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German Pages [200] Year 2000
Kritische Studien zur Geschichtswissenschaf t Herausgegeben vo n Helmut Berding , Jürgen Kock a Hans-Peter Ulimann , Hans-Ulric h Wehle r
Band 14 0 Hinnerk Bruhn s un d Wilfried Nippe l (Hg. ) Max Weber un d die Stad t i m Kulturvergleic h
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35746-1
Max Weber und die Stadt im Kulturvergleich
Herausgegeben von
Hinnerk Bruhns und Wilfried Nippel
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35746-1
2000. 30682
Umschl·agabbildung:
Die Stad t Arles im Mittelalter , in da s Amphitheater hineingebaut .
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufhahm e Max Webe r und die Stadt im Kulturvergleich: hrsg. von Hinner k Bruhn s un d Wilfried Nippe l Göttingen : Vandenhoeck un d Ruprecht , 200 0 (Kritische Studie n zu r Geschichtswissenschaft; Bd . 140 ) ISBN 3-525-35746- X Gedruckt mi t Unterstützun g de r Fondatio n Maiso n de s Science s de l'Homme , Paris . © 2000 , Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen . - Printe d i n Germany. http://www.vandenhoeck-ruprecht.de Alle Recht e vorbehalten. Da s Werk einschließlich seine r Teile is t urheberrechtlich geschützt . Jede Verwertung außerhal b der engen Grenze n des Urheberrechtsgesetzes is t ohne Zustimmung de s Verlages unzulässi g und strafbar . Da s gilt insbesonder e fü r Vervielfältigungen, Übersetzungen , Mikroverfilmungen un d die Einspeicherung un d Verarbeitung i n elektronischen Systemen . Umschlag: Jürgen Kochinke , Holle . Satz: Text & Form , Pohle . Druck un d Bindung : Guide-Druc k GmbH , Tübingen . Gedruckt au f säurefreiem un d chlorfre i gebleichte m Papier .
Bayerische Staatsbibliothek München © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35746-1
Inhalt Verzeichnis der Abkürzungen un d Kurztitel 7 Vorwort 9 WILFRIED NIPPE L
Webers »Stadt« . Entstehung - Struktu r de r Argumentation - Rezeptio n 1
1
HINNERK BRUHN S
Webers »Stadt« und di e Stadtsoziologie 3
9
STEFAN BREUE R
Nichtlegitime Herrschaf t 6
3
RAYMOND DESCA T
Der Historiker, di e griechische Poli s und Webers »Stadt« 7
7
LUIGI CAPOGROSS I COLOGNES I
Von den »Agrarverhältnissen« zu r »Stadt« 9
2
THOMAS SCHMELLE R
Das paulinische Christentu m un d die Sozialstruktu r de r antiken Stadt . Überlegungen z u Webers »Tag von Antiochien« 10
7
GERHARD DILCHE R
Max Webers »Stadt« un d die historische Stadtforschun g de r Mediävistik 11 9 MANFRED HILDERMEIE R
Max Weber un d die russische Stad t 14
4
MICHAEL MAN N
Max Webers Konzept der indische n Stad t 16
6
HELWIG SCHMIDT-GLINTZE R
Max Weber un d die chinesische Stad t im Kulturvergleic h 18
3
Autoren 20
1
5 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35746-1
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35746-1
Verzeichnis der Abkürzungen und Kurztitel Abkürzungen AFK Archi ASS Archi GARS Ma
v für Kulturgeschicht e v für Sozialwissenschaft un d Sozialpoliti k x Weber, Gesammelte Aufsätze zu r Religionssoziologie I-II I (1920/ 21), ND Tübingen 198 8 GASS Ma x Weber, Gesammelt e Aufsätz e zu r Soziologi e un d Sozialpoliti k (1924), ND Tübingen 198 8 GASW Ma x Weber, Gesammelte Aufsätze zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (1924), ND Tübingen 198 8 GdS Grundri ß der Sozialökonomik GG Geschicht e und Gesellschaf t HZ Historisch e Zeitschrif t HJb Historische s Jahrbuch Jb Jahrbuc h JbbGOE Jahrbüche r für Geschichte Osteuropas JHI Journa l of the History of Ideas JNS Jahrbüche r für Nationalökonomie und Statisti k KZSS Kölne r Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologi e MWG Ma x Weber-Gesamtausgabe MWG I/2 Ma x Weber, Die römische Agrargeschichte i n ihrer Bedeutung fü r das Staats- und Privatrecht 1891 , hg. ν.J. Deinineer, Tübingen 198 6 MWG I/1 1 Ma x Weber, Zur Psychophysik der industriellen Arbeit. Schrifte n un d Reden 1908-1912 , hg . v . W Schluchte r i n Zusammenarbei t mi t S . Frommer, Tübingen 199 5 MWG I/1 9 Ma x Weber, Die Wirtschaftsethik de r Weltreligionen. Konfuzianismu s und Taoismus. Schriften 1915-1920 , hg. ν. H. Schmidt-Glintzer in Zu sammenarbeit mit Ρ Kolonko, Tübingen 198 9 MWG I/2 0 Ma x Weber, Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Hinduismus und Buddhismus. 1916-1920 , hg. ν. Η. Schmidt-Glintzer i n Zusammenar beit mit K.-H. Golzio, Tübingen 199 6 MWG I/22- 5 Ma x Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnunge n un d Mächte. Nachlaß, Teilband 5: Die Stadt, hg. v. W Nippel , Tübingen 199 9 MWG II/5 Ma x Weber, Briefe 1906-1908, hg. ν. Μ. R. Lepsius u. W J. Mommsen in Zusammenarbeit mit B. Rudhart u. M. Schön, Tübingen 199 0 MWG II/6 Ma x Weber, Briefe 1909-1910, hg. v. M. R. Lepsius u. W J. Mommsen in Zusammenarbeit mit B. Rudhart u. M. Schön, Tübingen 199 4
7 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35746-1
ND Nachdruc k Sch. Tb. Schmoller s Jahrbuch VSWG Vierteljahresschrif t fü r Sozial- und Wirtschaftsgeschicht e Wg Ma x Weber, Wirtschaftsgeschichte. Abri ß der universale n Sozial - un d Wirtschaftsgeschichte. Au s de n nachgelassene n Vorlesunge n hg . v . S. Hellmann u. M. Palyi, München, Leipzig 1923 WL Ma x Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, hg. v.J. Winckelmann, Tübingen 1973 4 WuG Ma x Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, hg. v.J. Winckelmann, Tübingen 1972 5 ZRG GA Zeitschrif t de r Savigny-Stiftung fü r Rechtsgeschichte . Germanistisch e Abteilung Zs. Zeitschrif t
Kurztitel Kocka, Weber J Lebensbild Mariann Meier, Stadt Ch Schluchter, Antikes W Christentum antike Schluchter, Hinduismus W Schluchter, Okzidentales W Christentum le Winckelmann, Hauptwerk J
. Kocka (Hg.), Max Weber der Historiker, Göttingen 1986 e Weber, Max Weber. Ein Lebensbild, Tübingen 1926 . Meie r (Hg.) , Di e okzidental e Stad t nac h Ma x Weber, München 1994 (HZ, Beiheft 17) Schluchte r (Hg.), Max Webers Sicht des n Christentums . Interpretatio n un d Kritik , Frankfurt a . M. 1985 Schluchte r (Hg.), Max Webers Studie über Hinduismus un d Buddhismus . Interpretatio n un d Kritik , Frankfurt a . M. 1984 Schluchte r (Hg.), Max Webers Sicht des okzidentan Christentums . Interpretatio n un d Kritik , Frank furt a.M. 1988 . Winckelmann, Ma x Webers hinterlassene s Haupt werk: Die Wirtschaft un d die gesellschaftlichen Ord nungen un d Mächte . Entstehun g un d gedankliche r Aufbau, Tübingen 1986
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Vorwort Max Webers Werk stellt bis heute den wichtigsten Versuch dar, die Besonderheit der europäischen Entwicklung seit der Antike durch umfassende Kultur vergleiche zu erhellen. In dem ca. 1911-1914 entstandenen, erst posthum publizierten Tex t »Di e Stadt « ha t Weber ein e vorläufig e Synthes e seine r uni versalhistorischen Studien erarbeitet. Seine Leitfrage ist, warum sich trotz der Ubiquität des Phänomens Stadt nur im Okzident ein sich selbst verwaltendes städtisches Bürgertum herausgebildet habe. Diese Frage, und zugleich die nach den Besonderheiten der städtischen Sozialverfassung in China und Indien und deren Konsequenze n fü r die unterschiedliche ökonomisch e Entwicklung i m Orient, vertieft Weber in seinen Studien zur Wirtschaftsethik de r Weltreligionen. Während der Vergleich zwischen den großen Kulturkreisen des Abendlandes und des Orients darauf zielt, die Einzigartigkeit der okzidentalen Stadtgemeinde herauszustellen, geht es bei dem innerokzidentalen Vergleich zwischen Antike und Mittelalter vornehmlich darum zu zeigen, warum trotz auffällige r Parallelitäten i n den jeweiligen Verfassungsentwicklungen ers t im Mittelalte r wesentliche Voraussetzungen für die Entstehung des »modernen Kapitalismus« und des »modernen Staats« gelegt werden konnten. Die Beiträge in diesem Band untersuchen die Stellung von Webers Untersuchungen über die Stadt im Kontext seines Gesamtwerkes, rekonstruieren den Forschungsstand i n diversen Disziplinen zu Webers Zeit und fragen, wiewei t die Weberschen Kategorie n un d Modell e auc h nac h heutigem Stan d de r Erkenntnis wesentliche Instrument e fü r kulturvergleichend e Untersuchunge n darstellen oder einer Reformulierung bedürfen . Es handelt sich um die überarbeiteten Beiträge zu einer von Hinnerk Bruhns (Centre de Recherches Historiques, Paris) und Wilfried Nippe l (Humboldt Universität zu Berlin) im Juni 199 7 in Berlin organisierten Tagung, die durch die finanzielle Unterstützun g aus Mitteln der DFG-Forschergruppe »Gesell schaftsvergleich« (Humboldt-Universität ) un d de r Maiso n de s Science s d e l'Homme (Paris ) ermöglicht wurde. Letzterer danken wir auch für einen Zuschuß zu den Druckkosten. Für die organisatorische Vorbereitung der Konferenz danken wir Andreas Gutsfeld, für Mitarbeit bei der Redaktion des Bandes Guido Kirner, für wertvolle Hinweise und die Aufnahme de s Bandes in diese Reihe den Herausgebern der »Kritischen Studien zur Geschichtswissenschaft« . Paris und Berlin, im Mai 2000
Hinnerk Bruhns, Wilfried Nippe l
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WILFRIED NIPPE L
Webers »Stadt«. Entstehung - Struktu r der Argumentation - Rezeptio n I. Z u r Entstehun g de s Texte s Die 192 1 posthu m i m »Archi v fü r Sozialwissenschaf t un d Sozialpolitik « er schienene, 1 späte r i n »Wirtschaf t un d Gesellschaft « (WuG ) aufgenommen e Abhandlung »Die Stadt« ist nicht mehr von Max Weber veröffentlicht worden . Ihr unvermittelter Abbruc h sprich t dafür , da ß sie unvollende t blieb . Über di e Genese des Textes liegen keine gesicherten Nachrichten vor. Ein Hinweis ist in einem Brie f Webers vo m 21 . Juni 191 4 a n de n Historike r Geor g vo n Belo w enthalten: »Ich werde woh l i m Winte r anfangen , eine n ziemlic h umfangreiche n Beitra g zu m ›Grundriß der Sozialwissenschaften‹ drucke n zu lassen, der die Formen der politischen Verbände vergleichend und systematisch behandelt, auf die Gefahr hin, dem Anathema: ›Dilettantenvergleiche‹ z u verfallen. Ich meine: das was der mittelalterlichen Stad t spezifisch ist , also: das was die Geschichte grade uns darbieten soll (darin sind wir absolu t einig!), ist doch nur durch die Feststellung was andern Städten (antiken , chinesischen , islamischen) fehlte, zu entwickeln - un d so mit Allem.«2 Dieses Selbstzeugni s belegt Webers Absicht, i n absehbarer Zeit seine n Beitra g zum - wi e e s richti g heiße n mu ß - »Grundri ß de r Sozialökonomik « (GdS ) vorzulegen un d i n diesem Kontex t auch das Thema »Stadt « in einer universal historischen Perspektive zu behandeln. Aus dem Brief an Below läßt sich nich t eindeutig schließen , da ß Weber diese n Abschnitt scho n fertiggestell t hatte . D a er jedoch bereit s in einem Brie f an den Verlag vom 30. Dezember 191 3 davo n gesprochen hatte , da ß e r fü r da s geplante Werk nebe n eine r »geschlossen e [n] Theorie un d Darstellun g [...] , welch e di e große n Gemeinschaftsforme n zu r Wirtschaft i n Beziehun g setzt« , auc h ein e »umfassend e soziologisch e Staats und Herrschaftslehr e ausgearbeitet « habe, 3 ist wahrscheinlich, da ß zu de m i m 1 AS S 47, 1921, S. 621-772. - Zum folgenden vgl. ausführlicher W. Nippel, Einleitung und Editorischer Bericht, in: MWG I/22-5. 2 De r Brief ist mit einigen abweichenden Lesungen abgedruckt in: G. v. Below, Der deutsche Staat des Mittelalters, Bd. 1, Leipzig 19252, S. XXIVf. 3 Zitier t bei Winckelmann, Hauptwerk, S. 36.
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Sommer 191 4 vorliegenden Manuskrip t auc h Ausführunge n zu m Them a »Stadt« gehörten. Da Weber jedoch seinen GdS-Beitrag bis zum August 191 4 wegen der Redaktionsarbeiten am Gesamtwerk und ständiger Umarbeitungen seines eigenen Textes nicht zum Druck gebracht hat,4 läßt sich seinen Äußerungen nicht entnehmen, in welcher Form der Abschnitt über die »Stadt« zu diesem Zeitpunkt vorgelegen hat. Webers Intention, den Themenkomplex »Stadt« innerhalb seines GdS-Bei trags zu behandeln, wird auch aus seinem auf den 2. Juni 1914 datierten Plan für das Gesamtwerk deutlich, in dem er für die III. Abteilung »Wirtschaft und Gesellschaft« im Kapitel 8: »Die Herrschaft«, einen Abschnitt c): »Die nichtlegitime Herrschaft . Typologi e de r Städte « vorgesehe n hatte. 5 Es kann bezweifel t werden, da ß de r überliefert e Tex t diese r Konzeptio n entspricht , jedenfall s dann, wenn »Typologie der Städte« unter »nichtlegitime Herrschaft« zu subsumieren ist. Webers Ausführungen zu r fehlenden Legitimitä t von Stadtregime s betreffen nur Teile des Textes (zur Kommunegründung durch coniuratio, zu den i italienischen Mittelalter sowie zu EntSonderverbandsbildungen des popolo m sprechungen in der Antike), keinesfalls aber die Abhandlung insgesamt. Es gibt allerdings Indizien dafür, daß Weber sich auch den vorliegenden Text als Teil seines GdS-Beitrags vorgestellt hat. Der Text ist mit einer Fülle von Vorund Rückverweisen - »wi e wir sehen werden«, »wie wir sahen«, etc. - versehen . Die Mehrzahl der mehr als vierzig Bemerkungen dieser Art läßt sich innerhalb des vorliegenden Textes der »Stadt« auflösen; mindestens drei zielen jedoch auf die älteren Teile von WuG, drei weitere stellen Zweifelsfälle dar . Eine Ankündigung an anderer Stelle in WuG läßt sich als Verweis aus einem anderen Teil des Werkes auf die »Stadt« verstehen.6 Allerdings bleibt zu bedenken, daß nicht eindeutig zu rekonstruieren ist , auf weichen Textbestand und in welcher Anordnung sich Weber zum Zeitpunkt der Einfügung dieser Querverweise bezogen hat. Deshalb is t mi t de r Feststellung , da ß Weber alle m Anschei n nac h be i de r Niederschrift de r »Stadt« von einer Einordnung in seinen GdS-Band ausging , noch nicht ausgemacht, ob bzw. in welcher Form er den Text in WuG integriert hätte. Auf Grund de r stark religionssoziologischen Ausrichtun g is t vermutet worden, daß der Text letztlich der »Wirtschaftsethik der Weltreligionen« zuge ordnet worden wäre.7 Ein Anhaltspunkt dafür könnte in den Verlagsmitteilun4 Winckelmann , Hauptwerk,S.36-41. 5 Di e Datierung ergibt sich aus dem Vorwort zur I. Abteilung des GdS, Tübingen 1914 , S. VII-ΓΧ; der Werkplan is t ebd., S . X-XIII, abgedruckt; wieder in : Winckelmann , Hauptwerk, S . 165-167 und S. 168-171 . 6 Vgl . H. Orihara, Eine Grundlegung zur Rekonstruktion von Max Webers »Wirtschaft und Gesellschaft«. Di e Authentizität der Verweise i m Text de s »2. und 3. Teils« de r 1 . Auflage, in : KZSS 46, 1994, S. 103-121 . 7 W . Schluchter, Max Webers Religionssoziologie. Eine werkgeschichtliche Rekonstruktion, in: ders., Antikes Christentum, S. 525-560, hier S. 542.
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gen vom 25. Oktober 191 9 für de n 2. Band der »Gesammelten Aufsätze zu r Religionssoziologie« vorliegen. Weber kündigte hier an, daß die Aufsätze erweitert werden sollten »durch eine kurze Darstellung der ägyptischen und meso potamischen und der zarathustrischen religiösen Ethik, namentlich aber durch eine der Entstehung der sozialen Eigenart des Okzidents gewidmeten Skizz e der Entwicklung des europäischen Bürgertums in der Antike und im Mittelalter«.8 Schon am 11. September hatte Weber in einem Brief an den Verleger von einem, für diesen Band noch zu schreibenden Aufsatz (»im Kopf fertig«) übe r die »allgemeinen Grundlage n de r occidentale n Sonderentwicklung « gespro chen.9 Ob beide Ankündigungen denselben Aufsatz meinen und wie sich dieser letztlich zum vorliegenden Text über die »Stadt« verhalten hätte, läßt sich nicht klären. Eine eindeutige werkgeschichtliche Zuordnung des erhaltenen Textes der »Stadt« ist somit nicht vorzunehmen. Er hätte vermutlich umgestaltet werden müssen, wenn Weber ihn in WuG oder in die »Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie« bzw . in Teilen in beide Werke hätte übernehmen wollen. Die Eingrenzung seine r Entstehungszeit kan n nu r aufgrun d interne r Evi denz sowie der Korrelation mit den sonstigen bio-bibliographischen Informa tionen über Webers Arbeiten erfolgen, da der Text selbst keine expliziten Anhaltspunkte fü r Datierunge n liefert . Di e au s Webers verwendeter Literatur , soweit rekonstruierbar, zu erschließenden Datierungshinweise können nur zur Feststellung eines Terminus post quem fuhren . Nebe n ältere r Literatu r wir d eine Reihe von Arbeiten verwendet, die zwischen 1908 und Ende 1913 erschienen sind. Daraus kann man weder herleiten, wann Weber mit der Niederschrift des Textes begonnen noc h zu welcher Zei t e r die sei t Ende 191 3 verfugbar e Literatur eingearbeitet hat. Für ein e Bestimmun g de s wahrscheinlichen Entstehungszeitraum s bleib t man auf inhaltliche Überlegungen angewiesen. Es sollte außer Zweifel stehen, daß Webers Arbeit an der »Stadt« frühestens nac h der Anfang 1908 10 erfolgten Fertigstellung de r letzte n Fassun g de r »Agrarverhältniss e i m Altertum « fü r das »Handwörterbuch de r Staatswissenschaften« 11 eingesetzt habe n kann . Im Schlußabschnitt diese s Artikels hatte Weber erstmals eine »wirklic h kritisch e Vergleichung der Entwickelungsstadien de r antiken Poli s und der mittelalterli chen Stadt«12 für angebracht erklärt und in Grundzügen auch skizziert. Für die späteren Ausführungen zu r griechischen und römischen Antike stellte dieser
8 Abgedruck t in: MWG I/19, S. 28, 9 H.Schmidt-Glintzer , Editorische r Bericht, in: MWG I/19, S. 44. 10 De r 1. Band der 3. Auflage trägt zwar das Datum 1909, der Faszikel mit dem Beitrag Webers is t jedoch scho n i m April 190 8 erschienen; vgl. A. Winterling , Rezension MW G I/2 , in : Gnomon, 61,1989, S. 401-407), hier S. 401, Α 2. 11 Hie r zitiert nach GASW, S. 1-288. 12 Ebd. , S. 288.
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Lexikonartikel, wie sich aus einer Reihe von Parallelen erkennen läßt, zweifellos eine wichtige Grundlage dar. Der Inhalt der »Stadt« spricht weiter dafür, daß große Teile in der vorliegenden For m erst seit ca. 191 1 entstanden sind , al s Weber an den Studie n übe r Konfuzianismus un d Hinduismus sowie über das antike Judentum, das Christentum und den Islam arbeitete. Eine Reihe von Ausführungen i n der »Stadt« lesen sich wie Kurzversionen seiner ausführlicheren Analysen in den religionssoziologischen Aufsätzen, von denen zumindest diejenigen z u China, Indie n und zum Judentum 191 3 in ersten Fassungen vorlagen.13 In der aus dem Jahre 1913 stammenden Einleitung zur »Wirtschaftsethik de r Weltreligionen« heiß t es, da ß das Christentum i n der »Stadt de s Okzidents i n ihre r Einzigartigkei t gegenüber allen anderen Städten « und im »Bürgertum i n dem Sinne, in welchem es überhaupt nur dort in der Welt entstanden ist«, seinen »Hauptschau platz« gefunde n habe. 14 Die inhaltlich e Übereinstimmun g mi t wesentliche n Thesen des »Stadt«-Textes liegt auf der Hand, ohne daß sich daraus schließen ließe, dieser Text müsse schon (in welchem Zustand auch immer) vorgelegen haben. Es ist durchaus damit zu rechnen, daß Weber auch im Laufe des Jahres 1914 noch an der »Stadt« gearbeitet hat. Diese Arbeit muß jedoch spätestens mit dem Ausbruch de s Ersten Weltkriegs unterbroche n worde n sein . Webe r meldet e sich am 2. August 191 4 freiwillig zu m Militärdienst un d wurde bei m Aufba u der Heidelberger Reservelazarette eingesetzt. Diese Aufgabe ha t zumindest in den ersten Monaten seine ganze Arbeitskraft in Anspruch genommen und eine längere Unterbrechun g seine r wissenschaftlichen Arbei t bedingt. 15 Sei t de m Sommer 1915 und dann intensiv nach der Entlassung aus dem Militärdienst am 30. September 1915 hat sich Weber wieder mit seinen Studien zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen befaßt.16 Denkbar wäre, daß ersieh bei dieser Gelegenheit zugleich auch wieder der »Stadt« zugewendet hat; Anhaltspunkte dafür gibt es jedoch nicht. Insgesamt ergibt sich, daß wesentliche Partien, wenn nicht das Ganze des »Stadt«-Textes erst seit ca. 1911 entstanden sein dürften. I n der vorliegenden Form repräsentiert er wahrscheinlich eine n Bearbeitungsstand vo n 1914. Fü r später e Zusätz e ode r Überarbeitunge n gib t e s kein e zwingende n Hinweise; die Möglichkeit kann aber auch nicht definitiv ausgeschlossen werden. Die Ungewißheit übe r den Statu s des nachgelassenen Texte s hat auch di e Geschichte seiner posthumen Publikation bestimmt. Am 30. Juni 192 0 schrieb 13 Vgl . Schmidt-Glintzer, in: MWG 1/19, hier S. 34-40. 14 MW G V19, S. 87. Die Datierung ergibt sich aus Webers Fußnote ebd., S. 83. 15 Vg l W.J . Mommsen, in: M. Weber , Zur Politik im Weltkrieg. Schrifte n un d Rede n 1914 1918, hg . von W. J. Mommse n (MW G 1/15) , Tübingen 1984 , S . 23-25 , sowi e Lebensbild , S . 527ff. 16 Vgl . Lebensbild, S. 561.
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Marianne Webe r a n de n Verla g Moh r (Siebeck) , da ß si e Manuskript e ihre s Mannes gefunden habe , darunter: »ein großes Konvolut: Formen der Stadt«. 17 Sie hat das Manuskript schließlich i m Oktober 192 0 an den Verlag geschickt, weil der Herausgeber des »Archivs«, Emil Lederer, auf den Abdruck in der Zeitschrift drängte . Allerdings erschien der Text unter dem Titel »Die Stadt. Eine soziologische Untersuchung« erst im August 1921. Im Juni 192 1 schloß Marianne Weber mit dem Verlag einen Vertrag über die Herausgabe der von Weber für den GdS verfaßten Teile. Bis in den Herbst hinein korrespondierte sie mit Siebeck wegen der Aufnahme der »Stadt« in den GdS, da sie sich über die Zuordnung nicht schlüssig war und eine Aufnahme in eine künftige Ausgabe »gesammelter Aufsätze« erwog, bevor sie doch den Druck in GdS verlangte. Gegen Bedenken des Verlegers verwies Marianne Weber schließlich am 26. Oktober 1921 auf den Werkplan von 191 4 und darauf da ß Max Weber »zweifellos di e Stadt als höchste For m der Vergesellschaftung i n den Grundri ß aufnehmen « wollte. So wurde der Text unter dem Titel »Die Stadt« in der 3. Lieferung de s GdS im April 1922 noch einmal veröffentlicht (die letzten vier Seiten erst in der 4. Lieferung vom Dezember 1922) . Allerdings erhielt er nicht die Plazierung , die dem Werkplan von 191 4 entsprochen hätte, sondern wurde i n den 2. Teil (»Typen der Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung«) al s letztes, VIII. Kapitel nach der »Rechtssoziologie« eingestellt. 18 Die in dieser Fassung gegenüber dem Erstdruck im »Archiv« vorgenommenen kleineren Texteingriffe sowie die neue Paragrapheneinteilung mi t Einfügung eine s fünften Paragraphe n gehe n auf Marianne Weber und Melchio r Paly i zurück . Ungeklär t ist , o b der Titel »Die Stadt. Eine soziologische Untersuchung« (so im Erstdruck; in WuG ist der Untertitel weggelassen), die Untergliederung des Textes sowie die (ersten vier) Zwischentitel au f Weber oder auf die Herausgeber zurückgehen ; anstößi g ist zumal di e Überschrif t »Di e Plebejerstadt« , d a sic h diese r Begrif f (ander s al s derjenige der »Geschlechterstadt«) i n Webers Text nicht findet .
17 Di e Korresponden z finde t sic h i m Depona t de s Verlagsarchivs Moh r (Siebeck ) i n de r Bayerischen Staatsbibliothek ; di e wichtigste n Brief e sin d be i Winckelmann , Hauptwer k abge druckt. 18 Ers t in der 4. und 5. Auflage von WuG (1956 bzw. 1972 ) hat Johannes Winckelmann den Text unte r Berufun g au f den Werkplan von 191 4 als Teil de r Herrschaftssoziologi e vo n WuG präsentiert. In der 4. Auflage i n Kapitel IX als Abschnitt 8 und in der 5. Auflage i n Kapitel Dt als Abschnitt 7. Die unterschiedliche Abschnittszählung ergibt sich daraus, daß Winckelmann in der 5. Auflage de n in die Auflage von 1956 neu hineingenommenen (2. ) Abschnitt »Die drei reine n Typen der legitimen Herrschaft« al s nicht zu WuG gehörend wieder entfernt und stattdessen in WL, S. 475-488 eingeordnet hatte.
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II. Die Themen de r Abhandlun g Leitfrage de s Textes ist, warum sich trotz der Ubiquität des Phänomens Stadt nur im Okzident ein sich selbst verwaltendes Bürgertum herausgebildet habe. Es geht Weber darum, einerseits den Okzident vom Orient abzusetzen, andererseits die unterschiedlichen Ausprägungen der okzidentalen Stadtgemeind e herauszuarbeiten. Fü r den Okzident stehe n griechisch-römische Antik e und europäisches Mittelalter , fü r di e Antik e di e autonome n Stadtstaate n Athen , Sparta und Rom in ihrer jeweiligen Blütezeit; für das Mittelalter werden je nach Argumentationsbedarf die italienischen Städt e (be i denen zwischen See - und Binnenstädten z u unterscheide n ist) , di e Städt e de s kontinentale n Bereich s nördlich der Alpen oder die englischen Städte herangezogen. Für den kontrastierenden Vergleich mit dem Orient nimmt Weber sowohl auf das ägyptische und vorderasiatische Altertu m al s auch au f China, Japan un d Indie n Bezug . Weitere Beispiele (aus Rußland, Mekka, Konstantinopel oder sogar den Städten der afrikanischen Goldküste) kommen im Einzelfall zur Hervorhebung spezieller Gesichtspunkte hinzu. Während der Vergleich zwischen den großen Kulturkreisen darauf zielt, die Einzigartigkeit der okzidentalen Stadtgemeinde herauszustellen, geht es bei dem innerokzidentalen Vergleich zwischen Antike und Mittelalter vornehmlich darum zu zeigen, warum sich trotz auffälliger Paralle len in den jeweiligen Verfassungsentwicklungen ers t im Mittelalter wesentliche Voraussetzungen für den »modernen Kapitalismus« und den »modernen Staat« ergaben.19 1. Aspekte der Stadtgeschichte in früheren Arbeiten Webers Die »Stadt«-Studie bietet einen in dieser Form im Weberschen Werk einzigartigen universalhistorischen Entwur f Al s Vorstudien können mit gewissen Einschränkungen seine früheren Arbeiten zur Antike gelten, da sich in ihnen feststellen läßt, wie Weber seine universalhistorische Perspektive erweitert, wie er zu methodischen Klärungen gelangt, die für seine weiteren Arbeiten grundlegend werden sollten, und wie er Deutungsmuster entwickelt, die er dann in der »Stadt« auf zuvor nicht behandelte Materialien anwenden sollte. Ein wesentliches Thema war die Frage nach der Eigenart und den Entwicklungsschranken des antiken Kapitalismus gewesen,20 der nach Webers Einschätzung au f der Ausnutzung politisch-militärisc h vermittelte r Erwerbschance n basiert hatte. Weber hatte sich dieser Fragestellung zunächst in seiner »Römi schen Agrargeschichte« von 1891, 21 dann in dem Aufsatz »Die sozialen Gründe 19 WuG , S . 788 (MW G 1/22-5 , S. 233). 20 Vgl . L. Capogross i Colcgnesi (i n diese m Band) . 21 MW G I/2 .
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des Untergangs der antiken Kultur« von 1896, 22 schließlich in den verschiedenen Fassungen des Artikels »Agrarverhältnisse im Altertum« für das »Handwörterbuch der Staatswissenschaften« vo n 1897,1898 und (nun im Umfang eine r Monographie) 1908/0 9 gewidmet . Dabe i zeigt e sic h ein e Ausweitun g sei nes Vergleichsrahmens von der römischen Geschichte über die gesamte griechisch-römische Antik e bi s zu r Behandlun g de s gesamte n vorderorienta lischen Altertums , wi e si e i n de r fortschreitende n Einbeziehun g Ägyptens , Mesopotamiens un d Israel s i n de n imme r länge r werdenden Fassunge n de r »Agrarverhältnisse« zum Ausdruck kam. Weber rezipierte eine umfängliche Literatur, die sich seit dem späten 19. Jahrhundert für den Bereich der griechischrömischen Welt verstärkt Themen der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte zuge wendet hatte und die aufgrund der zunehmenden Erschließung monumentaler Quellen für Ägypten und den Alten Orient einen geradezu dramatischen Erkenntniszuwachs verzeichnete. Auch wenn Weber sich in einem erstaunlichen Ausmaß daru m bemühte , ein e weitverzweigte spezialisiert e Literatu r auszu werten, wird man für die Ausweitung seiner Darstellung der vorderorientalischen Kulture n de m Wer k Eduar d Meyer s ein e gewichtig e Bedeutun g zu schreiben können. 23 In diesen Studien hatte das Thema Stadt bereits eine wichtige Rolle gespielt, da es Weber darum gegangen war, ein Gesamtbild der »Kultur« zu zeichnen. So hatte er in dem Essay von 189 6 die »Kultur des Altertums« al s »ihrem Wesen nach zunächst: städtische Kultur« definiert.24 Die Verlagerung der »Küstenkultur« ins Binnenland im Laufe der römischen Kaiserzeit habe zum Schwinden städtischer Kultur, zu ihrem »Winterschlaf« i m »ländlich gewordenen Wirtschaftsleben« geführt . »Erst al s au f de r Grundlag e de r freie n Arbeitsteilun g un d de s Verkehr s di e Stad t i m Mittelalter wiede r erstande n wa r [...] , d a erho b sic h de r alt e Ries e i n neue r Kraf t un d hob auc h da s geistig e Vermächtni s de s Altertum s empo r a n da s Lich t de r moderne n bürgerlichen Kultur«. 25
In der letzten Fassung der »Agrarverhältnisse« hat Weber betont, daß die »antike Agrargeschichte [...] i n ihrem Verlauf in die Peripetien der antiken Stadtgeschichte so eng verflochten [war] , daß sie von ihnen isoliert kaum behandelt werden 22 Hie r zitiert nach GASW, S. 289-311. 23 Di e These von F. H. Tenbruck, Max Weber und Eduard Meyer, in : W. J. Mommse n u. W. Schwentker (Hg.), Max Weber und seine Zeitgenossen, Göttingen 1988 , S. 337-379, Webers gesamtes Spätwerk sei aus der Auseinandersetzung mi t Eduard Meyer erwachsen, ist allerdings in dieser Form nicht haltbar; vgl. W. Nippel, Max Weber, Eduard Meyer und die »Kulturgeschichte«, in: M. Hettling u.a. (Hg.), Was ist Gesellschaftsgeschichte? Positionen , Themen, Analysen, München 1991 , S. 323-330. 24 GASW , S. 291. 25 Ebd. , S. 310f.
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könnte«. 26 Er führte weite r aus , daß »Organisationsitai/ten « festzustelle n seien , »die sich, bis zu einem gewissen Maße bei allen denjenigen ›antiken‹ Völkern, von der Sein e bi s zu m Euphrat , welch e überhaup t städtische Entwickelung gekann t haben, wiederholt z u habe n scheinen«. 27 Auf die Stuf e eine s auf Dörfern un d Hausgemeinschaften basierende n Bauerngemeinwesen s mi t eine r lockere n politischen Struktu r folg t de r Zusammenschlu ß i n eine r vo n eine r Bur g ge schützten Siedlung und die Herausbildung eines »Burgenkönigtums« mi t einer »persönliche [n] Gefolgschaft«. 28 Danac h gabelt sich die Entwicklung: I m Orien t kann der König seine Macht ausbauen, die Grundrenten un d Handelsgewinn e weitgehend monopolisieren , di e Bevölkerun g z u fron - un d abgabepflichtige n Untertanen mache n un d sich ein Heer un d eine Bürokrati e aufbauen . S o entsteht ein »bürokratisches Stadtkönigtum « bzw . in einer späteren Phase bei ent sprechender territoriale r Ausdehnun g un d fortschreitende r Rationalisierun g des Herrschaftsapparate s de r »autoritär e Leiturgiestaat , de r planmäßig di e Dek kung der Staatsbedürfnisse durc h ei n kunstvolle s Syste m von öffentlichen La sten erstrebt un d die ›Untertanen‹ al s reine Objekt e behandelt«. 29 Für die mediterrane Entwicklung is t dagegen entscheidend, daß ein Krieger adel Anteil an den Grundrenten un d Handelsgewinnen nehme n kann, der ihm Eigenständigkeit gegenüber dem Monarchen sichert, der schließlich einer »sich selbst verwaltende[n], militärisc h gegliederte[n ] städtische[n ] Gemeinde« wei chen muß. 30 Hie r kan n sic h au s de r militärische n Notwendigkei t de r fort schreitenden Einbeziehun g de r breitere n Bürgerschaf t ein e Entwicklun g vo n der »Adels- « übe r di e »Hopliten- « bi s hi n zu r »demokratische n Bürgerpolis « ergeben. 31 Schließlic h setz t sic h auc h i n de n hellenistische n Reiche n un d i m römischen Reic h de r bürokratisc h organisiert e Leiturgiestaa t durch , de r de n Kapitalismus »erstickt«. 32 Für di e divergierend e Entwicklun g mach t Webe r primä r die » unterschied lichen geographische n Bedingunge n verantwortlich , di e e r au f di e Forme l des Gegensatze s vo n de r »Küstenkultur « de r griechisch-römische n un d de r »Stromufer- un d Bewässerungskultur « de r ägyptische n un d vorderorientali schen Antike zuspitzt . Seine r Theorie liege n zwe i - au s heutiger Sich t proble 26 Ebd. , S. 34. 27 Ebd. , S. 35. 28 Ebd. , S. 36. 29 Ebd. , S. 39f . 30 Ebd. , S. 37. 31 Vgl.J . Deininger, Die politischen Strukture n des mittelmeerisch-vorderorientalischen Al tertums in Max Webers Sicht, in : Schluchter, Antikes Christentum, S . 72-110, hier S. 81-90; 5 . Breuer, Stromuferkultu r un d Küstenkultur . Geographisch e un d ökologisch e Faktore n i n Ma x Webers ökonomischer Theorie der antiken Staatenwelt‹, ebd., S. 111-150; S.-U. Chon, Max Webers Stadtkonzeption . Ein e Studi e zu r Entwicklun g de s okzidentalen Bürgertums , Göttinge n 1985, S. 104-159 . 32 GASW , S. 275.
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matische - Annahme n zugrunde. Zum einen die Vorstellung, die Anlage von Städten se i primär au s Handelsinteressen erfolg t un d di e Kontrolle übe r di e Fernhandelsgewinne entscheiden d für den Fortgang sozialer Differenzierun g gewesen. Diese weder beweis- noch widerlegbare These hat Weber seit seiner »Römischen Agrargeschichte«33 wie ein Axiom eingesetzt. Zum zweiten wird unterstellt, daß die Notwendigkeiten der Stromregulierung die bürokratischen Strukturen in den orientalischen Monarchien bedingten. 34 Angesichts dieser Gegenüberstellung zweie r Grundmuster von Kulturent wicklung hat Weber in den »Agrarverhältnissen« verschiedentlich die Gemeinsamkeit von Strukturen in Antike und Mittelalter angesprochen, zugleich aber davor gewarnt, vorschnelle Analogien z u ziehen, die »oft direkt schädlich fü r die unbefangen e Erkenntnis « seien. 35 I m Schlußabschnit t diese r lange n Abhandlung widmet er sich ausführlich de r Frage nach der »Eigenart der antiken Polis« und danach, »wie sie sich denn zur ›Stadt‹ des Mittekltets verhält«,36 wobei es ihm darau f ankommt, waru m »da s Mittelalter unste t kapitalistischen Ent wicklung längst vor dem Auftauchen kapitalistischer Organisationsformen nähet stand al s di e Polis«. 37 Als wesentliche Faktore n werde n de r Vorran g de r Landwirtschaft i n der Antike einerseits, des Gewerbes im Mittelalter anderer seits betont. Weiter wird die Rolle der Zünfte de s Mittelalters sowohl fü r die Organisation der gewerblichen Arbeit wie als Instrument politische r Interessenvertretung hervorgehoben; für beides habe es in der Antike kein Äquivalent gegeben. Schließlich wird die militärische Prägung der antiken Polis akzentuiert, während die mittelalterliche Stad t »von Anfang an, und zunehmend, bürgerlichem Charakters« gewesen sei, nämlich auf »friedlichen Marfeierwerb zu geschnitten«.38 Die unterschiedlichen militärischen Möglichkeiten der autonomen Polis als »vollkommenste Militärorganisation« 39 de s Altertums einerseits , der i n größer e Herrschaftsverbände eingebettete n Stad t de s Mittelalters andererseit s hätte n den jeweiligen Charakter des Bürgertums geprägt: »Der ›Bürger‹ ist im Mittelalter von Anfang an in weit höherem Maße ›homo oeconomicus‹ als der Bürger einer antiken Polis es sein will oder kann«. 40 Weber betont jedoch wiederholt , daß diese Entgegensetzung vor allem dann gerechtfertigt sei, wenn man an die 33 MW G I/2, S. 202-204. 34 Di e neuere Forschung ist aufgrund archäologische r Evidenz für Mesopotamie n zu dem Ergebnis gekommen, daß die Bewässerung zuerst auf lokaler Ebene organisiert worden ist, die damit verbundenen organisatorischen Notwendigkeite n demnac h nich t zwingend de n Aufbau größerer Herrschaftseinheiten forderten, aber doch begünstige haben. 35 GASW,S.4 . 36 Ebd. , S. 254. 37 Ebd. , S. 258. 38 Ebd. , S. 262. 39 Ebd . 40 Ebd .
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»industrielle Binnenstadt « i n Frankreich , Deutschlan d ode r England denke , während die »Seestädte« Italiens aufgrund ihre r Ausrichtung auf den Fernhandel wie ihrer militärischen Möglichkeiten mehr Analogien zum antiken Muster zeigten. Ziel eine s eingehenden Vergleiches zwische n Antike und Mittelalte r sei nicht die Suche nach »Parallelen« und »Analogien«, sondern »die Herausarbeitung der Eigenart jeder von beiden, im Endresultat so verschiedenen, Ent wickungen«. 41 Webers Arbeiten zur Antike dienten auch der methodischen Verständigung über den heuristischen Gebrauch von Idealtypen, besonders in der Auseinandersetzung mit diversen Stufentheorien, wie sie seinerzeit in der historischen Nationalökonomie verbreitet waren. Insbesondere galt dies für die Ablehnung von »Kulturstufen« , di e ein e bei alle n Völkern gegeben e quas i gesetzmäßig e Entwicklung vom Nomadentum zum Ackerbau postulierten. Weber hat seine Position in der Abhandlung »Der Streit um den Charakter der altgermanischen Sozialverfassung i n de r deutsche n Literatu r de s letzte n Jahrzehnts « 190 4 grundsätzlich entwickelt. 42 Für seine weiteren Arbeiten wurd e vor allem die Auseinandersetzung mi t dem Konzept der »Wirtschaftsstufen« relevant , wie sie unter anderem Schön berg, Schmoller und Bücher vorgestellt hatten, 43 die in verschiedenen Varianten ein e Sequen z vo n »Hauswirtschaft « übe r »Stadtwirtschaft « zu r »Volks wirtschaft« angenomme n hatten . Vo r alle m Kar l Bücher s Model l wa r vo n führenden Althistorikern wie Eduard Meyer und Karl Julius Beloch scharf angegriffen worden, 44 weil sie Bücher eine gesetzmäßige Abfolge von Stufen sowie ein e Identifikatio n de r Antike mi t de r Stuf e de r Hauswirtschaf t unter stellten - o b zu Rech t ode r nicht , kan n hie r dahingestell t bleiben . Dagege n verfochten si e eine weitgehende strukturell e Gleichartigkei t vo n antiker un d frühmoderner Ökonomie . Gegen die Stufentheorien von Schmoller und Bücher wandten sich auch Mediävisten wie namentlich Georg von Below, der eine Gleichsetzung der Stadtwirtschaft mi t dem Mittelalter ablehnte. 45 In der me41 Ebd. , S. 288. 42 Ebd. , S . 508-556 . Vgl. W. Nippel, Methodenentwicklun g un d Zeitbezüg e i m althistori schen Werk Max Webers, in: GG 16, 1990, S. 355-374, hier S. 360-363. 43 G . Schönberg, Zur wirtschaftlichen Bedeutun g des deutschen Zunftwesens im Mittelalter, in: JNS 9 , 1867 , S. 1-7 2 un d 97-169, hier S. 1 4 und 164 ; G. Schmoller ,Studien über die w i r t schaftliche Politi k Friedrich s des Großen un d Preußen s überhaup t vo n 1680-1786 , in : Jb. fü r Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirthschaft im Deutschen Reich 8,1884,1-61, hier S. 15ff.; Κ Bücher, Die Entstehung der Volkswirtschaft, Tübinge n 1893 , S. 1-78*. 44 E . Meyer, Die wirtschaftliche Entwicklung des Altertums, Jena 1895;J . Beloch, Die Grossindustrie i m Altertum, in : Zs. für Socialwissenschaf t 2 , 1899 , S. 18-26 ; ders., Zur griechische n Wirtschaftsgeschichte, ebd. 5, 1902, S. 95-103 u. 169-179. 45 G . v. Below, Zur Würdigung der historischen Schule der Nationalökonomie. IV. Schmollers Stufentheorie, in : Zs. für Socialwissenschaf t 7 , 1904 , S. 367-391; ders., Über Theorien de r wirthschaftlichen Entwicklung der Völker, mit besonderer Rücksicht auf die Stadtwirthschaft des deutschen Mittelalters, in: HZ 86,1901, S. 1-77; ders., Der Untergang der mittelalterlichen Stadt-
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diävistischen Diskussion kam noch die Kritik an Sombart hinzu, der in seinem »Modernen Kapitalismus« von 1902 die Abgrenzung zwischen der Bedarfsdekkungswirtschaft des Mittelalters und der Erwerbswirtschaft der Neuzeit vertreten hatte.46 Wie scho n i n seine m »Objektivitäts«-Aufsat z vo n 190 4 i n bezu g au f di e »Stadtwirtschaft«,47 hat Weber in den »Agrarverhältnissen« von 1908/09 auch die (auf Rodbertu s zurückgehende) 48 Kategori e de r »Haus- « bzw . »Oikenwirt schaft« »i m Sinn e eine r ›idealtypischen ‹ Konstruktio n eine r Wirtschaftsverfas sung« interpretiert , di e nich t mi t de r antike n Ökonomi e i n ihre r gesamte n räumlichen un d zeitliche n Erstreckun g gleichgesetz t werde n dürfe. 49 Weber verstand unter dem Oikos den Typ des fürstlichen oder grundherrlichen Haushalts, der vorrangig an Bedarfsdeckung interessiert ist und diesen Bedarf durch Fronarbeiten und Naturalabgaben von Abhängigen deckt. In der Sache distanzierte e r sic h eindeuti g vo n de n modernisierende n Annahme n Meyer s un d Belochs, hielt gleichwohl an der Kategorie des »antiken Kapitalismus« fest, gerade um seine von politischen und militärischen Faktoren bedingte Eigenart in Abgrenzung zum modernen Kapitalismus bestimmen zu können. 2. Die Themen der »Stadt« im Kontext der zeitgenössischen Forschun g Weber beginnt seine Studie mit Erörterungen zur Kategorie der Stadt, in denen er verschiedene siedlugsgeographische, könonomische und rechtiche Merkmale durchspielt und immer wieder die Inkongruenz dieser Kriterien betont. Für die ökonomische Definition is t entscheidend, daß es sich um eine Marktansiedlung handelt, bei der aufgrund eine r bestehenden Produktionsspeziali sierung die ortsansässige Bevölkerung regelmäßig einen erheblichen Teil ihres Alltagsbedarfes au f dem Mark t deckt . Ei n grundlegende s Unterscheidungs merkmal besteh t darin, welche Schichte n mi t ihre r Kaufkraf t wesentlic h di e Erwerbschancen de r ortsansässigen Produzente n bestimmen. In der »Konsumentenstadt« stamm t di e Kaufkraf t entwede r au s Einnahmen patrimoniale r und politische r Natur , de n Mittel n eine s Fürste n (»Fürstenstadt« ) bzw . de n Gehältern un d Pfründe n vo n Beamte n (»Beamtenstadt«) , ode r au s diverse n Wirtschaft (über den Begriff der Territorialwirtschaft), in: JNS 3. Folge 21,1901, S. 449-473 und 593-631. 46 S o u.a. G. v. Befow, Die Entstehung des modernen Kapitalismus [Rezension W. Sombart, Der moderne Kapitalismus, Leipzig 1902], in: HZ 91,1903, S. 432-485; H. Sieveking, Die mittelalterliche Stadt. Ein Beitrag zur Theorie der Wirtschaftsgeschichte, in : VSWG 2, 1904 , S. 177218. 47 WL,S . 191. 48 J. Κ Rodbertus, Untersuchungen auf dem Gebiete der Nationalökonomie des klassischen Alterthums II, in: JNS 4, 1865 , S. 341-427, hier S. 345ff. 49 GASW,S.7 .
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Rentenquellen, Grundrenten, Kapitalerträgen oder Staatspensionen (»Grund rentnerstadt«, »Rentnerstadt«). Beruht dagegen die Kaufkraft für den einheimischen Markt auf den Erträgen ortsansässiger Erwerbsbetriebe, lieg t entwede r eine »Gewerbestadt « vo r (i n de r di e Unternehme r al s Großkonsumenten , die Arbeiter un d Handwerke r al s Massenkonsumenten auftreten ) ode r ein e »Händlerstadt« bzw. »Handelsstadt« (in der die Einkünfte der Großkonsumenten auf ihren überörtlichen Geschäftsbeziehungen beruhen) . Nicht eindeutig ist, o b diese beide n de r Konsumentenstad t gegenübergestellte n Type n unte r »Produzentenstadt« als OberbegrifFzu ziehen sind oder letzterer Begriff nur als Synonym für »Gewerbestadt« verstanden werden soll. Auf jeden Fall vermeidet Weber ein e eindeutig e Zuordnun g einzelne r Type n z u spezifische n histori schen Epochen. 50 Weber verzichtet darauf, »ein e weitere Spezialisierun g un d Kasuistik, wie sie eine streng ökonomische Städtetheorie zu leisten hätte, vorzuführen« un d betont, »daß die empirischen Städte fast durchweg Mischtypen darstellen un d dahe r nu r nac h ihre n jeweils vorwiegende n ökonomische n Komponenten klassifiziert werden können«. 51 Der Versuch, eine ökonomische Stadttypologie zu entwickeln, ist vor allem als Auseinandersetzung mi t Werner Sombart zu verstehen. 52 Sombarts Darlegungen im 2. Band seines »Modernen Kapitalismus« gelten den »Aufgaben ei ner Städtetheorie« und der »Genesis der kapitalistischen Stadt«; sie werden wiederholt und zum Teil ergänzt in einem Aufsatz von 1907. 53 Sombart betont die Notwendigkeit, eine »ökonomische Theoric der Städtebildung« zu entwickeln, und verweis t darauf , da ß ökonomische un d rechtlich e Definitione n ausein anderfallen können. 54 Sombart bezeichnet als »eigentliche Städtegründer« oder »primäre Städtebildner « Monarchen , Grundherren , Kaufmänner , di e mi t Fremden Handel treiben, Handwerker und Industrielle, die gewerbliche Produkte nach auswärts verkaufen.55 Er stellt die mit der Entfaltung des Kapitalismus zunehmende Tendenz heraus, daß sich die Großstadt zu einem »Konsumtionscentrum« entwickle , d a i n de n »hochkapitalistische n Großstädten « ei n 50 I n der durch M. I. Fintey, The Ancient City: From Fustel de Coulanges to Max Weber and Beyond, in: Comparative Studies in Society and History, 19,1977 , S. 305-327, ausgelösten althistorischen Diskussion wird Weber immer wieder zu Unrecht unterstellt, die antike Stadt mit der »Konsumentenstadt« gleichgesetzt zu haben. 51 WuG , S. 730 (MWG I/22-5, S. 67). 52 Vgl . H. Bruhns, De Werner Sombar t a Max Weber et Moses I. Finley. L a typologie de la ville antique et la question de la ville de consommation, in: Ph. Leveau (Hg.), L'origine des richesses dépensées dans la ville antique , Marseille 1985 , S. 255-273; R. Schott , »Die Stadt « un d ihr e Vorläufer Z u den Quellen de r Stadttypologie Ma x Webers, in: Geschichte und Gegenwar t 15 , 1996, S. 141-153 . 53 W . Sombart, Der moderne Kapitalismus, Bd. 2., Leipzig 1902 , S. 187-195 und S. 196-224 ; ders., Der Begriff der Stadt und das Wesen der Städtebildung, in: ASS 25, 1907, S. 1-9 . 54 Sombart , Kapitalismus, Bd. 2, S. 191 ; ders., Begriff der Stadt, S. 4. 55 Sombart , Begriff der Stadt, S. 7f.
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»industrielles Rentnertum« tonangebend werde.56 Während sich Sombart ganz auf die europäische n Städt e der Neuzei t konzentriert , geh t e s Weber jedoch darum, eine für alle Epochen und Kulturen anwendbare Typologie zu entwickeln. Für die weiteren Ausführungen Weber s bleiben di e am Anfang de s Textes vorgenommenen Typologisierunge n weitgehen d unerheblich ; di e Begriff e »Konsumentenstadt«, »Produzentenstadt« , »(Grund-)Rentnerstadt « un d »Be amtenstadt« werden im späteren Text nicht mehr aufgenommen, s o daß Zweifel an der Kohärenz des Ganzen möglich sind. Wenn die Relevanz dieser Passagen für de n gesamten Tex t jedenfalls nich t zwingen d scheint , kan n doch auf jeden Fal l ausgeschlosse n werden , da ß e s sic h hie r u m Ausführunge n zu r »Stadtsoziologie« handelt , weder i n der Art, wie si e seinerzeit Geor g Simme l betrieb, noch gar in einem später gebräuchlichen Sinne. 57 Nach Beendigun g de r Diskussio n u m eine n generelle n Stadtbegrif T leite t Weber zur Erörterung des »politisch-administrativen« Stadtbegriff s über . Die Stadt in diesem Sinne wird historisch auf den Ursprung aus einer »Festungsstadt« zurückgeführt. Es handle sich um einen befestigten Ort, der zu einer mit einer Garnison versehenen herrscherlichen Burg gehörte. Für die Entwicklung der Stadtverfassung se i überall entscheidend gewesen, wieweit der Herrsche r sich ei n Monopo l au f die Erträge de s (Fern- ) Handel s hab e sichern könne n oder diese mit seinem Gefolge haben teilen müssen bzw. wie sich die »politischmilitärische Struktur desjenigen Herrschaftsverbandes [entwickel t habe], innerhalb dessen die Stadtgründung oder Stadtentwicklung sich vollzog«.58 Die Stadt als Kombination von Befestigung und Markt ist für Weber ein universales Phänomen. Das gilt jedoch nicht für die Stadt als »Gemeinde«, für die ein eigenes Gericht und - i n Grenzen - eigene s Recht, Verbandscharakter und partiell Autonomie un d Autokephalie konstituti v seien . Städte mit Verbandscharakter, i n denen ein e Stadtbürgerschaf t Träge r ständische r Privilegie n ist , seien dasjenige Merkmal de r okzidentalen Kultur , das sie scharf vom Orien t abhebe.59 Diese Kriterie n finde n sic h bereit s i n einschlägige n Darstellunge n Geor g von Belows. 60 Below hatte sich bei seine n Bemühunge n u m eine Definitio n der »Stad t i m Rechtssinne« 61 allei n au f di e mittelalterliche n Verhältniss e i n 56 Sombart , Kapitalismus, Bd. 2, S. 221. 57 Vgl . H. Bruhns (in diesem Band). 58 WuG , S. 736 (MWG 1/22-5, S. 84). 59 WuG , S. 736 (MWG I/22-5, S. 84f.). 60 G . v. Below, Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassun g II, in: H Z 59, 1888, S. 193 247, hier S. 194; ders., Das ältere deutsche Städtewesen und Bürgertum, Bielefeld 1905 2, S. 4;ders., Stadtgemeinde, Landgemeinde und Gilde, in: VSWG 7,1909, S. 411-445, hier S. 412. 61 G . v. Below, Die ältere deutsche Stadtverfassung , in : Deutsche Monatsschrift fü r das gesamte Leben der Gegenwart 10 , 1906, S. 313-321, hier S. 314.
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Deutschland bezogen; 62 er hatte jedoch in der Frage geschwankt, o b man der mittelalterlichen deutschen Stadt »Gemeinde«-Qualität zuschreiben solle, oder ob diese Kategorie nicht besser auf die mit vergleichsweise geringeren Selbst verwaltungsrechten ausgestattete n mittelalterliche n Dörfe r bzw . moderne n Städte passe. Weber geht es auch hier wieder u m eine von einer konkreten historische n Konstellation ablösbare Kategorie, die eine Minimaldefinition enthält , welche von den italienischen Stadtstaaten des Mittelalters und den antiken Stadtrepubliken a fortiori erfüll t wird . Problematisc h wir d jedoch di e Assoziation von »Gemeinde« und »anstaltsmäßiger Gebietskörperschaft«, di e das Recht auf alle Rechtsunterworfenen nac h dem Territorialprinzip anwendet. 63 Der Charakter als Gebietskörperschaft beding t Grenzen der Autonomie, die durch den übergeordneten staatlichen Verband gesetzt sind. Weber ist sich bewußt, daß der ein Spannungsverhältnis zum »Staat« implizierende GemeindebegrifFfür di e Antike nur auf die nicht mehr über politische Unabhängigkeit verfügenden Städt e innerhalb der hellenistischen Großstaaten bzw. innerhalb des Römischen Reiches zutrifft. 64 Auc h insofer n erschein t sein e Aussage problematisch, da ß mit der »Durchführung des Ortsgemeindeprinzips« die Polis als solche (nicht etwa ihre Untereinheiten ) z u einer »anstaltsmäßige n Gebietskörperschaft « gewor den sei. 65 Typische Verlaufsforme n de r Verfassungsentwicklun g i n frühen Gesellschaften . Auc h wenn Weber sich von ökonomischen Stufenmodelle n distanziert , rechne t e r doch mit typischen Verlaufsformen der Verfassungsentwicklung. E r nimmt das Schema der »Organisationsstufen« au s den »Agrarverhältnissen« insofer n wieder auf, als er die Phänomene des Burgkönigtums bzw. eines Burgadels sowie des ritterlichen Kampfes, speziell mit Streitwagen, als seit Mitte des 2. Jahrtausends v.Chr. universale Erscheinungen »von China bis Irland«66 nachzuweisen sucht, was mitunter zu recht angestrengten Interpretationen der Befunde führt . Auch für die mittelalterliche Entwicklung de s Okzidents sei ausschlaggeben d gewesen, we r übe r di e Bur g verfüg t habe , mi t de r di e militärisch e Beherr schung des Landes möglich war. Weber konstatiert, daß außerhalb des Okzidents im Regelfall keine Entwicklung z u eine r Stadtgemeind e stattgefunde n hab e bzw . dies e übe r »Ansätze « nicht hinausgekommen sei . Begründungen dafür lasse n sich im vorliegenden Text nur in höchst verkürzter Form finden; si e sind jedoch für die wichtigsten 62 Vgl . jetzt H . Cymorek , Geor g von Belo w un d di e deutsch e Geschichtswissenschaf t u m 1900, Stuttgart 1998 , besonders S. 86-135. 63 WuG , S. 28. 64 WuG , S. 745 (MWGI/22-5, S. 112). 65 WuG , S. 782 (MWGI/22-5, S. 216f) . 66 S o GARS III, S. 27.
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Beispiele au s de n »Agrarverhältnissen « bzw . au s de n religionssoziologische n Studien z u entnehmen. Für Ägypten und Mesopotamien wird erneut auf die durch die Bedürfnisse de r Stromregulierung bedingte Stärke der königlichen Bürokratie hingewiesen,67 wobei für Mesopotamien nicht ganz ausgeschlossen sei, daß es Ansätze zu einer Stadtgemeindebildung gegeben habe.68 Besonderes Interesse gilt den Verhältnissen im alten Israel, wo die Entwicklung etwa den Stan d erreicht habe , der sich für da s archaische Griechenlan d und die Frühphase der römischen Republik feststellen lasse, zumal man auch hier das Phänomen feststellen könne, daß ein stadtsässiger, wehrhafter Adel die Bauern in seine Abhängigkeit gebracht habe. 69 Die Entwicklung i n Israel füg t sich jedoch nicht ohne weiteres dem Schema der »Organisationsstadien«. Wie Weber sich im einzelnen die Herausbildung eines städtischen Patriziats innerhalb der ursprünglich bäuerlic h geprägten Eidgenossenschaft de r vereinigten Stämme, den Charakter des späteren Königtums, die Eigenart des »Stadtstaats« Juda, schließlic h die Konstituierung de r aus dem Exil zurückgekehrten jüdischen Bevölkerung als rein religiöser, nicht politischer Gemeinde vorstellt, läßt sich au s den äußers t knappe n Bemerkunge n i m Tex t der »Stadt « schwerlic h verstehen, ohn e daß man die umfangreichen Studie n zu m Judentum heran zieht. Die ostasiatischen Städte. Weber skizziert ferner , warum sich in den großen ostasiatischen Reichen Japan, Indien und China keine Stadtautonomie entwickelt habe.70 Für Japan werden das Fehlen von Befestigungen un d die unmittelbare Kontrolle durch Beamte der Monarchie angeführt, die nur gewisse Formen von Selbstverwaltung auf der Ebene von Stadtvierteln bzw. Berufsverbänden zugelassen habe. Für China und Indien wird betont, daß die Städte Sitze der Monarchen bzw. ihrer Behörden gewesen seien, so daß in China Selbstverwaltun g am eheste n noc h i m Dor f stattfinden konnte . Weber begnügt sic h nich t mi t Feststellungen über die Stärke der Zentralgewalten, die er im chinesischen Fall erneut auch mit dem Zusammenhang von Stromregulierung un d Bürokrati sierung erklärt.71 Indien und China werden in besonderer Weise als Gegenmodelle zur okzidentalen Stad t angesehen, da es hier religiöse Faktoren gewesen seien, durch die eine auf Verbrüderung basierende Stadtgemeindebildung verhindert wurde. Deren Auswirkungen seien um so größer, als sich für das indische Altertum72 durchaus Beispiele einer von einem Patriziat getragenen Stadt67 WuG , S. 756 (MWG I/22-5, S. 143f.) . 68 WuG , S. 736 (MWG I/22-5, S. 84f.). 69 WuG , S. 739 (MWG I/22-5, S. 93f.). 70 Vg l die Beiträge von M. Mann und H. Schmidt-Glintzer (in diesem Band). 71 WuG , S, 756 (MWG I/22-5, S. 143f.) . 72 De r von Weber unterstellte chronologische Rahmen läßt sich nicht eindeutig definieren; er reicht frühestens vom 6., wahrscheinlicher erst vom 3. Jahrhundert v.Chr. bis zum 6. Jahrhun-
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autonomie feststellen ließen, und es in Indien und China beachtliche faktische, wenngleich nicht rechtlich abgesicherte, Kompetenzen von Gilden und Zünften gegebe n habe. 73 Entscheidend se i abe r gewesen , da ß die nac h dem end gültigen Sie g des Brahmanismus etabliert e Kastenordnung , mi t der rituelle n Absonderung der Berufe voneinander, jegliche Tischgemeinschaft als Verwirklichung von Verbrüderung definitiv ausgeschlosse n habe ; in der chinesischen Gesellschaft habe der Ahnenkult auch den Stadtbewohner an seine Sippe und das Herkunftsdorf gebunden , somi t den Zusammenschluß z u einer Stadtgemeinde de facto verhindert. 74 Auch diese Bemerkungen erschließe n sic h erst ganz, wenn ma n au f Webers Studien z u Hinduismu s un d Buddhismu s bzw. Konfuzianismus und Taoismus zurückgreif t Verbrüderung. Di e schon erwähnt e Kategori e der »Verbrüderung« is t grundle gend nicht nur für den Zivilisationsvergleich, sondern auch für die Unterschiede, die innerhalb der okzidentalen Kultur bestehen. Der Verbrüderungscharakter gilt als auszeichnendes Merkmal der okzidentalen Stadtgemeinde. Nur sie gründet auf willkürlich konstituierten Verbänden im Gegensatz zu natürlichen oder al s natürlic h gedachte n Abstammungsgemeinschaften . Zwische n de n Mitgliedern dieser Verbände bestehen keine Hemmnisse für alle Formen sozialen Verkehrs; neben connubium un d commercium ist vor allem Kommensalitä t (Tischgemeinschaft) symbolische r Ausweis von Verbrüderung.75 In der »Stadt« unterscheidet Weber zwischen Verbrüderungen, die von Verbänden verwandtschaftlicher ode r militärische r Natu r ausgehen , un d solchen , be i dene n sic h Individuen zusammenschließen; in beiden Fällen wird die prinzipielle rechtliche Gleichheit der beteiligten Gruppen oder Individuen impliziert.76 Die höchste Intensität wird bei der von Individuen getragenen Verbrüderung erreicht , wie dies bei der mittelalterlichen Stadtgemeinde der Fall ist. Weber hat Verbrüderung i n der Antike i m Akt des »Synoikismos« verwirk licht gesehen. Diese der Quellensprache entlehnte Kategorie war ein geläufiger Begriffder Forschung. Es geht bei dieser »Zusammensiedlung« um die Konstituierung eines politischen Entscheidungszentrums, bei der für Weber entscheidend ist, daß sich in Griechenland und Rom die wehrfähigen Geschlechte r in der Stad t ansiedeln . I n de r »Stadt « heb t Weber de n kultische n Zusammen schluß im Sinne einer Verbrüderung hervor, die sich in der Speisegemeinschaft dert n.Chr. Die häufige zeitlich e Unbestimmtheit seine r Aussagen ist allerdings auch Folge der Eigenart der indischen Überlieferung . 73 WuG , S. 738 (MWGI/22-5, S. 89f). 74 WuG , S. 745, 756 (MWG 1/22-5, S. 112, 143). 75 WuG , S. 744 (MWG V22-5, S. 109). 76 I n der Rechtssoziologie vo n WuG, S . 401, faßt Weber dagegen auch ›»Status‹-Kontrakte « zwischen Ungleichen wie u.a. Herr und Sklave, Patron und Klient als »Verbrüderungsverträge « auf; vgl. Ch. Meier, Einleitung, in: ders.t Stadt, S. 18; S. Breuer (in diesem Band).
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dieser Wehr- und Sippenverbände ausweise. Die Prägung der antiken Verbrüderung durch den ursprüngliche n Zusammenschlu ß vo n Geschlechtern, di e mit der Exklusivität ihrer Kulte die Abgrenzung zu den Nicht-Adligen aufrecht erhalten hätten, sei erst später von seiten der »sippenlose [n]« Plebs aufgehoben worden.77 Diese Argumentation folgt offensichtlich der Intention, den Kontrast zum Mittelalter herauszustellen. 78 Für die im Mittelalter möglich e Verbrüderung von Individuen sei nämlich entscheidend gewesen, daß alle schon der gemeinsamen Kirche angehört hätten - wa s zugleich de n Ausschluß der Juden bedingte. 79 Einen welthistorisch folgenreichen Durchbruch sieht Weber in der Herauslösung des Christentums aus den Vorschriften des jüdischen Gesetzes, wie sie Paulus durchgesetzt habe. Symbolisiert werde dies durch den von Paulus im Galaterbrief geschilderte n Konflikt in Antiochia, bei dem Petrus zunächst die Tischgemeinschaft mit (unbeschnittenen) Heidenchriste n gepfleg t hatte , diese dann abe r aufgrun d de r Vorhaltungen von Vertretern der (judenchristlichen) Gemeinde aus Jerusalem wieder aufgab , was zum heftigen Widerspruc h vo n Paulus führte. Allerding s kommt Weber in der »Stadt« darauf nur mit einem Satz zu sprechen. 80 Größte Bedeutung legt er dem »Tag von Antiochien«81 jedoch in der Hinduismus-Studie bei, wo der Kontrast zur indischen Kastenordnung, die jede Tischgemein schaft übe r die Kastengrenzen hinweg ausgeschlossen habe , betont wird. Die Vorgänge in Antiochia bedeuteten »die Konzeptionsstunde de s ›Bürgertums‹ des Occidents, wenn auc h dessen Geburt , i n den revolutionäre n ›conjurationes ‹ de r mittelalterliche n Städte , erst meh r al s ein Jahrtausend späte r erfolgte . Den n ohn e Kommensalität , christlic h gesprochen : ohn e ge meinsames Abendmahl , wa r ein e Eidbrüderschaf t un d ei n mittelalterliche s Stadtbür gertum ga r nicht möglich«. 82
Weber hat sich nicht dazu geäußert, woher er die Kategorie der Verbrüderung gewonnen hat, die in seinem früheren Werk noch keine erkennbare Rolle gespielt hatte. Die Bruderschaftsterminologie deck t ein breites Spektrum sozialer Zusammenschlüsse ab , die i n je unterschiedliche r Weise auf der christliche n Brüderlichkeitsidee gründen . Geläufi g wa r die Bezeichnung »Verbrüderung « für die der wechselseitigen Fürbitte und dem Totengedächtnis dienenden Ge77 WuG , S. 745 (MWG I/22-5, S. 112). 78 Zu r Problematik von Webers Argumentation vgl. W. Nippel, Max Weber zwischen Althistorie und Universalgeschichte: Synoikismo s und Verbrüderung, in : Meter, Stadt, S. 35-57, hier S. 50-54;J . Martin , Der Verlust der Stadt, ebd., S. 95-114, hier S. 101. 79 WuG , S. 747 (MWG 1/22-5, S. 119). 80 WuG , S. 745 (MWG I/22-5, S. 11 l f ). Die Einzelheiten interessieren Weber hier nicht; vgl. W. Nippel, Verbrüderungen, Vereinigungen, christlich e Gemeind e in : H. Kaelble u.J. Schriewe r (Hg.), Gesellschaften im Vergleich, Frankfurt a. M. 1998, S. 3-11; Th. Schneller (in diesem Band). 81 S o die Formulierung Wg, S. 277. 82 MW G I/20, S. 96f
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bets-Verbrüderungen zwischen Klöstern im frühen Mittelalter. Inhaltlich zeigt Webers Kategorie ein e beachtliche Näh e z u Gierke s Konzept der »freien Ei nungen« al s »gewillkürte« bzw . »gekorene Genossenschaften « i n der Abgrenzung zu auf Abstammung oder Verwandtschaft basierenden Verbänden.83 Gierke hatt e diese n Einungscharakte r primä r a m Beispie l de r mittelalterliche n Gilden mi t ihre r Verknüpfung religiöse r un d soziale r Funktione n herausge stellt; e r spricht i n diese m Kontex t beiläufig vo n »Verbrüderungen«. 84 Webe r akzentuiert jedoch stärker als Gierke die kultische Dimension solcher Zusammenschlüsse un d sieh t in der »Verbrüderung« ein e von den mittelalterliche n Verhältnissen ablösbare Kategorie. Commune und coniuratio. Das Gegenstück zum antiken Synoikismos bildet die mittelalterliche coniuratio, durch die eine Commune konstituiert wird. Das entscheidende Moment liegt in der Verbrüderung von Individuen durch Eidverschwörung. Die Frage nach der Rolle der Tischgemeinschaft wird (abgesehe n vom Hinweis auf die grundsätzliche Bedeutung der Abendmahlsgemeinschaft) hier jedoch nich t meh r konkre t aufgenommen , obwoh l di e Geselligkei t ei n konstitutives Elemen t vo n Gilde n un d Zünfte n darstellt . Di e Kommune Gründung durc h coniuratio , wechselseitige promissorisch e Eidesleistun g de r Bürger,85 sieht Weber insbesondere in den oberitalienischen Städte n seit dem Ende des 10. Jahrhunderts verwirklicht, di e angesichts des faktischen Fehlen s einer Zentralgewal t bzw . der vielfältigen Überkreuzunge n vo n Herrschafts rechten die besten Chancen dafür besaßen. In Deutschland lagen die Verhältnisse anders, wie sich u.a. i n den wiederholten Verboten städtischer Schwur gemeinschaften durc h di e Kaise r ausweist . I n viele n Fälle n besteh t ein e komplizierte Gemengelag e zwischen der Konzession von Rechten durch den Stadtherrn und der Usurpation durch die Bürger, wobei Weber hervorhebt, daß es in der Natur der Urkunden liegt, die Gewährung von oben zu dokumentieren, den möglicherweise vorausgegangenen Konfliktjedoch zu übergehen. Insgesamt zeigt sich ein breites Spektrum von Möglichkeiten zwische n »originä rer«, d.h . au f coniuratio beruhender, un d »abgeleiteter« , d.h . vo m Stadtherr n gewährter Kommunebildung. 86 Einen - ausführlic h behandelte n - Extremfal l stellen die englischen Städte dar, deren Rechte sämtlich aus Konzessionen der Krone stammten, die aber später im Parlament eine Interessenvertretun g au f nationaler Ebene erhielten. Die erfolgreiche Kommunegründung durch Eidverbrüderung stellt für Weber einen usurpatorische n Ak t dar, da sich die coniuratio gegen ein e legitim e 83 O . Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 1, Berlin 1868 , S. 9 und S. 221. 84 Gierke , Genossenschaftsrecht, Bd. 1, S. 237. 85 Zu r Bedeutung des Eides vgl. G. Dilcher (in diesem Band). 86 WuG , S. 749 (MWG I/22-5, S. 124).
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Herrschaftsgewalt richtet. Dies e Einschätzung war i n der Forschung de s 19. und frühen 20. Jahrhunderts sicherlich geläufig. Bei manchen Autoren verband sich damit die Tendenz, in einer nachträglichen Legitimierung durch die Landesherren di e eigentliche Voraussetzung fü r de n Fortbestan d von Bürgerge meinden zu sehen.87 Das wirft die Frage auf, ob Weber sich dieser Interpretation anschließt. Dagegen dürfte sprechen, daß er Italien (wo diese Form der nachträglichen Sanktionierung kaum eine Rolle spielte) als eigentliche Heimat der coniurationes bezeichnet; weiter, daß er betont, bei der Hervorhebung des usurpatorischen Charakters der Kommunegründung handle es sich um eine »formalrechtliche« Sichtweise, die den soziologischen und politischen Implikationen des Vorgangs nicht gerecht werde.88 Allerdings gibt es auch mögliche Bezüge zu Webers Herrschaftssoziologie , die prima facie eine andere Deutung nahelegen könnten. Weber hatte nämlich, wie oben erwähnt, in der aus dem Jahre 1914 stammenden Planung für seinen Beitrag zum »Grundriß der Sozialökonomik« auch einen Abschnitt »Die nichtlegitime Herrschaft . Typologi e der Städte« vorgesehen. De r vorliegende Text kann gewi ß nich t al s Ganzes , wohl abe r hinsichtlic h de r Ausführungen zu r Kommunegründung durc h »usurpatorische Verbrüderungen«89 und der Um gestaltung der Verfassung durch die Formierung des popolo damit in Beziehung gesetzt werden. In bezug auf die Konstituierung des popolo in den italienischen Städten sprich t Webe r davon , e s hab e sic h u m de n »erste[n ] gan z bewuß t illegitime[n] un d revolutionäre[n ] politischen Verband « gehandelt . Mi t de r Bil dung einer »politische [n] Sondergemeinde innerhalb der Kommune, mit eigenen Beamten, eigenen Finanzen und eigener Militärverfassung« se i »im eigentlichsten Wortsinn ein Staat im Staate« konstituiert worden. 90 Ob in Webers Herrschaftssoziologie ei n systematischer Ort für »nichtlegiti me Herrschaft« überhaupt denkbar ist,,kann offenbleiben. Berücksichtigt man, wie hoch Weber den Verbrüderungscharakter der originären coniuratio bewertet, und daß er der auf die ursprüngliche Kommunebildung folgenden Einschränkung oder Brechung der Honoratiorenregimes die Rationalisierung von Recht und Verwaltung zuschreibt, dann sollte man nicht annehmen, daß Weber mit seiner Betonung des formalrechtlich usurpatorischen Charakters der Kommunegründung zugleich das legitimitätsstiftende Element , das im freien Zusam menschluß der Bürger liegt, gänzlich ignoriert habe. 91 87 Vgl . die Beispiele be i Κ .Schreiner, Legitimität, Autonomie , Rationalisierung . Dre i Katego rien Ma x Webers zur Analyse mittelalterliche r Stadtgesellschafte n - wissenschaftsgeschichtliche r Ballast ode r unabgegolten e Herausforderung? , in : Meier, Stadt , S . 161-211, hie r S . 166-168, die sich abe r au f Nordfrankreich un d Flandern beziehen ; s o bei Κ. Hegel, Städt e un d Gilden de r germanischen Völke r im Mittelalter, Bd . 2, Leipzig 1891 , S. 510f 88 WuG , S. 749 (MWG I/22-5, S. 124). 89 WuG , S. 749 (MWG I/22-5, S. 125). 90 WuG , S. 776 (MWG I/22-5, S. 200). 91 VgJ . S. Breuer und G . Dilcher (in diesem Band) .
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Gilden, Zünfte und Stadtverfassung. Die Dominanz der Honoratioren in den mittelalterlichen Kommune n wurde durch eine »Serie [... ] neue r Revolutionen « überwunden.92 »Dere n Träger waren abermal s beschworene Einigunge n vo n Bürgern«,93 namentlic h Zünfte unterschiedliche r Natur , wobei Weber insbesondere die Unterschiede zwischen der italienischen und der deutschen Entwicklung betont. Weber konnte sich für die Fragen der Entstehung und Entwicklung der mittelalterlichen Stadtgemeinde n au f eine weitverzweigte historisch e und nationalökonomische Forschungsliteratur stützen, wobei er sich im Regelfall auf die Publikationen deutsche r Wissenschaftler beschränk t habe n dürfte . Di e fach wissenschaftliche Diskussio n seiner Zeit war höchst unübersichtlich. Zum einen, weil hinter vielen Fragestellungen außerwissenschaftliche, durc h aktuelle Probleme bedingte , Interesse n standen , se i es , daß es um da s Verhältnis von Staat und Gemeinde, sei es um das von Zunftzwang und Gewerbefreiheit ging. Zum andere n lit t di e innerfachlich e Diskussio n darunter , da ß sic h Autore n entweder nur auf deutsche oder auch auf außerdeutsche Verhältnisse in je un terschiedlichen Zeiten bzw. auch auf unterschiedliche Typen von Städten bezogen, die divergierende Quellenbasis bei der Aufstellung generalisierter Theorien jedoch häufig nicht berücksichtigten. Hinzu kam, daß über die Verwendung zentraler Kategorien wie Gilde und Zunft keine Einigkeit bestand, unmittelbare Übernahmen aus der Quellensprache und Umwandlungen zu Termini einer fachwissenschaftlichen Begriffsprach e sich zumeist in einem ungeklärten Verhältnis nebeneinander fanden . Weber hat sich teils explizit, teils implizit auf den »Kampf der ›Städtetheorien‹« bezogen, an dem er die Neigung zu einer formalrechtlichen Betrachtungsweise kritisierte. 94 Di e »Gildentheorie « wa r i n unterschiedliche n Akzentuie rungen zuers t vo n Wilda , späte r vo n Nitzsc h un d Gierk e vertreten, 95 vo n Below, Hegel und Gross bekämpft worden. 96 Sie besagte, daß die Anfänge von 92 WuG , S. 758 (MWG I/22-5, S. 148). 93 WuG , S. 766 (MWG I/22-5, S. 172). 94 WuG , S. 749 (MWG I/22-5, S. 124). 95 W.E . Wilda, Das Gildenwesen im Mittelalter, Halle 1831, ging es v.a. um den germanischheidnischen Ursprung der Gilden; er bezog sich insbesondere auf dänische Schutzgilden; Κ. W. Nitzsch, Über die niederdeutschen Genossenschaften des 12. und 13 . Jahrhunderts, in: Königlich Preussische Akademie der Wissenschaften z u Berlin, Monatsberichte 1879 , S. 4-28; ders., Über niederdeutsche Kaufgilden , in : Königlic h Preussisch e Akademie der Wissenschaften z u Berlin , Monatsberichte 1880 , S. 370-403; ders., Die niederdeutsche Kaufgilde, in : ZRG GA 13, 1892, S. 1-95, stützte sich besonders auf westfälische und norddeutsche Quellen. Für die Verteidigung der Gildentheorie durch Gierke ist seine Rezension von Hegel, Städte, in: Deutsche Litteraturzeitung 13, 1892, Sp. 55-59, einschlägig. 96 Ch . Gross, Gilda Mercatoria. Ein Beitrag zur Geschichte der englischen Städteverfassung , Göttingen 1883 ; ders., The Gild Merchant. Α Contribution to British Municipal History, 2 Bde., Oxford 1890 ;Κ.Hegel, Städte und Gilden der germanischen Völker im Mittelalter Eine Antikritik, in: HZ 70, 1893, S. 442-459; G. v. Below, Die Bedeutung der Gilden für die Entstehung der
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Stadtgemeinden in Gilden, im Zusammenschluß aller Kaufleute eines Ortes in einer »Gesamtgilde«, z u sehen seien. Weber sah eine politische Funktion von Gilden nur in Fällen gegeben, in denen die Konstituierung einer Stadtgemeinde obrigkeitlicher Privilegierung verdankt wurde wie in England bzw. hielt in bezug auf Deutschland »Gesamtgilden « fü r ei n späte s Phänomen von eingeschränkter regionaler Bedeutung.97 Auch auf die Hofrechtstheorie, wie sie etwa von Nitzsc h verfochten, 98 vo n Below 99 und andere n kritisier t wurde , spiel t Weber an. Diese Theorie besagte im wesentlichen, daß die Zünfte auf die Organisation von Fronhandwerkern zurückgingen, entsprechend die Stadtverfassung i n de r Fronhofsverfassun g ih r Vorbild habe . Weber akzeptiert , da ß di e Verbände vo n Fronhofshandwerker n ein e gewiss e Vorbildfunktio n fü r di e Zünfte i n Gestalt freier Einungen gehabt haben könnten, verweist jedoch zu gleich auf die Einflüsse, welche von religiös geprägten Bruderschaften ausgin gen.100 Er wendet sich zugleich dagegen, Zünfte vorschnell mit »Handwerkerzünften« zu identifizieren. 101 Mit de n wichtigsten Forschungspositione n wa r Weber sicherlic h vertraut . Eine andere Frage ist, wieweit er diese Diskussionen i n sämtlichen Ausfäche rungen rezipiert hat, ob er sich manchmal mehr auf erste zeitgenössische Resümees stützte102 bzw. hinsichtlich einzelner Beispiele wie der der viel diskutier ten Fäll e vo n Freibur g i m Breisgau 103 un d Köln 104 bestimmte n Autoritäte n folgte. Dies läßt sich aufgrund der von ihm verwendeten Materialien, die sich in deutschen Stadtverfassung, in: JNS 3. Folge 3,1892, S. 56-68; den., Rezension von Hegel, Städte und Gilde n de r germanische n Völker i m Mittelalter , in : Göttingisch e Gelehrt e Anzeigen, Jg. 1892, 1 . Bd., S. 406-423, 97 WuG , S. 776 (MWGI/22-5, S. 200). 98 Κ W . . Nitzsch, Ministerialrät und Bürgerthum im 11. und 12. Jahrhundert, Leipzig 1859. In der Sache bezieht sich Nitzsch in erster Linie auf deutsche Bischofsstädte. 99 G . v, Below, Kritik der hofrechtlichen Theorie, in: ders., Territorium und Stadt. Aufsätze zur deutschen Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsgeschichte, Münche n 1900 , S. 303320, und verschiedene weitere Publikationen. 100 WuG , S. 754f. (MWG I/22-5, S. 136-138). 101 WuG , S. 766 (MWG I/22-5, S. 172). 102 I n Frage kommen Handlexikon-Artikel wie R. Ehrenberg, »Gilden«, in: Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 5, 1910 3, S. 11-13 ; W. Stieda, »Zunftwesen«, ebd., Bd. 8, 1911 3, S. 1088-1111; G. v. Below, »Zünfte«, in : Wörterbuch der Volkswirtschaft, hg . von L. Elster, Bd. 2, Jena 1907 2, S. 1425-1435. 103 Da s besondere Interesse der Forschung hängt vor allem mit der komplizierten Quellenlage zusammen, da die Urkunde zur Gründung der Stadt im Jahre 1120 nicht unmittelbar, sondern nur durch spätere Zeugnisse überliefert ist , die hinsichtlich Datierung und Echtheit eine Reihe von Problemen aufwerfen. 104 S o haben u.a. die Fragen nach der Existenz einer Allmende, der Implikationen der coniuratio von 1112, der Bedeutung der frühen Bruderschaf t von 1149 (Bettziechenweber), der Rolle der Richerzeche und dem Status der auf Parochien basierenden Sondergemeinden eine Fülle von Literatur provoziert. Weber stützt sich in erster Linie aufΚ.Beyerle, Die Entstehung der Stadtge meinde Köln, in: ZRG GA31, 1910, S. 1-67 .
