Loi de vigilance: Das französische Lieferkettengesetz: Dissertationsschrift 9783161613449, 3161613449

Die loi de vigilance ist das rechtsvergleichende Vorzeigeobjekt für die Einführung eines deutschen und europäischen Lief

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German Pages 349 [376] Year 2022

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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einführung
§ 1: Wirtschaft und Menschenrechte im französischen Privatrecht
A. Menschenrechtsklagen vor französischen Zivilgerichten
I. Loi Rana Plaza
II. Menschenrechtsklagen als Konsequenz eines double cloisonnement
B. Völkerrechtlicher Hintergrund
I. Keine Menschenrechtsbindung privater Unternehmen
II. UNGP als internationaler Referenzrahmen
III. Umsetzung der UNGP – Abkehr von dem Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung
C. Loi de vigilance als das legislative Vergleichsobjekt
I. Reformdiskussion in Deutschland
II. Rechtsvergleichende Umschau
1. Schweiz
2. England
3. Frankreich
§ 2: Gegenstand und Ziel der Untersuchung
§ 3: Forschungsstand
§ 4: Methodik
A. Auslandsrechtliche Arbeit mit rechtsvergleichenden Elementen
B. Erweiterter Auslegungskanon: UNGP und nationale Begrifflichkeiten
§ 5: Themenbegrenzung
§ 6: Gang der Untersuchung
1.Teil: Vom soft law zum hard law – Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung privater Unternehmen in Frankreich
§ 1: Frankreich in der Vorreiterrolle
A. Loi NRE (2001) als Vorläuferin der europäischen CSR-RL
B. Gesetz zur Ausrichtung der französischen Entwicklungspolitik (2014)
C. Nationaler Aktionsplan zur Umsetzung der UNGP
D. Loi Sapin II (2016): Sorgfaltspflicht zur Korruptionsbekämpfung
E. Loi de vigilance (2017): Erneute Vorbildambitionen
§ 2: Haftungslücken und Reformbestrebungen im französischen Deliktsrecht
A. Haftung für faute, Art. 1240, 1241 C. civ
I. Schaden
II. Faute
1. Menschenrechte als allgemeiner Sorgfaltsmaßstab im Sinne der faute?
2. Anknüpfung an freiwillige Selbstverpflichtungen?
3. Rechtsträgerprinzip als Hürde
4. Ausnahmen vom Rechtsträgerprinzip
a) Fallgruppen der Rechtsprechung: Rechtsschein und Einmischung
b) Insolvenzrecht: Vermögensvermischung, Fiktivität und Ausfallhaftung
c) Umweltrecht: Subsidiäre Haftung der Muttergesellschaft für Instandsetzung des genutzten Geländes
5. Zwischenergebnis zur faute
III. Ergebnis zur Haftung für faute
B. Haftung für das Verhalten Dritter
I. Gehilfenhaftung, Art. 1242 Abs. 5 C. civ
II. Allgemeine Haftung für Dritte, Art. 1242 Abs. 1 C. civ
III. Ergebnis zur Haftung für das Verhalten Dritter
C. Reformentwürfe
I. Projet Catala (2005)
II. Projet Terre´ (2011)
III. Entwurf des Justizministeriums (2017)
IV. Ergebnis zu den Reformentwürfen
D. Ergebnis zu den Haftungslücken
§ 3: DerWeg zum hard law – Entstehungsgeschichte der loi de vigilance
A. Zentrale Rolle der französischen Zivilgesellschaft
I. Engagement französischer Nichtregierungsorganisationen
1. Kampagnen gegen multinationale Unternehmen
2. Strategische Prozessführung
II. Außergewöhnliche Kooperation von Zivilgesellschaft und Abgeordneten der Assemble´e nationale
B. Erste Entwürfe
C. Neuer Entwurf vom 11. Februar 2015 – Kompromiss mit großen Einschränkungen
D. Verfassungsrechtliche Kontrolle durch den Conseil constitutionnel
I. Abstrakte Normenkontrolle in Frankreich
II. Teilweise Verfassungswidrigkeit der loi de vigilance
1. Verstoß der amende civile gegen den Bestimmtheitsgrundsatz
2. Kein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der persönlichen Haftung
3. Keine Verletzung der unternehmerischen Freiheit
III. Ergebnis zur verfassungsrechtlichen Kontrolle
§ 4: Zusammenfassung in Thesen
2.Teil: Die loi n° 2017-399 vom 27. März 2017 zur Sorgfaltspflicht von Muttergesellschaften und Auftrag gebenden Unternehmen
§ 1: Tatbestand der loi de vigilance
A. Persönlicher Anwendungsbereich
I. Gesellschaften mit Sitz in Frankreich
II. Beschränkung auf Großunternehmen
1. Einbeziehung von Arbeitnehmern direkter oder indirekter „Filialen“
a) Filiales directes
b) Filiales indirectes
c) Arbeitnehmergrenzen
2. Rechtsform der verpflichteten Gesellschaft
a) Socie´te´s anonymes (SA)
b) Socie´te´s par actions simplifie´es (SAS)
c) Socie´te´s en commandite par actions (SCA)
d) Socie´te´s europe´ennes (SE)
III. Bereichsausnahme für Gesellschaften der Unternehmensgruppe
IV. Künftige Entwicklung des persönlichen Anwendungsbereichs?
1. Kompromisscharakter der geltenden Fassung
2. Reformperspektiven
V. Ergebnis zum persönlichen Anwendungsbereich
B. Reichweite der Sorgfaltspflicht
I. Unmittelbar oder mittelbar kontrollierte Gesellschaften
1. Kontrolle als Schlüsselbegriff für die Unternehmensgruppe
2. Ausschließliche Kontrolle i.S.v. Art. L. 233-16 II. C. com
3. Kontrollmöglichkeit oder tatsächliche Kontrolle?
4. Ergebnis zur Reichweite in der Unternehmensgruppe
II. Subunternehmer und Zulieferer mit gefestigter Geschäftsbeziehung
1. Subunternehmer und Zulieferer
2. Gefestigte Geschäftsbeziehung
a) Von influence de´terminante zu relation commerciale e´tablie
b) Konkretisierung durch die Rechtsprechung zur rupture brutale
c) Übertragung der rupture brutale-Rechtsprechung auf die loi de vigilance?
aa) Ausschluss von punktuellen, aber signifikanten Vertragsbeziehungen
bb) Integration der gesamten Lieferkette?
(1) Fallbeispiel: Das v. GeorgeWeston Limited (CA Ontario)
(2) Rupture brutale in Kettenbeziehungen
(3) Auslegung der loi de vigilance
(4) Bewertung und Zwischenergebnis
3. Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Geschäftsbeziehung
4. Ergebnis für Subunternehmer und Zulieferer
C. Inhalt der Sorgfaltspflicht
I. Erstellen eines plan de vigilance
1. Schutzbereich der Sorgfaltspflicht
a) Keine Definition im Gesetz
b) Menschenrechte und Grundfreiheiten
aa) Nationale Menschenrechtsquellen Frankreichs
bb) Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
(1) Nur mittelbare Bindung der Gesellschaften an die Menschenrechte
(2) Extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK
cc) Internationale Verpflichtungen Frankreichs zum Schutz der Menschenrechte
(1) Internationale Menschenrechtscharta
(2) ILO-Kernarbeitsnormen
dd) Konkretisierung der loi de vigilance anhand der Menschenrechtsquellen Frankreichs? – Offene Fragen
(1) Abschließender, einheitlicher menschenrechtlicher Referenzrahmen?
(2) Erweiterung des objektiven Referenzrahmens durch Selbstverpflichtung der Gesellschaften?
ee) Zwischenergebnis
c) Gesundheit und Sicherheit der Menschen
d) Umwelt
aa) Verfassungsrechtlicher Umweltschutz
bb) Einfachgesetzlicher Umweltschutz
(1) Umweltschaden im Öffentlichen Recht
(2) Umweltschaden im Zivilrecht
cc) Klimaklagen auf Grundlage der loi de vigilance
e) Beschränkung auf Prävention gegen gravierende Verletzungen
f) Ergebnis für den Schutzbereich der loi de vigilance
2. Maßnahmen angemessener Sorgfalt
a) Risikokartografie: Risikoermittlung, -analyse und -hierarchisierung
b) Verfahren zur regelmäßigen Kontrolle der Situation in den filiales und bei Subunternehmern und Zulieferern
c) Sorgfaltsmaßnahmen zur Vermeidung schwerwiegender Verletzungen
aa) Angemessenheit der Sorgfaltsmaßnahmen
bb) Keine konkreten Sorgfaltsmaßnahmen im Gesetz
cc) Künftiges Dekret der Regierung zur Vervollständigung der Sorgfaltsmaßnahmen
d) Warnmechanismus für bestehende oder sich realisierende Risiken
e) Überwachung und Evaluation der getroffenen Maßnahmen
aa) Social audits anstelle von staatlicher Kontrolle
bb) NGOs als externe Kontrollinstanz
3. Ausarbeitung des Plans in Zusammenarbeit mit den Stakeholdern
II. Effektive Umsetzung des plan de vigilance
III. Publizitätspflichten
1. Integration des Plans in den Geschäftsbericht
2. Zusätzliche Veröffentlichung des Plans
3. Umfang der Publizitätspflichten
IV. Ergebnis zum Inhalt der Sorgfaltspflicht: Orientierung an den UNGP und Rückbezug zum nationalen Recht
D. Zusammenfassung in Thesen
§ 2: Rechtsfolgen der loi de vigilance
A. Gerichtliche Anordnung zur Pflichterfüllung (injonction)
I. Präventive Zielrichtung der injonction
II. Vorherige außergerichtliche Mahnung (mise en demeure)
1. Total (Uganda)
2. Total (Klima)
3. EDF
4. Teleperformance
5. XPO Logistics Europe
6. Suez
7. Casino
8. Zwischenergebnis
III. Sachlich zuständiges Gericht
1. Allgemeine Zuständigkeitsregeln
2. Entscheidungen im Fall Total (Uganda)
3. Bewertung und Zwischenergebnis
4. Cour de cassation: Wahlrecht zwischen Zivil- und Handelsgericht
5. Neuer Art. L. 211-21 COJ: Ausschließliche Zuständigkeit des Tribunal judiciaire de Paris
IV. Rechtsschutzinteresse von Vereinigungen und Gewerkschaften
V. Rechtsfolgen: Leistungsanordnung und Zwangsgeld
VI. Ergebnis zur injonction
B. Deliktsrechtliche Haftung (responsabilite´ civile)
I. Einführung einer Haftung für eigene faute
II. Einschränkung des Rechtsträgerprinzips
1. Reformentwürfe Catala und Terre´: Haftung aufgrund tatsächlich ausgeübter Kontrolle
2. Paradigmenwechsel zugunsten des Menschenrechtsschutzes
III. Haftungsvoraussetzungen
1. Faute: Devoir de vigilance als Erfolgs- oder Bemühenspflicht?
a) Inexistenter oder nicht publizierter Sorgfaltsplan
b) Unvollständiger oder ineffektiver Plan
c) Zwischenergebnis
2. Schaden
a) Modifikation des allgemeinen Schadensbegriffs
b) Ersatz reiner Umweltschäden
c) Ersatz immaterieller Schäden von Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen
d) Ersatz von Aufwendungen zur Abwendung drohender Schäden
3. Kausalitätsnachweis und Beweislastverteilung
a) Grundsatz: Beweislastverteilung zulasten des Geschädigten
b) Beweiserleichterungen zugunsten des Geschädigten
aa) Richterrechtliche Kausalitätsvermutung bei Risikoerhöhung
bb) Richterrechtliche Beweiserleichterung nach der perte d’une chance-Doktrin
cc) Abgrenzung des Grundsatzes der Risikoerhöhung von der perte d’une chance-Doktrin
4. Zwischenergebnis zu den Haftungsvoraussetzungen
IV. Haftungsfolgen
V. Prozessuale Durchsetzung
1. Verhältnis der Haftungsklage zu mise en demeure und injonction
2. Sachlich zuständiges Gericht
3. Prozessführungsbefugnis von Menschenrechts- und Umweltschutzorganisationen
4. Kollektiver Rechtsschutz
VI. Ergebnis zur deliktsrechtlichen Haftung
C. Zusammenfassung in Thesen
3.Teil: Anwendung der loi de vigilance auf Auslandssachverhalte
§ 1: Internationale Zuständigkeit französischer Gerichte
A. Klage gegen Gesellschaften mit Sitz in Frankreich
B. Klage gegen Gesellschaften mit Sitz außerhalb Frankreichs
I. Klage gegen Gesellschaften mit Sitz in einem EU- Mitgliedstaat: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, Art. 8 Nr. 1 EuGVVO
II. Klage gegen Gesellschaften mit Sitz in einem Drittstaat
1. Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, Art. 42 Abs. 2 CPC
2. Notzuständigkeit (for de ne´cessite´)
C. Ergebnis: Internationale Zuständigkeit meist keine Hürde
§ 2: Anwendbares Recht
A. Qualifikation der loi de vigilance: Gesellschafts- vs. Deliktsstatut
I. Abgrenzung des Gesellschaftsstatuts vom Deliktsstatut
1. Das Deliktsstatut im französischen Kollisionsrecht
2. Das Gesellschaftsstatut im französischen Kollisionsrecht
3. Abgrenzung der beiden Statute nach Art der Sorgfaltspflicht
II. Gespaltene Qualifikation: Gesellschaftsrechtliche Sorgfaltspflicht, deliktsrechtliche Haftung
III. Einheitliche deliktsrechtliche Qualifikation
1. Sorgfaltspflicht: Drittschutz als Schutzzweck
2. Deliktsrechtliche Außenhaftung im Fall eines Sorgfaltspflichtverstoßes
3. Injonction als präventiver Sanktionsmechanismus – Parallele zur Qualifikation vorbeugender Unterlassungsansprüche
4. Alternative: Doppelqualifikation?
5. Bestätigung der deliktsrechtlichen Qualifikation durch den GEDIP-Entwurf zum internationalen Gesellschaftsrecht
IV. Ergebnis: Loi de vigilance als Teil des Deliktsstatuts
B. Freie Rechtswahl, Art. 14 Rom II-VO
C. Umweltdeliktsstatut, Art. 7 Rom II-VO
I. Sachlicher Anwendungsbereich
1. Umweltschädigung
2. Personen- oder Sachschaden aus einer Umweltschädigung
II. Erfolgsortanknüpfung
III. Handlungsortanknüpfung
1. Cour d’appel de Paris: Handlungsort am Ort der Emission im Ausland
2. Rechtbank Den Haag: Handlungsort am Verwaltungssitz der Muttergesellschaft
3. Bewertung und Zwischenergebnis
IV. Ergebnis zum Umweltdeliktsstatut
D. Allgemeines Deliktsstatut, Art. 4 Rom II-VO
I. Erfolgsortanknüpfung, Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO
II. Korrektur der Erfolgsortanknüpfung
1. Ausweichklausel, Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO
a) Einseitiges Bestimmungsrecht aus Gründen des Opferschutzes?
b) Zwischenergebnis
2. Ordre public, Art. 26 Rom II-VO
a) Loi de vigilance als Teil des ordre public international
b) Inlandsbezug zu Frankreich (ordre public de proximite´)
c) Rechtsfolge: Nichtanwendung der ausländischen Sachnorm zugunsten der lex fori
d) Grundsätzlich kein ordre public-Verstoß im Kontext der Menschenrechtsklagen
e) Zwischenergebnis
3. Berücksichtigung der Sorgfaltspflicht auf Sachrechtsebene, Art. 17 Rom II-VO
a) Devoir de vigilance als Sicherheits- und Verhaltensregel
b) Handlungsort Frankreich
c) Rechtsfolge: faktische Berücksichtigung
d) Zwischenergebnis
4. Ergebnis: Anwendbarkeit der loi de vigilance nur im Einzelfall
E. Lösung: Qualifikation als Eingriffsnorm, Art. 16 Rom II-VO
I. Funktion von Eingriffsnormen im IPR
II. Voraussetzungen einer Eingriffsnorm
III. Loi de vigilance als Eingriffsnorm
1. Wortlaut
2. Gesetzesbegründung und Entstehungsgeschichte
3. Telos
4. Rein zivilrechtliche Durchsetzungsmechanismen stehen Eingriffsnormcharakter nicht entgegen
5. Zwischenergebnis
IV. Inlandsbezug zu Frankreich: Internationaler Anwendungsbereich der loi de vigilance
V. Umfang und Rechtsfolge der Eingriffsnorm
F. Ergebnis: Loi de vigilance als „große“ Eingriffsnorm
§ 3: Zusammenfassung in Thesen
4.Teil: Implikationen der loi de vigilance für Deutschland und Europa
§ 1: Vergleich mit dem deutschen Lieferkettengesetz (LkSG)
A. Tatbestand
I. Persönlicher Anwendungsbereich
II. Inhalt der Sorgfaltspflicht
1. Schutzbereich
2. Sorgfaltsmaßnahmen
a) Angemessenes Risikomanagement (§ 4 LkSG)
b) Risikoanalyse (§ 5 LkSG)
c) Präventions- und Abhilfemaßnahmen (§ 6, 7 LkSG)
d) Beschwerdeverfahren (§ 8 LkSG)
e) Dokumentations- und Berichtspflicht (§ 10 LkSG)
f) Zwischenergebnis
III. Reichweite der Sorgfaltspflicht
1. Eigener Geschäftsbereich (§ 2 Abs. 6 LkSG)
2. Unmittelbare Zulieferer (§ 2 Abs. 7 LkSG)
3. Mittelbare Zulieferer (§ 2 Abs. 8 LkSG)
IV. Zwischenergebnis: Gemeinsamer Ursprung in den UNGP, aber unterschiedliche Regelungstiefe
B. Rechtsfolgen
I. Loi de vigilance: Reines private enforcement
II. Lieferkettengesetz: Reines public enforcement
III. Zwischenergebnis: Kompromiss statt smart mix in beiden Regelungen
C. Ergebnis: Loi de vigilance als Vorbild mit rechtspolitischem Signalcharakter
§ 2: Ausblick – Impulse für ein europäisches Lieferkettengesetz
A. Status quo: Berichtspflichten und sektorspezifische Verordnungen
B. Empfehlung des Europäischen Parlaments für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen
I. Ziele einer Harmonisierung auf EU-Ebene
II. Ambitionierte Vorgaben für das materielle Recht
III. Keine europäische Lösung für das Kollisionsrecht
C. Ergebnis: Unternehmerische Menschenrechtsverantwortung – ein perpetuum mobile
§ 3: Zusammenfassung in Thesen
Ergebnisse in Thesen
Anhang: Vorschriften der loi de vigilance in ihren Entwicklungsstufen
Literaturverzeichnis
Sachregister
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Loi de vigilance: Das französische Lieferkettengesetz: Dissertationsschrift
 9783161613449, 3161613449

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LAURA NASSE

Loi de vigilance: Das französische Lieferkettengesetz

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 487

Mohr Siebeck

Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 487

Herausgegeben vorn l\1ax-Planck-Institut fur ausländisches und internationales Privatrecht

Direktoren: Holger Fleischer, Ralf Michaels und Reinhard Zimmermann

��RTlBUS 11

J. G B· M· ,·8·0·1

LauraNasse

Loi de vigilance: Das französische Lieferkettengesetz

Mohr Siebeck

Laura Nasse, geboren 1992; Studium der Rechtsvvissenschaften an den Universitäten Frei­ burg i.Br. und Montpellier, 2017 Erste juristische Staatsprüfung; Wissenschaftliche Mitarbei­ terin

am

Institut für ausländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Uni­

versität Heidelberg; 2021 Promotion; Rechtsreferendariat am Landgericht Heidelberg.

ISBN 978-3-16-161344-9/ eISBN 978-3- 16-161 345-6 DOIIO.1 628/978-3-16-161 345-6 ISSN 0720- 1 1 4 1 / eIS SN 2568-7441 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek velZeiclmet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2022 Mohr Siebeck Tübingen. \V\V\V.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist olme Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gi.ltinsbesondere fur die Verbreitung, Vervielfaltigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Gennany.

Für Papa

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Juristischen Fakultät der Ruprecht­ Karls-Universität Heidelberg im Wintersemester 2021/2022 als Dissertation angenommen. Rechtsprechung, Gesetzgebung und Literatur konnten bis Anfang Februar 2022 berücksichtigt werden. Mein herzlichster Dank gebührt meinem Doktorvater Professor Dr. Marc-Philippe Weller. Zehn ereignisreiche Jahre lang durfte ich an seinen Lehrstühlen in Freiburg und Heidelberg "von klein auf' lernen, wodurch ich Zugang zu der mir bis dahin unbekannten Jurawelt fand. Marc-Philippe Wellers ansteckender Begeisterung für Forschung und Lehre sowie seinem feinen Gespür für die individuellen Fähigkeiten und Interessen seiner Mitar­ beiter*innen verdanke ich eine lehrreiche und prägende Studien- und Pro­ motionszeit. Nicht zuletzt beim Schreiben dieser Arbeit habe ich fachlich wie menschlich wertvolle Erfahrungen gesammelt, die mich in Zukunft begleiten und an meine "akademische Heimat" erinnern werden. Professor Dr. Dr. h.c. mull. Erik Jayme, LL.M. (Berkeley) gilt mein Dank für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und wertvolle Anregungen zum Manuskript der Arbeit. Den Vorsitz der Disputation hat freundlicher­ weise Professor Dr. Christoph A. Kern, LL.M. (Harvard) übernommen. Den Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches und inter­ nationales Privatrecht in Hamburg danke ich herzlich für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe des Instituts. Weiteren Dank schulde ich der Studienstiftung des deutschen Volkes, die mich mit einem Promotionsstipen­ dium ideell und finanziell gefördert hat. Von dem "Arbeitskreis Wirtschaft und Recht" des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft und der Stu­ dienstiftung ius vivum habe ich jeweils einen großzügigen Kostenzuschuss für die Drucklegung erhalten. Neben meinem Doktorvater haben mir Professorin Dr. Stephanie Francq, LL.M. (Berkeley) und Professor Dr. Ralf Michaels, LL.M. (Cantab. ) im Rahmen ihrer Sommer akademie in St. Johann sowie Professor Dr. Markus Krajewski und Dr. Miriam Saage-Maaß im Zuge einer Summer School in Nürnberg wertvolle methodische und inhaltliche Anregungen gegeben. Wesentlichen Anteil am Gelingen dieser Arbeit haben darüber hinaus meine Kolleg'innen am Lehrstuhl und die bemerkenswert freundschaftliche und respektvolle Atmosphäre am Heidelberger IPR-Institut. Der Austausch bei zahlreichen Mittags- und Kaffeepausen - oder dem eigens zur Diskussion

VIII

Vorwort

einberufenenjour flexible in Raum 45 des Instituts - hat dafür gesorgt, dass die vermeintlich einsame Promotionszeit ein Gemeinschaftsprojekt wurde. Mein besonderer Dank für ihr offenes Ohr, ihre hilfreichen Ideen und müh­ same Korrekturarbeit gilt Professor Dr. Leonhard Hübner, MJur (Oxon.), Dr. Vanessa Ludwig, LL.M. (Duke), Dr. Lucienne Schlürmann und Alix Schulz, MJur (Oxon.). Schließlich wäre all das nicht möglich gewesen ohne meine liebe Familie. Jonathan Petasch war mein Ruhepol. Geduldig hat er mein Arbeitspensum ertragen und mich bei Zweifeln zuversichtlich ermutigt und motiviert. Ich bin dankbar, dass er sowie meine Mutter Christel Nasse und mein Bruder Dr. Jan-Marcus Nasse mit meiner Schwägerin Paula-Marie Nasse und meiner Nichte Frieda meinen Lebensweg mit so großem Interesse und echter Anteil­ nahme begleiten. Ihre vielfältige Unterstützung und ihr bedingungsloser Rückhalt haben mir die Freiheit und den nötigen Mut für diese Forschungs­ arbeit gegeben. Gleiches gilt bis heute für meinen Vater Dr. Hubert Nasse (1951-2016), dessen besonnenen Rat ich oft vermisse und der mir mit seiner Neugier auf die Welt immer ein Vorbild war und sein wird. Ihm widme ich meine Arbeit. Heidelberg, im Juli 2022

LauraNasse

Inhaltsübersicht Vorwort

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Inhaltsverzeichnis

VII

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XI

Abkürzungsverzeichnis

XXIII

Einführung ............................................

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§ 1 Wir l schaft und Menschenrechte im franzö sisch en Pr ivatrecht . . .

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§ 2 Gegellstalld lmd Z ield er Unter su chu llg

14

§ 3 Forschu llgsstalld .........................................

15

§ 4 M eth od k i

16

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§ 5 Th em ell begre ll zu ll g

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§ 6 Gallgd er Ul llersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ........ . . . . . . . 1. Teil: Vom soft

law

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18

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19

zum hard law - Entwicklung der

Menschenrechtsverantwortung privater Unternehmen in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ......... . . . .

21

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§ 1 Fr allkreich ill der Varre iterrolle

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§ 2 Hafllln gslü ckell u lld Reformbestrebungen im fr an zösisch en Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

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§ 3 D er Weg zum h ard law - Elltstehu llgsgesch ich ted er loid evigilwlce . 45 .

§ 4 Zu samm ellfassu llg ill These/l ........ .

66

2. Teil: Die loi n° 2017-399 vom 27. März 2017 zur

Sorgfaltspflicht von Muttergesellschaften und Auftrag gebenden Unternehmen

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§ 1 Tat bestand der la ide v ig ilance

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x

Inhallsübersicht

§ 2 Rechtsfolgen der /ai de vigilance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Teil: Anwendung der lai

159

de vigilance

auf Auslandssachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

213

§ 1 Internationale Zuständigkeit französischer Gerichte . . . . . . . . . . . .

213

§ 2 Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

220

§ 3 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

271

4. Teil: Implikationen der lai de

vigilance

für Deutschland

und Europa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

275

§ 1 Vergleich mit dem deutschen Lieferkettengesetz (LkSG) . . . . . . . .

275

§ 2 Ausblick - Impulsefür ein europäisches Lieferkettengesetz . . . . . .

298

§ 3 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

306

Ergebnisse in T hesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

309

Anhang: Vorschriften der lai

de vigilance

in

ihren Entwicklungsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

315

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

345

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII IX

Abkürzungsverzeichnis

XXIII

Einführung .............................................. .

§ 1 Wirtschaft und Menschenrechte imfranzäsischen Privatrecht A. Menschenrechtsklagen vor französischen Zivilgerichten . . . I. Loi Rana Plaza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Menschenrechtsklagen als Konsequenz eines double cloisonnement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Völkerrechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Keine Menschenrechtsbindung privater Unternehmen . . II. UNGP als internationaler Referenzrahmen . . . . . . . . . . . IH. Umsetzung der UNGP - Abkehr von dem Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Loi de vigilance als das legislative Vergleichsobjekt . . . . . . . . I . Reformdiskussion in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsvergleichende Umschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 . Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 2 Gegenstand und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 3 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 4 Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Auslandsrechtliche Arbeit mit rechtsvergleichenden Elementen B. Erweiterter Auslegungskanon: UNGP und nationale Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 5 Themenbegrenzung

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§ 6 Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XII I. Teil: Vom soft

Inhaltsverzeichnis

law

zum hard law

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Entwicklung der

Menschenrechtsverantwortung privater Unternehmen in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

§ 1 Frankreich in der Vorreiterrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Loi NRE (2001) als Vorläuferin der europäischen CSR-RL . . . . B. Gesetz zur Ausrichtung der französischen Entwicklungspolitik �Ol� . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Nationaler Aktionsplan zur Umsetzung der UNGP . . . . . . . . . . D. Loi Sapin II (201 6): Sorgfaltspflicht zur Korruptionsbekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Loi de vigilance (2017): Erneute Vorbildambitionen . . . . . . .. . .

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37 37 38 38 38 39 40 41 41 42 43 44 45

§ 2 Haftungslücken und Reformbestrebungen im französischen Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Haftung für faute, Art. 1240, 1241 C. civ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Faute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Menschenrechte als allgemeiner Sorgfaltsmaßstab im Sinne der faute ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 . Anknüpfung an freiwillige Selbstverpflichtungen? . . . . 3. Rechtsträgerprinzip als Hürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausnahmen vom Rechtsträgerprinzip . . . . . . . . . . . . . . a) Fallgruppen der Rechtsprechung: Rechtsschein und Einmischung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Insolvenzrecht: Vermögensvermischung, Fiktivität und Ausfallhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Umweltrecht: Subsidiäre Haftung der Muttergesellschaft für Instandsetzung des genutzten Geländes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis zur faute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis zur Haftung für faute ...... B. Haftung für das Verhalten Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gehilfenhaftung, Art. 1 242 Abs. 5 C. civ. . . . . . . . . . . . . . . . II. Allgemeine Haftung für Dritte, Art. 1242 Abs. I C. civ. . . . III. Ergebnis zur Haftung für das Verhalten Dritter . . . . . . . . . C. Reformentwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Prolet Catala (2005) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prolet Terre (20 1 1 ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Entwurf des Iustizministeriums (2017) . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zu den Reformentwürfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Ergebnis zu den Haftungslücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

XIII

§ 3 Der Weg zum hard law - Entstehungsgeschichte der loi de vigilance .. A. Zentrale Rolle der französischen Zivilgesellschaft . . . . . . . . . . . . . I. Engagement französischer Nichtregierungsorganisationen . . . 1 . Kampagnen gegen multinationale Unternehmen . . . . . . . 2. Strategische Prozessführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Außergewöhnliche Kooperation von Zivilgesellschaft und Abgeordneten der Assemblee nationale ................... B. Erste Entwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Neuer Entwurf vom 1 1 . Februar 2015 - Kompromiss mit großen Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Verfassungsrechtliche Kontrolle durch den Conseil constitutionnel .......................................... 1. Abstrakte Normenkontrolle in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Teilweise Verfassungswidrigkeit der loi de vigilance ......... 1 . Verstoß der am ende civile gegen den Bestimmtheitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der persönlichen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Verletzung der unternehmerischen Freiheit . . . . . . . IH. Ergebnis zur verfassungsrechtlichen Kontrolle . . . . . . . . . . . .

45 45 46 46 47

§ 4 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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48 50 52 54 55 56 56 60 62 65

2. Teil: Die loi n° 2017-399 vom 27. März 2017 zur

Sorgfaltspflicht von Muttergesellschaften und Auftrag gebenden Unternehmen ...................................

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§ 1 Tatbestand der loi de vigilance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesellschaften mit Sitz in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Beschränkung auf Großunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Einbeziehung von Arbeitnehmern direkter oder indirekter "Filialen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Filiales directes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Filiales indirectes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Arbeitnehmergrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsform der verpflichteten Gesellschaft . . . . . . . . . . . . a) Soci aes anonymes (SA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Soci aes par actions simplijiees (SAS) . . . . . . . . . . . . . . c) Soci aes en commandite par actions (SeA) . . . . . . . . . . d) Soci aes europeennes (SE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IH. Bereichsausnahme für Gesellschaften der Unternehmensgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69 70 70 72 72 72 75 76 77 78 78 79 80 80

XIV

Inhaltsverzeichnis

IV. Künftige Entwicklung des persönlichen Anwendungsbereichs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Kompromisscharakter der geltenden Fassung . . . . . . . . . . 2. Reformperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis zum persönlichen Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . B. Reichweite der Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unmittelbar oder mittelbar kontrollierte Gesellschaften . . . . . 1 . Kontrolle als Schlüsselbegriff für die Unternehmensgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausschließliche Kontrolle i.S.v. Art. L. 233 · 1 6 II. C. com. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kontrollmöglichkeit oder tatsächliche Kontrolle? . . . . . . 4. Ergebnis zur Reichweite in der Unternehmensgruppe . . . II. Subunternehmer und Zulieferer mit gefestigter Geschäftsbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Subunternehmer und Zulieferer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 . Gefestigte Geschäftsbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Von injluence determinante zu relation commerciale etablie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkretisierung durch die Rechtsprechung zur rupture brutale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Übertragung der rupture brutale · Rechtsprechung auf die lai de vigilance ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aal Ausschluss von punktuellen, aber signifikanten Vertragsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . bb) Integration der gesamten Lieferkette? . . . . . . . . . . (1) Fallbeispiel: Das v. Gearge Westan Limited (CA Ontario) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rupture brutale in Kettenbeziehungen . . . . . . . (3) Auslegung der lai de vigilance . . . . . . . . . . . . . . (4) Bewertung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . 3. Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Geschäftsbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis für Subunternehmer und Zulieferer . . . . . . . . . . C. Inhalt der Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erstellen eines plan de vigilance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Schutzbereich der Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Keine Definition im Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Menschenrechte und Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . aal Nationale Menschenrechtsquellen Frankreichs b b) Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82 82 83 84 85 86 86 87 88 90 91 91 92 92 94 95 96 98 98 99 100 101 103 103 103 104 104 104 107 109 110

Inhaltsverzeichnis

2.

( I ) Nur mittelbare Bindung der Gesellschaften an die Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK cc) Internationale Verpflichtungen Frankreichs zum Schutz der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ( I ) Internationale Menschenrechtscharta . . . . . . . . (2) ILO-Kernarbeitsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Konkretisierung der lai de vigilance anhand der Menschenrechtsquellen Frankreichs? Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ( I ) Abschließender, einheitlicher menschenrechtlicher Referenzrahmen? . . . . . . . (2) Erweiterung des objektiven Referenzrahmens durch Selbstverpflichtung der Gesellschaften? ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesundheit und Sicherheit der Menschen . . . . . . . . . . d) Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aal Verfassungsrechtlicher Umweltschutz . . . . . . . . . . bb) Einfachgesetzlicher Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . ( I ) Umweltschaden im Ö ffentlichen Recht . . . . . . (2) Umweltschaden im Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . cc) Klimaklagen auf Grundlage der lai de vigilance e) Beschränkung auf Prävention gegen gravierende Verletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ergebnis für den Schutzbereich der lai de vigilance . . . Maßnahmen angemessener Sorgfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Risikokartografie: Risikoermitllung, -analyse und -hierarchisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfahren zur regelmäßigen Kontrolle der Situation in denfiliales und bei Subunternehmern und Zulieferern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sorgfaltsmaßnahmen zur Vermeidung schwerwiegender Verletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aal Angemessenheit der Sorgfaltsmaßnahmen . . . . . . bb) Keine konkreten Sorgfaltsmaßnahmen im Gesetz cc) Künftiges Dekret der Regierung zur Vervollständigung der Sorgfaltsmaßnahmen . . . . . d) Warnmechanismus für bestehende oder sich realisierende Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Überwachung und Evaluation der getroffenen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aal Sacial audits anstelle von staatlicher Kontrolle . . .

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XVI

Inhaltsverzeichnis

bb) NGOs als externe Kontrollinstanz . . . . . . . . . . . . . Ausarbeitung des Plans in Zusammenarbeit mit den Stakeholdern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Effektive Umsetzung des plan de vigilance . . . . . . . . . . . . . . . . III. Publizitätspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Integration des Plans in den Geschäftsbericht . . . . . . . . . . 2. Zusätzliche Veröffentlichung des Plans . . . . . . . . . . . . . . . 3. Umfang der Publizitätspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zum Inhalt der Sorgfaltspflicht: Orientierung an den UNGP und Rückbezug zum nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . D. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147

3.

§ 2 Rechtsfolgen der /oi de vigilance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gerichtliche Anordnung zur Pflichterfüllung (injonction) . . . . . . I. Präventive Zielrichtung der injonction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorherige außergerichtliche Mahnung (mise en demeure) . . . 1. Total ( Uganda) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Total (Klima) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. EDF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Teleperformance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. XPO Logistics Europe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Suez . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Casino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sachlich zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Zuständigkeitsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidungen im Fall Total ( Uganda) . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Cour de cassation: Wahlrecht zwischen Zivilund Handelsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Neuer Art. L. 21 1 -21 COJ: Ausschließliche Zuständigkeit des Tribunal judiciaire de Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsschutzinteresse von Vereinigungen und Gewerkschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtsfolgen: Leistungsanordnung und Zwangsgeld . . . . . . . . VI. Ergebnis zur injonction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Deliktsrechtliche Haftung (responsabilite civile) . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung einer Haftung für eigene faute . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einschränkung des Rechtsträgerprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Reformentwürfe Catala und Terre: Haftung aufgrund tatsächlich ausgeübter Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Paradigmenwechsel zugunsten des Menschenrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

148 151 151 152 152 153 155 156 159 159 160 160 162 162 1 63 163 164 1 64 1 65 166 166 167 168 170 172 173 174 176 176 177 177 178 179 180

X VII

Inhaltsverzeichnis

IH. Haftungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I . Faute: Devoir de vigilance als Erfolgs- oder Bemühenspflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inexistenter oder nicht publizierter Sorgfaltsplan . . . . b) Unvollständiger oder ineffektiver Plan . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Modifikation des allgemeinen Schadensbegriffs . . . . . b) Ersatz reiner Umweltschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ersatz immaterieller Schäden von Menschenrechtsund Umweltschutzorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ersatz von Aufwendungen zur Abwendung drohender Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kausalitätsnachweis und Beweislastverteilung . . . . . . . . . a) Grundsatz: Beweislastverteilung zulasten des Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beweiserleichterungen zugunsten des Geschädigten aal Richterrechtliche Kausalitätsvermutung bei Risikoerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Richterrechtliche Beweiserleichterung nach der perte d'une chance-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abgrenzung des Grundsatzes der Risikoerhöhung von der perte d'une chance-Doktrin . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis zu den Haftungsvoraussetzungen . . . . . IV. Haftungsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Prozessuale Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I . Verhältnis der Haftungsklage zu mise en demeure und injonction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachlich zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prozessführungsbefugnis von Menschenrechtsund Umweltschutzorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kollektiver Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergebnis zur deliktsrechtlichen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3. Teil: Anwendung der lai de vigilance auf Auslandssachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1 Internationale Zuständigkeit französischer Gerichte . . . . . . . . . . . A. Klage gegen Gesellschaften mit Sitz in Frankreich . . . . . . . . . . . B. Klage gegen Gesellschaften mit Sitz außerhalb Frankreichs . . . I. Klage gegen Gesellschaften mit Sitz in einem EU­ Mitgliedstaat: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, Art. 8 Nr. I EuGVVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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213 214 214

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215

XVIII

Inhaltsverzeichnis

11. Klage gegen Gesellschaften mit Sitz in einem Drittstaat 1 . Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, Art. 42 Abs. 2 CPC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 . Notzuständigkeit (for de necessite) . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnis: Internationale Zuständigkeit meist keine Hürde . . . . .

216

§ 2 Anwendbares Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Qualifikation der lai de vigilance: Gesellschafts- vs. Deliktsstatut 1. Abgrenzung des Gesellschaftsstatuts vom Deliktsstatut 1 . Das Deliktsstatut im französischen Kollisionsrecht 2. Das Gesellschaftsstatut im französischen Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abgrenzung der beiden Statute nach Art der Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Gespaltene Qualifikation: Gesellschaftsrechtliche Sorgfaltspflicht, deliktsrechtliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einheitliche deliktsrechtliche Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Sorgfaltspflicht: Drittschutz als Schutzzweck . . . . . . . . . . 2. Deliktsrechtliche Außenhaftung im Fall eines Sorgfaltspflichtverstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Injonction als präventiver Sanktionsmechanismus Parallele zur Qualifikation vorbeugender Unterlassungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . 4. Alternative: Doppelqualifikation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bestätigung der deliktsrechtlichen Qualifikation durch den GEDIP-Entwurf zum internationalen Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis: Lai de vigilance als Teil des Deliktsstatuts . . . . . . . . B. Freie Rechtswahl, Art. 14 Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Umweltdeliktsstatut, Art. 7 Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Umweltschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Personen- oder Sachschaden aus einer Umweltschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Erfolgsortanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Handlungsortanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Cour d'appel de Paris: Handlungsort am Ort der Emission im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtbank Den Haag: Handlungsort am Verwaltungssitz der Muttergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung und Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ergebnis zum Umweltdeliktsstatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis D. Allgemeines Deliktsstatut, Art. 4 Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . I. Erfolgsortanknüpfung, Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO . . . . . . . . . . II. Korrektur der Erfolgsortanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Ausweichklausel, Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO . . . . . . . . . . . a) Einseitiges Bestimmungsrecht aus Gründen des Opferschutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ordre public, Art. 26 Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Loi de vigilance als Teil des ordre public international b) Inlandsbezug zu Frankreich (ordre public de proximite) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolge: Nichtanwendung der ausländischen Sachnorm zugunsten der lex fori . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Grundsätzlich kein ordre public-Verstoß im Kontext der Menschenrechtsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Berücksichtigung der Sorgfaltspflicht auf Sachrechtsebene, Art. 1 7 Rom II-VO . . . . . . . . . . . . . . . . a) Devoir de vigilance als Sicherheitsund Verhaltensregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Handlungsort Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolge: faktische Berücksichtigung . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis: Anwendbarkeit der loi de vigilance nur im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Lösung: Qualifikation als Eingriffsnorm, Art. 1 6 Rom II-VO . . I. Funktion von Eingriffsnormen im IPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen einer Eingriffsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IH. Loi de vigilance als Eingriffsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzesbegründung und Entstehungsgeschichte . . . . . . 3. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rein zivilrechtliche Durchsetzungsmechanismen stehen Eingriffsnormcharakter nicht entgegen . . . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Inlandsbezug zu Frankreich: Internationaler Anwendungsbereich der loi de vigilance . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Umfang und Rechtsfolge der Eingriffsnorm . . . . . . . . . . . . . . F. Ergebnis: Loi de vigilance als "große" Eingriffsnorm . . . . . . . . .

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§ 3 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

4. Teil: Implikationen der lai de vigilance für Deutschland und Europa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 1 Vergleich mit dem deutschen Lieferkettengesetz (LkSG) . . . . . . . A. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Inhalt der Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sorgfaltsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Angemessenes Risikomanagement (§ 4 LkSG) . . . . . b) Risikoanalyse (§ 5 LkSG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Präventions· und Abhilfemaßnahmen (§ 6, 7 LkSG) d) Beschwerdeverfahren (§ 8 LkSG) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Dokumentations· und Berichtspflicht (§ 10 LkSG) . . f) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Reichweite der Sorgfaltspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 . Eigener Geschäftsbereich (§ 2 Abs. 6 LkSG) . . . . . . . . . . 2. Unmittelbare Zulieferer (§2 Abs. 7 LkSG) . . . . . . . . . . . . 3. Mittelbare Zulieferer (§ 2 Abs. 8 LkSG) . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis: Gemeinsamer Ursprung in den UNGP, aber unterschiedliche Regelungstiefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Loi de vigilance: Reines private enforcement . . . . . . . . . . . . . . II. Lieferkettengesetz: Reines public enforcement . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis: Kompromiss statt smart mix in beiden Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnis: Loi de vigilance als Vorbild mit rechtspolitischem Signalcharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 2 Ausblick - Impulsefür ein europäisches Lieferkettengesetz . . . . . . A. Status quo: Berichtspflichten und sektorspezifische Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Empfehlung des Europäischen Parlaments für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ziele einer Harmonisierung auf EU·Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ambitionierte Vorgaben für das materielle Recht . . . . . . . . . . IH. Keine europäische Lösung für das Kollisionsrecht . . . . . . . . . C. Ergebnis: Unternehmerische Menschenrechtsverantwortung -ein perpetuum mobile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 3 Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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Ergebnisse in T hesen

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Anhang: Vorschriften der lai de vigilance in ihren Entwicklungsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sachregister

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Abkürzungsverzeichnis

a.A. ABI. Abs. AcP AEMR AJDA AJP/PJA AktG AN Anm. (d. VerL) Art. AVR BB Begr. BerDGVR Beschl. BGBL BGH BMAS BMZ BT-Drucks. BufLL.Rev. Bull. civ. BuH. Joly Soc. bzw. e. cis. e. com. e. consom. e. envir. e. pen. C.C. CA Cah. dr. entr. Cass. ass. plen. Cass. civ. Cass. com. Cass. crim. Cass. mixte Cass. soc. CCC

andere(r) Ansicht Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Archiv für die civilistische Praxis Allgemeine Erklärung der Menschemechte Actualite juridique, droit administratif Aktuelle Juristische Praxis (AJP)/Pratique Juridique Actuelle (PJA) Aktiengesetz Assemblee nationale Anmerkung(en) (der Verfasserin) Artikel I article(s) Archiv des Völkerrechts Betriebs-Berater Begründer/in Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Beschluss Bundesgesetzblatt (der Bundesrepublik Deutschland) Bundesgerichtshof Bundesministerium für Arbeit und Soziales Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent­ wicklung Bundestagsdrucksache Buffalo Law Review Bulletin des arn�ts des chambres civiles Bulletin Joly Societes beziehungsweise Code civil Code de commerce Code de la consommation Code de l'envirOIlllement Code penal Conseil constitutionnel Cour d'appellCourt of Appeal Cahiers de droit de l'entreprise Cour de cassation, Assemblee pleniere Cour de cassation, Chambre civile Cour de cassation, Chambre commerciale Cour de cassation, Chambre criminelle Cour de cassation, Chambre mixte Cour de cassation, Chambre sociale Cahiers du Conseil constitutionnel

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Abkürzungsverzeichnis

CCFD Terre solidaire Comit6 Catholique Contre la Faim et pour le Developpement Terre Solidaire CCZ Corporate Compliance Zeitschrift CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CE Conseil d':Etat CF Constitution franyaise ehron. chronique COIllIll . commentaire(s) CPC Code de procedure civile CO) Code de l'organisation judiciaire CSR Corporate Social Responsibility CSU Christlich-Soziale Union in Bayern D. Recueil Dalloz d.h. das heißt Dalloz IP/IT Droit de la proprie:te intellectuelle et du numerique DB Der Betrieb DC d6cision DDHC Declaration des Droits de l'Homme et du Citoyen ders. derselbe dies. dieselbe(n) doctr. doctrine Dr. social Droit social Dr. Societes Droit des societes ECCHR European Center for Constitutional and Human Rights ECFR European Company and Financial Law Review Energie - EnvirOIlllement - Infrastructures EEI EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschemechte Einl. Einleitung EJIL European Journal of International Law EMRK Europäische Menschemechtskonvention ERPL European Review of Private Law Erwgr. Erwägungsgrund EuGH Europäischer Gerichtshof EuZA Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWCA England and Wales Court of Appeal f. I ff. folgende FIDH Federation internationale pour les droits humains Fn. Fnllnote(n) frz. französische(rls/n) FS Festschrift GEDIP Groupe europeen de droit international Prive GPR Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht GS Gedächtnisschrift HCDH Haut-Commissariat des Nations Unies Hervorh. (durch Verf.) Hervorhebung(en) (durch die Verfasserin) Hrsg. Herausgeber/in HS. Halbsatz i.S.d. im Sitme der/des i.S.v. im Sinne von

Abkürzungsverzeichnis i.V.m. lLO insbes. IPRax JCI. JCP E JCP G JCP S JDI (Clunet) JETL JORF JZ LG LkSG 10i NRE m.w.N. MRM NAP NGO NZG OECD o. g. OLG OR PJL PPL ProDESC QPC RabelsZ RAW RDT Resp. civ. et assur. Rev. crit. DIP RIC RIDE RIW RJSP RL RLDA Rn. RTD Civ. RTD Com. S. SA SAS SCA SE sog.

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in Verbindung mit International Labour Organization insbesondere Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts JurisClasseur Dalloz La Semaine Juridique - Entreprise et Affaires La Semaine Juridique - Eclition Generale La Semaine Juridique - Social Journal du Droit International Clunet Journal of European Tort Law Journal officiel de la Republique franyaise JuristenZeitung Landgericht Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz Loi n° 2001-420 du 15 mars 2001 relative aux nouvelles regulations economiques, JORFn° 113 du l 6 mai 2001 mit weiteren Nachweisen MenschenRechtsMagazin Nationaler Aktionsplan Non-governmental organization (Nichtregierungsorganisation) numero Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Organisation for Economic Co-operation and Development oben genarnüe(n) Oberlandesgericht Schweizer Obligationemecht projet de loi proposition de loi Proyecto de Derechos Economicos, Sociales y Culturales (NGO) question prioritaire de constitutiOIlllalite Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht Automobil Wirtschaft Revue de Droit du Travail Responsabilite civile et assurance Revue critique de droit international prive Revue Internationale de la Compliance et de l'ethique des affaires Revue internationale de droit economique Recht der Internationalen Wirtschaft Revue des Juristes de Sciences Po Richtlinie Revue Lamy droit des affaires Randnummer(n) Revue trimestrielle de droit civil Revue trimestrielle de droit commercial Seite(n) I Satz societe anonyme societe par actions simplifiees societe en commandite par actions societe europ6enne sogenannte(rls/n)

XXVI SPD TA Tl u. a. UKSC UN UNGP Unif. L. Rev. Urt. v. vgl. va

vs. VVDStRL WM z. B. ZEuP ZfPW ZGR ZHR ZIP ZRP ZUR ZVertriebsR ZZPlnt

Abkürzungsverzeichnis Sozialdemokratische Partei Deutschlands texte adopte (frz. Gesetzgebungsverfahren) Tribunal judiciaire unter anderem I und andere United Kingdom Supreme Court Decisions United Nations (Organization) (Vereinte Nationen) UN Guiding Principles Uniform Law Review Urteil von / vom vergleiche Verordnung versus Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtsleh­ rer Wertpapier-Mitteilungen. Zeitschrift für Wirtschafts- und Bank­ recht zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Umweltrecht Zeitschrift für Vertriebsrecht Zeitschrift für Zivilprozess international

Einführung! § 1 Wirtschaft und Menschenrechte im

französischen Privatrecht A. Menschenrechtsklagen vor französischen Zivilgerichten "Total, rendez-vous au tribunal!"2

So lautet der Slogan einer Kampagne der französischen Nichtregierungsor­ ganisationen (NGOs) Les Amis de la Terre und Survie gegen das französische Mineralölunternehmen Total. Die Kampagne wendet sich gegen zwei Groß­ projekte von Total in Uganda: Im Rahmen der Vorhaben "Tilenga" und "East African Crude Oi! Pipeline" (kurz: "EACOP") sollen in einem großen Naturschutzgebiet Bohrungen stattfinden und eine über 1400km lange Pipeline durch Tansania bis an den Indischen Ozean gebaut werden. 3 Nach Angaben der NGOs erfordere das eine Umsiedelung tausender Menschen und berge erhebliche Umweltrisiken. Total habe es bei der Planung versäumt, die Folgen seiner Projekte für die Rechte der lokalen Bevölkerung und die Umwelt ausreichend zu berücksichtigen. 4 Dafür müsse das Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden. Diese medienwirksame Kampagne existiert bereits seit Juni 2019. Inzwi­ schen ist aus dem Slogan Wirklichkeit geworden. Gemeinsam mit ugandi­ sehen Vereinigungen reichten die NGOs im Herbst 2019 vor dem Tribunal judiciaire de Nanterre Klage gegen die Total SA ein. ' Mit Blick auf die recht­ liche Struktur des Falls ist das nicht selbstverständlich. Denn nicht Total SA6, 1 Aus Gründen der Lesbarkeit wird in dieser Arbeit auf die gleichzeitige Verwendung der verschiedenen Sprachformen (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeiclmungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter. 2 Siehe (letzter Abruf 1.2.2022). J Les Amis de la Terre FrancelSurvie, Un cauchemar nomme Total, 19.10.2020. 4 Les Amis de la Terre FrancelSurvie, Total mise en demeure pour ses activites en Ou­ ganda, 25.6.2019. 5 Les Amis de la Terre France, Le devoir de vigilance: premiere saisine d'un tribunal fran�ais pour le cas de Total en Ouganda, 23.10.2019. 6 Die Total SA hat sich im Juli 2020 in eine SE umgewandelt, siehe die Pressemitteilung vom 17.7.2020, abrufbar unter (letzter Abruf 1.2.2022). Da die Klage noch gegen Total SA erhoben wurde, wird im Folgenden deIllloch von Total SA gesprochen. 7 Les Amis de la Terre FrancelSurvie, Manquements graves a la loi sur le devoir de vigilance, 24.6.2019. 8 Loi n° 2017-399 du 27mars 2017 relative au devoir de vigilance des societes meres et des entreprises dOIllleuses d'ordre, JORF n° 0074 du 28 mars 2017. 9 Siehe infra S. 85ff. 10 Siehe (letzter Abruf 1.2.2022). 11 Vgl. beispielsweise den neuen Art. 1833 Abs. 2 C. cis.: "La societe est geree dans son interet social, en prenant en consideration les enjeux sociaux et enviroIlllementaux de son activite.", eingefügt durch Loi n° 2019-486 du 22 mai 2019 relative a la croissance et la transformation des entreprises (loi PACTE), JORF n° 0119 du 23 mai 2019. Zur Refor­ mulierung des inter€! sodal in Frankreich u. a. Fleischer, ZGR 2018, 703 ff.; Paillusseau, D. 2018, 1395 [f.

§ 1 Wirtschaft und Menschenrechte imfranzösischen Privatrecht

3

sog. Menschenrechtsklagen ist in diesem Zusammenhang die Frage in den Fokus gerückt, ob transnational agierende Unternehmen entlang ihrer Wert­ schöpfungskette Menschenrechte achten müssen und ob sie für mögliche Verletzungen haftbar gemacht werden können. 12 Im französischen Recht war eine solche Haftung - wie noch zu zeigen ist ­ bislang kaum möglich. I] Ziel der la i de vigi/ance ist es deshalb, diese Haf­ tungslücken zu schließen und "transnationale Unternehmen in die Verant­ wortung zu nehmen, um Tragödien in Frankreich und im Ausland zu ver­ hindern und im Falle von Beeinträchtigungen der Menschenrechte und Um­ welt eine Entschädigung der Opfer zu erreichen. " 14 Nach intensiver (rechts-) politischer Debatte hat der französische Gesetzgeber das weltweit erste Lie­ ferkettengesetz1 5 verabschiedet und so Menschenrechtsklagen vor französi­ schen Zivilgerichten den Weg geebnet. Abstrakt und gegenüber der Realität stark vereinfacht liegt diesen Klagen folgende Fallgestaltung zugrunde: Eine in Frankreich ansässige Mutter- oder Auftraggebergesellschaft lässt im Ausland durch eine Tochtergesellschaft oder einen Zulieferer Produkte herstellen. Verletzen letztere die Menschen­ rechte ihrer Beschäftigten, von Anwohnern oder unbeteiligten Dritten, stellt sich die Frage, ob die Geschädigten neben der Tochtergesellschaft und dem Zulieferer auch die Mutter- oder Auftraggebergesellschaft in Anspruch neh­ men können, sofern diesen ein Organisationsverschulden vorgeworfen wer­ den kann. Seit Inkrafttreten der la i de vigi/ance ist dies in Frankreich möglich. 1 Lai Rana Plaza Den Anstoß für diese gesetzgeberische Innovation gab ein tragisches Un­ glück in Bangladesch: Bei dem Einsturz eines achtstöckigen Fabrikgebäudes am 24. April 2013 wurden mindestens 1 . 138 Menschen getötet und über 2.500 Menschen verletzt. " Die im Gebäude untergebrachten Fabriken pro-

Vg1. u. a. FleischerlKorch, ZIP 2019, 2181ff.; Gless, in: FS Rogall, 2018, S. 327 ff.; Grimonprez, Revue des societes 2009, 715 ff.; HabersacklEhrl, AcP 219 (2019), 155 ff.; Hübner, Unternehmenshaftung für Menschemechtsverletzungen, 2022, passim; Martin­ Chenutlde Quenaudon (Rrsg.), La RSE saisie par 1e droit, 2016; ThomalelHübner, JZ 2017, 385 ff.; Thomale!Murko, EuZA 2021, 40ff.; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717ff.; Weller! Kaller!Schulz, AcP 216 (2016), 387 ff.; Weller!Thomale, ZGR 2017, 509 ff. 1 3 Siehe infra S. 28 ff. II

14 PPL n° 2578, 11.2.2015, S. 4: ,,[. . . ] responsabiliser ainsi 1es societes transnationales afin d'emp6cher 1a SUfvenance de drames en France et a l'etranger et d'obtenir des repa­ rations POUf 1es victimes en cas de dommages portant atteinte aux droits humains et a l'envirOIlllement." 1 5 Die Bezeichnungen Lieferketten- und Sorgfaltspflichtengesetz werden synonym ver­ wendet. 16 ILO, The Rana P1aza Accident and its aftermath, 21.12.2017.

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Einführung

duzierten u. a. Kleid ung für Manga, C&A, Camai'eu und Auchan.17 Der Name des Fabrikgebäudes, Rana Plaza, steht seitdem sinnbildlich für einen der schwersten Unfälle im internationalen Textilsektor . Er ist nur eines von vie­ len tragischen Ereignissen, die der Veranschaulichung dienen könnten, hat sich in Frankreich aber zu dem paradigmatischen Fall entwickelt: Die Ent­ würfe zur lai de vigilance nehmen stellvertretend für zahlreiche andere Bei­ spiele auf das Unglück Bezug. ' i Da in den Trümmern des Fabrikgebäudes u. a. Kleidungsstücke mit Labeln französischer Marken gefunden worden waren und die französischen Auftraggeber teilweise ihre Geschäftsbeziehung zu den Zulieferern im Rana Plaza leugneten, war es laut Gesetzesbegründung Zeit, "Alarm zu schlagen". 1 9 Das Gesetz wird deshalb auch als lai Rana Plaza bezeichnet. 20 11 Menschenrechtsklagen als Konsequenz eines double cloisonnement Der Rana Plaza-Einsturz zeigt plastisch negative Aspekte einer stetig fort­ schreitenden Globalisierung und damit verbundenen Verlagerung der Pro­ duktionsstätten von Unternehmen im Globalen Norden in Länder des Glo­ balen Südens." Idealerweise profitieren alle Beteiligten davon: Aufgrund niedrigerer Produktionskosten können die Unternehmen aus dem Globalen Norden gewinnbringender produzieren als in ihrem Heimatstaat und ihre Waren auf dem heimischen Markt zu niedrigeren Preisen anbieten; zugleich fördern sie mit der Verlagerung ihrer Produktion die Entwicklung der Wirt­ schaft im Globalen Süden." Tatsächlich beruht der Profit der Unternehmen (und Kunden) aber oftmals auf einer Benachteiligung der Menschen im Glo­ balen Süden: Die Vorwürfe reichen von Landnahmen und Zwangsumsiede­ lungen im Zusammenhang mit Agrarinvestitionen und Rohstoffabbau über gesundheitsschädigende und lebensgefährliche Arbeitsbedingungen in Zulie­ fererbetrieben bis hin zu Rohstoffgewinnung und Produktion unter Einsatz von Kinderarbeit.23 1 7 Public Eye, Rana P1aza - Fabrikeinsturz in Bang1adesch, 2020. " VgI. PPL n° 1519 und n° 1524, 6.11.2013, S.2; PPL n° 1777, 11.2.2014, S. 2; PPL n° 1897, 29.4.2014, S. 2 und PPL n° 2578, 11.2.2015, S. 4. 19 Statt aller Entwürfe PPL n° 2578, 11.2.2015, S. 4: "Au-dela de cet evenement tragique 1es exemp1es [. . . ] ne manquent pas pour nous inciter a tirer 1a sOIlllette d'alarme". 20 Petitjean, Devoir de vigilance, 2019, S. 133L 2 1 Zum ökonomischen Hintergrund siehe Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 158 ff.; Hübner, Unternehmenshaftung für Menschemechtsverletzungen, 2022, S. 19 ff. 22 Hübner, Unternehmenshaftung für Menschemechtsverletzungen, 2022, S. 23 L; Rühl, in: FS Windbichler, 2020, S. 1413, 1413f. 2J Vgl. Saage-Maaß, Unternehmen zur Verantwortung ziehen, 2017, S. 7 ff. Die Studie International Labour Office/United Nations Children's Fund, Child Labour: Global esti­ mates 2020, trends and the road forward, 2021 ergab, dass weltweit 160 Millionen Kinder im Alter von 5-17 Jahren arbeiten, davon die Hälfte unter gefährlichen Bedingungen.

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§ 1 Wirtschaft und Menschenrechte imfranzösischen Privatrecht

Als rechtlicher Rahmen für diese wirtschaftliche Entwicklung wird ein double cloisonnement, d. h. eine doppelte "Abschottung", identifiziert." Zum einen spaltet das Recht die wirtschaftliche Einheit "Unternehmen" in ein­ zelne Gesellschaften auf, die jeweils Träger von Rechten und Pflichten sind. " Im internationalen Kontext führt dies zu einer weiteren Trennung: Das an­ wendbare Recht wird für jeden Rechtsträger einzeln bestimmt, so dass diese unterschiedlichen Rechtsordnungen unterliegen. 26 Dass multinationale Un­ ternehmen in der Folge von unterschiedlichen Regulierungsniveaus und/oder Rechtsdurchsetzungsdefiziten im Ausland profitieren und ihren Produktionsstandort danach wählen können, ist grundsätzlich zulässig. 27 Beruhen die wirtschaftlichen Vorteile jedoch auf Produktionsbedingungen, die wegen niedrigerer oder nicht durchgesetzter Schutzstandards zu Men­ schenrechtsverletzungen führen, stellt sich die Frage nach der Verantwort­ lichkeit für daraus resultierende Schäden.28

B. Völkerrechtlicher Hintergrund 1 Keine Menschenrechtsbindung privater Unternehmen Hintergrund der nationalen Reform im französischen Privatrecht und damit der Durchsetzung der Menschenrechte über das Privatrecht (private en­ forcement)29 ist die fehlende Menschenrechtsbindung privater Unternehmen

24 Dubin, in: DubinfBodeau-LivinedIten u. a. (Hrsg.), L'entreprise multinationale et le droit international, 2017, S. 13, 19 ff.; Pataut, in: DubinfBodeau-LivinedIten u. a. (Hrsg.), L'entreprise multinationale et le droit international, 2017, S. 73 ff.; ähnlich Weller/Nasse, ZGR-Sonderheft 22 (2020), 107, 129 zu einem Kombinationsdefizit aus defizitärem Aus­ landssachrecht und defizitärem Inlandskollisionsrecht. 25 Pataut, in: DubinfBodeau-LivinedIten u. a. (Hrsg.), L'entreprise multinationale et le droit international, 2017, S. 73 ff. 26 Vgl. d'Avout, Recueil des cours 397 (2019), 9, 109 ff. 27 Vgl. Mahiou, Recueil des cours 337 (2008), 9, 264: "En effet, les entreprises s'orga­ nisent et fonctiOIlllent en cherchant legitimement a optimiser leurs profits, en tirant avan­ tage de la division du monde en Etats souverains; autrement dit, leurs investissements et la creation de filiales se determinent par des strategies financieres, fiscales et sociales [ ]."; Marrella, Recueil des cours 385 (2017), 33, 66; Weller/Nasse, ZGR-Sonderheft 22 (2020), 107, 127. 28 Vgl. Görgen, Unternehmerische Haftung, 2019, S.43ff.; Nordhues, Haftung für Men­ schemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 25ff.; Saage-Maaß, Unternehmen zur Ver­ antwortung ziehen, 2017; Weller/Nasse, ZGR-Sonderheft 22 (2020), 107, 1 1 1 ff. 29 Zur Leverage- und Komplementärfunktion des private enforcement am Beispiel des Menschemechts- und Klimaschutzes Kahl/Weller, in: dies. (Hrsg.), Oimate Change Liti­ gation, 2021, S. 532, Rn. 55 ff.; Weller/Tran, ZEuP 2021, 573, 575 ff.; zum private enforce­ ment ebenso Hübner, Unternehmenshaftung für Menschemechtsverletzungen, 2022, S.442ff.; ThomalelMurko, EuZA 2021, 40, 48; WelierlThomale, ZGR 2017, 509, 5 1 5 . . . .

