Lubliner Jiddisch: Ein Beitrag zur Sprache und Kultur des Ostjiddischen im 20. Jahrhundert anhand eines Idiolekts [Reprint 2011 ed.] 9783110945782, 9783484231375

On the basis of a phonological analysis of a tape recording in Eastern Yiddish made by a speaker from Lublin, the author

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German Pages 246 [248] Year 1988

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Table of contents :
Vorwort der Autoren
0. Einleitung
1. Jiddisch als Forschungsgegenstand – Desiderat und Aufgabe
1.1. Kulturträger und -symbol
1.2. Jiddistik und Germanistik
1.3. Mehrsprachigkeit
1.4. Zusammenfassung
2. Das Ost jiddische im 20. Jahrhundert
2.1. Historischer und kultureller Hintergrund
2.2. Jiddisch als Sprache der Juden in Osteuropa
2.3. Sprachpolitik und -pflege
3. Sprachdokument Lubliner Jiddisch
3.1. Korpus
3.2. Tonbandaufnahme XIV/4
3.3. Die Sprache von 5
4. Perspektiven für die weitere Forschung
5. Anmerkungen
6. Abkürzungsverzeichnis
7. Bibliographie
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Lubliner Jiddisch: Ein Beitrag zur Sprache und Kultur des Ostjiddischen im 20. Jahrhundert anhand eines Idiolekts [Reprint 2011 ed.]
 9783110945782, 9783484231375

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P H O N A I L A U T B I B L I O T H E K DER D E U T S C H E N S P R A C H E

Herausgegeben vom Institut für deutsche Sprache Band 37

Mogens Dyhr und Ingeborg Zint

Lubliner Jiddisch Ein Beitrag zur Sprache und Kultur des Ostjiddischen im 20. Jahrhundert anhand eines Idiolekts

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1988

Herausgabe, Schriftleitung und Leitung der Herstellung:

Ernst Dittmer, Ärhus Edeltraud Knetschke, Mannheim Margret Sperlbaum, Mannheim

Herstellung der Druckvorlage:

Gerda Beck, Mannheim Annette Gräber, Ludwigshafen

Karten:

Mogens Dyhr, Kopenhagen Ingeborg Zint, Kopenhagen

Zu diesem P H O N A I - B a n d ist ein Tonband lieferbar, das die zugrundeliegende Originalaufnahme enthält.

C I P - T i t e l a u f n a h m c d e r D e u t s c h e n Bibliothek Dyhr, Mogens : L u b l i n e r Jiddisch : e. Beitr. zur Sprache u. Kultur d. O s t j i d d . im 20. Jh. a n h a n d e. Idiolekts / M o g e n s D y h r ; Ingeborg Zint. - T ü b i n g e n : Niemeyer. (Phonai ; B d . 37) NE: Zint, Ingeborg:; G T [ H a u p t b d . ] . - 1988

ISBN 3-484-23137-8

ISSN 0554-0992

© M a x N i e m e y e r Verlag Tübingen 1988 Alle R e c h t e v o r b e h a l t e n . O h n e G e n e h m i g u n g des Verlages ist es nicht g e s t a t t e t , dieses Buch o d e r Teile d a r a u s p h o t o m e c h a n i s c h zu vervielfältigen. Printed in G e r m a n y D r u c k : W e i h e r t - D r u c k G m b H , D a r m s t a d t . E i n b a n d : Heinr. Koch, Tübingen

Statt einer Widmung

"ix h o p n i £ k e n t

ojfhern

zajn

a jid"

(I,

348)

5

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort der Autoren

0.

Einleitung

1.

Jiddisch als Forschungsgegenstand - Desiderat und

9

11

Aufgabe

12

1.1.

Kulturträger und -symbol

12

1.2.

Jiddistik und Germanistik

14

1.3.

Mehrsprachigkeit

17

1.4.

Zusammenfassung

18

2.

Das Ostjiddische im 20. Jahrhundert

19

2.1.

Historischer und kultureller Hintergrund

19

2.1.1.

Der Bund

22

2.1.2.

Emigration

24

2.2.

Jiddisch als Sprache der Juden in Osteuropa

26

2.2.1.

Jiddisch als Ausbausprache

28

2.2.2.

Jiddisch als Mischsprache

30

2.2.3.

Zusammenfassung

38

2.3.

Sprachpolitik und -pflege

39

3.

Sprachdokument Lubliner Jiddisch

46

3.1.

Korpus

46

2.

Tonbandaufnahme XIV/4

47

2.1

Inhalt

47

2.2

Kommentare zur Verschriftlichung

55

2.3

Verschriftlichung

58

2.4

Kommentare zum Verständnis

118

3.

Die Sprache von S

129

3.1

Phonologie

129

3.1 .1. Vokale

129

3.1 .2. Konsonanten

155

3.1 .3. Alternation von Einzellauten

162

3.1 .4. Wortakzent

169

3.2

Lexik

171

3.2 .1. Lexeme hebräischer Herkunft

172

3.2 .2. Lexeme slawischer Herkunft

176

3.2 .3. Falsche Freunde

178

3.2 .4. Internationalismen

184

3.2 .5. Alternation von Lexemen

190

3.3

191

Morphosyntax

3.3 .1. Nominalbereich

192

3.3 .2. Verbalbereich

200

3.3,.3. Wortbildung

204

3.3 .4. Topologie

209

3.4

Gesprächsanalytische Aspekte

216

3.5.

Zusammenfassung

221

7

4.

Perspektiven für die weitere Forschung

222

5.

Anmerkungen

228

6.

Abkürzungsverzeichnis

238

7.

Bibliographie

239

9

Vorwort der Autoren

Dieser

Beitrag

richtet

Jiddischkenntnisse,

an

sich

an

Germanisten

mit

und

ohne

Sprachvariationsforscher und ganz allgemein

an Leser mit kulturhistorischen Interessen.

Er verdankt seine Entstehung unseren generellen Forschungsinteressen Sprach- und zuwachs,

Kulturkontakt

den

und

Mehrsprachigkeit,

Erkenntnis-

wir aus langjähriger Beschäftigung mit der jiddischen

Sprache gewonnen haben, sowie dem Umstand, discher

dem

Sprachaufnahmen

daß in der Sammlung jid-

im DSAv des Instituts für deutsche Sprache

Mannheim geeignetes Datenmaterial zur Verfügung

stand,

das

bisher

weder veröffentlicht noch bearbeitet ist.

Daß dieser Beitrag von außerhalb der Jiddistik kommt, betrachten wir nicht als Nachteil,

sondern werten es eher als konstruktive Auffor-

derung zu verstärkter interdisziplinärer Diskussion zum Thema

'Jid-

disch im 20. Jahrhundert'.

Dem IdS danken wir für die Aufnahme in die Reihe

PHONAI

und

Ernst

e

Dittmer,

Arhus,

für seine Bereitschaft, den vorliegenden Band mit-

herauszugeben. Bei der Herstellung des Typoskripts fachkundige

erhielten

wir

großzügige

und

Hilfe beim IdS in der Abteilung Wissenschaftliche Dien-

10

ste und dem DSAv.

Ohne die unermüdliche

Knetschke und Dr.

Margret Sperlbaum als Kolleginnen und Herausgebe-

rinnen hätten wir es sehr viel

schwerer

Hilfe

von

gehabt.

Dr.

Sie

vermittelten

auch freundlicherweise den Kontakt mit dem Informanten, cher S' der Bandaufnahme XIV/4,

Edeltraud

dem

'Spre-

der uns zusammen mit seiner Frau in

einem unvergessenen Gespräch viele neue Einsichten vermittelte. Ohne ihn wäre manches konturloser geblieben.

Ganz besonderen Dank schul-

den wir unserem langjährigen Jiddischlehrer, Aron Greczanik, der uns mit

ausdauernder

Geduld

und Begeisterung in die jiddische Sprache

und Kultur eingeführt hat.

Wir würden uns freuen, wenn es gelungen wäre,

etwas von dem Gewinn,

den wir aus der Beschäftigung mit dem Jiddischen gezogen haben,

um-

zusetzen,

und

so daß andere durch die hier vermittelten

angerissenen

Probleme

zur

Einblicke

Weiterarbeit auf diesem Gebiet angeregt

würden.

Mogens

Dyhr

Ingeborg Kopenhagen, November 1987

Zint

11

0. Einleitung

Die hier vorgelegte Bearbeitung der Tonbandaufnahme X I V M des DSAv Transkription

sowie kommentierende und diskutierende Beschreibung -

dient einem doppelten Zweck.

Einerseits soll durch die Dokumentation eines konkreten Korpus einer Sprachvarietät Jiddisch dazu beigetragen werden, ein Stück Kulturgeschichte, soweit nötig, möglich,

zugänglich zu machen und,

auch vor dem Vergessen zu bewahren. Eine Kulturgeschichte,

die keine Chance mehr hat, zu

soweit hierdurch

lebendig und unmittelbar von

Generation weiterzuwirken,

weil die geographischen,

Generation soziologi-

schen und sprachlichen Bedingungen nicht mehr gegeben sind.

Andererseits ist es unsere Absicht, schreibung

anhand der

linguistischen

des vorliegenden Idiolekts aufzuzeigen,

Jiddisch als Forschungsgegenstand in der Linguistik Dabei

beziehen

Be-

welche Stellung zukommen

kann.

wir außer den Disziplinen Jiddistik und Germanistik

Aspekte der Variations- bzw.

Kontaktlinguistik mit ein.

winkel ist ein primär synchroner;

es geht nicht darum,

Der Blickdie geneti-

sche Beziehung des heutigen Jiddisch zum Mittelhochdeutschen nachzuweisen.

Dementsprechend zweckdienlich soll die

Auswahl

einzelnen

generellen Einführung in den

Kapitel

sein:

Nach

einer

und

Anordnung

der

12

Gegenstand mit besonderem Hinblick auf seinen sprachlichen men,

soziokulturellen

und

Hintergrund wird eine begründete Eingrenzung vorgenom-

der dann

die

kommentierte

und

auswertende

Bandbearbeitung

folgt. Abschließende Bemerkungen geben auf dem Hintergrund der Dokumentation

Hinweise

auf Probleme und Desiderata im Zusammenhang mit

der weiteren Erforschung des Jiddischen.

1. Jiddisch als Forschungsgegenstand - Desiderat und Aufgabe

Die Legitimation eines Forschungsbeitrags stützt sich auf die

Rele-

vanz des behandelten Gegenstandes, die angewendeten Methoden und die Perspektivierung in übergreifende Zusammenhänge.

Der

durch die Tonbandaufnahme XIV/4 erfaßte Ausschnitt aus der jid-

dischen Sprache, tiert,

der

der den Idiolekt eines

Jiddisch

als

Muttersprache

Fünfzigjährigen

repräsen-

hat und bis zu seinem 14.

Lebensjahr aktiven Gebrauch von ihr gemacht hat, gibt Anlaß zu einer Reihe Überlegungen, die als geeignet angesehen werden,

die Relevanz

des vorliegenden Forschungsbeitrags zu erläutern und zu begründen.

1.1. Kulturträger und -symbol

Die

im

DSAv

aufgezeichneten

Sprachdokumente

des Jiddischen sind

auch, nicht zuletzt wegen ihres Inhalts und ihrer Unwiederbringlichkeit,

unersetzliche kulturgeschichtliche Dokumente und sollten auch

13

als solche ausgewertet werden.

Es ist eine Tatsache, daß die Juden,

die Jiddisch als Muttersprache haben und aus

lebendiger

Erinnerung

Uber die Verhältnisse in Osteuropa bis zum Zweiten Weltkrieg berichten können, einen verschwindend kleinen Teil der heute noch lebenden Juden

ausmachen

und

daß

sie

-

als

Volk

vertrieben

jahrhundertealten Wohngebieten in Polen und Rußland nicht nen.

mehr

aus ihren

ihre

Sprache

im angestammten soziokulturellen Kontext verwenden kön-

Im Alltag sind sie gezwungen,

sich wenigstens

sprachlich

zu

assimilieren, überall dort, wo sie schließlich Aufnahme fanden. Diese Situation ist grundsätzlich verschieden von der, die vielen Emigrantengruppen vom Anfang des

in welcher sich

Jahrhunderts

befanden,

die auch Schwierigkeiten hatten, ihre Muttersprache in fremdsprachiger Umgebung in den USA, pflegen,

in England,

Frankreich,

Dänemark usw. zu

die aber nicht völlig abgeschnitten waren von der

Kultur-

weit, aus der sie aufgebrochen waren. Es gab, falls gewünscht, immer noch die Nabelschnur zur Heimat, diger Kulturbezug noch möglich.

zum Städtl. Dadurch war ein lebenHeute ist jegliche Kontinuität

un-

terbrochen.

Zwar teil: gung

wird

dem

Jiddischen von verschiedensten Seiten Interesse zu-

In Israel hat man nach der anfänglichen strikten

Zurückdrän-

zugunsten der den neuen Staat prägenden Sprache Iwrit Jiddisch

als Schulfach zugelassen und 1951 an der Universität Jerusalem einen Lehrstuhl für Jiddistik eingerichtet. In den meisten Ländern Europas und in Nordamerika wird Jiddisch vermehrt

Gegenstand

sprachwissen-

14

schaftlicher

Beschäftigung,

und die Nachkommen in der dritten und

vierten Generation von jüdischen Emigranten aus

Osteuropa

beginnen

sich für Sprache und Kultur ihrer Vorfahren zu interessieren. Außerdem stellen wir im Zusammenhang mit der seit einigen Jahren zu beobachtenden

nostalgischen

Hinwendung zu Dialekt und Volkskunde fest,

daß Jiddisch auch beliebter

Gegenstand

nichtjüdischer

Interpreten

geworden ist. Aber die jiddische Welt in Osteuropa ist verschwunden, für die betroffenen Menschen ist sie verloren. Eine Möglichkeit, sie mittelbar zugänglich zu machen und dadurch mitzuhelfen,

sie für das

kollektive Kultur- und Geschichtsverständnis zu erhalten, besteht in der Erhebung,

Bewahrung und Bearbeitung solcher Sprachdokumente wie

denen des DSAv.

1.2. Jiddistik und Germanistik

Daß Jiddisch eine Mischsprache mit slawischen und hebräischen Komponenten

auf deutscher Grundlage ist,

geschichtliche Fakten belegt werden.

kann durch kultur- und sprachWenn es aber darum

geht,

die

Relation Jiddisch-Deutsch zu beschreiben,

stoßen wir auf Extremhal-

tungen sowohl innerhalb

als

der

Germanistik

auch

innerhalb

der

Jiddistik. Auf der einen Seite hat man Jiddisch als schlechten, verkommenen lesen,

deutschen die

Jargon abgetan,

Behauptung,

Jiddisch

auf der anderen Seite kann man stamme

vom

Deutschen

ab,

sei

genausowenig von Bedeutung wie die Behauptung, der Mensch stamme vom Affen

ab.

?

In

Kenntnis der Geschichte des jüdischen Volkes durch-

15

schaut man die soziokulturellen Beweggründe für solche Extremhaltungen:

Beide waren

und

sind

in

ihren

Zuspitzungen

Ausdruck

für

aggressiven Kulturchauvinismus auf der einen Seite und für den durch jahrhundertelange

Unterdrückung

provozierten

Überlebenskampf auf der anderen Seite.

Emanzipations-

und

Letzteres macht die puristi-

schen Bemühungen des Yivo-Instituts mit Hinblick auf die Etablierung einer Standardnorm für das Jiddische verständlich, wo z.B.

im Falle

parallel existierender Varianten aus allen oder mehreren Komponenten des

Jiddischen

wird.

eindeutig

den

nicht-deutschen

Diese

Haltung

ist

U. WEINREICH

(1968),

wo eine Reihe von Einträgen mit stilistischen

Hinweisen laubt'

deutlich

versehen sind wie

(vgl.

abzulesen

der Vorzug gegeben

'nicht zu empfehlen'

auch U. WEINREICH 1968,

XXXVIII f).

Kategorie fallen Wörter wie f i l 'viel' und zix man lieber durch a sax und mojra mit

im

Wörterbuch

oder

von

'nicht er-

Unter die erste

srekn

'fürchten', die

hobm ersetzt sähe,

im zweiten Fall

j

versucht

man

Hilfe einer Normvorschrift Wörter wie sikzal

flixtli^k

zugunsten der Wörter gojri I und polst

und

zu verdrängen.

Ähnliche sprach- und kulturpolitische Distanzierungsbestrebungen hat es in der Geschichte auch in anderen Fällen gegeben, z.B.

als es im

vorigen Jahrhundert darum ging, Norwegisch als eigenständige Sprache gegenüber

dem

Dänischen

zu

etablieren.

Problemen dieser Art ist

nicht allein von seiten der Sprachwissenschaft beizukommen.

Man muß sich aber fragen, wie innerhalb der linguistischen Diszipli-

16

nen der Jiddistik und der Germanistik solche Extremhaltungen begründet werden.

In beiden Fällen glaubt

man,

sich

auf

linguistisch

stichhaltige

Argumente zu berufen, indem man eine Standardnorm des Jiddischen mit einer Standardnorm des Deutschen, des NHD, vergleicht und Abweichungen

entweder als negativ markierte Abweichung - Jargon - beschreibt

oder den Befund,

daß ein Normphänomen auf

Entsprechung

der

läßt,

daß

in die

deutschen

Beziehung

jiddischer

Norm hat,

zwischen

den

Seite

keine

als Beweis dafür gelten beiden

Sprachen

nicht

lexikalische,

syn-

existiert.

Verglichen mit dem heutigen Deutsch werden also taktische

und

morphologische

Phänomene des Jiddischen wie der Ge-

brauch der Reflexivpronomina bei sich lernen und wir fürchten

sich,

der Relativpronomina mit Hinblick auf Kongruenz in die Menschen, was klagen,

der Negationsformen wie keinmal nicht, der Verbalformen wie

verschwunden geworden Bäckers

oder

und

Pluralformen

wie

Sätze vom Typ viele von die,

die

Schneiders,

die

wo sind gefahren in die

Vereinigten Staaten oder ich habe gar nicht gewußt, es kann geben so einen Menschen als fehlerhaft eingestuft. Oder man stellt fest,

daß

das Jiddische zwei unterschiedliche Anredepronomina für die 2. Pers. Sg. hat, nämlich du und ir, während das Deutsche hier nur die erstere verwende.

Man verweist allenfalls auf die in früheren Ausformun-

gen des Deutschen mögliche Verwendung von Ihr für die einzelnen Person (vgl. SLOBIN 1963, 195).

Anrede

einer

17

1.3. Mehrsprachigkeit

Bei

der

Beurteilung von solchen und ähnlichen verzeichneten Unter-

schieden zwischen Jiddisch und Deutsch sichtigt.

Man

übersieht

bleibt

vielerlei

unberück-

- mit Absicht oder aus Unkenntnis -,

daß

Jiddisch sich nicht in engem Kontakt mit der Norm des NHD entwickelt hat, sondern nur indirekt über den Kontakt mit dem Kolonialdeutschen und anderen Varietäten in Osteuropa. Man sieht und akzeptiert nicht, daß Deutsch

(NHD)

cher Varietäten mit

verstanden werden kann als Bündel unterschiedlieiner

Leitvarietät

Standarddeutsch.

Und

man

berücksichtigt nicht, daß diaphasische Sprachvariation sowohl völlig parallel

als auch unabhängig voneinander in zwei Sprachen vorkommen

kann.