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einer Vielzahl von Publikationen durchaus unterschiedlicher Tendenz finde n ließen, schwerlich entscheiden. Auch wenn er seine Belege der einschlägige n Sekundärliteratur entnomme n hat , kan n doc h kei n Zweife l dara n bestehen , daß er sie in einen originären, i n dieser Form nicht durch die Spezialliteratu r vorgegebenen Interpretationsrahmen eingefügt hat . Mittehlterliche und antike Verfassungsentwicklung. Da s in den »Agrarverhältnissen « entwickelte Schema typischer Verfassungsentwicklungen ha t Weber auch angelegt, um die jeweiligen Tendenze n zu r Herausbildung de r Geschlechterstad t und ihrer Überwindung durch die zunehmende Partizipation breiterer Schichten der Bürgerschaft in Antike und Mittelalter zu vergleichen. Die Darstellung geht im Regelfall vo n den mittelalterliche n Phänomene n au s und fragt dan n nach Entsprechungen i n der Antike. De r Sonderfal l Venedi g wird vor alle m deshalb so ausführlich dargestellt , weil hie r zu m eine n mi t de r Entwicklun g der Dogenherrschaft »z u einem erblichen patrimonialfürstliche n Stadtkönig tum«105 eine sonst im Mittelalter nicht anzutreffende Parallel e zu dem am Anfang der antiken Stadtstaaten stehenden, wenngleich zumeist nur aus Überresten erschließbaren Königtu m zu finden ist; und zum anderen, weil Venedig, nachdem es mit der konstitutionellen Einbindung des Dogen das Stadium der Geschlechterherrschaft erreich t hatte , nich t di e sons t sowoh l fü r Antik e al s auch Mittelalter typische Entwicklung zur Modifizierung diese s Systems mitmachte, sondern hier das Patriziat seine Herrschaft im vollen Umfang bewahren konnte. Die auffälligsten Ähnlichkeiten hinsichtlich des Verfassungswandels ergeben sich, wenn fü r da s Mittelalter die italienischen Städt e herangezogen werden . Sie liegen zumal darin, daß die bisher von der politischen Macht ausgeschlossenen Bürger sich in einer Sondergemeinde organisieren un d eigene Magistrat e wählen, die den Magistraten der Gesamtgemeinde unter Beanspruchung einer »Kassations-Kollegialität«106 entgegengestell t werden . De r italienisch e Popol o mit de m Volkskapitan a n de r Spitz e ha t s o seine Pendant s i n de r römische n Plebs unter Führung der Volkstribunen und im spartanischen Demos mit seinen Ephoren. Im italienischen wie im römischen Fall fuhren die »Ständekämpfe« nicht zu einer völligen Überwindung der Macht der Geschlechter, sondern zu einer Kompromißlösung, aus der jeweils eine - au s altem Patriziat und den Führungsgruppen des »Volkes« gebildete - neu e Führungsschicht hervorgeht . Ausnahmen bilden Sparta, dessen Verfassungsordnung di e Vernichtung eine s ursprünglichen Adels vorausgesetzt habe, und Athen, wo sich die Entwicklung zu einer Demokratie vollzog, an der alle, auch die besitzlosen Bürger teilhatten. In beiden Epochen ist eine wesentliche Folge die Rationalisierung von Rech t 105 WuG , S. 758 (MWG I/22-5, S. 150). 106 WuG , S. 159.
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und Verwaltung durch Formalisierung der Gerichtsverfahren, Kodifikation des herkömmlichen un d zunehmende Satzung neuen Rechts sowie die Entwicklung eine r differenzierten , au f kurzen Amtszeiten un d spezifische n Kompe tenzzuweisungen basierende n Amterstruktur . Parallele n ergebe n sic h auc h insofern, als man in bestimmten innere n Konfliktkonstellationen ein e Befrie dung der Verhältnisse von einem Schiedsrichter (Podesta, Aisymnet) erwartete; sie liegen auch darin, daß aus der Ständekampfsituation ein e Alleinherrschaf t (Signorie, Tyrannis) erwachsen konnte, was freilich in Italien mit weitaus größeren Konsequenzen für die Rationalisierung von Recht und Verwaltung verbunden war. Die Verfassungsentwicklung i m nördlichen Europa, besonders in Deutschland, zeigt bei manchen Entwicklungen deutliche Abweichungen, vor allem durch die scharfe Grenzziehung zwischen Stadt und Land, 107 die impliziert, daß es in diesen Städten keinen Adel mit ritterlicher Lebensführung gegeben hat . Di e grundsätzliche Vergleichbarkeit de r politischen Entwicklun g i n Antike und Mittelalter darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die schrittweise Einbeziehung breiterer Bürgerschichten in das Stadtregiment im ersten Fall aus ihrer Unentbehrlichkei t fü r da s Hoplitenheer (bzw . in Athen fü r di e Flotte ) resultierte, während im zweiten Fall die ökonomischen Interessen von Gewerbetreibenden hinter den Forderungen nach politischer Partizipation standen . Die »Fakten« der antiken Verfassungsgeschichte konnte Weber einer Vielzahl von Handbücher n zu r Geschicht e un d zu m Staatsrech t Griechenland s un d Roms entnehmen . Au f Grund seine r vergleichende n Perspektiv e komm t e r dabei verschiedentlic h z u Einsichten, di e sic h i n der ih m zugängliche n For schung schwerlich finden lassen, jedenfalls nicht in dieser Pointiertheit.108 Für die italienische Geschichte hat sich Weber deutlicher an einzelnen Werken orientiert. Für Venedig hat er - nebe n der von ihm selbst genannten Studi e von Lenel - offensichtlic h de n 1 . Band von Heinrich Kretschmayr s »Geschichte « ausgewertet, für Florenz ist in erster Linie an die Arbeiten von Robert Davidsohn zu denken.109 Für die ihn speziell interessierenden Themen Podesta und Signorie ha t er, wie e r selbs t angibt, di e einschlägige n Arbeite n vo n Gerso n Hanauer und Ernst Salzer herangezogen. 110 Angesichts der Qualität dieser bis 107 Au f der anderen Seite konnte dadurch die Stadt nördlich der Alpen in besonderer Weise »ein Ort des Aufstiegs aus der Unfreiheit« werden (WuG, S. 742; MWG I/22-5, S. 103f.), was sie nicht nur von den italienischen, sondern auch von den Verhältnissen in Rußland absetzt; dazu M. Hildermeier (in diesem Band). 108 Fü r eine kritische Bilanz vgl. R. Descat (in diesem Band). 109 W . Lenel, Die Entstehung de r Vorherrschaft Venedig s a n der Adria. Mit Beiträge n zu r Verfassungsgeschichte, Straßbur g 1897; H. Kretschmayr, Geschichte von Venedig, Bd. 1: Bis zum Tode Enrico Dandolos, Gotha 1905; R. Davidsohn, Geschichte von Florenz, 4 Bde. (in 3), Berlin 1896-1912; den., Forschunge n zu r Geschicht e vo n Florenz , 4 . Teil : 13 . und 14 . Jahrhundert, Berlin 1908 . 110 G . Hanauer, Das Berufspodestat im dreizehnten Jahrhundert, in: Mittheilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 23 , 1902, S. 377—426; E. Salzer, Über die Anfänge der Signorie in Oberitalien. Ein Beitrag zur italienischen Verfassungsgeschichte, Berli n 1900 .
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in di e Gegenwar t al s Standardwerk e anerkannte n Arbeite n wir d ma n gege n Webers Literaturauswahl kau m gravierende Einwände erheben können. 111 Homo politicus und homo oeconomicus. Weber warnt ausdrücklich davor, aus Entsprechungen der Verfassungsentwicklung i n Antike und Mittelalter den Fehlschluß auf »gleiche ökonomische Grundlagen« zu ziehen.112 Die divergierende ökonomische Orientierung des antiken und des mittelalterlichen Bürgers liege in der unterschiedlichen militärischen Kapazität und der andersartigen Zusammensetzung der Bürgerschaften begründet: Dominanz von Bauern in der Antike, ausschlaggebende Rolle von Handwerkern und Kaufleuten im Mittelalter. Stärker als in den »Agrarverhältnissen« bezieht sich Weber jetzt nicht nur auf die Wertvorstellungen der Eliten, die eine Unternehmerstellung weitgehend aus schlossen, sondern auch auf die Verhaltensmuster der breiten Masse der jeweiligen Bürgerschaft. Weil diese in der Antike an den Eroberungen - durc h Landverteilungen, Beute, Sold, Getreideversorgung- partizipiert, wird sie nicht auf den Weg des rationalen Wirtschaftsbetriebs verwiesen. Ein solcher Demos bewirkt, da ß di e Stadtwirtschaftspoliti k sic h a n Konsumenten- , nich t a n Pro duzenteninteressen orientiert . Di e mi t de r Zugehörigkei t zu r Bürgerschaf t verbundenen Gratifikatione n lasse n (i m athenischen Fall) den Demos die Exklusivität des Bürgerrechts verteidigen, was wiederum negativ auf die Fähigkeit zu stabiler Reichsbildung zurückwirkt. Di e Statusgrenzen gegenübe r Sklave n und anderen Nichtbürger n schließe n ein e Organisation nac h Art der Zünft e aus, die im Mittelalter die erste Organisationsform freie r Arbeit bietet. Der Kontrast zwischen den Mitgliedern der antiken »Kriegerzunft«,113 für die »von persönlicher Freiheit der Lebensführung kein e Rede« gewesen sei,114 und den Angehörige n eine s friedliche n Produzentenstande s i m Mittelalte r wir d besonders betont, indem für die Antike wiederum die auf Expansion angeleg ten Stadtrepubliken als Muster herangezogen werden. Dagegen bleiben die in die hellenistische n Großreich e un d da s römische Imperiu m eingebundene n Städte ausgeblendet, obwohl Weber selbst feststellt, da ß in ihnen auch für di e Vollbürger di e Ausrichtung au f das friedliche Erwerbslebe n i m Vordergrun d stehen mußte. 115 Zum anderen dient dem kontrastierenden Vergleichsverfah ren, daß für das Mittelalter hier bevorzugt die »bürgerliche gewerbliche Binnen111 Problematisc h dürft e allenfall s sein , da ß Weber be i de r Orientierun g a n Salze r desse n Betonung der ›demokratischen‹ Wurzeln der Signorie übernimmt; vgl. E. Sestan, Die Anfänge der städtischen Signorien : ei n erschöpfen d behandelte s historische s Problem? , in : H . Stoo b (Hg.) , Altständisches Bürgertum, Bd. 1, Darmstadt 1978 , S. 346-379; 5. Breuer, Blockierte Rationalisierung. Max Weber und die italienische Stadt des Mittelalters, in: AFK 66, 1984, S. 47-85, hier S. 75ff. 112 WuG , S. 780 (MWG I/22-5, S. 212). 113 WuG , S. 809 (MWGI/22-5, S. 283). 114 WuG , S. 809 (MWG V22-5, S. 285). 115 WuG , S. 811 (MWG I/22-5, S. 289).
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Stadt« nördlich der Alpen herangezogen wird, die aufgrund ihre r Einbettung in größere Herrschaftsstrukture n (ander s al s di e italienische n Städte ) ni e di e Chance zu einer expansiven Politik besessen hat. Gerade dadurch ergeben sich die Möglichkeiten für die Entfaltung ökonomischer Rationalität . Unter diesem Gesichtspunkt kommt Weber zu einer sehr kritischen Bewertung der athenischen Demokratie , die ihr e Bürger durch Politi k und Kriegsdienst in einem Maße in Anspruch genommen habe, wie es »bei differenzierte r Kultur weder vorhe r noc h nachhe r i n de r Geschichte « vorgekomme n sei. 116 Gerade damit sei ihnen der Weg in Richtung des »befriedeten ökonomischen Erwerbs und eines rationalen Wirtschaftsbetriebes« versperrt geblieben.117 Die Verpflichtungen der wohlhabenden Bürger, öffentliche Aufgaben durch Liturgien zu finanzieren, hab e ebenso eine ständige Bedrohung der privaten Vermögen dargestellt, wie si e ebenso von den auc h i n Zivilsachen urteilende n Volksgerichten au s »hunderten vo n rechtsunkundige n Geschworenen « ausgegange n seien, deren »willkürliche Kadijustiz« formale Rechtssicherheit ausgeschlossen habe.118 Eine kritische Sicht der athenischen Demokrati e war - besonder s im Hin blick au f Liturgien un d Volksgericht e - sicherlic h i n de r wissenschaftliche n Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts vorherrschend. Webers Sichtweise läßt sich darüber hinaus noch in Kontinuität zu einer älteren Tradition der Entgegensetzung von Antike und Moderne verstehen.119 Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts hatte n schottisch e un d französische , schließlic h amerikanisch e Theoretiker diskutiert, daß die antiken, auf materiellen Gewinn durch Expansion angelegten Staaten für eine auf friedlichen Handel und Gewerbe setzende Gesellschaftsordnung nich t mehr vorbildlich sein könnten. Im nachrevolutionären Frankreic h wurde die Absetzung von der Antike noc h verschärft, wei l man die These einer unmittelbaren Verbindung zwischen dem Antikekult der Revolution und dem Terror der Jakobiner pflegte. In seinem bekannten Essay von 1819 (»De la liberté des anciens comparée à celle des modernes«) hat Benjamin Constant diese Sicht auf die Formel vom Gegensatz zwischen moderner, rechtsstaatlich geschützter , individuelle r Freihei t un d eine r antike n Freihei t gebracht, i n der ein Höchstma ß a n politischer Partizipatio n mi t de m Fehle n jeglicher Schranke n gegen den Eingriff des Staates in individuelle Recht e erkauft worde n sei . Diese Tradition wurde unte r andere m i n den Werken vo n Fustel de Coulanges (»La cité antique«, 1864) und Jacob Burckhardt (»Griechi sche Kulturgeschichte«, 1898-1902 ) fortgesetzt . 116 WuG , S. 810 (MWG I/22-5, S. 286). 117 WuG , S. 810 (MWG I/22-5, S. 288). 118 WuG , S. 810 (MWG I/22-5, S. 286). 119 Vgl . zum folgenden W . Nippel ,Republik, Kleinstaat, Bürgergemeinde. Der antike Stadtstaat in der neuzeitlichen Theorie, in: P. Blickle (Hg.), Theorien kommunaler Ordnung in Europa, München 1996 , S. 225-247, hier S. 229ff.
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Obwohl Weber sich der Problematik von Constants Theoriebildung bewußt war,120 scheinen manche seiner Äußerungen doch stark dieser Tradition verhaftet zu bleiben, was auch mit seinen politischen Wertvorstellungen zusammen hängen könnte. In der Herrschaftssoziologie des jüngeren Teils von »Wirtschaft und Gesellschaft« ha t Weber seinen Typus der »herrschaftsfremden Verbands verwaltung«, die »unmittelbare Demokratie« heißen soll, »solange die Genossenversammlung effektiv ist«, mit den charakteristischen Regelungen zur »Minimi sierung von Herrschaft« (kurze Amtsfristen, Abberufungsrecht, Turnusprinzip, Rechenschaftspflicht, Berichtspflicht , Sonderaufträge , Nebenberufscharakte r des Amtes) konzis umrissen. Die eigentlich naheliegende Applizierung dieser Kategorie auf die athenische Demokratie ha t er jedoch mit der apodiktische n Behauptung abgelehnt , da ß i n diese m Fall e di e Größenordnun g wei t über schritten gewesen sei, bis zu der ein solches System praktikabel sein könne. 121 Hier schlägt offensichtlich sein e Überzeugung durch, daß es in größeren Verbänden nur darum gehe könne, wie das Führungspersonal ausgewählt werde.122 III. Zur Rezeptio n de s Textes i n de r wissenschaftlichen Kriti k Die Abhandlung »Die Stadt« nimm t i n Webers Werk eine exzeptionelle Stel lung ein, da sie der einzige Text ist, der die Spezifika des abendländischen Bür gertums sowohl im diachronen inner-okzidentalen Vergleich zwischen Antike und Mittelalter wie im Kontrast zu den orientalischen Kulturen herausstellt. In seiner Eigenart liegt zugleich begründet, daß der Text als ganzer kaum rezipiert worden ist, da er über die begrenzten Fragestellungen diverser Disziplinen weit hinausging. Zude m bedingt e die Form der Publikation, zunächs t als Aufsatz, dann al s Kapite l vo n »Wirtschaf t un d Gesellschaft« , da ß kein e eingehende n Auseinandersetzungen zeitgenössische r Kritike r speziel l mi t diese m Tex t er folgten; Reaktione n auf »Wirtschaft un d Gesellschaft« konzentrierte n sic h i m Regelfall auf die Erörterung einiger grundsätzlicher Probleme des Weberschen Verständnisses von »Soziologie«. 123 I m sozialwissenschaftlichen Kontex t wäre noch a m eheste n Interess e a n Webers Typologien z u erwarte n gewesen ; di e
120 WL , S.206. 121 WuG,S . 169f . 122 Vgl . W.J. Mommsen, Die antinomische Struktur des politischen Denkens Max Webers, in: HZ 233, 1981, S. 35-64, hier S. 45ff. 123 Vgl . den Überblick über diese Stellungnahmen bei D. Käsler, Einführung in das Studium Max Webers, München 1979, S. 204-207. Auch O. Hintze hat trotz seines sonstigen Interesses an historischen Vergleichen in seiner Rezension der 2. Auflage von WuG, in: Sch.Jb. 50,1926, S. 8395, nur kurz das Problem der Plazierung des Textes im Kontext des Gesamtwerkes erörtert.
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spätere Inanspruchnahme Webers als Inspirator einer »Stadtsoziologie« beruht dagegen auf einem Mißverständnis. 124 Unmittelbare Beachtung haben Webers Ausführungen zunächst im Bereich der Althistorie gefunden; hier spielte sicherlich mit, daß Weber sich mit seinen früheren Arbeiten zur »Römischen Agrargeschichte« und zu den »Agrarverhältnissen im Altertum« bei aller Distanz zur Zunft auc h in Fachkreisen Respek t erworben hatte; 125 hinzu kam, daß die Ende des 19. Jahrhunderts mit der »Bücher-Meyer-Kontroverse« in Gang gekommene Grundsatzdebatte über die Eigenart der antiken Ökonomie weiterging. Besonder s Johannes Hasebroek ist wiederholt Webers Kennzeichnung des antiken Bürgers als homo politicus bzw. dessen Rekonstruktion der Entwicklung von der Geschlechter- über die Hopliten- zur Bürgerpolis gefolgt.126 Allerdings hat Hasebroek innerhalb seiner Disziplin eine Minderheitenposition vertreten; es setzte sich eine eher modernisierende Betrachtun g de r antike n Wirtschaf t i n de r Traditio n Eduar d Meyer s durch. Ein neues Interesse an Weber ist dann seit den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts spürbar geworden, als mit der Diskussion um Moses Finleys Arbeiten zur antiken Ökonomie127 auch Weber als eine entscheidende Quelle für dessen Sichtweise wieder in das Blickfeld geriet. 128 In der Mediävistik stellten die ausführlichen, in ihrem Grundtenor positiven Diskussionen von Webers »Stadt«, die russische Autoren im Anschluß an die 1923 erfolgte Publikatio n einer russische n Übersetzun g vorlegten, ein e Ausnahme dar ; au f di e spätere , dezidier t marxistisch e Geschichtswissenschaf t blieben sie jedoch ohne Wirkungen.129 In der zünftigen Forschun g zur mittelalterlichen Stadtgeschicht e schein t Weber zunächst nur vereinzelt Beachtun g gefunden zu haben.130 Wenn sich auch nicht ausschließen läßt, daß seine Studie 124 Vgl . H. Bruhns (in diesem Band). 125 Z u den zeitgenössischen Reaktionen auf die »Agrargeschichte« siehe die Nachweise beij. Deininger, Einleitung, in: MWGI/2, S. 37-43. 126 J. Hasebroek , Staat und Handel im alten Griechenland. Untersuchungen zur antiken Wirtschaftsgeschichte, Tübingen 1928; den., Griechische Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte bis zur Perserzeit, Tübingen 1931. 127 Zusammengefaß t in M. l .Finley, The Ancient Economy, Berkeley 1973. 128 H . Bruhns u. W. Nippel, Max Weber, Moses I. Finley et le concept de cité antique, in: Opus 6-8, 1987-198 9 [1991], S. 27-50J. Andreau, Présentation, in: Annales 50, 1995, S. 947-960; R. Descat, L'Économie antiqu e e t l a cit é grecque . U n model e e n question , ebd. , S . 961-989 ; H. Bruhns, Max Weber, l'iconomie et l'histoire, in: Annales 51, 1996 , S. 1259-1287, hier S. 1274f. 129 Vgl . M. Hildermeier (in diesem Band). 130 S o bei H.Jecht, Studie n zu r gesellschaftlichen Struktu r der mittelalterlichen Städte , in: VSWG 19 , 1926 , S. 48-85, hie r S . 52-55; E. Ennen, Die europäische Stadt des Mittelalters als Forschungsaufgabe unsere r Zeit, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 11 , 1941, S. 119-146 , hier S. 121 mit A. 8; F. Steinbach, Stadtgemeinde und Landgemeinde. Studien zur Geschichte des Bürgertums I, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 13 , 1948, S. 11-50, hier S. 17ff.; kritisch: W. Goetz, Die Entstehung de r italienische n Kommune n i m frühe n Mittelalte r (Sitzungsbericht e der Bayeri schen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Abteilung, Jg. 1944, H. 1), München 1944, S. 102 mit A. 1.
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mehr Wirkungen gezeitigt hat, als sich aus dem weitgehenden Fehlen expliziter Bezugnahmen erkenne n läßt , dürft e doc h ei n deutliche r Rekur s au f Webers Modellbildung erst seit den siebziger Jahren eingesetzt haben, zumal in Arbeiten, die sich mit den Ursprüngen der Stadtkommune befassen. 131 Für die Spezialisten der nicht-okzidentalen Kulture n gilt, daß sie zwar Webers »Fehlanzeige« hinsichtlic h eines politisch verfaßten Stadtbürgertum s tei len mochten ; wiewei t Weber s gesamte Analyse diese r Kulture n (fü r di e de r Komplex Stad t un d Stadtbürgertu m nu r eine n Teilaspek t darstellt ) flir ein e Sichtweise trage n kann , di e meh r al s eine Negativfoli e de r abendländische n Entwicklung darstellt , bleib t auc h i n der lebhafte n neuere n Diskussio n um stritten.132 Nachdem Otto Brunner 1953 den Vergleich zwischen antikem und mittelalterlichem Stadtbürgertum aufgenommen und dabei die durch das unterschiedliche Verhältnis von Stadt und Umland bedingten Unterschiede zwischen den Epochen betont hat, 133 zeigt sich erst in jüngster Zeit in Althistorie un d Me diävistik eine zunehmende Bereitschaft, sic h dieser Herausforderung z u stellen.134 Auch neuere Versuche historisch orientierter Soziologen, die Eigenarten der europäischen Entwicklung im Kontext eines Zivilisationsvergleichs z u erhellen, belegen die anhaltende Inspiration, die von Webers Modellbildung ausgeht.135 Solange man sich dieser Frage stellt, werden Webers Darlegungen zu r universalhistorischen Besonderhei t de s okzidentalen Bürgertum s schwerlic h obsolet werden.
131 E . Ennen, Die europäische Stadt des Mittelalters, Göttingen 1972 , S. 120ff.; H. Keller, Die Entstehung der italienischen Stadtkommune n als Problem der Sozialgeschichte, in : Frühmittel alterliche Studie n 10 , 1976, S. 169-211 , v.a. S. 211; den., Einwohnergemeinde un d Kommune: Probleme der italienische Stadtverfassung i m 11 . Jahrhundert, in: HZ 224, 1977, S. 561-579, v.a. S. 577; vgl. weiter Dikher (in diesem Band). 132 Zu r Kritik an der Indien-Studie vgl. die bei M. Mann (in diesem Band) zitierten Arbeiten. 133 O . Brunner, Stadt und Bürgertum in der europäischen Geschichte, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 4, 1953 , S. 525-537. 134 Vgl . die Beiträge in: Kocka, Weber; Meier, Stadt, sowie in: A. Molho u.a. (Hg.) , City States in Classical Antiquity and Medieval Italy , Stuttgart 1991. 135 J. Λ. Hall, Powers & Liberties. The causes and consequences of the rise of the West, Ox ford 1985 ; M. Mann, The Sources of Social Power, Bd. 1: Α history of power from the beginning to A.D. 1760, Cambridge 1986 .
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HlNNERK BRUHN S
Webers »Stadt« und die Stadtsoziologie I. Bemerkungen zu r Rezeptio n de s Texte s Einen Autor wird man nicht dafür verantwortlich machen, was mit einem Text geschieht, den er zwar geschrieben, aber - au s welchen Gründen auch immer nicht selbst veröffentlicht hat . Wenn nun, nahezu achtzig Jahre nach der posthumen Veröffentlichung von Webers Studie über die Stadt, endlich eine kritische Edition vorliegt, dann läßt sich gleichwohl die bisherige Aufnahme diese s Textes durch die Wissenschaft nicht mehr aus der Welt schaffen. Eine Rezeptionsgeschichte sol l hie r jedoch nich t geschriebe n werden; da s wäre aufweit e Strecken eine Geschichte der Nichtrezeption un d der Mißverständnisse ode r Fehldeutungen, wie sie zum Alltag der Wissenschaft gehören und wie sie leider allzu häufi g i m Umgan g mi t de r »Soziologie« Ma x Webers anzutreffen sind . Wenn ich dennoch einige Bemerkungen dazu an den Anfang dieser Untersu chung stelle, soll damit nur illustriert werden, daß man auch bei der Analyse quasi zeitgenössischer Texte nicht ohne weiteres auf die Kenntnis des werkgeschichtlichen Kontext s un d zeitgeschichtliche r Zusammenhäng e verzichte n sollte. Wilfried Nippel hat die Frage aufgeworfen, ob es sich bei dem 1921 posthum veröffentlichten Tex t überhaup t u m eine n einheitliche n Tex t handele. 1 De r manchmal befremdliche Umgang mit Webers Text in verschiedenen Bereichen der Wissenschaft ma g de n gleiche n Zweife l erwecke n un d spiegel t manch e Schwierigkeit der Lektüre dieses unvollendeten Textes wider. Das betrifft zu nächst den scheinbaren Bruch zwischen dem ersten Kapitel und den folgenden. Dieses erste Kapitel, »§ 1. Begriff und Kategorien der Stadt«, hat verständlicherweise Aufmerksamkeit in der modernen Stadtforschung geweckt, insbesondere in de r Stadtsoziologie. Di e folgende n Abschnitt e aber , »§ 2. Die Stad t de s Okzidents«, »§ 3. Die Geschlechterstadt im Mittelalter und in der Antike«, »§ 4. Die Plebejerstadt«, »§ 5. Antike und mittelalterliche Demokratie«, 2 sin d in so 1 W . Nippel (in diesem Band); vgl. auch K.-L. Ay, Max Weber über die Stadt, in: F. Mayrhofer (Hg.), Stadtgeschichtsforschung- Aspekte, Tendenzen, Perspektiven, Linz 1993, S. 69-80, hier S. 71-73. 2 S o die Kapitelfolge seit 1922 in WuG. In der Erstveröffentlichung gab es den fünften Zwischentitel noch nicht. Der vierte und letzte Abschnitt »Die Plebejerstadt« umfaßte somit fast die
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hohem Maß e detailliert e un d schwierig e Untersuchunge n z u de n äußers t komplexen Fragen der Verbandsbildung im Mittelalter und in der Antike, daß es im Grunde nicht weiter verwunderlich ist , daß diese Teile von der Stadtsoziologie nicht aufgenommen worden sind, und daß man sich hier oder dort mit dem Gedanken oder dem Wunsch getröstet hat, Weber hätte seinen Text sicher noch um eine Darstellung der modernen Stadt , zumal der Industriestadt, er gänzt. Auf diese Weise beruhigte man sich mit der Vorstellung, Webers Ziel sei eine historische Stadtsoziologie und -typologie gewesen, und verkannte völlig, daß die Ausblendung der modernen Stadt von vornherein in Webers Fragestellung angelegt war. Auch eine Reihe anderer voreiliger Annahmen übe r Natu r un d Status des Textes hat dazu geführt, daß Max Webers »Stadt« in diversen wissenschaftlichen Zusammenhängen ein e seh r unterschiedlich e Aufnahm e erfahre n hat . I n Deutschland war sein Schicksal übrigens nicht das beste. Zwar haben hier führende Vertreter der mittelalterlichen Stadtgeschicht e und auch der modernen Urbanisierungsforschung3 Weber s »Stadt« zu den grundlegenden Texten ihrer Disziplin gerechnet. Daß solche Äußerungen in der Regel mehr als deklamatorische Klassikerzitate seien, darf wohl bezweifelt werden, da es in Webers Text nur bedingt um Stadtgeschichte und noch weniger um Urbanisierung geht. In der Alten Geschichte ist das Interesse an diesem Text genauso spät und nur am Rande erwacht wie an Webers anderen genuin »althistorischen« Arbeiten, insbesondere den »Agrarverhältnissen i m Altertum«.4 Symptomatisc h für die Situation i n de n deutschsprachige n Lände r is t jedenfalls, da ß »Di e Stadt « ni e separat oder gar als Taschenbuch für ein studentisches oder für ein breiteres an Fragen der Stadt interessiertes Publikum nachgedruckt worden ist, für ein Publikum, das nicht spontan zu »Wirtschaft un d Gesellschaft« greift. 5 Das zumindest haben das englisch-, italienisch-, französisch- und spanischsprachige Publikum dem deutschen voraus. Nun könnte man dagegen einwenden, daß sowohl die amerikanische Ausgabe der »Stadt« von 195 8 als auch die französische vo n 198 2 im Grund e au f einem verlegerische n Mißverständni s beruhen. Beid e rechne n nämlic h Weber s Text explizit de r moderne n Stadt soziologie zu . Un d ma n könnt e hinzufügen , da ß auc h di e erst e italienisch e Übersetzung von 195 0 sich wohl einem Mißverständnis verdanke, einem geHälfte des Textes. Der Titel »Plebejerstadt« stammt wohl nicht von Weber, dazu Nippel (in diesem Band). 3 S o zum Beispiel H.J. Teuteberg, Historische Aspekte der Urbanisierung: Forschungsstan d und Probleme, in: ders. (Hg.), Urbanisierung in Deutschland, Köln 1983, S. 2-34, hier S. 18f . 4 Daz u jetzt H. Bruhns, À propos del'histoire ancienne et de l' éonomie politiqu e chez Max Weber, in: Max Weber, Économic et société dans l'Antiquité ,Paris 1998, S. 9-59. 5 Nu r das erste Kapitel (»Begriff und Kategorien der Stadt«) ist nachgedruckt worden in: C. Haase (Hg), Die Stadt des Mittelalters, Bd. I, Darmstadt 1969 , S. 34-59. - Separat e Übersetzungen de s gesamten Texte s erschiene n i n Rußlan d (1923) , Italie n (1950 , N D 1979) , de n US A (1958), Frankreich (1982) und Spanien (1987).
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schichtsphilosophischen sozusagen , dem Enzo Paci in seiner Einleitung Ausdruck gibt. Hier stellt er nämlich den Idealtyp der Stadt als eine Kraft dar, die einen harmonisch-rationalen Ausgleich »tra il centro artigiano-industriale e la campagna, tr a l'autonomi a e Taccentramento , tr a l a rapprensentanz a dirett a dell'associazione cittadina e gli organi rappresentativi dell'unità più complesse degli Stati e delle Nazioni« habe durchsetzen können. Diese ideale Stadt steht als Schöpfung einer freien menschlichen Vereinigung (libera associazione umana) in ständigem Kampf gegen Tyrannei und Barbarei.6 U m eine solche ›ideale‹ Stadt aber ging es Weber durchaus nicht. Die amerikanische Ubersetzun g stellt e Webers »Stadt« gleichrangig nebe n Robert E. Parks Gründungstext der Chicagoer Schule. In den Worten von Louis Wirth: »The closest approximations to a systematic theory of urbanism that we have are to be found i n a penetrating essay, ›Die Stadt‹, by Max Weber, and a memorable paper by Robert E. Park, on ›The City: Suggestions for the Investi gation of Human Behaviour in the Urban Environment.«7 Wa s aber verbindet eigentlich Weber mit der Chicagoer Schule , mi t der Stadtsoziologie un d de r Urbanisierungsforschung? Wen n e s sic h auc h hie r einfac h u m ei n Mißver ständnis handeln sollte , dann beruh t e s nicht allei n au f den Übersetzungen . Denn auch in Deutschland steht in einem neueren Forschungsbericht über die Stadtsoziologie der siebziger Jahre zu lesen, Max Weber habe sich intensiv und materialreich mit der Frage beschäftigt, »waru m im Okzident eine bestimmte, von Rationalisierung gekennzeichnete Industrialisierung und mit ihr die Industriegroßstadt entstand.« 8 De r Herausgeber der amerikanischen Übersetzun g definierte Weber s theoretischen Standpunk t al s »social behaviorism« . Durc h die Theorie der »urban Community a s a total systematic unit of inter-human life« hab e Weber di e unterschiedliche n institutionelle n Stadttheorie n seine r Zeit aufgenommen und überholt. Eine solche Lesart, die konsequenterweise in der Neuzeit den Verlust von Autonomie, Autokephalie etc. der Stadtgemeinde konstatiert, fuhrt dann folgerichtig zu der Schlußfolgerung: »Th e modern city is losing its external and formal structure. Internally it is in a State of decay while the new Community represented by the nation everywhere grows at its expense. The age of the city seems to be at an end.«9 Womit Webers Bedeutung für die Stadtsoziologie eigentlich wieder erledigt wäre. 6 Vgl . das Vorwort von E. Paci, S. XL, und die Einleitung von L. SichiroÜo, S. XXVI, in: M. Weber, La Città, Mailand 1950. 7 D . Martindale, Herausgeber und Mitübersetzer der amerikanischen Ausgabe (Max Weber, The City, New York 1958) stellte seinem Vorwort (S. 9-62) dieses Zitat aus L. Wvrut, Urbanism as a way of life, in: American Journal of Sociology, 44,1938, S. 1-24, hier S. 8 voran. Wirth hatte hinzugefügt: »But even these excellent contributions are fare from constituting an ordered and coherent framework of theory upon which research might profitabry proceed.« 8 H . Korte, Stadtsoziologie. Forschungsprobleme und Forschungsergebnisse der 70er Jahre, Darmstadt 1986, S. 2. 9 Martindale , in: Weber, The City, S. 62.
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Derartigen, gerad e durc h ihr e Teilwahrheiten bedenkliche n Aussage n steh t die deutsch e Mediävisti k durchau s nich t nach. 10 I n seine r Einleitun g z u de n drei wichtigen Sammelbände n »Di e Stad t des Mittelalters« schrie b Carl Haas e im Jahr 1969 : »Alles Allgemeine, was über den Begriff der Stadt zu sagen ist, hat Max Weber [...], das Städtewesen der Welt überblickend, im Grunde schon 1921 [sic!] gesagt; er hat damals die ganze Fragwürdigkeit und Problematik des Stadtbegriffs aufgedeckt, Recht , Verfassung, Verwaltung, Besitzverhältnisse, Wirtschaft un d Verkehr, Siedlungsformen, Befe stigung, Größe , Bevölkerung i n die Fragestellung mi t einbezogen un d das Ganze des Städtewesens unter dem Begriff der ›nichtlegitimen Herrschaft « subsumiert. « Man kan n nu r hoffen , da ß Haas e gewuß t hat , wa s dies e letzt e Aussage seine s Satzes bedeuten soll e oder könne. Sie illustriert einmal meh r eine theoretisch e Abstinenz vieler Historiker , di e z u völliger Hilflosigkei t (un d Verzich t au f die erprobten textkritische n Werkzeug e de s Historikers! ) gegenübe r zeitgenössi schen sozialwissenschaftlichen Texte n und zu sinnlosem Zitieren der Klassike r führen kann . Immerhi n füg t Haas e hinzu , diese s Infragestelle n de s Stadtbe griffs habe bei der Städteforschung lang e Zeit eine gewisse Sche u hervorgeru fen, sich Webers Arbeit genau z u besehen. Trotzdem will e r den Lese r glaube n machen, daß , »stärker al s alle Anmerkungsapparate e s erkennen lassen , diese r große WurfWebers de r Ausgangspunkt der modernen Städteforschun g gewor den« sei. 11 Da s darf man wohl bezweifeln . Vielleicht verhäl t e s sich einfac h so , daß ei n Tex t mi t de m Tite l »Di e Stadt . Eine soziologische Untersuchung« oder , in der späteren Fassung in »Wirtschaf t und Gesellschaft« : »Di e nichtlegitim e Herrschaf t (Typologi e de r Städte)« , ge schrieben von einem der Gründerväter der Soziologie, nichts anderes sein kann als ein fundamentaler Beitra g zur Stadtsoziologie. Diese Annahme lag wohl de r französischen Übersetzun g (1982 ) i n der Reihe Cham p utbain zugrunde. 12 J u lien Freund stellte hier, in seiner Einleitung zu der französischen Ausgabe, »Die Stadt« neben Webers Rechtssoziologie. In beiden Fällen handele es sich um von Weber mit letzter Hand redigiert e Texte. »Die Stadt« aber sei wohl unvollendet , Weber hab e sein e Studi e siche r noc h u m ein e Analys e de r moderne n Stad t ergänzen wollen. Ein größeres Mißverständnis läß t sich kaum denken . Ich will hie r nicht weiter auf die Rezeptionsgeschichte eingehen . Doch ist es zu einfach , derar t weitreichend e un d unterschiedlich e Einschätzunge n allei n auf flüchtige Lektür e zurückzuführen. Wi r können nur mehr oder weniger gu t 10 Allgemein dazu jetzt G. Diktier (in diesem Band). 11 C . Haase, in: ders.(Hg.), Die Stadt des Mittelalters, Bd. 1, S. lf . 12 M . Weber, La ville, Paris 1982. Vgl. M. Pollak, Die Rezeption Max Webers in Frankreich, in: KZSS 38,1986, S. 670-684; ferner W. D. Smith, The Emergence of German Urban Sociology, in: Journal of the History of Sociology 1,2,1979, S. 1-16, bes. S. 5, der Weber wie selbstverständlich der deutschen Stadtsoziologie zurechnet.
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begründete Vermutungen dazu äußern, was Weber mit diesem unfertigen un d unveröffentlichten Text eigentlich vorhatte. Vielleicht aber können wir seinem Verständnis näherkommen , wen n wi r di e werkgeschichtliche n Zusammen hänge genauer beachten und auch die Frage nach den Bezügen zu den zeitgenössischen Debatten über die Stadt etwas anders stellen, als dies bisher der Fall gewesen ist. In der Soziologie ist diese Frage, wenn überhaupt, dann nur in der Weise aufgeworfen worden, daß man Webers »Stadt« in einen lockeren Zusammenhang mi t Simmei s Aufsatz von 1903 , »Die Großstädt e un d da s Geistesleben«, gestell t hat. 13 Historike r sin d ih r selte n nachgegangen . Da ß Webers »Stadt« auf dem deutschen Historikertag in Bochum 199 0 eine ganze Sektion gewidmet wurde, darf deshalb als ein Ereignis in der Rezeptionsgeschichte gewertet werden. Aber man konzentrierte sich auf die mögliche Anwendung Weberscher Kategorie n zu r antiken un d mittelalterliche n Bürgerschaf t vo r dem Hintergrund des nunmehr erreichten Forschungsstandes; 14 e s ging also weniger darum, Webers Ausführungen aus dem Gesamtzusammenhang seines Werkes zu verstehen. II. Zum werkgeschichtliche n Kontex t Zunächst eine hypothetische Frage : Wenn Marianne Weber »Die Stadt« nich t unter de n nachgelassene n Papiere n ihre s Manne s gefunde n hätte , wa s läg e dann von dem »Gründungsvater der Soziologie in Deutschland« an Aussagen und Untersuchungen zu r Stadt vor? Das ist eine legitime Frage, denn schließlich waren Stadt und Urbanisierung fundamentale Gegenstände der entstehenden Soziologie, die ihrerseits weitgehend ein Produkt der industrialisierten und urbanisierten Gesellschaft war. Die einfachste und richtigste Antwort wäre: Die Stadt und die Verstädterung kommen in Webers Soziologie nicht vor, von ganz geringen Ausnahme n abgesehen , au f die ic h gleic h eingehe n werde . Webers 13 Vgl . z.B. das Kapitel, »Max Weber, Georg Simmel et la ville«, in: A. Bourdin u. M. Hirschhorn (Hg.), Figure s de la ville: autour de Max Weber, Pari s 1985 , sowie St. Jonas, La »Großstadt«, m étropole européenne, dans la sociologie de s pères fondateurs allemands , in:J. R émy (Hg.), Geor g Simmel: Ville et Modernité, Paris 1995 , S. 19-36. - Simmei s Aufsau is t in dem Sammelband der Gehe-Stiftung (unten , Anm. 39) erschienen . 14 Di e von Christian Meie r geleitete Sektio n trug den Titel: »Zugehörigkeit zu r Stadt in Antike un d Mittelalter - Ma x Webers Ansätze unte r der Frage, wie man sie überholen kann« . Der Sammelband (u.a . mit Beiträgen von W. Nippe l un d H. Bruhns zu r Antike) erschien unte r de m Titel »Di e okzidental e Stad t nac h Ma x Weber« (Meier , Stadt ; z u den mediävistischen Beiträge n vgl. G . Dilcher im vorliegenden Band) . Von ihm unterscheidet sic h de r hier vorliegend e Ban d durch di e Einbeziehung de r Weberschen Ausführunge n zu r chinesischen, indische n un d auch russischen Stadt als wesentlicher Bestandteil e seine r Konzeption. Dami t werden auc h neue Per spektiven auf Webers Sicht der »okzidentalen« Stadt eröffnet, die in seinem Essay zwar im Vordergrund steht, jedoch ohne die eingehende Berücksichtigung seines kulturvergleichenden Ansatzes und dessen Entwicklung im Fortgan g seines Werks nicht angemessen erfaßt werden kann .
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politische, ökonomische und soziale Analyse der deutschen Gesellschaft seiner Zeit geht aus von seiner intensiven Beschäftigung mit Agrarfragen, historischen und vor allem zeitgenössischen. Alles kreist zunächst um die Frage des Agrarkapitalismus, bis weit in das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts hinein, noch nach der Veröffentlichung de r ersten Fassung von »Die protestantische Ethik und der ›Geist‹ des Kapitalismus«. Dan n erst wendet Weber sich mit eigenen Arbeiten der Entwicklung der Arbeiterschaft in der Großindustrie zu, nachdem er die »deutsche Arbeiterfrage i n Stadt und Land« schon in einer Vorlesung im Jahr 1895 behandelt hatte. Die Beziehungen zwischen industrieller und städtischer Entwicklung, zwischen industriekapitalistischer und großstädtischer Lebensweise aber werden nirgends zum Thema seiner Arbeiten. Die Agrarsoziologie kann Weber zu ihren Ahnen zählen, auch die Industriesoziologie, nich t jedoch di e Stadtsoziologie. Natürlic h lasse n sic h i n Webers Werk eine Reih e von Aussagen zur modernen und zeitgenössischen Stad t finden; diese vereinzelten Textpassagen aber bieten keinen Ersatz für eine soziologische Untersu chung der Stadt in der Weise, wie Weber die Verhältnisse auf dem Land untersucht hat. Über di e Entstehungszei t de r Stadtstudi e besteh t inzwische n Einverneh men, zuletz t aufgrun d de s editorischen Bericht s von Wilfried Nippel. 15 Da nach ha t Weber i n de n Jahren 191 1 bis 191 4 a n diese m Tex t gearbeitet. I n unmittelbarer Nähe zu dieser Untersuchung stehen also folgende andere Arbeiten: die »Agrarverhältnisse i m Altertum« (geschriebe n 1907/08 , veröffent licht 1909) ; die »Erhebungen übe r Auslese un d Anpassung (Berufswah l un d Berufsschicksal) de r Arbeiter de r geschlossene n Großindustrie « (1908) ; di e Untersuchungen »Zu r Psychophysi k de r industrielle n Arbeit « (190 8 un d 1909); die Antikritiken zu m »Geist des Kapitalismus« (1910) . Hinzu kommen die Auseinandersetzungen im Verein für Sozialpolitik über Fragen des Werturteils, das heißt (für Weber) insbesondere über die Problematik des Produktivitätsbegriffes i n der Nationalökonomie , vo n der Wiener Tagun g 190 9 bis zu r Werturteilsdiskussion i m Januar 1914 , schließlic h di e Gründun g de r Deut schen Gesellschaf t fü r Soziologi e (1909/10 ) un d di e dami t einhergehende n Pläne Webers für große empirische Erhebungen (insbesonder e die Zeitungsenquete). Ab 1910 entwickelte Weber die Konzeption des »Grundriß der Sozialökonomik« und begann die Arbeit an einem der zahlreichen Beiträge, die er selbst liefern wollte , nämlich: »Wirtschaf t un d Gesellschaft« ; spätesten s 191 3 nahm er die Arbeit an der »Wirtschaftsethik der Weltreligionen« auf (Di e »Einleitung« und der erste Teil von »Der Konfuzianismus«, erschiene n 1915 16 i m Band 41 des »Archivs«). Dieser werkgeschichtliche Kontext des Textes »Die Stadt« soll nun zunächst unter drei Gesichtspunkten betrachtet werden: Welche Partien sind aus frühe15 MW G I/22-5, S. 45-58. 16 De r Band 41 ist auf 1916 datiert.
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ren oder gleichzeitigen Texten in die Studie über die Stadt eingeflossen; und in welcher Weis e sin d si e hie r gegebenenfall s veränder t worden ? Welche Teil e oder Argumentationslinien ha t Weber au s der »Stadt« i n später e Texte über nommen, un d i n welchem Zusammenhang ? Gib t e s substantielle Aussage n Webers zu Fragen der Stadt oder der Urbanisierung aus der Zeit vor 1913/14, die nicht in den Text »Die Stadt« eingegangen sind, und wenn ja, warum nicht? Ich kann im folgenden nu r einen summarischen Überblick geben. Die beiden wichtigste n Textgruppe n sin d i n diese m Zusammenhan g einerseit s di e Studien zur Antike und auch zum Mittelalter, andererseits die religionssoziologischen Untersuchunge n zu r Wirtschaftsethik de r Weltreligionen. Ein e ge meinsame Fragestellung verbindet »Die Stadt« mit den »Agrarverhältnissen i m Altertum« einerseits und der »Wirtschaftsethik de r Weltreligionen«, insbeson dere de r Studi e übe r de n Konfuzianismus , andererseits : di e Frag e nac h de n Vorbedingungen (oder deren Fehlen) für die Entwicklung zum modernen Kapitalismus. Der innere Zusammenhang zwischen den »Agrarverhältnissen im Altertum« (in der Fassung von 1909) und der »Stadt« ist mit Händen zu greifen im Schlußkapitel des Textes von 1909, in dem Weber einen ersten sozialstrukturellen Vergleich zwische n der antiken und mittelalterlichen Stad t skizziert. In dem langen Text aus dem »Handwörterbuc h de r Staatswissenschaften« la g für Weber damit reiches Material fü r eine Darstellung der Städte der Antike bereit. Was von dort direkt in die zentrale Argumentationslinie der »Stadt« eingeht, ist vor allem die vergleichende Analyse der Sozialstruktur de r antiken Poli s und der mittelalterlichen Stadtgesellschaft , wobe i de r Bezugspunkt de s Vergleichs jedoch nun von der Antike zum Mittelalter wechselt; hinzu kommen eine Reihe anderer zentraler Aussagen über die antike Polis: Synoikismos, Stadt-Landbeziehung, Bedeutung des Gelegenheitshandels etc.17 Darauf ist an anderer Stelle schon von Wilfried Nippe l hingewiesen worden. 18 Die wesentlichen Modifikationen gegenüber den einschlägigen Passagen der »Agrarverhältnisse« von 1909 liegen in einer veränderten Typologie, die in dem späteren Text vom Mittelalter her konzipiert ist. Doch das ist nicht die wesentliche Änderung. Auch die Darstellung der antiken Wirtschaft in »Agrarverhältnisse i m Altertum« hatt e Weber scho n weitgehen d mi t de r Frag e nac h de m Kapitalismus strukturiert. Erst in der anschließenden Stadtstudie wird die Entstehung des Bürgertums in der mittelalterlichen Stadt zum Brennpunkt dieser Frage. Daraus ergibt sich für Weber methodisch die Notwendigkeit des idealtypischen Vergleichs. Dieser führt dann zu den bekannten idealtypischen Zuspitzungen, wie: »Die antike Polis war, können wir resümieren, seit der Schaffun g 17 H . Bruhns u. W. Nippel, Max Weber, M. I. Finley et le concept de la cité antique, in: Opus 6-8, 1987-198 9 [1991] , S. 29-50. 18 W . Nippel, Max Weber un d die okzidental e Stadt , in : Berline r Journal fü r Soziologi e 5 , 1995, S. 359-366, hie r S. 360f.
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der Hoplitendiszipli n ein e Kriegerzunft« 19 und : »Di e politisch e Situatio n de s mittelalterlichen Stadtbürger s wies ihn au f den Weg, ein homo oeconomicus zu sein, während i n der Antike sich die Polis während der Zeit ihrer Blüte ihren Charakter al s des militärtechnisch höchststehende n Wehrverbands bewahrte: Der antike Bürger war homo politicus.«20 Der Gegensatz von Produzenten- und Konsumentenstadt, au f den sich im Anschluß an Moses I. Finley vielfach das Interesse gerichtet hat, bezieht sich auf die Stadtwirtschaftspolitik: Stadtwirtschaftspoliti k i m Interesse der Bürger als Produzenten (in der mittelalterlichen Binnenstadt nördlich der Alpen) oder als Konsumenten (in der klassischen Polis). 21 Die andersartige Problemstellung bringt es mit sich, daß sich zentrale Ideen zur Stadt oder zu den Städten in Webers Arbeiten zur Antike finden lassen, die in de m nachgelassene n Tex t »Die Stadt « nich t ode r nu r teilweis e wiede r er scheinen. Es handelt sich vor allem um die Küstenstadttheorie aus dem Aufsatz über »Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur« von 1896 sowie um die Theorie der sieben Stufen und zwei Modelle der städtischen Entwick lung (Organisationsstadien) des Altertums aus der Einleitung (»Zur ökonomischen Theori e de r antiken Staatenwelt« ) z u »Agrarverhältniss e i m Altertum « (1909): 1. Schutzwall un d Verband als ferner Vorläufer der späteren Stadt ; 2. Burgenkönigtum; 3. Adclspolis; 4. Bureaukratisches (autoritatives) Stadtkönigtum; 5. autoritärer Leiturgiestaat ; 6. Hoplitenpolis; 7. demokratische Bürgerpolis; 22 schließlich um knappe aber wichtige Bemerkungen übe r den überwiegen d wirtschaftlichen Charakte r de r Städt e de s Hellenismu s un d de s römische n Kaiserreichs, die diejenigen Leser doch eigentlich in der anschließenden Stadtstudie hätte n erwarte n sollen , di e de r Meinun g sind , e s gehe i n ih r u m di e Geschichte der Stadt und um das Städtewesen in Antike und Mittelalter. Der relativen Reduzierung und Einengung der Thesen zur antiken Stadt in dem Text von 1911/14 steht eine starke Ausweitung der Aussagen über die mittelalterliche Stadt gegenüber, und vor allem auch die intensive Behandlung von Venedig und England. Auf diesen Punkt komme ich später noch einmal zurück. 19 WuG , S. 809 (MWG I/22-5, S. 283] 20 WuG , S. 805 (MWG I/22-5, S. 275). 21 Vgl . H. Bruhns, De Werner Sombar t à Max Weber et Moses I. Finley: L a typologie d e la ville antique et la question de la ville de consommation, in: P. Leueau (Hg.), L'origine des richesses dépensées dans la ville antique, Aix-en-Provence 1985 , S. 255-269. 22 GASW , S . 35 ff. Vom Stadiu m Nr . 2 gehen zwe i idealtypisch e Entwicklungslinie n aus : einerseits Nr. 3, 6 und 7, andererseits Nr. 4 und 5.
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Zu beachten ist jedenfalls, daß Weber nun auf eine Reihe wichtiger Argumente zur antiken Stadt verzichtet, die er kurz zuvor in den »Agrarverhältnissen« dargelegt hatte. Die Bezüge zwischen der »Stadt« und den gleichzeitig begonnenen und bis 1919/20 fortgeführten Arbeite n a n der »Wirtschaftsethik de r Weltreligionen « sind doppelter Natur: Die dort entwickelte differenzierte Typologi e der okzi dentalen Stad t (antik e Poli s - mittelalterlich e Stadt ; südeuropäisch e - nord europäische Stad t de s Mittelalters) wir d nu n i n de n religionssoziologische n Studien als einheitlicher Idealtyp der ›okzidentalen Stadt‹ dem Idealtyp der chinesischen un d indischen bzw. allgemein der orientalischen Stad t entgegengesetzt. Di e Vereinigung de r zuvor diametral entgegengesetzte n idealtypische n mittelalterlichen und idealtypischen antiken Stadt in einem Typus ›okzidentale Stadt‹ wir d erreich t durc h de n Verzich t au f bestimmte Kriterie n (vo r alle m durch die Ausblendung der zentralen Frage nach der Art der Gewinnchance n und der Wirtschaftspolitik), das heißt also durch eine Modifizierung der Fragestellung.23 Den n diese wird nun von der chinesischen Stadt her gebildet, ausgehend von der Hypothese, daß das Fehlen des politischen Sondercharakters der Stadt in China den entscheidenden Unterschied zur antiken und mittelalterlichen Stadt darstelle: Sie war keine »Gemeinde« und kannte kein Bürgertum. 24 Das bedeutet: sie kannte kein Stadtbürgertum, das als solches Träger eines Verbandshandelns gewese n wäre , eines regulierende n Handeln s i m Sinn e eine r Stadtwirtschaftspolitik. Die inner e Verbindung zwische n de r »Wirtschaftethik de r Weltreligionen« und der Stadtstudie könnte nicht eindeutiger hergestellt werden, und zwar sowohl in bezug auf das erste Kapitel der »Stadt« (»§ 1. Begriff und Kategorien der Stadt«) als auch in bezug auf die folgenden Abschnitte über die mittelalterliche und antike Stadt. Die in der »Stadt« nur kurz umrissenen und in einen größeren geographischen Überblick eingefugten Type n der chinesischen und, in geringerem Maße, der indischen Stadt werden in den religionssoziologischen Studi en ausführlicher begründet. Damit wird gleichzeitig eine Linie zu Webers erster religionssoziologischer Studie , »Die protestantische Ethik und der ›Geist‹ des Kapitalismus« (1904/5) , gezogen. De r hauptsächlich e - unbegründet e - Vor wurf, gegen den Weber sich seit dem Erscheinen der »Protestantischen Ethik« hatte zur Wehr setzen müssen, war gewesen, er vernachlässige völlig die materielle Seite der Entwicklung der modernen Wirtschaft. Darauf reagierte Weber dann mi t de m gan z anderen Aufbau de r Studie n übe r die Weltreligionen, i n denen der Untersuchung der religiösen Phänomene jeweils eine lange Analyse der »soziologischen Grundlagen« (China), bzw. des »sozialen Systems« (Indien) 23 Zu m Verfahren (und dessen Problematik) vgl. auch das Konzept der indischen (Fürsten)Stadt; dazu M. Mann (in diesem Band). 24 MW G I/19, S. 149.
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vorausgeschickt wird. Daß in beiden Fällen der erste Blick Webers dem städtischen System gilt, is t weder Zufall noc h ohne Bezug z u der in den gleiche n Jahren redigierten Stadtstudie . Die Bedeutung, die Weber der Frage der Stadt beimißt, läß t sich schon allein au s den Eingangssätzen z u den beiden große n religionssoziologischen Studie n ersehen : »China war, in scharfem Gegensat z zu Japan, schon seit einer für un s vorhistorischen Zei t ein Lan d der [große n ummauerten] Städte.«25 Und: »Indien ist und war, im Gegensatz zu China, ein Land de r Dörfe r un d de r denkba r unerschütterlichste n geburtsständische n Gliederung. [...] Di e Städtebildung näherte sich jahrhundertelang in wichtigen Punkten ... mittelalterlichen occidentalen Erscheinungen«. 26 In der ersten Fassung des »Konfuzianismus« (1915 ) trat die primordiale Bedeutung der Stadt für Webers Argumentation stärker hervor als in der endgültigen Fassung von 1920. Denn hier wurden vor dem zweiten Absatz des Textes aus dem Jahr 1915 (»Der Grundgegensatz der chinesischen, wie aller orientalischen, Städtebildung gegen den Okzident war aber das Fehlen des Sondercharakters der Stadt«) lange Ausführungen übe r das Geldwesen eingeschoben. 27 Andererseits aber erweiterte Weber in der späteren Fassung seine Ausführun gen über die chinesische Stad t ganz beträchtlich, besonder s durch einen Abschnitt über Berufsverbände und Stadtwirtschaftspolitik. 28 Festzuhalten is t zunächst, daß absolut nichts, was Weber in der Stadtstudi e über die chinesische oder indische Stadt sagt, über das hinausgeht, was direkt in den Argumentationszusammenhang der »Wirtschaftsethik der Weltreligionen« gehört. De n Gesamtzusammenhan g ha t Weber i n alle r Eindeutigkei t i n de r »Vorbemerkung« von 192 0 zu den »Gesammelten Aufsätzen zu r Religionsso ziologie«29 festgestellt : »In einer Universalgeschichte der Kultur ist also für uns, rein wirtschaftlich, da s zentrale Problem letztlich nicht die überall nur in der Form wechselnde Entfaltun g kapitalisti scher Betätigun g al s solcher: de s Abenteurertypus ode r de s händlerischen ode r des a n Krieg, Politik , Verwaltun g un d ihre n Gewinnchance n orientiere n Kapitalismus . Son dern vielmehr die Entstehung des bürgerlichen ßefnefokapitalismus mi t seiner rationale n Organisation de r freien Arbeit. Oder, kulturgeschichtlic h gewendet : di e Entstehung de s abendländischen Bürgertum s und seine r Eigenart, di e freilic h mi t der Entstehung kapi talistischer Arbeitsorganisatio n zwa r i m nahe n Zusammenhan g steht , abe r natürlic h doch nich t einfac h identisc h ist . Den n ›Bürger ‹ i m ständische n Sin n ga b e s schon vo r
25 MW G I/19, S. 128. Der Zusatz in der Klammer stammt aus der Fassung von 1920 26 MW G I/20, S. 49, 53. 27 MW G I/19, S. 132-148. 28 Ebd. , S. 155-158. 29 Di e Vorbemerkung gilt auch für die »Protestantische Ethik«, die aber nicht in die Studie n zur »Wirtschaftsethik der Weltreligionen« einbezogen wird. Das macht Weber nicht nur im Text deutlich, sondern auch in dem von ihm noch selbst redigierten Inhaltsverzeichnis des ersten Bandes (1920) der GARS.
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der Entwicklun g de s spezifisch abendländische n Kapitalismus . Aber freilich : nu r im Abendlande.«30 Hier is t nich t meh r vo n de r Stad t di e Rede , sonder n vo m Bürgertum , de m eigentlichen Objek t der Stadtstudie. In der Darstellung China s spielt die Stad t eine so zentrale Rolle, weil sie einer der wenigen Faktoren ist, mit denen Weber das Ausbleibe n eine s moderne n Kapitalismu s i n Chin a erkläre n z u könne n glaubt, nachde m ein e ganz e Reih e andere r wirtschaftlicher , politische r un d auch ethischer Faktoren im Grunde erwarten lassen müßten, daß der Kapitalismus dort bessere Startchance n gehab t hätt e als in Europa. Di e Stad t wird dar aufhin analysiert , inwiefer n si e ei n Verban d vo n Stadtbürger n mi t Verbands handeln is t un d o b si e di e Ausbildun g neue r politische r un d ökonomische r Vergesellschaftungs- und Betriebsformen fördert. 31 Die s und die Betonung de r kulturellen Faktore n richte t sic h gege n zeitgenössisch e Thesen , wonac h di e Entwicklung de s Kapitalismu s wesentlich au f Faktoren wie Edelmetallzufuh r oder Bevölkerungsvermehrung zurückzuführe n sei. 32 Der Bürger , vo n de m Webe r i n de r »Vorbemerkung « spricht , wa r Produk t einer bestimmte n Phas e de r europäische n Geschichte , des , wie e s be i Webe r heißt, »Intermezzos « de r Stadtautonomie . Un d nu r i m Rahme n diese r Frage stellung konstruier t Webe r de n Idealty p de r ›okzidentale n Stadt‹ , de r keines wegs ein synthetischer Begrif f ist, unter dem sic h die Gesamtheit de r europäi schen Stadtforme n subsumiere n ließe . I m »Stadt«-Tex t erläuter t Webe r sei n methodisches Prinzi p sehr deutlich : »In der Zwischenzeit [nämlic h zwischen der Karolingerzeit und dem modernen patri monialen Staat, wo die Städte jeweils fast nichts als Verwaltungsbezirke waren] waren sie [die Städte] in irgendeinem Grade überall ›Kommunen‹ mit politischen Eigenrechten und autonomer Wirtschaftspolitik. Ähnlich verlief nun auch die Entwicklung in der Antike. Und doch ist weder der moderne Kapitalismus noch der moderne Staat auf dem Boden der antiken Städt e gewachsen, während di e mittelalterlich e Stadtentwicklun g für beide, zwar keineswegs die allein ausschlaggebende Vorstufe und gar nicht ihr Träger war, aber als ein höchs t entscheidende r Fakto r ihrer Entstehun g allerdings nich t wegzudenken ist . Trotz aller äußerlichen Ähnlichkeiten de r Entwicklung müsse n danach doch auch tiefgreifende Unterschied e festzustellen sein. Diesen müssen wir uns nun zuwenden. Wir werden am ehesten die Chance haben, sie zu erkennen, wenn wir die beiderseitigen Städtetypen in ihren charakteristischen Formen einander gegenüberstellen.«33 30 GAR S I, S. 10. Vgl. auch ebd., S. 240 (d.h. in der 1913 geschriebenen »Einleitung« zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen). 31 MW G I/19, S. 468. 32 Vgl . Wg, S. 300f. 33 WuG , S. 788 (MWG I/22-5, S. 233). In einem Brief vom 21. Juni 1914 an Georg v. Below hatte Weber geschrieben, daß das Spezifische an der mittelalterlichen Stadt durch den Kontrast mit antiken, chinesischen, islamischen Städten zu erhellen sei; zitiert bei G. v. Below, Der deutsche Staat des Mittelalters, Leipzig 1925 2, S. XXIV.
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Zur gleichen Zeit als Weber die »Vorbemerkung« verfaßte, las er an der Universität München Wirtschaftsgeschichte. In der von Melchior Palyi und Sigmund Hellmann nac h Mitschrifte n rekonstruierte n un d herausgegebene n »Wirt schaftsgeschichte. Abriß der universalen Wirtschafts- und Universalgeschich te«, finden wir Webers »Stadt« wieder: im 4. Kapitel (»Die Entstehung des modernen Kapitalismus«) als § 7, unter der Überschrift »Das Bürgertum«. Die 19 Seiten dieses Abschnitts lesen sich wie eine Zusammenfassung des Stadttextes, inklusive de s ersten Kapitel s über »Begrif f un d Kategorie n de r Stadt« 34. Anscheinend hat Weber für seine Vorlesung auf das unveröffentlichte Textkonvo lut zurückgegriffen . Un d auc h hie r wir d »Di e Stadt « gan z eindeuti g i n de n Zusammenhang der Untersuchung der Entstehungsbedingungen de s modernen Kapitalismus gestellt, so wie Weber es ja i n der oben zitierten Passag e des »Stadt«-Textes ausdrücklich gesagt hatte.35 Vergleicht ma n di e Text e zu r Wirtschaftsethik de r Weltreligionen un d di e Wirtschaftsgeschichte einerseits mit den Studien zur Antike andererseits, ergibt sich, daß die Stadtstudie aufgrund der Frage nach dem Bürgertum, die so in den »Agrarverhältnissen« noch nicht ausgeformt war, diesen späteren Texten nähersteht. Nicht die Art der Darstellung, wohl aber Problemstellung und Argumentation weisen den »Stadt«-Text dem Umkreis der Wirtschaftsethik der Weltreligionen zu. Aus dieser Perspektive ist »Die Stadt« auch eine Art nachträgliche r Ergänzung der »Protestantischen Ethik« und ein Vorgriff auf die geplanten Studien über das Christentum. Es geht in ihr um die institutionellen Bedingungen der Wirtschaftsethik de s vorreformatorischen Christentum s un d kontrastie rend dazu um die der Wirtschaftsmentalität de r Antike. Im »Stadt«-Text untersucht Weber die sozialen, politischen, ökonomischen und mentalen Voraussetzungen de r Entstehun g de s Bürgertums , da s seinerseit s wiederu m ein e de r Voraussetzungen fü r di e künftige n Wirkungsmöglichkeite n de r protestanti schen Ethik darstellte. Ob die Stadtstudi e i m Gesamtzusammenhan g de s Werkes eher der »Wirt schaftsethik der Weltreligionen« oder »Wirtschaft und Gesellschaft« zuzurech nen sei, ist im Grunde eine müßige Frage und verstellt den Blick darauf, daß in bezug auf die Themen der »Stadt« beide Textgruppen wenn nicht die gleichen, so doch stark komplementäre Problemstellungen haben. Weber hatte sich schon in sehr viel früheren Arbeiten mit der wirtschaftli chen Funktion der Städte beschäftigt: in seiner »Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter« (1889) und sehr viel unmittelbarer noch in seinen Vorlesungen über »Allgemeine (›theoretische‹ ) Nationalökonomie « i n den Jahren 34 Wg , S. 272f Di e Definition der Stadt kommt erst nach der des »Bürgertums«. 35 Ei n Aspekt, den Weber in der »Wirtschaftsgeschichte« sehr viel stärker hervorhebt, ist derjenige der »Kulturbedeutung« der Stadt. Wg, S. 271: »Die Leistungen der Stadt auf dem gesamten Gebiete der Kultur sind außerordentlich.« Dann folgt eine lange Aufzählung.
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von 1894/9 5 bis 189 8 an den Universitäten Freibur g und Heidelberg. De r § 1 1 des »Grundrisses« z u seiner Vorlesung von 189 8 trägt den Titel »Die Stadtwirt schaft und der Ursprung der modernen Unternehmensformen«. 36 Di e Einzelgliederung und die Literaturhinweise zeigen, daß schon hier ein großer Teil des später in der Stadtstudi e verarbeiteten Material s bereitlag . Auf de n Begrif f de r Stadtwirtschaf t komm e ic h noc h zurück . Zuvo r ein e andere Bemerkung : Ei n bestimmter Aspekt de s Weberschen Interesse s an de r modernen Stad t finde t nämlic h keine n Eingan g i n di e Stadtstudie . Au f de m ersten deutschen Soziologenta g i m Oktobe r 191 0 ergriff Max Weber das Wort im Anschluß an ein Referat von Werner Sombart über »Technik und Kultur«. Er wies auf die Beziehung der modernen Techni k zu formal-ästhetischen Werte n hin, die insofer n existiere , »als ganz bestimmte formal e Werte in unserer modernen künstlerischen Kultu r allerdings nu r durc h di e Existen z de r moderne n Großstad t gebore n werde n konnten , de r modernen Großstadt mit Trambahn, mit Untergrundbahn, mit elektrischen und anderen Laternen, Schaufenstern, Konzert- und Restaurationssälen, Cafes, Schloten, Steinmassen, und all dem wilden Tanz der Ton- und Farbenimpressionen, den auf die Sexualphantasie einwirkende n Eindrücke n un d de n Erfahrunge n vo n Variante n de r seelischen Konstitution , di e au f das hungrige Brüte n übe r allerhand scheinba r uner schöpfbare Möglichkeite n de r Lebensführun g un d de s Glücke s hinwirken . Teil s als Protest, als spezifisches Fluchtmitte l aus dieser Realität: - höchst e ästhetische Abstraktionen oder tiefste Traum- oder intensivste Rauschformen, teil s als Anpassung an sie: Apologien ihre r eignen phantastischen berauschenden Rhythmik.« 37 Es folgen Ausführungen übe r die Lyrik, die moderne Malerei und die modern e Musik. Webe r bestimm t seh r klar , welche Frag e etw a i n di e Musikgeschicht e gehöre, nämlich die nach der Beziehung zwischen künstlerischem Wollen un d musiktechnischen Mitteln , un d welch e Frag e Gegenstan d de r Soziologi e sei , nämlich di e »nac h de r Beziehun g zwische n de m ›Geist ‹ eine r bestimmte n Musik und den das Lebenstempo und die Lebensgefuhle beeinflussende n allgemeinen technische n Unterlage n unsere s heutigen , zuma l wiederu m unsere s großstädtischen Lebens.« 38 Das aber ist eine Frage, die derjenigen sehr nahesteht, die Weber wenig später in bezu g au f die antik e un d di e mittelalterlich e Stad t stellt , nämlic h diejenig e nach de n Auswirkunge n sozialer , politischer , ökonomische r un d geographi scher Gegebenheiten auf das Verhalten der Menschen. Oder anders: wie entstehen neu e Verhaltensforme n durc h Anpassun g de s Mensche n a n strukturell e Gegebenheiten? Ei n zentrales Resultat der »Stadt«-Studie besteh t ja darin , da ß 36 M . Weber, Grundriss zu den Vorlesungen über Allgemeine (»theoretische«) Nationalökonomie (1898), Tübingen 1990, S. 15 (in der Paginierung des Nachdrucks). 37 GASS.S.453 . 38 Ebd. , S. 455.
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in ihr die Faktoren aufgezeigt werden , welche die Energien ihre r Bürger au f friedlichen Erwer b und dessen Rationalisierung gelenkt hatten. Von weiteren Überlegungen zur zeitgenössischen Großstadt, wie wir sie aus diesen Jahren von Simmel , Tönnies , Sombart un d anderen i n Fülle kennen , findet sich anscheinend nichts in Webers »Stadt« wieder, außer einer isolierten Bemerkung über die Fremdheit in der Stadt, d.h. über das Fehlen der Bekanntschaft de r Einwohner untereinander. 39 Vo n einem Essa y mit dem Titel »Di e Stadt. Eine soziologische Untersuchung« (so in der Erstveröffentlichung 1921 ) hätte man doch mehr erwarten können . In der zeitgenössischen Literatu r lag alles bereit, was Weber erlaubt hätte, ohne großen Aufwand, a n zwei Vormittagen bei einer guten Zigarre, wie Wilhelm Hennis sagen würde, eine Typologie der modernen Industrie- und Großstadt aus dem Ärmel zu schütteln. Ein Griff zu Sombarts »Der moderne Kapitalismus« (1902) hätte genügt. Dessen Kapitel 10, 11 und 1 2 bieten nicht nur eine solche voll ausgebildete Typologie; sie behandeln auc h di e Reproduktio n de r Bevölkerung, de n »Zu g nach der Stadt « und die Grundrentenbildung. 40 Da ß Max Weber selbst ein lebhaftes Interess e an den Stadtformen seiner Zeit hatte, zeigen in aller Deutlichkeit die von Marianne Weber zitierten Briefe, in denen Weber im Sommer 190 4 während der Amerika-Reise seine vielfältigen Eindrück e von New York, Chicago, St. Louis und Oklahoma City schildert.41 Webe r ist fasziniert von den Formen der amerikanischen Städte , die er entdeckt: »Da s Geschäftsviertel vo n Manhattan Ei land, wo sich [... ] de r ›kapitalistische Geist‹ dieses Landes seine eindrücklich sten Symbole geschaffen hat« ; Chicago, »eine der unglaublichsten Städte«, mit dem Kontrast zwischen den schönen Villenvierteln un d den Arbeitervierteln, mit seine n Stockyards : »sowei t ma n [... ] sehe n kann , nicht s als Herden vo n Vieh, Gebrüll, Geblöke, endloser Dreck - a m Horizont aber rundum - den n die Stadt geht noch Meilen und Meilen weiter, bis sie sich im Heer der Vorstädte verliert - Kirche n un d Kapellen , Elevator-Speicher , rauchend e Schlot e .. . und Häuser jeden Formats.« Schießereien, Streiks, ein ›Raubanfall‹ , »eine eigentümliche Kulturblüt e alle s in allem. Rasen d is t das Durcheinander de r Völ ker: di e Griechen putzen , Straß e au f Straße ab , den Yankees die Stiefe l fü r 5 Cts. - di e Deutschen sin d ihr e Kellner , di e Ire n besorge n ihne n di e Politik , di e Italiene r di e 39 WuG , S. 727 (MWG I/22-5, S. 59). Man denke etwa an den aus Anlaß der Städteausstellung von der Gehe-Stiftung 190 3 veröffentlichten Sammelband : Die Großstadt, hg. von Th. Petermann, Dresden 190 3 (Jb. der Gehe-Stiftung z u Dresden, Bd. ΓΧ) mit Beiträge n von Simmel , Bücher, Ratzel, v. Mayr und anderen. 40 W . Sombart , De r modern e Kapitalismus , 2 Bde. , Leipzi g 1902 , erschein t mi r i n diese m Zusammenhang wichtiger al s sein Aufsatz, Der Begriff der Stadt und das Wesen der Städtebil dung, in: ASS 25,1907, S. 1-9. Zu Sombarts Stadtanalyse in der zweiten Auflage des »modernen Kapitalismus« (1916) vgl. Η. Κ Betz, Werner Sombart's Theory of the City, in:J. Backhaus (Hg.), Werner Sombart (1863-1941), Social Scientist, Bd. II, Marburg 1996 , S. 233-250. 41 Lebensbild , S. 292-317; die folgenden Zitat e S. 293, 298f, 301, 303, 304f
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schmutzigsten Erdarbeiten . Die ganze gewaltig e Stad t - ausgedehnte r al s London! gleicht, außer in den Villenvierteln, einem Menschen, dem die Haut abgezogen ist, und dessen Eingeweide man arbeiten sieht.« In de n Colleges , Kolonie n reizende r Baute n außerhal b de r Großstadt , finde t Weber, so schreibt seine Frau, »sogleich, was ihn so stark interessiert: di e deut lichen Spure n der organisatorischen Kräft e religiöse n Geistes« . Die Reise geh t weiter, übe r St . Loui s i n de n Süden . Hie r interessier t Weber brennend , »wa s Europa nicht bietet: eine werdende Stad t und der werdende Staa t Oklahoma« : »Plötzlich fängt es an, nach Petroleum zu stinken: Man sieht die hohen eiffelturmarti gen Gerüste der Bohrlöcher, selbs t mitten i m Walde und kommt in eine ›Stadt‹. Eine solche ist nun vollends ein tolles Ding. Zeltlager der Arbeiter, besonders der Streckenarbeiter der zahlreichen im Bau befindlichen Bahnen, Straßen im Naturzustande, meist mit Petroleum zweimal im Sommer getränkt gegen den Staub und entsprechend duftend, Holzkirchen von mindestens 4—5 Denominationen, au f diesen ›Straßen‹ als Verkehrshindernisse Holzhäuser auf Rollen gesetzt und so fortbewegt: der Eigentümer ist reich geworden, hat sie verkauft und sich ein neues Haus gebaut, das alte wird aufs Feld gefahren, wo ein New-comer, der es gekauft hat, hineinzieht. Dazu das übliche Gewirr von Telegraphen un d Telephondrähten, elektrische Bahnen im Bau - den n die ›Stadt‹ erstreckt sich in unermeßliche Fernen . [... ] Ei n fabelhaft reizvolle s - d.h . nicht ästhetisch reizvolles - Bild des Werdens, welches im nächsten Jahr schon ganz den Charakter von Oklahoma City , d.h . de n jeder andere n westliche n Stad t angenomme n habe n wird.« In all dem lag Stoffgenug fü r eine kleine anschauliche Stadtsoziologie . Geht es also in der »Stadt« nicht um eine generelle Untersuchung der Formen der Stadt, sondern u m di e Kulturbedeutun g de r okzidentale n Bürgerstadt , de r Stadtge meinde, de s Stadtbürgertum s un d de r vo n ih m entwickelte n Wirtschaftsfor men fü r di e Entstehungsbedingunge n de s moderne n Kapitalismus , läß t sic h von hier aus doch, wie wir gesehen haben, wenigstens eine Verbindung zu de m ziehen, was Weber a n de r moderne n Großstad t interessiert . Da s is t di e Frag e nach dem Menschentum, nach dem Typ des Menschen und seinen Verhaltensformen, dere n Entwicklun g vo n bestimmte n Umweltbedingunge n (geogra phischen, sozialen , politischen etc. ) gefördert wird . S o wie sic h Weber fü r di e Umorientierung des Wirtschaftsverhaltens durc h die besondere Form der mit telalterlichen Binnenstadt nördlich der Alpen interessiert, so sucht er, mit anderen wissenschaftliche n Instrumenten , di e Auswirkunge n de r moderne n Fa brikarbeit au f di e Arbeiterschaf t z u erforschen , un d ähnlic h interessier t e r sich für die Auswirkungen de s Großstadtlebens au f die künstlerische un d psy chische Entwicklung de s Stadtbewohners . Die Bedeutung der modernen Großstadt bleibt hier aber augenscheinlich au f den ästhetischen Bereich und das Nervenleben begrenzt. Sie spielt keine Roll e in Webers Untersuchun g zu m moderne n Industriekapitalismus . Au f Grun d des skizzierte n werkgeschichtliche n Zusammenhang s lieg t ein e erst e Erklä -
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rung dafür auf der Hand: In Webers Sicht des Kapitalismus hatte die Stadt (als Stadtgemeinde) nach dem Intermezzo der Städtefreiheit, wie er es nannte, keine große Bedeutung mehr; weder als Wirtschaftseinheit noch als Basis für neue Formen des Wirtschaftsverhaltens ode r neue Wirtschaftsmentalitäten. S o wie auch die protestantische Ethik, wie Weber betont hatte, in der Zeit des marktorientierten Industriekapitalismu s fü r diese n nich t di e geringst e Roll e meh r spielte. Den politischen und institutionellen Rahmen für den modernen Kapitalismus bildete der Staat, nicht die Stadt. Dabei konnte allerdings »die Einbeziehung städtischer Gemeindeverbände al s Stütze der Finanzmacht i n die konkurrierenden Patrimonialgewalten erforderlich« sein, wie Weber im ersten, also zeitlich spätere n Tei l von »Wirtschaf t un d Gesellschaft « (i m Kapite l übe r di e Typen der Herrschaft) präzisiert. 42 Scho n 189 6 hatte Weber seine nationalökonomisch strukturierte Sicht der okzidentalen Geschichte deutlich gemacht, in der nach der Wiedererstehung der »Stadt im Mittelalter [...] dan n der Übergang zur Volkswirtschaft di e bürgerliche Freihei t vorbereitete un d die Gebunden heit unter den äußern und innern Autoritäten des Feudalzeitalters sprengte«. 43 Mit diese n Argumenten is t aber die Frag e nach der zeitgenössischen Stad t noch nicht vollständig aus dem Weg geräumt. Denn selbst wenn es legitim sein sollte, die Stadtstudie von der oben zitierten Passage aus der »Vorbemerkung « zur »Wirtschaftsethik de r Weltreligionen« he r ganz auf die Frag e des Bürger tums zuzuschneiden, sollte man nicht auf den Versuch verzichten, sie auch im Lichte der zeitgenössischen Debatte n um die Stadt zu sehen, in die Weber direkt oder indirekt verwickelt war, die sich in seinem Text aber nur sehr begrenzt widerspiegeln. III. Zeitgeschichtliche Zusammenhäng e Im Jahre 191 1 konstatierte Friedric h Nauman n i n seiner Wochenschrift »Di e Hilfe«: »Ungefähr so wie der Franzose sein Thema hat: was ist die große Revolution, so haben wir durch unser Nationalschicksal für lange Zeit unser Thema bekommen: was ist der Kapitalismus.«44 Fü r Max Weber stand der Suche nach den kulturelle n Entstehungsfaktore n de s Kapitalismu s di e Erforschun g de r Kulturbedeutung des Kapitalismus selbst gegenüber. Nirgends ist diese Frage deutlicher formuliert al s in dem »Geleitwort«, mit dem die drei Nationalöko nomen Edgar Jaffé, Werner Sombart und Max Weber 1904, anläßlich der Übernahme des Braunschen »Archivs für Soziale Gesetzgebung und Statistik. Zeit42 WuG , S. 139. 43 GASW , S. 311. Diese Passage gehört zum Schlußsatz des Aufsatzes: Die sozialen Gründ e des Untergangs der antiken Kultur. 44 F . Naumann, Das Suchen nach dem Wesen des Kapitalismus, in: Die Hilfe 178 , Nr. 37 v. 14.9. 1911 , S. 578-579.
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schrift zu r Erforschung de r gesellschaftlichen Zuständ e aller Länder« die erst e Nummer de s »Archiv s fü r Sozialwissenschaf t un d Sozialpolitik « (s o der neu e Titel de r Zeitschrift) eröffnete n un d ihr e Redaktionspoliti k definierten : »Unsere Zeitschrift wird heute die historische und theoretische Erkenntnis der allgemeinen Kultutbedeutung der kapitalistüchen Entwicklung al s dasjenige wissenschaftliche Pro blem ansehen müssen, in dessen Dienst sie steht. Und gerade weil sie selbst von einem durchaus spezifischen Gesichtspunk t ausgeht und ausgehen muß, dem der ökonomischen Bedingthei t de r Kulturerscheinungen , kan n si e nich t umhin , sic h i n engere m Kontakt mit den Nachbardisziplinen de r allgemeinen Staatslehre , der Rechtsphiloso phie, der Sozialethik, mit den sozial-psychologischen un d den gewöhnlich unte r dem Namen Soziologi e zusammengefaßte n Untersuchunge n z u halten . [... ] Wi r werde n besondere Aufmerksamkeit denjenigen Problemen zuwenden müssen, die gewöhnlich als sozialanthropologische bezeichnet werden, den Fragen also nach der Rückwirkun g der ökonomischen Verhältnisse auf die Gestaltung der Rassenauslese einerseits , nach der Beeinflussung des ökonomischen Daseinskampfes und der ökonomischen Institutionen durch ererbte physische und psychische Qualitäten andererseits.« 45 In derselben Numme r de s »Archivs«, i m sogenannten Objektivitäts-Aufsatz, 46 präzisiert Weber, 47 da s eigenst e Arbeitsgebie t de r Zeitschrif t se i »di e wissen schaftliche Erforschung der allgemeinen Kulturbedeutun g der sozialökonomi schen Struktu r de s menschliche n Gemeinschaftsleben s un d seine r histori schen Organisationsformen«. 48 Wa s sich aus einem solchen Program m fü r ein e sozialwissenschaftliche Stadtforschun g ableite n ließe, brauche ich nicht auszu führen. I n der von Weber maßgeblich mitgeführten Zeitschrift 49 nehme n den n auch Untersuchungen übe r städtische Wohnungsfragen, übe r Bodenspekulati on und städtisch e Grundrent e eine n gan z erheblichen Rau m ein. 50 Was in Webers »Archiv« im Grunde jedoch nich t geschah, zeigt ein Blick au f das 190 9 erschienene Buc h von Mauric e Halbwachs , »Les expropriations e t l e prix des terrain s à Paris (1860-1900)« . Au f der Grundlag e vo n ökonomische n Daten, wie Weber und andere Autoren des »Archivs« sie auch verwenden, wir d die Großstad t i n ihre r Komplexitä t hie r vo n Halbwach s i n eine r gan z neue n Weise zu m Objek t eine r eigene n soziologische n Analys e gemacht , inde m e r 45 AS S 19, 1904, S.V. 46 M . Weber , Die »Objektivität« sozialwissenschaftliche r un d sozialpolitischer Erkenntni s (1904), in: WL,S. 146-214. 47 Auc h im Namen der Mitherausgeber; WL, S. 146. 48 Ebd. , S. 165 . 49 Ic h habe die Jahrgänge 1904 bis 1922 durchgesehen. Sehr interessant für städtischen Probleme sind zumal die Literaturberichte von Hugo Lindemann, Emil Lederer, Paul Mombert, Othmar Spann und auch Werner Sombart. 50 »Wohnungsfragen « etc . kommen auch im Stoffverteilungsplan 191 0 für das »Handbuch der politischen Ökonomie« vor; die »Stadt« als solche jedoch nicht. Weber hatte dort für sich selbst u.a. ein Kapitel über »Agrarkapitalismus und Bevölkerungsgruppierung« reserviert (MWG II/6, S. 773). In zeitgenössischen Stadtfragen fühlte er sich gewiß nicht kompetent, dagegen natürlich in Agrarfragen.
