Löwen unter dem Thron: Eine Studie über das oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten, bestimmt teils für solche Laien, die mehr Verfassungsrecht kennen, als sie annehmen, teils für jene Juristen, die weniger davon kennen [1 ed.] 9783428435500, 9783428035502


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German Pages 292 Year 1951

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Löwen unter dem Thron: Eine Studie über das oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten, bestimmt teils für solche Laien, die mehr Verfassungsrecht kennen, als sie annehmen, teils für jene Juristen, die weniger davon kennen [1 ed.]
 9783428435500, 9783428035502

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Löwen unter dem Thron Eine Studie über das oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten, bestimmt teils für solche Laien, die mehr Verfassungsrecht kennen, als sie annehmen, teils für jene Juristen, die weniger davon kennen

Von

Charles P. Curtis jr.

Duncker & Humblot . Berlin

Charles P. Curtis j r .

Löwen u n t e r dem T h r o n E i n e Studie ü b e r das oberste Bundesgericht der V e r e i n i g t e n Staaten, b e s t i m m t teils f ü r solche L a i e n , die m e h r Verfassungsrecht k e n n e n , als sie a n n e h m e n , teils f ü r j e n e Juristen, d i e weniger d a v o n

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

kennen

B E R L I N

Aua dem Amerikanischen übertragen v o n P h i l i p p i n e F r e i i n von H e r t l i n g . D i e Originalausgabe „ L i o n s under the T h r o n e " erschien 1947 bei H o u g h t o n M i f f l i n Company, Boston. A l l e Rechte der deutschen Ausgabe besitzt der Verlag Duncker & H u m b l o t , B e r l i n . Gedruckt 1951 b e i Buch- u n d K u n s t d r u c k e r e i Gustav Ahrens, B e r l i n Ν 65. 1—2500

Die Natur selbst kann nicht irren: und wie die Menschen überfließen von Fülle der Sprache; so werden sie weiser oder toller als gewöhnlich. Denn Worte sind weisen Menschen Spielmarken, sie rechnen nur mit ihnen: aber sie sind die bare Münze der Narren, die ihnen wert gilt mit der Autorität eines Aristoteles, eines Cicero, eines Thomas oder eines anderen beliebigen Doktoren, wenn es nur ein Mensch ist. Hobbes, Der Leviathan

Der Student der Rechtswissenschaft findet sich zuweilen verwirrt durch den Gedanken, daß er nicht mit Dingen umgeht, sondern mit Worten, daß er mit dem Schatten und der Gestalt von Marken ein Spiel der Logomachie treibt; aber wenn er sich vollauf vergegenwärtigt, wie solche Worte als bare Münze nicht bloß von Narren und an Narren, sondern sogar von und an einige der geschliffensten Geister gegelben wurden und noch gegeben werden, dann fühlt er, daß es dort eine Arbeit gibt, die wert ist, daß man sie tut, wenn sie überhaupt in wertvoller Weise getan werden kann. John C. Gray i m Vorworte zu Die Natur

und die Quellen des Rechts

Vorwort Disraeli sagte einmal, daß L o r d Brougham ein zu guter Jurist sei, um ein großer Staatsmann zu sein. Wilson begann seine Karriere als Rechtsanwalt, aber er beklagte sich, daß er zwanzig Jahre gebraucht habe, um darüber hinwegzukommen, Lincoln war Rechtsanwalt, aber glücklicherweise genügten seine Erfolge nicht, um ihn aus der Politik herauszuhalten. „Rechtsanwälte", so schrieb Senator Thomas Hart Benton an Van Buren, „können mich ebensowenig verstehen, wie alte Winkeladvokaten, nach dem Ausspruch-Burkes, die Politik eines großen Reiches verstehen können. Genau so wenig begreift ein Kaninchen, das zwölfmal i m Jahr Junge w i r f t , ein Elefantenweibchen, das zwei Jahre austrägt." Sicherlich hat das Recht seine eigene Weise, sich einen neuen Begriff anzueignen. Nehmen w i r ein kleines Beispiel. Vielleicht ist es nicht ganz zutreffend, aber das ist bei einem Einzelbeispiel nie der Fall, und später werden weitere folgen. Wie soll ein Jurist das nationale Gesetz über Arheitsbeziehungen (National Labor Relations Act) erfassen, wenn er in seinen Digesten des Bundesrechtes unter der Angabe: „ H e r r und Diener" nachzuschlagen hat? Als Gegenstück dazu wollen wir die Behandlung gesetzlicher Begriffe nehmen. Es gibt ein bedeutendes Beispiel, m i t dem wir noch mehr zu tun haben werden. I n der Verfassung steht die bekannte Klausel vom „ordentlichen, gerichtlichen Verfahren" (Due Process of Law). Sie kommt zweimal vor, i n der 5. und wieder i n der 14. Ergänzung (Amendment). Niemand darf „des Lebens, der Freiheit oder des Eigentums beraubt werden ohne ordentliches, gerichtliches Verfahren". Das ist ein Satz aus dem Gesetz. Jedenfalls war es so, bis es dem amerikanischen V o l k gelang, diesen Satz gleichzustellen mit den Grundprinzipien der politischen Ethik. I m Laufe der Zeit griff die Klausel sogar auf die Wirtschaftstheorie über. U n d so bedarf es mehr als eines Juristen, um sie zu verstehen. Dazu muß ein Mann über das Gesetz hinausgewachsen sein.

VI

Vorwort

Und doch spielen Juristen eine große Rolle i n unserem Regierungssystem. Das ist immer so gewesen. Schon de Tocqueville wunderte sich im Jahre 1830 darüber. Unsere rechtliche Organisation war für ihn äußerst schwer verständlich. Es fiel ihm auf, daß bei jedem politischen Ereignis die Autorität irgendeines Richters angerufen wurde. Zuerst schien es ihm, als ob die Richter nur zufällig an den öffentlichen Angelegenheiten teilnähmen, aber er fand, daß sich dieser Zufall jeden Tag ereignete. Als ungefähr 100 Jahre später das Oberste Bundesgericht sein einhundertfünfzigstes Jubiläum feierte, sprach Robert H. Jackson, jetzt selbst einer der Richter, es vor dem Gerichtshofe aus, daß unser Regierungssystem i m Gegensatz zu anderen Nationen Fragen der Politik zu Rechtsfragen mache. „Jede große Bewegung i n der amerikanischen Geschichte", sagte er, „hat ihren Niederschlag in einem führenden Fall vor dem Obersten Bundesgericht gefunden." Dabei machen wir große Anstrengungen, um unsere Richter aus der Politik herauszuhalten. W i r stellen sie über die Politik, und dann legen w i r ihnen unsere politischen Fragen zu Füßen und bitten um ein Urteil, weil diese Fragen nach unserer Meinung Angelegenheiten des Verfassungsrechtes betreffen. Bringen w i r sie nun vor die Richter, weil sie legaler Natur sind oder nennen wir sie legal, um sie vor die Richter bringen zu können? I n Wirklichkeit bemühen w i r uns um beides. W i r nennen unsere politischen Probleme legal, und w i r behandeln sie soweit als möglich so. Wir verlangen von unseren Richtern ihre legale Behandlung und zugleich wollen wir sicher gehen, daß das oberste Bundesgericht über genügend politische Erfahrung verfügt, um kein Unheil anzurichten. Wenn man die lange Liste von fünfzig Richtern, angefangen von den Ernennungen Lincolns, durchgeht, w i r d man mindestens bei einem D r i t t e l politische Erfahrung aus einem hohen Staatsamt feststellen können. Achtzehn sind entweder i m Kabinett oder i m Kongreß oder i n beiden gewesen, vier waren i n beiden, einer war Präsident, ein anderer Präsidentschaftskandidat und ein Dritter l i t t an Präsidentschaftsbestrebungen. U m es von der anderen Seite her zu charakterisieren, fast die Hälfte von den fünfzig Richtern hatte keine nennenswerte richterliche Erfahrung. Alle aber, wie Falstaff sagt, konnten in Gottes Namen wie tüchtige Männer sprechen. Man versteht die Behandlung politischer Probleme auf juristische A r t , wenn man sie in die Hände solcher Männer legt.

Vorwort

VII

Marshall hatte einen Gerichtshof übernommen und ein Organ der Regierung daraus gemacht. W i r übernahmen sein Werk mit einigem Mißtrauen, aber mit wachsendem Stolz, und seitdem haben w i r mit den Schwierigkeiten gekämpft. Dazu kommt ein ernster Nachteil. Das Wenigste, was man von einem Statut sagen kann, ist, daß es legal sei, also der Verfassung entspreche. Damit ist noch nicht das Beste gesagt... Vieles kann man erlauben, aber nicht bewundern. W i r sind zu größerer Weisheit fähig, als man uns im Gesetz zugesteht. Je mehr wir immer nur an die Verfassung denken, desto weniger werden wir die höchsten geistigen Leistungen erzielen. W i r lassen uns durch das Erträgliche zufrieden stellen. Es ist gut, daß uns die Verfassung einen Maßstab leiht, aber es ist ein niederer Maßstab, und das ist schlecht. Unsere wertvollsten Güter stehen über dem, was uns im Gesetz zugesichert ist. Wenn auch das Gesetz sein Möglichstes tut, so müssen w i r das Übrige schon selbst tun.

Inhaltsübersicht

Erstes

Kapitel

Der begrenzte Nutzen der Geschichte und die geringe Bedeutung der Absichten unserer Vorväter S. 1 — Zweck und F u n k t i o n allgemeiner und zweideutiger Ausdrücke S. 2 — E i n Beispiel aus der Verfassung: Die Aufnahme neuer Staaten unter gleichen Bedingungen S. 3 — Die Aufgabe der Auslegung S. 5 Zweites

Kapitel

Die Lehre von der richterlichen Oberhoheit S. 7: Die Verfassung soll oberstes Gesetz sein S. 7 — Auszulegen vom Gerichtshof? S. 7 — Die A n t w o r t Hamiltons S. 7 — Die Darlegung Thayers S. 8 — Die A n t w o r t Marshalls S. 10 — Der Präsident i n Verlegenheit S. 11 — Vorgeschlagene Lösungen S. 12 Drittes

Kapitel

Die richterliche Lösung des Obersten Gerichtshofes S. 13: Deren Theorie S. 13 — Die Länge u n d Breite von Worten S. 14 — Eine streng richterliche Lösung S. 15 — Wann ist ein Fall kein Fall? S. 16 Viertes

Kapitel

Eine politische Einschränkung zur richterlichen Lösung S. 19 — Die juristischen Folgen S. 20 — Der Oberste Gerichtshof i n Verlegenheit S. 22 — Die H a l t u n g des Kongresses S. 22 — Die Achtung des Gerichtes vor dem Kongreß S. 24 — Vernünftige Zweifel S. 24 — Thayers Erklärung S. 25 — Zusammenarbeit S. 26 Fünftes

Kapitel

Die Macht des Obersten Bundesgerichtes S. 28: Abhängig vom Kongreß S. 28 — I n seiner Rechtsprechung S. 28 — I n seinen Sitzungsperioden S. 29 — I n der Vollstreckung seiner Urteile S. 29 — I n der Zahl seiner Richter S. 29 — Der Kommentar von Bryce S. 30 — Die Unbesonnenheit des Gerichtshofes, z. B. i m Falle Dred Scott von 1857 S. 31; i m Falle der Einkommensteuer von 1895 S. 32 — Die w i r k l i c h e Grundlage der Macht des Obersten Bundesgerichtes S. 36

Inhaltsübersicht

Sechstes

Kapitel

Die Aufgabe des Gerichtshofes S. 37: Föderalismus S. 37 — Natürliche Rechte S. 39 — Absolute Rechte S. 40 — Unser Götzendienst S. 42 — Gespaltene Entscheidungen S. 43 — Widerrufe und stare decisis S. 43 — Die Heiligkeit der Entscheidungen und Taboos S. 44 Siebentes

Kapitel

E i n Gerichtshof und seine Vorteile S. 46: Früher war das Bundesgericht nur eine einfache Spruchinstanz für gewöhnliche Streitigkeiten S. 47 — Die V o r t e i l e davon sind i h m geblieben S. 47: A l t e T r a d i t i o n ; u n d Coke S. 48 — Die Majestät des Rechtes S. 49 — Der Druck der A k t u a l i t ä t S. 50 Der Druck der schriftlichen Begründung S. 50 — Die geringe Zahl der Richter S. 52 — I h r Verfahren S. 53 — Einstimmigkeit und Einzelansichten S. 54 — Johnsons K o m p r o m i ß S. 57 — Abweichende V o t e n S. 58 Achtes

Kapitel

Die juristische T r a d i t i o n S. 61: Persönliche Verantwortlichkeit S. 61 — Aber der Gerichtshof legt nur das Recht aus S. 61 — E i n verfassungswidriges Gesetz ist ungültig, u n d ist es immer gewesen S. 62 — U n n ö t i g und unwahr S. 62 — Stare decisis und widerrufene Entscheidungen S. 64

Neuntes

Kapitel

Abstraktion und die Bedeutung großer W o r t e S. 65 — Die Ansichten von Bertrand Russell S. 65, W i l l i a m Morton Wheeler S. 65, A l f r e d N o r t h Whitehead S. 67, Juristen S. 67 — Widerstreitende Abstraktionen und Ziehen einer L i n i e S. 68 — E i n Beispiel aus dem F a l l Esquire S. 70 — E i n nützliches Diagramm S. 71 Zehntes

Kapitel

Der Zusammenstoß des New Deal m i t dem Obersten Bundesgericht S. 72: Die damaligen Richter S. 72 — Die ersten zwei Jahre S. 76 — Was die Schweden M r . Jackson fragten S. 77 — F ü n f Entscheidungen gegen den New Deal S. 77 — Eisenbahnpensionen S. 77 — N.R.A. (National Recovery Act) S. 86 — Der F a l l Schwarzes Öl ( H o t Oil) S. 87 — A.A.A. (Agricultural Adjustment Act) S. 93 — Kohle und M r . Carter S. 103 — Mindestlöhne i n New Y o r k S. 108 — Zeitalter des großen Aufschwunges, D a r w i n u n d Spencer S. 108 — Das abweichende V o t u m i m Falle Lochner S. 110 — Die Adkins-Entscheidung S. 111 — Die W a h l von 1936 u n d der Gerichtsplan des Präsidenten S. 117: Parteiprogramme, Probleme und Vorschläge S. 118 — Der Plan S. 120 — Nach der W a h l S. 122 — Mindestlöhne i n Washington S. 123 — Löwen unter dem T h r o n : Francis Bacon S. 126

Inhaltsübersicht Elftes

Kapitel

E i n bekehrter Gerichtshof S. 127 — K o l l e k t i v e Verhandlungen S. 127 — Die glatten Wege der L o g i k S. 134 — Soziale Sicherheit S. 134 — Der zehnte Ergänzungsartikel ( A m e n d m e n t ) S. 137 — K o m m e n t a r durch die Juristenvereinigung (Bar Association) u n d andere S. 142 Zwölftes

Kapitel

Neue R i c h t e r S. 147: B l a c k , Reed, F r a n k f u r t e r u n d Douglas S. 147 — Eine neue H a l t u n g S. 148: Gemeines Bundesrecht S. 149 — K i n d e r a r b e i t ; u n d ein abweichendes V o t u m v o n Holmes S. 150 — Das neue A . A . A . (1938) S. 152 — Gesetz f ü r gerechte Arbeitsbedingungen (Fair Labor Standards A c t ) S. 153 Dreizehntes

Kapitel

D e r neue Gerichtshof S. 155: M u r p h y , Byrnes, Jackson, Rutledge u n d B u r t o n S. 155 — E i n neuer Kurs, oder sogar der entgegengesetzte? S. 156 Vierzehntes

Kapitel

Föderalismus u n d Steuern S. 158: K a n n ein Staat die N a t i o n besteuern? S. 158 — Marshalls Ansicht S. 159 — Protest von Holmes S. 160 — D e r neue Gerichtshof schließt sich Holmes an S. 160 — K a n n ein Staat den zwischenstaatlichen H a n d e l besteuern? S. 162 — Marshalls Ansicht S. 163 — Protest von Black S. 164 — Der neue Gerichtshof i m Zweifel S. 164 — A u t o b u s - L i n i e n S. 167 — F l u g l i n i e n S. 169 — J i m Crow-Wagen S. 170 K a n n die N a t i o n einen Staat besteuern? S. 172 — Marshalls Ansicht S. 172 Protest von Bradley S. 173 — D i e Gehälter von Staatsbeamten? S. 173 — Wie, wenn ein Staat m i t alkoholischen Getränken handelt? S. 175 — W e n n er Fußballspiele fördert? S. 176 — Oder alkoholfreie Getränke verkauft? S. 177 — Der neue Gerichtshof ist geteilter Ansicht S. 178 Fünfzehntes

Kapitel

Abgeleitete richterliche Gesetzgebung S. 180: Die Auslegung von Statuten als Übertragung gesetzgeberischer Macht S. 180 — Die Absicht des K o n gresses S. 181 — Das Sherman-Gesetz S. 181 — Die Warenklausel S. 183 — Kriegsdienstverweigerer S. 184 — Eine Übertragung der V e r a n t w o r t u n g S. 186 — Rassische D i s k r i m i n i e r u n g d u r c h Gewerkschaften S. 187 — D i s k r i m i n i e r u n g anderer Gewerkschaftsangehöriger S. 191 — Gruppenrechte u n d G r u p p e n v e r a n t w o r t u n g S. 193 Sechzehntes

Kapitel

Persönliche F r e i h e i t e n S. 195: Einige A n n a h m e n und die soziale D i s z i p l i n S. 195 — Redefreiheit S. 197: I m B ü r g e r k r i e g S. 198; Taney u n d Merry-

XII

Inhaltsübersicht

man S. 198; L i n c o l n und Vallandigham S. 198; Kriegsgericht über M i l l i g a n S. 199 — I m ersten W e l t k r i e g S. 199: Holmes u n d Brandeis, u n d die Regel von der offenbaren u n d unmittelbaren Gefahr S. 199 — 1925 gelangt die Redefreiheit i n den 14. Ergänzungsartikel S. 203 — Madisons abgelehnter Vorschlag S. 204 — Gedanken von E l i h u Root über das W o r t „sichern 6 4 S. 206 — Das Beharren der Anwaltschaft S. 207 — Der 14. Ergänzungsartikel u n d der Scharfsinn der A n w ä l t e S. 208 — Wenn Freiheit des Eigentums, warum nicht auch der Rede? S. 213 — Das Oberste Bundesgericht als unser Gewissen S. 217 — Die Beziehung zwischen der B i l l of Rights und dem 14. Ergänzungsartikel S. 218: Rechtsbeistand für Angeklagte S. 219; Verächtlichmachung des Gerichtes und freie Rede S. 221; Vorliebe für A n t i q u i t ä t e n S. 223 — Die Zeugen Jehovas und die Religionsfreiheit S. 229 — Der Flaggengruß S. 229 — Das Gericht ändert seine Meinung S. 234 — E i n Problem für die niederen Gerichtshöfe S. 234 — E i n Wachtturm-Feldzug S. 236 — Steuerfreiheit i m Namen Gottes S. 238 — Das Transzendentale Dogma u n d die Alternative der Latitudinarier S. 239 Siebzehntes

Kapitel

Schluß S. 245: Selbstbeschränkung und ihre Beziehung zur Weisheit S. 246 — E i n A k t des Vertrauens S. 248 — Wo die Demokratie sich nicht ausw i r k t S. 249 — Wo sie direkt angegriffen w i r d S. 249 — Aber was i n allen anderen Fällen? S. 250 — Dann brauchen w i r eine Philosophie S. 251 — Wessen Philosophie? Die unsere. S. 252

Anhang Verfassung der Vereinigten Staaten von A m e r i k a S. 255 — Anmerkungen S. 262 — Bibliographie S. 273 — Register S. 275

1

Die Geschichte i m allgemeinen u n d die Absichten der Väter i m besonderen Dies ist keine Geschichte des Obersten Bundesgerichts oder der Verfassung und soll es auch nicht werden. Sicherlich können wir die Vergangenheit nicht übersehen. Zusammenhang mit dem Gewordenen ist eine Notwendigkeit, aber, wie Holmes sagte, keine Pflicht. Die Aufgabe der historischen Forschung liegt nur i n der Erklärung und Beleuchtung des Einflusses, den die Vergangenheit auf die Gegenwart ausüben muß und die Gegenwart, wie wir nicht vergessen wollen, auf die Zukunft. Nach der Ansicht Maitlands studieren w i r das Vorgestern, damit das Gestern nicht das Heute lähmen möge, und das Heute nicht den morgigen Tag 1 . Besser gesagt, es gibt keine Vergangenheit. Es gibt nur ein ewig neues Jetzt, das sich aus der Vergangenheit heraus selbst erschafft 2 . Nach unserer Meinung werden wir älter und weiser. W i r sollten die Entwicklung der Welt i n der gleichen Weise ansehen. Auch die Welt ist älter geworden, und so sollten w i r unsere eigene Zeit als Antike ansehen, nicht das frühere Weltalter, in dem unsere Väter lebten. Von uns aus gesehen, ist jenes Zeitalter zwar älter, von der Welt aus gesehen aber jünger. Von unserer Zeit, wenn w i r nur ihre Stärke erkennen und sie erproben und ausüben wollen, kann mehr erwartet werden als von den alten Tagen, da ja die Welt inzwischen älter geworden ist. Ich bin selbst Jurist, so darf ich wohl eine Autorität auf diesem Gebiet zitieren, nämlich den Lordkanzler von England, Bacon 3 . Eine Seite der Vergangenheit drängt sich ganz unnötigerweise der Gegenwart auf. W i r kümmern uns viel um die Taten unserer Vorväter, aber w i r sollten uns nicht verpflichtet fühlen, ihre Pläne auszuführen. Waren sie denn so weise, daß für sie eine Kenntnis der Tatsachen nicht nötig war? Die Absicht der Gründer der Verfassung 2

2

Die Geschichte im allgemeinen und die Absichten der Väter im besonderen

hat gewiß keine bindende K r a f t für uns, sogar wenn w i r sie erkennen sollten. Es handelt sich um das, was nicht ausdrücklich i n der Verfassung steht, also das, was sie meinten, wenn sie es nicht zum Ausdruck brachten. Wenn wir das Dokument von allen Seiten betrachten, wenn w i r selbst in ihren Schriften und Worten nachspähen, so ist jede Entdeckung doch nur eine Vermutung. Sie mögen bei unseren Beratungen zugegen sein. Es besteht kein Grund, warum w i r sie i n den ihren belauschen sollen. Doch w i r d der Mythos von dem Willen der Väter vermutlich zuletzt sterben. Auch überkluge Leute genießen i n irgendeiner Form einen Mythos. Bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Landwirtschaftsgesetzes im Jahre 1935 schien es dem Obersten Bundesgericht darauf anzukommen, ob Madison oder Hamilton i m Recht war bei ihrer Meinungsverschiedenheit über das Besteuerungsrecht durch den Kongreß zum Nutzen der allgemeinen Wohlfahrt. Beide waren energische und hervorragende Mitglieder des Konvents, jeder von ihnen hätte seiner Stellung nach wissen müssen, was der Konvent sagen wollte, wenn man es überhaupt wissen konnte. Sie waren verschiedener Meinung. Diese Tatsache zeigt genügend, daß der Konvent zu keinem Entschluß gekommen war. Warum beschäftigte sich dann das Bundesgericht mit der Nachforschung i m Jahre 1936? Der Gerichtshof selbst oder einige seiner Richter hatten sich in den Mythos versenkt. Das Bundesgericht stimmte der Meinung Hamiltons offiziell zu, so daß das Gesetz hätte in K r a f t treten können. Plötzlich wurde jedoch, ganz abseits von dieser Frage, das A A A für nichtig erklärt aus anderen Gründen. Die Schwierigkeit liegt weniger darin, daß der Gerichtshof nach dem Mythos handelt, sondern daß er dadurch in die falsche Richtung getrieben wird. Er scheute vor einer Frage zurück, der er ins Gesicht blicken müßte. Das heißt eine Einbahnstraße wieder zurückgehen. U n d das ist wichtig. Holmes belehrte uns, daß sich auch für praktische Zwecke die Theorie gewöhnlich als das Wichtigste herausstelle 4 . Wenn w i r in der Verfassung an eine Stelle kommen, die zweierlei ausdrücken kann, dann müssen w i r dies für Absicht halten. Natürlich könnte es auch ein Versehen gewesen sein, aber ist das für uns so wichtig? U n d sollten wir nicht den Vätern der Verfassung zutrauen, daß sie gerade das und nicht mehr meinten, als was sie sagten? Was sie ungesagt ließen, das bleibt für unsere Entscheidung offen.

Die Geschichte im allgemeinen und die Absichten der Väter im besonderen

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Beim 150. Jubiläum des Bundesgerichtes sprach Jackson auch über dessen Pflichten. Der Gerichtshof solle die Verfassung auslegen und so Zweifel lösen, die die Väter selbst nicht lösen konnten. Er führte ein Beispiel an. I n seiner großen Verteidigungsrede i n Sachen Mc. Culloch gegen Maryland war Luther Martin nicht nur Rechtsanwalt, sondern Zeuge des Gewesenen und Prophet des Künftigen. Er sagte dem Gerichtshof, daß die ganze Steuerfrage voll von Schwierigkeiten sei, die der Konvent unmöglich lösen konnte. Jackson fand darin so schwierige Meinungsverschiedenheiten, daß die Gründer ihre Einheit aufs Spiel gesetzt hätten, wenn eine Antwort erzwungen worden wäre. Und so hinterließen sie es dem Gerichtshof. A r t i k e l 4, Teil 3, der Verfassung sieht vor, daß neue Staaten durch den Kongreß i n den Bund aufgenommen werden können. Das ist alles. Es w i r d nichts gesagt über Bedingung oder Voraussetzung. Unter diesem Teil 3 der Verfassung hat sich die Zahl der Staaten mehr als verdreifacht. W i r sind keine Seeküste mehr, sondern ein Kontinent. Marshalls Satz vom amerikanischen Imperium ist Tatsache geworden. Was konnte lebenswichtiger sein als die Frage, ob diese neuen Staaten als gleichberechtigt in die Vereinigung aufgenommen werden .sollten? W i r halten ihre Gleichberechtigung jetzt für eine Selbstverständlichkeit. Der Konvent von 1787 plagte sich damit ab. Dann war man weise genug, die Frage fallen zu lassen und unserer Entscheidung zu übergeben. Der Redaktionsausschuß fügte dem A r t i k e l 4 folgenden Zusatz bei: „ W e n n der Aufnahme zugestimmt wird, dann müssen die neuen Staaten unter den gleichen Bedingungen aufgenommen werden wie die alten" 5 . Gouverneur Morris brachte einen Antrag auf Streichung ein. Bei der Begründung seines Antrages sagte Morris, daß er die Gesetzgebung nicht an die Zusage gleicher Bedingungen für die westlichen Staaten binden wolle. Er wolle damit nicht das Anwachsen der westlichen Länder behindern. Er kenne die Unmöglichkeit hierzu. Er wolle jedoch nicht die Macht i n ihre Hände legen. Oberst Mason hatte sogar die Absicht, die Auswanderung nach dem Westen zu verhindern, wenn es gesetzlich möglich sei. Er hielt das für gute Politik. Aber auch er erkannte die Unmöglichkeit. Madison war klug genug zuzugeben, daß die westlichen Staaten sich nicht einer Union unterwerfen wollten und konnten, die sie von dem gleichen Rang mit den anderen Staaten herabstieß 6 . 2*

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Die Geschichte im allgemeinen und die Absichten der Väter im besonderen

Dennoch stimmte der Konvent dafür, daß die neuen Staaten nicht unter gleichen Bedingungen aufgenommen werden sollten. Nur Virginia und Maryland waren für die Gleichberechtigung. Natürlich tauchte die Frage von Zeit zu Zeit wieder auf. Denn der Kongreß konnte sich nicht enthalten, irgendeine kleinere Bedingung an die Neuaufnahme zu knüpfen. War es doch die ausdrückliche Forderung der Verfassung, daß der Kongreß für eine republikanische Regierungsform zu sorgen habe. Aus dieser Pflicht versteht man die Bedingung an Nevada, bei der Aufnahme i m Jahre 1864, daß das Wahlrecht Farbigen nicht versagt werden dürfe, ebenso die Bedingung an Nebraska drei Jahre später, daß weder das Stimmrecht noch ein anderes Recht jemandem entzogen werden dürfe, außer den Indianern. Auch die Bedingungen bei der Wiederaufnahme der ausgeschiedenen Staaten, — oder waren sie gar nicht wirklich ausgeschieden? — daß die Neger wählen und zu einem A m t zugelassen werden sollten, erklärt sich daraus. Eine nette kleine Anekdote ist m i t der Aufnahme von Utah, 1894, verknüpft. Der Kongreß nahm den Staat auf unter der Verpflichtung zu religiöser Toleranz, allgemeinen öffentlichen Schulen und der Abschaffung der Vielehe. Ist die Einehe eine so allgemeine Tugend, daß sie vernünftiger Weise von einem Staat gefordert werden kann? Die beste Verteidigung des Kongresses, die aber nicht vor Gericht angewendet werden kann, besteht darin, daß Mehrehen zu tief die mutterrechtliche Tendenz verletzen, die unsere Gesellschaft, und vor allem auch unseren Bundesstaat, beherrscht. Niemand bemühte sich jedoch um eine klare Antwort, bis der Kongreß im Jahre 1906 dem Staat Oklahoma die Bedingung auferlegte. daß die Hauptstadt und der Sitz der Regierung wenigstens bis 1913 in Guthrie bleiben müsse. Man kann das von der alltäglichen oder von der politischen Seite ansehen; i m letzteren Falle w i r d es zu einer Frage der Souveränität. Man erinnert sich an die Forderungen New Yorks und Philadelphias, Hauptstadt zu werden. Diese selbe Frage war nicht unter der Würde der Großmächte im Rahmen der United Nations. Jeder Staat, der etwas auf sich hält, sollte seinen Regierungssitz selbst bestimmen können. Und wenn der Kongreß von Oklahoma verlangen kann, die Hauptstadt i n Guthrie einzurichten, warum kann er dann nicht von einem neuen Staat verlangen, daß er sich auf den K o p f stellt?

Die Geschichte im allgemeinen und die Absichten der Väter im besonderen

Oklahoma nahm durch seine verfassungsmäßige Vertretung die Bedingung an. Dann wurde der Staat anderer Meinung. Durch Volksbefragung entschied er 1910, drei Jahre vor Ablauf der Bedingungen, die Regierung nach der Stadt Oklahoma zu verlegen. Es gab eine große politische Bewegung. Konnte das V o l k von Oklahoma nach der Verfassung so handeln? Wenn volle Gleichberechtigung mit den Schwesterstaaten bestand, warum nicht? Die Frage wurde dem Bundesgericht vorgelegt, das der Verfassung die Vorschrift beifügte, die der Konvent zurückgewiesen hatte. „Die verfassungsmäßige Gleichheit der Staaten", so beschloß der Gerichtshof, „ist wesentlich für die harmonische Auswirkung des Planes, auf dem die Republik aufgebaut ist. Wenn diese Gleichheit verschwindet, mögen w i r auch weiter ein freies V o l k sein, aber die Union wird nicht der von der Verfassung gewollten entsprechen" 7 . I m Jahre 1787 stand dies nicht i n der Verfassung. Einige Mitglieder des Konvents wollten es hineinsetzen, nämlich die Vertreter von Virginia und Maryland, aber vergeblich. Als die Verfassung den Konvent verließ und dem V o l k vorgelegt wurde, konnte niemand sagen, daß die verfassungsmäßige Gleichheit der verschiedenen Staaten ein Teil des Planes sei, auf dem die Republik aufgebaut war. Ein Teil dieses Planes war es jedoch, daß diese Frage der Zukunft überlassen blieb, um sie im Geist der Republik zu lösen. Dieser Teil des Gemäldes war weiß geblieben, um später übermalt zu werden, wenn die Umrisse der Landschaft deutlicher wurden. Der Gerichts· hof unternahm dies trotz des Kongresses. Wonach halten denn die Richter Ausschau, wenn nicht nach den Absichten der Väter der Verfassung? Sie haben die Pflicht etwas zu tun, nicht nach etwas Ausschau zu halten. Nach der Annahme ist ein Gesetz noch einige Zeit lang ein Vorhaben, ein Plan, eine Absicht, eine Aufgabe. Dann wendet es sich langsam der Ausführung zu. Wenn man vom Gerichtshof verlangt, die Absicht der Schöpfer der Verfassung aufzuschließen, dann soll er an der Schöpfung teilnehmen und zwar nach dem Ereignis. Der Gerichtshof ersetzt nicht die Eltern, sondern den Geburtshelfer. Seine Tätigkeit ist nicht gesetzgeberisch, sondern richterlich. Wenn die Richter nach der Absicht der Väter suchen und ihre Entscheidungen auf diese Absicht gründen wollen, dann trachten sie, sich in die Gesetzgebung einzuschalten. Sie kommen zu spät. Der richter-

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Die Geschichte im allgemeinen und die Absichten der Väter im besonderen

liehe Vorgang ist ein Teil jener Auswirkung, durch die das Gesetz der gesamten Gesetzgebung angepaßt wird und so in Erscheinung tritt. Der Gerichtshof hat es nicht mit den Männern zu tun, welche die Verfassung schufen, sondern m i t ihrem Werk. E i n Gedicht soll nach MacLeish nicht etwas bedeuten, sondern etwas sein, und das ist hier genau der gleiche Fall. Die Verfassung ist etwas aus eigenem Recht Bestehendes geworden. Sie ist i m Wesentlichen das, was man aus ihr macht. Schon lange ist sie über die ursprünglichen Hoffnungen oder Absichten hinaus gewachsen. Die Verfassung ebenso wie die Arbeit des Gerichtshofes w i r d nicht so sehr durch die Pläne der Vergangenheit vorwärtsgetrieben als entwickelt durch die Hoffnungen auf die Zukunft. I h r Sinn ist es, von innen her zu reifen. Solange die Meinung der Schöpfer sich nicht in Worten formuliert, besteht die Bedeutung der Verfassung darin, daß der Kongreß, der Präsident und der Gerichtshof die größten Hoffnungen erfüllen und die kühnsten Wünsche zur Wirklichkeit werden lassen. Was von unseren Vorvätern gesagt ist, das ist gesagt; was sie nicht sagten, das wollten sie uns überlassen. Was sie unklar, unbestimmt, zweideutig oder undeutlich ausdrückten, das gilt nicht. Wer nicht zustimmt, möge sich daran erinnern, daß w i r unseren Nachfolgern gegenüber ebenso handeln.

2 Die Lehre von der richterlichen Oberhoheit I n einer Frage schuf der V e r f a s s u n g s k o n v e n t v o l l e K l a r h e i t . D i e V e r f a s s u n g sollte das h ö c h s t e Gesetz des Landes sein. Das sollte fest v e r a n k e r t w e r d e n . Es w u r d e eine neue R e g i e r u n g e i n g e r i c h t e t , die v o n d e n d r e i z e h n Staaten u n d i h r e m V o l k m i t e i n e r A n z a h l v o n b e s t i m m t e n u n d b e s c h r ä n k t e n R e c h t e n ausgestattet w u r d e .

Diese

w u r d e n n a m e n t l i c h a u f g e f ü h r t , u n d es w u r d e a u s d r ü c k l i c h festges t e l l t , daß alle n i c h t g e n a n n t e n d e n Staaten u n d d e m V o l k überlassen b l i e b e n . U n d n o c h m e h r : die ersten acht E r g ä n z u n g e n f ü g t e n eine A u f z ä h l u n g der M e n s c h e n r e c h t e ( B i l l o f R i g h t s ) h i n z u , w o n a c h d e r n e u e n R e g i e r u n g gewisse D i n g e u n t e r s a g t w u r d e n . So h a t t e die V e r f a s s u n g e i n e n B o d e n , u n t e r w e l c h e m die R e c h t e der

Staaten

n i c h t b e h i n d e r t w e r d e n d u r f t e n . Sie h a t t e eine D e c k e , ü b e r w e l c h e r die w e s e n t l i c h e n u n d u n v e r ä u ß e r l i c h e n R e c h t e des e i n z e l n e n n i c h t a n g e f o c h t e n w e r d e n d u r f t e n . W e i t e r h i n w u r d e , was w e n i g e r w i c h t i g ist, die neue R e g i e r u n g a u f g l e i c h e r E b e n e i n d r e i T e i l e g e t e i l t : der K o n g r e ß , der die n e u e n Gesetze z u schaffen h a t t e ; d e r P r ä s i d e n t , der sie d u r c h f ü h r e n s o l l t e ; u n d das oberste B u n d e s g e r i c h t , das sie d e m Gesetzeskörper anpassen u n d sie i m R e c h t s w e g a u f d e n schwier i g e n E i n z e l f a l l a n w e n d e n sollte. W e n n m a n eine so g e g l i e d e r t e R e g i e r u n g e i n r i c h t e t , d a n n m u ß offenbar die V e r f a s s u n g das h ö c h s t e Gesetz des L a n d e s sein. A b e r w e r s o l l i h r e O b e r h o h e i t a u f r e c h t e r h a l t e n ? W e r soll die T e i l e a m Auseinanderstreben

hindern?

Die

Männer,

welche

die

Gesetze

m a c h e n , oder die, w e l c h e sie d u r c h f ü h r e n , o d e r d e r G e r i c h t s h o f ? 1789, b e i der E i n r i c h t u n g der n e u e n R e g i e r u n g , e r w a r t e t e n oder h o f f t e n die m e i s t e n , daß n a c h der k l a r e n , d e u t l i c h e n M e i n u n g der Verfassung,

dies

Aufgabe

H a m i l t o n i m Föderalisten,

des B u n d e s g e r i c h t e s

sei.

So

erklärte

daß die G e r i c h t s h ö f e die P f l i c h t h ä t t e n ,

8

Die Lehre von der richterlichen Oberhoheit

alle Gesetze, die der Verfassung nicht entsprächen, für nichtig zu erklären. Natürlich war das nur eine halbe Antwort, denn sie war nur anwendbar auf die leichten Fälle, wo der Sinn der Verfassung auf der Hand lag. I n einem solchen Fall war jeder, der anderer Ansicht war, offenbar i m Unrecht. Aber wer sollte die Wächter bewachen? Konnte man vom Bundesgericht erwarten, seine Antworten auf die klaren Fälle zu beschränken? Dann wäre ja sein A m t eine Sinekure gewesen. Einige wandten ein, daß der Gerichtshof „nach dem Geist der Verfassung" entscheiden könne. I n diesem Falle seien „seine Irrtümer und Anmaßungen unkontrollier- und unheilbar". Hamilton wies auf des Recht der Anklage gegen die Richter hin. „Es besteht keine Gefahr, daß die Richter durch willkürliche Anmaßung der Gesetzgebung sich dem vereinten Groll des gesetzgebenden Körpers aussetzen, solange dieser Körper ihre Anmaßung bestrafen kann, indem er sie aus ihren Ämtern entläßt. Das beseitigt alle Befürchtungen i n dieser Hinsicht, es zwingt aber gleichzeitig, den Senat als Gerichtshof für diese Anklagen einzurichten" 8 . Als Hamilton sich für die Lehre der richterlichen Oberhoheit einsetzte, verließ er sich darauf, daß der Senat die Richter bei Mißbrauch ihrer Oberhoheit unter Anklage stellen würde. Das wäre eine ganz vernünftige Regelung gewesen, wenn sie angenommen worden wäre. Was würde der Senat getan haben, wenn Roosevelt 1937 statt seines Gerichtsplanes dem Senat eine Botschaft zugesandt hätte, in der er die Anklage gegen jene fünf Richter verlangt hätte, nach deren Ansicht der New-Deal der Verfassung zuwiderlief? Würde der Senat Hamilton Folge geleistet haben? Die angenommene Lösung ist komplizierter und weniger durchgreifend als die von Hamilton vorgeschlagene, und sie findet sich nicht in der Verfassung selbst. Der Konvent versuchte sich nicht daran, vielleicht aus Klugheit, vielleicht aus Zurückhaltung oder in der Erkenntnis, keine andere Antwort geben zu können. James Bradley Thayer beschäftigte sich in seiner Biographie Marshalls mit dieser Tatsache. Es ist nicht allgemein bekannt, so sagte er, daß i n unserer Bundesverfassung keine ausdrückliche Erklärung über die Bundesgesetzgebung steht, während die Staatengesetzgebung sorgfältig umrissen ist. I m Bundeskonvent war man sehr besorgt, i n gewissen Einzelheiten die Kontrolle über die Staaten auszuüben; es wurden verschiedene Pläne vorgebracht, wonach der

Die Lehre von der richterlichen Oberhoheit

Kongreß Staatsgesetze untersagen konnte und wonach die Gouverneure der Staaten durch den Bund ernannt werden und mit der Macht, Gesetze zu verbieten, ausgestattet werden sollten. Alles dies wurde nach Thayer zuletzt verworfen und es entstand die Verfügung, daß die Verfassung und die Gesetze und Verträge der Vereinigten Staaten zugleich auch das höchste Gesetz der einzelnen Staaten sein sollten. Die Richter der Einzelstaaten sollten dadurch gebunden sein, über die Verfassung und die Gesetze eines Einzelstaates hinaus. Später änderte der Redaktionsausschuß den Ausdruck „Gesetz der Einzelstaaten" i n „Gesetz des Landes" um. Aber auch weiterhin hieß es, daß die Richter der einzelnen Staaten gebunden seien. Nach Thayer sollte die Abfassung dieser Vorschrift die Autorität des Bundes in den Staaten sicherstellen. Was den Schutz der Bundesverfassung im eigenen Hause, also dem Kongreß gegenüber betraf, so wurde i m Konvent vorgeschlagen, daß der Kongreß sich an die Richter wenden könne. Auch wurde wiederholt und dringend gefordert, daß die Richter Gesetze billigen oder mißbilligen könnten, also ein sogenanntes Vetorecht ausüben sollten. Dagegen wurde ausdrücklich gesagt, daß die Richter ja ohnehin verfassungswidrige Gesetze außer K r a f t setzen könnten, und zwar wurde dies von den bedeutendsten Mitgliedern vorgebracht. Andere wieder waren dagegen. U n d so sehen wir, daß das Recht nicht ausdrücklich gewährt wurde. W i r stehen also einem Recht gegenüber, das nicht ausdrücklicht versagt und nicht ausdrücklich gewährt wurde. W i r beobachten auch, daß führende Männer der Öffentlichkeit, z. B. ein so hervorragendes Mitglied des Konvents wie Charles Pinkney, später Senator in Südkarolina, sich zehn Jahre später gegen dieses Recht erklärten. Ebenso trifft es zu, daß er und andere Gesinnungsgenossen ausdrücklich eine Einschränkung der Gesetzgebung von seiten der Einzelstaaten verlangten. So können wir zu dem Schluß kommen, daß diese Frage nicht übersehen, sondern mit Absicht unberührt gelassen wurde. Wie bei mancher anderen Frage ließ man sie vermutlich beiseite, um dem neuen Instrument keine Feinde zu schaffen. Sie sollte durch die stillschweigende Entscheidung der Zeit oder durch spätere Aussprache geregelt werden 9 . Dabei bleibt es. Das Problem war nicht durch die Verfassung gelöst worden. Es war eine Lücke geblieben, durch die das Bundes-

Die Lehre von der richterlichen Oberhoheit

10

g e r i c h t d e n P f a h l seiner O b e r h o h e i t t r e i b e n k o n n t e . J o h n M a r s h a l l e r g r i f f diese G e l e g e n h e i t , er t r i e b i h n so fest h e r e i n , daß n i e m a n d i h n herausziehen

konnte.

M a r s h a l l sah die G e l e g e n h e i t , der r i c h t e r l i c h e n O b e r h o h e i t

in

d e n Sattel zu h e l f e n , s o f o r t n a c h seiner E r n e n n u n g z u m G e r i c h t s p r ä s i d e n t e n , u n d z w a r 1803 i n d e m F a l l Marbury

gegen

Madison.

E r faßte g e s c h i c k t zu. E r e r k l ä r t e e i n Gesetz des Kongresses

für

n i c h t i g , w o n a c h er M a d i s o n , d e n d a m a l i g e n A u ß e n m i n i s t e r , h ä t t e verh a f t e n müssen. K o n n t e d e r P r ä s i d e n t Jefferson

etwas

einwenden

gegen eine L e h r e , die seinen Staatssekretär gegen eine M a ß r e g e l u n g d u r c h den G e r i c h s h o f i n Schutz n a h m ? W a r das m e h r als k l u g ? M a r s h a l l e r g r i f f n i c h t n u r die Gelegenh e i t , er s c h u f sie. D e n n das Gesetz, das M a r s h a l l f ü r n i c h t i g e r k l ä r t e , h ä t t e l e i c h t a u c h so ausgelegt w e r d e n k ö n n e n , daß es n i c h t angew e n d e t w u r d e . I n der T a t w u r d e es später v o m K o n g r e ß fast i n der g l e i c h e n Fassung e i n g e b r a c h t , j e d e n f a l l s n i c h t i n d e m v o n M a r s h a l l B e a n s t a n d e t e n v e r ä n d e r t 1 0 . Das v o n M a r s h a l l z u r ü c k g e w i e s e n e Gesetz zeigt k e i n e n M a k e l . D o c h lassen w i r e i n e n v o n M a r s h a l l s g r ö ß t e n B e w u n d e r e r n , j a fast A n b e t e r n , s p r e c h e n : „ S o setzte J o h n M a r s h a l l d u r c h e i n e n i n P l a n u n g u n d A u s f ü h r u n g k ü h n e n Schlag, der d e m W e r k der V e r f a s s u n g g l e i c h k o m m t , e i n e n M a r k s t e i n i n d e r a m e r i k a n i s c h e n Geschichte. So h o c h steht dieses D e n k m a l , daß

künftige

Geschlechter sich d a n a c h r i c h t e n k o n n t e n , so d a u e r h a f t ist es, daß alle W e c h s e l f ä l l e

des n a t i o n a l e n Geschickes

es n i c h t

vernichten

konnten"11. W i r b r a u c h e n uns n i c h t w e i t e r m i t d e r G e s c h i c h t e d e r r i c h t e r l i c h e n O b e r h o h e i t zu befassen. G e s c h i c h t e n u r , s o w e i t sie n o t w e n d i g ist, u m das H e u t e v o r der L ä h m u n g d u r c h das G e s t e r n zu schützen, d a m i t das H e u t e n i c h t l ä h m e n d a u f das M o r g e n w i r k t . A b e r b e v o r w i r den j e t z i g e n Z u s t a n d s c h i l d e r n , d e r s i c h i n n i c h t s v o n M a r s h a l l s M e i n u n g u n t e r s c h e i d e t , müssen w i r uns d a r ü b e r k l a r sein, daß m a n ebensogut zu e i n e r

e x e k u t i v e n w i e zu e i n e r r i c h t e r l i c h e n

Ober-

h o h e i t h ä t t e k o m m e n k ö n n e n . D e r K o n v e n t ü b e r l i e ß den G e r i c h t s h o f seinen eigenen G r u n d s ä t z e n , aber er s c h u f eine besondere V o r b e u g u n g f ü r d e n F a l l , w o der P r ä s i d e n t e i n Gesetz des Kongresses f ü r v e r f a s s u n g s w i d r i g h a l t e n k ö n n t e . W ä h r e n d der G e r i c h t s h o f s e i n e m eigenen G u t d ü n k e n überlassen b l i e b , b e k a m der P r ä s i d e n t das V e t o r e c h t . D a r i n l i e g t eine A n a l o g i e .

Die Lehre von der richterlichen Oberhoheit

N e h m e n w i r an, der K o n g r e ß b r i n g t e i n Gesetz ein, das der Präsident f ü r verfassungswidrig hält. E r k a n n sich n i c h t an den Gerichtsh o f u m R a t w e n d e n , d e n n der G e r i c h t s h o f l e h n t G u t a c h t e n ab. D e r P r ä s i d e n t m u ß erst u n d a l l e i n h a n d e l n . E r l e g t V e t o ein. E r m u ß V e t o e i n l e g e n , w e n n er das Gesetz f ü r v e r f a s s u n g s w i d r i g h ä l t . A b e r d a n n b r i n g t der K o n g r e ß t r o t z seines V e t o s das Gesetz d u r c h m i t der erforderlichen

Zweidrittelmehrheit.

Was w i r d

der

Präsident

d a n n t u n ? Was k a n n er t u n , ehe sein G e n e r a l s t a a t s a n w a l t

einen

P r o b e f a l l e i n r i c h t e n u n d v o m G e r i c h t s h o f e i n e E n t s c h e i d u n g verlangen kann, w e n n

e r es ü b e r h a u p t k a n n ? Seine k o n s t i t u t i o n e l l e

P f l i c h t ist k l a r festgelegt, „ E r m u ß d a f ü r Sorge tragen, daß die Gesetze

genau a u s g e f ü h r t

werden12.44

A b e r e i n verfassungswidriges

Gesetz ist genau g e n o m m e n ü b e r h a u p t k e i n Gesetz. Das ist k e i n akademisches P r o b l e m . T a f t b e f a n d sich i n dieser V e r l e g e n h e i t , als er das W e b b - K e n y o n - G e s e t z 1913 m i t seinem V e t o belegte u n d als es t r o t z d e m d u r c h g e b r a c h t w u r d e . Seiner n a c h h a t t e der K o n g r e ß

nicht

lichen

Schiffstransport

Handel,

um

den

Ansicht

die M a c h t ü b e r den zwischenstaatvon

Alkohol

in

einen

P r o h i b i t i o n s s t a a t zu bestrafen. D e r G e r i c h t s h o f e r l e d i g t e d i e

An-

gelegenheit, i n d e m er es f ü r verfassungsgemäß e r k l ä r t e 1 3 . T a f t f a n d sich s c h o n 1909 v o r d e m g l e i c h e n P r o b l e m , als der K o n g r e ß E i n k o m m e n s t e u e r e r h e b e n w o l l t e , d i e der G e r i c h t s h o f f ü r

eine

verfas-

s u n g s w i d r i g h i e l t . D i e s m a l r e t t e t e T a f t die L a g e , i n d e m e r d e n K o n greß v o n der U n g e h ö r i g k e i t überzeugte, v o m G e r i c h t s h o f eine M e i n u n g s ä n d e r u n g zu v e r l a n g e n . D a h e r die 16. E r g ä n z u n g ( A m e n d m e n t ) . J o h n s o n r e t t e t e sich n i c h t so l e i c h t aus der g l e i c h e n Zwangslage. E r w u r d e a n g e k l a g t , als er sein V e t o a u f d i e W i e d e r a u f b a u g e s e t z e v o n 1867 legte, o b w o h l dieses V e t o a u s d r ü c k l i c h m i t i h r e r Verfass u n g s w i d r i g k e i t b e g r ü n d e t w u r d e . Was sollte er t u n , als sie t r o t z d e m durchgebracht

wurden?

E r h a t t e geschworen, die V e r f a s s u n g

zu

stützen. Sollte e r e i n Gesetz d u r c h f ü h r e n , das er f ü r gegen d i e V e r fassung g e r i c h t e t h i e l t ? O d e r sollte er das sagen, was er t a t s ä c h l i c h d u r c h s e i n e n G e n e r a l s t a a t s a n w a l t d e m G e r i c h t s h o f sagen l i e ß ? „Sob a l d die Gesetze t r o t z seines V e t o d u r c h g e b r a c h t w a r e n , oblag i h m n a c h seiner M e i n u n g n u r die P f l i c h t , sie g e t r e u l i c h a u s z u f ü h r e n u n d anzuwenden4414. D i e V e r f a s s u n g h a t t e d e m P r ä s i d e n t e n das V e t o r e c h t v e r l i e h e n , u m die E i n f ü h r u n g v o n v e r f a s s u n g s w i d r i g e n Gesetzen z u v e r h i n d e r n ,

12

Die Lehre von der richterlichen Oberhoheit

ebenso von solchen, die er aus anderen Gründen nicht billigte. Sobald er aber dieses Heilmittel erschöpft hatte, gab i h m die Verfassung kein anderes in die Hand. Man erwartete von ihm, daß er nicht darüber hinausgehen werde. Nachher war sein Gewissen nunmehr seine Privatangelegenheit. Seine Lage gleicht politisch der des Bundesgerichtes, nur daß der Gerichtshof nicht mit einer halben Maßregel versehen ist, welche die Grenze zwischen Macht und Pflicht festlegt. Das Veto des obersten Bundesgerichtes — wollen wir es so bezeichnen, obwohl manche Juristen Einwände machen würden — kann nicht durch eine Zweidrittelmehrheit überrannt werden, nicht einmal durch Einstimmigkeit, sondern nur durch eine Ergänzung zur Verfassung. Das ist keine Lösung, sondern das Problem selbst. Es ist schon oft vorgeschlagen worden, daß der Kongreß die Macht haben müsse, die Entscheidung des Gerichtshofes über die Verfassungswidrigkeit beiseite zu setzen, wie er es mit dem Veto des Präsidenten tun kann. Theodor Roosevelt schlug das 1912 vor. Marshall neigte mehr dazu, als zu der Anklageerhebung, die Hamilton bevorzugte. I n einem Brief an seinen Kollegen, Richter Chase, der damals einer Anklage entgegensah, sagte Marshall: „Der neue Weg der Anklage sollte nach meiner Ansicht einer Berufungsklausel in der Gesetzgebung Platz machen. Eine Beseitigung jener Gesetzesbestimmungen, welche durch die Gesetzgebung für unvernünftig erklärt werden, würde sicher besser unserem versöhnlichen Charakter entsprechen, als die Beseitigung des Richters, der sie i m guten Glauben gebilligt h a t " 1 5 . Sollen w i r Anklage erheben? Das war Hamiltons Heilmittel. Sollen w i r die Verfassung dahin ergänzen, daß für einen Widerruf schlechter Entschließungen vorgesorgt wird? Marshall hielt dies für besser und auch Theodor Roosevelt begünstigte diesen Weg. Franklin Roosevelt schlug einen anderen Ausweg vor. W i r werden dazu kommen, aber nicht jetzt, erst dann, wenn w i r die diesbezüglichen Entscheidungen des Gerichtshofes geprüft haben. Was sollten w i r tun? Irgend etwas? Die Antwort des Bundesgerichtes war die Lehre von seiner richterlichen Oberhoheit, die Marshall i m Jahre 1803 einführte. Das Wichtigste ist, was der Gerichtshof daraus gemacht hat, aber um das zu verstehen, müssen w i r erst auf das Genaueste die Meinung des Obersten Bundesgerichtes über seine eigene Wirksamkeit kennen.

Der Unterschied zwischen einem Recht und einem Dilemma I n der Theorie ist das Recht des Obersten Bundesgerichtes, Gesetze für verfassungswidrig zu erklären, überhaupt kein Recht. Es ist nur die Folge eines Dilemmas. Der Gerichtshof muß i n der einen oder anderen Weise über den vorliegenden Fall ein U r t e i l abgeben. Irgend jemand findet, daß das Statut so sagt und die Verfassung anders. Wenn der Gerichtshof vor diese Wahl gestellt wird, dann muß er offensichtlich der Verfassung den Vorzug geben. 1936, als das A.A.A. für verfassungswidrig erklärt wurde, legte Roberts i n sehr sorgfältigen Worten die Handlungsweise des Gerichtshofes dar. Es gibt noch andere Ausführungen über die Lehre von der richterlichen Oberhoheit, aber diejenige von Roberts ist klar, neu und von berufener Seite. „Es darf kein Mißverständnis geben über die Aufgabe des Bundesgerichtes i n einem solchen Falle. Es w i r d manchmal gesagt, daß der Gerichtshof sich das Recht anmaßt, die Tätigkeit der Volksvertretung beiseite zu setzen oder zu überwachen. Das ist eine falsche Auffassung. Die Verfassung ist das höchste Gesetz des Landes, vom Volk verordnet und errichtet. Die ganze Gesetzgebung muß mit den dort niedergelegten Grundsätzen übereinstimmen. Wenn ein Gesetz des Kongresses i n der üblichen Weise durch die Gerichtshöfe als verfassungswidrig erklärt wird, dann hat der juristische Teil der Regierung nur eine Pflicht — nämlich den betreffenden A r t i k e l der Verfassung neben die fragliche Verordnung zu legen und zu entscheiden, ob sie übereinstimmen. Es bleibt dem Gerichtshof nurmehr übrig, sein wohlerwogenes Urteil über die Frage zu verkünden. Sein einziges Recht, wenn man es so nennen darf, ist das Urteilsrecht. Der Gerichtshof hat die Gesetzgebung weder zu billigen noch zu verdammen. Seine schwierige Aufgabe ist es, festzustellen und dar-

14

Der Unterschied zwischen eine

Re

und eine

i

zutun, ob die Gesetzgebung sich i n Übereinstimmung oder i m Widerspruch mit den Bestimmungen der Verfassung befindet. Hat er das vollbracht, dann ist seine Pflicht zu E n d e " 1 6 . Sogar wenn der Gerichtshof beides so kühl nebeneinander legen kann, wie ein Schneider die Maße, sogar dann ist der Vergleich zwischen beiden Meinungen nicht so leicht, wie Roberts es erscheinen läßt. Viele unter uns bedürfen der bildhaften oder mechanischen Hilfe beim Denken. War es doch Lord Kelvin, der sagte, er stelle sich kleine Modelle von Molekülen vor, obwohl er wisse, daß sie nicht so aussähen. Kepler zeichnete kleine Dämonen, welche die Planeten ihren Lauf entlang zogen oder stießen. W i r haben die Vorstellung, daß eine Ursache irgend etwas der Entscheidung zutreibt. Rimbaud schrieb den Vokalen Farben zu. Auch dieses Nebeneinanderlegen der Verfassung und des Statutes und das Abwägen gegeneinander ist eine mechanische Hilfe für die Vorstellung von etwas, das gar nicht meßbar ist. W i r nehmen eben an, man könne Bedeutungen das Maß nehmen. Worte haben ihre Gestalt. W i r können sie uns vorstellen als Kreise von verschiedener Größe und Form, deren Ränder durch ein Halbdunkel i n Bedeutungslosigkeit übergehen oder andere Bedeutungen überschatten. W i r können ihnen Farbe oder sogar Glanz verleihen, wenn wir einmal Vorliebe oder Vorurteil in unseren Vergleich einschalten wollen. Oder wir können auch einfach sagen, wie Roberts vorschlägt, daß Worte nur ihre Länge haben, wie die Spektren zwischen Infra und Ultra. Wenn Sie mehr mit dem Gehör als mit dem Gesicht arbeiten, dann denken Sie an die Töne auf dem Klavier. Jeder kann sich vorstellen, was er will. Die Verfassung, oder besser, eine ihrer Verordnungen, hat eine gewisse Reichweite, je nach der Zahl der besonderen Anwendungen, die sie in der Praxis finden kann. Ebenso ist es mit einem Statut. Liegt die Anwendung des Statutes innerhalb der Reichweite der betreffenden Bestimmung in der Verfassung? Ohne Zwangsanwendung, ohne Strecken und Dehnen des Textes? A u f diese Weise sah Roberts das Verfassungsrecht. W i r wollen aber auch einen trefflichen Vergleich nicht zu Tode reiten. Denn die Grenzen der Bedeutung sind weder festgelegt, noch dauernd, noch bestimmt. Es handelt sich dabei nicht um ein Längen-

Der Unterschied zwischen eine

Re

und eine

i

maß. Worte sind lebende Wesen und man muß mit dem Lebenden leben, wie Montaigne schon erkannte. Das Verfassungsrecht hat vielleicht nicht viel Ähnlichkeit mit der Dichtkunst, steht ihr aber doch näher als der Geometrie. So wollen wir Roberts' Vorstellung verlassen. W i r haben Richter gehabt, die dieses verneinten, aber doch so, daß es einer Bejahung gleich kam. Van Devanter, McReynolds und Butler waren drei von der alten Garde, die sich 1935 gegen den New Deal wandten. Als die Verfassungsmäßigkeit der Zonengesetze 1926 auftauchte, gaben sie zu, daß deren Weisheit, Notwendigkeit und Gültigkeit für die jetzige Lage so offensichtlich sei, daß sie unterstützt werden müßten, obwohl man sie vor einem Jahrhundert oder vielleicht vor einem halben Jahrhundert als w i l l k ü r l i c h und übertrieben zurückgewiesen hätte. Aber darin lag nach ihrer Meinung kein Widerspruch. Zwar wandelt sich die Bedeutung der Verfassungsgarantien niemals, aber der Kreis ihrer Anwendung muß sich ausdehnen oder zusammenziehen, um neuen und verschiedenartigen Bedingungen zu begegnen, die beständig zur Auswirkung kommen. I n einer wandelbaren Welt kann es gar nicht anders sein. Obwohl damit eine gewisse Dehnbarkeit eingebaut ist, zwar nicht i n die Bedeutung, aber i n die Anwendung der Verfassungsgrundsätze, so müssen doch alle Statuten und Verordnungen, die nach sorgfältiger Abwägung der neuen Bedingungen klar und deutlich der Verfassung widersprechen, natürlich fallen 1 7 . Bedeutung oder Anwendung der Bedeutung kommt schließlich auf das gleiche heraus. Ebenso wie die Schöpfer der Verfassung es oft vorzogen, ihre Gedanken über manche Fragen nicht auszudrücken, sondern sie lieber besseren Männern oder sicher besser unterrichteten Männern zu überlassen, so wählten sie auch ihre Worte nach der Gestalt und nach der Ausdehnung. Manchmal ein großes, vieldeutiges Wort, manchmal ein engeres Wort, wenn sie genauer, konkreter sein wollen. Der Unterschied zwischen einem vieldeutigen Wort wie das Wort ordentlich, i m „ordentlichen gerichtlichen Verfahren", oder den Worten notwendig und geeignet in der Vollzugsvollmacht des Kongresses und zwischen vollkommenem Stillschweigen ist verschwindend gering. Es gibt eben Worte, die gesagt werden, um nichts zu sagen. Was gibt es dann für ein Mittel, um ein Kongreßgesetz beiseite zu legen?

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Der Unterschied zwischen einer Rolle und einer Funktion

Das Bundesgericht muß natürlich diesem Dilemma gar nicht entgegentreten, außer wenn es sein U r t e i l i n einem Rechtsstreit abzugeben hat. Der Gerichtshof ist kein Rechtsanwalt, sondern ein Richter, und das w i r d i n seiner Geschichte sehr deutlich. Washington bat einmal um ein Gutachten, und der Gerichtshof versagte es 18 . I n seinem A r t i k e l über das Oberste Bundesgericht i n der Sammlung der sozialen Wissenschaften nimmt Frankfurter an, daß der höchste Gerichtshof damit seine Würde betonen wollte. Das ist möglich. Er hielt es für unter seiner Würde, sich als Gerichtshof m i t etwas anderem abzugeben, als m i t Rechtsstreitigkeiten. Wenn 'der Präsident rechtliche Beratung brauchte, dann mochte er seinen Anwalt fragen, den Generalstaatsanwalt. Diese Handlungsweise war nicht nur richtig, sie war auch klug. Ein erlassenes Statut ist nur ein Vorhaben. Bis es i n Wirksamkeit t r i t t , weiß niemand, wie es arbeiten wird. Dann erst ist es eine Tatsache, ein Unternehmen, das beobachtet und eingeschätzt werden kann. Der Gerichtshof müßte also gerechterweise das Statut angewendet sehen können. So ist es richtig, wenn der Gerichtshof einen Rechtsstreit abwartet. Vielleicht sollte er sogar länger warten können, bis es genug Rechtsfälle gibt, um ein Muster zu bilden. Und so handelt der Gerichtshof auch öfter. I n den meisten Fällen werden von anderen Gerichten weitergegebene Fälle (certiorari ) verhandelt, indem die prozeßführende Partei vom Gerichtshof die Annahme des Falles erbitten muß. E i n Fall, auf den w i r ausführlicher zurückkommen werden, wurde erst verhandelt, nachdem drei andere ähnliche Fälle abgelehnt worden waren 1 9 . Andererseits ließ der Gerichtshof einen anderen Fall, den w i r besprechen werden, zu, noch ehe nach seinen eigenen Worten das Statut i n Wirksamkeit trat. Einige der Richter meinten, daß der Gerichtshof sich nicht so überstürzen solle 2 0 . Er kann ja die geeignete Zeit zur Lösung des Dilemmas wählen. Die Gelegenheiten, i n denen sich dem Gerichtshof die Wahl zwischen dem Statut und der Verfassung aufzwingt, kommen nicht als eine unvermeidliche judizielle Ansammlung auf ihn zu. So oft der Gerichtshof seine Meinung wirklich ausdrücken w i l l , kann er das auf verschiedene Weise ausführen. Er kann einmal einen Fall behandeln, der zum Zweck der Meinungsäußerung durch das Oberste Buijdesgericht zurechtgemacht ist. Der Gerichtshof war den Rechtsanwälten gegenüber darin sehr duld-

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sam, und zwar immer, von der Zeit Marshalls an bis zu seinem Neuaufbau im Jahre 1939. Es ist von Interesse, daß dieser Weg hauptsächlich i n wichtigen Fällen beschritten wurde. Fletcher gegen Peck 1810 ist das Hauptbeispiel. Damals erklärte das Bundesgericht zuerst das Gesetz eines Staates für nichtig. Es gab großes Aufsehen i n der Nation. Die gesetzgebende Körperschaft von Georgia verkaufte 1795 die westlichen Ländereien, den größten Teil von Alabama und Mississippi, an Spekulanten. Vielleicht war das der größte Staatsdiebstahl in unserer Geschichte. Der Kaufpreis war nur eine halbe M i l l i o n Dollar. Die nächste Körperschaft widerrief das Gesetz wegen Betrug und Bestechlichkeit der Gesetzgeber, aber inzwischen hatten die Bodengesellschaften das Geschäft abgeschlossen und weiterverkauft. Schon zu dieser Zeit und i n steigendem Maße bald danach hatten immer mehr Leute gekauft und ihre Berechtigung stand auf dem Spiel. Elf Millionen Acres waren für elf Cent der Acre durch führende Bürger von Boston gekauft worden. Wie konnten sie ihre Ansprüche sichern? Alexander Hamilton vertrat die Auffassung, daß der Widerruf der Übertragung verfassungsmäßig ungültig sei als ein Eingriff in eine Vertragspflicht. Aber konnten sie nicht eine Entscheidung des Obersten Bundesgerichtes herbeiführen? Robert Fletcher von Amherst, New Hampshire, hatte 15 000 Acres von John Peck aus Boston gekauft. Er belangte Peck gerichtlich, und er gewann. Fletcher wandte sich an den Gerichtshof. Offenbar handelte es sich um einen Scheinprozeß 21 . Marshall ließ sich nicht täuschen. Er sagte zu Cranell, daß der Gerichtshof nur widerstrebend an die Entscheidung des Falles ginge, da er „offensichtlich zurecht gemacht sei, um ein Urteil des Gerichtshofes herbeizuführen". So berichtet John Quincy Adams in seinem Tagebuch 22 . Trotzdem traf Marshall die Entscheidung, und zwar hielt er die Aufhebung für unzulässig, genau wie Hamilton. Daß Marshall unter diesen Umständen einem Urteil nicht aus dem Wege ging, ist nach Beveridge einer der schönsten Beweise seiner Größe. Ein schwächerer Mann als John Marshall mit weniger Klugheit und Mut würde die Berufung zurückgewiesen haben 2 3 . Dennoch war es die Tat eines Staatsmannes, nicht eines Richters. Der Gerichtshof hat sich immer dazu aufgeschwungen, seine juristischen Zweifel in Staatsfragen zu besiegen.

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Ein Beispiel aus der modernen Zeit ist der Aktionärprozeß. 1935 gab der Gerichtshof ein Gutachten an Carter, den Präsidenten und Großaktionär der Carter-Kohlengesellschaft ab, wonach das Kohlenkontrollgesetz der Verfassung nicht entspräche 24 . Es handelte sich dabei um den Versuch des New Deal, die Kohlenindustrie zu regeln. Man kann kaum glauben, daß Carter und seine Gesellschaft zweifelten, ob dieses Gesetz der Verfassung entspräche. Es ist auch kaum zu verstehen, wieso ein Aktionär ein Gutachten des Gerichtshofes erlangen könne, das dem Präsidenten der Vereinigten Staaten versagt worden wäre. Ein Probefall ist etwas anderes. Es ist eine wirkliche Auseinandersetzung. Die Parteien sind ernstlich i m Zweifel über den Ausgang. Dieser Rechtsstreit w i r d ausgewählt als ein Probefall, dessen Entscheidung andere Fälle mitentscheidet. Immer noch ist es Recht, das der Gerichtshof weitergibt, wenn auch gewissermaßen im Großstatt im Kleinhandel.

4 Der Unterschied zwischen einer Rolle u n d einer F u n k t i o n Man ist nicht mehr ganz aufrichtig, wenn man sich i n einer falschen Lage befindet. Gewisse Angleichungen werden nötig, wenn ein Gerichtshof zugleich ein Teil der Regierung ist, wenn die Ausübung seiner Tätigkeit sich von der von ihm erwarteten Rolle unterscheidet. Sogar wenn der Gerichtshof i n einem wirklichen Rechtsstreit entscheiden muß und sich vor der Wahl zwischen der Verfassung und einem Gesetz befindet, sogar dann handelt er nicht offen und ehrlich. Man sollte annehmen, daß der Verfassung, wenn nicht schon der Vorzug, dann doch die Gunst des Zweifels gewährt würde. Das wäre vielleicht nur gerecht gegen einen Kläger, der den Schutz der Verfassung gegen ein Gesetz anruft, indem er sagt, es überschreite die Macht des Kongresses oder der Staatsgesetzgebung. Aber das Bundesgericht tut das Gegenteil. Bei der Anwendung der Lehre der richterlichen Revision verfährt es weder logisch noch gerecht gegen die prozeßführende Partei. Der Gerichtshof bemüht sich nicht einmal um einen richtigen Vergleich, wenn er das Gesetz neben die Verfassung legt, wie Roberts sagt. Zugunsten des Gesetzes löst er jeden Zweifel. Dem Gesetz wird die Vorhand gegeben, nicht der Verfassung. Dies ist das Ergebnis einer politischen Auslegung der Rechtslehre. „Die richterliche Pflicht, über die Verfassungsmäßigkeit eines Kongreßgesetzes zu entscheiden, ist ernst und schwierig. Das fragliche Statut hat mit Erfolg die Prüfung der gesetzgebenden Körperschaft der Regierung überstanden. Durch die Erlassung wird die Gültigkeit bejaht. Dieser Entschließung muß großes Gewicht beigelegt werden. I n einer ungebrochenen Linie von Entscheidungen, vom Präsidenten Marshall bis auf den heutigen Tag, hat der Ge3*

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richtshof an der Regel festgehalten, daß ein Kongreßgesetz nach Möglichkeit für gültig gehalten werden muß, bis es m i t hinreichender Wahrscheinlichkeit hinfällig ist." So spricht der Gerichtshof durch Sutherland i m Adkins Fall, wo Mindestlöhne als verfassungswidrig bezeichnet wurden 2 5 . Oder nehmen wir Holmes, einen ebenso guten Juristen, aber aus einer anderen Geistesrichtung, der i m Lochner-Fall abweichender Meinung war, als eine Höchstarbeitszeit für verfassungswidrig gehalten wurde. Die Verfassung würde i n ihr Gegenteil verkehrt, so sagte Holmes, wenn sie dazu benutzt würde, die natürliche Folge einer allgemein herrschenden Meinung zu verhindern, „es sei denn, daß gesagt werden könne, ein vernünftiger und gerechter Mann müsse notwendigerweise zugeben, daß das vorgeschlagene Gesetz die Grundsätze beeinträchtigen würde, die sich aus der Tradition unseres Volkes und unseres Gesetzes ergeben." Diese vernünftigen Zweifel sind also die Zweifel eines klugen und gerechten Mannes oder eines vernünftigen Mannes, wie Holmes i m letzten Absatz sagt 26 . Das ist offenbar eine Absage an die Grundlage der Lehre von der richterlichen Revision, ein Verrat an den Rechten der prozeßführenden Partei und an der richterlichen Verpflichtung des Gerichtshofes. Wenn das nur eine Rechtsfrage wäre, dann hätte er einen Anspruch auf alle Wohltaten der Verfassung, nicht verwässert durch vernünftige Zweifel, nicht gestreckt und gezogen, um die Meinung eines vernünftigen Mannes einzuschließen, sondern eben der Verfassung schlechthin oder wenigstens der Verfassung nach der Auffassung des Gerichtes. Darauf ist schon hingewiesen worden. Präsident Gibson von Pennsylvania besprach die Lehre von der richterlichen Oberhoheit, als sie noch eine Neuheit war, im Jahre 1825. Jedenfalls war sie damals noch nicht zu ihrer späteren Höhe emporgestiegen und zu einer über jede K r i t i k erhabenen Selbstverständlichkeit geworden. Nachdem er den Grundsatz in fast denselben Worten wie Sutherland festgelegt hatte, sagte Gibson, daß in einem solchen Falle „die Rechte der Partei nicht davon abhingen, ob die Abweichung von der Verfassung groß sei, sondern ob überhaupt eine Abweichung entstehe. Der Richter müsse deshalb diese Frage entscheiden, ebenso wie jede andere, in der er vielleicht nicht zu einem völlig befriedigenden Entschluß kommen könne. Er würde jedoch der Frage aus-

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weichen, statt sie zu entscheiden, wenn er nicht nach seiner eigenen Geisteshaltung sprechen würde. Wenn man deshalb sagt, daß das Recht nur in völlig klaren Fällen ausgeübt werden könne, dann verrät man Zweifel daran, ob es überhaupt ausgeübt werden d ü r f e " 2 7 . Es handelt sich eben nicht nur um eine juristische Frage, so wenig wie das Oberste Bundesgericht einfach ein Gerichtshof ist. Nur wenn die Verfassung und ihre Bedeutung eine Privatangelegenheit wären, hätte der Kläger Grund, über ungerechte Behandlung zu klagen. Der Vergleich zwischen der Bedeutung der Verfassung und dem Gesetzesvorschlag w i r d nun als entschieden beiseite gelassen. Der Gerichtshof w i r d von diesem Dilemma befreit und muß sich eine andere Frage vorlegen. Kann ein vernunftbegabtes, menschliches Wesen m i t hinreichender Glaubwürdigkeit sagen, daß dieses Statut innerhalb oder außerhalb des Sinnes der Verfassung liegt? Die eigene Meinung des Gerichtshofes ist so unerheblich geworden wie die Billigkeit zwischen den Parteien. Das ist der Grund, weshalb das Bundesgericht weise handelte, als es sich gegen Gutachten wehrte. Sie würden ja behandelt werden, ehe der Kongreß gehandelt und der Präsident das Gesetz unterzeichnet hätte. Würde man das Oberste Bundesgericht zu dieser Zeit um seine Meinung angehen, so könnte es nur seine eigene äußern, die ihrerseits durch den Kongreß oder den Präsidenten erwogen und geprüft würde. Da ihre Meinung dann die letzte wäre, könnte sie verschieden ausfallen. Daher die Meinung Frankfurters, daß die Ablehnung eines Gutachtens durch den Gerichtshof ein Ausdruck seiner Würde sein könne. Hätte er das erste Wort, so könnte er überstimmt werden. Dadurch, daß er zuletzt spricht, ist seine Würde gewahrt, aber er muß sich auch nach Vorhergesagtem richten. Bis ein Fall endlich vor den Gerichtshof kommt, hat der Kongreß das Gesetz verabschiedet, und der Präsident hat es unterzeichnet. Sie haben beide also schon Stellung genommen. Nach ihrer Meinung ist es ein vernünftiger Antrag, und entspricht auch der Verfassung. Säßen die Richter beratend mit ihnen zusammen, wie schon vorgeschlagen wurde — im Revisionsrat, den Virginia dem Konvent vorlegte — , dann würden sie alle ihrer persönlichen Meinung Ausdruck verliehen haben und schließlich zu einer Übereinkunft gelangt sein. Aber dies ist nicht der Fall. Sie handeln nacheinander und ehe

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der Gerichtshof in Erscheinung t r i t t , haben schon beide Kollegen ihre Gedanken geäußert. So ist das Bundesgericht immer in derselben Zwangslage, in der sich schon Johnson befand. Nur kümmert es sich nicht darum. Er hielt das Wiederaufbaugesetz für verfassungswidrig und belegte es deshalb mit seinem Veto. Trotzdem brachte es der Kongreß durch. Dann kam es vor das Bundesgericht. Hätte es auch der Gerichtshof gebilligt, dann hätte es Johnson durchgeführt. Er hätte sich der übereinstimmenden Meinung der beiden gebeugt. So auch Präsident Taft mit dem Webb-Kenyon-Gesetz, das eingebracht, mit Veto belegt, wieder eingebracht und gebilligt wurde. Das alles kommt daher, wenn man seine Meinung nach seinen Kollegen und im Licht ihrer Meinung ausdrücken muß, und wenn man sich nicht zusammensetzen und etwas bis zu einer Einigung durchsprechen kann. Der Kongreß handelt als erster, und so wird er nicht behindert durch irgendwelche Zweifel und durch die Achtung vor der Meinung anderer. Die Furcht vor einem Veto gehört nicht zu seinen Pflichten gegen die Verfassung. Auch um die Furcht vor der Mißbilligung des Bundesgerichtes hat er sich nicht zu kümmern. Roosevelt war im Recht, als er in einem Brief an ein Mitglied des Ausschusses für Verfahrensfragen sich über das Kohlenkontrollgesetz äußerte 28 . Das war jenes Gesetz, welches eine Mehrheit des Gerichtshofes im Carterprozeß für ungültig erklärte. Roosevelt sagte: „ I c h hoffe, Ihr Komitee w i r d nicht zulassen, daß noch so vernünftige konstitutionelle Zweifel die vorgeschlagene Gesetzgebung verhindern." So manche von uns erinnern sich an das republikanische Mißbehagen. So sprach Snell im nächsten Monat in seiner Schlüsselansprache an den Republikanischen Konvent: „Gottlob hat nie ein republikanischer Präsident seinen Verfassungseid verletzt, indem er Mitglieder seiner Partei zur Verletzung aufforderte. W i r beugen unser Haupt in Scham und Sorge". Was Roosevelt meinte, war einfach, man solle sich nicht aus Angst vor dem Urteil der Richter davon abbringen lassen, seine Gedanken zu äußern. Es gäbe nur einen Leerlauf, wenn jeder seine eigene Meinung nach der mutmaßlichen Meinung der anderen einrichten wolle. Die Achtung untereinander schließt die Selbstachtung ein. Da der Kongreß nun einmal gewählt sei, muß er nicht immer nur an seine eigene Würde denken. Sollte der Kongreß sich von der Gesetzgebung abhalten lassen, solange Zweifel über die Verfassungsmäßigkeit bestehen, dann kann

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er nicht seine Pflicht erfüllen. Durch eine nicht geforderte Selbstbeschränkung würde er sich selbst der gesetzgeberischen Macht berauben, die das Bundesgericht ihm zuerkennt. W i r d doch ein Gesetz des Kongresses nur dann für verfassungswidrig gehalten, wenn vernünftigerweise daran nicht gezweifelt werden kann. Anderenfalls gäbe es ein Niemandsland zwischen dem Kongreß und dem Bundesgericht, wodurch die Äußerungen des Gerichtshofes theoretisch überflüssig würden. Würde der Kongreß nach der Snellschen Theorie die Mißbilligung des Bundesgerichtes vorwegnehmen, dann gäbe es auf dem Weg der Gesetzgebung eine Verhütung von Gesetzen, die das Bundesgericht vielleicht für verfassungsmäßig halten würde. Nicht das einzige, aber eines dieser Beispiele ist der 57. Kongreß, der sich von seiner gesetzgeberischen Pflicht nicht durch die Furcht vor der Mißbilligung durch das Bundesgericht abhalten ließ. I m Mai 1936 erklärte der Gerichtshof das Gesetz über den Bankrott der Städteverwaltungen im Prozeß Ashton gegen Cameron County für ungültig 2 9 . Das war eine der Entschließungen 5 zu 4 in jener Zeit. Wie wir sehen werden, geschah etwas mit dem Gerichtshof im Frühling 1937. Er unterzog sich einem Sinneswechsel, und seine neuen Entschließungen 5 zu 4 fingen an, eher Marksteinen zu gleichen als Präzedenzfällen. I m August 1937 brachte der Kongreß ein neues Gesetz über den Bankrott der Städteverwaltungen ein. Er bemühte sich, die Würde des Bundesgerichtes zu wahren, aber in wenigstens einer Hinsicht war das ganz unmöglich, wenn den Städteverwaltungen die notwendige Hilfe zuteil werden sollte. Der Vorsitzende des Justizkomitees, Sumners, dem das Gesetz übergeben war, bekannte offen von der Tribüne des Hauses, daß nach dem Fall Ashton die vorgeschlagene Anwendung auf Großstädte und Städte der Verfassung nicht entspräche. Dennoch war es nach seiner Ansicht nicht nur das Recht, sondern die Pflicht des Kongresses, die Frage wieder vor das Bundesgericht zu bringen. Bedeutete doch die gerichtliche Entscheidung, wenn sie weiterbestünde, eine ernste Drohung für die Staaten, bei ihren Stadtverwaltungen eine Bankrottpolitik zuzulassen, und das würde er sehr bedauern. Der Kongreß nahm den Entwurf an. I m nächsten Frühling kam das neue Gesetz vor das Bundesgericht und die Worte des Vorsitzenden Sumners wurden seiner Beachtung empfohlen 3 0 . Das Bundesgericht erklärte das Gesetz für

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gültig. Herr Sumners erschien selbst und betonte, daß es sich in dem vorliegenden Fall nicht um den Teil eines Staates i m politischen Sinn, sondern nur um einen Bewässerungsdistrikt handele. Ob es nun diese Unterscheidung war, die das Gesetz rettete, jedenfalls war die Würde des Bundesgerichtes gewahrt und dies war wohl die Absicht von Herrn Sumners 31 . Darum brauchte man sich w i r k l i c h keine Sorgen zu machen. Einige Jahre später, 1943, kam das Bundesgericht auf diese Episode zurück und sagte: „Nichts i n der Geschichte oder Haltung dieses Gerichtshofes sollte die gesetzgeberischen Körperschaften behindern, wenn sie i n Erfüllung ihrer Pflicht Gesetze erlassen, die eine neue Prüfung vorhergehender Urteile durch den Gerichtshof nötig machen" 3 2 . Es hatte eine Zeit gegeben, als die Entscheidungen des Obersten Bundesgerichtes orakelhafter waren. E i n goldenes Zeitalter, in dem eher Ehrfurcht erweckt wurde als Besorgnis um die Würde. Das Gegenstück dazu ist die Achtung des Gerichtshofes vor dem Kongreß. Natürlich muß gegenseitiger Respekt bestehen unter den Mitarbeitern eines gemeinsamen Unternehmens. Da der Kongreß zuerst handelt und der Gerichtshof zuletzt, wie ist nun das Vorgehen des Gerichtshofes? Ein Gesetzentwurf des Kongresses muß sorgfältig erwogen werden. Er entspricht der Verfassung, außer wenn er nach den Worten des Gerichtshofes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit für ungültig angesehen werden muß oder nach den Worten Holmes: „wenn man sagen kann, daß ein vernünftiger und gerechter Mann notwendigerweise zugeben muß", daß das Gesetz ungültig sei. Wieviel Gewicht ist dem Entwurf zu geben? Wie groß und wie beschaffen ist der Zweifel an seiner Gültigkeit? Wer ist dieser Mann? Die Beantwortung dieser Fragen zielt auf den Kern der Tätigkeit des Bundesgerichtes und der Lehre von der richterlichen Oberhoheit. Wenn dieser vernünftige und gerechte Mann, dieser kluge Mann nur ein Fabelwesen ist, dann wird die Formel eine Tautologie. Anders als auf dem Gebiet der Mathematik, der Logik und anderer analytischer Disziplinen, sind die Zweifel dieser erdachten Person in Wirklichkeit nur der Widerschein des eigenen Selbst. Der Gerichtshof arbeitet mit Spiegelbildern. Sobald sich das B i l d dieses vernünftigen Wesens nähert, erkennen die Richter sich selbst. Die diesem Wesen zugeschriebenen Zweifel sind in Wirklichkeit nur ihre eigenen. So

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wird aus der Klausel „beyond rational doubt" nur ein Grad des Unerträglichen. Holmes sprach davon einmal, als von unserem: „ W i r sind machtlos" 3 3 . Dann geht es weiter durch das Niemandsland der Gleichgültigkeit, bis man sich vor der dunklen Mauer des: ,, W i r können es nicht ertragen" befindet. Dadurch mag uns verständlich werden, was der Gerichtshof manchmal tut, aber wir können daraus nicht erkennen, was er tun wird. Der Widerspruch w i r d offenbar, wenn fünf von den Richtern ohne jeden Zweifel ein Gesetz für verfassungswidrig halten, während vier ihrer Kollegen diesen Zweifel hegen. Jeder Richter, der sich mit jenem Phantasiegebilde gleichsetzt, kann zu dem ehrlichen Glauben kommen, daß er es nicht nur mit sich selbst zu tun hat. Aber wir wollen den Vergleich nicht zu Tode hetzen. Diese Formel muß doch etwas Besseres sein, als eine Selbstbespiegelung. Der vernünftige und gerechte Mann muß irgend jemand sein, eine Persönlichkeit mit eigenem Recht und eigenem Leben. Wer ist er dann? Das sind allerdings keine juristischen Zweifel. K e i n Rechtsanwalt, sondern nur ein Laie würde sie hegen; denn sie beruhen auf dem großen Gewicht, das der Gerichtshof der Tatsache beimessen muß, daß der Kongreß das Gesetz für konstitutionell hält und daß dies auch die Meinung des Präsidenten ist, der es unterzeichnet hat. Das sind die Meinungen eines Laien. Allerdings mögen zwei Drittel des Senates und die Hälfte des Hauses Rechtsanwälte sein, aber sie sind nicht beruflich anwesend. Sie vertreten ihre Wähler, nicht ihre Klienten. Dieser genannte Mann kann nicht den Kongreß verkörpern, denn sonst könnte das Oberste Bundesgericht einen Gesetzentwurf des Kongresses nicht für verfassungwidrig erklären. Er kann auch nicht mit den Richtern identifiziert werden; denn sonst wäre Einstimmigkeit die Folge. Auch wäre die Formel zwecklos, wenn er einfach irgend jemand wäre. Wer ist er dann, oder wer sind die, deren Zweifel den Gerichtshof zu seiner Entscheidung führen. James Bradley Thayer fand eine glückliche Formulierung für die Leute, nach deren Meinung der Gerichtshof sich richtet in einer alten Urteilsbegründung des Obersten Gerichtes von Süd Karolina. 1812 sagte der Kanzler Waties: „ D i e Gültigkeit eines Gesetzes sollte nicht i n Frage gestellt werden, es sei denn in so offensichtlichem Widerspruch mit der Verfassung, daß alle Männer von Vernunft und

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Überlegung auf den Hinweis der Richter hin diesen Widerspruch bemerken müßten" 3 4 . „ A u f den Hinweis der Richter." Also die Erkenntnis solcher Männer, nachdem der Gerichtshof das Urteil gedeutet und erklärt hat, nachdem der Gerichtshof seine Meinung abgegeben hat. Also ein geleitetes Volksurteil? Warum nicht? Dagegen läßt sich nichts einwenden, außer wenn man die richterliche Aufsicht für eine rein juristische Sache hält, oder wenn man das demokratische Vorgehen ablehnt. Das sind also die Männer, an die der Gerichtshof sich wendet. Ihnen gibt er demnach seine Meinung kund, nämlich „allen Männern von Vernunft und Überlegung in der Gemeinschaft". Wir haben die klassische Lehre von der richterlichen Oberhoheit untersucht nach den Worten des Gerichtshofes. Ebenso ihre klassische nähere Bestimmung, auch nach den Worten des Gerichtshofes. Wir haben versucht, sie theoretisch zu ergründen und wir haben eine Grundlage für die Auslegung der Lehre gefunden. Trotzdem sind wir stecken geblieben. Wenn man auch mit der Theorie beginnen muß, so führt sie doch nie sehr weit. Der Gerichtshof ordnet seine eigene Meinung der des Kongresses unter, außer, wenn er glaubt, alle Männer von Vernunft und Überlegung in der Gemeinschaft für den Standpunkt gewinnen zu können, daß der fragliche Gesetzentwurf der Verfassung widerspricht. Wenn der Gerichtshof dieser Meinung ist, und nur dann, ist es seine Pflicht, das Gesetz für nichtig zu erklären und seiner Einführung Widerstand zu leisten. Wollen wir die Sache von einem anderen Gesichtspunkt betrachten? Der Gerichtshof muß also der verzeihlichen Versuchung widerstreben, den vorliegenden Fall nach seiner eigenen Einsicht zu beurteilen, außer wenn er das Vertrauen haben kann, daß diese Männer von Vernunft und Überlegung mit seiner Entscheidung übereinstimmen. Dies alles scheint ein ziemlich langer Umweg zu sein. Man könnte die Ungültigkeitserklärung eines Gesetzes mit dem Schauspiel von Mitarbeitern vergleichen, die sich nicht über ihr gemeinsames Werk einigen können. Wenn der Gerichtshof ein Gesetz des Kongresses für verfassungswidrig hält, versucht er dann, über eine unsinnige Handlung oder sogar einen Vertrauensbruch von Seiten seines Mitarbeiters hinwegzugehen? Er übersieht ihn und verrichtet seine Arbeit so taktvoll wie möglich, statt sich in Streitigkeiten einzulassen, wie es der Kongreß gelegentlich mit dem Präsidenten tut. So ist es.

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Ein verfassungswidriges Gesetz verhindert die Zusammenarbeit und wird dementsprechend vom Gerichtshof behandelt. U n d so könnte auch der Kongreß eine ebenso unkollegiale Entschließung des Gerichtshofes übergehen. Das ist eine Frage der Zusammenarbeit zwischen Regierungsabteilungen. Wenn ihre Meinungen auseinandergehen, dann wendet sich jeder an seinen eigenen Auftraggeber, der Kongreß an seine Wähler, die ihn wieder wählen können oder nicht, das Oberste Bundesgericht an alle Männer von Vernunft und Überlegung i n der Gemeinschaft.

E i n geduldeter Mieter Soweit über die Lehre von der richterlichen Oberhoheit. Vor allem ist festzustellen, daß der Gerichtshof die Lehre nur unter Duldung des Kongresses verwirklicht. Die ganze Rechtsprechung des Bundesgerichtes i n allen wichtigen Fällen unterliegt „den Ausnahmen und den Vorschriften, die der Kongreß bestimmt". Das ist die Sprache der Verfassung, A r t i k e l 3. Sicherlich kann ihm seine ursprüngliche Jurisdiktion i n erster Instanz nicht entrissen werden, aber das betrifft nur Fälle von Gesandten, Ministern, Konsuln und zwischen den Einzelstaaten. Keiner von ihnen strengt sehr oft Prozesse an, und tun sie es, dann ist dies wichtiger für sie als für uns. Wäre das die ganze Aufgabe des Gerichtshofes, dann wäre er ein ehrenvoller Ruheplatz für überalterte Rechtsanwälte, und niemand würde wohl ein Buch darüber schreiben. Die Berufungsgerichtsbarkeit ist das Bedeutsamste. U n d sie w i r d nur erhalten und ausgeübt nach dem Belieben des Kongresses. Der Kongreß kann sogar die Rechtsprechung des Bundesgerichtes in einem schwebenden Verfahren aufheben. Einmal handelte der Kongreß schon so, und der Gerichtshof erkannte einstimmig an, daß der Kongreß das Recht dazu habe. Das war 1869 im McCardle-Fall. McCardle war ein Verleger im Staat Mississippi, der verhaftet und vor einem Militärgericht angeklagt wurde unter einem der Wiederaufbaugesetze. Nachdem McCardles Fall verhandelt worden war, fürchtete der Kongreß, daß der Gerichtshof sich in die persönliche Freiheit einmischen werde. So hob der Kongreß das Recht McCardles, sich an den Gerichtshof zu wenden, auf. Johnson, ein energischer Bursche, sprach über die Aufhebung sein Veto mitten i n seinem Prozeß, aber der Kongreß ging über sein Veto hinweg. Und der Gerichtshof stimmte zu. M i t trockener Würde — die Trauben waren nämlich sauer — führte Präsident Chase im Namen eines einstimmigen Gerichtshofes aus: „ D i e richterliche Pflicht äußert sich ebensosehr in dem Verzicht auf

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unerwünschte Rechtsprechung wie i n der unerschrockenen Ausübung der Aufgaben, die dem Obersten Bundesgericht durch die Verfassung und die Gesetze übertragen sind." Nach seiner Meinung stand es dem Gerichtshof nicht zu, die Beweggründe der gesetzgebenden Körperschaft zu untersuchen 35 . B. R. Curtius, der ehemalige Richter, der i m Dred Scott - Fall ein abweichendes Votum abgegeben hatte, bemerkte: „Der Kongreß hat mit Zustimmung des Landes das Oberste Bundesgericht und den Präsidenten besiegt." Sicher ist, daß durch den 40. Kongreß das Land näher an einer Revolution war, als jemals vor- oder nachher. W i r dürfen dankbar sein, daß es unter den Stevens, Wade, Butler und den übrigen keinen Cromwell gab. Der Kongreß bestimmt die Sitzungsperioden für das Bundesgericht. Einmal, zu Marshalls Zeit, zwang der siebente Kongreß den Gerichtshof zu einer Pause von über einem Jahr. Senator Bayard fragte: „ K a n n das nicht zu der Aufhebung des Bundesgerichtes führen?" Monroe schrieb an Jefferson: „ W e n n nun die Richter trotzdem zusammenkämen und feierlich Einspruch leisteten, wenn sie das Vorgehen als verfassungswidrig und seine Beweggründe als unmoralisch bezeichneten?" U n d doch stimmte Marshall zu. „ I m m e r bleibt das A m t bestehen, um neue juristische Vollmachten, welche die Gesetzgebung ihm überträgt, anzunehmen und auszuüben" 36 . Der Kongreß hat auch die Macht über die Durchführung der Urteile des Bundesgerichtes. Der Präsident könnte die Armee einsetzen, um das Inkrafttreten zu verhindern, ebenso wie er die Armee zur Aufzwingung von Gesetzen benützen kann. Das gefiel Sewall Amery so, daß er sich voll Selbstzufriedenheit von den Soldaten heraustragen ließ. Wenn auch der Einsatz der Armee gegen kriegerische Abgeordnete ein Phantasieprodukt ist, so ist die Macht des Kongresses, Bewilligungen niederzuschlagen, Wirklichkeit. Der Kongreß kann dem Bundesgericht gegenüber genau so handeln wie gegen irgendeinen anderen Teil der Regierung. Nach der Verfassung steht es in der Macht des Kongresses, die Zahl der Richter zu bestimmen. Die Zahl der Mitglieder wurde mehrmals geändert. Sogar die amerikanische Juristenvereinigung (Bar Association) gab zu, daß Roosevelts Vorschlag an den Kongreß im Jahre 1937, die Zahl der Richter auf 15 zu erhöhen, der Verfassung entsprochen hätte. Sie wandten sich dagegen und betonten mit vier Stimmen zu einer, daß eine solche Handlung unfair gegen die Ver-

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fassung wäre. So oder so muß man zugeben, daß der Kongreß nach der Verfassung die Macht hatte, so zu handeln. Bryce nannte dies „eine Ritze i n der Rüstung des Bundesgerichtes" 3 7 . U m nichts bemühten sich die Väter der Verfassung so, wie um die unbedingte Unabhängigkeit des Gerichtskörpers. Der Präsident durfte die Richter weder abberufen, noch konnte der Kongreß ihre Gehälter verringern. Nur eines wurde vergessen oider für unerwünscht und ungeeignet gehalten, nämlich die Zahl der Richter des Gerichtshofes zu bestimmen. Hier lag nach seiner Meinung ein schwacher Punkt, ein Loch im Panzer, durch das eines Tages eine Waffe dringen könnte und Bryce wies auf diese Waffe hin. „Nehmen wir an", so sagte er, „der Kongreß und der Präsident nähmen sich eine Sache vor, die der Gerichtshof für verfassungswidrig hielte. Sie erlassen ein Gesetz. Es ergibt sich ein Rechtsstreit. Bei der Verhandlung des Falles erklärt das Gericht das Gesetz einstimmig für nichtig, da es die Vollmacht des Kongresses überschreite. Der Kongreß geht darüber hinweg und der Präsident unterzeichnet ein anderes Gesetz, das die Zahl der Richter mehr als verdoppelt. Als neue Richter ernennt der Präsident Männer, die das frühere Gesetz für verfassungsgemäß halten. Der Senat stimmt den Ernennungen zu. Ein neuer Rechtsstreit um die Gültigkeit des umstrittenen Gesetzes w i r d vor das Gericht gebracht. Die neuen Richter überstimmen die alten, das Gesetz w i r d für gültig erklärt, die Sicherungsmaßnahmen zum Schutz der Verfassung schwinden dahin wie Morgennebel." Bryce fragt sich, wodurch so unmoralische Angriffe auf das Grundgesetz verhindert würden. Dies geschieht nicht durch die Regierungsform, so antwortet er, denn alle Hemmnisse sind umgangen worden. Auch nicht durch das Gewissen der gesetzgebenden Körperschaft und des Präsidenten, denn in der Hitze des Gefechtes scheut man selten davor zurück, die Mittel durch den Zweck zu heiligen. Man kann sich dabei nur auf die Furcht vor dem V o l k verlassen, dessen gesunde Vernunft und dessen Anhänglichkeit an die großen Grundsätze der Verfassung eine solche Verdrehung verurteilen werden. Steigt jedoch die Erregung in einem Land, so könnte eine Mehrheit des Volkes zustimmen. I n diesem Falle macht es wenig aus, ob eine Revolution durch offene Verletzung des Gesetzes oder durch Rechtsbeugung herbeigeführt wird. Früher oder später, sagt Bryce, müssen wir uns an das V o l k halten, von seiner Weisheit und Selbstbeherrschung hängt das Bestehen jeder Regierungsform ab.

