Mediation – das Praxisbuch: Denkmodelle, Methoden und Beispiele 3407365381, 9783407365385

Dieses Praxisbuch beschreibt die grundlegenden Abläufe des Mediationsverfahrens: von den ersten Vorgesprächen bis zum Tr

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Denkmodelle
1.1 Konfliktdefinition – Wer fühlt sich durch wen beeinträchtigt?
1.2 Eskalation: Wie eskalieren Konflikte? / Alexander Redlich und Silke Freitag
1.3 Das Modell des Doppeleisbergs: Ein Wegweiser für die Mediation
1.4 Drei Konfliktformen – Ressourcenkonflikte, Interessenkonflikte und identitätsbasierte Wertekonflikte / Alexander Redlich und Silke Freitag
2. Mediationspraxis
2.1 Die erste Phase der Mediation: Auftragsklärung
2.2 Die zweite Phase der Mediation: Konfliktgeschichten anhören und Konfliktthemen benennen
2.3 Die dritte Phase der Mediation: Konflikterhellung / Silke Freitag und Tim Pechtold
2.4 Die vierte Phase der Mediation: Einen Umgang mit dem Konflikt finden
2.5 Die fünfte Phase der Mediation: Die Vereinbarung
2.6 Die Umsetzung in den Alltag begleiten / Alexander Redlich und Silke Freitag
2.7 Ablauf einer mediationsanalogen Konfliktmoderation in Gruppen
2.8 Vom Umgang mit informeller Macht in der Mediation / Regina Harms und Jens Richter
3. Praxisfelder der Mediation und ihre Besonderheiten
3.1 Mediation in Organisationen
3.2 Mediation in der Familie: Besonderheiten bei Trennungs- und Scheidungsmediation / Regina Harms
3.3 Mediation im Gemeinwesen / Dieter Lünse und Katty Nöllenburg
3.4 Mediation mit Kindern und Jugendlichen
4. Recht in der Mediationspraxis
4.1 Das Recht in der Mediation / Juliane Ade
4.2 Das Recht der Mediation / Juliane Ade
4.3 Qualitätssicherung und Zertifizierung / Regina Harms
5. Ein Balanceakt: Haltung in der Mediation / Juliane Ade und Kirsten Schroeter
5.1 Vom Wesen der mediativen Haltung
5.2 Herausforderungen für die mediative Haltung
5.3 Die mediative Haltung einnehmen, wahren und wiedergewinnen
6. Wege in die Praxis / Kirsten Schroeter
6.1 Die eigene Praxis von Anfang an mitentwickeln
6.2 Das Ziel vom eigenen Startpunkt aus ansteuern
6.3 Aller Anfang darf leicht sein!
Autorinnenverzeichnis
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Mediation – das Praxisbuch: Denkmodelle, Methoden und Beispiele
 3407365381, 9783407365385

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Freitag/Richter (Hrsg.) Mediation – das Praxisbuch

Silke Freitag Jens Richter (Hrsg.)

Mediation – das Praxisbuch Denkmodelle, Methoden und Beispiele 2. Auflage

Silke Freitag ist Diplom-Psychologin und Mediatorin (BM®). Jens Richter ist Mediator und Theaterpädagoge. Beide waren bei Beltz 2005 Mitherausgeber des Buchs »Mediation an Schulen verankern« und sind in Hamburg als Ausbilder für Mediation tätig.

Dieses Buch ist auch als E-Book erhältlich (ISBN 978-3-407-29599-6) Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.

2. Auflage 2019 © 2015 Beltz Verlag · Weinheim und Basel Werderstr. 10, 69469 Weinheim www.beltz.de Lektorat: Dr. Erik Zyber Herstellung und Satz: Michael Matl Druck: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Umschlagkonzept: glas ag, Seeheim-Jugenheim Umschlaggestaltung: Lelia Rehm Umschlagabbildung: Shutterstock/Africa Studio Printed in Germany ISBN 978-3-407-36538-5

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Denkmodelle 1.1 Konfliktdefinition – Wer fühlt sich durch wen beeinträchtigt? 1.2 Eskalation: Wie eskalieren Konflikte? (Alexander Redlich/Silke Freitag) 1.3 Das Modell des Doppeleisbergs: Ein Wegweiser für die Mediation 1.4 Drei Konfliktformen – Ressourcenkonflikte, Interessenkonflikte und identitätsbasierte Wertekonflikte (Alexander Redlich/Silke Freitag)

2. Mediationspraxis

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Inhaltsverzeichnis

2.1 Die erste Phase der Mediation: Auftragsklärung 2.2 Die zweite Phase der Mediation: Konfliktgeschichten anhören und Konfliktthemen benennen 2.3 Die dritte Phase der Mediation: Konflikterhellung (Silke Freitag/Tim Pechtold) 2.4 Die vierte Phase der Mediation: Einen Umgang mit dem Konflikt finden 2.5 Die fünfte Phase der Mediation: Die Vereinbarung 2.6 Die Umsetzung in den Alltag begleiten (Alexander Redlich/Silke Freitag) 2.7 Ablauf einer mediationsanalogen Konfliktmoderation in Gruppen 2.8 Vom Umgang mit informeller Macht in der Mediation (Regina Harms/Jens Richter)

3. Praxisfelder der Mediation und ihre Besonderheiten 3.1 Mediation in Organisationen 3.2 Mediation in der Familie: Besonderheiten bei Trennungs- und Scheidungsmediation (Regina Harms) 3.3 Mediation im Gemeinwesen (Dieter Lünse/Katty Nöllenburg) 3.4 Mediation mit Kindern und Jugendlichen

4. Recht in der Mediationspraxis 4.1 Das Recht in der Mediation (Juliane Ade) 4.2 Das Recht der Mediation (Juliane Ade) 4.3 Qualitätssicherung und Zertifizierung (Regina Harms)

5. Ein Balanceakt: Haltung in der Mediation (Juliane Ade/Kirsten Schroeter)

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Inhaltsverzeichnis

5.1 Vom Wesen der mediativen Haltung 5.2 Herausforderungen für die mediative Haltung 5.3 Die mediative Haltung einnehmen, wahren und wiedergewinnen

6. Wege in die Praxis (Kirsten Schroeter) 6.1 Die eigene Praxis von Anfang an mitentwickeln 6.2 Das Ziel vom eigenen Startpunkt aus ansteuern 6.3 Aller Anfang darf leicht sein!

Autorinnenverzeichnis

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Vorwort

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Vor wor t

Durch einen Zufall ergab es sich, dass die beiden Herausgebenden vor 20 Jahren erstmals gemeinsam einen Ausbildungsgang Mediation am Institut für Konfliktaustragung und Mediation in Hamburg leiteten. Es ist kein Ge­ heimnis, dass sich beide zu Beginn ihrer Zusammenarbeit herzlich unsym­ pathisch waren und ihre jeweiligen professionellen Hintergründe mit einer gehörigen Portion Skepsis betrachteten: eine Psychologin und ein Spielpäd­ agoge … Unsere Annäherung und fruchtbare Zusammenarbeit mag beispielhaft für die glückliche Situation in Hamburg stehen, in der Ausbildungsinstitute, die Universität, die Schulbehörde und freie Trainer im Bereich der Media­ tion interdisziplinär zusammenarbeiten. Die ständig wechselnde Zusam­ menarbeit in Mediation und Ausbildung begünstigte einen stetigen Wissens­ austausch und eine fruchtbare Weiterentwicklung von Mediationspraxis und Ausbildungsgängen und ließ schließlich – unbeabsichtigt – eine eigene »Hamburger Schule« der Mediation entstehen: verwurzelt in der Tradition der gewaltfreien Bewegung, geprägt vom Geist des Beratungs- und Trai­ ningsbereichs um Friedemann Schulz von Thun und Alexander Redlich am Fachbereich Psychologie der Universität und interdisziplinär bereichert durch juristische Expertise. Entstanden ist ein Gemeinschaftswerk von neun Kolleginnen und Kolle­ gen mit dem Anspruch, eben keine weitere Artikelsammlung zu verfassen, sondern ein Praxisbuch aus einem Guss zu schreiben, das unsere gemeinsa­ me Mediationspraxis auf der Basis individueller Hintergründe beschreibt. Die Beiträge einzelner Autorinnen und Autoren sind im Inhaltsverzeichnis und zu Beginn jedes Kapitels oder Abschnitts namentlich gekennzeichnet. Kapitel ohne Namensnennung haben die Herausgebenden verfasst. Das Praxisbuch Mediation ist in sechs Teile gegliedert: Wir beginnen im ersten Kapitel mit wesentlichen Denkmodellen zum Verständnis von Kon­ flikten und Mediation. Danach stellen wir die Phasen der Mediation vom Auftrag über die Klärung und Lösung bis zur Umsetzung in den Alltag mit Methoden und Anwendungsbeispielen vor. Im dritten Kapitel widmen wir

Vor wor t

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uns zentralen Praxisfeldern der Mediation mit ihren Besonderheiten: der Mediation in Organisationen, in Familien, im Gemeinwesen sowie mit Kin­ dern und Jugendlichen. Im vierten Kapitel werden die rechtlichen Rahmen­ bedingungen der Mediation insbesondere für Menschen ohne juristische Vorkenntnisse dargestellt. Um den Balanceakt der Haltung geht es im fünf­ ten Kapitel, bevor abschließend im sechsten Kapitel exemplarische Wege in die Praxis aufgezeigt werden. Wir verstehen das Buch in einem doppelten Sinne: zum einen als Begleit­ buch für Ausbildungsteilnehmende, die darin das praktisch Erlernte eigen­ ständig in einzelnen Schritten vertiefend reflektieren können, zum anderen als Nachschlagewerk für die Berufspraxis. Aus diesem Grund sind die ein­ zelnen Abschnitte mit Marginalien versehen, die ein schnelles Auffinden der jeweils benötigten Passagen ermöglichen. Geschrieben ist es somit ins­ besondere für Mediatorinnen und Mediatoren in der Ausbildung sowie in den ersten Berufsjahren. Darüber hinaus mag es auch erfahrenen Mediato­ ren als anregende Auffrischung in der täglichen Praxis dienen. Wir sehen unser Werk ausdrücklich als umfassendes Praxisbuch, bei dem wir uns auf das Wesentliche konzentrieren. So mancher Abschnitt macht sicherlich Lust auf mehr. Deshalb enden viele Abschnitte mit Hinwei­ sen zu weiterführender Literatur. Das Problem der egalitären Anrede aller Geschlechter haben wir gelöst, indem wir grundsätzlich abwechselnd zumindest die männliche und weib­ liche Form benutzen. Mit »Mediatorinnen« und »Mediatoren« sind somit aus­ drücklich immer alle Geschlechter gemeint. Bedanken möchten wir uns von ganzem Herzen bei allen Mitautorinnen und Mitautoren nicht nur für ihre großartigen Beiträge, sondern auch für die wundervolle Zusammenarbeit bei diesem Projekt. Es war eine Freude und Bereicherung, mit euch gemeinsam an diesem Buch zu arbeiten und da­ bei von- und miteinander zu lernen! Ein herzlicher Dank gilt an dieser Stelle auch Alexander Redlich und Tim Pechtold für ihre Grafiken im Buch. Tim Pechtold hat gezeichnete Ideen dankenswerterweise auch für andere Auto­ rinnen und Autoren grafisch umgesetzt. Besonderer Dank gebührt Stefanie Behrndt, die uns ihr Bild vom Brückenmodell der Mediation zur Verfügung gestellt hat.

Großer Dank geht auch an Dr. Erik Zyber, unseren Lektor vom Beltz Ver­ lag, der uns bei diesem Buch immer wieder mit Rat und Tat kompetent zur Seite stand. Zuletzt möchten wir uns bei den vielen Teilnehmenden unserer Mediationsausbildungen sowie den Konfliktparteien in unseren Mediatio­ nen bedanken, von und mit denen wir in den letzten Jahren so viel lernen durften. 

Silke Freitag & Jens Richter

Ergänzendes Vorwort zur zweiten Auflage Drei Jahre sind seit Erscheinen der ersten Auflage dieses Praxisbuchs ver­ gangen. Wir möchten uns ausdrücklich bei allen Kolleginnen, Teilnehmen­ den unserer Seminare und »Nichtexperten« für das Lob, die Anerkennung und die kritischen Rückmeldungen bedanken. Lob und Anerkennung teilen wir gerne mit unseren Mitautorinnen. Die kritischen Rückmeldungen ha­ ben wir versucht, in dieser Auflage zu berücksichtigen. So gibt es einige zusätzliche Visualisierungen sowie Ergänzungen in den Kapiteln zum Ab­ lauf der zweiten, dritten und vierten Phase der Mediation und  – wie wir hoffen – allgemein einige klarere Formulierungen. Zwei neue Kapitel finden sich unter 2.8 zum Thema »Umgang mit informeller Macht in der Media­ tion« und 4.3 zur Rechtsverordnung des Mediationsgesetzes, das die aktuelle Rechtslage beschreibt. Silke Freitag & Jens Richter Vor wor t



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1. Denkmodelle

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Natürlich sollten wir als Mediatoren über einen profunden Methodenkoffer mit vielseitigen Handwerkszeugen verfügen, die es uns ermöglichen, in der Mediation differenziert zu agieren. Darüber hinaus benötigen wir theore­ tische Kenntnisse, auf deren Grundlage wir Konflikte analysieren und die jeweils geeigneten Interventionsmethoden auswählen. Wir nennen diese analog zu den Handwerkszeugen »Denkzeuge«. Bevor in diesem Buch die einzelnen Mediationsphasen mit den dazu­ gehörigen Methoden der Gesprächsführung dargestellt werden, beschrei­ ben wir im Folgenden für uns wichtige Denkzeuge und ihre Bedeutung für die Mediation. Wo es möglich ist, versuchen wir dem Ablauf der Phasen einer Mediation zu folgen. So beginnen wir mit einer Konfliktdefinition, der Eskalation von Konflikten und der Dynamik des Teufelskreises in Kon­ flikten, beschreiben weiter das Modell des Konflikteisbergs mit Positionen und Hintergründen und enden mit einer Beschreibung unterschiedlicher Konfliktebenen.

Denkmodelle

1.1 Konfliktdefinition – Wer fühlt sich durch wen beeinträchtigt? Als Mediatoren leiten wir das Mediationsgespräch: Wir stellen Fragen, fas­ sen zusammen, strukturieren, hören (aktiv) zu, formulieren Interessen, er­ öffnen Lösungsoptionen. Wir versuchen, im besten Sinne zu vermitteln. Über diese Methoden der Gesprächsführung hinaus  – unseren »Hand­ werkszeugen«  – benötigen wir ein Grundverständnis von Konflikten, das uns als Kompass durch den Dschungel des Konflikts leitet und uns nicht den Überblick verlieren lässt. Anhand einer Konfliktdefinition stellen wir im Folgenden einige solcher »Denkzeuge« vor, die unserem Handeln in der zweiten und dritten Phase der Mediation eine grundsätzliche Richtung ge­ ben. Ausgangspunkt ist dabei eine analytische Konfliktdefinition:

Konflikte sind Unvereinbarkeiten in Interessen Absichten Zielen (Montada/Kals)

von mindestens zwei Parteien, die in der Interaktion von mindestens einer Partei als Beeinträchtigung empfunden werden.

Bei der Betrachtung von Unvereinbarkeiten stehen für Friedrich Glasl eher interpersonale Vorgänge im Mittelpunkt  – korrespondierend zu seinen an­ throposophisch geprägten Arbeiten zum Konfliktmanagement in Organisa­ tionen. Leo Montada und Elisabeth Kals betonen dagegen die Intentionen der beteiligten Parteien  – wiederum vor dem Hintergrund ihrer Forschung zu psychologischen Gerechtigkeitsprinzipien und den daraus folgenden Motiven. Wir vernachlässigen hier diese Unterschiede, da sie für den Umgang mit Konflikten in der Mediation wenig Bedeutung haben, und stellen stattdessen das Gemeinsame beider Ansätze in den Mittelpunkt unserer Betrachtung. Konflikte sind zu allererst innere subjektive Vorgänge, bei denen eine Partei ein Gefühl der Beeinträchtigung (des Ärgers/der Verletzung/des »Genervt­ seins«) verspürt. »Es ist 23 Uhr. Ich möchte schlafen. Leider feiert mein Nachbar eine Par­ ty. Laute Musik und betrunkenes Gelächter lassen mich kein Auge zu tun. Ich bin sauer.« Hier i s t Konflikt. Es bestehen offensichtlich Unvereinbarkei­ ten in der Wahrnehmung (Was ist eine angemessene Lautstärke?) und in den Interessen (»Party feiern« versus »in Ruhe schlafen«). Allerdings habe nur ich einen Konflikt. Mein Nachbar fühlt sich in keiner Weise beeinträchtigt – trotz der Unvereinbarkeit unserer Wahrnehmung und unserer Interessen. Er hat keinen Konflikt, solange ich nicht aktiv werde und ihn wiederum mit meinem Handeln beeinträchtige. Rufe ich beispielsweise die Polizei, hat auch er aller Voraussicht nach einen Konflikt. Dies widerspricht erst einmal unserem alltäglichen Konfliktverständnis. Wir sagen üblicherweise: »Die beiden haben aber einen schweren Konflikt«

Abb. 1: Konfliktdefinition

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Konflik tdefinition

Denken Fühlen Wahrnehmen (Glasl)

oder »Es gibt einen Konflikt zwischen uns«. Dabei »haben« wir unsere Kon­ flikte individuell und erst einmal jeder für sich allein.

Konflikte sind individuelle subjektive Beeinträchtigungen Betrachten wir also diesen Aspekt unseres Denkzeugs, der sich hinter dem unscheinbaren »in der Interaktion« verbirgt. Meine Beeinträchtigung grün­ det auf einer Unvereinbarkeit (von Denken, Fühlen etc.). Aber wodurch wird diese Unvereinbarkeit sichtbar und für mich spürbar? Ausschließlich in der Interaktion mit einer anderen Person: Deren Handlungen machen die Un­ vereinbarkeit spürbar und beeinträchtigen mich.

Handlungen sind Ursache für Konflikte Salopp formuliert kann eine Definition, die sich auf diese beiden Aspekte reduziert, wie folgt lauten:

Denkmodelle

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Abb. 2: Konflikt: Person A handelt und Person B fühlt sich dadurch beeinträchtigt

Konflikt ist, wenn …

Partei A handelt (nicht) will (nicht)

Partei B fühlt sich dadurch gestört

Hierbei sprechen wir von einem erweiterten Handlungsbegriff, der Unter­ lassungen (also Nicht-Handlungen), sprachliche Akte und das Vertreten von Positionen miteinschließt. Auch dies widerspricht unserem Gefühl in eska­ lierten Situationen (»Der andere ist schuld«) und erst recht unseren Kom­ munikationsformen in Konflikten. Selbst geübte »Kommunikatorinnen«

vermeiden manchmal in Konfliktgesprächen die konkrete Benennung der störenden Handlung des Gegenübers (»Du hast nach dem Kochen die Küche nicht aufgeräumt«) und äußern stattdessen beispielsweise ƒƒ Wünsche/Forderungen » …kannst du das nächste Mal BITTE die Küche aufräumen, wenn ich kochen möchte …« ƒƒ Zuschreibungen » …du bist so unordentlich …« ƒƒ oder Angriffe » …wieso kannst du nicht einmal aufräumen, hast du das nie gelernt?«

Bedeutung für die Mediation Inwieweit sind die genannten Aspekte von Bedeutung für die Haltung und das Agieren als Mediator? Bereits im Vorfeld der eigentlichen Mediation dient uns die Definition als Wegweiser: Für eine gelungene Konfliktklärung benötigen wir die »richtigen« Personen in der Mediation. Wer aber sollte dabei sein, wer nicht? Mit am Tisch sollten die Personen sitzen, die im Sinne der Definition tatsächlich einen Konflikt haben oder die durch ihre Hand­

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Konflik tdefinition

Häufig bewerten die Gesprächspartner solche Vorwürfe als unfreundliche Akte und reagieren darauf mit Rechtfertigungen und Gegenangriffen. Gibt dann ein Wort das andere, eskaliert die Situation  – und der eigentliche Handlungsanlass für die Beeinträchtigung gerät dabei völlig aus den Augen. Konflikte sind jedoch nie statisch. Sie können sich manchmal in der Wahrnehmung verlagern: Da ist ein Kollege beispielsweise empört, weil seine Kollegin »schon wieder« an einer attraktiven Fortbildung teilnehmen darf, er dagegen nicht. Zuerst ärgert er sich darüber, dass seine Kollegin das Angebot der Chefin nicht abgelehnt und sie auch nicht darauf hinge­ wiesen hat, dass er jetzt an der Reihe sei. Er hat einen Konflikt mit seiner Kollegin, da seine Beeinträchtigung aus ihrer Nichthandlung resultiert. Nach einigen Tagen ärgert er sich jedoch überwiegend darüber, dass seine Chefin der Fortbildung seiner Kollegin zugestimmt, seine dagegen abge­ lehnt hat. Der Konflikt mit der Kollegin hat sich zu einem Konflikt mit seiner Chefin verlagert, da er sich jetzt vor allem durch ihre Handlung beeinträchtigt sieht.

lungen Beeinträchtigungen hervorgerufen haben. »Verstärker«, »Zeugin­ nen« oder »Analysten« des Konflikts sind dagegen nur scheinbar beteiligt und sollten nicht teilnehmen. Aus dem Handlungsaspekt entwickeln wir darüber hinaus Fragen, die uns als Leitfaden für die zweite Phase der Mediation dienen (siehe Abschnitt 2.2): ƒƒ Welche (Nicht-)Handlung/Äußerung/Position von B stört A? (Konflikt von A) ƒƒ Welche (Nicht-)Handlung/Äußerung/Position von A stört B? (Konflikt von B)

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Die jeweiligen (Nicht)Handlungen oder Positionen nennen wir im Weiteren »Konfliktpunkte«. Sie beziehen sich immer auf konkrete Situationen, in de­ nen die Beteiligten die störende Handlung erfahren haben. Mit ihnen als Kompass fokussieren wir den Konflikt auf die bedeutsamen Beeinträchti­ gungen: Wir – als Mediatoren – verstehen den Konflikt und erreichen eine (Selbst)Klärung der Situation für die Parteien. Weiter verdeutlichen konkre­ te Handlungssituationen beispielhaft das Leid der Beteiligten. Sie sind ein Schlüssel, um zu Beginn der dritten Phase mit den Mediandinnen über die beeinträchtigten Interessen ins Gespräch zu kommen (siehe Abschnitt 2.3). Mit dieser Sichtweise auf Konflikte verzichten wir auf eine Analyse des Gesamtsystems, in dem die Parteien agieren. Wir stellen uns stattdessen auf die Seite der Beteiligten und verstehen ihre Konflikte aus ihrem Empfinden der jeweiligen Situationen heraus.

1.2 Eskalation: Wie eskalieren Konflikte?

Denkmodelle

Alexander Redlich/Silke Freitag

Ziel und Weg Für eine erfolgreiche Mediation ist es hilfreich, sich bewusst zu machen, wie Konflikte typischerweise eskalieren. Dafür verwenden wir ein Analysemo­ dell, bei dem wir uns an einem Konzept der Konflikteskalation nach Glasl (1980/2013) orientieren und es mit eigenen Erfahrungen verbinden. An ei­ nem Beispiel zeigen wir, in welchen Schritten Konflikte idealtypisch eskalie­ ren können und wie Konfliktparteien dabei ihre Handlungen, Konfliktthe­ men und Gefühle verändern. Dabei betrachten wir den Eskalationsschritt

Konflikte sind individuelle subjektive Beeinträchtigungen

Weiterführende Literatur: Glasl, F. (1980). Konfliktmanagement. Bern: Haupt Montada, L./Kals, E. (2001). Mediation. Ein Lehrbuch auf psychologischer Grundlage. Weinheim/Basel: Beltz

von der sachlichen Auseinandersetzung zum persönlichen Beziehungskon­ flikt genauer. Es geht uns nicht darum, für eine Konfliktanalyse das vorgestellte Mo­ dell quasi eins zu eins zu übernehmen. Wir verwenden es vielmehr als »Denkzeug« für den gedanklichen Umgang mit wichtigen Aspekten der Konflikteskalation, um im Einzelfall eine professionelle Einschätzung der Konfliktsituation vorzunehmen. Der Nutzen des Modells wird anhand einer Zuordnung von Vermittlungsverfahren und Interventionsmethoden zu den einzelnen Eskalationsschritten erläutert, um zu verdeutlichen, wo Media­ tion und ihre Methodik im Ablauf der Konflikteskalation sinnvoll einsetzbar sind und wo nicht. Wir ergänzen es durch ein Modell der kommunikativen Eskalation, den Teufelskreis von Schulz von Thun (2006, S. 28-37).

Erscheinungsformen Wie entwickelt sich ein Konflikt von ersten Spannungen bis hin zu einer geradezu hasserfüllten Feindschaft?

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Eskalation: Wie eskalieren Konflik te?

Kornthaler hatte von Heeren vor einigen Jahren selbst ins Unternehmen geholt. Die Spannungen kamen schleichend und machten sich zunächst als »nervige Rechthabereien« in Sachfragen bemerkbar. Von Heeren wollte sich profilieren und Kornthaler konnte es schlecht ertragen, wenn an seinen Ideen »herumgemäkelt« wurde. Von Heeren begann, sich von seinem einstigen Förderer abzusetzen und an anderen Vorgesetzten zu orientieren. Kornthaler war enttäuscht. Es machte ihn misstrauisch, dass von Heeren es ablehnte, in seinem Lieblingsprojekt mitzuarbeiten. Von Heeren beklagte sich seinerseits, dass Kornthaler ihn vor anderen kritisierte und hinter seinem Rücken schlecht über ihn redete. Kornthaler fiel wiederum quasi aus allen Wolken, als von Heeren sich – ohne ein Wort zu sagen – auf eine attraktive Position bewarb, die aus Sicht von Kornthaler doch »klar für ihn vorgesehen war«. Dass das Unternehmen den Jüngeren vorzog, traf ihn zutiefst. Er warf von Heeren öffentlich Inkompetenz vor und beschuldigte ihn, Ideen von anderen als die eigenen zu verkaufen. Als von Heeren schließlich im Zuge einer Umstrukturierung einen attraktiven Aufgabenbereich von Kornthaler samt einigen Mitarbeitern zugeteilt bekam, schäumte dieser vor Wut, sann auf Rache und schaltete auf Kampf um, was von Heeren postwendend mit gleicher Münze zurückzahlte. Seitdem sabotierten sich beide, wo sie nur konnten. Diese Feindschaft blieb der Geschäftsführung und dem Vorstand nicht verborgen. Appelle an ihre Kooperationsbereitschaft und Vermittlungsbemühungen verhallten. Die

gegenseitigen Destruktionen und Feindseligkeiten nahmen für Außenstehende fast manische Züge an. In kurzer Zeit hinterließ ihr Konflikt so viel verbrannte Erde, dass der Vorstand beiden kündigte. Während von Heeren seine Abfindung akzeptierte und ein anderes Unternehmen fand, führte Kornthaler jahrelang einen Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht, der mit einem für alle Seiten unbefriedigenden Vergleich endete.

Denkmodelle

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Nun schaukeln sich nicht alle Konflikte zu langjährigen Grabenkämpfen zwischen hasserfüllten Konkurrenten auf. Viele Konflikte stagnieren auf niedrigerem Niveau. Manche entwickeln sich über einige Wochen zu ner­ venaufreibenden Verhärtungen zwischen zunehmend ungeduldigen Ko­ operationspartnern, die dennoch weitgehend sachlich bleiben. Andere Kon­ flikte eskalieren dagegen explosiv von einem Tag auf den anderen. Es gibt Organisationseinheiten im »kalten Krieg«, die über Jahrzehnte ein konkur­ renz-motiviertes System der gegenseitigen Eindämmung und Machtbalance etabliert haben. Kurzum: Die Dynamik von Konflikten kann unendlich vie­ le Formen annehmen. Das hier dargestellte allgemeine Modell versucht so viele Aspekte wie möglich einzubeziehen, sollte aber an jeden Konfliktfall flexibel angepasst werden. Woran erkennen wir, dass ein Konflikt eskaliert? Jeder weiß es aus ei­ gener Erfahrung: In der direkten Auseinandersetzung steigern sich bei den Beteiligten oft Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit, Bewegungsumfang und Intensität der Emotionen. Überdies nimmt ihre gegenseitige Abneigung bis hin zur Feindseligkeit zu. Konflikte können sich auch unausgesprochen und ohne direkten Kontakt ausweiten und intensivieren, wenn die Beteiligten aus störenden Anzeichen und Handlungen der anderen Seite auf Gegensätze und Ablehnung schließen und die Feindbilder sich nur in ihrer Vorstellung entwickeln. Und auch die »kalte« Variante dürfte bekannt sein, wenn die Kontrahenten schon aneinandergeraten sind, aber die direkte Auseinander­ setzung scheuen und stattdessen hinter dem Rücken des anderen schlecht reden, seine Ziele boykottieren und Aktivitäten behindern.

Definition In dem Wort Eskalation steckt der lateinische Begriff für Treppe (scala). Es geht also um ein Ansteigen, das heißt eine Steigerung von strittigen As­

pekten. Konflikte eskalieren meistens in drei Richtungen: Zum einen kann die Intensität eines Konfliktes ansteigen, indem kritisches Denken, negative Werthaltung und feindselige Gefühle zunehmen und aggressives Verhalten auf beiden Seiten verstärken. Zum anderen können die Konfliktparteien ihren Konflikt eskalieren lassen, indem sie weitere Personen auf ihre Seite ziehen. Schließlich können sich Konflikte ausweiten, indem weitere Kon­ fliktthemen hinzukommen.

Personenzahl

Zunahme = Eskalation Intensität

Themenzahl

Abnahme = De-Eskalation

So mag sich ein Streit zu Beginn einer Projektarbeit noch auf zwei Perso­ nen beschränken, die sich darum streiten, wer für die Außendarstellung des Projektes zuständig ist. Im Laufe der Auseinandersetzungen könnte die dreifache Ausweitung des Konfliktes so aussehen: ƒƒ Die beiden Kontrahenten gehen zunehmend aggressiv und rücksichtslos miteinander um. ƒƒ Es gelingt ihnen, andere Projektmitglieder in den Konflikt hineinzuzie­ hen und die Projektgruppe in zwei Lager zu spalten.

Abb. 3: Eskalation von Konflikten

Konflikte eskalieren in drei Richtungen: Anzahl der Themen, Anzahl der beteiligten Personen und Intensität

Eskalation: Wie eskalieren Konflik te?

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ƒƒ Außerdem streiten sie darüber, welche Teilprojekte die meisten Finanz­ mittel erhalten, wer über die technischen Ressourcen verfügen darf und wie unerträglich und unmoralisch bestimmte Persönlichkeitseigen­ schaften des anderen sind. Diese drei Eskalationsfaktoren verstärken sich gegenseitig: Mehr Personen haben mehr strittige Themen. Vielfältige Konfliktthemen zwischen vielen Beteiligten erzeugen Gefühle der Überforderung, erhöhen das Stresserleben und fördern hektisch-aggressives Verhalten. Eskalationen spalten die Konfliktparteien. Ihre sachlichen Standpunkte sowie die persönliche Beziehung entfernen sich zunehmend voneinander und werden extremer. Es kommt zur Polarisierung.

Die Eskalationsstufen nach Glasl: Ein idealtypisches Modell

Denkmodelle

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Glasl (2013) hat ein umfassendes Modell zur Eskalation entwickelt, das die destruktive Dynamik eines Konfliktes von der verhärteten Argumentation bis hin zur gegenseitigen (Selbst-)Vernichtung zeigt. Dieses Modell gibt Hin­ weise darauf, in welcher Eskalationsstufe sich der Konflikt befindet und wel­ che Art von Maßnahmen sich empfiehlt. Es gliedert die Eskalation in neun Stufen, die wir hier in VERSALIEN wiedergeben. Die Treppe der Konflikteskalation (in Anlehnung an Glasl 2014) stellt die Entwicklung von konfliktbezogenen Handlungen und Gefühlen sowie geeig­ nete Vermittlungsverfahren dar. Die Konfliktparteien versuchen in der Regel zunächst auf einer Stufe zu bleiben und steigen erst zur nächsten Stufe auf, wenn die Bemühungen um die Durchsetzung ihrer Ziele nicht erfolgreich sind. Sie wissen intuitiv, welche Mittel auf einer Stufe erlaubt sind, und ver­ meiden zunächst die Eskalation zum nächsten Schritt, als ob es eine unsicht­ bare Schwelle vor jeder Stufe gäbe, die sie sich scheuen zu überschreiten. Auch im Konflikt kennen sie die expliziten und unausgesprochenen Verhal­ tensregeln jeder Stufe und halten sich daran, bis der Eskalationsdruck durch die Unbeweglichkeit der anderen Seite, Forderungen der eigenen Parteimit­ glieder oder neue Ereignisse von außen eine Überschreitung der Schwelle als legitim erscheinen lässt (»Ich konnte ja nicht anders, weil …«). Dieser Eskala­ tionsprozess wird zudem von einer Veränderung der Gefühls-Denk-Muster begleitet, die wir hier vereinfacht als »Emotionen« bezeichnen.

1. VERHÄRTUNG

Übergang vom sachbezogenen zum personbezogenen Identitätskonflikt 2. DEBATTE POLEMIK

Ungeduld Verärgerung Zweifel Misstrauen

3. TATEN STATT WORTE 4. STEREOTYPEN KOALITIONEN

5. DEMASKIERUNG

Entrüstung Führung/Coaching (Interne) Moderation

Desillusionierung Verachtung

6. DROHUNG ERPRESSUNG 7. BEGRENZTE SCHLÄGE

Wut Verbitterung Mediation Konfliktmoderation Schlichtung

8. VÖLLIGE VERNICHTUNG 9. ABGRUND

Rachedurst Unbändiger Hass Machteingriff Schiedsgericht Schlichtung

Abb. 4: Eskalationstreppe

Eskalation: Wie eskalieren Konflik te?

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Glasl (2014) weist jeder Stufe eine spezifische Leitemotion zu, die wir hier weitgehend übernehmen und durch kursive Schrift kennzeichnen. Wobei anzumerken ist, dass es durchaus Konfliktparteien gibt, die generell oder situativ Stufen überspringen, und Konflikte so sehr schnell eskalieren. Jede Stufe bildet ein meist unausgesprochenes System von kognitiven Vor­ stellungen, sozialen Werthaltungen, Gefühlszuständen und Verhaltenswei­ sen. Es enthält bestimmte Vorstellungen von Verhaltensregeln, deren Einhal­ tung man von der anderen Seite erwarten darf und an die man sich selbst auch hält; beispielsweise: »Verfolge deine sachbezogenen Interessen unnach­ giebig gegenüber der anderen Seite. Bleibe dabei wertschätzend und vermeide jede personbezogene Kritik.« Solche Regeln sind in Werthaltungen verankert; zum Beispiel in Respekt und Wahrhaftigkeit, Gleichheit und Unterschiedlich­ keit, Selbstbestimmung und Bindung, Solidarität und Leistungsanforderung. Dieses System wird von Gefühlszuständen getragen und vorangetrieben, die durch die Kommunikation und die Handlungen der anderen Seite ange­ regt werden und zu ihnen passen  – entsprechend der eher kontrollierten

oder spontanen Ausdruckskultur der betroffenen Konfliktparteien. Zu der oben genannten Verhaltensregel passen beispielsweise Ungeduld und Ver­ ärgerung über die Sturheit der anderen Seite, die gute Argumente nicht ak­ zeptiert. Werthaltungen des Respekts, der Gleichberechtigung und Selbstbe­ stimmung sowie Leistungsanforderungen gegenüber dem anderen könnten den Gefühlsausdruck so steuern, dass beide Konfliktparteien ihre Ungeduld deutlich zum Ausdruck bringen, was kulturell als »normal« gilt, während sie Verärgerung nur mit kleinen Signalen andeuten, weil »Ärger« auf dieser Eskalationsstufe allgemein (noch) nicht akzeptabel ist. Die neun Eskalationsstufen lassen sich in drei Bereiche gliedern, die man plakativ als Win-Win, Win-Lose und Lose-Lose bezeichnen kann. Zur Be­ handlung dieser drei Bereiche sind verschiedene Vermittlungsverfahren ge­ eignet, die wir hier mit Anführungsstrichen hervorheben.

Eskalationsstufen 1 bis 3: Konflikte können (noch) für alle Seiten Gewinn bringen

Denkmodelle

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Die ersten drei Stufen sind dadurch gekennzeichnet, dass sich die Konflikt­ parteien um Kooperation bemühen, also eine Win-Win-Haltung einnehmen. Auf Stufe 1 gehen sie (noch) davon aus, dass beide Seiten von einer Konflikt­ lösung profitieren, obgleich sie bereits beginnen sich zu polarisieren: Beim Verhandeln strittiger Punkte entstehen Verhärtungen von gegensätzlichen Positionen. Gefühle der Verärgerung und Ungeduld kommen hoch. Auf Stufe 2, die Glasl als Debatte und Polemik bezeichnet, werden bereits ausführlich be­ gründete Sachverhalte debattenhaft wiederholt. Dabei greifen die Konflikt­ parteien zur Polemik. Man sucht die schwachen Punkte in der Argumenta­ tion des anderen und betont die Überlegenheit des eigenen Standpunktes. Die Sprache wird schärfer, Misstrauen und Zweifel an der Gutwilligkeit des anderen entstehen. Bleibt dies erfolglos, verlieren die Beteiligten die Hoff­ nung, mit sachlichen Argumenten zu einer Lösung zu kommen. Auf Stufe 3 mit dem einprägsamen Titel Taten statt Worte wird daher nicht mehr viel geredet. Die Kontrahenten stellen einander vor vollendete Tatsachen, was Missverständnisse und Vorurteile fördert. Dies wird als empörend erlebt. Die Leitemotion ist Entrüstung.

Von Heeren und Kornthaler beharren anfangs auf ihren sachbezogenen Standpunkten (Verhärtung), anstatt durch aktives Zuhören zu einem besseren Verständnis davon zu gelangen, welche differenzierten Beweggründe der andere hat. Auf der nächsten Stufe wiederholen sie ihre Argumente, die noch weitgehend sachbezogen sind, schießen nun jedoch auch polemische Spitzen ab (»Das müsste doch jeder vernunftbegabte Mensch akzeptieren«). Beide stellen den anderen gelegentlich vor vollendete Tatsachen: Von Heeren reduziert den Kontakt zu Kornthaler spürbar, und dieser trifft vermehrt Entscheidungen ohne vorherige Absprache. Auf diesen Eskalationsstufen könnten beide mit der Unterstützung ihrer Vorgesetzten wieder zu einer konstruktiven Auseinandersetzung zurückfinden. Jedoch schalten sich die Vorgesetzten viel zu spät ein.

In diesen drei Stufen kann es den Beteiligten durchaus gelingen, die eskalie­ rende Dynamik selbstständig zu beenden und zu einer allseitig akzeptablen Lösung zu kommen. Allerdings sind hier meist »Führung« im Sinne struk­ turierter Gespräche mit Vorgesetzten oder »Coaching« bzw. »Moderation« durch eine (interne) professionelle Kraft gefordert. Dies wird oftmals nicht explizit als Mediation bezeichnet, sondern beispielsweise als Problemlö­ sungsgespräch, Teamentwicklung, Kooperationsförderung. 21

Nun verhalten sich die Beteiligten nach dem Win-Lose-Prinzip, als könne nur noch eine Seite gewinnen. Der Konflikt intensiviert sich: Die Umgangs­ formen werden aggressiver, die Konfliktpunkte weiten sich aus. Es geht nicht mehr bloß um die Sache, sondern auch um die Personen. Es werden weitere Personen einbezogen. Auf Stufe 4 werden negative Stereotypen ge­ pflegt und Koalitionen mit Personen gebildet, die bisher noch nicht involviert waren. Die Kontrahenten versuchen nach dem Motto »Wer nicht für mich spricht, ist gegen mich!« wichtige Personen auf ihre Seite zu ziehen. Dies findet allerdings (noch) nicht öffentlich statt. Man ist voneinander schwer enttäuscht und endgültig desillusioniert. Diese Gefühlslage bringt die Parteien dazu, die Schwelle zu Stufe 5 zu überschreiten. Hier greifen sie zu Demaskierungen der jeweils anderen Par­ tei und bedrohen damit deren Identität: Sie bemühen sich nicht mehr um Gesichtswahrung, sondern greifen das Selbstbild des anderen öffentlich an.

Eskalation: Wie eskalieren Konflik te?

Eskalationsstufen 4 bis 6: Nur einer kann gewinnen

Die gegenseitige Kritik wird moralisch: Die eine Partei behauptet, dass die Gegenseite hinter einer ehrenhaften Fassade geradezu verabscheuungswür­ dige Einstellungen verberge. Die öffentliche Zuschreibung negativer Eigen­ schaften schädigt jetzt massiv die Beziehung. Aus einem Sachkonflikt wird ein Beziehungs- oder Identitätskonflikt. Die Parteien fühlen sich in ihrer Identität und in ihrer Gruppenzugehörigkeit empfindlich bedroht. Wie die andere Seite einen sieht, wird als Verleumdung wahrgenommen. Die Leit­ emotion ist Verachtung. Durch diese Wahrnehmung fühlen sich die Parteien legitimiert, den Kon­ flikt auf die nächste Stufe 6 zu steigern und gezielt Drohung und Erpressung einzusetzen. Da der Gegner aus ihrer Sicht völlig unglaubwürdig ist, können Gespräche und Verhandlungen nichts bringen. Daher glaubt man, die eige­ ne Position nur noch durch machtvolle Forderungen durchsetzen zu können. Dazu gehört der Einsatz verbaler Machtmittel. Bedrohungen erzeugen Gefüh­ le der Verbitterung und ungehemmten Wut, schädigen die Beziehungen noch mehr und verstärken die Furcht vor Identitätsverlust und Ausgrenzung.

Denkmodelle

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Von Heeren sucht sich Koalitionspartner – vor allem in den höheren Etagen. Kornthaler ist darin nicht so erfolgreich und fühlt sich ausgegrenzt. In einer Mischung aus Furcht und Abscheu beginnt er, von Heeren öffentlich zu kritisieren und persönlich als unglaubwürdig darzustellen, worauf dieser ihn vor seinen Mitarbeitern lächerlich macht und ihn als »hilflosen, verbohrten alten Mann« etikettiert. Schließlich drohen beide damit, nicht mehr zu kooperieren (»Mit dem nicht mehr!«) und jeden Fehler, jede Schwäche des anderen nicht mehr auszubügeln, sondern unnachsichtig zu veröffentlichen.

Wo es aus der Sicht einer oder beider Parteien keine unparteiischen Vorge­ setzten mehr gibt, braucht es Unterstützung von außen in Form von »Medi­ ation«, »Konfliktmoderation« oder gelegentlich auch »Schlichtung«. Schon ab Stufe 3, spätestens aber ab Stufe 4 benötigt die Konfliktbehandlung eine professionelle und zugleich system-externe dritte Kraft.

Eskalationsstufen 7 bis 9: Und koste es, was es wolle! Nun geht es den Konfliktgegnern vor allem um die Schädigung oder Ver­ nichtung der anderen Seite. Die gegenseitigen Bedrohungen auf Stufe 6 wer­ den massiver und führen in den Bereich der Taten, bis hin zu Gewalttätig­

keiten. Jetzt können alle nur noch verlieren (»Lose-Lose«). Auf Stufe 7 sollen begrenzte Schläge die Gegenseite gefügig machen, was in der Regel nicht ge­ lingt. Respekt vor der Würde des anderen geht verloren, dieser soll gezielt gedemütigt werden. Die Schädigung der anderen Seite wird als Erfolg und Gewinn verbucht. Die erlebten Verluste aktivieren den Wunsch nach Rache, es den anderen heimzuzahlen – Gefühle, die die Spirale von Schlag und Gegen­ schlag beschleunigen. Aus Gegnern werden Feinde. Die Eskalationsdynamik der zunehmenden Härte der Schläge überschrei­ tet schließlich die Schwelle, den anderen nur zum Einlenken zu bewegen. Auf Stufe 8 zielt der Schlagabtausch auf die völlige Vernichtung des anderen ab. Die Rachegelüste werden von unbändigem Hass getrieben. Während auf dieser Stufe noch eigene Verluste minimiert werden, fällt auf Stufe 9 auch diese letzte Hürde. Jetzt geht es ohne Rücksicht auf Verluste gemeinsam in den Abgrund. Der Feind muss vernichtet werden, auch wenn man dabei selbst beruflich untergeht.

Bei hoch eskalierten Konflikten der Stufen 7 bis 9 sind die Konfliktparteien meistens nicht zu einer Mediation bereit, und sie ist auch nicht das passen­ de Verfahren. Dafür stellt sie zu hohe Anforderungen an die Kooperation, an das gegenseitige Zuhören und gemeinsame Ausarbeiten von Lösungen. Stattdessen müssen starke Vermittler gelegentlich zum »Machteinsatz« grei­ fen, um die Konfliktparteien zu Verhandlungen zu bewegen, um Entschei­ dungen über Streitthemen zu treffen (»Schiedsgericht«) oder um Lösungen vorzuschlagen, die die Kontrahenten nur unter Inkaufnahme empfindlicher Nachteile ablehnen können (»Schlichtung«). Hilft keines dieser Vermitt­ lungsverfahren, bleibt noch der Rechtsweg.

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Eskalation: Wie eskalieren Konflik te?

Von Heeren gelingt es, Kornthaler aus einigen Verteilern zu streichen, sodass dieser wichtige Informationen nicht erhält. Für eine wichtige Entscheidung des Vorstands bringt er mithilfe eines starken Vorstandsmitglieds überraschend ein Gegenvotum zu einer Vorlage ein, die Kornthaler vorbereitet hat und die auf unzureichenden Informationen beruht. Kornthalers Auftritt wirkt dilettantisch. Nach dieser Bloßstellung schlägt er zurück. Er fordert von Heerens Entlassung wegen Illoyalität und Inkompetenz, worauf dieser mit der Einleitung einer Klage wegen Verleumdung reagiert. Obgleich beiden klar ist, dass sie sich selbst beschädigen, weil ihr Verhalten im Vorstand abgelehnt wird, bekämpfen sie einander weiterhin, sodass sich das Unternehmen von beiden trennen muss.

Denkmodelle

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Das Eskalationsmodell soll nicht als objektive Diagnostik verstanden werden, mit der jeder Stufe eine beste Interventionsmethode zugeordnet wird. Vielmehr verweist es darauf, welches Vermittlungsverfahren in den drei Abschnitten in Erwägung gezogen werden kann. Darum überschneiden sich auch die Vermittlungsverfahren in Abbildung 4 über die Stufen. Mediation kommt vor allem bei Eskalationen der Stufen 3 bis 7 infrage. Erfolgreiche Mediation wirkt deeskalierend, indem sie dazu beiträgt, dass die Intensität der aggressiven Gefühle und konflikthaften Interaktionen ab­ nimmt, zentrale Konfliktthemen geklärt werden oder sich einige Personen aus dem Konflikt in friedliche, neutrale Positionen zurückziehen. Eine Besonderheit ergibt sich auf Stufe 4: Hier werden sachbezogene Aus­ einandersetzungen zu personbezogenen oder »identitätsbasierten« Konflik­ ten. Dabei dehnt sich der Streit auf die vermeintlichen persönlichen Eigen­ schaften der Konfliktparteien aus. Sie streiten nicht mehr nur darum, wer über welche Ressourcen verfügt oder welche Entscheidung getroffen wird. Sie kritisieren einander vielmehr, indem sie den anderen Personen nega­ tive Eigenschaften zuschreiben und positive absprechen. Damit bedrohen und verletzen sie gegenseitig ihre Identitäten, das heißt ihre Selbstbilder. Das Verhältnis von sach- und personbezogenen Streitpunkten verlagert sich nach und nach in Richtung eines persönlichen Beziehungskriegs. Dabei ist die persönliche Kritik, die als Identitätsverletzung bzw. -be­ drohung erlebt wird, von besonderer Bedeutung. Sie zeigt eine Differenz zwischen dem positiven Selbstbild, also der Vorstellung, wie die Person sich selbst sieht und positiv von anderen gesehen werden möchte, und dem kri­ tischen Fremdbild, das heißt wie sie von anderen negativ gesehen wird. Die­ se Differenz erzeugt unangenehme Gefühle wie Hilflosigkeit, Schuld und Scham, Ärger und Aggression. Diese Gefühle stellen Energie für Rechtferti­ gungen und Gegenvorwürfe bereit, um das falsche Fremdbild aus der Welt zu schaffen. Bedrohungen und Verletzungen der Identität lösen meistens stärkere Emotionen als rein sachbezogene Konflikte aus. Dabei wirken zwei Aspekte der Kommunikation eskalierend: Verallgemeinerung und Abwertung. Je all­ gemeiner und herabsetzender die persönliche Kritik formuliert wird, desto stärker werden unangenehme Gefühle wie Ärger und Aggression und desto schlechter wird die Zukunft der Beziehung bewertet. Verallgemeinerungen eines kritikwürdigen Verhaltens auf die gesamte Person (negative Eigen­ schaftszuschreibung) sowie damit verbundene Herabsetzungen (Ungleich­

Die Schwelle vom sachzum personbezogenen Konflikt

Verallgemeinerung und Abwertung führen zu Eskalation

heit) sind demnach die entscheidenden kommunikativen Einflussfaktoren, die den Konflikt eskalieren lassen. Konflikte sind unserer Auffassung nach an sich nichts Negatives, solange die sachlichen Probleme im Fokus bleiben (Stufen 1 bis 3). Problematisch ist dagegen ihre Eskalation ins Persönliche. Stufe 4 ist der Punkt, an dem aus einer fruchtbaren sachbezogenen Auseinandersetzung ein dysfunktionaler persönlicher Konflikt wird, der den Weg zu einer besseren Sachlösung ver­ stellt. Diesen Eskalationsschritt ins Persönliche wieder rückgängig zu ma­ chen, ist die besondere Aufgabe der Mediation. Daher widmen wir uns in der Mediation insbesondere der Erhellung der persönlichen Hintergründe, um beispielsweise aktuelle Bedrohungen oder erlebte Verletzungen der Identität verstehbar zu machen.

Teufelskreis der Eskalationsdynamik Hierbei hilft ein weiteres Denkmodell aus der Hamburger Kommunikati­ onspsychologie, der Teufelskreis (Schulz von Thun 1989/2006, S. 28-37). Er beschreibt, wie sich die Kommunikation der Konfliktparteien negativ auf­ schaukeln kann und welche Aspekte dabei zu beachten sind. Einen Teufels­ kreis erkennen wir an den Äußerungen der Konfliktparteien: Ihre Kommu­ nikation wird zunehmend persönlicher und abwertender.

Auf den Stufen 4 und 5 wirft Kornthaler von Heeren eine ständige Verdrehung der Tatsachen sowie Unglaubwürdigkeit vor. Im Gegenzug macht dieser ihn lächerlich. Daraufhin verstärkt Kornthaler seine Vorwürfe und spricht von »Lügen, die von Heeren auftischt«. Dieser denkt sich neue Strategien aus, um seinerseits Kornthaler noch lächerlicher zu machen – wie die katastrophale Präsentation im Vorstand.

Solche Äußerungen lassen sich als zwei Stationen eines Teufelskreises dar­ stellen (siehe Rechtecke in Abb. 5). Allgemein gesagt: Je mehr die eine Sei­ te die andere in verallgemeinernder Weise abwertet, desto mehr verstärkt auch die andere Seite ihre verbalen Angriffe. Der Kreis ohne Anfang und Ende betont, dass es nicht darum geht, wer begonnen hat, und somit auch nicht darum, einen Schuldigen zu identifizie­ ren. Der Teufelskreis spiegelt vielmehr den systemischen Grundsatz wider,

Teufelskreise stellen die Eskalationsdynamik ohne Schuldzuweisung dar

Eskalation: Wie eskalieren Konflik te?

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dass eine problematische Kommunikation in der Regel nicht durch die Cha­ raktereigenschaften der Beteiligten verursacht wird, sondern als System von zunehmend destruktiven Interaktionen zu betrachten ist, dem die Kon­ fliktparteien ausgeliefert sind, wenn sie es nicht erkennen. Daraus folgt, dass eine erfolgreiche Konfliktvermittlung diese Interaktionsdynamik auf­ klären sollte statt sich auf die Schuldfrage zu konzentrieren. Solange sich die Mediation lediglich auf die Äußerungen bezieht, kommt sie nicht weiter. Dies führt meist nur zu Rechtfertigungen und Wiederho­ lungen von Vorwürfen und negativen Zuschreibungen. Es ist dagegen wei­ terführender und klärender für die Parteien, wenn sie auch ihre »Innerun­ gen« reflektieren und zumindest teilweise zum Ausdruck bringen (siehe Ovale in Abb. 5). Die Mediatorin kann direkt danach fragen, was eine kriti­ sche Äußerung bei der angesprochenen Person ausgelöst hat oder wie ihre innere Reaktion darauf aussieht. Die Leitemotionen (siehe Abb. 4) bieten ein Repertoire für die Benennung solcher Innerungen auf den einzelnen Stufen der Eskalation.

Äußerungen

Denkmodelle

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Kornthaler äußert sich

… negativ zur Glaubwürdigkeit: »Der verdreht alles«, bezichtigt ihn des Lügens

von Heeren erlebt

Innerungen

Innerungen

Wut Entrüstung Desillusionierung Verbitterung Enttäuschung

Wut Verachtung Verunsicherung Enttäuschung Bedrohung

Kornthaler erlebt

Äußerungen … abfällig über Kornthaler: »bornierter alter Mann«, macht ihn lächerlich

von Heeren äußert sich

Abb. 5: Der Teufelskreis im Beispiel

Im Fall von Kornthaler und von Heeren könnte man teilweise identische, teilweise unterschiedliche Emotionen vermuten: Beide sind wütend und enttäuscht vonei­ nander. Während Kornthaler zusätzlich entrüstet, desillusioniert und verbittert sein mag, könnten sich bei von Heeren mit Wut und Verachtung auch Gefühle der Bedrohung und Verunsicherung mischen.

Es ist schwierig, solche gemischten inneren Reaktionen für sich zu klären und so zum Ausdruck zu bringen, dass es für die andere Seite klarer wird. Mediation hilft den Konfliktparteien insbesondere durch die Konflikterhel­ lung in Phase 3, auch diese inneren Vorgänge in den Blick zu nehmen und darüber zu sprechen. Mit dem horizontalen Gespräch über die Innerungen – statt des vertikalen Schlagabtauschs über Vorwürfe und negative Zuschrei­ bungen  – eröffnet die Mediation den Konfliktparteien die Chance, sich in ihren persönlichen Beweggründen verständlich zu machen und den Weg treppab zu den Stufen der sachlichen Auseinandersetzung zurückzufinden. Hierfür ist es für uns als Mediatorinnen hilfreich, das Modell des Teufels­ kreises als Denkzeug im Hinterkopf zu haben und es den Konfliktparteien gegebenenfalls bei der Konflikterhellung zum vertieften Verständnis ihrer Dynamik zu erläutern.

Weiterführende Literatur: Glasl, F. (1980/2013). Konfliktmanagement. Bern: Haupt Glasl, F. (2014). Eskalationsdynamik – zur Logik von Affektsteigerungen. In: Konfliktdynamik (3, 3), S. 190-199 Schulz von Thun, F. (2006). Miteinander reden 2. Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. Reinbek: Rowohlt

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Das Eisberg-Modell wird ursprünglich dem Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, zugeschrieben, der es als »Eisbergmodell des Bewusstseins« verwendete. Dort verweist es auf offensichtliche (der kleinere Teil oberhalb der Wasseroberfläche) und nicht sichtbare Ebenen der Kommunikation (der größere Teil unterhalb der Wasseroberfläche). Mittlerweile findet sich der »Eisberg« als ein zentrales Denkmodell zur Konfliktanalyse vielfach in der Mediationsliteratur (siehe zum Beispiel Besemer 2009). Die Eisbergspitze steht in diesem Modell für die Anteile, die in einem Konflikt sichtbar sind, die in Abschnitt 1.1 bereits angesprochenen (Nicht-)Handlungen oder Positi­ onen des Gegenübers, die beeinträchtigen. Unterhalb der Wasseroberfläche dagegen liegen die vielfältigen, in der Regel erst einmal unsichtbaren Konfliktaspekte  – Gefühle, Bedeutungen,

Das Modell des Doppeleisbergs

1.3 Das Modell des Doppeleisbergs: Ein Wegweiser für die Mediation

Interessen und Bedürfnisse, strukturelle Bedingungen, Werte –, die es zu erhellen gilt, wenn wir von der Frage nach dem »Was ist der Konflikt?« zum »Worum geht es im Konflikt?« gelangen wollen.

Situation(en) der Beeinträchtigung

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Hintergründe

Denkmodelle

Zusammenhang von Situation, Gefühlen und Interessen Im Alltag sehen wir in Konflikten in der Regel einen direkten Zusammen­ hang zwischen der konfliktträchtigen Handlung des anderen und unseren Gefühlen (»Ich bin sauer, weil du schon wieder viel zu spät kommst!«). Im Gegensatz zu dieser Einschätzung werden unsere Gefühle im Konflikt bei genauer Betrachtung jedoch durch unerfüllte Interessen und Bedürfnisse hervorgerufen (die wiederum durch eine Handlung des anderen beeinträch­ tigt sind). Ein Beispiel mag dies verdeutlichen:

Abb. 6: Eisberg-Modell der Konfliktanalyse

Stellen wir uns einmal vor, wir sind mit einem guten Freund, den wir lange nicht gesehen haben, verabredet. Nun kann es sein, dass wir in der Kneipe sitzen und ziemlich enttäuscht sind, weil er »schon wieder« zu spät kommt, obwohl wir doch gern mit ihm darüber gesprochen hätten, wie sehr uns Probleme in der Partnerschaft aktuell belasten. Und nun stellen wir uns dagegen vor, dass wir mit einem guten Freund, den wir lange nicht gesehen haben, verabredet sind, nachdem wir gerade einen hoch eskalierten Konflikt mediiert haben. In diesem Fall kann es sein, dass wir in der Kneipe sitzen und uns darüber freuen, dass er zu spät kommt, weil wir so Zeit haben, erst einmal in Ruhe einen Kaffee zu trinken, ein wenig in der Zeitung zu lesen und abzuschalten.

In beiden Fällen handelt es sich um die gleiche Situation, die Handlung des Freundes ist identisch. In ersten Fall haben wir jedoch einen Konflikt, da die Handlung des Freundes (»zu spät kommen«) unsere Interessen verletzt (»über die Partnerschaft reden«), im zweiten Fall dagegen entspricht sein Verhalten unseren Interessen, sodass kein Konflikt entsteht. Diesem Zusammenhang tragen wir in der Mediation Rechnung, indem wir das Gespräch zuerst auf die beeinträchtigenden Handlungen und danach über die Gefühle auf Inte­ ressen und Bedürfnisse fokussieren. 29

Gefühle

Gefühle

Interessen Bedürfnisse

Das Modell des Doppeleisbergs

Situation(en) der Beeinträchtigung

Interessen geteilte Hintergründe

Werte

Bedürfnisse Werte

Hintergründe

Abb. 7: Der Doppeleisberg der Konfliktanalyse

Denkmodelle

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Beim Eisberg-Modell mit doppelter Blickrichtung erweitern wir das Mo­ dell, um die Konflikte und Hintergründe von zwei Konfliktparteien zu ver­ deutlichen. Die Eisberg-Spitzen stehen für die jeweiligen störenden Kon­ fliktpunkte der Beteiligten, also die beeinträchtigenden Handlungen des anderen. Zuerst befassen wir uns in der zweiten Phase der Mediation mit diesen Bereichen der Eisberge (siehe Abschnitt 2.2): Wir sprechen jeweils über konkret störende Handlungen des Gegenübers und ordnen diese Be­ einträchtigungen bei komplexen Konflikten in Konfliktthemen. Die Tren­ nung der zwei unverbundenen Eisbergspitzen symbolisiert hierbei, dass die Beteiligten in der Mediation völlig verschiedene Situationen als kon­ flikthaft erleben. Die Bereiche unter der Wasseroberfläche stehen für die Hintergründe der Konfliktparteien. Hierbei sind Gefühle, Interessen, Bedürfnisse und ge­ gebenenfalls Werte für uns besonders im Fokus. Diese Hintergründe erar­ beiten wir mit den Parteien in der dritten Phase der Mediation, der Kon­ flikterhellung (siehe Abschnitt 2.3). Dabei steht die »Tiefe« der Hintergründe im Modell für die »Beweglichkeit«, die sie im Prozess der Mediation haben können: Werte sind im Prinzip unveränderbar, während Interessen im Sin­ ne eines Interessenausgleichs durchaus verhandelbar sind. Die Schnittmenge der Eisberge bildet die Analogie zu den gemeinsamen Hintergründen der Parteien. So kann ein Paar in einer hochkonflikthaften Trennungssituation dennoch ein gemeinsames Interesse haben: gemeinsam Eltern bleiben. In der Mediation suchen wir zwar nicht explizit nach solchen geteilten Interessen – eine stimmige Vereinbarung ist auch ohne gemeinsa­ me Interessen möglich –, wenn sie jedoch sichtbar werden, so benennen wir sie deutlich. Hintergründe von zentraler Bedeutung sind in der Mediation die Inte­ ressen (siehe Abschnitt 2.3.2). Sie bilden die Basis, auf der die Parteien neue Lösungsideen (er)finden und im Sinne eines Interessenausgleichs zu einer Vereinbarung verhandeln. Im Konfliktfall haben die Beteiligten in der Regel sofort Ideen, wie der Konflikt gelöst werden könnte. Diese Ideen berück­ sichtigen jedoch in erster Linie ihre eigenen Interessen und sind für das Gegenüber daher inakzeptabel. Für einen zufriedenstellenden Umgang mit Konflikten bedarf es somit eines kreativen interessenbasierten Umgangs. Hierfür müssen die Konfliktparteien sich einerseits ihrer eigenen Interessen bewusst sein und andererseits die bedeutsamen Interessen des Gegenübers zumindest verstehen (im Sinne von nachvollziehen) können.

Oberhalb der Wasserlinie werden die Beeinträchtigungen durch (Nicht-) Handeln oder (Nicht-) Wollen deutlich

Unterhalb der Wasser­ linie werden die Auswirkungen und bedeutsame Interessen deutlich

Stellen wir uns einen Konflikt zwischen einer Mitarbeiterin und ihrer Chefin vor. Die Mitarbeiterin hat eine einjährige Fachfortbildung beantragt, die ihre Chefin abgelehnt hat. Als die Mitarbeiterin bei anderen über die Chefin schimpft: »Immer dürfen die Männer Fortbildung machen, und ich als Frau im gebärfähigen Alter nicht!« (Beispiel für eine Unterstellung »böser« Absichten im Konflikt), hört sie von einem Kollegen, dass seine Fortbildung auch abgelehnt wurde. Die beiden überlegen gemeinsam, was denn die Chefin dazu bewogen haben könnte, wo ihr doch eigentlich an einer fachlichen Weiterentwicklung des Teams gelegen ist. Gemeinsam kommen sie zu dem Schluss, dass vermutlich das Fortbildungsbudget ausgeschöpft ist. Am nächsten Tag geht die Mitarbeiterin deshalb wieder zur Chefin und bietet ihr an, die nicht unerheblichen Kosten der Weiterbildung selbst zu tragen. Sollte die Ablehnung der Chefin tatsächlich in einem zu kleinen Fortbildungsbudget begründet sein, so wird sie sicherlich freudig zustimmen und sich vielleicht sogar für das persönliche Engagement ihrer Mitarbeiterin herzlich bedanken. Wenn dagegen eine Stelle im Team noch nicht nachbesetzt ist und die Chefin fürchtet, den Dienstplan nicht besetzt zu bekommen, falls die Mitarbeiterin eine zeitlich umfangreiche Fortbildung macht, dann nutzt das Angebot der Eigenfinanzierung herzlich wenig.

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Weiterführende Literatur: Besemer, C. (2009). Mediation. Die Kunst der Vermittlung in Konflikten. Baden: Werkstatt für gewaltfreie Aktion Redlich, A. (2012). Konfliktmoderation in Gruppen. Hamburg: Windmühle

Das Modell des Doppeleisbergs

Erst wenn im Mediationsprozess die jeweiligen bedeutsamen Interessen bei­ der Seiten klar benannt und wechselseitig nachvollzogen wurden, können die Beteiligten im nächsten Schritt Handlungsoptionen entwickeln und zu einer interessensbasierten Vereinbarung verhandeln. Die Konflikthinter­ gründe der Gefühle und Bedürfnisse verstehen wir hierbei als Wegweiser: Sie sind in der Regel offensichtlicher und helfen uns, die Interessen der Be­ teiligten zu klären (siehe Abschnitt 2.3). In der Mediation nutzen wir das Modell des Doppeleisbergs als Kompass, um den Gesprächsprozess jeweils neu zu verorten und zu steuern: Über wel­ che Hintergründe welcher Partei sprechen wir gerade? Welche bedeutsamen Aspekte sind noch unbeleuchtet? Gibt es gemeinsame bzw. konträre Inte­ ressen? Darüber hinaus nutzen manche Mediatorinnen das Modell auch sicht­ bar für die Parteien im Gespräch. Dabei »füllen« sie gemeinsam mit den Medianden eine Abbildung des Doppeleisbergs kontinuierlich mit den je­ weiligen Hintergründen. Eine gemeinsame »Draufsicht« erlaubt den Be­ teiligten eine distanziertere Haltung zum Geschehen und fokussiert das Gespräch: Die Anschaulichkeit ermöglicht eine Einsicht in die Struktur des Konflikts.

1.4 Drei Konfliktformen – Ressourcenkonflikte, Interessen­ konflikte und identitätsbasierte Wertekonflikte Alexander Redlich/Silke Freitag

Unterschiedliche Konflikte benötigen verschiedene Interventionsmethoden. Für die Auswahl des geeigneten Vorgehens unterscheiden wir hier drei Kon­ fliktformen, die wir Ressourcen-, Interessen- und identitätsbasierte Werte­ konflikte nennen. Grundlage dieser Unterscheidung bilden der unterschied­ liche Klärungsbedarf und der damit verbundene zeitliche Aufwand, den die verschiedenen Konfliktformen in der Mediation benötigen.

Konflikte sind unterschiedlich

Denkmodelle

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Wir verstehen unter einem Konflikt eine Unvereinbarkeit zwischen zwei Personen, die bei mindestens einer Person zu Belastungen führt (siehe Ab­ schnitt 1.1). Mediation ist vor allem sinnvoll, wenn diese Belastungen nach einem als schwerwiegend empfundenen Ereignis dauerhaft anhalten oder die Konfliktpunkte regelmäßig wiederkehren. Nach Rothman (2012) unterscheiden wir zwischen drei Konflikttypen. Konfliktparteien streiten sich um (a) die Verteilung von beschränkten Sachen (»Ressourcen«), (b) konkrete Ziele, Wünsche und Bedürfnisse (»Interessen«) oder (c) bedrohte wertvolle Aspekte der Selbstbilder (»identitätsbasierte Werte«). Im Folgenden werden diese drei grundlegenden Konfliktformen an Beispie­ len erläutert und in Bezug zu den passenden Interventionen gesetzt.

Ressourcenkonflikte Hierbei handelt es sich um Konflikte um begrenzte Ressourcen, etwa Geld, Sachgegenstände, Zeit, Rechte, Zuständigkeit oder Verfügungsmacht: ƒƒ Häufig gibt es in Unternehmen Ressourcenkonflikte um Urlaubszeiten in den Schulferien, vor allem, wenn die Mitarbeiter in anderen Bundeslän­

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dern wohnen, sodass die Zeitkorridore für gemeinsame Familienurlaube stark begrenzt sind. Im öffentlichen Bereich sind Konflikte um begrenzte räumliche Res­ sourcen nicht selten. Hierbei geht es beispielsweise an Hochschulen um Räume für Mitarbeiterinnen ebenso wie um Laborzeiten oder beliebte Hörsäle. Bei Personalfragen entbrennen häufig Konflikte um Stellen: Abteilung A kann sehr gut nachvollziehen, dass Abteilung B genauso dringend eine Fachkraftstelle benötigt wie sie. Aber es steht nur eine halbe Stelle zur Verfügung. Leicht entbrennt ein Streit um die Frage: Wer soll die begehr­ te Ressource bekommen? Auch über die Verteilung von Arbeitsmaterial entsteht oft diese Form von Konflikten: Da gibt es in einer Gärtnerei beispielsweise neuere, komfor­ tablere Aufsitzmäher, aber eben auch die älteren, schwerfälligeren Mo­ delle. Es gibt leichte und schwere Laubpuster. Bei Trennungen aller Art, sei es von Lebens- oder Geschäftspartnern, begegnen uns in der Regel vielfältige Ressourcenkonflikte. Beide Seiten wollen beispielsweise den Mietvertrag allein übernehmen, die Telefon­ nummer behalten, das Firmenlogo weiterführen, das alleinige Patent­ recht für die Software usw.