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nach den Ursachen ihres Strukturwandels sucht; und diese Analyse wird dann gegen die bis dahin vorherrschende ökonomische, historisch e oder politische Betrachtungsweise durchgesetzt.51 I n Webers Soziologie dagegen findet sich, in bezug auf die Stadt, nichts Vergleichbares. Auf die zeitgenössischen Debatten in der deutschen Publizistik und Wissenschaft u m Urbanisierung, Industriestad t un d Großstadt kann hier nur knapp hingewiesen werden. Ein allgemeiner Topos der Epoche um 1900 war bekanntlich di e agrarromantisch e Verurteilun g großstädtische r Dekadenz , aber auc h umgekehrt die Idee, so bei Tönnies und Simmel, daß die Großstadt dem Individuum größer e un d stärker e Entwicklungsmöglichkeiten biete. 52 Fü r diese letzte Idee interessiert sich Weber, wie gezeigt, ohne aber in Stadtromantik zu verfallen un d ohne sich wirklich a n diesen Diskussione n z u beteiligen. Auch setzt Weber sich radikal ab von der Kontrastierung von Mittelalter und Moderne nach dem Schema Gemeinschaft versus Gesellschaft, wie wir es bei Tönnies, Simmel, Durkhei m un d auch bei Sombart finden. Di e nationalökonomisch e Variante der Agraridylle und Verstädterungsfurcht greift Weber schon 1897 mit äußerster Schärfe an, nämlich die Forderung nach Schutzzöllen und nach dem Verzicht auf industriellen Export sowie die Ideologie der Eigenwirtschaft. Au s seinen Agrarenquete n i m Oste n Deutschland s zieh t e r di e Erkenntnis, da ß »starke deutsche Landbevölkerung und Ernährung Deutschlands nur von in ländischem Getreide [... ] unversöhnlich e Gegensätze« seien. 53 Urbanisierun g und Industrialisierung sind in Webers Augen unabdingbare politische und ökonomische Voraussetzungen für die Stärkung Deutschlands, das sonst vom Rentenkapitalismus geschwächt werde.54 Nun gehörten die sozialen Folgen der Urbanisierung und die Rolle der Städte bei der Bekämpfung ihrer Auswirkungen zu den großen Themen des Vereins für Sozialpolitik.55 Weber beteiligte sich nicht selbst an den Enqueten und Diskussionen über »Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte«, über »die wirtschaftlichen Unternehmunge n der Gemeinden«, über die »Wohnungsfra 51 Vgl . M. Amiot, Contre I'État, les sociologues. Éléments pour une histoire de la sociologie urbaine en France (1900-1980), Paris 1986, Kapitel 1 , v.a. S. 14; C Topalov , Mauric e Halbwach s et les villes (1908-1912), in: Annales. Histoire, Sciences Sociales 52, 1997, S. 1057-1083. 52 Zu r Stadtkritik vgl. u.a.: Α Lees, Critics of Urban Society in Germany, in: JH1 40,1979, S. 61-83. 53 Verhandlunge n des Achten Evangelisch-sozialen Kongresses, abgehalten zu Leipzig am 10. und 11 . Juni 1897 , Göttingen 1897 , S. 112. 54 Ebd. , S. 109 . Die gleiche Argumentationslinie verfich t Ma x Weber , Agrarstatistische un d sozialpolitische Betrachtungen zur Fideikommißfrage i n Preußen (1904), in: GASS, S. 323-393. 55 Theme n 1906-1914 : Die Sozialpolitik der Gemeinden: a) Verfassung und Verwaltungsorganisation der Städte (1907, Schriften Bd . 125 und 117-123) ; b) Die wirtschaftlichen Unterneh mungen der Gemeinden (Schriften Bd. 132 und 128-130: Gemeindebetriebe); c) Fragen der Gemeindebesteuerung (Schrifte n Bd . 138). Früher: Kommunalsteuerfrage (1877) , Wohnungsfrage (1886 un d 1901) . Vgl. I. Gorges , Sozialforschung i n Deutschlan d 1872-1914 , Frankfur t a . M . 19862, S. 425ff., 443.
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ge«, über die »Sozialpolitik der Gemeinden« etc. Aber auf den Tagungen griffe r verschiedentlich in die Debatten ein, zumal wenn es um die möglichen Konsequenzen sozialdemokratischer Wahlsieg e i n de n Städte n ging. Was Weber i n diesem Zusammenhang neben dem Thema der Bürokratisierung ganz besonders interessierte, war wieder die Stadtwirtschaftspolitik: de r »Gemeindemerkantilismus«, den er anschaulich am Beispiel der Kommunalisierung des Bäkkereigewerbes in Catania (Sizilien) erläuterte. »[Catania] is t die einzige moderne Stad t der Insel, die einzige Stadt, in der der bürger liche Kapitalismus auf einer respektablen Höhe der Entwicklung steht. Begünstigungen aller Art, selbst Prämien, die die sozialistische Verwaltung i n dieser Kommune fü r di e Anlage der Fabriken gab, halfen dazu. Und da s ist auch im höchsten Maße begreiflich : jede Arbeiterschaft, di e eine Gemeinde in der Hand hat und ihre ökonomischen Inter essen pflegt, wird ebe n merfeimfi/tsfüc/ie Politi k treiben.« 56
Auch solche Beobachtungen wären es wert gewesen, in die Stadtstudie aufge nommen zu werden, wenn es in diesem Text darum gegangen wäre, zumindest die ökonomische Analys e de r Stad t bi s i n di e Gegenwar t fortzuführen . Fü r seine empirischen Industrieuntersuchunge n legt e Weber in der gleichen Zeit übrigens einen äußerst pragmatischen Stadtbegriff zugrunde: unter »Städten«, ließ er die Bearbeiter der »Erhebungen übe r Auslese und Anpassung (Berufs wahl un d Berufsschicksal ) de r Arbeiterschaf t de r geschlossene n Großindu strie« wissen, »wären dabei Orte beliebiger Kleinheit , welche das den Städte n eigentümliche geschäftliche Leben mit allen seinen Konsequenzen aufweisen , zu verstehen«.57 Die politischen und sozialpolitischen Auseinandersetzungen u m Stadt und Gemeindereform wurden nicht nur im Umkreis der historischen Schule der Nationalökonomie und des Vereins für Socialpolitik in erheblichem Maße unter Zuhilfenahm e historische r Argument e ausgefochten. 58 Di e Entstehun g und der Charakter der mittelalterlichen Stad t waren dabei häufig das zentrale Argument und daher auch der zentrale Konfliktpunkt wissenschaftlicher Auseinandersetzungen. An den epischen Debatten unter Historikern und Ökonomen über Marktrechts- und Hofrechtstheorie beteiligt e Weber sich nicht direkt. I n der Stadtstudi e abe r spar t e r nich t mi t methodologische r Kriti k a m Kampf der »Städtetheorien«, be i dem einerseits die formalrechtlich, anderer 56 Verei n für Sozialpolitik , Schrifte n Bd . 125 , 1908 (= Verhandlungen 1907) , S . 294-301 ; Zitat S. 299 (GASS, S. 411). Vgl. die Briefe MWG IV5, S. 177 und S. 407. 57 I n der Enquête zur Psychophysik, wo Weber die Unterschiede ländlicher und städtischer Herkunft ins Auge faßt (MWG I/11, S. 115). 58 Zu r politischen Funktion des Stadt- und Gemeindebegriffes siehe allgemein:J.JSheehan, Liberalism and the City in Nineteenth-Century Germany, in: Past & Present 51, 1971, S. 116137;J. Reulecke, Bildungsbürgertum und Kommunalpolitik im 19. Jahrhundert, in:J. Kocka (Hg.), Bildungsbürgertum, Teil IV, Stuttgart 1989, S. 122-145; G. Hübinger, Kulturprotestantismus und Politik, Tübingen 1994 , besonders S. 219-224.
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seits die soziologisch und politisch entscheidenden Vorgänge nicht immer auseinandergehalten worde n seien. 59 Webe r hiel t sic h gleichfall s fer n vo n de m politischen Strei t übe r de n genossenschaftliche n ode r herrschaftliche n Cha rakter der mittelalterlichen Stadt und interessierte sich auch nicht für das politische Problem der Anteriorität un d Prioritä t von Stadt oder Staat, 60 da s aufgrund de s Wesens der mittelalterlichen Stad t entschieden werden sollte . Mit diesem Argument wurde politisch und wissenschaftlich fü r und gegen stärkere Aufgaben, höher e Einnahmen und größere Autonomie für die Städte gefochten. Solche Vorstellungen hatten in Webers politischem Denken und in seiner Sicht des deutschen Nationalstaates keinen Platz. So wie auch in seinen späteren Verfassungsplänen kein Platz war für städtische oder Gemeindedemokratie, weder zugunsten lokaler Freiheiten noch zugunsten einer effizienteren Verwaltung. Das einzige Thema, das er aus den Stadtdiskussionen innerhal b der Nationalökonomie und der Mediävistik seiner Zeit wirklich konstant aufnahm, war das der Stadtwirtschaftspolitik. 61 Ei n Motiv , da s Weber i n seine r Stadtstudi e verfolgte, wa r offensichtlich, de n überal l verwendete n Begrif f der Stadtwirt schaftspolitik neu zu fassen oder jedenfalls ›einzufassen‹ und zu operationalisieren. Nicht zufällig hatte er ja gerade an diesem Begriff im »Objektivitäts«-Aufsatz (1904 ) di e Bildun g vo n Idealtype n i n de r Nationalökonomi e erläutert . Auch die ausführliche Kritik im Eingangskapitel der »Stadt« an der Verwendung dieses Begriffes zeigt, daß ihm das Konzept der Stadtwirtschaft seh r viel wichtiger war als die zahlreichen, zuvor aufgeführten Typenbezeichnunge n (Produ zenten-, Konsumenten- , Handelsstad t etc.) . Weber wollte zuma l di e üblich e Vermengung de r Analyse städtische r Wirtschaftspoliti k mi t de r »Stadtwirt schaft« als wirtschaftlicher Entwicklungsstufe zurückweisen .
59 WuG , S. 749 (MWGI/22-5, S.124). Vgl. auch die Kritik an dem »verdammte[n] Unsinn« der Marktrechtstheorie bei W. Sombart, Probleme der Wirtschaftsgeschichte, in: Schjb. 44, H. 3, 1920, S. 73-91, hier S. 80, bzw. an der »unleidliche(n) Melodie von der Hofrechtstheorie«; den., Der moderne Kapitalismus, Bd. I, München 1916 2, S. 143. 60 Anders , aber zu unrecht, K. Schreiner, Die mittelalterliche Stadt in Webers Analyse und die Deutung des okzidentalen Rationalimus , in: Kocka, Weber, S . 119-150 , hier S . 130 : »Mit de m Hinweis auf die Illegitimitä t stadtbürgerliche r Herrschaft macht e sich Weber zum Apologeten der von den staufischen Kaisern ›gegen die Stadtautonomie gerichteten Erlassen. Vgl dagegen O. G. Oexle, Kulturwissenschaftliche Reflexionen über soziale Gruppen in der mittelalterlichen Gesellschaft: Tönnies, Simmel, Durkheim und Max Weber, in: Meier, Stadt, S. 115-159, hier S. 144. 61 Al s zeitgenössischer Forschungsüberblic k dazu: H. Sieveking , Di e mittelalterlich e Stadt , VSWG 2,1904, S. 177-218 sowie P. Sander, Die geschichtliche Erforschung der stadtwirtschaftlichen Handwerksverfassun g i n Deutschland , in : Di e Entwicklun g de r deutsche n Volkswirt schaftslehre i m 19 . Jahrundert (Festschrif t Gusta v Schmoller), Leipzig 1908 , S. 1-20 . Daz u aus heutiger Sicht: L. Schorn-Schütte, Stadt und Staat. Zum Zusammenhang von Gegenwartsverständnis und historischer Erkenntnis in der Stadtgeschichtsforschung der Jahrhundertwende, in: Die Alte Stadt 10 , 1983, S. 228-266.
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Die zeitgenössisch e Kapitalismusdebatt e übe r Wirtschaftsstufen, Zünfte , Handel, Handwerk und die Entstehung des Kapitals in den Städten drehte sich seit Jahren im Kreise. Der Versuch, hier allein mit weiteren Stadtwirtschaftsge schichten i m Geiste der Historischen Schul e weiterzukommen, führt e nich t weit. Auc h schärfer e ökonomisch e Stadtdefinitione n halfe n nich t viel , wi e Weber im ersten Kapitel der »Stadt« zeigt. Damit war wohl auch Sombart angesprochen, der im »Archiv« Überlegungen übe r den Begriff der Stadt und das Wesen de r Städtebildung angestell t hatte. 62 Einig e seiner Unterscheidungen , etwa die zwischen ökonomischem, administrativem und statistischem StadtbegrifF, finden sic h in Webers Text wieder. Für die Frage der Genesis einer Stadt im ökonomischen Sinn übernahm Weber dagegen nicht Sombarts Unterscheidung zwische n Städtegründer n un d Städtefuller n (originär e un d abgeleitet e Städtebildner). Aber di e Kriti k mocht e auc h au f Karl Büche r zielen , desse n 1913 (!) abgelieferte r Beitra g über »Volkswirtschaftliche Entwicklungsstufen « (und darin: »Stadtwirtschaft«) für den »Grundriß der Sozialökonomie« bei Max Weber größte Enttäuschung hervorrief. Denn dieser Beitrag »ließ jegliche Erörterung der Thematik: Die Wirtschaft in ihren Beziehungen zu den gesellschaftlichen Forme n und Institutione n vermissen«. 63 Da s veranlaßte Weber, wie er im November 191 3 an Paul Siebeck schrieb, seinen »eigenen Beitrag zu einer ›Soziologie‹ auszuarbeiten, um wenigstens einen teilweisen Ersatz zu bieten«.64 In den »soziologischen Grundkategorie n des Wirtschaftens«, i m ersten, also späteren Teil von »Wirtschaft un d Gesellschaft«, grif f Weber das Problem der ökonomischen »Entwicklungsstufen« wieder auf, um daraufhinzuweisen, da ß man neuerding s genaue r zwische n Arte n de r Wirtschaf t un d Arten de r Wirt schaftspolitik unterscheide : »Die von Schönber g präludierte n Schmollersche n und seitde m abgewandelte n Stufen : Hauswirtschaft, Dorfwirtschaf t - daz u als weitere ›Stufe‹: grundherrliche und patrimo nialfurstliche Haushalts-Wirtschaft -, Stadtwirtschaft , Territorialwirtschaft , Volkswirtschaft waren i n seiner Terminologie bestimm t durc h die Art des wirtschaftsregulieren den Verbandes. Aber es ist nicht gesagt, daß auch nur die Art dieser Wirtschaftsregulierung bei Verbänden verschiedenen Umfangs verschieden wäre.« 65
Die deutsch e Territorialwirtschaftspoliti k se i i n weite m Umfan g nu r ein e Übernahme der stadtwirtschaftlichen Regulierunge n gewesen, und ihre neuen Maßnahmen seien nicht spezifisch verschieden gewesen von der merkantilisti62 Sombart , Begriff der Stadt. - E . Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften, Straßburg 1892, S. 7, hatte festgestellt, man müsse darauf verzichten, einen einheitlichen Begriff für die Stadt aufzustellen. 63 Brie f an Paul Siebeck, zitiert bei Winckeimann, Hauptwerk, S. 16. 64 Winckelmann , Hauptwerk, S. 17. Weber hatte bis dahin Bücher immer gegen Kritik verteidigt, indem er darauf hinwies, daß die Entwicklungsstufen idealtypisc h zu verstehen seien. Anscheinend hatte Bücher selbst das nicht ganz so verstanden. 65 WuG , S. 64.
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schen Politik relativ rationaler Staatsverbände. Auch sei vor allem nicht gesagt, daß die »innere Struktur der Wirtschaft« (d.h . die Art der Leistungsspezifikati on, der Verteilung der Leistungen, die Art der Appropriation von Arbeitsverwertung, Beschaffungsmittel un d Erwerbschancen) »mit demjenigen Umfan g des Verbandes parallel ging, der (möglicher!) Träger einer Wirtschaftspo/iftfe wa r und vollends: daß sie mit dem Umfang dieses immer gleichsinnig wechsle. Die Vergleichung de s Okzidents mi t Asien un d de s modernen mi t de m antike n Okzident würde das Irrige dieser Annahme zeigen«.66 Gena u das hatte Weber in seiner damals jedoch noch nicht veröffentlichten Stadtstudie, auf die er vorauswies, gezeigt. 67 IV. Stadtwirtschaftspolitik al s Verbandshandel n Max Weber wollte in seiner Studie über die Stadt unter anderem zeigen, daß die Stadtwirtschaftspolitik i n Wechselwirkung z u gesellschaftlichen Forme n un d Institutionen sowie anderen Konstituentien der Stadt steht. Von der Frage der Stadtwirtschaftspolitik ka m er immer zu der des Verbandes. Aber die Niederschrift der »Stadt« fiel auch in die Jahre, in denen Weber, nach dem Abschluß der Antikritiken zu r Protestantischen Ethik (1910), seine These über die Entstehungsbedingungen un d -faktoren des modernen marktorientierten Kapita lismus auf eine breitere Grundlage stellte. Während dieser gesamten Zeit war ihm Werner Sombart wohl der hauptsächliche, weil intellektuell am nächsten stehende Kontrahent. Das betraf nicht nur die Frage nach der Rolle der Religion für die Wirtschaft, sondern die nach der Entstehung und Charakterisierun g des Kapitalismus insgesamt. Im einzelnen ging es dabei um die Figur des kapitalistischen Unternehmers, 68 u m da s Bürgertum (Sombart s »Bourgeois « is t 1913 erschienen), u m di e Stadtwirtschaftspoliti k un d u m di e ökonomisch e Definition der Stadt.69 Di e Auseinandersetzung, die Weber mit Sombart, stellvertretend für viele andere, um die Frage der Entstehung des modernen Kapitalismus führte, berührte auch die Bedeutung Italiens, Flanderns und Englands in diesem Prozeß und erforderte daher, auch Venedig und die englischen Städte in die Untersuchung einzubeziehen . 66 Ebd. , S. 64f . 67 I n de r anschließende n Typologi e (WuG , S . 69 ) interpretiert e Webe r »diejenige n Wirt schaftsregulierungen i n de n okzidentale n mittelalterliche n Kommunen , ebens o wi e i n de n Gilden un d Kaste n von China un d Indie n [...] , welche di e Art der Arbeitsorientierung i n de n Handwerken regulierten«, als Beschränkung der Marktfreiheit un d der autonomen erwerbswirt schaftlichen Orientierung der Handwerker: »sie war orientiert an der Erhaltung der ›Nahrung‹ für die gegebenen Handwerksbetriebe und also insoweit der haushaltswirtschaftlichen Orientierun g trotz ihrer erwerbswirtschaftlichen For m doch innerlich material verwandt.« 68 Vgi . W. Sombart, Der kapitalistische Unternehmer, in : ASS 29, 1909, S. 689-758. 69 Sombart , Der moderne Kapitalismus (1902); ders., Begriff der Stadt.
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Die vergleichende Analyse der politischen Strukturen der Stadt zielt auf ihre wirtschaftliche Funktio n fü r den Kapitalismus , insofern dies e durch ihr e poli tische Struktu r mitbestimm t wird , un d zwa r vo r allem , wa s di e Ausbildun g oder Umformung vo n Organisationsformen un d Forme n des Wirtschaftsver haltens angeht.70 A m Anfang von »Wirtschaft un d Gesellschaft« faß t Weber diese Entwicklung noc h einmal zusammen : »Der moderne, spezifisch okzidentale Kapitalismus ist vorbereitet worden in den (relativ) rationa l verwaltete n spezifisc h okzidentale n städtischen Verbänden (vo n deren Eigenart später gesondert zu reden sein wird); er entwickelte sich vom 16.-18 . Jahrhundert innerhal b de r ständische n holländische n un d englischen , durc h Vorwalte n de r bürgerlichen Macht und Erwerbsinteressen ausgezeichneten politischen Verbände primär, während die fiskalisch un d utilitarisch bedingten sekundären Nachahmungen i n den rein patrimonialen oder feudal-ständisch beeinflußten Staate n des Kontinents ganz ebenso wie die Stuartschen Monopolindustrien nicht in realer Kontinuität mit der später einsetzenden autonomen kapitalistischen Entwicklung standen«. 71 Weniger um die Stadt als um die städtischen Verbände und das Bürgertum gin g es Weber i n diesem siche r unfertige n abe r wohl einheitlic h konzipierte n Text . Damit lieg t die Annahme nahe , daß der rot e Fade n (ode r ei n rote r Faden ) ur sprünglich war: die Frage nach der Stadtwirtschaftspolitik al s Verbandshandeln im Zusammenhan g mi t de r Untersuchun g de r Entstehungsbedingunge n de s Bürgertums bzw . mit de n Faktoren , di e außerhalb des Okzident s sei n Entste hen verhinderten. Eine der Hauptschwierigkeiten de s Textes besteht in seine m Reichtum, anders gesagt in Webers bewundernswerter Eigenart, allen ihn inter essierenden Fragen so weit wie nur möglich nachzugehen. Man kann daher auf mancherlei Weise mit dem Text glücklich werden, und es gibt berechtigterwei se unterschiedlich e Annahme n übe r da s zentral e Them a de r Stadtstudie , ge nauso wi e e s Argumente fü r ode r gege n ihr e Einbeziehun g entwede r i n di e Herrschaftssoziologie ode r i n di e Wirtschaftsethi k de r Weltreligione n gibt . Dort aber hat Weber das zentrale Argument der »Stadt« ja verwendet, un d es ist anzunehmen, daß er ähnlich, wenn auch sehr viel ausführlicher, i n einer Studi e über di e Wirtschaftsethik de s vorreformatorischen , mittelalterliche n un d de s antiken Christentum s verfahren wäre . Keinesfalls aber hätte er seinen Text aus den Jahren 1911-191 4 einfac h unveränder t i n eine solch e Untersuchun g ein fügen können . Auch der oben zitierte Vorverweis auf die Behandlung der städtischen Verbände in »Wirtschaft un d Gesellschaft« läß t sich gewiß nicht so ver-
70 Mi t seinen Thesen, wie denn die mittelalterliche Stadt als städtisches Gebilde den Wirtschaftsmenschen geformt habe, nimmt Weber, bewußt oder unbewußt, Überlegungen von Adam Smith wieder auf; vgl . Λ. Bürgin, Zur Soziogenese der politischen Ökonomie . Wirtschaftsgeschichtliche und dogmenhistorische Betrachtungen, Marburg 19962, S. 380. 71 WuG , S. 139.
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stehen, daß Weber sein Vorkriegsmanuskript über »Die Stadt« dort einfach eingeschoben hätte. 72 Vielleicht sollte man zunächst einmal von der Tatsache ausgehen, daß Weber den Text eben nicht veröffentlicht ha t und, soweit wir wissen, auch keinerle i Aufzeichnung hinterlasse n hat , in der er niedergelegt hätte , was er denn mi t dem Manuskript vorhatte, auf das er ganz offensichtlich noc h in seinen späten Münchener Vorlesungen zurückgegriffen hat. In einem Brief vom 11. September 1919 an den Verlag Mohr (Siebeck) hatte Weber einen Aufsatz angekündigt, »der noch zu schreiben ist (im Kopf fertig) übe r die allgemeinen Grundlage n der occidentale n Sonderentwicklung « un d de r i n di e »Wirtschaftsethi k de r Weltreligionen« einzuschiebe n sei. 73 I n der sechs Wochen späte r gedruckte n und von Weber selbst redigierten Voranzeige der »Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie« hie ß es dann präziser, die Aufsätze übe r die Protestanti sche Ethik und über die Wirtschaftsethik de r Weltreligionen sollte n erweiter t werden »durch eine kurze Darstellung der ägyptischen und mesopotamische n und der zarathustrischen religiösen Ethik, namentlich aber durch eine der Entstehung der sozialen Eigenart des Okzidents gewidmeten Skizze der Entwicklung des europäischen Bürgertum s i n der Antike un d i m Mittelalter.« 74 »I m Kopf fertig« hie ß gewiß, daß das meiste auch schriftlich scho n bereitlag, näm lich in der kurz vor dem Weltkrieg geschriebenen Studie über die Stadt und, wie man hinzufügen könnte , über die Stadtwirtschaftspolitik .
72 Z u de r von Winckelmann vorgenommene n Eingliederun g i n di e Herrschaftssoziologi e vgl. S. Breuer (in diesem Band). 73 MW G I/20, S. 37 (editorischer Bericht). 74 MW G I/19, S.28 (editorischer Bericht).
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STEFAN BREUE R
Nichtlegitime Herrschaft Interpretationsprobleme können aus einem Punkt oder einem Komma entstehen. Als Max Weber 1914 in die Gliederung seines Beitrags zum »Grundriß der Sozialökonomik« den Punkt 8c einfügte, »Die nichtlegitime Herrschaft. Typologie de r Städte« , dürft e e r kaum geahn t haben , welche Diskussio n e r dami t auslösen sollte. Noch fü r di e Erstherausgeberin von »Wirtschaft un d Gesell schaft«, Marianne Weber, war der Punkt in dieser Formulierung ein Punkt, der zwei verschiedene Problemkreise voneinander abgrenzte. Das im Nachlaß gefundene Manuskript über »Die Stadt« bezog sich aus ihrer Sicht primär auf den zweiten Problemkreis, die Typologie der Städte, weshalb sie es nicht dem Dritten Teil (»Typen der Herrschaft«) zuordnete , sondern dem Zweiten Teil (»Typen der Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung«), von dem sie meinte, er kulminiere in der Stadt als der »höchste(n) Form der Vergesellschaftung«.1 Ers t der Herausgeber der dritten Auflage von »Wirtschaft und Gesellschaft«, Johannes Winckelmann, la s den Punk t al s Doppelpunkt . Di e i n de r Stadt-Studi e entwickelte Typologie , s o sein e These , se i ei n »Beitra g zu r Lehr e vo n de n Herrschaftsformen«, nämlic h di e Ausfüllung dessen , was unte r nichtlegitime r oder illegitimer Herrschaft z u verstehen sei; weshalb das Manuskript in WuG »an den Schluß der entfalteten (Drei-) Typenlehre der legitimen Herrschaft« gehöre.2 Über dieser weithin akzeptierten Sichtweise ist zweierlei aus den Augen geraten. Erstens sind die in der »Stadt« dargestellten Herrschaftsforme n nu r zu einem sehr kleinen Teil der nichtlegitimen Herrschaft zuzurechnen, so daß die von Winckelman n gewählt e Überschrif t unangemesse n ist . Zweiten s ha t Weber in der endgültigen Fassun g seines Grundrißbeitrags (WuG , Kap. I-IV) einige der in der »Stadt« als nichtlegitim eingestuften Formen noch einmal aufgegriffen un d nunmehr als legitime Formen behandelt, z.B. den sogenannte n Polis-Feudalismus un d di e plebiszitär e Demokratie . Was i n de m geplanten , aber nicht mehr ausgeführten Abschnitt über die Stadt noch unter »nichtlegitime Herrschaft« gestanden hätte, wissen wir nicht. Es ist jedoch nicht sehr wahr1 WuG , Tübingen 1922 1, S. 513fF.; Marianne Weber an den Verlag, 26.10.1921, zi t nac h Winckelmann, Hauptwerk, S. 100. 2 Winckelmann , Hauptwerk, S. 114.
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scheinlich, da ß e r di e städtische n Herrschafts - un d Verwaltungsstrukture n schlechthin mit ihr gleichgesetzt hätte. I. Die grundsätzliche Möglichkei t nichtlegitime r Herrschaf t Der Begrif f de r nichtlegitime n Herrschaf t erschließ t sic h a m beste n au f in direkte Weise, in Auseinandersetzung mi t den wichtigsten Positione n der Sekundärliteratur. Dre i Behauptunge n verdiene n ein e näher e Prüfung . Erst e Behauptung: »De r Begrif f de r ›nichtlegitime n Herrschaf t ode r ›illegitime n Herrschaft kommt in dem unter dem Titel »Die Stadt« publizierten Text, der in der Erstausgabe von 1921 immerhin 15 0 Druckseiten umfaßt, nicht vor«.3 Da s trifft nicht zu. Weber bezeichnet, wie Oexle immerhin selbst notiert, den italienischen Popol o al s den erste n »gan z bewuß t illegitime(n) un d revolutionäre(n ) politische(n) Verband« 4 un d nennt, was schon nicht meh r erwähnt wird, di e späteren Tyrannen »spezifisch illegitim e Herren«5. Als eine Umschreibung des gleichen Sachverhalts kann man die vielzitierte Stelle ansehen, die Coniurationes stellten eine »revolutionäre Usurpation« dar, seien das »Ergebnis einer politischen Vergesellschaftung der Bürger trotz der und gegen die ›legitimen‹ Gewalten«,6 desgleichen die auf die Signorie gemünzte Feststellung, sie sei mit der Umwandlung in ein erbliches Patrimonialiurstentum »i n den Kreis der legitimen Gewalten« eingetreten7 -was ja wohl nichts anderes besagt, als daß sie sich zuvor außerhalb desselben befand. Nur am Rande sei darauf verwiesen, daß die Worte ›illegitim‹ und ›Illegitimität‹ im älteren Teil von WuG laut Register noch vier weitere Male belegt sind. Zweite Behauptung : De r Begrif f nichtlegitim e ode r illegitim e Herrschaf t kommt zwar vor, stellt aber »im Grunde eine contradictio in adjeeto« dar, die mit Webers eigener Herrschafts- und Legitimitätskonzeption nich t vereinbar ist.8 D a Herrschaft, so Wolfgang Mommsen, stets ein Legitimitätseinverständ nis der Beherrschten voraussetze, könne es für Weber den Typus der illegitimen Herrschaft überhaup t nicht geben, »sondern allenfall s ein mehr oder minde r hohes Maß an faktisch vorhandenem Legitimitätseinverständnis«. 9 Dies e Be3 O . G. Oexde, Kulturwissenschaftliche Reflexionen über soziale Gruppen in der mittelalterlichen Gesellschaft: Tönnies, Simmel, Durkheim und Max Weber, in: Meier, Stadt, S. 115-160 , hier S. 145. 4 WuG , S. 776 (MWG I/22-5, S. 200). 5 WuG , S. 784 (MWG I/22-5, S. 224). 6 WuG , S. 749 (MWG I/22-5, S. 124f.) . 7 WuG , S. 787 (MWG I/22-5, S. 230). 8 Κ. Schreiner, Die mittelalterliche Stadt in Webers Analyse und die Deutung des okzidentalen Rationalismus, in: Kocka, Weber, S. 119-150, hier S. 126. 9 W.J . Mommsen, Politik un d politisch e Theori e be i Ma x Weber, i n : / Wei ß (Hg.), Ma x Weber heute, Frankfurt 1989 , S. 515-542, hier S. 537.
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hauptung widerstreitet sowohl dem Aufbau der Herrschaftssoziologie al s auch dem textlichen Befund . Gewi ß komm t de r Legitimitätsbegrif f scho n i n de n ersten Paragraphen der Soziologüchen Grundbegriffe ins Spiel, doch fällt auf, da ß in der Typologie der Verbandsformen weder beim Herrschafts- noch beim politischen Verband davon die Rede ist; erst in der Definition des Staates taucht er wieder auf 10 Herrschaf t bedeute t hie r einfac h di e Chance, fü r eine n Befeh l bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden, un d diese Chance besteh t offensichtlic h auc h dann , wenn de r Gehorsa m lediglic h au s Furcht vor Sanktionen oder aus Interessenkalkül erbracht wird, also keinerlei Einverständnis mit etwa von den Herrschenden formulierte n Geltungsgrün den impliziert . De r Legitimitätsglaub e trit t z u solche n durc h »di e faktisch e Macht der Oktroyierung« gestifteten Herrschaftsbeziehungen hinzu , er ist, wie Weber sehr deutlich schreibt, ein »Superadditum«, das nicht die Herrschaft als solche stiftet, sondern sie lediglich stützt und stabilisiert.11 Fehl t dieser Glaube, haben wir es mit einfacher, d.h. nichtlegitimer Herrschaft z u tun: einer Herrschaft, die auf »nur materiellen oder nur affektuellen ode r nur wertrationalen Motiven als Chancen ihres Fortbestandes« beruht. 12 Ein e solche Ordnung ist labil, aber mitnichten eine contradictio in adjecto. Dritte Behauptung: De r Begriff nichtlegitime Herrschaf t komm t zwar vor, ist auch nicht a priori inkonsistent, muß aber aus sachlichen Gründen abgelehnt werden, weil er - wie auch sein Gegenpart: die Legitimität - zutiefs t wert- und zeitgebunden sei. In diese Richtung geht der Vorwurf Otto Brunners, Webers Konzept se i mi t de m spezifische n Legitimitätsbegrif f de s 19 . Jahrhunderts identisch, der Legitimität nur der neuzeitlichen, von der Gesellschaft getrennten Staatsanstalt zuspreche und deshalb alle anderen Herrschaftsformen al s illegitim einstufe n müsse. 13 Noc h weiter geht die Zuspitzung dieses Vorwurfs bei Sternberger und Schreiner zu der These, Webers Präokkupation mit legitimer staatlicher Herrschaft habe ihn blind gemacht gegenüber ihrerseits legiti mitätsstiftenden Vereinbarungen städtischer Bürger. 14 Auch diese Kritik geht an der Sache vorbei. Die Herrschaftssoziologie wil l lediglich de m empirisc h arbeitende n Historike r einig e begrifflich e Orientie rungsmittel an die Hand geben, um Herrschaftsformen z u analysieren; sie interessiert sic h deshal b ganz bewußt nu r fü r di e Strategien , mittel s dere r di e Herrschenden die inneren und äußeren Stützen ihrer Herrschaft sichern. Daß
74.
10 Vgl . WuG, S. 29. 11 WL,S.469;WuG,S . 192. 12 WuG , S. 122. 13 Vgl . O. Brunner, Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte , Göttingen 1968 2, S.
14 Vgl . D. Sternberger, Herrschaft und Vereinbarung, Frankfurt 1986 , S.19ff., 54ff.; Κ Schrei ner, in: Kocka, Weber, S. 128ff. ; ders., Legitimität, Autonomie, Rationalisierung. Drei Kategorien Max Webers zur Analyse mittelalterlicher Stadtgesellschaften - wissenschaftsgeschichtliche r Ballast oder unabgegoltene Herausforderung?, in: Meier, Stadt, S. 161-212, hier S. 174ff.
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auch di e Beherrschte n akti v sind , wird dami t nich t bestritten , doc h fäll t di e Untersuchung dieser Aktivitäten in den Zuständigkeitsbereich der Politischen Soziologie. Aus der Sicht der Herrschaftssoziologie könne n diese Aktivitäten allerdings dann relevant werden, wenn sie zu einem Legitimitätsentzug führe n und legitime in nichtlegitime Herrschaft verwandeln; oder wenn sie den Übergang von einem Typus zu einem anderen erzwingen. Ein Werturteil ode r gar eine Parteinahm e »fü r di e jeweils Herrschenden « (Schreiner ) is t dari n nich t impliziert, lediglic h die Parteinahme dafür, eine n Systembruc h al s das zu bezeichnen, was er ist. Diese erst e Annäherung zeigt : Weber war durchau s be i Sinnen , al s er di e Möglichkeit nichtlegitimer Herrschaft ins Auge faßte. In politischen und nichtpolitischen Verbänden komm t Herrschaf t i n starker un d i n schwacher For m vor, anders gesagt: in Formen, bei denen ein Befehl größere , und solchen, bei denen er kleinere Chancen hat, befolgt zu werden. Die Kategorie der Legitimität dient dazu, zwischen diesen beiden Formen zu unterscheiden un d außerdem innerhalb der letzteren Untergliederunge n vorzunehmen , di e sich nach der Art des Legitimitätsglaubens richten . Eine Typologie nichtlegitimer Herr schaft hat Weber nicht entwickelt, si e wohl auch nicht für möglich gehalten. Schon au s diese n allgemeine n Erwägunge n mu ß de r Gedank e Winckel manns zurückgewiesen werden, das Manuskript über »Die Stadt« stelle gleichsam die historisch-konkrete Ausführung zum abstrakten Begriff der nichtlegitimen Herrschaft dar. Diese kommt nicht nur in Städten vor, sondern überall , wo es Herrschaft gib t - als o etwa auch in reinen Nomaden- oder Bauernver bänden. Sie beschränkt sich auch durchaus nicht, wie Winckelmann behauptet, auf die Negatio n traditionale r Herrschaft , sonder n kan n genauso gut aus der Negation oder dem Zerfall charismatische r ode r rationaler Herrschaft entste hen.15 Was immer Weber sich gedacht haben mag, als er im Gliederungsentwurf den Punkt 8c »Die nichtlegitime Herrschaft. Typologie der Städte« betitelte - e s kann nicht bedeuten, daß nichtlegitime mit städtischer Herrschaft identisch sei. Sie umfaßt einen wesentlich größeren Bereich als nur städtische Herrschaft . Die näher e Prüfun g de s Texte s übe r »Di e Stadt « zeig t noc h ei n weiteres . Nicht alles, ja nur ein kleiner Teil der hier zu findenden Ausführungen handel t von nichtlegitimer Herrschaft. I m ersten Viertel, in dem es um den ökonomischen und um den politisch-administrativen StadtbegrifTgeht , ferne r u m den Vergleich Okzident-Orient, is t von ihr nicht die Rede; vielmehr wird gezeigt , daß in der großen Mehrzahl de r Fälle - i n China, Japan, Indien , Vorderasien und Rußland - di e Stadt Sitz der Behörden des politischen Verbandes ist, von Verbänden bzw. Staaten , die Weber in seinen religions- und herrschaftssoziologischen Studie n durchwe g al s Exempe l legitime r Herrschaf t traktiert . Un d auch bei der Bestimmung de r Eigenart der okzidentalen Stad t spricht Weber 15 J. Winckelmann, in : WuG, Erläuterungsband , Tübinge n 1976 , S. 274.
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keineswegs generalisierend von nichtlegitimer Herrschaft. Zwar wird die antike wie die mittelalterliche Stadt als Ergebnis einer Verbrüderung gedeutet, die zur Entstehung der Stadtgemeinde geführt habe, doch erscheint diese Verbrüderung im Fall der antiken Stadt nicht als Bruch. Adlige Sippenkonföderatio nen mit stark rituellem Charakter »vergesellschaften« sic h und übertragen auf den so geschaffenen Verband die Legitimität ihrer ursprünglichen Verbände;16 auch die politischen Institutionen gehen nicht aus einer revolutionären Neu gründung hervor , sonder n au s einer »Umbildun g de r Gewal t einerseit s de s Stadtkönigs, andererseits der Sippenältesten z u einer Honoratiorenherrschaf t der voll wehrhaften ›Geschlechter‹«. 17 Wi e Weber an späterer Stelle ausführt , bedarf es eines Bruches auch nicht, weil, erstens, nach dem Zerfall der mykenischen Patrimonialstaate n kein e übergeordnete n politische n Verbänd e meh r existieren, aus denen sich die neugegründeten Städte erst herauslösen müßten; und weil, zweitens, die politisch-militärische Gewal t relativ breit gestreut ist . Die Krieger equipieren sich selbst, mit der Folge, daß die lokalen Fürsten oder Könige keinen persönlichen Zwangsstab aufbauen können , daher nie jeweils mehr als eine Art Primus inter pares sind. Hält man sich diese Bedingungen vor Augen, erkennt man, daß auch in bezug auf die mittelalterliche Stad t nicht durchweg von nichtlegitimen Forme n der Verbandsbildung gesprochen werden kann. Für England konstatiert Weber ausdrücklich das Fehlen revolutionärer Usurpationen wie auch des gebietskörperschaftlichen Gemeindebegriffs ; fü r de n Kontinen t unterscheide t e r zwi schen einer legitimen Konstituierung des Bürgerverbandes qua Privilegienverleihung durch die politischen Gewalten und einer revolutionären Usurpatio n von Herrschaftsrechten. 18 Läß t man einmal Köln beiseite, hat Weber die erste Variante nördlich, die zweite südlich der Alpen lokalisiert. Nur für Italien kann von einer wirklich konsequent durchgeführten »politischen Vergesellschaftung der Bürger trotz der und gegendie ›legitimen‹ Gewalten« die Rede sein,19 weil es nur hier zur »Sprengung der Lehensverbände und des ständischen Patrimonia lismus« kommt,20 z u einem Bruch mit dem bis dahin dominierenden Legitimitätsprinzip un d zu r Konstituierun g eigenständige r politische r Verbände . I m übrigen Europa endet die Bildung von Stadtgemeinden früher oder später bei Kompromissen mi t de n legitime n Gewalten , s o daß wir e s letztlich nu r mi t einer veränderten »Gewaltenteilung « i m Rahme n de s bestehenden Legitimi tätsprinzips zu tun haben. Von einer »Überakzentuierung des revolutionären, nichtlegitimen Charakters der europäischen Stadtentwicklung« 21 be i Max We16 WuG , S. 746f. (MWG I/22-5, S. 116f.) 17 WuG , S. 749 (MWG I/22-5, S. 124). 18 Vgl . WuG, S. 762, 764, 749 (MWG I/22-5, S. 162f., 166f., 124f.) 19 WuG , S. 749 (MWG I/22-5, S. 124f.) . 20 WuG , S. 752 (MWG I/22-5, S. 132). 21 H . Speer, Herrschaft und Legitimität. Zeitgebundene Aspekte in Max Webers Herrschafts Soziologie, Berlin 1978 , S. 165.
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ber wird ma n demnach nich t sprechen könne n - zuma l wenn ma n bedenkt, daß gerade die italienische Stadt in den Augen Webers für die ökonomische und die politische Rationalisierung eher eine Sackgasse darstellte. 22 Auch im Hinblick auf die interne Entwicklung der Herrschaftsstruktur sollte man de n Begrif f de r nichtlegitime n Herrschaf t nich t überstrapazieren . Da s Kapitel über die Plebejerstadt bezieh t hinsichtlic h de s Mittelalters seine Bei spiele noch eindeutiger al s die vorangehenden Abschnitte aus Italien, enthält also weder explizite noch implizite Aussagen über die Formen der Zunftherrschaft in Deutschland, Flandern oder Frankreich. Die Ausführungen übe r die Signorie als die neben dem Popol o wichtigste Erscheinungsfor m nichtlegiti mer Herrschaft orientiere n sich ebenfalls allein an Italien. Der Gang der Darstellung legt dann zwar nahe, es habe zu beiden Formen in der Antike Parallelen gegeben, doc h erweis t sic h diese Annahme be i genaue r Lektür e al s voreilig. Eine Sonderverbandsbildung wi e den Popol o gab es in der Antike nur in der römischen Plebs , nirgend s sonst ; di e Pleb s aber war kein e Vereinigun g vo n Zünften wie der Popolo, sondern »der Stand der ländlichen panhopliefähige n Grundbesitzer«, di e mit dem Patriziat das Interesse an territorialer Expansion teilten. Ihr politischer Aufstieg war deshalb auch keineswegs mit der Forderung nach völlig neuartige n Strukture n verbunden , sonder n beschränkt e sic h au f eine Erweiterun g de s Kreise s de r regierende n Honoratioren . De r Senat , schreibt Weber, blieb in Rom »die leitende Behörde der Stadt, und es ist nie der Versuch gemacht worden, daran etwas zu ändern«. 23 Auc h hier liegt also eher eine Veränderung der Gewaltenteilung vor als eine solche der Legitimität. Sieht man vom spartanischen Demos ab, in dem Weber eine Parallelerscheinung zu r Pleb s z u sehe n meint , bleib t al s weiterer mögliche r Kandida t fü r nichtlegitime Herrschaf t nu r noc h die antike Demokratie , wie si e in einige n griechischen Städte n durchgesetzt wurde. Es fällt jedoch auf, da ß Weber seine diesbezüglichen Ausführungen mit einem »dagegen« einleitet, einer Konstruktion, die auf den offenbar andersartigen, mit Popolo und Plebs nicht vergleichbaren Charakter verweist. Während die genannten Sonderverbände eher »bürgerlichen« bzw. , u m eine n vo n Webe r nich t gebrauchten , abe r treffende n Ausdruck z u verwenden: »oligarchischen « Zuschnitt s sind un d darauf hinar beiten, das Herrschaftsmonopol der »Geschlechter« in ein Oligopol umzuwandeln, geht die Demokratisierung von politisch Deklassierten aus. 24 Dere n Ziel ist, jedenfalls i m reinen Typus, keine Veränderung der Gewaltenteilung, son dern etwas Neues, eine Neustrukturierung . Die Bestimmung derselben fällt bei Weber allerdings ambivalent aus. Auf der einen Seit e bewirk t di e Demokratisierun g »di e zunehmend e Durchführun g 22 Vgl . S. Breuer, Blockierte Rationalisierung. Max Weber und die italienische Stadt des Mittelalters, in: AFK 66, 1984, S. 47-86. 23 WuG , S. 802 (MWG I/22-5, S. 267f.). 24 Vgl . WuG, S. 798 (MWG I/22-5, S. 257).
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des Anstaltscharakter s de s politische n Verbandes« , ein e Umwandlun g de s Rechts i n »zunehmen d rationa l gesatzte s Recht«, 25 mi t andere n Worten: de n Übergang z u einem neue n Legitimitätsprinzip . Auf der anderen Seit e bewirk t sie jedoch ein e Verflüssigung un d Entinstitutionalisierung de r Politik, die wiederum au f zweierle i Weis e gedeute t werde n kann : al s Durchsetzun g eine r Herrschaftsordnung, di e »nicht nu r nicht legitim , sonder n nich t einma l legal « ist, wie Weber mit Blick auf den wichtigsten Exponente n dieser Ordnung, de n antiken Demagogen , sagt; 26 oder al s »Minimisierun g de r ›Herrschaft‹« , wi e e s im Bürokratiekapite l de r Herrschaftssoziologi e ältere r Fassun g heißt. 27 Den n im vollen Sinne des Typus meint Demokratie nicht so sehr die Ausdehnung der politischen Partizipatio n de r Beherrschten, al s vielmehr : »1. Hinderung der Entwicklung eines geschlossenen ›Beamtenstandes‹, im Interesse der allgemeinen Zugänglichkeit der Ämter, und 2. Minimisierung ihrer Herrschaftsgewal t im Interess e tunlichste r Verbreiterung de r Einflußsphär e de r öffentlichen Meinung ‹ [...], also, wo immer möglich, kurzfristige Besetzung [der Ämter] durch widerruflich e Wahl ohne Bindung an fachmäßige Qualifikation«. 28 Man kann darüber streiten, ob das eine angemessene Definition de r Demokra tie is t - nich t abe r darüber, da ß Weber e s so gesehen un d dami t etwa s andere s bezeichnet ha t als nichtlegitime Herrschaft , nämlic h eine Bewegun g zu m Abbau ode r zu r Reduktio n vo n Herrschaf t - mi t Victo r Turne r z u reden : Anti struktur. Entscheide t ma n sic h für dies e zweit e Lesart , schrumpf t de r Bereic h der nichtlegitime n Herrschaf t i n de r »Stadt « noc h mehr . E r beschränk t sic h dann au f die Phase der Konstitutio n de r mittelalterliche n Städt e i n Italien, au f die Sonderverbandsbildun g de s Popolo und au f die Herrschaft de r Signori . I n allen übrigen Fälle n wäre mi t Forme n der legitimen Herrschaf t ode r mit anti herrschaftlichen, demokratische n Tendenze n z u rechnen .
IL Stadttype n u n d Herrschaftsstrukture n Bevor wi r fortfahren , is t e s sinnvoll , kur z de n Aufba u de r Studi e übe r »Di e Stadt« z u rekapitulieren . De r Text setzt mi t tastenden Ausführungen übe r da s ein, was man Webers Minimalbegriff der Stadt nennen könnte: die Kombinati on von Bur g un d Markt , au s der sic h sowoh l di e asiatische al s auch die antik e Stadt entwickel t habe n soll. 29 De r Haupttei l de r Ausführungen gil t de r okzi dentalen Stadt , die mit der asiatischen Stad t viele Gemeinsamkeiten teil t (dar 25 WuG , S. 782 (MWG I/22-5, S. 216f.). 26 WuG , S. 783 (MWG I./22-5, S. 219). 27 WuG , S. 565. 28 Ebd. , S. 568. 29 WuG , S. 734f. (MWG I/22-5, S. 76-81).
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unter auch das Vorkommen von »patrizischen« und »plebejischen« Schichten , Berufsverbänden etc.), sich von ihr aber durch den Verbands- und Gemeindecharakter unterscheidet . Weiter aufgeglieder t wir d diese r Typu s einmal nac h räumlichen und zeitlichen Kriterien in die antike und die mittelalterliche Stadt (mit der italienischen Stadt des Mittelalters als Übergangserscheinung), sodann nach herrschaftssoziologischen Kriterie n i n die Geschlechter- und die Plebejerstadt, an die sich als eine weitere Stufe die demokratische Stadt anschließt Untertypen, die sowohl in der Antike als auch im Mittelalter vorkommen. Das Ganze ergibt ein Schema, das sehr stark an die Sequenz von »Organisationsstadien« erinnert, di e Weber seiner Studi e übe r die »Agrarverhältnisse i m Altertum« vorangestellt hat. 30 Bei der Erörterung der Herrschaftsstrukturen sol l das provisorisch (mi t einem nich t vo n Weber stammende n Ausdruck ) al s »archaisch e Stadt « z u be zeichnende Ausgangsstadiu m ausgeklammer t werden . Wa s Weber übe r da s Burgfursten- oder Burgkönigtum schreibt, in dem er offenbar ein universelles Entwicklungsstadium gesehe n hat, steht der heutigen Forschung, die weitaus stärker die magisch-religiösen als die militärischen Faktoren betont, zu fern, als daß sich eine ausführliche Auseinandersetzung lohnte. 31 Auch die eigentümliche Vermischung idealtypischer und historisch-empirischer Argumente bei der Herleitung de r okzidentale n un d de r asiatische n Stad t au s de r archaische n Form lass e ic h auße r Betrach t un d konzentrier e mic h gan z au f die beide n Haupttypen, dene n auch Weber den größten Teil seiner Aufmerksamkeit ge widmet hat. Die asiatische Stadt bereitet keinerlei Schwierigkeiten bei der typologischen Verortung. Si e is t de r Sit z de r Behörde n de s politische n Verbandes , desse n Herrschaftsstruktur traditionaler Art ist. Diese Struktur kann mehr zum reinen Patrimonialismus bzw., »im Höchstmaß der Herrengewalt«, zum Sultanismu s tendieren, was nach Weber vor allem auf den islamische n Orien t zutrifft. Si e kann stärker ständisch stereotypiert sein, wie z.B. im kaiserlichen China. Oder sie kann feudal im Sinne des präbendalen Feudalismus sein, wie etwa im Osmanischen Reich nach dem Ende der Eroberungskriege. In jedem Fall ist die Stadt einem traditionalen politischen Verband oder Staat eingegliedert, ha t in Form von Steuern und/oder Liturgien einen Teil der Lasten dieses Verbandes zu tragen und wird von dessen Verwaltungsstab administriert . 30 Entsprechen d der anderen Schwerpunktsetzung sieht das Schema in den Agrarverhältnissen etwas anders aus. Die asiatische Stadt wird weiter unterteilt in das bürokratische Stadtkönigtum und den autoritären Leiturgiestaat, während typologische Ausführungen übe r die mittelalterliche Stadt fehlen. Für die Antike ist die Sequenz jedoch identisch. Sie führt von der Adelspolis (Geschlechterstadt) über die Hoplitenpolis (Plebejerstadt) zur demokratischen Bürgerpolis: vgl. GASW, S. 35ff.;J. Deininger , Die politischen Strukturen des mittelmeerisch-vorderorientalischen Altertums in Max Webers Sicht, in: Schluchter, Antikes Christentum, S. 72-110. 31 GAR S I, S. 314; GARS II, S. 64; GARS III, S. 15ff. ; ausführliche r hierz u 5. Breuer , Die archaische Stadt, in: Die alte Stadt 25, 1998, S. 105-120.
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Mit diese m Hinwei s au f die Unterordnun g unte r di e Struktu r de s politi schen Verbandes is t das Herrschaftsgefüge de r asiatischen Stad t jedoch noc h nicht hinreichend beschrieben. Weber läßt keinen Zweifel daran, daß wir es mit hochdifferenzierten, ökonomisc h un d sozia l stratifizierte n Systeme n z u tu n haben und dies e Differenzierun g sic h in lokal e Herrschaftsordnungen über setzt. Al s wichtigste Träge r derselbe n kommen , wi e i m Okzident , di e Ge schlechtersippen infrag e bzw. , wo diese aufgrun d ökonomische r ode r politi scher Entwicklungen an Kohäsion verloren haben, die Honoratioren. Im ersten Fall haben wir e s mit charismatischer Herrschaf t z u tun, genauer gesagt: mi t veralltäglichter charismatischer Herrschaft, di e aus dem Erb- oder Gentilcha risma hervorwächst. 32 I m zweiten Fal l mit einer Sonderform , dere n Bestim mung bei Weber schwankt. I n der älteren Fassung der Herrschaftssoziologi e erscheint die Honoratiorenherrschaft noc h als »selbständige For m einer nor malerweise traditionellen Autorität«, die nicht wie die patrimoniale Herrschaf t auf Kindes- oder Diener-Pietät, sonder n auf »Ehre« beruht. 33 I n der Fassung letzter Hand wird dagegen die Honoratiorenverwaltung unter der Überschrift »Herrschaftsfremde Verbandsverwaltung und Repräsentanten-Verwaltung« abgehandelt.34 D a Herrschaft inde s auch und gerade nach dieser letzten Fassung »weder unbeding t a n di e Existen z eine s Verwaltungsstabe s noc h eine s Verbandes« geknüpf t ist, 35 zieh e ic h es vor, das Honoratiorentum weiterhi n al s Honoratiorenherrschaft un d dies e wiederu m al s Variante de r traditionale n Herrschaft anzusehen, so daß sich für die asiatische Stadt insgesamt eine Doppelstruktur ergibt . Nebe n de r zentrale n Patrimonialverwaltun g is t mi t eine r lokalen Honoratiorenverwaltung z u rechnen, die sich teils aus dem stadtsässi gen Adel, teils aus Honoratioren (etw a aus Gilden oder Berufsverbänden) re krutiert. Je nac h Stärke oder Schwäche des patrimonialen Staate s ist der Grad der lokalen Autonomie der Stadt hoch oder niedrig. 36 Von einer - allerding s etwas anders gearteten - Doppelstruktu r ist auch das Herrschaftsgefüge de r okzidentalen Stad t geprägt. Die antike Variante ist zunächst eine Konföderation von Adelssippen oder -geschlechtern, von Verbänden mithin, die nicht nur (nicht einmal primär) durch Abstammungsbeziehungen konstituiert sind, sondern durch ein Gentilcharisma, dessen Besitz seinen Trägern Autoritä t gegenübe r Rangniedere n vermittelt , darübe r hinau s al s Grundlage »feudaler und halbfeudaler Abhängigkeitsverhältnisse« wie z.B. im römischen Klientelwese n fungiert. 37 Fü r die mittelalterliche Stad t behaupte t 32 WuG , S. 144f. 33 Vgl . ebd., S. 582. 34 Ebd. , S. 170. 35 Ebd. , S. 29. 36 Zu r asiatischen Stadt ausführlicher: 5 . Breuer, Herrschaftsstruktur und städtischer Raum, in:AFK 77, 1995, S. 135-164. 37 WuG , S. 812 (MWGI/22, S. 293). Vgl. fernerWuG, S. 744,782,768 (MWGI/22-5, S. 112, 217, 179);GAR S II,S. 51.
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Weber zwar eine Vergesellschaftung einzelner Bürger, doch modifiziert er diese Aussage für di e italienisch e Stad t sehr stark, dere n Anfangszeit e r wie i n der Antike durch die Geschlechterherrschaft bestimmt sieht. Die gentil- bzw. erbcharismatische Komponent e trit t hie r freilic h zurüc k hinte r eine r Ständebil dung durch »ritterliche Lebensführung«, di e weit mehr auf den einzelnen fokussiert is t un d zu r Grundlag e eine r (traditionalen ) Honoratiorenherrschaf t wird.38 Neu und für diokzidentale Stad *4ssentiell is t der zweite Pol: die Bildung eines Stadtbürgerverbandes, aer alle freien Bürger - Geschlechter , Honoratioren un d Gemeine - umgreift . Weber sprich t vnn »Stadtbügervergesellschaf tung«, von der Bildung einer »Gemeinde« durch »Verhrüderung« 89 und sieht diese sowohl im antiken Synoikismos als auch in der mittelalterlichen Coniu ratio gegeben - »politische n Schwurverbänden von wehrhaften Stadtinsassen« , wie es in der China-Studie heißt. 40 Wa s genau ist darunter zu verstehen? De r Schlüssel lieg t i m Begrif f de r Verbrüderung. Dies e kan n wohl, wi e Wilfrie d Nippel meint, »den Zusammenschluß zu einem Verband rechtlich wie religiös prinzipiell gleichberechtigter und nach außen solidarischer Individuen« bedeuten, muß dies aber nicht.41 De r Begriff ist vielmehr so weit, daß darunter auch die Stiftun g durchau s ungleiche r Beziehunge n fällt , wi e si e etw a zwische n Kind/Vater, Herr/Sklave, Patron/Klient, Lehensherr/Vasall etc. bestehen.42 Verbrüderungsverträge gehören nämlich zur großen Gruppe der Statusverträge, zu jenen urwüchsige n Kontrakttype n also, bei denen ma n sich nicht gegenseiti g für konkrete Zwecke nutzbare Leistungen gewährt, sondern festlegt, »daß man etwas qualitativ anderes ›wird‹ als bisher«, daß man »eine andere ›Seele‹ in sich einziehen« läßt und seinen sozialen Habitus und seine rechtliche Stellung entsprechend ändert.43 Ander s gesagt: der durch Verbrüderung gestiftete Verband kann sowohl ein Herrschaftsverband sei n als auch ein Verband, in dem Herr schaftsbeziehungen minimier t sind. Worum es sich handelt, ergibt sich imme r nur aus dem Kontext. Für die GfiSuiJ^Jlier^dt^is t anzunehmen , da ß der Verbrüderungsvertra g einen Herrschaftsverban d stiftet , de r nach außen hin Handlungsfähigkei t er möglicht un d nach inne n Hie «jtänHkrhp f;iifvWiing sowi e die Monopolisie rung de r politische n A»rtei^4uixkjJ^jG^i;Medite r affirmiert . Di e Geltun g dieser Ordnung ergibt sich aus einem Legitimitätstransfer, de r sich für die antike und die mittelalterliche Stad t je ander s darstellt. Für die antike Stadt, die 38 WuG , S. 758, 762 (MWG I/22-5, S. 148,162). 39 WuG , S. 744 (MWG I/22-5, S. 108f.) . 40 GAR S I, S. 292 (MWG I/19, S. 151). 41 W . Nippel, Max Weber zwischen Althistorie un d Universalgeschichte : Synoikismo s un d Verbrüderung, in : Meier, Stadt, S. 35-58, hier S. 39. 42 WuG , S. 401; dazu Meier, Einleitung, in : ders., Stadt, S. 18. 43 WuG , S. 401.
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aus einer Verbrüderung von Verbänden hervorgeht, nimmt Weber, bildlich gesprochen, eine Übertragung von unten nach oben, von den »rituell gerichteten Verbandsformen: Sippe, Wehrverband (Phratrie), politischer Stammesverband (Phyle)« auf die neu geschaffenen Institutionen des Stadtverbandes an.44 Für die mittelalterliche Stadt außerhalb Italiens, die auf der Verbrüderung von einzelnen basiert, erfolgt die -wie immer auch mitunter erst durch Kampf errungene - Privilegierun g durc h die legitimen Gewalte n außerhalb der Stadt. 45 Heino Speer hat den Vorschlag gemacht, diesen letzteren Vorgang als »traditionalistische Revolution« zu bezeichnen, doch scheint mir diese Dramatisierung übertrieben.46 Treffender dürfte es sein, von einer zuerst geduldeten und dann legitimierten Appropriation von Herrengewalten durch den Stadtverband zu sprechen, also von einer Form desständischen Parrimonialismus bzw., da wir es im europäischen Nfottelalter mit einem ›»Grenzfall‹ der patrimonialen Struktur in der Richtung der Stereotypierung und Fixierung der Beziehungen von Herren und Lehensträgern« zu tun haben, von einer Veränderung der ständischen Gewaltenteilung innerhalb eines lehensfeudalen Systems, das neben individuellen auch kollektive Seigneurs kennt.47 Der Aufstieg nichtadliger Schichte n hat dies Sttuktur keinesweg s durchgängiggeändert. In Rom entstand zwar mit der Plebs ein Sonderverband innerhalb der Stadt und ertrotzte sich gewisse Rechte, doch wurde die Herrschaftsstruktur der Geschlechterstadt dadurch nur leicht modifiziert. Di e Römer, so hat Christian Meier Webers Intentionen zugespitzt, blieben in vertikale soziale Abhängigkeiten eingebunden, die sich unmittelbar in die politischen Institutionen übersetzten. Eine von der ständischen Gliederung abgekoppelte, soziologisch gesprochen: ausdifferenzierte Sphär e des Politischen mit eigener Legitimität konnt e sic h deshal b nich t bilden. 48 I n einigen griechische n Städte n hingegen, allen voran Athen, bewirkte die Verbrüderung der ›Mittleren‹ ein e »Aufsplitterung der bis dahin gültigen Korrespondenz zwischen gesellschaftli cher und politischer Ordnung«. 49 Währen d die ständische Gliederung im wesentlichen gleich blieb, wurde die politisch e Sphä r durch Reformen wrwan delt, di e die Macht de s (i m Vergleich z u Ro m deutlic h schwächeren ) Adel s einschränkten, di e Volksversammlun g aufwertete n un d neue Solidaritäte n schufen, die sich aus der Einführung de s Ortsgemeindeprinzips ergaben. Das Resultat dieser Wandlung war »die Behandlung der Polis nicht mehr als einer Verbrüderung von Wehr- und Geschlechterverbänden, sonder n al s einer an -
44 WuG , S. 747 (MWG I/22-5, S. 117). 45 Vgl . WuG, S. 755 (MWG I/22-5, S. 141f.) . 46 Vgl . Speer, Herrschaft, S . 163. 47 WuG , S. 134, 625. 48 Vgl . Meter, Einleitung, in: ders., Stadt, S. 24f.; ähnlic h J. Martin, Der Verlust der Stadt, in: Meier, Stadt, S. 95-114, hier S. 107. 49 Meier , Einleitung , in: ders., Stadt, S. 24.
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staltsmäßigen Gebietskörperschaft«.50 Dieselb e Wandlung zu einer anstaltsmäßig vergesellschafteten Ordnun g behauptet Weber für die mittelalterliche Plebejerstadt.51 Äußerungen wie diese bedürfen behutsamer Interpretation. Die Versuchung ist groß , si e mi t de r i n § 1 5 der »Soziologische n Grundbegriffe « gegebene n Definition der Anstalt als eines Verbandes mit rational gesatzten Ordnungen zu verbinden und daraus den Schluß zu ziehen, Weber habe für die Plebejerstadt den Übergangzum Typu s der rationalen Herrschaf t kraft Satzung anganom men.52 I m »Logos«-Aufsatz von 1913 , der ungefähr gleichzeiti g mi t der Stadt entstanden ist, definiert Weber indes das Anstaltshandeln sehr viel vorsichtiger als den rationa l geordnete n Tei l eine s Verbandshandelns un d di e Anstalt al s »partiell rational geordnete(n) Verband«, 53 wa s nichts anderes heißt, als daß in einem Verban d nebe n de r rationale n Satzun g auc h noc h ander e Ordnungs prinzipien zu r Geltung zu kommen pflegen, un d um so mehr, je weiter man von der »Vollstufe« der rational geordneten Anstalt: dem modernen Staat, in der Geschichte zurückgeh t Nimm t ma n hinzu , da ß Weber für di e plebejerstadt nur eine »zunehmende Durchführung de s Anstaltscharakters« behauptet 54 un d gleich darau f die herrschaftsfremde n Auswirkunge n de r Demokrati e behan delt, dann ist es allenfalls gerechtfertigt, von Ansätzen zu einem neue n Legiti mitätsprinzip z u sprechen , die sich i n der Satzungsherrschaft , i n der zuneh menden Verschriftlichung und ersten internen Systematisierungsversuchen des Rechts manifestierten, stet s aber mit der Konkurrenz anderer: charismatischer un d traditionale r Strukturforme n z u rechne n hatten , welch e sic h ä la longue in der Stadt schließlich durchsetzten. Im Hinblick auf die herrschaftssoziologische Einstufung der Demokratie ist bei Weber eine interessante Entwicklung festzustellen . I n der älteren Fassun g der Herrschaftssoziologie wie auch in der Studie über »Die Stadt« sieht er in ihr
nur eine Erscheinung, di e auf Mjnimiening Vereinfachun g un d Entprofessio -
nalisierung der Verwaltung zielt, damit nicht bloß gegen legitim e Herrschaft , sondern gegen Herrschaft schlechthin gerichtet ist. 1917 hat er vorübergehend die Möglichkeit erwogen, daß es sich um einen vierten Legitimitätsgedanke n handele, nämlich »derjenigen Herrschaft, welche wenigstens offiziell ihre eigene Legitimität aus dem Willen der Beherrschten ableitet«. 55 I n der Endfassung der Herrschaftssoziologie kehr t Weber wieder zur ursprünglichen Konzeptio n 50 WuG , S. 782 (MWG I/22-5, S. 217). 51 Vgl . WuG, S. 743 (MWG 1/22-5, S. 107). 52 S o W. Schluchter, Die Entwicklung des okzidentalen Rationalismus, Tübingen 1979, S. 228; Winckelmann, Hauptwerk, S. 114; Oexle, in: Meier, Stadt, S. 148f . 53 WL , S. 467. 54 WuG , S. 782 (MWG I, 22-5, S. 216). - Hervorhebun g von mir, S. B. 55 Ei n Vortrag Max Webers übe r die Problem e de r Staatssoziologie, in : Neu e Frei e Press e (Wien) Nr.19102 , 26.10.1917, S. 10.
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zurück. Die Demokratie erscheint zuerst in einem Abschnitt zur »herrschaftsfremden« ode r »antiautoritären « Umdeutun g de s Charisma , de r mi t eine m Ausblick au f di e »fuhrerlose« , »durc h da sStrebernnach Minimisierung der Herrschaft « gekennzeichnete Demokratie endet56 Si e taucht ein weiteres Mal im § 1 9 über »Herrschaftsfremd e Verbandsverwaltun g un d RepräsentantenVerwaltung« auf, i n dem es ebenfalls um die Techniken der Reduzierung von Herrschaftsgewalten geht. 57 Gegenüber den früheren Ausführungen enthält der Abschnitt über die herrschaftsfremde Umdeutun g des Charisma gleichwohl ein e wichtige Nuancie rung. Er macht deutlich, daß die demorkratische Legitimität« zwar kein eigener, vjerter Legitimitätsypus ist , abe r zu einem der drei Typen, der charismatischen Legitimität, eine mehr als nur äußerliche Beziehung unterhält. Die charismatische Herrschaft is t im Unterschied zu den beiden anderen Typen aui-Bewöb rung gegründet; diese aber muß von den Beherrschten erkannt bzw. anerkannt werden. Solang e di e charismatische Verzauberung wirkt, erfolg t dies e Anerkennung »pflichtmäßig«, d.h. wie unter einem inneren Zwang. Läßt die Verzauberung nach, wird sie schwächer (was mit zunehmender Rationalisierung unvermeidlich ist) , kann sic h da s Verhältnis umkehre n un d di e Anerkennun g durch die Beherrschten zum Legitimitätsgrund werden. Die politsechen Führer werde n nu n frei gewählt und einbow.ebgesetzt, un d auc h da s Recht verliert seine Heiligkeit und Alternativlosigkeit,wird gesatztes Rech t - eine Entwicklung, di e sowohl zur legalen Herrschaft al s auch zur führerlosen De mokratie fuhren kann. 58 In diese Sequenz piaziert Weber die Übergangserscheinung der plebiszitären Herrschaft, di e nicht nur im modernen Parteiführertum anzutreffe n sei , sondern überall dort, »wo der Herr sich als Vertrauensmann der Massen legitimiert fühlt und als solcher anerkannt ist«. Eine Übergangserscheinung liegt insofern vor, als es sich a) um »eine Art der charismatischen Herrschaft« handelt, welche sich aber b) »unter der Form einer vom Willen de r Beherrschten abgeleitete n und nu r durc h ih n fortbestehende n Legitimitä t verbirgt«. 59 Di e plebiezitäre Herrschaft-istdamit gleichsam im Schnittpunkt der Herrschaftssoziologie un d der politischen Soziologie angesiedelt. Sie ist eine EormlegitimerHerrschaft, bei der die Beherrschten nicht anders können als zu gehorchen; und der antiautoritären Wendung gegen legitime Herrschaft, di e aus einem Freiheitsgewin n der Beherrschten entspringt: der neu erlangten Eähigkeit frei wählen und ent scheiden zu können, sich also auch von den eigenen, bislang alternativlos geltenden Vorstellungen, auf die sich die Herrschaft berief, distanzieren zu können. 56 WuG , S. 155ff. 57 Vgl . WuG, S. 169f . 58 Vgl . WuG, S. 156f . 59 Vgl . ebd.
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Ein Blick auf die historischen Beispiele, die sich im Kleingedruckten finden, zeigt, daß Weber mit dieser Konzeption den Bereich der nichtlegitimen Herr schaft in der Stadt noch einmal eingeengt hat. Genannt werden nämlich neben den Diktaturen Cromwells, Robespierres und Napoleons vor allem: »die hellenischen Aisymneten, Tyrannen und Demagogen, in Rom Gracchus und seine Nachfolger, i n de n italienische n Städtestaate n di e Capitan i de l popol o un d Bürgermeister (Typu s fü r Deutschland : di e Zürche r demokratisch e Dikta tur)«,60 alles Beispiele, die - mi t Recht oder Unrecht - i n der »Stadt« als Erscheinungsformen nichtlegitime r Herrschaft gelten. Hält man sich vor Augen, daß Weber in diesem Kapitel überhaupt dazu tendiert, Revolutionen als Folge einer antiautoritären Umdeutun g de s Charisma aufzufassen , dan n is t e s unwahr scheinlich, daß der Abschnitt über die Stadt im »Grundriß der Sozialökonomik« noch unter der Überschrift »Nichtlegitime Herrschaft« gestanden hätte.
60 Vgl . ebd.
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RAYMOND DESCA T
Der Historiker, die griechische Polis und Webers »Stadt«* Welchen Nutzen vermag der Historiker des alten Griechenlands aus dem Bild der antiken Polis zu ziehen, wie es sich in Webers Text über die Stadt darstellt? Gehen von ihm noch heute fruchtbare Anstöße für die Erforschung der Antike aus? Allein diese Frage interessiert hier; es geht nicht um eine generelle histo riographische Bilan z der Bezüge au f Weber bei den Spezialiste n de r griechi schen Geschichte. Es sei jedoch daran erinnert, daß Max Webers Konzeption der Antike in den vergangenen Jahren mehrfach untersucht und dabei manche vorschnell für gesichert gehaltene Auffassung wieder in Frage gestellt worden ist.1 Aussage n über die griechische Polis in »Die Stadt« kann man nicht unabhängig vo n de r Frag e behandeln, welche n Plat z dieser Tex t i n Webers Werk insgesamt einnimmt. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß dieser Essay aus mehreren Manuskriptteile n zusammengesetz t is t - zuma l das erste Kapitel wirkt, als sei es den folgenden nachträglic h hinzugefüg t worden . Die Stellung der »Stadt« im Gesamtaufbau von Webers Soziologie bleibt ungewiß. Die Frage nach dem Ort der »Stadt« im Gesamtwerk eröffnet keine originelle Perspektive auf die Antike. Im Unterschied zu den »Agrarverhältnissen i m Altertum« steh t hier nicht die Antike, sondern das Mittelalter i m Zentrum de r Darstellung. Di e grundlegende , de n ganze n Tex t strukturierend e Frag e ist , warum und auf welche Weise der Kapitalismus in den mittelalterlichen Städten und nicht in der Antike entstanden ist. 2 De r Autor konzentriert sich daher auf das, was di e Antike vo n de r mittelalterliche n un d neuzeitliche n Geschicht e trennt. Althistoriker sin d auch später häufig s o vorgegangen, so zum Beispie l Moses I. Finley.3 Dies e Art des Vergleichs ist für das richtige Verständnis der antiken Geschichte sicher unumgänglich, bringt aber auch die Gefahr mit sich, * Übersetzun g aus dem Französischen von Hinnerk Bruhns. 1 Vgl . dazu H. Bruhns u. W. Nippel, Max Weber, M. I. Finley et le concept de la cité antique, in: Opus 6-8, 1987-198 9 [1991], S. 27-50; H. Bruhns, Verwandtschaftsstrukturen und ihre Bedeutung für die antike Stadt. Von Max Weber zur französischen Sozialanthropologie , in: Meier, Stadt, S. 59-94. 2 WuG , S. 788 (MWG I/22-5, S. 233). 3 M . I. Finley, The Ancient Economy, Berkeley 1973.
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daß gewisse Eigenheiten der Antike zu sehr unter dem Gesichtspunkt des ›Fehlens‹ betont werden. Diese, sozusagen verschobene Perspektive stellt eine der Schwierigkeiten dar, die die Interpretation von Webers »Stadt« mit sich bringt. Daher sollte man Weber gerade auch in seinen allgemeinen Darlegungen sehr aufmerksam lese n und sich von klischeehaften Urteile n und Formulierunge n lösen. Nicht wenige Althistoriker zum Beispiel fuhren Weber und den Begriff der »Konsumentenstadt« ständig im Munde; darüber hinaus reicht ihr weberianischer Horizont allerdings nicht. 4 Die etwas doppeldeutige Formulierung, die ich für den Titel meines Beitrags gewählt habe, soll gleich klargestellt werden: Die Historiker der antiken Stadt lesen »Die Stadt« nicht, und auf dem Feld der antiken Stadtforschung ha t Webers Text nicht den geringsten Einflu ß gehabt. 5 Da s ist nicht verwunderlich , wenn man sieht, daß dieser Essay schon von seinem Ausgangspunkt her eigentlich keine Untersuchung der Stadt ist.6 Wir handeln daher von der Polis insgesamt, was der Perspektiv e Webers besser entspricht. I m Unterschie d z u den »Agrarverhältnissen im Altertum« geht es ihm hier nicht darum, die Besonderheiten der antiken Ökonomie zu erfassen, sondern darum, die den okzidentalen Stadtbegriffkennzeichnenden Züg e im Unterschied zu denen des orientalischen herauszustellen. Der Aspekt der Gemeinde und ihrer Autonomie, also politische Gesichtspunkte, spielen darin eine grundlegende Rolle. 7 Die Begegnung mit der griechischen Polis in »Die Stadt« macht auf den Historiker eine n zugleic h unvertraute n un d vertraute n Eindruc k - unvertrau t zunächst, weil Althistoriker Weber kaum gelesen haben und ihn im allgemeinen in ihrer Analyse der Polis nicht berücksichtigen; vertraut, weil Webers Einfluß paradoxerweise allein schon durch die Lektüre von Hasebroek 8 un d Fin ley, die einige seiner wichtigsten Konzepte aufgegriffen haben , deutlich spürbar ist. Daher haben die Althistoriker, wie Bruhns kürzlich bemerkt hat, 9 häufige r als Historiker andere r Epochen Weber im Zusammenhang mi t einigen allge meinen Ideen zitiert. Liest man »Die Stadt« mit den Augen eines Historikers der griechischen Polis , ist es außerordentlich frappierend, wie sehr man sich dank mancher von Hasebroek und Finley aufgenommenen »weberschen« Begriffe in 4 Da s zeigt beispielhaft ein Titel wie H. Parkins (Hg.), Roma n Urbanism . Beyond the Con sumer City, Londo n 1997. 5 E s ist wohl nich t nötig hinzuzufügen, daß Weber in der neueren Literatur über die antike Stadt nirgend s zitiert wird. Man vergleiche zum BeispielJ . Ric h u. A. Walhce-Hadnl l (Hg.), Cit y and Countr y i n th e Ancien t World , Londo n 1991 . Auf di e mangelnd e Kenntni s Webers ha t E. Will , Weberiana. En marge d'un livr e récent, in: Topoi 3,1993, S. 23, zu Rech t hingewiesen. 6 Sieh e dazu H. Bruhns (in diesem Band) . 7 WuG , S. 736 (MWG I/22-5, S. 84). 8 J . Hasebroek, Staat und Hande l i m Alten Griechenland, Tübingen 1928 ; ders., Griechisch e Wirtschafts- un d Gesellschaftsgeschichte, Tübingen 1931. 9 H . Bruhns, Max Weber, l'éVonomie et l'histoire, in: Annales. Histoire, Sciences Sociales 51, 1996, S . 1259-1287 , hier S . 1273 .
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vertrauten Gefilde n befinde t un d zugleich feststellen muß , in welchem Ausmaß sich die Sichtweise dieser späteren Historiker in einer ganzen Reihe von Punkten von derjenigen Max Webers unterscheidet. I. Eine Geschicht e de r griechischen Poli s Wir fragen, welcher Art die griechische Geschichte ist, die uns in »Die Stadt« entgegentritt. Wir wollen dies nicht Punkt für Punk t nachzeichnen, sonder n konzentrieren uns auf die historischen Ereigniszusammenhänge, welche Weber besonders klar beleuchtet. Wir haben es in erster Linie mit einer Perspektive zu tun, die vom Bild der Blütezeit der Polis bis zum Ausgang des 5. Jahrhunderts v. Chr. geprägt ist.10 Di e hellenistische Epoche, d.h. die Periode nach der Niederlage de r griechischen Polei s gegen die Makedonenkönige , wir d dabe i völlig ausgeblendet. Da s ist eine Konstant e i n Webers Sicht der griechische n Geschichte, die vor allem die archaische Epoche und das S.Jahrhundert in den Blick nimmt, die Zeit also, in der sich die Gemeinschaft der Hopliten-Bürge r in charakteristischer Weise ausgebildet hat . Genau diese Sichtweise setz t sich bei den Forschern fort, die Webers Analyse der griechischen Wirtschaft gefolg t sind. So behandelt Hasebroek in seiner Untersuchung der Beziehungen zwi schen der Polis und dem Wirtschaftsleben di e hellenistische Polis nicht. Auch Finley befaß t sic h nich t weite r mi t ihr. 11 Be i Weber aber entspricht die s der akademischen Traditio n z u Begin n diese s Jahrhunderts. Di e Forschun g zu r hellenistischen Zeit hat im wesentlichen erst in der Zwischenkriegszeit ihre n Aufschwung erfahren , ausgehen d vom Studium de r Inschriften, mi t A. Wilhelm in Österreich, M. Holleaux und vor allem L. Robert in Frankreich. Weber greift also die Vorstellung auf, die man sich zu seiner Zeit vom Niedergang der Polis am Ausgang der klassischen Epoche machte, und faßt sie folgendermaßen zusammen: einerseits das Ende der städtischen Autonomie im Gefolge de r Entwicklun g de r hellenistische n Monarchien , di e sic h di e Städt e unterwerfen, was deren Rolle radikal verändert; andererseits das Ende der kriegerischen Politik 12 un d damit das Ende der Polis als Kriegergemeinschaft. So mit ist die Polis jetzt mehr Stadt als Gemeinde. Das Ende der Autonomie bedeutet auch »die Vernichtung der Chance, ökonomischen Verdienst auf dem Wege der kriegerischen Politik der Stadt für die Bürger zu schaffen« und implizit den Übergang zu rationaler wirtschaftlicher Tätigkeit. 13 Dami t geht die steigende politische Bedeutung des »stadtsässige[n] Demos« einher,14 wohingege n 10 WuG , S. 805 (MWG I/22-5, S. 275). 11 Finley , Ancient Economy. 12 WuG , S. 811 (MWG I/22-5, S. 289). 13 Ebd . 14 WuG , S. 805 (MWG 1/22-5, S. 274).
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die »landsässigen hoplitfähigen Besitzer«, 15 welch e die Bürgergemeinschaft i n der Blütezei t de r klassische n Epoch e dominierten, da s Bild eine r ländliche n Welt evozieren. So erklärt sich die geringe Zahl der Bezugnahmen au f das 4. Jahrhundert, darunter ein Satz über den Herkunftsort von Demosthenes,16 ein Hinweis auf die Tyrannis des Dionysios von Syrakus 17 ode r das Beispiel der attischen Demotioniden, auf das ich noch zurückkommen werde. An keiner Stelle ist damit eine spezifische Frage nach der Lage der griechischen Welt in dieser Zeitspanne verbunden. Max Webers griechische Geschichte ist positivistisch. Keine Erwähnung finden die intellektuellen Konzeptionen der Polis, also diejenigen von Piaton, der nur einmal in bezug auf Homer zitiert wird,18 un d Aristoteles - ein e erstaunliche Tatsach e i m Vergleich z u heutige n Gewohnheiten . Da s ist insofer n ver ständlich, al s kein griechische r Intellektuelle r ein e wirkliche Geschicht e de r Polis geschrieben hat . Es hängt aber vor allem damit zusammen, daß die von Weber historisc h analysierte n Perioden , i m Vergleich zu r spätere n Zeit , sic h sozusagen umgekehr t proportional zu r Zahl der Quellen un d dem Vertrauen verhalten, da s man z u ihne n habe n kann . Die archaische Epoche is t für de n Historiker in vieler Hinsicht ein aus Hypothesen gezimmertes Gebilde. Doch gerade sie nimmt in Webers Vorgehensweise die Schlüsselrolle ein. Er ist sich dessen übrigens völlig bewußt und äußert mehrmals Vorbehalte bezüglich der Sicherheit seiner Interpretationen. 19 »Die Stadt« untersucht also im wesentlichen den Übergang von den archaischen Verhältnissen zur klassischen Periode, jenen Prozeß, den man heute »die Geburt der Polis« nennt . Auf diesem Gebie t - da s trotz aller Fortschritt e de r historischen Erkenntni s eine s der problematischste n de r antike n Geschicht e bleibt - fäll t die globale Bilanz von Webers Darstellung nicht negativ aus. Allerdings finden sich auch erhebliche Irrtümer in Webers Einschätzung der aristokratischen und gentilizischen Strukturen . Der Begriff der Burg, Stützpunkt der Adelsmacht, is t ein wesentliches Element in Webers Erklärung der Entwicklung der städtischen Bürgergemeinde . Diese ist für ihn vollkommen in der mittelalterlichen Stadt ausgebildet. Doch zögert er nicht , anhan d diese s Modell s bestimmt e griechisch e Realitäte n z u interpretieren, wobei er die Deutung offenläßt: »Die Festungsstadt nun, in dem ersten Stadium ihrer Entwicklung zu einem politischen Sondergebilde, war oder enthielt in sich oder lehnte sich an eine Burg, die Festung eines Königs oder 15 WuG , S. 803 (MWG I/22-5, S. 270). 16 WuG , S. 801 (MWG 1/22-5, S. 266). 17 WuG , S. 811 (MWG 1/22-5, S. 290). 18 WuG , S. 767 (MWG 1/22-5, S. 176). 19 Zu m Beispiel WuG, S. 799 (MWG I/22-5, S. 259).
