischen Momentaufnahmen glauben machen.311 So gelangte zum Beispiel an verschiedenen Orten vom Leichenbrand fast immer eine jeweils nur geringe Menge ins Grab: Was geschah mit dem Rest? Die mitgegebenen Fleischvorräte bestehen immer aus Teilen von Tieren, dienten die übrigen Teile der Speisung bei den Feierlichkeiten? An mehreren Orten festgestellte, im Quadrat angeordnete
309 Metzler et al. 1991, 156 und 154. 310 Metzler-Zens et al. 1999. 311 Metzler-Zens et al. 1999, 404–449.
Fließende Übergänge, verwischte Grenzen
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Abb. 52: Lamadelaine am Aufgang zum Oppidum auf dem Titelberg. Auffallend in den Grabschächten sind neben den zahlreichen Keramikgefäßen die Mengen von Schweinefleisch in größeren und kleineren Teilstücken (120 bis 20 v. Chr.).
Pfostenlöcher könnten von Plattformen stammen, auf denen die Toten während längerer Zeit und vor der Verbrennung aufgebahrt lagen. Auch für die Speisung der Toten nach dem Verschließen des Grabes mittels sogenannten Libationsröhren gibt es Belege. In Lamadeleine selber ist die Beweisführung in drei Fällen für solche Röhren aus Holz zwar etwas ausgeklügelt (sie stammen aus der Zeit vor dem gallischen Krieg), dann aber doch plausibel, wenn man sie mit Goeblingen-Nospelt vergleicht, und erst recht mit Blick auf die klaren Befunde in Estrées-Deniécourt (Dép. Somme).312 Dort führen solche Leitungen in vier ausgezimmerten Gräbern direkt auf den Leichenbrand hinunter. Das Rohr besteht aus einer u-förmig ausgesparten Holzrinne und einer Deckelleiste; die rechteckige Durchlassöffnung beträgt im extremen Fall 7 × 17 cm. Das längste Element ist 53 cm lang erhalten. Der hervorragende Zustand dieser – und weiterer – Hölzer ist ganz ungewöhnlichen Bodenverhältnissen und ihre Erkennung wohl auch einer subtilen Grabungstechnik zu verdanken. Zeitlich gehören die Belege in Estrées-Deniécourt offenbar ins 2. und an den Beginn des 1. Jahrhunderts v. Chr. In einem römischen Umfeld scheinen solche Libationsröhren (aus Keramik) erst seit der Kaiserzeit nachgewiesen, und zwar im ganzen Reichsgebiet.313 Zweifellos setzten die Anlagen von Goeblingen-Nospelt und Clemency unübersehbare Akzente in der Landschaft, und auch die Bestattungsfeierlichkeiten wurden mit beträchtlichem Aufwand betrieben. Hinter beidem steckte ja auch die Ab-
312 Prilaux 2007. 313 Zum Beispiel Prilaux 2007, 61 (allgemein); Caroll 2006, Fig. 24 (Vindolanda); Lepetz/Van Andringa 2011, Fig. 6. 9 und 13 (Pompeji).
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sicht der sozialen Distinktion. Insofern trifft die Bemerkung Caesars, dass „funera sunt pro cultu Gallorum magnifica et sumptuosa“ auf die treverischen Verhältnisse durchaus zu.314 Lamadelaine wirkt, da ohne Hügel und Grabgärten, etwas bescheidener. Jedoch lag dieser Begräbnisplatz an einem der beiden Hauptzugänge zum Oppidum auf dem Titelberg. Die einzelnen Grabplätze waren mit ziemlicher Sicherheit gekennzeichnet. Und berücksichtigt man die Mengen an Fleisch und Wein, die verbraucht worden sind, so darf man wohl auch diesen Personenkreis zur „upper class“ zählen. Gerade hier in Lamadeleine gaben archäologische Details Hinweise für mehrphasige und umfangreiche Bestattungsfeierlichkeiten, was ebenfalls für eine durchsetzungskräftige Elite spricht, die wohl eine wesentliche politische Konstante des Ortes darstellte, fällt die Gründung des Oppidums doch ziemlich genau mit dem Beginn der Nekropole zusammen.315 Das Oppidum auf dem Titelberg besaß mit seiner starken Befestigung, einem murus gallicus von 2,7 km Länge und einer Innenfläche von 43 ha, eine bedeutende Funktion in der Region; die Ausgrabungen im Zentrum des Plateaus lassen auf eine dichte Besiedlung nahezu urbaner Ausprägung schließen, die jedenfalls kaum Freiraum ließ für landwirtschaftliche Tätigkeiten. Deshalb muss man mit „vielen“ Bewohnern rechnen, wobei eine genauere Zahlenangabe nicht geliefert werden kann. Die in Lamadeleine Bestatteten stammen aus einer sozialen Gruppe, die ein oder höchstens zwei Dutzend Personen umfasst.316 Die Diskrepanz zur fiktiven Einwohnerzahl des Oppidums von mehreren Hundert bis eher Tausend ist auf jeden Fall beträchtlich. „Les familles endeuillées devaient avoir une aisance matérielle certaine pour enterrer leur défunt avec les dépôts nécessaires et organiser un banquet funéraire. Par conséquent, il se peut fort bien que les pauvres de la communauté ne sont pas représentés au niveau funéraire, du moins dans la nécropole de Lamadelaine“.317
Heiligtum wie Grabmonument Nachdem wir weiter oben bereits mehrmals die Ambivalenz der sogenannten Umgangstempel kennengelernt haben, stellt sich die Grundsatzfrage, wie mit archäologischen Mitteln der Kult am Grab eines Ahnen oder Heroen von einem Götterkult unterschieden werden kann, wenn ein Umgangstempel vorliegt. Dabei handelt es sich eher um ein heuristisches Problem zum besseren Verständnis eines Sachverhaltes, der in der antiken Realität wohl weniger von Belang war.
314 315 316 317
Caes. gall. 6, 19, 4. Vgl. dazu Fernández-Götz 2012, 518. Suter 1984, 88 f.; Berger/Matt 1994, 95. Metzler-Zens et al. 1999, 442.
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Abb. 53: Ribemont-sur-Ancre. Eine römerzeitliche Agglomeration erstreckt sich keilförmig den Hang hinauf. Unter einer Tempelanlage am Scheitel liegen ältere Sakralplätze.
Bleiben wir vorerst im Norden von Gallien und prüfen die berühmt gewordenen keltischen Sakralorte in der heutigen Picardie auf diese Frage hin. Bereits das Luftbild des Fundortes Ribemont-sur-Ancre lässt Fragen aufkommen über die Funktion dieser Agglomeration von gallorömischen Gebäuden, die sich über einen knappen Kilometer einen sanften Hang hinauf erstreckt (Abb. 53). In einer keilförmigen Bahn liegen aufgereiht von unten nach oben eine Thermenanlage, ein szenisches
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Abb. 54: Ribemont-sur-Ancre. Hypothetisch wurden der rechteckige Sakralbezirk als Tropaion mit den getöteten Feinden und die runde Anlage als Heroon für die gefallenen Mitkämpfer interpretiert (3. Jahrhundert v. Chr.).
Theater und an der Spitze im Scheitel ein mehrphasiger Tempelkomplex aus dem 1. bis 4. Jahrhundert n. Chr. Genau unter diesem Fluchtpunkt und gleich ausgerichtet wie die römerzeitlichen, in Stein errichteten Tempel verbergen sich die Anlagen aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. (Abb. 54). Sie sind offenbar Kern und Ursache für das ganze Ensemble, wie die im Jahre 1966 angestoßenen Grabungen gezeigt haben.318 Sie bestehen aus drei Elementen: einem „enclos sacré“, dem sich ein „enclos trapèze“ anschließt, in dessen Mitte ein „enclos circulaire“ liegt; alle drei sind
318 Brunaux 1999; Fercoq du Leslay 2000; Arcelin/Brunaux 2003; Brunaux 2004; Brunaux 2009.
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Abb. 55: Ribemont-sur-Ancre. Zahlreiche Skelette befinden sich nur teilweise in einem anatomischen Verband. Dazwischen liegen aber auch Waffen.
von einem weit ausholenden Kreisgraben umringt, dessen Datierung allerdings unsicher ist. Den eigentlichen Sakralbezirk, den „enclos sacré“ von 47 × 50 m, umschließt ein respektabler, bis zu 3 m tiefer Spitzgraben. Entlang der Grabeninnenseite lagen Menschenknochen in teilweise anatomischem Verband samt Waffen (Abb. 55); in Reihen liegende Schilde und Lanzen scheinen an einer dem Graben entlanglaufenden Kolonnade oder einer Wand aufgehängt gewesen zu sein, bevor sie von dort zu Boden gefallen sind. In den Ecken fand sich je eine bizarre Art von Ossuar in unterschiedlichem Erhaltungszustand. Sie bestanden aus einem mit verbrannten Menschenknochen aufgefüllten Schacht und darum herum sorgfältig aufgeschichteten Langknochen von mehreren hundert Individuen, vermengt mit einigen Knochen vom Pferd (Abb. 56). Anfänglich war die Innenfläche des Sakralbezirkes mit Bäumen bestanden, bis diese dann im 1. Jahrhundert v. Chr. einem Umgangstempel und einem kleineren Pfostenbau aus Holz weichen mussten. Besonders bemerkenswert ist gleich außerhalb des Gevierts das Leichenfeld von 122 bewaffneten jungen Männern mit ausnehmend kräftiger Statur, zum Teil mit Kampfverletzungen, aber allesamt ohne Kopf. Die Schädel wurden post mortem grobschlächtig und roh von der Wirbelsäule getrennt. Außer den Waffen lagen zwischen den Gebeinen verstreut auch neun Goldmünzen und das Fragment eines
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Abb. 56: Ribemont-sur-Ancre. Langknochen von mehreren hundert Individuen liegen zerstreut oder sind mauerartig zu einem Ossuar aufgeschichtet. Sie sind vermengt mit Knochen von Pferden.
goldenen Torques.319 Laut Jean-Louis Brunaux waren die mumifizierten Toten ursprünglich dicht an dicht in einer Art Speicher aufrecht stehend als Trophäen zur Schau gestellt, während andere Forscher darin eine Ansammlung von frischen Leichen sehen, die noch vor Eintritt der Leichenstarre auf einen Haufen geworfen und dort liegen geblieben sind. Inmitten des angrenzenden trapezförmigen Gevierts („enclos trapèze“), dessen Grabenfüllung ebenfalls Waffen enthielt, liegt eine kreisförmige Anlage von 40 m Durchmesser, deren Interpretation umso gewagter erscheint, als die archäologischen Grundlagen bis jetzt noch nicht vorgelegt worden sind (Abb. 54). Eine starke Palisadenwand verwehrte den Blick auf vierzig Leichname, die angeblich hier dem Fraße von Raubvögeln überlassen worden sind: allesamt athletische Figuren mit zum Teil schweren Körperverletzungen, die ihre Spuren an den Knochen hinterlassen haben. Fünfzig Stelen aus Sandstein, jede nahezu eine Tonne schwer, sollen den Ort des martialischen Aktes markiert haben,320 sie wurden später in die Fundamente der römischen Gebäude verbaut.
319 Ricard/Gandia 2012; Fercoq du Leslay 2000, 130 f. 320 Ricard/Brunaux 2009; Arcelin/Brunaux 2003, 34–38; Brunaux 2004, 122–124.
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In römischer Zeit erfolgte dann über mehrere Phasen ein großzügiger Ausbau zu einer monumentalen Tempelanlage, die aber immer die Baufluchten und die Raumordnung der ursprünglich latènezeitlichen Grabenwerke beibehielt. Vieles wurde schon zur Fundstelle Ribemont geschrieben, manch entscheidende Aussage blieb aber auch in einer Hypothese stecken. Zuletzt ist der quadratische Sakralbezirk als Tropaion mit getöteten Feinden und die Kreisanlage als Heroon für gefallene Mitkämpfer der Sieger bezeichnet worden. Beide könnten am Ort einer denkwürdigen Schlacht errichtet worden sein. Die zahlreichen Waffen stammen laut Thierry Lejars zu 80 % aus den Jahren zwischen 250 und 200 v. Chr., in denen das entscheidende Ereignis stattgefunden haben soll.321 Letztlich bleibt in der Kontroverse Tropaion/Heroon die entscheidende Frage unbeantwortet: wie Freund und Feind aufgrund von Knochen geschieden werden sollen. Falls man mindestens einem Teil der zahlreichen Gefallenen den Status von Heroen zubilligt, so blieb die Tradition des Heroenkultes am Ort offenbar über eine längere Zeitspanne hinweg bedeutungsvoll. Von einer ungebrochenen Tradition kann man mindestens für die ersten zwei bis drei Jahrhunderte des Bestehens ausgehen. Ursprünglich rechneten die Bearbeiter mit einem Wechsel vom keltischen Tropaion/Heroon zu einem gallorömischen Götterkult. Hält man aber an der Interpretation eines Heroenkultes fest mit all seinen Erscheinungen, die einem Götterkult sehr nahekommen, so wird eine archäologisch begründete Unterscheidung problematisch. Schon den Ausgräbern ist aufgefallen, dass die sonst üblichen Elemente, die gallorömische Heiligtümer auszeichnen, fehlen. Es gibt weder Kultstatuen, Exvoten aus Ton noch Münzvotive und Keramikdepots. Eine einzige Inschrift aus dem 2./3. Jahrhundert n. Chr. nennt Merkur, was jedoch zu wenig ist, um eine Verehrung einzig und alleine von Merkur zu postulieren. Große Mengen an Tierknochen und Tafelgeschirr zeugen jedoch weiterhin von bedeutenden Festivitäten und Kultmählern.322 Könnte der Grund darin liegen, dass hier gar nie ein Götterkult, sondern stets ein Heroenkult mit eigenen Ritualen stattfand? Auch dies nun eine zusätzliche Hypothese zu den vielen bereits vorhandenen. Tatsächlich spricht die Superposition der einzelnen Gebäudeteile in Stein für eine kontinuierliche Erinnerung an dieses entscheidende Ereignis im 3. Jahrhundert v. Chr. und dadurch für einen Kult der gefallenen Heroen bis in die gallorömische Zeit, selbst wenn sich die Architektur unter römischem Einfluss naturgemäß geändert hat. Dies würde für eine Kulttradition vom 3. vorchristlichen bis ins 4. nachchristliche Jahrhundert sprechen, was mindestens 600 Jahre sind – eine bemerkenswert lange Zeitdauer, falls alle Gläubigen zum Schluss überhaupt noch wussten, um was es ganz genau ging. Ohne die Entdeckung der spektakulären keltischen Funde unter den römischen Mauerzügen wäre Ribemont-sur-Ancre ein „sanctuaire rural“ unter vielen geblieben. Manches harrt hier jedoch noch einer abschließenden Klärung.
321 Thierry Lejars, in: Brunaux 1999, 248. 322 Brunaux 2009, 153–155.
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Abb. 57: Gournay-sur-Aronde. Ältestes Element am Platz ist ein Hügelgrab mit einer ungewöhnlich hohen Zahl an Keramikbeigaben.
Die zweite, in der Forschungsgeschichte noch wichtigere Fundstelle in der Picardie ist Gournay-sur-Aronde. Kennzeichnend sind auch hier ein Grabengeviert mit vielen mittellatènezeitlichen Waffen und eine lokale Kontinuität bis zu einem in Stein errichteten gallorömischen Umgangstempel.323 Seine Deutung als latènezeitliches Heiligtum mit Waffen als Weihegaben ist nie infrage gestellt worden, wobei hier alle Datierungen unter dem prekären Makel leiden, dass die Fibeln bis heute nicht publiziert worden sind, dass also keine innere Chronologie der Fundstelle besteht, die im Übrigen mit einem eindrücklichen, weiträumigen Grabensystem in Verbindung zu stehen scheint, wie ein Augenschein am Ort verrät. Über den Ursprung dieses Sakralplatzes an exakt dieser Stelle gibt es interessante Informationen, solange man sich an die ersten Ausgrabungsmitteilungen hält, ohne den späteren widersprüchlichen und abweichenden Aussagen großes Gewicht beizumessen. Angesprochen sind die Ausgrabungszone gleich außerhalb und die ältesten Befunde und Funde innerhalb des Gevierts, zu denen man sich die verstreuten Informationen an mehreren Stellen in der Literatur zusammensuchen muss. Zuallererst stießen die Ausgräber 1975 auf eine Struktur, die offenbar schon früher durch den Pflug tangiert und beim Neubau einer Umfahrungsstraße zu einem großen Teil gestört beziehungsweise zerstört worden ist. Die folgenden Merkmale sprechen für ein Grab mit ungewöhnlich vielen Geschirrbeigaben (Abb. 57): die rechteckige Grube (beziehungsweise eine Grabkammer) von 2,60 × 2,70 m, die mindestens zwanzig Keramikgefäße, ein eisernes Messer sowie einige Knochenfragmente („... pas vu de tache d’incinération, quelques fragments d’os subsistaient cependant“ ... „une incinération ... peut avoir été détruite ... Notons cependant une légère tache (coloration de la terre) près du vase No 5.“). Später wurden die Knochen wieder in Abrede gestellt. Die Kammer war ursprünglich von einem Hügel mit einem Durchmesser von 10 m überdeckt. Dieser stand isoliert an dem sanft zur
323 Brunaux et al. 1985.
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Abb. 58: Gournay-sur-Aronde. Das frühe Hügelgrab aus der Zeit um 300 v. Chr. liegt gleich außerhalb des wegen seiner vielen Waffen berühmt gewordenen Heiligtums. Die archäologische Verbindung wurde durch den Straßenbau zerstört.
Aronde abfallenden Hang; jedenfalls brachten gezielte Sondierungen keine weiteren Gräber mehr zum Vorschein, außer in knapp 100 m Entfernung eine kleinräumige Pfostenkonstruktion mit einer Einfriedung, wie sie gewöhnlich als Plattformen zur Aufbahrung der Toten vor der Kremation gedeutet wird. Ob mit oder ohne Leichenbrand, für die aktuelle Fragestellung bleibt wichtig, dass alle Anzeichen für ein Grab sprechen: Auch ein Kenotaph ist ein Grab!324 Nur zehn Meter östlich des Grabhügels liegt dann die zu rekonstruierende Seite des Umfassungsgrabens des „sanctuaire“, die beim Straßenbau zerstört worden ist, wobei auch die archäologischen Anschlüsse zum Grabhügel gleich nebenan verloren gegangen sind. Dieser „enclos primitif“ hat die Ausrichtung sämtlicher nachfolgender Gräben und des Zuganges zum Sakralplatz vorbestimmt (Abb. 58).325 In kurzem zeitlichem Abstand folgte in der Mitte des umfriedeten Areals ein im Grundriss u-förmiges, offen stehendes Grubensystem, das einen anderen Bezugspunkt als die Umfassungsgräben aufweist, da es in seiner Orientierung von diesen abweicht. Besonders die zentrale Grube A mit einer Tiefe von mehr als zwei Metern muss von ausschlaggebender Bedeutung gewesen sein, wurden doch genau über ihr alle späteren Sakralgebäude in Holz und Stein bis in römische Zeit errichtet. Obwohl als Opfergrube gedeutet, waren die archäologischen Funde an diesem
324 Insbesondere Brunaux 1975; ferner Brunaux et al. 1985, 53–59. 94 mit Fig. 59 zu „sépulture“ sowie 49 f. mit Fig. 26 zu „table à exposition funéraire“. – In ähnlicher Weise argumentiert Krausse 2006, 359, der das Grab ebenfalls als Kenotaph deutet. 325 Brunaux et al. 1985, 86–90 mit Fig. 45 und 55; 94–100 mit Fig. 63; 71 mit Fundliste.
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Abb. 59: Gournay-sur-Aronde. Zu den ältesten Funden und einzigen Schmuckstücken von Frauen gehören zwei bronzene Armringe. Sie lagen in der zentralen Kultgrube und im Umfassungsgraben.
zentralen Ort spärlich. Zu den Ausnahmen gehören zwei Fragmente von bronzenen Armringen (Abb. 59), wobei die Ergänzung des einen sich im Umfassungsgraben fand. Die beiden zusammengehörenden Ringfragmente (das eine bei den zentralen Opfergruben, das andere aus dem Umfassungsgraben) sind in einem Plastischen Stil verziert. Die bis jetzt angesprochenen Elemente, nämlich das „Hügelgrab“ sowie die zwei Umfassungsgräben mit den zentralen Opfergruben der zwei ersten Ausbauphasen des Heiligtums und auch der Ringschmuck und die ältesten Waffen,326 sind zwar relativchronologisch die ältesten Erscheinungen am Platz, lassen sich jedoch nicht so leicht absolut datieren: Aber 4. Jahrhundert v. Chr. ist möglich, 1. Hälfte 3. Jahrhunderts v. Chr. wahrscheinlich. Erst in der Phase 3 ab der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. folgen dann die gewaltigen Mengen von Waffen in den Gräben, die Gournay so berühmt gemacht haben. Konzentriert treten sie im Eingangsbereich auf, wo auch die Menschenschädel gefunden worden sind, die ursprünglich am Toraufbau ausgehängt waren. Die beiden bronzenen Armringe bei den Opfergruben und im Graben gehören zu den ältesten Funden, und es sind auch die einzigen Frauenschmuckstücke im Heiligtum von Gournay geblieben, neben den schließlich rund zweitausend Fragmenten von Waffen. Da die Waffen erst im Laufe der Zeit in großer Zahl auftreten,
326 Brunaux et al. 1985, 95–98 mit Fig. 61 und 62.
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boten sie offenbar nicht den Anlass zur Gründung des „sanctuaire“. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Ursprung des „Heiligtums“ auch von Gournaysur-Aronde in dem „tertre de la fosse aux vases“ zu suchen ist – einem Heroengrab, einem Heroinnengrab? Tropaia in der Folge von Ahnen- und Heroenkult waren ein wiederkehrendes Motiv im antiken Griechenland und Rom, wie schon mehrfach festgestellt. Das heuristische Problem der Unterscheidung zwischen „Heiligtum“ und „Grab“ beziehungsweise „Heroengrab“ verdeutlicht sich noch einmal an der Fundstelle Montmartin, nur 3 km von Gournay entfernt (Abb. 60).327 Auch hier ist ein Spezialbezirk vom Wohnbereich abgesondert, und zwar mittels eines Grabens und einer starken Holzwand, die durch ihren Lehmverputz mit Spuren von Bemalung und plastischem Dekor einen gewissen repräsentativen Anspruch erhebt. Und auch hier kommen die stark demolierten Waffen und die Schädel von mindestens sieben Personen vor, die sich am Eingang zum Sakralbezirk konzentrieren. Selbst die mehr als 2 m tiefe, durch einen Pfostenbau überdachte Kultgrube fehlt nicht. Die „installation cultuelle“ von Montmartin ist nach Aussage der Funde etwas jünger als Gournay, aber in jeder Beziehung auch kleiner, was die Ausgräber zu einer Deutung als Kultplatz einer „domaine aristocratique“ bewog, was im konkreten Fall jedoch so lange unbestätigt bleibt, wie man Umfang und Art des Siedlungsplatzes nicht genauer kennt. Gerade umgekehrt als in Montmartin, Gournay-sur-Aronde und Ribemont-sur-Ancre liegen die Verhältnisse bei eindeutigen Gräbern mit sakraler Architektur, jedoch ohne ausgeprägte archäologische Spuren von dauerndem Kult. Beispielhaft dazu ist der vollständig untersuchte und publizierte Siedlungs- und Gräberkomplex von Acy-Romance in der Belgica.328 Mit seinen 20 ha gehört Acy-Romance zu den offenen Großsiedlungen, wie sie in Gallien im 2. Jahrhundert v. Chr. entstanden sind. Sie ist umgeben von sechs großflächigen Grabgevierten, die ab etwa 180 v. Chr. während gut 150 Jahren belegt waren (Abb. 61). Sie halten alle einen gehörigen Abstand von 100 bis 400 m zum Wohnplatz der Lebenden, wobei sie sich nicht in jedem Fall zwingend auf eine Ausfallstraße, die aus der Siedlung herausführt, ausrichten. Allen gemeinsam sind hingegen die üblichen Grabenzüge als Grenzlinien gegen außen, aber auch Binnenflächen werden auf diese Weise markiert. Archäologische Strukturen lassen auf eine lockere Bepflanzung schließen, einzelne im Boden erhaltene Wurzelteller stammen von großen, freistehenden Bäumen, die unmittelbar das Bild eines Haines heraufbeschwören. In der Siedlung wurden genau diese Vegetationsspuren nicht beobachtet. Vereinzelte Grabgebäude in Form von Pfostenkonstruktionen waren offenbar recht massive Bauwerke, die dank ihrer Höhe sowie durch die flache Topografie der umgebenden Landschaft weitherum
327 Brunaux/Méniel 1997. 328 Friboulet 2013, bes. 13–22. 108–111. 155–185. Fig. 13 und 163.
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Abb. 60: Montmartin. Ein vom Wohnareal abgesonderter Bezirk mit Kultgrube, Waffen und Menschenschädeln wurde als Sakralplatz mit Heroengrab gedeutet.
sichtbar gewesen sein müssen. Es sind diese „tombes fondatrices“, die laut Statistik ungefähr 5 % der ausgezählten Bestattungen ausmachen. Die um sie herum gruppierten bescheideneren Sekundärgräber waren auf irgendeine Weise ebenfalls markiert, denn obwohl keine direkten archäologischen Anzeichen dazu vorhanden sind, halten alle Grabgruben einen gebührenden Abstand zueinander, ohne sich jemals zu tangieren oder zu überschneiden. Eine Abstufung drückt sich nicht nur im Aufwand der einzelnen Monumente aus, sondern auch in Umfang und Qualität der Beigaben sowohl bei Frauen wie Männern. Sie umfassen nicht nur Fleischbeigaben, sondern auch umfangreiche Geschirrsätze. Weinamphoren sind selten, hingegen wurden Getränke in Kesseln angesetzt und ausgeschenkt. Besonders reich ausgestattet waren vier Männergräber im größten der Gräberbezirke, in „La Noue Mauroy 92“ (Abb. 62): Neben Schwertern enthielten sie auch Schilde, Lanzen, Zaumzeug, Messer, Werkzeug und andere Gerätschaften. In weiteren acht Gräbern lagen eine oder mehrere Münzen, insgesamt 21 Stück.
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Abb. 61: Acy-Romance. Um die offene Siedlung herum gruppieren sich in einigem Abstand sechs Gräberareale aus dem 2. und 1. Jahrhundert v. Chr.
Auch hier gelangte der Leichenbrand nur in kleinen Portionen ins Grab; was mit dem größeren Teil im Verlaufe des Prozedere geschah, bleibt unbekannt. Kaum Spuren haben auch allfällige Rituale am Grab hinterlassen. Sie beschränken sich auf einige wenige Keramikfragmente, die im Innern der Grabgebäude vorgefunden worden sind. Die insgesamt 120 Personen, die in den Grabengevierten bestattet sind, bilden eine sehr geringe Zahl, wenn man sie in Relation setzt zur Größe und zur Dauer der Siedlung von rund 150 Jahren. Sie sind die Exponenten einer sozialen Gruppe von gerade mal ein bis zwei Dutzend Köpfen.329 Diese „parentèles, dont les membres les plus en vue portent les armes et sont propriétaires de champs et troupeaux, mais aussi gens de religion, sont particulièrement favorisées ... C’est en tout cas ce que l’on devine pour les défunts les mieux pourvus des enceintes“. Von fast der ganzen Restbevölkerung hat sich die Spur verloren, bis auf hie und da ein paar
329 Suter 1984, 88 f.; Berger/Matt 1994, 95.
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Abb. 62: Acy-Romance. Im Gräberbezirk „La Noue Mauroy“ konzentrieren sich die hochwertigen Ausstattungen. Sie sind gekennzeichnet durch Waffen, Zaumzeug, Metallkessel und Münzen.
Hand voll Leichenbrand – und zwar in den Gruben innerhalb der Siedlung, hin und wieder begleitet von einer einzelnen Fibel oder einer bescheidenen Lebensmittelbeigabe.330
330 Friboulet 2013, 184. 20.
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Eine verborgene Elite Prunkausstattungen in monumentalen Grabhügeln samt eingefriedeten Kultbezirken sind nur ein Aspekt im Bestattungswesen der spätkeltischen Zeit des 3. bis 1. Jahrhunderts v. Chr., weil sie von der Forschung wegen ihrer Auffälligkeit und Reichhaltigkeit besonders wahrgenommen werden. Daneben gibt es im nordöstlichen Gallien auch größere und kleine Flachgräberfelder ohne Überhügelungen, bei welchen die Kremation aber immer vorherrschend bleibt. Beispielhaft verläuft die Entwicklung von der Hallstatt- bis in die späte Latènezeit auf einer Hochebene des Hunsrücks zwischen Wintrich und Horath, einer Siedlungskammer von bis zu 4,5 km Längenausdehnung in einer Richtung (Abb. 63). Mehrere locker gestreute Grabgruppen unterschiedlichen Umfangs und Aufbaus sollen von der mehrhundertjährigen Kontinuität einer einzigen Siedlungsgemeinschaft zeugen.331 Der Ort liegt in einem südlichen Seitental der Mosel, 30 km von Trier entfernt. Von besonderem Interesse sind die Flachgräber im „Kaisergarten“, bestehend aus 166 ziemlich dicht liegenden Bestattungen (Abb. 64).332 Tatsächlich wirkt ihr Inventar im Vergleich mit den soeben behandelten Prunkgräbern bescheiden: Noch relativ häufig ist Keramik beziehungsweise die Beigabe von Lebensmitteln (selbstredend fehlen Südimporte); zwei Gräber, die ziemlich nahe beieinander liegen, enthalten je ein Schwert. Aufschlussreich für die Chronologie sind die insgesamt 150 Fibeln, die eine Belegung des wohl erschöpfend ausgegrabenen Friedhofes zwischen rund 250 und 100 v. Chr. nahelegen. Verbrannte Knochen von Tieren vermengt mit solchen von Menschen sind in fast allen Gräbern vorhanden, sodass angenommen wird, dass Fleischbeigaben zusammen mit dem Leichnam auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sind. Achtzehn „Brandplatten“, deren Funktion nicht geklärt ist, könnten von Opferfeuern oder Kultmahlzeiten stammen. Auch hier in Horath liegt das Gewicht der geborgenen Leichenbrände stets unter dem erwarteten Soll – falls ein solcher nicht sogar ganz fehlt (und man dann auch hier von einem Kenotaph sprechen müsste). Ebenfalls auffällig ist wiederum der hohe Anteil an Schweinen unter den verbrannten Tierknochen. Hingegen wurden weder Pfostenstellungen noch durch Gräben markierte Grabgärten festgestellt. Die Ausgrabungen fanden allerdings zwischen 1933 und 1937 statt, weshalb gewisse Feinheiten im Befundbild eventuell auch übersehen worden sind. Wirkliche Unterschiede in den Ausstattungsniveaus, sodass man von reichen und armen Gräbern sprechen könnte, sind nicht vorhanden. Da die für eine Schichtung üblicherweise herangezogenen Edelmetalle, andere kostbare Materialien wie Bernstein und Koralle oder Südimporte fehlen, versuchte Andrei Miron eine Gliederung aufgrund der Anzahl der Keramikgefäße: 0 bis 3 Töpfe für „arme Gräber“,
331 Nortmann 2002. 332 Miron 1986.
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Abb. 63: Horath. Die Hochebene bildet eine geschlossene Siedlungskammer mit mehreren Gräbergruppen. Von diesen abgesetzt im Norden liegen drei Prunkgräber (Sterne) aus der Zeit um 400 v. Chr.