Bei Ressourcenkonflikten kann die dritte Phase entfallen oder sehr kurz gehalten werden

Drei Konflik tformen

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Die zentralen Wünsche und Bedürfnisse der Konfliktparteien beziehen sich oft auf dieselben Ressourcen und lassen sich von der Gegenseite daher meist gut nachvollziehen. Die Hintergründe sind wenig komplex. Allen Beteiligten ist weitgehend klar, worum es geht und warum die anderen Parteien diese Ressourcen haben wollen. Die Mediation braucht mögliche Hintergründe nicht tiefgehend zu erkunden. Die Beteiligten können nachvollziehen, was die anderen bewegt. Die Mediatorin kann sich also direkt darauf konzentrieren, Ideen für eine annehmbare Ressourcenverteilung oder mögliche Kompensationen zu entwickeln, damit die Beteiligten zu einer bestmöglichen Lösung finden. Der Fokus der Mediation liegt hier also auf Phase 4 »Lösungen (er)finden« – auf der kreativen Gestaltung eines neuen Umgangs mit den begrenzten Res­ sourcen (siehe Abschnitt 2.4). Die dritte Phase der Konflikterhellung fällt somit entweder knapp aus oder entfällt ganz.

Interessenkonflikte

Denkmodelle

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Meistens bleiben Ressourcenkonflikte allerdings nicht einfache Vertei­ lungsstreitigkeiten. Die Konkurrenz um eine Sache verbindet sich leicht mit anderen Hintergründen der beteiligten Personen. So sind Ressourcen oft kein Selbstzweck, sondern dienen der Befriedigung von Zielen, Wünschen und Bedürfnissen (»Interessen«; siehe Abschnitt 2.3.2), die den Beteiligten manchmal selbst nicht klar sind und den Konflikt verkomplizieren. Dazu einige Beispiele: ƒƒ In Organisationen gibt es Interessenkonflikte um Arbeitsabläufe: Wäh­ rend einige Mitarbeiter stets klare Regeln und dauerhafte Absprachen brauchen, lehnen andere viele Regeln ab, die sie als einengend und hem­ mend erleben. In einem kleinen Projektteam sind dann Konflikte hoch­ wahrscheinlich. ƒƒ Auch bezüglich des persönlichen Umgangs im Büro können unterschied­ liche Interessen und Bedürfnisse aufeinandertreffen: Während die einen sich in einer Atmosphäre der emotionalen Nähe besonders wohlfühlen, schätzen die anderen eine gewisse Distanz. Die Konflikte liegen auf der Hand, wenn zwei Menschen mit so konträren Bedürfnissen sich ein klei­ nes Büro teilen. ƒƒ In Familien begegnen uns vielfältige Interessenkonflikte, beispielswei­ se bezüglich der Kinderbetreuung (Wer bleibt denn zu Hause, wenn das Kind wegen Krankheit nicht in die Kindertagesstätte kann?) oder be­ züglich Anschaffungen aller Art: Soll es das kleine Auto mit geringem Benzinverbrauch werden oder doch lieber der große Kombi, in dem die Kinderkarre bequem Platz hat? ƒƒ In der Nachbarschaft werden Feste in schöner Regelmäßigkeit zu interes­ sensbasierten Konflikten: Während die einen gern ausgelassen die Nacht durchtanzen, fühlen sich andere um den Schlaf gebracht. Gründen sich die unvereinbaren Positionen der Konfliktparteien auf (noch) unbefriedigte Bedürfnisse, um deren Erfüllung sie streiten, sprechen wir von Interessenkonflikten. Die für die Mediation bedeutsamen Unterschiede zu Ressourcenkonflikten sind: ƒƒ Die eigenen Interessenlagen sind den Beteiligten selbst wenig klar. ƒƒ Die Beteiligten wissen wenig von den Interessen des Gegenübers.

Bei Interessenkonflikten erhellen wir die sachlichen und persönlichen Hintergründe der Positionen

ƒƒ Die Interessen des Gegenübers sind für die Beteiligten nicht nachvoll­ ziehbar. In der Mediation bearbeiten wir daher dieses Verstehensdefizit. Mediatorinnen leiten die Konfliktparteien bei dieser Konfliktform dazu an, die eigenen Hintergründe selbst zu klären. Wenn die Gegenseite wäh­ rend dieser Selbstklärung zuhört, kann sie die persönlichen Hintergründe, das heißt die zentralen Interessen als Beweggründe für die unvereinbaren Positionen verstehen. Dies bedeutet nicht, dass sie diese Positionen akzeptie­ ren soll, sondern ausschließlich, dass sie sie besser als vorher begreift.

Identitätsbasierte Wertekonflikte Identitätsbasierte Wertekonflikte mobilisieren starke Gefühle

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Drei Konflik tformen

Solange sich die Konfliktparteien gegenseitig (noch) nicht persönlich be­ droht oder verletzt fühlen, reicht die Erhellung ihrer Interessen aus, um wieder zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bei der Lösung des Konflik­ tes zu gelangen. Wenn es allerdings zu persönlichen Verletzungen gekom­ men ist, werden in der Regel negative Gefühlszustände wie Empörung und Aggression losgetreten, die das Konfliktgeschehen mehr oder weniger ver­ deckt aus dem Hintergrund bestimmen. Kritisieren die Konfliktparteien einander in persönlicher Weise, greifen sie die Identität des jeweils anderen an. Dabei handelt es sich um Unver­ einbarkeiten von Selbst- und Fremdbild: Das eigene Selbstbild mit seinen wichtigen Werthaltungen, positiven Eigenschaften und liebgewonnenen Gewohnheiten entspricht so gar nicht dem Fremdbild, das die andere Sei­ te hat  – mit seinen negativen Wertungen und Eigenschaftszuschreibun­ gen sowie der Kritik an eben diesen Gewohnheiten. Umgekehrt haben sie selbst ein negatives Bild von den anderen, das wiederum von deren posi­ tivem Selbstbild abweicht, sodass diese energisch darum kämpfen. Beide Seiten erleben die anderen als bedrohlich und herabsetzend für ihre Iden­ tität und aktivieren erhebliche Energien für den Erhalt ihrer gewünschten Selbstbilder. Sogar ein Streit um Ressourcen kann als Angriff auf die Identität der Parteien verstanden werden, wenn zum Beispiel eine große Zahl an Mitar­ beitern, ein eigener Etat oder ein teurer Dienstwagen Ausdruck ihres Selbst­ werts sind. Solche Hintergründe verkomplizieren auch vermeintlich »einfa­

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che« Konflikte dadurch, dass die Beteiligten sie nicht direkt offenlegen, son­ dern mit immer neuen und verwickelten Sachargumentationen verdecken. Wenn uns in Konflikten abwertende Eigenschaftszuschreibungen im Sinne von »Der ist einfach so egoistisch!«, »Meine Chefin ist sowas von arro­ gant!« bis hin zu »Mein neuer Kollege ist ein Sexist!« begegnen, dann haben wir es in der Regel mit Identitätskonflikten zu tun, in denen es um Werte wie Gerechtigkeit, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, Höflich­ keit oder mangelnde persönliche Anerkennung geht. Wenn eine Mitarbei­ terin morgens zu Arbeitsbeginn regelmäßig durch die Büros geht, ihre Kol­ legen begrüßt und sich ausführlich nach ihrem Wohlbefinden erkundigt, was ihre Chefin zunehmend zur Weißglut bringt: »Wir sind doch hier keine Kurklinik, sondern eine Marketing-Agentur!«, dann haben wir es vermut­ lich ebenfalls mit einem Wertekonflikt zu tun, bei dem die Vorstellungen von Arbeitsethik und einem kollegialen Miteinander deutlich auseinander­ gehen. Warum sind die Betroffenen bei Verletzungen ihres Selbstbildes so emp­ findlich? Herabsetzungen erzeugen negative Gefühle, wenn die kritisierten Eigenschaften werthaltig sind, das heißt mit wichtigen Werten verbunden sind, die das Selbstbild positiv einfärben. Wir sprechen daher auch von ei­ nem verletzten Selbstwertgefühl. Wenn ich Zügigkeit beim Arbeiten nicht besonders wichtig finde, trifft mich der Vorwurf der Langsamkeit kaum. Stellt Zügigkeit für mich dagegen einen hohen Wert dar, löst dieser Vorwurf bei mir starke Gefühle wie beispielsweise Empörung aus. Entsprechend wer­ de ich ihn bekämpfen, indem ich der anderen Seite vorwerfe, dass sie mich schlechtmachen will, ungerecht ist, mit unterschiedlichen Maßstäben misst usw. Im Konflikt verwenden die Parteien häufig Formulierungen, mit denen sie der anderen Seite negative Eigenschaften zuschreiben (»Du bist immer so langsam«) und – verschärfend – ihr die Verletzung eines Wertes vorwer­ fen (»Deine ständige Langsamkeit kann niemand ertragen«), statt einzelne Handlungen zu benennen (»Du hast bei den letzten drei Aufgaben 50 Prozent mehr Zeit gebraucht als ich«). Sie können ihre Angriffe noch intensivieren, indem sie sie stark verallgemeinert der gesamten Person zuschreiben (»Lang­ samkeit in Person«) oder diese in beleidigender Weise öffentlich etikettieren (»Die Schnecke aus dem Sekretariat«). Wenn der anderen Konfliktpartei ne­ gative Eigenschaften mehrfach zugeschrieben werden, können wir als Me­ diatorin davon ausgehen, dass dies als Angriff auf ihre Identität erlebt wird.

Wenn die soziale Identität bedroht wird, vergrößert sich das Konfliktpotenzial

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Drei Konflik tformen

Wie erhalten Eigenschaften ihren Wert? Menschen lernen in ihren Be­ zugsgruppen von Vorbildern und Rollenmodellen sowie durch konkrete Hinweise von wichtigen Bezugspersonen wie Eltern und Gleichaltrigen, wel­ che Eigenschaften wichtig und wertvoller Bestandteil der Identität sind (bei­ spielsweise das Gute, Schöne, Wahre) und welche nicht (zum Beispiel Unge­ rechtigkeit, Falschheit, Unwahrheit). Im Laufe der Sozialisation entwickeln sie daraus ihr identitätsbezogenes Wertesystem, dem sie sich verpflichtet fühlen. Es handelt sich dabei um kollektive Werte im Sinne von Wertvor­ stellungen, die der eigenen Bezugsgruppe zugeordnet werden, diese kenn­ zeichnen und mit denen sich die Gruppenmitglieder identifizieren  – also um wichtige Aspekte der sozialen Identität. Für Wissenschaftler sind bei­ spielsweise Kritik und Skepsis gegenüber allgemeinen Überzeugungen hohe Werte. Religiöse Gemeinschaften bauen dagegen auf ihren Glauben. Greift die andere Konfliktpartei diese Werte an, ist nicht nur die eige­ ne soziale Identität, sondern auch die eigene Gruppe (als identitätsstiftende Basis) bedroht. Diese doppelte Bedrohung verstärkt die Abwehrgefühle und mobilisiert entsprechend mehr kämpferische Energie. Die soziale Identität wird dann gewissermaßen doppelt verteidigt, für die eigene Gruppe und sich selbst. Gelten in den Bezugsgruppen der Konfliktparteien konträre Werte, so wird das wertgebundene Verhalten der anderen als befremdlich und em­ pörend empfunden. Bei diesen Konflikten geht es darum, wie »man Dinge eben (nicht) sagt oder macht«. So erleben beispielsweise die Technikerinnen eines Autoherstellers, für die »Funktionssicherheit« und »Verlässlichkeit« die primären Werte darstellen, gelegentlich die Werbeversprechungen der Mar­ keting-Expertinnen als unverantwortlich, während diese unter dem Motto »Tue Gutes und rede darüber!« eine vielversprechende Produktdarstellung vertreten und die Technikerinnen als ständige Bedenkenträger wahrneh­ men. Solche polarisierenden Wertekonflikte sind meistens mit starken Ge­ fühlen und Abwertungen der anderen verbunden. Daher liegt der Fokus der Mediation bei identitätsbasierten Wertekonflikten ebenfalls auf der dritten Phase: dem Erhellen der Hintergründe, jedoch mit einem Schwerpunkt auf der Klärung der Selbst- und Fremdbilder, vor allem der Werte-Differenzen und der damit verbundenen Abwehrgefühle (siehe Abschnitt 1.2 sowie 2.3.3). Klärung meint hier nicht, dass die Werte der anderen Seite akzeptiert werden, sondern lediglich, dass die Unterschiede zwischen den Werten der Parteien deutlich werden.

Beim Verstehen von Wertekonflikten kann uns das sogenannte Wer­ te- und Entwicklungsquadrat behilflich sein (»WEQ« nach Schulz von Thun 1989, S. 39 ff., weitergehend für die Arbeit mit Wertespannungen in Gruppen: Redlich 2013). Die Idee hinter dem WEQ ist, dass es sich bei zwei Werten, die im Alltagsverständnis als spannungsreich oder gegensätzlich wahrgenommen werden, genau genommen um sich ergänzende »Tugenden« handelt. Beide Pole wie beispielsweise Strukturiertheit und Flexibilität be­ inhalten positive Qualitäten und entwickeln gerade in einer ausgewogenen Balance ihre Stärke. Im Konflikt jedoch sehen die Beteiligten ihre eigene Stärke gern als Tugend, dem Gegenüber wird dagegen das Tugendhafte ab­ gesprochen und sein Wert polarisierend als Untugend abgewertet, indem Strukturiertheit beispielsweise als Starrheit bezeichnet wird oder Flexibili­ tät als Sprunghaftigkeit oder Chaotik.

2. Guter Kern

Werte verstehen wir als einander ergänzende Tugenden

3. Wert von B

(Strukturiertheit)

(Flexibilität)

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Denkmodelle

Entwicklungsrichtungen

1. Abgelehnte Eigenschaft von A (Starrheit)

4. Risiko von B (Sprunghaftigkeit)

In der Mediation können wir die Dynamik von Wertekonflikten gemein­ sam mit den Konfliktparteien herausarbeiten. Es ist hilfreich, dabei folgen­ dermaßen vorzugehen (vgl. Abbildung 8): Wir arbeiten als Mediatorinnen

Abb. 8: Das Werte- und Entwicklungsquadrat

In jeder »Untugend« steckt ein guter Kern

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Drei Konflik tformen

erstens die abgelehnte Eigenschaft einer Partei (A) heraus. Das ist meist der Hauptvorwurf der anderen Partei (B), beispielsweise Starrheit (»Du bist im­ mer so unbeweglich und starr!«). Dann fragen wir zweitens beispielsweise: »Was könnte denn der gute Kern in dieser von Ihnen als Starrheit empfun­ denen Eigenschaft sein?« und erhalten hier beispielsweise die Antwort: »Das Positive daran ist die Strukturiertheit, auf die ich mich gut verlassen kann.« So könnten wir »verlässliche Strukturiertheit« notieren. Die folgende Frage »Worin sehen Sie dagegen Ihre eigene Stärke?« führt sodann zu drittens, dem Wert von B: Flexibilität (»Ich finde es besser, wenn man flexibel ist und auf verschiedene Situationen nicht so starr eingeht«). Schließlich nehmen wir noch viertens das Risiko dieser ergänzenden Tugend in den Blick, indem wir die andere Partei fragen: »Wie erleben Sie im Alltag die Flexibilität Ihres Kollegen?« Hier stoßen wir oft auf den Gegenvorwurf: »Er ist mir viel zu sprunghaft und chaotisch.« Bei einer symmetrischen Polarisierung wäre die Analyse abgeschlossen. Falls sich der Hauptvorwurf von A auf eine andere abgelehnte Eigenschaft von B bezieht, entwickeln wir ein zweites WEQ. Dies müssen wir nicht im­ mer explizit mit den Parteien erarbeiten. Oft reicht es aus, eine derartige Polarität zu benennen und mithilfe einer Visualisierung des WEQ zu erläu­ tern. Warum heißt es nun auch Entwicklungsquadrat? Ein WEQ verweist auf die Entwicklungsrichtung der Konfliktparteien. Denn mit den Diagonalen zwischen Vorwurf und Wert der anderen Partei verweist es auf die zukünf­ tige Werteentwicklung der beiden Parteien: A könnte etwas mehr Flexibili­ tät als Werthaltung aufbauen und B etwas mehr Strukturiertheit. Das WEQ bietet uns zudem einen Rettungsanker bei drohendem Verlust der Allparteilichkeit. Wenn wir beispielsweise merken, dass wir zuneh­ mend genervt sind von der »Unterwürfigkeit« einer Konfliktpartei, kann es hilfreich sein, uns selbst – und auch der anderen Konfliktpartei – den damit einhergehenden positiven Wert der »Anpassungsbereitschaft« zu verdeutli­ chen. Im weiteren Verlauf der Mediation müssen dann in der vierten und fünften Phase nicht nur Lösungen im Sinne von Entscheidungen und deren Umsetzung abgesichert herausgearbeitet werden. Es muss auch eine Verän­ derung der Kommunikationsmuster und der Beziehungsgestaltung entwi­ ckelt und gegebenenfalls mit entsprechenden Umsetzungshilfen versehen werden. Zum Beispiel geht es bei einem Erbschaftsstreit um ein Mietshaus

nicht nur um eine Entscheidung bezüglich der Aufteilung der Wohnungen, sondern auch um Regeln für den zukünftigen Umgang der Erben miteinan­ der, vielleicht sogar mit Blick auf eine Versöhnung.

Mediation: Von Ressourcen- zu Interessen- und identitätsbasierten Wertekonflikten und wieder zurück Diese drei Konfliktformen treten selten isoliert auf. Interessenkonflikte können auch auf Ressourcenstreitigkeiten gründen. Bei Identitätskonflik­ ten sollten wir zugleich mit Auseinandersetzungen um Interessen und Res­ sourcen rechnen. Oft ist es so, dass bereits vorhandene Frustrationen we­ gen unerfüllter Interessen oder Identitätsverletzungen bei einem Streit um Ressourcen (re)aktiviert werden und den Konflikt komplexer machen. Mit dieser Anreicherung der Konfliktaspekte durch mehrere Konfliktformen nimmt die Komplexität eines Konfliktfalles zu und die Mediation benötigt mehr Zeit und ein größeres methodisches Repertoire.

Denkmodelle

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Ressourcen

Verfügung Besitz

(Ressourcen +) Interessen

Bedürfnisse Ziele

(Ressourcen + Interessen +) Identität

Gewohnheiten Werte

Abb. 9: Konfliktebenen

Entsprechend arbeiten wir quasi gegenläufig zum Komplexitätszuwachs: Bei Identitätskonflikten werden die Wertvorstellungen und Gefühle der Betei­ ligten geklärt, bevor die Interessen mit ihren Zielen, Wünschen und Bedürf­ nissen erkundet werden. Diese Erhellung von Interessenhintergründen ist wiederum notwendig, bevor die Beteiligten an Lösungen arbeiten können. Bei Ressourcenkonflikten können diese dagegen direkter erarbeitet werden.

Weiterführende Literatur: Redlich, A. (2013). Erkundung von Wertespannungen in Gruppen. In: Konfliktdynamik (2,1), S. 77-80 Rothman, J. (2012). From Identity-Based Conflict to Identity-Based Cooperation: The ARIA Approach in Theory and Practice. New York: Springer Schulz von Thun, F. (1989). Miteinander reden 2. Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. Reinbek: Rowohlt

2. Mediationspraxis

Ziel der Mediation ist eine informelle, selbstbestimmte und einvernehmliche Vereinbarung

Phase 1: Auftragsklärung und Vertrauensaufbau

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Phase 2: Themensammlung und -priorisierung

Phase 3: Erhellung der Konflikthintergründe

Mediationspraxis

Was ist Mediation? Wörtlich übersetzt bedeutet Mediation »Vermittlung«. Mediation ist ein strukturiertes Verfahren der Konfliktbearbeitung, das zu einer informellen, selbstbestimmten und einvernehmlichen Vereinbarung der Beteiligten führen soll. Hierbei ist die Mediatorin als am Konflikt selbst unbeteiligte Person die sogenannte allparteiliche Kraft, die für einen ge­ schützten Rahmen sorgt und durch das Gespräch leitet (siehe hierzu Ab­ schnitt 2.1.4). Mediation setzt somit auf die Eigenverantwortung der Kon­ fliktparteien und eine kooperative Konfliktregelung. In den folgenden Abschnitten wird das Mediationsverfahren praktisch in seinen fünf Phasen dargestellt. Hierzu wird jeweils der konkrete Ablauf in den Phasen mit den dazugehörigen Methoden der Gesprächsführung und Formulierungshilfen anhand von kurzen Beispielen beschrieben. In der ersten Phase der Mediation geht es um die Auftragsklärung und den Vertrauensaufbau zwischen Konfliktparteien und Mediator. Hierzu werden in Abschnitt 2.1 der Ablauf von Vorgesprächen, Indikationen für, aber auch gegen eine Mediation sowie hilfreiche Gesprächsregeln dargelegt. Wir beschreiben, wie wir als Mediatorinnen die Parteien dabei unterstützen können, über Erwartungen und Befürchtungen ein gemeinsames Mediati­ onsziel zu formulieren und eine Einigung über die Vertraulichkeit des Medi­ ationsprozesses zu erzielen. In der zweiten Phase der Mediation geht es um die Festlegung der Ar­ beitspakete. Hierzu wird in Abschnitt 2.2 beschrieben, wie Konfliktpunkte wertungsfrei benannt und zu behandelnde Themen gesammelt und in eine Bearbeitungsreihenfolge gebracht werden können. In der dritten Phase der Mediation erhellt der Mediator die Hintergründe des Konflikts. In Abschnitt 2.3 beschreiben wir, wie wir mit den Beteiligten ins Gespräch über ihre Gefühle, Interessen und Bedürfnisse sowie gegebe­ nenfalls über ihre Werte kommen. Auf dieser Basis können die Beteiligten dann ein wechselseitiges Verstehen ihrer gegenseitigen Hintergründe ent­ wickeln – die Basis für das Suchen und Verhandeln von Lösungsideen in der vierten Phase der Mediation.

In der vierten Phase der Mediation unterstützt der Mediator die Konflikt­ parteien dabei, einen Umgang mit ihrem Konflikt zu finden. Hierzu wird in Abschnitt 2.4 dargestellt, wie wir die Beteiligten zum (Er)Finden von viel­ fältigen Lösungsideen anregen können und mit welchen Methoden wir die Parteien in einem Verhandlungsprozess über diese Ideen begleiten. In der fünften Phase steht das Formulieren einer Vereinbarung der Par­ teien im Mittelpunkt. Hierzu werden in Abschnitt 2.5 Kriterien für eine tragfähige Vereinbarung sowie der Risikocheck thematisiert. Abschließend werden in Abschnitt 2.6 Möglichkeiten der Transfersicherung in den Alltag dargestellt.

Phase 4: (Er)Finden von Ideen und deren Verhandlung

Phase 5: Formulieren einer Vereinbarung

Mediationspraxis

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Abb. 10: Das Brücken­ modell der Mediation

2.1 Die erste Phase der Mediation: Auftragsklärung Bevor wir mit den Beteiligten beginnen, den Konflikt zu klären, verdeutli­ chen wir in einer Auftragsklärung die Möglichkeiten und Grenzen des Medi­ ationsverfahrens und vereinbaren mit den Parteien einen Rahmen, in dem die Mediation stattfindet. Die Beteiligten sollen am Ende dieser ersten Phase

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Die erste Phase der Mediation

sowohl auf der inhaltlichen als auch auf der zwischenmenschlichen Ebene eine informierte Entscheidung darüber treffen können, ob sie das Verfahren Mediation mit dieser Mediatorin beginnen wollen. Ebenso erhalten wir In­ formationen von den Parteien, die es uns ermöglichen zu entscheiden, ob in diesem Konflikt Mediation ein sinnvolles Verfahren ist und wir als Mediator dafür geeignet sind. Ablauf, Umfang und Schwerpunkte des Einstiegs in die Mediation hän­ gen von den individuellen Vorlieben, dem Stil und dem Rollenverständnis des jeweiligen Mediators ab. Selbst Mediatorinnen »aus einem Stall« gestal­ ten ihren Einstieg sehr unterschiedlich. Trotz dieser unterschiedlichen Aus­ prägungen möchten wir hier auf einige Aspekte näher eingehen. Aspekte von besonderer Bedeutung vertiefen wir in gesonderten Kapiteln, ergänzt durch die jeweiligen rechtlichen Rahmenbedingungen. Sämtliche Elemente einer Auftragsklärung besprechen wir zu Beginn der Mediation in Anwesenheit beider Parteien oder in Vorgesprächen mit jeweils einer Partei (siehe Abschnitt 2.1.1). Wenn wir uns mit den Beteiligten zur ersten Sitzung treffen, achten wir darauf, dass der Mediationsraum einen neutralen Boden für alle Beteiligten darstellt (beispielsweise nicht das Büro einer Partei) und nicht einsehbar ist (möglichst keine gläsernen Türen oder Wände). Eine angemessene Raumgröße liegt für Zwei-Personen-Mediationen bei 15 bis 25 Quadratmeter. Die Beengtheit kleiner Räume fördert unserer Erfahrung nach Aggressionen, während große Räume ein konzentriertes Arbeiten erschweren. In der Regel sitzen wir mit den Beteiligten an einem Tisch. Ideal sind hierbei runde Tische, in jedem Fall achten wir darauf, den Mediandinnen im gleichen Abstand gegenüberzusitzen. Sitzen die Parteien zu dicht nebeneinander oder sich frontal gegenüber, sind Verletzungen der Gesprächsregeln und Eskalationen wahrscheinlicher. Wie formal oder informell wir die Begrüßung und Vorstellung unserer Per­ son gestalten, hängt von unserem persönlichen Stil, aber auch vom Kontext ab, in dem die Mediation stattfindet. In jedem Fall möchten wir die Situation weitestgehend normalisieren (für die Beteiligten ist sie häufig schon drama­ tisch genug), ohne sie jedoch unangemessen zu banalisieren. Nach der Begrüßung fassen wir unseren bisherigen Kenntnisstand zusam­ men: Bevor wir mit den Beteiligten an einem Tisch sitzen, hat zumindest eine erste Kontaktaufnahme, per E-Mail, Telefon oder in Form von Vorge­ sprächen stattgefunden. Diese Vorgeschichte machen wir möglichst frühzei­ tig transparent, um eventuellen Befürchtungen der Parteilichkeit entgegen­

Mediationspraxis

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zuwirken, insbesondere wenn wir im Vorfeld nur Kontakt zu einer der Par­ teien hatten (» …mit Ihnen, Frau Grabowski, hatte ich telefoniert. Sie haben mir berichtet, dass es seit ein paar Monaten einen Konflikt mit Ihrer Lebens­ gefährtin Frau Thomas gebe, den Sie beide in der Mediation klären möchten. Sie hatten dann in Absprache mit Frau Thomas den heutigen Termin mit mir vereinbart …«). Gewöhnlich geben wir dabei keine konfliktbezogenen Inhalte aus Telefonaten oder Vorgesprächen wieder. Besonders geboten ist diese Transparenz bei komplexeren Vorgeschichten, beispielsweise, wenn ein Vorgespräch mit einem nicht am Konflikt beteiligten Auftraggeber statt­ gefunden hat oder es mehrere Vorgespräche mit den Beteiligten selbst gab (zum Thema Vorgespräche siehe Abschnitt 3.1.2). Nachdem wir daraufhin mit den Beteiligten ihre generelle Bereitschaft zur Mediation sichergestellt haben (siehe Abschnitt 2.1.3) und über ihre Erwartungen und Befürchtungen gesprochen und daraus resultierende Ziele für den Prozess formuliert haben (siehe Abschnitt 2.1.4), stellen wir das Verfahren der Mediation dar. Transparenz über die Grundidee von Mediation, ihre Ziele, Möglichkeiten und Grenzen hilft, die Anliegen und Wünsche der Beteilig­ ten mit dem Angebot der Mediation abzugleichen und Missverständnisse zu vermeiden. Indem wir unser Angebot formulieren, klären wir implizit den Auftrag und seine Rahmenbedingungen. An dieser Stelle erklären wir eben­ falls unsere Rolle als Mediatorin und führen gegebenenfalls Gesprächsregeln ein (siehe Abschnitt 2.1.5). Das Verfahren der Mediation hat Gelingensbedingungen, die durch Ver­ fahrensvorgaben, Wünsche und die persönliche Verfasstheit der Parteien, den rechtlichen Rahmen und die individuellen ethischen Grenzen des Me­ diators bestimmt werden. In der Auftragsklärung überprüfen wir fortlau­ fend diese Indikationen. Ausführlich beleuchten wir die Indikationsprüfung in Abschnitt 2.1.2, mit ergänzenden Hinweisen zum rechtlichen Rahmen einer Mediation. Die Frage der Vertraulichkeit behandeln wir anschließend mit einer doppelten Blickrichtung: Einerseits sichern wir unsere Vertrau­ lichkeit als Mediatorin zu, andererseits vereinbaren die Beteiligten ihren eigenen Umgang damit. In Abschnitt 2.1.5 gehen wir ausführlich auf die­ sen Aspekt ein, ergänzt um rechtliche Hinweise zu unserer Verschwiegen­ heitspflicht. Mit der abschließenden Frage nach der Bereitschaft zur Teilnahme an der Mediation schließen wir mit den Mediandinnen ein Arbeitsbündnis für die Dauer des Verfahrens. Die Beteiligten bekräftigen damit, dass sie die

Rahmenbedingungen für die Mediation kennen und akzeptieren. Ob dieses Bündnis mündlich geschlossen wird (»Zum Schluss möchte ich Sie fragen, ob Sie die Mediation unter den besprochenen Rahmenbedingungen mit mir als Mediatorin durchführen möchten?«) oder mithilfe einer schriftlichen Ver­ einbarung zur Mediation (siehe Abschnitt 3.2.2), hängt von dem Kontext ab, in dem die Mediation stattfindet. In vielen Fällen finden vor dem ersten gemeinsamen Treffen getrennte Vorgespräche mit jeder Konfliktpartei statt. Auch in diesen Vorgesprächen liegt unser Augenmerk darauf zu klären, ob Mediation aus unserer Sicht ein geeignetes Verfahren für den Umgang mit dem Konflikt ist und ob die Beteiligten tatsächlich motiviert sind, ihren Konflikt in einer Mediation mit uns zu bearbeiten. Auftragsklärung

2.1.1 Vorgespräche führen Wir führen insbesondere dann Vorgespräche, wenn eine Mediation im hi­ erarchischen Kontext stattfindet (siehe hierzu Abschnitt 3.1.2), wenn wir Zweifel daran haben, ob Mediation wirklich das geeignete Verfahren ist, sowie bei hoch eskalierten Konflikten. In diesen Fällen klären wir, ob die Konfliktparteien überhaupt in der Lage und willens sind, an einer Mediation teilzunehmen. Das Thema »Vorgespräche« ist unter Mediatorinnen durch­ aus umstritten: Während einige Kollegen grundsätzlich Vorgespräche vor

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Die erste Phase der Mediation

Im Rahmen der Vorgespräche sowie im Erstgespräch müssen somit folgende Fragen geklärt werden: ƒƒ Indikationen für eine Mediation: Ist Mediation das geeignete Verfahren? ƒƒ Sind alle Konfliktparteien bereit, in der Mediation über ihren Konflikt zu sprechen und gemeinsam Vereinbarungen für die Zukunft zu treffen? ƒƒ Welche Erwartungen und Befürchtungen verbinden die Beteiligten mit einer Mediation? Welche Ziele lassen sich hieraus ableiten? ƒƒ Sind die Konfliktparteien mit der Person der Mediatorin und ihrer Rolle sowie mit den Gesprächsregeln einverstanden? ƒƒ Ist den Beteiligten bewusst, dass der Mediator vertraulich arbeitet? Und wie wollen sie selbst mit der Frage der Vertraulichkeit umgehen?

der ersten gemeinsamen Sitzung durchführen, lehnen andere Vorgespräche kategorisch ab und treffen sich direkt mit allen Beteiligten. Wir entschei­ den uns dagegen von Fall zu Fall auf der Grundlage der Informationen, die wir bei der Kontaktaufnahme über den Konflikt und seine strukturellen Rahmenbedingungen erhalten haben. Führen wir Vorgespräche, möchten wir ƒƒ einen Überblick über den Konflikt bekommen (Eignung für die Media­ tion prüfen), ƒƒ das Verfahren erläutern (Motivation der jeweiligen Partei zur Teilnahme klären), ƒƒ eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen.

Mediationspraxis

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Zuerst möchten wir im Gespräch erfahren, was genau die Person zu uns führt und wofür sie sich unsere Unterstützung wünscht. Aus diesem Grund stellen wir eine offene Frage zur aktuellen Situation, beispielsweise: »Wie stellt sich die aktuelle Problemlage für Sie dar?« Anschließend versuchen wir, uns ein umfassenderes Bild von dem Konflikt zu machen, indem wir erfragen, welche Personen daran beteiligt sind, wie lange der Konflikt be­ reits andauert und was konkret geschehen ist. Dieses Vorgehen gestaltet sich analog zum Vorgehen in der zweiten Phase der Mediation (siehe hierzu Abschnitt 2.2). Von Interesse ist auch, welche Versuche bislang unternom­ men wurden, um zu einer Klärung zu gelangen – sei es von den Beteiligten selbst oder von Außenstehenden (zum Beispiel Führungskräfte, Freunde). Im Gespräch über die Erwartungen und Befürchtungen der Beteiligten ver­ suchen wir außerdem, ein mögliches Ziel für die Mediation zu formulieren (siehe Abschnitt 2.1.4). Schließlich verdeutlichen wir im Vorgespräch den Ablauf einer Mediation und unsere Rolle in diesem Verfahren (siehe hierzu Abschnitt 2.1.5). Nach den Vorgesprächen entscheiden wir, ob sich der vorliegende Kon­ flikt generell für eine Mediation eignet und ob die Beteiligten eine ausrei­ chende Motivation mitbringen, daran teilzunehmen. Grundlage unserer Entscheidung sind die im folgenden Abschnitt beschriebenen Indikatoren.

Sind die Beteiligten bereit, den Konflikt mittels einer Mediation zu klären?

2.1.2 Indikationen für eine Mediation Regina Harms/Kirsten Schroeter

Konflikte verändern sich dynamisch über die Zeit: Manche dieser Entwick­ lungen machen eine Mediation unmöglich, andere sind Bedingungen für eine erfolgreiche Konfliktvermittlung. Aus der Sicht von professionellen Konfliktarbeitern ist die Frage nach der Verfahrensindikation daher zentral: Ist Mediation zu diesem Zeitpunkt für diesen Konflikt und für diese Medi­ anden mit dieser Mediatorin das (am besten) geeignete Verfahren? Um diese Frage beantworten zu können, greifen wir auf die Definition von Mediation zurück, wie sie im § 1 des Mediationsgesetzes beschrieben ist: Die Beteilig­ ten streben eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts an. Sie sollten den Wunsch nach einem Konfliktbearbeitungsverfahren ha­ ben, das ƒƒ auf die Zukunft orientiert ist, ƒƒ sich ganz wesentlich an den Interessen aller Beteiligten orientiert, ƒƒ auf die Selbstverantwortung der Beteiligten setzt und ƒƒ darauf fußt, dass eventuelle Vereinbarungen zum Konflikt ausschließ­ lich im Konsens getroffen werden.

Die Beteiligten streben eine einvernehmliche Beilegung des Konflikts an

Die erste Phase der Mediation

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Um diese Indikation zu klären, fragen wir zu Beginn oder in Vorgesprächen alle Beteiligten nach ihren Erwartungen und ihren Zielen mit Blick auf eine mögliche Mediation. Was wünschen sie sich von einer Mediation, was für eine Art von Unterstützung und Begleitung wird aus ihrer Sicht gebraucht? Wir beschreiben das Verfahren, seine Prinzipien und Regeln. Was bieten wir an? Die Beteiligten und die Mediatorinnen überprüfen auf dieser Basis, ob die Erwartungen und Ziele der Parteien mit dem Angebot der Mediatorin­ nen zusammenpassen. Darüber hinaus gilt es zu erfragen, ob alle Beteilig­ ten sich auch auf der persönlichen Ebene vorstellen können, gemeinsam zu arbeiten und somit überhaupt ein Arbeitsbündnis einzugehen. Der Idealfall einer Mediatorin sieht dementsprechend wie folgt aus: Alle oben beschriebenen Facetten sind gegeben; die Beteiligten des Konflikts ha­ ben vermutlich auch in Zukunft miteinander zu tun. Alle sehen, dass es einen Konflikt gibt, und sind dazu bereit, den Konflikt aktiv anzugehen; der Konflikt schwelt noch nicht allzu lange, tritt aber schon relativ deutlich zutage, ohne dass das Kind dabei gänzlich in den Brunnen gefallen wäre. Die

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Beteiligten sind sich einig, dass professionelle Unterstützung geboten und vermutlich auch nützlich ist; sie haben ausgelotet, was dafür passend sein könnte, und sich darauf geeinigt, es mit einer Mediation zu versuchen. Sie wollen gerne inhaltlich in der Verantwortung für die Klärung bleiben; eine einvernehmliche Regelung ist ihnen wichtig. Bisweilen gibt es solche idealen Mediationsanfragen; nicht selten wei­ chen Anfragen in der einen oder anderen Hinsicht jedoch von dieser Ideal­ linie ab – und stellen den Mediator vor die Aufgabe abzuwägen, inwiefern eine Anfrage (noch oder nicht mehr) zum eigenen Mediationsangebot passt. Wie flexibel bin ich, mich auf besondere Gegebenheiten eines Falls und gegebenenfalls auch auf abweichende Verfahrensvereinbarungen einzulas­ sen? Wann kann ich nicht mehr von einer Mediation sprechen und lehne den Auftrag ab bzw. empfehle den Anfragenden ein aus meiner Sicht bes­ ser passendes Verfahren? Für die Abwägung dieser Fragen braucht es eine gute fachliche Klärung darüber, worin das eigene Mediationsangebot genau besteht – was seinen Kern ausmacht und wo Variationsmöglichkeiten beste­ hen, ohne diesen Kern zu vernachlässigen. Um hinsichtlich eines anderen Verfahrens beraten zu können, brauche ich als Mediatorin solide Kenntnisse über das Spektrum an Verfahrensalter­ nativen. Diese umfassen üblicherweise die folgenden: ƒƒ Unterstützung für sich selbst und das eigene Agieren im Konflikt im Sin­ ne einer Konfliktberatung bzw. eines Coachings. ƒƒ Information und Beratung über die rechtliche Perspektive der eigenen Situa­ tion – sei es, um zu entscheiden, inwiefern der Rechtsweg eine relevante Verfahrensoption darstellt; sei es, um erst mit diesem Wissen in ein Kon­ fliktbearbeitungsverfahren einzusteigen. ƒƒ Sensibel ansprechen – und das stellt (nicht nur angehende) Mediatoren regelmäßig vor eine innerliche Hürde –, ob jemand möglicherweise von therapeutischer Hilfe profitieren könnte, etwa weil seine (auch biografisch geprägte) psychische Belastung durch das aktuelle Konfliktgeschehen als relativ stark destabilisierend erlebt wird. ƒƒ Gerade in beruflichen Settings können Supervision oder Organisationsberatung alternative Verfahrenswege sein, die einen längerfristigen Raum für systematische Reflexion der (Zusammen-)Arbeit und der beruflichen Rollen bieten bzw. grundlegend die organisationalen Rahmenbedingun­ gen analysieren und sinnvolle Ansatzpunkte für entsprechende Verände­ rungsmomente identifizieren.

Alternativen zur Mediation

Ein anderes Denkmodell zur Indikationsklärung bietet ein Raster, das zwei bekannte Mediatoren – Gary Friedman und Jack Himmelstein – auf der Basis ihrer umfassenden Mediationserfahrung entwickelt haben. Sie verweisen auf die Notwendigkeit eines bestimmten Rahmens, in dem sich die Betei­ ligten einer Mediation befinden sollten. Stockt der Prozess in der Mediation oder droht er aus dem Ruder zu laufen, so kann es sinnvoll sein, zu überprü­ fen, ob wir eigentlich immer noch innerhalb dieses Rahmens miteinander arbeiten oder ein Aspekt des Rahmens nicht mehr gegeben ist. Dann ist es die Aufgabe der Mediatorin, zu klären, ob und wie sich die Parteien (wieder) in diesen Rahmen hineinbewegen können. Gelingt das auf Dauer nicht, ist die Grenze der Mediation erreicht.

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Die erste Phase der Mediation

ƒƒ Fragt eine Führungskraft an, ist bisweilen eine Entscheidung qua Führungsmacht das stimmigste Vorgehen, wenn sich etwa zeigt, dass die Füh­ rungskraft keine Ergebnisoffenheit für die Konfliktklärung mitbringt, sondern vor allem daran interessiert ist, die eigene (innerlich längst ge­ troffene) Entscheidung in einer Sache durch eine Mediation als gemein­ same Entscheidung zu verkaufen, oder wenn sie sich vor der in ihrer Macht liegenden Entscheidung scheut (hier ergibt sich dann ein fließen­ der Übergang zum o. g. Coaching). ƒƒ Schlichtung unterscheidet sich von Mediation insbesondere dadurch, dass von der Verfahrensleitung (Schlichter) konkrete Lösungsempfeh­ lungen ausgesprochen werden. Einige Bundesländer haben obligatori­ sche Schlichtungen in Nachbarschaftsstreitigkeiten, bei Ansprüchen wegen Verletzung der persönlichen Ehre oder vermögensrechtlichen Ansprüchen bis zu einem bestimmten Streitwert eingeführt, die vor Gütestellen durchgeführt werden müssen, bevor ein gerichtliches Ver­ fahren angestrengt werden kann. Außerdem gibt es institutionelle Schlichtungsstellen bei Berufs- und Wirtschaftsverbänden wie Handelsund Handwerkskammern, bei Ärzte-, Architekten- oder Rechtsanwalts­ kammern oder in der Banken-, Versicherungs- und Energiewirtschaft. Schlichtung kann also eine Alternative zur Mediation sein, wenn für die spezifische Konfliktkonstellation Güte- oder Schlichtungsstellen zur Verfügung stehen.

Autonomie der Parteien Anerkennung von Unterschieden

Gemeinsame Entscheidungen Relevante Informationen

Mediationspraxis

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Autonomie der Parteien meint, dass jede Konfliktpartei in der Lage ist, ihre ei­ genen Interessen zu erkennen und zu artikulieren und die Bedeutung ihrer Entscheidungen zu übersehen. Naturgemäß ist diese Fähigkeit zu Beginn der Mediation häufig nur eingeschränkt verfügbar. Die Mediatorin wird versuchen, die Autonomie jeder Konfliktpartei zu stärken, indem sie Raum für Selbstbehauptung gibt. Falls nötig, wird sie thematisieren, ob es sinnvoll ist, dass Unterstützungspersonen außerhalb oder innerhalb der Mediation die Medianden begleiten. Ob die Mediation für einen Konflikt das geeignete Verfahren ist, kann infrage stehen bei einem großen Machtungleichgewicht zwischen den Parteien und wenn eine Seite Nachteile befürchten muss, so­ bald sie sich offen äußert. An der Indikation können auch Zweifel bestehen, wenn eine Konfliktpartei ihre Interessen aufgrund physischer oder psy­ chischer Belastung, Lebenskrisen, Erkrankung, Drogenabhängigkeit oder Gewalterfahrungen gegenüber der anderen Konfliktpartei nicht vertreten kann. Ein faires und nachhaltiges Ergebnis der Mediation setzt voraus, dass alle relevanten Informationen eingebracht und verstanden wurden. Dazu kann auch gehören, dass Fachkonsultationen eingeholt und im Mediationsprozess besprochen werden (zum Beispiel Beratung durch Rechtsanwälte, Steuerbe­ rater, Gutachten etc.). An der Indikation fehlt es, wenn eine Partei dauerhaft nicht bereit ist, die notwendige Transparenz über Hintergrundinformatio­ nen herzustellen, zum Beispiel Zahlen oder Belege vorzulegen oder andere wichtige Fakten offenzulegen. Ebenso essenziell ist die Bereitschaft zu gemeinsamen Entscheidungen für die Mediation. Zwar haben die Medianden zu Beginn der Mediation verständlicher Weise die Hoffnung, ihre eigene Position durchzusetzen. Die Wahrung der eigenen Interessen und Bedürfnisse geht jedoch einher mit der Anerkennung und Beachtung der Interessen der anderen Seite.

Abb. 11: Der Rahmen der Mediation nach Friedman/Himmelstein (Seminarunterlagen Zusammenwirken im Familienkonflikt e. V., 1994)

Ob Mediation das geeignete Verfahren ist, kann bei einem großen Machtungleichgewicht infrage stehen

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Die erste Phase der Mediation

Diese Bereitschaft muss also nicht notwendigerweise schon zu Beginn ex­ plizit erklärt werden; sie wächst erfahrungsgemäß bei fortschreitendem Mediationsprozess. Es kann aber grundsätzlich schon zu Beginn der Me­ diation an der Ergebnisoffenheit fehlen: Zum Beispiel kann sich in einem Vorgespräch mit einer Führungskraft herausstellen, dass diese eine Ent­ scheidung gar nicht zur Disposition stellen möchte und es auch gar keinen Spielraum für eine Einbeziehung der Mitarbeiter in Entscheidungen gibt. Dann ist Mediation nicht indiziert. Am Willen zu gemeinsamen Entschei­ dungen fehlt es auch, wenn der Wunsch, den Streit zu beenden, (noch) nicht vorhanden ist. Ob Mediation ihre Wirkung entfalten kann, hängt auch vom Zeitpunkt ab, wann innerhalb des Gesamtgeschehens die Idee ei­ ner Mediation ins Spiel gebracht wird. Sie scheitert, wenn es (noch) an der Bereitschaft fehlt, den Status quo zu verändern, oder wenn der Konflikt schon so weit eskaliert ist, dass eine Verhandlungsbereitschaft nicht mehr besteht (siehe Abschnitt 1.2). Letzteres kann sich auch darin zeigen, dass sich die Medianden (äußerlich oder innerlich) sehr stark im juristischen Bezugssystem bewegen und es nicht gelingt, einen anderen (Mediations-) Raum zu schaffen. Der Rahmen der Mediation wird komplettiert durch die Anerkennung von Unterschieden. Wenn im Verlauf der Mediation nicht die Bereitschaft geweckt werden kann, andere Sichtweisen anzuhören und sich damit auseinander­ zusetzen, hat ein konstruktiver Kommunikationsprozess keine Chance. Hierzu gehört auch die Anerkennung der besonderen Rolle des Mediators als Verfahrensleitung. Jede dieser vier Seiten des Rahmens kann somit  – sollte sie dauerhaft gefährdet sein  – eine klare Kontraindikation gegen den Einstieg bzw. die Weiterführung eines Mediationsverfahrens darstellen. Der Umgang mit die­ sen Fragen wird in der Literatur häufig unter dem – aus unserer Sicht recht technischen  – Schlagwort des »Fallmanagements« verhandelt. Kontraindi­ kationen können darüber hinaus – hier hilft wieder ein Blick in das Media­ tionsgesetz (§ 3 MediationsG) – in der Person des Mediators liegen: War ich bereits mit diesem Sachverhalt für mindestens einen der Beteiligten in an­ derer Rolle befasst? Bin ich aufgrund von vorheriger Bekanntheit mit einem oder mehreren Beteiligten oder mit dem konflikthaften Geschehen befan­ gen? Selbst wenn dies alles nicht gegeben und der Fall mediationsgeeignet ist, kann es in einzelnen Fällen eine Betroffenheit des Mediators angesichts des spezifischen Konflikts geben, die es geboten erscheinen lässt, lieber an

eine Kollegin zu verweisen. So kann es klug sein, vorerst darauf zu verzich­ ten, Paare in ihrem Trennungsprozess als Mediator zu begleiten, wenn man selbst gerade eine Trennung vom Partner erlebt. Mediationsgesetzliche Grenzen der Auftragsannahme Juliane Ade Vorbefassung

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Um die Unabhängigkeit und Neutralität der Mediatorin zu sichern (siehe Abschnitt 2.1.4), verbietet der Gesetzgeber die Vorbefassung in derselben Sache für eine Partei (§ 3 Abs. 2 S. 1 MediationsG). Eine Vorbefassung in derselben Sache liegt vor, wenn die Mediatorin bereits eine der Parteien zum gleichen »Lebenssachverhalt« hinsichtlich einer gütlichen Einigung beraten hat. Genauso verhält es sich, wenn sie von einer Partei im Falle einer bevorstehenden Trennung zu den Trennungsfolgen als Rechtsanwältin, Steuerberaterin oder auch als Coach beauftragt wurde. Hier gilt das gesetzliche Verbot. Da die Mediatorin auch nach der Mediation nicht in derselben Sache für eine Partei tätig werden darf, kann sie eine Konfliktpartei nach einer Trennungsmediation nicht im anschließenden Scheidungsverfahren als Anwältin vertreten. Nicht um dieselbe Sache handelt es sich, wenn eine Unternehmerin sich beispielsweise bei einem Unternehmenskauf beraten lässt und im Anschluss denselben Berater als Mediator zur Klärung eines Nachbarschaftskonflikts anfragt. Das gilt auch, wenn sie selbst an der Mediation beteiligt ist. Allerdings liegt dann ein für die Mediation relevanter Offenlegungsgrund vor (siehe unten). Das absolute Tätigkeitsverbot erstreckt sich auch auf Konstellationen mit Personen aus derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft (§ 3 Abs. 3 MediationsG). Im Einzelfall darf der Mediator dann allerdings trotzdem tätig werden, wenn die Parteien in Kenntnis der Sachlage ausdrücklich zustimmen und seine Unabhängigkeit und Neutralität durch die berufliche Verbindung nicht eingeschränkt sind.

Das Gesetz untersagt die parallele oder zeitlich aufeinanderfolgende parteiliche Beratung und Mediation

Näheverhältnis Ein persönliches Näheverhältnis zwischen dem Mediator und einer Konfliktpartei kann die Unabhängigkeit und Neutralität beeinträchtigen und muss deshalb offengelegt werden (§ 3 Abs. 1 S. 1 MediationsG). Dabei spielt es keine Rolle, ob die Unabhängigkeit und die Neutralität tatsächlich beeinträchtigt sind, allein die Möglichkeit einer Beeinträchtigung verpflichtet zur Offenlegung des Näheverhältnisses. Ein Näheverhältnis besteht zum Beispiel bei einer früheren oder aktuellen Lebenspartnerschaft, bei Verwandtschaft, Freundschaft oder Feindschaft. Das Gleiche gilt, wenn der Mediator als gesetzlicher Vertreter, als Sachverständiger oder als Zeuge tätig ist oder auch wenn ein früheres oder aktuelles Auftragsverhältnis in anderer Sache besteht.

Was seine Unabhängigkeit und Neutralität beeinträchtigen könnte, muss der Mediator zum frühestmöglichen Zeitpunkt offenlegen

Schließlich braucht es aus unserer Sicht eine kontinuierliche Auseinander­ setzung der Mediatorin mit den typischen »Verführungen«, einen Fall trotz Indizien gegen seine Mediationseignung anzunehmen. Dazu gehören: ƒƒ das Bedürfnis, anderen helfen zu wollen; ƒƒ die Gefahr, sich selbst und die eigenen Einflussmöglichkeiten im Media­ tionsverfahren zu überschätzen; ƒƒ die Gefahr, die Möglichkeiten des Mediationsverfahrens zu überschätzen; ƒƒ die Chance, diesen (interessanten, lukrativen, zukunftsträchtigen …) Auftraggeber zu gewinnen; ƒƒ die Aussicht, (erste) Fälle für die Dokumentation und die eigene Zertifi­ zierung zu bekommen …  … kurz: alle Konstellationen, in die eigene Interessen des Mediators hinein­ spielen.

2.1.3 Die Freiwilligkeit in der Mediation

Zwei Mitarbeiter eines Unternehmens kommen mit der Vorgabe ihrer Vorgesetzten in die Mediation, ihren Konflikt beizulegen – andernfalls würde die Firma sich mittelfristig von einem der beiden trennen. Die Richtlinie eines Amateurfußballverbands besagt, dass Spieler nach einer roten Karte wegen Tätlichkeit erst nach einer Mediation wieder am Spielbetrieb teilnehmen dürfen.

Der Aspekt der freiwilligen Teilnahme an einer Mediation ist so zentral, dass der Gesetzgeber ihn gleich im ersten Satz des Gesetzestextes als Bedin­

Kann oder will die Mediatorin ein Näheverhältnis nicht offenlegen, so muss sie den Mediationsauftrag ablehnen

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Die erste Phase der Mediation

Liegen beeinträchtigende Umstände im Sinne des Gesetzes vor, so darf die Mediatorin nur nach Offenlegung und mit ausdrücklicher Zustimmung aller Parteien tätig werden (§ 3 Abs. 1 S. 2 MediationsG). Kann (oder will) die Mediatorin ein Näheverhältnis nicht offenlegen (etwa aufgrund einer Schweigepflicht, von der sie nicht entbunden wird), so muss sie den Auftrag ablehnen. In jedem Fall muss die Mediatorin die Möglichkeit einer Vorbefassung oder eines Näheverhältnisses frühzeitig prüfen (und gegebenenfalls offenlegen), spätestens vor Abschluss einer Vereinbarung zur Mediation.

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gung genannt hat. Indes werden wir in den eingangs genannten Situationen kaum von einer Freiwilligkeit sprechen können, und auch Konfliktparteien antworten in solchen Fällen auf die Frage nach der Freiwilligkeit ihrer Teil­ nahme manchmal mit: »Freiwillig? Nein, was bleibt mir denn sonst übrig?« Dennoch werden auch in solchen Fällen Mediationen mit Erfolg durchge­ führt. Woher kommt dieser scheinbare Widerspruch? Im alltäglichen Sprachverständnis wird »freiwillig« häufig mit »gern« gleichgesetzt. Nun wird kein Beteiligter »gern« an einer Mediation teilneh­ men, denn der Anlass ist wenig erfreulich und das Verfahren kostet Zeit, Geld und Mühe. Eine Mediation ist für die Beteiligten eher mit einer Wur­ zelbehandlung beim Zahnarzt zu vergleichen. Ungeachtet des hohen Auf­ wands streben Konfliktparteien Mediationen an, sei es, weil sie sich eine Verbesserung der Situation im Sinne ihrer Interessen erhoffen; sei es, weil sie eine weitere Eskalation vermeiden möchten oder ihnen an einer guten Beziehung zur anderen Konfliktpartei gelegen ist. Die Beteiligten wählen die Mediation als »das geringere Übel« – in diesem Zusammenhang das stim­ migere Synonym für »freiwillig«. Manchmal jedoch handelt es sich bei den Umständen, die zu einer Me­ diation führen, um subjektiv empfundene Notwendigkeiten: die Kollegen, die kein Wort mehr miteinander sprechen und wegen mangelnder Arbeits­ leistung mit Abmahnungen rechnen müssen, oder die von der Vorgesetzten verordnete Mediation. Aus Sicht der Beteiligten ist die Mediation dann die einzige Möglichkeit, um unangenehmere Konsequenzen zu vermeiden. Für uns als Mediatorinnen bedeutet dies, die Umstände, die zur Entschei­ dung für eine Mediation geführt haben, zu erfragen, die Motivation der Be­ teiligten – also ihre Erwartungen und Befürchtungen – mit den Möglichkei­ ten abzugleichen, die eine Mediation bietet (vgl. Abschnitt 2.1.3). Entschei­ dend ist dann, ob die Bereitschaft der Beteiligten ausreicht, um den Prozess zu beginnen, und ob sie die Mediation unter den gegebenen Umständen zu­ mindest als das geringste Übel unter den Optionen ansehen, die sie wählen können. Die Grenzen der Freiwilligkeit sind jedoch erreicht, wenn befürchtete Konsequenzen und das sich daraus ergebende Gefühl einer zwingenden Not­ wendigkeit nur für eine Partei gegeben sind  – wenn beispielsweise schon vorab verkündet wird, welche der beiden Mitarbeiterinnen im Falle eines Scheiterns der Mediation von einer Kündigung betroffen sein wird, oder wenn in einem Konflikt zwischen Vorgesetzter und Mitarbeiter eine Kün­

Die Bereitschaft zur Teilnahme an der Mediation ist Voraussetzung für das Verfahren

digung des Mitarbeiters droht, sofern die Mediation scheitert. Aufgrund des Machtgefälles im hierarchischen Kontext sind getrennte Vorgespräche mit den Beteiligten notwendig, damit sie autonome Entscheidungsräume auslo­ ten und bewusst entscheiden können, ob und unter welchen Bedingungen Mediation das geeignete Verfahren ist (vgl. Abschnitt 3.1.2).

2.1.4 Über Erwartungen und Befürchtungen zur Benennung von Mediationszielen Silke Freitag/Tim Pechtold

Drei Faktoren beeinflussen die Motivation der Konfliktparteien: ƒƒ die subjektive Wichtigkeit: Sie ist umso größer, je größer der Unterschied zwischen der Situation ist, wie sie von einer Partei erlebt wird und wie sie subjektiv sein sollte.

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Die erste Phase der Mediation

Klienten dort abzuholen, wo sie stehen, ist eine alte Beratungsweisheit. Häufig begegnet uns bei den Konfliktparteien eine Ambivalenz im Sinne des Für und Wider bezüglich einer Veränderung. Wenn diese Ambivalenz der Parteien zu Beginn der Mediation nicht expliziert wird, sondern wei­ ter gärt, besteht die Gefahr, dass sie sich im weiteren Verlauf in Form von Schweigen, spitzen Bemerkungen oder Oberflächlichkeit bemerkbar macht. Sie lassen sich mit dem Motto »Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!« zusammenfassen. Die Beteiligten haben subjektiv gute Gründe für ihr individuelles Für und Wider, und wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, der Klärung dieser Ambivalenzen und damit auch der Motivation für eine Mediation gleich zu Beginn besondere Bedeutung beizumessen. Ein gemeinsames Mediationsziel stellt hierbei ein Fundament dar, auf das wir im laufenden Verfahren immer wieder Bezug nehmen können. Oft machen wir die Erfahrung, dass die Konfliktparteien uns zwar beide einen Mediationsauftrag erteilen wollen, sie jedoch mitnichten an einem Strang ziehen. Um der inhaltlichen Arbeit einen klaren Fokus zu geben, streben wir deshalb zu Beginn der ersten Phase an, mit den Beteiligten ein gemeinsames Ziel zu benennen.

ƒƒ die subjektive Zuversicht: Je größer die Hoffnung einer Partei ist, dass die Mediation eine positive Veränderung bewirkt, und je weniger Bedenken und Zweifel sie diesbezüglich hat, desto größer ist die Zuversicht. ƒƒ die subjektive Bereitschaft: Je größer die aktuelle Priorität dieser Verände­ rung, desto größer ist die Bereitschaft, sich dafür zu engagieren. Erst wenn Wichtigkeit, Zuversicht und Bereitschaft in ausreichendem Maß gegeben sind, macht es unserer Erfahrung nach Sinn, in einen Mediations­ prozess einzusteigen. Vor diesem Hintergrund arbeiten wir zum Einstieg mit den folgenden vier Schritten: 1. Wir erfassen Erwartungen (Hoffnungen) und Befürchtungen (Bedenken) der Konfliktparteien. 2. Wir unterstützen die Konfliktparteien beim Ableiten eines gemeinsamen inhaltlichen Ziels für die Mediation. 3. Wir leiten einen individualisierten Verfahrensvorschlag daraus ab und erläutern unserer Rolle als Mediatorinnen sowie klare Gesprächsregeln. 4. Wir holen uns das explizite Einverständnis der Konfliktparteien ein.

Mediationspraxis

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Wir arbeiten hierbei mit zwei Arten von Leitfragen: zum einen hinsicht­ lich der Erwartungen und zum anderen hinsichtlich der Befürchtungen. Dabei greifen wir die »vertrackte« Ist-Situation mit auf: »Vor dem Hinter­ grund Ihrer aktuellen Situation: Was erhoffen oder erwarten Sie sich von einer Mediation?« Durch gezieltes aktives Zuhören liefern wir den Beteilig­ ten einerseits explizit eine Arbeitsprobe und stärken andererseits implizit die Vertrauensbasis. Es gibt hierbei typische Äußerungen, die uns immer wieder begegnen: ƒƒ »Ich verspreche mir von der Mediation/von Ihnen, Hinweise zu bekom­ men, was wir tun können, um aus dem Schlamassel rauszukommen!« à Hieran können wir in der Rollenklärung anknüpfen. ƒƒ »Ich erwarte von Ihnen, dass Sie dafür sorgen, dass wir uns hier nicht zerfleischen!« à Hierauf können wir ebenfalls in der Rollenklärung unter Verweis auf die Gesprächsregeln eingehen. ƒƒ »Ich erhoffe mir, dass wir uns hinterher wieder in die Augen gucken können!« à Hier klingt ein Mediationsziel an. Mithilfe der Frage: »Wozu wäre es gut, wenn Sie sich wieder in die Augen schauen könnten?« wird dann

deutlich, dass das Ziel beispielsweise lauten könnte »Wiederherstellung einer guten Zusammenarbeit« oder »Gemeinsam Eltern bleiben«.

Beim Umgang mit Befürchtungen und Bedenken ist uns wichtig, schon vor Beginn der Mediation »mediationsanalog« zu arbeiten. Wenn Konfliktpar­ teien ihre Bedenken und Befürchtungen geradezu unverblümt ausdrücken (»Ich habe schon Bedenken, ob Sie das auffangen können, wenn wir hier erstmal loslegen!«), möchten wir zugrunde liegende Interessen und Bedürf­ nisse verstehen. Dies kann durch offenes Nachfragen (»Was ist Ihre Sorge, was dann passieren würde?«) oder aktives Zuhören (»Ich höre da die Sorge, dass es hier zu Verletzungen kommen könnte – und dass es Ihnen wichtig ist, einen Rahmen zu haben, in dem Sie davor bestmöglich geschützt sind«) geschehen. Wenn wir nachvollzogen haben, was das relevante Interesse ist,

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Die erste Phase der Mediation

Für Mediatorinnen, die gerne mit Moderationskarten arbeiten, lässt sich die­ ser Schritt mit einem Aufschreiben auf Karten und dem Bilden von Clustern verbinden. Eine ressourcenorientierte Variante dieses Vorgehens besteht darin, zu­ nächst danach zu fragen, was trotz aller Konflikte gut läuft: »Was gefällt Ihnen zurzeit an Ihrer Zusammenarbeit bzw. an Ihrem Zusammenleben?« Dieser kleine Exkurs kann ein Gefühl der Verbundenheit und gemeinsamen Basis ansprechen und so der Tendenz einer Dichotomisierung (»Alles ist gut« versus »Alles ist schlecht«) entgegenwirken. Das Vorgehen eignet sich beson­ ders in Fällen, in denen der Fokus stark auf den Konflikt eingeengt ist, oder in einem kulturellen Kontext, in dem das offene Ansprechen von Konflikten eher fremd ist. Das Erfragen der Befürchtungen und Bedenken findet analog statt: »Wenn Sie an die Mediation denken, haben Sie da auch Bedenken?« Auch hier wieder einige typische Äußerungen: ƒƒ »Ich befürchte, dass sich die Atmosphäre weiter verschlechtert!« à Das Ziel der Mediation wird implizit genannt: Verbesserung der At­ mosphäre. ƒƒ »Meine Sorge ist, dass uns das hier um die Ohren fliegt!« ƒƒ »Ich habe schon Bedenken, ob Sie das auffangen können, wenn wir hier erstmal loslegen!« à Hierauf können wir bei der Rollenklärung unter Verweis auf die Ge­ sprächsregeln später eingehen.

können wir einen Ausblick darauf geben, wann es im weiteren Verlauf be­ rücksichtigt werden wird: »Gut, dass Sie das jetzt ansprechen. Wir werden gleich zu der Frage kommen, wie Sie im Rahmen der Mediation miteinander umgehen wollen (Regeln), und ich bitte Sie ausdrücklich, darauf zu achten, dass Ihr Interesse ausreichend berücksichtigt ist.« Oftmals werden bei der Frage nach Erwartungen und Befürchtungen be­ reits klare Ziele für die Mediation benannt. In diesem Fall benennen wir sie nochmals und stellen sicher, dass es sich um ein gemeinsames Ziel handelt, das wir dann für die Konfliktparteien als Ziel der Mediation visualisieren. Manchmal kommt es jedoch vor, dass sich die genannten Ziele widerspre­ chen. Da möchte beispielsweise ein Elternteil mithilfe der Mediation klären, wie sie »getrennt gemeinsam Eltern bleiben« können, der andere Elternteil dagegen möchte »wieder zu einer Liebesbeziehung als Paar zurückfinden«. In diesen Fällen versuchen wir, die Beteiligten mittels einer Erhellung ihrer Interessen und Befürchtungen darin zu unterstützen, zu einem gemeinsa­ men Mediationsziel zu gelangen.

Bei gegensätzlichen Zielen versuchen wir, über eine Mini-Mediation zu gemeinsamen Zielen zu gelangen

2.1.5 Rolle und Regeln

Mediationspraxis

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Begegnen uns Konflikte anderer Personen im Alltag, positionieren wir uns meistens innerhalb des Konflikts: Wir stimmen zu, lehnen ab, empören uns, haben Mitgefühl. Unsere Affekte leiten unser Handeln: Wir geben Ratschlä­ ge, trösten, konfrontieren. In der Mediatorenrolle halten wir dagegen eine mittlere Distanz zum Konflikt. Unser Interesse ist ein »ethnologisches«, kein persönliches. Daher sind Mediationen im nahen Umfeld (Freunde, Familie) sehr schwierig, denn wir geraten hier schnell in Interessenskonflikte und werden parteiisch. Als Mediatorinnen haben wir kein Interesse am Ausgang des Konflikts und sind somit bezüglich einer möglichen Vereinbarung völlig ergebnisoffen. Die Parteien entwickeln am Ende der Mediation selbst Ideen, wie sie mit ihrem Konflikt zukünftig umgehen wollen. Wir geben ihnen keine Hand­ lungsmöglichkeiten vor. Die geäußerten Inhalte nehmen wir mit freund­ lich-distanziertem Interesse auf. Selbst bei sich ausschließenden kontrover­ sen Konfliktgeschichten »glauben« wir beiden Parteien und entscheiden nie über die Wahrheitsgehalte.

Mediatorinnen sind bezüglich der Vereinbarung ergebnisoffen

Mediatoren sind allparteilich

Mediatorinnen agieren vertraulich.