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adligen Herrn oder eines Verbandes von solchen.« 20 Nu n kann man heute jedoch nicht mehr wie Weber21 eine Verbindung herstellen zwischen dem Begriff der Herrenburg i m attische n Dekelei a un d dem Name n jener herrschende n Familie, welche di e Demotionide n gewese n sei n sollen . Di e Demotionide n sind vielmehr ein e Phratrie, also ein Verband der staatlichen Struktur , der an einem Ort mit einer Grenzfestung (de r von Dekeleia) residiert, die unter der Verwaltung der Polis steht. Von einer besonderen Roll e der Aristokratie kan n hier deshalb nicht gesprochen werden. Webers Darstellung enthält unbestreitbar eine echte Geschlechtersage, woran auch die zahlreichen Bezüge auf Miltiades denken lassen, der Güter außerhalb von Athen besessen haben soll. Man kann ferner heute nicht mehr die Meinung vertreten, daß es sich bei den Demiurgen der archaischen Zeit um einen Verband von Kriegshandwerkern hand le.22 Scho n der Ursprung dieser Verbandsformen ist politischer Natur, vermutlich i n Verbindung mi t Strukturen , di e au s de r Bronzezei t stammen . Selbs t wenn die genaue Funktion dieser Verbände unbekannt ist, kann man schwerlich mit Weber annehmen, daß Berufskorporationen zu Beginn der archaischen Epoche Griechenland s ein e Roll e gespiel t haben . Schließlic h mu ß auc h di e Idee einer Vernichtung des Adels in einer Kriegergemeinschaft pa r excellence wie Sparta, 23 de m Musterbeispiel einer Plebejerstadt, auf die Liste der irrtümlichen Anschauungen gesetzt werden. Vielmehr ist anzunehmen, daß die »adlige« Elite der archaische n Gesellschaf t ni e völlig verschwindet, s o wie Weber dies übrigens für andere Poleis zugesteht. Dagegen entspricht die klare Unterscheidung, die Weber zwischen der Monarchie orientalische n Typ s der mykenische n Epoch e un d de m homerische n Königtum macht, 24 durchau s de r Auffassung de r meiste n Historiker , selbs t nach der Entzifferung von Linear B. Bemerkungen Webers über die Mündlichkeit der Kultur Athens i n der Zeit de r Demokratie , übe r di e Anhaltspunkte , welche di e städtischen Nekropole n de s Adels darstellen, ode r übe r di e Verkehrsfreiheit des Bodens in der Frühzeit im Kontrast zu späteren Beschränkungen haben nichts von ihrer Bedeutung für jede Untersuchung der Entwicklung der Polis verloren. Insgesamt bleibt festzuhalten, daß das von Weber benutzte historische Material , auc h wen n de r Fortschrit t de r Geschichtswissenschaf t manche seiner Grundannahmen widerlegt hat , für einen Historiker der griechischen Polis noch heute ergiebig ist, und das umso mehr, als bei seinem Gegenstand seine Ergebnisse eine weit geringere Bedeutung haben als die Fragestellungen und Begriffe, die er entwickelt. 20 WuG , S. 734 (MWG I/22-5, S. 79). 21 WuG , S. 769 (MWG 1/22-5, S. 181). 22 WuG , S. 799 (MWG 1/22-5, S. 259). 23 WuG , S. 804 (MWG I/22-5, S. 272). 24 WuG.S . 766f. (MWG 1/22-5, S. 173-177).
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Die Konstituierun g de r Poli s al s Gemeind e vollzieh t sic h fü r Webe r nac h einem strukturellen Schema, das, ähnlich wie bei den mittelalterlichen Städten , durch die Existenz zweier chronologischer Phasen gekennzeichnet ist: der Verbrüderung, au s der eine vom Adel beherrschte Gemeinschaft entsteht , und de r Revolte de r Nichtadligen, di e jedoch nich t da s gleiche Nivea u erreicht , d a ih r Sieg von Fall zu Fall vollständig oder partiell ausfallen kann. 25 Vo m T.Jahrhun dert a n entwickelt sic h dieser Prozeß : »Es fällt nu n die Ähnlichkeit diese r demokratischem Entwicklun g mit dem Schicksa l der antiken Städte ins Auge, deren meiste eine ähnliche Epoche des Emporwachsens als Adelsstädte, beginnend etwa mit dem 7. Jahrhundert v. Chr., und des raschen Aufstiegs zur politischen und ökonomischen Macht, verbunden mit der Entwicklung der Demokratie oder doch der Tendenz dazu, durchlebt haben«. 26 Die griechischen Polei s sind i m wesentlichen durc h Zuwanderun g vo n au ßen gebildet worden. Die Zuwanderer habe n auf neuer kultischer und rituelle r Grundlage eine n Synoikismo s gebildet , großenteil s al s Schwurgemeinschaft . Eine solche Verbandsbildung is t typisch für die Gesellschaften de s Mittelmeer raumes; nac h Weber sin d folgend e Gründ e dafü r ausschlaggebend : da s Fehle n magischer ode r religiöse r Verbote , di e i n Asie n di e Entstehun g diese r neue n Gemeinschaften habe n verhindern können , sowi e das Fehlen einer mächtige n königlichen Gewal t wi e i n Chin a ode r i m Vordere n Orient . I m Unterschie d zur griechischen is t in diesen Gesellschaften da s Individuum Nicht-Militär , d a der Köni g übe r ein e Berufsarme e verfügt ; i n de r griechische n Wel t dagege n bilden di e wehrfähige n Schichte n di e Grundlage n diese r »conjuratione s un d Einungen«. 27 Da s Königtum, z u Beginn der archaischen Epoche die Norm, is t gentilcharismatisches Königtum, 28 i n de m de r Köni g pdmus interpares ist . De r polisbegründende Synoikismo s erfolg t i m Rahme n vo n Vereinbarungen zwi schen de n adlige n Familie n un d de m Köni g (»di e au f Geheiß de s König s ode r nach Vereinbarung vollzogen e ›Zusammensiedlung ‹ de r Geschlechter i n ode r an ein e befestigt e Burg«). 29 Di e Verbrüderung manifestier t sic h i n de r Schaf fung neue r Kulte , zu m Beispie l u m ei n Prytaneio n herum. 30 Di e Aristokrati e der Poleis verfügt über reichen Grundbesitz, oft grundherrlicher Art, mit Rech ten übe r di e Mensche n un d da s Bauernland; 31 d a abe r di e Polei s sic h a n de n Küsten bilden, beteiligt sich die Aristokratie auch am Handel. 32 »Di e ökonomi -
25 WuG , S. 782 (MWG I/22-5, S. 215f.). 26 WuG , S. 766 (MWG I/22-5, S. 172). 27 WuG , S. 757 (MWG I/22-5, S. 145) 28 WuG , S. 766 (MWGI/22-5, S. 174). 29 WuG , S. 768 (MWGI/22-5, S. 178). 30 Ebd. 31 WuG , S. 770 (MWG I/22-5, S. 186). 32 WuG , S. 735 (MWGI/22-5, S. 81f).
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sche Qualität des Patriziats war also flüssig, un d nur der Schwerpunkt, z u de m hin si e gravitierte, kan n festgestell t werden. Diese r aber ist: Rentnertum.« 33 Nachdem di e Gemeinden einma l konstituier t sind , erleben si e in der Rege l Revolten, die das politische Leben verändern. Bei diesen Aufständen geht es um die Erreichun g de s Stimmrechts , di e Teilnahm e a n de n öffentliche n Angele genheiten un d das Recht, mittel s eigener Ausrüstung am Heeresdiens t z u par tizipieren; dabe i zieh t di e Veränderun g de r Militärtechnike n de n Stur z de s Adels nac h sich. 34 De r tiefer e Grun d dafü r is t der Klassengegensat z zwische n den Adligen und ihren Schuldner n oder Klienten, da die Herrschaft de r aristokratischen Schich t i m wesentliche n au f finanzielle r Grundlag e beruht , au f Renten un d Bodenrechten . De r Grundwiderspruch besteh t zwischen Gläubi gern und Schuldnern. 35 Di e Gelegenheit zu Revolten ergibt sich aus Adelsfehden seit dem End e des Königtums -Weber führ t da s Beispiel des mittelalterli chen italienischen Popol o an, bezieht den Vorgang aber in ähnlicher Weise au f die Antike 36 - un d au s dem Strebe n manche r Adlige r nac h de r Tyrannis . Di e Tyrannis wiederum führ e of t zu r Demokratie. 37 Nac h diese n allgemeine n Er klärungen nenn t e r jedoch kau m ei n Beispie l antike r Aufstände , abgesehe n vom Fal l de r römische n Plebs . »Wir frage n nu n noch : o b diese römisch e Ent wicklung innerhal b de r Antike selbs t ga r kein e Parallel e habe . Eine politisch e Sonderverbandsbildung wi e di e Pleb s un d de r italienisch e Popol o finde t sic h sonst, sovie l bekannt , i n de r Antik e nicht.« 38 Da s eindeutigst e Beispie l is t i n Webers Augen Sparta , wo nac h de r Refor m de s Ephorats de r Adel völli g ver schwindet, währen d e s i n de r athenische n Entwicklun g klein e Unterschied e gibt: »Der Sturz der Geschlechter und der Übergang zur Demokratie war bedingt durch die Änderung der Militärtechnik. Das sich selbst equipierende disziplinierte Hoplitenheer war es, welches den Kampf gegen den Adel trug, ihn militärisch und darauf auch politisch ausschaltete. Seine Erfolge gingen sehr verschieden weit, teilweise bis zur völligen Vernichtung des Adels, wie in Sparta [...]; teilweise zur Eingemeindung des Adels in die Demoi und zu timokratischer Leitung des Staates: so im kleisthenischen Athen.« 39 Die Entwicklung verläuft also nicht gleichartig in allen Poleis, und das Ausmaß des Sieges der Nicht-Adlige n variier t von Fal l zu Fall . Resümierend könnt e man sagen, daß Webers Sichtweise de r Geschichte de r griechischen Polis , bei einer ersten Lektüre der »Stadt« im Grunde als traditionell erscheint . Be i weiterer Überlegun g erweis t sic h diese Feststellun g al s un 33 WuG , S. 773 (MWG I/22-5, S. 193). 34 WuG , S. 804 (MWG I/22-5, S. 272). 35 WuG , S. 784 (MWG I/22-5, S. 222). 36 WuG , S. 779 (MWG I/22-5, S. 207-209). 37 WuG , S. 785 (MWG I/22-5, S. 224). 38 WuG , S. 780 (MWG I/22-5, S. 212). 39 WuG , S. 804 (MWG I/22-5, S. 272).
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angemessen, da sie Webers Nachdenken übe r die Polis nur unvollständig wi derspiegelt. Die politische Geschichte der Polis wird nämlich bei Weber nicht isoliert dargestellt; sie wird ergänzt durch eine weitere Ebene der Analyse, auf der die Ökonomie einen herausragenden Platz einnimmt. Aus dieser Perspektive reduziert sich die Geschichte der griechischen Polis nicht auf den absoluten und normativen Triumph des Politischen oder der Demokratie, wie es nur allzu oft in ›klassizistischer‹ Historiographie der Fall ist. Sie wird eingebettet in eine umfassendere Perspektiv e auf die Geschichte des Kapitalismus; hier stellt die Polis nur eine Art Zwischenstadium dar: »Antike und, in geringerem Maß, südeuropäisch-mittelalterliche Städt e bilde n hieri n als o gewissermaße n Über gangsstadien von der asiatischen zur nordeuropäischen Stadt.« 40 Eine derartige Sicht ist von größtem Interesse für den Historiker, der es als seine vordringliche Aufgabe verstehen sollte, die politischen Gegebenheiten der Polis im Zusammenhang mit ihrer sozioökonomischen Struktu r zu begreifen. II. Stad t un d Land : die Wirtschaft de r Poli s Der Text beginnt mit einer auf wirtschaftlichen Kriterie n fußenden Typologi e (§ 1. Begriff und Kategorien der Stadt). Diese ist aber im Grunde genommen nicht das bestimmende Element fü r die historische Analyse der okzidentalen Stadt un d de n Begrif f de r Gemeinde , de n Weber i n de n folgende n Kapitel n herausarbeitet; man könnte sich daher nach dem inneren Zusammenhang mit dem Res t des Textes fragen. Dennoc h is t Webers Bedeutun g wohl gerad e i n diesem Punk t fü r de n Historike r de s antiken Griechenland s besonders groß, denn er berührt eines der für die Kenntnis der alten Welt wichtigsten Probleme: Inwiefern is t die griechische Poli s eine Stadt? Daher lautet die erste Frage an Webers Text, was er dazu beitragen kann, das Problem der Stadt und der Besonderheit Griechenlands in diesem Punkt schärfer zu fassen. Finley hat mit Nachdruck auf die in seinen Augen äußerst bedeutsame Tatsache hingewiesen, daß man bei den antiken Historikern keine Analyse der Stadt findet.41 Das ist außerordentlich erstaunlich, denn die Antike ist eine stark urbanisierte Welt, die am stärksten urbanisierte bis zur Neuzeit. In diesem Punkt kann Webers Werk nur zu größerem Nachdenke n anspornen , un d sei es nur aufgrund der von ihm ständig und bewußt vorgenommenen Vermengung zwischen der Stadt und ihrer politischen Verfaßtheit, die sich am stärksten im Begriff de r Bürgergemeind e manifestiert . Gena u diese r Zusammenhan g zwi schen Stadt und Polis stellt das größte Problem in der griechischen Geschichte dar. 40 WuG , S. 743 (MWG I/22-5, S. 107). 41 M . I. Finley, The Ancient City: from Fuste l de Coulanges to Max Weber and Beyond, in: Comparative Studies in Society and History 19 , 1977, S. 305-327-
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Ganz im Gegensatz zu dem oft bis zum Überdruß Wiederholten besteht das Interesse von Webers Text, was die griechische Stadt angeht, keineswegs in dem Begriff der ›Konsumentenstadt‹. Diese r Begriff ist mitnichten s o zentral, wie behauptet worden ist.42 Wenn manche Althistoriker ihn gedankenlos im Sinne einer das Land aussaugenden Stad t verwenden, kann das nur als völliger Un sinn bezeichnet werden. Webers Beitrag zu dem, was man ökonomische Überlegungen zur antiken Stadt nennen könnte, ist von ganz anderer Natur. Er stellt eine Klassifizierung nac h vier Stadttypen vor: ›»Ackerbürgerstadt‹, Konsumenten-, Produzenten - un d Handelsstadt«. 43 Di e griechische Antik e betriff t a m meisten der Typus der ›Ackerbürgerstadt‹. Dieser ist aber in der Wirklichkeit am weitesten entfernt von einer rein wirtschaftlichen Definition der Stadt, die ökonomisch im wesentlichen durch Handel und Gewerbe gekennzeichnet ist. Die Ackerbürgerstadt dagegen, die zwar auch einen Markt und städtisches Gewerbe kennt, »i n denen abe r ein e breit e Schich t ansässige r Bürge r ihre n Bedar f an Nahrungsmitteln eigenwirtschaftlic h decken«, 44 is t durch ihr e Selbstgenüg samkeit charakterisiert. Sie ist also nicht eine Stadt wie die anderen, was Weber klar formuliert, inde m er betont, daß die Beziehungen zwischen der Stadt und der Landwirtschaft nich t eindeutig sind. 45 Di e Ackerbürgerstadt kan n jedoch eine Stadt i m politisch-administrative n Sin n darstellen , ohn e e s wirklich i m ökonomischen Sinne zu sein.46 Dami t sind wir zunächst weit entfernt von der Konsumentenstadt oder einer Scheidung von Stadt und Land. Weber präzisiert: »Der Übergan g vo n eine r solche n ›Ackerbürgerstadt ‹ zu r Konsumenten- , Produzenten- oder Handelsstadt is t natürlich völlig flüssig.« 47 Zwe i grundle gende Aspekte werde n durc h di e Darstellun g de r Entwicklun g de r griechi schen Städte ausgedrückt: die Bedeutung der Gebietskörperschaft, die in einem sozioökonomischen Umfel d entsteht , i n welchem di e militärische n Aspekt e eine besonder e Wertun g erfahren , un d di e Mannigfaltigkei t de r Polis - un d Stadttypen. Weber unterstreicht wiederholt den engen Zusammenhang zwische n Poli s und Krieg, und er definiert, wie erwähnt, die Bürgergemeinschaft als eine Kriegergemeinschaft. Weil einerseits mächtige Monarchien fehlen, andererseits allen Bürgern die Militärtechnik zugänglich is t und sie zu Kriegern ausgebilde t werden, stellt die Polis in der Geschichte einen Sonderfall dar , der charakterisiert ist durch die mit den militärischer Aktivitäten verbundene Ausübung bür42 Vgl . Bruhns, Max Weber, l 'économie et l'histoire. 43 WuG , S. 732 (MWG I/22-5, S. 72f.). Man beachte, daß Weber die ›Ackerbürgerstadt‹ im mer in Anführungszeichen setzt , nicht jedoch die anderen Stadttypen; denn sie ist nicht wirklich eine Stadt im ökonomischen Sinn . 44 WuG , S. 730 (MWG I/22-5, S. 67). 45 Ebd . 46 WuG , S. 732 (MWG I/22-5, S. 72). 47 Ebd . © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN E-Book: 978-3-647-35746-1
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gerlicher Verantwortung: »De r Bürger blieb in erster Lini e Soldat. [... ] Sein e persönliche Inanspruchnahme [...], vor allem aber durch Feldzüge: jahrzehntelang Somme r fü r Sommer , war i n Athen gerad e i n der klassischen Zei t eine solche, wie si e be i differenzierte r Kultu r wede r vorhe r noc h nachhe r i n de r Geschichte erhört ist.« 48 Worin besteht di e ökonomische Logi k einer Kriegergemeinschaft ? I m Bereich der griechischen Geschichte haben die Historiker ihre Analyse nicht sehr weit vorangetrieben, un d Webers Hinweise sin d umfassender, al s es den Anschein hat. 49 De r erste Punk t is t die Verbindung z u landwirtschaftliche n In teressen und zum Erwerb von Beute oder Land. Die Unterschiede zwische n den Poleis sind in dieser Hinsicht offensichtlich, denn manche sind ländlicher als andere. So war Rom ursprünglich ländlicher als Athen,50 was für die Politik der Polis von Bedeutung sein kann. Aber die Formen des Krieges ändern sich schnell, besonders mit der Entwicklung des Seekrieges in der klassischen Zeit Athens. Mit ih m ergebe n sic h neu e Perspektiven , wi e etw a di e Finanz - un d Wirtschaftsherrschaft übe r andere Poleis , die, »wenn das lokale Bodenbesitzmonopol de r beherrschte n Bürgerzünft e gebroche n war«, 51 mittel s Lander werb und durch Tribute beherrscht werden. Weber beleuchtet hie r ein selten untersuchtes Phänomen, nämlic h die Auswirkungen, di e Veränderungen de r Kriegsformen i n manchen Polei s auf die Entwicklung de r Polis selbst habe n können. Frappierend ist in dieser Hinsicht die Verbindung, die er herstellt zwischen dem Ende der Hoplitengemeinschaft i m 4. Jahrhundert und der Entstehung neue r städtische r Interessenschwerpunkte , di e i n gewisse r Weis e vo m Seekrieg präfiguriert worden sind: »In Hella s ist die Hoplitendemokrati e überall d a geschwunden, wo der Schwerpunk t der militärischen Machtstellung sich auf die Seemacht verschob [...]. Seitdem wurden sowohl die straffe Militärausbildung vernachlässigt wie die Reste der alten autoritären Institutionen beseitigt , un d nunmeh r beherrscht e de r sWfsässige Demo s di e Politi k und die Institutionen der Stadt.« 52
Ein weiterer interessanter Aspekt von Webers Überlegungen betriff t di e Auswirkungen de s Krieges auf die For m der Poliswirtschaf t überhaupt . Da ß die Polis eine Kriegergemeinschaft ist , hat entscheidende Bedeutung, denn daraus ergibt sic h ihr e Souveränitä t au f allen Gebiete n de r Wirtschaft. Darau s folg t eine doppelte Konsequenz: Das Gewicht der steuerlichen Abschöpfungen ver48 WuG , S. 810 (MWG I/22-5, S. 285f.). 49 A n die Bedeutung der Weberschen Tradition für die Analyse des Krieges erinnert Y. Garlan, Guerre etéconomie en Grèce ancienne, Paris 1989,33f. Ein Band, Guerre et économie (Troisièmes rencontres d'histoire économique de Saint-Bertrand-de-Comminges), hg. von J. Andreau, P. Briant u. R. Descat, wird 2000 erscheinen. 50 WuG , S. 801 (MWG I/22-5, S. 266f.). 51 WuG , S. 810 (MWG I/22-5, S. 287). 52 WuG , S. 805 (MWG I/22-5, S. 274).
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hindert die Entwicklung einer lokalen Kapitalistenelite;53 di e Polis betreibt keine merkantilistische Politik , sondern öffnet sic h auswärtigen Kaufleuten. Mi r ist kein moderner Autor bekannt, der diese Fragen insgesamt wieder aufgegrif fen hätte. Das ist bedauerlich, denn sie laden dazu ein, ein grundlegendes Problem zur Diskussion zu stellen: Ist die wirtschaftliche Entwicklung der griechischen Polis , wen n e s ein e solch e gegebe n hat , abhängi g vo n kollektive n Gewinnen im Krieg oder ist sie an das Entstehen einer Elite gebunden, die fähig ist, eine aktive Rolle in der Wirtschaft z u übernehmen? Die andere große Frage, die Webers Text aufwirft, is t die nach der Funktion der Städte. Es ist festzuhalten, wie sehr Weber die Mannigfaltigkeit der griechischen Realitä t betont . Di e Städt e werden i m wesentliche n dan n z u Konsu mentenstädten, wenn die bäuerlichen Grundbesitzer eine Gemeinde gebildet haben. Aber die Städte , die Geschlechterstädte gebliebe n sind , können Han delsstädte sein, wie zum Beispiel Epidamnos in Illyrien;54 da s setzt unter anderem Exporthilfen voraus, 55 wegen der Existenz eines städtischen Kaufmanns patriziats. Dies e Unterschied e zwische n de n Städte n zeige n gut , wi e i n de r griechischen Welt mannigfache Stadtforme n nebeneinande r bestehen . Weber geht hier nicht ins Einzelne (wäre uns das heute etwa möglich?), sondern gibt die Entwicklung in großen Zügen wieder. Sein Ausgangspunkt ist die Debatte, die innerhalb der deutschen Nationalökonomie über die Frage der Wirtschaftsstufen geführt wurde. Er betont, daß die Stadtwirtschaft al s solche nicht eine historische Wirtschaftsstufe darstelle , sondern anderer Natu r sei. Der zeitgenössischen Debatte wirft er in diesem Punkt die Vermengung wirtschaftliche r mit politischen Kategorien vor.56 Damit kommen wir zu einem entscheidenden Punkt, der Rolle des Marktes sowohl im Leben der Stadt wie in ihrer Entwicklung. Weber betont mit Nachdruck die Unterschiede, die hier auftreten können . Denn die Stadt kann über den Stand eines »Anhängsel[s], eine[r] bloße[n] Marktansiedlung neben dem Oikos« hinauskomme n un d z u eine r echten Marktstad t werden. 57 Vo n der Geldwirtschaft unterscheidet Weber die Ebene einer Naturalwirtschaft, die mit den traditionellen Aspekten der Fron- und Tributwirtschaft un d den Natura labgaben verbunden ist. Das impliziert einen Unterschied zwischen Stadtwirt schaft und Stadtwirtschaftspolitik, de r für das Verständnis der wirtschaftlichen Rolle der Polis wesentlich ist . Alle Verbände, selbst Dorfgemeinschaften un d die einfachste n Ackerbürgerstädte , kenne n »Flurzwang , Weideregulierung , Verbot des Exports von Holz und Stre u und ähnliche Wirtschaftsregulierun 53 WuG , S. 810 (MWG I/22-5, S. 287). 54 WuG , S. 773 (MWG I/22-5, S. 193). 55 WuG , S. 803 (MWGI/22-5, S. 269f.). 56 WuG , S. 731 (MWG I/22-5, S. 69f.). 57 WuG , S. 729 (MWG I/22-5, S. 63).
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gen«, 58 abe r di e Existen z eine s Markte s bring t ein e Rationalisierun g mi t sic h und eine bestimmte Politi k der Wirtschaftsregulierung : »Die im spezifischen Sin n sogenannte ›Stadtwirtschaftspolitik‹ nu n war wesentlich dadurch gekennzeichnet, daß sie im Interesse der Sicherung der Stetigkeit und Billigkeit der Massenernährung un d der Stabilität der Erwerbschancen de r Gewerbetreibende n und Händle r dies e damal s i n weitgehendem Ma ß naturgegebene n Bedingunge n de r stadtsässigen Wirtschaft durch Wirtschaftsregulierung z u fixieren suchte.« 59 Diese Wirtschaftsregulierun g is t nich t nu r ›Nahrungspolitik ‹ i n eine m etwa s restriktiven Sinn . Mi r scheint , da ß wir be i Weber auc h i n diese m Fal l au f ei n Feld stoßen , da s der historische n Untersuchun g interessant e Perspektive n er öffnet: di e Rolle der Marktwirtschaft i n der griechischen Polis , insbesondere i n den Städten, in denen es stetige gewerbliche un d Handelsaktivitäten gibt . Die ser Frage ist Weber selbst kaum nachgegangen, auch fehlten dafür zu seiner Zeit einschlägige Vorarbeiten . Festzuhalte n bleibt , da ß manch e seine r Bemerkun gen zur mittelalterlichen Stadtwirtschaftspolitik 60 sic h teilweise auf das Marktgeschehen i n der Antike übertragen ließen. Von hier aus ergeben sich fruchtba rere Arbeitshypothesen , al s si e de r Begrif f de r Konsumentenstad t bietet , de r letzten Endes nur ein abgeleitetes Element der Beziehung zu einem Markt un d seiner Ausdehnung darstellt. Das Problem der Wirtschaftselite un d des Kapita lismus dagegen berührt die für Weber grundlegende Frage der Rationalisierun g der Lebensführun g i n der Polis.
III. Rationalität u n d Irrationalitä t i n de r griechische n Poli s Im Mittelpunk t de r Überlegunge n Ma x Webers übe r di e Städt e un d di e grie chische Poli s steh t di e Roll e de r Poli s al s eine s historische n Beispiel s gesell schaftlicher Organisationen , di e sic h durc h ein e meh r ode r minde r groß e Rationalisierung de r Lebensführun g auszeichnen . Di e Poli s zeig t i n diese r Hinsicht zugleic h Züg e vo n Vergemeinschaftun g un d vo n Vergesellschaf tung.61 I m Zentrum der Polisbildungen stehe n das Bauernland un d die Appro priierung vo n Grundbesitz , di e i m Verlau f de r Demokratisierun g diejenig e Bauerngemeinschaft ergibt , au s de r i m Grund e di e griechisch e Demokrati e besteht. Dies e Entwicklung zieh t eine Rationalisierun g de r rechtlichen Bezie hungen un d der Organisatio n de s Territoriums nac h sich , deren Ausdruck di e Einrichtung der kleisthenischen Demen ist. 62 Abe r diese Rationalisierung stöß t 58 WuG , S. 731 (MWG I/22-5, S. 69). 59 WuG , S. 732 (MWG I/22-5, S. 71). 60 WuG , S. 791f. (MWG I/22-5, S. 241f.). 61 WuG,S.237f . 62 WuG , S. 782f. (MWG I/22-5, S. 217-220).
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auf deutliche Grenzen. Die politischen Rechte stehen noch unter dem Einfluß der Tradition, und ganz allgemein gesehen trägt die Herrschaftsausübung auch noch in der Demokratie einen traditionellen, irrationalen und charismatischen Zug, was selbs t fü r da s perikleische Athe n gilt, den n di e Honoratiore n sin d durch Nicht-Professionelle ersetzt worden.63 Da s wirft die sehr wichtige Frage der ›Verspätung ‹ de s Politischen gegenübe r manche n gesellschaftliche n Ent wicklungen in Griechenland auf, wie sie sich im Fortleben eines sehr traditionellen Verständnisses von Staat zeigt, das weit stärker zur ›Vergemeinschaftung‹ als zur ›Vergesellschaftung‹ tendiert . Diese Einsicht Webers läßt sich mit dem Hinweis auf die Unmöglichkeit verbinden, in Griechenland einen Begriff von ›öffentlich‹ z u finden, de r dem des ›Privaten‹ kla r entgegengesetzt wäre ; vorherrschend ist der Begriff des ›Gemeinsamen‹. In den gleichen Zusammenhang gehört eine weitere bedeutsame Frage, die wesentlich für Webers Denken ist, diejenige nach der Beziehung der Polis zum wirtschaftlichen Lebe n insgesamt. Warum hat die Ökonomie in der Polis nicht den Weg in Richtung auf einen rationalen Wirtschaftsbetrieb eingeschlagen? 64 Der Mark t spiel t ein e nich t unwichtig e Rolle . Warum is t e s dann nich t zu r Entwicklung ökonomischer Rationalität gekommen? In seiner Argumentation kommt Webe r au f die spezifische n Züg e diese r Epoch e de r Antike zurück . Hervorstechend is t di e politisch e Orientierun g de s Kapitalismus. 65 I n der Wirklichkeit kann der Kapitalismus kommerziell ausgerichtet sein, doch zielt er überwiegend auf Erwerb oder Eroberung von Land und Menschen. Es handelt sich um eine traditionelle Wirtschaftsform, di e zur Zeit der archaischen Polis auf direkter Herrschaft übe r Grundbesitz und Menschen basierte, die Hörige oder Klienten waren und im Fall von Verschuldung zu Sklaven wurden. Mit der Errichtung der Demokratie beruht die Herrschaft weiterhin auf Grundbesitz und Besitz von Menschen, da es sich nun darum handelt, Sklaven zu erwerben. Geldbesitz und Grunderwerb bleiben die Grundlagen dieses Kapitalismus. Der Rest, Gewinne au s Handel ode r Gewerbe, sin d nu r Gelegenheitsprofite vo n untergeordneter Bedeutung. Die Mitglieder der Polis sind Gelegenheits-, nicht Berufsunternehmer.66 Die besondere Stellun g de s antike n Kapitalismu s läß t sic h a n de r Versorgungspolitik erkennen. Weber zeigt, daß diese mit Maßnahmen zur Exportförderung einhergehen kann.67 Da s berechtigt jedoch nicht, von einer wirklichen Produzentenpolitik zu sprechen, denn sie ist verbunden mit einer Interventi onspolitik- insbesondere durch Getreideankäufe -, wie sie die Kleinbürger als Nutznießer de r Demokratisierung verlangen. Weber wirft hie r ein wichtige s 63 WuG , S. 783 (MWG I/22-5, S. 219). 64 WuG , S. 811 (MWG I/22-5, S. 288). 65 WuG , S. 800 (MWG I/22-5, S. 263f.). 66 WuG , S. 774 (MWG I/22-5, S. 195f.). 67 WuG , S. 803 (MWG I/22-5, S. 269).
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Problem auf, indem er gewisse politische Maßnahmen der Polis, die denen der mittelalterlichen Stadtwirtschaftspoliti k vergleichba r sin d (zu m Beispie l di e aus den solonischen Gesetze n bekannten »Exportverbote« 68), von politischen Maßnahmen unterscheidet, die häufiger vorkommen, direkt auf die Bedürfnisse der einfachen Bürger zielen und in diesem Fall Konsumentenpolitik sind. Im Rahmen jener großen sozialen Spannungen der antiken Polis (zwischen Eigentümern und denen, die durch Verschuldung den Zugang zum Eigentum verloren haben ) spiel t de r Mark t schließlic h ein e Gleichgewichtsrolle . Da s zeigt sich im Fall der Sklavenbevölkerung und ihrer Beziehung zur städtischen Handwerkerbevölkerung. Webe r betont , da ß e s keinen Gegensat z zwische n freier Arbeit und Sklavenarbeit gibt. Das bedeutet, daß sich hier keine Klass e städtischer Arbeiter ausbildet, denn die Sklaven werden über den Markt ernährt und unterhalten . Weber weist mi t Rech t darau f hin , wa s es bedeutet, wen n Perikles alles auf dem Markt kauft, »um der Popularität bei den Handwerker n willen«.69 Aber auch die Entwicklung der Sklaverei ist an den Markt gebunden, und alle profitieren i n gewisser Weise von ihr . Der Markt hat in der griechischen Polis eine integrierende Rolle gespielt, indem er die Konsumentenpolitik des Bürgervolkes und ein konfliktfreies Zusammenlebe n von freien Arbeitern und Sklaven ermöglicht hat. Weber unterstreicht einen wichtigen Punkt, wenn er feststellt, daß der Un terschied zwischen der antiken und der mittelalterlichen Stadt nicht durch die inneren, sondern durch die äußeren Verhältnisse begründet ist, und zwar durch die Positio n der Stad t i n der allgemeinen Konfiguratio n de r politischen un d gesellschaftlichen Organisationen. 70 Di e rationale ökonomische Funktio n der mittelalterlichen Stadt ergibt sich daraus, daß ihre Gründung auf ökonomische Motive zurückgeht. 71 Di e Rationalisierun g de r Lebensführun g is t nu r ein e Anpassung a n eine umfassender e Rationalisierung , welch e di e Stad t i m Ge samtzusammenhang de r gesellschaftlichen Organisatio n erfährt . Di e griechische Stadt dagegen leite t sich ab aus der königlichen Mach t sowie der Adelsherrschaft übe r das Land un d ha t eine eviden t militärisch e Funktion . Unte r diesen Bedingungen ist die Ausbildung der Stadtautonomie (die eine Form der Vergesellschaftung ist ) de r allgemeine n Entwicklungstenden z gefolgt . De r Kompromiß im Klassenkonflikt ha t dazu geführt, di e fundamentale Bindun g an das Land zu bewahren, und der Markt hat keine gegenläufige Tenden z ausgelöst. Im Gegenteil, die Interessen der Grundbesitzer wurden durch die Ausdehnung einer konsumentenorientierten Staatsinterventio n ebens o geforder t 68 Daz u R. Descat , La loi de Solon su r Pinterdictio n d'exporte r les produits attiques , in : A. Bresson u. P. Rouükrd (Hg.), Emporion, Paris 1993, S. 145-161 . 69 WuG , S. 798 (MWG I/22-5, S. 258). 70 WuG , S. 796 (MWG I/22-5, S. 253). 71 WuG , S. 794 (MWG I/22-5, S. 246f) .
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wie durch die Entwicklung de r Sklaverei, die zugleich da s Entstehen einer Klasse städtischer Arbeiter verhinderte. Zieht man die Bilanz der Überlegungen zur griechischen Polis, wie sie sich in dem Essay »Die Stadt« darstellen, sind drei wesentliche Punkte hervorzuheben. Zunächst darf die politische Geschichte der Polis nicht von der Geschichte ihrer ökonomischen Struktur getrennt werden. Diese ist viel differenzierter, als es die Homogenität ihres politischen Rahmens erscheinen läßt, denn der Begriff der Polis deckt Städte von unterschiedlicher Natur ab. Aus diesem Grunde verbergen sich hinter der globalen Struktur der Polis unterschiedliche Rationalitätsniveaus, die dem »Übergangscharakter« de r griechischen Poli s entsprechen. Zu allen diesen Punkten muß die historische Arbeit erst noch geleistet werden.
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LUIGI CAPOGROSS I COLOGNES I
Von den »Agrarverhältnissen« zur »Stadt«* I. Die okzidentale Stadt Es ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, daß in Webers »Agrarverhältnissen« die politische Organisation wichtiger zu sein scheint als die Strukturen der Agrarwirtschaft.1 Di e Produktionsformen und die sozial-ökonomischen Beziehungen, speziell in Griechenland und Rom, werden hier unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung der Polis und ihrer Strukturen behandelt. Allerdings könnte eine zu starke Betonung des Perspektivenwechsels, den Weber in den »Agrarverhältnissen« vornahm, zu Mißverständnissen fuhren , d a dies der Vielfalt von Zielen nicht gerecht wird, die dieser außergewöhnliche Forscher von Anfang an verfolgt hat.2 Wenn man die neuen Elemente in der letzten Fassung der »Agrarverhältnisse« (1909) zu sehr hervorhebt, besteht die Gefahr, daß einige der Punkte übersehen werden, die schon in der »Römischen Agrargeschichte« (1891) von Bedeutung waren. Denn bereits in diesem Werk wurde für die römische Agrarwirtschaft mi t ihre r Tendenz zum Agrarkapitalismus eine bedeutsame Roll e der Stadt angenommen. Da s betrifft zu m einen die »bürgerliche« Struktu r der italisch-römischen Siedlunge n (i m Kontrast zum germanischen Modell), die vom römischen System der territorialen Organisation durch centuriatio geprägt war, und zum anderen die Abhängigkeit der mit Sklaven bewirtschafteten Landgüte r der Aristokratie von den städtischen Märkten, für die sie produzierten.3 Diese Gesichtspunkte, die in der »Römischen Agrargeschichte« implizier t waren und in dem Aufsatz über die »Sozialen Gründe des Untergangs der an* Übersetzun g aus dem Englischen von Wilfried Nippel. 1 Vgl . A. Momigliano, Dopo Max Weber?, in: ders., Sesto contributo alla storia degli stud i classici e del mondo antico, Rom 1980, S. 295-312, hier S. 299; H. Bruhns, La citéantique de Max Weber, in: Opus 6-8, 1987-8 9 [1991], S. 29-42, hier S. 33ff. 2 S o zutreffend J. Deininger, »Die sozialen Gründe des Untergangs der antiken Kultur«. Bemerkungen zu Max Webers Vortrag von 1896, in: Alte Geschichte und Wissenschaftsgeschichte. Festschrift für Karl Christ zum 65. Geburtstag, Darmstadt 1988, S. 95-112, hier S. l0lff.; ders., Eduard Meyer und Max Weber, in: W. M. Calder u.A. Demandt (Hg.), Eduard Meyer. Leben und Leistung eines Universalhistorikers, Leiden 1990, S. 132-158, hier S. 155ff. 3 Vgl . L. Capogrossi Colognesi, Modelli di stato e di diritto nella storiografia dell' '800, Rom 19973, S. 26f, 56ff. , 59ff.
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tiken Kultur« 189 6 stärker betont wurden, treten ein gutes Jahrzehnt später in den »Agrarverhältnissen« noch viel deutlicher hervor. Das Erklärungsmodell ist nun viel komplexer, und die neue Rekonstruktion der antiken Ökonomie wird abgeschlossen durch die Frage nach den Eigenarten und Grenzen des antiken Kapitalismus im Vergleich zu den Verhältnissen in den Städten des Mittelalters. Nunmehr geht es um die besondere Rolle der Städte in der klassischen Antike, besonders im Römischen Reich. Die unterschiedlichen städtischen Strukturen in anderen antike n Gesellschafte n - i n Mesopotamien, Ägypten un d Israe l werden ungeachte t ihre r jeweiligen historische n Bedeutun g unte r de m Ge sichtspunkt behandelt, daß sie nichts zur kapitalistischen Entwicklung in Rom bzw. (bis zu einem bestimmten Ausmaß) in Griechenland beigetragen hätten. Auch andere für den antiken Kapitalismus einschlägige Phänomene - etw a in Karthago und Babylonien - komme n nur kurz vor. Der einzige Vergleich, der Weber zu dieser Zeit augenscheinlich noch interessiert, ist derjenige der antiken Städte mit den europäischen Städten des Mittelalters. Schon im Aufsatz zum Untergang der antiken Kultur war er wichtig gewesen; nun wird er im Schlußteil der »Agrarverhältnisse« besonders hervorgehoben, wobe i nebe n grundlegende n Unterschiede n zugleic h bestimmt e Übereinstimmungen Beachtung finden. Dieser Ansatz schlägt sic h dann i n dem Essay über die »Stadt« nieder , mi t dessen Ausarbeitun g Weber i n de n Jahren nac h de m Erscheine n de r letzte n Fassung de r »Agrarverhältnisse « (1909 ) begonne n hatte. 4 De r bereit s de n »Agrarverhältnissen« zugrundeliegende Vergleich wird in der »Stadt« expliziert. Im Hinblick auf die Stad t in der klassischen Antike un d i m Mittelalter zähl t nun, daß sich die okzidentale Stad t als solche grundlegend von den andere n historischen Formen unterscheidet. Es wird damit klar, wie entscheidend Webers Absetzung der klassischen poleis von den anderen, in den »Agrarverhältnissen« behandelten Gesellschaften gewese n war. Zugleich erfordert die Analyse der mittelalterliche n Stadt , speziel l ihre r kapitalistische n Entwicklung , de n Rückgriff auf jene Kriterie n (Vorran g der Politik, Tendenz zu aggressiver Außenpolitik), di e Weber bereits i n der Einleitung z u den »Agrarverhältnissen « entwickelt hatte. So zeigt sich auch hier, wie die »Stadt« an die »Agrarverhältnisse« anschließt. Weber stellt heraus, daß die Entwicklung der Stadt sowohl von einer ökonomischen wie von einer politischen Voraussetzung abhängig ist. Die erste bedeutet di e Fähigkeit , Agrarprodukt e au s dem Hinterlan d durc h de n Tausc h mi t handwerklichen Produkten auf dem Markt zu erwerben.5 Di e zweite besteht in der politisch-militärischen Kontroll e übe r ein Territorium durc h ein Syste m von Befestigungen.6 Au f diese Frage nach den politisch-administrativen Struk 4 Vgl . W. Nippel (in diesem Band). 5 WuG , S. 730-732 (MWG I/22-5, S. 67-72). 6 WuG , S. 732-736 (MWG I/22-5, S. 72-84).
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turen innerhalb wie außerhalb der Stadt kommt Weber immer wieder zurück . Kontrolle über das Territorium und Entwicklung eines Marktes sind entscheidende Voraussetzungen für die Entstehung jeder Form von städtischer Agglomeration, aber eben nicht allein für diejenige, die unter den Idealtyp der okzi dentalen Stadt fällt; für sie sind diese beiden Faktoren zwar notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingungen . Deshalb führt Weber in der »Stadt« auch aus, daß die okzidentale Stadt nicht allein durc h ihr e Roll e al s »Sitz de s Handel s un d de s Gewerbes « einerseits , als Festung, Garnisonsort und Gerichtsbezirk andererseits bestimmt sei , sondern auch durch ihren Charakter als »schwurgemeinschaftliche Verbrüderung«. 7 Durch Verbrüderung wird im Okzident eine Bürgergemeinschaft konstituiert , die eine administrative un d politische Autonomie der Stadt, die Entwicklun g eines eigenen städtischen Rechts und einer eigenen Gerichtsbarkeit erreiche n kann.8 Die Kategori e de r Verbrüderung is t zentra l fü r Weber s Interpretatio n de r Einzigartigkeit der okzidentalen Stadt im Hinblick auf ihre soziale Organisation. Verbrüderung ist die entscheidende Voraussetzung dafür, daß sich die Stadtbewohner aus anderen Bindungen lösen und zu einer Korporation zusammenschließen können. 9 Hie r lieg t eine bemerkenswert e Ausweitun g von Webers Kriterien i m Vergleich z u seiner Darstellung i n den »Agrarverhältnissen« vor . Auf diesen Punkt ist noch zurückzukommen; i m Augenblick geht es nur darum, daß Weber damit die in dem früheren Werk vorgenommene Hierarchisie rung der Städte nach dem Kriterium de s Niveaus ihrer jeweiligen kapitalisti schen Entwicklun g nich t aufgibt . E s is t di e europäisch e Stad t nördlic h de r Alpen, die deshalb an der Spitze steht. 10 Der frühere Interpretationsrahmen wird in der »Stadt« jedoch erweitert, in dem die Frage nach den (Kapitalismus ermöglichenden) ökonomischen Strukturen nun mit derjenigen nach sozialen Phänomenen verknüpft wird, wie sie der Bildun g eine r Bürgergemeind e durc h Verbrüderun g zugrund e liegen . Gleichzeitig wir d de r universalhistorisch e Aspek t noc h stärke r betont. 11 Di e 7 WuG , S. 748 (MWGI/22-5, S. 121). 8 WuG , S. 736 (MWG I/22-5, S. 84). 9 Vgl . Ch.Meier, Einleitung, in : ders., Stadt, S. 7-34, hie r S. 9f., 18ff ; W . Nippel, Max Weber zwischen Althistorie und Universalgeschichte: Synoikismo s un d Verbrüderung, ebd. , S. 35-58; H. Bruhns, Verwandtschaftsstrukturen, Geschlechterverhältniss e un d Max Webers Theorie de r antiken Stadt, ebd., S. 59-94, hier S. 67ff.; O. G. Oexle, Kulturwissenschaftliche Reflexione n übe r soziale Gruppe n i n de r mittelalterliche n Gesellschaft : Tönnies , Simmel , Durkhei m un d Ma x Weber, ebd., 115-160, hier S. 136ff.; Κ Schreinery Legitimität, Autonomie, Rationalisierung. Dre i Kategorien zu r Analyse mittelalterliche r Stadtgesellschafte n - wissenschaftsgeschichtliche r Bal last oder unabgegpltene Herausforderung, ebd. , S. 161-212, hier S. 164ff. 10 Vgl . GASW, S. 2551 11 Vgl . P. Rosst, Max Weber und die Methodologie der Geschichts- und Sozialwissenschaften , in: Kocha, Weber, S. 28-50, hier S. 34ff; W.J . Mommsen, Max Webers Begriff der Universalge -
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okzidentale Stadt ist der Ort, an dem die Herauslösung des einzelnen aus (religiös un d magisc h begründeten ) Bindunge n a n Verwandtschafts- un d Stam mesgruppen durc h Eingliederun g i n ein e Gemeinschaf t gleiche r un d freie r Bürger erfolgt . Insofer n finde t hie r ei n welthistorisc h bedeutsame r Durch bruch zur Rationalisierung des sozialen Lebens statt. Eine weitere Veränderung der Perspektive in der »Stadt« liegt darin, daß die mittelalterliche Stadt nunmehr im Vordergrund von Webers Analyse steht und er von ihr die Kriterien für den Vergleich bezieht. 12 Sein e größte Leistung besteht hier darin, daß er eine Vielzahl von Typen des europäischen Bürgertum s im Mittelalter mit einem begrenzten Bündel von Kriterien erfaßt. Di e Städte der klassischen Antike werden - be i aller Verarbeitung eines komplexen historischen Materials - auf wenige idealtypische Konstellationen reduziert. Sowohl für die Antike als auch für das Mittelalter wird ein gleichförmiger Verlauf hinsichtlich der Entstehung und Entwicklung der Bürgergemeinde angenomme n - vo n der »Geschlechterstadt« al s Anfang einer Bürgergemeinde bi s zur »Plebejerstadt«. Hie r finde n wi r als o nich t nu r ein e Typologi e vo n Strukturen , sondern zugleich auch eine Typolologie von Verlaufsformen historische r Entwicklung.13 De r große Unterschied zu allen traditionellen Formen historiographischer Darstellung besteht darin, daß eine außerordentliche Vielfalt von Phänomenen aus höchst unterschiedlichen Orte n und Zeiten in einem konzise n Modell zusammeneefaßt werden . Webers Essay zeigt sein e Bemühungen , ei n solc h heterogene s Materia l z u verarbeiten. Es ist allerdings auch erkennbar, daß er zwischen zwei Interpretationsansätzen schwankt , di e sic h nich t ohn e weiteres vereinbare n lassen . S o wird den italienischen Städten des Mittelalters eine ambivalente Position zugeschrieben und ihre charakteristischen Merkmal e werden widersprüchlich in terpretiert Der Betonung ihrer relativen Rückständigkeit im Vergleich mit den Städten im nördlicheren Europ a steht gegenüber, daß bei ihnen mehr als bei allen anderen der vollständige Kreislauf der Entwicklung nachgezeichnet wird - vom reinen Verwaltungsbezirk in karolingischer Zeit bis hin zur Plebejerstadt und zur Signorie, bis schließlich wieder, nunmehr i m Rahmen des neuzeitlichen Patrimonialstaats, die Reduktion auf den Status einer Verwaltungseinheit erfolgt. Gemeinsa m is t letztlic h alle n Stadttype n de s Okzidents nur , da ß sie »›Kommunen‹ mi t politischen Eigenrechten un d autonomer Wirtschaftspoli tik« waren. 14 Hie r zeigt sich der latente Widerspruch zwische n der Betonung
schichte, ebd., S. 51-72, hier S. 51ff., und S. Breuer, Herrschaftsstruktur un d städtischer Raum. Überlegungen im Anschluß an Max Weber, in: AFK 77,1995, S. 135-164, hier S. 136ff., 146. 12 Vgl . Bruhns, Cité antique, S. 35. 13 Vgl . P. Rossi ,La città come istituzione politica: Fimpostazione della ricerca, in: ders. (Hg.), Modelli di citta, Turin 1987 , S. 5-27, hier S. 9. 14 WuG , S. 788 (MWGI/22-5, S. 233).
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politischer Strukturen un d der Hervorhebung der sozialen Bedingunge n fü r eine Bürgergemeinde, der die gesamte Arbeit durchzieht. II. Verbrüderung un d Bürgergemeind e Die zahlreichen Aspekte, die in der »Stadt« behandelt werden, bedingen ein e Vielzahl von interpretatorische n Schwierigkeite n un d machen es unmöglich, sämtlichen Gesichtspunkte n gleichermaße n gerech t werden z u können. Da s gilt auch für die bisher erörterten Unterschieden gegenüber den »Agarverhält nissen«. In der Arbeit von 1909 hatte Weber den Vergleich zwischen antiker und mittelalterlicher Stad t nach Kriterie n der ökonomischen Entwicklun g vorgenommen, so daß die Unterschiede zwischen beiden Typen deutlich herausgestellt, die politischen, religiösen und sozialen Aspekte jedoch kaum behandelt wurden. Dies e Kriterie n komme n nu n i n de r »Stadt « hinzu , ohn e da ß ein e Rangfolge aufgestellt würde. Der entscheidende neue Punkt in der späteren Arbeit ist die Bedeutung, die der Bürgergemeinde zugeschrieben wird. Damit bemüht sich Weber, die historische Einzigartigkeit der europäischen Stadt nicht nur in ökonomischer, sondern auc h i n soziale r un d kulturelle r Hinsich t z u definieren . E r rekurrier t wiederholt au f die »schwurgemeinschaftlich e Verbrüderung« : zu m eine n al s Beginn der Gemeindebildung, als sich die Bürger unter Führung des Stadtadels von den feudalen und kirchlichen Gewalten befreiten und autonome Kommunen bildeten; zum anderen, als sich die Bürger zu coniurationes gegen das Regiment der Notabein zusammenschlossen und auf revolutionäre Weise, oft auch unter Einsatz von Gewalt, eine neue politische Einheit konstituierten. Da Weber das Modell der coniuratio unmittelbar aus der Geschichte der italienischen Städte ableitet,15 ergib t sich (unabhängig von der Frage nach der Übertragbarkeit au f die Antike) erneu t das Problem, das oben schon aufgeworfe n wurde. Wenn nämlic h einerseit s die coniuratio konstitutiv fü r di e okzidental e Stadt und die Entwicklung ihrer Bürgergemeinde ist, warum steht dann andererseits die Bedeutung der italienischen Stadt - al s »eigentliche [r] Heimat der conjurationes«16 - hinte r derjenigen der Stadt im nördlicheren Europa zurück? Die Frage stellt sich wiederum im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Bürgergemeinde mi t der Entstehung der »Plebejerstadt« i n der Antike wie im italienischen Mittelalte r (di e wieder paralle l gesetz t werden), in der di e ent scheidenden Durchbrechungen herkömmliche r Strukturen stattgefunden ha ben: durch die Etablierung politische r Unabhängigkeit , di e Verfolgung eine r eigenständigen, gegebenenfalls aggressiven Außenpolitik, durch Selbstverwal 15 Vgl . Schreiner, in: Meier, Stadt , S . 163ff. , un d allgemeine r Meter , ebd., S . 19 . 16 WuG , S . 750 (MWG I/22-5, S. 127) .
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tung, autonome Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit, eigene Wirtschaftspoliti k und Steuererhebung.17 Di e in den italienischen Städten festzustellende äußere Unabhängigkeit (verbunde n mit der Kontrolle über größer werdende Territorien) un d innere Autonomi e entsprich t Entwicklunge n i n der Antike, auc h wenn sich jeweils das Verhältnis zwischen den ökonomischen und politischen Strukturen unterscheidet. Alles ließe sich unter dem allgemeineren Begriff der politischen Souveränität zusammenfassen. Hätte hierin nicht das entscheidende Kriterium für Webers Klassifikationen liege n sollen? Offensichtlich war das nicht der Fall. Ein erster Erklärungsversuch könnte in der Unterscheidung zwischen politischer Autonomie und Gemeindebildung liegen. Weber sieht in der Verbrüderung die Voraussetzung für den Zusammenschluß der Einwohner einer Stadt zu einer »Gemeinde«.18 Di e Emanzipation des Individuums von den Bindungen an einen Stam m oder eine Kaste macht das entscheidende Merkma l der okzidentalen Stad t aus. Entgegen manchen anderslautenden Andeutungen in Webers Text können die Entwicklung der politischen Autonomie und die Bildung einer Gemeinde einen unterschiedlichen Verlauf nehmen, auch wenn ein enger Zusammenhang besteht. Tatsächlich ist für Weber die Gemeindebildung nicht notwendi g mi t politischer Autonomi e gleichzusetzen . I n der antiken Stadt folgte sie gerade im Gegenteil aus dem Verlust an Autonomie: »Endgültig entstand der ›Gemeinde‹-Begriff in der Antike im Gegensatz zum ›Staat‹ allerdings erst durch ihre [der Polis] Eingliederung in den hellenistischen oder römischen Großstaat, welche ihr auf der anderen Seite die politische Selbständigkeit nahm.«19 Di e Städte florierten i n der frühen römischen Kaiserzeit bis weit ins 2. Jahrhundert, doch ging das mit dem Verlust an politischer Eigenständigkeit einher. Diese Darstellun g der letzten Phas e i n der Entwicklung de r antiken Bür gergemeinde korrespondier t mi t derjenigen de r gegenläufigen Verhältniss e früherer Zeiten . Nac h Weber habe n stark e Verwandtschaftsbindungen ein e Gemeindebildung im vollen Sinne in der Antike verhindert. Diese Verwandtschaftsbindungen bestehe n auch in der archaischen Poli s weiter. De r antiken Polis lag »offiziell zunächs t die Gliederung in Sippen und ihnen übergeordneten, rein personalen und oft [...] auf Abstammungsgemeinschaft ruhende n [... ] Gemeinschaften zugrunde«. 20 »Auc h in der antiken Polis war zwar der Einzelne Bürger, abe r ursprünglic h immerhi n nu r als Glied seine r Sippe« ; »selbs t die Demokratie konnte an dem Schema der Zusammensetzung der Bürgerschaf t 17 WuG , S . 788-792 (MW G I/22-5, S. 234-242). 18 De r Gerneindebegriff mu ß ei n breites Spektru m historische r Forme n abdecken ; vgl. W . Nippel, Max Weber's »The City « Revisited , in : A. Moiho u.a. (Hg.) , City-State s in Classical Anti quity an d Medieva l Italy , Stuttgar t 1991 , S. 19-30, hier S. 25. 19 WuG , S . 745 (MWGI/22-5 , S. 112). 20 WuG , S . 744 (MWG 1/22-5 , S. 110f.) .
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durch Sippen (gentes) [...] zunächs t nicht rütteln«. 21 Diese r Punkt ist um so bedeutsamer, als die politische Autonomie der Stadt in Griechenland und Rom zweifellos einen ihrer Höhepunkte erreichte und - vo r der Eingliederung in große Flächenstaaten - durchaus mit der Souveränität eines Staates vergleichbar war. Anzuführen ist hier ein weiterer Faktor, den Weber zu den Vorbedingungen für die spezifische Ausprägung der okzidentalen Stadt zählt, nämlich die Militärverfassung. Im Orient hatte diese - zum Teil als Folge der Organisation von Gemeinschaftsaufgaben wi e der Bewässerung - zu r Etablierung von Monarchien mit bürokratischen Apparaten und Heeren unter der Kontrolle des Herrschers geführt (eine wieder einmal aus den »Agrarverhältnissen« übernommene Deutung). Im Gegensatz dazu führte in der okzidentalen Stadt das Prinzip der Selbstausrüstung von Bürgermilizen zur Unabhängigkeit von einem Herrscher.22 Erneut wird die italienische Stadt des Mittelalters mit der antiken Polis parallelisiert; in beiden Fällen war die Entwicklung zur Bürgergemeinde möglich durch das Fehlen einer »auβerstädtische[n] politische[n] Militärgewalt von Bedeutung und vor allem: von technisch hochstehender Art«,23 während die Stadt nördlich der Alpen »von ihrer Gründung an auf Konzessionen der politischen und grundherrlichen, dem feudalen Militär- und Amtsverband eingegliederten Gewalthaber« beruhte.24 Das Konzept der Gemeinde ist deshalb für Weber grundlegend, weil es die Gemeinsamkeit der verschiedenen Formen okzidentaler Städte in Abgrenzung zu denen in anderen Gesellschaften unterstreicht. Während es in seinen früheren Reflexionen übe r die Antike noch fehlte, hilft es ihm nun, seine Analyse auszuweiten und in der Befreiung des Individuums aus verwandtschaftlichen und magischen Bindungen den entscheidenden Faktor zu sehen. Die Verbrüderungwird damit zum konstituierenden Merkmal der okzidentalen Stadt seit der Antike. In keiner der großen Kulturen des Fernen Ostens - Indien und vor allem China-,25 weder in islamischen Gesellschaften26 noc h in Rußland wurden jemals die Bedingungen für eine solche Herauslösung der Stadt aus archaischen Strukturen und damit auch für die klare Trennung zwischen Stadt und Land geschaffen. In keiner dieser Gesellschaften hatten die Stadtbewohner das Recht, sich als autonome Korporation zu organisieren. Nur im Okzident bedeutete Ansiedlung in einer Stadt und das Bewußtsein, ihrer Rechtsgemeinschaft anzugehören, eine völlig neue Bestimmung des Status des Individuums - ein e große Ausnahme in welthistorischer Hinsicht. 21 WuG , S. 746 (MWG I/22-5, S. 116) . 22 WuG , S. 756 (MWG I/22-5, S. 144). 23 WuG , S. 803 (MWG I/22-5, S. 270). 24 WuG , S. 803 (MWG I/22-5, S. 271). 25 WuG , S. 741£, 744 (MWG I/22-5, S. 101f., 109f.). 26 WuG , S. 739f. (MWGI/22-5, S. 94-98).
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In den antiken Städten, die ursprünglich den Charakter einer »adligen Sippenkonfoderation« zeigten , ga b e s ein Entwicklungspotential , da s rasc h zu r Überwindung de s Sippenpartikularismu s führte ; tatsächlic h ka m ihne n vo n Anfang an zugute, daß hier jene »sakrale Exklusivität der Sippen« fehlte, die nach Webers Deutung in den asiatischen Kulturen vorherrschte.27 Hinz u kam, daß die Plebejer außerhalb der gentilizischen Strukturen standen. Indem die Plebejer integrier t wurden, konnt e die Stadt zu einer »Gemeinde« werden, die aus einer »Konföderation der einzelnen Bürger (Hausväter)« bestand, deren Einbindung in Strukturen außerhalb der Stadt obsolet geworden war.28 Webers zahlreiche Hinweise auf die historisch bedeutsame Rolle der Plebejer beziehen sic h nich t allei n au f das antik e Griechenlan d un d Rom . Vielmeh r kulminiert für ihn die Entwicklung sowohl der antiken als auch der mittelalterlichen Stadt in der »Plebejerstadt«. Allerdings bleibt, wie wir gesehen haben, die Macht der Plebejer beschränkt durch die Präsenz aristokratischer Gruppen als Träger eines spezifische n Standesbewußtseins . Da s bedeutendste Beispie l is t sicherlich Rom , i n dessen gesamte r Geschicht e di e quasi-feudal e Mach t de r Honoratiorenschicht durc h di e Forderungen de r Plebs niemals ernsthaft ge fährdet worden ist. 29 Der »revolutionäre« Anspruch der Plebejer hat nicht radikal die Bedeutun g jener rituell definierten Gruppen eliminieren können, die auch in Rom darüber bestimmten, ob jemand Bürger optimo iure war. Im Vergleich dazu ergibt sich die Besonderheit de r mittelalterliche n Stad t nördlich de r Alpen, i n welcher »de r Bürger [... ] al s Einzelner in die Bürgerschaft« eintrat. 30 Hie r kam es zu einer klaren Trennung zwischen den städtischen Zünften und dem Landadel, »während im Süden, zumal in Italien, umgekehrt mit aufsteigender Macht der Städte fast aller Adel stadtsässig wurde«; insofern bildeten »antike und, in geringerem Maße, südeuropäisch-mittelalterliche Städt e [... ] gewissermaße n Übergangs stadien von der asiatischen zur nordeuropäischen Stadt«. 31 Die Hervorhebun g de r Sprengkraf t de r Religio n is t ein neue s Element i n Webers Deutung der Antike im Vergleich mit seinen früheren Arbeiten. Auf die Städte der klassischen Antike geht das Fehlen jener magischen Elemente und Tabus zurück, die in den asiatischen Kulturen - durc h Ahnenkult und Kastenbildung - da s Entstehen einer Bürgergemeinde verhindert hatten. Damit wurde di e Entwicklun g de s Christentum s al s eine r universalistische n Religio n möglich, die ihrerseits tendenziell alle Verwandtschaftsbindungen aufhob . Das bedeutete, da ß diese r Proze ß i m wesentliche n ers t i n de r mittelalterliche n Stadt, die auf der christlichen Gemeinde aufbaute, zum Tragen kommen konn27 WuG , S. 745 (MWG I/22-5, S. 111). 28 WuG , S. 745 (MWGI/22-5, S. 112). 29 WuG , S. 812-814 (MWG I/22-5, S. 293-296). 30 WuG , S. 747 (MWG I/22-5, S. 117f.) . 31 WuG , S. 743 (MWG I/22-5, S. 107).
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te. »Die Christengemeinde war ihrem innersten Wesen nach ein konfessionel ler Verband der gläubigen Einzelnen, nicht ein ritueller Verband von Sippen«.32 Eben deshalb konnte die mittelalterliche Stadt »ein ›commune‹ von Anfang ihres Bestehens an [sein], einerlei, wieweit man sich dabei den Rechtsbegriffde r ›Korporation‹ als solchen sofort zum klaren Bewußtsein brachte«. 33 Die wahrlic h revolutionäre n Implikationen , di e Webe r de n Universa lierungstendenzen de s Christentum s hinsichtlic h de r Entwicklun g vo n de r Antike zum Mittelalter zuschreibt, sind in der modernen Forschung verschiedentlich festgestellt worden.34 Scho n in der antiken Stadt gab es eine »Tischgemeinschaft de r Stadtbürgersippe n al s Folg e von dere n Verbrüderung«. 35 Al s Petrus in der Gemeinde in Antiochien »mit den unbeschnittenen Brüdern (ri tuelle) Speisegemeinschaft pflegte«, wurde »jeder noch in der Antike vorhandene Rest von sakraler Exklusivität de r Sippe n gegeneinande r un d nac h außen « überwunden.36 Sei t der Völkerwanderungszeit ha t das Christentum »all e solche Sippenband e i n ihre r religiöse n Bedeutsamkei t endgültig « zerbrochen. 37 Deshalb biete t di e vo m Christentu m geprägt e mittelalterlich e Stad t besser e Voraussetzungen fü r ein e auf Individuen beruhend e Bürgergemeind e al s die antike Stadt. An diesem Punkt mag es angebracht sein, eine umfassende Interpretation des Weberschen Modell s vorzuschlagen, auc h wenn si e in einigen Punkte n übe r die Aussagen de s Autors hinausgeht. Da s Spannungsverhältnis zwische n de n beiden Faktore n politisch e Autonomi e un d inner e Organisatio n eine r Kom mune läßt sich besser verstehen, wenn ma n den christlichen Glaube n einbe zieht. Mit ihm findet auch eine ethische Neubewertung der Arbeit statt, während di e Existenz der Sklavere i i n der Antike ein e Wertschätzung de r Arbeit nicht zuließ. Das Christentum trug aber auch zu dem allgemeinen Proze ß der Rationalisierung sozialer Beziehungen bei, indem es einen weiteren revolutionären Schritt im Kamp f gegen die Magie unternahm . Diese r hatte schon vor der Entstehung des Christentums i m Judentum begonnen. 38 Fü r Weber liegt darin »gleichzeiti g ein e groß e wirtschaftsgeschichtlich e Leistung . Den n di e Herrschaft de r Magie außerhal b des Geltungsbereiches de s Christentums is t eine der schwersten Hemmungen fü r die Rationalisierung de s Wirtschaftsle32 WuG , S. 747 (MWG I/22-5, S. 119). 33 WuG , S. 745 (MWG I/22-5, S. 112). 34 Vgl . u.a. W. Nippel, Vom Nutzen und Nachteil Max Webers für die Althistorie, in: Antike und Abendland 40,1994, S. 169-180, hier S. 177f.; ders., Max Weber und die okzidentale Stadt, in: Berliner Journal für Soziologie 5, 1995, S. 359-366, hier S. 363f.; Oexle, in: Meier, Stadt, S. 139f.; Schreiner, ebd., S. 182ff. 35 WuG , S. 744 (MWGI/22-5, S. 110). 36 WuG , S. 745 (MWG I/22-5, S. 1lf.) . 37 WuG , S. 746 (MWGI/22-5, S. 114). 38 Wg , S. 307ff.; ferner GARS III, S. 200ff.; 233ff.
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bens gewesen«.39 Mi t der in der jüdisch-christlichen Tradition geleisteten »Entzauberung der Welt« wurde zugleich auch »die Grundlage für unsere moderne Wissenschaft, di e Technik und den Kapitalismus geschaffen«. 40 Webe r betont diese Bedeutung von Judentum un d Christentum i n seinen Vorlesungen zu r Wirtschaftsgeschichte; hier heißt es auch, beide seien »von Anfang an Plebejerreligionen gewesen«.41 Insofer n erschließt sich, warum er in der »Stadt« den Aufstieg der Plebs mit dem Höhepunkt der Entwicklung de r okzidentalen Stad t gleichsetzt, da die fortschreitende Rationalisierung der Lebensführung von den plebejischen Elementen vorangetrieben wird. Licht fällt auch auf den Charakter der plebejischen Bewegungen in der Antike wie i m Mittelalter . Di e heftigen soziale n Konflikt e de r Antike - mi t der führenden Roll e der römischen Volkstribune - antizipiere n die revolutionär e Gewalt und die Durchschlagskraft der coniuratio des mittelalterlichen popolo im Machtkampf mit der Aristokratie. Daraus erklärt sich auch , warum e s in der neueren Weber-Literatur ein e intensiv e un d fruchtbar e Diskussio n übe r den Zusammenhang zwischen Webers Konzept der illegitimen Herrschaft und seinem Bild der okzidentalen Stadt gibt.42 Ic h will nur ergänzen, daß die Kategorie der Illegitimität primär dazu dienen dürfte, das dynamische Moment im Prozeß der Veränderung sozialer Strukturen hervorzuheben. Die coniurationes, die sowohl am Anfang der Formierung der »Geschlechterstadt« als auch des Übergangs zur »Plebejerstadt« stehen, drücken die Illegitimität dieses Veränderungsprozesses aus. 43 A n seinem End e entstehe n mi t de r Signori e i m spätmittel alterlichen Italie n bzw . mi t de r Tyranni s i n de r Antike wiederu m illegitim e Herrschaftsformen.44 Auch wenn Weber diese Parallelität der Entwicklung in Antike und Mittelalter betont, versäumt er doch nicht, zugleich auch die großen Unterschiede zu markieren, di e sich aus dem ungleichen Stan d der jeweiligen kapitalistische n Entwicklung ergeben . I m Anschluß an seine Ausführungen vo n 190 9 unterstreicht er, daß die antiken Bürger Grundbesitzer (un d dabei stets der Gefah r der Verschuldung ausgesetzt ) ware n un d besonder s Konsumenteninteresse n verfolgten, während be i den mittelalterlichen Bürger n gewerbepolitisch e In teressen im Vordergrund standen.45 Da s hängt wiederum mit der unterschied39 Wg , S. 308. 40 Ebd. , S. 309. 41 Ebd .
42 Vgl . W . Schluchter , Religion un d Lebensführung , Frankfur t a . M . 1991 , Bd. 2 , S . 597ff ; Oexle, in: Meier, Stadt , S . 142ff. ; Schreiner , ebd., S . 177ff. ; Breue r (i n diese m Band) ; Dikher (i n diesem Band). 43 I m Falle der römischen Volkstribune zeig t sich ih r illegitime r Charakte r i m Fehle n von auspicia und Imperium; WuG, S. 779f. (MWG I/22-5, S. 209). 44 WuG , S. 785 (MWG I/22-5, S. 226) mit dem Hinweis auf die von Eduard Meyer gezogene Parallele zwischen Tyrannis und Signorie. 45 WuG , S. 797f, 803 (MWG I/22-5, S. 254-258, 269f.).
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lichen Organisation der Arbeit zusammen. Die Sklaverei bedingte, daß sich in der Antike kein gemeinsames Produzenteninteresse alle r Stadtbewohner ent wickeln konnt e un d die antike Stad t letztlich ein e »Kriegerzunft« blieb. 46 I m Mittelalter führt e dagege n di e »Bewegun g de s Bürgertum s gege n di e Ge schlechter«47 dazu , daß sich die Aristokraten entwede r i n die Zünfte einglie dern un d dami t a n Gewich t verliere n mußten , ode r umgekehr t di e Zünft e unter ihre m Einflu ß tendenziel l z u »plutokratische n Rentnerkorporationen « wurden.48 Schließlic h kam es in den mittelalterlichen Städten zu einer Koalition der Interessen der Aristokraten und des in Handel und Gewerbe engagierten Bürgertums mit seinen Zünften. In der Antike war das schlichtweg unmöglich gewesen; es fehlten alle Voraussetzungen für die Entstehung von Zünften und einer Bourgeoisie. Erst in der Spätphase der antiken Stadt kam es zur Bildung von Berufsverbänden, di e eine gewisse Ähnlichkeit mit Zünften aufweisen. 49 Die Existenz der Sklaverei machte den entscheidenden Unterschied zwische n der antiken und der mittelalterlichen Welt aus. Erneut kommen religiöse und ökonomische Faktoren zusammen. Die Formierung einer Bürgergemeinde aus Individuen war durch die Bedeutung, die dem einzelnen i m christlichen Glaube n zukam , möglich geworden. Möglic h wird so die Rolle von Korporationen auf der Basis ökonomischer Interessen, in die schließlich auch die Aristokratie integriert werden konnte. Damit wird der in der Antike begonnene Prozeß der Herauslösung des Individuums aus vorgegebenen Bindungen vollendet, so daß die mittelalterliche Stad t in besonderer Weise diese Eigenart der okzidentalen Stadt verkörpert. Hierin liegt wiederum die Voraussetzung (wen n auc h nich t die Ursache ) dafür, da ß sich der Bürge r zum homo oeconomicus wandeln kann im Gegensatz zum politisch orientierten , die Rollen des Grundbesitzers, Soldaten und Konsumenten in sich vereinigenden, antiken Bürger. 50 III. Die mittelalterliche Stad t und de r Rationalisierungs prozeß i m Okziden t Im Hinblick au f die Entwicklungen de r politischen Institutione n erscheine n die Unterschiede zwische n Antike un d Mittelalte r al s geringfügig. I n beiden Fällen führt e de r Sie g des Volkes zu r Ausbildung de s Anstaltscharakters de s politischen Verbande s un d zu r Rationalisierun g vo n Verwaltung un d Recht 46 WuG , S. 809 (MWG I/22-5, S. 283). 47 WuG , S. 800 (MWG I/22-5, S. 262). 48 WuG , S. 801 (MWG I/22-5, S. 265). 49 WuG , S. 800 (MWG I/22-5, S. 262). 50 WuG , S. 805 (MWG I/22-5, S. 275).
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sprechung.51 Gege n Ende dieses Prozesse s ka m e s im Mittelalte r z u unter schiedlichen Entwicklungen einerseits in den Städten nördlich der Alpen, andererseits in den italienischen Städten . In den italienischen Städten korrespondiert - ähnlic h wie in der Antike - di e Festigung politischer Strukturen im Inneren mit einer zunehmend aggressiven Außenpolitik. Mi t de r Ausübung politischer Herrschaf t übe r das Hinterlan d und möglicherweis e übe r Nachbarstädt e wir d zugleic h ökonomische Ratio nalisierung verhindert ; ma n bleib t be i eine m »irrationalen « politische n un d Kriegskapitalismus stehen, der relativ schnell einen ökonomischen Niedergang mit sich bringt. Kurz, es handelt sich um jene Form von Kapitalismus, die Weber bereits in den »Agrarverhältnissen« analysiert hatte. Indem er die antiken Städte mit den Städten nördlich der Alpen vergleicht, nimmt Weber eine Reihe von Punkten aus den »Agrarverhältnissen« i n einem größeren Zusammenhang wieder auf. Der friedliche Charakter dieser mittelalterlichen Städte wird unterstrichen durch den Kontrast mit der antiken Polis als »Träger der höchst entwickelten militärische n Technik«. 52 I m Mittelalter stellt jedoch die Autonomie der Städte nur ein »historische [s] Intermezzo« zwischen dem Frühmittelalter und der Zeit der großen Territorialstaaten dar. 53 I n dieser Phase konnte sich unter den friedlichen Bedingunge n in den Städten Zentraleuropas eine Handels- und Gewerbebourgeoisie entwickeln . Wiederum zeigt sich die ambivalente Position der italienischen Städte. Weber bezieht sie in seine Gegenüberstellung des antiken hämopolitkus und des mittelalterlichen homo oeconomicus ein. Aber in den italienischen Städten lagen besondere Bedingungen vor, da es hier zu einer komplizierten Fusion zwischen der ökonomisch orientierten Bourgeoisie und dem alten, ritterlich lebenden Adel kam, der seinen Wohnsitz in der Stadt nahm. Nur im nördlicheren Europa trat eine klare Scheidung zwischen den in Zünften organisierten Stadtbürgern und dem Landade l ein . Insofern führt e di e coniuratio zu jeweils unterschiedliche n Ergebnissen. Die Präsenz der Aristokratie in den Städten verhinderte in Italien jene ausschließliche Orientierung an ökonomischen Zielen, wie sie für die »gewerblichen Binnenstädte und vor allem die Städte des nördlichen kontinenta len Europa« charakteristisch ist. 54 Nu r hier konnte die coniuratio politische und soziale Stabilität bewirken. Alles kreist um die Frage, die schon hinter den Erörterungen in den »Agrarverhältnissen« steht , aber nun von Weber in der »Stadt« explizit gestellt wird, warum nämlich »weder der moderne Kapitalismus noch der moderne Staat auf dem Bode n der antiken Städt e gewachsen [ist] , währen d di e mittelalterlich e Stadtentwicklung fü r beide zwar keineswegs die allein ausschlaggebende Vor51 WuG , S. 782f. (MWG I/22-5, S. 216-222). 52 WuG , S. 803 (MWG I/22-5, S. 270). 53 WuG , S. 804 (MWG I/22-5, S. 272). 54 WuG , S. 803 (MWG I/22-5, S. 270).
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stufe un d gar nicht ih r Träger war, aber als ein höchst entscheidender Fakto r ihrer Entstehung allerdings nicht wegzudenken ist«. 55 Diese Position Webers ist weniger eindeutig, als diejenige, die er in den Studien zum Zusammenhang von Protestantismus un d Kapitalismus 1904/190 5 bezogen hatte. 56 Eine Veränderung hatte sich schon auf den letzten Seiten der »Agrarverhältnisse« abgezeichnet, 57 wurde aber nun durch die zitierte Feststellung in der »Stadt« explizit gemacht. Dami t wird noch einmal die Frage nach Webers Verständnis der Ursprünge des modernen Kapitalismus aufgeworfen , die hier natürlich nicht im ganzen, sondern nur im Hinblick auf den antiken und mittelalterlichen Kapitalismu s erörtert werden kann. Wichtig ist, daß bei Weber implizit (in späteren Arbeiten wie der »Wirtschaftsgeschichte« auc h explizit) eine Kontinuität zwischen mittelalterlichem un d modernem Kapitalismus angenommen wird. Entscheidend sind wiederum die Unterschiede zwischen dem nördlicheren Europa und Italien. Diese im einzelnen scho n genannten Differenze n lasse n sich auf divergierende Bedingungsverhältniss e zwische n ökonomische n un d politischen Faktore n zurückfuhren . Di e Stad t nördlic h de r Alpen verdankt e ihre Entstehung und Entwicklung einem politischen Vakuum, der Unfähigkeit des Feudalstaats , si e unmittelba r kontrolliere n z u können. 58 Di e Entfaltun g städtischer Autonomie basier t jedoch (gan z anders als in Italien) auf Gewährung durch die Obrigkeit; entsprechen d gibt es keine Aspirationen, die Rolle einer nach außen souveränen Macht zu übernehmen. Damit hängt das Problem der langfristigen Stabilität zusammen. Die auf den Krieg fixierte antike Polis konnte diese nicht erreichen. Der Ausnahmefall wa r Rom, wo ein »feudaler« Amtsadel die Kontrolle über große Territorien ausüben konnte;59 nur handelte es sich dann nicht mehr um eine »Stadt«. Die Frage nach der Dauerhaftigkeit wird auch mit Webers Rede vom »Intermezzo der Städteautonomie« im Mittelalter aufgeworfen. I m Falle der italienischen Städte fuhrt die Entwicklung zur Signorie, die wegen ihrer ausschließlichen Bindung an die Stadt im übrigen Europa, wo die Städte in die großen Territorialstaaten inte griert wurden, kein e Entsprechung hat . Allerdings gil t dann i m Ergebnis fü r beide Fälle , daß die Städt e z u »Bestandteile n relati v rationale r patrimoniale r Verbände« wurden.60 In der Antike gib t e s den Gegensat z zwische n de n Territorialstaate n ohn e autonome Städte (in Mesopotamien und Ägypten) und den klassischen Poleis, die sich schwerlich zu Territorialstaaten weiterentwickeln konnten. Eine Stadt55 WuG , S. 788 (MWGI/22-5, S. 233). 56 Vgl . Rossi, Modelli, S. 13. 57 Vgl . L. Capogrossi Colognesi, Economie antiche e capitalismo moderno, Bari 1990 , S. Xllf. 58 WuG , S. 804 (MWG I/22-5, S. 271f.). 59 WuG , S. 812f. (MW G I/22-5, S. 293-295). 60 WuG , S. 788 (MWG I/22-5, S. 233).
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gemeinde bildete sich in der Antike erst am Ende eines langen Prozesses, als die Städte innerhalb der hellenistischen Großreiche bzw. des Römischen Reiche s ihre Autonomie verloren hatten. Für die mittelalterlichen Städte steht die Einbindung i n eine Territorialmacht dagege n am Beginn, was erklärt, warum sie den antiken Städte n überlegen waren. Diese Konstellation wiederum war besonders in den Städten Kontinentaleuropas nördlich der Alpen und Englands ausgeprägt, i n dene n sic h nac h Webers Ansicht ein e stärker e kapitalistisch e Entwicklung finden läßt . Hier können die Städte ihre ökonomischen Interessen frei verfolgen.61 Dari n liegt meines Erachtens die Erklärung für die Kontinuität zwischen der Blüte des mittelalterlichen Kapitalismus und der Entwicklung des modernen Kapitalismus in diesen Staaten. Die Entstehung der mittelalterlichen okzidentalen Stadt bedeutete die fortschreitende Lösung des Individuums aus unmittelbaren personalen Abhängigkeitsverhältnissen. Di e »Durchbrechun g de s Herrenrechts« wa r ein e »revolutionäre Neuerun g de r mittelalterlich-okzidentale n gegenübe r alle n andere n Städten«; da s gilt wiederum besonder s für die mittel- un d nordeuropäische n Städte, in dene n »de r bekannte Grundsatz: ›Stadtluft macht frei‹ « entstand. 62 Hier setz t jene umfassend e Rationalisierun g de s Rechts un d de r Ökonomi e ein, welche di e europäisch e Sonderentwicklun g ausmacht. 63 I n universalgeschichtlicher Hinsich t ergib t sic h di e Differenzierun g zwische n eine m all e Bereiche de s Leben s erfassende n Rationalisierungsproze ß i n de r westliche n Kultur und einem Traditionalismus in anderen Kulturen, bei dem die »magische Stereotypisierung des Handelns« auc h z u einer »Stereotypisierun g der Technik und Ökonomik« fuhrt. 64 Webers Geschichtsbild spiegelt sich auch in denjenigen Bemerkungen zu m Fehlen individueller Freiheit in der Antike wider, mit denen er - i m Anschluß an die von Benjami n Constan t begründet e Traditio n der Kontrastierung von antiker und moderner Freiheit - di e umfassende Kontrolle der Lebensführun g durch die Polis betont.65 Demnac h bedeutet der Übergang von der antiken zur mittelalterlichen Stad t nicht nur die Befreiung von Verwandtschafts- und Kastenbindungen sowie von Sklaverei, sondern auch von einer völligen Unter werfung des einzelnen unter den Willen der Bürgerschaft. Insofern ist die Geschichte der okzidentalen Stadt zugleich eine Geschichte der fortschreitende n Befreiung de s Individuums, die ihre Einzigartigkeit i n einer welthistorischen Perspektive ausmacht. Indem Weber auf diese Weise die Besonderheit der okzidentalen Entwick lung betont, stellt er einen scharfen Kontrast zu allen anderen Kulturen her, die 61 WuG , S. 791-793 (MWG I/22-5, S. 241-243). 62 WuG , S. 742 (MWG I/22-5, S. 105). 63 Vgl . Capogrossi Colognesi, Economie antiche, Kap. 8 u. 12. 64 Wg , S. 303,308. 65 WuG , S. 809f. (MWG I/22-5, S. 285-287).
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unter sich wenig Gemeinsamkeiten aufweisen. Sein e Vorgehensweise legt den Vergleich mit einem anderen Autor nahe, der nur selten mit Weber in Zusammenhang gebracht wird:66 Henr y S. Maine, Verfasser des einflußreichen Wer kes »Ancient Law« (1861). 67 Maine hatte angenommen, daß die von ihm - zu mal au s der Analyse de s Römische n Rechte s - erschlossene n Mechanisme n politischer un d soziale r Evolution grundsätzlic h au f die gesamte Geschicht e entwickelter Gesellschaft anwendbar seien - abe r eben nur auf diese, nicht auf »stationäre« Gesellschaften . Hie r tat sich fü r ih n ein e tiefe Kluf t hinsichtlic h völlig unterschiedlicher historischer Entwicklungen auf, die er zwar feststellen, jedoch nich t erkläre n konnte . Webe r sa h da s grundsätzlic h ähnlich , abe r er unternah m all e Anstrengungen , u m z u Erklärunge n z u kommen . Beid e stimmten darin überein, daß die Geschichte des Okzidents auf die Emanzipation des Individuums hinauslief, was Maine auf seine berühmte Formel von der Entwicklung vom »Status« zum »Kontrakt« brachte. Aber ein halbes Jahrhundert nach Maine konnte Weber die europäische Geschichte nicht mehr ungebrochen als eine Geschichte des Fortschritts preisen, die i n de n Gesellschafte n de s späten 19 . Jahrhunderts ihre n Höhepunk t er reicht hatte. Neben der historischen Analyse des Prozesses der Rationalisierung stehen die sorgenvollen Fragen im Hinblick auf die Entwicklungen i n der Gegenwart und unmittelbaren Zukunft , wi e Weber sie schon in seinen Arbeiten aus den 1890e r Jahren gestell t hatte. Weber konnt e sic h nich t meh r mi t de r Vorstellung eines »Fortschritts« identifizieren, die ungeachtet ihrer säkularisierten Form ein Walten göttlicher Vorsehung unterstellte.
66 Sieh e aber jüngst Oexle , in: Meier, Stadt, S. 153f. 67 Vgl . zu diese m Wer k J . W. Bunow, Evolutio n an d Society, Cambridg e 1970 ; Capogrossi Colognesi, Modelli di stato, Kap. 4—6.
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THOMAS SCHMELLE R
Das paulinische Christentum und die Sozialstruktur der antiken Stadt Überlegungen z u Webers »Tag von Antiochien« *
Die Gemeinden des Paulus waren, sozial gesehen, etwas Besonderes, und zwar in zweifacher Hinsicht: zum einen gegenüber vergleichbaren nichtchristlichen Gruppierungen i n den Städten, in denen sie ansässig waren, zum anderen gegenüber nichtpaulinische n Christengemeinde n a n andere n Orten . De r Vergleich mit beiden Arten von Gruppen - sowei t er möglich ist - zeig t die besondere soziale Integrationskraft de s Christentums in seiner paulinischen Form. 1 Um dies e Integrationsfähigkei t sol l e s im folgende n gehen . De r »Ta g von Antiochien«, de m Ma x Weber weltgeschichtliche Bedeutun g zuschrieb , wei l hier zu m erstenma l ein e interreligiös e Verbrüderun g stattgefunde n habe , is t nur vor diesem Hintergrun d z u verstehen. In den Paulusgemeinden wurde n freilich nich t nu r - wa s für Weber relevant war - religiö s begründete sozial e Barrieren abgebaut , sonder n auc h solche , die mi t Abstammung, Besitz , Bil dung, Geschlech t usw . z u tu n hatten . Deshal b stell e ic h de n Überlegunge n zum »Tag von Antiochien« einen allgemeineren Punkt voran, der die theologische Grundlage un d di e Reichweit e de r innergemeindliche n Integratio n ab steckt. I. »Ihr alle sei d einer i n Christus Jesus.« Die Überschrif t diese s Abschnittes is t de m Paulustex t entnommen , de r a m prägnantesten di e Einheit i n der Gemeinde thematisiert: Ga l 3,27f De r Text lautet: »Ihr alle, die ihr auf Christus getauft wurdet, habt Christus angezogen. Da ist nicht mehr Jude noc h Grieche, nicht mehr Sklav e noch Freier, weder * Fü r die biblischen Schriften werden folgende Abkürzungen verwendet: Apg = Apostelgeschichte; Gen = Genesis (1. Buch Mose); Gal = Galaterbrief; 1 Kor = 1. Korintherbrief; 2 Kor = 2. Korintherbrief; Phlm = Philemonbrief; Röm = Römerbrief. 1 Ube r di e nichtpaulinischen Gemeinden sind wir allerdings wesentlich schlechter informiert. Immerhi n zeigen die Paulusbrief e selbst , daß die paulinisch e Gemeindeform nich t die einzige und keineswegs unumstritten war.
