Meine Erlebnisse während des Krieges in Kamerun und in englischer Kriegsgefangenschaft: Vortrag gehalten in der Abteilung Hamburg der Deutschen Kolonialgesellschaft, am 30. Januar 1915 [Reprint 2019 ed.] 9783111652702, 9783111268873


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Meine Erlebnisse während der Krieges in Kamerun und in englischer kriegrgesangenschast
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Meine Erlebnisse während des Krieges in Kamerun und in englischer Kriegsgefangenschaft: Vortrag gehalten in der Abteilung Hamburg der Deutschen Kolonialgesellschaft, am 30. Januar 1915 [Reprint 2019 ed.]
 9783111652702, 9783111268873

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Abteilung Hamburg der Deutschen kolonialgesellschaft

Meine

Erlebnisse während der Krieges in Kamerun und in englischer kriegrgesangenschast von

Dr. ®. vöhringer (Stuttgart-Gableuberg)

Vortrag gehalten in der Abteilung Hamburg der Deutschen Noloniaigesellschaft am 50. Januar (0(5

Preis 25 Pfennig Der Ertrag ist für Kriegsgefangene aus den Deutschen Kolonien und/oder deren Angehörige bestimmt

Hamburg L. Zriederichsen & Lo. (Dr. £. & R. Zrlederichfen) 1915

Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Vor­ bemerkung. Was ich Ihnen erzählen will, sind entweder eigene Erlebnisse oder Erlebnisse von Mitgefangenen, die sich bereit erklärt haben, das, was sie mir, als dem einzigen, der Aussicht aus Frei­ werden hatte, erzählt haben» späterhin dem Auswärtigen Amt gegenüber durch Eid zu bekräftigen. Meine eigenen Erlebnisie habe ich selbst schon vor dem Kriegsministerium in Berlin unter Eid zu Protokoll gegeben. Sollte ich etwas erzählen, was ich nur von glaubwürdigen Zeugen gehört habe, ohne sie auf einen späteren Eid hinzuweisen, so werde ich es jedesmal ausdrücklich betonen. Unsere Feinde haben wohl geglaubt, alle unsere Kolonien durch einen leichten Handstreich an sich bringen zu können. Waren doch unsere kriegerischen Mittel in den afrikanischen Schutzgebieten gar nicht für einen äußeren Feind berechnet, sondern nur zur Aufrecht­ erhaltung der Ordnung im Innern! Man könnte fragen, ob es unter diesen Umständen nicht besier gewesen wäre, auf eine Ver­ teidigung zu verzichten und eben unter englischer oder französischer Flagge weiterzuarbeiten bis zur Entscheidung in Europa. Im Falle unseres Sieges wären unsere Kolonien ja doch wieder deutsch geworden; im Falle unserer Niederlage hätte ja doch alle Gegen­ wehr in den Kolonien keinen Wert gehabt. So logisch solche Ge­ danken anscheinend sind, so wenig entsprechen sie den wirklichen Verhältnisien. Von einem Weiterarbeitenkönnen unter fremder Flagge wäre keine Rede gewesen. Wir wären genau ebenso wirt­ schaftlich vernichtet und in Gefangenschaft wegtransportiert worden, wie es in Kamerun und Togo nach der Gegenwehr geschehen ist; das zeigt uns die wirtschaftliche Vernichtung und Gefangennahme der friedlichen Deutschen in den englischen afrikanischen Kolo­ nien. Der Schwerpunkt der Frage liegt aber auf ganz anderem Boden. Allerdings ist es richtig, daß die Entscheidung des Krieges auf europäischem Boden fällt. Aber von dieser Entscheidung lernen die Schwarzen nur die Folgen kennen. Ihr Urteil über die Macht der Nationen, über deren kriegerischen und kommerziellen Wert wird, so einseitig dies auch scheinen mag, von den Ereignisien draußen gebildet. Hätten wir die Kolonien ohne Schuß und Kampf

übergeben, dann wären wir für Jahrzehnte hinaus in dem Urteil der Schwarzen vernichtet gewesen, auch wenn wir zu Hause glän­ zend gesiegt hätten. Die daraus folgenden unendlichen Schwierig­ keiten für eine spätere deutsche Arbeit in unseren afrikanischen Schutzgebieten liegen auf der Hand. So aber hoffe ich, Sie zu über­ zeugen, dah auch wir drautzen nicht umsonst gearbeitet und gekämpft und vor allem die Ehre des deutschen Namens, soviel in unseren Kräften stand, vor Schwarz und Weih hochgehalten haben. Von der Kriegserklärung wurden wir drauhen vollkommen überrascht. Nicht so unsere Feinde. Es ist Ihnen aus den Zeitungen bekannt, dah schon Ende Juli in Zentralafrika deutsche Post von englischer Seite geöffnet wurde. Im Camp in England habe ich erfahren, dah die Engländer schon Mitte Juli große Mengen von Patronen, ferner eine Menge Geld, das nur zur Auszahlung von großen Mengen von Trägern verwendet werden konnte, in das Hinterland der Goldküste gebracht haben mit der Begründung, in Deutsch-Togo hätten sich zwei bedeutende Chiefs empört und sie mühten die Grenze gegen dieselben schützen. Natürlich hat sich das nachher als unwahr erwiesen, vielmehr wollten die Engländer Deutsch-Togo von hinten angreifen und bereiteten so ihre kriegerischen Operationen schon mitten im tiefsten Frieden vor. Meine Quelle ist der Herr, mit desien Automobilen diese Transporte ausgeführt wurden. Derselbe Herr sah schon am 30. Juli in den Händen eng­ lischer Beamten die Kriegspapiere. Dies ein kleiner Beitrag zu der Frage nach den Gründen der englischen Kriegserklärung an Deutschland. Die Nachricht vom Ausbruch des Krieges haben wir in Kamerun wohl ebenso rasch erfahren wie Sie zu Hause. Sofort meldeten sich alle Deutschen ohne Unterschied des Alters und der Stellung zum Dienst, sei es mit der Waffe, sei es unterm Roten Kreuz. Leider lagen die Verhältnisie so, dah nur eine kleine Ab­ teilung von gedienten Leuten, etwa 65 Mann, aufgestellt werden konnte. Auch ich hatte mich selbstverständlich zum Dienst mit der Waffe gemeldet, muhte mich aber mit der Rolle als Führer der Feuerwehr-Abteilung von Akwa, einem Stadtteil von Duala, begnügen. Sofort zeigte sich auch, was wir von unseren Schwarzen zu erwarten hatten. Die Duala bekundeten ihre Unzuverlässigkeit sofort dadurch, dah sie sich dem Auge der deutschen Regierung mög­ lichst zu entziehen suchten. Dagegen hielten sich die übrigen Ein­ geborenen tadellos. So hat z. V., wie wir hörten, der König von Bamum, der besonders tüchtige Leute hat, dem Gouverneur an­ geboten, zwei- bis dreitausend Mann Hilfstruppen zu stellen und

sich selbst als Geisel zum Gouverneur zu begeben. Die Bulus boten zehntausend Mann Hilfstruppen an. Schade, daß uns die Waffen fehlten, um die Treue unserer schwarzen Untertanen militärisch wirklich nutzbar zu machen. Zm Monat August hatten wir, wenigstens an der Küste noch, Ruhe vor den Feinden. Vom Kriege merkten wir bloß insofern etwas, als alle deutschen Dampfer, die in der Nähe waren, nach Duala flüchteten, und die Lebensmittel vom Gouvernement kon­ fisziert und nur noch in festgesetzten Rationen abgegeben wurden. Auch mit Nachrichten waren wir anfänglich gut versorgt. Bis zum 5. August hatten wir noch das Kabel. Als dieses von den Eng­ ländern bei Monrovia abgeschnitten wurde, blieb uns durch den Funkenturm bei Kamina in Togo die Verbindung mit Nauen er­ halten. Kamina konnte sich halten bis zum 25. August. Dann wurde es von den Deutschen gesprengt, ehe es an die vereinten Streitkräfte der Engländer und Franzosen übergeben werden mutzte. Von da an waren wir auf Nachrichten angewiesen, die für englische und französische Kriegsschiffe und Kolonien bestimmt waren und von uns mitgehört wurden. Datz wir da allerhand Lügen zu genießen bekamen, ist selbstverständlich, allein unser Ver­ trauen zu unserem Vaterlande war zu groß, als datz wir uns irgend­ wie hätten betören lassen. Inzwischen hatten wir in Kamerun auch unseren eigenen Kriegsschauplatz bekommen. Von allen Seiten rückten auf dem Landwege unsere Feinde heran, von Norden die Engländer, von Süden und Osten die Franzosen. Zunächst der Schauplatz im Osten und im Süden, überall kamen die Franzosen über unsere unendlich lange Grenze mit ebenso unendlich überlegenen Streitkräften anmarschiert. Wohl muhten sich unsere Truppen etwas zurüchiehen; aber jeder Schritt vorwärts kam den Franzosen teuer zu stehen, bis sie schliehlich an den meisten Punkten mit schweren Verlusten entweder Haltmachen oder sich zurückziehen muhten. Von allen Seiten erhielten wir gute Nach­ richten. Bezirksamtmann Jung meldete Ende August ein sieg­ reiches Gefecht gegen die Franzosen bei Mbion: auf deutscher Seite ein Europäer schwer verwundet, auf feindlicher Seite 15 Eu­ ropäer und über 50 farbige Soldaten gefallen. Da Jung auch im Rücken von No la her angegriffen wurde, mutzte er allerdings trotz seines Sieges den unteren Sangha aufgeben und sich mit seinen paar Mann gegen Lomi zurückziehen. Aus E l e l e m sandte Haupt­ mann Liebe die Nachricht, daß die Franzosen sich zurückzögen, nachdem er drei Kompagnien des Regiments Gabun fast aufgerieben