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W i r haben gesehen, daß die Lehre von der richterlichen Oberhoheit auf keiner ausdrücklichen Garantie i n der Verfassung beruht. W i r haben auch verfolgt, wie Marshall, ein kühner Geist und ein Staatsmann, die Gelegenheit wahrnahm und sie ergriff. Er pflanzte die Fahne auf, um die sich alle Ehrlichen sammeln konnten. Aber es ist bekannt, was Franklin bei einem Diner in Philadelphia nach dem Verfassungskonvent zu einer Dame sagte, als sie i h n fragte, ob wir eine Republik hätten. Ja, sagte er, wenn Sie sie halten können. Das Bundesgericht hat seine Oberhoheit nur unter Duldung des Kongresses gehalten. Juristisch ausgedrückt, war der Gerichtshof ein Mieter auf Duldung. Wie und warum? 54 Jahre lang, von 1803 bis 1857, berief sich das Oberste Bundesgericht nicht auf Marshalls Lehre, dann — so unglaublich es klingt, scheint es wahr zu sein — benutzte der Gerichtshof die Lehre, um das zu lösen, was das schwerste Problem zu sein schien. Der einzige Knoten, den w i r nicht lösen konnten, sondern durchhauen mußten. Der Bestand der Sklaverei schien damals von ihrem Eindringen in die neuen Gebiete abzuhängen. Kansas war der Probefall. So begab sich der Gerichtshof an die juristische Lösung des Problems. Wenn wir fortgesetzt unsere politischen Probleme als juristische behandeln, kann man dann unsere großen Juristen für diesen Versuch tadeln? Manchmal sind es die Weisesten, welche die auffallendsten Torheiten begehen. Der Fall Dred Scott gab den Richtern eine Gelegenheit. Einige Wochen vor Buchanans Amtsantritt gewannen sie die Überzeugung, „das Bundesgericht könne die ganze Erregung über die Slavereifrage beruhigen, wenn es dem Kongreß nach der Verfassung das Recht abspreche, die Einführung der Sklaverei zu verbieten". So sprach Wayne und Curtis stimmte zu 3 8 . Auch Taney war der Meinung und erbot sich, die Begründung zu schreiben. Als Grier widersprach, schrieb Catron an den Präsidentschaftskandidaten, dieser wieder an Grier, der den Brief Taney und Wayne zeigte. Grier schrieb an Buchanan, daß auch er zustimme und daß die Entscheidung am 6. März herauskommen werde, zwei Tage, nachdem er im A m t sein werde. So kündigte Buchanan in seiner Einführungsrede an, daß die beim Gericht schwebende Frage schnell und endgültig entschieden werde. „Dieser Entscheidung werde ich mich zusammen mit allen guten Bürgern willig beugen, wie sie auch ausfallen möge." Da er es ja wußte, konnte er wohl so sprechen.

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Auch wir wissen es, was es hieß, daß ein Neger nicht Bürger sein und der Kongreß die Sklaverei nicht aus den Gebieten verbannen konnte. W i r wissen auch, was ein noch besserer Kenner der Verfassung als Taney vier Jahre später i n seiner Antrittsrede sagte: „ I c h übersehe nicht die von einigen vertretene Meinung, daß Verfassungsfragen vom Obersten Bundesgericht entschieden werden sollen. Ich verkenne auch nicht, daß solche Entscheidungen bindend sein müssen für die Parteien in einem Prozeß, wie auch für den Gegenstand des Prozesses. Auch muß ihnen die höchste Achtung und Wertschätzung bezeugt werden in allen ähnlichen Fällen, durch alle anderen Abteilungen der Regierung. A u f der anderen Seite muß ein unbefangener Bürger zugeben: Wenn die Regierungspolitik i n für das ganze V o l k lebenswichtigen Fragen durch das Oberste Bundesgericht festgelegt wird, und zwar in einem Prozeß zwischen Parteien, dann ist das V o l k nicht mehr sein eigener Herrscher, sondern es hat die Regierung in die Hände dieses hervorragenden Tribunals gelegt." Der Krieg befreite uns von der Torheit des Gerichtshofes und das Land nahm die Entscheidung gar nicht zur Kenntnis. Als der Kongreß 1872 ein Gesetz gegen die Sklaverei einbrachte 3 9 , findet sich i n den kurzen Debatten nicht einmal ein Hinweis auf die Entscheidung des Gerichtshofes. Die Lehre von der richterlichen Oberhoheit schien tot zu sein. Ein ehrlicher Freund könnte dem Bundesgericht geraten haben, sie aufzugeben, auf seine Ansprüche bei dem Bau der Verfassung zu verzichten und sich nur an das Gesetz zu halten. Das wäre ein schlechter Rat gewesen, denn gerade damals begann der Aufstieg der Lehre. 1890 erzählte Charles Fairman die Geschichte i n seinem Buch Richter Miller und das Oberste Bundesgericht 1862—1890. Ich gehe zu den neunziger Jahren über, wo die Lehre ihren Höhepunkt erreicht. W i r werden sehen, wie weit das Bundesgericht gehen kann und wie das Land es aufnehmen wird. 1894 führte der Kongreß eine Einkommensteuer ein. Es handelte sich um 2 % Normalbetrag auf alle Einkommen über 4000 Dollars. Cleveland war gerade gewählt worden mit der Verpflichtung zur Steuerverminderung, und da der Kongreß geringere Einnahmen vorhersah, legte er diese bescheidene Steuer auf die Einkommen. Juristisch gesprochen hing die Verfassungsmäßigkeit der Steuer von der Frage ab, ob eine Einkommensteuer eine direkte Steuer sei

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oder nicht. Wenn das der Fall war, dann mußte der Ertrag nach der Verfassung den Staaten nach ihrer Bevölkerung zugeteilt werden, was natürlich nicht der Fall war. Keiner wußte, wann eine Steuer direkt ist und wann nicht. I n den Berichten des Konventes heißt es: „ H e r r K i n g fragte nach der genauen Bedeutung der direkten Besteuerung. Keiner antwortete" 4 0 . Es scheint uns töricht, daß eine Regierung keine Einkommensteuer erheben könne. Das fanden auch die meisten Leute 1894. Eine Einkommensteuer stellte damals den dünnen Rand eines Keiles vor, der mit einem großen Hammer — derselbe Hammer, den die USSR führen — in unsere kapitalistische Wirtschaft hineingetrieben wurde. Das Ergebnis war dieselbe Hysterie, die wir i n den zwanziger Jahren erlebten. Sie werden denselben Stimmaufwand erkennen, wenn Sie einen. Paragraphen aus Josef H. Choates Begründung anhören: „Das vorliegende Kongreßgesetz ist nach Absicht und Tendenz kommunistisch. Seine Begründung beruht auf kommunistischen, sozialistischen, ja populistischen Grundsätzen wie nur je ein politisches Dokument i n der Welt. K e i n Mitglied dieses Gerichtshofes w i r d je vorher oder nachher über einen Fall entscheiden, dessen Folgen so weitreichend sind wie diese. I c h nehme nicht einmal jenes ehrwürdige Mitglied aus, das noch die frühen Tage des Bürgerkrieges erlebte, das an jeder Frage des Wiederaufbaues und des nationalen Schicksals während der letzten 30 Jahre teilgenommen hat. K e i n Mitglied dieses Gerichtshofes w i r d je einen schwerwiegenderen Fall erleben, nämlich die Erhaltung der Grundrechte von Privateigentum und Gleichheit vor dem Gesetz, die Fälligkeit des Volkes der Vereinigten Staaten, sich auf die Garantien der Verfassung zu verlassen. M i t tiefstem Ernst und Vertrauen nehmen w i r an, daß alle patriotischen Amerikaner für den Sieg unserer Ansichten beten müssen" 4 1 . U n d so geschah es. Der Gerichtshof stimmte zu, 5 : 4 , i n Wirklichkeit noch knapper; denn jemand zog seine Stimme i m letzten Augenblick zurück. Nach dem Gerücht war es Shiras. Corwin hält Gray dafür. Andere wieder nehmen Brewer an. Was liegt daran. Jedenfalls war es so knapp wie möglich, 4 :4, während der fünfte Mann durch Zweifel gepeinigt wurde. Keine feste Basis für eine Entscheidung? Nun, man mußte sie durch eine Ergänzung der Verfassung zunichte machen. Die Einnahmen aus den Zöllen fielen besser aus, als der Kongreß 4

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erwartet hatte. McKinley, nicht Bryan, wurde gewählt. Das Land hatte an andere Dinge zu denken. Erst 1909 fühlte man wieder das Bedürfnis nach einer Einkommensteuer. Dann schlugen Bailey aus Texas, Borah aus Idaho und Cummins aus Jowa 3 % Normalbetrag auf alle Einkommen über 5000 Dollars vor als eine Einschaltung zur Payne-Aldrichsteuer. Aldrich wollte das natürlich nicht. So ging er mit Ledge zu Taft, den sie verständnisvoll fanden. Keiner von ihnen wünschte eine Einkommensteuer, und sie berieten über die Möglichkeit, sie zu verhindern. Was war der stärkste Beweis, den sie i m Kongreß gegen die Erhebung einer Einkommensteuer vorbringen konnten? Taft lieferte ihnen das Stichwort: „Nach meinem Dafürhalten wird das Oberste Bundesgericht i n jedem Falle eine strenge K r i t i k zu erwarten haben" 4 2 . So beschlossen sie, eine Ergänzung zur Verfassung vorzuschlagen. Das kräftigste Argument gegen eine Einkommensteuer war also Unpopularität des Gerichtshofes. So kam es, daß Senator Root bei seiner Ansprache im Senat nicht die Steuer, sondern das Bundesgericht zum Thema wählte. Root forderte zum Vergleich m i t der Antrittsrede Lincolns auf: „Was geschieht, wenn sie nachgeben? Wo bleibt dann das Vertrauen unseres Volkes i n die Gerechtigkeit ihres Urteils? Wenn sie aber nicht nachgeben, was dann? Dann stehen wir vor einem Bruch zwischen den beiden Teilen unserer Regierung. Dem populären Teil w i r d der öffentliche Beifall zuteil. Es entsteht eine Bewegung gegen die Unabhängigkeit, die Würde, die Achtung, ja die Heiligkeit dieses großen Gerichtshofes, dessen Anteil an unserer Regierung der bedeutendste Beitrag ist, den Amerika den Staatswissenschaften geliefert h a t " 4 3 . Root gründete seine Beweisführung nicht auf die Verfassungswidrigkeit einer Einkommensteuer. Er war der Ansicht, daß das abweichende Votum im Pollock-Fall jede Erwägung verdiene. Aber das war jetzt ohne Bedeutung. Er ging davon aus, daß der Gerichtshof das Gesetz für verfassungswidrig erklärt hatte, und dabei blieb es. Das genügte. Genau genommen wollte er lieber, daß der Gerichtshof im I r r t u m verbliebe, als daß er zur Anerkennung seines Irrtrums gezwungen würde. Ja nicht einmal die Möglichkeit zu einer Korrektur sollte ihm gegeben werden. Vielleicht fürchtete er, daß der Gerichtshof seinen I r r t u m zugeben werde. Er habe, so sagte er, große Zweifel, ob das Bundesgericht widerrufen werde. I n Wirklichkeit schien das Bundesgericht

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bei gegebener Gelegenheit vollkommen dazu bereit. V o n der alten Fünfermehrheit blieben nur der Präsident Fuller und Brewer. Dieser starb i m nächsten März 4 4 , und vorher konnte der Fall den Gerichtshof nicht erreicht haben. N u r zwei, Harlan und White, blieben von denen, die ein abweichendes V o t u m abgegeben hatten, übrig. Auf sie konnte man für die Unterstützung der Steuer zählen. I n der Zwischenzeit waren Holmes, McKenna, Day und Moody dazugekommen. Man kann sich nicht vorstellen, wie sie eine Einkommensteuer für nichtig erklären sollten. Damit waren es sechs, und das genügte. Die Senatoren hatten wohl all dies i n ihrem Geiste erwogen. Sie hatten aber die Absicht, die Steuer niederzuschlagen oder wenigstens zu verschieben. Das Bedeutsamste ist das Argument, welches Root für überzeugend hielt. Es war nicht nur seine eigene Meinung. Er nahm an, daß es am meisten auf die anderen Senatoren wirken würde, was auch der Fall war. „ W e n n sie nachgeben — . " Das ist eine seltsame Ausdrucksweise, als ob sie wider besseres Wissen dem Kongreß nachgeben würden und nicht ihrem eigenen Urteil. — „wo wäre dann das Vertrauen des Volkes i n die Gerechtigkeit ihrer Urteile?" Eine seltsame Gerechtigkeit und eine seltsame Haltung. Wie sehr unterscheidet sie sich von dem, was das Bundesgericht 1943 über den Widerruf i m Fall Ashton sagte. Bekanntlich hielt der Kongreß für den Augenblick die Einkommensteuer auf und legte die 16. Ergänzung (Amendment) dem Lande vor. „Der Kongreß soll die Macht haben, Einkommensteuern auszuschreiben und zu erheben, aus welcher Quelle auch immer" — , vielleicht eine breitere Vollmacht, als sogar die Umstoßung des PollockFalles ergeben haben würde. Doch das Land wollte lieber ohne Einkommensteuern auskommen, bis es sich einer Verfassungsänderung unterzog, als daß es den Schein einer Kränkung des empfindlichen Gerichtshofes erweckte. Es ist Götzendienst, den Dienst höher zu halten als den Gott. Das Bundesgericht befand sich auf der Höhe seiner Macht und seines Ansehens im Kongreß und bei den Rechtsanwälten. Zwischen 1865, dem Ende des Bürgerkrieges, und 1935, dem New Deal, wurden 36 Gesetze des Kongresses für verfassungswidrig erklärt 4 5 . Während derselben Zeit wies der Gerichtshof auch zwei- bis dreihundert Statute der Staaten zurück, über 200 unter dem 14. Amendment 4 6 . Wozu näher darauf eingehen, da die Bedeutung der Statute ver4*

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gleichsweise nicht so groß ist? Es gibt dafür keinen Einheitswert. Wenn w i r rückblickend Gesetze und Statute einschätzen wollen* dann begeben wir uns auf das weite Feld der Vermutungen 4 7 . Immer bleibt es dieselbe Frage, wie bei der Einkommensteuer: Lohnt sich bei dem Statut eine Ergänzung (Amendment) zur Verfassung oder ein Druck auf das Bundesgericht? Beide Wege sind nicht leicht. Der eine verlangt Zeit und Organisation, bei dem anderen steht man unter dem Verdacht einer Entweihung. Der New Deal hatte dieser gefährlichen Frage nach den Wahlen von 1936 ins Auge zu sehen. U m es kurz zu sagen: das Störungsfeuer des Bundesgerichts ist ziemlich wirksam. Etwas w i r d durch diese Zahlen bewiesen, und das ist die Ehrfurcht des Kongresses und vieler anderer vor dem Obersten Bundesgericht während dieser 70 Jahre. Immer wieder hat der Kongreß seine eigene Meinung vor der des Gerichtshofes gebeugt.. Immer wieder hat er seine Absichten aus Achtung vor der Meinung des Gerichtshofes aufgegeben. Die Einkommensteuer ist nur ein Einzel* beispiel. Die Kinderarbeit ein anderes. Zweimal setzte der Kongreß zu ihrer Abschaffung an. Zweimal vertagte sich das Bundesgericht, einmal 1918, und wieder 1922. Der Kongreß wartete ab, bis das nationale Arbeitsgesetz 1937 für gültig erklärt wurde. Die Ehrfurcht vor dem Bundesgericht war zu dieser Zeit so groß und verlieh ihm solche Macht, daß Stone 1936 sagen konnte, der einzige Damm gegen seine Machtausübung liege i n der Selbstbeschränkung 48 . Natürlich gehörte Stone zu den Andersgesinnten. Was ist nun die Grundlage dieser großen Macht? Warum verlieh das Land sie dem Obersten Bundesgericht, ja, warum drängte es sie ihm auf? Gibt es eine Magie dabei? Nein. Es ist eine ganz alltägliche Lage. Wenn ein großes V o l k gewisse Dinge für notwendig hält, und wenn sich niemand für die Arbeit findet, dann hält es Umschau. Erscheint ein Bewerber m i t der Schippe auf der Schulter, dann w i r d er genommen. Er erweist sich als ruhig, fleißig und bescheiden. Was ist schon dabei, wenn er hie und da trinkt? Er w i r d auch wieder nüchtern und begibt sich an die Arbeit. Über Nacht wird John ein Faktotum. Er liebt seinen Beruf, er ist ein ganzer Arbeiter, er gehört zur Familie. Niemand kann die Arbeit so ausführen wie er. Der Schlüssel für die Macht des Bundesgerichtes liegt teils i n der Notwendigkeit der Arbeit und teils i n der Weise, wie der Gerichts^ hof sie ausführt.

Die Aufgaben des Obersten Bundesgerichtes Föderalismus Der Schlüssel paßt zum Schlüsselloch, wie das Schlüsselloch zum Schlüssel. Der Gerichtshof w i r d geformt durch die Lücke, die er ausfüllt und die Arbeit, die er leistet. Sein Wesen w i r d bestimmt durch sein Tun. Wenn das schon für ein Einzelwesen stimmt, wieviel mehr noch für Gruppen und Organisationen. Sie sind ja durch ihr Wirken eine Sammelpersönlichkeit, außer, wenn sie durch einen Mann beherrscht werden, wie das Bundesgericht einst durch Marshall. Wenn man also die Arbeit versteht, dann versteht man den Gerichtshof. Arbeit und Arbeiter sind zwei Seiten des gleichen Begriffes. Was ist nun die Leistung, die vollbracht werden muß? Amerika ist ein föderalistischer Staat, in dem die Naturrechte gesichert werwerden. Das bedingt zwei verschiedene Tätigkeiten. Auch bedarf es eines Planes, einer funktionellen Diskriminierung in einem Staat, der auf der Machtteilung zwischen der legislativen, der exekutiven und der judikatorischen Seite beruht. Ihre Unterscheidung ist ja nicht naturbedingt und unvermeidlich, eine starke Zentripetalgewalt zieht sie zusammen. Beginnen wir mit den ersten beiden: Bewahrung des Bundessystems, damit die nationale Regierung nicht ins Chaos auseinanderstrebt oder in Einheit erstarrt. Schutz der angeborenen, unveräußerlichen und natürlichen Rechte des Einzelwesens gegen jede Regierung. Der Föderalismus ist einfach ein Tribut an den Raum. Diesen haben w i r noch nicht erobert. W i r sind dabei, die Zeit zu erobern, aber das ist etwas anderes. Aus den Wochen, die wir von einem Ort zum anderen brauchten, sind Tage geworden, aus den Tagen werden nächstens Stunden, aber die Meilen sind immer noch so lang, wie ßie

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waren. Gemeinwesen haben sich ausgebreitet, weil wir die Zeit des Arbeitsanmarsches verkürzt haben, aber noch immer ist ein großer Unterschied zwischen Ortsverkehr und Reisen. Die Hauptstadt liegt noch weit ab von unserer Stadt, und für einen Mann in Montana mißt sich der Abstand nach Washington immer noch in Meilen. Durch das Telefonsystem können w i r leichter eine Verabredung treffen, aber dadurch w i r d die Zusammenkunft nicht ersetzt. Flugzeug und Telefon können die Zeit fressen, aber der Raum bleibt. Nichts setzt den persönlichen Verkehr außer Wert. Die demokratische Regierungsform verlangt nach der persönlichen Teilnahme des Bürgers, nicht nur nach einer Aufsicht, nicht nur nach einer Vertretung. Aufsicht aus der Ferne genügt nicht. Dem Bürger genügt es auch dann nicht, nur durch einen Stellvertreter anwesend zu sein, wenn die Staatsmänner aus seinem eigenen Kreise stammen, wie Lincoln. Das heißt nur den Zuschauer spielen, nicht teilnehmen. Es handelt sich nicht nur um meine Regierung, ich muß auch ein Teil davon sein, und das erfordert persönliche Fühlung. W i r können ja nicht alle in dienstliche Stellungen aufrücken. So muß die Regierung also herabsteigen zu uns, so nahe, wie sie kann. I n einem kleinen Gemeinwesen ist das leicht möglich. Es ist auch schon oft mit sichtbarem Erfolg geschehen. Aber persönliche Fühlung ist eine Frage des Raumes, nicht der Zeit. W i r müssen dabei zweibis dreitausend Meilen überschreiten. Es handelt sich nicht nur um nationale Probleme; Eisenbahn, Telefon, Flugzeug und Radio haben unseren Kontinent noch immer nicht zu einem kleinen gemacht. Zeittöten heißt nicht Raumtöten. Alle Amerikaner sind bis zu einem gewissen Grad ähnlich und brauchen einheitliche Behandlung, aber das ist nur eine Vereinfachung des Problems, die eine Lösung leichter erscheinen läßt. Das Problem der Verbindung der Regierung mit dem einzelnen Bürger w i r d dadurch nicht gelöst. Jedenfalls nicht nach dem Muster der demokratischen Staatsform. A u d i die Demokratie und die persönliche Teilnahme des Bürgers an der Regierung befriedigt noch nicht alle unsere Wünsche. Sie ist ein Weg, nicht das Ziel. Manches kann uns nur durch die Mitwirkung der ganzen Nation gegeben werden. Das jüngste Beispiel ist der letzte Krieg; er ist wohl auch das größte Beispiel. Immer wieder stoßen wir auf Dinge, welche die Anstrengung einer örtlichen Gemeinschaft nicht erreichen kann. Manchmal stehen da Ehrgeiz und

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Eifer sogar im Weg, M i t der Kinderarbeit konnten und können wir nicht durch die Einzelstaaten fertig werden. Die Not der Landwirtschaft kann niemals die Aufgabe der Agrarstaaten allein sein. Ein nationaler Markt muß von oben her aufgeschlossen werden und nicht Sdiritt für Schritt von unten her. Außer diesen nationalen Dingen gibt es noch andere, welche die Staatengrenzen überschreiten müssen. Eines davon ist die T. Y. A. (Tennessee Valley Authority). Es handelt sich mindestens um die Angelegenheit von einem ganzen Flußtal. Zuerst wurden w i r und audi die Gewerkschaften durch die Industrie darauf hingewiesen, ehe die Regierung zu dieser Kenntnis gelangte. Dann sah sie ein, daß sie sich damit befassen müsse. Denn eine lokale Regierung kann den Aufgaben der Nation nicht gerecht werden. Wenn die Regierung dies nicht einsähe, dann würde sie zugunsten von irgend jemand anders abdanken. Je komplizierter das Leben wird, desto mehr t r i t t hervor, daß das Maß der Regierung immer das gleiche ist. Die Frage ist in Wirklichkeit nur die: Wer übt sie aus? Ist die Regierung dazu nicht in der Lage, dann kommt etwas anderes. Es gibt zum Beispiel drei Wege für die Arbeitsregelung. Einmal Einzelverhandlungen, jeder Angestellte mit seiner Gesellschaft. Sein wirtschaftliches Schwergewicht gibt dem Arbeitgeber hier die Stellung eines Diktators. Dann gibt es Schiedsgericht durch Zwang. I n diesem Fall kann die Regierung zum Diktator werden. Schließlich haben w i r gemeinsame Verhandlungen in der Hoffnung, daß diese durch Duldsamkeit zu einem Ausgleich zwischen beiden führen. I n der Versöhnung der nationalen Regierung mit den örtlichen Stellen und weiter in der Verschmelzung des politischen Wirkens mit der Wirtschaftmacht von Geschäft und Arbeit liegt das föderale Problem.

Natürliche Rechte und einige absolute Föderalismus gehört zu jenen Aufgaben des Obersten Bundesgerichtes, die dringend nach einem Staatsmann verlangen. Die andere Aufgabe ist davon verschieden, sie ist schwieriger und zu ihrer Lösung bedarf man fast der priesterlichen Würde. Liegt doch darin im weiteren Sinne etwas Religiöses oder der Religion Verwandtes,

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W i r stellen an unsere Regierung nicht nur die Forderung, bundesstaatlich zu sein; wir müssen der Regierung zugleich gewisse Dinge versagen. W i r anerkennen ererbte Naturrechte des Menschen, die nach unserer Überzeugung keine Obrigkeit, weder eine Stadt noch ein Staat oder die Nation, kürzen oder verletzen kann. Wer soll darüber wachen? Das ist die andere Aufgabe, deren Lösung w i r vom Obersten Bundesgericht erwarten. I n dem hellen Glanz unserer revolutionären Morgenröte schrieb Jefferson m i t Unterstützung von Franklin und Adams die Unabhängigkeitserklärung. I n dieser sagte er: „ A l l e Menschen sind gleich geschaffenen und durch ihren Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet, wie da ist: Leben, Freiheit und das Recht auf Glück" I n der Aufzählung wird für vier weitere Raum gelassen. Tatsache ist, daß Jefferson diese Rechte unbedingt für absolute hielt. I n seinen Notizen über Virginia schrieb er: „Können die Freiheiten einer Nation als gesichert gelten, wenn ihre einzige Grundlage beseitigt wird, nämlich die Überzeugung, daß diese Freiheiten Gottesgaben sind?" Das wurde 1776 im Morgenrot der Revolution geschrieben. I m Tageslicht des Jahres 1781, als der Kongreß in die Verfassung die Aufzählung der Menschenrechte ( B i l l of Rights) aufnahm, war aus Jeffersons Wort das Recht abgeleitet worden, daß niemand Leben, Freiheit und Eigentum verlieren dürfe ohne ordentliches, gerichtliches Verfahren. Über diesen Worten: „Leben, Freiheit und Eigentum ohne ordentliches, gerichtliches Verfahren" leuchtet noch heute trotz der Revision und trotz der Einschränkung die Glut des revolutionären Eifers, der nur in Absoluten spricht. Niemand kann das Absolute verstehen, wenn er nicht daran glaubt. Man lernt nichts kennen, als was man liebt. Holmes fand keine bessere Erklärung: „ D e m Ritter i m Roman genügt es nicht, wenn Sie seine Dame für ein sehr nettes Mädchen halten — geben Sie nicht zu, daß sie das herrlichste Geschöpf Gottes ist, dann müssen Sie m i t ihm kämpfen. I n allen Menschen liegt ein Verlangen nach dem Höchsten, so sehr, daß der arme Teufel, der keinen anderen Weg sieht, es durch die Trunkenheit zu erreichen strebt. Ich sehe dieses Verlangen i n dem Beweis des Philosophen, daß die Wahrheit absolut sei und in dem Suchen des Juristen nach allgemein gültigen Grundsätzen, die er unter dem Titel des Naturrechtes sammelt 5 0 ."

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Es scheint zwei Arten von Menschen zu geben, solche die alles oder nichts wollen und andere, die sich mit mehr oder weniger begnügen. Die ersteren streben nach der Vollendung. Wenn sie das Vollkommene nicht erreichen können, dann wollen sie nichts. Wenn sie es erreichen, dann sind sie wohl auch ein wenig anmaßend. Natürlich wünschen sie eine Welt, in der Vollkommenheit möglich ist, und das ist die Welt der Ideale. Sie erstreben darin ihre Sicherheit, wie andere im Wirtschaftlichen. Anders die Leute, die sich mit mehr oder weniger begnügen. Sie bewundern das absolute und endgültige Recht, aber als etwas Außenstehendes. Trotz allen Bemühens können sie es nicht verstehen: vielleicht haben sie das Wort von W i l l i a m James i m Sinn: „Nehmen wir eine noch so geringe Bitte eines noch so schwachen Geschöpfes. Sollte sie nicht befriedigt werden? Wenn nicht, warum nicht? Als Gegenbeweis könnte nur ein anderes Geschöpf m i t einer gegenteiligen Bitte gelten. Der einzigmögliche Grund für das Bestehen einer Erscheinung ist der Wunsch danach. Je größer der Wille, desto zwingender ist er. Durch sein Bestehen stärkt er sich. Einige Wünsche sind natürlich nur klein, sie werden von unbedeutenden Personen vorgebracht und wir nehmen ihre Verpflichtungen nicht schwer. Dennoch sind auch die größten Verpflichtungen persönliche Forderungen 5 1 ." Wer fette Ochsen treibt, muß selbst fett sein. Dieses wahre Wort können wir hier anwenden. Müssen nicht die Richter wie die Ochsen sein, die sie treiben, müssen sie nicht irgendwie an das glauben, was sie darlegen sollen? Da sie sich mit dem Letzten und Absoluten befassen, schreiben wir ihrer Ansicht die gleichen Eigenschaften zu. Holmes sah darin eine Gefahr für die Richter. Sie sollten erkennen, daß sie nicht Gott seien. Einige von ihnen, die wir vielleicht auch kennen, sind fähig, ohne Abstraktionen direkt an die Tatsachen heranzugehen. W i r übrigen müssen sie zur eigenen Genugtuung oder zur Einwirkung auf andere benützen. I n ersterem Falle werden w i r an sie glauben, in letzterem Falle ist unser Glaube an die Leichtgläubigkeit der anderen ebenso groß, wie unsere eigene Ungläubigkeit. Ohne Gefahr sind sie nie, mag man sie als Spielzeug oder als Waffe betrachten. Unser Land hat den göttlichen Ursprung der Regierung unbedingt abgelehnt. Für uns strömt die Regierungsgewalt aus dem

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Volke. Sie steigt nicht vom Himmel herab. W i r haben keinen König, keinen Adel. I n Wirklichkeit ist hier eine Lücke, die w i r auszufüllen trachten, indem w i r neue Namen erfinden. Ehrengrade nehmen den Platz von Titeln ein. Ein gutgeschnittenes Gesicht oder eine modulationsfähige Stimme treten an die Stelle von normannischem Blut und edler Geburt. Die Auszeichnung, ein Rechtsanwalt zu sein, wenn auch nur ehrenamtlich, ist genau so groß wie der Hosenbandorden oder das goldene Fließ. Während andere an die Vererbung glauben, meinen wir, daß gutes Aussehen mit Talent verbunden sein müsse. Eines ist so unvernünftig wie das andere. So scheint auch die Macht des Bundesgerichtes größer zu sein, als es seiner Arbeitsleistung entsprechen würde. Es gibt da eine Unbekannte in der Gleichung, und sie äußert sich in übertriebener Bewunderung. Nach dem Bürgerkrieg, als zum ersten Male die Lehre von der richterlichen Oberhoheit Fuß faßte, schrieb Theodore Dwight Woolsey, ehemaliger Präsident von Yale und damals Professor der Staatswissenschaften, seine einflußreiche Abhandlung über die Politik. Darin spiegelt sich einerseits die Haltung ab, aus der die praktische Anwendung der Lehre entsprang, andererseits übte er auch selbst einen Einfluß aus. „Richter", so lehrte er, „sind nicht die Stellvertreter eines Volkes oder eines Königs oder irgendeines anderen Willens; sie nehmen nur den Platz ein, auf dem vorher V o l k oder König standen. I m höheren Sinne sind sie auch nicht Repräsentanten einer Gemeinschaft oder ihrer Beamten, sondern der Gerechtigkeit Gottes." Nach der Lehre Woolseys müßten sie beseelt sein vom Geist des alten Propheten, der auf die Bitte, gut vom König zu sprechen, antwortete: „Da der Herr lebt, w i l l ich nur das . sprechen, was der Herr mich lehrt." Und das war auch die Meinung von Woolsey, der fortfährt: „Die Richter sind unmittelbarer im Dienste Gottes als andere Männer, die ein Land verwalten 5 2 ." Vielleicht werden Sie selbst ähnliches i n Büchern finden. So mag dies genügen. 1898, als Senator Root vor dem Senat sprach, verfaßte Richter Brewer auf dem Höhepunkt der Macht des Bundesgerichtes ein Schriftstück, worin er ausführte: „Es ist keine Ehre und auch keine Hilfe für das Oberste Bundesgericht, wenn man es außerhalb der K r i t i k stellt. I m Gegenteil, Leben und Charakter der Richter sollten ständig überwacht werden, und die Urteile sollten

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der freiesten K r i t i k unterworfen sein. Das Zeitalter der Weltgeschichte, in dem ein Mann oder eine Körperschaft auf ein Monument gestellt und mit einem Heiligenschein verziert wurden, ist vorbei. Es mag manchem Bürger an gutem Geschmack fehlen, aber jede K r i t i k ist besser als gar k e i n e 5 3 . " Manchmal t r i t t die offenste K r i t i k in den abweichenden Voten seiner Richter hervor. K o m m t man auf sie zurück, wie Thurman Arnold zur Zeit von Roosevelts Plan, dann werden sie als unwahr und böswillig bezeichnet, aber nur von jenen, die geschmackloserweise diese Voten an die Öffentlichkeit bringen 5 4 . Noch einmal: Es ist Abgötterei, den Dienst für größer zu halten als den Gott. Diese Abgötterei zeigt sich auch i n der Befremdung, ja der Gereiztheit, mit der auseinandergehende Voten, 6 zu 3 oder 4 zu 5, aufgenommen werden. W i r erwarten Einstimmigkeit. Nach unserer Meinung steht das Ansehen des Bundesgerichtes auf dem Spiel, wenn die Richter uneinig sind. W i r nehmen an, daß die Gültigkeit eines Gesetzes durch die Vernunft aus bestimmten und sicheren Gegebenheiten abgeleitet werden kann. Gewöhnlich wenden w i r uns gegen die abweichenden Voten, außer wenn wir selbst eine vorgefaßte Meinung haben. Besteht doch irgendwie die unvernünftige Ansicht, daß eine Mehrheit im Recht sein muß, ebenso bei Sachen der Logik und Überlegung wie bei anderen Dingen. Innerlich fürchten wir, daß jene, mit denen wir nicht übereinstimmen, die Hauptvoraussetzung nicht zu erkennen vermögen. Man w i r d verfolgt haben, wie das Bundesgericht selbst diese Haltung begünstigt hat, indem es immer wieder betonte, es halte eine Verordnung nur dann für verfassungswidrig, wenn man dies mit hinreichender Wahrscheinlichkeit annehmen müsse. Man kann das bei Sutherland i m Fall Adkins nachlesen, „wenn man vernünftigerweise nicht an der Verfassungswidrigkeit zweifeln könne". Wenn Du Zweifel hast, dann bist D u unvernünftig. Dann bist Du nicht mehr als ein Narr. Noch erstaunter sind wir, wenn das Bundesgericht einen früheren Beschluß widerruft. Wir sind sogar gekränkt, wenn es sich um eine alte Entscheidung handelt, an die w i r uns gewöhnt hatten, und an die w i r uns und unser Geschäft angeglichen hatten. Gerade dieses Erstaunen zu vermeiden, war Senator Root bestrebt. Nicht daß er selbst die Achtung vor dem Gerichtshof verloren hätte, wenn die

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Entscheidung i m Pollock-Fall widerrufen würde; er dachte nur an die Wirkung auf die öffentliche Meinung, denn er wußte, daß darauf die Macht des Bundesgerichtes beruhte. Vielleicht unterschätzte er dabei unseren Scharfsinn, aber jedenfalls verließ er sich auf unsere abgöttische Verehrung. Manches kann über das Beharren bei gefaßten Entscheidungen (stare decisis) im Verfassungsrecht gesagt werden. I n gewöhnlichen Rechtsfällen mag der Gerichtshof zu seinen früheren Entscheidungen stehen. Sie und ich und besonders unsere Rechtsanwälte haben das Recht zu wissen, was rechtens ist und wie der Gerichtshof entscheiden wird. Aber in der Verfassungsgesetzgebung, die an sich nichts mit dem Gesetz zu tun hat, können wir das nicht erwarten. Dort ist es etwas ganz anderes, oder es kommt überhaupt nicht zur Anwendung. Dort kann man diese Lehre nur verteidigen, wenn man versichert, daß die Verfassung heute, gestern und immer die gleiche Bedeutung hat. U n d i n der Aufzählung der Menschenrechte, B i l l of Rights, muß man etwas Absolutes, Ungewandeltes und Unwandelbares sehen. Das ist unmöglich. Juristen und andere, die für die Heiligkeit der Entscheidungen des Gerichtshofes eintreten, betonen immer, wie schon Root 1909 und wie so viele 1937, daß die Urteile des Gerichtshofes nur durch eine Ergänzung der Verfassung (Amendment) geändert werden sollten. Das bedeutet natürlich die Anwendung des Verharrens bei getroffenen Entscheidungen (stare decisis) auf das Verfassungsrecht. A u f populäre Weise w i r d es gerechtfertigt, indem man sagt, daß der Gerichtshof einen Damm gegen die demokratische Kühnheit, ein Joch auf die Unruhe und Leidenschaft der Masse darstelle. Wollen wir darüber nicht streiten. Wenn man eine Ergänzung verlangt statt einfach dem Bundesgericht eine Gelegenheit zum Widerruf zu geben, dann ist das ein neuer Ausfluß des Irrationalen, der abgöttischen Verehrung gegenüber dem Gerichtshof. Dann was bedeutet es denn? W i r wollen lieber die Verfassung ändern, als daß das Bundesgericht seine Meinung ändert. Die Verfassung ist uns weniger heilig und ehrwürdig als die Meinung des Bundesgerichtes. Gott wandelt ßeinen Sinn nicht. Allerdings kann er auch niemals i m Unrecht gewesen sein. So könnte er allein seinen I r r t u m bekennen. Manchmal befällt einen ein unklares Gefühl, daß die Regierung diese Rechte nicht schmälern kann. I n anderen Worten, daß für

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das Oberste Bundesgericht die Aufzählung der Menschenrechte (Bill of Rights) etwas Zwangsläufiges geschaffen hat. Ohne Mystik ist dies ein Restbestand früher ausschließlich herrschender Anschauungen. Wenn das Bundesgericht ein Statut für verfassungswidrig erklärt, dann legt es ein Taboo auf den Staat. Ich führe Frazers Goldenen Zweig an 5 5 . Frazer spricht von Königen und königlichen Taboos. „ E i n König dieser A r t lebt eingeschlossen durch Zeremonien und Etikette, durch ein ganzes Netz von Verboten und Gepflogenheiten, die nicht zu seiner Würde und noch weniger zu seiner Bequemlichkeit beitragen sollen, sondern die geeignet sind, ihn von allem zurückzuhalten, was die Harmonie stören und damit ihn selbst, sein Volk und das Ganze in eine gemeinsame Katastrophe stürzen könnte. Von seiner Bequemlichkeit ganz abgesehen, beeinträchtigen diese Regeln jede seiner Handlungen, vernichten seine Freiheit und machen i h m oft das Leben, das sie erhalten wollen, zur Last und zur Bürde. V o n den übernatürlich begabten Königen von Loango w i r d gesagt, daß die Zahl der Taboos mit ihrer Macht wächst. I n dem Krater eines erloschenen Vulkans, eingeschlossen auf allen Seiten durch Grasabhänge, liegen die zerstreuten Hütten und Felder von Riabba, der Hauptstadt des eingeborenen Königs von Fernando Po. Dieses geheimnisvolle Wesen lebt im tiefsten Grund des Kraters, umgeben von einem Harem von 40 Frauen und bedeckt mit alten Silbermünzen. Er übt weit größeren Einfluß auf die Insel als der spanische Gouverneur in Santa Isobel. I n ihm ist der Geist der Ureinwohner der Insel verkörpert. Er hat niemals einen weißen Mann gesehen und nach der festen Überzeugung der Einwohner würde der Anblick eines weißen Gesichtes seinen sofortigen Tod herbeiführen." I c h w i l l damit nicht sagen, daß dies eine faire Schilderung des Bundesgerichtes sei. Nehmen w i r es als eine Allegorie dessen, was manche Menschen aus ihm machen möchten. Ihre Haltung entspringt einem alten Ahnenerbe, und wir werden sie niemals verstehen können. W i r können nur ihr Dasein feststellen. Auch müssen wir anerkennen, daß sie eine große Quelle der Macht für das Bundes^ gericht bildet.

E i n Gerichtshof u n d seine Vorteile A m wichtigsten in der Geschichte des Obersten Bundesgerichtes ist es, daß es mit der Behandlung von Prozessen begann. Dazu war das Bundesgericht von der Verfassung eingerichtet worden, und das war auch seine Tätigkeit. Die Geschichte ist hier von größter Bedeutung. Die Verfassung erwartete vom Obersten Bundesgericht, daß es ein Prozeßgericht sei. Die Aussprache im Konvent zeigt, daß das Bundesgericht seine gesetzesverhindernde Tätigkeit in streng richterlichem Sinn durchführen sollte. Zuerst hatte .man im Virginia-Plan einen Revisionsrat vorgesehen, der an Stelle des Präsidenten die Vetomacht haben sollte. Dem wurde widersprochen, weil damit den Richtern ein doppeltes Vetorecht gegeben sei, einmal im Rat aus politischen Gründen und später aus Verfassungsgründen, wenn das Gesetz vor ihre Schranken käme. Gerry fügte hinzu, daß es sich mit der Natur des Amtes nicht vertrage, den Richtern die Aufsicht über öffentliche Maßnahmen zu übertragen. Was immer die Gründe waren, der Konvent verwarf den Revisionsrat und gab das Vetorecht dem Präsidenten allein. So begann das Bundesgericht als ein gewöhnlicher Gerichtshof und blieb es auch längere Zeit. Die Richter saßen auf ihrer Bank, sie hörten die Rechtsanwälte an, sie gaben schriftliche Entscheidungen, genau wie irgendein Gerichtshof nach der alten Tradition des Common Law. Der Vorgang war und ist natürlich der gleiche: Schriftliche Anträge, Erklärungen, Billigkeitsentscheidungen, mündliche Ausführungen, Urteile und Beschlüsse. Außer in den wenigen Fällen, für welche sie nach der Verfassung die erste Rechtsprechung hatten, waren sie als Berufungsinstanz durch den Kongreß i m ersten Gerichtsgesetz von 1789 bestätigt. Ihre Berufungsgerichtsbarkeit war weit gezogen und umfaßte mehr, als nur Verfassungsfragen und die Gesetze der Vereinigten Staaten. Es gab da „Streitfälle zwischen Bürgern verschiedener Staaten", wie es im

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dritten A r t i k e l der Verfassung heißt, und sie umfaßten jede A r t von Rechtsfragen 56 . I n der Frühzeit bestand 60 % seiner Tätigkeit aus gewöhnlichen Rechtsstreitigkeiten zwischen Parteien auf Grund der gewöhnlichen Rechtsprinzipien, entweder des Gewohnheitsrechtes oder der besonderen Vorschriften, die für die drei Hauptfelder gelten, die der Gerichtsbarkeit der Einzelstaaten entzogen sind: Schiffswesen, Bankrott und Patente. Man kann sagen, daß zwei Drittel der Arbeit Prozesse zwischen einzelnen Bürgern waren. Das ging so weiter bis nach dem Bürgerkrieg. 1875 war das Verhältnis etwas geringer, aber nicht viel, etwa 56 %. Aber 50 Jahre später, 1925, finden w i r einen großen Wechsel. Da waren es nur ungefähr 15 %. Jetzt, 1945, kann man wohl sagen, daß diese A r t der Fälle fast ganz aufgehört hat. Wenn man seinen Weg durch einen der jüngsten Bände des Bundesgerichtes bahnt, dann w i r d man nach Frankfurter und Landis eine „ganz verschiedene Ideenwelt" finden. Das Bundesgericht beschäftigt sich mit der Bedeutung und Gültigkeit der Gesetzgebung, mit den Befugnissen dieses oder jenes Aufsichtsrates oder Ausschusses, m i t dem Recht eines Einzelstaates über diese oder jene Körperschaft, mit der verfassungsmäßigen Eignung dieses oder eines anderen Gerichtshofes für einen bestimmten Kriminalfall, mit Steuerfragen, mit Prozessen gegen die Regierung. Das bedeutet einen großen Einbruch in die Angelegenheiten der Allgemeinheit. Enttäuschte Parteien sagen manchmal, daß sie mit ihrer Berufung bis zu dem Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten gehen würden. Dazu kommen sie gar nicht. Denn das Bundesgericht hat Privatprozesse fast ganz aufgegeben. U n d doch ist die A r t des Verfahrens beim Bundesgericht i n allen ihren Äußerlichkeiten die eines gewöhnlichen Gerichtes geblieben. Unsere Vorstellung vom Bundesgericht ist auch die gleiche. Nach Tradition und Verhandlungsweise ist es ein Gericht. Nur geht seine Wirksamkeit weit über die gewöhnliche Rechtsprechung hinaus. Vielleicht ist es doch eine halbe Wahrheit, wenn wir meinen, daß der vom Konvent verworfene Revisionsrat zum Schornstein herunterkam, diesmal ohne den Präsidenten. Wenn es auch nur eine halbe Wahrheit ist, so haben doch manche der Richter danach gehandelt. Wenn der Revisionsrat i n die Verfassung aufgenommen worden wäre, hätte er dann überlebt? Die Demokratie stieß auch das undemokratische Wahlkollegium beiseite. Wäre ein Rat bestehen

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geblieben, in dem die Richter saßen und offen ihre Weisheit über Gesetzgebung auskramten? Jedenfalls trat das Bundesgericht nach dem Bürgerkrieg bei der Ausübung seiner großen Macht über die Gesetzgebung rein richterlich auf. Natürlich nicht nur, weil die Richter auf Bänken saßen und Roben trugen. Das Bundesgericht machte sich auch all die großen Vorteile zunutze, die ein Gerichtshof bei der Behandlung politischer und wirtschaftlicher Fragen besitzt, zugleich hatte es auch die Nachteile zu tragen. Beides ist den Richtern vollbewußt.

Die Tradition des Rechtes Tatsächlich ist der Gerichtshof älter als die Verfassung, viel älter. Die Rechtstradition geht i n die Geschichte sogar für Juristen weit genug zurück. Diese Tradition steht hinter dem Bundesgericht. Mcllwain schrieb einen Aufsatz über „Das Grundgesetz hinter der Verfassung". Er sagte: „ F ü r die Entwicklung der Verfassungsidee können bereits i m 2. oder 3. Jahrhundert vor Christus moderne Bestrebungen nachgewiesen werden 5 7 ." W i r wollen 19 Jahrhunderte überspringen und so spät als möglich mit einer bestimmten Episode beginnen. A m Sonntag, dem 10. November 1612, im 5. Jahr der Regierung Jakobs I. — so führten die Juristen damals den Kalender — rief Jakob den Lordrichter Coke und andere Richter vor sich. Es hatte Meinungsverschiedenheiten gegeben über die Ausübung der Gerichtsbarkeit durch Jakob. Hier also ein Gegenstück zu dem A n t e i l des Gerichtshofs an der Gesetzgebung. Es war nicht lange nach der Besiedlung von Virginia, nicht lange vor der Landung der Väter am Cap Cod. Coke berichtet darüber in seinen Aufzeichnungen Band 12, Seite 64—65. Man möge bedenken, daß die Worte Cokes durch die Wände eines Palastes durchgeleuchtet haben, von damals bis heute. Seine letzten Worte stehen sogar i n Stein gemeißelt über der Universität von Harvard. Das ist interessant, weil Bracton, von dem Coke diese vier Worte übernimmt, ebensolange vor Coke lebte, wie Coke vor uns. Coke erhielt die Worte lebendig i n seiner Zeit; wie w i r in unserer. Es ist also ein altehrwürdiger Begriff. Nach seiner Darstellung sagte Coke zu Jakobs: „ E i n Landstreit zwischen Parteien wurde vom König entschieden, das Urteil wurde

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zurückgewiesen, weil es nicht dem allgemeinen Landrecht entsprach. Der König entgegnete, das Recht sei doch auf die Vernunft gegründet, und er und andere seien ebenso vernünftig wie die Richter. Darauf antwortete ich, Gott habe wohl seine Majestät mit ausgezeichnetem Wissen und großen Naturgaben ausgestattet, aber seine Majestät seien nicht bewandert i n den Gesetzen Englands. Was Leben, Erbe, Güter und Schicksal seiner Untertanen beträfe, könne nicht durch die natürliche Vernunft, sondern nur durch die Rechtskunst entschieden werden. Diese sei nur durch langes Studium und Erfahrung zu erlernen, ehe ein Mann sie richtig innehabe. Das Recht sei die goldene Elle und das Maß für die Angelegenheiten der Untertanen. Auch Seine Majestät genieße i n Sicherheit und Frieden seinen Schutz. Der König war sehr beleidigt und meinte, daß dann ja auch er unter dem Gesetz stehe, was zu behaupten Hochverrat sei. Ich wandte dagegen das Wort Bradons ein: ,Quod Rex non debet esse sub homine, sed sub Deo et lege Das ist ein kühnes Wort, und andere wieder berichten, daß Coke durchaus nicht so kühn handelte, wie er sprach. Manche sagen, daß Jakob in Wut geriet, den Lordrichter angreifen wollte, und daß dieser schnell genug vor dem König auf alle Viere fiel 58. Der wirkliche Vorgang hatte keine Auswirkung auf juristisches oder politisches Denken, Cokes Worte aber zeitigten ungeheure Folgen. E i n Gesetz, höher als wir alle, höher sogar als die Verfassung. Die Richter sind seine Vertreter, und daraus erklärt sich eine gewisse Überlegenheit, die sie manchmal der Verfassung gegenüber an den Tag legen. Darum handelt es sich jedoch hier nicht. Man kann den Gedanken dieses höheren Rechtes annehmen oder verwerfen, man kann aber nicht leugnen, daß das Gesetz dadurch ebenso hoch erhoben wird wie der Gerichtshof durch die Tradition. Wie das Gesetz einen Schein ewiger Beständigkeit gewinnt aus seiner Überlegenheit über die Regierung, so verleiht die Tradition dem Gerichtshof ein Gefühl des immerwährenden Bestehens. Die Gesetze werden nur als ein Teil des ewigen Rechtes empfunden. So führt der Gerichtshof seine Abstammung auf ein juristisches Geschlecht zurück, das älter ist als die von ihm ausgelegte und wirkliche Verfassung. Das Gericht hatte schon Jahrhunderte bestanden, ehe die Verfassung ihm anvertraut wurde, und Marshalls Lehre war in diesem Sinne das Natürlichste in der Welt. Die juristische Tradition gibt dem Gerichtshof jenen bescheidenen Stolz, der aus der demütigen Erkenntnis ent-

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springt, man sei nur ein Teil des größeren Ganzen. U n d dieses große Ganze ist zugleich exklusiv. Denn das große Erbe der juristischen Tradition w i r d nicht von uns allen geteilt, sondern nur von den Rechtsanwälten und Richtern. „ W i r wenigen, die wir glücklich sind, w i r Brüder", um Heinrichs V. stolzen Ausruf zu zitieren. Wie w i r k t nun diese Tradition auf das Bundesgericht? Einmal bildet sie eine mächtige Schranke gegen persönliche Vorliebe. Man sieht nicht nur sich selbst, sondern besondere Angelegenheiten. Man ist nicht nur ehrgeizig für sich, sondern was oft noch schlimmer ist, handelt aus selbstloser Anhänglichkeit für irgendeine bedeutungslose Sache. Ein Negerfreund eignet sich ebensowenig zum Richter wie ein Antisemit. So ist es richtig, daß der Gerichtshof nach seiner Tradition weder der Vertreter einer Klasse noch eines Landstriches ist. M i t Ausnahmen fühlen sich die Richter viel weniger als Repräsentanten, als wir annahmen. Der einzelne mag sich vielleicht den Banken verschrieben haben, wie er früher ein Sklavenbesitzer aus dem Süden war. Oder er mag sozialistische Anschauungen haben. Dem Zusammenwirken der Loyalität mit der juristischen Tradition verdanken wir viel. Es ist eine Befreiung, zugunsten einer höheren Pflicht die Last der Ansichten, Interessen, Hoffnungen, Ängste und Zwangsvorstellungen anderer abzuwerfen. Sie bestehen ja nur, soweit sie ausgedrückt werden können. Das Bundesgericht folgt den Wahlen. Warum auch nicht. Sie sind ja das Gericht der Nation. Die Ernennung erfolgt auf Lebenszeit. Dies ist eine demokratische Regierung, die ihnen und uns gehört. Wenn ihre Entscheidungen auch im gegenwärtigen Augenblick getroffen werden, so sollen sie für die Dauer geformt werden. Man kann den Wert der juristischen Tradition in dieser Hinsicht nicht hoch genug einschätzen. Er entschädigt für viel gefühlsmäßiges Geschwätz, Enttäuschung und Abgötterei. Offenheit kann oft zerstörend wirken.

Der Druck der Urteile und schriftliche Urteilsbegründungen Die juristische Tradition legt einem Gerichtshof zwei besondere Verpflichtungen auf, die w i r für so selbstverständlich halten, daß wir vielleicht ihre Auswirkung verkennen. Die eine ist die der baldigen Entscheidung. Die andere verlangt von den Richtern

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Niederschriften, begründete Darlegungen des Falles und ihrer Entscheidung. Auch andere Regierungsvertreter müssen handeln, und manchmal rasch, unter dem Druck der Ereignisse. E i n Gerichtshof steht immer unter dem Zwang der Tradition und muß wie kein anderer Regierungsvertreter seine Gründe angeben. Der Beamte kann es tun, wenn er es für richtig hält und wenn es von ihm erwartet wird, aber von dem Gerichtshof w i r d es immer erwartet. Manche Leute sind sehr inkonsequent, wenn sie K r i t i k gerade an dem Regierungskörper bedauern, der sich immer der K r i t i k stellen muß. Die Richter selbst sind darüber i m Bilde, wie Richter Brewer sagte. Die unmittelbare Entscheidung, die nicht den Ereignissen nachh i n k t ist das Wichtigste und Wertvollste. Zwar würde es hier nicht stimmen, daß verzögerte Gerichtsbarkeit gar keine ist. Das mag im Privatprozeß so sein, aber in öffentlichen Angelegenheiten besteht der Vorzug einer sofortigen Entscheidung vor allem i n der Aktualität des Problems. Psychologisch ist es etwas ganz Verschiedenes, ob man eine Frage eines Tages zu beantworten haben wird, oder ob sich ein Problem unmittelbar ergibt. Solange es noch i n weiter Ferne ist, kann man sich vorbereiten. Das kann nur gut sein. Aber man soll nicht versuchen, die Antwort vorwegzunehmen. Man muß warten können, bis sie aktuell ist. Man muß warten können, bis man von den elektrischen Strömungen der unmittelbaren Begegnung durchflutet ist. Erst wenn das Problem aktuell wird, kann man all die Seiten erkennen, die man vorher besser nicht beachtete, solange die Entscheidung nur eine Möglichkeit war. Erst dann kann man manches klar feststellen, was man vorher nur einschätzen konnte. Der Druck der Ereignisse bringt die politischen Probleme der Regierung nahe, er hält aber auch jene, die keiner Entscheidung bedürfen, in genügender Entfernung. Der Gerichtshof hat seit jeher die Pflicht, den Rechtsfall zu entscheiden, der diesem Zwecke dient. Erst wenn ein Problem unmittelbar und unvermeidbar ist, kann ein Mann es am besten lösen. Hier t r i t t das Wirklichkeitsprinzip von Freud an die Stelle seiner Wohlgefallentheorie. Die vorweggenommene Entscheidung eines Problems, wenn sie nicht allgemeiner Natur ist, hat eine gewisse Verwandtschaft mit Phantasie und Tagesträumen. Auch der Beste handelt am besten unter Druck und i n der Not. 5*

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Die Abgabe eines Gutachtens entspricht nicht der richterlichen Tätigkeit, deshalb hat sie der Gerichtshof klugerweise und i n Übereinstimmung mit der juristischen Tradition zurückgewiesen. Bei einem Vergleich erkennen wir den Unterschied. Frankfurter berief sich dabei auf die Würde des Gerichtshofes, aber auch nach seiner Meinung ist die Form des Gutachtens über Gesetzesvorschläge vollkommen verschieden von einem Prozeß über angefochtene Gesetzgebung. Mag man sich auf dem Papier noch so zähe um geeignete Argumente bemühen, so bewegt sich das Gutachten doch in einer unwirklichen Atmosphäre. Der Anprall der Aktualität und die Intensität des Unmittelbaren fehlen 5 9 . Nicht nur der Gerichtshof, auch der Rechtsanwalt strebt nach der Wirklichkeit. Statt eines vorliegenden Falles muß er sonst Beispiele voraussetzen. Dann fehlt der Klient, der wirklich unter dem Druck des Gesetzes steht. Es w i r d debattiert, nicht begründet. Diese beiden Forderungen der juristischen Tradition wirken glücklich zusammen. Das Bundesgericht steht vor einem Problem, das es jetzt entscheiden muß, und bei den Beratungen ist bekannt, daß die Entscheidung begründet werden muß. Ein Kreis von Männern muß vor einem kritischen Publikum eine Erklärung abgeben. Bei diesen öffentlichen Fragen w i r d die Tätigkeit des Rechtsanwaltes manchmal nicht ganz verstanden. Einmal h i l f t der Rechtsanwalt dem Gerichtshof, indem er den Fall vorträgt. Dann sind die Rechtsanwälte aber auch Experten, die vom Publikum i m allgemeinen angenommen werden, um die Urteile des Gerichtshofes zu studieren und dem Volke zu erklären. Das V o l k hat ja das Recht, K r i t i k am Gerichtshof zu üben. Es w i r d darin unterstützt durch Rechtsanwälte, deren Beruf es ist. Es ist doppelt bedauerlich, wenn die Rechtsanwälte so sehr für das Ansehen des Gerichtshofes eifern, daß sie ihrem Klienten, in diesem Falle dem Publikum, nicht gerecht werden.

Die genüge Zahl der Richter und ihr Verfahren Der große Vorzug, den das Oberste Bundesgericht vor dem Kongreß, nicht vor dem Präsidenten hat, ist die geringe Zahl der Richter. Sie sind so wenige, daß sie zusammen arbeiten können. Die juristische Tradition hat ihre Zahl niedrig gehalten. Das ist aber auch ein Verdienst des Kongresses, dem die Festsetzung ihrer Zahl zu-

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steht. Der Fehler im Gerichtsplan des Präsidenten Roosevelt war die Gefahr, daß die überalterten Richter nicht zurücktreten und so die Zahl auf 15 steigern würden. Das wäre zuviel gewesen. Jetzt besteht das Bundesgericht aus neun Mitgliedern. Es ist bedauerlich, daß sie bestens bemüht sind, daraus möglichst viel zu machen. Jede Körperschaft, die einem Zweck dient, hat eine Höchstzahl, die weniger von ihrer Aufgabe, als von der Ausführung dieser Aufgabe abhängt. W i r müssen uns also mit dem Verfahren des Bundesgerichtes befassen. Vielleicht w i r d manches schon Besprochene und auch noch zu Besprechende deutlicher. Nehmen wir die äußere Architektur des Gerichtsgebäudes zuerst, weil sie für diesen Gerichtshof eine geringere Rolle spielt. Er könnte mit der gleichen Würde i n irgendeinem kleinen Hinterzimmer tagen. So ist der Ort seiner Tätigkeit nicht so wichtig. Man stelle sich vor, wie das Parthenon niemals hätte ausgesehen haben können. Innen gibt es große Säulen und schwere rote Vorhänge. A m äußersten Ende des Saales befindet sich eine Bank mit neun hohen und leidlich bequemen Sesseln. Davor ein schmales Pult, wie i n einer Kirche. M i t dem Unterschied, daß man eine Predigt nicht nach oben halten kann. I n diesen bequemen Stühlen sitzen neun mitteilsame, um nicht zu sagen gesprächige Individuen. A n sie richtet der plädierende Anwalt seine Rede. Hinter ihm sitzt das Publikum, auswärtige Besucher von Washington, Kenner, Juristen, Neugierige und noch mehr Besucher. Sie sind i n Stillschweigen versunken, was man von den Richtern nicht behaupten kann. Diese flüstern untereinander, sie richten Fragen an den Anwalt, sie geben Zettel weiter, die von kleinen Jungen, die aus den Falten jener roten Vorhänge hinter den Richtern hervorlugen, umhergetragen werden. Wenn ich damit den Eindruck eines gewissen Mangels an Würde vermittelt habe, so wäre das falsch. Die Richter besitzen reichliches Druckmaterial über den Fall und lange Darlegungen über die Beweisführung des Anwaltes. Sie sind über die Vorgänge sehr wohl i m Bilde, und der Anwalt ist sich über diese Tatsache im klaren. Seine Ehrfurcht für den Gerichtshof durchströmt den Saal, und wenn man eine Frage an ihn richtet, antwortet er mit Überlegung, was auch für ihn das beste ist. I m ganzen bestätigt sich die alte Beobachtung, daß die Formalitäten für die Würde eines Gerichtshofes um so weniger eine Rolle spielen, je höher er steht. Die Säulen und die

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roten Vorhänge passen gar nicht hierher, und wenn man das Gebäude verläßt, w i r f t man nicht einmal einen Blick auf die Fassade. I n den alten Zeiten waren die Beratungen ohne Ende. Das Bundesgericht hatte weniger Fälle und mehr Zeit. Webster harrte nicht Stunden, sondern Tage aus. Der Gerichtshof führte ein beschauliches Leben. 1849 setzten die Richter eine Begrenzung auf zwei Stunden ein. Jetzt trifft i n allen gewöhnlichen Fällen eine Stunde auf den Anwalt. Die Sitzungen beginnen nachmittags an Werktagen, außer Montag und Samstag. Warum am Nachmittag? Auch das ist eine alte Tradition aus Marshalls Zeit. I n jenen ruhigen Tagen widmete man sich in der Nacht zuvor der Geselligkeit mehr als i n der Jetztzeit. A n Samstagen kommt der Gerichtshof zusammen. Er berät. Von 3—4.30 Uhr. Der Präsident umreißt jeden Fall und die Richter „tragen vor", wie Holmes sagt. Dann stimmen sie ab, und zwar nach einer alten Tradition des Gerichtes zuerst die jüngeren Mitglieder. A m Abend schickt der Präsident, der ihren Vortrag gehört hat, jedem Richter den Fall, den er schriftlich zu bearbeiten hat. Wenn es abweichende Voten gibt, dann übernimmt der älteste Richter aus diesem Kreis die Formulierung. Die dem einzelnen Richter zugewiesene Urteilsbegründung wird gedruckt und umhergereicht. I n der Harvard-Universität gibt es Bände der Korrekturbogen von Holmes mit den Bemerkungen der anderen Richter am Rand. Man darf sie nicht einsehen, weil sie Bemerkungen der einzelnen Richter sind, ehe sie sich über den Fall einig geworden waren. Das alles sind Beiträge zu einem Sammelergebnis, das heute noch nicht abgeschlossen ist. Die Bemerkungen und Vorschläge werden dann besprochen und das Urteil des Gerichtshofes, das heißt, der Entschluß der Mehrheit, wird i n seine endgültige Form gefaßt. Die Urteile werden an Montagen verkündet. Jeder Richter liest das ihm übertragene Urteil vor, dann folgen die abweichenden Meinungen. Lesen ist vielleicht nicht der genaue Ausdruck dafür, Zitate aus Jurisprudenzfällen werden übersprungen oder man eilt darüber hinweg. Manchmal bleibt weniger dahingestellt. McReynolds pflegte mehr zu sagen, als auf dem Papier stand und fleißige Leute schrieben es auf, man kann es in Time oder sonstwo finden. Manche Richter gaben i n geeigneten Fällen ihrem Gefühl Ausdruck»

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Jeder hat seine eigene Art. Roberts erregte Staunen durch mündlichen Vortrag ohne einen Blick auf den Text. Black hat Beredsamkeit. Die Zuhörer versuchen aus einem U r t e i l mehr herauszuhören, als daraus entnommen werden kann. Das führte jedoch zu keinem Ergebnis. Die Urteile des Gerichtshofes werden niedergeschrieben, um gelesen zu werden. Sie werden gelesen, und zwar mit genauester Sorgfalt. Junge Leute i n Rechtsanwaltbüros lesen sie und machen Auszüge. Ältere Juristen lesen und besprechen sie. Sie werden i m Zug studiert und nachts im Bett. Die wichtigsten werden von Zeitungen aufgegriffen und lieblos kommentiert. Rechtsprofessoren wählen die bedeutsameren aus und schreiben Kommentare darüber, welche sie i n Lehrbüchern für ihre Studenten abdrucken lassen. Endlich wird noch der K e r n gesammelt, der immer noch Kurzgeschichten und komprimierten Büchern gleicht. Jedenfalls werden die Urteile des Gerichtshofes bekannt. Das Verfahren des Obersten Bundesgerichtes nutzt die kleine Zahl seiner Mitglieder zu vereinter Zusammenarbeit aus. Lawrence Lowell nannte das Bundesgericht eine Zusammenballung mächtiger und verschieden gearteter geistiger Kräfte, die nicht von selbst zusammenfanden. Die Richter ergänzen die freiwerdenden Stellen nicht nach ihrer eigenen Wahl. Jeder w i r d getrennt gewählt aus verschiedenen Gründen. Gliche die Welt ihrem Idealbild, dann würden diese verschiedenen Strömungen in eine klare Oberfläche zusammenfließen. Das ist nicht der Fall. W i r haben hier die schwierigste und komplizierteste Zusammenwirkung. Nur die besten Männer können sie leisten. Wer nicht mitgewirkt, teilgenommen oder wenigstens zugesehen hat, bringt sich um eine große Befriedigung. W i r tadeln die Richter, wenn sie keinen Erfolg haben. Das zeigt entweder die Höhe unserer Erwartungen, was ein Kompliment wäre, oder unsere beklagenswerte Unfähigkeit zu erkennen, wie schwierig diese Aufgabe für einen bedeutenden Intellekt ist. Oder wir wissen nicht, worüber wir sprechen. Das ist ja nicht eine Frage leichtfertiger Übereinstimmung auf dem toten Punkt des geringsten Nenners. Noch irgendein Kompromiß, eine Spaltung der Meinungsverschiedenheiten. Die juristische Tradition wendet sich dagegen. Es ist ein H i n und Her der Überredung zu einem gemeinsamen Ziel und unter einer gemeinsamen Voraussetzung. A l l dies spielt sich teils öffentlich, teils geheim ab. öffentlicher Vortrag — geheime Beratung — öffentliche Urteilsbegründung.

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Abweichende Voten gelegentlich und dauernd Wenn auch der Gerichtshof der Idee nach einstimmig sein sollte, so liegt eine einzige Meinung doch nicht i n seiner Tradition. I n den hohen Gerichtshöfen Englands war sie niemals Brauch. Dort spricht jeder Richter seine eigene Meinung aus. Natürlich ergab sich dabei eine Hauptmeinung, und oft drückten Richter nur ihre Zustimmung zu dem Vorhergesagten aus. So begann auch unser eigenes Bundesgericht unter dem Präsidenten Jay. Aber nur ungefähr zwölf Jahre lang. 1803 übernahm es Marshall, der eine Zeitlang alle Ansichten selbst aussprach, gelegentlich sogar eine abweichende. Marshall war eine energische Persönlichkeit, und er drückte fast allem, was er berührte, seinen Stempel auf. Seine Mühe galt dem Gerichtshof, nicht sich selbst, daher sein starkes Gefühl für die Einstimmigkeit. Das ging soweit, daß er seine eigene persönliche Ansicht fallen ließ, um Einstimmigkeit zu erreichen. Ein Beispiel dafür ist das Urteil i n Little gegen Bareme. Marshall sagte i n der Urteilsbegründung: „ I c h bekenne, daß zuerst die Gegenwirkung meines Geistes sehr groß war. Aber ich habe mich überzeugen lassen, daß ich i m I r r t u m war, und so bin ich von meiner ersten Meinung abgegangen. Ich willige in das Urteil meiner Brüder ein 6 0 . Das Wort lautet Einwilligung. Er ist überzeugt und doch willigt er nur ein. Einstimmigkeit ist manchmal nur eine Form, aber i m politischen Leben bedeutet sie Macht. Wenn die Beratungen eines Ausschusses in eine Entschließung auslaufen, dann ruft man nach geschlossenen Reihen und nach einer einigen Front. E i n abweichendes V o t u m w i r d zu einem ärgerlichen, ungehörigen und störenden Abfall. Wer sie äußert, w i r d als Fahnenflüchtiger angesehen. Wenn er nicht selbst davon betroffen wird, dann denkt der Mann, der ein Gegner der abweichenden Meinung ist, gewöhnlich nur an das Ansehen des Gerichtshofes. Marshall, der den Gerichtshof zu einer Abteilung der Regierung machen wollte, brauchte vor allem Macht. Er verlangte von seinem Gerichtshof die gleiche Einstimmigkeit wie das britische Kabinett von seinen Ministern. Auch jede Kommission, die das Vereinigte Königreich ins Ausland schickt, befleißigt sich dieser Einigkeit. Die Entschließungen werden durch die ehrwürdige Methode der inneren Unstimmigkeit erreicht, aber das ist eine rein innere Angelegenheit. Man berät getrennt, man handelt gemeinsam. Unsere Kabinetts-

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minister sind persönliche Verwaltungsbeamte und Berater, die ihre Einheit nur i m persönlichen Befehl des Präsidenten sehen. I n der Ausübung ihrer Pflichten gehen sie aus ihren eigenen Gründen ihren eigenen Wegen nach. Ihre Loyalität gilt nur dem Präsidenten, nicht untereinander. Seine Amtszeit ist festgesetzt, die ihre hängt von seinem Belieben ab. Keiner hängt vom Kongreß ab. Nun, da die Macht des Bundesgerichtes ausgebildet und die Lehre von der richterlichen Oberhoheit verankert ist, hängt auch das Bundesgericht von niemandem ab. Die Loyalität der Richter gilt weniger dem Gerichtshof als ihrem eigenen Ruf. Die Einstimmigkeit bringt die Kosten an Gewissen und persönlichem Stolz nicht ein. Wenn Marshall der Vater der Einstimmigkeit ist, so führte William Johnson, der jüngste je ernannte Richter, unsere gegenwärtige Methode ein. Er wurde 1805 durch Jefferson i m Alter von 32 Jahren berufen, was damals nicht so jung war wie heute. Vier Jahre stand Marshall schon i m Amt. Johnson sah ihn alle Meinungen vertreten, auch die, denen er nicht zustimmte. Es waren die Meinungen des Bundesgerichtes, und er war der Vorsitzende. Johnson kam von der Gerichtsbank in Süd-Karolina, wo nach der gewohnten englischen Übung jeder Richter seine eigene Meinung aussprach. Jefferson zog diese A r t vor, und Johnson drückte ihm sein Erstaunen aus, daß Marshall alle Meinungen vertrat; auch sein eigener Protest nützte nichts. „ E r antwortete, daß er sich der Mühe unterziehen wolle und daß es für ihn eine Frage des Respektes sei. Ich erkannte jedoch bald den wirklichen Grund. Gushing war unfähig. Chase konnte weder zum Denken noch zum Schreiben gebracht werden. Paterson war langsam und verzichtete gerne auf die Mühe, und die beiden anderen werden gewöhnlich nur für eine Person gehalten." Diese beiden anderen waren Marshall und Bushrod Washington. Johnson fuhr fort, daß er nach dem „gewöhnlichen Weg" seine eigene Meinung abgäbe, und während der übrigen Sitzungsperiode „hörte er nichts als Predigten über die ungehörige Unkollegialität und über den schlechten Ruf, den das Appellationsgericht von Virginia durch diese A r t bekommen hätte. Zunächst beugte ich mich dem Strom, hielt aber aus, bis ich sie zu der jetzigen Methode brachte: ein Richter w i r d zur Verkündung des Mehrheitsvotums ernannt, die übrigen können nach Belieben ihre Meinungen äußern oder nicht 6 1 . 4

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Johnsons Vermittlungsvorschlag zwischen den beiden Richtungen ist die allgemeine Übung für alle Appellationsgerichte dieses Landes geworden. Er stellt nicht nur ein Kompromiß dar, sondern einen dritten Weg. Johnson beschrieb einmal seine eigenen abweichenden Voten mit den Worten: „ I c h w i l l nicht, daß m i r später eine zweideutige Entschließung zugeschrieben wird, oder daß ich ein Urteil verantworten muß, das ich nicht t e i l t e 6 2 . " Es ist aber nicht der einzigste Zweck, Gewissensbisse zu beseitigen oder den Ruf eines guten Juristen zu retten. Abweichende Voten dienen größeren Zielen. Sie drücken aus, was gesagt worden wäre, wenn man die Kollegen davon hätte überzeugen können. Wie es von jeher starke Meinungsverschiedenheiten gegeben hat, so sollte es auch in Zukunft sein: 4 : 5, 3 : 6. Das sind zwei Geistesrichtungen. Es hat eine Spaltung gegeben und jetzt gibt es zwei Zellen, fast zwei Gerichtshöfe der Vereinigten Staaten oder doch einen doppelten. Die Mehrheit übt im Augenblick die Macht aus, aber der Minderheit obliegt eine nebenherlaufende Rechtsprechung über die Zukunft. Denn sie formuliert den Ruf nach einer Wiederaufnahme in der Zukunft, vielleicht schon bei der nächsten Gelegenheit. Das ist das Ergebnis, auch wenn es nicht in der Absicht der betreffenden Richter liegt. Unter den großen abweichenden Voten waren die von Taft, Sandford und Holmes. I m Fall Adkins waren Mindeistlöhne für verfassungswidrig erklärt worden. Einige Jahre später, 1925, tauchte dieselbe Frage wieder auf und dieselbe Mehrheit erklärte das Mindestlohngesetz wieder für ungültig. Und auch die drei, die vorher ein anderes V o t u m abgegeben hatten, willigten ein. I m Bericht heißt es: „Richter Holmes bittet um die Feststellung, daß er seine Zustimmung nur deshalb gibt, weil er sich durch die Entscheidung in Sachen Adkins gegen das Kinderhospital gebunden 64 glaubt ." Und doch gehörte die Zukunft dem abweichenden Votum, nicht der Zustimmung. A u f dieser Grundlage wurde der Fall Adkins später überholt. I n dem überholenden Urteil kommt Hughes ausdrücklich auf Taft zurück. „Seine Aufforderung bleibt bestehen und ist ohne befriedigende Antwort geblieben 6 5 ." Dieselben Ansichten und Voraussetzungen treten i n regelmäßigen Perioden wieder auf, wie das im Geistes- und Naturleben zu sein scheint: deshalb haben sich die abweichenden Voten zu überzeugenden Präzedenzfällen entwickelt. Vielleicht kehren in demselben Kreislauf auch einmal wieder die Voten der Mehrheit zurück.

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Die Vielheit der individuellen Meinungen des gegenwärtigen Gerichtshofes flößt manchen Unbehagen, ja Abneigung ein. Sie wünschen eine einzige Autorität, und sie empfinden die Abweichung davon als ketzerisch. Diese Gefühle dürfen nicht zu weit gehen. Wenn man die Einstimmigkeit erzwingen will, dann untergräbt man die Grundlage des Gerichtsverfahrens. Ebenso handeln jene, die von der anderen Seite her mit dem Vorschlag kommen, daß mehr als eine Mehrheit für die Ablehnung eines Gesetzes nötig sei. Sie begründen das damit, daß unmöglich fünf Richter etwas für unvernünftig erklären können, woran vier andere ohne Zweifel festhalten. Das Verlangen nach Einstimmigkeit führt jedoch unvermeidlich zum Kompromiß, bei dem Gerichtshof wie auch sonst. Der Kompromiß entspricht dem Gerichtsverfahren so wenig, wie das Angebot Salomons dem Gefühl der Mutter des Kindes entsprach. Dagegen ist es ein typischer Wesenszug des Vorgehens in der Politik. Byrnes, der vorher Richter war und jetzt Staatssekretär ist, kann aus Erf ahrung sprechen. I n seinem Bericht über die Sitzung des Außenministerrates in London im Herbst 1945 sagte er: „Die erste Sitzung des Außenministerrates endete mit einem Fiasko. Aber wir wollen und sollen uns dadurch nicht einer zweiten und besseren Gelegenheit berauben lassen, dem Frieden näher zu kommen. I n der Vergangenheit wurde ich als Mann der Kompromisse teils getadelt, teils gelobt. Ich bekenne mich zu der Ansicht, daß der Frieden und der politische Fortschritt im Äußern wie i m Innern von kluger Kompromißbereitschaft abhängig sind. Die Abordnung der Vereinigten Staaten handelte in Berlin in diesem Sinne. Ebenso in London. U n d w i r werden auch weiter bei allen künftigen Konferenzen so handeln. Diese Haltung ist wesentlich für internationale Konferenzen, wo ein Ergebnis nur durch Einstimmigkeit erreicht werden kann. Wenn ein einziges Mitglied diese Einstimmigkeit verhindern kann, dann wird das Kompromiß zur Notwendigkeit. Männer und Frauen, die als Geschworene tätig waren, wissen das zu würdigen." Fortgesetzte Verneinung, die zur Spaltung führt, ist etwas ganz anderes. Zwei Päpste können nicht i m Recht sein und schaden sich nur .gegenseitig, so auch der Gerichtshof, dessen Macht auf seinem Ansehen beruht. I m alten Sprichwort denkt der dumme Esel, daß zwei da durchkommen könnten, wo einer gegangen war. Dies entspricht nur der Wahrheit, wenn ein wesentlicher Unterschied zwischen der Mehrheit u n d der Minderheit besteht. Wenn sie sich nur

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auf beiden Seiten der notwendigen Linie befinden, dann geschieht kein großer Schaden. Dann ist es eben ein schwieriger Fall. Die Linie läuft zwischen ihnen und nicht an jeder Seite. Dabei ist es auch unwichtig, wie nahe sie sich sind. Sie können nahe genug zu einem Händedruck sein und doch werden sie, von verschiedenen Richtungen kommend, nicht Seite an Seite gehen. W i r haben hier etwas Qualitatives, das nicht durch die Quantität aufgezehrt wird. Es gibt i n der Chemie Mischungen, Kolloide, die aus denselben Elementen i m selben Verhältnis zusammengesetzt sind und doch ganz verschieden ausfallen. Die Chemiker nennen sie isomer. Sie sind verschieden, mit verschiedenen Eigenschaften, nur weil sie nicht i n der gleichen Weise zusammengestellt wurden. Die Reihenfolge, in der ein Rezept aus einem Kochbuch angewendet wird, ist so wichtig wie die Zutaten. Richter können so scheinbar zu dem gleichen Schluß kommen, oder sie können sich durch die kleinste Kleinigkeit unterscheiden, und doch können sie durch Welten getrennt sein, weil sich die scheinbar gleiche Meinung verschieden zusammensetzt. Ein bekehrter Sünder oder ein zur Vernunft gekommener Konservativer ist nicht dasselbe wie ein abgefallener Heiliger oder ein behinderter Fortschrittler, mögen sie auch von derselben Plattform sprechen. Auch Menschen können, wie ihre Meinungen, isomer sein.

Die juristische Tradition u n d das Verharren bei gefaßten Entscheidungen Durch viele Fäden sind wir mit der Vergangenheit verbunden, durch Gewohnheit, durch Sehnsucht, durch die psychoanalytische Rückwirkung, durch den Sinn für Bequemlichkeit und Sicherheit. Zuweilen mag es weise sein, dem bisherigen Gebot der Weisheit zu folgen; es mag recht sein, was vorher gerecht schien, denn so können Menschen ihr Betragen nach dem einrichten, was sich nach ihrer Meinung wieder ereignen wird. „ I c h stelle keine größeren Ansprüche an das Recht", so sagte Holmes 6 6 , „als die Vorhersage, wie die Gerichtshöfe entscheiden werden". I n ihrer Lehre von dem Verharren bei gefaßten Entscheidungen (stare decisis) bemüht sich die juristische Tradition darum, daß „Holmes Freund, der schlechte Mensch", eine möglichst sichere Grundlage für seine Erwartungen hat. Aber w i r befassen uns mit Richtern, nicht m i t Verbrechern. Das stärkste Band, das den Richter an eine vorherige Entscheidung bindet, ist der Wunsch, die unerträgliche Last der persönlichen Verantwortung abzuschütteln. Freiheit ist weder sein eigener Wunsch, noch der unsere für ihn. Das gilt nicht für Juristen allein. Lloyd Garrison, der große Erfahrung mit Tribunalen hatte, i n denen Laien und Juristen zusammen saßen, sagt: „ Nach meinem bestimmten Eindruck streben Laien i n einer juristischen Position genau so eifrig wie die Juristen nach der Aufdeckung und Vorlegung erreichbarer Präzedenzfälle. Diese werden nicht wegen der wünschenswerten Sicherheit so hervorgehoben, sondern weil sie ein gottgesandtes Mittel sind für Männer, die sich i n schwierigen Fällen zu entscheiden haben und die ihre Entscheidung auch rechtfertigen müssen 6 7 ." E i n Gerichtshof erklärt also nur, was das Recht ist. Es gibt keinen Gerichtshof seit der angelsächsischen Christenheit, der dies

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Die juristische Tradition und das Verharren bei gefaßten Entscheidungen

nicht als .seine einzige Tätigkeit bezeichnet und der nicht die Schaffung des Rechtes leugnet. Nicht einmal auf jene langsame Weise wollen sie daran teilhaben, die Holmes irgendwo dem Wachsen einer Koralleninsel vergleicht, Stück auf Stück, durch das Anwachsen der Einzelfälle, die sich ein ganz klein wenig von den Tausenden von vorhergegangenen Fällen unterscheiden. Jeder Gerichtshof, solange er Recht spricht, h i l f t an der Ausbildung des Rechtes wie an seiner Erklärung mit, es sei denn, jeder Fall sei ganz genau der gleiche wie der vorhergehende. Richter nehmen an der Rechtsschöpfung teil, wenn immer sie von dem logisch unvermeidlichen Muster der Präzedenzfälle abweichen. A m deutlichsten w i r d das, wenn ein Präzedenzfall entkräftet wird. Dann beginnt ein neuer Abschnitt und die Schaffung neuen Rechtes. Wenn man nicht im wörtlichen Sinn unter Gesetzgebung nur die Tätigkeit der gesetzgebenden Körperschaft versteht, dann machen die Gerichtshöfe Gesetze. Da man das aber nicht von den Richtern erwartet, leugnen sie natürlich diese Tätigkeit. Sie drücken es in folgender Weise aus. Sie behaupten von sich: W i r erklären nur, was die Gesetzgeber meinten. Oder, bei der Auslegung der Verfassung, was der Konvent meinte. Oder, bei einer Ergänzung der Verfassung, was der Kongreß meinte. Daraus folgt, daß jede der Verfassung zugeschriebene Bedeutung von Anfang an bestanden haben müsse. Verstößt ein Gesetz gegen die Verfassung, so muß es schon immer so gewesen sein. Ist es nichtig, so von Anfang an. Die klassische Formulierung stammt von Field: „ E i n verfassungswidriges Gesetz ist kein Gesetz, es gewährt keine Rechte, es legt keine Pflichten auf, es verleiht keinen Schutz, es schafft kein Amt. Es ist, juristisch gesehen, so unwirksam, als ob es nie erlassen worden w ä r e " 6 8 . Diese glänzende Einfachheit ist die Theorie, und als Theorie ist sie so schwer anzufechten, daß Gerichte manchmal sogar danach handeln. Das ist natürlich nicht angängig und das jetzige Bundesgericht weiß das. W i r leben in einer tatsächlichen, nicht i n einer theoretischen Welt. Auch die juristische Tradition, mögen ihre Zweige frei im Winde wehen, hat ihre Wurzeln in der Wirklichkeit. Als kürzlich i m Jahr 1940 ein niederes Gericht nach dieser Theorie handelte, sagte Hughes: „Die unteren Gerichtshöfe sind nach der Theorie vorgegangen, daß ein Gesetz des Kongresses, wenn es für verfassungswidrig erklärt sei, gar kein Gesetz sei, daß es unwirksam sei,

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keine Rechte verleihe und keine Pflichten auferlege. Es ist jedoch ganz klar, daß so weite Auslegungen des Begriffes der Verfassungswidrigkeit mit Vorsicht aufgenommen werden müssen. Das Bestehen eines Gesetzes, schon vor dieser Erklärung, ist eine Tatsache und kann Folgen haben, über die man nicht hinweggehen kann. Die Vergangenheit kann nicht immer durch eine neue juristische Erklärung ausradiert werden" 6 9 . Kann das jemals geschehen? U n d wenn, muß es nicht an Stelle der Theorie durch eine F i k t i o n geschehen? Fiktionen sind nützlich, wenn sie richtig erkannt werden. Es besteht auch kein Einwand, daß die juristische Tradition diese Idee zur gelegentlichen Benützung bereit hält. Die mittelalterlichen Gelehrten sagten, es gäbe etwas, was sogar Gott, der Allmächtige, nicht könne, nämlich ungeschehen machen, was geschehen sei. M i t Fiktionen kann man alles mögliche anfangen. Warum sollten nicht die Richter die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes auf irgendeine Zeit verlegen? Wenn sie es rückwirkend machen können, warum sollten sie es nicht i m voraus machen? Das ist möglich. Es gibt einige Juristen, die so i n der Tradition leben, daß sie das bezweifeln und vor allem bezweifeln, ob es der Verfassung entspricht. Einer von ihnen brachte die Frage vor Gericht. Aber der Gerichtshof bestimmte, daß der höchste Gerichtshof eines Staates es tun könne, und was der Gerichtshof eines Staates kann, das kann auch das Oberste Bundesgericht. I m Sunburstfall 7 0 1932 bestritt Cardozo, daß irgend etwas darüber in der Verfassung stehe. „Der Staat kann sagen, daß Entscheidungen seines höchsten Gerichtes i n der Zwischenzeit trotzdem Gesetz sind, wenn sie auch später umgeworfen würden. Andererseits kann er sich an das alte Dogma halten, wonach das von seinen Gerichtshöfen eingeführte Gesetz schon vorher eine platonische Existenz hatte. Die angefochtene Erklärung w i r d dadurch ungeschehen gemacht und die neue Erklärung als Gesetz von Anfang an betrachtet 7 1 ." Cardozo bezieht sich auf die frühere, platonische Existenz einer späteren Verfügung des Gerichtshofes, wenn er das Gesetz erklärt. I m Phaidon des Sokrates ist der erste Beweis für die Unsterblichkeit der Seele, daß sie nach dem Tode weiterbestehen muß, weil sie vor der Geburt bestand. Gerade das versucht die juristische Tradition mit dem Recht. I n manchen Teilen des Rechtes kann nicht geleug-

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net werden, daß dies dem Wesen des Gesetzes entspricht. Aber hier gehen gewöhnliches Recht und Verfassungsrecht klar auseinander. Nach Taneys Ansicht kann die Meinung des Bundesgerichtes über den Aufbau der Verfassung immer diskutiert werden, wenn sie auf I r r t u m gegründet erscheint 72 . Und Field sagt: „Es ist ein höheres Gebot, daß der Gerichtshof in späteren und wichtigeren Erwägungen i m Recht ist, als daß er sich mit früheren Erklärungen identifiziert. I m Laufe der Ereignisse werden nur diejenigen Formulierungen standhalten, die der genauesten Prüfung und der Probe der Erfahrung die Stirne bieten können 7 3 . Die Verfassung spricht mit der Stimme der Erfahrung. Hughes rechtfertigt, wie wir sehen werden, die Entkräftung eines Präzedenzfalles mit einem inzwischen eingetretenen Wechsel i n der Wirtschaftslehre 7 4 . Frankfurter spricht poetischer vom Zahn der Z e i t 7 5 . Das Bundesgericht stößt seine eigenen früheren Entscheidungen oder besser die Entscheidung früherer Gerichtshöfe ziemlich oft um. Irrtümer werden beseitigt; es w i r d widerrufen. Manchmal tut er genau das Gegenteil von dem, was ein früherer Gerichtshof getan haben würde; aber aus Höflichkeit für die Vorgänger stillschweigend. Wenn man diese stillschweigenden Korrekturen beiseite läßt, warf der Gerichtshof vom Bürgerkrieg bis 1932 ungefähr alle drei Jahre eine vorhergehende Entscheidung um, 21 Fälle in diesen 56 Jahren 7 6 . Dem Gebot der Erfahrung zufolge war das nicht genug, um mit der Zeit Schritt zu halten. Denn der neue Gerichtshof revidierte in den acht Jahren zwischen 1936 und 1944 sechsmal soviel, nämlich 16 Fälle, zwei i m Jahr. Der Wagen der Zeit hat den alten juristischen Omnibus überholt.

9 W i r k l i c h k e i t u n d Phantasie Gesetz und Verfassung gleichen einer Tonleiter, in der die Tasten von der höchsten Abstraktion bis zur konkretesten Tatsache laufen. Die abstrakte Lehre schlägt einen hohen klaren Ton an. Eine Tatsache einen tiefen dunklen. Wollen wir den Vergleich mit dem Klavier fallen lassen, dann können w i r die Tatsachen mit jeder A r t von Lärm vergleichen, vom schrillen bis zum tiefen, und sie neben die klaren Töne des Abstrakten halten. W i r können sie auch vergleichen mit den gefrorenen Worten, die niederfielen und die Pantagruel dem Panurge gab. I h r Aussehen war vielfarbig, wie Leckereien, und in seiner Hand schmolzen sie in Schlachtenlärm zusammen 77 . Doch genug der Vergleiche. Bertrand Russell sah die Sache so an. Die Welt der Ideale ist unwandelbar starr, genau, das Entzücken des Mathematikers, des Logikers, des Schöpfers jenseitiger Systeme und all derer, welche die Vollkommenheit mehr lieben als das Leben. Die Welt des Tatsächlichen ist schwankend, undeutlich, ohne scharfe Grenzen, ohne einen klaren Plan, aber sie enthält alle Gedanken und Gefühle, alle Gegenstände der Sinne und alle physischen Vorbedingungen, die zum Guten oder Bösen werden können, kurz alles, was für den Wert des Lebens i n der Welt von Bedeutung ist. Je nach unserem Temperament werden wir die eine oder andere Anschauungsweise vorziehen 7 8 . W i l l i a m Morton Wheeler erkannte dieselbe Unterscheidung in seinen Studenten. Er sah, daß es sich um verschiedene Typen handelt. Bei der Prüfung seiner Studenten und Lehrer während eines halben Jahrhunderts entdeckte er zwei ausgesprochene Typen, während die übrigen Übergänge oder Zusammensetzungen bildeten. Er sah darin auch die Vertreter der Romantik und des Klassischen verkörpert, wie Ostwald sie bei den Ärzten und den Chemikern unterschied und auch die Äußerlichen und die Innerlichen, wie Jung 6

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sie nannte. Die meisten Romantiker oder Äußerlichen sind Naturalisten. Die Klassiker oder Innerlichen sind genau genommen Biologen. Der Naturalist richtet sich geistig nach dem Objektiven, nach der Wirklichkeit. Da seine Sinne, besonders das Gesicht und das Gefühl, hoch entwickelt sind, wird er besonders durch die Schönheit der Natur angesprochen. Abstrakten, theoretischen Erwägungen steht er gleichgültig, ja ablehnend gegenüber. Er könnte mit Goethe sagen: Grau, F r e u n d , ist alle Theorie, und grün des Lebens ewig goldner Baum.