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Mann noc h Frau . Den n ih r all e sei d eine r i n Christu s Jesus.« I n de r Exeges e besteht weitgehen d Konsen s darüber , da ß diese r Tex t vo n Paulu s nich t ne u formuliert, sonder n bereit s al s ein e Traditio n übernomme n wurde , di e viel leicht au s der antiochenische n Gemeind e stammte. 2 E s werden hie r dre i Ge gensatzpaare au s verschiedenen Gebiete n aufgelistet , di e alle auc h sozia l rele vant waren. Diese Gegensätze sind, dem Text zufolge, durch die Taufe hinfälli g geworden un d mache n eine r neue n Einheit Platz . Bei nähere m Zusehe n ver binden sic h damit allerdings einige Fragen . Wie konkre t war diese Einheit? Da ß der Text nicht »konkret « i n eine m vor dergründigen Sinn aufzufassen ist , versteht sich vom dritten Gegensatzpaar he r von selbst . Auch die christlichen Gemeinde n bestande n nich t aus Zwitterwe sen. Worum geh t e s aber dann ? Eine n Anhaltspunk t biete t di e Formulierun g eben diese s dritte n Gegensatzes . Wörtlich heiß t e s hie r nämlic h nicht : »nich t mehr Man n ode r Frau« , sondern : »nich t meh r Männliche s un d Weibliches« . Mit dieser Formulierung ist auf den Schöpfungsbericht i n Gen 1,2 7 angespielt , wo Got t de n Mensche n al s männliche s un d weibliche s Wese n schafft . Di e Schöpfung de s Anfang s wir d durc h di e Neuschöpfun g de r Endzeit , dere n Mittler Christus ist,3 i n diesem Punk t aufgehoben. E s wird hier also kontrafak tisch eine Wirklichkeit proklamiert , di e so noch nicht wahrnehmbar ist . Wahrnehmbar sin d allerding s di e trennende n Auswirkunge n de r geschlechtliche n und familiäre n Differenz , besser : gerad e de r Wegfall solche r Trennun g i n de r Gemeinde. Gilt das auch für di e beiden andere n Gegensätze ? Was für ein e Ar t von Einheit kann gemeint sein, wenn die Gegensätze an sich bestehen bleiben ? Unsere Textstell e gib t darau f kein e Antwort . Vo n andere n Paulustexte n is t vor allem 1 Kor 7,17-22 wichtig : »Wie es jedem der Herr zugeteilt hat, wie jeden der Herr berufen hat , so soll er leben. Und s o sind meine Anordnungen fü r all e Gemeinden. Wenn einer als Beschnittene r berufen wurde, soll er die Beschneidung nicht rückgängig machen lassen; wenn eine r als Unbeschnittene r berufe n wurde , sol l e r sic h nich t beschneide n lassen . Die Be schneidung ist nichts, und die Unbeschnittenheit ist nichts, sondern die Einhaltung der Gebote Gottes. Jeder soll in dem Stand bleiben, in dem er berufen wurde. Wurdest du als Sklave berufen, soll dich das nicht kümmern; sondern [oder : aber] wenn du sogar frei werden kannst, bleib lieber dabei [oder : mach lieber Gebrauch davon]. Denn der im Herrn berufene Sklave ist ein Freigelassener des Herrn, ebenso ist der berufene Freie ein Sklave Christi.« Das genaue Verständnis diese r Sätz e is t nich t einfach , insbesonder e bezüglic h der Aussagen zur Freilassung. Fordert Paulus die christlichen Sklaven dazu auf , 2 Vgl . etwa J. Becker, Die Briefe an die Galater, Epheser, Philipper, Kolosser, Thessalonicher und Philemon (Das Neue Testament Deutsch 8), Göttingen 1990 4, S. 45; G. Dautzenberg, Zur Stellung der Frauen in den paulinischen Gemeinden, in: ders. u.a. (Hg.), Die Frau im Urchristentum, Freiburg i. Br. 19925, S. 182-224, hier S. 215f. 3 Vgl . Gal 6,15; 2 Kor 5,17.
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sogar di e Möglichkei t de s Freikommen s auszuschlagen , ode r gena u umge kehrt, dies e Chanc e doc h wahrzunehme n (hie r als o ein e Ausnahm e vo n de r Regel zu machen, in dem Stand zu bleiben, in dem man berufen wurde)? Beid e Deutungen könne n sic h au f den griechische n Tex t berufen. Wie auc h immer : Der letzt e Sat z zeigt , worau f es Paulus ankommt . De r Unterschie d zwische n Sklaven un d Freie n gil t nicht s mehr , ebensoweni g wi e Beschneidun g un d Unbeschnittenheit. Di e Gegensätze, von denen auch Gal 3,28 spricht, werde n nicht unbeding t abgeschafft , abe r überwunden, inde m si e in einer übergeord neten Einheit , »i n Christus« , aufgehobe n werden . Vo n diese r Erkenntni s he r liegt nun allerdings ein Mißverständni s nahe , das man auch in neueren Publi kationen noch findet: Di e Gegensätze bestünden zwar äußerlich weiter, hätte n aber »vo r Got t ihr e Heilsbedeutun g verloren«. 4 Wi e sic h gleic h zeige n wird , hatten diese Gegensätze ihr e Bedeutun g nich t nu r vor Gott verloren. Wie real war die Einheit? Die Sätze in Gal 3,27f sind , wie wir gesehen haben, Teil eine s theologischen , nich t eine s soziale n Programms . Allerdings is t klar , daß gerad e fü r di e jeweils schwächer e Seite , als o fü r Heiden, 5 Sklave n un d Frauen, die Leugnung der Ungleichheit au s theologischen Gründe n durchau s auch soziale n Aufstie g bedeute n konnte , jedenfalls i n de r Gruppe , di e diese s theologische Program m unterschrieb . Die Frage ist aber, ob hier eine Zielvor gabe oder ein Erfahrungsbericht vorliegt , ob das Programm also erst noch um zusetzen ode r bereit s realisier t war . Deutlic h fü r letztere s entscheide t sic h J . Roloff : »Gal 3,28 is t al s Erfahrungsbericht übe r das , was sic h i n de n paulinische n Gemeinde n tatsächlich vollzieht, zu lesen: Hier ist ein neues Miteinander von Menschen im Entstehen begriffen , da s seine Struktu r nich t mehr , wi e i n de n übliche n Forme n soziale n Lebens, von den Abgrenzungen un d Unterscheidungen he r bezieht, mit denen Menschen bislang ihre Identität bestimmt haben. Hier wirken sich nicht mehr die Verhältnisse von Über- und Unterlegenheit, von Herrschen und Beherrschtsein aus. Bestimmend is t nunmeh r allei n di e Zugehörigkei t z u Christus . Weder sprich t Paulu s von utopischen Idealen oder wünschbaren ethischen Konsequenzen, noch will er bloß die Irrelevanz bestehender Unterschiede für den persönlichen Heilsstand des je einzelnen herausstellen. [... ] Die in Röm 6,4 als Imperativ formulierte Konsequenz der Taufe für den Christen - ›s o sollen auch wir in der neuen Lebenswirklichkeit wandeln‹ - erfähr t hier im Indikativ der Erfahrung ihre inhaltliche Konkretion«. 6 Roloff deutet ein Problem an, das der Text im Rahmen der Paulusbriefe enthält : die Einordnung in das Spannungsfeld von Indikativ und Imperativ. Während es 4 J . Rohde , Der Brief an die Galater (Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament IX), Berlin 1989, S. 164. 5 Fü r den Judenchristen Paulus und auch für die weithin judenchristlichen Gemeinden, aus denen er diese Tradition übernahm, waren Juden den Heiden selbstverständlich übergeordnet. 6 J . Roloff, Die Kirche im Neuen Testament (Grundrisse zum Neuen Testament 10), Göttingen 1993, S. 94 (Hervorhebungen im Original).
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in Gal 3,27 heißt, »ihr habt Christus angezogen«, erscheint dasselbe Bild in Rom 13,14 al s Imperativ : »Zieh t de n Herr n Jesus Christu s a n un d sorg t fü r da s Fleisch nicht so, daß Begierden entstehen! « Di e »Überkleidung« durc h Chri stus ist einerseits bereits geschehen, mu ß andererseits erst vollzogen werden . Das heißt: Die Taufe wirkt nicht automatisch. Es bleibt möglich, den Gehorsam zu versagen und die alten sozialen Unterschiede fortzuführen bzw . Wiederaufleben zu lassen. Die Einheit war für die Gemeinden nicht die einzige Möglichkeit. Entsprechend ist die Aussage von Gal 3,27f nich t unbedingt nur indikativisch zu verstehen. Blicken wir deshalb kurz auf die einzelnen Gegensatzpaare. Am intensivsten beschäftigt ha t Paulu s siche r di e erst e Opposition . I n die Überwindun g de r Spannung zwische n Juden- un d Heidenchriste n investierte e r beträchtlich e theologische (besonders Röm 1-4) un d biographische Energie (besonders Gal 2; dazu unten). Diese Spannungen hatten u.a. mit Statusunterschieden zu tun, wobei in jüdischen Augen Heiden wegen mangelnder Gesetzeskenntnis und beachtung geringeren Status besaßen, gesamtgesellschaftlich gesehe n aber das Verhältnis oft umgekehrt war. Das muß hier ebensowenig im einzelnen belegt werden wie die Tatsache, daß die Paulusgemeinden diesen Gegensatz im Prinzip überwanden, daß er ihre Geschichte allerdings begleitete und an manchen Stellen wieder aufbrach . Ähnlich verläuf t di e Überwindun g de s soziale n Unterschied s zwische n Sklaven un d Freien . Auch hie r genügen Andeutungen. De r christliche Skla venbesitzer Philemo n wir d vo n Paulu s nich t zu r Freilassun g seine s Sklave n Onesimus aufgefordert, sonder n zu dessen Aufnahme als »geliebten Bruder«. 7 Für Paulu s war offenba r de r rechtlich e Unterschie d zwische n Sklave n un d Freien in der Gemeinde ebensowenig relevant wie der religiös-kulturelle Un terschied zwischen Juden und Heiden. Tatsächlich werden die Sklaven »natürlich und selbstverständlich vol l in die Gemeinde integriert . Keiner spricht ihnen die Taufe, den Geist oder die Teilnahme am Herrenmahl ab«. 8 Weniger überzeugend überwunden is t der Statusunterschied von Männern und Frauen. Zwar ist es keine Frage, daß auch Frauen Zugang zur Gemeind e und in ihr zu herausgehobenen Positione n hatten. 9 Abe r zumindest aus 1 Ko r 11,2-16 spricht doch eine Unterordnung der Frau mit praktischen Konsequenzen; noch mehr gilt dies von 1 Kor 14,33b-36, wobei die Echtheit dieses Abschnitts allerding s umstritte n ist . Ein e einleuchtend e Erklärun g fü r diese n Befund bietet Α Funk, der zwischen idealer und realer Statusbewertung unter scheidet: »Der Unterschied kam dadurch zustande, daß eine vorhandene negative Bewertung der Frauen [... ] vo n einer neuen, positiven überlagert wurde. Die neue Wertung war zunächst eine ideale, die sich im realen Verhalten nu r 7 Phl m l6 . 8 J . Becker, Paulus. Der Apostel der Völker, Tübingen 1989 , S. 465. 9 Vgl . nur die »Apostolin« Junia in Röm 16,7.
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partiell durchsetzte«.10 Z u fragen bleibt natürlich, warum hier ideale und reale Bewertung nicht ebensogut zusammenstimmten wie bei der Einschätzung von Juden und Heiden. Dieser kurze Durchgang zeigt, daß die Aufhebung der Statusunterschiede in den Gemeinden permanen t gefährdet war. Dennoch dürfte Rolof f Recht haben, wenn er in Gal 3,28 einen Erfahrungsbericht sieht. Allerdings kommt hier eben nu r eine Art von Erfahrungen, di e mit der grundlegenden Einheit , zu r Sprache. Wie umfassend war diese Einheit? Die in Gal 3,28 genannten Gegensätze sind sicher nur als Beispiele zu verstehen. Dafür spricht schon, daß Paulus in 1 Ko r 12,13, ebenfalls in einer TaufFormel, nur zwei Gegensätze nennt (Ju den - Griechen , Sklaven - Freie) . Dafür spricht aber vor allem der oben herausgearbeitete theologische Hintergrund: In der vollkommenen neuen Schöpfung der Endzeit spielen alle diskriminierenden Unterscheidunge n der alten Weltzeit keine Rolle mehr. Deshalb sind in Gal 3,28 andere Gegensätze sicher mitgemeint, etwa die zwischen Reichen und Armen, zwischen römischen Bürgern und Nichtbürgern, zwischen Erwachsenen und Kindern. Allerdings waren diese Oppositione n fü r di e erste n Gemeinde n nich t s o relevan t wi e di e i n de r vorpaulinischen Tradition genannten. Wenn Paulus ohnehin nur Beispiele anführt, dann ist es völlig sachgerecht, eines dieser Beispiele, den Gegensatz von Juden und Griechen, für eine nähere Untersuchung herauszugreifen . II. Juden, Grieche n un d de r »Tag von Antiochien « Bei Max Weber findet sich der »Tag von Antiochien«11 imme r nur als Kurzformel, die nicht näher erläutert wird. Er bezieht sich damit auf die in Gal 2,11-14 geschilderte Auseinandersetzun g u m di e Frag e de r Tischgemeinschaf t zwi schen Juden- und Heidenchristen, die in der exegetischen Literatur in der Regel de r »Antiochenisch e Zwischenfall « genann t wird. Weber entnimm t de m Galaterbrief zu Recht , da ß es in de r antiochenische n Gemeind e ein e solch e Tischgemeinschaft gab, und sieht hierin eine der Voraussetzungen für die Entstehung der mittelalterlichen okzidentalen Stadt , in der religiöse Tabuschranken abgebaut wurden. Weber interessiert die Überwindung einer bis dahin unumstößlichen, religiös begründeten sozialen Barriere in Antiochien. Die beiläufigen Erwähnunge n in Webers Werk werden allerdings der Problematik des Sachverhalts nicht ge10 A . Funk, Statu s und Rolle n i n den Paulusbriefen. Ein e inhaltsanalytische Untersuchun g zur Religionssoziologie, Innsbruc k 1981, S. 16. 11 WuG , S. 265, 745 (MW G I/22-5, S. 11lf.) ; MW G I/20, S. 96f.; Wg , S . 277; dazu kurz e Erläuterungen bei W. Nippet, Max Weber zwischen Althistorie und Universalgeschichte, in: Meier, Stadt, S. 35-57, hier S. 48f.; ders., Max Weber und die okzidentale Stadt, in: Berliner Journal für Soziologie 5, 1995, S. 359-366, hier S. 362.
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recht. An der Auseinandersetzung zwische n Paulu s und Petrus ist in der Exegese beinahe alles umstritten. Im folgenden biet e ich deshalb einige Erläuterungen. Zunächs t mu ß ma n zwe i Problemkreis e unterscheiden : ersten s di e Öffnung de r Kirche für Heiden, die Gegenstand der Jerusalemer Apostelversammlung war, und zweitens die Regelung des Miteinanders in den gemischten Gemeinden, um die es beim Antiochenischen Zwischenfall ging. Daß es in Antiochien zum Streit zwischen Paulus und Petrus kommen konnte, hat seine Wurzeln in den Beschlüssen der Apostelversammlung in Jerusalem 48 n.Chr.,12 die oft anachronistisch und irreführend al s »Apostelkonzil« bezeichnet wird. 13 Hier hatten Petrus und Paulus einer Aufnahme von Heiden ohne Übernahme der Beschneidung und des jüdischen Gesetze s zugestimmt. Wie kam es dazu und welche Reichweite hatte dieser Beschluß von Jerusalem? In der früheste n Zeit nach Ostern gab es keine christliche Heidenmission, ebensowenig wie der historische Jesus sich Heiden zugewandt hatte. Eine Änderung dieser Haltung bahnte sich, der Apostelgeschichte zufolge , zuers t i n Antiochien an . Die au s Jerusalem vertriebenen hellenistische n Juden-Christen »gelangte n bis Phönikien, Zypern und Antiochien. Sie verkündeten das Wort nur den Juden. Einige von ihnen stammten aber aus Zypern und der Kyrene; als die nach Antiochien kamen, verkündeten si e da s Wort auc h de n Griechen , da s Evangelium vo m Herrn Jesus. Und die Hand des Herrn war mit ihnen. Eine große Zahl wurde gläubig und bekehrte sich zum Herrn«. 14 I n der Folge wurden »in Antiochien die Jünger zu m erstenmal ›Christen‹ genannt«. 15 Dies e Angaben gelten meis t als historisch zuverlässig. Die Gemeinde bekommt hier einen eigenen Namen, d.h. sie wird durch die Aufnahme vo n Nichtjuden z u einer Gruppe, die auch für Außenstehende von der jüdischen Synagogengemeinschaft unterscheidba r ist. Die Aufnahme von Heiden, die nicht zugleich Juden wurden, war ein Schritt von enormer Tragweite. Bis dahin bewegte sich das Christentum im Rahme n des Judentums. Es verstand sic h zwa r als das wahre Israel , aber eben i n un d nicht neben Israel. Christus war das endzeitliche Erlösungshandeln Gottes an seinem Volk. Heiden konnten dazukommen, aber nur durch Eingliederung in dieses Volk. Die Taufe galt nicht als Ersatz für die Beschneidung, sondern diese 12 Vgl . zum folgenden di e Darstellungen be i Becker, Paulus, S. 89-99;J . Gnilka , Paulus von Tarsus. Zeuge und Apostel (Herders theologischer Kommentar zum Neuen Testament. Supplementband VI), Freiburg i. Br. 1996, S. 95-101; N. Taylor, Paul, Antioch and Jerusalem. Α Study in Relationships an d Authority i n Earliest Christianit y (Journa l fo r th e Stud y o f the New Testa ment. Supplement Series 66), Sheffield 1992 , S. 96-122. 13 Richti g an dieser Bezeichnung ist immerhin, daß die Beschlüsse der Versammlung woh l nicht nur für Jerusalem und Antiochien galten, sondern wegen der Bedeutung dieser beiden Gemeinden und der beteiligten Missionar e im frühen Christentu m durchaus auch anderswo Auswirkungen hatten; vgl. Taylor, Paul, S. 110. 14 Ap g 11,19-2 1 15 Ap g 11,26.
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blieb das gültige Zeichen der Erwählung. Di e Neuerung in Antiochien, wo di e Taufe erstmals an die Stell e der Beschneidun g trat , leitet e als o die allmählich e Loslösung de s Christentum s von de m au f Israel beschränkte n Bundesgedan ken und damit vom Judentum ein. Ein solcher Schritt blieb nicht ohne Wider spruch. Nac h Ga l 2,1- 5 trate n vo n auswärts 16 stammend e Judenchristen i n Antiochien auf und forderten die Beschneidung der Heidenchristen. Daß Paulus si e polemisc h »eingeschlichen e Falschapostel « nennt , kan n nich t darübe r hinwegtäuschen, daß diese Judenchristen di e bis dahin überall gültig e Verhältnisbestimmung von Christen- und Judentum vertraten . Die Antiochener gaben aber nicht einfach nach , sondern schickte n eine De legation nac h Jerusalem, u m die Streitfrage z u klären. Die nähere n Umständ e dieser Apostelversammlung sin d in unserem Zusammenhang nich t von Inter esse. Relevant is t allein das Ergebnis, das Paulus in Gal 2,6-10 s o wiedergibt : »Die Angesehenen machten mir keine Auflagen. I m Gegenteil: Sie sahen, daß mir das Evangelium fü r di e Unbeschnittene n anvertrau t ist , wie de m Petru s das für di e Be schnittenen, [...] un d sie erkannten die Gnade, die mir gegeben wurde. So gaben Jakobus, Kepha s [Petrus ] un d Johannes, die als die Säule n gelten , mi r un d Barnaba s di e rechte Han d [zu r Besiegelung] de r Gemeinschaft: Wi r sollten z u den Heiden , sie zu den Beschnittenen gehen. Nur sollten wir der Armen gedenken; eben dies zu tun, habe ich mich bemüht.« Gehen wir dies e Regelunge n i m einzelnen durch : 1. Paulu s betont , da ß e s »keine Auflagen « fü r da s gesetzesfreie Evangeliu m gab. Im Widerspruch daz u nennt Apg 15,2 0 gewisse Bedingungen fü r die Hei denchristen: Verzich t au f Götzenopferfleisch, au f nicht-geschächtetes Fleisc h etc. Im allgemeinen nimm t man für diese Klauseln, das sogenannte Aposteldekret, eine n spätere n Ursprun g an : Wären si e scho n i n Jerusalem beschlosse n worden, wäre e s kaum zu m Antiochenischen Zwischenfal l gekommen . 2. Der Hauptgrund, warum die Jerusalemer Autoritäten der antiochenische n Mission zustimmten, war offenbar deren Erfolg: »Sie erkannten die Gnade, die mir [Paulus ] gegebe n wurde« , d.h . si e akzeptierte n di e Geist-Erfahrun g de r Heidenchristen durc h da s paulinisch e Evangeliu m al s Ausdruck de s Willen s Gottes, der offenbar da s endzeitliche Heil nicht auf Juden beschränken wollte . 3. Schwer zu verstehen ist die Vereinbarung zur Aufteilung der Mission: »Wir sollten z u den Heiden , si e zu den Beschnittenen gehen« . Wenn ma n nich t an nehmen will , da ß Paulu s un d Petru s i n de r Folgezei t diese s Abkommen miß achtet haben, kann man es kaum ethnisch oder geographisch verstehen: Paulu s missioniert durchaus auch unter Juden,17 Petru s tritt selbst oder durch Gesand te z.B. in Korinth auf.18 E s kann also eigentlich nur die Zielrichtung der Missi 16 Wohl aus Judäa, vgl. Apg 15,1. 17 1 Kor 9,20. 18 1 Ko r 1,12.
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on gemeint sein: Die eigentliche Aufgabe des Paulus ist die Verkündigung des gesetzesfreien Evangelium s unte r Heiden , di e de s Petru s di e Missio n unte r Juden, für die das Gesetz gültig bleiben soll. Daß es dabei auch zu gemischten Gemeinden kommen würde, kann nicht einfach übersehen worden sein, denn die antiochenische Gemeinde, die den Anlaß zur Versammlung bildete, war ja gemischt. War denn nun fiir dieses corpus mixtum das Gesetz gültig oder nicht? In Antiochien zur Zeit der Versammlung offenbar nicht, aber dieses Folgeproblem wurde anscheinend in Jerusalem nicht geregelt, wie der Antiochenische Zwischenfall zeigt . Es bleibt kaum etwas anderes übrig als anzunehmen, da ß man sich in Jerusalem darauf beschränkte, die grundsätzliche Legitimität un d gegenseitige Anerkennung der beiden Missionsweisen zu beschließen. 4. Die einzige »Auflage«, die Barnabas und Paulus gemacht wurde, war, »der Armen zu gedenken«. Es ist unstrittig, daß »die Armen« die Jerusalemer Chri sten sind . I n der Rege l wir d mi t diese r Auflage di e paulinisch e Kollekt e fü r Jerusalem i n Zusammenhang gebracht, die mehr war als eine finanzielle Un terstützung. Paulus verstand sie als eine Verpflichtung der Heidenchristen, die ihre Gemeinschaft mit den Judenchristen zum Ausdruck bringen sollte: »Wenn die Heidenvölke r a n ihre n [de r Juden] geistliche n Güter n Antei l bekamen , dann sind sie es auch schuldig, ihne n mit weltlichen Gütern zu dienen.« 19 Diese auf der Apostelversammlung erreicht e Regelun g erwies sich bald als unzureichend. Es entstand das Folgeproblem, au f das sich Webers Wort vom »Tag von Antiochien« bezieht. Da dieses Problem bezeichnenderweise von der harmonisierenden Apostelgeschicht e nich t erwähn t wird , bleib t un s nu r di e Darstellung des Paulus: »Als aber Kepha s [Petrus ] nac h Antiochie n gekomme n war , stellt e ic h mic h ih m per sönlich entgegen , den n e r war i m Unrecht . Bevo r nämlich Leut e von Jakobus kamen , aß e r mi t de n Heide n zusammen . Nac h ihre r Ankunf t abe r zo g e r sic h zurüc k un d trennte sic h [vo n ihnen] , wei l e r die Vertrete r de r Beschnittene n fürchtete . A n seine r Heuchelei beteiligte n sic h die übrigen Juden, so daß sogar Barnabas sich zu ihrer Heu chelei hinreißen ließ. Als ich aber sah, daß sie nicht recht wandelten gemäß der Wahrheit des Evangeliums , sagt e ic h z u Kepha s i n Gegenwar t aller : ›Wen n du , de r d u ei n Jud e bist, nac h Ar t de r Heide n un d nich t nac h jüdischer Weis e lebst , wi e kanns t d u di e Heiden zwingen , wi e Juden z u leben?!« 20
Interessant ist für uns zunächst eine genauere Bestimmung des Problems, dann die Klärun g de r Motiv e de r Konfliktparteie n un d schließlic h di e Frag e nac h dem Ausgan g de s Konflikt s un d nac h de n Regelunge n de r Folgezeit. 21 De r 19 Rö m 15,27 . 20 Ga l 2,11-14 . 21 Vgl . dazu Becker, Paulus, S. 97-119; den., Briefe, S. 27-29; Gnilka, Paulu s von Tarsus, S. 101-107; T. Holte, Der Antiochenische Zwischenfall. Galate r 2, 11-14 , in: den., Geschichte und Theologie des Urchristentums, Tübingen 1991 , S. 171-188, hier S. 174-188; Rohde, Brief an die Galater, S. 101-109;A M. Schwemer, Paulus in Antiochien, in: Biblische Zs., Bd. 42,1998, S. 161-
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Konflikt entzündete sich daran, daß nicht lange nach der Apostelversammlung »Leute von Jakobus« nach Antiochien kamen, also judenchristliche Mitgliede r der Jerusalemer Gemeinde . Ob diese von Jakobus geschickt waren un d wel chem Zweck ihr Besuch diente , muß offenbleiben. Jedenfalls bewirkte n sie , daß Petrus, Barnabas und alle anderen Judenchristen die bis dahin vollzogene Tischgemeinschaft mi t den Heidenchriste n aufgaben . E s ist nicht völlig klar , woran genau die Tischgemeinschaft scheiterte , denn ein gemeinsames Essen von Juden un d Heide n war nich t überhaup t un d überal l undenkbar . E s gab innerhalb de s Judentums offenba r unterschiedlic h streng e Positionen . Ein e relativ offene Haltung machte das Problem nur an den Speisen und Getränken fest: Waren dies e nac h de r gesetzlich vorgeschriebene n Ar t ausgewählt , ver zehntet, aufbewahrt und zubereitet worden? War sichergestellt, daß das Fleisch nicht von einem Götzenopfer stammte und daß beim Wein keine Libation für die Götze n vorgenomme n worde n war ? Dies e Schwierigkeite n ließe n sic h noch dadurch umgehen, daß der jüdische Teil der Mahlgemeinschaft fü r das Essen sorgte, wenigstens für sich selbst. Das Problem konnte aber ebenso am Mahlvollzug ode r a n de n heidnische n Mahlteilnehmer n selbs t festgemach t werden, auch hier wieder in Abstufungen: Vollzogen die heidnischen Mahlteilnehmer rituell e Sitte n wie da s Händewaschen nicht , dann waren si e unrein . Heiden konnte n allerding s auc h generell , unabhängi g vo n ihre m konkrete n Verhalten beim Mahl, als unrein gelten, und Unreinheit war ansteckend für die jüdischen Tischgenossen. Die antiochenischen Judenchristen un d Petrus nahmen offenba r zunächs t Verunreinigung in Kauf. Wenn man der Darstellung des Paulus hier vertrauen kann, dan n müsse n i n Antiochie n Eucharistiefeier n un d dami t verbunden e Sättigungsmähler ohn e irgendwelch e Rücksichtnahme n au f jüdisches Rein heitsdenken gefeier t worde n sein . Di e »Leut e de s Jakobus« erreichte n ein e Rückkehr des judenchristlichen Teils zu einer stärker jüdischen Lebensweise , führten als o eine abgeschaffte sozial e Barriere wieder ein, wobei offenbleibe n muß, wie weit sie bei ihrer Abgrenzung gegenüber heidnischer Unreinheit auf der oben angedeuteten Skala gingen. Welche Motive standen hier im Hintergrund, und welche Rolle spielte dabei das Jerusalemer Abkommen ? Siche r is t nur , da ß kein e Konfliktparte i diese s Abkommen revidieren wollte. Es ging nicht darum, die Berechtigung des Heidenchristentums als solches infragezustellen. Da s zeigt sich schon daran, daß Paulus nirgends einen Versuch der Jakobusleute erwähnt, dem heidenchristli180, hie r S . 173-178 ; Taylor , Paul , S . 123-142 . Nich t zugänglic h ware n mi r leider : A. Dauer , Paulus und die christliche Gemeind e im syrische n Antiochia. Kritisch e Bestandsaufnahme de r modernen Forschung mit einigen weiterführenden Überlegungen , Weinheim 1996 ; A. Wechsler, Geschichtsbild und Apostelstreit. Eine forschungsgeschichtliche und exegetische Studie über den antiochenischen Zwischenfall (Ga l 2,11-14) (Beihefte zur Zs. für die neutestamentliche Wissenschaft 62), Berlin 1991.
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chen Gemeindeteil irgendwelche Auflagen zu machen. Es ging aber wohl auch nicht darum, die Rolle der Judenchristen gegenüber dem Abkommen neu zu definieren. Di e Jakobusleute konnte n darau f verweisen, da ß Gesetzesfreihei t eben nu r fü r di e Heidenchriste n beschlosse n worden war un d insbesonder e Petrus, dem ja nach dem Abkommen das »Evangelium für die Beschnittenen « zufiel, nich t wie ei n Unbeschnittene r lebe n konnte . Paulu s dagege n konnt e anführen, da ß die antiochenisch e Gemeind e scho n zu r Zeit de r Apostelver sammlung gemischt war und ohne gesetzliche Auflagen weiterleben durfte . Der Streit kann nicht allein um Petrus gegangen sein, wenn ma n nicht annehmen will, das Umschwenken des ganzen judenchristlichen Gemeindeteil s sei von den Jakobusleuten gar nicht angestrebt worden. Hier sind nur Vermutungen möglich. Ein plausibler Hintergrund könnte sein, daß die Situation in Palästina sich verschärft hatte. Die Spannungen mi t Rom, die sich dann ab 66 n.Chr. i m Jüdischen Krie g entluden , führte n z u eine r Betonun g jüdischer Identität un d z u verschärfte r Abgrenzun g gegenübe r alle m Nichtjüdischen . Die Christengemeinde i n Jerusalem war sicher eine unanstößig gesetzestreue Gruppierung. Es kann für sie aber kompromittierend geworden sein, mit einer Gemeinde wie Antiochien i n Verbindung gebracht z u werden, wo Juden di e Grenze zu m Heidentu m überschritten. 22 Vielleich t hatte n di e Jakobusleute also auch die schwierige Situation in Jerusalem im Sinn, als sie die Judenchristen Antiochiens zu einer strenger jüdisch ausgerichtete n Lebensführun g be wegten. Diese Annahme bleibt, wie gesagt, Vermutung und wird dadurch erschwert, daß der Antiochenische Zwischenfal l allgemei n nu r wenige Monat e später al s die Apostelversammlung angesetz t wird. 23 Di e Motive von Petrus, Barnabas und den übrigen Judenchristen, die sich von der Tischgemeinschaf t zurückzogen, bleiben ebenfalls i m Dunkeln. Es ist natürlich möglich , daß sie die religiöse Bedeutung ihrer grundsätzlichen Bindun g an das Gesetz und der Bewahrung ihre s jüdischen Erbe s neu einsahen un d akzeptierten. Es ist aber auch möglich, daß für sie dieses Erbe zum Brauchtum geworden war, das man pflegen kann, aber nicht muß.24 In diesem Fall wäre es ihnen durchaus möglich gewesen, mi t Rücksich t au f die Bedenke n de r Besucher oder auf die Jerusalemer Christen das Brauchtum wieder stärker zu betonen, wenigstens für eine 22 Da s heben vor allem Taylor , Paul , S . 130f , un d Schwemer , Paulu s i n Antiochien, S . 174 , hervor. Diese Möglichkeit besteht auch dann, wenn man Taylors Annahme einer Jurisdiktion der Jerusalemer über die Antiochenische Gemeinde, durch die eine Kopromittierung verschärft worden wäre, nicht mitvollziehen will . 23 Ander s Schwemer, Paulus i n Antiochien, S . 175-177 , die den Zwischenfall ers t au f 52/53 n.Chr. datiert. 24 Gnilka , Paulu s von Tarsus , S . 99 , will di e Reduktio n de s Gesetze s »au f den Ran g vo n Brauchtum und Sitte« schon den Jerusalemer Autoritäten bei der Apostelversammlung zuschrei ben. Der Antiochenische Zwischenfall zeig t m.E., daß eine solche Interpretation der Apostelversammlung zwar die paulinische, aber keineswegs die einzig mögliche war.
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bestimmte Zeit,25 ohne daß sich mit solchen pragmatischen Motiven eine neue Hochschätzung des Gesetzes verband. Gerade wenn das Gesetz zum Heil nicht mehr notwendi g war , konnt e ma n hie r Kompromiss e un d Zugeständniss e machen. Paulus sah das anders. Für ihn bedeuteten solche Zugeständnisse, daß dem Gesetz letztlich doch wieder Heilsbedeutung zugeschriebe n wurde. Denn einerseits war der getrennte Zustand der beiden Gemeindeteile, die ja nicht mehr gemeinsam Eucharistie feiern konnten, mit seinem Kirchenverständnis unvereinbar. Die Einheit der Gemeinde war unverzichtbar. Andererseits war dies e Einheit nach dem Einspruch der Jakobusleute nur noch um den Preis zu haben, daß die Heidenchristen jüdisches Reinheitsdenken respektierten und selbst die betreffenden gesetzliche n Regelungen einhielten, um ihre jüdischen Tischgenossen nicht zu verunreinigen. Damit wurden aber Heiden auf das Gesetz verpflichtet, wa s dem Jerusalemer Abkomme n entgegenstan d un d sich , theologisch gesehen , mi t de r umfassende n Bedeutun g de s Erlösungstodes Christ i nicht vereinbaren ließ. Wenn Christus das Ende des Gesetzes als Heilsweg war und allein die Glaubensteilhabe a n seinem Tod das Heil verhieß, dann durft e man den Heiden keine zusätzlichen Auflagen machen . Paulus konnte also, anders als Barnabas, das Gesetz nicht einfach als Brauchtum ansehen. In der Folgezei t finde n wi r zunächs t ei n Nebeneinande r zweie r seh r ver schiedener Antworten auf die angesprochenen Fragen . In Antiochien ha t sich nach einhelliger Meinung der Forschung Paulus nicht durchsetzen können. Es ist sehr auffällig, da ß sein Bericht in Gal 2,11-14 über den Ausgang des Konflikts schweigt. Gerade im Kontext des Galaterbriefs, wo Paulus gegen judaistische Vertreter der Beschneidungsforderung a n Heidenchristen argumentiert , hätte er einen Erfolg in Antiochien auf keinen Fall verschwiegen. Man muß also annehmen, daß es gegen den Widerstand des Paulus beim Rückzug der Judenchristen vo m gemeinsame n Mah l blieb . Häufi g wir d angenommen , da ß die Einheit der Gemeinde später über das sogenannte Aposteldekret wiederhergestellt wurde , d.h . durc h di e bereit s erwähnte n Minimalforderunge n a n di e Heidenchristen, auf Tempelopferfleisch, Blut , nicht-geschächtetes Fleisch und Ehen mi t nahe n Verwandten z u verzichten 26 un d so den Reinheitsbedenke n der Judenchristen Rechnung zu tragen. Paulus trug diesen »Kompromiß« nicht mit. Er trennte sich von der antiochenischen Gemeinde und seinem bisherigen Missionarskollegen Barnaba s un d began n ein e eigenständige , großangelegt e Missionsinitiative. Nur in den jetzt von ihm gegründeten Gemeinden verhiel25 Vgl . Taylor Paul , S . 132 : Es könnte sein , »tha t Peter' s actio n wa s intende d a s a temporar y measure, for the duration o f the visit, so that the peopl e from Jerusalem would b e able to eat with at least him, if nobody eise in the Antiochene church, without compromisin g their own Standard s of observance. Another possibilit y i s that Separatio n was envisaged a s a temporary measur e whil e the Jerusalem churc h was threatened with persecution« . 26 Ap g 15,20.29 .
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ten sich Judenchristen faktisch gesetzesfrei, bestand also weiterhin eine bedingungslose Einheit von Juden un d Griechen. 27 Zwa r war auch hier dieses Zusammenleben keinesweg s problemlo s un d imme r wieder durc h judaistische Gegenmission gefährdet. Auf lange Sicht hat sich aber nicht das antiochenisch e Kompromißmodell, sonder n das paulinische Modell kompromißloser Geset zesfreiheit durchgesetzt . III. Fazit Vieles a m »Ta g von Antiochien« läß t sic h nich t meh r siche r rekonstruieren . Soviel dürft e abe r kla r sein : Diese r Ta g hat nich t mi t de r Durchsetzun g de s ungehinderten Miteinander s vo n Juden- un d Heidenchriste n geendet , son dern gerade mit der Wiedereinführung vo n Tabuschranken (wen n auc h vielleicht weniger religiös als kulturell begründeten). Insofern ist Max Webers Formulierung irreführend . Zutreffen d is t immerhin , da ß die i n Antiochien vo r diesem Tag und in den paulinischen Gemeinden nach diesem Tag praktizierte Verbrüderung eine unerhörte Neuheit war. Gewisse Vorbilder gab es zwar im sozialen Kontak t de r Diasporajude n mi t ihre r hellenistische n Umwelt . Di e völlig bedingungslos e Tischgemeinschaf t i m Rahme n eine r neue n Einhei t wurde aber nur im antiochenischen bzw . dann i m paulinischen Christentu m verwirklicht. Webers im Kern richtige Beobachtung sollte aber nicht den Blick auf zwei damit zusammenhängende Aspekte der urchristlichen Geschichte verstellen. Zum einen ist das die Jerusalemer Apostelversammlung, »das wichtigste Ereignis in der Geschichte der Urkirche«,28 di e unmittelbare Voraussetzung für den »Tag von Antiochien«. An diesem »Tag von Jerusalem« wurde, wie wir gesehen haben, ei n grundsätzliche s Einvernehme n übe r da s legitime Nebeneinande r von Juden- un d Heidenchristentu m erreicht , da s zwa r ei n bedingungslose s Miteinander noch nicht thematisierte, aber als mögliche Konsequenz enthielt. Zum anderen ist das die weitergehende Integrationskraft der paulinischen Gemeinden. Die Überwindung de s religiösen Gegensatzes zwischen Juden un d Heiden ist als Teil einer im Rahmen der Sozialstruktur der antiken Stadt unerhört integrativen Gruppenbildun g z u sehen, bei der die theologische Einhei t der Getauften sozial e Wirklichkeit wurde.
27 Ga l 3,28. 28 G . Bomkamm, Paulus , Stuttgar t 1987 6, S. 52.
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GERHARD DILCHE R
Max Webers »Stadt« und die historische Stadtforschung de r Mediävistik* I. Fragestellungen un d Begrifflichkeite n i n Max Webers Stadtkapite l Max Webers Stadtkapitel, posthum als Aufsatz veröffentlicht und danach »Wirtschaft und Gesellschaft« unte r der Überschrift »Di e nichtlegitime Herrschaft . Typologie de r Städte « eingefügt, 1 ha t von seine m Erscheinen bi s in die 80e r Jahre eher neben der sich stürmisch entwickelnden Erforschung der mittelalterlichen Stad t i n Deutschlan d gestanden . Di e Remigratio n de s Weberschen Werkes nach Deutschland geschah vor allem über die Sozialwissenschaften un d von dor t i n di e theoretisc h stärke r interessiert e Neuer e Geschichte . Ers t i n jüngster Zei t setz t sic h di e deutsch e Mediävisti k nac h frühere n punktuelle n Anknüpfungen i n größerer Breite mit Max Weber auseinander. Das Stadtkapitel scheint dabei eine zentrale Rolle einzunehmen; es eröffnet offenbar das lange verschüttete Gespräch zwischen Althistorie und Mediävistik. 2 So konnte sich bisher keine Tradition der Verwendung Max Webers in stadthistorischer Absich t bilden . Scho n daru m is t es nich t verwunderlich, wen n Mediävisten i n sehr verschiedener Weise von seinem Text Gebrauch machen , durchaus entgegengesetzte Urteile über die heutige Verwendbarkeit seiner idealtypischen Betrachtungsweise wie auch über die Frage fällen, ob der von Weber selbst geforderte Prozeß des Überholens aller Forschung durch Forschung seinen eigenen Text inzwischen hat obsolet werden lassen. Dessen ungeachtet scheint aber der Reiz von Max Webers eher sprödem Text für Althistoriker und Mediävisten so groß zu sein, daß sich hochqualifizierte Fachleut e auf ihn heute wieder aufs intensivste einlassen. * Ein e erste, länger e Fassun g is t in: HZ 267, 1998 , S. 91-125, als Rezensionsaufsatz z u Meier, Stadt, erschienen . 1 WuG , S. 727-814. Zur komplizierten Editionsgeschicht e de s Textes vgl.J. Wtnckelman n in seinen Vorworten zu r 4. und 5. Auflage, in : WuG, S. XI-XXXI, sowie die Beiträge von H. Bruhns, S. Breuer und W . Nippel (in diesem Band) . 2 S o auch be i Λ. Mohlo, Κ. RaaflaubtJ. Emle n (Hg.) , City-State s i n Classical Antiquit y and Medieval Italy , Stuttgar t 1991 , mit der Einleitung von W . Nippel.
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1. Max Weber »der Historiker«? In einem de r Ma x Weber gewidmeten Bänd e schreib t de r Historike r Jürgen Kocka, man könne Webers Werk als ein historisches lesen.3 Ic h halte eine solche Aussage und Perspektiv e für die Quelle vieler Mißverständnisse. Max Weber war gelernter Historiker, oder genauer (was eher in der angloamerikanische n als i n de r deutschen Traditio n erwähn t wird ) eine r de r letzte n bedeutende n Schüler der Historischen Schule der Rechtswissenschaft, anerkann t durch die verliehene Venia sowohl als Romanist wie al s Germanist.4 S o gesehen war er sowohl Althistoriker wie Mediävist wie Neuhistoriker in dem Sinne, daß er mit den Methoden un d den Problemdiskussionen diese r Wissenschaften vertrau t war und Werke »als Historiker« geschrieben hat . Indem er jedoch eine Beru fung au f einen rechtshistorisch-juristische n Lehrstuh l i n Berli n ausschlug, 5 entschied er sich für den Weg in die neu zu begründenden Sozialwissenschaf ten, nämlich Nationalökonomie, Soziologie und Politikwissenschaft. Di e meisten seine r spätere n Texte , vor alle m diejenige n fü r da s geplante Werk »Di e Wirtschaft und die gesellschaftlichen Ordnungen und Mächte«, das dann posthum als »Wirtschaft und Gesellschaft« herauskam, gelten der Begründung dieser Wissenschaften. Ähnlich wie die Historische Schule der Rechtswissenschaft - vo n Friedric h Carl von Savigny bis Otto von Gierke - verban d Max Weber dabei einen historisch-empirischen mi t einem philosophisch-nomologische n Ansatz.6 Dies e Weiterführung is t meines Erachtens bisher z u wenig beachte t worden. Weber versuchte dabei, auf der Höhe der wissenschaftstheoretische n und philosophische n Diskussio n seine r Zei t z u bleibe n un d zugleic h sei n Theoriegebäude historisch-empirisch zu belegen. Er folgt also weder dem Weg der Rechtswissenschaft z u einer Abschottung der Normenwelt von der Realität,7 noc h de m Weg der deutschen Geschichtswissenschaf t z u eine r imme r weiter getriebenen Individualisierung ihrer Gegenstände mit idealistisch-her meneutischem Hintergrund. 8 Vielmeh r versucht Weber, gerade in »Wirtschaft 3 I m Vorwort zu Kocka, Weber, S. 8. 4 Lebensbild , S . 174 ; vgl. auc h G . Roth , Einleitun g zu : M. Weber , Economy an d Society , Berkeley 1978 , S. XL, sowie M.John, Politics and the Law in Late Nineteenth-Century Germany . The Origins of the Civil Code, Oxford 1989 , S. 121. 5 Da s geht au s eine m bishe r nich t bekannte n Gutachte n de s Rechtshistoriker s Heinric h Brunner fü r ein e Berufun g Ma x Webers nac h Berli n hervor ; hierz u John, Politics , S . 12 1 mi t Anm. 61. 6 Zu m inhärenten »objektiven Idealismus« im Historismus Savignys zuletzt J. Rücken, Idealismus, Jurisprudenz un d Politi k be i Friedric h Car l vo n Savigny , Ebelsbac h 1984 . Im übrige n Weber, WL, bes. Kap. II und III. 7 Vgl . zum Rechtspositivismus: F. Wieacker , Privatrechtsgeschichte de r Neuzeit, Göttinge n 19672, S . 217-305 , sowi e G . Dilcher , De r rechtswissenschaftlich e Positivismus , in : Archiv fü r Rechts- und Sozialphilosophie 51, 1975, S. 497-528. 8 Vgl . hierzu O. G. Oexle, Meineckes Historismus. Über Kontext und Folgen einer Defini tion, in : ders. , Geschichtswissenschaften i m Zeiche n de s Historismus. Studie n z u Problemge schichten der Moderne, Göttingen 1996 , S. 95-136.
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und Gesellschaft« aus einer Verbindung von Normativität mit empirischer Realität eine Lehre menschlichen Handelns zu entwickeln. 9 In diesem Zusammenhang stehen die von ihm entwickelten Idealtypen, also auch de r Idealtypu s de r »okzidentale n Stadt« . Nebe n de r Befestigung , de m Markt un d eigene m Gerich t is t diese r vo r alle m charakterisier t durc h de n Verbandscharakter de r Bürgerschaft , de r weitgehend e Autonomie , eigen e Normsetzung, und die davon geschiedene Autokephalie, Selbstherrschaft, einschließt.10 De r Idealtypus ist, das kann und braucht hier nur stichwortartig angedeutet zu werden, ein Mittel kontrollierter wissenschaftlicher Erkenntnis. 11 Der Idealtypus wird also vom Forscher konstruiert, ausgehend von dessen Erkenntnisinteressen und Fragestellungen, denen wiederum eigene Wertvorstellungen zugrunde liegen, und ist gerichtet auf eine an sich ungeordnete und in ihren Einzelheiten unendlich e Faktizität . De r Idealtypu s mu ß geeigne t sein , diese Faktizität unter der Fragestellung des Forschers angemessen zu erschließen, als o sinnvoll e Antworte n de s empirische n Material s ermöglichen . In soweit beruh t e r au f einer Steigerun g vo n Elemente n de r Wirklichkeit. De r Erkenntnisvorgang vollzieh t sic h so , daß vom Idealtypu s he r Übereinstim mungen wie auch Unterschiede zum empirischen Material festgestellt werden. Der Idealtypus braucht also die empirische Wirklichkeit nicht voll abzudecken, im Gegenteil. Er darf sie aber auch nicht entscheidend verzerren, er muß auch unter Heranziehun g de r empirischen Befund e abgrenzba r sei n vo n andere n Typizitäten. Genau in diesem Sinne hat Max Weber den Typus der »okzidentalen Stadt « von de n Stadtbildunge n andere r Kulturkreis e abgesetz t un d dabe i i n seine r Typizität historisch-empirisc h bestätigt , darübe r hinau s aber auch i n weiter e Untertypen eingeteilt. Solche Untertypen sin d die antike Stadt einerseits, die mittelalterliche Stadt andererseits, die sich wieder in den nordeuropäischen, als Bürgerstadt reineren Typus und den südeuropäischen, mehr der antiken Stadt sich wieder annähernden Typu s unterteilt. Die Paragraphen des Stadtkapitel s über die Geschlechterstadt, die Plebejerstadt sowie antike und mittelalterlich e Demokratie behandeln übergreifend wiederum den Typus der antiken wie der mittelalterlichen Stadt, dienen aber gleichzeitig der Klärung ihrer Abgrenzung, indem sie differenzierte typisch e Merkmale herausarbeiten . Die Schwierigkeit der methodischen Vorgehensweise Max Webers liegt darin, daß der Gedankengang zu r Herausarbeitun g de s Idealtypus ei n ständige s 9 Vgl . die soziologischen Grundbegriffe i n WuG, S. 1-30 . 10 Di e Typenmerkmale der okzidentalen Stadt sind aufgeführt i n WuG, S. 736 (MWG I/225, S. 84) und, etwas verändert und breiter entwickelt, in WuG, S. 788-792 (MWG I/22-5, S. 234242). 11 Zu r Charakterisierung des Idealtypus jetzt zusammenfassend P. Rossi, Max Weber und die Methodologie der Geschichts- und Sozialwissenschaften , in : Kocka, Weber, S . 28-50, sowi e R . Bendix, Kommentar zu Rossis Beitrag, ebd., S. 73-78.
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Springen über Zeit und Ort hinweg notwendig macht. Die von Weber herangezogenen un d erörterte n empirische n Beleg e sind , s o unterschiedlich ihr e Herkunft ist , auf den Problemzusammenhang bezogen. Die Struktur des Weberschen Textes ist so zu beschreiben, daß dieser logische Bezug stets im Mittelpunkt steh t un d be i de r Interpretatio n beachte t werde n muß . Außerde m müssen die BegrifFsklärungen un d Abhandlungen zu einzelnen Problemen an anderen Stelle n seine s Werkes einbezogen werden. Es handelt sich also nicht um die dem Historike r geläufige n Problem e von genetischer Kausalität , von Kontinuitäten un d der Verfolgung von zeitlichen Abläufen un d ihre Behandlung in einem beschreibend-narrativen Text . Ich möchte aus diesem Grunde Max Webers Text nicht als einen historischen bezeichnen, so sehr Geschichtliches in ihm ständig eine Rolle spielt. Historiker sind aus den methodischen Traditionen ihres Faches ständig in der Gefahr, den Weberschen Tex t falsch ode r einseitig zu lesen . Zahlreiche Mißverständniss e bei de r Rezeptio n habe n dari n ihr e Ursache . Sozialwissenschaftle r dagege n haben von der Methodik ihres Faches her einen leichteren Zugang, 12 wei l si e hinter dem historische n Materia l schnelle r da s gedankliche Gerüs t eine r be grifflich-systematischen Erörterun g erkennen. Die Schwierigkeit fü r Histori ker verstärk t sic h durc h di e deutsch e Traditio n eine r individualisierende n Betrachtungsweise ihres Gegenstandes, die sich gegen die von Max Weber beabsichtigten Typisierungen und damit Generalisierungen sträuben muß. Diese individualisierende Betrachtungsweis e is t i n de r Stadtforschun g seh r ausge prägt, natürlich bei der Erforschung einzelne r Städte , aber auch bei der stark von landesgeschichtliche n Methode n beeinflußte n Erforschun g vo n Städte landschaften un d Ähnlichem. Max Weber geht es dagegen um »die Wirtschaft und di e gesellschaftliche n Ordnunge n un d Mächte« , wi e de r ursprünglich e Titel seines Werkes lauten sollte, also um den Handlungsrahmen des wirtschaftenden Menschen. Von diesem Erkenntnisinteresse he r entwirft e r nicht nu r seine Rechtssoziologie , sonder n auc h sein e Herrschaftssoziologie , i n dere n Rahmen di e Stad t unte r de m nunmeh r z u vielen Zweifel n Anla ß gebende n Untertitel »Di e nichtlegitim e Herrschaft « stehe n sollte . Auch hinte r diese r Herrrschaftssoziologie steh t aber die tiefere Frage nach dem okzidentalen Rationalisierungsprozeß, dem Entstehen jener ambivalenten Rationalität, die sich in kapitalistischer Wirtschaftsweise, dem rechtlich-bürokratisch verfaßten Anstaltsstaat, de r naturwissenschaftlich-technische n Weltbeherrschun g un d de r aus ihr folgenden Industrialisierung und der mit alldem einhergehenden Ent fremdung vo n der Lebenswelt kundtut. 13 Henni s hat darauf aufmerksam ge 12 S o gelingt dem Soziologen S. Breuer, Blockierte Rationalisierung. Max Weber und die italienische Stadt des Mittelalters, in: AFK 66,1984, S. 47-85, eine überzeugende »historische« Fortzeichnung des Weberschen Bildes der mittelalterlichen italienische n Städte. 13 Stat t vieler sei hier auf W. Schluchter, Rationalismus der Weltbeherrschung. Studien zu Max Weber, Frankfurt a. M. 1980 , verwiesen.
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macht, daß dahinter die Frage nach dem jeweils zur Herrschaft kommende n Menschentyp steht.14 Da s müssen wir als Fragestellung auch an den Typus der okzidentalen Stadt verstehen, wenn immer dieser Text - un d das meinen wir einen legitime n Plat z i n de m Werk »Wirtschaft un d Gesellschaft « un d über haupt in Webers Spätwerk hat. 15 2. »Die Stadt« im Rahmen der Herrschaftssoziologi e Aus dieser Fragestellung gewinnt die erst von J. Winckelmann vorgenommene Einordnung des Stadtkapitels in Max Webers Gliederung auch Sinn. Unter der Überschrift »Type n der Herrschaft« 16 behandel t er, nach den grundsätzliche n Klärungen, al s historisch-typologische Erörterun g i n dem dargelegte n Sinn e zunächst »Feudalismus , Ständestaa t un d Patrimonialismus« . Danac h geh t e r wieder zu mehr begrifflichen Klärunge n über, um sodann zur »Typologie der Städte« zu kommen. Danach war als letzter Abschnitt die Behandlung der rationalen Staatsanstalt und der modernen politischen Parteien und Parlamente als »Staatssoziologie« vorgesehen - ei n Abschnitt, der nur aus Texten unterschiedlicher Herkunft posthum aufgefüllt werde n konnte. 17 Die »Typologie der Städte« ist also eingebettet zwischen die Erörterung der älteren, vor- und frühstaatlichen Herrschaftsforme n un d der Ausbildung de s modernen Staates . Das bedeutet offenba r kein e zeitlich-historisch e Abfolge , denn feudale , ständestaatlich e un d patrimonial e Element e bestimme n di e Staatsbildungja bis ins 18. Jahrhundert, während Max Webers »Stadt« sich zeitlich im Bereich von Antike und Mittelalter bewegt. Der Platz ist aber zutreffend gewählt, wenn ma n die logisch-systematische Kategori e der Rationalisierun g und die entsprechenden Herrschaftsforme n betrachtet . Rationalisierung von Recht und Herrschaft und vor allem auch der Wirtschaftsweise vollzieht sich in den Städten. Darum ordnet Weber auch der Stadt, und zwar erst der mittelalterlichen, den homo oeconomicus zu, anstelle des homopoliticus der antiken Polis.18 An anderer Stelle macht er eine sehr deutliche Aussage, in welcher Weise er das im einzelnen historisch nich t ausgeführte Verhältnis der Stadt zum Kapitalismu s wie zu m Staa t al s Ergebnis des Rationalisierungsprozesse s sieht : »wede r de r moderne Kapitalismus noch der moderne Staat [ist] auf dem Boden der antiken 14 W . Hennis, Max Webers Fragestellung. Studien zur Biographie des Werks, Tübingen 1987. 15 E s ist wohl eine nicht mehr lösbare Frage, ob der von Marianne Weber aufgefundene Text »Die Stadt« für WuG vorgesehen war. Die sich stark an das Stadtkapitel anlehnende Gedankenfuhrung i n Max Weber s wirtschaftshistorischer Vorlesun g von 1919/2 0 (Wg, S . 270-289) zeig t aber, daß Weber an den Grundgedanken des älteren Textes festgehalten hat und wohl auf ihnen aufbauen wollte. 16 WuG , S. 122-176 (Teil 1 , Kapitel III: Die Typen der Herrschaft). 17 Vgl . Winckelmann in seinem Vorwort zur 5. Auflage von WuG, S. XTXf., sowie im Vorwort zur 4. Auflage, WuG, S. XXX. 18 WuG , S. 805 (MWG I/22-5, S. 275).
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Städte gewachsen , währen d di e mittelalterlich e Stadtentwicklun g fü r beide , zwar keineswegs die allein ausschlaggebende Vorstufe und gar nicht ihr Träger war, aber als ein höchst entscheidender Faktor ihrer Entstehung allerdings nicht wegzudenken« sei. 19 Nich t »Träger«, abe r »Faktor« - deshal b kann un d mu ß Weber di e Darstellun g de r Stad t mi t de m End e de s Mittelalter s abbrechen , denn zum eigentlichen Träger der Entwicklung werden nun andere Kräfte, vor allem der Fürstenstaat. Aber - s o dürfen wir Weber weiterdenken - di e bürgerliche Welt ist in vielem idealtypisc h vorgebildet, si e is t ihm i n einer noch z u behandelnden Metaphe r »geboren«, 20 un d auf diese Weise bleiben di e Städte Faktor der Entwicklung . Di e Aussagen, di e Weber i m Stadtkapite l übe r de n Wirtschaftsaspekt hinaus zu autonomer Rechtssetzung, Entwicklungeines bürokratischen Herrschaftsapparates und damit einer anstaltsförmigen Vergesellschaftung trifft, sin d in dieser Linie weiterzuzeichnen. Nich t in bezug auf historische Verlaufsformen, wohl aber unter dem Gesichtspunkt der Idealtypen, aber auch eines (nicht einfach kausal-genetisch zu verstehenden) Faktors ist die Stadt in der Gliederung des Textes von »Wirtschaft und Gesellschaft« zu Recht zwischen Stände - un d Patrimonialstaa t un d de n moderne n Anstaltsstaa t ge stellt. Welche Bedeutung in Webers Ansatz einer historischen Interpretation die Konzepte der Freiheit und der eidgenossenschaftlichen Verbrüderun g und damit der Kommune hatten - sicherlich auch wichtige Aspekte einer Herrschaftssoziologie -, sol l im folgenden i n einem etwas anderen Zusammenhang erörtert werden. II. Max Webers Fragestellun g i n de r Kritik der Historike r Auf dem Bochumer Historikertag 199 0 haben sich Althistoriker und Mediävisten eingehend mit der Bedeutung von Webers Stadtkapitel für die heutige historische Forschung auseinandergesetzt. 21 Dabe i wurde die Frage sehr unterschiedlich beantwortet, inwieweit Max Weber, wie er ja selber forderte, von der historischen Forschun g fas t eine s Jahrhunderts inzwische n überhol t - ode r aber nicht einmal eingeholt - sei . Der Fachkompetenz des Autors dieser Zeilen entsprechend soll es hier vor allem um die mittelalterliche Stad t gehen. Doch 19 WuG , S. 788 (MWG I/22-5, S. 233); vgl. hierzu Oexk, Kulturwissenschaftliche Reflexionen über soziale Gruppen in der mittelalterlichen Gesellschaft: Tönnies, Simmel, Durkheim und Max Weber, in: Meier, Stadt, S. 115-159, hier S. 135f , un d K. Schreiner, Legitimität, Autonomie , Rationalisierung. Drei Kategorien Max Webers zur Analyse mittelalterlicher Stadtgesellschaften wissenschaftlicher Ballas t oder unabgegoltene Herausforderung?, ebd. , S. 161-211 , hier S. 195. 20 Di e Metapher, da ß das europäische Bürgertu m mi t der Entstehung der mittelalterliche n Kommune »geboren« sei, steht im Zusammenhang mit seiner »Konzeption« beim »Tag von Antiochien« (WuG, S. 745; MWGI/22-5, S. 11lf., sowie unten Anm. 27). 21 Veröffentlich t in : Meier, Stadt.
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ist für das Gesamtergebnis, wieweit der Webersche Idealtypus der okzidentalen Stadt noc h ein e Herausforderun g fü r di e Geschichtswissenschaf t darstellt , der althistorisch e Tei l vo n siche r ebensolche r Bedeutung . De r Herausgebe r Christian Meier meint allerdings, daß diese Frage nach der Tagung und ihren Ergebnissen weiterhin offenbleiben müsse, wenn auch alle Autoren, oft im Widerspruch zueinander , sic h von Max Weber herausgefordert fühlten . Al s ein Ergebnis des althistorischen Teils stellt sich dar, daß Webers Typologie mehr die frühe Polis als die Städte des hellenistischen und dann des römischen Flächenstaates zu beschreiben vermag22 (wa s Weber selber mehrfach andeutet). Anzufügen wär e hie r di e Beobachtung , da ß di e früh - bi s hochmittelalterlich e Bischofs- und Pfalzstadt eher Webers Typ der orientalischen als dem der okzidentalen Stadt entspricht - eine durchaus nachdenkenswerte Problematik.23 Is t die okzidentale Stadt also weltgeschichtlich für ein Jahrtausend verschwunden, hat vielleicht nur literarisch überlebt? Interessanterweise sieh t Christian Meie r im Gegensatz zu der Tendenz der anderen beteiligte n Althistorike r (Wilfrie d Nippel , Hinner k Bruhn s und Jochen Martin) die Webersche Kategorie der Verbrüderung, die an der mittelalterlichen coniuratio gewonnen wurde, als keineswegs ungeeignet für die Erfassung sozialer Vorgänge sowohl i n der griechischen Poli s als auch in Rom an, wenn nämlic h dabei Wesentliches übe r die verschiedenen Stadttype n zutag e gefordert wird. Zu dem uneingeschränkte n Ergebnis , Max Weber sei gerad e von der Me diävistik noc h nich t einma l eingeholt , komm t Ott o Gerhar d Oexle. 24 Mi r scheint es nicht unwichtig, daß Oexles Zugriff nicht »Max Weber, dem Historiker« gilt. Oexle stellt Weber vielmehr al s letztes Glied i n die Reihe der Begründer de r Soziologi e nac h Tönnies , Simme l un d Durkheim . Da s ist ein e völlig andere Art der Historisierung, als sie eine Konfrontation mi t historischfachlichen Forschungsergebnissen des 19. Jahrhunderts darstellt.25 Oexl e zeigt, wie es in den Erklärungsansätzen und Begrifflichkeiten de r behandelten Autoren um eine Deutung der Moderne in der Perspektive auf das Mittelalter geht. Dabei ist Weber derjenige, der die Moderne vom Mittelalter nicht fortschrittstheoretisch oder kulturpessimistisch absetzt, sondern der Elemente der Moder22 Vgl . Ch. Meier, Bemerkungen zu m Problem der »Verbrüderung« i n Athen und Rom , in: Meter, Stadt, S. 18-33, hier S. 25; W. Nippel, Max Weber zwischen Althistorie und Universalge schichte: Synoikismo s un d Verbrüderung , ebd. , S . 35-57, hie r S . 50f. ; H . Bruhns , Verwandt schaftsstrukturen, Geschlechterverhältniss e un d Max Webers Theorie der antiken Stadt, ebd., S. 59-94, hier S. 69f+. und S. 94;J. Martin, Der Verlust der Stadt, ebd., S. 95-114, hier S. 96. 23 Z u dieser Beobachtung vgl. G. Dilcher Stadtherrschaft oder kommunale Freiheit - da s 11. Jahrhundert ein Kreuzweg?, in: ders., Bürgerrecht und Stadtverfassung im europäischen Mittelalter, Köln 1996 , S. 41-65, hier S. 52. 24 Oexle , in: Meier, Stadt, S. 158f . 25 Da s geschieht etwa bei Nippel, in: Meier, Stadt, Max Weber, S. 36f., für die Alte Geschichte und bei Schreiner, ebd., S. 167ff., für die mittelalterliche Geschichte.
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ne im Mittelalter und darüber hinaus in der Antike aufsucht. Bei Weber handelt es sich deshalb nicht um ontologisch festgelegt e Kategorien , sondern flexible analytische Instrumentarien. Das gilt vor allem in Absetzung von Tönnies für die Begriffe Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung. Si e dienen bei Weber nicht de r Beschreibung , sonder n der Analyse soziale r Prozesse , d.h. Aspekte von Vergesellschaftung wie Vergemeinschaftung könne n sich in derselben sozialen Formation ausmachen lassen. Max Weber erörtert durchaus die Bedeutung antiker Stadtgötter wie mittelalterlicher Stadtheilige r fü r di e stadtbürgerlich e Identitätsbildun g i n Antik e und Mittelalter.26 Si e steht für ihn aber im Schatten eines religionsgeschichtlichen Elementarereignisses, das für die Gemeindebildung im Mittelalter einen völlig anderen Ausgangspunkt schafft: der »Tag von Antiochien«, geschildert im Brief des Paulus an die Galater, auf dem die volle rituelle Speisegemeinschaf t mit den unbeschnittenen Brüdern gefordert wurde.27 Dami t war für die christliche Gemeinde jene sakrale Exklusivität, welche vor allem eine Gemeindebildung in anderen Kulturkreisen, aber auch in der antiken Stadt noch gehindert hatte, völlig aufgehoben. Di e Bedeutung dieses Vorgangs für die mittelalterliche Stadt beschreibt Weber nun nicht etwa in einer historischen Analyse, sondern - a n anderer Stelle - i n einer großartigen Metapher. 28 Da s Ereignis von Antiochien stell e di e Konzeption , di e Bildun g de r mittelalterliche n Stad t al s conjuratio dagegen die Geburt des Bürgertums des Occidents dar, damit der okzidentalen Stad t in ihrer vollen idealtypische n Form . Durch diese Freiset zung vo n rituelle n Abgrenzunge n konnt e de r Bürge r al s einzelner , als o i n einem wichtige n Proze ß de r Individualisierung , mi t seine m Bürgerei d da s commune konstituieren . Durch diese auf das Individuum un d seine Willensbindung gestützte Art des Zusammenschlusses wird die mittelalterliche Kommune i n besonderer Weise eine Form der Vergesellschaftung un d entwickel t sich zu einer anstaltsmäßigen Gemeinde. Der Verbandskul t de r Bürge r gegenübe r eine m Stadtgot t ode r Stadthei ligen29 gehör t be i Weber zum Aspekt der Verbrüderung un d dami t de m de r Vergemeinschaftung. I n seine r aspektive n Sichtweis e ergänze n sic h beid e Gesichtspunkte, nämlich Vergesellschaftung der Individuen durch Schwur einerseits, Entwicklung emotionale r Gemeinschaf t durc h Verbrüderung ande rerseits. Doch ist die in der christlichen Gemeinde verwirklichte Ablegung aller rituellen Exklusivität innerhalb der Christen und ihre - immerhi n erst mehr als 26 E . Vollmer, Leben im Schutz der Heiligen, in: Meter, Stadt S. 213-242, hier S. 216, wendet sich gegen die typologische Vorgehensweise Webers als nicht sinnvolle Konstrukte. 27 Galate r 2,1lff.; vgl. T. Schneller (in diesem Band) und zur Überwindung kultisch-religiö ser Schranken in der Theorie Webers H. Tyrell, Potenz und Depotenzierung der Religion - Reli gion und Rationalisierung bei Max Weber, in: Saeculum 44, 1993, S. 300-347, hier S. 308. 28 MW G I/20, S. 96f. 29 Vgl . etwa WuG, S. 744 (MWG I/22-5, S. 108).
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ein Jahrtausend später erfolgte! -Verwirklichung in der mittelalterlichen Kommunebildung das welthistorisch weitaus Wichtigere und Einmalige. Der Idealtypus hat sich als den Erkenntnisvorgang steuernde und die Ergebnisse ordnende Kategorie bewährt. Ähnlich is t es wohl mi t dem Aspekt des Militärischen. Voltmer hat sicher Recht, da ß di e Wehrhaftigkei t de r mittelalterliche n Bürgerstad t militärge schichtlich, mentalitätsgeschichtlich , auc h verbandsgeschichtlich noc h nich t voll erforscht ist . Für Weber kommt es aber darauf an, ob die Gegenüberstel lung des antiken Polisbürgers als homo politicus gegenüber dem mittelalterlichen Stadtbürger als homo oeconomicus tragfähig bleibt. Hier sprechen viele Argumente fü r Webe n Mittelalterlich e Bürge r habe n sic h al s Bürgerverband un d al s Städtebünde zusammengeschlossen , u m ihr e Autokephalie un d Autonomi e und ihr e darauf begründete Freihei t z u wahren (lombardisch e Städtebünde ) und haben Friede und Recht als Grundlage von Handel und Wandel, Verkehrswege und Zugäinge zu Handelsstädten und Märkten verteidigt (deutsche Städtebünde, Hanse).30 Sie haben keine Kolonisation als eigene militärische Expansion betriebe n (wi e di e antike n Städte ) un d übe r Stadtgebie t un d engere s Umland hinaus keine Staatsgründungen angestrebt (wie Rom). Wo letzteres im Spätmittelalter i n gewisse m Umfan g geschah , wie i n Oberitalien, veränder n sich die Kommunen zu adligen Geschlechterstädten, ähnlich denen der Antike, oder z u monarchische n Staatswese n (Signorie , Stadtstaaten). 31 Mi r schein t sehr deutlich, daß sich das Verhältnis von Stadt und Umland wie auch die sozialgeschichtliche und ständische Bedeutung eines Patriziats und Stadtadels von der Weberschen Typologie historisch genauer analysieren und einordnen läß t als von den Gesichtspunkte n de s mittelalterliche n dynastische n un d ritterlichen Geblütsadels oder der ländlichen Herrschaftsbildung, wie es die Mediävistik häufig versucht. Klaus Schreiners Aufsatz im Sammelband Meiers32 folgt in drei klaren Fragestellungen den Weberschen Kategorien Legitimität, Autonomie und Rationalisierung. So sehr vielen Analysen und Ergebnissen Schreiners zuzustimmen ist, möchte ich doch an einigen wichtigen Punkte n Kritik anmelden und Webers »Stadt« in bezug auf die heutige Städteforschung i n den Grundrichtungen et 30 Zu m Lombardenbund un d zu den deutschen Städtebünde n vgl . H. Maurer (Hg.) , Kom munale Bündnisse Oberitaliens und Oderdeutschlands i m Vergleich (Vorträge un d Forschunge n 33), Sigmaringe n 1987 ; ferner G. Dilcher, Reich, Kommune , Bünd e und die Wahrung von Rech t und Friede . Eine Zusammenfassung, ebd. , S. 231-247. 31 Vgl . D. Waley , Die italienischen Stadtstaaten , Münche n 196 7 sowie G. Chittolini, Statute n und städtische Autonomien, in : ders. (Hg.), Statuten , Städte und Territorien zwische n Mittelalte r und Neuzei t i n Italien und Deutschland, Berli n 1992 , S. 7-37; vgl. auch ders., Städte und Regionalstaaten i n Mittel- un d Oberitalien zwische n späte m Mittelalte r un d früher Neuzeit , in : G. Dikher (Hg.), Re s publica. Bürgerschaft i n Stadt und Staat, Der Staat, Beiheft 8,1988 , S . 179-20 0 sowie Mohlo ,City-States. 32 Schreiner , in : Meier, Stadt , S. 161-211.
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was anders lesen. Zunächst schein t es mir bedenklich, isoliert e Analysen von Weberschen Begriffen , di e au s gan z unterschiedliche n Kontexte n stammen , einfach nebeneinander zu setzen. Der Begriff der Autonomie, also der Selbstsetzung von Normen , un d zwa r verbunden mi t de m fü r di e Stadtrechtsge schichte so wichtigen Begriff der »Verwillkürung«,33 is t bei Weber breit in seiner Rechtssoziologie entfaltet , au f die aber Schreiner kau m eingeht. I m Rahmen des Typus der okzidentalen Stadt gehört sie eng zur Selbstherrschaft, der Autokephalie, aber auch zur Begründung der Kommune durch den Akt der coniuratio. De r Gesichtspunkt de r Legitimität gehör t dagegen zu r Herrschaftssozio logie.34 Diese r is t da s Stadtkapite l eingefüg t worden . De r Gesichtspunk t Legitimität bzw. Illegitimitä t ist im Stadtkapitel aber nicht entfaltet und ausdiskutiert. Das Wort illegitim kommt an einer Stelle im Zusammenhang mit der Herrschaft de s popolo in den italienischen Städte n des Spätmittelalters vor 35 was ja impliziert, daß die Stadtkommune selbst inzwischen eine legitime Herrschaftsform darstellt . E s ist daher z u vermuten, da ß Weber diese n Gesichts punkt zumindest genauer ausgeführt hätte , wenn er in der Tat zu einer Einarbeitung des Stadtkapitel s unter dem Gesichtspunkt »Die illegitime Herrschaft . Typologie der Städte« gekommen wäre. Es ist deshalb bedenklich, sehr weitgehende Folgerungen aus dem vorliegenden Text »Die Stadt« für das Legitimitätskonzept zu ziehen. Mir scheint im Anschluß an Breuer (in diesem Band) sogar wahrscheinlich, daß Max Weber auf die Überschrift »Di e nichtlegitime Herr schaft« im Zusammenhang mit der Stadt verzichtet hätte, weil für eine Theorie der Illegitimität i n seinem fortentwickelten Legitimitätskonzep t kei n eigentlicher Platz mehr war und die Stadt nur eines der Beispiele für einen Wandel der Legitimität bildet. Der Rationalisierungsaspekt dagegen, den Schreiner parallel zu den erwähnten diskutiert und bei dem er dann auch die rechtlichen Fragen einbezieht, is t be i Webe r di e tragend e Fragestellun g hinte r seine m ganze n Werk. Die drei untersuchten Begriff e habe n also für Webers Theoriekonzep t einen sehr unterschiedlichen Status , was bei Schreiner zu wenig beachtet ist. Schreiner zieht aber aus der Einordnung der Stadt unter den Titel »Nichtlegitime Herrschaft« zwei Folgerungen: Max Weber sei von einem formaljuristi schen, positivistisch-legalistischen Rechtsbegrif f de s 19 . Jahrhunderts ausge gangen und habe auf Grund seines politischen Wertesystems, seiner Fixierung 33 Vgl . hierzu W . Ebel, Di e Willkür. Ein e Studi e z u den Denkforme n de s älteren Rechts , Göttingen 1953 . Die Rechtssoziologie Weber s i n WuG, S . 416f. meint da s »Sonderrecht«, als o eine »Rechtsschöpfung«, di e Weber beschreib t al s »in der Form ›gewillkürten‹, d . h. durch Tradi tion oder vereinbarte Satzun g ›ständischer‹ Einverständnisgemeinschafte n bzw . vergesellschafte ter ›Einungen‹ i n autonom gesatzten Ordnunge n [geschaffenen ] Rechts. « 34 Vgl . WuG, S . 122-12 4 (Tei l 1 , Kapitel III: Typen de r Herrschaft, I. Die Legitimitätsgel tung), wo betont wird, daß Legitimitätsglaube un d Legitimitätsanspruch zusamme n auftreten . 35 Webe r bezeichne t de n popolo al s erste n »gan z bewuß t illegitime(n ) un d revolutionäre(n ) politische(n) Verband« (WuG , S . 776; MWG I/22-5, S. 200). Weitere Bezugnahme n au f den Begriff illegitimer bzw . nich t legitime r Herrschaf t be i Breuer (in diesem Band) .
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auf Herrschaft, fü r die in der Kommunebildung wirksame ursprünglich e de mokratische Legitimation keinen Platz. Diese Kritik war in etwas anderer Form schon von Otto Brunner und Dolf Sternberger vorgebracht worden. Schreiner analysiert unter diesem Gesichtspunkt die Stellen, in denen Weber die Errichtung der städtischen Kommun e als revolutionäre Neuerun g un d Usurpatio n von Herrschaft bezeichnet und meint, hierbei sei die Legitimation von unten vernachlässigt worden. Wie Schreiner selbst im Anschluß an eine von Schluchter mitgeteilte Stelle nachweist, war Max Weber etwa 1917 dabei, die Frage der demokratischen Legitimation als eines weiteren Legitimationsmodells - nebe n charismatischer, traditionaler und rationaler - ne u zu bedenken, und zwar gerade für die mittelalterlichen Stadtbürgerschaften un d ihre historische Rolle.36 Wenn man also Webers »Stadt« für ein e Theorie nichtlegitime r Herrschaf t nicht überbeanspruchen sollte, bleibt die Interpretation doch wichtig für Webers Grundverständnis legitime r Herrschaf t einerseits , für di e geschichtlich e Bedeutung der revolutionären Neuerung, welche die Stadtgemeinde darstellt, andererseits. Dabei zeigt sich entgegen Schreiner s Deutung , da ß die Bildun g der Bürgerkommune bei Weber keineswegs mit negativen Konnotationen besetzt ist (»nichtlegitime Herrschaft«) , sondern die Betonung des Legitimitätsbruches (»revolutionäre Neuerung«) gerade den Schritt zu einer (moderneren) Form der Vergesellschaftung markiere n soll . Di e coniurationes sind fü r Weber idealtypisch di e Ort e der revolutionäre n Begründun g de r Kommunalverfas sung als einer Eidverbrüderung. Er sieht sehr wohl, daß realgeschichtlich diese Begründung durchaus häufig durch Privilegierung seitens des Stadtherrn, also Legitimation von oben, geschieht, oder eine solche Legitimation doch nachgeholt wird. Formalrechtlic h un d idealtypisc h gesehe n besteh t Weber aber au f dem Legitimitätsbruch , de n er analytisch von den soziologische n un d politi schen Aspekten einer neuen Vergesellschaftung seh r genau scheidet. 37 Di e juristische Einordnung beruht also nicht aufWebers Fixierung auf die Begriffsju36 Schreiner , in : Meier, Stadt , S . 174f. , daz u W . Schluchter , Di e Entwicklun g de s okzidentale n Rationalismus. Ein e Analys e vo n Ma x Webers Gesellschaftsgeschichte , Tübinge n 1979 , S . 228 , der die Auffassung vertritt, die Stad t sei für Weber »zum Kristallisationspunk t für ein alternative s Legitimitätsprinzip geworden«, das auf Satzung basiere und grundsätzlich republikanisch sei. Vgl. auch ders., Religion, politisch e Herrschaft , Wirtschaft un d bürgerlich e Lebensführung . Di e okzi dentale Sonderentwicklung , in : ders . (Hg.) , Ma x Weber s Sich t de s okzidentale n Christentums . Interpretation un d Kritik , Frankfur t a . M . 1988 , S. 68f . Webe r hatt e bei eine m Vortra g 191 7 da s Entstehen eines vierten Legitimitätsgedanken s charakterisiert. Höchs t entwickelte s Beispie l die ser Herrschaftsform se i der Wehrverband der Stadtbürger als Schwurverband, der sich durch Be amte selber verwaltet (vollständige r Nachweis bei Schreiner, Legitimität, S . 17 4 mit Anm. 55). 37 De r Bruc h markier t fü r Weber eine Änderung der Legitimitätsstruktur ; vgl. WuG, S . 74 9 (MWGI/22-5, S . 124f.) . Weber betont, formalrechtlic h hab e eine Usurpatio n stattgefunden, be i der Entstehun g war de r Bürgerverban d als o gegen di e bisherige n legitime n Gewalte n gerichtet . Erst später, und nicht etwa immer, trat dann eine formalrechtliche Bestätigung des Bürgerverbandes ein. Diese beiden Phasen in den Quellen zu greifen, hat Weber schon als große Schwierigkei t bezeichnet (ebd.) .
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risprudenz des 19. Jahrhunderts, wie Schreiner meint , sondern ist eine heute noch tragfähige analytische Betrachtung des Gesamtvorgangs. Die »revolutionäre Neuerung« , di e e r auc h »Usurpatio n vo n Herrschaft « nennt , wir d be i Weber ganz eng verbunden mi t de m Erwerb der Freihei t durc h die Bürger schaft,38 mi t der Abschaffung vo n Herrenrechten a n Menschen gemä ß dem, auch nac h heutige r Auffassun g idealtypisc h z u verstehenden Sat z »Stadtluf t macht frei«. De r Bruch mi t der traditionalen Legitimatio n gib t den Bürgern , jenseits und neben eventuellen Stadtrechtsprivilegien, außerdem die gedankliche un d tatsächlich e Möglichkeit , autonome s un d neue s Rech t z u schaffen . Weber benutzt dabei den quellengemäßen, i n der neueren rechtshistorische n Forschung zu großer Bedeutung aufgestiegenen Begriffder »Willkür« im Sinne des durch einen Willensentschluß geschaffenen , als o neuen Rechts. 39 Dami t aber sind wir mitten in der Rationalisierungsproblematik. Das bürgerlich-städtische, verwillkürt e Rech t is t zweckrationa l gesatztes , au f di e bürgerliche n Wirtschaftsbedürfnisse konzipierte s Recht. Der eidgenossenschaftliche Verban d der Bürger als Zusammenschluß vo n Individuen un d das von ihnen neu gesatzte Recht ergänzen sich als Ausdruck einer neuen Form der politischen Vergesellschaftung. Dere n Grundlage kann nur das rationale Legitimationsmodell sein. Der revolutionäre Bruch weist also nur in der Sicht der außerstädtischen Herrschaftswelt au f ein Legitimitätsdefi zit hin. In der Analyse Webers handelt es sich um den Übergang zu einer moderneren Weltsicht , innerhal b dere n sic h konsequen t rational-bürokratisch e Verwaltung und Herrschaftsausübung un d die Wirtschaftsgesinnung de s homo oeconomicus entwickeln. Siche r ist bei Weber noch zu wenig ausgeführt, da ß es sich dabei aus der Sicht der Bürger um eine auf Konsens gestützte Legitimation handelt. Die »Gewalt des Eides«, also eine sehr tief gegründete religiöse Legitimation des bürgerlichen Genossenverbandes, 40 wir d ebenfalls nur kurz angesprochen, aber nicht weiter ausgeführt. Auc h die Eidesleistung greift i n ihrer rechtlich-religiösen Bindungswirkung tiefer als die ergänzende gemeinschaftsstiftende Identifikation mi t dem Stadtheiligen - darum war gerade diese Eidesbindung für die hierarchische Klerikerkirche in besonderer Weise anstößig und problembehaftet. Schreiner , de r da s an andere r Stell e maßgeblic h herausge stellt hat, diskutiert diesen Aspekt nicht innerhalb der Legitimitätsfrage . 38 Webe r bezeichnet die Stadt als einen »Ort des Aufstiegs aus der Unfreiheit i n die Freiheit«, was sich im Dictum, »Stadtluft macht frei«, beharrlich niedergeschlagen hat (WuG, S. 742; MWG I/22-5, S. 103f, 105) . 39 Zu r Frage der Willkür vgl. Ebel, Willkür, und WuG, S. 416f . 40 Di e Formulierung von der »Gewalt des Eides« findet sic h innerhalb der Rechtssoziologi e WuG, S. 402, wo sogleich der Eid als »eine der universellsten Formen aller Verbrüderungsverträ ge« benannt ist . Mit Rech t zieh t Oexle, in: Meier, Stadt, S . 154f. , die Formulierun g deshal b zur Errichtung des Schwurverbandes in der Stadt heran. Grundlegend dazu heute W. Ebely Der Bürgereid als Geltungsgrund und Gestaltungsprinzip des mittelalterlichen Stadtrechts, Weimar 1958.