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auf völkerrechtlicher Ebene: Menschenrechtsschutz ist primär Aufgabe der Staaten; als originäre Völkerrechtssubjekte sind sie Adressaten der Men­ schenrechte und zu deren Schutz verpflichtet. 30 Unternehmen sind dagegen nach herrschender Auffassung als Privatrechtssubjekte nicht unmittelbar an die Menschenrechte gebunden. 3 1 Zwar wird bereits seit Jahrzehnten über die völkerrechtliche Regulierung von Wirtschaft und Menschenrechten disku­ tiert, doch konnte bis heute kein Konsens gefunden werden. 32 Aus dem Völ­ kerrecht ergibt sich folglich keine Verpflichtung für Unternehmen, in ihrer Wertschöpfungskette Menschenrechte zu achten und etwaige Schäden wie­ dergutzumachen. II

UNGP als internationaler Re/erenzrahmen

Ausfluss der Regulierungsversuche auf völkerrechtlicher Ebene und inter­ nationaler Referenzrahmen für die Menschenrechtsverantwortung von Un­ ternehmen sind die " UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte" (UNGP) aus der Feder des UN-Sonderberichterstatters Ruggie.]] Der Be­ richt, den der UN-Menschenrechtsrat im Jahr 201 1 als Resolution verab­ schiedet hat, besteht aus drei Säulen: Neben der staatlichen Pflicht, die Men3 0 v. Arnauld, Völkerrecht, 2019, Rn.631; Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, 2021, 691 ff.; Marrella, Recueil des cours 385 (2017), 33, 87 ff.; Mahiou, Recueil des cours 337 (2008), 9, 265; Deler, in: Ipsen, Völkerrecht, 2018, § 50 Rn. 33. J l DupuylKerbrat, Droit international public, 2018, Rn. 194ff.; Hobe, Völkerrecht, 2020, S. 128; KempenlHillgruberlGrabenwarter, Völkerrecht, 2021, § 10 Rn. 69; Krajewski, MRM 2012, 66, 71; Peters, Jenseits der Menschemechte, 2014, S. 91; dafür aber beispiels­ weise Emmerich-Fritsche, AVR 45 (2007), 541 ff. J2 Bereits seit den 1980er Jahren wurde erfolglos versucht, Verhaltensstandards für transnationale Unternehmen zu etablieren. Beispiele sind der Dralt UnitedNations Code 01 Conduct on Transnational Corporations (siehe ILM 23 (1984), 626) und die Dralt Norms on the Responsibilities 01 Transnational Corporations and Other Business Enterprises with re­ gard 10 Human R;ghls (UN-Doc. ElCN.4/Sub.2/2003/12/Rev. 2(2003)); siehe dazu Habe, Völkerrecht, 2020, S. 128; Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, 2021, Rn. 7 1 1 ff.; Marrella, Recueil des cours 385 (2017), 33, 72ff.; Oeter, in: Ipsen, Völkerrecht, 2018, § 50 Rn. 37. 2014 hat der UN-Menschemechtsrat eine Open-ended Intergovernmental Working Group (OEIGWG) zur Ausarbeitung eines völkerrechtlichen Vertrages eingerichtet (Hwnan Rights Council, Elaboration of an International Legally Binding Instrument on Transna­

tional Corporations and Other Business Enterprises with Respect to Human Rights, UN­ Doc. AlHRC Res. 2619 v. 14.7.2014). 2018 wurde ein "Zero draft" für einen solchen Ver­ trag vorgelegt. Seit dessen Überarbeitungen von2019 ("Revised draft") und 2020 ("Second revised draft") kOIlllte aber noch kein Konsens gefunden werden. (Die Entwürfe sind jeweils abrufbar unter (letzter Abruf 1.2.2022)). JJ UN Guiding Princip1es on Business and Humand Rights: Imp1ementing the United " Nations "Protect, Respect and Remedy Framework, UN-Doc. AlHRC/17/31 Res. v. 21.3.201 1 .

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schenrechte zu schützen (state duty to protect), steht die Verantwortung der Unternehmen, die Menschenrechte zu respektieren (corporate responsibility to respect).34 UNGP 1 7 formuliert die Erwartung, dass "Wirtschaftsunternehmen Sorgfaltspflicht auf dem Gebiet der Menschenrechte walten lassen". Das gilt nicht nur für die eigene Tätigkeit der Unternehmen, sondern auch für ihre Geschäftsbeziehungen. Dritter Pfeiler ist der Zugang von Betroffenen zu Abhilfe (access to remedy). Die UNGP führen indes keine neuen völkerrechtlichen Verpflichtungen ein, sondern sind unverbindliches soft law.3S Ihre Umsetzung ist somit von dem politischen Willen der einzelnen Staaten abhängig. 36 Trotz ihrer Unver­ bindlichkeit geben die UNGP wichtige Impulse, Maßnahmen zur Wahrung der staatlichen Schutzpflicht und zur Sicherung des Zugangs zu Wiedergut­ machung zu ergreifen. 37 Ihre Umsetzung auf europäischer und nationaler Ebene hat einen Wandel vom soft law zum hard law angestoßen. 38

III Umsetzung der UNGP - Abkehr von dem Prinzip der freiwilligen Selbstverpjlichtung Die mangelnde Menschenrechtsbindung von Unternehmen bedeutet nicht, dass Menschenrechte bei der Ausübung unternehmerischerTätigkeiten keine Beachtung fänden. Sie bilden einen Kernbereich der sog. Corporate Social Responsibility (CSR) vieler Unternehmen. 39 Diese wurde im Jahr 2001 von der Europäischen Kommission als ein Konzept definiert, "das den Unter­ nehmen als Grundlage dient, auffreiwilliger Basis soziale Belange und Um­ weltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren. "40 Unternehmen können sich zur Wahr­ nehmung ihrer sozialen Verantwortung selbst zur Achtung der Menschen­ rechte verpflichten, indem sie in Form eines Code of Conduct eigene Stan-

34 Marrella, Recueil des cours 385 (2017), 33, 74. 35 UNGP, Allgemeine Prinzipien: "Diese Leitprinzipien sind nicht so auszulegen, dass durch sie neue völkerrechtliche Verpflichtungen geschaffen oder etwaige Rechtsverpflich­ tungen eines Staates eingeschränkt oder untergraben würden, die dieser nach dem Völ­ kerrecht mit Bezug auf die Menschenrechte eingegangen ist oder denen er unterworfen sein mag." 36 Ruggie, Just Business, 2013, S.45; ähnlich Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 94, die von einer politisch-moralischen Verbindlichkeit spricht. J7 Marrella, Recueil des cours 385 (2017), 33, 77 f. J 8 Zur Entwicklung in Frankreich siehe infra S. 21 ff. " Family, D. 2013, 1558, 1559[f.; Kroker, CCZ 2015, 120, 121. " KOM(2001) 366 endg., 20 (Hervorh. durch Verf).

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dards erarbeiten oder sich einem unverbindlichen, internationalen Verhal­ tensstandard wie dem UN Global Compad1 oder den UNGP unterwerfen. " Als Reaktion auf die UNGP hat der europäische Gesetzgeber ausgehend von dem Prinzip der Freiwilligkeit mit neueren CSR-Regelungen eine Ent­ wicklung zu einer Verrechtlichung und einem höheren Grad an Verbindlich­ keit in Gang gesetzt. '] Ein Beispiel ist die europäische CSR-Richtlinie (CSR­ RL).44 Deren Art. 19a verpflichtet große Unternehmen zur Abgabe einer sog. nicht-finanziellen Erklärung über die Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Um­ welt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange sowie die Achtung der Menschen­ rechte. 45 Zur Stärkung nachhaltiger Investitionen verpflichtet die europäi­ sche Taxonomie-Verordnung dieselben Unternehmen dazu, ihre nicht-finan­ zielle Erklärung um Angaben über den Umfang ihrer ökologisch nachhalti­ gen Wirtschaftstätigkeiten zu ergänzen.46 Diese Entwicklung setzt sich mit der Konfliktmineralien-Verordnung (Konfliktmineralien-VO)47 fort. Sie führt ein verbindliches Kontroll- und Zertifizierungssystem für die Einfuhr von Mineralen und Metallen aus Konflikt- und Hochrisikogebieten ein, überlässt die Ausgestaltung von Sanktionsmechanismen aber den Mitgliedstaaten.4 8 Neuerdings wird außer­ dem über verbindliche menschenrechtliche Sorgfaltspflichten diskutiert: Im März 2021 verabschiedete das Europäische Parlament eine Empfehlung für 4 1 Siehe (letzter Abruf 1.2.2022); siehe näher dazu Marrella, Recueil des cours 385 (2017), 33, 68 m.w.N. 42 Hobe, Völkerrecht, 2020, S. 128; zum UN Global Compact und weiteren Standards wie den OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, den ILO-Kernarbeitsnormen und der ISO-Norm 26000 siehe Voland, BB 2015, 67 ff. 43 Kroker, CCZ 2015, 120, 122f.; Voland, BB 2015, 67, 72; vgI. auch die neue CSR­ Definition der Europäischen Kommission olme ein Element der Freiwilligkeit: "Verant­ wortungvon Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft", KOM(201 1) 681 endgültig, S. 7. 44 Richtlinie 2014/95/EU des Europäschen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzi­ eller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen, AB!. 2014 L 330. 45 Die Berichtspllicht trifft gemäß Art. 19a Abs. 1 CSR-RL Unternehmen, "die Unter­ nehmen von öffentlichem Interesse sind und am Bilanzstichtag das Kriterium erfüllen, im Durchschnitt des Geschäftsjahres mehr als 500 Mitarbeiter zu beschäftigen." 46 Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088, AB!. 2020 L 198, insbesondere Art. 8. 47 Verordung (EU) 2017/821 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Festlegung von Pllichten zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten in der Lieferkette für Unionseinführer von Zirm, Tantal, Wolfram, deren Erzen und Gold aus Konflikt- und Hochrisikogebieten, ABI. 2017 L 130; siehe dazu FehseIMarkmann, EuZW 2021, 1 1 3 ff. 48 Siehe näher dazu HeßelKlimke, EuZW 2017, 446ff.; TeickelRust, CCZ 2018, 39ff.

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eine Richtlinie über die Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Un­ ternehmen.4 9 Auf nationaler Ebene haben die UNGP ebenfalls zu einer Sensibilisierung für die Menschenrechtsverantwortung von Unternehmen geführt, und auch dort zeichnet sich eine Abkehr von dem Prinzip der Freiwilligkeit ab: Auf Anstoß der UN Working Group on Business and Human Rights haben nati­ onale Regierungen zur Umsetzung der UNGP sog. Nationale Aktionspläne aufgestellt. 50 Darüber hinaus haben einzelne Rechtsordnungen erste sektor­ oder risikospezifische Gesetze, d. h. Regelungen für einen bestimmten Sektor oder ein besonderes menschenrechtliches Risiko, verabschiedet.5 1 Dazu zählt beispielsweise der englische Modern Slavery Act, wonach Unternehmen Re­ chenschaft darüber ablegen müssen, mit welchen Maßnahmen sie modernen Formen der Sklaverei und Menschenhandel begegnen. 52 Sanktioniert wird aber nur das Fehlen des Berichts, indem der High Court das Unternehmen auf Antrag des Secretary 0/ State zum Aufstellen des Berichts verpflichten kann. 53 In den Niederlanden wurde ein Gesetz verabschiedet, das Unterneh­ men eine verbindliche Sorgfaltspflicht gegen Kinderarbeit auferlegt. " Ver­ stöße kann eine Aufsichtsbehörde auf Hinweis einer jeden Person mit Buß­ geld sanktionieren; zudem drohen strafrechtliche Konsequenzen. 55 Für den französischen Gesetzgeber bilden die UNGP ebenfalls die zen­ trale Inspirationsquelle. 56 Er geht mit der lai de vigilance indes noch einen Schritt weiter, indem er eine sektorübergreifende unternehmerische Sorg49 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2021 mit Empfehlungen an die Kommission zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen (2020/2129(INL)), P9_TA(2021 )0073), siehe infra S. 299 ff. 50 Report of the Working Group on the issue of human rights and transnational cor­ porations and other business enterprises, UN-Doc. AfHRC/23/32 v. 14.3.2013, S. 21; siehe näher dazu Spießhofer, Unternehmerische Verantwortung, 2017, S. 155 ff.; zum weltweiten Umsetzungsstand ThomalelMurko, EuZA 2021, 40, 44 ff. 51 Vg1. den weltweiten Vergleich gesetzlicher Verpflichtungen von Grabosch, Unterneh­ men und Menschemechte, 2019. 52 UK Modern Slavery Act 2015, abrufbar unter (letzter Abruf 1.2.2022). 53 Sec. 54 para. 1 1 Modern Slavery Act 2015: "The duties imposed on commercia1 or­ ganisations by this section are enforceab1e by the Secretary of State bringing civi1 pro­ ceedings in the High Court for an injunction [ ]." 54 Wet van 24 oktober 2019 houdende de invoering van een zorgplicht ter voorkoming van de 1evering van goederen en diensten die met behulp van kinderarbeid tot stand zijn gekomen (Wet zorgplicht kinderarbeid), Staatsb1ad 2019, 401. Das Gesetz tritt voraus­ sichtlich 2022 in Kraft. 55 Grabosch, Unternehmen und Menschemechte, 2019, S.46; ThomalelMurko, EuZA 2021, 40, 45. 56 Danis-FatbmelDeckertlNiboyet u. a., in: KessedjianlCantu Rivera (Hrsg.), Private internationa1 1aw aspects of corporate social responsibility, 2020, S. 353, 355. . . .

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faltspflicht zum Schutz der Menschenrechte und Umwelt einführt und diese mit einer deliktsrechtlichen Haftung flankiert. Zur Begründung macht der französische Gesetzgeber geltend, die Europäische Kommission habe zur Umsetzung der UNGP durch die einzelnen Staaten aufgerufen.57 Die UNGP forderten von Unternehmen, negative Auswirkungen auf die Menschen­ rechte, die mit ihrer Geschäftstätigkeit unmittelbar verbunden seien, zu ver­ hindern oder abzumildern, selbst wenn sie nicht unmittelbar dazu beigetra­ gen hätten.5 8 Dafür sei es erforderlich, dass sie angemessene Sorgfaltsmaß­ nahmen durchführten.59 Wenig überraschend lassen die ersten Entwürfe der loi de vigilance daher eindeutige Parallelen zu den UNGP erkennen. 60 C. Lai de vigilance

als das legislative Vergleichsobjekt

1 Reformdiskussion in Deutschland Entgegen der Entwicklung in Frankreich hielt der deutsche "N ationale Ak­ tionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte" (NAP) von Dezember 2016 noch an dem Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung fest. ' ! Die Erwar­ tung der Bundesregierung, dass wenigstens 50 % der Unternehmen mit über 500 Beschäftigten selbstständig Kernelemente menschenrechtlicher Sorg­ faltspflichten umsetzen, wurde indes enttäuscht: Das Monitoringverfahren ergab, dass weniger als 20 % der Unternehmen die Anforderungen des NAP erfüllen. Q Für diesen Fall sehen der NAP und der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD die Einführung gesetzlicher Maßnahmen vor. 6] Denn nach überwiegender Auffassung lässt sich eine zivilrechtliche Haftung von Mutter- und Auftraggebergesellschaften für Menschenrechtsverletzungen de " PPL n° 1 5 19, 6.1 1 .2013, S. 3; PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S. 6. " PPL n° 1 5 19, 6.1 1 .2013, S. 3, 8; vg!. auch UNGP 13 und 17 (a). W PPL n° 1 5 19, 6.1 1 .2013, S. 3; PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S. 5; vg!. auch UNGP 17 ff. 60 Siehe infra S. 50 ff. 61 Auswärtiges Amt, Nationaler Aktionsplan: Umsetzung der VN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschemechte 2016-2020, 2016, S. 7 ff. (im Folgenden: NAP, 2016), ab­ rufbar unter (letzter Abruf 1.2.2022); Nasse, ZEuP 2019, 773, 775; Weller/Nasse, in: FS Ebke, 2021, S. 1071. 62 Abschlussbericht des NAP Monitorings (2018-2020), S. 5, abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022). 63 Auswärtiges Amt, NAP, 2016, S. 10; Ein neuer Aufbruch für Europa, Eine neue Dy­ namik für Deutschland, Ein neuer Zusammenhalt für unser Land, Koalitionsvertrag zwi­ schen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, 14.3.2018, S. 1 56, abrufbar unter (letzter Abruf 1.2. 2022).

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lege lata nicht begründen. " Stattdessen wurde auch in Deutschland seit ei­ nigen Jahren über die Einführung eines nationalen Sorgfaltspflichtengesetzes diskutiert. 65 Neben einem Gesetzgebungsvorschlag aus der Zivilgesellschaft66 wurde Anfang 2019 ein Referentenentwurf aus dem Bundesministerium für wirt­ schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bekannt." Als Basis für den (rechts-)politischen Diskurs legten das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und das BMZ im Sommer 2020 zudem Eckpunkte für ein Sorgfaltspflichtengesetz vor. @ Im Juni 2021 hat der Bundestag das "Ge­ setz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten" verabschiedet. 69 In Deutsch­ land hat sich der Fokus der Diskussion über die Menschenrechtsverantwor­ tung von Unternehmen demnach von dem Prinzip der Freiwilligkeit eben­ falls zu einer verbindlichen Ausgestaltung per Gesetz verlagert. II

Rechtsvergleichende Umschau

Die lai de vigilance nimmt gezielt eine Vorreiterrolle für derartige Reform­ überlegungen auf nationaler Ebene ein. 70 In der Gesetzesbegründung heißt es: M Fleischer/Korch, ZIP 2019, 2181, 2182f., 2185 f.; Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 155, 193ff.; Rühl, in: ReinischJHobe/Kieninger u. a. (Hrsg.), Unternehmensverantwor­ tung und Internationales Recht, 2020, S.89, 106 ff.; Wagner, Rabe1sZ 80 (2016), 717, 750 ff.; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 398 ff. 65 Aus der umfangreichen Literatur insbesondere Hübner, Unternehmenshaftung für Menschemechtsverletzungen, 2022, S. 381 ff.; vgl. ferner HabersacklEhrl, AcP 219 (2019), 155 ff.; Hübner, NZG 2020, 141 1 ff.; Fleischer/Korch, ZIP 2019, 2181 ff.; Mansei, ZGR 2018, 439ff.; ThomaleiMurko, EuZA 2021, 40ff.; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717 ff.; Wel­ ler/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387 ff.; Weller/Thomale, ZGR 2017, 509 ff. 66 KlingerlKrajweskilKrebs u. a., Verankerung menschemechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen im deutschen Recht, März 2016. 67 BMZ, Entwurf eines Gesetzes zur Regelung menschemechtlicher und umweltbezo­ gener Sorgfaltspflichten in globalen Wertschöpfungsketten (Sorgfaltspflichtengesetz), 1.2.2019, abrufbar unter (letzter Abruf 1.2.2022). 68 BMASIBMZ, Entwurf für Eckpunkte eines Bundesgesetzes über die Stärkung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschemechtsverletzungen in globalen Wertschöpfungsketten (Sorgfaltspflichtengesetz), 2020 (im Folgenden: BMASIBMZ, Eckpunkte Sorgfaltspflichtengesetz, 2020), abrufbar unter Oetzter Abruf 1.2.2022). 69 Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Men­ schemechtsverletzungen in Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz - LkSG), BT-Drucks. 19/28649 v. 19.4.2021, 19/30505 v. 9.6.2021; siehe infra S. 275 ff. 70 Siehe noch infra S. 27.

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"Onze des cinquantes plus grosses societes europeeIllles (incluant la Suisse) sont franyaises. Une responsabilite particuliere pese par consequent sur les epaules de notre pays, dont le role en la matiere se doit d'etre exemplaire. "71

1. Schweiz Rechtsvergleichendes Anschauungsmaterial bietet neben Frankreich auch die Schweiz. Dort wurde sehr kontrovers die sog. Konzernverantwortungs­ initiative diskutiert. 72 Ein neuer Art. 101 a Schweizer Bundesverfassung (Ent­ wurf) sollte Grundsätze für eine künftige Gesetzgebung zur Menschenrechts­ verantwortung von Unternehmen festlegen. 73 Die Initiative scheiterte bei der Volksabstimmung im November 2020 jedoch am sog. Ständemehr: Zwar erreichten die Ja-Stimmen der Schweizer Gesamtbevölkerung eine knappe Mehrheit, doch fehlte es an der für eine Verfassungsänderung zudem erfor­ derlichen Mehrheit der Kantone." Stattdessen wird ein sog. indirekter Gegenvorschlag der Regierung in Kraft treten, der dem Entwurf der Initiative nicht in der Abstimmung gegen­ übergestellt wurde, und keine Verfassungs- sondern eine einfache Gesetzes­ änderung vorsieht. " Nach dem Vorschlag der Regierung sind Großunter­ nehmen verpflichtet, jährlich Bericht über nichtfinanzielle Belange zu erstat­ ten. 76 Der Bericht gibt "Rechenschaft über Umweltbelange, insbesondere die CO,-Ziele, Sozialbelange, Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Men­ schenrechte sowie die Bekämpfung der Korruption.'< 77 Flankiert wird diese allgemeine Berichtspflicht von einer sektoriellen Sorgfalts- und Berichts-

n PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S. lO. 72 Vgl. (letzter Abruf 1.2.2022); Bueno, in: EIlllekingf GiesenlSchaap u. a. (Hrsg.), Accountability, International Business Operations and the Law, 2020, S. 239 ff.; Geisser, AJP/PJA 2017, 943ff.; kritisch BöcklilBühler, Zur « Kon­ zernverantwortungsinitiative " , 2018. Zum folgenden Überblick über die Entwicklungen in der Schweiz siehe bereits WellerINasse, in: FS Ebke, 2021, S. 107l, 1072f. 7J Art. lOla Schweizer Bundesverfassung (Entwurf) sah für Unternehmen mit Sitz in der Schweiz Folgendes vor: (i.) eine Pflicht, die international anerkaIlllten Menschemechte zurespektieren, (ii.) eine Pflicht zur Sorgfaltsprüfung entlang der gesamten Lieferkette, die sich auf alle rechtlich oder wirtschaftlich kontrollierten Unternehmen erstreckt, sowie (iii.) einen deliktsrechtlichen Haftungsmechanismus, vgl. den Initiativtext, abrufbar unter (letzter Abruf 1.2.2022). 74 Von der Bevölkerung stimmten 50,73 % für die Initiative (sog. Volksmehr), jedoch stimmten nur 8,5 der 26 Kantone dafür. Die Resultate sind abrufbar unter Oetzter Abruf 1.2.2022). 75 16.077_2: Obligationemecht (Indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen - zum Schutz von Mensch und Umwelt,,), Änderung vom 19. Juni 2020, abrufbar unter (letzter Abruf 1.2.2022). 76 Art. 964b;., Schweizer Obligationemecht (OR). n Art. 9641.« OR.

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pflicht für die Einfuhr und Bearbeitung von Konfliktmineralien. n Verstöße werden durch ein Bußgeld von bis zu 1 00.000 Franken sanktioniert, eine zivilrechtliehe Haftung ist dagegen nicht vorgesehen. 79 Der Gegenvorschlag setzt mithin im Unterschied zur lai de vigilance allein auf Transparenz und führt keine haftungsbewehrte, sektorübergreifende Sorgfaltspflicht ein, die als rechtsvergleichende Folie für ein deutsches Sorgfaltspflichtengesetz die­ nen könnte.

2. England Von rechtsvergleichendem Interesse ist ferner das englische Recht mit einer Reihe von Entscheidungen zum tort 0lnegligence.8o In diesen Fällen haben die Gerichte anerkannt, dass die Übernahme von Kontrolle oder die Schaf­ fung einer Gefahrenlage eine duty 01 care der Mutter- oder Auftraggeber­ gesellschaft gegenüber den Geschädigten im Ausland begründen können. 8 1 Diese Entwicklung gibt ebenfalls Impulse für Neuerungen, sei es im Wege judikativer oder legislativer Rechtsfortbildung.

3. Frankreich Umfassende rechtsvergleichende Inspiration für ein nationales Lieferketten­ gesetz in Gestalt eines Gesetzes bietet allerdings bislang allein das französi­ sche Pioniergesetz, s' Ihren Charakter als das legislative Vergleichsobjekt hat n

Art. 964Quin:juies OR.

79 Art. 325t« Schweizer Strafgesetzbuch. 80 Vedanta Ressources PLC and Another v Lungowe and others [2019] UKSC 20; vgl. Asmussen!Wagner, ZEuP 2020, 979 ff.; Okpabi and others v Royal Dutch Shell Plc and ano/her [2021] UKSC 3; vg!. Fleischer/Korch, ZIP 2021, 709 ff.; Kaller, ZEuP 2022, 157 ff.; Hamida Begum (on behalfo/MD Khalil Mollah) v Maran (UK) Limited[2021] EWCA Civ 326; vg!. Kieninger, RIW 2021, 331 ff.; Schall, ZIP 2021, 1241 ff. 81 Kieninger, RIW 2021, 331, 333ff. 81 In den Niederlanden haben im März 2021 vier Parteien einen Entwurf für ein Gesetz eingereicht, wonach Gesellschaften mit mehr als 250 Beschäftigten einer verbindlichen

Sorgfaltspflicht unterliegen, deren Verletzung ebenfalls zu zivirechtlicher Haftung gegen­ über Geschädigten führen karm, siehe (letzter Ab­ ruf 1 .2.2022). In Norwegen wurde im Juni 2021 ein der loi de vigilance ähnliches Gesetz verabschieddet. Das "Gesetz über unternehmerische Transparenz und Arbeit mit grund­ legenden Menschemechten und menschenwürdige Arbeitsbedigungen" verpflichtet grö­ ßere Unternehmen mit Sitz in Norwegen zu menschemechtlicher Sorgfalt. Siehe dazu Krajewski/Tonstad!Wohltmann, Business and Human Rights Journal 2021, 1 ff.; Thalhau­ ser, in: Grabosch (Hrsg.), Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, 2021, § 8 Rn. 69 ff. Der Gesetzestext ist in englischer Sprache abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022).

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Einführung

die lai de vigilance auch mit Verabschiedung des deutschen Lieferkettenge­ setzes nicht verloren. Denn die deutsche Regelung statuiert infolge eines po­ litischen Kompromisses keine zivilrechtliche Haftung, wie sie das französi­ sche Recht vorsieht. 8 3 Sollte im Rahmen der zu erwartenden europäischen Harmonisierung eine Haftung eingeführt werden, kann das Gesetz erneut als Regelungsbeispiel dienen. �

§ 2 Gegenstand und Ziel der Untersuchung Angesichts ihrer zentralen Bedeutung für die Normierung menschenrechtli­ cher Sorgfaltspflichten von Unternehmen und deren Haftung gegenüber Dritten bildet die lai de vigilance den Untersuchungsgegenstand der vorlie­ genden Arbeit. In der deutschen Literatur ist über Haftungsfragen nach in­ ländischem Recht, Möglichkeiten einer judikativen Rechtsfortbildung und die Systemkohärenz eines künftigen Sorgfaltspflichtengesetzes viel diskutiert worden. 85 Ziel der Untersuchung zum französischen Recht ist deshalb, die lai de vigilance erstmals monografisch und in deutscher Sprache aufzuarbeiten und den deutschen Diskurs um eine französische Perspektive zu erweitern. Die lai de vigilance hat die Art. L. 225-102-4 und -5 Cade de cammerce Ce. com.) eingeführt. 86 Die vorliegende Arbeit beschränkt sich indes nicht auf diese beiden Vorschriften. Vielmehr erscheint es aus rechtsvergleichender Perspektive besonders interessant, das Gesetz in den Kontext der vorigen Haftungslücken im französischen Recht zu stellen sowie erste Reformbe­ strebungen zum Schließen dieser Lücken nachzuvollziehen (I . Teil). Des Weiteren weisen das französische Delikts- und Gesellschaftsrecht ge­ genüber dem deutschen Recht einige Besonderheiten auf, die der Herausar­ beitung bedürfen, um die gesetzgeberische Entscheidung für die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes nachvollziehbar zu machen. Beispielsweise liegt der großen Generalklausel des französischen Deliktsrechts ein weiter Scha! J Siehe noch infra S. 295 f. 84 Siehe infra S. 301 ff. " Vg!. u. a. Fleischer/Korch, ZIP 2019, 2181 ff.; Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 1 5 5 ff.; KrajewskiJOehmlSaage-Maaß (Hrsg.), Zivil- und Strafrechtliche Unternehmensverant­ wortung für Menschemechtsverletzungen, 2017; Schall, ZGR 2018, 479 ff.; Wagner, Ra­ belsZ 80 (2016), 7 1 7 ff.; Weller/Nasse, ZGR-Sonderheft 22 (2020), !07ff. Monografisch v. Falkenhausen, Menschemechtsschutz durch Deliktsrecht, 2020, passim; Görgen, Unter­ nehmerische Haftung, 2019, passim; Haider, Haftung für Menschemechtsverletzungen, 2019,passim; Hübner, Unternehmenshaftung für Menschemechtsverletzungen, 2022, pas­ sim; Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, passim. 8 6 Die Vorschriften der loi de vigilance und der Text der Vorentwürfe finden sich im Anhang. Sonstige für das Verständnis der Arbeit wichtige Vorschriften sind in der Fußnote abgedruckt.

§ 3 Forschungsstand

15

densbegriff zugrunde, weshalb sich die Geltendmachung von Menschen­ rechtsverletzungen über das Deliktsrecht grundsätzlich einfacher gestaltet als nach deutschem Recht. s 7 Im Rahmen der Analyse der lai de vigi/ance auch diese Systemunterschiede herauszustellen, kann einerseits Grenzen der Über­ tragbarkeit in das deutsche Recht verdeutlichen, andererseits auf neue, auf­ grund traditioneller Pfadabhängigkeiten88 bislang unbeachtete Lösungswege hinweisen (2. Teil). Wie das Pilotverfahren gegen Tatal SA zeigt, liegen Menschenrechtskla­ gen typischerweise keine reinen Inlandssachverhalte zugrunde. Durch die starke internationale Vernetzung der Unternehmen, sei es innerhalb der Un­ ternehmensgruppe oder im Austausch mit Vertragspartnern, besteht meist ein Bezug zum Recht mehrerer Staaten. Eine Beschäftigung mit der lai de vigi/ance bietet daher nicht nur Gelegenheit, die sachrechtliche Ausgestal­ tung eines nationalen Sorgfaltspflichtengesetzes zu analysieren. Sie gibt ebenso Anlass, die sich aus dem Auslandsbezug ergebenden kollisionsrecht­ lichen Fragestellungen zu erörtern. Soweit die Antworten im europäisch har­ monisierten Internationalen Zuständigkeits- und Kollisionsrecht zu finden sind, können diese Erkenntnisse unmittelbar auf Deutschland übertragen werden (3. Teil). Eine Auseinandersetzung mit dem französischen Sorgfaltspflichtengesetz legt es nahe, nach Analyse des fremden Rechts den Blick erneut auf das eigene zu richten. Gegenstand des letzten Teils der Arbeit sind deshalb die Implikationen der lai de vigi/ance für Deutschland und Europa (4. Teil).

§ 3 Forschungsstand Die deutsche Literatur hat die lai de vigilance anfangs nur vereinzelt in den Blick genommen. 8 9 Erste Einschätzungen, ob das Gesetz als Regelungsvor­ bild für Deutschland dienen kann, fielen teilweise zurückhaltend aus. 90 In­ zwischen ist die französische Regelung fester Bestandteil der deutschen Re-

8 7 Siehe infra S. 29, 195ff. ! 8 Vgl. WellerlNasselSchlürmann, in: Calmes-Brunet (Rrsg.), Le Traite de l'Elysee, 2014, S . 5 3 ff. 89 FleischerlDanninger, DB 2017, 2849 ff.; GraboschlScheper, Die menschemechtliche Sorgfaltspflicht von Unternehmen, 2015, S.45; Hübner, in: KrajewskifOehm/Saage-Maaß (Rrsg.), Zivil- und Strafrechtliche Unternehmensverantwortung für Menschemechtsver­ letzungen, 2017, S. 13, 16, 28; Hübner, in: KrajewskifSaage-Maaß (Rrsg.), Die Durchset­ zung menschemechtlicher Sorgfaltspflichten von Unternehmen, 2018, S. 61, 84; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 778; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 417 f. 90 FleischerlDanninger, DB 2017, 2849, 2856f. Für eine Vorbildfunktion aber bereits Nasse, ZEuP 2019, 773, 800.

16

Einführung

formdiskussion und dient verschiedentlich als Beispiel für die Einführung eines nationalen Lieferkettengesetzes mit robusten Sanktionsregeln. 9 1 Nicht zuletzt die Begründung des deutschen Sorgfaltspflichtengesetzes bezieht sich explizit auf die französische Gesetzgebung. " Entsprechend groß scheint das Interesse an einer deutschsprachigen Aufarbeitung der lai de vigilance und der ersten Erfahrungen in ihrer praktischen Anwendung. Einige der zahlreichen deutschsprachigen Monografien zum Themen­ komplex "Wirtschaft und Menschenrechte" berücksichtigen die lai de vigi­ lance rechtsvergleichend. 93 Gleichwohl liegt der Schwerpunkt dieser Arbeiten jeweils auf dem deutschen Recht. Der Blick auf das französische Recht un­ terstützt die Argumentation innerhalb des deutschen Rechts. 94 An einer Un­ tersuchung, die den Fokus monografisch auf die Analyse des ausländischen Rechts und des mittlerweile verfügbaren französischen Fallmaterials richtet, fehlt es bislang.

§ 4 Methodik A. Auslandsrechtliche Arbeit mit rechtsvergleichenden Elementen Die vorliegende Arbeit nimmt bewusst eine vergleichende, deutsche Perspek­ tive auf das französische Recht ein, auch wenn sie gezielt auf das französische Recht ausgerichtet ist. Diese Perspektive erlaubt zum einen, Gemeinsamkei­ ten und Unterschiede zwischen dem französischen und deutschen Recht her­ vorzuheben, die für ein systematisches Verständnis der lai de vigilance aus deutscher Sicht bedeutsam sind. Zum anderen ermöglicht sie, die Auseinan­ dersetzung mit der lai de vigilance durch Fragen zu bereichern, die nur in der deutschen Diskussion angesprochen werden. Demnach handelt es sich um eine Arbeit zum Auslandsrecht mit rechtsvergleichenden Elementen. Die Untersuchung verfolgt eine funktional-integrative Methode 95 und verzichtet 9 1 Kutscher-Puis, ZVertriebsR 2020, 174ff.; Hübner, NZG 2020, 141 1 , 1412ff.; Tho­ maleiMurko, EuZA 2021, 40, 45 ff.; Weller/Nasse, ZGR-Sonderheft 22 (2020), 107, 1 17 ff. " BT-Drucks. 19/28649, S. 24. 93 v. Falkenhausen, Menschemechtsschutz durch Deliktsrecht, 2020, S. 145; Görgen, Unternehmerische Haftung, 2019, S. 501 ff.; Haider, Haftung für Menschemechtsverlet­ zungen, 2019, S.410f.; Hübner, Unternehmenshaftung für Menschemechtsverletzungen, 2022, insbesondere S. 386ff.; Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 271 ff. 94 Hervorzuheben sind allerdings die regelmäßigen Bezüge zu Frankreich von Hübner, Unternehmenshaftung für Menschemechtsverletzungen, 2022, S. 90 ff., 386 ff., 391 ff., 423 ff., 468 f. sowie die recht umfangreiche Behandlung der französischen Gesetzgebung von Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 271 ff. 95 Zur funktionalen Methode Michaels, in: Reimann/ZimmermaIlll (Hrsg.), The Ox-

§ 4 Methodik

17

weitgehend auf eine vergleichende Gegenüberstellung der beiden Rechtsord­ nungen im klassischen Sinn. 96 Ein genuiner Vergleich bietet sich indes im vierten Teil der Arbeit an, der sich mit der Vorbildfunktion der loi de vigilance für Deutschland beschäftigt. In diesem Abschnitt wird das deutsche Lieferkettengesetz dem französischen gegenübergestellt. Dies geschieht jedoch ebenfalls nicht in getrennten Län­ derberichten, sondern unter Orientierung an inhaltlichen Aspekten. Im Hin­ blick auf die zu ermittelnden Unterschiede der nationalen Rechtsordnungen ist im nächsten Schritt über Vereinheitlichung auf europäischer Ebene nach­ zudenken. Neben der Inspiration des nationalen, deutschen und/oder des europäischen Gesetzgebers97 soll diese Arbeit deshalb dazu beitragen, die nationalen Diskurse in Vorbereitung auf eine Harmonisierung miteinander zu verknüpfen. 9 8

B. Erweiterter Auslegungskanon: UNGP und nationale Begrifflichkeiten Grundlage für die Auslegung der loi de vigilance bilden die klassischen Aus­ legungsmethoden nach Savigni9: Die Auslegung nach dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, der Systematik und dem Telos. lOo Eine Umsetzung der UNGP stellt den Gesetzgeber jedoch vor die Herausforderung, Konzepte und Begriffe aus dem internationalen soft law in nationales hard law zu über­ führen. 101 Wie die Analyse der loi de vigilance im Hauptteil der Arbeit offen­ bart, 102 folgen daraus zahlreiche Auslegungsfragen: Das soft law enthält neue, unbestimmte Rechtsbegriffe wie "Menschenrechte", die der Konkretisierung bedürfen. Als zusätzliche Auslegungsquelle kommen deshalb die UNGP hinzu. Die UNGP und ihr Kommentar liefern als zentrale Inspirationsquelle ford handbook of comparative 1aw, 2019, S. 345ff.; ZweigertlKötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 1996, § 3 11; zur Integration des Vergleichs in die Darstellung des fremden Rechts Kischel, Rechtsvergleichung, 2015, § 3 Rn. 246. 96 Siehe dazu Kischel, Rechtsvergleichung, 2015, § 3 Rn. 236ff. 97 Kischel, Rechtsvergleichung, 2015, § 2 Rn. 22ff.; ZweigertlKötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 1996, § 2 11. 98 Zum Nutzen der Rechtsvergleichung für die Rechtsvereinheitlichung Kischel, Rechtsvergleichung, 2015, § 2 Rn. 41 ff.; ZweigertlKötz, Einführung in die Rechtsverglei­ chung, 1996, § 2 V. 99 v. Savigny, Das System des heutigen römischen Rechts, I, 1840, S. 212ff. 100 Möllers, Juristische Methodenlehre, 2021, §4 Rn. 17 ff. Diesen Auslegungskanon kernü das französische Recht ebenso, vgl. Bergei, Methodologie juridique, 2018, S. 253 ff.; Vogenauer, Die Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent, Bd. 1, 2001, S.232[f. 101 Vgl. Cuzacq, in: FS Neau-Leduc, 2018, S. 287, 287 f. 1 02 Siehe infra S. 69 ff.

18

Einführung

der lai de vigilance Hinweise für die Interpretation der Menschenrechte und anderer Begriffe aus dem saft law. Um zu prüfen, inwiefern die geltende Fassung der lai de vigilance die UNGP direkt umsetzt, nimmt die Genese des Gesetzestextes seit den Vorent­ würfen eine besondere Rolle ein. Sie zeigt auf, wo sich das Gesetz im Laufe des Gesetzgebungsprozesses von den UNGP entfernt hat und deshalb anders zu verstehen ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Gesetzgeber auf nationale Begrifflichkeiten zurückgreift. Um die Kohärenz der neuen Vorschriften mit dem geltenden französischen Recht zu gewährleisten, ist der französische Gesetzgeber regelmäßig bestrebt, Begriffe und Rechtsinstitute für die lai de vigilance fruchtbar zu machen, die im nationalen Recht bereits aus anderem Kontext bekannt sind. Beispielsweise übersetzt er den Begriff der "Geschäftsbeziehung", wie ihn die UNGP verwenden, mit dem Begriff der "relation commerciale etablie" aus dem französischen Handelsrecht. 103 Diese Anleihen bei anderen Rechtsgebieten sind auf ihre Tauglichkeit in neuem Kontext zu untersuchen. Neben den UNGP bilden daher die nati­ onalen Begrifflichkeiten aus anderen Vorschriften, deren Systematik sowie ihre Auslegung durch die französische Rechtsprechung eine weitere Ausle­ gungsquelle des Gesetzes. Der auf diese Weise angereicherte Auslegungska­ non bildet die methodische Grundlage für die Analyse der lai de vigilance.

§ 5 Themenbegrenzung Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine Arbeit zum fran­ zösischen Privatrecht. Sie beschäftigt sich daher nicht mit der völkerrechtli­ chen Zulässigkeit nationaler Gesetzgebung auf dem Gebiet von Wirtschaft und Menschenrechten, sondern setzt diese voraus. 104 Entsprechend dem Re­ gelungsgegenstand der lai de vigilance beschränkt sich die zivilrechtliehe Un­ tersuchung auf menschenrechtliehe und umweltbezogene Sorgfaltspflichten der Gesellschaft selbst. Gesellschaftsrechtliche Binnenpflichten der Ge­ schäftsführungsorgane und deren Haftung gegenüber Dritten bleiben ausge­ klammert. l � Gleiches gilt für den Einfluss der Sorgfaltspflicht auf die inter103 Siehe infra S. 92 ff. 104 Siehe dazu etwa v. Arnauld, Völkerrecht, 2019, Rn. 633; Dörr, in: ReinischfHobe!

Kieninger u. a. (Hrsg.), Unternehmensverantwortung und Internationales Recht, 2020, S. 133, 145 ff.; Marrella, Recueil des cours 385 (2017), 33, 147 ff.; speziell zur loide vigilance Hoffberger, AVR 55 (2017), 465ff. 105 Für Überlegungen zu einer möglichen "Deklarationshaftung" der Geschäftsleiter sowie einer internationalen Konzernlegalitätshaftung siehe insbesondere Weller!Kaller! Schulz, AcP 216 (2016), 387, 41Off.; ferner Bachmann, ZGR 2018, 231 ff.; Hübner, in: KrajewskifOehm/Saage-Maaß (Hrsg.), Zivil- und Strafrechtliche Unternehmensverant-

§ 6 Gang der Untersuchung

19

nen Beziehungen zwischen Mutter- und Tochtergesellschaften bzw. Auftrag­ gebergesellschaft und Subunternehmern oder Zulieferern. In ähnlicher Weise gibt das Gesetz den Rahmen für die Rechtsfolgen von Sorgfaltspflichtverstößen vor: Diese umfassen einerseits Mechanismen zur präventiven Durchsetzung der Sorgfaltspflicht, andererseits potenzielle Haf­ tungsfolgen. Bei letzteren konzentrieren sich sowohl die Betrachtung der früheren als auch die der aktuellen Rechtslage auf kompensatorische zivil­ rechtliche Ansprüche Dritter. Nicht näher behandelt werden hingegen an­ dere denkbare Sanktionen ohne Ausgleich für die Geschädigten, wie etwa strafrechtliche Konsequenzen von Verbrauchertäuschung durch wahrheits­ widrige Werbung. 106

§ 6 Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit gliedert sich in vier Teile. Der erste Teil ist der Rechts­ lage vor Inkrafttreten der lai de vigi/ance gewidmet. Im Überblick wird die Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung privater Unternehmen in Frankreich vom saft law zum hard law nachvollzogen. Hierbei kommt Frankreich schon früh eine Vorreiterrolle zu (1. Teil, § I). Mit Blick auf die neue haftungsbewehrte Sorgfaltspflicht werden sodann vorige Haftungslü­ cken im französischen Recht und erste Reformvorschläge zum Schließen dieser Lücken untersucht (1. Teil, § 2). Die lai de vigi/ance bildet die letzte Entwickiungsstufe 107 zum hard law. Mit der Untersuchung ihrer vierjährigen Entstehungsphase schließt der erste Teil (I . Teil, § 3). Im Zentrum der Arbeit steht die Analyse der lai de vigi/ance im zweiten Teil. Dieser behandelt zunächst den Tatbestand des Gesetzes, d. h. den per­ sönlichen Anwendungsbereich sowie Reichweite und Inhalt der neuen Sorg­ faltspflicht (2. Teil, § I). Das zweite Kapitel untersucht die Rechtsfolgen der lai de vigi/ance, insbesondere die Durchsetzung der Sorgfaltsflicht im Wege einer gerichtlichen Leistungsanordnung (injanctian) und im Rahmen der de­ liktsrechtlichen Haftung (2. Teil, § 2). Angesichts der Schlüsselrolle des Kollisionsrechts in der Diskussion um menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen widmet sich der wortung für Menschemechtsverletzungen, 2017, S. 1 3, 20ff.; Hübner, Unternehmenshaf­ tung für Menschemechtsverletzungen, 2022, S. 323ff.; WellerlThomale, ZGR 2017, 509, 521 f.; Saage-Maaß/Leifker, BB 2015, 2499, 2500ff.; ablehnend Habersack/Ehrl, AcP 219 (2019), 1 54, 196ff. 1% Dazu nur im Überblick infra S. 47 f. Zur strafrechtlichen Haftung nach deutschem Recht siehe beispielsweise Gless, in: FS Rogall, 2018, S. 327 ff. 107 In Anlelmung an die moderne Textstufenforschung. Zum Begriff Jansen/Zimmer­ mann, AcP 210 (2010), 196, 197 m.w.N.

20

Einführung

dritte Teil gesondert der Anwendung des Gesetzes auf Auslandssachverhalte. Neben der internationalen Zuständigkeit französischer Gerichte (3. Teil, § 1 ) ist insbesondere das anwendbare Recht problematisch (3. Teil, § 2). Der vierte Teil der Arbeit ist den Implikationen der lai de vigilance für Deutschland und Europa gewidmet. Ein Vergleich der französischen Rege­ lung mit dem neuen deutschen Sorgfaltspflichtengesetz geht der Frage nach, ob der lai de vigilance tatsächlich eine Vorbildfunktion für Deutschland zu­ kommt (4. Teil, § 1). Die Untersuchung schließt mit einem Ausblick auf die Entwicklung auf europäischer Ebene (4. Teil, § 2).

1. Teil

Vom soft law zum hard law Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung privater Unternehmen in Frankreich -

"Cette proposition de loi pose un principe novateur [ . . .]."1 Dieses Zitat aus der Gesetzesbegründung gibt pointiert die Bedeutung des französischen Gesetzes .,über die Überwachungspflicht von Muttergesell­ schaften und auftraggebenden Unternehmen" für die Menschenrechtsver­ antwortung privater Unternehmen in Frankreich wieder. War die Men­ schenrechtsverantwortung bislang nur Gegenstand einer "weichen" Regulie­ rung mittels freiwilliger Engagements,2 hat der französische Gesetzgeber nun den Schritt vom soft law zum hard law vollzogen. ] Die lai de vigilance mar­ kiert für Frankreich einen Höhepunkt des im Bereich "Wirtschaft und Men­ schenrechte" allgemein zu beobachtenden Wandels zu (mehr) Verbindlich­ keit.4 Diese Entwicklung wird für Frankreich im Überblick nachgezeichnet, um das Gesetz darin einzuordnen (§ 1). Zudem hilft es für das Verständnis der lai de vigilance, die Rechtslage vor ihrem Inkrafttreten zu untersuchen. Diese offenbart Haftungslücken und erste Reformbestrebungen im Deliktsrecht (§ 2). Zur Entwicklung vom soft law zum hard law gehört schließlich die Entstehungsgeschichte der lai de vigilance selbst, die wichtige Erkenntnisse für die Auslegung liefert (§ 3).

' PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S. 12.

2 Siehe supra S. 7 f.

J Barsan, ECFR 2017, 399, 421; Kutscher-Puis, ZVertriebsR 2020, 174, 176; Lenoir, JCP E2020, etude 1250, 22, Rn. 4: ,,[ . . . ] le legislateur a transforme des normes de droit soupie en regles du droit dur." 4 Zu diesem allgemeinen Trend siehe bereits supra S. 7 ff.

22

1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

§ 1 Frankreich in der Vorreiterrolle Die Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung privater Unternehmen zu verbindlichen Regeln nimmt im französischen Recht einen vergleichsweise frühen Anfang, wodurch Frankreich eine Vorreiterrolle zukommt. A. Lai NRE

(2001) als Vorläuferin der europäischen CSR-RL

Auf Grundlage der sog. lai NRE sind börsennotierte Gesellschaften bereits seit 2001 zu einer nichtfinanziellen Erklärung über die Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf soziale Belange und die Umwelt verpflichtet. 6 Die Verpflich­ tung zur Veröffentlichung von Informationen über "die Art und Weise, in der die Gesellschaft die sozialen und ökologischen Konsequenzen ihrer Tätigkeit berücksichtigt"1, erstreckt sich heute auf ein breites Spektrum von Themen wie den Klimawandel, Lebensmittelverschwendung oder Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. 8 Dieser Initiative folgte der europäische Gesetzgeber erst im Jahr 2014 mit der CSR-RL, an deren Entstehen Frankreich maßgeblich beteiligt war.' Die Richtlinie wurde im Juli 2017 in französisches Recht umgesetzt. lO Dies bot Anlass, die bereits existierenden nationalen Vorschriften verständlicher zu gestalten und an das europäische Konzept und Regelungsniveau anzupas­ sen. ! ! Um eine überschießende Umsetzung zu vermeiden, nahm der franzö5 Loi n° 2001 -420

du 1 5 mars 2001 relative aux nouvelles regulations economiques,

JORFn° 1 1 3 du 16 rnai 200 1 .

6 Barsan, ECFR 2017, 399, 419; Lagoutte, Resp. civ. et assUf. 2015, etude Nasse, ZEuP 2019, 773, 775.

7 Art. L.

1 1 , 5 , Rn. 3;

225-102-1 Abs . 4 C. com. a. F.: ,,[ . . .] des informations, [. . . ], Suf 1a maniere

dont 1a societe prend en compte 1es consequences socia1es et enviroIlllementales de son activite. "

! Barsan, ECFR 2017,

der sog.

399, 419;

loi Grenelle II (Loi

zur

Erweiterung um Nachhaltigkeitsaspekte

im Zuge

n° 201 0-788 du 12 juillet 2010 portant engagement national

P0uf l'enviroIlllement, JORF n° 0160 du 1 3 juillet 2010) siehe le CannulDondero, RTD Com. 2010, 740ff. Eine Liste der zu berichtenden Aspekte findet sich heute in Art. R. 225-105

11.

C. corno

9 Ministere des AjJaires etrangeres et du dRveloppement international,

Plan national

d'action P0uf 1a mise en ceuvre des principes directeUfs des nations unies relatifs aux droits de l'Homme et aux entreprises, 26.4.2017, S. 1 9 f., 26 (im Folgenden: Plan national d'ac­ tion, 26.4.2017), abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022).

10 OrdoIlllance n° 2017- 1 180 du 1 9 juillet 2017, JORF n° 0169 du 2 1 juillet 2017; decret

Cuzacq, Revue des societes 2018, 347 ff.; Parancel Graulx, JCP E 2018, dude 1 1 28, 18 ff.; MoleeId, Bull . Joly Soc. 2017, 632 ff. 11 Ausführlicher dazu ParancelGroulx, JCP E 2018, etude 1 1 28, 1 8 ff.; Cuzacq, Revue

n° 2017-1265 du 9 aout 2017, dazu

des societes 2018, 347 ff.

23

§ 1 Frankreich in der Vorreiterrolle

sische Gesetzgeber insbesondere im Anwendungsbereich Änderungen vor, die gegenüber dem nationalen Vorläufer eine Einschränkung darstellen, also eine Harmonisierung "nach unten" bedeutenY Die nichtfinanzielle Erklärung als solche ist zwar verpflichtend, eine feh­ lende oder fehlerhafte Erklärung zieht aber keine speziellen zivilrechtlichen Haftungsfolgen nach sich. 'l Die CSR-RL überlässt die Durchsetzung der Richtlinienbestimmungen den Mitgliedstaaten. 14 Dafür sieht das französi­ sche Recht gemäß Art. L. 225-102-1 VI. Abs. 2 C. com. lediglich die Mög­ lichkeit einer injonction, d. h. einer Leistungsanordnung durch das zustän­ dige Gericht, vor, mit der die Geschäftsführungsorgane der Gesellschaft un­ ter Androhung eines Zwangsgeldes zur Erklärung verpflichtet werden kön­ nen. 15 Zudem besteht allein eine Pflicht zu Transparenz, nicht aber dazu, die Unternehmenspolitik zu ändern. 1 6 Die Gesellschaft kann entweder über ihre Politik berichten (camply) oder erklären, warum sie in einem der Themen­ felder keine Strategie verfolgt (explain). 1 7 Die Berichtspflicht bildet somit eine Zwischenstufe zwischen dem weichen Prinzip der Freiwilligkeit und einer mittels Haftung abgesicherten Men­ schenrechtsverantwortung. Die bisweilen verwendete Bezeichnung "soft hard law"18 ist daher durchaus treffend.

12 Beispielsweise

wurden SAS von dem Anwendungsbereich ausgenommen und die

Anforderungen in der Unternehmensgruppe reduziert, siehe näher

Cuzacq,

Revue des

societes 2018, 347, Rn. 14ff.

1 3 Cuzacq, Revue des societes 2018,

347, Rn. 3; Desbarats, JCP E 2006, etude 1214, 254,

Rn. 5 . 14 Siehe Erwgr. 1 0 CSR-RL.

1 5 Art.

L. 225-102-1

VI. Abs. 2 C. com.: "Lorsque le rapport prevu au deuxieme alinea I ou au 11 du present

de l'article L. 225-100 ne comporte pas la declaration prevue au

article, toute perSOIllle interessee peut demander au president du tribunal statuant enrefere d'enjoindre, le cas echeant sous astreinte, au conseil d'administration ou au directoire, selon le cas, de communiquer les informations mentionnees au 111. Lorsqu'il est fait droit a la demande, l'astreinte et les frais de procedure sont

a

la charge, individuellement ou

solidairement selon le cas, des adruinistrateurs ou des membres du directoire. "; ECFR 2017, 399, 418. Zur

injonction

S. l 59ff.

16 Cuzacq, Revue des societes 2015,

707, 708.

" Art. l9a Abs. l UAbs.2 CSR-RL; Art. R. 225-105

18 Cuzacq, Revue des societes 2018,

Barsan, infra

als Durchsetzungsmechanismus siehe noch

347, 347 f.

I. Abs. 6 C. corno

24

1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

B. Gesetz zur Ausrichtung der französischen Entwicklungspolitik (2014) Das Gesetz zur Ausrichtung der französischen Entwicklungspolitik von 2014 1\ auf das die Gesetzesbegründung zur lai de vigilance rekurriert,20 ist dagegen noch dem soft law zuzuordnen. Mit ihm hat die französische Regie­ rung den programmatischen Rahmen für ein künftiges Lieferkettengesetz vorgezeichnet. Unternehmen sollen Risikomanagementverfahren einrichten, "die daraufzielen, soziale, gesundheitliche, ökologische und menschenrecht­ liehe Schäden zu identifizieren, zu verhindern oder abzumildern, die aus ih­ ren Aktivitäten in Partnerländern resultieren können" .2 1 Gesellschaften mit Sitz in Frankreich, die im Ausland aktiv sind, werden "ermutigt", die OECD­ Leitsätze für multinationale Unternehmen und die UNGP umzusetzen.22 C.

Nationaler Aktionsplan zur Umsetzung der UNGP

Auf eine Umsetzung der UNGP zielt auch der Nationale Aktionsplan Frankreichs.23 Er wurde zwar erst kurz nach Inkrafttreten der lai de vigilance veröffentlicht, die Vorarbeiten dafür haben aber bereits Anfang 201 3 begon­ nen." Entsprechend der drei Säulen der UNGP (protect, respect, remedy)" zeigt der Plan auf, wie diese in Frankreich umgesetzt werden (sollen). Hin­ sichtlich der unternehmerischen Verantwortung zur Achtung der Menschen­ rechte sieht der Aktionsplan vor, von Unternehmen eingegangene Verpflich­ tungen zur Einhaltung international anerkannter Menschenrechtsstandards zu unterstützen sowie den Beitritt zu freiwilligen Initiativen wie dem UN

19 Loi n° 2014-773 du 7 juillet 2014 d'orientation et de programmation relative

a

la

politique de developpement et de solidarite internationale de la France, JORFn° 0156 du 8 juillet 2014. " PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S. 7. 2 1 Art. 8 Abs . 2 Loi n° 2014-773: "Dans le cadre de cette exigence de responsabilite

a a prevenir ou a attenuer les dommages sociaux, sanitaires et envirOIlllementaux

soci6tale, les entreprises mettent en place des procedures de gestion des risques visant identifier,

et les atteintes aux droits de l'homme susceptibles de resulter de leurs activites dans les pays partenaires. " 22 Art. 8 Abs. 3 Loi n° 2014-773: "La France encourage les societes ayant leur siege sur son territoire et implantees

a l'etranger a mettre

en ceuvre les principes directeurs enonces

par l'Organisation de coop6ration et de developpement economiques

a

l'intention des

entreprises multinationales et les principes directeurs sur les entreprises et les droits de l'homme adoptes par le Conseil des droits de l'homme de l'Organisation des Nations unies." 2J Plan national d'action, 26.4.2017. 24 Plan national d'action, 26.4.2017, S. 4ff. 25 Siehe supra S. 6f.

§ 1 Frankreich in der Vorreiterrolle

25

Global Compact zu fördern. " Weiterhin wird eine Stärkung von freiwilligen Codes of Conduct und CSR-Schulungen in den Unternehmen angestrebt. 27 Daneben greift der Plan die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht aus den UNGP auf: "Les entreprises doivent prendre en compte la nature et la portee des impacts negatifs (reels ou potentiels) de leurs activites directes et indirectes - dans leurs relations d'affaires no­ tamment - sur les droits de l'Homme afin de decider des mesures a prendre pour les prevenir, y remedier ou les attenuer .

"28

Die allgemeine Erwartung, dass Unternehmen Art und Umfang der negati­ ven Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf die Menschenrechte berücksichti­ gen und Maßnahmen zu deren Verhinderung zu ergreifen, wurde für be­ stimmte Gesellschaften mit der loi de vigilance bereits verbindlich kodifiziert. Dadurch kommt der französische Staat zugleich seiner Pflicht zum Schutz der Menschenrechte aus der ersten Säule der UNGP nach. 29 In dem Zusam­ menhang schreibt der Aktionsplan Frankreich bereits eine Vorbildfunktion für einen europäischen Rahmen einer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht zu. 30

D.

Lai Sapin II

(2016j : Sorgfaltspflicht zur Korruptionsbekämpjung

Die bislang beleuchteten Eckpunkte der Entwicklung der unternehmerischen Menschenrechtsverantwortung in Frankreich bewegten sich mit Absichtser­ klärungen, unverbindlichen Empfehlungen und sanktionsfreien Berichts­ pflichten noch im Bereich des soft law oder sind allenfalls in ein "Zwischen­ stadium" einzuordnen. Mit der sog. lai Sapin 11 beschritt der französische Gesetzgeber in einem speziellen Bereich erstmals den Weg in Richtung hard law: Das Gesetz vom 9. Dezember 2016 über die Transparenz, Korruptions­ bekämpfung und Modernisierung des Wirtschaftslebens]! verpflichtet die Geschäftsführungsorgane von Gesellschaften bestimmter Größe, Maßnah­ men zur Prävention und zum Aufdecken von Korruption und Bestechung in

26

Plan national d'action, 26.4.2017, S. 42.

27

Plan national d'action, 26.4.2017, S. 43f.

28

Plan national d'action, 26.4.2017, S. 44.

29

Plan national d'action, 26.4.2017, S. 27.

30 Plan national d'action, 26.4.2017, S. 20: "La France pourraitjouer unr6le pilote dans l'adoption d'un cadre commun europ6en sur un devoir de vigilance." 3 1 Loi n° 2016-1691 du 9 decembre 2016 relative a la transparence, a la lutte contre la corruptionet ala modernisation dela vieeconomique, JORFn° 0287 du 10 decembre 2016

(lai Sapin II).

26

1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

Frankreich oder im Ausland zu ergreifen. 32 Diese neue Sorgfaltspflicht33 er­ streckt sich neben der Muttergesellschaft auch auf deren Filialen und die von ihr kontrollierten Gesellschaften. � An dieser Stelle hat der französische Ge­ setzgeber bereits eine erste rechtsträgerübergreifende Überwachungspflicht eingeführt, die jedoch keine deliktsrechtliche Außenhaftung nach sich zieht. 35 Die Einhaltung der Maßnahmen überwacht eine durch das Gesetz neu ein­ gerichtete nationale Antikorruptionsbehörde (Agence fram;aise anticorrup­ tion, kurz: AFA). 36 Sie kann Verstöße mit einem Bußgeld sanktionieren. 37 Ferner drohen strafrechtliche Konsequenzen. 38 Im Vergleich zur nichtfinanziellen Erklärung der CSR-RL, die ebenfalls eine Erklärung über Antikorruptionsmaßnahmen verlangt, 39 nimmt die lai Sapin II die Gesellschaften strenger in die Pflicht. Sie betrifft mit der Kor­ ruption ein eigenes Problemfeld, das allerdings mit Menschenrechtsverlet­ zungen oftmals in engem Zusammenhang steht.40 Zu denken ist beispielsJ2 Art.

17 I. Abs. 1 Loi Sapin

11:

"Les presidents, 1es directeurs generaux et 1es gerants

d'une soeiete emp10yant au moins einq cents sa1aries, ou appartenant

a

un groupe de

soeietes dont 1a soeiete mere a son siege socia1 en France et dont l'effectif comprend au moins einq cents salaries, et dont 1e chiffre d'affaires ou 1e chiffre d'affaires consolide est sup6rieur a 1 OOmillions d'euros sont tenus de prendre 1es mesures destinees a prevenir et a detecter 1a commission, en France ou

a

l'etranger, de faits de corruption ou de trafic

d'influence selon1es modalites prevues au

11." 33 Heinich, Dr. Soeietes 2017, comm. 26, 5 1 ,

52: "creation d'une premiere obligation de

vigilance" . 34 Art. 17 I. Abs. 4 Loi Sapin 11.: " Lorsque 1a soeiete etablit des comptes consolides, 1es obligations definies au present article portent sur 1a soeiete elle-meme ainsi que sur l'en­ semb1e de ses filiales, [. . . ], ou des soeietes qu'elle contr61e, [. . .]." Zum Begriff der Filiale und der kontrollierten Gesellschaft noch ausführlicher

35 Barsan,

im

ECFR 2017, 399, 421;

Nordhues,

infra

S. 72 ff., 86 ff.

Haftung für Menschemechtsverletzungen

Konzern, 2018, 296f.; zur Haftung auf Grundlage der

loi de vigilance

siehe

infra

S. I 77ff.

3 6 Art.

17

111.

S. 1 Loi Sapin

11.: "L'Agence fran�aise anticorruption contr61e 1e respect 11 du present article." Loi Sapin 11.: "La commission des sanctions peut prononcer une

des mesures et procedures mentiOIlllees au

J7 Art.

17 V. Abs. 2

sanction p6cuniaire dont 1e montant ne peut exceder 200 000 € POUf 1es personnes physi­ ques et un million d'euros pour 1es personnes morales."

J8

Frankreich hat im Unterschied zu Deutschland bereits seit 1992 ein Unternehmens­

strafrecht, siehe Art. 121-2 Code p6na1, eingeführt durch Loi n° 92-683 du 22 juillet 1992, JORF n° 169 du 23 jui11et 1992. Für die Strafe der juristischen Person wurde u. a. ein spezielles programme de mise en conformite zur Umsetzung der Sorgfaltspflicht eingeführt, siehe Art. 18 Loi Sapin scheidungen der

11 sowie Art. 1 3 1 -39-2 Code p6nal. Inzwischen gibt es erste Ent­ Commission des sanctions der AFA: Comruission des sanctions AFA,

4.7.2019, n° 19-01, D . 2019, 1653; 7.2.2020, n° 19-02, D. 2020, 933.

39 Art. R.

tion".

225-105

11.

B. C. com.: ,,1 ° Informations relatives

a 1a lutte contre 1a corrup­

40 Vgl. The negative impact of corruption on the enjoyment ofhumanrights, UN-Doc.

§ 1 Frankreich in der Vorreiterrolle

27

weise an Bestechungen staatlicher Behörden durch private Unternehmen im Zuge von Enteignungen und Umsiedelungen zu Zwecken des Rohstoffab­ baus.41 Deshalb erfasste der Entwurf zur lai de vigilance ursprünglich auch Korruption. " Wegen der zeitlichen und thematischen Nähe von lai Sapin II und lai de vigilance müssen sie im Zusammenhang gesehen werden.4 3 Die Untersuchung im zweiten Teil zieht daher punktuell Parallelen und hebt Un­ terschiede hervor. E.