Er liebt in erster Linie die Beobachtung und das Leben i m Freien. Er sammelt, er kennzeichnet, er beschreibt und ist überwältigt von der Vielseitigkeit und Verschlungenheit der Naturerscheinungen. Es ist deshalb irrational, gefühlsmäßig, aufnehmend und passiv in seiner Haltung den Dingen gegenüber. Er setzt lieber zusammen, statt zu analysieren. So wird aus i h m kein Mathematiker, sondern der Lieb' haber und Kenner in seiner eigentlichen Bedeutung. Hat er philo* sophische Neigungen, so w i r d er Aristoteles blind anhängen. Seine Auswirkung bleibt eine romantische; reichliche und leichte Publikationen, aber oft ohne Sinn für literarische Form und Größe. Der Biologe auf der anderen Seite ist nach Wheeler von Ideen beherrscht. Das verwickelte Durcheinander des Konkreten, die Wirklichkeit der Sinne und ihre vielfältigen und vielfarbigen Äußerungen erschrecken und bedrücken ihn. Oft gehört er zu den Typen der Bewegung statt der Anschauung und findet seine Befriedigung in der Analyse und i n der kalten Schönheit logischer und mathematischer Beweisführung. Sein Wille zur Macht äußert sich i m Experimentieren und im Einfangen der Phänomene in einem Netz abstrakter Formen und Gesetze. Er ist der Bewohner der Laboratorien. Seine Erbsünde ist übergroße Vereinfachung, wonach er den Gegenstand seines Studiums von der natürlichen Umgebung trennt. Als Philosoph ist er vielleicht ein gemütvoller Anhänger Piatos. I n seinen Veröffentlichungen ein Klassiker. Seine gesammelten Werke mögen einen schmalen Band ausmachen, sie sind aber von hoher Qualität 7 9 . Russell beschrieb zwei extreme Geistesrichtungen, Wheeler zwei ebenso extreme Menschentypen. Sicherlich brauchen wir in unserer

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Welt beide. Denn wir stehen im Mittelpunkt des Universums, halten eine abstrakte Vorstellung i n der einen Hand und eine konkrete Tatsache i n der anderen und versuchen, sie zusammenzubringen. Sobald sie einander nahekommen, haben w i r aus irgendeinem Grund die falschen Fäden verknüpft oder der Knoten löst sich auf. So müssen wir die Verbindung wieder neu lösen und knüpfen oder umgekehrt. Beides ist schwierig, denn die Dämonen des Lebens trachten, sie uns aus der Hand zu schlagen. Wollen wir Whitehead, dem Philosophen, die Formulierung der Vor- und Nachteile überlassen. Das Folgende ist aus dem 1. Teil des 4. Kapitels seines Buches Die Wissenschaft und die moderne Welt genommen. Nach Whitehead ist der Vorteil der Beschäftigung mit Abstraktionen, daß man seine Gedanken auf klare bestimmte Dinge mit klaren bestimmten Beziehungen wendet. Wenn man also logisch denkt, dann kann man aus der Verwandtschaft dieser Abstraktionen vielfältige Schlüsse ableiten. Wenn diese Abstraktionen gut begründet sind, das heißt, wenn sie die Erfahrung berücksichtigen, dann wird die Wissenschaft und die Forschung zu mannigfachen wichtigen Wahrheiten gelangen in bezug auf unsere Naturerkenntnis. W i r alle kennen diese klaren, durchdringenden Intellekte, die sich in ihre Abstraktionen verkapseln. Die Macht ihrer Persönlichkeit führt auch uns zu diesen Abstraktionen. Nach Whitehead ist dagegen der Nachteil einer ausschließlichen Beschäftigung mit noch so gut begründeten Abstraktionen der, daß man von den übrigen Dingen abgezogen wird. Wenn sich diese Dinge hauptsächlich mit der Erfahrung beschäftigen, dann kommt diese Denkweise ihnen nicht nahe. Ohne Abstraktionen kann man nicht denken, deshalb muß man sie immer wieder einer kritischen Übersicht unterziehen. I n dieser Frage ist die Philosophie wesentlich für den gesunden Fortschritt der Gesellschaft. Nämlich durch die K r i t i k der Abstraktionen. Eine Zivilisation, die damit nicht fertig werden kann, ist nach kurzem Fortschritt zum Stillstand verurteilt. Für die Bewegung der Ideen ist eine Schule der Philosophie ebenso wichtig, wie eine Schule für Eisenbahn-Ingenieure für die Bewegung des Brennstoffes. Nun reizen Abstraktionen ganz besonders die Richter. Einmal werden Begründungen von ihnen erwartet. Nach den Worten von 6*

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Learned Hand verleiht es auch „den Anschein größerer Autorität, wenn ein Schluß dialektisch aus gegebenen Bedingungen gezogen wird, als wenn man zugeben muß, daß es sich um die Schlichtung widerstreitender Interessen handelt 4 8 0 . Als Juristen unterliegen sie auch besonders den Abstraktionen. Sie leben dort am glücklichsten, leichtesten und besten. Sie gleichen nicht jenen, die in die Hitze, den Schmutz und die Erregung der Tatsachen untertauchen müssen. Juristen gehen gerne m i t Abstraktionen um, mit netten, sauberen Dingen, die man nach Belieben pflegen und polieren kann. Wenige von ihnen lieben es, sich die Finger zu beschmutzen, oder i n den Lehm der Tatsachen hinabzusteigen. Machen wir ihnen daraus keinen Vorwurf. Tatsachen sind ja nicht ihre besonderen Beschäftigungen. Vielleicht tun sie gut daran, die Grenzen ihrer Tätigkeit zu erkennen, wie sich das zeigt bei ihrer Achtung vor Experten, vor den medizinischen Sachverständigen, den Ingenieuren, und jenen Experten des Alltagslebens, den Geschworenen. Wenn die Abneigung des Juristen gegen Tatsachen auch i n seinem Wesen begründet liegt, so ist sie ihm i n der Praxis nicht nützlich. Er w i r d erfolgreicher sein, wenn er Tatsachen schätzt. Die Abneigung gegen Tatsachen macht auch ungeeignet zur Beschäftigung mit der Verfassung. Nur wenn er seine Abstraktionen richtig kennt, w i r d er hier gute Arbeit leisten. Er muß sie als M i t t e l sehen, die ihm den Weg durch diese vielfältige Welt zeigen. Er muß erkennen, daß sie ihm zu Ansehen verhelfen und Zustimmung und Billigung verschaffen für seine Worte. Aber er muß auch wissen, daß hierin ihre Grenze liegt. Wenn man streng an der juristischen Tradition festhält, dann w i r d man das Gesagte weder billigen noch verstehen. Die meisten Entscheidungen des Gerichtshofes verlangen eine Linie zwischen sich bekämpfenden abstrakten Grundsätzen. So sagt Black i n einem Fall: „ W i r haben zwei Arten der Kongreßpolitik, die wir miteinander versöhnen müssen. Die eine sucht i n der Wirtschaft den Wettbewerb aufrechtzuerhalten, die andere trachtet für die Arbeit nach einer Verbesserung der Bedingungen durch das Mittel gemeinsamer Verhandlungen" 8 1 . Er sprach über das Shermangesetz und das Claytongesetz. Danach sollte in die Anti-Trust-Gesetze nichts eingebaut werden, das Bestehen und Auswirkung der Gewerkschaften verhindert. Klarer t r i t t dies noch bei Verfassungsfragen zutage, wo zum Beispiel die Souveränität eines Staates in Einklang gebracht werden muß mit dem Besteuerungsrecht der natio-

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nalen Regierung 8 2 . Nicht so deutlich, aber doch sichtbar w i r d es in dem Konflikt zwischen dem Recht auf freie Religionsausübung und den Toleranzprinzipien, die, wie Frankfurter erkannte, i m Flaggensalut-Fall versöhnt werden mußten 8 3 . Dieses Ziehen einer Linie fällt Geistern, die in mathematischen Vorstellungen leben, schwer. Dieser Intellekt scheut das Zwischenreich, wo die Farben ineinanderfließen und ihre Abgrenzung kaum erkennbar ist. Für den praktischen Geist ist das nur natürlich, er erwartet und billigt es. Prinzipien im Widerstreit sind leicht erkennbar, wenn sie sich nicht nahekommen. Doch mögen sie wie die Zwischenfarben zwischen Weiß und Schwarz fast ineinanderfließen, so daß man wie bei den Farben keinen Übergang erkennt. Die Unterscheidung besteht jedoch und muß bei der Behandlung der Fälle aufgezeigt werden 8 4 . Die beiden letzten Sätze stammen von Marshall, und derselbe hatte einige Jahre zuvor in Sachen McCulloch gegen Maryland festgestellt 8 5 , daß die Staaten Banknoten der Vereinigten Staaten nicht besteuern könnten, da das Besteuerungsrecht das Recht zur Zerstörung einschließe 86 . M i t seinem Blick für die Wirklichkeit stellte Holmes fest, daß „es i n jenen Tagen nicht so deutlich geworden war wie heute, daß im Gesetz die meisten Unterschiede Fragen des Grades sind. Wenn die Staaten irgendwelche Macht hatten, dann hatten sie offenbar die ganze Macht, oder man mußte sie ihnen ganz entreißen. Aber dieser Gerichtshof, der so oft den Besteuerungsversuch zurückgewiesen hatte, kann eine Zurücksetzung oder eine Übersteuerung zurückweisen, ohne das Besteuerungsrecht überhaupt zu vernichten. Das Recht zu besteuern ist nicht das Recht zu zerstören, solange dieser Gerichtshof t a g t " 8 7 . Nicht, solange dieser Gerichtshof tagt. Wenn die Zeit kommt, ja. Um Holmes' Gedanken weiterzuführen, wenn die Ausübung der Macht Hand legt auf das, was die Verfassung bewahren muß, dann w i r d der Gerichtshof handeln. Aber nicht vorzeitig, nicht durch ein Vorgreifen, nicht unter Vorwegnahme der üblen Folgen, wie der abstrakte Mensch es tun würde. Sein Lieblingswort, sein Zauberstab heißt: Obsta principüs. Natürlich mag seine Abstraktion schlecht begründet sein, sie mag die Tatsachen verdrehen oder einen bedeutenden Teil außer

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acht lassen. I n diesem Falle w i r d die logische Folge der schlechten Begründung etwas ganz Unerwartetes sein. Nehmen wir jedoch an, sie sei gut begründet, sie werde den Tatsachen so gerecht, wie wir erwarten dürfen, dann muß er doch die Linie zwischen ihr und dem Streitfall ziehen, und sie muß durch ein Gebiet laufen, wo die Interessen sich überschneiden. Gäbe es kein solches Gebiet, dann gäbe es kein Problem. Die Pflicht zur Entscheidung des unmittelbaren Falles verlangt von ihm eine Grenzlinie durch das beiden Prinzipien gemeinsame Gebiet, aber Hingabe und Treue für sein eigenes Prinzip oder Abscheu vor dem anderen, vielleicht seine Vorliebe ebenso wie sein Vorurteil werden ihn dazu führen, die Linie sicherlich i n den Grenzen seiner eigenen Abstraktion zu ziehen. Alles, was sich dagegen wendet, ist ihm so widerlich, daß er nicht einmal sein Dasein anerkennt. U n d so gründet er seine Entscheidung nicht auf die Forderungen des vorliegenden Falles, sondern auf seinen Widerwillen, den Wert und die Bedeutung der anderen Seite anzuerkennen. Er fürchtet, daß seine Nachfolger sich durch die Lehre des stare decisis , an die er so inständig glaubt, täuschen lassen, und daß sie in folgenden Fällen seine Erkenntnis als einen Präzedenzfall benützen und die Grenze immer weiter von seiner Überzeugung entfernen werden. Denn das Beharren bei gefaßten Entscheidungen (stare decisis) ist nur ein Prüfstein für die K r a f t der streitenden Prinzipien. Man kann daraus nicht entnehmen, wo die Linie im gemeinsamen Gebiet verlaufen soll. So behandelt er den ihm vorgelegten Fall nicht als Rechtsstreit, sondern nur als Präzedenzfall. Bei der Menge der Beispiele ist nur die Wahl schwierig. Erst kürzlich entschied das Bundesgericht einstimmig, daß Esquire das Recht auf ermäßigte Postgebühren habe, und Douglas schrieb ein ausgezeichnetes Urteil. I m Verlauf desselben führte er als einen Grund für seine Entscheidung an, „daß der Entzug der Ermäßigung, weil der Inhalt der Veröffentlichung heute irgendeinem Beamten als nicht wünschenswert erscheine, morgen den Entzug in einem anderen Fall rechtfertigen würde, wenn die sozialen oder wirtschaftlichen Ansichten einer Zeitschrift einem anderen Beamten als schädlich erschienen" 88 . Ein triftiger Grund, aber legen wir die Meinung Frankfurters in seinem abweichenden Votum daneben: „ D i e genaue Formulierung scheint mir in diesem Falle wichtig, weil die Ausstrahlungen einerseits die Grundlage jeder freien Gesellschaft, nämlich freie Meinungsäußerung, andererseits die Freiheit von einem

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verfassungsmäßigen Zwang zur Subvention von Unternehmungen, sei es in der Welt der Dinge oder des Geistes, berühren." Und er wandte sich den Fragen zu, die der Gerichtshof lösen müsse bei der Betrachtung, „auf welcher Grundlage die Regierung Unterstützungen durch niedrige Postgebühren genehmigen oder versagen könne. Wie man auf einem Blick aus dem gegenwärtigen Falle sehen könne, handle es sich dabei um bedeutende Unterstützungen". Für Esquire ging es dabei um eine Angelegenheit von 500 000 Dollar im Jahr. Frankfurter schloß: „Es wird noch immer Zeit sein, solche Fragen zu erwägen, wenn das Bundesgericht der Entscheidung darüber nicht ausweichen kann." Ich sehe die beiden abstrakten Prinzipien als die sich überschneidenden Bögen von zwei Kreisen, die eine gemeinsame Fläche bedecken, durch welche die Entscheidungslinie laufen muß. Wenn man die Linie so weit vorschiebt, daß sie überhaupt nicht durch dieses Gebiet läuft, dann hat man seine eigene Abstraktion ins Absolute erhoben, weil man auf diesem Gebiet keine Linie dulden will. Man hat damit eine Trennung von den Tatsachen und von der lebenden Welt vollzogen, und es bleibt nur die Logik allein zurück. Ein Diagramm ist kein Beweis. Jeder Mensch muß sein eigenes machen. Wenden w i r uns wieder den Fällen zu.

10 Der alte Gerichtshof u n d der New Deal Machte sich das Bundesgericht i m Spätherbst 1932 eine Vorstellung darüber, was geschehen sei? Einige der Richter, so Brandeis, Stone und Cardozo bestimmt. Auch Präsident Hughes. Vielleicht auch Roberts. Aber die anderen, Van Devanter, McReynolds, Sutherland und Butler scheinen überrascht worden zu sein. Wenigstens dachten sie, es würde vorübergehen. Jedenfalls hatten alle, und besonders der Präsident, ein schwieriges Stück der Staatskunst vor sich, schwieriger als irgendeiner ihrer Vorgänger. Marshall? Marbury gegen Madison war eine akademische Frage. Taney? Der Fall Dred Scott war hoffnungslos. Eine einzige Person könnte wirklich darüber berichten und das ist Hughes. Er lebt jetzt im Ruhestand, und vielleicht werden w i r eines Tages etwas darüber hören. 1928, vier Jahre zuvor, hatte er Vorträge über das Oberste Bundesgericht gehalten und gesagt: „Vieles, was ich gerne sagen möchte, muß verschwiegen werden." Wieviel mehr könnte er uns jetzt erzählen! Der Gerichtshof war gespalten 4 : 4 : Van Devanter, McReynolds, Sutherland und Butler gegen Hughes, Brandeis, Stone und Cardozo. Ohne bestimmte Stellung war Roberts. Van Devanter war der älteste von den fünf. 77 Jahre alt. Geboren in Indiana, war er mit 25 Jahren nach Wyoming gekommen, wo er i n der Staatsgesetzgebung tätig war und mit 30 Jahren Vorsitzender des Obersten Gerichtes wurde. Ungefähr ein Jahr später gab er die Rechtsprechung auf, da er nur Holzhändler, Viehzüchter und die Union Pacific-Eisenbahn als Klienten hatte. Als Mitglied des republikanischen Komitees kehrte er 1896 in die Politik zurück und half McKinley und Gold gegen Bryan und Silver. 1903 berief ihn Roosevelt an das Bundesbezirksgericht, und sieben Jahre später, 1910, wurde er von Taft i n das Oberste Bundesgericht aufgenommen. Ein

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gelehrter und geschickter Rechtsberater, mit großer politischer Erfahrung als Republikaner. Taft schrieb über ihn an seine Tochter Helene: „Meine Stütze i m Bundesgericht", und in der Versammlung sagte er: „bei weitem der wertvollste Mann im Gerichtshof" 8 9 . McReynolds war 74 Jahre alt. Er kam aus Tennessee, wo er ohne Erfolg als Demokrat für den Kongreß 1896 kandidierte. Dann wurde er Professor an der Vanderbilt-Universität. Nachher Rechtsanwalt in New York. Als 2. Staatsanwalt führte er die Anklage gegen den Tabaktrust. Wilson machte ihn zum Generalstaatsanwalt (an Stelle von Brandeis) 1913 und berief ihn 1914 an das Bundesgericht. Taft schrieb über ihn: „ E r ist beständig schlechter Laune und scheint sich daran zu erfreuen, andere auch dazu zu bringen. Immer ist er beleidigt, weil der Gerichtshof irgend etwas tut, was er für würdelos h ä l t " 0 0 . Auch Sutherland war 74 Jahre alt. Sein englischer Vater brachte ihn i m frühen Kindesalter nach Utah, und dort wuchs er in die Juristerei, aber auch i n die P o l i t i k hinein. Nach einigen Jahren in der Gesetzgebung des Staates ging er nach Washington, zuerst in den Kongreß, dann in den Senat als Kollege von Smoot. 1912 Anhänger von Taft, 1918 Präsident der Juristenvereinigung (Bar Association), 1920 Harding nahestehend. Harding berief ihn 1922 an das Bundesgericht, als er i m Senat nicht wiedergewählt wurde. E i n gewissenhafter, gelehrter Jurist und ein Politiker mit gründlicher republikanischer Erfahrung. Butler, Ire und Katholik, war 70 Jahre alt. A m St. Patrickstag wurde er auf einer Farm in Minnesota geboren, von wo er sich zu einem sehr erfolgreichen Rechtsanwalt emnorarbeitete. Er ist Jurist, nicht Politiker. Er wurde von Harding 1922 an das Bundesgericht berufen im scharfen Wettstreit gegen Senator Norris. 1929 schrieb Präsident Taft an den Richter Butler: „ W i r können nur auf die Lebensdauer der jetzigen Mitglieder rechnen, um eine verderbliche Wendung unserer gegenwärtigen Lage zu verhindern. M i t Van und Mac, Sutherland, Ihnen und Sanford, werden es fünf sein, die das Boot i n Kurs halten. W i r dürfen nicht ausfallen" 9 1 . 1930, i m nächsten Jahr, zog sich Taft zurück, und Hughes übernahm an seiner Stelle den Vorsitz. Sanford starb im März 1930, und Roberts folgte ihm nach. Aber Van und Mac, Sutherland und Butler hielten auch weiter „das Boot i m Kurs".

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Roberts war zu jener Zeit nur 61 Jahre alt, der jüngste von ihnen allen. I n Philadelphia geboren, wurde er Professor des Rechts an der Universität Pennsylvania von seinem Abgang von der Universität i m Jahre 1896 ab bis 1919. Dann 2. Staatsanwalt in Philadelphia. Als Coolidge die Ölprozesse aufgriff, beauftragte er Roberts mit der Vertretung der Anklage. 1930 berief ihn Coolidge an das Oberste Bundesgericht, als die Ernennung von Parker vom Senat abgelehnt worden war. Ein weithin bekannter Jurist und nur das. Die anderen vier waren Hughes, Brandeis, Stone und Cardozo. Der Vorsitzende Hughes war 75 Jahre alt. 1906 war er Gouverneur in New Y o r k gewesen, nachdem er eine Untersuchung gegen betrügerische Versicherungsgesellschaften erfolgreich geführt hat. Er wurde zuerst 1910 durch Präsident Taft an das Bundesgericht berufen. 1916 trat er zurück, um gegen Wilson zu kandidieren. Fast mit Erfolg. Unter Harding und unter Coolidge war er Staatssekretär, dann Präsident der Juristenvereinigung (Bar Association) 1924—1925. Hoover übertrug ihm 1930 den Vorsitz des Obersten Bundesgerichtes. Brandeis war mit 80 Jahren der Älteste. Ehe er durch Wilson 1916 an das Bundesgericht berufen wurde, war er ein energischer und erfolgreicher Rechtsanwalt in Boston gewesen. Seine Ernennung erfolgte gegen die scharfe Opposition der Mehrheit, darunter Root, Taft und fünf andere ehemalige Präsidenten der Juristenvereinigung. Seine Gerichtstätigkeit ist nicht so bedeutend, doch ist er der Schöpfer der Rückversicherung für Depositenbanken und Schöpfer von „Factual Brief". Er ist ein warmer Freund des Volkes und, wie Holmes sagte: „So oft er mein Haus verließ, sagte ich zu meiner Frau: da geht ein wirklich guter M a n n " 9 2 . Stone war 64 Jahre alt. Er ist zwar in New Hampshire geboren, aber seiner Tätigkeit nach ein New-Yorker. Ungefähr 13 Jahre lang war er Dekan der Columbia-Universität, dann gehörte er eine Zeitlang der großen Firma Sullivan und Cromwell i n New York an. 1924 war er Generalstaatsanwalt für den Präsidenten Coolidge, der ihn 1925 an das Bundesgericht berief. Auch über ihn äußerte sich Taft: „ E i n vielseitiger, gelehrter Jurist, dessen Urteilen ich jedoch nicht so ganz traue. I n vielen unserer Verfassungsschwierigkeiten hat er sich endgültig auf die Seite von Brandeis und Holmes geschlagen." Er sollte nach Hughes den Vorsitz eines ziemlich stürmischen Gerichtshofes übernehmen und 1946 mitten in der Arbeit sterben.

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Cardozo war 66 Jahre alt. Er stammte aus New Y o r k und war zuerst Richter an den unteren Gerichten von New York, dann 1940 am höchsten Gericht. Durch einen republikanischen Gouverneur ernannt, wurde er später gewählt. Vorsitzender von 1924—1932, wurde er an das Oberste Bundesgericht durch Hoover — auf Wunsch von Norris und Borah — als unser hervorragendster Richter und Jurist berufen. Nur ein scharfsinniger Kenner des Hintergrundes, des Charakters und der Herkunft hätte die Linie vorhersagen können. Über das Alter gegen die Jugend läßt sich reden, aber das Durchschnittsalter jeder Gruppe war das gleiche: ungefähr um 70 herum. Der Jüngste, Roberts, ging mit dem Ältesten, Brandeis. Auch politisch war nichts vorherzusagen, wenn man nach ihren Ernennungen geht. Es gab einen Kandidaten von Wilson und einen von Coolidge auf beiden Seiten. Harding hatte Sutherland und Butler berufen, aber Hoover hatte Cardozo berufen und Hughes zum Vorsitzenden gemacht. Die Politik hatte also wenig damit zu tun. Hoover sagte 1936 zu dem republikanischen Konvent: „Überlegen Sie, was geschehen wäre, wenn Herr Roosevelt im ersten Jahr seiner Verwaltung genügend Richter an das Oberste Bundesgericht hätte berufen können." Etwas geschah jedenfalls innerhalb weniger Monate, ehe Roosevelt überhaupt jemanden berief. Was war nun der gemeinsame Nenner in diesen so weit auseinandergezogenen Gruppen? Van Devanter, MacReynolds, Sutherland und Butler waren alle hervorgewachsen und emporgestiegen aus dem Grenzerleben der Pioniere. Das war i h r Amerika, das sie liebten. Wenn ein Mann so aus dem Nichts emporsteigt und eine große Laufbahn, Vermögen oder beides erringt, dann muß er die Gesellschaft, in der er lebt, für die denkbar beste halten. I m besten und gesündesten Sinne ist er ein Konservativer. I n seiner Gedenkrede für Butler drückte das Francis Biddle gut aus 9 3 : „ E r war i n einer Schule aufgewachsen, die noch nicht an den vielleicht übereinfachen Begriffen zu zweifeln gelernt hatte — laissez- faire — Individualismus, freier Wettbewerb. Diese Dinge waren bezeichnend für Amerika. Auf diesem Weg war er nach oben gekommen, und der Mißerfolg anderer schien ihm mehr auf persönliche Mängel als auf Mißstände in der Wirtschaft zurückzugehen. Die Grenzen waren offen. Erfolg stand am Ende jeder geraden Bahn." Elisabeth Cobb sagte: „Es erscheint mir oft seltsam, daß der aus eigener K r a f t

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Emporgestiegene zum großen Reaktionär wird. Er scheint zu fürchten, daß die ihm bekannte Welt, i n der er seinen Weg machte, jemals sich ändern könnte. Vielleicht ist es eine Notwendigkeit, daß alle erfolgreichen Männer Egoisten sind. So ist ihnen der Gedanke an eine Welt, die sie nicht beherrschen können, unerträglich. Da sie jedoch nicht mehr jung genug sind, um die Herrschaft über eine neue Welt zu erringen, empfinden sie Haß und Furcht dagegen" 94 . Die anderen fünf hatten ihren eigenen Aufstieg, aber nicht im selben Kreis, Brandeis i n Boston, Roberts in Philadelphia, Hughes, Stone und Cardozo alle in New York. I m ganzen genommen war es das B i l d eines Gerichtshofes. Alle waren Juristen, einer Mitglied des Komitees, zwei Staatsanwälte, einer Senator, einer Gouverneur, Präsidentschaftskandidat und Staatssekretär, einer einfacher Richter und drei einfache Anwälte. Alle hatten sie Erfahrung in der Politik. Ungefähr so hatte das Bundesgericht von Anfang an ausgesehen. V o n 1933—1934, den beiden ersten Jahren des New Deal, schien das Bundesgericht dem New Deal ganz friedlich gegenüberzustehen. I m Januar 1934 wurde sogar in einem Urteil das Minnesota Moratorium für verfallene Hypotheken unterstützt 9 5 . Später, im gleichen Jahr, machte das Bundesgericht sogar eine wohlwollende Miene zu der Preisgesetzgebung. I m Nebbia-Fall 9 6 billigte das Bundesgericht das New-Yorker Milchkontrollgesetz. Das Urteil ermutigte die Liberalen und brachte ihnen die Meinung bei, daß sich endlich die Linie Holmes-Brandeis-Cardozo juristisch durchgesetzt habe. Ja, es nahm ihnen jede Vorsicht. I m Urteil über Ne'bbia, das Roberts niederschrieb, äußerste sich das Bundesgericht: „Soweit es dem geordneten gerichtlichen Verfahren entspricht, und wenn keine andere Einschränkung durch die Verfassung vorliegt, kann ein Staat jede Wirtschaftspolitik durchführen, von der vernünftigerweise die Förderung des Wohlstandes erwartet werden kann." Aber Van und Mac, Sutherland und Butler steuerten den Kurs. Sie mußten widersprechen. Roberts hatte sich noch nicht zu ihnen gesellt. Von den beiden ersten Entscheidungen gegen den New Deal werden wir die eine aufschieben und die andere überspringen. W i r schieben den Fall Hot Oil auf, der im Januar 1935 vor Gericht k a m 9 7 . Wir überspringen die Gold-Klauselfälle 9 8 , wo schlechter Essig aus der Verfassung mit gutem Olivenöl der Rechtsprechung gemischt

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wurde. Nur ein sehr guter Jurist kann das Ergebnis würdigen oder gar das Rezept verstehen. Das Bundesgericht erklärte, daß der Kongreß nach der Verfassung den Goldgehalt des Dollars nicht verringern dürfe. Er fügte jedoch hinzu, daß nach den Schadenersatzregeln kein Verlust angemeldet werden könne, wenn die Zahlung in neuen Dollars erfolge. Als Jackson diesen Sommer nach Europa fuhr, stellten ihm schwedische Juristen und Bankleute einige Fragen, über die er in seinem Buch Der Kampf um die richterliche Oberhoheit berichtet. „Wie könnt I h r Amerikaner Euer Geldsystem und Eure Wirtschaftspolitik vom Ergebnis eines Prozesses zwischen Privatparteien um eine Summe von 15,60 Dollars abhängig machen? Wie konnte sich über V/2 Jahre lang das amerikanische Geschäft vernünftig entwickeln, solange grundlegende Fragen vor dem Gerichtshof schwebten? Warum konnte man sich nicht mehr mit der Antwort beeilen? Warum konnte eine Mehrheit Eures Bundesgerichtes bezwecken, daß ein Privatvertrag zwischen zwei Bürgern die Nation daran hindern solle, ihre Geldpolitik zu ändern? Und wieso sollten Richter über dem nationalen Parlament, dem Präsidenten, dem Schatzamt und der ganzen Regierung stehen in einer für das Wirtschaftsleben so wichtigen Frage?" Jackson sagte ihnen, daß sie kein Verständnis für unsere juristische Tradition hätten und ließ sie unbefriedigt zurück. W i r wollen mit der Entscheidung über die Eisenbahnpensionen anfangen, die 1935 getroffen wurde. Robert schloß sich den Vieren an und schrieb die Urteilsbegründung. Seine Worte sind eine gute Einführung, denn sie spiegeln die Haltung gegen die soziale Gesetzgebung im allgemeinen wider.

Eisenbahnpensionen Pensionssysteme für Eisenbahner waren 1934 ein halbes Jahrhundert alt. 1910 fiel die Hälfte der Eisenbahnbeamten darunter, 1927 vier Fünftel. Die Systeme waren alle durch die Eisenbahnlinien selbst eingerichtet worden. Jede Linie hatte ihr eigenes System, nach eigenem Gutdünken, unter eigener Kontrolle. Jedes konnte aufgehoben werden, wann die Linie es wünschte. 1934 schlug der Kongreß ein einheitliches Zwangssystem für alle zwischenstaatlichen Linien vor. Da über eine M i l l i o n bei den

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Eisenbahnen beschäftigt waren, war das ein großes Vorhaben. Der Kongreß berief sich dabei auf sein Recht, den zwischenstaatlichen Handel zu regeln, und darauf, daß die freiwilligen Systeme der Eisenbahnen nicht genügten. Herr Eastman, der Kommissar für die Transportregelung war, kann das bezeugen. Nach seiner Ansicht waren die freiwilligen Systeme erfahrungsgemäß unbefriedigend; durch die Depression traten ihre vielen Schwächen und Unsicherheiten klar ans L i c h t " . Der Plan des Kongresses ging dahin: Alle zwischenstaatlichen Linien wurden als ein großer Unternehmer behandelt. Jede Linie hatte einen Beitrag an eine Kasse zu leisten, die beim Schatzamt errichtet und durch einen vom Präsidenten ernannten Aufsichtsrat verwaltet werden sollte, und zwar 2 % aus den Löhnen und das Doppelte durch den Unternehmer. Aus dieser Kasse sollten die Pensionszahlungen geleistet werden. 134 Eisenbahnlinien, zwei Expreßgesellschaften und die Pullman-Gesellschaft strengten in Columbia einen Prozeß dagegen an, mit der Behauptung, daß das Gesetz verfassungswidrig sei und legten Verwahrung gegen seine Einführung ein. I m Hinblick auf „die Wichtigkeit einer baldigen und endgültigen Entscheidung" griff das Oberste Bundesgericht die Frage auf. Die Verhandlung begann im März 1935, und zwei Monate später wurde die Entscheidung verkündet, daß das Gesetz der Verfassung widerspräche. 5 zu 4. Roberts arbeitete die Begründung der Mehrheit i m Namen des Gerichtshofes aus, Hughes das abweichende V o t u m 1 0 0 . Die Eisenbahnen fochten das Gesetz aus zwei Gründen an. Der eine richtete sich gegen die Gültigkeit des Gesetzes, weil es sich dabei nicht um eine Regelung des Handels, sondern einfach um soziale Gesetzgebung handele. A u f der anderen Seite wurde dieses besondere Gesetz angegriffen. Viele seiner Vorschriften widersprachen dem ordentlichen Gerichtsverfahren, besonders die Vorschrift einer gemeinsamen Kasse, weil dadurch eine Eisenbahn die Pensionen für die Angestellten der anderen bezahlen müsse. Roberts befaßte sich zuerst mit dem ordentlichen gerichtlichen Verfahren und erklärte das Gesetz aus diesem Grund für ungültig. Dann wandte er sich der anderen Begründung zu und stellte fest, daß keine Regelung des Handels vorliege. Alles weitere war gar nicht mehr nötig. Wenn der Plan ungültig war, weil er durch den Kongreß schlecht entworfen war, dann

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brauchte der Gerichtshof nichts mehr darüber zu sagen. Dann war es mehr als überflüssig, fortzufahren und dem Kongreß jedes Recht für ein Gesamteisenbahngesetz abzusprechen. Das war ein Gutachten, das niemand, außer vielleicht dem Rechtsanwalt der Eisenbahnen, vom Gerichtshof verlangt hatte. Darin lag, nach Hughes und der Minderheit, die ernsteste Seite der Angelegenheit: „ D i e Entscheidung begnügt sich nicht einfach mit einer Verurteilung einzelner Bestimmungen des Pensionsgesetzes, sondern sie versagt dem Kongreß das Recht, überhaupt ein zwingendes Eisenbahnpensionsgesetz einzuführen. Würde sich das Urteil damit begnügt haben, gegen einige Vorschriften im Gesetz vorzugehen, die die Mehrheit für untragbar hält, so stünde es dem Kongreß frei, diese Einwände durch einen neuen Entwurf zu beseitigen. Aber die Mehrheit errichtet nach Besprechung dieser Einzelheiten eine Schranke, wonach die Frage selbst der Macht des Kongresses, den zwischenstaatlichen Handel zu regeln, entzogen wird. So kommt es dazu, daß nach dieser Entscheidung der Kongreß niemals eine solche Maßnahme einbringen könnte, auch dann nicht, wenn sich das Gesetz in noch so angemessenen Grenzen halte, nach Personenzahl und Höhe der Pension, wenn der Plan finanziell noch so gesund und die Lasten noch so gerecht verteilt seien. Das ist eine Schlußfolgerung von so ernster und weitreichender Bedeutung, daß dadurch alle anderen Fragen in den Schatten gestellt werden. Ihre Besprechung w i r d damit überhaupt überflüssig." Überflüssig für die Entscheidung und für Hughes, aber nicht für uns. Die Klausel in der Verfasung lautet: „ Z u r Regelung des Handels unter den einzelnen Staaten." Nun dienen ja Eisenbahnen offenbar „dem Handel", und zwischenstaatliche Linien verkehren „zwischen den verschiedenen Staaten". Was Roberts verneinte, war, daß Pensionen Regelungen seien. Sicherheitsvorkehrungen waren gefordert worden. Beschränkungen der Arbeitsstundenzahl waren Vorschrift geworden, eine normale Tagesleistung war aufgestellt worden. Die Unfallversicherungspflicht der Eisenbahnen war eingeführt worden. Man hatte Vorsorge getroffen für die Schlichtung von Streitfällen. Die Arbeitnehmer hatten Organisationsfreiheit erhalten. Alle diese Regelungen hatten der Verfassung entsprochen, aber ein zwangsläufiges Pensionssystem war keine Regelung?

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Die erste A n t w o r t der Regierung durch ihren Generalstaatsanwalt war: Die Pensionen seien deshalb eine Regelung des zwischenstaatlichen Handels, weil durch sie die Eisenbahnen besser liefen. Die Linien könnten dadurch leichter überalterte Angestellte pensionieren. Herr Eastman, der Kommissar für die Transportregelung, hatte festgestellt, daß das Eisenbahnpersonal sehr überaltert sei: „ I m Dienst ergraute Männer nehmen an Arbeitsfähigkeit ab. Die gezahlten Löhne entsprechen nicht den geleisteten Diensten. Es gibt eine ganze Menge i m Dienst gealterter Eisenbahner, die im Interesse des Dienstes pensioniert werden sollten 1 0 1 ." Roberts widersprach dem einfach. Die Tatsachen bewiesen nicht, so sagte er, daß ältere Männer unfähig seien, ganz i m Gegenteil. Eisenbahnkatastrophen seien in den letzten zehn Jahren seltener geworden; der Durchschnitt der Unfälle unter dem Personal habe abgenommen; die Durchschnittsgeschwindigkeit sei in den letzten fünf Jahren von 11 über 15 Meilen gestiegen. Roberts behauptete, daß unwiderlegbare Statistiken eine stete Zunahme an Sicherheit und Leistungsfähigkeit zeigten 1 0 2 . Hughes entgegnete für die Minderheit: „Diese erfreuliche Tatsache besagt nicht, daß weitere Verbesserungen nicht notwendig oder erreichbar seien. Ein gesunder Pensionsplan ist auf alle Fälle ein bedeutender Gewinn für die Leistungen der Eisenbahn. Mindestens ist die Frage nach Ausmaß und Wirkung der Überalterung zu diskutieren, und daher war der Kongreß berechtigt zur Gesetzgebung 1 0 3 ." Dagegen Roberts: „Wenn die Verbesserung der Leistung, der Sparsamkeit und der Sicherheit die Auschaltung alter Angestellter erfordert, dann genügt ihre Zurückziehung aus dem Dienst zur Erreichung dieses Zweckes. Die Vorschrift einer Pension für die Ausscheidenden ist für diese Frage nicht von Bedeutung. Die Regierung ist sich dieser Tatsache bewußt, und deshalb sucht sie sie zu umgehen, indem sie sich auf die sozialen und menschlichen Erwägungen beruft, welche die Unterstützung des ausscheidenden Angestellten fordern." M i t anderen Worten: da der Kongreß nach der Verfassung von den Eisenbahnen die Entlassung ihrer Angestellten i m Alter von 65 Jahren verlangen könne, entspricht es der Verfassung, für sie eine Pension festzusetzen.

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Hughes griff das auf: „ W i e festzustehen scheint, kann der Kongreß die Ausschaltung überalterter Angestellter erzwingen. Ein Entlassungsgesetz könnte zu diesem Zwecke verabschiedet werden. Und dann kein Pensionsplan? Nach dieser Auffassung wäre die Macht der Regierung darauf beschränkt, die Entlassung der Angestellten von den Eisenbahnen zu verlangen, auch wenn sie damit hilflos auf die Straße geworfen würden, ohne eine vernünftige Vorsorge 1 0 4 ." I m Hinblick auf „die sozialen und menschlichen Erwägungen", auf welche sich Roberts bezog, redeten sie aneinander vorüber. Roberts wies wohl auf solche Erwägungen von Seiten des Kongresses hin. Dann wären sie natürlich keine geeignete Grundlage für die Ausübung eines Rechtes gewesen. Aber ich glaube nicht, daß die Regierung das zum Ausdruck bringen wollte. Sie verlangte eine soziale und menschliche Einstellung von Seiten der Eisenbahnen, nicht des Kongresses. Man kann sich auch nicht dazu entschließen, diese Einstellung für bedeutungslos zu erklären. Wenn eine Eisenbahnlinie i m Zweifel ist, ob sie einen alten Angestellten herauswerfen soll, dann fällt ihr dies sicherlich leichter, wenn er pensioniert werden kann. Wenn der Kongreß das Recht hat, die Entlassung alter Eisenbahner zu verlangen, wie Roberts selbst zugibt, dann hat er gewiß auch das Recht, darauf zu sehen, daß es auf menschlich anständige Weise geschieht. Roberts verwechselte die menschlichen Gefühle bei anderen mit den eigenen, zwei ganz verschiedene Dinge. Der nächste Einwand der Regierung war, daß Pensionen die Moral verbesserten. Wie die Regierung vorbrachte, hatten fast alle Verkehrsunternehmen einen freiwilligen Pensionsplan angenommen, und zwar aus zwei Gründen. Einmal erhofften sie die Schaffung von Loyalität. Dann wollten sie eine langjährige Dienstzeit im gleichen Unternehmen begünstigen. Das alles waren Geschäftsgründe. Der Kongreß forderte Pensionen aus den gleichen Geschäftsgründen, nach welchen die Eisenbahnen selbst sie freiwillig gewährt hatten. Roberts wandte dagegen ein: „ W e n n die Absicht bei diesen freiwilligen Pensionsplänen die Schaffung von Loyalität gegen den Unternehmer und langjährige Dienstdauer waren, dann können wir folgendes erwarten: Die Abschaffung des freiwilligen Charakters und die Auferlegung in einer vom Kongreß bestimmten Form für alle Angestellten, ohne Rücksicht auf die Länge ihrer Dienstzeit oder

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der Dienstzeit beim gleichen Unternehmer, w i r d jeden Sinn für Loyalität oder Dankbarkeit dem Arbeitgeber gegenüber ausschalten und jeden Antrieb beseitigen, im Dienst eines bestimmten Unternehmens auszuharren 1 0 5 ." Nach Roberts wäre es also der sicherste Weg, „staatliche Freigebigkeit an die Stelle von privater Großzügigkeit zu setzen, wenn man die Loyalität in Privatunternehmungen zerstören wolle. So würde die Sucht nach Pensionen in die Kongreßhallen verlegt, und die Treue gegen den Arbeitgeber würde i n Dankbarkeit gegen die Gesetzgebung verwandelt 1 0 6 ." Die Eisenbahnlinien, welche schon Pensionen angenommen hatten, handeln nicht aus Wohltätigkeit, sondern aus Geschäftsgründen. Wenn das so ist, warum kann dann der Kongreß nicht allen das gleiche System auferlegen? Wenn es für sie ein gutes Geschäft ist, warum ist es dann keine gute Regelung für den Kongreß? Was ist der Unterschied? Die „Treue oder Dankbarkeit", welche die Eisenbahnlinien mit Hilfe der freiwilligen Pensionen erzielen, entspringe nur dem Prinzip der Freiwilligkeit. Wenn die Angestellten wissen, daß die Unternehmer so handeln müssen, dann verwandele sich die Treue für den Arbeitgeber in Dankbarkeit für den Kongreß. Aufrechter Dank w i r d zur blassen Höflichkeit, Wertschätzung zum Kompliment. Man muß zugeben, daß da etwas nicht stimmt. Der vorbereitende Generalstaatsanwalt beschäftigte sich mit dem Gefühl der Sicherheit, das auf den Pensionen beruhe und das für den Eisenbahndienst nützlich sei. Gewiß, sagte er, hängt dieses Gefühl der Sicherheit nicht davon ab, wer die Pensionen verleiht, oder ob sie freiwillig oder zwangsläufig ausgezahlt werden. Warum sollte es dann keine geeignete Grundlage für eine Regelung durch den Kongreß darstellen?, so fragte er. Roberts entgegnete hierauf: „ W i e die Regierung zugeben muß, liegt der Schwerpunkt ihrer Argumente darauf, daß Zufriedenheit und Sicherheit die Hauptzwecke des Gesetzes sind. W i r können nicht einsehen, daß diese Ziele Treue und Dienstleistung fördern, wenn sie durch Gesetz erzwungen sind, statt freiwillig vom Arbeitgeber gewährleistet zu werden. W i r sehen uns gezwungen zu erklären, daß ein so auferlegter Pensionsplan mit der eigentlichen Regelung des zwischenstaatlichen Verkehrswesens nichts zu tun hat. Es handelt sich um soziale Zwecke, wodurch von oben her nichtvertragliche Be-

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Stimmungen in die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer eingefügt werden. Das ist keine Frage der Handelsbeziehung und keine Regelung des Verkehrswesens zwischen den Staaten, sondern ein Mittel zur Altersversicherung einer bestimmten Klasse von Angestellten 1 0 7 ." Hughes erwiderte einfach, daß „die Hauptgrundlage dieser A r t von Gesetzgebung die Pflicht der Industrie sei, mit ihrem Menschenmaterial sorgfältig umzugehen im Fall einer Schädigung durch Unfall oder Alter. Diese Ansicht kann man nicht als willkürlich oder launenhaft abtun. Sie entspricht einer begründeten Überzeugung, welche auf reichlichen Erfahrungen beruht. Der Ausdruck dieser Überzeugung i m Gesetz ist die Regelung." Der Blitz des Unfalls und die langsame Abnützung des Alters. Für Roberts und die vier anderen waren Pflege, Erhaltung und Vorsorge nur für das Alter eine Sache für Buchhalter. Lebten sie noch im Zeitalter der industriellen Revolution i n England und beteten sie die Hymnen von Isaac Watts nach oder in den Pioniertagen der amerikanischen Wirtschaft? Jedenfalls ist es 19. Jahrhundert, und da müssen wir sie auch zurücklassen. Es gibt zwei falsche Wege, das Verfassungsrecht zu behandeln. Der eine ist die Meinung: Es entspricht der Verfassung, deshalb ist es recht. Das ist ja nicht dasselbe wie die Ansicht: Es entspricht der Verfassung und deshalb kann es nicht falsch sein. Um nicht falsch zu sein, braucht es noch lange nicht wirklich recht zu sein. Denn es gibt viele Stufen des Rechthabens. Wenn etwas nicht falsch ist, dann steht es erst auf der alleruntersten Stufe. Die Verfassung schreibt nicht die allerbeste Handlungsweise vor. Das bleibt dem Kongreß überlassen. Alles, was die Verfassung sagt, ist: Wenn es der Verfassung widerspricht, dann ist es unrecht. Der andere falsche Weg ist die Haltung der Mehrheit in dieser Frage. Sie kamen der Folgerung sehr nahe: es ist falsch, deshalb ist es gegen die Verfassung. W i r können annehmen, daß sie mit der Überzeugung begannen, das Gesetz sei falsch. Der Gedanke faßte Fuß und, ehe sie es selbst wußten, wurde er zur Hauptvoraussetzung. Es ist falsch, so sagte sich die Mehrheit, die Eisenbahnen zu etwas zu zwingen, was sie selbst sehr wohl tun können und tun. Wenn es falsch ist, dann muß es gegen die Verfassung sein. Vielleicht waren sie sich gar nicht klar, welche Übermacht für sie der Gedanke gewonnen hatte. Nun

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mußten sie ihn auch irgendwie begründen und sie fanden nichts besseres, als den Unterschied zwischen freiwilligen und zwangsläufigen Pensionen. Nach ihrer Hauptvoraussetzung war das nicht einmal ein schlechtes Argument. Der Kongreß ließ sich natürlich nicht überzeugen. Das Urteil des Obersten Bundesgerichtes wurde i m Mai 1935 verkündet. A m 29. August brachte der Kongreß zwei Gesetze am gleichen Tag ein. Sie liefen unter dem Namen „Doppelgesetze 44 . Nach seinem Inhalt war das eine eine Wiederaufnahme der Pensionen, die jetzt weder von den Eisenbahnen noch von den Angestellten bezahlt werden sollten. Sie flössen alle aus dem Schatzamt. Nach dem Wortlaut des Gesetzes wurde von den Linien nur „erwartet 4 4 , daß die Pensionen nicht unter die Höhe der gesetzlichen herabsinken sollten. Dagegen konnte nicht gut etwas eingewendet werden. Das andere Gesetz hieß Eisenbahnsteuergesetz von 1935. Es auferlegte den Eisenbahnern eine „Einkommensteuer 4 4 , die den Prozenten des alten, jetzt hinfälligen Gesetzes entsprach und aus ihren Gehältern abgezweigt wurde. Zu gleicher Zeit wurden die Eisenbahnlinien mit einer „Akzisensteuer 44 in derselben Höhe belegt. Beide waren an das Schatzamt abzuführen als „ i m Innern gesammelte Einkünfte 4 4 . Was konnte man darin unrichtig finden? Der Kongreß hatte das Besteuerungsrecht. War es vielleicht zu geschickt? Zu durchsichtig? Gewiß war es kein sehr ehrlicher oder würdiger Weg der Gesetzgebung. Aber auch die Urteilsbegründung des Gerichtshofes war nicht auf der Höhe gewesen. Was würde das Bundesgericht mit diesem Doppelgesetz angefangen haben? Das können wir erraten aus der A r t und Weise, wie das A. A. A. behandelt wurde, aber man fand niemals Gelegenheit dazu. Die Gültigkeit dieser Doppelgesetze wurde keinem Gericht vorgelegt bis 1942, und dann kamen sie als wiederaufgenommene Gesetze vor das Appellationsgericht des Bezirkes California. Dort wurden sie durch Richter William Denman mit grimmigem Humor behandelt 1 0 8 . Richter Denman sagte: „ I m Falle der Eisenbahnpensionsbehörde gegen Alton-Eisenbahngesellschaft stellt die Mehrheit tatsächlich folgendes gerichtlich fest: „Der Kongreß von 1934 kann nicht behaupten, daß die Eisenbahner auf die Sicherung ihrer Stellung gegen Arbeitslosigkeit, Unfall oder Alter Wert legten oder daß ihr Diensteifer dadurch irgendwie erhöht werde. Offenbar war das

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Bundesgericht der Meinung, daß die Moral nur gehoben werde, wenn eine Pension durch die ,Großzügigkeit 4 des Unternehmers verliehen werde. Die vier Richter auf der Gegenseite hatten aber genügend Kenntnis von der Gesinnung der Eisenbahner, um die gerichtlichen Feststellungen der Mehrheit zurückzuweisen." „Vermutlich hat es i n der Geschichte der Gesetzgebung niemals eine Zeit gegeben, i n der die Anschauungen und Motive der Arbeiter gründlicher erforscht wurden, als bei der Einbringung und Ergänzung der Arbeitsgesetze und ihrer Beratung in den drei Jahren zwischen dem ersten und dem dritten Eisenbahnpensionsgesetz. Das Konzept des Kongresses über die Auswirkung eines Zwangspensionsgesetzes konnte sich von 1934 auf 1937 verändert haben. Seine oben dargelegte Meinung von 1937 über das Gesetz stößt den Fall A l t o n nicht um und verletzt nicht das Verharren bei gefaßten Entscheidungen (stare decisis). Jede Entscheidung ruht auf verschiedenen Tatsachen, die auf alle Fälle Tatsachen bleiben, ob juristisch festgestellt oder nicht. Nach unserer gegenwärtigen Kenntnis der Arbeitermentalität stellen wir gerichtlich fest, daß der Entwurf den zwischenstaatlichen Eisenbahnern gerecht wird und damit das Eisenbahnpensionsgesetz von 1937 gegen den Vorwurf sichert, es entspräche nicht der Verfassung, weil es nicht dem zwischenstaatlichen Handel diene. Die Erfahrung hat gezeigt, daß die Loyalität der Eisenbahner auf die Organisation gerichtet ist, an der sie mitarbeiten. Die Treue charaktervoller Männer gilt in erster Linie dem Dienst, dem sie sich mit Leib und Seele verschrieben haben. Ihre Loyalität gegen den „Arbeitgeber" ist der Anhänglichkeit untergeordnet, die sie für ihre Organisation als allumfassende Gesamtheit empfinden. Die Loyalität für den Arbeitgeber schwindet um so mehr dahin, je mehr sie fühlen, daß er nicht einer der Ihren ist. Die Treue des Arbeitnehmers für einen entfernten Präsidentschaftskörper oder für einen Aufsichtsrat unter Bankenkontrolle ist praktisch nicht vorhanden. Einer der Hauptbeweggründe, Männer von hohen Charaktereigenschaften in eine solche Organisation zu ziehen und sie dort festzuhalten, ist die Gewißheit, daß diese lebendige Gesamtheit, der sie angehören, ihnen und den Ihren ein ruhiges Alter sichert. A u f einen Mann von diesen Charaktereigenschaften und auf seine Diensttreue übt die Sicherstellung einer Pension mehr Einfluß aus, wenn sie eine Auswirkung

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seiner Organisation ist, als wenn sie auf der ungewissen und unsicheren Freigebigkeit des Unternehmers ruht."

Das N. R. A. (National Recovery Act) Man w i r d sich erinnern, wie Roosevelt bei seiner Amtsübernahme in seiner Antrittsrede März 1933 vom Kongreß „ausgedehnte Exekutivgewalt für den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit als eine ebensogroße Gefahr, wie der Einfall einer fremden Macht", verlangte. Auch den damaligen Notstand w i r d niemand vergessen haben. Fast ein D r i t t e l der Werktätigen arbeitslos, das nationale Einkommen auf die Hälfte gesunken, keine Einkäufe, keine Verkäufe, kein Gewinn, kurz nationaler Bankrott mit, wie Stuart Chase sagte, der Bundesregierung als Konkursverwalter 1 0 9 . Zwei Monate später verlangte Roosevelt vom Kongreß „den Apparat für eine große gemeinsame Bewegung durch die ganze Industrie zur Aufhebung der Arbeitslosigkeit". Das nationale Gesetz zum Wiederaufbau der Industrie wurde am 16. Juni 1933 schnell eingebracht. Bei seiner Unterzeichnung sagte Roosevelt: „ I n der Geschichte w i r d es wahrscheinlich weiterbestehen als das wichtigste und weitreichendste Gesetz, das der amerikanische Kongreß je einbrachte." Der Plan des N. R. A. für die Industrie unseres Landes kann nur mit den Kriegsplänen von 1917 und von 1941 verglichen werden. Während des Friedens kann eine so große Arche nicht zum Schwimmen gebracht werden. Nur i m Krieg ist die Strömung der gemeinsamen Bewegung groß genug, um den Berg Ararat zu überfluten. Jede Industrie bekam ein Gesetzbuch (code). Handelskammern, Gewerkschaften, führende Persönlichkeiten aller A r t und eine Menge anderer wurden zusammengebracht, und durch Zusammenarbeit und Überlegung arbeiteten sie ein Gesetzbuch aus. Wenn sie den Präsidenten nicht befriedigen wollten oder konnten, dann war im Gesetz vorgesehen, daß er selbst eingreifen könne. So stand hinter der Überredung ein gewisses Maß von gesetzlichem Druck. Sie wurden Gesetze des freien Wettbewerbs genannt, und für jedes Gesetzbuch gab es gewisse gemeinsame Vorschriften. Gemeinsame Verhandlungen, Höchststunden, Mindestlöhne, Beseitigung der Kinderarbeit und verschiedene geeignete Geschäftsmethoden. Zu-

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sammen mit diesen Vorschriften wurde jeder Codex ein ziemlich genaues Handbuch des Rechtes für die betreffende Industrie. Dem Kongreß wäre nicht mehr viel Arbeit verblieben i n Industrie- und Geschäftsfragen nach Einführung der Gesetzbücher, außer ihrer Überprüfung und Verbesserung. Und fast jede Industrie, fast jedes Geschäft bekam seinen Codex. Nicht nur die Schlüsselindustrien, nicht nur die, welche sich im Niedergang oder i m Notstand befanden. Fast die ganze amerikanische Industrie wurde bedacht. Der Kongreß hatte der Exekutive einen großen Teil seiner Macht geliehen. Man muß aber auch sagen, daß der Kongreß zu jeder Zeit das N. R. A. hätte widerrufen oder ergänzen können. Seine zweijährige Lebensdauer war fast zu Ende, als das Bundesgericht es für verfassungswidrig erklärte. Erst kürzlich hatte der Präsident zwei weitere Jahre gefordert, aber das Finanzkomitee des Senates hatte nur eine Ausdehnung auf zehn Monate genehmigt. Der Kongreßausschuß für Verfahrensfragen bereitete sich vor zu berichten. Aber es kam nicht dazu, denn kurz vorher erklärte das Oberste Bundesgericht das ganze N. R. A. für hoffnungslos verfassungswidrig 110 . Das war i m Juni 1935, und schon im Januar hatte das Bundesgericht einen Teil herausgenommen und verurteilt. Ich w i l l dort wieder anfangen. Es war der erste Teil der New-DealGesetzgebung, der getroffen wurde, nämlich der Fall Schwarzes ö l (Hot O i l ) 1 1 1 . Die Lage der Ölindustrie war ebenso schwierig, wie die der übrigen Industrien. Der Marktpreis lag unter den Herstellungskosten. Der Markt war mit billigem Benzin überflutet. Es wurde zu jedem Preis auf den Markt geschwemmt. Daher versuchten die ölerzeugenden Staaten, die Herstellung einzuschränken, aber die Erzwingung war mehr als schwierig, ö l wurde verbotenerweise hergestellt, sowohl schwarzes ö l wie schwarzes Benzin, und es wurde natürlich billiger als das nach dem Gesetz hergestellte Öl auf den Markt gebracht. A m schlimmsten war es für die selbständigen Hersteller, die aus Angst vor dem Verlust ihrer Kunden nicht zuzumachen wagten 1 1 2 . Der Kongreß des New Deal bot seine Hilfe an. Teil 9 (c) des N.R.A. ermächtigte den Präsidenten, die Verschiffung von einem Staat zum anderen für jedes ö l zu verbieten, das i n Übertretung eines Gesetzes hergestellt oder herausgebracht wurde. Einen Monat später, i m Juli, erließ Roosevelt ein Verbot derartiger Verschiffungen. Diesen Teil,

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und damit dieses Verbot, erklärte das Bundesgericht für verfassungswidrig als unerlaubte Übertragung der gesetzgeberischen Macht. Die Verfassung sagt folgendes: „ D i e ganze hierin gewährte Macht der Gesetzgebung w i r d auf einen Kongreß der Vereinigten Staaten übertragen." Die Hauptbetonung liegt offenbar nicht auf dem Wort „die ganze". Der Kongreß kann sich nicht mit Einzelheiten befassen. Der Kongreß muß irgend jemandem, vielleicht dem Präsidenten, sagen, was er wünscht, und ihm die Ausführung überlassen. Kurz gesagt, der Kongreß muß seine Rechte übertragen. Übertragung bedeutet nicht Verzicht. Warum sollte der Kongreß beim unvermeidlichen Übergang vom Allgemeinen zum Besonderen, vom Abstrakten zum Konkreten, der durch die Macht der Umstände allen Gesetzgebern auferlegt wird, nicht zuletzt auch im Verhältnis zu ihrer Mitgliederzahl, nicht so weit gehen dürfen, wie er selbst bestimmt? Immer kann er die Macht wieder zurückfordern. Immer kann er Halt gebieten und die übertragene Autorität zurückfordern. Wir haben es nicht mit der Weimarer Republik zu tun. Wenn Sie nicht zustimmen, dann überlegen Sie die Worte unseres bedeutendsten älteren Staatsmannes, Hughes: „Die Verfassung sollte dem Kongreß niemals die notwendigen Hilfsquellen der Beweglichkeit und der Ausführbarkeit verweigern. Dadurch erst kann er seine Pflicht ausüben, indem er die P o l i t i k bestimmt und einen Maßstab errichtet, während er die geeigneten Träger auswählt und ihnen die untergeordneten Vorschriften nach vorgeschriebenen Grenzen und die Bestimmung der Tatsachen überläßt, auf welche die gesetzlich bestimmte Politik anzuwenden ist. Ohne die Möglichkeit zu solcher Machtübertragung hätten w i r den Widersinn einer gesetzgeberischen Macht, die unter vielen gebieterischen Umständen nichtig wäre." Juristen betrachten die Verfassung gern als die Durchführung von Gesetz, indem sie auf den Satz in der Vorrede hinweisen: „ W i r , das Volk, verordnen und errichten die Verfassung", welche der Einführung eines Gesetzes entsprechen. Hier und da sollte man an die Worte erinnern, womit ihnen Marshall sagte, daß es ja eine Verfassung sei, die sie auslegen. Hughes Ausspruch klingt fast wie eine Entschuldigung, und so war er auch gemeint, denn er steht i n der Urteilsbegründung des Falles Hot Oil. Dort hatte das Bundesgericht am 7. Januar 1935 erklärt, daß der Kongreß die Verfassung verletzt habe, als er dem Präsidenten Roosevelt die Vollmacht gab, zwischen-

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staatliche Verschiffungen des ungesetzlich hergestellten Benzins mit Strafe zu belegen. Die Entscheidung ist schwer verständlich und der Erklärung auch gar nicht wert. Cardozos abweichendes V o t u m beschäftigt sich nicht einmal mit der Beweisführung der Mehrheit. Er bestreitet einfach, daß das Recht der Übertragung überschritten ist. „Es besteht keine Sorge", so sagt er, „daß die Nation vom festen Grund abtreiben wird infolge der beschränkten Machtübertragung dieses Gesetzes. Was innerhalb dieser Vollmacht geschehen kann, ist eng und genau umschrieben nach Gegenstand und Gelegenheit. Das Gesetz wurde unter dem Schatten eines nationalen Zusammenbruches geschaffen. Ein Heer von unvorhergesehenen Zufällen konnte jeden Tag erwartet werden, nur der Mann am Steuer konnte ihm wissend entgegentreten. Der Präsident war dazu ausersehen, diesem unmittelbaren Notstand abzuhelfen 1 1 4 ." Vielleicht ist die A r t , wie der Kongreß die Entscheidung umging, Erklärung und Beweis genug. Das Urteil war am 7. Januar 1935 herausgekommen. Einige Wochen später brachte der Kongreß das Connally Gesetz ein, das einfach die Vollmacht des Präsidenten umdrehte. Der Kongreß fing nun am anderen Ende an, indem er einfach die zwischenstaatliche Verschiffung von Benzin untersagte und dann den Präsidenten durch Erlaß ermächtigte, die Tatsachen zu prüfen und das Verbot im geeigneten Falle aufzuheben. I n dieser Form wurde es von keinem Gerichtshof als der Verfassung widersprechende Machtübertragung i n Frage gestellt. So hatte der Kongreß die Sache einfach umgedreht. Es handelt sich eben immer darum, an welchem Ende man steht. Der Panamafall ist der einzige, wenn auch nicht der erste, in dem ein Kongreßgesetz für nichtig erklärt wurde, weil der Kongreß seine Macht nicht übertragen könne. I n den beiden anderen Fällen wurde dieser Grund nur den übrigen Gründen für die Ungültigkeit angefügt, sozusagen als Gnadenstoß. Sie kamen einige Monate später heraus. Das eine galt der Kohlenkontrolle. Das andere war der Schechterfall, in dem das ganze N. R. A. für nichtig erklärt wurde. Als sich am 27. Mai 1935 die Reihe der Richter in den Gerichtssaal begab, sahen sie alle fröhlich aus. Besonders, wie bemerkt wurde, der Vorsitzende Hughes, auch McReynolds und Stone. Der Präsident hatte jeden Grund dazu. Das Bundesgericht hatte die Absicht, eine einstimmige Urteilsbegründung herauszugeben.

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McReynolds konnte sich darüber freuen, weil diese Einstimmigkeit sich gegen den New Deal richtete. Warum sah Stone vergnügt aus? Vielleicht war es nur eine äußerliche Blüte. Vor allem übertrug das ganze Gesetz dem Präsidenten soviel mehr Macht, daß jetzt sogar Cardozo seiner Nichtigkeit zustimmte 1 1 5 . Lassen wir das beiseite und wenden wir uns dem anderen Grund des Bundesgerichtes zu. Danach war das Gesetz auch ungültig, weil es die Macht des Kongresses über den zwischenstaatlichen Handel überschritt. I n Ausübung dieser Macht hatte der Kongreß es erlassen. Dem stimmte Cardozo zu, aber er und Stone unterschieden sich von den anderen in der Behandlungsweise der Frage. Zu dieser Zeit war das aber kaum eine Wolke am klaren Himmel der Einstimmigkeit, doch zeigte sich später, daß es eine Gewitterwolke war. Donald Richberg, der Anwalt des N.R.A. hatte das Geflügelgesetz herausgegriffen, um die Verfassungsmäßigkeit zu beweisen und besonders das Gebaren einer kleinen Geflügelschlächterei in Brooklyn. Josef Schechter und seine Brüder Martin, Alex und Aaron betrieben eine billige Geflügelschlächterei in Brooklyn. Sie kauften das Geflügel in lebendem Zustand i n Manhattan und West Washington, beides Märkte in New York. V o n da wurde es per Auto nach der Schlächterei i n Brooklyn gebracht, wo Familie Schechter sie schlachtete, ausnahm und an die Kunden verkaufte. Die Schechters wurden vom Bundesbezirksgericht in New York verurteilt, weil sie ihre Leute mit weniger als dem Mindestlohn von 50 Cents die Stunde bezahlten, weil sie mehr als 40 Stunden Arbeit i n der Woche verlangten, und wegen selektiver Tötung. Auch verkauften sie schlechtes Geflügel, das nicht nachgeprüft worden war, hatten keine geordnete Buchführung und arbeiteten mit Händlern ohne Lizenz, alles gegen den Codex. Sie hatten ihr Geflügel in Manhattan gekauft, schlachteten es in Brooklyn und verkauften alles innerhalb des Staates von New York. Konnte man dies als zwischenstaatlichen Handel bezeichnen? Allerdings kam das meiste, vielleicht alles Geflügel, von außerhalb des Staates. Das war sicher die Regel in Schechters Geschäft, aber betrieb das Geschäft zwischenstaatlichen Handel? Das Bundesgericht hatte i n vielen Fällen von einem Strom des Handels gesprochen und es hatte dem Kongreß zugestanden, die Tätigkeit jener zu regeln, deren Geschäft sich eben mit diesem Strom

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befaßte, sogar wenn ihre Wirksamkeit ganz innerhalb eines Staates lag. Das Bunidesgericht hatte dies zum Beispiel über die Regelung der Schlachthäuser i n Chikago durch die Bundesregierung gesagt. Aber im Fall des Geflügels endete der Strom in New York, er floß nicht weiter. Hughes meinte, es gäbe keinen Beweis dafür, daß das Geflügel der Angeklagten auf den Märkten sich i n einem Strom des zwischenstaatlichen Handels befinde und so der Regelung durch den Kongreß unterliege. „ D i e bloße Tatsache, daß es ein ständiges Fließen von Ware i n einen Staat gibt, bedeutet nicht, daß der Fluß weitergeht, nachdem die Ware angekommen ist und sich mit den Vorräten innerhalb des Staates vermischt hat, jedoch nur für den örtlichen Gebrauch bereitgestellt wird. Was das fragliche Geflügel betrifft, so ist der Fluß im zwischenstaatlichen Handel zu Ende. Das Geflügel ist innerhalb des Staates auf die Dauer verblieben 1 1 6 ." Damit meinte er, daß die Hühner in New York gegessen worden seien. Doch wurde das Geflügel ja nur nach New York gebracht, weil die Schechters and andere es kauften und dann wieder an Leute verkauften, die es in New Y o r k aufaßen. Das Geflügel wäre gar nicht dahin gekommen, es hätte einen solchen Handel nicht gegeben, wenn nicht die Schechters und ihresgleichen es aufkauften. Konnte man daher nicht sagen, daß das Geflügelgeschäft der Schechters den zwischenstaatlichen Handel betraf? Wenn das der Fall war, dann hieß das indirekt den Handel regeln, sogar wenn das Geschäft nicht inbegriffen oder kein Teil von ihm war. Dies verneinte Hughes. „ W o die Einwirkung zwischenstaatlicher Unternehmungen auf den zwischenstaatlichen Handel nur indirekt ist, stehen diese Unternehmen auch weiter unter der Herrschaft des Einzelstaates. Wäre die Handelsklausel geschaffen, um alle Unternehmungen und Transaktionen zu betreffen, die eine indirekte Wirkung auf den zwischenstaatlichen Handel haben, dann würde die Bundeshoheit praktisch die ganze Tätigkeit des Volkes umfassen. Die Hoheit des Staates über seine inneren Angelegenheiten würde nur unter Duldung der Bundesregierung bestehen. Die Unterscheidung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Einwirkung zwischenstaatlicher Transaktionen auf den Handel zwischen den Staaten muß als eine grundlegende betrachtet werden, da sie wesentlich für die Aufrechterhaltung unseres Bundesstaates ist. Anderenfalls würde, wie wir schon oben gesagt haben, es für die Bundesmacht keine

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Grenze geben, und wir hätten i n allen praktischen Belangen eine zentralistische Regierung 1 1 7 ." Hughes wendete die Bilder und Vergleiche an, die das Bundesgericht in diesen Fällen benutzt hatte. Er untersuchte den Strom oder den Fluß des Handels und fand hier nichts derartiges. Er untersuchte die Unterscheidung zwischen mittelbar und unmittelbar und fand, daß der Codex höchstens einen indirekten Einfluß auf den Handel zwischen den Staaten habe. I n keiner der aufgewendeten Prüfungen war dies Handel zwischen den Staaten. Der Kongreß hatte seine Macht überschritten. Cardozo und Stone schlossen sich dem Endergebnis an, aber sie erreichten es auf einem anderen Weg, und was sie sagten, war wichtig, weil die ganze Zukunft der Macht über den Handel an dieser Unterscheidung liegt. Die Prüfungen verwarfen sie. Sie wußten, daß es sich um eine der Fragen des Grades de facto handele, mit denen sich das Gesetz am Ende immer abfindet. Sie sagten: „Das Gesetz ist nicht gleichgültig gegen Gradbestimmungen. Eine Tätigkeit, die unmittelbar lokal ist, w i r d nicht zwischenstaatlich und national, weil sie weittragende Auswirkungen hat. Der Begriff der Nähe und der Entfernung kann manchmal unbestimmt sein. Aber das Urteil unterliegt nicht dem Halbdunkel. Wenn man hier eine unmittelbare Tätigkeit finden will, dann findet man sie fast überall. Wenn die zentralen Kräfte alle gegenteiligen ausschließen, dann ist es mit dem Föderalismus zu Ende." „Eine Bewegung am äußeren Rand teilt sich, wenn auch kaum wahrnehmbar, dem Mittelpunkt mit. Unsere Gesellschaft ist ein elastisches Medium, das jedes Zittern innerhalb des Gebietes überträgt; die einzige Frage ist nur die Stärke dieser Bewegung 1 1 8 ." Die Zitate stammen aus der Urteilsbegründung des Bezirksberufungsgerichtes, dessen Entscheidung das Bundesgericht überprüft. Learned Hand, von dem sie herrühren, war mit den von Hughes angewandten Grundsätzen weniger respektvoll umgegangen. Er betrachtete es als widerspruchsvoll, daß die ratio decidendi einer solchen Frage von allgemeinen Grundsätzen abhängen soll. „Dadurch könne wohl die Schlußfolgerung notwendig erscheinen, aber sie wäre unehrlich und illusorisch. Gefährlich erscheint sie nur i n dem Falle, wenn sie heimlich während der Argumentierung eingeführt wird. I n Wirklichkeit ist die Grenzziehung eine Frage des Grades, die in jedem Einzelfalle von den Folgen abhängt."

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Wie handelte nun der Kongreß? Die Einwände des Bundesgerichtes waren leicht zurückzuweisen. Der Kongreß brauchte nur die Gesetzbücher, die er dem Präsidenten vorgelegt hatte, i n Gesetze des Kongresses zu verwandeln. Er führte dies auch aus für die Braunkohlenindustrie im Guffey-Gesetz und für die Arbeitsbestimmungen i m nationalen Arbeitsgesetz. Das Bundesgericht sollte sich mit beiden aus anderer Ursache beschäftigen müssen, wie wir sehen werden. Aber die abstrakte Unterscheidung zwischen der unmittelbaren und der mittelbaren Einwirkung auf den Handel zwischen den Staaten war nicht leicht. Es gab auch für den Gesetzgeber keinen Umweg um dieses Hindernis. Man mußte auf einen Wandel i n der Behandlung dieser Frage durch das Bundesgericht warten. Es konnte nichts geschehen, bis der Gerichtshof seine metaphysischen Bilder fallen ließ und die praktische Behandlung durch Cardozo und Stone annahm.

Das A.A.A.

(Agricultural

Adjustment Act)

Miller bezog sich einmal auf „jenes oft gehörte und oft wiederholte Argument, dem dieses Gericht niemals zugestimmt hatte, daß in einer Machtfrage der Advokat des Kongresses seinen Finger genau auf die Stelle legen müsse, durch die jene Macht dem Kongreß verliehen w i r d 1 1 9 . " Miller sagte i n der Rechtssprache genau dasselbe, was Lincoln 20 Jahre vorher i n Gettysburg gesagt hatte. Diese Gleichheit ist wichtig. Eine neue Nation war aus diesem Kontinent geboren worden. Das Bundesgericht mußte dieser Tatsache Rechnung tragen, war es doch ein Teil der Nation. Das Bundesgericht konnte diese Tatsache nicht übersehen, wenn es mit der Verfassung zu tun hatte. Legt man seine Hand auf ein bestimmtes Wort, so w i r d man den Pulsschlag der Nation fühlen. Der erste Weltkrieg schaltete ungefähr 50 Millionen Acres Getreideland i n Europa zeitweise vom Anbau aus. Amerika gab die Antwort und legte mehr Land unter den Pflug. Ebenso handelten andere Länder — Argentinien, Australien usw. — Als Ergebnis hatten wir nach dem Krieg 30 bis 40 Millionen Acres Getreideland. Das Getreide konnte nicht verkauft werden, wenigstens nicht zu einem für den Landwirt lebensnotwendigen Preis. Die Farm wurde

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mit Hypotheken belastet, er konnte nicht einmal seine Steuern zahlen. Das Problem lag klar auf der Hand. Wie sollte man ihm entgegentreten? Sollte man die Produktion verringern? Sollte man den Anbau kontrollieren? Sollte man diese Millionen Acres aus der Produktion herausnehmen? Bei der A n t w o r t hierauf handelt es sich in keiner Weise um eine Parteifrage. Das republikanische Parteiprogramm von 1932 sagte: „Das Grundproblem der amerikanischen Landwirtschaft liegt in der Überwachung der Produktion in solchem Ausmaß, daß sich Angebot und Nachfrage die Waage halten. Die Lebenselemente bei der Lösung sind die gemeinsamen Anstrengungen der Farmer um einen Produktionsplan und die Zölle zur Eroberung des amerikanischen Innenmarktes. Ebenso wichtig ist die Überwachung der Anbaufläche als Hilfe für den Produktionsausgleich der Farmer." Genau dasselbe taten die Demokraten. Sobald Roosevelt Präsident geworden war, wurde eine große Versammlung einberufen und das Landwirtschaftsgesetz wurde beschlossen. A m 12. Mai 1933 kam es heraus. I m A. A. A. wurde der Versuch gemacht, den Getreideanbau unserem inneren Bedarf und einem einträglichen Export anzupassen. Wallace, derzeitiger Landwirtschaftssekretär, nannte es „einen geordneten Rückzug von der Überproduktion". War das möglich, dann würden die Landwirte genau den Bedarf befriedigen, nicht mehr. W i r wollen untersuchen, wie es geschehen konnte und wer dafür bezahlen sollte. Dabei müssen wir auf einige Einzelheiten eingehen. Nach dem Gesetz mußte der Staatssekretär für Landwirtschaft feststellen, wie hoch der Herstellungspreis für Baumwolle in den fünf Jahren von 1909 bis 1914 gewesen war, gerade ehe w i r den Anbau ausgedehnt hatten. Ich ziehe die Baumwolle als Beispiel heran, weil sich der kommende Fall mit ihr beschäftigte. Der Preis war 12,40 Cents für das Pfund gewesen. Weiter mußte der Minister die Preisliste der Gebrauchsgegenstände aufstellen, welche Farmer benötigen. Sie zeigte, daß die Preise seit 1909 bis 1914 etwas in die Höhe gegangen waren. Nicht viel, etwa 3 %. So mußten also 12,40 plus 3 %, das heißt 12,77 Cents angenommen werden.

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Der Vorkriegspreis für Baumwolle war 1938 nur 8,7 Cents. Es bestand also ein Unterschied von ungefähr vier Cents zwischen dem Marktpreis und dem Preis, nach welchem der Farmer ebensoviel kaufen konnte wie vor dem Krieg. Das Gesetz ermächtigte den Sekretär, diese vier Cents für das Pfund jenen Produzenten anzubieten, die i n eine Anbauverminderung einwilligten. Das Geld wurde von den Vereinigten Staaten an die Farmer ausgeworfen, um den geringem Anbau rentabel zu machen. A u f diese Weise wurde weniger verkauft und so sollte ein geordneter Rückzug von der Überproduktion angetreten werden. Zu beachten ist, daß jeder einzelne Produzent durchhalten und mehr Einnahmen erzielen konnte, indem er seine ganze Produktion zu dem höheren Preis verkaufte, den die Anbauverringerung hervorrief. Wo sollte die Regierung die große Summe hernehmen, die sich aus diesen vier Cents für das Pfund ergab? Von allgemeinen Steuern? Nein. Warum nicht von den Baumwollfabriken? Warum nicht von den Verbrauchern, für die ja der Farmer die Baumwolle anbaute? Sind sie es nicht, die den Farmer stützen sollten? Andererseits ist eine direkte Konsumsteuer schwer einzutreiben. Eine Steuer auf die Baumwollfabriken konnte auf den Verbraucher umgelegt werden, indem man den Meterpreis um die den vier Cents entsprechende Summe erhöhte. So würde der Verbraucher letzten Endes zahlen, wie es auch gerecht war. Das war der Gedankengang. So legte das Gesetz eine Verbrauchssteuer auf die Fabriken. Die Höhe der Steuer wurde vom Sekretär so festgelegt, daß sie gerade für die vier Cents hinreichte. Sie sollte an das Schatzamt gezahlt werden. Auch die Zahlung an die Baumwollfarmer, die der Anbauverminderung zugestimmt hatten, sollte aus dem Schatzamt geleistet werden. Die Theorie war folgende: Die Vereinigten Staaten zogen Geld ein von den Leuten, die Baumwolle in Kleidung verwandeln, ihnen wurde es überlassen, das Geld aus den Leuten herauszuholen, welche die Kleidung kauften. Das Geld wanderte dann an die Farmer, die im nächsten Jahr weniger Baumwolle anbauen wollten. Das Ganze geschah in der Hoffnung, daß der geringere Anbau den Preis um die Summe der Steuer erhöhen werde, so daß diese aufhören könne. I n der Theorie sollte die Steuer langsam dahinschwinden. Ist das nun gute Wirtschaftspolitik? Der Rechtsanwalt der Baumwoll-

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fabriken behauptete, „die Vereinigten Staaten hätten den Verbraucher Peter beraubt, um den Produzenten Paul zu bezahlen". Dieses Experiment kam am 9. und 10. Dezember 1935 zur Verhandlung vor das Oberste Bundesgericht, und zwar in folgender Form: Die Hoosac-Fabriken i n Neu-England hatten Bankrott gemacht, die Gläubiger weigerten sich, die Verbrauchssteuer zu zahlen. Das Bezirksgericht hatte ihnen die Zahlung auferlegt. Sie wandten sich dann an das Bezirksberufungsgericht in Massachusetts, das sie von der Zahlung entbunden hatte, da sie der Verfassung zuwiderlaufe. Die Regierung brachte den Fall vor das Oberste Bundesgericht. Stanley Reed, jetzt Richter Reed, verteidigte als Generalstaatsanwalt das Gesetz. A u f Grund der Verfassung wurde es angefochten durch George Wharton Pepper. Er war gut ausgewählt, denn er war aufrichtig und tief davon überzeugt, das A. A. A. entspräche nicht der Verfassung. Er dachte ebenso über das Α. Α. Α., wie Herr Choate über die Einkommensteuer. Herr Pepper führte folgendes aus: „ I c h habe mich sehr bemüht, diesen Fall mit Ruhe und ohne Leidenschaft zu bearbeiten, weil nach meiner Meinung nur so ein Advokat seine Pflicht gegen das Bundesgericht erfüllen kann. Trotzdem bin ich aufs tiefste aufgewühlt und erschüttert. Mögen Euer Ehren mir glauben. Ich stehe heute hier für die Sache jenes Amerika, das ich liebe. Ich bete zum Allmächtigen, daß es nicht meiner Zeit vorbehalten sei, ,ein Land der Sklaven 4 , an Stelle des ,Landes der Freien 4 zu setzen 1 2 0 ." Einen Monat später, am 6. Januar 1936, verkündete das Bundesgericht seine Entscheidung 1 2 1 . Das Gesetz entsprach nicht der Verfassung. Leise und deutlich, fast ohne einen Blick auf das vorliegende Manuskript drückte Roberts die Entscheidung der Mehrheit aus. Diesesmal befand sich Hughes unter der Mehrheit. 6 : 3. Die vier, dazu Roberts und Hughes, gegen Brandeis, Stone und Cardozo. Warum schloß sich Hughes den Vieren an? Vielleicht wird er uns das eines Tages sagen. Für das Ergebnis war es nicht von Bedeutung, aber jenes bekannte Verhältnis 5 zu 4 wurde vermieden. Vielleicht sogar zu sehr. 6 zu 3 war aber besser für die Moral des Landes. Jedenfalls wollen wir die Urteilsbegründung prüfen.

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Hier verbreitete sich das Bundesgericht darüber, was Hamiltons Ansichten über die Verfassung gewesen seien und was dagegen Madisons. Durch die Verfassung erhielt der Kongreß das Recht, Steuern, Zölle, Import- und Konsumsteuern auszuschreiben und zu erheben, um die Schulden zu bezahlen und für die gemeinsame Verteidigung und allgemeine Wohlfahrt der Vereinigten Staaten Vorsorge zu treffen. Madison vertrat die Ansicht, daß die Worte „allgemeine Wohlfahrt" sich auf die besonderen Rechte des Kongresses über die Regelung des Handels, Prägung der Münzen usw. beziehen. So muß das Besteuerungsrecht, so sagte er, auf diese besonders gewährten Rechte beschränkt bleiben, die dem Kongreß übertragen sind. Die Schwierigkeit liegt bei Madison darin, daß es ohne Besteuerung keine Ausübung einer Macht gibt. Warum sollen die Worte dann nicht das bedeuten, was sie so klar und deutlich zu sagen scheinen? Hamilton bejahte diese Frage absolut. Er betrachtete es als ein unabhängiges Recht, nur begrenzt durch die drei genannten Zwecke: „die Schulden zu zahlen, für die gemeinsame Verteidigung und für die allgemeine Wohlfahrt Sorge zu t r a g e n " 1 2 2 . Bei der Prüfung der beiden Anschauungen entschied sich der Gerichtshof für Hamilton, wonach der Kongreß die Macht hatte, Steuern zu erheben und auszugeben für die allgemeine Wohlfahrt überhaupt, nicht nur als Unterstützung seiner anderen Rechte. Aber das war nur der Anfang. Das brachte keine Entscheidung. Man könnte fast sagen, das A. A. A. hatte damit nur eine Chance, um sein Leben zu kämpfen. Nach Roberts folgte daraus nicht, daß diese Steuer gültig sei. Sie sei j a nicht w i r k l i c h eine Steuer, sondern nur der Teil eines Planes. So mußte nicht die Steuer allein, sondern der Plan betrachtet werden. Wollen wir einen Augenblick überlegen. Wenn der Kongreß das Recht hat, Steuern zu erheben und auszugeben für die allgemeine Wohlfahrt über die besonders genannten Rechte hinaus, wie das Bundesgericht der Meinung Hamiltons beipflichtete, warum kann es dann nicht verlangen, das Geld solle für den vorgesehenen Zweck ausgegeben werden? Der Kongreß hatte schon öfter die Zahlung von bewilligten Geldern davon abhängig gemacht, ob der Empfänger den Erwartungen entsprach. Zum Beispiel w i r f t er Summen für die Errichtung von landwirtschaftlichen Lehrstühlen aus. 8

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Gibt es da einen Unterschied? Es scheint so. Das A. A. A. bot nicht einfach dem Farmer eine bedingte Zahlung an. Es verlangte von ihm die Unterzeichnung eines Vertrages über Herabsetzung seiner Produktion, ehe er das Geld bekam. Nach Roberts liegt darin ein offenbarer Unterschied. „ W i r stehen hier nicht vor einer bedingten Bewilligung von Geldern, noch vor der Bestimmung, daß die Zahlung nicht ausgeführt wird, wenn nicht bestimmte Bedingungen zugestanden werden. Nach dem A. A. A. w i r d der Ertrag der Steuer nur ausgeworfen unter Verträgen, nach welchen sich die Parteien der Reglementierung durch die Bundesregierung unterziehen. Es besteht ein deutlicher Unterschied zwischen einem Gesetz, das Bedingungen für die Auszahlung der Gelder stellt und einem Gesetz, das nur wirksam w i r d unter Annahme einer vertraglichen Verpflichtung, sich einer Regelung zu unterwerfen, die auf anderem Weg nicht erzwungen werden könnte123." Wenn der Kongreß also die Zahlungen zurückgehalten hätte, bis der Farmer wirklich den Anbau vermindert hat, wenn er auf die Ausführung statt der Einwilligung gewartet hätte, dann hätte das Gesetz der Verfassung entsprochen? Kaum. U n d doch wäre das den Worten Roberts zu entnehmen. Schlagen wir einen anderen, ganz verschiedenen Kurs ein. Kann der Kongreß eine Einwilligung erkaufen, die er nicht befehlen kann? Nein, sagt Roberts, „das bedeutet Zwang durch wirtschaftlichen Druck. Die zugesicherte Wahl steht nur auf dem P a p i e r " 1 2 4 . Nehmen w i r an, sie sei nicht illusorisch. Man könnte Roberts davon überzeugen, daß ein einzelner Baumwollfarmer durchhalten könnte. Entspräche dann das A. A. A. der Verfassung? Nein, auch dann nicht. „ A u c h wenn der Plan auf freiwilliger Zusammenarbeit beruhte", so fuhr Roberts fort, „stände es doch um das Bundesrecht nicht besser. Bestenfalls wäre es ein Plan, um mit Bundesgeldern die Unterwerfung unter eine Bundesregelung zu erkaufen in einer den Staaten überlassenen Frage. Der Kongreß kann sich nicht in die Rechtsprechung der Staaten einmischen, um einzelne Handlungen zu erzwingen; er kann sie auch nicht erkaufen. Der Kongreß hat nicht das Recht, den Farmern Befehle aufzuzwingen zu den durch das A. A. A. erstrebten Zwecken. Daraus muß folgen, daß er diese Ziele nicht indirekt erreichen kann, indem er Steuern erhebt und ausgibt, um eine Einwilligung zu erkaufen."

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Warum muß das daraus folgen? Weil nach Roberts die Verfassung und der ganze Aufbau unserer Regierung einen solchen Gebrauch des Steuer- und Ausgabenrechtes, wie i h n das Gesetz vorsieht, verneinen. So weit wären wir. Was sind nun die Gründe von Roberts? V o r >allem der Grund der verderblichen Folgen. Diese Klausel (ad horrendum) aus dem 8. Teil des 1. Artikels würde das M i t t e l zu einer vollständigen Zerstörung der den Einzelstaaten verbliebenen Regierungsrechte werden. „Wenn das vorliegende Gesetz", so sagte er, „eine erlaubte Ausübung des Bundessteuerrechts bedeutet, dann könnte die Regelung der ganzen Industrie i n den Vereinigten Staaten durch eine ähnliche Ausübung des gleichen Rechtes durchgeführt werden. W i r waren im Schechterfall der Meinung, daß der Kongreß nicht das Recht habe, Löhne und Arbeitsstunden in einem lokalen Geschäft zu bestimmen. Wenn sich die Regierung im Recht befindet, dann könnte dieses Ziel dadurch erreicht werden, daß man Gelder aus dem Schatzamt für Unternehmer bereitstellt, wenn sie sich vertraglich zu bestimmten Grundsätzen verpflichten, die durch Bundesgesetz oder durch Vertrag festgelegt werden." Warum nicht? Weil nach seiner Meinung „das mögliche Ergebnis folgendes sein könnte: Jede Geschäftsgruppe, die sich benachteiligt glaubt, könnte verlangen, daß eine Steuer auf ihre Verkäufer oder Käufer gelegt werde, deren Ertrag der Vermeidung eines Defizits dienen soll". Roberts führte dieses Beispiel an, nicht um die Absichten des A. A. A. zu verdächtigen, sondern um das Prinzip des A. A. A. gerade durch die Anwendung zu kennzeichnen. „So werde gezeigt, daß in der Ausübung des fraglichen Rechtes der Kongreß unter dem Vorwand des Besteuerungsrechtes tatsächlich verbotene Ziele erreichen werde." Und er fügte hinzu: „Die angenommenen Fälle sind nicht unwahrscheinlicher, als das gegenwärtige Gesetz vor ein paar Jahren erschienen wäre." Damit kam Roberts zu seinem zweiten Grund, der dadurch eingeführten Neuerung. „Bis vor kurzem wurde das Bestehen eines solchen Rechtes der Bundesregierung nicht einmal angedeutet. Die Ausdrucksweise der Schöpfer der Verfassung, die Entschließungen dieses Gerichtshofes zur Auslegung der Verfassung und die Schriften der großen Kommentatoren werden vergeblich nach irgendeinem Anzeichen dafür durchsucht werden. Man wird weder 8*

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in der besprochenen Klausel noch sonstwo i n der Verfassung einen Anhaltspunkt dafür finden, daß die Vorschriften und die Worte der Verfassung umgestürzt werden können, noch daß die Unabhängigkeit der Einzelstaaten zunichte gemacht werden kann. Ebensowenig dafür, daß man die Vereinigten Staaten unter eine Zentralregierung bringen könne, die unkontrollierte Polizeimacht i n jedem Bundesstaat ausübt und die lokale Kontrolle oder Verwaltung oder die Angelegenheiten der Staaten an sich reißt." Roberts' Gründe laufen i m wesentlichen ganz einfach auf die Meinung hinaus: Das kann einfach nicht sein, deshalb muß es falsch sein. „Sogar Hamilton, der führende Vertreter einer weiten Auslegung des Besteuerungs- und Ausgabenrechtes für das allgemeine Beste, ging niemals so weit, die Benutzung eines durch die Verfassung verliehenen Rechtes für die Zerstörung der Selbstregierung in den Staaten zu dulden. Zu diesem verderblichen Schluß würde jedoch die umstrittene Lehre unbedingt führen und ihre einzige Voraussetzung ist, daß die Schöpfer der Verfassung i n einer einzigen Klausel dem Kongreß das Recht gegeben haben sollten, in die Rechtsprechung der Staaten einzudringen und ein Parlament des ganzen Volkes zu werden ohne andere Einschränkungen als die selbst auferlegten. Wenn sie i n ihrem wirklichen Charakter und i m Licht ihrer unvermeidlichen Ergebnisse gesehen wird, dann muß diese Beweisführung zurückgewiesen w e r d e n 1 2 5 . " Das geschah auch und aus diesem Grunde. Brandeis, Stone und Cardozo waren auf der Gegenseite. Stone gab ihrer Meinung Ausdruck. „Der Gerichtshof muß sich bei der Erklärung der Verfassungswidrigkeit zwei Leitgrundsätzen unterwerfen, die niemals aus dem Bewußtsein der Richter verschwinden sollten. Zum ersten haben sich Gerichtshöfe nur mit der Rechtmäßigkeit der Gesetze zu befassen, nicht mit ihrer Klugheit. Zum anderen ist der einzige Damm, der gegen unsere eigene Machtausübung eingerichtet ist, nur unser eigener Sinn für Selbstbeschränkung, solange die verfassungswidrige Machtausübung durch die Exekutive und die Legislative der Regierung unserem richterlichen Spruch unterliegt. Denn die Beseitigung ungeeigneter Gesetze geht nicht die Gerichtshöfe an, sondern die Wähler und die demokratische Regierungsform." Machen wir für einen Augenblick bei dem Satz Halt: „Der einzige Damm gegen unsere eigene Machtausübung ist unser eigener

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Sinn für Selbstbeschränkung." Diese Worte bilden eine direkte Erwiderung auf die Vorwürfe Roberts' gegen den Kongreß, daß aus ihm „ e i n Parlament des ganzen Volkes würde ohne Einschränkungen außer den selbst gewählten" 1 2 6 . Roberts hatte es von Pepper übernommen, „daß der Kongreß, der ursprünglich der Bundesgesetzgebung mit beschränkten Machtbefugnissen diente, sich irgendwie in ein nationales Parlament verwandelt hatte, ohne Einschränkung außer der selbst gewählten 127 " Das ist der K e r n der Sache. W i r haben hier vor uns eine große Macht, eine sehr große Macht, die über die Landwirtschaft ausgeübt wird. Niemand kann auf bestimmte Worte in der Verfassung hinweisen, wonach der Kongreß die Landwirtschaft regeln dürfe. Niemand kann aber auch auf bestimmte Worte hinweisen, die dem Kongreß seine Handlungsweise im A. A. A. verbieten. Pepper und Roberts h^ben kein Vertrauen zum Kongreß und sie sind entsetzt über die Stärke einer Nation, über den Leviathan, der sich bewegt, und nur durch sein Pflichtgefühl festgehalten wird. Darauf entgegnet Stone: Bruder, sieh auf die Zügel in Deiner eigenen Brust. Wo gibt es einen Ausweg, wenn keiner dem anderen traut, wenn das Bundesgericht Mißtrauen gegen den Kongreß und der Kongreß Mißtrauen gegen das Bundesgericht hegt? Das muß überlegt werden. Aber ich gehe jetzt zu den Worten von Stone über, der eines der bedeutendsten abweichenden Voten vertritt. Stone fuhr fort: „Es wird nicht zum erstenmal ausgesprochen, daß die Regierungsmacht des Geldes eine gewaltige ist. Wer die Regierungs- und Wirtschaftsgeschichte studiert, erkennt ihr Dasein und ihre Bedeutung i n jedem zivilisierten Staat. Auch die Schöpfer der Verfassung waren sich darüber klar, als sie die Verleihung des Ausgabenrechtes an die Bundesregierung guthießen. Auch Hamilton und Story trugen dem Rechnung. Ihre Ansicht, wonach das Ausgabenrecht auf der gleichen Ebene steht wie die anderen besonders genannten Rechte, wurde bisher allgemein angenommen." „Der Vorschlag, daß dieses Recht jetzt durch die richterliche Genehmigung beschnitten werden muß, weil es durch ungeeignete Anwendung mißbraucht werden könne, w i r d den Dingen nicht gerecht. Auch die Gerichtsmacht kann mißbraucht werden." Das Recht zu besteuern, ist das Recht zu zerstören", aber w i r zweifeln aus diesem Grunde nicht an seiner Existenz. W i r meinen auch nicht, daß seine Wirksamkeit wegen zufälliger oder mehrdeutiger Folgen

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für die Staaten eingeschränkt werden müsse. Das Besteuerungs- und Ausgabenrecht unterliegt schon jetzt Einschränkungen durch die Verfassung. Die eine ist, daß der Zweck wirklich national sein muß. Die andere ist, daß kein Zwang in Dingen ausgeübt werden darf, die der Kontrolle der Einzelstaaten unterliegen. Die größte ist das Gewissen und der Patriotismus des Kongresses und der Exekutive." „Eine künstliche Auslegung der Verfassung kann nicht gerechtfertigt werden durch den Hinweis auf übertriebene Beispiele von Verschwendungssucht, die ohne die Gerichtshöfe möglich wären. Wenn es denkbar wäre, daß verschwenderische Maßnahmen für nationale Zwecke eingeführt würden, dann müßte die gesetzgebende Körperschaft jedes Verantwortungsgefühl verloren haben. Das wendet sich besonders an diejenigen, die glauben, es sei das A m t der Gerichtshöfe, über die Klugheit der Gesetzgebung zu urteilen. Gerichtshöfe sind ja nicht die einzigen Vertreter der Regierung, von denen man Fähigkeit zur Verwaltung annehmen darf. Der Kongreß und die Gerichtshöfe können beide straucheln oder sich in der Ausübung ihrer Verfassungspflicht irren. Trotzdem kann die große Charta unserer Regierung nicht so ausgelegt werden, als ob die Verantwortung für die Aufrechterhaltung unserer Einrichtungen die ausschließliche Aufgabe eines der drei Regierungsteile sei, oder als ob ein Teil allein sie vor der Vernichtung bewahren könne. Diese Auffassung würde letzten Endes die Glieder eines unzerstörbaren Bundes von unzerstörbaren Staaten viel eher beeinträchtigen, als die offene Anerkennung, daß auch bei einer Verfassung die Worte genau das bedeuten, was sie ausdrücken: das Besteuerungs- und Ausgahenrecht schließt die Macht ein, einem nationalen, wirtschaftlichen Mißstand durch die gelegentliche Bewilligung von Mitteln abzuhelfen." Muß das Bundesgericht bei der Entscheidung eines Falles der Verfassung mehr Folge leisten, als dem Gesetz des Kongresses? Nein, diese Männer fürchten nur die Macht des Geldes und so gründeten sie logischerweise ihre Entscheidung auf die Folgen, auf den „unheilvollen Ausgang", zu dem nach ihrer Meinung die Macht des Geldes führen müsse. „Nach seinem wahren Charakter und im Lichte seiner unvermeidlichen Ergebnisse muß das Recht verworfen werden." Auch durch die Neuerung bestürzt, warfen sie dem Kongreß vor, es könne einen Gebrauch davon machen, der ihrem und dem Amerika Herrn Peppers zum Unheil würde.