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Insgesamt hat sich auch hier der Idealtypus Webers in der Breite und Bedeutung der in ihm integrierten Gesichtspunkte und damit in seiner analytischen Kraft bewährt . Theoriekonzept e alter n wenige r schnel l al s empirisch e For schung. Dabei wird allerdings deutlich, daß es sich nicht um ein vollständig und systematisch ausgearbeitetes, sondern um ein in vielem auc h sprunghaft un d assoziativ entwickeltes, i n manchen Punkte n noc h nicht bis zu Ende durch dachtes Konzept handelt. Gerad e diese Unvollkommenheit un d die dadurc h bewirkte Offenheit is t aber vielleicht nützlic h für di e Diskussion am historischen Stoff, dessen Unendlichkeit Weber ja eigens betont, und der Forschung an diesem Stoff, auf deren Unabgeschlossenheit Weber so nachdrücklich be steht. III. Die Fragestellunge n Ma x Webers a n di e mittelalterliche Stadtgeschicht e Die deutsch e stadtgeschichtlich e Forschun g nah m da s Deutungsangebo t i n Webers »Stadt« in den zwanziger und dreißiger Jahren nicht auf.41 Webers These, di e bürgerlich e coniurati o als entscheidend e neu e For m stadtbürgerliche r Vergesellschaftung anzusehen , wurde abe r die Grundlage zweie r große r Zu sammenfassungen stadtgeschichtliche r Forschungen der frühen fünfziger Jahre, de s Rechtshistoriker s Han s Planit z un d de r Historikeri n Edit h Ennen. 42 Beide beziehe n sic h dabei, sowei t ic h sehe , nich t au f Max Weber, 43 sonder n entwickeln ih r Bil d au s intensive r Interpretatio n nordwesteuropäischer , be i Ennen auch südeuropäischer Quellen . Nich t zufälli g is t dabei wohl, da ß vor allem au f einen ältere n französischsprachige n Historiker , de n Belgie r Henr i Pirenne, Bezug genommen wird, der damit eine wichtige Verbindung zu stadthistorischer Forschung des 19. Jahrhunderts darstellt. 44 41 Ein e Ausnahme mach t wohl die Darstellung de r europäischen Stad t durch Frit z Rörig für die Propyläen-Weltgeschicht e 1932 . Sie liegt jetzt i n der Form de s ursprünglichen Manuskript s vor in: F. Rörig, Die europäische Stad t im Mittelalter, Göttinge n 1964 4, der sich S. 127 ausdrück lich au f Weber bezieht . 42 H . Planitz, Die deutsche Stad t im Mittelalter. Von der Römerzeit bi s zu den Zunftkämpfen, Gra z 1954 . Planit z entwickel t mi t einer Reih e von Einzelstudie n kein e Spezialtheorie , son dern die Entwicklungsgeschichte de r mittelalterlichen Stadt . Vgl. auch E. Ennen, Frühgeschicht e der Europäischen Stadt , Bon n 1953 . Aus diesem Ansatz hat sich ihre weithin anerkannt e Darstel lung, Di e Europäische Stad t des Mittelalters, Göttinge n 1972 , entwickelt . 43 I n ihrem programmatische n Aufsat z von 1941 : Die europäische Stad t des Mittelalters als Forschungsaufgabe unsere r Zeit, erwähnt Ennen die »großangelegte, die ganze Welt umspannen de Skizze von Max Weber in Wirtschaft un d Gesellschaft«, jetzt in: dies., Gesammelte Abhandlun gen zu m europäischen Städtewese n un d zur rheinischen Geschichte , hg . von G. Droeg e u . a., Bonn 1977 , S. 42ff. mit Anm. 8. Vgl. in diesem Bande auch Ennens Rückblick: Frühgeschicht e de r europäischen Stad t - wi e ic h sie heute sehe, S. 259-284. 44 Vgl . H. Pirenne, Les villes et les institutions urbaines , Brüsse l 1939.
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Diesen Zusammenfassungen folgt eine durchaus explosive Entwicklung der deutschen stadthistorischen Forschung. Sie stand seither vor allem im Zeichen sozial-, wirtschafts- und landesgeschichtlicher Ansätze, in ausdrücklicher Abwendung vo n de r sogenannte n ältere n rechtsgeschichtliche n Methode . I n betont sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Sich t werden Themen wie Un freiheit un d Freiheit im Bereich der Stadtbewohner, die Bedeutung von Zen sualität, Ministerialität, Patriziat und städtischem Adel für die Stadtgesellschaft, die Ausbildung von Schichtenmodellen zur Analyse derselben, Stadt-Umlandverhältnisse, Städtetype n un d Stadtregione n behandelt . Di e Fragestellunge n sind gerichtet auf längerfristige Kontinuitäten , auf die Einbettung der Stadt in die Gesamtgesellschaft, auf vielfältige Relativierungen der rechtlichen Abgrenzung de s städtische n Bürgertums . Alfred Haverkam p ha t dies e Forschungs richtung auf dem Historikertag 197 4 unter dem Titel zusammengefaßt : »Di e frühbürgerliche Welt im hohen und späten Mittelalter. Landesgeschichte un d Geschichte der städtischen Gesellschaft«. 45 Dami t ist das Thema Max Webers angesprochen. Dessen große Fragestellungen und Typologien finden allerdings keine Erwähnung, während auf konkreterer Ebene mit ihm argumentiert wird. An anderer Stell e is t die bürgerliche Vergesellschaftung de r oberitalienische n Stadt mentalitätsgeschichtlic h unte r religiös-soziale n Aspekte n ne u gedeute t worden,46 allerding s unter ausdrücklicher Ablehnung einer rechtshistorischen Deutung der Kommunebildung aus der coniuratio, obwohl diese durchaus komplementär als eine andere perspektivische Betrachtung des komplexen historischen Geschehens gesehen werden konnte. Diese Forschungen prägen bis heute einen überwiegenden Teil der mittelalterlichen deutsche n (übrigen s auc h italienischen ) Stadtforschung . Problem e der institutionellen Ordnung , de r normativen Grundlage n un d Folgerunge n der Entstehung eine r bürgerliche n Stad t wurde n ehe r ausgeblende t ode r al s Fachgebiet der Rechtshistoriker angesehen und nur als solche wahrgenommen. Wichtige Fortschritt e de r rechtshistorische n Forschun g zu r Bedeutun g de s Eides als Grundlage des Bürgerverbandes, der Rechtsbegründung durch Willkür, als o autonomer Rechtssetzun g durc h Vereinbarung , z u den normative n Grundlagen der innerstädtischen Verbände der Gilden und Zünfte wurden i n der wirtschafts - un d sozialhistorische n Richtun g zwa r erwähnt , abe r nich t wirklich aufgenommen. 47 Di e Stadt als eine eigenständige politische Form in45 Vgl . Α. Haverkamp, in: HZ 221, 1975 , S. 571-602. Eine noch grundsätzlichere Einbettung in mittelalterliche Kontinuität entwirft S. Reynolds, Kingdoms and Communities in Western Europa 900-1300 , Oxford 1984 . 46 Vgl . H. Keller, Einwohnergemeinde und Kommune. Probleme der italienischen Stadtverfassung im 11. Jahrhundert, in: HZ 224,1977, S. 561-579, zugleich eine (in bezug auf die coniuratio kritische) Besprechung von G. Diktier, Di e Entstehung der lombardische n Stadtkommune, Aalen 1967. 47 Dagege n vor allem Ebel, Bürgereid sowie den., Willkür. Vgl. auch die neuerdings wieder auf die Eides- und Genossenschaftsstruktur der Gilde hinweisenden Arbeiten: O. G. Oexle, Gil-
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nerhalb der mittelalterlichen, monarchisch-aristokratisch , feuda l un d grund herrlich verfaßten Gesellschaft blieb darum ebenfalls randständig, 48 de r spezifischen Form de r Ratsverfassun g etw a sin d kaum Arbeiten gewidmet, 49 un d ähnliches gilt für die generelle Frage der Zunftverfassung.50 Ein e Dissertation, die eine zusammenfassende Typologie der Ratsverfassung entworfen hat, blieb bis heut e ungedruckt , ei n ähnliche r Versuc h bezüglic h de r Zunftverfassun g stammt von einem Politologen, nicht einem Historiker.51 Da s Thema »Wahlen und Wählen« wird eher als eine soziale Technik denn als Teil sehr unterschiedlicher, städtisch-kommunaler oder ganz andersartiger politischer Verfassungen oder Problembereich e eingeordnet. 52 Di e von Weber aufgeworfenen grund sätzlichen Frage n nac h de m Ty p der au f die Gewal t de s Eides gegründete n Kommune in ihrem Verhältnis zur Geschlechterstadt und Plebejerstadt werden weder in diesem noch einem anderen Zusammenhang gestellt . Die Zurückdrängung de r historische n Sicht , di e i n de r Eidverbrüderun g (coniuratio) der Bürger ein entscheidendes Datum sieht, erfolgte dabei weniger durch neue Quelleninterpretatio n al s durch Einebnung der Unterscheidun g von Struktur und Ereignis, eben zugunsten individualisierender und Kontinuitätslinien betonende r Deutungsmuster . Versteh t ma n di e Eidverbrüderun g
den al s soziale Gruppe n i n der Karolingerzeit, in : H. Jankuhn u.a . (Hg.), Da s Handwerk i n vorund frühgeschichtlicher Zeit , Bd. 1 , Göttingen 1981 , S. 284—354 sowie dm., Conjuratio un d Gil de im frühen Mittelalter , in : B. SchuHneköper (Hg.), Gilde n un d Zünfte. Kaufmännisch e un d gewerbliche Genossenschafte n i m frühen un d hohen Mittelalte r (Vorträg e un d Forschungen 29) , Sigmaringen 1985 , S. 151-214. Vgl. auch G. Dilcher, Die genossenschaftliche Struktu r von Gilde n und Zünften, ebd . S. 71-112, jetzt wieder in : ders., Bürgerrecht un d Stadtverfassung , S . 183-207. 48 Vgl . G. Dikher, Stad t und grundherrschaftlich-agrarisch e Welt , jetzt in : den., Bürgerrech t und Stadtverfassung , S . 95-114. 49 Ein e Ausnahme mach t di e Arbeit vo n H. Rabe, Der Rat der niederschwäbischen Reichs städte. Rechtsgeschichtliche Untersuchunge n übe r die Ratsverfassung de r Reichsstädt e Nieder schwabens bi s zum Ausgang de r Zunftbewegung i m Rahme n de r oberdeutschen Reichs - und Bischofsstädte, Köln/Gra z 1966 . Siehe jetzt K-P. Schroeder , Art. Ratsverfassung, in : Handwörter buch zur deutschen Rechtsgeschicht e IV, Sp. 171-182, und E. Isenmann, Die deutsche Stad t im Spätmittelalter 1250-1500 , Stuttgar t 1988 , S. 131ff . 50 Di e zahlreichen Einzelstudien , oft in Sammelbänden wi e Schwineköper, Gilde n und Zünf te, haben das Forschungsbild s o sehr differenziert, da ß ein monistischer Theorieansat z (vgl . etw a H. Lentze, Der Kaiser und die Zunftverfassung i n den Reichsstädten bis zum Tode Karl IV., Breslau 1933 ) nicht meh r überzeugt . 51 Vgl . die von Herbert Grundmann betreute Dissertation von B. Schlotterose, Die Ratswahl in den deutschen Städte n des Mittelalters, Diss. Phil, (masch. ) Münster 1953 , und die Arbeit von R. Luther, Gab es eine Zunftdemokratie?, Berli n 1968 . 52 De r Band von R. Schneider u. H. Zimmermann (Hg.) , Wahle n un d Wählen i m Mittelalte r (Vortrage un d Forschungen 34) , Sigmaringe n 1990 , ha t dieses Them a fü r die Mediävistik in s Bewußtsein gerufen. Die Autoren der stadtgeschichtlichen Beiträge , Knut Schulz und Hagen Keller, thematisieren zwa r die »Mitbestimmung« bzw . das »Gemeinschaftsverständnis«, dennoc h bilde n »das Wahlphänomen selbst « und die »Formen des Wählens« den Kernpunkt des Bandes (vgl. Ein führung, ebd. , S. 9).
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durch coniuratio nur als Ereignis, berichten darübe r relati v wenige Quellen. 53 Daß gerade diese auf einen erschütternden Umbruch der Herrschaftslegitima tion hindeuten, bleibt dann außerhalb der Interpretation oder dient als Beweis für die erfolgreiche Unterdrückun g dieser Bewegungen. 54 Wege n des methodischen Ansatzes bleibt unbeachtet, daß der coniuratio als Widerstandsbewegung binnen kurze m ein e Akzeptan z de s Bürgerverbande s durc h di e traditional e Herrenschicht folgt , communi o iurata un d Bürgerei d als o i n Italie n sei t de m Konstanzer Frieden 1183 und in Deutschland seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts (nämlich als Grundlage der Ratsverfassung) als Teile des mittelalterlichen Verfassungsrechts gelten können.55 Da ß eine neue Form der Vergesellschaftung damit zum Durchbruch kommt, wird in einzelne Entwicklungslinien und aus Dauer un d Wandel gebildet e Kontinuitäte n aufgelöst . Gan z unbestritte n is t dabei, da ß dies e Forschunge n bereichernd e un d weiterführend e Ergebniss e gebracht haben. Es handelt sich um ein Problem der Perspektive aus einer anderen Fragestellung. Der Historiker hat sich aber Rechenschaft darüber zu geben, ob die Frage nach der neuen Form der Vergesellschaftung, ihre n normativen Grundlage n un d di e dari n liegende , natürlic h genaue r z u entfaltend e »Modernität« i n der Deutung der uns bestimmenden Vergangenheit nicht einen besonderen Ran g beanspruchen kann . Weber hat der okzidentalen Stad t hier eine zentrale Rolle zugesprochen . So ist es nicht verwunderlich, wen n di e Stadt nicht nur in der älteren Ge samtdarstellung i m »Gebhardt« , sonder n auc h i n neuere n Darstellunge n de r mittelalterlichen Geschichte eine randständige Rolle spielt. 56 Hinsichtlic h der 53 Dies e Struktu r de r coniuratione s zieh t sic h immerhi n durc h de n gesamte n europäische n »Städtegürtel« vo n de n flandrischen Städte n durc h da s östliche Nordfrankreich , übe r di e rheini schen Bischofsstädt e i n die Lombardei , mi t dem Nachzügle r de r kurzfristige n Londone r coniuratio. Die Gründungsurkunde vo n Freiburg im Breisgau , di e nun wohl wieder als Beleg für das Jahr 1120 dienen kann , zeig t die früh e Verwendun g de r coniuratio als »Gründergenossenschaft«, i n di e hier der Stadther r eingeschlosse n ist . 54 Di e coniurationes richten sic h meist nich t gegen eine n hochadlige n ode r königliche n Stadt herrn, sonder n gege n de n Bischo f als geistlich-weltliche n Herre n de r civitas . Daru m di e schar f verurteilenden Charakteristike n de r Geistlichkeit , vgl . K . Schreiner , Kommunebewegun g un d Zunftrevolution, in : F. Quartha i u. W . Seizier (Hg.), Stadtverfassun g - Verfassungsstaa t - Presse politik. Festschrif t fü r Eberhar d Naujoks , Sigmaringe n 1980 , S. 139-168 . 55 I n Italien findet der Bischof schon im 12 . Jahrhundert unte r dem Eindruck der kirchliche n Reformbewegung ein e neu e Stellun g zu r Stadt (vg l G . Dilcher , Bischofs - und Stadtverfassun g i n Oberitalien, in : ZRG G A 81, 1964 , S . 225-226), so daß hie r de r Kaise r al s Obcrherr Gegne r de r coniuratio de s Lombardenbunde s wir d (vgl . Dikher , in : Maurer , Kommunal e Bündnisse , S . 231— 247). 56 Etw a be i A . Haverkamp , Aufbruc h un d Gestaltung . Deutschlan d 1056-1273 , Münche n 1984, un d P . Moraw , Vo n offene r Verfassun g z u gestaltete r Verdichtung . Da s Reic h i m späte n Mittelalter 1250-1490 , Berli n 1985 . Im einzelne n analysier t bei : G . Dilcher , Di e stadtbürgerlich e Gesellschaft un d di e Verrechtlichun g de r Lebensbeziehunge n i m Wandlungpproze ß zwische n Mittelalter un d Neuzeit , in : H . Boockman n u . L . Grenzman n (Hg.) , Rech t im d Verfassun g i m Übergang vo m Mittelalte r zu r Neuzeit , Göttinge n 1998 , S. 93-114 .
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großen Politik wird den Städten ein Einfluß auf diese allenfalls bei ihrer Finanzierung zugebilligt. Als Faktor größerer historischer Veränderungen erscheinen die Städte nicht, steigen darum auch nicht in den Bereich der darstellungsleitenden Überschriften au f Ander s ist es in der maßgeblichen Darstellun g der DDR-Mediävistik.57 Hie r wird anhan d von Marx' Kategorie der Ware-Geld Beziehung gezeigt, wie sich von der Stadt her die mittelalterliche Gesellschaf t verwandelt un d von dieser Änderung auch das politische Handeln der Herr schenden bestimmt wird. Diese r Aspekt aber findet sic h nicht nur bei Marx, sondern ebenso bei Weber: Der Markt bildet nicht nur eine Kategorie innerhalb des Idealtypus der Stadt, sondern alle Elemente des Übergangs von personalem zu objektiviertem Denken, eines Rationalisierungs- und Modernisierungsvorgangs also, finden sic h i n der Skizze »Die Marktvergesellschaftung« i n »Wirtschaft und Gesellschaft«. 58 Wen n die mittelalterliche Stad t nach Weber Faktor der Entwicklung zur Moderne ist und über das Mittelalter hinaus bleibt, liegen diese grundlegenden strukturelle n Veränderungen durc h das Entstehen eine r Marktgesellschaft zugrunde . Infolge des vom Marxismus vorgegebenen Ökonomismus werden di e andere n Theme n Webers allerdings i n der genannte n DDR-Darstellung nich t in gleicher Weise herausgestellt: di e Form der politischen Vergesellschaftung, die Rationalisierung durch autonome Rechtssetzung und di e Ausbildung eine s bürokratische n Herrschaftsapparate s i n de r Stadt . Das ist kein Zufall, sonder n beruht auf den Unterschieden i n den geschichtstheoretischen Konzepten . Der Fortschrit t historische r Erkenntnis , de n di e Stadtforschun g letztlic h durch ein Vorantreiben einerseits individualisierender, andererseits auf die normativen Grundlagen de r Gesellschaft weitgehen d verzichtender Forschungs richtungen erbracht hat , ist also teuer erkauft durc h ein Verstummen vor der Frage, was die Stadt für den Verlauf der europäischen, der westlichen Geschichte bedeutet. Eine Tagung der Vereinigung für Verfassungsgeschichte unter dem Titel »Res publica. Bürgerschaft i n Stadt und Staat« konnte deshalb übergrei fende Antworte n au f di e Themati k allenfall s i n de m begrifFsgeschichtliche n Referat finden. 59 Di e neuere mediävistische Stadtforschung bietet keinen Ansatz, sich mit der des 19 . Jahrhunderts darüber auseinanderzusetzen, o b und wie der Gedanke eines »staatlichen« Gemeinwesens zuerst in der Stadt entwikkelt und durchgeführt worden ist.60 Di e Frage nach der - siche r wandlungsrei57 E . Engel u . a., Di e entfaltete Feudalgesellschaft , Deutsch e Geschicht e Ban d 2 , hg. vo m Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften de r DDR, Berli n 1986 . 58 WuG , S. 382-385. 59 Dilche r (Hg.) , Re s publica. Einzi g W . Mager , Respublic a un d Bürger. Überlegunge n zur Begründung friihneuzeitlicher Verfassungsordnungen, ebd . S. 67-84, konnte eine durchgehend e Perspektive entwickeln. Zu m Proble m des Bandes vgl. die Einleitung von Dilcher, ebd., S. 7-10 . 60 O . von Gierke, Das Deutsche Genossenschaftsrecht, Bd . 2: Geschichte des deutschen Kör perschaftsbegriffs, N D Darmstadt 1963 , sieht di e mittelalterliche Stad t »al s das älteste wahrhaf t
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chen - Kontinuitä t des europäischen Bürgertum s kann so nicht mehr gestellt werden. Da s zeigt sich in großer Deutlichkeit a n den zahlreichen thematisc h geordneten Sammelbänden , di e gerad e fü r di e neuer e Stadtgeschichtsfor schung typisch sind: So reich die einzelnen Aufsätze an Forschungsergebnissen sind, so wenig lassen sich gemeinsame Problemverständnisse oder gar Antworten auf das gestellte Thema ablesen. 61 Es wundert daher nicht, wenn beispielsweise die Frage des Kampfes um den Erwerb städtische r Freihei t i n eine r neuere n monographische n Darstellun g sehr stark ereignisgeschichtlich, vo n Stadt zu Stadt, gedeutet und der Hintergrund de r coniurationes dabei al s bürgerlich e Aufstandsbewegunge n skizzier t wird.62 De r grundlegende Wechsel de r Herrschaftslegitimatio n wir d zwa r i n Einleitung un d Schlußbemerkun g unte r Bezu g au f Weber behandelt . Nich t thematisiert ist jedoch, inwiefern die Freiheit Folge einer ganz neuen Form der Vergesellschaftung aufgrund des Eides ist, die durch den Legitimitätsbruch gegenüber traditionaler Herrschaf t ein e neu e ständische Qualität innerhalb der mittelalterlichen, aristokratisch-bäuerlichen Gesellschaf t schaff t - ein e ständische Qualität , di e ebe n nu r durc h Usurpatio n vo n Herrschaftsrechte n un d Brechung de r Herrenrecht e a n Mensche n möglic h war . Da s Verhältnis von Ereignis un d Struktu r wir d nich t aufgelöst . I n der stadtgeschichtliche n For schung ist wohl nur Edith Ennen eine beide Blickwinkel verbindende Betrachtung gelungen.
staatliche Gemeinwesen in Deutschland« (S . 705), was ihm »nicht mehr und nicht weniger als die Durchführung de s Staatsgedankens i m Rahmen de s städtischen Gemeinwesen s bedeutete « (S. 733). Ebel, Bürgereid , S . 1, sieht die Stadt als »eine Art kleiner bürgerliche r Rechtsstaat« , al s ein »Treibhaus moderne r Staatlichkeit« . F . Braudel , Model l Italie n 1450-1650 , Stuttgar t 1991 , S. 37ff., erkennt zwischen Stad t und Staat im Mittelalter einen Wettlauf, der ihn an denjenigen zwi schen Has e un d Igel i m Märchen erinnert : De r flinkere Has e is t zunächst i m Vorteil, abe r um 1500 steht dann doch der Igel am Ziel. 61 De n Forschungsstand repräsentiere n weitgehen d Sammelbänd e verschiedene r Forscher gruppen: Städteforschung. Veröffentlichungen de s Instituts für vergleichende Stadtgeschicht e in Münster; Stad t i n der Geschichte. Veröffentlichungen de s südwestdeutschen Arbeitskreise s für Stadtgeschichtsforschung; ferne r die Publikationen des österreichischen Arbeitskreises für Stadtgeschichte, sowie die einschlägigen Bänd e des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Ge schichte. Di e jeweiligen Beiträg e divergiere n abe r i n Fragestellung , Ausrichtun g de r Untersu chung un d der meist de n jeweiligen Quellenlage n angepaßte n Terminologi e s o sehr, da ß sich zwar ein interessantes und differenziertes Fel d von Einzelforschungen, abe r kaum generelle Aussagen daraus ergeben. 62 Vgl . Κ. Schulz, ›Denn sie lieben die Freiheit so sehr...‹. Kommunale Aufstände und Entste hung de s europäischen Bürgertum s i m Hochmittelalter, Darmstad t 1992 . Das anregende Wer k stellt zwar sowohl die Erlangung individueller Freiheitsrechte, wie die Form der Schwurgemeinschaft al s coniuratio i n den Mittelpunkt, erwähn t auc h da s Stichwort de s »revolutionären U m bruchs«, bleibt aber im wesentlichen bei der Analyse von »Ereignis« und »Prozeß« (S . 6) und hält ein vo r dem Punkt, a n dem sich di e Analyse eine r neue n gesellschaftliche n Struktu r darlege n ließe.
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Die Erforschung de s Versprechenseides al s einer tragenden Institution de r alteuropäischen Gesellschaft, die in den letzten Jahren durch eine Reihe unabhängig voneinander entstandener Arbeiten einen großen Schritt vorankam, hat demgemäß noch keine wirkliche Aufnahme i n der Breite der mittelalterlichen Stadtforschung gefunden. Bei Weber wird mit dem Stichwort der »Gewalt des Eides« der Versprechenseid als das Mittel der Bindung zum Zwecke der Vergesellschaftung angesprochen.63 Wie schon gesagt, greift Weber unter dem Aspekt »Vergesellschaftung« di e neue Form der Gemeindebildung al s commune auf E s geht hier, wie scho n Otto von Gierke in seinem »Genossenschaftsrecht« seh r deutlich herausgestellt hat, um die Anfänge von gewillkürter Verbandsbildung jenseits traditionaler, gewachsener Verbände.64 Da s Thema der vorkommunalen und innerkommunalen Gilden , die Bedeutung der Verbrüderung als eine die rationale Vergesellschaftung abstützende Vergemeinschaftung ist damit angesprochen. Vor allem Oexle hat die Erforschung dieser Zusammenhänge weit vorangetrieben.65 Nac h der Arbeit Wilhelm Ebels über den Bürgereid sind hier die Untersuchungen über die Verbindung von communio, universitas und Eid (R Michaud-Quantin), vo n promissorische n Eide n i m Mittelalte r (L . Kolmer), von Huldigung und Herrschaftsordnung (A . Holenstein) und schließlich die Arbeit des italienischen Historiker s Paolo Prodi zu nennen, der so weit geht, den Ei d al s das Sakramen t de r Herrschaf t i n de r Verfassungsgeschicht e de s Westens z u bezeichnen. 66 Di e Mittelalterforschung ha t sich dadurch, daß in den Quellen di e eidliche communio der Bürger von der Herrschaftsseite ehe r negativ anhan d vo n Unterdrückungsmaßnahme n erwähnt , vo n de r Bürger schaftsseite aber nicht provokativ herausgestellt wird, dazu verleiten lassen, die generelle Bedeutun g de r Eidverbrüderung bei der Kornrnunebildung bis hin zur Nichterwähnun g z u vernachlässigen - obwoh l doc h das große, von de n Juristen Friedrichs II. im Jahre 1232 formulierte Ravennate r Verbotsgesetz die auf Eid begründete Bürgergenossenschaft un d die ihr entsprechenden Hand werkergenossenschaften i n große r Präzisio n un d idealtypisierende r Weis e
63 Vgl . WuG, S . 402 (Rechtssoziologie). 64 Gierk e ha t in seinem Entwur f eine r Rechtsgeschicht e au s dem Spannungsverhältnis der Prinzipien von Herrschaft un d Genossenschaft hierfü r den Begrif f der freien Einung geschaffen , die er den Genossenschaften au s natürlicher Zusammengehörigkeit ode r der durch einen Herr n gegebenen äußere n Einhei t gegenüberstellt ; Da s deutsche Genossenschaftsrecht , Bd . 1 , ND Darmstadt 1954 , S. 221. 65 Vgl . Ocxde, Gilden, und ders., Conjuratio. 66 Vgl . P. Michaud-Quantin, Universitas. Expressions du mouvement communautaire dans le Moyen-Age latin , Pari s 1970 ; L. Kolmer, Promissorische Eide im Mittelalter, Kalimün z 1989 ; Α Holenstein, Die Huldigung de r Untertanen. Rechtskultu r un d Herrschaftsordnung (800-1800) , Stuttgart/New York 1991 ; P. Prodi, II sacramento de l potere. II giuramento politic o nell a stori a costituzionale delFOccidente, Bologn a 199 2 (dt:.Das Sakramen t der Herrschaft De r politische Eid in der Verfassungsgeschichte de s Okzidents, Berlin 1997) .
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zeichnet und mit der Selbstregierung durc h einen Stadtrat verbindet. 67 W o das Mittelalter selbs t zu einer umfassenderen Sich t und abstrakter Begriffsbildun g aufsteigt,68 bestätig t es also die idealtypisierende Betrachtun g Ma x Webers und der »eidgenossenschaftlichen« Forschungsrichtung . Gerade vo n diese r Quell e he r erweis t sich , da ß dies e Forschungsrichtun g nicht als historisch-genetische Theori e der Entstehung der Städte aus bürgerlicher »Verschwörung « gemein t is t (Ma x Weber ha t sic h ausdrücklich vo n de n monistischen Stadtentstehungstheorie n distanziert). 69 Woh l aber sieht sie mi t Weber i m Verbandscharakter de r Bürgerschaft ein e neu e For m der Vergesell schaftung (un d gleichzeiti g Vergemeinschaftung) . Dies e zeig t sic h dan n i n Bürgereid un d Schwörtag , i n Bürger - un d Einwohnerrecht , einschließlic h Bürgeraufnahme un d Neubürgerlisten, i n persönlicher Freihei t un d Selbstre gierung sowi e gewillkürte r statutarische r Rechtssetzung , schließlic h auc h i n ständischer Stellung und politischer Mitwirkung de r Bürgerschaften - Erschei nungen, di e ja kein Historiker leugne n wird . Erst von der Bedeutung de s Eides für Verbandsbildung wi e für Herrschafts bildung und Herrschaftsbefestigung i m Mittelalter her läßt sich die in den letzten Jahren geschehen e Neuentdeckun g eine r politische n Theori e de r Stadt 70 67 Währen d de r unte r Köni g Heinrich (VII.) gefundene Spruc h vo n 123 1 communiones constitutiones, collegationes seu conjurationes verbietet, wendet sich das sog. Reichsgesetz von Ravenna unte r Friedrich II. von 123 2 gegen communia, consilia magistros civiu m se u rectores vel atios quoslibet officiales, qui universitate civium sine archiepiscoporum vel episcoporum bene placito statuuntur, quocttmque per diversitatem tocorum nomine censeantur (Kapitel 1) , wie auc h gege n artifici i confraternitate s seu societates, un d fügt hinzu: Quotncumque nomine vulganter appeüantur... (in : B. Diestelkamp [Hg. ], Elenchu s fontiu m Historiae urbana e I. Quellensammlung zu r Frühgeschicht e de r deutsche n Stadt , Leide n 1967 , Nr. 14 1 und 147) . Es werden als o hier i n scharfsichtige r Weise di e Eidesverbindungen, di e commune un d ihr e Führungskollegie n al s Repräsentatio n de r universita s civiu m un d schließlic h di e Handwerkergenossenschaften al s ein zusammengehöriges Verfassungsphänomen bezeichne t un d dabei ausdrücklic h vo n de r »individualisierenden « lokale n un d volkssprachliche n Bezeichnun g abgehoben. Genau diese, hier für die Generalisierung einer juristischen Norm verwendete Denk methode abe r ist es, die ebensosehr al s Generalisierung ode r Typisierung fü r ein e vergleichend e Verfassungsgeschichte vonnöte n ist . Vgl. auc h G . Dächer , Di e genossenschaftlich e Struktu r vo n Gilden un d Zünften, in : ders., Bürgerrecht un d Stadtverfassung , S . 183-242 , hie r S . 213-218 . 68 E s ist besonders hervorzuheben , daß gegenüber de r schlichteren Begrifflichkei t de r Kanz lei Heinrichs (VII.) die Kanzlei Friedrichs II. einerseits den Begrif f der Kommune mi t der univer sitas verbindet, andererseit s sowoh l di e Führungskollegie n wi e auc h di e Handwerkergenossen schaften al s Ausdruck des gleichen »genossenschaftlichen « Prinzip s sieht . 69 Vgl . WuG, S . 753-755 (MW G I/22-5, S. 136-140) . Max Weber setz t a n di e Stell e solche r Theorien gerad e eine analytische Betrachtungsweis e nac h rechtliche r Legitimität . 70 S o in Italien, wo Dieg o Quaglioni 198 3 die Traktate des Juristen Bartolu s von Sassoferato , vor allem de regimine civitatis ediert hat, aber auch i n den anglo-amerikanischen »Renaissanc e Stu dies«. Unter Einbeziehung der nordeuropäischen Entwicklun g hierz u zusammenfassend G . Dil cher, Kommune und Bürgerschaft al s politische Idee der mittelalterlichen Stadt , in: I. Fetscher u. H. Münkler (Hg.) , Piper s Handbuch de r politische n Idee n 2: Mittelalter . Von den Anfänge n de s Is lams bis zur Reformation, München/Züric h 1993 , S. 311-350. Hinzugekomme n sin d seither vor allem: Κ. Schreiner u. U . Meier (Hg.), Stadtregimen t un d Bürgerfreiheit . Handlungsspielräum e i n
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mit der Verfassungsform de r Stadt und der Ausbildung eines bürgerlichen Bewußtseins innerhalb dieser Städte voll verbinden, auch wenn diese mittelalterlichen Theorien die Eidesbindung oft nicht thematisieren, weil sie von antiken Quellengrundlagen ausgehen, überdies im Spätmittelalter die Bürgerschaft als anerkannter Verband scho n ein e Selbstverständlichkei t darstellt . Hie r habe n Forschungen angesetzt, welche die Aristoteles-Tradition, di e Verbandstheorie der juristischen Legisten und Kanonisten mit den Abhandlungen über das städtische Regimen t verbinden , die , zuers t i n Italie n un d dan n i n Deutschlan d zwischen dem 13. und dem 15 . Jahrhundert verfaßt wurden. Diese Forschungen bringen erheblichen Erkenntnisgewinn, wenn auch die Grundlagen schon im großen »Genossenschaftsrecht« Gierke s gelegt worden sind. 71 An diesem Punkt läßt sich auch eine Frage einbringen, die von Helmut G . Koenigsberger der mediävistischen Stadtforschung gestellt worden ist.72 Einer seits aus der Erforschung des frühneuzeitlichen Ständetums , andererseits aus der internationalen Renaissanceforschung kommend , wird die Frage nach Republiken und Republikanismus im Europa der frühen Neuzeit zur Diskussion gestellt. E s geht hie r als o darum , wiewei t di e Selbstregierun g nich t monar chisch verfaßter Gemeinwese n einen integrierenden Bestandtei l der europäischen Tradition bildet - ebe n jene Frage, die in der genannten Tagung zu »Res publica« nicht beantwortet werden konnte, aber von Weber mit seiner Einfü gung der Stadt zwischen Patrimonialstaa t und modernen Anstaltsstaat gestell t worden ist. Sie läßt sich nur beantworten, wenn man die mittelalterliche Stadt als Kommune, das heißt Nord- wie Südeuropa übergreifend al s eine typische, eigenständige For m politischer Vergesellschaftung sieht . Es sei hier nur angefügt, da ß erst Webers Trennung von Autonomi e un d Autokephalie, als o des Bereichs gesellschaftlicher Normbildun g von dem der Herrschaftsverfassung , deutschen un d italienischen Städte n de s Mittelalters un d der frühen Neuzeit , Göttinge n 1994, sowie U . Meier, Mensch und Bürger. Die Stadt im Denken spätmittelalterlicher Theologen, Phi losophen und Juristen, München 1994. 71 Gierk e stellt vor allem in: Das Deutsche Genossenschaftsrecht. Bd . 3: Die Staats- und Kor porationslehre de s Altertums un d des Mittelalters un d ihre Aufnahm e i n Deutschland , N D Darmstadt 1954 , ein unübertroffen reiche s Material au s dem römische n Rech t und den romanistischen, kanonistischen un d publizistischen Rechtsschule n de s Mittelalters vor. Die aus der historischen Schul e de r Rechtswissenschaft stammende n Einteilungs - und Interpretationsmuste r Gierkes sind freilic h vielfac h überholt . 72 Helmu t G. Koenigsberger hat die grundsätzliche Frage nach einem europäischen Republi kanismus gestell t und eine Reih e von Antworten daraufsammel n könne n in dem Bande: H. G. Koenigsberger (Hg.), Republiken un d Republikanismus im Europa der frühen Neuzeit , Münche n 1988. Wen n sic h i m Zeitalter de s Fürstenstaates un d der monarchischen Souveränitätstheori e aber so breite Spuren eine s Republikanismus i n der europäischen Geschicht e finden , is t das ein überdeutlicher Hinwei s au f ein weit meh r genossenschaftlic h un d pluralistisch strukturierte s Mittelalter. Für Deutschland vgl. in diesem Band P. Blükle, Kommunalismu s und Republikanismus i n Oberdeutschland, ebd . S . 57-76, un d H. Schilling, Ga b es im späten Mittelalte r un d zu Beginn der Neuzeit einen städtischen »Republikanismus«? Zur politischen Kultur des alteuropäischen Stadtbürgertums , ebd. S. 101-144 .
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die analytisch e Erfassun g de r Wirkung de r Stad t al s »Faktor « innerhal b de r modernen Staatsbildung ermöglicht. 73 Peter Blickle hat den Begriff des Kommunalismus nicht nur in den genannten Ban d Koenigsberger s mi t eingebracht , sonder n ih n zu m Markenzeiche n einer Fragestellung un d Forschungsrichtun g i n den letzte n Jahrzehnten ent wickelt.74 Blickl e setzt bei der frühneuzeitlichen Herrschaftsbildun g an, die aus der traditionellen Sicht der Staatsbildung in der Hand fürstlicher Monarchie n nicht voll beantwortet werden kann . Die Forderung des »gemeinen Mannes « nach politischer Teilhabe kann nur verstanden werden aus der Organisationsform der Bauern und Bürger in der Kommune. 75 Si e bildet eine oft unausgesprochene Vorgabe für jede Herrschaftsbildun g auc h von seiten des Fürstenstaates, sofern sie nicht, wie in der Schweizer Eidgenossenschaft, i n sich selbst regierenden Städte n ode r auch i n den Niederlanden z u eigenständiger Herr schaftsbildung au s ihren eigenen Strukturprinzipie n aufsteige n kann. 76 Eine n Hintergrund für die vielfältigen Forme n aktiven und passiven bäuerlichen Widerstandes haben die Forschungen der letzten Zeit deutlich herausgearbeitet. 77 Sie stellten darüber hinaus entscheidende Fragen an die Mittelalterforschung , die bisher nur zum Teil aufgenommen worde n sind. Hier stehen wir also erst am Anfang einer Forschungsrichtung, die Webers typologische und strukturgeschichtliche Fragen und Erkenntnisse auch auf den ländlichen Bereich zu beziehen hat. Anknüpfend an die Rolle der Kommune- und Gildeform in Stadt und Land könnte der »Prozeß der Zivilisation« von einer neuen Seite beleuchtet werden. Norbert Elias hat dieses Thema den Geschichts- und Sozialwissenschaften ge stellt.78 E r hat es vor allem im Bereich der höfischen Gesellschaf t untersucht . 73 Versuch e der Anwendung der analytischen Trennung in bezug auf zwei verschiedene Zeiträume städtische r Entwicklung : G . Dächer, Stadtherrschaft ode r kommunal e Freihei t - da s 11. Jahrhunden ein Kreuzweg? und ders., Die Stadtbürgerschaft zwischen Widerstand und Repräsentation, beide in: den., Bürgerrecht und Stadtverfassung, hie r S. 43ff., 64 f., 348 . 74 Vgl . vor allem P. Blickte, Der Kommunalismus als Gestaltungsprinzip zwischen Mittelalter und Moderne in: Gesellschaft un d Gesellschaften, Festschrif t Ulric h Im Hof, Ber n 1982 , sowie den., Kommunalismus. Begriffsbildun g i n heuristische r Absicht, in : den. (Hg.) , Landgemeind e und Stadtgemeind e i n Mitteleuropa . Ei n strukturelle r Vergleic h (H Z Beihef t 13) , Münche n 1991, S. 5-38 . 75 S o schon P. Blickte, Landschaften i m alten Reich. Die staatliche Funktion des Gemeinen Mannes in Oberdeutschland, München 1974 . 76 Di e Verbindung vo n kommunal-genossenschaftliche r Verfassung , Repräsentatio n un d Widerstand vor dem Hintergrund spezifischer Norme n un d Wertvorstellungen i n europäischer Perspektive: P . Blickl e (Hg.) , Resistance . Representatio n un d Community , Oxfor d 1997 . De r Band enthält einen ausfuhrlichen stadtgeschichtliche n Teil in europäischer Perspektive. 77 Vgl . etwa W. Schulze, Bäuerlicher Widerstand und feudale Herrschaft i n der frühen Neu zeit, Stuttgart-Bad Cannstatt 1980 , als Ansatz einer inzwischen breiten Forschungsrichtung . 78 N . Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Unter suchungen, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1976.
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Das ist vielleicht nicht ohne Zusammenhang mit der Fürsten- und Staatsorientierung der historischen Forschung, die Elias als Student kennengelernt hatte. Der Aspekt der Vergemeinschaftung un d Normbildung in den genannten genossenschaftlichen Verbänden legt es nahe, hier einen ebenso wichtigen Faktor der Ausbildung von Kontrolle menschlichen Affektverhaltens finden z u können, wie e s der Hof für da s »Verhalten i n den weltlichen Oberschichte n de s Abendlandes«79 darstellt e (was in der neuesten Forschung wieder in Frage gestelltwird).80 Di e bürgerliche Stadtgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, vor allem die deutsche, französische un d italienische, hatte wohl recht , als sie ihr Erkenntnisinteress e darau f gründete, da ß die mittelalterlich e Urbanisie rung in ihrer spezifischen, allerdings wohl mehr regionalen als nationalen Form wichtige Grundlage n fü r Mentalität un d Verfassung de r europäischen Völker gelegt habe - seh r viel mehr meines Erachtens als die höfische Kultur . Der allzu kurze Durchgang hat ergeben, daß Webers Typenbildung der Stadt, versteht man sie nur recht, nämlich nicht als Darstellung historischer Verläufe, sondern al s theoretisches Konzep t aus Fragestellungen, Kategorienbildunge n und Hypothesen über tiefergreifende Zusammenhänge , nicht überholt ist. Sie kann dazu dienen, die Fragen Webers an die Stadtrechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts nicht zu historisieren, sondern auf dem Stan d der heutigen Einzel forschung wieder aufzunehme n un d fortzuführe n au f die Frag e hin , was die europäischen Städte des Mittelalters für die Geschichte der Staats- und Gesellschaftsbildung des Okzidents bedeutet haben und in welcher Beziehung sie zur Antike stehen. Das bedeutet eine Aufforderung, verschiedene Forschungsrichtungen und ihre Ergebnisse wieder in einen einheitlichen Diskurs zu bringen, indem ma n zunächs t vo n ihre n jeweiligen Fragestellunge n ausgeh t un d di e verwendeten Begrifflichkeite n klärt . Einer der klärungsbedürftigsten Begriff e ist dabei derjenige der Herrschaft, de r von Gierkes dialektischer Verflechtun g mit der Genossenschaft übe r Max Webers Herrschaftsbegriff bi s hin z u Otto Brunner, Kar l Bosl un d Walter Schlesinger ein e erkenntnissteuernde, daru m aufklärungsbedürftige Geschicht e hat. 81 Ic h bezweifle, ob die Geschichte dieser Begrifflichkei t ein e Geschicht e wissenschaftliche n Fortschritte s darstellt . Erste kritische Rückfragen i n dieser Richtung sind in letzter Zeit schon gestellt 79 S o N. Elias, Di e höfisch e Gesellschaft . Untersuchunge n zu r Soziologi e de s Königtum s und der höfischen Aristokratie, Frankfurt a . M. 1983. 80 Kritisc h dazu A. Wintening, »Hof«. Versuch einer idealtypischen Bestimmun g anhand der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte , in: ders. (Hg.), Zwischen »Haus« und »Staat«. Antike Höfe im Vergleich (HZ Beiheft 23), München 1997 , S. 11-25. 81 Währen d Ott o von Gierk e wie Ma x Weber i n verschiedener Weis e Herrschaf t al s For schungsbegrifFverwenden, versucht die Mediävistik seit Otto Brunner die Begriflflichkeit au s den Quellen zu gewinnen. Es ist jedoch eine Illusion, dadurch die Distanz zwischen dem Forscher als erkennendem Subjekt und den Quellen als dem Objekt seiner Erkenntnis hermeneutisch aufbe ben zu wollen.
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worden.82 Si e sind weiterzuverfolgen, wenn über das Thema der Herrschaftsbildung i n der europäischen Geschichte ei n weiterführendes wissenschaftli ches Gespräch möglich sein soll. Die Überlegunge n z u Webers »Stadt« berühre n offensichtlic h einig e übe r dieses enger e Them a hinausgehend e Problem e de r Geschichtswissenschaft . Eine von der Politik- und Institutionengeschichte sic h absetzende Forderung nach eine r Sozialgeschicht e ha t ei n reiche s Fel d vo n Forschungsrichtunge n hervorgebracht, das von Verfassungsgeschichte über Mentalitäts- und Begriffs bis zur Alltagsgeschichte reicht . Man hat zunehmend ganz feste, zugrunde zu legende Theoriekonzepte - wie etwa das marxistische - zurückgestellt , um viele Blumen blühen zu lassen. Wollen wir aber auf größere Fragestellungen und synthesenbildende Darstellungen nicht verzichten, bleibt die Klärung notwendig, i n welchem Verhältnis diese Forschungsrichtunge n un d ihr e Ergebnisse gesehen werden, sozusagen auf welchen Nenner sie gebracht werden können. Wie aber kommt es, daß die seit kurzem s o aktive Bürgerschaftsforschun g überwiegend den Bruch zwischen dem altständischen und dem Bürgertum des 19. Jahrhunderts herausstellt83 un d damit zur Frage der historischen Rolle der okzidentalen Stadt gar nicht kommt - un d das weitgehend von Seiten von Historikern, die methodisch von Max Weber ausgehen? Sicher trägt dazu bei, daß dem deutsche n Historike r de r Moderne i n seiner fachliche n Perspektiv e di e alteuropäische Sozialstruktur und damit die Städte des Alten Reiches als überholt-ständische, vergangenheitsorientierte Gebilde gegenübertreten: Hier gibt es keine revolutionäre Umformulierungdes Dritten Standes wie in Frankreich. Aber die erneuerungswilligen Eliten sind auch in Deutschland als sozialer Typ , als ›Bürger‹ i n einem ambivalente n Sinn e z u definieren, auc h de r adlige Re formbeamte un d de r aufgeklärt e Landpfarrer. 84 Da s Frankfurter historisch e Bürgerschaftsprojekt zeigt hier - au f individualisierende Forschung mit breite82 Vgl . J. Weitzel , Dinggenossenschaf t un d Recht. Untersuchunge n zu m Rechtsverständni s im fränkisch-deutsche n Mittelalter , Bd . 1, Göttingen 1985 , S . 41-45; ferne r H . Voltrath , Herr schaft un d Genossenschaft i m Kontex t frühmittelalterliche r Rechtsbeziehungen , in : HJ b 102, 1982, S. 33-71, sowi e D. Willoweit , Signori a fondiari a e formazione d i territori. Signor i terrier i e signori territorial i i n documenti d i lingu a tedesc a de l XIII secolo, in : G. DiUher u. C. Violant t (Hg.), Struttur e e trasformazioni dell a signoria niral e ne i secoli X - XIII (Annali Quadern o 44), Bologna 1996 , S. 595-621 (demnächs t deutsch, Berli n 2000) . 83 Daz u gehören vor allem die »Bielefelder« Projekte : H.-U. Wehler , Deutsche Gesellschafts geschichte, Bd . 1: Vom Feudalismus de s Alten Reiche s bi s zur defensiven Modernisierun g der Reformära, 1700-1815 , Münche n 1987;J . Kock a (Hg.) , Bürgertu m i m 19 . Jahrhundert. 3 Bde., München 1988 . Aber auch Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866 . Bürgerwelt un d starker Staat, München 1983 , setzt ein: »Am Anfang war Napoleon«. Im Bande des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte , Bildungsbürgertu m i m 19 . Jahrhundert, Tei l I, hg. von W. Conze u. Jürgen Kocka, Stuttgart 1985 , steht am Anfang der Aufsatz von O. G. Oexle, Alteuropäische Voraussetzungen des Bildungsbürgertums - auc h er bleibt freilich »auße n vor« . 84 Au f sie verweist Wehler , Deutsch e Gesellschaftsgeschichte , Bd . 1, doch stelle n sie , wie bei Wehler, in Prägung und Mentalität eher »Bürgertum« den n ländliche Gesellschaf t dar .
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rer Fragestellung angelegt - überdie s schon jetzt eine starke sozialgeschichtli che Kontinuität von »Bürgertum« i m Wandel der »Sattelzeit«. 85 Ei n systematisierendes Geset z wie da s preußische Allgemeine Landrech t von 1794 , konzipiert i n eine r noc h ständische n Ordnun g de n Bürgerstan d scho n al s de n allgemeinen Stand , de n di e Stein-Hardenbergsche n Reforme n dan n freile gen.86 Di e Frage, in welcher Form das deutsche und das europäische Bürger tum hier in den Umbrüchen de r Revolution und im Aufbruch de s Liberalismus, mit den Begriffen Webers, vom bloßen »Faktor« schließlich zum »Träger« der Entwicklung zum modernen Kapitalismus und modernen Staat geworden sind, wäre als o hier neu und in einer längeren, bis zu Mittelalter un d Antike reichenden historische n Perspektiv e z u stellen . Ma x Webers Text hilft dabe i offensichtlich, di e fachlich-zeitlichen Abgrenzunge n eine r star k ausdifferen zierten Historie zu überwinden. Das darzustellende , z u verstehend e un d z u erklärend e individuell e un d kollektive geschichtlich e menschlich e Handel n vollzieht sic h i n normative n Strukturen-Weltbildern, religiösen Vorstellungen, Recht, Gewohnheit, Sitte87 - un d vo n ihne n he r gebildete n Institutionen . Dies e bestimme n Wiederho lungsstrukturen,88 Formatione n de r langen Dauer, wandeln sic h selber lang sam oder aber in markanten Umbrüchen. Daß diese Strukturen, daß auch die Umbrüche in der Geschichte nicht ganz leicht zu erkennen sind, dafür ist die Stadt ein sehr eindringliches Beispiel - auch dafür, daß solche Erkenntnisse nur in einem offenen, grundsätzlic h unabgeschlossenen , aber keineswegs beliebigen Prozeß gewonnen werden können. Die Angebote im Werk Webers, ohne dogmatisierte theoretische Vorgaben die Verflechtungen vo n Faktizitäten un d normativen Strukturen , von Empirischem und Ideellem, forschend z u erfassen, scheinen mir nicht überholt.
85 L . Gal t (Hg.), Vom alten zu m neuen Bürgertum . Die mitteleuropäisch e Stad t i m Um bruch 1720-1820, München 1992; ders, (Hg.), Stadt und Bürgertum im Übergang von der traditionalen zur modernen Gesellschaft, München 1993 , sowie die weiteren, vor allem die stadtmonographischen Studien aus diesem Projekt. 86 Daz u jetzt G. Dilcher, Die janusköpfige Kodifikatio n - Da s preußische ALR von 1794, in: Zs. für Europäisches Privatrecht 3, 1994, S. 446-469, bes. S. 458-460. 87 Vgl . O. G. Oexk, Rechtsgeschichte und Geschichtswissenschaft in: D. Simon (Hg.), Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages (Ius Commune Sonderhefte 30), Frankfurt a. M. 1987, S. 77-107. 88 Daz u R. Koseileck, Geschichte, Recht und Gerechtigkeit, in: Simon, Akten, S. 129-149.
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M A N F R E D HILDERMEIE R
Max Weber und die russische Stadt I. Weber un d di e Forschungsgeschicht e zu r russische n Stad t Rußland nimmt im weitgespannten wissenschaftlichen Werk Max Webers keinen prominenten Platz ein. Anders als der politische Zeitgenosse Weber, dem die Nachwel t zwe i umfangreiche , interpretations - un d begriffsprägende Ab handlungen übe r die »Lag e der bürgerlichen Demokratie « un d de n »Schein konstitutionalismus« al s Resultat de r Revolutio n vo n 1905/0 6 verdankt,1 ha t der Soziologe Weber das Zarenreich nu r in Nebensätzen erwähnt . Scho n die wenigen Einträge im Sachregister von »Wirtschaft und Gesellschaft« bezeugen , daß ihm die russischen Zustände der älteren und jüngeren Vergangenheit nu r als Exempel und Illustration dienten. Da er eigens für die erwähnten Studien in Windeseile (ma n munkelte , i n nu r dre i Wochen) die Landessprach e erlernt e und siche r auc h übe r Grundzüg e de r russische n Geschicht e informier t wa r (und wenn nu r aus zweiter Hand von seinen ungewöhnlic h zahlreiche n rus sischen Schülern) 2 , wir d ma n dari n kei n Indi z de r Unkenntni s ode r Un aufmerksamkeit sehe n dürfen . Vielmeh r taugte n di e russische n Verhältniss e offenbar weder als genaues Gegenteil der charakteristischen Züge der europäisch-westlichen Prozesse und Formationen (wi e indische und chinesische unter de m Gesichtspunk t religiöse r Begründun g weltliche n Verhaltens) , noc h waren sie ihnen verwandt genug, als daß sie unterschiedslos hätten subsumiert werden können. Rußland war etwas anderes, dabei allerdings eindeutig der jeweiligen Gegenwelt zugeordnet. Es bot sich weder als Material zur Konstruktion eine s nichtwestliche n noc h gar eines westlichen Typu s an. Insofer n fiel Rußland gerade im weltumspannenden, auch historisch universalen, auf idealtypische Entwicklunge n ausgerichtete n Denke n Webers gleichsam zwische n die Stühle. Die historisch-soziologische Theorie wiederholte sowohl die fachwissenschaftlich-historische al s auch die geschichtsphilosophische Entgegen -
1 Vgl . M. Weber, Zur Russischen Revolutio n von 1905 . Schriften un d Reden 1905-1912 , hg . v. W. J. Mommse n i n Zusammenarbeit mi t D. Dahlmann, Tübinge n 198 9 (MWG I/10). 2 U.a . der Windelband-Schüler B . Kistjakovskij un d der Religionsphilosoph F . Stepun; zu r Geschichte de r russischen »Lesehalle« i n Heidelberg; vgl . MWG I/10, S. 6f.
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setzung vo n Rußlan d un d Europa. 3 Zweifello s stan d Weber in der geistige n Tradition dieser kontrastiven Sehweise . Er erbte sie, weil sein e Gewährsleut e ihren Stoff auf ihrer Grundlage geordnet hatten, und er übernahm sie weitgehend, weil sie seiner idealtypischen Absicht entgegenkam. Dieser Randständigkeit und implizit klaren Verortung Rußlands in der Weberschen Theori e entsprich t di e gering e Aufmerksamkei t de r Fachliteratur . Zum einen haben die Stadt und ihre Bewohner wenig Beachtung gefunden, da sie vor der Mitte der 19. Jahrhunderts nicht zu den prägenden Erscheinunge n im Zarenreich zählten. Zum anderen wurde Webers Abhandlung erst 1921 au s dem Nachla ß veröffentlicht , s o da ß si e de n vorrevolutionäre n russische n Historikern noch nicht bekannt sein konnte. Hinzu kam, daß auch diejenigen, die der Sozialgeschicht e un d einer systematisc h orientierte n Denkweis e auf geschlossen gegenüberstanden wie Ρ Μ. Miljukov, Ju. V Got'e und Α. Α. Kie sewetter [Kizevetter] 4 andere s z u tu n hatten , al s »bürgerliche « deutsch e Wissenschaft z u rezipieren. Aus anderen Gründe n hiel t die regimekonform e Fachwissenschaft Distanz , fall s si e di e Publikatio n überhaup t zu r Kenntni s nahm. Weber galt bekanntlich als »bürgerlicher Marx«. Wenngleich diese Kennzeichnung auch von nichtmarxistischer Seite nicht unbedingt als Kompliment gemeint war, lag das Verdikt aus marxistischer Sicht auf der Hand. Weber befaßte sich zeit seines Lebens mit sehr ähnlichen Grundproblemen wie Marx. Ökonomisch geschult, wies er der Wirtschaft un d ihre r Organisatio n ein e funda mentale Bedeutung nicht nur für die europäische Entwicklung zu. Eine, wenn nicht die Kernfrage seiner Studien zielte auf die Entstehungsbedingungen de s okzidentalen Kapitalismu s un d seiner Grundlage n i m Handel n un d Denke n der Menschen. Nur suchte er die Antwort bekanntlich in anderen Zusammenhängen, früh und prononciert vorgetragen in den berühmten Protestantismusstudien. Wie schief oder angemessen Weber auch immer verstanden wurde für eine Geschichtswissenschaft, die sich mit staatlichem Segen als marxistische zu etabliere n un d di e Überrest e de r »bürgerlichen « Wissenschaf t sowoh l z u 3 V g l aus einer umfangreichen Literatu r über ein »ewiges« Thema: Ρ. Κ. Christoff, An Intro duetion to 19th Century Russian Slavophilism. Α Study in Ideas. 4 Bde., Den Haag 1982-1991 ; Α Gleason, European an d Muscovite: Iva n Kireevski j an d the Origins of Slavophilism, Cambridg e 1972; D. Groh, Rußlan d i m Blick Europas . 30 0 Jahre historisch e Perspektiven , Frankfur t a . M. 1988; E. Müller, Russische r Intellek t i n europäischer Krise . Iva n V. Kireevskij 1806-1856 , Köl n 1966; Α ν. Schelting , Rußland und der Westen im russischen Geschichtsdenken der zweiten Hälft e des 19 . Jahrhunderts. Au s dem Nachlaß hg . und bearbeitet vo n H.-J. Torke, Berli n 1989 ; D. Tschizevskij u. D. Groh (Hg.) , Europ a un d Rußland. Text e zu m Problem de s westeuropäischen und russische n Selbstverständnisses , Darmstad t 1959 ; Α Walkki, Th e Slavophile Controversy , Oxford 1975 ; ders., Α History o f Russian Though t fro m th e Enlightenment t o Marxism, Oxfor d 1980; F. Gokzewsk i u. F. Pickhan, Russische r Nationalismus . Di e russische Ide e i m 19. und 20. Jahrhundert, Göttinge n 1998 . 4 Mi t anderen Vertreter n de r »Moskauer Schule « z u frühen Vertreter n eine r »kollektive n Sozial- und Wirtschaftsgeschichte« erklär t bei: Τ. M. Bohrn, Russische Geschichtswissenschaft vo n 1880 bis 1905, Köln 1998 , hier S. 2.
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übertrumpfen al s auch zu verdrängen suchte , konnte er nichts anderes als ein Gegner sein. Andererseits wurd e sei n Wer k i n de r frühe n Sowjetunio n durchau s zu r Kenntnis genommen. Allem Anschein nac h gab es sogar s o etwas wie eine n »Weberianismus« (Veberianstvo) , dem sic h di e einzigen , regulä r erschienene n und ungekürzten Übersetzungen von Weber, darunter der Stadttypologie, ver danken.5 Gleic h wichtig abe r waren angesehen e un d i n Fachkreisen weithi n gehörte wissenschaftlich e Fürsprecher . Noc h z u zarische r Zei t hatt e D . M . Petruševskij sein Handwerk gelernt un d sich als Mediävist eine n Name n ge macht. Er zeigte sich von Webers Werk so tief beeindruckt, daß er vor allem die Idee des Idealtypus für seine einflußreiche Darstellun g der europäischen Wirt schaftsgeschichte nutzte. 6 Ähnliche s galt für seine n Schüle r A. I. Neusychin, der seinem Lehrer auch an professioneller Fähigkeit nicht nachstand. Von Neu sychin stamme n di e einzige länger e Abhandlung übe r Webers Gedanken zu r vergleichenden Stadtgeschichte sowie Beiträge zur Weberschen Wissenschafts theorie und Religionssoziologie (einschließlic h der Protestantismusthese), die durch ihr hohes Reflexionsniveau eindrucksvol l vor Augen führen, wie tief die Geschichts- und ander e »Kulturwissenschaften « nac h de r Einengung au f die marxistische Theori e i m stalinistische n Korset t fielen . Vermutlic h hin g di e prompte frühsowjetische Rezeptio n allerdings nicht nur mit der persönlichen Aufgeschlossenheit de r beide n herausragende n Spezialiste n fü r da s europäi sche (nich t da s russische ) Mittelalte r zusammen . Auc h di e Untersuchun g selbst drängte sich Wissenschaftlern geradez u auf, die dem marxistischen Ok troi zumindest durch interpretatorische Offenheit zu entgehen suchten. Denn sie schien mehrere, im eigenen geistigen Kontext am ehesten akzeptierte Merk male miteinander zu verbinden: aufgrund ihre r starken Berücksichtigung der städtischen Wirtschaf t un d de s Markte s ein e sozioökonomisch e Dimensio n und ein e erheblich e Variationsbreit e de r Antworten be i gleichzeitiger Such e nach »transindividuellen« Entwicklungswegen un d Strukturen . Freilich waren die Merkmale und Typen, die Weber in eindrucksvoller Syn these der europäischen Geschichte seit der Antike entfaltete, noch zu vielfältig, als daß sie im gegebenen Rahmen gefahrlos hätten akzeptiert werden können . Vor allem der junge Neusychin , zugleic h de r gedankenschärfere vo n beiden , gab sich Mühe, Weber von neokantianischen Positione n wegzurücken und an Marx anzunähern. »In der Praxis« habe sich Weber immer weiter von Ricker t 5 Vgl . Goro d [Di e Stadt] , hg . v . N . I. Kareev , Petrogra d 1923 ; Istorij a chozjajstva . O čerk vseobScej sociaPnoj i ekonomiceskoj istorii [Wirtschaftsgeschichte . Abriß der universalen Sozial und Wirtschaftsgeschichte], hg . v. I. M. Grevs , Petrograd 1923. 6 Vgl . D. M. Petrulev škij) Ocerki po ékonomičeskoj istorii srednevekovoj Evropy [Abri ß der Wirtschaftsgeschichte Europas im Mittelalter], Moskau , Leningrad 1928 , bes. S. 19-61 ; dazu: M. Zimmermann, Da s Ende der Zusammenarbeit auf dem Gebie t der Geschichte : Der Fall Dmitri j M.Petruševskij , in: JbbGOE 40, 1992 , S. 501-516 .
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entfernt un d dem »Einfluß de s historischen Materialismus« geöffnet. 7 Dami t büßte der Idealtypus sein idealistisches hermeneutisches Fundament gleichsam ein un d assimiliert e sic h a n di e Realgeschichte . Allerding s gin g Neusychi n nicht s o weit, Weber gan z z u vereinnahmen. Vielmeh r wagt e e r es , den be i Weber diagnostizierten Gegensat z zwischen idealtypischer un d historisch-in dividualistischer Methode als willkommene Differenzierung des kanonisierten Basis-Überbau-Schemas zu bezeichnen. Damit schlug er einen Mittelpfad ein, entsprechend de m Kompromiß zwische n Altem un d Neuem , de r nach de m Ende des Bürgerkriegs 192 1 in der Wirtschaft (i n Gestalt der »Neuen Ökono mischen Politik«) und in fast allen Bereichen der Gesellschaft gesucht worden war.8 »Bürgerliches « Denke n wurde auc h in der Wissenschaft noc h toleriert . Aber die Atempause war nich t von Dauer . Als Stalin dem kulturell-geistige n Leben endgültig einen Maulkorb umhängte, verstummte Neusychin . Daß er im stillen an der alten Verehrung für Webers Denken festhielt, geht aus seiner erstaunlichen Nachwirkung hervor. Anfang der siebziger Jahre übersetzte eine seiner Schülerinnen Webers religionssoziologische Schrifte n fü r den internen Gebrauch. Gleichzeitig konnte - alle s unter dem ansonsten strengen Blick von Brežnevs Zensoren - au s Anlaß seines Todes eine Aufsatzsammlung erschei nen, i n der erstmals sei t einem halbe n Jahrhundert auc h sein e Beiträg e übe r Max Weber abgedruck t wurden. 9 S o darf selbst die kurz e un d traurig e Ge schichte der sowjetischen Weber-Rezeption als Beleg für jene geheime Affinität des Marxismus zu seinem Werk gelten, auf die man generell hingewiesen hat. 10 Verwandte Themen anders und mit solcher Brillanz und Ausstrahlung behan delt z u sehen , mußt e nich t nu r gläubig e Anhänger de r offizielle n Ideologi e provozieren, sondern zugleich stille Skeptiker sogartig anziehen. 11 7 Vgl . A. I. Neusychin, »Empiriceskaja sociologija«. Maksa Vebera i logik a istori českoj nauki [»Die empirische Soziologie« Max Webers und die Logik der historischen Wissenschaft], in: ders. (Hg.), Problem y evropejskogo feodalizma. Izbrannye trudy [Problem e des europäischen Feuda lismus. Ausgewählte Werke], Moska u 1974 , S. 413-471, hie r S. 414; auch: ders., Sociologiceskoe issledovanie Maks a Veber a ο gorode [Di e soziologische n Forschunge n Ma x Weber s übe r di e Stadt], ebd. , S. 472-500; ders., Novyj opyt postroenija sistematičeskoj istorii chozjajstva [Ein neu er Versuch der Konstruktion einer systematischen Wirtschaftsgeschichte], in : Archiv K. Marksa i F. Ėngel'sa 1, 1924, S. 425-435. 8 Literatu r bei : M . Hildermeier , Geschichte de r Sowjetunion , 1917-1991 . Entstehung un d Niedergang des ersten sozialistischen Staates, München 1998 , S. 233ff., 302ff . 9 Vgl . Neusychin, Problemy, S. 413-500. 10 Vgl . J. Weiß , Das Werk Ma x Webers in der marxistischen Rezeption und Kritik , Opladen 1981. 11 Spürba r auch in den Weber-Kapiteln offiziöser Kritiken, vgl. z.B.: I. S. Kon, Der Positivis mus i n der Soziologie. Geschichtlicher Abriß, Berlin (Ost) 1968 , S. 131ff. , oder: Neomarksizm i problemy sociologii kuPtury. Maks Veber i krizis zapadno-evropejskogo razuma. Paradoksy »neo marksistskogo« kul'turoborčestva. Problemy otčuždenija: kuPturfilosofskij smysl [De r Neomar xismus und die Probleme der Kultursoziologie. Max Weber und die Krise des westeuropäischen Rationalismus. Di e Paradoxie n des »neomarxistischen « Kulturkampfs. Probleme de r Entfrem dung: das kulturphilosophische Denken], Moskau 1980 , S. 7-59 .
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Außerhalb des offiziellen Marxismu s abe r fehlte n beid e Motive. Hie r wa r man weder positi v noc h negativ fasziniert , sonder n blie b beim Desinteresse . Die Geringschätzung der russischen Stadt bestand ebenso fort wie das Urteil, daß Webers Zuordnung zu unbestreitbar sei , um irgendwelche Erörterunge n zu lohnen. Nur zwe i Aufsätze de r Nachkriegszeit, vo n Nichtfachleuten ver faßt, wurden dem engeren Thema gewidmet, 12 weni g mehr streiften das Problem.13 Un d lediglic h ein weiterer Autor, ein bedeutender Historiker, jedoch ebenfalls kei n Kenne r de r russische n Geschichte , grif f Webers Fragestellun g produktiv auf, um in ähnlich universaler Perspektive typologische Unterschiede eines mit der Stadt sehr verwandten Phänomens zu beleuchten. Otto Brunners Beitrag über »europäisches und russisches Bürgertum« bleibt - zusamme n mit Bemerkungen zum Begriff des Bürgers und komplementären Überlegun gen zu m Bauerntu m - auc h mehr als fünfzig Jahre nac h der Erstveröffentli chung unübertroffen. 14 Auc h fü r ih n gilt , wa s Sachkenne r de r Weberschen Abhandlung (un d seine m Werk insgesamt ) i n jüngster Zei t erneu t bestätig t haben: da ß zwar viele empirisch e Befunde , di e e r au s der Sekundärliteratu r seiner Zeit übernahm, widerlegt oder zumindest überholt sind, aber die idealtypischen Konstruktionen , jene durc h »einseitig e Steigerung « charakteristi scher Merkmale gewonnenen »Gedankenbilder«15 mitsam t den ungemein präzisen Begriffen , di e ihrerseits ganze Konzepte und Interpretatione n bündeln , davon weitgehend unberührt blieben. 16 Freilich stammen Brunners Überlegungen aus einer Zeit, als es die osteuropäische Geschichte als eigene Disziplin außerhalb der Sowjetunion noch kaum gab und sic h die »vaterländischen« Historike r de r Bevormundung durch di e geistigen Diener Stalins gebeugt oder freiwillig unterworfen hatten. Außerdem las Brunner wenig oder kein Russisch . Was er zur Kenntnis nahm, waren i m wesentlichen Übersetzunge n vorrevolutionäre r un d stalinistische r Standard werke, von Miljukov s »Skizze n russische r Kulturgeschichte « un d Kulischer s »Russischer Wirtschaftsgeschichte « bi s z u Ρ Ι . Ljaščenkos »Geschicht e de r Volkswirtschaft«.17 Auc h wenn seine Fragen aktuell geblieben sind, hat sich die 12 V. Murvar, Max Weber's Urban Typology and Russia, in: Sociological Quarterl y 8,1967, S. 481—494; L. N. Langer, The Historiography o f the Preindustria l Russia n City , in : Journal o f Ur ban History 5, 1979 , S. 209-240. 13 Vgl . vor allem: S. H. Baron, The Weber Thesis and the Failure o f Capitalist Developmen t in »Early Modern« Russia , in : JbbGOE 18 , 1970, S. 321-336, wieder in : ders., Muscovite Russia . Collected Essays, London 1980 ; L. R. Lewitter, Ivan Tikhonovich Pososhko v (1652-1726 ) and the »Spirit of Capitalism«, in: Slavonic and East European Review 51,1973, S. 524-583; P. Bushkovich, The Merchants of Moscow, 1580-1650 , Cambridge 1980. 14 O . Brunner, Europäisches und russisches Bürgertum; Stadt und Bürgertum in der europäi schen Geschichte; Europäisches Bauerntum, in : ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialge schichte, Göttinge n 19803 , S. 225-241, 213-224 , 199-212 . 15 Vgl . Webers Definition i m berühmten »Objektivitätsaufsatz« , WL , S. 191 16 Vgl . Meier, Stadt; dazu mit neuester Literatur: G. Ditcher (in diesem Band) . 17 Vgl. J. Kutischer, Russische Wirtschaftsgeschichte, Jena 1925 ; P. Milukow [Miljukov] , Skiz -
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Kenntnisgrundlage so sehr verändert und erweitert, daß zumindest seine Bele ge zu prüfen sind. Davon wird großenteils abhängen, ob seine Antworten wei terhin zu überzeugen vermögen oder zu modifizieren sind . In den letzten bei den Jahrzehnten habe n sic h außerdem di e Paramete r un d Wertmaßstäbe de r Interpretation erheblic h verändert , teilweis e geradez u i n ih r Gegentei l ver kehrt. Das ergab sich als Folge der alten Gleichsetzung von Unterschied un d zivilisatorischem Gefalle. Was die liberale Geschichtsschreibung der vorrevolu tionären Zeit , di e au f die deutsch e Wissenschaft wi e de r Isla m nac h Mekk a blickte, als kategoriale Differenz zwischen Rußland und »dem Westen« deutete, bezeichnete zugleic h eine n Rückstand . Da ß di e russisch e Kultu r hinte r de r europäischen herhinkte , wa r unte r de n »Westlern « de r monarchiekritische n Opposition ein Gemeinplatz, den man gar nicht mehr erläutern mußte. Hierin stimmten sozialdemokratisch e Marxiste n soga r mi t liberale n Demokrate n überein; nur über die russische Zukunft hatten sie sehr unterschiedliche Vor stellungen. In dem Maße wie die Theorie der Rückständigkeit eines Gerschen kron und anderer 18 al s Kehrseite des Modernisierungskonzepts, die sie gewiß war, in Mißkredit geriet, wuchs auch die Kritik an der herkömmlichen Sehwei se von Stadt und Bürgertum in Rußland. Rückständigkeit wurde zum Unwort. Teils wagte man wegen der ursprünglichen unbezweifelbaren Wertbeladenheit nicht mehr , Begrif f un d Konzep t z u verwenden. Teil s wandte sic h di e For schung anderen Fragen und Problemen zu, vom Alltag der kleinen Leute über Geschleehterrollen bi s zu r kollektive n Mentalitä t un d dem , was inzwische n unter de m Allerweltsbegriff de r Kultu r subsumier t wird. 19 Ei n übriges taten vorübergehend Impulse der vergleichenden historische n Geographie, die den russischen Städte n kein schlechtes Zeugnis ausstellten. 20 Zusamme n mi t der allgemeinen Wendung gegen »große Theorien«, Begriffskonstrukt e un d Mo dellbildungen überhaup t verdichtete sic h alles zur Forderung, de r russischen Geschichte auch in dieser Hinsicht endlich Gerechtigkeit widerfahren z u las sen. Die Mahnung lautete, Rußland nicht am »Westen« zu messen, sondern an zen russischer Kulturgeschichte. Bd.1-2, Leipzig 1898 ; P. I. Ljaščenko, Istorija narodnogo chozja istva [Geschicht e der russischen Volkswirtschaft]. Bd . 13 , 24, 3, Moskau 1952-1956 . 18 Vgl . u.a. A. Gerschenkron , Economic Backwardnes s i n Historical Perspective , Cambridge / Mass. 1962 ; ders., Continuity in History and Other Essays, Cambridge/Mass. 1968 ; ders., Agrarian Policies and Industrialization: Russia 1861-1917 , in: The Cambridge Economic History of Euro pe, Bd. 6, Cambridge 1966 , S. 706-800; C. E. Black (Hg.), The Transformation o f Russian Socie ty. Aspects of Social Change since 1861 , Cambridge/Mass. 1960 ; weitere Literatur: M. Hildermeier, Ständeordnung und sozialer Wandel. Rußland in der Frühphase der Industrialisierung, in : GG 5, 1979, S. 313-336; zusammenfassende Widerlegung: P. R. Gregory, Before Command. An Econo mic Histor y of Russia from Emancipatio n to the First Five-Year Plan, Princeto n 1994 . 19 Vgl . die Übersicht bei: M. Hitdermeier, Osteuropäische Geschichte an der Wende. Anmer kungen au s wohlwollender Distanz , in: JbbGOE 46,1998, S. 244-255. 20 S o vor allem: G. Rozman, Urban Networks in Russia, 1750-1800 , and Premodern Periodi zation, Princeto n 1976 ; den., Comparativ e Approache s to Urbanization: Russia , 1750-1800 , in: M. Hamm (Hg.) , The Cit y i n Russian History , Lexingto n 1976 , S. 69-85.
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näherliegenden Verhältnissen. Der Vergleich wurde zugelassen, weil selbst die engste Studie nicht ohne Seitenblicke auskommt. Aber es wurde Fairneß angemahnt und an die Notwendigkeit de s tertium comparatwnis erinnert: Nu r Vergleichbares, nich t Unvergleichliches könn e zueinande r i n Beziehung gesetz t werden. Das bedeutete in der Praxis, daß für legitim erkärt wurde, Konfigura tionen und Abläufe der russischen Geschichte vor dem Hintergrund analoger Erscheinungen Polen s un d andere r ostmitteleuropäische r Gesellschafte n z u betrachten, nicht aber im Kontrast zu deutschen oder holländischen. Implizi t spricht diese Prämisse dem globalen Vergleich nach Art der »Großtypologien« von Weber (oder Brunner) die heuristische Berechtigung und die Möglichkeit eines sinnvollen Erkenntnisertrags ab. In dieselbe Richtung drängten aber auch neue empirische Funde. Die genaue Betrachtung förderte zutage, daß die Wirklichkeit de s städtische n Leben s de n Vorschriften , Regularie n un d offiziöse n Berichten, di e de n frühe n Studie n i m wesentliche n zugrundelagen , nu r be dingt entsprach. Vielmehr zeigt e sich auch i n diesem Bereich, wie richtig das bekannte Bonmot des Aufklärers Novikov war: da ß es Rußlands Glück sei, daß seine schlechten Gesetze schlecht angewandt würden. Zwischen Theorie und Praxis klaffte di e bekannte große Lücke. Nun is t der Hinweis sicher berechtigt, da ß es Weber nicht darum ging, die jeweilige Realität angemessen zu beschreiben. Sein universaler Vergleich zielte auf Idealtypen, nicht auf Realtypen; er dachte und argumentierte in generalisierender, nich t individualisierende r Absicht , wa r i n diese m Sinn e Sozialwis senschaftler, nich t Historiker. 21 Di e Frage is t nur , i n welchem Maß e darau s »Toleranz« gegenüber »abweichenden« Tatbeständen abzuleiten ist. Die Generalisierung kann nie vollständig mit jeweils spezifische n empirische n Vorgängen zu r Deckun g kommen ; abe r darau s kan n kein e Lizen z fü r abgehoben e Konstruktionen abgeleitet werden. Die Konturen, die laut Weber und anderen Advokaten einer explikativen historische n Forschun g zu einem heuristische n Modell überzeichne t werde n dürfe n un d sollen , müsse n selbstreden d de r Wirklichkeit entnommen sein. Die Kernfrage lautet daher nicht, ob Weber nun Historiker oder Sozialwissenschaftler war, sondern ganz einfach: wieviel empirische Abweichung i m je konkrete n Fal l der Idealtypu s verträgt, bevo r e r z u korrigieren ist. Dabei stellt eine negative Antwort nicht die Methode in Frage, sondern die Angemessenheit des abstrahierten Konstrukts. Weber verbindet, was ihm nicht zuletzt von seinen frühsowjetischen Bewun derern hoch angerechnet wurde, gerade in der Abhandlung über die Stadt das Bemühen um generalisierende Abstraktion mit skrupulöser Faktentreue22 (na 21 Vgl . den Einwand von Dilcher (in diesem Band) gegen den Versuch, Webers Thesen an den historischen Detail s zu prüfen. 22 Vgl . Neusychin, Problemy , S . 473 u. ö.; mit allgemeinen Schlußfolgerunge n ähnlich : H. Spencer, History an d Sociology : A n Analysis of Max Weber's The City, in : Sociology 11 , 1977, S. 507-525.
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türlich auf der Grundlage der zeitgenössischen Sekundärliteratur). Die historische Konkretisierung gibt ihm immer wieder Anlaß zu Kautelen und Zusätzen, die de m Lese r größt e Motivatio n abverlangen , zugleic h abe r erheblic h zu r Langlebigkeit diese r Schrif t beigetrage n haben . Diese doppelte Argumentati onslinie führt im gegebenen Fall aber auch dazu, daß auf verschiedenen Ebenen Unterscheidungen vorgenommen und Begriffe eingeführt werden, deren Verhältnis zueinande r nich t imme r eindeuti g ist . Vermutlich ha t ma n sic h de n Gedankengang am ehesten wie eine Baumstruktur vorzustellen: Nach der groben Trennun g zwische n eine r ökonomischen und eine r politisch-administrativen Definition von Stadt und einer provisorischen Auflistung der wichtigsten Un tergliederungen beider im ersten Abschnitt der »Stadt« folgen in einem zweiten Durchgang die bedeutendsten historischen Ausprägungen der politisch-administrativ definierten Stad t im Okzident. Dabei werden insbesondere die »Stadt des Okzidents« und die »Plebejerstadt« mit Eigenschaften versehen, die einige der vorher genannten Kategorien differenzieren, aber auch wiederholen. Insofern ergibt sich beides: einerseits die erwähnte Unklarheit über den Status der »typischen« Merkmale , andererseit s abe r auch ein e gewiss e Hierarchie , übe r deren oberst e »Ränge« weitgehen d Einigkei t besteht . Schlüsselkriterie n neh men Gestalt an, aus denen sich andere ergeben. Sie bilden, gleichsam als substantielle und nicht nur akzidentielle Merkmale, den Kern der beiden Haupttypen, de r »okzidentalen « un d de r »orientalischen« , nichtwestliche n Stadt , di e Weber einande r entgegensetzt . Methodologisc h stell t sic h dami t di e Frage , welche Auswirkunge n e s au f den »Idealtypus « hat , wen n »Hauptmerkmale « fehlen, abe r »Nebenmerkmale « gegebe n sind . Letztlic h läuf t da s au f ein e Entscheidung darüber hinaus, ob man besser daran tut, am großgeschnittenen kontrastiven, tendenziel l binäre n Vergleich festzuhalten , ode r »kleinere« Vergleichsfiguren mi t begrenzter historisch-geographischer Reichweite zu bilden. Theoretisch ließe n sic h auc h beid e Möglichkeite n miteinande r verbinden , wenn di e »kleineren « Einheite n i m genaue n Sin n »Subtypen « sei n können . Andernfalls böten sich gerade »Schnittmengen« als Basis für solche Abstraktionen i n heuristische r Absicht an , die womöglich de n Vorzug hätten, zeitlich e und regional e Übergäng e zumindes t z u berücksichtigen, wen n nich t deutli cher zu machen. In diesem Fall wären die Idealtypen eher als unterschiedliche Anordnungen von Merkmalen zu betrachten, deren Funktion und »Wertigkeit« mit der Position wechseln. Dadurch ließe sich auch dem Problem der Ambivalenz Rechnung tragen, das immer wieder ins Feld geführt worden ist. Ein und derselbe Tatbestand, etwa die unbezweifelbare »Dienstbarkeit « der russischen Stadt, kann eine mehrfache Wirkung haben, die auch nicht je nach »abgefrag ter« Leistung variiert, sondern stets »synchron« polyvalent ist. Natürlich hängt die Entscheidung über die Ebene und die Art des Vergleichs letztlich von der Fragestellung und dem erhofften Erkenntnisgewin n ab . Webers Absicht wird durch derartige Einwände eigentlich nicht berührt. Fraglich ist nur, ob die von
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ihm konstruierte n Idealtype n i n dieser For m auch anderen , i n der Rege l be scheideneren, historisch-fachwissenschaftlichen Zwecke n dienen können und sollen. Das schließt eine Überprüfung seine r Aussagen nach Maßgabe dessen, was gegenwärtig als verbürgter Kenntnisstand gelten kann, völlig unabhängi g davon ein, o b aus einer eventuelle n Diskrepan z Argumente gege n Weber zu gewinnen sind. In dieser Absicht seien Angemessenheit und Nutzen der wichtigsten systematischen Unterscheidungen, Begriffe, Merkmale und Idealtypen der Weberschen Abhandlung über die Stadt für die russische Geschichte kurz skizziert. II. Zur Anwendbarkeit de r Webersche n Kategorien au f die russisch e Stad t Weber definiert die Stadt grundsätzlich historisch und inhaltlich. Formale Kriterien wie Einwohnerzahl, massenhafte Zusammensiedlung oder architektonische Merkmale reiche n nich t aus. Damit scheidet ein breiter Begriff, der von Mesopotamien bis zur Gegenwart reichen würde, von vornherein aus. Probleme der Agglomeration als solcher, eher aus allgemeinsoziologischer Perspekti ve untersucht, oder Strukturen der vorindustriellen Stadt vom Alten Orient bis zu indianischen Kulture n sind nicht sein Thema. 23 Allerding s fließen manch e dieser Kennzeichen als zusätzliche und durch Wandel jeweils qualitativ veränderte Aspekte ein. Das gilt besonders für wirtschaftliche Kriterien, die in keiner ernstzunehmenden Begriffsbestimmun g de r Stadt fehlen un d auch nicht fehlen können . Weber weist dabei i n aller Klarhei t au f eine Hauptschwierigkei t hin: daß der ökonomische Stadtbegriff und der politisch-administrative häufig nicht zur Deckung kommen. Das trifft vor allem beim Versuch zu, größere Zeiträume einschließlic h de r äußers t beschleunigte n Entwicklun g de r letzte n Jahrhunderte un d verschiedene Geschichtsräum e un d Kulture n z u berücksichti gen. Diese Inkongruenz ist so groß und grundlegend, daß sie nicht aufzuheben ist. Über die Wahl mu ß allein da s jeweilige Erkenntnisinteresse entscheiden . Insofern tut Weber gut daran, es bei einer - wie immer äußerst begriffsscharfe n - Kennzeichnung un d Systematisierun g diese r beide n Ansätz e z u belassen , ohne den Versuch einer theoretischen Versöhnung zu unternehmen . Wie die allermeisten Überlegunge n dieser Art kreisen auch diejenigen Webers um den Markt. Von einer Stadt im Unterschied zu einer bloßen größeren »Ortschaft« möchte er nur da sprechen, »wo die ortsansässige Bevölkerung einen ökonomisch wesentliche n Tei l ihre s Alltagsbedarfs au f dem örtliche n Mark t befriedigt, und zwar zu einem wesentlichen Teil durch Erzeugnisse, welche die 23 Vgl. z. B. G. Sjoberg, The Preindustrial City: Past and Present, New York 1960; L. Mumford, The Stor y of Utopias. Ideal Commonwealths an d Socia l Myths , Londo n 1923.