Die Geschichte der Juden in Osteuropa zeigt,

daß die genannten Phä-

nomene wie Sprachkontakt, Sprachvarietät und 5prachvariation für das Jiddische von zentraler Bedeutung sind. Das gilt sowohl für ein Jiddisch als Standardsprache als auch für jiddische Idiolekte einzelner Informanten.

Also

muß

man solche Aspekte bei der Beschreibung der

Beziehung zwischen Jiddisch und Deutsch einbeziehen, angemessen

wenn

man

ein

differenziertes Bild der jiddischen Sprache nachzeichnen

will, d.h. man muß für einen Vergleich auch Nicht-Standardvarietäten heranziehen.

18

I.A. Zusammenfassung

Die bisher vorgetragenen Überlegungen und die im nachfolgenden

Kap.

2 gegebenen Einblicke in den das Thema betreffenden sprachlichen und kulturellen Hintergrund sollen genügen, um Gegenstand und Ziel sowie die Relevanz derselben überschaubar und verständlich zu machen.

Zur

Verdeutlichung sei noch einmal zusammengefaßt:

1.

Bisherige Einschätzungen und Fehleinschätzungen

beruhen

des

Jiddischen

auf dem Anlegen ungeeigneter Maßstäbe bei der Erfassung und

Beurteilung jiddischer

Sprachdaten.

Als

Gegenstand

sprachwissen-

schaftlicher Forschung verdient Jiddisch einen qualitativ verfeinerten Zugriff. Es müßte im Interesse sowohl der Jiddistik als auch der Germanistik

liegen,

mit Hilfe der in der Sprachvariationsforschung

entwickelten Untersuchungsparameter zu angemesseneren Beschreibungen zu gelangen.

2.

Jiddisch,

Sprachen

verstanden als eine Sprache im

Kontakt

mit

anderen

sowohl im Laufe der Geschichte als auch in der gegenwärti-

gen Sprachwirklichkeit mehrsprachiger Individuen, ist ein geeigneter Gegenstand der Sprachvariationslinguistik.

3.

Die Rolle des Jiddischen als Kulturträger mu(3 verstärkt

Sprachbetrachtungen

einbezogen

werden.

in

die

Hier hat eine Germanistik,

die sich als Sachwalter für Sprache und Kultur versteht, eine Aufga-

19

be, die zu erfüllen nicht nur ein Desideratum ist, sondern auch eine Verpflichtung, denn es gibt ja in der deutschen Germanistik die Phase,

wo rassistisches Gedankengut - bewußt oder unbewußt

-

in

die

Forschung eingegangen ist.

2. Das Ostjiddische im 20. Jahrhundert

Das Ziel dieses Kapitels ist

n i c h t

darstellung

Sprache

der

jiddischen

, eine ausführliche Gesamtund

Kultur in Geschichte und

Gegenwart zu liefern, sondern vielmehr eine Darstellung solcher ausgewählten generellen Aspekte der jiddischen Sprache und Kultur,

die

unserem Gegenstand im engeren Sinne, nämlich der Bandaufnahme XIV/4, von

linguistischem und kulturellem Gesichtspunkt aus als Folie bzw.

Hintergrund Westjiddische

dienen

sollen.

Aus

diesem

Grunde

werden

z.B.

das

und der religiöse Bereich gar nicht oder nur am Rande

behandelt.

2.1. Historischer und kultureller Hintergrund

Ende des 19. umfaßte,

Jahrhunderts lebten in Rußland,

das damals auch Polen

etwas über fünf Millionen Juden, die etwa die Hälfte aller

Juden in der Welt ausmachten."3 Da es den Juden verboten war, sich in Rußland frei niederzulassen, Westrußland (vgl.

lebten sie

fast

alle

in

Karte 1 über das betreffende Gebiet),

biete ihnen zur Ansiedlung freigegeben waren.

Polen

und

welche Ge-

Hier machten sie 11,5

20

Prozent der Gesamtbevölkerung aus - im ganzen russischen Reich ca. 4 Prozent

-,

aber

auch

hier

gab

es Restriktionen bezüglich ihrer

Wohnsitze, und zwar so, daß etwa 80 Prozent in Städten wohnten,

der

Rest auf dem Lande. In den nordwestlichen Provinzen, wo die jüdische Bevölkerungsdichte am größten war, machten die Juden fast 60 Prozent der Stadtbevölkerung aus.

Sowohl das Stadt-Land-Verhältnis als auch

die Beschäftigungsstruktur stellten bei den Juden eine Umkehrung der Verhältnisse bei den übrigen Einwohnern Rußlands dar. waren

etwa drei Viertel in Handel,

Von den Juden

Handwerk und Industrie beschäf-

tigt und nur 3,5 Prozent in der Landwirtschaft.

Im genannten jüdischen Ansiedlungsgebiet waren etwa drei Viertel aller im Handel Beschäftigten Juden. Um

Ähnliches galt für das Handwerk.

1900 arbeiteten etwa 50.000 Juden in größeren Betrieben der sich

schnell entwickelnden Industrie. Der Rest mußte in kleinen Betrieben und Werkstätten meistens in traditionellen

jüdischen

Berufen,

wie

z.B. Schneider, Schuster oder Bäcker, arbeiten. Es ist keine Überraschung,

daß in einer kapitalistischen Gesellschaft wie dem zaristi-

schen Rußland diese schiefe Verteilung zu niedrigen Einkünften zur

Arbeitslosigkeit führte.

Um die Jahrhundertwende waren ca.

Prozent der Juden auf das jüdische

Armenwesen

angewiesen,

in

bzw. 20 den

großen Städten noch mehr.

Einen

Ausweg aus dieser Situation sahen die jüdischen Massen entwe-

der in der Emigration oder in der Unterstützung von bzw. Beteiligung

21

an politischer, d.h. sozialistischer, Umwälzungen

konnte

Arbeit.

Nur durch politische

man sich wirtschaftliche Verbesserungen erkämp-

fen.

Karte 1: Jüdisches Ansiedlungsgebiet Ende des 19. Jahrhunderts

2 nördliche Provinzen

4 südliche Provinzen

(gezeichnet nach der Karte in LEVIN 1977, 2)

22

2.1.1. Der Bund

Im Jahre 1897 wurde in Wilna der für Litauen,

'Allgemeine Jüdische

Rußland und Polen',

Arbeiterbund

kurz: der Bund, gegründet. Er war

bis zur ersten russischen Revolution 1905 die größte illegale sozialistische Partei in Rußland und hatte die meisten Anhänger im

nörd-

lichen Teil des Ansiedlungsgebiets (vgl. u.a. die Übersicht bei BRYM 1978,

71).

Ein wichtiger Grund für seinen Erfolg bei den jüdischen

Massen war - neben den oben skizzierten wirtschaftlichen der

Gebrauch

der

jiddischen

Sprache

in

seiner

Gründen

mündlichen

und

Der Bund kämpfte gegen das autokratische zaristische Regime und

für

schriftlichen Agitation.

eine

demokratische

sozialistische Regierungsform und verstand sich

deshalb - jedenfalls am Anfang - als Teil der russischen sozialistischen Partei.

Er wollte für die jüdische Nation innerhalb des

der-

zeitigen Staatsgebildes Rußland eine kulturelle Autonomie, was Sprache, Bildung und Religion betrifft, nach dem Vorbild der kulturellen Autonomie der nationalen Minderheiten in Österreich-Ungarn.

Auch der Zionismus,

die andere erfolgreiche jüdische politische Be4

wegung, aber

er

die um diese Zeit entstand, wollte

-

sah die Juden als eine Nation,

im Gegensatz zum Bund - einen eigenen jüdischen

Staat, und zwar in Palästina.

Dieser grundsätzliche Unterschied war

begleitet von bitteren Auseinandersetzungen,

die sich u.a.

auf den

23

Internationalen Sozialistenkongressen zwischen der Zionistischen Arbeiterpartei Poalej Zion und dem Bund abspielten

(vgl.

LEVIN 1977,

110 f).

Unter den Aktivitäten des Bundes spielten die kulturellen eine trale Rolle.

Man wollte jüdische Schulen,

Kindergärten, Bibliothe-

ken, Theater u.a.m. einrichten, und bei allem sollte Jiddisch, ger

und

Symbol

siedlungsgebiet,

der

jüdischen

benutzt werden.

Kultur

zen-

seit

Trä-

Jahrhunderten im An-

Diese Aktivitäten sollten Instru-

mente einer neuen jüdischen national-proletarischen Kultur sein. Der Bund

kämpfte

und Elitäre,

also auch in diesem Bereich gegen das Althergebrachte wobei aber charakteristisch war,

daß das Neue auf der

Grundlage eines Verständnisses für die Tradition zustandekam.

Nach

der Revolution 1917 und dem darauf folgenden Bürgerkrieg wurde

der Bund von den siegreichen Bolschewiken Anfang der zwanziger Jahre in der Sowjetunion verboten. Danach wechselte das Zentrum des Bundes auf das wieder selbständige Polen, über drei Millionen hatte,

das eine jüdische Minderheit von

über. Schon während der deutschen Beset-

zung von Polen im Ersten Weltkrieg fingen die Führer Schulen,

Kindergärten

und

Unterrichtsmaterialien

vom

Bund

an,

auf jiddisch zu

planen. Nach dem Krieg entwickelte sich das zu einem großen Netzwerk von jiddischen Schulen in Polen,

wo man die Ideen der ersten

Jahre

des Bundes verwirklichen konnte - bis 1939, wo allem durch den Uberfall der Deutschen auf Polen brutal ein Ende gesetzt wurde.

24

2.1.2. Emigration

Einige der sozialistischen Führer mußten aus Rußland flüchten, sie wegen ihrer illegalen Tätigkeit verfolgt

wurden

.

von

aus

ideologischen

allermeisten

es,

weil

unerträglich war, die

Jugend

kunft.

der

zaristischen

Polizei

Aber nur wenige von den Tausenden von jüdischen

Auswanderern gingen taten

der

weil

das

Gründen

ins

Ausland.

Die

Leben in Rußland wirtschaftlich

die Diskrimination unakzeptabel oder einfach weil Ansicht war,

es gäbe für sie in Rußland keine Zu-

Dies alles wurde nach der mißglückten

Revolution

1905

in-

tensiviert (vgl. BLÜDNIKOW 1986, 22 ff).

Etwa 70 Prozent der Emigranten aus Rußland gingen nach den USA. Zwischen

1881

und

1914

waren es 1,5 Millionen.

allem in den Großstädten an der Ostküste nieder, jüdische

Stadtteile entstanden,

wie z.B.

Sie ließen sich vor so daß hier

in New York,

Jahrhundertwende 500.000 jüdische Einwohner hatte (vgl. 147).

Auch

die

das um die LEVIN 1977,

Beschäftigungsstruktur in der neuen Welt erinnerte

insofern an die Verhältnisse in der osteuropäischen Heimat, meisten

in

große

der Textilindustrie Beschäftigung fanden.

als die

In der neuen

Heimat bildeten sich auch sozialistische Gruppen, die Gewerkschaften gründeten, der

deren jiddischsprachige Presse für

die

Meinungsbildung

amerikanischen Juden und für deren Gefühl der ethnischen Eigen-

ständigkeit von zentraler Bedeutung war.

25

In den jüdischen Stadtteilen der amerikanischen Großstädte alle

Jiddisch,

oft stammten Arbeiter und Arbeitgeber aus derselben

Stadt in Osteuropa, leben,

sprachen

und der Arbeiter konnte jahrelang in

New

York

ohne mit der nicht-jüdischen Welt in Kontakt zu kommen,

somit dort leben, ohne Englisch-Kenntnisse zu benötigen (vgl.

und LEVIN

1977, 147).

Ähnlich waren die Verhältnisse in Großstädten anderer Länder, wo die Juden

aus

Rußland Anfang des 20.

Kopenhagen, Interviews

Jahrhunderts hinkamen,

wie sie bei BLÜDNIKOW 1986 u.a.

z.B.

auf der Grundlage

von

mit den Immigranten beschrieben werden."' Die meisten der

Immigranten wohnten im ältesten und ärmsten Viertel Kopenhagens zusammen.

in

eng

Die schlechten äußeren Verhältnisse bedeuteten aber auch,

daß sich ein starkes Gemeinschaftsgefühl herausbildete.

Die Sprache

war Jiddisch. Einer der von BLÜDNIKOW im Jahre 1982 interviewten Immigranten erzählt u.a. folgendes über das damalige Leben: "Die älteren Juden lernten es nie,

Dänisch zu sprechen und zu schreiben. Das

galt vor allem für die Frauen, die zu Hause waren. daß

wir

Das Problem war,

wie in einem Ghetto lebten und kaum etwas anderes als Jid-

disch gebrauchten.

Deshalb war Dänisch uns etwas Fremdes,

nur selten brauchten.

wir

Ich zum Beispiel lebe seit mehr als 70 Jahren

in Dänemark und spreche Dänisch mit jiddischem Akzent. ben

was

Jiddisch nie verlassen.

Denn wir ha-

Wir spielten jiddisches Theater.

Jid-

disch war mehr als eine Sprache, es war eine Kultur. Es war die Kultur, die wir verlassen hatten.

Das hat uns zusammengebunden und zu-

26

sammengehalten" (vgl. BLÜDNIKOW 1986, 52).

Diese Erinnerung ist charakteristisch für die erste Generation, sich immer als Immigranten fühlte und für die die

jiddische

die

Kultur

das Primäre war. Für die zweite Generation trat die jiddische Kultur in den Hintergrund,

nur wenige beherrschten Jiddisch, und, wenn ja,

dann nur rezeptiv. Sie wurde in die dänische Kultur integriert, für

sie

war der soziale Aufstieg in der dänischen Gesellschaft das

primäre Ziel. vollendet,

Mit der dritten Generation ist die

Integration

dann

aber gleichzeitig entsteht das Interesse für die eigenen

Wurzeln und das Bewußtsein,

daß

die

Immigranten

nicht nur für sie selbst wertvollen Kultur sind, ren und zu

und

beschreiben

es

sich

lohnt,

weil

Vertreter

einer

die zu dokumentiesie

dabei

ist

zu

Reliktgebieten in der Schweiz,

im

verschwinden.

2.2. Jiddisch als Sprache der Juden in Osteuropa

Abgesehen

von

einigen

wenigen

Elsaß und in den Niederlanden ist das Westjiddische im 20. dert ausgestorben, identisch ist.

so daß das Jiddische heute mit dem Ostjiddischen

6

Einer der wichtigsten Streitpunkte in schen

den

Jahrhun-

Bundisten

und

den

der

Zionisten

Auseinandersetzung

zwi-

war,

oder

Hebräisch als die jüdische Nationalsprache zu

ob

Jiddisch

betrachten

sei.

Auf

27

der

Tschernowitzer

Sprachkonferenz 1908 kommt es insofern zu einem

Kompromiß,

als Jiddisch in der von

Resolution

als

'eine

wird und nicht als

der

Konferenz

verabschiedeten

Nationalsprache der Juden'

'die

bezeichnet

Nationalsprache der Juden'.

Hebräisch

wird also nicht auf die Domäne der Religionsausübung beschränkt, wie es die Anhänger des Jiddischen ursprünglich wollten.

Nach

der Konferenz ging die Diskussion unverändert in beiden Lagern

weiter.

Die Partei der Hebräisch-Anhänger führte als Argumente

Jiddisch

sei

keine

Sprache,

sondern

schiedlichsten Ausdrucksweisen,

an,

ein Sammelsurium der unter-

das nur vorübergehenden

Kommunika-

tionswert habe und für erhabene Themen völlig ungeeignet sei. Außerdem gebe es jüdische Gemeinschaften, je gesprochen hätten. erzielen.

Dem

die nie Jiddisch sprächen oder

Nur Hebräisch könne Achtung von der Außenwelt

hielten

die

Anhänger des Jiddischen entgegen,

Hebräisch de facto allenfalls für eine kleine Minderheit

daß

existiere,

nicht aber als gesprochene Sprache einer ganzen Nation;

nur auf der

Grundlage der

gesprochenen

einer

Jahrtausenden

unveränderten Literatursprache sei die politische An-

Sprache,

nicht

im

Namen

seit

erkennung der Juden als Nation zu erreichen; man solle sich nicht um eine abstrakte jüdische Ganzheit kümmern, Interessen

der

Millionen

von

Juden

in

sondern um die wirklichen Osteuropa

(vgl.

hierzu

M. WEINREICH I960, 295).

Diese Argumentation berührt in komprimierter Form

die

wesentlichen

28

Phänomene,

die

für

die

damalige

und z.T.

auch neuere jiddische

Sprachwirklichkeit, sowohl objektiver als auch subjektiver Art,

von

Bedeutung sind.

2.2.1. Jiddisch als Ausbausprache

Mindestens

seit

Entstellung des Mendelssohn,

der

Aufklärung

Deutschen

wird Jiddisch von vielen als eine

charakterisiert

-

so

der Jiddisch ein Kauderwelsch nennt, η

z.B.

von

Moses

das die Juden am

besten aufgeben sollten.' Die negative Einstellung, die der zählebigen Vorstellung von der 'Reinheit' einer Sprache als etwas eindeutig Positivem

entstammt,

wurde

'Haskala'-Bewegung übernommen.

im

19.

'Jargon'

Jahrhundert

von

bürgerte sich als Bezeich-

nung des Jiddischen ein und wurde auch ovon jiddischsprachigen sen bis ins 20. Jahrhundert gebraucht.

der

Krei-

Z.B. richtete der Bund soge-

nannte Jargon-Komitees ( zargonise komitetn ) ein (vgl.

u.a. TOBIAS

1972, 36 f). Damit die jüdische Bevölkerung, die in der Mehrheit arm und ungebildet war,

mehr Ausbildung

bekommen

könnte,

mußte

ihre

Sprache ausgebaut werden, d.h. bewußt so entwickelt werden, daß Jiddisch

- vereinfacht ausgedrückt - nicht nur als mündliches Kommuni-

kationsmittel würde,

in

nicht-öffentlichen

Gebrauchssituationen

sondern vielmehr als schriftliches

nikationsmittel

in

brauchssituationen.

öffentlichen

und

und

benutzt

mündliches Kommu-

nicht-öffentlichen

Ge-

29

Seinen Höhepunkt erreichte dieser Ausbau des Jiddischen zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg (vgl.

KLOSS 1978,

92). Er war be-

dingt durch staatliche Anerkennung des Jiddischen z.B. wjetunion

und Polen,

Unterrichtssprache, schaftlichen

in

der

So-

durch das moderne Schulwesen mit Jiddisch als durch die Verwendung des Jiddischen in

wissen-

Veröffentlichungen und in den Massenmedien sowie durch

die viel beachteten Werke von jiddischen

Schriftstellern

wie

z.B.

J.L. Peretz. Jiddisch ist unter dem Aspekt des Ausbaus eindeutig als eigene Sprache einzustufen.

In

einer

Auseinandersetzung mit U. WEINREICH 1953 kritisiert KLOSS

1978 dessen subjektives Kriterium Mischsprache

für

die

Eigenständigkeit

einer

("a rating among the speakers themselves as a separate

language" (U. WEINREICH 1953,

69)).