59 Mediatorinnen sind für die Struktur verantwortlich, die Parteien für die Inhalte. Die erste Phase der Mediation

Wir enthalten uns jeglicher Bewertungen und Beurteilungen, stattdes­ sen fühlen wir uns wohlwollend in die Beteiligten ein und setzen uns allparteilich für ihre Interessen ein. Hierbei bedeutet Allparteilichkeit weitaus mehr als lediglich Neutralität: Während ein Schiedsrichter sich neutral auf dem Spielfeld verhält und lediglich auf die Einhaltung der Regeln achtet, sind wir auch an einem »guten Spiel« interessiert. Mediatoren sind quasi die Anwälte für die Interessen aller Beteiligten. Dies ist letzten Endes eine Haltungsfrage und wird ausführlich in Kapitel 5 behandelt. Es ist an uns Mediatoren, den Konfliktparteien Anerkennung zu geben, indem wir ihnen kontinuierlich aktiv zuhören. Dieses aktive Zuhören meint hierbei mitnichten ein Zustimmen. Dies bleibt im Konflikt die Aufgabe von Freunden (den zustimmenden »Schlachtenbummlerinnen«), Tröstern oder Ratgebern. Als Mediatorinnen dagegen bleiben wir in einer mittleren Dis­ tanz: Wir hören das Leid der Konfliktparteien und verdeutlichen, dass wir es verstanden haben, indem wir das Gehörte zusammenfassend wiedergeben. Als Mediatoren behandeln wir jedes Mediationsgespräch vertraulich und sichern dies den Parteien auch zu. Da die Vertraulichkeit einen zentralen Punkt der Mediation darstellt, behandeln wir diese Frage ausführlich in Ab­ schnitt 2.1.4. Die Teilnahme an einer Mediation ist immer freiwillig und kann nicht verordnet werden (siehe hierzu auch Abschnitt 3.1.4). Als Mediatorinnen geben wir die Struktur des Gesprächs vor: Wir haben die Verantwortung für den Ablauf des Gesprächs, das heißt, wir leiten das Ge­ spräch durch die jeweiligen Phasen der Mediation, entscheiden wann wir in die nächste Phase eintreten und achten auf den organisatorischen Rahmen (Anfangs- und Endzeiten etc.). Um das Mediationsgespräch konstruktiv führen zu können, sorgen wir dafür, dass sich die Parteien gegenseitig ausreden lassen und nicht unter­ brechen. Dies dient der Entschleunigung im Prozess und ermöglicht uns Mediatorinnen, jeder Konfliktpartei wirklich in Ruhe zuzuhören und ihr die notwendige Anerkennung für ihre Sichtweise zu geben. Den anderen nicht zu unterbrechen, ist für viele Menschen eine Selbstverständlichkeit, für ei­ nige jedoch sehr ungewohnt. Es ist eine Stilfrage, ob wir als Mediatorinnen die Gesprächsregeln zu Beginn der Mediation explizit benennen: Einige Kol­ legen machen dies regelmäßig, andere weisen erst dann auf eine Regel hin, wenn sie im Gesprächsverlauf verletzt wird. Wir handhaben es unterschied­ lich: je nach dem intuitiven Eindruck von den Gesprächskompetenzen der

Mediationspraxis

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Beteiligten sowie dem Eskalationsgrad des Konflikts. Ob wir die Regel »Aus­ reden lassen« explizit benannt und die Parteien dem zugestimmt haben (in der Mediation mit Jugendlichen bietet sich dieses Vorgehen beispielsweise an) oder ob wir diese Regel nur implizit vorleben, indem wir sagen, dass nun jeder nacheinander Zeit hat, seine Sichtweise darzulegen: Wir sollten diese Regel ruhig, aber bestimmt durchsetzen und somit immer wieder verdeutli­ chen, dass wir die Verfahrensmacht innehaben und die Verantwortung für den Prozess tragen. Des Weiteren benötigen wir in der Mediation einen Schutzraum, in dem alle Beteiligten in Ruhe und ohne »unter Beschuss« zu stehen ihre Sicht auf den Konflikt darlegen können. Aus diesem Grund ist es unsere Aufgabe, Be­ leidigungen und Beschimpfungen, persönliche Angriffe und Abwertungen konsequent umzuformulieren. Auch hier können wir diese Regel explizit benennen oder implizit voraussetzen und bei Bedarf nachträglich benennen. Wie reagieren Mediatoren auf Regelverstöße? Auch wenn wir die Verant­ wortung für das Verfahren haben und damit Regelhüter sind: Eine wesent­ liche Technik ist das Ignorieren kleinerer Regelverstöße. Die meisten Kon­ fliktparteien fallen sich mal ins Wort, wenn das Adrenalin Blasen schlägt. Hier muss nicht jedes Mal interveniert werden. Bei wiederholten oder schweren Regelverstößen benötigen wir jedoch ein klares, konsequentes und abgestuftes Vorgehen: ƒƒ nonverbale Interventionen: kurzes Handzeichen (»Stopp!«) und klar der an­ deren Partei zugewandte Körperhaltung ƒƒ Kurzinterventionen: »(Einen) Moment (bitte)!«, »(Sie sind) Gleich (dran)!«, »Stopp! Beleidigungen gibt es hier nicht!« ƒƒ Konsequentes Umformulieren: Abwertende Äußerungen lassen wir nicht im Raum stehen, sondern formulieren sie beschreibend statt bewertend um und subjektivieren sie: »Naja, der ist halt so ein Pedant!« wird beispiels­ weise zu »Ihrer Meinung nach nimmt es Ihr Kollege mit der Buchfüh­ rung sehr genau. Genauer, als Sie es nehmen würden.« ƒƒ Erste-Hilfe-Empathie: Partei A: »Also, das halte ich nicht aus« – Mediatorin: »Ich habe gehört, dass Sie dazu eine gänzlich andere Sichtweise haben. Sie kommen auch gleich dran!« oder »Ich weiß, dass es nicht ganz einfach ist, als Zweiter dran zu sein. Bitte gedulden Sie sich noch einen Moment, Sie sind gleich dran und haben dann Zeit, in Ruhe Ihre Sichtweise darzu­ legen (die sich offenkundig deutlich von der Ihres Kollegen unterschei­ det!).«

Umgang mit Regelverstößen

ƒƒ Störung auf der Metaebene Raum geben: »Aktuell empfinde ich es als schwie­ rig, Ihnen zuzuhören, da Sie sich wechselseitig immer wieder ins Wort fallen. Mir ist es wichtig, Ihnen in Ruhe nacheinander zuzuhören, um Sie jeweils verstehen zu können. Unter den aktuellen Umständen erscheint mir das nicht möglich. Was brauchen Sie jeweils, um hier in Ruhe mitei­ nander reden zu können?« Abschließend bleibt anzumerken, dass wir zwischen Rolle und Haltung un­ terscheiden: die Rolle als von außen vorgegebener Rahmen gegenüber einer inneren Haltung als Ausdruck einer persönlichen Mediationsethik (vgl. Kap. 5). Beide korrespondieren miteinander und bedingen sich. Dabei stützt die Rolle die innere Haltung, die Haltung wiederum füllt die Rolle mit (media­ tivem) Leben. Mediation und Rechtsberatung: Rollenverständnis Juliane Ade Die Mediatorin weist darauf hin, dass sie die Parteien in keiner Weise (rechtlich) berät

Rechtliche Beratung dürfen nur zugelassene Rechtsberater erbringen

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Die erste Phase der Mediation

Nehmen die Parteien ohne fachliche, insbesondere juristische Beratung an der Mediation teil, so ist die Mediatorin verpflichtet, vor Abschluss einer Vereinbarung auf die Möglichkeit einer externen Überprüfung hinzuweisen (§ 2 Abs.  6 S. 2 MediationsG). Schließt die Mediatorin mit Blick auf ihre Rolle eine fachliche Beratung aus, so empfiehlt sich zu Beginn der Mediation ein entsprechender ausdrücklicher Hinweis (dies gilt umso mehr, wenn das allgemeine Leistungsportfolio eines Mediators grundsätzlich auch Beratungstätigkeiten umfasst). Je nach Bedarf bespricht sie mit den Beteiligten, inwieweit und zu welchem Zeitpunkt (rechtliche) Expertise den Mediationsprozess begleiten soll, um den Parteien eine informierte Entscheidung zu ermöglichen. Das Einbringen dieser Beratungsergebnisse in die Mediation kann entweder direkt durch die Rechtsanwälte (bzw. sonstige Beraterinnen) oder indirekt durch die Parteien selbst erfolgen. Das Mediationsgesetz untersagt rechtliche Äußerungen des Mediators nicht per se. Die rechtliche Beratung dürfen grundsätzlich aber nur zugelassene Rechtsberaterinnen erbringen. Rechtsdienstleistung ist »jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert« und »durch rechtliche Regelungsvorschläge in die Gespräche der Beteiligten eingreift« (§ 2 Abs. 3 Nr. 4 RDG). Allgemeine Darstellungen rechtlicher und tatsächlicher Handlungsoptionen fallen nicht darunter. Die Mediation soll die Situation für die Beteiligten nicht verschlechtern. Nach breiter Auffassung sind deshalb auch nichtanwaltliche Mediatorinnen verpflichtet, auf

mögliche Rechtserschwerungen oder -verluste, beispielsweise die mögliche Verjährung von Ansprüchen gegen Dritte, hinzuweisen. Der (nicht rechtskundige) Mediator kann dieser Pflicht nachkommen, indem er den Parteien zu Beginn der Mediation rechtliche Beratung empfiehlt und sie gegebenenfalls sogar zur Voraussetzung für die Mediation macht.

2.1.6 Die Vertraulichkeit der Mediation Die Vertraulichkeit in der Mediation hat zwei Aspekte: die Vertraulichkeit der Mediatorin und den Umgang der beteiligten Parteien mit der Kommunikation über die Mediation gegenüber nicht an der Mediation beteiligten Personen. a) Die Vertraulichkeit der Mediatorin

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Als Mediatorinnen behandeln wir jedes Mediationsgespräch grundsätzlich vertraulich gegenüber Dritten, auch gegenüber Führungskräften oder an­ deren unbeteiligten Auftraggeberinnen. Dies wird den jeweiligen Auftrag­ gebern vor Beginn des Mediationsprozesses verdeutlicht, indem wir ihre Zu­ stimmung hierzu explizit einholen.

Die gesetzliche Verschwiegenheitspflicht der Mediatorin

Mediationspraxis

Juliane Ade Mediatorinnen sind gesetzlich umfassend zur Verschwiegenheit verpflichtet und müssen die Beteiligten über den Umfang ihrer Schweigepflicht und deren Grenzen informieren (§ 4 MediationsG). Die gesetzliche Verschwiegenheitspflicht von Mediatoren umfasst sämtliche Kenntnisse über das Bestehen des Konflikts an sich, den Mediationsauftrag und die Mediationsinhalte und gilt auch für Hilfspersonen wie Mitarbeiter und Hospitanten der Mediatorin. Sie ist zeitlich nicht begrenzt und gilt sogar über den Tod von Mediationsbeteiligten hinaus. Die Parteien können die Mediatorin partiell und auch umfassend von dieser Pflicht zur Verschwiegenheit entbinden sowie auch eine weitergehende Schweigepflicht vereinbaren. Gesetzliche Grenzen der Verschwiegenheitspflicht sind u. a. in § 4 S. 3 Nr. 1 bis 3 MediationsG formuliert (siehe dazu Kap. 4).

Mediatorinnen sind gesetzlich umfassend zur Verschwiegenheit verpflichtet

Die Ausführlichkeit und die Art und Weise, mit der wir im Praxisalltag auf diese rechtlichen Bestimmungen und ihre Bedeutung für die konkrete Me­ diation eingehen, sind jeweils abhängig von der Konfliktsituation und den Bedürfnissen der Beteiligten. Im Mediationsgespräch sichern wir den beteiligten Konfliktparteien die­ se umfassende Vertraulichkeit explizit zu und verdeutlichen sie gegebenen­ falls an möglichen Beispielsituationen: »Ihre Abteilungsleiterin, Frau Müller, hat meiner Vertraulichkeit im Vorfeld zugestimmt. Sollte sie mich dennoch auf diese Mediation ansprechen, so werde ich sie daran erinnern und meine Vertraulichkeit selbstverständlich wahren.« Manchmal wünschen sich die Konfliktparteien am Ende des Mediations­ prozesses, dass wir als Mediatoren den Auftraggeber bzw. die Vorgesetzte über Aspekte der getroffenen Vereinbarung informieren. Dies ist nach einer expliziten Absprache mit den Beteiligten darüber, was genau wir auf wel­ chem Weg übermitteln, durchaus möglich, indem wir beispielsweise einen Teil der schriftlichen Vereinbarung im Auftrag der Parteien an die Vorge­ setzte mailen. b) Der Umgang der beteiligten Parteien mit der Kommunikation über die Mediation gegenüber dritten Personen

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Absolutes Stillschweigen über die Mediation ist unrealistisch

Die erste Phase der Mediation

Die Frage nach der Vertraulichkeit der Konfliktparteien ist eine offene: Mit welchen Personen wollen die Parteien über die Mediation kommunizieren, wem gegenüber soll Vertraulichkeit vereinbart werden? In der Auftrags­ klärung treffen die Konfliktparteien eine konkrete Vereinbarung zu die­ ser Frage. Wie möchten die Beteiligten mit dem Aspekt der Vertraulichkeit umgehen? Soll das Ergebnis oder der Prozessverlauf jemandem mitgeteilt werden? Wem gegenüber soll explizit die Vertraulichkeit gewahrt werden? Diese getroffene Absprache halten wir schriftlich als erste Vereinbarung der Mediation fest. Für sie gelten die gleichen Kriterien, die wir generell an eine Vereinbarung anlegen: Sie sollte konkret und umsetzbar sein (siehe dazu auch Abschnitt 2.5). Erfahrungsgemäß haben Menschen, die zu uns in die Mediation kom­ men, bereits im Freundes- und Kollegenkreis über die Belastungen ihres Konflikts gesprochen und möchten auch während des Mediationsprozesses mit Personen aus ihrem nahen Umfeld darüber sprechen. Das ursprüngliche

Mediationspraxis

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»Dogma« der Mediation, die umfassende Vertraulichkeit der Medianden, er­ weist sich in der Praxis oft als unrealistisch. Den Beteiligten sind diese Aspekte zu Beginn einer Mediation nicht un­ bedingt deutlich. Daher fragen wir sie offen, wie sie den Aspekt der Vertrau­ lichkeit handhaben wollen. Bei einer Mediation im beruflichen Kontext fra­ gen wir beispielsweise: »Wie möchten Sie in Ihrem beruflichen und privaten Umfeld die Vertraulichkeit handhaben?« Oder im Falle einer Familienmedi­ ation: »Wie möchten Sie gegenüber Familienmitgliedern und im Freundesund Bekanntenkreis mit den Inhalten der Mediation umgehen?« Zumeist haben die Beteiligten sehr klare Vorstellungen davon, mit wem sie über die Mediation sprechen möchten (häufig die Lebenspartnerin oder ein guter Freund) und mit wem nicht (beispielsweise die Kolleginnen). Sie haben auch klare Vorstellungen davon, wer anschließend zumindest über einige Ergebnisse der Mediation in Kenntnis gesetzt werden sollte (beispiels­ weise die Führungskraft oder das Team). Nicht immer sind die Parteien je­ doch einer Meinung darüber. Sollte es zum Dissens kommen, bleiben wir als Mediatorinnen allpar­ teilich und sprechen mit den Parteien über die Interessen hinter dem Kon­ flikt und die jeweiligen Befürchtungen – analog zur Konflikterhellung der dritten Phase. Hierbei kann es hilfreich sein, die Frage zu stellen, ob die Vertraulichkeit über den Prozess der Mediation und über die Vereinbarung unterschiedlich behandelt werden soll. Meistens lässt sich ein einvernehmli­ cher Umgang mit der Vertraulichkeit in relativ kurzer Zeit herstellen. Sollte jedoch intensiv darum gerungen werden, ist dies in der Regel ein Indiz für einen Teil des Konflikts zwischen den Beteiligten. Gerade dann gilt es, sich bewusst Zeit für diesen Schritt zu nehmen, die Interessen und Befürchtun­ gen klar zu benennen und die Beteiligten Ideen entwickeln zu lassen, wie sie damit umgehen wollen. Abschließend eine stichwortartige Zusammenfassung der ersten Phase der Mediation im Überblick. Auch erfahrene Mediatoren verwenden gern individuelle »Spickzettel« als kleine Gedankenstütze.

Bei Dissens über die Vertraulichkeit führen wir eine Mini-Mediation durch

Erstgespräch mit beiden Konfliktparteien Begrüßung und Vorstellung à Sitzordnung beachten Bisherigen Kenntnisstand zusammenfassen à Vorgeschichte transparent machen Über Erwartungen und Befürchtungen zu Mediationszielen à Erwartungen und Befürchtungen der Beteiligten erfragen à Mediationsziel(e) ableiten Informationen zur Mediation à Grundidee und Ablauf von Mediation darstellen à Möglichkeiten und Grenzen des Verfahrens erklären Rolle und Regeln à Allparteilichkeit und Ergebnisoffenheit erläutern à Verantwortlichkeiten verdeutlichen: Strukturverantwortung ist bei der Mediatorin; Verantwortung für die Inhalte liegt bei den Medianden à Freiwilligkeit der Teilnahme erläutern à gegebenenfalls Gesprächsregeln nennen

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à Sind die Beteiligten »im Rahmen« der Mediation? à Ist Mediation das geeignete Verfahren? Vertraulichkeit klären à eigene Vertraulichkeit erläutern à Vertraulichkeit der Beteiligten untereinander vereinbaren Bereitschaft zur Mediation erfragen à möchten die Parteien dieses Verfahren und diese Mediatorin? à Arbeitsbündnis schließen

Die erste Phase der Mediation

Indikationen prüfen

2.2 Die zweite Phase der Mediation: Konfliktgeschichten anhören und Konfliktthemen benennen Zu Beginn des Abschnitts werden wir zentrale Begriffe der zweiten Mediati­ onsphase klären. Es folgt eine Beschreibung des Ablaufs der Phase mit einer schematischen Übersicht. Den Abschluss bilden eine Darstellung häufig ver­ wendeter Methoden der Gesprächsführung sowie eine kurze Abhandlung typischer Herausforderungen im Verlauf dieser Phase. In seiner Gesamtheit orientiert sich der Abschnitt wie folgt an den Aufgaben des Mediators für die zweite Phase der Mediation:

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ƒƒ die Konfliktparteien nacheinander ihre jeweilige Konfliktgeschichte er­ zählen lassen, ƒƒ eine eigene Vorstellung über die Struktur, das heißt den zeitlichen Ab­ lauf, die beteiligten Personen, Orte und Geschehnisse beider Konflikte bekommen, ƒƒ durch Zuhören und zusammenfassendes Wiederholen des Gehörten den Parteien Anerkennung für ihre Konfliktgeschichte geben, ƒƒ durch konkretes Nachfragen Konfliktpunkte und -situationen benennen, ƒƒ Konfliktthemen benennen, sammeln und in eine Bearbeitungsreihenfol­ ge bringen.

2.2.1 Zentrale Elemente der zweiten Phase

Mediationspraxis

Konfliktgeschichten Grundsätzlich möchten uns die Konfliktparteien ihre Konfliktgeschichte erzählen. Wenn wir also beiden Beteiligten in dieser Phase ausreichend Zeit einräumen, ihre jeweils subjektive Sichtweise auf den Konflikt dar­ zulegen, wird diese Einladung generell gerne angenommen. Dabei inte­ ressiert uns hier die sachliche Geschichte, der Ablauf, quasi die Inhaltsan­ gabe. Im Denkmodell des Konflikteisbergs liegt unser Schwerpunkt somit im Bereich oberhalb der Wasseroberfläche. Leitfragen dazu sind beispiels­ weise: Wer sind die beteiligten Personen? Welches sind die Rahmenbedin­ gungen, in denen die Parteien miteinander leben oder arbeiten? Wie war der zeitliche Ablauf des Konflikts? Was ist aus Sicht der einzelnen Perso­

Leitfragen der zweiten Phase: Wer? Was genau? (Seit) Wann?

nen passiert? Welche Rolle spielen dritte Personen in den Konflikten? Seit wann gibt es die Konflikte? Konfliktpunkte

Als Konfliktpunkte bezeichnen wir, was eine Partei an der anderen stört: ƒƒ konkrete Handlungen: »Mein Kollege hat die Präsentation einfach allein ge­ halten.« ƒƒ sprachliche Akte: »Da sagt sie zu mir, dass ich sie in Ruhe lassen soll.« ƒƒ Unterlassungen (Nicht-Handlungen): »Er hat mir nicht beim Umzug gehol­ fen.« ƒƒ Positionen: »Er will, dass unser Elternhaus verkauft wird.« Konfliktpunkte strukturieren einen Konflikt von Allgemeinplätzen ins Kon­ krete. Wir hören sehr genau auf mögliche Beeinträchtigungen in den Schil­ derungen der Konfliktparteien und lassen uns diese anhand von konkreten Beispielsituationen schildern. Aus diesen Konfliktpunkten formulieren wir dann mit den Beteiligten ihre übergeordneten Themen.

Was beeinträchtigt die Beteiligten?

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Die zweite Phase der Mediation

Im Alltag benennen Konfliktparteien selten, was sie an einer konkreten Handlung ihres Gegenübers stört. Sie äußern selten: »Mich nervt, dass du dein Zimmer nicht aufgeräumt hast.« Häufiger kommunizieren Parteien indirekt, beispielsweise über Wunschäußerungen: »Weißt du, was ich mir wirklich wünsche? Dass du einmal dein Zimmer aufräumst.« Oder sie ver­ zichten ganz auf die Anbindung an die konkrete Situation und sprechen nur in allgemeinen Zuschreibungen: »Was mich total nervt, ist deine ständige Unordnung.« Besonders destruktiv können solche Zuschreibungen wirken, wenn sie sich als Ich-Botschaften tarnen, zum Beispiel in Paarkonflikten: »Ich finde, du bist in letzter Zeit immer so distanziert.« Auch in der Mediation können wir davon ausgehen, dass die Parteien eher in Wünschen, Zuschreibungen und Positionen über ihre Konflikte spre­ chen. Die Kunst besteht darin, diese Aussagen zuerst anzuerkennen und an­ schließend das Gespräch durch Fragen und Umformulierungen auf belas­ tende (Nicht-)Handlungen zu lenken, um konkrete Konfliktpunkte heraus­ zuarbeiten. Es geht darum, was genau die jeweilige Person beeinträchtigt, nicht wie (sehr) es das tut oder warum. Der Blick auf die Hintergründe findet erst in der dritten Phase der Mediation, der Konflikterhellung, statt.

Konfliktthemen In der Mediationspraxis begegnen uns selten Parteien, die nur einen Konflikt­ punkt haben. Meist sind Konflikte komplexer: Bei lang andauernden Konflik­ ten kann sich beispielsweise die Vielzahl von beeinträchtigenden Situationen, Handlungen oder Positionen zu einem unübersichtlichen Konfliktdschungel verstrickt haben (vgl. Abschnitt 1.2 und 1.4). Um diese Komplexität handha­ ben zu können, arbeiten wir mit dem strukturierenden Element der Konflikt­ themen. Grundidee ist dabei, das weite Konfliktgebiet in kleinere, übersichtli­ che Teilgebiete zu gliedern. Zwei Denkmodelle können dabei helfen: Denkmodell »Konfliktfelder« Zwei Erzieher einer Kindertagesstätte arbeiten in einer komplexen Situa­tion zusammen, die sich in Teilbereiche unterscheiden lässt: Urlaubsplanung, Umgang mit Regelverletzungen der Kinder, Ausflüge mit den Kindern, Abho­ len und Bringen und vieles mehr. In einigen Bereichen sind die Erzieher vermutlich durchaus zufrieden mit ihrer Zusammenarbeit, beispielsweise mit der Gestaltung von Ausflügen oder der Urlaubsplanung. In anderen Be­

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Thema KP B

KP A

Mediationspraxis

Thema

Thema

Thema Abb. 12: Konfliktthemenfelder

reichen dagegen empfindet der eine Beeinträchtigungen, etwa im Hinblick darauf, wie der andere mit Regelverstößen der Kinder umgeht oder sich in Elterngesprächen verhält; den anderen wiederum stört, wie sich sein Kollege in den Abholsituationen verhält. Beide sind aktuell unzufrieden mit der Art und Weise, wie sie miteinander über unterschiedliche Sichtweisen sprechen und Kritik aneinander üben. Uns interessieren nun in der Mediation ausschließlich die Felder der Zu­ sammenarbeit, in denen eine der Parteien oder beide Beeinträchtigungen er­ leben. Die »Überschriften« dieser Konfliktfelder nennen wir Konfliktthemen. Denkmodell »Schirme« Ein getrennt lebendes Elternpaar hat eine Vielzahl von Konfliktpunkten: »Er meldet sich nicht, wenn er die Kinder verspätet abholt.« »Sie sagt mir nicht Bescheid, wenn Elternabend ist.« »Er teilt mir nicht mit, dass die Kinder bei ihm zwei Stunden am Computer spielen durften« (und vieles mehr). Gibt es eine solche Vielzahl von Einzelaspekten, können verschiedene Konflikt­ punkte unter einem Thema zusammengefasst werden  – wie unter einem Schirm. Es gibt große Familienschirme (im Beispiel »Kommunikation«), kleine Knirpse (im Beispiel »Absprachen bezüglich des Computerspielens«) und jede erdenkliche Zwischenstufe. Die Schirme stehen in diesem Bild für die Konfliktthemen. Unter manchen Konfliktthemen finden sich entsprechend viele Konfliktpunkte einer oder beider Konfliktparteien wieder, andere Kon­ fliktthemen umfassen vielleicht nur einen einzigen Konfliktpunkt einer Konfliktpartei. Konfliktthemen werden sachlich neutral formuliert

Die zweite Phase der Mediation

Welches Bild wir auch für uns nutzen mögen: Konfliktthemen sind immer neutral zu formulieren. Sie sollten präzise und sachlich sein: ƒƒ Wir können das Thema in einem Wort wie eine Überschrift benennen: »Abholsituation«. ƒƒ Günstig ist auch die Formulierung »Umgang mit …« (»Umgang mit dem Ordnungssystem im Büro«) oder »Klärung von …« (»Klärung von Zustän­ digkeiten«). ƒƒ Konfliktthemen sollten keine Positionen, Lösungsansätze oder Vorwür­ fe einer Konfliktpartei beinhalten, wie »Verspätung beim Abholen der Kinder« (Position), »Verbesserung der Ordnung im Büro« (Lösungsansatz), »Umgang mit Neid« (Vorwurf).

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Der Knirps – kleines Konfliktfeld

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Der mittlere Schirm – mittleres Konfliktfeld

Mediationspraxis

Im Gegensatz zu Beratungsansätzen, bei denen die Beteiligten zu Beginn des Prozesses Zielvereinbarungen benennen (»Wie können wir erreichen, dass …«), liegt bei der Mediation der Fokus der Konfliktthemenbenennung auf der Vergangenheit. Es bleibt die Frage, welchen Umfang das benannte Thema haben soll. Oder analog zu unseren Modellen: Wie groß oder klein soll das Feld bzw. der Schirm sein? Unserer Erfahrung nach gibt es hierbei ein günstiges mitt­ leres Niveau: Der »Knirps« (das ganz kleine Feld) ist oft zu eng, während der Familienschirm bzw. das große Feld fast alles umfasst – und somit oft auch mehrere Themen gleichzeitig.

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Der Familienschirm – großes Konfliktfeld

Thema: Einschulung von Anna-Lotta

Thema: Umgang mit besonderen Feiertagen

Thema: Eltern bleiben trotz Trennung

Abb. 13: Benennung von Konfliktthemen

Warum ist es überhaupt wichtig, Konfliktthemen zu benennen? Konflikt­ themen ordnen den Konflikt. Sie brechen die Komplexität einer Gesamtsitu­ ation auf handhabbare Konfliktfelder herunter und geben damit auch dem Mediationsgespräch eine klare Struktur. Sie bilden eine sichtbare Vereinba­ rung zwischen den Konfliktparteien (und dem Mediator), worum es in die­ sem Gespräch gehen soll. Bei mehreren Konfliktthemen legen die Parteien eine Reihenfolge der Bearbeitung fest.

Das Benennen von Konfliktthemen strukturiert die Konfliktbearbeitung

Anerkennung Erzählen uns Konfliktparteien in der Mediation ihre Konfliktgeschichte, wollen sie »gehört werden«. Für diese Geschichte müssen wir ihnen Aner­ kennung im Sinne eines bewertungsfreien Interesses geben. Aber wozu ist diese Anerkennung notwendig? Denken wir uns ein Paar: Die Frau hat ein Jobangebot in einer entfernten Stadt erhalten, das ihrer Meinung nach sehr attraktiv ist. Nimmt sie das Angebot an, wäre ein Wohnungswechsel unumgänglich. Ihr Partner will nicht, dass sie die Arbeitsstelle wechselt. Spricht sie mit ihm darüber, bekommt sie Gegenargumente zu hören (»Wie sollen wir uns zwei Wohnungen leisten?«), vielleicht auch emotionalen Druck (»Wie kannst du uns das nur antun?«) – ihre Position steht quasi unter Beschuss. Spricht sie mit einer guten Freundin, bekommt sie vielleicht gutgemeinte Ratschläge (»Also ich würde erst mal auf stur schalten«), Trost (»Du Arme – aber wir wussten ja, dass Martin …«) oder den Hinweis: »Aber du musst auch Martin verstehen« zu hören.

Durch bewertungsfreies Zuhören erfahren die Parteien Anerkennung für ihre Sichtweise

Die zweite Phase der Mediation

Diese Reaktionen der Zuhörer sind allzu menschlich und ein wichtiges sozi­ ales Bindemittel in Beziehungen. Dennoch verhindern sie, dass die Konflikt­ partei mit ihrer Geschichte im Mittelpunkt steht, ohne sich rechtfertigen zu müssen, ohne Vermischung mit den Erfahrungen und Absichten der Zuhö­ rer oder der Beziehung zu ihnen. Als Mediatorinnen zeigen wir diese Anerkennung durch eine grundsätz­ liche Haltung (vgl. Kap. 5) des zugewandten Interesses für die Konfliktge­ schichte. Wir hören aufmerksam zu, stellen Fragen, wiederholen die Aus­ sagen der Sprecherin und fassen umfangreiche Redebeiträge zusammen. Wir verstehen die Konfliktpartei, zeigen jedoch kein Einverständnis. Durch diese Form des bewertungsfreien aktiven Zuhörens erfahren die Parteien eine Anerkennung, die ihnen die Sicherheit gibt, dass sie und ihre Position

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nicht bewertet oder angegriffen werden. Diese Sicherheit bildet die Basis, von der aus die Konfliktparteien im Verlauf des Mediationsprozesses eine Entwicklung durchlaufen können: von der anfänglichen Verhärtung bis zur Bereitschaft, eine Vereinbarung zu treffen. Haltung und Methoden des aktiven Zuhörens werden im weiteren Ver­ lauf genauer beschrieben. Sie sind sämtlichen Phasen der Mediation imma­ nent. In der zweiten Phase machen die Parteien eine erste intensive Erfah­ rung damit. Selbstklärung der Beteiligten

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2.2.2 Der Ablauf der zweiten Phase

Mediationspraxis

In ihrer Gesamtheit schaffen die genannten Aspekte eine größere Klarheit für den Konflikt: Die Benennung der Konfliktpunkte konkretisiert den Kon­ flikt von allgemeinen Zuschreibungen (»Wenn du anders wärst, hätte ich kein Problem mehr«) zu Handlungen oder Positionen. Die Sammlung der Konfliktthemen gibt dem Gesamtgeschehen eine erste Struktur. Die Aner­ kennung für ihre Sichtweise verhilft den Parteien zu einer Entspannung, die sie diese erste Klarheit überhaupt erst wahrnehmen lässt.

Die Konfliktparteien haben die Gelegenheit, nacheinander ihre Sichtweise des Konflikts darzulegen. Der Mediator fragt sie, wer von ihnen beginnen möchte, zu erzählen, was sie in die Mediation geführt hat. Die Entscheidung, wer beginnt, überlässt er den Parteien. Meistens einigen sich die Konflikt­ parteien selbst darauf, wer beginnt, nur selten bedarf es der Unterstützung durch den Mediator. Diese Situation bietet die Chance, eine kleine Kostprobe der mediativen Grundhaltung zu geben: Nicht der Mediator entscheidet in diesem Fall, wer beginnt, sondern er unterstützt die Parteien mediativ dabei, einen Verfahrenskonsens zu erreichen. Wir möchten nicht unerwähnt las­ sen, dass dieses Vorgehen unter Mediatoren diskutiert wird. Einige Kollegin­ nen entscheiden selbst, welche Konfliktpartei mit der Darstellung beginnt. Wenn geklärt ist, welche Partei beginnt, wird die zweite Partei gebeten, ausschließlich zuzuhören und sich gegebenenfalls Notizen zu machen (hier­ zu liegen Papier und Stift bereit). Wir versichern, dass sie danach ebenfalls ausführlich Gelegenheit hat, ihre Sichtweise in Ruhe darzulegen.

Beide Parteien legen nacheinander ihre Sichtweise des Konflikts dar

Wir wenden uns nun der ersten Partei zu, die beginnt, den Konflikt aus ihrer Sicht darzustellen – klassischerweise mit einer sehr offen formulier­ ten Aufforderung, beispielsweise: »Erzählen Sie doch bitte, was Sie hierher­ führt.« Dabei ist es unser Ziel, die Sichtweise der erzählenden Person so voll­ ständig wie möglich zu erfassen; dazu stellen wir Fragen und fassen das Wesentliche der Äußerung wiederholend zusammen. Dieses Vorgehen ent­ schleunigt den Prozess gleich zu Beginn der Mediation deutlich. Einige Me­ dianden sprechen zu Beginn schnell und nahezu ohne Pausen. Erhalten sie jedoch durch zusammenfassendes Wiederholen Anerkennung für ihre Kon­ fliktgeschichte, so tritt nach unserer Erfahrung eine sichtbare Entspannung ein: Die Sprecher nehmen wieder Kontakt zur Stuhllehne auf, sprechen langsamer, machen Pausen und reden weniger in redundanten Spiralen. Zu Beginn des Gesprächs ist es günstig, sich mit Fragen ein Bild über die Rahmenbedingungen der Beziehung und des Konflikts zwischen den Par­ teien zu verschaffen: »Seit wann sind Sie beide in der Firma? Wann gab es die ersten Schwierigkeiten zwischen Ihnen?« a) Die zweite Phase bei überschaubaren Konflikten Anhand von Beispielsituationen erfragen wir konkrete Konfliktpunkte

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Die zweite Phase der Mediation

Im weiteren Verlauf legen wir den Schwerpunkt auf konkrete Situationen, um anhand von Beispielen die Konfliktpunkte herauszuarbeiten: »Schildern Sie doch bitte eine konkrete Situation, in der sich Ihr Kollege – Ihrem Emp­ finden nach – unkollegial verhalten hat.« Haben wir die Geschichte ausrei­ chend erfasst und konkrete Konfliktpunkte erfahren, wenden wir uns der zweiten Partei zu, danken ihr für die Geduld und bitten sie nun ebenfalls, ihre Geschichte zu erzählen. Wir bemühen uns, diese zweite Sichtweise mit der gleichen Aufmerksamkeit und Unvoreingenommenheit zu erfassen wie im Gespräch mit der ersten Konfliktpartei. Das Vorgehen ist das gleiche. Die Kunst besteht nun darin, zwei (sich vielleicht widersprechende) Schilderun­ gen gleichberechtigt nebeneinander stehen zu lassen. In keinem Fall stellen wir Bezüge zwischen den Konfliktgeschichten her (»Und was sagen Sie zu der Situation, die Ihr Kollege gerade geschildert hat?«) oder benennen die Diskrepanzen. Einige Mediatoren stellen sich dazu eine unsichtbare Glas­ wand zwischen den Mediandinnen vor, um sicherzustellen, dass sie zwei »Einzelgespräche« mit den Beteiligten führen. Hat die zweite Partei ihre Schilderung beendet, formulieren wir zum Abschluss der zweiten Phase die Konfliktpunkte beider Seiten: »Sie sind

also hier, weil … und Sie sind hier, weil …«. Zusätzlich benennen wir das Konfliktthema: »Das Thema unseres Gesprächs ist also für Sie …?« Dieser Idealfall tritt jedoch in der Praxis selten auf, häufig möchten sich beide Kon­ fliktparteien wiederholt äußern. Dies ist natürlich möglich – auch wenn die Beteiligten dabei keine weiteren relevanten Informationen nennen. Als Me­ diatorinnen bleiben wir gelassen, hören aktiv zu und schließen – wenn die Parteien sich ausreichend geäußert haben – die Phase mit der nochmaligen Benennung der Konfliktpunkte und des Themas. b) Die zweite Phase bei komplexen Konflikten

Mediationspraxis

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Schildern die Mediandinnen uns sehr viele Konfliktpunkte, die offen­ sichtlich verschiedenen Konfliktfeldern zuzuordnen sind (siehe Abschnitt »Konfliktthemen«), so benennen wir diese Themen (»Sie möchten also über Urlaubsplanung, den Umgang mit dem Praktikanten und die alltägliche Kommunikation untereinander sprechen«) und visualisieren sie mit Zustim­ mung der Partei, die das Thema benannt hat, auf Karten, an einer Moderati­ onswand oder an einem Flipchart. Sind die Themen beider Parteien visuali­ siert, fragen wir die Beteiligten, mit welchem Thema sie beginnen möchten. Bei Uneinigkeit der Parteien sichern wir erst zu, dass weitere Themen selbst­ verständlich behandelt werden. Gibt es weiterhin keine Einigung, mediieren wir diesen Dissens über die Hintergründe (»Warum ist es für Sie wichtig, dass Thema A zuerst behandelt wird? Was befürchten Sie, wenn ein anderes Thema zuerst behandelt wird?«). Die weitere Reihenfolge kann auf Wunsch der Parteien ebenfalls festgelegt werden. Anmerkung: Auch an dieser Stelle gibt es unterschiedliche Haltungen unter Mediatorinnen. Während wir die Reihenfolge der Themenbearbeitung die Parteien entscheiden lassen, bestimmen manche Mediatoren selbst, mit welchem Thema begonnen wird. Manchmal begegnen uns in der Mediation hochkomplexe Konflikte mit einer Vielzahl von Konfliktthemen (mehr als vier). Ein Gespräch über sämt­ liche Situationen oder Konfliktpunkte eines Themas würde den zeitlichen Rahmen der zweiten Phase sprengen und die Parteien an dieser Stelle über­ fordern. Bemerken wir diese Konfliktstruktur, verzichten wir auf die He­ rausarbeitung der konkreten Konfliktpunkte und beschränken uns darauf, einen ausreichenden Überblick über die Konflikte zu bekommen, indem wir sämtliche Konfliktthemen benennen und visualisieren. Die Anerkennung

Bei komplexen Konflikten sammeln wir ausschließlich die Themen

für die Parteien sollte hierbei dennoch nicht eingeschränkt werden (siehe Abschnitt 3.2). Nachdem die Parteien sich auf ein erstes Thema geeinigt haben, fragen wir sie diesbezüglich nach den jeweiligen (Beispiel-)Situationen, die die Kon­ fliktpunkte zeigen. Ablauf der zweiten Phase der Mediation

2.2.3 Die Gesprächsführung in der zweiten Phase Offene Fragen stellen Die Mediatorin lädt zum Gespräch über den Konflikt ein. Hierzu stellt sie offene Fragen, die die erzählende Person dazu anregen, ihre Position darzu­ stellen und nicht nur einsilbig zu antworten. Der Blickwinkel ist hierbei auf die Vergangenheit gerichtet: Was ist passiert? Was führt Sie zu mir? Wor­ über möchten Sie mit meiner Unterstützung sprechen? Was möchten Sie im Rahmen der Mediation klären?

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Die zweite Phase der Mediation

1. Die Konfliktparteien entscheiden, wer mit der Schilderung des Konflikts beginnt. Gegebenenfalls moderiert der Mediator diesen Entscheidungsprozess. 2. Der Mediator führt ein Gespräch mit Konfliktpartei A über ihre Konfliktgeschichte (subjektive Sichtweise auf den Konflikt). Er hört zu, fragt nach, wiederholt zusammenfassend das Gehörte und formuliert gegebenenfalls wertende Äußerungen um. 3. Der Mediator führt ein Gespräch mit Konfliktpartei B über ihre Konfliktgeschichte (subjektive Sichtweise auf den Konflikt). Er hört zu, fragt nach, wiederholt zusammenfassend das Gehörte und formuliert gegebenenfalls wertende Äußerungen um. 4. Der Mediator stellt hierbei keine Bezüge zwischen den Konfliktgeschichten her, sondern behandelt sie als eigenständige Schilderungen. Gegebenenfalls ergänzen Konfliktpartei A und Konfliktpartei B nacheinander ihre Schilderungen. 5. Der Mediator arbeitet mit jeder Konfliktpartei im Dialog die Konfliktpunkte heraus. 6. Der Mediator benennt die vermuteten Konfliktthemen und lässt sie sich von den Parteien bestätigen. 7. Der Mediator visualisiert die Konfliktthemen. 8. Der Mediator moderiert den Einigungsprozess der Konfliktparteien über das erste zu bearbeitende Konfliktthema bzw. die gesamte Bearbeitungsreihenfolge der Themen.

Konkretisierendes Nachfragen

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Konfliktparteien verwenden häufig unbewusst Allgemeinplätze, Zuschrei­ bungen oder Wünsche, die viel Interpretationsspielraum lassen oder die an­ dere Partei abwerten. Es ist unsere Aufgabe, an dieser Stelle konkretisierend nachzufragen. Dazu unterbrechen wir gegebenenfalls auch den Redefluss der Konfliktpartei: Wer war in dieser Situation wie beteiligt? Was genau hat … getan bzw. unterlassen? Was ist genau (in welcher Reihenfolge) pas­ siert? Wann? Wo? Wie lange? Wie oft? In jedem Fall vermeiden wir, dass das Gespräch den Charakter einer Be­ fragung annimmt: »Seit wann haben Sie die Schwierigkeiten?« – »Seit einem Jahr.« – »Und was belastet Sie?« – »Dass Herr × so unordentlich ist.« – »Wie ist er den unordentlich?« Im ungünstigsten Fall fühlt sich der Gesprächs­ partner wie bei einer polizeilichen Befragung. Dem können wir entgehen, indem wir jeder Frage eine kurze (teilweise) Wiederholung der Aussage der Konfliktpartei voranstellen: »Sie sagen unordentlich – was genau empfinden Sie denn als unordentlich?« Hilfreich ist auch die Frage nach einer konkreten Beispielsituation. Wenn die Mediandin sich nicht für eine konkrete Situation entscheiden kann, weil es aus ihrer Sicht so viele Situationen gab, kann die Frage nach einer Schlüsselsituation oder einer aktuellen Situation weiterhelfen. Eben­ falls unterstützend bei komplexen Zusammenhängen können Skizzen am Flipchart sein.

Mediationspraxis

Zusammenfassendes Wiederholen Wir fassen das Gesagte kontinuierlich in eigenen Worten zusammen. So können wir es ordnen, einzelne Gesprächsphasen abschließen und den Blick gegebenenfalls auf ein neues Thema lenken. Dieses Zusammenfassen wird gerade von Anfängern gerne einmal vergessen und durch sogenannte Telefongeräusche ersetzt: »Hm …«, »Ja …«, »Ah so«. Das zusammenfassende Wiederholen und die Fragen sind in der Mediation die zentralen Mittel, mit denen wir Interesse an den Konfliktgeschichten zeigen und den Parteien die notwendige Anerkennung geben. Hilfreiche Satzanfänge können dabei sein: ƒƒ »Ich möchte das Gehörte einmal zusammenfassen.« ƒƒ »Habe ich Sie richtig verstanden, dass …?« ƒƒ »Ich habe Sie so verstanden, dass …«

Beispielsituationen unterstützen das beschreibende anstelle des bewertenden Erzählens

Aussagen subjektivieren Die Beteiligten neigen dazu, ihre Sichtweise als einzige, objektive Wahrheit darzustellen. Wiederholen wir ihre Aussagen im gleichen Duktus, laufen wir Gefahr, in der Wahrnehmung der Konfliktparteien die Allparteilichkeit zu verlieren. Sagt eine Mediandin zum Beispiel: »Da sind sich ja alle hier im Betrieb einig, dass es keine Alternative zur Einhaltung des Kick-offs gibt! Das wäre ja auch völlig absurd! Wie soll denn das gehen? Was sollen wir denn da unserem Kunden sagen? Nein, das geht unter gar keinen Umstän­ den!«, können wir subjektivierend zusammenfassen: »Aus Ihrer Sicht ist der Kick-off-Termin alternativlos« – gern mit einer leichten Betonung des »aus Ihrer Sicht«, was der anderen Partei verdeutlicht, dass uns als Mediatoren bewusst ist, dass dazu auch eine andere Sichtweise existieren kann. Weitere subjektivierende Formulierungen sind beispielsweise: ƒƒ »Sie nehmen es so wahr, dass …« ƒƒ »Sie haben es so erlebt, dass …« ƒƒ »Von Ihrem Standpunkt aus …«

Subjektivierung verdeutlicht unterschiedliche Sichtweisen

Umformulieren von (ab)wertenden Äußerungen Abwertende Äußerungen über die andere Partei formulieren wir um

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Die zweite Phase der Mediation

Gerade in der zweiten Phase der Mediation sprechen die erzählenden Perso­ nen häufig (ab)wertend über die andere Konfliktpartei. Fassen wir die Aus­ sagen zusammen, gilt es, Wertungen und Schuldzuweisungen in neutrale, auf das Problem bezogene Aussagen umzuformulieren. Sagt ein Mediand zum Beispiel laut: »Ich finde es einfach schockierend und enttäuschend, dass aus all den blauäugigen Versprechungen, die mir bei der Einstellung unverschämterweise von Herrn Peters gemacht wurden, nichts geworden ist!«, so kann die Mediatorin zusammenfassend umformulieren: »Sie stört, dass Herr Peters aus Ihrer Sicht (Subjektivierung) Zusagen aus dem Einstel­ lungsgespräch nicht eingehalten hat. Um welche Zusagen geht es denn hier­ bei genau (Konkretisierung)?« Ein weiteres Beispiel: Konfliktpartei: »Es ist nicht zum Aushalten! Dieses Katzengejaule beginnt am Wochenende gefühlt mitten in der Nacht!« Mediator: »Sie möchten hier über den Geräuschpegel, insbesondere mor­ gens am Wochenende reden.« Konfliktpartei: »Nein, darum geht es mir gar nicht!«

In diesem Fall gilt es, entspannt zu bleiben und konkretisierend nachzufra­ gen: »Worum geht es Ihnen dann?« Konfliktpartei: »Na, um die Geigenprobe am Sonntagmorgen!« Wenn die Emotionen hohe Wellen schlagen, kann es sinnvoll sein, die in den Aussagen mitschwingenden Gefühle wiederzugeben, bevor weiter auf die Konfliktpunkte fokussiert wird: »Mir fehlen da wirklich die Worte! Es kann ja wohl nicht angehen, dass der den Termin einfach mal so eben im Alleingang festlegt! Ohne Rücksprache! Nur weil ihm das gut in den Kram passt! So ein Egoist!« wird umformuliert zu »Sie sind verärgert und enttäuscht darüber, dass Ihr Kollege den Termin ohne Rücksprache mit Ihnen festgelegt hat. Und ich höre da auch heraus, dass dieser spezielle Termin für Sie ungünstig liegt?«

Bei hoher Emotionalität hilft das Benennen der Gefühle in Form einer »Erste-Hilfe-Empathie«

Visualisieren der Konfliktthemen

Sämtliche Konfliktthemen werden von der Mediatorin für die Betei­ ligten sichtbar (Flipchart, Moderationswand) notiert. Diese Liste kann während der Mediation jederzeit ergänzt werden. Auch die vereinbarte Reihenfolge der Bearbeitung notiert die Mediatorin in die Liste. So ha­ ben die Parteien während der Sitzung immer vor Augen, worum es gerade

Mediationspraxis

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geht. Wir visualisieren dagegen in der Regel keine Positionen oder Konflikt­ punkte. Bleiben die Konfliktpunkte für die Parteien durch die Visualisie­ rung im weiteren Verlauf der Mediation sichtbar, besteht die Gefahr, dass sie immer wieder zu dieser verengenden Sichtweise zurückkehren. Eine Anmerkung zur Anfertigung von Notizen: Machen sich Mediatoren zu viele Notizen, bekommt die Mediation den Charakter einer Befragung. Die Parteien werden befangen, der Kontakt zwischen Mediator und Beteilig­ ten leidet, der Gesprächscharakter geht verloren. Darum gilt für Notizen: so wenig wie möglich, so viel wie nötig.

Konfliktthemen werden visualisiert

Für Notizen gilt: so wenig wie möglich, so viel wie nötig

2.2.4 Stolpersteine in der zweiten Phase Herrje, da lügt doch einer! »Also, ich weiß doch ganz genau, dass ich diese E-Mail geschrieben habe.« – »Sie können sagen, was Sie wollen, ich habe die E-Mail nicht erhalten.« Es bleibt für uns Mediatoren eine Herausforderung, eine Haltung freundlicher

Sichtweisen sind gleichberechtigt – auch wenn sie nicht zusammenpassen

Allparteilichkeit zu bewahren, wenn unvereinbare Fakten der Konfliktge­ schichten so kategorisch zur Sprache kommen. Eine E-Mail ist eben geschrie­ ben worden oder nicht, und es fällt in zugespitzten Situationen schwer, die Erwartungen der Parteien, die Wahrheit zu finden, zu unterlaufen. Statt­ dessen formulieren wir zuerst neutral um: »Sie, Herr Müller, meinen also, die Information per E-Mail an Herrn Meier weitergeleitet zu haben, und Sie, Herr Meier, meinen, diese E-Mail nicht erhalten zu haben.« Jede Geschichte steht für sich. Die Sichtweisen beider Beteiligter bleiben nebeneinander ste­ hen. Beide werden anerkannt, beiden wird somit geglaubt. Jetzt würde eine Gesprächspause dem Gegensatz ein bedeutungsvolles Gewicht verleihen, was wir vermeiden möchten. Darum geht es gleich wei­ ter. Wir wenden uns einer Partei zu: »Herr Meier, erzählen Sie mir nochmal, was belastet Sie in der Zusammenarbeit mit Herrn Müller.« Wir legen die Aufmerksamkeit auf den Konfliktpunkt, denn einen Konflikt (im Sinne der Mediation) haben die Parteien nicht benannt. Frau Mediatorin, was sagen Sie denn dazu? Wir äußern unsere Meinung auch auf Nachfrage nicht

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Die zweite Phase der Mediation

»Dann hat er mich komplett ignoriert, das ist doch unmöglich – finden Sie nicht auch?« Gerade in der zweiten Phase haben die Parteien sich an die all­ parteiliche Haltung der Mediatorin noch nicht gewöhnt. Wir müssen daher mit expliziten oder subtilen Versuchen rechnen, uns zu einer zustimmen­ den Äußerung zu verleiten. Gegen diese »Verbrüderungsversuche« verwah­ ren wir uns konsequent. Eine elegante Möglichkeit ist, den Wunsch zu igno­ rieren und die Sachaussage anzuerkennen: »Für Sie war belastend, dass Herr Frank in der Situation nicht mit Ihnen gesprochen hat.« Schwingt in der Aussage eine hohe Emotionalität mit (häufig Empörung), kann die dahinter liegende Not des Sprechers angesprochen werden: »Sie fühlten sich ohnmächtig?« oder »Das traf Sie unerwartet. Sie waren ent­ täuscht und verletzt?« Hiermit gehen wir in die Konflikterhellung, um An­ erkennung für die Notlage zu geben. Dieser Ausflug unter die Wasserober­ fläche des Konflikteisbergs sollte jedoch nur ein kurzer Abstecher zu den Hintergründen bleiben (sogenannte »Erste-Hilfe-Empathie«). Fordert eine Partei wiederholt eine Stellungnahme von uns, so bleibt die Möglichkeit einer Ansprache auf der Metaebene: »Es würde meinem Rollenverständnis widersprechen, wenn ich auf diese Frage antworten würde. Als Privatper­ son habe ich natürlich zu vielen der genannten Punkte eine Meinung, die

manchmal Ihrer und manchmal der Ihres Kollegen näher kommt, aber das soll hier bewusst keinen Raum erhalten.« Darum geht es? – Das kann doch nicht sein!

Mediationspraxis

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»Ja, ich möchte hier über die Ordnung in der Teeküche reden«, sagt die eine Konfliktpartei und die andere nickt zustimmend. Als Mediatorinnen den­ ken wir: »Das ist jetzt nicht deren Ernst! Vielleicht sollten die mal über The­ men wie Entscheidungsfindung oder Aufgabenverteilung sprechen.« Jetzt gilt es tief durchzuatmen, uns auf unsere Rolle zu besinnen und Haltung zu bewahren. Die Konfliktparteien entscheiden, worüber in der Mediation gesprochen werden soll. Sie sind die Experten für ihren Konflikt. Natürlich steht es uns frei, nachzufragen: »Gibt es weitere Themen, die aus Ihrer Sicht hier besprochen werden sollten?« Manchmal ist es auch ratsam, unsere Vermutungen auszusprechen: »Ich habe da ein weiteres Thema an­ klingen hören: die Aufgabenverteilung zwischen Ihnen beiden? Ist das so? Möchten Sie hier auch über Ihre Aufgabenverteilung sprechen?« Dabei sind offene Fragen möglich. Feststellungen überschreiten dagegen die Grenze der Mediationsrolle: »Jetzt mal Hand aufs Herz: Eigentlich geht es Ihnen doch um etwas ganz anderes! Das ist hier doch nur ein kleiner Stellvertreterkon­ flikt! Es geht doch im Grunde um die Aufgabenverteilung und nicht um die Ordnung in der Teeküche!« Hierzu sei entlastend angemerkt, dass sich zentrale Konfliktthemen ihren Weg in die Mediation suchen. Wenn sie wirklich bedeutungsvoll sind, begeg­ nen wir ihnen im Laufe der Konflikterhellung meist nochmal mit Nachdruck.

Über die Relevanz der Themen entscheiden die Beteiligten

Umgang mit Konflikthintergründen in der zweiten Phase »Es war furchtbar! Als Herr Meier da so einfach aus dem Nichts in mein Büro gepoltert ist, da wusste ich gar nicht, was ich machen sollte. Ich fühlte mich so hilflos und ohnmächtig. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Die Situation war kaum auszuhalten!« Bedauerlicherweise halten sich Konfliktparteien nicht an den Ablauf der Mediation. In diesem Beispiel steigt die Konfliktpartei mit hochemotiona­ len Äußerungen in die zweite Phase ein, obwohl darüber erst in der dritten Phase der Konflikterhellung gesprochen werden soll. Den Sprecher jetzt zu korrigieren (»Wissen Sie was, Herr Müller, hier geht’s gerade nicht um Ihre

Konflikthintergründe erkennen wir kurz an

Befindlichkeit. Wir möchten doch in diesem Schritt erst mal klären, wo­ rüber Sie eigentlich reden wollen!«), ist sicherlich ein guter Weg, um ihn vor den Kopf zu stoßen, aber wenig geeignet, ihm die Anerkennung zu geben, die er sich gerade für die emotionale Qualität seiner Schilderung wünscht. Besser so: »Für Sie war diese Situation schwer auszuhalten. Sie fühlten sich hilflos. Könnten Sie mir bitte nochmal schildern, wie sich Herr Meier Ihrer Wahrnehmung nach in dieser Situation verhalten hat?« Hiermit geben wir kurz eine Anerkennung für die emotionale Belastung und legen den Fokus gleichzeitig wieder auf die Sachebene. Umgang mit Lösungsvorschlägen in der zweiten Phase

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Lösungsoptionen verschieben wir in die vierte Phase

Die zweite Phase der Mediation

»Wissen Sie was, wir könnten doch einfach zweimal in der Woche Dienstbe­ sprechungen machen, dann wäre das Problem vom Tisch!« Oft kommen die Beteiligten bereits mit Lösungsideen in die Mediation und äußern diese im Rahmen der Konfliktthemensammlung. Sie halten diese Ideen jeweils für so gut, dass der Konflikt damit schnell beigelegt werden könnte. Leider sieht die andere Konfliktpartei dies in der Regel nicht so, da jede Partei zwar ihre eigenen Interessen bei ihren Lösungsoptionen berücksichtigt, aber nicht die des Gegenübers. Und mal ganz ehrlich: Wenn es so einfach wäre, wären die Beteiligten sicherlich nicht in der Mediation gelandet. Es gilt also, diese Lö­ sungsoptionen mit etwas Fingerspitzengefühl in die vierte Phase, die Samm­ lung von Lösungsoptionen, zu verschieben. Hierzu gibt es unterschiedliche Möglichkeiten: Wir können die andere Konfliktpartei kurz fragen, ob der Konflikt damit tatsächlich beigelegt wäre. Wenn sie dies verneint, sagen wir so etwas wie: »Ich möchte Sie bitten, Ihre Lösungsvorschläge noch ein wenig zurückzuhalten. Die Erfahrungen zeigen, dass Menschen anfänglich im Konflikt eine Tendenz haben, ihre eigenen Interessen besser zu erkennen als die ihres Gegenübers. Für eine tragfähige Vereinbarung brauchen wir jedoch die Berücksichtigung beider Interessenlagen. Deshalb möchte ich diese erst mit Ihnen herausarbei­ ten, um ein Fundament zu haben, auf dem Sie dann eine tragfähige Vereinba­ rung unter Berücksichtigung Ihrer beider Interessen treffen können.« Wir können auf die Struktur der Mediation verweisen: »Sie machen jetzt bereits einen Vorschlag zur Lösung, lassen Sie uns bitte erst einmal den Konflikt erhellen. Danach wird es ausreichend Raum zur Sammlung unter­ schiedlichster Lösungsoptionen geben!«

Hierbei kann man der Konfliktpartei gegebenenfalls vorschlagen, sich diese Idee zu notieren, damit sie nicht verloren geht. Wir visualisieren in dieser frühen Phase grundsätzlich keine Ideen der Parteien, möchten jedoch nicht unerwähnt lassen, dass es durchaus Kollegen gibt, die diese Ideen an einer Moderationswand oder einem Flipchart sichtbar notieren. Haben die Beteiligten aber diese Lösungsideen ständig vor Augen, bieten sie nach un­ serer Erfahrung in den weiteren Phasen Anknüpfungspunkte für Diskussio­ nen und hemmen den weiteren Verlauf des Prozesses.

Weiterführende Literatur: Rosenberg, M. (2001). Gewaltfreie Kommunikation. Aufrichtig und einfühlsam miteinander sprechen. Paderborn: Junfermann

2.3 Die dritte Phase der Mediation: Konflikterhellung Silke Freitag/Tim Pechtold

Mediationspraxis

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Nachdem wir in der zweiten Phase die Sichtweisen der Beteiligten gehört, verstanden und anerkannt haben, vertiefen wir das Gespräch in der dritten Phase im Hinblick darauf, warum es zum Konflikt über diese Punkte kam. Dazu möchten wir die Gefühle, Interessen, Bedürfnisse und andere wichti­ ge Hintergründe des Problems deutlich machen. Dieses Erhellen der Kon­ flikthintergründe dient sowohl der Selbstklärung der Beteiligten (nur weni­ gen Konfliktparteien sind in dieser Phase ihre Interessen deutlich) als auch dem wechselseitigen Verstehen der Hintergründe des Gegenübers. Darüber hinaus geht es darum, dass sich die Beteiligten wieder stärker aufeinander beziehen und gegebenenfalls Verständnis füreinander entwickeln. Dieser Schritt bietet die Chance, seine Haltung von einem »Du bist das Problem!« hin zu einem »Wir haben gemeinsam ein Problem!« zu ändern – die Basis für eine gemeinsame Suche nach einem künftigen Umgang mit der Situation in der vierten Phase der Mediation. Der gesamte Ablauf der Phase der Konflikterhellung folgt dabei einem Prinzip: Erst wenn jede Konfliktpartei von uns verstanden wurde und sich vor allem von uns verstanden fühlt, entsteht die Bereitschaft, sich auf die Perspektive der Gegenseite einzulassen. Verständnis fördern Bevor wir beschreiben, wie wir in der Mediation ein wechselseitiges Verste­ hen und Verständnis der Beteiligten füreinander fördern können, möchten

Erst wenn sich eine Konfliktpartei verstanden fühlt, ist sie bereit, den anderen zu verstehen

Verständnis geht über Verstehen hinaus

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Stärkung der Beteiligten als Vorbereitung zur Empathie Um den Konfliktparteien einen Zugang zu ihrer Empathiefähigkeit zu er­ möglichen, bedarf es eines auf den ersten Blick kontraintuitiven Schritts: Wir gestalten den Prozess so, dass sich die Konfliktparteien jeweils sicher sein können, dass ihre Position nicht ungewollt geschwächt, sondern viel­ mehr gesichert wird und eine »Daseinsberechtigung« erhält. Gerade letzte­ res erscheint zunächst paradox, da der bestehende Graben durch diese Ab­ sicherung der Positionen erst einmal zementiert oder gar vergrößert wird. In diesem Sinne ist es jedoch notwendig, jeder Partei ausreichend Raum zu geben, damit sie mit ihrer eigenen Perspektive und ihrer eigenen Leidge­

Die Anerkennung des eigenen Leids ermöglicht den Blick auf den anderen

Die dritte Phase der Mediation

wir uns der Frage widmen, in welchem Verhältnis Verstehen und Verständ­ nis zueinander stehen. Mit dem Begriff »Verstehen« verbinden wir das rati­ onale Begreifen einer Äußerung. Gelingt dies, können sich beispielsweise Missverständnisse aufklären und die Beteiligten gelangen zu einem ver­ gleichbaren Informationsstand. »Verständnis« baut auf diesem Verstehen auf, geht jedoch deutlich darüber hinaus. Verständnis zu haben meint, dass ich meinem Gegenüber zugestehe, dass eine Situation oder ein Sachverhalt für ihn subjektiv bedeutsam ist. Das heißt nicht zwingend, dass ich die Per­ spektive meines Gegenübers damit auch befürworte oder gar teile. Es meint lediglich, dass sein Erleben (seine »Innerung«) aus seiner Perspektive stimmig und daher nachvollziehbar ist. Zu Beginn der dritten Phase ist den Beteiligten in der Regel weder das gegenseitige Verstehen noch ein wechselseitiges Verständnis füreinander möglich. Je stärker Menschen (emotional) in Konflikte involviert sind, des­ to mehr greifen Mechanismen, die nur bedingt vom Bewusstsein gesteuert werden. Die Wahrnehmung schärft sich für Unterschiede und vermeint­ liche Unvereinbarkeiten, Gemeinsamkeiten werden unterschätzt oder gar ausgeblendet. Zudem werden Konflikte stärker personalisiert und eventuelle Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge vereinfacht. Die Stimmung ist in der Regel von Misstrauen geprägt, sodass es eher als Schwächung der eigenen Position erscheint, sich für die Gegenseite und deren Beweggründe zu inte­ ressieren. Diese Dynamik hält den Konflikt aufrecht, die Beteiligten drehen sich weiter im Kreis, Auswege scheinen unmöglich (vgl. Abschnitt 1.2). Bevor wir die Konfliktparteien aus diesem Teufelskreis befreien können, bedarf es somit einer Vorbereitung.

schichte sichtbar wird und erlebt, dass sie mit ihren Emotionen und Interes­ sen von der Mediatorin gesehen, gehört und verstanden wird. Die jeweilige Konfliktpartei muss nicht mehr kämpfen, um mit ihrer Perspektive wahr­ genommen zu werden; ihre Sicht »darf sein« und ist somit quasi »legitim« (Zitat eines Medianden: »Das steht jetzt da, dann brauche ich ja nicht mehr dafür zu kämpfen«). Diese Anerkennung für ihr jeweils individuell entstan­ denes Leid sowie ihre im Konflikt verletzten Interessen und Bedürfnisse (und die damit verbundene Absicherung) ermöglicht den Konfliktparteien Differenzierungen in der Darstellung und Wahrnehmung des Konfliktes. Statt einer Polarisierung in Form des Schwarz-Weiß-Denkens bekommen Graustufen und Farben wieder Raum. Der eigene Blickwinkel weitet sich, neue Perspektiven werden möglich.

2.3.1 Anerkennung für entstandenes Leid geben

Mediationspraxis

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Menschen im Konflikt möchten mit ihrem Leid gesehen und gehört wer­ den – das ist ein konfliktimmanentes Interesse der Beteiligten. Und da die andere Konfliktpartei dazu in der Regel (noch) nicht in der Lage ist, ist es an uns Mediatorinnen, hier stellvertretend Anerkennung für dieses Leid zu geben. Wie geben wir als Mediatoren diese Anerkennung? Zu Beginn der Kon­ flikterhellung führen wir mit jeder Partei erst einmal ein Gespräch über ihre ganz persönliche, subjektive Perspektive. In diesen »Einzelerhellun­ gen mit Zuhörer« erkunden wir das subjektive Erleben mit einer doppel­ ten Blickrichtung: Wir interessieren uns zum einen für das Innenleben der jeweiligen Konfliktpartei, für ihre Emotionen sowie mögliche psychische Belastungen. Zum anderen möchten wir die äußeren Belastungen, die sich im Verlauf des Konflikts für sie ergeben haben, verstehen. Diese drei Arten innerer und äußerer Belastungen erkunden wir im Gespräch und spiegeln kontinuierlich das subjektive Erleben der Konfliktpartei, ohne es zu bewer­ ten oder infrage zu stellen, und erkennen ihr Leid dadurch an. Emotionale Belastungen durch unberücksichtigte Interessen Emotionale Belastungen in Konflikten können unterschiedliche Quellen ha­ ben. In der Regel meinen die Beteiligten, dass die andere Konfliktpartei die

Erhellung mit doppelter Blickrichtung: innere und äußere Belastungen verstehen

Schuld oder zumindest die Verantwortung dafür trägt, dass die Situation aus dem Ruder gelaufen ist. Schließlich traten die negativen Emotionen auf, weil der andere sich genauso verhalten hat, wie er sich verhalten hat. Die­ se Kausalität (»Gefühl aufgrund des Verhaltens des anderen«) ist jedoch ein Trugschluss, der sich mit einem einfachen Beispiel darlegen lässt:

Konfliktbeteiligte haben nicht immer einen guten Zugang zu ihren Gefüh­ len aus einer vergangenen Situation. Um ihr emotionales Erleben zu fördern, machen wir uns einen psychologischen Mechanismus zunutze: Je detaillier­ ter und konkreter Menschen eine Situation erzählen, desto mehr tauchen sie innerlich (wieder) mit allen Sinnen in ihr Erleben der Situation ein – ihr Zugang zu den in der Situation erlebten Emotionen verbessert sich. In der zweiten Phase der Mediation haben uns die Konfliktparteien be­ reits Situationen angedeutet, die sie als sehr belastend erlebt haben  – die Konfliktpunkte. An diese konkreten emotional besetzten Konfliktepisoden können wir als Ausgangspunkt wieder anknüpfen: »Wenn Sie an diese Situ­ ation denken, als Ihr Kollege/Nachbar/Lebensgefährte … gemacht hat, wie ging es Ihnen da?« Eine Besonderheit bei der Formulierung der Konflikt­ punkte »Mich stört, dass der andere … gemacht hat« besteht darin, dass wir die Konfliktparteien in der Regel bei ihren lauten Gefühlen, den sogenann­ ten Abwehrgefühlen abholen. Diese richten sich teils aggressiv nach außen, um einen verletzlichen (oder verletzten) Teil der Persönlichkeit zu schützen. Häufig fällt es leichter, sich über jemanden aufzuregen, der einen bloßge­ stellt hat, als die Scham zu spüren, die in der Situation erlebt wurde. Da sich das subjektive Leid insbesondere aus den weicheren, leiseren »Weh-Gefüh­

Gefühle basieren auf unerfüllten Interessen und Bedürfnissen

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Das Erzählen von Konfliktsituationen erleichtert den Zugang zu Emotionen

Die dritte Phase der Mediation

Zwei Frauen haben sich verabredet, abends gemeinsam ins Kino zu gehen. Zwei Stunden vor Filmbeginn ruft die eine Frau an, dass sie es leider nicht schaffen wird, weil sie morgen einen Projektantrag abgeben und die Nacht durcharbeiten muss. Wie wird die andere Frau reagieren? Ist sie nach einem langen Arbeitstag erschöpft und hat Kopfschmerzen, so wird sie eher erleichtert sein und die Kinoverabredung freudig auf einen anderen Abend verschieben. Hat sie sich dagegen mit viel Mühe den Abend »freigekämpft«, einen Babysitter engagiert, der sich nun nicht mehr absagen lässt, und sich sehr auf den Film mit ihrer besten Freundin als Erinnerung an alte Jugendzeiten gefreut, dann wird sie eher enttäuscht und traurig sein. Ihre emotionale Reaktion hängt also weniger von der Handlung ihres Gegenübers ab als von ihrer eigenen Verfassung und ihren aktuellen Interessen und Bedürfnissen.

len« speist, möchten wir in dieser Phase der Mediation gerade die hinter den Abwehrgefühlen liegenden »Weh-Gefühle« wie beispielsweise Hilflosigkeit oder Ohnmacht, Verletzung oder Resignation anerkennen. Hierbei kann es sinnvoll sein, diese mit Metaphern zu umschreiben: »Als Sie davon gehört haben, sind Sie erst einmal aus allen Wolken gefallen/waren Sie vom Donner gerührt/hat es Ihnen den Boden unter den Füßen weggezogen?« Belastungen durch äußere Auswirkungen des Konfliktes

Mediationspraxis

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Um die aus Konflikten entstandenen Belastungen genauer einschätzen und verstehen zu können, interessiert uns zunächst, was sich seit Beginn des Konfliktes für die Konfliktpartei verändert hat, also die äußeren Aus­ wirkungen. Dies können rein faktische Konsequenzen sein, wie eine Ab­ mahnung von der Chefin oder wiederholte Vorwürfe eines Kollegen; eben­ so kann es sich um Veränderungen in der Beziehung zu Dritten handeln, beispielsweise wenn im Konflikt unbeteiligte Kollegen auf Distanz zu ei­ ner Partei gehen. In Teamkonflikten wird uns häufig von einem schlechten Arbeitsklima, von angespannter Atmosphäre oder einer Spaltung im Team berichtet. In jedem dieser Fälle interessiert uns, wie die Konfliktparteien diese Verände­ rung erleben, welche Bedeutung sie für sie hat. Beispielsweise können die Beteiligten äußern: »Es kostet mich viel Überwindung, morgens zur Arbeit zu gehen, weil ich weiß, dass mich dort wieder dieses angespannte Schwei­ gen erwartet.« Auch hier tragen unser interessiertes Nachfragen und das wertfreie Spiegeln des Erlebens dazu bei, das subjektive Leid, das durch die äußeren Auswirkungen des Konfliktes entstanden ist, anzuerkennen. Belastungen durch innere Auswirkungen des Konfliktes Langandauernde oder schwere Konflikte gehen meist nicht spurlos an Men­ schen vorüber – sei es, dass sie viel Zeit damit verbringen, über den Konflikt nachzugrübeln oder gar nachts wach liegen und nicht schlafen können. Manchen schlagen Konflikte allgemein auf die Stimmung, sie sind bedrückt, haben weniger Motivation und Antrieb als üblich oder sind chronisch ge­ reizt, was auch in anderen sozialen Beziehungen spürbar wird. Andere füh­ len sich vermehrt körperlich beeinträchtigt, beispielsweise durch Kopf- und Magenschmerzen, Schlafstörungen oder Verspannungen. Auch diese psychi­

Subjektives Erleben zu spiegeln, bedeutet entstandenes Leid anzuerkennen

schen oder psychosomatischen Auswirkungen eines Konflikts können im Einzelfall maßgeblich zum Leid der Konfliktparteien beitragen. Um auch hier Anerkennung zu geben, fragen wir, wie sich der Konflikt mit all seinen Konsequenzen auf das Befinden auswirkt. Welche Aspekte von Beeinträchtigung eine Konfliktpartei auch be­ schreibt: Wir tragen durch das kontinuierliche Spiegeln der mit den Aus­ wirkungen verbundenen (Weh-)Gefühle dazu bei, ihr subjektives Erleben zu validieren und somit ihr Leid anzuerkennen.