hatte. Der Kommandeur de Savigny, ein Kapitän und ein Sergeant waren gefallen, die Träger hatten ihre Lasten wegge­ worfen, und die übrigen Truppen hatten die Lasten verbrennen müssen, damit ste nicht in unsere Hände fielen, und hatten sich dann fluchtartig zurückgezogen. Im Norden und Nordosten kamen die Engländer über die Grenze. Im Gebiet von Rio del Ney bewaffneten ste einfach Horden von Eingeborenen, die sie dann über die Grenze schickten — englische Kriegführung. Am Trotz- Fluh rückten ste mit einer regulären Truppe von mehreren hundert Mann über die Grenze. Unsere Truppen, soviel wir erfahren konnten, etwa hundert Mann, muhten sich zurückziehen, und die Engländer bezogen eine befestigte Stellung bei N s a n a k a n g, die sie mit Maschinengewehren und Kanonen wohl ausstatteten. Inzwischen hatten die Unsrigen etwas Verstärkung erhalten, und am 6. September wagte unsere schwache Truppe den Angriff gegen den überlegenen Feind, der hinter seinen Geschützen und seinen Verhauen stand. Um 6 Uhr wurde der An­ griff begonnen, um 8 Uhr war der Feind geschlagen und, was nicht gefallen oder gefangen war, lief in blinder Flucht davon. Drei Eng­ länder waren gefallen, vier gefangen; fünf Maschinengewehre, zwei Geschütze und zahlreiche Gewehre blieben in unseren Händen. Wir hatten nur zwei Maschinengewehre gehabt. Leider muhten wir diese Heldentat mit dem Verlust von drei braven Männern be­ zahlen, die wenige Tage vorher noch als Beamte tätig gewesen waren. Auch unsere schwarzen Truppen haben sich, wie überhaupt, über jedes Lob tapfer geschlagen. Bei G a r u a rückten die Eng­ länder mit tausend Mann an; das bedeutet ja für unsere heimischen Verhältnisie fast nichts, für Zentralafrika ist es ein Heer. Die Eng­ länder fanden, nachdem sie eine Patrouille von uns aufgerieben hatten, Garua leer. Die deutschen Truppen, wiederum nur eine Handvoll Leute, hatten sich auf einen Berg, der hinter Garua liegt und Garua beherrscht, zurückgezogen. Die Engländer folgten und nahmen im Gefecht eine Stellung, die nach vorn ein Drahtverhau hatte und rechts und links von einer Reihe von Mattenhütten flankiert war. Nach hinten, nach der Spitze des Berges zu, war die Position offen. Als unsere Truppen sahen, dah sich die Engländer in dieser Position festgesetzt hatten, zogen sie sich rasch zurück. Die Engländer glaubten, unsere Hauptposition genommen zu haben und machten sich's gemütlich. Als sie am nächsten Morgen eben Kaffee trinken wollten, standen die deutschen Truppen da, die Hüttenreihen rechts und links wurden angezündet und bildeten sofort ein Flammenmeer; nach unten war der Drahtverhau, und

von oben in die offene Lücke hinein knatterten die deutschen Ge­ wehre und Maschinengewehre. Fünf Engländer, darunter der Oberst des Nigeria-Regiments, und ein Hauptmann blieben auf dem Platz, drei Engländer wurden gefangen genommen, zweihundert Schwarze blieben tot oder verwundet liegen, die übrigen warfen, soviel wir gehört haben, auf der Flucht Waffen und Uniformen weg, viele desertierten überhaupt. Was nach Zola zurückkam, war ein Häuflein Elend. Soviel wir in Erfahrung bringen konnten, war die Folge des Sieges, datz die mohammedanischen Sultane uns Truppen stellten und Versicherungen unbedingter Treue abgaben, während umgekehrt die Mohammedaner auf englischem Boden revoltierten. Seither machen unsere dortigen Truppen Einfälle in das englische Gebiet, und das Ansehen der Engländer hat am ganzen Scnue und in Nigeria trotz der Einnahme von Duala einen schweren Stotz erhalten.

Anfang September bekamen auch wir an der Küste die Eng­ länder und Franzosen zu Gesicht oder vielmehr zuerst zu Gehör. Zuerst erschienen die Engländer mit dem Panzerkreuzer „Tumber­ land" und dem Kanonenboot „Dwarf" vor Viktoria und schifften einige Truppen aus. Der erste Gang war — echt englisch — zum Postamt, um die Postkasie zu beschlagnahmen. Es wurden aber nur 25 Pfennig vorgefunden. Vor heranrückenden deutschen Soldaten zogen sie sich wieder an Vord zurück und beschossen dann die Stadt, und zwar gerade den Teil, wo kein Soldat und kein Schützengraben war. Von Geschützen war auf unserer Seite überhaupt nicht die Rede. So war es kein besonderes Heldenstück, ein Kakaotrockenhaus und eine Maschinenhalle zusammenzuschietzen. Die übrigen Gra­ naten taten trotz der langen Kanonen nicht einmal den leeren Häusern etwas zuleide. Am 9. September beschossen die Engländer aus ihren schweren Kanonen die beiden Landspitzen am Eingang zum Kamerunbecken. Leider waren dort weder Menschen noch Ge­ schütze, noch sonst irgend ein würdiges Ziel für die englischen Schietzübungen. Das innere Becken war von uns durch versenkte Schiffe gesperrt worden. Ein Weg um die Sperre herum war für unsere Schiffe freigeblieben. Am 11. September dampfte der „Dwarf" stolz in das innere Kamerunbecken hinein. Der Weg um die Sperre herum wurde ihm von verräterischen Dualas gezeigt. Als der „Dwarf" vorsichtig, aus Furcht vor Minen, die nicht da waren, den Grund absuchend, Duala näher kam, kam gerade ein Motorboot aus dem Mungo-Kriek auf Duala zugefahren, hinterdrein eine Barkasie mit Holz. Durch diese Fahrzeuge gereizt, eröffnete der „Dwarf" das Feuer auf die ahnungslosen Schwarzen. Getroffen hat aller7