Nach KLOSS 1978, 27 liegt erst

dann eine Sprache vor, wenn die Sprachbenutzer aus ihrer subjektiven Einschätzung die praktische Konsequenz ziehen, Ausbausprache zu machen.

aus ihrem Idiom eine

Wir sind mit KLOSS in seiner Kritik an dem

subjektiven Kriterium U. WEINREICHs nicht einig. Genauso wie bei der Definition des Begriffs

'Volk'

muß man auch beim Begriff 'Sprache'

sowohl mit objektiven als auch mit subjektiven eine

Auffassung,

die

auch

Kriterien

arbeiten,

in der neueren Variationslinguistik zu

finden ist, z.B. in dem Punkt, daß die Anzahl der vom Forscher angesetzten Varietäten innerhalb des Kontinuums

Standardsprache-Dialekt

für die Sprachbenutzer psychologische Realität haben sollte.

30

Während

viele

Jiddischsprecher - vor allem unter den Intellektuel-

len - im 19. Jahrhundert der Ansicht waren, Jiddisch sei keine eige9 ne Sprache, im

20.

sondern eine verdorbene Abart des

Jahrhundert

Deutschen,

herrscht

das Bewußtsein der Eigenständigkeit des Jiddi-

schen bei den allermeisten Jiddischsprechern vor.

2.2.2. Jiddisch als Mischsprache

Jiddisch ist eine Mischsprache,^ die aus mehreren steht,

und zwar aus einer deutschen,

slawischen.^

Dazu

kommen,

was

Komponenten

be-

einer hebräischen^ und einer

die

Lexik

angeht,

die

In-

ternationalismen.

Das Resultat der Mischung tritt auf allen

Ebenen

des

spezifischen

Systems der jiddischen Sprache in Erscheinung, im Phonologischen, im Morphosyntaktischen

und

- wohl am auffälligsten - im Lexikalischen

(vgl. u.a. ALTHAUS 1972, 1347).

Was die quantitative Verteilung der jiddischen Lexik nach ten angeht,

gibt es verschiedene Schätzungen,

die den prozentualen

Anteil angeben, wie z.B.:

dt. KLOSS 1978, 90: LANDMANN 1964:

15

ca. 80 75

h.

s.

10-15

3-5

20

Komponen-

5

31

BIRNBAUM 1979,

9 schätzt den Anteil der deutschen Komponente in der

jiddischen Lexik auf nur 50 bis 60 Prozent.

Erst

mit der Frequenzuntersuchung der Wörter der hebräischen Kompo-

nente im Jiddischen von MARK 1954,

die auf einer

Untersuchung

von

drei Millionen Wörtern in Stichproben aus den wichtigsten Textsorten der Schriftsprache wie schöner Literatur,

Zeitungen,

und wissenschaftlichen Zeitschriften basiert,

Zeitschriften

kommt man über

bloße

Schätzungen hinaus. Der Durchschnitt liegt bei 5,38 Prozent, was ein überraschend niedriges Ergebnis ist,

wenn man es mit den vorliegen-

den allgemeinen Schätzungen vergleicht,

die alle von

einem

Anteil

der hebräischen Komponente von 10 bis 20 Prozent ausgehen.

MARK

erwähnt

die

wichtigsten Faktoren für die Verwendung von ver-

hältnismäßig vielen Wörtern der hebräischen Komponente, stens

das Thema:

nämlich er-

Wenn der Autor über das spezifisch jüdische Leben

religiöser und nicht-religiöser Art schreibt;

zweitens die

Ausbil-

dung des Autors: Wenn der Autor über eine umfangreiche traditionelle jüdische

Ausbildung

tief verwurzelt ist;

verfügt

und im traditionellen jüdischen Leben

und drittens den Adressaten:

Wenn

der

Autor

weiß oder vermutet, daß der Leser Schwierigkeiten haben könnte, Wörter

der

hebräischen

Komponente zu verstehen,

versucht er,

diese

durch andere Wörter zu ersetzen (vgl. MARK 1954, 37 f).

Leider gibt es keine entsprechende Untersuchung von den anderen Kom-

32

ponenten.

Interessant wäre vor allem eine Untersuchung

der

slawi-

schen Komponente, denn bei dem verhältnismäßig geringen prozentualen Anteil

an der Gesamtlexik in den angeführten Schätzungen scheint es

merkwürdig, auch

auf

daß die qualitative Bedeutung der slawischen Komponente der lexikalischen Ebene als groß eingeschätzt wird

(vgl.

z.B. KATZ 1983, 1029 und M. WEINREICH 1980, 526). 1 4

Eine für jede moderne ausgebaute Kultursprache - und

nicht

zuletzt

für das Jiddische - wichtige Komponente sind die Internationalismen.

Internationalismen

sind

nach einer engen Definition immer griechi-

scher oder lateinischer Herkunft und kommen in sehr vielen in phonologisch und morphologisch 'ähnlicher', rer, DECSY

Form vor. 1973,

wird

große Sprachen erweitert, bilden

die

d.h. wiedererkennba-

In einer etwas breiteren Definition,

220,

Sprachen

wie z.B.

bei

der Kreis der Herkunftssprachen auf andere aber auch bei dieser

breiten

Definition

Wörter griechischer oder lateinischer Herkunft den Kern

der Internationalismen.

Auf mögliche Gründe für die relativ große Offenheit

der

jiddischen

Sprache den Internationalismen gegenüber gehen wir in Abschnitt 2.3. ein.

Auch auf den anderen sprachlichen Ebenen kann man Ergebnisse der Mischung der Komponenten feststellen.

33

Was

die

phonologische

Ebene betrifft,

spielt neben der deutschen

Komponente in erster Linie die slawische, aber auch z.T. die hebräische, z.B.

eine Rolle,

und zwar in der Qualität von

Einzellauten,

wie

das Vorhandensein von palatalisiertem oder velarisiertem i, in

der Distribution von Einzellauten, sejddr

'Ordnung',

ζ

im

Auslaut:

sonantenkombinationen, wie z.B. xsas 'Verdacht',

wie z.B. biz

xs-:

s im Anlaut vor Vokal:

'bis'

und in einigen Kon-

xsidas 'Chassidismus',

tf-r tfiia 'Gebet' (vgl.

xs -:

KIEFER 19Θ5, 1204) sowie

im Wortakzent u.a. in einigen Internationalismen, wie z.B.

ίεοΓΪε ,

asimilatsic.^

Auf der morphosyntaktischen Ebene seien als Beispiele erwähnt:

1. Die Pluralbildung der Substantive, wo z.B. das Flexiv -im von der hebräischen biniert wird.

Komponente mit einem Stamm pojr- von der deutschen komAußerdem gibt es auch

Kombinationen

Flexiv innerhalb der einzelnen Komponenten,

talss

(5g.)

'Gebetmantel'

Stamm

und

die von den Verhältnis-

sen in den Herkunftssprachen abweichen, wie z.B. Komponente:

von

in der hebräischen

- talejsim

(PI.),

wo das

Hebräische talit - talijot hat (vgl. M. WEINREICH 1980, 35).

2.

Die

komplexen

Verben,

Komponente und einem aus der

die aus einem Element aus der deutschen hebräischen

bestehen,

nämlich

einer

flektierten Form der Verben zajn, vern, hobm und einer unflektierten Form

-

ursprünglich

eine

hebräische

Partizipialform

die die

34

lexikalische Bedeutung des komplexen Verbs enthält. chung

In der Untersu-

von MARK 1954 macht diese Gruppe einen großen Teil der ermit-

telten Wörter aus der hebräischen

Komponente

aus

Wortklassen geordnete Übersicht bei MARK 1954,

(vgl.

die

nach

46). Beispiele hier-

für sind: mzvatl zajn 'berauben', mojxl zajn 'verzeihen', mojda zajn 'zugeben', moj'rs hobm 'fürchten' und nitsl vern 'überleben'.

3.

Das jiddische Verbalsystem ist in einem Punkt von der slawischen

Komponente stark geprägt,

und zwar in der Möglichkeit, die Aktions-

art bzw. den Aspekt auszudrücken.

In den slawischen Sprachen werden

diese Bedeutungen durch eine Flexionskategorie ausgedrückt, dischen durch andere Transferenz forms", schen

vor.

sprachliche

M. WEINREICH

Mittel. 1980,

528

Hier

liegt

spricht

semantische

von "aspectoid

wohl um Ähnlichkeiten mit sowie Unterschiede zu den Sprachen zu betonen

1978, 293 ff).

(vgl.

auch BIRNBAUM 1979,

im Jid-

slawi-

271 und MARK

35

Es handelt sich einerseits um gewisse tionsverbgefüge,

komplexe

Verben

bzw.

Funk-

wie z.B.:

a

f

9e j

a kuk ix tu

{

a lax a lojf a srajb

v. a rejb

Die

Bedeutung

di hsnt

solcher FVG ist die Betonung des Punktuellen und des

Einmaligen der durch das FN - lax, rejb, srajb - ausgedrückten Handlung.

Statt ton kann gebm oder xapn als FV vorkommen, wie z.B.:

η ix J

La kuk

L xap J Nicht in allen Fällen sind die

drei

FV

gegenseitig

austauschbar,

z.B. sind die folgenden Beispiele grammatisch nicht korrekt: „ f

'*gib" •a

lojf

^*xapy Andererseits far-,

on-,

haben einige präfigierte Verben mit Präfixen wie der-, ap-,

tse-,

wohl nach dem Vorbild

der

äquivalenten

36

slawischen

Präfixbildungen,

die Bedeutung,

den perfektiven Aspekt

auszudrücken, wie z.B.: dcrgejn

'das Ziel zu Fuß erreichen',

οnsrajbm

'zu Ende schreiben',

farkiln zix

οpdavnsn

'sich erkälten',

'zu Ende beten'

und

tsc-

vejnon zix 'anfangen zu weinen'.

4.

Besonders

häufig sind hybride Komposita,

die aus einem Element

aus der deutschen Komponente und einem aus der hebräischen bestehen, wie z.B.:

Determinans (dt) - Determinatum (h): 1 7 slimazl

(< schlimm + mazl) 'Unglück, Pech, Pechvogel'

vErtor-sejdsr 'Wortstellung, Topologie' Determinans (h) - Determinatum (dt): xaniko-lomp

'achtarmiger Leuchter, der während der acht Tage des xanik

xazsr-stal xejdsr-jingl

-Festes gebraucht wird'

'Schweinestall' 'xejdar-Schüler' (xejdar 'traditionelle jüdische Grundschule')

klal-

sprax

klal-tusr

'Standardsprache' 'Person aktiv in der Kommunal- bzw. Gemeindearbeit, oft in einer Leitungsfunktion'

Es gibt aber auch Komposita, die aus einem Element aus der deutschen

37

Komponente und einem aus der slawischen bestehen, wie z.B.:

Determinans (dt) - Determinatus) (s): krojt-borst

'Borschtsch mit Kraut bzw. Kohl'

Determinans (s) - Determinatum (dt): J 8 kukuruz

-brojt

'Maisbrot'

Schließlich sei ein komplexes Kompositum angeführt, aus

der

hebräischen Komponente,

das ein Element

eines aus der deutschen und eines

aus der slawischen enthält: xazar-fis-slid

'Spur von Schweinefüßen'

Entsprechende hybride Formen finden sich im Bereich der

Derivation,

wie z.B.: ibermEluxis 'überstaatlich'. Das Präfix ibsr- und das Suffix -is gehören der deutschen Komponente an, die Wurzel der hebräischen, slimazalnik 'Pechvogel'. Das Suffix -nik gehört der slawischen Komponente an. Die

Derivation

mit

dem

amerikanischen Jiddisch ein M. WEINREICH 1980, 11).

Suffix Wort

-nik wie

ist sehr produktiv, οlrajtnik

ermöglicht

was im (vgl.

38

2.2.3. Zusammenfassung

Diese

wenigen

Beispiele

sollten zeigen,

von den verschiedenen sprachlichen Ebenen

daß durch den dynamischen Vorgang der Mischung

Teilen eine neue Gesamtheit entsteht, die Summe der Teile. Entwicklung

von

die qualitativ anders ist als

Daß es sich dabei nicht nur um eine organische

handelt,

sondern in hohem Maße auch um bewußte sprach-

pflegerische Lenkung, darauf kommen wir in Abschnitt 2.3. zurück.

Wir haben in Abschnitt 2.2.1. anhand von bestimmten soziokulturellen Merkmalen Jiddisch als Ausbausprache charakterisiert. Auf der Grundlage von den in Abschnitt

2.2.2.

skizzierten

systemlinguistischen

Merkmalen

läßt sich Jiddisch auch als Abstandsprache charakterisie-

ren (vgl.

KLOSS 1978,

90).

Nun herrscht aber keine Einigkeit dar-

über, genau welche linguistischen Merkmale die Frage entscheiden, ob zwei

Abstandsprachen vorliegen.

Während BLOSEN 1986 in seiner Dis-

kussion, ob ein selbständiges Urjiddisch anzusetzen ist, die Auffassung vertritt,

daß die Aufstellung eines selbständigen

Lautsystems

das "im strengen Sinne sprachliche Argument" (vgl.BLOSEN 1986, für die Behauptung des Urjiddischen mißt KL05S 1978, oben erwähnt, Charakteristika

als

Abstandsprache

64 der Lexik das meiste Gewicht zu.

der vor

Ansicht, allem

daß

Jiddisch

wegen

162)

darstellt,

Wir sind, wie

der

skizzierten

im Morphosyntaktischen und im Lexikali-

schen als Abstandsprache zu betrachten ist, sind uns aber darüber im klaren, daß diese Auffassung nicht die einzige sein muß,

solange es

39

keine intersubjektiv nachprüfbaren und allgemein akzeptierten Kriterien

für die Messung des systemlinguistischen Abstandes gibt - vgl.

die Probleme bei den verschiedenen Methoden

der

Dialektalitätsmes-

sung. Insgesamt sind wir der Auffassung, daß die in Abschnitt 2.2.1. genannten

soziokulturellen

und sozialpsychologischen Kriterien für

die Behauptung der Eigenständigkeit des Jiddischen eine größere Rolle spielen als die in Abschnitt 2.2.2.

skizzierten systemlinguisti-

schen. Dies gilt generell, und nicht nur für das Jiddische.

2.3. Sprachpolitik und -pflege

Zu

verschiedenen

Zeiten

gab

es unter den Jiddisten und unter den

Jiddischsprechern selbst unterschiedliche Einstellungen zu den

ein-

zelnen Komponenten des Jiddischen.

Was die deutsche Komponente betrifft,

muß man berücksichtigen,

daß

Jiddisch im Laufe der Zeit mit verschiedenen Varietäten in Berührung kam. Als die Juden nach den Pogromen im 13. und 14. Jahrhundert nach Osteuropa flüchteten, kamen sie über die 'Brücke' des ostmitteldeutschen Gebiets

(so BIN-NUN 1973,

82) nach Polen und trafen dort auf

eine Varietät, die aus Elementen verschiedener regionaler Varietäten des Deutschen bestand. Auch das Kolonialdeutsche der deutschen Siedler in den polnischen Städten bairischen

Elementen,

bestand

wie es z.B.

aus

ostmitteldeutschen

und

für das Schlesische charakteri-

stisch ist. In seinen "unorthodoxen Überlegungen" weist BLOSEN unse-

40

rer Meinung nach auf überzeugende Weise einige der vielen Parallelen zwischen dem Ostjiddischen und dem Schlesischen

nach

(vgl.

BL05EN

1986, 175 ff). Ob seine These, das Ostjiddische sei auf der Grundlage des Kolonialdeutschen entstanden, nicht endgültig entschieden werden, kontaktsituationen

muß

richtig oder falsch ist, denn

wie

so

oft

in

auf

Sprach-

man auch in diesem Fall für möglich halten,

daß es sich um parallele Entwicklungen im Sprachgebrauch der Sprachen

kann

beiden

der Grundlage von gemeinsamen systematischen Möglich-

keiten handelt (so TIMM 1986, 13).

Es bleibt aber festzuhalten, daß auch in den folgenden Jahrhunderten Juden bzw. ihre

einige Juden viel Kontakt mit Deutschen hatten

Sprache

und

daß

dadurch dem starken Einfluß durch das Deutsche ausge-

setzt war (vgl. u.a. SCHAECHTER 1977, 52).

In der zweiten Hälfte des 19. seinen Höhepunkt,

Jahrhunderts erreichte dieser Einfluß

vor allem in der jiddischen Presse.

hang mit der einsetzenden Emanzipation der Kultur

kämpfte

Sprache

und

man in erster Linie gegen die überwältigende Beein-

flussung von Seiten des Deutschen. deutschen

jiddischen

Im Zusammen-

Komponente

waren u.a.

Gegner der starken Position

der

die Schriftsteller Mendele Mocher

Sforim und Scholem Aleichem. Sprachpolitisch und -pflegerisch wollte man die spezifisch jiddischen Merkmale fördern, z.B. sollte von zwei Alternanten diejenige bevorzugt werden, wicklung

innerhalb

der

die das Ergebnis einer Ent-

jiddischen Sprache war,

wie z.B.

pojsrim

41

gegenüber

poj'srn

(vgl.

SCHAECHTER

'Weg-vom-Deutschen'-Einstellung

prägt

1977,

54).

Diese

die heutige Jiddistik

(vgl.

SCHAECHTER 1969, 286 und 1977, 54), was z.B. bei M. WEINREICH und in dem letzten großen Werk von

U. WEINREICH,

dem

englisch-jiddischen

und jiddisch-englischen Wörterbuch (196B) sehr deutlich ist.

Als die Mehrzahl der Jiddischsprecher noch in Osteuropa lebte, mit Slawischsprachigen koexistierte, hung

des

Jiddischen

betrachtet

Holocaust des Zweiten Weltkriegs,

also

wurde das Slawische als Bedro-

und

die

verpönt.

des

slawischsprachigen Gebiets - der größte Teil in den USA - lebt,

än-

dert sich die Einstellung.

als

Jetzt wird das Slawische nicht mehr

sondern als mögliche Bereicherung des Jiddischen

- teils wegen der exotischen Ferne,

teils weil

als Ersatz für deutsche dienen können.

In

Mehrzahl

Nach dem

außerhalb

Bedrohung gesehen,

wo

war z.T.

slawische

Elemente

19

der Sowjetunion war man in den Jahren nach 1917 bemüht,

ein re-

volutionäres Jiddisch zu schaffen, und das wichtigste Mittel war eine Bekämpfung der Wörter

aus

der

hebräischen

Komponente.

Dieser

Kampf war nach ERLICH 1981, 704 nicht sehr erfolgreich, weil es viele jiddische Wörter der hebräischen Komponente gibt, die nicht Religiöses

bezeichnen,

sondern

Nicht-Religiöses.

Es

war deshalb un-

möglich,

das Hebräische aus dem Jiddischen zu entfernen.

satz

dieser negativen Einstellung zur hebräischen Komponente in

zu

der Sowjetunion herrscht seit längerer Zeit innerhalb der

Im Gegen-

Jiddistik

42

in

anderen

Ländern

die

Meinung

vor,

daß

jedes hebräische Wort

potentiell ein jiddisches Wort und deshalb nach Möglichkeit ins Jiddische zu übernehmen ist (vgl. HERZOG 1965, 271). Jedenfalls scheint diese Auffassung den meisten

sprachpolitischen

und

-pflegerischen

Bemühungen zugrundezuliegen, vgl. z.B. die stilistischen Bemerkungen in U. WEINREICH 1968. Das Hauptprinzip scheint dies zu sein: Wenn im konkreten jiddischen Sprachgebrauch für einen bestimmten Inhalt zwei Ausdrücke

nebeneinander

zur

Verfügung stehen,

Herkunft, der andere hebräischer Herkunft, der

der eine deutscher

gilt der letztere entwe-

als die einzig akzeptable Möglichkeit oder als die eindeutig zu

bevorzugende.