Anerkennung für entstandenes Leid geben Ziel Die Konfliktparteien fühlen sich in ihrem Leid durch den Mediator gesehen und gehört. Methode Empathischer Dialog über Leid auslösende Situationen Vorgehen

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Die dritte Phase der Mediation

ƒƒ Der Mediator bittet eine Konfliktpartei, eine konkrete Leidsituation zu beschreiben. −− in der Vergangenheit: »Beschreiben Sie bitte den Moment, in dem Sie …« −− in der Gegenwart: »Wenn Sie sich jetzt und hier nochmals verdeutlichen, dass … gescheitert ist …« −− in der Zukunft: »Wenn Sie sich vorstellen, Ihre schlimmste Befürchtung wäre eingetroffen – wie ist die Situation dann?« ƒƒ Der Mediator stellt Erlebnis aktivierende Fragen bezogen auf das emotionale Erleben wie beispielsweise: −− »Wie ging es Ihnen in dieser Situation?« −− »Was ging Ihnen in der Situation durch den Kopf?« −− »Wie ging es Ihnen körperlich, als … geschah?« ƒƒ Der Mediator stellt Erlebnis aktivierende Fragen bezogen auf innere und äußere Auswirkungen des Konflikts wie beispielsweise: −− »Was hat dies für Sie im Nachhinein bedeutet?« −− »Was hat dies für Sie nach sich gezogen?« ƒƒ Der Mediator spiegelt die emotionalen Erlebnisinhalte kontinuierlich und fasst die Auswirkungen in eigenen Worten zusammen.

2.3.2 Interessenkonflikte: Über die Bedürfnisse zu situationsbezogenen Interessen gelangen

Mediationspraxis

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Wir möchten dazu einladen, zunächst einmal die Mediation vom Ende her zu denken: Stellen wir uns vor, die Konfliktparteien betrachten das Ergebnis ihrer Mediation und sind rundum zufrieden. Wie lässt sich dies erklären? Woran können wir als Mediatoren und die Beteiligten selbst diese Zufrie­ denheit festmachen? Befragen wir die Konfliktparteien, so wird deutlich, dass die Aspekte sich in der Vereinbarung wiederfinden, die für ihre kon­ krete Situation wichtig und bedeutsam sind – oder wie wir sagen: Relevante Interessen wurden berücksichtigt. Aus diesem Grund ist es wichtig, in der Konflikterhellung die Interessen aller Beteiligter herauszuarbeiten und zu visualisieren. Was genau unterscheidet eine Position, ein Bedürfnis und ein Interesse? Wir möchten an dieser Stelle darauf fokussieren, was dieser Unterschied für das konkrete Vorgehen in der Mediation bedeutet: Eine Position ist eine konkrete erstarrte Lösungsoption und somit nicht ergebnisoffen. Beispiel: »Ich möchte meine Überstunden ausbezahlt bekom­ men.« Positionen sind in der Mediation wegen ihrer Enge wenig hilfreich. Um sie zu weiten und zu Interessen und Bedürfnissen zu gelangen, können wir beispielsweise fragen: »Wofür wäre es gut, wenn es genau so wäre?« Hierauf wird uns häufig mit einem Interesse oder Bedürfnis geantwortet. Ein (Grund-)Bedürfnis kann als Ausdruck dessen verstanden werden, was ein Mensch zu seiner Erhaltung und Entfaltung notwendigerweise braucht. In diesem Sinne sind Bedürfnisse immer positiv formuliert und gehen mit einer emotionalen Resonanz einher. Ist ein Bedürfnis befriedigt, haben Men­ schen angenehme Gefühle; ist ein Bedürfnis dagegen unbefriedigt, geht dies mit unangenehmen Gefühlen einher. Gerade diese Gefühle sind es, die wir in der Mediation wahrnehmen, wenn die Konfliktparteien uns von belas­ tenden Situationen, ihrem Leid oder auch der Aussicht auf eine bestimmte Lösung erzählen. Bedürfnisse sind universell, das heißt, dass alle Menschen sie kennen – allerdings in unterschiedlichen Situationen. (Grund-)Bedürfnis­ se, die uns in Mediationen häufig begegnen, sind beispielsweise Autonomie, Bindung, Anerkennung, Orientierung. Benennen wir die Bedürfnisse einer Konfliktpartei, so antwortet diese oft: »Ja, genau. Darum geht es mir!« und fühlt sich von uns gesehen und verstanden. Oft geht dies mit einem unwillkürlichen Nicken, einem Lächeln

Eine Position ist eine konkrete erstarrte Lösungsoption

Menschen haben dieselben Bedürfnisse – in unterschiedlichen Situationen

oder einer Entspannung der Gesichtszüge einher. Aus diesem Grund ist die Benennung der Bedürfnisse in der Mediation durchaus wertvoll. Als Krite­ rien für einen guten Umgang mit dem Konflikt eignen sich Bedürfnisse da­ gegen nicht. Hierfür sind sie zu global. Mit der Frage: »Was hätten Sie in der Situation gebraucht?« führen wir die Beteiligten von dem globalen Bedürf­ nis zum Interesse (siehe Abb. 14). Interessen sind konkreter. Sie sind gewissermaßen die Kontextualisierung eines Bedürfnisses, also Ausdruck dessen, was einer Person in einer konkreten Situation wichtig ist. So wäre das Interesse, einen Ausgleich für geleistete Mehrarbeit zu erhalten, eine mögliche Kontextualisierung des Bedürfnisses »Anerkennung«.

Interessen sind emotional bedeutsame, situationsbezogene Bedürfnisse

Position Überstunden müssen aus­ bezahlt werden! Wofür wäre das gut/wichtig?

lässt genau eine Lösungsoption zu

Interessen Ich möchte einen Ausgleich für meine geleistete Mehrarbeit!

Was verbinden Sie mit Anerkennung in dieser Situation?

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Bedürfnis Ich brauche Anerkennung! lässt unendlich viele Lösungsoptionen zu

In der Praxis nähern wir uns den Interessen der Konfliktparteien vor allem über zwei Wege: Wir erkunden eine konkrete Leidsituation und lassen uns die schmerzhafte Erfahrung schildern. (Weh-)Gefühle werden sichtbar und spürbar und wir erkennen das erlittene Leid an, indem wir diese Gefühle spiegeln. Anschließend fragen wir, was die Partei in der jeweiligen Situation gebraucht hätte, was ihr besonders wichtig gewesen wäre. In den meisten

Abb. 14: Positionen, Inte­­r­ essen und Bedürfnisse

Die dritte Phase der Mediation

konkret auf diese Situation bezogen

Mediationspraxis

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Fällen wird dann ein Bedürfnis wie »Einfach etwas mehr Respekt« genannt, das von uns noch einmal validierend gespiegelt wird. Das Bedürfnis »Res­ pekt« ist so grundsätzlich, dass es von allen Menschen geteilt werden kann. Gleichzeitig haftet ihm ein Makel des Unkonkreten an. Denn was meint die Konfliktpartei genau, wenn sie sagt, sie hätte mehr »Respekt« gebraucht? Es ist also für das genauere Verstehen und ein späteres Verständnis not­ wendig, das Bedürfnis zu konkretisieren und zu kontextualisieren: »Was hätte Respekt in dieser Situation konkret für Sie bedeutet?« Für das weitere Vorgehen ist es dann entscheidend, ob der Mediand schon einen konkreten Lösungsvorschlag (»Er soll mir meine Überstunden ausbezahlen!« – das wäre in dieser Phase noch nicht hilfreich) oder ob er ein Interesse deutlich macht (beispielsweise »Anerkennung meiner Überstunden«). Kommen wir zum zweiten Szenario: Die Parteien sind (noch) verhärtet, lassen sich nicht in die Karten gucken und präsentieren ihre Positionen. Hier bleiben wir dabei, herauszufinden, was sich hinter diesen Positionen für Interessen verbergen. Unsere positive Grundannahme ist, dass die Betei­ ligten mindestens einen guten Grund haben werden, diese Position zu ver­ treten. Eben diesen erfragen wir interessensorientiert beispielsweise durch folgende Formulierungen: ƒƒ »Was bedeutet die Ausbezahlung der Überstunden für Sie?« ƒƒ »Was wäre für Sie das Gute daran, wenn …?« ƒƒ »Was wäre durch die Ausbezahlung der Überstunden für Sie gewährleistet?« Wir können uns der Formulierung von Interessen somit aus zwei Richtun­ gen nähern: von den Positionen aus oder von den Bedürfnissen. Da die emo­ tionale Resonanz aus den Bedürfnissen resultiert, ist der Weg: Leidsituation à (Weh-)Gefühle à Bedürfnisse à Interessen nach unserer Erfahrung der leichtere. Interessensbenennung Ziel Relevante Interessen aller Konfliktparteien sind identifiziert und visualisiert. Methode Herausarbeiten relevanter Interessen

Vorgehen ƒƒ Die Mediatorin erfragt Beispiele für Situationen, in denen die jeweilige Konfliktpartei unzufrieden war. ƒƒ Die Mediatorin stellt interessenorientierte Fragen wie beispielsweise: −− »Was hätten Sie in der Situation gebraucht?« −− »Was war Ihnen in der Situation wichtig?« −− »Was ist für Sie in der Situation zu kurz gekommen?« ƒƒ Die Mediatorin spiegelt die emotionalen Erlebnisinhalte kontinuierlich und fasst die Interessen in eigenen Worten zusammen. ƒƒ Nach Rückversicherung visualisiert die Mediatorin die Interessen.

2.3.3 Wertekonflikte: Bedeutungsgeschichten zu Verhaltensnormen Während bei Interessenkonflikten vor allem Hintergründe eine Rolle spie­ len, die für die jeweilige Konfliktpartei in einer bestimmten Situation emo­ tional bedeutsam sind, spielen in Wertekonflikten sogenannte identitätsstif­ tende Werte eine Rolle: Werte, von denen die Konfliktpartei meint, dass sie nicht nur für sie selbst, sondern für alle Menschen und zwar immer und überall gelten sollten. Werte sind ein wichtiger Bestandteil unseres Selbst­ bilds und somit von hoher emotionaler Bedeutung. Werte, denen wir in Me­ diationen begegnen, sind beispielsweise die Gleichberechtigung von Frau und Mann, (Lohn-)Gerechtigkeit oder der Schutz von Kindern.

Wert

Was mir für mich in dieser Situation wichtig ist!

Was mir für alle Menschen in jeder Situation wichtig ist!

Abb. 15: Verhältnis von Bedürfnis und Wert

Die dritte Phase der Mediation

BedürfniS

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Mediationspraxis

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Identitätsstiftende Werte sind ein derart integraler Bestandteil unseres Selbst, dass ein konsequentes Zuwiderhandeln unser Selbstbild bedrohen würde. Dies unterscheidet sie deutlich von Interessen und Bedürfnissen, die wir temporär durchaus zurückstellen können (beispielsweise Ruhe im Sin­ ne von ungestörten Arbeitsphasen am Schreibtisch). Darüber hinaus sind über Jahrzehnte gewachsene Werte konstant und statisch. Für den Prozess der Mediation gehen wir deshalb davon aus, dass sie unveränderbar sind. Die Konfliktparteien kommen mit ihren jeweiligen (identitätsstiftenden) Werten in die Mediation und verlassen sie auch wieder damit. Verhandelt werden können somit nicht die Werte, sondern lediglich die Handlungen, in denen sich diese zeigen. Die eigenen Handlungen stellen im Konflikt Verhaltensnormen (im Sinne von Gewohnheiten oder Ritualen) und Symbole dar, die wertkonsistent sind. Im Gegensatz dazu »missachten« die Handlungen der anderen Partei diese Verhaltensnormen und Symbole und verletzen somit subjektiv identitätsstif­ tende Werte. Das eigene Verhalten wird demnach auf der Grundlage des eigenen Wertesystems als richtig (»Das muss man so machen!«) verstanden, das Verhalten der anderen Konfliktpartei dagegen als falsch (»Das macht man nicht!« oder »Das geht so gar nicht!«). Wenn identitätsstiftende Werte verletzt sind, führt dies in der Regel zu Unverständnis, Befremden und intensiver Empörung. In der zweiten Phase der Mediation wird dies in der Regel bereits an Äußerungen wie den folgen­ den deutlich: »Sie müssen sich mal vorstellen, wie die hier im Sommer morgens in die Bank stolziert kommt: BAUCHFREI! Wir sind hier doch nicht im Freibad! So eine Bekleidung ist im Schalterbereich nun WIRKLICH NICHT ÜBLICH.« »Und dann ist er einfach zum Bauamt gegangen und hat einen Baustopp veranlasst! Ohne vorher auch nur ein Wort mit uns zu sprechen! SOWAS MACHT man in einer guten Nachbarschaft NUN WIRKLICH NICHT. Ich bin fassungslos.« »Wegen jeder Kleinigkeit steht sie bei mir im Büro und möchte, dass ich Dinge entscheide. DAS GEHT SO WIRKLICH NICHT! Sowas ist mir in zwanzig Jahren noch nicht untergekommen, eine solche Unselbstständigkeit.«

HANDLUNG Partei A

Interpretation: Handlung = Symbol

emotionaler Antagonismus

INNERE REAKTION Partei B Verletzung identitätsstiftender Wert

Missachtung eines Rituals

Abb. 16: Handlungen, Verhaltensnormen und Werte

Dies sind Hinweise auf einen Konflikt, in dem auf Werten basierende Ver­ haltensnormen im Sinne von Ritualen, Gewohnheiten, Traditionen und Symbolen eine Rolle spielen. Wir gehen davon aus, dass Werte ein typisches Orientierungssystem für eine Gesellschaft, Organisation oder Gruppe dar­ stellen und jeweils über Rituale und Gewohnheiten tradiert werden. Sie be­ einflussen somit das Wahrnehmen, Denken, Bewerten und Handeln ihrer Mitglieder und definieren darüber auch die Zugehörigkeit. Diese identitäts­ stiftenden Werte können sich auf ganz unterschiedliche Bereiche beziehen. Häufig begegnen sie uns in der Mediation zu Themen wie »Umgang mit Kon­ flikten«, »Soziale Interaktion«, »Umgang mit über- und untergeordneten Per­ sonen« oder in unterschiedlichen Vorstellungen von Zeit oder Gerechtigkeit.

Die dritte Phase der Mediation

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Nicht immer unterscheiden sich hierbei die globalen Werte grundlegend von­ einander. In vielen Konflikten werden diese grundlegenden Werte durchaus von beiden Parteien geteilt, sind für beide Parteien zentrale Werte von ho­ her Bedeutung. Dagegen können sich die jeweiligen situativen Werte deutlich unterscheiden.

Mediationspraxis

Abb. 17: Der Werteeisberg

Unterschiedliche situative Werte in einem Trainingskollektiv In einem Trainingskollektiv hat ein Mitglied seit kurzem ein Kind. Vorher wa­ ren alle Mitglieder des Kollektivs kinderlos. Im Kollektiv erhalten alle den glei­ chen Stundenlohn – egal um welche Tätigkeit es sich handelt, ob Trainings, Bürotätigkeit oder Putztätigkeit. Nun hat das Elternteil einen Kinderzuschlag in die Diskussion eingebracht, weil es schließlich auch höhere Ausgaben habe und es insofern nur fair und gerecht sei, wenn dies auch bei der Lohnvertei­ lung berücksichtigt werde. Einige im Kollektiv sehen dies genauso und fin­ den, dass im Sinne einer Bedürfnisgerechtigkeit ein Kinderzuschlag gezahlt werden solle, andere wiederum finden dies zutiefst ungerecht und unfair. Sie

vertreten vielmehr eine Gleichverteilungsgerechtigkeit im Sinne »gleicher Lohn für alle«. Im globalen Wert der Gerechtigkeit dagegen sind sie sich einig.

Verhaltensnorm »Es muss ein Kinderzuschlag gezahlt werden!« »Wofür steht dieser für Sie?«

lässt genau eine Lösungsoption zu

situativer Wert »Ich möchte eine bedürfnisorientierte Entlohnung!« konkret auf diese Situation bezogen

universeller Wert

»Was bedeutet … für Sie in dieser Situation?«

»Gerechtigkeit!« lässt unendlich viele Lösungsoptionen zu

Abb. 18: Wertetrichter

Bedeutungsgeschichten sind alltagsnahe Anekdoten, in denen gelebte Werte beschrieben werden

Die dritte Phase der Mediation

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Bei der Erhellung von Wertekonflikten ist uns wichtig, dass die Konflikt­ parteien sich sowohl ihrer eigenen globalen sowie situativen Werte mit den dazugehörigen Verhaltensnormen, Ritualen und Gewohnheiten bewusst werden, als auch die ihres Gegenübers verstehen. Um dies zu erreichen, be­ fördern wir das Erzählen von »Bedeutungsgeschichten«, in denen relevante Rituale und Traditionen sichtbar werden, und leiten daraus wiederum mit den Konfliktparteien gemeinsam Verhaltensnormen sowie identitätsstiften­ de Werte ab. Hierzu erfragen wir die Bedeutung von (Nicht-)Handlungen und ihrer jeweiligen Interpretation: ƒƒ Zu Verhaltensnormen und Gewohnheiten: »Was bedeutet es für Sie, … (nicht) zu tun?« oder »Was befürchten Sie, wenn … nicht eingehalten wird?« ƒƒ Zu Symbolen: »Was verbinden Sie mit …?« oder »Wofür steht … für Sie?« ƒƒ Zu Traditionen: »Was würde passieren, wenn Sie … (nicht) machen wür­ den?« oder »Was würden Ihre Familienmitglieder (Beispiel einer Refe­ renzgruppe des eigenen Wertesystems) denken, wenn sie sehen würden, dass sich ihr Gegenüber so verhält?«

Bedeutungsgeschichte zu unterschiedlichem Führungsverständnis Ein von der Bundeswehr in den zivilen Bereich gewechselter Mitarbeiter und seine Führungskraft haben immer wieder Schwierigkeiten miteinander. Die Führungskraft beklagt sich, dass der Mitarbeiter sie regelmäßig wegen vermeintlicher »Kleinigkeiten« um eine Entscheidung bitte. Der Mitarbeiter dagegen berichtet, dass seine Chefin ihm häufig sagen würde: »Das musst du doch selbst am besten beurteilen können!« Auf die Frage der Mediatorin, was seine ehemaligen Kollegen bei der Bundeswehr wohl darüber denken würden, wenn sie einen Tag in der Einrichtung hospitierten, erzählt der Mitarbeiter, dass diese sicherlich geschockt wären, wie denn so eine Person in einem Unternehmen Führungskraft werden könne, wenn sie selbst nicht wisse, was getan werden soll. Sie würden dieses Verhalten als Führungsschwäche bewerten, da es wichtig sei, als Führungskraft klare Entscheidungen zu treffen und diese den Mitarbeitern vorzugeben. Einen Mitarbeiter dagegen zu fragen, wie er es selbst handhaben wolle, sei wirklich unvorstellbar. Die Führungskraft hört aufmerksam zu und erzählt anschließend, wie wichtig es ihr dagegen sei, partizipativ zu führen und die Mitarbeiter in Entscheidungen des Alltags nicht nur einzubeziehen, sondern sie eben selbst entscheiden zu lassen und dass dies für sie ein wesentliches Element einer guten Führung ausmachen würde, indem sie Gestaltungsfreiräume eröffnet.

Mediationspraxis

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Wie gehen wir nun damit um, wenn deutlich geworden ist, dass für eine oder beide Parteien identitätsstiftende Werte berührt sind? Zunächst ist es wichtig, uns selbst und den Konfliktparteien zu verdeutli­ chen, dass die sich widersprechenden Wertesysteme schlicht »die Wahrheit der Situation« sind und es nicht der Anspruch der Mediation ist, diesen Un­ terschied zu nivellieren oder die Werte der einen oder der anderen Partei zu verändern. In diesem Zuge wenden wir uns den Parteien zu und fragen, was es für sie bedeutet, dass sich in ihrer Situation unveränderbare Werte gegen­ überstehen. Dies hat einerseits die Funktion, eventuelles Leid anzuerken­ nen, da es für die Parteien häufig eine bittere Pille ist, wenn der andere die eigenen Werte nicht teilt. Auf der anderen Seite erleben wir in solchen Mo­ menten immer wieder eine Entspannung, weil den Parteien bewusst wird, dass ihr Wert nicht weiter bedroht wird, da lediglich Handlungen – im Sin­ ne eines Umgangs mit der Unterschiedlichkeit – verhandelt werden können. Was bedeutet dies nun für das Beispiel? Zu Beginn der Mediation war der Mitarbeiter davon überzeugt, dass das Problem schlicht in der »Inkom­

Werte sind in der Mediation nicht verhandelbar. Verhandelt werden können nur Handlungen

petenz« seiner Führungskraft liegt, die Führungskraft wiederum sah das Problem in der »kompletten Unfähigkeit« des Mitarbeiters, Entscheidungen autonom zu treffen. Es kam zu Zuschreibungen wie »sozialpädagogische Kaffeekränzchen-Mentalität« einerseits und »typisch Soldat« andererseits. Im Laufe der Konflikterhellung wurde deutlich, wie stark beide von ih­ ren jeweiligen beruflichen Sozialisationen (Bundeswehr versus IT-Unterneh­ men mit partizipativem Führungsverständnis) geprägt sind. So konnten die Hintergründe für ihre jeweiligen Vorstellungen von »gutem« Führungsver­ halten herausgearbeitet werden. Dies führte zu deutlicher Entspannung in der Kommunikation, weg vom »Du bist hier das Problem« zum »Wir haben ein gemeinsames Problem«, obwohl deutlich wurde, dass beide Seiten nicht bereit waren, ihre Grundhaltung zu verhandeln. In der anschließenden Ver­ handlung ging es darum, den Umgang miteinander möglichst reibungsfrei zu gestalten und Verfahren zu etablieren, in denen sich die Beteiligten regel­ mäßig über mögliche Störungen austauschen. In diesem Fall verständigten sie sich auf konkrete Bereiche, in denen der Mitarbeiter künftig autonom entscheidet. Darüber hinaus vereinbarten sie einen wöchentlichen Jour fixe, um zeitnah Rückmeldungen bei Irritationen zu gewährleisten. Die Verein­ barungen halfen beiden, einen Umgang mit ihrem Wertekonflikt zu finden. Umgang mit Werten

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Rationales Kennenlernen und Verstehen identitätsstiftender Werte Methode Explorative Erzählungen über Gewohnheiten, Rituale, Traditionen und Werte Vorgehen ƒƒ Die Mediatorin bittet die Konfliktpartei, eine »Bedeutungsgeschichte« aus ihrem Leben zu erzählen, die wichtige Gewohnheiten, Rituale, Traditionen oder Symbole beschreibt. ƒƒ Die Mediatorin erfragt kontinuierlich Bedeutungen von Handlungen, Situationen und Dingen, spiegelt die emotionalen Erlebnisinhalte und fasst die Inhalte in eigenen Worten zusammen. ƒƒ Die Mediatorin arbeitet mit den Konfliktparteien ihre identitätsstiftenden Werte heraus.

Die dritte Phase der Mediation

Ziel

2.3.4 Verbindung ermöglichen: Pendeln und Perspektivwechsel Wie beschrieben, führen wir im ersten Teil der dritten Phase der Mediation zur Selbstklärung der Beteiligten jeweils Gespräche mit den Parteien in An­ wesenheit der anderen. Über das ausführliche kontinuierliche Anerkennen bedeutsamer Hintergründe würdigen wir das jeweils entstandene Leid und benennen die zentralen Interessen. Diese Anerkennung ist die Basis, um am Ende der Konflikterhellung (wieder) eine Verbindung zwischen den Beteilig­ ten herzustellen. Hierzu dienen uns vor allem zwei Methoden: das Pendeln von Interessen sowie der Perspektivwechsel. Pendeln von Interessen

Mediationspraxis

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Interessen zu pendeln bedeutet, die zweite Konfliktpartei in Resonanz mit den Interessen der ersten zu bringen  – und umgekehrt. Wir fokussieren hierbei auf die Frage, wie die Konfliktparteien auf die Interessen ihres Ge­ genübers reagieren. Die Reaktionen können dabei von erleichterter Zustim­ mung (bei geteiltem Interesse) über Indifferenz (bei subjektiv unwichtigen Interessen) bis hin zu vehementer Ablehnung (bei diametral gegensätzlichen Interessen) reichen. Unser Ziel ist es unter anderem, die Hintergründe ana­ log zum (doppelten) Eisbergmodell (vgl. Abschnitt 1.3) in individuelle und sich überschneidende Interessen einzuordnen, wodurch eine erste kleine Brücke zwischen den Parteien sichtbar werden kann. Dazu benennen wir ein bedeutsames Interesse einer Konfliktpartei und »pendeln« es zur ande­ ren Partei, indem wir es zunächst kurz in eigenen Worten umschreiben und dann nach der Resonanz der zweiten Partei fragen. Mögliche Fragen könnten in diesem Fall lauten: ƒƒ »Wie reagieren Sie (innerlich) darauf?« ƒƒ »Wie stehen Sie zu Absprachen?« ƒƒ »Welchen Stellenwert haben Absprachen für Sie in dieser Situation?« ƒƒ »XY ist … wichtig. Was sagen Sie dazu?« Wichtig ist hierbei, offene Fragen zu stellen – ohne eine zugespitzte Bewer­ tung nach dem Motto »Finden Sie das gut/sinnvoll?« und ohne eine gezielte Suche nach Gemeinsamkeiten à la »Sehen Sie das auch so?«.

Die Mediatorin sagt: »Ihrem Kollegen sind verbindliche Absprachen besonders wichtig. Was sagen Sie dazu?« Darauf antwortet der angesprochene Kollege: »Ja, bis zu einem gewissen Punkt sehe ich das auch so, aber mir ist wichtig, dass Absprachen nicht in Stein gemeißelt sind und wir uns eine gewisse Flexibilität bewahren. Wenn sich getroffene Absprachen im Nachhinein als schwierig erweisen, dann möchte ich sie verändern können.«

Die Reaktion der zweiten Konfliktpartei ist für uns auf drei Ebenen wichtig: ƒƒ Sie ermöglicht uns eine Einschätzung darüber, ob das Interesse eher ge­ teilt oder gegensätzlich ist, ƒƒ sie bietet nochmals Gelegenheit, bisher nicht genannte (oder gehörte) In­ teressen zu ergänzen, ƒƒ sie ist ein Indikator für eine Haltungsänderung bei den Konfliktparteien.

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Bei einer Eskalation gehen wir einen Schritt zurück: zum Anerkennen der Gefühle und Inte­ ressen

Die dritte Phase der Mediation

In unserem Beispiel wurde eine partielle Übereinstimmung (»bis zu einem gewissen Punkt …«) des Interesses deutlich. Zudem wurde ein bislang nicht explizit benanntes konträres Interesse ausgedrückt: die »Veränderbarkeit von Absprachen«. Dieses neue Interesse visualisieren wir, da es für den Me­ dianden ein bedeutender Indikator für eine als gut empfundene Lösung zu sein scheint. Darüber hinaus wurde deutlich, dass der Mediand in der Lage ist, sein Interesse an einer »Veränderbarkeit von Absprachen« ruhig und frei von emotionaler Eskalation neben das Interesse der anderen Partei an einer »Verbindlichkeit von Absprachen« zu stellen. Dies ist für uns ein Hinweis darauf, dass sich eine wichtige Haltungsänderung vollzogen hat, indem jetzt auch divergierende Interessen beider Seiten als legitim betrachtet werden: weg von einem »Du bist das Problem!« hin zu einem »Wir haben gemeinsam ein Problem!«. Kommt es dagegen beim Pendeln eines Interesses zu einer Eskalation im Sinne eines sehr emotionalen Angriffs, so ist dies ein deutlicher Hinweis dafür, dass das gependelte Interesse nicht geteilt wird. Zudem ist zu vermu­ ten, dass weitere relevante Interessen zu ergründen sind oder eine Partei noch nicht genug Anerkennung für ihr entstandenes Leid und ihre Interes­ sen bekommen hat, um sich für die Perspektive des Gegenübers zu öffnen. In diesem Fall gehen wir einen Schritt zurück und widmen uns nochmals ausführlich den Konflikthintergründen dieser Partei.

Antwortet der angesprochene Kollege beispielsweise laut und sichtbar be­ wegt: »Das ist so typisch für ihn. Die Welt des Herrn Müller besteht ja nur aus in Stein gemeißelten Gesetzen, die einem die Luft zum Atmen abschnei­ den«, dann sollten wir unseren Fokus darauf richten, was genau diese Partei braucht, um »Luft zum Atmen« zu haben. Pendeln von identitätsstiftenden Werten Auch wenn identitätsstiftende Werte nicht verhandelbar sind, haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, diese zwischen den Parteien zu pendeln. Eine Besonderheit besteht jedoch darin, dass wir uns mehr für die Frage interessieren, wie die Konfliktparteien kognitiv rational auf den Wert ihres Gegenübers reagieren – jenseits aller Emotionalität. Sind sie in der Lage, die­ sen nachzuvollziehen, ihn frei von emotionaler Eskalation zu verstehen und neben ihrem eigenen Wert stehen zu lassen?

Pendeln in der Mediation

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Ziel Förderung des wechselseitigen Verstehens und Verständnisses der Konfliktparteien Methode Parteien gehen wechselseitig in Resonanz mit den Interessen der anderen Partei

Mediationspraxis

Pendeln von Interessen ƒƒ Der Mediator fasst nochmals ein relevantes Interesse von Konfliktpartei A in eigenen Worten zusammen. ƒƒ Der Mediator erfragt die Resonanz von Konfliktpartei B beispielsweise durch folgende Fragen: −− »War Ihnen das bereits bekannt?« −− »Wie stehen Sie zu diesem Interesse (benennen)?« −− »Welchen Stellenwert hat dieses Interesse (benennen) für Sie?« ƒƒ Der Mediator spiegelt die emotionalen Erlebnisinhalte von Partei B und fasst die Resonanz in eigenen Worten zusammen.

Pendeln von identitätsstiftenden Werten ƒƒ Die Mediatorin fasst nochmals einen identitätsstiftenden Wert von Konfliktpartei A in eigenen Worten zusammen. ƒƒ Die Mediatorin erfragt die Resonanz von Konfliktpartei B beispielsweise durch folgende Fragen: −− »War Ihnen dies bereits bekannt?« −− »Wie stehen Sie zu diesem Wert (benennen)?« ƒƒ Die Mediatorin fasst die Resonanz von Partei B in eigenen Worten zusammen.

Perspektivwechsel

Einfacher Perspektivwechsel: Die Rede über den anderen Beim einfachen Perspektivwechsel fordern wir die jeweilige Konfliktpartei durch Fragen auf, die Sicht der anderen Partei einmal mit eigenen Worten wiederzugeben. Hierbei handelt es sich also um eine Rede über den anderen (»Ihm ist wichtig …«, »Sie möchte …«). Bei diesem Perspektivwechsel geht es nicht darum, zu sagen, ob die eine Partei die andere versteht, sondern da­

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Die dritte Phase der Mediation

Wenn eine umfassende individuelle Anerkennung der Konflikthintergrün­ de erfolgt ist und ein Pendeln bedeutsamer Interessen ohne Eskalation mög­ lich war, möchten wir abschließend sicherstellen, dass die Konfliktparteien die Interessen der anderen rational, möglichst jedoch auch emotional nach­ vollziehen und somit verstehen können. Dies ist von besonderer Bedeutung, weil die Beteiligten in der vierten Phase der Mediation gemeinsam Ideen entwickeln sollen, wie sie auf der Basis ihrer jeweiligen bedeutsamen Inte­ ressen bestmöglich mit der belastenden Situation umgehen können. Durch einen gelungenen Perspektivwechsel erleben die Konfliktparteien erstmals, dass wichtige Hintergründe nicht nur von den Mediatorinnen, sondern auch von der anderen Partei verstanden wurden. Diese empathische Verbindung stellt wiederum ein wesentliches Fundament für den weiteren Weg hin zu einer konkreten Vereinbarung dar. Methodisch können wir den Perspektivwechsel auf zwei Arten anleiten, die sich im Wesentlichen durch den Grad der Perspektivübernahme und die Tiefe des Erlebens unterscheiden.

rum, was genau sie von der anderen als bedeutsam verstanden hat. Hierfür sind offene Fragen und Aufforderungen hilfreich: ƒƒ »Was haben Sie verstanden, was … wichtig ist?« ƒƒ »Was ist bei Ihnen angekommen, wie es … damit ging?« ƒƒ »Ich möchte Sie bitten, einmal das Wesentliche von dem wiederzugeben, was Sie von … gehört haben.« Abschließend bitten wir die Partei, über die gesprochen wurde, um eine kurze Rückmeldung zum Gehörten, indem wir beispielsweise fragen: ƒƒ »Fühlen Sie sich stimmig wiedergegeben?« ƒƒ »Ist aus Ihrer Sicht das Wesentliche erfasst worden?« ƒƒ »Fehlt Ihnen in der Darstellung noch etwas Wichtiges?«

Mediationspraxis

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Sollten diese Fragen positiv beantwortet werden, ist der Perspektivwech­ sel in diese Richtung abgeschlossen. Sollte eine Konfliktpartei ein bedeut­ sames Interesse nicht benannt oder anders ausgedrückt haben, ist uns wichtig, keine »Prüfungssituation« entstehen zu lassen, sondern norma­ lisierend mit der Situation umzugehen. Eine typische Reaktion der Me­ diatorin auf die Antwort des Zuhörenden »Das trifft nicht wirklich, was mir wichtig ist« könnte lauten: »Sondern?« oder »Sagen Sie es bitte noch einmal in Ihren Worten«. So arbeiten wir die fehlenden Aspekte nochmals heraus, bitten die andere Partei jedoch nicht darum, sie in eigenen Worten zusammenzufassen. Grundsätzlich vollziehen beide Parteien einmal den Perspektivwechsel. Der einfache Perspektivwechsel findet häufig, aber nicht zwingend direkt nacheinander statt, insbesondere da ihn einige Parteien in dieser Phase be­ reits von sich aus ohne explizite Anleitung formulieren. Perspektivübernahme: Als der andere reden Eine vertiefte Form des Perspektivwechsels ist die Version, bei der die Kon­ fliktparteien in die Haut des anderen schlüpfen und die Perspektive so be­ schreiben, als wäre es ihre eigene. Diese Variante aktiviert stärker das Er­ leben der jeweiligen Perspektive. Dies kann für einzelne Parteien eine zu große Hürde darstellen, um sich darauf einzulassen. Somit wird bei diesem Vorgehen die Wahrscheinlichkeit größer, Widerstand seitens der Konflikt­ parteien zu ernten.

Nach einem Perspektivwechsel gibt die zuhörende Partei eine Rückmeldung

Analog zum einfachen Perspektivwechsel bitten wir die Partei B, aus deren Sicht gesprochen wurde, um eine Rückmeldung, ob das so für sie stimmig war oder ob etwas Wesentliches fehlt. Danach werden die Rollen getauscht und der Perspektivwechsel findet in die andere Richtung statt. Perspektivwechsel bei identitätsstiftenden Werten Bei wertebasierten Konflikten empfehlen wir lediglich die Anwendung des einfachen Perspektivwechsels. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es quasi unmöglich ist, emotional die Perspektive eines anderen Wertes ein­ zunehmen, sodass die Perspektivübernahme an dieser Stelle wenig Sinn macht. Wenngleich es in den meisten Fällen also nicht zu einem emotiona­ len Verständnis kommt, gilt der einfache Perspektivwechsel als gelungen,

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Die dritte Phase der Mediation

Zunächst erklären wir den Konfliktparteien, dass wir sie im nächsten Schritt ihre Plätze tauschen lassen, damit sie nacheinander in die Rolle der anderen Partei schlüpfen und aus deren Perspektive benennen, was ihnen (als der andere) jeweils wichtig ist. Hierbei handelt es sich also um eine Rede aus der Perspektive des anderen: »Mir als … (Name der anderen Konflikt­ partei) ist wichtig …«, »Ich als … möchte …«. Danach nehmen wir einen Zu­ schauerstuhl hinzu und fragen, wer beginnen möchte. Die Partei, die be­ ginnen möchte, setzt sich auf den Stuhl der anderen Partei, diese wiederum nimmt auf dem Zuschauerstuhl Platz. Um es der Konfliktpartei A zu er­ leichtern, in die Perspektive von B hineinzufinden, können wir ihr wichtige Informationen zu dieser Person (die uns aus dem Gesprächsverlauf bekannt sind) nennen: »Sie sind Frau B. Sie arbeiten seit einem Jahr in dieser Abtei­ lung. Sie machen Ihre Arbeit gerne, fühlen sich dabei aber von ihrer Kolle­ gin gestört, wenn diese … (wesentliche Konfliktpunkte benennen)«. Wenn wir den Eindruck haben, die Konfliktpartei A sei in der neuen Perspektive angekommen, befragen wir sie so, als wäre sie die Konfliktpartei B mittels offener Fragen wie beispielsweise: ƒƒ »Was ist Ihnen als B … (Name der anderen Konfliktpartei) besonders wichtig?« ƒƒ »Wie ging es Ihnen, als … als ihr Kollege/ihre Nachbarin/ihr Mann … ge­ macht hat?« ƒƒ »Was ist für Sie als B … von besonderer Bedeutung?«

Mediationspraxis

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wenn die andere Partei bedeutsame Werte, Rituale und Traditionen nach­ erzählen und somit kognitiv verstehen kann. Wann ist ein guter Zeitpunkt für den Perspektivwechsel? Diese Frage lässt sich nur im Einzelfall beantworten. Ein (zu) früher Perspektivwech­ sel ist meist wenig hilfreich, denn er führt in der Regel zu einer weiteren Schleife bekannter Vorwürfe bis hin zur erneuten Eskalation im Sinne einer Unterstellung böser Absichten statt legitimer Interessen. Beispielsweise sagt ein Mann über seine ehemalige Partnerin: »Du tust das alles jetzt, um dich an mir zu rächen, weil ich mich in eine andere Frau verliebt habe!« Auch bei einem (zu) späten Einsatz verpufft das Potenzial dieser Methode meist ungenutzt. In diesem Fall jedoch eher, weil der Perspektivwechsel für die Konfliktparteien nur noch eine »leichte Übung« ist, um Dinge zu benen­ nen, die bereits als selbstverständlich erachtet werden. Fazit: Seine größte Wirkung entfaltet der Perspektivwechsel, wenn es eine Konfliktpartei noch Überwindung kostet, sich in die andere hineinzu­ versetzen und gleichzeitig dem Gegenüber bereits eigene Interessen zuge­ standen werden können. In der Praxis gleicht das Vorgehen einem Testbal­ lon, bei dem wir erst nach dem Start wissen, was daraus geworden ist. Abschließend möchten wir grundsätzlich anmerken, dass ein Perspek­ tivwechsel nicht nur dann erfolgreich ist, wenn die Konfliktparteien ein­ ander fehlerfrei und vollumfassend wiedergeben können. In unserer Praxis erleben wir immer wieder, dass auch ein unvollständiger Perspektivwechsel bewirkt, dass sich die Konfliktparteien erstmals in ihrem Leid vom Gegen­ über gesehen und gehört fühlen. Des Weiteren ermöglicht er uns, beson­ ders bedeutsame Interessen herauszuarbeiten oder zu ergänzen. Mediatoren erhalten somit wichtige Informationen darüber, wie weit die Parteien sich schon aufeinander einlassen können.

Ein verfrühter Perspektivwechsel führt in der Regel zu weiteren Vorwürfen

Weiterführende Literatur: Fritsch, G. (2010). Der Gefühls- und Bedürfnisnavigator. Gefühle und Bedürfnisse wahrnehmen. Paderborn: Junfermann Mayer, C.-H. (2008). Trainingshandbuch Interkulturelle Mediation und Konfliktlösung. Münster: Waxmann

Perspektivwechsel in der Mediation Ziel Förderung des wechselseitigen Verstehens und Verständnisses der Konfliktparteien Methode Die Konfliktparteien schildern wechselseitig die Perspektive des anderen. Einfacher Perspektivwechsel ƒƒ Der Mediator bittet Konfliktpartei A wiederzugeben, was Konfliktpartei B bezogen auf das Thema wichtig ist. ƒƒ Konfliktpartei B fasst in eigenen Worten zusammen, was bei ihr angekommen ist. ƒƒ Der Mediator fragt Konfliktpartei B, inwieweit sie sich in den Aussagen von A wiederfindet, ob sie wichtige Ergänzungen oder Korrekturen vornehmen möchte. Perspektivübernahme Die Mediatorin lädt die Parteien zu einem Experiment ein. Die Konfliktparteien wechseln nach Aufforderung ihre Plätze. Die Mediatorin skizziert das weitere Vorgehen und holt sich das Einverständnis ein. Partei B wechselt auf einen zusätzlichen Beobachterstuhl. Partei A wird auf den Stuhl von Partei B gesetzt und mit deren Perspektive vertraut gemacht. ƒƒ Partei A berichtet aus der Perspektive von Partei B, wie sie den Konflikt erlebt und was ihr wichtig ist. ƒƒ Die Mediatorin fragt Konfliktpartei B, inwieweit sie sich in den Aussagen wiederfindet, ob sie wichtige Ergänzungen oder Korrekturen vornehmen möchte. ƒƒ Anschließend findet die Perspektivübernahme in umgekehrter Richtung statt.

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Die dritte Phase der Mediation

ƒƒ ƒƒ ƒƒ ƒƒ ƒƒ

Ablauf Phase 3

KP A

KP B

Leidsituation KP A erkunden

Leidsituation KP B erkunden

Gefühle & Auswirkungen KP A

Gefühle & Auswirkungen KP B

Interessen KP A herausarbeiten

Interessen KP B herausarbeiten

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Pendeln zwischen KP A & KP B

Perspektivwechsel in beide Richtungen

KP B

Mediationspraxis

KP A

Abb. 19: Ablauf dritte Phase

2.3.5 Stolpersteine in der dritten Phase Eine Konfliktpartei rechtfertigt sich Manchmal beginnen Konfliktparteien damit, ihr Verhalten zu rechtferti­ gen, statt von ihrem eigenen Erleben und von eigenen Interessen zu reden. Dies ist durchaus verständlich, wenn sich eine Konfliktpartei von der an­ deren angegriffen fühlt: »Natürlich bin ich an die Ablage von Herrn Meier gegangen – ich brauchte ja die Unterlagen für den Auftrag« oder »Unfreund­ licher Umgang, wenn ich das schon höre. Wenn wir in Eile sind, kann man halt nicht immer ›bitte‹ sagen.« Mit Rechtfertigungen äußern sich Beteiligte immer zum Konflikt der anderen Partei. Nach einer kurzen Anerkennung des Gesagten (beispielsweise: »Sie hatten aus Ihrer Sicht gute Gründe für Ihr Verhalten«) kann es hilfreich sein, sie über das eigene Leiderleben wieder zu ihrem Konflikt zurückzuführen (»Wodurch genau fühlten Sie sich konkret beeinträchtigt?«), um dann über die Emotion zu ihren eigenen Interessen zu gelangen. Eine Konfliktpartei erzählt, was sie nicht möchte »Was hätten Sie stattdessen in dieser Situation gebraucht?«

Eine Konfliktpartei nennt Lösungsideen So manches Mal nennen uns die Beteiligten statt ihrer Interessen erst ein­ mal handlungsbezogene Ideen, was der andere zukünftig machen sollte. Im Bewusstsein, dass sich hinter diesen Lösungsideen in der Regel bedeut­ same Interessen verbergen, ist es günstig, die Partei zu fragen, wofür es gut wäre, wenn das Gegenüber sich so verhalten würde bzw. auch, was dann für sie anders wäre oder was sie davon hätte, wenn ihr Wunsch in Erfüllung ginge.

»Wofür wäre es gut, wenn…?«

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Die dritte Phase der Mediation

Oftmals wissen die Beteiligten sehr genau, was sie nicht möchten. Es fällt ihnen dagegen deutlich schwerer zu benennen, was sie bräuchten und was ihnen in diesen konflikthaften Situationen wichtig wäre. Wenn eine Partei uns nun berichtet, was sie nicht mehr möchte, so hilft es, sie zu fragen, was sie denn stattdessen in der Situation gebraucht hätte – und bei einem Schwei­ gen geduldig zu bleiben, damit die Beteiligte Zeit zum Nachdenken erhält.

Pendeln eskaliert Wenn wir ein bedeutsames Interesse einer Partei zur anderen pendeln, kann es passieren, dass diese sehr emotional und vorwurfsvoll reagiert, so­ dass deutlich wird, dass sie dieses Interesse der anderen Partei (noch) nicht als legitim stehen lassen kann. Wenn eine Konfliktpartei sich in ihrem Leid noch nicht ausreichend gehört fühlt und ihre eigenen Interessen und Wert­ haltungen noch nicht ausreichend berücksichtigt sieht, fällt es ihr schwer, die Existenz der Interessen der anderen Partei auszuhalten. Aus diesem Grund gehen wir bei einer Eskalation im Pendeln quasi einen Schritt zurück und hören eben jener eskalierenden Partei nochmals vertieft zu, indem wir Gefühlen und Auswirkungen des Konflikts auf sie nochmals Raum geben und überprüfen, ob wir tatsächlich alle bedeutsamen Hintergründe bereits erfasst haben oder ob es ein bisher noch unberücksichtigtes Interesse oder eine relevante Werthaltung gibt, die von uns benannt und visualisiert wer­ den sollte. Perspektivwechsel misslingt

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Es kommt vor, dass ein Perspektivwechsel misslingt: A äußert sich im Per­ spektivwechsel zu den Hintergründen von B und B fühlt sich nicht ver­ standen, weil A keine seiner relevanten Interessen benannt hat. In diesem Fall geben wir der Partei, die sich missverstanden fühlt, in Ruhe Raum, um nochmals zu benennen, was ihr wichtig ist. Wir hören hierbei bewusst fokussiert zu, indem wir das Wesentliche ruhig wiederholen, um der an­ deren Partei die Möglichkeit zu eröffnen, den Perspektivwechsel zu voll­ ziehen. Unserer Erfahrung nach wäre es ungünstig, anschließend die wieder­ holende Partei nochmals zu fragen, was sie denn nun verstanden habe. Da­ mit würden wir diese Partei eher in eine Art Prüfungssituation bringen, die Druck aufbauen könnte und somit eine Öffnung für die Perspektive der anderen Partei erschwert, statt sie zu fördern.

2.4 Die vierte Phase der Mediation: Einen Umgang mit dem Konflikt finden In der vierten Phase der Mediation unterstützen wir die Konflikt­parteien dabei, einen gemeinsamen Lösungsweg zu finden, der ihren jeweiligen Inte­ ressen bestmöglich entspricht. Als Mediator machen wir uns zum »Anwalt der bedeutsamen Interessen« beider Konfliktparteien, da diese Interessen die Kriterien für eine gute Vereinbarung darstellen. Je mehr die Parteien ihre Interessen in einer Regelung berücksichtigt sehen, desto zufriedenstel­ lender und tragfähiger ist in der Regel auch die Vereinbarung.

Interessen sind Kriterien für eine gute Lösung

Dazu strukturieren wir diese Phase in drei Schritte: ƒƒ Entwickeln von Lösungsoptionen ƒƒ Vorbewerten der Optionen ƒƒ Verhandeln und Entscheiden Wir achten darauf, »Ausflüge« in die anschließend folgenden Schritte zu unterbinden. Entwickeln wir Lösungsoptionen, so lassen wir beispielsweise keine Verhandlung der Beteiligten zu. »Rückschritte« sind dagegen möglich: Auch im Verhandlungsschritt können die Beteiligten weitere Lösungsoptio­ nen nennen.

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Um möglichst viele Lösungsideen zu generieren, führt die Mediatorin mit den Beteiligten im ersten Schritt häufig ein Brainstorming durch und no­ tiert sämtliche Ergebnisse auf Moderationskarten (eine Idee je Karte). Da­ bei ist es hilfreich, die Interessen aus der Konflikterhellung gut sichtbar im Raum zu visualisieren und die Beteiligten nochmals darauf hinzuweisen. Damit werden sie dazu angeregt, tatsächlich neue Lösungsideen zu (er)fin­ den und nicht nur die eigenen Positionen zu wiederholen, welche die eige­ nen Interessen berücksichtigen. Durch eine Verhandlungsfrage lenken wir die Aufmerksamkeit der Par­ teien auf diesen Aspekt. Die Frage sollte sich auf die bedeutsamen Interes­ sen beziehen und visualisiert werden – entweder allgemein: »Wie können Sie erreichen, dass Ihrer beider Interessen zukünftig bestmöglich berück­

Wir visualisieren vor dem Brainstorming eine inte­ ressensbasierte Verhandlungsfrage

Die vier te Phase der Mediation

2.4.1 Lösungsideen (er)finden

Mediationspraxis

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sichtigt werden?« oder konkret: »Wie können Sie erreichen, dass Frau Mül­ ler in Zukunft in Ruhe arbeiten und Frau Schulz Kundengespräche führen kann?« Beim Brainstorming können die Parteien ihre Ideen nennen – erst ein­ mal möglichst spontan und ohne langes Überlegen, um so viele Ideen wie möglich zu sammeln. Jede Idee ist dabei erlaubt und wird (noch) nicht kom­ mentiert oder bewertet. Unsere Aufgabe als Mediatorinnen ist es hierbei, ƒƒ jeden Vorschlag auf eine Moderationskarte zu schreiben Um den Ideenfluss zu fördern, erfassen wir die Ideen möglichst schnell und schreiben sie ohne Rückfragen zügig in Schlagwörtern oder Halb­ sätzen auf. Die geschriebenen Karten legen wir sichtbar vor die Parteien, um sie anzuregen, auf der Basis der bereits genannten Ideen weitere zu nennen. ƒƒ dafür zu sorgen, dass die Ideen nicht kommentiert oder bewertet werden Im Eifer des Brainstormings kommentieren einige Parteien die Vorschlä­ ge der anderen. Dies gilt es freundlich, aber konsequent zu unterbinden und diesen Schritt auf später zu verschieben: »Gleich werden Sie Gelegen­ heit dazu haben, die Ideen des anderen zu kommentieren und zu bewer­ ten. Jetzt geht es erst einmal darum, möglichst viele Ideen zu sammeln. Ändern oder ablehnen können sie die Ideen später immer noch.« Unsere Erfahrung zeigt, dass Diskussionen an dieser Stelle wenig fruchtbar sind und zu weniger Lösungsideen führen. ƒƒ bei wenigen Ideen zu weiteren Vorschlägen zu ermuntern Wir machen häufig die Erfahrung, dass die Konfliktparteien relativ schnell einige Ideen nennen  – danach verebbt der »Sturm der Ideen«. Für uns ist das Brainstorming jedoch nicht abgeschlossen, vielmehr un­ terstützen wir die Beteiligten, indem wir durch gezielte Fragen weitere Lösungsräume eröffnen: –– »Wenn Sie nochmal in Ruhe auf Ihre jeweiligen Interessen schauen, fallen Ihnen noch Möglichkeiten ein, diese miteinander zu verbin­ den? Oder sie vielleicht auch nacheinander zu bedienen?« –– »Überlegen Sie nochmal, was Sie selbst beitragen könnten und was Sie sich im Gegenzug vielleicht dafür wünschen würden?« –– »Was könnten Sie noch in die Waagschale werfen?« –– »Vielleicht haben Sie noch einen Gedanken, bei dem Sie erst einmal sagen: »Na, das klappt wahrscheinlich sowieso nicht, aber schön wäre es schon.«

Jede Idee wird auf eine Moderationskarte geschrieben

Wir unterbinden jede Diskussion über genannte Ideen

–– »Fallen Ihnen noch ungewöhnliche Möglichkeiten ein, wenn Sie ein­ mal ein bisschen träumen und fantasieren?« In der Praxis sind es oft gerade die Ideen dieser »zweiten Welle« des Brain­ stormings, die sich als besonders hilfreich für den weiteren Verlauf erwei­ sen. Momente produktiven Schweigens der Parteien gilt es auszuhalten und dem Verfahren zu vertrauen. Manche Themen eignen sich aufgrund ihrer Komplexität weniger für ein Brainstorming. Dann räumen wir den Parteien eine Denkpause im Hinblick auf den bestmöglichen Umgang mit ihren konträren Interessen ein. Hier ist es oftmals hilfreich, die Beteiligten bis zur nächsten Sitzung zu entlassen und sie zu bitten, anhand einer klaren Frage möglichst mehrere Ideen mit­ zubringen, die dann (vor)bewertet und verhandelt werden können.

2.4.2 Lösungsideen (vor)bewerten Im zweiten Schritt lassen wir die Beteiligten die gefundenen Ideen nach der Drei-Felder-Methode vorsortieren. Hierfür bilden wir an der Moderations­ wand oder auf dem Tisch drei Felder im Sinne einer Ampel (grün, gelb, rot): ƒƒ grün: + steht für Ideen, die für alle Beteiligten vorstellbar sind ƒƒ gelb: ? steht für Ideen, die für mindestens eine Partei erst weiter diskutiert werden müssen, bevor sie entscheiden kann, ob dieser Weg gangbar ist ƒƒ rot: – steht für Ideen, die für mindestens eine Partei unter keinen Um­ ständen vorstellbar sind

In der Vorbewertung unterbinden wir jede Diskussion über genannte Ideen

Die vier te Phase der Mediation

Nun nehmen wir die Karten mit den Lösungsideen in die Hand, lesen sie nacheinander vor und fragen jeweils die Beteiligten, in welche Kategorie die Idee für sie gehört. Hierbei gilt: Bei Uneinigkeit der Beteiligten wird die Karte in den gelben oder roten Bereich gelegt. Sagt eine Partei rot und die andere grün oder gelb, so wandert die Karte (erst einmal) in den roten Bereich, sagt eine gelb, die andere grün, so wandert sie in den gelben Bereich. In den grünen Bereich wandern lediglich Karten, die für beide Seiten akzeptabel sind. Auch in die­ sem Schritt kommentieren die Parteien häufig die Bewertung der anderen und möchten über einzelne Vorschläge diskutieren. Dies unterbinden wir

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immer empathisch, aber konsequent und verweisen darauf, dass direkt im Anschluss an die Vorsortierung der Austausch beginnen kann.

Thema +

Idee

Idee

-

?

Idee

Idee

Idee

Idee Idee

Abb. 20: Die Drei-FelderMethode zur Vorbewertung von Lösungsideen

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Mediationspraxis

Mit dieser Methode wird binnen kurzer Zeit deutlich, welche Ideen sich für die weitere Verhandlung anbieten.

2.4.3 Verhandeln Für den gesamten Verlauf der Verhandlung bis hin zur Entscheidung über Lösungswege ist es wichtig, mehrere Optionen zu bewahren und diese Opti­ onalität auch den Konfliktparteien zu vermitteln. Hier sind Gedankenspiele erlaubt; niemand wird auf vermeintliche Zusagen verpflichtet. In der Regel befinden sich einige Ideen im grünen und im roten, die meisten jedoch im gelben Bereich. Bei dem Verhandeln der einzelnen Optio­ nen beginnen wir mit den Ideen aus dem grünen Bereich. Manchmal ergibt sich schon aus diesen Ideen eine Lösung, die sämtlichen Interessen genügt. Häufiger jedoch bedarf es auch der Betrachtung der Karten aus dem gelben

Eine klare Haltung der Optionalität ist hilfreich

Durch eine Visualisierung der vorläufigen Teillösungen machen wir den Verhandlungsfortschritt für die Parteien sichtbar. Hierfür halten wir Er­ weiterungen kontinuierlich auf Moderationskarten fest und ordnen sie der Ursprungsidee zu.

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Die vier te Phase der Mediation

Bereich. Zuerst sollten Verständnisfragen geklärt werden, bevor die Ideen abgewogen werden. In dieser Phase findet der Dialog vor allem unter den Konfliktparteien statt. Wir unterstützen als Mediatorinnen zurückhalten­ der, indem wir je nach Fall beispielsweise ƒƒ einen Tauschhandel nach der Basar-Methode anzetteln: »Was sind Sie selbst bereit zu geben, was möchten Sie im Gegenzug dafür bekommen?« Als Hamburger nehmen wir hierfür gern das Beispiel vom Fischmarkt: Wer auf den Fischmarkt geht, um Fisch zu kaufen, kommt in der Regel am Ende mit Fisch, Bananen und einer Topfpflanze nach Hause und dem guten Gefühl, wirklich etwas für sein Geld bekommen zu haben – aller­ dings nicht immer das vorab erwartete. Wir bitten demnach die Partei­ en, möglichst viele konkrete Angebote zu machen. Hierfür ist es auch wichtig, dass die Karten aus dem roten Bereich sichtbar bleiben, denn sie können bei entsprechenden Gegenleistungen später wieder in die Ver­ handlungsmasse einfließen. ƒƒ die Verhandlungsmasse vergrößern: »Vielleicht hat einer von Ihnen noch weitere Wünsche an den anderen, die Sie mit einfließen lassen könn­ ten – die auf den ersten Blick gar nichts mit dem eigentlichen Problem zu tun zu haben scheinen?« ƒƒ Teillösungen würdigen: In dieser Paket-Methode benennen wir aufscheinen­ de Teillösungen und halten sie vorläufig schriftlich fest, um daraus spä­ ter mit weiteren Teillösungen ein Gesamtpaket zu schnüren. ƒƒ Nachteile für eine Seite aufzeigen und nach Ausgleichsmöglichkeiten fragen: »Wenn Sie sich vorstellen, eine von Ihnen würde diese Kröte schlucken, hätten Sie beide dann Ideen, wie dies zwischen Ihnen ausgeglichen wer­ den könnte?« ƒƒ Bewegungsspielräume der Konfliktparteien ausloten: »Wie viel Kontakt wäre denn in Zukunft gerade noch vorstellbar?« ƒƒ vermeintlich fixe Annahmen oder Grenzen hinterfragen: »Was wäre denn, wenn … (Sie über die Finanzmittel verfügen würden)?«; »Gäbe es Umstän­ de, unter denen Ihre Chefin dem vielleicht doch zustimmen würde?«

Übergabe-Gespräch vor geplanter Abwesenheit

+

Karte aus der Ideensammlung

ergänzende Karten aus der Verhandlungsphase:

Dauer: maximal zwei Stunden

vorher: Übergabe-Protokoll mit allen planmäßigen Vorgängen

in der Woche vor dem Urlaub

mit Liste mit Kontaktdaten aller Ansprechpersonen mit Liste zentraler Dokumente

Abb. 21: Weiterent­ wicklung einer Idee in der Verhandlungsphase

Mediationspraxis

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Sollten Ideen für beide Beteiligte vorstellbar, jedoch noch sehr unkonkret sein, so bietet sich im Laufe der Verhandlung gegebenenfalls nochmals ein Brainstorming zu einem Unterpunkt an, beispielsweise zur Idee »Unterstüt­ zung bei der Einarbeitung des neuen Sachbearbeiters«: »Wie könnte diese Unterstützung konkret aussehen?« Dasselbe gilt für Ideen, die zwar prinzipiell willkommen, aber so noch nicht tragfähig scheinen, weil ein bisher nicht genanntes Interesse deutlich wird. Hier kann ein gezieltes Brainstorming sinnvoll sein, in dem dieses Interesse nun mit berücksichtigt wird, zum Beispiel: »Wie könnte der Infor­ mationsfluss zur Teamleitung zeitökonomisch sichergestellt werden?« Wenn die Verhandlung gar nicht voranzugehen scheint, gibt es mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen. Als gewinnbringend haben sich bei sto­ ckenden Verhandlungen Pausen erwiesen. Möglich sind kürzere Pausen wäh­ rend der Sitzung, in denen die Beteiligten für sich allein nochmals nach­ denken können, oder Pausen zwischen zwei Sitzungen, oft mit einer klar formulierten Frage als »Hausaufgabe«, worüber sich die Parteien bis zum nächsten Mal Gedanken machen sollten.

Des Weiteren kann es sinnvoll sein, mittels der Kopfstand-Methode die Frage aufzuwerfen, was denn unter keinen Umständen passieren soll bzw. was die Beteiligten tun könnten, um die Situation zwischen ihnen zu ver­ schlechtern. In der Regel fallen ihnen hierzu schnell einige Antworten ein, die dann wiederum in Ruhe betrachtet und auf deren Basis neue Wege erar­ beitet werden können. Bei sehr verhärteten Verhandlungen besteht die Möglichkeit, mit allen Parteien nacheinander Einzelgespräche zu führen. In diesen Einzelgesprächen geht es darum, die unbequemen Handlungsoptionen einmal durchzuspielen: ƒƒ »Wo(hin) könnten Sie sich im absoluten Notfall noch bewegen, um zu einer Einigung zu kommen?« ƒƒ »Was ist Ihr Worst-Case-Szenario bei keiner Einigung? Was wären Sie persönlich bereit zu tun, um dies abzuwenden?« Wichtig ist hierbei, dass sämtliche Informationen dieser Einzelgespräche von den Mediatoren treuhänderisch behandelt werden und die Parteien selbst entscheiden, welche sie ins gemeinsame Gespräch einbringen. Am Ende der vierten Phase sollten die Handlungsideen, bei denen eine grund­ sätzliche Einigung der Parteien besteht, in Stichworten oder Halbsätzen for­ muliert sein, sodass daraus wiederum konkrete Vereinbarungen formuliert werden können.

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In vielen Fällen haben wir als Mediatoren in dieser Phase ebenfalls Hand­ lungsideen für die Parteien. Viele davon werden dann glücklicherweise auch von den Beteiligten selbst im Laufe der Zeit genannt. Manchmal jedoch be­ leuchten die Parteien ganze Lösungsräume oder einzelne, uns Erfolg ver­ sprechende Ideen gar nicht. Was nun? Grundsätzlich sollten die Ideen für eine Vereinbarung von den Betei­ ligten selbst kommen. Je eigenständiger sie ihre Vereinbarung erarbeiten, desto nachhaltiger ist sie im Alltag. Andererseits sehen Parteien oft den Wald vor lauter Bäumen nicht: Offensichtliche Handlungsmöglichkeiten bleiben unbenannt. Der Umgang mit diesem Spannungsfeld ist letztendlich eine Stilfrage: Einige Kollegen bringen eigene Ideen schlicht unaufgeregt als Möglichkeiten mit in den Prozess ein – verbunden mit der Haltung, sie sofort und ohne Diskussion fallen zu lassen, wenn sie bei den Parteien nicht

Die vier te Phase der Mediation

Umgang mit eigenen Handlungsideen

auf Resonanz stoßen. Wir dagegen eröffnen eher neue Handlungsräume, die sich auf die Interessen der Beteiligten beziehen. Wenn beispielsweise zwei Geschäftsführerinnen darüber verhandeln, wen sie wegen rückläufiger Ein­ nahmen aus dem Team entlassen werden, dann fragen wir beispielsweise, ob es zwangsläufig zu Entlassungen kommen muss oder ob man sich nicht auch auf einen Geldbetrag einigen könnte, der beispielsweise über Lohnver­ zicht oder Stundenreduktion zusammenkommt.

Weiterführende Literatur: Sellnow, R. (2007). Die mit den Problemen spielen … Ratgeber zur kreativen Problemlösung. Bonn: Stiftung Mitarbeit

2.4.4 Stolpersteine in der vierten Phase Beharren auf einer Verhandlungsposition Nicht selten passiert es: Wir moderieren die Verhandlungen, beide Parteien zeigen sich kompromissbereit in der Konkretisierung von Handlungsopti­ onen, die Mediation scheint auf einem guten Weg zu einer Vereinbarung und – scheinbar unvermittelt beißt sich eine der Beteiligten an einer schein­ baren Kleinigkeit fest und lässt sich durch keine Verhandlungstechnik von ihrer Position abbringen. Die Mediatorin hat nun mehrere Möglichkeiten:

Mediationspraxis

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ƒƒ Hintergründe vertieft erhellen (zurück in Phase 3) Wir können beispielsweise fragen: »Mir ist noch nicht ganz klar, was an diesem Punkt für Sie von besonderer Bedeutung ist...«, »Was befürchten Sie, wenn Ihre Position nicht Wirklichkeit wird?« Im Gespräch mit der Konfliktpartei verfahren wir mit den dann genann­ ten Hintergründen wie in der dritten Phase: Sie werden in Interessen übersetzt, von uns anerkannt, gegebenenfalls stellen wir mit ihnen über Pendeln und Perspektivwechsel eine Verbindung her. Schließlich erar­ beiten wir Umsetzungsideen für diese neuen Interessen und nehmen sie in die Verhandlungen mit auf. ƒƒ Verhandlungspaket neu schnüren Manchmal beharren Beteiligte auf einem Punkt, weil ihnen plötzlich be­ wusst wird, dass die sich abzeichnende Regelung sie benachteiligt. Auch hier lenken wir das Gespräch wieder auf die Hintergründe. Das Gefühl der generellen Ungerechtigkeit erkennen wir an und konkretisieren es:

Wurden alle bedeut­samen Interessen genannt?

»Welche der bisherigen Vereinbarungsideen finden Sie denn unfair?«, »Was genau empfinden Sie als ungerecht?«, »Was befürchten Sie?« Wir leiten hieraus wiederum Interessen ab und verfahren wie eben be­ schrieben, indem wir die Hintergründe erhellen. Gegebenenfalls wird das sich abzeichnende Lösungspaket noch einmal aufgeschnürt und neu verhandelt. ƒƒ Verhandlungspause einlegen Mitunter verlieren Beteiligte die Idee einer gemeinsamen Regelung aus dem Blick. Durch Stress oder die Erinnerung an im Konflikt erlittene Verletzungen geraten sie mental in einen Tunnel und fokussieren aus­ schließlich auf ihre Position. In solchen Fällen kann es hilfreich sein, das Setting für einen Moment zu unterbrechen: »Anscheinend ist die Situati­ on im Moment festgefahren – ich schlage daher vor, dass wir eine kurze Verhandlungspause von 15 Minuten machen.« Die gleichen Vorgehensweisen empfehlen sich, wenn beide Beteiligte auf ei­ ner Position beharren. Keine Bewegung – Generelles Beharren auf eigenen Positionen 117

Die vier te Phase der Mediation

Bestehen Konfliktbeteiligte generell auf ihren Lieblingslösungen, merken wir dies meist schon im Brainstorming: Die Ideen dienen nur eigenen In­ teressen und landen in der Sortierung der Ideen fast ausnahmslos im VetoBereich. Manchmal haben die Parteien in solchen Fällen in der dritten Phase zu wenig Anerkennung für ihre Konflikthintergründe erfahren. Sie fühlen sich immer noch angegriffen und meinen, sich rechtfertigen zu müssen, in ihrem Bewusstsein haben ihre Interessen noch nicht den Raum der ur­ sprünglichen Positionen eingenommen. Auch in diesen Fällen leiten wir das Gespräch zurück zu den Hintergründen und geben den Beteiligten die Aner­ kennung, die sie benötigen. Manchmal jedoch wird diese Verhärtung erst spät in der vierten Phase sichtbar, zum Beispiel bei Parteien, die aus Gründen der sozialen Erwünscht­ heit einer Mediation zugestimmt haben und dementsprechend zu keinem Kompromiss bereit sind; oder bei Beteiligten, denen erst im Laufe des Me­ diationsprozesses im Sinne einer Selbstklärung bewusst wird, dass sie kein Interesse an einer einvernehmlichen Lösung zugunsten aller haben. Erst im letzten Moment, wenn sich konkrete Regelungen abzeichnen und es quasi

»ernst« wird, rudern sie kommunikativ zurück und bestehen auf »ihren« Lösungen. In solchen Fällen benennen wir zuerst die Ist-Situation, wie sie sich uns darstellt: »Sie möchten unbedingt Idee A und Sie wiederum unbedingt Idee B. Die Situation scheint mir im Moment festgefahren, da wir jetzt schon sehr lange darüber reden und sich anscheinend keine Brücke zwischen Ihren Ideen finden lässt. Auch besteht die Möglichkeit, noch einmal kurz die Grundidee der Me­ diation zu skizzieren: »Mediation ist ein Verfahren, bei dem die Beteilig­ ten versuchen, eine gemeinsame Regelung für ihr Problem zu finden.« An­ schließend können Sie in eine Verhandlungspause überleiten: »Ich möchte eine Verhandlungspause einlegen, und Sie können überlegen, ob Mediation für Sie in dieser Situation noch das geeignete Verfahren ist.« Oder wir können mit den Beteiligten die Folgen einer Beendigung der Mediation gedanklich durchspielen: »Falls Sie beide jetzt zu keiner Einigung kommen und wir die Mediation an dieser Stelle beenden: Wie würde es dann weitergehen? Welche Folgen hätte das für Sie persönlich und für Ihre (Arbeits-)Beziehung?«

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Die sich abzeichnende Regelung erscheint uns ungerecht Wenn wir als Mediatoren den Eindruck gewinnen, dass in der Regelung eine Person sehr viel erhält, die andere dagegen sehr viel gibt, können wir in ei­ nem ersten Schritt auf die visualisierten Interessen verweisen: »Es zeichnet sich ja mittlerweile eine Regelung ab. Bitte schauen Sie noch einmal auf Ihre Interessen, ob Sie diese ausreichend berücksichtigt sehen.« Oder wir nennen ein bisher unserer Meinung nach nicht berücksichtig­ tes Interesse einer Partei und fragen: »Sie hatten ja in der letzten Sitzung gesagt, dass für Sie Interesse A von besonderer Bedeutung ist. Wenn Sie jetzt die sich abzeichnende Regelung betrachten: Was sagen Sie dazu?« Oder wir skizzieren ein Waagschalenmodell: »Sie scheinen langsam zu einer Einigung zu kommen. Wenn Sie an Waagschalen denken, vielleicht schauen Sie einmal, was sich im Moment in jeder Ihrer Waagschalen befin­ det...« An dieser Stelle möchten wir anmerken, dass nicht wir es sind, die ent­ scheiden, was eine faire und gerechte Vereinbarung im Sinne der Konflikt­ parteien ist. Wir sehen es lediglich als unsere Aufgabe, den Beteiligten den

Wäre eine Nicht­ einigung attraktiver?