Lai de vigilance (201 7j : Erneute Vorbildambitionen

Höhepunkt der Entwicklung vom saft zum hard law ist die lai de vigilance, die nicht nur eine verbindliche menschenrechtliehe Sorgfaltspflicht formuliert, sondern diese auch mit einer deliktsrechtlichen Außenhaftung absichert. Mit Blick auf die UNGP setzt das Gesetz folglich nicht nur die erste und zweite Säule - die Schutzpflicht des Staates und die Achtung der Menschenrechte durch die Unternehmen - um, sondern gewährleistet im Sinne der dritten Säule (access ta remedy) auch eine Wiedergutmachung von Schäden Betrof­ fener. 44 Gleichsam in Wiederholung zur nichtfinanziellen Erklärung ist es erklär­ tes Ziel des Gesetzes, ein Vorbild zu sein, "dem die Mitgliedstaaten der EU insbesondere durch Verabschiedung europäischer Richtlinien nachfolgen sollen"." Ob dem französischen Gesetzgeber dies gelungen ist und der lai de vigilance tatsächlich eine solche Vorbildfunktion für Deutschland und die Europäische Union zukommt, wird im vierten Teil der Arbeit bewertet.

AfI-IRC/291 1 1 Res. v. 22.7.20 1 5 ; zur Frage, ob Menschemechtsverletzungen

durch

Kor­

ruption möglich sind, eingehend Peters, JZ 2016, 217 ff.

4 1 Vgl. Misereor, Rohstoffe für die Energiewende, 2018, S. 26. 42 PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S. 7: "Auregard de ce contexte international, il est temps que

la France se saisisse de l' opportunite d'instaurer dans sa legislation une obligation de vigilance, afin de s'attaquer aux violations des droits humains et

a la

corruption interve­

narrt sur les chaines de production de ses entreprises.", siehe Art. L. 225-102-4 1. Abs. 2 S. 2 C. com. (Entwurf).

43 Vgl.

die gemeinsamen Untersuchungen von

cobzalSerinet,

Barsan,

ECFR 2017, 399, 419 ff.;

Bou­

D. 2017, 1619 ff.; PeronnelDaoud, Dalloz IPIIT 2017, 584 ff.

" Vg!. UNGP 25.

45 PPL n° 2578, vocation

a etre

1 1 .2.2015, S. 1 3 : ,,[. . . ] la France adopte une position pionniere qui a

suivie par les pays membres de 1'Union, notamment par 1'adoption de

directives europeeIllles."

28

1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

§ 2 Haftungslücken und Reformbestrebungen im französischen Deliktsrecht Die Neuerungen der loi de vigi/ance sollen Haftungslücken schließen, die nach alter Rechtslage im französischen Recht bestanden.4 6 Die Anwendbar­ keit französischen Rechts unterstellt," beschränkt sich die folgende Betrach­ tung auf eine mögliche zivilrechtliche Haftung einer inländischen Mutter­ oder Auftraggebergesellschaft gegenüber Geschädigten von im Ausland be­ gangenen Menschenrechtsverletzungen. 48 Die Geschädigten in den hier diskutierten Fällen sind entweder Arbeit­ nehmer einer Tochtergesellschaft oder eines Zulieferers der inländischen Ge­ sellschaft oder unbeteiligte Dritte. Das verdeutlicht der Sachverhalt einer kanadischen Entscheidung zum Rana Plaza-Einsturz: Die Kläger haben bei dem Einsturz selbst schwere Verletzungen erlitten und/oder Familienmitglie­ der verloren. Die beklagte kanadische Muttergesellschaft Loblaws Compa­ nies Ltd. hatte über eine kanadische Filiale und einen Zulieferer 50% der Produkte abgenommen, die zwei selbstständige Textilunternehmen (New Wave Style Ltd. und New Wave Bottoms Ltd.) im Rana Plaza von eigenen Angestellten herstellen ließen. '9 Da in den einschlägigen Fällen also meist noch mindestens eine Tochter­ gesellschaft oder ein Zulieferer zwischengeschaltet ist, scheitern vertragliche Ansprüche gegen die inländische Gesellschaft regelmäßig am Fehlen eines Vertrages zwischen ihr und den Geschädigten.50 Ansprüche der Geschädigten gegen eine französische Mutter- oder Auftraggebergesellschaft können sich folglich nur aus Deliktsrecht ergeben. Nach Rechtslage vor Inkrafttreten der loi de vigi/ance kamen eine Haftung für eigene laute der Gesellschaft (A.) sowie eine Haftung für das Verhalten Dritter (B.) in Betracht.

46 Zum Folgenden siehe bereits Nasse, ZEuP 2019, 773, 776ff.; ebenfalls aus deutscher Perspektive zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Gesetzes FleischerlKorch, DB

2019, 1944,

1945L, 1949L

47 Zum Kollisionsrecht siehe noch ausführlich infra S. 2 1 3 ff. 48 Andere Sanktionen beispielsweise strafrechtlicher Natur köIlllen

zu

Reputations­

schäden der Unternehmen, nicht aber zur Entschädigung der Opfer führen, vgl. beispiels­

Monsanto wegen irreführender Werbung für den Unkrautver­ Round up, Cass. crim., 6.1 0.2009, n° 08-87.757. 49 Das v George Weston Limited[2018] ONCA 1053; vgl. auch die Beispiele bei Thomalel Hübner, JZ 2017, 385, 385 L; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 719 ff. 50 Ebenso zum dt. Recht Görgen, Unternehmerische Haftung, 2019, S. 144; Nordhues, Haftung f ür Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 35; ThomalelHübner, JZ 2017, 385, 391, 393; Weller/Kaller/Schulz, AcP 216 (2016), 387, 399.

weise die Verurteilung von nichter

§ 2 Haftungslücken und Reformbestrebungen imfranzösischen Deliktsrecht A.

Haftungfür faute, Art, 1240, 1241

C

29

civ,

Nach der deliktsrechtlichen Generalklausel des Art, 1240 C civ, verpflichtet jede Handlung, durch die einem anderen ein Schaden zugefügt wird, denje­ nigen, durch dessen Pflichtverstoß der Schaden entstanden ist, zum Ersatz. 5 1 Gemäß Art, 1241 C civ. gilt das ebenso bei fahrlässigem Handeln. 52 Der Tat­ bestand von Art, 1240 C civ. ist erfüllt, wenn ein Schaden (dommage), ein Pflichtverstoß (jaute) und ein Kausalzusammenhang (lien de causa/ite) zwi­ schen beiden vorliegen. 53 1 Schaden Anders als bei § 823 Abs. 1 BGB ist im französischen Recht nicht die Verlet­ zung eines bestimmten absoluten Rechtsguts erforderlich, was sich in einem weiten Schadensbegriff widerspiegelt,54 Ein Schaden im Sinne von Art, 1240 C civ. liegt in der Verletzung irgendeines rechtlich geschützten berechtigten Interesses. 55 Dabei sind materielle Interessen ebenso geschützt wie immate­ rielle Interessen; auch der reine Vermögensschaden wird ersetzt.56 Neuerdings sind zudem Umweltschäden ersatzfähig.57 Während es im deutschen Recht nicht möglich ist, Menschenrechtsverletzungen über § 823 Abs. 1 BGB gel­ tend zu machen, die nicht zugleich zu einer Verletzung eines absoluten Rechtsguts führen (z. B. prekäre Arbeitsbedingungen),58 ist die Vorausset­ zung eines dommage damit keine Hürde für Menschenrechtsklagen gegen Unternehmen.

5 1 Art.

1240 C. civ.: "Toutfait quelconque de l'homme, qui cause a autrui un dommage,

oblige ce1ui par 1a faute duquel i1 est arrive a le reparer."

52 Art. 1241

C. civ.: "Chacun est responsable du dommage qu'il a cause non seulement

par son fait, mais encore par sa negligence ou par son imprudence."

53 Brun, Responsabilite civile extracontractuelle, 2018, Rn. 174ff.; MalaurielAynesl Stoffel-Munck, Droit des obligations, 2018, Rn. 39, 47 ff. 54 Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn. 106. 55 TerrelSimlerlLequette u. a., Les obligations, 2019, Rn. 927; Sonnenberger, in: Son­

nenbergerlClassenlBauer (Rrsg.), Einführung in das französische Recht, 2012, S. 205, 206;

ZweigertlKötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 1996, §40 IV, S. 620. 56 Brun, Responsabilite civile extracontractuelle, 2018, Rn. 207 ff.; zum Vermögens­ schaden Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn. 1 1 2; ZweigertlKötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 1996, §40 IV, S. 621.

57 Art. 1246-1252

Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn. 1 1 3 ff.; die ecologique hat die Cour de cassation erstmals in der Ent­ scheidung Erika anerkarnü; zu der Entscheidung siehe infra S. 33, 125. 58 Zum dt. Recht statt vieler WellerlKallerlSchulz, AcP 2 1 6 (2016), 387, 400; rechtsver­ gleichend zum Schutzbereich des Deliktsrechts Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 752 ff. C. civ.;

Ersatzfähigkeit eines prejudice

30 II

1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

Faule

Anspruchsvoller ist die faute. Anders als im deutschen Recht ist sie zwar nicht als Verschulden im Sinne persönlicher Vorwerfbarkeit, sondern als objektiver Pflichtverstoß zu verstehen.59 Dieser Pflichtverstoß kann sich aus der Verlet­ zung einer gesetzlich normierten Verhaltensregel oder der Missachtung eines allgemeinen, ungeschriebenen Sorgfaltsmaßstabs ergeben. 6O Die Rechtswid­ rigkeit des HandeIns ist kein eigenes Tatbestandsmerkmal, sondern geht in der faute auf, '! Da eine juristische Person nicht selbst handeln kann, wird ihr nach stän­ diger Rechtsprechung wie in Deutschland das Verhalten ihrer Organe zuge­ rechnet." Wird durch das Handeln eines Gesellschaftsorgans eine Sorgfalts­ pflicht der Gesellschaft verletzt, führt dies zu einer eigenen Haftung der ju­ ristischen Person. 63 Daneben ist unter engen Voraussetzungen eine Haftung der Organmitglieder denkbar, die in dieser Arbeit aber außer Betracht blei­ ben soll. M Handelt indes kein Organ der Mutter- oder Auftraggebergesellschaft, sondern wird der Schaden unmittelbar von einer Tochtergesellschaft oder einem Zulieferer verursacht, ist eine einfache Zurechnung nicht möglich. 65 Für eine faute der Mutter- oder Auftraggebergesellschaft müsste man viel­ mehr auf ein Unterlassen von Abhilfemaßnahmen abstellen, wenn die Ge­ sellschaft beispielsweise Kenntnis von den Arbeitsbedingungen bei der Toch­ tergesellschaft gehabt hätte. " Das setzt eine Pflicht zum Handeln voraus. Für eine faute müsste eine Sorgfaltspflicht der Mutter- oder Auftraggebergesell-

59 Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn. 78 ff.; Sonnenberger, in: SOIlllenber­ gerlClassenlBauer (Hrsg.), Einführung in das französische Recht, 2012, S. 205, 206; aus­ f ührlich

zur

faute Viney/JourdainICarval,

Les conditions de la responsabilite, 2013,

Rn.440 ff.

60 Brun, Responsabilite civile extracontractuelle, 2018, Rn. 322 ff.; Viney/JourdainICar­ val, Les conditions de la responsabilite, 2013, Rn. 445 ff. 61 MalaurieIAynesIStoffel-Munck, Droit des obligations, 2018, Rn. 52; ZweigertlKötz,

Einführnng in die Rechtsvergleichnng, 1996, §40 IV, S. 623.

62 Cass. 2" civ.,

27.4.1977, n° 75-14.761, Bull. civ. 1977,

11, n°

108, S. 74: "La perSOIllle

morale repond des fautes dont elle s'est rendue coupable par ses organes et en doit la reparation a la victime sans que celle-ci soit obligee de mettre en cause, sur le fondement de l'article 1 384, alinea 5, lesdits organes pris comme preposes.";

CozianlViandierlDeboissy,

Droit des societes, 2020, Rn. 387 f.

63 Cass. 2" civ., 27.4.1 977, n° 75-14.761, Bull. civ. 1977, 11, n° 108, S. 74; vgl. Viney/Jour­ dainlCarval, Les conditions de la responsabilite, 2013, Rn. 849 ff. 64 Vgl. zur sog.faute dRtachable desfonctions CozianlViandierlDeboissy, Droit des so­ eides, 2020, Rn.448 ff.

65 CozianlViandierlDeboissy, Droit des societes, 2020, Rn. 2290 f. 66 Demeyere, ERPL 2015, 385, 393.

§ 2 Haftungslücken und Reformbestrebungen imfranzösischen Deliktsrecht

31

schaft bestehen, die sich auf das Handeln der Tochtergesellschaft oder des Zulieferers erstreckt.67

1. Menschenrechte als allgemeiner Sorgfaltsmaßstab im Sinne der faute? Fehlt es wie nach voriger Rechtslage an einer gesetzlichen Sorgfaltspflicht, kann auch die Missachtung ungeschriebener Verhaltensstandards eine Jaute begründen (siehe oben). Diese bedürfen im Einzelfall der Konkretisierung durch die Gerichte, die über einen großen Beurteilungsspielraum verfügen. 68 Eine allgemeine Sorgfaltspflicht kann sich aus rechtlichen Grundprinzipien, Gewohnheitsrecht, privaten Regelwerken und sogar aus bloßen Bräuchen ergeben. 69 Im Kontext der Menschenrechtsklagen könnte man geneigt sein, die Men­ schenrechte als allgemeinen Sorgfaltsmaßstab zugrunde zu legen. Man könnte beispielsweise an die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht aus UNGP 1 7 anknüpfen, die sich auf die Geschäftsbeziehungen der Unterneh­ men erstreckt. 70 Wie eingangs dargelegt, 71 sind die UNGP jedoch rechtlich unverbindlich und "nicht so auszulegen, dass durch sie neue völkerrechtliche Verpflichtungen geschaffen [ . . . ] würden". 72 Zudem sind Unternehmen als Privatrechtssubjekte auf Grundlage des Völkerrechts nicht unmittelbar an die Menschenrechte gebunden. 7J Aus der staatlichen Pflicht zum Schutz der Menschenrechte vor Beeinträchtigungen durch Private folgt allenfalls über Generalklauseln des Zivilrechts deren mittelbare Bindung. 74 So argumentiert auch die Cour d'appel de Versailles in der Entscheidung Tramway de Jerusalem.75 Hintergrund der Entscheidung war die Klage der beiden Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Association France Palestine und Organisation de Liberation de la Palestine gegen die französischen Ge­ sellschaften Alstom Transport SA und SA Veolia Transport. Letztere hatten 67 Das gilt auch f ür das deutsche Recht, vgl.

WellerlKallerlSchulz, AcP 2 1 6 (2016), 387,

401. 68

Brun, Responsabilite civile extracontractuelle, 2018, Rn.

323;

Viney/JourdainICarval,

Les conditions de 1a responsabilite, 2013, Rn.460. 69

Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn. 8 1 ; Viney/JourdainICarval, Les con-

ditions de 1a responsabilite, 2013, Rn.461.

70 Siehe supra S. 6f. 7 1 Siehe supra S. 6f. 72 UNGP, Allgemeine

Prinzipien, siehe

supra

S. 6f.; von einer politisch-moralischen

Verbindlichkeit spricht Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S. 94.

7J Krajewski, MRM 2012, 66, 7 1 ; Peters, Jenseits der Menschenrechte, 2014, S . 9 1 ; DupuylKerbrat, Droit international public, 2018, Rn. 194ff.; siehe supra S. 5 f. 74 Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht, 2021, Rn. 6 1 ff.; Peters, Jenseits der Menschen­ rechte, 2014, S. 60ff.; Schmalenbach, AVR 39 (2001), 57, 6 3 ff. 75 CA Versailles, 22.3.2013, R.G. n° 1 1/05 331; bestätigt durch Cass. l,e civ., 25.6.2014, n° 13-19.788; siehe dazu Trebulle, EnvirOIlllement 2013, chron. 6, Rn. 99 ff.

32

1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

im Jahr 2000 mit zwei israelischen Gesellschaften ein Joint Venture gegrün­ det, das mit dem Staat Israel einen Vertrag zum Bau und zur Unterhaltung einer Straßenbahn in Jerusalem abschloss. 76 Die NGOs verlangten mit er­ staunlicher Begründung eine Aufhebung dieses Vertrages wegen Rechtswid­ rigkeit. Sie machten geltend, dass der Vertrag über den Bau der Straßenbahn in Jerusalem rechtswidrig sei, weil Israel durch die Besetzung palästinensi­ scher Gebiete gegen Völkerrecht verstoße. Zugleich begehrten die NGOs gemäß Art. 1 382 C. civ. a. F. (Art. 1240 C. civ. n. F.) Schadensersatz von Alstom und Veolia. Als Begründung führten sie an, die faute folge aus dem Abschluss bzw. der Garantie für den Bauvertrag, dessen Rechtsgrundlage (cause) gegen Völkerrecht verstoße. 77 Dieser Argumentation folgte die Cour d'appel nicht. Das Gericht stellte vielmehr fest, dass die geltend gemachten Völkerrechtsnormen nur Verpflich­ tungen der Staaten enthielten. 78 Um Privatpersonen Pflichten aufzuerlegen, müsse eine Norm einen entsprechenden Willen der Verfasser erkennen lassen und die Individuen als Adressaten explizit benennen. 79 Diese Voraussetzun­ gen erfüllten die Menschenrechte nicht. Mithin bestätigt auch die Recht­ sprechung, dass Menschenrechte keinen allgemeinen Sorgfaltsmaßstab i.S.d. faute bilden.

2. Anknüpfung an freiwillige Selbstverpjlichtungen? Eine faute der Mutter- oder Auftraggebergesellschaft könnte sich ferner aus der Missachtung eines freiwilligen Codes olConduct ergeben. 8 0 Teilweise wird vertreten, dass aus freiwilligen Selbstverpflichtungen der Gesellschaften Rechtspflichten erwachsen könnten, auf deren Einhaltung sich Dritte ver­ lassen können müssten. 8 1 Durch einen Code 01 Conduct setze eine Gesell-

76 Sachverhalt nach der Darstellung in der Gerichtsentscheidung, CA Versailles, 22.3.2013, R.G. n° 1 1105331, 2ff. 77 CA Versailles, 22.3.2013, R.G. n° 1 1105331, 18. n CA Versailles, 22.3.2013, R.G. n° 1 1105331, 21 ff. 77 CA Versailles, 22.3.2013, R.G. n° 1 1105331, 22. 80 Vgl. Desbarats, JCP E 2006, etude 1214, 254ff.; Marrella, Recueil des cours 385 (2017), 33, 280 ff. 81 Desbarats, JCP E 2006, etude 1214, 254, Rn. 20; Trebulle, in: Repertoire Dalloz So­ eietes, Stand: Dezember 2021, Rn. 35 ff. Zum deutschen Recht ausführlich Schramm, Pri­ vatrechtliche Wirkungen unternehmerischer Selbstverpflichtungen zur Einhaltung der Menschemechte, 2020, passim. Siehe ferner rechtsvergleichend Rechtbank Den Haag, 26.5.2021 - C/09/571932, Rn. 4.4.4. Shells Code 01 Conduct ist einer von mehreren Fak­ toren, aus denen das Gericht eine Pflicht zur Reduktion der C01-Emissionen des Konzerns ableitet. Siehe

1968 ff.

zu

dieser Entscheidung aus französischer Perspektive

Ilcheva,

D.

2021,

§ 2 Haftungslücken und Reformbestrebungen imfranzösischen Deliktsrecht

33

schaft sich selbst einen individuell höheren Sorgfaltsmaßstab, dessen Verstoß eine Jaute begründen könne. 82 Dieser Auffassung folgte u. a. die Strafkammer der Cour de cassation in der Entscheidung Erika aus dem Jahr 2012. 8J Der Öltanker "Erika" war 1999 aufgrund von Strukturmängeln bei schwerem Unwetter vor der bretonischen Küste entzweigebrochen. Eine Tochtergesellschaft der Total SA hatte das 24 Jahre alte Schiff zum Transport von Schweröl gechartert. Neben dem Schiffseigentümer wurde u. a. auch Total sowohl straf- als auchzivilrechtlich zur Verantwortung gezogen. Das Gericht stützte die Haftung auf ein freiwil­ liges Überprüfungssystem für gecharterte Schiffe, durch das Total Kontroll­ befugnisse über das Schiff gehabt habe. i4 Da Total das Schiff trotz seines schlechten Zustands gechartert habe, habe die Gesellschaft grob fahrlässig gehandelt. 85 Der Annahme, freiwillige Verpflichtungen seien rechtlich bindend, wider­ sprach indes zwei Jahre später die Cour d'appel de Versailles in der Tramway de lerusalem-Entscheidung, welche die Cour de cassation bestätigte. 8 6 Die Kläger hatten u. a. vorgebracht, dass sich die faute der beklagten Gesell­ schaften auch aus einem Verstoß gegen ihre (Selbst-)Verpflichtungen aus dem UN Global Compact und ihren Codes of Conduct ergebe. Das Gericht stellte dagegen fest, dass weder aus der Mitgliedschaft der Gesellschaften im Global Compact noch aus ihren Codes of Conduct eine Rechtspflicht folge, deren Verletzung eine faute begründen könne. s' Die Anwendung des Global Com­ pact beruhe auf dem freien Willen der Unternehmen; er bilde daher nur einen Referenzrahmen und habe keinen zwingenden Charakter. 88 Auch die Codes of Conduct enthielten bloße Empfehlungen, ohne verbindliche Pflichten ge­ genüber Dritten zu schaffen. 89 Demnach ist das Urteil in der Sache Erika als Einzelentscheidung zu sehen; ein freiwilliger Code of Conduct einer Gesell-

12 Demeyere,

ERPL 2015, 385, 393; Desbarats, JCP E 2006, etude 1214, 254, Rn. 20. I J Cass. crim., 25.9.2012, n° 10-82.938, Bull . crim. 2012, n° 198. 14 Delebecque, D. 2012, 2 7 1 1 , 2714ff.; Marrella, Recueil des cours 385 (2017), 33, 287. 8 5 Delebecque, D. 2012, 2 7 1 1 , 2714ff.; Marrella, Recueil des cours 385 (2017), 33, 287. " CA Versailles, 22.3.2013, R.G. n° 1lI05331; Cass. Civ. l", 25.6.2014, n° 13-19.788; zu dieser Entscheidung siehe auch supra S. 31 f. " CA Versailles, 22.3.2013, R.G. n° 1 1105331, 27 ff.

88 CA Versailles, 22.3.2013, R.G. n°

1 1/05 331, 28: "Au demeurant, son application re­

pose sur 1a seule vo1onte des entreprises. 11 n'a aucun caractere obligatoire ainsi qu'i1 ressort d'une reponse du Chef des Affaires Juridiques des Nations Unies [ . . .] . Le pacte mondia1 n'etant qu'un element de reference, il ne peut etre invoque 1e non respect de ses principes pour justifier une violation de droits internationaux."

89 CA Versail1es, 22.3.2013, R.G. n°

1 1/05331, 29:

,,«

Cadres de reference ", i1s ne con­

tieIlllent que des recommandations et des reg1es de conduite sans creer d'obligations ni d'engagements au benefice de tiers pouvant en solliciter le respect."

34

1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

schaft ist (bisher) ohne Einfluss auf den Sorgfaltsmaßstab im Rahmen der laute.

3. Rechtsträgerprinzip als Hürde Darüber hinaus steht einer Sorgfaltspflicht, die sich auf die Aktivitäten einer Tochtergesellschaft erstreckt, auch in Frankreich das Rechtsträgerprinzip entgegen. 9 0 Eine Unternehmensgruppe hat keine Rechtspersönlichkeit, son­ dern besteht aus einzelnen Rechtsträgern, deren (vermögens-)rechtliche Selbstständigkeit (autonomie juridique et patrimoniale) erhalten bleibt. 9! Wie in Deutschland" haftet jeder Rechtsträger nur für eigene Pflichverstöße. Die Muttergesellschaft trifft grundsätzlich keine allgemeine Pflicht, für Verbind­ lichkeiten ihrer Tochtergesellschaften einzustehen. 9] Das gilt erst recht bei der Rechtsverletzung durch einen Zulieferer als gänzlich eigenständigen Rechts­ träger außerhalb der Unternehmensgruppe. �

4. Ausnahmen vom Rechtsträgerprinzip Nur in Ausnahmefällen kann das Rechtsträgerprinzip im französischen Recht durchbrachen und die Haftung auf die Muttergesellschaft erstreckt werden. " Im Übrigen bleibt es bei dem Grundsatz, dass jeder Rechtsträger für sein eigenen Pflichtverstöße haftet und eine Haftung der Muttergesell­ schaft für Aktivitäten von Tochtergesellschaften ausgeschlossen ist. 90 Caillet, Le droit a l'epreuve de la responsabilite societale des entreprises, 2014, Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S. 25: "la principale difficulte". Sämt­ liche Rapports und Gesetzgebungsmaterialien zur loi de vigilance sind abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022).

9 1 Cass. com., 2.4.1 996, n° 94-16.380, BuH. civ. 1996, IV, n° 1 1 3, S. 94; le CannulDond­ ero, Droit des societes, 2019, Rn. 1 5 1 6 ; CozianlViandierlDeboissy, Droit des societes, 2020, Rn. 2290f. " VgI.

Wagner, RabelsZ 80 (2016),

717, 761;

Weller/Kaller/Schulz, AcP 216

(2016), 387,

401 f. m.w.N.

93 Cass. ass. plen.,

9.1 0.2006, n° 06- 1 1 .056, Bull. 2006, A. P., n° 1 1 , S. 27, vgl. das offi­

zielle Resume: "Ne dOIllle pas de base legale

a sa decision la

cour d'appel qui, pour retenir

la responsabilite d'une banque, retient que cet etablissement etait oblige par le mandat conclu par sa filiale, sans caracteriser cependant les elements qui auraient pennis d'etablir que cette banque etait obligee par un contrat auquel elle n'etait pas partie, [. . . ] .";

cchia,

Pora­

in: Urbain-ParleanifConadBarbieri u. a. (Rrsg.), Regards sur l'evolution du droit

des societes depuis la loi du 24 jui1let 1966, 2018, S. 253, 260 L; le ThourneaulBlochlGuettier u. a., Droit de la responsabilite et des contrats, 2017, Rn. 2 1 12.41. 94 Das folge bereits aus Art. 1240 C. civ., so Frassa, Rapport n° 289, senat, 1 1 . 1 .2017, S. 1 3 .

95 D'AlesITerdjman, JCP E 2014, etude 1584, 2 1 fL; CozianlViandierlDeboissy, Droit des ff.; Gibirila, in: JCI. Commercial, Stand: 10.7.2017, Rn. 35 ff.

societes, 2020, Rn. 2281

§ 2 Haftungslücken und Reformbestrebungen imfranzösischen Deliktsrecht

35

a) Fallgruppen der Rechtsprechung: Rechtsschein und Einmischung Eine Haftung der Muttergesellschaft gegenüber Dritten für Verbindlichkei­ ten der Tochtergesellschaft kommt in unterschiedlichen Fällen von Rechts­ schein und -missbrauch in Betracht, welche die Rechtsprechung entwickelt hat. 96 Nach der sog. theorie de l'apparence haftet eine Muttergesellschaft, wenn für den Dritten der Eindruck entstanden ist, neben der Tochterfiliale auch mit der Muttergesellschaft oder mit einer einzigen Gesellschaft zu kontra­ hieren. 97 Es handelt sich hierbei um eine vertragliche Haftung wegen von der Muttergesellschaft erzeugten Rechtsscheins. 98 Die übliche Kontrolle einer Mutter- über eine Tochtergesellschaft genügt dafür jedoch regelmäßig nicht. 99 Schwer davon abzugrenzen ist die sog. immixtion caracterisee dans la gestion, bei der eine Muttergesellschaft aufgrund ihrer Einmischung in die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft für deren Verbindlichkeiten haf­ tet. 100 Eine ähnliche Rechtsscheinhaftung kennt das Arbeitsrecht mit dem sog. coemploi. Bei einer Vermischung der Geschäftsführung, der Geschäftstätig­ keiten und der Interessen wird die Muttergesellschaft zum coemployeur und steht den Arbeitnehmern der Tochtergesellschaft als zweite Schuldnerin zur Verfügung, wenn diese aus wirtschaftlichen Gründen entlassen werden, zu denen die Muttergesellschaft beigetragen hat. 10l Die Cour de cassation be96 Schmeidler, 97 Cass. com.,

D. 2013, 584. 1 8 . 1 0 . 1 994, n° 93- 1 1 .807;

2020, Rn. 2293m.w.N.;

9! Bode, 99 Bode,

Wolf,

CozianlViandierlDeboissy,

Droit des societes,

Konzernhaftung in Frankreich und England, 1995, S. 24.

Le groupe international de societes, 2010, Rn. 127. Le groupe international de societes, 2010, Rn. 127;

Poracchia,

in: Urbain­

Parleani/ConadBarbieri u. a. (Hrsg.), Regards sur l'evo1ution du droit des societes depuis la 10i du 24 juillet 1966, 2018, S. 253, 260f. 100

Cass. com., 12.6.2012, n° 1 1 - 1 6. 1 09, Bull. civ.2012, IV, n° 1 2 1 : "Attendu qu'en se

determinant ainsi, sans constater que l'immixtion de 1a societe PCAS avait ete de nature a creer pour 1a societe Markinter une

apparence trompeuse propre a 1ui permettre de croire

legitimement que cette societe etait aussi son cocontractant, la cour d'appel n'a pas dOIllle de base legale a sa decision."; Rn. 2284; 101

Schmeidler, D.

CozianJViandierlDeboissy,

Droit des societes, 2020,

2013, 584, 587ff.

Cass. soc., 2.7.2014, n° 1 3 - 1 5 .208 bis n° 13-21.153, BuH. civ. 2014, V, n° 159; Cass.

soc., 6.7.2016, n° 14-27.266 et autres: ,,[H]ors l'existence d'un lien de subordination, une societe faisant partie d'un groupe ne peut etre consideree comme un coemployeur a l'egard du personnel employe par une autre que s'il existe entre elles, au-dela de la neces­ saire coordination des actions economiques entre les societes appartenant a un meme groupe et de l'etat de dominationeconomique que cette appartenance peut engendrer, une confusion d'interets, d'activites et de direction se manifestant par une immixtion dans la gestion economique et sociale de cette derniere ."; societes, 2020, Rn. 2 3 1 1 ff.

CozianlViandierlDeboissy,

Droit des

36

1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

jaht die Figur aber nur noch selten, weshalb sie sich auf dem Rückzug befin­ det. 102

b) Insolvenzrecht: Vermögensvermischung, Fiktivität und Ausfallhaftung Im Insolvenzrecht kann in begrenzten Fällen das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer Tochtergesellschaft auf die Muttergesellschaft ausge­ dehnt werden. 1 OJ Art. L. 621-2 Abs. 2 C. com. sieht das bei Vermögensver­ mischung (confusion de patrimoine) und bei sog. Fiktivität der Gesellschaft (fictivite) vor. Eine Vermögensvermischung erfordert nach der Rechtsprechung der Cour de cassation (i.) anormale Kapitalflüsse zwischen den Gesellschaftenl 14 oder (ii.) eine derartige Verflechtung der finanziellen Beziehungen, dass eine Zu­ ordnung der Aktiva und Passiva zu den Gesellschaften nicht mehr möglich ist. 1 0:5 Eine Gesellschaft gilt als fiktiv und wird für nichtig erklärt, wenn sie nur zum Schein besteht und keine eigene unternehmerische Tätigkeit entfaltet, etwa weil ihre Geschäfte vorwiegend im Interesse einer sie beherrschenden Gesellschaft geführt werden und sie keine finanzielle Autonomie und Ent­ scheid ungfreiheit besitzt. 1 1>i Die fictivite ermöglicht nicht nur die Erstreckung des Insolvenzverfahrens auf die Muttergesellschaft, sondern kann auch au­ ßerhalb eines Insolvenzverfahrens zu einem Durchgriff auf deren Vermögen führen. l 07 Zudem ist gemäß Art. L. 651-1 C. com. bei Insolvenz der Tochtergesell­ schaft eine Ausfallhaftung der Muttergesellschaft pour insuffisance d'actif denkbar. Voraussetzung ist, dass die Muttergesellschaft als rechtliche oder 1m

Dumant, JCP E 2015, dude

103

Unter dem Regime der EuInsVO gilt das nur eingeschränkt, vgl.. EuGH, 1 5 . 1 2.2011

- C-191110, Rastelli Davide e 104

1222, 49 ff.;

Laiseau, JCP E 2018,

c./Jean-Charles Hidoux,

167, 1 ff.

ECLI:EU:C:20 1 1 :838, Rn. 29.

Cass. com., 1 . 10.2013, n° 12-24.817: "l'existence de relations finaneieres anormales

constitutives d'une confusion des patrimoines"; Cass. com., 16.1 2.2014, n° 1 3-24 . 1 6 1 , Bull. eiv. 2014, IV, n° 190; Cass. com., 2.1 1 .2016, n° 1 5 - 1 0.727;

Merle, Droit commereial, 2020,

Rn. 798. 105

Cass. com., 24.1 0.1995, n° 9 3 - 1 1 . 322; Cass. com., 28.2.2018, n° 16-24.507: ,,[L]'ex­

tension d'une procedure collective suppose une confusion des comptes ou des relations finaneieres anormales entre deux perSOIllles physiques oumorales se traduisant par unetat permanent d'imbrication inextricable des elements d'actif et de passif des patrimoines";

Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 289. 106 CozianlViandierlDeboissy, Droit des soeietes, 2020, Rn. 271 ff.; Gibirila, in: JCI. Commereial, Stand: 10.7.2017, Rn. 38; Hübner, IPRax 2019, 267, 269 f.; grundlegend zur Rechtsfolge der jictivite Cass. com., 16.6. 1992, n° 90-17.237, BuH. civ. 1991, IV, n° 243, S. 169: ,,[U]ne soeiete fictive est une soeiete nulle et non inexistante [. . . ]." 107

A. Lecourt, in: Repertoire Dalloz Merle, Droit commereial, 2020, Rn. 798.

Societes, Stand: November 2021, Rn. 16, 186;

§ 2 Haftungslücken und Reformbestrebungen imfranzösischen Deliktsrecht

37

faktische Geschäftsführerin der Tochtergesellschaft einen Geschäftsfüh­ rungsfehler begangen hat, der zur Insolvenz beigetragen hat. l os In Betracht kommt vor allem die Haftung als faktische Geschäftsführerin. Sie setzt aber voraus, dass die Einflussnahme der M utter- auf die Tochtergesellschaft das in der Unternehmensgruppe übliche Maß an Kontrolle übersteigt, und greift daher nur selten. 109

c) Umweltrecht: Subsidiäre Haftung der Muttergesellschaftfür Instandsetzung des genutzten Geländes Einen Sonderfall der Ausfallhaftung regelt Art. L. 5 1 2-17 C. envir.: Ist die Tochtergesellschaft infolge der Insolvenz nicht in der Lage, das von ihr ge­ nutzte Gelände nach Beendigung ihrer Tätigkeit wieder instand zu setzen, haftet subsidiär die Muttergesellschaft für die Kosten der Instandsetzung, sofern diese durch einen spezifischen Pflichtverstoß (jaute caractt?risee) zu der Insolvenz der Tochtergesellschaft beigetragen hat. II O

5. Zwischenergebnis zurfaute Liegt im Rahmen einer Menschenrechtsklage keine dieser Ausnahmen vom Rechtsträgerprinzip vor - also insbesondere bei Menschenrechtsverletzun­ gen durch einen Zulieferer - bleibt es nach alter Rechtslage bei dem zuvor gefundenden Ergebnis: Da weder eine gesetzlich normierte Sorgfaltspflicht noch ein ungeschriebener Verhaltensmaßstab existierten, war die Haftung einer Mutter- oder Auftraggebergesellschaft für eine Menschenrechtsverlet­ zung in der Lieferkette nur äußerst selten durch einen eigenen Sorgfalts­ pflichtverstoß zu begründen.

1 00 CozianlViandierlDeboissy, Droit

des societes,

2020,

Rn.

2327 ff.

Insofern älmelt die

Haftung der Existenzvernichtungshaftung im deutschen Recht, die nach der Rechtspre­ chung des BGH ebenfalls missbräuchliche Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen erfor­

16.7.2007 - II ZR 3/04, Rn. 16, NJW 2007, 2689, 2690 (Trihotel); BGH, 28.4.2008 - II ZR 264/06, Rn. 10, NJW 2008, 2437, 2438). Im Unterschied zur action en insuffisance d actifhandelt es sich dabei heute jedoch um eine Innenhaftung gegenüber der geschädigten Tochtergesellschaft, siehe BGH - 11 ZR 3/04, Rn. 17, NJW 2007, 2689, 2690. Dazu, ebenfalls mit dem frz. Recht vergleichend, Nordhues, Haftung für Menschemechts­ verletzungen im Konzern, 2018, S. 286f. 1 00 Meist bewegt sich das Verhalten der Muttergesellschaft im Rahmen der Kontrolle, dert (BGH,

'

CozianJViandierlDeboissy, 2020, Rn. 2328 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen. 110 Merle, Droit commercial, 2020, Rn. 798m.w.N.; Stoffel-Munck, in: FerrierlPelissier (Hrsg.), L'entreprise face aux evolutions de la responsabilite civile, 2012, S. 43, Rn. 26.

die der Struktur der Unternehmensgruppe inhärent ist, vgl. Droit des societes,

38

1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

III Ergebnis zur Haftung für faute Für Menschenrechtsklagen gegen eine Mutter- oder Auftraggebergesell­ schaft auf Grundlage des Deliktsrechts stellte der Schaden bereits vor In­ krafttreten der loi de vigilance keine wesentliche Hürde dar. Die Haftung für eigene faute gemäß Art. 1 240, 1241 C. civ. scheiterte jedoch aufgrund des Rechtsträgerprinzips und mangels einer rechtsträgerübergreifenden Sorg­ faltspflicht am Tatbestandsmerkmal der faute.

B. Haftungfür das Verhalten Dritter Alternativ zur Haftung für faute kam für die Haftung einer Mutter- oder Auftraggebergesellschaft für das Handeln einer Tochtergesellschaft oder ei­ nes Zulieferers eine Haftung für das Verhalten Dritter in Betracht. Hier ist die spezielle Gehilfenhaftung (Art. 1242 Abs. 5 C. civ.) von der allgemeinen Haf­ tung für Dritte (Art. 1242 Abs. 1 C. civ.) zu unterscheiden. 1 Gehi/fenhaftung, Art. 1242 Abs. 5 C. civ. Art. 1242 Abs. 5 C. civ. normiert eine Haftung für das Verhalten eines Ge­ hilfen (prepose). Ein wichtiger Unterschied gegenüber der Haftungpourfaute besteht in einer "Vermutung der Verantwortlichkeit" (presomption de res­ ponsabilite) des Geschäftsherrn. ! l 1 Anders als in Deutschland (§ 831 BGB) haftet der Geschäftsherr in Frankreich nicht für sein eigenes Auswahl- oder Überwachungsverschulden, sondern für das Verschulden des Gehilfen (re­ spondeat superior), weshalb der Nachweis über das Fehlen einer faute ihn nicht entlastet. ! 1 2 Eine Entlastung ist nur bei höherer Gewalt /force majeure) oder einem (Mit-)Verschulden des Geschädigten möglich. 11 ] Eine dogmatische Grundlage der Haftung ist die sog. theorie du risque­ profit, wonach ein Auftraggeber für eine Pflichtverletzung seines Gehilfen haftet, weil er vom Einsatz des Gehilfen profitiert. 114 Danach scheint es denk­ bar, die Haftung einer M utter- oder Auftragge bergesellschaft für den Pflicht­ verstoß einer Tochtergesellschaft oder eines Zulieferers auf Art. 1 242 Abs. 5 C. civ. zu stützen. 11 5 Zentrale Voraussetzung der Haftung ist neben einerfaute 111 Fabre-Magnan,

Droit des obligations, 2019, Rn.408; MalaurielAyneslStoffel­ Munck, Droit des obligations, 2018, Rn. 157. 112 Viney/JourdainICarval, Les conditions de la responsabilite, 2013, Rn. 809; Zweigertl Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 1996, § 4 1 III, S. 639. IlJ Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn.408. 114 Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn. 400; vgl. zum Meinungsstand Vineyl JourdainlCarval, Les conditions de la responsabilite, 2013, Rn. 791-1. 115 Demeyere, ERPL 2015, 385, 394 stellt dagegen auf eine Garantiefunktion der Mut­ tergesellschaft ab.

§ 2 Haftungslücken und Reformbestrebungen imfranzösischen Deliktsrecht

39

des Gehilfenjedoch ein Über-/Unterordnungsverhältnis (lien depreposition), aus dem sich eine Weisungsgebundenheit des Gehilfen ergibt. !!6 Typischer­ weise besteht zwischen einem Arbeitgeber und seinen Angestellten ein lien de preposition, es kann aber auch auf faktischen Verhältnissen beruhen. 11 7 Den­ noch bedarf es einer Weisungsautorität des Geschäftsherrn, der dem Gehil­ fen genaue Vorgaben für die Ausführung seiner Tätigkeit machen kann. 1 1 8 Selbstständige Unternehmen, die grundsätzlich in der Ausführung der ver­ sprochenen Leistung unabhängig sind, gelten daher regelmäßig nicht alspre­ pose.!!9 Gleiches gilt für Tochtergesellschaften, für die vielmehr eine Ausdeh­ nung der allgemeinen Haftung für Dritte vorgeschlagen wurde. !lO Der Tat­ bestand wird von der Rechtsprechung damit deutlich enger ausgelegt, als es die weitreichende dogmatische Grundlage erwarten lässt. II

Allgemeine Haftungfür Dritte, Art. 1242 Abs. 1 C. civ.

Auf Grundlage von Art. 1242 Abs. 1 C. civ. hat die Cour de cassation im arrl'! Blieck (1991) ein allgemeines Haftungsprinzip für das Verhalten Dritter ent­ wickelt (responsabilite du fait d'autrui).!l! Seitdem gilt der Grundsatz, dass jede Person, die dauerhaft die Tätigkeit einer anderen Person organisiert, leitet oder kontrolliert, für den Schaden haftet, den diese Person verur­ sacht. 122 Obwohl stets von einem allgemeinen Haftungsprinzip die Rede ist, streitet man über die Reichweite der Entscheidung. !l] Die Rechtssache Blieck und die Folgeentscheidungen betrafen zwei Fallgruppen: Eine Haftung für die Be-

MalaurieIAynesIStoffel-Munck, Droit des obligations, 2018, Rn. 160; TerrelSimlerl Lequette u. a., Les obligations, 2019, Rn. l060 ff. 117 Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn.398; Viney/JourdainICarval, Les 116

conditions de 1a responsabilite, 2013, Rn. 796. 118

u. a., 119

val,

Brun, Responsabilite

civi1e extracontractuelle, 2018, Rn.447;

TerrelSimlerlLequette

Les obligations, 2019, Rn. 1060 ff. Cass. 3e civ., 8.9.2009, n° 08-1 2.273, BuH. civ. 2009, III, n° 1 8 1 ;

Viney/JourdainICar­

Les conditions de 1a responsabilite, 2013, Rn. 795.

120

Demeyere, ERPL 2015, 385, 395; TerrelSimlerlLequette u. a., Les obligations, 2019, Viney/JourdainICarval, Les conditions de 1a responsabilite, 2013, Rn. 789- 1 3 .

Rn. 1057; 121

Cass. ass. p1en., 29.3.1991, n° 89-15.231, Bull. civ. 1991, A. P., n° 1, S . l .

122

Cass. ass. p1en., 29.3.1991, n° 89-15.231, BuH. civ. 1991, A. P., n° 1 , S. l : ,,[E]n l'etat

de ces constatations, d' Oll i1 resulte que l'association avait accepte 1a charge d'organiser et de contr61er,

a titre permanent, 1e mode de vie de ce handicape, 1a cour d'appe1 a decide, a

bon droit, qu'elle devait repondre de ce1ui-ci au sens de l'article 1384, alinea 1e" du Code civi1 [Art. 1242 Abs. 1 C. civ. n. F., Anm. d.

Verf],

et qu'elle etait tenue de reparer 1es

dommages qu'il avait causes [. . .]." l2J

Zu den verschiedenen Interpretationen

elle, 2018, Rn.478f.; Rn. 789-11 ff.

Viney/JourdainiCarval,

Brun,

Responsabilite civile extracontractu­

Les conditions de 1a responsabilite, 2013,

40

1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

aufsichtigung Dritter wie Kinder oder Menschen mit geistiger oder körper­ licher Behinderung (garde d'autrui) und eine Haftung aufgrund der Kontrolle und Organisation der Tätigkeit Dritter (controle et organisation de l'activite d'autrui), was insbesondere auf Sportvereine abzielt, die Wettbewerbe für ihre Mitglieder organisieren. 1 24 Wegen des engen Zuschnitts der Fallgruppen scheint es schwierig, die Menschenrechtsklagen der allgemeinen Haftung für Dritte zuzuordnen. Unter Zugrundelegung einer weiten Interpretation der Rechtsprechung wurde in der Literatur eine Ausdehnung der Haftung auf andere Fallgruppen vorgeschlagen, in denen ein praktischer Bedarf dafür bestehe. 125 Ein solches Bedürfnis sei insbesondere in Fällen wirtschaftlicher Abhängigkeit anzu­ erkennen, die mangels lien de preposition nicht unter Art. 1242 Abs. 5 C. civ. zu fassen sind, also u. a. für das Verhältnis einer Mutter- zu einer Tochter­ gesellschaft oder einer Auftraggebergesellschaft zu einem Zulieferer. 126 Denn trotz rechtlicher Eigenständigkeit handele es sich in diesen Fällen meist nur um eine theoretische Freiheit, selbstständig über die Ausübung der eigenen Tätigkeit zu entscheiden. l 27 Der Vorschlag ist allgemein auf Fälle wirtschaft­ licher Abhängigkeit ausgerichtet und bezieht sich nicht explizit auf Men­ schenrechtsverletzungen durch eine Tochtergesellschaft oder einen Zuliefe­ rer. 128 Es könnten aber auch Menschenrechtsklagen darunterfallen. Bislang hat die Rechtsprechung diese Ausdehnung jedoch nicht aufgegriffen. 1 29

III Ergebnis zur Haftung für das Verhalten Dritter Nach Rechtslage vor Inkrafttreten der loi de vigilance war damit auch eine Haftung einer Mutter- oder Auftraggebergesellschaft gegenüber Dritten für von Tochtergesellschaften oder Zulieferern verursachte Menschenrechtsver­ letzungen kaum zu begründen. Es lässt sich also festhalten, dass vor Inkraft­ treten der loi de vigilance eine Haftung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht kam. Das bestätigt die eingangs vermuteten Haftungslücken.

124 Die

Rs.

Blieck betraf die Haftung eines Pflegeheims für Schäden durch einen Wald­ Viney/Jour­

brand, den ein geistig behinderter Bewolmer des Heims verursacht hatte, vgl.

dainiCarval, Les conditions de 1a responsabilite, 2013, Rn. 789-8; zur zweiten Fallgruppe vgl. Brun, Responsabilite civile extracontractuelle, 2018, Rn. 482f. m.w.N. 125 Viney/JourdainICarval, Les conditions de 1a responsabilite, 2013, Rn. 789-13. 126 Viney/JourdainICarval, Les conditions de 1a responsabilite, 2013, Rn. 789-13; vgl. auch Grimonprez, Revue des societes 2009, 715, Rn. 20 ff. 127 Viney/JourdainICarval, Les conditions de 1a responsabilite, 2013, Rn. 789-25. Davon wird man jedenfalls bei solchen Zulieferern ausgehen kÖIlllen, deren Produkte weit über­ wiegend für einen Hauptabnehmer hergestellt werden. m

Für

Viney, D. 2016,

1 378, 1383 scheint es sich aber um den Hauptanwendungsfall zu

handeln.

129 Demeyere, ERPL 2015,

385, 396;

Viney, JCP G 2016, etude 99,

169, Rn.42.

§ 2 Haftungslücken und Reformbestrebungen imfranzösischen Deliktsrecht C.

41

Reformentwürfe

Dem rechtspolitischen Bedürfnis, diese Haftungslückenzu schließen, wollten zwei Reformentwürfe zum Schuldrecht in verschiedener Weise Rechnung tragen. Das prolet Catala (2005) '30 plädiert für die Einführung einer neuen Haftung für fremdes Handeln (1.). Demgegenüber sieht der Entwurf Terre (20 1 1 ) 1 3 1 in einem Artikel zur faute juristischer Personen bestimmte Tatbe­ stände vor, in denen eine Gesellschaft für das Handeln einer anderen selbst verantwortlich ist (H.). Die Entwürfe wurden zwar beide nicht umgesetzt, dienen aber bis heute als Inspirationsquelle für Neuerungen. 1 32 Ein Entwurf des französischen Iustizministeriums zur Reform des Haftungsrechts (2017) statuiert dagegen keine Haftung von Mutter- und Auftraggebergesellschaf­ ten für (Menschen-)Rechtsverletzungen von Tochtergesellschaften und Zu­ lieferern (IH.). 1 Prolet Catala (2005) Unter dem Vorsitz von Pierre Catala haben rund dreißig französische Wis­ senschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Reformentwurf zur Moderni­ sierung des Schuldrechts ausgearbeitet. lJJ Ziel der Arbeitsgruppe zum Haf­ tungsrecht um Genevieve Viney war es, die im Wege richterlicher Rechtsfort­ bildung entstandenen Änderungen niederzuschreiben, aber auch neue Re­ gelungen zu schaffen, um den Code civil an die "Anforderungen des moder­ nen Lebens" anzupassenY4 In diesem Sinne wurde in Art. 1 360 des Entwurfs 1 35 ein neuer Haftungstatbestand für das Handeln von Personen vorgeschlagen, die zwar keine Verrichtungsgehilfen sind, deren selbststän­ dige Tätigkeit dem Haftungspflichtigen aber einen wirtschaftlichen Vorteil 1 30 Catala (Hrsg.), Avant-projet de reforme du droit des obligations et de la prescription, 2006.

1 3 1 Terre (Hrsg.), Pour une reforme du droit de la responsabilite civile, 201 1 . 1 32 Albrecht, Die deliktische Haftung für fremdes Verhalten, 2013, S. 138; Sonnenberger, ZEuP 2017, 6, 7 f. 1 33 Vgl. dazu Albrecht, Die deliktische Haftung für fremdes Verhalten, 2013, S. 1 38; Sonnenberger, ZEuP 2007, 421, 421 f. 1 34 Viney, in: Catala (Hrsg.), Avant-projet de reforme du droit des obligations et de la prescription, 2006, S. 161, 163. 1 35 Art. 1360 projet Catala: "Enl'absence de lien de preposition, celui qui encadre l'ac­ tivite professiOIlllelle d'une autre personne et en tire un avantage economique est respon­ sable des dommages causes par celle-ci dans l'exercice de cette activite. [. . . ]

contrble l'activite economique ou patrimoniale dependance, bien qu'agissant pour son propre compte, lorsque la victime etablit que le fait dommageable est en relation avec l'exercice Je contrble. 11 en est notamment des societes meres pour les dommages causes par leurs filiales ou des concedants pour les dommages causes par leurs concessionnaires." (Hervorh. durch Verf). De meme, est responsable celui qui

d'un professionnel en situation Je

42

1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

bringt (Abs. I), oder die sich in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsver­ hältnis zu diesem befinden (Abs. 2). 1 36 Im zweiten Fall muss der Schuldner die Tätigkeit der abhängigen Person kontrollieren, und der Geschädigte muss einen Zusammenhang zwischen schädigendem Ereignis und Ausübung der Kontrolle nachweisen. 1 J7 Dies erfasst gemäß Art. 1 360 Abs. 2 S. 3 des Ent­ wurfs insbesondere die Haftung von Muttergesellschaften für Schäden, die ihre Tochtergesellschaften verursachen. Der Tatbestand trägt laut Entwurfsbegründung den gewandelten wirt­ schaftlichen Strukturen Rechnung und erlaubt es, diejenigen in die Pflicht zu nehmen, die letztlich die Entscheidungen über die Wirtschaftsaktivitäten treffen. 1 J 8 Das sei gegenüber den in wirtschaftlicher Abhängigkeit Handeln­ den gerechter und führe zu einem höheren Schutzniveau der Geschädigten. 1 39 Der Entwurf führt einen Vorschlag aus der Literatur fort, eine neue Fall­ gruppe der allgemeinen Haftung für Dritte gemäß Art. 1242 Abs. I C. civ. anzuerkennen, die inhaltlich die Haftung für Gehilfen gemäß Art. 1242 Abs. 5 C. civ. auf Selbstständige ausdehnt. 140 Kritiker des Vorschlags stießen sich daran, dass der Tatbestand angesichts seiner weitreichenden Konse­ quenzen zu unbestimmt sei. 141 Mit Blick auf die Menschenrechtsklagen hält das prolet Catala mit Art. 1 360 einen Haftungstatbestand für Rechtsverletzungen durch Tochter­ gesellschaften und selbstständige Zulieferer bereit. II

Prolet Tem} (2011)

Der zweite Reformentwurf unter Federführung von Fram;:ois Terre ist aufdie außervertragliche Haftung beschränkt und verfolgt einen anderen Ansatz. Die Haftung für fremdes Handeln bildet keinen eigenen Haftungstatbestand,

136

Viney,

in: Catala (Rrsg.), Avant-projet de reforme du droit des obligations et de la

prescription, 2006, S. 1 6 l , 167. 137

D'AlesITerdjman,

JCP E 2014, etude 1584, 2 1 , Rn. 10;

Stoffel-Munck,

in: Ferrierl

Pelissier (Rrsg.), L'entreprise face aux evolutions de la responsabilite civile, 2012, S.43, Rn. I 7 ff. 138

Viney,

in: Catala (Rrsg.), Avant-projet de reforme du droit des obligations et de la

prescription, 2006, S. 1 6 l , 167; ebenso später 139

Viney, in:

dies. , JCP G 2016, etude 99,

169, Rn.43.

Catala (Rrsg.), Avant-projet de reforme du droit des obligations et de la

prescription, 2006, S. 1 6 1 , 167. 140

Stoffel-Munck,

in: FerrierlPelissier (Rrsg.), L'entreprise face aux evolutions de la

responsabilite civile, 2012, S.43, Rn. 17; siehe dazu supra S. 39 f. 141

Stoffel-Munck,

in: FerrierlPelissier (Rrsg.), L'entreprise face aux evolutions de la

responsabilite civile, 2012, S. 43, Rn. 1 8 unter Rinweis auf einen Bericht zum Entwurfeiner Arbeitsgruppe der

Cour de cassation.

Er selbst plädiert

für

eine Präzisierung durch den

Ausschluss reiner Vermögensschäden und eine Einschränkung auf schwerwiegende Schä­ den, ebd.

§ 2 Haftungslücken und Reformbestrebungen imfranzösischen Deliktsrecht

43

sondern ist in verschiedenen Zurechnungsnormen geregelt. 142 Ob eine Mut­ tergesellschaft für das Verhalten ihrer Tochtergesellschaft haftet, ist aller­ dings nicht bei der Zurechnung, sondern in einer Definition der faute gere­ gelt, welche die deliktsrechtliche Generalklausel ergänzt. Gemäß Art. 7 Abs. 2 des Entwurfs !'] haftet eine Muttergesellschaft nur dann für einen von einer anderen Gesellschaft verursachten Schaden, wenn sie z. B. durch Ein­ mischung in deren Geschäftsführung wesentlich zur Entstehung des Scha­ dens beigetragen hat. 144 Voraussetzung ist zudem, dass die Muttergesellschaft die andere Gesellschaft kontrolliert oder einen wesentlichen Einfluss auf sie ausübt. Laut der Entwurfsbegründung ist entscheidend, ob die Muttergesell­ schaft rechtlich Einfluss auf die andere Gesellschaft hat. !'] Das Merkmal der wirtschaftlichen Abhängigkeit, auf welches das prolet Catala abstelle, reiche deutlich weiter und sei daher nicht geeignet. 146 Im Unterschied zum prolet Catala schlägt der Entwurf Terre eine Haftung der Muttergesellschaft für eine eigenefaute vor. Ferner erfasst er keine selbst­ ständigen Zulieferer, sondern regelt nur eine Haftung in Konzernstrukturen. Hiernach könnten also nur Menschenrechtsverletzungen geltend gemacht werden, die von einer Tochtergesellschaft begangen werden.

III Entwurf des lustizministeriums (2017) Nach der Reform des französischen Vertragsrechts im Wege der ordon­ nance147 hat das Justizministerium im März 2017 einen Entwurf zur Überar­ beitung der Vorschriften zur vertraglichen und außervertraglichen Haftung präsentiert. 14 8 Wie die projets Catala und Terre belegen, wurde eine Reform 142 Vgl. Terre (Hrsg.),

Pour une reforme du droit de la responsabilite eivile, 20 1 1 , S. 3:

,,§4. De l'imputation du dommage cause par autrui"; Albrecht, Die deliktische Haftung für fremdes Verhalten, 2013, S. 144.

143 Art. 7 Abs. 2 projet Terre: "Une soeide ne repond du dommage cause par la soeiete

qu'elle contr6le ou sur laquelle elle exerce une influence notable

que si,

par une partiei­

pation a un organe de cette soeiete, une instruction, une immixtion ou une abstention dans sa gestion, elle a contribue de maniere significative

Ver!). 144 Messai"-BahrilRoussille,

a la

realisation du dommage." (Her­

vorh. durch

in: Terre (Hrsg.), Pour une reforme du droit de la respon­

sabilite eivile, 2 0 1 1 , S. 1 1 9, 121 zufolge handelt es sich weder um eine Haftung f ür andere noch um eine Gefährdungshaftung, weil das gegen das Rechtsträgerprinzip verstieße.

145 Messai"-BahrilRoussille, in: Terre

(Hrsg.), Pour une reforme du droit de la respon­

sabilite civile, 2 0 1 1 , S. 119, 123.

146 Messai"-BahrilRoussille,

in: Terre (Hrsg.), Pour une reforme du droit de la respon­

sabilite civile, 2 0 1 1 , S. 119, 124.

147 OrdOIlllance n° 2016-131 du 1 0 fevrier

2016 portant reforme du droit des contrats,

du regime general et de la preuve des obligations, JORF n° 0035 du 1 1 fevrier 2016.

148 Ministere de la justice,

Projet de reforme de la responsabilite eivile, 13.3.2017, ab­

rufbar unter www.justice.gouv.fr/publicationfProjeCde_reforme_de_la_responsabilite_c ivile_ 1 3032017.pdf (letzter Abruf 1.7.2021).

44

1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

des Haftungsrechts schon seit mehreren Jahren diskutiert. 149 Grund für den Reformbedarf besonders im Deliktsrecht ist eine große Divergenz zwischen dem geschriebenen Recht und der richterlichen Rechtsanwendung: Die insbesondere aus deutscher Perspektive - knappen und auslegungsbedürfti­ gen Vorschriften stammen überwiegend aus dem Code civil von 1 804, und wurden in den folgenden 200 Iahren durch eine umfangreiche Rechtspre­ chung ausgefüllt. '50 Ziel der Reform ist es, diese Rechtsprechung zu kodifi­ zieren und zu konkretisieren. 15 1 Zugleich bietet eine Reform Gelegenheit, das Haftungsrecht den ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen an­ zupassen. 152 Obwohl sich der Reformentwurf vor allem an dem prolet Catala orien­ tiert," ] enthält er keine neue Fallgruppe der Haftung für Dritte, die eine Haftung von Mutter- oder Auftraggebergesellschaften für Menschenrechts­ verletzungen durch Tochtergesellschaften oder Zulieferer erfassen könnte. l54 Das erklärt sich durch das Inkrafttreten der loi de vigilance bald nach Be­ kanntmachung des Entwurfs. Dennoch wird bedauert, dass der Reforment­ wurf keine (zusätzliche) Regelung im Code civil vorsieht. '55 Hinzu kommt, dass die Haftung für Dritte im Entwurf abschließend geregelt ist. '56 Dad urch entfällt die Möglichkeit, die Haftung für Dritte über Art. 1242 Abs. 1 C. civ. künftig für neue Risiken zu öffnen und weiterzuentwickeln. 157 Der Entwurf des Iustizministeriums lässt folglich keine (weiteren) Neuerungen für Men­ schenrechtsklagen gegen Mutter- und Auftraggebergesellschaften erwarten.

IV. Ergebnis zu den Reformentwürfen Die Reformvorschläge von 2005 und 201 1 zeigen zwei dogmatisch unter­ schiedliche Wege für die Normierung einer Haftung einer Gesellschaft für das Handeln Dritter, die wirtschaftlich (Catala) oder rechtlich (Terre) von ihr kontrolliert werden. Ihnen ist gemein, dass sie Menschenrechtsklagen zwar

149 Pignarre, in: ders. (Rrsg.), La reforme du droit de la responsabilite, 2017, S. l l , 1 1 f. 1 50 Viney, D. 2016, 1378. '" Borghetti, D. 2016, 1 386, 1 38 7 f.; Viney, JCP G 2016, dude 99, 169, Rn. l ff. 1 52 Borghetti, D. 2016, 1 386, 1387f.; Pignarre (Rrsg.), La reforme du droit de la responsabilite, 2017, S. 1 1 ; Viney, JCP G 2016, etude 99, 169, Rn. 3 ff. 1 53 Borghetti, D . 2016, 1386, 1386f.; de Cabarrus, in: Pignarre (Rrsg.), La reforme du droit de la responsabilite, 2017, S. 2 1 , 22.

1 54 Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn.440. 1 55 Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn. 440; Viney, D. 2016, 1 378, 1383; Viney, JCP G 2016, dude 99, 169, Rn.42f. 1 56

PPLn° 2578, 1 1 .2.2015; vgl.

Tetart, AN, Deuxieme seance v. 29.1.2015 (Fn. 195). Petitjean, Devoir de vigilance, 2019, S. l 1 1 . Die Regie­

rung hatte in der Sitzung der Nationalversammlung zum ersten Entwurf am 29.1.2015 in Aussicht gestellt, das Vorhaben zu unterstützen, sofern gemeinsam ein neuer Text ausge­ arbeitet würde. Vgl. den Wortbeitrag des Staatssekretärs

Fekl,

AN, Deuxieme seance

v. 29.1.2015 (Fn. 195). 207

Gemäß Art. 45 Abs. 1 CF beraten die Nationalversammlung und der Senat nachein­

ander über einen Gesetzentwurf, um einen einheitlichen Text zu beschließen. Gelingt es nicht, einen Konsens

zu

navette parlementaire, d. h. ein Pendeln FavoreuIGai"aIGhevon­ 1230; rechtsvergleichend Marsch, in: Marsch!

finden, begirmt eine sog.

des Entwurfs zwischen Nationalversammlung und Senat. S. näher

tian u. a.,

Droit constitutiOIlllel, 2019, Rn.

VilainfWendel (Hrsg.), Französisches und Deutsches Verfassungsrecht, 2015, S. 215, § 5 Rn. 53.