5 und mehr Töpfe für „reiche Gräber“.333 Ob sich allerdings in der Anzahl der Keramikgefäße Wohlstand, Prestige und Machtpotenzial der sozialen Wirklichkeit oder gar ein Zweiklassensystem spiegelt, ist doch eher zweifelhaft. Für die Rekonstruktion der lebenden Bevölkerung, welche den Friedhof unterhielt, rechnete Andrei Miron mit 200 Gräbern, da eine gewisse Anzahl bereits vor der Ausgrabung durch den Pflug zerstört worden sei. Seine anschließenden Berechnungen belaufen sich auf durchschnittlich 23 bis 25 jugendliche und erwachsene Personen, die hier in der Nähe gelebt haben müssen, wobei wiederum ein be-
333 Miron 1986, 112–115.
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Abb. 64: Horath. Die Gruppe „Kaisergarten“ besteht aus 49 älteren Grabhügeln aus dem 6. bis 4. Jahrhundert v. Chr. (Kreise) und 166 jüngeren Flachgräbern mit Brandbestattungen aus dem 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. (Punkte).
trächtlicher Unsicherheitsfaktor einzurechnen ist.334 Wenn Miron daraus folgernd auf 4 bis 5 Familien schloss, so hatte er wohl eher eine heutige „Kleinfamilie“ im Auge als eine antike familia. In der Flur „Kaisergarten“ gibt es aber auch ein Grabhügelfeld, und aufgrund der Topografie und der Übersichtspläne muss man annehmen, dass die Flachgräber die logische zeitliche Fortführung des Grabhügelfeldes darstellen (Abb. 64). Die Datierung der 49 Hügel reicht vom 6. Jahrhundert bis gegen 300 v. Chr.335 Ihre kombinationsstatistische Gliederung wird dadurch erschwert, dass diese auf schwach definierten Metalltypen und wenig Keramik pro Grab beruhen musste. Schon aufgrund dieser Voraussetzungen unterscheiden sich die einzelnen Ausstattungen auch hier in den Hügeln, was das Niveau betrifft, nicht wesentlich voneinander. Auffällig im Vergleich mit den benachbarten Flachgräbern ist der etwas höhere Anteil an Waffen: Neben zwei Schwertern und einem Schild handelt es sich um immerhin zwei Dutzend, oft paarig geführte Lanzen. Bei einem Vergleich der beiden nebeneinander liegenden Grabplätze stellen sich Fragen, die nicht mit letzter Gewissheit zu beantworten sind. Besteht zum Beispiel eine Kontinuität in der Gesamtbelegung? Tatsächlich ist die Scharnierpha-
334 Miron 1986, 124–126. 335 Haffner 1976, 66–69. 99 und Taf. 21–33.
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se in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. schwach vertreten. Als positiv könnte allenfalls der Umstand vermerkt werden, dass einige Flachgräberensembles die Hügelgruppe gewissermaßen topografisch umklammern.336 Ferner stellt sich die Frage, was der Wechsel vom Hügel zum Flachgrab bedeutet? Eine Wende in der Mentalität, der Sozialordnung oder bestimmter religiöser Einsichten? Und wurde dies gar ausgelöst aufgrund eines Wandels in der Bevölkerung durch Zuwanderung? Es käme dann eine bereits vorgebrachte Hypothese zum Zug, nämlich die demonstrative Anbindung der „Flachgräberleute“ an die älteren Grabhügel – zum Beispiel um einen Anspruch auf Grund und Boden zu rechtfertigen. Von besonderem Interesse ist die Neuentdeckung von drei Großgrabhügeln am Nordausgang der Siedlungskammer, etwa 2 500 m abgesetzt vom Gräberfeld „Kaisergarten“ und in der Nachbargemeinde Wintrich gelegen (Abb. 63). Einer der Hügel enthielt die Grabkammer eines Kriegers mit exklusiven Beigaben aus der Zeit kurz 400 v. Chr.337 Herausragender Fund ist ein Paradezaumzeug mit Brustgehänge für ein Reitpferd. Dies und die demonstrative Absonderung und Platzierung an einer exponierten Stelle am sogenannten Ausoniusweg, der römischen Verbindungsstraße von Trier nach Mainz, spricht für eine lokale Oberschicht der hier Bestatteten. Es stellt sich dann aber für die Zeit vor und nach 400 v. Chr. die Frage, was für eine Schicht sich in den übrigen Gräbern von Horath, bei denen eine herausragende Stellung nicht so offensichtlich ist, innerhalb der gesamten Sozialpyramide verbirgt. Horath ist ein Mosaiksteinchen der sogenannten Westlichen Hunsrück-EifelKultur und bloß drei Wegstunden von dem ebenfalls an der römischen Ausoniusstraße gelegenen römischen Vicus Wederath–Belginum entfernt. Dessen Gräberfeld ist das größte und bedeutendste im Moselgebiet und mit seinen über 3 000 keltischen und gallorömischen Gräbern noch lange nicht vollständig ausgewertet. Materialeditionen sind noch immer im Gange, weshalb sozialanthropologische Fragestellungen bis jetzt kaum über wissenschaftstheoretische Erörterungen hinaus gelangt sind.338 Ahnenkult stand bisher, soweit ersichtlich, noch nicht zur Diskussion, aber eine interessante Feststellung lässt sich gleichwohl machen. Die ältesten Elemente im Gräberfeld von Wederath sind mindestens sieben Grabhügel mit eher bescheidenen Ausstattungen aus dem 4. und 3. Jahrhundert v. Chr., um die herum sich die Flachgräber der nachfolgenden Generationen gruppierten. „Adelsgräber“ (unterdessen hat sich der wertneutralere Begriff „Prunkgräber“ eingebürgert) mit Wagen und Südimporten gibt es in der Nachbargemeinde Hundheim, und der von Alfred Haffner formulierte Satz, dass „je bedeutender der soziale Rang des Verstorbenen, desto größer auch die Aufmerksamkeit ist, die seinem Tode
336 Mahr/Miron 1981, Abb. 2, Taf. 71–78 und Beilage. 337 Nortmann et al. 2005. 338 Zuletzt Cordie 2007 und dort besonders Möller 2007, 97 f.
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geschenkt wird“ trifft in seiner Allgemeinheit in der Regel wohl zu, 339 solange nicht hinterfragt wird, welchen Inhaltes diese „Aufmerksamkeit“ ist. Aber auch hier stellt sich vorrangig die Frage nach der Größe der Gesamtbevölkerung, bevor man sich eine Vorstellung von deren Klassen machen kann. Haffner rechnete in seinem Arbeitsgebiet der Westlichen Hunsrück-Eifel-Kultur bei 4 000 noch existierenden Grabhügeln mit im Minimum 700 bis 1 000 gleichzeitig lebenden Menschen. Bei einer zwei- oder dreifachen Zahl ursprünglich vorhandener Hügel ergäben sich 2 000 bis 3 000 Menschen – selbst das eine Ziffer, die er für die damalige Gesamtpopulation noch immer für viel zu klein hält. Diese Berechnungen liefen immer unter der Annahme, dass jede verstorbene Person ein Grab erhält, das später in der Archäologie fassbar ist. Es drängt sich deshalb auch hier die Frage auf, ob mit der festgestellten Maximalzahl von 1 000 bis 3 000 Personen in den „Adelsgräbern“ und „einfachen Gräbern“ zusammen nur die Oberschicht erfasst ist, die sich ein Grab leisten konnte, das als Fixpunkt für den Kult über die Bestattungsfeiern hinaus gedient hat. Die Spuren solcher Kultausübungen am Grab sind mindestens andeutungsweise in Form von Brandplatten und Feuerstellen vorhanden, wenn auch nicht explizit als solche angesprochen.340 Nicht unbedeutend ist zudem die Feststellung, dass Prunkgräber besonders häufig an Orten mit Fernsicht und an wichtigen Verkehrsadern liegen, also jedenfalls leicht den Blicken von Vorübergehenden ausgesetzt waren.341 Neben Horath „Kaisergarten“ gehört das Gräberfeld von Münsingen zu den wichtigsten Referenzorten für Datierungsfragen der Latènezeit. Chronologisch ergänzen sich die beiden; in einem weiteren Punkt unterscheiden sie sich jedoch grundlegend, nämlich in der Qualität, was die Materialien der Grabbeigaben betrifft. Dies mag zwar auch lokale oder chronologische Gründe haben, bleibt aber auffällig. Das Gräberfeld „Rain“ bei Münsingen liegt im schweizerischen Mittelland, womit wir nun das Treverergebiet verlassen. Es wurde schon vor mehr als hundert Jahren ausgegraben, ist aber bis heute in mehreren Belangen einzigartig geblieben, wenn man es vergleicht mit andern Gräbern und Gräberfeldern der frühen und mittleren Latènezeit.342 Sein entscheidender Pluspunkt ist die doppelt abgesicherte relative Chronologie zwischen den absoluten Eckdaten von ungefähr 420 und 200 v. Chr. Innerhalb dieser 220 Jahre reihen sich die rund 220 Körpergräber von Frauen, Männern und Jugendlichen (einige wenige sind wohl dem Kiesabbau zum Opfer gefallen). Ungewöhnlich vielfältig und qualitativ hochstehend sind die Trachtausstattungen, zusätzliche Beigaben sind hingegen eher rar. Der Anteil an Fingerringen aus Gold und Silber, an Bernsteinperlen und Korallenapplikationen sowie an im Waldalgesheimstil verzierten Prunkfibeln ist durchgehend hoch (Abb. 65).
339 340 341 342
Haffner 1976, 146. 188–193. Haffner 1976, 162 f. 145 f. 118–120. Haffner 1976, 136; Nortmann et al. 2005, 195 f. Wiedmer-Stern 1908; Hodson 1968; Müller 1998.
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Abb. 65: Münsingen. Das kontinuierlich belegte Flachgräberfeld weist von Anfang bis zum Schluss Objekte mit bedeutendem Materialwert oder in qualitativ hochstehender Verarbeitung auf.
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Die ungewöhnliche Zahl von acht Goldfingerringen ist vielleicht durch die Nähe der Lagerstätten in den goldführenden Flüssen bedingt.343 Kaum weniger kostbar ist das Silber der 26 Fingerringe, einem Material, das mit größerem Aufwand aus dem Erz extrahiert werden musste. Der hohe Feingehalt des früh- und mittellatènezeitlichen Silberschmuckes erweckte den Eindruck, dass dieser „in der Regel aus reich ausgestatteten Gräbern stammt und damit vermutlich einer keltischen Oberschicht vorbehalten war“. Dies umso eher, wenn das Rohmaterial tatsächlich aus eingeschmolzenen Münzen gewonnen worden wäre, wie Birgit Schorer angenommen hat;344 zu jener Zeit war Münzgeld nicht jedermann zugänglich. Die über 200 Bernsteinperlen aus zehn Frauengräbern stammen kaum aus einheimischen Lagerstätten, sondern sind mit größter Wahrscheinlichkeit aus dem Baltikum importiert.345 Auch die Anzahl der qualitätsvoll verzierten Bronzefibeln ist einmalig, darunter ist eine erst kürzlich freigelegte eiserne Fibel mit goldplattiertem Nietkopf ein rares Stück.346 In einer Serie von metallografisch untersuchten eisenzeitlichen und frühmittelalterlichen Schwertern zeigten solche aus Münsingen Qualitäten, welche die Bearbeiterin anzunehmen veranlasste, dass „die außerordentliche Materialwahl und Technikbeherrschung bei der Fertigung ... möglicherweise auf die überdurchschnittlich hohe soziale Stellung der hier Bestatteten zurückzuführen“ sei.347 Kleidung und die Schmuckausstattung der Frauen waren in hohem Masse standardisiert, und zwar bereits bei sehr jungen Frauen, die wir heute als Mädchen bezeichnen würden,348 was man als Ausdruck eines Klassenbewusstseins deuten kann. Verschiedentlich wurden den Verstorbenen mehrere Fibelsets mit ins Grab gegeben (Abb. 66), was wohl daher rührt, dass die Frauen im Besitz von mehreren Kleidergarnituren waren. Wenn man bedenkt, wie kostbar Textilien in der ganzen Antike und bis in die frühe Neuzeit waren,349 so kann man auch diesen Anhaltspunkt als ein Zeichen bedeutenden Wohlstands verbuchen. Speisebeigaben sind selten nachgewiesen (vielleicht bei den frühen Ausgrabungen auch übersehen worden), umso bemerkenswerter sind die „Kälberschinken“ in drei Männergräbern aus der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr (Abb. 67): Dieses Privileg kam einem Erwachsenen von über 60 Jahren, dem einzigen Mann mit einem goldenen Fingerring, und zwei Kriegern zugute.
343 Waldhauser 1998. 344 Schorer 2009, 274. 345 vgl. dazu Beck 1986. 346 Grab 48 (Bernisches Historisches Museum Inv. 24 790), unpubliziert. 347 Senn 2005, 75. 348 Martin-Kilcher 1973. 349 In einem bäuerlichen Umfeld war der Besitz eines einzigen Kleidungsstückes während des Mittelalters das Übliche und jeder Stofffetzen von Wert. Die experimentelle Herstellung eines einfachen Wollkleides von der Schafschur bis zum Nähen erforderten einen Aufwand von 250 bis 300 Arbeitsstunden. Purrucker 1990, 77 f.
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Abb. 66: Münsingen. Frauen in vollständiger Tracht weisen oft mehrere Sets von Fibeln auf, was darauf hinweisen könnte, dass sie auch mehrere Kleidungsstücke für besondere Anlässe besaßen (4. bis 2. Jahrhundert v. Chr.).
Abb. 67: Münsingen. Mehrere Männer erhielten ihre Waffen mit ins Grab. Drei von ihnen waren mit Hinterschinken von Kälbern versorgt, von denen sich die Knochen erhalten haben.
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Wiederum ist die Lebendgemeinschaft, aus denen die Verstorbenen stammen, relativ klein. Sie schwankt je nach Zeitabschnitt und Berechnungsart um einen Mittelwert von zwei Dutzend Personen.350 Dazu kommt, dass aufgrund von epigenetischen Merkmalen eine biologische Verwandtschaft von einzelnen Mitgliedern von Anfang an bis zum Schluss ermittelt werden konnte.351 Einen neuen Aspekt in Bezug auf den Belegungsrhythmus des Gräberfeldes von Münsingen brachte Peter Jud ins Spiel.352 Seinen Untersuchungen zufolge verlief die Belegung nicht linear, sondern wellenförmig. Seiner Meinung nach gruppierte sich um das Grab von männlichen „Chefs“ und deren Frauen die direkte Nachkommenschaft, bis sich dann zwei bis drei Generationen später ein neuer Nukleus gleicher Art mit der entsprechenden Entourage bildete. Dies erweckt den Eindruck, dass über zwei bis drei Generationen hinweg in den Bestattungsbräuchen Bezug auf einen Vorfahren genommen worden ist. Weitere Hinweise für einen Ahnenkult oder für Kult am Grab ergeben sich nun auch bei der neuerlichen Durchsicht der Erstpublikation zu Münsingen „Rain“ von 1908.353 Die dort erwähnten „Kohlenstellen“ und „Kohlenhäufchen“ könnten mit Feuern und Mahlzeiten in Verbindung gebracht werden, falls es sich nicht um die inkohlten Überreste von hölzernen Grabmälern handelt, die ursprünglich vorhanden gewesen sein müssen, wenn man sich an die geschilderten Belegungsabläufe erinnert. Die Grabungstechnik zu Beginn des 20. Jahrhunderts war jedenfalls nicht in der Lage, archäologische Spuren solcher Art im Boden zu lesen; auch die Zonen neben und zwischen den einzelnen Gräbern blieben „unbekanntes Land“. Was dabei hätte übersehen werden können, zeigte sich bei späteren Ausgrabungen in den „Tägermatten“, ebenfalls in der Gemeinde Münsingen und 2 km vom „Rain“ entfernt. Hier fanden sich inmitten von frühlatènezeitlichen Gräbern vier Pfostenlöcher und in einiger Entfernung davon zwei weitere, die durchaus von einer Art Sakralbau oder einem Gestell zur Aufbahrung der Verstorbenen vor deren Beerdigung herrühren könnten.354 Die aufgelisteten Merkmale sprechen dafür, dass in Münsingen eine wohlhabende, traditions- und standesbewusste Sozialgruppe mit elitärem Charakter lebte, die ihren Status im Bestattungszeremoniell für ihre Mitglieder zur Geltung zu bringen wusste. Es sind die Voraussetzungen für einen Ahnenkult, zu dem es zumindest archäologische Indizien gibt. Diese Gruppe, die man als familia ansprechen darf, kann man sich kaum ohne politischen Einfluss vorstellen. In der vorausgegangenen Darstellung markieren exemplarische Prunkgräber unter Hügeln zwei chronologische Eckpfeiler, repräsentiert einerseits zum Beispiel im Fundort Clemency um 70 v. Chr. und andererseits im kurz erwähnten Wintrich
350 351 352 353 354
Nach den Formeln von Suter 1984, 88 f.; Berger/Matt 1994, 95; Hinton 1986, 358–361. Alt et al. 2005. Jud 1998. Wiedmer-Stern 1908, Nr. 2–4, 105, 118, 176 und 195. Osterwalder 1975, 28. Abb. 27, 28 und 38.
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um 400 v. Chr., das ebenfalls keine singuläre Erscheinung darstellt, wie wir noch sehen werden. Zwischen diesen beiden Klammern decken Horath und Münsingen die Zeit der Flachgräberfelder ab, die für die frühe und mittlere Latènezeit in weiten Teilen Mitteleuropas so typisch sind. Dieses „Flachgräberlatène“ des 4. bis 2. Jahrhunderts v. Chr. zeigt eine für vorgeschichtliche Epochen ungewöhnliche Kohärenz, was das archäologische Typenspektrum betrifft, wenngleich sich natürlich in Subregionen auch Unterschiede herausarbeiten lassen.355 Geografisch umfasst es einen Streifen quer durch Mitteleuropa von der Atlantikküste bis nach Siebenbürgen unter Einbezug einer südlich anschließenden Zone mit Zentralfrankreich, Oberitalien und dem nördlichen Balkan. Diese archäologische Einheit wird gemeinhin als das keltische Kerngebiet betrachtet. Wie ist das Fehlen von Prunkgräbern in dieser zeitlichen Zwischenphase zu deuten? Weder ist eine Verarmung der Bevölkerung, die keine Prunkgräber mehr hervorzubringen vermochte, anzunehmen noch ist die Entstehung einer egalitären Gesellschaft in Erwägung zu ziehen. Vielmehr kann man eine Führungsschicht postulieren, die sich in den Flachgräbern verbirgt, sich archäologisch aber kaum zu erkennen gibt, wie es weiter oben bereits angedeutet worden ist. Ein für diese Frage interessanter Hinweis liefert Jean-Paul Demoule in seiner groß angelegten Untersuchung der „Aisne-Marne-Kultur“, ist doch die Champagne ein Dichtezentrum von keltischen Gräbern (mit allerdings vielfach undurchsichtiger Entdeckungsgeschichte). Die einzelnen Gräberfelder beziehungsweise Siedlungseinheiten liegen zwar topografisch dicht beieinander, zerfallen aber in Qualitätsklassen: „Ces différentes communautés paraissent ... avoir un accès inégal ... aux matières premières (proportion des parures en bronze, en or, en ambre ou en verre) et aux objets de prestige (casque, char et harnachement orné, parures)“, wobei die beiden Klassen im Arbeitsgebiet keine Clusters bilden, sondern sich topografisch durchmischen. „Là encore, la distribution spatiale, entre groupements de ... nécropoles, ne semblait pas aléatoire, mais a permis de parler ‘d’inégalités’“,356 indem diese spezifischen Unterschiede in den Siedlungseinheiten und deren Bevölkerung zu suchen sind. Es gibt mit andern Worten Siedlungen mit vermögenderen und ärmeren Bewohnern – oder eben mit unterschiedlich einflussreichen Oberschichten. In der Folge wurde es in der französischen Forschung mit Verweis auf Demoule üblich, bei der Interpretation von frühlatènezeitlichen Gräberfeldern eine Rangierung der bestatteten Personen aufgrund von Beigabenkombinationen in vier Stufen vorzunehmen.357 Zwar ist das Vorgehen in sich stimmig und nachvollziehbar; es wurde jedoch nie hinterfragt, welche Position diese vier Stufen innerhalb der Gesamtheit aller lebenden Personen einnimmt. Einmal mehr stellt sich deshalb in
355 356 357 sehr
Eine der raren Übersichtsarbeiten Lorenz 1978. Demoule 1999, 209–213. 220. Zum Beispiel Desenne et al. 2010, 495–498. 630; Kaurin/Seguin 2013, 121–125. – Mit je einem reichen Frauengrab.
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Bezug auf den Ahnenkult die Frage nach der Größe des sozialen Segments, dem ein Grab zusteht, beziehungsweise nach der Größe der Gesamtbevölkerung. Zur deren Eruierung haben Jean-Paul Demoule und Stéphan Marion Gräberfelder aus den Regionen Aisne-Marne, Ile-de-France, Ardennes, Picardie und Bourgogne untersucht. Ihre eigenen Berechnungen liegen mit rund zwei bis vier Dutzend Personen pro Gräberfeld im Durchschnitt höher als sonst üblich; oft liegen sie aber auch beträchtlich darunter. Von vornherein wurde davon ausgegangen, dass mit diesen Zahlen die Gesamtheit der Bevölkerung durch alle soziale Schichten hindurch erfasst worden ist. Die archäologisch weitgehend fehlenden Kindergräber wurden auf 40 % veranschlagt und mitgerechnet, wodurch das Bild zusätzlich verunklärt wird.358 Ein zweites Dichtezentrum von früh- und mittellatènezeitlichen Gräbern umfasst den westlichen Teil des schweizerischen Mittelandes. Auch hier wurden bereits Versuche angestellt, die vorhandenen Gräber statistisch auszuwerten und die Jahresraten an Todesfällen zu eruieren. Da sich diese jedoch in Bruchteilen hinter der Kommastelle bewegen, kam die Vermutung auf, dass die bis jetzt geborgenen Funde nicht einmal annäherungsweise die ursprüngliche Bevölkerung reflektieren. Das impliziert jedenfalls die von Herbert Lorenz schon vor 35 Jahren vorsichtig formulierte Feststellung, die sich damals auf das Ganze und nicht nur auf Ostfrankreich und die Westschweiz bezog: „Aufgrund des gegenwärtigen Forschungsstandes kann man nicht völlig ausschließen, daß die Nekropolen der späten Hallstatt-, frühen und mittleren Latènezeit lediglich Bestattungsplätze einer gehobenen sozialen Schicht gewesen sind“.359 Dabei gibt es vereinzelt Kinder, die Anspruch auf ein Grab hatten. Am Hochund Oberrhein trägt in der Frühlatènezeit ein kleiner Prozentsatz von erwachsenen Frauen einen glas- oder korallenverzierten Halsring und besitzt auch sonst ein vollständiges Ringschmuckensemble. Auffällig ist deshalb ein kleines Mädchen in Gäufelden-Nebringen mit einem Scheibenhalsring für eine Erwachsene, dazu mit einem vollständigen Ringschmuck, der jedoch seiner Kindergröße entsprach. Das Mädchen war bei seinem Tod 5 oder 6 Jahre alt. Ausschlaggebend für die vollständige Tracht und auch das Begräbnis selber waren hier weder das Alter noch persönlich erworbene Verdienste an der Gemeinschaft, sondern der durch Geburt erlangte Status.360 Auffällig ist die vermehrte und weite Verbreitung von Schwertgräbern im 4. und 3. Jahrhundert vor Christus, obwohl selbst dann bei Weitem nicht jeder Mann in Waffen beerdigt worden ist. Die Mündung von rund 150 eisernen Schwertscheiden
358 Demoule 1999, 208–211; Marion 2004, 179–183 mit Fig. 109. 359 Kaenel 1998, 52–57; Lorenz 1980, 148. 360 Müller 1989, 76.
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a)
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b)
c)
d)
Abb. 68: Fast identische Motive auf Schwertscheiden zeugen von weiten Verbindungen und engen Kontakten der Träger in der Zeit um 300 v. Chr.: a) Montigny-Lencoup bei Paris; b) Ameglia bei La Spezia; c) Monte Bibele bei Bologna; d) Taliandörögd am Plattensee.
ziert ein Paar gegenständiger Fabeltiere, vielleicht Greifen, die in beinahe heraldischer Manier in abgestuften Abstraktionsgraden dargestellt sind.361 Ihre Verbreitung reicht von Südengland bis ins Karpatenbecken, wobei vier Exemplare in der Nähe von Paris, La Spezia, Bologna und am Plattensee fast identisch sind (Abb. 68). Die Kriegerschicht pflegte offenbar ein weitgespanntes Beziehungsnetz und verstand sich in einer gemeinsamen Symbol- und Zeichensprache. Da es kaum vorstellbar ist, dass ein „an die Scholle gebundener Landmann“ diese Voraussetzungen mitbringt, wird es diese kriegerische „Funktionselite“ sein, welche sich mit dem Schwert ihr Recht verschaffte. Eine interne Hierarchisierung dieser waffenführenden Oberschicht anhand von Quantität und Qualität der Grabausstattungen ist trotz Versuchen nicht befriedigend gelungen, jedoch wird sich in dieser Gruppe von Waffentragenden die Spitze der sozialen Hierarchie von Männern mit ihren Frauen verbergen, ohne dass sich diese archäologisch durch außerordentlichen Prunk und monumentale Grabhügel zu erkennen gibt (Abb. 69).362 Neben diesen archäologischen Indizien gibt es in den schriftlichen Quellen genug Hinweise für eine privilegierte Oberschicht auch im 4. und 3. Jahrhundert v. Chr. So kann man Tanja Panke-Schneider nur zustimmen, wenn sie folgert, dass sich zu jeder Zeit eine Hierarchisierung innerhalb der Gemeinschaften Mitteleuropas belegen lässt, „es immer Personen gegeben hat, die mehr Ansehen, Macht und Ruhm besaßen als andere ... und dass es auch innerhalb der im Tod durch Waffen als Krieger Gekennzeichneten noch besonders herausragende Persönlichkeiten gegeben haben muss“,363 oder mit andern Worten: Über den nobiles stand ein Kriegs-
361 Ginoux 2007; Müller 2014a, 31–33. 362 Panke-Schneider 2013, 231–233. 363 Panke-Schneider 2013, 250.
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Abb. 69: Dubnik (Slowakei). Gräber in geräumigen Kammern sind in der Zeit um 300 v. Chr. eine Seltenheit. Die Bewaffnung des Mannes und vor allem die überreiche Fleischbeigabe sind Ausdruck einer tonangebenden Oberschicht.
könig rex. Offenbar war diese tonangebende Oberschicht in ihrer Stellung gefestigt genug, um ohne übermäßigen Prunk und Pomp auszukommen – jedenfalls, was die Grablegungen betrifft. Dieses Bild ändert sich noch einmal vollkommen, wenn wir den nächsten Schritt zurück in die Tiefe der Geschichte tun in die Zeit um 400 v. Chr., aus der Prunkgräber wie das bereits erwähnte Wintrich bekannt sind.
Monumentalität und Qualität Es sind die Jahrzehnte um 400 v. Chr., in denen Ahnen- oder gar Heroenkult deutlich in Erscheinung tritt. Am Glauberg in der östlichen Wetterau und ganz am Rande der Keltike war das nicht so klar zu erwarten. Zwar war das Plateau des Glaubergs schon immer als archäologische Stätte bekannt, die monumentale Grabanlage an seiner Südabdachung blieb jedoch bis zum Jahre 1987 im Untergrund verborgen. Ihre Entdeckung schuf den Anlass zu umfangreichen Forschungen. Der Kern einer Geländearchitektur monumentalen Zuschnitts bildet ein Grabhügel von 48 m Durchmesser (Abb. 70).364 Ein rechteckiger Schacht genau in sei-
364 Frey/Herrmann 1997; Baitinger/Pinsker 2002; Glauberg 2008.
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Abb. 70: Glauberg. Der Prunkgrabhügel ist eingebettet in eine Geländearchitektur monumentalen Ausmaßes. Davon zeugen eine schnurgerade „Prozessionsstraße“ von 350 m Länge und weitere Grabensysteme (um 400 v. Chr.).
nem Zentrum blieb bei der Ausgrabung zwar fundleer, besaß jedoch wohl eine Funktion im Bestattungsritual. Randlich angeordnet sind ein Kammer- und ein Brandgrab. Die relativ kleine Kammer barg die Überreste eines 28- bis 32-jährigen Mannes mit einer Körpergröße von 169 cm. Ungewöhnlich sind die vorgefundenen Beigaben, nicht nur was ihre handwerklichen und künstlerischen Qualitäten, sondern auch was die Menge an Gold betrifft. Hervorzuheben sind die Kriegswaffen, nämlich Schild, Schwert und drei Lanzen, sowie ein Bogen samt Köcher mit Pfeilen. Rätselhaft blieben die eisernen Reste eines vorerst ungedeuteten Objekts, das
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Abb. 71: Glauberg. Prunkstück des Mannes im Hauptgrab ist ein goldener Halsring. Erkennungsmerkmal sind drei hängende Zapfen oder Knospen (vgl. Abb. 72).
in der Nähe des Schwertgriffs lag. Unter dem mehrteiligen Ringschmuck war der goldene Halsring das wertvollste Stück (Abb. 71). Eine bronzene Schenkkanne für Wein oder Bier wirkt für das Auge zwar pompös, taugte aber, da aus mehreren Stücken zusammengebaut, kaum für den Gebrauch.365 Weiter auffällig, wenn auch nicht schlüssig deutbar, bleibt ein Dreierset von Knotenarmringen, ein Typ wie er üblicherweise von Frauen getragen wird. Sie lagen beim rechten Unterarm des Toten.