Raum zu öffnen, sich bewusst zu entscheiden, ob sie wirklich eine ungleich­ gewichtige Regelung treffen möchten. Gehen Beteiligte scheinbar ungerechte Vereinbarungen ein, kann es hilf­ reich sein, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass es oft ein zentrales Interes­ se gibt, das das Verhalten der Medianden leitet: die Hoffnung, dass mit dem Abschluss der Mediation die bisher erlittenen Beeinträchtigungen aufhören. Diese Aussicht auf »Frieden« führt bei Konfliktparteien manchmal zu weit­ gehenderen Zugeständnissen. Tempo! Tempo! – »Das schaffen wir jetzt alleine...«

2.5 Die fünfte Phase der Mediation: Die Vereinbarung In der fünften Phase erstellen die Beteiligten in der Regel eine schriftliche Vereinbarung in Form von konkreten Absprachen für die Zukunft, die auf den Handlungsideen der vierten Phase gründet und so weit wie möglich die Interessen der Parteien aus der Konflikterhellung berücksichtigt. Da­ mit diese Vereinbarung den Sprung vom »grünen Tisch« in die Alltagspra­ xis besteht, sollte sie bestimmte Kriterien erfüllen. Wir bringen diese Kri­ terien mit einer gewissen Hartnäckigkeit immer wieder ins Spiel. Dazu fragen wir konkret nach und machen Formulierungsvorschläge, die den Kriterien genügen. In der Praxis sind die Übergänge zwischen der vierten und fünften Phase oftmals fließend. Auch hier können daher Elemente

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Die fünf te Phase der Mediation

Die Parteien sind gelegentlich unwillig, präzise Vereinbarungen im Sinne eines »Wer macht was bis wann?« zu erarbeiten. Wenn die Parteien sich freuen, dass der Konflikt beigelegt ist, drücken sie gerne aufs Tempo: »Ich glaube, da brauchen wir keine genaue Regelung.«, »Den Rest besprechen wir später zu Hause / in der Teamsitzung.« Natürlich kann es sein, dass die Konfliktparteien  – gestärkt durch die Mediation – nun in der Lage sind, den Prozess ohne uns zu Ende zu bringen. Dennoch empfiehlt es sich, in solchen Situationen auf mögliche Fallstricke hinzuweisen (»Ich frage mich, was passiert, wenn Sie den Punkt XY unter­ schiedlich interpretieren«) oder eine weitere optionale Sitzung anzubieten, die die Beteiligten bei Bedarf wahrnehmen, falls sie Schwierigkeiten haben sollten, eine endgültige Vereinbarung zu formulieren.

aus der vorherigen Phase (Verhandeln, neue Lösungsideen aufnehmen) notwendig sein.

2.5.1 Kriterien für eine tragfähige Vereinbarung

Mediationspraxis

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Wir gehen davon aus, dass die verhandelten Handlungsideen am Ende der vierten Phase in Stichworten oder Halbsätzen formuliert sind und eine grundsätzliche Einigung der Parteien dazu besteht. In der fünften Phase besprechen wir mit den Parteien jede dieser Handlungsideen anhand der folgenden Kriterien. Eine tragfähige Vereinbarung zeichnet sich dadurch aus, dass sie kon­ kret handlungsleitend formuliert ist. Fromme Wünsche wie »Es gibt einen respektvollen Umgang miteinander« oder »Der Informationsfluss funktio­ niert« sind dabei wenig hilfreich. Absichtserklärungen wie »Wir sichern vor Urlaubszeiten die Übergabe« lassen für die Umsetzung einen Interpretati­ onsspielraum zu, der schnell zum Quell weiterer Konflikte werden kann. Die Leitfrage für die Bearbeitung der Handlungsideen lautet daher: Wer macht was genau (bis) wann? Nehmen wir als Beispiel die Idee »Wir sichern vor Urlaubszeiten die Über­ gabe«. Beide Parteien waren in der vierten Phase damit einverstanden. Da dieser Vorschlag jedoch dem Kriterium der handlungsleitenden Formulie­ rung nicht entspricht, fragt die Mediatorin konkretisierend nach: ƒƒ »Was genau wollen Sie dafür tun?« ƒƒ »Wann wollen Sie sich treffen?« ƒƒ »Bis wann wollen Sie das Übergabeprotokoll erstellen?« Aus den Antworten formuliert die Mediatorin mit den Konfliktparteien eine Vereinbarung, die beispielsweise so aussehen könnte: »In der Woche vor seinem geplanten Urlaub stellt der zuständige Kollege einen zweistündigen Übergabetermin in Outlook ein. Zwei Tage vor diesem Termin versendet er per E-Mail ein Übergabeprotokoll mit allen Tätigkeiten, die während seiner Abwesenheit ausgeführt werden müssen, einem Update zum Bearbeitungs­ stand der aktuellen Projekte mit den Kontaktdaten der Ansprechpartner und Verweisen auf zentrale Dokumente. Dieses wird beim Übergabetermin besprochen, restliche Fragen werden geklärt.«

Beispieltext für eine Vereinbarung

Vereinbarungen sollten realistisch und machbar sein

Vereinbarungen sollten terminiert sein

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Das Handeln Dritter kann nicht vereinbart werden

Die fünf te Phase der Mediation

Ein weiteres Kriterium für eine tragfähige Vereinbarung ist die Reali­ sierbarkeit. Im Laufe der Mediation haben wir ein Bild über die Rahmen­ bedingungen und Strukturen bekommen, in denen Parteien arbeiten bzw. leben. Bei jeder Teilvereinbarung ist somit unsere Einschätzung gefragt, ob die angestrebten Vereinbarungen der Parteien umsetzbar scheinen. Manchmal neigen Konfliktparteien dazu, sich zu viel vorzunehmen. Dann ist es unsere Aufgabe, dies nochmals klar zu hinterfragen: »Wenn ich mir die getroffenen Vereinbarungen so anschaue, dann muss ich sagen: Hut ab! Sie haben sich wirklich sehr viel in kurzer Zeit vorgenommen. Ich möch­ te Sie bitten, noch einmal einen Moment in Ruhe zu überlegen, ob das in der Menge und der Kürze der Zeit auch wirklich machbar erscheint oder ob Sie hier mit Blick auf das Gesamtpaket nochmals nachsteuern wollen.« Sollten die Konfliktparteien dennoch überzeugt sein, dieses Pensum bewältigen zu können, so ist dies ihre Entscheidung und wird von uns nicht weiter be­ zweifelt. Wir bieten ihnen lediglich diesen Moment des Innehaltens und der Überprüfung an. Neben der Frage, (bis) wann etwas geschehen sein soll, gilt es auch zu berücksichtigen, wie lange die Vereinbarung gelten soll. Erfahrungsgemäß sagen die wenigsten Menschen gerne etwas bis zur Rente oder gar darüber hinaus zu. Aus diesem Grund enthalten viele Vereinbarungen einen Probe­ zeitraum von einigen Wochen bis Monaten, für den die Vereinbarung vor­ erst gelten soll. Nach Ablauf dieser Frist wird die Vereinbarung dann entwe­ der von den Konfliktparteien allein oder in einem Nachfolgetermin (siehe Abschnitt 2.6) mit unserer Unterstützung nochmals betrachtet und quasi evaluiert. Konfliktparteien befinden sich in der Regel in einem familiären, organi­ sationalen oder nachbarschaftlichen Netzwerk. Häufig sind somit auch Drit­ te direkt oder indirekt von Vereinbarungen betroffen. Das Handeln dieser nichtanwesenden Dritten kann selbstverständlich nicht vereinbart werden. Hier gilt es, die Vereinbarungen klar handlungsleitend auf die Konfliktpar­ teien zu beschränken. Sollte es den Bedarf geben, Dritte etwas zu fragen oder sie um etwas zu bitten, so wird konkret vereinbart, wer wen worum und gegebenenfalls auch wann und wo fragt oder bittet. Nicht selten müs­ sen Dritte sowohl im beruflichen als auch im familiären Kontext über einen Teil der getroffenen Vereinbarung informiert werden. Genaues Nachfragen ermöglicht der Mediatorin auch hier, schriftlich festzuhalten, wer wen wor­ über und gegebenenfalls auch wann und wo informiert.

Ein Blick auf die visualisierten Interessen der dritten Phase hilft fest­ zustellen, ob die sich abzeichnende Vereinbarung auch den bedeutsamen Interessen der Beteiligten entspricht. Haben wir den Eindruck, dass ein zentrales Interesse einer Partei hierbei nicht (ausreichend) berücksichtigt wird, so fragen wir gegebenenfalls nochmal nach: »Sie haben vorhin er­ läutert, dass Ihnen … besonders wichtig ist. Ich frage mich gerade, ob das in der ausformulierten Vereinbarung für Sie ausreichend berücksichtigt wurde.« Umgang mit Absichtserklärungen

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»Wir wollen von nun an respektvoll miteinander umgehen.« Absichtserklärungen entsprechen nicht den Kriterien für eine tragfähi­ ge Vereinbarung, da sie nicht konkret handlungsleitend sind. Sie können daher – wie ausgeführt – nicht Teil einer Vereinbarung sein. Dennoch wün­ schen Parteien manchmal die Aufnahme solcher Formulierungen in die Ver­ einbarung. Vielleicht möchten sie damit den gemeinsamen guten Willen bekunden oder den Geist, in dem die Vereinbarung getroffen wurde, schrift­ lich niederlegen. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, dem Wunsch der Beteiligten zu entsprechen und diese grundsätzlichen Absichtserklärun­ gen als Präambel dem eigentlichen Vereinbarungstext voranzustellen.

Mediationspraxis

Formulierung der Abschlussvereinbarung Wurden alle Vereinbarungen schriftlich fixiert und den Beteiligten noch einmal in Ruhe vorgelesen, klären wir mit den Parteien, auf welche Wei­ se sie ein Exemplar erhalten und ob sie die Vereinbarung unterschreiben möchten. Zwei Beispielvarianten möchten wir skizzieren: a) Die Mediatorin schreibt den gesamten Vereinbarungstext fortlaufend an ein Flipchart. Die Parteien erleben so den Entstehungsprozess sichtbar mit. Beide erklären sich einverstanden und unterschreiben gegebenenfalls den Text am Flipchart. Nach Beendigung der Sitzung sendet die Mediatorin jeweils ein getipptes Exemplar oder die fotografierte Visualisierung an die Parteien. b) Die Mediatorin schreibt die Vereinbarung fortlaufend in Stichworten und Halbsätzen auf Moderationskarten. Nach Beendigung der Sitzung sen­ det sie jeweils ein ausformuliertes Exemplar an die Parteien. Schon vorher

Absichtserklärungen können einer Vereinbarung vorangestellt werden

haben die Parteien vereinbart, ob sie sich nochmals mit der fertigen Verein­ barung mit der Mediatorin (zur Unterschrift?) treffen. Abschließend drücken wir unsere Wertschätzung für die Leistung der Beteiligten aus, gemeinsam einen für sie zufriedenstellenden bzw. bestmög­ lichen Umgang mit ihrem Konflikt gefunden zu haben. Bei eventuellem Nachverhandlungsbedarf bieten wir ihnen Unterstützung an. Dafür gibt es drei grundsätzliche Varianten: ƒƒ Die Parteien vereinbaren, sich bei Bedarf mit der Mediatorin in Verbin­ dung zu setzen. ƒƒ Die Parteien vereinbaren einen verbindlichen Termin mit der Mediatorin in zwei bis sechs Monaten. ƒƒ Die Parteien vereinbaren einen optionalen Termin mit der Mediatorin in zwei bis sechs Monaten. Zwei Wochen vor dem Termin fragt die Media­ torin die Beteiligten, ob Bedarf für eine Nachverhandlung besteht. Sollte eine Person diesen Bedarf sehen, findet der Termin statt. Auch die fünfte Phase der Mediation ist ein wichtiger Schritt, der Ruhe und besondere Aufmerksamkeit erfordert. Fast jeder Mediator kennt die Falle, den Zeitaufwand für diese Phase unterschätzt zu haben. Entschleunigen, genau Formulieren und Konkretisieren sind hier gefragte Fähigkeiten – und eine gesunde Distanz, um sich nicht von der Euphorie der Parteien, eine ge­ meinsame Lösung gefunden zu haben, mitreißen zu lassen.

Die Einigung der Parteien im Mediationsgesetz Juliane Ade Informierte Entscheidung Das Gesetz schreibt (Rechts-)Beratung im Rahmen von Mediation nicht grundsätzlich vor. Gemäß § 2 Abs. 6 S. 1 Mediationsgesetz soll die Mediatorin aber darauf hinwirken, dass die Parteien sich in voller Kenntnis der Sachlage einigen und den Inhalt der Einigung tatsächlich verstehen. Mediatorinnen kommen dieser Pflicht nach, indem sie zum Beispiel à konkret nachfragen, ob und wie genau die Parteien einen Formulierungsentwurf verstehen, à etwaige Informations- und Vereinbarungslücken darstellen, à die Parteien auf ihre Verantwortung aufmerksam machen.

Die Parteien sollen sich in voller Kenntnis der Sachlage einigen

Die fünf te Phase der Mediation

123

Die Verantwortung für eine ausreichende Informiertheit sieht das Gesetz letztlich bei den Parteien (§ 1 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 6 MediationsG). Hinweispflicht auf externe Überprüfung Nehmen die Parteien ohne fachliche Beratung an der Mediation teil, so hat der Mediator die Pflicht, die Parteien – spätestens vor Einigungsabschluss – auf die Möglichkeit einer externen Überprüfung der Vereinbarung hinzuweisen (§ 2 Abs. 6 S. 2 MediationsG). Dies bezieht sich insbesondere auf eine rechtliche Überprüfung; es kann jedoch auch anderweitiger Bedarf nach einer externen fachlichen Prüfung bestehen. Dokumentation Der Mediator muss das Einverständnis der Parteien zur Dokumentation der erzielten Einigung sicherstellen (§ 2 Abs. 6 S. 3 MediationsG). Eine Dokumentationspflicht des Mediators besteht aber nur, wenn sie vertraglich vereinbart ist. Für die Formulierung einer Mediationsvereinbarung macht der Gesetzgeber im Übrigen keine gesonderten Vorgaben. Sie kann grundsätzlich formlos, mündlich oder schriftlich erfolgen. In bestimmten Fällen, wie beim Grundstückskauf, schreibt das Gesetz aber zum Beispiel Schriftform und Beurkundung als Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Vereinbarung vor (siehe § 311b BGB). Solche gesetzlichen Vorgaben gelten natürlich auch für bestimmte Mediationsvereinbarungen.

124

2.5.2 Die Vereinbarung mit einem Risikocheck optimieren

Mediationspraxis

Alexander Redlich

In diesem Abschnitt geht es darum, Methoden kennenzulernen, mit denen die Umsetzung der Vereinbarung systematisch gesichert werden kann. Da­ bei nehmen wir als Mediatoren die Gefahren für die Umsetzung (»Risiken«) und ihre Frühwarnsignale in den Blick. Auf diese Weise können bereits in der Mediation geeignete Maßnahmen gefunden werden, um den Risiken vorzubeugen (»Prävention«) oder bei einer akuten Gefahr rasche Gegenmaß­ nahmen zu treffen (»Intervention«). Oftmals treten bei der Umsetzung von Vereinbarungen Probleme wie im folgenden Beispiel auf:

Die Abschlussvereinbarung kann mit dem ausdrücklichen Willen der Parteien dokumentiert werden

In einem Erbschaftskonflikt um ein Wohnhaus hatten die vier Erben in einer Mediation entschieden, das Haus zu verkaufen und den Erlös gleich zu verteilen, um ein teures Gerichtsverfahren zu vermeiden. Danach hatten sie abgesprochen, sich an einem bestimmten Termin im Haus zu treffen und das Mobiliar zu verteilen. Dabei kam es erneut zu heftigen Auseinandersetzungen, sodass sie wieder den Mediator konsultierten. Der Mediator führte nachträglich einen verkürzten Risikocheck durch. Folgende Gefahren zeigten sich: (a) Mangelndes Wissen über die zu verteilenden Gegenstände und ihren Wert verstärkte das gegenseitige Misstrauen. (b) Die Verteilung von mehr als 100 Gegenständen auf vier Erben war enorm komplex. (c) Es stand zu wenig Zeit zur Verfügung. Auf der Basis der Risikoanalyse konnten die Erben ein sorgfäl­ tiges Verteilungsverfahren absprechen. Sie wollten zunächst vor Ort gemeinsam eine Liste der vorhandenen Gegenstände und ihres jeweiligen Wertes anfertigen. Danach sollte jeder für sich zu Hause in Ruhe sein Interesse an jedem Gegenstand überlegen und seine Präferenzen in die Liste eintragen. Die meisten Gegenstände waren unstrittig und wurden (vorläufig) aufgeteilt. Es blieb eine überschaubare Zahl an strittigen Gegenständen, die in Anwesenheit des Mediators verhandelt wurden; teilweise auch in bilateralen Gesprächen, wenn nur zwei Erben an einem Gegenstand Interesse hatten. Abschließend wurde eine Übersicht über die ge­samte Verteilung erstellt und mit geringfügigen Feinkorrekturen endgültig festgelegt.

Das Scheitern guter Vorsätze kennt jeder, besonders wenn sie sich auf den besseren Umgang mit Mitmenschen beziehen. Wenn im rauen Alltag Fehl­ schläge und Missverständnisse auftreten, drohen der Rückfall ins alte Miss­ trauen und die Neuauflage des Konflikts. Dem Scheitern einer Vereinbarung und partiellen Fehlschlägen gehen oft deutliche Anzeichen voraus. Besprechen die Konfliktparteien solche Frühwarnsignale, können sie die Vereinbarung präventiv optimieren oder – entsprechend vorbereitet  – zielgerichtet und planvoll intervenieren (siehe Abb. 22).

Ungünstige Bedingungen und Gewohnheiten erschweren Verhaltensänderungen

Die fünf te Phase der Mediation

125

Vereinbarung

Risiken

Frühwarnsignale

Präventive Maßnahmen

Fehlschlag

Ziel Lösung

Interventive Maßnahmen

Mediationspraxis

126

Es ist hilfreich, einen Risikocheck der Vereinbarung als wichtigen Teil der Me­ diation bereits in der Auftragsvereinbarung ausdrücklich zu benennen und ihm entsprechend Zeit einzuräumen. Der Check enthält folgende Elemente: ƒƒ Benennung möglicher Risiken, die die Umsetzung der Vereinbarung stö­ ren oder verhindern, ƒƒ Identifikation von Frühwarnsignalen, an denen die Beteiligten eine dro­ hende Gefahr erkennen können, ƒƒ Festlegung präventiver Maßnahmen, die bestimmte Gefahren von vornhe­ rein verhindern, ƒƒ Planung von Interventionsmaßnahmen, die gegebenenfalls eintretende Risi­ ken mildern oder beseitigen. Die Leitfragen für den Risikocheck helfen, die wichtigen Aspekte in den Blick zu nehmen. In den folgenden Teilabschnitten wird der Gebrauch die­ ser vier Leitfragen erläutert.

Abb. 22: Präventive und interventive Maßnahmen zur Bewältigung von Risiken

Leitfragen 1

Risiken

Wenn etwas schiefgeht, was wird es sein?

2

Frühwarnsignale

Gesetzt den Fall, ein Risiko tritt ein: Wie hätten Sie es vorhersehen können?

3

Präventive Maßnahmen

Wer könnte was tun, wenn ein Frühwarnsignal auf Probleme hindeutet?

4

Interventionen

Wer könnte was tun, wenn etwas schiefgegangen ist?

Abb. 23: Leitfragen für den Risikocheck

Risikoanalyse: Mutiger Blick in die Schlangengrube

Die Sammlung der Risiken lässt sich gut mit der Methode des Brainstor­ mings durchführen. Die Mediatorin kann die Konfliktparteien bitten, alle Risiken, die ihnen einfallen, auf Karten oder Din-A5-Blätter zu schreiben (»Kartenabfrage«). Sie kann die Konfliktparteien auch auffordern, ihr diese Risiken zu nennen, damit sie sie auf Karten mitschreiben kann. Auf jeden Fall ist es hilfreich, mit Blättern oder Karten zu arbeiten, um Übersicht zu

127

Die fünf te Phase der Mediation

Ein Risiko ist das mögliche Eintreten eines Ereignisses, das das Erreichen eines Ziels verhindert oder negative Nebenwirkungen erzeugt. Der gesamte Risikocheck kann je nach Umfang der getroffenen Vereinbarung zwischen 30 Minuten und mehrere Stunden umfassen. Meistens leiten wir die Kon­ fliktparteien als Erstes an, die Gefahren und Risiken zu sammeln, die bei der Umsetzung der Vereinbarung in den Alltag auftreten können. Hier sol­ len alle möglichen kritischen Ereignisse gesammelt werden. Folgende Fragen können die wichtigsten Risiken auf den Tisch bringen: ƒƒ Woran können die vereinbarten Lösungen scheitern? ƒƒ Was wird im schlimmsten Fall eintreten? ƒƒ Was hat bisher ähnliche Vorhaben zum Scheitern gebracht? ƒƒ Welche ungewollten Nebeneffekte können auftreten?

schaffen (siehe Übersicht zum Risikocheck). Mithilfe der Übersicht lassen sich verschiedene Risiken vergleichen und bewerten. Hier greifen wir gelegentlich auf kreative Methoden zurück, beispiels­ weise auf die Szenario-Technik: Die Konfliktparteien werden aufgefordert, konkret zu zeigen, wie ein Vorsatz schiefgehen kann, das heißt eine zukünf­ tige Szene zu beschreiben oder sogar im Rollenspiel vorzuspielen, wie und warum eine geplante Maßnahme scheitern kann.

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Zwei Abteilungsleiter haben in einer Mediation vereinbart, dass sie sich montags zu Arbeitsbeginn jeweils 30 Minuten zusammensetzen und kritische Punkte aus der vorherigen Woche besprechen sowie die vor ihnen liegende Woche planen, um kritische Punkte und Missverständnisse frühzeitig auszuräumen und ihre Aktivitäten aufeinander abzustimmen. Sie befürchten, dass dieser Montagmorgen-Termin ausfällt und sich schließlich wieder die alten Probleme einstellen. Die Mediatorin bittet jeden einmal für sich aufzuschreiben, wie es denn am Montagmorgen ablaufen würde, wenn der Termin tatsächlich ausfällt. Überraschenderweise beschreibt jeder dasselbe; dass er am Montagmorgen eine E-Mail vom anderen erhält, in der die Frage steht: »Gibt es etwas zu besprechen oder können wir den Termin ausfallen lassen?«, und dass beide antworten, dass sie »nichts zu besprechen hätten und der Termin ausfallen kann«. Hintergrund: Keiner der beiden will derjenige sein, der ein besprechenswertes Problem hat. Die Mediatorin vereinbart mit ihnen als präventive Maßnahme, dass sie fünf Wochen lang keinen Montagmorgen-Termin ausfallen lassen, sondern sich auf jeden Fall treffen und 30 Minuten lang miteinander sprechen, egal welche anderen Prioritäten anstehen.

Mediationspraxis

Frühwarnsignale Je konkreter ein Risiko benannt wird, desto eher lassen sich Hinweise da­ rauf finden. Hier wird für jedes Risiko nach solchen frühen Signalen ge­ sucht. Weil die Konfliktparteien mit den Risiken am besten vertraut sind, können sie auch die möglichen Schwächen und Gefahren des Lösungsplans benennen. Deshalb sind sie gefragt (siehe Leitfragen Risikocheck). Mit einer Kartenabfrage können diejenigen Ereignisse gesammelt wer­ den, die auf Fehlschläge oder ein Scheitern des Lösungsplans hindeuten. Oder aber die Mediatorin schreibt die von den Konfliktparteien genannten Hinweise mit und ordnet sie den Risiken zu (siehe Übersicht Risikocheck). Im eben skizzierten Beispiel wäre die Absage oder das Vergessen des ers­ ten Termins ein typisches Signal für ein ungewolltes Versanden der Abspra­

Kreative Methoden helfen, die Risiken konkret zu beschreiben

che. In einem anderen Fall nannten die Konfliktparteien Stress und Zeit­ druck als Frühwarnsignale für das Risiko übereilter Entscheidungen, die dann wieder korrigiert werden mussten. Weitere klassische Risiken bei der Umsetzung von Vereinbarungen sind die mangelnde Unterstützung durch Vorgesetzte (Frühwarnsignal »schlechte Erreichbarkeit«) und die Unverän­ derbarkeit von etablierten Regelungen in Arbeitsgruppen. Frühwarnsignale sind hierbei Aussagen wie »Das haben wir immer so gemacht!« oder »Das hat sich doch sehr gut bewährt!«. Mediation »auf den oberen Etagen« führt oft zur Erkenntnis strukturel­ ler Schwächen der Organisation und macht dann umfassende Veränderungs­ planungen notwendig. Auch hier sind Risikocheck und Identifikation von Frühwarnsignalen hilfreich. So wurden bei der Mediation eines Konflikts in der Geschäftsführung einer Klinik Maßnahmen zur Organisationsverände­ rung geplant und den Mitarbeitern vorgestellt, die sich diese »ohne sichtbare Reaktion« anhörten. Diese Reaktionslosigkeit der Mitarbeiter interpretierte die Mediatorin als Frühwarnsignal, das auf eine unausgesprochene Ableh­ nung hindeuten könnte. Die Führungskräfte veranlassten daraufhin eine sorgfältige Mitarbeiterbefragung, in der Bedenken und Wünsche in den Ver­ änderungsprozess eingebracht werden konnten. Sind die Risiken und ihre Frühwarnsignale identifiziert, kann die Ver­ einbarung entsprechend präventiv korrigiert und ein Plan für etwaige Inter­ ventionen entwickelt werden.

129

Auch dieser letzte Schritt kann in der Mediation zu Spannungen und Aus­ einandersetzungen führen, indem die Konfliktparteien Risiken und Früh­ warnsignale nennen, die die andere Seite als Vorwürfe erlebt. So fallen schnell einmal bissige Bemerkungen oder bittere Andeutungen wie »Die andere Seite hält sich nicht an die Absprache«, »Zusammenarbeit muss man auch wollen« oder »Täuschung ist bei manchen doch Gewohnheit«. Als Mediatoren fangen wir aufkommende Konflikte oft so auf: ƒƒ Wir futurisieren, indem wir den Beteiligten vorschlagen, sich damit spä­ ter in Ruhe und mit Sorgfalt auseinanderzusetzen. Vorher sollten erst noch weitere Frühwarnsignale von Risiken gesammelt werden. ƒƒ Steigern sich jedoch die Spannungen und es geht hoch her mit Aggressi­ onen oder Herabsetzungen, so fassen wir meist die direkte Bearbeitung

Die fünf te Phase der Mediation

Exkurs: Bearbeitung aufkommender Konflikte

des aktuellen Konfliktes ins Auge. Hierfür holen wir uns die Zustim­ mung der Beteiligten ein. ƒƒ Wenn ein Konflikt in diesem Schritt nicht eskaliert oder die Beteiligten nicht bereit sind, wieder in den Konflikt einzusteigen, schlagen wir oft vor, ihn im nächsten Schritt unter »Präventive Maßnahmen« zu bearbei­ ten. Dieses Vorgehen kann die Beteiligten von der vergangenheitsorien­ tierten Aufarbeitung entlasten. Prävention

Mediationspraxis

130

Die Konfliktparteien haben die Risiken und ihre Frühwarnsignale heraus­ gearbeitet. Nun können sie überlegen, was sie dagegen unternehmen könn­ ten. Dies erfordert eine strukturierte und zugleich kreative Arbeit. Auch hier kann wieder ein Brainstorming mithilfe einer Kartenabfrage oder Zu­ ruffrage hilfreich sein. Zu jedem Risiko werden dabei Ideen für präventive Maßnahmen gesammelt, sei es eine Korrektur an der Vereinbarung oder ein Notfallplan bei drohender Gefahr. Für die Ideensammlung können wir auf folgende Fragen zurückgreifen: ƒƒ An welchen Punkten sollte der Aktionsplan bzw. die Vereinbarung geän­ dert werden, um Fehlschläge zu vermeiden? ƒƒ Was kann vorbeugend ergänzt werden? ƒƒ Was sollte wer tun, wenn Frühwarnsignale auf kritische Entwicklungen hindeuten? Die Vorschläge können an der Pinnwand, auf einem Tisch oder auf dem Fußboden ausgelegt, bewertet und schließlich den jeweiligen Risiken zuge­ ordnet und bei Zustimmung aller Beteiligten ergänzend vereinbart werden (siehe Übersicht Risikocheck). Intervention Die Konfliktparteien können auch Ideen entwickeln, um auf Gefahren zu reagieren, wenn diese eintreten. Beispielsweise können sie folgende Abspra­ che für das Risiko treffen, dass eine Partei einen Punkt der Vereinbarung nicht einhält: Diejenige Partei, die eine Aktion oder Unterlassung der an­ deren Partei als Bruch der Vereinbarung wahrnimmt oder darunter leidet, fragt zunächst nach, ob diese Aktion oder Unterlassung ein bloßes Versehen,

Ausdruck einer anderen Interpretation oder ein absichtliches Brechen der Vereinbarung war. Handelt es sich um ein Versehen, soll sich die eine Partei kurz entschuldi­ gen und die andere die Entschuldigung nach dem Motto »Schwamm drüber, das kann jedem passieren!« annehmen. Liegen verschiedene Interpretatio­ nen der Vereinbarung vor, sollen beide Parteien versuchen, diesen Punkt selbstständig zu klären und zu präzisieren. Gelingt ihnen dies nicht, sollten sie die Mediatorin konsultieren. Wurde die Vereinbarung bewusst gebro­ chen, weil die andere Partei sie nicht akzeptiert, sollen die Parteien gemein­ sam einen kurzen Versuch unternehmen, den Konfliktpunkt zu klären und selbstständig zu lösen. Falls das nicht gleich gelingt, soll die Mediatorin wie­ der zu Rate gezogen werden. Gelegentlich gibt es zentrale Gefahren, die die gesamte Vereinbarung infrage stellen können. Dies ist der Fall, wenn der Kern der Vereinbarung verletzt wird; zum Beispiel bei Trennungs- und Scheidungsmediation, wenn die Besuchsregelungen für die Kinder immer wieder verletzt oder die Unter­ haltszahlungen nicht überwiesen werden. Im Organisationsbereich ist die Einhaltung von Fristen für die Lieferung von Material, Informationen oder Zuarbeiten oft ein kritischer Punkt. Bei Beziehungskonflikten können die Verletzung der Vertraulichkeitsvereinbarung oder herabsetzende Umgangs­ formen sehr schnell zu einem Rückfall führen. Um zu einem tragfähigen Interventionsplan zu gelangen, stellen wir als Mediatorinnen an dieser Stelle der Mediation beispielsweise folgende Fragen: ƒƒ Wer sollte was tun, wenn eine Gefahr droht? ƒƒ Wie kann ein Alternativplan aussehen? ƒƒ Was sollte im Fall einer umfassenden Krise geschehen? Weiterführende Literatur: Redlich, A. (2012). Konfliktmoderation in Gruppen. Hamburg: Windmühle

Die fünf te Phase der Mediation

Interventive Maßnahmen können in der Übersicht (siehe Abb. 24) bei den entsprechenden Risiken unter der entsprechenden Kategorie ergänzend in der Vereinbarung aufgeführt werden.

131

Umsetzung sichern Risiken Probleme

Frühwarnsignale

Präventive Maßnahmen

Interventive Maßnahmen

Abb. 24: Übersicht zum Risikocheck

2.5.3 Keine Einigung – und dann?

Mediationspraxis

132

Als Mediatoren unterstützen wir die Konfliktparteien dabei, sich sowohl ih­ rer eigenen Interessen und identitätsbasierten Werte bewusst(er) zu werden als auch die Interessen und Werte der anderen Partei besser nachvollziehen und somit verstehen zu können. Diese Klarheit führt in den meisten Fällen dazu, dass die Beteiligten für sich einen zufriedenstellenden Umgang mit der problematischen Situation finden. Nicht jede Mediation führt jedoch zu einer Lösung im Sinne einer Auflösung des Konflikts. In einer Gruppe von Psychotherapeuten einer Praxisgemeinschaft war es das Ziel der Mediation, konsensuale Entscheidungen bezüglich mehrerer aufgestauter Themen des letzten Jahres zu treffen. Im Verlauf der Mediation wurde den vier Therapeuten klar, dass bei den wesentlichen Konfliktthemen nicht nur die Interessen jeweils diametral gelagert waren: Drei Therapeuten teilten einen identitätsbasierten Wert (die grundlegende therapeutische Ver­ sorgung für alle Patienten unabhängig von ihrer Versicherungsform), das Handeln des Vierten war dagegen auf eine Gewinnmaximierung ausgerich­ tet. Auf dieser Grundlage ließ sich bezüglich Konfliktthemen wie der An­ schaffung neuer Geräte oder der Einstellung von Personal keine Einigung erzielen.

Nicht jede Mediation führt zu einer Lösung im Sinne einer Auflösung des Konflikts

Keine Einigung bedeutet nicht das Scheitern der Mediation

133

Die fünf te Phase der Mediation

In der Supervision von Mediatoren erleben wir manchmal, dass eine sol­ che Situation gerade von Berufseinsteigern als Scheitern der Mediation er­ lebt wird, verbunden mit dem Gefühl, als Mediator versagt zu haben. Nun ist es zweifelsohne sinnvoll, dass wir uns als Mediatoren bei einer Inter- oder Supervision selbstreflexiv die Frage stellen, ob wir tatsächlich die wesentli­ chen Interessen und Werte in der Mediation erfasst haben, wenn es nicht zu einer Einigung kommt. Gelangen wir jedoch zu der Erkenntnis, dass wir »sauber« gearbeitet haben, so bedarf es einer Umdeutung (»Reframing«) so­ wohl für uns selbst als auch für die Konfliktparteien im Sinne einer Entdra­ matisierung: Die schwierige Situation der Beteiligten ist deutlicher gewor­ den, die Unvereinbarkeiten sind klarer benannt worden. Hierzu konnte die Mediation ihren Beitrag leisten. Wie gehen wir mit diesen Situationen in der Mediation um? Häufig sind die genannten Erkenntnismomente geprägt von Enttäuschung, Hilflosigkeit bis hin zu Resignation. Diesen Gefühlen geben wir in Form einer Erste-HilfeEmpathie Raum und erkennen sie damit an. Im Sinne einer Entdramatisie­ rung benennen wir sodann nochmals die Unvereinbarkeit auf der Interes­ sen- bzw. Werteebene und fragen die Konfliktparteien: »Wie wollen Sie nun damit umgehen, dass keine Einigung möglich ist?« Als Mediatorinnen bleibt auch in dieser Frage eine konsensuale Vereinbarung unser Ziel. In der Praxisgemeinschaft entschieden die Therapeuten an dieser Stel­ le, dass es die beste Option sei, sich mittelfristig voneinander zu trennen, indem sich der Therapeut mit dem abweichenden Wertesystem eine neue Praxisgemeinschaft sucht. An dieser Stelle endet die Mediation für uns je­ doch nicht, sondern wir begleiten, wenn von den Parteien gewünscht, die Beteiligten in diesem Prozess der Entflechtung. Dabei gilt es, erneut in der zweiten Phase mit einer Themensammlung zu beginnen und die Beteiligten zu fragen, was bei der Trennung miteinander zu klären und zu vereinbaren ist. Die Entflechtung kann hierbei sehr unterschiedlich sein: von einem Ne­ beneinander (beispielsweise klare Aufteilung von Zuständigkeitsbereichen zwischen zwei Sachbearbeitern) bis hin zu einer kompletten Trennung (bei­ spielsweise Auszug einer Partei aus dem gemeinsamen Büro). Trennung ist manchmal tatsächlich die beste Option. Dies hat uns zu Be­ ginn unserer Tätigkeit ein Paar gelehrt, das in die Mediation kam, um einige länger andauernde Konflikte wie die Frage nach einer getrennten oder ge­ meinsamen Wohnung zu klären. Nach mehreren Mediationssitzungen wur­ de der Frau klar, dass eine Trennung für sie die beste Option darstellt. Der

Mediationspraxis

134

Mann und – offen gestanden – auch wir fielen aus allen Wolken. Wir hatten den Eindruck, komplett gescheitert zu sein. Als uns die Frau jedoch nach einigen Monaten glücklich mitteilte, dass es die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen sei, sich einmal ohne kriegsähnliche Zustände von einem Mann zu trennen, und dass sie beide auf dem Weg zu einer beglückenden Freundschaft seien, gelang auch uns eine Umdeutung. Entflechtung ist jedoch nicht die einzige Option bei einer »Nicht-Eini­ gung«. Wenn die Konfliktparteien nicht in der Lage sind, eine einvernehm­ liche Entscheidung zu treffen, gleichzeitig jedoch davon überzeugt sind, dass diese Entscheidung getroffen werden muss, so gilt es, einen Konsens bezüglich der entscheidenden Instanz herzustellen. Hier lautet die Leit­ frage: »Wer soll jetzt entscheiden?« Dies können neben dem klassischen Gericht ganz unterschiedliche Instanzen sein. Im Berufskontext werden oftmals Vorgesetzte benannt, die nun entscheiden sollen, manchmal sind es Schiedsgerichte, im familiären Kontext begegnen uns auch kreative In­ stanzen wie beispielsweise in einem Erbschaftsstreit zwischen zwei Brü­ dern die Geschwister der verstorbenen Mutter. Dies mediieren wir auf Wunsch der Parteien klassisch von der Erhellung der jeweiligen Interessen bis zu einer Vereinbarung über eine Entscheidungsinstanz und der Kon­ taktaufnahme zu dieser Instanz. Zu guter Letzt möchten wir anmerken, dass auch ein »Weiter wie bis­ her!« in einigen Fällen die bestmögliche Option darstellt. Auch hier führen wir die Mediation zu einer Vereinbarung: »Die Beteiligten entscheiden, ihre Arbeitsbeziehung weiter wie bisher zu führen.« Dieser Satz am Ende einer Mediation vermittelt den Parteien zumindest eine Klarheit darüber, was sie zukünftig erwartet.

2.6 Die Umsetzung in den Alltag begleiten Alexander Redlich/Silke Freitag

Wenn wir die ehemaligen Konfliktparteien bei der Umsetzung der Verein­ barung in den Alltag begleiten und unterstützen, verfolgen wir zwei Zie­ le: Zum einen wollen wir die Vereinbarung gemeinsam mit den Parteien prüfen und gegebenenfalls anpassen, zum anderen eine Kultur der Zusam­

Einigung auf eine Entscheidungsinstanz

menarbeit zwischen den ehemaligen Konfliktparteien fördern. In diesem Abschnitt beschreiben wir, warum und wie wir dies tun. Unterstützung der Umsetzung in den Alltag Viele Mediatoren schließen eine Mediation ab, wenn die Parteien ihre Ver­ einbarung getroffen haben. Aber wie wir aus Langzeituntersuchungen wis­ sen, sind Vereinbarungen immer in Gefahr, unzureichend umgesetzt zu werden – oder auch gar nicht. Der Alltag lässt Absprachen schnell in Ver­ gessenheit geraten. Erste Versuche der Umsetzung von Maßnahmen treffen auf Unkenntnis oder abweisende Reaktionen von Dritten und verursachen so beispielsweise neue Spannungen. Derartige Erfahrungen führen oft dazu, dass hoffnungsvolle Bemühungen aufgegeben werden. Als Mediatorinnen können wir die Konfliktparteien bei der Umsetzung in ihren Alltag unterstützen, indem wir Nachfolgetreffen mit den Parteien vereinbaren und die Umsetzung durch Erprobung, Evaluation und Modifika­ tion der Vereinbarungen begleiten. Die Vereinbarung erproben und modifizieren Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Vereinbarung in den Alltag sind hochwahrscheinlich

Eine Erprobungsphase ist Teil der Vereinbarung

135

Die Umsetzung in den Alltag begleiten

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Schwierigkeiten in der Umsetzung von Vereinbarungen der Normalfall sind. Daher sind für uns die ersten Wo­ chen der Umsetzung eine »Erprobung im Alltag«. Niemand ist perfekt in der Planung der Zukunft, und Schwierigkeiten in der Umsetzung sind hoch­ wahrscheinlich – eine Haltung, die wir auch den Medianden nahelegen. Letztlich zeigt erst diese praktische Erfahrung, was funktioniert und was nicht. Auch dies benennen wir als Mediatorinnen explizit und entdramati­ sierend: »Unserer Erfahrung nach ist es unrealistisch, zu erwarten, dass Sie Ihren vereinbarten Aktionsplan perfekt umsetzen. Einige Vereinbarungen werden sich im Alltag als tragfähig und für Sie zufriedenstellend heraus­ stellen. Es sind jedoch auch Abweichungen zu erwarten – Vereinbarungen, die sich so noch nicht umsetzen lassen und einer Nachbesserung bedürfen.« Die ersten Tage, Wochen oder auch Monate der Umsetzung als Zeit der Er­ probung und des Experimentierens zu definieren, bietet eine hilfreiche und zugleich wirksame Sichtweise, mit diesem Problem umzugehen. Ein hin­ reichend langer Zeitraum der Erprobung ermöglicht dabei kleine Schritte der Verbesserung. Mit diesen Schritten sammeln die Parteien Erfahrungen

mit den Ergebnissen der Vereinbarung (Eindrücke und Fakten), sie bewerten diese und können gegebenenfalls die Vereinbarung zielgerichtet anpassen (siehe Feedbackschleife). Diese Erprobungsphase wird in der Vereinbarung explizit festgehalten.

Vereinbarung

(Neue) Vereinbarung

Vereinbarung anpassen Eindrücke/ Fakten sammeln

Vereinbarung anpassen

Eindrücke/ Fakten sammeln Bewerten

Bewerten

136

Wir können die Konfliktparteien in einem Folgetreffen dazu anregen, sich die wichtigsten Zielsetzungen einer Vereinbarung zu vergegenwärtigen und die Umsetzung subjektiv zu bewerten. Mögliche Vorgehensweisen zeigen die folgenden Beispiele.

Mediationspraxis

Mini-Evaluation der Zielerreichung In vielen Vereinbarungen streben die Parteien unter anderem eine »Verbes­ serung der Kommunikation bei Kritik« an. Die Vereinbarung enthält diesbe­ züglich oft Ziele wie »Konkrete Kritik statt Verallgemeinerungen«, »Kritik früh ansprechen« sowie Maßnahmen wie »Kritik als regelmäßiger Tagesord­ nungspunkt« oder »Konfliktgespräche in Gegenwart des Vorgesetzten«. We­ gen des Interpretationsspielraums solcher Absprachen ist ihre Umsetzung besonders gefährdet. Daher ist eine ausreichende Erprobungszeit für eine Überprüfung sinnvoll. Dazu bereiten wir für das Folgetreffen eine Modera­ tionswand mit den getroffenen Absprachen zum respektvollen Umgang mit­ einander vor und lassen diese von den Beteiligten bewerten. Die Bewertung der einzelnen Aspekte erfolgt anhand von Skalenwerten (siehe Bewertung

Abb. 25: FeedbackSchleife zur Umsetzung der Vereinbarung

der Zielerreichung), beispielsweise mittels der visualisierten Frage: »Wie zu­ frieden sind Sie mit Ihrem Umgang mit Kritik auf einer Skala zwischen sehr zufrieden (++) und sehr unzufrieden (--)?«

Zufriedenheit im Umgang mit Kritik Zufriedenheit Konkrete Kritik statt Verallgemeinerung

++ + 0 - --

Zuhören bei Kritik anderer Frühzeitige Ansprache von Kritik

Abb. 26: Bewertung der Vereinbarungs­ ergebnisse

Auf dieser Bewertungsgrundlage können die Beteiligten nun die Ursachen der Zielerreichung oder Zielverfehlung diskutieren. Dabei fragen wir, worauf sie ihre Bewertung eines Aspektes wie »Frühzeitige Ansprache von Kritik« zurückführen. Nicht selten werden hierbei Faktoren angegeben, die nichts mit der Mediation zu tun haben; beispielsweise: »Wir haben einen neuen Kollegen. Das hat die Atmosphäre völlig verändert, denn er ist ein sehr of­ fener Mensch, der im Alltag Spannungen zwischen uns offen anspricht und eine Klärung quasi einfordert.« Hierbei ist es empfehlenswert, sich darauf einzustellen, dass es wieder zu Differenzen zwischen den Parteien kommen kann; beispielsweise wenn

Die Umsetzung in den Alltag begleiten

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Mediationspraxis

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eine Person sich selbst so einschätzt, dass sie handlungsbezogen Kritik ge­ äußert hat, die andere dies jedoch als persönlichen Angriff wahrgenom­ men hat. Bei Unstimmigkeiten scheint es uns generell sinnvoll, ein wenig abzuwarten, wie die Konfliktparteien selbst damit umgehen, bevor wir als Mediatorinnen unterstützend eingreifen. Oft zeigt sich dann, dass die Kon­ fliktparteien in der Mediation bereits einiges gelernt haben, um konstruktiv miteinander über diesen Dissens zu sprechen. Auf diese Weise können die Beteiligten ihre Zielsetzungen am Ende der Erprobungsphase gemeinsam überprüfen – häufig moderiert von uns Mediatorinnen. Unserer Erfahrung nach führt diese Überprüfung zu kleineren oder größeren Modifikationen und gegebenenfalls zu intensiven Nachverhandlungen. Beispielsweise hatte sich das Team eines Handwerksbetriebs zwei Ziele gesetzt: (1) respektvoller Umgang miteinander und (2) einvernehmliche Ent­ scheidung über bestimmte Sachkonflikte wie die Aufgaben des Vorarbeiters, die Vergabe attraktiver Arbeitsmaterialien an bestimmte Mitarbeiter und die Änderung von Arbeitsplatzbeschreibungen. Bezogen auf diese Zielset­ zungen haben wir nach einer zweimonatigen Erprobungsphase in einem Folgetreffen mit den Medianden nach der Qualität des Umgangs und dem Stand der Umsetzung der getroffenen Entscheidung gefragt. Der Umgang auf der Baustelle wurde als deutlich respektvoller und zufriedenstellend erlebt, insbesondere, da empfundene Entgleisungen zeitnah angesprochen wurden. In den wöchentlichen Teambesprechungen bemängelten dagegen mehrere Mitarbeiter, dass der Umgang weiterhin von abwertender nonver­ baler Kommunikation geprägt sei. In der erneuten Erhellung zeigte sich, dass hier der psychologische Mechanismus der »Verantwortungsdiffusion« griff und sich niemand für das Ansprechen abwertender Verhaltensweisen zuständig fühlte. Das Team vereinbarte daraufhin, zukünftig zu Beginn der Besprechungen eine Person zu benennen, die auf den Umgang miteinander achten solle. Sollte die getroffene Vereinbarung im Auswertungstreffen umfassend verändert werden, so hat sich in der Praxis ein erneuter Erprobungszeit­ raum mit anschließender Auswertung als hilfreich erwiesen (siehe zweite Feedbackschleife). Nach einigen Modifikationen kann sich so ein angepass­ tes, alltagstaugliches und für die Beteiligten zufriedenstellendes Miteinan­ der etablieren.

Kooperationskultur fördern Die Leitwerte von Kooperation sind: ƒƒ Transparenz von Informationen, das heißt vor allem, nur konkrete Fak­ ten weiterzugeben, wenig zu interpretieren und relevante Informationen nicht zum Schaden anderer zu verbergen, ƒƒ Anerkennung der anderen Seite als gleichberechtigter Partner, das heißt respektvoller Umgang miteinander auf gleicher Augenhöhe, ƒƒ Offenheit, die subjektive Welt der anderen zu verstehen, das heißt ihnen interessiert und wohlwollend zuzuhören anstatt vorwurfsvoll negative Stereotypen und Schuldzuweisungen zu pflegen, ƒƒ Selbstverantwortlichkeit bei der Umsetzung der vereinbarten Aktionen, das heißt, die abgesprochenen Aufgaben zu erfüllen.

139 Ziel der Begleitung ist es, den konstruktiven Dialog zunehmend in die Hände der Beteiligten zu legen

Die Umsetzung in den Alltag begleiten

Wenn die Parteien sich zur Einhaltung dieser Leitwerte verpflichtet fühlen, hat ihre Kooperation eine solide Basis. Zwischen Konkurrenten etablieren sich dagegen negative Kommunikationsmuster: Die Kontrahenten versu­ chen sich gegenseitig zu schädigen, um Vorteile zu erlangen, sie bringen fal­ sche Informationen in Umlauf und verbreiten negative Stereotype, Beschul­ digungen und Eigenschaftszuschreibungen. Kurz: Sie setzen die andere Seite herab und werten sich selbst auf anstatt einander anzuerkennen. Bei der Mediation und insbesondere in der Umsetzungsbegleitung för­ dern wir kooperative Kommunikationsmuster der wechselseitigen Unter­ stützung und des transparenten Informationsaustauschs, bei denen sich die Beteiligten gegenseitig anerkennen und persönliche Gedanken, Gefühle und Motive austauschen. Wir sind dabei bemüht, diesen konstruktiven Dia­ log zunehmend in die Hände der Beteiligten zu legen und unseren Einfluss zu minimieren. Dazu fragen wir die Beteiligten, wie sie die als konstruktiv erlebte Gesprächsatmosphäre während der Mediation in den Alltag über­ tragen können und welche Dialogmethoden sie verwenden, gegebenenfalls modifizieren oder im Sinne einer kooperativen Kommunikationskultur er­ finden wollen. Oftmals entwickeln sie hierzu sehr kreative Ideen. So hatte ein Team bei seinen Besprechungen über Monate hinweg einen leeren Stuhl als Symbol für die Mediatorin am Tisch stehen, der alle daran erinnern soll­ te, so miteinander zu sprechen, wie sie es in der Mediation getan hatten.

Mediationspraxis

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In einer Stadtteilinitiative beklagten sich die »Erfahrenen« über mangelnden Nachwuchs und die geringe Verbindlichkeit der neuen Mitglieder. Die »Neuen« klagten dagegen über die angebliche Dominanz der Erfahrenen, ihre unterschwelligen Differenzen und ihre langen Redebeiträge, die eher auf die Vermittlung allgemeinen Wissens als auf konkrete Ideen ausgerichtet waren. Es fielen dazu Bezeichnungen wir »Predigten« und »Volksreden«. In der Mediation verwendeten wir als Methode eine zeitliche Redebegrenzung in Verbindung mit der Fishbowl-Methode (Aufteilung der Parteien in redenden Innenkreis und zuhörenden Außenkreis). In der Phase der Erhellung der Hintergründe dieses Konfliktthemas setzten wir die neuen Mitglieder in den Außenkreis. Von dort aus hörten sie zu, was sich die Erfahrenen im Innenkreis zu ihrem Verhältnis zu den neuen Mitgliedern sowie zur internen Kommunikation und Kooperation zu sagen hatten. Danach hatten die Mitglieder des Außenkreises die Möglichkeit, Verständnisfragen zu klären. Sodann setzten sich die neuen Mitglieder in den Innenkreis und konnten vor den Erfahrenen im Außenkreis besprechen, was sie als interne Differenzen herausgehört hatten, wie sie sich ihre Rolle in der Initiative und die zukünftige Kommunikation und Kooperation vorstellen. Jede Gruppe hatte dieselben Bedingungen: 40 Minuten Zeit und die freie Wahl, ob sie moderiert werden oder frei reden wollen. Dieses Setting hatte zwei Effekte: Zum einen unterstützten wir die Erfahrenen in ihrem Innenkreis-Gespräch dabei, sich auf ihre Differenzen zu konzentrieren und kürzer zu reden, weil ihre Adressaten die jeweiligen »Volksreden« schon zur Genüge kannten. Zum anderen gab es nicht mehr das Gefälle in der Redezeitverteilung. Da die neuen Mitglieder mehr Zeit hatten, ihre Ideen auszuführen, hörten die Erfahrenen ihnen plötzlich interessierter zu. Sie fielen seltener in den Modus des »Ich weiß schon, was du sagen willst, haben wir schon versucht«. Die Methode kam bei den Beteiligten sehr gut an und wurde nach der Mediation immer wieder bei den Treffen der Stadtteilinitiative eingesetzt. Jeder konnte nach ihr verlangen, wenn die Kommunikation in schwieriges Fahrwasser kam, etwa mit dem Satz: »Ich glaube, wir brauchen jetzt die Fishbowl-Methode.«

Verwendung der Zeitleiste zur Rückschau auf die Umsetzung Kooperative Kommunikation kann auch durch eine ausführliche Rückschau auf die Zeit der Vereinbarungsumsetzung gefördert werden. Dazu bietet sich das Instrument der Zeitleiste an. Die Zeitleiste ist hilfreich, um wich­ tige Ereignisse, die unter dem alltäglichen Zeitdruck oft nicht besprochen werden können, in einen zeitlichen Ablauf zu bringen und sich darüber sys­

Die Kooperation kann durch eine Rückschau mithilfe einer Zeitleiste thematisiert werden

tematisch auszutauschen. Die Parteien schreiben dazu wichtige Ereignisse, die ihre Zusammenarbeit betreffen, auf Karten. Sie schätzen diese Ereignis­ se auf einer Skala als positiv bzw. negativ ein und bringen sie entsprechend an der Zeitleiste an (siehe Abb. 27).

positiv

Klärungsgespräch

+++ ++ +

Prozessoptimierung

neutral -

Zeit

Schwacher Auftakt

---negativ

Projektabschluss

Etatkürzung

Überraschende Kündigung

Abb. 27: Rekonstruktion von Ergebnissen mithilfe einer Zeitleiste

Ein Mediator hat mit zwei Führungskräften, die regelmäßig in Projektgruppen zusammenarbeiten, eine Mediation zum Umgang mit »emotionalen Altlasten« durchgeführt. Sie trafen die Vereinbarung, dass sie ihre Kooperation ausschließlich auf Sachfragen beschränken (»Koordination der Aufgabenverteilung«) und bei gemeinsamen Aktivitäten mit den anderen Mitgliedern der Projektgruppe einander so weit wie möglich aus dem Weg gehen, um ein schlechtes Arbeitsklima im Team zu vermeiden. Ein Folgetreffen, in dem die Zeitleiste entstand, fand zum Ende der aktuellen Projekt­ arbeit statt. Dabei zeigte sich, dass beide Führungskräfte die Auftaktveranstaltung zum Projekt als sehr angespannt erlebt hatten. Der Tiefpunkt war die Kündigung eines Projektmitglieds, die das gesamte Team einer der beiden Führungskräfte angelastet hatte. Beide Führungskräfte hatten daraufhin ein Klärungsgespräch über diese Kündigung im Projektteam angesetzt. Es stellte sich in der Rückschau als Highlight der gesamten Projektarbeit heraus, weil es gelang, Vorurteile und Missverständnisse auszuräumen. Vor allem wirkte es sich positiv aus, dass die beiden Führungskräfte gemeinsam die Verantwortung für die Kündigung übernahmen. Sie erläuterten dem

Die Umsetzung in den Alltag begleiten

141

Team, von der Kündigung gewusst und die Projektgruppenmitglieder zu spät informiert zu haben. Dies erzeugte eine offene Gesprächsatmosphäre, die sich auf die weitere Projektarbeit positiv auswirkte. So war es dem Team möglich, eine weitere Personalkürzung aufzufangen, indem es in kreativer Weise veraltete Dokumentationsverfahren vereinfachte und dadurch die Arbeitsprozesse optimierte. Entsprechend bewerteten die Führungskräfte den Projektabschluss sehr positiv. In der Rückschau meinten beide, dass sie die Mediationsvereinbarung über die Einschränkung ihrer Zusammenarbeit sehr entlastet habe. Diese Entlastung hat es ihnen ermöglicht, den anderen so sein zu lassen, wie er nun mal ist, und sich nicht über jede Kleinigkeit aufzuregen.

Mediationspraxis

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Bei diesem Verfahren moderieren wir als Mediatorinnen das Gespräch über die Ereignisse mithilfe der Zeitleiste. Jedes Ereignis wird von der Partei er­ läutert, die die Karte geschrieben hat. Die andere Partei nimmt dazu Stel­ lung. Auf diese Weise wird das Geschehen gegebenenfalls mit ergänzenden Karten abgebildet. Strittige Sichtweisen werden soweit möglich geklärt, ge­ gebenenfalls notiert und stehen gelassen. In der Rückschau wird der Umsetzungsprozess unter dem Gesichtspunkt betrachtet, was die Beteiligten für ihre zukünftige Kooperation und die mit anderen gelernt haben. Wir halten die gelernten Lektionen oft auf einem Flipchart fest, das wir den Beteiligten abschließend mitgeben. Diese Form der Rückschau eignet sich auch als Abschluss, in dem die Beteiligten ihre Bemühungen, Erfolge und auch Misserfolge würdigen können.

Mit der Rückschau findet die Mediation einen angemessenen Abschluss

2.7 Ablauf einer mediationsanalogen Konfliktmoderation in Gruppen Die Veränderungen in der Organisation von Arbeit mit ihrer Tendenz zu fla­ cheren Hierarchien, Teamorientierung und Selbstorganisation haben Aus­ wirkungen auf den Charakter von Konflikten in diesem Feld. Für die Medi­ ation solcher Konflikte bedeutet dies, dass wir es häufig mit einer größeren Anzahl von Konfliktbeteiligten und damit einer höheren Komplexität zu tun haben. In unserer Praxis stellen Moderationen von Mehrpersonenkonflikten den Großteil von Meditationen in Organisationen dar. Daher skizzieren wir in diesem Abschnitt beispielhaft den Ablauf solcher Konfliktmoderationen, wissend, dass wir der Komplexität dieser Prozesse und den dafür notwendi­

Die Konfliktmoderation in einer Gruppe durchläuft die gleichen Phasen wie die Zwei-PersonenMediation

gen methodischen Feinheiten an dieser Stelle nicht gerecht werden können. Aus diesem Grund verweisen wir am Ende des Abschnitts auf Literatur, in der weitere Methoden für die einzelnen Phasen der Konfliktmoderation um­ fangreich dargestellt werden (vgl. Knapp 2013; Bähner, Oboth & Schmidt 2008 sowie Redlich 2012). Wir beschränken uns auf die besonderen methodischen Aspekte in der Arbeit mit Gruppen. Gleiche oder ähnliche Vorgehensweisen zur Zwei-Per­ sonen-Mediation sind mit einem Verweis auf die entsprechenden Abschnitte im Praxisteil versehen. Getreu unseren Erfahrungen gehen wir von einer Gruppengröße zwischen fünf und 30 Personen aus. Spätestens ab zehn Be­ teiligten arbeiten wir zu zweit, bei noch größeren Gruppen gegebenenfalls auch mit mehr Mediatorinnen. Die Auftragsklärung verläuft wie in Abschnitt 2.1.1 und 3.1.2 beschrie­ ben. Zusätzlich sind »logistische« Fragen zu klären: insbesondere Raumgrö­ ße, Ausstattung mit Stellwänden und Flipchart sowie die Lage des Raums im Unternehmen. Ablauf einer Konfliktmoderation Erste Phase: Eingangsphase

Vorstellung Wir stellen uns in unserer Rolle als Mediatoren vor und erläutern die Grund­ idee von Mediation. Wir sorgen für Transparenz, indem wir gleich zu Be­ ginn offenlegen, mit wem bereits Vorgespräche stattgefunden haben. Die Teilnehmer stellen sich reihum vor, gerne mit ihrer Funktion innerhalb der Organisation und der Zugehörigkeitsdauer im Betrieb. Ablauf Das Vorgehen wird – visualisiert an einem Flipchart – vorgestellt und gege­ benenfalls mit den Wünschen der Teilnehmer abgestimmt.

Mediationsanaloge Konflik tmoderation

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Ziel der Eingangsphase ist es, ein tragfähiges Arbeitsbündnis mit den Teil­ nehmern zu schließen und eine Basis für eine vertrauensvolle Zusammenar­ beit zu schaffen. Folgende Schritte haben sich dabei in der Praxis bewährt:

Erwartungen und Befürchtungen der Teilnehmer Wir fragen nach den Erwartungen und Befürchtungen der Teilnehmer an­ gesichts der bevorstehenden Moderation; beispielsweise: »Wenn Sie sich vor­ stellen, Sie gehen am Ende aus diesem Moderationsprozess und finden, dass es sich gelohnt hat – was müsste dann geschehen sein? Und was sollte auf keinen Fall passieren?« (siehe hierzu Abschnitt 2.1.3). In kleinen Gruppen (bis etwa acht Personen) kommt jeder Teilnehmer zu Wort. Häufig notieren wir dabei die Äußerungen auf Karten. Bei größeren Gruppen tauschen sich die Beteiligten in Kleingruppen aus und notieren die Ergebnisse auf Modera­ tionskarten (nur eine Erwartung bzw. Befürchtung je Karte). Über die Ergeb­ nisse müssen die Gruppen keine Einigung erzielen, jede einzelne Annahme wird notiert. Im Anschluss werden die Karten an Moderationswänden visu­ alisiert, wobei wir gegebenenfalls persönliche Angriffe auf Einzelpersonen in allgemeine Aussagen umformulieren.

Mediationspraxis

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Möglichkeiten und Grenzen des Verfahrens Jetzt sind wir als Moderatoren gefragt: Wir nehmen Bezug auf die genann­ ten Erwartungen und Befürchtungen der Beteiligten und legen dar, was in dem vereinbarten Prozess unserer Erfahrung nach erreicht werden kann, machen jedoch auch die Grenzen des Verfahrens deutlich. Beispielsweise sa­ gen wir: »Einigen von Ihnen ist es sehr wichtig, dass hier respektvoll mitei­ nander umgegangen wird. Sie befürchten verbale Schlammschlachten. An­ dere haben geäußert, ihnen sei wichtig, dass Probleme hier tatsächlich auf den Tisch kommen. Wir sind heute hier, um Sie dabei zu unterstützen, eine sachliche und handlungsbezogene Kritik aneinander zu üben, statt unter die Gürtellinie zu schlagen. Dafür sind wir jedoch in doppelter Hinsicht auf Ihre Mitarbeit angewiesen: Nur Sie können die Probleme benennen, und wir möchten Sie bitten, dabei auf wechselseitige Beleidigungen zu verzichten.« Einverständnis Am Ende dieser Phase fragen wir die Teilnehmenden ausdrücklich nach ihrem Einverständnis: »Wollen Sie diesen Prozess unter den geschilderten Rahmenbedingungen mit uns als Moderatoren beginnen?«

Zweite Phase: Konfliktthemen benennen Themen sammeln Analog zur zweiten Phase der Mediation (siehe Abschnitt 2.2) klären wir mit den Beteiligten, was im Verlauf der Moderation besprochen werden soll. Je nach Gruppengröße sind dazu unterschiedliche Methoden möglich: ƒƒ In kleinen Gruppen äußern sich die Beteiligten häufig auf Zuruf: Jede Teilnehmerin nennt die Themen, die ihr auf dem Herzen liegen. Die Mo­ deratoren fragen kurz nach, formulieren die Äußerungen (häufig Posi­ tionen, Bedürfnisse oder Wünsche) in wertungsfreie Themen um und notieren sie auf Karten (siehe Abschnitt 2.2). ƒƒ In größeren Gruppen (ab zwölf Personen) leiten wir in der Regel zuerst einen Austausch in Kleingruppen an und bitten die Beteiligten, ihre The­ men auf Moderationskarten zu notieren. Diese Karten werden an Mode­ rationswänden visualisiert und geordnet, wobei wir wiederum wertende Aussagen zu Themen umformulieren. ƒƒ In manchen Gruppen sind die individuellen Konfliktlagen sehr unter­ schiedlich: Einige Beteiligte fühlen sich stark beeinträchtigt, andere haben gar keinen Konflikt. In solchen heterogenen Gruppen fragen wir nicht nur nach Konfliktthemen, sondern auch nach positiven Aspekten der Zusammenarbeit.

Eine visualisierte Leitfrage unterstützt die Themengewichtung

Mediationsanaloge Konflik tmoderation

Themen gewichten Nach der Themensammlung einigen sich die Teilnehmer auf eine Bearbei­ tungsreihenfolge oder zumindest auf das zuerst zu bearbeitende Thema. Drei Methoden aus unserer Praxis möchten wir dazu beispielhaft vorstellen: ƒƒ Anhand einer klar visualisierten Leitfrage (»Welches Thema ist für Sie be­ sonders dringend?« oder »Welches Thema ist Ihnen besonders wichtig?«) bewerten die Beteiligten die Themenkarten mittels Punkten. Vorab ist zu klären, ob das Kumulieren von Punkten zugelassen oder ausgeschlossen ist, ebenso ob die Karte mit der höchsten Punktzahl das Thema sein soll, das zuerst bearbeitet wird. Die Anzahl der zu vergebenden Punkte sollte sich nach der Anzahl der Themen bemessen. Ein Richtwert von 30 bis 50 Prozent der Themenanzahl hat sich dabei als hilfreich erwiesen. ƒƒ Die Themenkarten liegen verteilt auf dem Boden. Die Teilnehmer stellen sich zu dem Thema, das sie als erstes bearbeiten wollen (nur geeignet bei kleiner Themenanzahl).

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ƒƒ Sogenannte Thermometerabfragen eignen sich, um eine genauere Be­ wertung jedes Themas durch jeden der Beteiligten sichtbar zu machen. Für jedes Thema wird eine Skala (0 bis 100) visualisiert (Zeichnung am Flipchart oder Klebeband am Boden). Die Teilnehmer markieren jeweils einen Punkt auf der Skala gemäß der Bedeutung, die das Thema für sie hat. Auf der Basis dieser Bewertung fragen wir die Gruppe, mit welchem Thema sie beginnen möchte.

Mediationspraxis

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Thema vertiefen: Konkrete Konfliktpunkte benennen Mit diesem Arbeitsschritt geben wir den unterschiedlichen Sichtweisen auf das gewählte Thema Raum. Wir möchten erfahren, worum es den Beteilig­ ten konkret geht. Die Teilnehmer können ihre Beeinträchtigungen äußern und erfahren wiederum von den Belastungen der anderen: ƒƒ Für kleine Gruppen eignet sich ein Plenumsgespräch. Die Teilnehmer er­ zählen uns von konkreten Belastungen oder nennen Beispielsituationen. Dabei verwenden wir die in Abschnitt 2.2 beschriebenen Methoden der Gesprächsführung zur Benennung der Konfliktpunkte. ƒƒ Ein Austausch über individuelle Belastungen kann ebenfalls in Klein­ gruppen stattfinden. Die Visualisierung auf Karten geschieht dabei »entpersonalisiert«: Die Konfliktpunkte werden als (Nicht-)Handlungen benannt, ohne konkrete Personen zu nennen (»zu spät zur Sitzung kom­ men« statt »Herr Meier kommt ständig zu spät zur Sitzung«). ƒƒ Auch hier besteht die Möglichkeit, neben den Belastungen auch die posi­ tiven Aspekte zu sammeln und zu visualisieren.

Dritte Phase: Konflikthintergründe herausarbeiten Analog zur dritten Phase der Mediation (siehe Abschnitt 2.3) lauten die Ziele auch hier: Benennung und Anerkennung von Konflikthintergründen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf den Interessen, die am Ende visualisiert sein sol­ len. In kleineren Gruppen führen wir hierzu häufig Gespräche mit den je­ weiligen Beteiligten, während das »Plenum« zuhört. Gibt es Protagonisten, sprechen wir vor allem mit diesen. »Zeugen« und »Koalitionäre« befragen wir zu ihren eigenen Interessen bei diesem Thema. Entscheiden wir uns dafür, Interessen in Kleingruppen sammeln zu lassen, empfehlen wir, den

Die Interessen sind am Ende der dritten Phase visualisiert

Teilnehmern vorher eine Einführung in die Formulierung von Interessen als Leitfaden für die Kleingruppenarbeit zu geben. Dennoch müssen wir häufig bei der Vorstellung der Ergebnisse nachsteuern und – wo notwendig – Positi­ onen und Lösungsideen zu Interessen umformulieren. Sowohl im Plenums­ gespräch als auch nach der Arbeit in Kleingruppen notieren wir die Interes­ sen auf Karten. Damit sichern wir eine »saubere« Interessenformulierung als Basis für die weitere Ideenfindung.

Vierte Phase: Einen weiteren Umgang mit dem Konflikt finden

In jedem Fall erleichtert eine möglichst konkrete Leitfrage zu Beginn dieser Phase die gezielte Ideensammlung: »Wie können Sie Betriebsratssitzungen in Zukunft so gestalten, dass die genannten Interessen weitgehend Berücksich­ tigung finden?« Anschließend können auf der Basis der vorbewerteten Ideen konkrete Konsensvorschläge wiederum in Kleingruppen oder im Plenum mit­ hilfe von Verhandlungsfragen (siehe Abschnitt 2.4.3) erarbeitet werden.