§ 3 Der Weg zum hard law - Entstehungsgeschichte der loi Je vigilance

53

verabschiedete die Nationalversammlung den Gesetzentwurf drei Tage vor Ende der Legislaturperiode am 21. Februar 2017.200 Wie schon angedeutet, handelt es sich bei dem neuen Gesetzesvorschlag und der verabschiedeten Textfassung im Vergleich zu den Vorentwürfen um eine deutlich weniger weitreichende Regelung. Das Gesetz in seiner heutigen, mehrfach geänderten Form stellt daher einen Kompromiss mit großen Ein­ schränkungen dar: Die lai de vigilance sieht immer noch eine "Sorgfaltspflicht für Muttergesellschaften und Auftrag gebende Unternehmen" vor.209 Die Regelung hat sich in der konkreten Ausgestaltung jedoch von ihrer Inspira­ tionsquelle, den UNGP, entfernt. Das Gesetz ist heute einerseits ausführli­ cher, wurde andererseits aber in seiner Reichweite beschränkt. Die Sorgfalts­ pflicht drückt sich in einer Pflicht aus, einen Risikoüberwachungsplan (plan de vigilance) zu erstellen, effektiv umzusetzen und zu publizieren (Art. L. 225-102-4 C. com.). Um die erforderlichen Überwachungsmaßnah­ men genauer zu beschreiben, ist im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ein Katalog mit fünf Maßnahmen ergänzt worden. 21 O Weitere Präzisierungen können per Dekret erfolgen. 211 Demgegenüber wurde der - ursprünglich sehr weite - persönliche Anwen­ dungsbereich ("jedes Unternehmen") auf große Unternehmen mit mindes­ tens 5000 Arbeitnehmern beschränkt.21 2 Ferner wurde die Reichweite der Sorgfaltspflicht präzisiert und zugleich etwas enger gezogen: Zum einen wurde das Verhältnis zwischen der Muttergesellschaft und den zu überwa­ chenden Tochtergesellschaften spezifiziert. Während in den ersten Entwür­ fen noch von "Filialen" die Rede war, erstreckt sich die Sorgfaltspflicht in der Unternehmensgruppe heute auf Gesellschaften, welche die Muttergesell­ schaft i. S. v. Art. L. 233-16 C. com. direkt oder indirekt kontrolliert. 21 J Hin­ sichtlich der Subunternehmer der Auftragge bergesellschaft forderte der neue Entwurf einen bestimmenden Einfluss der Auftraggeberin (injluence deter­ minante).214 Dieser wurde später für zu eng befunden und durch das Erfor­ dernis einer gefestigten Geschäftsbeziehung (relation commerciale etablie) ersetzt. 215

200 TA n° 924 v. 21 .2.2017, abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022)). 2(9 Vgl. den gleichlautenden Namen des Gesetzes: "Loi n° 2017-399 du 27mars 2017 relative au devoir de vigi1ance des societes meres et des entreprises dOIllleuses d'ordre". 210 Art. L. 225-102-4 I. Abs. 4 Nr. 1-5 C. com. 2 ll Art. L. 225-102-4 1. Abs. 6 C. com., siehe noch genauer infra S. 141 ff. 212 Siehe noch infra S. 70 ff. 2 lJ Siehe noch infra S. 86 ff. '" PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S. 14. 215 Siehe noch infra S. 92 ff.

54

1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

Außerdem findet sich die Sorgfaltspflicht nun an einem anderen Standort im Code de commerce. Während sie ursprünglich bei den für alle Handels­ gesellschaften geltenden Vorschriften vorgesehen war, steht sie jetzt im Ab­ schnitt über die Aktiengesellschaften (soeietes anonymes).2!6 Darüber hinaus wurden die Sanktionsmechanismen geändert. Die Haf­ tungsnorm im Code civil, die eine Haftungsvermutung einführen und die Beweislast umkehren sollte, wurde gestrichen. Stattdessen schreibt ein neuer Art. L. 225-1 02-5 C. com. vor, dass ein Verstoß gegen die neue Sorgfalts­ pflicht nach den Voraussetzungen der deliktsrechtlichen Generalklausel der Art. 1240, 1241 C. civ. zur Haftung führt. Die Beweislast tragen nach der allgemeinen Regel im Zivilprozess nicht die Gesellschaften, sondern die Ge­ schädigten, die einen Schadensersatzanspruch geltend machen. 21 7 Der Straftatbestand im Code penal wurde ebenfalls gestrichen.2 1 8 Stattdes­ sen sah der neue Entwurf zwischenzeitlich eine zivilrechtliche Geldbuße (amende civile) vor.2 1 9 Danach konnte das zuständige Gericht einer Gesell­ schaft, die trotz Aufforderung ihrer Sorgfaltspflicht nicht innerhalb von drei Monaten nachgekommen war, ein Bußgeld von bis zu zehn Millionen Euro anordnen. Im Schadensfall konnte die Höhe des Bußgeldes je nach Schwere und den Umständen der Sorgfaltspflichtverletzung und des Schadens bis auf das Dreifache erhöht werden.220 Diese Änderung nahm indes nicht die letzte Hürde des Gesetzes. Sie hielt einer der Verabschiedung des Gesetzes folgen­ den verfassungsrechtlichen Kontrolle durch den Verfassungsrat (Conseil con­ stitutionneT) nicht stand.

D. Verfassungsrechtliche Kontrolle durch den Conseil constitutionnel Nach Verabschiedung der loi de vigilance durch die Nationalversammlung am 21. Februar 2017 aktivierten die politischen Gegner des Gesetzes aus Se­ nat und Nationalversammlung die letzte Stellschraube im Gesetzgebungs216 Zu den daraus folgenden Auslegungsproblemen siehe infra S. 77 ff. Siehe infra S. 192ff. 2 l! Vgl. Cuzacq, in: Martin-Chenut/de Quenaudon (Rrsg.), La RSE saisie par le droit, 2016, S.453, 454. m Art. L. 225-102-4 11. C. corno in der Version V. 21 .2.2017 (TA n° 924 (Fn. 208)): "Le juge peut condamner la societe au paiement d'une amende civile d'un montant qui ne peut etre superieur a 10 millions d'euros. Le juge fixe le montant de cette amende en proportion de la gravite du manquement et en consideration des circonstances de celui-ci et de la persOIlllalite de son auteur. L'amende ne constitue pas une charge deductible du resultat fiscal. " no Art. L. 225-102-5 Abs. 2 C. corno in der Version V. 21 .2.2017 (TA n° 924 (Fn. 208)): "Dans ce cas, le montant de l'amende prevue au 11 de l'article L. 225-102-4 peut etre majore jusqu'a trois fois, en fonction de la gravite et des circonstances du manquement et du domrnage." m

§ 3 Der Weg zum hard law - Entstehungsgeschichte der loi Je vigilance

55

verfahren und strengten ein abstraktes Normenkontrollverfahren zur ver­ fassungsrechtlichen Überprüfung des Gesetzes durch den Conseil constitu­ tionnel an. 221 Durch dessen Entscheidung vom 23. März 2017222 erfuhr das Gesetz letzte Änderungen, bevor es am 27. März 2017 verkündet wurde. 1 Abstrakte Normenkontrolle in Frankreich Während die abstrakte Normenkontrolle vor dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG erst nach der Verkündung eines Gesetzes ­ und dann ohne zeitliche Begrenzung - zulässig ist, kann die verfassungsrecht­ liche Kontrolle eines Gesetzes durch den Conseil consitutionnel nur innerhalb eines Monats nach Verabschiedung und vor Ausfertigung und Verkündung des Gesetzes erfolgen. 22J Das erklärt, weshalb die Normenkontrollanträge aus Nationalversammlung und Senat bereits zwei Tage nach Verabschiedung der loi de vigilance eingereicht wurden. Wie in Deutschland handelt es sich bei der französischen abstrakten Nor­ menkontrolle um ein objektives Beanstandungsverfahren; den Kontrollmaß­ stab der verfassungsrechtlichen Überprüfung bildet das gesamte Verfas­ sungsrecht. 224 Dazu gehört in Frankreich seit einer grundlegenden Entschei­ dung des Conseil constitutionnel zur Vereinigungsfreiheit von 1971225 nicht nur die Verfassung von 1958226, sondern auch ihre Präambel samt der darin in Bezug genommenen Texte.227 Zum sog. Verfassungsblock (bloc de constitu22l Die Normenkontrollanträge v. 23.2.2017 sind abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022). 221 e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017; vgl. dazu Bachschmidt, Constitutions 2017, 234; Louvaris, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S. 105ff.; Mathieu, Constitutions 2017, 291 ff.; zur Verfassungskonformität des Gesetzentwurfs Mougeolle, La Revue des droits de l'homme 2017, [online];Roujou de BoubeelGarelGinestetu. a., D. 2017, 2501, 2501 f. 22J Art. 61 Abs. 3 CF: "Dans les cas prevus aux deux alineas precedents, le Conseil constitutionnel doit statuer dans le deIai d'unmois. [ ]." Dazurechtvergleichend Marsch, in: MarschfVilainfWendel (Rrsg.), Französisches und Deutsches Verfassungsrecht, 2015, S. 275, §6 Rn. 30 ff. 224 Marsch, in: MarschlVilainlWendel (Rrsg.), Französisches und Deutsches Verfas­ snngsrecht, 2015, S. 275, § 6 Rn. 3 1 . 225 e.e. Decision n° 71-44 DC, 16.7.1971, Rn. 2: "Considerant qu'aunombre des prin­ cipes fondamentaux reCOIllms par les lois de la Republique et soleIlllellement reaffirmes par le preambule de la Constitution il y a heu de ranger le principe de la hberte d'associa­ tion;". In der Entscheidung hat der Verfassungsrat der Präambel juristische Verbindlich­ keit verliehen und erstmals ein Gesetz an den Grundrechten gemessen. Siehe dazu Hamon, D. 1974, 83[f. 226 Constitution du 4 octobre 1958 a jour de la revision constitutioIlllelle du 23 juillet 2008 (im Folgenden: CF). 227 Zum Verfassungsbegriff in Frankreich und Deutschland Vilain, in: MarschfVilainf Wendel (Rrsg.), Französisches und Deutsches Verfassungsrecht, 2015, S. 45, § 3 Rn. l ff. . . .

1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

56

tionnalite) zählen deshalb ebenso die Erklärung der Menschen- und Bürger­ rechte von 1789 (DDHC)228 , die Präambel der Verfassung von 1946229 und die Umweltcharta von 200423°. 23 1 Der Prüfungsmaßstab des Verfassungsrates im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle umfasst damit ebenfalls die Prü­ fung des Gesetzes auf seine Vereinbarkeit mit den Grund- und Menschen­ rechten.232 Stellt der Conseil constitutionnel die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes fest, wird es nicht verkündet und tritt gar nicht erst in Kraft; sind nur Teile des Gesetzes verfassungswidrig, können die übrigen, verfassungskonformen Be­ standteile des Gesetzes ausgefertigt werden. 233 II

Teilweise Verfassungswidrigkeit der loi de vigilance

Obwohl der Conseil constitutionnel das gesamte Gesetz auf seine Verfassungs­ mäßigkeit überprüfen könnte, antwortet er vorliegend gezielt - und aus deut­ scher Perspektive recht knapp - auf die gerügten Verstöße und überprüft lediglich die in den Normenkontrollanträgen angegriffenen Bestimmungen der loi de vigilance. Im Ergebnis erachtet er das Gesetz für teilweise verfas­ sungswidrig.

1. Verstoß der amende civile gegen den Bestimmtheitsgrundsatz Nach Auffassung der Antragsteller verstößt die loi de vigilance gegen den verfassungsrechtlichen Bestimmtsheitsgrundsatz in seinen verschiedenen Ausprägungen.234 Zum einen werde das allgemeine Bestimmtheitsgebot verletzt, das sich aus dem Prinzip der Klarheit des Gesetzes (principe de darte de la loi, Art. 34 Constitutionfran(:aise (CF) und dem verfassungsrechtlichen Ziel der Zugäng­ lichkeit und Verständlichkeit des Gesetzes (objectifde valeur constitutionnelle d'accessibilite et d'intelligibilite de la loi, Art. 4, 5, 6, 1 6 DDHC2J5) zusamm

Declaration des Droits de l'Homme et du Citoyen de 1789, DDHe. Preambule de la Constitution du 27 octobre 1946. 230 Charte de l'envirOIlllement de 2004, zum bloc de constitutionnalite hinzugefügt durch Loi constitutionnelle n° 2005-205 du 1 er mars 2005 relative a la Charte de l'environne­ ment, JORF n° 5 1 du 2mars 2005. 2Jl FavoreuJGai"aIGhevontian u. a., Droit constitutionnel, 2019, Rn. 167 ff. m Marsch, in: MarschlVilainlWendel (Hrsg.), Französisches und Deutsches Verfas­ sungsrecht, 2015, S. 275, § 6 Rn. 38. 2JJ FavoreuJGai"aIGhevontian u. a., Droit constitutionnel, 2019, Rn.457; Marsch, in: MarschfVilainlWendel (Hrsg.), Französisches und Deutsches Verfassungsrecht, 2015, S. 275, § 6 Rn.46. 234 Normenkontrollanträge v. 23.2.2017 (Fn. 221). 2J5 Grundlegend zur verfassungsrechtlichen Verankerung dieses Prinzips in Art. 4, 5, 6 und 16 CF siehe e.e. Decision n° 99-421 DC, 16.12.1999, Rn. 13. Zum Begriff des objectif 219

§ 3 Der Weg zum hard law - Entstehungsgeschichte der loi Je vigilance

57

mensetzt. 236 Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsrates verlangen diese Prinzipien, dass der Gesetzgeber hinreichend präzise Bestimmungen erlässt und eindeutige Formulierungen wählt, um die Rechtssubjekte vor verfassungswidriger Auslegung und Willkür zu schützen.237 Dies umfasst nach jüngerer Rechtsprechung auch das Verbot, den Verwaltungsbehörden oder den Gerichten die Festsetzung von Regeln zu übertragen, die nach der Verfassung per Gesetz zu bestimmen sind. 23 8 Laut den Kontrollanträgen ergibt sich die Unbestimmtheit des Gesetzes insbesondere aus Art. I lai de vigilance, der die neue Sorgfaltspflicht im Code de commerce einführt. Der Gesetzestext mache nicht deutlich, anhand wel­ cher Referenztexte die geschützten Rechtsgüter (insbesondere droUs humains und libertesJondamentales) zu bestimmen seien - allein anhand französischer Normen oder anhand europäischer oder internationaler Texte. Zudem sei unsicher, woran das Vorliegen einer schwerwiegenden Verletzung (atteinte grave) dieser Rechtsgüter zu messen sei, die es durch das Erstellen eines Über­ wachungsplans mit geeigneten Sorgfaltsmaßnahmen zu verhindern gelte. Ebenso unklar sei, was unter einer effektiven Umsetzung des Überwachungs­ plans zu verstehen sei. Dass die Inhaltsanforderungen an den Plan noch per Dekret präzisiert werden könnten, vermöge die Unsicherheiten nicht voll­ ständig zu beseitigen. 239 Weiterhin sei die Reichweite der Sorgfaltspflicht zu unbestimmt. Mit der Bezugnahme auf Zulieferer und Subunternehmer, zu denen eine relation commerciale etablie bestehe, werde nicht deutlich, ob nur die Vertragspartner der Muttergesellschaft oder auch die Zulieferer der von der Muttergesellschaft kontrollierten Gesellschaften bei der Planerstellung einzubeziehen seien.

Je valeur constitutionnelle de Montalivet, CCC 2006, [online]; FavoreulGai"alGhevontian

u. a., Droit constitutiOIlllel, 2019, Rn. 177. 236 Normenkontrollanträge v. 23.2.2017 (Fn. 221). 2J7 e.e. Decisionn° 2001-455 DC, 12.1 .2002, Rn. 9: ,,[L]e principe de clarte de la loi, qui decoule de l'article 34 de la Constitution, et l'objectif de valeur constitutionnelle d'intel­ ligibilite de la loi, qui decoule des articles 4, 5, 6 et 16 de la Declaration des droits de l'homme et du citoyen de 1789, lui imposent, afin de premunir les sujets de droits contre une interpretation contraire a la Constitution ou contre le risque d'arbitraire, d'adopter des dispositions suffisamment precises et des formules non equivoques"; e.e. Decision n° 2003-475 De, 24.7.2003, Rn.20. m e.e. Decision n° 2006-540 DC, 27.7.2006, Rn. 9: "Considerant, [. . . ] qu'il [= le legis­ lateur, Anm. d. Verf] doit en effet premunir les sujets de droit contre une interpretation contraire a la Constitution ou contre le risque arbitraire, sans reporter sur des autorites administratives ou juridictionnelles le soin de fixer des regles dont la determination n'a ete confinee par la Constitution qu'a la loi"; e.e. Decisionn° 2014-694 DC, 28.5.2014, Rn. 7. 239 Mit Blick auf das Verhältnis zwischen gesetzgebender und verordnungsgebender Gewalt wird die Möglichkeit eines Dekretes durch die Regierung teilweise kritisch gesehen, siehe Mathieu, Constitutions 2017, 291, 293.

58

1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

Da die anstelle der strafrechtlichen Sanktion eingeführte zivilrechtliche Geldbuße (amende civile) an eine Verletzung der hinsichtlich Inhalt und Reichweite unbestimmten Sorgfaltspflicht anknüpfe, sei neben dem allge­ meinen auch der strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz (principe de legalite des delits et des peines, Art. 8 DDHC) verletzt. 240 Dieser Grundsatz gilt nach der Rechtsprechung des Verfassungsrates nicht nur für strafrechtliche Sank­ tionen, sondern für sämtliche Sanktionen mit strafendem Charakter, auch wenn sie - wie hier - zivilrechtlichen Ursprungs sind. 241 Die Pflichten, deren Verletzung zur Anordnung einer amende civile führen kann, müssen daher hinreichend klar und präzise festgelegt sein.242 Dieses Erfordernis sei bei der lai de vigilance aus mehreren Gründen nicht erfüllt: Neben der Unbestimmtheit der Sorgfaltspflicht selbst sei unsicher, ob die Geldbuße nur einmal für einen fehlerhaften Plan oder gar mehrfach für einzelne Verstöße innerhalb eines Überwachungsplans verhängt werden könne. Das Gericht solle zwar bei Anordnung der Geldbuße die "Schwere und Umstände" der Pflichtverletzung einbeziehen,243 es fehle aber an einer genauen Definition dieser Kriterien. Darüber hinaus stellen die Normenkon­ trollanträge infrage, ob die Höhe der Geldbuße von bis zu zehn, im Scha­ densfall sogar bis zu 30 Millionen Euro, dem Grundsatz der Verhältnismä­ ßigkeit und Notwendigkeit von Strafen (principe de proportionnalite et de necessite des peines, Art. 8 DDHC) entspreche.244 Verfassungsrechtlich be­ denklich sei schließlich, dass die Sorgfaltpflicht, deren Verletzung eine amende civile begründen kann, per Dekret, d. h. durch die Exekutive definiert werden könne. Denn gemäß Art. 34 CF obliege es allein dem Gesetzgeber, strafrechtlich sanktionierbares Verhalten zu definieren, was ebenso für eine zivilrechtliche Geldbuße gelte. 245 240 Art. 8 DDHC: "La Loi ne doit etablir que des peines strictement et evidemment necessaires, et nul ne peut etre puni qu'en vertu d'une Loi etablie et promulguee ante­ rieurement au delit, et 1ega1ement appliquee." 241 e.e. Decision n° 2010-85 QPC, 13.1.2011, Rn. 3: ,,[I]l lui [= 1e 1egis1ateur, Anm . d. Verf] est loisib1e d'assortir 1a violation de certaines obligations d'une amende civile a 1a condition de respecter 1es exigences des articles 8 et 9 de 1a Declaration de 1789 au rang desquelles figure 1e principe de 1egalite des delits et des peines qui 1ui impose d'enoncer en des termes suffisamment clairs et precis 1a prescription dont i1 sanctiOIllle 1e manquement". 242 e.e. Decision n° 2010-85 QPC, 13.1.2011, Rn. 3. w Art. L. 225-102-4 11. C. corno in der Version V. 21 .2.2017 (TA n° 924 (Fn. 208)). 244 Vgl. e.e. Decision n° 2007-554 DC, 9.8.2007, Rn. 8: "Considerant que, si 1a necessite des peines attachees aux infractions releve du pouvoir d'appreciation du 1egis1ateur, i1 incombe au Conseil constitutionnel de s'assurer de l'absence de disproportion manifeste entre l'infraction et 1a peine encourue"; C e. Decision n° 2014-696 DC, 7.8.2014, Rn. 13; Oberdorff, Droits de l'homme et libertes fondamentales, 2019, Rn. 248 ff. W Vgl. C.C. Decisionn° 2014-696 DC, 7.8.2014, Rn. 10: ,,[Illen [= Art. 34 CF, Arnn. d. Verf] resulte que 1e 1egis1ateur doit fixer 1ui-meme 1e champ d'application de 1a loi pena1e et definir 1es crimes et delits en termes suffisamment clairs et precis pour exclure l'arbitraire;"

§ 3 Der Weg zum hard law - Entstehungsgeschichte der loi Je vigilance

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In seiner Entscheidung geht der Verfassungsrat hinsichtlich des Bestimmt­ heitsgrundsatzes lediglich auf das zivilrechtliche Bußgeld und den Verstoß gegen den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz genauer ein. 246 Er stellt fest, dass der Gesetzgeber eine neue zivilrechtliche Sorgfaltspflicht eingeführt habe, die von einer Sanktion mit strafrechtlichem Charakter flankiert werde.247 Als Sanktion mit Strafcharakter sei die Geldbuße deshalb am Be­ stimmtheitsgebot des Art. 8 DDHC zu messen. 248 Im Ergebnis seien jedoch sowohl der Anwendungsbereich (verpflichtete Gesellschaften, erfasste Un­ ternehmen und Tätigkeiten) als auch der Inhalt der Sorgfaltspflicht (Maß­ nahmen zur angemessenen Überwachung von Risiken für die genannten Schutzgüter) mangels weiterer Präzision durch den Gesetzgeber zu unbe­ stimmt; Begriffe wie "Menschenrechte" (draitshumains) und "Grundfreihei­ ten" (libertes Jondamentales) seien zu weit und ungenau, um an ihre Verlet­ zung eine strafende Sanktion zu knüpfen. 249 Die am ende civile in Art. I loi de vigilance samt den auf sie Bezug nehmenden weiteren Bestandteilen des Ge­ setzes, wie etwa die Erhöhung der Geldbuße von zehn auf 30 Millionen Euro, seien daher verfassungswidrig, auch wenn das Gesetz ein Allgemeininteresse verfolge. 2S o Die amende civile ist damit bereits an der Unbestimmtheit der neuen Sorg­ faltspflicht gescheitert. Teilweise wird bedauert, dass der Verfassungsrat sich nicht mehr dazu verhalten musste, ob ein zivilrechtliches Bußgeld als solches überhaupt verfassungskonform ist, und ob eine Verdreifachung der Geld­ buße im Schadensfall, die im Ergebnis einem Strafschadensersatz gleich­ komme, mit dem Verfassungsrecht vereinbar wäre. 2S 1 Wenigstens zur amende civile als solcher wird der Conseil constitutionnel möglicherweise künftig Stel­ lung beziehen können. Denn der Reformentwurf zum Haftungsrecht von

246 e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 5 ff. 247 e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 7. 248 e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 8. 249 e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 13; zustimmend Schiller, JCP E 2017, etude 1193, 19, Rn. 17; a.A. Mougeolle, La Revue des droits de l'homme 2017, [online], Rn. 30, der i.R.d. des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes keine strengeren Anfor­ derungen an das Maß der Bestimmtheit zu stellen scheint. 2SO e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. l 3 f.: ,,13. [ . . .] 1e 1egis1ateur ne pou­ vait, sans mecOIlllaitre 1es exigences decoulant de l'article 8 de 1a Declaration de 1789 et en depit de l'objectif d'interet general poursuivi par 1a loi deferee, retenir que peut etre sou­ mise au paiement d'une amende d'un montant pouvant atteindre dix millions d'euros 1a soeide qui aurait commis un manquement defini en des termes aussi insuffisamment clairs et precis. 14. Par consequent, 1e dernier alinea de l'article ler de 1a loi deferee est contraire a la Constitution. 11 en va de meme du troisieme alinea de l'article 2 et de l'article 3, qui en sont indissoeiables." 251 Louvaris, in: Schiller (Hrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S. 105, Rn. 33. Diese Frage bejahend Mougeolle, La Revue des droits de l'homme 2017, [online], Rn. 31 ff.

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1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

2017 sieht die Einführung einer allgemeinen Vorschrift zur amende civile vor, deren Verfassungskonformität jedoch ebenfalls angezweifelt wird. 252 Da der Conseil constitutionnel die Unbestimmtheit nahezu des gesamten Tatbestandes der neuen Sorgfaltspflicht feststellt, überrascht es, dass er nicht ebenso das allgemeine Bestimmtheitsgebot als verletzt ansieht. 253 Seiner Auf­ fassung nach ist die Vorschrift nicht unverständlich, selbst wenn sie für eine strafende Sanktion zu unbestimmt formuliert ist.25 4 Insbesondere sei der Be­ griff der relation commerciale etablie für die Definition der in den Überwa­ chungsplan einzubeziehenden Zulieferer und Subunternehmer nicht zu un­ bestimmt, da er bereits aus anderen Vorschriften im Code de commerce be­ kannt sei. 255 2. Kein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der persönlichen Haftung Ein weiterer Fokus beider Normenkontrollanträge liegt auf Art. 2 loi de vi­ gilance, der die Haftungsnorm im Code de commerce einführt, die ihrerseits auf die deliktsrechtliche Generalklausel des Code civil verweist. 256 Die Ein­ führung der Haftungsnorm verstoße gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der persönlichen Haftung (principe de responsabilite, Art. 4 DDHC). Gemäß Art. 4 DDHC besteht die allgemeine Handlungsfreiheit darin, "alles tun zu können, was keinem anderen schadet. "257 Aus diesem Grundsatz hat der Verfassungsrat in einer berühmten Entscheidung von 1999 das ver­ fassungsrechtliche Prinzip der persönlichen Haftung abgeleitet: Aus Art. 4 DDHC folge, dass jede Handlung eines Menschen, die einem anderen einen Schaden zufügt, denjenigen, durch dessen Pflichtverstoß (jaute) der Schaden eintritt, zum Ersatz des Schadens verpflichte.258 Die Formulierung 251 Art. 1266-1 e. civ. (Entwurf): "En matiere extracontractuelle, lorsque l'auteur du dommage a deliberement commis une faute en vue d' obtenir un gain ou une economie, 1e juge peut 1e condamner, a 1a demande de 1a victime ou du ministere public et par une decision specia1ement motivee, au paiement d'une amende civi1e. [. . . ]." Zur Diskussion vgl. Graziani, D. 2018, 428 ff.; le DanteclThouement, in: Pignarre (Hrsg.), La reforme du droit de 1a responsabilite, 2017, S. l99 ff.; Prorok, RTD Civ.2018, 327ff.; Rousseau, JCP G 2018, etude 686, 1 177 ff. Zum Reformentwurf allgemein siehe supra S.43f. 253 A.A. Mougeolle, La Revue des droits de l'homme 2017, [online], Rn.28. 254 e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 22. 255 Dazu noch ausführlicher infra S. 92ff. Das überrascht insoweit als im Kommentar zur Entscheidung ausgef ührt wird, wie doppeldeutig die Reichweite der Sorgfaltspllicht in dieser Hinsicht ist, siehe e.e. Commentaire Decisionn° 2017-750 DC, 23.3.2017, S. 7. Vgl. Louvaris, in: Schiller (Hrsg.), Le devoir de vigi1ance, 2019, S. 105, Rn. 30. Er sieht daher die Gerichte in der Pllicht, die Unsicherheiten durch Auslegung zu beseitigen, ebd. Fn. 32. 256 Eingeführt als Art. L. 225-102-5 e. com.; siehe infra S. 177 ff. 257 Art. 4 DDHC: "La liberte consiste a pouvoir faire tout ce qui ne nuit pas a autrui . .]." 25.l e.e. Decision n° 99-419 DC, 9 . 1 1 . 1 999, Rn. 70: ,,[L]'affirmation de 1a faculte d'agir

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ist freilich schon aus der knapp 200 Jahre älteren deliktsrechtlichen Gene­ ralklausel des Art. 1240 C. civ. (Art. 1 382 C. civ. a. F.) bekannt. Mit dieser Entscheidung hat der Conseil constitutionnel allerdings den bereits in einigen früheren Entscheidungen anerkannten verfassungsrechtlichen Wert des zi­ vilrechtlichen Haftungsprinzips bestätigt und erstmals in Art. 4 DDHC ver­ ortet.259 Er räumt dem Gesetzgeber jedoch die Möglichkeit ein, vom Prinzip abzuweichen und die Haftungsvoraussetzungen zu modifizieren, wenn Gründe des Allgemeinwohls (interet general) dies rechtfertigen. 26O Gegen dieses verfassungsrechtliche Prinzip verstößt das Gesetz laut den Normenkontrollanträgen: Indem Art. 2 loi de vigilance anordne, dass ein Sorgfaltspflichtverstoß die Gesellschaft haftbar mache und sie zum Ersatz des Schadens verpflichte, der durch die Erfüllung dieser Pflichten hätte ver­ mieden werden können, werde unter Verstoß gegen das Prinzip der persön­ lichen Haftung eine Haftung für Dritte26! eingeführt. Über die Reichweite des Überwachungsplans würden von Tochtergesellschaften und Subunterneh­ mern im Ausland begangene Schäden berücksichtigt, obwohl die Mutter­ bzw. Auftraggebergesellschaft keine Geschäftsführungsbefugnis über diese habe. Der Conseil constitutionnel erachtet die neue Haftungsregel in Art. 2 loi de vigilance dagegen für verfassungskonform.262 Der Gesetzgeber habe mit dem Verweis auf die Haftung nach den Art. 1240, 1241 C. civ. klarstellen wollen, dass die Haftung der Muttergesellschaft für eine Verletzung der neuen Sorg­ faltspflicht unter den Voraussetzungen des allgemeinen Deliktsrechts ausge­ löst werde.26] Die angegriffene Vorschrift führe keine Haftung für Dritte ein.264 Mit dieser Feststellung muss der Verfassungsrat nicht mehr genauer prüfen, ob eine Abweichung vom Haftungsprinzip gerechtfertigt wäre. 2� So bleibt die Kritik der (politischen) Gegner der lai de vigilance unbeantwortet,

en responsabilite met en ceuvre l'exigence constitutionelle posee par l'article 4 de 1a De­ claration des droits de l'homme et du citoyen de 1789, dont il resulte que tout fait quel­ conque de l'homme qui cause a autrui un dommage oblige celui par 1a faute duquel il est arrive, a 1e reparer;". 2:;) Man spricht auch von der "Konstitutionalisierung des Artikels 1382 e. civ.", vgl. Girard, D. 2016, 1346, 1 347: "constitutiOIlllalisation de l'article 1382 du code civil"; aus­ führlich zur Entwicklung des verfassungsrechtlichen Haftungsprinzips vgl. dies. , Respon­ sabilite civi1e extracontractuelle et droits fondamentaux, 2015, Rn. 16ff. 2W e.e. Decision n° 2005-522 De, 22.7.2005, Rn. 10; Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn.468. 261 Vgl. dazu bereits supra S. 38 ff. W C.C. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 24 [f. 263 e.e. Decision n° 2017-750 De, 23.3.2017, Rn.27. 264 e.e. Decision n° 2017-750 De, 23.3.2017, Rn. 27. So auch schon Mougeolle, La Revue des droits de l'homme 2017, [online], Rn. 4, 37 ff. 265 Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn.469.

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1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

die betonten, dass defacto eine Haftung für von Dritten verursachte Schäden eingeführt werde.266 Für eine etwaige Ausweitung der Haftung für Dritte hat der Verfassungs­ rat in einer Entscheidung aus dem Vorj ahr bereits den Rahmen gesteckt: Danach kann ein Gesetz auch die Haftung einer anderen Person als des unmittelbaren Verursachers vorsehen, sofern die eingeführte Pflicht mit ei­ nem Ziel von allgemeinem Interesse oder verfassungsrechtlichem Wert in Zusammenhang steht und im Hinblick auf dieses verhältnismäßig ist. 267 Der Verfassungsrat stellt vorliegend bei den Ausführungen zum Bestimmtheits­ grundsatz schon fest, dass das Gesetz mit dem Schutz der Menschenrechte und der Umwelt Allgemeininteressen verfolge.268 Man kann daher vermuten, dass die neue Haftungsregel selbst dann verfassungskonform wäre, wenn man darin eine Ausweitung der Haftung für Dritte erblickte. 269

3. Keine Verletzung der unternehmer ischen Freiheit Drittens rügt der Normenkontrollantrag aus dem Senat, dass die Einführung der devoir de vigilance die unternehmerische Freiheit (fiberte d'entreprendre) verletze. Diese ist ebenfalls Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 4 DDHC.270 Sie umfasst nach der Rechtsprechung des Conseil constitu­ tionnel einerseits den freien Zugang zu einem Beruf oder einer wirtschaftli­ chen Tätigkeit, andererseits das Recht, diesen Beruf oder die wirtschaftliche Tätigkeit frei auszuüben.271 Der Gesetzgeber kann die unternehmerische Freiheit beschränken, wenn verfassungsrechtliche Gründe dies erfordern 261i Siehe supra S. 52. 267 e.e. Decision n° 2015-517 QPC, 22.1.2016, Rn. 9: "Considerant [ . . .] que 1a loi peut prevoir l'engagement de 1a responsabilite d'une perSOIllle autre que celle par 1a faute de 1aquelle 1e dommage est arrive a 1a condition que l'obligation qu'elle cree soit en rapport avec un motif d'interet general ou de valeur constitutionnelle et proportionnee a cd ob­ jectif;" . 268 e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 13; zur Bestimmtheit siehe supra S . 5 6 ff. 2W SO wohl auch Mougeolle, La Revue des droits de l'homme 2017, [online], Rn. 39; a.A. Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn.469, die in der Entscheidung eine Fort­ setzung der zuletzt zunehmend "täterfreundlichen" Rechtsprechung zum principe de responsabilite sieht und davon ausgeht, dass der Verfassungsrat die Unternehmen auch in Zukunft vor einer zu scharfen Haftung schützen werde. Zu diesem Wandel in der Recht­ sprechung des Conseil constitutionnel auch Girard, D. 2016, 1346ff. 270 Grundlegend e.e. Decision n° 82-132 DC, 16.1.1982, Rn. 16; dazu auch Tchen, in: Je!. Administratif, Stand: 19.7.2020, Rn. 96 [f. 271 e.e. Decision n° 2012-285 QPC, 30.11 .2012, Rn. 7: "Considerant, d'une part, que la liberte d'entreprendre comprend non seulement la liberte d'acceder a une profession ou a une activite economique mais egalement la liberte dans l'exercice de cette profession ou de cette activite;".

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oder die Beschränkung durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt ist, so­ fern dies im Verhältnis zum verfolgten Ziel nicht unverhältnismäßig ist. 272 Dem Kontrollantrag der Senatoren zufolge verletzt das neue Gesetz die liberte d'entreprendre in zweierlei Hinsicht: Zum einen habe die Pflicht zur Veröffentlichung des Überwachungsplans sowie eines Berichts über dessen effektive Umsetzung zur Folge, dass wichtige Informationen über die Ge­ schäfts- und Handelsstrategie sowie über die Beziehungen zu Subunterneh­ mern und Zulieferern offengelegt werden müssten. Das führe zu Wettbe­ werbsnachteilen für die Unternehmen. Zum anderen sei die unternehmeri­ sche Freiheit Dritter - nämlich der Tochtergesellschaften und Zulieferer tangiert, da die Muttergesellschaft verpflichtet werde, sich in deren Organi­ sation einzumischen, um ihrer neuen Sorgfaltspflicht nachzukommen und Sanktionen oder einer Haftung zu entgehen. Das sei insbesondere im Fall rechtlich unabhängiger Vertragspartner bedenklich. Der Conseil constitutionnel lehnt einen Verstoß gegen die unternehmeri­ sche Freiheit indes ab.m Die Pflicht, kontrollierte Gesellschaften und be­ stimmte Zulieferer zu überwachen und ggf. Präventionsmaßnahmen zu er­ greifen, räume der Mutter- bzw. Auftraggebergesellschaft keine Befugnisse ein, welche die unternehmerische Freiheit der kontrollierten Gesellschaften und Zulieferer beeinträchtigen könnten.274 Ferner würden die Gesellschaften im Rahmen der Aufstellung und Veröffentlichung des Plans nicht verpflich­ tet, Informationen über ihre Handelsstrategie offenzulegen. 275 Ohne nähere Begründung oder Verhältnismäßigkeitsprüfung erklärt der Verfassungsrat die neue Sorgfaltspflicht folglich im Hinblick auf die unternehmerische Frei­ heit ebenfalls für verfassungskonform. 276 Diese Entscheidung reiht sich in die bisherige Rechtsprechungslinie des Verfassungsrates ein, wonach der Gesetzgeber grundsätzlich über einen wei­ ten Ermessensspielraum bei der Ausgestaltung der unternehmerischen Frei­ heit verfügt.277 Da die unternehmerische Freiheit nur "im Rahmen der gesetz2Tl e.e. Decision n° 2000-439 DC, 16.1.2001, Rn. 14: "Considerant qu'il est loisible au legislateur d'apporter :Ha liberte d'entreprendre, qui decoule de l'article 4 de la Declaration des droits de l'homme et du citoyen de 1789, des limitations liees a des exigences consti­ tutiOIlllelles ou justifiees par l'interet general, a la condition qu'il n'en resulte pas d'at­ teintes disproportionnees au regard de l'objectif poursuivi;"; ebenso e.e. Decision n° 2010-605 DC, 12.5.2010, Rn. 24; C.C. Decision n° 2016-741 DC, 8.12.2016, Rn.43. 27J e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 15-19. 274 e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 17. 275 e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 18. 276 e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 19. Anders hatte das Gericht bei der verfassungsrechtlichen Kontrolle der loi Sapin II entschieden, vgl. e.e. Decision n° 2016-741 DC, 8.12.2016, Rn. 100ff. 277 Louvaris, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S. 105, Rn. 7; Tchen, in: JCI. Administratif, Stand: 19.7.2020, Rn. 98.

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1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

lichen Vorschriften"278 ausgeübt werden kann, wird sie als Freiheit zweiten Rangs eingeordnet, die oftmals gegenüber anderen Erwägungen zurück­ tritt.279 Selbst wenn der Verfassungsrat die unternehmerische Freiheit durch die loi de vigilance berührt gesehen hätte, ist deshalb anzunehmen, dass dies aus Gründen des Menschenrechts- und Umweltschutzes gerechtfertigt wäre, die das Gesetz bezweckt. Das lässt zumindest die jüngere Rechtsprechung des Verfassungsrates zum Umweltschutz und zu dessen Verhältnis zur unterneh­ merischen Freiheit vermuten: Zunächst hat der Verfassungsrat im Jahr 201 1 aus Art. 1 und 2 der Um­ weltcharta, die zum bloc de constitutionnalite gehört, eine Pflicht jedes Ein­ zelnen abgeleitet, auf Umweltschäden zu achten, die aus seiner oder ihrer Tätigkeit resultieren können. no In einer weiteren Entscheidung über ein Ver­ bot der Herstellung, Lagerung und des Inverkehrbringens bestimmter Pflan­ zenschutzmittel ab Januar 2022 hat der Conseil constitutionnel erstmals den "Schutz der Umwelt als gemeinsames Erbe der Menschen" aus der Präambel der Umweltcharta zu einem Ziel von verfassungsrechtlichem Wert erklärt.28 1 Gegenüber dem zuvor aus Art. 1 der Umweltcharta abgeleiteten "Recht auf ein Leben in einer ausgewogenen und gesunden Umwelt"282 hat diese neue Komponente des Umweltschutzes nunmehr einen extraterritorialen Gel­ tungsbereich. 28 3 Auf dieser Basis entschied der Verfassungsrat, dass der Schutz der Umwelt als gemeinsames Erbe der Menschen es dem Gesetzgeber erlaube, die unternehmerische Freiheit derart einzugrenzen, dass der Verkauf der Pflanzenschutzmittel nicht nur in Frankreich, sondern weltweit untersagt werde.284 m e.e. Decision n° 85-200 DC, 16.1. 1986, Rn. 4: ,,[. . . ] 1a liberte d'entreprendre, qui n'est ni generale ni abso1ue, s'exerce dans 1e cadre d'une reg1ementation instituee par 1a loi;"; e.e. Decisionn° 97-388 DC, 20.3.1997, Rn. 5 1 . 27'! Louvaris, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S. 105, Rn. 7. 280 e.e. Decisionn° 201 1 - 1 16 QPC, 8.4.201 1 , Rn. 5: "Considerant, [. . . ] qu'i1 resulte de ces dispositions [= Art. 1, 2 Charte de l'envirOIlllement, Anm. d. Verf] que chachun est tenu a une obligation de vigilance a l'egard des atteintes a l'environnement qui pourraient resulter de son activite;"; ebenso e.e. Decision n° 2017-672 QPC, 10.1 1 .2017, Rn. 14; vgl. dazu Foucher, AJDA 201 1 , 1 1 58 [f. 281 e.e. Decisionn° 2019-823 QPC, 3 1 . 1 .2020, Rn. 4: "Ilen decoule que 1a protection de l'environnement, patrimoine commun des etres humains, constitue un objectif de valeur constitutionnelle."; vgl. dazu Fonbaustier, Droit administratif 2020, comm. 17, 23 ff.; Ka­ mal-Girard, Gazette du Palais 2020, 938 ff. 282 e.e. Decision n° 2014-422 QPC, 17.10.2014, Rn. 13: "Considerant, [. . . ] qu'en vertu de l'article 1" de 1a Charte de l'environnement, « chacun a 1e droit de vivre dans un envi­ ronnement equilibre et respectueux de 1a sante ,,;". Vgl. auch die Entscheidung e.e. De­ cision n° 2019-808 QPC, 1 1 . 10.2019, Rn. 8, in der der Verfassungsrat den Umweltschutz zur Rechtfertigung als Ziel von allgemeinem Interesse (objectif d'interet general) zu Rate zieht. 283 AguilalRollini, JCP G 2020, note 275, 466, 467. 284 e.e. Decision n° 2019-823 QPC, 3 1 . 1 .2020, Rn. 10: "En faisant ainsi obstacle a ce

§ 3 Der Weg zum hard law - Entstehungsgeschichte der loi Je vigilance

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Diese Erwägungen ließen sich zur Rechtfertigung der neuen Sorgfalts­ pflicht, die auch für Tätigkeiten im Ausland gilt und damit ebenfalls extra­ territorial wirkt,285 auf die loi de vigilance übertragen. Der Schutz der Men­ schenrechte und Umwelt als gemeinsame Werte der Menschen rechtfertigt demnach, die Ausübung der unternehmerischen Freiheit durch die lai de vigilance nicht nur in Frankreich, sondern auch im Ausland zu beschränken.

III Ergebnis zur verfassungsrechtlichen Kontrolle Mit der Verfassungswidrigkeit der zivilrechtlichen Geldbuße (amende civile) ist ein wesentlicher Sanktionsmechanismus der loi de vigilance weggefallen. Das Gesetz wird daher teilweise als "amputiert" bezeichnet,226 und manche sprechen ihm nur noch Symbolcharakter zu. 287 Doch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass der Verfassungsrat zugleich die Verfassungskonfor­ mität einer weitreichenden menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht für be­ stimmte Gesellschaften bestätigt. 2!! Gleiches gilt für die außervertragliche Haftung der Mutter- oder Auftraggebergesellschaft: Der Verfasssungsrat stellt klar, dass die Haftung durch einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht der jeweiligen Gesellschaft selbst begründet wird, weshalb es sich nach seiner Auffassung um eine Haftung für eigene faute handelt, die mit dem verfas­ sungsrechtlichen Prinzip der persönlichen Haftung vereinbar ist.289 Was bleibt, ist die Unbestimmtheit des Tatbestandes des Gesetzes.290 Diese erkennt der Verfassungsrat ebenfalls, erachtet sie aber nur im Hinblick auf die Geldbuße für verfassungswidrig. Folge dieser Unbestimmtheit ist eine große Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Pflichten, die das Gesetz den be­ troffenen Gesellschaften auferlegt. Insbesondere mit Blick auf die mögliche deliktsrechtliche Haftung hätte der Conseil constitutionnel eine präzisere For­ mulierung der neuen Pflichten fordern können.29 1 Welche Auslegungsfragen que des entreprises etablies en France participent a 1a vente de tels produits partout dans 1e monde et done, indirectement, aux atteintes qui peuvent en resulter pour 1a sante humaine et l'envirOIlllement et quand bien meme, en dehors de 1'U nion europ6enne, 1a production et 1a eommereialisation de tels produits seraient suseeptib1es d'etre autorisees, 1e k::gis1ateur a porte a 1a liberte d'entreprendre une atteinte qui est bien en lien avee 1es objectifs de valeur eonstitutionnelle de protection de 1a sante et de 1'environnement poursuivis." 285 Vgl. Epstein, Cah. dr. entr. 2018, doss. 30, 47 ff. Zur Anwendung der loi Je vigilance auf Aus1andssaehverhalte siehe infra S. 2 1 3 ff. 286 Hannoun, Dr. soeia1 2017, 806, 807: "Les Sages ont ampute 1a loi de 1a seule mesure punitive prevue pour sanctionner cette nouvelle obligation de vigi1ance."; Heinich, Dr. Societes 2017, eomm. 78, 29: ,,[U]ne loi fina1ement adoptee, mais amputee". 287 Haeri, JCP G 2017, doctr. 545, 952: "Une loi partiellement mais severement censuree qui eonserve une portee symbolique forte". 288 Mathieu, Constitutions 2017, 291. 289 Mathieu, Constitutions 2017, 291, 293f. 290 Nasse, ZEuP 2019, 773, 791, 800. 291 Mathieu, Constitutions 2017, 291, 294.

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1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

die Unbestimmtheit der lai de vigilance im Einzelnen aufwirft, soll die fol­ gende Untersuchung von Tatbestand und Rechtsfolgen des Gesetzes zeigen (2. Teil).

§ 4 Zusammenfassung in Thesen 1 . Mit der lai de vigilance hat Frankreich erstmals eine rechtsträgerübergrei­ fende Sorgfaltspflicht für Mutter- und Auftraggebergesellschaften zur Ach­ tung der Menschenrechte und Umwelt eingeführt, deren Verletzung eine Haftung auf Grundlage der deliktsrechtlichen Generalklausel nach sich zie­ hen kann. 2. Während Menschenrechtsverletzungen durch private Unternehmen bis­ lang nur Gegenstand einer "weichen" Regulierung mittels freiwilliger En­ gagements waren, hat der französische Gesetzgeber als erster den Schritt vom soft law zum hard law vollzogen. Das Gesetz markiert für Frankreich einen Höhepunkt der Entwicklung der CSR zu (mehr) Verbindlichkeit. Diese nimmt im französischen Recht einen vergleichsweise frühen Anfang, wo­ durch Frankreich eine Vorreiterrolle zukommt: Auf Grundlage der sog. lai NRE, an der sich später die europäische CSR-Richtlinie orientierte, sind börsennotierte Unternehmen bereits seit 2001 zu einer nichtfinanziellen Er­ klärung über die Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf soziale Belange und die Umwelt verpflichtet. Zudem zielen ein Gesetz zur Ausrichtung der franzö­ sischen Entwicklungspolitik von 2014 und der Nationale Aktionsplan Frankreichs auf die Umsetzung der UNGP. 3. Im Bereich der Korruption hat der französische Gesetzgeber eine erste konzernübergreifende Überwachungspflicht eingeführt, die im Unterschied zur lai de vigilance aber keine deliktsrechtliche Außenhaftung nach sich zieht. Seit 201 6 verpflichtet die sog. lai Sapin II die Geschäftsführungsorgane von Gesellschaften einer gewissen Größe, Maßnahmen zur Korruptionsbekämp­ fung zu ergreifen. Diese überwacht eine neue nationale Anti-Korruptions­ behörde. Bei Verstößen drohen ein Bußgeld und strafrechtliche Sanktionen. 4. Wie bereits bei der nichtfinanziellen Erklärung sieht sich der französische Gesetzgeber mit der lai de vigilance erneut in der Vorreiterrolle: Erklärtes Ziel des Gesetzes ist es, ein Vorbild für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu sein, die Frankreich insbesondere durch Verabschiedung europä­ ischer Richtlinien nachfolgen sollen. 5. Nach Rechtslage vor Inkrafttreten der lai de vigilance ließ sich eine delikts­ rechtliche Haftung einer Mutter- oder Auftraggebergesellschaft für Men­ schenrechtsverletzungen durch eine Tochtergesellschaft oder einen Zulieferer kaum begründen.

§ 4 Zusammenfassung in Thesen

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6. Das Erfordernis eines Schadens stellte bereits nach alter Rechtslage keine Hürde für Menschenrechtsklagen auf Grundlage des französischen Delikts­ rechts dar. Die Haftung für eigene laute (Art. 1240, 1241 C. civ.) scheiterte jedoch aufgrund des Rechtsträgerprinzips und mangels rechtsträgerüber­ greifender Sorgfaltspflicht am Tatbestandsmerkmal der laute. Denn weder aus den Menschenrechten noch aus freiwilligen Selbstverpflichtungen lässt sich eine Sorgfaltspflicht der Mutter- oder Auftraggebergesellschaft ableiten, die sich rechtsträgerübergreifend auf das Handeln von Tochtergesellschaften und Zulieferern erstreckt. 7. Für eine Gehilfenhaftung (Art. 1 242 Abs. 5 C. civ.) fehlte es sowohl bei einer Tochtergesellschaft als auch bei einem Zulieferer an einem Über-/Un­ terordnungsverhältnis, aus dem sich eine Weisungsgebundenheit des Gehil­ fen ergibt. 8. Auch die von der Rechtsprechung anerkannten Fallgruppen einer allge­ meinen Haftung für Dritte (Art. 1242 Abs. 1 C. civ.) erfassten nicht die Haf­ tung einer Mutter- oder Auftraggebergesellschaft für Schäden, die in der Lieferkette verursacht wurden. Eine in der Literatur vorgeschlagene Aus­ dehnung der Haftung auf Fälle wirtschaftlicher Abhängigkeit hat die Recht­ sprechung bislang nicht aufgegriffen. 9. Zwei Reformentwürfe zum Schuldrecht bestätigen das rechtspolitische Bedürfnis, diese Haftungslücken zu schließen: Das prolet Catala (2005) sieht einen neuen Haftungstatbestand für das Handeln von Personen vor, deren selbstständige Tätigkeit dem Haftungspflichtigen einen wirtschaftlichen Vor­ teil bringt oder die sich in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zu diesem befinden. Das prolet Terre (20 1 1 ) schlägt eine Haftung einer Mutter­ gesellschaft vor, die durch eine eigene laute zum Schadenseintritt beigetragen hat. Ein Entwurf des Justizministeriums zur Reform des Haftungsrechts (201 7) lässt indes keine Neuerungen für Menschenrechtsklagen gegen Mutter­ und Auftraggebergesellschaften erwarten. 10. Die Entstehung der lai de vigilance dauerte vier Jahre und wurde durch eine äußerst kontroverse (rechts-)politische Debatte begleitet. Das Gesetz findet seinen Ursprung in den Aktivitäten der französischen Zivilgesell­ schaft. Französische NGOs setzen sich seit vielen Jahren mit Kampagnen gegen multinationale Unternehmen und strategischer Prozessführung für die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen ein. Sie waren in en­ ger Zusammenarbeit mit Abgeordneten der Nationalversammlung am Ent­ stehungsprozess des Gesetzes beteiligt. 1 1 . Die ersten Entwürfe zur lai de vigilance lassen eindeutige Parallelen zu den UNGP erkennen. Sie sahen drei Rechtsänderungen vor: In den Code de com­ merce sollte eine neue Sorgfaltspflicht für alle Unternehmen eingeführt wer-

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1. Teil: Entwicklung der Menschenrechtsverantwortung in Frankreich

den. Diese Pflicht sollte um eine Haftungsvermutung im Code civil sowie um einen neuen Straftatbestand im Code penal ergänzt werden. Die Entwürfe konnten sich allerdings nicht durchsetzen. 12. Der neue Entwurf vom 1 1 . Februar 2015 ist ein Kompromiss mit großen Einschränkungen. Die Regelung hat sich von den UNGP entfernt, indem der persönliche Anwendungsbereich stark eingeschränkt und die Reichweite der Sorgfaltspflicht etwas enger gezogen wurde. In der Durchsetzung wurden der Straftatbestand gestrichen und eine Verweisnorm auf die deliktsrechtliche Generalklausel ohne Beweislastumkehr eingefügt. 13. Letzte Änderungen erfuhr das Gesetz durch die Entscheidung des Conseil constitutionnel vom 23. März 2017. Dieser erklärte eine anfangs enthaltene zivilrechtliche Geldbuße (amende civile) wegen Verstoßes gegen das straf­ rechtliche Bestimmtheitsgebot für verfassungswidrig. Im Übrigen bestätigte der Verfassungsrat die Verfassungskonformität der rechtsträgerübergreifen­ den menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht sowie der deliktsrechtlichen Haf­ tung trotz ihres unbestimmten Tatbestandes.

2. Teil

Die loi n° 20 1 7-399 v om 27. März 20 1 7 zur Sorgfaltspflicht v on Muttergesellschaften und Auftrag gebenden Unternehmen Die Untersuchung zur Rechtslage in Frankreich vor Inkrafttreten der lai de vigilance hat gezeigt, dass es sehr schwer war, eine Haftung von Mutter- und Auftraggebergesellschaften für Menschenrechtsverletzungen zu begründen, die Dritte in der Lieferkette erlitten haben. Ob der französische Gesetzgeber diese Haftungslücken mit Einführung der lai de vigilance schließen konnte,! soll die folgende Analyse des neuen Gesetzes zeigen.

§ 1 Tatbestand der lai de vigilance Mit der lai de vigilance wurden im Code de commerce im Kapitel über die soeiete anonyme (SA) zwei neue Art. L. 225-1 02-4 und L. 225-1 02-5 einge­ fügt. Art. L. 225-1 02-4 I. C. com. regelt den Tatbestand und führt eine neue Sorgfaltspflicht für Muttergesellschaften und Auftrag gebende Unterneh­ men ein. Neben dem persönlichen Anwendungsbereich (A.) sind darin die Reichweite (B.) und der Inhalt der Sorgfaltspflicht (c.) definiert. Mögliche Rechtsfolgen emer Verletzung der Sorgfaltspflicht enthalten Art. L. 225-1 02-4 II. und Art. L. 225-104-5 C. com. (infra § 2). Wie die abstrakte Normenkontrolle durch den Verfassungsrat gezeigt hat,' ist der Tatbestand des Gesetzes zwar recht umfangreich geregelt, enthält jedoch zahlreiche auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe, welche die Anwen­ dung der lai de vigilance bis zu einer Konkretisierung durch die Gerichte wenig vorhersehbar machen.3 Um die daraus folgenden Auslegungsfragen zu beantworten, wird der Tatbestand des Gesetzes im Folgenden anhand des um die UNGP erweiterten Auslegungskanons4 ausgelegt.

1 Vgl. Danis-FatbmeIViney, D. 2017, 1610, 1 6 1 1 ; Petitjean, Devoir de vigilance, 2019, S. 13. 2 Siehe supra S. 54 ff. ; Schiller, Jep E 2017, dude 1 193, 19, Rn. 2. 4 Siehe supra S. 17 f.

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2. Teil: Die loi n° 2017-399 vom 27. März 2017

A. Persönlicher Anwendungsbereich Zum Verständnis des persönlichen Anwendungsbereichs ist zwischen zwei Gruppen von Gesellschaften zu differenzieren, die in unterschiedlicher Weise von der lai de vigilance betroffen sind. Einerseits gibt es Gesellschaften, die Adressatinnen der Sorgfaltspflicht sind und einen plan de vigilance aufstellen müssen. Von diesen sog. societes debitricei sind solche Rechtsträger abzu­ grenzen, die nicht in den persönlichen Anwendungsbereich fallen, deren Tä­ tigkeit aber von der Sorgfaltspflicht einer anderen Gesellschaft erfasst wird. 6 Der folgende Abschnitt widmet sich den soeietes debitrices. Welche Akteure darüber hinaus von dem Gesetz betroffen sind, ist eine Frage der Reichweite der Sorgfaltspflicht.7 Ihrem vollen Titel zufolge regelt die lai de vigilance die "Sorgfaltspflicht von Muttergesellschaften und Auftrag gebenden Unternehmen". 8 Der Name des Gesetzes ist einer der wenigen Bestandteile der ersten Entwürfe, die der politischen Debatte bis zum Inkrafttreten des Gesetzes standhielten. 9 Gleich­ wohl ist der Name nur mittelbar "Programm": Sowohl in den ersten Ent­ würfen als auch in der aktuellen Textfassung sucht man die Schlagworte "Muttergesellschaft" und "Auftraggeber" vergeblich.lO Die verpflichteten Gesellschaften werden im Gesetzestext durch zwei kumulative, deutlich tech­ nischere Voraussetzungen definiert. ll Entscheidend ist erstens der Sitz der Gesellschaft in Frankreich (I.) und zweitens ihre Größe, die sich an der Zahl der Angestellten in der Unternehmensgruppe misst (Il.). 1 Gesellschaften mit Sitz in Frankreich Gemäß Art. L. 225-1 02-4 I Abs. 1 C. com. erstreckt sich der persönliche An­ wendungsbereich auf ,,[t]oute societe qui emploie, a la cl6ture de deux exercices consecutifs, au moins cinq mille salaries en son sein et dans ses filiales directes ouindirectes dont le siege social est fixe sur le territoire !ranrais, ou au moins dix mille salaries en son sein et dans ses filiales directes Oll indirectes dont le siege social est fixe sur le lerritoire!ranrais ou a l'ktranger [ . . .]." 12

5 BrabantlSavourey, RIC 2017, 92, 18. o Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 4. 7 Siehe infra S. 8 5 ff. 8 Die französische Bezeiclmung des Gesetzes lautet "Loi n° 399-2017 du 27 mars 2017 relative au devoir de vigilance des societes meres et entreprises dOIllleuses d'ordre". 9 Zur Entstehungsgeschichte der loi Je vigilance siehe supra S. 45 ff. 10 Hannoun, Dr. socia1 2017, 806, 809 Fn. 34. 11 Cuzacq, in: FS Neau-Leduc, 2018, 287 nernlt es eine " Übersetzung der ökonomischen Realität in die juristische Sprache". 12 Hervorh. durch Ver!

§ 1 Tatbestand der loi Je vigilance

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Die Norm erfasst somit jede Gesellschaft, die mit ihren direkten oder indi­ rekten "Filialen" (jiliales) I J eine bestimmte Anzahl von Angestellten im In­ und/oder Ausland beschäftigt. Im Unterschied zur lai Sapin II, welche die Geschäftsführungsorgane bestimmter Gesellschaften verpflichtet, Maßnah­ men zur Verhinderung von Korruption einzuführen, 14 ist Adressatin der loi de vigilance die Gesellschaft, d. h. die juristische Person selbst und nicht die für sie handeinen Organe. Der Gesetzeswortlaut ("deren Sitz sich auf französi­ schem Gebiet oder im Ausland befindet") macht allerdings nicht deutlich, ob sich das Kriterium des Sitzes im In- bzw. Ausland auf die Muttergesellschaft oder (nur) auf diefiliales beziehtY Davon ist abhängig, ob allein inländische Gesellschaften zur menschenrechtlichen Sorgfalt verpflichtet sind, oder ob auch Gesellschaften mit Sitz im Ausland erfasst werden. Da nur von dem (einen) Sitz die Rede ist, könnte der Sitz der Mutterge­ sellschaft gemeint sein, der sich im In- oder Ausland befinden kann. 16 Der Conseil constitutionnellegt in seiner Entscheidung vom 23. März 201717 indes ein anderes Verständnis zugrunde. Ihm zufolge sei jede Gesellschaft mit Sitz in Frankreich erfasst, die einschließlich ihrer inländischenfiliales mindestens 5.000 Angestellte beschäftigt, oder die mit ihren im In- oder Ausland ansäs­ sigen filiales mindestens 10.000 Angestellte hat.ls Die Unterscheidung zwi­ schen einem inländischen und einem ausländischen Sitz bezieht sich nach Auffassung des Verfassungsrates also lediglich auf die filiales.19 Dem ist in­ soweit zuzustimmen, als der erste Halbsatz, der bei inländischem Sitz 5.000 Arbeitnehmer verlangt, andernfalls keine eigenständige Bedeutung hat.20 Be­ ziehen sich die Angaben zum Sitz im In- oder Ausland nur auf die Filialen, enthält das Gesetz allerdings keine weiteren Angaben zum Sitz der Mutter­ gesellschaft. Dass für diese nur ein inländischer Sitz relevant ist, wie der Verfassungsrat nahelegt, scheint daher nicht selbstverständlich; es soll im Folgendenjedoch zugrunde gelegt werden.II 1 3 Zum französischen Begriff derfiliale noch genauer infra S. 72 ff. 14 Siehe supra S. 25 ff. 1 5 Schiller, JCP E 2017, etude 1 193, 19, Rn. 3. 16 Schiller, JCP E 2017, etude 1 193, 19, Rn. 3. 1 7 Dazu ausführlich supra S. 54 ff. 18 e.e. Decision n° 2017-750 DCv. 23.3.2017, Rn. 3. 19 Übereinstimmend die Observations du Gouvernement sur la loi relative au devoir de vigilance des societes meres et des entreprises dOIllleuses d'ordre, JORF du 28 mars 2017, n° 74. 20 Schiller, JCP E 2017, etude 1 193, 19, Rn. 3. 21 Vgl. Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 8: ,,[ .. ] pas douteux, [ . . .], que la societe mere a necessairement son siege en France." Zu der Frage, ob es sich dabei um einen inländischen Satzungs- oder Verwaltungssitz handeln muss, und ob eine Ausdelmung des Anwendungsbereichs auf Gesellschaften mit einem anderen Bezugspunkt zu Frankreich denkbar ist, siehe infra S. 266 ff.