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Wenn der Kongreß nur der eigenen Beschränkung unterliegt, dann kannten auch die Richter nur die Selbstbeschränkung. War aber das Amerika, das sie lieben, i n Gefahr, so gab es keine Zeit für Einschränkungen. Zu seiner Rettung sprangen sie auf die Barrikaden und warfen alle Macht und alles Ansehen ihres Gerichtshofes in die Bresche. Als gute Soldaten opferten sie sich selbst. Es wäre besser gewesen, wenn sie nicht auch den Gerichtshof geopfert hätten. Ohne Vertrauen zum Kongreß, brachen sie ihrerseits die Treue zum Gerichtshof. Wie schon Holmes gefürchtet hatte, vergaßen sie die Warnungen eines Stone, Brandeis und Cardozo. Holmes und Stone hatten gesagt: „Es muß bedacht werden, daß die Gesetzgeber die letzten Wächter der Freiheit und Wohlfahrt des Volkes sind, genau ebensosehr wie die Richter." Ein Zuschauer i m Gerichtssaal sagte nach der Verkündigung des Urteils: „ B e i m Bundesgericht schien mir dieselbe Atmosphäre zu herrschen wie nach einem Fall der Lynchjustiz." Das Opfer war jedoch nicht tot. Der Kongreß brachte rasch ein anderes Gesetz ein, das Gesetz zur Bodenerhaltung. Nach ihm dürfte der Minister keine Übereinkunft mit den Farmern treffen. Sie mußten im Interesse der Bodenbewahrung ihren Anbau vermindern, ehe sie ihr Geld bekamen. Die Bereitstellung der Summen geschah aus allgemeinen Geldern im Schatzamt. Es wäre interessant zu wissen, ob die Mehrheit erklärt haben würde, das Gesetz sei gegen die Verfassung gerichtet. Das w i r d man nie erfahren; denn sie hatte niemals Gelegenheit dazu. Als die höchsten Überschüsse aufgehäuft waren, griff die Natur mit gleichgültiger Ironie ein und eben durch den Mißbrauch des Bodens wurde der Ertrag vermindert. Das A. A. A. und die Natur hatten beide miteinander den Gewinn der Farmer fast verdoppelt. Wie 1937 eine gute Ernte wieder Überfluß schuf und wie der Kongreß 1938 ein anderes A. A. A. einbrachte, das steht i n einem anderen K a p i t e l 1 2 8 .

Kohlenkontrolle Als das N. R. A. (National Recovery Act) über Bord ging, arbeitete der Kongreß einen Codex für die Braunkohlenindustrie aus. Darauf lief das Guffey-Kohlenkontrollgesetz hinaus. Braunkohle war eine Schlüsselindustrie, die sich im Niedergang befand. Etwas mußte geschehen.

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Die Vorschriften des N. R. A. waren eingeführt worden, indem man ihre Verletzung zum Vergehen stempelte. Das Guffey-Kohlenkontrollgesetz ging einen anderen Weg. Es wurde eine Verbrauchssteuer von 15 % auf den Verkaufspreis aller Kohle gelegt, außer wenn der Erzeuger sich nach dem Gesetz richtete. Nahm der Erzeuger das Gesetz an, dann wurden 90 % der Steuer erlassen. Das Gesetz hatte zwei Teile, einen für die Preise, den anderen für die Löhne an die Bergleute. Nehmen w i r erst die Löhne. Der Präsident sollte einen Arbeitsausschuß ernennen zur Schlichtung der Streitigkeiten zwischen den Kohlengesellschaften und den Gewerkschaften. Das Recht der gemeinsamen Verhandlungen wurde zugestanden wie schon im N. R. A. Wurden in einem Bezirk Höchststunden und Mindestlöhne mit Zweidrittelmehrheit für die Gesellschaften nach ihrer Arbeiterzahl vereinbart, dann waren diese Stunden und diese Löhne für alle anderen Gesellschaften Zwang. Wenn sie sich nicht fügten, dann hatten sie 15 % Strafe auf ihre Kohlenproduktion zu tragen. Die Einführung würde natürlich Zeit kosten. Andererseits sollte der Teil über die Preise sofort i n Erscheinung treten. Vereinbarungen zwischen den Gesellschaften und den Gewerkschaften waren da nicht abzuwarten. Möglichst schnell einberufene Bezirksausschüsse sollten die Kohle bewerten und ihren Preis bemessen. Er mußte hoch genug sein, um den Durchschnitt der Gesamtkosten im Distrikt zu tragen, aber nicht so hoch, daß er übermäßigen Gewinn abwarf. Die Preise sollten „gerecht und angemessen sein". Wenn die Gesellschaften anderer Meinung waren, dann konnten sie sich an die Gerichtshöfe wenden. Wie man sich erinnern wird, war dies das Gesetz, dessen Annahme Präsident Roosevelt vom Kongreß verlangte ohne Rücksicht auf seine Gültigkeit. Er hatte an ein Mitglied des Ausschusses für Verfahrensfragen (House Ways and Means Committee) 1 2 9 geschrieben: „ I c h hoffe, das Komitee w i r d sich nicht durch noch so begründete Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit an der vorgeschlagenen Gesetzgebung hindern lassen." Man w i r d sich auch erinnern, daß es der Prozeß Herrn Carters gegen seine Kohlengesellscjiaft 1 3 0 war, in dem das Bundesgericht das Gesetz für verfassungswidrig erklärte. A m Tage, nachdem der Präsident das Gesetz 1 3 1 unterzeichnet hatte, trat der Aufsichtsrat

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zusammen und stimmte für die Annahme des Gesetzes wegen der Strafe, obwohl es gegen die Verfassung verstoße und auch „ w i r t schaftlich ungesund sei". Dann wurde eine Versammlung der Aktionäre eingerufen, die ihre Handlungsweise b i l l i g t e n 1 3 2 . Carter, der Vorsitzende der Gesellschaft, strengte einen Prozeß an, um seine Gesellschaft von der Steuer zu befreien. Eine gerichtliche Verfügung konnte nicht erlassen werden, wenn das Bundesgericht nicht das ganze Gesetz für ungültig erklärte. Wenn nur ein Teil gültig war, dann konnten die 90 % nicht erlassen werden. Carter mußte das Ganze zu Fall bringen, wenn er seine Verfügung erhalten wollte. Der Kongreß hatte sich auf die Verfassung berufen und auf die Macht, den zwischenstaatlichen Handel zu regeln. Fast alle irgendwo gewonnene Kohle w i r d ja i n andere Staaten überführt. Das war der Fall für über 97 % der von der Carter-Gesellschaft in WestVirginia gewonnenen Produktion. Der Kongreß vertrat, daß damit eine Lohnregelung für die Bergleute in West-Virginia in Frage käme. Anders dachte das Buiidesgericht, und Sutherland begründete seine Meinung. Nach der Entscheidung im Schechter-Fall war es nicht schwer, das Recht zu Lohnvorschriften dem Kongreß abzusprechen. Es besteht ein klarer Unterschied, so sagte Sutherland, zwischen Bergwerk und Handel. „Der Bergbau schafft die Ware, der Handel verfügt darüber." I m Schechter-Fall war das Geflügel zwar von einem anderen Staat her eingeführt worden, aber im Bestimmungsort zur Ruhe gekommen. So befand es sich nicht länger im Strom des Zwischenhandels. „ D o r t hatte der Strom aufgehört. Hier hatte er nicht begonnen. Der Unterschied ist kein wesentlicher. Das anzuwendende Prinzip ist das gleiche." Es blieben die Preisvorschriften. Nur wenn auch sie verworfen wurden, konnte Carter seine Verfügung bekommen. Aber die Mehrheit brachte das nicht zum Ausdruck. Sie wählte einen anderen Weg. Sie erklärte: „Die Entscheidung über Verfassungsmäßigkeit der Preise w i r d erst dann nötig, wenn sie von den Arbeitsvorschriften getrennt werden können, so daß sie für sich allein dastehen." Vielleicht hatte der Kongreß diese Möglichkeit vorhergesehen, jedenfalls war er ihr zuvorgekommen. I n Teil 15, fast am Ende des Gesetzes liest man: „ W i r d ein Teil des Gesetzes für ungültig erklärt, dann soll das übrige davon nicht betroffen werden."

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Ja, sagte Sutherland, aber das ist „ k e i n unbedingter Befehl". Was war die Absicht der Gesetzgeber?, so fragte er sich, und seine Antwort lautete: „Vielleicht kann man das Problem lösen, indem man annimmt, daß es während der Beratung i m Kongreß eine Neigung gegeben habe, die Arbeitsvorschriften zu streichen. Wahrscheinlich, dann muß man sich fragen, ob i n diesem Fall das Gesetz so ausgelegt werden muß, daß der Kongreß auch die Preisvorschriften des Codex nicht i n das Gesetz eingebaut hätte." Der Nachdruck liegt auf wahrscheinlich. Nach weiterer Prüfung fuhr Sutherland fort: „So ist der Hauptzweck des Gesetzes Stabilisierung der Industrie durch Regelung von Arbeit und Preis. Da sie beide angenommen wurden, müssen w i r daraus schließen, daß beide für wesentlich gehalten wurden. Die Regelung der Arbeit auf der einen Seite und des Preises auf der anderen unterstützen und helfen sich gegenseitig. Ihre vereinte K r a f t wurde vom Kongreß für das gewünschte Ziel notwendig erachtet. Es ist unwahrscheinlich, daß der Kongreß, der das Gesetz ausdrücklich auf zwei Beine stellte, sich mit einem begnügt haben könnte." Daraus zog er den Schluß: „ D i e beiden sind so miteinander verknüpft, daß die Meinung des Kongresses klar hervorgeht, man könne Einheitspreise nicht gerecht festsetzen und wirksam regeln, wenn man nicht auch die Arbeit einbeziehe, die bei den Produktionskosten so sehr ins Gewicht fällt." Behalten wir immer die Wahrscheinlichkeit i m Auge. Denn Sutherland fuhr fort: „ M i t welchem Recht kann dieser Gerichtshof die offenbare Absicht des Kongresses i n das Gegenteil verkehren, indem er die gegenseitige Unterstützung und Zusammenarbeit von zwei Faktoren i n einen einzigen verwandelt? Man kommt nicht um die Schlußfolgerung herum, daß die Preisvorschriften des Gesetzes so zusammenhängen mit den Bedingungen, Erwägungen und dem Ausgleich durch die Arbeitsvorschriften, daß die ersteren wohl nicht getroffen worden wären, wenn man letztere verurteilt hätte. Über die Preisvorschriften des Gesetzes ist also eine Bestimmung getroffen, ohne daß man sich mit ihrer Verfassungsmäßigkeit abgeben m u ß 1 3 3 . " Aus Sutherlands Worten und meiner Unterstreichung w i r d klar, wie er sich zu dem Punkt steigerte, an dem er die Frage nach der

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Verfassungsmäßigkeit der Preisvorschriften nicht zu beantworten hatte. I n der Tat entsprachen sie der Verfassung. Die Minderheit, Hughes, Cardozo, Stone und Brandeis, vertraten das in ihrem abweichenden Votum, Cardozo mit einiger Mühe, Hughes ohne alle Schroffheit. Gehen w i r von dem Urteil der Mehrheit aus, die Lohnvorschriften seien ungültig. Die Minderheit bestritt dies nicht. Nehmen wir die Meinung der Minderheit an, die Preisvorschriften seien gültig. Die Mehrheit bestritt dies nicht und vier Jahre später gründete das Bundesgericht die Gültigkeit des Gesetzes von 1937 auf die Ausführungen von Hughes und Cardozo 1 3 4 . Die allgemeine Meinung war, daß es dem Kongreß freistehe, das eine ohne das andere einzubringen. Der Kongreß begab sich an die Ausführung, indem er bestimmte, daß das Gesetz nicht betroffen würde, wenn ein Teil für nichtig galt. Deutlicher konnte man sich nicht ausdrücken. Nach Cardozo verkündeten die Gesetzgeber „ m i t jedem möglichen Nachdruck, daß sie sich mit einem Teil begnügen würden, wenn sie nicht das Ganze haben k ö n n t e n " 1 3 5 . Hughes sagte: „ D i e Frage der Trennung sollte nicht der Erwägung unterliegen, wie der Kongreß bei einer Ungültigkeitserklärung und dem Wegfall eines Teiles der Vorschriften gehandelt hätte. Damit ist die Frage nicht zu entscheiden, sondern eher durch die Untersuchung, ob die Vorschriften nach ihrer Wesensart untrennbar sind, verbunden durch ein unlösbares Band136." Die beiden Teile waren bestimmt nicht unlösbar. Denken wir an die Eisenbahnpreise. Bei ihrer Festsetzung hatte man nie an die Notwendigkeit einer Lohnregulierung gedacht. Zudem wären hier Preise und Löhne durch verschiedene Körperschaften und auf verschiedenem Wege geregelt worden. Ja, die Regelung träte zu verschiedenen Zeiten i n Wirkung. Die Bezirksausschüsse müßten zuerst die Preise bestimmen, die Arbeitsstunden und die Löhne würden der Übereinstimmung von zwei D r i t t e l n der Gesellschaften und der Gewerkschaften überlassen. Das würde Zeit kosten. Es würde vielleicht auch nie geschehen, weil die zwei Drittel nicht zustande kämen. I n der Zwischenzeit wären die Preise festgesetzt. Wie hätte der Kongreß die Mehrheit davon überzeugen sollen, daß er meinte, was er sagte?

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Mindestlöhne Komischerweise brachen sich im Kampf zwischen dem alten Gerichtshof und dem New Deal die Linien des Gerichtshofes an etwas, das gar nicht New Deal war. Das war nicht so erstaunlich. Es wäre ja ein Fehler, den New Deal für wirklich neu zu halten. Der Kern seiner K r a f t lag in der Vergangenheit, i n der großen Linie lange erforderlicher Reformen, die hinter ihm aufmarschierten. Eine Generation lang hatte die alte Garde i m Gerichtshof Höchststunden und Mindestlöhne bekämpft. Als sie das New Yorker Lohngesetz im Juni 1936 für verfassungswidrig erklärte, gerade als die Wahlkonvente für die Herbstwahlen zusammentraten, gewannen sie ihre letzte Schlacht. U n d ihre Linie brach, gerade weil sie zu dieser Zeit diese Schlacht gewonnen hatten. Sie hatten ihr Ziel zu weit gesteckt. Warum ist ein Gesetz, das einen Mindestlohn festsetzt, verfassungswidrig? Genau genommen geht das die ganze Anwendung der Verfassung auf das Leben an. Kurz gesagt ist es folgendermaßen: I n der 5. Ergänzung (Amendment) w i r d die Bundesregierung angewiesen, „daß keine Person des Lebens, der Freiheit oder des Eigentums beraubt werden dürfe ohne ordentliches, gerichtliches Verfahren (Due Process of Law)." Für jeden Mann zu jeder Zeit, auch für die Väter und Schöpfer bedeutete das gerechte Gerichtsmethoden nach der Tradition; es bedeutete das Recht, zu seiner Verteidigung angehört zu werden, das Recht auf gerechte Untersuchung usw. Auch heute bedeutet es das gleiche. I n der 14. Ergänzung (Amendment), die 1868 nach dem Bürgerkrieg angenommen wurde, unterlagen die Regierungen der Einzelstaaten dem gleichen Verbot. Damals schon begann das ordentliche gerichtliche Verfahren mehr zu bedeuten, und zwar alle die natürlichen unveräußerlichen Rechte, die der Mensch ererbt hat, unsere absoluten Rechte, und als eines von ihnen, das Recht, in dieser schönen, geschäftigen Welt seinem Handel oder Beruf so ungestört wie möglich nachzugehen. Das Zeitalter des großen Aufschwungs begann, des Wettbewerbs zwischen energischen und fähigen Männern, die keine Einmischung wünschten. Sie waren sehr erfolgreich und sehr selbstsicher. Ihre Gedankenwelt war durch Darwin bestimmt, nicht durch das 18. Jahrhundert. Der Darwinismus, so sagt Henry Adams 1867—1868 i n dem gleichnamigen Kapitel seiner Erziehung, ist der „beste Ersatz für

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Religion, eine sichere, konservative, praktische, durchaus CommonLaw Gottheit". Darwinismus und Evolution. Wenn der Mensch zur Tierreich gehörte, dann war er auch seinen Gesetzen unterworfen. Ja, er wurde am besten durch sie allein regiert. War die Welt schlecht, so konnte man nichts daran ändern. Die Natur ließ sich nicht umbiegen. Was schlecht eingerichtet war, konnte nur von selbst besser werden. Eine gesunde Religion für einen erfolgreichen Mann. Spencer wurde der geistige Erzieher. Nach seiner Aussage waren seine besten Freunde Andrew Carnegie und ein Publizist mit Namen Edward Livingstone Youmans 1 3 7 . Der von Spencer dargelegte Darwinismus begründete aufs neue das Recht, seiner gesetzmäßigen Beschäftigung nachzugehen, möglichst wenig gestört durch Leute, die alles besser wissen wollten, als es aus der Natur hervorging. I n einer seiner kleinen Sonntagspredigten drückte das John D. Rockefeller ziemlich deutlich aus: „Die Entwicklung des Geschäftswesens bedeutet nur das Überleben der Fähigsten. Die Schönheitsrose Amerikas kann i n ihrem herzerfreuenden Glanz und Duft nur erblühen, wenn man die frühen Knospen abschneidet. Das ist keine schlechte Geschäftstendenz, es ist nur die Auswirkung von Natur und Gottesgesetz 138 ." Für Rockefellers Sonntagsschulpredigten eignete sich dies vorzüglich. Für ihn und die i h m Gleichgesinnten war der eigene Geschäftserfolg von Gott und der Natur nach jedem göttlichen, zoologischen und botanischen Gesetz bestimmt und sein ölmonopol war die Blüte, die Schönheit Amerikas. Die göttlichen Eigenschaften kamen durch die Puritaner hinein, für welche das ganze Leben, einschließlich des Geschäftes, eine Gelegenheit darstellte, die der Mensch aus moralischer und religiöser Verpflichtung benützen müsse. Der Beitrag der Puritaner war es, der das Geschäft zu einer Tugend, nämlich der Industri-a, gestempelt h a t t e 1 3 9 . Der Prüfstein für die Erfüllung dieser Pflicht war der Geschäftsgewinn. Rockefeiler wendete bei der Aufhäufung seines Vermögens denselben religiösen Eifer an, den er zu einer späteren Zeit beim Ausgeben anwandte. Natürlich mußte er zu dem einen wie zu dem anderen das freie Recht haben. Die Freiheit hatte ebensosehr für die Gottesverehrung als wie für die Unterzeichnung eines Vertrages zu gelten. Wenn man eingewendet hätte, daß es ebenso unvernünftig und

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schlecht sei, die Geldgeber zur Grundlage zu machen wie das Geschlechtsleben, so hätte Rockefeller nicht zugestimmt 1 4 0 . 1905 tauchte der Lochner-Fall a u f 1 4 1 . E i n New-Yorker Gesetz bestimmte Höchststunden für Bäcker. Das Bundesgericht erklärte das mit 5 zu 4 Stimmen für verfassungswidrig, weil New Y o r k die Vertragsfreiheit beeinträchtige, das Recht der Bäcker, mehr als 60 Stunden in der Woche zu arbeiten. Hier äußerten sich die Gegner zum erstenmal ganz deutlich. Holmes schrieb sein großes abweichendes Votum. Wenn ein abweichendes Votum je die Bedeutung eines Präzedenzfalles hatte, dann dieses hier. Ich bringe es allerdings ungekürzt, ohne die Zitate: „ M i t großem Bedauern erkläre ich i n diesem Fall meinen Widerspruch gegen das Urteil, weil ich es für meine Pflicht halte." „ D i e Entscheidung ruht auf einer Wirtschaftslehre, die ein großer Teil dieses Landes nicht teilt. Wäre es nur die Frage, ob ich diese Theorie billige, so würde ich sie vor meinem Entschluß längere Zeit überprüfen. Aber ich sehe nicht darin meine Pflicht, weil ich glaube, daß meine Übereinstimmung nichts zu tun hat mit dem Recht der Mehrheit, ihrem Urteil richterlichen Ausdruck zu verleihen. Durch verschiedene Entscheidungen dieses Gerichtshofes wurde festgestellt, daß Verfassungen und Staatsgesetze das Leben auf vielerlei Arten regeln können, die wir als Gesetzgeber für ebenso ungerecht und sogar tyrannisch halten würden und die ebenso tief in die Vertragsfreiheit eingreifen wie das vorliegende. Sonntagsgesetze und Wuchergesetze sind bekannte Beispiele. E i n neueres Beispiel ist das Verbot der Lotterien. Die Freiheit des Bürgers, so zu handeln, wie er will, solange er nicht andere an der gleichen Freiheit hindert, ist die Devise bekannter Schriftsteller geworden. Diese Freiheit des Bürgers w i r d eingeschränkt durch die Schulgesetze, durch die Post, durch jede Staats- oder Gemeindeeinrichtung, die ihm sein Geld für noch so wünschenswerte Zwecke abnimmt, ob er damit einverstanden ist oder nicht. Die 14. Ergänzung (Amendment) setzt nicht Herrn Herbert Spencers Soziale Statik i n Kraft. Neulich hießen wir das Impfgesetz von Massachusetts gut. Statute der Vereinigten Staaten und der Einzelstaaten, welche die Vertragsfreiheit beschneiden, sind diesem Gerichtshof nicht fremd. Vor zwei Jahren billigten wir das Verbot von Börsentermingeschäften i n der Verfassung von Kalifornien. Die Einführung eines Achtstundengesetzes für Bergleute liegt wenig zurück."

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„Einige dieser Gesetze verkörpern Überzeugungen oder Vorurteile, welche die Richter vermutlich teilen werden. Andere wieder nicht. Aber die Verfassung ist nicht dazu da, eine Wirtschaftslehre zu vertreten, sei es die des Patriarchalismus und der geregelten Beziehung des Bürgers zum Staat oder des Laissez-faire. Die Verfassung wurde für grundverschiedene Auffassungen geschaffen. Der Zufall, daß wir manche Meinungen für natürlich und vertraut halten, andere für neu und sogar abschreckend, sollte nicht unser Urteil bestimmen über die Frage, ob das betreffende Gesetz mit der Verfassung der Vereinigten Staaten i m Widerspruch steht." „Allgemeine Anschauungen bestimmen nicht über besondere Fälle. Die Entscheidung w i r d von einem feineren Urteil oder einer feineren Einfühlung abhängen als von einer ganz bestimmten Voraussetzung. Ich glaube, daß wir damit ziemlich nahe ans Ziel kommen werden. Jedes V o t u m etrebt danach, zum Gesetz zu werden. Das Wort Freiheit i n der 4. Ergänzung w i r d nach meiner Meinung verkannt, wenn es die natürliche Auswirkung einer allgemein herrschenden Ansicht verhindern soll. Das kann nur dann der Fall sein, wenn man sagen kann, daß ein vernünftiger und gerechter Mann unbedingt zugeben müsse, das Statut verletze die Grundprinzipien, die durch die Traditionen unseres Volkes und unseres Rechtes bestimmt sind. Ohne große Mühe kann man nachweisen, daß eine solche Verurteilung auf das vorliegende Statut nicht zutrifft. Ein vernünftiger Mann kann es für eine geeignete Gesundheitsmaßnahme halten. Männer, die ich gewiß nicht für unvernünftig ansehen würde, können es als den Beginn einer allgemeinen Regelung der Arbeitsstunden betrachten. Ob man ihm in dieser Hinsicht Ungerechtigkeit vorwerfen kann, brauchen wir nicht zu erörtern." Während der nächsten 20 Jahre trat die Lochner-Entscheidung „ i n den wohlverdienten Ruhestand". Ein Zehnstundengesetz für Frauen wurde in Oregon angenommen 14 ^. Das war der Fall Muller, zu dem Brandeis die Information abgab. I m Fall Bunting waren Überstunden mit 50 % Zuschlag unterstützt worden 1 4 3 . 1923 kam die Adkins-Entscheidung. Ein feiner Übergang von Höchststunden zu Mindestlöhnen. Der Adkins-Fall betraf das Mindestlohngesetz für Frauen i m Bezirk von Columbia, das 1918 herausgekommen war. Dadurch wurden die Löhne für Frauen auf einen Stand gebracht, der die Lebenskosten, die Aufrechterhaltung der Gesundheit und den Schutz ihrer

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Moral sicherstellen sollte. Es wurde für verfassungswidrig erklärt. Brandeis gehörte schon dem Bundesgericht an, aber er nahm nicht teil, weil er zur Zeit seiner Ernennung als Rechtsanwalt für den Fall gewirkt hatte. Frankfurter übernahm die Vollendung einer von Brandeis' langen Darlegungen. Holmes war natürlich auf der Gegenseite. Auch Taft, und das war n e u 1 4 4 . Er sah keinen verfassungsmäßigen Unterschied zwischen Mindestlöhnen und Höchststunden. Er war auch der Ansicht, daß die Buntingentscheidung auf den Fall zutreffe. Ein Paragraph aus Sutherlands Begründung für die Mehrheit scheint uns besonders wichtig: „Was diesem Gesetz ganz besonders den Stempel der Ungültigkeit aufdrückt, ist die Tatsache, daß vom Arbeitgeber eine willkürliche Bezahlung verlangt w i r d aus Gründen, die mit seinem Geschäft nicht zusammenhängen, auch nicht mit dem Vertrag oder der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Die Grundlage bildet nicht der Wert der geleisteten Dienste, sondern äußere Umstände, nämlich, daß der Arbeitnehmer eine bestimmte Summe braucht, um Lebenshaltung, Gesundheit und Moral sicherzustellen. Wenn das Gesetz die Bezahlung der geleisteten Dienste verlangte, sogar in gerechter Beziehung zu dem erzielten Gewinn, so wäre das verständlich. Aber der Zwang zu Zahlungen ohne Rücksicht auf diese Dinge, nur im Hinblick auf Umstände außerhalb des Arbeitsvertrages und außerhalb des Geschäftes und der Arbeitsleistung, kann nicht für verfassungsgemäß erklärt werden." Der vorletzte Satz muß hervorgehoben werden, weil die Gesetzgebung von ungefähr 16 Staaten ihn sofort aufgriff i n dem Sinn, daß also Mindestlöhne, die i n gerechter Beziehung zu den geleisteten Diensten stünden, gültig seien. Natürlich konnten sie das versuchen, aber wenn sie es als Sutherlands Meinung unterstellten, daß er alles für verfassungsmäßig ansah, was er für verständlich hielt, dann waren sie auf dem Irrwege. Sie setzten sein Wort „verständlich" gleich mit „vernünftig". Natürlich meinte er dies nicht. Ebensowenig wie Spencer zugegeben haben würde, daß „der W e r t " von irgend etwas, einschließlich der Dienstleistung, durch das Gesetz geregelt werden könne. Er würde nur das Gesetz von Angebot und Nachfrage anerkannt haben. Es war eine etwas unglückliche Bemerkung, und sie brachte später das Bundesgericht in Verlegenheit. Zweimal während der nächsten 12 Jahre, 1925 und 1926, erklärte das Oberste Bundesgericht ohne Angabe von Gründen zwei Gesetze

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für ungültig, die Mindestlöhne für Frauen festsetzten. Arizona untersagte die Anstellung einer Frau i n einem Geschäft, Büro, Laden, Restaurant, Wäscherei oder Fabrik unter einem Wochenlohn von 16 Dollars. Arkansas erklärte es für ungesetzlich, einer Frau mit 6 Monaten Berufserfahrung weniger zu bezahlen als 1,25 am Tag, Anfängerinnen weniger als einen Dollar am Tag. Beide Gesetze erklärte das Bundesgericht für ungültig, nur m i t dem Hinweis auf die Adkins-Entschließung. Wie w i r gesehen haben, gab auch Holmes seinen Widerspruch auf, m i t Rücksicht auf den Präzedenzfall. So war die Lage im Jahre 1935, als Josef Tipaldo, der Inhaber der Spotlight-Wäscherei i n Brooklyn überführt wurde, falsche Einträge i n sein Zeitbuch gemacht zu haben. Er wollte damit die Zahlung der Mindestlöhne beweisen, die für Wäscherinnen i n NewYork festgelegt waren. Tipaldo wurde aus zwei Gründen verurteilt, wegen der falschen Einträge und auch wegen der Verletzung der Mindestlöhne. Er focht das Urteil an, weil Mindestlöhne der Verfassung widersprächen. Er bezog sich auf den Adkins-Fall, i n dem das Oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten 1923 das Mindestlohngesetz von Columbia für nichtig erklärt hatte, weil es die Klausel vom ordentlichen gerichtlichen Verfahren verletzte. New Y o r k hatte die Anregung von Sutherland aufgenommen und sein Mindestlohngesetz für Frauen begann mit folgender Erklärung: „Der Lohn für Frauen müsse 1. dem gerechten Wert der Dienstleistung entsprechen und 2. müsse er die Kosten einer gesundheitlichen Lebenshaltung decken." Wenn die Löhne in Wäschereien die Lebenshaltungskosten deckten, aber nicht dem Arbeitswert entsprachen, so war das gesetzlich. Wenn sie die Lebenskosten nicht deckten, sondern nur nach dem Arbeitswert bemessen waren, so war das auch gesetzlich. Aber wenn beides nicht der Fall war, dann waren sie „bedrückend und unvernünftig" und damit ungesetzlich. Ein Ausschuß für Arbeitslohn, bestehend aus drei Arbeitgebern, drei Arbeitnehmern und drei Neutralen sollte für die verschiedenen Industrien und Distrikte Mindestlöhne festsetzen. Der Lohn sollte „ i n einem gerechten und vernünftigen Verhältnis stehen zu dem Wert und zu der A r t der Dienstleistung". Das war nach Sutherland „verständlich" gewesen. Tipaldo wurde verurteilt und legte Berufung beim höchsten Gerichtshof in New Y o r k ein. Dort gewann er 4 zu 3. Die vier folgten einfach der Entschließung im Adkins-Fall. Sie sagten: „ W i r können

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nicht erkennen, worin sich dieses Gesetz unterscheidet von jenem Kongreßgesetz, das i m Fall Adkin gegen Children's Hospital abgelehnt wurde. Dort wurde bestimmt, das Mindestlohngesetz von 1918 sei eine verfassungswidrige Einmischung in die Vertragsfreiheit. Da uns die Auslegung der Bundesverfassung durch das Oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten bindet, fühlen wir uns verpflichtet, ihren Entscheidungen Folge zu leisten, außer, wenn sie ungeeignet sind. W i r können keinen Unterschied zwischen dem Kongreßgesetz und diesem Gesetz i n New Y o r k feststellen." Der Gerichtshof von New York hatte allerdings einen Fehler gemacht. Es gab gerade jenen Unterschied, nach welchem der Mindestlohn nach Sutherland verständlich wurde. Es bestand also ein Unterschied zwischen dem Mindestlohn i m Adkins-Fall und dem Mindestlohn, den der Ausschuß für Arbeitslöhne festzusetzen hatte. Der Ausschuß sollte einen Arbeitslohn bestimmen, der auf gerechte und vernünftige Weise der Dienstleistung entsprach. Er mußte nicht die Lebenshaltung decken. Der New-Yorker Gerichtshof hatte sein eigenes Gesetz falsch ausgelegt. Der Fall Tipaldo kam noch einmal vor das höhere Gericht ( on certiorari) und wurde am 28. und 29. A p r i l 1936 verhandelt. Das Bundesgericht hörte die Ausführungen beider Anwälte, sowohl des eigenen wie des Vertreters von New York an. Richter Acheson, jetzt Staatssekretär im Außenministerium, wurde für die Staaten Connecticut, Illinois, Massachusetts, New Hampshire, New Jersey und Rhode Island zugelassen, die ähnliche Gesetze zu verteidigen hatten. A m 1. Juni 1936 wurde 5 zu 4 entschieden, daß das New-Yorker Gesetz für Mindestlöhne der Verfassung widerspräche. Butler schrieb die Urteilsbegründung für die Mehrheit, und zwar in folgender Weise 1 4 5 . Die Berufung geht darum, ob das Gesetz von New Y o r k sich von dem ungültigen Gesetz des Adkins-Falles unterscheide. Das sei deshalb die einzige Frage vor Gericht. „Es wurde kein Versuch gemacht, jene Verfassungsfrage noch einmal zu prüfen." „Der Staat New York ist nicht berechtigt und wünscht auch nicht, die Frage aufzuwerfen, ob der Adkins-Fall entkräftet werden muß." W i r müssen dabei verweilen. Denn wenn Butler Recht hatte, dann konnte die Mehrheit der Hauptfrage ausweichen, nämlich ob die Entschließung im Falle Adkins widerrufen werden müsse.

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Die Bitte New Yorks um Überprüfung hatte folgendes enthalten: „Die Umstände, welche zu dem New-Yorker Gesetz führten, verlangen eine Wiederaufnahme des Adkins-Falles im Licht des NewYorker Gesetzes und der dadurch zu verbessernden Bedingungen." Heißt das nicht eine neue Prüfung der Verfassungsfrage fordern, die i m Adkins-Fall entschieden worden war? Aber nehmen w i r sogar an, die Rechtsanwälte seien so ungeschickt gewesen, vom Gerichtshof nicht den Widerruf dieser 13 Jahre alten Entschließung zu fordern. Die Gültigkeit der Gesetze von 16 Staaten stand auf dem Spiel. Soll das Bundesgericht i n seinem I r r t u m verharren, bis der nächste Fall auftaucht, nur weil die Rechtsanwälte keine Berichtigung verlangt haben? Vielleicht ja, wenn es sich um Privatprozesse handelt. Dann hat der Rechtsanwalt einfach den Fall schlecht geführt. I n einem Privatprozeß mag der Kläger selbst und allein entscheiden, welche Rechtsfragen er behandelt haben will. Denn es ist sein Prozeß. Alber hier handelt es sich um mehr als um private Dinge. Wenn das Bundesgericht wirklich die P o l i t i k der Regierung bestimmt, dann ist es unsinnig, den Ausgang von der Wahl eines Rechtsanwaltes abhängig zu machen. Zwei Jahre später nahm das Bundesgericht eine ganz andere Haltung ein. I m Tompkins-Fall 1 4 6 setzte es eine Entscheidung von vor hundert Jahren außer K r a f t , welche keine Partei je bezweifelt oder angefochten hatte. Damals protestierten Butler und McReynolds und verlangten eine Berichtigung, die ihnen versagt w u r d e 1 4 7 . Das Vorgehen Butlers würdigte den Rechtsstreit zu einer technischen Frage herab. Unterschied sich das Gesetz von New Y o r k von dem Gesetz von Columbia, das im Adkins-Fall für ungültig erklärt worden war? W i r haben schon gesehen, daß das der Fall war. Aber der Gerichtshof von New Y o r k hatte sein Gesetz mißverstanden. Er hatte „keinen materiellen" Unterschied festgestellt. „Das Bundesgericht", so sagte Butler, „ k a n n ein Gesetz nicht anders auslegen als der höchste Gerichtshof des betreffenden Staates. Die Auslegung des New-Yorker Gerichtshofes muß angenommen werden, genau so, als ob sie i m Statut stünde. W i r können keine Anträge annehmen, die auf einer vom Gerichtshof abgelehnten Auslegung beruhen." Da man also von ihm keine Entkräftung der Adkins-Entscheidung verlangt hatte, hielt das Bundesgericht einfach daran fest und erklärte das New-Yorker Statut für ungültig. 9*

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Da war aber etwas dagegen zu sagen. Die vier Richter auf der Gegenseite konnten nicht so leicht abgeschüttelt werden. Sie wandten sich gegen die Adkins-Entscheidung, obwohl sie fast ihre eigene war. Sutherland hatte die Beweisführung geschrieben. Van Devanter, McReynolds und Butler hatten alle dafür gestimmt. McKenna, der der fünfte gewesen war, war tot, und an seine Stelle war Roberts getreten. So verharrte Butler etwas in seiner Verteidigungsstellung. W i r wollen i h m nicht weiter folgen. Hughes und Stone schreiben beide abweichende Voten, und Brandeis, Stone und Cardozo schlossen sich ihnen an. Vielleicht wollte Hughes den Worten Stones nicht zustimmen, weil er wieder wie i m Falle des A.A.A. ziemlich bitter wurde. Leider ist seine Niederschrift zu lang, um sie ganz zu zitieren, aber so gut, daß wir einiges daraus bringen müssen. Besonders der letzte Satz ist von Bedeutung. „Es liegt eine grimmige Ironie darin, von der Vertragsfreiheit jener zu sprechen, die infolge ihres Notstandes ihre Dienste für weniger zur Verfügung stellen müssen, als der Erhaltung des Lebens dient. Es kann kein Zweifel bestehen, daß eine große Zahl solcher Unterbezahlten, die nicht einmal das Existenzminimum verdienen, eine ernste Angelegenheit für die Öffentlichkeit ist, um so mehr, als dadurch, wie schon gesagt, Krankheit, Unmoral und Verschlechterung der Rasse hervorgerufen werden. Zu der einen oder anderen Zeit haben der Kongreß und die gesetzgebenden Körperschaften von 17 Staaten, außerdem die Gesetzgebung von 21 auswärtigen Ländern, darunter Großbritannien und seine Commonwealths, die Lohnregelung für ein geeignetes Heilmittel gegen ernste, soziale und wirtschaftliche Mißstände gehalten, die aus der ungleichen Verhandlungsmacht erwachsen. Darnach ist dieses Heilmittel für mich nicht unvernünftig. 4 4 „ M a n müßte wirtschaftlich voreingenommen sein, um irgendeinen Grund zu ersinnen, warum der Arbeitsvertrag weniger ein Gegenstand der Gesetzgebung sein könne als viele andere, mit denen, unter Zustimmung dieses Gerichtshofes, die Gesetzgebung die Freiheit des einzelnen i m allgemeinen Interesse einschränkt. 44 „ I n den Jahren seit dem Adkins-Fall konnten wir erfahren, daß der Lohn nicht immer das Ergebnis freier Verhandlungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ist. Er kann dem Arbeitnehmer durch die Not, dem Arbeitgeber durch den Druck seiner Konkur-

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renten aufgezwungen werden. W i r haben immer klarer erkannt, daß ein ungenügender Lohn, der die Lebenshaltungskosten nicht deckt, nicht den Arbeiter allein schädigt. Er kann den ganzen Aufbau der Gesellschaft aufs Tiefste beeinflussen. I n jedem Falle w i r d er auf jeden Steuerzahler und auf die Regierung selbst Lasten legen, die mit dem Problem der Armut, der Existenz, der Gesundheit und der Moral großer Teile der Gemeinschaft zusammenhängen. Durch ihr Wesen und ihre Ausdehnung sind das öffentliche Fragen. Noch vor einer Generation konnte der einzelne sie lösen, heute gehen sie zu Lasten der Nation. „ N i c h t die Gerichtshöfe können die Zweifel entscheiden, ob das Heilmittel der Lohnregelung so wirksam ist wie viele glauben, ob es nun besser ist als ein anderes oder ob es wenigstens der blinden Wirkung unbewachter wirtschaftlicher Kräfte vorzuziehen ist. Die Gesetzgebung muß frei wählen können oder die Regierung w i r d unwirksam. Die 14. Ergänzung hat in die Verfassung ebensowenig eine bestimmte Wirtschaftsauffassung eingebaut, als sie im Namen der Freiheit jenes System der Theologie angenommen hat, dem w i r zufällig anhängen." Hier war eine andere Nuß, die der Kongreß nicht knacken konnte, ein anderer Stein im Weg, um den es keinen Umweg gab. Denn die Vertragsfreiheit ist, wie ider Unterschied zwischen direkt und indirekt, eine Abstraktion; eine theologische, wie Stone sich ausdrückte. Nur gegen Darwin und gegen Spencer konnte der Gerichtshof darum herumkommen. Diese beiden Abstraktionen waren unlösbar durch die Gesetzgebung. U n d die Theorie, wonach das A. A. A. für verfassungswidrig erklärt worden war, schien noch unlösbarer. Denn dort hatte das Bundesgericht einfach erklärt, daß das Gesetz gegen den Geist der Verfassung verstoße. Das war so, so lange der Geist sich auf seinen Füßen halten konnte.

Die Wahl von 1936 und der Gerichtsplan des Präsidenten Während die Richter über die Mindestlöhne berieten, bereiteten die Parteiführer den kommenden Wahlkampf für 1936 vor. Nach der Entschließung über die Mimdestlöhne am 1. Juni vertagte sich der Gerichtshof und die Richter eilten in ihren Sommerurlaub. Das Gepäck mit den Gesuchen für im nächsten Jahr zu behandelnde

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Fälle folgte ihnen nach. Schon versammelten sich die republikanischen Führer i n Chikago und machten sich für den Konvent bereit. Sie mußten wohl das Bundesgericht stützen und die Mehrheitsbeschlüsse vertreten. Eine Opposition, die loyal handeln wollte gegen sich selbst und gegen das Land, konnte nicht anders handeln. Das republikanische Parteiprogramm sagte: „Der New Deal hat die Einbringung von Gesetzen erzwungen, die der Verfassung nicht entsprechen. Die Unbescholtenheit und das Ansehen des Obersten Bundesgerichtes sind in Frage gestellt. 44 Aber die Verfasser des Parteiprogramms mußten wohl schon mit der Arbeit begonnen haben, vor jenem 1. Juni, an dem das Urteil über die Mindestlöhne herauskam. Denn sie hatten gesagt: „ W i r setzen uns ein für Staatsgesetze zum Schutz von Frauen und Kindern i m Hinblick auf Höchststunden, Mindestlöhne und Arbeitsbedingungen. Wir glauben, daß das innerhalb der Verfassung geschehen kann, wie sie jetzt lautet Wenn das nicht vor dem Urteil des Gerichtshofes geschrieben wurde in der Erwartung eines anderen Ergebnisses, dann legten sie entweder die Partei auf einen eigenen Gerichtsplan fest oder ihre Träume betrogen sie. Landon wußte es besser. Sobald er präsentiert wurde, telegraphierte er an den Konvent: „ I c h hoffe, die Ansicht des Konventes ist richtig, wonach unsere Absichten innerhalb der jetzigen Verfassung erreicht werden können. Sollte sie aber auf I r r t u m beruhen, so erkläre ich schon heute, daß ich i m Fall meiner Ernennung und Wahl für eine Ergänzung der Verfassung eintreten werde. Danach sollen die Einzelstaaten ermächtigt werden, alle Gesetze einzuführen, die zu einem angemessenen Schutz von Frauen und Kindern i n der Frage der Höchststunden, der Mindestlöhne und der Arbeitsbedingungen notwendig sind. 44 A u f der anderen Seite ließen Präsident Roosevelt und die Demokraten keinen Zweifel daran, daß der New Deal fortgesetzt würde. I n seiner Schlüsselansprache im demokratischen Konvent kam Senator Barkley auf Lincolns 1. Antrittsrede zurück. Ich w i l l einen Satz wiederholen: „Sollte die Regierungspolitik in Lebensfragen des ganzen Volkes unwiderruflich festgelegt werden durch die Entscheidungen des Obersten Bundesgerichtes in gewöhnlichen Prozessen zwischen Zivilparteien, dann ist das V o l k nicht mehr sein eigener Herr, da es praktisch die Regierung in die Hände dieses hohen Gerichtshofes gelegt hat. 44

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I n der Tat hatte das Bundesgericht die Lage mehr verwirrt, als Landons Ergänzung gutmachen konnte. Zu den Gesetzen, die schon für ungültig erklärt worden waren, kam noch das Sozialversicherungsgesetz (Social Security Act) und das nationale Gesetz über Arbeitsbeziehungen (National Labor Relations Act). Beide waren schon erlassen und befanden sich bereits auf dem Weg zum Galgen. Denn es war ziemlich klar, daß die Mehrheit im Gerichtshof keinen verschonen würde. Als sie später vor das Bundesgericht kamen, bestätigte sich das, aber durch gespaltene Voten. Dabei stand noch manches auf dem Programm des New Deal das noch nicht eingebracht war. Zum Beispiel das Lohn- und Arbeitsstundengesetz (Wages and Hours Act). Der Präsident sollte es im Mai 1937 dem Kongreß übergeben. Es forderte, daß „Waren, die unter menschenunwürdigen Bedingungen hergestellt sind, als Konterbande betrachtet würden und die Kanäle des zwischenstaatlichen Handels nicht beflecken sollten". Damit dieses Gesetz verfassungsmäßig würde, mußten einige Urteile widerrufen werden, darunter Hammer gegen Dagenhart. Vor 18 Jahren war in diesem Fall ein Geisetz zu Fall gekommen, das die Kinderarbeit beseitigen sollte. Denn das Lohn- und Stundengesetz würde über das alte Kinderarbeitsgesetz hinausgehen und auch noch Mindestlöhne und Höchststunden für fast alle Werktätigen einrichten. Wieder tauchte der alte Vorschlag auf, die Verfassung dahin zu ergänzen, daß dem Kongreß die Macht zur Entkräftung der Gerichtsurteile gegeben würde, wie er schon das Veto des Präsidenten umstoßen konnte. Theodor Roosevelt hatte sich für dieses Heilmittel ausgesprochen. Gerichtspräsident Marshall war bekanntlich so weit gegangen, es vorzuschlagen, da er es einer Anklage vorzog. Lloyd Garrison, damals Dekan der Wisconsin-Universität, schlug eine Machtergreifung des Kongresses vor in allen Fragen der „allgemeinen Wohlfahrt". Aber was sollte das bedeuten? Es war ein übertriebener Ausdruck, der große Selbstbeschränkung vom Kongreß forderte, und, wie Professor Corwin sagte, „was sollte die Verleihung neuer Rechte an den Kongreß durch eine Ergänzung der Verfassung, wenn diese Macht denselben Bedingungen der Zerstörung unterlag, die sie notwendig machten?" 1 4 8 . Sollte das Land warten, bis einer oder zwei von den Richtern starben? Die Schwierigkeit lag bei Brandeis. Er war so alt, daß er

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der erste sein konnte. U n d Stone war krank. Oder sollte das Land einfach alles ertragen, bis einer von ihnen anderen Sinnes wurde? A m 12. Oktober, einige Wochen vor der Wahl, lehnte das Bundesgericht den Widerruf der Entscheidung wegen des New-Yorker Mindestlohngesetzes a b 1 4 9 . Zwei Wochen nach der Wahl trat eine Spaltung i m Gerichtshof ein, die darauf schließen ließ, der Gerichtshof habe seinen Sinn geändert 1 5 0 . Ein Fall, der sich auf das New-Yorker Arbeitslosengesetz bezog, war am 11. November 1936, einen Tag nach der Wahl, verhandelt worden. Als das Urteil am 23. November herauskam, war Stone noch krank. So blieben nur acht Richter für die Abstimmung. Der Präsident kündigte an, daß der Gerichtshof 1 zu 1 geteilt sei. Es konnte also nur gesagt werden, „bestätigt durch das Bundesgericht mit Stimmengleichheit". Ein Urteil kam nicht heraus, weil es keine Mehrheit und so keine Entscheidung gab. Das Urteil im Berufungsgericht von New York, das sich 5 zu 2 für das Arbeitslosengesetz ausgesprochen hatte, blieb also rechtskräftig 1 5 1 . Es zeigte sich, daß einer von den fünf en abgesprungen war. Sonst müßte bei Stones' Abwesenheit die Abstimmung 5 zu 3 ausgefallen sein. Wer war es und warum? Durch die Sinneswandlung nach der Wahl? Oder durch irgendeine genaue juristische Unterscheidung? Keiner wußte es und wenige errieten es. Inzwischen plagte sich der Präsident m i t dem Problem ab. Endlich verlor er die Geduld. A m 5. Februar 1937 kam er plötzlich mit seinem Gerichtsplan heraus. I n der Verfassung steht nicht, wieviele Richter es geben soll. Es bleibt dem Kongreß überlassen, die Zahl von Zeit zu Zeit festzusetzen. Der Kongreß kann den Gerichtshof nach freiem Ermessen erweitern, wie der englische König Peers schaffen und das Oberhaus erweitern kann. Darüber besteht kein Zweifel. Der Präsident schlug nun vor: Wenn ein Richter 10 Jahre am Bundesgericht gewirkt und das Alter von 70 Jahren überschritten hatte, konnte er bei vollem Gehalt zurücktreten. Zog er sich nicht zurück, dann sollte ein neuer Richter ernannt werden, bis zu der Gesamtsumme von 15. Das war eine Einladung an sechs von ihnen, an alle, außer Roberts, Stone und Cardozo. Um die Bedeutung des Planes genau zu erkennen, muß man sich an die Stelle von einem der Mehrheitsrichter versetzen. Man ist 70 Jahre alt und hat über 10 Jahre Dienstzeit. Man kann sich mit

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vollem Gehalt zurückziehen. Tut man es nicht, dann bekommt man einen Kollegen, dessen Meinung bestimmt nicht mit der eigenen übereinstimmt. Tut man es, so t r i t t er an die eigene Stelle. Da kann man sich wohl beleidigt fühlen, aber das geht nur jeden einzelnen an. Was eigentlich hinderte den höchsten Vertreter der Exekutive und den Gerichtspräsidenten daran, eine Angelegenheit, welche die Nation so sehr betraf, zu besprechen? Gibt es noch ein anderes Land in der Welt, in dem der höchste Justizbeamte nicht mit dem Haupt der Regierung eine Aussprache haben kann? Gewiß würden i n England der Ministerpräsident und der Lordkanzler schon lange Unterhaltungen über den Fall gepflogen haben. Dann hätten sie sich auch den Lordoberrichter kommen lassen. Warum kam es in den Vereinigten Staaten nicht in Frage, daß der Gerichtspräsident zum Präsidenten ging und sagte: „ H e r r Präsident, mein Gerichtshof übt, wie wir beide wissen, sowohl eine Verwaltungswie eine Gerichtstätigkeit aus. W i r finden es beide schwierig, die Tätigkeiten zu vereinen. Sie haben die Geduld verloren, und ich tadele Sie deswegen nicht. Aber so wenig wie ich wollen Sie die Würde des Gerichtshofes vermindert sehen. Warum sollen wir nicht, genau wie zwei andere Beamte mit Pflichtgefühl, über die Interessen dieses Landes beraten? Wollen wir einen Umbau des Gerichtshofes erwägen. Wenn Sie m i r Ihre Gedanken über Neuernennungen so offen sagen, wie ich Ihnen die meinen über Rücktritte, vielleicht können wir dann diesen unseren Gerichtshof zu einer besseren Pflichterfüllung und einer besseren Wahrung seiner Würde befähigen. Indem Sie eine Entscheidung erzwangen, haben Sie es mir erschwert. Ich hatte es ja schon selbst erkannt. Aber die Frage, ob ich zu Ihnen kommen sollte oder Sie zu mir, ist nur eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem Anlaß. Was können wir beide jetzt tun?" Die Ungehörigkeit des Gerichtsplanes des Präsidenten hat keine andere Grundlage als die Unmöglichkeit einer solchen Besprechung zwischen dem Präsidenten und dem Gerichtspräsidenten. Es wäre ein schmutziger Handel, i n einem Privatprozeß einen Gerichtshof eigens für den Widerruf einer Entscheidung zusammenzusetzen. Aber wenn das Oberste Bundesgericht im Lauf von vorliegenden Privatstreitigkeiten eine Regierungstätigkeit ausübt, dann ist seine Aufgabe politisch und kann mit Recht so betrachtet und so behandelt werden. Können wir beides haben? Können wir Regierungsentschei-

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düngen von einem Gerichtshof verlangen und doch darauf bestehen, daß er nichts als ein Gerichtshof bleibt? Eine solche Besprechung hat nicht stattgefunden. Hughes meisterte die Lage. Es bestand für ihn kein Grund, den Präsidenten aufzusuchen, so wenig wie für den Präsidenten, seinen Plan vorzuschlagen. Deshalb schlug der Plan auch fehl. Das war ein Glück, denn der Fortgang bot eine bessere Lösung, als dieser Erfolg hätte haben können. I m weiteren Verlauf der Dinge befand sich das Land in der glücklichen Lage eines Mannes, der seinen Kuchen aufgegessen hat und ihn doch noch in der Hand hält. Das Land bekam seinen Willen und behielt doch seinen Gerichtshof, vielleicht sogar einen stärkeren Gerichtshof. Denn als die alte Mehrheit nachgab und die Wünsche des Landes erfüllte, übernahm die neue Mehrheit einen Gerichtshof, der nur so glänzte von den Schmeicheleien der Gegner des Gerichtsplanes. Die alte Mehrheit übernahm den Tadel für die mißfälligen Urteile. Sie taten es gerne, denn sie waren stolz darauf, obwohl wenige von den Gegnern des Planes sie verteidigten. Wofür sie eintraten, das war der Gerichtshof, nicht fünf Männer, nicht neun Männer, sondern die Heiligkeit eines Gerichtshofes. Dieser glückliche Ausgang war die Frucht sorgfältiger Erwägungen eines einzelnen Mannes. Der Gerichtshof verdankt Roberts sehr viel. Man braucht deshalb nicht anzunehmen, daß er sein Gewissen auf dem Altar des Vaterlandes geopfert hatte, wie andere Männer ihr Leben. Er hatte sich einfach wieder zu seiner früheren Haltung im Nebbia-Fall zurückgewendet. Nicht zum erstenmal in der Geschichte hing die Wohfahrt eines Landes von dem Gewissen und der Weisheit eines einzigen Mannes ab. Die Vereitelung des Präsidentenplanes verdanken wir eindeutig dem Meinungswechsel von Roberts und seinem Eintreten für die neue Mehrheit, die dadurch zustande kam. Möglicherweise wäre der Plan durch den Senat gebracht worden, wenn nicht Senator Wheeler ihn aufgehalten hätte. Das war noch, ehe die neue Mehrheit sichtbar geworden war. Der Aufschub gab den Gegnern des Planes Zeit zur Vorbereitung. Die Juristenvereinigung (Bar Association) organisierte eine Opposition, die großen New-Yorker Büros errichteten eine Stelle i n Washington, wo ihre jüngeren Herren Statistiken sammelten und Schriftstücke verfaßten, das Komitee des Senates hielt öffentliche Versammlungen ab. Denn es gab ein ungeheures

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Ausmaß an Opposition. Auch der Präsident begab sich an die Ausführung des Planes nicht so offen und energisch, wie er es gekonnt hätte. Er gab das später selbst zu. Das war ein Fehler und der Gerichtspräsident schrieb deshalb einen Brief an das Komitee des Senates, dem sich Brandeis anschloß. Auch lag das Gesetz im Anfang nicht i n den besten Händen. Als es endlich Senator Robinson übertragen wurde, starb er plötzlich und tragisch an einem Herzschlag. Aber da war es ohnehin zu spät und der Plan fast zusammengebrochen. Es war klar geworden, daß nichts zu geschehen hatte. Die Situation war von selbst gerettet worden. Das Bundesgericht hatte sich seit den Wahlen besonnen und nur das hätte der Gerichtspräsident dem Präsidenten mitteilen sollen. Mitte Dezember 1936 wurde ein anderes Mindestlohngesetz, diesmal vom Staate Washington, behandelt, nämlich der Parrish-Fall 1 5 2 . Das Washingtoner Gesetz bestand schon seit 23 Jahren. Diese Dauer ist erstaunlich. Es war 10 Jahre vor der Bemerkung Sutherlands verfaßt worden, daß ein Mindestlohn i n gerechtem Verhältnis zu der Dienstleistung „verständlich" nach der Verfassung sei. Über das New-Yorker Gesetz hinaus forderte das Gesetz von Washington ganz unverfroren, daß der Mindestlohn den Arbeitern die Kosten der Lebenshaltung und der Gesunderhaltung garantieren müsse. Das war schlecht genug, solange der Adkins-Fall galt. Dann hatte es auch keinen Zweck, einen Unterschied von dem Gesetz von Columbia nachzuweisen. Der Gerichtshof muß es beraten haben an einem Samstag einige Monate vor der Ankündigung des Präsidenten, aber w i r wissen nicht, wann es zur Abstimmung kam. Wahrscheinlich vor dem 5. Februar. Trotzdem hat der Plan nichts mit der Entscheidung zu tun, sondern jene neue Mehrheit;, Hughes, Brandeis, Stone, Cardozo und Roberts. Natürlich erklärten sie das Gesetz von Washington für gültig. Hughes schrieb die Urteilsbegründung. „Nach unserer Meinung", so sagte er, „steht die Frage im Tipaldo-Fall wieder der Entscheidung offen und muß hier gestellt werden. Es ist aus verschiedenen Gründen nicht nur angemessen, sondern zwingend, daß bei dem gegenwärtigen Fall die Frage erneut erwogen wird. Dafür spricht ihre Wichtigkeit, da viele Staaten mit ähnlichen Gesetzen betroffen sind, die geringe Mehrheit im AdkinsFall und die inzwischen eingetretenen wirtschaftlichen Bedingungen.

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I n diesem Lichte erscheinen Schutzmaßnahmen der Staatsgewalt vernünftig" 153. Dann ging der Gerichtspräsident direkt auf den Hauptpunkt ein, die Vertragsfreiheit. „Was bedeutet diese Freiheit? Die Verfassung spricht nicht von Vertragsfreiheit, sie spricht von Freiheit im allgemeinen und untersagt den Raub dieser Freiheit ohne ordentliches, gerichtliches Verfahren. I n dieser Klausel über die Freiheitsberaubung erkennt die Verfassung keine absolute und unkontrollierte Freiheit an. Die Freiheit hat in jedem Zeitalter ihre Geschichte und einen bestimmten Begriff. Die Freiheit, welche hier gewährleistet wird, ist die Freiheit in einer nationalen Organisation, welche den Schutz des Gesetzes gegen Übel notwendig macht, die Gesundheit, Sicherheit, Moral und Wohlfahrt des Volkes bedrohen." Er fuhr fort: „Es gibt noch eine zwingende Erwägung, die durch die wirtschaftliche Erfahrung der jüngsten Zeit ans Licht gekommen ist. Die Ausbeutung der Arbeiterklasse, die in bezug auf die Verträge benachteiligt ist und der Verweigerung des Lebensunterhaltes verhältnismäßig schutzlos gegenübersteht, schadet nicht nur ihrer Gesundheit und ihrem Wohlbefinden, sondern sie legt der Gemeinschaft die direkte Last für ihre Unterstützung auf. Was diese Arbeiter an Löhnen verlieren, das werden die Steuerzahler ersetzen müssen. Der nackte Lebensunterhalt muß getragen werden. W i r stellen hier gerichtlich fest, daß in der jüngsten Periode des wirtschaftlichen Niedergangs und auch jetzt noch trotz -der wirtschaftlichen Erholung nie dagewesene Anforderungen an die Wohltätigkeit gestellt wurden. Man braucht für eine Tatsache, die landauf, landab bekannt ist, nicht zur Statistik zu greifen." So äußerte sich die neue Mehrheit. Es war Sutherland, der die alte i n dieser ihrer ersten Niederlage vertrat. Er und nicht Butler, denn er hatte vor 13 Jahren das Adkins-Urteil verkündet. Vielleicht war es ein Symbol, daß sie nicht zurückgewichen waren. Eine selbstzufriedene Abstraktion kann nicht zurückweichen, gewiß nicht vor eintretenden wirtschaftlichen Bedingungen. „Es w i r d gefordert", so sagte Sutherland, „daß die vorliegende Frage neu aufgenommen wird, unter andern Gründen wegen der inzwischen eingetretenen wirtschaftlichen Bedingungen." U n d er nahm auch weiter die gleiche Haltung ein, wie seine drei Kollegen, Van Devanter, McReynolds und Butler es bei den Zonengesetzen vor

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zehn Jahren getan hatten. „ D i e Bedeutung der Verfassung wechselt nicht mit der Ebbe und Flut der wirtschaftlichen Ereignisse. Man sagt uns häufiger i n allgemeinen Worten, daß die Verfassung in das Licht der Gegenwart versetzt werden muß. Wenn dadurch ausgedrückt werden soll, daß die Verfassung aus lebendigen Worten besteht, die auf jede neue Bedingung angewendet werden müssen, dann ist die Meinung richtig. Wenn aber die Ansicht bestehen sollte, die Worte der Verfassung bedeuteten heute nicht das gleiche wie bei ihrer Abfassung — sie könnten also nicht heute auf eine Lage angewendet werden, auf die man sie damals angewendet h ä t t e — , so raubt man damit der Verfassung einen wesentlichen Bestandteil ihrer Stärke, durch die siie weiterbesteht, wie das V o l k sie geschaffen hat, bis das Volk, und nicht seine offiziellen Vertreter, sie ändert. 44 Sutherland wandte sich gegen Stones Behauptung, daß eine Einschränkung der Richter nur von ihnen selbst abhänge. Stone hatte der alten Mehrheit Mangel an Selbstbeschränkung vorgeworfen. Jetzt sprach Sutherland der neuen Mehrheit das Pflichtgefühl ab. „Wenn man bei Ausübung der richterlichen Macht ein Verfassungsrecht einem verfassungswidrigen Gesetz vorzieht, so ist dabei nicht die Selbstbeschränkung die einzige Einschränkung der Richter. Der Vorwurf der Machtüberschreitung ist schlecht begründet und böswillig. Selbstbeschränkung gehört i n das Reich des Willens, nicht des Urteils. Der Richter ist gebunden durch seinen Diensteid, durch die Verfassung und durch seine eigene gewissenhafte und begründete Überzeugung. Da er die Pflicht hat, zu einer Entschließung und zu einem Urteil zu kommen, kann man nicht erkennen, wie es eine andere Einschränkung geben solle 1 5 4 . 4 4 Obwohl der Tipaldo-Fall und die Adkins-Entschließung offensichtlich entkräftet waren, so sagte Hughes das nicht ausdrücklich. Er benutzte Butlers Ausspruch, daß eine Wiederaufnahme von Adkins nicht gefordert worden sei und erklärte, daß die Frage nicht zur Debatte stehe. Bei seinem Eintreten für die frühere Mehrheit war Roberts nur einem Präzedenzfall gefolgt, der für ihn bindend war. Ebenso Holmes, als er Adkins annahm i n den beiden Fällen, die kurz darauf aus Arizona und Arkansas kamen. Auch jetzt sah das Bundesgericht von der Feststellung ab, daß Tipaldo aufgehoben sei. Erst sechs Jahre später, und dann nur i n einer Fußnote zu einem von Jacksons Urteilen, wurde auf die Entkräftung Bezug ge-

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nommen 1 5 5 . Dasselbe war der Fall mit anderen Entscheidungen, an denen Roberts teilgenommen hatte, und die auch offenbar umgestoßen waren. Die neue Mehrheit wußte wohl zu würdigen, was sie Roberts verdankte, u n d sie machte es i h m so leicht wie möglich. Roberts selbst blieb die Feststellung überlassen, daß der SchechterFall als „außer K r a f t gesetzt gelten müsse" 1 5 6 . Soweit ich weiß, wurde der Carter-Fall niemals ausdrücklich für ungültig e r k l ä r t 1 5 7 . Als die Eisenbahnpensionen vier Jahre später erwähnt wurden, wechselte Hughes einfach das Thema 1 5 8 . Ein Ausspruch Bacons i n seiner Schrift „ O f Judicature" trifft so genau auf die Beziehungen des Bundesgerichtes zu dem New Deal zu, daß es wohl aus einer ähnlichen Lage zu seiner Zeit entstanden sein muß. „Richter sollten sich vor allem an die römischen zwölf Tafeln erinnern, wonach das Wohl des Volkes das höchste Gesetz sei." Ohne dieses Ziel sind Gesetze nur nichtige Dinge, unnütze Orakel. Deshalb sollen Könige und Staatsmänner oft mit Richtern beraten, und auch die Richter m i t dem König oder Staatsmann. Der König, wenn das Gesetz in Staatsdinge eingreift, der Richter, wenn ein Staatsinteresse beim Gesetz auf dem Spiel steht. Manchmal kann auch beides bei einem Urteil i n Frage kommen, wenn die Folgen einer Entscheidung den Staat betreffen. Eine Staatsangelegenheit ist für mich nicht nur die Ausübung der Staatsmacht, sondern alles, was eine große Änderung oder einen gefährlichen Präzedenzfall schafft, oder was einen großen Teil des Volkes betrifft. Niemals soll man die Meinung aufkommen lassen, daß sich gerechte Gesetze und wahre P o l i t i k nicht vertragen. Sie sind wie Geist und Nerv, die in ihrer Bewegung voneinander abhängig sind. Mögen die Richter auch bedenken, daß Salomons Thron auf beiden Seiten durch Löwen getragen wurde. Mögen es Löwen sein, aber Löwen unter dem Thron. Wohl mag es heißen: „ U n t e r Gott und dem Gesetz. Aber auch: Unter der Republik." Die Lehenspflicht des Gerichtshofes ist nicht nur eine doppelte, sondern eine dreifache.

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E i n neuer Gerichtshof Gemeinsame Verhandlungen Die Entscheidung i m Fall Parrish konnte nicht als eine Kapitulation vor dem New Deal bezeichnet werden. Einmal waren Mindestlöhne nichts Neues, zum anderen wurden sie von der republikanischen Partei so gut vertreten wie von den Demokraten. Der ParrishFall beseitigt den Adkins-Fall und ließ die Lochner-Entschließung i n Schlaf versinken, dieses Mal hoffentlich für immer. Als aber das Bundesgericht das Wagner-Gesetz billigte, handelte es sich nicht nur um den Fortfall einer veralteten Abstraktion, sondern um die Übergabe an den New Deal. Das geschah zwei Wochen später, am 12. A p r i l 1937. A m Dienstag nach dem 5. Februar, der die Verkündigung des Präsidentschaftsplanes brachte, waren einige Fälle zusammen verhandelt worden. Vielleicht beriet sie der Gerichtshof am Samstag, das wäre der 12. gewesen, als General Motors mit John L. Lewis auf fünf Cents Lohnerhöhung die Stunde übereinkam. Auch das war eine Kapitulation, die den General Motors durch Sitzstreik in ihren Schlüsselwerken aufgezwungen wurde. Was gesetzlich und rechtlich noch schlimmer war, der Streik wurde trotz gerichtlichen Verbotes aufrechterhalten. Aber wir verkennen die Geduld des Gerichtshofes, wenn wir glauben, daß ihm das etwas ausmachte. Das Wagner-Gesetz war am 5. Juli 1935 erlassen worden, einige Wochen nach dem Schechter-Fall, trotz dieser Warnung und ohne jede Rücksicht auf das Bun'desgericht. Wenn das N. R. A. gegen die Verfassung war, was war dann das N. L. R. A. wert? Es bestand ja nur i n einer Wiederaufnahme der Vorschriften des N. R. A. über die Arbeit und gab einem Ausschuß das Recht, sie aufzuzwingen. Würde das Bundesgericht seine einstimmige Entscheidung im Schechter-Fall umstoßen? Würde das Bundesgericht außerdem den

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Carter-Fall widerrufen, i n dem die Arbeitsbestimmungen des GuffeyKohlengesetzes für verfassungswidrig erklärt worden waren? Wenn der Kongreß nicht die Arbeitsbestimmungen i m schwerbedrückten Bergbau regeln konnte, wie wollte das Bundesgericht sagen, daß der Kongreß alle Arbeisbeziehungen regeln könne, „die den zwischenstaatlichen Handel beträfen"? Da war der Fall der Jones und Laughlin Stahlgesellschaft, die in der Stahlproduktion an vierter Stelle steht, deren 19 Tochtergesellschaften Kohlenbergwerke besaßen und betrieben, dazu Seeund Schiffsfrachten, Verkehrswesen und Eisenbahnen i n viel mehr als einem Staat. Die Verkaufsstellen lagen in 20 Städten. Die Hauptverwaltung war i n Pennsylvania. Aus diesem Staat wurden drei Viertel der Produktion zu Schiff herausgebracht und i m ganzen Land verkauft. Würden nun die ungerechten Arbeitsbestimmungen dieser Firma dem zwischenstaatlichen Handel schaden? Oder würden gemeinsame Verhandlungen den zwischenstaatlichen Handel günstig beeinflussen? Dann war es die Fruehauf-Gesellschaft, die Anhängewagen herstellte und verkaufte. Sie war der größte Konzern dieser Art. Die Fabrik lag i n Detroit, Verkaufsstellen befanden sich i n zwölf verschiedenen Staaten, Verkäufer und Vertreter i n allen Hauptstädten. I n die Fabrik i n Detroit kam das Rohmaterial aus vielen Staaten. Dort wurden die Anhängewagen hergestellt und über das Land verteilt. Betraf nun die Ablehnung der Gewerkschaften durch diese Firma und die Entlassung von Leuten wegen B e i t r i t t zu den Gewerkschaften den zwischenstaatlichen Handel? Die Friedman-Harry Marx Kleiderfirma fertigte Männerkleidung in Richmond, Virginia, an. Mehr als 99 % des Rohstoffes kam aus anderen Staaten, mehr als 80 % der Produktion wurde an Kunden außerhalb von Virginia verkauft. Schadete die Entlassung von Angestellten wegen Teilnahme an den Gewerkschaften dem zwischenstaatlichen Handel? Ein vierter Fall war die Verkehrsgesellschaft von Washington, Virginia und Maryland, die Omnibuslinien zwischen Columbia und Virginia betrieb, aber da bestand wohl kein Zweifel über ihre zwischenstaatliche Tätigkeit. Der fünfte Fall war die Vereinigte Presse (Associated Press). Hier lag ein besonderer Verteidigungsgrund vor, die Pressefreiheit.

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Die neue Minderheit, nach welcher das Gesetz die Macht über den zwischenstaatlichen Handel etwas überschritt, lieferte einen Beitrag zur Pressefreiheit, der einzigartig ist. Sie war immer verteidigt worden nach dem Grundsatz: „ W e n n ich auch jedes Ihrer Worte verabscheue, so w i l l ich doch mit meinem Leben dafür eintreten, daß Sie es sagen dürfen." Die Vereinigte Presse berief sich auf das Recht von Poyns, das Recht, sich i n der Mitte der Straße zu halten. Sutherland schloß aus der Pflicht der A. P. zur Unparteilichkeit das verfassungsmäßige Recht, einen Redaktionsangestellten herauszuwerfen, weil er einer Gewerkschaft angehörte. Nach seiner Ansicht erlaube die Verfassung der Vereinigten Presse in dem Streit zwischen Arbeiter und Kapital nur einen Nichtgewerkschaftler als wirklich neutral zu betrachten. Darauf wollen wir nicht eingehen. Wir befassen uns m i t dem Recht des Kongresses auf die Regelung des zwischenstaatlichen Handels 1 5 9 . Mrs. Hughes war i m Gerichtssaal erschienen, als die Entscheidung im Falle Parrish über die Mindestlöhne verkündet wurde. I h r Erscheinen zwei Wochen später, als das Urteil herauskam und vorgelesen wurde, ließ darauf schließen, daß das Wagner-Gesetz für verfassungsmäßig erklärt würde. Diesen Montag, den 12. A p r i l 1937, in einem Gerichtssaal mit Frühlingsstimmung beobachtete Mrs. Hughes die eindrucksvollen Gesten ihres Gatten. Er hob einen Satz hervor, indem er seine Augengläser abnahm und schüttelte. Als er die lange Urteilsbegründung der Mehrheit vorlas, ging wohl ein Lächeln der Befriedigung über das Gesicht des zweiten Staatsanwaltes Reed am Tisch der Rechtsanwälte. Man w i r d sich an die notwendige und wohlbegründete Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Auswirkungen erinnern, die Hughes i m Schechter-Fall benützt hatte, um festzustellen, wieweit die Bundesregierung bei der Kontrolle zwischenstaatlicher Handlungen gehen könne auf Grund ihrer Beziehungen zum zwischenstaatlichen Handel. Es handelte sich um eine Grundfrage, wesentlich für die Aufrechterhaltung unseres Verfassungssystems. Man w i r d sich auch erinnern, wie das Bundesigericht durch Sutherland sich i m Carter-Fall darauf berief, um das Guffey-Kohlengesetz für ungültig zu erklären. „Das Maß der Auswirkung hat keinen logischen Zusammenhang mit seinem Charakter. Der Unterschied zwischen einer direkten und indirekten Auswirkung richtet sich nicht nach der Größe der Ursache oder der Wirkung, sondern nur 1

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nach der A r t und Weise, wie die Wirkung erzielt wurde. Wenn die Produktion eines einzigen Mannes von einer einzigen Tonne Kohlen, die für den Zwischenhandel bestimmt ist, u n d auch so transportiert und verkauft wird, den zwischenstaatlichen Handel nun indirekt beeinflußt, dann w i r d aus diesem Einfluß kein direkter, wenn man die Tonnenzahl und die Zahl der Arbeiter vermehrt oder wenn man die Ausgaben des Geschäftes erhöht oder wenn man beides tut. Allerdings stimmt es, daß Vorschriften manchmal Gradbestimmungen unterliegen, wie die Regierung ausführt. Aber der Grad ist für diese Frage nicht von Bedeutung. Sie lautet ja nicht: „Welches ist die Ausdehnung der lokalen A k t i v i t ä t oder Bedingung oder welches ist die Ausdehnung der Wirkung auf den zwischenstaatlichen Handel? Sondern: „Welches ist die Beziehung zwischen der Tätigkeit oder Bedingung und der A u s w i r k u n g 1 6 0 ? " Sutherland arbeitete wieder das wichtigste heraus in einer mündlichen Beweisführung. Hier sind seine Fragen an Stanley Reed und Reede A n t w o r t e n 1 6 1 . Richter Sutherland: ,,Bevor w i r zu diesem P u n k t übergehen, was ist die H a u p t w i r k u n g eines Streiks i n einer Stahlfabrik? Ist sie nicht einfach Verringerung der P r o d u k t i o n ? " Stanley Reed: „Sicherlich, das ist eine der A u s w i r k u n g e n . " Richter Wirkung?"

Sutherland:

„Ist

das nicht

die

erste W i r k u n g ,

die

unmittelbare

Stanley Reed: „ N u n ja, man k a n n von der ersten W i r k u n g reden. Ich w i l l keine Haarspalterei betreiben. Natürlich ist es eine der H a u p t w i r k u n g e n . " Richter Sutherland: „Das ist die H a u p t w i r k u n g , die V e r r i n g e r u n g der Prod u k t i o n , u n d dann w i r k t diese V e r r i n g e r u n g ihrerseits auf den zwischenstaatlichen Handel, nicht w a h r ? " Stanley Reed: „Nach meiner Meinung, nein. Der Streik w i r k t u n m i t t e l b a r u n d gleichzeitig auf die P r o d u k t i o n und auf den zwischenstaatlichen Handel. Diese einzige Ursache b r i n g t gleichzeitig die A r b e i t und den zwischenstaatlichen Handel zum S t i l l s t a n d . " Richter Sutherland: „ D i e A u s w i r k u n g auf den zwischenstaatlichen H a n d e l ist dieselbe wie bei einer Einstellung der A r b e i t i n einem Bergwerk. I m Carter-Fall hieß es, die erste W i r k u n g sei die Einschränkung der P r o d u k t i o n und die weitere W i r k u n g aus der Einschränkung der P r o d u k t i o n sei die W i r k u n g auf den zwischenstaatlichen H a n d e l . "

Wenden w i r uns jetzt der Urteilsbegründung von Hughes für die neue Mehrheit zu. Wie es der Bedeutung entsprach, war sie lang, aber sehr einfach. E i n kurzer Satz gibt ihren K e r n wieder: „Die Frage hängt notwendigerweise vom Grad ab." Er schüttelte sein Augenglas und fuhr fort: „ I m Hinblick auf die weitgezogene Tätigkeit ist es müßig, die Auswirkung als mittelbar und entfernt zu bezeichnen. Offenbar wäre sie unmittelbar und könnte zur Kata-

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strophe werden. Man verlangt von uns, die Augen vor den klarsten Tatsachen des nationalen Lebens zu verschließen und die Frage der direkten oder indirekten Wirkung i n einem geistig luftleeren Raum zu betrachten. Es können wohl mittelbare und entfernte Wirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel durch eine Gruppe von lokalen Unternehmungen i m Lande ausgeübt werden. Daraus folgt aber nicht, daß es nicht andere Industrieunternehmungen gibt, die eine so nahe und enge Beziehung zum zwischenstaatlichen Handel haben, daß ein Kampf i n ihren Reihen zur dringendsten nationalen Angelegenheit wird. Wenn sich Unternehmungen auf nationalem Boden aufbauen, wenn ihre Beziehung zum zwischenstaatlichen Handel der Hauptfaktor ihrer Tätigkeit ist, wie kann dann behauptet werden, daß ihre Arbeitsbestimmungen für den Kongreß ein verbotenes Feld seien? Muß man doch den zwischenstaatlichen Handel vor den lähmenden Folgen eines Industriekampfes bewahren. W i r haben oft gesagt, daß der zwischenstaatliche Handel selbst ein praktischer Begriff ist. Ebenso wahr ist es, daß die Verflechtung mit diesem Handel durch praktisch erfahrene Richter beurteilt werden muß." Dann wandte sich Hughes dem Hauptpunkt zu: „Durch die Erfahrung ist es hinreichend bewiesen, daß das Recht der Arbeiter auf Organisation und auf selbstgewählte Vertretung für die gemeinsamen Verhandlungen oft eine wesentliche Bedingung des industriellen Friedens darstellt. Unzählig sind die Streitigkeiten, die auf die Weigerung zu beraten und zu verhandeln zurückgehen. I n der Geschichte der Arbeitsstreitiigkeiten ist das eine so auffallende Tatsache, daß es gerichtlich feststeht und keiner Beispiele bedarf." So lautete die Urteilsbegründung im Falle Jones und Laughlin, einer großen Stahlfirma. Aber Hughes und die neue Mehrheit kamen zu demselben Schluß i n den anderen Fällen, obwohl die Gesellschaften verhältnismäßig klein waren. Man konnte kaum sagen, daß die Tätigkeit der Friedman-Harry Marx Kleidergesellschaft in Richmond weitreichend sei oder daß ihre Entlassung von acht Angestellten zu einer „Katastrophe führen könne." Trotzdem war das Ergebnis das gleiche. Wie konnte ein Gesetz ungültig sein für eine große Gesellschaft und gültig für eine kleine, ungültig für eine große Übertretung und gültig für eine kleine? Das Gesetz muß für die Kleinen und Großen das gleiche sein. 10*

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Ist das aber logisch vereinbar mit einer Lehre, die nicht auf der Beziehung, sondern nur auf dem Maß der Einwirkung auf den zwischenstaatlichen Handel beruht? Diesen Einwand machte McReynolds, als er für die vier Gegner, Van Devanter, Sutherland, Butler und für sich selbst sprach. Seine Rede wurde aus dem Stegreif und m i t lauter Stimme gehalten. I m Falle Jones und Laughlin, sagte er, wurden von 10 000 Leuten zehn Mann entlassen. I n den anderen Fällen noch weniger. „ D i e unmittelbare Wirkung i n der Fabrik mag die Schaffung von Unzufriedenheit unter den Angestellten sein, ein Streik mag sich daraus ergeben, der seinerseits zur Herabsetzung der Produktion führt, die letztens die Menge der im zwischenstaatlichen Handel bewegten Güter vermindern kann. Durch diese Kette von indirekten und immer weiter entfernten Ereignissen kommen wir endlich zu dem Übel, mit dem sich die gegenwärtige Gesetzgebung befassen soll. Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich, sich eine entferntere und indirektere Verbindung m i t dem zwischenstaatlichen Handel oder eine deutlichere Anmaßung der Rechte der einzelnen Staaten durch die Bundesregierung vorzustellen 1 6 2 ." „Wenn ein Viehzüchter regelmäßig an ein zwischenstaatliches Schiffsunternehmen abliefert, darf dann der Kongreß ihm die Anstellungs- und Entlassungsbedingungen seiner Landarbeiter vorschreiben? Kann man einem Fabrikbesitzer verbieten, seine Fabrik zu schließen und sein Geschäft aufzugeben, weil damit der Strom der Produkte von seinem Unternehmen in den zwischenstaatlichen Handel aufhören würde? Können Angestellte i n einer Fabrik am Verlassen ihrer Arbeit gehindert werden, weil damit die Fabrik stillstehen und der Strom des Handels aufhören würde? Kann der Brand einer Fabrik zu einem Vergehen gegen den Bundesstaat gemacht werden, weil dadurch der zwischenstaatliche Handel beeinträchtigt würde? Wenn das Geschäft die bestehenden Löhne nicht tragen kann, darf dann der Kongreß eine Verminderung verfügen? W i r d das eben verkündete Gesetz angenommen, dann werden diese Fragen bald vor dem Gerichtshof auftauchen." McReynolds wendete das auf den vorliegenden Fall an. „ D i e Erfahrung lehrt, daß Unzufriedenheit daraus entstehen kann, wenn ein Unternehmer die Mitgliedschaft i n einer Arbeiterorganisation mißbilligt, wenn sie sich mit Beschwerden, Arbeitsstreitig'keiten,

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Löhnen, Zahlungsterminen, Arbeitsstunden oder Arbeitsbedingungen befaßt. Das kann zu einem Streik führen und als Folge des Streiks kann es einen Stillstand i m Strom des interstaatlichen Handels geben. Sollte deshalb der Kongreß die Entlassung verbieten! Eine Auswirkung, die irgendein Anlaß zur Unzufriedenheit letzten Endes auf den Handel haben kann, ist viel zu indirekt, um das Eingreifen des Kongresses zu rechtfertigen. Fast jedes Ereignis, sei es Heirat, Geburt oder Tod kann in irgendeiner Weise Einfluß auf den Handel ausüben 1 6 3 ." Hatte nicht nach der Logik McReynolds ganz recht? Aber kann nicht trotzdem die Gesetzgebung einer Nation Angelegenheiten der Nation ordnen, obwohl ein Staat daran auch beteiligt oder sogar mehr beteiligt ist? McReynolds ist tot. Wäre er noch am Leben, dann würde er uns vielleicht diese Frage beantworten. W i r könnten ihn nach der jüngsten Entscheidung des Bundesgerichtes fragen im Arbeitsgesetz von 1938. Dort ermächtigte der Gerichtshof den Kongreß, den Lohn für Überstunden der Fensterputzer in einem Gebäude in Detroit zu bestimmen, weil die Fenster zu den Büros von Mietern gehörten, die sich mit der Produktion von Gütern für den zwischenstaatlichen Handel befaßten 1 6 4 . Hughes hatte die Präzedenzfälle vorsichtig behandelt mit Rücksicht auf Roberts' Gefühle. Er hatte die Fälle Schechter und Carter so gekennzeichnet: „ I m Schechter-Fall war die Einwirkung so entfernt, daß sie außerhalb der Bundesmacht lag. Wollte man dort eine Unmittelbarkeit feststellen, dann müßte man es fast überall tun, was sich mit der Aufrechterhaltung unseres Bundesstaates nicht vertragen würde. I m Carter-Fall war der Gerichtshof der Meinung, daß das Gesetz über die Produktion aus verschiedenen Gründen ungültig sei. Diese Fälle spielen hier keine Rolle." Für die frühere Mehrheit spielten sie schon eine Rolle und man mußte sie beseitigen, wenn man sie nicht befolgte. Doch erklärte sie Hughes nicht ausdrücklich für entkräftet und man w i r d bemerken, daß er aus dem Schechter-Fall Cardozos abweichendes V o t u m anführte, nicht die Meinung der Mehrheit, obwohl er sie selbst geschrieben hatte. Zeigt das nicht, wie sich das Bundesgericht gewandelt hatte? Blieb überhaupt ein Präzedenzfall übrig, dann war es Cardozos Ansicht, nicht das, was Hughes für den Gerichtshof geschrieben hatte und wozu er Stone und Cardozo nicht hatte überreden können.

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Bei den Gedenkreden der Rechtsanwälte nach dem Tode Cardozos sagte Hughes in seiner A n t w o r t im Namen des Bundesgerichtes: „ F ü r Richter Cardozo war das Mißtrauen gegen Konzepte der Beginn der Weisheit." Die neue Mehrheit hatte diesen Beginn gemacht. Sie hatte ihre alte Auffassung von einer Beziehung zwischen Tätigkeit und Wirkung verworfen und an ihre Steile eine neue gesetzt. Die Vorstellung von der Ausdehnung der Einwirkung auf den zwischenstaatlichen Handel war eine ganz andere, weil sie eine Frage des Grades war. Er war eine Rampe m i t keinem geeigneten Landungsplatz für eine etwas erschöpfte Logik, die sich daran anklammern wollte. Das war aber nicht das einzige. Die Mehrheit hatte auch den Ausgangspunkt, den Nullpunkt verlegt. Sie hatte ihn so tief gelegt, daß der Punkt der Verfassungswidrigkeit höher lag. Butler und McReynolds konnten das nicht verstehen, weil ihr eigener Nullpunkt unverändert geblieben war. Sie fürchteten für die Zukunft, weil diese neue Auffassung vom Grad abhängig war und so keinen logischen Endpunkt hatte. Deshalb fürchteten sie „eine ernste Gefährdung der Grundlagen unseres Bundesstaates" ja noch mehr, die Entscheidung würde „den Anstrengungen jener nachgeben, die auf das Ende eines Regierungssystems hoffen, daß sich ihren letzten Absichten versagt." Für sie war es eine Umsturztheorie. Für Richter, die ihre Pflichten nur unter den Gedanken der Logik stellen, stimmte das. Nicht aber für jene, die Tatsachen und Fragen des Grades in Wirklichkeit behandeln können. Wie das Recht zu besteuern das Recht zu zerstören ist, so ist i m Recht des Kongresses auf die Regelung des Handels logisch das Recht eingeschlossen, die Macht der Staaten über die Industrie einzuschränken. Verbunden mit der Sorge um die Gesellschaft, in der sie geboren waren, die sie liebten, und i n der sie Erfolg hatten, war die Furcht vor den logischen Folgen des Gerichtsbeschlusses. Warum sollte ein Richter seinen Nachfolgern nicht ebenso wie sich selbst zutrauen, daß sie auf den glatten Wegen der Logik nicht ausgleiten?

Soziale Sicherheit Die Sitzungsperiode von 1936 bis 1937 war noch nicht vorüber. . Einige Wochen nach den Kollektivverhandlungen wurde die soziale Sicherheit i n den Vereinigten Staaten verfassungsmäßig möglich.

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A m 24. Mai 1937 befaßte sich das Oberste Bundesgericht mit der staatlichen und nationalen Arbeitslosenversicherung. Zuerst billigte das Bundesgericht das Arbeitslosengesetz von Alabama 1 6 5 . Bekanntlich hatte das Gesetz von New Y o r k i m vorhergehenden Herbst Gültigkeit durch die gleiche Teilung der Meinungen im Bundesgericht bekommen 1 6 6 . Da Stone krank war, hatte sich Roberts wohl ausgeschaltet, um 4 zu 4 zu erreichen. Das zeigte sich nun, da Roberts mit der neuen Mehrheit ging, und nur die alte Garde dagegenstimmte. Sie erklärte, daß das Gesetz von Alabama dasselbe sei wie das New-Yorker Gesetz. McReynolds folgte seinen drei Kollegen nicht, sondern widersprach allein und ohne Begründung, wohl aus Mißstimmung. Wie stand es mit dem Arbeitslosengesetz? Es blieb bei dem Weg, den Alabama und New Y o r k gegangen waren. Die Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer wurden zusammengelegt und aus dieser Summe wurde der Ausgleich an arbeitslose Angestellte verteilt. Das war schon die Schwierigkeit bei dem Eisenbahnpensionsgesetz gewesen, wie man sich erinnern wird. Nach Sutherland hatte sich Alabama „derselben Ungerechtigkeit in noch schwererer F o r m " schuldig gemacht. Offensichtlich war es so: Wenn die Unternehmer ihren Anteil nach der Arbeiterzahl an den Fond leisteten und wenn daraus alle entlassenen Angestellten bezahlt wurden, so mußten die Unternehmer, die nicht so viele entließen, die Last für die Angestellten eines Konkurrenten tragen, der mehr entlassen hatte. Das widersprach dem gleichen Schutz durch die Gesetze, der in der 14. Ergänzung (Amendment) zugesichert ist, so sagte Sutherland. Roberts bestätigte seine Stellung vom vorhergehenden Herbst und hielt für richtig, was er im Eisenbahnpensionsgesetz für falsch gehalten hatte. Dann wandte sich das Bundesgericht dem Bundesgesetz z u 1 6 7 . Bis zu diesem sozialen Sicherheitsgesetz von 1935 kannten nur wenige Staaten die Arbeitslosenversicherung. Nur das Gesetz eines Staates, Wisconsin, war 1931 angenommen worden. 1935, gerade vor Annahme des Gesetzes, waren vier Staaten nachgefolgt, Massachusetts, Californien, New Hampshire und New York, nachher noch 38. Die Ursache war klar genug. Kein Staat wollte wirtschaftlich hinter seinen Nachbarstaaten und Konkurrenten zurückbleiben. Nehmen wir Massachussetts, dessen Gesetz 1935, zwei Tage vor dem Bundesgesetz, eingebracht wurde. Darin war vorgesehen, daß das

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Gesetz nur dann wirksam würde, wenn das Bundesgesetz durchkäme und wenn mindestens elf der Konkurrenzstaaten ihren Arbeitgebern ähnliche Lasten auferlegten. Alabama fing es noch anders an. Ganz offen wurde vorgesehen, daß das Gesetz ungültig sei, wenn das Bundesgesetz gegen die Verfassung verstoße. Sogar wenn die Staaten nach der Verfassung Arbeitslosenversicherungen einrichten konnten, indem sie die Beiträge einem Fond aller Arbeitnehmer entnahmen, konnte die nationale Regierung dies den Staaten praktisch ermöglichen? Das war eine andere Frage. Der New Deal machte folgenden Vorschlag: Bekanntlich wurde bei allen Arbeitgebern, die mehr als acht Personen beschäftigten, eine Steuer auf ihre Lohnsumme gelegt, zahlbar an das Schatzamt. Dann bekamen sie einen 90%igen Kredit auf die Bundessteuern, wenn sie ihre Steuer an die Regierung ihres eigenen Staates bezahlten für eine genehmigte Arbeitslosenversicherung. Eine solche bedingte Steuer war nichts neues. Schon 1926 hatte der Kongreß eine ähnliche erlassen. Der Kongreß verließ sich vielleicht sogar auf Sutherland, der damals die einstimmige Urteilsbegründung des Bundesgerichts zugunsten der Steuer geschrieben hatte 1 6 8 . Dort wurden vier Fünftel der Steuer zurückgezahlt, wenn der Staat dieselbe Steuer erhob. Florida hatte Klage geführt. Denn seine Verfassung verbot die Erbschaftssteuer ganz offenbar als Anlockung für vermögende Siedler. Florida begründete seine Klage folgendermaßen: „ D i e Bundesregierung hat nicht das Recht, die inneren Angelegenheiten eines Einzelstaates durch Besteuerung oder in anderer Weise zu kontrollieren, solange es sich um Dinge handelt, die mit der Macht der Bundesregierung nicht i n Konflikt stehen oder die den Staaten nicht durch die Verfassung verboten sind." Das war zehn Jahre vor dem A. A. A.-Fall, und zwar zehn Jahre zu früh, denn die Beweisführung blieb so sehr ohne Eindruck, daß sie in der Urteilsbegründung Sutherlands gar nicht erwähnt wurde. Konnte ein Argument, das damals gar nicht erwähnt wurde, jetzt entscheidend sein? Wenn die Bundesregierung Erbschaften in Staaten ohne Erbschaftssteuer besteuern konnte, konnte sie dann nicht eine Steuer von allen Unternehmern, die acht oder mehr Personen beschäftigten, in Staaten erheben, die keine Arbeitslosenversicherung hatten?