Fünfte Phase: Vereinbarung Ziele und Vorgehen zu diesem Schritt sind in Abschnitt 2.5 beschrieben. In der Arbeit mit Gruppen erscheinen die getroffenen Vereinbarungen manch­ mal sehr kleinschrittig. Zweifel an der Effektivität des Prozesses können dann auftauchen: »So viel Aufwand – und so wenig Ertrag!« Unserer Erfah­ rung nach liegt der Wert einer Konfliktmoderation jedoch ebenso wie in

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Mediationsanaloge Konflik tmoderation

Der Ablauf und die Methoden für das Sammeln und Vorbewerten finden sich in Abschnitt 2.4. Dabei müssen die Methoden gegebenenfalls der größe­ ren Personenzahl angepasst werden. Dazu zwei Beispiele: ƒƒ Die Sammlung der Lösungsideen erfolgt gegebenenfalls in Kleingruppen (siehe Abschnitt 2.4.1). ƒƒ Das Schema zur Vorbewertung der Ideen (siehe Abschnitt 2.4.2) wird auf den Boden gelegt. Zu Beginn liegen alle Ideenkarten im »positiven Be­ reich«. Jeder Teilnehmer hat nun die Möglichkeit, Karten nach rechts in den »Diskussionsbereich« oder den »Vetobereich« zu legen. Ein Zurückle­ gen nach links ist nicht möglich.

Zweipersonen-Mediationen insbesondere im Prozess selbst. Vor allem in gro­ ßen Gruppen wissen Teilnehmer vor Beginn der Moderation häufig nicht um die Belastungen und Interessen der anderen. Die konkreten Benennungen dienen der Klärung untereinander und bilden einen gemeinsamen Wissens­ stand, der wiederum die Basis für eine zufriedenstellende Zusammenarbeit in der Zukunft bilden kann. Die sichtbare Mühe und Anstrengung, die so ein Prozess für die Beteilig­ ten bedeutet, beinhalten ein nicht zu unterschätzendes Moment der gegen­ seitigen Anerkennung. Des Weiteren nutzen Gruppen die erlebten Metho­ den und Umgangsformen – ohne sie explizit vereinbart zu haben – häufig für ihre weitere Zusammenarbeit, beispielsweise bei Besprechungen. Transfer in den Alltag sichern Das Vorgehen und hilfreiche Methoden zu diesem Schritt sind in Abschnitt 2.6 umfassend beschrieben und lassen sich ohne weiteres auf die Arbeit mit Gruppen und Teams übertragen. Insbesondere Folgetreffen zur Überprü­ fung des Transfers in den Alltag haben sich als hilfreich zur Nachsteuerung des Prozesses erwiesen. Wir vereinbaren diese in der Regel bereits in der Auftragsklärung. 148

2.8 Vom Umgang mit informeller Macht in der Mediation Regina Harms/Jens Richter

Mediationspraxis



»Möge die Macht mit Dir sein« – Obi-Wan-Kenobi

Der Idealverlauf einer Mediation: Zwei Personen kommen mit einer schein­ bar unlösbaren Problemlage zum Mediationsgespräch. Die Situation ist strit­ tig, dennoch versuchen beide, sich gegenseitig zuzuhören und die Sichtwei­ se der Gegenseite auszuhalten. Im Laufe des Prozesses treten die Interessen beider Parteien in den Fokus: Die jeweils eigenen werden klar benannt, die der anderen Seite akzeptiert. Schließlich verhandeln die Parteien konstruk­ tiv Regelungen zu einer Vereinbarung, die diese Interessen und Bedürfnisse weitestgehend und gerecht berücksichtigt. Doch die Wirklichkeit sieht oft anders aus: Vielleicht sind die Menschen, die vor uns in der Mediation sitzen, überhaupt nicht kooperativ gestimmt.

Weiterführende Literatur: Knapp, P. (Hrsg.) (2013). Konflikte lösen in Teams und großen Gruppen – Klärende und deeskalierende Methoden für die Mediations- und Konfliktmanagement-Praxis. Bonn: managerSeminare Bähner, C./Oboth, M./ Schmidt, J. (2008). Praxisbox Konfliktklärung in Gruppen und Teams, Praktische Anleitung und Methoden zur Mediation in Gruppen. Paderborn: Junfermann Redlich, A. (2012). Konfliktmoderation in Gruppen. Hamburg: Windmühle

2.8.1 Machtdefinition Wir unterscheiden zwischen Konflikt als einer empfundenen Beeinträchti­ gung durch das Handeln oder die Position einer anderen Person (also einem »inneren« Vorgang) und Machtausübung als einer besonderen Form der Kon­ fliktaustragung, also dem Verhalten infolge dieser Beeinträchtigungen. Ein Beispiel mag diese beiden Aspekte verdeutlichen: Ein Paar wird sich

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Vom Umgang mit informeller Macht

Vielleicht versuchen sie zu gewinnen, kämpfen mit verbalen Haken und Ösen und bedienen sich dabei auch schmutziger Tricks, um ein möglichst großes Stück vom Kuchen zu bekommen. Vielleicht äußern sie beständig lei­ se Vorwürfe, um den Konfliktpartner moralisch unter Druck zu setzen, viel­ leicht versuchen sie, mit körperlicher Präsenz oder sprachlichem Habitus den anderen einzuschüchtern. Vielleicht weinen sie oder werden wütend, um den anderen emotional zu nötigen – kurz: Sie tun all das, was Menschen in Konfliktsituationen so tun. Und: Sie üben damit Macht aus. Und der Mediator sieht sich gefordert, mit dieser Macht umzugehen. Ihm ist natürlich bewusst, dass tragfähige und faire Vereinbarungen nur dann erreicht werden können, wenn beide Konfliktparteien glauben, ihre jeweiligen Interessen und Bedürfnisse gleichberechtigt in die Verhandlung einbringen zu können und diese im Verhandlungsergebnis Berücksichti­ gung finden. Das kann infrage stehen, wenn eine Konfliktpartei befürchten muss, dem Verhalten der anderen Konfliktpartei nichts entgegensetzen zu können und in eine unterlegene Position zu geraten. Sprechen wir später im kollegialen Austausch über erlebte Machtverhält­ nisse, bleiben wir in unseren Beschreibungen der Situation häufig eigentüm­ lich vage: »Er hat sie massiv unter Druck gesetzt«, »Das war ein Machtspiel von ihr«. Fragen wir genauer, wodurch denn die Macht zum Ausdruck kam oder was sie begründete, werden unsere Aussagen häufig kaum konkreter. Wir benötigen also ein wenig theoretisches Rüstzeug – oder besser Denkzeu­ ge, die uns helfen, dieses fluide Phänomen der Macht besser zu begreifen, besser denken zu können, um dann überlegter mediativ zu handeln. Daher wagen wir es, die Ansätze einer eigenen Theorie der informellen Macht in Konflikten knapp zu formulieren (zum Umgang mit formeller Macht in der Mediation, z. B. in hierarchischen Systemen, siehe Kapitel 3.1), um im Anschluss mögliche Interventionen zu skizzieren.

Mediationspraxis

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trennen, Konfliktthema ist die Betreuung des gemeinsamen Kindes Paolo, drei Jahre alt. Frau Sören möchte, dass Paolo hauptsächlich bei ihr lebt und jedes zweite Wochenende vom Vater betreut wird. Herr Sören möchte, dass Paolo wochenweise im Wechsel von beiden Eltern betreut wird. Der Konflikt ist deutlich: Beide sind beeinträchtigt durch die jeweilige Po­ sition des anderen. In Anwendung des klassischen Handwerkszeugs der Me­ diation werden wir als Mediatoren die Konflikthintergründe herausarbeiten und versuchen, durch Perspektivwechsel wechselseitiges Verständnis für die Interessen und Bedürfnisse der anderen Seite zu ermöglichen. Dieser Prozess wird erschwert, wenn eine oder beide Parteien Machtmittel einsetzen. Im Mediationsgespräch fällt der Satz: »Also, wenn Paolo ganz zu ihr geht, dann wird sie schon sehen, was sie davon hat. Ob meine Mutter sie dann noch weiter so bei der Kinderbetreuung unterstützt...« Herr Sören verhält sich, in­ dem er eine angedeutete Drohung ausspricht. Er setzt ein Machtmittel ein, um die eigene Position zu stärken bzw. die von Frau Sören zu schwächen. Diese zwei Ebenen (der Konflikt und die Austragung mit Machtmitteln) sind charakteristisch für Machtspiele in der Mediation. Sie zu unterscheiden, ist entscheidend für gelungene Interventionen der Mediatorin. Der Einsatz von Machtmitteln in der Mediation ist eine Form der Konfliktaustragung (also ein Verhalten), mit dem die Beteiligten versuchen, ihren Standpunkt zu stärken bzw. den Standpunkt des Gegenübers zu schwächen. Macht wird ausgeübt, wenn es einer Person gelingt, die Handlungen, Einstellungen, Emotionen oder den Willen einer anderen Person zu beeinflussen, und diese Beeinflussung – wegen der geringeren Möglichkeit, sich ihr zu entziehen – als Beeinträchtigung empfunden wird.

2.8.2 Machthandlungen Beteiligte in Mediationen zeigen im Einsatz von Machtmitteln ein beachtli­ ches Repertoire von Verhaltensweisen. Wollen wir dieses Verhalten konkre­ ter beschreiben, bieten sich folgende Handlungskategorien an: Drohungen Drohungen – also glaubwürdige Ankündigungen unangenehmer Maßnah­ men – sind das tägliche Brot in eskalierten Gesprächssituationen. Je glaub­

Machtausübung ist ein Konfliktverhalten.

Wir unterscheiden zwi­ schen dem Konflikt und der Austragung des Kon­ flikts mit Machtmitteln.

Inhalte setzen »Klar ist ja, dass wir um 9.30 Uhr Pause machen müssen.« (Arbeitskonflikt, Thema Arbeitsabläufe) »… der Hof ist ja nicht für Grillpartys vorgesehen.« (Nachbarschaft, Nutzung des Hofs) Behaupten Mediationsbeteiligte ihre Auffassung als Faktum, sprechen wir von »Inhalte setzen«. Mit solchen scheinbar gegebenen Tatsachen versuchen Parteien, ihren Standpunkt im Gespräch zu stützen. Manchmal versuchen Beteiligte auch, diese Inhalte durch ihr angebliches Expertentum zu unter­

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Vom Umgang mit informeller Macht

würdiger die Ankündigung, desto wirksamer ist die Drohung und desto schwieriger wird eine konstruktive Gesprächsatmosphäre. Neben den aus­ drücklichen Drohungen im Sinne eines »Wenn du mir, so ich dann dir« se­ hen wir Ankündigungen, deren Folgen unbestimmt bleiben: »... dann wirst du schon sehen, was du davon hast« oder »Wer sich so verhält, muss natür­ lich auch die Folgen tragen«. Ist eine solche Andeutung glaubwürdig, entfal­ tet sie ihre Wirkung auch dadurch, dass der Bedrohte ständig über mögliche Nachteile spekuliert. Subtile Drohungen »verkleiden« sich manchmal als Mahnungen. Ändert der Bedrohte sein Verhalten nicht, »warnt« der Drohende vor scheinbar al­ ternativlosen Folgen. Sein eigenes Verhalten stellt er dabei als logische Kon­ sequenz dar, für die allein der Bedrohte verantwortlich ist. Ein Beispiel: »Also Frau Grabowski sollte lernen, professioneller mit Kunden umzugehen – wir verlieren die ja sonst, und dann muss natürlich die Geschäftsführung davon erfahren.« Akzeptieren Frau Grabowski und die Mediatorin die Infor­ mation der Geschäftsführung als unabänderliche Folge, so hat die Drohung ihre Wirkung erreicht. »Also, wenn das so weitergeht, dann weiß ich nicht, ob ich hier weiter­ machen kann.« Die Ankündigung, die Mediation zu beenden, ist eine der beliebtesten Drohungen von Mediationsbeteiligten. Vermeiden Mediator und Konfliktpartner daraufhin – meist unwillkürlich – im Gespräch die »heißen Eisen«, aufgrund derer die Drohung ausgesprochen wurde, hat diese ihre beabsichtigte Wirkung erreicht – ganz im Sinne einer Anmerkung des Schachspielers S. Tartakower: »Die Drohung ist stärker als die Ausführung«.

mauern: »Lassen Sie sich sagen: Ich habe langjährige Erfahrung, und das wird so nicht funktionieren.« Zusätzliches Gewicht bekommen solche Aus­ sagen, wenn der Sprecher tatsächlich Fachwissen hat. Bei Mediationen im öffentlichen Bereich, beispielsweise bei Technologiefolgenabschätzungen, kann dies eine Rolle spielen. Hier sehen sich Laien in der Regel überfordert, die Einschätzung von Wissenschaftlerinnen bewerten zu können. Gelegentlich untermauern Sprecher ihren Standpunkt auch, indem sie sich auf andere Autoritäten berufen: »Psychologen sagen ja auch, dass Kin­ der in den ersten drei Jahren vor allem die Mutter brauchen« (Paarkonflikt, Betreuung der Kinder). In solchen Fällen sprechen wir von referenzieller Macht. Emotionale Macht

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Vor allem wenn die Konfliktparteien in einer persönlichen Beziehung zu­ einander stehen, können Emotionen ein Mittel sein, das Gegenüber zu be­ einflussen. Sie macht ihr Leid offensichtlich – vielleicht mit Verstummen, Weinen, offener Trauer – und versucht damit – bewusst oder unbewusst –, die andere Person »zu bewegen«. Ein Beispiel: Herr Sören: »Ich möchte schon, dass die Kinder Weihnachten auch bei mir sind.« Frau Sören beginnt zu weinen und sagt zur Mediatorin: »Sehen Sie, immer wenn er das sagt, muss ich weinen.« Wie so häufig beim Einsatz von Machtmitteln spielt die Sprecherin hier »über Bande«. Das heißt: Sie spricht zwar den Mediator an, die Botschaft richtet sich jedoch an die andere Konfliktpartei. Ein solches Verhalten bleibt in der Regel weder bei der anderen Konfliktpartei noch bei der Mediatorin ohne Wirkung. Löst es doch auch bei ihnen Schmerzreaktionen aus, mit denen sie einen Umgang finden müssen. Dieser kann so aussehen, dass sie bereit sind, alles zu tun, um den Schmerz zu beenden, egal, was es sie selbst kostet. Möglich ist aber auch, dass sie mit Abwehr reagieren, die sich z. B. in Ärger oder Wut zeigt. Moralische Macht Vor allem Mediationsbeteiligte, die Konflikte in Kategorien von Schuld und Verantwortung wahrnehmen, versuchen durch wiederholte Vorwürfe, Be­ leidigungen, moralische Anklagen oder Schuldzuweisungen ein Bild vom

Gegenüber zu entwerfen, das ihn latent abwertet oder schuldig spricht. Je aufnahmebereiter der Empfänger der Botschaft für solche moralischen Ab­ wertungen ist, je mehr er bestrebt ist, »gut dazustehen«, desto wirksamer ist die Beeinflussung. Eine ähnliche Wirkung tritt ein, wenn sich eine Partei durch Äußerungen aufwertet und damit ihre moralische Überlegenheit ge­ genüber der anderen zum Ausdruck bringt. Ein Arzt im Konflikt mit dem Partner seiner Gemeinschaftspraxis: »Wer von uns beiden war es denn, der geackert hat, damit unsere Gemeinschafts­ praxis nicht den Bach runtergeht. Deine Patienten haben ja nur Peanuts gebracht. Du hast mich immer schon ausgenommen wie eine Weihnachts­ gans.« Der Gebrauch moralischer Machtmittel zielt auf den Selbstwert des Adressaten, wird von diesem als Kränkung oder Demütigung erlebt und ruft Gefühle der Ohnmacht hervor, gegen die er sich z. B. durch Gegenangriffe oder Rechtfertigungen verteidigen muss. Dominanz

Fakten schaffen Diese Strategie wird häufig im Vorfeld einer Mediation oder zwischen den Sitzungen eingesetzt, um vollendete Tatsachen zu schaffen, die die ande­ re Seite unter Druck setzen und ihre Position schwächen sollen. Beispiele hierfür sind das Einleiten juristischer Schritte, das Abräumen eines gemein­ samen Kontos durch einen Ehegatten oder auch die Weitergabe von Infor­ mationen an die Presse. Auch durch Nichtstun können Fakten geschaffen werden, wenn eine bestehende Verpflichtung oder eine Zusage nicht umge­ setzt wird.

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Vom Umgang mit informeller Macht

Unabhängig vom Inhalt der Äußerungen kann auch das Auftreten einer Person als Machtmittel eingesetzt werden, um den eigenen Willen durch­ zusetzen. So können eine große körperliche Präsenz, eine laute Stimme, ein bestimmender, fordernder Tonfall dazu führen, dass andere sich ein­ geschüchtert fühlen und unterordnen. Auch durch das Erteilen von Anwei­ sungen (»Ein Machtwort sprechen«), häufige und lange Redeanteile, das Un­ terbrechen der Redebeiträge anderer und Imponiergehabe in Form einer zu elaborierten Sprache kann man versuchen, die Interaktion zu kontrollieren und zu steuern (siehe dazu Nölke, 2016).

Manipulation Von Manipulation sprechen wir, wenn intransparente oder täuschende Mit­ tel eingesetzt werden, um das Verhalten und die Entscheidungsfreiheit des Verhandlungspartners zu steuern mit dem Ziel, dass die Beeinflussung ver­ borgen bleiben soll. Charakteristisch für die Manipulation ist das Ablenken, Verschleiern, Verdecken und Vorenthalten von Informationen. Für die Me­ diatorin ist dies erkennbar, wenn sie feststellt, dass Informationen, die für die Entscheidungsfindung relevant sind, fehlen, nicht plausibel sind oder nicht von allen Beteiligten verstanden werden. In der Praxis kann das z. B. deutlich werden, wenn eine Konfliktpartei das Thema wechselt oder sich weigert, über ein Thema zu sprechen, das für die Entscheidungsfindung von Bedeutung ist.

2.8.3 Interventionen Einschätzen der Machthandlung

Mediationspraxis

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Um als Mediatorin adäquat auf Machtmittel reagieren zu können, sollten wir die Situation einschätzen: ƒƒ Welche Wirkung hat die Machthandlung auf die andere Konfliktpartei? Wirkt sie beeindruckt? Möchte sie sich gegen den Übergriff zur Wehr setzen oder duldet sie ihn still? Hat sie ihn womöglich gar nicht bemerkt? ƒƒ Versucht der Sprecher dauerhaft eine überlegene Position in der Mediati­ on zu gewinnen oder hat er im einmaligen Affekt gehandelt? Vielleicht waren seine Interessen aufs Äußerste bedroht und er wusste sich nicht anders zu helfen? Oder haben ihn starke Emotionen zu dieser Äußerung verleitet? ƒƒ Wie ist die Beziehung der Medianden zueinander? Verfügt eine der Par­ teien über Machtquellen, die den Mediationsprozess dauerhaft beeinflus­ sen können? Oder sind die sichtbaren Machtmittel Ausdruck eingespiel­ ter Beziehungsmuster? Aus unserer Deutung der Situation leiten wir die Intervention ab. Kriteri­ um ist dabei, inwieweit der Prozess der Mediation – im Sinne eines fairen Verhandlungsgesprächs auf Augenhöhe – gestört ist. Je nach Grad der Beein­ trächtigung unterscheiden wir drei Interventionsebenen:

Wie stark beeinflusst der Einsatz von Machtmitteln das Mediationsgespräch?

ƒƒ den Einsatz von Machtmitteln, die eine kurze Störung des Prozesses ver­ ursachen, behandeln wir auf der Ebene der indirekten Intervention; ƒƒ Macht, die eine massive Störung der Gesprächsatmosphäre hervorruft, benötigt direkte Intervention; ƒƒ Schließlich die Intervention auf der Verfahrensebene bei dauerhaften Störun­ gen des Mediationsprozesses durch Machtmittel. Indirekte Interventionen Die folgenden Interventionen nennen wir indirekte Interventionen, da das Verhalten von den Mediatoren nicht als Machtmittel benannt wird; wir blei­ ben in der Gesprächsführung auf der Ebene der gesprochenen Inhalte. Ignorieren

Ignorieren wir den Einsatz von Machtmitteln jedoch zu häufig, laufen wir Gefahr, als Mediatoren ebenfalls Teil des Machtspiels zu werden und/oder von der benachteiligten Partei als parteiisch wahrgenommen zu werden. Anerkennen der Hintergründe

Ignorieren wir das Machtverhalten, empfiehlt es sich – wie in Kapitel 2.3.2 (Interessenbenennung) beschrieben –, die Hintergründe, die wir bei der Kon­ fliktpartei vermuten, fragend zu benennen. Fühlen sich Beteiligte in einer Mediation ohnmächtig und in ihren Hand­ lungsspielräumen eingegrenzt, können sie manchmal im Affekt »auf An­ griff« schalten (beispielsweise durch Drohungen), um so verlorene Autono­ mie wiederzugewinnen. Dann kann es helfen, das Gespräch auf die auslö­ sende Situation zu lenken (»Kann es sein, dass Sie in dieser Situation etwas

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Vom Umgang mit informeller Macht

Wie jede Äußerung von Konfliktparteien können wir auch Machtverhalten in der Mediation ignorieren. Voraussetzung bleibt jedoch, dass es sich um kurzzeitige oder geringe Störungen handelt und der Mediationsprozess wei­ terlaufen kann, z. B. bei Dominanz (laute Stimme) oder einmaligen Drohun­ gen. Empfehlenswert kann Ignorieren sein, wenn ƒƒ es sich um einen »Ausrutscher« in einer sonst konstruktiven Gesprächs­ atmosphäre handelt, ƒƒ beide Parteien gleichmäßig Macht einsetzen und dies Teil ihrer »Ge­ sprächskultur« ist.

befürchten? Können Sie mir dazu etwas sagen?«), um der Partei so die Aner­ kennung zu geben, die sie benötigt, um wieder konstruktiv am Verfahren teilnehmen zu können. Fokussieren

Mediationspraxis

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Ein Altenpfleger hat gemerkt, dass eine Kollegin hinter seinem Rücken ge­ genüber Bewohnern einer Pflegeinrichtung schlecht über ihn spricht. In der Mediation mit der Kollegin äußert er: »Wenn sie das nochmal macht, dann ziehe ich andere Saiten auf. Dann gehe ich zur Leitung – die wird sich sehr dafür interessieren, dass sie regelmäßig früher Feierabend macht.« Medi­ atorin: »Sie sagten gerade ›Wenn sie das nochmal macht‹ – ich denke, Sie beziehen sich dabei darauf, dass Ihre Kollegin Sie, wie Sie sagen, gegenüber Bewohnern kritisiert. Mir ist die Situation noch nicht ganz klar – können Sie noch einmal schildern, woran Sie das gemerkt haben?« Gerade Drohungen sind fast immer eingebettet in einen Gesprächskon­ text, auf den wir (wie die Mediatorin oben im Beispiel) den weiteren Ge­ sprächsverlauf lenken können. Wir fokussieren damit das Gespräch und die Parteien in ihrer Aufmerksamkeit auf die konstruktiven Inhalte. Auch beim Einsatz anderer Machtmittel kann Fokussieren hilfreich sein. Ein Beispiel beim Einsatz von moralischer Macht: Ein Ehepaar versucht, be­ vor es eine Paartherapie beginnt, seine Beziehungsprobleme mediativ zu re­ geln. Dabei fällt die erregte Äußerung: »Du sprichst ja nie wirklich mit mir – nie! Du bist schuld daran, dass unsere Beziehung so kaputt ist.« Die Mediatorin fokussiert nun weg von dem moralischen Vorwurf (»Du bist schuld daran, dass unsere Beziehung so kaputt ist«) auf die konstrukti­ ven Gesprächsanteile. Je nach Gesprächsverlauf könnte sie zum Beispiel sa­ gen: »Mir scheint, ein Thema für Sie ist das Miteinandersprechen – können Sie mir vielleicht etwas mehr dazu erzählen?« oder »Ich habe jetzt verstan­ den, dass es Sie in der Situation gestört hat, dass Ihr Mann nicht mit Ihnen gesprochen hat. Gibt es noch weitere solche Situationen?« Übersetzen

Manchmal begegnen uns Konfliktparteien, bei denen der latente Einsatz von Machtmitteln zum persönlichen Kommunikationsstil gehört. In diesem Fall sind Aussagen wiederholt durchsetzt von Schuldzuweisungen (»Moralische Macht«), sie stellen ihre Auffassungen als Fakt dar (»Inhalte setzen«) oder zeigen dauerhaft dominantes Verhalten. Reagiert die zuhörende Partei auf

diese Angriffe entsprechend (eskalierend oder mit innerem/äußerem Rück­ zug), kann eine Gesprächstechnik helfen, bei der Mediatoren jede Aussage für die zuhörende Partei übersetzen. Nach einem längeren Redebeitrag von Konfliktpartei A sagt die Mediato­ rin (zu A): »Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich Konfliktpartei B verdeutlichen, was Sie gerade gemeint haben. Bitte hören Sie genau zu, ob ich Sie stimmig wiedergebe.« Dann wendet sie sich Konfliktpartei B zu und paraphrasiert die Aussage von A. Dabei formuliert sie eskalierende Passa­ gen um oder ignoriert sie und fokussiert auf die Konflikthintergründe. Zum Schluss wendet sie sich nochmals an Konfliktpartei A: »Stimmt das so?« Haben Sie als Mediator diese Gesprächstechnik einmal etabliert, können tatsächlich ganze Mediationssitzungen (auch in beide Richtungen) auf diese Art geführt werden. Direkte Interventionen Bei direkten Interventionen sprechen wir nicht weiter über den Konflikt der Beteiligten, sondern das gezeigte Verhalten beim Einsatz der Machtmittel wird zum Thema des Gesprächs.

Setzen beide Beteiligte (oder einer) wiederholt Machtmittel ein, können wir für einen Moment die inhaltliche Gesprächsebene verlassen und eine eigene Einschätzung der Situation geben. Ziel ist es dabei, den Parteien aus unserer Rolle als Konfliktexperten eine Reflexion ihres Verhaltens zu ermöglichen. Dazu haben sich folgende Gesprächsschritte bewährt: 1. Zuerst benennen wir die Machthandlungen. Das gezeigte Verhalten wird konkret benannt, ohne es in zuschreibenden Interpretationen zu bewer­ ten: »Ich möchte Sie kurz unterbrechen, um Ihnen meine Einschätzung der Gesprächssituation zu geben. Sie, Herr Grabowski, haben mehr­ mals geäußert, dass Frau Schulz aus Ihrer Sicht schuldhaft gehandelt hat und, wie Sie sagen, endlich Verantwortung übernehmen muss. Sie, Frau Schulz, haben wiederholt gesagt, dass Sie überlegen, das Türschloss auszutauschen, damit Herr Grabowski die gemeinsame Wohnung nicht mehr betreten kann.« 2. Weiter schildern wir die (scheinbaren) Auswirkungen auf die Beteilig­ ten: »Sie, Frau Schulz, empören die Aussagen von Herrn Grabowski, da

157

Vom Umgang mit informeller Macht

Situation benennen

Sie sich, wie Sie sagen, moralisch unter Druck gesetzt fühlen. Sie, Herr Grabowski, haben die Angst, dass ...« 3. Dann benennen wir die Auswirkungen auf das Mediationsgespräch: »Natürlich haben Sie gute Gründe für Ihre Äußerungen. Zugleich glau­ be ich jedoch, dass Sie nicht zu einer Vereinbarung in Ihrem Konflikt kommen, solange Sie versuchen, den jeweils anderen in dieser Art zu beeinflussen, und eine Mediation dann auch nicht weiterhilft.« 4. Abschließend geben wir eine Anregung, wie weiter verfahren werden kann: »Wenn Sie weiter an einer Mediation interessiert sind, möchte ich Sie bitten, im weiteren Verlauf des Gesprächs auf solche Äußerungen zu verzichten. Wenn Sie einverstanden sind, werde ich Sie im weiteren Verlauf darauf aufmerksam machen, falls Ihnen doch noch einmal eine herausrutscht.« Auf Gesprächsregeln verweisen

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Natürlich steht uns bei massiv grenzüberschreitendem Verhalten (Domi­ nanz) auch die Möglichkeit offen, auf die Gesprächsregeln zu verweisen: »Ich möchte Sie noch einmal an die Gesprächsregeln erinnern, die ich zu Beginn der Sitzung angesprochen hatte. Mediation als Verfahren benötigt eine möglichst konstruktive Gesprächsatmosphäre. Daher möchte ich Sie bitten, im weiteren Verlauf auf solche Äußerungen zu verzichten.«

Mediationspraxis

Bedingungen für ein faires Verfahren benennen

Manchmal ist es notwendig, auf Voraussetzungen von Mediation aufmerk­ sam zu machen: »Mediation ist nur möglich, wenn für die Zeit des Verfah­ rens eine ›Friedenspflicht‹ von Ihnen eingehalten wird. Daher bitte ich Sie, die ausgesprochene Abmahnung zurückzunehmen, ansonsten können wir nicht weitermachen.« (Arbeitskonflikt, Daten setzen) »Wie ich schon in der ersten Sitzung gesagt habe, ist Mediation nur mög­ lich, wenn Sie sämtliche relevante Informationen beibringen. Wenn Sie sich entscheiden, Ihre Einkünfte der letzten beiden Jahre nicht offenzulegen, was Ihr gutes Recht ist, können wir die Mediation leider nicht fortführen.« (Paarkonflikt, Manipulation) »Ich hatte Sie ja zu Beginn der Mediation darauf hingewiesen, dass es sinnvoll sein kann, dass Sie sich im Laufe des Verfahrens anwaltlich bera­ ten lassen, um Ihre Entscheidung auch in Kenntnis der Rechtslage treffen zu können. Sie, Frau Kober, scheinen sich ja schon rechtlich informiert zu

haben. Wie ist es denn bei Ihnen, Frau Luhne? Ich glaube, wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir über die Einbeziehung des Rechts sprechen soll­ ten.« (Erbmediation, Fakten schaffen)

Chancengleichheit herstellen

Interventionen auf der Verfahrensebene Mit Interventionen auf der Verfahrensebene ändern wir das Setting der Ge­ sprächssituation. Gesprächspausen

Gesprächspausen können eingesetzt werden, wenn es den Parteien prinzipi­ ell nicht möglich ist, das Mediationsgespräch weiterzuführen: »Anscheinend ist es für Sie beide im Moment schwierig, weiter am Gespräch teilzunehmen. Ich schlage daher vor, dass wir eine zehnminütige Pause machen. Vertreten Sie sich gerne ein wenig die Beine...« So geben wir nicht nur den Parteien die Möglichkeit, sich zu beruhigen (und gegebenenfalls ihr Verhalten zu überdenken). Auch wir als Mediato­ rinnen können uns in der Pause sammeln und überlegen, wie die Mediation weiterzuführen ist. Es kann auch sinnvoll sein, eine Sitzung vorzeitig zu beenden und sich auf einen neuen Termin zu vertagen. 159

Die Mediationssitzung kann auch durch kurze Einzelgespräche unterbro­ chen werden, wenn das Gespräch in eine Sackgasse geraten ist. Sie bieten die Möglichkeit zu klären, ob alle Konfliktparteien noch in der Lage sind, die Sitzung fortzuführen bzw. welche Bedingungen sie dafür brauchen. Einzelgespräche können für emotional aufgewühlte Medianden entlas­ tend sein. Sie bieten auch die Gelegenheit, Dinge anzusprechen, über die eine Konfliktpartei im Beisein der anderen nicht reden möchte. Der Inhalt der Gespräche ist vertraulich, das heißt, der Mediator gibt nur Mitteilungen weiter, wenn Einverständnis dazu besteht. Sollte die Mediato­ rin Informationen erhalten, die aus ihrer Sicht offengelegt werden müssen, weil sonst eine faire Verhandlung nicht möglich ist, muss sie das am Ende des Einzelgesprächs deutlich machen. Wenn kein Weg gefunden werden kann, diese für ein faires Verfahren relevanten Informationen in die gemeinsame Sitzung einzubringen, kann die Mediation nicht fortgeführt werden.

Einzelgespräche unterliegen der Vertraulichkeit

Vom Umgang mit informeller Macht

Kurze Einzelgespräche

Längere Einzelgespräche

Mediationspraxis

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Längere Einzelgespräche in getrennten Mediationssitzungen können ange­ zeigt sein, wenn der Einsatz von Machtmitteln den Verständigungsprozess nachhaltig blockiert. In diesen Fällen steht es zumeist infrage, ob die Par­ teien überhaupt noch gemeinsame Entscheidungen unter Berücksichtigung der jeweiligen Interessen anstreben. Die Mediatorin kann in getrennten Ein­ zelsitzungen ausloten, ob die Aussicht besteht, dass die Parteien zu einer solchen Haltung zurückfinden – und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Sie kann thematisieren, was passiert, wenn sie sich nicht einigen und ob das für eine Seite möglicherweise die bessere Alternative ist. Wenn eine Partei sich z. B. durch eine andere unter Druck gesetzt und fremdbestimmt fühlt, kann es eine stimmige Entscheidung sein, aus dem Mediationsprozess aus­ zusteigen. Längere Einzelgespräche können auch dafür genutzt werden, Medianden im geschützten Rahmen Feedback über ihr Gesprächsverhalten zu geben. Dies ist jedoch nur dann konstruktiv, wenn die Rückmeldung in einer Form gegeben werden kann, die nicht als anklagend, sondern als unterstützend erlebt wird, und wenn der Mediator die Einschätzung hat, dass die Konflikt­ partei bereit sein könnte, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren. Kurze Einzelgespräche innerhalb einer Sitzung wie auch längere Einzel­ gespräche in getrennten Mediationssitzungen können nur im allseitigen Einverständnis durchgeführt werden (§ 3 S. 3 MedG). Welche der beschrie­ benen Interventionsmöglichkeiten wir auch wählen, wir stellen diese als ein durchaus übliches Verfahren in Mediationen dar – wir normalisieren damit die Situation und entdramatisieren das eskalierte Verhalten der Beteiligten. Beendigung der Mediation durch den Mediator

Schließlich kann (und sollte) der Mediator den Mediationsprozess von sich aus beenden, wenn er der Auffassung ist, dass die im Kapitel 2.1.2 »Indika­ tionen für eine Mediation« (S. 47) beschriebenen Rahmenbedingungen als Voraussetzung für ein faires Verfahren nicht mehr gegeben sind und auch nicht herstellbar sind.

Klärung, ob Mediation noch das geeignete Verfahren ist

Weiterführende Literatur: Popitz, H. (1992). Phänomene der Macht, Tübingen: Mohr Siebeck Nölke, M. (2016): Die Sprache der Macht, Freiburg, München, Stuttgart: Haufe Glasl, F. (2008 und 2009): Wie geht Mediation mit Macht um? In: perspektive mediation 2008/4, S. 172 ff. und 2009/2, S. 66 ff.

3. Praxisfelder der Mediation und ihre Besonderheiten

161

Praxisfelder der Mediation

Mediation ist in den letzten Jahrzehnten als ein Verfahren der Konflikt­ klärung zunehmend ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt und findet mittlerweile in unterschiedlichen Feldern Anwendung. Die Haltung des Me­ diators und die grundlegende Struktur der Mediation bilden dabei in jedem dieser Praxisfelder gleichermaßen das Fundament. Zugleich unterscheiden sich Mediationen in den jeweiligen Anwendungs­ feldern. Diese Besonderheiten beleuchten wir in diesem Kapitel exempla­ risch anhand von vier Anwendungsfeldern: der Mediation in Organisatio­ nen, der Familienmediation, der Mediation im Gemeinwesen sowie der Me­ diation mit Kindern und Jugendlichen. Die Auswahl dieser vier Praxisfelder ist einerseits unseren Tätigkeitsschwerpunkten geschuldet und basiert an­ dererseits auf unseren Erfahrungen als Supervisorinnen, die zeigen, dass die meisten Berufseinsteiger in einem dieser vier Bereiche beginnen. Bei der Mediation in Organisationen haben wir es in aller Regel mit hie­ rarchisch organisierten Systemen zu tun. Die damit einhergehende formale Entscheidungsmacht von Einzelpersonen ist im Mediationsprozess beson­ ders zu berücksichtigen. In der Familienmediation, insbesondere wenn es um Trennung und Schei­ dung geht, begegnen uns in der Regel hoch eskalierte Konflikte mit einer großen Themenvielfalt und hohen Emotionalität. In der Mediation im Gemeinwesen sind die Teilnehmer häufig beauftragte Stellvertreter für eine (Interessen-)Gruppe. Die damit notwendigen Rück­ koppelungen von Informationen und Ergebnissen sind zu berücksichtigen. Bei der Mediation mit Kindern und Jugendlichen bedarf es einerseits eines bewussten Umgangs mit der eigenen pädagogischen Rolle und andererseits einer altersgerechten Anpassung des Mediationsverfahrens.

3.1 Mediation in Organisationen

Praxisfelder der Mediation

162

Bei der Mediation in Organisationen begegnen uns in der Regel hierarchisch organisierte Systeme. Diese können im Hinblick auf Entscheidungsebenen und damit verbundene Entscheidungsbefugnisse Einzelner formal sehr klar strukturiert und transparent, aber auch informell gewachsen sein. In jedem Fall gilt es, diese Entscheidungsmacht im Mediationsprozess angemessen zu berücksichtigen. Erreicht uns eine Mediationsanfrage aus einer Organisation, so ist es hilfreich, uns als erstes einen Eindruck über den organisationalen Kontext zu verschaffen. Hilfreiche Anregungen finden sich hierzu im Abschnitt 3.1.1 »Die Organisation kennenlernen«. Besondere Aufmerksamkeit wid­ men wir anschließend der Auftragsklärung mit einer Führungskraft, die in Abschnitt 3.1.2 dargestellt wird. Anhand des gewünschten Umfangs einer Beteiligung der Mitarbeiter (im Sinne einer Partizipation) beleuchten wir nochmals die Frage, ob Mediation in diesem Fall das angemessene Verfah­ ren ist. Ein Leitfaden für Vorgespräche und eine Liste klassischer Fallstricke in der Auftragsklärung beschließen diesen Abschnitt. In Abschnitt 3.1.3 re­ flektieren wir die Haltung von Mediatoren zum Thema Führung, das The­ ma »Freiwilligkeit« der Teilnahme an einer Mediation wird anschließend in Abschnitt 3.1.4 behandelt. Da wir es bei Mediationen in Organisationen oftmals mit Konflikten zwischen mehreren Personen zu tun haben, übertra­ gen wir den Ablauf einer Mediation zwischen zwei Personen abschließend in Abschnitt 3.1.5 auf ein Setting in Gruppen.

3.1.1 Die Organisation kennenlernen Kirsten Schroeter

Wenn uns eine telefonische oder schriftliche Mediationsanfrage aus einer Organisation erreicht, schauen wir neben dem konkreten inhaltlichen An­ liegen der anfragenden Person oder Stelle auf den organisationalen Kontext, in dem die Anfrage entstanden ist. Wir möchten einen Eindruck davon er­ halten, um was für eine Organisation es sich handelt. Die folgenden Fragen sind hilfreich für eine erste Annäherung:

Ein möglicher Zugang, um erste Antworten auf diese Fragen zu erhalten, ist, sich wenigstens kurz mit dem öffentlichen Auftritt der Organisation zu be­ fassen. In der Regel finden sich auf der Homepage oder in Imagebroschüren zahlreiche Informationen (Ziele, Vision und Mission sowie Organigramm oder auch Geschäftsberichte der Organisation). Dabei ist zu bedenken, dass sich diese Auskünfte an die Öffentlichkeit richten – die interne Wirklichkeit sieht oft anders aus. Daher empfiehlt es sich, zumindest einige dieser Fragen bei der Auftragsklärung auch gesprächsweise zu thematisieren – nicht, um die eigene Neugier zu befriedigen, sondern immer mit dem Ziel, ein ausrei­ chendes Verständnis für die systemischen Rahmenbedingungen der aktuell als problematisch empfundenen Konfliktlage zu entwickeln. Darüber hinaus schätzen wir ein, ob die Anfrage und das angezielte Konfliktbearbeitungsverfahren aus unserer Sicht auf der angemessenen (Hierarchie-)Ebene der Organisation ansetzen. Das berührt beispielsweise die Frage nach dem richtigen Gegenüber für die Auftragsklärung: Fragt etwa die Personalabteilung an, klären wir lediglich, wer die am Konflikt beteiligten Personen sind und welche disziplinarische Ebene oberhalb der Beteiligten zuständig ist. Die weitere Auftragsklärung erfolgt dann mit dieser Ebene – denn die Vorgesetzte ist und bleibt in der Verantwortung,

Gibt es Veränderungen, die den Konflikt beeinflussen?

163

Setzt die Klärung auf der angemessenen (Hierarchie-)Ebene an?

Mediation in Organisationen

ƒƒ Wofür ist die Organisation da? Was ist ihr Zweck? Wie erreicht sie ihn? (In der Wirtschaft: Was ist ihr Geschäftsmodell?) ƒƒ In welchem Bereich ist die Organisation tätig (Wirtschaft, Soziales, Wis­ senschaft und Forschung, Verwaltung, zivilgesellschaftliche Organisati­ onen etc.)? ƒƒ Seit wann gibt es die Organisation? Inwiefern hat sie sich verändert? Ist sie gerade mit einem spezifischen Entwicklungsschritt befasst? Wenn ja, auf welcher Organisationsebene finden derzeit Veränderungen statt (die möglicherweise auf das Konfliktgeschehen – direkt oder indirekt – einwirken)? ƒƒ Welche Gestalt hat die Organisation? Wie groß ist sie? Welchen Wir­ kungsbereich hat sie (lokal, regional, überregional, international)? Wie ist sie intern organisiert? Welchen Grad an Institutionalisierung und Differenzierung weist sie auf? Insbesondere: Welche offiziellen internen Anlaufstellen oder Prozesse gibt es bei Konflikten? ƒƒ Welche (rechtlichen, wirtschaftlichen, politischen, sozialen …) Rahmen­ bedingungen wirken in besonderer Weise auf diese Organisation?

auch wenn sie eine externe Person mit einer Mediation beauftragt. Es be­ rührt ebenso die Frage nach wesentlichen Merkmalen des Konflikts: Tritt solch ein Konflikt erstmalig auf oder handelt es sich um einen organisa­ tionalen »Dauerbrenner«? Gibt es in der Organisation bereits Hypothesen darüber, warum es genau diesen Konflikt mit genau diesen Beteiligten ge­ nau jetzt gibt?

Praxisfelder der Mediation

164

Ein mittelgroßes Familienunternehmen wurde zwischenzeitlich verkauft und ist jetzt wieder in Familienbesitz. Die Töchter der Chefin arbeiten beide im Unternehmen mit. Die Personalleitung erzählt uns im Auftragsgespräch, dass es um Konflikte in einer Abteilung geht. Es habe übrigens generell in letzter Zeit viele Kündigungen mit Verweis auf schlechte Führung gegeben. Die Chefin und ihre Töchter seien »bei der Auftragsklärung raus, aber ansonsten zu allem bereit«. Jetzt sollten wir stutzig werden und freundlich, aber entschieden verdeutlichen, dass wir die direkte Abstimmung mit der (Familien-)Leitung schon im Wege der Auftragsklärung benötigen. Hier scheint bereits in der ersten Annäherung auf, dass es sich (auch) um eine Führungsthematik handelt. Daher brauchen wir die notwendige Klärungsmotivation auf der oberen (hier sogar: obersten) Ebene, um eine eventuelle Konfliktklärung überhaupt glaubhaft gegenüber den Mitarbeiterinnen anzugehen und eine Rückendeckung für das Vereinbaren von eventuellen Veränderungen sicherzustellen. Dies steht und fällt nicht zuletzt mit dem Einverständnis der Vorgesetzten mit der konkreten Person des Mediators, der sich in der direkten Vorklärung mit der Führungskraft einen Eindruck aus erster Hand über deren Bereitschaft und Motivation verschafft.

Die oben genannten Fragen sind abgeleitet aus einem Modell, das auf sieben Wesenselemente von Organisationen abhebt – aus unserer Sicht ein sowohl ausreichend komplexes als auch praktisch handhabbares Modell. Es wurde häufig und variantenreich in der Literatur beschrieben, etwa von Ebeling, Vogelauer und Kemm (2012).

Es braucht die Klärungsmotivation der Führungskraft

Identität • • • •

Struktur(en)

• Gesamtrahmen • Vorschriften

Daseinszweck Sinn Werte Ziele

KulturQuadrat

Strategie(n)

• Prinzipien • Entscheidungsmuster • Politik

Menschen • Individuen • Gruppen

• • • •

Organe Rollen Verantwortung Kompetenzen

UmsetzungsQuadrat

Abläufe

• Prozesse • Prozessketten

Sachmittel • Orte • Räume • Finanzen

Die sieben Elemente des Modells, das hier in einer vereinfachten Form abge­ bildet ist, stehen in Wechselwirkung zueinander. Das Modell verdeutlicht, dass es neben den oben schon beschriebenen, eher äußerlichen Merkmalen ebenso relevant ist, auf der kulturellen Ebene einen Eindruck von der Or­ ganisation zu bekommen, insbesondere, was den »organisationstypischen« Umgang mit Konflikten und die Bedeutung von Hierarchie und Status in konflikthaften Situationen angeht. Art, Größe und Formalisierungsgrad der Organisation können beispielsweise einen starken Einfluss darauf haben, ob Mitarbeiter vor allem aus ihrer Rolle und Funktion oder auch ganz persön­ lich (»als Mensch«) agieren. In der Annäherung an Organisationen sollten Mediatoren nach unserer Überzeugung möglichst wenig als selbstverständ­ lich voraussetzen, sondern immer wieder ganz offen mit einer quasi ethno­ logischen Brille auf Entdeckungsreise gehen.

Abb. 28: Systemisches Organisationsmodell (nach Ebeling, Vogelauer & Kemm 2012, S. 129 ff.)

Welcher Umgang mit Konflikten ist typisch für diese Organisation?

165

Mediation in Organisationen

Funktionen

In diesem Zusammenhang taucht in Mediationsausbildungen häufig die Frage nach der notwendigen Feldkompetenz des Mediators auf. Wie sehr muss ich mich als Mediator in der spezifischen Branche einer Organisation ausken­ nen? Hier positionieren sich Mediatoren sehr unterschiedlich  – an einem Ende des Spektrums finden sich Kollegen, die sich inhaltlich stark spezialisie­ ren und überzeugt sind, dass ihre inhaltliche Expertise wesentlich zu ihrer Akzeptanz bei den Auftraggebern und zur erfolgreichen Mediation beiträgt. Auch die Überlegungen von Mediationsverbänden, spezifische Zertifizierun­ gen für sogenannte Fachmediatorinnen einzuführen, sind hier verortet. Am anderen Ende des Spektrums finden sich Kollegen, darunter auch wir, die ein breites Tätigkeitsprofil haben, generelles Organisationswissen mitbringen und überzeugt sind, dass sie auch mit wenig bis keinem branchenbezogenen Vorwissen die Konfliktbearbeitung präzise und kompetent steuern können.

3.1.2 Auftragsklärung mit der Führungskraft Silke Freitag/Kirsten Schroeter

Praxisfelder der Mediation

166

Die Auftragsklärung ist immer ein vielschichtiger und für die Mediation vorentscheidender Prozess; dies gilt in besonderem Maße für organisationa­ le Systeme. Wir beleuchten in diesem Abschnitt, wer überhaupt Auftragge­ berin für eine Mediation sein kann und welcher Entscheidungsprozesse es dafür bedarf  – insbesondere bei einer Führungskraft, die abwägen muss, welche Ebenen der Mitbestimmung sie eigentlich in einem Konflikt für die Mitarbeiter anstrebt. Darüber hinaus geht es um die Frage, ob eine Media­ tion immer »Mediation« heißen muss, und um die Praxis von Vorgesprächen mit Führungskräften und Mitarbeitern. Kommen wir als externe Unterstützung in eine Organisation, so ist un­ sere formale Auftraggeberin die Instanz, aus deren Budget die Mediation finanziert wird. In der Regel handelt es sich um eine Führungskraft, die Personalabteilung oder das interne Konfliktmanagement. Nichtsdestotrotz brauchen wir auch als externe Mediatoren anschließend den tatsächlichen Auftrag zur Klärungsarbeit von den Konfliktparteien, die konkret an der Mediation beteiligt sind (ausführlich zu diesem sogenannten Dreiecksver­ trag Troja 2015). Für die interne Konfliktberatung sind dagegen in der Regel ausschließlich die Konfliktparteien selbst die Auftraggeber.

Muss ich mich als Mediator in der spezifischen Branche einer Organisation auskennen? Weiterführende Literatur: Ebeling, I./Vogelauer, W./Kemm, R. (2012). Die Systemisch-dynamische Organisation im Wandel. Vom Umgang mit Hierarchie und Netzwerk im Veränderungsprozess. Bern: Haupt

M

2

Vorgesetzte ist nicht beteiligt

M

Vorgesetzte ist Konfliktpartei

4

3

M

Vorgesetzte ist Konfliktpartei

M

zusätzlich: im internen Konfliktmanagement

Nun sind die Übergänge zwischen Beratung, Moderation, Mediation und Supervision fließend. Während beispielsweise Führungskräfte, wenn sie an uns herantreten, in der Regel sehr genau wissen, dass sie einen Konflikt haben und sich externe Unterstützung wünschen, wissen sie oftmals nicht, welches Verfahren dafür geeignet ist. Aus diesem Grund bietet es sich an, bei jeglicher Anfrage nach Teammoderation oder Mediation erst einmal in Ruhe zu klären, welches Verfahren der Konfliktbearbeitung in diesem Fall geeignet und gewünscht ist. Dazu sollte man zunächst mit der formalen Auftraggeberin klären, wer am Ende darüber entscheidet, wie es künftig weitergehen soll.

Abb. 29: Formale Auftraggeber im hierarchischen Kontext

167

Mediation in Organisationen

1

Ebenen der Beteiligung an Entscheidungen Bei der Wahl des Verfahrens in punkto Konfliktbearbeitung ist es für uns in hierarchischen Organisationen zentral, herauszufinden, wie es um die Ergebnisoffenheit der Führungskraft bestellt ist und in welchem Umfang sie andere an einer Entscheidung beteiligen und somit gegebenenfalls Macht teilen bzw. abgeben möchte. Letzteres kann nach unserer Erfahrung sinn­ voll durch folgende Ebenen unterschieden werden, bei denen die Beteiligung der Mitarbeiter kontinuierlich zunimmt: Information

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Auf der Ebene der Information liegt die Entscheidungsbefugnis ausschließ­ lich bei der Führungskraft. Die Führungskraft möchte ihre Mitarbeiterin­ nen über spezifische Entscheidungen oder Vorgänge in Kenntnis setzen. Die konflikthafte Entscheidung ist in der Regel bereits gefallen  – oftmals auf einer höheren Ebene – und alternativlos. Geeignete Verfahren für den Um­ gang mit daraus resultierenden Konflikten sind hier die Konfliktberatung zur Selbstklärung der Führungskraft sowie gegebenenfalls ein Konfliktcoa­ ching, um etwa die konstruktive Kommunikation mit den Mitarbeitern be­ züglich der getroffenen Entscheidung oder auch den konstruktiven Umgang mit Widerständen zu fördern.

Praxisfelder der Mediation

Mitsprache Mitsprache meint im Wortsinn, dass die Mitarbeiter eine Gelegenheit erhal­ ten, sich zu äußern und ihre Sichtweise einzubringen. Die Entscheidungsbe­ fugnis liegt allerdings wie auf der Ebene der Information bei der Führungs­ kraft. Die konflikthafte Entscheidung soll in Zukunft die Führungskraft selbst treffen. Hierzu wünscht sie sich eine Rückmeldung der Mitarbeiterin­ nen, um deren Interessen bestmöglich in ihrer Entscheidung berücksichti­ gen zu können. Für den Umgang mit solchen Konflikten eignet sich eine Teammodera­ tion zum umstrittenen Thema in (gegebenenfalls zeitweiliger) Anwesenheit der Führungskraft. In dieser Moderation werden Interessen und Befürch­ tungen der Mitarbeiterinnen zusammengetragen, die sie der Führungskraft für eine Entscheidung mit auf den Weg geben.

Mitbestimmung Auf der Ebene der Mitbestimmung möchte die Führungskraft eine kon­ flikthafte Entscheidung gemeinsam mit ihren Mitarbeitern treffen. Für den Umgang mit solchen Konflikten eignet sich eine Mediation mit Führungs­ kraft und Team. Findet eine Mediation zwischen einer Führungskraft und einer Mitarbeiterin oder zwischen einer Führungskraft und ihrem Team statt, so gilt es vorab, eventuelle Rahmenbedingungen einer möglichen Ver­ einbarung konkret zu besprechen und den Korridor der Ergebnisoffenheit mit der Führungskraft auszuleuchten, um diesen möglichst früh gegenüber allen Mediationsparteien transparent machen zu können. Selbstbestimmung

169

Mediation in Organisationen

Auf der Ebene der Selbstbestimmung möchte die Führungskraft, dass der Konflikt ihrer Mitarbeiterinnen geklärt wird. Sie selbst ist jedoch ergebnis­ offen, welche Lösung dafür gefunden wird. Oftmals äußern Führungskräfte in diesem Zusammenhang, dass sie befürchten, einzelne Mitarbeiter würden sich in ihrer Anwesenheit nicht offen zum Konflikt äußern, um beispiels­ weise Kollegen nicht bloßzustellen. Für den Umgang mit diesen Konflikten eignet sich eine Mediation zwischen den beteiligten Mitarbeitern oder im Gesamtteam ohne Anwesenheit der Führungskraft. Findet eine Mediation ohne die Führungskraft statt, so gilt es, die Rah­ menbedingungen einer möglichen Vereinbarung konkret zu besprechen. Hierbei ist es ratsam, die von den Führungskräften geäußerte Ergebnisoffen­ heit zu hinterfragen und herauszuarbeiten, ob es sich hier nicht vielmehr um Ergebniskorridore handelt, da es seitens der Führungskraft oder durch strukturelle Bedingungen in der Organisation zu berücksichtigende Vorga­ ben gibt. Sagt beispielsweise eine Führungskraft bezüglich eines Umzugs in ein neues Gebäude: »Mir ist wirklich völlig egal, wie sich die Mitarbeiter auf die vorhandenen Räume verteilen – Hauptsache, alle sind zufrieden und das Genörgel hört endlich auf!«, können wir nochmal nachfragen: »Zusätzliche Räume sind für Sie jedoch ausgeschlossen, oder gäbe es hier Spielräume?« (struktureller Rahmen). Oder auch: »Wie sieht es denn mit Ihnen aus? Gibt es bereits einen Raum, den Sie für sich beanspruchen? Ist dies ein Einzelbü­ ro? Gibt es hier einen Verhandlungsspielraum oder ist das für Sie gesetzt?« (Vorgaben der Führungskraft).

Ebenso sollte in der Auftragsklärung mit den Konfliktparteien sorgfältig geklärt werden, ob diese die Ebene der Selbstbestimmung ebenfalls als an­ gemessen ansehen oder ob sie möglicherweise zur Klärung des Konfliktthe­ mas eine Mitwirkung, eine stärkere Positionierung oder gar Entscheidung der Führungskraft einfordern. Wie soll die Konfliktbearbeitung genannt werden? Wenn sich eine Führungskraft für eine Konfliktklärung auf der Ebene von Mit- oder Selbstbestimmung entscheidet, kann die Konfliktbearbeitung un­ ter der Überschrift »Mediation« stattfinden. Dies ist in Organisationen auch zunehmend der Fall. Unserer Erfahrung nach scheuen sich Führungskräfte jedoch bisweilen, das Verfahren tatsächlich so zu nennen, und tendieren eher zu Begriffen wie Moderation, Teamklärung oder Teamworkshop. Ge­ nau wie im Mediationsverfahren, wenn uns Lösungsvorschläge begegnen, klären wir dann über die Frage: »Wofür wäre es gut, wenn der Tag unter der Überschrift ›Teamworkshop‹ statt ›Mediation‹ vonstattenginge?« die dahin­ ter liegenden Interessen und Befürchtungen der Führungskraft, um dann mit ihr gemeinsam und mit doppelter Blickrichtung auf Team und Thema den Titel festzulegen. 170

Praxisfelder der Mediation

Vertraulichkeit versus Sicherstellen des Informationsflusses In jeder Mediation unterliegen wir der strikten Vertraulichkeit (siehe Ab­ schnitt 2.1.5). Gleichzeitig ist es unsere Aufgabe, den Informationsfluss in­ nerhalb der Organisation von Anfang bis Ende mitzudenken. Hierfür bietet es sich an, ein Organigramm der Personen zu erstellen, die bislang in den Konflikt involviert waren, also neben Führungskraft und Team gegebenen­ falls die Personalabteilung, Stabstellen wie die Gleichstellungs- oder Schwer­ behindertenbeauftragte sowie die Interessenvertretung in Form von Perso­ nal- oder Betriebsrat. Auf dieser Basis suchen wir mit der Auftraggeberin und der für die Konfliktbearbeitung zuständigen Führungskraft Antworten auf die Frage: »Wer sollte wann was genau von wem erfahren?« Es ist nicht unsere Aufgabe, diese Informationen zu überbringen, jedoch ist es an uns, bei der Auftragsklärung konkret zu besprechen, wie die Betei­ ligten über die anstehende Mediation informiert werden, und abschließend in Form von Vereinbarungen wiederum mit den Beteiligten zu klären, wel­

cher Teil der Vereinbarung wem bis wann und wie durch wen übermittelt werden sollte. Ablauf der Auftragsklärung

Wenn Mediation als Verfahren gewählt wird, sei es explizit oder auch im­ plizit, so gilt es in der Regel, Vorgespräche mit den Beteiligten zu führen. Über die genaue Ausgestaltung und insbesondere die Frage, ob nur mit der Führungskraft oder mit allen Mediationsbeteiligten vorab gesprochen wird, gehen die Meinungen auseinander (exemplarisch dafür die Auseinanderset­ zung zwischen Christoph Thomann und Christian Prior 2006/2007 sowie Birgit Keydel 2007). Gestaltung der Vorgespräche mit den Beteiligten Die Vorgespräche dienen dazu, mit allen Beteiligten zu klären, ob Mediation auch für sie das geeignete Verfahren ist und ob sie bereit sind, ihren Kon­ flikt mit uns als Mediatorinnen zu bearbeiten. Hierfür suchen wir gemein­ sam nach Antworten auf folgende Fragen: ƒƒ Wie stellt sich die aktuelle Problemlage für die Person dar?

171

Mediation in Organisationen

Bei der Auftragsklärung sollten wir mit der zuständigen Person aus der Or­ ganisation Antworten auf folgende Fragen herausarbeiten, um auf dieser Ba­ sis ein stimmiges Verfahren vorzuschlagen: ƒƒ Wie kommt es, dass aktuell um Unterstützung bei der Konfliktbearbei­ tung gebeten wird? ƒƒ Wie stellt sich die aktuelle Problemlage dar? ƒƒ Wer ist an dem Konflikt direkt beteiligt? ƒƒ Wer aus der Organisation ist mittlerweile indirekt involviert? ƒƒ Welche Versuche wurden bislang (vom Auftraggeber, von den Konflikt­ beteiligten, von anderen Stellen in der Organisation) unternommen, um zu einer Klärung zu gelangen? ƒƒ Was ist das Ziel der Konfliktbearbeitung? ƒƒ Welcher Grad an Beteiligung der Mitarbeiterinnen ist gewünscht? ƒƒ Gibt es Rahmenbedingungen seitens der Auftraggeberin? ƒƒ Was passiert, wenn sich der Konflikt nicht mithilfe der geplanten Medi­ ation klären lässt?

ƒƒ Wer ist aus ihrer Sicht an dem Konflikt beteiligt? ƒƒ Welche Versuche wurden bislang (von der Konfliktpartei selbst, von an­ deren Konfliktbeteiligten, von anderen Stellen in der Organisation) un­ ternommen, um zu einer Klärung zu gelangen? ƒƒ Was wäre das Ziel einer Mediation? ƒƒ Besteht die Bereitschaft, an einer Mediation teilzunehmen? ƒƒ Was würde vermutlich passieren, wenn sich der Konflikt nicht mithilfe der geplanten Mediation klären lässt? Findet die Mediation in einem hierarchischen Kontext statt, so gilt es sowohl der übergeordneten als auch der untergeordneten Partei zu verdeutlichen, dass einerseits das formale Machtverhältnis außerhalb der Mediation unbe­ rührt bleibt, andererseits beide Seiten in der Mediation die gleichen Rechte und Pflichten haben und das Ziel verfolgen, konsensuale Vereinbarungen zu treffen. Selbstverständlich unterliegen die Vorgespräche der strikten Vertrau­ lichkeit. Wenn wir daraus etwas in die Mediation tragen möchten, kann dies nur in Absprache mit den Beteiligten geschehen. Hierzu holen wir uns am Ende des Vorgesprächs ein explizites Einverständnis für diejenigen Punkte, die wir gern im ersten Mediationstermin aufgreifen würden. 172

Praxisfelder der Mediation

Fallstricke bei Auftragsklärung und Vorgesprächen im hierarchischen Kontext Bei der Auftragsklärung und den Vorgesprächen begegnen uns unterschied­ liche Fallstricke. Auf typische Herausforderungen möchten wir an dieser Stelle hinweisen: Die Führungskraft will eine Entscheidung möglichst weich durchsetzen Das Ergebnis der Mediation steht für die Führungskraft bereits fest. Eine Ergebnisoffenheit ihrerseits ist nicht gegeben, sie wünscht sich vielmehr Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer Entscheidung und hofft auf eine bessere Akzeptanz seitens der Mitarbeiter. Mediation ist in diesem Fall kein geeignetes Verfahren; ein solcher Auftrag wäre aus unserer Perspektive ver­ giftet, weil er das zentrale Prinzip der Ergebnisoffenheit verletzt und – sollte man dennoch in eine Mediation einsteigen – früher oder später zwangsläu­ fig zu Ärger, Empörung und Frustration bei den Mitarbeitern führt, die sich

angesichts der vermeintlichen Gelegenheit zur Mitbestimmung getäuscht sehen. Stattdessen empfehlen wir in einem solchen Fall oder auch bei ande­ ren »hidden agendas« einer Führungskraft, die mit Mediation nicht kompa­ tibel sind (für ein weiteres plastisches Beispiel siehe Troja 2015, S. 76), eine Beratung und gegebenenfalls ein Konfliktcoaching, um die Vorgesetzten dabei zu unterstützen, die Entscheidung klar zu kommunizieren und mit eventuellen Widerständen bestmöglich umzugehen. Beharren sie auf Medi­ ation, lehnen wir den Auftrag ab.

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Mediation in Organisationen

Mediation als Alibi: Niemand will der Spielverderber sein In immer mehr Organisationen herrscht das Selbstverständnis, aktiv mit Konflikten umzugehen. Es werden entsprechende Leitlinien und Betriebs­ vereinbarungen verabschiedet und komplexe Konfliktmanagementsysteme entwickelt. Mit zunehmender Verbreitung und Akzeptanz dieser Herange­ hensweise greift jedoch auch mit Blick auf die Teilnahme an einer Media­ tion das psychologische Phänomen der »sozialen Erwünschtheit«. Beteiligte möchten – in ihrem Selbstbild, aber auch von anderen – im Konflikt als ko­ operativ gesehen werden. Sie befürchten Nachteile, wenn sie nicht bei einer Mediation mitmachen, auch wenn sie selbst nicht ergebnisoffen sind und sich eigentlich »Recht« im Sinne der Entscheidung einer höheren Instanz (Führungskraft, Gericht etc.) wünschen oder nicht daran glauben, dass eine Mediation eine positive Änderung bewirken kann (oft ist dies in einer Skep­ sis hinsichtlich der Änderungsbereitschaft und Ergebnisoffenheit der ande­ ren Konfliktpartei begründet). Ihre Bereitschaft zu einer Mediation ist im Grunde gering bis nicht vorhanden, wird aber (zunächst) nicht offengelegt. Dies wird zum Beispiel deutlich, wenn auf die Frage, was denn passieren würde, wenn die Mediation nicht erfolgreich verläuft, ein positives Szenario geschildert wird, während kein oder nur ein sehr verschwommenes Ziel für eine Mediation benannt wird. Eine Mediation ist unter diesen Voraussetzun­ gen kaum Erfolg versprechend. Es gilt den Beteiligten zu verdeutlichen, dass es legitim und sogar konstruktiv sein kann, eine Mediation unter den gege­ benen Bedingungen abzulehnen. Bei einer einseitigen Ablehnung der Mediation durch eine Konfliktpartei gilt es unsererseits wiederum die Vertraulichkeit gegenüber der Auftragge­ berin (Vorgesetzte) zu wahren. Aus diesem Grund bieten wir der Partei an, der Führungskraft lediglich mitzuteilen, es habe sich in den Vorgesprächen herausgestellt, dass sich der vorliegende Konfliktfall nicht für eine Media­

tion eignet, wenn die Partei gegenüber ihren Vorgesetzten nicht offenlegen möchte, dass und gegebenenfalls warum sie nicht zu einer Mediation bereit ist. Unserer Erfahrung nach gibt es sowohl Mitarbeiter, die gern auf unser Angebot zurückkommen, als auch Mitarbeiter, die die Kommunikation lie­ ber direkt suchen. Zu wenig Akzeptanz der Hierarchie seitens der Mediatorin Als Mediatorinnen müssen wir die Hierarchie in einer Organisation akzep­ tieren, anstatt uns in einer »Pseudo-Gleichmacherei« zu verlieren. Hierbei gilt es vor allem, konsequent das Recht der Führungskraft anzuerkennen, Entscheidungen zu treffen. Sie entscheidet, in welchem Umfang sie ihre Mit­ arbeiter an Entscheidungen beteiligen will. Es ist unsere Aufgabe, dies mit ihr zu klären und dafür zu sorgen, dass der Entscheidungsspielraum den Mitarbeitern kontinuierlich verdeutlicht wird. So vermeiden wir die Frus­ tration, die entsteht, wenn Probleme in der Mediation ausführlich interes­ sensbasiert erhellt werden und dann in der vierten Phase deutlich wird, dass die Führungskraft mitnichten ergebnisoffen ist (siehe auch Abschnitt 3.1.3).

Praxisfelder der Mediation

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Die Führungskraft hat Probleme, der Mediatorin das Verfahren zu übergeben Als Mediatoren leiten wir das Mediationsverfahren. Im Arbeitsalltag sind es hingegen die Führungskräfte, die die Verfahrensmacht innehaben. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, dies explizit in der Auftragsklärung mit der Führungskraft zu thematisieren, damit sie uns das »Verfahrenszepter« zu Beginn der Mediation übergibt. In der Mediation gilt es, von Beginn an kon­ sequent die Gesprächsleitung zu übernehmen und sie sich nicht von Vorge­ setzten aus der Hand nehmen zu lassen. Sollten Vorgesetzte häufiger unsere Verfahrenshoheit direkt oder indirekt infrage stellen, kann dies nochmal in einem Einzelgespräch besprochen werden. Wir können dabei der Füh­ rungskraft einerseits empathisch verdeutlichen, dass uns bewusst ist, dass es für sie ungewohnt und somit nicht leicht ist, uns die Gesprächsführung zu überlassen, und andererseits nochmals klarstellen, dass die Übergabe der Verfahrensmacht an uns unverzichtbar für den Erfolg der Mediation ist. Mitarbeiter fürchten Sanktionen Wenn Mitarbeiter für ihre Äußerungen in der Mediation Sanktionen fürch­ ten, werden sie bestimmte Aspekte höchstwahrscheinlich nicht einbringen. Als Mediatorinnen sollten wir diese Befürchtung ernst nehmen. Wir kön­

Wesentliche Konfliktparteien fehlen Es ist zweifelsohne lästig, Termine zu verschieben, weil wesentliche Kon­ fliktparteien fehlen. Möglicherweise macht dieses Fehlen gar einen Teil der Konfliktdynamik aus (Rückzug, Überforderung, Klärungsvermeidung o. Ä.). Andererseits zeigen unsere Erfahrungen, dass eine tragfähige Mediations­ vereinbarung die Mitwirkung aller wesentlichen Beteiligten voraussetzt. Insofern gilt es, bei Krankheit oder sonstiger Abwesenheit von Parteien ab­ zuwägen, ob an dem betreffenden Thema auch ohne sie gearbeitet werden kann (weil beispielsweise ihre Interessen von anderen vertreten werden) oder ob der Mediationstermin abgesagt und vertagt werden muss.