72 II

2. Teil: Die loi n° 2017-399 vom 27. März 2017

Beschränkung auf Großunternehmen

Mit der Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs auf Gesell­ schaften mit mindestens 5.000 Angestellten in Frankreich oder 10.000 Ar­ beitnehmern weltweit zielt das Gesetz auf Großunternehmen, insbesondere international tätige.22 Diese verfügten - so der federführende Abgeordnete Potier in seinem Bericht für die Nationalversammlung - über die finanziellen Mittel, die neue Sorgfaltspflicht zu erfüllen, ohne Wettbewerbsnachteile zu erleiden, und machten den wesentlichen Teil des internationalen Handels Frankreichs aus.23

1. Einbeziehung von Arbeitnehmern direkter oder indirekter "Filialen " Bei der Bestimmung der Arbeitnehmerzahlen sind neben der Muttergesell­ schaft direkte und indirekte "Filialen" (filiales directes ou indirectes) einzu­ beziehen." Das Gesetz stellt zwar eine Sorgfaltspflicht für einzelne Gesell­ schaften, d. h. einzelne Rechtsträger auf, nimmt aber bereits beim persönlichen Anwendungsbereich die gesamte Unternehmensgruppe dieser Gesellschaft in den Blick." Bloße Vertragspartner wie Subunternehmer und Lieferanten werden dagegen erst bei der Planaufstellung relevant.26 a) Filiales directes Gemäß Art. L. 233-1 C. com. sind filiales Gesellschaften, an denen eine an­ dere Gesellschaft mehr als die Hälfte des Kapitals hält.27 Danach würden beispielsweise im eingangs erwähnten2! Fall der Total SA u. a. die Beschäf­ tigten ihrer 100 %igen Tochtergesellschaft Total Uganda B. V. mitgezählt. Unberücksichtigt blieben dagegen Gesellschaften mit einer Beteiligung der Total SA von weniger als 50%. Ob diese Definition zugrunde zu legen ist, wird jedoch unterschiedlich beurteilt. Wenngleich in den parlamentarischen Vorarbeiten teils auf Art. L. 233-1 C. com. Bezug genommen wurde,29 ist der persönliche Anwendungsbereich einigen Autoren zufolge möglichst weit aus­ zulegen, und stattdessen auf die weitere "Kontrolle" i.S. v. Art. L. 233-3 C. com. abzustellen.JO 22 Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S . 6 1 . 2J Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S . 6 1 . 24 BrabanllSavourey, RIC 2017, 92, 18, 23. 25 Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S. 62; Barsan, ECFR 2017, 399, 423. 26 Siehe infra S. 85 ff., 104ff. 27 Art. L. 233-1 C. com.: "Lorsqu'une societe possede plus de 1a moitie du capita1 d'une autre soeide, 1a seconde est consideree, POUf l'application du present chapitre, comme filiale de 1a premiere."; Merle, Droit commereia1, 2020, Rn. 759. 2! Siehe supra S. 1 f. 29 Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S. 64. 3 0 BrabanllSavourey, RIC 2017, 92, 18, 23; Hannoun, Dr. socia1 2017, 806, 8 1 3;

§ 1 Tatbestand der loi Je vigilance

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Im Unterschied zu dem Begriff der filiale ist für Kontrolle i.S.v. Art. L. 233-3 C. com. nicht eine starre Kapitalgrenze entscheidend. Eine kontrollierende Stellung ergibt sich aus einer Mehrheit der Stimmrechte.31 Das Kriterium der "Kontrolle" ist gemäß Art. L. 233-3 C. com. erfüllt, (i.) wenn eine natürliche oder juristische Person einen Kapitalanteil an einer Gesellschaft hält, der ihr die Stimmrechtsmehrheit in der Hauptversamm­ lung einräumt, (ii.) wenn sie aufgrund einer Vereinbarung mit anderen Ge­ sellschaftern oder Aktionären die Mehrheit der Stimmrechte in dieser Ge­ sellschaft besitzt, (iii.) wenn sie über ihre Stimmrechte faktisch die Entschei­ dungen der Hauptversammlung dieser Gesellschaft bestimmt, oder (iv.) wenn sie Gesellschafterin oder Aktionärin in dieser Gesellschaft ist und das Recht hat, die Mehrheit der Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane der Gesellschaft zu ernennen oder abzuberufen.32 Bei einem Stimmrechtsanteil von mehr als 40 0/0 wird die Ausübung einer derartigen Kontrolle vermutet, sofern niemand einen höheren Anteil innehat (Art. L. 233-3 H. C. com.). Erachtete man den Kontrollbegriff für maßgeblich, fielen mehr Gesell­ schaften in den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes, als wenn man auf den Begriff derfiliale abstellte. So wäre auch eine Muttergesellschaft zur Sorgfalt verpflichtet, die an ihren Tochtergesellschaften jeweils weniger als 50% des Kapitals hält, aber dennoch über eine Mehrheit der Stimmrechte verfügt, und mit diesen Gesellschaften gemeinsam die Beschäftigtengrenze überschreitet. Das entspräche Hannoun zufolge dem Gesetzeszweck und stände im Einklang mit den internationalen, nicht bindenden Regelwerken zur Menschenrechtsverantwortung von Unternehmen.33 Diese hätten schlicht "Unternehmen" im Blick, weshalb der Anwendungsbereich mög­ lichst weit auszulegen sei.34 Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 7; Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference POUf les Plans cle Vigilanre, 2019, S. 26f. 3 1 Merle, Droit commereial, 2020, Rn. 759. Jl Art. L. 233-3 I. C. com.: "Toute perSOIllle, physique ou morale, est consideree, POUf l'application des sections 2 et 4 du present chapitre, comme en contr6lant une autre: 1 ° Lorsqu'elle detient directement ou indirectement une fraction du capital lui confe­ rant la majorite des droits de vote dans les assemblees generales de cette soeiete; 2° Lorsqu'elle dispose seule de la majorite des droits de vote dans cette soeiete en vertu d'un accord conclu avec d'autres assoeies ou actioIlllaires et qui n'est pas contraire a l'interet de la soeide; 3° Lorsqu'elle determine en fait, par les droits de vote dont elle dispose, les deeisions dans les assemblees generales de cette soeiete; 4° Lorsqu'elle est assoeiee ou actioIlllaire de cette societe et dispose du pouvoir de nommer ou de revoquer la majorite des membres des organes d'administration, de direc­ tion ou de sUfveillance de cette soeiete." 33 Hannoun, Dr. social 2017, 806, 8 1 3. 34 Hannoun, Dr. social 2017, 806, 8 1 3.

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2. Teil: Die loi n° 2017-399 vom 27. März 2017

Zwar ist Ziel des Gesetzes, "in Übereinstimmung mit den UN-Leitprin­ zipien und den OECD-Leitlinien" transnationale Unternehmen für Men­ schenrechtsverletzungen und Umweltschädigungen im Ausland zur Verant­ wortung zu ziehen.35 Doch kann man daraus nicht ohne Weiteres auf den Anwendungsbereich des Gesetzes schließen, wie die Entstehung des Gesetzes erhelltJ6 War anfangs nach dem Vorbild der internationalen soft law-Regeln noch eine Sorgfaltspflicht für "jedes Unternehmen" geplant,l7 wurde der An­ wendungsbereich im Gesetzgebungsverfahren deutlich eingeschränkt. Der Passus "toute entreprise" ist verschwunden. Ferner verweist Art. L. 225-102-4 I Abs. I C. com. - anders als bei der Bereichsausnahme in Abs. 238 - nicht auf die Legaldefinition der Kontrolle. J9 Dass dort bestimmte filiales und kontrollierte Gesellschaften i.S.v. Art. L. 233-3 C. com. von der Anwen­ dung ausgenommen werden, lässt im Umkehrschluss vermuten, dass der Gesetzgeber für den Anwendungsbereich bewusst (allein) den Begriff der filiale gewählt hat. Andere schließen dagegen mit entgegengesetztem Ergebnis von der Be­ reichsausnahme auf die für die Bestimmung der Angestellten relevanten En­ titäten: Es müssten konsequenterweise die Beschäftigten all jener Gesell­ schaften berücksichtigt werden, die vom Anwendungsbereich ausgenommen seien, weil deren Muttergesellschaft sie in ihrem Sorgfaltsplan berücksich­ tige." Dieser Schluss leuchtet jedoch nicht ein. Vielmehr steht die Bereichs­ ausnahme mit der Reichweite der Sorgfaltspflicht in Zusammenhang, die sich - wie noch zu erläutern ist41 - auf kontrollierte Gesellschaften erstreckt: Es erscheint sinnvoll, diejenigen Gesellschaften von der Sorgfaltspflicht zu be­ freien, deren Tätigkeit bereits durch den Sorgfaltsplan der Muttergesell­ schaft überwacht wird." Ein Gleichlauf der Bereichsausnahme mit dem per­ sönlichen Anwendungsbereich und der Anzahl der Angestellten ist indes nicht zwingend.43 Gleichwohl ist dem zuzustimmen, dass eine einheitliche Definition der im Anwendungsbereich und im Sorgfaltsplan zu berücksich­ tigenden Gesellschaften weniger komplex und leichter anwendbar wäre.44

;0

PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S.4.

36 Dazu schon supra S. 50 ff.

J7 Siehe supra S. 50. J 8 Dazu noch infra S. 80 f. 39 BrabantlSavourey, RIC 2017, 92, 18, 23. " Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 7. 4 1 Siehe infra S. 85 ff. 42 Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 304. 43 Ebenso Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 304. 44 Ähnlich Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 304f.

§ 1 Tatbestand der loi Je vigilance

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Hält man jedoch bis zu einer etwaigen Klärung durch die Rechtsprechung am Wortlaut des Gesetzes fest ("filiale"), sind i.S.v. Art. L. 233-1 C. com. nur die Arbeitnehmer von Gesellschaften einzurechnen, an denen eine Mutter­ gesellschaft mehr als die Hälfte des Kapitals hält.45 Bislang ist also von einem engeren Verständnis auszugehen. Hat eine Gesellschaft mit ihren direkten filiales nicht genügend Angestellte, könnte sie dennoch in den Anwendungs­ bereich fallen, wenn sie mit ihren direkten und indirekten "Filialen" die er­ forderliche Größe aufweist. b) Filiales indirectes Der Begriff der filiale indirecte ist nicht gesetzlich definiert. Art. L. 233-4 C. com. definiert lediglich die indirekte Kontrolle einer Gesellschaft über eine andere: Bei Beteiligung einer im Sinne von Art. L. 233-3 C. com. kontrollier­ ten Gesellschaft an einer dritten Gesellschaft - auch wenn sie nur 1 0 0/0 oder weniger beträgt - gilt letztere als von der ersten Gesellschaft indirekt kon­ trolliert.46 Legte man diese Definition zugrunde, würden mehr Gesellschaften in die Berechnung der Angestellten einbezogen, als wenn man auch beifiliales indirectes eine Beteiligung von mindestens 50 0/0 - vermittelt durch eine di­ rekte Beteiligung von mindestens 50 % - verlangte. Die Konsequenz wäre, dass mehr Unternehmensgruppen die Angestelltengrenze von 5.000 bzw. 10.000 überschreiten und das Gesetz eine größere Zahl von Muttergesell­ schaften erfasste - insbesondere von solchen, die durch kleinere, indirekte Beteiligungen der Muttergesellschaft weit untergegliedert sind. Ein solches Verständnis würde jedoch den bewusst eng definierten Begriff derfiliale aushöhlen, weshalb auch für/iliales indirectes ein Kapitalanteil von mehr als der Hälfte zu verlangen ist.47 Um eine etwaige Umgehung der Re­ gelung durch viele kleine Beteiligungen aufzufangen, wird vorgeschlagen, bei der Berechnung der indirekten Beteiligung von mindestens 50 0/0 mehrere, über verschiedene Intermediäre vermittelte, indirekte Beteiligungen zusam­ menzufassen.48 Dann würde es beispielsweise genügen, wenn eine Mutterge­ sellschaft M zwei Tochtergesellschaften T l und T2 hat, die beide in Summe an einer dritten Gesellschaft eine Beteiligung von mindestens 50 % haben (etwa T l 35 % und T2 20%). 45 Das sei nach derzeitigem Stand die sicherste Lösung, vgl. Brabant/Savourey, RIC 2017, 92, 18, 23; GaUois-Cochet, in: Schiller (Hrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S.45, Rn. lO. 46 Art. L. 233-4 C. com.: "Toute partieipation au capital meme inferieure a 10 % dete­ nue par une soeide contr6lee est consideree comme detenue indirectement par la soeiete qui contr6le cette soeide." 47 GaUois-Cochet, in: Schiller (Hrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S. 45, Rn. l l . 48 GaUois-Cochet, in: Schiller (Hrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S.45, Rn. 12; Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 7.

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2. Teil: Die loi n° 2017-399 vom 27. März 2017

Diese komplexe Diskussion verliert allerdings an Relevanz, wenn die Un­ ternehmen auf Subunternehmer und Lieferanten ausweichen können und diese bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs ausgeklammert bleiben. Denn der Fokus liegt an dieser Stelle allein auf der Unternehmensgruppe; Zulieferer bleiben im Anwendungsbereich unberücksichtigt. Gesellschaften, die ihre Tätigkeit überwiegend auf konzernunabhängige Vertragspartner auslagern, erreichen daher unter Umständen nicht die nötige Größe, um in den Anwendungsbereich der lai de vigilance zu fallen. Da es bei diesen glei­ chermaßen zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann wie bei Tochter­ gesellschaften, erfasst das Gesetz nicht alle Fälle, die laut Gesetzesbegrün­ dung geregelt werden sollten.

c) Arbeitnehmergrenzen Die auf diese Weise ermittelten Gesellschaften müssen zum Ende zweier Ge­ schäftsjahre gemeinsam im Inland 5.000 oder im In- und Ausland 10.000 Angestellte beschäftigen. Diese Grenzen sind bereits aus dem Gesetz zur Arbeitssicherheit bekannt, das 201 3 für Aktiengesellschaften mit entspre­ chender Anzahl von Arbeitnehmern eine Pflicht zu deren Vertretung im Ver­ waltungsrat eingeführt hat.49 Im Unterschied zur lai de vigilance ist dort von Beschäftigten in Festanstellung (salaries permanents) die Rede, während es für die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht auf sämtliche Arbeitnehmer an­ kommt, was gemäß Art. L. 1 1 1 1-2 Code du travail (e. trav.) auch solche mit befristeten Arbeitsverträgen und Teilzeitverträgen einschließt.50 Damit ist der Anwendungsbereich der lai de vigilance größer als derjenige des Gesetzes zur Arbeitssicherheit. Die Schwelle von 5.000 Arbeitnehmern wird nach einem Dekret der Re­ gierung verwendet, um für statistische Zwecke große Unternehmen von mit­ telständischen zu unterscheiden.51 Eine Gesellschaft mit Sitz in Frankreich, die im Inland weniger als 5.000 Angestellte beschäftigt und nach diesem Maßstab kein Großunternehmen ist, kann dennoch in den Anwendungsbe­ reich des Gesetzes fallen, wenn sie gemeinsam mit ihren ausländischenfiliales außerhalb Frankreichs so viele Angestellte hat, dass sie in Summe die höhere Grenze von 10.000 Arbeitnehmern überschreiten.52 49 Vgl. Art. L. 225-27-1 C. corn., eingeführt durch Art. 9 der Loi n° 2013-504 du 14 juin 2013 relative : Ha securisation de l'emploi; Barsan, ECFR 2017, 399, 423. 50 BrabantlSavourey, RIC 2017, 92, 18, 24; Gallois-Cochet, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S.45, Rn. 9. 5 1 Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1.3.2015, S . 6 1 unter Hinweis auf Art. 3 des Decret n° 2008-1354 du 18 decembre 2008 relatif aux criteres permettant de determiner la cate­ gorie d'appartenance d'une entrerprise POUf les besoins de l'analyse statistique et econo­ Illique. 52 Für weitere Beispiele vgl. BrabantlSavourey, RIC 2017, 92, 18, 24.

§ 1 Tatbestand der loi Je vigilance

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Dabei ist irrelevant, ob es sich bei der potenziell verpflichteten Gesell­ schaft um eine französische Konzernobergesellschaft handelt oder um eine französische Tochtergesellschaft eines internationalen Konzerns, deren Mut­ tergesellschaft weder einen inländischen Satzungs- noch Verwaltungssitz hat.S] Ein Beispiel ist die Transportgesellschaft XPO Lagistics Eurape SA, deren Muttergesellschaft XPO Lagistics eine US-amerikanische Corpora­ tion mit Sitz in den USA ist. Die europäischeflliale mit Sitz in Lyon wurde im Oktober 2019 von einem internationalen Gewerkschaftsbund ermahnt, ihren Sorgfaltsplan entsprechend den Anforderungen der lai de vigilance zu über­ arbeiten.54 Im Fall der französischen Tochtergesellschaft zählen die Angestellten der ausländischen Muttergesellschaft und etwaiger Schwestergesellschaften al­ lerdings nicht mit; berücksichtigt werden nur die salarü!s von flUales der Tochtergesellschaft, d. h. von Enkelgesellschaften.55 Entsprechend werden im Fall der XPO Lagistics Eurape lediglich 1 3.000 in Frankreich und rund 52.000 europaweit Beschäftigte eingerechnet." Auf diese Weise kann eine ausländische Muttergesellschaft jedenfalls mit­ telbar betroffen sein.57 Ebenso kann eine ausländische Gesellschaft mittelbar von der Regelung tangiert sein, wenn sie durch eine französische Gesellschaft beherrscht wird.58

2. Rechtsfarm der verpflichteten Gesellschaft Die lai de vigilance spricht nur von der "Gesellschaft", trifft aber keine Aus­ sage über deren Rechtsform. In der französischen Literatur wird deshalb diskutiert, ob die Regelung auf alle Gesellschaften mit französischem Sitz und einer entsprechenden Zahl von Arbeitnehmern Anwendung findet,59 53 Das Gesetz findet Anwendung auf "jede Gesellschaft", welche die beiden Kernkri­ terien erfüllt (Art. L. 225-102-4 I. Abs. 1 C. com.). Im Unterschied dazu ist die loi Sapin II explizit auf Geschäftsführungsorgane von Konzerngesellschaften fokussiert, deren Mut­ tergesellschaft ihren Sitz in Frankreich hat, siehe Art. 17 I. Loi Sapin 11: ,,[ . . . ] dont la societe mere a son siege social en France [. . . ]"; vgl. dazu Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. S. 54 Siehe infra S. l64. 55 GaUois-Cochet, in: Schiller (Hrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S. 45, Rn. 5. 56 ITF, XPO Logistics Europe - Mise en demeure de respecter la loi fran�aise sur le devoir de vigilance - Article L. 225-102-4.-1 et 11 du Code de commerce, 1 . 10.2019, S. l, abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022). 57 Barsan, ECFR 2017, 399, 431; BrabantlSavourey, RIC 2017, 92, 18, 24. 58 d'AvoutlBoUee, D. 2017, 2054, 2059. Gleiches gilt für internationale Joint-Ventures, die hier nicht näher behandelt werden. 59 So die Auslegung durch die am Gesetzgebungsprozess beteiligten NGOs, siehe Sherpa (Hrsg.), Guide de Reference pour les Plans de Vigilance, 2019, S. 28.

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2. Teil: Die loi n° 2017-399 vom 27. März 2017

oder ob die Sorgfaltspflicht nur für Gesellschaften mit bestimmter Rechts­ form gilt.60

a) Societes anonymes (SA) Wegen des Standortes der Regelung im Code de commerce im Abschnitt über Aktiengesellschaften besteht kein Zweifel, dass jedenfalls französische Ak­ tiengesellschaften (socil!tes anonymes, SA), welche die Schwelle der Beschäf­ tigten überschreiten, von der neuen Sorgfaltspflicht betroffen sind.61 Promi­ nentestes Beispiel ist die Muttergesellschaft des Mineralölkonzerns Total, der aus über 1 .000 Gesellschaften besteht: Die heutige SE war bis Juli 2020 eine französische SA mit Sitz in Paris und beschäftigt weltweit über 1 00.000 An­ gestellte.62

b) Societes par actions simplijiees (SAS) Die Diskussion über die Rechtsform der verpflichteten Gesellschaften kreist vor allem um die Anwendung aufvereinfachte Aktiengesellschaften (soeietes par actions simplijiees, SAS).63 Das hat zwei Gründe: Erstens handelt es sich bei der SAS um eine besonders häufig gewählte Rechtsform. M Zweitens wür­ den mit einer Erstreckung der Regelungen auf SAS auch Gesellschaften zur Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfalt verpflichtet, deren Label im Rana Plaza gefunden wurden. So erstreckte sich die lai de vigilance beispiels­ weise auf die Camai'eu International SAS. Letztere ist die Muttergesellschaft einer Damenbekleidungskette in Frankreich, deren Produkte in dem Fabrik­ ge bäude gefunden wurden. � Für eine Anwendung der lai de vigilance auf SAS spricht zunächst Art. L. 227-1 Abs. 3 C. com., der die Regeln zur SA auch in Bezug auf SAS für anwendbar erklärt. Einige halten am Wortlaut dieser Verweisungsnorm fest, welche die Artikel der lai de vigilance nicht explizit ausklammert. &i 60 BrabantlSavourey, RIC 2017, 92, 18, 19 ff.; Gallois-Cochet, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S.45, Rn. 3f. 61 BrabantlSavourey, RIC 2017, 92, 18, 19f.; Hannoun, Dr. social 2017, 806, 8 1 1 ; Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 10. 62 Siehe (letzter Abruf 1.2.2022). 63 Zu dieser Debatte BrabantlSavourey, RIC 2017, 92, 18, 20ff.; Hannoun, Dr. socia1 2017, 806, 8 1 1 f.; Mougeolle, La Revue des droits de l'homme 2017, [online], Rn. 57; Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 1Off. 64 In jüngerer Vergangenheit gab es etwa zelm Mal so viele SAS wie SA, vgl. le Cannul Dondero, Droit des societes, 2019, Rn. 966; CozianlViandierlDeboissy, Droit des societes, 2020, Rn. 38. 65 Vg1. (letzter Abruf 1 .2.2022). 66 Malecki, Bull . Jo1y Soc. 2017, 298.

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§ 1 Tatbestand der loi Je vigilance

Entstehungsgeschichte und Systematik sprechen indes gegen eine Einbe­ ziehung von SAS: Der Standort der Sorgfaltspflicht wurde im neuen Entwurf bewusst geändert und im Code de commerce von den gemeinsamen Bestim­ mungen für alle Handelsgesellschaften in den Abschnitt über die SA ver­ schoben." Mit Blick auf die Systematik wird zudem für problematisch erach­ tet, dass SAS keinen Lagebericht gemäß Art. L. 225-102 C. com. aufstellen, in den der zu erstellende Überwachungsplan integriert werden soll, und der gemäß Art. 4 loi de vigilance für den zeitlichen Anwendungsbereich des Ge­ setzes maßgeblich ist. � Das Telos des Gesetzes spricht hingegen für eine Anwendung auf SAS. Ziel des Gesetzes ist explizit, die Unternehmen künftig für Ereignisse wie den Einsturz des Rana Plaza und dessen Folgen zur Verantwortung ziehen zu können.69 Zu diesem Zweck führt die loi de vigilance nicht nur eine weitere Berichtspflicht ein, sondern erlegt den Gesellschaften eine materielle Sorg­ faltspflicht zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt auf.70 Gerade vor dem Hintergrund der angestrebten Umsetzung der UNGP sowie der ursprünglichen Geltung des Gesetzes für "jedes Unternehmen" entspricht eine Einengung des Anwendungsbereichs durch Ausschluss bestimmter Ge­ sellschaftstypen nicht dem Zweck des Gesetzes.71 Eine Klärung durch die Rechtsprechung oder den Gesetzgeber wäre deshalb wünschenswert. 72

c) Societes en commandite par actions (SCA) Für societes en commandite par actions (SCA), das französische Pendant zur deutschen Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA)7J, verweist Art. L. 226-1 Abs. 2 C. com. neben den Vorschriften über einfache Kom­ manditgesellschaften auf die Normen zur SA. Da Art. L. 225-1 02-4 und -5 C. com. nicht wie andere Vorschriften von diesem Verweis ausgenommen sind, ist man sich weitgehend einig, dass auch SCA, die genügend Beschäf­ tigte haben, in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen." 67 Vgl. Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 . 3.2015, S. 64: "L'article 1 s'applique enfin dans un perimetre restreint du fait de son inscription dans un chapitre du code de commerce reunissant des dispositions specia1ement applicab1es aux societes anonymes." "' Vg1. Art. L. 225-102-4 1. Abs. 5 C. corn.; Danis-FatbmeiViney, D. 2017, 1610, 1 6 1 2 f.; Gallois-Cochet, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S.45, Rn. 4; Lagoutte, Resp. civ. et assUf. 2015, etude 1 1 , 5, Rn. 1 5 Fn. 31; Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 12. 69 PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S.4; siehe supra S. 3f. 70 GaUois-Cochet, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigi1ance, 2019, S. 45, Rn.4. 7 1 Hannoun, Dr. socia1 2017, 806, 812. 72 Hannoun, Dr. socia1 2017, 806, 812. 7J JunglKühllWohlgemuth, in: Jung/Krebs/Stiegler (Rrsg.), Gesellschaftsrecht in Eu­ ropa, 2019, S. 941, § 1 3 Rn. 715. 74 GaUois-Cochet, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S.45, Rn. 3; er

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d) Societes europeennes (SE) Auf in Frankreich registrierte societes europeennes (Societates Europaeae, SE) finden subsidiär zur europäischen SE-Verordnung75 die nationalen Re­ geln zur SE sowie die Vorschriften über französische Aktiengesellschaften Anwendung." Über diesen Verweis gelten Art. L. 225-1 02-4 und -5 C. com. auch für in Frankreich registrierte SE. Von diesen gibt es in Frankreich mit 42 von europaweit 3284 vergleichsweise wenige,17 doch diese erreichen meist die nötige Anzahl von Arbeitnehmern und fallen in den Anwendungsbereich des Gesetzes. Das gilt neuerdings ebenfalls für die Total SE. Ein weiteres Beispiel ist die Teleperformance SE, deren Unternehmens­ gruppe rund 300.000 Mitarbeiter in etwa 80 Ländern beschäftigt. 78 Die Mut­ tergesellschaft des Dienstleisters für Kundenservices von Apple, Amazon, Netflix, Uber u. a. ist eine der ersten Gesellschaften, die sich auf Grundlage der lai de vigilance für ihre Unternehmenspraxis verantworten müssen. Die NGO Sherpa und die Gewerkschaftsföderation Uni Global Union haben die Arbeitsbedingungen von Call Center-Mitarbeitern in Kolumbien, Mexiko und auf den Philippinen gerügt und die Muttergesellschaft im Juli 2019 for­ mell aufgefordert, ihren plan de vigilance innerhalb von drei Monaten den gesetzlichen Anforderungen anzupassen.79 III Bereichsausnahme für Gesellschaften der Unternehmensgruppe Von dem persönlichen Anwendungsbereich der lai de vigilance ausgenom­ men sindfiliales oder kontrollierte Gesellschaften, die zwar die o. g. Kriterien erfüllen, deren Muttergesellschaft aber bereits einen Überwachungsplan auf­ stellt, der sowohl die Tätigkeiten der Muttergesellschaft als auch diejenige der filiales und kontrollierten Gesellschaften erfasst (Art. L. 225-1 02-4 1. Abs. 2 C. com.). Der Wortlaut der Bereichsausnahme ist demjenigen der loi Sapin II nach­ gebildet.!O Dort wird für den Begriff der filiale auf Art. L. 233-1 C. com. Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 10; a.A. Danis-FatbmeiViney, D. 2017, 1610, 1 6 1 2 f., die von einer Geltung allein für societes anonymes ausgehen. 75 Verordnung (EG) Nr. 21 5712001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE). '" Vg!. Art. 9 Abs. 1 lit. c) SE-va sowie Art. L. 229-1 Abs. 2 C. corn. n European Trade Union Institute (ETUI), European Company (SE) Database, abruf­ bar unter (letzter Abruf 1.2.2022). n Teleperformance, Vigilance P1an 2019, S. 2, abrufbarunter (letzter Abruf 1 .2.2022). 79 Sherpa, Droit des travailleurs et devoir de vigi1ance, 18.7.2019; siehe infra S. 163f. 80 Vgl. Art. 17 1. Abs. 3 Loi Sapin 11; Barsan, ECFR 2017, 399, 424 Fn. 120; Brabantl Savourey, RIC 2017, 92, 18, 24.

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Bezug genommen. Deshalb liegt es nahe, diesen Begriff erneut zugrunde zu legen, auch wenn es hier an einem entsprechenden Verweis fehlt.81 Relevant ist demnach, ob die Muttergesellschaft an der Tochtgesellschaft mehr als die Hälfte des Kapitals hält.82 Für den Begriff der "Kontrolle" wird nun auf Art. L. 233-3 C. com. verwiesen, der verschiedene Möglichkeiten einer Be­ herrschung von Tochtergesellschaften durch die Muttergesellschaft defi­ niert. 83 Da die Formulierung der lai Sapin IIjedoch nur für die Bereichsausnahme der lai de vigilance übernommen wurde, kommt es zu einer Inkohärenz mit der noch zu untersuchenden Reichweite der Sorgfaltspflicht84: Der Überwa­ chungsplan der Muttergesellschaft muss u. a. die Risiken der Tätigkeit von direkt oder indirekt kontrollierten Gesellschaften abdecken, wofür indes der engere Begriff der ausschließlichen Kontrolle i.S. v. Art. L. 233- 1 6 Ir. c. com. maßgeblich ist.!5 Die Muttergesellschaft muss daher in ihrem plan devigilance nicht alle Gesellschaften erfassen, die vom Erstellen eines eigenen Plans be­ freit sind.86 Dieser Widerspruch ließe sich auflösen, wenn man den Wortlaut der Ausnahme berücksichtigte, wonach nur vermutet wird, dass die Filialen und kontrollierten Gesellschaften ihrer eigenen Sorgfaltspflicht nachkom­ men, sofern die Muttergesellschaft sie in ihrem Plan bereits berücksichtigt ("sont reputees satisfaire aux obligations").87 Legte man ein solches Ver­ ständnis zugrunde, griffe der Ausnahmetatbestand bei Gesellschaften, die nicht von der Reichweite des Überwachungsplans umfasst sind, nicht. So würde zwar das redaktionelle Versehen88 korrigiert, Verständlichkeit und Vorhersehbarkeit des Tatbestandes würden aber nicht gesteigert.

!l BrabantlSavourey, RIC 2017, 92, 18, 24. 82 Siehe supra S. 72ff. !J Siehe bereits supra S. 72ff.; ausführlicher dazu Barsan, ECFR 2017, 399, 423. 84 Siehe infra S. 85 ff. 15 Siehe infra S. 87 ff. 8 6 Barsan, ECFR 2017, 399,424. 8 7 Vgl. dazu näher BrabantlSavourey, RIC 2017, 92, 18, 25; GaUois-Cochet, in: Schiller (Hrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S. 45, Rn. 13. 88 Vgl. Barsan, ECFR 2017, 399,424 Fn. 120. In der Diskussion der Nationalversamm­ lung über eine Bereichsausnahme wurde nur von Filialen gesprochen, die keinen eigenen Plan aufstellen müssen. Der Begriff der kontrollierten Gesellschaften wurde gar nicht diskutiert, siehe AN, Deuxieme seance v. 29.1 1.2016, amendements n° 17 und 22, abrufbar unter (letzter Ab­ ruf 1 .2.2022).

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IV. Künftige Entwicklung des persönlichen Anwendungsbereichs?

1. Kompromisscharakter der geltenden Fassung Der persönliche Anwendungsbereich der lai de vigilance ist gegenüber den ersten Entwürfen deutlich reduziert, wodurch sich ebenfalls der Kompro­ misscharakter der geltenden Fassung zeigt: Vom Abschnitt über alle Han­ delsgesellschaften wurde die Sorgfaltspflicht zu den speziellen Vorschriften für Aktiengesellschaften verschoben, wodurch sie nur noch für verschiedene Formen der Aktiengesellschaft gilt. Dadurch ist auch die an die Sorgfalts­ pflicht anknüpfende Haftungsregel auf diese Gesellschaften beschränkt, während sie anfangs im Code civil verortet war. 89 Hinzu gekommen ist die Beschränkung auf Großunternehmen mit 5.000 bzw. 10.000 Angestellten. Der persönliche Anwendungsbereich wird daher teilweise als zu eng be­ klagt - im Ergebnis würden nur etwa 150 bis 200 Unternehmen erfasst.90 Obwohl das Gesetz oftmals als loi Rana Plaza bezeichnet werde, sei ein Groß­ teil der Gesellschaften, für die in dem Fabrikgebäude produziert wurde, nicht von dem Gesetz betroffen.91 Eine Orientierung an der CSR-RL oder den UNGP hätte dagegen mehr Unternehmen erfasst.92 Die CSR-RL verpflichtet große Unternehmen von öffentlichem Interesse mit über 500 Mitarbeitern zur nichtfinanziellen Erklärung/J die UNGP richten sich sogar an alle "Wirtschaftsunternehmen".94 Die lai Sapin 11, welche für die Bereichsaus­ nahme als Folie diente, kombiniert die Zahl von 500 Angestellten mit dem Geschäftsvolumen (über 100 Mio. Euro).95 Daneben wird das Kriterium der Arbeitnehmerzahl als solches kritisiert: Es könne vielmehr dazu dienen, ver­ schiedene Unternehmensgrößen zu definieren, um nach dem Vorbild der UNGP die Sorgfaltsanforderungen nach der Größe der Unternehmen ab­ zustufen.96

89 PPL n° 1 5 19, 6.1 1.2013, S. 1 1 : "Art. 1386-19 C. civ. - Est presumee responsable la personne morale, qui [ ] (Hervorh. durch Verf). 90 BrabantlSavourey, RIC 2017, 92, 18; Rühl, in: FS Windbichler, 2020, S. 1413, 1420m.w.N. 9 1 Hannoun, Dr. social 2017, 806, 807. 92 BrabantlSavourey, RIC 2017, 92, 18, 18 f.; ähnlich Hannoun, Dr. social 2017, 806, 807, der betont, dass das neue Gesetz die meisten der am Rana Plaza-Einsturz beteiligten Unternehmen nicht erfasse. " Art. 1 RL 2014/95/EU bzw. Art. 19a RL 201 3/34IEU. " UNGP I l ff. 95 Art. 17 I. Abs. 1 Loi Sapin 11; vgl. BrabantlSavourey, RIC 2017, 92, 18, 23f. 96 Hannoun, Dr. social 2017, 806, 809; vgl. UNGP 14. . . .

."

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2. Rejarmperspektiven Vor dem Hintergrund dieser Kritik hoffen die am Gesetzgebungsprozess be­ teiligten NGOs aufeine Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs durch den Gesetzgeber.97 Einerseits könnte die Zahl der Arbeitnehmer gesenkt werden.98 Eine sol­ che Korrektur wurde bei dem Gesetz zur zwingenden Arbeitnehmerbeteili­ gung von 2013 vorgenommen, das hinsichtlich des Anwendungsbereichs Vorbild für die lai de vigilance war. Dort wurden im Jahr 2015 die Grenzen von 5.000 und 10.000 Beschäftigten auf 1 . 000 und 5.000 reduziert." Eine Absenkung der Anzahl von Arbeitnehmern stellte auch der Abgeordnete Potier in seinem Bericht für die Nationalversammlung in Aussicht: Die ak­ tuelle Regelung sei eine "erste Etappe"; wenn das Gesetz seine Wirksamkeit bewiesen habe und die Bedenken der Unternehmen ausgeräumt worden seien, könne der Anwendungsbereich angepasst werden - sei es durch den nationalen Gesetzgeber oder im Zuge einer europäischen Initiative.1oo Des Weiteren wäre eine Anwendung auf bislang nicht erfasste Gesell­ schaftsformen wie französische Gesellschaften mit beschränkter Haftung (saeil!tes a respansabilite limitee, SARL) denkbar. Teilweise wird gefordert, auch juristische Personen öffentlichen Rechts der neuen Sorgfaltspflicht zu unterwerfen.101 Vor dem Hintergrund des Telos des Gesetzes müsse nach Auf­ fassung der NGOs jede Gesellschaft unabhängig ihrer Rechtsform verpflich­ tet sein; denn beim Schutz der Menschenrechte könne nicht nach der Art der Finanzierung unterschieden werden, sondern es komme auf den sozialen, ökologischen und ökonomischen Einfluss der Unternehmen an.102 NGOs, die eine Kontrollfunktion übernehmen (wollen),lO] bemängeln zu­ dem, dass es keine offizielle Auflistung der verpflichteten Gesellschaften gibt; bislang sei es schwierig, diese zu ermitteln, um die Einhaltung der Sorgfalts­ pflicht zu überprüfen.104 Sie befürchten, dass so die verhaltenssteuernde Wir­ kung drohender Haftungsklagen ins Leere laufen und das Gesetz seinen

97 Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference pour 1es Plans de Vigi1ance, 2019, S. 27 f. 9! Barsan, ECFR 2017, 399,423; Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference pour 1es Plans de Vigilance, 2019, S. 27 f. 99 Loi n° 2015-994 du 17 aout 2015 relative au dia10gue socia1 et a l'emp1oi (loi Rebsa­ men); dazu GaUois-Cochet, Dr. Societes 2015, comm. 197, 36f. 100 Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S. 35. Zu den Entwicklungen auf europä­ ischer Ebene siehe infra S. 298 ff. 101 GaUois-Cochet, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigi1ance, 2019, S. 45, Rn. 6. Im Jahr 2017 seien von 217 Unternehmen mit mind. 5.000 Beschäftigten in Frankreich 96 juristi­ sche Personen öffentlichen Rechts gewesen, ebd. Fn. 16 m.w.N. 1 02 Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference pour 1es Plans de Vigilance, 2019, S. 28. 103 Zur externen Kontrollfunktion der NGOs siehe infra S. 147 ff. 104 Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference pour 1es Plans de Vigilance, 2019, S. 27.

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Zweck verfehlen könnte.l� Sherpa, CCFD Terre Solidaire und das Business & Human Rights Resource Centre haben daher eine Website ins Leben geru­ fen, auf der eine nicht abschließende Liste von Unternehmen aufgeführt ist, die nach den Recherchen und dem Verständnis der NGOs in den Anwen­ dungsbereich des Gesetzes fallen. Bereits veröffentlichte Überwachungs­ pläne sind ebenfalls abrufbar.l" Eine Weiterentwicklung des Anwendungsbereichs hat auch der Conseil general de l'economie, ein Beratungsgremium des Wirtschaftsministeriums,107 im Rahmen einer Evaluation des Gesetzes Anfang 2020 empfohlen: Neben einer Erstreckung auf bislang nicht erfasste Rechtsformen sollten die Krite­ rien zur Ermittlung großer Unternehmen vereinheitlicht werden; beispiels­ weise durch eine Ergänzung um ein bestimmtes Geschäftsvolumen.1OO Weiter wird vorgeschlagen, eine Verwaltungsbehörde damit zu betrauen, die erfor­ derlichen nicht öffentlichen Informationen der Unternehmen zu sammeln, um die Einhaltung der Sorgfaltspflicht bei den betroffenen Unternehmen zu fördern. 1m Bislang fehlten für die Erstellung einer verbindlichen Liste von Unternehmen die nötigen Informationen über Unternehmensstrukturen und Beschäftigtenzahlen, und wo diese vorhanden seien, müssten sie erst zusam­ mengeführt werden. 110 Im Zuge einer möglichen Erweiterung des Anwendungsbereichs könnten die derzeitigen Unklarheiten beseitigt und sowohl für Adressaten als auch Anwender des Gesetzes mehr Rechtssicherheit geschaffen werden. V

Ergebnis zum persönlichen Anwendungsbereich

Der persönliche Anwendungsbereich der lai de vigilance ist auf große Akti­ engesellschaften mit Sitz in Frankreich beschränkt, die mit ihren im Inland ans ässigen filiales 5.000 Beschäftigte haben oder mit ihren im In- oder Aus­ land ansässigen filiales 10.000 Angestellte beschäftigen. Im Vergleich zu den 105 Sherpa (Hrsg.), Guide de Reference pour les Plans de Vigilance, 2019, S. 27. 1% Vgl. (letzter Abruf 1.2.2022). 107 Vgl. Decret n° 2009-64 du 16 janvier 2009 relatif au Conseil general de l'economie, de l'industrie, de l'energie et des teclmologies. 100 Conseil general de l'economie, Evaluation de la mise en ceuvre de la loi n° 2017-399 du 27 mars 2017 relative au devoir de vigilance des societes meres et des entreprises dOIllleuses d'ordre, Januar 2020, S. 20, abrufbar unter (letzter Abruf 1.2.2022). 100 Diese Behörde solle im Unterschied zur Agencefranfaise anticorruption, die mit der Loi Sapin II eingeführt wurde, keine Befugnisse zur Kontrolle und etwaigen Sanktionie­ rung der Unternehmen haben; dies köIllle nur per Gesetz eingeführt werden, siehe Conseil general de l'economie, Evaluation de la mise en ceuvre de la loi n° 2017-399 du 27 mars 2017, Januar 2020 (Fn. 108), S. 20. 110 Dazu ausführlicher Conseil general de l'economie, Evaluation de la mise en ceuvre de la 10i n° 2017-399 du 27 mars 2017, Januar 2020 (Fn. 108), S. 18 ff.

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UNGP hat sich das Gesetz deutlich von deren weitreichenden Ansatz ent­ fernt, der alle "Wirtschaftsunternehmen" erfasst.

B. Reichweite der Sorgfaltspflicht Sind die zur Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfalt verpflichteten Ge­ sellschaften bestimmt, stellt sich anschließend die Frage nach der Reichweite der Sorgfaltspflicht.111 Denn diese geht über den Kreis der verpflichteten Gesellschaften hinaus. Ausgehend von der soeü!te debitrice als Pflichtenin­ haberin kann der Radius einer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht unter­ schiedlich weit gezogen werden und damit verschieden weit in die Lieferkette hineinreichen. Während der persönliche Anwendungsbereich danach fragt, wer die Pflicht erfüllen muss, ist hier zu untersuchen, was Gegenstand der Sorgfalt ist, d. h. wessen Tätigkeiten Bestandteil des Überwachungsplans sein müssen. Im Fall Total ( Uganda) fällt beispielsweise die Muttergesellschaft Total SA (heute: SE) in den persönlichen Anwendungsbereich, ist folglich soeiete debitrice und muss einen Sorgfaltsplan erstellen. Bei der Reichweite ihrer Sorgfaltspflicht stellt sich nun die Frage, ob sie auch die Tätigkeiten ihrer Tochtergesellschaften in dem Sorgfaltsplan berücksichtigen muss. Zieht man den Radius weiter, könnte das ferner für die Tätigkeit ihrer Subunternehmer und Zulieferer gelten. Die Reichweite der neuen Sorgfaltspflicht ist neben dem weiten Schutz­ bereich (Menschenrechte, Grundfreiheiten, Gesundheit, Sicherheit und Um­ weltY12 ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der lai de vigilance.ll3 Gemäß Art. L. 225-1 02-4 1. Abs. 3 C. com. dienen die im Plan vorgesehenen Sorg­ faltsmaßnahmen der Identifikation von Risiken und Prävention von Schä­ digungen "resultant des activites de la societe et de celles societes qu'elle contrble au sens du 11 de l'article L. 233-16, directement ou indirectement, ainsi que des activites des sous-traitants ou fournisseurs avec lesquels est entretenue une relation commerciale etablie, lorsque ces activites sont rattachees a cette relation" . 114

Die Sorgfaltspflicht erstreckt sich demnach rechtsträgerübergreifend auf die Tätigkeiten bestimmter Tochtergesellschaften und Zulieferer. Anders als beim Anwendungsbereich, bei dem nur Beschäftigte von Gesellschaften der Unternehmensgruppe in die Beurteilung einfließen,115 erfasst die Sorgfalts­ pflicht hier sowohl Konzern- als auch Zulieferer-Konstellationen. 111 Vgl. erste Ergebnisse hierzu in Nasse, ZEuP 2019, 773, 792f. 112 Siehe noch infra S. 104 ff. In Kaufmann, AJP/PJA 2017, 967, 973. 114 Art. L. 225-102-4 1. Abs. 3 C. com.; Hervorh. durch Ver! 115 Siehe supra S. 72 ff.

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Die Beschreibung der Reichweite der Sorgfaltspflicht befand der Conseil constitutionel für zu unbestimmt, weshalb er das strafrechtliche Bestimmt­ heitsgebot für verletzt und die anfangs enthaltene zivilrechtliche Bußgeld­ vorschrift für verfassungswidrig erachtete.116 Dies führte indes nur zu einer Streichung des Bußgeldtatbestandes, der übrige Tatbestand blieb unverän­ dert. Es ist daher auf Grundlage der erweiterten Auslegungsquellen'17 zu klären, welche Anforderungen an die Verbindung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft bzw. Auftraggeberin und Vertragspartner gestellt wer­ den. 1 Unmittelbar oder mittelbar kontrollierte Gesellschaften Zunächst nennt die Vorschrift "unmittelbar oder mittelbar kontrollierte Ge­ sellschaften" (SOCÜ?Ü?S contr6lees directement DU indirectement). Zur Spezifi­ zierung verweist das Gesetz - anders als bei der Bereichsausnahme118 - nicht auf Art. L. 233-3 C. com., sondern nimmt auf die ausschließliche Kontrolle i.S.v. Art. L. 233-16 H. C. com. Bezug.'19

1. Kontrolle als Schlüsselbegrifffür die Unternehmensgruppe Mangels gesetzlicher Definition der Unternehmensgruppe wird diese häufig umschrieben als "UIl ensemble de societes qui, tout en conservant leur existence juridique propre, se trouvent liees les unes aux autres, de sorte que l'une d'elles, la societe mere, qui tient les autres sous sa dependance, enfait ouen droit, exerce un contrble sur l'ensemble des societes dominees et fait prevaloir une unite de decision." 120

Die "Kontrolle" einer Gesellschaft, der Muttergesellschaft, über eine oder mehrere andere Gesellschaften mit eigener Rechtspersönlichkeit ist damit der Schlüsselbegriff für die Verbindung zwischen Gesellschaften, die eine Unternehmensgruppe bilden.!2! Wie die Vorschriften der lai de vigilance zei­ gen, kennt das französische Recht zwei verschiedene Formen der Kontrolle:

116 e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 1 3 f.; siehe supra S. 54ff. 117 Siehe supra S. 17 f. 118 Siehe supra S. 80 f. 119 Hannoun, Dr. socia1 2017, 806, 810; Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 16. 120 Merle, Droit commercial, 2020, Rn. 757, Hervorh. durch Ver!; vgl. auch Poracchia, in: Urbain-Parleani/Conac/Barbieri u. a. (Hrsg.), Regards sur l'evolution du droit des

societes depuis la loi du 24 juillet 1966, 2018, S. 253, 254 Fn. 5; Urbain-Parleani, in: Men­ jucq/Fages (Hrsg.), Actualite et evolutions comparees du droit allemand et fran�ais des societes, 2010, S . 9 1 , Rn. 7. 121 CozianlViandierlDeboissy, Droit des societes, 2020, Rn. 2239 ff.; Urbain-Parleani, in: Menjucq/Fages (Hrsg.), Actualite et evolutions comparees du droit allemand et fran�ais des societes, 2010, S. 91, Rn. 9 ff.: "la notion de contr6le, element federateur du groupe".

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In Art. L. 233-3 C. com., vorliegend relevant für die Bereichsausnahme, geht es allein um die Einflussmäglichkeiten einer Gesellschaft, die aus deren Stimmrechtsmehrheit in der Hauptversammlung einer anderen Gesellschaft folgen. 122 Dem Wortlaut nach gilt diese Definition grundsätzlich nur für die Vorschriften über gegenseitige Beteiligungen und entsprechende Informa­ tionspflichten.123 Da sie im Abschnitt "Definitionen" steht, wird sie aber überwiegend auch dann zugrunde gelegt, wenn in einer Vorschrift ohne wei­ teren Hinweis von "Kontrolle" die Rede ist.12' Art. L. 233- 1 6 C. com. be­ stimmt hingegen den Konsolidierungskreis und ist nicht auf eine Kontrolle durch Stimmrechte beschränktYs Wird in anderen Bereichen an eine Kontrollbeziehung zwischen zwei Ge­ sellschaften angeknüpft, bestimmt die jeweilige Vorschrift meist, aufweIchen Kontrollbegriff es ankommen soll.126 Dass sich hierbei nicht immer ein ko­ härentes System entdecken lässt,127 belegt paradigmatisch die lai de vigilance: Die Bereichsausnahme wurde aus der lai Sapin 11 übernommen, ohne dass im Gesetzgebungsverfahren näher über den dort gewählten Kontrollbegriffund eine etwaige Angleichung an die übrigen Absätze der Sorgfaltspflicht dis­ kutiert wurde. 122 Zudem wurde erst im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens konkretisiert, dass es sich bei der Reichweite der Sorgfaltpflicht um eine Kontrolle i.S.v. Art. L. 233- 1 6 Ir. c. com. handeln solle.129 Im Rahmen der Reichweite ist demnach eine ausschließliche Kontrolle der Muttergesell­ schaft relevant.

2. Ausschließliche Kontrolle i.S. v. Art. L. 233-16 II C. com. Ausschließliche Kontrolle (contrale exclusij) einer Gesellschaft über eine an­ dere besteht gemäß Art. L. 233- 1 6 H. C. com. in drei Fällen. Sie resultiert

12l Zu den Möglichkeiten der Kontrolle nach dieser Vorschrift siehe bereits supra S. 80 f. l2J Le CannulDondero, Droit des societes, 2019, Rn. 1522. 124 Le CannulDondero, Droit des societes, 2019, Rn. 1521; CozianJViandierlDeboissy, Droit des societes, 2020, Rn. 2244. 125 Vgl. Art. L. 233-16 I. C. com.: "Les societes commerciales etablissent et publient chaque aIlllee [. . . ] des comptes consolides ainsi qu'unrapport sur 1a gestion du groupe, des 10rs qu'elles contr61ent de maniere exclusive ou conjointe une ou p1usieurs autres en­ treprises [. . .]." 126 Urbain-Parleani, in: Menjucq/Fages (Hrsg.), Actualite et evolutions comparees du droit allemand et franyais des societes, 2010, S. 91, Rn. 12. 127 Urbain-Parleani, in: Menjucq/Fages (Hrsg.), Actualite et evolutions comparees du droit allemand et franyais des societes, 2010, S. 91, Rn. 12. m Siehe supra S. 80 f. 129 Ergänzung durch Amendement n° ClA7 zu Text n° 2578, abrufbar unter (letzter Ab­ ruf 1.2.2022); vg!. Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1.3.2015, S. 36, 70f., 73.

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Ci.) aus einer direkten oder indirekten Mehrheit der Stimmrechte in einem anderen Unternehmen; (ii.) aus der Ernennung der Mehrheit der Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane eines anderen Unternehmens in zwei aufein­ anderfolgenden Geschäftsjahren, was bei einem Anteil von mehr als 40 % der Stimmrechte vermutet wird, wenn kein anderer Gesellschafter oder Aktionär einen größeren Anteil innehatte; (iii.) oder aus einem vertraglich oder satzungsmäßig vereinbarten Recht, einen beherrschenden Einfluss (injluence dominante) auf ein Unternehmen auszuüben. Im Vergleich zu dem Kontrollbegriff i.S. v. Art. L. 233-3 C. com., der für die Bereichsausnahme der lai de vigilance relevant ist, sind die Voraussetzun­ gen bei der Reichweite der Sorgfaltspflicht enger, weil eine Kontrolle aus­ schließlich durch die planaufstellende Gesellschaft verlangt wird.lJO Gleich­ zeitig ist das Kriterium aber weiter, da nicht nur die Kapital- und die damit einhergehenden Stimmrechtsanteile berücksichtigt werden, sondern ebenso eine domination contractuelle, d. h. ein von Kapitalanteilen unabhängiger, vertraglicher Einfluss, genügen kann. l3l Dieser Dreiklang aus contr6le de droit, contr6le de faU und contr6le contractuel132 bildet nach überwiegender Auffassung die Realität der Kontrolle in den Unternehmensgruppen genauer ab. 133

3. Kontrollmäglichkeit oder tatsächliche Kontrolle? Im Bereich der Unternehmensgruppe knüpften die ersten Gesetzesentwürfe für die Reichweite der Sorgfaltspflicht noch an die Tätigkeit von "Filialen"l� an, was teils als zu eng empfunden wurde.13S Im neuen Entwurf wurden die filiales daher durch "kontrollierte Gesellschaften" ersetzt und im weiteren 1 30 Barsan, ECFR 2017, 399, 423f. 1 3 1 Urbain-Parleani, in: Menjucq/Fages (Hrsg.), Actualite et evolutions comparees du droit allemand et franyais des societes, 201 0, S. 91, Rn. 1 1 . Abweichend von Art. 22 der Richtlinie 201 3/34/EU (Bilanz-RL), der in Frankreich in Art. L. 233-16 C. com. umgesetzt wird, ist nach französischem Recht nicht erforderlich, dass die Muttergesellschaft Akti­ onärin oder Gesellschafterin der Tochtergesellschaft ist, ebd. 1 32 BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 27. 1 33 Cuzacq, D. 2015, 1049, 1051; ähnlich CozianlViandierlDeboissy, Droit des societes, 2020, Rn. 2246; Urbain-Parleani, in: Menjucq/Fages (Hrsg.), Actualite et evolutions com­ parees du droit allemand et franyais des societes, 2010, S. 91, Rn. 1 1 . 1 34 Zum Begriff siehe supra S . 72 ff. 1 35 Cuzacq, in: FS Neau-Leduc, 2018, S. 287, 294. Siehe Amendement n° CE17 zu Text n° 2578, abrufbar unter und Amendement n° CL47 zu Text n° 2578, abrufbarunter (jeweils letz­ ter Abruf 1 .2.2022).

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Gesetzgebungsprozess durch den Hinweis auf Art. L. 233- 1 6 Ir. e. com. konkretisiert.l36 Nach Auffassung des Berichterstatters Potier sei es ange­ messen, die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht nicht nur auf Gesellschaften mit finanzieller Verbindung zur Muttergesellschaft zu erstrecken, sondern auch die Tätigkeit von Gesellschaften einzubeziehen, deren Unternehmens­ politik anderweitig von der verpflichteten Gesellschaft beherrscht werdeY7 Entsprechend sei der Kontrollbegriff aus Art. L. 233- 1 6 H. e. com. zu wäh­ len, da nur dieser die Vielgestaltigkeit der Beherrschung in Unternehmens­ gruppen abbilde. 138 Ein weiterer Vorteil sei, dass die Anwendung von Art. L. 233-16 H. e. com. Umgehungen durch andere Formen der Beherrschung verhindere.139 Ferner gewährleiste die Definition sowohl den Wunsch nach Rechtssicherheit als auch Flexibilität für die Gerichte bei der Entscheidung im Einzelfal1. "o Nicht näher diskutiert wird indes, ob bereits die bloße Möglichkeit der Einflussnahme genügt, um die Sorgfaltspflicht auf Tochtergesellschaften zu erstrecken, oder ob es für eine Überwachungspflicht darauf ankommt, dass die Muttergesellschaft tatsächlich Kontrolle auf die Tochtergesellschaft aus­ Übt.141 Grammatikalisch würde man vermuten, dass die Tochtergesellschaf­ ten tatsächlich kontrolliert werden müssen, da die lai de vigilance von kon­ trollierten Gesellschaften (soeietes contralees) spricht und nicht von "kon­ trollierbaren" (etwa: soeietes contralables). Einzelne Stellungnahmen zum Gesetz deuten jedoch darauf hin, dass eine bloße Kontrollmäglichkeit aus­ reicht: Die ausschließliche Kontrolle sei als "Entscheidungsmacht" (pouvoir de decision) über eine Gesellschaft zu verstehen. 142 Bereits diese Möglichkeit der Beherrschung erlaube es der Muttergesellschaft, im Sorgfaltsplan vorge­ sehene Präventionsmaßnahmen bei der Tochtergesellschaft effektiv durch­ zusetzen.143 Dem entspricht die Wahl der Kontrolldefinition von Art. L. 233- 1 6 H. e. com., um die Reichweite der Sorgfaltspflicht festzulegen. Der Tatbestand der Kontrolle ist bereits erfüllt, wenn gewisse objektive Merkmale - wie etwa 1 36 Zustimmend Cuzacq, D. 2015, 1049, 1051; Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 16. lJ7 Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S. 73. lJ8 Cuzacq, in: FS Neau-Leduc, 2018, S. 287, 294. lJ9 Cuzacq, in: FS Neau-Leduc, 2018, S. 287, 294. 140 Cuzacq, in: FS Neau-Leduc, 2018, S. 287, 294. 141 In Deutschland wird dies de lege lata im Rahmen einer Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BG B, genauer bei den Anforderungen an eine rechtsträgerübergreifende menschemecht­ liche Verkehrspflicht von Muttergesellschaften, diskutiert. Siehe dazu statt vieler Hübner, Unternehmenshaftung für Menschemechtsverletzungen, 2022, S. 246ff. m.w.N. 142 BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 27; Cuzacq, in: FS Neau-Leduc, 2018, S. 287, 289; Schiller, Jep E 2017, dude 1 193, 19, Rn. 5. 143 Cuzacq, in: FS Neau-Leduc, 2018, S. 287, 289; Gallois-Cochet, in: Schiller (Hrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S.45, Rn. 16.

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die Mehrheit der Stimmrechte - vorliegen, unabhängig davon, ob darüber tatsächlich auf die Tochtergesellschaft eingewirkt wird. Soll die Konkretisie­ rung der Reichweite durch Art. L. 233-16 n. e. com. die gewünschte Klar­ heit und Rechtssicherheit bringen, muss man die Einflussmäglichkeit genü­ gen lassen. 144 Die Einführung einer derart weitreichenden Überwachungspflicht bricht indes mit dem Grundsatz der Autonomie der einzelnen Mitglieder einer Un­ ternehmensgruppe. 145 Man kann die devoir de vigilance deshalb als "Fremd­ körper im französischen Konzernrecht"146 begreifen. Der französische Ge­ setzgeber hat mit der lai SapinII für die Zwecke der Korruptionsbekämpfung aber schon einmal eine rechtsträgerübergreifende Überwachungspflicht eta­ bliert.147 Dies setzt die lai de vigilance für die Zwecke des Menschenrechts­ und Umweltschutzes fort. Ein Novum ist dagegen die Deliktshaftung, die an die Sorgfaltspflicht gekoppelt ist. Wie im Rahmen der Rechtsfolgen erläutert wird,148 führt diese mit Blick auf die anerkannten Durchbrechungen des Rechtsträgerprinzips zu einem Paradigmenwechsel im französischen Haf­ tungsrecht.149

4. Ergebnis zur Reichweite in der Unternehmensgruppe Für die Reichweite der Sorgfaltspflicht in der Unternehmensgruppe ist zu­ sammenzufassen, dass zur vigilance verpflichtete Muttergesellschaften in ih­ ren Überwachungsplänen Risiken berücksichtigen müssen, die sich aus Tä­ tigkeiten von Tochtergesellschaften ergeben können. Voraussetzung ist, dass die Muttergesellschaft die bloße Möglichkeit hat, diese Tochtergesellschaften zu kontrollieren. Eine solche Kontrollmäglichkeit folgt aus einer direkten oder indirekten Stimmrechtsmehrheit, aus der Ernennung der Mehrheit der Mitglieder der Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane eines anderen Unternehmens, oder aus einem vertraglichen oder satzungsmäßigen Recht zu beherrschendem Einfluss auf ein Unternehmen (Art. L. 233- 1 6 n. e. com.). Ob die Muttergesellschaft von der Kontrollmöglichkeit tatsächlich Ge brauch macht, ist irrelevant.

144 Mit diesem Verständnis ebenso Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 319. 145 Mairot, Dr. Socieü!:s 2015, alerte 43, 2: "un nouvel accroc au principe de l'autonomie des societes membres d'un groupe". 146 Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 296. 147 Siehe supra S. 25 ff. 148 Zur Haftung und deren Voraussetzungen siehe supra S. 177 ff. '� Vgl. Fer;n, RTD Corno 2015, 215, 217.

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II Subunternehmer und Zulieferer mit gefestigter Geschäftsbeziehung Die Reichweite der Sorgfaltspflicht beschränkt sich nicht auf die Unterneh­ mensgruppe, sondern erstreckt sich auch auf bestimmte Subunternehmer und Zulieferer. Ziel der lai de vigi/ance ist es laut Gesetzesbegründung, Men­ schenrechtsverletzungen entlang der gesamten Lieferkette zu bekämpfen.150 Als zweite Säule müssen sacietes debitrices deshalb Tätigkeiten von Subun­ ternehmern oder Zulieferern in ihren Überwachungsplan aufnehmen, sofern zu diesen eine gefestigte Geschäftsbeziehung besteht und deren Tätigkeiten mit der Geschäftsbeziehung in Verbindung stehen.151 Damit weitet der fran­ zösische Gesetzgeber die rnenschenrechtliche Sorgfaltspflicht über die Un­ ternehmensgruppe hinaus aus und etabliert diese gegenüber konzernunab­ hängigen Gesellschaften.152 Die Tatbestandsmerkmale werfen noch einige Fragen auf.

1. Subunternehmer und Zulieferer Zunächst ist zu klären, wer Subunternehmer oder Zulieferer i.S.d. Art. L. 225-1 02-4 1. Abs. 3 C. corn. ist. Man könnte den Begriff des Subun­ ternehmers weit verstehen und alle Situationen erfassen, in denen ein Unter­ nehmer einzelne Bestandteile für sein Produkt extern bezieht oder einzelne Arbeitsschritte seiner Produktion auf einen Dritten auslagert - sei es aus Kostengründen oder weil dieser besser spezialisiert ist.153 Dann stellte sich allerdings die Frage, weshalb das Gesetz zusätzlich den Begriff des Zuliefe­ rers nennt. Dies erhellt ein Blick auf die enge Legaldefinition des französi­ schen Subunternehmergesetzes von 1 975154, auf die sich sowohl die Gesetz­ gebungsmaterialien der lai de vigilance als auch die Literatur überwiegend beziehen.155 Im Sinne dieses Gesetzes ist Subunternehmer, wem durch einen 1 50 PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S. 7: [ . . .] il est temps que 1a France se saisisse de l'oppor­ tunite d'instaurer dans sa legislation une obligation de vigilance, afin de s'attaquer aux violations des droits humains [. . . ] intervenant sur 1es chaines de production de ses en­ treprises" . 1 51 Art. L. 225-102-4 I. Abs. 3 C. com.: ,,[. . . ] des activites des sous-traitants ou fournis­ seurs avec 1esquels est entretenue une relation commercia1e etablie, lorsque ces activites sont rattachees a cette relation." '2 Nasse, ZEuP 2019, 773, 775; Rühl, in: FS Windbichler, 2020, S. 1413, 1425. 1 53 Zu dieser approche economique des Subunternehmers Benabent/Jobert, in: JC1. Con­ trats - Distribution, Stand: 6.2.2013, Rn. 1 ff.; Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 18. 1 54 Loi n° 75-1 334 du 31 decembre 1975 relative a 1a sous-traitance (im Folgenden: frz. SubunternehmerG). 1 55 Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S.65; BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 28; Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 18; Schiller, Jep E2017, etude 1193, 19, Rn. 5; aA. Gallois-Cochet, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigi1ance, 2019, S.45, Rn. 20 Fn. 50, die der Auffassung ist, dass der Begriff hier weiter auszulegen sei.

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Vertrag von einem (Werk-)Unternehmer nach dessen Verantwortung die Ausführung des gesamten oder eines Teils des Werkvertrages mit dem Be­ steller übertragen wurde.156 Dies schließt einige der nach o. g. Umschreibung denkbaren Formen von Subunternehmerverhältnissen aus: Da beide Verträge - der Hauptvertrag mit dem Besteller und der Vertrag mit dem Subunternehmer - Werkverträge sein müssen, wird zum einen das sog. industrielle Zuliefererwesen (sous-traitance industrielle) nicht erfasst.157 Darunter versteht man den praxisrelevanten Fall, dass ein Hersteller unab­ hängig von späteren Verträgen mit (End-)Abnehmern einen anderen Unter­ nehmer mit einzelnen Produktionsschritten für sein Produkt beauftragt.158 Ebenfalls nicht erfasst wären Fälle, in denen der Hersteller Teile für sein Produkt bei einem Dritten zukauft.159 Um auch diese Konstellationen zu erfassen, nennt die lai de vigilance neben Subunternehmern den Begriff des Zulieferers (journisseur), der weniger normativ geprägt ist und weiter ausge­ legt wirdY.o Der französische Gesetzgeber wählt mit dem Subunternehmer also zunächst ein Tatbestandsmerkmal aus einem anderen nationalen Kon­ text. Dieses muss er sodann mit Blick auf die UNGP noch um den Zulieferer ergänzen, um die Reichweite zu vergrößern. Denn die UNGP verfolgen einen umfassenden Ansatz, der grundsätzlich die gesamte Lieferkette umfasst.161

2. Gefestigte Geschäftsbeziehung Dreh- und Angelpunkt einer Erstreckung der Sorgfaltspflicht auf Subunter­ nehmer und Zulieferer ist die gefestigte Geschäftsbeziehung zwischen diesen und der Auftraggebergesellschaft.

a) Von influence determinante zu relation commerciale etablie Wie die Anforderungen an die Verbindung zwischen Mutter- und Tochter­ gesellschaft,!62 hat sich auch die Definition der Beziehung zwischen Auftrag­ gebergesellschaft und zu überwachenden Subunternehmern oder Zulieferern im Entstehungsprozess der loi de vigilance mehrfach weiterentwickelt.