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Es war der umgekehrte Fall wie 'beim A. A. A. Wenn die Vereinigten Staaten nach der Verfassung Farmer nicht dazu bestechen konnten, ihre Produktion einzuschränken, weil das nur die Einzelstaaten veranlassen konnten, waren die Vereinigten Staaten dann in der Lage, alle Arbeitgeber mit mehr als acht Angestellten durch eine Steuer zu bestrafen, wenn der Einzelstaat kein Arbeitslosengesetz erlassen hatte? Nach McReynolds' Meinung gewiß nicht. Das Gesetz mische sich unerlaubterweise i n die Eigenregierung des Staates ein und sei auch sonst gegen die Bundesverfassung gerichtet. Nach einem Ausspruch von Präsident Chase 1869 kennzeichnete er sie als eine „unzerstörbare Vereinigung von unzerstörbaren Staaten". Die jetzige Entschließung, so sagte er, „öffnet den Weg für die tatsächliche Vernichtung dieser Theorie. K e i n Nebel von Worten und kein Gedränge von nichtssagenden Statistiken sollte diese Tatsache verdunkeln dürfen." M i t grimmigem Humor führte er neun lange Seiten lang ein Veto an, das der Präsident F r a n k l i n Pierce 1854 dem Senat entboten hatte. Vielleicht w i r d es durch seinen Gegenstand bedeutend. Pierce beschäftigte sich mit einem Gesetzentwurf, der Landabgabe an die Eingeborenen für unzulässig erklärte. Sutherland und Van Devanter konnten nicht ganz so weit gehen zu sagen, daß die Staaten unter Zwang gestellt würden. Aber das Gesetz beeinträchtigte nach ihrer Ansicht die Regierungsrechte der Staaten, welche ihnen in der 10. Ergänzung zugesagt worden waren. „Die Rechte, welche die Verfassung der Bundesregierung nicht zuerkennt, oder welche sie den Staaten nicht aberkennt, verbleiben den Einzelstaaten oder ihrem V o l k . " Sie schlossen, daß die „Vertreter der Bundesregierung die Verwaltung eines Einzelstaates nur so weit beaufsichtigen und beeinflussen könnten, daß die Würde eines fast selbständigen Staates gewahrt bleibe. W i r haben mit dieser Frage juristisch nichts zu tun. Juristisch von Bedeutung ist für uns, daß den Einzelstaaten die Oberhoheit und die Freiheit von äußerer Einmischung in ihre Angelegenheiten in dem Maße versagt wird, das die Verfassung i m Auge hat." „Wenn w i r als Vereinigte Staaten weiterleben wollen, dann muß der Ausgleich zwischen den Rechten der Nation und denen des Staates erhalten bleiben. Es besteht ernste Gefahr, wenn man ein Abgleiten i n irgendeiner Richtung ermöglicht, und wenn diese Gefahr nur i m Präzedenzfall läge, der für ein weiteres Abweichen vom Gleichgewicht geschaffen wird. I m gegen-

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wärtigen Angriff auf die Verwaltungstätigkeit eines Staates liegt die Drohung, daß größere Angriffe auf anderem Gebiete folgen werden." Nach Butler, der mit allen drei übereinstimmte, waren ihre Einwände „gut formuliert", auch er fühlte den Boden unter den Füßen wanken. „ D i e Verfassung gewährt den Vereinigten Staaten nicht die Macht, unbeschäftigte Personen zu bezahlen oder von den Staaten eine Gesetzgebung zu diesem Zweck zu verlangen. Die fraglichen Vorschriften, wenn sie auch juristisch keinen Zwang ausüben, dienen doch offenbar dazu, die Staatsverwaltung in dieser Hinsicht zu bestimmen. W i r d das Gesetz gültig, so kann dieses Steuer- und Kreditsystem die Bundesregierung befähigen, jede A r t von Staatsgesetzgebung einzuführen im Bereich der Staatsmacht, ja die Staatsverwaltung und die Staatsgesetze zu kontrollieren." Wollen w i r die Worte McReynolds, der sich in eine Erregung hineinredete, beiseite lassen und dieses Argument der 10. Ergänzung (Amendment) nach seiner Bedeutung untersuchen. W i r d darin irgend etwas hinzugefügt? Wenn ein Recht garantiert wird, dann bleibt es auf der anderen Seite nicht vorbehalten. Wenn es nicht garantiert wird, dann bleibt es vorbehalten. Zwei gleiche Seiten vom Silberdollar. Was auf der einen Seite nicht ist, das ist auf der anderen. Wenn es nicht der Schwanz ist, dann ist es der Kopf. Das scheint mir ein ziemlich unfruchtbares Argument. Stone zerstreute den Nebel um die 10. Ergänzung im DarbyF a l l e 1 6 9 als er sagte: „ D a r i n w i r d nur eine Binsenwahrheit behauptet, nämlich daß etwas zurückgehalten wird, wenn es nicht übergeben wird. Es handelt sich wohl nur u m eine Erklärung des Verhältnisses zwischen der nationalen Regierung und den Staatsregierungen, wie es schon vor der Ergänzung i n der Verfassung bestand. Vielleicht war sein Zweck auch die Zerstreuung der Sorge, daß eine neue Nationalregierung nach Machterweiterung streben würde, und daß die Staaten ihre neu zugesagten Rechte nicht voll ausüben konnten." Was meinen sie denn nun, diese Richter? Sie müssen etwas aus dieser ausdrücklichen Reservieruns; von unçarantierten Rechten herausziehen, das sie logisch nicht enthält. Denn sie werfen die 10. Ergänzung Segen die übrige Verfassung ins Gewicht und übersehen, daß die Verfassung eine Nation schaffen wollte. Das ist das Gleichgewicht, auf das sich Sutherland bezog. Diese Richter waren bestürzt durch ihre Verantwortung für unseren Föderalismus, und sie

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suchten ihren Trost i n ausdrücklichen Worten, die nicht mehr ausdrückten, als was schon i n der Verfassung stand. Cardozo sprach für die anderen fünf Richter: W i r brauchen hier nicht mit ihren „unbedeutenden Statistiken" zu prunken, da die Zahl der Arbeitslosen schon auf 16 Millionen gestiegen war. Daraus ergibt sich für die anderen fünf Richter der Beweis, daß die Einzelstaaten die erforderliche Abhilfe nicht schaffen konnten, daß das Problem nach Bedeutung und Ausdehnung zu einem nationalen geworden war und daß die Nation eingreifen mußte, wenn das V o l k nicht verhungern sollte. „Heute kann man nicht mehr mit Geduld das Argument anhören", so sagte Cardozo, „bei einer solchen Krise sei die Aufwendung von Geldern der Nation für die Unterstützung der Arbeitslosen und ihrer Familien ein engerer Zweck als die Förderung der allgemeinen Wohlfahrt." War das vielleicht Hamiltons Theorie, die i m A. A. A.-Fall angenommen worden war? Cardozo ging auf diese Entscheidung zurück und fuhr fort: „Angesichts dieses dringenden Notrufes nach einer wirksamen Hilfe muß die Frage beantwortet werden, ob das Hilfsmittel die Grenzen der Macht übersprungen hat. Die Gegner des Gesetzes behaupten, daß es sein Ziel sei, die Gesetzgebung der Einzelstaaten unter der Peitsche des wirtschaftlichen Druckes zu Arbeitslosengesetzen anzutreiben nach Befehlen der Zentralregierung. Anhänger des Gesetzes sagen dagegen, daß seine Anwendung kein Zwang ist, sondern die Schaffung einer größeren Freiheit, da die Staaten und die Nation sich i m gemeinsamen Streben vereinigen, ein gemeinsames Übel abzuwenden." „Wer w i r d denn bei der Durchführung des Gesetzes unter Zwang gesetzt? Nicht der Steuerzahler, denn er zahlt nach dem Gebot seiner lokalen Verwaltung. Nicht der Einzelstaat, denn er hat niemals behauptet, daß er durch das Gesetz einem Druck unterliege. Allem Anschein nach sind die Staaten zufrieden mit ihrer Wahl und wären aufs schlimmste enttäuscht, wenn das Gesetz jetzt aufgehoben würde." Cardozo fuhr fort: „ D i e Schwierigkeit i m gegenwärtigen Streitfall ist, daß ein Motiv mit einem Druck verwechselt wird. Jede Steuer ist in gewissem Sinne eine Regelung. I n einem gewissen Ausmaß ist sie ein Hindernis für die besteuerte Tätigkeit im Vergleich zu der nichtbesteuerten. I n gleicher Weise ist jeder Steuernachlaß, wenn er an die Bedingung guten Betragens geknüpft ist, i n gewissem

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Sinne eine Versuchung. Behauptet man aber, daß Motiv oder Versuchung das gleiche bedeuten wie Zwang, so bringt man die Gesetzgebung in endlose Schwierigkeiten. Die Folge einer solchen Lehre wäre die Annahme eines philosophischen Determinismus, der jede Wahl unmöglich machte. Bis jetzt war die Gesetzgebung erfüllt von einem gediegenen, gesunden Menschenverstand, wonach die Willensfreiheit als Hauptfaktor bei der Lösung der Probleme angenommen wurde. Die Weisheit dieser Annahme zeigt sich i n diesem Falle. Nichts läßt auf die Ausübung einer Macht schließen, die unerlaubten Einfluß ausübt, wenn w i r überhaupt annehmen wollen, daß eine solche Auffassung je auf die Beziehung zwischen Staat und Nation angewendet werden könne. Sogar bei dieser Annahme wäre der Punkt, an dem sich Druck in Zwang verwandelt und keine Überredung mehr ist, eine Frage des Grades, manchmal vielleicht auch des Tatbestandes." Dieser 12. A p r i l liquidierte die bisherige Auffassung über Pensionen 1 7 0 . Ein Aktionär der Edison Gesellschaft für Elektrizität in Boston hatte einen Prozeß angestrengt, um seine Gesellschaft von der Zahlung der i m Gesetz vorgeschriebenen Summen zurückzuhalten. Er sagte, die Gesellschaft habe die Befolgung des Gesetzes gegen seinen Protest beschlossen. Die Abzüge von den Löhnen erregten Unruhe unter den Angestellten und würden nach seiner Vorhersage von Forderungen nach Lohnerhöhungen gefolgt werden. Die Gesellschaft und ihre Aktionäre, darunter er selbst, würden unersetzliche Verluste erleiden, nicht nur direkt aus ihren Dividenden, sondern auch nach dem Wert ihrer Anteile. War dem Kongreß keine Macht verliehen, um die Alterspensionen herauszunehmen aus den „den Staaten oder dem V o l k vorbehaltenen Rechten"? Ja, das Ausgabenrecht für die allgemeine Wohlfahrt, und zwar i m Sinne Hamiltons. Das konnte geschehen kraft der Annahme durch das Bundesgericht von Hamiltons Ansicht über den A. A. A.-Fall. Es handelte sich nicht um rein geschichtliche Forschung. Sutherland und Van Devanter hatten unterschrieben und gingen jetzt nicht davon ab. McReynolds und Butler widersprachen allein. Cardozo schrieb i n der Urteilsbegründung: „ D i e Auffassung vom allgemeinen Besten ist nicht gleichbedeutend. Notstände, die vor einem Jahrhundert i n der Enge der Pfarrei behandelt werden

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konnten, sind heute mit dem Dasein der Nation verknüpft. Der Begriff über Gefährliches und Dringendes wechselt mit der Zeit. Die Prüfung des nationalen Unglücks, die 1929 anfing, hat uns manche Lehre gegeben. Nicht zuletzt die der Verbundenheit der Interessen, die einstmals getrennt zu sein schienen. Die Arbeitslosigkeit breitet sich von einem Staat zum anderen aus und das Hinterland, das i n den Pioniertagen eine Zuflucht bot, ist jetzt besiedelt. Hinter dem Gesetz steht die Hoffnung, Männer und Frauen vor der Härte des Arbeitshauses zu bewahren, wie vor der hetzenden Furcht, daß ein solches Los sie erwartet, wenn das Ende der Reise nahe ist." Cardozo beantwortete die Frage jenes ersten harten Individualisten: „ B i n ich der Hüter meines Bruder?" Wer sonst hätte es wohl gewagt, eine solche Frage an Gott zu richten? Aber Cardozo war nicht zu Ende mit seiner A n t w o r t : „ D e r Anwalt hat uns an die Tugenden des Selbstvertrauens und der Einfachheit erinnert. Nach seiner Meinung besteht die Möglichkeit, daß die Hilfe einer väterlichen Regierung diese rauhen Tugenden knickt und ein Geschlecht von Schwächlingen hervorbringt. Er fragte: Wenn Massachusetts dieser Ansicht ist und seine Gesetzgebung darauf gründet, muß dann die Erziehung seiner Söhne geändert werden, weil irgendeine andere Regierungstheorie in den Hallen des Kongresses begünstigt wird? Die Antwort ist nicht zweifelhaft. Man könnte m i t dem gleichen Recht dagegen fragen, ob das System der Schutzzölle willkürlich in dem einen oder anderen Staat beiseite gesetzt werden kann, weil die lokale P o l i t i k der Theorie des Laissez-faire anhängt. Die Streitfrage ist entschieden. Sie wurde vor langer Zeit ausgefochten 1 7 1 ." Als glückliches Beispiel brachte Cardozo die Aufhebung i n SüdKarolina. Auch den Hartford Convent führte er an und er gab dem Anwalt von Massachusetts den Rat, darüber im 8. Kapitel von Henry Adams Geschichte nachzulesen.

Nach dem Tode Als in der nächsten Woche die Sitzungsperiode schloß, nahm Van Devanter seinen Abschied. Es war im Juni 1937. Ungefähr eine Woche später wandte sich das Komitee des Senats gegen den Plan des Präsidenten als gegen „eine unnötige, vergebliche und höchst gefährliche Verwerfung des Verfassungsprinzips". Gewiß war er

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unnötig und deshalb vergeblich. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, würde er notwendig gewesen sein, ob mit oder ohne Gefahr. Damit ist der Höhepunkt überschritten. Senator Robinson hatte den Kampf für den Plan im Senat übernommen. A m 14. Juni starb er plötzlich am Herzschlag. A m nächsten Tag eröffnete der Präsident dem Senator Barkley, daß der Kampf weitergehen solle. Es kostete fast eine Woche Zeit, um den Präsidenten davon zu überzeugen, daß er i m Senat nicht gewinnen könne, weil er schon beim Bundesgericht gewonnen hätte. A m 22. Juni 1937 wurde das Gesetz zu Fall gebracht mit nur 20 Stimmen zu seinen Gunsten. Die Rechtsanwälte waren natürlich erfreut, aber das Ergebnis befriedigte sie nicht, weil ihr Bundesgericht bekehrt worden war. Zwei Jahre später sagte der Präsident der Juristenvereinigung, Frank J. Hogan, zu den Mitgliedern bei der Jahresversammlung das, was viele von ihnen .gedacht und gesagt hatten. Hogans Kommentar war scharfsinnig und gerecht: „Aus all diesem folgt nach meiner Meinung ganz einfach: Die Sicherung gegen die Ausübung willkürlicher Macht muß durch das V o l k von nun ab mehr in die gesetzgebende als i n die juristische Abteilung der Regierung gelegt werden. Die Unabhängigkeit und Weisheit der Gesetzgeber ist jetzt Amerikas einzige Zuflucht i n der Frage der Fortdauer aller Segnungen der Freiheit, für welche die Verfassung geschaffen und die Regierung der Vereinigten Staaten eingerichtet wurde." Man könnte es nicht besser ausdrücken, nur das Wort jetzt und von nun ab ist überflüssig, denn es war schon immer so gewesen. Was Hogan 1939 mit Sorge betrachtete, das hatte Gerichtspräsident Marshall 1824 mit vollem Gleichmut vorhergesehen: „Die Weisheit und Zurückhaltung des Kongresses, seine Volksverbundenheit und der Einfluß seiner Vertreter bei den Wahlen sind hier und anderswo die einzigen Mittel zur Sicherung gegen den Mißbrauch. Sie sind überhaupt die einzigen Garantien des Volkes bei allen beauftragten Regierungen 1 7 2 ." Die Worte Hogans könnte von Marshall stammen oder auch von Holmes, der gesagt hatte: „ M a n muß sich erinnern, daß Gesetzgeber die letzten Wächter der Freiheit und Wohlfahrt des Volkes sind, ebensosehr wie die Gerichtshöfe 1 7 3 ." Dieselbe Meinung hatte Stone i m A. A. A.-Fall i n seinem abweichenden V o t u m ausgedrückt. Hogan und Stone, zwei Herzen und ein Gedanke, aber die Herzen schlugen nicht im gleichen Schlag.

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Hogan blieb trotzdem optimistisch. Er fuhr fort: „ A u f den Gräbern der alten Verfassungstheorie wurden neue Theorien errichtet, die i m Augenblick wie Monumente erschienen, aber sich in der Geschichte von zweifelhafter Dauer erwiesen. Einmal werden die künftigen Chroniken unserer Rechtsgeschichte der rauhen Derbheit von McReynolds und Butler, m i t der sie jeden Handbreit Boden des Gesetzes verteidigten, ebenso ehrliches Lob erteilen, wie sie anerkennen werden, daß der Klang ihrer abweichenden Voten aus jener Zeit i n unserer weitertönt und Richtlinien für eine spätere Generation schafft." Die Rechtsanwälte sahen diese Marksteine des Gesetzes nicht gerne schwinden, teils aus Vorliebe, teils aus Gewohnheit. Vielleicht wollten sie nichts Neues lernen, vielleicht dachten sie, daß wenige besser sind als gar keine, was man nicht leugnen kann. Hogan formulierte es so: „ W e r Veränderungen i n der Verfassungslehre leicht nimmt, wird auch die Wichtigkeit der Gesetzeserkenntnis leicht nehmen. Soll die Lehre beweglich sein, wechselnd und wandelbar nach jeder Erneuerung der Mitglieder der Gerichtshöfe? Soll sie sich verändern mit den treibenden Fluten des politischen Lebens? Oder soll sie sicher, fest und beständig sein, eine Grundlage, auf die man vertrauen kann? Es ergibt sich daraus, daß kein Rechtsanwalt seinem Klienten genau erklären kann, was Gesetz ist. K e i n Geschäftsmann, kein Farmer kann wissen, ob er das Gesetz bricht, denn auch bei der Befolgung festliegender Grundsätze kann dies der Fall sein." Wie weit kann überhaupt ein Rechtsanwalt seinen Klienten belehren, ob ein Gesetz gegen die Verfassung ist? Wenn einem Gerichtshof die Entscheidung zusteht, dann sollte ein Rechtsanwalt ein Urteil darüber abgeben können. Der Geschäftsmann und der Farmer können ein Gesetz lesen oder ihr Rechtsanwalt w i r d es für sie lesen und ihnen den Inhalt mitteilen. Aber der Anwalt w i l l mehr. Er fordert, seinem Klienten mit einiger Autorität sagen zu können, ob er ein Gesetz ebenso ungestraft brechen kann, wie es der Gerichtshof pflichtgemäß übergehen kann. Earl F. Reed, der Anwalt der Weirton Stahlgesellschaft soll in jenen glücklichen Zeiten gesagt haben: „ I c h fühle mich berechtigt, einem Klienten zu raten, sich um ein Gesetz nicht zu kümmern, das ich für verfassungswidrig ansehe 1 7 4 ."

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Das könnte so sein, wenn Hogans „festliegende Prinzipien" wirklich juristischer Natur sind, wenn sie nicht Regierungspolitik sind, die nur dem Namen nach juristisch ist, weil ein Gerichtshof sie behandelt. Gewiß sollte ein Rechtsanwalt seine Klienten beraten können über ihre Ansprüche, über ihre Vertragsrechte, über ihre zivilen und strafrechtlichen Verpflichtungen und über einige Verfassungsfragen. Das ist Sache der Rechtswissenschaft, zu der der Rechtsanwalt erzogen ist. Das muß er beruflich können. Aber ist er zuständig, seinen Klienten zu belehren, ob ein Gesetz der Verfassung entspricht? Ist die Verfassungsgesetzgebung aus juristischem oder politischem Stoff zugeschnitten? Prüfen wir es nach den besprochenen Urteilen. Blicken w i r zurück auf die Probleme vor dem alten Gerichtshof, Landwirtschaft, Arbeit, Kohlenindustrie, Mindestlöhne. Denken w i r an die Gründe, an die Unterscheidungen und fragen wir uns, ob der Gerichtshof selbst nach einer dieser Begründungen hätte handeln wollen. Nehmen w i r das A. A. A. Schickt es sich für ein großes Land, seine Entscheidung über die Erholung der Landwirtschaft auf den Unterschied zwischen einer Vereinbarung und einer Bedingung zu gründen. Wie die Rechtsanwälte es ausdrückten, auf den Unterschied zwischen einem einseitigen und einem zweiseitigen Vertrag? Oder vielleicht sogar auf die Unterscheidungslinie zwischen einer Auflage und einer Strafe? Nehmen wir die Ausdehnung der Macht über den zwischenstaatlichen Handel. Kann die Versöhnung von Arbeit und Industrie auf einem Gleichnis beruhen? Soll der Kongreß am Ufer sitzen und das Argument „ i m Strom des Handels schwimmen sehen"? Oder soll die Entscheidung von dem dialektischen Unterschied zwischen direkt und indirekt abhängen, dann sollte man lieber durch Unbestimmtheit die Richtung ausfindig machen. Es ist kein Zeichen von Scharfsinn, eine Frage des Grades nicht von Angesicht zu Angesicht erkennen zu könnnen. Schlimmster Unsinn ist es, wenn die Gültigkeit der Eisenbahnpensionen von dem Unterschied zwischen Loyalität und Dankbarkeit abhängig gemacht wird. Die Notwendigkeit der Mindestlöhne hat nichts mit Freiheitsbestrebungen teils auf soziologischer, teils auf religiöser Grundlage zu tun. Holmes Ausspruch: „ D i e Richter sollten klare, einfache Menschen sein und etwas von Mephistopheles an sich h a b e n " 1 7 5 , befindet

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sich im Gegensatz zu Piatos Worten in der Republik 176. Nach Plato sollen die Juristen nicht den Ärzten gleichen, die am geschicktesten sind, wenn sie von Kindheit an mit den Krankheiten vertraut sind und sie selbst am eigenen Leibe erfahren haben. Richter sollen nicht inmitten des Übels aufgewachsen sein, denn das bedeutet Krankheit der Seele, und die Seele brauchen sie bei ihrem Beruf. Sie sollen lieber einfach und leichtgläubig sein, als von schlechtem Charakter. Vielleicht sind Holmes und Plato gar nicht so weit auseinander, denn Plato sagt weiter, ein guter Richter solle die Natur des Bösen langsam und nur durch Übung erkennen als eine i h m fremde Sache, durch die Wissenschaft und nicht durch die Erfahrung. Gewiß waren diese Richter weder naiv noch einfach noch von schlechtem Charakter. Sie waren gute Menschen, die nicht mehr Kenntnis des Bösen hatten, als Plato verlangt. Es ist undenkbar, daß diese Richter ihre Begründungen so geschrieben hätten, wenn man von ihnen nicht juristische Urteile, sondern Lösungen unserer nationalen Probleme gefordert hätte. Wenn diese Richter in einer Sitzung des Kongresses versammelt wären, dann würden sie nicht diese Einwände gegen die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes vorbringen, auch nicht als Mitglieder einer gemeinsamen Kommission zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen den beiden Häusern. Läßt man sie ihre Argumente auf der Rednertribüne vortragen, dann würden sie vernünftig genug sprechen. Warum reden sie dann so zu uns? Nach der richterlichen Tradition ist es schwierig, diese Fragen vernünftig zu behandeln, wenn man erwartet, ja vorschreibt, daß sie rein juristisch behandelt werden. Verschiedene Punkte gibt es, die in der Diskussion über den Unterschied zwischen gesetzgeberischer und juristischer Tätigkeit hervorgehoben werden können. Der tiefgreifendste ist folgender: der Gesetzgeber denkt, um seine Gedanken in die Wirklichkeit zu versetzen; er weiß, daß sie wirksam werden. Der Jurist denkt zu seiner eigenen Befriedigung und Rechtfertigung in Ausübung seiner Pflicht. Die Schlußfolgerungen des Gesetzgebers werden ausgeführt, seine Gedanken setzen sich in die Werke anderer Menschen um. Der Richter dagegen überlegt die Wiedergutmachung eines Fehlers in der Vergangenheit; die Auswirkung in der Zukunft ist nur eine Folge, nicht das Ziel seines Tuns. Seine Gedanken gelten nicht der 11

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Einleitung von Taten, sondern der Entschleierung der Gerechtigkeit. Während die Gedankengänge des Gesetzgebers auf Tatsachen gerichtet sind, bewegen sich die der Richter auf dem Gebiet der Wortgefechte. Vielleicht kann man auch sagen, diese Richter glaubten nach der Tradition empirische Probleme als analytische behandeln zu müssen, so als ob das Ergebnis nur aus dem Inhalt des Gegenstandes, nämlich ihrer Verfassungstheorie, herausgezogen werden könnte. Was sie aber behandelten, waren Fragen der politischen Erfahrung. Diese fehlte ihnen nicht. K e i n Wunder, wenn sie in ihrer Verwirrung Unsinn redeten, da von ihnen eine Arbeit m i t ungeeignetem Material verlangt wurde. Ebensogut könnte man eine Orange mit einem Messer teilen, ohne Saft zu verspritzen. Dazu muß man schon die Finger nehmen.

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Neuerrichtet oder bekehrt? Erst i m August 1937 besetzte der Präsident die Stelle Devantere. Zur Bestürzung der Anwälte ernannte er Senator Hugo Black. Dieser war gerade über 50 Jahre, er kam aus dem Süden, aus Birmingham, Alabama, und hatte die dortige Universität besucht. Wie Miller hatte er erst an das Medizinstudium gedacht, sich dann aber der Rechtswissenschaft zugewendet. Nach einem Anfang als Polizeirichter u n d Staatsanwalt, hatte er eine große und erfolgreiche Anwaltspraxis i n Alabama erreicht. Seit 1927 war er Senator nach Underwood und an Stelle von Bankhead. E i n natürlicher, demokratischer Mann von großer Erfahrung und Kenntnis in der Gesetzgebung des Landes. 1937 erschien er i m Bundesgericht als Gesetzgeber zwischen Juristen. Ein Schriftsteller unter K r i t i k e r n . Black benutzte den Winter, um sich einzugewöhnen und eine Reihe von einzelnen abweichenden Voten auszuarbeiten. Viele Rechtsanwälte betrachteten ihn als ein neues Element, andere, und mit ihnen die öffentliche Meinung, sahen in ihm einen Mann, der aus der Wüste kommt. Allerdings erhob er seine Stimme mitten i n der Wildnis einer unsinnigen Gesetzgebung, wie es ihm scheinen mußte. Cardozo stand ihm am nächsten, aber er wurde i m Dezember krank und kehrte nicht auf die Gerichtsbank zurück. Mitten i m Winter, i m Januar 1938, nahm ein anderer von den Vier, Sutherland, seinen Abschied und der Präsident berief den Generalstaatsanwalt Reed an das Bundesgericht. Er hatte für die Regierung die Prozesse i n dem größten Teil der New-Deal-Gesetzgebung geführt. I m N. R. Α., dem Α. Α. A. und den Arbeitsgesetzen. Die Anwälte begrüßten ihn mit Freuden. Was konnten sie nach Black noch erwarten? Jedenfalls hielten sie ihn für einen guten Juristen. Er war 54 Jahre alt, geboren in Kentucky, erzogen in Yale, Rechtsstudium in Virginia und Columbia. I n Kentucky war er i n der 11·

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Anwaltschaft und in der Gesetzgebung tätig gewesen. Dann übernahm er als Anwalt die Vertretung einer Reihe von Regierungsinstituten, des Bundesausschusses für Landwirtschaft, des R. F. C.; von 1935 bis zu seiner Ernennung war er schließlich Generalstaatsanwalt der Vereinigten Staaten. Seine Eignung als Jurist, seine hervorragende Verwaltungstätigkeit konnten nicht bezweifelt werden. I m Juni 1938 starb Cardozo. Erst i m Jahre 1939 besetzte der Präsident seinen Platz. Felix Frankfurter trat an seine Stelle, die Curtis, Gray, Holmes und Cardozo solange eingenommen hatten. Frankfurter war i m A l t e r von 12 Jahren aus Wien nach Amerika gekommen und jetzt 57 Jahre alt. E r besuchte das Gymnasium in New York, die Universität i n Harvard. Dann arbeitete er für Stimson i n New Y o r k im Büro des Generalstaatsanwaltes und i m Kriegsministerium. 1914 wurde er Professor der Rechtswissenschaften in Harvard. Während des ersten Weltkrieges beschäftigte er sich mit Arbeitsbeziehungen, wie sein Bericht über Mooney zeigt. 1927 war er der bedeutendste Verteidiger von Sacco und Vanzetti; er schrieb auch einen A r t i k e l über diesen Fall. 1932 zog er seinen Lehrstuhl einer Stelle am Obersten Gerichtshof i n Massachusetts vor. Die ganze Zeit über hatte er junge Leute für den öffentlichen Dienst erzogen und vorbereitet. Wie Black der erfahrene Gesetzgeber war, so war hier der Experte der Verwaltung, in dem sich Wissen, Mut und Ehrlichkeit aufs glücklichste vereinten. I m Februar 1939 nahm Brandeis seinen Abschied; ein alter Mann, der seinem Volke, den Bürgern dieses Landes, weise gedient hatte, ein Isaias, dessen Glut der Heftigkeit nicht bedurfte. Der Präsident ersetzte ihn durch den Vorsitzenden der Bank- und Börsenlkommission, W i l l i a m 0 . Douglas. Douglas war nur 41 Jahre alt. I m Staat Washington geboren, besuchte er dort das Gymnasium und studierte die Rechtswissenschaft i n Columbia, wo er auch später Vorlesungen hielt während der Anwaltpraxis in New York. Dann war er Professor der Rechtswissenschaft in Yale. Er leitete die S. E. C.-Untersuchungen über den Bankrott 1934. Seit 1936 war er Vorsitzender des S. E. C. (Security Exchange Commission). 1939 war das Bundesgericht neu aufgebaut, wie Frankfurter es ausdrückte 1 7 7 , aber es war schon vorher umgewandelt. Nicht so sehr diese neuen Richter, als vielmehr seine Umwandlung bestimmten den Charakter des Bundesgerichtes.

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Eine Bekehrung ist eine umwälzende Erfahrung. Als erstes unternahm es der neue Gerichtshof, eine Lehre zu entkräften, die mit dem New Deal nichts zu tun hatte, und hundert Jahre lang ein fester Teil unseres Bundesrechts gewesen war. Diese Theorie von Swift gegen Tyson ist fast nur von Interesse für Juristen und wir brauchen sie nicht zu würdigen. Es mag genügen, daß viele, vielleicht die meisten der Anwälte, dem Bundesgericht zu der Abschaffung Glück wünschten. Das Entscheidende war die A r t und Weise, wie es geschah. Man w i r d sich an Butlers Behauptung erinnern, daß der Gerichtshof den Adkins-Fall nicht wieder aufrollen könne, weil der Anwalt es nicht verlangt habe. I n diesem Fall, der im Winter 1937/38 1 7 8 vor den Gerichtshof kam, hatte niemand die Entkräftung von Swift gegen Tyson auch nur angedeutet. Ganz i m Gegenteil, einer der Anwälte hatte gesagt, „ w i r zweifeln nicht an der Endgültigkeit von Swift gegen Tyson". Der andere bezeichnete diese Endgültigkeit „als jetzt grundlegend". U n d doch verfügte das Bundesgericht die Abschaffung. Butler und McReynolds erklärten in ihrem abweichenden Votum, daß sie die Wiederberatung verlangt hätten und Protest dagegen eingelegt hätten, daß der Gerichtshof einen so alten Präzedenzfall aus eigenem Antrieb und ohne Beratung für ungültig erkläre 1 7 9 . Aber das Bundesgericht kümmerte sich nicht darum. I n diesem Geiste ging der neue Gerichtshof ans Werk, um die letzten Hindernisse auf dem Weg des New Deal zu beseitigen. Wollen wir erst diese Geschichte beenden. Ist es eine gültige Regelung des Zwischenhandels, wenn der Kongreß seine Macht für sogenannte weitere Motive benützt? Kann die Macht für etwas anderes benützt werden, wenn auch auf Kosten dieses Handels? Als das Bundesgericht das Ausgabenrecht des Kongresses zugunsten der Landwirtschaft strich, verlegte sich der Kongreß auf seine Macht über den Handel. Wenn er nicht Zuwendungen an Farmer und Züchter machen konnte, die sich zu geringerer Produktion bereit erklärten, konnte er dann nicht den Produzenten bestrafen, der mehr verkaufte, indem er ihn vom zwischenstaatlichen Handel ausschloß? Ebenso hatte der Kongreß ein Lohn- und Stundengesetz vorgeschlagen, das aus dem zwischenstaatlichen Handel alles ausschaltete, was Roosevelt als „das Produkt lebensschädlicher A r b e i t " bezeichnete.

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Die Macht des Kongresses, eine Ware vom zwischenstaatlichen Handel auszuschließen, war zuerst 1902 anerkannt worden, als das Bundesgericht den Kongreß ermächtigte, die Versendung von Lotterielosen aus einem Staat zu untersagen 180 . Die Entscheidung hatte große Unruhe verursacht und der Gerichtshof hatte lange gezögert. Eine Mehrheit des Gerichtshofes betonte: „ W i r können uns nicht zu der Feststellung entschließen, daß ein Übel von so bestürzender A r t , das durch den zwischenstaatlichen Handel weitergegeben wird, nicht durch die einzige wirksame Macht getroffen und vernichtet werden kann. Niemand kann befugt werden, diese A r t von Handel rechtmäßig zu betreiben 1 8 1 . Sie ließen allerdings auch keinen Zweifel, daß die Entscheidung nicht ein allgemeines Recht schaffen wolle, irgendeinen A r t i k e l überhaupt aus dem zwischenstaatlichen Handel auszuschließen. Das Bundesgericht beschränkte seine Entscheidung ausdrücklich auf Dinge „ v o n so bestürzender A r t " wie Lotterielose. Die Entscheidung bestürzte ihrerseits die vernünftigeren Anwälte. Der Verfasser eines Artikels in American Law Revue machte auf die bedeutsamen Folgen mit den Worten aufmerksam: „ M i t dieser Handelsklausel hat das Bundesgericht eine weitgreifende Macht e n t f a l t e t 1 8 2 . " Der Kongreß wickelte seine neu gewonnene Macht aus wie ein Weihnachtsgeschenk. Kranke Tiere, unhygienische Lebensmittel, unmoralische Frauen, berauschende Getränke, gestohlene Automobile, im Zuchthaus angefertigte Waren, entführte Personen wurden nacheinander als hinreichend schreckenerregend erklärt, um vom zwischenstaatlichen Handel ausgeschlossen zu werden. Aber das Bundesgericht meinte, der Kongreß gehe zu weit, wenn er das Produkt der Kinderarbeit ausschalten wollte, und es brachte diese Meinung zum Ausdruck im Falle Hammer gegen Dargenhart 183. Kinderarbeit bestürzte sie nicht. Man konnte Kinder beschäftigen, wenn das Gesetz der Staaten es erlaubte, und von der Bundesregierung aus konnte man auch das Produkt der Kinderarbeit verkaufen. Holmes hatte nicht zugestimmt, und als der Präsident das Lohnund Stundengesetz am 24. Mai 1937 dem Kongreß übersandte, gründete er seine Verfassungsmäßigkeit auf Holmes abweichendes V o t u m und seinen Ausdruck von „dem Produkt lebensschädlicher Arbeit." „ I c h hatte gedacht", so sagte Holmes, daß der Kongreß allein zu bestimmen habe, wann er seine Macht ausüben durfte, und daß

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dieser Gerichtshof sich nie das Recht angemaßt habe, m i t seinem Urteil i n Fragen der P o l i t i k oder der Moral einzudringen. Es ist nicht Sache dieses Gerichtshofes, zu entscheiden, wann eine Regelung unerlaubt sei, wenn das je nötig sein sollte. Er kann nicht verfügen, daß sie gegen berauschende Getränke notwendig sei, aber nicht gegen das Produkt lebensschädigender Arbeit." „Das Gesetz mischt sich nicht i n die Belange der Staaten ein. Sie können ihre Verwaltung und ihren Handel einrichten, wie sie wollen, aber wenn sie die Ausführung ihrer Produkte über i h r eigenen Grenzen hinaus versuchen, dann befinden sie sich nicht mehr auf ihrem eigenen Rechtsboden. Gäbe es keine Verfassung und keinen Kongreß, dann würde das Recht zur Grenzüberschreitung von ihrem Nachbarn abhängen; nach der Verfassung unterliegt dieser Handel nicht der Aufsicht der Staaten, sondern des Kongresses. Er kann seine politischen Ansichten durchführen, welche indirekte Wirkung sie auf die Tätigkeit der Staaten haben mögen. Statt auf einen Schutzzoll an den Grenzen trifft der Staat auf die P o l i t i k der Vereinigten Staaten, welcher der Kongreß Ausdruck zu verleihen hat. Die öffentliche P o l i t i k der Vereinigten Staaten w i r d geformt i m Hinblick auf das Wohl der Nation als Ganzes. Die nationale Wohlfahrt, ausgelegt durch den Kongreß, kann in ihrer Sphäre eine andere Haltung erfordern, als sie ein selbständiger Staat einnehmen würde. Es entspricht nach meinem Dafürhalten vollkommen der Verfassung, wenn der Kongreß seine Auffassung mit allen verfügbaren Mitteln durchdrückt." War Holmes im Recht, dann war etwas von der Macht über den Handel, die ja schon vor der Verfassung i n den Staaten bestanden haben muß, durch die Binsen gegangen. Wenn allerdings der Kongreß die ganze Macht über den Handel hatte, auch die der Staaten, dann kam es nicht auf die A r t der Ware an, die der Konrgeß aus dem Handel ausschließen wollte. Das Bundesgericht hatte sich weniger um den üblen Charakter der auszuschließenden Waren zu kümmern, sondern einfach zu entscheiden, ob dem Kongreß die Regelung zustände. Es bestimmte, daß das Übel so schädlich sein müsse, daß es verboten werden müsse. 1902 bedurfte es eines Übels von so bestürzender A r t , wie es ein Lotterielos ist, um die Zustimmung des Gerichtshofes zu gewinnen. Seit dieser Zeit war der Gerichtshof immer sophistischer geworden.

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Vielleicht so sehr, daß ein Mann nicht das Recht zum Handeln mit Getreideüberschüssen hätte, wenn auf dem Markt kein guter Preis mehr erzielt würde? So sehr, daß ein Mann nicht Waren verkaufen dürfe, deren Herstellungsbedingungen dem Kongreß nicht anständig genug erschienen? I m Landwirtschaftsgesetz von 1938 verließ der Kongreß die Methode der Bewilligung unter dem Ausgabenrecht und wendete sich, wie schon gesagt, seinem Recht über den zwischenstaatlichen Handel zu. Die Absicht des neuen A. A. A. war es, den angefochtenen Überschuß vom zwischenstaatlichen und vom auswärtigen Markt fernzuhalten. Als Mittel war die Bestrafung jedes Farmers gewählt worden, der mehr als seinen Anteil zum Verkauf anbot. Wallace, damals Staatssekretär für Landwirtschaft, wurde ermächtigt, die Anteile je nach den Staaten festzulegen, sobald ihm der Preis durch die Überproduktion bedroht erschien. Dazu kam es i m November. Dann sollte er eine Volksbefragung der Erzeuger und Züchter durchführen. Wenn zwei D r i t t e l für seine Tabelle stimmten, dann sollte sie wirksam sein und unter den Farmern durch lokale Ausschüsse verteilt werden. Wenn ein Farmer mit seinem Anteil nicht zufrieden war, dann konnte er sich an die Gerichtshöfe wenden. Das Gesetz übte seine Macht auf diese Weise durch Strafe, statt durch Überredung aus. Wenn ein Farmer mehr auf den Markt brachte als seinen Anteil, dann mußte der Kaufmann, der die Versteigerung der Ware durchführte — so wurde der Tabak verkauft — die Hälfte vom Preis des Überschusses an das Ministerium abführen. Diese Summe konnte er dann wieder von dem Ertrag, den der Farmer nach der A u k t i o n zu bekommen hatte, abziehen. Ausdrücklich gab es keine Grenze für den Anbau des Farmers. Die Strafe bezog sich nur auf die Marktware. Vielleicht zur Sühne mußte Roberts die Begründung schreiben, wie bei dem Gesetz von 1933 1 8 4 . Das Statut, so sagte er, kontrolliert nicht die Produktion. Es setzt der Anbaufläche keine Grenzen und legt keine Strafe auf das Pflanzen und Produzieren von Tabak über den zugemessenen Anteil hinaus. Es bedeutet nur eine Regulierung des zwischenstaatlichen Handels, so schloß er. War diese Naivität Absicht? Offenbar traf doch der Kongreß die Produktion durch den Markt. Die Farmer pflanzten ja ihren Tabak, um ihn zu verkaufen, nicht um ihn selbst zu rauchen.

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Die letzten Überreste des alten Gerichtshofes, Butler und McReynolds, wiesen in ihrem abweichenden V o t u m darauf hin. Ein Blick auf das Statut ließ nach ihrer Meinung erkennen, daß die unverkennbare Absicht des Gesetzes Preiserhöhung durch Produktionsminderung sei. Abgesehen von dem Schein oder der politischen Erklärung sei die Auswirkung, die Höhe der Produktion jedes Farmers zu kontrollieren. Ganz trügerisch schien ihnen die Behauptung, daß die Produktion nicht bestraft würde. Der Farmer pflanze seinen Tabak ja nur zum Verkauf. I h n für den Verkauf des Tabaks zu bestrafen, sei ganz genau das gleiche, wie ihn für die Anpflanzung des Tabaks zu bestrafen. So erscheine ihnen das Gesetz ganz ungültig 1 8 5 . Was kann dazu gesagt werden? Entspricht das nicht dem gesunden Menschenverstand? Hatte sich nicht die neue Mehrheit von den Tatsachen abgewandt? Von den Tatsachen, die sie doch mit solcher Sorgfalt und solchem Stolz erforschten? Roberts gab die einzig mögliche Antwort. Jede Vorschrift, so sagte er, die wie die vorliegende den Handel pflegen, schützen, und bewahren soll, oder die den Handel an der Schädigung des Volkes hindern soll, liegt im Bereich des Kongresses. Die Motive des Kongresses hei der Ausübung der Macht sind nicht von Bedeutung für die Gültigkeit des Gesetzes. Wie ein Anwalt äußerte, muß Roberts ein „herzliches Lachen aus dem Himmel gehört haben". Sicher hatte Holmes zugehört. Das Gesetz für gerechte Arbeitsbedingungen (Fair Labor Standards Act) von 1938 erreichte den Gerichtshof erst nach dem Abschied von Butler und McReynolds. So wurde es einstimmig angenommen. Es war verständlich, daß Stone die Urteilsbegründung m i t Freuden niederschrieb 1 8 6 . „Das Motiv und die Absicht der Regelung des zwischenstaatlichen Handels", so sagte er, „sind Gegenstand der Gesetzgebung. Die Verfassung legt ihr darin keine Einschränkung auf und die Gerichtshöfe haben darüber keine Kontrolle auszuüben." Wie er ausführte, war mehr als ein Jahrhundert vergangen seit der Entschließung Gibbons gegen Ogden. Lange und oft seien diese Prinzipien der Auslegung der Verfassung durch den Gerichtshof auf die Handelsklausel angewendet worden. Es werde wohl keine Gelegen-

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heit mehr geben, sie zu wiederholen, außer im Urteil Hammer gegen Dagenhart, das 22 Jahre zurückliege. Dann kam er auf das „tiefgreifende und jetzt klassische" abweichende V o t u m von Richter Holmes zurück, das er i n seinen Hauptzügen darstellte. Das Urteil Hammer gegen Dagenhart war nicht befolgt worden. Lange schon hatte man die Unterscheidung fallen lassen, auf der es beruhte, nämlich, daß die Macht des Kongresses über den zwischenstaatlichen Handel sich auf A r t i k e l beschränke, die an sich schädlich oder schädigend seien. Auch damals schon war diese Entscheidung etwas Neues und von keiner Vorschrift der Verfassung unterstützt. Lange ist die These außer K r a f t getreten, daß die Regelung des Handels der Verfassung nicht entspräche, wenn das Motiv des Verbotes oder seine Kontrolle über die Produktion der vom Markt ausgeschlossenen A r t i k e l i n den Einzelstaaten nicht gebilligt würden. „Die Schlußfolgerung ist unvermeidlich, daß Hammer gegen Dagenhart von den Grundsätzen bei der Auslegung der Handelsklausel schon vor und auch nach dem Urteil abwichen. Auch seine Lebensfähigkeit als Präzedenzfall, wie es damals angesehen wurde, ist schon lange erschöpft. Es soll und muß außer K r a f t gesetzt werden." Lange schon war die Lebenskraft erschöpft? Erst von zwei Jahren hatte man Holmes Gelächter aus dem Himmel gehört. Bis dann war Hammer gegen Dagenhart immer noch ein Teil der Verfassung gewesen.

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Der neue Gerichtshof Der neue Aufbau des Gerichtshofes machte Fortschritte. Zwei aus der alten Garde hatten Abschied genommen, Van Devanter und Sutherland, zwei von der alten Minderheit waren gestorben, Cardozo und Brandeis. A n ihre Stelle waren Black, Reed, Frankfurter und Douglas getreten. Auch Butler und McReynolds blieben nicht mehr lange. Der eine starb, der andere zog sich zurück. Auch Hughes nahm seinen Abschied, und Präsident Roosevelt berief Stone für die Nachfolge dieses bedeutenden Gerichtspräsidenten. Die drei freien Stellen wurden durch Murphy, Byrnes und Jackson ausgefüllt. Alle kamen aus anderen Gebieten des öffentlichen Dienstes, Murphy und Jackson aus dem Büro des Generalstaatsanwaltes, Byrnes aus dem Senat. Frank Murphy stammte aus Michigan und war ungefähr 50 Jahre alt, unverheiratet und katholisch. Er hatte Rechtswissenschaft in einer Abendschule gelehrt, i m Büro des Generalstaatsanwaltes und dann i n einem Polizeigericht gesessen. Darauf war er zum Bürgermeister von Detroit gewählt worden. Von da hatte er eine hervorragende Karriere gemacht, Generalgouverneur der Philippinen, Gouverneur von Michigan zur Zeit des Sitzstreiks, Generalstaatsanwalt der Vereinigten Stallten. A n das Bundesgericht wurde er i m Januar 1940 berufen. James F. Byrnes kam aus Charleston i n Südkarolina. Er wurde 1903 als Rechtsanwalt zugelassen. Nachdem er als amtlicher Prozeßberichterstatter gedient hatte, war er zwölf Jahre lang Mitglied des Kongresses und dann sechs Jahre lang Rechtsanwalt i n Spartansburg. 1931 wurde er in den Senat gewählt und machte dort eine hervorragende Karriere, aus der ihn Roosevelt i m Juni 1941 herausholte. Das war ein Verlust für den Senat. Es war auch ein Verlust für das Bundesgericht, als Roosevelt ihn im Herbst 1942 von dort

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abrief und ihn zum 2. Präsidenten machte. Nur eine Sitzungsperiode lang war dem Bundesgericht seine Weisheit zugute gekommen. Auch Robert H. Jackson war ein Mann anfangs der 50. Er kam aius dem Innern von New York, Chautauqua County. I n Jamestown hatte er als Anwalt die Trambahnen vertreten, ebenso die Telefongesellschaft, die Bank und die Stadt selbst. 1934, zu Beginn des New Deal, wurde er Rechtsberater der Steuerverwaltung. 1936 wechselte er i n das Justizministerium hinüber als zweiter Staatsanwalt, Staatsanwalt und Generalstaatsanwalt. I m Juni 1941 kam er mit Byrnes an das Bundesgericht. 1945 ging er nach Nürnberg, um die Anklage gegen die Kriegsverbrecher zu führen. Ais Byrnes zum zweiten Präsidenten ernannt wurde, trat Wiley Rutledge an seine Stelle. Er kam aus Kentucky, hatte das Gymnasium in Wisconsin und die Universität i n Colorado besucht. Dann war er 15 Jahre lang Professor der Rechtswissenschaft, bis ihn Roosevelt an das Bezirksberufungsgericht in Columbia berief. Durch eeine Berufung an den Gerichtshof hatten die Rechtsprofessoren die Mehrheit. (Stone aus Columbia, Roberts von der Universität Pennsylvania, Frankfurter aus Harvard, Douglas aus Yale und Rutledge aus Colorado, der Universität Washington und dem Staat Jowa.) Das bewies aber nur, daß die Rechtsprofessoren im öffentlichen Dienst standen, nicht, daß das Bundesgericht zur Universität wurde. Als sich Roberts 1945 zurückzog, ernannte Präsident Truman den Senator Harold H. Burton aus Ohio. Burton war in der Nähe von Boston geboren, in Bowdoin und Harvard erzogen, aber er ging von Neu-England nach Cleveland, wo er Rechtsanwalt und dann Bürgermeister war. 1941 wurde er i n Ohio als Senator gewählt. Man konnte kaum erwarten, daß dieser Gerichtshof einstimmig und.harmonisch sein würde. Allerdings hatte derselbe Präsident sie ernannt, alle, außer Murphy. Aber Roosevelt hatte seine Kandidaten nicht wegen ihrer gleichen Gesinnung ausgewählt. Jeder konnte das sehen. Die Annahme des New Deal, sogar Begeisterung dafür, war keine führende Philosophie. Der New Deal war jetzt erfolgreich, und seine Verfechter konnten jetzt haltmachen. Tiefer ging die Abwendung des Gerichtshofes von der juristischen Tradition und dem theoretischen Denken und die Hinneigung zu den Tatsachen. Das machte die Vertretung der einzelnen Meinungen leichter. Jeder Richter sprach mehr für sich selbst, statt sich einfach den anderen

Der neue Gerichtshof

anzuschließen, ob sie der Mehrheit oder der Minderheit angehörten. Es gab aber doch genug Spaltungen. Der neue Gerichtshof hatte, wenn auch nicht zwei Pole, so doch zwei Brennpunkte. Black, Douglas und Murphy hatten meistens dieselbe Auffassung, auch Rutledge. A u f der anderen Seite sahen Stone, Roberts, Frankfurter, Jackson und Byrnes, solange er da war, die Dinge auf ähnliche Weise und i n ähnlicher Distanz. Die Teilung war nicht einfach ifait den Begriffen konservativ und radikal abzutun, wenn das überhaupt eine einfache Bezeichnung ist.

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Föderalismus Der Staat über der Nation I n der Verfassung steht nichts Ausdrückliches über den Föderalismus. Aber was mehr bedeutet, er liegt darin eingeschlossen. Die Rechte der nationalen Regierung sind übertragen. Alle anderen Regierungsrechte bleiben nach der 10. Ergänzung den Staaten und dem V o l k überlassen. Dem Obersten Bundesgericht oblag es, das Gleichgewicht zu halten. W i r haben gesehen, wie der Gerichtshof sich gegen die nationale Drohung des New Deal einsetzte. Als die Nation noch jung war, war es umgekehrt. Die zarte Pflanze der Bundesregierung mußte gegen die Macht der Staaten geschützt werden. Besonders mußte die neue Nation vor der Steuergewalt der Staaten geschützt werden. Die Staaten hielten dieses Recht unvermindert zurück, außer i n den Steuern aus Export und Import. I n der Verfassung stand nichts, das die Einzelstaaten Vernichtung der neuen Nation durch die Steuern hätte können. Nach Hamilton konnte das nur geschehen durch same Klugheit und gegenseitige Duldsamkeit 1 8 7 . Sollte das nügen, so war es Sache des Bundesgerichtes einzugreifen.

an der hindern gemeinnicht ge-

Zuerst kam die Frage vor den Gerichtshof, ob es der Verfassung entspreche, wenn der Staat Maryland eine Zweigstelle der Bank der Vereinigten Staaten besteuere. Da die ruhigeren Zeiten lange Urteilsbegründungen erlaubten, bitte ich vier Paragraphen von Marshall bringen zu dürfen: „ W o l l e n w i r untersuchen, ob dieses Recht der Einzelstaaten sich mit einer gerechten Auslegung der Verfassung verträgt. Man kann nicht leugnen, daß die Macht zu besteuern, die Macht zu zerstören ist. Auch kann die Macht zum Zerstören die Macht zum Schaffen aushöhlen. Man empfindet eine Abneigung dagegen, einer Regierung das Recht zur Kontrolle der Maßnahmen

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einer anderen Regierung zu übertragen, besonders wenn die letztere i m Bezug auf diese Maßnahmen nach der Verfassung über derjenigen steht, die die Kontrolle ausübt. Aber alle Widersprüche können versöhnt werden durch das magische Wort „Vertrauen". Die Besteuerung muß nicht notwendiger- und unvermeidlicherweise zerstörend wirken. Geschieht das doch, so liegt ein Mißbrauch vor, der jenes Vertrauen vernichtet, das für jede Regierung wesentlich ist. „Aber ist das eine Frage des Vertrauens? Würde das V o l k eines Staates dem V o l k eines anderen das Recht der Kontrolle auch nur i n den unbedeutendsten Angelegenheiten zugestehen? W i r wissen, daß dies nicht der Fall ist. Wie sollten wir dann annehmen, daß das Volk eines Staates dem V o l k eines anderen die Macht der Kontrolle über eine Regierung geben würde, der die wichtigsten und wertvollsten Interessen anvertraut sind? I n der Gesetzgebung der Vereinigten Staaten allein sind alle vertreten. Die Gesetzgebung der Vereinigten Staaten allein kann deshalb vom V o l k die Macht übertragen bekommen, Maßnahmen zu überwachen, die alle betreffen, mit dem Vertrauen, daß diese Macht nicht mißbraucht wird. Das ist also keine Frage des Vertrauens. W i r müssen sie betrachten, wie sie wirklich ist. „Wenn w i r das vom Staate Maryland vertretene Prinzip auf die Verfassung im allgemeinen anwenden, erkennen wir, daß es den Charakter dieses Instrumentes vollständig verändern kann. Es kann alle Maßnahmen der Bundesregierung anhalten und sie unter die Gewalt des Staates setzen. Das amerikanische V o l k hat die Verfassung und ihre Gesetze als das Höchste erklärt, aber dieses Prinzip würde die Oberhoheit i n der Tat an die Staaten übertragen." „ W e n n die Staaten ein Organ der Bundesregierung i n Ausübung seiner Rechte besteuern können, dann können sie jedes andere auch besteuern. Sie können die Post besteuern, das Münzwesen, die Patentrechte, die Zollpapiere. Sie können das Gerichtswesen besteuern, sie können alle M i t t e l der Regierung in einem Ausmaß besteuern, das alle Ziele der Regierung zunichte macht. Das war nicht die Absicht des amerikanischen Volkes. Es wollte nicht seine gemeinsame Regierung von den Einzelstaaten abhängig machen 1 8 8 ." Der Gerichtshof ließ sich durch Marshalls Beweisführung täuschen und vergaß, daß diese Steuer nicht alle Banken, sondern nur eine Zweigstelle der Bank der Vereinigten Staaten betraf. Es war

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nicht anwendbar auf die vom Staat zugelassenen Banken. Es machte Unterscheidungen. Marshall war von einer unnötig erweiterten Theorie ausgegangen und hatte mehr niedergeworfen, als er beabsichtigt hatte. I n diesem Maschinenzeitalter wissen wir, daß die Maschine den Mann beherrscht. Hier beherrschte ein abstraktes Prinzip seine Meister. Die erste wichtige Protest kam von Holmes 1928. Zwar gab er zu, daß die Auferlegung einer einheitlichen Staatssteuer auf das an die Küstenwache verkaufte Benzin praktisch ungültig war, aber er wandte sich doch gegen Marshalls Beweisführung: „ E r scheint m i r " , so sagte Holmes, „daß der Staatsgerichtshof i m Recht ist. Ich würde das voll und ganz zugeben, wenn ich mich nicht gegen gewisse Worte des Gerichtspräsidenten Marshall wenden müßte, die sich auf seine oft zitierte Behauptung gründen, daß die Macht zu besteuern, die Macht zu zerstören sei. I n jenen Tagen erkannte man noch nicht so wie heute, daß das Gesetz meistens nach dem Grad unterscheidet. Damals nahm man an, daß die Staaten alle Macht hätten, wenn sie irgendeine Macht hatten: als Gegenstück versagte man sie ihnen ganz. Aber dieser Gerichtshof, der so oft in gewisser Weise das Besteuerungsrecht eingeschränkt hat, kann sich gegen den Versuch der Ungerechtigkeit oder der Überschreitung wenden, ohne das Besteuerungsgesetz ganz aufzuheben. Das Recht zu besteuern ist nicht das Recht zu zerstören, solange dieser Gerichtshof t a g t 1 8 9 . " Logische Konsequenzen lassen sich nicht aufhalten. I m Januar 1937 war das Bundesgericht so weit gegangen, einstimmig zu erklären, daß der Rechtsberater der Panama-Eisenbahn die Einkommensteuer von New Y o r k nicht zu bezahlen brauche, nur weil das Kapital der Gesellschaft den Vereinigten Staaten gehörte und die Gesellschaft dadurch zum „Bundesinstrument" w u r d e 1 9 0 . Holmes' Protest wurde bis zum März 1939 nicht beachtet, als der neue Gerichtshof befragt wurde, ob New York das Einkommen eines Syndikus des Darlehnsvereines für Hauseigentümer besteuern könne 1 9 1 . Da das ganze Kapital Eigentum der Bundesverwaltung war, war die Bank Bundesinstrument. Dennoch sollte nach dem neuen Gerichtshof New Y o r k die Steuer erheben können. Natürlich protestierten Butler und McReynolds: „Nichtig sind die vagen Andeutungen, daß dieser Gerichtshof Schutz gegen übertriebene oder schädliche Besteuerung gewähren könne. Wo das

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Besteuerungsrecht besteht, da kann die Gesetzgebung es zur Zerstörung, zur Abschreckung, zum Schutz oder auch nur zur Erhöhung des Einkommens anwenden." Ganz nach dem V o r b i l d Marshalls, wie Frankfurter i n einer konkurrierenden Begründung ausführte. Er hielt es für angemessen, einige Bemerkungen daran zu knüpfen und wandte sich dabei zurück „auf die frühere gesunde Übung, wonach die Richter ihrer eigenen Meinung Ausdruck verliehen. Diese alte Tradition ist von Bedeutung, wenn ein wichtiger Wandel i n der Verfassungslehre sich ankündigt nach einer Erneuerung der Mitglieder des Gerichtshofes." „120 Jahre lang sind vor diesem Gerichtshof Anträge auf Befreiung von Steuer eingekommen. Diese Steuern wurden dem Steuerzahler von einer Autorität unseres doppelten Regierungssystems auferlegt, weil er zu der anderen in Beziehung stand. Es steht nicht ausdrücklich i n der Verfassung, daß sich der Gerichtshof auf diesem Gebiet zu betätigen habe. Nachdem die Staaten ihre Vereinigung vollzogen hatten, behielten sie dasselbe Steuerrecht bei, das sie vorher gehabt hatten, mit Ausnahme von Steuern auf Export, Import und Schiffstonnage. „Aber wie auch auf anderen Gebieten der Tätigkeit der Bundesregierung und der Regierungen der Staaten stellt unser Föderalismus Probleme in bezug auf das lebenswichtige Besteuerungsrecht. Da zwei Regierungen Macht über das gleiche Gebiet besitzen, darf keine durch das Steuerrecht die Tätigkeit der anderen schwächen. Deshalb müssen die Regierungen der Staaten wie die Bundesregierung Eintreibungen vermeiden, die sich gegenseitig hintansetzen oder offenbar das Gebiet der anderen Macht berühren. Aus diesen Erwägungen entkräftete unser großer Gerichtspräsident das Statut von Maryland als eine deutlich feindliche Maßnahme gegen die Benützung der Bank der Vereinigten Staaten als Regierungsinstrument durch die Vereinigten Staaten." „ D i e Begründung des Falles McCulloch gegen Maryland wurzelte in den Zeitverhältnissen. Aber sie wurde verdreht durch unfruchtbare Überspitzungen, die nichts mit der Sache zu tun hatten. Sie gingen auf eine unglückliche Bemerkung in der Urteilsbegründung McCulloch gegen Maryland zurück. Teils als rhetorische Blüte, teils aus der intellektuellen Zeitmode des Gebrauches verabsolutierender Ausdrücke prägte Gerichtspräsident Marshall den Satz, daß „die Macht zu besteuern, die Macht zu zerstören in sich trage". 12

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Nach Frankfurter wurde dieses Wort als „verfassungsrechtliches Mandat behandelt". Das war gar nicht der Fall, sondern es war nur ein verführerisches Bonmot. Bis vor kurzem, so sagte er, bewegten wir uns in den von Lincoln bezeichneten „verderblichen Abstraktionen". „ D i e Geschichte dieser Steuerfreiheit ist ein auffallendes Beispiel für die Neigung, gelegentlich unverbürgte Auslegungen i n die Verfassung einzugliedern. Später betrachtet man nur, was von juristischer Seite über die Verfassung gesagt wurde, statt sich in erster Linie von einer klaren Erkenntnis der Verfassung leiten zu lassen. Eine juristische Auslegung ist unvermeidlich für ein organisch gewachsenes Gesetz wie unsere Verfassung, das in vielen Einzelheiten absichtlich allgemeine Ausdrücke verwendet, um der Zukunft Raum zur Entfaltung zu lassen. Der letzte Prüfstein bleibt die Verfassung selbst und nicht das, was über sie gesagt wurde." Nun stand gewiß nichts in der Verfassung, das die Staaten an der Besteuerung der Nation hinderte. Es gab keinen Grund, daß sie nicht nach Belieben Steuern erheben sollten, so lange bis sie wirklich und tatsächlich mit der nationalen Regierung zusammenstießen. Das geschah nicht durch eine einheitliche Steuer, sondern nur durch eine Steuer, die Unterscheidungen machte. Der Gerichtshof hatte sich durch eine verderbliche Abstraktion in verführerischem Gewand verleiten lassen. So weit handelte es sich um die politische Seite des Föderalismus. Es war eine Frage der Beziehungen zwischen den Regierungen, zwischen den Staatsregierungen und der Bundesregierung; es ging um die Macht der Regierungen der Staaten über Beamte der Bundesregierung. I m nationalen Leben gibt es aber auch eine wirtschaftliche Seite. Sollen Sie und ich und die Gesellschaften, an welche wir verkaufen oder von denen wir kaufen, für welche wir arbeiten und von denen wir vielleicht Aktien besitzen, sollen wir und sie die Vorteile als Mitglieder einer großen Nation genießen? Dazu gehört die volle Handelsfreiheit. Freiheit des Handels zwischen den Staaten wie innerhalb eines Einzelstaates, die zusammen das große Ganze ausmachen. W i r brauchen beide, wenn w i r genug haben sollen. Die eine wetteifert, wie es auch richtig ist, gegen die andere; das lokale Geschäft gegen die Kettenläden, die lokale Produktion gegen die nationale Massenproduktion, der lokale Verkauf gegen die nationale Verteilung. Zu gewissen Zeiten bedurfte unser nationaler Handel

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des Schutzes gegen örtliche Vorurteile, so wie die Nation einst gegen die Staaten. I m großen gesehen bleibt die Frage verfassungsmäßig die gleiche; sie ist um so wichtiger, weil hier die Verfassung ausdrücklich etwas darüber sagt. Die Verfassung gab dem Kongreß die Macht, den nationalen Handel zu regeln, und zwar den Handel zwischen den Staaten. Nun tat der Kongreß aber wenig oder nichts, um die Staaten an der Einmischung zu verhindern. Die Staaten im ganzen hätten den nationalen Handel durch Besteuerung vernichten können, genau so wie es ein Einzelstaat mit einer Vertretung der Bundesregierung machen konnte. Wenn nicht etwas geschehen wäre, dann hätten wir überhaupt keinen nationalen Handel. Das wäre natürlich die Schuld des Kongresses gewesen. Da nun der Kongreß wenig oder nichts tat, war es wieder das Bundesgericht, das eingriff. Es handelte ohne ausdrücklichen Auftrag hier wie in der Frage, ob die Staaten die nationale Regierung besteuern dürften. Marshall hatte erkannt, daß es sich um das gleiche Problem wie bei der Bank der Vereinigten Staaten handelte. I m führenden Falle Brown gegen Maryland 1827 1 9 2 stellte er fest, daß McCulloch gegen Maryland, eben jene Besteuerung der Bank, „vollkommen anwendbar" sei 1 9 3 . Vielleicht war ihm nicht der Gedanke gekommen, daß in der Zukunft die Anpassung der Tatsachen an die Lehre unendlich komplizierter wäre wie damals. Der Handel jener Zeit steht nicht im Vergleich zu dem heutigen. Dennoch bleibt es wichtig, daß wir es mit derselben Verfassungslehre zu tun haben. Dort wurde sie angewandt auf die politischen Beziehungen zwischen der Bundesregierung und den Staaten, hier auf die wirtschaftlichen Beziehungen des nationalen Handels und der Staaten. Auch hier bekannte sich das Bundesgericht zu der einfachen Meinung, daß die Staaten ebensowenig Steuern auf den zwischenstaatlichen Handel legen konnten, wie die Bundesregierung selbst. Nicht einmal eine Einheitssteuer, sogar nicht, wenn die gleiche Steuer auf Konkurrenzunternehmungen innerhalb des Staates gelegt wurde. Ein Staat konnte seine eigenen lokalen Kaufleute besteuern, das war seine eigene Sache. Er konnte nicht die Gesellschaften von außerhalb des Staates besteuern, mit denen sich seine eigene Industrie i m Wettbewerb befand. Die Folge war Ungerechtigkeit gegen den lokalen Handel, darüber war sich das Bundesgericht vollkommen klar. „Es liegt nicht ή*

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i m Bereich der gegenwärtigen Auseinandersetzungen, auf die unheilvollen Wirkungen hinzuweisen, welche das Recht, den zwischenstaatlichen oder den auswärtigen Handel zu besteuern, haben kann. Wenn der Staat diese Macht überhaupt hat, dann gibt es keine Grenze dafür, außer seiner eigenen Zurückhaltung. Das Recht kann so ausgeübt werden, daß der Handel vertrieben w i r d oder daß i h m unerträgliche Lasten auferlegt werden, die das Geschäft und den Wohlstand anderer daran beteiligter Staaten ernstlich schädigen. Wollten diese Staaten auf dem Weg der Vergeltung oder anderswie ähnliche Einschränkungen auferlegen, dann würde die größte Verwirrung in unserem Wirtschaftsleben entstehen 1 9 4 ." Und unter dieser Lehre wurden w i r der größte nationale Markt der Welt, so groß, daß nach der Meinung mancher Leute w i r einen Außenhandel gar nicht brauchen. Black griff die Lehre zuerst an. I i i einem der Voten seines ersten Gerichtsjahres, i n denen er allein stand, und ein Jahr später wieder. I n beiden Fällen wurde die Frage behandelt, ob eine große Gewinnsteuer über die Gewinne des zwischenstaatlichen wie des innerstaatlichen Geschäftes gültig sei. Viele Staaten hatten sich der Gewinnsteuer statt der Einkommensteuer zugewendet. Einer dieser Fälle betraf eine Steuer von 1 % auf das Geschäft der J. D. AdamsGesellschaft in Indiana, die Wegebaumaschinen herstellte und 80 % in anderen Staaten verkaufte 1 9 5 . Der andere Fall war eine Steuer von Washington von 1 % auf Gwin, White und Prince in Washington; die Firma handelte mit Äpfeln und Birnen aus Washington und Oregon, die sie in anderen Staaten verkaufte 1 9 6 . War die Einmischung in den zwischenstaatlichen Handel so bedeutend, daß die Klausel selbst ohne Zutun des Kongresses sie verbot? Das Bundesgericht brachte ein Dutzend Fälle bei für die Ungültigkeit dieser Steuer, da sie dem zwischenstaatlichen Handel eine Last auferlege. Zudem war sie nach der Meinung des Gerichtshofes ungerecht. „ W e n n Washington zu einer solchen Steuer ermächtigt wird, dann können andere Staaten, auf welche sich der Handel ausdehnt (diese Äpfel wurden i n Washington verkauft) mit gleichem Recht eine ähnliche Steuer auf die Ausführung dieser Tätigkeit innerhalb ihrer Landesgrenzen legen. So verstößt die vorliegende Steuer, wenn sie auch dem Namen nach lokal ist, i n ihrer praktischen Auswirkung gegen den zwischenstaatlichen Handel. Nur weil er zwischen den Staaten ausgeübt wird, legt die Steuer ihm das

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Risiko einer vielfachen Last auf, welcher der lokale Handel nicht ausgesetzt i s t 1 9 7 . " Diese Worte des Bundesgerichtes brachten Black auf den Plan. Er bestritt die Ungerechtigkeit der Steuer. Sie könne nicht so bezeichnet werden, durch das Risiko allein, daß das zwischenstaatliche Geschäft, hier ebenso besteuert wie das innerstaatliche, i n einem anderen Staat wieder besteuert werden könne. Nach seiner Meinung sei die Wiederbesteuerung eine angenommene Möglichkeit. Es sei nur eine Befürchtung, daß ein anderer Staat eine neue Steuer erheben könnte; eine solche Steuer würde ja für verfassungwidrig und ungültig erklärt werden. Eine mehrfache Besteuerung könne sich nur ergeben, wenn ein anderer Staat eine gültige Steuer durchbringe, und das würde nach dieser Entscheidung nicht der Fall sein. Wenn w i r alle anderen vorkommenden Fälle für verfassungwidrig erklären — der Prüfstein für eine Regel liegt ja i n ihrer allgemeinen Anwendung — dann legt diese Anwendung der Kommerzklausel eine ungerechte Last mehr auf den innerstaatlichen als auf den zwischenstaatlichen Handel. Das Geschäft zwischen den Staaten w i r d ja von allen Steuern befreit, das Geschäft innerhalb der Staaten hat die Lasten für beide zu tragen 1 9 8 . Black ging noch darüber hinaus und fragte: „ W a r u m ist dies nicht Sache der Gesetzgebung durch den Kongreß? Warum soll es durch das Bundesgericht juristisch entschieden werden? Übernahm hier nicht der Gerichtshof etwas, was nach der Absicht der Verfassung der Kongreß tun sollte? U n d weiter: „Der Gerichtshof kann wohl einen Kläger gegen ungerechte Besteuerung i m zwischenstaatlichen Handel schützen, aber nur der Kongreß hat doch die Macht zur Formulierung von Regeln und Gesetzen, um den ganzen zwischenstaatlichen Handel vor den Möglichkeiten einer künftig möglichen, ungerechten Belastung sicherzustellen. Die Kontrolle des zukünftigen Verhaltens, die Verhinderung künftiger Ungerechtigkeiten und die Formulierung von Regeln auf dem Gebiet des Handels und der Besteuerung sind alles Probleme des Gesetzgebers 199 ." Hat er darin nicht recht? Nach dem Vorschlag des Bundesgerichtes sollte der Staat die Steuer zuteilen, indem er den Handel zwischen den Staaten beiseite ließ und nur das Geschäft innerhalb des Staates besteuerte. Wenn man dabei die Linie geschickt zog, dann konnte die Steuer im eigenen Gebiet gültig sein. Das ist aber keine einfache Sache. Sogar dem Bundesgericht fällt es nicht leicht, den

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zwischenstaatlichen Handel gegen den Handel innerhalb des Staates genau abzugrenzen. Jeder Versuch einer Zuteilung würde einem Prozeß und der letzten Entscheidung durch den Gerichtshof unterliegen. Black führte aus: „Der Kongreß allein hat die Macht und die Möglichkeit einer verständnisvollen Überwachung und Untersuchung der gesamten Wirtschaft der Nation. Nur dadurch kann eine Notwendigkeit angezeigt und gerechtfertigt werden, die Besteuerungsmacht eines Staates so einzuschränken, daß Vorsorge getroffen w i r d gegen die Besteuerung desselben Einkommens durch mehr als einen Staat. Ein Gerichtshof ist zu einer so gründlichen Untersuchung nicht imstande. Aber der Kongreß kann durch sie Einblick i n eine kluge Wirtschaftspolitik gewinnen, die folgendes erfordert: „Jeder Staat, in dem eine zwischenstaatliche Firma w i r k t , muß eine gerechte Steuer auf den Gewinn dieser Firma legen dürfen, entweder wegen ihrer Größe und ihres Umf anges oder um praktisch die Tendenz zu einer zu starken Zentralisierung der nationalen Wirtschaft zu bekämpfen. Der Kongreß wird finden, daß die Verwandlung des zwischenstaatlichen Handels in einen steuerfreien Zufluchtsort —nach A r t des vorliegenden Urteils — ein Privileg gegenüber dem innerstaatlichen Handel bedeutet, das sich gegen die nationale Wohlfahrt r i c h t e t 2 0 0 . " Black kam zu dem Schluß: „Heute wie zur Zeit der Annahme der Verfassung ist es wesentlich, daß der Handel zwischen den Staaten und mit dem Ausland von den Einzelstaaten nicht durch ungerechte Vergeltungslasten getroffen wird. Ebenso wichtig ist es jedoch, daß der juristische Teil unserer Regierung seine verfassungsmäßigen Grenzen genau beobachtet und daß der Kongreß allein die nationale Politik der Regelung übernimmt, wenn sonst gültige Gesetze der Staaten den freien Strom des Handels behindern. V i e l Verwirrung könnte ohne Zweifel vermieden werden, wenn die Gerichtshöfe davon absehen würden, die gültige und gerechte Steuergesetzgebung einzuschränken. Auch wenn man glaubt, daß der Kongreß die Probleme der mehrfachen Besteuerung oder der Zuteilung erkennen und seine Macht über den zwischenstaatlichen Handel hätte anwenden sollen, so ist das doch kein Grund für den juristischen Teil der Regierung, ohne den Auftrag der Verfassung die Pflichten zu übernehmen, die von der Verfassung dem Kongreß auferlegt sind. Wollen w i r an der Regel festhalten: wenn Staaten durch ihre ungerechte Besteuerung nicht den zwischenstaatlichen Handel als solchen treffen,

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dann muß der Kongreß allein bestimmen, wie weit der Handel frei und unbehindert sein soll, wie weit er mit Steuern und Abgaben belastet und wie weit er überhaupt verboten sein soll 2 0 1 . Black stand m i t seinem abweichenden Votum allein, aber das nächste Mal, 1940, zwei Jahre nach dem ersten und ein Jahr nach dem zweiten Fall, gehörten Frankfurter und Douglas dem Gerichtshof an und traten auf seine Seite. Das war im Fall der Benzinsteuer auf die Dixie Greyhound Autobuslinie 2 0 2 . Diese Autobusse verkehrten zwischen Memphis in Tennessee und Saint Louis i n Missouri, eine Strecke von 342 Meilen. Da ein Autobus nur 5 Meilen mit einer Gallone fahren konnte, mußten 70 Gallonen auf die Fahrt mitgenommen werden. 3 Meilen nach Memphis kamen sie an die Grenze von Arkansas und wurden durch einen Polizeibeamten aufgehalten. A u f jede Gallone über die Zahl von 20 wurde die Arkansassteuer von 6 H Cents gefordert. I n Arkansas war es strafbar, ohne diese Steuer mehr als 20 Gallonen auf dem Wagen zu haben. Da bisher weniger als eine Gallone (4,54 1) verbraucht worden war, hatte die Autobuslinie eine Steuer auf fast 50 Gallonen zu tragen. Nur ungefähr 16 davon sollten der Fahrt auf den Landstraßen von Arkansas dienen, denn bis zur Grenze von Missouri waren es ungefähr 80 Meilen. Die Steuer betraf also einen Brennstoff, der nicht dort verbraucht wurde. Es war eine Steuer auf das Benzin, das auf den Landstraßen von Missouri verfahren werden sollte. Konnte Arkansas diese Steuer für seine Landstraßen einziehen? Nein, entschied der Gerichtshof. Dieser Steuer kann nicht als angemessener Entgelt für die Benutzung der Straßen von Arkansas betrachtet werden. Black, Frankfurter und Douglas geben ein gemeinsames abweichendes Votum ab: „ W i r vertreten eine andere Auffassung. Der Kongreß, die einzige, verfassungsmäßige Machtquelle über den zwischenstaatlichen Handel, hat Arkansas die Erhebung dieser Steuer nicht verboten. Die Kosten für den Ausbau und die Erhaltung moderner Autostraßen bedeuten für die 48 Staaten eines ihrer größten finanziellen Probleme. Eine besonders wichtige Frage ist der Ausgleich der finanziellen Lasten zwischen den Benutzern der Landstraße innerhalb der Grenzen des Staates und zwischen jenen, die sie für den zwischenstaatlichen Transport benützen. Ein gerechtes Gleichgewicht enthält unberechenbare Faktoren und ist deshalb mit

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Schwierigkeiten übersät. Es ist Sache der Gesetzgebung, die erforderlichen Verfügungen für die Eintreibung zu treffen 2 0 3 ." Für sie war dieser Fall nur ein Beweis für die Klugheit, womit die Schöpfer der Verfassung den zwischenstaatlichen Handel unter den Schutz des Kongresses gestellt hatten. Das Problem bezog sich nicht nur auf Arkansas, sondern auf die ganze Nation. „Die Erhaltung von offenen Handelskanälen zwischen den Staaten war nicht nur zur Zeit der Schaffung der Verfassung von hervorragender Bedeutung; auch heute fordert dieses vielfältige Problem nationale Wachsamkeit und Regelung 2 0 4 ." „ I m Gegensatz zu der Gesetzgebung kann die Justiz die Kontrolle des nationalen Handels nicht i n geeigneter Weise behandeln. Aus der inneren Begrenzung des juristischen Verfahrens ergibt sich die Zufallsmethode, einzelne lokale Streitigkeiten nach Augenschein und nach der Klage zu entscheiden, immer begrenzt durch die engen Regeln des Rechtsstreites." „ D i e zufälligen und unzusammenhängenden Instanzen eines Prozesses bilden keine geeignete Basis für die Schaffung allgemein gültiger nationaler Regeln. Diese allein können aber nur jenen vollen Schutz für den zwischenstaatlichen Handel schaffen, den die Verfassung beabsichtigt. W i r stellen deshalb dem Kongreß anheim, die im Arkansasfall aufgeworfenen Fragen zum Anlaß einer nationalen Überwachung der ständig wachsenden Handelsschranken zwischen den Staaten zu machen. „Unbehindert durch das enge Feld des juristischen Verfahrens kann der Kongreß allein seine verfassungsmäßige Kontrolle über den zwischenstaatlichen Handel ausüben. Er allein kann erwägen, ob sich die jetzt in Frage stehende Steuer mit den Interessen unserer nationalen Wirtschaft verträgt. Er allein kann auf Grund der Untersuchung des vielseitigen und komplizierten Problems eine nationale Politik aufrichten, die den Staaten wie der Bundesregierung gerecht wird. „Verschiedene, sich bekämpfende Gesetze der Staaten mögen wohl vermeidbare Härten hervorgerufen haben. Hält man jedoch nach einem Heilmittel Umschau, dann kann es nur in der Reichweite des Kongresses gefunden w e r d e n 2 0 5 . " So weit die Meinungen der drei Richter. Aber der Kongreß hat nichts unternommen. Die ganze Angelegenheit blieb bei dem Gerichtshof, der sie sozusagen von einer Hand in die andere jonglierte. So handelte der Gerichtshof jedenfalls seit dem Fall der nordwest-

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liehen F l u g l i n i e n 2 0 6 , der sich i m Frühjahr 1944 ergab. Die Flugzeuge der Gesellschaft beflogen den Nordwesten der Staaten, indem sie in einem nach dem anderen niedergingen, um Passagiere und Brennstoff aufzunehmen. Minnesota besteuerte sie. Nach Frankfurters Überzeugung hatte Minnesota das Recht, weil die Gesellschaft dort eingetragen war, wodurch Minnesota ihr „Wohnsitz" wurde. Jackson war der gleichen Ansicht, weil er Saint Paul i n Minnesota für den „Heimathafen" der Flotte hielt, aber er bemerkte: „Es ist mehr als wahrscheinlich, daß der Wettbewerb der Staaten i n der Besteuerung dieses Transportunternehmens nicht ohne H i l f e der Gesetzgebung entschieden werden kann." Vier andere Richter hielten ihr Rezept für das richtige und stimmten nicht zu, weil es nicht angewendet wurde. Sie waren dafür, den Fall an den Gerichtshof des Staates zurückzuweisen, damit die Gesamtsteuer unter die betroffenen Staaten gerecht verteilt würde. Dadurch w i r d das Problem umgangen, da es national ist, nicht staatlich. Man kommt um die Frage, ob der Kongreß oder das Bundesgericht das Problem behandeln soll nicht dadurch herum, daß man es an die Staaten zurückwirft. Ebenso gut könnte man Streit um die Erziehung eines Kindes zwischen seinen Eltern entscheiden, indem man es adoptieren läßt. Black blieb bei seiner bekannten Lösung, daß dies nicht Angelegenheit des Gerichtshofes sei. „ D u r c h die auseinandergehenden Meinungen der Mitglieder des Gerichtshofes in diesen und i n verwandten Fällen w i r d klar: die juristische Formulierung allgemeiner Regelungen w i r d den nationalen Problemen nicht gerecht, die sich aus einer gelegentlichen Besteuerung des zwischenstaatlichen Handels durch die Staaten ergeben. Diese Probleme rufen, wie m i r scheint, nach der Untersuchung, Erwägung und Behandlung durch den Kongreß. Die Verfassung verleiht diesem Teil der Regierung das Recht zur Regelung des Handels zwischen den Staaten. Bis der Kongreß etwas unternimmt, sollten w i r das Gebiet nur mit äußerster Vorsicht betreten 2 0 7 ." Steuern sind nicht der einzige Weg zur Belastung des Handels. Verschiedene lokale Regelungen könnten unseren nationalen Markt schneller zum Erliegen bringen als die Besteuerung. Das Problem bleibt das gleiche, obwohl die lokale Politik, denn es handelt sich um sie, nicht nur um lokale Steuern, ihr Ziel besser verbergen kann. Steuern sind nur Geld. Die lokale P o l i t i k ist die Quelle des Guten oder Üblen.

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Es gibt natürlich eine Menge von Beispielen. Zwei Fälle sind aber so typisch, daß sie genügen werden. Immer hat es etwas mit den Jim Crow Wagen gegeben; einigen waren sie so lästig, wie sie anderen notwendig erschienen. 1869, kurz nach dem Bürgerkrieg, erließ Lousiana ein Gesetz, daß in keiner Eisenbahn, i n keinem Wagen, in keinem Dampfboot, Kutsche, Omnibus oder anderem Verkehrsmittel Personen zurückgesetzt werden sollten „wegen ihrer Rasse oder Farbe". Mrs. DeCuir, eine farbige Dame, nahm ein Billet auf einem Dampfboot zwischen New Orleans und Vicksburg bis Hermitage; eine Kabine wurde ihr versagt, da sie für weiße Personen reserviert sei. Sie strengte einen Prozeß an, weil sie seelisch und physisch gelitten hätte. Das Gesetz war erlassen worden trotz einer Vorschrift in der neuen Verfassung von Lousiana, wonach „alle Personen gleiche Rechte und Privilegien genießen sollten auf jedem öffentlichen Verkehrsmittel". Das Bundesgericht setzte das Statut beiseite unter der Handelsklausel, weil es den freien Strom des Handels eindämme. „ E i n Passagier, der außerhalb des Staates eine reservierte Kabine hat, muß diese später, wenn das Boot i n den Staat kommt, mit einer zugestiegenen farbigen Person teilen, solange das Gesetz i n K r a f t ist. I n m i t t e n solcher Verlegenheiten kann der Handel nicht blühen. K e i n Verkehrsunternehmen kann sein Geschäft zur eigenen Zufriedenheit oder zur Zufriedenheit und Bequemlichkeit seiner Passagiere führen, wenn auf der einen Seite der Grenze weiße und farbige Personen die gleiche Kabine teilen müssen, während sie auf der anderen Seite getrennt fahren müssen 2 0 8 ." 1946 trat der umgekehrte Fall ein. E i n Jim Crow Gesetz von Virginia kam vor das Bundesgericht und wurde auch für ungültig e r k l ä r t 2 0 9 . Reed sprach für den Gerichtshof. Es war einfach genug. Er sagte: „Es scheint uns klar zu sein, daß Sitzgelegenheiten für die verschiedenen Rassen beim Verkehr zwischen den Staaten einheitlich geregelt werden müssen zur Förderung und zum Schutz der nationalen Arbeit. Deshalb erklären wir das fragliche Virginia-Statut für ungültig. DeCuir wurde als Präzedenzfall angeführt. Black befand sich i n Verlegenheit. Er wollte nicht mißverstanden werden. Das war nicht Sache des Bundesgerichtes. Wenn überhaupt eine Regelung in Frage kam, dann war der zwischenstaatliche Handel Sache des Kongresses, nicht des Gerichtshofes. „ D i e Handelsklausel der Verfassung", so sagte er, „sieht vor, daß der Kon-

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greß die Macht haben soll, den Handel zwischen den Staaten zu regeln." Es war immer und auch jetzt meine Meinung, daß diese Vorschrift bedeute, daß der Kongreß den Handel regeln könne und daß die Gerichtshöfe es nicht können. „Aber in einer Reihe von in den letzten Jahren entschiedenen Fällen hat dieser Gerichtshof gegen meinen Protest vertreten, daß er nach der Handelsklausel jene Gesetzgebung der Staaten außer K r a f t setzen kann, die nach seiner Ansicht eine ,allzu große Last auf den zwischenstaatlichen Handel legt 4 ." Hier bezog er sich auf die Fälle, in denen er ein abweichendes V o t u m abgegeben hatte, wie Adams, Gwin, Dixie Greyhound. „ O b aber die Gesetzgebung des Staates dem zwischenstaatlichen Handel eine unangemessene Last aufbürdet, das betrachte ich als eine reine Frage der Politik, welche nach der Verfassung durch den Kongreß gelöst werden muß." „ W i e früher, so glaube ich auch jetzt, daß in diesen Fällen das Bundesgericht sich die Rolle eines ,Übergesetzgebers 4 anmaßte, indem es Angelegenheiten der Regierungspolitik bestimmte. Aber das Bundesgericht scheint sich, wenigstens für die Gegenwart, dieser Auslegung der Handelsklausel verschrieben zu haben. Solange der Gerichtshof an dieser Formel festhält, muß ich darüber Entscheidungen treffen. I m Hinblick auf die Anwendung dieser Formel durch das Bundesgericht stimme ich zu. 44 Er willigte in einen Waffenstillstand ein, indem er seine Waffen für einen Augenblick niederlegte und die Jim Crow Gesetze begrub. Eine besondere Konzession an die Belastung des zwischenstaatlichen Handels, die ihm „ v o n weit ernsterer N a t u r " zu sein schien. Burton widersprach ihm mit den Worten: „Das Bundesgericht fühlt sich als Schiedsrichter über den Wettbewerb zwischen staatlichen und nationalen Interessen und muß als solcher, da der Kongreß nicht handelt, gerecht entscheiden, ob das Statut des Staates dem zwischenstaatlichen Handel eine so unangemessene Last auferlegt, daß das Statut damit ungültig w i r d . " Burton konnte hier keine Notwendigkeit für „eine einzige, einheitliche Regel" anerkennen. Die zehn um Lousiana liegenden Staaten hatten sich zu einer Vereinheitlichung angeschickt, indem sie die Rassentrennung verlangt hatten. Es gab wenigstens eine regionale Einförmigkeit. Auf der anderen Seite gab es 18 Staaten, die in irgendeiner Weise die Rassentrennung in Verkehrsunternehmungen für ungesetzlich hielten. „ W e n n der DeCuir-Fall befolgt w i r d " , so sagte er, „ohne die

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umliegenden Tatsachen zu berücksichtigen, dann würden Gesetze gegen die Rassentrennung i n Verkehrsunternehmen in Neu-England ungültig werden, die es nach dem Arizona-Fall nicht wären." Burton spielte auf einen Fall an, an dem das Bundesgericht ein Statut für Arizona für ungültig erklärt hatte, das Frachtzüge auf 70 Wagen beschränkte. Das Bundesgericht hatte peinlich genau die Gefahren langer Züge m i t den Gefahren kurzer Züge verglichen, es hatte die Wirtschaftlichkeit geprüft und die Belastung des zwischenstaatlichen Handels durch eine Reihe von diesbezüglichen Staatsgesetzen untersucht. Vielleicht hatte das Bundesgericht sich deshalb für zuständig gehalten, weil es, wie jeder Gerichtshof, genügend Haftpflicht- und Preisfragen behandelt hatte, um ein Experte auf diesem Gebiet zu sein. Jedenfalls hatte das Bundesgericht i n die Behandlung eingewilligt und erklärt, daß „Staatsgesetze nicht für ungültig erklärt würden ohne die Beibringung wichtigen Tatsachenmaterials, das ein sachkundiges U r t e i l erlaubt". Burton war wohl bereit, ein Jim Crow Gesetz für verfassungswidrig zu halten, aber nicht auf Grund dieses Präzedenzfalles. Dieser würde ja dadurch bestätigt worden sein und die Gesetze gegen die Rassenverfolgung von 18 Nordstaaten verfassungswidrig gemacht haben. Auch würde er 20 andere Staaten abgehalten haben, das gute Beispiel zu befolgen. Mindestens müßten mehr Tatsachen dafür sprechen, um eine bessere Basis für das Urteil zu bilden, als er hier erkennen konnte. M i t Black befand sich das Bundesgericht i n Verlegenheit. Es wollte nicht die unverfälschte Regel Blacks befolgen und seine Macht über den zwischenstaatlichen Handel widerrufen. Es gab Fälle, i n denen es sich seiner Eigenschaft als nationale Institution bewußt wurde. Aber unter welcher Autorität?

Die Nation über dem Staat Wenn die junge Nation nach dem Bürgerkrieg vor den Einzelstaaten geschützt werden mußte, so war das heute umgekehrt. Und das Bundesgericht bekannte sich rasch zum Gegenteil von Marshalls Lehre über die Befreiung der Nation von Staatssteuern. I m Fall Collector gegen Day 210 verweigerte das Bundesgericht dem Kongreß die Besteuerung eines Staatsbeamten, in diesem Falle eines Richters auf Probezeit, i n Massachusetts. Es war eine genaue Anwendung von

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Marshalls Ausdruck, daß die Macht zu besteuern die Macht zu zerstören in sich trage. Das Bundesgericht führte aus: „ D i e Befreiung ruht auf stillschweigender Folgerung und dient dem großen Gesetz der Selbsterhaltung. Eine Regierung, deren öffentliche M i t t e l der Kontrolle einer anderen Regierung unterliegen, besteht nur aus der Gnade dieser Regierung." Aber der Gerichtshof verkannte die wahre Natur des Bundesstaates. Er verwechselte die Beziehung des Ganzen zu einem seiner Teile mit der ganz verschiedenen Beziehung des Teiles zum Ganzen. Zu Marshalls Lehre gab es kein Gegenstück, wie er selbst wohl wußte. So sagte er i m 2. Paragraphen seiner Urteilsbegründung in McCulloch gegen Maryland: „ N u r die Gesetzgebung der Union kann vom V o l k mit der Macht über allgemeine Angelegenheiten betraut werden im Vertrauen, daß diese Macht nicht mißbraucht wird. Bradley belehrte das Bundesgericht in seinem abweichenden Votum: „ D i e Bundesregierung scheint mir mit dem gleichen Recht das Einkommen von Beamten in den Staatsverwaltungen besteuern zu können, wie das Einkommen ihrer eigenen Beamten. Sie ist die gemeinsame Regierung für alle und jeder Bürger ist gehalten, seiner eigenen Regierung in Steuerfragen zu vertrauen. Niemand hört auf, ein Bürger der Vereinigten Staaten zu sein, weil er Beamter in einer Staatenverwaltung ist. I c h kann mich der Theorie nicht anschließen, daß die Bundesregierung i n irgendeinem Sinne als fremd oder antagonistisch gegen die Regierungen der Staaten, gegen ihre Beamten oder i h r V o l k betrachtet werden solle. Ich kann auch nicht zugeben, daß man annimmt, die Bundesregierung werde i n irgendeiner Weise feindselig gegen die Regierungen der Staaten und ihre Handlungen vorgehen. Sind sie doch die Bestandteile des politischen Systems, auf welchem die Bundesregierung begründet ist. Die Besteuerung der von der Bundesregierung benützten Instrumente durch die Regierungen der Staaten ist ewas anderes 2 1 1 ." Dennoch behandelte das Bundesgericht die beiden Theorien auf ein und dieselbe Weise. I m Frühjahr 1937 befreite eine Mehrheit des Gerichtshofes den Hauptingenieur der New Yorker Wasserwerke von der Bundeseinkommensteuer, weil die Versorgung mit Wasser Sache der Staatsregierung sei 2 1 2 . Aber es war nur eine Mehrheit. Stone und Cardozo waren einverstanden, wenn er nur überhaupt befreit wurde, und Roberts und Brandeis widersprachen. Sie hielten die Steuer für verfassungsgemäß. Gegen die Verfassung sei sie nur dann, wenn sie den Beamten des Staates einem Privatbürger gegen-

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über zurücksetze und wenn ihre Last „fühlbar und d i r e k t " und nicht nur „angenommen und entfernt" sei. Sie waren in Sorge. Die Wichtigkeit des Falles schien ihnen daraus hervorzugehen, daß die geforderte Befreiung sich auf Millionen von Menschen ausdehnen könne, die über das ganze Land h i n von Stadtverwaltungen angestellt seien und deren Arbeit sich in keiner Weise unterscheide von der ihrer Kollegen in Privatunternehmungen. Diese Steuerbefreiungen seien von Grund aus ungerecht und ungesund. Sowohl die Bundesverwaltung wie die Staatsverwaltungen sollten ihren angemessenen Anteil an der Besteuerung tragen, damit man vergleichen könne zwischen den Kosten der privaten und der öffentlichen Geschäftsgebarung. Ein Jahr später, i m Mai 1938, ergab sich der Fall eines Schiffsbauingenieurs, der vom New Yorker Hafen angestellt war. Auch er verlangte Befreiung von der Bundeseinkommensteuer 213 . Aber er hatte es mit einem neuen Gerichtshof zu tun. Dieser kümmerte sich nicht um das Jahrhundert von Präzedenzfällen und um seine Entkräftung, die ihm von Butler und McReynolds vorgeworfen wurde, und ließ den Ingenieur seine Einkommensteuer bezahlen. Nach dem neuen Bundesgericht gab es zwingende Gründe, die gegen eine Einschränkung des von der Verfassung dem Kongreß gewährten Besteuerungsrechtes sprächen. Wenn auch im Fall Collector gegen Day die Steuer auf das Gehalt eines Beamten so betrachtet werden können, — übe er ja eine unumgängliche Tätigkeit des Staates aus, die einem Privatmann nicht anvertraut werden könne — , so käme das hier in diesem Falle nicht in Frage. Der neue Gerichtshof hatte noch nicht ganz seine Form gefunden. Erst i m nächsten Jahr wurde Collector gegen Day außer Kraft gesetzt. I m Fall des Rechtsanwaltes des Darlehnsverbandes für Hauseigentümer 2 1 4 . I n all diesem behandelte das Bundesgericht das Wesen eines Staates, was er ist und was er tut, i n sehr altmodischer Weise. Das ging noch an, solange sich die Tätigkeit des Staates auf die gewöhnlichen Vorstellungen über Staatsverwaltung beschränkten, aber wenn der Staat seinen Mantel abwarf und sich auf neue Weidegründe begab? Marshalls verderbliche Abstraktion, auf die sich der Gerichtshof gestützt hatte, ohne Rücksicht auf das notwendige Vertrauen zur Bundesregierung, stammte aus einer Zeit, als man „ v o n einer Dame ebensogut die Aufgabe eines Teiles ihrer Keuschheit

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hätte verlangen können als von einem Staat die Aufgabe eines Teils seiner Souveränität", wie John Randolph of Roanoke sagte 2 1 5 . 1905 mußte sich das Bundesgericht mit dieser Frage befassen: Ist ein Staat noch ein Staat, wenn er sich auf den Handel wirft? I n diesem Falle war es der Handel mit alkoholischen Getränken, und es war die Zeit, zu der man gefragt hätte: „Bleibt eine Dame eine Dame, wenn sie so etwas Gewisses t u t ? " Das wurde damals in einem Staat Sozialismus genannt. Aber es war genug, um dem Bundesgericht gegen seine Abstraktion zu Hilfe zu kommen. Er hielt sich stille, als die Bundesregierung die hochedle Dame Süd-Karolina wegen eines Getränkemonopols besteuerte. Das Bundesgericht stand beiseite und weigerte sich, die Hilferufe Süd-Karolinas anzuhören 2 1 0 . N u r drei von den Richtern waren so kühne Anhänger der alten Abstraktion, daß sie widersprachen. Durch dieses Urteil, sagten sie, und durch seine Begründung seien die alten Grenzen verschoben und die deutlich unterschiedenen Rechte zwischen nationaler und Staatsregierung seien sich gegenseitig ausgeliefert. Sie könnten sich gegenseitig zerstören. So sagten White, Peckham und McKenna. Dann könne ein Staat nach ihrer Meinung die Nationalbank oder die Post besteuern, denn sie sind danach ebensowenig Sache der Bundesregierung, wie der Staat die absolute Kontrolle über den Verkauf der alkoholischen Getränke hat. Zum Glück war das Bundesgericht mit oder ohne Vorurteil praktisch. Die Mehrheit sagte, die Schöpfer der Verfassung seien keine Visionäre gewesen, die mit Theorien spielten, sondern praktische Männer, die Tatsachen des politischen Lebens behandelten. Dasselbe galt von ihnen. W i r werden nicht einen Staat von der Steuer befreien, so sagten sie, wenn er sich ins Getränkegeschäft begibt. Täten wir das, was dann? Indem er den Gelderwerb mit der Notwendigkeit der Staatsverwaltung vermischt, könnte es ihm einfallen, von allen Gegenständen der inneren Einkommensteuer, zum Beispiel vom Tabak, Besitz zu ergreifen. So käme das innere Einkommen zum Erliegen. Ja, die Staaten könnten alles übernehmen, was der Öffentlichkeit dient. Es gäbe schon jetzt eine wachsende Bewegung zu diesem Zweck. „ W i r können sogar noch einen Schritt weitergehen; manche verlangen, daß die Staaten Eigentümer alles Besitzes werden sollten und Inhaber aller Geschäfte, obwohl das natürlich übertriebene Ansichten sind."