365 Monica Bosinski, in: Baitinger/Pinsker 2002, 139–143.
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Die zweite Bestattung im selben Hügel war das Brandgrab eines ebenfalls nicht besonders großen Mannes zwischen 30 und 40 Jahren, dem jedoch ein „extrem kräftiger Körperbau“ mit „extrem derben Langknochen“ und „sehr starken Muskelansatzmarken“ attestiert worden ist. Zudem scheinen die beiden Männer miteinander verwandt zu sein.366 Unter den Begleitfunden finden sich wiederum Waffen (die Schwertscheide mit exquisiten Gravierungen), aber kein Schmuck aus Gold. Schwierig einzuordnen sind die Skelette einer Greisin und eines Kleinkindes von etwa 12 Monaten am Fuß des Hügels. Der gute Gesundheitszustand der Frau wird einer gesunden Ernährung, die einen hohen Sozialstatus impliziert, zugeschrieben. Einmalig ist die monumentale Gestaltung des Geländes (Abb. 70). Eine 350 m lange und 10 m breite „Prozessionsstraße“ führt schnurgerade auf den Hügel zu. Sie ist beidseits flankiert von einem rund 7 m breiten, steil geböschten Spitzgraben, der auch den Hügel kreisförmig umfängt. Am gegenseitigen Ende dieses Dammes gehen nach beiden Seiten die Grabenschenkel rechtwinklig ab und scheinen danach einen großen Teil des Hochplateaus des Glaubergs zu umrunden. Die nach der Ausgrabung wiederhergestellten Erdwerke hinterlassen durch den massiven Eingriff in das Gelände noch heute einen starken, landschaftsbeherrschenden Eindruck. Von größter Bedeutung für unser Thema sind die Fragmente von ursprünglich vier rundplastischen Figuren aus lokalem Buntsandstein, die im Kreisgraben lagen, der den Hügel umrundet (Abb. 72). Wo genau sie ursprünglich standen, ist nicht bekannt. Die eine ist bis auf die abgeschlagenen Füße fast vollständig erhalten; mit den Füßen wäre sie etwa ähnlich groß, wie die beiden im Hügel bestatteten Männer. Dargestellt ist ein Krieger im Kompositpanzer, bewaffnet mit Schild und Schwert und ausgezeichnet durch Ringschmuck am Ringfinger sowie an beiden Armen; am Hals trägt er eine Zierrat, dessen drei hängende Knospen oder Zapfen mit dem Goldschmuck des Mannes im Körpergrab übereinstimmen. Auf dem Kopf sitzt eine „Blattkrone“ mit zwei voluminösen fischblasenförmigen Aufsätzen. Sie verweisen auf eine zusätzliche Überraschung, nämlich auf die bereits erwähnten rätselvollen Eisenfragmente, welche in der Grabkammer auf dem Schwertgriff lagen. Bei deren sorgfältiger Freilegung im Labor entpuppte sich das Eisengestänge als das Stützskelett für eine lederne Blattkrone, die mit einem wohl organischen Material ausgestopft gewesen sein muss (Abb. 73).367 Halsring und Blattkrone scheinen tatsächlich die Insignien des hier begrabenen Mannes gewesen zu sein. Ein zweiter, etwas kleinerer Grabhügel erhob sich unter Ausnutzung einer niedrigen Geländekuppe im Winkel eines der Grabenschenkel. Er barg den dritten Bewaffneten mit einem goldenen Fingerring und einem goldenen Armring, der zahlreiche Tragespuren aufweist und demzufolge nicht ausdrücklich für die Grab-
366 Manfred Kunter et al., in: Baitinger/Pinsker 2002, 117. 367 Frölich 2006.
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Abb. 72: Glauberg. Das im Kreisgraben gefundene Standbild zeigt einen bewaffneten Krieger. Er trägt den im Grab des Mannes gefundenen Halsring (vgl. Abb. 71) und die „Blattkrone“ (vgl. Abb. 73).
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Abb. 73: Glauberg. Das im Grab gefundene Eisengestänge ließ sich zu einer mit Leder überzogenen „Blattkrone“ rekonstruieren, wie sie auch die Stele trägt (vgl. Abb. 72).
legung hergestellt worden ist. Das exklusivste Stück ist eine prunkvolle, übergroße Maskenfibel mit Korallenbesatz. Der junge Krieger verstarb im Alter zwischen 16 und 20 Jahren.368 Ein Grabengeviert von 11 × 12 m lag etwas abseits des Kreisgrabens. Wie die Pfostenlöcher an der nördlichen Grabenkante könnte es von einer Einrichtung stammen, die in einem Zusammenhang stand mit Bestattungs- und Kultfeiern, oder die zur Aufbahrung der Toten diente. Eine chronologische Reihung der drei Toten ist vorläufig nicht möglich, obschon man annehmen muss, dass sie in einer verwandtschaftlichen Beziehung zueinander standen. Und dass die drei auf dem Glauberg residiert haben, möchte man ebenfalls nicht bezweifeln, selbst wenn der mittlerweile ausgewertete umfangreiche Fundstoff aus den Siedlungsgrabungen nicht den geringsten Hinweis auf eine „fürstliche Hofhaltung“ liefert.369 Aber die großartige Gestaltung seiner Flanke förderte zweifellos den Glanz des Berges selber und seiner Bewohner. Die „Prozessionsstraße“ als Blickachse lenkte das Auge jedes Reisenden automatisch
368 Herrmann 2008, 89–107. 369 Baitinger 2010.
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auf den großen Grabhügel. Der Aufwand der Grablegungen und vor allem die Steinfiguren können sehr wohl als Zeugnis eines Heroenkultes gelten,370 obwohl darüber hinaus die erwarteten Spuren eines Kultes (Keramik- und Speiseabfälle, Brand- und Ascheschichten) fehlen. Die Darstellung des Toten samt seinen Herrschaftsinsignien in Stein ist das denkbar stärkste Mittel, um einer Person Ewigkeit zu verschaffen – jedenfalls für mindestens 2500 Jahre. Es verwundert deshalb nicht, wenn Fritz-Rudolf Herrmann in den Anlagen am Glauberg nicht einfach nur Gräber sieht, sondern das Bild eines „Olympia des Nordens“ heraufbeschwört.371 Realistischer gesprochen, widerspiegelt die Landschaftsarchitektur einen Kultort von zentralörtlicher Bedeutung mit den Heroengräbern als Kernpunkt. Dies würde aber auch heißen, dass die „Glauberger“ kurz vor 400 v. Chr. auf dem Höhepunkt ihrer Machtentfaltung angekommen wären, was aber in einem Gegensatz zu den Befunden auf dem Burgberg selber steht. Nach Holger Baitinger hatte zu diesem Zeitpunkt der Glauberg seinen Höhepunkt bereits überschritten.372 In diesem Fall wäre die extrovertierte Opulenz in den Gräbern eher ein Anzeichen für die bereits erodierende Macht der Herrscherfamilie.373 Das wohl reichste Grab einer Frau aus der Frühlatènezeit liegt in Reinheim im Saarland. Der Hügel von 23 m Durchmesser war durch den Sand- und Kiesabbau bereits stark in Mitleidenschaft gezogen, als die planmäßigen Ausgrabungen 1954 begannen.374 Die 3,5 × 2,7 m große Kammer barg eine Vielzahl einmaliger, herausragender Funde: edle Materialien auf prächtig gestalteten Fibeln, ein für seine Zeit ungewöhnlicher Armring aus Glas, ein opulentes Kollier aus 148 Bernstein- und Glasperlen samt magisch aufgeladenen Amuletten, ein Handspiegel mit Korallenzier sowie ein Service mit Röhrenkanne und zwei goldverzierten Trinkhörnern. Ein kompliziert gestalteter Griff aus Bernstein und einem Silberkettchen könnte nach Rudolf Echt von einem „Kultstab“ stammen, der bei rituellen Handlungen zum Einsatz kam. Der Grabbau, die reichen Beigaben samt magischem Instrumentarium wären dann Rang- und Funktionsabzeichen einer Fürstin und Priesterin.375 In besonderem Masse gilt das für den vorzüglichen goldenen Ringschmuck mit seinen plastischen Verzierungen. Die offenen Enden des Halsringes sind je als Menschenhäupter ausgestaltet (Abb. 74). Drei Quasten am Hals erinnern an die Kolben der Stele vom Glauberg; der Kopfputz trägt zwar keine fischblasenförmigen Blätter, sondern Gefieder oder Flügel und in der Mitte ein raubvogelartiges Getier. Die Tierbegleitung erinnert an die griechische Herrin der Tiere, eine Artemis, und auch für die
370 371 372 373 374 375
Frey 2004, 111; Baitinger 2010, 133. 136–138. Herrmann 2005, 26 f. Baitinger 2010, 137. Vgl. Childe 1945; Kossack 1974. Keller 1965; Echt 1999. Echt 1999, 200–222.
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Abb. 74: Reinheim. Ein goldener Halsring zeichnet seine Trägerin als eine Frau mit besonderen Funktionen aus. Die am Ringende dargestellte Person trägt einen Vogelhelm und einen Halsschmuck mit drei Quasten (um 380 v. Chr.).
technische Fertigung finden sich die besten Vergleiche im mediterranen Raum. Falls man, was die Motive betrifft, einer flüchtigen Übereinstimmung zwischen Glauberg und Reinheim vielleicht noch zustimmen könnte, so bleibt deren Deutung im Einzelnen unklar. Ist eine Göttin dargestellt oder eine dieser Göttin nahestehende, verstorbene oder lebende Person, eine Priesterin oder Heroin, die Besitzerin der Schmuckstücke selber? Man kann es nicht wissen. Auch der Mensch mit Pferdekörper auf dem bronzenen Deckel der Röhrenkanne von Reinheim trägt eine Blattkrone wie der Fürst vom Glauberg, was die Deutung des Motivs ebenfalls nicht gerade erleichtert. Die drei delikat gearbeiteten Ringe befinden sich soweit ersichtlich in einem hervorragenden Erhaltungszustand; viel getragen wurden sie offensichtlich nicht. Deutliche Anhaltspunkte für einen Kult am Grab gibt es keine; dazu war bei Grabungsbeginn die ganze Umgebung bereits zu stark gestört. Eine erst im Nachhinein im Grabungsprofil diagnostizierte, 3 m breite Erdschüttung könnte von einem
Monumentalität und Qualität
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Damm stammen. Solche Dämme werden andernorts als Prozessionswege gedeutet, die Grabhügel miteinander verbanden oder auf diese zuführten,376 ähnlich der „Prozessionsstraße“ vom Glauberg. Die in Reinheim fehlende Steinabdeckung der Grabkammer wurde als schwacher Hinweis gedeutet, dass die Verstorbene den Hinterbliebenen keine Furcht einflößte und nicht als Wiedergängerin mit Steinen beschwert werden musste, sondern dass sie zu den „guten, den hilfreichen Toten gerechnet wurde“, deren Beistand vielleicht sogar erwünscht war.377 Da die beiden Gräber vom Glauberg und von Reinheim zeitlich kaum mehr als eine oder zwei Generationen auseinanderliegen, könnten den beiden verstorbenen Personen auch ähnliche Funktionen als Heroen zugedacht worden sein. Manches, was ihre Grablegungen betrifft, würde dafür sprechen. Der Hügel von Reinheim liegt nicht in einer topografisch exponierten Lage, sondern im Tal in einer weiten Schleife der Blies. Im selben Flussbogen liegt aber auch der schon vorher bekannte römische Vicus von Bliesbruck, wo bei Tiefengrabungen in jüngerer Zeit vermehrt hallstatt- und frühlatènezeitliche Siedlungsspuren zutage traten.378 Der Grabhügel selber liegt in unmittelbarer Nähe der villa urbana, einer sogenannten Palastvilla größeren Umfanges. Innerhalb dieses engen, aber dauerhaft belegten Siedlungsraumes in den Flussschleifen der Blies könnte sich auch der Wohnsitz der „Dame“ von Reinheim befunden haben. Walter Reinhard wurde jedenfalls den Verdacht nicht los, „im Eigentümer der bei dem keltischen Fürstinnengrab liegenden römischen Großvilla einen Rechtsnachfolger der frühkeltischen Fürstin“ zu vermuten379 – oder jedenfalls einen Grundeigentümer, der sich als Rechtsnachfolger gebärdete. Einer der leider zu früh im 19. Jahrhundert angegrabenen Prunkhügel ist das „Kleinaspergle“ bei Asperg in der Nähe von Stuttgart. Mit seinen 60 m im Durchmesser ist er ein eindrückliches Beispiel für die Mächtigkeit einer solchen Anlage, besonders wenn sie sich selber noch auf einem natürlichen Höhenrücken erhebt.380 Das „Kleinaspergle“ wurde 1879 im Untertagbau mit einem Stollenvortrieb angegangen, der vom Rand gegen die Hügelmitte vorstieß. Trotz dieser eher unkonventionellen Methode erkannten die Ausgräber doch zwei Grabkammern, auf die man allerdings eher zufällig stieß. Damit sind allerdings wohl noch lange nicht alle Geheimnisse gelüftet, denn weitere Nachbestattungen konnten auf diese Art in der geräumigen Erdaufschüttung gar nicht erfasst werden. Die größere Kammer von 4 × 5 m im Zentrum war bereits ausgeraubt; die etwas kleinere blieb jedoch unversehrt, und die ans Tageslicht beförderten Funde erwie-
376 377 378 379 380
Echt 1999, 28. 141–143; Haffner 2013. – Ferner Haffner 1976, 115. Echt 1999, 214. Sărăţeanu-Müller 2007. Reinhard 2012, 1572. Kimmig 1988.
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sen sich als wichtige Zeugnisse für die frühe keltische Kunst im sogenannten Frühen Stil. Besonders beeindruckend ist ein mehrteiliges Trinkgeschirr, bestehend aus einheimischen und aus in Etrurien hergestellten Bronzegefäßen, die vielleicht für Bier und Wein benutzt worden sind. Offenbar für ein Gelage mit zwei Personen war das Paar Trinkhörner gedacht, von denen sich nur noch die Spitzen aus Gold erhalten haben, sowie zwei rotfigurig bemalte Schalen, die um 450 v. Chr. in einer Athener Werkstatt hergestellt worden sind. Eine goldplattierte Zierscheibe war ursprünglich wohl auf Leder montiert. Solche wie Auszeichnungen wirkende Goldschmiedearbeiten kommen üblicherweise in Gräbern zusammen mit Schwertern vor und scheinen auf „eine kleine Gruppe männlicher Privilegierter“ zu deuten. Mindestens so reich wie die kleinere muss die größere, bereits in der Antike beraubte Kammer ausgestattet gewesen sein. Wolfgang Kimmig ging davon aus, dass hier zwei Persönlichkeiten nebeneinander lagen, „die der gleichen Generation, dem gleichen Familienverband angehört haben“.381 Bereits bei den Tunnelarbeiten fielen „Bodenarten mit Asche und Kohle untermengt“ auf, und bei Nachuntersuchungen waren zerstreut verbrannte Knochen, kleinste Teile gebrannten Lehms und Holzkohleflitter eine kurze Erwähnung wert. „Offenbar handelte es sich um eine Opferfeuerstelle“, die man als letzte Überreste von Kultopfern oder Kultmählern am Grabhügel deuten könnte, wenngleich man sich eine etwas ausführlichere Beschreibung des Befundes gewünscht hätte, um Sicherheit zu erlangen. Die Hügelspitze soll eine Steinstele gekrönt haben, die aber heute als verloren gilt.382 Das „Kleinaspergle“ liegt im Angesicht des Hohenaspergs (Abb. 75), der schon immer als „Fürstensitz“ gehandelt worden ist, obschon archäologische Funde auf dem mächtig aufragenden Tafelberg kaum zum Vorschein kamen – zu häufig wurde bis in jüngste Zeit hinein auf seiner Fläche gebaut und umgebaut. Etliche Prunkgräber rundum bilden allerdings ein Beziehungsgeflecht, in dem das „Kleinaspergle“ der jüngste und einzige Prunkgrabhügel aus der Frühlatènezeit in BadenWürttemberg darstellt – neben all den übrigen aus der älteren Eisenzeit. Damit werden Fragen aufgeworfen, denen im folgenden Kapitel der Hallstattzeit nachgegangen werden soll. Vorerst, nachdem bis anhin immer die Rede von „Fürsten“ und „Prunkgräbern“ die Rede war, soll nun auf die einfachen Leute und deren letzte Ruhestätten eingegangen werden.
Wo bleibt das Volk? Mehrfach haben sich Forscher trotz unterschiedlicher Herangehensweise skeptisch darüber geäußert, ob in der Vorgeschichte alle Menschen ein Grab in unserem mo381 Kimmig 1988, 216–219. 82. 382 Kimmig 1988, 63 f.
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Abb. 75: Hohenasperg. Der Grabhügel „Kleinaspergle“ mit seinen reichen Funden um 430 v. Chr. liegt in Sichtweite zum Hohenasperg, auf dem man einen Fürstensitz annehmen muss.
dernen Sinne erhalten haben. Einige wurden auf den vorausgegangenen Seiten bereits zitiert. Dass das Vorgehen bei Bestattungen selektiv hätte gewesen sein können, zeigt alleine schon die objektive Untervertretung der Kinder in den latènezeitlichen Gräberfeldern. Selbst wenn man die noch im Boden verborgenen und die bereits zerstörten Gräber mitberücksichtigt, muss noch ein sozialer Filter für die niedrige Zahl von archäologisch erfassten Gräbern im Spiel sein. Diesen Faktor zu definieren, ist allerdings auch deshalb schwierig, da uns statistische Angaben über die Gesamtbevölkerung fehlen. Wir sind deshalb auf Indizienketten, Analogieschlüsse und Modelle angewiesen.383 Eine gewisse Anzahl von Menschen wurde eventuell kremiert oder erfuhr sonst eine Behandlung, bei der die Überreste kein Grab in der für uns bekannten Form erhielten. Verbrennungsplätze unmittelbar neben Prunkgräbern sind mehrfach bekannt und ihre Wechselbeziehung dann offensichtlich. Eher selten begegnet uns ein Kremationsplatz größeren Ausmaßes, der in keinem sichtbaren Zusammenhang mit Prunkgräbern steht. Ein in seiner Deutlichkeit ziemlich einmaliger Befund lieferte das sogenannte Heidetränk-Oppidum nordwestlich von Frankfurt. Mit seinen 130 ha gehört es zu den großen spätlatènezeitlichen Oppida mit vermutlich „sehr vielen Bewohnern“. Unmittelbar neben einem der sechs Zangentoren förderten
383 Trebsche et al. 2007; Müller 2014b.
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Raubgrabungen Metallteile zutage. Von größerem wissenschaftlichem Wert ist hingegen der über eine Fläche von rund 100 m2 verteilte Leichenbrand von Männern, Frauen und Kindern, die an Ort und Stelle verbrannt worden sind. Die größeren Knochenteile wurden aus dem Leichenbrand ausgelesen; was mit ihnen dann geschah, ist unsicher. Die Autoren rechnen damit, dass sie in normalen Gräbern beigesetzt wurden, von denen drei tatsächlich innerhalb des Kremationsplatzes lagen. Münzen und stark zerschmolzene Bronzeteile stammen von Gefäßen, Pferdegeschirr und eventuell von Kästen und Truhen, was den Verdacht aufkommen lässt, dass hier nicht die ärmsten Bevölkerungsteile kremiert worden sind. In einem der drei Gräber fand sich gar ein eiserner Schildbuckel. Sehr vage sind die Hochrechnungen, die mit 140 bis 440 Brenndurchgängen bei einer geschätzten Bevölkerung von 1 000 +/– 200 Köpfen rechnen. Kaum zufällig ist die Platzwahl vor der Stadtmauer, am Tor und unmittelbar neben der Straße. Selbstverständlich kann man bei einem Oppidum dieser Größe weitere Kremationsplätze und Gräber dieser Art nicht ausschließen. Damit ist ein besonderes Problem bei den spätkeltischen Großsiedlungen angedeutet, nämlich die oft in den Wohngebieten selber gefundenen Menschenknochen, bei denen man vorab auf eine Geringschätzung dieser Toten schließen könnte. Im bestuntersuchten Oppidum in Manching sind es nach jahrzehntelangen Grabungen weit über 5 000 menschliche Gebeine.384 Zum größten Teil sind es Einzelknochen, darunter manche Schädel, aber auch Teilskelette, die in Kombination mit andern Funden wie Gräber wirken (Abb. 76). Teilskelette sowie verschleppte Einzelknochen könnten auch das Endstadium einer mehrstufigen Bestattungsweise sein, was genau das Gegenteil einer Geringschätzung wäre. Das Problem ist in Manching insofern noch nicht abschliessend diskutiert, als zwei Grabgruppen mit insgesamt 65 „regulären“ Körpergräbern innerhalb und außerhalb des Oppidums liegen.385 Mit ihren Waffen und dem oft mehrteiligen Bronzeschmuck wirken die Ausstattungen nicht ärmlich. Was es mit den beiden unterschiedlichen Vorgehensweisen auf sich hat, bleibt im Dunkeln. Jedenfalls findet die Manchinger Konstellation in den letzten Basler Forschungen zu diesem Thema nur geringen Widerhall.386 In der Siedlung „Gasfabrik“ wurden 27 oder 28 mehr oder weniger vollständige Skelette in Gruben gefunden, die aufgrund der Verteilung von Objekten mit Prestige- und Statuscharakter innerhalb der Siedlung als „Elite“ definiert worden sind. Ihnen stehen zwei Gräberfelder mit gegen 200 Bestattungen (die angegebenen Zahlen schwanken beträchtlich) außerhalb der Siedlung gegenüber, die sich angeblich aus Mitgliedern der „breiten Be-
384 Zuletzt Erwin Hahn, in: Sievers et al. 2013, 669–704. 385 Krämer 1985, 71–99 mit Taf. 1–36. 386 Mit unterschiedlichen Ansätzen, Methoden, Zielen und Resultaten Hecht et al. 2007; Jud 2008, 147–160; Pichler et al. 2013.
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Abb. 76: Manching. Innerhalb des Oppidums kamen mehrere Tausend menschliche Gebeine zum Vorschein, teils als Einzelknochen, teils im Verband, darunter viele Schädel.
völkerung“ rekrutieren, wobei auch „Gräbchengevierte“ beziehungsweise Grabgärten erwähnt sind. Beide Gruppen sind relativ klein, wenn man sie in Relation zu der doch zu einem großen Teil ausgegrabenen Siedlungsfläche setzt. Jedoch steht die Interpretation der Einzelknochen noch aus, die in beträchtlicher Menge in den Gruben einsedimentiert waren. Sie sollen angeblich von 130 Individuen stammen. Stringenter sind die Ausführungen zu den „irregulären“ Bestattungen am Glauberg, unter anderem auch weil sie in einem Konnex mit den dortigen „Fürstengräbern“ stehen beziehungsweise deren Gegenpol darstellen.387 Bei punktuellen Ausgrabungen im nahen Umfeld des Burgbergs kamen in Kegelstumpf- oder Silogruben 22 Skelette zum Vorschein, die den Eindruck erwecken, als ob die Verstorbenen achtlos in die offenen Gruben geworfen worden seien (Abb. 77). Sie trugen verschiedene pathologische Erscheinungen, wie sie bei schweren körperlichen Überlastungen auftreten. Diese Lebenden ernährten sich, im Gegensatz zum „Fürsten“, der viel Fleisch aß, mehrheitlich von Hirse und anderen Getreidearten. Damit in Übereinklang stehen eine ortsfremde Herkunft und wohl auch die fehlenden verwandtschaftlichen Beziehungen untereinander. Metallschmuck ist zwar vorhanden, wurde aber als Einzelstück getragen und steht damit in einem Gegensatz zu den zum Beispiel in Münsingen festgestellten vollständigen Trachtensembles mit
387 Meyer et al. 2013; Knipper et al. 2014.
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Abb. 77: Glauberg. Auffallend in den Siedlungsstrukturen am Fuße des Glaubergs sind Gruben, in denen Skelette liegen, die den Eindruck erwecken, als ob die Toten achtlos hineingeworfen worden wären.
sogar mehreren Fibelsätzen, die auf mehrere Kleider schließen lassen.388 Dieser bescheidene Schmuck wäre nach Meinung der Autoren „nicht als Indikator für den sozialen Status zum Todeszeitpunkt anzusehen, sondern als Relikt des ehemaligen Status in der Ursprungsgemeinschaft“, womit das letzte Argument eingebracht ist, dass es sich bei den in die Silos geworfenen Toten um Unfreie oder eben Sklaven gehandelt hat.389 Ohne den rechtlichen Status genau zu definieren, muss man diese Personen auf jeden Fall zum breiten Sockel der sozialen Stufenpyramide der damaligen Zeit zählen. Die mangelnde Vorbereitung auf den Tod zeugt von einer wenig hoffnungsvollen oder sogar gar keiner Anderswelt. Und ganz im Gegensatz zur fürstlichen Monumentalarchitektur steht auch kein auf Dauer gekennzeichneter Ort zur Verfügung, wo ein Ahnenkult hätte stattfinden können.
388 Martin-Kilcher 1973. 389 Meyer et al. 2013, 435.
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*** Im spätkeltischen Gallien sind Grabhügel, die ihre Monumentalität zum Teil bis heute bewahrt haben, ein Mittel der sozialen Distinktion. Ihre exponierte Lage in der Landschaft einerseits oder die vornehme Isolierung in Grabengevierten andererseits sind zusätzliche Mittel, um Exklusivität darzustellen (Abb. 78). Bei den bestatteten Männern sind die schwere Bewaffnung und ein bisweilen diagnostizierter athletischer Körperbau die Kennzeichen für im wörtlichen Sinne herausragende Personen und Persönlichkeiten, denen nach dem Tode eine besondere Verehrung durch die Hinterbliebenen zuteil wurde. Dabei stehen die Frauen in den Prunkgräbern nicht zurück. Wenn ihre physiologische Erscheinung auch weniger Ausgeprägt ist, so müssen andere Qualitäten den Ausschlag gegeben haben. Der Aufwand der Bestattungsfeierlichkeiten von der Kremation bis zur Verköstigung der Trauernden war laut den archäologischen Spuren in Form von Brandplätzen und Scherbenteppichen mehr als beträchtlich. Bei optimalen Erhaltungsbedingungen können Totenspeisungen und Opferkulte während mehrerer Generationen über die Grablegung hinaus festgestellt und als die Zeichen für einen übersteigerten Ahnenkult im Sinne eines Heroenkultes gewertet werden. Die Aufrechterhaltung der Tradition lag im Interesse eines engeren Familienkreises, dem es auch zustand, in der Nähe des verehrten Ahns bestattet zu werden. Dadurch wird ein solcher Friedhof in einem verallgemeinernden Sinne zu einem limitierten Bestattungsareal „von Persönlichkeiten aus der Spitze einer sozialen Pyramide“, und die Kategorie der Prunkgräber macht nur gerade 0,53 % aller Gräber aus.390 Nicht zum ersten und kaum zum letzten Mal im Laufe der Geschichte ist es der Landbesitz und die Erwirtschaftung von Überschüssen, welche die Vormachtstellung einer solchen Aristokratie gewährleisten.391 „Dieser Ritteradel, hochgesinnt, prahlerisch, glänzend, mit großen Worten und großen Taten, und bis zum Übermaß mutig, tritt uns als typisch für das Gallien des 1. Jahrhunderts entgegen ... Es bedarf kaum mehr eines Hinweises, dass wir bei manchen dieser Eigenarten und Worte meinen könnten, schon französische Ritter des Mittelalters vor uns zu haben“ (bei denen die Ahnenehre ja ebenfalls einen Eckpfeiler des eigenen Standesbewusstseins darstellte), wohingegen die keltische plebs kaum in der Lage war, genealogische Traditionen aufrechtzuerhalten, geschweige denn die Möglichkeit besaß, sich Begräbnis und Grab zu leisten.392 Aus dem niederen und höheren Landadel setzten sich wohl die Reitertruppen zusammen, die Caesar in seinen Kommentaren zum Gallischen Krieg wiederholt erwähnte;393 diese Aristokratie alleine besaß
390 Gleser 2005, 252 (bezogen auf Hoppstädten-Weiersbach) und 415 (bezogen auf die HunsrückEifel-Kultur). 391 Metzler-Zens/Metzler 1998, 421–424. 392 Dobesch 1996b, 58. 65–69. 393 Zum Beispiel Caes. gall. 4, 24, 3 oder 5, 3, 1.
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Abb. 78: Bouranton. Die Rekonstruktionszeichnung illustriert die Vorstellung, dass ein mit Graben und Palisade gesicherter Grabgarten einen exklusiven Raum markiert, den zu betreten nicht jedermann erlaubt war.
die Mittel, Reittiere und Pferdegespanne zu halten, und hatte die Muße, diese für den Kampfeinsatz zu trainieren. Im 4. bis 2. Jahrhundert ist das archäologische Bild vollkommen verschieden zu der vorausgehenden (und auch der nachfolgenden) Phase, indem Grabhügel und Prunkausstattungen ausbleiben. An ihre Stelle treten zahlreiche kleinere und größere Flachgräberfelder, die nur zum Teil überdurchschnittliche Ausstattungen einschliesslich ansehnliche Fleischrationen aufweisen. Andere verfügen über eher bescheidene bis sehr bescheidene Mengen an Metallen und anderen kostbaren Gütern.394 Als eine weitere Qualitätskategorie kommt bei einzelnen Gräbergruppen die mehrhundertjährige Kontinuität hinzu beziehungsweise die Konstanz, mit der sich einzelne Verbände an der Macht zu halten vermochten. Es scheinen sich unterschiedliche Facetten einer Führungsschicht abzuzeichnen, denn dass diese Gräber die Gesamtheit der Bevölkerung repräsentieren sollen, wurde immer wieder bezweifelt 395 und bleibt unwahrscheinlich. Da sich die Grabschächte kaum einmal
394 Demoule 1999, 209–213; Eggl 2009, 328 f. 395 Eggl 2009, 326–328.
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überschneiden, müssen auch diese Gräber obertägig mit einer Markierung versehen gewesen sein, die als Erinnerungsmal diente, an dem Kultfeiern zwar hätten abgehalten werden können, die jedoch keine archäologischen Spuren hinterlassen haben. Das ist insofern nicht verwunderlich, als die Erosion hier stärker einwirken konnte als an einem Hügelfuß, wo sogar die Chance besteht, dass herabfließende Sedimente die Reste von Kulthandlungen überdecken. Bisweilen sind einzelne Gräber oder Gräbergruppen mit der gleichen Art Grabengevierte ausgezeichnet, wie sie auch den Heiligtümern der Picardie eigen sind, und dort wohl mit einem gewissen Recht als Abgrenzung zwischen der profanen und der sakralen Welt interpretiert werden.396 Andererseits gewähren Palisadenwände auch einen Sichtschutz und bieten damit den im Innern handelnden Personen eine Aura der Exklusivität (Abb. 78). Und insofern der Personenkreis mit Kenntnissen im Umgang mit dem Sakralen – sei es nun Götterkult oder Heroenkult – sich auf eine Oberschicht beschränkte, stellten Wall und Graben auch eine soziale Schranke dar, die nicht so leicht überwunden werden konnte. Dies würde ziemlich genau mit den gesellschaftlichen Normen im hellenistischen Griechenland übereinstimmen.397 Neu zu überdenken wären die „Heiligtümer“ in der Picardie mit ihren zahlreichen Waffen, an deren Ursprung wohl in erster Linie ein Heroenkult gestanden hatte. Es braucht wenig Fantasie, genau in diesen Kriegsherren mit der ihnen verbundenen Gefolgschaft die Triebfedern für die keltischen Invasionen und die Ausweitung der Latènekultur im 4. und 3. Jahrhundert zu sehen. Ohne charismatische Führerpersönlichkeiten wären solche Unternehmungen nicht möglich gewesen.398 Es bietet sich deshalb an, in den Flachgräberfeldern die Ahnen und Urahnen derjenigen Nobilität zu sehen, der sich Iulius Caesar im Gallischen Krieg gegenüber sah.399 Im 4. bis 3. Jahrhundert v. Chr. scheinen die Sozialverhältnisse nicht infrage gestellt gewesen zu sein: Es ist die Zeit keltischer Machtentfaltung, der größten Ausbreitung der Latènekultur und der kreativsten Phase in der keltischen Kunst. Weiter zurück, in der Zeit um 400 v. Chr., sind es dann wieder reich ausgestattete Grabhügel, mit denen sich die Nobilität als Grundbesitzer und Kriegsherren ein Denkmal setzte.400 Sie sind chronologisch die Fortsetzung der Prunkgräber der zeitlich vorausgehenden Hallstattzeit, die dann im folgenden Kapitel behandelt werden. Der stärkste Ausdruck für Heroenkult findet sich am Glauberg, wo für einmal auch die Menschen am unteren Ende der Skala, denen nach dem Tod niemand nachtrauerte, fassbar geworden sind. Was jedoch fehlt, ist hier wie überall die verlässliche Grenzziehung zum weiten sozialen Mittelfeld.