Während zu verschiedenen Zeiten innerhalb der den

Jiddischsprechern

auf,

unter

slawischen

sehr

stark

war,

daß sich das Jiddische im Gegensatz zu anderen europäi-

schen Sprachen, wo die im 19. Nationales

und

selbst die Abneigung gegenüber Elementen aus

der deutschen Komponente und/oder der fällt

Jiddistik

Jahrhundert einsetzende Besinnung auf

auch die sprachpolitischen und -pflegerischen Bemühungen

beeinflußt hat, keineswegs gegen den Gebrauch von Internationalismen gewandt hat. Gründe hierfür könnten sein:

1. Man hat genug zu tun mit der Bekämpfung der "dajtsmErizmsn". Weil die deutsche Sprache so nahe verwandt ist,

bedeutet die

Beeinflus-

sung von ihr eine Gefahr für die Eigenständigkeit des Jiddi-

43

sehen,

die zu bewahren und zu behaupten immer primäres Ziel ist und

war.

2. die

Man ist bestrebt, allen

Jiddisch zu einer 'Kultursprache' auszubauen,

Anforderungen der modernen Gesellschaft entspricht.

heißt u.a.,

daß Fachsprachen der Technik und der

schaffen werden,

Wissenschaft

Das ge-

in denen Internationalismen eine hohe Frequenz ha-

ben. Wenn man bedenkt, wie hoch Wissenschaft in der jüdischen Kultur eingeschätzt wird,

ist es verständlich,

daß die Internationalismen

nicht so bekämpft werden wie in anderen Kulturen.

3.

Große Teile der Jiddischsprecher in Osteuropa sehen Ende des 19.

Jahrhunderts und Anfang des 20. zialismus

einen

möglichen

Jahrhunderts im internationalen So-

Ausweg

aus ihren sehr schlechten wirt-

schaftlichen und sozialen Verhältnissen und schließen sich

ihm

an.

Die positive Einstellung zur internationalen Zusammenarbeit wird von den Kindern und Enkelkindern der ersten Generation übernommen.

4.

Man

darf

nicht übersehen,

daß der kommunikationserleichternde

Effekt von Internationalismen für das Jiddische eine größere

Bedeu-

tung haben muß als für andere Sprachen, wo Sprachraum und -benutzergruppe zusammenfallen.

Das

alles

macht

ternationalismen

eine

plausibel.

prinzipielle Tatsache

Offenheit

ist,

gegenüber

In-

daß Internationalismen

44

ähnlich produktiv verwendet werden wie Lexeme der anderen

Komponen-

ten.

Um

das Prestige der jiddischen Sprache und der jiddischen Sprachge-

meinschaft zu erhöhen, Einzelheiten

doch

war man sich trotz

darüber einig,

aller

Uneinigkeit

über

daß die Etablierung einer jiddi-

schen Standardsprache ein wichtiges Ziel der Sprachpolitik war,

und

zwar auf allen Ebenen der Sprache.

Was die Orthographie angeht, gibt es zwei Normen, die sich beide des hebräischen

Alphabets bedienen:

die sowjetische Norm und die Yivo-

Norm. Der wichtigste Unterschied besteht darin,

daß die sowjetische

die Wörter der hebräischen Komponente mit Vokalzeichen versehen hat, während

die Yivo-Norm die Tradition beibehält,

tiert werden. Die Standardaussprache, im

Theater

wo Vokale nicht no-

die sich im Sprachunterricht,

und in den elektronischen Medien eingebürgert hat,

ba-

20 siert

auf

dem

Standardsprache

nordostjiddischen im

(NOJ)

Dialekt,

während

Morphosyntaktischen den südostjiddischen

die (SOJ)

Dialekten folgt (zur Dialekteinteilung des Jiddischen vgl. Karte 2). Im Lexikalischen ist nach Tendenz

zu

beobachten,

KIEFER man

muß

1985,

1209

eine

akkumulierende

aber hier die starke Wirkung von

normetablierenden Werken wie U. WEINREICH 1949 und 196B bedenken und 21 damit rechnen, daß auch im Lexikalischen das NOJ dominiert.

Trotz des Vorhandenseins einer präskriptiven Norm

ist

das

heutige

45

Jiddisch

durch

vielfältige Variation gekennzeichnet,

vor allem in

den gesprochenen Varietäten.

Karte 2: Dialekte des Jiddischen

(gezeichnet nach Karte 53.1: Übersicht über den historischen Sprachraum des Jiddischen in KATZ 1983, 1023)

46

3. Sprachdokument Lubliner Jiddisch

3.1. Korpus

Der Text, der als Materialgrundlage für die hier vorgelegten Ausführungen dient,

entstammt dem Korpus jiddischer

Sprachdokumente

Deutschen Spracharchivs im Institut für deutsche Sprache,

des

Mannheim.

Die hier verwendete Aufnahme (19 cm/Vollspur) wurde 1975 in Dänemark in der Wohnung des Informanten

gemacht.

arbeiterinnen

und E.K.,

des DSAv,

M.S.

Zugegen

waren

zwei

Mit-

der Interviewer I und der

Sprecher S.

Die Aufnahme ist stellenweise durch

Klopfen

durch Straßengeräusche beeinträchtigt.

aus

der

Küche

sowie

Der Sprecher zeigt keinerlei

Befangenheit durch das Mikrophon.

Außer auf diesen Text stützen wir uns auf ein Gespräch,

das wir

im

Januar 1987 mit dem Informanten in seiner Wohnung führten, wobei wir nicht men,

nur notwendige Kommentare zum Inhalt der Aufnahme XIV/4 bekasondern auch die Gelegenheit erhielten,

sierende

einige

uns

interes-

Fragen zum sprachlichen und kulturellen Hintergrund einge-

hender zu diskutieren. Dieses Gespräch verlief auf dänisch, und jiddisch.

deutsch

47

3.2. Tonbandaufnahme XIV/4

Die

Tonbandaufnahme

XIV/4

enthält außer 7?

1-100 durchnumerierten Veith-Sätze

(Bandzählwerk I,

einiger Phrasen mit den Nummern 101-140 (I, 1-21 (I,

128-1,

der Übersetzung der von 002-1,

100),

100-1, 128), den Zahlen

130) und der Aufzählung der Wochentage (I,

130-1,

133) ein auf jiddisch geführtes Gespräch von ca. 40 Minuten zwischen dem

Interviewer

I

und dem Sprecher S,

wobei sich die Rolle von I

darauf beschränkt, gesprächsstrukturierende Fragen wie z.B. nach der Kindheit, Jugend usw. zu stellen.

3.2.1. Inhalt

Der Inhalt des Gesprächs, das unter 3.2.3. in phonetischer Umschrift vollständig aufgezeichnet ist,

wird im folgenden in großen Zügen

-

mit Verweisen auf die entsprechenden Stellen im Bandtext - zusammengefaßt.

Zur Biographie von S

I, 158

S

wurde

am 13.2.1925 in Lublin/Polen als Kind jüdischer

I, 152

Eltern geboren.

Die Mutter war nicht

Eltern waren sehr fromme Juden. Großvater einen Bart

berufstätig,

ihre

5 erinnert sich, daß der

(das äußere Zeichen orthodoxer

den) trug und regelmäßig in die Synagoge ging.

Ju-

Der Groß-

48

I, 156

vater

väterlicherseits

war

vielleicht

nicht

ganz

so

fromm, aber auch ein orthodoxer Jude, der für S gerne eine religiöse Erziehung mit jüdischem Bibelstudium (xumes) I, 162

und Bar Mizwa gesehen hätte.

Der Vater aber, der bei der

Geburt von S schon nicht mehr in seinem I, 140

als

Schneider arbeitete,

erlernten

Beruf

sondern hauptamtlich als Funk-

tionär in der Gewerkschaft der Schneider, einer jüdischen Abteilung innerhalb der schaft, I, 150

allgemeinen

polnischen

Gewerk-

wollte für seinen Sohn eine weltliche Erziehung.

Er war ein führendes Mitglied im 'Bund* und auch Mitglied des Zentralrats der polnischen Gewerkschaft in

Warschau.

Von der mangelnden religiösen jüdischen Erziehung abgeseI, 160

hen,

ist S in einer richtigen jüdischen Familie mit Jid-

disch als Muttersprache,

jüdischem Alltag und

jüdischen

I, 172

Feiertagen, in nachbarschaftlichem Kontakt mit religiösen

I, 174

Juden im Judenviertel in Lublin aufgewachsen. Sieben Jahre lang besuchte er die jüdische Izak-Peretz-Volksschule, wo

außer

Polnisch als Sprache in allen Fächern auf Jid-

disch unterrichtet wurde: Mathematik, Geographie, I, 2 02

und

auch polnische Geschichte.

ein polnisches Gymnasium, I, 210

Physik

Anschließend besuchte er

mußte den Schulbesuch aber we-

gen des Kriegsausbruchs 1939 abbrechen. Der Vater verließ Lublin gleich nach Ausbruch des Krieges zusammen mit seinen

Parteigenossen

vom

'Bund'

in Richtung Rußland.

blieb zusammen mit der Mutter und einem

jüngeren

S

Bruder

49

noch

zwei Monate unter deutscher Besatzung in Lublin zu-

rück. Weil er groß und kräftig war, wurde er zusammen mit

I, 218

anderen arbeitsverpflichtet. Wehrmacht

226

unter

der

waren die antisemitischen Ausschreitungen noch

nicht ganz so gefährlich, I,

Im ersten Monat

aber nach Ankunft der

Gestapo

wurden die Verhältnisse unerträglich. Die Mutter schickte S

zusammen mit anderen illegal nach Rußland .

Dort traf

er in Brest seinen Vater, mit dem er dann zusammen weiter ins Land hineinzog bis in eine

I,

236

kleine

Stadt

im

Bezirk

Ivanovo ca. 400 km östlich von Moskau. Der Vater arbeitete

wieder

in seinem alten Beruf,

hatte inzwischen eine

neue Frau und mit ihr ein Kind. S besuchte eine russische Mittelschule, bis er 1942 in die russische Armee kam. Der

I,

252

Vater wurde 1944 vom NKWD verhaftet und wegen seiner gehörigkeit zum 'Bund'

in Polen zu zehn Jahren Haft ver-

urteilt - ein Sozialdemokrat zu sein, nisten schlimmer als ein Faschist zu nach

I,

266

neun

Zu-

war für die Kommusein

-

Jahren in einem sibirischen Lager.

und

starb

Letzteres

hat S erst während seiner Zeit in Dänemark durch den

Be-

richt eines israelischen Autors erfahren, der im gleichen Lager war und in seinem Buch von 5's Vater berichtet.

I,

272

Von

1945

an lebte S wieder in Polen.

Nach neunjähriger

Armeezeit bildete er sich zum Buchhändler aus und I,

298

tete,

bis

zur

Ausreise

nach

Dänemark 1972,

arbeiin einer

50

staatlichen Zentralbezirksbuchhandlung in Wrociaw.

Alltag und Feiertage

I, 58 2

ig

42b

Das Leben in

Lublin

Traditionen.

Man aß koscher,

lern,

war

geprägt

die

jüdischen

kaufte bei jüdischen Händ-

kochte die traditionellen

Fisch,

durch

Gerichte

gehackte Leber und Suppen,

und hielt Seder am Passahfest,

wie

gefillte

fastete zu Dom Kippur

mit Mazzes

u.s.w.

sowie

den vorgeschriebenen Gebeten. Die Eltern von S, vor allem der

Vater,

waren nicht streng orthodox,

und zu nicht koscheres Essen auf

den

Tisch

kam

aus

und z.B.

so daß auch ab

polnischen

Geschäften

von Seiten des Vaters das

Fastengebot zu Jom Kippur nicht eingehalten und der Seder I, 390

beim Großvater abgehalten wurde. Durch ständigen und vertrauten Umgang mit religiösen Juden seiner Umgebung hatte S Kenntnis von den religiösen Parteien, der chassidischen Bewegung, den Zionisten und der Gelehrtenschule unter dem

I, 4 20

Oberrabbiner Sapiro,

nahm aber selber nicht aktiv am re-

ligiösen Leben teil. In der Synagoge war er gelegentlich, I . 4 0Π

um einen guten Kantor zu hören.

51

Die Familie

I, 5I δ

Mit Hinblick auf die Familiengeschichte in der Vergangenheit weist 5 darauf hin,

daO man generell bei Nichtjuden

mehr über die eigenen Vorfahren weiß als bei Juden; er I, 52 2

hat

doch

über

aber

seine Großväter von deren Großvätern

gehört. Die Familie mütterlicherseits war sehr fromm. Die männlichen Mitglieder hatten durchweg als 'Blechermacher' gearbeitet, acht

Kinder

ähnlich,

548

Bäckers.

gegeben.

In

mindestens

der Familie des Vaters war es

auch hier ergriffen die Söhne von Generation zu

Generation I,

und in jeder Generation hatte es

den Beruf der Väter,

in diesem Falle den des

Insgesamt waren es arme Leute;

man fragt sich,

wovon sie gelebt haben - es war eine ganz andere Welt.

I, 510

Die meisten Familienmitglieder der eigenen Generation von S

1 , 44 2

sind

im Krieg ermordet worden.

Familienangehörigen Schwestern der Mutter

mehr.

Außer

In Polen hat er keine zwei

alten

Tanten

die schon seit über vierzig Jah-

I, 5Ü8

ren in Paris leben, hat er nur noch eine Kusine in Kanada

I, 4 9 0

und

Halbgeschwister

Frau und Sohn.

in Israel.

In Dänemark lebt er mit

52

Übersiedlung nach Dänemark

5 fühlt sich als Jude mit Jiddisch als Muttersprache, geI, 424

prägt durch die politischen und pädagogischen Ideale Bundes,

II, 010

ohne zionistische Ambitionen, eingebunden in die

polnische Kultur, in

1967

Sprache und Literatur,

fest verankert

soziale Beziehungen zu polnischen Nichtjuden,

assimiliert. I, 3 08

des

Die nach dem Krieg Israels mit den

einsetzende

antisemitische

völlig Arabern

Hetze machte das Leben

für Juden in Polen sowohl in öffentlichen als auch privaten Bereichen zunehmend I,



unerträglicher.

sich die Lage zu auf die Entscheidung,

Für

S

spitzte

in Polen zu blei-

ben und sein Judentum aufzugeben oder aber Jude zu

blei-

ben und das Land zu verlassen. Er wählte Dänemark.

Sprache

I, 2 76

Das

Jiddisch

Jugend. nikation

von S ist das Jiddisch seiner Kindheit und

Produktiv in mündlicher und schriftlicher Kommuhat

er

seine

Muttersprache nach dem Krieg ab

1945 nur noch im Kontakt mit braucht.

Sie

konnten

den

Tanten

in

Paris

ge-

Französisch und auch Polnisch nur

sehr mangelhaft. Die Familie in Israel spricht nicht mehr Jiddisch,

sondern Iwrit,

Polnisch und

Frau ist eine nicht-jüdische Russin,

Englisch.

Seine

und selber hatte er

53

I, 280

seit nach dem Krieg keinen Kontakt mehr

zu

Juden.

Dank

seiner sehr guten Schulausbildung in der jiddischen Schule

in Lublin und aufgrund seines Interesses für die jid-

dische Sprache, Fertigkeiten I, 282

erhalten. viele

der

Literatur und Geschichte hat er sich die

jiddisch

zu schreiben und zu lesen perfekt

In der gesprochenen Sprache Hebraismen,

die

sind

ihm

leider

wesentlich zum Reichtum der

jiddischen Sprache beitragen, entfallen. Zu seiner großen I , 370

Überraschung und Freude hat er in

Dänemark

einen

däni-

schen Theologen getroffen, der sich für jiddische Sprache und

Kultur

interessiert,

mit dem er sich nun in seiner

Muttersprache unterhält und darüber

einen

neuen

Zugang

zur Geschichte und Literatur des Jiddischen gefunden hat.

Das Leben als polnischer Jude in Dänemark

II, 006

Die Tatsache,

daß man mit 47 Jahren noch nicht mit allem

abgeschlossen hat, genug ist,

andererseits

aber

nicht

mehr

um ein völlig neues Leben beginnen zu können,

sowie die tiefgreifenden Unterschiede zwischen Polen Dänemark im Hinblick auf die Sprache, I, 554

jung

sellschaftsordnung machen es schwer, wort zu finden auf die Frage, gen Leben zufrieden ist.

und

Mentalität und Geeine einfache

Ant-

ob man mit dem gegenwärti-

Auf den ersten

Blick

gibt

es

viele positive Dinge. S ist froh über die freundliche Art

54

der Dänen, die ihnen das Einleben erleichtert hat, er hat eine interessante Arbeit in seinem erlernten Beruf, ordentliche Wohnung und auch ein Auto und hat II, 0 10

eine

inzwischen

einiges vom Land gesehen. Auf der anderen Seite fühlt man sich auch einsam,

herausgerissen aus gewachsenen mensch-

lichen Beziehungen, ohne die unmittelbaren Möglichkeiten, neue gleichwertige im Kontakt mit Dänen

aufzubauen.

das nicht nur wegen der bedeutenden Sprachbarriere, dern auch wegen fundamentaler Unterschiede in II, ü8LS

die

Lebensart

von

Slawen und Dänen.

Art, sich zu kleiden,

bezug

Und sonauf

Das fängt bei der

dem Essen an und reicht bis zu Un-

terschieden im Denken und der Einstellung zu menschlichen Beziehungen. S beschreibt einige grundlegende Unterschiede,

warnt aber vor Verallgemeinerungen. Er kommt auch zu

sprechen auf die Probleme, die im Kontakt zu anderen polnischen Juden in Dänemark entstehen

können.

Alle

diese

Menschen, S inklusive , tragen an ihrer ganz persönlichen Leidensgeschichte, was sie nicht unbedingt umgänglich und optimistisch macht.

Trotz

der

generell

guten Lebensbedingungen in Dänemark

mit Hinblick auf Arbeit, TI, 0 82

Reisen

zu unternehmen,

Wohnung

und

der

Möglichkeit,

bleiben Probleme - Sehnsucht und

menschliche Einsamkeit -, die in seiner ganz persönlichen Lebensgeschichte begründet sind, aber: 'das ist mein Pro-

55

II,

0 70

blem, nicht Dänemarks Problem, mein Unglück,

mein Leben,

mein Problem ganz allein,

meine Geschichte, mehr nicht.

Ich klage nicht'.

3.2.2. Kommentare zur Verschriftlichung

Die Verschriftlichung von XIV/4 folgt weitgehend der

Yivo-Umschrift

des jiddischen Alphabets (vgl. U. WEINREICH 1968, XXI).

Abweichungen

hiervon

sind teils solche,

vielen anderen Autoren in z.B.

die von U.

Veröffentlichungen

benutzt

WEINREICH und werden,

wie

χ für kh und s für sh in U. WEINREICH 1969, WOLF 1969 und KATZ

1983, teils solche,

die durch phonetische Phänomene von XIV/4,

die

im Stj. nicht vorkommen, bedingt sind, wie z.B. das Vorkommen von y.

Der Text wird in weiter phonetischer Umschrift notiert,

Personenna-

men werden nicht wiedergegeben, sondern als NN notiert (vgl. z.B. I, 266),

die Gesprächspartner erscheinen als I = Interviewer und

S

=

Sprecher.