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Man brauchte diese Vermutungen nicht so weit zu treiben. Denn bald gab es keine Bundeseinkommensteuer mehr. Vor zehn Jahren war sie für verfassungswidrig erklärt worden und die 16. Ergänzung wurde erst 1913 der Verfassung beigefügt. Wie der Gerichtshof 1905 annehmen mußte, waren die einzig zulässigen Einnahmen der Bundesregierung Konsumsteuern und Zölle; ein gutes Viertel des Gesamteinkommens floß aus der Verbrauchssteuer auf Getränke. Eine schöne Bescherung, wenn die Vereinigten Staaten nur auf die Zölle angewiesen wären! Nicht, daß dies die Senatoren und einige ihrer Vorzimmerleute gestört haben würde. Aber wenn nun die Staaten auch noch auf eigene Rechnung importiert hätten, wären dann auch die Zölle verfassungswidrig geworden? Mag uns das heute auch weithergeholt erscheinen, für jene Richter stellte es keine Vogelscheuche dar, die ihre Ärmel im W i n d der Theorie flattern ließ. Heute können wir, das V o l k der Vereinigten Staaten, Einkommen und Erbschaften besteuern und ein guter Teil des Einkommens der Regierung fließt aus dieser Quelle. Damals gab es keine solchen Hilfsmittel. Die Mehrheit handelte daher praktisch. Wenn sie den alten Grenzstein verrückte, dann geschah es unter dem Druck einer ganzen Wagenladung von Tatsachen. Eine Abstraktion erstickt niemals an Mangel von Luft. Seit jener Zeit hatte es zweimal Proteste i m Bundesgericht gegeben gegen die Besteuerung eines Staates, weil er Handel betrieb, einmal durch Butler und McReynolds 1938, dann wieder durch Black und Douglas 1946. Beide Gelegenheiten mögen nur von geringerer Bedeutung erscheinen, aber eine Abstraktion siedelt sich auf einem kleinen Anlaß genau so bereitwillig an, wie auf Dingen von größerem Gewicht. Über beide Fälle ein kurzer Bericht: E i n guter Teil des Einkommens der Universität und der Technischen Hochschule von Georgia wie von mancher Erziehungsanstalt kommt aus den Fußballkämpfen. Das war bestimmt so 1934, als die Einnahmen der beiden Institute in Georgia fast 150 000 Dollars betrugen. Die Bundesregierung besteuerte den E i n t r i t t zu Fußballspielen ebenso wie den zum Theater und zu Boxkämpfen, aber diese beiden Institute waren staatlich. Unterlagen sie der Besteuerung? Der Staat Georgia protestierte. Das machte auf das Bundesgericht keinen Eindruck. Likörstuben und Fußballspiele wirkten von der Verfassung aus gesehen ziemlich gleichartig, aber Butler und McReynolds maßen der Souveränität des Staates genügend Ge-

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wicht bei, um dagegen kämpfe als wesentlichen Staates und sie konnten kauf von berauschenden

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zu stimmen. Sie betrachteten diese WettBestandteil des Erziehungsprogrammes des nicht verstehen, wie man sie mit dem VerGetränken auf eine Stufe setzen k o n n t e 2 1 7 .

Acht Jahre später, 1946, als New Y o r k alkoholfreie Getränke i n Saratoga Springs verkaufte, waren es Douglas und Black an Stelle von Butler und Reynolds, die die Fackel ergriffen 2 1 8 . Wenn damals Fußballspiele nur Erziehungsmittel bedeuteten, so war für Douglas und Black der Verkauf der Saratogaquelle, gesüßt oder ungesüßt, nur die Aufschließung der natürlichen Hilfsquellen New Yorks. Jede Tätigkeit, die ein Staat innerhalb der Grenzen seiner Macht ergreift, ist eine Ausübung seiner souveränen Macht und deshalb frei von der Bundessteuer. Vielleicht hatten Butler und McReynolds nicht erwartet, daß die Fackel so weit getragen würde, aber es war dieselbe Fackel. Sie hatten sie von White in Empfang genommen. White war auf Marshall zurückgegangen. Lassen wir Douglas und Black sprechen: „ D i e Steuer ist ein mächtiges Instrument der Regierung. Die lokale Regierung hat für das Wohl ihres Volkes zu sorgen, nicht für einen kleinen Kreis von Aktionären. Wenn die Bundesregierung die lokalen Regierungen auf ihre Steuerliste setzen kann, dann ist ihre Fähigkeit, ihre Mitbürger zu betreuen, sofort behindert oder beschnitten. Schon das Gebiet der Bundesverbrauchssteuer ist praktisch unbegrenzt. Der Staat betreibt manche Randunternehmungen, wo das private Kapital das Risiko nicht auf sich nimmt. Wenn man diesem Vorhaben eine Bundessteuer aufbürdet, so kann das soziale Programm schon vor seinem Anfang beendet sein. „Jedenfalls würden die Schläge eines solchen Angriffes auf den Kredit der Staaten und auf ihr Programm für die Hilfsbedürftigen und für den Aufbau der Zukunft beträchtlich sein. Wenn man diese Steuer unterstützt, weil sie nicht die Regierungsfunktionen des Staates belaste, so kann man nur folgern, entweder, daß der Verkauf des Mineralwassers durch den Staat keine Tätigkeit der Regierung sei, oder die vorliegende Steuer so gering, daß sie nicht belastend sei. Ersteres ist offenbar nicht wahr, letzteres verkennt die Tatsache, daß das Recht, leichte oder schwere Steuern zu erheben, das gleiche ist." Reinster Marshall, nicht nur in der Wiederholung seines Ausspruches, sondern auch i n der Ehrfurcht vor der Souveränität. I h r 13

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Haupteinwand war, daß das Bundesgericht die 10. Ergänzung außer acht lasse, die souveränen Staaten auf dieselbe Stufe wie private Bürger stelle und von ihnen Zahlungen an die Bundesregierung verlange. M i t diesen bezahlten sie das Privileg der Souveränität, das ihnen durch die Verfassung garantiert sei. Und um das abzurunden, brachten sie Zitate von Hamilton aus dem „Föderalisten" und von Marshall aus dem Fall McCulloch gegen Maryland. Die Souveränität kann sich ebensowenig wie die Einzelperson als unsterblich betrachten, ohne eine langlebige Abstraktion zu sein. Vielleicht w i r d es immer jemand bei dem Gericht geben, der sich in unserem Bundesstaat dafür begeistert und dafür eintritt, gerade wie das Prinzip auch immer seine Anhänger auf internationalem Gebiet gehabt hat. Frankfurter schrieb das Urteil für das Bundesgericht, obwohl Rutledge, der als einziger unterschrieb, doch noch eine andere Begründung anfertigte. Frankfurter war nicht willens, die Idee der staatlichen Souveränität ganz zu opfern. Ein platonischer Zug ließ ihn am Wesen, am eigentlichen Sein der Souveränität festhalten, was er folgendermaßen ausdrückte: „Es gibt natürlich Tätigkeiten im Staat und Staatseigentum, die eine einmalige Stellung in den Beziehungen zwischen den Staaten einnehmen. Diese bilden eine Klasse für sich. Nur ein Staat kann ein Regierungsgebäude besitzen, nur ein Staat kann Einkommen aus den Steuern ziehen. Sie können nicht für Zwecke der Bundessteuer i n eine abstrakte Kategorie eingereiht werden, ohne daß man den Staat als Staat besteuert. Aber sobald der Kongreß i m allgemeinen eine Einkommenquelle aufschließt — gleichgültig, ob ein einzelner oder der Staat das Geschäft betreibt — , dann verbietet die Verfassung dies nicht, nur weil es zufällig auch einen Staat betrifft." Soweit wollte Frankfurter gehen, und so weit ist die Abstraktion auch wahr und brauchbar. Wenn man sie überhaupt weitergibt, dann hat es genau in dieser Form zu geschehen. Aber sogar das war vier von den Richtern zuviel. Diese vier hatten nicht dieselbe Vorliebe für das Abstrakte wie Black und Douglas. Stone, Reed, Murphy und Burton wollten mit einer Abstraktion gar nichts zu tun haben. Für sie gab es nur Tatsachen. Das Problem könne, so sagten sie, nicht nach einer Formel gelöst werden. Sie hielten auch die Idee einer Steuer, die einen Unterschied zwischen

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Staat und Bürger machte, nicht für unfehlbar. „ W i r wollen der Bundesregierung nach der Verfassung nicht das Recht zugestehen, eine gleiche Steuer auf jede A r t von Eigentum und Tätigkeit des Staates wie der Einzelpersonen zu legen. Eine Bundessteuer, die sich an sich nicht gegen den Staat richtet, kann den Staat als Staat doch so treffen, daß sie seine Regierungstätigkeit ungerecht behindert. Das ist der einzige Prüfstein. Es ist nicht zu vermeiden, daß die Steuerpolitik einer Regierung auf die einer anderen einwirkt. Jede setzt ihrer Natur nach der anderen eine wirtschaftliche Grenze. Jede muß sich soweit als möglich der Einmischung enthalten. Jede muß einen vernünftigen Standpunkt haben und keine darf ungeordnet beschnitten werden." Wann betrifft eine Frage das Recht und wann die Gesetzgebung? Genau genommen könnte nur das Bundesgericht eine Antwort geben. Der alte Gerichtshof erklärte alles für juristisch, weil er bei der Lösung eines Problems der Abstraktion vertraute oder vielleicht auch, weil niemand der Katze die Schelle anhängen wollte. Wann ist eine Frage rein juristisch? Wenn sie durch mathematisches Denken gerecht und praktisch gelöst werden kann. Sie gehört dem Gebiet der Gesetzgebung an, wenn es für sie keine gültigen und nützlichen Abstraktionen gibt. Abstrakte Ideen sind wie Frauen. W i r können nicht ohne sie auskommen. Bis wir etwas Besseres ersinnen, müssen wir uns mit ihnen abfinden. So lautet die Frage für den einzelnen: Ist eine Abstraktion nützlich? Führt sie zu einem vernünftigen Standpunkt? Bringt eie einen Sinn heraus? I n diesen zahlreichen Fällen braucht das neue Bundesgericht unser Verständnis. Als es vor 100 Jahren jung war, übernahm es keine allzu schwierige Aufgabe. Alles sah damals einfach genug aus, um juristisch behandelt zu werden. Als die Zeit verging und das Leben komplizierter wurde, schien es schwieriger. Der alte Gerichtshof ließ sich nicht abschrecken, weil er auf sich selbst vertraute und weil er die Dinge so vereinfachte, daß die Probleme immer noch leicht schienen. Aber das traf auf den neuen Gerichtshof nicht zu, da er weniger unter dem Einfluß der juristischen Tradition stand, die sich für allwissend und allumfassend hielt.

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15 Die abgeleitete richterliche Gesetzgebung Aus Höflichkeit u n d Respekt für die Form unseres Bundesstaates überläßt das Bundesgericht die Auslegung der Staatsgesetze den obersten Gerichtshöfen der Staaten. Für die lokale Gesetzgebung können „ e i n veränderter Nachdruck, eine stillschweigende Annahme, ein mündlicher Brauch, kurz tausend Einflüsse aus dem Leben neue Werte entstehen lassen, die trotz aller Logik und Grammatik nicht aus den Büchern gewonnen werden k ö n n e n 2 1 9 " . Die Absichten des nationalen Kongresses dagegen sind die Angelegenheit eines nationalen Gerichtshofes und zwar in erster Linie. Denn das Bundesgericht hat größeren Einfluß auf die Ausarbeitung eines Gesetzes als selbst die Verfassung. Was die Verfassung betrifft, so sind wir uns einig, daß die Forschung nach den Absichten ihrer Schöpfer mehr als eitel ist. Der Versuch führt zur Selbstbespiegelung, zu Tagesträumen und zu logischer Phantasie statt zu den praktischen Entschlüssen, welche jene Männer von uns erwarteten. Als Gegenmittel haben wir für das Bundesgericht die ehrliche Entgegennahme jener Macht erkannt, die jene Männer der Zukunft übertragen hatten. Wie steht es nun mit einem Kongreßgesetz, das weniger weit zurückliegt, uns nähersteht und wo unsere Forschung vielleicht nicht vergeblich ist? Das Bundesgericht versucht ernstlich, die Absichten des Kongresses zu erkennen. W i r finden in den Urteilsbegründungen lange Zitate aus den Debatten. Kürzlich wies der Gerichtshof i n einer Fußnote den Einwand eines Anwaltes zurück, daß seinem Klienten das ordentliche, gerichtliche Verfahren verweigert worden sei, weil ein Staatsgerichtshof Mitglieder der Legislative nicht als Zeugen über ihre Absicht bei einem Gesetz vernehmen w o l l t e 2 2 0 . Der Kongreß fühlt sich dadurch nicht verpflichtet, seine Absichten deutlich zum Ausdruck zubringen. Warum sollte er das, wenn ihm jemand zur Seite steht, der angeblich seine Gedanken lesen kann? Besonders wenn man in Verlegenheit ist, entweder einen Entschluß zu fassen oder ihn zum

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Ausdruck zu bringen? Da ist der Gerichtshof gerade gut genug, die Verantwortung für Entschließungen zu übernehmen, die man nicht selbst übernehmen würde. Es ist oft politisch unklug, seine Politik zu klar zum Ausdruck zu bringen. Zum Beispiel überließ der Kongreß dem Ausschuß für Arbeitsbeziehungen die Aufgabe, die geeignete Verhandlungseinheit i n jedem Fall auszuwählen. Mehr wäre unpraktisch gewesen zu einer Zeit, als der Ausgang für die Gewerkschaften noch unentschieden w a r 2 2 1 . Gerade wie die Gründer der Verfassung manche Fragen mit Absicht der künftigen Entscheidung des Kongresses oder des Gerichtshofes überließen, dem einen oder dem anderen, der sie beantworten wollte, so handelt der Kongreß mit dem Bundesgericht, indem er auf etwas undurchsichtige Weise erwartet, daß seine stillschweigenden Absichten erraten werden. Wenn die Motive auch verschieden sein mögen, so ist das Ergebnis das gleiche. Der Bischof von Bangor sagte zu Georg I.: „Wer immer eine absolute Autorität für die Auslegung schriftlicher oder mündlicher Gesetze hat, der ist der wirkliche Gesetzgeber und nicht die Person, die sie schrieb oder sprach 2 2 2 ." Unnötig zu sagen, daß der Bischof nicht den engen kirchlichen Kreisen angehörte und von der Hochkirche als Irrlehrer betrachtet wurde. Aber hier gibt es diesen Ausweg nicht. Je undeutlicher und unbestimmter der Kongreß sich ausdrückt, desto mehr Macht gibt er dem Obersten Bundesgericht. Es ist eine Übertragung gesetzgeberischer Gewalt auf den Gerichtshof. Sie ist unvermeidlich und notwendig, manchmal mag sie politisch klug sein, dann wieder nachlässig und ungeschickt, gelegentlich sogar bestürzend. Wenn sie auch zeitweise über das Maß hinausschießt, eo bleibt sie doch immer wünschenswert, um die Kanäle spielen zu lassen und ein Flußbett frei zu halten, das sonst eingefroren wäre. Ein Gesetz hat viel von einer Prophezeiung und immer bringt die Zukunft Überraschungen. Das Bundesgericht schmollte ein wenig über die Machtübertragung, wenn sie ausdrücklich und an andere Körperschaften geschah, aber sonderbarerweise heißt sie nicht Machtübertragung, wenn das Bundesgericht der Empfänger ist. W i r haben gesehen, was der Gerichtshof nicht durch den Kongreß an den Präsidenten übertragen ließ. Wollen w i r nun untersuchen, was der Kongreß an das Bundesgericht weitergeben durfte. Das Sherman-Gesetz erklärt, daß jede Kombination zur Einschränkung des Handels ungesetzlich sei. Diese Worte des Gesetzes bedeu-

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ten nach ihrer Erläuterung durch das Bundesgericht, daß jede Kombination illegal ist, „die mit Absicht oder durch die Natur der Dinge das öffentliche Interesse schädigt, indem sie den Wettbewerb unnötig verringert oder das Handelswesen unnötig s t ö r t 2 2 3 . " Wenn man Rechtsanwalt ist und nach einer Richtlinie befragt wird, dann wendet man sich an die Urteile des Gerichtshofes. Man wird seine Zeit nicht mit dem Lesen des Gesetzes selbst verlieren. Wenn man kein Anwalt ist, dann muß man annehmen, daß darin vom Kongreß das Recht über Monopole an den Gerichtshof verliehen wird, und zwar mit Zustimmung des Gerichtshofes. Man glaubt nicht so leicht, daß eine Machtübertragung unzulässig ist, wenn man diese Macht selbst ausüben wird. Das Bundesgericht denkt in Wirklichkeit nicht so sehr an die Teilung der Macht in der Regierung, als an die Rechte des Individuum. Betrifft die Übertragung der Macht an die Gerichtshöfe einen Kriminalfall und ist sie übermäßig groß, dann w i r d sie für verfassungswidrig gehalten als Verletzung des ordentlichen, gerichtlichen Verfahrens. Sie und ich als mögliche Gesetzesbrecher haben nämlich dann keine verständliche Richtlinie. W i r wissen nicht, ob wir das Gesetz gebrochen haben, bis wir verurteilt sind. Es w i r d uns nicht angekündigt, was das Gericht mit uns anfangen wird. Das netteste Beispiel ist das Statut von Kentucky, das die Festsetzung der Preise zu mehr als „ihrem wirklichen W e r t " untersagte. Holmes nannte das deutlich und ironisch den „Preis in einer Welt der E i n b i l d u n g 2 2 4 " . Statute und andere ernste Verlautbarungen sind kein Platz für solche Phantasien. Sie gehören in die Volkssage oder i n das Märchenbuch oder in den Anzeigenteil der Zeitung. Der Ausdruck „Realw e r t " hätte in jener Reklame stehen können, die der nationale Fabrikantenverein im Frühjahr 1946 bei seinem Angriff gegen den O.P.A. über ganze Zeitungsseiten ausbreitete. „Beseitigt die Preiskontrolle über die hergestellten Güter und die Produktion w i r d rasch voranschreiten. Waren werden auf den Markt strömen und in angemessener Zeit werden sich die Preise dem natürlichen Wettbewerb angleichen, wie sie sich immer dem Realwert der Dinge angeglichen haben. So werden Sie die gewünschten Güter zu erschwinglichen Preisen erwerben." W i r sprechen aber jetzt von der Rolle des Gerichtshofes in der Gesetzgebung auf Grund seiner Autorität, ja seiner Pflicht, die Kongreßgesetze auszulegen. Der scharfsinnige, polemische, alte Bischof

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von Bangor nannte es Gesetze machen. Aber wir müssen es als richterliche Handlung nachweisen. Holmes sprach von Zwischenräumen: Moleküle und nicht Mole. Da gibt es Grenzen. Das Bundesgericht soll dem Kongreß nicht ins Gehege kommen, aber das geschieht nur, wenn es eine falsche Auslegung gibt. Wie weit der Gerichtshof gehen wird, liegt ganz beim Kongreß, der sich immer deutlicher und genauer ausdrücken kann. Wenn der Kongreß es nicht tut, ist es dann doch juristisch? Die verständliche Befriedigung darüber, daß der Kongreß die Deutung seiner Gesetze durch den Gerichtshof bestehen läßt, hat einige Richter i n die Irre geführt. Die Warenklausel des Gesetzes über den zwischenstaatlichen Handel verbot einer Eisenbahnlinie, ihre eigenen Waren zu transportieren, außer natürlich zum eigenen Gebrauch. Der Gerichtshof erklärte, daß es nicht verboten sei, wenn diese Eisenbahn Kohle einer Tochtergesellschaft, deren Kapital sie besaß, transportierte. Als der Kongreß nichts zur Verbesserung des Gesetzes unternahm, bemerkte McReynolds zufrieden: „Obwohl man im Urteil von 1915 dem Kongreß diese Absicht zugeschrieben hat, wurde die betreffende Klausel nicht verbessert. W i r müssen daraus folgern, daß die damalige Auslegung des Gesetzes vom Gesetzgeber gebilligt w u r d e 2 2 5 . " Einige Jahre später finden wir Roberts geneigt, seine eigene Befriedigung für eine juristische Theorie anzusehen. Er wies bei seinem abweichenden Votum i n einem Steuerfall h i n auf die „anerkannte Theorie, daß die unveränderte Einführung eines so ausgelegten Gesetzes die Auslegung zu einem Teil des Gesetzes selbst macht". Er mahnte den Gerichtshof, dies nicht zu vergessen 226 . W i r d wirklich die vom Bundesgericht dem Kongreß zugeschriebene Meinung durch die Untätigkeit des Kongresses — denn der Wortlaut des Gesetzes bleibt unverändert — „ T e i l des Gesetzes selbst"? W i r wurden belehrt, daß auch die Auslegung der Verfassung durch das Oberste Bundesgericht ein Teil dieses Dokuments wird, so sehr, daß es einer Erweiterung der Verfassung bedarf, um das zu ändern. Hier hat das Bundesgericht durch sein Ahnungsvermögen eine Absicht des Kongresses entdeckt, die bestanden haben kann oder auch nicht. Wie kann der Kongreß durch eine stillschweigende Annahme der Meinung des Bundesgerichtes sie i n die Gesetzbücher bringen? Kann sie jetzt nur durch eine Verfassungsergänzung des Kongresses gewandelt werden? Nehmen wir an, das Bundesgericht ändert seine Meinung. Hat es jetzt darüber nicht

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mehr die gleiche Macht, wie über alle seine anderen irrigen Entscheidungen? Das Bundesgericht hat niemals vertreten, daß es durch die Theorie stare decisis von der Verbesserung seiner eigenen Fehler zurückgehalten wurde. Verliert nun der Gerichtshof diese Macht einfach, weil der Kongreß die Verbesserung nicht selbst übernimmt? I n demselben Fall, den Roberts ablehnte, schrieb Frankfurter in der Urteilsbegründung für das Bundesgericht: „Außer dem Stillschweigen des Kongresses bedürfte es noch sehr überzeugender Umstände, um das Bundesgericht an der neuen Prüfung seiner eigenen Grundsätze zu hindern. W i l l man die Ursache des Stillschweigens erklären, wenn der Kongreß selbst keine Auskunft gibt, dann heißt das, sich auf das Gebiet des Unwirklichen begeben 2 2 7 ." Ist die Meinung von Roberts richtig, dann ist die richterliche Handlung des Bundesgerichtes i n die Gesetzgebung übergegangen. Nehmen wir einen kürzlichen Fall, denn das ist keine unbegründete Theorie. Ein Adventist aus Stoneham i n Massachusetts wollte 1940 Bürger Amerikas werden. A u f dem Fragebogen las man: „Sind Sie willens, wenn es nötig ist, die Waffen zur Verteidigung dieses Landes zu ergreifen?" Er schrieb darauf: „Nein, Nichtkämpfer, Adventist." Er fügte mündlich hinzu: „ B e i mir ist es eine rein religiöse Angelegenheit, ich habe keine anderen politischen oder persönlichen Gründe." Er verlangte nicht, vom Militärdienst befreit zu werden, nur von der Teilnahme am Kampf. I n der Armee wollte er dienen wie 1000 andere Adventisten, aber er wollte keine Waffen tragen. Der Richter wollte ihm das Bürgerrecht zuerkennen, aber das Berufungsgericht des Bezirkes lehnte das 2 zu 1 ab. Es fußte auf drei Entscheidungen des Obersten Bundesgerichtes 1929 und 1930. Vielleicht erinnert man sich an diese Entscheidungen. Die erste betraf Rosika Schwimmer. Sie war bekannt, weil sie i m 1. Weltkrieg Henry Ford aufforderte, auf seinem Friedensschiff die Jungens „ z u Weihnachten aus den Schützengräben" zu bringen. Holmes Ausführungen sind ebenso bekannt: „ D i e Quäker haben ihren A n t e i l dazu beigetragen, dies Land zu dem zu machen, was es ist. Viele Bürger hängen dem Glauben der Antragstellerin an. Deshalb habe ich bisher nicht angenommen, daß w i r sie vertreiben wollten, weil sie die Lehren der Bergpredigt ernster nehmen als einige von uns." E i n Professor i n Yale, Macintosh, lieferte den zweiten Fall. I m dritten Fall verweigerte man einer Miß Bland, der Tochter eines Geistlichen, die Pflegerin auf den Schlachtfeldern Frankreichs gewesen war, eben-

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falls die Einbürgerung, weil auch sie keine Waffen tragen wollte. Durch Sutherland hatte das Bundesgericht verfügt: „ D i e Worte des Gesetzes lassen nicht die Haltung zu, auf welcher der Antragsteller besteht. Würde das Bundesgericht das zugeben, so würde es das Gesetz ändern und sich damit die Macht zur Gesetzgebung anmaßen, die auf einem anderen Teil der Regierung r u h t 2 2 8 . " Wenn auch Sutherlands Worte überzeugt klingen, so gab es doch bei all diesen Fällen stark abweichende Voten. Holmes, Hughes, Brandeis, Sanford und Stone, sie alle mißbilligten diese Auslegung des Kongreßgesetzes. Aber der Kongreß unternahm nichts zur Änderung. Es wurde viel agitiert. Versammlungen wurden abgehalten, Reden wurden i n sechs Kongressen gehalten, um das Gesetz zu ändern. Der Kongreß unternahm nichts, und als i m Jahre 1940 die Naturalisationsgesetze überprüft wurden, stand die Stelle über das Waffentragen im neuen Text wie bisher. Der geforderte E i d scheint kaum so zu lauten, daß nach Sutherlands Auffassung jede andere Auslegung dem Kongreß das Recht der Gesetzgebung nehmen würde. Er lautet: „ I c h schwöre feierlich, die Verfassung und die Gesetze der Vereinigten Staaten zu stützen und zu verteidigen gegen alle Feinde von außen und von innen; ich bringe der Verfassung Treue und Anhänglichkeit entgegen." Der Kongreß änderte an den Worten dieses Eides nichts. Es war derselbe, wie ihn die Mitglieder des Kongresses und alle Beamten leisteten. Befestigte seine Wiedereinführung die Bedeutung, die das Bundesgericht ihm zugeschrieben hatte? A n dieser Frage hing die Gewährung der Bürgerschaft an Girouard, einen Adventisten aus Stoneham. Das neue Bundesgericht verneinte das. Nach der Meinung der Mehrheit stellten die Fälle Schwimmer, Macintosh und Bland nicht die korrekte Gesetzesregel dar. „Das Stillschweigen des Kongresses und seine Untätigkeit können ebensowohl auf den Wunsch schließen lassen, das Problem im Fluß zu lassen, als auf die stillschweigende Annahme der i n jenen Fällen vertretenen Meinungen* . Das wohlbegründete, abweichende V o t u m wurde von Stone geschrieben, von Frankfurter und Reed gebilligt. Es bleibt uns danach kein Zweifel, daß keiner von ihnen die drei Entscheidungen billigte, die für falsch erklärt worden waren. Sie stimmten nur dagegen, weil der Kongreß die falsche Auslegung i n das Gesetz hineingearbeitet hatte. „Aus diesem Grund allein." „Es ist nicht Aufgabe dieses Ge-

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richtshofes, den Willen des Kongresses, der nach der Verfassung gesetzgebend ist, beiseite zu setzen", so schließt ihr Votum. War aber dieser Wille ausgedrückt worden? Die Tätigkeit eines Mannes w i r d bestimmt durch das, was seine Kollegen von ihm erwarten, wie auch durch die Befehle seiner Vorgesetzten. Erwartete der Kongreß, daß er durch seine Untätigkeit und durch seine Wiederholung der gleichen Worte das Bundesgericht zur gleichen Entscheidung veranlaßte? Sicher wäre der Kongreß nicht erstaunt gewesen, wenn das Bundesgericht bei seiner Schlußfolgerung geblieben wäre. Der Kongreß hätte das vielleicht selbst an der Stelle des Bundesgerichtes getan. Aber der Kongreß muß wohl eine freie Wahl des Bundesgerichtes wünschen, denn er braucht vielleicht die Übernahme der Verantwortung durch das Bundesgericht. Es scheint m i r klar genug, daß der Kongreß die ganze Erregung gerne im Schöße des Gerichtshofes sah und damit auch die Verantwortung. Der Kongreß ging den einzig richtigen Weg zu diesem Ziel, er unternahm nichts und wiederholte dieselben Worte i n dieser Frage, wenn auch das Naturalisierungsgesetz i n anderer Hinsicht verändert wurde. Man stelle sich vor, was das Bundesgericht dazu gesagt hätte, wenn der Kongreß die Angelegenheit ausdrücklich ihm überwiesen hätte. Es gibt viele Dinge, die man stillschweigend, aber nicht ausdrücklich tun kann. Der Kongreß kann seine Macht der Gesetzgebung dem Bundesgericht nicht ausdrücklich übertragen, aber er kann oft eine Angelegenheit einfach übergehen. Es ist eine Lücke im Gesetz, wo über eine zu entscheidende Frage, nichts gesagt wird, obwohl, i n anderen Fällen das Gesetz klar und brauchbar genug ist. Man kann es nicht für ungültig erklären und das Bundesgericht kann seine Entscheidung nicht zurückhalten, bis sich der Kongreß über diesen einen kleinen Punkt nicht mehr ausschweigt. Es w i r d allgemein angenommen, daß nach der Einführung des Organisations- und Verhandlungsrechtes der Gewerkschaften der Ausgleich ihrer Rechte mit den Rechten der einzelnen und der Minderheiten erfolgen m u ß 2 3 0 . Das Wagnergesetz genehmigte das Recht der Gewerkschaften, sich ohne Einmischung der Arbeitgeber zu organisieren, zu werben und gemeinsam zu verhandeln. Die Wahlen werden von der Regierung ausgeschrieben und der Sieger w i r d durch Gesetz zum einzigen Unterhändler für die Mitglieder der Ge-

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werkschaft und alle anderen Angestellten der Gesellschaft gemacht. Aber das Gesetz schweigt sich aus über die Frage, ob die siegreiche Gewerkschaft andere hintansetzen kann. Das betrifft die Verfolgung der Rassen wie auch andere Arten der Verfolgung, und so kann man den Verdacht hegen, das Stillschweigen des Gesetzes i n dieser Frage sei keine bloße Achtlosigkeit gewesen. Die Gesetzgeber i m Süden sind beleidigt, wenn die Rassenverfolgung ihr schmutziges Gesicht erhebt. Solange der Neger ein Sklave war, hatte er ein Monopol auf dem Arbeitsmarkt, wenn auch unfreiwillig. Thomas Nelson Page sagt: „ A l s der Neger 1865 seine Freiheit erhielt, hielt er ohne Rivalen das ganze Feld der Industriearbeit über den Süden h i n besetzt." Wenn das auch eine Übertreibung ist, fügt Gunnar Myrdal h i n z u 2 3 1 , so können w i r doch davon ausgehen. Als der Sklave seine legale und politische Freiheit erhielt, verlor er sein unfreiwilliges Monopol. Es wurde rein wirtschaftlich und dürftig. Er mußte mit den Weißen konkurrieren. Wenn die Arbeit anwuchs, bekam der Neger mehr, aber als sie abnahm und technisch und mechanisch weniger niedrig und lästig wurde, bekam er weniger. Die geöffnete Tür wurde durch den W i n d der Zurücksetzung wieder zugeschlagen. A u f den Eisenbahnen gab es früher einige Negeringenieure. Sie waren eher Heizer, denn das wurde als schmutzige Arbeit betrachtet. Aber mit den technischen Verbesserungen wurde die Arbeit weniger schmutzig und anziehender und immer mehr Weiße übernahmen sie. Erleichtert wurde das durch die Bruderschaft der Lokomotivheizer und Ingenieure, welche die Situation beherrschte und Neger ausschloß 2 3 2 . Durch das Eisenbahnarbeitsgesetz wurde die Bruderschaft der einzige Vertreter der Arbeitsgruppe bei den Verhandlungen. I n dieser Eigenschaft traf die Bruderschaft Abkommen mit den südlichen Eisenbahnen und handelte i n Vertretung aller Heizer. Die aus der Vereinigung ausgeschlossenen Neger waren wie die Mitglieder der Bruderschaft durch die Abkommen gebunden. 1940 setzte die Bruderschaft die Eisenbahner davon in Kenntnis, daß sie das Abkommen dahin erweitern wolle, daß künftig nur Weiße als Heizer angestellt werden dürften. I n dieser Frage wurde ein Kompromiß geschlossen, aber i m Februar 1941 wurden die Vereinbarungen so geändert, daß künftig nur die Hälfte der Heizer Neger sein durften. Bis dieses Verhältnis hergestellt war, sollten alle freien Stellen mit Weißen besetzt werden. Zudem behielt sich

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die Bruderschaft das Recht vor, weitere Einschränkungen auszuhandeln. Einige Monate später wurde die Meilenzahl einer Strecke, an der der Negerheizer Steele arbeitete, gekürzt; seine Stelle wurde gestrichen und einem weißen Mann gegeben, der Mitglied der Bruderschaft war. Steele strengte eine Klage an gegen die Bruderschaft und gegen die Eisenbahnlinie, um sie an der Durchführung zu hindern. Der höchste Gerichtshof von Alabama meinte, daß die Bruderschaft nach dem Gesetz das Abkommen treffen dürfe, da das Gesetz ihr Vollmacht gegeben habe. Auch sei sie nicht verpflichtet, Minderheiten gegen Verfolgung oder ungerechte Behandlung zu schützen. Warum sollte die weiße Bruderschaft Neger besser behandeln, weil sie ihr „ V e r t r e t e r " war? Weiße Männer hatten immer die Neger vertreten. Die Neger waren eine niedrige Rasse, die Last des weißen Mannes und seine Verantwortung seit jeher. Das Gesetz veränderte ihre Pflichten nicht, indem es sie die Neger vertreten ließ. So lautete die Begründung des Gerichtshofes von Alabama. Sonst wäre das durch das Gesetz übertragene Privileg ein Nachteil auf Kosten der Bruderschaft gewesen. Jede Stelle, die ein Neger behielt, verlor ein weißer Mann. Jeder höhere Grad, den ein Neger einnahm, machte einen weißen Mann zu seinem Untergebenen. Der Kongreß hatte nichts Gegenteiliges behauptet. Der Vertreter der Bruderschaft in Washington hätte sonst den Mitgliedern des Kongresses seine Meinung gesagt. So wurde der Antrag Steeles zurückgewiesen und er legte Berufung beim Obersten Bundesgericht ein. Gerichtspräsident Stone schrieb die Urteilsbegründung für einen einstimmigen Gerichtshof, die Murphy noch nicht für weitgehend genug h i e l t 2 3 3 . Stone hatte sich i m Gesetz an folgende Worte zu halten: „Angestellte haben das Recht, sich zu organisieren und durch selbstgewählte Vertreter gemeinsam zu verhandeln. Die Mehrheit einer Gruppe soll bestimmen, wer der Vertreter der Gruppe für die Zwecke des Gesetzes zu sein hat, und der von den Angestellten bezeichnete Vertreter soll für sie handeln." Als Ziel des Gesetzes wurde folgendes erklärt: Vermeidung einer „Unterbrechung des Handels oder der Tätigkeit der angeschlossenen Verkehrsunternehmen" durch die rasche, geordnete Schlichtung aller Streitfälle über Zahlungen, Regeln und Arbeitsbedingungen. Stone sagte: „Diese Ziele würden schwerlich erreicht werden,

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wenn eine bedeutende Minderheit der Gruppe das Recht verlöre, ihre Interessen am Verhandlungstisch vertreten zu wissen, und wenn das Ergebnis der Verhandlungen die Opferung der Interessen der Minderheit sei durch einen durch die Mehrheit gewählten Vertreter. Der einzige Ausweg der Minderheit wäre der Streik und dadurch jene Unterbrechung des Handels, die das Gesetz zu vermeiden sucht234." I n der Tat hätte der Kongreß zur Gültigkeit des Gesetzes diese Forderung an den Vertreter der Mehrheit stellen müssen. Wenn die Gewerkschaft nur die Mehrheit vertrat, dann verfehlte das Gesetz seinen Zweck. Stone fuhr fort: „ D i e Gewerkschaft muß verpflichtet sein, Nichtmitglieder aus der Arbeitsgruppe zu vertreten, wenigstens so weit, daß diese in den Verträgen, die in ihrem Namen abgeschlossen werden, nicht benachteiligt werden. Anderenfalls bliebe die Minderheit ohne die Möglichkeit zum Schutz ihrer Interessen, ohne das Recht, ihren Lebensunterhalt durch die von ihr geleistete Arbeit zu verdienen. Während die Mehrheit der Gruppe den Verhandlungsvertreter wählt, wird er nach seiner Wahl, wie aus den Worten des Gesetzes zu ersehen ist, Vertreter der Gruppe und nicht der Mehrheit235." I m Gesetz steht jedoch, wie wir gesehen haben, weder das eine noch das andere. Stone mußte sich an allgemeine Prinzipien halten: „Es ist ein Prinzip von allgemeiner Anwendung, daß die Macht, für andere zu handeln, die Pflicht einschließt, ihre Interessen wahrzunehmen. Jedenfalls kann die Verleihung dieser Macht nicht von der Pflicht gegen jene entbinden, für die sie ausgeübt wird, es sei denn ausdrücklich so bestimmt." „Es ist ein allgemein angewendetes Prinzip." Damit legte das Bundesgericht in das Gesetz einen Teil der amerikanischen Überzeugung hinein. Vielleicht hielt auch der Kongreß diese Überzeugung für vorausgesetzt und selbstverständlich. Jedenfalls hatte er sie absichtlich ausgelassen. Wie steht es nun? W i r sehen einen Gerichtshof, der als Gesetz die amerikanische Überzeugung von der gleichen Möglichkeit und dem gleichen Recht für alle aufzwingt. I n Ordnung. Juden? I n Ordnung. Ausländer? I n Ordnung. Arbeiter, die der Gewerkschaft nicht beitreten, Männer der gleichen A r t , nur daß sie nicht beitreten wollen? Mitglieder einer anderen Gewerkschaft, die im Wahlkampf unterlegen ist? Ja, aber Spione, Verdäch-

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tige, Kommunisten, Schieber? K a n n eine Gewerkschaft gegen sie vorgehen? Künftige Sorgen, die das Bundesgericht i n der einen oder anderen Weise zu behandeln hat. Woher nimmt das Bundesgericht die Autorität, der Gewerkschaft vorzuschreiben, wie sie gegen Angestellte, die nicht ihre Mitglieder sind, sich zu verhalten hat? Indem sie dem Kongreß zuschreibt, was der Kongreß nicht selbst zum Ausdruck zu bringen wagte. Das Bundesgericht kommt damit den Wünschen des Kongresses zuvor, i m Vertrauen, daß der Kongreß damit einverstanden ist, wenn nur ein anderer die Verantwortung übernimmt. Murphy dagegen versuchte die Entscheidung der Verfassung zuzuschieben: „ D i e Verfassung gibt ihrer Mißbilligung immer Ausdruck, wenn unter dem Vorwand des Gesetzes wirtschaftliche Benachteiligung ausgeübt w i r d gegen Rasse, Glaube oder F a r b e 2 3 6 . " Er konnte nicht glauben, daß der Kongreß die Gewerkschaft ermächtigt habe, Verfassungsrechte zu übergehen. Wäre das doch der Fall, dann würde das Gesetz nach der 5. Ergänzung verfassungswidrig sein. „Aus diesem Grunde verbietet das Gesetz nach meiner Auffassung jede Handlung des Gewerkschaftsvertreters bei Ausübung seines Verhandlungsrechtes, die auf die Verletzung der Verfassungsrechte eines einzelnen hinauslaufen w ü r d e 2 3 7 . " Natürlich muß ein Gesetz immer so ausgelegt und, wenn es nötig ist, so verkrümmt werden, daß es in die Verfassung paßt. Aber hier ist es nicht notwendig, das Gesetz so auszulegen, als ob es die Verfolgung verbiete, u m der Verfassung zu entsprechen. Nach der Verfassung kann der Kongreß den Gewerkschaften die Diskriminierung ebensogut verbieten wie erlauben. So handelte der Kongreß, da er nichts unternahm. Es wäre eine Verletzung der 5. Ergänzung, auf welche Murphy anspielte, eine solche Haltung zu genehmigen. Aber das ist kein Grund, i n das Gesetz ein Verbot hineinzulegen. Das Gesetz kann ebenso leicht für neutral angesehen werden, das Bundesgericht gibt ihm diese Bedeutung und, obwohl ein wenig weit hergeholt, ist sie gut. Der Kongreß kann das annehmen. Er hat ja das Bundesgericht selbst ermutigt, i n der Frage des Zwischenhandels so vorzugehen. Der Unterschied besteht nur darin, daß der Gerichtshof hier persönliche Rechte schützt und in der anderen Frage das Recht des Handels. I n beiden Fällen brauchen die Leute, die nichts zu sagen haben, den Schutz.

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Kommen wir zur nächsten Frage. Ist die siegreiche Gewerkschaft, die der alleinige Vertreter der Verhandlungen geworden ist, befugt, nach Belieben irgendjemand von der Mitgliedschaft auszuschließen und ihm so die Stimmberechtigung zu versagen? Ist sie der alleinige, freie Richter über die Mitgliedschaft? Muß sie nicht nur andere sowohl vertreten, als auch zu der Teilnahme und Bestimmung ihrer P o l i t i k zulassen? Jede Gruppe wirbt zuerst Mitglieder, aber ohne das Recht der Ausschließung ist sie keine Gruppe. Sie muß sich selbst umschreiben können oder sie hat kein Selbst. Welche Grenze gibt es für diese Exklusivität? Wenn das Bundesgericht diese Frage auch noch nicht zu entscheiden hatte, so steht sie doch vor der Tür. Kann eine Gewerkschaft als einziger Verhandlungsvertreter Minderheiten von der Teilnahme an Beratung und Entschluß ausschließen? 1936 sagte der Ausschuß für Arbeitsbeziehungen: „Der Ausschuß mischt sich besser nicht i n die inneren Angelegenheiten der Arbeiterorganisationen ein. Die Organisierung der Arbeiter schließt eine P o l i t i k der Selbstverwaltung i n sich. Nach dem Kongreß ist den Organisationen durch dieses Gesetz eine große lebenswichtige Rolle zugeschrieben. Sie werden diese Rolle am besten durchführen können, wenn man sie ihre eigenen Probleme selbst lösen läßt. Das Gesetz sieht zusammenhängende, wohlausgebaute und geschickt geleitete Organisationen vor. Diese können nicht entwickelt werden, wenn sie die Lösung ihrer Probleme außerhalb suchen 2 3 8 ." Für 1936 war das gut gesagt und weise. Vielleicht ist das jetzt noch der Fall. Was Brandeis i m Fall der Sankt-Josef-Versorgungsbetriebe sagte 2 3 9 , gilt auch für die Gewerkschaften und für jede andere Körperschaft: die Verantwortung ist eine große fördernde Macht. Was den Gewerkschaften am meisten fehlt und was sie am dringendsten brauchen, was wir ihnen vor allem wünschen müssen, ist Disziplin, und zwar Selbstdisziplin. Diese entwickelt sich am besten und schnellsten durch Verantwortung. Gegen wen? Gegen den Kongreß? Gegen das Bundesgericht? Brandeis: Vor allem gegen sich selbst und gegen die Öffentlichkeit. Wenn es Grenzen gibt, wer w i r d sie ziehen? I n einem Falle ist diese Frage schon fast gestellt worden 2 4 0 . Die Wallace Gesellschaft war eine kleine Wollwarenfirma mit 200 Angestellten in West-Virginia. 1941 begann der C.I.O. zu organisieren, die Gesellschaft nahm eine unabhängige Gewerkschaft an.

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Die beiden Gewerkschaften kämpften um die Herrschaft. Nach Ende des Jahres vereinbarten sie eine Wahl unter Aufsicht des Ausschusses für Arbeit. Der C. I. 0 . stellte die Bedingung, daß, „wenn wir die Mehrheit gewinnen und damit das Verhandlungsrecht für alle, die wählbaren Angestellten alle Mitglieder der lokalen Gewerkschaft 129, U.C.W.O.C., werden müßten. Unter Billigung des Ausschusses für Arbeit wurde hier eine Wahl abgehalten, die den Laden für den Sieger öffnete, für den Unterlegenen schloß. 1942 fand die Wahl statt und die Unabhängige Union, wie sich die von der Gesellschaft begünstigte Gewerkschaft nannte, gewann 98 : 83. Der C.I.O. erhob keinen Einwand und der Ausschuß bestätigte die Unabhängige Union als einzigen Verhandlungsvertreter für alle Angestellten. Die Union war nicht zu bescheiden und schrieb an die Gesellschaft: „ D e r geschlossene Laden 4 w i r d uns die Möglichkeit geben, die Anstellung von Arbeitern zu verhindern, die unseren Interessen entgegen sind und die unsere Mehrheit beeinträchtigen würden. Dadurch haben w i r auch die gesetzlichen Mittel, jetzige Arbeiter zu entfernen, darunter Harvey Dodrill, mit dem unsere Mitglieder nach einheitlicher Abstimmung nicht zusammenarbeiten wollen. Arbeiter, deren Anwesenheit i n der Fabrik unseren Interessen zuwiderläuft, dürfen nicht Mitglieder unserer Organisation werden und ohne diese Mitgliedschaft dürfen sie nicht in der Fabrik arbeiten. Nach dem Vertrag des ^geschlossenen Ladens', den w i r mit allem Respekt fordern." Die Gesellschaft gab nach und unterzeichnete diesen Vertrag. Darauf verlangte die Union die Entlassung von 43 Männern, weil sie nicht ihre Mitglieder seien. Es waren die Mitglieder des C.I.O. 31 waren u m die Mitgliedschaft in der Union eingekommen, aber zurückgewiesen worden, 12 hatten diesen Antrag gar nicht gestellt. Die Gesellschaft verhandelte und versuchte, ohne Erfolg, von der Union die Belassuing der Männer an ihrem Arbeitsplatz zu erreichen. A n diesem Punkt griff der Ausschuß für Arbeit ein, da er die Entlassung dieser Männer für ungerecht hielt. Er befahl der Gesellschaft, sie wieder einzustellen und die Union als Vertreter abzusetzen. Diese Regelung war nur solange vernünftig, auch nach der Meinung des Bundesgerichts, als die Union der Gesellschaft Gefolgschaft leistete, so daß ihr Vorgehen gegen die C.I.O.-Männer i n Zusammenarbeit mit der Gesellschaft geschah. Wie war es, wenn die Union selbständig und zu ihrem eigenen Vorteil gehandelt hätte?

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Lassen w i r Jackson seine eigene Meinung und die von Stone, Roberts und Frankfurter äußern: „Weder das Gesetz für Arbeitsbeziehungen noch ein anderes Kongreßgesetz gibt dem Ausschuß ausdrücklich oder stillschweigend das Recht, die Mitgliedschaft der Gewerkschaften zu überwachen oder sich m i t ihren Handlungen zu befassen, wenn sie gegen Mitglieder, Bewerber, Minderheiten, andere Gewerkschaften oder Arbeitgeber noch so ungerecht sein mögen. Das kann vielleicht ein Fehler sein, aber es war kein Versehen. Es gibt kein Recht, das die organisierte Arbeiterschaft jeder Schattierung energischer verlangen würde als das Recht, ihre Mitglieder selbst zu bestimmen. Jede Gewerkschaft hat auf ihrer Freiheit bestanden, ihre eigenen Anforderungen an die Anwärter zu stellen, die Abstimmungsart über die Aufnahme zu bestimmen, das Aufnahmegeld vorzuschreiben, die Beiträge festzusetzen, den Mitgliedern ihre Pflichten aufzuerlegen und zu entscheiden, wann und warum sie ausgeschlossen oder gemaßregelt werden sollen. Der Ausschluß jener, die einer rivalisierenden oder feindlichen Organisation angehören, ist eine allgemeine und verständliche Übung, die bezweckt, die Gewerkschaft gegen Unterminierung, Spionage, Uneinigkeit und Auslieferung an den Rivalen zu schützen. Einige Gewerkschaften haben darum gekämpft, Kommunisten auszuschließen, andere Schieber. Alle diejenigen, die sie für Gegner ihrer Ziele hielten. Manche glauben die Zeit gekommen, den Gewerkschaften die Kontrolle über ihre eigenen Angelegenheit zu nehmen. Wie das auch sein mag, wir wissen nur, daß der Kongreß ein solches Prinzip nicht ausdrücklich in das Gesetz gelegt hat." Nehmen wir an, die Frage ergibt sich, ehe der Kongreß sich äußert. Dann muß das Bundesgericht in seiner unergründlichen Weisheit allgemeine Prinzipien anwenden. Das Problem der Verantwortlichkeit von Gruppen ist eine notwendige Einleitung zu den persönlichen Freiheiten. Das Bundesgericht w i r d durch die Vorstellung befriedigt, daß es zwischen einem Einzelwesen und einem irgendwie feindlichen Staatswesen zu entscheiden hat. Oft ist das wahr, häufig aber nicht. Das Bundesgericht hat die Beziehungen zu regeln zwischen dem Staat und den Gruppen, aus welchen er besteht. Denn wenn ein Einzelner ein durch die Verfassung gewährleistetes Recht ausübt, dann geschieht es meistens als Mitglied einer Gruppe oder sogar i n ihrem Auftrag, nicht als Einzelwesen. I n Wirklichkeit ist es dann die Gruppe, die das Recht genießt. 14

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Etwas anderes haben w i r nicht erwartet. W i r pflegen die Gruppenbildung und wir ermutigen die Zusammenarbeit innerhalb und ihren Wettbewerb untereinander. Das eine besteht nicht ohne das andere und einige dieser Rechte, wie zum Beispiel die Redefreiheit, sind für die Bildung und Entwicklung einer Gruppe ebenso notwendig, wie für die Entwicklung einer Einzelpersönlichkeit. Das Bundesgericht hat es also mit Gruppen zu tun und es erkennt das am besten selbst an. Auch die Verfassung erkennt es an, obwohl wir das am wenigsten erwartet haben. Religionsfreiheit, die wir als das höchste der persönlichen Rechte betrachten, w i r d einfach in der Aufzählung der Menschenrechte als das Recht zur Erhaltung religiöser Einrichtungen behandelt. Das sind die Worte in der 1. Ergänzung. K e i n Mensch brauchte sich je auf sein Verfassungsrecht zu berufen, um m i t seinem Gott allein gelassen zu werden. Der Mythos des Einzelwesens ist nicht unwichtig. Nur so kann es sich ja als der Mittelpunkt des Universums fühlen. Aber wir müssen uns darüber klar werden, daß die Erklärung der Menschenrechte die Interessen und Forderungen einer Gruppe unter dem Anschein eines Individuums beschützt, weil Gruppen verschieden geartet sind und handeln. Eine Gruppe ist eine Abstraktion jener Individuen, aus denen sie besteht. Sie gehören ihr aus einem gemeinsamen Interesse an, zum Beispiel Gelderwerb für ein geschäftliches Unternehmen, wegen eines Vorteiles oder eines Reformstrebens oder aus Sentimentalität für einen Wohltätigkeitsverein. Es wäre ebenso ein Fehler, das Verhalten der Gruppen mit dem der Einzelwesen gleichzusetzen wie die Verwechslung einer Abstraktion mit dem Leben ein Fehler ist. Die Theorie des freien Unternehmens, die auf der Existenz jenes sagenhaften und unangenehmen Wesens, nämlich des wirtschaftlich vernünftigen Menschen beruht, hätte viel für sich, wenn wir alle geschäftliche Unternehmungen wären. Vielleicht stehen diese deshalb der Theorie so freundlich gegenüber. Gruppen sind fast immer Einzelgänger und Monomanen. A m besten sehen wir jede einzelne als die Verkörperung ihrer Manie an. Dann werden wir weise und richtig zu ihrer Behauptung angeblich persönlicher Rechte stehen, wenn zum Beispiel eine Bank oder eine Gesellschaft ihre Verteidigung so führt, als wäre sie Thoreau oder ein Professor mit akademischer Freiheit241.

16 Persönliche Freiheiten W i r haben uns daran gewöhnt, die persönliche Freiheit des einzelnen als die Regel und den sozialen Zwang als die Ausnahme zu betrachten. Nicht als ob wir die Freiheit als etwas Selbstverständliches ansähen. A u f dem Weg des Nachdenkens sind w i r dazu gekommen. Das ist gut so, weil wir bei jedem Eingriff in unsere Freiheiten eine Rechtfertigung verlangen. Notwendige Einschränkungen unterliegen jetzt einer Prüfung, wenn sie Ausnahmen zu der Regel bilden, nach der Menschen so frei wie möglich sein sollen. Diese Annahme stammt noch aus der Ideologie des 18. Jahrhunderts. Die Unabhängigkeitserklärung, unsere Verfassung, die Aufzählung der Menschenrechte ( B i l l of Rights), alle kommen aus dem 18. Jahrhundert. I n Amerika sind sie lebendiger als irgendwoanders in der Welt. Die Französische Revolution, die so viel aus unserem Gedankengut entnahm, bedeutet uns in den Vereinigten Staaten mehr als anderen, sogar mehr als den Franzosen. Jedenfalls ist es ein guter Gedanke, und wir sollten dankbar sein, daß er uns zur Gewohnheit geworden ist. Er ähnelt der Annahme im Strafgesetz, daß ein Angeklagter unschuldig ist, bis seine Schuld bewiesen ist. I n Wirklichkeit ist niemals jemand angeklagt und in gehöriger Form des Verbrechens beschuldigt worden, der von irgend jemand für unschuldig gehalten wurde, außer von seinen Freunden oder Gönnern oder Leuten, die zufällig wissen, daß sich die Regierung im I r r t u m befindet. Und doch würde niemand diese Annahme abschaffen, weil sie falsch ist. Dadurch würde ihr Zweck verkannt, der darin besteht, den Tatbestand abzuwägen. Ideologien sind keine wissenschaftlichen Lehren, die sich als wahr oder falsch erweisen, je nachdem sie mit der Wirklichkeit übereinstimmen oder nicht. Sie sind ein Teil unseres Gesetzes, das ein ganz anderes Ziel hat, nämlich die Überwachung unseres Betragens. Es wäre ein armseliges Gesetz, das sich nur nach dem Tatbestand richten würde. 14*

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Dennoch ist die Annahme, daß Freiheit die Regel und Zwang die Ausnahme sei, falsch, besonders im notwendigen Vergleich mit den Tatsachen. N u r in einer Welt der Abstraktionen, einer Welt des Scheins und der Unwirklichkeit ist das umgekehrt, Der Mensch ist seiner Natur nach ein soziales Wesen, so sagte Aristoteles in seiner Politik, und ein Individium, das von Natur aus und nicht durch Zufall unsozial ist, steht entweder unter oder über dem menschlichen Durchschnitt. Jeder, der sich dem gemeinsamen Leben nicht einfügen kann oder das i n Folge von Selbstgenügsamkeit nicht zu tun braucht, und daher nicht an der Gesellschaft teilnimmt, ist entweder ein Tier oder ein Gott. Wer an Aristoteles zweifelt, mag sich selbst befragen und einen Tag lang beobachten. Was hindert einen Mann an der Äußerung einer eigenen Meinung. Natürlich kann es sein, daß er überhaupt keine hat. Er kann eine Kopie dessen haben, was er sich aus Mangel an Zeit und Fähigkeit nicht aneignen konnte. Es kann auch an den guten Manieren liegen und an den Regeln der Konvention, vielleicht auch an Abneigungen, denen man nachgibt. Respekt, vielleicht sogar eine gesunde Angst vor dem Vorgesetzten, die dieser wieder vor seinem Vorgesetzten empfindet, wie die Achtung von beiden für den Kunden. Man w i l l Ansehen bei Leuten genießen, die dasselbe von einem verlangen. Die Sorge für die Zukunft der Kinder vom eigenen Standpunkt aus gesehen. Freundschaft, oder was es auch sein mag, für die Kollegen, Mitarbeiter, Mitglieder der Gewerkschaft, Freunde, alle, mit denen man zu tun hat. Fühlt man sich i m nüchternen Zustand so frei, wie nach einigen Gläsern? Dann prüfen Sie selbst, ob Aristoteles nicht Recht hatte. Dieser soziale Zwang w i r d auferlegt, nicht durch den Staat, nicht durch ein rechtliches Verfahren der Regierung, sondern durch die Kameraden, durch die Organisationen oder Geschäftsunternehmungen, denen man angehört, durch die Gesellschaftsschicht, i n der man lebt. Die Aufzählung der Menschenrechte ( B i l l of Rights) und ihre Anwendung durch den Gerichtshof w i r d besser verstanden, wenn w i r erkennen, daß sie keine dieser sozialen Einschränkungen der Freiheit verbietet. Sie verbietet nur Eingriffe durch die Regierung. So ist es in der 1. Ergänzung (Amendment) der Kongreß, der „ k e i n Gesetz gegen eine religiöse Einrichtung oder ihren Gebrauch machen soll, ebenso kein Gesetz zur Beschneidung der Rede- und Pressefreiheit". I n der 14. steht: „ A u c h darf kein Staat eine Person des Lebens,

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der Freiheit und des Eigentums berauben ohne ordentliches, gerichtliches Verfahren. Keiner Person darf i n der Rechtsprechung der gleiche Schutz der Gesetze verweigert werden." Die B i l l of Rights gewährt also nur Schutz in der schon selbst geschlagenen Waldlichtung, und dort nicht gegen die Einwirkung des Waldes, nur gegen den Förster. Was bedeutet das nun i n Wirklichkeit? Die Regierung i n einer Demokratie, das demokratische Verfahren, handelt gewöhnlich nicht aus eigener Initiative. Bei einem totalitären Staat, der sich die ganze soziale und juristische Disziplin angemaßt hat, ist das anders. Eine Demokratie greift auf das Verlangen von interessierten Gruppen hinein. Fast das einzige, was die B i l l of Rights tut, besteht darin, daß sie eine herrschende oder zeitweise mächtige Vereinigung, sei eine Mehrheit oder eine Minderheit, daran hindert, die Hilfe der Regierung gegen Sie i n Anspruch zu nehmen. Welchen Zwang private Kreise durch soziale M i t t e l gegen Sie ausüben können, das haben Sie nur mit diesen auszumachen. Die Demokratie verlangt, wie man sieht, ein großes Selbstvertrauen vom einzelnen. I n der Demokratie w i r d die Freiheit vom Staat weder geschenkt noch garantiert. Man bekommt nur, was man selbst erwirbt, und die Demokratie gibt nur die Zusicherung, daß sie keinen bei der Wegnahme des Erworbenen unterstützen wird.

Redefreiheit Eines Tages w i r d das Bundesgericht auf der Wahlstatt stehen für die persönlichen Freiheiten, wenn es auch jetzt noch nicht der Fall ist. Bis jetzt hat sich das Bundesgebiet aus diesem oder jenem Grund noch nicht i n diese Schlacht begeben, weder i m einen noch i m anderen Sinn, wie wir es mehr als einmal für die Eigentumsrechte erlebt haben. Als im Fall Dred-Scott das Gewicht i n den schwebenden Streit geworfen wurde, war es auf der Seite des Eigentums und des Südens. I n den Einkommensteuerfällen war die Brücke gegen den Sozialismus gehalten worden, der sich i n der Gestalt einer 2% igen Einkommensteuer nahte. Fünfzehn Jahre, von 1895 bis 1909, hatte der Gerichtshof die Stellung behauptet und es bedurfte einer Ergänzung zur Verfassung, um ihn daraus zu vertreiben. 1935 und 1936 wehrte er einige Jahre den New Deal ab. Vielleicht w i r d das Bundes-

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gericht eines Tages ebenso ritterlich für die persönlichen Freiheiten in die Schranken treten. Besser wäre, wenn es nie nötig sein würde. Derselbe Gerichtspräsident Taney, der im Fall Dred Scott die Mehrheit führte, kämpfte vier Jahre später ebenso tapfer allein für das Recht des habeas corpus im Fall Merryman. Vielleicht w i r d der Gerichtshof eines Tages zu tun haben, was er damals tat. Es war 1861, zu Beginn des Krieges. Man stelle sich Taney vor, den alten Mann, wie er voll Würde nach Baltimore geht. A m Tage vorher war Merryman durch die Militärmacht verhaftet worden, weil er eine Eisenbahnbrücke zerstört hatte, die für den Vormarsch der Bundestruppen notwendig war. Taney sitzt dort allein an Stelle des Bezirksrichters. Er wünscht die alleinige Verantwortung. Er zieht seinen Titel auf habeas corpus hervor, und am nächsten Morgen kommt er am A r m seines Enkels ins Gericht und empfängt dort nicht Merryman, sondern einen Offizier mit roter Schärpe und Schwert und eine höfliche Ablehnung von Seiten des kommandierenden Generals. Die Verstrickungsorder w i r d dem Gerichtsvollzieher übergeben, der mit dem Bericht zurückkehrt, daß er sein Dokument bei der Festung vorgezeigt habe, daß i h m aber der Zugang verweigert wurde und daß er daher den Erlaß nicht zustellen konnte. Taney blieb nichts mehr zu tun übrig. Er arbeitete sein Urteil aus und beauftragte den Schreiber, eine Abschrift an den Präsidenten zu senden 242 . Das war Taney allein. Das Bundesgericht hatte sich mit der Rechtsfrage nicht mehr zu befassen bis nach dem Krieg, was wir der Zurückhaltung des Generalstaatsanwalts Pates zu verdanken scheinen. Er war klüger als der Kriegsminister Stanton und ging auf Stantons Anregung nicht ein, daß einer der vielen habeas corpus Fälle, die bald folgten, vorweggenommen werden sollte. Das Bundesgericht hatte keine Eile und so mußten sie warten, bis ihre Anklage an die Reihe k a m 2 4 3 . Und als der Fall Vallandigham die Sache zum Äußersten zu bringen drohte, verwandelte Lincoln in seiner unerreichten Weise einen vielversprechenden Fall des habeas corpus in etwas viel weniger Scharfes, nämlich in eine Verweisung an ein anderes Gericht. Bekanntlich anullierte Lincoln das Todesurteil gegen Vallandigham wegen Verrates in Verbannung jenseits der Linien. So wurde der Fall aus dem Wege geschafft. Der Rechtsanwalt hatte also nur zu verlangen, daß von dem Kriegsgericht, das seinen Klienten schuldig gesprochen hatte, die Akten eingefordert würden. Das konnte er leicht tun, denn der Gerichtshof erklärte rasch und

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einstimmig, daß er nicht die Macht habe, einen solchen Befehl an ein Militärgericht zu richten. Es gab noch eine schreckliche Streitfrage, aber sie erreichte den Gerichtshof erst ein Jahr nach Appomattox im A p r i l 1865, als der Krieg vorüber war. Das war der Fall Milligan. Er wurde erst ein Jahr später, am 5. März 1866, verhandelt. Zu dieser Zeit hatte er nur mehr juristische Bedeutung und wurde schnell entschieden. Stand Taney noch als einzelner da, so konnte das Bundesgericht jetzt ruhig einstimmig sein. Das Kriegsgericht über Milligan war in Indiana abgehalten worden, weit entfernt vom Kriegsschauplatz, und Milligan war vernommen und wegen Verrat zum Tode verurteilt worden, obwohl die Zivilgerichte erreichbar waren. Die Richter waren alle der Meinung, daß dies gegen die Verfassung verstoßen habe. Die Militärmacht hatte kein Recht, unter diesen Umständep Kriegsgerichte zu eröffnen und Bürger unter Anklage zu stellen. Taney war im Recht. Lincolns Aufhebung des habeas corpus in Baltimore war ungerechtfertigt. Das Bundesgericht war soweit von einer Unterstützung Lincolns entfernt, daß es sogar in der Frage uneinig war, ob selbst der Kongreß Lincoln zu seinem Vorgehen Vollmacht hätte geben können. Fünf zu vier entschied das Bundesgericht, daß der Kongreß das weder getan habe noch hätte tun können. Zu dieser Zeit war der Krieg vorüber 2 4 4 . I m ersten Weltkrieg benahmen sich die niederen Gerichte hysterisch genug, um das Bundesgericht auf den Plan zu rufen, aber wieder war zur Zeit der Berufungen der Krieg vorüber. Der Fall Schenck am 3. März 1919 war der erste 2 4 5 . Die Richter waren einig darin, daß die Verurteilung Schencks wegen Obstruktion des Aushebungsverfahrens zu Recht bestehe. Holmes im Namen aller stellte eine Regel auf. Es ist die Regel von der offenbaren und unmittelbaren Gefahr. Sie ist so nützlich und so verführerisch, daß man sie immer anwenden möchte. Sie ist wie eine hübsche Kurve im B i l d einer Darstellung, so hübsch, daß man sie deshalb herausnimmt. Holmes sagte: „ W i r geben zu, daß zu gewöhnlichen Zeiten die Angeklagten an vielen Orten die angegebenen Reden nach dem Verfassungsrecht hätten führen können. Aber der Charakter einer Handlung hängt von den Umständen ab. I n jedem Fall ist die Frage zu entscheiden, ob die Worte so geartet sind und unter solchen Umständen gesprochen wurden, daß eine offenbare, unmittelbare Gefahr besteht, sie würden jene Übel hervorbringen, die der Kongreß nach

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seinem Recht zu verhindern hat. Es ist eine Frage der Nähe und des Grades. Befindet sich eine Nation im Krieg, so bilden viele i m Frieden unschädliche Äußerungen eine solche Hemmung, daß sie nicht geduldet werden können, solange die Männer kämpfen. Kein Gerichtshof kann sie daher als unter dem Schutz des Verfassungsrechtes stehend betrachten." I m nächsten Jahr, 1920, hatte eine „ r o t e " Panik das Land überfallen und das Bundesgericht verlor mit vielen anderen den Kopf. Es war keine rühmliche Walstatt. Ganz i m Gegenteil. Vielleicht ist die Angst vor einer Einbildung wie der Alpdruck i m Schlaf schwerer zu überwinden, als die Furcht vor wirklicher Gefahr. Abrams gehörte einer kleinen Gruppe von vier Männern und einem Mädchen an, die 1918, während des Krieges, Flugblätter von einem Dach i n New Y o r k geworfen hatten. Sie waren russische Pazifisten. Sie wurden verurteilt. 1920, nach dem Krieg, hielt das noch leidenschaftlich erregte Bundesgericht das U r t e i l aufrecht 2 4 6 . Holmes sprach sich dagegen aus und Brandeis schloß sich ihm an. „Verfolgung wegen des Ausdrucks von Meinungen scheint mir logisch zu sein. Wenn man an den Voraussetzungen nicht zweifelt, so wenig wie an seiner eigenen Macht, und wenn man von ganzem Herzen ein gewisses Ergebnis wünscht, dann drückt sich das i m Gesetz aus und fegt alle Opposition beiseite. Die Äußerung der Opposition scheint nur dann erlaubt zu werden, wenn man sie für so belanglos hält, wie wenn ein Mann von der Quadratur des Kreises spricht, oder wenn man das Ergebnis nicht so leidenschaftlich anstrebt, oder wenn man an der Macht oder an den Voraussetzungen zweifelt. Haben die Menschen aber erkannt, daß die Zeit mit vielen Kampfparolen fertig geworden ist, dann mögen sie noch mehr als an die Grundlage ihres eigenen Betragens an die Regel glauben, daß das Gute letzten Endes besser durch den freien Handel auf geistigem Gebiet erreicht wird. Der beste Prüfstein für die Wahrheit ist es, wenn die Macht des Gedankens sich i m Wettbewerb des Marktes durchsetzt. Diese Wahrheit ist die einzige aussichtsreiche Grundlage. So lautet jedenfalls die Theorie unserer Verfassung. Es ist ein Experiment wie das ganze Leben. Jedes Jahr, wenn nicht jeden Tag, haben wir unser Heil einer Vorhersage anzuvertrauen, die auf ungenügender Kenntnis beruht. Da nun dieses Experiment zu unserem System gehört, sollten wir nach meinem Dafürhalten immer auf der Wache liegen, um zu verhindern, daß Meinungen, die wir verabscheuen und für verderben-

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bringend halten, unterdrückt werden. Es sei denn, sie bedrohen so unmittelbar das Gesetz und die dringenden Absichten des Gesetzes, daß ihre sofortige Ausrottung zur Rettung des Vaterlandes nötig ist. Ich möchte gerne noch eindrucksvoller meiner Überzeugung Ausdruck geben, daß die Angeklagten bei ihrer Verurteilung ihrer verfassungsmäßigen Rechte beraubt w u r d e n 2 4 7 . " Das beste Kommentar zu diesen Spionagefällen gab Holmes in einem Brief an seinen Freund, Sir Frederick Pollock: „ I c h hoffe, mit den Spionagefällen w i r d es nächstens zu Ende sein. Einige unserer unteren Richter scheinen m i r während des Krieges von Hysterie befallen gewesen zu sein. Es ist eine Ironie, daß ich, der ich am meisten für die Redefreiheit eintrete (obwohl mein Glaube daran nicht unbedingt ist, würde ich hoffentlich dafür sterben wollen), daß gerade ich zur Torpedierung dieser Freiheit ausersehen wurde." „ E i n geistiger Freihandel — der beste Beweis für die Wahrheit ist die Macht des Gedankens, der sich i m Wettbewerb selbst durchsetzt." Zu bemerken ist, daß die Waren, die Holmes auf den Markt bringen wollte, ebenso „Kampfparolen" als „ungenügendes Wissen" sein können. Nach Learned Hand sind „Worte nicht nur die Schlüssel zur Überredung, sondern auch die Gesamtketten der T a t 2 4 8 . " Die Ideen, die Holmes zu kaufen und zu verkaufen wünschte, sind der Wesensinhalt — Cardozo nannte sie den Mutterboden — der Demokratie. N i m m t man sie weg, dann bleibt nichts übrig. Denn Redefreiheit ist das Band zwischen Gedanken und Tat. Sonst fallen sie auseinander und w i r werden entweder einsame Denker oder reine Tatmenschen, die ohne Glauben kämpfen. Darin liegt die Bedeutung von Holmes Skeptizismus i m Falle Pollock. Der Grund für seine Begünstigung der Redefreiheit — an die er zwar nicht unbedingt glaubte, obwohl er für sie sterben wollte — besteht nicht nur i n philosophischen Zweifeln. Er setzt freie Rede und Demokratie gleich, und in diesem Licht deutet er Pflicht und Tätigkeit des Bundesgerichtes. Nicht Holmes, der Skeptiker, sondern Holmes, der Richter, spricht. W i r kennen seine Auffassung von seiner richterlichen Pflicht. Erinnern w i r uns an seine Ausführungen im Fall Lochner. Die Verfassung war für Leute von grundverschiedenen Ansichten geschaffen. Daß der Richter zufällig Gesetze neu oder sogar abstoßend finden kann, sollte nicht sein Urteil

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entscheiden in der Frage der Verfassungsmäßigkeit. Wie man es nennen will, er muß skeptisch oder selbstbeherrscht sein. So ist die gegenwärtige Lage, aber mit einem Unterschied. Hier handelt es sich nicht nur um einen Konflikt zwischen dem Kongreß und der Verfassung, sondern zwischen dem Kongreß und der Demokratie selbst. W i r haben hier das Grundrecht der Redefreiheit, das nach der Verfassung nicht eingeschränkt werden darf. Der Kongreß darf kein einschränkendes Gesetz herausbringen. Wie wir auch dazu stehen mögen ; müssen wir das mit mehr als nur der Vernunft billigen, denn die Freiheit der Rede ist wesentlich und grundlegend. Holmes dringt darauf, daß der Kongreß diesen wichtigen Teil der Demokratie genau so behandelt, wie das Bundesgericht den Kongreß, mit der gleichen Zurückhaltung und dem gleichen Respekt. Der Kongreß muß sogar den Ausdruck von Meinungen, die er verabscheut und fürchtet, ebenso behandeln, wie das Bundesgericht eine Gesetzgebung, die ihm abstoßend erscheint. Als Holmes i m Falle Schenck für den Gerichtshof sprach, lautete die Regel: „ B e i jedem Fall ist es die Frage, ob die Worte so geartet und unter solchen Umständen gesprochen sind, um eine offenbare, unmittelbare Gefahr zu bilden, daß diejenigen Übel hervorgerufen werden, zu deren Verhinderung der Kongreß das Recht hat." Als Holmes im Falle Abrams nur für sich und Brandeis sprach, ging er weiter: „Außer wenn sie das Gesetz und seine dringenden Absichten so unmittelbar bedrohen, daß ein sofortiges Eingreifen zur Rettung des Landes notwendig ist." I n den Worten von Holmes und Brandeis liegt ein Überschwang, der zugleich die notwendige Reaktion gegen eine in Panik befindliche Mehrheit bildet. „Das Vaterland zu retten" klingt besser als „die tatsächlichen Gefahren, die der Kongreß abzuwehren das Recht hat". Die Redefreiheit nimmt ihren Platz über dem Gutdünken des Kongresses ein, sie steht nur einem nach, der Rettung des Vaterlandes, das ohne sie ebenso verloren wäre. Frankfurter vergaß später, daß Holmes und Brandeis dies gesagt hatten. „ D i e offenbare, unmittelbare Gefahr, verhaftet zu werden, kann eine ebenso umfassende und unbestimmte Drohung sein wie die Gefahr für die Sicherheit der Republik oder für „die amerikanische Lebensanschauung". Weder Holmes noch Brandeis noch dieser Gerichtshof brachten in all den mit dem 1. Weltkrieg verbundenen Fällen vor, daß nur direkte Drohungen gegen die unmittelbare Sicher-

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heit des Vaterlandes den Gerichtshöfen das Recht gäben, Gesetze zur Behinderung der Meinungsäußerung zu unterstützen. So zerstörende Gewalten gehen über das hinaus, was im allgemeinen vor die Gerichtshöfe k o m m t 2 4 9 . Hat Frankfurter Recht, so haben jene beiden nicht Unrecht. Damals wurden Leute durch eine rote Flagge auf der Straße in ebenso viel Angst um den Staat versetzt, als wenn ihnen eine schwarze Katze über den Weg gelaufen wäre. Die Jahre um 1920 waren kein heldenhaftes Zeitalter. Auch die sie nicht erlebt haben, müssen sich darüber klar sein. Die Mehrheit des Gerichtshofes war nicht in heroischer Saimmung. Sie bestätigte Kerkerurteile für Äußerungen, die nicht über das hinausgingen, was nach Holmes und Brandeis die Angeklagten ebensogut sagen konnten „wie die Regierung die Verfassung der Vereinigten Staaten veröffentlichen konnte, die jetzt ohne Grund gegen sie angerufen w u r d e 2 4 0 " . Es reimt sich nicht damit, daß, mitten i n dieser Dekade, 1925 der Gerichtshof seine Rechtsprechung über persönliche Freiheiten so erweiterte, daß er jede Verletzung verfolgen konnte, nicht nur durch den Kongreß, sondern durch jede Regierungshandlung in den Vereinigten Staaten, sei es durch den Staat, durch die Stadt, durch die Gemeinde oder durch irgend jemand, der in offizieller Eigenschaft handelte. Zudem geschah das in einer ruhigen, fast zufälligen Weise, etwa folgendermaßen. Gitlow war Kommunist, Mitglied der New Yorker Vereinigung. Er schrieb ein Pamphlet. Es war alltäglicher Kommunismus, wie zum Beispiel: die kommunistische Internationale ruft das Proletariat der Welt zum letzten Streite auf. Holmes stellte fest, daß Gitlows Propagandaschrift jetzt keine Aussicht auf die Entfachung eines Brandes habe, und er und Brandeis wollten die Verurteilung aufheben, die unter einem Anarchistenstrafgesetz von New York verhängt worden war, das auf die Erregung von 1902 über McKinleys Ermordung durch einen Anarchisten zurückging. Das Bundesgericht bestätigte jedoch das Urteil. Wichtig ist seine Begründung. „ W i r zählen die Freiheit der Rede und der Presse — die durch die 1. Ergänzung von der Kürzung durch den Kongreß geschützt sind — zu den Grundrechten und Freiheiten, die in der 14. Ergänzung durch die Klausel vom ordentlichen, gerichtlichen Verfahren gegen den Eingriff der Staaten gesichert s i n d 2 5 1 . "

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Vor drei Jahren hatte das Gesetz noch nicht so gelautet. Noch 1922 hatte das Bundesgericht das Gegenteil gesagt, daß diese Klausel in der Redefreiheit den Staaten keine Einschränkung auferlege 2 5 2 . 1925 bejaht das Bundesgericht diese Frage. Ruhig, fast zufällig. Nichts innerhalb oder außerhalb des Gerichtshofes kann nach meiner Ansicht entdeckt werden, das zu diesem vollständigen, plötzlichen, ja wirklich revolutionären Wandel führte. 130 Jahre war das Wasser gestiegen, bis es 1925 still über das Ufer trat.

Madisons Vorschlag I m Frühjahr 1789 saß Madison i n Philadelphia und wartete auf die Versammlung eines beschlußfähigen 1. Hauses. Er war ein Mitglied aus Virginia und hatte die Aufgabe der Vorlage der Ergänzungen zu der Konstitution übernommen, die viele von den Staaten bei der Anerkennnung der neuen Regierung gefordert hatten. Er war selbst einer der Führer im Konvent gewesen. Da Verbesserungen verlangt wurden, sollte er darüber wachen, daß es auch w i r k l i c h Verbesserungen wurden. Was daraus werden sollte, teilte er seinem Freund und Landsmann Thomas Jefferson m i t 2 5 3 : „Eine der Verfassung eingefügte Liste von Rechten w i r d vorgeschlagen werden mit einigen Änderungen, die von den Gegnern der Regierung am meisten gewünscht werden und ihren Freunden zugleich am wenigsten fragwürdig erscheinen." I n der ursprünglichen Verfassung hatte es die Aufzählung der Menschenrechte ( B i l l of Rights) nicht gegeben, da sie vom Konvent einstimmig verworfen worden w a r 2 5 4 . Warum? Aus Versehen, weil die Staaten danach verlangt hatten. Langsam kam eine beschlußfähige Versammlung zustande. Obwohl die neue Regierung am 4. März ins Leben treten sollte, war sie erst im A p r i l anwesend und wie es i n der Nachbarschaft geht, die letzten Gäste waren die nächsten Nachbarn. Zuerst kam die notwendige Frage der Einkünfte und der Organisation. Erst i m Juni konnte Madison dem Haus eine B i l l of Rights vorlegen. I n zwei wichtigen Punkten unterschied sich der Vorschlag Madisons von der jetzigen Form. Madison wandte sich an die Staaten ebenso wie an den Kongreß. Weiter ist bemerkenswert, daß er die Redefreiheit ausließ. Madison schlug vor, daß weder der Kongreß noch die Staaten „die gleichen

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Rechte des Gewissens, der Pressefreiheit und des Gerichtsverfahrens i n strafrechtlichen Fällen" verletzen sollten. Warum sollte Madison die Redefreiheit ausgelassen haben? Weil sie damals noch nicht als ein wesentliches Recht angesehen wurde, wenigstens nicht i n dem weiten Sinne, den w i r ihr jetzt als einer Selbstverständlichkeit geben. W i r haben es besser als unsere Väter in dieser Frage. W i r verlangen mehr von dieser Freiheit. Keiner der Staaten hatte sie damals in seiner Verfassung 2 5 5 . Man sprach nur von der Pressefreiheit und nur sie setzte Madison hinein. Massachusetts zum Beispiel hatte außerdem nur das Recht der Volksvertretung, ihre Meinungen und Klagen frei i m Parlament zu äußern. U n d sogar die Pressefreiheit hatte, wie man wissen muß, etwas Ungehöriges an sich, genau wie ihr stärkster Verfechter, Wilkes, der sich dadurch auszeichnete, daß Casanova seine Mätresse vergeblich begehrte. I n der Redefreiheit war Madison zu vorsichtig gewesen. Das Komitee, dem seine Vorschläge übergeben wurden, fügte sie ein, und als der Entwurf vor das Haus kam, rügte die Opposition nur den anderen Punkt, daß die Vorschläge Madisons sich an die Staaten wandten. Thomas Tudor Tucker aus Süd-Karolina brachte den Einwand vor, daß damit die Verfassungen der Einzelstaaten geändert würden. Er machte den Vorschlag, die Regierungen der Staaten sich selbst zu überlassen und sich nicht mehr als nötig einzumischen; schon jetzt scheine es manchem zu viel. Aber nach dem Bericht hielt „Madison den Zusatz für die wertvollste Verbesserung" und vielleicht infolge davon kam er mit dem Übrigen an den Senat. Dort setzten Schwierigkeiten ein. Der Senat stimmte zwar der Beifügung der Redefreiheit zu, aber nicht der Anwendung der Verbesserungen auf die Staaten. Tucker erreichte seinen Willen. Die Aufzählung der Menschenrechte ( B i l l of Rights) wandte sich nur an die neue Regierung, nur an den Kongreß. Madison war enttäuscht, wie er am 14. September an Edmund Pendelton schrieb: „Der Senat hat den Verbesserungsplan mit einigen Änderungen zurückgeschickt, die nach meiner Meinung die heilsamsten A r t i k e l treffen." Und weiter: „Die Schwierigkeit, die Meinungen von Männern zu vereinigen, die verschieden zu denken und zu handeln gewohnt sind, kann nur der Augenzeuge ermessen." Die Staaten hatten damals keineswegs alle selbst Bills of Rights, obwohl allerdings in allen Religionsfreiheit und Geschworenen-

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gerichte vorgeschrieben und Urteile ohne gerichtliche Verhandlungen verboten waren. Diese neue B i l l of Rights für eine neue Nation war viel genauer, viel idealistischer als irgendeine in den Staaten. Die revolutionären Verfassungen der Staaten beseitigten die Fehler, die sie im Vorgehen der Regierungen beobachteten, zeitgemäße und besondere Fehler, und die Sicherungen dagegen in ihren Verfassungen gingen nicht über das hinaus, was sie für notwendig erachteten. Als die Staaten aber jetzt an die Errichtung einer neuen Nationalregierung für die Zukunft gingen, da wandten sie sich vom unbedingt Notwendigen zum Idealistischen. Vielleicht schauten sie ein wenig mißtrauisch auf ihre neue Schöpfung. Sie waren sich nicht sicher, ob sie nicht zum Rivalen für die Loyalität ihrer eigenen Bürger würde. Jede Einzelheit, die sie zu der B i l l of Rights zu den Pflichten der neuen Regierung beifügten, war eine Einschränkung ihrer eigenen Macht über ihre eigenen Untertanen. Es kommt oft vor, daß man einen höheren Wertmesser für andere hat als für sich selbst. Den Staaten fiel es nicht schwer, die neue B i l l of Rights besser zu machen als ihre eigene. Ehe wir die Geschichte der Verfassung verlassen, wollen wir eine Frage behandeln, die oft stillschweigend unsere ganze Stellung zu der B i l l of Rights bestimmt. Elihu Root, der Ältere, hat sich einst zu Grenville Clark darüber ausgesprochen. Er gab Clark eine Abschrift der Verfassung mit dem Hinweis auf die Einleitung: „ W i r , das Volk der Vereinigten Staaten, in der Absicht, einen vollkommeneren Bund zu schaffen, Gerechtigkeit aufzurichten, inneren Frieden zu sichern, die gemeinsame Verteidigung zu ermöglichen, die allgemeine Wohlfahrt zu fördern und die Segnungen der Freiheit uns und unserer Nachkommenschaft zu erhalten, verordnen und errichten die Verfassung für die Vereinigten Staaten von Amerika." Das Wort „zu erhalten" ist nach Root eines der wichtigsten in der Verfassung. Wenn man damit „zu erreichen" meint, dann überträgt die Verfassung neue, bisher nicht besessene Freiheiten. Wenn es andererseits „zu sichern" heißt, dann bestätigt die Verfassung nur Rechte, von vor 1789, die in den vorhergehenden Jahrhunderten der amerikanischen und englischen Geschichte begründet waren. Die Sympathie mit den von der Verfassung garantierten Freiheiten kann so oder so beeinflußt werden, je nachdem man sie als neue Experimente oder als das Ergebnis von Zeiten des Versuchs und des Irrtums betrachtet. Nach seiner Kenntnis habe das Wort zur Zeit der

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Entstehung der Verfassung wahrscheinlich die Bedeutung von „zu sichern" gehabt 2 5 6 . U m die Geschichte zu Ende zu erzählen, Clark schrieb diese Jahre zurückliegende Äußerung Elihu Roots in seinem Instruktionsschreiben für die Vereinigung der Rechtsanwälte i m Falle Hague 2 5 7 . Hague hatte verlangt, daß dasselbe Wort to secure i n einem Teil des Gesetzbuches 258 „zu schaffen" bedeute. Clark hatte dagegen in einer Fußnote „ z u sichern" gesagt. Stone nahm diese Anregung auf und sagte: „Die grundlegende Einleitung der Verfassung gebraucht das Wort ,zu sichern' im Sinn von schützen oder bestimmen 2 5 9 ." Warum sollte das Wort nicht beide Bedeutungen haben? Eine Doppeldeutigkeit ist nicht unbedingt eine Alternative, ein EntwederOder. Es besteht kein Grund, warum ein Wort nicht zwei vereinbare Dinge zu gleicher Zeit bedeuten könne. Es ist entweder dies oder das oder beides. Die Verfassung sollte die Vergangenheit zusammenfassen und ein neues Kapitel eröffnen. I n den Vorgängen des Lebens ist jedes Ende ein Anfang. W i r wollen nicht vergessen, daß die Einleitung in der 1. Person spricht: „ W i r das V o l k " , wir hier und wir jetzt, ebensogut wie wir damals. Jedenfalls, um zu unserer Frage zurückzukommen, konnte niemand daran zweifeln, daß diese Ergänzungen — die ersten acht werden gewöhnlich als B i l l of Rights bezeichnet — sich nicht gegen die Staaten richten sollten. K e i n Rechtsanwalt aus jener Zeit hätte wohl hoffen können, das damalige Oberste Bundesgericht zu einer Regelannahme zu überreden, daß es so sei. Die Rechtsanwälte sind jedoch unbezähmbare Leute — sie werden dafür bezahlt — , und 1833 hatte das Bundesgericht noch unter der Führung von Marshall einen ausdrücklichen Rechtsgrundsatz zu formulieren 2 6 0 . Marshall gründete seine Schlußfolgerung auf die Ungereimtheit und die Ungehörigkeit, welche Einschränkungen der Staaten zugunsten ihrer eigenen Bürger im Bau der Verfassung bedeuten würden. Die Bundesregierung war für Marshall ein Gegenstand des Stolzes. Er betrachtete sie als einen logisch symmetrischen Bau, was sie, nicht zuletzt durch seine Anstrengung, auch war. Die Verfassung war vom Volk der Vereinigten Staaten verordnet und errichtet worden für sich selbst und für ihre eigene Regierung, nicht für die Regierungen der Einzelstaaten. Jeder .Staat hatte selbst eine Verfassung eingerichtet und darin die Begrenzungen Und Einschränkungen der Rechte seiner Regierung vor-

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gesehen, die er für angemessen hielt. Über das gemeinsame Interesse hinaus sollten andere sich nicht einmischen. Das war eine glänzende Logik. Die Bundesregierung kann durch ihre Gerichtshöfe i n die Beziehungen zwischen einem Staat und seinen Einwohnern nur eingreifen, wenn das V o l k der Vereinigten Staaten betroffen ist. Nach der Verfassung schien sich dies für Marshall nur auf die Angelegenheiten zu beziehen, die das Volk der Regierung der neuen Vereinigten Staaten übertragen hatte. Überzeugend, aber fast etwas zu einfach. Es gab einen Riß i n der Logik und einen ziemlichen Druck hinter diesem Riß. Wie war es mit dem A r t i k e l 4, Teil 4, und der Garantie an jeden Staat dieser Union für eine republikanische Regierungsform? Vielleicht war das nur als ein Schutz für die Staaten gedacht, denn es war verknüpft mit Schutz gegen Einfälle und innere Gewalt. Aber geschah es nicht auch zum Besten der neuen Vereinigten Staaten? Redefreiheit, Gewissensfreiheit und ordentliches, gerichtliches Verfahren sind die notwendigen Bestandteile einer Republik. Dieser Gedanke hatte hinter Madisons Vorschlag gestanden und er wurde dem Bundesgericht so lange aufgedrängt, bis er sich durchsetzte. Je mehr das Land zur Nation wurde, desto unpassender wäre es gewesen, Unduldsamkeit, Unterdrückung und Unordnung irgendwo zu dulden. Der Bürgerkrieg schenkte uns die 14. Ergänzung, die, soweit sie uns jetzt betrifft, lautet: „ K e i n Staat soll ein Gesetz entwerfen oder einführen, das die Privilegien und Freiheiten der Bürger der Vereinigten Staaten kürzt. K e i n Staat soll eine Person des Lebens, der Freiheit oder des Eigentums berauben ohne ordentliches, gerichtliches Verfahren. Auch soll keiner Person in der Rechtssprechung der gleiche Schutz der Rechte versagt werden." Der Staat, auf den schon Madison die B i l l of Rights anwenden wollte. Zuerst begingen die Anwälte die Ungeschicklichkeit, auf den Worten „die Privilegien und Freiheiten der Bürger der Vereinigten Staaten" herumzureiten. Das Bundesgericht erwiderte, das seien nicht die geltend zu machenden Gundrechte. Es seien nur die Rechte eines Bürgers der Vereinigten Staaten, begrenzt auf die Rolle, welche die Vereinigten Staaten i m Leben spielten. Nach der Meinung des Bundesgerichtes hindere diese Vorschrift die Staaten, sich i n die Beziehungen des einzelnen zu den Vereinigten Staaten einzumischen,

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aber nicht mehr als das. Die Beziehungen zu dem Einzelstaat werden nicht berührt. So bekamen die Rechtsanwälte vom Bundcsgericht das zurück, was von Marshall überkommen war. Die Vereinigten Staaten mischen sich nicht in die Beziehungen des einzelnen zu seiner Staatsregierung ein. Der Einzelstaat kann sich nicht in die Beziehungen des einzelnen zu den Vereinigten Staaten einmischen. Diese Entscheidung wurde in den Schlachthausfällen getroffen 2 6 1 . Einige Schlächter i n New Orleans hatten gegen das Monopol eines einzigen Schlachthauses protestiert. Sie brachten vor, daß ihr Geschäft eines jener Privilegien und Sicherheiten sei, der Grundrechte, die dem Bürger jedes freien Staates zustehen. I n seiner Beweisführung lieferte Bradley dem Anwalt einen Anhaltspunkt. Das Recht, die erlaubte Tätigkeit eines Schlächtermeisters zu wählen, ist ein Teil ihrer Freiheit, ihre Beschäftigung ist das Eigentum 2 6 2 . Nicht ein Privileg der Bürger, sondern Freiheit und Eigentum unter der Vorschrift, „ k e i n Staat soll eine Person des Lebens, der Freiheit oder des Eigentums berauben ohne ordentliches, gerichtliches Verfahren". Nun kann eine Körperschaft kein Bürger sein, aber kann sie nicht eine Person sein? Der Grundsatz, nachdem eine Körperschaft vom Bundesgericht als „Person 4 angesehen wurde, nach der Klausel des ordentlichen, gerichtlichen Verfahrens in der 14. Ergänzung war schon immer manchem in der Kehle stecken geblieben. Maury Maverick nennt es ein Zauberkunststück, wie man i n seinem Buch In Blut und Tinte 263 lesen kann. Vierzig Jahre nach dem Ereignis verlangte Black in einem seiner abweichenden Voten seines 1. Gerichtsjahres, daß der Grundsatz umgestoßen werde 2 6 4 . Roscoe Conkling hat den größten Anteil an dem, was das Bundesgericht jetzt unternahm. Er war Vertreter der südlichen PazifikEisenbahn, als sie sich an das Bundesgericht wandte, wegen einer Steuerumlage in San Mateo County in Kalifornien und zwar i m Jahre 1882. Conkling war ein Mitglied des Komitees zur Neuerrichtung des Kongresses gewesen, das diese 14. Ergänzung vorgeschlagen hatte. Er legte dem Bundesgericht gegenüber das geheime Tagebuch des Komitees fälschlicher Weise so aus, daß im Wort „Person" der Einschluß von Körperschaften beabsichtigt gewesen sei. Es war ja keine große, sondern nur eine kleine Fälschung, aber es wirkte. Er teilte dem Bundesgericht mit, daß dem Komitee eine Unterlage vorgelegen habe, wonach Leben, Freiheit und Eigentum 1

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nur den Bürgern zugesichert worden sei und daß sie mit Absicht Personen an die Stelle gesetzt hätten. So mußte also, wie Conkling folgerte, der Grund für diese Änderung der Einschluß der Körperschaften gewesen sein. Das Bundesgericht wurde eingeladen, diese kleine Lüge auszunützen, was es auch t a t 2 6 5 . Für die Anwälte der Eisenbahn war es ein großer Triumph, aber sie säten nicht nur für sich allein, denn was immer sie für die Eigentumsrechte taten, mußte zugleich für Leben und Freiheit gelten. Diese zwei Worte standen neben, ja vor dem Eigentum in der Formulierung, welche die Rechtsanwälte dem Bundesgericht aufdrängten. Wenn Körperschaften Personen waren, so sind wir es auch. Was diese Anwälte erreichten, geht weit über die vergebliche Forderung von Madison hinaus. Madison wollte nur der Bundesregierung das Recht geben, von den Staaten die Achtung des Gewissens, der Rede- und Pressefreiheit und der Geschworenengerichte zu verlangen. Wozu die Anwälte der Körperschaften das Bundesgericht brachten, das war nichts Geringeres als die Forderung an die Staaten, gerecht und anständig gegen alle Menschen, nicht nur gegen ihre Klienten zu handeln. Über diese Geschichte könnte man ein Buch schreiben, ein Lied von Ausdauer, Takt, Beredsamkeit und Geldmitteln. Sie hatten soviel Erfolg, daß sie am Ende über ihren eigenen Erfolg entsetzt waren. Was sie errichtet hatten, war, wie Charles Warren zuerst bemerkte, eine furchtbare Kampfmaschine gegen die Gesetzgebung der Einzelstaaten. Die Schöpfer der ersten zehn Ergänzungen oder sogar der 14. Ergänzung hätten das nicht für möglich gehalten 2 6 6 . Alles hing von der Bedeutung des Ausdruckes „ordentliches, gerichtliches Verfahren" ab, das die Türangel sowohl der 5. wie der 14. Ergänzung ist. Es stammt ab von der Magna Charta Nr. 39. Nach Coke „das Landgesetz, nämlich, der Gang des ordentlichen, gerichtlichen Verfahrens" 2 6 7 und bis 1890 hatte es keine weitere Bedeutung. Sicher auch nicht für Madison und die anderen Schöpfer der 5. Ergänzung. Story bleibt der beste Zeuge, und in der 1. Ausgabe seines Buches über das Verfassungsrecht nennt er das ordentliche, gerichtliche Verfahren nur „das Recht der Untersuchung im Einklang mit den prozessualen Regeln des gemeinen Rechts". Die große Tradition des ordentlichen, gerichtlichen Verfahrens von der Magna Charta bis 1890, betraf und regelte nur Angelegenheiten des gewöhnlichen Gerichtsverfahrens. Die Gerichtshöfe ent-

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nahmen das Recht, das sie anwandten, den Gesetzen. Sie wandten die Statuten auf die vorliegenden Fälle an, und sie bestritten nicht das Recht der Gesetzgebung auf die Auslegung des Gesetzes, außer wenn ihre juristischen Methoden in Frage standen, zu denen sie natürlich großes Vertrauen hatten. Wurde das befolgt, und nur dann, zweifelten sie nicht an der Gerechtigkeit der Ergebnisse. Wenn man sich in den feststehenden Gerichtsgang einmischte und von den Gerichtshöfen ein anderes Verfahren verlangte, dann war das etwas anderes. Es war i n Wirklichkeit eine Folge der Machtteilung: Laßt I h r die Hände von unserem Verfahren. Dann werden w i r unsere Hände von Euren Statuten lassen. Das war die traditionelle Bedeutung des ordentlichen, gerichtlichen Verfahrens. Die einzige Ausnahme i n den Urteilen des Gerichtes, vor dem Bürgerkrieg und vor der 14. Ergänzung, bestätigt die Regel. Taney bemerkte 1856 im Fall Dred Scott: „ E i n Gesetz des Kongresses, das einen Bürger der Vereinigten Staaten seiner Freiheit oder seines Eigentums nur deshalb beraubt, weil er selbst mit seinem Eigentum in ein bestimmtes Gebiet der Vereinigten Staaten zog, obwohl er keinen Verstoß gegen die Gesetze begangen hat, kann schwerlich mit dem Namen eines ordentlichen, gerichtlichen Verfahrens bezeichnet werden." Eine zufällige Bemerkung, die kaum einen Anlaß zur Argumentierung bot. Durch die Ironie des Schicksals kam der Bruch i n einem Fall, wo der Ausschuß von Beauftragten eine zu niedrige Steuer für eine andere Eisenbahn, für die Strecke Chikago, Milwaukee und Saint Paul, festgesetzt h a t t e 2 6 9 . Nicht zum erstenmal wurde die Aufmerksamkeit des Bundesgerichtes auf die Tätigkeit der Staaten gelenkt bei der Festsetzung von Steuern für Eisenbahnen und andere allgemeine Einrichtungen. Aber in diesem Fall ließ Minnesota die Steuern durch einen Ausschuß festsetzen, der einem Gerichtshof glich und doch keiner war, dem jedenfalls ganz die Würde eines Gerichtshofes fehlte. So war die Mehrheit der Richter dafür, nicht nur das Vorgehen dieses Pseudotribunals zu prüfen, sondern auch das erzielte Ergebnis. Hätte die Regierung von Minnesota die Steuern selbst angesetzt, so würde der Gerichtshof vielleicht die Beruf ung abgelehnt haben, weil es die Gesetzgebung und nicht die Rechtsprechung angehe. Aber da ein halb richterliches Vorgehen gewählt wurde, ließ sich der Gerichtshof dazu verführen, es als ganz richterlich zu behandeln. 1Ä*

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Drei Richter, Bradley, Gray und Lamar, sprachen sich dagegen aus. Aus ihren Worten wird die Handlungsweise des Bundesgerichtes deutlich: „Ungerechtigkeiten kommen hei allen Gerichten vor. Alle menschlichen Einrichtungen sind unvollkommen, Gerichtshöfe, wie Ausschüsse und gesetzgebende Körperschaften. Die Entscheidungen eines rechtmäßigen Gerichtshofes sind endgültig und zwingend, außer, wenn Berufung eingelegt wird. Von Wichtigkeit ist es jedoch immer, welches das rechtmäßige Gericht für den bestimmten Fall sei? Nach meinem Urteil war im gegenwärtigen Fall das rechtmäßige Gericht die gesetzgebende Körperschaft oder der Ausschuß von Beauftragten, den sie zu diesem Zweck schuf." Demnach hatte das Bundesgericht eine der Gesetzgebung von unserem Regierungssystem überlassene Frage wie eine juristische Frage behandelt. Dieser Ausschuß war nicht ein Gerichtshof, sondern eine gesetzgebende Körperschaft gewesen. Bis jetzt hatte die Festsetzung von Steuern keine juristische Bedeutung. V o n nun an war das der Fall. Was war nun keine Sache der Gerichtshöfe, wenigstens soweit, wie Eigentumsrechte betroffen wurden? Die Anwälte der Eisenbahnen hatten eine gute Arbeit geleistet. Wenn w i r von ihrem Triumpf absehen wollen, so bleibt der von ihnen befolgte Weg; denn auf ihm verwandelte sich i m weiteren das Eigentum einer Gesellschaft i n die Freiheit eines Individuums. Die Eisenbahnen und andere Körperschaften verlangten Schutz ihres Eigentums gegen übermäßige und ungerechte Steuern und Abgaben. Nicht Freiheit, wenigstens nicht i m eigentlichen Sinn, aber Eigentum. Das war noch nicht genug, die Gesellschaften wie alle Geschäfte mußten frei sein, mehr Eigentum zu erwerben. Sie mußten frei sein, ein größeres Geschäft zu machen. Kurz gesagt, ihre Freiheit, ihrem Erwerbssinn zu frönen, mußte geschützt werden. Das war ihre Arbeit, ihr Daseinszweck. Daher wenigstens Vertragsfreiheit. Daraus folgte, daß New Y o r k i m Falle Lochner sie ihres Eigentums beraubte durch das Gesetz, das die Arbeitsstunden in Bäckereien auf 60 in der Woche und 10 im Tag festsetzte 270 . Kansas i m Falle Coppage konnte auch nicht die Yellow Dog Verträge achten, unter welchem der Arbeiter sich verpflichtete, keiner Gewerkschaft beizutreten 2 7 1 . Denn auch Arbeitsbeziehungen waren Eigentumsrechte. Es war eine Doppelspekulation auf Freiheit und Eigentum. Den Schlüssel dazu gab Bradley in seinem abweichenden Votum im Falle der Schlachthäuser. Das Recht, einen erlaubten Beruf zu er-

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greifen, „die Beschäftigung ist Eigentum". Ein enger begrenzter Begriff vom Eigentum würde zu jener Zeit keinen Sinn ergeben haben. Das Land hatte kein Interesse an ererbtem Vermögen. Eigentum war, was man erwerben konnte. Die Freiheit, es zu erwerben, war das Eigentum. Wie das Bundesgericht im Falle Coppage ausführte, war „ i m Recht der persönlichen Freiheit und des persönlichen Eigentums nach der Natur von beiden das Recht eingeschlossen, Verträge abzuschließen zum Erwerb von Eigentum." Man w i r d bemerken, daß die Philosophie des Bundesgerichtes eine gleichmachende Tendenz hatte. Es handelte sich in den Augen des Gesetzes nicht um ein Privileg der Reichen, sondern jedes einzelnen, ob reich oder arm. Der starke A r m der Klausel des ordentlichen, gerichtlichen Verfahrens reichte weit genug herab, um auch den kleinsten Mann zu schützen. Wie das Oberste Bundesgericht im Falle Coppage weiter ausführte: „Besonders wichtig ist der Anstellungsvertrag, durch den Arbeit und andere Dienste gegen Geld oder andere Arten des Eigentums ausgetauscht werden. M i t diesem Recht, wenn es beseitigt oder willkürlich beschnitten würde, fiele ein wichtiger Teil der Freiheit i m überkommenen Sinn der Verfassung. Das Recht ist ebenso wichtig für den Arbeiter wie für den Kapitalisten, für den Armen wie für den Reichen. Hat doch die große Mehrheit keinen anderen ehrlichen Weg zum Erwerb von Eigentum außer der Arbeit gegen Bezahlung 2 7 2 ." W i r alle sind auch Personen und wir haben auch noch andere Freiheiten als die Verträge, sogar wenn die Körperschaften als besondere Personen auf ihr Geschäft des Geldmachens beschränkt sind. Was das Bundesgericht zu ihrem Schutz unternommen hatte, würde es ebenso gut auch für uns tun. Wie stand es nun mit der Redefreiheit? 1907 sagte Harlan: „ I c h gehe weiter und halte dafür, daß die Privilegien der Rede- und Pressefreiheit, die jedem Bürger der Vereinigten Staaten zustehen, wesentliche Teile der Freiheit jedes Menschen sind. Sie werden gegen Verletzung geschützt durch jene Klausel der 14. Ergänzung, die einem Staat untersagt, eine Person ihrer Freiheit ohne ordentliches, gerichtliches Verfahren zu berauben. M i r ist eine Freiheit unvorstellbar, die durch die Verfassung gegen feindliche Einwirkungen durch die Nation und die Staaten geschützt ist, zugleich aber nicht das Recht der freien Rede und der freien Presse gewährt 2 7 3 ." Ungefähr zwölf Jahre später sagte Brandeis

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aus Kentucky: „ I c h kann nicht glauben, daß die von der 14. Ergänzung garantierte Freiheit nur die Freiheit des Erwerbes und Genusses von Eigentum in sich schließt 2 7 4 ." Sie machten so wenig Eindruck, daß man das Bundesgericht für taub hätte halten können. 1922, zwei Jahre später, bemerkte das Bundesgericht: „ W i e schon festgestellt, legen weder die 14. Ergänzung noch irgendeine Vorschrift der Verfassung den Staaten eine Verpflichtung über die Freiheit des Redens oder die Freiheit des Schweigens a u f 2 7 5 . " Die Wasser stiegen, das Bundesgericht sah es nur nicht. Was halten Sie vom Unterrichten? Ist das Eigentumsrecht, eine gewinnbringende Beschäftigung oder ist es eine Freiheit, wie wir es auffassen, wenn wir von Akademischer Freiheit sprechen? Natürlich ist es beides, aber was ist es nach der Verfassung? Wenn man das Recht eines Lehrers betrachtet, zu lehren und nicht daran gehindert zu werden nach der Klausel des ordentlichen gerichtlichen Verfahrens? I m nächsten Jahr, 1923, behandelte das Bundesgericht ein Gesetz von Nebraska, das den Unterricht einer modernen Sprache erst nach der 8. Klasse erlaubte. Der Rechtsanwalt legte den Fall als Eigentumsrecht aus. Er bekämpfte das Gesetz als eine Verletzung des Verfassungsrechtes eines Lehrers, seinem gewählten Beruf nachzugehen. McReynolds, der die Begründung schrieb, stellte sich auf den gleichen Standpunkt 2 7 6 . Das Urteil ist unverfälschter McReynolds. Plato w i r d zitiert, aber nicht über das Unterrichten, sondern nur jener Teil, der von den gemeinsamen Frauen und der Unkenntnis der eigenen Kinder spricht. Die spartanischen Ideale werden sorgfältig von der amerikanischen unterschieden und so zeichnet sich der wahre Amerikaner ab. Er ist derjenige, dem die Verfassung das Recht verleiht: „Verträge abzuschließen, sich einer Beschäftigung hinzugeben, nützliche Kenntnisse zu erwerben, zu heiraten, ein Heim zu gründen, Kinder aufzuziehen, Gott nach seinem Gewissen zu verehren, und im allgemeinen diese durch das Gesetz anerkannten Privilegien zu genießen, die für das Glücksstreben freier Männer wesentlich sind." Ganz im Stil der Annoncen, wo junge Paare am Zaun lehnen und die Verbesserung des Grundbesitzes verfolgen oder wo im Keller Frau Sowieso Herrn Sowieso die neue automatische Ölheizung zeigt. Es ist ein gesundes, vergnügtes, glückliches Idealgemälde, das McReynolds von den amerikanischen Männern und Frauen entwirft.