1 56 Art. 1 frz. SubunternehmerG: "Au sens de 1a presente loi, 1a sous-traitance est l' ope­ ration par 1aquelle un entrepreneur confie par un sous-traite, et sous sa responsabilite, a une autre perSOIllle appe1ee sous-traitant 1'execution de tout ou partie du contrat d'en­ treprise ou d'une partie du marche public conclu avec 1e maitre de l' ouvrage." 1 57 HuetlDecocqlGrimaldi u.a., Les principaux contrats speciaux, 2012, Rn. 32323. 1 5.1 Benabent/Jobert, in: JCI. Contrats - Distribution, Stand: 6.2.2013, Rn. 19. l Cfl Benabent/Jobert, in: JCI. Contrats - Distribution, Stand: 6.2.2013, Rn. 19. l W BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 28; Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 19. 1 M Vgl. UNGP 13. 16l Siehe supra S. 86 ff.

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In den ersten vier Entwürfen waren ohne Spezifizierung nur Subunterneh­ mer genannt. 1 63 Der neue Entwurf, der Grundlage für die heutige Fassung der loi de vigilance war, fügte die fournisseurs hinzu und verlangte, dass die Auf­ traggebergesellschaft einen bestimmenden Einfluss (injluence determinante) auf die Subunternehmer und Zulieferer ausübt. 1 6' Der Begriff des bestim­ menden Einflusses stammt aus der Konzentrationskontrolle im Kartellrecht (controle des concentrations)Y,s Der Gesetzgeber hat also auch hier eine An­ leihe beim nationalen Recht genommen. Eine concentration setzt voraus, dass ein Unternehmen von einer oder mehreren anderen Personen kontrol­ liert wird: Gemäß Art. L. 430-1 IH. C. com. kann diese Kontrolle aus Rech­ ten, Verträgen oder anderen Mitteln folgen, die diesen Personen die Möglich­ keitl66 geben, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit des Unterneh­ mens auszuüben. 1 67 Dieses Tatbestandsmerkmal hat aber selbst der Bericht­ erstatter der Nationalversammlung Potier nicht für geeignet erachtet. Es sei kontraproduktiv, die Reichweite des Gesetzes auf Fälle bestimmenden Ein­ flusses zu beschränken, da so die Fälle, auf die man mit der Regelung abziele, oftmals gar nicht erfasst würden. 1 68 Beispielsweise sei im Rana Plaza für Dut­ zende Auftraggeber produziert worden, von denen im Vergleich zu den je­ weils anderen Auftraggebern niemand einen bestimmenden Einfluss gehabt habe. 1 69 Der bestimmende Einfluss konnte sich als entscheidendes Kriterium daher nicht durchsetzen. 1 7o Die injluence determinante wurde im Gesetzge­ bungsverfahren durch die relation commerciale etablie, d. h. eine gefestigte Geschäftsbeziehung, ersetzt. l71 163 Art. L. 233-41 C. com. (Entwurf): "Dans 1e cadre de ses activites, de eel1es de ses filiales ou de eel1es de ses sous-traitants, toute entreprise a l'obligation de [. . .]." (Hervorh. durch Verf). 164 Art. L. 225-102-4 I. Abs. 2 C. com. (Entwurf): ,,[ . . .] resultant de ses activites et de eel1es des societes qu'elle contr61e directement ou indirectement, ainsi que 1es activites de leurs sous-traitants ou fournisseurs sur lesquels elle exerce une influence determinante. [. . . ]." 165 Cuzacq, in: FS Neau-Leduc, 2018, S. 287, 290; Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 . 3.2015, S. 65. 166 Zur bloßen Kontrolhnöglichkeit irmerhalb der Unternehmens gruppe siehe supra S. 88 ff. 167 Art. L. 430-1 111. C. com.: "Aux fins de l'application du present titre, le contr6le decoule des droits, contrats ou autres moyens, qui conü:rent, seuls ou conjointement et compte tenu des circonstances de fait ou de froit, la possibilite d'exercer une influence determinante sur l'activite d'une entreprise." 168 Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1.3.2015, S.65 ; vgl. auch Cuzacq, in: FS Neau­ Leduc, 2018, S. 287, 291. lW Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S. 65 f. 1 70 Näher zur sphere d'injluence Cuzacq, in: FS Neau-Leduc, 2018, S. 287, 290f.; Mac Cionnaith/JazottesISabathier, RLDA 2017, 6168, 25, 25 f. 1 71 Amendement n° ClA8 zu Text n° 2578, abrufbar unter (letzter Abruf 1.2.2022).

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Das Merkmal der Geschäftsbeziehung ist zum einen aus dem französi­ schen Handelsrecht bekannt. Dort kann der "brutale" Abbruch einer sol­ chen Handelsbeziehung (sog. rupture brutale) gemäß Art. L. 442-1 H. e. com. n. F. (Art. L. 442-6 1. Nr. 5 e. com. a. F.) Schadensersatzansprüche der anderen Partei begründen. l72 Zum anderen verwenden die UNGP bei der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Wirtschaftsunternehmen den Be­ griff der Geschäftsbeziehung. In UNGP 1 3 heißt es: ,,13. Die Verantwortung, die Menschemechte zu achten, erfordert, dass Wirtschaftsunter­ nehmen [. . . ] (b) bemüht sind, negative Auswirkungen auf die Menschemechte zu verhüten oder zu mindern, die auf Grund einer GeschäJtsbeziehung mit ihrer Geschäftstätigkeit, ihren Pro­ dukten oder Dienstleistungen unmittelbar verbunden sind, selbst weIlll sie nicht zu diesen Auswirkungen beitragen."l7J

Die Geschäftsbeziehungen eines Wirtschaftsunternehmens im Sinne der UNGP umfassen "Beziehungen zu Geschäftspartnern, zu Einrichtungen in seiner Wertschöpfungskette und zu allen anderen nichtstaatlichen oder staat­ lichen Stellen, die mit seiner Geschäftstätigkeit, seinen Produkten oder Dienstleistungen unmittelbar verbunden sind. " 1 74 Die Wahl der gefestigten Geschäftsbeziehung als Merkmal für die Verbin­ dung zwischen Auftraggebergesellschaft und Subunternehmer bzw. Zulie­ ferer knüpft damit einerseits an die UNGP als Inspirationsquelle der lai de vigilance175 an, wird andererseits aber dem Bestreben des französischen Ge­ setzgebers gerecht, auf ein im französischen Recht bereits existierendes Kon­ zept zurückzugreifen. 1 76 Das Kriterium könnte sich daher als geeignetes Mit­ tel erweisen, um die Reichweite der Sorgfaltspflicht im Verhältnis zu Zulie­ ferern zu konturieren.

b) Kankretisierung durch die Rechtsprechung zur rupture brutale Die relation commerciale etabNe ist nicht gesetzlich definiert, wurde aber durch eine umfangreiche Rechtsprechung zur rupture brutale konkretisiert, weshalb dieses Merkmal dem Verfassungsrat keinen Anlass zur Beanstan­ dung gab. 1 77 Zwar seien einige Begriffe im Gesetz nicht bestimmt genug, um 172 Entgegen der nationalen Einordnung als deliktsrechtliche Haftung ist die Haftung laut EuGH, 14.7.2016 - C-196115, Granarolo SpA!Ambrosi Emmi France SA, ECLI:EU:C:2016:559, Rn.28 im europäischen internationalen Zivilverfahrensrecht ver­ tragsrechtlich zu qualifizieren. Dazu sowie rechtsvergleichend zur rupture brutale Hübner! Pika, ZEuP 2018, 32 [f. 1 73 UNGP 13, Hervorh. durch Ver! Vgl. in diesem Sinne auch UNGP 17 (a). 1 74 UNGP 13, Kommentar. 1 75 Siehe supra S. 9 f. 1 76 Cuzacq, in: FS Neau-Leduc, 2018, S. 287, 291. 1 77 Siehe supra S. 60; Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 20.

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daran eine Sanktion mit Strafcharakter zu knüpfen, doch seien sie nicht zugleich unbestimmbar. l78 Insbesondere der Begriff der relation commerciale etablie sei, weil aus dem Handelsrecht bekannt, ausreichend präzisiert. l79 N ach einer Formel der Cour de cassation muss die Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien vor dem Ab bruch einen kontinuierlichen, stabilen und regelmäßigen Charakter haben, so dass die von dem Abbruch betroffene Partei für die Zukunft vernünftigerweise auf eine gewisse Kontinuität der Geschäftsbeziehung mit ihrem Geschäftspartner vertrauen durfte. 1 8o Eine derartige Handelsbeziehung kann sogar ohne vertragliche Verbindung eta­ bliert werden oder nach Beendigung eines Vertragsverhältnisses fortbeste­ hen. 1 8 1 Punktuelle Einzelgeschäfte können für sich genommen zwar noch keine gefestigte Geschäftsbeziehung begründen, die Cour de cassation hat aber beispielsweise die über mehrere Jahre wiederholte Teilnahme an einer Messeveranstaltung für eine gefestigte Geschäftsbeziehung zwischen Veran­ stalter und Aussteller genügen lassen. 1 82 Ferner ist weder erforderlich, dass es sich bei der Handelsbeziehung um ein ausschließliches Verhältnis handelt, noch dass die von dem Abbruch betroffene Partei wirtschaftlich von ihrem Handelspartner abhängig ist. 1 83

c) Übertragung der rupture brutale-Rechtsprechung auf die loi de vigilance? Es stellt sich die Frage, ob die Rechtsprechungsgrundsätze zur rupture bru­ tale auf die loi de vigilance übertragen werden können, 1 84 und ob das Merkmal der gefestigten Geschäftsbeziehung tatsächlich zur Bestimmung der Reich­ weite der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht geeignet ist. 1 78 e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 22. lE e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 22. 180 Cour de cassation, Rapport arnmel 2008, 2009, S. 307: ,,[L]a doctrine et 1a jurispru­ dence limitent 1e dornaine d'application de l'article L. 442-6, I, 5°, du Code de cornrnerce aux cas Oll 1a relation cornrnercia1e etablie entre 1es parties revetait avant 1a rupture un caractere suivi, stable et habituel et Oll 1a partie victirne de l'interruption pouvait raison­ nablement anticiper pour l'avenir une certaine continuite du flux d'affaire avec son parte­ naire cornrnerciaI." (Hervorh. durch Verf); Cass. corn., 1 5 .9.2009, n° 08-19.200, BuH. civ. 2009, IV, n° 110; Cass. corn., 20.3.2012, n° 10-26.220. 181 Cass. corn., 9.3.2010, n° 09-10.216: ,,[D]es relations cornrnercia1es entre deux societes peuvent etre etablies rnerne si el1es ne sont pas liees par un contrat ou qu'eHes peuvent se prolonger apres 1a cessation de 1eur contrat"; vgI. Maetz, in: JCI. Concurrence - Consorn­ rnation, Stand: 30.9.2019, Rn. 10ff.; Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 3 1 1 . 182 Cass. corn., 15.9.2009, n° 08-19.200, Bull. civ. 2009, IV, n° 110; Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 3 1 1 . 183 Cass. corn., 17.3.2004, n° 02-17.575: ,,[L]a rupture brutale des relations commer­ cia1es etablies peut etre constatee independamment de toute situation de dependance eco­ nomique."; Cass. corn., 23.1 .2007, n° 04-16.779, 04-17.951, BuH. civ. 2007, IV, n° 8, S. 8. 184 Skeptisch Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 20.

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Mit Blick auf den ursprünglichen Gesetzentwurf und die Kritik daran ist die Geeignetheitzunächst zu bejahen, da eine relation commerciale etablie im Unterschied zu dem bestimmenden Einfluss kein Ausschließlichkeitsverhält­ nis verlangt. Im Fall des Rana Plaza wären also auch diejenigen Subunter­ nehmer von der Reichweite der Sorgfaltspflicht erfasst, die für mehrere Auf­ traggeber produzierten, von denen niemand einen bestimmenden Einfluss ausübte. Unter anderen Gesichtspunkten wird das Kriterium dagegen als zu streng bewertet.

aa) Ausschluss von punktuellen, aber signifikanten Vertragsbeziehungen Einige kritisieren, dass sog.journisseurs occasionnels, d. h. Zulieferer, welche die Auftraggebergesellschaft nur gelegentlich beliefern, von dem Anwen­ dungsbereich des Überwachungsplans ausgeschlossen seien, obwohl auch bei diesen ein signifikanter Geschäftsumfang denkbar sei, der zu einer wirt­ schaftlichen Abhängigkeit des Zulieferers führen könne. ISS Es wird einge­ wandt, dass das Kriterium an der falschen Stelle eine Grenze ziehe, weil eine Auftraggebergesellschaft unabhängig von dem Bestehen einer gefestigten Geschäftsbeziehung im Wege vertraglicher Abreden sicherstellen könne, dass die Vertragspartner sich verpflichten, die Menschenrechte zu achten. 1 86 Teil­ weise wird befürchtet, eine Beschränkung der Sorgfaltspflicht auf feste Ver­ tragspartner könne Anreize für die Führung instabiler Geschäftsbeziehun­ gen setzen, was wiederum das Risiko von Menschenrechtsverletzungen in den Zuliefererbetrieben steigern könne. 1 87 Ob dies allein das grundsätzliche Interesse beider Vertragsparteien an stabilen Lieferbeziehungen tatsächlich zu reduzieren vermag, scheint indes zweifelhaft. Vor dem Hintergrund des Schutzzwecks der lai de vigilance kann man aber die Übertragbarkeit der Rechtsprechung zur rupture brutale infrage stellen: Während bei der rupture brutale der Schutz des Subunternehmers im Mittel­ punkt steht, dessen Vertrauen auf den Fortbestand der Geschäftsbeziehung mit einem Haftungsanspruch gegen den Geschäftspartner geschützt wird, zielt der Gesetzgeber mit der lai de vigilance auf den Schutz Dritter und der Umwelt. 1 88 Das geschützte Vertrauen des Vertragspartners kann erst mit einer l !5 GaUois-Cochet, in: Schiller (Hrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S.45, Rn. 20; Mac Cionnaith/JazottesISabathier, RLDA 2017, 6168, 25, 28. 186 Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 3 1 1 ; a.A. Mac CionnaithlJazotteslSabathier, RLDA 2017, 6168, 25, 27, denen zufo1ge die Planer­ stellung einer gewissen Vorhersehbarkeit und Stabilität bedarf, die durch das Kriterium der gefestigten Geschäftsbeziehung gewährleistet sei. 187 GaUois-Cochet, in: Schiller (Hrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S.45, Rn. 21, unter Hinweis auf einen Bericht der nationalen Kontaktstelle der OECD über die Umsetzung der oECD-Leitlinien im Textilsektor . 188 Hannoun, Dr. social 2017, 806, 810; ParancelGroulx, Regards croises sur 1e devoir de vigilance et 1e duty of care, JD I 2018, n° 1, Rn. 8.

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gewissen Dauer und Stabilität der Geschäftsbeziehung entstehen, weshalb eine Einschränkung an der Stelle sinnvoll erscheint. Für den Schutz der Men­ schenrechte und Umwelt macht es hingegen keinen Unterschied, ob die Ge­ schäftsbeziehung schon eine bestimmte Zeit lang besteht und ob der Ver­ tragspartner auf das Fortbestehen der Vertragsbeziehung vertraut oder nicht. 1 89 Überträgt man die Rechtsprechung zur rupture brutale auf die loi de vi­ gi/ance, werden Fälle wirtschaftlicher Abhängigkeit ohne stabile Geschäfts­ beziehung ausgeklammert, in denen es gerade aufgrund der Abhängigkeit zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann. Dies scheint insbesondere im Vergleich zum prolet Catala als zu eng, das mit Art. 1 360 Abs. 1 des Entwurfs auf Fälle wirtschaftlicher Abhängigkeit zugeschnitten ist." o Das gilt jeden­ falls mit Blick auf die jüngere Rechtsprechung der Cour d'appel de Paris zur rupture brutale bei befristeten Verträgen: Danach liegt selbst bei einer Ver­ tragslaufzeit von mehreren Jahren (in der Sache fünf bis zehn Jahre) keine gefestigte Geschäftsbeziehung vor, da die vom Ab bruch betroffene Partei aufgrund der Befristung nicht auf den Fortbestand der Geschäftsbeziehung vertrauen konnte. 1 9 1 Dass der Abbruch der Beziehung noch vor Ablauf der Frist erfolgte, war für das Gericht irrelevant. 1 92 Mag es bei dem Kontakt mit "echten" fournisseurs occasionnels mangels Vorhersehbarkeit und Stabilität tatsächlich schwierig sein, Risiken aus deren Tätigkeit in den Überwachungsplan des Auftraggebers zu integrieren und diese vertraglich durchzusetzen, 1 93 wäre das bei auf mehrere Jahre befristeten Geschäftsbeziehungen durchaus möglich. Auch solche Vertragspartner von der Reichweite der Sorgfaltspflicht auszunehmen, bei denen aufgrund einer befristeten, aber dennoch längeren Geschäftsbeziehung eine gesteigerte Möglichkeit zur Einflussnahme besteht, wird dem Zweck des Gesetzes nicht gerecht. l� Eine künftige Anpassung der Auslegung der relation commerciale etablie durch die Rechtsprechung wäre daher wünschenswert. 1 95 Dabei gilt es Kri­ terien zu finden, die definieren, bei welcher Art von Verbindung zwischen m Jazottes, RLDA 2018, 6498, 28, 31. 190 Art. 1360 Abs. l projet Catala verlangt dem Wortlaut nach zwar nur, dass der Haft­ pflichtige die Tätigkeit einer anderen Person einrahmt und daraus wirtschaftlich Vorteile zieht. Der Kommentar zu Art. 1 360 spricht aber insgesamt von Situationen wirtschaftli­ cher Abhängigkeit, vgl. Viney, in: Catala (Hrsg.), Avant-projet de reforme du droit des obligations et de la prescription, 2006, S. 161, 167. 191 CA Paris, 20.9.2017, n° 141216 1 1 ; CA Paris, 5.7.2017, n° 17/08074; CA Paris, 25.1.2018, n° 17/20673; näher dazu Jazottes, RLDA 2018, 6498, 28, 30f. m Vgl. Jazottes, RLDA 2018, 6498, 28, 31; ähnlich Cuzacq, D. 2015, 1049, 105 1 . 193 Mac Cionnaith/JazottesISabathier, RLDA 2017, 6168, 25, 27. 194 BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 29; Hannoun, Dr. social 2017, 806, 810. 195 Jazottes, RLDA 2018, 6498, 28, 31.

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2. Teil: Die loi n° 2017-399 vom 27. März 2017

Auftraggebergesellschaft und Subunternehmer es der Auftraggeberin mög­ lich und zumutbar ist, Risiken für die Menschenrechte und Umwelt beim Subunternehmer zu ermitteln und erforderliche menschenrechtliche Sorg­ faltsmaßnahmen gegenüber dem Subunternehmer durchzusetzen. Für eine Anpassung der relation commerciale etablie an die Zwecke der lai de vigilance wird beispielsweise vorgeschlagen, nicht nur Dauer und Regel­ mäßigkeit der Beziehung, sondern auch Bedeutung und Umfang des Subun­ ternehmergeschäfts als Merkmale für eine relevante Geschäftsbeziehung zu berücksichtigen. l96 Legt man einen weiten Geschäftsbeziehungsbegriff zu­ grunde, der punktuelle Geschäftsbeziehungen einschließt, könnte man ferner erwägen, bei den Sorgfaltsanforderungen zwischen Konzern- und Zulieferer­ Konstellation zu differenzieren. 1 97 Wegen der erhöhten Einflussmäglichkeit in der Unternehmensgruppe könnte man, etwa in einer Durchführungsver­ ordnung 1 98 , an die Kontrolle von Tochtergesellschaften höhere Sorgfaltsan­ forderungen stellen als an die Überwachung von Subunternehmern, mit de­ nen nur eine punktuelle Geschäftsbeziehung besteht. bb) Integration der gesamten Lieferkette? Ob man die Rechtsprechung zur rupture brutale auf die Auslegung der loi de vigilance übertragen kann, wird des Weiteren bei der Frage relevant, ob nur direkte Geschäftspartner der Auftraggebergesellschaft von der Sorgfalts­ pflicht erfasst werden. Denkbar wäre darüber hinaus eine Erstreckung auf Subunternehmer von Tochtergesellschaften und Zwischenlieferanten auf der zweiten, dritten und weiteren Ebenen der Lieferkette. 1 99 (1) Fallbeispiel: Das v, George Weston Limited (CA Ontario) Wie sich die verschiedenen Auslegungen im konkreten Fall auswirken, ver­ anschaulicht der vereinfachte Sachverhalt der kanadischen Entscheidung Das v. George Weston Limited, einer Entscheidung zum Einsturz des Rana Plaza.20o Die kanadische Abnehmerin Loblaws Companies Ltd. hatte Klei­ dungsstücke von einem indischen Lieferanten (Pearl Global Ltd.) bezogen. Dieser ließ einen Teil der Produkte von den selbstständigen Textilunterneh­ men New Wave Style Ltd. und New Wave Bottoms Ltd. im Rana Plaza her1% GaUois-Cochet, in: Schiller (Hrsg.),

Le devoir de vigilance, 2019, S.45, Rn. 21; Han­ noun, Dr. socia1 2017, 806, 810. 197 GaUois-Cochet, in: Schiller (Hrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S.45, Rn. 19; Nord­ hues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 3 1 1 f. 198 Dazu siehe infra S. 141 ff. 19!! BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 28 ff.; Jazottes, RLDA 2018, 6498, 28, 29. 200 Das v George Weston Limited[2018] ONCA 1053; in dem Fall war sogar noch eine kanadische Filiale zwischengeschaltet, siehe supra S. 28.

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stellen. Etwa 50 % der von New Wave produzierten Waren gingen an Loblaws. Handelte es sich bei Loblaws um eine französische SA mit entsprechener Zahl von Angestellten, wäre sie nach der loi de vigilance verpflichtet, einen Über­ wachungsplan zu erstellen. 201 Je nach Auslegung der Reichweite im Zuliefer­ erverhältnis müsste sie nur die Tätigkeit des direkten Zulieferers Pearl Glo­ bal, oder auch diejenige des indirekten Lieferanten New Wave im Plan be­ rücksichtigen. Da die deliktsrechtliche Haftung an eine Verletzung der rechtsträgerüber­ greifenden Sorgfaltspflicht anknüpft, wirkt sich die Reichweite der Sorgfalts­ pflicht unmittelbar auf das Haftungsrisiko der planerstellenden Gesellschaft aus.202 Im Fall von Loblaws drohte beispielsweise nur bei einer Erstreckung der Sorgfaltspflicht auf New Wave, den Sub-Subunternehmer im Rana Plaza, eine Haftung auf Grundlage der loi de vigilance. (2) Rupture brutale in Kettenbeziehungen Legt man vorliegend die Rechtsprechung zur rupture brutale zugrunde, wäre eine direkte Geschäftsbeziehung zwischen Auftraggebergesellschaft und Zu­ lieferer erforderlich.203 Kettenbeziehungen werden im Rahmen der rupture brutale nur ausnahmsweise berücksichtigt: So bejahte die Cour de cassation die Haftung der Muttergesellschaft einer 100 %igen Tochtergesellschaft für den brutalen Abbruch deren Beziehung mit einem Dritten, da die Tochter­ gesellschaft keinen Entscheidungsspielraum hinsichtlich des Abbruchs ge­ habt habe.2C4 Zulässig ist ferner, dass nicht der Partner der Geschäftsbezie­ hung, sondern dessen Subunternehmer oder ein Dritter Schadensersatz gel­ tend machen, wenn ihnen aufgrund des Abbruchs der Beziehung zwischen den Parteien ein Schaden entstanden ist. 205 In beiden Fällen geht es indes nur um die Frage, wer Haftungsschuldner bzw. -gläubiger ist. Die etablierte Ge­ schäftsbeziehung besteht dagegen stets nur zwischen den direkten Part­ nern. 206 201 Zum persönlichen Anwendungsbereich der loi de vigilance siehe supra S. 70 ff. 201 Hannoun, Dr. socia1 2017, 806, 810; zur Haftung siehe infra S. 177 ff. 203 Jazottes, RLDA 2018, 6498, 28, 29; Kutscher-Puis, ZVertriebsR 2020, 174, 176. 204 Cass. corn., 5.7.2016, n° 14-27.030; anders bei gewisser Entscheidungsrnacht der Tochtergesellschaft hinsichtlich des Abbruchs: Cass. corn., 20.5.2014, n° 12-26.705,12-26.970, 12-29.28 1, Bull . civ. 2014, IV, n° 90; Cass. corn., 6.10.2015, n° 14-19.499, siehe Maetz, in: JCI. Concurrence - Consornrnation, Stand: 30.9.2019, Rn. 17. 205 Cass. corn., 18.5.2010, n° 08-21.681, Bull. civ. 2010, IV, n° 89; Cass. corn., 6.9.20 1 1 , n° 10-1 1 .975, Bull. civ. 2011, IV, n° 126; Cass. corn., 26. 1 1 .2013, n° 12-26.015; L e Bescond Je Coatpont, in: JCI. Contrats - Distribution, Stand: 19.1 0.2021, Rn. 14 ff.; Maetz, in: JCI. Concurrence - Consommation, Stand: 30.9.2019, Rn. 19. 2% Cass. corn., 7.10.2014, n° 1 3-20.390: "une relation commercia1e dablie s'entend d'echanges commerciaux conclus directernent entre 1es parties".

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2. Teil: Die loi n° 2017-399 vom 27. März 2017

Übertragen auf die lai de vigilance bedeutet das, dass die Mutler- oder Auftraggebergesellschaft eine relation commerciale etablie mit dem indirek­ ten Zulieferer unterhalten müsste, damit dieser von der Sorgfaltspflicht er­ fasst ist. Sofern jedoch eine Tochtergesellschaft oder ein direkter Zulieferer zwischengeschaltet ist, sind regelmäßig jene Parteien der Geschäftsbezie­ hung. 207 Für Unternehmensgruppen hat die Cour d'appel de Paris dies jüngst bestätigt: Eine graupe de societes könne mangels eigener Rechtspersönlich­ keit keine Geschäftsbeziehungen eingehen; es müsse daher zwischen den Be­ ziehungen der einzelnen Gesellschaften der Gruppe getrennt werden.2°O (3) Auslegung der lai de vigilance An einer Übertragung auch dieser Aspekte der rupture brutale-Rechtspre­ chung wäre zu zweifeln, sofern die lai de vigilance selbst eine andere Ausle­ gung nahelegt. Das Gesetz gibt jedoch keine eindeutigen Anhaltspunkte da­ für, wie weit die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht in die Lieferketle hin­ einreicht: Aus der Entstehungsgeschichte der Norm könnte man ableiten, dass auch Subunternehmer und Zulieferer von Tochtergesellschaften berücksichtigt werden müssen: Nach Einfügung der Geschäftsbeziehung als Abgrenzungs­ kriterium in Zulieferer-Konstellationen hieß es im Entwurf zwischenzeitlich, dass Tätigkeiten "de leurs sous-traitants ou fournisseurs avec lesquels elle entretient une relation commerciale etablie" zu berücksichtigen seien.209 Demnach sollten die Aktivitäten ihrer (plural, d. h. Auftraggebergesellschaft und Tochtergesellschaften) Subunternehmer und Zulieferer einbezogen wer­ den, zu denen sie (Singular, d. h. nur die Auftraggebergesellschaft) eine ge­ festigte Geschäftsbeziehung hat.2lO 207 Ausnahme ist laut Kutscher-Puis, ZVertriebsR 2020, 174, 176 1ediglich eine gezielte Umgehung durch StrohmäIlller. 208 CA Paris, 13.1 .2021, n° 18-18.549, Contrats - Concurrence - Consommation, 2021, 41: "Toutefois, des lors qu'un groupe de societes, depourvu de 1a persoIlllalite mora1e, qui ne peut s'engager par contrat, ne peut constituer un partenaire commercial au sens de l'article L. 442-6, I, 5° du code de commerce, [. . . ], il appartient en1'espece au liquidateur es qualites de justifier de ce que 1a societe LPE a entretenu elle-meme des relations commer­ cia1es avec chacun des 43 magasins en cause, a10rs que selon 1es propres conclusions de l'appe1ante, ces 43 magasins etaient en realite, au moment de 1a rupture alleguee, exp10ites par 36 societes differentes pourvues de persoIlllalites juridiques autonomes et distinctes de 1a societe LPE." 200 AN, TA n° 501, 30.3.2015, S. 2; AN, TA n° 708, 23.3.2016, S. 2, abrufbarunter www. assemb1ee-nationa1e.fr/14/pdf/rapportsIr2504.pdf (letzter Abruf 1 .7.2021). 210 Siehe Polier, Rapport n° 3582, AN, 16.3.2016, S. 29: "Ilest clair que « leurs " renvoie a 1a fois aux sous-traitants et fournisseurs des societes contr61ees et a ceux de 1a societe mere, qu'ils se trouvent en territoire fran�ais ou sur 1e sol etranger puisque l' obligation elle­ meme ne porte infine que sur 1a societe-mere etablie en France." (Hervorh. im Original).

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Ein noch etwas weiteres Verständnis ergibt sich aus den Gesetzgebungs­ materialien: Danach sollte genügen, dass allein die Tochtergesellschaft des Auftraggebers eine etablierte Geschäftsbeziehung zu dem Subunternehmer oder Zulieferer hat.2 11 Berichterstatter Potier sprach in einem seiner rapports davon, dass die Tätigkeit der Subunternehmer und Zulieferer zu überwachen sei, mit denen sie eine gefestigte Geschäftsbeziehung unterhielten.212 Der Wortlaut des Gesetzes in der geltenden Fassung gibt aufgrund seiner passivischen Formulierung ("zu denen eine gefestigte Geschäftsbeziehung besteht") dagegen keinen Hinweis darauf, ob die Geschäftsbeziehung mit der Auftraggebergesellschaft bestehen muss, oder ob eine relation commerciale etablie zwischen Tochtergesellschaft und Subunternehmer genügt. 21 3 Für eine engere Auslegung als in der Unternehmensgruppe könnte indes sprechen, dass für Zulieferer-Konstellationen nicht explizit direkte und indirekte Be­ ziehungen genannt sind, wie das bei den societes contr6lees der Fall ist. 214 Die Änderung zur heutigen Version sei nach Auffassung der Antragsteller eine deutliche Verbesserung. 215 Ob sie bewusst erfolgte, um Subunternehmer wei­ terer Ränge zu erfassen, oder gerade, um diese auszuschließen, geht daraus jedoch nicht hervor. Worin die Verbesserung der neuen Textversion besteht, ist daher offen. Legt man deshalb mangels eindeutiger Hinweise im Gesetz weiterhin die Rechtsprechung zur rupture brutale zugrunde, erstreckt sich die Sorgfalts­ pflicht nur auf Subunternehmer und Zulieferer, zu denen die Auftraggeber­ gesellschaft selbst eine direkte Geschäftsbeziehung hat. (4) Bewertung und Zwischenergebnis Ein solch enges Verständnis, wonach grundsätzlich nur die Tätigkeit von Subunternehmern und Zulieferern des ersten Rangs (first tier-supplier) in den Überwachungsplan der Auftraggebergesellschaft intergriert werden muss, steht dem Ziel der lai de vigilance entgegen, im Sinne der UNGP Menschen­ rechtsverletzungen in der gesamten Lieferkette zu bekämpfen.

2ll BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 29. 212 Siehe Polier, Rapport n° 4242, AN, 23. 1 1 .2016, S. 1 1 : "Ces risques sont lies a l'ac­ tivite de la societe assujettie, mais aussi aux operations des societes qu'elle contr61e ainsi que des sous-traitants et des foufInsseurs avec lesquels elles entreliennent une relation commerciale etablie." (Hervorh. durch Verf). 2lJ BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 2Sf. m.w.N. 2 14 Kutscher-Puis, ZVertriebsR 2020, 174, 176; Schiller, JCP E 2017, etude 1 193, 19, Rn. 5. Vgl. Art. L. 225-102-4 I. Abs. 3 C. com.: ,,[. . . ] societes qu'elle contr61e au sens du 11 de l'article L. 233-16, directement ou indirectement [ . . .]." 2 15 Amendement n° CLlO zu Text n° 41 33, abrufbar unter (letzter Abruf 1.2.2022).

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2. Teil: Die loi n° 2017-399 vom 27. März 2017

Die Wahl der relation commerciale etablie aus dem französischen Handels­ recht liegt begrifflich zwar nahe. Die "Geschäftsbeziehung" nach dem Ver­ ständnis der UNGP ist allerdings weniger formalisiert und reicht weiter: Laut dem Kommentar zu UNGP 1 3 genügt eine Verbindung mit der Geschäfts­ tätigkeit, den Produkten oder Dienstleistungen des Unternehmens. Eine sol­ che besteht auch auf weiter unten liegenden Ebenen der Lieferkette, wo bei­ spielsweise Produkte für die Auftraggebergesellschaft hergestellt werden. Die passivische Formulierung des Wortlauts von Art. L. 225-1 02-4 1. Abs. 3 C. com. ließe allenfalls zu, die Sorgfaltspflicht auf direkte Subunter­ nehmer und Zulieferer der societes contr6tees zu erstrecken.2 1 6 Dieses Ver­ ständnis klingt in einer Stellungnahme der Regierung zu dem Gesetz sowie in der Entscheidung des Conseil constitutionnel an, die beide von "Subunter­ nehmern der Tochtergesellschaften" sprechen.2 1 7 Andererseits bestätigt der Conseil constitutionnel die Verfassungskonfor­ mität des Gesetzes hinsichtlich der Reichweite der Sorgfaltspflicht gerade deshalb, weil der Begriff der relation commerciale hablie bereits aus dem Handelsrecht bekannt sei.2 1 8 Aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorher­ sehbarkeit der Norm kann deshalb bis zu einer Klärung durch die Recht­ sprechung nur sicher von einer Erstreckung der Sorgfaltspflicht auf Subun­ ternehmer und Zulieferer erster Stufe ausgegangen werden, mit denen die Auftraggebergesellschaft eine direkte, gefestigte Geschäftsbeziehung hat.2 1 9 Für das Fallbeispiel zum Rana Plaza bedeutet das, dass sich die Sorgfalts­ pflicht des Endabnehmers Loblaws nur auf den direkten Zulieferer Pearl Global erstrecken würde. Folglich scheint eine Haftung für die mit dem Ein-

216 Dafür GaUois-Cochet, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S. 45, Rn. 21; Hannoun, Dr. socia1 2017, 806, 8 1 0; aA. Schiller, JCP E 2017, etude 1 193, 19, Rn. 5. m e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 1 1 : ,,[ ... ] tousles sous-traitants et 1es foufInsseurs avec 1esquels el1es entretieIlllent une relation commercia1e etablie"; Obser­ vations du Gouvernement sur 1a loi relative au devoir de vigi1ance des societes meres et des entreprises dOIllleuses d'ordre, JORF du 28 mars 2017, n° 74: ,,[. . . ] 1es sous-traitants et 1es foufInsseurs qui participent a 1a chaine de production du groupe [ . . .] soit directement pour 1a societe mere, soit pour l'une de ses filiales". Siehe auch Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 17. m e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 22. 219 Danis-FatbmeIViney, D. 2017, 1610, 1613; Kutscher-Puis, ZVertriebsR 2020, 174, 176; Nasse, ZEuP 2019, 773, 793; Schiller, Jep E 2017, dude 1 193, 19, Rn. 5; mit ähnli­ chem Verständnis Nordhues, Haftung für Menschemechtsver1etzungen im Konzern, 2018, S. 310ff. Siehe auch Cuzacq, in: FS Neau-Leduc, 2018, S. 287, 296, der danach unter­ scheiden will, ob die Tochtergesellschaften nach der Bereichsausnahme vom Erstellen eines eigenen Plans befreit sind oder nicht. Im ersten Fall müsse die Muttergesellschaft dies übernehmen und die Subunternehmer und Zulieferer der befreiten Tochtergesellschaften im Plan erfassen.

§ 1 Tatbestand der loi Je vigilance

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sturz des Fabrikgebäudes eingetretenen Menschenrechtsverletzungen ausge­ schlossen. 22o 3. Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Geschäftsbeziehung Unabhängig von der Auslegung des Begriffs der gefestigten Geschäftsbezie­ hung beschränkt die lai de vigilance die Reichweite der Sorgfaltspflicht auf diejenigen Tätigkeiten der Subunternehmer und Zulieferer, die im Zusam­ menhang mit der Geschäftsbeziehung stehen ("lorsque ces activites sont rat­ tachees cl cette relation").221 Diese im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ergänzte Präzisierung222 ist sinnvoll, da die Einflussmöglichkeiten der Auf­ traggebergesellschaft durch die Geschäftsbeziehung vermittelt werden, diese die Subunternehmer und Zulieferer also auch nur insoweit beeinflussen kann, wie die Tätigkeit sich im Rahmen der Geschäftsbeziehung hält.22J 4. Ergebnis für Subunternehmer und Zulieferer Hinsichtlich der Reichweite der Sorgfaltspflicht in Zulieferer-Konstellati­ onen ist dem französischen Gesetzgeber eine weniger klare Lösung gelungen als in der Unternehmensgruppe. Das Bestreben, auf bereits bekannte Be­ griffe wie die relation commerciale etablie zurückzugreifen, scheint grund­ sätzlich sinnvoll. Angesichts der vielen offenen Fragen und des Anpassungs­ bedarfs an den Zweck des Gesetzes wäre es aber womöglich zielführender gewesen, einen neuen Begriff zu definieren. Ohne eine weitere Konkretisie­ rung durch die Zivilgerichte kann auf Grundlage der Rechtsprechung zur rupture brutale nur sicher von einer Erstreckung der Sorgfaltspflicht auf Sub­ unternehmer und Zulieferer ausgegangen werden, zu denen die Auftragge­ bergesellschaft eine direkte, feste Geschäftsbeziehung hat. C.

Inhalt der Sorgfaltspflicht

Nach der Definition des persönlichen Anwendungsbereichs und der Reich­ weite der lai de vigilance stellt sich die Frage, welche Pflichten den betreffen­ den Gesellschaften im Einzelnen auferlegt werden. Bei wortlautgetreuer Übersetzung wurde durch das Gesetz eine "Pflicht zur Wachsamkeit" (devair de vigilance), mit anderen Worten eine Sorgfaltspflicht, eingeführt.224 Die 220 Zu den Voraussetzungen einer Haftung auf Basis der loi de vigilance siehe infra S. l77ff. 221 Hannoun, Dr. socia1 2017, 806, 810; Schiller, JCP E 2017, etude 1193, 19, Rn. 5. 22l Vgl. GaUois-Cochet, in: Schiller (Hrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S.45, Rn. 20. 22J ReygrobeUet, RLDA 2017, 6275, Rn. 17. 224 Vgl. auch die Übersetzung bei Mansei, ZGR 2018, 439, 474ff.: "Überwachungs­ pflicht".

2. Teil: Die loi n° 2017-399 vom 27. März 2017

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Sorgfaltspflicht hat drei Elemente: Gemäß Art. L. 225-1 02-4 I. Abs. I C. com. muss ein sog. Überwachungsplan (plan de vigilance) erstellt (1.) und effektiv umgesetzt (11.) werden. Zudem sind der Plan und ein Bericht über seine Umsetzung in den Geschäftsbericht gemäß Art. L. 225-100 Abs. 2 C. com. zu integrieren und zu veröffentlichen (III.).225 1 Erstellen eines plan de vigilance Die inhaltlichen Anforderungen an den Überwachungsplan beschreibt Art. L. 225-1 02-4 I. Abs. 3 C. com.: Der Plan soll Maßnahmen angemesse­ ner Sorgfalt beinhalten, die zur Identifikation von Risiken und zur Präven­ tion schwerwiegender Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreihei­ ten, der Gesundheit und Sicherheit der Menschen sowie der Umwelt geeignet sind.226 Ergänzt wird dies durch einen Maßnahmenkatalog in Art. L. 225-102-4 I. Abs. 4 C. com.227 Die Sorgfaltspflicht umfasst mithin im Kon­ trast zum engen persönlichen Anwendungsbereich einen weiten Bereich von Schutzgütern.228 Um den Schutzbereich angemessen in ihrem Sorgfaltsplan zu spiegeln und die Sorgfaltsmaßnahmen daran auszurichten, stellt sich für die Gesellschaften zunächst die Frage, wie diese Schutzgüter zu konkretisie­ ren sind. 1. Schutzbereich der Sorgfaltspjlicht a) Keine Dejlnition im Gesetz Ähnlich wie der Rechtsgüterkatalog von § 823 Abs. 1 BGB nennt die lai de vigilance - zunächst nur für die Zwecke der Sorgfaltspflicht229 - abstrakt eine Reihe von Schutzgütern, deren Verletzung es mit den Überwachungsmaß­ nahmen zu vermeiden gilt: Menschenrechte, Grundfreiheiten, Gesundheit, Sicherheit und Umwelt. Mit Begriffen wie "Menschenrechte und Grundfrei­ heiten" hat der französische Gesetzgeber primär öffentlich-rechtlich ge­ prägte, unbestimmte Rechtsbegriffe gewählt. 2JO Eine Definition oder eine 225 Art. L. 225-102-4 l Abs. 5 C. corn.: "Le plan de vigilance et le compte rendu de sa mise en ceuvre effective sont rendus publies et inclus dans le rapport de gestion mentiOIllle au deuxieme alinea de l'article L. 225-100." 226 Art. L. 225-102-4 I. Abs. 3 C. com.: "Le plan comporte les mesures de vigilance raisOIlllable propres a identifier les risques et a prevenir les atteintes graves envers les droits humains et les libertes fondamentales, la sante et la securite des personnes ainsi que l'en­ vironnement, [ ]." 227 Siehe infra S. 132 ff. m PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S. lO; BrabantlMichoniSavourey, RIC 2017, 93, 26, 31; Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 305. l?i! Zur Haftung nach der deliktsrechtlichen Generalklausel und einer möglichen Mo­ difikation durch die Nennung bestimmter Schutzgüter siehe noch infra S. 177 ff., 186 f. 230 Zur Auslegung dieser beiden Begriffe vgl. insbesondere Roman, RDT 2017, 391 ff. . . .

§ 1 Tatbestand der loi Je vigilance

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Aufzählung von Referenznormen, anhand derer eine Definition der Begriffe "Menschenrechte und Grundfreiheiten" erfolgen könnte, fehlt jedoch. 2J 1 Eine solche Aufzählung einschlägiger Menschenrechtsübereinkommen wäre dem französischen Recht nicht fremd. Im Verbraucherrecht gibt es eine derartige Regelung. Gemäß Art. L. 1 1 3-1 Code de la consommation Ce. con­ som.) sind Erzeuger, Hersteller und Vertreiber einer in Frankreich in Verkehr gebrachten Kaufsache verpflichtet, einen Verbraucher auf Nachfrage über die Herstellungsbedingungen der Kaufsache zu informieren, wenn dieser Anlass zu Zweifeln daran hat, dass die Kaufsache unter Umständen herge­ stellt wurde, die den internationalen Menschenrechtsübereinkommen ent­ sprechen. 232 Eine per Dekret festgelegte Liste konkretisiert die relevanten internationalen Übereinkommen.233 Genannt werden: 1. Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 (UN-Zivilpakt); 2. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. De­ zember 1966 (UN-Sozialpakt); 3. Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979 (UN-Frauemechtskonvention); 4. Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989 (UN-Kinder­ rechtskonvention); 5. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezem­ ber 2006 (UN-Behindertemechtskonvention); 6. ILO-Übereinkommen Nr. 29 über Zwangs- oder Pllichtarbeit vom 28. Juni 1930; 7. ILO-Übereinkommen Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Verei­ nigungsrechts vom 17. Juni 1948; 8. ILO-Übereinkommen Nr. 98 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungs­ rechts und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen vom 1 . Juli 1949; 9. ILO-Übereinkommen Nr. l00 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weib­ licher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit vom 29. Juni 1951; 10. ILO-Übereinkommen Nr. 105 über die Abschaffung der Zwangsarbeit vom 25. Juni 1957; 1 1 . ILO-Übereinkommen Nr. l l l über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25. Juni 1958; 12. ILO-Übereinkommen Nr. 138 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäfti­ gung vom 26. Juni 1973;

2Jl Kessedjian, in: Melanges Witz, 2019, S. 407, 414; Nasse, ZEuP 2019, 773, 791; Sa­ vourey, in: European Commission (Rrsg.), Study on due diligence requirements through the supply chain, 2020, S. 56, 62. 2J2 Art. L. 1 1 3-1 C. consom.: "Le fabricant, le producteur oule distributeur d'un bien commercialise en France transmet au consommateur qui en fait la demande et qui a cOIlllaissance d'eIements serieux mettant en doute le fait que ce bien a ete fabrique dans des conditions respectueuses des conventions internationales relatives aux droits humains fon­ damentaux, toute information dont il dispose [ ]." 2JJ Art. D. 1 1 3-1 C. consom.: "Pour l'application des dispositions de l'article L. 1 13-1, constituent des conventions internationales relatives aux droits humains fondamentaux: [ ]." . . .

. . .

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2. Teil: Die loi n° 2017-399 vom 27. März 2017

13. ILO-Übereinkommen Nr. 182 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit vom 17. Juni 1999.

Ein vergleichbarer Katalog wäre auch für die lai de vigilance als Referenz­ rahmen denkbar gewesen. Insbesondere mit Blick auf das bereits mehrfach festgestellte Bestreben des französischen Gesetzgebers, im Sinne der Einheit der Rechtsordnung auf Begriffe und Instrumente aus dem geltenden Recht zurückzugreifen, venvundert es sehr, dass er sich bei Schaffung der lai de vigilance nicht die Regelung aus dem Verbraucherrecht zum Vorbild genom­ men hat. Aus den Gesetzgebungsmaterialen zur lai de vigilance geht jedoch hervor, dass es nicht für erforderlich erachtet wurde, im Gesetz selbst oder per Rechtsverordnung Referenznormen für die geschützten Rechtsgüter zu be­ nennen. 234 Der Berichterstatter Potier ging davon aus, dass die völkerrecht­ lichen Verpflichtungen Frankreichs in diesem Bereich hinreichend präzise und vollständig seien. 235 Die von Frankreich unterzeichneten Menschen­ rechtsverträge gingen den einfachen Gesetzen gemäß Art. 55 CF vor, seien daher auch ohne explizite Nennung im Gesetz anwendbar.236 Einige erkennen in dem Fehlen eines konkretisierenden Katalogs der er­ fassten Schutzgüter Vorteile, da so dem stetigen Wandel der Menschenrechte und der übrigen Begriffe Rechnung getragen werden und eine größere Zahl von Risiken erfasst werden könne. 237 Der Conseil constitutionnel ist indes anderer Auffassung: Die offen formulierte und dadurch unbestimmte Be­ schreibung der Schutzgüter der lai de vigilance ist einer der Gründe, weshalb der Verfassungsrat die zivilrechtliche Bußgeldbestimmung für verfassungs­ widrig erklärt.238 Wegen des weiten und unbestimmten Charakters der Be­ griffe draits humains und fibertes/andamentales werde der Pflichtverstoß, der ein Bußgeld nach sich ziehen könne, nicht ausreichend klar und präzise de­ finiert; das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot sei daher verletzt. 239 Die 234 Vgl. auch Observations du Gouvernement sur 1a loi relative au devoir de vigi1ance des soeietes meres et des entreprises dOIllleuses d'ordre, JORF du 28 mars 2017, n° 74: "Ce perimetre ne vise pas un corpus de normes preetablies qui s'imposeraient aux entreprises concernees. 11 identifie 1a nature des risques qui devront figurer dans 1e plan de vigilance." 235 Polier, Rapport n° 4242, AN, 23. 1 1 .2016, S. l l . 236 Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S. 31 Fn. 2. 2J7 BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 3 1 f.; Mougeolle, La Revue des droits cle l'homme 2017, [online], Rn. 19. m Siehe supra S. 56 ff. 239 e.e. Decisionn° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 13: "Compte tenu de 1a generalite des termes qu'il a emp1oyes, du caraca.�re 1arge et indetermine de 1a mention des {{ droits hu­ mains "et des {{ libertes fondamentales ,, [ . . .] 1e 1egis1ateur ne pouvait, sans meCOIlllaltre 1es exigences decoulant de l'article 8 de 1a Declaration de 1789 [ . . .] retenir que peut etre soumise au paiement d'une amende d'unmontant pouvant atteindre dixmillions d'euros 1a soeiete qui aurait commis un manquement defini en des termes aussi insufisamment clairs et preeis."

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amende civile wurde zwar gestrichen, doch die Unbestimmtheit des Tatbe­ standes in Bezug auf die Schutzgüter bleibt. Es stellt sich deshalb die Frage, wie die o. g. Begriffe zur Förderung einer einheitlichen Anwendung der lai de vigilance allgemein definiert werden können. b) Menschenrechte und Grundfreiheiten Draits de l'hamme et fibertes fandamentales bilden heute im französischen Recht ein festes Begriffspaar.240 Im Unterschied zu der Wortwahl verschie­ dener Menschenrechtserklärungen und völkerrechtlicher Verträge, wie der DDHC241 , der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)242 oder der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR)24J , spricht die lai de vigilance allerdings nicht von draUs de l'hamme, sondern von draUs humains. Diese Abkehr von der traditionellen Terminologie kam bereits in den 1 990er Jahren auf, weil man die Geschlechterneutralität und Universalität der Men­ schenrechte verdeutlichen wollte.244 Auch bei dem Entstehen der lai de vigi­ lance hat sich unter Orientierung an dem Begriff der "Human Rights" der internationalen saft law-Instrumente eine derartige Entwicklung vollzogen: Der letzte Gesetzentwurf stellte zunächst auf draits de l'hamme ab, die Fas­ sung wurde aber später - nach einigen gescheiterten Anträgen - zu draUs humains geändert.245 Der erfolgreiche Änderungsantrag betonte, dass insbe­ sondere im Textilsektor, in dem oftmals prekäre Arbeitsbedingungen herrschten, 80 0/0 der Angestellten Frauen seien und sich dies in dem inno­ vativen Gesetz widerspiegeln müsse. 246 Eine inhaltliche Änderung geht damit aber nicht einher. Mit dem Begriff der "Grundfreiheiten" (libertesfandamentales) sind nicht etwa die Grundfreiheiten aus dem Europäischen Primärrecht gemeint, son240 Vgl. z. B. das Lehrbuch von Oberdorff, Droits de l'homme et libertes fondamentales, 2019.

241 Ihr französischer Titel lautet "Declaration des Droits de l'Homme et du Citoyen de 1789". 242 Konvention zum Schutze der Menschemechte und Grundfreiheiten vom 4. Novem­ ber 1950. Der französische Titel der EMRK lautet "ConventioneuropeeIllle de sauvegarde des droits de l'homme et des libertes fondamentales", abgekürzt mit CEDH. 243 Allgemeine Erklärung der Menschemechte vom 10. Dezember 1948, Res. 217 A(III) der UN-Genera1versammlung, Universal Declaration ofHuman Rights, GAOR 111 (Part I - Resolutions), Doc. Al81 0, p. 71. Der französische Titel der AEMR lautet "Declaration universelle des droits de l'homme", abgekürzt mit DUDH. 244 Zu der Entwicklung von den droUs Je l'homme zu droUs humains Roman, RDT 2017, 391, 393ff. m.w.N., auch zu Gegenstimmen, die an dem tradierten Begriff der droUs de l'homme festhalten wollen. W Vg!. PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S. 14; Roman, RDT 2017, 391, 395. 246 Amendement n° 20 zu Text n° 3582, abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022).

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dern Freiheitsgarantien im Sinne der Grundrechte (draUs Jondamentaux).247 Wie die Bezeichnung der draUs humains haben sich die Grundfreiheiten in den 1990er Jahren entwickelt: Die sog. bürgerlichen Freiheiten (fibertes pu­ bliques), die allein im Vertikalverhältnis gegenüber der Exekutive Abwehr­ rechte garantierten,248 haben sich zu Abwehrrechten gegenüber allen drei Staatsgewalten gewandelt und so der deutschen Grundrechtskonzeption an­ genähert; man spricht deshalb oft von draUs et libertes Jondamentaux.249 Grundfreiheiten werden in Frankreich als Rechte und Freiheiten definiert, die durch nationale, europäische oder internationale (Verfassungs-)Normen geschützt sind.250 Im Unterschied zu den libertespubliques gelten sie einerseits zugunstenjuristischer Personen und entfalten andererseits - in Parallele zur deutschen Grundrechtsdogmatik - jedenfalls mittelbare Drittwirkung im Horizontalverhältnis zwischen Privaten. 2S1 Zur Beseitigung der Unsicherheiten, die aus dem offenen Tatbestand der lai de vigilance resultieren, sind die Menschenrechte und Grundfreiheiten anhand der französischen Menschenrechtsquellen und der internationalen Verpflichtungen Frankreichs zu konkretisieren. 2S2 Von einer Möglichkeit der Konkretisierung der Menschenrechte und Grundfreiheiten geht auch der Verfassungsrat aus: Der Tatbestand des Ge­ setzes sei zwar für eine Sanktion zu allgemein und unpräzise, die verwendeten Begriffe seien aber bestimmbar, weshalb das verfassungsrechtliche Ziel der Zugänglichkeit und Verständlichkeit des Gesetzes nicht verletzt sei. 25J Zu der Art und Weise der Konkretisierung verhält sich der Verfassungsrat aber nicht. Anhaltspunkte finden sich in den Gesetzgebungsmaterialien: In einem Bericht für die Nationalversammlung beschreibt der Abgeordnete Po tier den Begriff der Menschenrechte entsprechend der o. g. abstrakten Definition der Grundfreiheiten als diejenigen Rechte, die durch verfassungsrechtliche Texte

247 Roman, RDT 2017, 391, 393. 248 Dazu rechtsvergleichend Hochmann, in: MarschfVilainlWendel (Rrsg.), Französi­ sches und Deutsches Verfassungsrecht, 2015, S. 323, § 7 Rn.4. 249 FavoreuJGai"aIGhevontian u.a., Droit constitutiOIlllel, 2019, Rn. 1285; Roman, RDT 2017, 391, 392f.; rechtsvergleichend Hochmann, in: MarschfVilainlWendel (Rrsg.), Fran­ zösisches und Deutsches Verfassungsrecht, 2015, S. 323, § 7 Rn. 4 ff. 25(l FavoreuJGai"aIGhevontian u.a., Droit constitutionnel, 2019, Rn. 1281. 251 FavoreuJGai"aIGhevontian u. a., Droit constitutionnel, 2019, Rn. 1285, 1327 f. m La/argue, Jep S 2017, doch. 1 1 69, 12, Rn.23; MaleeId, Bull . Joly Soc. 2017, 298, 299. 253 e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 22: ,,[. . . ] si certaines des notions em­ ployees par le legislateur sont, pour les motifs enonces plus haut, insuffisamment precises pour permettre de definir un manquement de nature a justifier une sanction ayant le caractere d'une punition, celles-ci ne presentent toutefois pas un caractere inintelligible." Siehe supra S. 56 ff.

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sowie europäische und internationale Konventionen garantiert seien. 254 Kon­ kret kommen die folgenden Rechtsquellen in Betracht: aa) Nationale Menschenrechtsquellen Frankreichs Zentrale Quelle der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf nationaler Ebene ist in Frankreich - einem der "Vaterländer der Menschenrechte"255 die zuvor genannte DDHC, die über die Präambel der französischen Verfas­ sungzum sog. "Verfassungsblock" (bloc de constitutionnalite) gehört und Ver­ fassungsrang genießt. 256 Insgesamt 1 7 Artikel erklären die "natürlichen, un­ veräußerlichen und heiligen Rechte des Menschen"257. Rechtsträger sind alle Menschen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit."! Als "feierliche Er­ klärung" proklamiert die DDHC in Form grundlegender Prinzipien einen kraft der Natur bestehenden Status quo von Rechten.259 Sie ist ursprünglich nicht als Grundlage für verfassungsrechtlichen Schutz verfasst worden.2w Wegen ihres abstrakten Charakters ist die Erklärung nicht unmittelbar zur Anwendung geeignet, sondern bedarf ihrerseits der Konkretisierung durch die Rechtsprechung.261 Wie schon die Entscheidung des Verfassungsrates zur lai de vigilance gezeigt hat, wurden die Normen der DDHC inzwischen ins­ besondere durch die Rechtsprechung des Conseil constitutionnel ausgeformt, und aus den vagen Formulierungen der DDHC wurden einzelne Garantien abgeleitet.262 Die DDHC verkörpert auf nationaler Ebene die sog. erste Ge­ neration der Menschenrechte263 , die grundlegende bürgerliche und politische Rechte, wie die allgemeine Handlungsfreiheit, die Fortbewegungsfreiheit Ge­ weils abgeleitet aus Art. 2 und 4 DDHC), die Meinungsfreiheit (Art. 10 und 1 1 DDHC), das Recht auf Sicherheit (Art. 2 DDHC) oder die Eigentums­ freiheit (Art. 2 und 1 7 DDHC), garantiert. 264 Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S. 31, 66. 255 OberdorfJ, Droits de l'homme et libertes fondamentales, 2019, Rn. 6 1 . 256 OberdorfJ, Droits de l'homme et libertes fondamentales, 2019, Rn. 60 ff.; siehe supra 254

S. 5 5 f. 257 Präambel der Declaration des Droits de l'Homme et du Citoyen de 1789. 258 OberdorfJ, Droits de l'homme et libertes fondamentales, 2019, Rn. 70. 2Ch OberdorfJ, Droits de l'homme et libertes fondamentales, 2019, Rn. 69. 2W OberdorfJ, Droits de l'homme et libertes fondamentales, 2019, Rn. 60ff., insbes. Rn. 65 f.; Hochmann, in: MarschfVilainlWendel (Hrsg.), Französisches und Deutsches Ver­ fassungsrecht, 2015, S. 323, § 7 Rn. 12 m.w.N. 261 Hochmann, in: MarschfVilainfWendel (Hrsg.), Französisches und Deutsches Verfas­ sungsrecht, 2015, S. 323, § 7 Rn. 13; Schiller, JCP E 2017, etude 1 193, 19, Rn. 6. 2iil In Abgrenzung zum ausführlichen Grundrechtekatalog in Deutschland Hochmann, in: MarschfVilainfWendel (Hrsg.), Französisches und Deutsches Verfassungsrecht, 2015, S. 323, § 7 Rn.49 ff. 263 Zur Einteilung der Menschemechte in verschiedene Generationen vgl. KempenlHill­ gruberlGrabenwarter, Völkerrecht, 2021, § 55 Rn. 62 ff. 264 FavoreulGai"aIGhevonlian u. a., Droit des libertes fondamentales, 2016, Rn. 40; Ober­ dorfI, Droits de l'homme et libertes fondamentales, 2019, Rn. 29.

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Zum französischen Verfassungsblock gehören ferner die Präambel der Verfassung von 1946 sowie die Umweltcharta von 2004. 2� Die Präambel der Verfassung von 1946 enthält mit Rechten wie beispielsweise dem Recht auf Arbeit (Abs. 5 der Präambel) oder der umfassenden Garantie der sozialen Absicherung (Abs. 10-13 der Präambel) Menschenrechte der zweiten Gene­ ration, d. h. wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. 266 Die Umwelt­ charta als dritte Säule des Verfassungsblocks steht auf nationaler Ebene für die dritte Generation der Menschenrechte, die kollektive Rechte wie das Recht auf Frieden oder - wie im Fall der Umweltcharta - auf eine gesunde, lebenswerte Umwelt umfasst. 267 bb) Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Auf europäischer Ebene tritt die EMRK hinzu. Sie nimmt in Frankreich eine wichtige Funktion für den Schutz der Menschenrechte ein und wird auch im Bericht des Abgeordneten Po tier zur lai de vigilance genannt. 26S Die EMRK trat am 3. September 1953 in Kraft, wurde von Frankreich aber erst am 3. Mai 1974 ratifiziert.269 Anders als in Deutschland, wo sie nach Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG den Rang eines einfachen Gesetzes hat, steht die EMRK in Frankreich als völkerrechtlicher Vertrag gemäß Art. 55 CF in der Normenhierarchie über einfachen Gesetzen und hat "über die fachgerichtli­ ehe contr6le de conventionnalite zunehmend an Bedeutung als Komplemen­ tärverfassung gewonnen". 270 Das ist auf den fehlenden verfassungsrechtli­ chen Grundrechtekatalog und die eingeschränkte Verfassungsgerichtsbar­ keit zurückzuführen, die erst im Jahr 2008 mit Einführung der sog. "Vorfrage der Verfassungsmäßigkeit" (question prioritaire de constitutionnalite, QPC) erweitert wurde. 27 1 Da der Verfassungsrat es seit einer grundlegenden Ent265 Siehe supra S. 55 f. 266 FavoreulGai"aIGhevontian u. a., Droit des libertes fondamentales, 2016, Rn. 41; Ober­ dorfI, Droits de l'homme et libertes fondamentales, 2019, Rn. 29; ähnlich Abs. 2 der Prä­ ambel der Verfassung von 1946: ,,11 [= 1e peup1e franyais, Anm . d. Verf] proclame, en outre, comme particulierement necessaires a notre temps, 1es principes politiques, economiques et sociaux ci-apres". 267 0berdorfJ, Droits de l'homme et libertes fondamentales, 2019, Rn. 29. Zum Um­ weltschutz siehe noch infra S. 122ff. 2(.1 Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 . 3.2015, S. 66; ebenso Schiller, JCP E 2017, etude 1193, 19, Rn. 6. 2W Loi n° 73-1227 du 31 decembre 1973 autorisant 1a ratification de 1a convention europeeIllle de sauvegarde des droits de l'homme et des libertes fondamentales et de ses protoco1es additioIlllels nos 1, 3, 4 et 5, JORF n° 0003 du 3 janvier 1974, S. 67. 270 Wendel, in: MarschlVi1ainlWendel (Rrsg.), Französisches und Deutsches Verfas­ sungsrecht, 2015, S. 373, § 8 Rn.27. m Einen der Verfassungsbeschwerde vergleichbaren Rechtsbehelf, der dem Individu­ alrechtsschutz dient, gibt es in Frankreich bis heute nicht. Die 2008 eingeführte question

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scheidung im Jahr 1975 ablehnt, nationales Recht auf seine Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht und insbesondere mit der EMRK zu überprüfen,272 haben die Fachgerichte diese Funktion übernommen. 27J Die EMRK und die Recht­ sprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sind in Frankreich für die Fachgerichte und den Schutz der Grund- und Menschenrechte daher von besonderer Bedeutung.274 In Menschenrechtsklagen gegen Unternehmen könnten von den in der EMRK verbürgten Rechten insbesondere das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK), das Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit (Art. 4 EMRK), das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK) sowie die Versamm­ lungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. l l EMRK) einschlägig sein. 275 (1) Nur mittelbare Bindung der Gesellschaften an die Menschenrechte Dass die EMRK nach überwiegender Auffassung keine unmittelbare Dritt­ wirkung gegenüber Privaten entfaltet und damit keine unmittelbaren Ver­ pflichtungen für Private formuliert,276 wird mit der lai de vigilance übenvun­ den. 277 Während sich vor Inkrafttreten der lai de vigilance aus den Men­ schenrechten selbst mangels Bindung Privater an die Menschenrechte keine deliktsrechtliche Haftung einer Mutter- oder Auftraggebergesellschaft we­ gen Verletzung von Menschenrechten begründen ließ,278 liegt mit der lai de

prioritaire

Je constitutionnalite (QPC) ist ein konkretes Normenkontrollverfahren. Vgl. dazu, mit der deutschen Verfassungsbeschwerde vergleichend, Marsch, in: MarschfVilainf Wendel (Rrsg.), Französisches und Deutsches Verfassungsrecht, 2015, S. 275, § 6 Rn. 58 ff. 272 e.e. Decisionn° 74-54 DC, 1 5 . 1 . 1975, Rn. 7: "Considerant que, dans ces conditions, il n'appartient pas au Conseil constitutioIlllel, lorsqu'il est saisi en application de l'article 61 de la Constitution, d'examiner la conformite d'une loi aux stipulations d'un traite ou d'un accord international"; e.e. Decision n° 2010-605 DC, 12.5.2010, Rn. 10-12. m Cass. mixte, 24.5.1975, Bull . chambre mixte 1975, n° 4, S. 6; CE Decision n° 108243, 20.10.1989 (Nieolo). 274 Hochmann, in: MarschfVilainfWendel (Rrsg.), Französisches und Deutsches Verfas­ sungsrecht, 2015, S. 323, § 7 Rn. 22; Wendel, in: MarschIVilainlWendel (Rrsg.), Französi­ sches und Deutsches Verfassungsrecht, 2015, S. 373, § 8 Rn. 27 ff. 275 Schiller, JCP E 2017, etude 1193, 19, Rn. 6. 276 EGMR, 28.6.2001 - 24699/94, Rn.46 - VgT Verein gegen Tierfabriken: "The Court does not consider it desirable, let alone necessary, to elaborate a general theory concerning the extent to which the Convention guarantees should be extended to relations between private individuals inter se."; GauthierlPlatonlSzymczak, Droit europeen des droits de l'homme, 2017, Rn. 1 36; GrabenwarterlPabel, Europäische Menschemechtskonvention, 2021, § 19 Rn. 8; Johann, in: KarpensteinfMayer, EMRK, 2022, Art. 1 EMRK, Rn. 9; Rö­ ben, in: Dörr/GrotelMaraulm, EMRKfGG, 2013, Kap. 5 Rn. 147. 277 Dörr, in: Reinisch!I-Iobe/Kieninger u. a. (Rrsg.), Unternehmensverantwortung und Internationales Recht, 2020, S. 133, 145. m Siehe supra S. 28 ff.