Römische Ziffern am Rand beziehen sich auf die Bandseite der Aufnahme, arabische Ziffern auf das Zählwerk für die Bandumdrehungen.

Im einzelnen benutzen wir folgendes Zeicheninventar:

56

Vokale

Monophthonge:

i

y

e

u so

ε

0

ο

a

Diphthonge:

ej

aj ou

oj ao

Konsonanten

Plosive:

P» t, k b, d, g

Frikative:

f, 9, x, s, V,

Affrikaten:

j

Z,

ts, ts dz

Nasale:

m, η, η

Liquide:

1, i , r

57

Sonstiges

Wortakzent: Vokallänge:

:

silbisches l,4,r,m,n:

T

proklit. Vokal oder 'h': Ligatur: Textabbruch: ... Pause, kurz: Pause, lang:



Bearbeiterkommentar: Bandzählwerk:

[ UNDEUTLICH ] /

im

Text

,

arabische Ziffern in Zwei-

erschritten nach Bandseite Bandseite

und

Ί', 'II',

für für

die die

erste zweite

58

3.2.3. Verschriftlichung

Hochgestellte Ziffern im Text sind identisch mit mern in Abschnitt 3.2.4.

den

Kommentarnum-

59

I, 002 M S Ich frage Sie also jetzt die paar 1 wo gehst du hin I > 00 4

S vi gajst di ahin 2 sollen wir mitgehen S zoln w mir m i t g a j n 1 1 3 bleib hier u n t e n stehen S biajp du hintn''stajn I

I, 006

4 die Gänse

1

beißen

S di ganzn bajsn 1 1 5 das sind böse Kinder S dus ζέηεη bajze 6 du bist brav I, 008

kinder

gewesen

S [ZÖGERN] du bis braf 7 d u hast am m e i s t e n

gavejn 1

gelernt

S di h o s t am majstn galernt 1 8 darfst du jetzt gehen I, 0 1 0

/ 2. t S darfstu "itst gajn 1 9 er ist groß genug S er iz groj . . . - er iz gani griijs 1 0 du mußt n o c h wachsen S di mis nox vaksn 1

I, 01 2 1 1 ihr m ü ß t größer w e r d e n S ir mist verdn greser 1 1 2 sag es deiner S zug dos dajna

Schwester Svester

Sätze

60

13 wer hat das Geld gestohlen 014

S [ZÖGERN - vi zol ix dos jidis zagn ] / , / 3 vc:r hot dos gelt gsganvtt 14 sie haben es selbst getan 4.

016

S di hoz es

ζε... - aiajn gatin

15 sie soll die Kleider nähen - sie soll die Kleider nähen S zi zol najn di klajder 16 er war sehr stark 018

S er iz gsvejn zajr §tark 17 er hat nur so getan S ε... er hot nor azoj gatirn 18 sie hätten ihn nicht bestellt

020

S zi hot 'n^'niS bastelt 19 tu es ja nicht S ti es niSt 20 wir täten es auch nicht S vir tisn^'es ojx niSt 21 wenn du ihn gekannt hättest

022

S νεη di host'm gaken. . . - νεη di host em ggkcnt 22 hat sie es gesagt S

1

ot zi dos

gszukt

23 sie wollte es festhalten S zi vil^'es haltnI 024 24 ich brauche es nicht zu machen S ix darf es niS tin

61

25 ich will es nicht mehr tun S ix zu as m e r . . . i x

vii m e r dos niS

tin

26 ich bin nicht dagewesen I, 026

S ix bin

ni§ g s v e n

dort

27 ich habe sie gefunden S ix op zi

gefinsn

28 nur ihm glaube ich es S ix g l a j p nor

im

I, 028 29 ich schlage das Tier nicht tot g S ix d e r h a r g e

" niSt

ε: da-

dem

das Tier S das

tir

ja - ich schlageq das Tier nicht tot I, 030

S ja - at ojablik Tier

I, 032

' -- ti:r

- ein S a m m e l b e g r i f f

[ÜBERLEGEN] für

S ja ja - / tir - ja ix hop

f a r g e s nI jidiS



ε: --

können wir mal einen Moment absetzen - oder Tier 10. lassen S ja ja

I, 034

oder Tier - lassen Sie Tier S naj ηε ix vil 12·.« ε · som txr

I, 036

ix vxl

jej 1 1

Tier - ich schlage das Tier S tir

nein

Türe nicht

S najn tir

tir

ja

tir

[ÜBERLEGEN]

tir

62

S ja ja Sammelhcgr iff für S ja forstor ja f o r s t o r ^ ' j a ix farstej Pferde S ix hap fargesn das in jidiS I

das Wort S das vort idiS ja - ix vajs vas as is I , 040

[LACHT]

nejn -wir nehmen erst mal e i n e n anderen Satz „

/

I4·

/

S ja - gut - filajxt 30 tut mir nicht w e h S

's

tit mir niS vaj

I, 042 31 die Füße tun mir w e h S di fis tian mir vaj 32 die O h r e n haben euch w e h getan S di ojrn hobm - 'obm ajx vaj gstin I

I

I

33 das sind viele bunte I, 044

Farben

S dos ζεηθη zajr a sax'^'t: ε: hels 34 sie fängt bald an S zi hajpt bait an... un 35 es w i r d wieder

I, 046

besser

S 'svet vedn beser I

36 er ist gestorben S er^iz g s S t o r b m 37 wir essen die Eier

kolxrn

63

c / / ,. t . b ver esn dx a]r I 38 er ißt ein Ei I, 048

S er iz ajn a j 39 wem hat er es erzählt S veman hot er dos

dertsajlt

40 er versteht uns ja nicht S er farstajt uns niät 41 nein - sie kann es nicht I, 050

S najn - zi ken dos niSt 42 dann ist m a n müde S demoit

iz men m i : t

43 wir haben Durst 1 7. S iS

"bin dorStik

44 wir sind gestern I, 052

zurückgekommen

S mir zinan nextnI tsurigakiman 45 die anderen h a b e n im Bett

gelegen

S de andere zenan geiegnI in bet 46 sie sagt, ich hätte I, 054

S zi zukt - ix ix 47 der Schnee ist

geschlafen

b i n ^ ' g a S i u f nI liegengeblieben

S der Snaj iz gabiibmI lign I 48 aber heute ist er g e s c h m o l z e n S obar ha... häjnt iz er tse§maltsn g a v o r n I I I, 056 49 da stehen zwei A p f e l b ä u m e S do Stajn tsvaj

epelbojman

50 ist das euer Baum

64

S iz ε s ajr bojm 51 ihr könnt nicht warten S ir ken niS vartn I, 058 52 wir gehen gleich mit S mir gajn - mir gajn mit ι I 53 ihr dürft nicht mitfahren S ir darf

1 9. nil mitfurn ι

I, 060 54 der Berg ist aber / nicht sehr hoch S der bärk iz ober niS kaj hojxsr 55 unsere Berge sind viel höher S inzsrs blrk ζεηθη zajr hexer - zin a sax

hcxer

I, 062 56 eure Kohlen / sind auch gekommen S ajrs kiijln zin ax gskiman ι 57 wieviel wollt ihr haben S vifii vilt ir 58 ich verstehe euch nicht 1

I, 064

S

χ farStaj / k:x niSt

59 ihr müßt es lauter sagen S ir mis" e s hsxer zugn I 60 die Farbe ist rot S di di kolxlrn z... iz rojt I I , 066 61 ihr habt kein / Stückchen Kuchen S 'ot ir niSt ka Stik4 ki:xn I 62 er will sich zwei neue Häuser bauen S er vii zix -

ε: ojfbojnr

I, 068 63 er hat / schon ein Haus

tsvaj naja hojzEr

S

er h o t

Son

ajn

hous

64 das war ihnen recht S dos

i gave...

- dos

hot

tr

20

/

'gavolt

hobm

I

65 sie sind auf dem Feld S

zi

ζεη

of

dem

felt

070 66 die roten Ä p f e l c h e n sind für m i c h u n d nicht für dich S

di

rojta

epalax

67 heute sind alle 072

S halnt

ζεη

als

/

zenan

far mir

ni§

draußen dro:sn

I 68 die B a u e r n h a t t e n fünf O c h s e n S

di

p o j a r i m 21 " o b mI 2 2 ' f ian a f

*o k s n I

69 die w o l l e n sie v e r k a u f e n S

zi

viln

I zi

farkojfn

I

074 70 sie h a b e n zwei / Kühe S

ze

obm

gahat

tsvaj

gehabt

ki :

71 dieser Bauer hat zwölf Schafe S

der

pojr

I 'ot t s v e i f

Sof

7 2 geh nur in das Dorf 076

S gaj

nor

in

/

dorf

73 er tut dir nichts 23 S

er

et

'dir

74 da bin ich S

ε : do

bin

gur

niä

4

ti:η

hingefallen ix

ahingsfaln

I

75 das Feuer hat nicht gut 078

S dos

fajr

hot

niä

git

gebrannt

gabrent

far

dir

66

76 er kann schnell S Er ken

laufen

g£:x~4'10jfn I

77 wir kommen nicht

durch

S vi kiman nis adurx 78 die Vögel fliegen fort I, 080

S di fojgl fii:gn avek I I 79 den W e i n kannst du trinken S dejn vajn kenstu 80 aber keine ganze

trinknI Flasche

S obar nis di gantsa 81 das Kleid ist I, 082

fias

schwarz

S das klajt iz svärts 82 wir können den Sack auch nicht h e b e n S mir kenan nis 'jfhejbmI 83 ihr müßt dreschen

dem zak

gehen

S ir mis gajnI drEsn I I , 084 84 das Korn muß gedroschen w e r d e n S dos korn mis gadr'SnI vern I 85 er kam mit den Leuten S er kim mit da mentsn ι 86 er sitzt auf meinem Tisch I, 086

S er zitst o:f ma:m tis 87 sag es laut S zuk es hojx 88 was die da treiben - was die da treiben S vos di maxη

67

I, 088 89 sonst hat sie nichts mitgebracht S a z 3 h o t

zi

ni§

mitganiman

90 was wächst in eurem S vus

vakst

in

Garten

ajr gulrtn ι I

91 hast du meinen Korb gesehen I , 090

S hos tu g s z e l n

main

kojS"

92 die anderen fahren früher S άε

andere

f u r nI f r i : Ir

93 ist deine Tochter S tsi"

'da:η

fertig

toxter

iz

fa...

I. 092 94 das Fleisch muß erst S das

fiajS

iz

iz

fartik

iz

do

kochen

mus f r i : rI

k n xIn

95 hört es auf zu schneien S ε:

fait

Son mer η ί §

a

28 . Snaj

I, 094 96 er hat den Fuß gebrochen S h o t t s e b r o x nI z a j n

fis

29 .

97 weißt du, daß er hier war S vajs

da -

ε -

az

er

...

az a r

gavejn

98 ihr seid noch nicht bei uns gewesen I,

096

S ir

ζεη

ints

nil

gave...

baj

-

ir

ζεη

nox n i l

baj

baj

gavejn I

99 sie wäre gern nach Köln gefahren I,

098

S zi

volt

ke... 100

ε:

ε:

zi

nox

volt

zej

hat

gavolt

/ furn

kiln

du mußt die Küh fü... die Kuh füttern

S di mist

ε:

korman^^'di

ki:

nox

tsi

68

I, 100

jetzt kommen noch ein paar / Phrasen S ja 101 die trockenen Blätter S di trikena blitr 1 102 die heiße Milch S άε hajsa πιίΐεχ

I, 102 103 das kalte / Wetter S dos kalta vEtrI 104 der gute Mann S der gitar ms:nt§ 105 ihre Tochter S ir toxter 106 du alter Affe !, 104

S di alte m a l p e 3 1 ' 107 mein liebes Kind S maj maj 4i:ba... ki... majn iip kint 108 solche schlechten Zeiten S azelxa siexts tsaltnI

I, 106 109 eine schöne Zeit S a Sajna tsajt 110 die neue Geschichte S di näja gaSixta 111 diese Nacht S di naxt 112 ein halbes Pfund Wurst I , 1 08

Sa

halp funt vo:r§t

1 13 ein ganzes Brot S an gants

bro:t

11 4 u n d ein bißchen Käse S a bisl kejs 1 11 5 sein jüngerer 1 10

S zajn jiqgsrsr 11 6 etwas weiße

Bruder bri:c^r

Seife

S a bisl vajs... vaj

zajf

1 1 7 immer wieder das letzte Wort 112

S Stendik dos / ictsts virt 1 1 8 kleine V ö g e l c h e n S klejna

fajgelax

1 19 der braune Hund S der bro:na

hint

1 20 sein Herz S zajn harts 1 1 4 1 21 heute

abend

s h a l n t ba naxt 1 22 m o r g e n

früh

S m o r g n in der fri: 1 1 23 noch ein Augenblick S nox a m i n i t 1 24 das warme Wasser S dos väramc vasr 1 116 125 das dünne Eis

S dos dins ajs

70

1 26 im Winter S

in

Vinter

127 oben in der Luft S ojbm in der I

lift

128 im Ofen I, 118

S im... in ' j vn I

129 mit der Bürste S mit der barst 130 mit dem

Kochlöffel

S mit dem koxlefl 131 mit dem Pferd S mi dem fert I, 120 132 von der jungen

Frau

S fin der jigger

fro:

133 für eure Mutter S far^ajr miter 134 ohne Salz und

Pfeffer

S o:n zalts un fefr

I

I, 122 135 vor vier oder sechs Wochen S far fi:r idsr zeks v'xn

I

136 über die Wiese S ibsr dem

feit

137 hinter unserm Haus I, 124

S intsr inzer hi>:s 138 auf dem Mäuerchen S of dem mojr

- of dem mojr

71

139 hi er b l e i b e n S do b i a j b m ι I. 126 140 sein eigenes Haus S zajn ajgnι ho : s MS und w e n n Sie jetzt so nett w ä r e n u n d mir die Zahlen von eins bis einundzwanzig

hintereinander

sagen w ü r d e n I, 128

S ajns

-

tsvaj

zcks

-

zibm1

ε iaf

-

t sνέ i3f

fyftsan I, 130

-

na.'ntsan

-

dra: axt

zcxtsan

-

-

- / tsvintsik

fi:r

-

fynaf

naln

-

tseln

dra.'tsan

-

f ε rt san

zibatssn -

-

axtsan

ajnantsνόηtsik

MS ja - danke - und jetzt die Wochentage

- Sonntag -

u. .. u n d Montag... S ε : MS h i n t e r e i n a n d e r

-

die W o c h e n t a g e

S am zsntak MS von Sonntag j

152

S zintik

an

- / mo:ntik

«Sn.rfti*

-

-

f ra: t ik

di:nstik -

-

-

«b..3"·

mitvox

72

I nu - jctst k i n a n

I,

134

S

jo

I

[RÄUSPERN]

vir

onfaqgn - tsu I

ja33'glejp

az —

tsum

rejdn I

erstns

— o n f a n g nI - k e n t i r o n f a q g nI u n d a s ^ ' a I,

136

d e r t s e j l n - ε - / vu ir I ajra

ε^ετη

S I,

138

zaxn fun ι

ajar

I f...

n i t - in - p e j l n Stot

g e v o r n in d r a j t s s n t n I I

un

I,

142

g a v o r nι - ix b i n flbruar

S in p o j l n - ε - m a j n - m a j n I zr...

gav£n iz

er S o j n

fun - fun

iz g a v e j z a n

S ja - tyer 146

37.

gabojran

tvantsik

farajn a:

-

fotar

ober νεη nil

in

in

iub.lin

alzo

iz g s v e z a n / fun

ix b i n

gavejn

- er

jugnthajt I

a bundist

gaborn gavorn I I iz g a v e j n

a

?

- ε: i n f . . .

cr h o t

in de /

in

i

ε: p r o f ε s j o n έ l n f a r a j n ^ ^ ' f u n I 36 - u n er iz g e v e n a b u n d i s t

, 36. fun bunt -- un

profcsjone:1

I

hot

- ε - / nojn...

i fun k i n t h a j t

Snajder

Snajdεrarbajter I er

I,

i fun

a 2najdεr --

sekretar 144

ir

ja:

de -

I,

§to:t

azej

na j nt s a n h u n c U rtf inf u n t s v a n t s i k I

in S u : 1

kinthajt

/ m in v o s a r

ir h o t g a l £ p t

S jo - ix b i n g a b o j r a n 140

vi gagaqgn I

vos

jo

vosar

I,

ε

mir

b i sIl

zajt gaborn gavorn I I

hobm gemalxt I

o: - a.'zej

- ε -

gearbet profcsjoncla

di

73

S baamts

-

a sekretar

vi

a sekretar

a b . . .

bafugnda I

sekretar I

/ farajn

S najn I,

148

-

nor

far

dos

iz

optajluqk I

n o -

j a -

fa

gev£zn a f a r a j n I

farajn

38

-

*?

ε:

-

a -

jidiSa

farajn

's

'ζ...

ja

/ grojse

S a ζεχ

/ a grojse

-

zan g a v i n

. 40. . 1 ja vejs

. ix

τ

I,

εχ

ζ ε - j a j a

ja

jidn

odar

fun algamajnan polniSn I

S a bundiS^r I

l.'den

a säx

vaj

i

39

vajt

"baj

§najdεr

vejs

150 S d o s w i z

gavezn I

I do

in

kopmhagn I t

S er

iz

geven

a /

ojx

tsentralrat

/ farajn

grόjsεr

farajn

a mitglit

fun

fun prof εsjοηέlan

tsentral farajn

-

in

ε

-

pojln

-

in

* 42. var s ε I I,

152

ja

S ja zi

-

un m a j n l a m e

hot

lltern ic I,

154

156

gaarbct

maj majn

-

ja

ja

S un g e v s n

da

gantsa

ε -

gev£n



f u n m a j n namen

gadlqk

I a bo : t

I,

nil

iz

a zear

-

-

jid

sti:p

de

-

dc -

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geven

zajr

-

-

zin

zajde^^'mit

tsajt

frym a z a j

tatns^'zajt I ο^ο^ί^εετ

ε:

in

a bisl mit

I

a

-

fryn^r

vajnigcr mit

der

hajm

fryma

di

jidn I

bo:t

in

a bot

in

j id

in

--

frim a mit

/

ε:

bεsmέdrεδ fun

obar a mit

majn

ojx a

w

ε:

a:

-

74

. , 47. hitala I hitala - ε: ja ja a

jamelke^'?