396 397 398 399 400
Brunaux 2000. Vgl. Müller 2007, 363. 369. 373. Zum historischen Hintergrund Dobesch 1996b, passim. Müller et al. 2008. Metzler-Zens/Metzler 1998, 425.
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Schmuck und Tracht, und dazu gehören bei den Männern auch die Waffen, waren im Leben die Zeichen für die Stellung, welche eine Person innerhalb der Gesellschaft wie auch nach dem Tod im Jenseits innehatte. Ahnenkult wirkt als eine Bestätigung dieses Sachverhalts, den die Hinterbliebenen je nach ihrem Einfluss verstärkt zum Ausdruck zu bringen vermochten. Ahnenkult wie Heroenkult sind insofern auch Elemente einer vorgeschichtlichen Sozialgeschichte.
8 Hallstattzeitliche Fürstinnen und Fürsten Heroinnen Die frühlatènezeitlichen Prunkgräber sind die konsequente Fortsetzung einer vorausgegangenen hallstattzeitlichen Bestattungsform; unter dem Aspekt der Eliten existiert kein Bruch zwischen der älteren und der jüngeren Eisenzeit. So haben auch die reichen Frauengräber der Frühlatènezeit ihre hallstattzeitlichen Vorgängerinnen. Das weitaus berühmteste liegt am Fuße des Mont Lassois am Oberlauf der Seine und gehörte der „Dame de Vix“ .401 Die hier mit großem Pomp beigesetzte Frau verstarb in einem fortgeschrittenen Erwachsenenalter von etwa 30 bis 55 Jahren. Mit ihrer Körperhöhe von rund 163 cm unterschied sie sich nicht von ihren Zeitgenossinnen. Ihre Knochen weisen verschiedene Anomalien auf, die von Krankheiten und Behinderungen herrühren. Inwiefern sich diese im wirklichen Leben äußerten und sichtbar waren, wird von den verschiedenen Spezialisten unterschiedlich beurteilt. Auch das Geschlecht der Toten wurde in der Vergangenheit wiederholt infrage gestellt; eine paläogenetische Analyse entschied unterdessen eindeutig für weiblich.402 Sowohl der Grabhügel mit seinen 42 m Durchmesser wie die relativ kleine Grabkammer besaßen keine ungewöhnlichen Dimensionen und stehen damit ganz im Gegensatz zur Bedeutung des Fundgutes, das im Jahre 1953 leider wenig sachgemäß geborgenen worden ist. Herausragend ist der Riesenkrater, das größte aus der Antike erhaltene Bronzegefäß. Er war ziemlich genau gleich hoch wie die Verstorbene selber, wog 209 kg und fasste rund 1100 l. Herstellungsort war wohl Großgriechenland. Sein Transport nach Norden geschah in Einzelteilen, ehe diese an Ort und Stelle wieder zusammengebaut worden sind. Von seiner Form her handelt es sich um ein Mischgefäß für Wein, was aber in keltischen Landen darin angesetzt worden ist, bleibt unbekannt. Das zugehörige Trinkservice umfasst zwei attische Schalen (Datierung 530 bis 520 v. Chr.), eine etruskische Schnabelkanne sowie drei flache Bronzebecken. Eine Phiale mit vergoldetem Omphalos ist das bis anhin älteste Silbergefäß nördlich der Alpen und wurde nach heutigem Wissensstand wohl auch da hergestellt. Ihre Form und Funktion als flache Spendeschale für Libationen ist aus dem griechischen Raum wohlbekannt. Ein weiterer Höhepunkt in diesem sehr speziellen Ensemble ist der goldene Halsschmuck von singulärer Form. Er wiegt fast ein halbes Kilo. Aus dem voluminösen Ringkörper herauswachsende Löwenpranken halten die kugeligen Enden. Seiner ungewöhnlichen Form wegen wurde das Geschmeide zuerst als diademartiger Kopfschmuck gedeutet; als Hals-
401 Rolley 2003. 402 Verschiedene Autoren, in: Rolley 2003, 28–56.
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ring getragen, kommen die Kugelenden aber gut auf die Schlüsselbeine einer Frau zu liegen. Trotz seiner Singularität wird der Ring als ein einheimisches Produkt betrachtet. Technische Eigenheiten verweisen aber auch auf die Iberische Halbinsel, und natürlich sind die beiden geflügelten Pferdchen zu beiden Seiten klare Verweise auf den Pegasus der griechischen Mythologie. Bemerkenswert bezüglich ihrer Herkunft sind die vielfältigen Materialien, die bei der Schmuckherstellung verwendet worden sind: Bernstein und Lignit für Armringe, Bernstein und Koralle als Fibelauflagen sowie Perlen aus Bernstein und zudem – ganz ungewöhnlich – aus Serpentin und Diorit. Schließlich besitzt der Wagen, auf dem die Tote ausgestreckt lag, exquisite technische Details, sodass das rekonstruierte Fahrzeug auf den heutigen Betrachter geradezu elegant wirkt.403 Der Wagenkasten mit dem Leichnam stand in der Mitte der Kammer, während sich die vier demontierten Räder der Kammerwand entlang aufreihten. Die Auswahl der hier erwähnten Beigaben und der persönliche Schmuck zeugen von Luxus und vor allem auch von einem weitgespannten Beziehungsnetz, was den Austausch von Waren und von Ideologien betrifft. So bekundet zum Beispiel der mächtige Krater einen beträchtlichen Repräsentationsaufwand und die Verköstigung einer großen Gästeschar, wobei sich noch immer die Frage stellt, ob bei einer vollständigen Füllung des Riesengefäßes seine Wände dem Druck überhaupt standhalten würden. Aber selbst als bloßes Renommierstück hätte das Ungetüm bei entsprechender Inszenierung seine Wirkung aufs Publikum kaum verfehlt. Neben einer politischen Führungsrolle wird dieser Frau auch eine religiöse Funktion attestiert, wobei diese beiden Aufgaben in einer archaischen Gesellschaft schwerlich auseinanderzuhalten sind. Jedenfalls legt die silberne Phiale in ihrem Grab nahe, dass die Frau zu Lebzeiten wichtige kultische Handlungen zu vollziehen hatte. Ob sie darüber hinaus als Priesterin im eigentlichen Sinn anzusehen ist, steht weiterhin zur Diskussion.404 Der Mont Lassois, an dessen Fuß der „tumulus princier“ liegt, ist ein hoch aufragender Tafelberg inmitten der sich hier weitenden Talebene der Seine. Er ist optimal positioniert innerhalb der europäischen Wasserverkehrswege: Die Seine aufwärts kommend gelangt man von hier aus über die Landbrücke des Plateau de Langres in das Saône-Rhône-System bis nach Marseille am Mittelmeer – und natürlich auch umgekehrt. Es erstaunt deshalb nicht, dass an diesem Platz für die ganze Bronze- und Eisenzeit archäologische Spuren vorhanden sind. Systematische Ausgrabungen auf dem Plateau selber haben in den vergangenen Jahren erstaunliche Resultate für die späte Hallstattzeit gezeitigt.405 Bereits die geomagnetischen Vor-
403 vgl. dazu Vierrädrige Wagen 1987. 404 Lüscher 1991, 60; Dirk Krausse, in: Rolley 2003, 228 f. 405 Mötsch 2011; Chaume/Mordant 2011.
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Abb. 79: Vix. Monumentale Gebäude ungewöhnlicher Form standen im 5. Jahrhundert v. Chr. auf dem Mont Lassois, dem Sitz eines Geschlechts mit weiten Beziehungen.
abklärungen ließen rechteckige Hofanlagen mit unterschiedlichen Gebäuden erkennen und orthogonal angelegte Verkehrsflächen vermuten. Die eigentliche Überraschung betraf aber die größte der Hofanlagen, wo ein monumentales Gebäude mit einer halbkreisförmigen Apsis zum Vorschein kam. Seine Gesamtlänge von 35 m ist stattlich, seine rekonstruierte Firsthöhe von 15 bis 20 m mehr als imposant (Abb. 79). Die fein verputzten Lehmwände trugen eine rote und weiße Bemalung. Mit dem Eingang auf der der Apsis gegenüberliegenden Schmalseite, den vorspringenden Anten und der Innengliederung gleicht sein Grundriss griechischen Bauwerken auch älteren Datums (zum Beispiel der „Toumba“ von Lefkani). Den Ausgräbern selber fiel es schwer, die einheimischen Bautraditionen und die mediterranen Einflüsse gegeneinander abzuwägen. Aber wie stark man die südlichen Elemente auch gewichtet, das Apsidenhaus auf dem Mont Lassois ist und bleibt ein ganz ungewöhnliches Bauwerk an einem ganz ungewöhnlichen Ort. Offenbar diente es der repräsentativen Aufwartung einer ausgewählten Menschengruppe. Zu welchen Anlässen sich diese hier versammelte, verraten zu
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einem Teil die attische Keramik und die massaliotischen Weinamphoren, die zu dieser Zeit noch gar nicht so häufig waren wie in den folgenden Jahrhunderten. Die mindestens zwei festgestellten Bauphasen lassen sich aufgrund der wenigen Funde und den überhaupt zur Verfügung stehenden Methoden, die keine naturwissenschaftliche Zeitbestimmung erlauben, nicht punktgenau absolut datieren. Immerhin kann man spekulieren, ob es sich um „le Palais de la Dame de Vix“ handelt. Selbst wenn man den „Palast“ mit den direkten Vorfahren oder Nachkommen der Dame in Verbindung bringt, liegt man chronologisch wohl kaum sehr falsch. Von diesem monumentalen Bauwerk aus schweift der Blick über die Seine hinweg in eine weite Landschaft bis zum Horizont, und umgekehrt war das hoch aufragende Bauwerk auch von weit her sichtbar. Unterdessen haben die Ausgrabungen auf dem Mont Lassois ihren Fortgang genommen und brachten mindestens ein weiteres Apsidenhaus mit allerdings kleineren Dimensionen zum Vorschein. Zwischen dem Berg und einem Bogenlauf der Seine, südlich der Ortschaft Vix, erstreckt sich eine weite Aue mit einer Vielfalt von Grabdenkmälern aus der Bronze-, Hallstatt- und Latènezeit, die sich etwa über einen Kilometer verteilen. Das größte ist das Prunkgrab der „Princesse“. Dennoch erhielt bis jetzt nur ein einziger Platz eine adäquate Ausgrabung samt Publikation, nämlich der sogenannte „enclos cultuel“ in der Flur „Les Herbues“. Er hat nach seiner Entdeckung und Ausgrabung von 1991 bis 1993 einen veritablen Gelehrtenstreit ausgelöst.406 Im Mittelpunkt stand die Frage, ob es sich um einen „enceinte funéraire“ handelt oder um eine „structure cultuelle consacrée aux cultes des ancêtres“. Die Innenfläche des rechteckigen Grabenwerkes mit Außenmaßen von 24,6 × 26 m ist vollkommen erodiert und ihres ursprünglichen Gehhorizontes beraubt. Größtes Aufsehen erregten zwei Sitzstatuen aus lokalem Kalkstein, die in der Grabenfüllung im Eingangsbereich eingebettet lagen. Eine 1,10 m tiefe Grube im Zentrum der Anlage war mit Kalksteinbrocken gefüllt, wies aber sonst keine nennenswerten Funde auf. Dass auch keine Spuren eines Grabes feststellbar waren, ist ein gravierender Mangel der Hypothese „enceinte funéraire“, an der sich die Diskussion dieses Grabengevierts entzündet hatte. Als weitere Strukturen sind nur noch ein „Silo“ und zwei Pfostengruben zu erwähnen. Archäologisch ergiebiger war die Grabenfüllung. Zehn Fibeln und die Keramik stammen eindeutig aus der späten Hallstattzeit, wobei das Keramikspektrum eine besondere Auffälligkeit aufweist: Niedrige Formen, also Ess- und Trinkgeschirre, stehen einer weitaus geringeren Zahl von Hochformen, also Kochgeschirr und Transportgefäßen, gegenüber, sodass angenommen werden kann, dass hier Lebensmittel vor allem konsumiert, nicht aber zubereitet wurden. Die untersuchten Tierknochen, die bei solchen Mahlen anfielen, unterscheiden sich nicht wirklich vom Knochenmaterial aus Siedlungen: Unter den 99 % Haustieren steht an erster
406 Chaume/Reinhard 2003; Chaume/Reinhard 2007; Verger 2009, 296 f.; Mötsch 2011, 107–112.
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Abb. 80: Vix. Ein Kultplatz am Fuß des Mont Lassois diente wohl dem Ahnenkult. Sein Eingang war flankiert von zwei Sitzstatuen, einer Frau mit Halsring und einem Mann in Waffen (um 500 v. Chr.).
Stelle Rind, gefolgt von Schwein. Laut den Ausgräbern geschah die Verfüllung der Gräben nach der Zerstörung der Anlage und bei der Einebnung der Innenfläche etwa in der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. Gewalteinwirkung zeigen auch die beiden blockförmigen Sitzstatuen; beiden fehlen Kopf und Füße (Abb. 80).407 Die erste ist noch 63 cm hoch erhalten; sie trägt einen Halsring mit kugeligen Enden. Ihr Kleid ist glatt über die auf den Knien ruhenden Arme gespannt. Laut den Ausgräbern handelt es sich zweifellos um eine Frau, die auf einem „siège“ thront. Die zweite Figur stellt einen Mann in Lebensgröße dar, und zwar in einer Position mit angezogenen Beinen. Aufrecht stehend soll er eine errechnete Höhe von etwa 1,70 m erreichen. Eindeutig erkennbar hält er einen Schild mit spindelförmigem Buckel vor seine Unterschenkel. Die Scheide eines langen Dolches oder eines kurzen Schwertes ist sichtbar; die eine Beinschiene und der gefältelte Saum eines Kompositpanzers kann man erahnen. Zu ergänzen wäre ein Bruchstück mit zwei Schnabelschuhen, das ebenfalls in der Grabenfüllung lag, aber nirgends anpasst. Eine wichtige Beobachtung betrifft eine Kuhle
407 Chaume/Reinhard 2003, 257–260.
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zwischen den Unterarmen des Kriegers; sie scheint den Ausgräbern geeignet, um mögliche Libationen aufzunehmen. Die Datierung der beiden Figuren aufgrund stilistischer Kriterien ist nicht unproblematisch. Neben der Hallstattzeit käme auch die Frühlatènezeit in Betracht. Gegen die jüngere Datierung spricht allerdings der Umstand, dass für den Mont Lassois selber noch keine frühlatènezeitlichen Funde beigebracht werden konnten. Ungeachtet der Auseinandersetzungen um die exakte Funktion der Rechteckanlage – Grab oder Kultplatz – bleibt die Deutung der Skulpturen als Ahnenbilder intakt; andere Ansätze drängen sich im Vergleich mit dem heute bekannten statuarischen Inventar dieser Zeit kaum auf. Ihre Verwendung im Ahnenkult direkt am Grab oder, was hier eher wahrscheinlich ist, in einem speziell markierten Sektor, ist kaum von der Hand zu weisen. Zwar gibt es keinen Hinweis für einen direkten Zusammenhang zwischen der weiblichen Sitzfigur und der in 200 m Entfernung begrabenen Fürstin, wie er besonders in der französischen Literatur gerne angedeutet wird. Beide Elemente, der Hügel ebenso wie die Statuen, entspringen aber doch dem gleichen Konzept des Ahnenkults. Ergänzend dazu ist eine Beobachtung an Hügel 2 der Sepulkralzone in der Flussebene von Interesse.408 Die dort spätbronzezeitliche Primärbestattung im Zentrum des Hügels lag in einer Kammer von 2,65 × 2,0 m, die mit Kalksteinplatten abgedeckt war, ein für diese Zeit höchst exklusives Vorgehen. Vielleicht ist hier eine Persönlichkeit bestattet, die dem Rang der „Princesse“ nahe- oder gleichkommt. In der Hallstattzeit wurde Hügel 2 dann stetig von Neuem belegt und erweitert bis er schließlich, von einem Steinkreis umstanden, einen Durchmesser von 33 m aufwies. Offensichtlich haben sich mehrere Folgegenerationen für die Grablegung ihren Vorfahren angeschlossen, ob aus verwandtschaftlichen, ideologischen oder rechtlichen Gründen ist offen. Erklärungen für dieses Phänomen haben wir an andern Orten bereits kennengelernt. Angesichts des besonderen Ortes am Fuße des Berges und der letztlich doch geringen Anzahl an Bestattungen insgesamt kann man mit einem privilegierten Personenkreis rechnen, der sich hier zelebrierte. Beiläufig sei noch erwähnt, dass sich Menschenknochen auch in Gräben und Pfostenlöchern beim großen Absidenbau auf dem Plateau selber fanden.409 Mindestens für diese Menschen steht fest, dass sie nach ihrem Tod eine andere Behandlung erfahren haben als die im Sakralbezirk am Fuße des Berges begrabene „Princesse“. Die erwähnte silberne Phiale von Vix schlägt eine Brücke zu einem Frauengrab in der Schweiz.410 Die Vixer Schale besteht nicht nur aus einem sehr reinen Silber, sondern ihr Omphalos ist mit einer hauchdünnen Silberfolie belegt, die ihrerseits eine noch dünnere Goldschicht trägt. Die Plattierung musste durch eine Aufpolie408 Mötsch 2011, 107; Chaume et al. 1997, 17–24. 409 Bernard Dedet, in: Chaume/Mordant 2011, 725–731. 410 Christine Eluère et al., in: Rolley 2003, 175 f.
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rung bei großer Hitze erfolgt sein, damit die verschiedenen Lagen eine innige Verbindung eingingen. So weit der hochkomplexe technische Befund, ohne erst nach den dazu notwendigen handwerklichen Fertigkeiten am offenen Feuer überhaupt zu fragen. Erstaunlicherweise findet sich die gleiche Technik an Armringen aus dem Grabhügel 62 der Nekropole von Unterlunkhofen im schweizerischen Mittelland. Hier bildet der Tubus aus Bronze die Unterlage, auf welche eine feine Silberschicht mit Spuren von Gold appliziert ist. Besser ist die Goldschicht auf den verzierten Verschlussmanschetten erhalten.411 Zusammen mit diesem exklusiven Armschmuck kamen drei Bronzefibeln zum Vorschein, von denen zwei eine deutliche Verzinnung aufweisen und dadurch wie aus poliertem Silber wirken.412 Anthropomorphe Amulette und Bernsteinperlen vervollständigen dieses bemerkenswerte Ensemble aus einer Ausgrabung, die am 5. Juli 1878, zwischen 15.30 und 17 Uhr (sic!) stattfand. Schon früher soll an dieser Stelle ein „Kupferkessel“ gefunden worden sein.413 Die Nekropole von Unterlunkhofen besteht aus einer Gruppe von mindestens 60 Grabhügeln aus der frühen Hallstattzeit, aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. Von diesen abgesetzt liegen die drei größten Hügel 61 bis 63 auf der vorderen Geländekante, von wo aus sich eine grandiose Fernsicht auf das Reußtal und die Alpen bietet (Abb. 81). Sie wurden bereits im 19. Jahrhundert und wenig fachgerecht untersucht. In Hügel 61 fand sich das einzige Schwertgrab der Nekropole, ebenfalls aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. und vielleicht sogar in einen älteren, bronzezeitlichen Hügel hineingesetzt, wie eine Keramikserie verrät. Die zwei andern lieferten Funde aus der späten Hallstattzeit. Hügel 63, der weitaus größte, enthielt als Erstbelegung das Körpergrab einer Frau mit Wagen, vermutlich in einer Kammer. Hier ist mit mehreren Nachbestattungen zu rechnen. Die jüngsten Funde mit den erwähnten silber- und goldplattierten Armringen stammen aus dem Hügel 62. Die dort innerhalb von Stunden geborgenen verzinnten Fibeln sind zeitgleich mit dem Grab von Vix. Jedoch scheinen die Armringe die Zukunft vorweggenommen zu haben. Das auf ihren vergoldeten Verschlussmanschetten umlaufende Lotusmotiv ist nämlich der früheste Nachweis für die Umsetzung eines griechischen Motivs im „Frühen Stil“ nördlich der Alpen.414 Eine abschließende Gesamtbeurteilung ist für Unterlunkhofen schwierig, solange die drei größten Hügel nicht vollständig ausgegraben sind. Es lässt sich aber festhalten, dass sich ein gewisser Personenkreis in der frühen und späten Hallstatt-
411 Den Untersuchungsbericht (CPL Nr. 01240) vom Schweizerischen Landesmuseum, Zürich stellte mir freundlicherweise Alexander Voûte 1991 zur Verfügung. 412 Analysenbericht Schweizerisches Nationalmuseum Zürich, Nr. 14.10530 vom 27. Januar 2015 (M. Wörle und V. Hubert). 413 Lüscher 1993, 167–172. 414 Müller 2009, 76.
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Abb. 81: Unterlunkhofen. Abgesetzt von 60 Grabhügeln aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. sind die großen Hügel 61 bis 63 mit teils reicheren und jüngeren Funden sowie dem einzigen Schwertgrab der Nekropole.
zeit durch besondere Grabmonumente und Grabausstattungen vom Rest der Nekropole absetzte. Die beiden verzierten Armringe reichen mindestens in ihrer technischen und künstlerischen Ausführung an das Prunkgrab von Vix heran. Eine Siedlung im Sinne eines Fürstensitzes ist in nächster Umgebung nicht vorhanden.
Stämmige Helden in feinem Tuch In Nordwürttemberg kennzeichnet eine ganze Reihe von monumentalen Grabhügeln die späte Hallstatt- und frühe Latènezeit. Bisweilen können sehr reiche Beiga-
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ben selbst dort nachgewiesen werden, wo die Grabkammern bereits in der Antike geplündert oder im 19. Jahrhundert nach heutigen Ansprüchen wenig sachgemäß ausgegraben worden sind. Wohlstand und Einfluss des agierenden Personenkreises sind die Voraussetzungen, damit sich ein aufwendiger Ahnen- beziehungsweise Heroenkult überhaupt entfalten konnte. Archäologisch fassbar sind neben den Fremdgütern auch eigene Ressourcen, die aus unmittelbarer Wertschöpfung stammen. Dazu zählen zum Beispiel die im Boden weniger gut erhaltenen und daher in ihrer Bedeutung oft unterschätzen Textilien. Zu den eindrücklichsten Grabstätten dieser Art würde zweifellos der Grafenbühl in der Nähe von Stuttgart gehören – wenn er nicht bereits in der Antike von Grabräubern heimgesucht worden wäre. Die wenigen zurückgelassenen Überreste sind aufschlussreich genug.415 Einzigartig sind zwei aus Knochenmaterial geschnitzte Sphingen mit eingesetztem Bernsteingesicht. Einlageplättchen aus Elfenbein, Bein und Bernstein zierten ursprünglich ein Möbelstück, entweder eine Kline, auf die der Verstorbene im Grab gebettet lag, oder vielleicht auch einen Sessel, auf dem er zu Lebzeiten thronte, wie man es auf griechischen Darstellungen vor allem von Göttern und Heroen kennt.416 Von einem zugehörigen Fußschemel könnte eine aus Elfenbein geschnitzte Löwenpranke stammen. Eine fragmentierte Elfenbeinscheibe wurde schon als Spiegel- oder Fächergriff gedeutet und ihr Herstellungsort in Syrien vermutet; aber nicht auszuschließen ist eine etruskische Fertigung im orientalisierenden Stil. Trümmerstücke zeugen von in solchen Gräbern obligaten Wagenrädern, Metallgefäßen und wohl auch von einem Trinkhorn.417 Letzte Beweise für eine außergewöhnliche Ausstattung sind ein Gürtelverschluss und zwei Fibeln, alle drei mit Goldblech plattiert. Zarte Fäden und dünne Blechstreifen aus Gold könnten ursprünglich in Brokatstoffe eingewoben gewesen sein, deren Funktion im Grab allerdings offen ist, da sie über den ganzen Kammerboden verstreut lagen.418 Bei dem kostbaren Gewebe stellt sich dann auch die Frage, ob einheimisch oder Import. Der 30-jährige, mit 179 beziehungsweise 184 cm Körperhöhe419 überdurchschnittlich große Mann verstarb in den Jahrzehnten um 500 v. Chr. Seine Grabkammer wurde laut dem Ausgräber Hartwig Zürn in „ein älteres, vielleicht bronzezeitliches Hügelgrab, dessen Bestattung beim Ausheben der großen Grabgrube völlig zerstört wurde“, gesetzt.420 Zudem interessant ist, dass in der Folge mindestens 33 Gräber von Frauen, Männern und Kindern in den hallstattzeitlichen Hügel einge-
415 416 417 418 419 420
Zürn/Herrmann 1966; Zürn 1970, 7–51; Bolay et al. 2010. Fischer 1990; Jung 2007, bes. 103. Baitinger 1996. Banck-Burgess 1999, 39. 204. Wahl et al. 2010, 46; bzw. Czarnetzki 1985, 44. Zürn 1970, 9.
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bracht worden sind. Alle sind durch Erosion und moderne Eingriffe stark beeinträchtigt, weitere könnten ganz zerstört worden sein. Das Grab einer 40-jährigen Frau wurde in die zentrale Kammer eingebracht, noch ehe diese einstürzte, aber nachdem sie bereits geplündert worden war. Da sowohl das Haupt- wie die Nebengräber nicht präzise datiert sind, bleibt jedes historische Szenario im Vagen. Das jüngste Nebengrab könnte drei Generationen jünger sein als das Hauptgrab. Aus welchen Gründen die Nachbestattungen in den monumentalen Hügel eingebracht worden sind, ist ebenso unklar wie der Anlass für die Zerstörung der Primärbestattung. Weitere Spuren eines Kultes am Grab konnten nicht festgestellt werden; dazu werden aber auch die Erhaltungsbedingungen am Ort zu schlecht gewesen sein. Der Grafenbühl gehört zu dem Geflecht von Prunkgrabhügeln um den Hohenasperg, der bereits weiter oben im Zusammenhang mit dem „Kleinaspergle“ angesprochen worden ist. Dieser Tafelberg ragt fast hundert Meter über das mittlere Neckarland, das hier aus fruchtbaren Lössböden besteht. Renaissancezeitliche Festungswerke und neuzeitliche Gipsbrüche haben die ursprünglich mit Sicherheit vorhandenen archäologischen Spuren auf der Hochfläche zwar weitestgehend zerstört. Abgeschwemmte Keramikfunde, die an den Flanken aufgelesen worden sind, widerspiegeln jedoch eine Siedlungstätigkeit, die bereits in der frühen Hallstattzeit beginnt, sich im Laufe der Zeit intensiviert und jedenfalls bis in die Frühlatènezeit hinein reicht. Die Bedeutung des Hohenasperg lässt sich nicht alleine durch seine eindrückliche topografische Lage vermuten, sondern erklärt sich auch aus der Tatsache, dass keine andere Region nördlich der Alpen eine solche Konzentration an Prunkgräbern aufweist wie seine unmittelbare Umgebung – aber nicht nur. In einem Umkreis von 15 km scharen sich auch mindestens 400 Siedlungseinheiten, die teils durch Lesefunde, teils durch planmäßige Untersuchungen dokumentiert sind.421 Man rechnet mit einfachen Gehöften bis mehrteiligen Ansiedlungen, deren Spuren im Boden oft nur dürftig erhalten sind, sofern es sich nicht um abgetiefte Vorratsgruben handelt. Obwohl sie nicht alle gleichzeitig und dauerhaft bestanden, zeichnet sich eine Platzkontinuität vom 7. bis zum 4. Jahrhundert v. Chr. ab mit einem Schub im 5. Jahrhundert. Selbstverständlich ist das Fundmaterial aus diesen Siedlungen weit bescheidener, als dasjenige der Prunkgräber. Subsistenzwirtschaft bildete weitgehend die karge Lebensgrundlage, obwohl hin und wieder Überraschungen auftauchen, wie die Reste von Amphoren in Sersheim, 10 km vom Hohensperg entfernt, die um 500 v. Chr. in Massilia hergestellt worden sind, um Wein nach Norden zu transportieren.422 Ebenfalls zu diesem Fundstellengeflecht um den Hohenasperg herum gehört der Grabhügel von Hochdorf; er liegt 10 km entfernt, aber in guter Sichtverbindung mit
421 Balzer 2008; Balzer 2010. 422 Balzer 2010, 227.
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dem Hohenasperg.423 Für einmal handelt es sich hier um einen Grabhügel, der nicht antik beraubt worden ist und der eine beispielhaft sorgfältige Ausgrabung und Publikation erfuhr, was ihm in manchen Belangen einen exemplarischen Status in der Forschung verliehen hat. Entsprechend umfangreich und vielfältig ist die Literatur, die sich auf ihn bezieht.424 Der Durchmesser des Hügels sowie die Größe der aus Eichenbalken gezimmerten Kammer bewegen sich in einem oberen Bereich der bis jetzt bekannten Beispiele. Hingegen schützte eine mächtige Steinkofferung von etwa 50 t das mit Kostbarkeiten (u. a. zusammengerechnet etwa 600 g Gold) ausgestattete Grab. Ungewöhnlich ist auch eine torartige Steinkonstruktion mit immerhin 2,5 m Mauerstärke, die an einer Stelle die Hügelperipherie verkleidete, während ihre einwärts gerichteten Torwangen den Weg auf ein Podium vor der Grabkammer im Zentrum wiesen. Dieser architektonische Aufwand sagt doch bereits einiges aus über die Bedeutung des Zeremoniells beim Begräbnis und Leichenzug, der durch diese 6 m breite Gasse zog, ehe dieser Zugang dann nach dem Verschluss der Kammer und vor der vollständigen Aufschüttung des Hügels vermauert wurde. Zu den eindrücklichsten Funden in der Grabkammer gehört ein fast vollständig in Eisen verkleideter Wagen, der vielleicht schon bei besonderen „Staatsakten“ Verwendung fand, ehe man auf ihm den Toten zu Grabe fuhr. Einziger Südimport im Grab ist ein 500 l fassender Bronzekessel, in dem allerdings kein Wein, sondern Honigmet angesetzt war. Die Anthropologen schildern den Hochdorfer Fürsten als einen für seine Zeit außergewöhnlich großen Menschen, der seine Mannen wohl um Haupteslänge überragte. Trotz seines relativ hohen Alters von 40 bis 50 Jahren muss er mit seinen sehr breiten Schultern und der kräftig ausgebildeten Oberarmmuskulatur eine eindrucksvolle Figur abgegeben haben.425 Nicht nur deshalb haben sich mehrere Autoren mit der Stellung und Bedeutung des hier begrabenen Fürsten befasst.426 Ein weiterer Anlass bot der neunteilige Geschirrsatz und die ebenfalls neun Trinkhörner, die den Toten als Vorsitzenden eines Gastmahls mit acht Personen ausweisen, denen er rangmäßig jedenfalls übergeordnet war. Ebenfalls bereitliegendes Schlachtgerät deutet auf den Verzehr von größeren Fleischmengen, wie er solchen Herrschaften zusteht. Dazu würde ein aristokratischer Müßiggang mit kompetitivem Hintergrund passen, der sich in Fischfang und Jagd äußert, worauf Angelhaken, Köcher und Pfeile hinweisen.427 Der Bogen selber ist offenbar im Boden ver-
423 Posluschny 2008, 369 f. 424 Biel 1985; zuletzt Hansen 2010 mit ausführlicher Litertatur. 425 Wahl et al. 2010, 46 f. bzw. Czarnetzki 1985, 44. 426 Wichtige Etappen waren Pauli 1989; Verger 2006; Eggert 2007; Hansen 2010, 202–211. – Siehe auch Eggert 1999; Krausse 1999; Veit 2000 bis hin zum argumentativen Overkill bei Jung 2006, 179– 181. 427 Dazu aufgrund archäologischer Evidenzen eher skeptisch Hansen 2010, 176–184.