Weiterführende Literatur: Keydel, B. (2007). Ein Pro und Kontra für Vorgespräche – Ein Diskussionsbeitrag und zugleich Erwiderung auf Thomann/Prior. In: Zeitschrift für Konfliktmanagement (2), S. 1-3 Troja, M. (2015). Erfolg auch bei Misserfolg. Auftragsgestaltung in hierarchischen Strukturen. In: Konfliktdynamik (1), S. 72-77 Thomann, Ch./Prior, Ch. (2006): Vorgespräche – mit wem und mit wem nicht? In: Zeitschrift für Konfliktmanagement (5), S. 1-4

3.1.3 Eigene Haltung zum Thema Führung Regina Harms

Auch Medianden, die es gewohnt sind, andere im Arbeitsalltag zu führen, erwarten von uns, dass wir über das notwendige Know-how zur Verfahrens­ leitung verfügen und eine Klärung auf der Sachebene voranbringen können. Wenn zu Beginn das Arbeitsbündnis für die Mediation geschlossen wird, übernehmen wir die Verfahrensmacht. Die Medianden erkennen dies mit ihrer Zustimmung zu den Verfahrensregeln ausdrücklich an. Diesem formalen Vorgang, mit dem die Medianden der Mediatorin im­ plizit ihr Vertrauen aussprechen und ihre Führungsrolle legitimieren, muss

Mediatoren haben die Verfahrensmacht auch gegenüber Führungskräften

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Mediation in Organisationen

nen den Beteiligten schließlich nicht garantieren, dass es zu keinen Sankti­ onen kommen wird. Hier sehen wir uns mit einem Dilemma konfrontiert: Einerseits wünschen wir uns, dass alle bedeutsamen Interessen in der Mediation auf den Tisch kommen, andererseits möchten wir nicht, dass Mitarbeiter sich um Kopf und Kragen reden. Was können wir tun? Zum einen können wir in Vorgesprächen mit den Mitarbeitern klären, ob sie eine Möglichkeit sehen, ihr Anliegen se­ lektiv authentisch vorzubringen, sodass die relevanten Interessen trotzdem auf den Tisch kommen. Zum anderen können wir mit den Mitarbeitern ver­ einbaren, dass sie ihre Befürchtung zu Beginn der Mediation einbringen und mit den Vorgesetzten besprechen. Je nachdem, wie dieser Austausch verläuft, können sich die Mitarbeiter dann für oder gegen die Mediation entscheiden.

Praxisfelder der Mediation

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allerdings die innere Haltung von Mediatorin und Medianden nicht in jeder Lage des Verfahrens entsprechen. Das Vertrauen der Medianden in unsere Fähigkeit, den Prozess zu lenken, und auch das Zutrauen der Mediatoren in ihre eigene Kompetenz können im Laufe der Mediation an Kraft verlieren. Vielleicht stellen wir während der Mediation fest, dass wir in unserem Vorgehen unsicher werden, unter Zeit- oder Leistungsdruck geraten, weil wir den vermeintlichen Erwartungen nicht gerecht werden. Mehr als uns lieb ist, fühlen wir uns vielleicht von einer Mediandin eingeschüchtert, die uns signalisiert, dass es ihr nicht schnell genug vorangeht. Es kann aber auch sein, dass wir ärgerlich werden und Mühe haben, die Allparteilichkeit zu wahren, weil wir beispielsweise den Eindruck haben, dass eine Konflikt­ partei die andere auf unfaire Weise unter Druck setzt oder den Prozess blo­ ckiert. Möglicherweise reagieren wir darauf mit dem Impuls, einen Kampf mit der »übermächtigen« Führungskraft auszufechten und dabei gleichzei­ tig den »armen unterlegenen« Mitarbeiter in Schutz zu nehmen. Vielleicht ist es aber auch umgekehrt und wir ertappen uns dabei, wie wir versuchen, der »störrischen« Mitarbeiterin die »vernünftige« Haltung ihrer Vorgesetz­ ten wortreich nahezubringen. Wir spüren, dass wir in Gefahr sind, selbst Spielfigur in einem Machtspiel zu werden, anstatt kraft unserer Rolle eine Atmosphäre zu schaffen, die ausreichend Raum für einen konstruktiven Austausch und Interessenausgleich lässt. Insbesondere wenn wir in hierarchischen Kontexten arbeiten, kann es passieren, dass wir mit unseren eigenen Erfahrungen und Einstellungen zu Autorität und Abhängigkeit, Stärke und Schwäche sowie Machtungleichge­ wicht in Berührung kommen und unbewusst aus eigener Betroffenheit re­ agieren. Wenn es um Themen rund um Macht und Führung geht, erleben dies auch erfahrene Mediatoren. Dann kann es hilfreich sein, sich vor Au­ gen zu führen, dass es normal ist, dass Medianden bewusst oder unbewusst Machtmittel in der Mediation einsetzen; beispielsweise versuchen sie, Kon­ trolle über den Verfahrensablauf zu gewinnen, sich selber auf- und den an­ deren abzuwerten und moralischen Druck auszuüben. Es geht somit im Kern darum, die Interessen, Bedürfnisse und Befürchtungen, die dem Einsatz der Machtmittel zugrunde liegen, zu verstehen und Perspektiven auszuloten, die es ermöglichen, auch in diesem Machtkonflikt einen Interessenausgleich zu erreichen. Mit dem Fokus auf diese hinter den Machtmitteln liegenden Interessen gelingt es uns leichter, die innere Unabhängigkeit zu wahren und unsere Verfahrensmacht als Mediatorinnen flexibel und unerschrocken ein­

Machtspiele in der Mediation

3.2 Mediation in der Familie: Besonderheiten bei Trennungs- und Scheidungsmediation Regina Harms

Seit Anfang der 90er Jahre werden in Deutschland Erfahrungen mit Tren­ nungs- und Scheidungsmediation gesammelt. Viele Menschen, die eine Trennung erleben, fragen inzwischen nach Mediation. In das Familienver­ fahrensgesetz (FamFG) ist aufgenommen worden, dass das Familiengericht eine Mediation vorschlagen kann (§ 36a FamFG). Zudem kann das Gericht anordnen, dass Beteiligte bei Kindschaftsstreitigkeiten und Scheidungsfol­ gesachverfahren an einem kostenfreien Informationsgespräch über Media­

Umgang mit Zeitdruck

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Mediation in der Familie

zusetzen. Wir können eine Weile zuhören, auch wenn es heiß hergeht, um die Konfliktdynamik zu erfassen, und erst dann wieder die Initiative über­ nehmen: zusammenfassen, was klar und was unklar ist, und den nächsten Schritt ankündigen. Wenn es uns notwendig erscheint, können wir auch direktiv eingreifen, Vorwürfe unterbrechen und konsequent Abschweifun­ gen vom Thema unterbinden. Führungskräfte wie Mitarbeiter werden dieses Vorgehen mittragen und sogar wertschätzen, wenn sie den Eindruck haben, dass es inhaltlich vorangeht und wir als Mediatoren allparteilich agieren. Bei Führungskräften, die es gewohnt sind, effizient zu arbeiten, müssen wir mit Widerstand rechnen, wenn sie den Eindruck bekommen, dass der Prozess auf der Stelle tritt oder Zeit mit vermeintlich unnötigen Erörterungen vertan wird. Zeit ist für viele Führungskräfte eine wertvolle Ressource, die nicht verschwendet werden sollte. Deshalb ist Zeitdruck nichts Ungewöhnli­ ches in einer Mediation mit Führungskräften. Eine Führungskraft wird in der Regel nur dann bereit sein, weiter mitzuarbeiten, wenn sie darauf vertrauen kann, dass die Zeit, die ein bestimmtes Vorgehen in der Mediation braucht, gut angelegt ist. Wenn Zeitdruck in der Mediation spürbar wird, kann es dem Mediator daher helfen, eine überzeugende Aussage darüber zu treffen, auf welche Weise das Vorgehen dem gemeinsamen Ziel der Mediation dient. Wenn wir darauf achten, dass wir nur Aufträge annehmen, denen wir uns innerlich gewachsen fühlen, und ein Arbeitsfeld wählen, in dem wir uns einigermaßen sicher fühlen, können wir voller Zuversicht an die Arbeit gehen.

tion teilnehmen (§§ 156 I, 135 FamFG). Trennungs- und Scheidungsmedia­ tion ist also in Deutschland vergleichsweise gut etabliert.

3.2.1 Ausgangslage und Rahmen In diesem Praxisfeld arbeiten freiberufliche Mediatoren, Mitarbeiter von Beratungsstellen und Jugendämtern sowie Güterichter. Je nach Erfahrungs­ hintergrund übernehmen sie Fälle, in denen die ganze Bandbreite der Tren­ nungsfolgen zur Regelung ansteht (einschließlich Unterhalt und Vermö­ gensfragen), oder sie sind auf das Mediieren in Teilbereichen spezialisiert, wie zum Beispiel auf Auseinandersetzungen, die Kinder betreffen. Das Pra­ xisfeld ist prädestiniert für Co-Mediation. Dabei bietet sich eine interdiszip­ linäre und gemischtgeschlechtliche Zusammenarbeit an, zum Beispiel zwi­ schen einer Mediatorin mit juristischem Hintergrund und einem Mediator mit psychosozialem Hintergrund. Die Ausgangslage der anfragenden Medianden

Praxisfelder der Mediation

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Konfliktparteien, die in die Trennungs- und Scheidungsmediation kommen, haben sich oft schon getrennt oder sehen eine dauerhafte Trennung als not­ wendig an, weil zumindest eine Partei nicht mehr bereit ist, die Beziehung fortzusetzen. Sie brauchen eine Klärung darüber, wie das Leben nach der Trennung gestaltet werden soll. Wir haben es insbesondere zu Beginn der Trennungsmediation in der Regel mit einem hohen Grad an Emotionalität bei den Konfliktparteien zu tun, mit Verzweiflungsgefühlen, Wut, Sorgen und Ängsten, aber auch mit Gefühlen von Erleichterung, Hoffnung, Zuversicht und Befreiung. Die Medi­ anden müssen mit der Erschütterung ihrer bisherigen Lebens- und Identi­ tätsstruktur und der Sorge um die Kinder umgehen. Sie haben in der Bezie­ hung Kränkungen und Verletzungen erlebt und müssen mit ihrem Partner gleichzeitig über Geben und Nehmen verhandeln und Perspektiven für den eigenen Neuanfang entwickeln. Neben den äußeren Veränderungen, die anstehen und Handlungsdruck erzeugen, sind die Medianden mit verschiedenen inneren Verarbeitungspha­ sen der Trennung beschäftigt. Für die Mediatorin besteht die Herausforde­ rung darin, den Medianden einerseits Anerkennung für ihre momentane

Gefühlslage zu geben, ohne zu beschwichtigen oder zu dramatisieren, und andererseits die Klärung auf der Sachebene voranzubringen, damit die Me­ dianden Fortschritte erleben und Zuversicht entwickeln können, dass die Krise überwunden wird. Klassische Themen einer Trennungs- und Scheidungsmediation sind: ƒƒ Soll eine räumliche Trennung durchgeführt werden, ja oder nein? ƒƒ Klärung der Wohnsituation ƒƒ Neuorganisation der elterlichen Verantwortung ƒƒ Teilung der materiellen Ressourcen ƒƒ Abwicklung des Scheidungsverfahrens ƒƒ Gestaltung des Umgangs miteinander nach der Trennung Der organisatorische Rahmen

3.2.2 Besonderheiten in den Phasen der Trennungs- und Scheidungsmediation Die erste Phase der Mediation – Arbeitsbündnis Da in der Trennungsmediation sehr persönliche und hochemotionale Din­ ge besprochen werden, kann die Arbeit nur gelingen, wenn insbesondere in der Anfangsphase eine gute Beziehung zwischen Mediator und Medi­ anden aufgebaut wird. Die Konfliktparteien brauchen die Sicherheit, dass sie auch bei der Äußerung heftiger Gefühle nicht abgelehnt werden und dass der Mediator sich bei eskalierenden Situationen innerlich so abgren­

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Mediation in der Familie

Die Klärung der anstehenden Aufgaben ist nur schrittweise möglich, sodass in der Trennungsmediation eine Begleitung von circa drei bis acht Sitzungen mit jeweils eineinhalb- bis zweistündiger Dauer üblich ist. Die Pausen zwischen den Sitzungen sind für den Prozess wichtig, damit die Sitzungen innerlich ver­ arbeitet, neue Perspektiven entwickelt und zeitlich begrenzte Teillösungen aus­ probiert werden können. Es ist hilfreich, am Ende jeder Sitzung zusammenzu­ fassen, was erarbeitet wurde, befristete Übergangsvereinbarungen schriftlich festzuhalten und zu klären, was in der nächsten Sitzung ansteht. Zwischen den Terminen können aber auch Konflikte oder neue Themen auftauchen, deren Bearbeitung in der nächsten Sitzung eingeschoben werden muss.

zen kann, dass er eine klare Struktur für die Bearbeitung der komplexen Themen beibehält. Ich bevorzuge in der Trennungs- und Scheidungsmediation folgenden Ab­ lauf in der Anfangsphase: ƒƒ Begrüßung, Vorstellung, bisherigen Informationsstand zusammenfassen ƒƒ Situation der Medianden erfragen (auch bisherige Lösungsversuche und die Haltung zur Trennung) ƒƒ Anliegen erfragen und Motivation zur Mediation klären ƒƒ Informationen zur Mediation einbringen ƒƒ Indikation prüfen ƒƒ Ziel der Mediation zusammenfassen und jede Konfliktpartei fragen, ob sie sich auf die Mediation einlassen will ƒƒ die schriftliche Vereinbarung zur Mediation aushändigen

Praxisfelder der Mediation

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Bevor ich das Verfahren der Mediation und die Regeln erkläre, bitte ich die Medianden nacheinander, kurz in einigen Sätzen ihre Ausgangssituation zu beschreiben, frage nach ihrem Anliegen und ihrer Motivation für die Medi­ ation. So bekomme ich einen ersten Eindruck von der Konfliktdynamik und dem Grad der Eskalation und erfahre, welche Klärung die Medianden zum gegenwärtigen Zeitpunkt brauchen. Nicht immer kommen die Konfliktpar­ teien mit einer klaren übereinstimmenden Zielsetzung in die Mediation. Möglicherweise sind sie noch hin- und hergerissen, ob sie die Beziehung fortsetzen oder sich dauerhaft trennen sollen. Indem ich explizit ihre Hal­ tung zur Trennung anspreche, wird deutlich, ob es noch Ambivalenzen gibt und ob die Medianden die Trennung schon so weit innerlich verarbeitet ha­ ben, dass sie bereit und in der Lage sind, sich mit den sachlichen Fragen der Trennung auseinanderzusetzen. Das Ziel ist dabei nicht, die einzelnen Stadien der Beziehung durchzuarbeiten, sondern herauszufinden, ob eine Klärung eher in einer Paartherapie oder durch Einzelberatungen außerhalb der Mediation angezeigt ist. Wenn die Medianden ihr Anliegen zum Ausdruck bringen konnten und sich damit gehört fühlen, sind sie nach meiner Erfahrung offen für Infor­ mationen über das Verfahren der Mediation. Neben den klassischen Grund­ regeln wie Freiwilligkeit, Vertraulichkeit und Gesprächsregeln spreche ich einige weitere Voraussetzungen an: ƒƒ die Notwendigkeit, Informationen (beispielsweise Belege zum Einkom­ men) offenzulegen und zuzusagen, dass Vermögenswerte nicht ohne Ab­ sprache verschoben werden;

Wann ist der richtige Zeitpunkt für eine Trennungsmediation?

Grundregeln der Trennungs- und Scheidungsmediation

ƒƒ das Ruhen streitiger gerichtlicher Verfahren und der Verzicht auf streiti­ gen anwaltlichen Schriftwechsel während der Mediation; ƒƒ den Hinweis, dass es innerhalb der Mediation keine Rechtsberatung gibt, und die Empfehlung, bei Bedarf getrennt voneinander anwaltlichen par­ teiischen Rechtsrat einzuholen, bevor die Vereinbarung unterzeichnet wird. Nachdem die Informationen über Mediation gegeben und eventuelle Fragen dazu geklärt wurden, sollte jeder Beteiligte für sich prüfen, ob er sich eine Zusammenarbeit in der Mediation vorstellen kann: »Ich habe Sie so verstan­ den, dass Sie Regelungen treffen möchten, die im Zusammenhang mit Ihrer Trennung erforderlich werden. Sind Sie beide damit einverstanden, solche Regelungen gemeinsam hier in einer Mediation zu erarbeiten?« Wenn die mündliche Zustimmung zur Mediation gegeben wurde, wird den Medianden eine schriftliche Vereinbarung zur Mediation ausgehändigt mit der Bitte, diese zu Hause in Ruhe durchzulesen und zu Beginn der nächs­ ten Sitzung zu unterzeichnen. So wird der Einstieg in die Mediation zu der bewussten Entscheidung, einen anderen Weg in der Auseinandersetzung ein­ zuschlagen. Mit ihrer Unterschrift bekräftigen die Medianden, dass sie bereit sind, unter den vereinbarten Bedingungen in der Mediation zusammenzuar­ beiten, und dass sie für einen fairen Umgang miteinander einstehen.

Ein klares Arbeitsbündnis schließen

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In der Trennungs- und Scheidungsmediation stehen in der Regel viele The­ men zur Klärung an. Es ist daher sinnvoll, die Konfliktparteien zu Beginn der zweiten Phase nicht nach ihrer Sichtweise zum Gesamtkonflikt zu fragen, sondern direkt nach Themen, die sie in der Mediation besprechen möchten. So kann dem Verfahren zu einem frühen Zeitpunkt eine über­ schaubare Struktur gegeben werden. Am Ende dieser Phase einigen sich die Parteien darauf, mit welchem Thema sie beginnen möchten. Da den Medianden Selbstbestimmung und Abgrenzung zur anderen Partei in der Regel besonders wichtig sind, ist es hilfreich, die Themen auf einem Flipchart-Blatt in zwei Spalten einzutragen. Dazu kann der Media­ tor folgende Frage stellen: »Damit wir einen Überblick bekommen, welche Themen für Sie in der Mediation anstehen, würde ich Sie jetzt nacheinander bitten, zu benennen, welche Themen Sie besprechen möchten. Es ist hilf­

Mediation in der Familie

Die zweite Phase der Mediation: Themensammlung

reich, dass jeder ausreichend Zeit und Raum hat, seine Themen im Zusam­ menhang zu formulieren, ohne vom anderen unterbrochen zu werden, auch wenn das vielleicht schwerfällt. Die Themen müssen nicht perfekt formu­ liert sein und auch noch nicht in der für Sie richtigen Reihenfolge stehen. Wer von Ihnen möchte beginnen?« Die dritte Phase: Konflikterhellung

Praxisfelder der Mediation

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Es ist typisch für die Trennungs- und Scheidungsmediation, dass die Bearbei­ tung von ein bis zwei Themen aus der Liste besonders schwierig ist. Wenn es gelungen ist, dafür eine Vereinbarung zu finden, ist meist der Durchbruch geschafft und die restlichen Themen können schneller bearbeitet werden. Wenn es um heikle Themen geht, kann die Kommunikation schnell eska­ lieren. Es ist dann besonders wichtig, einer klaren Struktur zu folgen. Diese kann beispielsweise wie folgt aussehen: ƒƒ Bestandsaufnahme zum gewählten Thema (Sachinformationen einholen und Vorstellungen der Medianden zur Regelung des Themas erfragen) ƒƒ Hintergründe heraushören, anerkennen und umformulieren ƒƒ Interessen in Halbsätzen visualisieren ƒƒ Gemeinsam auf die visualisierten Interessen schauen ƒƒ Bezugspunkte für die Lösungssuche identifizieren Die Arbeit in der dritten Phase kann beispielsweise mit folgenden Worten eingeleitet werden: »Sie haben sich entschieden, jetzt das Thema ›Betreuung von Felix und Marie‹ zu besprechen. Da ich schon mitbekommen habe, dass Ihnen das Thema sehr am Herzen liegt, ist es mir wichtig, dass jeder von Ihnen in Ruhe und wenn möglich ohne Unterbrechung durch den Anderen seine Sichtweise dazu darstellen und insbesondere auch schildern kann, was ihm bei dem Thema und für die spätere Lösung besonders wichtig ist, wie auch immer die spätere Regelung im Detail aussehen mag. Bevor jeder von Ihnen seine Gedanken dazu schildert, bitte ich Sie, mir von Ihren Kindern zu erzählen, damit ich mich in die Situation hineindenken kann. Haben Sie ein Foto von Ihren Kindern dabei?« Schon bei der Informationssammlung ist darauf zu achten, dass beide Medianden ausreichend zu Wort kommen. Wenn es um die Bestandsaufnahme bei finanziellen Themen geht (zum Beispiel die Vermögensaufteilung), ist es in der Regel notwendig, die Aus­ gangszahlen schriftlich auf dem Flipchart festzuhalten. Unterschiedliche

Eine Visualisierung der Interessen strukturiert den Prozess

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Gibt es neben den Interessen und Bedürfnissen weitere Bezugspunkte für die Lösungssuche?

Mediation in der Familie

Bewertungen der Zahlen werden zunächst nebeneinander stehen gelassen und können mit einem Fragezeichen gekennzeichnet werden. Die Auflis­ tung der Zahlen können die Medianden als Hausaufgabe vorbereiten und dann in die Mediation einbringen. Am Ende der Bestandsaufnahme werden die Medianden gefragt, welche Regelung sie sich wünschten, wenn es nur nach ihnen ginge. Kommt es da­ bei zu unterschiedlichen Positionen, folgt der nächste Schritt: längere Ge­ sprächssequenzen mit jeder Konfliktpartei über Interessen und Bedürfnisse, die ihr zu dem Thema wichtig sind. Dabei kann darauf verzichtet werden, nach Gefühlen zu fragen, weil diese meist ohnehin schon deutlich spürbar die Atmosphäre bestimmen. Es reicht aus, wenn die Mediatorin die Gefüh­ le anerkennt und sich darauf konzentriert, das dahinter liegende Interesse oder Bedürfnis herauszuarbeiten. Manchmal hilft dabei die Frage nach Be­ fürchtungen. In der Regel können die Medianden die Interessen sehr klar benennen. Die Mediatorin muss abschätzen, ob sie eine vertiefende Frage zu einem Interesse stellt oder lieber nicht. Vertiefende Fragen können den Verstehensprozess fördern, aber auch zu einem Gesichtsverlust führen (se­ henswert hierzu die Demonstration der dritten Phase durch Maria Marshall in dem Lehrfilm »Ein Fall für Drei«). Der Perspektivwechsel findet oft schon während des Prozesses spontan statt, vorausgesetzt, die Medianden fühlen sich jeweils von der Mediatorin verstanden und angenommen. Die Mediatorin sollte den Perspektivwech­ sel nicht zu früh anregen. Er lässt sich auf natürliche Weise durchführen, wenn am Schluss der dritten Phase gemeinsam auf die visualisierten Inte­ ressen geschaut und die Frage gestellt wird, ob es Interessen in der Spalte der anderen Konfliktpartei gibt, die nachvollziehbar sind. Während oder nach der Herausarbeitung der Interessen und Bedürfnisse können weitere Bezugspunkte auftauchen, die für die Medianden vor der Lösungssuche noch wichtig sind und daher anschließend bearbeitet werden: ƒƒ Zum Beispiel kann sich die Frage stellen, welche Interessen und Bedürf­ nisse die Kinder haben und wie diese in die Mediation einbezogen wer­ den (siehe unten). ƒƒ Insbesondere wenn es um finanzielle Themen geht, reagieren die Kon­ fliktparteien zuweilen sehr emotional auf das Thema Fairness und Ge­ rechtigkeit. Dann kann es helfen, diesem Punkt explizit Raum zu geben, jede Konfliktpartei nach ihren Fairnesskriterien zu befragen und dies in zwei Spalten auf dem Flipchart zu visualisieren.

ƒƒ Oft taucht an dieser Stelle die Frage nach der Rechtslage auf. Dann muss geklärt werden, ob sich die Medianden vor der nächsten Sitzung rechtlich beraten lassen oder ob dies erst nach der Ideensammlung geschehen soll. Die vierte Phase: Ideensammlung und Verhandlung von Lösungsmöglichkeiten Die Mediatorin kann bei der Ideensammlung auf die Möglichkeit hinweisen, vorläufig befristete Teilvereinbarungen zu treffen, die eine Zeitlang auspro­ biert und dann überprüft werden (dies ist insbesondere hilfreich, wenn es um Kinderthemen geht). Die fünfte Phase: Vereinbarung und Abschluss

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Wenn der Gesamtentwurf der Vereinbarung auch die Regelungen über den Unterhalt und die Aufteilung der Vermögenswerte enthält, möchten die Me­ dianden in der Regel klären, welcher Rechtsanwalt oder Notar die Verein­ barung rechtsverbindlich gestalten soll. Auch dies müssen sie gemeinsam entscheiden. Wenn die Mediatorin Rechtsanwältin oder Notarin ist, kann sie selbst die rechtsverbindliche Vereinbarung entwerfen. Wichtig ist, dass jedem Medianden empfohlen wird, die rechtsverbindliche Vereinbarung vor der Unterzeichnung von einem Rechtsanwalt prüfen zu lassen.

Praxisfelder der Mediation

3.2.3 Die Bedürfnisse und Interessen der Kinder in der Mediation Insbesondere bei hochkonflikthaften Fällen besteht die Gefahr, dass die Kinder zu Streitobjekten der Eltern werden und nicht mehr als Personen wahrgenommen werden, die unmittelbar von der Trennung betroffen sind. Um dem in der Mediation entgegenzuwirken, ist es hilfreich, wenn nicht all­ gemein von »den Kindern« gesprochen wird, sondern diese mit ihren Namen genannt werden, beispielsweise bei der Visualisierung auf dem Flipchart. In der Mediationspraxis sind verschiedene Formen entwickelt worden, die Perspektive der Kinder in die Mediation einzubringen. So kann der Media­ tor nach den Kindern fragen, er kann die Eltern dazu anregen, sich in die Kinder hineinzuversetzen, und auf einem Flipchart visualisieren, welche Interessen und Bedürfnisse sie bei jedem Kind vermuten. In der Mediation

3.2.4 Hintergrundwissen und Praxiseinstieg Bei der Arbeit in diesem Mediationsfeld helfen Kenntnisse über die System­ theorie, Trennungsphasen, familiäre Kommunikationsmuster und natürli­ che Krisen im Lebenszyklus einer Familie. Zum professionellen Handwerks­ zeug gehört auch Wissen über entwicklungspsychologische Aspekte bei Kin­ dern und Jugendlichen und das altersspezifische Erleben und Reagieren von Kindern in Trennungssituationen. Wer auch finanzielle Themen bearbeiten will, sollte über Grundkenntnisse im Familienrecht verfügen. Die intensiven Prozesse in der Trennungs- und Scheidungsmediation stel­ len hohe Anforderungen an die Mediatoren. Beim Einstieg in die Praxis kann es daher entlastend sein, die ersten Fälle in Co-Mediation zu bearbeiten.

3.3 Mediation im Gemeinwesen Dieter Lünse/Katty Nöllenburg

Seine Nachbarn kann man sich meist nicht aussuchen. Da ist der Kinder­ garten, der neben dem Eigenheim aufmacht. Verwaltungen verlängern in einem Szeneviertel die Sperrstunde der Gastwirtschaften. Investoren kau­ fen Gebäude und wandeln Mietwohnungen in Eigentum um. Muslimische Besucherinnen möchten im öffentlichen Jugendzentrum beten: Dies sind typische Fälle für Gemeinwesenmediation. Das Gemeinwesen ist ein kommunaler Raum, der meist einen Orts- oder Stadtteilnamen trägt. Die Kennzeichen dieses »sozialen Raums« sind die He­

Weiterführende Literatur: Weber, M./Alberstötter, U./Schilling, H. (Hrsg.) (2013). Beratung von Hochkonflikt-Familien. Weinheim/ Basel: Beltz Juventa Dietz, H./Krabbe, H./ Thomsen, C. S. (2009). Familien-Mediation und Kinder. Köln: Bundesanzeiger IMS – Institut für Media­tion, Streitschlichtung und Konfliktmanagement e.V. (Hrsg.) (2005). Ein Fall für Drei – Szenen einer Scheidungsmediation – ein Lehrfilm. München: IMS

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Mediation im Gemeinwesen

kann auch ein gemeinsames Gespräch vorbereitet werden, das die Eltern mit ihren Kindern zu Hause über die Trennung führen. Je nach Fallkonstellation und Erfahrungshintergrund des Mediators können die Kinder auch direkt mit in die Mediation einbezogen werden  – entweder durch ein Gespräch, das der Mediator allein mit den Kindern führt (themenzentriertes Kinderin­ terview; vgl. Bernhardt 2013, S. 205 ff), oder durch Teilnahme der Kinder an einzelnen Sitzungen im Beisein der Eltern (Modell der Mediationswerkstatt Münster, dargestellt in Dietz, Krabbe & Thomsen: Familien-Mediation und Kinder 2009). Die direkte Einbeziehung der Kinder empfiehlt sich für Media­ toren erst nach einer Fortbildung in einer der beiden Methoden.

terogenität der Akteure und die fehlende Eindeutigkeit der Grenzen. Ein Stadtteil, Ortsteil oder ein Dorf sind kleine Einheiten des Gemeinwesens, in denen es vielfältige Konflikte und damit auch »Stoff« für Mediation gibt. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die Besonderheiten und Heraus­ forderungen von Gemeinwesenmediation an den Beispielen von Mediation zwischen Mietparteien, Mediation im öffentlichen Raum und Stellvertreter­ konflikten für gesamtgesellschaftliche Themen. Die Fragen nach Auftrag­ gebenden, nach der Konstellation der Konfliktparteien am Mediationstisch, nach den Entscheidungsspielräumen und nach der Rollenklarheit der Medi­ ationsteams lassen sich hierbei auf alle Beispiele übertragen.

3.3.1 Wenn Nachbarn streiten »Frau Herford aus dem zweiten Stock trampelt nachts so laut, dass ich über­ haupt nicht schlafen kann!« »Familie Jankowski stellt ständig ihren Kinder­ wagen so in den Flur, dass ich nicht daran vorbeikomme!« Bei diesen Kon­ flikten sind die einzelnen Interessen privater Natur, jedoch sind sie nicht losgelöst vom Gemeinwesen, denn Interessen weiterer Akteure können eine große Rolle spielen. 186

Praxisfelder der Mediation

Wer ist mein Auftraggeber? Bei Konflikten zwischen Mietparteien sind häufig Vermieter und Woh­ nungsbauunternehmen die Auftraggeber. Ähnlich wie bei der Mediation am Arbeitsplatz, die von der Vorgesetzten beauftragt und bezahlt wird, hat auch hier ein Dritter Interesse an einer erfolgreichen Mediation: Ruhe vor weiteren Beschwerden der Mietparteien, stabile Mietverhältnisse, die At­ traktivität des Wohnraums wahren, um einer drohenden Wertminderung vorzubeugen. Kurz gesagt: Die Auftraggeber möchten einfach ihre Ruhe und übernehmen gern die Kosten des Mediationsprozesses, um einer weiteren Eskalation entgegenzuwirken. Häufig fordern Wohnungsbaugesellschaften die Teilnahme der Konflikt­ parteien an der Mediation. Die Parteien sind also nicht immer ganz freiwil­ lig in der Mediation. In diesem Fall ist Sensibilität gefragt: Eine klare Auf­ tragsklärung und Transparenz über die Interessen des Auftraggebers sind wesentliche Gelingensbedingungen für die Mediation.

Nachbarschaftskonflikte berühren auch Interessen des Gemeinwesens

Bei Mediationen zwischen Eigentümerinnen oder Mietern, die aus eige­ nem Antrieb ihren Konflikt klären möchten, entsteht der Kontakt zunächst über eine Konfliktpartei. Hier stellt sich die Frage nach der Kontaktaufnah­ me zur zweiten Partei und nach der Kostenaufteilung. Wer sitzt am Mediationstisch? Mit der kontaktaufnehmenden Partei wird geklärt, ob die Ansprache der anderen Partei durch diese, den Vermieter oder die Mediatorin erfolgt. Oft bestehen Parteien aus mehreren Personen. Wer nimmt dann an der Media­ tion teil? Streiten sich beispielsweise zwei Parteien über Lärm- und Geruchs­ belästigung, so hat es Vor- und Nachteile, entweder alle Beteiligten an den Mediationstisch zu laden oder nur jeweils einen Stellvertreter für die jewei­ lige Konfliktpartei. Wir machen unsere Empfehlung vom Eskalationspoten­ zial des jeweiligen Falles abhängig: Je größer der vermutete Eskalationsgrad, desto weniger Menschen sollten zunächst an den Mediationstisch. Ein weiterer Faktor können unterschiedliche Positionen innerhalb einer Partei sein. Dann klären wir mit den Beteiligten, ob nur zwei oder mehr Konfliktparteien am Tisch sitzen. Wenn etwa bei einem Konflikt um die Mülleimer im Hinterhof alle acht Wohneinheiten beteiligt und von einer möglichen Neuregelung betroffen sind, kann es zu zwei Konstellationen kommen: Entweder es nehmen Stellvertreter aus jeder Wohneinheit teil oder  – sofern sich klare Koalitionen um ebenso klare Positionen gebildet haben – es wird mit einem Stellvertreter der jeweiligen Position verhandelt. Die Besonderheiten des hierbei notwendigen Informations- und Entschei­ dungstransfers zu den nicht an der Mediation Beteiligten werden im folgen­ den Abschnitt bei der Mediation im öffentlichen Raum erläutert. Vor- und Einzelgespräche Mediationen bei Nachbarschaftskonflikten finden leider häufig erst nach langjährigen, hoch eskalierten Konflikten statt. Die Konfliktparteien sind dementsprechend sehr emotional. Wir führen aus diesem Grund separate Vorgespräche bzw. Einzelgespräche, um uns vorab einen Eindruck über den Eskalationsgrad zu verschaffen, die Bereitschaft zur Mediation zu klären und den Parteien die erste Anerkennung für »ihre Geschichte« zu geben, die sie benötigen, um an der Mediation überhaupt teilnehmen zu können.

Wir führen separate Vorgespräche, um den Eskalationsgrad einzuschätzen

Mediation im Gemeinwesen

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3.3.2 Der öffentliche Raum Der öffentliche Raum ist eine Gemeindefläche, die der Öffentlichkeit frei zugänglich ist und die von der Kommune unterhalten wird: beispielswei­ se öffentliche Verkehrsflächen sowie Ruhe- und Freizeitzonen. Stadt- und Verkehrsplanung spielen hier eine stärkere Rolle als bei Stadtteilkonflikten. Neue Bebauungspläne, Veränderungen der Verkehrsführung, öffentlicher Nahverkehr, Flugschneisen oder die Versorgung mit Toilettenhäuschen unterliegen verschiedenen Interessen. Im öffentlichen Raum können auch übergeordnete Einrichtungen wie Landkreise, ein Bundesland oder sogar der Bund seine Interessen einbringen oder durchsetzen, wenn zum Beispiel eine größere Straße für den allgemeinen Verkehr gebaut werden soll. Wer macht den Erstkontakt?

Praxisfelder der Mediation

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»Wir leiden hier unter massiven baulichen Veränderungen in unserer Ge­ meinde«, sagt die Bewohnerin einer Randgemeinde einer großen Stadt zum Mediator. Sie kritisiert die steigenden Mieten. Die Bearbeitung dieses Konflikts braucht die Beteiligung mehrerer Gruppen: Nachbarinnen, staat­ liche Stellen wie Verwaltung und Politik sowie gegebenenfalls weitere In­ teressengruppen wie den Bürgerverein. Eine Mediation kann jedoch nur stattfinden, wenn von den Menschen vor Ort tatsächlich ein Interesse an einer Vermittlung ausgeht. »Bitte kommen Sie mal zu unserem Nachbar­treff und erläutern Sie die Möglichkeiten der Mediation«, sagt die Bewohne­rin in dem Gespräch mit dem Mediator. Bei dem Besuch dieser Interessengruppe wird das Verfahren erläutert, die Bereitschaft geklärt und aufgenommen, wer noch zu dem Konflikt gehört und wer die anderen Parteien anspricht. Wer ist der Auftraggeber und wie kommen die Konfliktparteien an einen Tisch? Nach diesem Vorgespräch werden die anderen Parteien von der Gruppe oder dem beauftragten Mediator angesprochen. Hierbei muss geklärt werden, wer die Kosten für die ersten Gespräche übernimmt. Regionalförderung, Quartiersentwicklung oder Bürgervereine sind Stellen, die einen Etat haben und die Vermittlung entsprechend finanzieren können. Mindestens ein Teil der Menschen vor Ort muss die Energie aufbringen, einen Rahmen für die

Mediationsteams steuern komplexe Prozesse

Der Informationsfluss der Stellvertreter zu ihren Gruppen muss sichergestellt werden

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Klärung der Entscheidungsspielräume Die Erfahrung zeigt, dass es leider nicht selbstverständlich für Politik und Verwaltung ist, Entscheidungsspielräume, rechtliche Rahmenbedingungen und bereits getroffene Entscheidungen klar zu kommunizieren. Hier muss das Mediationsteam bei der Auftragsklärung klar Position beziehen und Transparenz einfordern. Dies gilt auch für Entscheidungen, die während des laufenden Mediationsverfahrens getroffen werden, aber außerhalb des Me­

Transparenz in der Vorphase der Mediation fördert das Vertrauen

Mediation im Gemeinwesen

Mediation herzustellen (siehe Abschnitt 2.1.1). Mit ihnen wird der Auftrag gemeinsam definiert und die weitere Umsetzung auf den Weg gebracht. Bei dieser Art von Konflikten ist fast immer eine größere Anzahl von Konflikt­ parteien bzw. Interessensgruppen aktiv, und daher ist ein Mediationsteam erforderlich, um den komplexen Prozess steuern zu können. Wie in fast jedem Konflikt steht auch im Gemeinwesen die Mediation nicht unbedingt am Anfang der Auseinandersetzung. So führen häufig erst jahrelange Proteste aus der Zivilgesellschaft und der damit verbundene öf­ fentliche Druck dazu, dass Flughafenbetreiber oder Investorinnen beim Bau von Einkaufszentren bereit sind, Aufwand und Kosten auf sich zu nehmen, um eine einvernehmliche Lösung mit den Anwohnern und Initiativen zu finden. Generell ist eine Mediation im öffentlichen Raum komplexer als andere Fälle des Gemeinwesens: Viele Interessengruppen und damit mehr Beteiligte mit unterschiedlichen Entscheidungsebenen machen Absprachen über Verfahrensschritte nötig. Wenn alle Beteiligten am Dialog teilnehmen, wird die Gesamtgruppe bei der Mediation im öffentlichen Raum schnell sehr groß. Aus diesem Grund ist die Arbeit mit Stellvertretern sinnvoll, indem beispielsweise jede Grup­ pe zwei Personen entsendet. Besonders herausfordernd ist hierbei die Rück­ meldung der Stellvertreter an die Gesamtgruppe, da diese die konstruktive Annäherung in der Mediation in der Regel nicht miterlebt. Es besteht die Gefahr, dass eine Interessengemeinschaft ihre Stellvertreter als schwach oder gar verräterisch wahrnimmt, weil diese auf der Basis nachvollziehbarer Interessen anderer Kompromisse befürworten. Um dem vorzubeugen, kann es hilfreich sein, Informationstreffen von Stellvertretern mit ihren Gruppen zu moderieren. In jedem Fall ist der Informationsfluss von den Stellvertre­ tern zu ihren Gruppen bei Bedarf von außen zu moderieren und Zeit für einen Austausch in den jeweiligen Gruppen einzuplanen.

diationstischs. Nur wenn die Rahmenbedingungen der Verhandlungsmasse stets für alle Beteiligten transparent sind, kann eine verantwortungsvolle und nachhaltige Mediation durchgeführt werden. Umgang mit der Presse Der Umgang mit der Presse muss mit den Stellvertretern zu Beginn der Media­ tion gründlich geklärt werden. Vereinbart wird, ob von dem Verlauf oder nur von dem Ergebnis bzw. den Zwischenergebnissen öffentlich berichten werden soll und wer dies tut. Wenn die Presse bereits über den bestehenden Konflikt berichtet hat oder Vertreter zu erkennen geben, dass sie während des Verfah­ rens eine öffentliche Berichterstattung wünschen, ist große Vorsicht geboten. Wird nur eine Position in der Lokalpresse dargestellt, fühlen sich die Vertreter der Gegenposition übergangen oder sogar bloßgestellt. Einseitige öffentliche Berichte oder Interviews sind »in der Welt« und lassen sich nicht mehr rück­ gängig machen. Eskalationen, die zum Scheitern der Mediation führen kön­ nen, sind dann die Regel. Gemeinsame Stellungnahmen in Form von Presse­ erklärungen, Texte auf einer gemeinsamen Homepage oder Newsletter haben sich dagegen als sinnvolle Medien erwiesen, um all jene zu informieren, die etwas über den Fortgang der Gespräche erfahren möchten. 190

Praxisfelder der Mediation

Mediationen um gesamtgesellschaftliche Konfliktthemen Im Gemeinwesen können Mediationsteams mit Konflikten beauftragt wer­ den, die eine gesamtgesellschaftliche Relevanz haben. Beispiele hierfür sind religionspolitische Debatten um Beten in einer öffentlichen Einrichtung, umweltpolitische Konflikte um ein Zwischenlager für radioaktive Stoffe oder die Errichtung einer Unterkunft für Geflüchtete. Diese Konflikte eröffnen stets Einblicke in umfassende Wertekonflikte, wie auch von anderen Medi­ ationsfällen bekannt. Diese Wertekonflikte bestehen jedoch nicht nur zwi­ schen zwei Personen oder zwei lokalen Gruppen. Die besondere Brisanz und der erhöhte Anspruch an die Mediierenden resultiert aus der Ausweitung der Debatte in TV-Talkshows, Tageszeitungen, Sozialen Medien wie auch bundes­ weiten parteipolitischen Debatten. Der lokale Konflikt in einem konkreten Jugendzentrum oder Stadtteil wird so zum Stellvertreterkonflikt für Fragen, die gesamtgesellschaftlich diskutiert werden. Diese erhöhte öffentliche Auf­ merksamkeit versorgt die Konfliktparteien tagtäglich mit vermeintlich neu­

Lokale Konflikte werden zum Stellvertreter für gesamtgesellschaftliche Fragen

en Beweisen und Eskalationsstoff, indem sie glauben, dass ihre Position die Richtige sei und sie stellvertretend solidarisch für eine nicht-bestimmbare Gruppengröße einstünden. Des Weiteren gibt es bei diesen Konfliktthemen häufig gesellschaftliche Mehrheits- und Minderheitsverhältnisse zwischen den streitenden Gruppen, sodass Macht und der Zugang zu Ressourcen eine verstärkte Rolle spielen können. Häufig ist es so, dass eine der beiden Kon­ fliktparteien sich nicht nur zwischenmenschlich oder innerhalb des konkre­ ten Systems als benachteiligt empfindet, sondern dies im Kontext einer nati­ onalen oder gar globalen Diskriminierung wahrnimmt. Die eben skizzierten Besonderheiten zu Auftraggebenden, Entschei­ dungsspielräumen und dem Umgang mit der Presse sind bei Mediationen um gesamtgesellschaftliche Themen umso bedeutender. Des Weiteren stellt es besondere Herausforderungen an die Allparteilichkeit der Mediationsteams, da die persönlichen politischen Ansichten und eigenen Werte jedes Einzel­ nen auf eine harte Probe gestellt werden können. Diese Art von Mediation bedarf eines hohen Maßes an Beziehungsarbeit zu allen Konfliktparteien (auch zu denjenigen, die vermeintlich andere ge­ sellschaftliche Visionen haben als die Mediierenden), einer besonderen Rol­ lenklarheit und Flexibilität bezüglich Abgrenzung von Mediation zu ande­ ren Formen der Konfliktbearbeitung. 191

Vorwurf der Parteilichkeit und Intransparenz Die Wahrung und Wahrnehmung der Allparteilichkeit ist oft nicht leicht. Finanziert die Kommune oder ein Investor die Mediation, kann dies von der Gegenseite als Strategie und nicht als guter Wille ausgelegt werden. Andere Konfliktparteien vermuten vielleicht eine Pseudobefriedung der Konflikt­ lage oder sehen das Mediationsteam nicht als neutral an. Eine allparteili­ che Haltung aufrechtzuhalten wird durch ein komplexes System erschwert. Auch hier benötigt die Mediation ihre positive Autorität im Sinne einer An­ erkennung von allen Parteien. Das Mediationsteam leitet das Verfahren in einem Raum unterschiedli­ cher Personen, Hierarchien und Machtverteilungen. Deshalb sollte es hin­ sichtlich Alter, Geschlecht, kulturellem Hintergrund und gegebenenfalls politischer Grundhaltung möglichst heterogen zusammengesetzt sein. Die Phase vom ersten Auftragsgespräch bis zur Mediation mit allen oder

Mediation im Gemeinwesen

Klassische Fallstricke

einem Teil der Beteiligten ist wegweisend für den ganzen Prozess. Jede man­ gelnde Transparenz erschwert die weitere Mediation. Wechselnde Konfliktparteien Dauert ein Verfahren länger, wechseln häufig Zuständige oder Zuständigkei­ ten in Behörden. Bürgerinitiativen und Anwohnergruppen bleiben dagegen öfter konstant. Das lässt sich nicht ändern, kann jedoch für alle Beteiligten frustrierend sein. Um den Informationstransfer zu sichern und die Zusam­ menarbeit zwischen alten und neuen Beteiligten so konstruktiv wie mög­ lich zu gestalten, empfiehlt es sich, mit den Neuzugängen verbindliche Ver­ einbarungen zu treffen (beispielsweise zum Umgang mit bereits getroffenen Entscheidungen). Außerdem sollte alles in Protokollen festgehalten werden, um auch Abwesende zu informieren. Mediationen in Schulen und öffentlichen Jugendeinrichtungen können als gesonderte Felder der Gemeinwesenmediation betrachtet werden. Auf die Besonderheiten der damit verbundenen Mediation mit Kindern und Ju­ gendlichen geht der nächste Abschnitt ein.

Praxisfelder der Mediation

192

3.4 Mediation mit Kindern und Jugendlichen In den letzten zwanzig Jahren hat die Mediation in der Kinder- und Jugend­ arbeit eine breite Akzeptanz gefunden. Die Idee der Konfliktvermittlung mit Kindern ist dabei nicht nur Folge, sondern ebenso Motor für die Ver­ breitung in der gesamten Gesellschaft. So gibt es allein in Hamburg etwa 100 Schulen, an denen sogenannte Peer-Mediatoren tätig sind. Kinder und Jugendliche dieser Schulen erleben Mediation als übliche Form der institu­ tionalisierten Konfliktaustragung und tragen die Erwartung danach weiter in Berufsausbildung und Betriebe.

Der Informationsfluss zu Abwesenden und Neuzugängen muss sichergestellt werden Weiterführende Literatur: Barth, G./Böhm, B. (Hrsg.) (2008). Mediation im Gemeinwesen, Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren Besemer, C. et al. (2014). Politische Mediation. Bonn: Stiftung Mitarbeit Schirin, A. (2018). Politisierte Religion. Der Kopftuchstreit in Deutschland und Frankreich. Bielefeld: transcript Verlag

Bereiche der Mediation mit Kindern und Jugendlichen sind unter anderem: ƒƒ Schule: hier einerseits Peer-Mediation, in der ausgebildete Schülermedia­ toren in Konflikten von Mitschülern vermitteln, und andererseits Medi­ ation durch Pädagogen – meist Mitarbeiter der schulinternen Beratungs­ dienste oder im Klassenrat durch Klassenlehrer ƒƒ Familienmediationen (siehe Abschnitt 3.2): hier insbesondere in der Tren­ nungs- und Scheidungsmediation ƒƒ Beratungssituationen der Sozialen Arbeit (Allgemeine Soziale Dienste, Ju­ gendamt) ƒƒ Jugendeinrichtungen (Häuser der Jugend, Pfadfinder etc.)

3.4.1 Pädagogische Rollen in Konflikten von und mit Kindern Konflikte von und mit Kindern sind alltäglicher Bestandteil der pädagogischen Arbeit. Betrachten wir dabei die Gesamtheit der möglichen Interventionen, so lassen sich diese bestimmten Rollen zuordnen, die Pädagoginnen in der jewei­ ligen Situation einnehmen können. Dabei sind die möglichen Rollen abhängig von den pädagogischen Absichten in der jeweiligen Situation. Der Zusammen­ hang von Rolle und Absicht lässt sich folgendermaßen beschreiben:

193

Mediation mit Kindern und Jugendlichen

Einen Sonderfall bildet der »Täter-Opfer-Ausgleich«, den Behörden in einigen Bundesländern als ein Glied der Interventionskette bei Gewaltvorfällen vor­ sehen. Zwar erinnern das Setting und die Gesprächsführung an Mediation – in jedem Fall handelt es sich jedoch um eine Maßnahme, der grundsätzliche Merkmale der Mediation (Allparteilichkeit, Ergebnisoffenheit) fehlen. Wir plädieren daher für eine strikte organisatorische und begriffliche Trennung der beiden Verfahren. Der folgende Abschnitt beschreibt beispielhaft die Besonderheiten einer Mediation, in der ein Erwachsener in Konflikten von Kindern oder Jugendli­ chen vermittelt. Eine Übertragung der vorgestellten Prinzipien in die PeerMediation ist dabei ebenso möglich wie die Anpassung an eine Mediation, bei der zwischen Kindern und Erwachsenen vermittelt wird.

2

1

ln Rege ln Rege ln Rege ln Rege

Rolle = Konfliktpartei

Rolle = Regelhüterin

persönliche Auseinandersetzung

Verdeutlichen von Normen 4

3

Praxisfelder der Mediation

194

Rolle = Beraterin

Rolle = Mediator

parteiliche Unterstützung

selbstbestimmte Konfliktklärung

Eine Rolle in jeder Hinsicht konsequent einzunehmen, ist im Alltag kaum zu meistern. Wechseln wir allerdings in einer Situation wiederholt die Rol­ le, werden wir für die Beteiligten unklar in unserer Haltung und unseren Absichten. Entscheide ich mich also in einer Konfliktsituation für eine Me­ diation, so agiere ich möglichst eindeutig in der Rolle als Mediatorin (vgl. Abschnitt 2.1.4). Insbesondere die Haltung der Allparteilichkeit beschränkt dann meine möglichen pädagogischen Absichten. In der Mediation verzichte ich auf normative Äußerungen und Bewer­ tungen (»Dich ärgert also, dass er dich die Hausaufgaben nicht abschreiben ließ, aber du weißt schon, dass Abschreiben nicht in Ordnung ist«) oder auf Ratschläge (»Wenn sie nicht mit dir spielen will, vielleicht kannst du ja mit

Abb. 30: Pädagogische Rollen und Absichten im Konflikt

In der Mediation mit Kindern und Jugendlichen benötigen wir Rollenklarheit

jemand anderem spielen«). Bei schweren Regelverletzungen sind Mediatio­ nen allerdings nicht sinnvoll und können sogar die pädagogischen Absich­ ten konterkarieren. Würden wir beispielsweise bei einem Mobbing Täter und Geschädigte zur Mediation an einen Tisch holen, bekämen die Recht­ fertigungen des Täters unwidersprochen Raum. Seine Sichtweise und die des Opfers stünden gleichberechtigt nebeneinander. Diese Situation würde den Geschädigten wiederholt zum Opfer machen.

3.4.2 Besondere Merkmale der Mediation mit Kindern Obwohl die Grundprinzipien der Mediation mit Kindern die gleichen sind wie in der Erwachsenenwelt (fünf Phasen, Rolle der Mediatorin), bestehen folgende Unterschiede: Dauer der Mediation Der geringeren Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer der Medianden müs­ sen wir Rechnung tragen. Ein Durchlauf durch die fünf Phasen in zehn bis 15 Minuten ist in der Mediation mit Kindern deshalb keine Seltenheit. Als Faust­ regel gilt: Je jünger die Medianden, desto kürzer sollte die Mediation sein.

Je jünger die Medianden, desto kürzer die Mediation

Mediation mit Kindern bedarf einer angepassten Sprache

Gesprächsführung Manche Kinder reden wie ein Wasserfall, andere bestechen durch Zwei-WortSätze. In beiden Fällen ist eine enge Gesprächsführung notwendig, bei der die Mediatorin gegebenenfalls häufiger unterbricht, wiederholt und nachfragt.

Durch eine enge Gesprächsführung fokussieren wir auf die Konfliktpunkte

Mediation mit Kindern und Jugendlichen

195

Sprache Eine einfache, dem Sprachverständnis der Beteiligten angepasste Sprache ist sinnvoll. Wir wollen als Mediatoren schließlich verstanden werden. Inwie­ weit ich mich als Erwachsener dem Jargon von Kindern und Jugendlichen anpasse, bleibt eine Frage des persönlichen Stils.

Partei: »Und das war einfach blöd, ich weiß auch nicht, warum er so ist … Ich habe gar nichts gemacht, er rennt hinter mir her, obwohl ich nichts gemacht habe und …« Mediator: »Du bist genervt. Was hat Mirko denn gemacht?« Partei: »Er rennt immer hinter mir her, und das, obwohl ich gar nichts gemacht habe, weil …« Mediator: »Er rennt hinter dir her – wann macht er das denn?« Partei: »Immer in der Pause, und dabei bin ich immer so nett zu ihm und …« Mediator: »Er rennt also in der Pause hinter dir her und das nervt dich.«

196

Mediator: »Erzähl mal, warum bist du hier?« Partei: »Tanja ist doof.« Mediator: »Tanja nervt dich. Was macht sie denn?« Partei: »Sie ist doof.« Mediator: »Wann hat sie dich denn das letzte Mal genervt?« Partei: »Gerade eben.« Mediator: »Also in der Pause?« Partei: Nickt. Mediator: »Was hat sie denn in der Pause gemacht?« Partei: »Sie hat gesagt, dass ich nicht mitspielen darf!«

Praxisfelder der Mediation

Damit bekommen wir ein Bild vom Ablauf der Situation und verhelfen den Kindern zu mehr Klarheit in ihrem Konflikt. Angebote Kinder sind in ihren Ausdrucksmöglichkeiten weniger differenziert. Gerade bei der Formulierung von Gefühlen oder Interessen benötigen sie oftmals unsere Hilfe. Dazu machen wir als Mediatoren in der Wiederholung ihrer Aussagen zusätzliche Formulierungsangebote:

Benennung von Gefühlen Mediatorin: »Wie ging es dir da?« Partei: »Scheiße.« Mediatorin: »Warst du sauer?« Partei »Ja, total!«

Formulierungs­ angebote für Gefühle und Interessen

Benennung von Interessen Mediator: »Und was möchtest du jetzt in der Pause?« Partei: »Die soll damit aufhören, ich will spielen.« Mediator: »Du möchtest also in Ruhe spielen können.« Partei: »Ja.«

Regeln In der ersten Phase betont der Mediator die Regeln und holt dazu von beiden Parteien die ausdrückliche Zustimmung ein: »Es gibt hier ein paar Regeln: 1. Ausreden lassen. Bist du einverstanden?« – »Ja.« – »Und du?« – »Klar.« 2. »Keine Beleidigungen!« 3. »Keine körperlichen Attacken: also kein Hauen, Treten, Haare ziehen usw.« Diese dritte Regel nennen wir nur bei »körperbetonten« Konflikten.

Ein ritualisiertes Verfahren erleichtert die Mediation mit Kindern

Mediation mit Kindern und Jugendlichen

197

Struktur und Ritualisierung Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kinder für einen »offiziellen« Cha­ rakter der Mediation empfänglich sind: Das klare Benennen des Rahmens und der Regeln sowie ein ritualisiertes Verfahren signalisieren den Parteien eine Ernsthaftigkeit, die auf sie zurückwirkt. Ein Beispiel für den Gesprächseinstieg: »Wir sind hier im Konfliktlotsen­ raum. Ich bin jetzt euer Konfliktlotse. Ich helfe euch, mit eurem Problem besser umzugehen. Ich stehe auf beiden Seiten und werde euch nicht sagen, was ihr tun sollt, sondern euch helfen, für euch eine gute Lösung zu finden. Hier gibt es ein paar Regeln, die eingehalten werden müssen …«

Ablaufskizze Mediation mit Kindern PHASE 1 – EINLEITUNG

à Eigene Rolle als Mediator erklären: »Ich bin der Mediator. Ich steh auf beiden Seiten … helfe euch, einen Umgang mit eurem Streit zu finden …« à Regeln benennen und Einverständnis einholen: » …ausreden lassen und keine Beleidigungen …« à Vertraulichkeit zusichern und gegebenenfalls mit den Beteiligten klären, wie sie damit umgehen wollen à Übergang zu Phase 2: »Wer möchte anfangen, von dem Streit zu erzählen?« PHASE 2 – STREITGESCHICHTEN

à Konkrete Konfliktpunkte herausfinden  – beide Streitenden fragen: »Was ist passiert? Wo ist das passiert? Wer war dabei? Wann war das? Was hat der andere gemacht? Erzähl mal, was genau passiert ist.« à Dabei zusammenfassen und nachfragen à Am Ende Konfliktpunkte benennen: »Du (A) bist also hier, weil B … und du (B) bist hier, weil A …« oder »Dich (A) nervt (stört), dass B … und dich (B) nervt (stört), dass A …« PHASE 3 – HINTERGRÜNDE

Praxisfelder der Mediation

198

à Hintergründe (Gefühle und Interessen) des Streits beleuchten – beide Streitenden fragen: »Du hast ja gerade erzählt, wie … Wie ging es dir in dem Moment?«, »Wie fandst du das?«, »Warst du … (Gefühl nennen)?«, »Was ist dir wichtig?«, »Was hat dir in der Situation gefehlt?« à Dabei geäußerte Hintergründe wiederholen, gegebenenfalls vermutete Gefühle und Interessen benennen à Gegebenenfalls Verbindung herstellen: »Wusstest du das?«, »Was ist bei dir angekommen, was … (Name) wichtig ist?« PHASE 4 – LÖSUNGSIDEEN

à Lösungsideen sammeln (gegebenenfalls auf Karten schreiben): »Wie soll es jetzt weitergehen?«, »Was soll jetzt passieren?« à Verhandeln: »So, jetzt geht es darum, dass jeder von euch etwas gibt und jeder etwas bekommt: Was könntest du geben? Was würdest du gern bekommen?« PHASE 5 – VEREINBARUNG

à Vereinbarung formulieren (gegebenenfalls schriftlich und unterschreiben lassen): »Wer macht was (bis) wann?« (genaue Formulierung mit Zeitangabe)

Weiterführende Literatur: Walker, J. (Hrsg.) (2001). Mediation in der Schule Konflikte lösen in der Sekundar­stufe I. Berlin: Cornelsen

4. Recht in der Mediationspraxis Juliane Ade

Die Klärung von Rechtsfragen wird in die Mediation eingebunden

199

Recht in der Mediationspraxis

Unser Ziel ist es, die Mediation so zu gestalten, dass sich die unterstützen­ den Funktionen des Rechts für die Parteien entfalten können. Mögliche ne­ gative Wirkungen auf die Mediation  – Dominanz eines rechtlichen Fokus in der Interessenorientierung, beim Sammeln, Bewerten und Verhandeln von Optionen  – nehmen wir wahr und bearbeiten sie entsprechend. Dies führt idealerweise zu einer weiteren Klärung und Selbstklärung der Par­ teien: Inwieweit soll das Recht in der Mediation Beachtung finden? Welche Bedürfnisse, Interessen und Werte sind für die Parteien und damit für die Konfliktklärung von Bedeutung? Voraussetzung für eine solche Einbindung ist, dass der Mediator das Recht in seinem Wert für die Mediation anerkennt und mithilfe seines kommunikativen Handwerkszeugs in den Mediations­ prozess integrieren kann. Letztlich ist ein funktionierendes Rechtssystem das Fundament, auf dem Mediation, verstanden als kooperative und interes­ senorientierte Konfliktlösung, überhaupt erst möglich ist. Für die Mediation ist zum einen das Recht von Bedeutung, das den Ver­ handlungs- bzw. Streitgegenstand selbst betrifft: das Recht in der Media­ tion (zum Beispiel mietrechtliche sowie mietvertragliche Regelungen). Zum anderen haben wir es in der Mediation mit gesetzlichen und berufsständi­ schen Regelungen zu tun, welche die Rahmenbedingungen und die Durch­ führung einer Mediation sowie die Ausübung der Tätigkeit als Mediatorin betreffen: das Recht der Mediation. Seit Juli 2012 gilt in Deutschland das Mediationsgesetz (BGBl. I, S. 1577 – MediationsG). Die gesetzlichen Regelun­ gen können die Medianden durch Vereinbarungen untereinander und mit der Mediatorin ergänzen und, soweit es sich nicht um zwingendes Recht handelt, auch abändern.

4.1 Das Recht in der Mediation Juliane Ade

Funktionen des Rechts

Recht in der Mediationspraxis

200

Neben seiner grenzziehenden Funktion hat das Recht in der Mediation die Aufgabe, die Willensbildung und Selbstverantwortung der Parteien zu un­ terstützen. Es ist aber nicht die (alleinige) Basis, auf der sich die Parteien einigen. Zentraler Bezugspunkt für Vereinbarungen der Parteien in der Me­ diation sind vielmehr ihre in der Mediation herausgearbeiteten Bedürfnisse und Interessen. Ein eventueller Verzicht auf Rechte soll in der Mediation wissentlich erfolgen. Eine Aufklärung über rechtliche Möglichkeiten, Grenzen und Risiken in einer Rechtsberatung fördert die Verantwortungsübernahme für das Mediationsergebnis und trägt zur Nachhaltigkeit der getroffenen Vereinbarung bei. Das Recht kann relevant sein für die Bestimmung und Wahrnehmung des jeweiligen Verhandlungsspielraums: Rechtsansprüche sind Optionen der Mediandinnen, die sich ihnen in Bezug auf den Verhand­ lungsgegenstand darbieten – und gegebenenfalls (Verhandlungs-)Positionen, die sie einnehmen. Das Recht entscheidet über die Durchsetzbarkeit solcher Ansprüche. Für den Medianden markiert es die Grenze, ab welchem Punkt (welcher Summe, welchen Bedingungen) der Verhandlungsausstieg für ihn möglicherweise vorteilhafter ist als die Einigung (BATNA , Best Alternative To a Negotiated Agreement). Das Recht bietet zusätzliche Prüfungskriterien, welche die Diskussion und die Bewertung von Einigungsvorschlägen unterstützen. Zwingendes Recht muss dabei berücksichtigt werden; verhandelbares (»dispositives«) Recht und seine Gerechtigkeitsmaßstäbe können die Parteien dagegen als Anregung und Beurteilungsmaßstab für Einigungsoptionen heranziehen. Für die Diskussion persönlicher Gerechtigkeitsprinzipien kann das Recht so­ mit als Ausgangspunkt genutzt werden. Als Ausdruck gesellschaftlich aner­ kannter Gerechtigkeitsabwägungen kann es als (zusätzlicher) Anhaltspunkt für die Legitimität und Fairness von Übereinkünften dienen. Spielen rechtliche Gesichtspunkte eine Rolle, so kann es ein wichtiger Hinweis der Mediatorin sein, dass die Entscheidung sich zu informieren nicht zugleich bedeutet, dass das Recht nun zur Verhandlungsbasis wird.

Das Recht unterstützt die Willensbildung und die Interessensklärung

Ziel ist eine auch hinsichtlich ihrer Rechte informierte Entscheidung der Medianden

Das Recht unterstützt die Fairnesskontrolle und definiert Zulässigkeitsgrenzen

Die Parteien entscheiden im Laufe der Mediation selbst, welches Gewicht die Informationen für sie haben sollen. Nicht zuletzt bietet das Recht (und rechtliche Beratung) Vertrags-Knowhow: Wissen und Erfahrung im Aufsetzen von Verträgen in Hinblick auf Vollständigkeit und Eindeutigkeit tragen inhaltlich und formell zur Ausge­ staltung der Abschlussvereinbarung bei.

Das Recht bietet Vertrags-Know-how

Einigung über die Einbindung des Rechts In Vorgesprächen oder in der ersten Phase bespricht die Mediatorin mit den Parteien, inwieweit und zu welchem Zeitpunkt das Recht in die Mediation einbezogen werden soll. Dabei geht es ausschließlich um eine Klärung der Vorgehensweise und der Rahmenbedingungen im Umgang mit Rechtsfra­ gen. Sind bereits Rechtsanwältinnen involviert, so sollten diese in die Ge­ spräche miteinbezogen werden.

Die Parteien einigen sich zu Beginn über den Zeitpunkt und das Ausmaß einer Einbindung des Rechts

Umgang mit Rechtspositionen in der Mediation

201

Das Recht in der Mediation

Die rechtliche Argumentation kann in Mediationen eine Eigendynamik und Macht entfalten, die es Medianden und Mediatoren schwer macht, die Konfliktklärung, ihre Bedürfnisse und Interessen sowie Autonomie- und Ge­ staltungsspielräume im Blick zu behalten. Anders als die individuell-bedürf­ nisorientierte Arbeitsweise und Ergebnisfindung in der Mediation ist das Recht durch eine verallgemeinernde, bewertende Denkstruktur geprägt. Die juristische Argumentation arbeitet mit bestimmten Denkfiguren wie RegelAusnahme-Verhältnissen und Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen. Unse­ re Aufgabe als Mediatorinnen ist es, das Gespräch immer wieder von den externen Bewertungen durch das Recht auf die persönlichen Hintergründe der Beteiligten zu lenken: »Sie haben gehört, wie Ihre Anwälte die rechtliche Situation beurteilen, was bedeutet das für Sie?« Sind rechtliche Erörterun­ gen Bestandteil der Mediation, so ist es unser Ziel, sicherzustellen, dass die Parteien die rechtlichen Ausführungen verstehen. Dabei bringen wir uns nicht inhaltlich in die Rechtsgespräche ein; vielmehr ist es unsere Aufgabe, aktiv zuzuhören, die wesentlichen Gesichtspunkte in ihrer Bedeutung für die Beteiligten allgemein verständlich wiederzugeben und mit Zustimmung der Beteiligten gegebenenfalls zu visualisieren. Rechtsauffassungen und die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe

sind immer auch subjektiv. Bei rechtlichen Ausführungen stellen wir die Subjektivität und Unsicherheit rechtlicher Urteile und Prognosen auf kon­ struktive Weise möglichst transparent dar, ohne dabei eigene Wertungen einfließen zu lassen oder die der Rechtsberater infrage zu stellen. Beispiels­ weise können wir fragen: »Sehe ich das richtig, dass es hier um unterschied­ liche Rechtsauffassungen geht?« Insgesamt wirken wir damit dem entgegen, dass das Recht als »Elefant im Raum« (Jack Himmelstein) wahrgenommen wird. Stattdessen können es die Parteien, wie wir Mediatoren, von seiner positiven Seite als Unterstützung erleben.

Unterschiedliche Rechtsansichten werden als solche klar benannt

4.2 Das Recht der Mediation Juliane Ade

Recht in der Mediationspraxis

202

Das Recht der Mediation umfasst sämtliche Regelungen, welche die Durch­ führung von Mediation betreffen. Neben individualvertraglichen Regelun­ gen sind innerhalb Deutschlands insbesondere das Mediationsgesetz, Rege­ lungen aus BGB, ZPO, StGB und Berufs- und Verfahrensordnungen relevant. Bei den gesetzlichen Bestimmungen handelt es sich zum Teil um zwingen­ des Recht, zum Teil um dispositive Regelungen, von denen die Parteien ein­ vernehmlich abweichen können. Haben sich die Parteien lediglich allge­ mein auf die Durchführung »einer Mediation« geeinigt, so gelten für das Verfahren die gesetzlichen Bestimmungen. Einige in der Praxis besonders relevante Regelungen werden im Weiteren erläutert. Die gesetzliche Verschwiegenheitspflicht der Mediatorin Mediatorinnen sind gesetzlich umfassend zur Verschwiegenheit verpflichtet und müssen die Beteiligten zu Beginn der Mediation über den Umfang ihrer Verschwiegenheitspflicht und deren Grenzen informieren (§ 4 MediationsG). Die Gesetzesbegründung geht dabei von einem geringen Zeitaufwand aus. Die Information kann mündlich oder auch mithilfe eines Informationsblattes er­ folgen. Die gesetzliche Verschwiegenheitspflicht von Mediatorinnen umfasst sämtliche Kenntnisse über das Bestehen des Konflikts an sich, den Mediati­ onsauftrag und die Mediationsinhalte, ist zeitlich nicht begrenzt, gilt gegen­ über allen nicht an der Mediation beteiligten Personen und schließt Schrift­ stücke o.  Ä. mit ein. Die Mediandinnen können den Mediator partiell und

Über den Umfang ihrer Verschwiegenheitspflicht müssen Mediatoren die Beteiligten informieren

auch umfassend von seiner gesetzlichen Schweigepflicht entbinden. Ebenfalls können die Parteien eine weitergehende Verschwiegenheitspflicht, als es das Mediationsgesetz vorsieht, vereinbaren (s. u. zu § 4 S. 3 Nr. 1 MediationsG). Gesetzliche Grenzen der Verschwiegenheitspflicht

Informationen, die zur Umsetzung der Mediationsvereinbarung notwendig sind Es besteht gemäß § 4 S. 3 Nr. 1 MediationsG keine Verschwiegenheitspflicht hinsichtlich Informationen, die zur Umsetzung der Mediationsvereinba­ rung notwendig sind. Dahinter steht der Gedanke der Effizienz bei mög­ lichen juristischen Auseinandersetzungen über die Vereinbarung: Streiten sich die Parteien im Anschluss an eine Mediation über die Wirksamkeit, Reichweite oder Vollständigkeit der Vereinbarung, so kann die Mediatorin nach dem Gesetz als Zeugin benannt und gehört werden. Den Medianden und der Mediatorin steht es jedoch frei, die Schweigepflicht vertraglich auch auf derartige Fälle auszudehnen. Fälle, in denen zur Abwehr schwerwiegender Beeinträchtigungen eine Offenlegung geboten ist § 4 S. 3 Nr. 2 MediationsG begrenzt die Schweigepflicht für den Fall, dass das Verschweigen bestimmter Informationen zu Kindeswohlverletzung oder

Eine Pflicht zur Anzeige haben Mediatoren nur, wenn sie glaubhaft von der Planung schwerer Straftaten erfahren

203

Das Recht der Mediation

Gesetzliche Grenzen der Verschwiegenheitspflicht finden sich u. a. in § 4 S. 3 Nr. 1 bis 3 MediationsG. Formuliert das Gesetz Ausnahmen zur Schweige­ pflicht, so bedeutet dies allerdings nicht im Umkehrschluss eine Pflicht zur Offenlegung. Eine Anzeigepflicht haben Mediatoren – abgesehen von berufsgruppen­ spezifischen Regelungen – ausschließlich in Fällen, in denen sie glaubhaft von der Planung schwerer Straftaten wie Tötungs- oder gemeingefährlichen Delikten erfahren (§ 138 StGB). Allein die Kenntnis strafbarer Handlungen wie Betrug oder Diebstahl begründet keine Ausnahme von der Verschwie­ genheitspflicht. Die Mediatorin muss in derartigen Fällen für sich prüfen, auch vor ihrem jeweiligen berufsrechtlichen Hintergrund, ob sie die Media­ tion fortsetzen kann.