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So schloß das Bundesgericht, daß das Gesetz von Nebraska gegen die Verfassung sei, weil es Lehrer ihres Lebensunterhaltes beraube, doch mit einem leisen Gefühl für die elterliche Erziehung und die Bedeutung des Heimes. Holmes war dagegen. Bei Gott nicht, weil er gegen den Unterricht des Deutschen in Nebraska gewesen wäre! Er konnte aber nicht glauben, daß er oder das Bundesgericht etwas damit zu tun hätten. Drew Pearson berichtet, wie Holmes einmal seinen 61 Jahre alten Freund Stone anredete: „Junger Mann, vor 75 Jahren erfuhr ich, daß ich nicht Gott sei. Wenn nun das V o l k der verschiedenen Staaten etwas tun w i l l und ich in der Verfassung kein ausdrückliches Verbot finde, dann sage ich, ob ich dafür bin oder nicht, in Gottes Namen, so laß sie d o c h 2 7 7 . " Holmes drückte es hier in seinem abweichenden V o t u m so aus: „Zögernd und ungern bekenne ich mich zu einer anderen Ansicht als meine Brüder im Hinblick auf dieses Gesetz. Ich kann jedoch nicht zu dem Glauben kommen, daß das Gesetz i n Nebraska unter gewissen Umständen nicht als ein vernünftiger, ja notwendiger Weg zum Ziel betrachtet werden soll. Ist es aber vernünftig, dann bedeutet es keine ungerechte Einschränkung der Freiheit der Lehrer oder der Schüler 2 7 8 ." Behalten w i r diese Stellung Holmes' i m Gedächtnis, wie immer wir sie auch auffassen, denn w i r nähern uns damit unserem großen Gesamtproblem. Zwei Jahre später, 1925, trat das Wasser über die Schwelle i m Falle Gitlow. Das Bundesgericht legte auf den Tisch des Hauses den Vorschlag, daß die Klausel des ordentlichen, gerichtlichen Verfahrens die Redefreiheit schütze. Es gibt keinen besonderen Grund für dieses Ereignis gerade zu dieser Zeit. Es war lange hinaus geschoben und unvermeidlich. Das Bundesgericht handelte, als ob es sich seines Tuns nicht bewußt sei, wie ein kleiner Junge, der ein neues Taschenmesser, ohne viel Worte zu machen, öffnet. Das Bundesgericht sagte etwa folgendes: „ F ü r die vorliegenden Zwecke nehmen wir an, daß die Freiheit der Rede und der Presse — durch die 1. Ergänzung vor der Beschneidung durch den Kongreß geschützt — zu den persönlichen Grundrechten und Freiheiten gehören, die durch die Klausel des ordentlichen, gerichtlichen Verfahrens in der 14. Ergänzung vor dem Angriff der Staaten sichergestellt s i n d 2 7 9 . "

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Das Bundesgericht ging von der Annahme zur Tat über i n einem Syndikalisten-Falle aus Kansas i m Jahre 1927. Die Verurteilung von Fiske wegen Werbung für den I.W.W, wurde umgestoßen mit der Begründung, es habe sich nicht erwiesen, daß I.W.W. Verbrechen, Gewalt oder Revolution anstrebe. So wurde die Anwendung des Statutes auf die Tätigkeit Fiskes für eine Verletzung des ordentlichen gerichtlichen Verfahrens e r k l ä r t 2 8 0 . 1931 kam ein Fall aus Kalifornien, nach einem Gesetz, das die Hissung einer roten Flagge untersagte. Miß Stromberg, eine junge Lehrerin in einem Kinderlager, hatte eine Zeremonie angeordnet, an die w i r uns i m Falle Gobitis erinnern werden. Beim Gruß der roten Flagge der UdSSR deklamierten die Kinder: „Unsern Gruß der Arbeiterflagge und der Sache, für die sie einsteht. Ein Ziel durch unser Leben, die Freiheit für die Arbeiterklasse." Gegen McReynolds und Butler verwarf das Bundesgericht ihre Verurteilung. „ D i e Auffassung von Freiheit nach der Klausel des ordentlichen, gerichtlichen Verfahrens i n der 14. Ergänzung umfaßt das Recht der Redef r e i h e i t 2 8 1 . " Das stand nach der ausdrücklichen Erklärung des Bundesgerichtes von nun ab nicht mehr i m Zweifel 2 8 2 .

Eine veraltete

Haltung

Es war keine Frage mehr, daß die Staaten die Redefreiheit von nun ab zu achten hatten. Der Klausel über das ordentliche, gerichtliche Verfahren in der 14. Ergänzung war dies zu verdanken. Über das Wie und das Warum konnte noch weiter diskutiert werden. Die Schwierigkeiten des Bundesgerichtes mit dem New Deal lenkten seine Aufmerksamkeit in den nächsten Jahren so sehr auf das Eigentumsrecht, daß diese Diskussion verschoben wurde, bis diese Sorgen vorüber waren und das Bundesgericht erneuert worden war. Das jetzige Bundesgericht hatte für die persönlichen Rechte ebensoviel geleistet wie die Vorgänger für das Eigentum. Holmes legte das so aus: „ I c h habe bis jetzt die übergroße Sorge noch nicht genügend zum Ausdruck gebracht, die ich empfinde bei der wacheenden Bedeutung der 14. Ergänzung, die immer mehr die Verfassungsrechte der Staaten beschneidet. Bei der jetzigen Lage 2 8 3 scheint mir nur der Himmel eine Grenze zu sein für die Schwächung dieser Rechte, wenn sie einer Mehrheit des Bundesgerichtes aus irgendeinem Grunde unerwünscht v o r k o m m e n 2 8 4 , "

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Dem Sinne nach war das Bundesgericht unser Gewissen geworden, der geistige Führer und Beichtvater aller unserer Regierungen, der Staaten sowohl wie des Bundes. Ein Ehrengericht, unser weiser alter Onkel, sozusagen das Haysbüro des politischen guten Tones, oder besser der Dämon des Sokrates. Kurz gesagt, der Mittler zwischen dem Einzelwesen und dem sozialen Wesen. Holmes schrieb: „Das Gefühl des Mysteriums und der Ehrfurcht für meine Arbeit hat auch abgenommen. Sie sollte durch Halbgötter geleistet werden, aber ich glaube wohl zurecht zu k o m m e n 2 8 5 . " Genauer kann man es nicht ausdrücken. Nach der Fassung blieben die Rechte des Volkes unter der 9. Ergänzung erhalten. Diese lautet: „ D i e Aufzählung gewisser Rechte in der Verfassung soll nicht so gedeutet werden, daß andere, dem V o l k verbliebene Rechte versagt oder gekürzt werden." Und in der Tat war diese Ergänzung beigefügt worden, u m die B i l l of Rights nicht als ausschließliches, vollendetes Ganzes erscheinen zu lassen. Es konnten damals und jetzt neue Rechte dazu kommen. Ob das geschieht und worin sie bestehen, liegt jetzt nach den neuen Befugnissen bei der Entscheidung des Bundesgerichtes. Sie können aus den dem V o l k verbliebenen Rechten herausgehoben und neuen Notständen angepaßt werden. Die Urteile des Bundesgerichtes waren endgültig. Sie waren der Zeit nach unbegrenzt und ihrem Wirkungsfeld nach national. Das Bundesgericht deutete ja ein Dokument, das für keinen geringeren sprach als für „ W i r " , das „ V o l k " . Das Bundesgericht war der Ersatz für dieses Volk. Es hielt seine Entscheidungen auch für dauernd. Wenn auch Urteile umgestoßen worden Waren und wenn die Erfahrung ein politisch reifes V o l k gegen Dauerzustände mißtrauisch gemacht hatte, so führte doch jedes Urteil eine Sprache der ewigen Dauer, vielleicht mit Recht. Wenigstens mußte es für praktische Zwecke so angesehen werden. Der dauernde Fortbestand einer Entscheidung war nicht so wichtig wie die sichere Tatsache, daß sie der Wille der Nation war, solange sie Geltung hatte. Das prägte sie viel mehr als ihre Dauerhaftigkeit. Je größer der Kreis ist, für den eine Kundgebung spricht, desto höher ist unvermeidlich ihre Bedeutung. W i r alle haben ein schärferes Gewissen und einen höheren Wertmesser für die E t h i k anderer. Vielleicht auch einen niedrigeren, aber der Gerichtshof kann einen niedrigeren Standard nicht anlegen. Nehmen w i r ein

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Thema, das wir schon berührt haben und das die Rechtspflege zu interessieren beginnt, die Zurücksetzung wegen der Rasse. W i r würden uns mehr für die Befreiung Indiens einsetzen als für die Gleichheit unserer eigenen Neger. Die Behandlung der Neger ist gerechter von Seiten der Bundesregierung als von Seiten der Staaten. N u r nach dem A.A.A. kann der Neger i m Süden frei abstimmen. W i r alle bekennen uns zu einer größeren Gerechtigkeit gegen andere, als w i r für uns selbst anwenden wollen. Ja, und unsere Urteile mögen um so gesünder sein, je weniger wir selbst betroffen werden. Ein großes Land hat seine Verwaltungsschwierigkeiten, aber auch seine Vorteile. Eine ungeheure Aufgabe. Das Bundesgericht hatte den Schlüssel des Gesetzes an die Tore des Königreiches gesetzt und einige Richter waren verzeihlicher Weise bestürzt. Besonders Black. Black konnte sich nicht mit dem Lehrsatz abfinden, daß es für die Befugnisse und die Handlungsweise eines Staates ein ordentliches, gerichtliches Verfahren gebe. Immer wieder kam er auf die Besorgnisse Holmes' zu sprechen 2 8 6 . Was Holmes und Black meinten, war der Eifer des Bundesgerichtes beim Schutz des Eigentums. Aber die Wurzeln des ordentlichen, gerichtlichen Verfahrens liefen jetzt, wie w i r gesehen haben, unter dem Gartenplan der persönlichen Freiheiten entlang. Wie konnten sie ausgegraben werden, ohne die Blüte von 1922 zu zerstören? Persönliche Freiheiten werden genau wie das Eigentumsrecht durch das ordentliche, gerichtliche Verfahren geschützt. Wenn man die Klausel nur auf das Gerichtsverfahren anwandte, würden dann nicht die persönlichen Freiheiten, die Black so sehr am Herzen lagen, ohne Schutz gegen die Staaten bleiben? Black zog sich und andere gleichgesinnte Richter durch eine geniale Theorie aus diesem Dilemma. Nach seiner Stellungnahme lag die ganze Tätigkeit der Klausel vom ordentlichen, gerichtlichen Verfahren neben einer gewissen Forderung nach gerechtem Gerichtsverfahren i n der Wiedergabe der B i l l of Rights des Bundes, das heißt, der ersten acht Ergänzungen. So kam er um seine beiden Besorgnisse herum, nämlich, daß das Bundesgericht in Ausübung seiner großen Macht das Eigentum zu sehr schützen könne — wie er es schon erlebt hatte — , oder daß es die persönlichen Freiheiten zu wenig schützen würde — wie er befürchtete. Wie Holmes für die Schwächung der Verfassungsrechte der Staaten fast „keine Grenzen

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als den Himmel sah", eö fürchtete Black, daß „unter derselben Regel ein anderer Gerichtshof mit einer anderen Rechtsauffassung den Staaten ganz oder teilweise den Verfassungsschutz für jene Freiheiten entziehen könnte, genau als ob die 1. Ergänzung niemals geschrieben worden w ä r e 2 8 7 " . So wünschte Black die Klausel auf das Verfahren zu beschränken, zu gleicher Zeit jedoch die Redefreiheit und andere „ k l a r bestimmte Schutzmaßnahmen der B i l l of Rights" einzuschließen. „Gerichtshöfe, die sich an klare Verfassungsgrenzen halten können, suchen die Absichten der Verfassung auszuführen". „Jenseits dieser klaren Grenzen tummeln sich die Gerichtshöfe willkürlich auf dem unbegrenzten Gebiet ihrer eigenen Ansichten über Vernunft und Tagespolitik, eine Verantwortung, welche nach der Verfassung der gesetzgebenden Vertretung des Volkes zusteht 2 8 8 ." Die Vorschriften der B i l l of Rights mögen so klar und ins einzelne gehend sein, wie gute, sprachgewandte Juristen sie verfassen können, obwohl die Ausdrucksweise der 1. Ergänzung nur durch das Licht von Blacks Überzeugungen so hell beleuchtet wird. Verwechselt aber Black nicht die Klarheit mit dem Wort? Nach Cardozo war die Freiheit des Denkens und des Redens i n der Klausel des ordentlichen, gerichtlichen Verfahrens eingeschlossen, weil ohne sie weder Freiheit noch Gerechtigkeit bestehen konnten. Sei sie doch „der Mutterboden, die notwendige Bedingung fast jeder Form von F r e i h e i t 2 8 9 " . Nicht eingeschlossen sei jedoch die Vorschrift i n der 5. Ergänzung, daß „keine Person zweimal i n Gefahr für Leib und Leben gesetzt werden dürfe". Freiheit des Denkens und des Redens steht „auf einer anderen Ebene der sozialen und moralischen Werte". Nehmen wir die Vorschrift der 6. Ergänzung, daß „ i n allen Strafprozessen der Angeklagte das Recht auf einen Rechtsbeistand zu seiner Verteidigung haben solle". Hing es so innig mit der Klausel vom ordentlichen, gerichtlichen Verfahren zusammen, daß es auf die Staaten angewendet werden mußte? Nur neun Staaten machen sich diese Forderung zu eigen. Die meisten überlassen es der Beurteilung des Untersuchungsrichters, einen Verteidiger für einen Angeklagten zu besorgen, der das nicht selbst bezahlen kann. I m 18. Jahrhundert, zur Zeit der Annahme der Verfassung, war kein Richter von staatswegen gehalten, einen An-

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wait für einen unbemittelten Angeklagten zu stellen. Nicht einer. Höchstens konnte man sagen, daß damals ungefähr die Hälfte der dreizehn Staaten dem Angeklagten einen Anwalt zubilligten. Sogar das war schon ein Fortschritt gegen das gemeine Recht. Bis 1936 konnte in England ein wegen Verbrechens Angeklagter sich von einem Anwalt nur beraten lassen. Der Anwalt konnte nicht an der Verhandlung teilnehmen, keine Zeugen für oder gegen i h n befragen, nicht für ihn plädieren. Die 6. Ergänzung war also offenbar eine Neuerung. Das Recht auf einen vom Staat gestellten Verteidiger wurde ebenso weder damals noch jetzt allgemein als ein angeborenes Grundrecht angesehen, als eine Forderung des juristischen gesunden Menschenverstandes. I n dem Fall eines Richters i n Carroll County, Maryland, der einem unbemittelten Angeklagten keinen Rechtsbeistand stellte — der Angeklagte verteidigte sich selbst und wurde veurteilt — , versagte das Bundesgericht sein Eingreifen aus den angegebenen Gründen. Das Bundesgericht führte aus: „ D i e Klausel des ordentlichen, gerichtlichen Verfahrens in der 14. Ergänzung verkörpert also solche nicht die besonderen Garantien der 6. Ergänzung. Wenn allerdings ein Staat die i n diesem oder einem anderen der acht ersten Ergänzungen inbegriffenen Rechte und Privilegien verweigern würde, so könnte dadurch unter gewissen Umständen oder i n Verbindung mit anderen Elementen i n einem gewissen Falle eine prozeßführende Partei des ordentlichen, gerichtlichen Verfahrens beraubt und die 14. Ergänzung verletzt werden. Der Satz formuliert eine weniger starre, eher flüssige Auffassung als bei anderen besonderen Vorschriften der B i l l of Rights. Die Anwendung liegt nicht so fest. Die Feststellung der Verweigerung muß i n einem Falle nach Würdigung aller Tatsachen geprüft werden. Was i n einem Falle jedem Anstandsgefühl widersprechend und dem Gerechtigkeitssinn unerträglich sein mag, kann unter anderen Umständen und i m Licht anderer Erwägungen kaum als Verweigerung angesehen w e r d e n 2 9 0 . " Black, Douglas und Murphy waren dagegen. Nach Würdigung der Tatsachen sollte Betts einen Rechtsanwalt gehabt haben. Das ist wohl nur für Betts von Wichtigkeit. Was uns interessiert, ist Blacks weitere Feststellung, daß durch die 14. Ergänzung die sechste auf die Staaten anwendbar würde. Wenn die sechste, so auch der Rest und die ganze B i l l of Rights und nur die B i l l of Rights.

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Wie weit sind wir, 150 Jahre nachdem Madison mit seinen Vorschlägen in Philadelphia ankam? Black, Douglas und Murphy wollten nach dem handeln, was Madison vorschlug und dem Kongreß nicht einreden konnte. Die Ansicht des Bundesgerichtes unterscheidet sich offenbar davon sehr; sie kann weniger bedeuten, wie w i r gerade gesehen haben, und ihren Möglichkeiten nach sehr viel mehr. Was ist dabei für ein Schaden? Warum sollten w i r nicht das Bundesgericht ermutigen, uns besser zu behandeln, als der Kongreß es unseren Vätern vorschlagen wollte. W i r wollen nicht i m 18. Jahrhundert stecken bleiben. Warum sollte die Wertung des politischen Verhaltens der Staaten für das Bundesgericht immer aus dem 18. Jahrhundert stammen? Blacks Vorschlag ist eine Flucht i n die Vergangenheit aus Angst vor der Zukunft. Sie gleicht ein wenig der Vorliebe für antike Möbel. Danach könnten w i r i m amerikanischen Flügel des Metropolitan-Museums leben. W i r können uns mit einer Einrichtung aus der Zeit umgeben, wir können Zeitkostüme tragen, aber damit fangen w i r den Geist nicht ein. Eine Felduniform atmet mehr von dem Geist von Valley Forge und Y o r k t o w n als ein lederner Aufschlag am Rock. Sagen w i r wieder mit Montaigne: Il faut vivre entre les vivants . Wer wie ein Antiquar handelt, w i r d meistens zum Doktrinär werden. I n zwei gemeinsam behandelten Fällen gewann Black eine Mehrheit des Bundesgerichtes für eine Ansichten 2 9 1 . Bridges, der Arbeiterführer aus dem Westen, und die Los Angeles Times waren ungefähr zu gleicher Zeit wegen Verächtlichmachung des Gerichtshofes bestraft worden; sie hatten sich über zwei Richter in Kalifornien und über die ihnen vorliegenden Fälle geäußert. Natürlich nahmen sie einen verschiedenen Standpunkt ein, Bridges und die Times, aber die Redefreiheit ergreift keine Partei und i n beiden Fällen war die Rechtsfrage die gleiche. I m einen Fall waren zwei Gewerkschaftler wegen tätlicher Drohung verurteilt worden und als ihr Fall zur Verhandlung kam, nannte die Los Angeles Times sie i n einem Leitartikel Gorillas und Rowdies und forderte ihre Verbringung nach San Quentin. I m anderen Fall veröffentlichte Bridges, der Präsident des C.I.O. sein Telegramm an den Arbeitsminister, in dem er einen Streik i m Hafen von Los Angeles und über die ganze Westküste androhte, wenn der Richter ein Urteil aufzwinge zugunsten des A.F.L. gegen die Ge-

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werkschaft von Bridges. I n beiden Fällen war offenbar die Beeinflussung der betreffenden Richter beabsichtigt. Man braucht kein Jurist zu sein, um die Notwendigkeit eines gesunden, unabhängigen Systems der Gerichtshöfe und der Richter zu erkennen. Ebensowenig braucht man ein Jurist zu sein, um Richtern und Gerichtshöfen einen gewissen Frieden und eine gewisse Ruhe zuzuerkennen, eine Insel der Stille, während sie einen Fall untersuchen und beurteilen. Nur so kann das Gerichtswesen so gesund und unabhängig sein, wie w i r es erwarten dürfen. M i t den Richtern und den Anwälten haben auch wir darauf bestanden, daß ein Gerichtshof Verächtlichmachung mit Geld oder Gefängnis bestrafen kann. K e i n Mensch soll diesen Kreis der Besinnung durchbrechen dürfen, obwohl daraus natürlich kein luftleerer Raum entstehen soll. Die L u f t darf und soll dadurch nicht stickig werden. Die Richter haben immer dieses Recht besessen und ausgeübt. Auch jetzt haben und brauchen sie es. Natürlich ändert sich das, sobald sie ihre Entscheidung abgegeben haben. Dann sind sie, wie es auch sein muß, allen Stürmen des Hohns und des Tadels ausgesetzt. Desto besser. W i r glauben, daß die Erwartung einer K r i t i k den Richtern nützlich und, wie wir hoffen, auch willkommen ist. Nicht umsonst verlangen w i r Öffentlichkeit und Begründung für ein Urteil. K e i n Beamter ist zur Angabe seiner Gründe verpflichtet. Ob er es tun w i l l oder nicht, muß er selbst am besten wissen. Es gibt aber mehr als 300 Bände von Begründungen des Obersten Bundesgerichtes für jedes einzelne Urteil. Sonst würde es dieses Buch nicht geben. Wenn also ein Fall entschieden ist, dann mag die Redefreiheit emporschießen, zum Besten des Gerichtshofes und der Justizverwaltung. Bis zu diesem Zeitpunkt überlassen wir den Gerichtshof mehr oder weniger sich selbst und den Anwälten. W i r haben aus unserer Redefreiheit eine Scheibe herausgeschnitten, die w i r der Justizverwaltung opfern. Wie Frankfurter später sagte 2 9 2 : „ B e i der Sicherung der Redefreiheit hatte die Verfassung wohl kaum i m Sinn, die Beeinflussung der Richter oder Geschworenen für erlaubt zu erklären. Das hat mit Redefreiheit ebensowenig zu tun, wie die Füllung einer Wahlurne mit der Ausübung des Wahlrechtes zu tun hat." I n diesen beiden Fällen begründete Black die 5-zu-4-Entschließung des Bundesgerichtes, Frankfurter schrieb das abweichende Votum nieder, dem sich Stone, Roberts und Byrnes anschlossen.

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Das Bundesgericht bestimmte, daß sowohl die Times wie Bridges das Recht zu ihren Äußerungen hätten, und die vom Gerichtshof in Kalifornia auferlegte Geldstrafe wurde a n n u l l i e r t 2 9 3 . Nun war dies der Gerichtshof eines Staates und deshalb kam nur die 14. Ergänzung i n Frage. Trotzdem bezog sich Black auf die erste Ergänzung. Er wußte wohl und sagte es auch, daß er es mit der 14. zu tun habe. Und doch ließ er seine Begründung auf der ersten ruhen. Nach seiner Meinung hatte der Fall Gitlow nach der 14. Ergänzung die Verpflichtung der Staaten zu derselben Freiheit der Meinungsäußerung ergeben, welche die 1. Ergänzung der Bundesregierung auferlegt. Hier sei zum erstenmal seit 1925 der Gerichtshof zu der Feststellung berufen: Dürfen die Staaten nach der Verfassung die Verächtlichmachung des Gerichtshofes verfolgen? Durfte die bloße Existenz anderer ungeprüfter Entscheidungen der Staaten die historische Bedeutung der Verfassung, nämlich Freiheit der Rede und der Presse, zerstören? Die 1. Ergänzung drückt sich ja deutlich genug aus. Sie untersagt jedes Gesetz, das die Freiheit der Rede oder der Presse kürzt. Es muß als ein Befehl von breitestem Ausmaß aufgefaßt werden, wie ihn nur die ausdrückliche Sprache einer freiheitlichen Gemeinschaft formulieren kann." Damit konnten sogar Bridges und die Los Angeles Times gedeckt werden. Nach Black war es weit genug gezogen für eine allgemeine Regel, wonach weder die innere Tendenz noch überhaupt eine vernünftige Tendenz eine Einschränkung der freien Meinung rechtfertigen konnte. Wie Black sagte, wurde notwendigerweise das Recht aller amerikanischen Gerichtshöfe geprüft, sowohl der Staaten wie des Bundes, einschließlich des eigenen. Demnach konnte weder der Gerichtshof von Kalifornien noch irgendein anderer Veröffentlichungen außerhalb des Gerichtshofes bestrafen, selbst wenn sie deutlich die Absicht hatten, sich i n die Rechtsprechung in einem schwebenden Falle einzumischen. Man konnte Black nicht gut Unrecht geben, wenn er seine Entscheidung auf den Leitartikel der Times und auf das Telegramm von Bridges beschränkte. Was die Würde der Gerichtsbank betraf, so war Frankfurter genau so skeptisch wie Black. Nach ihm hatte es manchmal „kleine Feldwebel auf der Gerichtsbank gegeben wie auch andere, die das Schwert der Autorität schwangen und die äußeren Zeichen der Macht zur Unterstützung ihrer sogenannten Würde be-

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nutzten." „Besonders sollte diese Freiheit angewandt werden auf die Tätigkeit der Gerichtshöfe, um jene beiden Gegenmittel gegen den Mißbrauch der Macht, den Humor und die Bescheidenheit, zu erwirken." Aber Frankfurter, Stone, Roberts und Byrnes scheuten davor zurück, die 1. Ergänzung so auszulegen, als könne kein Gerichtshof eine Veröffentlichung von außerhalb bestrafen — i m Innern darf er natürlich Ordnung halten — , die i n das Gerichtsverfahren eingreift. „Es heißt sein Spiel mit (großen Entschlüssen treiben, wenn man die vorliegende Frage so sieht, als ob die Beschränkungen der Pressefreiheit aus dem 18. Jahrhundert wieder aufleben sollten. Die Frage ist vielmehr die, ob die amerikanischen Einrichtungen des 19. und 20. Jahrhunderts durch richterlichen Beschluß abgeschafft werden sollen." „Das heutige Urteil versagt dem V o l k von 48 Staaten ein Recht, das ihm immer als wesentlich für die wirksame Ausübung der Gerichtsgewalt erschien. Ebenso verliert dadurch der Kongreß Rechte, die schon am Anfang von den Schöpfern der Verfassung ausgeübt wurden. Allerdings verfügt die Mehrheit nicht geradezu, daß eine Untersuchung durch die Zeitungen von der Verfassung geheiligt würde. Aber die Atmosphäre ihres Urteils und einige Sätze daraus bedeuten das und nichts anderes. Gewiß enthält das Urteil keine offene Aberkennung des Rechtes der Gerichtshöfe, gegen Einschüchterungsversuche vorzugehen. Dieses Recht haben bisher alle Staaten von Zeit zu Zeit ihren Gerichtshöfen übertragen, wie zum Beispiel der Kongreß an die Bundesgerichte i m Justizaikt von 1789." Es war nebensächlich, Black und der Mehrheit zu beweisen, daß ihre geschichtliche Auffassung falsch sei und daß die Gerichtshöfe diese Macht selbst zur Zeit der 1. Ergänzung ausgeübt hätten. Wichtig ist, daß Black eine feste amerikanische Lehre des 20. Jahrhunderts vernichtete, indem er i n die 14. Ergänzung den Wortlaut der ersten hineinlas und zu diesem Zweck zum Dogma erhob. Black ist ein Eiferer der Redefreiheit, ein Apostel für die Rechte des Individuums. Aber als guter Jurist weiß er, daß Gerichtshöfe eine gewisse Macht zu ihrem Schutze brauchen. Er ist als Staatsmann erfahren genug, um zu wissen, daß die Redefreiheit ebenso vernichtend auf den Gerichtsgang wirken kann, als sie mit dem Wesen der Demokratie aufs innigste verwachsen ist. Wenn diese unveräußerlichen Rechte geschützt und verwirklicht werden sollen, dann kann

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das nur durch starke, freie Gerichtshöfe geschehen. Die Redefreiheit bedeutet für die Demokratie dasselbe wie die unabhängige Justiz für die Redefreiheit. Black weiß dies alles so gut wie irgend jemand, und drei Jahre später schloß er sich einem U r t e i l an, das den Gerichtshof aus dem 18. Jahrhundert herausführte und ihn und seine Lehre wieder in den zeitgemäßen Stand brachte. Es handelte sich um einen neuen Zeitungsfall, einen Angriff auf den Gerichtshof in Florida. Der Miami Herald hatte einen Feldzug für ein Gesetz in Dade County geführt. Dabei hatte er Dinge über die Richter geäußert, während sie gewisse Fälle des Raubes behandelten, die nur halb wahr waren und den Vorgängen nicht gerecht wurden. So lautete das Urteil des höchsten Gerichtshofes von Florida und das Bundesgericht nahm es an. „Die Behauptung, daß diese Veröffentlichungen einen anderen Zweck hätten als die Schädigung des Gerichtshofes in seiner Wirksamkeit, wäre äußerster Wahnsinn", so sagte der Gerichtshof von Florida. Das Bundesgericht nahm auch das an. Und doch verfügte er einstimmig, daß die Verurteilung Pennecamps wegen Verächtlichmachung beiseitegesetzt werden müsse. Es war ein gutes Beispiel für den äußersten Fall und für immer mehr Macht. Sicher war in diesem extremen Fall der Redefreiheit ein so breites Ausmaß gegeben, „wie es die deutlichste Ausdrucksweise einer freiheitlichen Gesellschaft zuläßt". Black, der an diesem Schluß nichts auszusetzen hatte, stimmte zu. Auch Reeds Begründung nahm er an. Nach dem Tatbestand schien es nicht ganz klar, ob sich wirklich diese Richter in der Gefahr einer Beeinflussung befanden, wenn man die für einen Richter erforderliche Charakterstärke i n Rechnung setzte. Auch die anderen Richter waren zufrieden, weil Reed mit seiner Deutung der Meinung Blacks im Falle Bridge ein Meisterstück des Taktes leistete. Hören wir, was Reed daraus machte. „ I m Falle Bridges gegen Kalifornien wurde in vernünftiger Weise das Recht der Gerichtshöfe umgeändert, Zeitungen und andere wegen ihrer K r i t i k an einem schwebenden Rechtsstreit zu bestrafen. Der Fall stellte eine geordnete Wirksamkeit der Gerichtshöfe i n die vorderste Linie der Justizverwaltung. Dieses Hauptrecht der Gerichtshöfe auf den Schutz gegen Einschüchterung und Zwang mußte ins Gleichgewicht gebracht mit dem Grundsatz, daß der Presse eine 1

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Freiheit zugestanden werden müsse i n einem solchen Ausmaß, wie sie sich eben noch mit der Aufrechterhaltung der Ordnung verträgt." „ D i e Bestimmung der Linie für die freie Diskussion wurde erzielt aus der Erfahrung, die man bei der Schlichtung zwischen Meinungsfreiheit und Aufrechterhaltung der Ordnung gemacht hatte. Das war die Regel von der offenbaren und unmittelbaren Gefahr." „Die schlimmen Folgen der K r i t i k müssen schon ,äußerst ernst und äußerst gefährlich sein, wenn die Äußerungen bestraft werden sollen 4 . Natürlich war es unvermeidlich, daß diese Formel wie jede andere den Fehler der Unbestimmtheit hatte; aus einer anständigen Selbstbeherrschung von Seiten der Presse und aus der wiederholten Anwendung der Formel durch die Gerichtshöfe erhoffte man den Maßstab der erlaubten K r i t i k zu gewinnen, die zugleich die Gerichtshöfe gegen die Einmischung schützen würde und dem guten Einfluß der offenen Diskussion freie Bahn ließe." „ I m Falle Bridges wurde die Regel der offenbaren und unmittelbaren Gefahr angewendet, um festzustellen, ob die betreifenden Äußerungen ,Prozesse ohne Zwang und Einschüchterung 4 verhinderten. Natürlich war das Recht, Störung und Unordnung i m Gerichtssaal zu bestrafen, nicht in Frage gestellt." Stellen w i r das neben Black. Wohl hatte auch er von der Regel der offenbaren und unmittelbaren Gefahr gesprochen, aber er hatte den Nachdruck auf die 1. Ergänzung gelegt. Er hatte gesagt, daß weder die innere noch die anzunehmende Tendenz zur Einschränkung der garantierten Redefreiheit genügen würde. M i t Takt und Klarheit legte Reed seinen Nachdruck auf die Regel und Black schloß sich ihm an. Es war dasselbe Ergebnis, aber nicht derselbe Weg. Reed benutzte eine Regel, die ihre Wurzeln in den Tatsachen des besonderen Falles hatte. Black verließ sich auf eine Lehre, die er aus dem 18. Jahrhundert überkommen haben wollte, eine zum Dogma erhobene Auslegung der 1. Ergänzung. Jenes bekannte Gebot „ v o n dem breitesten Ausmaß, den die deutlichste Ausdrucksweise einer freiheitlichen Gesellschaft erlaubt". „Die nie dagewesenen Vorschriften der Schöpfer der Verfassung sollten der Freiheit der Presse und anderen Freiheiten das größte Schwergewicht geben, das i n einer geordneten Gesellschaft ertragen werden k o n n t e 2 9 4 . "

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Wie A u den sagt: „ W i r sollten später noch Spiegel bleiben uns'rer Väter, der Wahnidee den Vorzug leih'n, als wahr i n W i r k l i c h k e i t zu sein . . . Doch weil der Fürst der Lüge meint, — der Geist, der immer noch verneint, der Schatten hinter den Gebärden — verrucht, so sei es, reif zu werden, w i r f t schon ein Umschaun uns i n Sünden, w e i l w i r gedacht, dort H e i l zu f i n d e n ? " 2 9 5

Man sieht, wo w i r sind. Nehmen wir ein Zitat aus einem früheren Fall und sehen wir, ob es nicht im Inhalt, wenn nicht im Stil das gleiche ist. „Die freie Presse bildet eine der verläßlichsten Quellen, durch die das V o l k über die Tätigkeit der Öffentlichkeit und der Regierung unterrichtet werden kann. Ihre Zerstörung oder Einschränkung würde so üble Folgen haben, daß der leiseste Schritt in dieser Richtung schon an der Schwelle angehalten werden sollte. Das V o l k dieses Landes rühmt sich manchmal, von der Vorsehung durch die Fülle seiner Freiheiten über alle anderen gestellt zu sein. W i l l dieses Volk die in der ersten Ergänzung sorgfältig bewahrten Rechte, Freiheit der Religionsausübung, Freiheit der Rede und der Presse bewahren? Auch das Recht, als freie Männer friedlich zusammenzukommen und an die Regierung wegen Abstellung von Mißbräuchen heranzutreten? Wenn ja, dann muß es dem ersten Anfang eines Eingriffes Widerstand leisten. Die traurigste Grabschrift zum Andenken einer entschwundenen Freiheit ist es, wenn ihre Besitzer sie verloren, weil sie es zur rechten Zeit versäumten, die rettende Hand auszustrecken." Das stammt nicht von Black, sondern von vier seiner Vorgänger. I n derselben Begründung machten sie dieselbe Unterscheidung zwischen der 1. und der 4. Ergänzung wie Black. „Der Unterschied zwischen den beiden Ergänzungen ist betont und sofort erkennbar. Der Verlust der Freiheiten, die in der 14. Ergänzung nicht genannt werden, wie zum Beispiel die Vertragsfreiheit, w i r d mit der Überschrift ,ohne geordnetes gerichtliches Verfahr en* gekennzeichnet. Jene Frei1

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heiten, die i n der 1. Ergänzung aufgezählt sind, werden ohne Einschränkung garantiert. Dadurch fallen sie i n eine besondere Kategorie und sind der K ü r z u n g durch ein Rechtsverfahren entzogen." So steht es i n dem abweichenden V o t u m von Sutherland, Van Devanter, McReynolds und B u t l e r i m F a l l der Associated Press gegen die Labor B o a r d 2 9 6 i m A p r i l 1937. — Das D a t u m ist bemerkenswert. Das Bundesgericht verfügte, daß die Pressefreiheit nicht beschnitten sei durch die Aufforderung an die A P zu gemeinsamen Verhandlungen m i t der Gilde. Vier Richter wandten sich dagegen. Sagt aber nicht Black genau dasselbe wie die vier auf der Gegenseite? W i l l nicht auch er die wörtliche Bestimmung der 1. Ergänzung auf die Los Angeles Times und Bridges angewendet wissen, genau wie die vier auf die A P ? Das Recht der A P , die beabsichtigte, Watson wegen seiner Zugehörigkeit zur Gilde herauszuwerfen, hat nicht mehr Ä h n l i c h k e i t m i t dem Rechtsfall v o n Bridges und der Los Angeles Times, als Blacks Stellung zu der Verächtlichmachung Ä h n l i c h k e i t m i t der von Sutherland, V a n Devanter, McReynolds oder Butler hat. Interessant ist es jedenfalls, bei Black und diesen vier dieselben starren Ansichten über die Verfassung festzustellen. Diese starre Auffassung der B i l l of Rights oder der 14. Ergänzung, hat eine unvermeidliche Folge. Die Macht der Regierung w i r d vermindert. D o r t ist es das Recht des Kongresses, das Wagnergesetz durchzubringen und kollektive Verhandlungen zu erlauben. H i e r ist es das Recht Californiens, den Versuch der Einmischung i n die Justizverwaltung zu bestrafen. I n beiden Fällen ist die Regierung der leidtragende Teil. Gehen w i r zurück i n die Zeit, als der alte Gerichtshof den New Deal bekämpfte. I m alten Gerichtshof nannte es Stone einen Mangel an Selbstbeschränkung. Was ist der Unterschied zwischen diesem Mangel u n d der Betonung der ersten Ergänzung an Stelle der Klausel vom geordneten, gerichtlichen Verfahren durch Black? Beide sagen: Nein, das kann man nicht tun, weil die Verfassung es verbietet. Keiner w i l l die Verantwortung der Zurückhaltung übernehmen. So läuft es auf eine Verweigerung hinaus, wenn man w i l l , die Verweigerung der Zurückhaltung. Ist es nicht i n W i r k l i c h k e i t das gleiche? Das eine ist ja nur die negative Seite des anderen, zwei Seiten derselben Medaille. W i r befassen uns m i t einer geistigen Haltung, die keineswegs nur eine Besonderheit der Richter oder der Anwälte ist. Sie mag

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dort klarer i n Erscheinung treten als bei Laien, aber am klarsten vielleicht bei der Geistlichkeit und i n der Theologie. Die Analogie zwischen der Verfassung und der Bibel t r i t t besonders klar i n der Behandlung der ausdrücklichen Worte hervor. Aus der Menge der theologischen Streitigkeiten, wodurch sich unsere verschiedenen Kirchen ausgezeichnet haben, w i l l ich eine herausgreifen. I m 17. Jahrhundert gab es in England eine große Auseinandersetzung zwischen der anglikanischen Kirche und den Latitudinariern, die für die Vernunft gegen die Offenbarung auftraten. Einer von ihnen, Samuel Butler, der Verfasser des Hudibras, sagte: „ E i n Latitudinarier hält den geraden Weg zum Himmel nicht für den besten 2 9 7 ."

Das erste Gebot und die 14. Ergänzung Es gibt verschiedene Wege zum Himmel, und Menschen können in ihrer Ansicht über die freie Wahl des Weges so eng sein wie der Weg. Die Zeugen Jehovas hatten dem Bundesgericht einen Fall aufgedrängt und das Bundesgericht war immer wieder darüber hinweggegangen. Dreimal in drei aufeinanderfolgenden Jahren hatte es die Frage zurückgewiesen, ob man nach der Verfassung von einem Zeugen Jehovas verlangen könne, daß er, entgegen seiner religiösen Überzeugung, die Flagge grüßen müsse 298 . Der Fall hatte weittragende Möglichkeiten wie alles Symbolische. Seine Bedeutung fiel dem Bundesgericht plötzlich 1940 i m Fall Gobitis auf. L i l l i a n Gobitis war 13 und ihr Bruder Walter 12 Jahre alt, als der Lehrer der öffentlichen Schule, die sie besuchten, ihnen befahl, mit den anderen Schülern am Gruß an die Flagge teilzunehmen, mit dem der Unterricht jeden Morgen eröffnet wurde. Sie sollten sagen: „ I c h schwöre Treue meiner Flagge und der Republik, für die sie steht. Eine unteilbare Nation mit Freiheit und Gerechtigkeit für alle." Aber sie waren Zeugen Jehovas und dazu erzogen, das für Götzendienst und einen Bruch der beiden ersten Gebote zu halten. „ D u sollst keine anderen Götter haben neben mir. Du sollst dir kein B i l d machen. D u sollst dich nicht von ihnen beugen, noch ihnen dienen." So verweigerten L i l l i a n und Walter den Flaggengruß und ihr Vater unterstützte sie darin. Trotzdem sandte er sie zur Schule. Es war eine öffentliche Schule und der Besuch war obligatorisch,

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wenn er sie nicht privat erziehen ließ. Er bestand auf ihrem Recht, die Schule zu besuchen, ohne den Dekalog zu brechen. Die Schule bestand auf dem Flaggengruß. Ein Komitee von Harvardprofessoren sagte kürzlich: „Manche halten es für die Achillesverse der Demokratie, daß sie ihrer Natur nach über die letzten Fragen kein Übereinkommen erzielen kann, ja vielleicht das Gegenteil erzielen m u ß 2 9 9 . " Mögen wir diese Ansicht teilen oder nicht, wir zählen auf die Schule als auf den Ort, an dem unsere Kinder ihre ersten Schritte i m Patriotismus tun. Zugleich halten wir die Religion aus unseren Schulen heraus. Patriotismus und Religion sind nun mehr oder weniger aus demselben Stoff gebildet und werden auf dieselbe Weise gelehrt. Es muß Unruhe entstehen, wenn das eine auf das Gebiet des anderen übergreift. Das gerade geschah im Falle Gobitis. Wer der Eindringling war, der Patriotismus oder die Religion, muß schließlich auf die eine oder andere Weise erörtert werden. V o r allem aber entstand die Frage, wer darüber zu entscheiden habe? Ist Lillians Verweigerung des Flaggengrußes ein genügender Grund für die Bezahlung der Erziehung durch ihre Eltern? Man versetze sich an die Stelle der Schulleitung, die es für ihre Pflicht hält, den Gruß von allen Schülern zu verlangen. Nicht nur von denen, die es gern, willig oder ohne Einwand tun. Man versetze sich an die Stelle der Eltern, für die der Flaggengruß die Verdammung ihres Kindes bedeutet, da es nur Jehova grüßen darf. Ihre Angst und ihre Gewissensbisse müssen sie nun mit einer Privaterziehung bezahlen. Oder denken Sie an das K i n d , das von Hause aus sich nicht erheben und dem Vaterland Treue schwören soll, das aber vom Lehrer heimgeschickt wird, wenn es gehorcht. Stellen Sie sich seine Gefühle und die der anderen Kinder vor. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes i s t " stand nicht in ihrem Testament. I h r Gott war Jehova, und Christi Worte hatten keine Bedeutung. Die Verfassung sollte also jetzt zwischen Cäsar und Jehova entscheiden oder zwischen den Kindern Gobitis und ihren Mitschülern? A m 3. Juni 1940 schrieb Frankfurter die Begründung des Bundesgerichtes nur gegen die Stimme Stones 300 . Das Bundesgericht lehnte es ab, die Regelung für verfassungswidrig zu halten. Frankfurter sagte: „Eine schwere Verantwortung liegt auf diesem Gerichtshof, wenn er i n einem Streitfall die widerstrebenden An-

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Sprüche der Freiheit und der Autorität zu versöhnen hat. Die schwerste Prüfung für das Gewissen des Richters ist es, wenn es sich auf der einen Seite um Gewissensfreiheit und auf der anderen Seite um die Autorität der nationalen Gemeinschaft handelt. Der vorliegende Streitfall ist dieser Natur." Er schilderte den Tatbestand und fuhr dann fort: „ W i r haben darüber zu entscheiden: W i r d die von der 14. Ergänzung garantierte Freiheit ohne ordentliches, gerichtliches Verfahren gekürzt, wenn man ein K i n d , das aus ehrlichen religiösen Gründen sich weigert, zur Teilnahme an einer solchen religiösen Zeremonie zwingen w i l l . " Bemerken Sie wohl die 14. Ergänzung (amendment). Frankfurter fuhr mit der Frage fort: „ W a n n befreit die Verfassungsgarantie von dem, was die Gesellschaft zur Erreichung eines großen Zieles für notwendig hält? Wann befreit sie von der Strafe für eine Haltung, die gefährlich für das allgemeine Wohl erscheint? Bei diesem Problem muß man sich an die Wahrheit erinnern, daß ein Prinzip niemals den verschlungenen Wegen des Lebens gerecht werden kann. Das Recht auf Religionsfreiheit, auch wenn es den Überzeugungen anderer widerspricht und schadet, — sogar wenn diese anderen die Mehrheit sind, — ist an sich schon der Verzicht auf das Absolute. Man kann nicht behaupten, daß die Gewissensfreiheit keine Grenzen i n dem Leben einer Gesellschaft habe. Sonst würde man jene Vielfältigkeit der Prinzipien leugnen, denen der Schutz der religiösen Toleranz zu verdanken ist. Unsere Aufgabe ist es also wie so oft, zwei Rechte zu versöhnen, indem man das eine an der Zerstörung des anderen h i n d e r t 3 0 1 . " Aber für Stone war der Glaube etwas Absolutes; nicht seine Verneinung. Es gab allerdings Grenzen, sogar für die Religionsfreiheit. Zu manchem konnte ein Mann gezwungen werden, trotz seiner Gewissensbisse. Er konnte eingezogen und zum Kampf geführt werden. So gab es auch Dinge, die man ihm verbieten konnte. Er konnte an der Störung des Friedens und an der Verletzung der öffentlichen Moral verhindert werden, wenn ihn auch sein Gewissen dazu getrieben hatte. Aber das waren äußere Dinge. Waffendienst oder Störung des Friedens wurden vom Staat um ihrer selbst willen befohlen oder verboten. Ihre Vorteile konnten gegenüber der Gewissensfrage abgewogen werden. Aber irgendwo gab es etwas Absolutes und Stone fand es in den „höchsten Geboten Gottes". Gerade die B i l l of Rights verhindere hier jede Versöhnung.

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Frankfurter und Stone und später die anderen behandelten alle die Rechtsfrage, als ob sie sich mit der Beziehung des Staates zu der Religionsfreiheit einer der Kirchen befassen müsse. Wenn der Flaggengruß das religiöse Gewissen der Zeugen beleidigt, so w i r d er wenigstens für sie eine religiöse Handlung, zu der sie der Staat gezwungen hat. Die Zeremonie, die für uns politisch ist, betrachten sie als religiös. Ist der Gruß nichts Religiöses, dann ist er nach der Konstitution nicht verboten. Wenn er religiös ist, dann bildet er den ersten Schritt — obsta principiis — zur Einrichtung einer Staatsreligion. Obwohl das Bundesgericht sich nicht auf die erste Ergänzung bezog, so verbietet gerade diese die Einrichtung einer Staatsreligion ebenso deutlich, wie es die freie Religionsausübung durch eine Kirche oder Sekte schützt. Einer meiner Freunde, der den Fall so auslegte, führte weiter aus, daß 1789 keine Gefahr bestand, die weltliche Macht könne selbst zur Religion werden. Die damaligen Fanatiker waren mit ihren eigenen Plänen für das ewige H e i l beschäftigt. Die Gefahr lag nur darin, daß eine Sekte die Macht über den Staat gewinnen, die anderen zum Übertritt zwingen und sich selbst als Staatskirche auftun könne. Gegen diese Gefahr wandte sich die Verfassung. Als das Interesse am Seelenheil nachließ, als viele oder die meisten Kirchen soziale Gruppen wurden, wandte sich der religiöse Trieb im Menschen der Vergottung des Staates zu. Der Nationalismus wurde zur Religion und die Nation zur Kirche. Der Flaggengruß erschien den Zeugen als A k t des Gehorsams gegen eine neue Gottheit, als das B i l d dieser Gottheit selbst. So handelte es sich nicht so sehr um die Einmischung in die Religionsfreiheit, sondern um den beginnenden Vormarsch des Nationalismus zu einer Staatsreligion. Lincoln fragte: „ G i b t es keine andere Möglichkeit, als daß eine Regierung entweder zu stark für die Freiheit eines Volkes ist oder zu schwach für die Erhaltung ihrer eigenen Existenz?" Hier ist es die zweite Frage. Das Entstehen der Freiheit ist auf das Bestehen einer Regierung ebenso sicher gegründet, wie sie durch eine starke Regierung in Gefahr gebracht wird. Ohne Regierung gibt es keine Freiheit. Es gibt aber auch keine, wenn die Regierung zu stark ist. I m Fall Bridges und beim Flaggengruß haben wir Beispiele dieses Dilemmas. Wo wäre die Religionsfreiheit, wenn es keine starke Regierung gäbe, um die religiöse Habgier der Mehrheit zu dämpfen?

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Nur ein Anarchist kann um die Antwort verlegen sein. Wo sollte die Redefreiheit ihren Ruhepunkt finden, wenn es nicht Gerichtshöfe zu ihrem Schutz gäbe? Das Bundesgericht hat die Heiligkeit des Rechtes gegen die Wirksamkeit der Regierung, die Vorbedingung jedes Rechtes, abzuwägen. Es hat die Höchstwerte zu berechnen, der Staatstreue auf der einen Seite, und der Gottesverehrung auf der anderen. Ungehemmte Redefreiheit gegen jene Ruhe des Gemütes in den Gerichtshöfen, die sie schützen. Kehren wir zu Frankfurters Begründung zurück: „ F ü r uns ist die eigentliche Frage, ob die Gesetzgebung der verschiedenen Staaten und die Autorität in Tausenden von Schulbezirken dieses Landes entscheiden dürfen über die Wahl ihrer Mittel, durch die sie jenes einigende Gefühl erwecken wollen, ohne welches es letzten Endes weder bürgerliche noch religiöse Freiheit gibt. Die Wege zu diesem gemeinsamen Vaterlandsgefühl sind mannigfaltig. Manche mögen rauh erscheinen, manche sind ohne Zweifel unsinnig. Trotzdem ist das Ziel sicher berechtigt. Die Wirksamkeit der M i t t e l ist noch so unsicher und so unerforscht, daß wir den vielfach gebrauchten Flaggengruß nicht für außerhalb der Gesetze stehend erklären können. Es ist unvernünftig und geschichtswidrig, in dem bei passenden Gelegenheiten geforderten Flaggengruß den Anfang zur Sanktionierung eines Führers zu sehen. „Sogar wenn w i r überzeugt sind von der Unsinnigkeit einer solchen Maßnahme, dann wäre das noch kein Beweis ihrer Verfassungwidrigkeit. W i r unsererseits möchten glauben, daß der ehrlichste Patriotismus da wachse, wo auch den absonderlichsten Überzeugungen freier Spielraum gegeben wird. Vielleicht wäre es am klügsten, im Interesse der hier verfolgten Zwecke auch der kleinsten Sekte die hier behandelten Formalitäten zu erlassen. Aber der Gerichtssaal ist nicht der Platz für eine Debatte über politische Erziehung. Nicht wir haben zu wählen i n dem Wettstreit zwischen der schwierigen Erziehung zur Loyalität für die traditionellen Ideale der Demokratie, und der Achtung vor den Eigenheiten eines Volkes, das nach Rasse und Religion so verschiedenartig zusammengesetzt ist. Wäre das der Fall, so würden wir ja zum Unterrichtsministerium für das Land. Diese Autorität ist dem Bundesgericht nicht übertragen und wir wollen sie uns auch nicht anmaßen." „Außer, wo die Überschreitung der Verfassungsfreiheit zu klar auf der Hand liegt, bleibt die persönliche Freiheit am besten ge-

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wahrt — solange die Hilfskanäle der Demokratie offen und unzerstört sind — wenn sie mit den Gewohnheiten eines Volkes verwachsen und nicht durch Gesetzeszwang aufgedrängt ist." Und er schloß: „Die richterliche Überprüfung, an sich schon eine Einschränkung der Regierung, ist eine Grundlage unseres Verfassungssystems. Aber nicht weniger als den Gerichtshöfen ist der Schutz teurer Freiheiten der Gesetzgebung übertragen. Wo die M i t t e l zur Herbeiführung politischer Änderungen unbehindert sind, da ist die Entkräftung törichter Gesetze an sich schon ein Unterricht in der Freiheit. Es dient dem Selbstvertrauen eines freien Volkes, wenn der weise Gebrauch der Gesetzgebung in der öffentlichen Meinung und von den gesetzgebenden Körperschaften ausgefochten wird, und nicht in der richterlichen Arena." Black hatte sich bekanntlich i m Falle Gobitis der Meinung Frankfurters angeschlossen. Das war ungefähr 1 Vi Jahre vor dem U r t e i l Bridges. Sechs Monate nachher, i m Dezember 1941, widerrief er. Unter den Fällen der Zeugen Jehovas befand sich einer, in dem das Bundesgericht eine kleine Steuer auf das Hausieren mit Büchern und Schriften in Opelika, Alabama, billigte, Blach aber widersprach. M i t Douglas und Murphy, denen er im Fall Gobitis gefolgt war, arbeitete er ein kurzes abweichendes Votum zur Erklärung ihrer Haltung aus: „Da wir uns dem Urteil im Falle Gobitis angeschlossen haben, halten wir dies für eine geeignete Gelegenheit, festzustellen, daß wir jetzt darin ein Fehlurteil sehen. Unsere demokratische Regierungsform hat sicherlich unter der historischen B i l l of Rights die unbedingte Verantwortung, den religiösen Anschauungen der Minderheit gerecht zu werden, wie sehr diese auch gegen die öffentliche Meinung und die Orthodoxie verstoßen mögen. Die 1. Ergänzung stellt das Recht der freien Religionsausübung nicht an eine untergeordnete Stelle. W i r fürchten jedoch, daß dies bei dem Falle Gobitis der Fall i s t 3 0 2 . " Immer wieder die 1. Ergänzung. Dadurch blieb das Gesetz in einem Zustand der Unsicherheit. Vier Richter hielten den Flaggengruß für verfassungswidrig, nur drei sprachen sich für ihn aus, Frankfurter, Roberts und Reed. Hughes und McReynolds waren abgegangen und zwei neue Richter, Jackson und Rutledge, waren nicht verpflichtet. Was sollte ein niederer Gerichtshof tun? Learned Hand sagte in einer ähnlichen Situation folgendes: „ E i n niederer Gerichtshof kann immer nur schwer sagen, ob eine noch

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nicht ausdrücklich entkräftete Entscheidung eines höheren Gerichtshofes beiseitegesetzt werden kann, weil der höhere Gerichtshof in ähnlichen Fällen eine gegenteilige Ansicht geäußert hat. Ich gebe zu, daß man nicht auf den formellen Widerruf zu warten braucht, wenn sich der Wandel deutlich ankündigt. Es kann ja sein, daß der höhere Gerichtshof auf eine Berufung nicht eingeht oder daß die Parteien diese Berufung nicht einlegen. I n beiden Fällen w i r d das Urteil wohl so ausfallen, wie die Richter es vom höheren Gerichtshof nicht erwarten. Ein niederer Gerichtshof sollte auch nicht eine Lehre vorwegnehmen, die noch im Schoß der Zeiten ruht. I m Gegenteil, ich halte es für seine Pflicht, nach bestem Können das Ergebnis einer Berufung zu erraten 3 0 3 ." Woodburys abweichendes Votum im Fall Girouard 3 0 4 lief darauf hinaus, daß angenommen werden könne, daß die Fälle Schwimmer, Mcintosh und Bland nicht länger „ein Ausdruck des Gesetzes seien." Parker, Hand und Woodbury handelten wie ein Anwalt für seinen Klienten, indem sie die Entscheidung des Gerichtshofes vorhersagten. Nach Holmes war das nichts anderes als das Gesetz selbst. Diese Berufungsgerichte des Bezirkes wollen ebensowenig desavouiert werden, wie ein Anwalt im I r r t u m oder ein K l i e n t verurteilt sein will. Als der nächste Flaggengruß in West-Virginia vor Gericht kam, befolgte Richter Parker mit Erfolg dieses Rezept. Er zählte ab und sagte: „Unter diesen Umständen glauben wir, daß der Flaggengruß die Religionsfreiheit verletzt, wenn er Personen mit der religiösen Ansicht der Kläger aufgezwungen wird. W i r würden unsere Pflicht als Richter mißachten, wenn w i r dem Urteil des Obersten Bundesgerichts blind folgen und den Schutz von Rechten verweigern würden, die w i r zu den heiligsten der von der Verfassung garantierten Rechte zählen 3 0 5 ." Richter Parker drang durch. Das Bundesgericht beseitigte die Entscheidung Gobitis bei einer Berufung im Falle Barnette, denn die beiden neuen Richter schlossen sich Black, Douglas und Murphy an, 6 zu 3. Nur Frankfurter, Roberts und Reed hielten am bisherigen fest 3 0 6 . Jackson führte im Namen der sechs aus, daß man unterscheiden müsse zwischen der Klausel der 14. Ergänzung als einem M i t t e l zur Ausführung der Prinzipien der ersten Ergänzung und zwischen ihrer Anwendung um ihrer selbst willen. „Wenn die Gesetzgebung mit der

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14. Ergänzung übereinstimmt und deshalb auch mit den Prinzipien der ersten, dann ist sie viel bestimmter, als wenn nur die 14. Ergänzung in Frage kommt. Von der Verschwommenheit der Klausel vom ordentlichen, gerichtlichen Verfahren w i r d vieles deutlicher, wenn die ausdrücklichen Verbote der ersten Ergänzung als Maßstab genommen werden. Zum Beispiel kann das Recht eines Staates auf Regelung eines öffentlichen Unternehmens nach der Klausel das Recht zu allen vernünftigen Einschränkungen durch die Gesetzgebung enthalten. Aber die Freiheit der Rede, der Presse, der Versammlung und der Religion kann nicht auf so schwacher Grundlage beeinträchtigt werden. Das kann nur geschehen, wenn ernste und unmittelbare Gefahr für die vom Staate zu schützenden Interessen besteht. Während die 14. Ergänzung direkt auf den Staat zielt, haben wir es i n diesem Falle mit den besonderen Einschränkungsprinzipien der 1. Ergänzung zu tun." Wieder die erste Ergänzung. I n einer Hinsicht haben w i r diese Rechtsfrage falsch aufgefaßt und behandelt. Wie das Bundesgericht und alle Richter haben w i r sie als eine Angelegenheit zwischen Lillian, ihren Eltern und der Schulleitung angesehen. Als dem Bundesgericht immer mehr von diesen Fällen der Zeugen Jehovas aufgedrängt wurden, erkannten die Richter, daß sie und der Staat es weniger mit einzelnen Zeugen als mit einer Organisation zu tun hatten. Je mehr Fälle ankamen, desto deutlicher enthüllte sich ein Muster. Jackson schilderte es in seinem abweichenden Votum über einen Fall aus Jeannette, Pennsylvania. 1939 führten die Zeugen Jehovas einen „Wachtturmfeldzug" i n Jeannette, Pennsylvania, einer Industriestadt von ungefähr 16 000 Einwohnern. Die Zeugen besuchten jedes Haus, klingelten oder klopften an jeder Tür und teilten den Wohnungsinhabern mit, daß sie eine wichtige Nachricht brächten. Wenn sie angehört wurden, dann spielten sie immer dieselbe Platte ab: „ D i e Religion ist falsch und ein Falle, weil sie die Leute betrügt. Das bedeutet nicht, daß alle Anhänger mit Absicht schlecht sind. Die Religion ist ein unsauberes Gewerbe, weil sie früher und jetzt dazu benützt wird, Geld aus den Leuten zu ziehen mit dem Versprechen, daß die Abgabe von Geld an einen Priester von der Strafe nach dem Tod befreit und die ewige Rettung sicherstellt." Diese Angriffslinie nahmen die Zeugen im allgemeinen gegen alle Bekenntnisse ein, aber besonders gegen den

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katholischen Glauben. Der Wohnungsinhaber wurde gebeten, verschiedene Literatur für einen Preis oder Beitrag zu kaufen. 25 Cents für die Bücher und kleinere Summen für die Schriften. Wenn er nicht kaufen wollte, wurde Buch oder Schrift oft kostenlos abgegeben. Zu Beginn dieses Feldzuges gingen viele Klagen aus Haushalten ein und drei oder vier dieser Zeugen wurden verhaftet. Hierauf hatte der Zeuge, der den Feldzug leitete, eine Besprechung mit dem Bürgermeister. Er vertrat die Meinung, daß sie das Recht dazu hätten und zeigte als Beweis eine Entscheidung des Obersten Bundesgerichtes. Der Bürgermeister entgegnete, daß sie ihre Literatur i n den Straßen der Stadt verteilen könnten und daß er nichts gegen eine kostenlose Abgabe in den Häusern habe, aber daß die Bevölkerung sich gegen den erzwungenen Verkauf wehre, besonders am Sonntag. Der Bürgermeister fragte, ob sie nicht einen anderen Tag wählen und die Literatur kostenlos verteilen können. Die Zeugen erwiderten, das sei gegen ihre Methode, und lehnten ab. Sie drohten, genug Zeugen in die Stadt zu bringen, um ihr Vorhaben auch gegen den Bürgermeister durchzusetzen. A m Palmsonntag 1939 hielten sie Wort. Über 100 Zeugen erschienen. Sie kamen von auswärts in über 25 Automobilen an. Die Automobile blieben außerhalb der Stadtgrenze und das Hauptquartier wurde in einer Tankstelle aufgeschlagen, um den Leiter des Feldzuges telephonisch zu benachrichtigen, falls irgend etwas vorkommen sollte. Er leistete Bürgschaft für die verhafteten Zeugen. Von 9 Uhr ab, als sie mit ihrer Arbeit anfingen, begannen die Anrufe beim Polizeirevier und die Klagen hielten den ganzen Tag an. Die Polizei konnte kaum fertig werden und wandte sich an die Feuerwehr um Hilfe. Die Zeugen kamen einzeln und in Gruppen in die Häuser, in einige sogar mehrmals. 21 Zeugen wurden verhaftet. Nur solche, die bewiesenermaßen die Literatur gegen einen bestimmten Preis angeboten und verkauft hatten. Drei wurden später freigesprochen, weil der Beweis nicht genügte und 18 wurden verurteilt. A n der Spitze der Zeugen Jehovas steht die Wachtturmgesellschaft für die Bibel und Traktate, eine den Gesetzen von Pennsylvania unterstehende Körperschaft, die aber i h r Hauptgeschäftshaus in Brooklyn, New York, hat. Dort werden alle Schriften und Bücher gedruckt, Grammophone und Platten besorgt und anderes Material

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für die Zeugen bereitgestellt. Diese Zeugen werden geweiht, indem sie ein Zeugnis erhalten, daß sie Diener der Bibel sind. Einige sind ständig, andere zeitweise beauftragt. Die ständigen Zeugen erhalten ihre Literatur zu einem Preis, der einen Gewinn abwirft. Einige Bücher werden für 5 Cents gekauft und für einen Beitrag von 25 Cents weitergegeben. Bei anderen ist die Gewinnspanne kleiner. Auf Zeit eingesetzte Zeugen zahlen 20 Cents und Verlagen 25 Cents für das Buch. Viele der Zeugen geben auch bedeutende Mengen kostenlos a b 3 0 7 . Aus allem geht hervor, daß die Zeugen gut organisiert sind, einen gewissen Lebensunterhalt verdienen und darauf aus sind, sich zu Märtyrern zu machen. Vielleicht kann das Märtyrertum schon an sich als Religion betrachtet werden. Die Zeugen sahen ganz danach aus, als ob sie enttäuscht wären, wenn sie nicht zum Flaggengruß herangezogen und nicht verhaftet würden. Sie waren mit anderen Worten eine organisierte Gruppe, die ihre Streitfälle auf Gott gründete. Jedenfalls stießen sie die Richter immer tiefer i n einen transzendentalen Graben. Es gibt nun einmal Gräben auf beiden Seiten der Straße. Die Verordnung, nach welcher die Zeugen verurteilt wurden, untersagte allen Personen das Hausieren oder die Beitragssammlung ohne Lizenz, die 1,50 Dollar im Tag und 7 Dollars i n der Woche kostete. Eine Mehrheit des Bundesgerichtes, Douglas, Black, Murphy, Rutledge und Präsident Stone hielten das nicht für anwendbar auf die Zeugen, selbstverständlich nach der 1. Ergänzung 3 0 8 . „ Z u r Rechtfertigung dieser Lizenzsteuer", so sagte die Mehrheit, „ w i r d angegeben, daß die Verteilung der religiösen Literatur mit einer Beitragserhebung verknüpft wird. Aber die bloße Tatsache, daß die religiöse Literatur durch die Wanderprediger „ v e r k a u f t " und nicht „geschenkt" wird, verwandelt das Evangelium nicht i n ein Handelsunternehmen. Wenn das so wäre, dann würde auch der Klingelbeutel in der Kirche aus dem Gottesdienst ein geschäftliches Projekt machen. Es liegt auf der Hand, daß eine religiöse Organisation zu ihrem Bestand Gelder braucht. Aber ein Wanderprediger, mag er auch noch so irregeleitet oder intolerant sein, w i r d nicht ein einfacher Buchverkäufer, indem er zur Deckung seiner Unkosten oder seines Unterhaltes die Bibel oder religiöse Schriften verkauft. Freiheit der Rede, der Presse und der Religion müssen auf alle angewendet werden, nicht nur auf die Zahlungskräftigen 3 0 9 ."

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Das stimmt, aber haben wir zu entscheiden, ob es sich um Verbreitung des Evangeliums oder um Hausieren handelt? Die Linie mag schwer zu ziehen sein, aber haben wir sie überhaupt zu ziehen, wenn die Zeugen ihre Evangeliumsverbreitung, ihre Werbung und ihr Missionswerk so aufziehen, daß es in Wirklichkeit dem Hausiererhandel mit Büchern gleichkommt? Wenn ja, müssen sie dann nicht dieselbe Steuer zahlen wie andere Leute? Diese Steuer war ja nicht auf sie zugeschnitten und traf sie nicht härter als irgend jemand anders. Mußten sie nicht auch eine Einkommensteuer zahlen, wenn sie genug sammelten? Douglas beantwortete diese Frage: „ W i r haben hier etwas ganz anderes, als zum Beispiel die Steuer auf das Einkommen eines Religionsdieners oder das Eigentum einer Religionsgesellschaft. Man kann wohl das Einkommen oder das Eigentum eines Predigers versteuern, es ist aber etwas ganz anderes, wenn man ihm für die Abhaltung einer Predigt eine Steuer abverlangt 3 1 0 ." Aber es handelt sich doch um eine allgemeine Steuer auf den ganzen Hausiererhandel. Wenn die Zeugen sich für ihre Predigertätigkeit zum Hausieren und Sammeln entschlossen, warum sollten sie dann nicht die gleiche Steuer zahlen wie andere? Ist es nicht das gleiche? Die 1. Ergänzung bezieht sich ebensosehr auf die Freiheit der Rede und Presse wie auf die der Religion. Konnten Zeitungen die gleiche Ausnahmestellung verlangen? Oder irgendein Buchverkäufer, der seine Bücher für gute Literatur hält? Warum sollte es überhaupt etwas ausmachen, was er von seinen Büchern hält? Abstraktionen auf der übernatürlichen Linie haben einen Zug zur Ungereimtheit. Aber nicht mehr als die Gedankengänge des Bundesgerichtes. Es hält eine Abstraktion am Kragen, von der es sich nicht trennen kann. Sachliches Denken ist schwer zu erlernen, wie wir im alten Gerichtshof gesehen haben. Jackson, jetzt auf der Gegenseite, zog den Vergleich. „Es ist dasselbe wie mit der Vertragsfreiheit, die durch Übertreibung ihr Ansehen v e r l o r 3 1 1 . " Die Mentalität der Richter ist für uns interessanter als der Fall. Ein weiterer Beweis für ihre Auffassung: „Wenn man die Ausübung eines Privilegiums besteuert, so kann man es damit kontrollieren oder unterdrücken. Wer die Religionsausübung besteuern kann, kann sie so kostspielig gestalten, daß ihr die M i t t e l ausgehen. Wer diese Missionstätigkeit besteuern kann, kann die Türe vor allen Minderbemittelten zuschließen. Die Verbreitung von Glaubensdingen

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in dieser alten und angesehenen Form wurde damit den Armen entzogen. Wer religiöse Gruppen ihrer Werber berauben kann, kann ihnen die aus der Reformationszeit stammende Werbungsmacht teilweise entziehen 3 1 2 ." Immer wieder dasselbe Argument: Marshalls Besteuerungsrecht. Der Gerichtshof wird diese wie andere Fragen nicht loswerden. Auch hier kann eine Tangente zur Kurve werden. Frankfurter drückte es in seinem abweichenden Votum so aus: „Es ist unerheblich, ob eine Steuer unterdrücken oder kontrollieren kann, wenn sie es nicht tut. Die Möglichkeit allein bringt es nicht mit sich, daß die Steuer die Religionsausübung auch wirklich so kostspielig macht, daß ihr die notwendigen M i t t e l ausgehen 3 1 3 / Jackson war zu weit vorgedrängt worden. Deshalb schlug er sich jetzt auf die Gegenseite, ein wenig ärgerlich, wie m i r scheinen w i l l : „ I c h finde diese Fälle und die damit zusammenhängenden Fragen als Verfassungsprobleme zu schwierig, um sie auf der vagen, aber leidenschaftlichen Linie des Transzendentalen zu behandeln 3 1 4 . W i r sollten uns an die Tatsachen halten. Sonst urteilen wir wie jene Männer Piatos, die, i n einer Höhle angefesselt, nur Schatten sahen 3 1 5 ." Das Bundesgericht war noch immer nicht am Ende dieser Fälle. Ein Jahr später, im März 1944, lief die Berufung eines anderen Zeugen, eines gewissen Follett ein, der verurteilt worden war, weil er Bücher verkauft hatte ohne die Abgabe von einem Dollar, der in McCormick, Süd-Karolina, verlangt w u r d e 3 1 6 . Es war in Wirklichkeit derselbe Fall, dieselbe Mehrheit, und dieselbe Entscheidung unter Hinzufügung von Reed, der zustimmte, weil die frühere Entscheidung für ihn „jetzt Boden des Gesetzes war". Frankfurter, Jackson und Roberts blieben bei ihrem abweichenden Votum, bezogen sich aber wie die Mehrheit auf die 1. Ergänzung: „Follett hat seine Steuer nicht für das zu bezahlen, was nach der 1. Ergänzung steuerfrei ist. Er zahlt wie alle anderen i n ähnlicher Lage eine Abgabe für den Straßenverkauf. Follett verlangt Befreiung, weil für ihn der Straßenverkauf ein Teil seiner Religion ist. Das Ergebnis wäre, daß Follett für seine Religion eine Unterstützung genösse. Zugleich spart er seinen Beitrag für die Regierungskosten, den alle anderen zu zahlen h a b e n 3 1 7 . " „ D i e Entscheidung gewährt also nicht freie Religionsausübung, indem diese nicht behindert oder begrenzt wird, sondern sie fordert

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Unterstützung für die Religionsausübung. Die Dreifaltigkeitskirche, die großen Grundbesitz i n New Y o r k hat, widmet ihr Einkommen religiösen Zwecken. Soll sie deshalb von der Zahlung ihres Beitrags für die Kosten der Regierung befreit werden, die ihr Eigentum schützt 3 1 8 ?" „ W i r müssen uns darüber klar sein, was diese Entscheidung i n sich trägt. Gewährt die 1. Ergänzung der Religion Steuerfreiheit, dann muß dieselbe Befreiung für die gelten, die sprechen oder schreiben. Es geht nicht an, zu sagen, daß i n der Ergänzung die Klausel über die Religion i m Imperativ abgefaßt ist, und die Klausel über die Rede- und Pressefreiheit nicht. Die Verbote i n der Ergänzung sind für alle gleich energisch. K a n n eine Abgabe auf das Geschäft der Zeugen Jehovas, die sich m i t Buchverkauf abgeben, nicht erhoben werden, dann auch nicht von Verlegern oder Buchhändlern, ob sie sich m i t Religion oder anderen Informationsmöglichkeiten abgeben. Das jetzige Urteil w i r d die Bedeutung haben, daß auch der Presse dieselbe Steuerfreiheit zuerkannt werden muß wie der religiösen Lehre oder Predigt. Auch gerechte Steuern, auf eine Lizenz oder Beschäftigung, die niemand benachteiligen, kann nach diesem U r t e i l nicht von Verlegern oder anderen Vertretern des Nachrichtenwesens erhoben werden, da ohne sie eine Bedienung der öffentlichen Meinung nicht möglich w ä r e 3 1 9 . " Bei Plato ist nicht angegeben, was jene Männer i n der Höhle festhält. Wenn sie herauskommen, dann sind sie geblendet vom Sonnenlicht. Die Freiheit der Rede oder die Religionsfreiheit unterscheiden sich i n dieser Hinsicht nicht von der Vertragsfreiheit oder den Eigentumsrechten, obwohl die sozialen und wirtschaftlichen Folgen andere sein werden. Es kann wohl sein, daß die Befreiung der religiösen oder sogar der wohltätigen Organisationen von Steuern und Abgaben weniger böses Blut machen würde als die Befreiung der Regierungsvertretungen und des zwischenstaatlichen Handels. Jehovas Zeugen sind weniger zu fürchten als Staaten, Gemeinden und geschäftliche Körperschaften. Der Gedankengang der Richter war deshalb doch der gleiche. Es war eine Reaktion gegen die Vollmacht, die ihnen die neue Zuteilung der Klausel vom ordentlichen, gerichtlichen Verfahren gewährte. Diese carte blanche hätte sie direkt und unmittelbar auf die Tatsachen hingewiesen. So wären sie in die bequemere Sicherheit und Zuverlässigkeit der alten Kon17

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zeptionen der ersten Ergänzung zurückgeführt worden und von der in die Hypostase des transzendentalen Dogmas. Das bedeutete nur ein schrittweises Zurückweichen aus der Wirklichkeit i n die Sicherheit einer eingebildeten Welt. Waren die Folgen weniger zu fürchten, so waren sie doch auch gefährlich. Konnte man dem nicht ausweichen? Hatte die Entwicklung der Klausel vom ordentlichen, gerichtlichen Verfahren und ihre Ausdehnung auf persönliche Rechte und Eigentum, das Bundesgericht i n eine Zurückhaltung gestoßen, in der es keine Rettung gab außer dem Dogma? Roberts, Reed und Frankfurter blieben bei ihrer latitudinarischen Kampfstellung und Frankfurter sprach i m Falle Barnette für sie. Er verteidigte noch einmal die Haltung, zu der er das Bundesgericht im Fall Gobitis überredet hatte. Es war auch eine persönliche Stellungnahme, ja ein Manifest seiner Meinung über die Verfassung. Frankfurter führte aus: „ E i n Mitglied der am meisten geschmähten und verfolgten Minderheit i n der Geschichte w i r d die in unserer Verfassung garantierten Freiheiten wohl zu schätzen wissen. Wäre meine persönliche Ansicht von Bedeutung, dann würde ich mich von ganzem Herzen den liberalen Ansichten des Bundesgerichtes anschließen, da sie den Inhalt eines ganzen Lebens darstellen. Aber als Richter sind wir weder Jude noch Christ, weder Katholik noch Freigeist. W i r sind der Verfassung dieselbe Anhänglichkeit und unseren Richterpflichten dieselbe Aufopferung schuldig, ob w i r als erste oder als letzte Einwanderer Bürger dieses Landes geworden sind. Als Mitglieder dieses Gerichtshofes darf ich nicht meine eigenen politischen Ansichten in die Verfassung hineinlesen, mögen sie mir noch so teuer sein, und würde ich ihre Verletzung für noch so unheilvoll halten. Ein Richter sieht sich vor die Entscheidung gestellt, welcher Anspruch vorherrschen soll, der Anspruch des Staates, auf seinem Gebiet Gesetze zu erlassen, oder der Anspruch eines einzelnen, aus seinem Gewissen heraus den Gehorsam zu verweigern. I n diesem Falle kann der Richter nicht als Privatperson entscheiden. Wenn man seine Pflicht i n einem Gerichtssaal erfüllt, dann darf man nicht so weit gehen, daß jede eigene Ansicht über Weisheit oder Verderblichkeit eines Gesetzes ganz ausgeschlossen wird. W i r können uns wohl Gedanken machen, ob die Gesetzgeber vernünftigerweise ein solches Gesetz erlassen haben können."