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ortsansässige und die Bevölkerung des nächsten Όmhndcsfür den Absatz auf dem Markt erzeugt oder sonst erworben hat.« Jede Stadt in diesem Sinne sei »Marktort« für den Austausch primär agrarischer Produkte der Umgebung und primär gewerblicher ode r per Fernhande l herangeschaffte r Güter. 24 Da s Geschehen auf diesen Märkten kann wesentlich vom Angebot her bestimmt werden, wenn die Einwohner überwiegend einem (in der Regel spezialisierten) Gewerbe oder Handelsgeschäften nachgehen . Es wird von der Nachfrage beherrscht , wen n Könige, Fürsten, Adelige, hohe Beamte und andere rentenbeziehende Groß verbraucher am Ort leben und ihren Bedarf hier decken. Weber prägt dafür die Begriffe Produzentenstadt bzw. Händlerstadt versus Konsumentenstadt und erläutert die »Grundrentnerstadt« (als spezifische Ausprägung der »Konsumentenstadt«) unter anderem mit dem bekannten Hinweis auf »Moskau vor der Aufhebung der Leibeigenschaft« (1861). 25 Ihm war bewußt, daß viele mittelalterliche un d antike Städte ökonomisch kaum von größeren Dörfern z u unterscheiden wa ren. Sie entziehe n sic h einer wirtschaftlichen Definitio n un d verlören ihre n städtischen Charakter, wenn nicht andere Kriterien hinzukämen. Die Bezeichnung »Ackerbürgerstädte« mach t ihren Sonderstatus aber ebenso deutlich wie umgekehrt de r Nam e »Marktflecken « fü r diejenige n Siedlungen , di e diese s Merkmal der Stadt erfüllten, aber anderen nicht entsprachen. 26 Wer di e russische n Städt e de s 17. und frühe n 18. Jahrhunderts - von de r Kiever und frühen moskowitische n Zei t nicht zu reden - betrachtet, wird zu dem Ergebnis kommen, daß ihre große Mehrheit einem solchen Begriff nicht entsprach. Sicher gab es vielerorts Märkte und in den allermeisten Städten auch Handwerk und Kleingewerbe. Der Bäcker mochte entbehrlich sein, weil sich die »Höfe« -wie die fiskalische Grundeinheit auch in den Städten bezeichnenderweise lautete - weitgehend selbst versorgten und ihr Brot selbst buken. Aber der Schmied wurde ebenso gebraucht wie der Ofensetzer oder der Kleinhändler, bei de m ma n Sal z kaufen konnte . Der Schmied beschlu g jedoch nu r di e Pferde de r Stadtbewohner , un d de r Ofensetze r befriedigt e nu r di e örtlich e Nachfrage, nicht die der umliegenden Dörfer. Die Stadt war durchaus Marktort, wenn auc h nicht immer. Aber zum einen besaß sie kein Monopol darauf, zum anderen war der Warenumschlag i n der Regel sehr gering. Es gab lokale »Basare«, di e sic h abe r nich t nu r etymologisc h vo n Märkte n unterschieden . Auch ihr Einzugsbereich war kleiner. Die Masse der russischen Städte gründete ihren Status nicht auf die Funktion eines zentralen Platzes für den Austausch von Gütern und Dienstleistungen zwischen Stadt und Land. Erst recht gilt das, wenn man die Grenzen der Marktbeziehungen erweiter t und mit Otto Brun-
24 WuG, S. 728 (MWGI/22-5, S. 61). 25 WuG, S. 729 (MWG I/22-5, S. 64). 26 WuG, S. 730, 731 (MWG I/22-5, S. 67,70).
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ner in der »Verknüpfung von Fernhandel und Exportgewerbe«27 ein e grundlegende Voraussetzung für di e Entstehung von Stadtlandschafte n sieht , wie sie sich im europäischen Spätmittelalter herausbildeten. Auch eine örtliche Nachfrage entstand i n der Regel nur in begrenztem Maße. Typischerweise war die russische Stadt der vor- und nachpetrinischen Zeit im besten Fall eine »Ackerbürgerstadt«. Und auch dieser Name fuhrt noch in die Irre. Weil letztlich der Stadtbegriff als solcher im wesentlichen mit dem europäischen Mittelalter verbunden wird, ruft e r Vorstellungen hervor , di e ma n fü r Rußlan d noc h bi s weit i n da s 19. Jahrhundert hinein schnell wieder beiseite schieben sollte. Normale Stadthäuser vermittelten nicht den Eindruck von Solidität. Sie waren aus Holz gebaut, nicht aus Stein, und unterschieden sich kaum von Bauernhütten. Ausnahmen bildeten i n den Hauptstädten un d Gouvernementszentren nu r die Amtssitze von Repräsentanten der Staatsmacht (aber bei weitem nicht jede Behörde) und eventuell ein e Garnison . Eine Stadtmauer fehlt e i n der Regel , auc h wenn e s eine Grenze zum Umland gab. Desgleichen lebten in den Städten zumeist zwar mehr Mensche n al s auf den Dörfern , abe r der Unterschie d fiel nich t s o ins Auge. Russische Städte waren und wirkten nicht reich, nicht deutlicher größer und kompakter als bäuerliche Siedlungen. Ökonomisch waren beide weniger geschieden als rechtlich, politisch oder kulturell. Gewiß gab es Ausnahmen. Die Zarenstadt Moskau war immer anders. Nach 1702 galt dasselbe für St. Petersburg, für dessen ganz und gar europäische äußere Gestalt bekanntlich jeder Einreisende einen Stein mitbringen mußte, weil es im Sumpf des Neva-Deltas davon zu wenig gab. Wie in allen Residenzstädten entfaltete der Hof auch hier eine erhebliche Prägekraft, zumal die zentralisierte Herrschaftsform de r Autokratie (ähnlic h de m Absolutismu s de s Sonnenkö nigs) alle bedeutenden Adligen des Reiches dazu zwang, hier einen repräsentativen Palast zu unterhalten. Auf der anderen Seite ist die Webersche Charakterisierung Moskau s vo r 1861 als Exempel eine r Grundrentnerstad t siche r z u einseitig. Moska u bestan d nicht nu r aus dem Krem l un d dem angrenzende n »Kaufhof« (wi e die benachbarten Handels-»Reihen« ein fiskalisch zweckmäßi ges mongolisches Erbe mit baulich sichtbarer Ähnlichkeit zu r Karawanserei). Daneben war es seit altersher ein bedeutendes Zentrum von Handel und Gewerbe. Spätestens seit dem Umzug der Zaren an die Neva kann die Kaufkraf t des Hofes und der Adelspaläste nicht mehr ausgereicht haben, um immerhi n schon 138 800 Einwohnern beiderlei Geschlechts (in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts)28 Brot und Auskommen zu geben. Trotz berechtigter Skepsis gegenüber de m Bemühe n de r sowjetmarxistischen Forschung , scho n i m 17. und frühe n 18. Jahrhundert »kapitalistische « Verhältniss e i n de r städtische n 27 Brunner, Neue Wege, S. 235. 28 Vgl. Istorija Moskvy [Geschicht e Moskaus]. Bd. 1-6, Moskau 1952-1959, hier Bd. II, S. 306.
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Wirtschaft nachzuweisen, 29 wir d man nicht so weit gehen können, die nicht landwirtschaftliche Produktio n für marginal z u erklären. Offener mu ß schon die Frag e bleiben , o b auc h di e Hauptstädt e de r Gouvernement s wenigsten s teilweise al s »Produzentenstädte« z u bezeichne n waren . Fü r viele dürft e di e Antwort vor der Mitte des 18. Jahrhunderts negativ gewesen sein. So muß man davon ausgehen, daß die russische Stadt in dieser Zeit tatsäch lich s o aussah , wi e de r erst e groß e Historike r de s 19. Jahrhunderts, Serge j Solov'ev, si e beschrieb: »Wie zuvor war di e Stad t ein eingezäuntes Dorf , wie zuvor beschäftigten sic h die Einwohner mi t Landwirtschaft, genaus o wie di e Bewohner von Dörfern un d Weilern. [...] Generell waren die Städte arm; die reichsten unter ihnen, in denen aufgrund eine r besonders günstigen Lage am meisten Handel getrieben wurde, rufen durch die geringe Zahl ihrer Bewohner Erstaunen hervor.« 30 Weni g späte r bestätigte sei n nich t minde r bedeutende r Schüler V. O. Klju čevskij: »I m Moskaue r Staa t al s ei n vo r alle m agrarische s Land, wo das ursprüngliche Gewerbe in solchem Maße überwog und das Ge werbe so gering entwickelt war, gab es nur sehr wenige Städte, die dem europäi schen Begriff entsprachen; die übrigen unterschieden sich von den umgeben den Siedlungen nur dadurch, daß sie eingezäunt waren und eine größere Fläche einnahmen, aber die Mehrheit der Bevölkerung ging denselben Beschäftigun 29 Vgl. die Monumentaldarsteliung Istorij a Moskvy, Bd . II, S. 7ff. Ganz ähnlich verfahren in der typischen Verbindung von einseitiger Faktenorientierun g un d schablonenhafter Gesamtdeu tung alle anderen Standardwerke wie z. B.: P. P. Smirnov, Posadskie ljudi i ich klassovaja bor'ba do serediny XVII veka [Di e Beisassen und ihr Klassenkampf bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts], Bd . 1-2, Moskau 1947-1948;J. R . Klokman, Očerki sociaPno - ekonomičeskoj istorii gorodov severo zapada Rossii ν seredine XVW vek a [Skizze n der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte de r Städte im Nordwesten Rußland s i n der Mitte de s 18. Jahrhunderts], Moska u 1960; ders., Social'no - ėko nomiceskaja istorij a russkog o goroda . Vtoraj a polovin a XVIII veka [Sozial - un d Wirtschaftsge schichte de r russischen Stadt . Di e zweite Hälft e de s 18. Jahrhunderts], Moska u 1967; Goroda feodal'noj Rossii . Sbornik statej pamjati N. V. Ustjugova [Di e Städte im feudalistischen Rußland . Aufsatzsammlung zu r Erinnerung an N. V. Ustjugov], Moskau 1966; Goroda Podmoskov'ja [Di e Städte des Moskauer Gebiets], Bd. 1-3, Moskau 1979-1981. Interpretatorisch nich t viel bewegli cher: M. J. Volkov , Goroda verchnego Povolž ja i severo-zapada Rossii , pervaj a četvert' XVIII v. [Die Städt e der oberen Wolga und des russischen Nordwestens , 1. Viertel de s 18. Jahrhunderts], Moskau 1994. 30 S. M. Solov'ev, Istorija Rossii [Geschicht e Rußlands], Bd. 7, Moskau 1879, S. 358, zit. nach: N, D. Čečulin, Goroda Moskovskogo gosudarstva ν XVI veke [Die Städte des Moskauer Staates im 16. Jahrhundert], St. Petersburg 1889, S. 2; siehe auch 5. M. Sobv'ev, Russki j gorod ν XVII veke [Die russisch e Stad t im 17. Jahrhundert], in: Sovremennik. Literaturny j żumal, Bd . 37, Suppl.Bd. 1853, otd. II [Abt. II], S. 1, Zu demselben Ergebnis kommt nach einer detallierten Übersich t die jüngste Darstellung von: Volkov, Goroda, hier S. 229, trotz des sehr traditionell-marxistische n Ansatzes letztlic h auch : P . M. Sas, FeodaFnye gorod a Ukrain y ν konce XV-60-c h godac h XVI v.[Die feudalistische n Städt e der Ukraine vo m End e des 15. Jahrhunderts bi s zu den sechziger Jahren de s 16. Jahrhunderts], Kie v 1989, z.B. S . 190. Für die Frühzeit, mi t der These de s Ab bruchs eine r gewerbliche n Entwicklun g a m Ende des 10. Jahrhunderts al s Folge der Unterbre chung gesamteuropäischer Verkehrswege: P. P. Toločko, Drevnerusskij feodarnyj goro d [Di e alt russische feudalistisch e Stadt] , Kie v 1989, S. 233.
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gen nach wie die Landbewohner der Umgebung.«31 I m Kern hat sich an dieser Sicht bis heute nichts geändert. Auch Kritiker der wertenden Entgegensetzun g von europäische r un d russische r Stad t habe n ihr e Argument e wohlweislic h nicht auf den wirtschaftlichen Sektor bezogen. Die bescheidene Rolle der Stadt und ihrer Bewohner in der gesamten Wirtschaft des Landes steht außer Frage. Darin wirkten nicht nur die Verwüstung und Entvölkerung seit der berüchtig ten oprünina Ivan s IV (des Schrecklichen) nach , durch di e umfangreiche Ge biete als Zarengut ausgesondert worden waren.32 Wichtiger noch war dieselbe Strukturschwäche des gesamten Reiches: Bürger und Stadt waren genauso arm wie der Gesamtstaat. 33 Ob dieser Zustand bi s zur Mitte de s 19. Jahrhunderts angedauer t hat , al s Rußland sich auf den Weg in die Industriegesellschaft macht e (al s Beginn de r Wende gelten die Reformen Alexanders IL nach 1861), ist umstritten. An Quel len mangelt es ausnahmsweise nicht, obwohl sie nicht reichlich fließen. In den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts verfaßten Gelehrt e der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften (von Katharina IL überwiegend aus Deutschland angeworben) erste »statistische« Beschreibungen aller russischen Städte, in de nen auch die wirtschaftlichen Grundlage n de r Bewohner festgehalte n waren . Ähnliche Erhebunge n wurde n i n de n 1860e r Jahren zu r Vorbereitung eine r Reform der politisch-administrativen Verfassung der Städte durchgeführt. Ei n Vergleich bietet sich an, aus dem bislang unterschiedliche Ergebnisse abgeleitet wurden. Ich bin vor gut zehn Jahren zu dem Resultat gelangt, daß die Bewoh ner von etwa einem Drittel von 553 Kreis- und sonstigen Städten in 49 Gouver nements de s europäische n Rußlan d überwiegen d vo n Landwirtschaf t un d Viehzucht lebten . In weiteren fünfzehn Prozen t der Städte widmete sic h ein großer Teil der »Bürger« diesen Tätigkeiten. Etwa die Hälfte aller Städte, nach dem Urtei l zeitgenössische r Sachkenne r soga r deutlich mehr , dürft e deshal b von Dörfern ökonomisch nicht zu unterscheiden gewesen sein. Dementspre chend gerin g war insbesonder e di e Bedeutun g vo n Gewerb e un d Industrie . Zwar verzeichnen die Beschreibungen fü r fas t alle Städte einige Handwerke r und gewerblich e Betriebe . I n der Regel handelt e e s sich aber u m solche, die eine ausschließlic h örtlich e Nachfrag e au f niedrige m Nivea u bediente n (Schmiede, Schuster, Talgsieder u.ä.). Wo nichtlandwirtschaftliche Tätigkeite n vorherrschten, waren si e überwiegend kommerzielle r Art und ganz überwie gend in der Gunst der Lage begründet, nich t in besonderen Fähigkeite n un d Spezialisierungen der Bewohner (di e es natürlich auch gab). 34 31 Vgl. Čačulin, Goroda , S. 3. 32 Vgl. H. L. Eaton, Decline and Recovery of the Russian Cities from 1500 to 1700, in: Cana dian-American Slavic Studies 11, 1977, S. 220-252. 33 Grundlegende westliche Darstellung . J.M. Hittle , The Service City. Town and Towns people in Russia 1600-1800, Cambridge/Mass. 1979, hier S. 41. 34 M. Hildermeier, Bürgertum und Stadt in Rußland 1760-1870. Rechtliche Lage und soziale Struktur, Köln 1986, S. 323ff., bes. S. 457ff.
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Alles i n alle m zeige n di e Bestandsaufnahmen , da ß sic h de r ökonomisch e Charakter der russischen Stadt im Laufe eines Jahrhunderts nicht grundlegend veränderte. Sie wandelte sich, von den Haupt- und Gouvernementsstädten am ehesten abgesehen, typischerweise nicht zum zentralen Marktort oder Produktionszentrum fü r ein e größer e Region . Gewerblich-kommerziel l bestimmt e Stadtnetze entstanden nicht, weil de r russischen Stad t eines nicht gelang: die Konkurrenz des Dorfes abzuschütteln. Vor allem in der ersten Hälfte de s 19. Jahrhunderts setzt e soga r de r gegenteilig e Proze ß ein . I m Zug e steigende r Nachfrage nac h einfache n bedruckte n Textilie n nahme n viel e Dörfe r eine n »protoindustriellen« Aufschwung. Bäuerliches Heimgewerbe begann, für einen größeren Markt zu produzieren und sich an den Städten vorbei auf ein neues wirtschaftliches Zeitalter zu orientieren. Industrialisierung und Urbanisierung waren in Rußland weniger kongruent als in anderen Ländern. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts blieben russische Städte in dieser Hinsicht »vormodern«. 35 Demgegenüber ist in jüngerer Zeit auf einer breiteren, aber ähnlichen Quellengrundlage argumentier t worden , da ß sic h di e ökonomische Struktu r de r russischen Städte im Jahrhundert zwischen Katharina IL und Alexander IL radikal verändert habe. Aus Ackerbürgersiedlungen seie n Handels- und Gewerbezentren geworden, die auch im sozioökonomischen Sin n den Namen einer Stadt verdienten. In völliger Umkehrung der anfänglichen Proportione n seien um di e Mitt e de s 19. Jahrhunderts nu r noc h etw a 12% von ca . 700 Städten primär agrarisch, 65% dagegen kommerziell-gewerblich orientier t gewesen. 36 Allerdings hat es den Anschein, als liege dieser Diskrepanz zumindest teilweise »nur« ei n unterschiedliche s Verständni s von gewerblich-kommerzielle r Ent wicklung zugrunde. Daß handwerklich-gewerbliche und kommerzielle Tätigkeiten im Laufe eines ganzen Jahrhunderts zunahmen und kein absoluter Stillstand herrschte, ist nicht umstritten. Schon die (noc h nicht sehr dynamische, aber merkliche) Bevölkerungszunahme sorgte dafür. Die Frage ist nur, ob sich die regionale oder gar interregionale Funktio n der Städte dadurch in Relation zum flachen Lan d verschob. Zumindest di e Zeitgenosse n sahe n e s nicht so. Auch i m internationale n Vergleic h zeig t sic h offenba r ei n ungewöhnliche s Gewicht des russischen Dorfes im Verhältnis zur Stadt.37 Somi t bleibt in dieser Hinsicht ei n entscheidende r Unterschie d bestehen , de r ein e ökonomisch e Definition der russischen Stadt noch schwieriger macht als in »Westeuropa« (im 35 Vgl. Κ Gestwa, Proto-Industrialisierung in Rußland. Wirtschaft, Herrschaft und Kultur in Ivanovo und Pavlovo, 1741-1932, Göttingen 1999; W. L. Blackwell, The Beginnings of Russian Industrialization 1800-1860, Princeton 1968. Klassische Studie : M . Tugan-Baranowsky , Ge schichte der russischen Fabrik, Berlin 1900. 36 Vgl. B. N. Mironov, Russkij gorod ν 1740-186 0 gody: demografieeskoe, social'noe i ekono miceskoe razviti e [Di e russisch e Stad t 1740-1860: demographische, soziale un d ökonomische Entwicklung!, Leningra d 1990, S. 201ff., bes. S. 221. 37 Vgl. B. Mirottov, Les villes de Russie entre TOccident et l'Orient (1750-1850), in: Annales ESC 46, 1991, S. 705-733.
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russischen Sinn). »Ackerbürgerstädte« waren nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Schon immer hat es zentrale Handels- oder Gewerbeorte gegeben, die keine Städte waren . Was hinzukomme n mußte , macht de n politisch-administrative n Begriff der Stadt aus. Nur unter diesem Gesichtspunkt besitzen Städte ein bestimmtes Territorium, das sich fiskalisch un d meist auch rechtlich vom Um land unterscheidet. Zumindest anfänglich hin g diese Sonderstellung mit dem Festungscharakter de r Stad t zusammen . Z u derartige n Städte n gehört e ein e Burg, deren Besitzer und Bewohner sie zunächst versorgten. In welchem Maße sie bzw. ihre Eliten sich allmählich davon lösten und eigene Interessen zu verfolgen begannen, läßt sich jeweils nur individuell beschreiben . Weber kommt es auf den Typus der Fürstenstadt mit einer Burg und einer Beiwohnerschaft an, dem er universale Verbreitung zuerkennt. Aber nicht jede Festung mit suburbium wurde zu r Stadt . E s mußte ei n Merkma l hinzutreten , de m letztlic h di e größte Bedeutun g zukommt : ein e »Gemeinde«. Dies e is t nu n nich t al s loser und jederzeit offener Zusammenschluß von Interessenten nach Art von Vereinen Gleichgesinnter gedacht, auch nicht als abhängige und jederzeit auflösbar e obrigkeitliche Gründung, sonder n als anstaltsmäßiger Verband mit festen, wen n auch durchlässigen Außengrenzen und regulierten Zuständigkeiten - Rechten und Pflichten - in einem bestimmten Gebiet. Dem Prinzip nach beruht dieser Verband auf dem freiwilligen Entschluß seiner Mitglieder, die eigenen Belange selbstverantwortlich, nac h selbstgesetzte n ode r akzeptierte n Grundsätze n durch eigene Kräfte zu regeln. In diesem Sinn e war er ohne Freiheit un d ein erhebliches Maß an Autonomie und Autokephalie nicht zu denken. Seine idealtypische For m fan d e r i n de r vielzitierten Eidverbrüderun g (coniuratio) , die andere Herrschaftsformen durchbrach . Hierin hat die Vorstellung vom revolutionären Ursprun g städtische r Vergemeinschaftunge n ihr e Grundlage . Da ß »Stadtluft frei « machte, beruhte auf- letztlic h kaufmännischem - Privilegienrecht und setzte das ansonsten gültige Landrecht außer Kraft. Die Einordnung der »Typologie der Städte« in das Großkapitel über die »Herrschaftssoziologie « unter de r Überschrif t »Di e nichtlegitim e Herrschaft « gib t diese n systemati schen Ort treffend wieder. In diesem Sinne bildet die freiheitliche Vergemeinschaftung mit der Folge einer eigenen Gerichtsbarkeit und zumindest teilweise eigener Rechtssetzung , de r Selbstverwaltung, de r Selbstbesteuerung un d de r unbehinderten Ausübun g von Hande l un d Gewerb e au f der Grundlag e de s Marktrechts den innersten Kern des Idealtypus der okzidentalen Stadt. 38 Gegen die abstrahierende Konstruktio n eines dem Grundsatz nach revolu tionären Ursprung s der städtischen Schwurgemeinschaf t sin d immer wiede r Einwände vorgebracht worden. Besonders schwer wiegt dabei nach wie vor der 38 Vgl. v.a. den zusammenfassenden Merkmalskatalog , WuG, S. 788-792 (MWGI/22-5, S. 234-242); bestätigend das beste Resümee des historischen Forschungsstande s bei : E. Isenmann, Die deutsche Stadt im Spätmittelalter 1250-1500, Stuttgart 1988, S. 25.
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Hinweis au f zahlreiche Beispiel e fü r obrigkeitlich e Stadtgründunge n beson ders im Spätmittelalter. Landesherren, lautet das Argument, gleich ob weltliche oder geistliche, sind in der Mehrzahl der Fälle nicht Gegner bürgerlicher Vergemeinschaftungen gewesen , sonder n habe n Städt e systematisc h gegründet , um an deren Einnahmen teilzuhaben . Sie haben Marktrechte verliehen, aber den Gilden und Zünften, die sie aus Eigeninteresse fördern wollten, auch administrativ-politische Rechte gewährt, ohne die sich ihre wirtschaftlich-finan ziellen Erwartungen nicht erfüllt hätten . Weil das so war und sich die weitere Entwicklung de r städtischen Korporation nicht selten ihrer Kontrolle entzog, mag die Debatte über die Angemessenheit der idealtypischen Idee vom revolutionären Ursprung der europäischen Stad t des Mittelalters für die historische Forschung nötig und erkenntnisfördernd sein - in breiterer Perspektive verliert sie aber ihre Pointe. Auch die Berechtigung des Vorwurfs, Weber habe es versäumt, di e Stiftung vo n Legitimitä t durc h konsensuelle n Beschlu ß al s eine n vierten Typus legitimer Herrschaft einzuführen (wen n man sie nicht unter die »rationale« Begründun g subsumiert) , kan n dan n auße r Betrach t bleiben. 39 Wenn die Bürgergemeinschaft als immer wieder durch Eid bestätigter Verband (coniuratio reiterata) mi t eigene n politischen , administrative n un d rechtliche n Zuständigkeiten gelten kann, der diesen Charakter über kurz oder lang unabhängig von seinem Ursprung annahm,40 stellt sich im universalen Vergleich im wesentlichen die Frage, ob es außerhalb Europas städtische Korporationen mit ähnlicher Eigenständigkeit gegeben hat. Das Ergebnis einer solchen Horizonterweiterung kan n nich t nu r übe r di e Besonderhei t de s europäischen Wege s Auskunft geben , de r Weber letztlic h nachspüre n wollte . Fü r Interessen , di e über Mitteleuropa hinausgehen, sind die methodischen Folgerungen, die sich daraus ergeben, mindestens gleichbedeutend. Auch wenn Stadtgemeinden außerhalb Mittel - un d Südeuropa s kein e coniuratione s bildeten, könne n si e au f anderem Weg eine gewisse Eigenständigkeit erlangt haben. In jedem Fall stellt sich die Frage, ob diese anderen Verhältnisse und Funktionen nich t mit glei chem oder ähnlichem Gewinn in die Typenbildung einbezogen werden sollten. Es ist zum Gemeinplatz geworden, bei der Suche nach der Eidverbrüderung als differentia specifica der Stadt des Okzidents in Rußland (und den alten Hochkulturen Asiens) Fehlanzeige zu melden. Zwar haben sich russische Städte, wie viele westliche, aus herrschaftlichen Niederlassunge n entwickelt . Sie entstanden um Festungen herum zur Versorgung der fürstlich-zarischen Dienstleute . Bis an die Schwelle des industriellen Zeitalters war diese Herkunft im residua39 Vgl. K. Schreiner, Legitimität , Autonomie , Rationalisierung . Dre i Kategorie n Ma x Weber s zur Analyse mittelalterliche r Stadtgesellschafte n - wissenschaftsgeschichtlicher Ballas t ode r un abgegoltene Herausforderung? , in : Meter, Stadt , S . 161-211; ders., Die mittelalterliche Stad t i n Webers Analyse un d die Deutung des okzidentalen Rationalismus , in: Kocka, Weber, S. 119-150; Kritik bei Dilcher und Breuer (in diesem Band). 40 Vgl. Isenmann, Deutsche Stadt , S. 92f.
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len Nebeneinander einer Burg (kremV) - in der Regel auf einer Anhöhe, oft am Steilufer große r Flüss e gelege n - und eine r Handels - und Gewerbesiedlun g (posad) zu erkennen. I n den Unterstädten (of t i m topographischen Sinn ) au s Kaufleuten, Händler n un d Tagelöhner n bildete n sic h Märkt e i m ökonomi schen sowie im rechtlichen Sinn. Handwerke verbreiteten und spezialisierten sich, die aller Wahrscheinlichkeit nach - laut Zeugnis sowohl zeitgenössische r Reiseberichte al s auc h sowjetmarxistische r Detailforschunge n - sogar ein e überregionale un d zunehmen d steigend e Nachfrag e bedienten . I n Moska u und Novgorod entstanden in der frühen Zarenzeit (etwa seit dem 1 S.Jahrhun dert) auch gildenähnliche Gemeinschaften von Fernkaufleuten (gosti ) und An fänge dessen, was seit dem 17. Jahrhundert als »Beisassengemeinde« (posadskaj a obščina) im Sinne der administrativ-fiskalischen Korporatio n aller Stadtbewoh ner im rechtlichen Sinn (unter Ausschluß also von Adeligen, zarischen Dienst leuten und Bauern) bezeichnet wurde. Nur eine Eigenschaft hat sich bei diesen Vereinigungen als kennzeichnende und dauerhafte bislang nicht entdecken las sen: administrativ-politische un d da s war imme r auc h fiskalischeSelbständigkeit und Unabhängigkeit . Der Zusammenschluß de r Kaufleute blie b in diesem Sinne eine ökonomi sche Zweckverbindung zur besseren Koordination ihrer auswärtigen Handels tätigkeit. Verkaufsreihen fü r ein - un d dieselben handwerkliche n Erzeugniss e auf basarähnlichen Märkten dienten der besseren Ordnung und Vereinfachung nicht zuletzt für die Steuereinnehmer, spiegelten aber nicht die Zugehörigkeit der entsprechende n Berufsgrupp e z u eine r autonome n Stadtgemeinde . Alle Versuche au s orthodox-sowjetmarxistische r Feder , de n grundsätzliche n Gleichlauf der russischen sozioökonomischen Entwicklung i n Spätmittelalte r und früher Neuzeit mit der westeuropäischen (im russischen Sinn) zu belegen, scheitern letztlic h a n diese m entscheidende n Punkt . Übe r Analogieschlüss e und bloße Postulate sind sie bislang nicht hinausgekommen. Die Gemeinsam keiten bleibe n forma l un d äußerlich ; si e könne n wede r quantitati v noc h ga r qualitativ beleg t werden. Auch 120 verschiedene »Kramstraßen « mache n au s den Produzenten oder Verkäufern ihrer Waren keine freien Bürger. Dieses Er gebnis schließt die Antwort auf die bekannte Frage ein, ob »Stadtluft« i n Ruß land fre i machte . »Stadtluft« beschert e de m bäuerliche n Flüchtlin g nich t da s Ende der Hörigkeit im westeuropäischen Sinn. Sie bedeutete keine Durchbre chung von »Herrenrecht« , wei l e s keine andere n Rechtsbezirk e gab , und si e schuf keine Sicherheit , au f deren Grundlag e ei n neue s Leben und Geschäft e möglich waren. Aber sie konnte ein hohes Maß an faktischer Bewegungsfreihei t bedeuten, weil es für den »Besitzer« kaum Möglichkeiten z u effektiver Nach forschung und Rückführung gab. 41 41 Vgl. W. Knackstedt, Moskau. Studie n zur Geschichte einer mittelalterliche n Stadt , Wiesba den 1975, S. 127fF, 145fF. , 172; auch dm,, Moskauer Kaufleut e i m späten Mittelalter: Organisati -
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An diesem abhängigen Charakter der russischen Stadtgemeinde hat sich bis zur Aufhebung rechtlich-steuerlicher Unterschiede im zarischen Untertanenverband unterhalb des Adels seit der Mitte des 19. Jahrhunderts im Grundsatz nichts geändert. Sie blieb ein Geschöpf der Zentralgewalt, das nach deren Regeln und Anforderungen funktionierte. Nur unterschieden sich die russischen Zustände nun formal weniger von den mitteleuropäischen al s zuvor. Auch in »Westeuropa« hatte der Absolutismus die allermeisten Städten in die Territorialherrschaft eingegliedert und seinen Anordnungen unterworfen. Aber so wie absolute Monarchi e un d ständische s Mitregimen t nac h ihre r Konfrontatio n einen Kompromiß fanden, so lebte auch die städtische Selbstverwaltung in den Grenzen, die der neue, zunehmend verrechtlichte Staat setzte, bis hin zur modernen Kommunalverwaltung und Kommunalpolitik fort. In Rußland fehlten diese Wurzeln mit dem bemerkenswerten Ergebnis , daß es unterhalb der begrenzten Reichweite staatliche r Behörden kein e annähernd effektiv e Verwal tunggab. Seit Peter dem Großen (der dieses Umdenken zwar symbolisiert, aber beileibe nicht ohne Vorläufer war), als die Autokratie das »Gemeinwohl« ent deckte und sic h um die Nutzung de r ökonomischen, demographische n un d sonstigen Ressource n de s Lande s z u bemühe n begann , gehörte n di e Städt e daher zu den bevorzugten Adressaten zahlreicher Reformen . Die Geschicht e diese r of t allz u hektisc h durchgeführte n Maßnahme n is t lang und verworren.42 I m Kern versuchte der Staat zunächst, die Städte aus der allgemeinen, maroden Verwaltung herauszunehmen, um sie als besonders vielversprechende Einkunftsquelle dem Fiskus direkt zu unterstellen. Genau besehen, diente n di e »Rathäuser « (ratu ša), Bürgermeisterämter un d »Magistrate « (seit 1722) in erster Linie diesem einen Zweck. Erst Katharina II. kam ein halbes Jahrhundert später zu der Einsicht, daß eine bloß administrative Reorganisation nicht ausreichte. Statt die Kontrolle der monarchischen Zentralverwaltung z u erleichtern und sozusagen für den verlustfreien Zuflu ß de r städtischen Abgaben zu sorgen, richtete sie ihre Aufmerksamkeit au f Mittel und Wege, die den nun so genannten »Leute n mittlere r Art« zu einem Minimu m a n Wohlstand verhelfen und dadurch auch die Staatskassen füllen sollten. Bei diesen Überlegungen griff die Kaiserin auf zeitgenössische, »aufklärerische« Idee n über die gesetzliche Regulierun g des Untertanenverbandes zurück , vergaß aber nicht,
onsformen un d soziale Stellung , in : Zs. für historische Forschun g 1, 1976, S. 1-17. Paradigmatisch für die sowjetische Position : Β. Λ Rybakov, Remesl o drevnej Rus i [Da s Handwerk i m alten Rußland], Moskau 1948; M. N. Tichomirov, Klassovaja bor'ba ν Rossii XVII v.[Der Klassenkamp f im Rußlan d de s 17. Jahrhunderts], Moskau 1969; Smimov, Posadski e ljudi , S . 15ff. 42 Vgl. zusammenfassend: Hildermeier , Bürgertum, S. 57ff., 124ff.; klassische vorrevolutionär e Darstellung: I. I. Ditjatin, Ustrojstv o i upravleni e gorodo v Rossi i [Aufba u un d Verwaltung de r Städte Rußlands] . Bd. 1-2, St. Petersburg, Jaroslavl' 1875-77.
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sie sorgfältig von allen Ingredienzen zu reinigen, die als Ermunterung zu antimonarchischer Opposition zu verstehen gewesen wären. Ob aufgrund diese r Vorsicht oder der inneradministrativen Entstehungsgeschichte - vor allem die ersten, in der Praxis entscheidenden Bestimmungen von 1775 ließen eine ausgeprägte fiskalische Orientierung erkennen. Man sonderte die Kaufleute durch gestufte, a n die Steuerleistung gekoppelte wirtschaftliche Privilegie n von den übrigen Stadtbewohner n ab , um sie besonders zu fördern, aber auch, um si e gezielt zur Ader zu lassen. Die wohlklingenden Worte und weiteren Vorrechte, mit denen das »Stadtprivileg« de m »Bürgerstand« zeh n Jahre später (1785) zu Prestige und Rang zu verhelfen suchte , vermochten dies e Absicht nur unzu länglich z u verschleiern . Di e höchs t praktische n un d materielle n Ziel e de s Staates blieben durchsichtig. Ähnliches galt für die begrenzte Selbstverwaltung, die das Stadtprivileg den frisch gekürte n Bürger n ebenfalls verlieh. Trotz der Wahl eines Bürgermeisters und eines Stadtrats, trotz städtischer Standes- und Strafgerichte, trot z eigene m Budge t un d Selbstbesteuerungsrech t ließe n di e Bestimmungen keine n Zweifel daran , wer das Sagen und die letzte, militäri sche Zwangsgewalt hatte. Auf einem anderen Blatt steht, was aus dem Versuch Katharinas II.wurde, ein Stadtbürgertum als Wirtschaftsstand und korporative Selbstverwaltungseinhei t auf legislativem Wege zu schaffen. Daß damit nicht nachgeholt werden konnte, was historisch ausgeblieben war und nun in einigen seiner Funktionen als Defizit gewertet wurde, versteht sic h von selbst . Autonome Körperschafte n i m strengen Sin n von oben durch die Zentralgewalt z u begründen, deren unbe schränkte Herrschaft sie durchbrechen, ist außerhalb geschriebener Verfassungen ein Widerspruch in sich. Denkbar aber erscheint die Möglichkeit, da ß die entsprechenden Gesetze rechtliche Formen bereitstellten, die sich allmählic h mit sozioökonomischem Gehalt füllten, dadurch auch ein erhebliches Maß an faktischer Unabhängigkeit förderte n und in diesem Sinne einen Vor-Griff des reformerischen Staate s darstellten, der die reale Entwicklung erfolgreich lenk te. In diesem Fall könnten am Ende Verhältnisse stehen, die sich von der anstoßenden Roll e des Staates sozusagen befrei t hatte n un d ein e Eigenständigkei t entwickelten, die nahe an die Merkmale der »okzidentalen Stadt « herankam. Bislang ist diese Sehweise überwiegend abgelehn t worden. Die Stadtrefor men auch Katharinas II. galten als Mißerfolg. Erst dem nächsten Versuch, dem Stadtstatut Alexanders II. aus dem Jahre 1870, hat man größere, in jüngster Zeit sogar erhebliche Wirkungen attestiert. Die Zeit, lautet die Prämisse, war reif für Kommunalpolitik und eine Stadtverfassung, die ihr in Gestalt der Duma (Rat ) ein zentrales Forum gab. Obwohl sic h nur eine äußerst schmale Elite (i n der Regel kaum mehr als drei Prozent der Bevölkerung, nach der neuerlichen Reform von 1892 oft sogar weniger als ein Prozent) an der Regelung der städtischen Angelegenheit beteiligte, tendiert die neuere westliche Forschung zu einer ähnlich positiven Sicht wie in bezug auf die Tätigkeit der 1864 geschaffenen
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Selbstverwaltungskörperschaften i n den Gouvernement s (zemstvo). 43Freilich fallt vo n hie r au s auch Lich t i n die jüngere Vergangenhei t zurüc k Wen n da s Stadtstatut kein e leeren Formen mehr begründete, mußt e das Fundament, au f dem es gedeihen konnte , i n den vorangegangenen Jahrzehnten geleg t worde n sein. Das harmoniert mi t neueren Befunden übe r den bemerkenswerten Eifer , mit de m di e Stadtbewohne r entgege n de r einmütige n bisherige n Meinun g schon die Partizipationsmöglichkeiten de r katharinäischen Stadtordnun g nutz ten.44 Alle m Anschei n nac h verändert e sic h zumindes t di e Stadtgesellschaf t einschließlich de r vielzitierten Mentalitä t ihre r Bewohner i n stärkerem Maße , als sich bislang vermuten ließ . Das gibt nu n nich t nu r Anlaß, di e »liberale« Deutun g de r russischen Stad t zumindest teilweise z u korrigieren, di e in der westlichen Forschung - übe r die Emigration vermittel t - bis i n di e jüngste Zei t vorgeherrsch t hat . Auc h de r binäre, kontrastive Vergleich von Idealtypen der westlichen un d östlichen Ent wicklung sieh t sich dem Vorwurf ausgesetzt, vor allem die Dimension de r Zeit nicht hinreichen d bedach t z u haben . Di e beschriebene n Veränderunge n i m Zarenreich gehöre n eine r anderen Epoche an als dem Spätmittelalter bzw . der 43 Vgl. zu m Stadtstatut : G . Weiss , Die russisch e Stad t zwische n Auftragsverwaltun g un d Selbstverwaltung. Zu r Geschichte der russischen Stadtreform von 1870, Phil. Diss. Bonn 1977. Zur »Praxis« u . a. L . Häfner, Stadtdumawahle n un d soziale Eliten in Kazan' 1870 bis 1913: Zur rechtlichen Lag e und politischen Praxi s der lokalen Selbstverwaltung , in : JbbGOE 44, 1996 , S. 217-252; G, Hausmann , Universität un d städtisch e Gesellschaf t i n Odessa , 1865-1917. Soziale und nationale Selbstorganisation an der Peripherie des Zarenreiches, Stuttgart 1998; V. A. Nardova, Gorodskoe samoupravlenie ν Rossü ν 60-ch - načale 90-ch gpdovXDCv. [Di e Stadtverwal tung in Rußland von den sechziger bis zum Beginn der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts], Leningrad 1984; dies., Samoderžavie i gorodskie dumy ν Rossü ν konce XDC - načale XX veka [Die Autokratie und die Stadtverwaltungen in Rußland am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahr hunderts], St. Petersburg 1994; dies., Municipal Self-Governmen t afte r the 1870 Reform, in : B. Eklof u.a. (Hg.) , Russia' s Great Reforms, 1855-1881, Bloomington 1994, S. 181-196 sowie un veröffentlichte Beiträge von R. Delimars'kyj, V. Nardova, L. Pisar'kova und N. Rachmanova über Kiev, St . Petersburg, Moska u un d Tomsk zu einer Konferenz übe r »Pespektiven einer verglei chenden Untersuchun g de r neuzeitlichen Stad t i n Deutschlan d un d i m Zarenreich« vom Ma i 1997 in Bielefeld. Zur Beteiligung der neuen Unternehmerschich t auch:Ju . A. Petrov, Moskva kupečeskaja na rubeže XDC-XX vekov [Das kaufmännische Moskau an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert], in: Otedestvennaja istorija 1996, H. 2, S. 3-12; ders., Moskovskie bankiry i sa moderzavie ν 1905-190 6 gg. [Die Moskauer Bankiers und die Autokratie 1905-1906], in: Materialy i issledovanija po istorii Rossü perioda kapitalisma 67, 1988, S. 33-46 sowie dessen Beitrag zur o. g. Konferenz. Zu den zemstua immer noch grundlegend: T. Emmons u. W. S. Vucinich (Hg.), The Zemstvo in Russia. An Experiment in Local Self-Government, Cambridge/Mass. 1982. 44 Vgl. J. Hartley , Town Government in Saint Petersburg Guberniya after the Charter to the Towns of 1785, in: Slavonic and East European Review 62, 1984, S. 61-84; ders., Catherine H's Reform of Local Administration: the Creation of a Provincial Urban Society? Beitrag zur Tagung »Katharina IL, Rußland und Europa« in Zerbst, 27.-31. August 1996 [demnächst im Sammelband der Konferenzreferate]; Β. Ν. Mironov, Local Government in Russia in the First Half of the Nine teenth Century: Provincia l Government and Estate Self-Government, in : JbbGOE 42, 1994 , S. 161-201; ders., Bureaucratic or Self-Government: Th e Early Nineteenth Century Russian City , in: Slavic Review 52, 1993, S. 233-56.
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Frühen Neuzeit , dene n di e »westlichen« Beispiel e de r Stadttypologi e haupt sächlich entnommen sind. Weber verfährt in der Chronologie bezüglich Rußlands sehr großzügig. Die meisten Belege stammen aus dem 19. Jahrhundert, setzen mithin stillschweigend eine Vergleichbarkeit mit deutlich früheren Zuständen in »Westeuropa« voraus. 45 Rußland , heißt das, teilte die beschleunigte Sonderentwicklung Europa s nicht , sonder n verharrt e i n de r Stagnation , di e Marx ebenfalls der nichtkapitalistischen Welt attestierte. Erst die Expansion der europäischen Wirtschaftsweise und Zivilisation seit dem 19. Jahrhundert setzte auch hie r eine n Wandel i n Gang , der die alte n Strukture n un d Denkweise n veränderte und in vieler Hinsicht zu einer Annäherung an Europa führte. Diese Zusammenziehung vo n Erscheinungen i n unterschiedliche n Kontexte n ent spricht der »konstruktiven« methodischen Absicht voll und ganz. Auch an der grundsätzlichen Richtigkeit der Diagnose wird man trotz der fundamentalisti schen Gegenbewegungen in aller Welt nicht zweifeln können. Dennoch lohnt es sich, den analytischen Nutzen anderer Gedankengänge und Erkenntnisstrategien zu überdenken. Gegen die bloße Entgegensetzung zeitlic h weitgehend indifferenter Idealtypen der »okzidentalen« und der »orientalischen« Stadt wäre eine Alternative ins Spiel zu bringen, die den beschriebenen Proze ß der staatlich angestoßenen, nachholenden Entwicklung mit dem Ergebnis einer Annäherung an frühere mitteleuropäisch e Zustände aufgreift. Da s könnte zum einen mi t Hilf e de r Bildun g sozusage n transitorische r Type n geschehen , di e anstelle des Gegensatzes überlappende Merkmal e un d Mischformen berück sichtigen und zu eigenständigen Varianten erheben würden. Dadurch verlöre der Vergleich aber an Schärfe und Klarheit. Wer verwandte Erscheinungen nebeneinander stellt, erkennt wahrscheinlich mehr Schattierungen, engt aber seinen Blick für Alternativen und Kontraste ein. Eine andere Möglichkei t besteh t darin , di e schief e Stati k des kontrastive n Vergleichs durch den Gedanken zu vermeiden, daß sich die jeweiligen Erscheinungen in den sich langsamer wandelnden Gesellschaften ebenfall s verändert haben. Ältere Formen , so Brunner, wurden i n solchen Gesellschafte n eigen tümlich und anders fortgebildet.46 Au f diese Weise ließe sich auch dem gerade für Rußland (sicher aber auch für andere Kulturen) wichtigen Befund der Vielgestaltigkeit, d.h . de r parallele n Existen z besonder s ausgepräg t »ungleichzei tiger« - denn »normale « Ungleichzeitigkei t is t sozusage n di e Definitio n de r Geschichte-Erscheinungen Rechnung tragen.47 Russische Städte des 19.Jahr45 WuG, S. 729, 742 (MWGI/22-5, S. 64,103f.). 46 Vgl. Brunner, Neue Wege, S. 234. 47 Die Gedankenfiguren de r »Vielgestaltigkeit« bzw . Heterogenität und , als temporale Variante, der »Ungleichzeitigkeit« bleiben meines Erachtens unerläßliche und vielversprechende heuristische Konzept e zu m Verständnis der neueren russische n Geschichte . Si e müßte n abe r von ihrer sozioökonomischen Verengung befreit werden. Von der Aufklärung bis zur Moderne lassen sich zahlreich e Idee n un d Denkweise n benennen , di e nac h Rußlan d übertrage n wurden, abe r
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hunderte könnten teilweise als zeitgenössische Gegentypen zu »okzidentalen« des späten Mittelalters angesehen werden, andere aber besser als solche, die sich auf eigene Weise weiterentwickelt haben. In ein solches Konzept ließe sich auch der Begriff der »Service city« einpassen, mit der eine neuere Monographie über die russische Stadt des 17. und frühen 18. Jahrhunderte die Grundidee der vorrevolutionären Forschung aufnimmt. 48 Russisch e Städte in diesem Sinne waren »Lasten- und Privilegienverbände«, wie Weber das Gegenteil von selbstbestimmter Bürgergemeinde nannte.49 Aber die Mahnung ist sicher berechtigt, in der Steuer- und Zolleintreibung keine bloß einseitige Dienstleistung der Stadtgemeinde für den Staat zu sehen. Die Städte und insbesondere die Einnehmer profitierten ebenfalls davon. Das Verhältnis war schon deshalb interdependent, weil de r Staat auf die Hilfe de r Städte angewiesen war. 50 S o gesehen wäre es irreführend, i n der Tradition des deutschen Rechtsdenken s des 19. Jahrhunderts einen Gegensat z zwische n Staa t un d Stad t z u unterstellen . E r bestand schon deshalb nicht, weil der Staat keinerlei Anlaß hatte, die Städte als Konkurrenz zu empfinden. Vielmehr kam die Monarchie umgekehrt mit zunehmender Orientierun g au f den Westen (un d sic h verdichtenden Beziehunge n z u ihm) zu der Einsicht, daß den Städten im eigenen, durchaus materiellen Interesse geholfen werden müsse . Dadurch abe r stieß er eine Entwicklung an , die gleichsam zu einer »Okzidentalisierung« der Stadtgemeinden auch in der Hinsicht führte, daß hier neue Formen selbstbestimmter, interessenbezogener und zunehmend organisierter Politik- samt einer neuen, transständischen Elite als ihr Träger - entstanden.
dort in einen andere n Kontex t (auc h kulturell) geriete n un d sowoh l räumlic h al s auch zeitlic h differenziert seh r andere Wirkungen hervorriefen. I m Begriff des Transfers sind diese Verschiebungen sowi e Gestalt - un d Wirkungsveränderungen ohn e Wertimplikatione n mitgedacht . E r bietet sich als wissenschaftliche Umformung des geschichtsphilosophischen Rückständigkeitsge dankens, auf dessen »Signifikat« ma n nicht verzichten kann , am ehesten an. Vgl. als Grundlage weiterführender Überlegungen : M. Hildermeier, Das Privileg der Rückständigkeit. Anmerkungen zum Wandel einer Interpretationsfigur de r neueren russischen Geschichte, in: HZ 244, 1987, S. 557-603. 48 Vgl. Hittle, Service City; klassische Darstellung mit ähnlicher Kernaussage: Α A. Kizevetter, Posadskaja obščina ν Rossii XVIII stoletii [Di e Beisassengemeinde im Rußland des 18. Jahrhunderts], Moskau 1903. 49 Vgl. WuG, S. 746 (MWG I/22-5, S. 116). 50 VgJ. Hittle, Service City, S. 241; ähnlich: P. Bushkovkh, The Merchants of Moscow, 15801650, Cambridge 1980, S. 166.
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MICHAEL MAN N
Max Webers Konzept der indischen Stadt Wenn Ma x Weber seine Studi e zu m Hinduismu s un d Buddhismu s mi t den bekannten Worten einleitet, Indie n se i und war, i m Gegensatz zu China, ei n Land der Dörfer, ermutigt das nicht gerade zur Beschäftigung mit seinem Begriff der indischen Stadt. 1 Hieri n mag ein Grund dafür liegen , daß es bislang keinen Beitra g z u Webers Vorstellung vo n der Stad t i n Indie n gibt . Auf das Desiderat macht e bereit s Surendr a Munsh i aufmerksam , de r allerdings ein e Widerlegung von Weber für erforderlich hielt. Die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit Webers Darstellungen zu Indien verfallen allzu oft in einen Angriff auf das »orientalistische« Indienbild. 2 Z u einem großen Teil wird man Weber damit nicht gerecht, denn es ging ihm nicht um eine fachwissenschaft liche Analyse des Orients, sondern allein um die Kontrastierung mit der okzidentalen Entwicklung bis hin zur Moderne. Das gilt in besonderem Maße für die indische Stadt. 3 Seit seine m Beitra g zu r »protestantische n Ethik « (1904) beschäftigte Ma x Weber sich bekanntlich bis zu seinem Lebensende mit der Frage, warum gerade in der okzidentalen Welt die einzigartige Form des Kapitalismus entstanden ist und welche Rolle die Religion dabei spielte. Immer wieder kommt Weber dabei auf die Stad t z u sprechen , i n de r Frühforme n kapitalistischen Wirtschaften s aufkamen, gepaart mit einer neuen Art der Herrschaftsausübung und mit neuartigem Kapitaleinsatz. Die europäische Stadt bildete den Nährboden, aus dem sich die moderne Gesellschaft un d der dazugehörige Staat entwickelte. In seinem Essay »Die Stadt« verfolgt Weber diese Frage weiter. Es ist gleichsam die Einzigartigkeit der okzidentalen Stadt, die den Scheidepunkt zum Orient markiert.4 1 MWG I/20, S. 49. - Ich danke Georg Berkemer vom Südasien-Institu t der Universität Heidelberg für anregende Diskussionen und hilfreiche Hinweise. 2 5 . Munshi, Max Weber über Indien. Eine einfuhrende Kritik, in: Kocka, Weber, S. 232-233; Κ. Ρ. Gupta, Problem e de r Bestimmun g des Hinduismu s i n Ma x Webers Indienstudie, in: Schluchter, Hinduismus, S. 149-176. 3 GARS I, S. 12-14. 4 In »Die Stadt« dreht Weber die Formulierung zu Beginn von § 2 um: »Im auffallendsten Gegensatz namentlich zu den asiatischen Zuständen stand nun die Stad t des mittelalterlichen Okzidents, und zwar ganz speziell die Stadt des Gebiets nördlich der Alpen da, wo sie in idealtypischer Reinheit entwickelt war«; WuG, S. 741 (MWGI/22-5, S. 100).
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Zunächst entwickelt sich für Weber auch die indische Stadt in ähnlichen, fast analogen Formen und zeigt alle positiven Elemente urbanen Lebens bis in das O.Jahrhundert n.Chr., also bis zum Ende des Gupta-Reiches; danach aber versinkt alles in der »brahmanischen Renaissance« und der orgiastisch-mystischen Sektenbildung, di e jegliche »Entzauberun g der Welt« verhindert un d gerade wegs i n de n »Traditionalismus « fuhrt . Unte r islamische r Herrschaf t ha t di e Stadt lediglich als »Fürstenstadt« eine Bedeutung. Erst der Kolonialismus im portiert schließlic h auc h de n westlichen Kapitalismus , un d folglic h wandel n sich nun die Städte des indischen Subkontinents. Die indische Stadt hatte im Kontext der Weberschen Analyse ihre Aufgabe erfüllt und mußte keiner weiteren Betrachtung unterzogen werden. Max Webers Interesse galt nicht der indischen, sondern stets nur der europäischen Stadt . E r bezog dabe i wohl kau m eine n eurozentrische n Standpunkt , eine Problematik, die sich für ihn nicht ergab. 5 Um die einzigartige Entwicklung der okzidentale n Stad t z u zeigen, bedurft e e r der orientalischen nu r i n geringem Maß. Oder allgemeiner: Die Logik der Argumentation Webers erforderte keine n interkulturelle n Vergleich. 6 Ers t die breiten Angriffe au f seine »Protestantismus-These« zwangen ihn zur Ausweitung des Betrachtungsfeldes. Der globale Religionsvergleich war eine erste Antwort darauf.7 Aber so wie die Studien zu m Hinduismus un d Buddhismus fundamentale Fehle r aufweisen , die Max Weber größtenteils begehen mußte, weil er der britischen Historiographie und den zeitgenössischen Untersuchungen aufsaß,8 so zeigen sich gleichartige Mängel und Mißverständnisse bei seinem Konzept der indischen Stadt. 9 5 A. E. Bluss, Introductory comments on Max Weber's essays on India and China, in : Inter national Sociolog y 2, 1987, S. 271-276, hier S. 274. 6 Gupto, Probleme, S. 149. 7 Die Forschung scheint sich mittlerweile einig in der Bewertung dieses Ansatzes. Die Relevanz der Weberschen Soziologie liegt in dem enzyklopädischen Beweis , daß die westliche Sozial ordnung nich t universel l notwendig , sonder n lediglic h ein e historisch e Kategori e ist . Vgl. Α. Ε. Bluss, Max Weber an d Asia. Contribution s to the sociology o f development, Münche n 1985, S. 45. 8 H. Kulke, Orthodoxe Restauration un d hinduistische Sektenreligiosität i m Werk Max Webers, in: Schluchter, Hinduismus, S. 293-332, hier 295f., und J. Rösel, Die Hinduismusthese Max Webers, München 1982. 9 Hier sei darauf verwiesen, da ß Weber mit seinem Begrif f der »Hinduisierung« i n der Tat ein völli g neue s un d treffendes Konzep t fü r den Prozeß de r Herrschaftslegitimierung fü r den indischen Subkontinen t einführte , da s erstaunlicherweise i n den historisch-soziologische n Untersuchungen zunächs t kaum Berücksichtigun g fand ; sieh e H. Kulke, Max Weber's contributio n to the study of »Hinduization« i n India and »Indianization« i n Southeast Asia , in: D. Kantowsk y (Hg.), Recen t researc h on Max Weber's studies of Hinduism, Münche n 1986, S. 97-116. Nicht nur, wie Kulke betont, diente Weber das Werk von H. H. Risley, The Tribes and Castes of Bengal, 2 Bde., Calcutta 1892, als Grundlage, sondern er übernahm die Darstellung zu r Absorption und Integration vo n exogame n Stämmen , Sippe n und Clans in starker Anlehnun g a n Risley, S . xvi xviii. Es ist freilich Webers Verdienst, die bloße Darstellung in ein schlüssiges soziologisches System der Herrschaftslegitimation gebrach t zu haben.
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Zunächst sol l di e Entwicklung de s Orient- un d Asienbegriffs be i Ma x Webe r behandelt werden . Danac h erfolg t di e Betrachtun g de r indische n Stadt , ab schließend ein e kritisch e Würdigung de s Weberschen Stadtkonzept s fü r Indi en. 10
I. Webers wechselnde Sicht auf Asien In den Jahren 1911 bis 1914 beschäftigte sic h Max Weber mit den religionsso ziologischen Skizzen über die »Wirtschaftsethik de r Weltreligionen«, di e in den beiden darauffolgenden Jahren i m »Archiv für Sozialgeschicht e un d Sozialpo litik« veröffentlicht wurden . Weber war der Meinung, daß diese »Gedankenrei hen« nach dem Ende des Krieges wohl nicht mehr opportun sein würden. 11 E r selbst konnte noch den ersten Band der »Gesammelten Aufsätze zur Religions soziologie« (1920) besorgen, in den er die »Vorbemerkung« un d die »Zwischen betrachtung« einfügte . De r zweit e Band, der mit der Studie übe r Hinduismu s und Buddhismus eingeleite t wird, hat keine nachträgliche Betrachtun g gefun den, ebens o fehlt ein e Schlußbemerkung . Da s ist insofern von Bedeutung , al s Weber i n de n spätere n Ergänzunge n sein e Auffassung de r »asiatische n Kultu ren« entscheidend korrigierte . Die Hinduismus-Studi e beginn t geradez u euphorisc h mi t de n bereit s er wähnten Worten : »Indie n is t un d war , i m Gegensat z z u China , ei n Lan d de r Dörfer«, u m dan n fortzufahren : »und der denkbar unerschütterlichsten geburtsständische n Gliederung. Aber zugleich ein Land des Handels, nicht nu r des Binnen-, sondern gerade auch des Fernhandels, insbesondere nac h dem Occident , wie e s scheint sei t altbabylonische r Zeit , un d de s Darlehenswuchers. [...] Fürstliche Kriegführung , Politi k und Finanzwirtschaft ware n rational. Sie wurden literarisch, die Politik sogar vollendet ›machiavellistisch‹, theoreti siert. Der Ritterkampf sowohl wie das disziplinierte und vom Fürsten equipierte Heer haben ihre Zeit gehabt. Die Verwendung de r Artillerie ha t allerdings nicht , wie gelegentlich behauptet wurde, hier zuerst, aber doch frühzeitig, sich entwickelt. Staatsgläu bigertum, Steuerpächtertum , Staatslieferantentum , Verkehrsmonopol e usw . ware n ganz nach patrimonialer occidentaler Art entstanden. Die Städteentwicklung nähert e sich jahrhundertelang i n wichtigen Punkten , wie wir sehe n werden, mittelalterliche n occidentalen Erscheinungen . [...] Die Toleran z gege n religiös e un d philosophisch e Lehrmeinungen war in großen Zeiträumen nahezu absolut, jedenfalls ungleich größer 10 Als Einfuhrung in die Interpretation der Hinduismus und Buddhismus Studie ist der Aufsatz von D. Gellner, Max Weber, Capitalism and the religion of India, in: Sociology 16, 1982, S. 526-543, immer noch lesenswert. H D . Käsler , Max Weber. Eine Einführung i n Leben, Werk und Wirkung, Frankfurt a . M. 1995, S. 124. 12 MWGI/20, S. 49^54.
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als irgendwo im Occident vor der allerneusten Zeit. Das indische Recht weist zahlreiche Bildungen auf , welch e für kapitalistische Bedürfnisse ebens o brauchbare Ansatzpunkte geboten hätten, wie die entsprechenden Institutionen unserer mittelalterlichen Rechtsentwicklung. Di e Autonomie der Händlerschicht i n der Rechtsschöpfung wa r mindestens so groß wie diejenige unseres Mittelalters. Die indischen Handwerkerlei stungen un d di e Spezialisierun g de r Gewerb e waren seh r hoc h entwickelt . De r Erwerbstrieb der Inder aller Schichten hat wahrlich nie zu wünschen übrig gelassen und nirgends bestan d s o wenig Antichrematismu s un d s o hoh e Schätzun g de s Reich tums.«12 Dennoch blie b i n Indie n de r moderne Kapitalismu s aus . Er wurde al s fertige s Artefakt importiert , ohn e autochthon e Ansatzpunkt e gehab t z u haben. 13 Fü r Weber stellte sich die Frage, inwieweit di e Religion hierz u eine n Beitra g gelei stet haben könnte . Webers Begeisterun g fü r äquivalent e un d analog e Entwicklunge n i n Asien , denen er teilweise eine kulturelle Überlegenheit zugesteht, weicht der Ernüchterung i n der »Vorbemerkung«. Umgekehr t argumentier t e r nun, was alles de r indischen Kultu r fehlte . Di e indisch e Geometri e kenn e keine n rationale n Be weis, den Naturwissenschafte n fehl e das rationale Experiment. Trotz aller Ansätze geb e e s kein e rational e Rechtslehre , i n de r Staatslehr e kein e Systemati k und kein e rational e Begrifflichkeit . Selbs t i n der Musik un d i n der Kuns t ver mißt Weber jegliche For m von Rationalität . Di e generell unterstellt e fehlend e Fähigkeit zu r Rationalisierun g markier t nu n ein e tief e kulturell e Kluft. 14 Al s schwere Bürd e mu ß e s erscheinen, will ma n au f dieser Grundlag e de n asiati schen Gesellschaften eigenständig e Entwicklung attestieren . Doch bietet dies e scharfe Ausgrenzun g di e Möglichkeit , ebe n von eine r völli g ander s geartete n indischen Kultur ausgehen zu können. Die Frage des Vergleichs tritt nun gänzlich hinte r di e de r kulturelle n un d gesellschaftliche n Eigenständigkei t vo n Okzident un d Orien t zurück. 15 Für die Betrachtung nicht nur der indischen Stadt, sondern auch des Hinduismus und Buddhismus, befinden wi r uns nun in dem Dilemma, daß die »Vorbemerkung« neu e Paramete r setzt , di e keine n Eingan g meh r i n di e fü r un s relevanten Abhandlungen fanden . Möglicherweis e hätt e Weber be i einer Auf nahme diese r Gesichtspunkt e de n »Traditionalismus « de r indische n Gesell schaft noc h weitaus stärker betont , u m die Einzigartigkeit de s westlichen mo dernen Kapitalismu s hervozuheben , ohn e dami t ein e Geringschätzun g de r 13 Ebd., S. 54. 14 GARS I, S. 1—4; dem gegenüber wird die spezifische Rationalität des Okzidents herausgestellt, ebd., S. 11. Siehe auch Gupta, Probleme, S. 168f. 15 Bluss, Introductory comments, S. 275, faßt dies in die Worte: »Because of the undoubted impact of the Western culture in Asia, Indian or Chinese scholars may also ask themselves whether they agree with Weber's analysis of the West«; eine Aufforderung, die »asiatische Defensivhaltung« aufzugeben.
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asiatischen Gesellschafte n auszudrücken. 16 I m Weberschen Verständnis läg e darin eine Aufforderung beispielsweise an die indische Soziologie zu begreifen, nach der Eigenwertigkeit und der Einzigartigkeit der subkontinentalen Gesellschaftsentwicklung z u suchen.17 Bevor wir uns der indischen Stadt zuwenden können, ist ein kurzer Blick auf das »hinduistische soziale System«, wie Weber es nannte, angebracht. Die nationale For m de r indische n Religiositä t se i de r Hinduismus . Als allgemein be kannt betrachtet Weber, daß die Brahmane n di e Träger der Religiosität seie n und selbst eine Kaste bildeten. Kasten als »eine Art besonders exklusiver strenger Geburtstände«18 verkörperte n die Sozialordnung Indiens schlechthin. Das Wesen de s Hinduismu s abe r mach e sein e Sektenvielfal t aus . »Ein eigentlic h frommer Hindu ist nicht bloß Hindu, sondern Mitglied einer Hindu-Sekte.« 19 Spätestens hier sprengt Weber seinen eigenen Terminologierahmen. Ohn e es zu bemerken, werden di e Grenzen zwische n Kast e und Sekte, zwischen Be rufsstand und Religion fließend. Ganz abgesehen davon thematisiert Weber mit keinem Wort die innerweltliche Berufsethik des Kastenwesens. Die offensichtliche Schwäche der Beweisführung kann hier nur angedeutet werden, die Forschung hat ausfuhrlich au f die Mängel hingewiesen. 20 Besonders bei der Charakterisierung der indischen Stadt schlägt dieser Umstand z u Buche . Di e Systematisierun g de r indische n Gesellschaf t is t nich t durchgängig haltbar . Weber weist zwa r darau f hin , da ß ih m »unhistorische « Vorgehensweise vorgehalten werden könnte , doch gehe es ihm u m eine mo dellhafte Rekonstruktio n vo n fehlende r Entwicklung , wi e si e i n de r Realitä t tatsächlich nicht vorhanden gewesen sei. 21 Trot z aller in der »Einleitung« her vorgehobenen Skizzenhaftigkeit de r Darstellung und der Vorsicht, die er dem Gegenstand der Untersuchung gegenüber wahren wollte, bleibt er hart in der Beurteilung der Genese der Stadt. »Das Christentum endlic h begann seinen Lau f als eine Lehre wandernder Handwerks burschen. Es war und blie b eine ganz spezifisch städtische , vor allem: bürgerliche, Re ligion i n allen Zeite n seine s äußeren un d innere n Aufschwungs , i n de r Antike ebens o 16 GARS I, S. 14: »Welches Wertverhälmis zwischen den hier vergleichend behandelten Kulturen besteht, wird hier mit keinem Wort erörtert.« 17 Bluss, Weber and Asia, S. 53. 18 MWG I/20, S. 54. 19 Ebd., S. 79. 20 B. Chaturvedi, Max Weber' swrong understanding of Indian civilization, in: Kantowsky, Recent research, S. 45-58. Chaturvedi unterwirft die Hinduismus-Studie vernichtender Kritik. Zugleich betont er, die indische Gesellschaft se i nicht durch Religiositä t (karm a und samskara), und schon gar nicht durch den Hinduismus geprägt, der quasi ein geschlossenes System impliziere , vielmehr begründe das dharma das spezifische Selbstverständnis der indischen Bevölkerung. Siehe auch Gupta, Probleme, S. 158-166. Grundlegende Kritik äußert Rösel, Hinduismusthese, an der methodischen Verfahrensweise Max Webers, die eben nicht allein mit den »schlechten Quellenlage« oder unzureichender Literatur zu begründen sei. 21 MWG I/19, S. 118.
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wie im Mittelalter und im Puritanismus. Die Stadt des Okzidentes in ihrer Einzigartig keit gegenüber allen anderen Städten un d das Bürgertum i n dem Sinne , in welchem e s nur dort i n der Welt entstanden ist , war sei n Hauptschauplatz.« 22
II. Webers Bild de r indischen Stad t Nach Weber war die indische Stadt eine herrschaftliche Festung , in der berufliche Verbände und Gastarbeiter angesiedelt waren und unter fürstlicher Administration standen. Der Fiskus beschränkte sich auf Lizenzvergaben und Akziseneinzug. Wir haben es also mit einer Fürstenstad t z u tun, deren jeweiliger Machthaber ein e konsequent e Fiskalpoliti k betrie b un d gleichzeiti g Hande l und Gewerbe fördern mußte. Das Entstehen von Zünften und Gilden, schließlich auch Gildenverbänden ging damit einher. Die Fürsten waren in den Zeiten der mächtige n Gildenorganisatione n vo n diese n finanziel l abhängig . Webe r spricht in diesem Kontext sogar von »Gildenbürgertum«.23 Au s dem Meer der Dörfer ragten die urbanen Siedlungsformen vereinzelt heraus.24 Da s Kastensystem dominierte alle Gewerbe. Wir befinden uns in der Zeit der Entstehung der Königtümer, womit die Reichsformierungen vo r dem ersten indischen Großreich der Mauryas gemeint sind, also etwa vom 7. bis in das 4. Jahrhundert v. Chr. Allerdings kann mit der Gildenmacht nur das Gupta-Reich gemeint sein, das die Zeit des 4. und S.Jahrhunderts n. Chr. umspannt. Die Kasten, obgleich auch und gerade innerhalb der Städte berufsständisc h organisiert, waren jedoch ihrem »Geist« nach etwas völlig anderes als die Zünfte und Gilden.25 Entscheidend war die rituelle Schranke, die zwischen den Kasten existierte; augenfälli g zeigt e sic h die s im Ausschluß von Speisegemeinschaf t (Kommensalität). Eine Kaste war zugleich ein äußerst geschlossener Stand. 26 Hauptmerkmal ist hier der strenge Heiratsbrauch, der eheliche Verbindungen zwischen unterschiedlichen Kasten und Unterkasten zwar nicht grundsätzlich ausschließt, abe r doch weitgehend unterbindet. 27 »Di e ›Kaste‹ bedeutet, vom ›Stand‹ he r gesehen , di e Steigerun g un d Transponierun g diese r soziale n Abschließung ins Religiöse oder vielmehr ins Magische.« 28 22 Ebd., S. 87. 23 GARS I, S. 127-130. 24 Weber bezieht seine Anschauung über das »ewige indische Dorf« aus ß. H. Baden Powell, The Land-Systems of British-India, 3 Bde., Oxford 1892. 25 Zum zeitgenössische n Begrif f des »Geist« siehe Bluss, Weber and Asia, S. 45f. Natürlic h orientierte sic h Webe r a m Hegeischen »Weltgeist« , de r zu r Jahrhundertwende konkrete r i m »Zeitgeist« zu fassen war. 26 MWGI/20, S. 99. 27 Weber hat diese Vorstellung au s dem bereits erwähnten Werk von Risley, Tribes, Bd. 1, Introductory Essay: Caste in Relation to Marriage, übernommen. 28 MWG I/20, S. 102. Auf den Kastenbegriff Webers kann hier nicht näher eingegangen wer-
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Die indisch e Fürstenstad t wa r nac h Weber durc h ein e Vielfalt vo n ansäs sigem Gewerb e un d beruflich e Spezialisierun g gekennzeichnet . Städtisch e Handwerker nahme n a m Aufschwung de r Gilden teil . Sofer n jene innungs mäßig organisier t waren , schufe n si e Qualitätsnorme n fü r Waren , regelte n Bußgelder un d legten Feiertage, aber auch Arbeitszwang fest . Zumindes t di e Kunsthandwerker unterhielten ein Lehrsystem. Diese fein differenzierten städtischen Berufe waren bei der Ausformung des Kastenwesens wesentlich beteiligt.29 Eine Großzahl der Handwerker hat sich aber in mehr oder minder großer Abhängigkeit vo n de n Händler n befunden . Dies e müsse n folglic h a n eine m regen lokale n un d vor allem überregionale n Hande l teilgenomme n un d ih n wesentlich mitbestimm t haben . Sie schlössen sic h i n Gilde n zusammen , au s denen sich die Gildenverbände bildeten. Die Stadt bleibt aber für Weber Fürstenstadt, di e hauptsächlic h Amts - un d Herrschaftssit z ist . Handwer k un d Handel dienten lediglich der Befriedigung fürstliche r Bedürfnisse. 30 Daran richtete sich auch die politische Organisation der Stadt aus. Zwar gab es in einigen Bereichen eine eigene Gerichtsbarkeit der Händler sowie gesatztes Recht und eine Bürokratie, an der die Bewohner durch ständische Privilegie rung beteiligt waren, doch blieb die gesamte Verwaltung letztlich auf den Fürsten ausgerichtet. I n diesem Sinn ist auch die Stadt als Sitz eines gesonderte n Gerichtsbezirks zu interpretieren. Freilich kam es nie zu einer rationalen Verwaltung durch irgendeine n politische n Verband. 31 Di e indische Stad t bildet e keinen eigenen Gerichtsverband. Einzelne Kasten konnten gleichwohl inner halb der Stadt eine Sondergerichtsbarkeit wahrnehmen. 32 Im Zuge der sich ausformenden Kaufmannschaf t mu ß es zu Ansätzen eines Bürgerstandes gekomme n sein . Führende Gildenmitgliede r un d Interessen vertreter der Bürgerschaft traten dem König mit einem »gentilcharismatische n Chef« gegenüber , dem die anderen Standesgenossen al s »Ratsherren« beiseit e standen. Weltliche und geistliche Führung sowie die dominierenden Händle r waren zunehmen d gleichberechtigt , was sich unte r andere m i m Konnubiu m den. Allerdings scheint Weber die eigene Rigidität, mit der er das Kastensystem betrachtete, nicht befriedigt z u haben. So erkennt er die »Schwierigkeit, welche Einheit letztlich als ›Kaste‹ angesehen werden solle? « Fas t zwanghaft postulier t Weber, di e Kast e sei trotzde m i n alle r Regel ein e Realität neben der Unterkaste. Umwälzungen innerhal b des Systems hatte es in der Vergangenheit durchaus gegeben (ebd., S. 104-107). Letztlich gesteht er ein, die Kastengliederung biete ein viel zu buntes und irrationales Bild, und zieht es deshalb vor, wieder auf die allgemeinen Verhältnisse zu kommen (ebd., S. 181). Allerdings hatte auch die zeitgenössische Forschung nicht unbedingt ei n eindeutige s Bil d vo n dem , was si e al s Kaste definieren sollte , auc h wen n Risle y da s Gegenteil suggeriert e und mit einer gehörigen Portion Rassismu s kaschierte, vgl. B. Cohn, The census, social structure and objectification i n South Asia, in: ders., An anthropologist amon g the historians and other essays, Delhi 1988, S. 243-247. 29 MWG I/20, S. 179. 30 WuG, S. 735 (MWG I/22-5, S. 81). 31 WuG, S. 749 (MWGI/22-5, S. 123f.) . 32 WuG, S. 736 (MWGI/22-5, S. 85).
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zeigte. Die Kaufleute finanzierten nich t nur die Krieg e der Fürsten, sonder n ließen sich auch Herrschaftsrechte verpfänden. 33 Doc h das politische Gewicht des frühen Bürgertums blieb bedeutungslos. Zwar kam es zur Ausbildung einer Beamtenschaft, doch ist sie nirgends in Form einer rationalen Verwaltung okzi dentalen Zuschnitts organisiert worden.34 Im Konzept Webers war der Stadteinwohner zunächst der Kaste zugeordnet. Er lebte in bestimmten Vierteln und gehörte in der Regel einer berufsständi schen Organisation an. Politische Interessenvertretung war möglich, blieb aber auf einzelne Gruppen beschränkt. Ganz wesentlich war die Kollaboration zwischen städtisch-fürstlichen Behörden und den Zunft- bzw. Kastenverbänden.35 Mit der Mauryaherrschaft (nac h 320 v. Chr.) begann ein Wandlungsprozeß in den indischen Städten. Die wirtschaftlichen Aktivitäten nahmen zu, es bildete sich ein Stadtpatrizia t heraus . Diese r Stadtade l wurd e zugleic h Träge r eine r neuen Religiosität, des Buddhismus. Dieser schloß eine Abkehr von der »unerträglichen zeremoniöse n Lebensregelementierun g [...], die religiös e Ent wertung de r Kastengebundenhei t fü r da s Konnubiu m un d de n gesellige n Verkehr«36 ebens o ein wie ein missionierendes Mönchstum, das die Laienbil dung überhaupt erst möglich machte und den Bedürfnissen de r bürgerlichen Schichten entgegenkam. Zur Ausbildung von Bürgerrechten ka m es hingegen nicht , d.h . e s gab, so Weber, keinen Bürgerstand, der sich politische Rechte sicherte und eine urbane Gemeinschaft bildete. Die Maurya-Dynastie habe das erste Großkönigtum auf indischem Boden errichtet, das ein stehendes Heer unterhielt und dem Offi ziere vorstanden . Ei n königliche s Beamtenwese n operiert e au s unzählige n Schreibstuben heraus, Steuereintreiber un d die Polizei arbeiteten einem zen tralen Herrscher zu. Das städtische Patriziat bestimmte nicht nur die Konditionen des Handels und des innerstädtischen Gewerbes, sondern trat zunehmend als Kreditgeber auc h fü r de n Monarchen auf. 37 Al s König Ashoka (268-233) selbst Mitglied de s buddhistischen Orden s wurde, mußt e da s geradezu ein e Öffnung de r Gesellschaft , sprich : de s Kastensystems , nac h sic h ziehe n un d Angehörigen niederer Schichten den ökonomisch-sozialen Aufstie g ermögli chen, vor allem im urbanen Bereich. Diese vielversprechende Entwicklung der Stadt auf dem indischen Subkontinent findet laut Weber mit der brahmanischen Renaissanc e ei n Ende. Stadt und Staat versinken in den Traditionalismus. Lediglich als Fürstenstadt kommt der Stadt in Indien überhaupt noch eine Funktion zu. Zwar blühen unter den islamischen Herrschern auch Handel und Verkehr, die Stadt war weiterhin ein 33 34 35 36 37
MWGI/20, S. 163f . Ebd., S. 167. WuG, S. 737 (MWG I/22-5, S. 86f.). MWGI/20, S. 371. Ebd., S. 371-373.
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Anziehungspunkt fü r Handwerk , Gewerb e un d Künstler , abe r nu n ware n sämtliche Vorformen un d Ansätze städtischer Selbstherrschaf t un d der Zunft verbände verschwunden. Was hatte diesen Wandel bewirkt ? Die rituelle Absonderun g der einzelnen Berufe über die Kaste habe nicht nur Tischgemeinschaft verhindert , sonder n all e Art de r Verbrüderun g unterbun den. Mithin konnte es auch nicht zur Ausbildung eines städtischen Bürgertum s kommen, geschweige denn zur Formierung einer Stadtgemeinde. 38 Di e antik e Polis bildete eine Wehrgemeinschaft, di e mittelalterliche westeuropäische Stad t war durc h ihr e Zunftgemeinschaf t gekennzeichnet . D a de r indische n Stad t jede Form der Gemeinschaft fehlte , konnte sie der legitimen Macht des Königtums, das den Schulterschlu ß mi t de n Brahmane n tätigt e un d sogleic h a n di e Stelle der Ritter trat, keinen wirksam organisierten Widerstand entgegensetzen . »Die Städte und ihr Bürgertum blieben infolge der apolitischen Eigenart der Erlösungsreligionen Indien s in aller Regel in ganz spezifischem Sin n unmilitärisch und religiö s pazifistisch. Mi t der Niederwerfung de r sozialen Machtstellung der Gilden durch das Fürstentum wurde n di e Ansätze eine r Stadtentwicklun g occidentale n Gepräge s vertilgt, Brahmanenmacht un d patrimoniale Fürstenmacht i m Bunde stützten sich, dem kontinentalen Charakte r Indiens entsprechend, au f die ländliche n Organisationen al s Heeres- und Steuerquellen.« 39 Webers Konzept der indischen Stadt kommt über die Fürstenstadt nicht hinaus. Es erschein t geradez u al s ei n Konstruk t eine r angenommene n historische n Realität, di e durch Weber zum Tei l erheblich verfremdet wurde . Er grenzt mi t einer äußers t selektive n Vorgehensweis e systematisc h Unpassende s aus . Ma x Weber sucht das zu generalisierende typisch »Andere« und findet es in den »Verbrüderungselementen« de r mittelalterlichen europäische n Stadt . Da diese Verbrüderung aufgrund de s Kastentabus in der indischen völlig ausbleibt und es zu keinerlei Arten von Verbänden innerhalb der Städte kommt, schon gar nicht z u einem Stadtverban d - der Unterschie d vo n Stadtmensc h un d Landman n is t unerheblich - ist die indisch e Stad t s o andersartig, da ß si e für Weber fast zu m idealtypischen Gegenbeispie l de r europäischen Stad t wird . Die Webersch e Definitio n de s politische n Verbande s fü r ein e Stad t triff t selbstverständlich auc h auf Indien zu . Für die indisch e Stad t aber weist Webe r den Niedergang sämtliche r politische r Verbandsstrukturen i m Zuge der brah manischen Restauratio n nach , die mit der Verfestigung de s Kastensystems de n städtischen Verbandscharakter a d absurdum führte , s o daß eine städtische Ent wicklung i m okzidentalen Sin n nich t meh r möglic h war. Fü r Weber schie n e s völlig hinreichend, mi t dem Kastensystem nu r einen einzigen Fakto r ausfindi g zu machen , de r die Ausprägung eine s kapitalistischen Geiste s verhinderte . 38 WuG, S. 378. 39 MWGI/20, S. 214.
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III. Zur Kriti k von Webers Indien-Bil d Diese Konzept befriedigt nicht sonderlich. Es ist nicht nur lückenhaft, sondern impliziert zahlreiche historische Fehler, die auch durch eine captatio benevolentiae nicht wettgemacht werden können. Es ist müßig zu fragen, was Weber bei besserer wissenschaftlicher Lektür e und längerer Lebenszeit geschrieben hät te.40 Wir wollen hier schlicht werkimmanent argumentieren . Dann stellt sich die Frage , was Weber hätt e besse r interpretiere n könne n un d müssen , abe r mehr noch , wa s seine m erkenntnisleitende n Interesse , de r Frag e nac h de n Ursachen der Einzigartigkeit des westlichen kapitalistischen Geistes, untergeordnet wurde. Weber entwirft ei n recht anschauliches Bil d der indischen Stad t zwische n dem 3. vorchristlichen und dem 5. nachchristlichen Jahrhundert. Handel und Gewerbe blühen auf , un d mi t dem Buddhismus , der hauptsächlich vo n den städtischen Eliten getragen und gefördert wird, entsteht ein Patriziat oder sogar ein Bürgertum. Während die Handwerker mehr oder minder in ihren Kasten abgeschlossen bleiben , komm t e s bei de n Händler n zu r Gildenbildung , au s denen Gildenverbände hervorgehen. Der Fürst dominiert die Stadt mit seinem Militär, der Polizei und einer effizient arbeitenden Bürokratie, die durchaus zur gegenseitigen Interessenwahrun g mi t dem Patrizia t zusammenarbeitete . De r Fürst scheint bei diesem willkommener Gläubiger gewesen zu sein. Dieses schlüssige, i m große n un d ganze n zunächs t stimmig e Konzep t de r Stadtstruktur wird nicht konsequent fortgeführt. Zwa r billigt Weber den Gilden aufgrund ihre r Finanzmacht und Autonomierechte durchaus die Rolle eines Wegbereiters frühkapitalistische r Strukture n zu , frag t sic h dann abe r sogleich, warum dies e Elemente sich nicht weiterentwickelt haben. 41 Stat t nun die Gilden und ihren Verbandscharakter stärker zu konturieren, verwirft er diesen Ansatz zugunsten der Hervorhebung der patrimonialen Fürstenstadt.42 Di e Ökonomie wird zum notwendigen Zulieferbetrieb der extensiven fürstliche n Hofhaltung un d is t demnac h allei n au f deren Bedarfsstruktu r ausgerichtet . Diese Interpretation ist um so erstaunlicher, als Weber den Patriziern und Gildenverbänden eine derartige wirtschaftliche und finanzielle Macht zuschreibt, daß der Fürst genötigt war, Kredite zur Kriegführung bei ihnen aufzunehmen . Folglich ist nicht die fürstliche Wirtschaft dominant, sondern die der Gilden. Es handelt sich demnach auch nicht um eine Fürstenstadt, sondern um eine Ge40 Siehe jedoch D. Kantowsky, The misinterpretation of Max Weber's study on ›Hinduism and Buddhism‹ in India: Causes and consequences, in: ders., Recent research, S. 210-214. 41 GARSII, S. 35-36. Zu dem Aspekt der Gilden siehe K-H. Golzio, Warum hat das vorkoloniale Indien keinen industriellen Kapitalismus entwickelt?, in: Max Weber e l'India. Atti del Convengo Internazionale su: La Tesi Weberiani della Razionalizzazione in Rapporto all'Induismo e al Buddhismo, Torino 24-25 novembre 1983, Torino 1986, S. 99-120, hier S. 111. 42 Zur Typologisierung vgl. WuG, S. 729 (MWGI/22-5, S. 63f.).