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gangen. Wichtig in der ganzen Inszenierung ist die bronzene Sitzbank, auf die der Tote gebettet war, und vor allem der Goldschmuck, der ihn als einen hohen Würdenträger auszeichnete: der Halsring (mit deutlichen Tragspuren), ein Armband und zwei Fibeln aus Gold sowie wohl dazuzurechnen, wie wir noch sehen werden, die konische Kopfbedeckung aus Birkenrinde. Der Dolch samt Scheide sowie die Gürtelplatte wurden erst zur Grablegung und ziemlich improvisiert mit einer feinen Goldfolie verkleidet; und auch der Goldbesatz der Schnabelschuhe ist so dünn, dass er einem wirklichen Gebrauch nicht standgehalten hätte.428 Diese „Vergoldung“ macht vor allem Sinn, wenn der Leichnam mit seinen Insignien zu einem bestimmten Zeitpunkt während des Rituals zur Schau gestellt worden wäre. Insofern „ist nicht auszuschließen, dass der Tote durch die Vergoldung heroisiert beziehungsweise vergöttlicht werden sollte“.429 Werkstattabfälle und Halbfabrikate, die in der Hügelaufschüttung gefunden worden sind, belegen hinlänglich, dass verschiedene Vorbereitungsarbeiten am Ort stattgefunden haben. Ein Podium von 20 × 30 m gewährte einer größeren Menschengruppe Einblick in die offene Grabkammer, während auserwählte Offizianten auch Zutritt in die Kammer selber hatten. Für entsprechende Kulthandlungen gab es jedenfalls eine genügend breite, offene Verkehrsfläche in der Mitte des Raumes, zwischen dem Wagen und dem aufgebahrten Toten.430 Der Leichnam musste auf irgendeine Weise konserviert worden sein431, und ebenfalls noch vor der Schließung der Grabkammer wurde fast die gesamte Ausstattung mit Tüchern abgedeckt. Auch der Boden und die Wände waren mit Textilien verkleidet. Besonders erlesene Stoffe umhüllten den Fürsten in mehreren Lagen. Höchst Interessant ist dabei die Feststellung, dass der Tote „vermutlich keine geschneiderten bzw. körpergerechten Kleidungsstücke trug“. Die einzig erwähnten minimalen Gewebereste aus einer schwarzbraunen Substanz mit einer lederartigen Oberfläche stammen am ehesten vom Leibgurt des Toten, aber „was der Tote unmittelbar am Körper trug, konnte nicht mehr ermittelt werden“.432 In diesem Falle müssten die übrigen goldenen und goldplattierten Objekte auf dem nackten Körper gelegen haben. Folgerichtig waren die beiden Fibeln aus Gold bei ihrer Entdeckung nicht funktionsgerecht an einem Kleid, sondern an den verhüllenden Stoffbahnen eingehakt. Darf man daraus schließen, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt während den vorausgegangenen Feierlichkeiten der Fürst in „heroischer Nacktheit“ aber mit seinen goldenen Würdezeichen aufgebahrt zur Schau gestellt wurde, ehe er auf die Sitzbank gebettet und in Tücher eingeschlagen worden ist?
428 Hansen 2010, 36–67. 429 Hansen 2010, 213 f. 430 Biel, 1985, 51; Verger 2006, 33 f. mit Fig. 18. 431 Biel 1985, 52; Verger 2006, 34; Biel 2009, 170. 432 Banck-Burgess 1999, 110–112. 129 und besonders anschaulich Beilage 2; Biel 2009, 170; Hansen 2010, 40.
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Abb. 82: Hochdorf. Die Grabkammer war mit wertvollen Textilien ausgekleidet, einzelne Gegenstände damit umhüllt. Die Herstellung der feinen Stoffe erforderte einen nicht geringen Arbeitsaufwand (um 530 v. Chr.).
Das Grab von Hochdorf lieferte eine einzigartige Fülle an Textilien von hoher Qualität, was voraussetzt, dass entweder zu Lebzeiten des Fürsten oder nach seinem Tod bis zum Verschließen des Grabes „eine große Personengruppe allein für diese Arbeit längere Zeit unermüdlich im Einsatz gewesen sein“ muss (Abb. 82).433 Darin bildet Hochdorf unter den Prunkgräbern allerdings keine Ausnahme. Ähnlich gute Erhaltungsbedingungen in einem Grabhügel bei Apremont am Oberlauf der Saône erlaubten die Unterscheidung von mehr als 150 verschiedenen Textilien. Hier waren einige Gegenstände in bis zu fünf Lagen gehüllt, die in abnehmender Feinheit der Textur übereinander geschichtet waren. Wegen der vielen unterschiedlichen Gewebearten erwog Hubert Masurel sogar, dass es sich um Gaben von zahlreichen Hinterbliebenen handeln könnte, die ihrem verstorbenen Herrn die kostbaren Stoffe mit ins Grab gegeben haben.434 Dabei dachte er an Kleider, was jedoch nicht zwingend sein muss. Der ganze Reichtum an persönlichen Statussymbolen und kultischem Zeremoniell, wie sie uns in Hochdorf dank sorgfältiger Ausgrabungen für einmal entgegentreten, widerspiegelt einen gesteigerten Ahnenkult der bekannten Art. Ergänzend dazu liefert Jörg Biel eine weiterführende Beobachtung. Südlich des Hügels liegt nämlich „unter anderem ein wohl älterer undatierter Kreisgraben eines Hügels, außerdem eine sehr lockere Bebauung der Frühlatènezeit, die fast bis an den Hügelfuß heranreicht, dann aber eine Reihe von Feuergruben. Diese sind etwa 2,5 m lang, gut einen Meter breit und enthielten neben Holzkohle zahlreiche Hitzesteine und wenig Fundmaterial. Es handelt sich um Feuergruben, ... also stark geheizte Gruben, in denen eingewickelte Tiere gegart wurden. Die Gruben von Hochdorf
433 Banck-Burgess 2012, 108. 434 Masurel 1990, 209.
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liegen stratigraphisch in der Abgrabungszone um den Hügel, sind also gleichzeitig oder knapp jünger als der Hügel, das aberodierte Hügelmaterial ist in die Gruben eingeflossen. Vor allem das Fundmaterial, darunter eine rot-weiß bemalte Scherbe vom Typ Heuneburg IV, passt gut zur Datierung des Hochdorfer Grabes. Die Interpretation dieser Gruben als Garstätten für Fleisch für ein Festmahl liegt eigentlich auf der Hand“. Soweit der Ausgräber Biel.435 Es gibt also auch hier Indizien für kultische Mahlzeiten am Grab. Für nähere Angaben zum Sachverhalt und vor allem zu den genauen chronologischen Zusammenhängen wird man den abschließenden Befundband der Hochdorfer Monographien abwarten müssen. Ähnliche Erwartungen stellen sich an drei Männergräber, von denen zwei schon während der Aufschüttung in den Hügel eingebracht worden sind und denen ein drittes deutlich später folgte, wie die Fibeln zeigen.436 Über das Vorhandensein weiterer Nachbestattungen weiß man nichts, da der Hügel bei seiner Entdeckung ja bereits völlig eingeebnet war. Zudem noch ungeklärt ist das Verhältnis des Prunkgrabes zu einem dicht daneben liegenden, noch nicht ausgegrabenen Hügel beziehungsweise zu ganzen Hügelgruppen in der näheren Umgebung. Und ebenfalls noch unbeantwortet ist die Frage, wie nahe der hier um 530 bis 520 v. Chr. begrabene Fürst dem Hohenasperg stand, falls er nicht ursprünglich sogar dort residierte.437 Der Aufbau des Hügels samt Grabkammer, die Herrichtung des Leichnams sowie die Fertigung seiner Ausstattung dauerten sicher geraume Zeit, wohl mehrere Wochen oder Monate. Ganz abgesehen davon, dass von der Archäologie nur der finale Akt eines viel längeren Verfahrens erfasst wird, das auch an einem anderen Ort seinen Anfang genommen haben kann. Jedenfalls macht Hochdorf klar, welch großer Einsatz an Personal nötig war und wie viel Zeit die Bestattungsfeierlichkeiten in Anspruch nahmen. Sie übersteigen das Ausmaß eines normalen Grab- oder Ahnenkultes bei Weitem, weshalb hier der Begriff „Heroenkult“ angebracht erscheint.
Ein Stein gewordener Heros Ein weiterer und diesmal noch konkreterer Hinweis auf die Heroisierung eines Verstorbenen liefert die Steinfigur aus Hirschlanden, die bereits im Jahre 1962 zum Vorschein kam. Ihre Entdeckung war schon damals eine kleine Sensation und hat nach den Ausgrabungen von Hochdorf und am Glauberg für die Forschung noch an Bedeutung gewonnen. Hirschlanden liegt eine gute Wegstunde von Hochdorf entfernt.
435 Biel 2009, 174. 436 Hansen 2010, 62 f. 231–233. 437 Biel 1985, 26 f. 164–166.
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Ursprünglich war hier der Hügel von einem Steinkranz aus gut erhaltenem Trockenmauerwerk eingefasst, wodurch sich sein eher bescheidener Durchmesser auf ziemlich genau 18 bis 19 m eruieren ließ.438 Da seine Konturen von Anfang an nahezu vollständig verflacht waren, bilden die 18 ausgewiesenen Bestattungen auch hier eine Mindestzahl. Genau im Zentrum des Steinkreises und in einer „Holzgrabkammer“ von 2,6 m Länge lag ein Mann begraben, dessen Beigaben, bestehend aus einem Rasiermesser und zwei Kahnfibeln, wenig spektakulär erscheinen. Aber auch die Ausstattungen der übrigen Gräber versprühen keinen fürstlichen Glanz. Aufsehen erregte hingegen eine Steinstele, die bereits am ersten Ausgrabungstag auf der Außenseite des Steinkreises in Bauchlage und in drei Teile zerbrochen zum Vorschein kam. Die Figur lag auf dem antiken Gehhorizont, woraus der Ausgräber Zürn schloss, sie könne nur kurze Zeit aufrecht gestanden haben. Dem widerspricht allerdings die starke Verwitterung der Steinoberfläche. Ihr ursprünglicher Aufstellungsort, die Hügelspitze oder der Hügelfuß, bleibt unbekannt; dass sie nicht zum Hügel gehören würde, stand jedoch nie zur Diskussion. Die Statue ist bis auf die weggebrochenen Knöchel und Füße ganz erhalten und kann auf etwa Lebensgröße rekonstruiert werden (Abb. 83). Sie besteht aus einem grauen Stubensandstein (er soll 6 km südlich der Fundstelle anstehen), von der ursprünglichen Oberfläche haben sich nur minimale Spuren erhalten. Dargestellt ist ein nackter Mann mit erigiertem Penis, der die von Hochdorf bekannten, symbolhaften Abzeichen trägt, nämlich den Dolch an einem schmalen Leibgurt, den breiten Halsring und die konische Kopfbedeckung.439 Gut sichtbar ist auch eine leicht aus dem Gesicht nach unten verrutschte Maske mit rundlicher Kontur und eng sitzenden Augenlöchern. Während die stämmigen Beine mit den strammen Waden kräftig ausgearbeitet sind, erscheint der Oberkörper brettartig flach. Der Dolch mit dem ringförmigen Ortband, der bei entsprechendem Streiflicht deutlich zum Vorschein kommt, erlaubt eine relativ offene Datierung im 6. Jahrhundert v. Chr.; eine Gleichzeitigkeit der Statue mit der Grablegung von Hochdorf wird dadurch möglich,440 aber auch eine Beziehung zur zentralen Bestattung mit den zwei Fibeln und dem Rasiermesser ist aufgrund der langen Laufzeit des Dolchtyps denkbar. Die Steinstele von Hirschlanden ist bis jetzt die älteste rundplastische Menschendarstellung nördlich der Alpen geblieben und ohne Anregung aus dem Süden nicht denkbar. In ihrer Nacktheit und mit ihren Attributen markiert sie sozusagen den Stein gewordenen Fürst von Hochdorf. Auf den ersten Blick erinnert der nackte „Krieger von Hirschlanden“ an die etwa gleichzeitigen Kouroi in Griechenland, wobei die griechischen Jünglingsfiguren mit ihren seitlich herabhängenden Armen und dem leichten Ausfallschritt eine deutlich natürlichere und lebendigere 438 Zürn 1970, 53–72. 439 Zweifel, ob nicht doch ein Helm dargestellt ist, sind noch nicht ausgeräumt. Dazu von Hase 2003, 365; Hansen 2010, 139–144. 440 Sievers 1982, 56; Raßhofer 1998, 25–29.
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Abb. 83: Hirschlanden. Der dargestellte nackte Mann trägt Dolch, Halsring und Kopfbedeckung wie der Fürst im Grab von Hochdorf. Abgebildet ist vielleicht die Zurschaustellung des Toten während des Begräbniszeremoniells (um 530 v. Chr.).
Körpersprache sprechen. Eine überzeugendere Parallele, nicht nur was die Armund Beinhaltung betrifft, bildet die Statue von Capestrano in den Abruzzen, die zufällig inmitten eines kleinen Friedhofes entdeckt und überstürzt geborgen worden ist, sodass kaum Informationen über die Fundumstände vorliegen (Abb. 84).441
441 Cianfarani 1976, 71–80.
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Abb. 84: Capestrano in den Abruzzen. Die Inschrift bezeichnet den Dargestellten als König. Die unter die Schultern geklemmten Stützen könnten dazu gedient haben, den Leichnam in aufrechter Position zu halten.
Eine Inschrift bezeichnet den Toten als König Nevius Pompuledius. Im Unterschied zu Hirschlanden tritt er bekleidet und bewaffnet auf, hingegen ist auch bei ihm das Gesicht hinter einer starren Maske versteckt.442 Da die nackte und vor allem ithyphallische Darstellungsweise weder griechische noch italische Vorbilder kenne, dachte Friedrich-Wilhelm von Hase bei Hirschlanden an eine nordalpine Tradition: das erigierte Glied des Ahnen als ein Zeichen der Fruchtbarkeit und des Gedeihens über den Tod hinaus. Jedenfalls befände sich die dargestellte Person offensichtlich „in uno stato sovrumano, addirittura di eroizzazione“.443 Die ausgemergelte Rückenpartie des Kriegers von Hirschlanden erweckt mit ihrer tief gefurchten Wirbelsäule und den spitzen Schulterblättern einen mehr toten als lebendigen Eindruck, Phallus hin oder her. Die beiden Schultern sind eckig in die Höhe gestemmt. Genau diese Körperhaltung kann man sich aber gut vorstellen, wenn ein Leichnam, wie im Falle der Figur von Capestrano dargestellt, durch zwei unter die Achselhöhlen geklemmte Stützen in aufrechter Position gehalten
442 Zur Skepsis, was die Masken von Hirschlanden und Capestrano betrifft: Huth 2003, 99 f. 157 f. 229. 443 von Hase 2003, 369. – Vorher schon in einem ähnlichen Sinne Sievers 1982, 88; Frey 2002, 211.
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werden soll.444 Dies könnte bedeuten, dass der Tote von Hirschlanden (sowie auch der Fürst von Hochdorf) in einem bestimmten Moment der Bestattungsfeiern in heroischer Nacktheit, angetan mit den Herrschaftsattributen in aufrechter Stellung realiter zur Schau gestellt worden ist. Dieser Moment war offenbar so bedeutungsvoll, dass er anschließend für die Ewigkeit und in Stein gemeißelt festgehalten worden ist, was man aus heutiger Sicht als einen entscheidenden Akt in der Heroisierung interpretieren kann. Die Zurschaustellung des Leichnams bei den Thrakern hat Herodot in einer nicht nur in Bezug auf diesen Aspekt interessanten Passage geschildert: „Die Reichen unter ihnen haben die folgenden Begräbnisbräuche: Sie stellen den Toten drei Tage lang aus und halten nach der Totenklage ein Festmahl, wozu sie verschiedene Opfertiere schlachten. Dann bestatten sie den Leichnam, indem sie ihn verbrennen oder beerdigen, schütten einen Grabhügel auf und veranstalten Kampfspiele.“ 445 An dieser Stelle wäre nochmals auf die Leichenfeiern im republikanischen Rom zurückzukommen. Polybios schildert eindrücklich, wie sich das Volk auf dem Forum während der laudatio funebris, der Klimax des ganzen Rituals, um den aufrecht stehenden Leichnam versammelt.446 Im Leichenzug tragen ausgewählte Darsteller die dem Rang des Ahnen gebührende Kleidung, nämlich die rotgesäumte, die rein purpurne oder die golddurchwirkte Toga. Mitgetragen werden auch Rutenbündel, Beile und weitere Amtsinsignien, die den Verstorbenen zu Lebzeiten auszeichneten. Damit ist auch gesagt, welch hochrangigen Persönlichkeiten in Rom solche Feierlichkeiten ausschließlich vorbehalten waren. Die beiden Beispiele bei den Thrakern und in Rom spielen sich in gehöriger geografischer und zeitlicher Distanz zu Hochdorf und Hirschlanden ab, aber die Intensionen ähneln sich doch in erstaunlichem Maße. Spuren von Kulthandlungen am Grab konnte man für Hirschlanden, wo der Hügel bei Grabungsbeginn fast vollständig abgetragen war, kaum erwarten. Und doch bemerkte der Ausgräber „einige verbrannte Knochenteile in einer kleinen kohligen Grube, 0,5 m über der alten Oberfläche“, von denen er vermutete, es handle sich um ein Brandopfer, das im Verlaufe der Hügelaufschüttung dargebracht wurde.447 Der Befund ist nicht ganz klar, jedoch ein Hinweis vorerst gegeben.
444 Frey 2002, 214. 445 Hdt. 5, 8. 446 Polyb. 6, 53. – Der griechische Text sagt eindeutig „stehend“, während die geläufigen Übersetzungen „sitzend“ schreiben, da sich die Bearbeiter einen stehenden Leichnam nicht vorstellen konnten. Siehe dazu Walbank 1957. 447 Zürn 1970, 57.
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Das Zentrum der Sippe Im Gegensatz zu den spätlatènezeitlichen Großgrabhügeln mit einer jeweils einzigen Zentralbestattung wiederholt sich während der Hallstattzeit das Bild von Nachbestattungen, die nach der Primärbestattung in den Hügel eingebracht worden sind. Bezüglich der Anordnung im Hügel, der Art der Beisetzung (Körper- oder Brandgrab) oder der Dauer, während der die Sitte der Nachfolge aufrecht erhalten blieb, gibt es allerdings kaum Gesetzmäßigkeiten. Während sich zum Beispiel die 32 Nachbestattungen im Grafenbühl auf die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts v. Chr. konzentrierten, streuen die 45 Gräber in einem Hügel von Courtesoult in der Franche-Conté über einen Zeitraum von fast zweihundert Jahren beziehungsweise über mindestens sechs bis acht Generationen hinweg.448 Bisweilen musste der Radius des Hügels erweitert oder seine Höhe aufgestockt werden, damit die Nachfolger möglichst nahe dem Zentrum niedergelegt werden konnten. Das Hauptgrab in der Mitte zeichnet sich aber immer durch seine besondere, höher dotierte Ausstattung aus, woraus Kimmig den Schluss zog, dass hier, sofern es sich um einen Mann handelt, „der Grabherr zusammen mit seiner Familie oder seiner Klientel, jedenfalls mit einem eng auf ihn bezogenen Personenkreis, seine letzte Ruhe fand“.449 Diese Aussage als Hypothese genommen begleitet uns geradewegs zum Magdalenenberg, der zur Behandlung solcher Fragen die besten Voraussetzungen liefert. Der „Riesengrabhügel“ Magdalenenberg bei Villingen liegt im Schwarzwald, in einem vom Klima wenig begünstigten Landstrich. Nach vorausgegangenen Grabungen im 19. Jahrhundert wurde er zwischen 1970 und 1973 vollständig untersucht und anschließend vorbildlich publiziert. Mit einem Durchmesser von ursprünglich 102 m und einer Höhe von 8 m ist der Magdalenenberg das imposanteste hallstattzeitliche Grabhügelmonument Mitteleuropas. Umso bedauerlich ist der Umstand, dass die zentrale Kammer bei der ersten Ausgrabung im Jahre 1890 bereits beraubt vorgefunden worden ist.450 Immerhin erwies sich die noch gut erhaltene Kammer selber als vorzügliche Zimmermannsarbeit, die auf das Jahr 616 v. Chr. dendrodatiert werden konnte. Und auch die wenigen noch übrig gebliebenen Funde sind nicht ohne Aussagekraft: Teile vom Pferdegeschirr und von Wagenrädern, deren Speichen und Felgen „mit Leder oder kurz geschorenem Fell umkleidet, welches mit kleinen Eisenstiften befestigt und zusätzlich mit Birkenpech abgeklebt“ waren; ferner die Überreste eines jungen Schweins. Menschliche Knochenteile stammen von einem Mann fortgeschrittenen Alters.451
448 Zürn 1970, 51; Piningre 1996, 113. 449 Kimmig 1988, 82. 450 Im Folgenden halte ich mich in groben Zügen an das letzte Resümee das Ausgräbers Konrad Spindler 2004. Ausgespart mangels persönlichem Verständnis bleibt hier Mees 2007. 451 Spindler 1971, 11–74 bes. 46.
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Abb. 85: Magdalenenberg. Die zentrale Grabkammer wurde im Jahre 616 v. Chr. gebaut. Die mindestens 127 Nachbestattungen umkreisen den Mittelpunkt des Riesengrabhügels wie Satelliten.
Erst anlässlich der modernen Grabungen wurden die 127 Nachbestattungen entdeckt, welche die zentrale Grabkammer wie Satelliten umkreisen (Abb. 85). An der Oberfläche müssen sie gekennzeichnet gewesen sein. Da sie von antiken Plünderungen verschont blieben, boten sie mit ihren vielfältigen Ausstattungen der Forschung ein reizvolles Übungsfeld für mannigfaltige chronologische und anthropologische Fragestellungen. Verschiedene Thesen wurden über die Jahre hinweg entworfen und verworfen, weshalb es zum jetzigen Moment am vernünftigsten erscheint, sich für die Belegungsrekonstruktion den letzten Überlegungen des Ausgräbers Konrad Spindler anzuschließen.452 Seiner Meinung nach verstrichen nach der Errichtung des Zentralgrabes im Jahre 616 v. Chr. 16 bis 18 Jahre (auch dies eine hypothetische Annahme) bis die Aufschüttungsarbeiten beendet waren, sodass
452 Spindler 2004. – Massive Kritik an der bis anhin geleisteten Forschung übt Jung 2006, 93–114.
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Abb. 86: Magdalenenberg. Eine von mehreren Deutungen sieht in den angegebenen Sektoren die Grabplätze von acht „Gesellungsverbänden“ oder „Großfamilien“, die dem Fürsten unterstanden.
etwa um 600 v. Chr. mit dem Nachbestatten begonnen werden konnte. Dies dauerte aber wenig mehr als fünfzig Jahre, weshalb man mit lediglich zwei oder drei Menschengenerationen rechnet, die hier ihre Angehörigen begraben haben. Zuletzt hat nochmals Spindler acht radial angeordnete Bestattungssektoren herausgearbeitet, die er acht „Gesellungsverbänden“ oder „Großfamilien“ zuwies, von denen er die Toten in Sektor I für die direkten Nachfahren des Ahns im Zentralgrab hielt (Abb. 86). Der Grund dafür ist unter anderem das in mehrerer Hinsicht herausragende Grab einer „ungewöhnlich fettleibigen Dame“, deren „Korpulenz und Dentose ... die untrüglichen Zeichen einer hohen sozialen Kompetenz“ bilden (Abb. 87). Gleich darüber, in einem sogenannten Etagengrab, liegt eine junge Frau mit bescheidenerem Inventar. Spindler mutmaßt „trotz aller berechtigten Bedenken“ an der eigenen Formulierung, es handle sich um die „adlige“ Ehegattin des Toten im Zentralgrab samt deren „Zofe“.453
453 Spindler 2004, 141–144.
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Abb. 87: Magdalenenberg. Eine ungewöhnlich fettleibige Dame wurde als die „adlige“ Gattin des Toten im Zentralgrab gedeutet, eine über ihr begrabene junge Frau als ihre „Zofe“.
Etwas weniger verwegen darf man festhalten, dass die Summe der Folgegräber eine verhältnismäßig überdurchschnittliche Ausstattung besitzt. Bei den erwachsenen Frauen sind es mehrere, vollständige Trachtensembles; bei den Männern fallen fünf Dolche, Pfeilspitzen (wohl mit Köcher und Bogen) und ein vermutetes Trinkhorn in Grab 60 auf. Ebenfalls in Rechnung zu stellen sind die mutmaßlichen Importe aus Slowenien und Spanien sowie das überreiche Bernsteinkollier aus Grab 97. Naturwissenschaftliche Untersuchungen am Knochenmaterial machen wahrscheinlich, dass die im Magdalenenberg Nachbestatteten eine ähnliche Ernährung genossen wie der Fürst in der zentralen Grabkammer.454 Insofern bestand keine so ausgeprägte Diskrepanz, wie sie am Glauberg zwischen dem frühlatènezeitlichen Fürsten und den in den Silos entsorgten Individuen bestand. Gerade den fünf vom Magdalenenberg erwähnten Dolchen kommt im 6. Jahrhundert v. Chr. ein symbolhafter Charakter zu; sie kennzeichnen nach Susanne Sievers herausragende Persönlichkeiten, die mehr sind als nur einfache „Krieger“.455 Alles in allem entsteht der Eindruck einer sehr gehobenen Fraktion, die hier um das Grab ihres Oberhauptes kreist. In einem kulturanthropologischen Sprachgebrauch könnte man von einem Paramount Chef sprechen, der von seinen Chefs mit den engeren Familienangehörigen umgeben ist, die sich während zwei bis drei Generationen ihrem Ahnherrn verpflichtet fühlten.456
454 Oelze et al. 2012. 455 Sievers 1982, 98–138. 456 Wicker 1990. Entspricht dem „komplexen Häuptlingstum“ nach Eggert 2007.
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Kinder sind unter den im Magdalenenberg Bestatteten stark unterrepräsentiert. Umso bemerkenswerter sind ein Knabe und ein Mädchen mit jeweils fraglicher Geschlechtsidentifizierung und einem theoretischen Sterbealter zwischen 2 und 6 Jahren.457 Ihre privilegierte Stellung rechtfertigte sich nicht durch besondere Fähigkeiten oder Verdienste an der Gemeinschaft, sondern die zwei Minderjährigen profitierten von einem Vorrecht, wie es eine Erbaristokratie kennzeichnet. Der Magdalenenberg vereinigt mehrere Superlative auf sich, die da sind: die mit Abstand geräumigste Grabkammer; die größte Zahl an Folgebestattungen; der mächtigste Hügelaufwurf, der wohl mit dem größten Arbeitsaufwand bewerkstelligt werden musste. Darf man daraus schließen, dass der hier begrabene Fürst über ein sehr großes Territorium gebot? In Sichtweite des Grabmonuments liegt die Abschnittsbefestigung „Kapf“, die als möglicher Fürstensitz infrage käme.458 Ihre strategische Lage am Zusammenfluss von Kirnach und Brigach scheint zwar gut gewählt, der Umfang der umwallten Siedlungsfläche ist allerdings eher bescheiden, weshalb er nicht unbedingt als die Burg des Fürsten, sondern ebenso gut als der Wohnsitz einer der sieben übrigen Familienverbände infrage käme. Aber sonst bieten sich im näheren Umkreis offenbar keine weiteren Siedlungsplätze an. Obschon bereits das ganze Bestattungsverhalten wie eine Art Kult am Grab des Ahnherrn anmutet, wäre es doch von Interesse zu wissen, ob noch weitere Überbleibsel von kultischen Handlungen vorhanden sind. Die Hügeloberfläche scheint für einen solchen Nachweis zu stark erodiert, was wohl auch für die nähere Umgebung gilt, da der Hügel selber auf einer exponierten Anhöhe sitzt. Leider reichte auch der Grabungsperimeter kaum über den antiken Hügelfuß hinaus, sodass noch einiges im Boden verborgen sein könnte. Umso mehr verdient neben einer „großen Grube“ am Rand des südöstlichen Viertels ein „Scherbennest“ die besondere Aufmerksamkeit.459 Soweit ersichtlich, lag es wenige Dezimeter außerhalb des östlichen Hügelrandes und stammt von 18 bis 25 Gefäßen, teils von grobkeramischen Vorratsbehältern oder Kochtöpfen, teils von feinkeramischen Schüsseln und Schalen. Sie fanden sich auf einer Fläche von etwa 1,5 × 2 m in dünner Schichtung verteilt, offenbar in den feuchten Untergrund eingetreten. Die stratigrafischen Zusammenhänge waren nicht eindeutig und ihre Interpretation im Grabungsbericht widersprüchlich, weshalb unklar bleibt, ob die Keramik vor, während oder sogar nach der Hügelerbauung in den Boden gelangt ist. Konrad Spindler setzte das Typenspektrum mit einigem Zögern in eine frühe Phase, das heißt in die Zeit grob um 600 v. Chr., und erwog deshalb einen Zusammenhang mit dem Totenritual, etwa bei der Weihung des Platzes vor dem Baubeginn. Selbst eine profane Deutung als Abfall der Bauarbeiter sollte man nicht außer acht lassen. Irgend-
457 Zäuner/Wahl 2013. 458 Hübener 1972. 459 Spindler 1980, 128. 141 f. 197–201 mit Beilage 6.
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welche Brandspuren oder Ascheschichten sind nicht erwähnt. Gleich östlich der Scherbenkonzentration begann die Abgrabungszone, in der das Schüttungsmaterial für den Hügelbau ausgehoben wurde. Genau auf deren Oberfläche müssten eigentlich, falls vorhanden, die Spuren eines Kultes nach dem Hügelbau zu suchen sein. Aber offensichtlich wurde dieser äußere Ringstreifen archäologisch nicht tangiert. Allfällige Überreste von kultischen Handlungen an den Hügelhängen fielen definitiv der Erosion zum Opfer; es fehlen ja auch die Spuren von Grabmarkierungen, die in jedem Fall vorhanden gewesen sein müssen.