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vigilance nun eine gesetzgeberische Entscheidung zugrunde, dass bestimmte Private - Gesellschaften, die in den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes fallen - bei ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit einer menschenrechtli­ chen Sorgfaltspflicht unterliegen. Die Staaten sind völkerrechtlich zwar nicht verpflichtet, eine solche Sorgfaltspflicht für Private einzuführen, sie können dies aber tun.279 Daraus folgt allerdings keine unmittelbare völkerrechtliche Bindung Privater an die Menschenrechte. Die Menschenrechte füllen allein die Sorgfaltsanforderungen an die Gesellschaften aus, die über die lai de vigilance als nationale Scharniernorm nur mittelbar zur Achtung der Men­ schenrechte verpflichtet werden. 280 (2) Extraterritariale Anwendbarkeit der EMRK Das französische Gesetz hat laut Gesetzesgegründung zum Ziel, "transnati­ anale Gesellschaften zur Verantwortung zu ziehen, um den Eintritt von Tra­ gödien in Frankreich und im Ausland zu vermeiden"28 1 . Die lai de vigilance soll folglich auch extraterritoriale Fallgestaltungen regeln.282 Die anschlie­ ßende Bezugnahme auf den Einsturz des Rana Plaza als paradigmatischen Fall legt nahe, dass Rechtsverletzungen außerhalb Frankreichs für den fran­ zösischen Gesetzgeber sogar im Mittelpunkt standen.28 3 Dieser Schwerpunkt zeigt sich ebenso in der Praxis: Alle Sachverhalte der bisherigen außergericht­ lichen Mahnungen und ersten Klagen auf Grundlage der lai de vigilance haben Rechtsverletzungen im Ausland, genauer in Nicht-Mitgliedstaaten der EMRK zum Gegenstand. 2S4 Soll die EMRK im Rahmen der lai de vigilance den Begriff der Men­ schenrechte ausfüllen, stellt sich deshalb die Frage, inwieweit sie extraterri­ torial auf Sachverhalte anwendbar ist, die sich auf dem Gebiet eines Nicht­ Konventionsstaates ereignen. 285 Darüber besteht bereits hinsichtlich einer

27') Dörr, in: ReinischlI-Iobe/Kieninger u. a. (Hrsg.), Unternehmensverantwortung und Internationales Recht, 2020, S. 133, 145. 280 Dörr, in: ReinischlI-Iobe/Kieninger u. a. (Hrsg.), Unternehmensverantwortung und Internationales Recht, 2020, S. 1 33, 145ff., der jedoch wegen der vagen Umschreibung ihres Schutzbereichs bezweifelt, ob die loi de vigilance tatsächlich ein Instrument mittel­ barer völkerrechtlicher Verantwortlichkeit ist (ebd., S. 146). Zu der mittelbaren Men­ schemechtsbindung von Unternehmen durch Ausübung staatlicher Schutzpflichten siehe auch Peters, Jenseits der Menschemechte, 2014, S. 99. 281 PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S. 4: ,,11 s'agit de responsabiliser ainsi les societes transna­ tionales afin d'emp6cher la survenance de drames en France et a l'etranger [ ]." (Hervorh. durch Verf). 282 Vgl. Epstein, Cah. dr. entr. 2018, doss. 30, 47 ff. 28J Zur Anwendbarkeit der loi de vigilance in diesen Fällen siehe infra S. 220 ff. 284 Siehe infra S. 162ff. 2!5 Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 306. . . .

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Anwendung der EMRK auf staatliches Handeln Uneinigkeit. 23 6 Das beruht auf einem unterschiedlich weiten Verständnis von Art. I EMRK, der den Anwendungsbereich der Konvention regelt. Danach sichern die Vertrags­ staaten "allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen" die Menschen­ rechte der EMRK zu.28 7 Die extraterritoriale Anwendung der Konvention hängt von dem Verständnis des Begriffs der Hoheitsgewalt (jurisdiction) ab: Bei einer engen Auslegung, die sich an dem Begriff der Jurisdiktion im all­ gemeinen Völkerrecht orientiert, ist die Anwendung der EMRK auf das Ter­ ritorium des jeweiligen Vertragsstaates beschränkt (Territorialitätsprin­ zip).288 Abweichend von diesem Grundsatz sind nach der Rechtsprechung des EGMR Ausnahmen möglich, wenn der Mitgliedstaat sog. ellective control über das Gebiet eines anderen Staates ausübt.289 Das gilt jedoch nicht für das Handeln Privater, wenn sie - wie in den vorliegenden Fällen - nicht für den Konventionsstaat hoheitlich tätig werden, sondern selbstständig handeln.290 Ob oder inwieweit der Verweis der lai de vigilance auf "die Menschenrechte" diese Hürde ebenfalls überwinden kann, wird - soweit ersichtlich - nicht diskutiert und ist noch ungeklärt. 29 1 Das könnte ein Grund dafür sein, dass in den bislang formulierten Mahnungen und den ersten Klagen, die sich auf die lai de vigilance stützen, keine Gefährdung oder Verletzung eines Rechts aus der EMRK geltend gemacht wird.

286 Bleier, Die extraterritoriale Anwendbarkeit der EMRK, 2019, S. 167 ff.; Miller, EJIL 20 (2009), 1223, 1229. 287 In der verbindlichen englischen Textfassung lautet Art. 1 EMRK: "The High Con­ tracting Parties shall secure to everyone within their jurisdiction the rights and freedoms defined in Section I of this Convention." 288 Vgl. EGMR, 12.12.2001 - 52207/99, Rn. 59 - Bankovic: "As to the 'ordinary mea­ ning' of the relevant term in Article 1 of the Convention, the Court is satisfied that, from the standpoint of public internationa1 1aw, the jurisdictiona1 competence of a State is primari1y territorial." 289 Vgl. EGMR, 12.12.2001 - 52207/99, Rn. 71 - Bankovic: " In sum, the case-1aw ofthe Court demonstrates that its recognition ofthe exercise of extra-territorial jurisdiction by a Contracting State is exceptional: it has done so when the respondent State, through the effective control of the relevant territory and its inhabitants abroad as a consequence of military occupation or through the consent, invitation or acquiescence ofthe Government ofthat territory, exercises all or some ofthe public powers normally to be exercised by that Government." (Hervorh. durch Verf). 'w V. Bermtorf f, AVR 49 (201 1), 34, 52; Marauhn, VVDStRL 74 (2015), 373, 393. 291 Siehe auch Nordhues, Haftung für Menschemechtsver1etzungen im Konzern, 2018, S. 306.

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ce) Internationale Verpjlichtungen Frankreichs zum Schutz der Menschenrechte In Parallele zu den UNGp'92 nehmen die Gesetzgebungsmaterialienzur loi de vigilance insbesondere auf die international anerkannten Menschenrechte, genauer die Internationale Menschenrechtscharta C l ) und die ILO-Kernar­ beitsnormen (2) Bezug.lO] (1) Internationale Menschenrechtscharta Die Internationale Menschenrechtscharta (sog. International Bill 0/ Human Rights) umfasst die AEMR, den UN-Zivilpakt und UN-Sozialpakt.2� Zahlreiche der in der AEMR genannten Rechte und Verbote könnten in den vorliegenden Fällen von Bedeutung sein: Verbot der Diskriminierung (Art. 2 AEMR), Recht auf Leben (Art. 3 AEMR), Verbot der Sklaverei und des Sklavenhandels (Art. 4 AEMR), Verbot der Folter (Art. 5 AEMR), Recht auf Eigentum (Art. 1 7 AEMR), Versammlungs- und Vereinigungs­ freiheit (Art. 20 AEMR), Recht auf Arbeit und gleichen Lohn sowie Koali­ tionsfreiheit (Art. 23 AEMR) und Recht auf Erholung und Freizeit, insbe­ sondere auf Begrenzung der Arbeitszeit und Urlaub (Art. 24 AEMR). 295 Als Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen ist die AEMR allerdings formal nicht verbindlich.296 Es handelt sich nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag, der in Frankreich gemäß Art. 55 CF unmittelbar anwendbar wäre und im Rang über den einfachen Gesetzen stünde. 297 Man könnte daher anzweifeln, ob die Menschenrechte der AEMR zur Ausfüllung der Sorgfaltspflicht herangezogen werden können. Während die Begründer der Erklärung noch davon ausgingen, dass die AEMR eine Grundsatzer­ klärung über die Menschenrechte sei, die keinerlei bindenden Charakter habe,lOs hat sich dieses Verständnis seit ihrer Verabschiedung 1948 gewan292 Vgl. UNGP 12: "Die Verantwortung der Wirtschaftsunternehmen zur Achtung der Menschemechte bezieht sich auf die international anerkarnüen Menschemechte, worunter mindestens die Menschemechte, die in der Internationalen Menschemechtscharta ausge­ drückt sind sowie die in der Erklärung der Internationalen Arbeitsorganisation über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit genaIlllten zu verstehen sind." 293 Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S. 31, 66. 294 KempenJHillgruberlGrabenwarter, Völkerrecht, 2021, § 51 Rn. 10; Turgis, in: JCI. Dr. int., Stand: 20.2.2019, Rn. lO. 295 Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 74. 2% Turgis, in: JCI. Dr. int., Stand: 20.2.2019, Rn. 1 1 . 297 Oberdorff, Droits de l'homme et libertes fondamentales, 2019, Rn. 96 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Conseil d'Etat (CE): CE, 18.4.1951, Recuei1 Lebon 1951, 189; CE, 1 1 .5.1960, Recueil Lebon 1960, 319; CE, 23. 1 1 . 1984, Recueil Lebon 1984, 383. 298 Vgl. die Stellungnahme von Eleanor Roosevelt: "Ce n'est pas un traite, ce n'est pas un accord international. 11 n'a pas et ne vise pas a avoir force de loi.", zitiert nach Cassin, Recueil des cours 79 (1951), 237, 289 Fn. 2.

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delt.299 Im Einzelnen findet sich heute ein breites Meinungssprektrum hin­ sichtlich der rechtlichen Bindungswirkung der AEMR. 3oo Einige sind der Auffassung, die Erklärung seizu Völkergewohnheitsrecht erstarkt301 , oder sie sei gar Teil des sog. ius eagens. J02 Überwiegend wird der AEMR jedenfalls partiell völkergewohnheitsrechtliche Verbindlichkeit zugesprochen, so dass einige Menschenrechte der AEMR die Qualität von Völkergewohnheitsrecht (französisch: coutumes) haben. 3 03 Legt man einen solchen völkergewohnheitsrechtlichen Charakter der AEMR zugrunde, stellt sich die Frage, welche Stellung dem Völkergewohn­ heitsrecht im französischen Recht zukommt. Anders als das deutsche Grund­ gesetz, wonach allgemeine Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundes­ rechtes sind und den Gesetzen vorgehen (Art. 25 GG), bezieht sich die fran­ zösische Verfassung nur mittelbar auf das Völkergewohnheitsrecht; Art. 55 CF gilt nur für völkerrechtliche Verträge. J� Abs. 14 der Präambel der Ver­ fassung von 1946 formuliert das Bekenntnis der Republik zu den "Regeln des Völkerrechts", trifft aber keine Aussage über ihre innerstaatliche Wirkung. J � Auch wenn die französische Rechtsprechung bislang eher zurückhaltend mit der Anwendung von Völkergewohnheitsrecht war, ist seine Anwendung heute grundsätzlich anerkannt. 306

m Eine solche Entwicklung sah bereits Cassin, einer der GrÜIldungsväter, voraus. Siehe Cassin, Recueil des cours 79 (1951), 237, 294: "Au fur et a mesure de l'extension de ce

mouvement, tel ou tel principe de la Declaration devient un principe general du droit reCOIllm, au sens de l'art. 38 du statut de la Cour Internationale." J oo Zum Meinungsstand Kau, in: VitzthumlProelß (Hrsg.), Völkerrecht, 2019, S. 1 59, 269 Rn. 235. J OI Gros Espiell, in: Ramcharan (Hrsg.), Human Rights: Thirty Years After the Univer­ sal Declaration, 1979, S.41, 45; Humphrey, in: Ramcharan (Hrsg.), Human Rights: Thirty Years After the Universal Declaration, 1979, S. 21, 29 ff. J 02 Gambaraza, Le statut de la declaration universelle des droits de l'homme, 2016, S. I I7ff. J OJ CrawJord, Brownlie's principles ofpublic international law, 2012, S. 636; Epping, in: Ipsen, Völkerrecht, 2018, § 9 Rn. 1 1 ; Herdegen, Völkerrecht, 2021, §47 Rn. 3; Hobe, Völ­ kerrecht, 2020, S. 358; Turgis, in: JCI. Dr. int., Stand: 20.2.2019, Rn. 1 3 jeweils m.w.N. J 04 DupuylKerbrat, Droit international public, 2018, Rn. 436; FavoreulGai"alGhevontian u. a., Droit constitutiOIlllel, 2019, Rn.210. J 05 DupuylKerbrat, Droit international public, 2018, Rn.436. Genau genommen ist nicht einmal eindeutig, ob damit die allgemeinen Regeln des Völkerrechts gemeint sind, oder ob eine allgemeinere Aussage getroffen werden soll, siehe GautierlMelleray, in: JCI. Administratif, Stand: 1 . 1 .2019, Rn. 84. J ()j Ausführlich zu der Entwicklung der Rechtsprechung, insbesondere der des Conseil d'Etat, DupuylKerbrat, Droit international public, 2018, Rn.436ff.; FavoreuIGai"aIGhe­ vontian u. a., Droit constitutionnel, 2019, Rn. 234; GautierlMelleray, in: JCI. Administra­ tif, Stand: 1 . 1 .2019, Rn. 96 ff.; siehe ebenso die Leitentscheidung des Conseil d'Etat, in der dieser jedenfalls implizit die Anwendbarkeit von Völkergewohnheitsrecht zugrunde legt:

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Folglich könnten die Menschenrechte der AEMR zur Definition des Be­ griffs der draUs humains im Sinne der lai de vigilance herangezogen werden. Ihre eigenständige, über die moralische Symbolkraft der AEMR hinausge­ hende Bedeutung ist jedoch insoweit gering, als die Menschenrechte ebenso von dem UN-Zivilpakt und dem UN-Sozialpakt umfasst werden. Diese gel­ ten als Umsetzung der AEMR und bilden die erste verbindliche völkerver­ tragliche Grundlage des Menschenrechtsschutzes der Vereinten N ationen. 3 07 Als völkerrechtliche Verträge binden die beiden internationalen Pakte von 1966 die unterzeichnenden Staaten, und stehen in Frankreich gemäß Art. 55 CF in der Normenhierarchie über einfachen Gesetzen. 3OO Der UN-Zivilpakt enthält die wichtigsten bürgerlichen und politischen Freiheitsrechte, von de­ nen auch in den hier interessierenden Fällen einige einschlägig sein könnten: das Recht auf Leben (Art. 6 Abs. l UN-Zivilpakt), das Folterverbot (Art. 7 UN-Zivilpakt), das Verbot der Sklaverei, Leibeigenschaft und Zwangsarbeit (Art. 8 UN-Zivilpakt), das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 9 Abs. 1 UN-Zivilpakt), das Recht, Gewerkschaften zu bilden und ih­ nen beizutreten (Art. 22 UN-Zivilpakt) sowie das Diskriminierungsverbot (Art. 26 UN-Zivilpakt). JOO In Ergänzung dazu garantiert der UN-Sozialpakt wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Von besonderer Relevanz scheinen im vorliegenden Kontext das Recht auf Arbeit (Art. 6 UN-Sozialpakt), das Recht auf ge­ rechte und günstige Arbeitsbedingungen (Art. 7 UN-Sozialpakt), das Recht, Gewerkschaften zu bilden oder einer Gewerkschaft beizutreten, und das Streikrecht (Art. 8 Abs. 1 UN-Sozialpakt), das Recht auf einen angemesse­ nen Lebensstandard und Schutz vor Hunger (Art. 1 1 UN-Sozialpakt), sowie das Recht auf körperliche und geistige Gesundheit (Art. 1 2 UN-Sozial­ pakt). J!O Auf die beiden internationalen Pakte wird u. a. im eingangs geschilderten Fall Total ( Uganda) rekurriert: Nach Auffassung der Kläger werde die lo­ kale Bevölkerung, die zu einem großen Anteil von eigener Landwirtschaft lebt, durch zwangsweise Umsiedelungen aus dem Bohrgebiet ohne angemes-

CE, Ass., 6.6.1997, n° 148683 (Aquarone), Recuei1 Lebon 1997, S. 206. Anders als völker­ rechtlichen Verträgen scheint der Conseil d'Etat dem Völkergewohnheitsrecht keinen hö­ herrangigen Stellenwert einzuräumen als einfaches Bundesrecht. 307 KempeniHillgruberlGrabenwarter, Völkerrecht, 2021, § 52 Rn. 25; Hobe, Völker­ recht, 2020, S. 360 ff. 300 Beide Pakte hat Frankreich mit der Loi n° 83.461 du 25 juin 1980, publie au Journal officiel par le decret n° 81-77 du 29 janv. 1981, ratifiziert. 3W Ähnlich Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 77 f. 310 Ähnlich Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 77 f.

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sene Kompensation in ihrem Recht aufN ahrung bzw. auf Schutz vor Hunger aus Art. l l UN-Sozialpakt verletzt. 3ll Zudem werde durch gewaltsame Ver­ treibungen, teils unter Einsatz der ugandischen Polizei, das Recht aufLeben, Freiheit und Sicherheit der Menschen aus Art. 6 Abs. I UN-Zivilpakt be­ droht. 3 1 2 Als Hauptinvestor habe Total dafür Sorge zu tragen, dass das Recht der lokalen Bevölkerung aufLeben und Sicherheit durch das Tilenga-Projekt nicht gefährdet werde. 3 1 3 (2) ILO-Kernarbeitsnormen Zu den international anerkannten Menschenrechten gehören zuletzt die sog. ILO-Kernarbeitsnormen. Sie basieren auf der Erklärung der International Labour Organization (ILO) über grundlegende Rechte und Pflichten bei der Arbeit von 1998. 3 14 Die darin erklärten Grundprinzipien sind in acht zen­ tralen ILO- Überkommen, den ILO-Kernarbeitsnormen, verkörpert, die Frankreich allesamt ratifiziert hat. J 15 Es handelt sich um dieselben Überein­ kommen, die in Art. D. 1 1 3-1 C. consom. aufgelistet sind. l !6 Es scheint daher kohärent, die ILO-Kernarbeitsnormen für die Zwecke der loi de vigilance fruchtbar zu machen. dd) Konkretisierung der loi de vigilance anhand der Menschenrechtsquellen Frankreichs? - Offene Fragen Nach dem Vorbild der UNGP soll die loi de vigilance laut den Ausführungen des Abgeordneten Potier einen umfassenden Schutz der Menschenrechte ge­ währleisten. 3 1 7 Dem liegt die Annahme zugrunde, dass grundsätzlich auch beim Handeln von Wirtschaftsunternehmen eine Verletzung oder ein Beitrag zu einer Verletzung nahezu aller Menschenrechte denkbar ist. 3 1 8 Anders als etwa der Modern Slavery Act in Großbritannien oder die europäische Kon3 11 Les Amis Je la Terre FrancelSurvie, Manquements graves a 1a loi sur 1e devoir de vigilance, 24.6.2019, S. 21 ff.

3 12 Les Amis Je la Terre FrancelSurvie, Manquements graves a 1a loi sur 1e devoir de vigilance, 24.6.2019, S. 23 ff. JlJ Les Amis Je la Terre FrancelSurvie, Manquements graves a 1a loi sur 1e devoir de vigilance, 24.6.2019, S. 24. 3 14 Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S. 3 1 . m Siehe (letzter Abrnf 1.2.2022). 3 16 ILO-Übereinkommen Nr. 29, 87, 98, 100, 105, 1 1 1 , 138, 182, siehe supra S. 150 f. 3 17 Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S. 66; BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 32. m Vgl. den UNGP 12, Kommentar: "Da Wirtschaftsunternehmen Auswirkungen auf nahezu das gesamte Spektrum der international anerkarnüen Menschemechte haben kön­ nen, bezieht sich die ilmen obliegende Verantwortung auf alle diese Rechte."

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fliktmineralien- va hat der französische Gesetzgeber keinen menschenrechts­ oder sektorspezifischen Ansatz gewählt. 3 1 9 Den Besonderheiten einzelner Sektoren oder Arbeitsregionen kann vielmehr im Rahmen der Maßnahmen angemessener Sorgfalt Rechnung getragen werden. 320 Die o. g. nationalen, europäischen und internationalen Menschenrechtsquellen spiegeln diesen umfassenden Ansatz wider. Für die Definition der Schutzgüter "Menschen­ rechte und Grundfreiheiten" bleiben aber trotz der Bezugnahme auf diese Quellen Fragen offen. Einerseits ist zu klären, ob der ermittelte Referenzrah­ men abschließend ist (1). Zum anderen ist offen, ob der objektive Maßstab durch weitergehende Selbstverpflichtungen der Gesellschaften individuell erweitert werden kann (2). (1) Abschließender, einheitlicher menschenrechtlicher Re/erenzrahmen? Zunächst ist daran zu erinnern, dass der Verweis auf die o. g. wichtigen Men­ schenrechtstexte lediglich in den vorbereitenden Gesetzgebungsmaterialien zu finden ist, jedoch weder im Gesetz selbst noch in der Gesetzesbegründung. Daher wird teilweise angezweifelt, ob tatsächlich alle der genannten Men­ schenrechte den Minimalstandard bilden, an dem die verpflichteten Gesell­ schaften ihre Sorgfaltsmaßnahmen ausrichten sollen. 321 Mangels expliziter Stellungnahme im Gesetz sei unsicher, ob ggf. nur die internationalen Men­ schenrechtstexte Referenzpunkte bilden, oder auch die Rechte der EMRK und des französischen bloc de constitutionnalite.322 Doch selbst wenn man diese Zweifel nicht teilt und von einem entsprechenden Minimalkonsens aus­ geht,m bleibt unklar, ob darüber hinaus weitere internationale Übereinkom­ men zu berücksichtigen sind, und wenn ja, welche dies sind. 124 Art. D. 1 1 3-1 C. consom. zählt für das Informationsrecht der Verbraucher über die Pro­ duktionsbedingungen von in Frankreich in Verkehr gebrachten Waren bei-

'" Kaufinann, AJP/PJA 2017, 967, 973. 320 Dazu noch genauer infra S. 132 ff. J2l Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 306; PietrancostalBoursican, JCP G 2015, 553, 922, 923; Roman, RDT 2017, 391, 393. J2l Mavoungou, RIDE 2019, 49, 58; Nordhues, Haftung f ür Menschemechtsverletzun­ gen im Konzern, 2018, S. 306; siehe auch supra S. 55 f., 190 f. J2J Vgl. BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 32: "C'est sur cette charte que porte, a minima, 1a responsabilite de respecter 1es droits de l'homme [ ] (Hervorh. im . . .

Original).

."

324 BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 32: "A ces engagements en matiere de droits de l'homme peuvent venir s'ajouter des engagements internationaux supp1emen­ taires et plus specifiques relatifs a l'envirOIlllement ou 1a sante et securite des personnes. "

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spielsweise noch die UN-Frauenrechtskonvention32S , die UN-Kinderrechts­ konvention326 und die UN-Behindertenrechtskonvention327 auf. Ein Leitfaden der NGO Sherpa zur Umsetzung der lai de vigilance sieht wiederum vor, dass grundsätzlich der französische Menschenrechtsstandard entscheidend sei, da es sich um ein französisches Gesetz handele. 328 Wichen die Schutzstandards in den Ländern, in denen die Unternehmensgruppe tätig sei, von dem französischen Schutzniveau ab, sollten die Unternehmen dies laut Sherpa zur Umsetzung der lai de vigilance im Risikoüberwachungsplan deutlich machen und festlegen, an welchen Maßstäben sie ihren Plan und die Sorgfaltsmaßnahmen ausrichteten. 329 Sei das örtliche Schutzniveau niedri­ ger, sollten die Unternehmen nach Möglichkeit dennoch den strengeren in­ ternationalen bzw. französischen Standard gewährleisten. 330 Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage, was geschieht, wenn das Einhalten des französischen Standards nicht möglich ist. Ein derartiges Verständnis verhindert zudem einen objektiven und somit vergleichbaren Schutzstandard und Sorgfalts­ maßstab und ist daher abzulehnen. Will man über den soeben dargestellten Minimalkonsens hinaus noch wei­ tere Menschenrechtsübereinkommen einbeziehen, scheint das nur für solche Übereinkommen möglich, die Frankreich selbst ratifiziert hat. Denn nur auf diese erstreckt sich die staatliche Schutzpflicht. 33 1 Ansonsten würden private Unternehmen stärker in die Pflicht genommen als der französische Staat selbst. Daher überrascht es, dass sich die dritte Klage auf Grundlage der lai de vigilance, die im Oktober 2020 gegen das französische Energieunternehmen Electricite de France (EDF) erhoben wurde, u. a. auf ein ILO-Übereinkom­ men stützt, das Frankreich nicht ratifiziert hat: EDF wird vorgeworfen, bei dem Bau eines Windparks in Oaxaca (Mexiko) die indigene Gemeinde, die auf dem Gebiet des Parks lebt, nicht ausreichend konsultiert zu haben. JJ2 Art. 1 6 des ILO-Übereinkommens Nr. 1 69 über eingeborene und in Stäm­ men lebende Völker in unabhängigen Ländern bestimmt, dass eine Umsie325 Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979. 326 Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 1989. J27 Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13. Dezember 2006. m Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference pour 1es Plans de Vigilance, 2019, S. 37. J29 Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference pour 1es Plans de Vigilance, 2019, S. 37. JJO Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference pour 1es Plans de Vigi1ance, 2019, 39 ff. in Anlelmung an UNGP 23; ähnlich BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 32; Mougeolle, La Revue des droits de l'homme 2017, [online], Rn. 23. JJl Zur staatlichen Pflicht zum Schutz der Menschemechte siehe bereits supra S. 5 f. JJ2 Zum Sachverhalt vgl. ECCHRIProDESc/CCFD Terre solidaire, Parc eolien au Mexique, Oktober 2020.

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delung indigener Völker "nur mit deren freiwilliger und in voller Kenntnis der Sachlage erteilter Zustimmung" erfolgen darf. Dieses Recht sei verletzt worden, weshalb EDF gegen seine Sorgfaltspflicht aus der lai de vigilance verstoßen habe. ]]] Das ILO-Übereinkommen Nr. 1 69 ist indes nur von Me­ xiko, nicht aber von Frankreich ratifiziert. JJ4 Es ist folglich nicht Bestandteil des maßgeblichen "französischen" Menschenrechtsstandards und kann nicht im Schutzbereich der lai de vigilance zugrunde gelegt werden. Hinsichtlich der Einheitlichkeit des menschenrechtlichen Referenzrah­ mens werden zuletzt dahingehend Bedenken geäußert, dass die verschiede­ nen Menschenrechtskodifikationen im Einzelnen einen unterschiedlich wei­ ten Schutzbereich hätten, so dass trotz der Bezugnahme auf die internati­ onalen Verpflichtungen Frankreichs unsicher bleibe, welche Rechte und weI­ ches Verständnis für die Zwecke der lai de vigilance die Grundlage bildeten. JJ] Problematisch scheinen jedoch weniger divergierende Schutzbereiche, son­ dern vielmehr die mangelnde Bestimmtheit der Normen zu sein. Die Men­ schenrechtskodifikationen sind an die Staaten adressiert und auf eine Um­ setzung durch diese ausgerichtet. 336 Ein nationaler Normbefehl zur Verant­ wortlichkeit von privaten Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen vermag nur die fehlende Völkerrechtsbindung Privater zu überwinden. 337 Ein solcher Verweis kann jedoch nicht die Unbestimmtheit einzelner Völker­ rechtsnormen beseitigen. 33 8 (2) Erweiterung des objektiven Referenzrahmens durch Selbstverpflichtung der Gesellschaften? Neben der Ungewissheit über den Umfang des objektiven Referenzrahmens für die Menschenrechte stellt sich Frage, ob die Gesellschaften durch weiter­ gehende Selbstverpflichtungen in ihren Sorgfaltsplänen den Referenzrahmen erweitern, so dass auch unverbindliche Normen Bindungswirkung entfalten. Davon scheinen die NGOs Les Amis de la Terre France und Survie im Fall Total ( Uganda) auszugehen, die im Vorfeld der Klage vor dem Tribunal ju-

JJJ ECCHRIProDESc/CCFD Terre solidaire, Parc eolien au Mexique, Oktober 2020.

Hol

Siehe (letzter Abruf 1 .2.2022). JJ5 Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 306; Pe­ rin, RTD Com. 2015, 215, 221; Roman, RDT 2017, 391, 393; vgl. auch BomsdorflBlatecki­ Burgert, ZRP 2020, 42, 43. JJ6 Siehe supra S. 5 f. JJ7 Dörr, in: ReinischlHobe/Kieninger u. a. (Hrsg.), Unternehmensverantwortung und Internationales Recht, 2020, S. 133, 145. JJ8 ZU diesem Problem bei der Übertragung völkerrechtlicher Normen in nationales Zivilrecht Hübner, Unternehmenshaftung für Menschemechtsver1etzungen, 2022, S. 186ff., 193 ff., 428ff.

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didaire de Nanterre eine außergerichtliche Mahnung (mise en demeure)339 verfasst haben: In der zugehörigen Pressemitteilung der NGOs wird ausge­ führt, die Muttergesellschaft Total SA verpflichte sich in ihrem Sorgfaltsplan zur Einhaltung zahlreicher internationaler Normen, darunter die UNGP, die als unverbindliches soft law kein Bestandteil des Referenzrahmens für die Auslegung der "Menschenrechte und Grundfreiheiten" sind. 340 Ferner ver­ pflichte sich Total zur Einhaltung der sog. IFC Performance Standards on Environmental and Sodal Sustainability, ein von der International Finance Corporation (IFC) formulierter Maßstab für nachhaltige internationale Ent­ wicklungsfinanzierung. Ab dem Moment, in dem diese Normen im Sorgfalts­ plan erwähnt würden, müsse Total sich nach Auffassung der NGOs daran festhalten lassen. 341 Ein solches Verständnis lässt jedoch die Grenze zwischen gesetzlicher Ver­ pflichtung zu menschenrechtlicher Sorgfalt und freiwilliger Selbstbindung verschwimmen, die nach herrschender Ansicht keine Grundlage für eine Haf­ tung einer Gesellschaft bildet. �2 Gerade mit Blick auf die mögliche delikts­ rechtliche Haftung, die an einen Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht anknüpft, sollte im Rahmen der objektiven Verpflichtung ein einheitlicher, rein objek­ tiver Maßstab gelten. Andernfalls würden Gesellschaften benachteiligt, die sich inhaltlich zu "mehr" verpflichten als andere. Das könnte zu einem un­ erwünschten race to the bottom beim Erstellen der Sorgfaltspläne führen. ee) Zwischenergebnis Es lässt sich mit dem Conseil constitutionnel feststellen, dass die Menschen­ rechte und Grundfreiheiten als Schutzgüter der loi de vigilance nicht völlig unverständlich und unbestimmbar sind, 343 da sie auf verschiedenen Ebenen eine Ausformung erfahren haben. Nichtsdestotrotz haftet der Bestimmung der beiden Begriffe aufgrund einiger offener Fragen eine gewisse Unschärfe an. Ein konkreter Katalog könnte hier den Gesellschaften die Umsetzung der Sorgfaltspflicht erleichtern und zu mehr Rechtssicherheit führen. ]44

J39 Dazu noch infra S. 160 ff. 340 Les Amis de la Terre FrancelSurvie, Total mise en demeure pour ses activites en Ouganda, 25.6.2019, S. 5; zu den UNGP siehe supra S. 6f. 341 Les Amis de la Terre FrancelSurvie, Total mise en demeure pour ses activites en Ouganda, 25.6.2019, S. 5: "Par consequent, ces instruments devieIlllent donc opposables au groupe Total, des lors qu'ils sont mentioIllles dans le plan de vigilance." 342 Siehe supra S. 32 ff. 343 e.e. Decision n° 2017-750 D e, 23.3.2017, Rn. 22. 344 Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 306.

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c) Gesundheit und Sicherheit der Menschen Die neue Sorgfaltspflicht nennt neben Menschenrechten und Grundfreihei­ ten zusätzlich die "Gesundheit und Sicherheit der Menschen" (sante et se­ curite des personnes) als Schutzgüter, die in die Risikobewertung der Gesell­ schaften einfließen müssen. Sowohl die Gesundheit als auch die Sicherheit sind Bestandteil sämtlicher Menschenrechtskodifizierungen. �5 Diese dekla­ ratorische Ergänzung ist deshalb als Hervorhebung zu verstehen. 34 6 Insbe­ sondere der Teilaspekt der Arbeitssicherheit ist Bestandteil der zweiten Ge­ neration der Menschenrechte, die hier neben den Menschenrechten der ers­ ten Generation (bürgerliche und politische Rechte) betont werden soll. �7 d) Umwelt Gesondert hervorgehoben wird die "Umwelt" (environnement) als fünftes und letztes Schutzgut. Der Schutz der Umwelt kann der dritten Generation der Menschenrechte zugeordnet werden, die den Schutz kollektiver Rechte und Rechtsgüter garantiert. 348 In Frankreich ist der Umweltschutz sowohl verfassungsrechtlich als auch einfachgesetzlich verankert. aa) Verfassungsrechtlicher Umweltschutz Aus Art. I der Umweltcharta folgt das Recht jedes Einzelnen auf ein Leben in einer ausgewogenen und gesunden Umwelt. 34 9 Ferner hat der Conseil constitutionnel aus Art. 1 und 2 der Umweltcharta eine obligation de vigilance, d. h. eine Sorgfaltspflicht jedes Einzelnen abgeleitet, auf Schädigungen der Umwelt durch eigene Handlungen zu achten. 35 0 In einer jüngeren Entschei­ dung hat der Conseil constitutionnel nun erstmals den "Schutz der Umwelt als gemeinsames Erbe der Menschen" aus der Präambel der Umweltcharta zu einem Ziel von verfassungsrechtlichem Wert erklärt und dem Umweltschutz eine universelle Dimension verliehen. 35 1 Knüpft man für die lai de vigilance an 345 Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 306. 346 Schiller, JCP E 2017, etude 1193, 19, Rn. 6. 347 Vgl. dazu BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 32. 348 BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 32. W

C.C. Decision n° 2014-422 QPC, 17.10.2014, Rn. 13.

3 5(l e.e. Decisionn° 201 1 - 1 16 QPe. 8.4.201 1 , Rn. 5: "Considerant, [ ] qu'il resulte de ces dispositions [= Art. 1, 2 Charte de l'envirOIlllement, Anm. d. Verf] que chachun est ...

tenu a une obligation de vigilance a l'egard des atteintes a l'environnement qui pourraient resulter de son activite"; e.e. Decision n° 2017-672 QPC, 10. 1 1 .2017, Rn. 14 ; vgl. dazu Rebeyrol, D. 2011, 1258 ff.; siehe auch supra S. 64. 351 e.e. Decisionn° 2019-823 QPC, 3 1 . 1 .2020, Rn. 4: "Ilen decoule que la protection de l'environnement, patrimoine commun des etres humains, constitue un objectif de valeur constitutionnelle."; vgl. dazu Fonbaustier, Droit administratif2020, COIllIll . 17, 23 ff.; siehe supra S. 62 f.

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diesen Umweltbegriff an, ist der Umweltschutz im Rahmen des Gesetzes nicht auf das französische Territorium begrenzt, sondern gilt für weltweite Schädigungen. bb) Einfachgesetzlicher Umweltschutz Der verfassungsrechtlich verankerte Umweltschutz wird durch einfachge­ setzliche Ausformungen flankiert, die konkrete Pflichten für Private formu­ lieren. (1) Umweltschaden im Öffentlichen Recht Zur Umsetzung der europäischen UmwelthaftungsrichtlinieJ52 wurden 2008 im Code de l'environnement (e. envir.) die Art. L. 160-1 ff. eingefügt, die in Parallele zum deutschen Umweltschadensgesetz (USchadG)J5J eine öffent­ lich-rechtliche Haftung für Umweltschäden normieren. J54 Gemäß Art. L. 1 61-1 e. envir. versteht man unter Umweltschäden direkte oder in­ direkte Beeinträchtigungen der Umwelt, die (i.) durch Kontamination von Grund und Boden mit Schadstoffen ein erhebliches Risiko für die Gesund­ heit von Menschen verursachen, (ii.) den ökologischen, chemischen oder quantitativen Zustand der Gewässer beeinträchtigen, (iii.) besonders ge­ schützte Tier- und Pflanzenarten bedrohen oder (iv.) die Funktionen der natürlichen Ressourcen zum Nutzen für die Ö ffentlichkeit beeinträchtigen. Die Definition nimmt auch Bezug auf die Menschen, die Nutzen aus den natürlichen Ressourcen ziehen, und spiegelt den beinah untrennbaren Zu­ sammenhang mit den übrigen Schutzgütern der lai de vigilance wider. 355 Denn häufig gehen Umweltschädigungen mit der Beeinträchtigung anderer Rechte, wie der Gesundheit oder der Lebensgrundlage der örtlichen Bevöl­ kerung, einher. Das veranschaulicht der Sachverhalt, der dem Verfahren ge­ gen die Total SA wegen der beiden Erdölprojekte Tilenga und EA COP in Uganda zugrunde liegt ]56 Einen wesentlichen Teil der Vorbereitung dieser Vorhaben machen Zwangsumsiedelungen der lokalen Bevölkerung aus, die überwiegend von eigener Landwirtschaft lebt. N ach Angaben der NGOs, die vor dem Tribunal

J5l Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 2 1 . April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, ABI. 2004 L 143/56. 353 BGBI. 2007 I S. 666, zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. August 2016, BGBI. I S. 1972. 354 Loi n° 2008-757 du 1 aout 2008 relative a 1a responsabilite envirOIlllementale et a diverses dispositions au droit communautaire dans 1e domaine de l'environnement. 355 Vgl. Parance, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, 97. 351i Siehe supra S. 1 f. er

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judiciaire de Nanterre Klage erhoben haben, sei den Betroffenen verboten worden, ihr Land zu bewirtschaften, noch bevor sie eine angemessene Kom­ pensation erhalten hätten. J57 Darüber hinaus berge die geplante Ö lförderung das Risiko von Umweltschädigungen in dem Naturschutzgebiet (Luftver­ schmutzung, Lärm, Gefährdung von Flora und Fauna) und in der Folge Gesundheitsgefahren für die lokale Bevölkerung (Zugang zu Trinkwasser, Verunreinigung des zur Landwirtschaft genutzten Wassers und Bodens, Atemwegserkrankungen u. a.). 358 Im Fall Total ( Uganda) sind nach dem Klägervortrag damit alle vier Va­ rianten der o. g. Umweltschadensdefinition erfüllt bzw. drohen künftig ein­ zutreten: (i.) Kontamination von Grund und Boden mit Schadstoffen - kon­ kret Erdöl -, die zu Gesundheitsgefährdungen für die Bevölkerung führen können, (ii.) Beeinträchtigung der Gewässer, insbesondere des Albertsees mit seinen großen Fischvorkommen, (iii.) Bedrohung für Tiere und Pflanzen sowie (iv.) Beeinträchtigung der natürlichen Ressourcen Boden, Wasser und Luft für die Landwirtschaft und als Lebensgrundlage der Menschen. Total wird vorgeworfen, diese Risiken für Mensch und Umwelt nicht ausreichend in dem plan de vigilance berücksichtigt zu haben. 359 Die Legaldefinition des Umweltschadens aus Art. L. 1 61 - 1 C. envir. scheint daher grundsätzlich geeignet, um die für den Sorgfaltsplan relevanten Umweltrisiken zu konkretisieren. 36O Allerdings handelt es sich um einen öf­ fentlichrechtlichen Begriff, bei dem zu klären wäre, inwiefern er im Verhältnis zwischen Privaten anwendbar ist. In Parallele zu dem Begriff der Menschen­ rechte ließe sich argumentieren, dass der Umweltbegriff über die lai de vigi­ lance als Scharniernorm zur Anwendung gelangt. Naheliegender ist indes, das Schutzgut der Umwelt in der lai de vigilance anhand des Begriffs des "Umweltschadens" aus dem Code civil zu konkretisieren. (2) Umweltschaden im Zivilrecht Der französische Gesetzgeber hat im Jahr 2016 mit dem "Gesetz zum Erhalt der Biodiversität, Natur und Landschaften" ]6! die Rechtsprechung der Cour de cassation zur zivilrechtlichen Anerkennung des Umweltschadens umge-

357 Les Amis de la Terre FrancelSurvie, Total mise en demeure pour ses activites en Ouganda, 25.6.2019, S. 7. J5.1

Les Amis de la Terre FrancelSurvie, Total mise en demeure pour ses activites en

Ouganda, 25.6.2019, S. 6.

3Cfl Les Amis de la Terre FrancelSurvie, Total mise en demeure pour ses activites en Ouganda, 25.6.2019, S. 9ff. 3 6iJ Schiller, JCP E 2017, etude 1193, 19, Rn. 6. 3 61 Loi n° 2016-1087 du 8 aout 2016 pour la reconquete de la biodiversite, de la nature et des paysages.

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setzt. 362 In der berühmten Entscheidung Erika36J , bei der das Tankschiff Erika vor der bretonischen Küste entzweigebrochen war und die Küstenregion mit Schweröl verschmutzt hatte, bejahte das Gericht erstmals einen zivilrechtli­ chen Anspruch auf Ersatz eines reinen Umweltschadens (prejudice ecofogique pur).M Diese grundlegende Entscheidung fand nun Eingang in den Code civil. Gemäß Art. 1246 C. civ. muss jede Person, die für einen Umweltschaden verantwortlich ist, diesen Schaden ersetzen. 3� In Art. 1247 C. civ. findet sich eine ähnliche, im Vergleich zum Code de f'environnement aber abstraktere Definition des Umweltschadens. Ersatzfähig sind Schäden, die eine "erheb­ liche Beeinträchtigung der Elemente oder Funktionen der Ö kosysteme, oder des kollektiven Nutzens bedeuten, den der Mensch aus der Umwelt zieht. " J66 Das können einerseits Schädigungen am Eigentum Einzelner oder eines Kol­ lektivs sein, wie etwa Verunreinigungen des Bodens auf einem Privatgrund­ stück oder, wie im Fall Erika, die Ö lverschmutzung des Strandes einer Ge­ meinde. 367 Darüber hinaus ist, der Entscheidung in der Sache Erika folgend, die Schädigung der Umwelt als solcher erfasst (prejudice ecologique pur), auch wenn derartige Schädigungen oft mit einer Beeinträchtigung der Lebens­ grundlage der Menschen einhergehen können. 368 Gegenüber der öffentlich-rechtlichen Haftung für Umweltschäden gemäß Art. L. 1 60-1 ff. C. envir. ist die zivilrechtliehe Haftung für Umweltschäden weiter, da sie nicht nur für bestimmte Umweltschäden gilt. 369 Die Art. 1246 ff. 3 6l Vgl. Hautereau-Boutonnet, JCPG 2016, Aperyurapide 948, 1624ff.; Neyret, D. 2017, 924 ff.; Parance, in: Schiller (Hrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S. 97, 100; Trebulle, EEI 2016, etude 20, 19 ff.; Martin, in: Melanges Dutilleul, 2017, S. 505 ff. 3 63 Siehe supra S. 33, 125. 3 64 Cass. crim., 25.9.2012, n° 10-82.938, Bull. crim. 2012, n° 198; siehe supra S. 33. 3 65 Art. 1246 C. civ.: "Toute perSOIllle responsable d'un prejudice eco1ogique est tenue de le reparer." 3 66 Art. 1247 C. civ.: "Est reparable, dans les conditions prevues au present titre, le prejudice ecologique consistant en une atteinte non negligeable aux elements ou aux fonc­ tions des ecosystemres ou aux benefices collectifs tires par l'homme de l'environnement." Vgl. auch die Formel der Cour Je cassation im Fall Erika: ,,[L)e prejudice ecologique consiste en une atteinte aux actifs emivonnementaux non marchands, qu'il est objectif, autonome et s'entend de toutes les atteintes non negligeables a l'environnement naturel, qu'il est sans repercussion sur un interet humain particulier mais affecte un interet collectif legitime.", Cass. crim., 25.9.2012, n° 10-82.938, Bull. crim. 2012, n° 198. 3 67 Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn. 1 1 3. 3 68 Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn. 1 14. 3 W Die Art. L. 160-1 ff. C. envir. gelten gemäß Art. L. 160-1 C. envir. nur für Umwelt­ schäden durch berufliche Betriebe ("dommages causes a l'environnement par l'activite d'unexploitant"). Weitere Bereichsausnahmenfinden sich in Art. L. 161-2 ff. C. envir. Vgl. dazu Neyret, D. 2017, 924, 926. Die spezielle öffentlich-rechtliche Haftung sei nie effektiv

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C. civ. haben allerdings kein spezielles Haftungsregime eingeführt, sondern regeln allein die Ersatzfähigkeit sowie Art und Weise des Ersatzes von Um­ weltschädenYo Anspruchsgrundlage bleiben daher die allgemeinen delikts­ rechtlichen Haftungstatbestände wie die Generalklausel des Art. 1 240 C. civ. Die Art. 1246 ff. C. civ. regeln hingehen nur die Haftungsfolgen im Fall von Umweltschäden, die nicht bereits über das allgemeine Haftungsfolgenregime ersatzfähig sind. 37 1 Da die lai de vigilance für eine mögliche Haftung wegen Verletzung der menschen- und umweltrechtlichen Sorgfaltspflicht auf die de­ liktsrechtliche Generalklausel verweist, ist es naheliegend, für eine kohärente Lösung bereits bei der vorgelagerten Prävention im Rahmen der Risiko­ analyse auf den Begriff des Umweltschadens i.S. v. Art. 1247 C. civ. zurück­ greifen. Neben dieser Legaldefinition gibt es eine Nomenklatur der Umweltschä­ den aus der Wissenschaft: Ähnlich der sog. Nomenklatur DintilhacJ72, die verschiedene Kategorien ersatzfähiger Vermögens- und Nichtvermögens­ schäden auflistet und trotz ihres nichtbindenden Charakters regelmäßig von Gerichten verwendet wird,m haben die Professoren Neyret und Martin einen Katalog relevanter Umweltschäden herausgegeben. 374 Dieser könnte zusätz­ lich der Konkretisierung der für die Risikoanalyse relevanten Umweltrisiken dienen. Man kann daher festhalten, dass die Begriffe "Umwelt" und "Umwelt­ schaden" konkretisiert werden können. Sie sind also im Sinne der Entschei­ dung des Conseil constitutionnel für die Anwendung der lai de vigilance we­ nigstens bestimmbar. ce) Klimaklagen auf Grundlage der lai de vigilance Über diese Aspekte des Umweltschutzes hinaus könnte die lai de vigilance künftig einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. 375 Hierfür kann das Mineral­ ölunternehmen Total bereits in zwei Fällen als Beispiel dienen: Die der ersten Klage gegen die Total SA vorangegangene mise en de­ meure376 wirft dem Unternehmen u. a. vor, die Auswirkungen der Erdölproangewendet worden. Stattdessen seien zahlreiche Entscheidungen auf Grundlage des De­ liktsrechts ergangen. Diese Rechtsprechung sollte durch die neuen Art. 1246ff. C. civ. vereinheitlicht und klarer konturiert werden. 370 Neyret, D. 2017, 924, 926f.; dazu noch infra S. 187 f. J7l Neyret, D. 2017, 924, 927. J72 Dintilhac (Hrsg.), Rapport du groupe de travai1 charge d'e1aborer une nomenclature des prejudices corporels, 2005. J7J Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn. 124. 374 NeyretlMartin (Hrsg.), Nomenclature des prejudices envirOIlllementaux, 2012. 375 Vgl. dazu EpsteinlDeckert, in: KahllWeller (Hrsg.), C1imate Change Litigation, 2021, S. 336, Rn. 40ff.; Mougeolle, La Revue des droits de l'homme 2017, [online], Rn. 18. 376 Zur mise en demeure siehe infra S. l60ff.

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jekte Tilenga und EA COP in Uganda auf das Klima nicht ausreichend be­ rücksichtigt zu haben. J77 Die Erdölförderung als solche führe in zahlreichen Produktionsschritten zu Treibhausgasemissionen: U. a. müsse die Pipeline bis zum Indischen Ozean elektrisch beheizt werden, um das zähflüssige Ö l transportieren zu können; hinzu komme die Verbrennung des Endpro­ dukts. 378 Eine Entscheidung in der Sache steht noch aus. Derzeit streiten sich die Parteien noch darum, welches Gericht sachlich zuständig ist. 379 Daneben haben im Januar 2020 mehrere NGOs und Gemeinden beim Tri­ bunaljudiciaire de Nanterre eine zweite Klage gegen die Total SA eingereicht, die sich explizit gegen die Klimaschädlichkeit der Tätigkeiten der Tatal­ Gruppe richtet. ]!O Es handelt sich um die erste Klimaklage in Frankreich, die gegen ein privates Unternehmen gerichtet ist. 3 8 1 Die Klägerparteien sind der Auffassung, dass der plan de vigilance der Gesellschaft keine angemessenen Präventions- und Abhilfemaßnahmen gegen Klimawandelrisiken vorsehe, die aus dem Anstieg der globalen Treibhausgasemissionen folgen, zu denen Total mit seiner Tätigkeit beitrage. 382 Damit verletze Total einerseits die all­ gemeine umweltrechtliche Sorgfaltspflicht aus Art. I und 2 Umweltcharta. 3 83 Andererseits verstoße die Total SA aber insbesondere gegen ihre spezielle Sorgfaltspflicht aus Art. L. 225-1 02-4 C. com.: Die Klimaerwärmung, zu der Total beitrage, 384 berge Risiken für die Umwelt, Menschenrechte sowie die Gesundheit und Sicherheit der Menschen, die sich im Falle einer Erwärmung um mehr als 1 ,5 oe noch verschlimmern würden. 385 Die Kläger verlangen m Les Amis de la Terre FrancelSurvie, Total mise en demeure pour ses activites en Ouganda, 25.6.2019, S. l l ; EpsteinlDeckert, in: KahllWeller (Rrsg.), Climate Change Li­ tigation, 2021, S. 336, Rn.42. m Les Amis de la Terre FrancelSurvie, Total mise en demeure pour ses activites en Ouganda, 25.6.2019, S. l 1 . J E Siehe infra S. 166ff. 3 80 Vgl. EpsteinlDeckert, in: Kah1lWeller (Rrsg.), Climate Change Litigation, 2021, S. 336, Rn.40 ff.; Hautereau-Boutonnet, D. 2020, 609 f. J 8 l Vgl. dagegen zur sog. "Affaire du siede", einer Klage, die vier NGOs im März 2019 beim Verwaltungsgericht Paris gegen Frankreich eingereicht haben, Baldon, EEI 2019, doss.20, 38 f.; EpsteinlDeckert, in: KahllWeller (Rrsg.), Climate Change Litigation, 2021, S. 336, Rn. 9 ff. 3 82 Assignation devant le Tribunal judiciaire de Nanterre, Notre Affaire a Tous et autresfTOTAL S.A., 28.1.2020, S. 1 3 (im Folgenden: Assignation NAAT et al.fTOTAL S.A., 28.1.2020), abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022). 3 83 Assignation NAAT et al.fTOTAL S.A., 28.1 .2020 (Fn. 382), S. 18 f.; vgl. dazu auch den Aufsatz der Klägeranwälte Mabilelde Cambiaire, EEI 2019, doss. 21, 40 ff.; zu Art. 1 , 2 Umweltcharta siehe supra S. 122f. 3 84 Die Total-Gruppe sei für etwa 1 % der weltweiten Treibhausgasemissionen aus dem Jahr 2018 verantwortlich, vgl. Assignation NAAT et al.rrOTAL S.A., 28.1 .2020, S. 1 2 f. m Assignation NAAT et al.rrOTAL S.A., 28.1.2020 (Fn. 382), S. 20ff.

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daher, dass Total - gegebenenfalls unter Androhung eines Zwangsgeldes gerichtlich aufgefordert wird, den Sorgfaltsplan anzupassen. l i6 Der Ausgang des Verfahrens ist noch ungewiss. e) Beschränkung auf Prävention gegen gravierende Verletzungen Der weitreichende Katalog von Schutzgütern wird durch eine Beschränkung auf bestimmte Verletzungen dieser Rechte und Rechtsgüter abgeschwächt. 3 87 Nach dem Wortlaut von Art. L. 225-1 02-4 Abs. 3 C. com. müssen die ver­ pflichteten Gesellschaften einerseits sämtliche Risiken für die o. g. Schutz­ güter ermitteln ("identifier les risques"), andererseits aber lediglich "gravie­ renden Verletzungen" der Menschenrechte, Grundfreiheiten, Gesundheit und Sicherheit sowie Umwelt vorbeugen ("prevenir les atteintes graves"). 3 88 Das schließt zutreffend die Vorsorge gegen ungesicherte und unvorherseh­ bare Schadensrisiken (risques suspectes/inconnus) aus, die auch im französi­ schen Deliktsrecht nur äußerst selten und in speziellen Fällen zu einer Haf­ tung führen können (sog. principe de precaution). 389 Verlangt wird folglich nur die Prävention gegen gesicherte Risiken (risques averes) zur Vermeidung schwerwiegender Verletzungen. 39o Welchen Grad eine Verletzung der Schutzgüter erreichen muss, um als atteinte grave zu gelten, definiert das Gesetz allerdings nicht näher. 39 1 Zur Auslegung dieses Merkmals wird in der französischen Literatur auf die UNGP und deren Interpretationshilfe verwiesen, da auch diese die Schwere der Menschenrechtsverletzungen berücksichtigten. 392 Anders als die Sorgm Assignation NAAT et al.rrOTAL S.A., 28.1.2020 (Fn. 382), S. 36[f. 3 87 So auch Savourey, in: European Commission (Rrsg.), Study on due diligence re­ quirements through the supply chain, 2020, S. 56, 65. m Mit dieser Unterscheidung zwischen Ermittlung der Risiken auf der einen und Prä­ vention schwerwiegender Verletzungen auf der anderen Seite auch Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference pour les Plans de Vigilance, 2019, S. 38. 3Ö'9 Hannoun, Dr. social 2017, 806, 8 1 3 L; Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference pour les Plans de Vigilance, 2019, S. 38 L Ausführlicher zumprincipe de precaution Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn. 46; MalaurieIAynesIStoffel-Munck, Droit des obligations, 2018, Rn. 30; Viney/JourdainICarval, Les conditions de la responsabilite, 2013, Rn. 247-2m.w.N. 390 Hannoun, Dr. social 2017, 806, 8 1 3 L; Mougeolle, La Revue des droits de l'homme 2017, [online], Rn. !7; Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference pour les Plans de Vigilance, 2019, S. 38 L In dem Leitfaden von Sherpa wird außerdem hervorgehoben, dass es sich nur um eine graduelle Unterscheidung der Verletzung verschiedener Rechte handelt, nicht aber um eine Priorisierung der unterschiedlichen Rechtsgüter selbst. Diese seien voneiander abhängig und unteilbar, vgl. Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference pour les Plans de Vigi­ lance, 2019, S. 54. 391 BrabantlMichonlSavourey, RIC2017, 93, 26, 33; Mavoungou, RIDE2019,49, 58 hält eine Abstufung der Rechtsverletzungen für unangemessen. 392 BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 33; Caillet, Dr. socia1 2017, 8 1 9, 825L

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faltspflicht der lai de vigilance obliegt die Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte laut UNGP 1 4 grundsätzlich allen Wirtschaftsunternehmen gleichermaßen, unabhängig von der Größe, dem Sektor, den Eigentumsver­ hältnissen oder der Struktur der Unternehmen. 393 Dennoch könnten Umfang und Komplexität der zu ergreifenden Sorgfaltsmaßnahmen je nach Größe, Sektor etc., und Schwere der nachteiligen menschenrechtlichen Auswirkun­ gen variieren. 394 Die Schwere der Auswirkungen sei "danach zu bemessen, welches Ausmaß und welchen Umfang sie besitzen und inwieweit sie nicht wiedergutzumachen sind." 395 Beim Umfang und Ausmaß der Verletzung sei nach der Interpretationshilfe zu den UNGP insbesondere relevant, wie viele Menschen betroffen sind oder sein werden. 396 Vor dem Hintergrund der Universalität der Menschenrechte und ihrer Unteilbarkeit397 überrascht ein solches quantitatives Kriterium, sind doch ebenso für einzelne Individuen schwerwiegende Menschenrechtsverletzun­ gen unter Beteiligung von Unternehmen denkbar. 398 Zirkulär scheint darüber hinaus der Hinweis auf die " Schwere " (gravite/gravity) der AuswirkungJ99 , da ebendie se erst bestimmt werden soll. Etwas zielführender ist dagegen der Aspekt der Wiedergutmachung. Bei der Irreversibilität sei nach der Inter­ pretationshilfe der UNGP entscheidend, ob die Betroffenen wieder in die Situation vor der negativen Auswirkung oder wenigstens in eine vergleich­ bare Lage versetzt werden können; Ersatzzahlungen seien nur insoweit re­ levant, wie sie zu einer Wiederherstellung des vorigen Zustandes beitragen können. 4oo Auch UNGP 24 bezieht die Schwere der potenziellen negativen Auswir­ kungen ein: "Ist es notwendig, bei Maßnahmen zur Bewältigung tatsächlicher und potenzieller nach­ teiliger menschemechtlicher Auswirkungen Prioritäten zu setzen, sollten Wirtschaftsun­ ternehmen zunächst bemüht sein, die schwerwiegendsten beziehungsweise diejenigen Aus­ wirkungen zu verhüten und zu mildern, die bei verzögerten Gegenmaßnahmen nicht wie­ der gut zu machen wären."40 1 393 Zum Anwendungsbereich der loi de vigilance siehe supra S. 70 ff. ;� UNGP 14. 395 UNGP 14, Kommentar. 3% HCDH, UNGP Guide interpretatif, 2012, S. 7. 397 Vgl. KlingerlKrajweskilKrebs u. a., Verankerung menschemechtlicher Sorgfalts­ pflichten von Unternehmen im deutschen Recht, März 2016, S. 24. 398 Vgl. Cass. 2" ci.v., 22.1.2015, n° 1 3-28.414 (Tod des Angestellten einer Tochtergesell­ schaft, die eine Uranruine in Niger betreibt; keine Haftung der Muttergesellschaft als coemp1oyeur). 39!! HCDH, UNGP Guide interpretatif, 2012, S.7: "Ce1a signifie que sa gravite et 1e nombre d'individus qui sont ou seront concernes (par exemp1e par 1es effets retardes d'un dommage eco1ogique) sont deux considerations majeures." 400 HCDH, UNGP Guide interpretatif, 2012, S. 7. 401 UNGP 24, Hervorh. durch Ver!

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Eine Orientierung an den UNGP kann erste Hinweise für die Auslegung der lai de vigilance geben, welche die UNGP in nationales Recht umsetzen soll;402 sie sollte aber mit einen gewissen Vorsicht und dem Bewusstsein für die Un­ terschiede der Regelwerke geschehen: Wie an dem Begriff der "Schwere" einer Menschenrechtsverletzung zu erkennen ist, bleiben Definitionen in den UNGP und den Begleitmaterialien oftmals nur im Ungefähren. Das entspricht dem soft law-Charakter der UNGP, verhindert jedoch eine unmittelbare Übertragbarkeit auf das nati­ onale hard law. Letzteres soll gerade eine Umsetzung, also auch Konkreti­ sierung der weich formulierten UNGP sein, weshalb ein Rückbezug darauf zur Auslegung des nationalen Gesetzes nicht immer geeignet erscheint. Das gilt umso mehr als das Gesetz anfangs zwar in vielen Aspekten den UNGP als seine wichtigste Inspirationsquelle nachgebildet war, es sich im Laufe des Gesetzgebungsprozesses aber in wesentlichen Punkten noch stark geändert hat. 403 Das wird auch bei der Beurteilung der Schwere einer Men­ schenrechtsverletzung deutlich: Ihrem Wortlaut nach verlangt die lai de vi­ gilance nur die Prävention gravierender Verletzungen, nach dem Verständnis der UNGP sollten die Wirtschaftsunternehmen dagegen "allen ihren nach­ teiligen menschenrechtlichen Auswirkungen begegnen" . 404 Der graduelle Un­ terschied der potenziellen Menschenrechtsverletzungen gibt bei den UNGP daher nur Anhaltspunkte für eine Auswahl der im Einzelnen erforderlichen Präventionsmaßnahmen und eine Priorisierung derselben. Im Rahmen der lai de vigilance bildet die Schwere der möglichen Rechts(-guts-)verletzung hingegen eine Schwelle, die überschritten sein muss, damit die Gesellschaft überhaupt Präventionsmaßnahmen ergreifen muss. Welche Fälle der französische Gesetzgeber bei dem Begriff der atteintes graves vor Augen hatte, zeigt die Gesetzesbegründung: Der Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza in Bangladesch ist das paradigmatische Ereig­ nis, das zur Veranschaulichung potenzieller negativer Auswirkungen der grenzüberschreitenden Tätigkeit von Unternehmen herangezogen wird.4 C6 Bei dem Einsturz verloren 1 1 38 Menschen ihr Leben und über 2500 weitere wurden verletzt, viele davon so schwer, dass sie heute arbeitsunfähig sind.406 In diesem Fall besteht kein Zweifel an der Schwere der eingetretenen Men­ schenrechtsverletzungen (Leben, körperliche Unversehrtheit, Sicherheit). Schwieriger zu beurteilen sind indes Fälle mit weniger drastischem Ausmaß. Anders wäre es beispielsweise zu bewerten, wenn Angestellte verpflichtet würden, ihre geregelte Arbeitszeit um einige Stunden zu überschreiten. Doch 402 PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S.4; siehe supra S. 9 f. 403 Siehe supra S. 50 ff., 82. 404 UNGP 24, Kommentar. 405 PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S.4, siehe supra S. 3 f. "

Vgl. PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S.4.