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werbe- bzw. Händlerstadt.43 Webe r rekurriert allein auf die patrimoniale Herrschaft, statt den Verbandscharakter stärker herauszuarbeiten, was sich hier angeboten hätte. Die von Weber rezipiert e wissenschaftlich e Literatu r bestan d i n unsere m Kontext vor alle m au s Vincent A. Smith' s sei t 1904 vorliegender »Th e earl y History of India from 600 B.C. to the Muhammadan Conquest« und der 1911 erschienenen »Oxford History of India«.44 I n beiden Werken wird die indische Stadt kursorisch abgehandelt. Unte r de r Maurya-Dynastie hab e es ein hoch entwickeltes un d wohlorganisiertes Städtewese n gegeben . Als Beleg wird di e idealtypische Kompositio n eine r Stad t i m »Arthashastra « angegeben . Webe r übernimmt hier auch das Konzept der patrimonialen Fürstenstadt. 45 Gleiche s gilt fü r di e Gupta-Zeit ; di e Städt e seie n gro ß gewesen un d di e Bevölkerun g wohlhabend. Di e fürstlichen bzw . königlichen Einkünft e hätte n aber aus der »land revenue« bestanden, also der Besteuerung von Agrarerzeugnissen.46 Di e indische Stad t bleibt auc h be i Smit h insgesam t ein e marginal e Erscheinung , deren »Innenleben« nicht interessiert. Weber verfährt ähnlich und fuhrt monokausal da s Kastensystem al s Haupthindernis fü r Elemente de r Verbrüderun g an; dieses Bild übernahm er wiederum recht unkritisch von H. H. Risley. 47 Die benutzte Literatur bot allerdings genügend Material, um zu einem differenzierteren Modell der indischen Stadt zu gelangen. Das wird um so einleuchtender, wenn man sich Webers Katalog von Merkmalen vor Augen hält, durch die eine Siedlung mit gewerblich-händlerischem Charakter zur Stadtgemeinde wird. »1. die Befestigung, - 2. der Markt, - 3. eigenes Gerich t un d mindesten s teilweis e ei n eigenes Recht,- 4. Verbandscharakter,- 5. teilweise Autonomie un d Autokephalie, als o auch Verwaltung durch Behörden , an deren Bestellung die Bürger als solche irgendwi e beteiligt waren.« 48
Weber tu t da s für di e indisch e Stad t rasc h a b mi t de n Worten, de r Sit z voi Rechtsinstitutionen i n den Städten sei rein zufällig gewese n un d diese hätte] 43 WuG, S. 730 (MWGI/22-5, S. 65f). 44 V. A. Smith , The earl y Histor y o f India fro m 600 B.C. t o the Muhammada n Conques t including th e Invasio n o f Alexander th e Great, Oxfor d 1904 und wohl auc h ders., The Oxfor d History of India. From the earliest Times to the End of 1911, Oxford 1919 (hier 1922 2), die beide in der Darstellung wörtlich fast identisch sind. Als zusätzliche Literatur verwendete Weber vom selben Autor: Asoka, the Buddhist Ernperor of India, Oxford 1901. Die ebenfalls benutzte »Imperial Gazettee r of India«, The India n Empire , Bd . II, Oxford 1909 ist ein weitere s Surroga t de r »Early History«. 45 Smith, Oxford History , S. 87-89; ders., Early History, S. 119-122. 46 Ebd., S. 154 bzw. S. 260. 47 Zur Problematik der Weberschen Literaturauswah l un d dem kritischen Umgan g mi t ih r siehe den Beitra g vo n K-H. Gotzio , Zur Verwendung indologische r Literatu r i n Ma x Weber s Studie über Hinduismus und Buddhismus, in: Schlucktet, Hinduismus, S. 363-377. 48 WuG, S. 736 (MWGI/22-5, S. 84).
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keinerlei Verbandscharakter gezeigt.49 Aber die Vorgehensweise erscheint doch recht fragwürdig , d a mögliche Argumente fü r den Verbandscharakter ausge schlossen werden. Außerdem sei der indische Stadtinsasse Mitglied einer Kaste gewesen und hätte allein aus diesem Grund keine ständischen Qualitäten eines städtischen Bürgers entwickeln können. 50 De r Argumentationszirkel schließ t sich an dieser Stelle erneut. Nicht ganz plausibel erscheint in diesem Kontext der Verfall der Gilden als Resultat der aufsteigenden Fürsten- und Brahmanenmacht, ein Prozeß, der als brahmanische ode r orthodox e Restauratio n bezeichne t wird . Nachde m di e Fürsten sic h von der lästigen Brahmanenherrschaft befrei t hatten , als sie den Jainismus und den Buddhismus emporkommen ließen, versuchten sie aus den gleichen politischen Motiven heraus sich der beiden Religionsformen zu entledigen.51 »Di e patrimoniale Fürstenmacht setzte sich mit Hilfe der Brahmanen gegenüber dem in Ansätzen vorhandenen und zeitweilig machtvollen Gildenbürgertum durch . Di e religiöse Domestikatio n de r Untertane n leistet e die brahmanische Theorie dabei in unübertrefflicher Weise.« 52 Di e einzig politisch Handelnden sind die indischen Fürsten und Könige, die allein das Geschehen bestimmen. Je nach Opportunität haben sie die eine oder andere Religion gefördert. Da s politische un d ökonomische Potentia l der Patrizier bleibt unbe rücksichtigt. Die Brahmanen aber obsiegten in dem Machtgerangel durch die »hereinbrechende Fremdherrschaft« islamische r Fürsten. 53 Erscheint eben noch die Macht der (städtischen) Gilden vornehmlich unter buddhistischem Einfluß , trit t nu n unvermittel t di e »erstarkend e Fürsten macht« auf, die sich von den »Fesseln der buddhistischen plebejischen Hiero kratie [...] und von der Plutokratie de s Bürgertums de r Städte z u befreien « suchte. »Sie zog das Bündnis mit der brahmanischen Intellektuellenschicht und die Kastengliederung dem altbuddhistischen Mönchtu m und den Gilden vor und vollzog so die Parteinahme [...] für das rein rituelle orthodoxe Brahmanentum.«54 Di e Restauration führte zur Vernichtung der heterodoxen Soteriologie und zur Typisierung des Kastensystems inklusive der Standardisierung seine s Rituals. Auch hier orientiert sich Weber an Smith, der den Begriff der »Hindu renaissance« verwendet, um damit die brahmanische Reaktion seit dem ausgehenden S.Jahrhundert n. Chr. zu charakterisieren, die er vor allem in der Zunahme von Sanskrit-Texten belegt sieht. 55
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WuG, S. 736 (MWG I/22-5, S. 85). WuG, S. 737f. (MWG I/22-5, S. 86-88). MWGI/20, S. 324f. Ebd., S. 216. Ebd. Ebd., S. 463. Smith, Oxford History , S. 157-159.
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Weber macht zu Recht einen Niedergang der Gilden und der indischen Städte un d folglic h auc h ihre s Patriziat s ode r Bürgertum s aus. 56 Stat t aber nac h externen ökonomisch-politischen Gründen zu suchen, zieht er die interne politisch-religiöse Entscheidungsgewalt de r patrimonialen Fürste n heran. 57 Da s ergibt zwar in seinem Argumentationsduktus Sinn , schließt aber eine mindestens ebenso wichtige Diskussion von vornherein aus. Die brahmanische Restauration konnt e tatsächlic h ers t einsetzen, nachde m di e Mach t der Gilde n und der relativ autonomen Städt e gebrochen war. Bewirkt wurde dies durch ökonomische Faktoren , da durch den Untergang des Römischen Reiches die Nachfrage nac h Gewerbeerzeugnissen aus Indien rapide abnahm. Das konnte Weber nicht wissen, aber wie bei der Entstehung des städtischen Patriziats unterläßt er es auch beim Niedergang des Patriziats bzw. der indischen Stadt, andere Erklärungsmuster z u suchen bzw. die sich anbietenden wahrzunehmen . Weber ist nicht an der weiteren Entwicklung de r indischen Stad t interessiert , sondern an deren Zurückdrängung. D a die »Hindu-Renaissance« ih m ein geeignetes Erklärungsmuste r biete t un d zugleic h di e Ursach e alle n künftige n Traditionalismus ist, kann die argumentative Operation beendet werden. Max Weber entwickelte sein Konzept der indischen Stad t anhand der Parameter, die er für die europäische Stadt vor allem des Mittelalters, aber auch der Antike aufgestellt hat . Er gesteht ein, selbst im 18. Jahrhundert hätten nur wenige europäische Städt e seinen Kriterienkatalog erfüllt . Doc h der »Geist« der freien Bürger auch nur einiger weniger »idealtypischer« Städte reichte aus, um auszustrahlen und nachhaltig Wirkung zu zeigen. Was für die europäische Stadt gilt, nämlich eine ausgesprochene Differenzierthei t un d die Möglichkeit von unterschiedlicher Ausprägun g einzelner Komponenten , entfäll t be i der indi schen Stadt. Sie war und bleibt Fürstenstadt. Nur in Ansätzen ist eine differenzierende Betrachtung erkennbar, die jedoch sogleich aufgegeben wird . Das grundlegend e Mank o de r webersche n Vorgehensweis e heg t i n de r Struktur seiner Analyse, wie Jakob Rösel ausgeführt hat. Dazu gehört zunächst die Annahme, daß eine strukturell ähnliche Ausgangsbedingung in Indien wie in Europa für die Entstehung des Kapitalismus, hier nun exemplarisch für die Stadt, bestande n habe ; ferne r wir d unterstellt , be i gegebene n gleiche n Aus gangsvoraussetzungen müsse jedes soziale System in gleicherweise reagieren , es sei denn, es gäbe einen intervenierenden Faktor . Eben dieser Faktor liefer t jedoch keine vollständige Erklärung des zu untersuchenden Gegenstandes, da 56 Weber bezieht sich hier auf E. W. Hopkins, Ancient and modern India, in: ders., India old and new, New York 1901, S. 169-205. Webers Beispiele zu den Gilden des 9.-13. Jahrhunderts sind nicht ganz zulässig, d a sie sich auf Ereignisse weit nac h der »brahmanische n Renaissance « beziehen, vgl. Golzio, Vorkoloniales Indien, S. 112. 57 Weber sieht in den »Hunneninvasionen« de s 6. Jahrhunderts zu Recht nicht die Ursache für den Niedergang der indischen Städte, obgleich das aus Smith's Darstellung durchaus herauslesbar wäre; siehe Smith, Oxford History, S. 163f .
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über seinen Stellenwert in einer unbekannten Menge von Faktoren keine Aussage gemacht und dieser folglich auc h nicht näher bestimmt werden kann. 58 Die indische Stadt wird Opfer genau dieser Methode. Der intervenierend e Faktor ist zweifelsohne das »Kastensystem«.59 Da s fuhrt zu einer Atomisierung des Ganzen, letztlich ist nur der alles entscheidende »Geist« relevant. Mit der orthodoxen Renaissance ging die Erstarkung und nun endgültige Ausbreitung des Kastensystems über ganz Indien einher. Zugleich kam es zu einer Verfestigung der Strukturen.60 De r »Geist« des Kastensystems verhinderte das Entstehen rationale n kapitalistische n Denkens . Alle ursprünglich e »Rechenhaftig keit« Indien s wurd e vo m Traditionalismu s erstickt . Diese n »Geist « mach t Weber an der Vallabhacharya Sekte fest. Nach ihrem Begründer, dem Brahmanen Vallabha, benannt, war sie Reaktion auf den brahmanischen Ritualismu s und di e weltflüchtige Kontemplation , di e freilic h nich t zu r innerweltliche n Askese, sondern zum Aufflammen irrationaler Heilssuche führte. Sie war mehr oder weniger gegenüber allen Kasten offen, zog aber hauptsächlich die baniyas, Händler und Bankiers, an. Der Ritus bestand in einem ausgiebigen Gelage-Kult mit ausschweifenden sexual-orgiastischen Praktiken. Es zeige sich daher schlagend, so Weber, seinen Kritikern entgegenhaltend, daß asketische Religiositä t ganz und gar nicht, wie imme r wieder behauptet wird, aus dem immanente n »Wesen« des bürgerlichen Kapitalismus und seiner beruflichen Vertreter folge im Gegenteil. 61 Zum eine n resultiert e Weber s Charakterisierun g au s eine m verbreitete n Übersetzungsfehler, zu m anderen aus einer britisch-puritanischen Perzeptio n indischer Religiosität. 62 Allei n aufgrun d de r Zensus von 1901 und 1911, die 58 Rösel, Hinduismusthese, S . 35. 59 Rösel setz t allerding s stat t de s »Kastensystems « de n »Kolonialismu s de r Briten « al s hem mendes Hinderni s be i de r Ausprägun g de s moderne n Kapitalismu s ein , wa s ih m z u Rech t di e Kritik von Golzio , Vorkoloniales Indien , S . 108, einbringt. 60 Siehe hierzu J C . Heesterman, Kaste und Karma, Max Webers Analyse der indischen Sozial struktur, in : Schluchter , Hinduismus , S . 72-86, hier S . 86, Anm. 33. Weber mußt e z u diese r Er kenntnis gelangen , d a ih m kei n andere s Materia l al s da s de r beiden , vo n Risle y ausgewertete n Zensus von 1901 und 1911 zur Verfügung stand . Selbs t di e britische n Zeitgenosse n empfande n die strikt e Kategorisierun g de s Kastensystem s de n tatsächliche n Umstände n nich t angemessen . Mittlerweile is t sic h di e Forschun g dari n einig , da ß es die britisch e Herrschaf t i n Indie n gerad e um di e Jahrhundertwende war , die das Kastensystem s o starr un d traditionalistisc h werde n ließ . Vgl. N . J. Berrier , Th e Censu s an d Britis h India , Delh i 1981. Die au f den i m Zensu s erhobene n Daten basierend e Hauptliteratu r zu m »Kastensystem « i n Indie n entstan d zwische n 1880 und 1950; vgl. Cohn , Census , S . 241f . 61 MWG I/20, S. 504. 62 J . Lütt, Max Weber and the Vallabhacharis, in: International Sociolog y 2,1987, S. 277-287, hier S . 281. Die Fehlinterpretatio n beruht e au f dem mi t äußerste r Emotionalitä t geführte n »Ma haraja Libe l Case « vo n 1862 in Bombay , währen d desse n de r Begrif f »pusti« , de r nac h Vallabh a »Gnade« bedeutet, ursprünglic h aber »wachsen, gedeihen«, i n Verbindung mi t »pusti-marga« nu n als »Doktrin des Essens und Trinkens« verstanden wurde. »Pusti-Marga« bedeutet aber tatsächlich »Weg der Gnade« .
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Weber beid e kannte , hätt e e r z u eine m seh r differenzierte n Bil d de r baniya s gelangen müssen. Über den fragwürdigen Vergleich mit den europäischen Juden weist er ihnen eine Sonderrolle zu, die mit dem ihm zur Verfügung stehenden Material nich t zu rechtfertigen ist . Bis heute konnte die Forschung nicht zweifelsfrei klären , inwiewei t e s innerhal b de r »mittelalterlichen « indische n Städte zu einem Zusammenschluß städtischen Bürgertums und zur Gründung oder Durchsetzun g eine r unabhängige n Rechtsgemeind e kam. 63 Abe r ma n kann Weber vorhalten, da ß er, wenn kein e Ausbildung städtisc h korporative r Rechtsinstitutionen erfolgte , nich t nac h de n Ursache n fragte . Warum nah m Weber die englische Analyse der indischen Sozialstruktur, wie sie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde und die allein darauf beruhte, der soziologische Schlüssel zur indischen Bevölkerung sei nur über Kaste und Religion zu erlangen, als gegeben hin?64 Sicherlich , Weber brauchte sich diese Fragen im Rahmen seiner Argumention, wie oben ausgeführt, nicht zu stellen. Doch steht hier die Seriosität des kritischen und wertfrei arbeiten wollenden Wissenschaftlers auf dem Spiel. Die baniyas, soweit hatte Weber festgestellt, operierten nicht nur im urbanen Bereich, sondern waren regiona l un d »international« au f den Felder n der Fi nanzen und des Handels überaus aktiv. In Surat, dem Haupthafen des MughalReiches, forderten die baniyas wie auch andere organisierte Händler- und Kaufmannsgemeinschaften vo m Gouverneu r ode r Fürste n kein e korporative n Rechte ein, auch bildeten sich keine selbständigen Vereinigungen, die über rein wirtschaftliche Interesse n hinausgingen, 65 wa s im Sinne Webers durchaus mit der patrimonialen Herrschaft zu erklären ist. Der Mughal hatte ein höchst eigenes Interesse am Schutz des Hafens, der alljährlich die Pilgerflotten nac h Mekka bereitstellte. An der wirtschaftlichen Entwicklun g des Warenumschlagplatzes war e r wenige r interessiert . Gänzlic h ander s verhäl t e s sic h jedoch mi t Banaras (Varanasi), neben dem jahrhundertealten religiösen Zentrum schlechthin der Finanzplatz in Nordindien im 17. und 18. Jahrhundert. In einer grundlegenden Studie konnte Chris Bayly 1983 nachweisen, daß es in Banaras und auch in Mirzapur in der Zeit des niedergehenden Mughal-Reiches und vor der britischen Kolonialherrschaft, als o etwa von 1720 bis 1770, zu kastenübergreifenden Zusammenschlüssen von Händlern, Kaufleuten un d Bankiers gekommen ist.66 Explizi t bezieht sich Bayly auf Max Weber: »But my concern here is 63 Zumindest für Südindien scheint ein überregional un d städtisch organisiertes Gildenwesen von Kaufleuten un d Händlern nachweisbar zu sein, vgl. M. Abraham, Two medieval merchant guilds of South Asia, Delhi 1988. 64 Cohn, Census, S. 242. 65 Zu Sura t sieh e di e imme r noc h einschlägige Untersuchun g vo n A. Da s Gupta , India n merchants and the decline of Surat, c. 1700-1750, Wiesbaden 1979, S. 14. 66 C A Bayly , Rulers , Townsmen an d Bazaars . North India n societ y i n th e ag e of British Expansion, 1770-1870, Cambridge 1983, S. 174-186; zu Banaras siehe auch den neuesten Beitrag
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with the fact that Indian society could produce dynamic, multi-caste instituti ons in the context of growing monetisation an d the weakening of the central State power. I t was this tendency which was overlooked b y Ma x Weber an d other theorists.«67 Freilic h gesteht Bayly zu, er wolle mit seinen Erkenntnissen Weber nich t direk t widersprechen, den n diese r hätt e zugestanden , »tha t th e decline of the Mughal State may have enhanced the possibility of self-organisation among the local bodies.« 68 Im Rahme n seine r Untersuchun g z u de r Reaktio n indische r Händle r i n Gujarat (Westindien) auf die kolonialen Aktivitäten der Portugiesen stellte M. N. Pearson fest, der indische Staat habe keinen Schutz geboten, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre. Die Untertanen, in diesem Fall die Kaufleute, wollten auch nicht beschützt werden, sie wollten in Ruhe gelassen werden, um sich arrangieren z u können. 69 Da s läßt den Schluß zu, daß sich die baniyas erstens sicher gefühlt haben oder zumindest mit einem gewissen Maß an Unsicherheit leben konnten und wollten. Zweitens bot eben genau dieser rechtlich freizü gige Rahme n di e beste n Voraussetzunge n fü r di e weitreichende n Handels geschäfte un d Finanztransaktionen . Di e indische n Händler , Finanzier s un d Kaufleute brauchte n keine n Staa t un d benötigte n woh l auc h kein e Stad t al s politischen Verband. In Europa mußten sic h die Gilden und Stadtbürger von den Stadtherren emanzipieren, um ihre Interessen wahren und ausdehnen zu können, ein Umstand , der ganz offensichtlich i n Indien irrelevan t war. Hie r böte sich ein Ausgangspunkt für eine »indische Soziologie« an. Weber hatte die Möglichkeit, ein anderes Konzept der indischen Stadt zu entwerfen, auch ohne die nu n vorliegenden Untersuchungen . Da s aber war nich t sein e Intention . Besonders auffällig wird dies unter Berücksichtigung der Tatsache, daß es die indischen Städt e waren, übe r di e de r gesamt e kolonial e Hande l mi t Europ a abgewickelt wurde und in denen Zünfte wie auch Kasten eine nachgeordnete Rolle spielten . Ma x Weber unterschläg t zude m di e Tatsache , da ß indisch e Händler seit mehreren Jahrhunderten regionalen und überregionalen Hande l zu Wasser und zu Lande auf der Grundlage eines ausgeprägten und effiziente n Finanzmarktes betrieben. 70 Mit dem Niedergang des Gupta-Reiches verschwanden allmählich die Städte. De r Negativbewei s fü r di e Einzigartigkei t de r europäische n Stad t is t fü r Weber mit der »Brahmanischen Restauration« und dem gleichzeitigen Versinken der indischen Städt e mi t ihre n einst mächtige n Händler n erbracht . Alle von K. Chatterjee, Collaboration and conflict: Banker s and early colonial rule in India 1757-1813, in: Indian Economic and Social History Review 30, 1993, S. 283-310. 67 Bayly, Rulers, S. 163. 68 Ebd., S. 188. 69 Af. N . Pearson, Merchants and rulers in Gujarat. The respons e to the Portuguese i n th e sixteenth Century, Berkeley 1976, S. 4f. 70 In Ansätzen formuliert dies Rösel, Hinduismusthese, S. 81.
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weitere urbane Entwicklung interessierte nicht. Es war erst die britische Kolonialmacht, di e ein e neu e For m de r Stad t au f de n indische n Subkontinen t brachte und die zugleich mit Hilfe einer von ihr selbst eingeleiteten, einzigar tigen »Brahmanischen Restauration« eine vordergründig stabile Herrschaft aufbaute, die immerhi n zweihunder t Jahre Bestan d habe n sollte. 71 Ma x Webers »Konzept« der indischen Stadt aber geht über das der mittelalterlichen europäischen Stadt nicht hinaus. Die indische Stadt wird nicht nur an falschen Parametern gemessen, sonder n auch Entwicklungen, di e selbst Weber aufgrund de r ihm zur Verfügung stehenden Literatur hätte erkennen können, bleiben unberücksichtigt. Aber sein Interesse galt eben der Einzigartigkeit der okzidentalen Stadt; die spezifische Rolle der indischen Stadt hat er durchaus gewürdigt, doch erkenntnisleitend wa r sie nur von geringem Wert, sieht man einmal vo n der Instrumentalisierung als idealtypisches Gegenbeispiel für die europäische Stadt ab. A n eine »indische Soziologie« bleib t freilich di e Hoffnun g geknüpft , sic h dieses »orientalistischen« Bilde s z u entledigen un d eigenständig e Ansätze z u entwickeln, di e de r Roll e de r indische n Stad t i m subkontinentale n Kontex t gerecht werden.
71 Die Kritik von Munshi, in : Kocka,Weber, S. 221-223, hätte Weber folglic h nich t getroffen , denn streikende Arbeiter in und um Calcutta Ende des letzten Jahrhunderts wären für diesen nur ein weiterer Beweis gewesen, daß es der kapitalistische Geist war, der in indischen, zumal europä isch gegründete n Städte n ers t die Auflösung de r strikten Kastenstrukture n ermöglicht e un d zu gemeinsamem Handel n de r neu entstehenden »Arbeiterklasse « befähigte .
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HELWIG SCHMIDT-GLINTZE R
Max Weber und die chinesische Stadt im Kulturvergleich Auch für die chinesische Stadt gilt die von Christian Meier als »unüberholbar« gekennzeichnete Einsich t Ma x Webers, »da ß di e Eigenar t de r okzidentale n Stadt nu r i n eine r universa l di e Bedingunge n mögliche r Stadt - un d Gesell schaftsbildung bedenkende n Betrachtun g z u ermittel n ist.« 1 Welche s die Eigenart der chinesischen Stadt ausmacht, ist daher zumindest auch kontrastiv zu bestimmen; darüber hinau s sind stets die Besonderheiten ihre r eigenen Entwicklung z u beachten. Insbesondere is t der Rahmen z u erkunden, innerhal b dessen die Frage nach »der Eigenart der okzidentalen bzw. der nicht-okzidenta len Stadt « gestellt wird. Zudem kan n von der okzidentalen Stad t nur idealty pisch - d.h. mit allen dadurch implizierten Einschränkungen - die Rede sein; nur in diesem Sinne wird hier von der chinesischen Stadt gesprochen. Die Vielfalt de r Städt e je nac h Lag e un d Funktio n sowi e nac h Entstehungszei t un d Dauer ist auch in China nicht zu übersehen. Grundsätzlich ist zu fragen, ob es so etwas geben kann, was »Stadt« ausmacht und über die Tatsache einer Siedlungsballung hinausgeht, selbst wenn die Stadt in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Ausprägungen erfährt. 2 Dabe i ist der Erklärungswert kontrastive r Feststellunge n begrenzt , wenn sic h etwa bei Weber nebe n Aussage n vo n de r Art: »ga b es in Chin a nicht« , »lasse n sic h i n China nicht finden« ode r »fehlte in China gänzlich« eine Formulierung finde t wie: »fehlte zwar auch in China nicht, aber«. Vom Stadtgott heißt es: »Ein solcher fehlt zwar auch in China nicht (oft ein apotheosierter Mandarin). Aber er behielt doch den Charakter eines Funktionsgottes im Pantheon«.3 Solch e relationalen Aussage n i m Licht e neuere r Forschun g z u würdigen, is t deswege n nicht leicht , weil si e sich oft an Klassifikationen orientieren , die wegen ihre s 1 Ch. Meier, Einleitung, in: ders., Stadt, S. 17. - Ich danke Achim Mittag und Wilfried Nippel für vielfältige Ratschläge und Hinweise bei der Verfertigung des vorliegenden Beitrages. 2 Die Literatur zur Typologie der Stadt ist reichhaltig; inzwische n scheint eine Historisierung die Voraussetzung für weitere Erkenntnisgewinnung zu sein. Einen Versuch der Abgrenzung der vorindustriellen Stadt unternahm etwa G. Sjoberg, The Preindustrial City, in: American Journal of Sociology 60, 1954/55, S. 438-445. Siehe auch R. Ofner, Zur Definition de r Stadt, in: KZSS19,1967, S. 546-551. 3 WuG, S. 744 (MWG I/22-5, S. 108); vgl. MWG V19, S. 151.
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idealtypischen Charakter s nur in der Abstraktion verifizierbar sind . Was Max Weber über den Unterschied zwische n Orien t un d Okziden t schreibt , sollt e mit zur Klärung der Besonderheit der Entwicklungen i m Okzident beitragen. Auch wenn sein e Feststellunge n nich t i n alle n Detail s heut e noc h al s gülti g gelten können, sind die Resultate damit noch nicht unbedingt obsolet. I. Das Land der großen ummauerte n Städt e Die ersten Sätze zu Webers Konfuzianismus-Studie, späte r »Konfuzianismu s und Taoismus« überschrieben, sind wohlbekannt. Auch dort fangen, wie so oft bei Weber, die Betrachtungen mit der Stadt an, die damit die wichtigste historische Universalie i n Webers kulturvergleichenden Studie n ist . In der Fassun g von 1920 folgt auf die ersten Sätze, als Zusatz gegenüber der Fassung von 1915, ein umfangreicher Exkurs über das chinesische Geldwesen.4 E s ist nicht unerheblich, daß dem Geld als herausragendem Kennzeichen der modernen Kultur gerade in diesem Zusammenhang eine ebenso zentrale Bedeutung zuerkann t wird, wie das Georg Simmel (dessen Einfluß hier spürbar sein könnte) in seiner »Philosophie des Geldes« (1900) entwickelt hatte. Doch während bei den anderen Begründer n de r Soziologi e di e kontrastierend e Gegenüberstellun g vo n Mittelalter un d Modern e i m Vordergrun d steht , geh t e s bei Weber u m »di e Darstellung de r Genes e der okzidentalen Modern e i n eine r vom Mittelalte r ausgehenden Perspektive«. 5 Allerdings hat das Geldwesen bei der Betrachtung anderer Kulturen auch früher schon eine große Rolle gespielt, und Geld- und Münzwesen gehörten seitdem 18. Jahrhundert zum festen »Themeninventar « bei der Beschreibung Chinas. 6 Weber selbs t geh t kontrasti v vor , etw a wen n e r feststellt : »Städte , di e wi e Florenz eine Standardmünze geschaffe n un d der staatlichen Münzpolitik di e Wege gewiesen hätten, gab es in China nicht.« 7 Di e chinesische Stadt war »in entscheidenden Punkten etwas anderes als die des Okzidents«.8 E s folgen dann die immer wieder zitierten Kernsätze: »Der Grundgegensatz der chinesischen, wie aller orientalischen, Städtebildung gegen den Okzident war aber das Fehlen des politischen Sondercharakter s de r Stadt . Si e war kein e ›Polis ‹ i m antike n 4 MWGI/19, S. 133-148. 5 O. G. Oexk, Kulturwissenschaftliche Reflexione n übe r soziale Gruppen in der mittelalterlichen Gesellschaft: Tönnies, Simmel, Durkhei m un d Max Weber, in : Meier, Stadt, S. 115-159, hier S. 132f . 6 Das chinesische Münzwese n mu ß spätestens seit dem 16. Jahrhundert auc h im Kontext internationaler Wahrungs- und Edelmetall-Zirkulation gesehen werden. Siehe R. von Glahn, The Fountain of Fortune. Money and Monetary Policy in China, 1000-1700, Berkeley 1966. 7 MWG I/19, S. 148. 8 Ebd.
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Sinne und kannte kein ›Stadtrecht‹ wie das Mittelalter«.9 Un d etwas später: »Es fehlte [...] völlig de r politisch e Schwurverban d vo n wehrhafte n Stadtinsas sen.«10 Im Zusammenhan g de r Erörterun g de s Festungscharakter s de r Stad t schreibt Weber: »In China umgekehrt war jede Stadt mit riesigen Mauergürteln umgeben. Aber dort scheinen auch sehr viele ökonomisch rein ländliche Ortschaften, di e auch administrativ nich t Stadt, d.h. (wi e später zu erwähnen) in China: nich t Sit z staatliche r Behörde n sind , vo n jeher Mauer n besesse n z u haben.«11 Es geht also nicht i n erster Linie u m die Wehrhaftigkeit, sonder n u m de n »politischen Sondercharakter« , de n »Schwurverband« . Nich t vo n ungefäh r zieht Weber die oberitalienischen Städt e als Paradigma heran. Freie Verbandsbildung war also in China nur eingeschränkt möglich; entsprechend gilt für den Status der Einwohner: »De r chinesische Stadtinsass e gehörte rechtlich seine r Sippe und durch diese seinem Heimatdorf an, in welchem der Ahnentempel stand und zu dem er die Verbindung sorgfältig aufrechterhielt, ebens o wie der russische, in der Stadt erwerbende, Dorfgenosse rechtlich ›Bauer‹ blieb.«12 An dererseits blieb aber der Dorfbewohne r sei t der Song-Zeit (960-1279) nicht dauerhaft a n seine n Herkunftsor t gebunden , wa s auc h Weber zu r Kenntni s nahm.13 Di e neuere Forschung hat die Möglichkeit freier Verbands- und Gemeindebildung sei t dem chinesischen Mittelalte r hervorgehoben , di e freilic h immer wieder konterkariert wurde. In diesem Zusammenhang ist die Gemeindebildung, aber auch der Buddhismus mit seinen Institutionen zu sehen. 14 Weber erkannte, daß selbst die Vertreter der zentral organisierten Bürokratie »mit der Stimmung der Bevölkerung« zu rechnen hatten. Sie waren »gegenüber den lokalen Verbänden: den Sippen und Berufsverbänden, wenn sie sich i m Einzelfalle zusammenschlössen , regelmäßi g völli g machtlo s [...]. Obstruktion, Boy kott, Ladenschließe n un d Arbeitsniederlegunge n de r Handwerke r un d Kaufleut e i m Fall konkrete r Bedrückun g ware n scho n alltäglic h [...]. Es kam vor, daß die Vorständ e dieser Verbände weitgehende Zwangsgewalte n auc h gege n Dritt e ausübten.« 15 9 Ebd., S. 149. 10 Ebd., S. 151. 11 WuG, S. 733 (MWG I/22-5, S. 73). 12 WuG, S. 736f. (MWGI/22-5, S. 85f.); vgl. MWG V19, S. 150 u. 265. 13 Zum Verlust der Ortszugehörigkeit in der Späten Kaiserzeit siehe auch MWG VI9, S. 278. 14 Siehe H. Schmidt-Glintzer, De r Buddhismus i m frühen chinesische n Mittelalte r un d der Wandel der Lebensführung be i der Gentry im Süden, in: Saeculum 33, 1972, S. 269-294; ders., Der Literatenbeamte und seine Gemeinde, oder: Der Charakter der Aristokratie im chinesischen Mittelalter, in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 139,1989, S. 397-425; den. u. Th. Jansen, Religionsdebatten und Machtkonflikte - Veränderungen in den Machtverhältnissen im chinesischen Mittelalter, in: Zeitschrift für Religionswissenschaft 1992, Heft 2, S. 5090. 15 WuG, S. 737 (MWG I/22-5, S. 88).
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Zugleich wird ma n der Einschränkung Webers zustimmen müssen , der fest stellt: »Nicht aber - normalerweise - existiert irgendein gemeinsamer Verband mit Vertretung einer Gemeinde der Stadtbürger als solcher. Dieser Begriff fehlt eben gänzlich. Es fehlen vor allem spezifisch ständisch e Qualitäten de r städti schen Bürger.« 16 Neben die Stadt stellt Weber die Gemeinde und unterscheidet davon nochmals di e mittelalterlich e Stadt : »Di e mittelalterlich e Stad t dagege n wa r ei n ›commune‹ vo n Anfang ihre s Bestehens an, einerlei, wieweit ma n sic h dabe i den Rechtsbegriffder ›Korporation ‹ als solchen sofort zum klaren Bewußtsei n brachte.«17 Besonder e Umstände machten das möglich, nämlich das Fehlen der »Tabuschranken de s indisch-äquatoriale n Gebiets « un d de r »totemistischen , ahnenkultischen und kastenmäßigen magischen Klammern der Sippenverbände, welch e i n Asie n di e Verbrüderun g z u eine r einheitliche n Körperschaf t hemmten«.18 Di e Kohären z der Sippe n gal t auc h fü r China , wo di e Sippe n »Träger de r entscheiden d wichtige n Angelegenheiten : de s Ahnenkults, un d deshalb unzerbrechlich« waren. 19 Die neuere Forschung hebt das Dorf als den Nukleus sozialer Organisation jenseits der Familie hervor, sei es als Klandorf oder als Siedlung mehrerer Klane und Sippen, und bestätigt ältere Beschreibungen, wie sie sich in Webers Formulierung niederschlagen : »›Selbstverwaltung ‹ hatte n i n Chin a wi e i n Japan wohl di e Berufsverbände , nich t abe r di e Städte , seh r i m Gegensat z z u de n Dörfern.«20 Auc h galt für das Dorf in China nicht die besondere Bindung des Bodenrechts, wie sie Weber für den Okzident konstatiert.21 Trot z vieler Ansätze von Selbstverwaltung in den Dörfern kann Weber das für die okzidentale Stadt
16 WuG, S . 737f. (MW G I/22-5, S. 88). Etwas später, WuG, S . 740 (MWG I/22-5, S. 98): »Soweit di e gesichert e Kenntni s asiatische r un d orientalische r Siedelungen , welch e ökonomi schen Stadtcharakte r trugen , reicht , wa r jedenfalls de r normal e Zustan d der : da ß nu r di e Ge schlechtersippen und eventuell neben ihnen die Berufsverbände, nich t aber Stadtbürgerschafte n als solche, Träger eines Verbandshandelns sind. Natürlich sind die Übergänge auch hier flüssige. Aber gerade die allergrößten, Hunderttausende und zuweilen Millionen von Einwohnern umfassenden, Siedelungszentren zeigen diese Erscheinung.« 17 WuG, S. 745 (MWG I/22-5, S. 112). 18 Ebd. 19 WuG, S. 756 (MWG I/22-5, S. 143). An derselben Stelle bezeichnet Weber die Sippengebundenheit in China im Vergleich zu Indien als relativ. 20 WuG, S. 738 (MWG I/22-5, S. 89). 21 »Aber wenigstens fü r di e mittelalterlich e Stad t de s Okzident s wa r de r Unterschie d de s Bodenrechts ein, von Übergangserscheinungen abgesehen , kaum je fehlendes Essentiale: prinzipiell frei veräußerliches, ganz zinsfreies oder nur mit festem Zins belastetes vererbliches Bodeneigentum in der Stadt, in der mannigfachsten Weise grundherrliches oder der Dorf- oder Markgemeinde gegenüber oder nach beiden Richtunge n gebundene s Bauerntan d draußen. Das war i n Asien und in der Antike nicht in gleicher Regelmäßigkeit der Fall« (WuG, S. 741; MWG I/22-5, S. 101).
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im spezifische n Sinn e konstitutiv e »Stadtbürgerrecht « nirgend s feststellen , auch wenn er Vorstufen dazu in Asien und Afrika einräumt. 22 Während i m mittelalterliche n Chin a der Unterschied zwische n Stad t un d Land nicht so erheblich war, entwickelte sic h offenbar i n der Zeit des Übergangs zur Song-Dynasti e ei n neue s städtische s Selbstbewußtsein , da s seine n Ausdruck in der Errichtung von Stadtgott-Tempeln fand, deren Funktion vielfältig war und in ihrer Komplexität den Übergang vom mittelalterlichen zu m frühneuzeitlichen China verdeutlicht.23 Dies e Stadtgott-Tempel, deren Unterhalt z u eine m Tei l von de r Zentralregierun g z u finanzieren war , worin sic h nochmals die Abhängigkeit de r Städte von der Zentrale spiegelt, bildeten das identitätsstiftende Zentrum der Städte. Als Patrone wurden verdiente Generäle verehrt, aber auch solche Personen, die einmal als Aufständische hingerichte t worden waren und deren wiederkehrender und Unheil bringender Geist durch die Errichtung eines Erinnerungstempels z u beruhigen war, wie im Falle des Yuchi Jiong, den man zum Stadtgott von Anyang (in Henan an der Grenze zu Hebei) machte. 24 Nun dar f die Betonung der Stadt-Land-Differenz nich t dazu fuhren , ein e allzu enge Parallele zur europäischen Situation zu konstruieren. Hier gilt wohl, daß der Stadt-Land-Gegensatz in China nicht so stark war wie in Europa. Nach F. W Mote waren die chinesischen Städte »not corporate entities, and had none of the organizational features which set European cities apart in legal and political ways«. 25 Mot e sieht ein Kontinuum zwischen Lan d und Stadt und weist darauf hin, wie sehr das Landleben die Mentalität prägt. 26 Für den Fachgelehrten ist es durchaus reizvoll, sich mit einzelnen Aussagen Webers kritisch - und das heißt auch: im Lichte neuerer Forschung - auseinanderzusetzen, zuma l Weber additi v un d kumulieren d ein e ganz e Reih e vo n Merkmalen chinesische r Städt e anfuhrt , di e auc h heut e noc h al s zutreffen d gelten können. Andererseits haben kritische Auseinandersetzungen mit Webers Gegenüberstellung vo n orientalische r un d okzidentale r Stad t einig e weiter e Gesichtspunkte beleuchtet. So hat Vatro Murvar - wie etliche andere auch - auf die Problematik de r zeitlichen Entdifferenzierung be i de r Bildung einzelne r Typen hingewiesen. 27 S o sind Stadtbürge r i n der Antike un d i n der Neuzei t 22 Vgl. WuG, S. 744 (MWG I/22-5, S, 108). 23 Siehe hierzu D.Johnson, The City-God Cults of Tang and Sung China, in: Harvard Journal of Asiatic Studies 45, 1985, S. 363-457. 24 Siehe G. Dudbridge, Yü-ch'ih Chiung at An-yang: An Eighth-Century Cult and Its Myth, in: Asia Major, 3. Ser., 3, 1, 1990, S. 27-49. 25 F. W. Mote, Α Millenium of Chinese Urban History: Form, Time, and Space Concepts in Soochow, in: Rice University Studies 59, 4,1973, S. 35-65, hier S. 37. 26 Über die Rolle des Gartens in der Ming-Zeit siehe C. Clunas, Fruitful Sites: Garden Culture in Ming Dynasty China, London 1996. 27 V. Murvar, Some Tentative Modifications of Webers Typology: Occidental versus Oriental City, in: Social Forces 44, 1966, S. 381-389.
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nicht das gleiche, und auch in anderen Kulturen hat es bestimmte Veränderungen gegeben. Wenn Murvar als bedeutungsvoll für die okzidentale Stadt auf die freien Universitäten , die Bettel- und Reformorden sowi e die Ausbildung von Rechtsexperten hinweist, ließen sich diese Stichworte auch im Hinblick auf die chinesische Stad t noc h weite r erörtern . Den n dor t ga b es ebenfall s Ausbil dungszentren und Akademien, wobei dann wieder die Spannung zwischen der Akademietradition (in oder nahe) der Hauptstadt und der Akademietradition in Zurückgezogenheit z u thematisieren wäre.28 Auch das Mönchswesen und die Klöster spielen in China eine wichtige Rolle.29 In der Rechtskultur gab es hochgradige Professionalität, doch konnte sich die Rechtssphäre nicht aus dem Zusammenhang des gesamten Weltverständnisses lösen. Die Frage nach der Besonderheit der chinesischen Stadt gehört - auch unabhängig von Webers Fragestellung- zu den Kernfragen moderner Sozialwissenschaft.30 Dabe i hilft dann die Unterscheidung bestimmter Stadttypen im Sinne des Idealtypus, was ja bedeutet, daß diese in ›reiner‹ Form kaum je vorzufinde n sind: Weber unterscheidet u.a. Konsumentenstadt, Produzentenstadt , Gewer bestadt, Händlerstadt und Ackerbürgerstadt.31 A n anderer Stelle unterscheidet er auch die Küstenstadt, als welche in der Regel die typische Geschlechterstadt auftrete;32 ei n besonderes Kapitel widmet er der Plebejerstadt. Problematisie ren muß man , wie obe n angedeutet, di e Kontrastierung Orien t vs. Okzident überhaupt.33 Problematisc h is t auch, daß Weber, wenn e r von China spricht , nicht desse n Ausdehnung expliziert . Gewi ß ga b es Handelsstädt e (Fuzhou) , und keineswegs sind die Städte Chinas alle nur Verwaltungssitze, sondern sie sind das nur zum Teil.
28 Zu Akademien sieheJ . Meskill , Academies in Min g China : Α Historical Essay, Tucson 1982; B. C. Keenan, Imperial China's Last Ctassical Academies. Social Change in the Lower Yang zi, 1864-1911, Berkeley 1994. 29 Weber erwähnt die Klöster öfter, z.B. MWG I/19, S. 148. Neuere Studien zum Mönchswesen sind:/. Kieschnick, The Eminent Monk. Buddhist Ideals in Medieval Chinese Hagiography, Honolulu 1997:J. Gernet, Buddhism in Chinese Society: An Economic History from the Fifth to the Tenth Centuries, New York 1995; G. Schoppen, Bones Stones, and Buddhist Monks, Honolulu 1997; Chunwen Hao, The Social Life of Buddhist Monks and Nuns in Dunhuang during the Late Tang, Five Dynasties and the Early Song, Beijing 1998 (chinesisch); T. Brook, Praying for Power: Buddhism and the Formation of Gentry Society in Late-Ming China, Cambridge, Mass. 1993; Α. deBlasi, Α Parallel World: Α Case of Monastic Society, Northern Song to Ming, in: Jour nal of Sung-Yuan Studies 28, 1998, S. 155-175. 30 Siehe Kwang-chtit Chang, Early Chinese Civilization. Anthropological Perspectives, Cam bridge, Mass. 1976, der sich mit Themen wie »China toward Urban Life«, »Urbanism and the King in Ancient China« sowie mit »Towns and Cities in Ancient China« auseinandersetzt. 31 WuG, S. 729f. (MWG I/22-5, S. 63-68). 32 WuG, S.768 (MWG I/22-5, S. 178). 33 Siehe N. Thompson Price, The Pivot: Comparative Perspectives from the Four Quarters, in: Early China 20, 1995, S. 93-120.
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II. Zentralität, Prosperitä t un d Mandarinensit z Wenn es überhaupt so etwas gibt wie die chinesische Stadt, handelt es sich um einen zentralen Ort, häufig mi t Handelsfunktionen. Verlegunge n der Haupt stadt und die Prosperitä t eine r Stadt bzw. ihres Umlande s bedingte n sic h oft wechselseitig. Di e Träge r politische r Herrschaf t wählte n solch e Städt e al s Hauptstädte oder wählten dort ihre Hauptstadt, wo sie die meiste Unterstüt zung fanden. Als Beispiel sei nur Kaifeng, die Hauptstadt der Nord-Song, ge nannt. Wenn ein e Stad t zu m Mandarinensit z wurde , erhob ma n eine n orts fremden, vo n der Zentrale eingesetzten Beamte n zu m formalen Oberhaupt , was insbesondere eine Eigenständigkeit der Stadt unmöglich machte. Gerade zum Thema Stadtentwicklung in frühgeschichtlicher Zeit finden wir in Chin a di e Bewegun g von Neugründung , Relokatio n un d gewissermaße n fließender Stadtentwicklung, woraus nach Ansicht von Nancy Thompson Price folgt, daß die Städte nicht umstandslos vergleichbar sind. 34 E s gibt in China oder besser: au f chinesischem Territoriu m kein e Machtkonstanz , kein e fest e Hauptstadt, und die Rolle Pekings ist ein Sonderfall.35 (Auc h in Zentraleuropa - von der Ausdehnung her allein vergleichbar - haben sich in den letzten zweitausend Jahren di e Machtzentren verschoben. ) Heut e gib t e s auch i n Chin a viele Zentren und doch nur eine Hauptstadt. Das hängt mit der Konstituierung des chinesische n Einheitsreichsgedanken s zusammen, 36 de r seinerseit s ein e Folge früher Mobilität, wenn nicht Ubiquität ist und alle Polyzentralität immer wieder nicht zuletzt auch dadurch überwunden hat, daß er die Zentrale sozusagen multiplizierte. Auch das alte Kyongchu, die Hauptstadt des Silla-Reiches auf der koreanische n Halbinsel , un d Kyot o sind Abbilde r de r tangzeitliche n Weltstadt Chang'an. Die Frage scheint mir noch nicht beantwortet, warum die koreanischen und die japanischen Lokalkulturen nicht in das chinesische Reich integriert wurden, obwohl verschiedene chinesische Herrsche r Expeditione n dorthin unternahmen . Ma n kan n di e Frag e auch ander s wenden: Wo ist der Punkt anzusetzen , a n de m ein e weitere Ausdehnung China s zu r Implosio n führt?
34 Thompson Prke, ebd. 35 Dies hat schon Ε. Η. Parker, Ancient Chin a Simplified , Londo n 1908, S. 124, beobachtet und Ma x Weber zur Kenntnis genommen. Sieh e MWG I/19, S. 148 und 154. 36 Siehe hierz u H . Schmidt-GUntzer , China : Vielvölkerreic h un d Einheitsstaat, Münche n 1997.
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III. Stadtgründung un d Stadtplanun g Während die Dörfer »naturwüchsig« entstanden, wurden Städte geplant.37 Die se waren zwar auch nicht gleichförmig,38 hatte n jedoch gewisse für sie typische Charakteristika. Die lange erörterte Frage, ob es sich bei der chinesischen Stadt in erste r Lini e u m ei n Kultzentru m ode r abe r u m eine n Or t militärische r Machtsicherung handelte,39 is t inzwischen dahingehend geklärt, daß beide Elemente ein e Roll e spielten . Fü r die Frühzei t gilt : Di e seit de n 1930e r Jahren forcierten Ausgrabungen i n China haben nicht nur eindrucksvoll gezeigt, daß bereits in der frühen Shang-Dynastie (16.-14. Jh. v.Chr.) große umwallte Städte angelegt wurden (z.B. di e Palaststadt von Erligang, Provinz Henan), sondern auch die These vielfältiger regionaler Kulturen bestätigt. Trotz der hochstehenden und weit über das eigentliche Herrschaftsgebie t i n der nordchinesische n Tiefebene ausstrahlenden Kultur des Shang-Königtums blieben starke regionale Traditionen bi s i n di e Frühzei t de s imperialen Großreiche s de r Qin - un d Han-Dynastie (221 v.Chr.-220 n.Chr. ) bestehen . Dies e Vielfal t schlu g sic h unter anderem auch in der Anlage von Städten nieder. Neuere Studien belegen die durch das Zusammenspiel von administrativ-funktionalen, konfuzianisch traditionalistischen, steppennomadische n un d lokale n Einflüsse n erzeugt e Dynamik der städtebaulichen Entwicklung, die anscheinend erst mit der TangDynastie (618-907) allmählich erlahmte. Es gibt Hinweise darauf, daß die Herausbildung der inneren Organisationsstruktur der chinesischen Stadt von den neolithischen Anfänge n bi s zu r Tang-Zei t vo n eine r ähnliche n Vielfal t un d Dynamik wi e di e Entwicklungsgeschicht e de r äußere n Stadtarchitektu r ge kennzeichnet war. 40 37 Siehey. Needham , Scienc e an d (Civilisation i n China, Ban d 4, Teil 3, Cambridge 1971, S. 71. - Die Darstellung de r chinesischen Stad t im sozialen un d wirtschaftlichen Kontex t ist in diesem Werk i n Sektion 47 vorgesehen. - Zur Geschicht e de s Dorfe s in China sieh e auc h F. Aubin, Quelques etapes dans Phistoire des villages en Chine imperial e et republicaine, in : ders., Les Com munautes rurale . Troisième partie : Asia et Islam, Pari s 1982, S. 227-282. 38 Siehe B. E. Walkcker u.a . (Hg.) , Chines e Walled Cities : Α Collection o f Maps fro m Shin a Jökaku n o Gaiyo, Hongkon g 1979. 39 Siehe zu m Beispiel D . N. Keightley, Religio n an d th e Rise of Urbanism, in : Journal o f th e American Orienta l Societ y 93, 1973 , S. 527-538. Dabei handel t es sich um eine Auseinanderset zung mit P. Wheatley , The Pivot of the Four Quarters: Α Preliminary Enquiry int o the Origins and Characterofthe Ancien t Chinese City , Chicago 1971. Gegen diese Deutun g hatte sich L. Vander meersch, in: T'oung Pa o 59, 1974 , S. 254-262, gewandt mi t der These, es habe keine befreite Prie sterschaft gegeben , und der Antrieb zur Stadtbildung sei nicht dem Ahnenkult und der Verehrun g von Lokalgöttern z u verdanken. Der chinesische Staat sei niemals ein Stadtstaat gewesen, sonder n ein »familia l State« . In seiner Entgegnun g mein t Keightley, in: Early Chin a 1, Fall 1975, S. 63-65, die Kontroverse beruh e i m wesentlichen au f Mißverständnissen . 40 Diese Ausführungen gehe n au f Gespräche mi t Achim Mitta g vom 4. April 1997 zurück. Zur Geschicht e der Stadtplanung i n China siehe : W u Liangyong, Α Brief History o f Ancient Chi nese City Planning , Kasse l 1986; N. Shatzman Steitthardt, Chinese Imperia l Cit y Planning , Hono lulu 1990.
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Von besonderem Interess e is t Luoyan g al s Hauptstad t de r Spätere n Han Dynastie.41 Diese r Ort (oder besser: diese Gegend) ist als Hauptstadt das ganze 1. Jahrtausend n.Chr. hindurch bestimmend gewesen und wurde dann im 11. Jahrhundert zu m Zentru m konservative r intellektuelle r Strömungen . I m 5. und 6. Jahrhundert war es kurz Hauptstadt der Tuoba-Wei-Dynastie, worüber die nac h de r Zerstörun g i m Jahr e 534 verfaßte Hauptstadtbeschreibun g Luoyang qieknji Auskünfte gibt, der es allerdings in erster Linie um die Tempel der Hauptstadt ging. Gerade solche Hauptstädte, die zu Zentren der ursprünglich vo n Nomade n ode r halbnomadische n Stämme n geführte n Dynastie n wurden, verdienen hie r Beachtung , weil si e eine Mischung au s chinesische r Stadt und Herrschaftssitz nichtchinesische r Völker darstellen. 42 IV. Umbrüche i n der Song-Zei t un d i m 17. Jahrhundert In den vergangenen vier Jahrzehnten ist die Erforschung der chinesischen Stadt in historisch-genetische r Perspektive , vo r alle m de r Stadtgeschicht e sei t de r Song-Dynastie (960-1279), erheblich vorangeschritten, worum sich insbesondere die japanische Sinologi e verdien t gemach t ha t (di e au f den Spure n de r japanischen kaiserliche n Armee besonders leicht an ihr Anschauungsmateria l kam). I m Mittelpunk t de s Interesse s steh t dabei de r urban e Wandel i n zwe i Perioden: zum einen in der Zeit vom 10. bis 14. Jahrhundert, in der es zu einer als »Wirtschaftsrevolution« bezeichnete n sprunghaften Entfaltung von Handel und Gewerbe kam; zum anderen in der Zeit des 17. Jahrhunderts (Ende Ming/ Anfang Qing), die Wirtschaftshistoriker durc h die Ausbreitung von »Sprossen des Kapitalismus « gekennzeichne t sehen . Fü r di e erst e Period e läß t sic h ei n kräftiger Urbanisierungsschub in der Region am Unterlauf des Yangzi sowie in der südöstlichen Küstenregio n (Zhejian g - Fujian - Guangdong), einherge hend mit einer deutlichen Liberalisierung innerstädtischen Lebens (Wegfall der Stadtviertelmauern; Verlegun g de r Vergnügungsmärkte extr a muro s i n da s Stadtgebiet etc.), feststellen.43 I n der zweiten Periode bildete sich eine üppige, von de r Literatenschich t un d de r vermögende n Kaufmannschaf t getragen e städtische Kultur heraus, die - auf vielfältigste Weise gebrochen, facettenreic h
41 Siehe H. Bielenstein, Lo-yan g in later Han-Times , in : Bulletin o f the Museu m o f Far Eastern Antiquities 48,1978, S. 1-142; ferner Wan g Zhongshu, Han Civilization, Ne w Haven 1982. 42 Siehe hierzu beispielsweise Xiong Cunrui, Re-Evaluation of the Naba-Chen Theory on the Exoticism o f Daxingcheng, Th e First Sui Capital, in: Papers on Far Eastern Histor y 35, 1987 , S. 135-166; ders., The Planning of Daxingcheng, The First Capital of the Sui Dynasty, in: Papers on Far Eastern Histor y 37, 1988 , S. 43-80. 43 Siehe hierzu die Arbeiten vor allem von Shiba Yoshinobu; dazu meine Besprechung in: Revue Bibliographiqu e de Sinologie N.S . 6, 1988, S. 74.
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und nuancier t - in de r zeitgenössische n Romanliteratu r widergespiegel t wird.44 Besonders die Entwicklung in der Yangzi-Delta-Region seit der Song-Zeit ist in den letzten Jahren eingehender untersucht worden; dabei haben besonders Hangzhou, Suzhou, Yangzhou und Shanghai die Aufmerksamkeit au f sich gezogen,45 wobe i Shangha i ein e Sonderroll e insofer n zukommt , al s es seit de r Mitte des 19. Jahrhunderts zu der wichtigsten Hafenstadt und zum Umschlagplatz nicht nur von Waren, sondern auch von Ideen und Lebensstilen wurde. Gerade i m Zusammenhang mi t Shangha i is t die Frag e der Ausbildung eine r Bourgeoisie eingehen d diskutier t worden. 46 Dabe i is t eine Betrachtun g de s Lebens bestimmte r Gruppe n hilfreich , wi e sic h etw a a n de r Untersuchun g zum Leben von Bankangestellten gezeigt hat.47 Hie r ist insbesondere anzumerken, daß bestimmte Lebensformen oft nur so erklärt werden können und keinesfalls voreilig auf autochthone Wurzeln zurückgeführ t werde n müssen . S o sind etwa in der Organisation der Shanghaier Bank of China gerade Auslandserfahrungen einzelne r Manager in Bezug auf das Bankwesen i n Europa sowie mit dem dormitory-System der angelsächsischen Colleges und anderen Management-Techniken eingeflossen . Eigenständig e Milieu s bildete n sic h ers t i n Städten von einer gewissen Größe an. 48 Übe r die Milieus in anderen Städte n (auch früherer Zeiten) , in Akademien, Gelehrtengärten ode r Kaufleute-Resi denzen gibt es noch keine zusammenfassenden Berichte. 49 V. Hauptstädte un d Ort e de r Erinnerun g Es wurde bereits deutlich, daß die Hauptstadt seit jeher eine herausgehoben e Rolle im chinesischen Kaiserreich einnahm.50 Si e war nicht nur das administra44 Siehe allgemein zur Stadtentwicklung in der späten Kaiserzeit G. W . Skinner (Hg.), The City in Late Imperial China, Stanford 1977, sowie meine Besprechung in: Monumenta Serica 33, 1977/1978, S. 442-448. Zur Romanliteratur allgemein siehe das Kapitel »Der klassische Roman und seine Vorläufer«, in: H. Schmidt-Gtintzer, Geschichte der chinesischen Literatur. München 19992, S. 422-438. 45 Siehe z.B. L. CookeJohnson (Hg.), Cities of Jiangnan in Late Imperial China, Albany 1993; dazu die Besprechung in: China Review International 3, 1996, S. 450-454. 46 M.-C. Bergere, The Golden Age of the Chinese Bourgeoisie, 1911-1937, Cambridge 1989. 47 Wen-hsin Yeh, Corporate Space, Communal Time: Everyday Life in Shanghai' s Bank of China, in: American Historical Review 100, 1995, S. 97-122. 48 Wen-hsin Yeh, Corporate Space, S. 106f. 49 Hinweise enthält zum Beispiel auch die Studie von C. Ctunas, Fruitful Site. Garden Culture in Ming Dynasty China, London 1996. 50 Zur Planung von Hauptstädten siehe Zhongguo chengshi jianshe shi [Geschichte chinesischer Stadtgründungen], Peking 1982; He Yeju, Kaogongji yingguo zhidu yanjiu [Studie n zum System geplanten Hauptstadtbaus], Peking 1985; Shatzman Steinhardt, City Planning, Honolulu 1990. Über Städte im Kaiserreich siehe Skinner, City.
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tive Zentrum (etw a die Hälft e de r gesamten Beamtenschaf t ta t dort Dienst), sondern zugleich auch der Ort der politischen Öffentlichkeit un d - durch die im Abstand von zwe i bi s drei Jahren abgehaltene n Beamtenprüfunge n - des »olympischen« Wettstreits. Die Sprache der Hauptstad t un d der diese umge benden Region wurde zur Grundlage der Standardsprache, wie es insbesondere bei Chang'an der Fall war.51 Die Größe der chinesischen Hauptstädte übertraf die der okzidentalen Metropolen des Mittelalters und der frühen Neuzeit, wobei der Grad ihrer Urbanität recht unterschiedlich war; er richtete sich danach, inwieweit die jeweilige Hauptstadt auch in wirtschaftlicher un d kultureller Hinsicht das Zentrum des Reiches darstellte (wi e z.B . Chang'an i n der frühen Tang-Dynasti e oder Kai feng in der Nördlichen Song-Dynastie). Es trifft also nur bedingt zu, daß, wie Weber formulierte, in China die Stadt »nie die ›Heimat‹, sondern eigentlich die typische ›Fremde‹ [war]«. 52 Sei t dem 10. Jahrhundert jedenfalls werden Städte mehr un d meh r zu r Heima t un d bleibe n Städt e gan z unabhängi g vo n ihre r Verwaltungsfunktion. Lediglic h Hauptstädte haben einen transitorischen Charakter. Prominent aber waren die Hauptstädte als Orte der Erinnerung. Si e waren das sicherlich auch wegen der dortigen Kultur, wie sie etwa in der Rolle Qingmingshanghetu abgebildet ist, 53 vor allem aber wegen der Erinnerung an Zeiten der Palastprüfung bzw . der Hoffnung au f eine solche Prüfung, un d weil eben von dort immer die letzte Entscheidung kam, di e Bestätigung einer Todesstrafe oder di e Untersuchun g un d Ahndun g vo n Beamtenwillkür . Hoffnun g un d Zuversicht richtete sich auf die Hauptstadt, und so wurden auch untergegangene Hauptstädte mit entsprechender Intensitä t besungen. Es ist die kosmische Funktion, um die es dabei immer geht. 54 Die Stadt war seit den Anfängen von Staatlichkeit Zeremonialzentrum, di e Städte und Verwaltungssitze stellten Replikate der Hauptstadt dar. Als Zeremo nialzentren beherbergten sie auch die Kultstätten aller Institutionen, die sich an den Herrscherkult anlehnten. Dazu gehörten buddhistische, aber auch daoistische Tempe l un d Klöste r vo n zentrale r Bedeutung . Danebe n ga b es imme r auch die Stadtgott-Tempel, von denen bereits die Rede war. Darin und in der 51 E. G. Pulleyblank, Middle Chinese . Α Study i n Historical Phonology , Vancouver 1984. 52 MWG V19 , S. 265. 53 Siehe hierzu L· Cookejohnson, The Plac e of the Qingming shanghe tu in the Historical Geo graphy of Song Dynast y Dongjing , in : Journal o f Sung-Yuan Studie s 26, 1996 , S. 145-182; eine Teilübersetzung de r Beschreibun g von Kaifen g bei B. Kölla, De r Trau m von Hu a in der Östlichen Hauptstadt . Me n Yuanlaos Erinnerunge n a n die Hauptstadt de r Song, Ber n 1996. Zur Hauptstadt der Südlichen Song-Dynastie , Hangzhou , sieh e A. Mittag , Vom Reiseaufenthaltsor t zum Goldschmelztiegel, in: H. Schmidt-Glintzer (Hg.), Lebenswelt und Weltanschauung im früh neuzeitlichen China, Stuttgar t 1990, S. 97-132. 54 Zusammenfassend z u den frühen Rhapsodien über Hauptstädte: H. Schmidt-Glintzer, Literatur, S. 121f .
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Trennung von Palas t un d Tempe l wird auc h di e Grenz e de s Integrationismu s deutlich, s o daß wir von Bezirken innerhal b der Städt e mi t einem hohe n Ma ß an Selbständigkeit spreche n können . Die Ummauerun g un d dami t di e Konstituierun g de r Stad t lebt e vo n de r Grenzziehung. Dabe i gab es neben der Abgrenzung nac h außen auch Abgren zungen nac h innen , zwische n Palas t und Stadt , abe r auch innerhal b de r Stadt . »China war ein Land der großen ummauerten Städte«, dieser Satz bleibt richtig, was das Folgende bestätigt: »Chin a was a landscape of walled town s until mos t of them, includingthe oute r walls of Beijing, were demolishe d afte r 1949. Historical answer s t o the questio n o f why wall s wer e buil t ca n onl y b e mad e i n specific cases , with th e kin d o f documentation tha t Waldron provide s fo r ex ample i n the late Ming.« 55
VI. Gründungsgeschichte n Für Ostasie n wurde da s unter de r Dynastie Su i End e des 6.Jahrhundert s ne u erreichtete Chang'a n zu m Vorbild, das bereits Hauptstad t de r Frühere n Han Zeit und dann die Hauptstadt des Tang-Reiches gewesen war. Am 24. Tag des 6. Monats des 2. Jahres der Periode Kaihuang (d.i. 29. Juli 582) verfügte der Kaiser Wendi, de r i n Chang'a n seine n Sit z genomme n hatte , de n Ba u eine r neue n Hauptstadt: »Ich diene mit Ehrerbietung dem Himmel und blicke als Herrscher auf das Reich. Der Dürftigkeit des Volkes verbunden lebe ich im Palast früherer Dynastien. Ständig bedenke ich die Mühen derer, die ihn geschaffen haben, und die Unbeschwertheit derer, die ihn bewohnen, und ich hatte keine Muße, über Änderungen nachzusinnen . Die Fürsten und hohen Beamten aber unterbreiteten Pläne und reichten Vorschläge ein, die meinten, von [Fu ] Xi und [Shen ] Nong bis herab zu den Ji und den Liu 56 se i man innerhalb einer Dynastie mehrfach umgezogen, und es habe keine Änderung des Mandats ohn e eine Verlegung [de r Residenz ] gegeben . Sei t de n Ca o und de n Ma 57 seien [alte Residenzen] zeitweilig weiterbenutzt worden, doch darin zeige sich die Bedeutungslosigkeit untergehender Potentaten, nicht die Größe vergangener Herrscher . Diese Stad t se i i n de r lange n Zei t sei t de n Tagen de r Ha n verfallen . Of t se i si e de r Schauplatz von Kriegen gewesen, sie hätte lange Zeit hindurch Niedergang und Wirren erlebt, und die jetzigen Paläste kämen in ihrem Zustand einem Notbehelf nahe. Zudem seien [be i ihrer Wahl] weder Schafgarben- ode r Schildkrötenorakel befragt , noc h die Sterne beobachtet oder [günstige] Tage ausgewählt worden. Der Ort sei untauglich für
55 J . Hay , Introduction, in: ders. (Hg.), Boundanes in China, London 1994, S. 12, der sich bezieht aufΑ.Waldron, The Great Wall of China. From History to Myth, Cambridge, Mass. 1990. 56 Gemeint sind die Herrscherhäuser der Zhou und der Han. 57 Die Herrscherfamilien der Wei-Dynastie der Drei Reiche sowie der Jin-Dynastie.
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die Errichtun g einer kaiserliche n Residen z und nich t geeigne t fü r di e Versammlun g großer Massen. Mit [solchen] Erörterungen über die Einzelheiten von Wandel und Durchgängigkeit und mit Darlegungen verborgener und offenliegender Umständ e brachten die Gleichgesinnten beharrlich ihre Bitten vor, und der Gehalt ihrer Worte war tief und eindringend. Nun sin d die Sitze der Hundert Beamte n der Hauptstadt das, wonach sich das ganze Reich richtet und gehören nicht mir Einzigem allein. Wenn es den Dingen nützt, wie könnte ich da widerstreben? Daß di e [Herrsche r der ] Yi n ihr e Residen z fünfma l verlegten , geschah , wei l si e fürchteten, alle Menschen würden [sonst ] zu Tode kommen. Das bedeutet, mit einem günstigen oder ungünstigen Ort entscheidet man über Länge oder Kürze des Lebens. Neues z u planen und Veraltetes zu verwerfen, da s ist, wie wenn der Bauer die Ernte voraussieht: obwohl er zeitweilig große Mühe aufwendet, is t die Endabsicht die Sicherung des Hauses. Jetzt ist das Reich in Ruhe und eins, Yin und Yang haben ihre Ordnung. Geht man bei der Verlegung bedachtsam vor, so wird man keinen gegenseitigen Groll hegen. Am Drachenkopfberg sin d Flüsse und Höhen von vortrefflicher Schönheit , Pflan zen gedeihen üppig, und nach den Vorhersagen über Nahrungsgrundlage und Eignung des Bodens sollte hier die Hauptstadt gebaut werden. Das Fundament für die Errichtung der Residenz ist dauerhaft un d fest - ein Werk ohne Ende liegt hier beschlossen. Über staatliche Gebäude und private Anwesen, über Dimensionen und Maße und über die Kosten für die Errichtung der Bauten mögen je nach der Sache gesondert Eingaben vorgelegt werden.« 58 Thomas Thilo schreibt dazu : »Die Stelle, die von Wendi für die Errichtung der Stadt bestimmt wurde, lag nur wenige Kilometer südöstlich der alten Stadt. Die Gründe, die so kurz nach der Dynastiegründung z u dieser Entscheidung führten , a n dieser Stell e eine fü r damalig e Verhältnisse riesige neue Stadt im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Boden zu stampfen, ware n vielfältig. [...] In erster Linie dürften aber wohl politische Motive den Ausschlag gegeben haben . Alle Maßnahmen , di e Wendi sofor t nac h seine m Thronantrit t einleitete , deuten darauf hin, daß er von Anfang an das Ziel hatte, nach Jahrhunderten de r Spaltung China wieder zu einen und ein mächtiges Reich zu schaffen.« 59 Es handelte sich auch um eine Form der »kosmischen Erneuerung«, wie sie sich übrigens i n anderen kultische n Traditione n Chinas findet. Chinesische Städt e haben ihre Gründungsgeschichten un d ihre Stadtgötter , was i m Kontex t religiöse r Wandlungsprozess e erklär t werde n muß. 60 Gle n Dudbridge ha t di e literarisch e Behandlun g de r Erscheinun g de s Geiste s vo n Yuchi Jiong, de r 580 n.Chr. Selbstmor d begange n hatte , weil e r die Absetzun g 58 Suishu (ed. Zhonghua shuju, Peking 1993) 1, 1/17-18. Zitiert nach Th. Thilo, Chang'an. Metropole Ostasiens und Weltstadt des Mittelalters 583-904, Teil 1, Die Stadtanlage, Wiesbaden 1997, S.lf. 59 Thilo, ebd., S. 2. 60 Siehe hierzu auch Schmidt-Gtintzer u. Jansen, Religionsdebatten.
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der Nördlichen Zhou-Dynastie durc h Yang Jian nich t hatt e verhindern kön nen, unte r de m Aspek t verschiedene r Textsorte n un d Überlieferungsstufe n untersucht. Er hat festgestellt, daß für den Autor desXtn Tangshu, Song Qi (9981061), das unheilvolle Wirken des Geistes von Yuchi Jiong, das in der Tang-Zeit noch als reales Proble m beschrieben wurde, z u eine m Proble m de r öffentli chen Meinung geworden war. Dudbridge bemerkt dazu: »The theological and ritual problem s raise d b y local cults , so powerful i n the mind s o f sixth- an d seventh-century historians, win little interest in the eleventh.«61 Nebe n dieser Verschiebung i n de r Auffassung vo n Geister n un d übernatürliche n Erschei nungen, deren Verhältnis zueinander sich ja bereits in der Novellistik der späten Tang-Zeit anders darstellt als noch in den Wundergeschichten de s frühe n chinesischen Mittelalters , spiele n auc h de r Bevölkerungszuwach s un d di e Städtebildune eine wesentliche Rolle. Ein anderer Fall ist Peking, dessen Gründungslegende in ihrer Ausformun g seit dem Dynastiewechsel von Yuan zu Ming besonders aufschlußreich ist. Seit dem 17. Jh. war in Nordchina der Glaube verbreitet, der Yongle-Herrscher, der 3. Ming-Herrscher, se i eigentlich ei n posthume r Soh n des letzte n mongoli schen Yuan-Herrschers gewesen. 62 Zh u Di , de r vierte Soh n de s Hongwu Herrschers, de s Ming-Gründers, wurd e 1360 geboren, war als o bereits acht Jahre alt, als sein Vater die neue Dynastie gründete und der letzte Yuan-Kaiser zurück i n di e Mongole i flüchtete . Zwa r wa r sein e Mutte r woh l Mongolin , doch sicherlich kein Mitglied des Hofes. Somit ist erklärungsbedürftig, waru m Chu Di , der 1380 mit Yan belehnt wurde, später als Nachkomme de s letzten Mongolenkaisers betrachte t wurde. Eine mögliche Erklärung ist : Yongle, der seinen Bruder Zhu Yunwen, denJianwen-Kaiser (Regierungszei t 1399-1402), mit Gewalt als Kaiser beerbte, war eine Integrationsfigur fü r die mongolischchinesische Mischbevölkerun g i n Nordchina . Von einem Schwarze n Reiter , einer Gottheit, soll er den Auftrag erhalten haben, die Stadt Peking zu bauen, und zwar entsprechend einer dem Yijing und allgemeinen kosmischen Vorstellungen entsprechenden Struktur. 63 Ganz allgemein is t hier die Historiographie thematisiert , di e bis in die Gegenwart von entscheidender Bedeutung ist, wenn man etwa die Neuinterpretation der Geschichte von Harbin betrachtet , das erst nach langem russische m Einfluß bzw. russischer Besetzung (bis 1932) und dann nach japanischer Besetzung (1932-1945) an China fiel.64 61 Dudbridge, Yü-ch'ih Chiung at An-yang, S. 32. 62 Siehe hierzu Hok-lam Chan, Α Mongohan Legend of the Building of Peking, in: Asia Ma jor, 3. Ser. 3, 2, 1990 , S. 63-93, hier S . 67. - In Chinesisch ha t den. (Che n Xuelin ) 1996 eine Monographie zum Thema vorgelegt (engl. Titel: Liu Po-wen and the No-cha City. Α Legend of the Building of Peking). Siehe auchJ. F. Meyer, Peking as a Sacred City, Taipei 1976. 63 Siehe Hok-hm Chan, Α Mongohan Legend, S. 80f . 64 Siehe 5. Cfausen u. S. Thogersen, The Making of a Chinese City: History and Historiography in Harbin, Armonk u. London 1995.
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VII. Die u m w a l l t e Stad t u n d di e Stad t o h n e M a u e r n Ein Kernsatz in Frederic k W. Mote's Artikel übe r Suzho u (Soochow ) lautet : »Lacking municipal governments with jurisdictional boundaries, Chinese cities possessed no formal boundaries other than their walls. City walls thus could be both the most prepossessing physical feature in the form of a city, and a meaningless item in the city's organizational life , as well as an at best ambiguous symbol in the social-psychology of urbanism...«.65 Vom Wegfal l de r innerstädtische n Mauer n i n de r Song-Zei t wa r bereit s di e Rede; doch blieb die kosmologische Bedeutung der äußeren Form der Stadtanlage un d insbesonder e de r Lag e de r Tore , da s fengshui. Dies e psychologisch e Bedeutung de r Stadtwallanlage n is t gleichwoh l nich t z u unterschätzen , wi e man einerseits an der Bedeutung ablesen kann, die von den Kommunisten de m Niederreißen solche r Wallanlage n gegebe n wurde , andererseit s abe r auc h a n dem Widerstand, de r Abrißplänen entgegengesetz t wurde . Die Bemühunge n u m de n Abriß der Mauern vo n Shangha i Anfang de s 20. Jahrhunderts sind hierein gutes Beispiel.66 Zunächs t unterstützten zwe i Dritte l des Stadtrat s (Cit y Council ) un d ein e größer e Zah l vo n Gentryangehörige n (insgesamt 31) den Vorschlag, die Stadtmauern Shanghai s niederzureißen, u m Handel und Verkehr zu erleichtern. Dagegen erhob eine Minderheit des Stadtrats, unterstütz t vo n eine r Grupp e vo n Gentryangehörigen , Einspruch . Eine r forderte ga r ein e Vollversammlun g de r Elit e (shenjin ) de s gesamte n Kreise s (xian). Nac h längere n Beratunge n ga b e s eine n Kompromißvorschlag , vie r weitere Stadttor e einzurichten , unterzeichne t vo n 92 Gentryangehörigen, darunter 7 Abrißbefurworter un d 15 Abrißgegner. Einvernehme n wa r nu r scheinbar erreicht , den n de r hart e Ker n de r Abrißbefurworte r fordert e ein e Vollversammlung de r Händler un d der Gentry. Es blieb jedoch be i dem Kom promißplan, bi s der Abrißbefurworte r L i Zhongju e i m Zug e de r Revolutio n von 1911 eine Massenversammlung einberief - es kamen 3000 Leute, zumeis t seine Anhänge r - und beschlossen wurde, a m nächste n Tag e die Mauer n nie derzureißen un d di e Gräbe n z u verfiillen . Di e Entscheidun g ka m i m Wech selspiel zwische n Institutione n un d Massenversammlungen zustande . Höchst bemerkenswer t is t de r Umstand , da ß manch e Forsche r nac h de m Niederreißen der Stadtmauern von »unsichtbaren Mauern« sprechen, die Stadt und Lan d voneinande r trennen. 67 Dennoc h geh t de r Urbanisierungsproze ß weiter. Manch e Schätzunge n spreche n davon , daß in zwanzig Jahren stat t bis65 F. W. Mote, Α Millenium of Chinese Urban History: Form, Time, and Space Concepts in Soochow, in: Rice University Studies 59, 4, 1973, S. 38. 66 Dieser Vorgang ist dargestellt bei M. Eltnn, Another History. Essays on China from a Euro pean perspective, Broadway, NSW, 1996, S. 154f. 67 Siehe Kam Wxng Chan, Cities with Invisible Walls, Hong Kong 1994.
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her 25 Prozent etwa 50 Prozent der Bevölkerung Chinas in Städten leben wird. Das fuhrt aber zu neuen Mauern innerhalb der Städte, zu Ghettoisierung. Die Kluft zwischen armen und reichen Regionen verschärft sich stetig und bedingt, daß manche Teile Chinas zu »internen Kolonien« werden.68 Dies e Entwicklung bringt insbesondere wegen der traditionell und auch heute noch in China vorherrschenden Vorstellungen von Egalität erhebliche Spannungen mit sich und führt häufiger auch zu lokalen Unruhen, insbesondere dort, wo ein erhebliches Wohlstandsgefälle besteht. Die Binnenmigration bedingt, daß sich auch in den großen Städten landsmannschaftliche Ghetto s bilden, die sich gegenseitig als Fremde empfinden . Da s ist etwa i n Pekin g der Fall , wo sich 25 »Dörfer« al s Repräsentanzgebiete verschiedener Regionen gebildet haben. VIII. Zusammenfassung Während zu Beginn meines Beitrages die Frage nach der »chinesischen« Stad t gestellt wurde, stellt sie sich heute in Zeiten der weltweiten Angleichung von Stadtkulturen (Hotelbauten , Ladenketten , uniform e Transportsysteme ) i n neuer Weise. Bezeichnen d hierfü r sin d auc h solch e Bericht e wi e jener vo n Ludwig Witzani in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16. Januar 1997, »Die Hauptstadt des himmlischen Reiches. Nankings Gegenwart ist stärker als die Vergangenheit« . Doc h diese r heutige n »Globalisierung « geh t ein e Phas e milderer »Europäisierung« voraus.69 Die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Hauptstadt und Provinzstadt ist bereits angesprochen worden, und diese Unterscheidung trifft auch auf die unterschiedliche Roll e von Öffentlichkeit zu . Während in der Hauptstad t über die Hälfte de r Beamtenschaft residiert e und auf diese Weise zusamme n mit der kaiserlichen Akademie eine geradezu akademische Öffentlichkeit zu stande kommen konnte, waren in der Provinz nur die Statthalter präsent; spezifische Öffentlichkeiten entstande n dort im Kontext religiöser und kultischer Veranstaltungen sowi e nicht zuletzt vor Gerichten un d auf Märkten. Bei de r internen Organisation der Städte spielten auch soziale Zusammenschlüsse eine zentrale Rolle. Hier sind für die Kaiserzeit die, auch von Max Weber herausgehobenen, Gilden zu nennen. Nicht nur in früheren Jahrhunderten ga b es Tendenzen zur Verstädterung, sondern auc h i m heutige n Chin a is t ein rapide r Wandel festzustellen . Doc h geht dieser nicht nur in Richtung einer Zunahme von Städten. Zwar ist in der 68 Xiaoqiang Wang, Nanfeng Bai , The Poverty of Plenty, New York 1993. Übersetzung einer unter dem Titel Furao de pinkun 1986 in China erschienenen Studie. 69 Siehe M. Elvin u. G. W. Skinner (Hg.), The Chinese City between Two Worlds, Stanford 1974. Siehe auch German Architecture in China. Architectural Transfer, Berli n 1994.
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Zeit zwischen 1979 und 1992 die Stadtbevölkerung von 93 Millionen auf 320 Millionen gewachsen, doch gab es daneben - und dies ist viel entscheidender eine Umstrukturierung der Dörfer, die neben Landwirtschaft inzwischen auch Elemente von Dienstleistung und Leichtindustrie aufweisen. 70 Städte spielen auch eine Rolle im Zusammenwirken von Zentralregierun g und Provinzen. Chongqing wurde Anfang 1997 zur provinzfreien Stadt erklärt. Während sich auf diese Weise die Pekinger Regierung eine weitere Machtbasis schuf und zugleich den ökonomischen Differenzierungsprozeß i m Inland beschleunigte, düpierte sie die Sichuaner Provinzregierung in Chengdu. Das Problem der Machtfragmentierung bleibt auf der Tagesordnung, auch wenn wir in China weit von dem in Amerika konstatierten und beklagten Zustand entfernt sind, wo bereits für die New York Metropolitan Area von 1.400 Lokalregierungen mit Entscheidungsrecht über Landnutzungsfragen die Rede ist.71 Gan z allgemein verändert sich der Charakter der chinesischen Städte , wegen höhere r Migration un d interner Durchlässigkeit, 72 ein e Veränderung, die sich auch in den Medien widerspiegelt. 73 Weber betont, daß die Städte wesentlich weniger rechtlich garantierte Selbstverwaltung gehabt hätten als die Dörfer.74 Zu r Selbstverwaltung schreibt er: »Die - wie wir sehen werden - außerordentlich geringe Intensitä t der kaiserlichen Ver waltung bracht e es zwar, wie scho n angedeutet , mi t sich , daß tatsächlich di e Chinese n in Stadt und Land ›sich selbst verwalteten . Wi e die Sippen [...] auf dem Lande, so waren neben ihnen , un d fü r denjenigen , de r keine r ode r doch keine r alte n Sipp e angehörte : statt ihrer , i n de r Stad t die Berufsverbänd e souverän e Herre n übe r di e ganz e Existen z ihrer Mitglieder.« 75
Im Gegensatz zu dieser Gleichsetzung von Stadt und Land hat Weber an einer späteren Stelle den Gegensatz zwischen Stadt und Dorf betont, den er auf einen »verwaltungstechnischen Unterschied« zuspitzt: ›»Stadt‹ gleich Mandarinensitz ohne Selbstverwaltung , - ›Dorf‹ gleic h Ortschaf t mi t Selbstverwaltun g ohn e Mandarinen!«76 Un d er fährt fort: »Die dorfmäßige Siedelung als solche beruhte in China auf dem Bedürfnis nach Sicherheit, welches die jedes Begriffs von ›Polizei‹ ermangelnde extensive Verwaltung des Reichs niemals hat befriedigen 70 Siehe G . Eliy u Guldi n (Hg.) , Farewel l t o Peasant China: Rura l Urbanizatio n an d Socia l Chance in the Late Twentieth Century, Armonk u. New York 1997. 71 Siehe neuerding s P. Lewis, Shaping Suburbia . How politica l institution s organiz e urba n development, Pittsburgh 1996. Vgl. Times Literary Supplement, January 24, 1997, S. 8. 72 Siehe D. S. Davis u.a. (Hg.), Urban Space in Contemporary China: The Potential for Autonomy and Community in Post-Mao China, Washington 1995. 73 Siehe Yingjin Zhang, The City in Modern Chinese Literature and Film: Conhguration of Space, Time, and Gender, Stanford 1996. 74 MWG I/19,S. 152. 75 Ebd., S. 155. 76 Ebd., S. 266.
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können. Die Dörfer waren meist befestigt, ursprünglich und, wie es scheint, of t noch heute: palisadiert, wie di e alten Städte , häufig abe r auch: ummauert.« 77 War also, müssen wir fragen , nich t da s Dorf derjenige Ort , au s dem herau s neue Dynastie n hätte n entstehen können ? Es war jedenfalls de r Ort, von de m aus sich Staatlichkei t organisierte, sei t alters her, seit der Vorstellung des Men zius jedenfalls, und wie es auch im 20. Jahrhundert formuliert wurde, wie etw a von Huan g Yanpei, eine m Reforme r de r frühe n dreißige r Jahre, de r i n eine m Manifest erklärte : »How should we save China? Many people have ideas, all of which require one thing: People must abandon their selfish individualism and begin to form small groups. Then they should knit together small groups into large groups and unite the large groups into one great national group. When the entire country becomes one group, the mass foundation for the nation will be established, the nation will be strong and long-lived...« 78 Die chinesisch e Stad t ha t derar t vielfältig e Ausformungen , da ß de r Entwick lungsweg Chinas sich daraus nicht wird erklären lassen. Das Fehlen bestimmte r Merkmale besondere r oberitalienische r Städt e ode r auc h de r Hansestädt e erhellt nicht die Besonderheit Chinas . Gleichwohl is t der kontrastierende Ver gleich sinnvoll, und die weitere Untersuchung chinesischer Städte wird sicher lich mi t daz u beitragen , de n chinesische n Entwicklungswe g besse r z u verste hen. Dabei wird in Zukunft wohl weniger der Aspekt des »Fehlens« bestimmte r Merkmale, sonder n e s werden di e politische Organisation , di e Partizipations mechanismen un d die Legitimationsstrukturen i m Vordergrund stehen .
77 Ebd. 78 Zitiert nach B. Goodman, Native Place, City, and Nation. Regional Networks and Identities i n Shangjiai, 1853-1937, Berkeley 1995, S. 300.
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Autoren Stefan Breuer, geb. 1948, Professor fü r Soziologi e a n der Hochschul e fü r Wirt schaft un d Politi k in Hamburg . Hinnerk Bruhns, geb. 1943, Historiker, Directeu r d e recherche a m Centr e Na tional de l a Recherche Scientifiqu e i n Paris . Luigi Capogross i Colognesi , geb . 1935, Professor fü r Römische s Rech t a n de r Universität »L a Sapienza« i n Rom . Raymond Descat, geb. 1946, Professor fü r Griechisch e Geschicht e a n der Uni versität »Michel d e Montaigne« i n Bordeaux . Gerhard Dilcher, geb. 1932, emeritierter Professor für Deutsche Rechtsgeschich te, Universitä t Frankfurt . Manfred Hildermeier, geb. 1948, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universiät Göttingen . Michael Mann, geb . 1959, Hochschuldozent a n der FernUniversitä t Hagen . Wilfried Nippel , geb . 1950, Professor fü r Alt e Geschicht e a n de r Humboldt Universität z u Berlin . Thomas Schmeller, geb. 1956, Professor fü r Biblisch e Theologi e a n der Techni schen Universitä t Dresden . Helwig Schmidt-Glintzer , geb . 1948, Direktor de r Herzo g Augus t Bibliothe k Wolfenbüttel.
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