dings keine Granate. Um die Fahrzeuge zu entlasten, nahmen unsere vier Kanonen, die gern den „Dwarf" noch hätten näher herankommen lassen, das Feuer auf 3800 Meter auf. Es waren gänzlich veraltete Geschütze, die sonst nur als Salutkanonen ver­ wendet wurden und kaum viel weiter als 4000 Meter schießen konnten. Wenn ich mich recht erinnere, gaben unsere Geschütze sechs Schüsse ab, die zuerst vom „Dwarf" durch lebhaftes Feuern erwidert wurden. Von unseren sechs Schüssen saßen zwei mittschiffs, einer davon richtete im Maschinenraum Schaden an, worauf der „Dwarf" in voller Flucht abdampste. Die Folge von diesem verfehlten An­ griff auf Duala war, daß die Engländer bedeutende Kriegshilfs­ mittel bei uns vermuteten und schleunigst um Hilfe nach allen Seiten funkten. Von England wurde infolgedessen ein ganz flach­ gehender Kreuzer mit schweren Kanonen extra nach Kamerun geschickt. Ferner kamen noch zwei französische Kriegsschiffe und eine ganze Menge gedeckter Barkassen mit Maschinengewehren und Kanonen an, dazu noch eine Anzahl Transportschiffe mit insgesamt 12000 bis 14000 Mann schwarzer Truppen. Bis diese große Streitmacht zur Überwindung von etwa 200 bis 300 Mann schwarzer Soldaten und 65 europäischer Soldaten mit vier alten Geschützen beisammen war, hatten wir noch verhältnismäßig Ruhe. Die Engländer beschränkten sich darauf, die Sperre zu sprengen und im Becken und in den Krieks umherzufahren. Leider wurde dabei das Regierungsschiff „Rachtigal", das übrigens höchstens eine ganz kleine Kanone an Bord hatte, bei einer nächtlichen Fahrt von den Engländern abgefaßt und zusammengeschossen, wobei fast die ganze Besatzung fiel. Wie die Engländer solche Braven zu ehren wissen, zeigt folgender Funkenspruch, den der Panzerkreuzer „Cum­ berland" am Tage darauf nach Duala sandte: „Ihr könnt einige Särge schicken für eure „Rachtigal", und zwar so viel ihr wollt. Schade, daß das Riesenschiff Zwerg ganz in der Lage ist, mit einer großen Menge von eurer Sorte fertig zu werden. Kommt alle her­ aus, je mehr, desto lieber. Sagt, was ist es jetzt mit der glänzenden deutschen Armee und mit der glänzenden Flotte? Ihr müßt, denke ich, zugeben, daß ihr vollständig ausgewaschen seid. Wir können gut vollends mit euch fertig werden, aber wir haben eine Menge Zeit, geht und sucht eure „Rachtigal". — Außerdem suchten die Engländer mit ihren Barkassen alle Krieks nach deutschen Booten ab und suchten von den Krieks aus Landwege, um Duala nötigenfalls von hinten auf der Landseite angreifen zu können. Ihre Führer waren dabei die verräterischen Dualas, die, wie die Eng­ länder uns nachher selbst erzählten, in solchen Mengen zu ihnen hin-

ausgekommen sind, daß die Engländer sich derselben kaum erwehren konnten. Am 25. September war endlich der erwartete Flußkreuzer von England angekommen. Er fuhr in schlanker Fahrt durch die gesprengte Sperre in das innere Becken, legte sich außerhalb Reich­ weite unserer Kanonen vor Anker und forderte zur bedingungslosen Übergabe der gesamten Kolonie auf. Der Antrag wurde selbstver­ ständlich abgelehnt. Da eine Verteidigung von Duala absolut un­ möglich war, zogen sich der Gouverneur und der Kommandant in das Innere zurück, etwa eine Kompagnie schwarzer Truppen und die Europäerabteilung von 65 Mann blieben zurück. Am 28. Septem­ ber, pünktlich 6 Uhr früh, begannen die Engländer die Beschießung von Duala aus ihren 15-Zentimeter-Kanonen. Sie beschossen, ohne zu treffen, den Wasierturm, setzten ein paar unschädliche Granaten in das frühere Regierungsspital und ins Bezirksamt; dann schosien sie ein Haus beim Flaggenmast in Brand und feuerten lebhaft, aber vergeblich, auf die im Hafen fahrenden Varkasien, die sämtlich schleunigst unverletzt von der Bildfläche verschwanden. Nachdem sie etwa eine Stunde lang lebhaft kanoniert hatten, stellten sie das regelmäßige Feuer ein und gaben tagsüber immer wieder einen vereinzelten Schuß ab. Etwa um 11 Uhr waren in Duala durch ein Mißverständnis einige Schuppen, die zur Abwehr eines etwaigen Landungsversuches mit Petroleum getränkt waren, von unserer Seite in Brand gesteckt worden. Ich wurde mit meiner Löschmann­ schaft zum Löschen der Schuppen befohlen. Kaum waren wir recht dabei, das Feuer zu bekämpfen, so hatten uns auch schon die Eng­ länder bemerkt und begannen, uns durch einige 15-ZentimeterEranaten die Arbeit etwas zu versüßen. Die erste Granate schlug direkt neben uns ins Wasier, die zweite flog auf unseren Arbeits­ platz und überschüttete uns mit Erde, glücklicherweise nicht mit Eisen; von da ab schosien die Engländer auf jeden einzelnen Mann, der sich sehen ließ, mit 15-Zentimeter-Eranaten. Ich darf zur Ehre von unseren Landsleuten sagen, daß man sich an diese Schießerei sehr balh gewöhnte, und wenn es auf uns allein angekommen wäre, so hätten wir die Engländer ruhig Duala zusammenschießen lasien. Leider kam es dazu nicht. Am Abend des 26. traf die Nachricht ein, es seien eine Stunde von Duala entfernt 1000 Mann farbige Truppen gelandet worden, um Duala anzugreifen. Daraufhin wurde beschlossen, Duala zu übergeben, denn was für ein Schicksal unserer Frauen und Kinder gewartet hätte, wenn Duala im Sturm von den farbigen Truppen genommen worden wäre, das kann sich jeder selbst ausmalen. Am 27. September vormittags wehte die weiße Flagge. Etwa abends um 5 Uhr kamen die Engländer an

Land, von Viktor Bell als die Befreier der Dualas vom deutschen Joche feierlich begrüßt, und hitzten die englische Flagge. Das brannte heitz in den Augen, und mancher von uns wäre lieber tot gewesen, als das sehen zu müssen. Am nächsten Morgen landeten die Engländer und Franzosen eine Masse von schwarzen Truppen. Nun war die Stadt auch faktisch in ihren Händen. Was das bedeutete, sollten wir sofort erfahren. Sogleich bedeckte sich das ganze Becken mit Kanus voll von Dualas, die vorher alle verschwunden waren und nun auf ein­ mal massenweise erschienen. Mit einem unbeschreiblichen Hohn- und Jubelgeschrei fuhren sie auf die Stadt zu. Sofort begannen sie auch, die Läden und Vorräte am Strand, soweit keine Deutschen zur Auf­ sicht da waren, zu plündern. Mit fabelhafter Geschwindigkeit trugen die sonst so trägen Schwarzen was nicht niet- und nagelfest war in ihre Kanus. Ganze Stötze von Brettern und Balken verschwanden im Handumdrehen. Trotz der Feierkleider, in denen sie alle waren, schleppten sie die schwersten Warenballen weg und räumten die da­ liegenden Leichter aus. Tische, Bänke, Stühle, ja sogar Geschäfts­ bücher wurden weggetragen. Daneben das fortwährende Hohn­ geschrei und die Verspottung des deutschen Namens. Ja, einem An­ gestellten der Bahn wurde in der Nähe des Bahnhofes von den Dualas mit dem Buschmesier der Kopf gespalten. Und doch wären die Dualas mit einem bitzchen Energie jetzt noch wohl im Zaume zu halten gewesen. Als Beweis dafür diene folgendes: Ein Haufe Dualas wollte mir am Strande ein Kanu stehlen. Ich rief von einem Hause zu ihnen hinunter — in Dualasprache — datz, wenn sie das Kanu auch nur anrühren würden, ich hinunterkommen und sie durchhauen würde, und sofort verschwand der ganze Haufe unter Entschuldigungen, obwohl ringsum geplündert wurde. Datz sie zu­ gleich beteuerten, sie hätten von den Engländern die Erlaubnis zum Plündern bekommen, will ich bei der bekannten Wahrheitsliebe der Schwarzen nicht für voll nehmen. Aber warum haben die Eng­ länder und Franzosen dieses Treiben, das für alle Weitzen eine Schmach bedeutete, in einer Stadt, die doch unter ihrem Befehle stand, nicht verhindert? Ein alter englischer Söldner sagte mir doch selbst, er wäre gar zu gerne dazwischen gefahren, wenn er nur gedurft hätte. Später, als die Engländer und Franzosen uns ein­ gesperrt hatten und glaubten, keine europäischen Zeugen mehr zu haben, konnten sie doch auch einschreiten. Am nächsten Tage haben sie alle plündernden Dualas rücksichtslos erschosien oder erbärmlich verprügelt. Bei einem Duals zählten wir vom Hospital aus, wo wir eingesperrt waren, 52 Prügel, die er auf einmal erhielt, wo-