Haus und Grab Ein innerer Zusammenhang zwischen der Wohnstatt der Lebenden und der Ruhestätte der Toten hat sich in den archäologischen und historischen Quellen der Antike des Öftern abgezeichnet. Die römischen Manen leben transzendent als Schutzgeister der Familie weiter und bleiben konkret als Ahnenfiguren im Atrium des Wohnsitzes sichtbar. Nie völlig geklärt in der Forschung wurde die Frage, ob das Langhaus unter dem Riesenhügel von Lekandi für das lebende oder für das verstorbene Herrscherpaar erbaut worden ist. Angeregt durch solche Beobachtungen vertiefte sich Stéphane Verger in die Ausgrabungsdokumentation des Grabhügels Talhau 4, der bereits den Ausgräber Siegwalt Schiek seinerzeit veranlasst hatte, von einer „Bestattung im Haus“ zu reden, indem er annahm, dass der Tote über oder in einem Haus begraben wurde, das er ehemals bewohnt hatte.460 Hügel 4 gehört zur Gruppe „Gießübel/Talhau“ nördlich der Heuneburg und liegt unmittelbar vor den Toren von deren jüngst großflächig untersuchten „Vorburg“. Von den vier Grabhügeln dieser Gruppe lieferte er die besten Erhaltungsbedingungen für Vergers Darlegungen. Ausgangspunkt ist die unbestrittene Tatsache, dass der Hügelradius exakt über dem Grundriss eines mehrräumigen Gebäudes sitzt (Abb. 88); angefochten ist jedoch der Anlass, weshalb die Grabkammer genau hier gesetzt und der Hügel genau hier aufgeworfen worden ist. Siegfried Kurz sprach von einem schieren Zufall.461 Nach ihm ist für die Wahl des Standortes vielmehr die topografische Situation ausschlaggebend gewesen, da nur auf diese Weise mit vernünftigem Aufwand der Bau eines Hügels in dieser Größe möglich war. Die Topografie des vorgefundenen Bauplatzes sei so gewesen, dass eine nur geringe Verschiebung eine beträchtliche Mehrarbeit zur Folge gehabt hätte. Zudem seien die Überreste des Hauses, die als Orientierung hätten gedient haben sollen, im Moment des Arbeitsbeginns am Hügel gar nicht mehr sichtbar gewesen, da von jüngeren Schichten überdeckt.
460 Verger 2008a; Kurz/Schiek 2002. 461 Kurz 2000, 56 f.
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Abb. 88: Heuneburg, Talhau Hügel 4. Strittig ist die Deutung, ob der kreisrunde Grabhügel exakt über dem mehrräumigen Wohnhaus des hier Bestatteten aufgeschüttet worden ist. Die Ereignisse hätten sich um rund 600 v. Chr. abgespielt.
Während das Argument der rationellen Arbeitsmethode wenig überzeugt, muss die Geschichte des Wohnhauses unter dem Hügel erst näher ins Auge gefasst werden, um die Situation beurteilen zu können. Genau genommen handelt es sich um ein zweiphasiges Gebäude mit mehr oder weniger identischem Grundriss. Die ganz ungewöhnliche Schwellriegelkonstruktion bestand aus sechs exakt austarierten Räumen, von denen der quadratische Saal in der Mitte eine Fläche von 72 m2 einnahm. Eine korridorartige Vorhalle war auf das Plateau der Heuneburg selber ausgerichtet. Mit seiner Innengliederung, einer überdachten Fläche von gegen 340 m2 und einer errechneten Firsthöhe von 8 m stellte dieser Bau in den Jahrzehnten nach 550 v. Chr. nördlich der Alpen eine ziemlich auffallende Erscheinung dar.462 Stéphane Verger erkannte in der Raumanordnung eine Anlehnung an die etruskischen Palastbauten von Murlo und Acquarossa. Der zentrale Rechtecksaal entspräche dem tablinum, dem „coeur de la maison, lieu de représentation publique du chef de la maison, de la convivialité aristocratique placée sous la protection des
462 Kurz 2000, 48–54.
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ancêtres de la famille“.463 Feuerstellen in den Nebenräumen deutete er als Herde und Backöfen, die der Zubereitung von Speisen dienten, die bei den Banketten aufgetragen wurden. Nach einem Brand sei in dem Gebäude mit gleichen Ausmaßen und identischem Grundriss „un vaste complexe artisanal“ eingerichtet worden, wovon zusätzliche Öfen und die archäologischen Funde zweifelsfrei zeugen.464 Siegfried Kurz hingegen sah in diesem Gebäude von Anfang an und nie etwas anderes als eine riesige Werkhalle zur Metallverarbeitung. Und zudem sei nach deren Brand und Einebnung gar nichts mehr an der Oberfläche sichtbar gewesen, was als Orientierung für die Absteckung des Hügelkreises hätte dienen können. Letzterem widerspricht Verger mit einem imaginären Orientierungspfahl, der auch den nächstfolgenden Bauhorizont mit einer vollkommen veränderten Überbauung überdauert haben soll. Erst danach kam es zum Bau des Hügels. Dessen Zentralkammer war bei der Ausgrabung zwar beraubt, aber Verger gewahrte in dessen Zentrum die Spur eines Pfostens, der übertragen auf die Pläne des vormaligen Repräsentationsbaues genau vor der Rückwand des zentralen Rechtecksaals zu stehen kommt. Er markiere damit des Herz der Domäne, auf genau das sich die in der Grabkammer begrabene Person beziehungsweise deren Hinterbliebene später berufen haben, als sie den Hügel zu errichten begannen. In der beraubten Grabkammer fanden sich die Überreste eines Mannes mit „verheiltem Lochdefekt“ im Schädel. Ihm folgten mindestens 23 Nachbestattungen von Frauen, Mädchen und Männern, darunter auch ein Dolchträger.465 Die Bedeutung der in der Gießübel-Talhau-Nekropole begrabenen Bevölkerungsteile lässt sich nicht nur an der Größe der Hügel ablesen, sondern auch an der Tatsache, dass sie sechs Dolche lieferte; im Magdalenenberg waren es fünf.466 Den beiden Interpretationen liegen zwei divergierende Modelle zugrunde. Verger postuliert die autochthone Entwicklung einer Familie über mehrere Generationen und Bauphasen hinweg, vom einfachen Gehöft im 7. Jahrhundert v. Chr. bis zum Grabhügel kurz nach 550 v. Chr. Für Kurz hingegen waren die Toten im Hügel ortsfremde Personen, die im Laufe des Synoikismos und einsetzenden Urbanisierungsprozesses aus dem Umland zugezogen sind.467 Für beide Modelle lassen sich in der griechischen Archäologie Beispiele finden: Einmal der Grabhügel als Demonstration alten Besitzes, um sich gegenüber Neuankömmlingen zu behaupten, und ein andermal das Grabmal als ein Zeichen der Aneignung oder Neugründung durch Kolonen auf annektiertem Boden. Es wird die Aufgabe künftiger Forscher sein, diesen Einzelbefund in die Geschichte der Heuneburg und ihrer Umgebung einzubauen. Während der von Verger
463 464 465 466 467
Verger 2008a, 931; Verger 2008b, 255–258. Verger 2008a, 938. Wahl et al. 2010, 46; Kurz/Schiek 2002. Kurz/Schiek 2002, 58 f. Kurz 2010, 253.
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vorgeschlagene vollständige Funktionswechsel des palastartigen Bauwerkes zur Fabrikationshalle noch knapp nachvollziehbar scheint, wirkt der von ihm postulierte Markierungspfosten eher wie ein Zauberstab, um die einmal formulierte These zu retten. Andererseits bleibt es ein Rätsel, wie durch bloßen Zufall und ohne Planung ein solch monumentaler Grabhügel so exakt auf ein solch außergewöhnliches Gebäude zu liegen kommen soll. *** In der Zusammenschau besteht kein Zweifel: Prunkgrabhügel sind auch in der älteren Eisenzeit des 7. bis 5. Jahrhunderts v. Chr. die Zeichen einer sozialen Ranggesellschaft und somit ein Mittel der sozialen Distinktion. Gradmesser sind der Aufwand an Architektur und die topografische Inszenierung des Grabmals sowie die Grabbeigaben in Bezug auf ihren materiellen und exotischen Wert. Im Idealfall werden Prunkgräber begleitet von palastähnlichen Repräsentationsbauten wie auf dem Mont Lassois, oder solche sind zur Diskussion gestellt wie bei der Heuneburg. Unter diesen wenigen, vereinfachenden Gesichtspunkten besteht durchaus ein bereits von Nicole und Jeannot Metzler offengelegter roter Faden zu den früh- und spätlatènezeitlichen Monumentalgräbern der keltischen Aristokratie.468 Eine derart ostentative Verhaltensweise, wie sie sich in der Archäologie (neben ursprünglich wohl manch anderen sozialen Markern) manifestiert, war offenbar das bewährte Mittel einer elitären Oberschicht, um sich deutlich und dauerhaft vor der großen Masse der Bevölkerung zu profilieren. Eliteprojekte sind momentan in der archäologischen Forschung hoch im Kurs, wobei oftmals auf ein theoretisches Instrumentarium zurückgegriffen wird, das sich in den seltensten Fällen einfach auf die spröden archäologischen Hinterlassenschaften frühgeschichtlicher Gesellschaften übertragen lässt.469 Bei den keltischen Eliten handelt es sich verallgemeinert gesprochen um eine Werte bestimmende Gruppe mit einem Führungsanspruch, wobei es in der Logik der Sache liegt, dass dieser Anspruch sich nicht ausschließlich auf weltliche Dinge richtet, sondern auch die sakralen Bereiche miteinbezieht. Da der wesentlichste Bestandteil der religio nach den antiken Vorstellungen in der Kenntnis und Ausübung der Opferhandlungen besteht, ist eine tonangebende Elite zu deren Ausübung prädestiniert.470 Diese monopolisierte Kommunikation mit den das Schicksal bestimmenden Instanzen bewirkt eine Überlegenheit und Legitimation zugleich. Insofern können die Schlachtwerkzeuge in Prunkgräbern wie Hochdorf sowohl auf die Funktion des Toten als Gastgeber wie als Opferpriester gedeutet werden. Dabei muss die Durch-
468 Metzler-Zens/Metzler 1998. 469 Schneider 2012, 34–42; Panke-Schneider 2013, 207–210. 470 Müller 2002, 13–28.
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führung der Opfer gar nicht Ausdruck eines „sakralen Königtums“ sein,471 da jedes Oberhaupt eines kleineren, mittleren oder größeren Verbandes innerhalb der Sozialhierarchie, im Römischen vom pater familias bis zum Kaiser, für die religio zuständig und für die Ausübung der Opfer verantwortlich ist. Zur Physis der Hauptakteure in den vier behandelten Prunkgräbern geben die anthropologischen Daten eine beredte Auskunft. Unter 61 bis jetzt ermittelten Zeitgenossen in Südwestdeutschland sind die Herren aus Hochdorf (180 cm), vom Grafenbühl (179 cm), vom Magdalenenberg (175 cm) und vom Talhau (172 cm) die vier größten überhaupt. Ihr Mittelwert von 177 cm liegt 6 cm über dem Durchschnitt der übrigen Männer.472 Die größere Körperhöhe ist durch verschiedene Parameter bedingt wie optimiertes Partnerwahlverhalten, gesündere Ernährung und geringere physische Arbeitsbelastung. Und obwohl sie älter wurden als ihre Zeitgenossen, litten die vier genannten Männer weniger unter degenerativen Veränderungen ihrer Gelenke. Offenbar führten sie ein geruhsameres Leben und waren geringeren Risiken ausgesetzt. Kräftige Muskelansätze im Bereich der Arme, hervorgerufen durch ausdauernde „Kampfübungen“, attestieren die Anthropologen den beiden Männern von Hochdorf und vom Grafenbühl, was uns den zwar eher kleinen Schwerathleten vom Glauberg wieder in Erinnerung ruft. Der Schädel des Mannes vom Tahlhau neben der Heuneburg zeigt ein fünfeckiges Loch, das von einer verheilten Trepanation oder von einer Verletzung stammt. Alles in allem entsteht das Bild von ziemlichen Haudegen, deren Durchsetzungskraft alleine schon durch ihre physische Erscheinung befördert worden sein muss. Selbst ohne wirkungsvolle Waffen (im Grab) waren sie im Leben von einer schlagkräftigen Entourage, nämlich den Lanzenträgern in den Nachbestattungen, umgeben. Der „Erzwingungsstab“ zur Durchsetzung des Herrschaftsanspruchs, nach dem Wolfram Schier kürzlich fragte,473 wird zu einem guten Teil auf schierer Gewalt beruht haben. Selbstverständlich können auch Charisma und weitere, uns unbekannte Faktoren eine Rolle gespielt haben, wie das Beispiel der „Princesse de Vix“ zeigt. Eine solche Machtelite hat das natürliche Bestreben, ihre Vormachtstellung über die Generationen hinweg in der Familie zu behalten. Heute steht mit der Paläogenetik ein Wissenschaftszweig zur Verfügung, der blutsverwandtschaftliche Beziehungen einzelner Individuen aufzeigen kann. Theoretisch ließe sich erschließen, ob gleichzeitig lebende Männer den Status eines „Fürsten“ besaßen oder ob verwandtschaftliche Verbindungen über Generationen hinweg bestanden, woraus man eine erbdynastisch organisierte Adelsgesellschaft ableiten könnte. Elf geeignet erscheinende Skelette aus Baden-Württemberg wurden in einer Pilotstudie auf diese Fragen hin untersucht.474 Als einziges Resultat stellte sich heraus, dass die
471 472 473 474
Dazu Krausse 1999; Veit 2000. Wahl et al. 2010, 46; sogar beträchtlich höhere Messwerte bei Czarnetzki 1985. Schier 2010, 399. Krausse 2005; Verger 2006, 6 f.
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beiden Männer in den Zentralgräbern von Hochdorf und Grafenbühl (die beiden mit den größten je gemessenen Körperhöhen und der robusten Armmuskulatur) mit hoher Wahrscheinlichkeit über die mütterliche Linie miteinander verwandt waren. Dies spräche zwar für eine matrilineare Erbfolge und andeutungsweise für eine verwandtschaftliche Gruppe, die im Umkreis des Hohenasperg an den Schalthebeln der Macht saß; weitreichende historische Folgerungen lassen sich daraus aber noch nicht ableiten. Öfters werden als Indiz für eine Erbaristokratie exklusiv ausgestattete Kindergräber (häufiger Mädchen als Knaben) ins Feld geführt mit dem Argument, dass diese Kinder zu früh verstorben seien, um besondere Leistungen und Verdienste an der Gesellschaft zu erbringen, die eine solche Bestattung gerechtfertigt hätten475 – eine Argumentation, die nicht unwidersprochen geblieben ist. Aber selbst wenn man infrage stellt, ob diesen Kindern alleine aufgrund vererbbarer Rechte eine besondere Machtposition im Überlebensfall zugestanden hätte, so könnte sich dahinter ebenso der Anspruch der Hinterbliebenen auf die Vererbbarkeit der eigenen Position verbergen.476 In jedem Fall also ein weiteres Indiz für eine Ranggesellschaft im Allgemeinen und für eine Erbaristokratie im Besonderen. Wiederum stellt sich dann die Frage nach den Spuren der „Unteren Zehntausend“ in der Gräberarchäologie. Aber auch in der Hallstattzeit gibt es keine eindeutigen Anzeichen, wo die Trennungslinie zwischen „unten“ und „oben“ liegt, da das Problem in der Forschung bis anhin noch wenig Beachtung gefunden hat. Dort kreisen die Diskussionen vorerst um die „regulären“ und „irregulären“ Bestattungen, ohne dass der „Normalfall“, der den größten Teil der Bevölkerung betrifft, sich herauskristallisieren würde.477 Dank genauerem Hinsehen bei den Forschungen im Feld haben sich in jüngster Zeit interessante, neue Perspektiven eröffnet, die in ihren Details noch zu klären sein werden. Von den systematischen Prospektionen und Ausgrabungen rund um den Hohenasperg erwähnt Ines Balzer knapp 60 Bestattungen in 28 Siedlungseinheiten.478 Dabei scheint es sich teils um „reguläre“ Bestattungen, teils um Niederlegungen in Gruben zu handeln. Über deren Lagerung und Ausstattung weiß man noch nichts; ihre Datierung scheint sich über Späthallstatt/Frühlatène hinwegzuziehen, und mindestens ein Teil von ihnen wird zeitparallel zu den Befunden in den Kegelstumpf- und Silogruben am Glauberg verlaufen. Ebenfalls noch einer genaueren archäologischen Abklärung innerhalb des Gesamtbefundes bedürfen die Teile von „verräumten Menschen“ aus den kürzlich erfolgten Ausgrabungen auf der Ostterrasse der Heuneburg, also zwischen dem Burgberg und der Donau.479 Gemeint sind 180 menschliche, meist fragmentierte
475 476 477 478 479
Aufgelistete Beispiele, die noch ergänzt werden könnten, bei Hansen 2010, 209 f. Schneider 2012, 44. Müller-Scheeßel 2013. Balzer 2010, 233 mit Abb. 8 und 14. Krausse et al. 2013, 205–208.
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Knochenreste und Zähne aus 50 separat geborgenen Fundeinheiten. Es konnten sechs oder sieben Einzelindividuen ausgesondert werden. Von regulären Bestattungen kann keine Rede sein; vielmehr zeugen die postmortalen Umlagerungen von einem wenig achtsamen Umgang mit den Überresten dieser Toten, was in einem krassen Gegensatz steht zu den angesprochenen Prunkgräbern, auch im Umkreis der Heuneburg. Eine segmentierte Gesellschaft zeigt sich hier in der Hallstattzeit ebenso deutlich, wie sie weiter oben für die nachfolgende Latènezeit postuliert worden ist. Nur eine Ranggesellschaft und Elite in der dargestellten Form verfügte über die politische Durchsetzungskraft, um unter Einsatz von geeigneten Mitteln ihre Distinktion wirkungsvoll zum Ausdruck zu bringen. Eines dieser Mittel könnte die Idealisierung von verstorbenen, herausragenden Exponenten durch die Hinterbliebenen und der daraus entstehende Ahnen- oder Heroenkult sein. Welches sind nun die wichtigsten Elemente, welche einen solchen Ahnen- oder Heroenkult in der Archäologie der Hallstattzeit sichtbar machen? Ein deutlicher Hinweis sind die an den Gräbern aufgestellten Stelen, die an verstorbene Ahnen erinnern oder diese sogar repräsentieren. Gabriele Raßhofer beginnt ihr Buch über metallzeitliche Grabstelen mit der als Zitat gesetzten Prämisse, dass die Kennzeichnung von Gräbern durch Grabsteine „ein Elementargedanke der frühgeschichtlichen Menschheit“ darstelle.480 Nach dem, was wir bis jetzt gesehen haben, gilt das nur mit der Einschränkung für denjenigen Personenkreis, der einen Anspruch auf ein Grab erhebt und über die Mittel zu dessen Einsetzung verfügt, was natürlich insbesondere für anthropomorphe Stelen gilt. Da Grabstelen auf der Hügelspitze der Erosion und bei einer Einebnung des Hügels zuerst zum Opfer fallen, kann ihre ursprüngliche Zahl weit höher gewesen sein, als es heute die seltenen Befunde in situ erscheinen lassen. Hält man sich die Befunde von Hochdorf und Hirschlanden sowie auch vom Glauberg mit ihrer Kongruenz von Grabfunden und Bildwerken vor Augen, so kann man sich dem Gedankengang Wolfgang Löhleins kaum verschließen, wenn er meint, die steinernen Grabfiguren wie eben auch die Monumentalgrabhügel würden vor allem dem engeren, bestattenden Familienkreis dienlich sein. Als Selbstversicherung der Vorherrschaft führen sie gleichzeitig einem weiteren Kreis der Gesellschaft deren Legitimation plastisch vor Augen.481 In der Stele von Hirschlanden werden zwei Ebenen eines Bildprogramms augenfällig, die sich zu widersprechen scheinen. Von einer idealen Virilität zeugen die athletische Konstitution und der Phallus des Lebenden, die im Gegensatz stehen zum real dargestellten Tod. Bei dem von Siegfried Kurz zitierten „lebenden Leichnam“ von Hirschlanden handelt es sich nur scheinbar um einen Widerspruch, weil das Idealbild über den Tod hi-
480 Raßhofer 1998, 1. 481 Löhlein 2006, 505 f.
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naus seine Gültigkeit behält, wenn es sich um eine heroisierte Person handelt: Der Ahn steht auch nach dem Tod und als Person mit seiner ganzen Kraft der Folgegeneration zur Verfügung.482 Eine enge Anbindung an den Ahn ließ sich schon verschiedentlich aufgrund der Wahl des Begräbnisplatzes der Nachkommenschaft erschließen. Sie zeigt sich in der Hallstattzeit mit aller Deutlichkeit durch die Nachbestattungen im selben Hügel, die immer jünger sind und in jedem Fall ein minderes Ausstattungsniveau sowie einen einfacheren Grabbau aufweisen als das zentrale Kammergrab. Ein echter genealogischer Zusammenhang zwischen den Toten im selben Hügel bleibt vorderhand in der Schwebe, solange keine paläoanthropologischen Daten größeren Umfanges vorliegen, die eine solche Annahme bestätigen würden. Bei den engen Datierungsansätzen kann man in einigen Fällen aber davon ausgehen, dass sich die Akteure zu Lebzeiten gekannt hatten. Im Falle des Magdalenenbergs könnten einige der Toten in den Nachbestattungen zu Lebzeiten wohl aktiv in die Bauarbeiten des Hügels involviert gewesen sein. Anders liegen die Dinge, wo sich selbst hallstattzeitliche Primärgräber in bronzezeitliche Tumuli eingenistet haben, die ein ganzes Stück älter sind, weshalb sich ein direkter genealogischer Zusammenhang eher ausschließt. Während sich eine solche Diskrepanz in Unterlunkhofen interessanterweise beim einzigen und prominenten Schwertgrab in Hügel 61 sowie beim Grafenbühl lediglich andeutet, ist die Bezugnahme auf einen bronzezeitlichen Vorgänger aus dem 9. Jahrhundert v. Chr. im Falle von Hügel 2 in der Ebene vor Vix augenfällig. Ob es sich um eine echte genealogische Linienverbindung oder um eine Quasi-Annexion aus Statusgründen handelt, bleibe dahingestellt. Eine Scheu bestand offensichtlich nicht. In seltenen Fällen gibt es archäologische Hinweise auf das Ausmaß der Bestattungsfeierlichkeiten, wenn man sich zum Beispiel in Hochdorf das Podium vor der Grabkammer mit seinem monumentalen steinverkleideten Zugang in Erinnerung ruft. Er wurde alleine für die Zeremonien an der Grabkammer gebaut und später verschlossen und überschüttet. In einem solchen Zusammenhang hat wohl auch Konrad Spindler den „Prozessionsweg“ am Magdalenenberg gesehen. Dessen Bahn, die in gerader Linie auf die zentrale Grabkammer zuführt, ist durch liegende Balken begrenzt und auf der einen Seite von einer Stangensetzung und einer Pfostenreihe flankiert.483 Die Hölzer der Kammer und die liegenden Balken wurden im Spätjahr 616 v. Chr. geschlagen und auch verbaut. Da einer der Balken zwei Jahre jünger ist, muss der Zugang mindestens so lange offen gestanden haben.484 Schwierig zu sagen, ob die Konstruktion als Trassee für den Bau der Kammer oder als wirkliche „Prozessionsstraße“ – am Eingang ist sie immerhin 4 m breit, ehe sie
482 Kurz 1997, 125; Raßhofer 1998, 115. 483 Spindler 1980, 156. 174–178 mit Beilagen 6 und 10a/b. 484 Billamboz/Neyses 1999, 100–105.
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sich auf 2 m verschmälert – gebaut worden ist. Weitere hallstattzeitliche Gräber mit sich mehr oder weniger deutlich abzeichnenden Zugangswegen sind bekannt.485 Spuren von kultischen Handlungen am Grab sind während der Hallstattzeit im Vergleich mit den beschriebenen Befunden der Spätlatènezeit bedeutend seltener belegt. Dies scheint jedoch eher dem Forschungsstand und dem jeweils knapp bemessenen Perimeter der archäologischen Untersuchungen zuzuschreiben zu sein, da offenbar die Meinung bestand, dass solche Spuren am ehesten in der Hügelschüttung selber zu suchen wären oder, falls doch einmal festgestellt, kaum einer eingehender Würdigung wert schienen.486 „Feuergruben“ in Hochdorf, eine kohlige Grube mit Knochenteilen in Hirschlanden und ein „Scherbennest“ am Magdalenenberg veranlassten jedenfalls die Ausgräber, kultische Vorgänge zu vermuten, bei denen allenfalls zu klären wäre, ob sie vom Bestattungsvorgang stammen oder von späteren Totenfeiern herrühren. Diese Frage stellt sich auch bei sieben radial aufgereihten „Opferfeuerplatten“ im Goßgrabhügel Hohmichele nahe der Heuneburg, die jedenfalls während der Aufschüttung entstanden.487 Solange keine zeitlichen Relationen bekannt sind zwischen dem Hügelbau, den Bestattungsvorgängen und den nachfolgenden Ritualen am Grab, die alle langdauernd und mit Unterbrüchen erfolgt sein konnten, so lange werden Unklarheiten bestehen bleiben. Allzu oft blieb in der Vergangenheit auch die nähere Umgebung der hallstattzeitlichen Grabhügel unausgegraben. Wenig überzeugend als spezifischer Ausdruck von Totenritualen sind die von Gabriele Raßhofer erwähnten Manipulationen an den Stelen,488 obwohl diese Steinmale sehr wohl in entsprechende Rituale eingebunden gewesen sein können. Ein bis jetzt einmaliges Phänomen ist der eingefriedete Bezirk von Vix, falls er tatsächlich ausschließlich dem Ahnenkult vorbehalten war, wofür die Ausgräber Argumente vorgebracht haben. Akzeptiert man den Habitus der Hirschlandener Figur als einen spezifischen Moment der Zurschaustellung in einem längeren Bestattungsritual, so erhält wohl auch die sekundäre Goldplattierung von Dolch, Gürtel und Schuhen des Hochdorfer Fürsten ihre besondere Bedeutung. Tatsächlich werden im östlichen Alpenraum, im Balkangebiet und in Südosteuropa bisweilen Grabbeigaben und Körperteile von Toten mit Gold- und Bronzeblech abgedeckt. Im Westen gehört Hochdorf zu den seltenen Ausnahmen.489 Grundlegend hat sich Brigitte Kull zum Thema der „Vergoldung“ geäußert. Sie verdeutlichte an verschiedenen Beispiele wie Gold als Schmuck der Götter im Grabkult den Übertritt des sterblichen Menschen zum gottgleichen Heros markiert.490
485 486 487 488 489 490
Vosteen 1999, 107 f. Siehe Kurz 1997, 63–65 und Beck 1974, 254. 275–281 (Tübingen-Kilchberg). Kurz/Schiek 2002, 31 f. Raßhofer 1998, 120–122. Huth 2003, 99 f. 157; Hansen 2010, 213 f. Kull 1997, 260–268.
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Schließlich fragt sich, wie der postulierte Ahnen- oder Heroenkult in die hallstattzeitliche Gesellschaftsordnung eingebettet wäre. Die wissenschaftlichen Diskussionen der vergangenen dreißig Jahre schwankten zwischen zwei weit auseinanderliegenden soziopolitischen Modellen für die späte Hallstattzeit, nämlich zwischen dem Big-Men-System und dem Beginn eines archaischen Staates.491 Zwischen diesen beiden Extremen rangieren die Systeme der einfachen und komplexen Häuptlingstümer, welche aus archäologischer Sicht die meisten Argumente auf sich vereinigen, wobei sich die Deutung von Bodenfunden naturgemäß nicht so einfach mit abstrakten, aus der Sozialanthropologie gewonnenen Theorien zur Deckung bringen lässt. Aufgrund der obigen Ausführungen bezüglich der Gräberarchäologie ist von einer hierarchisierten, stratifizierten Gesellschaft auszugehen. Ansätze für eine Erbaristokratie sind vorhanden. Solange die Vormachtansprüche einer privilegierten Gruppe nicht gesichert sind, muss diese Strategien entwickeln, um nach innen Selbstvergewisserung zu schaffen und nach außen Rechtmäßigkeit zu demonstrieren. Eigentlich sind diese in den letzten Jahrzehnten zahlreich entwickelten sozialanthropologischen Theorien der Häuptlingstümer eine Weiterentwicklung der bereits erwähnten Thesen von Childe und Kossack, wonach die Prunkgräber eine punktuelle Reaktion auf eine Krisensituation darstellen, hervorgerufen durch die Auseinandersetzung mit einer als höher empfundenen Fremdkultur.492 Bei den unterdessen angesagten Häuptlingstümern hingegen besteht eine latente systeminterne Bedrohung durch untereinander konkurrierende Gruppierungen, die sich um die Macht streiten. In beiden Fällen entwickeln sich Strategien, um einen status quo zu halten. Während Florian Schneider in der Idealisierung des Toten (beziehungsweise indirekt von dessen Hinterbliebenen) und dem Ahnenkult einen wichtigen ideologischen Faktor zur Statuserhaltung erkennt,493 impliziert für Wolfram Schier das Gesellschaftsmodell der Häuptlingstümer den Heroenkult geradezu. Es drücke sich darin ein „genealogisches Denken aus, das zahlreiche auf Heroen bezogene antike Gründungsmythen zeigen, und das in der Ethnologie als charakteristisch für Häuptlingstümer gilt“.494 Der kritische Moment bei einer angestrebten dynastischen Erbfolge ist das Machtvakuum, das mit dem Tod des „Würdenträgers“ eintritt. Im Idealfall ist der nahtlose Übergang vom Vater auf den Sohn religiös sanktioniert. Eine mögliche Darstellung eines solchen Vorganges glaubt Christoph Huth im „Situlenfest“, wie es in der Situlenkunst des 6. und 5. Jahrhunderts v. Chr. mehrfach festgehalten ist, zu erkennen. In der zentralen Szene innerhalb eines längeren Bilderfrieses ist jeweils eine Frau zu sehen, die zwei Männern Trank- und Speisegaben reicht (Abb. 89). Dargestellt wäre damit die Approbation des Sohnes in Anwesenheit des ver-
491 492 493 494
Eggert 2007. – Zum Forschungsstand Schier 2010. Childe 1945; Kossack 1974. Schneider 2012, 42 f. Tab.11. Schier 2010, 395.