204

schwerwiegenden Verletzungen der Integrität von Personen (körperliche Gewaltausübung oder psychischer Druck durch Drohungen u.  Ä.) führen könnte. Zur gebotenen Abwendung der Gefahr kann die Mediatorin Infor­ mationen offenlegen. Sie hat hierbei allerdings eine Pflicht zur Abwägung. Welche Maßnahme das Mediationsgeheimnis am geringsten beschädigt und zugleich geeignet ist, die schwerwiegende Beeinträchtigung zu verhindern, hängt jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. In vielen Fällen bedeutet dies, dass der Mediator zuerst mit den Median­ dinnen spricht, um ihnen gegebenenfalls entsprechende Schritte selbst zu überlassen. Erfährt er beispielsweise in der Mediation von Gewalttätigkei­ ten gegen eine Person, so kann er, ohne seine Verschwiegenheitspflicht zu brechen, Dritte (wie Jugendamt, Beratungsstellen oder die Polizei) informie­ ren, wenn er zuvor entweder mit den Beteiligten selbst über die Notwendig­ keit gesprochen hat (und ihnen damit Handlungsoptionen ohne Informati­ onspreisgabe eröffnet) oder wenn er nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss kommt, dass eine direkte Ansprache gegenüber den Beteiligten eine zu große Gefahr für die gefährdete Person bedeutet. Eine Handlungspflicht ergibt sich aus § 323c StGB, unterlassene Hilfeleis­ tung. Die Hilfeleistung muss jedoch »erforderlich und … den Umständen nach zuzumuten ( …) und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten mög­ lich ( …)« sein.

Recht in der Mediationspraxis

Offenkundige und bedeutungslose Informationen Ausgenommen von der Schweigepflicht sind gemäß § 4 S. 3 Nr. 3 Mediati­ onsG offenkundige Informationen. Dies betrifft allgemein bekannte Tatsa­ chen: Was alle Welt weiß, kann nicht mehr offengelegt werden. Wenn die Geschäftszahlen eines Unternehmens beispielsweise veröffentlicht wurden, sind sie allgemein bekannt. Anders verhält es sich, wenn die Zahlen ledig­ lich unternehmensintern kursieren. Des Weiteren sind Informationen aus­ genommen, die ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen, u. a. Bagatellsachen aus Perspektive der Parteien. Diese Abgrenzung ist jedoch schwierig. Aus Gründen der Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit empfiehlt sich somit für Mediatorinnen im Zweifel das Schweigen. Mediationsfälle dürfen anonymisiert in kollegialer Beratung oder Su­ pervision bearbeitet werden. Voraussetzung ist, dass den anderen Teilneh­ menden keine Informationen vorliegen, mit denen sie den Fall bestimmten

Für allgemein bekannte Informationen entfällt die Schweigepflicht

In kollegialer Beratung und Supervision dürfen Mediationsfälle anonymisiert dargestellt werden

Personen oder Organisationen zuordnen können. Durch eine solche Anony­ misierung entfällt der Geheimhaltungsbedarf.

Verschwiegenheit der Parteien

Sicherung der Vertraulichkeit durch Prozessvertrag Dabei kann es auch um Informationen gehen, die in einem nachfolgenden Rechtsstreit die Erfolgsaussichten der anderen Seite stärken könnten. Für den Fall, dass solche rechtsstreitrelevanten Informationen eine Rolle spie­ len, empfiehlt sich im Rahmen der Vertraulichkeitsvereinbarung zusätzlich eine prozessrechtliche Absprache zu Vortrags- und Beweismittelbeschrän­ kungen, Zeugnisverweigerungsrechten und eine Einschränkung des Ein­ sichtsrechts gemäß § 299 ZPO (siehe hierzu die weiterführende Literatur).

Eine Verschwiegenheitspflicht der Parteien untereinander bedarf der ausdrücklichen Vereinbarung

205

Das Recht der Mediation

Der vertrauliche Umgang mit Informationen aus der Mediation seitens der Mediandinnen und der von ihnen einbezogenen Dritten ist gesetzlich nicht geregelt. Eine dahingehende Auslegung, dass Vertraulichkeit als Wesens­ merkmal von Mediation unausgesprochen als mit vereinbart gilt, ist in An­ betracht der damit verbundenen Unklarheiten über den genauen Umfang und die Grenzen rechtlich nicht zureichend. Es bedarf somit einer ausdrück­ lichen Vereinbarung der Parteien zum Thema Verschwiegenheit (siehe Ab­ schnitt 2.1.5). Die Abwesenheit einer gesetzlichen Regelung bietet insofern den Vorzug, dass die Parteien sich gegebenenfalls dezidiert mit Vertraulich­ keit auseinandersetzen müssen. Es ist dann unsere Aufgabe, die Parteien mediativ zu unterstützen: »Ich merke, dass die rechtlichen Unklarheiten Sie verunsichern. Das kann ich nachvollziehen. Was könnte Ihnen jetzt helfen, gemeinsam eine Lösung zu finden?« Auf welche Informationen sich eine vereinbarte Schweigepflicht bezieht, kann von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein. Generell erwarten die Me­ dianden Stillschweigen über sämtliche Informationen aus der Mediation, an denen sie ein (wirtschaftliches, rechtliches, persönliches) Geheimhaltungs­ interesse haben. Es empfiehlt sich, mündliche, schriftliche und bildliche Äu­ ßerungen sowie alle relevanten Informationsträger einzubeziehen.

Pflichtverletzung der Mediatorin und mögliche Haftungsfälle

Recht in der Mediationspraxis

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Die Pflichten von Mediatoren ergeben sich aus Vertrag und Gesetz, speziell aus den Regelungen des Mediationsgesetzes sowie für bestimmte Berufs­ gruppen aufgrund besonderer berufsrechtlicher Bestimmungen. Es gelten die allgemeinen haftungsrechtlichen Bestimmungen. Um eine Haftung zu begründen, bedarf es einer schuldhaften Pflichtverletzung und eines durch die Pflichtverletzung verursachten »ersatzfähigen« Schadens. Ein solcher liegt vor, wenn Parteien aufgrund der Pflichtverletzung schlechter stehen, als wenn sie keine Mediation durchgeführt hätten, und es sich um Vermö­ gensschäden nach § 251 BGB handelt. Die Darlegungs- und Beweislast liegt bei dem jeweiligen Anspruchsteller, also hier den Medianden. Beispiel für eine Pflichtverletzung mit Haftungsschaden: Der Mediator verletzt seine Pflicht zur Verschwiegenheit und gibt interne Informationen einer Partei an Dritte weiter. Diese gelangen an die Öffentlichkeit, und in­ folge der Berichterstattung in der Presse verliert die Mediationspartei einen Auftrag. Gelingt es der Mediationspartei, den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Informationsweitergabe und dem entstandenen bezifferbaren Schaden nachzuweisen, so ist der Mediator zum Ersatz des Schadens ver­ pflichtet. Aufgrund der geforderten Kausalität zwischen Pflichtverletzung und ersatzfähigem Schaden sind Haftungsfälle eher die Ausnahme. Wie für andere Berufssparten, die mittels ihrer Dienstleistung Schäden verursachen können, gibt es für Mediatoren entsprechende Berufshaftpflichtversiche­ rungsangebote. »Verbindlichkeit« der Abschlussvereinbarung Übereinkünfte in der Mediation, die gegenseitige Rechte und Pflichten zum Inhalt haben, sind Verträge im Sinne des bürgerlichen Rechts. Nach unserer Erfahrung werden diese von den Parteien selbst erarbeiteten Eini­ gungen größtenteils eingehalten bzw. in weiteren Verhandlungen ergänzt oder entsprechend abgeändert. Ungeachtet dessen wird immer wieder be­ mängelt, dass die Vereinbarungen nicht (unmittelbar) vollstreckbar im Sinne einer sofortigen zwangsweisen Durchsetzung seien. Der Bedarf an einem dafür notwendigen »Vollstreckungstitel« bemisst sich in Mediatio­ nen aber sinnvollerweise an den konkreten Interessen der Parteien. Legen diese darauf Wert, ohne vorheriges Gerichtsverfahren Vollstreckungsmaß­

Mediationsgesetz BGBl. I, 1577 – MediationsG RegE BT-Drucks. 17/5335

Weiterführende Literatur: Ade, J./Alexander, N. (2017). Mediation und Recht. 3. Aufl. Münster: Alpmann Schmidt Fritz, R./Pielsticker, F. (2012). MediationsG Kommentar. München: Luchterhand Greger, R./Unberath, H. (2012). MediationsG Kom­ mentar. München: Beck Klowait, J./Gläßer, U. (Hrsg.) (2014). Mediationsgesetz Handkommentar. Baden-Baden: Nomos

nahmen in die Wege leiten zu können, so bestehen verschiedene Möglich­ keiten, die Abschlussvereinbarung entsprechend zu titulieren (eine Proto­ kollierung bei Gericht, notarielle Beurkundung, der Abschluss eines soge­ nannten anwaltlichen Vergleichs).

4.3 Qualitätssicherung und Zertifizierung Regina Harms

Aus- und Fortbildung nicht-zertifizierter MediatorInnen In § 5 Abs. 1 MedG ist festgelegt, dass Mediatoren in eigener Verantwor­ tung durch eine geeignete Ausbildung und regelmäßige Fortbildung sicher­ stellen, dass sie über die nötigen theoretischen Kenntnisse und praktische Erfahrungen verfügen, um die Mediationsparteien in sachkundiger Weise durch die Mediation führen zu können. Als Kernkompetenzen, die in einer geeigneten Ausbildung vermittelt werden sollen, werden Kenntnisse über Grundlagen, Ablauf und Rahmenbe­ dingungen der Mediation, Verhandlungs- und Kommunikationstechniken, Konfliktkompetenz sowie Kenntnisse über das Recht der Mediation und die Rolle des Rechts in der Mediation benannt. Diese sollen (auch) durch prak­

»Mediator« und »zerti­ fizierter Mediator«

207

Qualitätssicherung und Zer tifizierung

Im Vorfeld der Verabschiedung des Mediationsgesetzes gab es eine lebhafte Diskussion unter den Mediationsverbänden und anderen Mediationsexper­ tinnen über die sinnvolle Gestaltung der Qualitätssicherung und Zertifizie­ rung von Mediatoren. Der Gesetzgeber hat sich für ein Modell entschieden, das zwei Gruppen von Mediatorinnen im Gesetz verankert: den einfachen »Mediator« und den »zertifizierten Mediator« (§ 5 und § 6 MedG). Für bei­ de Gruppen finden die übrigen Regelungen des Mediationsgesetzes zu den Rechten und Pflichten von Mediatorinnen Anwendung, z. B. die Verschwie­ genheitspflicht, Tätigkeitsgebote usw. Mit der Einführung der Bezeichnung »zertifizierter Mediator« wurde ein Label geschaffen, für das strengere An­ forderungen hinsichtlich der Aus- und Fortbildung gelten als für den einfa­ chen Mediator. Es ist also zu unterscheiden zwischen den Voraussetzungen für nicht-zertifizierte und den Standards zertifizierter Mediatorinnen.

tische Übungen, Rollenspiele und Supervision vermittelt werden (§ 5 Abs. 1 MedG). Der Mindestumfang der Aus- und Fortbildung wird nicht genauer spezifiziert.

Anforderungen an den »zertifizierten Mediator« Die Bezeichnung »zertifizierter Mediator« darf nur von Mediatorinnen ge­ führt werden, die die Standards zur Aus- und Fortbildung erfüllen, die in der am 1. September 2017 in Kraft getretenen Verordnung über die Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren (Zertifizierte-Mediatoren-Ausbil­ dungsverordnung – ZMediatAusbV) festgelegt sind (§ 5 Abs. 2 und 3 MedG). Für diejenigen, die den Titel »zertifizierter Mediator« erwerben wollen, legt die Verordnung ab 1.9.2017 folgende Mindestanforderungen fest: ƒƒ das Durchlaufen eines Ausbildungslehrgangs von mindestens 120 Prä­ senzstunden mit detaillierten in der Rechtsverordnung vorgegebenen Ausbildungsinhalten und ƒƒ eine Einzelsupervision im Anschluss an eine als Mediatorin oder Co-Me­ diator während des Ausbildungslehrgangs oder innerhalb eines Jahres nach dessen erfolgreicher Beendigung durchgeführte Mediation.

Erstzertifizierung

Recht in der Mediationspraxis

208

Die Ausbildungseinrichtungen sind verpflichtet, eine Bescheinigung auszu­ stellen, wenn die beiden oben genannten Bedingungen erfüllt wurden. Wer die Bezeichnung »zertifizierter Mediator« auch längerfristig nach deren Erwerb führen will, muss folgende Nachqualifikationen absolvieren: ƒƒ innerhalb der ersten zwei Jahre ab Ausstellung der Bescheinigung des Ausbildungsinstituts über den erfolgreichen Abschluss der Ausbildung einschließlich Einzelsupervision eines Mediationsfalles: Teilnahme an vier Einzelsupervisionen jeweils im Anschluss an eine als Mediator oder Co-Mediatorin durchgeführte Mediation. ƒƒ 40 Fortbildungsstunden fortlaufend in jeweils vier Jahren beginnend mit dem Ausstellen der Bescheinigung des Ausbildungsinstituts über den er­ folgreichen Abschluss der Ausbildung einschließlich Einzelsupervision. Mit dieser Regelung soll gewährleistet werden, dass die Bezeichnung »zerti­ fizierter Mediator« nur denjenigen Mediatorinnen erhalten bleibt, die zwei Jahre nach dem Erwerb des Titels nachweisen können, dass sie praktische

Nachqualifikation

Erfahrungen in mindestens vier Mediationsfällen gesammelt und in Einzel­ supervisionen reflektiert haben und die sich im vorgeschriebenen Umfang regelmäßig fortbilden. Die Bezeichnung »zertifizierter Mediator« wird nicht durch eine Zertifi­ zierungsinstitution vergeben. Vielmehr zertifizieren sich Mediatoren selbst, indem sie sicherstellen, dass sie die Voraussetzungen erfüllen und dies auf Nachfrage auch nachweisen können.

Selbstzertifizierung

Zertifiziert, lizenziert oder einfach nur »Mediator« sein?

209

Weiterführende Literatur: ZMediatAusbV BGBl. 2016, I, S. 1994 ff.

Qualitätssicherung und Zer tifizierung

Ob sich der »zertifizierte Mediator« nach der ZMediatAusbV in der jetzigen Form der Selbstzertifizierung als Gütesiegel auf dem Markt durchsetzen wird, wird in der Fachwelt vielfach infrage gestellt und kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilt werden. Die Mediationsverbände setzen weiter darauf, dass sich ihre umfassen­ deren Ausbildungsstandards, die z. B. eine Ausbildungsdauer von mindes­ tens 200 Stunden vorsehen, auf dem Markt etablieren und vergeben an die Teilnehmerinnen ihrer Ausbildungen entsprechende Lizenzierungen, mit denen diese werben können. Fünf Verbände (BM, BAFM, BMWA , DGM und DF fM) haben sich zu einem Qualitätsverbund Mediation (QVM) zusammen­ geschlossen, um verbandsübergreifende Standards und ein verbraucher­ freundliches gemeinsames Markenzeichen zu entwickeln. Ob es sich im Einzelfall für einem Ausbildungsabsolventen empfiehlt, eine Zertifizierung nach dem Mediationsgesetz anzustreben, eine Lizenzie­ rung durch einen der Mediationsverbände zu erwerben oder auf eine An­ erkennung ganz zu verzichten, hängt von dem Kontext ab, in dem er seine durch die Mediationsausbildung erworbene Qualifikation einsetzen möchte. Unabhängig von der Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Label kann demjenigen, der professionell auch komplexe Konflikte als Mediator bearbeiten will, geraten werden, es nicht bei einer 120-stündigen Mediati­ onsausbildung zu belassen, die nur die Mindeststandards vermittelt. In den meisten Arbeitsfeldern der Mediation setzt eine qualifizierte Tätigkeit die vertiefte Beschäftigung mit den Besonderheiten des für die Berufspraxis gewählten Anwendungsfeldes voraus. Diese kann am besten durch Fortbil­ dungen in dem spezifischen Mediationsbereich vermittelt werden, in denen Ausbilderinnen ihre Mediationserfahrungen teilen.

5. E  in Balanceakt: Haltung in der Mediation Juliane Ade/Kirsten Schroeter

Ein Balanceak t: Haltung in der Mediation

210

Das Denk- und Handwerkszeug für die kompetente Gestaltung einer Medi­ ation ruht auf einem Fundament, das im Allgemeinen als die Haltung des Mediators oder auch als mediative (Grund-)Haltung bezeichnet wird. Erst auf diesem Fundament – so die weithin geteilte Überzeugung – kann Mediation ihre Wirksamkeit entfalten. Joseph Duss-von Werdt spricht aus der philoso­ phierenden Perspektive sehr weit gefasst von der »Lebensart« (2005, S. 15) der Mediatorin, die er facettenreich in seinem Buch über den »homo mediator« entwickelt. Ulla Gläßer (2008, S. 90 f.) formuliert, dass der Haltungsbegriff für die Mediatorin »auf Einstellungen und innere Ausrichtungen« verweise, »die keine unmittelbare Handlungsanweisung darstellen«, sondern vielmehr »be­ stimmen, in welcher Art und Weise Handlungen ausgeführt werden.« In diesem Kapitel beschreiben wir, was wir unter Haltung verstehen, und untersuchen, welche praktische Bedeutung der Haltung bei der Tätigkeit als Mediatorin zukommt. Wir benennen die aus unserer Sicht wesentlichen Elemente einer mediativen (im Sinne von mediationsadäquat) Haltung und setzen sie ins Verhältnis zu den Fähigkeiten der Mediatorin. Und schließlich schildern wir aus unseren Erfahrungen als Mediatorinnen und als (Media­ tions-)Supervisorinnen typische Herausforderungen beim Einnehmen, Wah­ ren und gegebenenfalls Wiedergewinnen einer mediativen Haltung oder – wie Hannelore Diez (2005, S. 240) es formuliert – der notwendigen Balance.

5.1 Vom Wesen der mediativen Haltung Wir sprechen davon, dass Menschen eine Haltung einnehmen – und zwar zu etwas, zu einem Geschehen, einem Ereignis, gegenüber einem Menschen. In diesem Sinne bedeutet Haltung, einen Standpunkt einzunehmen oder gar Stellung zu beziehen. Eine Haltung authentisch einzunehmen, bedeutet in­ nere Klarheit. Gleichzeitig ist eine Haltung oder das Einnehmen einer Hal­ tung verbunden mit äußerer Klarheit: Alle wissen und können sehen, wo die Person steht.

Schauen wir uns zunächst die Wirkung auf die Mediatorin an: Die medi­ ative Haltung gibt mir im Wortsinn Halt. Sie bietet mir eine Orientierung, worauf ich als Mediatorin in meiner Wahrnehmung des Konflikts und der Mediationsdynamik besonders achten muss und worauf ich in meinem Handeln ziele. Aber auch nach außen bietet die Haltung Orientierung: Die Konfliktparteien spüren und wissen, woran sie bei der Mediatorin und bei diesem Verfahren sind. Oder anders: In unserer Haltung und dem darauf basierenden Handeln »materialisiert« sich das Mediationsverfahren. Folgen­ de Elemente formen nach unserer Überzeugung die Haltung des Mediators: Konflikt als Entwicklungsmoment verstehen

Autonomie der Beteiligten achten Konfliktparteien suchen in der Mediation Unterstützung für die Klärung und Regelung ihrer Belange. Sie sind (zumindest momentan) nicht in der

In jedem Konflikt steckt eine Chance

211

Vom Wesen der mediativen Haltung

Konflikte sind ein selbstverständlicher Teil des Lebens. In der Regel verursa­ chen sie negative Gefühle, Reibungsverluste, Verhärtungen, gar Blockaden, Entfremdung oder die Einengung von Spielräumen. Konflikte haben aber auch positive Aspekte: Unterschiede, bisher zu wenig Beachtetes oder De­ fizite werden sichtbar, überkommene Regelungen werden infrage gestellt, Kreativität ist gefordert, neue Lösungen sind denkbar. Mit einer mediativen Haltung achten wir insbesondere auf die positiven Entwicklungschancen, die ein Konflikt birgt. Diese Haltung fördert die Zuversicht, dass auch in schwierigen Konflikten gute, sinnvolle Effekte entstehen können. Haltung in diesem Sinne zeigt sich äußerlich in einer (relativen) Gelassen­ heit gegenüber konflikthaften Spannungen und einem (konstruktiven) An­ nehmen und Aufgreifen von Intensität, Widersprüchen, Aggressivität. Dies beinhaltet auch, dass Gefühlen und Gedanken, die gemeinhin als negativ und unerwünscht gelten, vorurteilsfrei und bewertungsfrei begegnet wird. Sie sind ein Teil des Menschen und des Menschseins und nicht per se schlecht. Ob Gutes oder Schlechtes daraus entsteht, hängt von den Parteien ab. In jedem Konflikt steckt eine Chance. In der Entscheidung für eine Mediation liegen immer auch die Hoffnung und die Möglichkeit, bewusst und »gut« mit der Situation umzu­ gehen (was auch immer das im Einzelnen für die Beteiligten bedeutet).

Lage, ihre Anliegen ohne Hilfe von außen so zu bearbeiten, dass sie damit zufrieden sind. Diese Einschränkung in der Autonomie der Parteien wird mit mediativer Haltung als temporär betrachtet: Die Mediation dient den Parteien als Mittel, ihre autonome Handlungsfähigkeit möglichst umfang­ reich zurückzuerlangen. Die temporäre Verantwortungsübernahme des Me­ diators in der Konfliktklärung ist gekoppelt an seine inhaltliche Unabhän­ gigkeit. Diese Facette der mediativen Haltung verweist auf die elementare Bedeutung der Einbindung und Aktivität der Beteiligten in den einzelnen Mediationsschritten und zeigt dem Mediator immer wieder, an welchen Stellen er im Klärungsprozess Verantwortung übernimmt – und wo nicht. Die Achtung vor der Autonomie bedeutet zugleich, den Standpunkt der Konfliktparteien zu respektieren und ihnen nicht – etwa für den eigenen Erfolg als Mediator – eine andere Sichtweise nahezulegen. Äußert eine Be­ teiligte zum Beispiel, dass sie eine derart intensive Auseinandersetzung mit einer anderen Person nicht wünscht oder braucht, so versucht der Mediator nicht, die Partei umzustimmen  – selbst wenn er persönlich der Meinung ist, dass die Mediandin in der Mediation durchaus etwas über sich und ihr Konfliktverhalten lernen könnte.

Ein Balanceak t: Haltung in der Mediation

212

Die Parteien sollen ihre autonome Handlungsfähigkeit zurückerlangen

Empathie und Allparteilichkeit anstreben Mediatoren interessieren sich für die individuellen Perspektiven der Betei­ ligten, sie möchten sie verstehen und geben diesem Verständnis Ausdruck. Gary Friedman und Jack Himmelstein (2013) beschreiben diesen Vorgang als das Schaffen innerer Verständnisräume für jede Partei (sogenannte »bub­ bles«), die der Mediator in sich bestehen lasse, ohne zu entscheiden, wer »recht« und wer »unrecht« hat (S. 152). Es entsteht ein pendelndes Mitfühlen mit den Beteiligten, ein Hin zu jeder Mediationspartei und ein Zurück zur neutralen Position als Mediator. Eingangs sprachen wir davon, dass Haltung meint, einen Standpunkt zu beziehen. Auch als Mediatorinnen haben wir einen klaren Standpunkt im Konflikt, nur eben nicht im dem Sinn, dass wir uns »auf eine Seite schla­ gen«. Vielmehr besteht unsere Haltung darin, keinen Standpunkt zu bezie­ hen und stattdessen Distanz zu wahren: Wir machen uns die Sache nicht zu Eigen. Andererseits bemühen wir uns um empathische Zuwendung: Wir versetzen uns in alle Beteiligten hinein, um wirklich zu verstehen, worum es ihnen geht. Dies zeigt sich äußerlich in der Körperhaltung  – durch ei­

Mediatorinnen beziehen im Konflikt keine Stellung

nen offenen, wachen, zugewandten, respektvollen Blick  – sowie im Tem­ po – durch die Ruhe und Geduld für jede Person und die Feinheiten ihrer individuellen Perspektive.

(Mit-)Menschlichkeit und professionelle Distanz in Einklang bringen Bei allem Mitfühlen, Verstehen und Nachvollziehen vergegenwärtigt sich die Mediatorin immer wieder, dass der Konflikt nicht der ihre ist. Mit medi­ ativer Haltung bemüht sie sich in ihrer Rolle um eine stimmige Balance zwi­ schen den Polen Mitgefühl und professionelle Distanz. Untersuchen wir die­ se Balance mit dem Modell des sogenannten Wertequadrats (vgl. Abschnitt 1.4), so gelingt nur und gerade in der Synthese der Pole eine angemessene Mediation. Ohne Professionalität droht die Einfühlung in ein emotionales Kuddelmuddel des Konfliktgeschehens, ohne Empathie die Professionalität in die kühle, überhebliche, technokratische und eventuell sogar übervortei­ lende »Behandlung« eines Falls umzuschlagen. In der mediativen Praxis er­ fordert dies ein situativ abgewogenes Pendeln zwischen Distanz und Nähe.

213

Entwicklungsrichtungen

emotionale Verstrickung

technokratische Behandlung eines Falls

Abb. 31: Der Mediator in der Balance zwischen Empathie und Professionalität

Vom Wesen der mediativen Haltung

professionelle Distanz

Mitgefühl

Körperlich findet sich diese Haltung wieder in der Grundposition des Media­ tors, der auf einem Stuhl sitzt, präsent, aufrecht, weder zurückgelehnt noch vorgebeugt, als ob er zwischen Rücken und Stuhllehne einen Tennisball ba­ lancieren würde. So kann sein Verständnis als Brücke zum gegenseitigen Verständnis der Parteien dienen. Das Verstehen des Mediators deeskaliert, öffnet Raum für neue Perspektiven, erleichtert das Hören von Ich-Aussagen (statt Vorwürfen) und damit das Verstehen der jeweils anderen Seite jenseits von Einverständnis oder Zustimmung. Ergebnisoffenheit und Lösungsaufschub ermöglichen

Ein Balanceak t: Haltung in der Mediation

214

Konflikte, die einer Begleitung durch Dritte bedürfen, werden in der Regel als unangenehm erlebt. Dieses Unbehagen kann dazu führen, die Media­ tion möglichst schnell beenden zu wollen. Die Mediatorin begegnet diesem Wunsch, der zuweilen in Druck umschlägt, mit einer Haltung, die Gelassen­ heit, Verständnis und Zuversicht ausstrahlt. Aus Erfahrung weiß sie, dass eskalierte Konflikte keine schnellen, einfachen Lösungen kennen. Zugleich weiß sie um den Gewinn einer gründlichen Konfliktbearbeitung für die Be­ teiligten. Das Erleben von Konfliktverstehen, Deeskalation und wiederge­ wonnener Handlungsfähigkeit nutzt den Parteien oft langfristig über den konkreten Fall hinaus. Diese erfahrungs- und wissensbasierte Haltung der Mediatorin stärkt das Vertrauen in ein langsames und sorgfältiges Vorgehen beim Konflikt und die Bereitschaft, dafür ausreichend Zeit zu investieren und die temporäre Lösungslosigkeit »auszuhalten«. Auf diese Weise unter­ stützen Mediatoren die Parteien dabei, sich immer wieder auf die Ergebnis­ offenheit der Mediation einzulassen und der Versuchung einfacher Erklä­ rungen und Positionen zu widerstehen. Reflexions- und Entwicklungsbereitschaft mitbringen Als Profis im Mediationsgeschäft wissen wir, dass wir den Beteiligten, was den Konflikt und seine Entwicklung angeht, nicht voraus sind. Die Mediatorin wirkt als Modell für die Parteien, indem sie versucht, in einer Person verschie­ dene Wahrheiten gleichermaßen nachzuvollziehen. Dieser Modellcharakter gilt auch hinsichtlich des Umgangs mit Konfliktverhalten – etwa in der Über­ zeugung, dass Unvollkommenheit menschlich ist und zum Leben dazugehört, dass (Be-)Wertungen und Kategorisierungen – in richtig und falsch, sinnvoll,

Das Verhalten der Mediatoren wirkt als Modell

5.2 Herausforderungen für die mediative Haltung Zuweilen laufen wir Gefahr, die mediative Haltung zu verlassen, sei es in Einzelgesprächen, im Umgang mit einem (großen) Machtgefälle oder auf­ grund unseres persönlichen »Gepäcks«, das wir in die Mediation mitschlep­ pen, sprich unserer Person und Vorgeschichte. Dazu schildern wir im Fol­ genden einige Beispiele aus unserer Mediations- und Supervisionspraxis. Leistungsdruck Mediatoren entwickeln manchmal einen persönlichen Ehrgeiz, der sich als Erfolgsdruck artikuliert. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben, sei es das Bedürfnis nach finanzieller Sicherheit, nach Anerkennung durch ihr

215

Herausforderungen für die mediative Haltung

gewinnbringend oder hinderlich  – standpunkt- und kontextabhängig sind und sich im Laufe der Zeit ändern können, dass Schwächen einzugestehen hilfreich, sogar notwendig und auch eine Stärke sein kann. Die mediative Haltung, wie wir sie hier beschreiben, ist keine natürliche; sie ist in Alltagssituationen auch nicht immer angemessen. Menschen sind in vielen Situationen mehr oder weniger stark beteiligt (etwa in der Rolle als Kollege, Partner, Berater, Experte, Nachbar, Vorgesetzter, Freund). Die mediative Haltung bleibt gebunden an den Kontext der Mediation und an die besondere Rolle des Mediators. Wir verstehen sie als ein Ideal, das wir in unserer Mediationspraxis anstreben, aber nie in Gänze realisieren kön­ nen. Eine solche Haltung erwerben wir nicht automatisch und unwiderruf­ lich qua Ausbildung oder Fallzahl. Sie hat zu tun mit unserem Verständnis für Mediation und uns selbst, unserem eigenen Konfliktverhalten, unseren Handlungsmotiven und unserer Reflexionsbereitschaft. Die Entwicklung der Haltung ist einer der wesentlichen Lernpfade in der Mediationsausbil­ dung, muss aber selbst von erfahrenen Mediatoren immer wieder geübt wer­ den und entsteht (auch) im Spannungsfeld von Reflexion und praktischem Handeln. Intervision und Supervision haben damit einen festen Platz im Arbeitsalltag von Mediatoren – von kurzen, unmittelbaren kollegialen Be­ ratungen, sei es persönlich oder per Telefon, bis hin zu längeren Terminen anlässlich eines konkreten Falls oder einer allgemeinen Frage in Zusammen­ hang mit der Berufsausübung.

Umfeld (Kollegen, Familie etc.) oder durch die Konfliktparteien selbst (wenn sie zum Beispiel einer der Beteiligten in einer bestimmten Rolle anspricht, etwa als Tochter, Sohn, Mutter oder Vater). Der Druck kann dazu führen, dass sie den Kontakt zu den Parteien und ihren Bedürfnissen verlieren und an ihnen vorbei mediieren. Möglicherweise kommt es zu einer Vereinba­ rung, die später eine Partei oder sogar beide Medianden bereuen. Konfliktverhalten Die Mediatorin verspürt Unverständnis oder gar Ablehnung gegenüber einer Konfliktpartei – etwa, weil diese ein ihr fremdes, sie einschüchterndes oder beängstigendes Konfliktverhalten zeigt. Möglicherweise reagiert sie auch deswegen so stark darauf, weil sie dieses Verhalten so ähnlich von sich selbst oder von ihr wichtigen Personen kennt. Kann sie die notwendige Distanz nicht aufrechterhalten oder wiedergewinnen, so verlässt sie ihre mediative Haltung und Rolle. Konfliktthemen

Ein Balanceak t: Haltung in der Mediation

216

Ein Mediator ist aufgrund eigener (biografischer) Themen befangen und ge­ rät in eine innere Schieflage. Ein Thema – sei es Trennung, Hausbau oder Gründung – berührt ihn möglicherweise so stark, dass er nicht mehr gut zwischen »meinem« und »deren« trennen kann. Das zeigt sich beispielsweise in starken emotionalen Reaktionen auf bestimmte Sichtweisen, Bedürfnisse oder Wünsche der Konfliktparteien sowie in innerlich (oder gar äußerlich) wahrnehmbaren Präferenzen für bestimmte Lösungsideen. Werte Eine Mediatorin gerät in einen Konflikt zwischen ihrer Werthaltung und der einer Konfliktpartei. So kann eine Partei bei einer Mediation am Ar­ beitsplatz die starke Kontrolle der Mitarbeiter für absolut notwendig oder im Gegenteil für vollkommen überflüssig und sogar kontraproduktiv hal­ ten. Widersprechen diese Werte denen der Mediatorin, so kann sie selbst in einen Konflikt geraten. Ihre Aufmerksamkeit für die Anliegen und Vorstel­ lungen der Beteiligten ist dann möglicherweise derart eingeschränkt, dass sie die Parteien nicht mehr neutral und allparteilich unterstützen kann.

Das Potenzial, das mit der Rolle des unabhängigen Dritten in der Mediation verbunden ist, kann sich dann nicht mehr entfalten.

5.3 Die mediative Haltung einnehmen, wahren und wiedergewinnen

217

Die mediative Haltung einnehmen

Die mediative Haltung wird – ob in der Ausbildung oder in der Berufspra­ xis  – im Zuge eines Vermittlungsauftrags und damit immer wieder aufs Neue eingenommen: zu Beginn einer Sitzung, vor einem Telefonat etc. Die Haltung der Mediatorin ist geprägt durch Allparteilichkeit, Empathie, Neut­ ralität, inhaltliche Distanz und positive Grundannahmen. Sie unterscheidet sich darin von freundschaftlicher Sympathie, kollegialer Verbundenheit, persönlicher Ablehnung und Kritik sowie von anderen professionellen Hal­ tungen wie der des Beraters, des Schlichters, der Richterin, des Anwalts oder der Vorgesetzen. Es ist erfahrungsgemäß hilfreich, sich gerade als frischge­ backener Mediator bewusst auf diese Situation vorzubereiten. Auf die Frage, was ihnen hilft, den Rollen- und Haltungswechsel zu voll­ ziehen, antworten Kolleginnen mit: symbolische Akte wie das demonstrati­ ve Ausziehen der (Richter-)Robe, ein Spaziergang, um Abstand von etwas zu gewinnen, meditieren, ein Raumwechsel oder die gründliche Vorbereitung der Mediation. Im vorherigen Abschnitt haben wir dargestellt, dass selbst die Sitzhal­ tung der Mediatorin eine bewegte ist und ein ständiges, von außen kaum wahrnehmbares »Balancieren« erfordert. Tatsächlich ist die Haltung (auch) in der Mediation flexibel und damit Änderungen und Entwicklungsprozes­ sen unterworfen. In einer konkreten Situation die angemessene, »richtige« Haltung zu finden und einzunehmen, stellt sich immer wieder als Heraus­ forderung dar im Spannungsfeld zwischen persönlicher Authentizität und professioneller Rollenübernahme einerseits und (generell einzuhaltenden) Regeln bzw. Leitplanken des Verfahrens und (individuell zu gestaltenden) situativen Einzelentscheidungen andererseits. Im Laufe der Mediation prüfen wir immer wieder, wie es um unsere Hal­ tung bestellt ist, und steuern gegebenenfalls nach. Was in einer konkreten Situation als richtig empfunden wird (im Sinne von regelkonform, authen­ tisch, stimmig), ist ein Prozess des ständigen Abwägens und mehr oder we­ niger kleiner Korrekturen. Dazu passt ein Zitat von Morihei Ueshiba, dem

Ein Balanceak t: Haltung in der Mediation

218

Begründer der Kampfkunst Aikido, der danach befragt, ob er jemals sein Gleichgewicht verliere, antwortete: »Ich verliere es ständig und finde es so schnell wieder, dass es keiner mitbekommt.« Das Einnehmen und Wahren der mediativen Haltung wäre diesem Bild entsprechend ein geschmeidiger, schnell und leicht auszubalancierender Vorgang. Oft ist das auch so. Doch was, wenn er nicht gelingt? Die erste (und in gewisser Weise maßgeblichste) Herausforderung ist, überhaupt zu merken, dass mit meiner Haltung etwas passiert, das relevant für die Mediation ist. Wie nehme ich wahr, dass ich die mediative Haltung verloren habe? Dabei spielt die Bereitschaft, sich selbst als wesentliches Werkzeug der Mediation kontinuierlich zu prüfen, eine große Rolle, ebenso die Wahrnehmung eigener Emotionen und körperlicher Reaktionen. Auch die eigene Haltung zu diesem Verlust ist von Bedeutung: Betrachte ich ihn als Fehler, als Scheitern, das überwunden werden muss? Oder gehört er dazu und ist vielleicht sogar hilfreich, weil er nützliche Informationen liefern und auf entscheidende Punkte für die Konfliktklärung hinweisen kann? Wenn die oben beschriebenen kleinen Haltungsbewegungen nicht gelin­ gen und sich ein Gefühl einstellt, dass etwas dauerhaft nicht stimmt oder wir entsprechende Rückmeldungen von außen bekommen, halten wir inne und schauen ganz genau hin, mit dem Ziel, uns der Irritation anzunähern und sie zu verstehen. Dabei unterscheiden wir kurzfristige Hilfen, die ad hoc in der Mediation, bisweilen auch als »Notfallmittel«, zum Einsatz kom­ men von mittel- und langfristigen Aufgaben. Zu den Sofortmaßnahmen ge­ hören beispielsweise: ƒƒ eine Pause einlegen: Bisweilen genügt eine Viertelstunde, um sich wieder zu sortieren und in seine Rolle und Haltung einzufinden; in anderen Situationen mag es sinnvoller sein, die Sitzung zu beenden und die Medi­ ation zu einem späteren Termin fortzusetzen. ƒƒ innerlich Fragen zur Selbstklärung durchgehen: Hier mag jeder individu­ elle Zugänge und Formulierungen haben oder entwickeln. Aus unserer Sicht können folgende Fragen helfen, sich (wieder) zu öffnen: Wie geht es mir gerade? Welche Reaktion nehme ich bei mir wahr? Was genau irri­ tiert mich gerade in dieser Situation (im Kontakt mit dieser Person)? Was habe ich möglicherweise noch nicht ausreichend verstanden? Wie könnte ich dazu einen anderen Zugang erhalten? Spüre ich möglicherweise eine Irritation, die mindestens einer der Beteiligten auch spürt? Was könnte das mit dem aktuellen Konflikt zu tun haben? Welcher meiner eigenen

Woran merkt der Mediator, dass die mediative Haltung verloren geht?

ƒƒ

ƒƒ

ƒƒ

Ein mittel- und langfristiges Arbeiten an der eigenen Haltung umfasst die regelmäßige und systematische Reflexion und Nachbereitung der Mediati­ onsaufträge (beispielsweise in der Kollegialen Beratung oder mithilfe eines Fragebogens), die Identifizierung persönlicher Warnzeichen für Haltungs­ gefährdungen und darauf basierend das Erkennen und Einüben von Hand­

219

Die mediative Haltung einnehmen

ƒƒ

»Konfliktknöpfe« wird hier gerade gedrückt? Kann ich Fragen, die mich betreffen, verschieben und später aufarbeiten (in der persönlichen Nach­ bereitung, in der kollegialen Beratung oder Supervision)? die eigene Wahrnehmung einer Irritation benennen und die Beteiligten fragen, wie sie das erleben, um darüber ins Gespräch zu kommen: »Ich spüre, wie sehr Sie sich unter Zeitdruck setzen. Erleben Sie das auch so?«, »Es ist schwierig für mich, auszuhalten, wie Sie jetzt gerade miteinander umgegangen sind. Wie ist das für Sie?« die Irritation gegebenenfalls auf einer Metaebene betrachten und norma­ lisieren: »Es ist ganz normal, dass sich bei der Sammlung der klärungs­ bedürftigen Themen erst einmal das Gefühl einstellt: ›Oh je, so groß ist das Problem – wie sollen wir das nur bewältigen?‹« über eine »kollegiale Hotline« (gegebenenfalls telefonisch) Soforthilfe be­ kommen: Nach unserer Erfahrung kann es enorm entlastend sein, die eigene Irritation kurz einer Kollegin zu berichten, durchaus unsortiert und ohne den Anspruch, von ihr einen klugen Rat oder gar »die Lösung« zu bekommen (obschon das natürlich denkbar ist). Schon im Erzählen entsteht eine innere Distanzierung, die die eigene Handlungsfähigkeit als Mediatorin erhöht. Zwischen den Terminen bleibt Zeit für Unterstüt­ zung, etwa in Form einer Kollegialen Beratung oder Intervision (Schil­ dern der Situation und der damit verbundenen Frage, kollegiale Rück­ meldung, gegebenenfalls Ideen, Vorschläge, Formulierung des nächsten Schritts). benennen, dass eine Grenze berührt ist  – entweder meine persönliche als Mediatorin oder eine Grenze des Mediationsverfahrens. Gegebenen­ falls bedeutet das, den Auftrag niederzulegen und – wenn möglich und gewünscht – an einen Kollegen zu verweisen, zum Beispiel: »Ich nehme wahr, dass Ihr Bedarf nach einer neutralen, externen Einschätzung die Mediation immer wieder so stark beeinflusst und dominiert, dass ich die Notwendigkeit sehe, mit Ihnen die Frage des geeigneten Verfahrens und auch die Begleitung durch meine Person neu zu besprechen …«

lungsoptionen sowie die Überprüfung der eigenen Mediationspraxis und ihrer Rahmenbedingungen (Auftragsgestaltung, Zeitmanagement, Rollen­ verständnis, Rollendarstellung etc.). Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Konfliktverhalten (und den entsprechenden Haltungsherausforderungen) ist ein wesentlicher Teil der professionellen (Weiter-)Entwicklung. Eine authentische Haltung wird ge­ tragen von eigenen Überzeugungen und dem, was Mediatoren selbst leben. Wie halte ich es selbst im Konflikt? Kann ich mitfühlen mit Verbohrtheit, Verstocktheit, Gekränktheit, Verletztsein, mit Trotz, Wut, Rache, Neid, Missgunst? Kann ich eine temporäre Einschränkung der Autonomie zulas­ sen und zugleich in die Autonomie der Konfliktparteien vertrauen? Bin ich tatsächlich überzeugt, dass immer ein Fünkchen Wahrheit in allen Pers­ pektiven steckt – selbst wenn ich das als Beteiligte in einem Konflikt nur schwerlich wahrnehme? Wie halte ich es mit Erfolg und Scheitern in mei­ nem eigenen Leben, in der Mediation? Sich diese Fragen zu stellen, kann die Qualität der Mediationstätigkeit er­ höhen. Nicht zuletzt ist das Prinzip der Fehlerfreundlichkeit, der humorvol­ len Gelassenheit im Umgang mit Unvollkommenheit und Kontrollverlust – auch im Umgang mit sich selbst als Mediator – bedeutend für ein gesundes Stressmanagement und Spaß an der Arbeit.

Ein Balanceak t: Haltung in der Mediation

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Weiterführende Literatur: Diez, H. (2005). Werkstattbuch Mediation. Köln: Otto Schmidt Duss-von Werdt, J. (2005). homo mediator. Geschichte und Menschenbild der Mediation. Stuttgart: Klett-Cotta Friedman, G./ Himmelstein, J. (2013). Konflikte fordern uns heraus. Mediation als Brücke zur Verständigung. Berlin: Wolfgang Metzner Gläßer, U. (2008). Mediation und Beziehungsgewalt. Baden-Baden: Nomos

6. Wege in die Praxis Kirsten Schroeter

221

Wege in die Praxis

Es gibt viele gute Gründe, sich für eine Ausbildung in Mediation zu entschei­ den: Die einen sind interessiert, ganz grundsätzlich etwas über den Umgang mit Konflikten zu lernen – sei es mit Blick auf eigene Konflikte oder die an­ derer im privaten und beruflichen Umfeld. Andere möchten mit dem Hand­ werkszeug der Mediation ihren beruflichen Methodenkoffer erweitern. Da­ bei steht weniger das Ziel expliziter Mediationsaufträge im Fokus; sie reizt vielmehr die Vorstellung, in der Tätigkeit als Mitarbeiter oder Führungskraft, als Coach, Supervisorin, Anwältin, Richter oder Lehrerin mediatives Knowhow einfließen zu lassen. Und schließlich gibt es diejenigen, die zukünftig als »richtiger« Mediator arbeiten wollen – entweder neben ihrer bisherigen Tätig­ keit oder als neue berufliche Identität. Insbesondere für diese Teilnehmenden stellt sich mit fortschreitender Mediationsausbildung immer dringlicher die Frage: »Wie komme ich an meine ersten Mediationsfälle?« Bisweilen gibt es in Ausbildungen die Erwartung, die Ausbilder mögen doch bitte dafür Sorge tragen, dass die Teilnehmenden an Fälle kommen. In einigen wenigen Ausbildungen ist das tatsächlich der Fall, indem Teilneh­ mende per Assistenz oder Hospitanz mit in die Mediationen von Ausbilde­ rinnen gehen und auf diese Weise erste Eindrücke und Einsätze erhalten. In den meisten Ausbildungen werden die ersten Fälle jedoch nicht frei Haus geliefert, sondern von den Teilnehmenden selbst organisiert. Dieses Kapitel ist als Unterstützung für den Umgang mit der Frage nach dem ersten Mediationsfall gedacht. Es zeigt auf, anhand welcher Überlegun­ gen sich ein Ausbildungsteilnehmer den ganz persönlichen Praxiszugang erschließen kann. Die Literatur zu diesem Thema ist bisher übersichtlich: Zum einen gibt es wissenschaftliche Arbeiten vornehmlich theoretischer Natur, die vor allem den Entwicklungsbedarf des Mediationsmarkts umrei­ ßen; zum anderen gibt es Ratgeber, die vor allem auf das Marketing von Mediation abheben. Wer sich über Marketing vertieft informieren möchte, sei auf die entsprechenden Bücher verwiesen. Die hier formulierten Empfeh­ lungen drehen sich nicht primär um Marketing, sondern möchten dazu an­ regen, den persönlichen Ausgangspunkt für den Weg in die Mediationspra­

xis genauer unter die Lupe zu nehmen, um nützliche Ideen für die individu­ elle Wegeplanung zu entwickeln. Das Kapitel basiert auf meiner Erfahrung auf dem Weg in die Mediationspraxis und in die supervisorische Begleitung von Ausbildungsteilnehmenden sowie auf Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen – sämtlich selbstständige Mediatorinnen und Mediatoren, die mir von ihrem Werdegang erzählt haben.

6.1 Die eigene Praxis von Anfang an mitentwickeln

Wege in die Praxis

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Generell ist es nützlich, den Weg in die Praxis schon zu Beginn der Media­ tionsausbildung zu beschreiten. Anstatt darauf zu warten, sich »fertig« aus­ bilden zu lassen, um dann frisch zertifiziert loszulegen, empfiehlt es sich, die erworbenen Kompetenzen schon während des Lernprozesses im (Arbeits-) Alltag einzusetzen. Beispielsweise können in alltäglichen Gesprächen mit einem Konfliktbeteiligten einzelne Fertigkeiten wie das aktive Zuhören, die Formulierung von Interessen und Bedürfnissen oder der Perspektivwech­ sel ausprobiert werden. Sobald Ausbildungsteilnehmende mit dem Phasen­ modell der Mediation und den dazugehörigen Interventionen vertraut sind, lohnt es sich, zu prüfen, ob sie »im echten Leben« Gelegenheiten für so­ genannte implizite Mediationen finden. Dabei gibt es keinen ausformulier­ ten Mediationsauftrag, vielmehr schätzt die Ausbildungsteilnehmerin eine konflikthafte Situation so ein, dass es stimmig und hilfreich sein könnte, wenn sie ihr mediatives Know-how einsetzt. Diese »Undercover-Einsätze« bergen das Risiko, dass nicht alle Beteiligten diese Einschätzung teilen – so berichten Ausbildungsteilnehmende insbesondere aus dem familiären Set­ ting, dass sich Partner oder Kinder bisweilen durchaus vehement dagegen wehren, kommunikativ anders »behandelt« zu werden als üblich (»Mama, wieso sprichst du so komisch?«). Nichtsdestotrotz: Das unmittelbare, auch implizite Anwenden des Erlernten stärkt die eigene Sicherheit und hilft, Me­ diationsfertigkeiten und -haltung zu verinnerlichen.

Das implizite Anwenden stärkt die eigene Sicherheit und hilft, Mediationsfertigkeiten und -haltung zu verinnerlichen

6.2 Das Ziel vom eigenen Startpunkt aus ansteuern Angesichts verschiedener Ausgangslagen von Ausbildungsteilnehmenden gibt es nicht den Weg in die Mediationspraxis. Daher lohnt es sich, den ei­ genen Startpunkt genau zu untersuchen. Nach unserer Erfahrung sind die folgenden Fragen dafür von besonderer Bedeutung: Intern oder extern? Gehöre ich (als Mitarbeiterin oder Führungskraft) einer Organisation an oder bin ich selbstständig? Als Angestellter ist mein Einkommen möglicher­ weise gesichert, ich bin nicht (sofort) darauf angewiesen, mit Mediation Geld zu verdienen. Oder soll die Mediationsausbildung als Sprungbrett in eine zukünftige Selbstständigkeit dienen? Dann ist zu bedenken, dass eine paral­ lele Anstellung meine Möglichkeiten als Mediatorin begrenzt, weil Termine nicht mit der Arbeitszeit kollidieren dürfen und mein Arbeitgeber eine frei­ berufliche Mediationstätigkeit genehmigen muss. Als Selbstständige spielt die finanzielle Seite der Mediationstätigkeit wahrscheinlich eine größere Rolle; zugleich darf ein generelles Know-how über Akquise, Auftragsklä­ rung und -abwicklung vermutet werden. 223

Es macht einen Unterschied, ob die Teilnahme an der Mediationsausbildung ein Privatvergnügen ist oder mit einer Organisation abgestimmt, gar von ihr gewünscht und auch finanziert wird. Letzteres ist häufig der Fall, wenn eine Organisation gezielt ein internes Konfliktmanagementsystem aufbauen oder weiterentwickeln möchte. Für den Mitarbeiter ist es dann von Bedeu­ tung, darauf zu achten, dass die Rahmenbedingungen für den Einsatz als Konfliktberater oder Mediator möglichst günstig gestaltet sind. Wer sich als Erster – quasi als Pionier der Organisation – auf den Weg macht, sollte sich daher vornehmlich mit Fragen der internen Implementierung beschäftigen: Was genau ist mein Auftrag als interne Konfliktberaterin oder Mediatorin? Welche Rahmenbedingungen gelten (Zeit, Flexibilität, Vertraulichkeit, Su­ pervision etc.)? Wessen Unterstützung brauche ich? Mit wem muss oder will ich mich intern vernetzen? Wer muss informiert werden? Wie mache ich mein Angebot bekannt? Wie wird es umgesetzt?

Ist die Teilnahme an der Ausbildung ein Privatvergnügen oder von einer Organisation gewünscht?

Das Ziel vom eigenen Startpunkt aus ansteuern

Mit oder ohne Auftrag?

Mediationsnah oder -fern? Als Selbstständige wie als Angehörige einer Organisation macht es einen Unterschied, ob mein bisheriges Tätigkeitsfeld eher mediationsnah oder -fern war: Habe ich als Coach Personen in Unternehmen in schwierigen Si­ tuationen unterstützt oder war ich als Trainer mit Fragen der Kommunika­ tion befasst, so kann ich durchaus damit rechnen, dass meine bisherigen Auftraggeber die fachliche Erweiterung meines Angebots mit Interesse zur Kenntnis nehmen. Habe ich bisher mediationsfern gearbeitet und verschaffe ich mir insofern mit der Ausbildung ein neues Standbein, so stellt sich die Frage, wen ich über diese (neuen) Kompetenzen informiere und wie ich sie bekannt mache.

6.3 Aller Anfang darf leicht sein!

Wege in die Praxis

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»Aller Anfang ist schwer.« Diese Haltung erlebe ich häufig bei Ausbildungs­ teilnehmenden, wenn sie darüber nachdenken, wie sie erste Mediationsfälle akquirieren können. Dafür gibt es äußere Gründe. Kritiker der Mediation monieren, es gebe im Grunde gar keinen Mediationsmarkt, sondern ledig­ lich einen Ausbildungsmarkt. Diese These widerspricht unserer Arbeits­ wirklichkeit als vollbeschäftigte Mediatorinnen völlig; richtig ist aber, dass der Mediationsmarkt zu einem Großteil selbst erschlossen und weiterentwi­ ckelt werden muss. Für die Haltung gibt es aber auch innere Gründe. Als Supervisorin erlebe ich oft, dass sich Ausbildungsteilnehmende die typische Ausgangslage eines Konflikts für eine Mediation wesentlich komplizierter vorstellen, als sie tat­ sächlich ist. Das kann dazu führen, dass sie auf der Suche nach dem ersten Fall viele potenziell geeignete Fälle überhaupt nicht sehen, weil sie ihnen zu klein, zu leicht, zu wenig eskaliert, ja im Grunde zu einfach erscheinen. Auch erlebe ich, dass Absolventen bisweilen einen Auftrag nicht bekommen, weil sie daran zweifeln, ob sie wirklich schon so weit sind. Mit Blick auf die äußeren und inneren Hürden auf dem Weg zum ersten Mediationsfall plädiere ich entschieden dafür, sich den Anfang als Mediator nicht so schwer zu machen, sondern sich zu fragen, welche Tür wohl am leichtesten aufgehen könnte. Einige Stellschrauben für den leichten Anfang führe ich im Folgenden auf.

Der Mediationsmarkt muss zu einem Großteil selbst erschlossen und weiterentwickelt werden

Vertrauen als Basis von Mediationsaufträgen

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Aller Anfang dar f leicht sein!

Viele Ratgeber empfehlen an erster Stelle eine professionelle Marketingstra­ tegie, um erfolgreich als Mediatorin arbeiten zu können. Dem möchte ich die Erfahrung entgegensetzen, dass wir als Mediatorinnen insbesondere auf der Basis von Vertrauen beauftragt werden. Vertrauen gewinnen wir umso leichter, wenn wir die Auftraggeber persönlich kennen oder uns eine dritte Person empfohlen hat. Insofern ist der erste Schritt zu Mediationsaufträgen, die Menschen, die wir bereits kennen, darüber zu informieren, dass wir Me­ diation anbieten – sei es im persönlichen Gespräch, sei es durch schriftliche Informationen (Brief, Flyer, Homepage usw.). Eine besondere Rolle kommt dabei Multiplikatoren zu, also Personen, die Zugang zu Institutionen oder Netzwerken haben, die potenzielle Auftraggeber sind. In einzelnen Ausbildungen haben sich die Teilnehmenden dieses Be­ ziehungsargument in der Weise zunutze gemacht, dass sie als Gruppe ein wechselseitiges »Fall-Lieferungs-Abkommen« miteinander geschlossen ha­ ben: Jeder versprach der Gruppe, im Laufe der Ausbildung aus seinem pri­ vaten oder beruflichen Umfeld einen Mediationsfall zu akquirieren, den er dann aufgrund der persönlichen Nähe nicht selbst durchführt, sondern an eine Ausbildungskollegin weitervermittelt. Als Supervisorin habe ich aber auch immer wieder erlebt, dass Absol­ venten, die mutig auf Multiplikatoren zugegangen sind, um sich und ihr Mediationsangebot bekannt zu machen, die überraschende Erfahrung machten, auf offene Ohren zu treffen. Um ein Beispiel zu nennen: Vie­ le große Wohnungsbauunternehmen im städtischen Bereich kennen und schätzen inzwischen Mediation als Konfliktaustragungsverfahren. Sie haben entweder eigene Mediatoren eingestellt oder fortbilden lassen. Ist Mediation erst einmal als konstruktives Verfahren etabliert, sind die Ein­ satzmöglichkeiten so groß, dass zusätzliche externe Mediatorinnen will­ kommen sind. Ein weiterer Schritt in Richtung Vertrauens- und Beziehungsaufbau ist es, sich in mediationsnahen Bereichen zu vernetzen. So gibt es in allen grö­ ßeren Verbänden Regionalgruppen, in denen sich Mediatoren regelmäßig fachlich austauschen  – neben dem kollegialen Austausch findet sich hier auch Gelegenheit für Co-Mediationen. Zudem darf ich darauf bauen, dass mich Kolleginnen weiterempfehlen, wenn ihnen eine Anfrage vorliegt, für die sie weniger spezialisiert sind. Umgekehrt kann auch ich eine Anfrage,

für die ich nicht die Richtige bin, an Mediatorinnen aus meinem Netzwerk weiterleiten. Die eigene Mediationsnische finden Frischgebackene Mediatoren können sich den Berufseinstieg erleichtern, in­ dem sie ihre ersten Mediationen in Bereichen durchführen, in denen sie sich bereits auskennen (Beruf, Familie, Ehrenamt), und sich damit möglicherwei­ se ihre »Mediationsnische« erschließen. Den formalen Rahmen klären Nach unserer Erfahrung ist es hilfreich, schon vor der ersten Auftragsklä­ rung den formalen Rahmen für die Mediation weitestgehend zu klären: ƒƒ Was brauche ich formal für meine Auftragsklärung? ƒƒ Welche zeitlichen Möglichkeiten stehen mir zur Verfügung? ƒƒ Welche räumlichen Möglichkeiten stehen mir zur Verfügung? ƒƒ Wie halte ich es mit dem Honorar? (dazu unten noch ausführlicher)

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»Konflikthaftes Kleinvieh« macht auch Erfahrung Was spricht dagegen, kleine Konflikte zu mediieren und das MediationsKnow-how Menschen zur Verfügung zu stellen, die lediglich eine verzwickte Entscheidung zu treffen haben und offen dafür sind, sich dabei professionell unterstützen zu lassen? Dafür braucht es meist keine längere Mediation, sondern nur einen Termin  – und wenn dieser nach den Regeln der Medi­ ationskunst verläuft, profitieren sowohl die Konfliktparteien als auch die Mediatorin davon. Mit offenen Karten spielen Überlegenswert ist grundsätzlich, ob ich meinen Novizenstatus offenlege. Bisweilen entlastet es Absolventen sehr, ihren ersten Auftraggebern vorab transparent darzulegen, dass sie sich noch als Lernende verstehen. Die Sor­ ge, Auftraggeber könnten dadurch abgeschreckt werden, erübrigt sich in der Regel, solange die Mediatoren dies nicht als Zeichen eigener Unsicherheit, sondern als gelassenen Umgang mit der Wahrheit der Situation bewerten.

Sich beweglich halten mit Blick auf das Honorar Die finanzielle Seite eines Mediationsauftrags wirft ebenfalls Fragen auf – gerade für neue Mediatorinnen: Darf bzw. möchte ich bereits ein reguläres (volles) Honorar verlangen? Sind meine Fähigkeiten das Geld wirklich wert? Aber auch: Ist es in den Bereichen, in denen ich mediieren möchte, beispiels­ weise in Kirchengemeinden, Nachbarschaftszentren oder NGOs, überhaupt üblich und möglich, für Mediation Geld zu verlangen? Angehende Media­ toren sollten sich überlegen, ob Mediation für kleines Geld für sie infrage kommt, und gegebenenfalls an entsprechende Institutionen mit einem spe­ zifischen Angebot herantreten. Mein Bild vom idealen Mediationsauftrag

Habe ich auf diese Fragen eine Antwort gefunden, fällt es mir in aller Re­ gel leichter, das eigene Angebot schriftlich zu fassen und im angezielten Bereich zu verbreiten. Mit anderen Worten: Ich weiß, was und wen ich suche.

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Aller Anfang dar f leicht sein!

Statt auf den (oft nebulösen) ersten Fall nur zu warten, empfiehlt es sich, ein möglichst konkretes Profil des eigenen Wunschauftrags zu entwickeln. Was paradox klingt (»Wenn ich sowieso keinen Fall habe, warum sollte ich mir dann ausgerechnet einen idealen Fall ausmalen?«), hilft in aller Regel dabei, genauer herauszufinden, wo sich die Suche nach einem Fall für mich über­ haupt lohnt. Hilfreiche Fragen für die Annäherung an den idealen Auftrag sind beispielsweise: ƒƒ Wie viele Parteien nehmen an der Mediation teil? ƒƒ Welche Beziehung haben die Parteien zueinander? ƒƒ Wie eskaliert und wie komplex ist der Konflikt? ƒƒ Wenn ich es mir aussuchen könnte: In welchem Bereich spielt sich der Konflikt ab? Um was geht es inhaltlich? ƒƒ Wo führe ich die Mediation durch? ƒƒ Wie lange dauert die Mediation? Wie sind die Termine zeitlich gestaltet? ƒƒ Mediiere ich allein oder gemeinsam? ƒƒ Wie viel Geld verdiene ich mit diesem Auftrag? ƒƒ Wie sind die Parteien auf mich aufmerksam geworden?

Gemeinsam arbeiten Es kann entlastend und erleichternd sein, den ersten Fall nicht allein zu bestreiten, sondern gemeinsam mit einer Kollegin – sei es aus der gemein­ samen Ausbildung (in der man sich idealerweise schon in der Co-Mediation erproben konnte), sei es mit einer erfahrenen Mediatorin (etwa einer Ausbil­ derin) in Form einer Co-Mediation. Insbesondere bei der Mediation im öffentlichen Bereich kommen an­ gesichts von komplexen Konfliktlagen, vielen Beteiligten und längerfristi­ gen Klärungsprozessen in der Regel Mediationsteams zum Einsatz. Frisch ausgebildete Mediatoren können sich in Teams mit erfahrenen Mediatoren zusammenschließen und spezifische Aufgaben wie Dokumentation und Mo­ derationsunterstützung übernehmen. So können sie Erfahrungen sammeln, ohne die Hauptverantwortung tragen zu müssen. Fachliche Unterstützung im Mediationsprozess

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Sehr empfehlenswert ist es, sich im ersten Mediationsfall begleitende Un­ terstützung in Form einer Intervision oder Supervision zu holen  – auch zwischen den einzelnen Mediationsterminen. Dadurch bietet sich die Gele­ genheit, fallspezifische Fragen zu stellen und bestmöglich aus den eigenen Erfahrungen zu lernen. Angehende Mediatoren sind somit in doppelter Hinsicht mit Entwicklungs­ arbeit betraut: Zum einen entwickeln sie ihr eigenes Angebot, zum ande­ ren entwickeln sie den Mediationsmarkt weiter. An Fällen mangelt es nach unserer Erfahrung nicht – allenfalls am »Fallbewusstsein« der Beteiligten. Doch in vielen Bereichen ist in den letzten Jahrzehnten eine zunehmende Bekanntheit und Nachfrage von Mediation zu verzeichnen.

Autorinnenverzeichnis

Juliane Ade ist Rechtsanwältin, Mediatorin BM® und Ausbilderin für Media­ tion BM® sowie Begleiterin von Groß-/Gruppenprozessen. Sie vermittelt ins­ besondere bei Konflikten zwischen und innerhalb von Organisationen sowie zwischen Gesellschaftern. [email protected] Silke Freitag ist Diplom-Psychologin. Sie ist tätig als Ausbilderin für Media­ tion BM® an der Universität Hamburg und am Institut für Konfliktaustra­ gung sowie als Mediatorin BM®, Supervisorin und Organisationsberaterin. Spezialisierung auf Konflikte in Teams und zwischen Organisationen sowie im öffentlichen Raum. [email protected]

Dieter Lünse ist Diplom-Sozialökonom, Leiter des Instituts für Konfliktaus­ tragung und Ausbilder für Mediation BM®. Seine Schwerpunkte als Mediator BM®: Interkulturelle Kompetenzen (Anti-Bias), Gemeinwesenmediation, Frie­ denspädagogik und Zivilcourage. [email protected] Katty Nöllenburg ist Diplom-Ethnologin, Leiterin des Instituts für Konflikt­ austragung und Ausbilderin für Mediation BM®. Schwerpunkte als Media­ torin BM®: Konfliktmoderation in Gruppen, Interkulturelle Kompetenzen (Anti-Bias), Schulmediation und Zivilcourage. [email protected]

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Autorinnenverzeichnis

Regina Harms ist als Rechtsanwältin und Mediatorin (BAFM und BM®) tätig in freier Praxis und bei der öffentlichen Rechtsauskunft in Hamburg, seit 1995 als Mediationsausbilderin (BAFM und BM®) und Supervisorin in ver­ schiedenen Ausbildungsinstituten. Schwerpunkte: Mediation bei Konflikten in Familien (von Paaren bis Großfamilien) und unter Freiberuflern. [email protected]

Tim Pechtold ist Diplom-Psychologe. Er arbeitet in eigener Praxis als Media­ tor BM® und Ausbilder für Mediation BM® sowie als Psychologischer Psycho­ therapeut und Coach. Schwerpunkte: Arbeitsplatzkonflikte und individuelle Begleitung von Konfliktfolgen. [email protected] Alexander Redlich ist Professor (i. R.) für Pädagogische Psychologie, Mediator und Ausbilder BM®, wissenschaftlicher Leiter der Ausbildung »Konfliktbera­ tung und Mediation« an der Universität Hamburg. Schwerpunkte: Kommu­ nikation, Kooperation und Konfliktbewältigung in und zwischen Gruppen. [email protected] Jens Richter ist Spiel- und Theaterpädagoge. Er arbeitet als Mediator, Semi­ narleiter und Ausbilder für Mediation. Schwerpunkte: Organisationen und Schule mit den Schwerpunkten Mediation, Konfliktmanagement und Ge­ waltprävention. [email protected]

Autorinnenverzeichnis

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Kirsten Schroeter ist Diplom-Psychologin. Sie arbeitet in eigener Praxis als Mediatorin BM® und Ausbilderin für Mediation BM® sowie als Supervisorin. Sie ist Teil der Wissenschaftlichen Leitung im Master-Studiengang Mediati­ on an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). [email protected]

WEITERBILDUNG Charlotte Friedli / Cornelia Schinzilarz 75 Bildkarten Konfliktmanagement 2015, 75 Karten mit 32-seitigem Booklet in hochwertiger Klappkassette € 49,95 D / sFr 60,00 ISBN 978-3-407-36573-6 Um Konflikte konstruktiv zu managen, eignen sich Bilder hervorragend. Die Motive der Bildkarten zum Konfliktmanagement sind so ausgewählt, dass sie immer auch auf die vorhandenen Gestaltungsmöglichkeiten und Kompetenzen hinweisen. Diese 75 Bildkarten unterstützen Sie bei einem variantenreichen und spielerischen Konfliktmanagement. Von Profis entwickelt und getestet! Methoden-Booklet mit vielen Tipps für den erfolgreichen Einsatz:  Hintergründe und Situationen, in denen die Bildkarten einsetzbar sind  Übungen, Spiele und Reflexionsfragen zum direkten Einsatz der Karten Charlotte Friedli / Cornelia Schinzilarz Mit Fragen Konflikte managen 2016, 116 Fragekarten mit 16-seitigem Booklet € 29,95 D / sFr 36,00 ISBN 978-3-407-36591-0 Die Fragekarten regen zum Perspektivenwechsel an. Mithilfe überraschender Fragen wird eine schwierige Situation plötzlich als gestaltbar erfahren. Der Konflikt wird so nachhaltig als Chance genutzt. Drei unterschiedliche Fragetypen kommen zum Einsatz:  Die philosophischen Fragen dienen der Klärung der Situation im Kontext der Verhältnisse.  Die psychologischen Fragen helfen, die Ich-Identität und die professionellen Beziehungen zu stärken.  Die Triggerfragen überraschen und eröffnen andere Perspektiven.

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