gegen die deutsche Regierung 25 Prügel als Höchststrafe zuläßt. Heute läuft in Duala — dafür haben wir Zeugen — kein Eng­ länder ohne die bei uns „rohen" Deutschen verbotene Nilpferd­ peitsche oder ein anderes Prügelinstrument herum, und die Schwar­ zen sagen selbst, bei uns hätten ste doch höchstens „25" erhalten, wogegen die „humanen" Engländer unter „50" gar nicht mehr an­ fangen. Dafür haben die Engländer und Franzofen die Rolle der Plünderer übernommen, wobei sich ganz besonders die britischen Offiziere und die früher in Duala ansässigen englischen Kaufleute durch ihre Räubereien auszeichnen. Wir haben genug europäische Zeugen, die mit eigenen Augen angesehen haben, wie die englischen Offiziere und Kaufleute ganze Fattoreien ausräumten und sich persön­ lich dabei am wenigsten vergaßen. Heute ist Duala, soweit nicht eng­ lische Firmen in Betracht kommen, vollständig ausgeplündert und sind die Häuser verwüstet. Ich füge noch einige Details bei, die gerade den britischen Offizier und Kaufmann hell beleuchten. Die eng­ lischen Kaufleute waren bei Beginn des Krieges auf einem Woermanndampfer im Hafen untergebracht worden. Sie hatten dort Kabinen erster Klasie erhalten und genau dasselbe Esten wie der Kapitän selbst. Wenn ste aus ihren Wohnungen etwas brauchten, durften sie unter Bedeckung an Land gchen und sich ihre Sachen holen. Alles wurde so diskret gemacht, daß kein Mensch etwas davon merkte, speziell kein Schwarzer davon Zeuge war, wie Weiße von Weißen inhaftiert wurden. Trotzdem sagte ein englischer Kauf­ mann in Anwesenheit von Deutschen zu britischen Offizieren, ste hätten auf dem Dampfer nichts als Reis und Stockfische zu esten bekommen. Ein anderer englischer Kaufmann wurde von einem meiner Freunde beobachtet, wie er in einem deutschen Hause mit Namen gezeichnete Kisten mit Privateigentum mit der Axt auf­ schlug und beraubte. Derselbe war Zeuge, wie britische Offiziere in einer Faktorei silberne Zigarettenetuis und derlei teure zur Kriegsführung nicht gerade unbedingt notwendige Herrenartikel stahlen, ganz abgesehen davon, daß ste sich mit Wäsche und dergleichen in derselben Faktorei ausrüsteten. Auf der Basler Misstonsstation mühten sich Engländer (Weiße), wahrscheinlich Offiziere, drei Nächte lang ab, bis sie den Eeldschrank erbrochen hatten. Die 25 Mark, die sie dabei fanden, waren allerdings ein etwas spärlicher Lohn für eine Arbeit von drei Nächten. Daß diese Geldschrankknackerei nicht zugunsten der Kriegskaste gewesen ist, dürste aus der Wahl der Arbeitszeit hervorgehen. In der Basler Mistionsstation in Bonanjo war ein besonders schöner Eeldschrank. Britische Offiziere wandten sich nun an eine Dame der Baptistenmission mit der Bitte,

sie solle doch einen Herrn von der Basler Mission, der vorerst wie sie selbst als Schweizer nicht weggeführt worden war, veranlassen, ihnen den Schlüssel zum Eeldschrank auszuhändigen mit der naiven Begründung: es wäre doch schade, wenn sie diesen schönen Geld­ schrank gerade so wie die übrigen erbrechen müßten. Aus alledem dürfte zur Genüge hervorgehen, warum die Engländer und Fran­ zosen den Dualas am ersten und teilweise am zweiten Tage freie Hand ließen. Sie brauchten einen Prügelknaben, von dem sie nach­ her sagen konnten: „Ihr habt ja selbst gesehen, wie die Dualas die Stadt geplündert haben." Darum also! Sie wollten, daß die Dualas plündern sollten. Daß es auch englische Offiziere, und vor allem englische Söldner gab, die dieses Treiben anwiderte, soll aus­ drücklich noch einmal gesagt sein. Doch zurück zu unseren Erlebnissen. Am Nachmittag desselben Tages erschienen Engländer in allen Europäerhäusern und sagten, die unverheirateten Herren sollten zu den Regierungsgebäuden kommen; sie brauchten gar nichts mitzunehmen, sie sollten bloß registriert werden und dürften dann wieder nach Hause gehen. Zwei Stunden später waren diese Herren an Bord eines Dampfers und auf dem Weg nach D a h o m e y. Nur ganz wenigen war es gelungen, noch einen Zettel in ihre Häuser zu schmuggeln und sich ein klein wenig Wäsche zu verschaffen. Die allermeisten wurden, wie sie gingen und standen, in die Sklaverei abgeführt. Ich sage, wie sie später sehen werden, mit Absicht „Sklaverei". Der Weg zum Dampfer durch die johlenden, unsern Kaiser, Deutschland Und die Deutschen in der schändlichsten Weise beschimpfenden Dualas muß eine wahre seelische Marter gewesen sein. Zum Glück für mich selbst war ich gerade, als die jungen Herren weggerufen wurden, am Strand, um mit meinen tüchtigen treuen Bootsleuten zu be­ sprechen, wie sie mit meinem Motorboot durchgehen könnten. So blieb mir das Schicksal, nach Dahomey zu kommen, erspart. Eng­ länder und Franzosen, die doch zu mehreren Tausenden in der Stadt beisammen waren, hatten nicht gewagt, einige hundert Deutsche — abgesehen von 65 Mann, die bereits die Waffen ge­ streckt hatten, lauter friedliche Zivilisten — offen und ehrlich zu verhaften, sondern sie mittels einer gemeinen Lüge in ihre Gewalt bekommen. Erst als die Hauptmasse von uns weg war, wurden wir übrigen von schwarzen Soldaten ohne weiße Aufsicht in rück­ sichtsloser Weise verhaftet und zusammengetrieben. Etwa eine Stunde später standen auf einmal etwa sechs schwarze englische Soldaten vor mir, legten auf mich an, einer setzte mir das Bajonett aus die Brust: „Komm' mit!" Kaum konnte ich noch ein paar

Kleidungsstücke in einen Sack werfen und mitnehmen. Und da man draußen nie in bar bezahlt, man demnach selten Geld in der Tasche hat, so betrug mein ganzes Vermögen bei meiner Wegführung 3 Mark 10 Pfennig sowie ein paar Kleidungsstücke. Ich wurde zunächst mit ein paar Matrosen die Nacht über im Bahnhof ein­ gesperrt und am nächsten Morgen in das Hospital gebracht. Dort waren im oberen Stockwerk schon etwa 80 Damen und Herren ver­ sammelt, deren Zahl sich durch fortwährend hinzukommende Deutsche im Laufe des Tages auf etwa 150 vermehrte. Nicht verschweigen möchte ich, daß auch manche, besonders Frauen, freiwillig gekommen find. Sie hatten sich vor den Belästigungen der schwarzen Solda­ teska nicht anders zu retten gewußt, als daß sie sich zum großen Haufen flüchteten. Man war ja froh, sich gegenseitig wieder zu haben, aber der Aufenthalt in diesem engen Raum wurde all­ mählich zur Qual. Die Abort-Einrichtungen versagten, Eimer wurden nicht gebracht, der enge Raum durfte unter keinen Um­ ständen verlassen werden! Wenn Sie bedenken, was es heißt, 150 Damen und Herren in dieser Weise etwa zwei Tage eingesperrt zu halten, so können Sie sich das übrige selbst ausmalen. Zum Glück waren die Boys der meisten Herren treu geblieben und ver­ sorgten uns mit Essen. Einer half dem anderen aus, und so brauch­ ten wir wenigstens nicht zu hungern. Die Engländer lieferten uns während dieser zwei Tage auf den Kopf etwa zwei Schiffszwieback. Während dieser Zeit wurden auch die Damen und Herren von Vonaberi zu uns gebracht; sie hatten zwei fürchterliche Nächte hinter sich; auf engstem Raum ohne Decken zusammengepfercht, war an Schlaf gar nicht zu denken gewesen. Unter diesen Gefangenen war auch der Platzmeister von einem benachbarten Sägewerk. Er hatte auf dem offenen Wege frei und offen nach Duala kommen wollen, um Instruktionen zu erbitten, war dabei in die Hände der Dualas und Engländer gefallen und wurde, wie sämtliche Herren von Vonaberi, die Zuschauer gewesen waren, bezeugten, im Beisein von englischen Offizieren mit Steinen beworfen, mit Eisenstäben ge­ schlagen und gänzlich ausgeplündert. Der Hut wurde ihm vom Kopf, die Jacke vom Leibe gerissen, Geld und Messer aus der Tasche genommen, die Ringe von den Fingern gezogen; zerrissen, gestoßen, zerlumpt, war er, ein friedlicher Zivilist, schließlich zu den anderen Gefangenen von Vonaberi gesperrt worden.