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Abb. 89: Vace in Slowenien. Die Darstellung auf einem Bronzekessel zeigt eventuell eine entscheidende Szene im Ahnenkult: die Approbation des Sohnes durch eine Göttin in Anwesenheit des verstorbenen Vaters.
storbenen Vaters durch eine Göttin. Eine weitere mögliche Deutung sähe in den beiden männlichen Personen die Translation vom Leben in den Tod, nämlich vom irdischen Herrscher zum vergöttlichten oder heroisierten Verstorbenen.495 Weitere Bilderfolgen zeigen Umzüge zu Pferd und im Wagen, athletische Wettkämpfe und Speisungen, wie man sie sich im Umfeld eines heroischen Großbegräbnisses vorstellt und womit gleichzeitig der Lebensstil und die Episoden einer aristokratischen Führungsschicht eingefangen werden. Wolfram Schier hat bemerkt, dass die Außenwirkung der aufwendigen Bestattungsfeierlichkeiten im Wesentlichen auf zwei Gruppen zielt,496 die in der Realität unter sich nochmals differenziert werden können. So besteht die erste aus der aktiv wirkenden unmittelbaren Nachkommenschaft, welche die Zeremonien ausrichtet, sowie den konkurrierenden Gruppen, auf welche die Demonstration in erster Linie
495 Huth 2003, 160–244, passim und bes. 193–195. 496 Schier 2010, 392.
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gemünzt ist. Besonders für sie muss eine Bühne geschaffen werden, damit sie die Vorgänge am Grab aus nächster Nähe verfolgen können. Die zweite Gruppe setzt sich aus der Masse der Bevölkerung zusammen, die größeren Abstand hält, falls sie nicht bewusst vom Anlass ferngehalten wird, um die Exklusivität des inneren Zirkels zu wahren. Die besprochenen hallstattzeitlichen Prunkgrabhügel vermitteln ein kohärentes Bild, wenn man die feststellbaren kleineren Unterschiede in Relation setzt zu dem, was im urgeschichtlichen Bestattungswesen sonst noch alles für möglich gehalten wird.497 Sie sind die Äußerung einer engen sozialanthropologischen Gruppe mit ähnlicher Ideologie und Semantik. Im Kern sind sie den ähnlich gearteten, zeitlich und räumlich nahestehenden Prunkgrabhügeln der Latènezeit analog. Ahnen- oder Heroenkult kommt in beiden Fällen zur Darstellung. In einer schriftlosen Kultur sind die in und an den Gräbern zelebrierten Inszenierungen die wirkungsmächtigen Kommunikationselemente. Deren einprägsame Metaphern sind „Tänze, Spiele, Riten, Masken, Bilder, Trachten, Rhythmen, Melodien, Essen und Trinken, Räume und Plätze, Trachten, Tätowierungen, Schmuck, Waffen usw.“, die laut Jan Assmann der feierlichen „Selbstvergegenwärtigung und Selbstvergewisserung der Gruppe“ dienen.498 Beim Fürsten von Hochdorf kommen fast alle diese Stichworte auf die eine oder andere Art zur Geltung.
497 Müller-Scheeßel 2013. 498 Assmann 1992, 59.
9 Alte und neue Eliten Mehr als gewöhnliche Krieger Viele der bis jetzt in diesem Buch für die Latène- und Hallstattzeit herangezogenen beispielhaften Grabfunde liegen in einem Großraum, den man mit Ostfrankreich inklusive Luxemburg und das Triererland sowie Südwestdeutschland und dem schweizerischen Mittelland umschreiben kann. Eingebettet in diesen Großraum bilden die für das nun Folgende ausgewählten Fundorte Gomadingen, Poiseul-la-Ville-et-Laperrière und Frankfurt ein weiträumiges geographisches Dreieck. Gomadingen liegt auf halbem Weg zwischen dem Asperg und dem Magdalenenberg, Poiseul 40 km südlich von Vix und der Frankfurter „Stadtwald“ ebenfalls 40 km vom Glauberg entfernt. Obwohl ihre Grabensembles im Vergleich mit den oben behandelten „Prunkgräbern“ bescheidener wirken, weisen sie doch einzelne Merkmale auf, welche Persönlichkeiten auszeichnen, die in der Zeit zwischen 650 und 800 v. Chr. über das „Normalmaß“ hinausragten. Ein frühes Beispiel eines Grabensembles, das nicht durch die Quantität, sondern durch die Qualität der Beigaben hervorsticht, wurde bereits im Jahre 1885 bei Gomadingen im Schwäbischen Jura entdeckt.499 Der Hügel enthielt einen Steinring mit Leichenbrand sowie ein Schwert und neun Gefäße aus Keramik. Nachbestattungen wurden keine erwähnt, sie waren ziemlich sicher auch gar nicht vorhanden. Das eiserne Prunkschwert ist 1,08 m lang; seine Klinge weist deutliche Längsrippen (beziehungsweise Kanneluren) auf (Abb. 90). Der Griff und auch der pilzförmige Knauf aus Holz waren mit dünner, zum Teil in Pressblechtechnik verzierter Goldfolie belegt; die zweischalige Scheide aus Holz, wahrscheinlich Tannen, wurde von zwei Lagen Stoff oder Leder zusammengehalten. Interessant ist die recht improvisierte Reparatur einer Bruchstelle der Klinge mittels eines Überfangusses in Bronze. Dieser Makel blieb zwar in der Scheide verborgen, als Waffe aber war das Schwert im Kampfgetümmel jedenfalls nicht mehr zu gebrauchen, was ja bereits die fragilen Goldauflagen nahelegen. Das neunteilige Keramikset bestand aus zwei Kegelhalsgefäßen sowie vier Tellern und drei Schalen mit Ritz-, Stempel- und Kerbschnittdekor sowie schwarzglänzender Graphitierung und Rotbemalung. In der Konzeption der Muster und der Präzision der Ausführung sind sie die eindrücklichsten Vertreter der sogenannten Alb-Hegau-Keramik. Dabei bleibt noch zu beachten, dass alle Gefäße von Hand aufgebaut sind, was besonders bei den beiden ungewöhnlich großen, reich verzierten Prachttellern von über 50 cm Durchmesser einer Fertigkeit bedurfte, die noch heute Bewunderung weckt.
499 Zürn 1987, 124–127. Taf. 223–228.
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Abb. 90: Gomadingen. Der Griff des eisernen Schwertes ist mit delikatem Goldblech belegt und die Klinge ist repariert. Die Prunkwaffe diente zu Repräsentationszwecken und nicht zum Kampf (um 700 v. Chr.).
Der prächtige Dekor auf der Innenseite kam nur zur Geltung, wenn die flachen Teller und Schalen leer präsentiert wurden. Auch die niedrige Brenntemperatur widerspricht einer praktischen Verwendung dieser Luxusware, die im Übrigen unter dem Siedlungsabfall nur sehr spärlich auftritt. Sie entbehrt genauso einer Funktion im alltäglichen Gebrauch wie das Schwert mit geflickter Klinge und goldbelegtem Griff. Hingegen besitzen alle zehn Objekte einen hohen Schauwert, der bei einer Inszenierung während der Bestattungsfeierlichkeiten seine Wirkung kaum verfehlt haben dürfte. Bei der Verbrennung des Leichnams wurden sie dem Feuer nicht übergeben. Etwas verschieden zu Gomadingen, wenn auch ungefähr in den gleichen Zeitabschnitt datierend, sind die Verhältnisse beim Fundort Poiseul im Burgund.500 Auffallend ist hier die Gleichförmigkeit der vier Bestattungen von vier Männern in vier Grabhügeln von geringem Durchmesser um 12 m. Hier handelt es sich um Körper-
500 Chaume/Feugère 1990.
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Abb. 91: Poiseul-la-Ville-et-Laperrière. Einer von vier nahe beieinander liegenden Grabhügeln, die je ein Männergrab mit Schwert und exklusives Metallgeschirr enthielten (um 700 v. Chr.).
gräber (Abb. 91). Die Hügel liegen wenige Schritte voneinander entfernt; auf dem Plan bilden sie die Eckpunkte eines Trapezes mit einer Basis von 150 m. Obwohl alle vier bei Grabungsbeginn fast vollständig eingeebnet waren, lässt sich aus dem Befund erschließen, dass jeweils nur eine Person bestattet war und nicht mit Folgegräbern zu rechnen ist. Eine der konstruktiven Eigenheiten bestand in den dichten Steinpackungen der Hügel, die nur geringen Raum boten für die Toten und ihre wenigen Beigaben. Keramikgefäße zum Beispiel gab es keine. Alle vier Männer waren mit eisernen Schwertern ausgerüstet und trugen am linken oder rechten Arm je einen dünnen Armring; drei waren mit Rasiermessern ausgestattet, einer sogar mit zwei. Von besonderem Interesse ist das Bronzegeschirr. Auffallend sind zuerst einmal die vier eisernen Schwerter mit Längen zwischen maximal 80 und 110 cm (Abb. 92). An allen waren Überreste von Textilien festkorrodiert, mit denen vermutlich auch hier die Scheiden umwickelt waren – und zwar in jeweils zwei Lagen, bestehend aus einem groben und einem feineren Fabrikat. Zweifellos hätte die außerordentliche Länge der Schwerter (und Scheiden) die Beweglichkeit von Fußkämpfern stark eingeschränkt, weshalb man bei den hier Begrabenen eher an Reiterkrieger denkt. Tatsächlich barg Hügel 2 auch eine Bronzephalere, die vermutlich von der Schirrung eines Pferdes stammt. Zum gleichen Grab gehören die einzigen Skelettreste, die eine anthropologische Aussage zuließen: Der Mann von robuster Gestalt verstarb im Alter von ungefähr 60 Jahren.501 Aus Hügel 3 stammt eine bronzene Situla, die auf Grund technischer Einzelheiten am ehesten im Ostalpenraum oder in Oberitalien hergestellt worden ist.502 In ihrem Innern lag eine gerippte Phiale zum Schöpfen einer Flüssigkeit. Schalen dieses Typs stammen mindestens zu einem Teil aus Etrurien; die beiden Autoren Bruno Chaume und Michel Feugère dachten an Vetulonia, weil von dort die meisten Exemplare dieser Art bekannt geworden sind.503 Schließlich gehört die dritte Bronze, ein rundbodiger Kessel aus Grab 1, zu einem Typ mit beweglichen Henkeln und Kreuzattaschen, dessen Hauptverbreitungsgebiet am oberen Ende der Adria liegt.504
501 502 503 504
Chaume/Feugère 1990, 10. 61. Dehn et al. 2005, 151–154; Chaume 2004, 85 f. Chaume/Feugère 1990, 43–46; Chaume 2004, 87. Chaume 2004, 85.
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Abb. 92: Poiseul-la-Ville-et-Laperrière. Die vier in den vier Grabhügeln begrabenen Männer trugen extrem lange Schwerter aus Eisen, die sie als Glieder einer sozialen Oberschicht auswiesen.
Die vier Grablegungen verhalten sich in mehrerer Hinsicht zu uniform, als dass die vier Männer in eine chronologische Reihenfolge gestellt werden könnten. Dennoch stehen ihre Hügel in geziemendem Abstand zueinander. Dass es dazwischen weitere Gräber gegeben hätte, ist nicht anzunehmen, wenngleich auch nicht ganz auszuschließen. Auch hier in Poiseul gibt es schwache Indizien für einen Kult am Grab, am offenkundigsten beim Hügel 2 mit dem 60-Jährigen und dem längsten Schwert. Insgesamt 60 Keramikfragmente aus der Aufschüttung und auch in den Steinschichten können laut den Ausgräbern nicht aus einer benachbarten Siedlung stammen, sondern seien die Überreste von Ritualen, die dann allerdings während des Hügelbaues stattgefunden hätten und nicht erst im Nachhinein.505 Auch in zwei weiteren Hügeln gibt es diese Keramikfragmente, wenngleich in geringerer Anzahl. Der Befund ist undeutlich, der daraus gezogene Schluss verschwommen formuliert, weshalb es bei einem bloßen Indiz für eine Kultausübung am Grab bleibt. Die vier Schwertträger, vermutlich Reiter, waren zweifellos Mitglieder einer tonangebenden lokalen Oberschicht und übten dort standesgemäße Funktionen aus, wie das Metallgeschirr illustriert. Sie verstarben wohl in einem geringen zeitlichen Abstand, aber innerhalb eines maximalen Zeitrahmens zwischen 730 und 650 v. Chr.506 Das importierte Bronzegeschirr verweist auf eine gewisse nach Süden gerichtete „Weltläufigkeit“, auf wie auch immer geartete Beziehungen, in einem sehr frühen Stadium. Poiseul profitierte vielleicht bereits von seiner günstigen Verkehrslage zwischen Rhône und Seine, wie einige Generationen später dann der benachbarte Mont Lassois. Noch immer in der ungefähr gleichen Zeitspanne befinden wir uns mit dem wichtigen Fürstengrab im Frankfurter Stadtwald, das 1966 bis 1967 untersucht worden 505 Chaume/Feugère 1990, 10. 13. 47. 506 Dehn et al. 2005, 154 nach Pare 1999, 286 f. Tab. 8.
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ist.507 Grabhügel 1 ist dort der größte aus einer Gruppe von dreißig Hügeln im „Eichlehen“, von denen die allerwenigsten und mit unterschiedlichem Erfolg untersucht worden sind. Der Ausgräber Ulrich Fischer rechnete mit ursprünglich gut 60 Hügeln. Hügel 1 ist von besonderem Interesse, weil in seinem Zentrum vier Gräber aus der Bronze- und Hallstattzeit übereinander und ineinander verschachtelt liegen, als ob sie sich den begehrten Platz im Mittelpunkt streitig machen würden. Dementsprechend sind die einzelnen Befunde durch die jeweils jüngeren Eingriffe gestört. Sukzessive wurde der Hügel durch neue Aufschüttungen vergrößert und erweitert bis an den Kreisgraben der letzten Phase, der einen Durchmesser von 36 m besitzt. Zu diesem Zeitpunkt stand auf der Spitze des Hügels eine grob zugeschlagene, säulenförmige Sandsteinstele, die beim Einbruch der hallstattzeitlichen Grabkammer absackte und deren oberes Ende gekappt wurde.508 Zuunterst im Hügel lag ein fast ganz zerstörtes Brandgrubengrab mit Keramik (Zentralgrab 1) der mittleren Bronzezeit aus dem 15. Jahrhundert v. Chr. Es folgte etliche Generationen später ein 30- bis 40-jähriger Mann (Zentralgrab 6) aus der späten Bronzezeit mit Dolch, Rasiermesser und Bronzenadel. Das Skelett lag in einer Steinkammer aus Trockenmauerwerk und gepflästertem Boden. Das nächstfolgende Zentralgrab 8 war sehr stark gestört; es ließ sich aus Resten von Leichenbrand mit Keramikscherben aus der Urnenfelderzeit um 1100 v. Chr. in einer Grube rekonstruieren.509 Den Schlusspunkt bildete das jüngste Zentralgrab 12 mit der Steinstele, dem nun unsere besondere Aufmerksamkeit gilt. Nach der jüngsten anthropologischen Analyse handelt es sich um das Grab eines erwachsenen Mannes von robuster Statur, kräftigen Muskelansätzen und einer Körpergrösse von 172 bis 179 cm. Ein Bruch des linken Schlüsselbeines wird ihm im Alter zu schaffen gemacht haben.510 Seinem Oberkörper entlang lag ein Bronzeschwert (86 cm), dessen breit abstehendes Ortband wiederum Fragen zu seinem Einsatz im Kampf aufwirft. Der Griffknauf hat sich nicht erhalten, muss aber zur selben Pilzform rekonstruiert werden, wie wir sie in Gomadingen kennengelernt haben. Unter dem vierteiligen Bronzegeschirr ist eine gerippte Phiale zu erwähnen von der exakt gleichen Machart wie diejenige von Poiseul; auch sie lag im Innern, auf dem Boden einer Situla. Zu Füßen des Toten befanden sich die Überreste eines Schweines, daneben ein Tranchiermesser, dessen Goldeinlagen für die alltägliche Bereitung einer Schlachtplatte doch eher übertrieben luxuriös erscheinen. An der Kammerwand gegenüber aufgereiht fanden sich das bronzebeschlagene Doppeljoch, das Kopfgeschirr und die Trensen für zwei Pferde. Ihre Ausrichtung scheint einen Wagen zu evozieren, auf dem der Tote gelegen hatte, falls hier ur-
507 508 509 510
Fischer 1979; Willms 2002. Raßhofer 1998, 88 f. Willms 2002, 25. Willms 2002, 47. 102–105.
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sprünglich nicht tatsächlich ein Gefährt stand – vollständig aus Holz und ohne Spuren im Boden zu hinterlassen.511 Ein Wagen setzt Zugtiere in jedem Fall voraus. Eher im Südsektor des Hügels konzentriert fanden sich noch weitere acht Gräber mit allerdings äußerst spärlichem Inventar, das im Extremfall nicht einmal ein Gefäß, sondern bloß eine Scherbe enthielt, weshalb eine Ansprache als Grab nicht in jedem Fall überzeugt. Noch rätselhafter sind die 15 radial angeordneten „sekundären Kalksteinpackungen“, die neben Kalksteinen eigentlich keine Funde enthielten außer gelegentlich erwähnten „Streuscherben“ oder Holzkohle. Sie wurden vom Ausgräber Ulrich Fischer ebenfalls als Gräber angesprochen, obwohl das Fehlen von Knochen und anderen Funden auch ihm „freilich ein etwas bedenklicher Punkt“ erschien.512 Mindestens bei „Grab 21“, das eher einer einschichtigen Steinpflästerung gleicht als einer „Steinpackung“, zieht er deshalb eine Funktion als „Opferplatte“ in Betracht, unter anderem weil sie ihm auf das zentrale Kammergrab ausgerichtet erscheint. Deutlicher hingegen sind die Indizien bei einer Feuergrube von 80 × 140 cm, die stark mit Holzkohle durchsetzt, ansonsten aber fundleer war. Sie lag 2 m vor dem Ringgraben, der den hallstattzeitlichen Hügelfuß umgab. Die wiederholten Belegungen von Hügel 1 im Eichlehen liegen zeitlich so weit auseinander, dass man sich einen verwandtschaftlichen Zusammenhang zwischen den hier Bestatteten kaum vorstellen kann. Zudem ist Hügel 1 ja nur einer, wenn auch der größte von 29, was den Entwurf eines Gesamtbildes trotzdem illusorisch macht. Zwar erweiterten Nachuntersuchungen in den Hügeln 14 und 17 im Herbst 1986 das Bild ansatzweise.513 Mehr Substanz als der stark gestörte Hügel 14 bot Hügel 17 mit einem Steinkranz von 16 m Durchmesser. Drei Gräber mit weitaus bescheidenerem Inventar als die Zentralbestattung in Hügel 1 gehören ebenfalls in die Hallstattzeit. Hingegen öffnen zwei bronzene Knotenringe aus Grab 4 das chronologische Spektrum nun bis in die Frühlatènezeit. Für Hochrechnungen eignen sich die 30 oder gar 60 Grabhügel im Eichlehen nicht besonders, da nicht einmal die erwähnten Hügel 1, 14 und 17 vollständig untersucht worden sind. Selbst wenn man mit ein paar hundert Gräbern rechnet, würde sich bei einer Belegungsdauer von fast 1000 Jahren eine sehr kleine Gruppe gleichzeitig lebender Menschen abbilden. Von dieser statistischen Gruppe ist eine verwandtschaftliche Beziehung ebenso wenig zu erwarten, wie eine ununterbrochene Kontinuität in der Belegung des Grabhügelfeldes. Es gilt aber doch zu beachten, dass während dieser langen Zeit vermutlich nur ein Prunkgrab zustande kam, insofern handelt es sich in Grab 12 zweifellos um eine „herausragende“ Person, der besondere Verehrung zuteil wurde.
511 Pare 1992, 195. 512 Fischer 1979, 134. 141. 52–54. 49. 513 Ruppel 1991.
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Schwert und Wagen Verfolgen wir weiterhin die Prunkgräber auf der retrograden Zeitachse, so fällt der Blick auf das etwas entfernt vom bisherigen geografischen Fokus liegende „Hexenbergle“ bei Wehringen in Bayerisch-Schwaben, das 1961 archäologisch untersucht worden ist. Sein außergewöhnlich reiches Inventar ist dendrochronologisch auf ein Jahrzehnt zwischen 783 und 773 v. Chr. datiert und nimmt damit eine Schlüsselstellung ein zwischen der bronzezeitlichen Urnenfelderkultur und der eisenzeitlichen Hallstattkultur.514 Der stattliche Hügel hatte einen Durchmesser von 46 m, barg jedoch keine Nachbestattungen. Die Grabkammer aus Eichenbohlen war auf 5,2 × 4,5 m ausgelegt. In einer Ecke der Kammer türmte sich ein umfangreicher Geschirrsatz, darunter vier Kegelhalsgefäße mit Deckel und je einer innenliegenden, kleinen Schöpfschale. Eine davon bestand aus einer seidenpapierdünnen Goldfolie von nur gerade 3,8 g Gesamtgewicht und war damit untauglich für irgendeinen praktischen Nutzen. Zwischen dieser Keramikansammlung und der Bohlenwand eingeklemmt lag ein bronzenes Griffzungenschwert mit nachenförmig abstehendem Ortband. Ein kleines Stück Eibenholz wurde als das Fragment eines Bogens angesprochen. Drei Häufchen Leichenbrand waren die Überreste eines einzigen Mannes. Hingegen identifizierte ein Zweitgutachten drei Individuen: einen älteren Mann, eine jüngere Frau und ein Kind, wobei es keinen Anhaltspunkt gibt, ob sie gleichzeitig oder hintereinander zu Tode kamen. Beobachtungen in situ und die gute Erhaltung des Holzes lieferten ungewöhnliche Informationen zum Wagen mit manch altertümlichen, in die Bronzezeit zurückreichenden Bautraditionen (Abb. 93). Zwar sind die einzelnen Holzarten sehr sorgfältig auf ihre Funktion hin ausgewählt und verarbeitet worden, was in einem Widerspruch steht zur ungünstigen Spurweite und noch mehr zu den dünnen Achsschenkeln, die ein sehr schlechtes Zeugnis ablegen, was die Fahrtüchtigkeit betrifft. Dieses Fahrzeug wäre einer wirklichen Belastung nicht gewachsen gewesen, sondern kam höchstens für eine kurze Umfahrt auf gebahnten Wegen während des Bestattungszeremoniells zum Einsatz. Den Beweis für diese Annahme liefert die Dendrochronologie: Die Proben der Grabkammer und des Wagens, allesamt Eiche, sind gleich alt und stammen wahrscheinlich sogar vom gleichen Baum. Dadurch könnte man den Wagen ebenso wie das papierdünne Schälchen aus Gold „überspitzt ausgedrückt, fast als Attrappen“ bezeichnen, deren Wirkung vor allem auf dem Schaueffekt beruhte. Genau das Gleiche gilt wiederum für einzelne Geschirre aus Ton, die kaum praktischen Nutzen hatten, sei es wegen ihrer abnormen
514 Hennig 2001, 253–268 und passim; Friedrich/Hennig 1995.
Schwert und Wagen
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Abb. 93: Wehringen. Das Holz für die Grabkammer und den Wagen stammt aus dem Jahrzehnt zwischen 783 und 773 v. Chr. – und eventuell vom gleichen Baum. Der Wagen war allerdings nicht sehr fahrtauglich, da wohl nur für die Grabfeier gedacht.
Größe, ihren kleinen Standflächen oder wegen der auffälligen, aber doch schlecht haltbaren Bemalung auf ihrer Innenseite.515 Die Beobachtungen führen zum Schluss, dass in Wehringen Grabbeigaben schon mit ihrer ideologischen Funktion vor Augen hergestellt worden sind. Für einen nochmals weiteren Schritt zurück in die Vorgeschichte bietet sich das ebenfalls in Bayern gelegene Gräberfeld von Künzing an. Mit den jüngst von Aline Deike publizierten sechs urnenfelderzeitlichen Gräbern mit reicher Ausstattung be-
515 Hennig 2001, 78. 102. 44.
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finden wir uns dann im 9. Jahrhundert v. Chr. Sie bilden eine Auswahl aus der großen, von der Bronze- bis in die Hallstattzeit belegten Nekropole und reflektieren kulturgeschichtliche Fragen in diesem Zusammenhang exemplarisch.516 Die vorgestellten Gräber sind Brandbestattungen, die sich im Grabbau von den übrigen nicht unterscheiden und denen auch jegliche Monumentalität abgeht: Der Leichenbrand der durchweg männlichen Toten lag in einer einfachen Urne, die in einem engen Schacht stand. Die Sonderstellung der ausgewählten Gräber A bis F beruht in den Überresten von Elementen, die eine gehobenere Ausstattung ausmachen und die den Flammen auf dem Scheiterhaufen entgangen sind. Sie wurden schließlich unter, neben oder in dem jeweiligen Aschebehälter deponiert. Die Gräber B bis E sind etwas weniger reichhaltig, beinhalten aber immer Waffen: Schwerter, Lanzen, Pfeilspitzen.517 Soweit feststellbar handelt es sich mindestens in einem Falle um einen sehr kräftigen 40- bis 60-jährien Mann mit ausgeprägt robustem Körperbau. Zweimal wurden Tierknochen als Speisebeigaben erwähnt, nämlich von Rind und Schaf oder Ziege. Die Klinge eines Möriger Schwertes war intentional zerbrochen und verdreht; der abgetrennte Griff trägt auf der Knaufoberseite eine Einlage aus Eisen. Von einem Schwert gleichen Typs war in einem andern Grab nur gerade noch ein kurzes Klingenfragment vorhanden. Noch exklusiver, was das Material betrifft, ist eine eiserne Lanzenspitze mit Bronzetauschierungen auf Tülle und Blatt. Mit ihrer Länge von 40,5 cm und einem Gewicht von mehr als einem halben Kilo scheint sie kaum von praktischem Nutzen gewesen zu sein. Aline Deike zählt sie denn auch zu den Prestigegütern, „die auf die Bedeutung ihres Trägers sowie seinen Zugang zu Ressourcen, in diesem Falle Eisen bzw. das Wissen um seine Verarbeitung, hinweisen, die dem Rest der Bevölkerung vorenthalten waren“. Es sind die richtungsweisenden Mitglieder „lokaler Eliten ..., die über die nötigen Fernbeziehungen und materiellen Möglichkeiten verfügten“, um sich auf diese Weise hervorzuheben.518 Im Gegensatz zu den soeben erwähnten, könnte man bei den Gräbern A und F aufgrund ihrer Ausstattungen von Prunkgräbern sprechen.519 Grab F enthielt den kargen, zerschmolzenen Überrest eines Wagens, aber auch zwei Trensen samt Phaleren eines Pferdegespanns. Den Griff eines Möriger Schwertes überziehen eiserne Tauschierungen in einer Qualität, die einen Vergleich mit Gomadingen erlaubt: War es in Gomadingen Gold auf dem Holzgriff, so ist es nun, etwa 200 Jahre früher, Eisen in Bronze. Unter den weiteren Funden sind zwei Bronzegefäße hervorzuheben, eine absolute Rarität in dieser Zeit. Grab A ist das Grab des ältesten (50 bis 70 Jahre) und zugleich körperlich kräftigsten Mannes. Als Fleischbeigaben werden Hirsch oder Reh und wohl auch Schwein genannt. Auch hier handelt es sich um
516 517 518 519
Schopper 1995; Deike 2011. Deike 2012, 53–93. Deike 2012, 76. Deike 2012, 14–53. 94–108.
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Abb. 94: Künzing. Inmitten eines großen Gräberfeldes mit einfachen Brandbestattungen liegen einzelne exklusive Gräber in abgesonderten Grabgärten (grau gerastert), 9. Jahrhundert v. Chr.
ein Wagengrab. Elemente vom Zaumzeug und von der Schirrung haben Vorbilder im nordpontischen-ciskaukasischen Gebiet, sind jedoch den eigenen Bedürfnissen angepasst worden – zum Teil auf eine Art und Weise, die wenig tauglich erscheint, aber umso protziger wirkt. In Künzing scheinen alle Urnengräber egalitär, und auch bei Gräbern mit Beigaben von höchstem Standard sind keine besonderen, obertätigen Kennzeichnungen sichtbar (oder jedenfalls nicht erhalten). Eine typische Verhaltensweise, die im Zusammenhang mit Ahnenkult immer wieder begegnet, muss aber doch auffallen: Grab A und zwei weitere, von Aline Deike nicht weiter behandelte Gräber (95 und 220) lagen je in einem rechteckigen Grabgarten von rund 9 bis maximal 24 m Seitenlänge (Abb. 94). Grab 95 und 220 teilten den gewährten Freiraum mit je zwei weiteren Bestattungen; Grab A hingegen blieb solitär. Allen dreien hängen aber auf der Außenseite Schwärme von gegen hundert und mehr Gräbern an (je nach Zählart), was automatisch das Modell „Primärgrab und Nachbestattungen“ evoziert. Diese hier vorgebrachte These müsste natürlich einer genauen chronologischen Analyse standhalten.