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„ V o r nicht allzu langer Zeit wurden w i r gemahnt, daß ,der einzige Damm gegen unsere Machtausiibung unser Sinn für Selbstbeschränkung sei. Denn die Beseitigung unkluger Gesetze aus dem Gesetzbuch obliegt nicht den Gerichtshöfen, sondern den Wählern und der demokratischen Regierungsform. W i r wurden belehrt, daß Verallgemeinerungen nicht über bestimmte Fälle entscheiden. 4 Aber ein allgemeines Prinzip kann doch einen besonderen Ausgang bestimmen und ein einzelner Streitfall kann davon abhängen, ob die Dinge an den richtigen Platz gestellt werden." „ A l s Richter Holmes im Namen des Bundesgerichtes die Worte niederschrieb: ,Man muß daran denken, daß die Gesetzgebung der letzte Hüter der Freiheit und Wohlfahrt des Volkes ist, ebenso wie die Gerichtshöfe 4 , traf er den K e r n unseres Verfassungssystems und der demokratischen Auffassung unserer Gesellschaft. Er meinte dam i t nicht nur, daß für einige Gebiete der Zivilverwaltung das Bundesgericht nicht die Gesetzgebung zu ersetzen und über Recht oder Unrecht einer geforderten Maßnahme zu entscheiden habe. Er umriß damit die allumfassende, richterliche Pflicht und Aufgäbe dieses Gerichtshofes i n unserem Verfassungssystem, wo immer die Gesetzgebung aus irgendeinem Grund entkräftet werden soll. Die Verantwortung für die Gesetzgebung liegt bei den gesetzgebenden Körperschaften, die dem V o l k direkt Rede zu stehen haben. Die einzige und ziemlich enge Funktion dieses Gerichtshofes ist die Entscheidung, ob innerhalb dieser großen, der Gesetzgebung verliehenen Autorität ein Urteil gefällt ist, das vernünftigerweise gerechtfertigt werden kann." „ V o n Anfang an ist sogar diese enge Fähigkeit des Gerichtshofes zur Entkräftung der Gesetzgebung mit scheelen Augen angesehen worden. Der Grund dafür ist, daß sie das volle Spiel der Demokratie hindert. Die Tatsache, daß sie eine undemokratische Seite unseres Regierungssystems sein mag, spricht jedoch nicht für ihre Verwerfung oder Absetzung. Aber wie das Bundesgericht häufiger anerkannt hat, ist dies der beste Grund für die größte Vorsicht beim Gebrauch." „ W e n n die Tätigkeit dieses Gerichtshofes sich nicht wesentlich von der der Gesetzgebung unterscheidet, wenn die Erwägungen bei der Auslegung dieselben sind wie bei der Gesetzgebung, dann sollten die Richter nicht lebenslänglich angestellt und der Wählerschaft 17'

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unmittelbar verantwortlich sein. Viele, bisher erfolglose Vorschläge, sind in den letzten 60 Jahren zur Verbesserung der Verfassung in dieser Hinsicht gemacht worden." „Die Opposition Jeffersons gegen die richterliche Überprüfung wurde von der Geschichte nicht angenommen, aber sie blieb noch als Mahnung gegen die Verwechslung juristischer und politischer Funktionen. Als Regel richterlicher Selbstbeschränkung ist sie noch ebenso gültig wie Lincolns Mahnung. Die Gesetzgeber haben nicht nur die Pflicht, Gesetze zu erlassen. Sie müssen auch die Verfassung beachten. Wenn auch die Gesetzgebung sich mit den bürgerlichen Freiheiten befaßt, so gilt doch die Pflicht der Achtung vor jenen, welche die Verantwortung für die Gesetze tragen. U m so mehr, wenn wir überlegen, durch welche Zufälle ein Mann über die Verfassungsmäßigkeit entscheiden und damit die politische Macht des Kongresses und die Gesetzgebung von 48 Staaten begrenzen kann. Richterliche Zurückhaltung, die aus diesen Erwägungen entspringt, bedeutet keine Abdankung der richterlichen Tätigkeit. Sie ist nur eine gebotene Innehaltung der Grenzen. W i r haben es ja bei dieser Frage nicht mit der Verteilung der politischen Macht zwischen den Staaten und der Zentralregierung zu tun. W i r leugnen nicht die Aufgabe des Gerichtshofes als Kräfteausgleich innerhalb des föderalistischen Systems. Wollte man ein Gesetz wie dieses beseitigen, so würde damit jeder Regierungstätigkeit die Macht entzogen." „Natürlich kann der Patriotismus nicht durch den Flaggengruß aufgezwungen werden. Aber auch der liberale Geist kann nicht durch die gerichtliche Beseitigung einer engherzigen Gesetzgebung mit Gewalt eingeführt werden. Unsere dauernde Beschäftigung mit der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze statt mit ihrer Weisheit erfüllt den Geist der Amerikaner mit einem falschen Maßstab. Wenn man alle Aufmerksamkeit auf die Verfassungsmäßigkeit lenkt, dann hält man sie für Weisheit und betrachtet jedes Gesetz für gut, das der Verfassung entspricht. Diese Haltung ist ein großer Feind des Liberalismus. Besonders bei Gesetzen über Gedanken- und Redefreiheit ist vieles, was eine freiheitliche Gesellschaft verletzt, verfassungsgemäß. Eine Sicherung der kostbarsten Güter der Zivilisation muß deshalb außerhalb der Gerichtshöfe gesucht werden. Nur das dauernde Vertrauen einer freien Gesellschaft auf die Überzeugungen, Gewohnheiten und Taten der Gemeinschaft ist der letzte Verlaß gegen die Versuchung, den menschlichen Geist zu fesseln 320 . 4

1 Schluß Bei der ersten Ausübung der richterlichen Oberhoheit verbot Marshall Jefferson das, was Jefferson ohnehin nicht tun wollte. Bei der zweiten, 50 Jahre später, versuchte das Bundesgericht die Nation zu übertönen und diese wollte nicht einmal darauf hören. Die Lehre von der richterlichen Oberhoheit, empfangen 1803 u n d 1854 fast totgeboren, trat erst kurz nach dem Bürgerkrieg ans Licht der Welt. W i r haben einen Teil ihres Lebensweges verfolgt, besonders nach dem Zusammenstoß mit dem New Deal i m Jahr 1933. W i r konnten diese Macht beschreiben, aber w i r wären in Verlegenheit um eine Formel für ihren Gesichtskreis und ihre Ausdehnung, obwohl sie deutlich begrenzt ist. I n der Verfassung ist sie nicht umrissen, noch nicht einmal beschrieben. Das Bundesgericht selbst hat es versucht, aber im juristischen Ausdrücken, die nicht einmal innerhalb der Gilde und noch weniger außerhalb verständlich sind. Darauf bezieht sich der Ausspruch Stones: „Der einzige Damm gegen unsere Ausübung der Macht ist unser eigener Sinn für Selbstbeschränkung." Sutherland entgegnete bekanntlich mit einiger Heftigkeit und erklärte Stones Ausspruch für unüberlegt und verderblich, weil Selbstbeschränkung in das Gebiet des Willens und nicht des Urteils falle. Ob man Sutherlands Ersatz für Stones Selbstheschränkung, nämlich die Verfassung, den Diensteid des Richters und sein Gewissen, annimmt oder nicht, muß man zugeben, daß ein Bestandteil der Selbstbeschränkung die Willensmacht ist. Diese ist aber nur rohe Gewalt. V o r allem darf das Bundesgericht nicht vergessen, daß es ein Teil unserer Regierung ist. Ebensowenig wie der König von England kann es „sich in einer vom Volke getrennten Planetenbahn bewegen, und wie ein übergeordneter Planet durch Anziehung und

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Abstoßung ihre Bewegung durch seine eigene beeinflussen und leiten. Er ist wie sie ein Teil desselben Systems, innig verbunden und zusammenwirkend i m Handeln, Begrenzen und Kontrollieren und in einem vom anderen abhängig. Gibt er seine Beziehung zu ihnen auf, dann steht er ganz a l l e i n 3 2 1 . " Das Bundesgericht vergißt dies ebensoleicht wie der König, weil er ein autokratisches Mitglied eines demokratischen Systems ist. I n unserem Land hat ein gewählter Beamter sein eigenes Ansehen durch die Tatsache seiner Wahl. Das Bundesgericht muß der Versuchung widerstehen, sich dadurch mit Stolz erfüllen zu lassen. Was das Oberste Bundesgericht viel leichter i n Erinnerung behält, ist die Tatsache, daß es immer nach der juristischen Tradition handeln muß. I c h kann m i r nicht erklären, warum das Bundesgericht gerade als Gerichtshof ein solches Ansehen genießt. Aber da es so ist, muß das Oberste Bundesgericht immer in dieser Tradition bleiben, indem es sie ausdehnt, angleicht und niemals verläßt. Das Gespenst i m T u r m des Bundesgerichtes ist der Revisionsrat, den der Verfassungskonvent beseitigte. Der Gerichtshof wagt nicht, ihn zu vergessen. Noch weniger, ihm nachzueifern oder ihn nachzuahmen. Die dritte Forderung ist ganz einfach Weisheit, und zwar von zwei Arten, Weisheit für sich wie für die anderen. Das Bundesgericht muß klug, ja vorsichtig sein. Ist es doch ein undemokratischer, obwohl ungeordneter Bestandteil unserer Demokratie, ein adoptiertes K i n d , nicht aus dem Blut der Eroberer. Vorsicht ist besonders deshalb geboten, weil seine Macht am größten ist, wo sie am wenigsten durch die Verfassung garantiert wird. Denken wir an die Klausel vom ordentlichen, gerichtlichen Verfahren. Beruhte die Macht des Obersten Bundesgerichtes nur auf der ausdrücklichen Bürgschaft des Gesetzes, dann wäre sehr wenig davon übrig. Vielleicht wäre es höflicher, diese Weisheit nicht gerade Vorsicht zu nennen. Das sieht nach eigenen Interessen aus, aber es handelt sich mehr um Selbstdisziplin als um Selbstsucht. Es handelt sich um Zurückhaltung, ja um Furcht. Aber warum so viel darüber reden? Sagen w i r mit den Griechen „Sophrosyne". Ohne diese Eigenschaft gibt es keine Zusammenarbeit, denn sie stellt die Frage: Wer von uns kann diese Arbeit am besten leisten? Bei jeder wirksamen Zusammenarbeit mit anderen muß man seine eigene Person-

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lichkeit wahren. Zusammenarbeit und Individualismus sind nicht Gegner, sondern Bundesgenossen. Die besten Soldaten passen am besten auf sich selbst auf. W i r brauchen uns nicht weiter darüber zu verbreiten, daß das Bundesgericht weise sein und für das Land weise handeln muß. Und doch ist dieser Weisheit in Sutherlands Auffassung von den Pflichten des Bundesrichters törichterweise kein Raum angewiesen. Was tut das Bundesgericht, wenn es eine frühere, vielleicht schon lange bestehende Entscheidung beiseitesetzt? Nach Jackson ist die Entkräftung eines wichtigen Präzedenzfalles eine ernste Angelegenheit. Sie verlangt eine nüchterne Einschätzung der Nachteile der Neuerung und des fraglichen Falles, ein Abwägen der praktischen Wirkungen der einen auf den anderen 3 2 2 . Als das Bundesgericht einmal eine Umschaltung seiner Auffassung über die Erbschaftssteuer auf steuerfreies Eigentum machte, begründete es sie so: „ I c h gebe mich zufrieden mit dem bestehenden Verfassungsrecht, bis seine Unvernunft klar zutage t r i t t oder bis seine schlechten Folgen auf unsere jetzige Gesellschaft deutlich werden : j 2 3 ." Beim Segeln muß sich das Bundesgericht nicht nur nach den Sternen, sondern auch nach dem W i n d richten. Schließlich müssen die Richter ihre persönliche Vorliebe weit von sich verbannen. Leider ist ja der Grad der Überzeugung kein Maß für die Richtigkeit. Doch sind es weniger persönliche Steckenpferde, ja Vorurteile, die das V o l k verurteilt. Darin w i r d eine gewisse Nachsicht geübt. Weniger w i r d die Parteilichkeit verziehen, wenn ein Mann nicht so sehr für sich, sondern für besondere Interessen arbeitet. Soweit über den Teil von Stones Selbstbeschränkung, die Sutherland nur eine Anstrengung des Willens nennt. E i n großer Teil ist gar nicht Willensmacht, nicht Selbstbeschränkung, nicht einfach Überwindung des Eigenwillens von Seiten des Bundesgerichtes, sondern Achtung vor den Wünschen des Landes. Und das ist ein Ausdruck des Glaubens, nicht des Willens. Während der vierzig auf den Bürgerkrieg folgenden Jahre kümmerte sich das Oberste Bundesgericht immer weniger um diese Wünsche. Holmes, Brandeis und Cardozo und einige andere schwammen, so gut sie konnten, gegen den Strom. Aber das Bundesgericht hatte kein Vertrauen zur Demokratie. W i r haben gesehen, wie die

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Klausel vom ordentlichen, gerichtlichen Verfahren sich vom Verfahren auf den Inhalt ausdehnte. Das Bundesgericht fügte sich der Entscheidung eines anderen Gerichtshofes, wenn diese seiner eigenen Auffassung entsprach. Es richtete sich nur danach, ob Bekanntmachung, Verhandlung mit Zeugenverhör durch den Verteidiger in Ordnung waren, ob der Angeklagte seine eigenen Zeugen beibringen konnte, ob ihm ein Anwalt genehmigt war, ob er nicht eingeschüchtert oder irgendwie zu einer Selbstbeschuldigung gezwungen worden war. War das der Fall, schön und gut, dann konnte das Ergebnis mit Vertrauen angenommen werden. Selbstbeschränkung war nicht nötig. Das Bundesgericht hatte Vertrauen zum gerichtlichen Verfahren. Wenn alle Tribunale, durch die ein Mann Freiheit, Leben und Eigentum verlieren konnte, wenn auch die Gesetzgebung ebenso gehandelt hätte, dann wäre das Bundesgericht ohne Zweifel befriedigt gewesen. I n der Tat sprach und handelte der alte Gerichtshof manchmal nach dieser Erwartung. Natürlich können und dürfen gesetzgebende Körperschaften und Kommissionen nicht auf diese juristische Weise vorgehen. Die Verwaltung handelt anders, ebenso die Politik. Jedes Tribunal hat seine eigene A r t , die ihm auch von Bradley, Gray und Lamar zugestanden w u r d e 3 2 4 . Die Ungelegenheiten kamen und die Notwendigkeit zur Selbstbeschränkung entstand aus der Tatsache, daß die Verwaltung und die Demokratie dem Obersten Bundesgericht ungewohnt waren, daß sie nicht sein Lebensstil waren, nicht die alteingeführte Methode der Richter und Rechtsanwälte. Der juristische Geist und die juristische Tradition hatten nach gutem Glauben zu handeln, außer wenn das Ergebnis gerade m i t den eigenen politischen und wirtschaftlichen Ansichten der Richter zusammenfielen. Dann war natürlich kein Vertrauen notwendig. Während des letzten halben Jahrhunderts bis zum neuen Gerichtshof fehlte es den Richtern an diesem Vertrauen, wenn sie nicht übereinstimmten. Hätten die Richter dieses Vertrauen gehabt, dann wäre die Selbstbeschränkung nicht nötig gewesen. Achtung vor der Politik und der Demokratie wären an ihre Stelle getreten. Es gab jedoch Gelegenheiten, wo die Demokratie nicht funktionierte und das Gesetz nicht aus ihr hervorgegangen war. Dann war Zurückhaltung nicht am Platze. Das Fehlen der Demokratie war das genaue Gegenstück zu dem Mangel an Vertrauen im alten Gerichtshof. Der Gerichtshof

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kann ein undemokratisches Gesetz mit derselben Mißachtung behandeln, m i t der ein undemokratischer Gerichtshof alle Gesetze behandelt. So ist also das Oberste Bundesgericht da, wo die Demokratie nicht w i r k t , ungebunden in seinen Entschlüssen und ohne den Zwang der Zurückhaltung. Mehr Gesetze, als man erwarten sollte, leiden an diesem Doppelfehler. So z. B. die Besteuerung des zwischenstaatlichen Handels durch die Staaten, wo die Last auf das V o l k außerhalb des Staates fällt. Da es sich um Außenseiter handelt, legt sich die Gesetzgebung des Staates nicht dieselbe Zurückhaltung auf, als wenn Interessen innerhalb des Staates auf dem Spiel stehen 3 2 5 . Aus demselben Grund handelte das Oberste Bundesgericht allzu frei, wie Bradley und schon Marshall gewarnt hatten, als es staatliche Steuern auf Bundesvertretungen und ihre Angestellten für ungültig erklärte. Wenn man sich an John Steinbecks Früchte des Zornes erinnert, waren die Okies ein anderes Beispiel. Als sie unter dem Eingeborenengesetz von Kalifornien schlecht behandelt wurden und das Gesetz für ungültig erklärt wurde, sagte Byrnes: „Zudem sind die Eingeborenen, die nicht ortsansäßig sind, die wirklichen Opfer des Gesetzes, da sie keine Möglichkeit des politischen Druckes auf die Gesetzgebung von Kalifornien haben, um eine Änderung der Politik zu erreichen 3 2 6 ." E i n Vorgehen gegen eine rassische Minderheit ist immer verdächtig, da das Vorurteil sie von der Vertretung und Teilnahme ausschließt, wie die Behandlung der Mexikaner i n Texas oder der Neger i m Süden, und nicht nur i m Süden, beweist. Aber warum sollte das für eine Gruppe wie die Zeugen Jehovas gelten, die sich absichtlich, wenn auch unter Gewissenszwang, abschlossen? Zu ihrem Schutz müssen andere Erwägungen herangezogen werden. Mag das Oberste Bundesgericht gegen undemokratisches Verhalten mit Recht energisch vorgehen, so w i r d das zur Pflicht, wenn die Gesetzgebung die Demokratie direkt angreift. Das geschieht, wenn sie das Wahlrecht einschränkt, friedliche Versammlung verbietet, sich in eine politische Organisation einmischt und die Verbreitung von Nachrichten hindert. Nach Stone bedürfen alle diese Dinge genauerer juristischer Prüfung, als die allgemeinen Verbote der Klausel vom ordentlichen, gerichtlichen Verfahren 3 2 7 . Oft genug hat das Bundesgericht klar nach diesem Prinzip nicht nur ge-

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sprochen, sondern auch gehandelt. Einige dieser Fälle sind Gegenstand der Verbote i n der B i l l of Rights, aber ihre Wirkung gegen die Demokratie ist das Wichtige, nicht daß sie ausdrücklich verboten und daher leichter zu entscheiden sind. Unsere zweite Regel ist also r daß bei einem direkten Angriff auf die Demokratie das Oberste Bundesgericht nicht energisch genug vorgehen kann. Keine dieser Regeln bringt jedoch die gewünschte Lösung. Was ist die Aufgabe des Bundesgerichtes und wie weit kann es gehen, wenn die Demokratie intakt und unverstümmelt ist und wenn die vorliegende Gesetzgebung aus ihr hervorgegangen ist? Zur Beantwortung genügt nicht die Selbstbeschränkung oder das Vertrauen zur Demokratie. Frankfurter hatte gewiß Recht, wenn er in seiner Begründung über Gobitis ausführte: „ T r i t t die Überschreitung der Verfassungsfreiheit nicht allzuklar ins Tageslicht, dann ist die persönliche Freiheit am besten gewahrt, — solange die Hilfsquellen der Demokratie offen und unzerstört sind — , wenn sie mit den Gewohnheiten eines Volkes verwachsen und nicht durch Gesetze aufgezwungen ist." Die Entgegnung Stones ist aber nicht weniger richtig: „ I c h bin nicht davon überzeugt, daß wir auf das Urteil über die Gesetzgebung verzichten sollten, solange die Hilfsquellen der Demokratie offen und unzerstört sind. Das wäre nach meiner Meinung ein Aufgeben des Verfassungsschutzes für die Freiheit kleiner Minderheiten zugunsten des Volkes." Ähnlich urteilte Jackson für das Bundesgericht i m Falle Barnette: „Der Zweck der B i l l of Rights ist es ja gerade, gewisse Fragen aus dem politischen Tagesstreit herauszuziehen, sie von Abstimmung und Beamten unabhängig zu machen, und sie als rechtliche Prinzipien den Gerichten an die Hand zu geben. Das Recht auf Leben, Freiheit und Eigentum, auf Freiheit der Rede, Presse, Religion und Versammlung, und andere Grundrechte sollten nicht der Abstimmung unterliegen. Diese Rechte dürfen nicht vom Ausgang einer Wahl abhängen." Man darf die edlen Gedanken Frankfurters nicht verdrehen. Er wollte, daß das Oberste Bundesgericht eine Rolle spiele, aber nicht allein. Der Verlaß auf den Gerichtshof genüge bei weitem nicht, er müsse bestenfalls die Führung in einer Gemeinschaft übernehmen, deren Teil er sei.

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Frankfurter zieht unbedingt die Demokratie der Gerichtsbarkeit vor. Stone und Jackson unterscheiden sich von ihm nur i n der Frage, wie häufig man sich an die Gerichtsbarkeit halten müsse. Sicherlich ist sie nicht unsere einzige Stütze, aber sicher müssen wir uns manchmal an sie wenden. Zwischen diesen Richtern handelt es sich nur um eine Auseinandersetzung, die bei jeder Zusammenarbeit entsteht. Immer ist es die Frage, welchen Teil der einzelne an der gemeinsamen Anstrengung nehmen soll und welches Vorgehen, hier entweder das juristische oder das politische, für die Arbeit angemessen ist. Der Kongreß hat seinerseits dieselbe Frage zu diskutieren. Manchmal ist es ihm sehr darum zu tun, daß das Oberste Bundesgericht die Führung und damit die Verantwortung übernimmt. Dann wieder betont der Kongreß die politische Seite, wie Stone und Jackson, welche die Weigerung der Zeugen Jehovas, die Flagge zu grüßen, nicht von Wahlen abhängen lassen wollen. Jedes gemeinsame Unternehmen führt zu solchen Debatten. Ist es erfolgreich, so ergibt sich aus dem Kampf der Meinungen ein Einvernehmen über den Arbeitsanteil des einzelnen. So auch hier. Was ist nun die eigentliche Aufgabe des Obersten Bundesgerichtes und der Gerichtsbarkeit? W i r sagten ja häufig genug, daß diese persönlichen Rechte grundlegend und wesentlich für die Demokratie sind und daß ihre Kürzung ein Frontalangriff auf die Demokratie ist. Die Demokratie wurde für den Menschen geschaffen, nicht der Mensch für die Demokratie. Diese Rechte dienen also höheren Zwecken als ihrer Aufrechterhaltung. I n jedem Falle müssen wir uns an etwas außerhalb der Demokratie halten. Diese persönlichen Rechte ruhen ja noch auf etwas anderem als der demokratischen Regierungsweise allein. Wollen w i r sie retten, so müssen w i r auch ein Mittel zu ihrer Rettung haben. Diese Rechte bedeuten mehr als eine Erbschaft aus dem 18. Jahrhundert. Das ist lange her. Sie bedeuten mehr als die Ansichten, die i n der Jugendzeit der Richter gültig waren. Auch das ist schon lange her. Gewiß bedeuten sie nicht die persönlichen Steckenpferde der Richter. Die Verfassung war nicht wie die Unabhängigkeitserklärung eine Proklamation, und sie beobachtete über diese Dinge ein kluges Stillschweigen. Sie schuf keine Voraussetzung. Vielleicht kann das als

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die höchste Weisheit des Konvents angesprochen werden. Denn so können w i r der Verfassung die wertvollste Zeitströmung einbauen. Es gibt ja immer eine. Seidens Ausspruch über die Religion kann ebensogut auf die herrschende Philosophie eines Landes angewendet werden: „ W i r halten danach Ausschau, wie der Metzger nach seinem Messer, als er es i m Munde hatte." Es gibt keine Flucht vor der Philosophie. Wenn politische Entscheidungen nicht einfach auf der Alltagsmeinung beruhen, dann müssen sie eine höhere Voraussetzung haben. Sind die Entscheidungen rechtlicher Natur, dann sind die Voraussetzungen es auch. Die Entscheidungen des Obersten Bundesgerichtshofes über die Verfassung sind aber nicht allein rechtlich. So sind ihre Voraussetzungen breiter und tiefer als das Schulwissen, das i n der Praxis meist vergessen wird. Holmes nannte sie unumgänglich und deshalb warf man i h m vor, keine zu haben. Das war ungerecht und wenig scharfsinnig, denn er erklärte sie ja gerade für einbegriffen. Er wußte nur — und andere werfen ihm das vor — , daß er sie nicht deutlicher ausdrücken konnte. W i r sehen es nicht gerne, wenn die Richter i n die Verfassung ihre eigene Philosophie hineintragen. Es ist aber nicht nur die ihre, es ist auch die unsere. Über die A r t der Philosophie kann man streiten. Beklagen können w i r uns nur, wenn sie veraltet ist und wir schon vor den Richtern über sie hinausgewachsen sind. Holmes tadelte, daß die 14. Ergänzung nicht auf Herbert Spencers „Sozialer Statik" b e r u h t 3 2 8 . Wenn das auch nicht der Fall ist, so handelten die Richter jener Zeit doch danach. Sie und ich kennen Herbert Spencer nur vom Hörensagen, nur aus dem Gedächtnis unserer Väter, denen w i r heute überlegen sind. W i r haben vielleicht Recht, wenn wir uns für klüger halten als sie. Sie waren durchtränkt mit Spencer. Holmes schrieb an Lady Pollock am 2. Juli 1895 — zehn Jahre vor Lochner und zur Zeit der Einkommensteuer — : „ I h r Engländer, wenigstens meine Bekannten, werdet Spencer nicht gerecht. Er ist langweilig. Er schreibt einen häßlichen Stil, ohne Charme. Seine Ideale sind die britischer Philister aus der Mittelklasse. U n d doch, bei allen Nachteilen, zweifle ich, ob ein Engländer außer Darwin unser Weidbild so beeinflußt hat." Das Oberste Bundesgericht impfte einer aufnahmebereiten Verfassung die Philosophie ein, die ihm aus seiner eigenen Zeit überkommen war. Das war so unvermeidlich und nur halb bewußt, daß

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die Richter es aus Versehen i n der Verfassung selbst zu sehen glaubten. Nehmen wir an, die Richter seien statt mit Spencer mit Henry George, Demarest Lloyd, Edward Bellamy oder Thorstein Vehlen aufgewachsen. W i r beklagen uns nur, weil die Richter auf einen anderen Trommler hörten. Machen w i r ihnen keine Vorwürfe. Dazu ist es zu spät. Kümmern wir uns lieber um das Denken der jetzigen Richter. Ihre Philosophie ist es, die jetzt zählt. Sie verraten sie uns machmal nicht, weil w i r das eigentlich gar nicht wollen. Erwarten w i r von ihnen ja nur die Auslegung des Gesetzes und das wollen w i r gar nicht verstehen. Die Richter dürfen nie vergessen, daß es unsere Überzeugungen, unsere Voraussetzungen, unsere Annahmen, unsere nur halb ausgedrückten, aber unumgänglichen Prinzipien sind. Bei ihrer Schiffahrt müssen sie die Lage und ihren Kurs nicht nur nach den Sternen, sondern auch aus der Richtung des Vorgebirges bestimmen. Was Jefferson, Adams und Franklin i n unserer ersten Krise durch die Unabhängigkeitserklärung für uns taten, was Abraham Lincoln in unserer zweiten durch seine beiden Antrittsreden für uns tat, was Franklin Roosevelt i n der dritten Krise für uns leistete, das ist Aufgabe des Obersten Bundesgerichtes i n den Tagesnöten während seiner Sitzungszeit 329 . W i r wissen und wollen, daß die Richter Juristen sind. Eignen sie sich doch besonders für Abstraktionen, namentlich für ihre eigenen. N u r ungern geben w i r zu, daß sie Staatsmänner sein können. Staatsmänner kennen die Abstraktionen der anderen und wissen sie für ihre Zwecke zu benützen. W i r müssen von den Richtern auch erwarten, daß sie Philosophen sind. Die Funktion des Obersten Bundesgerichtes schließt also die Philosophie ebenso ein wie das Recht und die Staatskunst. Wohlverstanden, nicht die Metaphysik — je weniger davon, desto besser — , aber die Aufgabe, die Whitehead der Philosophie zuschrieb: „ I c h halte die Philosophie für die K r i t i k der Abstraktion." Wenn er auch von der Wissenschaft sprach, so kann sein Wort ebenso auf die ethischen, moralischen, politischen und wirtschaftlichen Abstraktionen angewendet werden, mit denen es das Oberste Bundesgericht zu tun hat. Nach Whitehead hat die Philosophie eine doppelte Aufgabe: Sie weist den Abstraktionen ihren richtigen Platz an und sie ergänzt sie durch den Vergleich mit konkreteren Anschauungen der

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Gesellschaft. Dadurch w i r d die Bildung eines vollständigen Gedankensystems gefördert. Die Philosophie ist nicht eine unter vielen der sozialen und politischen Theorien, sie ist die Übersicht über alle. Nach Whitehead hat sie die Aufgabe, zu harmonisieren und zu vollenden. Für diese Aufgabe bringt sie außer ihrer Einsicht ihre eigene Erfahrung mit, die sie den konkreten Tatsachen gegenüberstellt330. Nachdem wir das Oberste Bundesgericht aus den dunklen Wäldern* der Ideen i n die sonnigen Gefilde der Tatsachen geleitet haben, wollen w i r es durch diesen philosophischen Exkurs nicht wieder zurückführen. Die Philosophie, die Whitehead beschreibt und die wir vom Bundesgericht verlangen, steht über den Auffassungen und Abstraktionen und behandelt sie so ruhig und klar wie Tatsachen. Wenn man einem Philosophen die Vertragsfreiheit oder die Redeund Religionsfreiheit oder das Besteuerungsrecht oder die Staatssouveränität oder irgendeine andere der dem Bundesgericht aufgedrängten Dinge in die Hand gibt, dann wird er sie herumdrehen, sie gegen das Licht halten, ihren Inhalt ausleeren, das eine mit dem anderen ausgleichen und jedem seinen richtigen Platz anweisen. Aus einer Verwirrung, deren w i r uns nur halb bewußt sind, w i r d er die Überzeugung für unser Zeitalter verkünden. Dasselbe erwarten w i r von dem Obersten Bundesgericht.

Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika (auf etwa ein D r i t t e l gekürzt)

Präambel W i r , das V o l k der Vereinigten Staaten, geleitet von der Absicht, unseren B u n d zu vervollkommnen, Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Ruhe i m I n n e r n zu sichern, für die Landesverteidigung zu sorgen, die allgemeine W o h l f a h r t zu fördern u n d das Glück der Freiheit uns selbst und unseren Nachkommen zu bewahren, setzen diese Verfassung für die Vereinigten Staaten von A m e r i k a i n Geltung. Artikel

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Kongreß A l l e i n dieser Verfassung verliehene gesetzgebende Gewalt soll einem Kongreß der Vereinigten Staaten verliehen sein, der aus einem Senat und einem Abgeordnetenhaus bestehen soll. Das Abgeordnetenhaus soll aus Mitgliedern zusammengesetzt sein, die jedes zweite Jahr i n den einzelnen Staaten vom V o l k e gewählt werden. Der Senat der Vereinigten Staaten soll aus zwei Senatoren von jedem Staate zusammengesetzt sein, welche aus dessen gesetzgebender Körperschaft für sechs Jahre gewählt werden; u n d jeder Senator soll eine Stimme haben. Gewalt des Kongresses (Abschnitt

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Dem Kongreß steht es zu, Steuern, Zölle, Abgaben u n d Akzisen aufzuerlegen und einzuziehen, um die Schulden der Vereinigten Staaten zu bezahlen und für die Landesverteidigung u n d die allgemeine W o h l f a h r t zu sorgen; alle Zölle, Abgaben u n d Akzisen sollen aber i m gesamten Bereich der Vereinigten Staaten gleichförmig sein; für Rechnung der Vereinigten Staaten Geld zu borgen; den Handelsverkehr m i t fremden Nationen und zwischen den einzelnen Staaten und m i t den Indianerstämmen zu regeln; für den gesamten Bereich der Vereinigten Saaten eine einheitliche Einbürgerungsordnung zu schaffen u n d eine einheitliche Insolvenzgesetzgebung einzuführen; Münze zu schlagen, deren Wert u n d den W e r t fremder Münze zu bestimmen und Normalmaße u n d Normalgewichte festzusetzen; Strafbestimmungen für Verfälschungen der Staatspapiere u n d gültigen Münze der Vereinigten Staaten zu erlassen;

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Verfassung der Vereinigten Staaten von A m e r i k a

Postämter und Poststraßen einzurichten; den Fortschritt der Wissenschaft u n d nützlichen Künste dadurch zu fördern, daß den A u t o r e n und Erfindern für beschränkte Zeit das ausschließliche Recht an ihren Schriftwerken u n d Entdeckungen gesichert wird; Gerichtshöfe niedrigeren Ranges unter dem Obersten Gerichtshof zu errichten; den Begriff u n d die Strafe der Seeräuberei und anderer auf hoher See begangener peinlichen Verbrechen sowie der Verletzungen des Völkerrechts festzusetzen; K r i e g zu erklären, Kaper- und Repressalienbriefe auszustellen und Vorschriften über das Prisenrecht zu Lande und zu Wasser zu erlassen; Armeen aufzustellen und . zu unterhalten; doch soll die Bewilligung von Geldmitteln für diese Zwecke nicht länger als zwei Jahre erteilt werden; eine Flotte zu bauen u n d zu unterhalten; für die Führung u n d den Dienst der Land- u n d Seestreitkräfte die Vorschriften zu erlassen; für das Aufgebot der M i l i z Vorkehrungen zu treffen, u m die Gesetze der U n i o n zu vollstrecken, Aufstände zu unterdrücken und feindliche Einfälle abzuwehren; für die Einrichtung, Bewaffnung u n d Schulung der M i l i z und die Führung derjenigen ihrer Teile, die i m Dienste der Vereinigten Staaten Verwendung finden, Sorge zu tragen; doch soll den einzelnen Staaten die Ernennung der Offiziere und die Befugnis zur Ausbildung der Miliz gemäß den Vorschriften des Kongresses vorbehalten bleiben; i n allen Fällen, welcher A r t auch immer, die ausschließliche Gesetzgebung über jenes Gebiet (das nicht größer sein soll als zehn Meilen i m Geviert) auszuüben, welches auf Grund der Abtretung von Seiten einzelner Staaten u n d der Annahme seitens des Kongresses zum Sitz der Regierung der Vereinigten Staaten ausersehen sein soll, und die gleiche Hoheit über alle Orte auszuüben, die m i t der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaft des Staates, i n welchem sie gelegen sind, für die Errichtung von Festungswerken, Vorratslagern, Zeughäusern, Schiffswerften und anderen notwendigen Bauwerken käuflich erworben werden; u n d alle für die Durchführung der vorstehenden sowie aller jener sonstigen Befugnisse notwendigen u n d zweckdienlichen Gesetze zu erlassen, welche durch diese Verfassung der Regierung der Vereinigten Staaten, einem ihrer Verwaltungszweige oder einem einzelnen Amtsträger übertragen sind. Beschränkungen

der Kongreßgewalt

(Abschnitt

9)

Das Recht, einen Habeas-Corpus-Befehl zu erwirken, soll nicht aufgehoben werden, außer wenn i m Falle eines Aufstandes oder feindlichen Einfalles die öffentliche Sicherheit es erfordert.

Verfassung der Vereinigten Staaten von A m e r i k a

257

K e i n Ausnahmegesetz, das eine Verurteilung ohne Gerichtsverfahren zum Inhalte hat, oder Strafgesetz m i t rückwirkender K r a f t soll verabschiedet werden. Keine Steuer und k e i n Zoll soll auf die Waren gelegt werden, die aus einem Staate ausgeführt werden. K e i n Vorzug soll durch irgendeine Vorschrift über Handel oder über Staatseinkünfte den Häfen eines Staates vor denen eines anderen eingeräumt werden, und Schiffe, die für einen Staat bestimmt sind oder von einem solchen kommen, sollen nicht verpflichtet sein, i n einem anderen anzulegen, zu klarieren oder Abgaben zu bezahlen. Beschränkungen

der Staatengewalt

(Abschnitt

10)

K e i n Staat soll einen Vertrag, ein Bündnis oder einen B u n d eingehen; Kaper- oder Repressalienbriefe ausstellen; Münze schlagen; Banknoten ausgeben; irgend etwas außer Gold- und Silbermünze zum gesetzlichen Zahlungsmittel für Schulden machen; ein Ausnahmegesetz, das eine Verurteilung ohne Gerichtsverfahren zum Inhalte hat, oder ein Strafgesetz m i t rückwirkender K r a f t oder ein die Gültigkeit von Verträgen beeinträchtigendes Gesetz verabschieden oder einen Adelstitel verleihen. K e i n Staat soll ohne Zustimmung des Kongresses Auflagen oder Zölle auf Ein- oder Ausfuhr legen, soweit dies nicht zur Durchführung seiner Überwachungsgesetze unbedingt erforderlich ist. Artikel Die

II

Exekutive

Die vollziehende Gewalt soll einem Präsidenten der Vereinigten Staaten übertragen sein. Der Präsident soll Oberbefehlshaber der Armee und der Marine der Vereinigten Staaten und der M i l i z der einzelnen Staaten sein, wenn letztere zur aktiven Dienstleistung für die Vereinigten Staaten einberufen w i r d ; er kann von den obersten Amtsträgern jedes Verwaltungszweiges eine schriftliche Meinungsäußerung über irgendeine Angelegenheit, die zum Dienstkreise des betreffenden Amtes gehört, verlangen, und er soll das Recht haben, außer i n Fällen der Staatsanklage, Strafaufschub u n d Begnadigung für strafbare Handlungen gegen die Vereinigten Staaten zu bewilligen. Es steht i h m zu, auf den Rat und m i t Zustimmung des Senats Verträge zu schließen, vorausgesetzt, daß zwei D r i t t e l der Senatoren zustimmen; er soll auf den Rat u n d m i t Zustimmung des Senats Gesandte, andere diplomatische Geschäftsträger u n d Konsuln, die Richter des Obersten Gerichtshofes und alle anderen Amtsträger der Vereinigten Staaten, deren Bestallung durch die Verfassung nicht anderweitig geregelt ist und deren Ämter durch Gesetz geschaffen sind, vorschlagen und ernennen; doch kann der Kongreß, wenn er es angemessen findet, die Ernennung von Beamten

18

258

Verfassung der Vereinigten Staaten von A m e r i k a

geringeren Ranges dem Präsidenten allein, den Gerichtshöfen oder den Leitern der Verwaltungszweige überlassen. Er soll von Zeit zu Zeit dem Kongreß über den Stand der Dinge i m Staate Bericht erstatten und Maßregeln, die er für notwendig u n d nützlich erachtet, zur Beratung empfehlen; er kann bei außerordentlichen Anlässen beide oder eines der Häuser einberufen und kann, falls sie sich über die Dauer der Vertagung nicht einigen können, sie bis zu einem von i h m für richtig erachteten Zeitpunkte vertagen; er soll Gesandte u n d andere diplomatische Geschäftsträger empfangen; er soll Sorge tragen, daß die Gesetze gewissenhaft vollzogen werden, und allen anderen Amtsträgern die Ernennungsurkunden erteilen. Der Präsident, Vizepräsident und alle Zivilangestellten der Vereinigten Staaten sollen ihrer Stellen enthoben werden, wenn sie wegen Verrates, Bestechung und anderer schwerer Verbrechen u n d Vergehen unter Staatsanklage gestellt und verurteilt worden sind. Artikel Die

III

Rechtsprechung

Die richterliche Gewalt der Vereinigten Staaten soll einem Obersten Gerichtshof und solchen unteren Gerichten übertragen sein, wie sie der Kongreß von Zeit zu Zeit anordnen und errichten w i r d . Die Richter sowohl des Obersten Gerichtshofes wie der unteren Gerichte sollen i m A m t e bleiben, solange ihre Amtsführung einwandfrei ist, und sollen zu bestimmten Zeiten für ihre Dienste eine Entschädigung erhalten, die während ihrer Amtsdauer nicht herabgesetzt werden soll. Die richterliche Gewalt soll sich auf alle Fälle, Recht wie B i l l i g k e i t , erstrecken, die i m Geltungsbereiche dieser Verfassung, der Gesetze der Vereinigten Staaten und der Verträge entstehen, die unter deren H o h e i t abgeschlossen wurden oder k ü n f t i g geschlossen werden; — auf alle Fälle, die Gesandte, andere diplomatische Geschäftsträger oder Konsuln betreffen; — auf alle Fälle der Schiffahrts- und Seegerichtsbarkeit; — auf Streitigkeiten, i n denen die Vereinigten Staaten Partei sind; — auf Streitigkeiten zwischen zwei oder mehreren Staaten; — zwischen einem Staat und den Bürgern eines anderen Staates; — zwischen Bürgern verschiedener Staaten; — zwischen Bürgern desselben Staates, die auf Grund von Verleihungen seitens verschiedener Staaten Landansprüche erheben* und zwischen einem Staat und dessen Bürgern und fremden Staaten, Bürgern oder Untertanen. I n allen Fällen, die Gesandte, andere diplomatische Geschäftsträger und Konsuln betreffen, und i n denjenigen, i n welchen ein Staat Partei ist, soll der Oberste Gerichtshof ursprüngliche Gerichtsbarkeit haben. I n allen anderen obenerwähnten Fällen soll der Oberste Gerichtshof Rechtsmittelgericht sein, und zwar sowohl hinsichtlich der Rechts- wie der Tatfragen; Ausnahmen u n d Einzelheiten bestimmt der Kongreß.

Verfassung der Vereinigten Staaten von A m e r i k a

Artikel

259

IV

Den Bürgern eines jeden Staates sollen alle Vorrechte und Freiheiten der Bürger i n allen anderen Staaten zukommen. Neue Staaten können vom Kongreß i n diese U n i o n aufgenommen werden. Die Vereinigten Staaten sollen jedem Staate i n dieser U n i o n eine republikanische Regierungsform gewährleisten. Artikel

V

Verfassungszusätze Der Kongreß soll, wenn immer zwei D r i t t e l beider Häuser es für nötig befinden, Abänderungen zu dieser Verfassung vorschlagen oder auf Ersuchen der gesetzgebenden Körperschaften von zwei D r i t t e l n der Einzelstaaten einen Konvent zum Ausarbeiten von Abänderungsvorschlägen einberufen, und diese Abänderungen sollen i n beiden Fällen i n jeder Hinsicht als Teile dieser Verfassung gültig sein, wenn sie von den gesetzgebenden Körperschaften oder von Konventen von drei V i e r t e l n der Einzelstaaten bestätigt worden sind, je nachdem die eine oder andere F o r m der Bestätigung vom Kongreß vorgeschlagen ist. Artikel

VI

Diese Verfassung und die i n deren Verfolg zu erlassenden Gesetze der Vereinigten Staaten sowie alle unter der Hoheit der Vereinigten Staaten abgeschlossenen oder k ü n f t i g zu schließenden Verträge sollen oberstes Gesetz des Landes sein, u n d die Richter i n jedem Staate sollen daran gebunden sein, ungeachtet etwa entgegenstehender Bestimmungen der Verfassung oder der Gesetze des Einzelstaates.

B i l l of Rights Zusatzartikel

I

Der Kongreß soll kein Gesetz erlassen, das eine Einrichtung einer Religion zum Gegenstande hat oder deren freie Ausübung beschränkt, oder eines, das Rede- und Pressefreiheit oder das Recht des Volkes, sich friedlich zu versammeln u n d an die Regierung eine Petition zur Abstellung von Mißständen zu richten, verkürzt. Zusatzartikel

II

Da eine wohlgeordnete M i l i z für die Sicherheit eines freien Volkes notwendig ist, soll das Redit des Volkes, Waffen zu besitzen oder zu tragen, nicht verkürzt werden.

18*

260

Verfassung der Vereinigten Staaten von A m e r i k a

Zusatzartikel

III

K e i n Soldat soll i n Friedenszeiten ohne Zustimmung des Eigentümers i n einem Hause einquartiert werden; auch i n Kriegszeiten soll dies nur i n der vom Gesetz vorgeschriebenen Weise geschehen. Zusatzartikel

IV

Das Recht des Volkes auf Sicherheit der Person, des Hauses, der Papiere und der Habe vor ungerechtfertigter Nachsuchung oder Beschlagnahme, soll nicht verletzt werden, u n d Durchsuchungs- u n d Haftbefehle sollen nur aus zureichendem Grunde erteilt werden, gestützt auf E i d oder Gelöbnis, u n d sollen die zu durchsuchende ö r t l i c h k e i t und die i n Gewahrsam zu nehmenden Personen oder Gegenstände genau bezeichnen. Zusatzartikel

V

Niemand soll wegen eines todeswürdigen oder sonstigen schimpflichen Verbrechens zur Verantwortung gezogen werden, es sei denn auf Grund der Beschuldigung oder Anklage seitens eines großen Geschworenengerichtes, außer i n Fällen, die bei den Land- oder Seestreitkräften oder bei der M i l i z i m aktiven Dienst i n Zeiten des Krieges oder öffentlicher Gefahr sich ereignen, u n d niemand soll wegen derselben Straftat zweimal der Gefahr eines Verfahrens um Leib und Leben ausgesetzt werden; noch gezwungen werden, i n einem Strafverfahren als Zeuge gegen sich selbst auszusagen; noch soll jemandem Leben, Freiheit oder Eigentum genommen werden, außer i m ordentlichen Gerichtsverfahren u n d nach Recht und Gesetz; noch soll Privateigentum ohne gerechte Entschädigung für öffentliche Zwecke eingezogen werden. Zusatzartikel

VI

I n allen Verfolgungen wegen Verbrechen soll der Angeklagte Anspruch haben auf ein schleuniges und öffentliches Verfahren vor einem unparteiischen Geschworenengericht des Staates und Bezirks, i n dem das Verbrechen begangen wurde; der Bezirk soll vorher durch Gesetz festgestellt sein; der Angeklagte hat das Recht, über die A r t und Gründe der Anklage unterrichtet u n d den Belastungszeugen gegenübergestellt zu werden; und Entlastungszeugen unter Zwangsandrohung vorladen zu lassen und sich eines Rechtsbeistandes zu seiner Verteidigung zu bedienen. Zusatzartikel

VII

I n Rechtssachen nach gemeinem Recht, i n denen der Streitwert zwanzig Dollar übersteigt, soll das Recht auf ein Verfahren vor Geschworenen gewahrt bleiben und keine Tatsache, über die ein Geschworenengericht befunden hat, soll von irgendeinem Gerichtshof der Vereinigten Staaten nach anderen Regeln als denen des gemeinen Rechts erneut geprüft werden.

Verfassung der Vereinigten Staaten von A m e r i k a

Zusatzartikel

VIII

Übermäßige gerichtliche Sicherheitsleistung soll nicht verlangt noch sollen übermäßige Geldstrafen auferlegt noch grausame oder ungewöhnliche Strafen verhängt werden.

Fünf weitere Zusätze Zusatzartikel

IX

Die Aufzählung bestimmter -Rechte i n der Verfassung soll nicht so ausgelegt werden, daß andere Rechte, die beim V o l k e verblieben sind, dadurch verneint oder geschmälert werden. Zusatzartikel

X

Die Befugnisse, die von der Verfassung weder den Vereinigten Staaten übertragen noch den Einzelstaaten versagt sind, bleiben jeweils den Einzelstaaten oder dem V o l k e vorbehalten. Zusatzartikel

XIII

Weder Sklaverei noch unfreiwillige Dienstknechtschaft soll, außer der Strafe für ein Verbrechen, dessen die betreffende Person i m ordentlichen Verfahren überführt worden ist, i n den Vereinigten Staaten oder irgendeinem ihrer Hoheit unterworfenen Gebiet bestehen. Zusatzartikel

XIV

A l l e Personen, die i n den Vereinigten Staaten geboren oder eingebürgert und ihrer Regierungsgewalt unterworfen sind, sind Bürger der Vereinigten Staaten u n d des Staates, i n dem sie ihren Wohnsitz haben. K e i n Staat soll ein Gesetz erlassen oder ausführen, welches die Vorrechte und Freiheiten von Bürgern der Vereinigten Staaten verkürzt; u n d kein Staat soll irgend jemandem das Leben, die Freiheit oder das Eigentum nehmen, es sei denn durch ordentliches Gerichtsverfahren nach Recht u n d Gesetz, noch irgend jemandem innerhalb seines Gebietes den gleichen Schutz des Gesetzes versagen. Zusatzartikel

XV

Das Wahlrecht der Bürger der Vereinigten Staaten soll von den Vereinigten Staaten oder einem der Staaten nicht auf Grund von Rasse, Farbe oder vormaliger Unfreiheit versagt oder verkürzt werden.

Anmerkungen 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

10. 11.

12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24.

Collected Papers , Bd. I I I , S. 432, 439. Goethe an v. Müller, 4. November 1823. Novum Organum, I : 84. 0 . W. Holmes, Collected Legal Papers , S. 209. Farrand, Records of the Federal Convention , Bd. 2, S. 177 u n d 188. Farrand, Bd. 2, S. 454. Coyle/Smith , 221 U. S.*) 559; 1911. The Federalist, Nr. 78 und Nr. 81 Aus Thayer's Life of Marshall, S. 64—66, ohne Anführungszeichen; Houghton M i f f l i n Company. Ich habe i h n verwendet, allerdings nicht ipsissima verba und auch nicht vollständig. Nunmehr Abschn. 342 unseres Gerichtsgesetzes. Albert J. Beveridge, John Marshall, Bd. 3, S. 142; Houghton Mifflin Company. Weiteres bei Charles Warren oder bei Marshall selbst i m ersten Bande von Cranchs Berichten. I n gedrängterer Darstellung i n Thayers Life, aus sehr klugem und richtigem Blickwinkel. A r t . I I , Abschn. 3. Clark Distilling CoJWestern Maryland Ry., 242 U.S. 311. Mississippi/Johnson, 4 Wallace 475—492; Thayer, Life of Marshall , S. 98—99. Beveridge gibt diesen Brief i n Faksimile, I I I : 176—177; er ist datiert v. 4. Januar 1804. United States/Butler, 297 U.S. 1 at 62. Euclid/ Ambler Realty Corp., 272 U.S. 365; 1926. H i e r f ü r Warren, I : 108; auch Muskrat-Fall, 219 U.S. 346, 1911. Der Gobitis-Fall, 310 U.S. 586. Der Carter-Fall, 298 U.S. 238. Beveridge I I I : 10. 7. März 1810. I I I : 593. Carter-Fall, 298 U.S. 238.

* ) Die unter einzelnen Ziffern dieser A n m e r k u n g e n w i e d e r h o l t erscheinenden Buchstaben U.S. meinen die offizielle Entscheidungssammlung des Obersten Amerikanischen Bundesgerichte«, den Supreme Court Reporter. Die voranstehende Ziffer bezeichnet die Bandfolge, die nachstehende den O r t i m Bande, unter dem die angezogene Stelle zu finden sein w i r d . A n Stellen, wo f ü r U.S. ein Eigenname steht, z. B. Wallace, ist eine besondere, unter diesem Namen laufende Reihe gemeint. ( A n m . d. Ubers.)

Anmerkungen

25. Der Adkins-Fall, 261 U.S. 525 at 544; — delicacy — ist ein W o r t von Marshall i n Fletcher/ Ρedt, 6 Cranch at 128. 26. 198 U.S. 45 at 76; der volle Text auf Seite 143. 27. Eakin/llaub, 12 S. & R. at 352; 1825. Daniel Webster kam auf denselben P u n k t heraus, als er vier Jahre zuvor i m Obersten Gerichtshof von Massachusetts den F a l l Charles River Bridge vertrat; 7 Pickering at 442. 28. 5. J u l i 1935. 29. 298 U.S. 513. 30. United States/Bekins, 304 U.S. at 33. 31. Natürlich gab das überhaupt keine Unterscheidung; das Gericht sah den Ashton-Fall später als abgetan an. Siehe Rutledge i n einer Fußnote zu Prudential Insurance Co.!Benjamin, 3. Juni 1946. 32. Helvering/Griffiths, 318 U.S. 371 at 400. 33. Collected Legal Papers , S. 311. 34. Dessaussure 9s Equity Reports, 446 at 477; angeführt i n Thayers A r t i k e l i n 7 Harvard Law Review, 141—142; abgedruckt i n seinen Legal Essays. 35. 7 Wallace 506; siehe weiter Charles Fairman i n seinem Mr. Justice Miller and the Supreme Court, H a r v a r d University Press, 1938, Kap. 6. 36. Warren I , 222—225. 37. The American Commonwealth I , 276. 38. 39. 40. 41. 42.

Warren I I , 294. Gesetz vom 19. J u n i 1862. Farrand, Records of the Federal Convention , I I : 350. 157 U.S. auf 532 und 553. Henry F. Pringles Life of Taft; Farrar and Rinehart, 1939.

43. 1. J u l i 1909; 44 Congressional Report 4002. 44. 28. März 1910. 45. Benjamin F. W r i g h t , The Growth of Constitutional Law, 1942; S. 77, 82, 86, 148 und 180. 46. Siehe Warren I I , 742; siehe weiter die Tafel am Ende von Frankfurters Mr. Justice Holmes and the Supreme Court. 47. Edgerton versuchte es abzuschätzen i n seinem A r t i k e l über die W i r k u n g der richterlichen K o n t r o l l e über den Kongreß, 22 Cornell Law Quarterly 299, aber es brachte meiner Meinung nach nicht viel Nutzen. 48. United States/Butler, 297 U.S. 1. 49. Siehe Lilienthals TVA — Democracy on the March; Harper and Brothers, 1944. 50. Collected Legal Papers, S. 310. 51. The Will To Believe, S. 195; Longmans, Green and Company, Inc., 1915. 52. Political Science, Bd. 2, S. 330—331; 1877.

264:

Anmerkungen

53. I n einer Lincoln-Day-Adresse, 15 National Corporation Reporter, 849. 54. American Bar Association Journal vom Mai 1937, S. 365. 55. The Golden Bough, von J. G. Frazer, Ausgabe i n einem Bande, S. 171; The Macmillan Company, 1940; hier gekürzt. 56. The Business of the Supreme Court, von F r a n k f u r t e r und Landis. Die folgenden Formulierungen stammen gleichfalls daher. S. 302 bis 307. 57. The Constitution Revisited, Columbia University Press 1938, S. 5. 58. Holdsworth, Bd. 5, S. 340. 59. 37 Harvard Law Review, 1002; 1924. 60. 2 Cranch 179. 61. Dieser B r i e f w i r d erwähnt von Donald G. Morgan i n seinem allzu kurzen A r t i k e l i n 57 H a r v a r d Law Review 328. 62. Marine Insurance Co./Young, 5 Cranch 191. 63. 261 U.S. 525. 64. Arizona!Sardell, 269 U.S. 530. 65. 300 U.S. 379. 66. Collected Legal Papers, S. 173 67. Yale Law Journal vom Februar 1937. 68. Norton!Shelby County, 118 U.S. at 442; 1886. 69. Chicot County District!Bank, 308 U.S. 371; es war i m Asliton-Fall als verfassungswidrig erkannt worden. 70. 287 U.S. 358 at 364—365. 71. Siehe Cardozos The Nature of the Judicial Process ; Gray, The Nature and Sources of the Law, S. 547; Jackson, The Struggle for Judicial Supremacy, S. 307—308; A l f . A. K n o p f , Inc. 1941. 72. Die Passenger-Fälle, 7 Howard 470. 73. Barden! Ν orthern Pacific Ry., 154 U.S. 322. 74. West Coast Hotel CoJParrish, 300 U.S. 379. 75. Tigner/Texas, 310 U.S. 141. 76. Brandeis hatte sie aufgeführt i n einer Fußnote zum Falle Burneti Coronado Oil & Gas Co., 285 U.S. auf 406 -407. 77. Rabelais, Buch I V , Kap. 51. 78. Bertrand Rüssel, Problems of Philosophy , S. 156; Oxford University Press. 79. Bulletin of the Boston Society of Natural History, A p r i l 1931. 80. Spector Motor Service!Walsh, 139 Fed. 2 d. 809 at 823; 1943. Jowett sagte ziemlich das gleiche i n seinen Noten zu Republic, aber ich kann es nicht wiederfinden, und es schadet auch nicht weiter. 81. Allen Bradley! Union, 325 U.S. 797 at 806. 82. New York/United States, 326 U.S. 572. 83. Gobitis-Fall, 310 U.S. 586. 84. Brown!Maryland, 12 Wheaton 419; 1827. 85. 4 Wheaton 316. 86. Der Zusammenhang findet sich auf S. 158.

Anmerkungen

87. 88. 89. 90. 91. 92. 93. 94. 95. 96. 97. 98. 99. 100. 101. 102. 103. 104. 105. 106. 107. 108. 109. 110. 111. 112.

Panhandle Oil Company/Knox, 277 U.S. 218 at 223. Hannegan/Esquire, 327 U.S. 146. Henry F. Pringles Life of Taft, S. 971. Pringle, S. 971 Pringle, S. 1044. 30. März 1930. 310. U.S.; 1940. My Wayivard Parent, The Bobbs-Merrill Company, 1945. Elizabeth Cobbs Lebensbeschreibung ihres Vaters, I r v i n S. Cobb. 290 U.S. 398. 291 U.S. 502. 293 U.S. 389. 294 U.S. 240. Erwähnt i m Bericht über den Fall, 298 U.S. 330. 295 U.S. 330. 378. 364—365. 379. 381. 372. 351. 374. California! Anglim, 129 Fed. 2 d 455. The Road We Are Travelling, S. 43. Schechter!United States , 295 U.S. 495. Panama Refining Co.!Ryan, 293 U.S. 388. United States/Socony Oil Co., 310 U.S. 150 at 170 - 1 7 1 .

113. Panama Refining 114. 443.

Co.!Ryan,

293 U.S. 388.

115. Der Schechter-Fall, 295 U.S. 495. Tatsächlich kauften die Angeklagten gelegentlich von Beauftragten i n Philadelphia. Siehe S. 520. Das Gericht war k l u g genug, dieses bißchen an zwischenstaatlichem Handel nicht weiter zu beachten. Es war eben ein Test-Fall, und sie behandelten i h n auch als solchen. 116. 543. 117. 546 u n d 548. 118. 554. Hands Meinung findet sich i n United States!Schechter Fed. 2 d. 617. 119. Ex parte Yarborough 110 U.S. 651; 1884.

Corp., 76

120. 44. 121. 297 U.S. 1. 122. Präsident Roosevelt erwähnte die Klausel i n seiner Radio-Ansprache vom 9. März 1937 i n einer schlechten Lesart, nämlich i m Sinne — Steuern zu erheben . . . und für die gewöhnliche Verteidigung und die allgemeine Wohlfahrt der Vereinigten Staaten zu

266

Anmerkungen

sorgen. — Es handelt sich um die Macht, Steuern zu erheben für die gewöhnliche Verteidigung und die allgemeine Wohlfahrt, nicht um ein unabhängiges Recht, für die allgemeine Wohlfahrt zu sorgen. Professor Powell sagte: — Die elliptische Ausdrucksweise des Präsidenten, m i t der andere auch schon argumentiert haben, würde unnötigerweise dazu führen, alle anderen Verfassungsklauseln ausdrücklich genannte Machtvollkommenheiten auf den Kongreß übertragen zu lassen. Eine derartige Version würde den Rest der Verfassung außerordentlich dumm machen. — (The Nation, 8. März 1941.) 123. 124. 125. 126. 127. 128. 129. 130. 131. 132. 133. 134. 135. 136. 137. 138. 139. 140. 141. 142. 143. 144. 145. 146. 147. 148. 149. 150. 151. 152. 153.

154.

73. 71. 74—78. 78. 24, und wieder auf 40. Mulford/Smith, 307 U.S. 38. A m 5. J u l i 1935. Carter/Carter Coal Co., 298 U.S. 238. 30. August 1935. 298 U.S. at 286—287. 316. Sunshine Coal Co./Adkins, 310 U.S. at 397. 336. 321—322. Richard Hofstadter, Social Darwinism in American Thought, University of Pennsylvania Press, 1945. Erwähnt bei Hofstadter, S. 31. Der Oxford Dictionary gebraucht 1566 zum ersten Male das W o r t „ i n d u s t r y " i m Sinne von Handel oder Manufaktur. Siehe R. H . Tawney, Religion and the Rise of Capitalism. 198 U.S. 45. 208 U.S. 412; 1908. 243 U.S. 426; 1917. Pringles Life, S. 1049. Morehead, Warden/New York ex rel. Tipaldo, 298 U.S. 587. Erie Railroad/Tompkins, 304 U.S. 64. Siehe S. 67—68. American Law School Review, A p r i l 1937. 299 U.S. 619. 299 U.S. 515. 299 U.S. 515. 300 U.S. 379. 389—390; Hughes nennt i h n den Morehead-Fall, nach dem Vormund, aus dessen Aufsicht Tipaldo i m habeas corpus-Wege entlassen wurde. 300 U.S. at 402; über das, was Stone sagte, siehe S. 100.

Anmerkungen

155. 156. 157. 158. 159. 160. 161. 162. 163. 164. 165. 166. 167. 168. 169. 170. 171. 172. 173. 174. 175. 176. 177. 178. 179. 180. 181. 182. 183. 184 185. 186. 187. 188. 189. 190. 191. 192. 193.

H elvering/ Griffiths, 318 U.S. 401; 1. März 1943. 321 U.S. 452 und 540. Siehe United States/Darby, 312 U.S. 100 at 123. Siehe United States/Lowden, 308 U.S. 225 at 239. Die Labor-Board-Fälle, 301 U.S. 1. Der Carter-Fall, 298 U.S. at 308. 301 U.S. 757. 97. McReynolds zitiert aus der A k t e . Martino/Michigan Cleaning Co., 327 U.S. 123. Carmichael!Southern Coal & Coke Co., 301 U.S. 495. Associated Industries!Department of Labor, 299 U.S. 515. Steivard Machine Co./Davis, 301 U.S. 548. Florida/Mellon, 273 U.S. 12. United States/Darby, 312 U.S. at 124. H elvering/Davis, 301 U.S. 619. 644—645. Gibbons/ Οgden, 9 Wheaton 1. Missouri, Kansas & Texas Ry./May, 194 U.S. 267 at 270. Erwähnt i n Pringles Life of Taft, S. 1046. „ L a w and the Court", Collected Legal Papers, S. 295. Buch I I I . Graves!O'Keefe, 306 U.S. at 487. Erie!Tompkins, 304 U.S. 64. 88. Champion!Ames, 188 U.S. 321. 357—358. Siehe Warren, I I : 736. 247 U.S. 251. Mulford!Smith, 307 U.S. 38. 51—57. United States/Darby, 312 U.S. 100. The Federalist, Nr. 32. McCulloch!Maryland, 4 Wheaton auf S. 431. Panhandle Oil Co.lKnox , 277 U.S. 223. Rogers!Graves, 299 U.S. 401. Graves!O'Keefe, 306 U.S. 466. 12 Wheaton. Learned H a n d sagte 1943, „So weit ich sehen kann, beruhte die I m m u n i t ä t des zwischenstaatlichen Handels gegen eine derartige (einzelstaatliche) Besteuerung als solche auf den gleichen Erwägungen, wie sie i m Bezug auf die I m m u n i t ä t einer Tätigkeit der Vereinigten Staaten als herrschend anzusehen sind''', Spector Motor Ser· vice!Walsh, 139 Fed. 2 d 809 at 823.

194. Philadelphia Steamship 195. 304 U.S. 307.

Co.!Pennsylvania,

122 U.S. 326 at 346.

268

196. 197. 198. 199. 200. 201. 202. 203. 204. 205. 206. 207. 208. 209. 210. 211. 212. 213. 214. 215.

216. 217. 218. 219. 220. 221. 222. 223. 224. 225. 226. 227. 228. 229. 230. 231. 232. 233. 234.

Anmerkungen

305 U.S. 434. 305 U.S. 439. 304 U.S. 316—326. 304 U.S. 328. 305 U.S. 449—450. 305 U.S. 455. 309 U.S. 176. 184. 185. 188—189. 322 U.S. 292. 302. Hall/De Cuir , 95 U.S. 495. Morgan/Virginia, 3. Juni 1946. 11 Wallace 113. 11 Wallace at 128. Brush!Commissioner, 300 U.S. 352; das letzte Kongreßgesetz beiläufig als verfassungswidrig zu datieren. IIelveringlGerhardt, 304 U.S. 405. Graves/O'Keefe, 306 U.S. 466. Erwähnt i n Schlesingers Age of Jackson, S. 29; L i t t l e Brown, 1945; wegen einer gleichen Galanterie siehe McReynolds Begründung für das Gericht i n Ashton! Cameron County, 298 U.S. 513. South CarolinalUnited States, 199 U.S. 437. Allen! Regents, 304 U.S. 439. Neiv York/United States, 14. Januar 1946. Diaz/ Gonzalez y Lugo, 261 U.S. at 106. Chase Securities Corporation/Donaldson, 325 U.S. at 309. Carr, Concerning Administrative Law, Columbia University Press, 1941, erwähnt James H a r t . Gray bemerkt dies dreimal i n seinem Nature and Sources of the Laiv. Nash/United States, 229 U.S. 373 at 376. International Harvester Co./Kentucky, 234 U.S. 216. United States/Elgin, J. & E. Ry., 298 U.S. 492 at 500. H elveringl Hallock, 309 U.S. at 123. 309 U.S. at 119. United States/ Schwimmer, 279 U.S. 644; United States!Mackintosh, 283 U.S. 605; United States!Bland, 283 U.S. 636. Girouard/United States, 22. A p r i l 1946. Z. B. Jackson i n 323 U.S. at 271. An American Dilemma, S. 281; Harpers 1944. Siehe Myrdal, An American Dilemma , Fußnoten auf S. 1105—1107 u n d 1298. 323 U.S. 192. 200.

Anmerkungen

235. 236. 237. 238. 239. 240. 241.

242. 243. 244. 245. 246. 247. 248. 249. 250. 251. 252. 253. 254. 255. 256. 257. 258. 259. 260. 261.

201—202. 209. 208. A l u m i n i u m Co. of America, 1 N.L.R.B. 530. St. Josephs Stock Yards Co./United States, 298 U.S. 38 at 92. Wallace CorpJLabor Board, 323 U.S. 248. Über die Falschheit und Wertlosigkeit der Hypothese vom isolierten I n d i v i d u u m , siehe K a p i t e l Zwei von E l t o n Mayos The Social Problems of an Industrial Civilisation, H a r v a r d University Press, 1945; weiter i m gleichen Buche über Gruppen, ihre Notwendigkeit und ihre Entwicklung. Warren, I I , 368 ff.; Fairman, Mr. Justice Miller, S. 69—74. Fairman, Mr. Justice Miller, S. 86—89. Wegen eines schwereren Falles, ehe der K r i e g völlig vorüber war, siehe Duncan/ Kahanamoku, 25. Februar 1946, 327 U.S. 304. 249 U.S. 47. 250 U.S. 616. United States/Abrams; 1919, 250 U.S. 616 at 629—631. The Masses, 244 Fed. 535. I n Pennekamp/Florida, 3. J u n i 1946. Abrams-Fall, 250 U.S. 616 268 U.S. 652. Prudential Insurance CoJCheek, 259 U.S. auf 538 und 543. A m 27. Mai 1789. Farrand, I I , 588. Warren, Congress, The Constitution and the Supreme Court, 84—85. Aus The Bull, Bd. 20, Nr. 23, Root, Clark, Buckner and Ballantine, 10. J u l i 1939. 307 U.S. 496. Par: 24—14. 526. Barron/Baltimore, 7 Peters 243. 16 Wallace 36.

262. 122. 263. Modern Age Books,, Inc., New Y o r k , 1939. 264. Connecticut General Life Insurance Co., 303 U.S. auf 85—90; hier werden Sie seine Gründe finden, und Sie werden auch finden, daß es schwer war, i h m unrecht zu geben, als die Frage neu auftauchte. 265. Charles Fairman, M r . Justice Miller and the Supreme Court, S. 186 bis 189. 266. Harvard Law Review. 267. 2 Institute 46. 268. 19 H o w a r d 393. 269. 134 U.S. 418. 270. Lochner/New York, 198 U.S. 45; 1905. 271. Coppage!Kansas, 236 U.S. 1; 1915.

270

272. 273. 274. 275. 276. 277. 278. 279. 280. 281. 283. 283. 284. 285. 286. 287. 288.

289. 290. 291. 292. 293. 294. 295. 296. 297. 298. 299. 300. 301. 302. 303. 304. 305. 306. 307. 308. 309. 310. 311.

Anmerkungen

Coppage/Kansas, 236 U.S. 1 at 14. Patterson/Colorado, 205 U.S. 454 at 465. Gilbert/Minnesota, 254 U.S. 325 at 343. Prudential Insurance Co J Cheek, 259 U.S. at 543. Meyer/Nebraska, 262 U.S. 390 Drew Pearsons column, 27. A p r i l 1941. 262 U.S. at 412. Gitlow/New York, 268 U.S. at 666. Fiske/ICansas , 274 U.S. 380. 283 U.S. 359. Ν earl Minnesota, 283 U.S. 697 at 707. 1930. Baldwin/Missouri, 281 U.S. at 595. Unveröffentlichter Brief vom 24. Februar 1903 an Mrs. Charles P. Curtis Federal Power Commission/Natural Gas Pipeline Co., 315 U.S. 575 at 601; International Shoe Co J Washington, 326 U.S. 310. I n : International Shoe Co./Washington. Federal Power Commission/Natural Gas Pipeline Co., 315 U.S. 575 at 601, i n einer Fußnote; Douglas u n d M u r p h y pflichteten Blacks abweichender Meinung bei. Ρalko/Connecticut, 302 U.S. at 326. Betts/Brady, 316 U.S. at 461—462. Bridges! California, 314 U.S. 252. Pennekamp/Florida, 3. J u n i 1946. 314 U.S. 252. 314 U.S. 252—263 und 265. Atlantic Monthly, Januar 1941; später veröffentlicht bei Random House Inc. i n Collected Poetry, 1945, S. 275. 301 U.S. 103. Remains, I I : 177. 302 U.S. 656; 303 U.S. 624; 306 U.S. 621. General Education in a Free Society, H a r v a r d University Press 1945, S. 39. 310 U.S. 586. 593—594. Jones! 0pelicka, 316 U.S. 584 at 623—624. Spector Motor Service/Walsh, 139 Fed. 2 d, 809. 149 Fed. 760. 47 F. Supp. at 253. 319 U.S. 624. Dies stammt aus Jacksons „dissent" i n 319 U.S. at 167—170. Murdock/City of Jeannette, 319 U.S. 105. 319 U.S. 108—111. 112. 319 U.S. 181.

Anmerkungen

312. 313. 314. 315. 316. 317. 318. 319.

320. 321. 322. 323.

324. 325.

326. 327. 328. 329.

319 U.S. 112. 319 U.S. 137. 174. 166. 321 U.S. 573. 580—581. 581. 581—582. Dies sind natürlich nicht die einzigen Fälle, die zeigen, daß die Gedanken dieser Richter i n demselben Geleise liefen, das bereits den alten Gerichtshof so festgelegt hatte. Siehe McCanns Fall, 317 U.S. 269, wo sie soviel sagten, als daß unter dem Sechsten Amendment niemand auf sein Recht, einen Beistand zu besitzen, verzichten und seinen F a l l allein führen könne. Oder betreffs eines ganz anderen Gegenstandes, i m Falle Ritters Cafe, 315 U.S. 722, wo sie das Recht zu Streikposten einfach unter die Redefreiheit und damit unter das Erste Amendment brachten, obgleich das Aufstellen von Streikposten doch wohl mehr zu bedeuten hat als eine einfache Rede. West Virginia State Board of Education/ Barnette, 319 U.S. 646 bis 671. Ich habe zuviel übersprungen und ausgelassen. Henry St. John, Erster Viscount von Bolingbroke, 1678—1751, über den K ö n i g von England, i n seiner Dissertation über die Parteien. V o r dem American Law I n s t i t u t , 9. Mai 1944, abgedruckt i m „Journal of the American Judicature Society" vom Juni. Commission/ Aldrich, 316 U.S. 174 at 202. Siehe auch seine abweichende Meinung i m Southeastern Underwriters Association Fall, 322 U.S. 533, J u n i 1944. Chicago, Milwaukee & St. Paul R. R./Minnesota, 134 U.S. 418. Stone brachte eine Fußnote zwecks dieser W i r k u n g i n 303 U.S. at 185; eine weitere 309 U.S. at 46; und wieder i n 325 U.S. at 767. Es scheint so, als habe er es bei jeder sich bietenden Gelegenheit wiederholen wollen. Edwards/California, 314 U.S. at 174. United States!Carolene Products Co., 304 U.S. at 152—153. Lochner/New York, 198 U.S. 45. „ D e r Gegenstand der Unabhängigkeitserklärung", schrieb Jefferson an Henry Lee am 8. Mai 1825, „ w a r nicht das Herausfinden neuer Prinzipien oder Argumente, an die vorher niemand gedacht hatte, nicht bloß eine Aussage von Dingen, die vorher nie gesagt worden waren; es war vielmehr das Anliegen, der Menschheit den gesunden Menschenverstand (common sense) voranzustellen, i n so klaren und festen Ausdrücken, daß man ihre Zustimmung erreichen konnte, und uns rechtlich i n der unabhängigen H a l t u n g zu bestätigen, die w i r einzunehmen gezwungen waren. Weder aus einer Vorliebe für Ursprünglichkeit des Prinzips oder Gefühles, noch als Kopie einer besonderen und voraufgegangenen Niederschrift, sollte sie lediglich

272

Anmerkungen

ein Ausdruck der amerikanischen Denkweise sein, m i t der Absicht, diesem Ausdrucke den von dieser Gelegenheit geforderten eigenen Tonfall und Geist zu verleihen. Ihre gesamte A u t o r i t ä t ruht danach auf den harmonischen Gefühlen des Tages, ob sie sich ausdrücken mögen i n Unterhaltungen, Briefen, gedruckten Essays oder i n den Elementarbüchern des öffentlichen Rechts, wie Aristoteles, Cicero, Locke, Sidney etc." 330. A. N. Withehead, Science and the Modern World, Kap. V ; The Mac-

millan Company.

Bibliographie Wenn Sie dieses Buch soeben gelesen haben oder gerade dabei sein sollten, es zu lesen, oder wenn Sie schlimmstenfalls sich genug dafür interessiert haben um zu entscheiden, daß Sie es nicht lesen werden, dann lassen Sie mich zunächst vorschlagen, daß Sie sich durch einen Ihnen bekannten Juristen einige der neuesten Exemplare der fortlaufenden Blätter der Entscheidungen des Obersten Amerikanischen Bundesgerichtes verschaffen lassen sollten. Diese Blätter sind für i h n doch nur Makulatur, sobald er den gebundenen Entscheidungsband i n Händen hält. B l ä t t e r n Sie darin herum, bis Sie zu einer abweichenden Meinung, einem — dissent — kommen, je länger, desto besser, und das lesen Sie dann erst einmal. Es zeigt I h n e n die Gegenwart von irgend etwas Wichtigem oder Interessantem an, und es w i r d Ihnen besser als die offizielle Meinung des Gerichtes sagen, warum wichtig und interessant. Lassen Sie sich dann von I h r e m Bekannten jenen Band leihen, der den vollen Bericht über einen der großen Fälle enthält, die Sie interessieren. Vielleicht erhalten Sie i h n auch i n einer Bücherei; wenn nicht, dann kann man es nur bedauern. Eine Entscheidungssammlung des Obersten Bundesgerichtes braucht nicht mehr Platz i m Regal und ist nicht teurer als das Binden alter Magazine. A m besten unterrichten Sie natürlich die laufenden Fälle, und Sie können die fortlaufenden Veröffentlichungen abonnieren, indem Sie an das Government P r i n t i n g Office, Washington, D. C., schreiben, wobei Sie $ 2.75 für eine Jahressubskription zu zahlen haben. Die Berichte hinken zwar jeweils um Monate nach, aber sie sind wunderschön und i n großen Lettern gedruckt, leicht einzustecken, und eignen sich somit ausgezeichnet zur Bahnlektüre. Sie können sich auch die fortlaufenden — opinions — der Lawyers Co-operative Society, Rochester, New Y o r k , schicken lassen, die $ 5.— i m Jahre kosten und Sie ungefähr i n einer Woche erreichen. Wenn Sie etwas Geschichtliches wünschen, dann beginnen Sie dort, wo der Gerichtshof tatsächlich i n das konstitutionelle Triebwerk eingriff, und lesen Sie Charles Fairman's Mr. Justice Miller and the Supreme Court (Härvard University Press 1939). Es ist außerdem eine gute Biographie eines kraftvollen Amerikaners, der i n den dreißiger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts seine Laufbahn als Angestellter i n einem — drugstore — i n Kentucky begann, dann zum D o k t o r promovierte, Rechtsanwalt wurde, und seit 1862, als L i n c o l n i h n i n den Gerichtshof berief, bis 1890 eine der stärksten und weisesten Richterpersönlichkeiten war. deren das Gericht sich rühmen darf. D o r t können Sie also m i t der Geschichte beginnen, aber wenn Sie bis ganz i n die Anfänge zurückwollen, dann ist der erste Band von Charles Warren's The Supreme Court in United States History ( L i t t l e Brown. 19

274

Bibliographie

1926), die beste Quelle weit und breit. Ebenso Charles G. Haines' umfangreiches W e r k über The Rôle of the Supreme Court in American Government and Politics , 1789—1835 (University of California Press, 1944). Ich hoffe, daß die anschließenden Bände bald erscheinen werden. Wenn Sie etwas über Marshall wissen wollen, dann ist dort Beveridge's massive u n d durchaus lesbare Lebensbeschreibung (Houghton Mifflin Company, 1916), nur daß er I h n e n nicht dauernd zu versichern brauchte, welch ein großer Mann Marshall doch war. Aber nehmen Sie keinesfalls diese vier Bände an Stelle von Thayer's rund einhundertundfünfzig Seiten seines kurz gehaltenen Life (Houghton M i f f l i n Company, 1901). Wegen Holmes beginnen Sie m i t dem Dictionary of American Biography, dort finden Sie nicht weniger als elf aufschlußreiche Seiten. Kaufen Sie Max Lerner's Zusammenstellung The Mind and Faith of Justice Holmes ( L i t t l e Brown, 1943), sowie Frankfurters Mr. Justice Holmes and the Supreme Court (Harvard University Press 1938). Aber ehe Sie eines von beiden lesen, greifen Sie zu Catherine D r i n k e r Bowen's Yankee from Olympus (Atlantic M o n t h l y Press 1943) und Francis Biddle's Mr. Justice Holmes (Charles Scribner's Sons, 1942). Über den kürzlichen Streit des Gerichtes mit dem New Deal finden Sie etwas i n Richter Jackson's The Struggle for Judicial Supremacy (Knopf, 1941). Als Generalstaatsanwalt steckte Jackson m i t t e n i m Getümmel, und er hatte das Glück, Paul Freund nicht nur i m Kampfe an seiner Seite zu wissen, sondern auch dessen H i l f e bei diesem Buche leihen zu können. F ü r Bücher, die den Gerichtshof selbst beschreiben, Hughes The Supreme Court of the United States (Columbia University Press, 1928). Hughes hielt diese Vorlesungen vor ungefähr zwanzig Jahren, zwischen seiner beiden Amtsperioden auf der Richterbank. Was könnte er jetzt erst schreiben! Wenn Sie aber etwas Götzenkult wünschen, den können Sie auch haben, i n James M. Beck's Buch, m i t einem V o r w o r t von Calvin Coolidge für eine Ausgabe, die irgend jemand an Schulkinder verteilte. Ich würde dann eher Maury Mavericks In Blood and Ink lesen (Modern Age Books, 1939). Es bezieht einen anderen Standpunkt und ist gelehrsamer. Als Lehrer verfassungsrechtlicher D o k t r i n e n außerhalb des Gerichtshofes nenne ich I h n e n James Bradley Thayer, Thomas Reed Powell und Edward S. Corvin. Thayer's Essays über diesen Gegenstand finden sich i n seinen Legal Essays (Boston Book Company, 1908); die besten Dinge sagt er i n seinen Cases on Constitutional Law (Cambridge, 1895); ich selbst habe dummerweise ein antiquarisches Exemplar des ersten Bandes nicht gekauft, da ich den zweiten nicht finden konnte. Powell ist jetzt unser großer Experte. Er k o m m t von Vermont und läuft m i t einem Schraubenschlüssel herum, m i t dem er gute D o k t r i n e n festzieht und schlechte abwrackt. Wegen dieses Stoffes müssen Sie i n den Fachzeitschriften suchen. Wann w i r d er einmal alles zusammen aufschreiben? Hoffentlich bevor einer es für seine Pflicht hält, es zu sammeln. Corvin hat verschiedene kurze Bücher geschrieben.

Register

Acheson, Dean, i m Mindestlohn-Fall, 114 Adams, H e n r y , über Darwinismus, 108 über den H a r t f o r d e r K o n v e n t , 141 Adams, John, Präsident, 40, 253 Adams, John Quincy, Präsident, 17 A g r i c u l t u r a l A d j u s t m e n t A c t (Landwirtschaftsgesetz) 2, 13, 93, 103, 142 A . A . A . von 1938, 152 Alabama U n e m p l o y m e n t Compensation A c t (Arbeitslosengesetz), 134 A l d r i c h , Nelson W., Senator, gegen Einkommensteuer, 34 A m e r i c a n Bar Association (Juristenvereinigung) 29, 122, 142 Aristoteles, 196 A r n o l d , T h u r m a n W., über die Ausdrucksweise i n abweichenden V o t e n , 43 Auden, W i l l i a m H., einige Verse, 227 Ausschuß f ü r Arbeitsbeziehungen, über innere Angelegenheiten einer Gewerkschaft, 191 Avery, Sewall, auf den Schultern hinausgetragen, 29 Bacon, Francis, über L ö w e n unter dem T h r o n , 126 Bailey, Joseph W., Senator, f ü r eine 3°/oige Einkommensteuer, 34 Bangor, Bischof von, über Gesetzesauslegung, 181 Bankhead, John H., Senator, 147 Barkley, A l b e n W., Senator, über L i n coln, 118; m i t dem Gerichtsplan befaßt, 142 Bates, Edward, Lincolns Generalstaatsanwalt, 198 Bayard, Thomas F., Senator, 29 Beck, James M., sein Buch über das Oberste Bundesgericht, 274 Bellamy, Edward, an Stelle von Spencer? 253 Benton, Thomas H a r t , Senator, über Rechtsanwälte, V Beveridge, A l b e r t J., sein Life of John Marshall, erwähnt, 10, 17, 274

19*

B i d d l e , Francis, Generalstaatsanwalt, über B u t l e r , 75; sein Mr. Justice Holmes, 274 Black, Hugo, kurze Beschreibung, 147; über \^ersöhnung, 68; Meinungen über staatliche Besteuerung des zwischenstaatlichen Handels, 164; abweichende M e i n u n g i m D i x i e Greyhound F a l l , 167; desgleichen i m N. W . A i r l i n e s F a l l , 169; k o n k u r r i e r e n d e Meinung über J i m Crow Wagen, 171; über — ordentliches Verfahren — , 218; über das Recht auf einen Verteidiger, 220; über Redefreiheit und M i ß a c h t u n g des Gerichtes, 222; über den Flaggengruß, 234 Bolingbroke, erwähnt, 246 Borah, W i l l i a m E., Senator, f ü r 3°/oige Einkommensteuer, 34 Bowcn, Catherine D r i n k e r , i h r Yankee from Olympus, 274 Bracton, 48 Bradley, Joseph P., Richter, abweiwrichende Meinung i n Collect ort Day, 173; i n den Schlachthausfällen, 208, 212; über Verwaltungsbehörden, 212, 248 Brandeis, Louis B., R i c h t e r , kurze Beschreibung, 74; sein — factual brief — I l l ; Schreiben an den Senat, 123; über V e r a n t w o r t u n g , 191; über Freiheit 213/214 Brewer, D a v i d J., Richter, über K r i t i k der Richter, 33, 35, 42, 51 Brougham, L o r d , Disraeli über, V Bryan, W i l l i a m Jennings, 33 Bryce, L o r d , über den Spalt i n unserer Rüstung, 30 Buchanan, James, Präsident, Dred Scott F a l l , 31 B u r k e , E d m u n d , erwähnt durch Benton, V B u r t o n , H a r o l d H., Richter, kurze Beschreibung, 156; abweichende Meinung über J i m Crow Wagen, 171 B u t l e r , B e n j a m i n F r a n k l i n , k e i n Cromw e l l , 29

276

Register

B u t l e r , Pierce, Richter, kurze Beschreibung, 73; M e i n u n g i m N. Y . Mindestl o h n - F a l l , 114; abweichende Meinung über Social Security Act, 138; desgleichen über A . A . A . von 1938, 153; über das Recht zu besteuern, 160 B u t l e r , Samuel, A u t o r von Hudibras, über L a t i t u d i n a r i e r , 229 Byrnes, James F., Richter, über den K o m p r o m i ß , 59; kurze Beschreibung, 155; über die Okies, 249 Cardozo, B e n j a m i n N., Richter, kurze Beschreibung, 75; über die platonische Vorexistenz einer Entscheidung, 63; abweichende M e i n u n g i m F a l l Schwarzes ö l , 89; k o n k u r r i e r e n d i m N.R.A. F a l l , 92; abweichend i m K o h l e n - K o n t r o l l - F a l l , 107; Hughes über, 134; Ansicht über soziale Sicherheit, 139; über Ruhegehälter, 140/141; über Redefreiheit, 219 Carnegie, A n d r e w , begrüßt Spencer, 108 Casanova, 205 Catron, John, Richter, 31 Chase, Salmon P., Gerichtspräsident. 28, 137 Chase, Samuel, Richter, 12, 57 Chase, Stuart, Bundesregierung als K o n k u r s v e r w a l t e r des nationalen Bankrotts, 86 Choate, Joseph H., über Einkommensteuer, 32 Clark, Greenville, i m Gespräch mit E l i h u Root, 206 Clayton-Gesetz / Sherman-Gesetz, 68 Cleveland, Grover, Präsident, 32 Cobb, Elizabeth, erwähnt, 76 Coke, L o r d o b e r r i c h t e r , gegenüber Jakob I., 48; über die Magna Charta,

210

Conkling, Roscoe, lügt ein bißchen, 209 Conally-Gesetz, 89 Coolidge, Calvin, Präsident, 73 Corwin, E d u a r d S., hält Gray dafür, 33; über neue Rechte, 119; seine Bücher über den Gerichtshof, 274 Cranch, W i l l i a m , 17 Cummins, A l b e r t , Senator, für 3 % i g e Einkommensteuer, 34 Curtis, Β . R., Richter, 29, 31 Cushing, W i l l i a m , Richter, 57 Darwinismus, 108 Day, W i l l i a m Rufus, Richter, 35 Denman, W i l l i a m , Richter, Sinn f ü r das Lächerliche, 84

Disraeli, über A n w ä l t e , V Douglas, W i l l i a m 0 . , Richter, kurze Beschreibung, 148; abweichende Meinung i m Saratoga Wasser F a l l , 178; über Wanderprediger, 238; über Besteuerung der Religion, 239 D r e i f a l t i g k e i t s k i r c h e , N. Y . , ihre Investitionen steuerfrei? 241 Eastman, Joseph P., über f r e i w i l l i g e Pensionen, 77; betr. Überalterung, 80 Eisenbahnarbeitsgesetz, 187 Eisenbahnsteuergesetz von 1935, 184 Esquire , Recht auf ermäßigte Postgebühren, 70 F a i r Labor Standards A c t (Gesetz über gerechte Arbeitsbedingungen), 133, 153 Fairman, Charles, sein Life of Miller, 32, 273 Field, Stephen J., über verfassungswidrige Gesetze, 62; über stare decisis , 63 Ford, H e n r y , 184 F r a n k f u r t e r , F e l i x , Richter, kurze Beschreibung, 148; die T ä t i g k e i t des Gerichtes, 47; Gutachten, 16, 22, 52; Zahn der Zeit, 64; widerstreitende Ausstrahlungen, 71; über ein verführerisches Cliché, 161; aus der Begründung i m Saratoga Wasser F a l l , 178; U n t ä t i g k e i t des Kongresses, 184; die Regel von der offenbaren und unm i t t e l b a r e n Gefahr, 202; Verächtlichmachung des Gerichtes, 222,223,224; Meinung i m ersten Flaggengrußfall. 230/231, 233/234, 256; Steuerbefreiung als Subsidie, 24-0/241; abweichende Meinung i m zweiten Flaggengrußfall, 242 ff.; sein Mr. Justice Holmes and the Supreme Court, 274 F r a n k l i n , B e n j a m i n , zu einer Dame bei einem B a n k e t t , 31; Unabhängigkeitserklärung, 40, 253 Frazer, James G., über Könige und Taboos, 44 Freud, Sigmund, über das Lust-Ego, 51 Freund, Paul, m i t Jackson bei seinem The Struggle for Judicial Supremacy , 274 Fuller, M e l v i l l e Weston, Gerichtspräsident, 35 Garrison, L l o y d K . , über Präzedenzfälle, 61; für eine Verfassungsergänzung, 119 George, H e n r y , au Stelle von Spencer? 253 Gerichtsgesetz von 1789, 47

Register Gerry, Elbridge, 46 Gesetz über den B a n k r o t t von Stadtverwaltungen, 23 Gesetz zur Bodenerhaltung, 103 Gesetze über den Wiederaufbau, 11, 22 Gibson, Gerichtspräsident, über richterliche Oberhoheit, 20 Goethe, erwähnt, 1, 40, 65 Gray, Horace, Richter, 33, 212, 248 Gray, John C., erwähnt, I I I . Greer, Robert Cooper, Richter, 31 Haines, Charles, G., sein The Rôle of the Supreme Court , 274 H a m i l t o n , Alexander, gegen Madison wegen „allgemeiner W o h l f a h r t " , 2 , 9 7 , 139; über Staatsanklage, 7 H a n d , Learned, Richter, über Dedukt i o n , 67; M e i n u n g i m N.R.A.Fall, 92; jene W o r t e sind H e m m k e t t e n , 201: wann Entscheidungen unbeachtet bleiben können, 234 H a r d i n g , Warren, G., Präsident, 73 H a r l a n , John Marshall, Richter, über — ordentliches Verfahren — , 213 Hobbes, erwähnt, I I I . Hogan, F r a n k J., sein Zutrauen zur gesetzgeberischen Weisheit, 142; über L a n d m a r k e n , 143 Holmes, 0 . W., Richter, K o n t i n u i t ä t gegenüber dem Vergangenen, 1; Theorie, 2; vernünftige Zweifel, 20, 24; seine Abweichung i m Lochner F a l l , 20, 110; „ W i r sind machtlos", 25; das Bedürfnis nach einem Superl a t i v , 40; Richter sind keine Götter, 41; gebunden durch Präzedenz,58,112; Recht, 61, 62; das Recht zu besteuern, 69,160; über Brandeis, 74; regionales Recht, 180; seine abweichende M e i n u n g über K i n d e r a r b e i t , 150; Preise in einer imaginären W e l t , 237; die Regel von der offenbaren und u n m i t t e l b a r e n Gefahr, 199, 202; abweichende M e i n u n g i m F a l l Abrams, 200; n i c h t dem Gotte gleich, 215; der H i m m e l ist die Grenze, 216; Halbgötter, 217; Spencer, 253 Hoover, H e r b e r t , Präsident, über F. D. Roosevelts Richterernennungen, 75 Hughes, Charles, Gerichtspräsident, kurze Beschreibung, 75; über verfassungswidrige Gesetze, 62; über stare decisis , 64; abweichende M e i n u n g über Eisenbahnpensionen, 78; über Delegation der gesetzgeberischen Gew a l t , 88; M e i n u n g über N.R.A., 91;

abweichende Meinung i m KohlenK o n t r o l l - F a l l , 107; Begründung i m Washington Mindestlohn-Fall, 123/ 124; Meinung über N.L.R.A., 130/131; über Cardozo, 134; sein The Supreme Court, 274 Jackson, Robert H., Richter, über Verfassungsauslegung, auf einige Fragen von Schweden, 77; kurze Beschreibung, 156; über gewerkschaftliche Mitgliedschaft, 193; Ansicht i m zweiten Flaggengrußfall, 235/236, 250; beschreibt Jehovas Zeugen, 236; sein The Struggle for Judicial Supremacy , 77; über Piatons Höhle, 240; über N o w e n d i g k e i t der Weisheit, 246 Jakob I., gegenüber Coke, 48 James, W i l l i a m , „ N e h m e n w i r eine noch so geringe B i t t e . . 4 1 Jay, John, Gerichtspräsident, 56 Jefferson, Thomas, Unabhängigkeitserk l ä r u n g , 40, 253 Johnsohn, A n d r e w , Präsident, 11, 22,

28

Johnson, W i l l i a m , Richter, weichende V o t e n , 57

über

ab-

K e l v i n , L o r d , seine k l e i n e n Modelle, 14 K e p l e r , seine k l e i n e n Dämonen, 14 Kinderarbeitsgesetz, 119 Kohlenkontrollgesetz, 22, 103 Kriegsdienstverweigerer, 184 Lamar, Lucius Quintus Cincinnatus, Richter, 112 Landis, James M., über die T ä t i g k e i t des Gerichtshofes, 47 Landon, A l f r e d M., über Mindestlöhne,

118

Lawyer's Co-operative Society, ihre fortlaufenden Entscheidungen, 273 Lerner, Max, sein The Mind and Faith of Justice Holmes, 274 Lewis, John L., anerkannt durch General Motors, 127 L i n c o l n , Abraham, aus seiner ersten A n t r i t t s r e d e , 34 L l o y d , Demarest, an Stelle von Spencer? 253 Lodge, H e n r y Cabot, Senator, gegen Einkommensteuer, 34 L o w e l l , Α. Lawrence, über Versammlung von Geistern, 55 M c l l w a i n , Charles H., darüber wo w i r beginnen sollten, 48 McKenna, Joseph, R i c h t e r , 35, 116, 175

278

Register

M c K i n l e y , W i l l i a m , Präsident, 33, 203 McLeish, daß ein Gedicht etwas sein sollte, 5 McReynolds, James C., Richter, kurze Beschreibung, 72; abweichende Meinung über N.L.R.A., 132; desgleichen über Social Security A c t , 137; über das Lehren moderner Sprachen, 216; über gesetzgeberische B i l l i g u n g , 183 Madison, James, gegen H a m i l t o n wegen „allgemeiner W o h l f a h r t 4 4 , 2, 17; b r i n g t die B i l l of Rights ein, 204 M a i t l a n d , F. W., vorgestern, 1 Marshall, John, Gerichtspräsident, i n M arbury/Madison, 10, 30, 50, 72; über Staatsanklage und W i d e r r u f von Entscheidungen, 12; Beveridge über Marshall, 10, 17; f ü r E i n s t i m m i g k e i t , 56; über Unterscheidungen, 69; aus den Gründen zu McCulloch/Maryland, 159; über die B i l l of Rights. 207 Martin, Luther, 2 Mason, George, 3 Maverick, M a u r y , über Zauberkunststücke, 209; sein In Blood and Ink , 209, 274 M e r r y m a n F a l l , 198 M i l l e r , Samuel F., Richter, erwähnt, 93 M i n n e s o t a - M o r a t o r i u m für Pfandschulden, 76 Monroe, James, Präsident, 29 Montaigne, über das Leben, 15 Moody, W i l l i a m , Richter, 35 M o r r i s , Gouverneur, 3 M u r p h y , F r a n k , Richter, kurze Beschreibung, 155; k o n k u r r i e r t i n der Frage gewerkschaftlicher D i s k r i m i nierung, 188 M y r d a l , Gunnar, sagt, daß Page übertreibe, 186 N a t i o n a l Labor Relations A c t (Nationales Gesetz über Arbeitsbeziehungen, N.L.R.A.), 36, 119, 127, 186 N a t i o n a l e r Fabrikantenverein, über realen Sachwert, 182 N.R.A., 86, 127 New Y o r k e r Anarchistengesetz, 203 New Y o r k e r M i l c h k o n t r o l l e , 76 New Y o r k e r Mindestlohngesetz, 108, 113, 119 New Y o r k e r Arbeitslosengesetz, 120 Norrie, George, Senator, 75 Page, Thomas Nelson, über das Slavenmonopol, 186

Parker, John, Richter, weist zurück, 73; zählt Nasen, 235 Paterson, W i l l i a m , Richter, 57 Peckham, Rufus W., Richter, 175 Pendieton, Edmund, ein B r i e f von Madison, 205 Pepper, George W h a r t o n , Senator, arguendo , 96, 101, 102 Pierce, F r a n k l i n , Präsident, über Landabgabe an Eingeborene, 137 Pinckney, Charles, 9 Pollock, Sir F r e d e r i c k , Holmes schreibt an i h n über Spionagefälle, 201 Powell, Thomas Reed, unser großer Experte i m Bundesgericht, 274 Randolph, John of Roanoke, über Souveränität und Keuschheit, 174/175 Reed, E a r l F., rät seinen K l i e n t e n , 143 Reed, Stanley F., verteidigt das A A A . , 96; Kontroverse m i t Sutherland, 130; kurze Skizze, 148; Ansicht über J i m Crow Wagen, 170; über Bridges Fall, 225; u n d M i ß a c h t u n g des Gerichtes, 225 Revisionsrat, 22, 46, 47, 246 Richberg, D o n a l d Α., greift Geflügel heraus, 90 R i m b a u d , über Farben der Vokale, 14 Roberts, Owen J., kurze Skizze, 74; über richterliche Oberhoheit, 13/14; aus der Nebbia-Begründung, 76; Meinung über Eisenbahnpensionen, 78; i m A A A . - F a l l , 97; i m A A A . - F a l l von 1938, 152; W i r k u n g der Wiedereinsetzung eines Statutes, 183 Robinson, Joseph, Senator, sein plötzlicher Tod, 123, 142 Rockefeller, John D., über die amerikanische Schönheitsrose, 109 Roosevelt, F r a n k l i n , Präsident, sein Gerichtsplan, 29, 53; über verfassungsrechtliche Zweifel, 22,104; über N.R.A., 86; über Wages and Hours Act, 119 Roosevelt, Theodore, Präsident, sein W i d e r r u f von Entscheidungen, 15, 119 Root, E l i h u , Senator, gegen E i n k o m mensteuer, 34; über das Wort „ s i c h e r n 4 4 , 206; opponiert gegen Brandeis, 74 Rüssel, Bertrand, über die W e l t der ideale, 65 Rutledge, W i l e y , Richter, kurze Skizze, 156 Sanford, E d w a r d T., Richter, 58, 73 Sechzehnte Ergänzung, 35

Register Seidon, John, über Religion, 252 Sherman-Gesetz / Clayton-Gesetz, 68 Shiras, George, Richter, 33 Snell, B e r t r a n d H.. i n Scham u n d Sorge,

22

Social Security A c t (Sozialsicherheit9gesetz), 119, 135 Sokrates, erstes A r g u m e n t f ü r die Unsterblichkeit, 63; sein Dämon, 217 Spencer, H e r b e r t , als unser geistiger Führer, 108; und die vierzehnte Ergänzung, 110; Holmes läßt den Philistern Gerechtigkeit widerfahren, 252 Stanton, E d w i n N., Kriegssekretär, 198 Steinbeck, John, e r w ä h n t : Früchte des Zornes, die Okies, 249 Stevens, Thaddeus, k e i n Cromwell, 29 Stone, H a r l a n F., Gerichtspräsident, kurze Skizze, 74; Selbstbeherrschung, 36, 245; abweichendes V o t u m i m AAA.-Fall, 100; desgleichen im N. Y . Mindestlohn-Fall, 116; die zehnte Ergänzung, 138; M e i n u n g über F a i r Labor Standards A c t , 153; aus den Gründen i n Saratoga Wasser F a l l , 178/179; über gewerkschaftliche D i s k r i m i n i e r u n g , 188; Flaggensalut u n d Religion, 231, 250 Story, Joseph, Richter, über — ordentliches Verfahren — , 210 Sumners, H a t t o n W., Senator, 23 Sutherland, George, Richter, kurze Skizze, 73; die V e r m u t u n g der Gültigk e i t , 19/20; Ansicht über K o h l e n Kontroll-Gesetz, 106; aus den Gründen zum Mindestlohn, 111; abweichende Meinung i m Washington M i n destlohn-Fall, 124; Kontroverse m i t Reed über zwischenstaatlichen Handel, 130; abweichende M e i n u n g über Social Security A c t , 137; Pressefreiheit, 227/228; Stones Z u r ü c k h a l t u n g , 125 T a f t , W i l l i a m H., Gerichtspräsident, über Einkommensteuer, 34; gegenüber B u t l e r , 73; opponiert Brandeis, 74; über Hughes, 74; abweichende Meinungen, 111 Taney, Roger B., Gerichtspräsident, i m Falle Dred Scott, 31, 72; über stare decisis , 64; i m M e r r y m a n - F a l l , 198; über — ordentliches Verfahren — , 210

Thayer, James Bradley, erwähnt, 274; sein Life of John Marshall, seine Legal Essays und Cases on Constitutional Law , 274 de Tocqueville, Alexis, erwähnt, V I T u c k e r , Thomas T u d o r , 205 Underwood, Oscar, Senator, 147 Vallandigham, Clement L., e x i l i e r t , 198 V a n Buren, M a r t i n , Präsident, Benton schreibt an ihn, V V a n Devanter, W i l l i s , Richter, über Bedeutung, 15; kurze Skizze, 72; zieht sich zurück, 141 Vehlen, Thorstein, an Stelle von Spencer? 253 Wade, B e n j a m i n F r a n k l i n , k e i n Cromw e l l , 29 Wages and Hours A c t : siehe F a i r L a b o r Standards A c t Wagner-Gesetz, siehe N.L.R.A. Wallace, H e n r y Α., Landwirtschaftssekretär, 94, 152 Warren, Charles, sein Supreme Court in United States History , 273 Washington, George, Präsident, fordert Gutachten, 15 Washington Mindestlohn-Gesetz, 123 Waties, Kanzler, über „ a l l e Männer von V e r n u n f t u n d Überlegung", 25/

26 Wayne, James Moore, Richter, 31 Webb-Kenyon-Gesetz, 11, 22 Webster, Daniel, p l ä d i e r t tagelang, 54 Wheeler, B u r t o n Κ . , Senator, 122 Wheeler, W i l l i a m M., über Naturalisten u n d Biologen, 65 W h i t e , E d w a r d Douglas, Gerichtspräsident, 35, 175 Whitehead, A l f r e d N., über A b s t r a k t i o nen, 67; über Philosophie als deren K r i t i k , 253 Wilkes, John, 205 Wilson, Woodrow, Präsident, wie man seine A n w a l t s t ä t i g k e i t überwindet, V W o o d b u r y , Peter, Richter, 235 Woolsey, Theodore D w i g h t , Richter als Diener Gottes, 42 Youmans, E d w a r d L., 109