S j... najn - a za hitaia ix vajs nit polniä zi hubm I, 158

gatrugn azoj klajna hitalax / mit ε ε mit asa '/V

49

·

la... dasik I no ja ja I, 160

S nu ix bin gaqgnI ix bin fynf - fynf jor ungaha... ungahojbm tsu gajn in a jidiSe - in a bundiäe - ix I I vil es glajc zugn in a bundise - ix hop nis * I bakuman kaj Sim^ ^ ' rc ligi ε ζθ άεΓίεΙιιι^ I kejna

religieza

S na j η I [GERÄUSCH] kEns religieza dcrtsiuqk ? I, 162 S najn - i hop bakiman ajn jidis / vέltlixε άεΓΐβιυηΙε I idiäa νείίΐεχε ja ? S ni§ kejn rel... - majn fotar hot nis dεrl^jpt I najn S dos hajst - majn zajda hat gavolt m ' ot

' gamaxt

prifnI obar majn futar hot nis άετίί^ρΐ - ix bin * 51 . I, 164

ojx niS gevsn / barmitsve I nit

barmi:tsvt

S najn - najn - ober ix vil zugnI ix bin jo dcrtsojgn t gevorn in a rixtik jidisa häjm I I a rixtign - jo - dos S jidi§

farstej^ix

75

I ja ja I, 166 S i majn s... / mutersprax - majn majn majn majn d£i]knsprax iz gevln idi§ I 1 ja S ober nis religies jidi§ I, 168 I nit religies najn najn - ir hot nimols ε ε / ge... gelernt ε S najn - ix nit τ / „53. 1 xumes S majn täts hot nis dεrlόjpt I ne jn S majn tats hot git ggksnt I hot gut gakent ? S gut g θ k ε η t - ober ix nilt - ixn nis - η i § g a 13 I nejη I, 170 S najn - ix bin a / νέΐίΐεχετ m£nt§ -- no - ix bin [STOTTERN] ojfgavoksnI gevornI tsvisnI jidiün Iidn I I, 172

r£ligii;ze ix k£n - ix hop gezeln di jidiSn 54. , jsmtojvim - di jidise - ε: - ala zaxn obsr ix bin I

I, 174

nis - ix ix aiäjn bin ni§t - ε: - nist gai^rnt zix 55. jidise religieze -- fun fynf jur bin ic (...) 56 . jidise kinderhajni - in finf zibm ju:r - 1 obi I ongshojbm tsu gajn a jidiSs Sul das 1 ζ gevcn jidii^

I, 176

folkSul

(...) 5 7 '/ i... its... itsrak

pcrets I ρε τε ts - ja - idiis folkäul ?

perets58'—

76

S idisa folkäul jo ofn numan fun perets I

I of dan numan... ga... garufn nox perets I

I, 178 S nax perets jo I hm S no - dos 1 ζ gaven a zäjr gita Sul -- ix hop dort /

59 ·

gamaxt bis zibm zib hop geendikt majn s-ma jn^isium alzo bis zibmI klas I, 180 I ja S ε: - pojliS hot men ojx dort gal£rnt obar pojlis « 6 0 .

nor als iimut

- als - als sprax

I ja S als andere ε: zejan gaijn I in da jidiSe sprax -I, 182

alzo / matama:tik - e: geografia - fi:zik I alas af idiS ? S alas aof jidi§ - nor pojli§ als Sprax I als Sprax S als sprax - als andere - ojx di pojliSe geSxxta iz galernI gavorn I of jidiS I jidil - ja ja S ja ix mus zugn az es iz gavezn a όjsgatsajxneta I ·— I §ul - ix op in maj iejbm nox gamaxt farsidena Suln — ι ι

I, 186

vajter / äpetar pojliSe gimnazium - ε - in ratnfarbant^ 'a mitlSul - in pojln a a a a hojxa I

I

I

äul - obar ix op a sax vos ix ken j£ts - ken ix I, 188

fun der / jidiser Su:1 - fun iublin I [NUSCHELN] ja ja ja fun ajar

77

S fun majna ki... rixtiga raajne Sul - dos gavezn a ό j sgstsa jxnata Sul mit a ze:r hi>jxn nivo - fun I I, 190

literatur / ε - gaSixta - visenSaft - ix ken ix gadeqk - as ais tseln... έΐί... tsvelfjeriger kint 62.

I, 192

hop ix ga... gaiajnt

di verk fan fon tolstoj η

_idiS I ja S fun dostojefski - ojx fun pojlasa SriftSteler in jidiS - fun tomas main I alas af jidiS ? I, 194 S ix hop / gaiajnt tomas man hobmdik elf jor in ojf I j idiS I elf jar ? S elf jor I galejnt af idiS ? S af jidiS - jo -- is gevezn a zear hojxer nivo ι I no - ja I, 196 S obar iz gavern an / urme Sul - texniS - m e ken nig farglaj^n mit di Suln du in denamark odar odar e r g e t s ^ ' anderS - obar 's iz gavezn I a zejr hojxe nivo I gute ε lere I, 198 S guta lere - / ojsgatsajxneta ierer - un ix hop zejr a sax gaiernt in der Sul ix hop a grojsa zentiment fir der Sul - un niS nor zentiment - ix I,

2 00

- ix dei]... - ix majn as ix hop als vos ic / ken a

78

dem a sax vos ix ken - ken ix fun der fun der äul I fun der §ul ? S fn der idiSer Sul - ja

I

I vi alt zajt ir gaven ? S fertssn - ix hop gaendikt mit fertsan I fertsik

jor

jor

I, 202 S fertsn - / fertsn

I

I

I 15 farstej fertsn - ε - vos hot ir den nox gemaxt ? S danux bin ic gaqgan in gimnazium - vejl de jidi§a Sul hot gehat nur - nor - ε - zibmI klas I zibm klas

I I, 2 04 S 19 bin gsgaqgan in a / pojlise gimnaz

/ ongahojbm - un I ga]n I

[HUSTEN]

64. 's— is ojsgabroxn di I mlxume I

ηε... najnundrajsik - ix hop gaendikt di §ul I, 206

[HUSTEN] / in axtundrajsik un ongahojbm

hut

naj nundraj sik I najnundrajsik S jo - ic3 bin nor ajn ajn jor gsgann I - in gimnazium I ajn jor S niS gants a jor I aj aj S nie gants zo afil I nie a gantsn jor - nejn ? 1 I, 208 S najn - u n—' s ^ " 0 j s g a b r o x nI mixume - iz majn täte I

tsuzamen mit mit zajne bundise x a v a j r i m ^ "mit zi I, 210

mit zi arojsgsforn / avek fn lublin - den najnt tok

79

n o x n

I ,

2 1 2

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a

r a t n f a r b a n t I

I

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[ S T O T T E R N ]

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a r i b e r g e g a q n

g e g a i j n

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v e r m a x t

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Β η ΐ ϊ ζ ε π ι ί ί ί ΐ ε

g a f £ r ] ^ x

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χ ο χ π ι ε ε

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u n s

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80

I, 224

un zej hobm gemaxt - zej hobm zix deriejdikt of di I I 73 / / §ti:gn "mir hobm gemist mit di hent - / aveknemen I I da de Smuts I ja ja - ja S hot mäjn mame bit I gazukt as nit mir kenn I nil mtr da mcr biajbm in in in in ι I lublin

I, 226 S lublin - un m 1 me'hot - mix tsuzaman mit andere ε: 'ot

1

ot Z3 avekgaSikt ojx in da in di rixtuqk

ruslants - si zin hundert kilometer me hot gedarft I, 228

furn hundert kilomete mit / a fi:r - mit a fur I ο - zi hot a ? S mig gaSikt - zi zin zi iz gabiibm in lublin I ο - un ma hot gakent avek ?

I, 230 S me hot gakent / avek - ε: - nil legal niS legal ma 1 ot gekent avek I m'ot gakent avek S jo I vajter ejngakuman in ruslant ? S ic bin kiman ka ruslant jo - ix hop gatrofn majn * _ I 74 . I, 232 tatn in brisk - / un bin mit majn tatn gavezn I • I un in vinter zin mir gaforn tif in ruslant - ε: I 75 · I, 234

ivanofska obiast

- das iz / ungaf... dos iz a

drajhundert fi:rhundert kilometar fun I brisk 76. ΰ fun moskve

81

I fun mSskva


078)

'schnei1'

j äh

traxtan

j· 1 342)

'denken'

trachten

dariber

•l > 278)

'deshalb'

darüber

kl ern

II ,110)

'denken'

klären

g ev ε1ρ

-l > 452)

'Laden 1

Gewölbe

'idiotisch'

närrisch

'hier'

da

nariS

>

344)

Ί > 196)

do rixtik kikn

>

246)

'korrekt,

^ )

402)

'gucken, schauen'

richtig

richtig'

kieken

Bei den genannten Einträgen gibt es zwar Bedeutungsgleichheit,

aber

doch nicht in allen Verwendungsbereichen. Während man im Stdt.

rich-

tig

sowohl

als Bezeichnung für rechnerische bzw.

regelrechte Kor-

rektheit als auch für echt, wahr(haftig) gebrauchen kann, hat man im Jiddischen hierfür ein anderes Lexem, im Stj.

geltende Verteilung von rixtik

nämlich emes(dik).

Daß diese

und zmzs auch für die Varie-

180

tät des Sprechers S gilt, z.B.

ist trotz vorhandener Gegenbeispiele

wie

(I, 164) a rixtik jidiser hajm wahrscheinlich, wenn man sowohl

mögliche Interferenz aus dem Stdt.

zuläßt als auch den Wechsel

von

(I, 246) rixtik zu (I, 246) emcs als Selbstkorrektur interpretiert.

Für (I,

196) do gilt, daß es zwar auch 'da, dort' bedeuten kann und

sich somit nicht vom Stdt. unterscheidet, in dem Fall aber, wenn die deiktische Referenz des mit do gemeinten Orts mit der des Ortes Sprechers deutlich markiert werden soll,

im Stdt.

des

die Entsprechung

hier hat.

Man käme zu anderen Ergebnissen, wenn man andere deutsche Varietäten als die Leitvarietät Stdt. z.B.

heranzöge;

in

süddeutschen

Varietäten

und im österreichischen Deutsch gebraucht man durchaus da auch

in der Bedeutung von 'hier'. varietät

Entsprechungen außerhalb der Standard-

finden sich auch in überregionalen Gebrauchsvarietäten wie

beim Beispiel kikn,

wo außerhalb des Niederdeutschen kieken in

der

gesprochenen Sprache verwendet wird.

Noch komplexer sind die Beziehungen zwischen stj.

dariber 'deshalb'

und stdt. darüber. In stj. daribcr steckt stj. ibcr 'wegen', was aus der Sicht des 5tdt. nicht als motiviert zu beschreiben ist, der Gebrauch von stj.

vegn als 'was...

ist (vgl. weiter unten).

während

betrifft' eher durchsichtig

181

Gerade im Zusammenhang mit den oben genannten Beispielen

läßt

sich

auch die historische Dimension des Verhältnisses zwischen den beiden Sprachen einbeziehen:

Das stdt.

"scherzhaft" markiert ist, ster der Mutter',

Muhme,

das im DGW mit "veraltet",

hatte ursprünglich die Bedeutung 'Schwe-

im Jiddischen dagegen früher und heute die Bedeu-

tung 'Schwester der Mutter' und 'Schwester des Vaters'. Anklänge der Bedeutung von stj.

haltn und traxtn sind im Stdt.

in ich halte da-

für, daß ... und in Betracht kommen zu finden. Gewölbe in der Bedeutung 'Laden' ist für das Schlesische belegt (vgl.MITZKA 1963, 419).

Eine andere Gruppe umfaßt Lexeme oder Lexemgruppen, die sich im Hinblick auf Valenz, Rektion oder semantische Kollokationsrestriktionen voneinander unterscheiden: wegen

'was (...) betrifft'

vegn

'im Hinblick auf' (I, 268)

.... vvx i der

(I, 522) m a j n (I,

362) m i r

(11,004) ix h o p i i p

aotor

Srajpt vegn majn

zajde hot mir

dertsajlt vegn

r e d n z e : r a sax v e g n

das g a j t niS v e g n

jidiss

tatn zajn

litsratur

beser lieb

'liebhaben

haben

'mögen (I, 364)

der hot

(11,114)

[zi] o b m ni§ jidn, I

(11,054)

ixwhop

zer iip iip

itsik

maqger

rusn, tSexn,

... e f S e r d a

dajtSn,

amerikaner

z e j r i i p di k l a j n a

zajda

Stetlax

182

mir hot lajt gaton (11,110)

vos mir gaton

nemen

in

axt

(11,112)

'weh

men derf

110) solcher

hot

in Acht

neman fun

in axt der

lajt

obar

nehmen

pojliSsr

jerhundarta

'denken'

(II,

Spetsiel

.

gasixta

Nichtbeachtung

in p o j l n

'beachten'

mahnen

leid g e t a n

getan

m e i n e n + Akk

er k l c r t

anders

er m a j n t

anderS

Phänomene kann zu verwirrenden Mißverständ-

nissen und -Interpretationen von Texten führen.

Besonders

leicht

kann

das

in

einem

bestimmten

Ausschnitt

des

Modalverbsystems geschehen: Stj. darin bedeutet 'brauchen, nötig haben', entspricht also in gewissem Umfang stdt. müssen:

(I, 226) me hot gedarft furn hundert kilomete mit a fi:r (I, 346) ms hot zix gadorfn detsidirn ajns fun di bajds I (II, 112) men derf neman in axt der pojlisar gasixta

In der Bedeutung 'erlaubt sein, gestattet sein', die im stdt. dürfen liegt, gibt es im Stj. das Modalverb mtgn, dessen stdt. Entsprechung mögen

nur in sehr beschränktem Umfang in dieser Bedeutung verwendet

werden kann, weitaus

etwa wie in von mir aus magst du das

meisten Fällen geht die Bedeutung von stdt.

machen.

In

den

mögen entweder

183

in das stj. hobm ein.

Modalverb voIn oder aber in andere Verben wie z.B. Soll roegn 'dürfen'

negiert werden,

lip

so ist das adäquate

stj. Modalverb torn:

(II, 116) men tor nis faralgsmajnern

In

Anbetracht

Veith-Sätze 8,

dieser 24,

Zusammenhänge

können

die Übersetzungen der

52 am Anfang der Aufnahme noch

einmal

genauer

angesehen werden: (8) darfst du jetzt gehn darfstu itst gajn (24) ich brauche es nicht zu machen ix darf es nis tin (53) ihr dürft nicht mitfahren ir darf nich mitfarn wo in (8)

und

(53)

- wohl wegen der unmittelbaren Ähnlichkeit des

Ausdrucks und ohne Möglichkeit der semantischen Entflechtung im Kontext - unadäquat übersetzt wird (vgl. dazu Anmerkung 22).

184

3.3.2.4.

Die

Internationalismen

Liste ist aufgrund der in Abschnitt 2.2.2.

angeführten breiten

Definition der Internationalismen zusammengestellt, d.h. auch Wörter nicht-griechischer und nicht-lateinischer Herkunft gelten che,

sol-

wenn sie in eine größere Anzahl von Sprachen eingegangen sind.

Dies führt mit sich, ternationalismen

daß einige wenige der unten

auch

in

den

slawischer Herkunft vorkommen. plexen Lemmata,

Listen

aufgeführten

In-

der Wörter hebräischer bzw.

Aufgeführt werden auch

solche

kom-

die unter dem Internationalismus-Aspekt als Hybrid-

formen einzustufen sind, plexen

als

d.h.

daß nur eine Konstituente

Lemmas als Internationalismus gilt.

um Komposita, wie z.B. tsentralrat

(I, 150) und buxhandalsfirms

tens um feste Syntagmen, wie z.B. fynfts kuluns

(I,

(I,

I

antizemitiS

antizemitizm

I

(I,

236) und drit-

(I, 322).

332)

(I,

218),

(I,

312) , (I,

(I,

344)

(I,

(I,

292),

(I,

308),

3 2 0 ) , (I, 3 3 0 ) ,

316)

264)

arestirn

(I,

arm'e

212),

(I,

(I,

(I,

320)

antizemitn

aotor

kom-

Es handelt sich erstens

298), zweitens um Derivative, wie z.B. ρετζεηΐεχ

akts± ε

des

250) (I,

242),

(I,

250),

(I,

272)

185

artikl (I, 268) asimili:ran (II, 008) atmosfετ (I, 310), (I, 334), (I, 346) avaqsirn (I, 326) bariera (II, 014) bibliografiS (I, 306) bibliotek (I, 564) bolSavitskc (I, 500) (vgl. auch 3.3.2.2.) bundist (I, 144), (I, 252), (I, 254), (I, 258) burzuaze (I, 256) xarakteristik (II, 120) cUmonstratif (I, 390) detsidirn (I, 346) direktsic (I, 302) diskutirn (II, 020) famili ε (I, 440), (I, 442), (I, 488), (I, 490), (I, 508), (I, 510) fantastiS (II, 076) faSist (I, 258) februar (I, 138) film (II, 018) buxhandalsfirma (I, 298) fizik (I, 282) f izis (II, 042) geografϊε (I, 182), (I, 488), (II, 058)

186

g ε stapo (1, 218) gimnazium (I, 186), (I, 202), (I, 204), (I, 206) hebreiS (I, 266) hebreizman (I, 282), (I, 284), (I, 286) humor (II, 062) idiotn (II, 104) idiotiS (I, 344) intelig entn (II, 104) interes (I, 368), (I, 376), (I, 378), (I, 402) intaresant (I, 370), (I, 398), (I, 448), (I, 450), (I, 538), (I, 562), (1 , 570) , (II, 016) intsresirn (I, 360), (I, 378), (I, 402) internatsjonalistn (II, 104) I

invalidnpenzionistn (II, 050) ι

I

izolirt (II, 060) karakterizirn (II, 096) katojlis (I, 400) kilometer (I, 226) klojsters (I, 400) kolirn (I, 044) , (I , 064) kolektif (II, 036), (II, 038) kompleksn (II, 034) komunistn (I, 254)

187

konfliktn (II, 044) ι kontakt (I, 274), (I, 276), (I, 294), (I, 296), (11,014), (11,038), (11,056), (11,090) kontsentratsjonsiager korespondirn

(I, 270)

(I, 458)

koser (I, 426) (vgl. auch 3.3.2.1.) kultur (I, 378), (II, 008), (II, 074) fymfta kuluna

(I, 322)

kuzin (I, 506) legal (I, 230) literatur (I, 188), (I, 360), (I, 362), (I, 368) , (I, 380) , (II, 010) , (II, 058) IitaraturgaSixts

(I, 364)

mandatn (I, 410) ι matsmatik

(I, 182)

mentalitct (II, 078) moraliS (II, 042) natsjonal

(I, 350)

natsjonalizm (II, 112) natsjonalist (I, 352) nivo

(I, 188), (I, 194), (I, 196)

normal (I, 434) ofitsirfamilie okupatsie

(I, 502)

(I, 214)

optimist (II, 046), (II, 072), (II, 080) organizirn (I, 318) ortodoks (I, 1 56) partaj (I, 256), (I, 332), (I, 408), (I, 410), (I, 414), (I, 416) ρετζεηΐεχ (I, 236) ρεsimist (II, 046), (II, 048), (II, 080) p3Et

(I,

366)

politiS (II, 038) primitif

(II, 016)

problem (I, 360), (I, 468), (I, 498), (I, 556) , (II, 036) , (II, 044) , (II, 068), (II, 070), (II, 072), (II, 116) reaktsie

(I, 334)

^giruqk

(I, 330), (I, 332)

religies (I, 166) raportazn (II, 094) rezignirn (II, 006) sakral (I, 402) semitiS (I, 566) sekretar (I, 142), (I, 146) simpatit

(I, 328), (I, 340)

sionist (I, 324), (I, 352), (I, 412) sionistiS (I, 412)

189

system (II, 070) zentiment (I, 198) zeptcmber (I, 458) zitsatsis (II, 032) zotsjaldemokrat (I, 254), (I, 256) Sef (I, 420) §petsiel (II, 106) Standart (II, 024) äul (I, 174), (I, 180), (I, 184), (I, 186), (I, 188), (I, 196), (I, 198), (I, 200), (I, 202), (I, 206), (I, 238) folkSul (I, 174) mitlsul(I, 186) I teaterStik (II, 020) tExnikum (I, 306) texniS (I, 196) telafon (II, 052) televizie

(II, 018)

teolok (I, 370) turist (I, 496) tsentralizirn (I, 302) tsentralrat (I, 150) zurnalist (II, 092)

190

Die

verhältnismäßig hohe Anzahl Internationalismen erklärt sich so-

wohl aus der Wahl der Gesprächsthemen und dem Bildungsniveau

von

S

als auch durch die in Abschnitt 2.3. erwähnte generell positive Einstellung der jiddischsprachigen Kultur zu Internationalismen.