Am Abend des zweiten Tages wurden wir alle, etwa 190, Männer und Frauen, auf den Dampfer „Bathurst" gebracht. Uns wurde wenigstens das moralische Spießrutenlaufen durch die Schwarzen erspart, sie waren vorher von den Wegen entfernt wor-

den. Trotzdem war es uns schwer genug ums Herz! Oben am Flaggenmast wehte die englische und die französische Flagge! Alle unsere Fahrzeuge, die bisher die schwarz-weitz-rote Flagge geführt hatten, fuhren nun unter englischer Flagge! Am Strand drängten sich die Dualas, denen man die Freude von weitem ansah. Unser Hab und Gut war verloren. Was wir in jahrelanger mühsamer Arbeit aufgebaut hatten, sahen wir der Vernichtung entgegen­ gehen. Sie werden verstehen, wenn uns das Wasier in den Augen stand und wir sagten: „Zehnmal lieber erschossen, als das erleben!" Als sich die Sonne zum Sinken neigte, wölbte sich ein Regenbogen über Duals, und einer rief unter seine betrübt umherstehenden Freunde hinein: „Das ist das Tor der Hoffnung, durch das wir in Duala wieder einziehen werden. Mögen uns die Engländer be­ handeln, wie sie wollen, die Freude wollen wir ihnen nicht machen, datz sie uns auch moralisch brechen. Bei uns sollen sie kein trau­ riges Gesicht erleben." Die Engländer behandelten uns nun auch, wie sie wollten. Die Damen wurden wohl in Kabinen untergebracht, aber wir Herren erhielten das nackte Deck zum Schlafen, keine Decken, keine Stühle. Dazu war das Segeltuch, das unser Dach war, so alt und brüchig, dah wir bei Regen, und das war fast in jeder Nacht der Fall, keine Wahl hatten, als aufzustehen und umherzugehen. Zn der ersten Nacht kurz nach 11 Uhr donnerten neben uns die Gewehrkolben der Bewachungsmannschaft auf das Deck: „Aufstehen!" Wir wurden auf einen Haufen zusammengetrieben und dann von Mannschaften des Flutzkreuzers „Challenger" nach Geld durchsucht. Sie griffen in alle Taschen, unter das Hemd, in die Stiefel. Was über 100 Mark war, wurde jedem abgenommen. Quittung wurde trotz Verlangens verweigert. Darauf wurden die Damen aus den Betten geklopft, ihre Sachen durchsucht und ebenso beraubt. Am nächsten Morgen kamen Offiziere von einem anderen Fahrzeug und wollten diese Prozedur wiederholen. Als sie erfuhren, datz uns das Geld schon abgenommen war, zogen sie ab, sehr unwillig darüber, dah andere flinker gewesen waren als sie selbst. Wir wurden zunächst in lang­ samer Fahrt nach Lagos gebracht. Die Fahrt dorthin war die erste Hungerperiode, die wir durchmachten; zu essen gab es meistens pro Tag zwei Zwieback, einen Hering und etwas Tee, manchmal auch keinen Hering, manchmal auch keinen Zwieback. Wir hatten selbstverständlich weder Tasse noch Teller, noch Gabel und Messer, noch Löffel. In Lagos lagen wir vierzehn Tage. Hier wurde das Essen so, datz man wenigstens leben konnte. Aber trotz der vielen Faktoreien in Lagos wurden auch hier die Ehgeräte als Luxus be-

trachtet. Wir waren soweit, daß man eine leergegessene Konserven­ dose als wertvolles Geschenk betrachtete. Nicht vergessen soll hier werden, daß die Bewachungsmannschaft, die wir von Duala bis Lagos hatten, lauter alte Söldner vom „Challenger", sich durchweg tadellos und taktvoll benommen hatte. Zn Lagos erhielten wir fortwährend neuen Zuzug von Ge­ fangenen aus Kamerun. Durch sie bekamen wir Nachrichten über die Ereignisie daselbst. Jnteresiantes erzählten die Leute von Z a b a s s i am Wuri. Dorthin hatte sich die letzte Kompagnie schwarzer Soldaten von Duala zurückgezogen. Die Engländer rückten mit etwa 500 Mann, einer großen Anzahl von Barkasien und Ma­ schinengewehren, von kleinen Kanonen und einem 15-ZentimeterGeschütz den Wuri hinauf. Dort hatten unsere Truppen zwei Schützengräben angelegt. Der eine lief weithin sichtbar auf den Höhen hin, der andere war unsichtbar am Fuß der Hügel. Beim Anrücken beschossen die Engländer den Schützengraben auf der Höhe mit Eifer und Erfolg; nur schade, daß in ihm weder Mensch noch Tier war. Als das Feuer nicht erwidert wurde, gingen sie ans Land und wollten im Sturm die Höhen nehmen. Auf einmal knallte es auf kurze Distanz, und innerhalb zweier Minuten lagen 200 bis 250 englische Soldaten tot am Boden, die übrigen eilten in kopfloser Flucht an Bord und von da nach Duala zurück. Später kamen die Engländer wieder mit 1500 Mann. Im Gefecht mit diesen zogen sich unsere Truppen in voller Ordnung in das Innere zurück. Zehn militäruntaugliche Kaufleute hatten sich auf der Bas­ ler Misiionsstation bei dem dortigen Missionar versammelt, in der Hoffnung, die Engländer würden sie bei ihren Faktoreien belassen, da sie sich am Kampfe in keiner Weise beteiligt hatten. Aber die Engländer brauchten Gefangene und brauchten die Faktoreien. Großartig wurde nach Hause gekabelt, bei diesem Gefecht seien ihnen elf Europäer in die Hände gefallen. Aus den Faktoreien nahmen sie, was sie brauchen konnten, und überließen dann dieselben ver­ schiedenen Häuptlingen zur Plünderung, ja, stellten ihnen sogar noch die Leichter, um die geraubten Waren wegzuführen. Zn Duala wurden die elf eine Zeitlang interniert. Zch weiß nicht mehr sicher, ob es die Leute von Jabasst oder einige schon früher gefangenge­ nommene Herren waren, welche dort Zeuge waren, wie die fran­ zösischen Soldaten von ihrem Vorstoß nach Süden gegen Edea voll­ ständig desorganisiert zurückkamen. Auf jeden Fall war die Be­ handlung aller dieser später gefangenen Deutschen den Erfolgen bei Zabassi und an der Mittellandbahn entsprechend. Sie wurden in einen Schiffsraum eingesperrt, der so eng war, daß sie weder liegen