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Repräsentative Waffen und Wagen gehören zu den wesentlichen und wiederkehrenden Elementen von Prunkgräbern in Mitteleuropa während der ganzen ersten Hälfte des ersten Jahrtausends. Die Wagen sind mit seltenen Ausnahmen vierrädrig und werden von zwei Pferden gezogen, die unter einem Joch gehen. Drehbare Achsschemel und komplizierte Aufhängungen, wie zum Beispiel am Wagen der Dame von Vix, zeugen von einer dynamischen Wagenbaukunst, die auch elegante Lösungen hervorbrachte. Der stets lange und schmale Kasten sowie die niedrigen Balustraden scheinen wie geschaffen für den Transport des Leichnams bis zum Grabhügel während der Bestattungsfeiern. Nur im Fall von Wehringen gelang der Nachweis, dass das Gefährt extra zu diesem Anlass gebaut worden ist. Üblicherweise zeugen die stabilen Nabenkonstruktionen, die stark beschlagenen Eisenreifen und manchmal auch Abnutzungsspuren an Metallteilen davon, dass viele dieser Fahrzeuge doch für einen effektiven Gebrauch unter großer Belastung ausgelegt waren, obwohl man sich ihren Einsatz für Transporte, Reisen oder gar im Kampf aus unterschiedlichen Gründen nicht wirklich vorstellen kann. Christopher Pare äußerte deshalb die Idee, dass diese Wagen auch bei kultischen Prozessionen und Umgängen zum Einsatz kamen, während Markus Vosteen im Wagen an sich ein religiöses Vehikel verstehen wollte, über dessen Stellenwert in der damaligen Weltensicht man jedoch nur spekulieren könne, was durchaus verständlich ist, wenn man bedenkt, wie wenig wir überhaupt über die damaligen Religionen wissen.520 Beide Autoren haben neben den Gräbern weitere Fundgattungen mit einem Bezug zu Wagen (zum Beispiel Depotfunde mit Wagenelementen, Modelle von Kesselwagen) aus der Bronzezeit herangezogen oder gar Religionsstränge bis ins Neolithikum und in den Vorderen Orient zurückverfolgt, um zu ihren Deutungen zu gelangen. Unter dem hier beobachteten Blickwinkel ist es von besonderem Interesse, dass ein Kultgefährt oder ein Ritualobjekt, falls es denn für eine größere Kultgemeinschaft von Bedeutung war, mit einer einzelnen Person assoziiert und dieser mit ins Grab gegeben wurde: ein bemerkenswerter Vorgang, der für eine bedeutende Stellung dieser Person innerhalb der Gesellschaft und für ihre Mittlerfunktion zwischen Diesseits und Jenseits spricht, wie es im Ahnenkult angelegt ist. Das impliziert aber auch, dass der Ahnenkult in der Realität stark geprägt ist von den herrschenden sozialen Verhältnissen. Sowohl konstruktive Eigenheiten der Wagen wie auch die Tradition, vierrädrige Wagen mit ins Grab zu geben, ließen sich von der Hallstattzeit zurück in die frühe Urnenfelderzeit verfolgen. Im schweizerischen Mittelland und in Süddeutschland taucht die Sitte der Wagengräber bereits im 13. Jahrhundert v. Chr. auf. Da in der frühen Phase Brandbestattungen vorherrschen und die Wagen mitverbrannt worden sind, sind die Überreste oft schwer zu bestimmen; aber auch Zaumzeug kann bei der Identifizierung eines Wagens helfen. Gerade das Zaumzeug im Alpen-
520 Pare 1992, 135. 177–218; Vosteen 1999, 181–186.
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vorland offenbart zudem weitreichende Kontakte und kulturelle Beeinflussungen aus dem Karpatenbecken und dem nordpontischen Steppengebiet: Schirrungsteile wurden übernommen und den eigenen Erfordernissen angepasst.521 Bei den Wagen zeichnen sich urnenfelderzeitliche Bautraditionen von Ostfrankreich bis nach Böhmen und Ungarn ab. In diesem Raum entwickelte sich der vierrädrige Wagen zu einem prestigeträchtigen Rangabzeichen einer aristokratischen Elite, deren Ideologie laut Christopher Pare in einem indo-europäischen Substrat wurzeln könnte. Obwohl im Verlaufe der Zeit einige bautechnische Elemente von etruskischen zweirädrigen Streitwagen übernommen worden sind, waren die vierrädrigen Zeremonialwagen doch eine nordalpine Schöpfung, die neben ihrer Bedeutung „als Heilszeichen und kosmologisches Symbol“ in der Lebendwelt auch „zur Verherrlichung und Heroisierung des Toten dienten“.522 Ein wichtiger Indikator für Eliten in der späten Urnenfelderzeit und älteren Hallstattzeit (900−600 v. Chr.) sind neben den Wagen die Schwerter, welche in der nachfolgenden jüngeren Hallstattzeit von den Dolchen abgelöst werden, wie wir sie unter anderem in den Gräbern von Hochdorf, vom Magdalenenberg, bei der Heuneburg sowie an der Statue von Hirschlanden bereits kennengelernt haben. Vorerst sind es jedoch noch die Schwerter, die das Feld beherrschen. Deren jüngste Varianten aus Eisen stehen am Ende einer langen waffentechnischen Entwicklung, deren Rekonstruktion aus bronzenen Vorformen ein in der Forschung vieldiskutiertes Thema war und noch immer ist.523 Unwidersprochen ist dabei ein starker Einfluss aus dem Raum beidseits des Ärmelkanals (und für einmal nicht aus dem Süden), der nach 800 v. Chr. auf den mitteleuropäischen, nordalpinen Kulturkreis einzuwirken begann, sodass englische Forscher bereites von einer „Atlanticization“ Europas sprechen.524 Auffallend ist, dass das neue Material Eisen zuerst und während längerer Zeit ausschließlich zur Herstellung von Schwertern diente, bevor es eine weitere Verwendung bei der Herstellung von Werkzeug und Geräten verschiedenster Art fand, was auch so viel bedeutet, dass die waffenführende Elite sich dieses Monopol vorerst zu wahren wusste.525 Am Ende dieser Entwicklung liegen die Schwerter mit einem pilzförmigen Griff vom Typus Mindelheim gar nicht mehr so leicht in der Hand, sondern sind bestenfalls als Schlagwaffen vom Pferd oder von einem Wagen herab zu gebrauchen, wie es bereits aufgrund der weitabstehenden Ortbänder angedeutet worden ist.526 Zu einem Teil sind es wie beim Schwert von Gomadingen
521 522 523 524 525 526
Zuletzt Deicke 2012, 15–27. Pare 2004; Pare 1987, 232. Milcent 2008; Brun et al. 2009; Milcent 2012. Koch 2013, 138. Brun et al. 2009, 484. Schauer 1971, 225.
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mit seinen Goldauflagen und der Klingenreparatur reine Zeremonialwaffen, die den Besitzer an besonderen Anlässen wie eben auch bei der Grablegung auszuzeichnen hatten. Auch diese Diskussion, nämlich die Funktion bestimmter Schwerttypen als reine Paradewaffen, wurde bereits in Bezug auf urnenfelderzeitliche Vollgriffschwerter wie dem Typ Mörigen von verschiedenen Autoren geführt.527 *** Die Eliten kurz nach der Jahrtausendwende zeichnen sich ebenso deutlich in den Grabsitten ab wie in den darauf nachfolgenden Jahrhunderten der Hallstattzeit. Aber auch hier sind es keine neuen sozialen Phänomene, die Wirkung zeigen, sondern sie haben ihrerseits eine Vorgeschichte, die bis in die Bronzezeit zurückreicht. Dort sind sie allerdings je nach Zeit und Raum in den Grabformen und Grabausstattungen unterschiedlich gut fassbar. Indikatoren für Elitegräber sind generell die Zeremonialwagen, die Waffen und das Metallgeschirr sowie Fremdgüter, Gold und Bernstein. Jetzt wie auch später wurden Pferdegespanne getötet und ebenfalls in den Hügel eingebracht, in der Regel in einer separaten Kammer oder Grube, weshalb ihre Überreste bei Ausgrabungen oft kaum beachtet und zu wenig gewertet worden sind; bisweilen sind es gerade die größten Hügel mit den geräumigsten Kammern, mit Waffen und andern Prestigegütern von hohem Wert. Vielleicht sind die Pferde überhaupt die kostbarsten von allen Grabgütern, die den Status der verstorbenen Besitzer am deutlichsten anzeigen.528 Am nachhaltigsten, da sichtbar weit über die Bestattungsfeierlichkeiten hinaus, sind die Grabhügel selber. Gerade „the monumental nature of the late Urnfield tumuli, along with the high quality of some of the grave furnishings, suggests that the tumulus burial rite was adopted to express high status within a social hierarchy, first in the north-west Alpine zone, then in the areas further to the east and west. If this is correct, then only a small minority of the population during the late Urnfield and early Hallstatt period in this area was buried with a formal rite which is recognisable archaeologically. The mass of the population was disposed of in some other way, either archaeologically invisible or almost invisible ...“.529 Die Zurschaustellung von Wertsachen bei der Grablegung und die bleibende Monumentalität mögen bis zu einem gewissen Grad der Wertschätzung der verstorbenen Person entspringen. Sie sind aber auch eine Strategie der Machterhaltung der Nachkommenschaft. Dieser Strategie inhärent oder ein Teil von ihr ist der Ahnenkult. Er verdeutlich sich am besten im Hügel selbst, der sichtbaren und bleibenden Gedenkstätte – vielleicht sogar wie im Falle von Künzing eingehegt in Grabgärten – und den sich außen anschließenden Einfachbestattungen der Folgegenerationen.
527 Siehe Deicke 2012, 58–60. 528 Hennig 2001, 63–72. 102. 529 Pare 1992, 89.
Schwert und Wagen
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Die bereits damals als Elitegräber erkannten Monumente werden in der Folge gerne von jüngeren Elitegruppen als Bestattungsplätze ausgewählt, wie wir oben gesehen haben (Frankfurt, Vix, Unterlunkhofen) – gewissermaßen unter Berufung auf eine zu Recht oder zu Unrecht präjudizierte Legitimation durch Vererbung. Für einen Kult am Grab fehlen die archäologischen Nachweise in dieser Zeit fast vollkommen. Der Grund dazu liegt bis zu einem gewissen Teil vermutlich im Stand der Forschung. So findet sich in den nach allen Seiten hin sorgfältigen Ausführungen Hilke Hennigs über die Gräber in Bayerisch-Schwaben keine Bemerkung zu allfälligen Überresten im Boden, die auf einen länger dauernden Kult schließen lassen. Dies mag daran liegen, dass an solche gar nie gedacht worden war, da bei den Altgrabungen in den meisten Fällen die Ausgrabungsflächen zu klein und die Grabungstechniken früher Forschungen noch zu wenig ausgebildet waren.530 Andererseits stellte sich die Frage bei der theoretischen Aufarbeitung der Genese der bronze- und urnenfelderzeitlichen Elitebildung auch nie, weil diese sich weitgehend in der Definition von Klassensystemen (genau genommen der Elitegräber, in der Meinung es handle sich um das ganze soziale Spektrum der Verstorbenen) und der Perfektionierung von „Statustabellen“ fast ganz erschöpfte.531 Nach anfänglicher Skepsis, ob sich im Totenbrauchtum überhaupt ein soziales Regelwerk spiegeln würde, kam Hilke Hennig doch zum Schluss, man könne sich dahinter „Machtträger und deren Anhang vorstellen, jene Schicht also, welche Verfügungsgewalt über materielle Güter und Produktionsmittel sowie Verfügungsgewalt über deren Distribution und Redistribution besessen, die Tausch und Handel im weitesten Sinne kontrolliert, und die wohl auch in Bezug mit den Hütern der Tradition und des Wissens gestanden haben mag. Man kann sich ... vorstellen, dass der Personenkreis, der diese Macht ausübte – und, wie im Grabbrauch dargestellt, einen repräsentativen Lebensstil pflegte ... – seinen Status zunächst innerhalb der engeren oder weiteren Verwandtschaft bezog“. Für das normierte Verhalten im Bestattungswesen über große Räume hinweg seien weiträumig geltende religiöse Vorstellungen verantwortlich.532 Während dem ersten Teil von Hennigs Ausführungen ohne Abstrich zuzustimmen ist, wird man die religiöse Ursache für diese einheitlichen Grabsitten doch in Zweifel ziehen müssen. Erstens fehlen uns sämtliche Kenntnisse eines religiösen Überbaues, der solche Bedingungen fordern könnte. Zweitens kann es in vorgeschichtlicher Zeit keine Institution geben, die eine solche Vereinheitlichung in den Details, wie sie uns entgegengetreten sind, vorgibt. Selbst unter den modernen Weltreligionen gelingt die Definierung und Durchsetzung einer einheitlichen Doktrin nur der katholischen Kirche und auch ihr nur bedingt.
530 Dazu mit Ironie aber bar jeder Überheblichkeit das Bild bei Hennig 2001, 14. 531 Siehe Eliten 1999. 532 Hennig 2001, 99 f. 118.
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Sichtbar im archäologischen Befund ist allerdings eine soziale Oberschicht, die über funktionierende Kommunikationswege und weite geografische Verbindungen verfügt, woraus sich eine allgemein verständliche Semantik entwickelt. Im gemeinsamen Interesse dieser Oberschicht bildet sich ein Verhaltenskodex, um einen einmal gewonnen Status zu halten. Und einer der Paragraphen dieses Regelwerkes, das sich offenbar bewährt und tradiert hat, ist der Totenkult beziehungsweise der Ahnen- oder Heroenkult. Dabei kann die Bezugnahme auf Vorfahren mit religiösen Vorstellungen allgemeinster Art zusammenhängen, deren Wurzeln weit zurückreichen, eventuell bis in ein indoeuropäisches Substrat.
10 Schlussbetrachtung und Ausblick Herrschaft braucht Herkunft. Jan Assmann
Zeichen der Distinktion In der griechischen und römischen Antike samt ihren gallorömischen Ablegern in den nördlichen Provinzen lassen sich an herausragenden Bestattungen Merkmale anführen, welche diese als Heroengräber definieren. Das Heroengrab selber ist ein auf Dauer angelegtes Erinnerungsmal in Form eines Hügels oder einer Architektur in Stein, die sich oft nicht von Tempelbauten für Götter unterscheidet. Die Unvergänglichkeit von stabilen, monumentalen Grabbauten wird zu einem Sinnbild des Weiterlebens der verstorbenen Person und widerspiegelt gleichzeitig die Beständigkeit des sozialen Regelwerks der Lebenden. Die Sichtbarkeit des Monuments wird gefördert durch einen abgehobenen topografischen Standort oder durch die Lage an einer viel begangenen Straße, unter Umständen auch durch die Absetzung von übrigen Gräbern mit einfacherer Bauweise. Bei skulptierten Steindenkmälern stehen die dargestellten Motive und Themen in einem Zusammenhang mit der verstorbenen Person und ihrer Funktion zu Lebzeiten. Grabbeigaben – sofern vorhanden – können von überdurchschnittlicher Qualität und höchstem Wert sein. Das Monument als Erinnerungsmal bildet den Bezugspunkt für kultische Handlungen, welche längere Zeit über die eigentliche Grablegung hinaus andauern. Diese äußern sich im archäologischen Befund in Opfergaben, die sich nicht von den Gaben an Götter unterscheiden, und in den Überresten von Mahlzeiten, die am Grab abgehalten wurden. Selbstredend wurden diese Sonderrechte nur ganz wenigen, und zwar Männern wie Frauen, zuteil. Heroen erlangen durch ihre herausragenden Leistungen an der Gemeinschaft der Lebenden den Status der Unsterblichkeit nach dem Tod. Als Halbgötter sind sie den Göttern ähnlich, wodurch sie eine Mittlerrolle zwischen den Menschen und den unsterblichen Göttern einnehmen. In dieser Stellung wirken sie schicksalsbestimmend und können den Hinterbliebenen als „Schutzpatrone“ und „Nothelfer“ dienen, wodurch sie eine gewisse Ähnlichkeit mit den christlichen Heiligen aufweisen. Durch die Markierung des Grabes im Gelände und durch die Ausübung des Kultes versuchen die Nachkommen unter Umständen ihr Anrecht auf Grund und Boden zu rechtfertigen. Noch stärker verdeutlicht sich ein Rechtsanspruch der Hinterbliebenen auf die eigentliche Vormachtstellung und die Privilegien ihres heroisierten Vorfahren, die es über die Generationenschwelle hinüberzuretten gilt. Entscheidende Wirkung geht jedenfalls von den Bestattungsfeierlichkeiten aus, die
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Schlussbetrachtung und Ausblick
von einem engen Familien- und Personenkreis der Hinterbliebenen ausgerichtet werden. Genauso öffentlichkeitswirksam verhalten sich die bevorrechtigten Nachfolgegenerationen, wenn sie ihre eigenen Grabstätten in unmittelbarer Nachbarschaft des heroisierten Ahns anlegen. Am Beispiel Rom zeigt sich, wie gesteuerte Mythenbildung um Gründerheroen sowie übersteigertes Funeralzeremoniell und monumentale Grabarchitektur seit der späten Republik zum politischen Propagandamittel werden, um einmal erlangte Herrschaftsrechte zu institutionalisieren. Alle die aufgezählten archäologischen Elemente des mediterranen Ahnen- und Heroenkultes finden sich im 1. Jahrtausend v. Chr. in entsprechender Form auch nördlich der Alpen wieder. Monumentale Wirkung erzeugten die Grabhügel, an denen Kultfeiern und Festmähler stattfanden, in die auch die Verstorbenen miteinbezogen werden konnten. Im Idealfall hielt die kultische Verehrung über Generationen hinweg an. Bei frühen Ausgrabungen sind deren Spuren allerdings leicht übersehen worden. Oft lässt sich mit archäologischen Mitteln auch hier die Memorialarchitektur nicht von der Sakralarchitektur für den Götterkult unterscheiden. Ein starkes Moment sind die typischen „symbols of excellence“, welche einem Verstorbenen mit ins Grab gegeben worden sind: Wichtig sind dabei die am Körper getragenen Rangabzeichen. Ferner sind es neben den üblichen kostbaren Materialien und den aus der Fremde bezogenen Luxusgütern auch Koch- und Bankettgeschirr inklusive zum Teil gewaltige Mengen an Fleischvorräten, die von Weitblick und Wohlstand des Verstorbenen wie dessen Hinterbliebenen zeugen. Ihre Niederlegung in gezimmerten Kammern lässt die Vermutung aufkommen, dass sich dahinter die Idee einer Wohnung samt Haushaltung spiegelt. Zusammen mit den mitgegebenen Alltagsutensilien bekunden sie eine stärker ausgeprägte Vorstellung eines Lebens im Jenseits als im griechischen und römischen Totenkult. Nicht wenige anthropologische Untersuchungen zeugen von guter Ernährung, gesunder Lebensweise und bei einigen Männern von körperlicher Ertüchtigung, die in Kampf und Wettkampf von Nutzen waren. Anzahl und Bedeutung der Waffen in den Gräbern lassen erahnen, dass eine gewaltsame Durchsetzung von Ansprüchen auf Status und Besitz nicht unüblich war. Man wird kaum fehlgehen, in diesen Männern und Frauen die Repräsentanten der sozialen Oberschicht zu erkennen, einer Nobilität, wie sie in der antiken Literatur für das 1. und 2. Jahrhundert v. Chr. beschrieben wird und wie sie in der vorangehenden Zeit zu vermuten ist. Hallstattzeitliche Prunkgräber nisten sich bisweilen in bedeutend ältere bronzezeitliche Vorgänger ein, bevor ihr Hügel dann seinerseits von unmittelbar nachfolgenden Generationen als Bestattungsort in Anspruch genommen wird. In diesem Vorgehen kann man eine bewusste Bezugnahme auf berechtigte oder unberechtigte idealisierte Ahnen sehen. Sogenannte Fürstensitze in Sichtweite dieser Nekropolen müssen selbstredend als die Stammsitze solcher Herrschaften angesehen werden. Die Beigaben in den Kammern können beträchtliche Ausmaße annehmen, worunter den vierrädrigen Wagen mit oder ohne Pferdegespanne eine besondere Bedeutung zukommt, die vielleicht sogar religiös motiviert war.
Zeichen der Distinktion
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Ein eigentlicher Kult am Grab ist selten belegt, was jedoch eher dem lückenhaften Forschungsstand anzulasten ist. Einen deutlichen Bezug zum Ahnen- und Heroenkult lässt sich hingegen aus den seltenen figuralen Stelen erschließen, die auf oder neben den Hügeln standen. Unmissverständlich wird der Verstorbene dargestellt, vielleicht sogar in einem entscheidenden Moment des Bestattungsrituals, der öffentlichen Zurschaustellung und Apotheose. Wem überhaupt ein Grab und in welcher Form zustand, ist aus heutiger Sicht in vielen Fällen schwierig zu entscheiden. Auch ist die Abgrenzung vom Ahnenkult zum Heroenkult eine Ermessenssache, die in der Forschung unterschiedlich abgesteckt wird. Alles deutet jedoch darauf hin, dass der gesteigerte Ahnenkult oder Heroenkult ein Privileg der Oberschicht war, das der sozialen Distinktion diente. Eindeutig sind die Auswirkungen, welche die unterschiedlichen Ausgrabungstechniken auf unsere Kenntnisse über Ahnenkult haben. Nur dort, wo größere Ausgrabungsareale um die Gräber herum untersucht worden sind, kam eine solche Fragestellung während der Grabung und bei der Auswertung überhaupt ins Spiel. Dies verdeutlichen neben den griechischen auch einige der provinzialrömischen und spätlatènezeitlichen Beispiele. Dort wo der Grabungsperimeter unmittelbar um den Grabhügel gezogen worden ist, wie für die Hallstatt- und Spätbronzezeit allzu oft geschehen, sind auch die Voraussetzungen für eine solche Fragestellung verloren. Und das wohl für immer. Es hat sich gezeigt, dass die Erforschung des Ahnen- und Heroenkults gekoppelt ist mit einer Sozialgeschichte, da offensichtlich und aus materiellen Gründen nur eine oberste Führungsschicht in der Lage ist, ein solches Instrument zu ihrem eigenen Nutzen zu errichten und zu unterhalten. Heroenkult ist ein nicht unbedeutender Bestandteil des vielzitierten Konzepts der „Erinnerungskultur“ von Jan Assmann, wobei Assmann kaum darauf eingeht, dass diese Kultur des Erinnerns ein Instrument der tonangebenden, verwandtschaftlich verbundenen Oberschicht darstellt, da vor allem sie ein Interesse an der Kontinuität eines einmal etablierten Herrschaftssystems mithilfe einer „Erinnerungskultur“ hatte. Denn nur aus dieser Gruppe rekrutieren sich die Protagonisten und Handlungsträger in den Mythen, was in der Antike so viel heißt wie in der Geschichte: „Herrschaft braucht Herkunft“. Die personenbezogene Erinnerung der großen Masse hingegen beschränkt sich auf den Informationsfluss der „Oral History“, die bestenfalls 80 Jahre beziehungsweise drei Generationen zurückreicht.533 Diese „große Masse“ der „unteren Zehntausend“ ist allem Anschein nach im uns bekannten archäologischen Inventar nicht einmal vertreten. Es lässt sich daraus schließen, dass Gräber weniger mit Religion und sehr viel mehr mit Soziologie zu tun haben müssen, als gemeinhin angenommen wird.
533 Assmann 1992, 70 f.
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Schlussbetrachtung und Ausblick
Abb. 95: Hagenau. Der Mann ist schwer bewaffnet mit Dolch, Kurzschwert, Langschwert, Streitaxt und Bogen. Zudem trägt er eine Ziernadel und goldene Lockenringe. Zu seiner Zeit im 14. Jahrhundert war er sicher eine tonangebende Person in seiner Gemeinschaft.
Schließlich stellt sich die Frage, ob das Einsetzen und allenfalls die Steigerung des Grabkultes zum Heroenkult im 1. Jahrtausend v. Chr. ein Zeichen ist für eine sich verstärkende Hierarchisierung der sozialen Strukturen, und ob dieses Phänomen in Verbindung steht mit einem entwicklungsgeschichtlichen Schub, ausgelöst durch die Gewinnung und Nutzung von Metallen mit allen Folgen für Handel und Wandel. Um den Ahnenkult bis zu seinen Wurzeln zurückzuverfolgen, müsste man einen Blick bis weit über die Jahrtausendschwelle hinauswerfen. Aber hier sind vorläufig noch zu wenige, aus archäologischen Ausgrabungen bezogene Grundlagen vorhanden, um die langen chronologischen Zeitspannen und weiten geografischen Räume zuverlässig zu durchqueren. Prunkgräber, die auf einen hohen Status der verstorbenen Person verweisen, sind zweifellos vorhanden, jedoch ist der Nachweis von Kulthandlungen am Grab aufgrund der publizierten Ausgrabungsberichte immer schwieriger zu erbringen. Auch würde sich die Diskussion um die Frage erweitern, inwiefern die archäologischen Anhaltspunkte für Ahnenkult sich auf eine Einzelperson oder auf ein Kollektiv beziehen. Eine Kette von Einzelgräbern der allerhöchsten Klasse reicht zum Beispiel von den Befunden von Hagenau in Bayern für die Späte Bronzezeit (Abb. 95) 534 über
534 Stary 1980.
Zeichen der Distinktion
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Spiez im Berner Oberland und Leubingen und Helmsdorf in Thüringen für die Frühe Bronzezeit 535 bis zum Bogenschützen von Amesbury bei Stonehenge.536 Ein differenzierteres Bild dürfte sich für die Kollektivgräber der Megalithik ergeben.537 *** Die Ehrbezeugung gegenüber verstorbenen Mitmenschen besitzt Züge einer allgemeingültigen Verhaltensweise. Ihre Form ist geprägt durch das kulturelle Umfeld einer Epoche, ihre Intensität diktiert das herrschende soziale System. Ahnenkult, in seiner gesteigerten Form bis hin zum Heroenkult, erwies sich als ein universelles Phänomen, das Wirkung bis in die Moderne zeigt. Denn: Was verbindet letztlich den Grabhügel des Patroklos vor Troja mit der Peterskirche in Rom, dem Dôme des Invalides in Paris und dem Leninmausoleum in Moskau?
535 Hafner/Suter 1998. – Kienlin 2008; Steffen 2010. 536 Fitzpatrick 2011. 537 Siehe zum Beispiel Beinhauer et al. 1999; Veit 2008.
11 Bibliografie Das Manuskript wurde im Spätherbst 2015 abgeschlossen. Die jüngste, nur noch sporadisch eingeflossene Literatur stammt aus dem Jahre 2014. Die Kürzel der antiken Autoren und Sigel richten sich nach den Verzeichnissen im „Lexikon der Alten Welt“ (Zürich 1965). Agnoli et al. 2014: Nadia Agnoli, Elisabetta Carnabuci, Giovanni Caruso und Ersilia Maria Loreti. Il Mausoleo di Augusto. Recenti scavi e nuove ipotesi ricostruttive. In: Letizia Abbondanza (Hrsg.) Apoteosi da Uomini a Dei. Il Mausoleo di Adriano (Rom 2014) 214–229. Albers 2013: Jon Albers. Campus Martius. Die urbane Entwicklung des Marsfeldes von der Republik bis zur mittleren Kaiserzeit. Studien zur antiken Stadt 11 (Wiesbaden 2013). Alföldy 2005: Géza Alföldy. Romanisation – Grundbegriff oder Fehlgriff? Überlegungen zum gegenwärtigen Stand der Erforschung von Integrationsprozessen im römischen Weltreich. In: Zsolt Visy (Hrsg.) Limes XIX. Proceedings of the XIXth International Congress of Roman Frontier Studies held in Pécs, Hungary, September 2003 (Pécs 2005) 25–56. Alt et al. 2005: Kurt W. Alt, Peter Jud, Felix Müller, Nicole Nicklisch, Adelina Uerpmann und Peter Vach. Biologische Verwandtschaft und soziale Struktur im latènezeitlichen Gräberfeld von Münsingen-Rain. Jahrbuch des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 52, 2005, 157–210. Amici 1991: Carla Maria Amici. Il Foro di Cesare. Il linguaggio dell’architettura romana 2 (Firenze 1991). Andreae 2001: Bernard Andreae. Skulptur des Hellenismus (München 2001). Andronikos 1968: Manolis Andronikos. Totenkult. Archaeologia Homerica 3, Faszikel W (Göttingen 1968). Antonaccio 1995: Carla M. Antonaccio. An archaeology of ancestors: tomb cult and hero cult in early Greece (Lanham 1995). Antonaccio 1999: Carla M. Antonaccio. Colonization and the Origins of Hero Cult. In: Robin Hägg (Hrsg.) Ancient Greek Hero Cult. Proceedings of the Fifth International Seminar of Ancient Greek Cult, organized by the Department of Classical Archaeology and Ancient History, Göteborg University, 21–23 April 1996 (Stockholm 1999) 110–121. Antonaccio 2002: Carla M. Antonaccio. Warriors, Traders and Ancestors: the „Heroes“ of Lefkandi. In: Højte Jakob Munk (Hrsg.) Images of Ancestors. Aarhus Studies in Mediterranean Antiquity 5 (Aarhus 2002) 13–42. Arcelin/Brunaux 2003: Patrice Arcelin und Jean-Louis Brunaux. Cultes et sanctuaires en France à l’âge du Fer. Gallia 60, 2003, 1–268. Assmann 1992: Jan Assman. Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen (München 1992). Auberson/Schefold 1972: Paul Auberson und Karl Schefold. Führer durch Eretria (Bern 1972). Baitinger 1996: Holger Baitinger. Ein Trinkhorn aus dem spätlatènezeitlichen Prunkgrab Asperg „Grafenbühl“, Kr. Ludwigsburg? Archäologisches Korrespondenzblatt 26, 1996, 173–177. Baitinger 2010: Holger Baitinger: Der Glauberg – ein Fürstensitz der Späthallstatt-/Frühlatènezeit in Hessen. Materialien zur Vor- und Frühgeschichte von Hessen 26. 2 Bde. (Wiesbaden 2010). Baitinger 2013: Holger Baitinger. Die ‚Fürstensitze‘ der Späthallstatt-/Frühlatènezeit als Zentralisierungsphänomen. In: Svend Hansen und Michael Meyer (Hrsg.) Parallele Raumkonzepte. Topoi, Berlin Studies of Ancient World 16 (Berlin 2013) 243–261. Baitinger/Pinsker 2002: Holger Baitinger und Bernhard Pinsker (Hrsg.). Das Rätsel der Kelten am Glauberg. Ausstellungskatalog Frankfurt a. M. (Stuttgart 2002). Baltrusch 2011: Ernst Baltrusch. Caesar und Pompeius (Darmstadt 2011).
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12 Ortsregister Orte und archäologische Fundstätten Acy-Romance 171–174 Agamemnoneion 31–32, 100 Aigai s. Vergina Alexandria 52–54, 58, 66, 68, 71 Amesbury 259 Asperg – Grafenbühl 213–214, 223, 232–233, 235 – Hohenasperg 196–197, 214–215, 218, 233 – Kleinaspergle 195–197, 214 Avenches – Derrière La Tour 120 – En Chaplix 113–119, 123, 129 – Russalet 118–119, 123 – Sanctuaire du Cigonier 119 Aventicum s. Avenches Bartringen 124–125, 128–129 Basel – Gasfabrik 198 Belginum s. Wederath Biberist 120–123 Bierbach 124, 128–129 Buchs 123 Camulodunum s. Colchester Capestrano 220–221 Cerveteri 6 Clemency 153, 158–161, 183 Colchester – Gosbecks 147–148 – Stanway 146–148 Courroux 123 Courtesoult 223 Dällikon 123 Dietikon 123 Dubnik 187 Eleusis 38–41, 100 Ephesos 54–55, 71, 101 Eretria 34–38, 100–101 Estrées-Deniécourt 161 Frankfurter Stadtwald 240, 243–245
Gäufelden-Nebringen 185 Goeblingen-Nospelt 153–161 Gomadingen 240–241, 244, 248, 251 Gournay-sur-Aronde 168–171 Glauberg 187–195, 200, 203, 218, 226, 232–234 Gloucester – Wotton Cemetery 149 Hagenau 258 Hambacher Forst 134 Heidetränk-Oppidum 197–198 Helmsdorf 259 Heuneburg 218, 228–234, 251 Hirschlanden 218–222, 234–236, 251 Hochdorf 214–222, 231–236, 239, 251 Horath – Kaisergarten 175–179 Künzing 247–249, 252 Lamadeleine 160–162 Lavinium 59–61, 102 Lefkandi 44–49, 100–101 Leubingen 259 Lullingstone 137–140 Manching 198–199 Menelaion 32–34, 100 Montmartin 171–172 Münsingen 179–184, 199 Newel 125–129 Olympia 41–44, 49, 100–101 Ostia 89–91 Poiseul-la-Ville-et-Laperrière 240–243 Reinheim 193–195 Ribemont-sur-Ancre 163–167, 171 Rom – Forum Augusti 72, 76–79 – Forum Iulium 17, 74–76, 78 – Forum Traiani 55, 68–71 – Grab der Caecilia Metella 82–84 – Grab der Scipionen 80–82
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Ortsregister
Rom (Fortsetzung) – Mausoleum Augusti 20, 65–68 – Mausoleum Hadriani 71–74 – Porta Esquilina 92 – Pyramide des Caius Cestius 84–85 – Templum Divi Iulii 64–65 Simpelveld 7–8 Spiez 259 St. Albans – Folly Lane 140–146 Titelberg 158–162 Troja 10, 23–26, 41, 49–51, 59–61, 68, 101–102, 259 Unterlunkhofen 211–212
Vâton 129–133 Vergina 53 Verulamium s. St. Albans Villingen – Kapf 227 – Magdalenenberg 45, 223–228, 230, 232, 235, 240, 251 Vix 205–206, 210–212, 232, 240, 250, 253 – Les Herbues 208–210 – Mont Lassois 109, 205–211, 231, 243 Wederath 178 Wehringen 246–247, 250 Wintrich 175, 178, 183–184, 187 Wölfersheim 135 Wood Lane End 140–142
13 Bildnachweis Nicht für alle Bilder konnten die Urheberrechte ermittelt werden. Berechtigte mögen sich umgehend an den Autor wenden. 1 3 4 5
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286 58 59 60 61/62 63 64 66/67 68 69 70 71/72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86/87 88 89 90 91/92 93 94 95
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