3.3.2.5. Alternation von Lexemen

Wie auf der phonologischen herrscht im Jiddischen auch auf der lexikalischen

Ebene

insofern eine ziemliche Variation,

den verschiedenen Komponenten des Jiddischen ren. maxmes

Dies

miteinander

gilt teils generell für das Jiddische,

(nach U.

als Lexeme aus alternie-

wie z.B.

vajl -

WEINREICH 1968 beide stilistisch nicht markiert im

Stj.)a sax - fil (fil ist im Stj. zu meiden,

aber es ist nicht ver-

pönt), efser - filajxt (filajxt im Stj. verpönt), teils speziell für die Sprache von S, wie z.B.:

37

d i r (I, 468)

- vojnugk

m l x u m s (I,

- krik

204)

είΐετ

Auch

innerhalb

(I, 298) (I, 278)

der

(I,

474)

320)

buxhandals

buxhandals -firme

(I,

deutschen

Alternation vor, und zwar so,

" - g s S e f t (I, 298) - filajxt

(I, 040)

Komponente daß ein Lexem,

kommt

die lexikalische

das die etymologische

Entsprechung des stdt. Lexems ist, mit einem anderen Lexem, das sei-

191

ne etymologische Entsprechung in nicht-standardsprachlichen Varietäten des Deutschen hat, alterniert, wie z.B.:

* • fotsr - tat a

Wie

aber

3

8

- wegen der relativ wenigen Lexeme hebräischer und slawi-

scher Herkunft in seiner Sprache - zu erwarten ist, der

lexikalischen

ist die

Anzahl

Alternationen nicht so hoch in der Sprache von S

wie generell im Jiddischen möglich. Z.B. benutzt er monatn (I, 214), wo die Alternation mcnat - xojdss vorhanden ist.

3.3.3. Morphosyntax

Die weitreichende prinzipielle Übereinstimmung im System der Sprachen

Jiddisch

und

Deutsch erübrigt es,

beiden

eine erschöpfende Be-

schreibung der Morphosyntax von S zu geben. Was die spezifischen Unterschiede im einzelnen betrifft, gen Grammatiken,

wie z.B.

uns darauf beschränken,

verweisen wir auf die einschlägi-

BIRNBAUM 1979 und MARK 1978.

Wir wollen

einige besonders geeignete Teilgebiete her-

auszugreifen, um das Charakteristische an der Sprache von S auf dieser Ebene zu beleuchten.

192

3.3.3.1. Nominalbereich

In

der

Sprache

von S sind drei Genera des Substantivs vorhanden -

wie im Stj., aber im Gegensatz zum NOJ, das nur zwei Genera besitzt, nämlich Maskulinum und Femininum (vgl. 2,

wo z.B.

wird).

die DSAv-Aufnahmen XIV/1 und

das Substantiv ajs 'Eis' als Fem. bzw. Mask, realisiert

Das heißt auch,

strukturellen

daß sich die von

WOLF

1969

beschriebenen

Veränderungen im Bereich des Genus in der Sprache von

S nicht finden.

Auch mit dem Stdt. stimmt die Sprache von S darin überein,

daß drei

Genera vorhanden sind und daß die meisten etymologisch gleichen Wörter

der

beiden Sprachen jeweils dem gleichen Genus zugordnet sind,

wie z.B.:

Mask.

Neutr.

Fem.

bark

(I, 060)

ajs

(I, 116)

arme

(I, 272)

pojr

(I, 074)

körn

(I, 084)

ιαϋεχ

(I, 100)

snaj

(I, 054)

vasr

(I, 114)

su:l

(I, 188)

Man kann aber einige wenige unterschiedliche Genuszuweisungen stellen, wie z.B.:

Mask. nivo

Neutr. (I, 194)

artikl

Fem. (I, 268)

fest-

193

atmosfer (I, 310)

In

diesem

Bereich

ist auch eine gewisse Variation zu verzeichnen,

z.B. erscheint atmosfer kurz nach dem ersten Vorkommen als Fem., und zwar (I, 334).

Sehr oft erscheinen die Substantive in einer Distribution,

aus

der

es nicht hervorgeht, um welches Genus es sich handelt: Wenn man sich das Substantivsyntagma β grojs intares (I, 368) ansieht, muß man das Substantiv dem Neutrum zuordnen, denn wenn es wie im Stj. Mask, sein sollte,

müßte das attributive Adjektiv die Form grojsn haben - wie-

derum nach der stj. Norm (vgl. z.B. HERZOG 1965, hier als Neutr.

ist oder daß diese Zuordnung etwas

den Idiolekt von S Spezifisches ist,

Deutschen nicht auszuschließen ist. an,

Daß interes

zu interpretieren ist, kann heißen, daß es im ZOJ -

im Unterschied zum Stj. - Neutr. für

131).

wobei Interferenz aus dem

Diese Überlegungen

führen

wir

um auf die prinzipiellen Schwierigkeiten bei der Genuszuordnung

der Stubstantive aufmerksam zu machen, eindeutigen

Erkennungszeichen,

wenn sie nicht vom

nämlich

dem

einzigen

bestimmten Artikel im

Nominativ Singular, begleitet sind.

Was die Flexionskategorie Kasus betrifft, zu beobachten wie im Stj.,

d.h.

ist etwa dasselbe

daß Kasus nur durch den bestimmten

Artikel und - mit dem oben genannten Vorbehalt - durch das tive Adjektiv markiert wird.

System

attribu-

Die Bedeutung 'possessiv' wird nur bei

194

Propria und einigen wenigen

Appellative,

die

semantisch

mit

den

Propria verwandt sind, durch das Flexiv -s markiert, wie z.B.: marnes (I, 526), tatns (I, 270).

In

der

Flexionskategorie

Numerus kommen die etymologisch gleichen

Pluralflexive vor wie im Deutschen, wobei -e als peripher bezeichnet werden muß und vermutlich als

deutsche

Interferenz

ist.

problems

(I,

Es

kommt

einmal

vor:

360)

zu

betrachten

- und nur in der

Alternation mit problsman (II, 044), das mit der stj.

Norm überein-

stimmt. Außerdem kommt das Flexiv -im aus der hebräischen Komponente vor.

Auch hier gibt es sowohl Übereinstimmungen mit als auch Unterschiede zu den Verhältnissen im Stdt.

Übereinstimmungen:

-(θ)η: - stdt. -(e)n

-θΓ/-εΓ: - stdt. -er

familian (I, 538)

hojzer (I, 066)

frajn (I, 448)

kinder (I, 490)

partajn (I, 412)

klajdsr (I, 016)

vain (I,

iender (II, 058)

voxn

410)

(II,

094]

vsrter (I, 282)

195

idiotn (II, 104)

-fa

- stdt. - 0

farbrexer

(I, 324)

Ιετετ

(I, 198)

Unterschiede: -(s)n: - stdt. -e

-s: - stdt. -0

bixargaseftn (I, 302)

bicxamaxErs (I, 526)

jurn (I, 408)

klojstErs (I, 400)

konfliktn (II, 046) monatn (I, 214)

-s: - stdt. -e heriqks (II, 076)

vitsn (II, 062) ganzn (I, 006) -(θ)π: - stdt. -er daxn (I, 526) -0: - stdt. -e fis (I, 042) fis (I, 436)

Das

Flexiv

-s kommt auch in Wörtern aus der hebräischen Komponente

vor, wie z.B. in kascs (I, 386).

M. WEINREICH 1980, 408 ff behauptet, daß das Flexiv -s aus der romanischen Komponente stammt, und da es auch in Wörtern aus der hebräischen Komponente vorkommt, wie oben erwähnt, führt KIEFER 1985, 1206 beide Herkunftsmöglichkeiten an.

Es sollte aber auch das mit in Be-

196

tracht

gezogen

macht,

daß nämlich das Pluralflexiv -s für regionale Varietäten des

Deutschen

an

werden,

der

worauf

Grenze

Ostmitteldeutschen, in

zum

DINGELDEIN

1983,

Niederdeutschen,

zweisilbigen

Wörtern

1199 aufmerksam

vor

allem

im

auf -en, -ei und -er

- er erwähnt Beispiele wie bratens, löffels und talers - charakteristisch

ist.

Plausibel

scheint

uns,

daß

das

Flexiv -s über die

'Brücke' des Ostmitteldeutschen ins Jiddische gelangt ist.

Insgesamt sieht das Bild der Substantivflexion - dies gilt auch die

Flexion

der

gleich zum Stdt.

verschiedenen

Subklassen der Pronomina - im Ver-

wie eine Vereinfachung

nicht-standardsprachlichen

für

Varietäten

aus. des

Wenn

man

Deutschen

aber

die

heranzieht,

fällt die Ähnlichkeit mit dem Jiddischen auf, was die grundsätzliche Tendenz

zur

Reduktion der Glieder der einzelnen Flexionskategorien

angeht - bei gleichzeitiger Vielfalt der konkreten Realisierung dieser Reduktion.

Diese grundsätzliche Ähnlichkeit zwischen nicht-standardsprachlichen sammen, 20.

dem

Jiddischen

und

den

Varietäten des Deutschen hängt damit zu-

daß beide jahrhundertelang - das Jiddische bis

Anfang

des

Jahrhunderts - nicht den starken Normierungsbestrebungen ausge-

setzt waren, balbereich,

denen die Flexion sowohl im Nominal- als auch im wie

sie

Ver-

aus als vorbildlich angesehenen schriftlichen

Texten früherer Sprachstadien überliefert war, als etwas absolut Gutes und Nachahmenswertes galt.

197

Was die Determinantien betrifft, ist auffallend, daß das Jiddische und das gilt auch für die Sprache von S 0-Artikel

hat,

wo im Stdt.

-

in

einigen

Fällen

der bestimmte Artikel steht,

wenn das Substantiv Regimen eines

Präpositionalsyntagmas

den

und zwar ist,

wie

z.B.:

in bet (I, 052)

in stip (I, 152)

in bunt (I, 424)

vegn iebrn

den tejl fun bux (I, 268)

fun nax vsltnkrik (I, 294)

(II, 094)

in dorf (I, 076) in gantsn (II, 068)

Dies gilt auch bei Monaten und Jahreszahlen:

in z£ptember (I, 458) in 1938 (I, 206)

Eine

naheliegende

Erklärung für dieses Vorkommen des 0-Artikels im

Jiddischen ist die Transferenz aus

den

jeweiligen

koterritorialen

slawischen Sprachen, die keinen Artikel haben.

Im

Jiddischen

u.a. z.B.:

MARK 1978, 39

hat

der

negative Artikel - diesen Terminus benutzt

247 - eine andere

Form

als

im

Deutschen,

vgl.

198

(I,

530) es zin nis gavcn ka rajxe mentsn.(I, 1 >

348)

ix hop nig

kajn ο^ενεΙ«

Der

negative

Artikel besteht aus zwei Elementen,

Negation nis/nig und ka/kajn. Position von ni

BIRNBAUM 1979,

und zwar aus der

302 erwähnt,

daß die

entweder die sein kann wie im oben angeführten Bei-

spiel (I, 348) oder nach dem Substantiv, also:... kajn ojsvek nig .

Diese

zweite Positionsmöglichkeit kommt in der Sprache von S nur in

der Kombination mit kajmol vor:

(I, 294) un ix hop kajmol nis gssndsrt majn ηυιηεη

In einigen Fällen wird das Wort sim als Verstärkung der

Vereinigung

nach kajn eingefügt, wie z.B.: (I, 160) ix hop nis bakumsn kaj sim religi£za dertsiunk.(I, 274) 5 un ύεπίο^ hop ix son nis gahat kajn sim kontaktn mit jidn M.

WEINREICH 1980, 532 betont das Vorhandensein der parallelen Kon-

struktionen im Polnischen als plausible Erklärung für den Artikel

im

Jiddischen.

nicht-standardsprachliche,

Dies

negativen

ist einleuchtend,aber wieder sei auf

vor allem oberdeutsche,

Varietäten

des

Deutschen hingewiesen, in denen der negative Artikel durchaus üblich ist.

Die

attributiven Relativsätze werden im Jiddischen - so auch in der

199

Sprache von S - durch das Pronomen v o s ^ eingeleitet, wie z.B.:

(II, 038) ... di anders vos zenan gakiman (I, 564) ... biger vos mix intaresirn zajr (II, 082) ... majn froj vos da vajnt

In diesen Beispielen hat vos die syntaktische Funktion des Subjekts. In

Relativsätzen,

Subjekts hat,

wo das Pronomen eine andere Funktion als die des

wird,

pronomen eingefügt,

weil vos nicht flektierbar ist,

ein Personal-

um die Funktion formal zu markieren.

für diesen Typ finden sich in unserem Korpus nicht,

Beispiele

aber zur

Illu-

stration führen wir ein stj. Beispiel aus U. WEINREICH 1949, 198 an: der ments vos mit im hob ix garet Die Form der attributiven Relativsätze und das Vorhandensein von nur einem

Pronomen

in der Funktion als Relativpronomen lassen sich als

Transferenz aus dem Slawischen erklären. Schon SCHUCHARDT 1884, ff

beobachtete die ähnliche Form in östlichen deutschen Varietäten,

die im Kontakt mit dem Slawischen standen, in

110

Berlin

lebenden,

Ostjiddischen. Slawischen,

aber

aus

sowie im Jiddischen

dem Osten zugereisten Sprecher des

Für beide Fälle rechnet er mit Transferenz

auch

was

geliehen.

aus

dem

den Einschub eines Personalpronomens angeht,

und erwähnt ein Beispiel aus dem Schlesischen: hab Geld

der

der Mann was ich ihm

200

3.3.3.2. Verbalbereich

Im Hinblick auf die Flexion,

Rektion und Semantik der Verben finden

sich sowohl Übereinstimmungen als auch Unterschiede und 5tj.

zwischen

Stdt.

Bei den Hilfsverben zur Bildung vom Perfekt, Aktiv, unter-

scheidet S zwischen zajn und hobm - im Gegensatz zum entfallen ist (vgl.

NOJ,

wo

zajn

SCHAECHTER 1977,39). Die Distribution ist teil-

weise anders als im Stdt., süddeutschen Varietäten,

deckt

sich

aber

mit

der

in

einigen

in denen bei den Verben liegen, sitzen und

stehen auch sein als Hilfsverb benutzt wird.

(I, 348) ix hop ζε:τ 4arjk ojsgshaltn (I, 045) de andere ζεη^η gaiegn in bet (I, 214) un ix bin

gabiibm

(I, 252) er iz gevezn a bundist I

(I, 054) ix bin gsslufn

Der gleiche Gebrauch von zajn findet sich in anderen

Aufnahmen

des

ZOJ, z.B. in XIV/16. Zur

Bildung

von

Perfekt-Passivformen

benutzt:

(I, 138) ix bin gabojrsn

g&vorn

(I, 332) dos is gemaxt gsvorn

wird

zajn

+

PP

von vern

201

Diese Formen kommen auch vor bei Verben,

von denen

im

Stdt.

kein

Passiv gebildet werden kann:

(I, 170) ix bin ojfgavokssn gavorn

In allen Fällen bleibt das Präfix ga-, im Gegensatz zum Stdt. wie in ich bin geboren

worden,

erhalten. In diesem Zusammenhang ist zu er-

wähnen, daß Präfixverben gleich behandelt werden:

(II, 042) dos alts vos mir hobm

ibergalept

(I, 266) un er hot mir ybergesetst

dos fun hEbreis

(I, 296) xoj ' sntegsstroxn

Fakultativ ist ga-bei den Partizipien:

(I, 158) ix bin ga?]gn in a jidise sul (I, 204) ig bin gagasgan in a pojlise gimnaz (I, 230) ig bin kiman ka ruslant (II, 038) di andara vos ζεηβη gakiman (I, 348) ix hop nig kent ojfl^rn zajn a jid (I, 328) ig hop nis gak£nt gajn vajter

In allen vergleichbaren Fällen findet sich in der Sprache von S kein Ersatzinfinitiv. Was den Infinitiv mit oder ohne zu angeht, so läßt sich alternieren-

202

der Gebrauch belegen:

(I, 348) ix hop nig kent ojfhern zajn a jid (I, 204) ongahojbm

gajn

(II, 016) un mir hajbm on tsu redn (II, 120) ix vil nis mix unternemen tsu gebm

Außer diesen Charakteristika aus Phänomene erwähnenswert.

dem

Flexionsbereich

sind

andere

Besonders auffällig ist z.B. der reflexive

Gebrauch bei Verben, die im Stdt. nicht reflexiv verwendet werden:

(I, 174) ix bin nist gslsrnt zix (II, 120) ix vil nis mix unterncmen tsu gebm

Das wird allgemein auf slawischen WEINREICH 1980,

532),

Einfluß

zurückgeführt

(vgl.

M.

ebenso wie eine andere Besonderheit, nämlich

die Verwendung des Reflexivpronomens

zix

trotz

vorhandener

Refe-

renzidentität zwischen Personal- und Reflexivpronomen:

(I, 174) ix bin nist gelernt zix (II, 046) ix vil zix antvikln

Diese Formen gehören zur Norm des Stj.

und des N0J. Normgerecht für

das Z0J sind die Formen, die der stdt. Norm entsprechen und die auch in der Sprache von S vorkommen:

203

ν

(II, 120) ix vil nis mix ur^rnemen tsu gebm (II, 014) ix hobjne bami:t um kontakt mit dsnisa mentsn

Hier liegt wieder ein Fall vor, wo der bloße Vergleich des Stj. dem Stdt.

ein undifferenziertes Bild gibt.

kommenden Alternationen erscheinen weniger bedenkt,

daß

mit

Die bei S parallel vor'abweichend',

wenn

man

der besondere Gebrauch des Reflexivpronomens zix auch

in ostmitteldeutschen Varietäten belegt ist (vgl. 452), wie z.B. für das Thüringische in mai fürchten

SCHIRMUNSKI 1962, zieh.

In einigen anderen Bereichen des Verbsystems zeichnet sich die Sprache von 5 eher dadurch aus,

daß bestimmte im Stj.

weit verbreitete

Phänomene nicht belegt sind.

Es fehlen völlig die komplexen Verbformen, die aus einem Element der hebräischen Komponente und einem der drei

Verben

zajn,

vern

oder

hobm bestehen, wie z.B. mamsex zajn 'fortführen, fortsetzen'.