noch sitzen konnten; ste mußten den ganzen Tag stehend zubringen. Bei Nacht wurde die Hälfte der Herren in einen anderen Raum gebracht, damit sie wenigstens notdürftig niederkauern konnten. Ohne Decken und noch schlechter mit Nahrung versorgt als wir, lagen sie auf den nackten Eisenplatten. Auf einem der Transporte, die in Lagos zu uns stießen, ist folgendes vorgekommen. Ich wieder­ hole hier ausdrücklich, es handelt sich um einen eidlich beglaubigten Fall. Die Gefangenen baten, von Durst gequält, um Trinkwasier. Da wurde ihr Aborteimer geleert und ihnen das Wasier in den Aborteimer hineingeschüttet; als ste sich beschwerten, das könne man doch nicht von einem Menschen verlangen, aus einem solchen Eimer Wasier zu trinken, sagte ein britischer Offizier: „Es ist einerlei, ob die deutschen Schweine Wasier haben oder nicht." Von Lagos aus wurden die Missionare mit ihren Frauen auf die Eoldküste gebracht und dort interniert. Wie liebenswürdig sie dort behandelt worden sind, dafür folgendes Beispiel. Eine Dame der Baptistenmission wurde infolge der Entbehrungen schwer krank. Sie bat, ihren Mann sehen zu dürfen. Das wurde ihr abgeschlagen. Als sie fühlte, daß sie sterben müsse, sagte ste, sie werde solange klingeln, bis ihr Mann kommen dürfe. Auch das war umsonst. Erst als sie so schwach war, daß sie nicht mehr reden konnte, wurde ihr Mann gerufen, aber auch jetzt noch wurde ihm nicht gestattet, die letzten Stunden mit seiner Frau zusammen zu verleben. Er wurde in das Internierungslager zurückgebracht und ihm bedeutet, wenn es so weit sei, werde er gerufen werden. Mitten in der Nacht wurde er dann geholt und durfte wenigstens am Sterbebette seiner Frau sitzen. So etwas kann nicht mit den Worten entschuldigt werden: „Der Krieg ist kein afternoon tea,“ zumal es in dem Lande geschah, in welchem tiefster Friede herrschte. Daß übrigens die Engländer selbst nicht alles Gefühl für die Art ihres Vorgehens verloren hatten und nach einer moralischen Rechtfertigung für dasselbe — wenigstens nach außen — suchten, das soll uns ein Neutraler, ein Deutschamerikaner, der als Missionar in Kamerun tätig war, bezeugen. Er erzählt: „Bald nach unserer Ankunst in Duala wurde ich vor das Oberkommando geladen und aufgefordert, etwas über die „Grausamkeiten" der Deutschen niederzuschreiben. Ich weigerte mich und wurde entlassen. Bald erfolgte eine zweite Vorladung. Wieder kam dieselbe Zu­ mutung. Nachdem ich mich bereiterklärt hatte, zu schreiben, was ich gesehen hatte, konnte ich wieder gehen. Der Inhalt der Denkschrift, die ich dann einreichte, handelte von der schamlosen Behandlung, welche uns und anderen Missionaren zuteil geworden war. Hierauf

wurde ich wieder vorgeladen und scharf verwarnt, denn meine Auf­ zeichnungen seien eine Anklage gegen die englischen und französischen Soldaten und eine Verdächtigung des gesamten Kommandos. Man hatte aber den traurigen Mut, noch einen Schritt weiter zu gehen und mir in Aussicht zu stellen, am nächsten Tage aus der Gefangen­ schaft entlasien zu werden, wenn ich ihren Wunsch erfüllte und einen Bericht über „Grausamkeiten, verübt von den deutschen Truppen", ihnen zusenden würde! Selbstverständlich konnte ich das nicht tun. Unter der Beschuldigung, ich hätte als amerikanischer Bürger die Neutralität verletzt und die deutsche Regierung in ihren Zielen unterstützt, sind dann meine Frau und ich als Kriegsgefangene nach England gebracht worden." Wir anderen 700 oder 900 Männer und etwa 20 bis 30 Frauen mit ihren Kindern wurden in Lagos auf die „Oboasi", einem Frachtdampfer mit einigen Kabinen, gebracht. „A very nice and comfortable place,“ wie uns die Engländer erklärten. Die Frauen wurden zu je dritt in einer Kabine einlogiert, für die Männer waren in den Laderäumen Verschlüge von Brettern eingebaut­ worden, in denen jeder Mann seine eigene Lagerstatt hatte. Der Raum war aber unten in den Schiffsräumen so beschränkt, daß wir bei schlechtem Wetter uns nur in der Weise unten aufhalten konnten, dah wir uns in die Kojen legten, zum Stehen war kein Platz. Auch oben auf Deck war der Platz so enge, daß man sich kaum rühren konnte. Immerhin waren für etwa ein Viertel der Männer Sitzplätze eingerichtet. Auch Teller und Besteck wurden geliefert. Wie es vorne auf dem Schiff, wo die Seeleute untergebracht waren, ausgesehen hat, kann ich nicht sagen, da jeder Verkehr zwischen vorn und hinten verboten war. Das Esien war in den ersten Tagen nicht gut, aber doch auskömmlich, aber nach einigen Tagen wurde das Fleisch schlecht; alles, was gekocht wurde, bekam einen unerträg­ lichen üblen Geruch, so dah manchmal die Engländer selbst das Zeug über Bord werfen liehen. Oft war es überhaupt unmöglich, etwas zu genießen, oft hielten wir uns beim Esien die Rase zu, um wenig­ stens etwas hinunterzubringen, weil wir uns sagten, dah wir etwas haben mühten, um widerstandsfähig zu bleiben. Dah wir dabei alle krank wurden, war selbstverständlich. Die Kost der Frauen war bester, aber der Menge nach durchaus ungenügend. Auf Beschwerde erklärte der Arzt, es sei immerhin noch etwas mehr als das Existenz­ minimum, und man solle bedenken, dah man Kriegsgefangener sei. Als „Kriegsgefangene" wurden offenbar auch die Kinder betrachtet, denn obwohl Milch genug an Bord war, konnten sie nie Milch in ausreichender Menge erhalten. Medizin und Verbandzeug scheinen

außer Chinin und Abführmittel keine an Bord gewesen zu sein. Wenigstens bekamen wir nichts anderes. Leute, denen Geschwüre ausgeschnitten werden mußten oder die sonst Wunden hatten, mußten dieselben in ihre Kleider bluten lassen. Das schlimmste jedoch waren die Latrinenverhältnisse. Zuerst mußten wir mit den schwar­ zen Soldaten zusammen denselben Abort benutzen — eine tiefe Schmach für jeden, der Afrika auch nur ein wenig kennt — später wurde da Abhilfe geschaffen, aber es blieb traurig genug. Die ganze Einrichtung war ein Brett, über die Rinne hinausgehängt, mit ein paar Schutzlatten, daß man nicht hinausfallen konnte, und ein Dach darüber, aber ohne jede Schutzvorrichtung nach unten. Ansteckende Krankheiten waren da überhaupt nicht zu vermeiden. Ebenso war es vorn bei den Seeleuten. Wenn nun eine Brise ging, so wurde der herabfallende Unrat vom Winde gepackt und zerstäubt, und oft genug kam es vor, daß wir hinten vom Kopf bis zu den Füßen mit diesem zerstäubten Unrat be­ deckt waren. Wir haben manchmal gesagt: „Wenn wir ein Transport Schweine wären, wären wir längst alle draufgegangen, da wir aber Menschen waren, haben wir es durchgehalten". — So ging es in langsamer Fahrt von Lagos nach England. Da die Engländer befürchteten, wir möchten die Bewachungsmannschaft über Bord werfen und nach Südamerika durchgehen, gaben ste uns nur so wenig Wasser und so wenig Kohlen mit, daß wir gerade noch fahren konnten. So mußten wir auch noch zu allem Unglück unter Wassermangel bitter leiden. Nicht einmal genug Salzwasser be­ kamen wir. Es kam vor, daß wir über acht Tage unser Geschirr im selben Spülwasser reinigen mußten. Auf Beschwerden folgte jedesmal eine Verschlimmerung unserer Lage, so daß wir selbst dafür sorgen mußten, daß keine Beschwerden mehr gemacht wurden. Noch bitte­ rer als diese äußerlichen Unbequemlichkeiten war die Schmach der Be­ handlung vor den Schwarzen und durch die Schwarzen. Wir mußten es uns gefallen lassen, daß Schwarze zu uns sagten: „Move, deut­ sches Schwein," oder daß ein britischer Offizier zu den Schwarzen sagte: „Bring' die deutschen Schweine hinunter!" Trotz alledem darf ich sagen: Wir sind während der ganzen Fahrt moralisch aufrecht geblieben. Selbstverständlich kam es unter uns zu kleinen Rei­ bereien, das ist unter diesen Verhältnissen überhaupt nicht zu ver­ meiden, aber trotzdem wurde stramme Disziplin gehalten; eine getroste und zuversichtliche Stimmung herrschte von Anfang bis zu Ende unter uns. So kam es auch, daß keine Revolte vorkam, trotz­ dem die Versuchung besonders in der Bucht von Biskaja sehr stark war, weil wir dort einen so schweren Sturm hatten, daß unsere

Bewachungsmannschaft herumlag wie die Leichen und kein Gewehr mehr halten konnte, während wir infolge der moralischen Disziplin auch körperlich wohlauf waren.