Belege

für

das im Jiddischen unter dem Einfluß der koterritorialen

slawischen Sprachen ausgebaute Aspektsystem fehlen ganz (vgl. hierzu Abschnitt 2.2.2.), z.B.:

1.

die Funktionsverbgefüge,

die das Einmalige und Punktuelle einer

Handlung ausdrücken, wie z.B. a lax ton, 2.

die Verbalkette haltn in ejn + 0-Infinitiv, wie z.B. srajbm, die I '

204

je nach dem Kontext den fortdauernden Verlauf - vgl. Schreiben

-

oder

dt.

er ist am

die regelmäßige Wiederholung einer Handlung aus-

drückt, sowie V

3. Präfixverben, wie z.B. onsrajbm,

die den Abschluß einer Handlung

ausdrücken. Möglicherweise

ist

dervisn

gegenüber visn als Perfektivbildung zu

interpretieren in:

(I, 262) un er'ot ojsgehaltn / ix hopssspstcr w

1

^

dervist ix hop's nig gvust / i gvin in der arme / ober speter dervust er hot ojsgahaltnI najn jor

Der denkbare Kontext ist zu ambig, 48

mit

als daß auch tsesmaltsn in

Satz

Sicherheit als aspektoid gebrauchtes Präfixverb beschrieben

werden kann:

(I,

054)

der snaj iz gsbiibm lign obar hajnt iz er I

I

tsesmaltsn I

gsvorn I

3.3.3.3. Wortbildung

Der Bereich der Wortbildung profitiert in besonderem Maße davon, daß Jiddisch eine Mischsprache ist.

Wortbildemittel aus allen drei Kom-

205

ponenten bieten vielfältige

Variationsmöglichkeiten

im

Wortschatz

(vgl. auch Abschnitt 2.2.2.), wie z.B. bei den Hybridenbildungen:

(I, 432) xazsvu:st (I, 314) hojptsibe (I, 372) mamesprax (I, 568) marefdajtslant (I, 316) zajtnsibc I (I, 304) vojvotsaft

Das

Regelsystem

entspricht im großen und ganzen dem Deutschen.

gibt vergleichbare

Möglichkeiten

durch Prä- oder Suffigierung, Adjektiven u.ä. alternativen

Die

Kompositabildung,

Ableitung

Substantivierung von Infinitiven oder

Unterschiede

Realisierungen

der

Es

zum

oder

in

Stdt. der

liegen

entweder

Distribution

in

gleicher

Wortbildungsmuster.

Besonders

häufig

kommen in der Sprache von S Komposita vom Typ N+N

vor, die dem Stdt. vergleichbar sind:

(I, 298) buxhandalsfirms (II, 094) faxkencr (I, 174) folksul (I, 174) kindErhajm (I, 540) krikstsajt

206

(I, 118) k o x U f l (II, 022) lebmsart I (I, 364) litrraturgesixta (I, 166) mutsrsprax (I, 186) ratnfarbant I (I, 298) regirugshent (I, 256) zotsialitemokrat (II, 020) teatsrstik

Ein Typ, der im Stdt.

so nicht realisiert wird,

144) snajderarbajter)und Stdt.

Beispiele für Realisierungen,

jeweils andere mögliche Formen

des

Determinantien macht, sind:

(I, 544) blcxemaxsr (I, 166) deqknsprax (I, 056) ερε^ο,ϊπιβη (I, 274) vsltnkrik I

Durch Präfigierung entstandene Nomina sind:

(I, 332) antizemit (II, 108) hojpttsajgn (II, 014) mitarbetar (I, 186) mitlsul I

findet sich in (I, in denen das

Substantivparadigmas

zu

207

(I, 238) tsvisntsajt

Typische Suffixe wie -ist, -izm sowie das Diminutivsuffix -i (Sg.)/ -ax (PI.)

kommen vor in:

(I, 316) antizemitizm I

(I, 144) bundist (I, 070) epalax (I, 112) fajgalax (I, 358) fasist (II, 104) internationalist (I, 244) stetlI (II, 054) stetalax (I, 436) stiklI

Die Suffixe -hajt und -kajt sowie das Präfix für Negation sind teilweise anders distribuiert als im Stdt.:

(II, 108) frajntlexkajt (I, 356) jidiskajt (I, 518) nigjidn (II, 108) nigojfrixtikajt

Auch in den Wortklassen Verb und Adjektiv finden sich komplexe Lexeme, wie z.B. Präfixverben mit ant-, ahin-, ajn-, οjfojs-,

arojs-,

208

arum-,

tsurik-

und tsuzaman- sowie Adjektive auf -is,

wie (I, 048) bundis,

(I,

050) dorstik,

(I,

-ik und Ιεχ

562) gliklex und (II,

022) ungliklex. .

Andere Distribution als im Stdt. wir in: (I, ist

ein

in bezug auf die Wortklassen haben

142) jugnthajt und (II, ' für

das

Stj.

028) unhajbmdik. I

charakteristischer

Nicht belegt

Kombinationstyp

wie

alterhejt 'im Alter' und laxndikerhejt 'in lachendem Zustand'. I In

diesem

Zusammenhang

Wortbildungen,

sofern

ist nicht

vielleicht schon

Phänomene produktiver Regelsysteme.

Folgendes überlegenswert:

lexikalisiert,

sind

ad-hoc-

Die konkrete Produktion ist ab-

hängig vom Grad der lebendigen Benutzung der Sprache in der Kommunikation,

d.h.

je aktiver man die Sprache gebraucht,

desto häufiger

und intensiver wird man sich auch der produktiven Mittel und bedienen.

Das Fehlen bestimmter stj. Charakteristika in der Sprache

von 5 ist so vielleicht erklärbar. diesem

Regeln

Hintergrund

die folgenden zunächst als Interferenzen einzu-

stufenden Fälle:

(II, 050) invalidnpcnzionistn (II, 076)

Fast folgerichtig erscheinen auf

obmbrojt

(II, 026) ri:znuntssi:t 1 (I, 348) ojsixlos

209

In invalidnpenzionist tritt das dänische pensionist 'Rentner' an die Stelle des stj. pznzionzr, und die Bedeutung '-los' hat im Stj.

die

formalen

wie

Realisierungsmöglichkeiten

on + Nom.

oder on ...ik,

z.B. on a tsil 'ziellos', onvcrterdik 'wortlos, sprachlos'.

Vom Standpunkt der aktuellen Sprachproduktion in Kontakt deutsch-

bzw.

mit

dänischsprachigen Welt sind solche Wortbildungen Er-

gebnisse der Anwendung produktiver Regelsysteme auf der Basis sich

im

einer

einer

Kontakt mit anderen Sprachen verändernden oder sich diesen

angleichenden Varietät des Jiddischen.

3.3.3.4. Topologie

Die Topologie der Satzglieder eines einfachen jiddischen Satzes, dem

das

finite Verb allein das Verbal ausmacht,

in

ist mit der eines

entsprechenden deutschen Satzes identisch (vgl. u.a. MARK 1978,

371

ff), wie z.B.:

Subjekt I, 074

- fin. Verb - Objekt

der p o j rI

1

dieser Bauer

hat

ot

tsveif

Sof

zwölf Schafe

Adverbial - fin. Verb - Subjekt I, 056

do

§tajn

tsvaj

epelbojman

da

stehen

zwei Apfelbäume

Es besteht aber ein wesentlicher Unterschied, wenn es sich beim Ver-

210

bal

um

delt, vor

eine Verbalkette bzw. und zwar so,

den

eine periphrastische Verbalform han-

daß im Jiddischen der infinite Teil des Verbais

Satzgliedern Objekt,

oder genauer gesagt, schweren bzw.

zwischen den

leichten

Satzgliedern

und

den

normalen Satzgliedern (vgl. u.a. das Feldschema in U.

WEINREICH 1949, Topologie

Prädikativ und/oder Adverbial steht,

des

330 und BIRNBAUM 1979,

301).

Als Beispiele dieser

infiniten Verbs und der genannten Satzglieder in der

Sprache von S seien angeführt:

Subjektsprädikativ: I,

144

un

ετ

I,

152

di

eitern

fryma

iz g e v e n

a

bundist

fun majn mamen

zin geven

zajr

jidn

I,

012

ir m i s t

I,

016

zi

I,

066

er v i l

I,

090

hostu

I,

098

di m i s t

I,

160

ix h o p

verdn

greser

Objekt: zol

najn zix

di

Sjfbojn

geze:n

ma:n

korman ni§

klajder

di

tsvaj

naja

hojzer

kojs ki:

bakumsn

kaj

sim

religiezs

d ε rtsiuqk I,

072

z i v i I nι zi

f a r k o j f In

Die Position des leichten Objekts zi in I, formulierten

Regel.

072 entspricht der

oben

Daß in solchen Fällen aber auch Variation mög-

211

lieh ist, zeigt das Beispiel I, 300,

in dem das leichte Objekt

die Position eines normalen Objekts besetzt: I,

300

vi

zol

ix

dos

zogn

ir

I

zolt

farStajn

es

git

Adverbial: I,

052

de

andere

zenan

I,

164

ix

bin

dertsojgn

jo

gaiegn

in

I

bet

gevorn

I

I

in

a

rixtik

jidiSs häjm Adverbial + Objekt: I,

480

do

hot

me

garet

of

di

gas

jidis

In einigen wenigen Fällen tritt der infinite Teil des Verbals in der Position nach den genannten Satzgliedern auf, wie z.B.: I,

142

(...)

I,

014

ve:r

I,

096

ir

iz

er S o j n

hot

zen

dos

nox

Snajder

gelt

ni§

nii

ggvejn

gaganvet

baj

ints

gavejn I

Diese topologische Erscheinung unterliegt also einer gewissen Variation,

was

aus

den

beiden

folgenden

besonders deutlich hervorgeht,

fast identischen Äußerungen

wobei die erste mit

der

stj.

Norm

übereinstimmt, während die zweite von dieser Norm abweicht: I,

418

ix

I,

422

i:x

Möglicherweise

bin bin

handelt

ni§

gaven

in d e r

es

Norm um Interferenz aus dem

in

si:ve

der

svive

nis

gaven

sich bei dieser Abweichung von der stj. Deutschen.

Es

ist

andererseits

aber

212

nicht auszuschließen,

daß auch in diesem Punkt gerade die Variation

das Charakteristische nicht nur für die individuelle Sprache ist,

sondern

auch

dreißiger Jahren,

für

von

das Lubliner Jiddisch in den zwanziger und

wo sich die vom NOJ geprägten

Normierungsbestre-

bungen noch nicht in dem Maße wie heute durchgesetzt hatten. sich bei der hier besprochenen topologischen u.a.

in

U.

S

WEINREICH 1949 formuliert wird,

Regel

des

Daß es

Stj.,

die

um eine Idealisierung

handelt, die sozusagen die häufigere Möglichkeit zur obligatorischen Regel erhebt, geht auch aus BIRNBAUM 1979, 293 hervor 41 .

In diesem Zusammenhang sei auf eine eher periphere Erscheinung merksam gemacht,

und zwar auf den Fall,

auf-

wo das Vorfeld durch einen

Gliedsatz besetzt ist, wie z.B. im folgenden komplexen Satz: I,' 142 o b e r ν ε η ix b i n g a b o r nI g a v o r nI iz εr § n a j d E r ni§ Hier steht das finite Verb in Struktur

dieses

gavejn der

2.

Position.

Die

topologische

komplexen Satzes ist - jedenfalls was die uns hier

interessierenden Elemente betrifft - identisch mit führten

Sojn

einfachen Satz I,

dem

oben

056 mit der Reihenfolge Adverbial,

angefin.

Verb, Subjekt , und somit stimmt sie auch mit der stj. Norm überein. Eine Abweichung von dieser Norm stellt aber

das

folgende

Beispiel

dar: I, 400 ν ε η ix k i m in a f r e m d g

s t u t ix gaj

βίεηάίΐς k i k nI Hier haben wir die Reihenfolge Adverbial,

Subjekt,

fin.

Verb, die

213

als Interferenz aus dem Polnischen zu beschreiben ist.

Im Stj. ist

diese topologische Struktur verpönt (vgl. die schroffe Ablehnung bei M. WEINREICH 1980, 22 f).

Ein weiterer wichtiger topologischer Unterschied zwischen dem schen und dem Jiddischen besteht darin,

Deut-

daß im Jiddischen die Posi-

tion des finiten und des infiniten Verbs im

Gliedsatz

die

gleiche

ist wie im Hauptsatz. Als Beispiele seien angeführt: II,

062

ix v i l

1119 z o g n

az m a j n

I,

184

ix m u s

z u g nI a z w es

ojsgatsajxnctB I,

190

ix

gadeqk

kint hop I,

094

väjs

da

as

az

iz g a v e zIn

tseln-

gaiajnt er

iz

bcser

a

Sul

ais

ix

humor

iz

Das letztgenannte Beispiel (I,

di

do

Elfverk

t s v £ 1 f j ε r i g εr fon

tolstoj

η

idis

gavejn

094) stellt keine Abweichung von der

hier behandelten topologischen Erscheinung dar,

denn das

Adverbial

do ist als leichtes Satzglied zu betrachten (vgl. U. WEINREICH 1949, 330). I,

202

danux de

I,

252

zaj

19

bin

jidisa hobm

bundist

Sul

gaqgsn^in hot

gahat

arestirt in

gimnazium

vajl

nur

zibm

-

vejl

klas

er

iz g a v e z n

tsum

bajspil

a

pojln I

I,

I,

398

478

ix

bin

gave:n

in

gaveln

a gita

xazn I

zaj

obm

ox

bin kiman

§i:l

gavojnt tse

zaj

of d e m dos

belvil

eräta

mol

-

ven's

- νεη

ix

214

Daß

die

Position

des finiten und des infiniten Verbs im Gliedsatz

die gleiche ist wie im Hauptsatz, wird in der Literatur meistens als Transferenz aus dem Polnischen beschrieben (vgl. z.B.

U.

WEINREICH

1958, 383 und M. WEINREICH 1980, 532). 42

Was

die

Topologie

innerhalb

eines

Substantivsyntagmas betrifft,

herrscht im Jiddischen generell eine größere Freiheit als (vgl.

MARK

1978,

392)

im

Hinblick

im

Stdt.

auf die Reihenfolge von sub-

stantivischem Kern und gewissen Attributen und Determinantien,

d.h.

daß die letzteren dem substantivischen Kern auch nachgestellt werden können.

Auch

diese Erscheinung wird als Transferenz aus dem Polni-

schen bzw. aus dem Slawischen im allgemeinen interpretiert (vgl.

U.

WEINREICH 1958, 382).

Die

östlichen

deutschen

vgl. u.a. REITER 1960,

Varietäten kennen auch diese Erscheinung,

64 für das Oberschlesische und U.

WEINREICH 43

1958,

382

für

die

deutschen

Sprachinseln

in

Wolhynien

sowie

SCHUCHARDT 1884, 93 für die von ihm beobachtete deutsch-tschechische Mischsprache des 19. Jahrhunderts. In der Sprache von S findet sich im Substantivsyntagma kein einziger Beleg mit nachgestelltem Attribut bzw.

Determinans wie

in

anderen

Aufnahmen des DSAv wie z.B. in XIV/2: mit a bort a vejse

'mit e i n e m w e i ß e n

Bart'

215

der

Als

eine

man

mögliche

irar

'ihr

Erklärung

Mann'

für

das

Nicht-Vorhandensein dieser

Erscheinung könnte man folgendes erwägen: Allgemein wird dem nachgestellten Attribut Feierlichkeit

(U.

(SCHUCHARDT 1884). den

Gespräch

eine

affektive

WEINREICH

Konnotation

1958)

zugeschrieben,

wie

oder außerordentliche Erregung

Weder das eine noch das andere ist im vorliegen-

vorhanden,

was wiederum mit bestimmten Elementen der

Gesprächskonstellation zusammenhängen könnte, nämlich mit den Themen des Gesprächs und der etwas distanzierten Beziehung von S zu I (vgl. auch Abschnitt 3.3.4.).

Andererseits kann auch hier wie in anderen Fällen als Erklärungsmöglichkeit deutsche Interferenz nicht ausgeschlossen werden.

Abschließend sei eine weitere topologische schen erwähnt,

Erscheinung

des

Jiddi-

die sich von der entsprechenden stdt. unterscheidet, 44

und zwar die Nachstellung einer Zeitbestimmung

in

Verbindung

mit

dem Adjektiv alt in prädikativer Funktion, wie z.B.: II,

034 m a j n

II,

044

(...)

zun

iz

mentsn

ziptsik

alt vos

itst zin

fiftsn alt

jor

fyftsik

zextsik

jor

Bei dieser Erscheinung ist in der Sprache von S keine Variation vorhanden .

216

3.3.4. Gesprächsanalytische Aspekte

Die

Beschreibung

der

Sprache von S auf der Basis des vorliegenden

Datenmaterials wäre unvollständig,

würde man nicht auch berücksich-

tigen, wie diese Datengrundlage zustandegekommen ist.

Bei

dieser Tonbandaufnahme handelt es sich nicht nur um einen Mono-

log des Informanten, viewer

sondern um ein Gespräch

I und dem Informanten/Sprecher S.

zwischen

dem

Die jeweiligen Rollen der

beiden Gesprächspartner liegen schon vor der Aufnahme fest. darum,

die

gesprochene

Inter-

Sprache von S zu dokumentieren,

Fragen stellen soll, um S zum Erzählen zu bringen.

Es geht während I

Eine eigentliche

Gesprächseröffnung im Sinne der Definition (vgl. HENNE/REHBOCK 1982, 21) liegt also nicht vor.

Auf

die

'metasprachliche'

Einleitung von I:

nu,

jetst kinsn vir

onfangn tsu rejdn reagiert S erwartungsgemäß positiv mit jo, jo, und unmittelbar darauf sind die Bedingungen für die Phase der Gesprächsmitte erfüllt. Makrostruktur

Wir sehen davon ab,

daß weitere Untersuchungen

sogar aufdecken könnten,

daß wir es nicht einmal mit

einem Gespräch im Sinne der Definition der Gesprächsanalyse haben.

Wir

halten

der

es aber für sinnvoll und notwendig,

zu

tun

auf die im

Korpus vorhandenen gesprächstypischen Phänomene wie

Sprecher-Hörer-

Reaktion,

um so eventuell

weiterführende Fragen u.ä.

hinzuweisen,

bisher über die Sprache von S Gesagtes zu

ergänzen

und

gegebenen-

217

falls zu stützen oder zu relativieren.

Das

Gespräch ist in seinem Verlauf deutlich durch die starke Betei-

ligung des Interviewers I gekennzeichnet. mit

in

Betracht gezogen werden,

Sein

Hörerverhalten

tnuß

wenn man den Sprachgebrauch von S

adäquat beschreiben will, d.h. wenn man möglichst viele Aspekte seines kommunikativen Verhaltens beleuchten will.

45 Die zahlreichen Hörerrückmeldungen von I lassen zuordnen,

sich

vier

Typen

von denen der erste durch eingestreutes ja ja, najn

hm hm und Ähnliches realisiert wird, benutzt wird,

der

ausschließlich

dazu

den Gesprächspartner der ungebrochenen Aufmerksamkeit

und geistigen Präsenz zu versichern. zeichnungen

und

najn,

wie

'Satzvollendung',

Die drei anderen sind mit 'Bitte um Klärung'

und

Be-

'kurze

Nachformulierung' charakterisiert. SatzVollendungen, wie z.B.:

(II,

052) S:

un i:x kom fun dar arbct

dox mi:t / ix vejs νεη ix mus axt su axt su... redn und (I, 418) S: '

/ der sef der hojptrufn und belegen,

I: arb£tn S: I

'siz gevezn a grojser ruf in lublin ruf ^ I der jesive

arbetn, I

sapiro

I : iz gavezn sapiro setzen voraus

daß I und S die gleiche Sprache sprechen. Im gegentei-

ligen Fall wäre die regelgerechte Auffüllung angefangener scher und syntaktischer Strukturmuster nicht möglich.

lexikali-

218

Den eingestreuten Bitten um Klärung, wie z.B.: (I, 460) 5: zaj 1