In Southampton wurden wir an Land gebracht. Die Frauen wurden von uns getrennt» und wir in langem Zug durch die Stadt geführt. Die Bevölkerung verhielt sich musterhaft. Bloh eine alte Frau drohte uns mit den Fäusten und schrie fortwährend: wo ist der Kaiser jetzt, wo ist der Kaiser jetzt? Wir wurden dann zunächst in einer Rollschuhbahn untergebracht, in der es bitterlich kalt und der Raum so klein war, daß wir bei Nacht gerade den Boden vollständig bedeckten. Selbstverständlich lagen wir auf dem nackten Boden, hatten aber doch einige Decken zum Zudecken bekommen. Trotzdem gehören diese drei Tage in Southampton zu den schönsten unserer Kriegsgefangenschaft. Wir bekamen doch endlich wieder einmal Halbwegs satt zu essen. Vor allem aber sind uns diese Tage des­ wegen in so guter Erinnerung, weil wir hier mit etwa 90 Soldaten, die auf dem Kriegsschauplatz gefangengenommen waren, zusammen eingesperrt wurden. Es waren ganz junge Freiwillige und bewährte Landwehrmänner; übrigens lauter Leute, die entweder als ver­ wundet aufgelesen oder als Patrouillen weggefangen worden waren. Vielen davon war bei der Gefangennahme Geld, Uhr, alles „abge­ nommen" worden. Die Leute hatten zum Teil noch offene schwere Wunden, für die das Liegen auf dem Boden in dem kalten Raum schwerlich gut gewesen sein wird. Es war eine wahre Wonne, diese Leute erzählen zu hören. Viele hatten das Eiserne Kreuz, anderen war es versprochen worden. Es waren wirklich Helden und doch erzählten sie so ruhig und bescheiden von ihren Taten, dah jeder den Eindruck bekommen mußte: Mit solchen Leuten müssen wir siegen und wenns der Feinde noch so viele wären. Von Southampton wurden wir per Bahn nach dem Konzen­ trationslager zu Handforth bei Manchester gebracht. Hungrig, durchfroren kamen wir an und trafen nun riesige eiskalte Hallen vor, in denen so gut wie nichts vorbereitet war. In den drei Tagen, die wir in Southampton lagen, waren die Engländer nicht imstande gewesen, unsere Ankunft nach Handforth zu melden. Eine halbe Stunde vor unserer Ankunft war das Telegramm, das uns an­ meldete, eingelaufen. Doch auch hier gab es einen Lichtblick. Wir wurden von Deutschen empfangen, mit deutscher Herzlichkeit er­ klärten uns die 400 internierten Deutschen, die wir vorfanden: Hier sind Sie auf deutschem Boden und wenn auch in Feindesland, und unter traurigen Verhältnissen dürfen Sie sich hier zu Hause fühlen.

Auch diese Deutsche, die wir hier vorgefunden-haben, hatten allerhand Schweres erlebt. Ein Grund, sie festzuhatten, lag bei den wenigsten vor. Es waren da Kinder von 14 Zähren — es wurde rasch eine Zugendwehr gegründet, die wesentlich besser exerzierte als unsere englische Bewachungsmannschaft — und Greise über 70 Zahre. Krüppel mit Höckern, mit einem Fuß und einem Arm, Straßenkehrer und Direktoren der größten englischen Fabriken; alles durcheinander. Wieviel Familienglück da zerstört, wieviel Existenzen da ruiniert wurden, welche Roheiten bei der Verhaftung der Leute begangen worden sind, das kann ich Ihnen nicht im einzelnen aufzählen. Nur wenige Beispiele. In meiner Kompagnie war ein alter Uhrmacher, über 70 Jahre alt, seit 30 Jahren in England; seine Frau war infolge seiner Verhaftung ins Irrenhaus gekommen, er selbst war im Tamp, sein Geschäft kaputt. Im August waren in Manchester ca. 120 Zivilisten aller Stände in Ketten auf die Polizei gebracht worden. Als bekannt wurde, daß ich Aussicht habe, nach Hause zu kommen, kam ein Herr auf mich zu: „Ich bitte Sie, machen Sie meinen Fall zu Hause bekannt. Ich bin Korrespondent verschiedener deutscher Zeitungen. Zu Beginn des Krieges wurde ich verhaftet; mir und meiner Frau wurde erklärt, ich würde am nächsten Tage als Spion erschossen werden. 14 Tage ließ man mich und meine Frau in der Todesangst schweben, bis es sich herausstellte, daß das nur ein schlechter Witz gewesen war. 14 Tage lang wurde ich in einer Zelle so eingesperrt, daß ich nachher von Kopf bis zu Fuß mit Ungeziefer bedeckt war. Ich bat um Schreibpapier, um meinen letzten Willen aufzusetzen; ich erhielt keines mit der Begründung, mein Eigentum sei dem Staat verfallen. Von der Gefängniszelle wurde ich nach der Olympia in Frithhill gebracht. Dort wurden wir je zu 12 in einem Zelt einquartiert. Die wenigsten bekamen ein Brett, um sich darauf zu legen; die meisten mußten auf dem nackten Boden schlafen, mit einer Decke als einzigem Mobiliar. Als Geschirr erhielten 12 Mann zusammen einen Emailletopf von einem halben Liter, keinen Teller, keinen Topf, kein Messer, keine Gabel. Glücklicherweise hatte einer ein Taschenmesser geschmuggelt, so daß man wenigstens Brot schneiden und sich etwas Gerät zimmern konnte. Es waren ca. 200 Privatleute da und ca. 300 Matrosen von der „Mainz", „Königin Luise" und einigen Torpedobooten. Die Matrosen waren drei Wochen da, und zwar noch in denselben Kleidern, in denen sie gekommen, zum Teil noch stark mit Blut befleckt. Das Essen mußte selbst gekocht werden. Es wurde aber zu wenig und feuchtes Holz geliefert, so daß die meisten sich mit einer

warmen Mahlzeit begnügen mutzten, die zudem nicht einmal gar­ gekocht war. Allmählich wurde manches besser, aber bis zum 14. Dezember lagen wir in diesen Zelten. Der Boden hatte sich in einen Sumpf verwandelt, durch die Zelte regnete es herein und wenn ein Wind kam, warf er uns das Zelt über dem Kopf zusammen, da die Zeltstecken in dem schlammigen Boden einfach nicht hielten." Diese Fälle liehen sich aus unserem Camp in Handforth allein ins unendliche vermehren und dabei waren wir nicht ein Zehntel der etwa 30000 Gefangenen, die in den Konzentrationslagern vereinigt find. Rasch lebten wir uns im Camp ein, dank der Liebenswürdigkeit der dortigen Deutschen und dank der vorzüglichen Organisation, die dieselben selbst geschaffen hatten. Das Leben daselbst lätzt sich kurz dahin zusammenfassen: Es war unerträglich kalt, die Heizung war durchaus ungenügend, weniger zum Warmgeben bestimmt, als dazu, Besuchern gezeigt zu werden, die von drautzen aus der frischen Luft kommend, erwärmt von der Bewegung und in ihren warmen Mänteln steckend, kein Urteil darüber haben konnten, wie kalt es in Wirklichkeit bei uns war. Das haben besonders wir Afrikaner bitter empfunden, da wir in unseren Tropenkleidern und ohne Geld „angeliefert", nichts Warmes anzuziehen hatten und auf private Wohltätigkeit noch in Freiheit befindlicher Deutscher angewiesen waren. Der wärmste Dank des ganzen Lagers gehört ihnen, denn ste haben uns tatsächlich in grotzartiger Weise versorgt und uns auch ein schönes Weihnachtsfest geschenkt. Das Essen im Camp war ausreichend — für die, welche Geld hatten, um sich in der Kantine etwas dazu zu kaufen. Die Kantine verkaufte in anerkennenswerter Weise gut und billig. Die ärztliche Versorgung war, solange ich im Lager war, direkt unglaublich. Ein Glück für die massenhaften Kranken, datz wir und das deutsche Hospital in London da waren. Am Tage vor meiner Entlassung kam endlich ein Tropenarzt und der — verlangte sofortige Entfernung der Afrikaner aus diesem Lager und Unterbringung an einen besseren Platz — die zu­ treffendste und sicherlich eine „unbefangene" Kritik über das Lager in Handforth. Die Behandlung war eine tadellose, weil wir die gesamte Lagerverwaltung — Ordnung, Sauberhalten, Küche, Post, ja sogar Vureaudienst — in unsere eigenen Hände genommen hatten, so datz die Engländer eigentlich nur abends zum Abzählen zu uns in unsere Räume kamen. Die lokalen Instanzen waren durchaus wohl­ wollend — das mutz voll anerkannt werden —, aber auch ziemlich machtlos. Verbesierungen unserer Lage, die allmählich kamen,

mußten wir uns regelmäßig dadurch erringen, daß wir drohten, die Lagerverwaltung niederzulegen und den Engländern die Arbeit allein zu überlassen, was zweifellos eine sofortige Revolte zur Folge gehabt hätte.

Am 23. Dezember kam ein neuer Trupp Afrikaner. Es gab manches fröhliche Wiedersehen, aber dieser Trupp brachte uns die bitterste Nachricht, die wir in der ganzen Zeit erhalten haben. Schon vorher war von dem Schicksal der in Dahomey Internierten allerhand gemeldet worden. Nun erhielten wir die unwiderleglichen Beweise, daß alle Gerüchte die Tatsachen noch nicht einmal erreichten. Unsere Freunde von Kamerun und Togo waren in kleine Trupps aufgeteilt und den Bezirksämtern zur Arbeit überwiesen worden. Nun arbeiten ste dort wie Sklaven unter schwarzer Aufsicht in Plantagen und am Wegebau. Teilweise haben ste nichts anzuziehen, als ein Lendentuch und Sandalen. Das ist für die meisten einfach direkter Mord, Mord infamster Art; die übrige Behandlung ist entsprechend. Einer unserer Freunde brach zusammen — Krankheit dient ja nicht als Entschuldigung zum Weg­ gehen von der Arbeit solange einer überhaupt noch auf den Füßen stehen kann —, und verletzte sich im Stürzen das Handgelenk. Sein Kamerad, der neben ihm war, wollte zuspringen und ihn aufrichten, er wurde mit Kolbenstößen wieder weggewiesen. Ein Schwarzer, der einen Togodeutschen kannte, grüßte ihn durch Abnehmen seiner Kopfbedeckung. Er wurde dafür um 30 Schillinge bestraft. Ein anderer, der die 30 Schillinge nicht hatte, wurde für dasselbe Ver­ brechen mit 25 Prügelhieben ausbezahlt. Der deutsche Name soll eben da draußen in den Kot getreten werden, wie ste unsere Arbeit und unser Kapital und die Werte, die wir draußen geschaffen haben, kaputt gemacht haben. Da, um wenigstens ein bißchen den guten Schein zu wahren, Theologen und Mediziner freigelasien werden sollen, erhielt auch ich meine Entlassung und wurde am 30. Dezember, abends 6 Uhr, mit einer Fahrtanweisung nach London ohne einen Pfennig Geld vor das Tor des Camp gesetzt, trotzdem aber noch von einem Sergeanten um ein Trinkgeld angebettelt. Von Handforth ging kein Zug mehr. Im Dauerlauf erreichte ich die nächste Station und erwischte gerade noch einen Zug nach London, wo ich im Hotel des Deutschen christlichen Vereins junger Männer mit größter Liebens­ würdigkeit ausgenommen wurde, ohne daß man mich vorher nach meiner Zahlungsfähigkeit gefragt hätte. Dort traf ich 55 Frauen und 17 Kinder von Kamerun und der Eoldküste, meistens Be­ kannte oder Freunde von mir, die mit dem letzten Transport vom

29. Dezember angekommen waren. Da kein Herr da war, der sich um die Frauen auf der Heimreise hätte annehmen können, war das Home Office so freundlich, meine Papiere so rasch wie möglich zu erledigen, so daß ich die Freude hatte, den Frauen auf der Rückreise behilflich sein und so die Zeit meiner Kriegsgefangenschaft wenig­ stens nützlich beschließen zu können. Von diesen Frauen erfuhr ich auch, daß das Vorgehen der Engländer in Kamerun inzwischen nicht besser geworden war. Im Gegenteil, sie waren so weit herab­ gestiegen, daß sie den Schwarzen für eingebrachte Deutsche — lebendig oder tot — Kopfgeld bezahlt hatten. Das war der richtige Schlußpunkt in meinen Erfahrungen in englischer Kriegs­ gefangenschaft. Wir fragen uns: Was wollten die Engländer und Franzosen durch ihr Vorgehen gegen unsere Kolonien erreichen? Den Gang der kriegerischen Ereignisie in Europa durch die Zerstörung unserer Kolonien irgendwie zu beeinflussen, konnten sie nicht erhoffen. Sie wollten einfach den deutschen Handel, die deutsche Industrie und die deutsche Kultur in Afrika vernichten. Zu dem Zweck mußte Afrika von den Deutschen gesäubert werden. Für das ganze Vorgehen der Engländer und Franzosen in Afrika gibt es nur ein Wort: Raubzug. Und wenn die ganze Nation aufs Rauben geht, ist es nicht zu verwundern, wenn die Einzelnen — und zwar ganz besonders die Offiziere, während sich die alten Söldner gut gehalten haben — von der Beute auch noch etwas für sich selbst zu erhalten suchten. Darum fallen auch die Taten der Ein­ zelnen der ganzen Nation zur Last. Eine andere Frage ist, was sie erreicht haben? Sie haben sich Kameruns, so weit ihre langen Kanonen reichen, denen wir nichts entgegenzustellen hatten, bemächtigt. Viel weiter sind sie nicht gekommen und werden sie nicht kommen; aber überall auf dem Lande, auch wo sie 4:1 standen, haben sie sich blutige Köpfe geholt und werden sie sich dieselben ferner holen. Sie haben an der Küste unsere Kultur zerstört, sie haben unserem Namen schweren Schaden getan, aber sie haben sich selbst und ihr Ansehen unter den Schwarzen noch viel mehr geschädigt, ganz abgesehen davon, daß sie sich in den Augen jedes anständigen Menschen mit Schande bedeckt haben. Die Wirkung ihrer Niederlagen auf dem Lande reicht viel weiter als die Wirkung ihres Sieges an der Küste. Der Glaube an die englische Allmacht in Afrika ist gebrochen. Die Engländer glaubten, wenn sie kämen, würden ihnen die Deutschen in hellen

Haufen zuströmen. Ein Aufstand der Schwarzen werde uns vom Erdboden wegfegen. Einzig und allein die Duals haben uns verraten und verlassen, und die Engländer haben durch ihr Vorgehen nur den Beweis erbracht, daß das „verhaßte deutsche Regiment" eben doch einen Platz in den Herzen der Schwarzen hatte, daß wir uns auf unsere schwarzen Soldaten ebenso wie auf unsere schwarzen Untertanen im Notfall verlassen können, wie es die Eng­ länder im gleichen Fall nicht könnten. So steht im Grunde trotz der Verwüstung der Küstenplätze deutsche Ehre und deutsche Macht in Kamerun unerschüttert da! Mehr als 20 000 Soldaten mit allem Kriegsmaterial versehen, sind an unserem kleinen Häuflein abge­ prallt. Haben wir Kriegsgefangene dabei nach außen auch nur eine mehr passive Rolle gespielt —, wir haben doch mitgeholfen, das Werk zu bauen, das nun seine Festigkeit erwiesen hat, und wir find stolz darauf. Warum habe ich Ihnen das alles erzählt? Einmal um Ihnen zu zeigen, daß das Vaterland sich unserer nicht zu schämen braucht, wir stnd als eine junge Kolonialmacht mit Ehren aus dem Kampfe hervorgegangen. Der Hauptgrund meines Vortrags ist aber ein anderer. Die Kriegs­ gefangenen tragen mit zum Siege bei, wenn ste in der Gefangen­ schaft aufrecht bleiben und den Engländern die Ueberzeugung bei­ bringen, daß man uns Deutsche einfach nicht moralisch brechen kann. Diese Aufgabe ist schwer genug, aber sie wird erleichtert, wenn die Gefangenen wissen, daß man daheim weiß, was sie durchgemacht haben, was sie durchmachen, und daß sie auch in der Gefangenschaft als tapfere Deutsche sich bewähren wollen. Darum war bei meinem Freiwerden im Tamp bei allen eine große neidlose Freude. Unter Händeschütteln riefen mir alle zu: Erzählen Sie zu Hause, erzählen Sie! Das ist der größte Dienst, den Sie uns und dem Vaterlande jetzt leisten können. Ich hoffe durch meine Ausführungen meine Pflicht erfüllt zu haben.

vroschek & To. Komm.-Des., Hambur,.