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auch dies könnte - j e nach Arbeitsbedingungen - langfristig zu gesundheit­ lichen Beeinträchtigungen führen, so dass in der Summe möglicherweise ebenso ein Ausmaß erreicht werden könnte, das die Schwelle der atteinte grave überschreitet. So können einmalige Ereignisse wie der Einsturz des Rana Plaza oder der Brand in der Fabrik Ali Enterprises in Pakistan407 von einer vergleichbaren Schwere sein wie im Einzelnen mildere, aber dauerhafte Beeinträchtigungen, etwa durch kontinuierliche Schadstoffbelastungen beim Rohstoffab bau. 400 Im Ergebnis gilt deshalb: ,,[L]e juge est celui qui jouera le r61e centra!. "400 Mit anderen Worten ist es am Ende Aufgabe der Gerichte, das Gesetz und die darin enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe auszulegen und mit Leben zu füllen. 'l 0 Entsprechend weist die NGO Sherpa in ihrem Leitfaden zu dem Gesetz ebenfalls daraufhin, dass derartige graduelle Abstufungen auch aus anderen Rechtsbereichen bekannt seien, in denen sich mittlerweile eine ge­ festigte Rechtsprechung entwickelt habe. '!! f) Ergebnis für den Schutzbereich der lai de vigilance Die Analyse der im Sorgfaltsplan zu berücksichtigenden Schutzgüter offen­ bart einen weiten Schutzbereich der lai de vigilance. Mangels einer gesetzli­ chen Definition der fünf Schutzgüter Menschenrechte, Grundfreiheiten, Ge­ sundheit und Sicherheit der Menschen sowie Umwelt wird den Unternehmen die Aufgabe überantwortet, diese Begriffe auszulegen und ihr Verhalten ent­ sprechend anzupassen. Anhand nationaler und internationaler Regelungen können die Schutzgüter zwar etwas konkretisiert werden. Für eine rechtssi­ chere Anwendung im Einzelfall bleiben jedoch noch einige Fragen offen. Letztlich wird es daher auch an dieser Stelle auf die Definition und Ausle­ gung der Gerichte ankommen.

407 Zur dem Brand nachfolgenden Klage gegen das deutsche Textilunternehmen KiK vor dem LG Dortmund und dem OLG Hamm siehe supra 1. Teil, Fn. 166. 400 Vgl. z. B. Cass. 2" cis., 22.1.2015, n° 1 3-28.414 (Tod des Angestellten einer Tochter­ gesellschaft, die eine Uranmine in Niger betreibt; keine Haftung der Muttergesellschaft als coemployeur). 400 Mavoungou, RIDE 2019, 49, 58. 4 10 So wohl auch Mathieu, Constitutions 2017, 291, 293. 4 11 Sherpa (Hrsg.), Guide de Reference pour 1es Plans de Vigilance, 2019, S. 38, mit Verweis auf das Arbeitsrecht. Vgl. beispielsweise Art. L. 4131-1 C. trav.: "Le travailleur alerte immediatement l'emp1oyeur de toute situation de travail dont i1 a un motif raison­ nab1e de penser qu'elle presente un danger grave et imminent pour sa vie ou sa sante ainsi que de toute defectuosite qu'il constate dans 1es systemes de protection. [ ] (Hervorh. durch Verf). . . .

."

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2. Maßnahmen angemessener Sorgfalt Der Risikoüberwachungsplan muss gemäß Art. L. 225-1 02-4 1. Abs. 3 C. corno "Maßnahmen angemessener Sorgfalt" (mesures de vigilance raison­ nable) enthalten. Er soll gemäß Art. L. 225-1 02-4 1. Abs. 4 C. com. mit den Stake holdern der Gesellschaft und im Rahmen von sog. Multi-Stakeholder­ Initiativen innerhalb eines Sektors oder auf territorialer Ebene erstellt wer­ den. 41 2 Um den Gesellschaften konkrete Anhaltspunkte zu geben und der Unsi­ cherheit über die Auswahl der "angemessenen" Maßnahmen entgegenzuwir­ ken, wurde die Vorschrift im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens um einen Maßnahmenkatalog ergänzt.4 !] Die Aufzählung in Abs. 4 derselben Norm ist an dem damals selbst noch im Entwurf befindlichen Art. 1 7 lai Sapin II ori­ entiert, der den Leitungsorganen bestimmter Gesellschaften Sorgfaltsmaß­ nahmen gegen Korruption und Bestechung auferlegt.414 Der Plan muss (i.) eine Risikokartografie, (ii.) Verfahren zur regelmäßigen Bewertung der Situation der Filialen, Subunternehmer und Zulieferer, (iii.) geeignete Maß­ nahmen zur Risikoverringerung und Vorbeugung schwerer Verletzungen, (iv.) einen Warnmechanismus für bestehende oder sich realisierende Risiken und (v.) ein Kontrollsystem zur Evaluation der Effektivität der umgesetzten Maßnahmen enthalten. Diese Maßnahmen können gemäß Art. L. 225-102-4 Abs. 6 C. com. durch ein Dekret der Regierung (deeret) ergänzt werden. 415 Die im Maßnahmenkatalog von Art. L. 225-102-4 Abs. 4 S. 2 C. com. vorgesehenen Schritte bilden in chronologischer Reihenfolge die Etappen ab, die eine Gesellschaft beim Erstellen und Umsetzen eines Sorgfaltsplans durchlaufen muss: !6 Dieses Vorgehen folgt wiederum den UNGP. Nach UNGP 1 7 sollte das Verfahren der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht "darin bestehen, tatsächliche und potenzielle menschemechtliche Auswirkungen zu er­ mitteln, die sich daraus ergebenden Erkernünisse zu berücksichtigen und Folgemaßnah­ men zu ergreifen, die ergriffenen Maßnahmen nachzuhalten sowie Angaben dazu zu ma­ chen, wie den Auswirkungen begegnet wird."

4 12 Dazu noch infra s. 148 ff. 4 lJ Polier, Rapport n° 4242, AN, 23.11 .2016, S. 14: " [. . . ] en reponse aux craintes ex­ primees par 1e senat au regard de 1a description du contenu du plan de vigilance, jugee insuffisamment precise, 1a Commission a decide de faire figurer dans 1a loi 1a liste des mesures qui devraient necessairement en faire partie." Vgl. auch Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 307. 4 14 Polier, Rapport n° 4242, AN, 23. 1 1 .2016, S. 14. Zur loi Sapin II siehe supra S. 25 ff. 4 15 Dazu infra S. 141 ff. m Vg!. Schiller, Jep E 2017, etude 1193, 19, Rn. 7.

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a) Risikokartografie: Risikoermittlung, -analyse und -hierarchisierung An erster Stelle muss die Gesellschaft Risiken für die Menschenrechte und die übrigen o. g. Schutzgüter der lai de vigilance ermitteln, analysieren und hierarchisieren (Nr. I). Von dem üblichen Risikomanagement einer Gesell­ schaft unterscheidet sich dieser Schritt insbesondere dadurch, dass es nicht um gesellschafts- oder unternehmensinterne Risiken geht, sondern um mög­ liche externe negative Auswirkungen der Tätigkeit auf die Menschenrechte, Grundfreiheiten, Sicherheit und Gesundheit Dritter sowie auf die Umwelt.41 7 Das haben laut eines französischen Länderberichts für eine Studie der Eu­ ropäischen Kommission einige Gesellschaften nicht erkannt, die in ihren ersten plans de vigilance von 201 8 zudem Risiken für die Gesellschaft oder das gesamte Unternehmen aufgeführt haben. 41 8 Zunächst müssen relevante Risiken ermittelt und analysiert werden. Die Risiken können je nach branchenspezifischen oder territorialen Besonder­ heiten variieren, so dass sich die Risikoanalyse von Gesellschaft zu Gesell­ schaft stark unterscheiden kann. 41 9 Auch in den einzelnen Herstellungs­ schritten für ein Produkt können unterschiedliche Risiken vorherrschend sein. Es wird daher empfohlen, die Risikokartografie geografisch, sachlich und persönlich möglichst präzise zu untergliedern: Zum einen solle zwischen den einzelnen Regionen der Tätigkeit bzw. den Produktionsstandorten un­ terschieden werden.420 Beispielsweise stammen verschiedene Bestandteile ei­ nes Produktes oder die Rohstoffe dafür oftmals aus verschiedenen Ländern, oder einzelne Produktsparten sind auf unterschiedliche Länder verteilt. Sachlich könnte zudem zwischen verschiedenen Produkten oder Sektoren differenziert werden. Persönlich sind die verschiedenen Entitäten zu berück­ sichtigen, die neben der Mutter- oder Auftraggebergesellschaft in die Liefer­ kette eingebunden sind und deren Aktivitäten ebenfalls negative Auswirkun­ gen auf die Schutzgüter der loi de vigilance haben könnten. 42 1 Im Fall der Total SAm müsste der Sorgfaltsplan erstens die Risiken durch die Tätigkeiten der Muttergesellschaft selbst aufführen. Das Projekt Tilenga in Uganda wird indes von der IOO %igen Tochtergesellschaft Total Exploration & Production 4 17 BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 36; Caillet, Dr. social 2017, 819, 825; Conseil general de l'economie, Evaluation de 1a mise en ceuvre de 1a loi n° 2017-399 du 27 mars 2017, Januar 2020 (Fn. 108), S. 22. 4 18 Savourey, in: European Commission (Rrsg.), Study on due diligence requirements through (he supply chain, 2020, S. 56, 66. 4 19 BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 35; Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 24. 420 Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference pour 1es Plans de Vigilance, 2019, S. 5 1 . 421 BrabantlMichonlSavourey, RIC2017, 93, 26, 36; Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference pour 1es Plans de Vigi1ance, 2019, S. 5 1 . 422 Siehe supra S . 1 f.

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Uganda B. V. durchgeführt. Die daraus erwachsenden Risiken für die Schutz­ güter der lai de vigilance müssten also separat im Plan der Total SA ausge­ wiesen werden. Die Risikoermittlung und -analyse bildet die Grundlage für alle weiteren Schritte, insbesondere die Kontrollverfahren bei den Tochtergesellschaften, Subunternehmern und Zulieferern sowie die Präventionsmaßnahmen. Ihr sollte daher besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.423 Eine klar strukturierte und differenzierte Risikoanalyse, die aus sich her­ aus, d. h. ohne weitere interne Informationen nachvollziehbar ist, trägt laut dem Leitfaden der NGO Sherpa zudem der Publizitätspflicht gemäß Art. L. 225-1 02-4 1. Abs. 5 C. com. Rechnung. ''' Die französischen NGOs France Nature Environnement (FNE) , Mighty Earth und Sherpa legen bei­ spielsweise in einem Bericht von März 2019 dar, dass 20 französische Unter­ nehmensgruppen der Lebensmittelindustrie Risiken für die Menschenrechte und Umwelt nicht transparent und umfassend ermittelten, die von der Ro­ dung großer Wald flächen in Lateinamerika ausgingen, die zum Anbau von Soj a genutzt werden sollen. 42S Das erforderliche Maß an Transparenz ergibt sich indes nicht konkret aus dem Gesetz. Verlangt man wie der Leitfaden von Sherpa eine umfassende Offenlegung aller potenziell relevanten Informati­ onen, könnte dies die unternehmerische Freiheit verletzen, die über Art. 4 DDHC verfassungsrechtlichen Schutz genießt. ''' Die im Dritten Schritt erforderliche Hierarchisierung der festgestellten Risiken gibt der Gesellschaft Anhaltspunkte für eine Priorisierung der Prä­ ventionsmaßnahmen, wenn nicht alle denkbaren Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden können. 427 Mit Blick auf die Vorbeugung von atteintes graves bildet die zu erwartende Schwere der potenziellen Rechtsverletzungen das zentrale Kriterium für die Hierarchisierung.428 Ein weiterer Faktor ist die Wahrscheinlichkeit, mit der das jeweilige Risiko einzutreten droht.429

423 BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 36; Schiller, JCP E 2017, etude 1193, 19, Rn. 7.

424 Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference POUf 1es Plans de Vigilance, 2019, S. 51; siehe dazu infra S. 1 5 1 ff. 425 Mighty EarthlFrance Nature EnvironnementlSherpa, Devoir de vigilance et defo­ restation: Le cas oublie du soja, März 2019. 426 Lenoir, JCP E 2020, etude 1250, 22, Rn. 21; siehe noch infra S. 1 5 3 ff. 427 LaunaylQueinnec, in: Martin-Chenut/de Quenaudon (Rrsg.), La RSE saisie par 1e droit, 2016, S. 469, 471; Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference POUf 1es Plans de Vigi1ance, 2019, S. 55. Diese Priorisierung ist bereits aus UNGP 24 bekarnü, siehe supra S. 129f. 428 LaunaylQueinnec, in: Martin-Chenut/de Quenaudon (Rrsg.), La RSE saisie par 1e droit, 2016, S. 469, 471; Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference POUf 1es Plans de Vigi1ance, 2019, S. 5 3 f.; BrabandMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 36. 429 Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference POUf 1es Plans de Vigilance, 2019, S. 5 3 f.

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Die Zusammenarbeit mit den Stakeholdern der Gesellschaft ist nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht zwingend ("a vocation", also "soll"),4 30 sie kann aber insbesondere bei der Risikoermittlung helfen, um basierend auf bishe­ rigen Erfahrungen die typischen Risiken innerhalb eines Sektors oder in einer bestimmten Region umfassend zu ermitteln. 43 1 b) Verfahren zur regelmäßigen Kontrolle der Situation in den filiales und bei Subunternehmern und ZulieJerern Beim Erstellen eines plan de vigilance handelt es sich um einen dynamischen Prozess, der es erfordert, einmal ermittelte Risiken regelmäßig zu überprüfen und mögliche neue Risiken in einen aktualisierten Plan aufzunehmen.4 32 Da sich die Sorgfaltspflicht nicht nur auf die Tätigkeit der Mutter- oder Auf­ traggebergesellschaft beschränkt, sondern auf Tochtergesellschaften sowie Subunternehmer und Zulieferer erstreckt, zu denen eine gefestigte Geschäfts­ beziehung besteht,m müssen auch solche Risiken ermittelt und überwacht werden, die im Rahmen deren Tätigkeiten entstehen können. Auf Grundlage der Risikoanalyse muss die Gesellschaft daher Verfahren zur regelmäßigen Überprüfung der Situation in den filiales und bei Subunternehmern und Zulieferern entwickeln (Nr. 2). Dem Wortlaut nach gilt die Evaluation in der Unternehmensgruppe nur denfiliales, obwohl sich die Sorgfaltspflicht auch auf kontrollierte Gesellschaften erstreckt.4 34 Für eine kohärente Lösung müsste sich die Reichweite in den im Plan vorzusehenden Maßnahmen spie­ geln. Die Überprüfung müsste folglich ebenso für kontrollierte Gesellschaf­ ten i.S.d. Reichweite gelten und nicht nur für filiales i.S.d. Art. L. 233-1 C. com. 435 Wie diese Kontrollverfahren ausgestaltet sein sollen, konkretisiert das Gesetz nicht näher. Nach dem Leitfaden von Sherpa könnten angekündigte und unangekündigte Social Audits, Ermittlungen, Fragebögen und Selbst­ einschätzungen der Tochtergesellschaften und Vertragspartner Bestandteile dieser Verfahren sein.4 36 Der französische Wirtschaftsrat, der die lai de vigi-

430 Danis-FatbmeIViney, D. 2017, 1610, 1613. 43 1 LaunaylQueinnec, in: Martin-Chenut/de Quenaudon (Hrsg.), La RSE saisie par le droit, 2016, S. 469, 472; Sherpa (Hrsg.), Guide de Reference pour les Plans de Vigilance, 2019, S. 52.

432 BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 35; Kessedjian, in: Melanges Witz, 2019, S. 407, 413. 433 Zur Reichweite der Sorgfaltspflicht ausführlich supra S. 85 ff. 434 Siehe supra S. 72 ff. 435 So auch Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 304; Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 16. 436 Sherpa (Hrsg.), Guide de Reference pour les Plans de Vigilance, 2019, S. 57.

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lance Anfang 2020 erstmals evaluierte, nennt ebenfalls Auditverfahren und Evaluationen durch externe Dienstleister als das Mittel der Wahl.437 Teilweise werden Soda! Audits aber kritisch gesehen. U. a. wird kritisiert, dass sich im Laufe der Jahre im Rahmen von CSR-Maßnahmen der Unter­ nehmen ein eigener Markt für Zertifizierungen entwickelt habe.4 38 Die Audits fänden jedoch oftmals nur punktuell statt, seien häufig vorangekündigt und würden nicht selten durch einzelne Personen durchgeführt, denen ein falsches Bild von der Situation in einer Produktionsstätte vermittelt würde.4 39 Es stehe daher zu befürchten, dass die loi de vigilance zu einer Verfestigung und Le­ gitimation dieses "greenwashing" durch Zertifizierung führen könnte. 440 In der Tat werden oftmals nicht nur Auftraggeber, sondern auch von diesen eingesetzte Zertifizierer für den Eintritt von Schäden (mit-)verantwortlich gemacht. 44 ! Ein Beispiel ist der kanadische Fall zum Rana Plaza.442 In dem Fall verklagten die Kläger nicht nur den Auftraggeber Loblaws, sondern auch den Zertifizierer Bureau Veritas. 443 Der Court 0/ Appeal verneinte eine Haftung indes, da Gebäudesicherheit nicht zum Auditprogramm von Bureau Veritas gehörte.444 Zur Steigerung der Zuverlässigkeit von Sodal Audits wird u. a. vorge­ schlagen, nach dem Vorbild der Pharmaindustrie Zertifikate für die Zertifi­ zierer selbst auszustellen, die deren technische Kompetenz, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Integrität bestätigen.''' c) Sorgfaltsmaßnahmen zur Vermeidung schwerwiegender Verletzungen Im dritten Schritt muss die Gesellschaft abgestimmt auf die vorige Risiko­ ermittlung und die Evaluation bei den Tochtergesellschaften, Subunterneh­ mern und Zulieferern Maßnahmen vorsehen, um den Risiken entgegenzu­ wirken und eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte und ande­ ren Schutzgüter zu vermeiden (Nr. 3). 437 Conseil general de l'economie, Evaluation de la mise en ceuvre de la loi n° 2017-399 du 27 mars 2017, Januar 2020 (Fn. 108), S. 22. 438 Delalieux, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S. 27, 30ff. 439 Delalieux, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S. 27, 30ff.; ähnlich Sherpa (Rrsg.), Guide de Reference pour les Plans de Vigilance, 2019, S. 58. 440 Delalieux, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S. 27, 34. 441 Vgl. TerwindtISaage-Maaß, Zur Raftung der Sozialauditor_itmen in der Textilin­ dustrie, 2017 sowie die Studie von ECCHRIBrotfür die WeltlMisereor, Menschenrechts­ fitness von Audits und Zertifizierern?, April/Mai 2021 mit einigen Fallbeispielen. 442 Siehe supra S. 28, 98 ff. 443 Das v George Weston Limited[2018] ONCA 1053, Rn. 19 ff. Siehe zu einer vergleich­ baren Schadensersatzklage vor dem LG München I gegen das deutsche Prüfunternehmen TÜ V Süd wegen eines Staudammbruchs in Brasilien Müller-HofflOehm, ZEuP 2022,

142[f. 444 Das v George Weston Limited [20l8] ONCA 1053, Rn. 195 ff. 445 Schiller, JCP E 2017, etude 1193, 19, Rn. 9.

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aa) Angemessenheit der Sorgfaltsmaßnahmen Die Sorgfaltsmaßnahmen müssen zunächst geeignet sein, das Risiko, dessen Verwirklichung sie vermeiden sollen, tatsächlich abzumildern oder gar zu beseitigen und so ein Umschlagen des Risikos in eine schwerwiegende Ver­ letzung zu verhindern. 446 Gleichzeitig muss es sich um actians adaptees, d. h. angemessene oder angepasste Aktionen, handeln. 447 Das greift das Merkmal der angemessenen Sorgfalt (vigilance raisonnable) auf, das für alle Schritte des fünfteiligen Maßnahmenkatalogs gleichermaßen als Vorzeichen gilt." 8 Eine Definition oder Parameter zur Beurteilung der Angemessenheit der Sorgfaltsmaßnahmen enthält das Gesetz jedoch nicht. Nach Ausführungen in der Literatur müssen die Maßnahmen auf die Art und Schwere des jewei­ ligen Risikos abgestimmt sein.449 Ferner wird angeregt, die Größe und die finanziellen sowie organisatorischen Mittel der planerstellenden Gesellschaft in die Beurteilung der Angemessenheit einfließen zu lassen. 45o Diese Kriterien sind aus UNGP 1 4 bekannt, wonach Umfang und Komplexität der Maß­ nahmen, durch welche die adressierten Unternehmen ihrer Verantwortung nachkommen, nach ihrer Größe, dem Sektor, dem sie angehören, ihrem ope­ rativen Umfeld, ihren Eigentumsverhältnissen und ihrer Struktur variieren können. 45 1 Orientiert man sich mangels anderer Anhaltspunkte an diesen Leitlinien, ist erneut zu berücksichtigen, dass der Anwendungsbereich der lai de vigi­ lance gegenüber den UNGP bereits deutlich eingeschränkt ist und nur Groß­ unternehmen erfasst. 452 Vor diesem Hintergrund erschiene es sachgerecht, die Sorgfaltsanforderungen der einschlägigen Gesellschaften umfassender zu verstehen. Mit Blick auf die Organisationsstruktur der Unternehmen schlägt Nord­ hues allerdings vor, umso niedrigere Sorgfaltsanforderungen zu stellen, je weiter das Risiko von der Mutter- bzw. Auftraggebergesellschaft entfernt ist, d. h. je weiter "unten" in der Lieferkette sich die zu überwachende Entität befindet.45l Das spiegele die begrenzte Einflussnahmemäglichkeit aufSubun­ ternehmer und Zulieferer auf den zweiten, dritten und weiteren Ebenen der Lieferkette wider. ''' Legt man indes zugrunde, dass (bislang) nur Subunter446 Hannoun, Dr. socia1 2017, 806, 8 1 3 f.; Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 23. 447 Art. L. 225-102-4 Abs.4 Nr. 3 C. corn.: "Des actions adaptees d'attenuation des risques ou de prevention des atteintes graves." 448 Sherpa (Hrsg.), Guide de Reference POUf 1es Plans de Vigilance, 2019, S. 60. 449 BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 37. 450 Delalieux, in: Schiller (Hrsg.), Le devoir de vigi1ance, 2019, S. 27, 29. 451 UNGP 14 S. 2. 452 Siehe supra S. 72 ff. 453 Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen irn Konzern, 2018, S. 312. 454 Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 312;

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nehmer und Zulieferer erfasst werden, zu denen die Mutter- bzw. Auftrag­ gebergesellschaft selbst eine gefestigte Geschäftsbeziehung hat,'" ist der Kreis der zu überwachenden Glieder der Lieferkette bereits durch die Reich­ weite der Sorgfaltspflicht begrenzt. Einer Abstufung der Sorgfaltsmaßnah­ men zwischen verschiedenen Rängen der Lieferkette bedarf es dann nicht.456 Eine ähnliche Differenzierung könnte man allenfalls zwischen Konzern- und Zulieferer-Konstellationen erwägen. 457 bb) Keine konkreten Sorgfaltsmaßnahmen im Gesetz Neben Parametern zur Beurteilung der Angemessenheit der Sorgfaltsmaß­ nahmen, deren Bewertung im Einzelfall den Gerichten obliegen wird," ! feh­ len im Gesetz ebenso Beispiele für Maßnahmen, die Mutter- bzw. Auftrag­ gebergesellschaften in ihrem plan de vigilance (mindestens) vorsehen soll­ ten. 459 Die Entscheidung des französischen Gesetzgebers für eine abstrakte Re­ gelung mag bewusst getroffen worden oder auf einen gewissen Druck zurück­ zuführen sein, das Inkrafttreten des Gesetzes kurz vor Ende der Legislatur­ periode nicht länger zu verzögern. 460 Ungeachtet dessen ist diese Lösung grundsätzlich sinnvoll: Sie bietet den Gesellschaften genügend Flexibilität, um entsprechend der individuellen Risikokartografie sowie sektorspezifi­ scher und territorialer Besonderheiten ein geeignetes Überwachungssystem einzurichten.46 1 Denn die lai de vigilance ist nicht auf einen bestimmten Aus­ schnitt von Risiken fokussiert, wie die Bekämpfung von Kinderarbeit462 oder modernen Formen der Sklaverei. 463 Ebenso regelt sie nicht nur einen einzel-

ebenso UNGP 19, das die Maßnahmen vom Verursachungsbeitrag und Einflussvermögen abhängig macht. 455 Siehe supra S. 98 ff. 456 Der Bedarf zur Einschränkung im Rahmen der Angemessenheit der Sorgfaltsmaß­ nahmen ergibt sich bei Nordhues daraus, dass sie es für sllmvoller erachtet, auf Ebene der Reichweite der Sorgfaltspflicht nicht formal mangels direkter Geschäftsbeziehung be­ stimmte Parteien auszuklammern. Sie plädiert also für eine weite Auslegung der Reich­ weite, die näher an den UNGP ist. Siehe Nordhues, Haftung für Menschemechtsverlet­ zungen im Konzern, 2018, S. 312. 457 Siehe supra S. 98. 458 Delalieux, in: Schiller (Hrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S. 27, 29; Kessedjian, in: Melanges Witz, 2019, S. 407, 417. 4Cfl Schiller, JCP E 2017, etude 1193, 19, Rn. 7. 'w Vgl. Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 23. 461 Cuzacq, in: Martin-Chenut/de Quenaudon (Hrsg.), La RSE saisie par le droit, 2016, S.453, 457; Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungenim Konzern, 2018, S. 307. 46l Wet zorgplicht kinderarbeid; siehe supra S. 9. 463 UK Modern Slavery Act 2015; siehe supra S. 9.

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nen Sektor, wie den Holzhandel4 M oder den Handel mit sog. Konfliktmine­ ralien.4 65 Die Risiken und denkbaren Abhilfemaßnahmen im Textilsektor unter­ scheiden sich beispielsweise stark von denjenigen in der Rohstoffgewinnung. Bei ersterem geht es vor allem um Sicherheitsaspekte rund um die Produktion selbst, wie Arbeitszeiten und -bedingungen, Streikrechte der Arbeitnehmer oder Gebäudesicherheit. So war beispielsweise das Fabrikgebäude Rana Plaza illegalerweise um eine Ebene aufgestockt worden, und die Angestellten mussten zur Arbeit erscheinen, obwohl sich bereits Risse in dem Gebäude gezeigt hatten.4 66 Im Gegensatz dazu sind bei der Rohstoffgewinnung oftmals nicht nur Mitarbeiter betroffen, sondern zudem unbeteiligte Dritte. Im Vorfeld der Erdölprojekte von Total in Uganda kommt es beispielsweise zu Umsiedelun­ gen der lokalen Bevölkerung. 467 Bei der Rohstoffgewinnung, aber ebenso in der Lebensmittelindustrie, sind außerdem häufig Umweltbelange zu berück­ sichtigen. Das zeigt exemplarisch der Sachverhalt des jüngsten Mahnverfah­ rens auf Basis der loi de vigilance: Der Casino Group, einem französischen Supermarktkonzern, wird vorgeworfen, in ihren Märkten in Brasilien Rind­ fleisch zu verkaufen, das aus Rinderzucht auf gerodeten Waldflächen stammt. 468 Diese Beispiele veranschaulichen, dass die Sorgfaltspläne der Total SA oder der Casino SA andere Maßnahmen vorsehen müssen als der Plan eines Textilherstellers, dessen Produkte in Fabriken wie dem Rana Plaza produ­ ziert werden. Konkrete gesetzliche Vorgaben für Sorgfaltsmaßnahmen wären aufgrund der unterschiedlichen Fallgestaltungen schwer im Gesetz zu implementie­ ren.4 69 Ausdifferenzierte Vorschriften finden sich daher eher in Instrumenten, die einen spezifischen Sektor regeln. Ein Beispiel ist die europäische Kon­ fliktmineralien-VO: Art. 5 Konfliktmineralien-VO definiert in fünf Absätzen umfangreiche Risikomanagementpflichten für natürliche oder juristische Personen, die Konfliktmineralien in die Europäische Union einführen (sog. "Unionseinführer"). Gemäß Art. 5 Abs. l lit. b) Nr. ii) Konfliktmineralien­ va müssen Unionseinführer von Mineralen aus Konflikt- und Hochrisiko-

464 Verordnung (EU) Nr. 99512010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über die Verpflichtungen von Marktteilnehmern, die Holz und Holzer­ zeugnisse in Verkehr bringen, ABI. 2010 L 295/23. 465 Konfliktmineralien-VO; siehe supra S. 8. 466 VgI. Delalieux, in: Schiller (Hrsg.), Le devoir de vigi1ance, 2019, S. 27, 31 ff. 467 Siehe supra S. 1 f. 468 Siehe zu diesem Fall noch näher infra S. 165 f., 188 f. 4W Ebenso Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 307; älmlich wohl Heinieh, Dr. Societes 2017, COIllIll . 78, 29ff.

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gebieten negative Auswirkungen durch Risikomanagementmaßnahmen ver­ hindern oder abmildern.4 70 Sie haben auf Lieferanten einzuwirken und ggf. Druck auf diese auszuüben, um ihre Risikomanagementstrategie durchzu­ setzen. 471 Die Unionseinführer haben die Möglichkeit, (i.) den Handel bei gleichzeitiger Durchführung messbarer Bemühungen um Risikominderung fortzusetzen, (ii.) den Handel bei Weiterverfolgung der laufenden messbaren Bemühungen um Risikominderung vorübergehend auszusetzen, oder (iii.) nach fehlgeschlagenen Versuchen der Risikominderung die Beziehung zu ei­ nem Lieferanten zu beenden.472 Art. 6 Konfliktmineralien- va formuliert zu­ dem eine "Verpflichtung zur Durchführung von Prüfungen durch Dritte". Obwohl im Unterschied zu der Konfliktmineralien-VO im Rahmen der lai de vigilance eine abstrakte Regelung sinnvoll erscheint, zeigt sich in der Li­ teratur der Bedarf, für die praktische Umsetzung des Gesetzes Maßnahmen zu definieren und zu konkretisieren.4 73 Teilweise wird an dieser Stelle erneut auf internationale soft law-Instrumente und best practice-Empfehlungen ver­ wiesen. 474 Eine Konkretisierung, die einen objektiven und damit vergleich­ baren Maßstab schafft, könnte im Wege eines Dekrets erfolgen, das gemäß Art. L. 225-1 02-4 Abs. 6 C. com. zur Vervollständigung der Sorgfaltsmaß­ nahmen von der französischen Regierung erlassen werden kann. 475

470 Art. 5 Konfliktmineralien-VO: ,,(1) Unionseinführer der Minerale [ . . .] b) setzen zur Reaktion auf die ermittelten Risiken eine Strategie um, die konzipiert wurde, um negative Auswirkungen zu verhindern oder zu mildern, und zwar durch [ . . .] ii) Risikomanagementmaßnahmen im Einklang mit den Sorgfaltspflicht-Empfehlun­ gen sowie mit Anhang 11 der OECD-Leitsätze für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht unter Berücksichtigung ihrer Fähigkeit, auf Lieferanten, die das ermittelte Risiko am wirksams­ ten unterbinden oder verringern kÖIlllen, einzuwirken oder erforderlichenfalls durch ge­ eignete Schritte Druck auszuüben; dabei gibt es folgende Möglichkeiten: - Fortsetzung des Handels bei gleichzeitiger Durchführung messbarer Bemühungen um Risikominderung, - vorübergehend Aussetzung des Handels bei Weiterverfolgung der laufenden mess­ baren Bemühungen um Risikominderung oder - Beendigung der Beziehungen zu einem Lieferanten nach fehlgeschlagenen Versuchen der Risikominderung; [. . .]." 471 Art. 5 Abs. l Konfliktmineralien-VO. 471 Art. 5 Abs. l Konfliktmineralien-VO. 473 Vgl. BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 38; Schiller, JCP E 2017, etude 1193, 19, Rn. 7. 474 BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 38. 475 Vgl. Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 307.

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ce) Künftiges Dekret der Regierung zur Vervollständigung der Sorgfaltsmaßnahmen Ein Dekret der Regierung'" kann den Maßnahmenkatalog in Art. L. 225-102-4 1. Abs. 5 Nr. 1-5 C. com. ergänzen und die Modalitäten der Aus­ arbeitung und Umsetzung des plan de vigilance präzisieren, etwa durch Ein­ führung von Multi-Stakeholder-Initiativen innerhalb einzelner Sektoren oder auf regionaler Ebene.477 Bislang wurde noch kein solches Dekret erlas­ sen.4 78 Wegen der unterschiedlichen Wortwahl in der Verordnungsermächtigung ("ergänzen und präzisieren") könnte man annehmen, der fünfteilige Maß­ nahmenkatalog in dem Gesetz könne um weitere, bislang nicht genannte Maßnahmen ergänzt werden.4 79 Eine solche Auslegung wäre indes hinsicht­ lich der Kompetenzverteilung zwischen gesetzgebender und verordnungs­ gebender Gewalt problematisch.'!O Denn gemäß Art. 34 CF werden die Grundprinzipien privat- und handelsrechtlicher Pflichten durch Gesetz be­ stimmt.48 1 Im Wege einer Verordnung können keine neuen Pflichten, sondern nur Regeln zur Umsetzung von bereits gesetzlich normierten Pflichten fest­ gelegt werden.4 82 Dass dies ebenso für die Verordnungsermächtigung der lai de vigilanee gilt, bestätigt eine Stellungnahme der Regierung im Zuge der verfassungsrechtlichen Kontrolle des Gesetzes: Das Dekret könne den Ge­ sellschaften keine anderen als die im Gesetz vorgesehenen Pflichten auferle-

476 Die verordnungsgebende Gewalt üben in Frankreich der Staatspräsident und der Premierminister aus (Art. 1 3 Abs. 1 und Art. 21 Abs. 1 S . 4 CF). Es ist zwischen Rechts­ verordnungen (ordonnances) und Dekreten (decrets) zu unterscheiden. Eine ordonnance regelt einen Bereich, der gemäß Art. 34 CF eigentlich der Regelung per Gesetz vorbehalten ist (vgl. Art. 38 CF). Ein prominentes Beispiel ist die Vertragsrechtsreform im Wege der ordonnance (siehe supra S. 43). Ein Dekret wird häufig nach Inkrafttreten eines Parla­ mentsgesetzes als Ausführungsverordnung erlassen. Decret en Conseil d'Etat bedeutet, dass das vom Premierminister unterzeiclmete Dekret dem Staatsrat (Conseil d'Etat) vor­ zulegen ist. Vgl. dazu näher FavoreulGai"aIGhevontian u.a., Droit constitutionnel, 2019, Rn. 251 ff., 1271 ff. 477 Art. L. 225-1024 I. Abs. 6 C. com.: "Un decret en Conseil d':Etat peut completer les mesures de vigilance prevues aux P a 5° du present article. 11 peut preciser les modalites d'elaboration et de mise en ceuvre du plan de vigilance, le cas echeant dans le cadre d'ini­ tiatives pluripartites au sein de filieres ou a l'echelle territoriale." 478 Schiller, JCP E 2017, etude 1193, 19, Rn. 1 1 . 4E Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S . 307 f. 480 Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 308; Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 23. 481 Art. 34 Abs.4 CF: "La loi determine les principes fondamentaux: [ . . .] du regime de la propriete, des droits reels et des obligations civiles et commerciales." 482 FavoreulGai"aIGhevontian u. a., Droit constitutionnel, 2019, Rn. 1 1 94.

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gen; es könne nur die Modalitäten der Aufstellung und Umsetzung des plan de vigilance sowie seine formale Darstellung präzisieren. 48 3 Demnach ermöglicht die Verordnungsermächtigung nur eine Konkreti­ sierung der existierenden fünf Bestandteile eines Sorgfaltsplans.484 Diese könnte insbesondere im Rahmen der Sorgfaltsmaßnahmen zur Prävention schwerwiegender Verletzungen (Nr. 3) die Gesetzesanwendung erleichtern. Insbesondere kommt in Betracht, länder- und/oder sektorenspezifische Leit­ linien für die Prävention typischer Gefahren zu entwickeln. 485 Als Teil dessen empfiehlt sich ein abgestuftes Vorgehen, das primär auf Aufklärung, Schu­ lung und Unterstützung der Tochtergesellschaften und Vertragspartner vor Ort im Umgang mit menschenrechtsrelevanten Fragen setzt, im nächsten Schritt (vertragliche) Sanktionen vorsieht, und nur als ultima ratio die Be­ endigung der Geschäftsbeziehung verlangt. 486 Inspiration für einen ähnlichen Dreischritt bietet der bereits genannte Art. 5 Art. 5 Abs. I lit. b) Nr. ii) Kon­ fliktmineralien- va, der Unionseinführern von Konfliktmineralien drei gra­ duell abgestufte Handlungsoptionen vorgibt. 487 Ferner zeigt die Konfliktmineralien-va, dass unverbindliche soft law­ Regeln einen Bezugspunkt für angemessene Sorgfaltsmaßnahmen bilden könnten. Die Verordnung enthält eine hybride Regelung, die an mehreren Stellen auf Anhang II der unverbindlichen "OECD-Leitsätze zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwortungsvoller Lieferketten"4 88 ven.veist. So wird beispielsweise zur Beschreibung der Pflichten der Unions­ einführer auf die OECD-Leitsätze Bezug genommen, um die in der Liefer­ kette maßgeblichen Standards zu konkretisieren. 48 9 Diese Leitsätze enthalten ausführliche, praxistaugliche Handlungsempfehlungen für ein verantwor­ tungsvolles Lieferkettenmanagement.

483 Observations du Gouvernement sur la loi relative au devoir de vigilance des societes meres et des entreprises dOIllleuses d'ordre, JORF du 28 mars 2017, n° 74; siehe auch Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 23. 484 Ebenso Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 307f. ("Ausgestaltung ,in die Tiefe' "); Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 23. 485 Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 307 f. ,,, Vgl. Hübner, NZG 2020, 141 1, 1414f. 487 Siehe supra S. 139 f. 488 OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht zur Förderung verantwor­ tungsvoller Lieferketten für Minerale aus Konflikt- und Hochrisikogebieten, 3. Ausgabe 2019. 4� Art. 4 Konfliktmineralien-VO: "Unionseinführer von Mineralen oder Metallen [. . . ] b) nehmen in ihre Lieferkettenpolitik die für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht in der Lieferkette maßgeblichen Standards auf, die den Standards in der Musterstrategie für Lieferketten in Anhang II der OECD-Leitsätze für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht ent­ sprechen; [. . . ]". (Hervorh. durch Verf). Vgl. ebenso an mehreren Stellen in Art. 5 der Konfliktmineralien-VO.

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Nach dem Vorbild der Konfliktmineralien-VO wäre vorliegend denkbar, auf die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen von 201 1 zurück­ zugreifen. Die Bezugnahme auf international anerkannte soft law-Regeln im Rahmen eines Dekrets gewährleistet in doppelter Hinsicht Vergleichbarkeit des Sorgfaltsmaßstabs. Zunächst führt der verbindliche Verweis auf soft law­ Standards zu einem einheitlichen Sorgfaltsmaßstab für alle Gesellschaften im Anwendungsbereich der lai de vigilance. An dieser Einheitlichkeit fehlt es, wenn die Unternehmen in ihren Codes of Conduct unterschiedlichen Rah­ menwerken folgen oder eigene Standards entwickeln. 49 0 Zugleich könnte bei einer möglichen Referenz anderer nationaler Lieferkettengesetze auf diesel­ ben soft law-Instrumente ein international vergleichbarer, bindender Stan­ dard geschaffen werden. Dies erleichterte zum einen Unternehmen mit Standorten in verschiedenen Jurisdiktionen die Umsetzung der Sorgfalts­ maßnahmen. Zum anderen würde bereits auf Ebene nationaler Gesetzge­ bungen ein Grundkonsens geschaffen, der perspektivisch in mögliche euro­ päische und/oder internationale zwingende Regelungen überführt werden könnte. Auf die Weise würde beispielsweise der Boden für eine europäische Harmonisierung im Wege einer Richtlinie bereitet, für die es bereits einen Vorschlag des Parlaments gibt. 49 1 Da es sich in dem Fall um eine Ausgestaltung im Rahmen des Dekrets handelte, bliebe im Grundsatz die flexible Regelung im Gesetz erhalten.4 92 Zudem entspräche ein solches Vorgehen einer Empfehlung des Conseil d'Etat, kürzere und weniger detaillierte Gesetze und Verordnungen auszu­ arbeiten und stattdessen explizit auf soft law zu verweisen. 493 Ob dieser Empfehlung bei dem Erlass eines Dekrets zur Ausgestaltung der lai de vigilance gefolgt werden wird, bleibt abzuwarten. d) Warnmechanismus für bestehende oder sich realisierende Risiken Als vierter Schritt im Maßnahmenkatalog muss der Sorgfaltsplan emen Warnmechanismus für bestehende oder sich realisierende Risiken einführen (Nr. 4). Er ist zwingend in Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften der Gesellschaft zu erstellen.494 Ein solcher Warnmechanismus soll dazu beitra490 Ähnlich bereits supra S. 120f. 491 Siehe infra S. 299 ff. 492 Cuzacq, in: Martin-Chenut/de Quenaudon (Hrsg.), La RSE saisie par le droit, 2016, S.453, 457.

493 Conseil d'Etat (Hrsg.), Le droit soupie, 2013, S. 1 5 0 ff.; dazu auch Cuzacq, in: Mar­ tin-Chenut/de Quenaudon (Hrsg.), La RSE saisie par le droit, 2016, S.453, 457. 494 Art. L. 225-102-4 Abs. 4 Nr. 4 C. corn.: ,,[. . . ] etabli en concertation avec les organi­ sations syndicales representatives dans ladite societe."; vgl. Savourey, in: European Corn­ mission (Hrsg.), Study on due diligence requirernents through the supply chain, 2020, S. 56, 69.

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gen, dass die Gesellschaft möglichst schnell von Risiken Kenntnis erlangt und zügig Gegenmaßnahmen ergreifen kann. 495 Zudem soll Hinweisgebern Sicherheit vor nachteiligen Konsequenzen einer Berichterstattung garantiert werden, um Anreize zu Mitteilungen über beobachtete Risiken zu schaffen.4 96 Bei diesem Bestandteil des Sorgfaltsplans zeigt sich erneut die Nähe des Maßnahmenkatalogs zu der lai Sapin II, die eine Definition des Hinweisge­ bers sowie ein eigenes Schutzsystem für diesen eingeführt hat.4 97 Vergleicht man indes den Wortlaut der beiden Vorschriften, könnte der Kreis der mög­ lichen Hinweisgeber unterschiedlich weit verstanden werden: Gemäß Art. 1 7 H. Nr. 2 lai Sapin II müssen die Leitungsorgane der betreffenden Gesell­ schaften498 zur Korruptionsbekämpfung ein internes Warnsystem einführen (dispasitifd'alerte interne), während bei der lai de vigilance nur allgemein von einem Warnmechanismus die Rede ist (mecanisme d'alerte).499 Unter Berück­ sichtigung des Schutzzwecks der lai de vigilance, Dritte und die Umwelt zu schützen, könnte daher allen potenziell Betroffenen und externen Dritten wie NGOs Zugang zu dem Warnmechanismus zu gewähren sein, und nicht nur Arbeitnehmern der Gesellschaft.50o Neben dem Zweck des Gesetzes ent­ spräche dieses Verständnis den UNGP,501 aus dem Wortlaut des Gesetzes geht dies aber nicht eindeutig hervor.5 02 Der Conseil general de l'economie geht etwa nur davon aus, dass der Mechanismus jedenfalls unmittelbar gefähr­ deten Personen offenstehe; hinsichtlich sonstiger externer Personen, die Kenntnis von Risiken haben, sei dies dagegen unsicher.503 Ein weites Ver­ ständnis, wonach etwa auch NGOs Hinweise auf Risiken geben könnten, liegt jedoch grundsätzlich ebenfalls im Interesse der Gesellschaften, ist daher zu bevorzugen.

4% BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 38. 4% BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 38. 497 Art. 6-16 10i Sapin 11; Schiller, JCP E 2017, etude 1193, 19, Rn. 8. 498 Zum Anwendungsbereich der loi Sapin II siehe supra S. 25 ff. 49!! Lenoir, JCP E 2020, etude 1250, 22, Rn. 20. BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 38; Savourey, in: European Commis­ 500

sion (Hrsg.), Study on due diligence requirements through the supp1y chain, 2020, S. 56, 69;

Sherpa (Hrsg.), Guide de Reference pour 1es Plans de Vigi1ance, 2019, S. 68. 501

UNGP 29: "Damit Missständen frühzeitig begegnet werden kaIlll und diese unmit­ telbar wieder gutgemacht werden kÖIlllen, sollten Wirtschaftsunternehmen für Einzelper­ sonen oder lokale Gemeinschaften, die nachteiligen Auswirkungen ausgesetzt sein kön­ nen, wirksame Beschwerdemechanismen auf operativer Ebene schaffen oder sich an sol­ chen Mechanismen beteiligen." 502 Savourey, in: European Commission (Hrsg.), Study on due diligence requirements through (he supply chain, 2020, S. 56, 69. 501 Conseil general de l'economie, Evaluation de 1a mise en ceuvre de 1a 10i n° 2017-399 du 27 mars 2017, Januar 2020 (Fn. 108), S. 23f.

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Ein solcher Warnmechanismus ist nicht nur ein Mittel für die verpflichtete Gesellschaft, um von entstehenden Risiken zu erfahren und Abhilfemaßnah­ menzu ergreifen. Insbesondere wenn man den Mechanismus auch gegenüber externen Dritten öffnete, kann er als Instrument der Überwachung und Eva­ luation der Sorgfaltsmaßnahmen im plan de vigilance dienen.s � Das führt zum fünften und letzten Bestandteil der Maßnahmen des Sorgfaltsplans. e) Überwachung und Evaluation der getroffenen Maßnahmen Zuletzt muss der Sorgfaltsplan ein System zur Überwachung der getroffenen Maßnahmen und zur Evaluation ihrer Effektivität enthalten (Nr. 5). Denn das Aufstellen des plan de vigilance erschöpft sich nicht in der bloßen Do­ kumentation von Risiken und Maßnahmen, sondern die genannten Maß­ nahmen müssen auch effektiv umgesetzt und auf ihre Wirksamkeit gegen die ermittelten Risiken überprüft werden. 5C6 Das spiegelt erneut wider, dass sich die Pflicht zur Planaufstellung stets neu aktualisiert und einen dynamischen Prozess darstellt, der in regelmäßigen Abständen Überprüfungen und ggf. Neubewertungen der Risiken und Sorgfaltsmaßnahmen erfordert. 506 Die Evaluation umfasst daher alle vorherigen Schritte - von der Risikoermitt­ lung über die Kontrollverfahren bei Tochtergesellschaften und Zulieferern, bis zu den Präventionsmaßnahmen und dem Beschwerdemechanismus. 507 aa) Social audits anstelle von staatlicher Kontrolle Offen ist allerdings, wie und nach welchen Kriterien die Evaluation der Maß­ nahmen erfolgen soll.sOO Im Unterschied zu der lai Sapin II gibt es für die Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht der lai de vigilance kein staatliches Kontrollorgan. Mit der lai Sapin II wurde eine nationale Anti­ Korruptionsbehörde (sog. Agence Jram;aise anticorruption) eingerichtet.5 09 Ne ben einer beratenden Funktion hat diese u. a. die Aufgabe, die Umsetzung der Anti-Korruptionsmaßnahmen durch die Leitungsorgane bestimmter Gesellschaften zu kontrollieren. 5 1 o Es wäre denkbar gewesen, eine entspre504 Savourey, in: European Commission (Rrsg.), Study on due diligence requirements through (he supply chain, 2020, S. 56, 69. 505 Observations du Gouvernement sur 1a loi relative au devoir de vigilance des societes meres et des entreprises dOIllleuses d'ordre, JORF du 28 mars 2017, n° 74; Schiller, JCP E 2017, etude 1193, 19, Rn. 9; siehe zur effektiven Umsetzung auch noch infra S. 1 5 1 . 5% BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 39. 507 BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 39. 500 Hannoun, Dr. socia1 2017, 806, 814. 500 Art. 1-5 1oi Sapin 11; siehe supra S. 25 ff. 5 10 Art. 17 11I. 1oi Sapin 11: "L'Agence franyaise anticorruption contr61e 1e respect des mesures et procedures mentioIlllees au 11 du present article.", ebenso Art. 3 Nr. 3 S. 2 loi Sapin II. Zu den Antikorruptionsmaßnahmen siehe Art. 17 1., 11. loi Sapin II.

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chende Behörde für die Kontrolle der Umsetzung der lai de vigilance einzu­ richten. 5 1 ! So schlägt der Conseil general de l'economie in seiner Evaluation des Gesetzes u. a. vor, einer staatlichen Stelle Zugang zu nicht-öffentlichen Daten anderer Verwaltungsbehörden zu gewähren und sie damit zu betrauen, die Einhaltung der Sorgfaltspflicht zu stärken. 5 12 Die Zivilgesellschaft fordert ebenfalls, dass die Regierung von ihrer Regelungsbefugnis zur Durchsetzung von Gesetzen Gebrauch macht, um die effektive Umsetzung der lai de vigi­ lance zu gewährleisten. 5lJ In beiden Fällen stellte sich die Frage, ob die Ein­ führung eines Kontrollorgans von der Verordungsermächtigung des Art. L. 225-102-4 1. Abs. 6 C. com. erfasst wäre.5 14 Dafür müsste man die "Modali­ täten der Ausarbeitung und Umsetzung des plan de vigilance"515, die in einem Dekret präzisiert werden können, dahingehend auslegen, dass auch die Kon­ trolle der Ausarbeitung und Umsetzung per Dekret ausgestaltet werden kann. Mangels eines Pendants zu der Anti-Korruptionsbehörde sowie weiterer Angaben im Gesetz können die Gesellschaften das Verfahren der Evaluation bislang selbst festlegen. 5 1 6 Das wird teilweise bedauert: Hannaun zufolge hätte man im Gesetz eine regelmäßige Evaluation durch unabhängige Dritte vor­ schreiben sollen. 5 1 7 Wenigstens, so Hannoun, sollte das Gesetz einheitliche Kriterien für die Evaluation festlegen. 5 1 8 Andererseits bleibt den Gesellschaf­ ten so die Flexibilität, die Evaluation des Sorgfaltsplans in bereits bestehende Kontrollvorgänge im Unternehmen zu integrieren. 5!9 Zudem werden die Ge­ sellschaften in der Praxis großteils eigenständig auf externe Evaluationen zurückgreifen:520 Während die lai Sapin 11 explizit ein internes Kontroll- und Bewertungssystem für die durchgeführten Maßnahmen vorschreibt, 52! ist der 5 11 Lafargue, JCP S 2017, doctr. 1 1 69, 12, Rn. 19 f. 5 12 Conseil general de l'economie, Evaluation de la mise en ceuvre de la loi n° 2017-399 du 27 mars 2017, Januar 2020 (Fn. 108), S. 20. 5lJ CCFD Terre solidairelSherpa (Hrsg.), Le radar du devoir de vigilance, Juni 2020, S. 6. 5 14 Zu dem möglichen Dekret der Regierung siehe supra S. 141 ff. 5 15 Art. L. 225-1024 I. Abs. 6 C. com.: "Un decret en Conseil d'Etat peut comple:ter les mesures de vigilance prevues aux 1 ° a 5° du present article. 11 peut preciser les modalites d'eIaboration et de mise en (EUvre du plan de vigilance, le cas echeant dans le cadre d'ini­ tiatives pluripartites au sein de filieres ou a l'echelle territoriale." (Hervorh. durch Verf). 5 16 Hannoun, Dr. socia1 2017, 806, 814. 5 17 Hannoun, Dr. socia1 2017, 806, 814. 5 18 Hannoun, Dr. socia1 2017, 806, 814. 5 19 BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 39 Dies schlagen auch die UNGP in dem Kommentar zu UNGP 20 vor. 520 Schiller, JCP E2017, etude 1 193, 19, Rn. 9; Sherpa (Hrsg.), Guide de Reference pour les Plans de Vigilance, 2019, S. 73. Sherpa betont jedoch, dass eine unabhängige externe Kontrolle die Gesellschaft nicht vollständig von der Pflicht entbinde, die Effektivität und Effizienz der Sorgfaltsmaßnahmen zu überprüfen, ebd. 521 Art. 17 11. Nr. 8 loi Sapin 11: "Les perSOIllles mentionnees au I. mettent en ceuvre les

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Wortlaut der loi de vigilance diesbezüglich offen. Er lässt folglich auch ex­ terne Kontrollen, etwa in Form von sadal audits, ZU. 522 Letztere werden sogar explizit in der Gesetzesbegründung als eines der Hauptelemente eines ange­ messenen Sorgfaltsplans genannt. 523 Damit liegt die lai de vigilance erneut auf der Linie der UNGP: Gemäß UNGP 20 sollten Wirtschaftsunternehmen eine Wirksamkeitskontrolle der ergriffenen Gegenmaßnahmen durchführen. Diese sollte "auf Rückmeldungen seitens interner wie externer Quellen zu­ rückgreifen". 524 bb) NGOs als externe Kontrollinstanz Eine externe Kontrollfunktion nehmen NGOs wahr. Seit Inkrafttreten der lai de vigilance wurden einige Berichte über die Umsetzung des Gesetzes veröffentlicht.525 Anfang 2019 erstellten ActionAid France und fünf weitere NGOs eine Studie zur Einhaltung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht, in der sie 80 Sorgfaltspläne auf ihre Gesetzeskonformität überprüften.526 Die Bilanz dieser Untersuchung lautet: "Die Unternehmen müssen es besser ma­ chen. "527 Einige Gesellschaften, die nach Auffassung der NGOs in den An­ wendungsbereich des Gesetzes fielen, hätten noch keinen plan de vigilance erstellt."3 Zu diesem Ergebnis kommt drei Jahre nach Inkrafttreten des Ge­ setzes eine weitere Analyse aus dem Kreis der NGOs. Danach hätten von 265 Gesellschaften, die nach Untersuchung der NGOs zum Aufstellen eines Sorgfaltsplans verpflichtet seien, 72 keinen Plan erstellt. "9 Darüber hinaus waren die existierenden Pläne nach der ersten Studie über­ wiegend mangelhaft: Sie seien nur wenige Seiten lang gewesen und hätten sich darauf beschränkt, auf andere Abschnitte im Geschäftsbericht zu ver­ weisen, was die Pläne schwer lesbar machte. 530 Weiterhin sei die Mehrzahl der mesures et procedures suivantes: [. . . ] 8° Un dispositif de contr61e et d'eva1uation interne des mesures mises en ceuvre." 522 Schiller, JCP E 2017, etude 1193, 19, Rn. 9. m PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S. 1 1 . SMUNGP 20. 525 ActionAidFrancelLes Amis de la TerrelAmnesty International u. a. (Rrsg.), Loi sur 1e devoir de vigi1ance des societes meres et entreprises dOIllleuses d'ordre, 2019; CCFD Terre solidairelSherpa (Rrsg.), Le radar du devoir de vigi1ance, Juni 2019; CCFD Terre solidairel Sherpa (Rrsg.), Le radar du devoir de vigilance, Juni 2020. 526 ActionAidFrancelLes Amis de la TerrelAmnesty International u. a. (Rrsg.), Loi sur 1e devoir de vigi1ance des societes meres et entreprises dOIllleuses d'ordre, 2019, S. 10. 527 Vgl. den Untertitel der Studie: "Armee 1: Les entreprises doivent mieux faire". 52! ActionAidFrancelLes Amis de la TerrelAmnesty International u. a. (Rrsg.), Loi sur 1e devoir de vigi1ance des societes meres et entreprises dOIllleuses d'ordre, 2019, S. 10. 529 CCFD Terre solidairelSherpa (Rrsg.), Le radar du devoir de vigi1ance, Juni 2020, S. 6. 530 ActionAidFrancelLes Amis de la TerrelAmnesty International u. a. (Rrsg.), Loi sur 1e devoir de vigi1ance des societes meres et entreprises dOIllleuses d' ordre, 2019, S. 1 1 .

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Pläne ungenau und lückenhaft gewesen und hätte nicht deutlich gemacht, auf welche Tochtergesellschaften und Zulieferer sie sich erstreckten.53! Bei der Risikoermittlung sei ein Großteil der Pläne oberflächlich und unstrukturiert geblieben, und teilweise seien anstelle von Risiken für die Schutzgüter der lai de vigilance unternehmensinterne Risiken aufgeführt.532 Die in den Plänen vorgesehenen Sorgfaltsmaßnahmen seien nicht ausreichend ausdifferenziert und entsprächen nur unvollständig der Risikokartografie. 533 Für den Warn­ und Beschwerdemechanismus sei überwiegend nur eine Mail- oder Internet­ adresse angegeben. 534 Das sei unzureichend und könne den Zugang er­ schweren, weil die Adresse bekannt sein müsse, der Kontakt die Schriftform erfordere und vom Zugang zum Internet abhänge.535 Mangels staatlicher Kontrolle kommt der Beobachtung durch NGOs in Form solcher und ähnlicher Berichte eine große Bedeutung für die Effekti­ vität der lai de vigilance ZU. 536 Jedoch muss ihre Rolle im Themenfeld Wirt­ schaft und Menschenrechte berücksichtigt werden: Als Interessenvertretung der Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen kann ihre Lesart der lai de vigilance oftmals extensiver, d. h. für die Unternehmen strenger sein als die (künftige) Auslegung durch die Gerichte. Entsprechend sind das Verständnis der NGOs von dem Gesetz und die Erwartungen an die Unternehmen bei der Auswertung solcher Studien mitzudenken.

3. Ausarbeitung des Plans in Zusammenarbeit mit den Stakehaldern Wie bereits angedeutet,5J7 soll der plan de vigilance gemäß Art. L. 225-1 02-4 1. Abs. 4 C. com. in Zusammenarbeit mit den Stakeholdern der Gesellschaft (parties prenantes) und gegebenenfalls im Rahmen von Multi-Stakeholder­ Initiativen innerhalb eines Sektors oder auf territorialer Ebene ausgearbeitet werden. 538 Anders als bei dem Erstellen des Hinweisgebersystems, das zwin53 1 ActionAidFrancelLes Amis de la TerrelAmnesty International u. a. (Rrsg.), Loi sur le devoir de vigilance des societes meres et entreprises dOIllleuses d'ordre, 2019, S. 12. 532 ActionAidFrancelLes Amis de la TerrelAmnesty International u . a. (Rrsg.), Loi sur le devoir de vigilance des societes meres et entreprises dOIllleuses d'ordre, 2019, S. 1 5 . 533 ActionAidFrancelLes Amis de la TerrelAmnesty International u . a. (Rrsg.), Loi sur le devoir de vigilance des societes meres et entreprises dOIllleuses d' ordre, 2019, S. 17. 534 ActionAidFrancelLes Amis de la TerrelAmnesty International u . a. (Rrsg.), Loi sur le devoir de vigilance des societes meres et entreprises dOIllleuses d'ordre, 2019, S. lS. 535 ActionAidFrancelLes Amis de la TerrelAmnesty International u . a. (Rrsg.), Loi sur le devoir de vigilance des societes meres et entreprises dOIllleuses d'ordre, 2019, S. lS. 536 Vgl. CCFD Terre solidairelSherpa (Rrsg.), Le radar du devoir de vigilance, Juni 2020, S. 5: ,,[ ] la reponse a cette preoccupation est demeuree inchangee, le gouvernement op­ posant al'absence de liste officielle « le r6le a jouer pour la societe civile de faire respecter la loi ff. " 5J7 Siehe supra S. 132. m Art. L. 225-102-4 I. Abs. 4 C. com.: "Le plan a vocation a etre eIabore en association . . .

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gend die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften der Gesellschaft erfor­ dert,539 ist die Beteiligung von Stakeholdern bei dem Aufstellen des übrigen Plans nicht zwingend.'w Wie der Conseil constitutionnel feststellt, handelt es sich lediglich um eine Anregung oder Empfehlung ohne zwingenden Norm­ charakter. '< 1 Eine Einbindung von Stakeholdern in die Planaufstellung könnte jedoch deren Akzeptanz für die ergriffenen Maßnahmen steigern und so das Risiko für die Gesellschaften reduzieren, verklagt zu werden.542 In der französischen Literatur wird diskutiert, wer zu den parties prenantes zählt und aufweiche Weise ihre Beteiligung stattfinden soll.54 3 Je nachdem, ob man nur interne und solche Personen oder Gruppen erfasst, von deren Un­ terstützung die Existenz des Unternehmens abhängt,544 oder 0 b man jeden als Stake holder versteht, der einen Einfluss auf die Erreichung der Unterneh­ mensziele hat oder von diesen beeinflusst wird,545 ist der Kreis der Stakehol­ der enger oder weiter. Im ersten Fall wären nur die Tochtergesellschaften der Unternehmensgruppe der Muttergesellschaft zu beteiligen, im zweiten Fall auch Gewerkschaften, Verbraucherschutzorganisationen und NGOS. 546 Legt man die UNGP zugrunde, müssen die Stakeholder möglichst weit verstanden werden: Gemäß UNGP 1 8 sollte die Risikoermittlung u. a. "sirmvolle Konsultationen mit potenziell betroffenen Gruppen und anderen in Betracht kommenden Stakeholdern umfassen, die der Größe des Wirtschaftsunternehmens und der Art des Kontexts seiner Geschäftstätigkeit Reclmung tragen."

Aus dem Kommentar zu UNGP 1 8 geht zudem hervor, dass unabhängige, sachverständige Ressourcen wie Menschenrechtsverteidiger und andere Ver­ treter der Zivilgesellschaft konsultiert werden können. 547 avec les parties prenantes de la soeiete, le cas echeant dans le cadre d'initiatives pluripar­ tites au sein de filieres ou a l'echelle territoriale." 539 Siehe supra S. 143ff. 540 Caillet, Dr. socia1 20l7, 819, 822; Beau de LomenielCossart, RIC 2017, 94, 42, 43. 541 e.e. Deeision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 22: ,,[ . . .] les dispositions selon lesquelles le plan de vigilance « a vocation " a etre eIabore avec les « parties prenantes de la soeide " ont une portee ineitative." Wegen des Anreizcharakters liege in der fehlenden Definition der parties prenantes kein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Ziel der Zugänglichkeit und Verständlichkeit des Gesetzes, ebd .. Vgl. dazu Bachschmidt, Consti­ tutions 2017, 234. 541 Mercier, Bull. Joly Soc. 2019, 120e9, 44, I.B. Allerdings ist zu beachten, dass manche NGOs ihre Neutralität und externe Kontrollfunktion wahren wollen und nicht in den Prozess des Planaufstellung eingebunden werden wollen; siehe Beau de LomenielCossart, RIC 2017, 94, 42, 45. 543 Beau de LomenielCossart, RIC 2017, 94, 42ff.; Caillet, Dr. soeia1 2017, 819, 822ff.; Cuzacq, D. 2017, 1844f.; La/argue, JCP S 2017, doctr. 1 1 69, 12, Rn. 14f. 544 FreemanlReed, California Management Review 25 (1983), 88, 9 1 . 545 R. Edward Freeman, Strategie management: a stakeholder approach, 1984, 46. 546 Beau Je LomenielCossart, RIC 2017, 94, 42, 43; Caillet, Dr. soeia1 2017, 8 1 9, 823. 547 UNGP 18, Kommentar.

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Dieses weite Verständnis findet sich auch in der Gesetzesbegründung zur lai de vigilance: Unter Rückgriff auf eine Definition in dem Gesetz über die öffentliche Investmentbank (Banque publique d'investissement)"8 wird der Begriff der parties prenantes als all diejenigen definiert, die an dem Wirt­ schaftsleben des Unternehmens teilnehmen sowie zivilgesellschaftliche Ak­ teure, die direkt oder indirekt durch die Aktivitäten des Unternehmens be­ einflusst werden. S49 Das bedeutet, dass die Gesellschaft insbesondere solche Personen beim Aufstellen des Sorgfaltsplans konsultieren sollte, die durch ihre Aktivitäten betroffen werden. Dies umfasst u. a. Beschäftigte der Toch­ tergesellschaften, Subunternehmer und Zulieferer oder Anwohner des be­ wirtschafteten Geländes.550 Daneben kommt eine Einbindung von NGOs, Investoren, der lokalen Regierung oder von Verbrauchern in Betracht. 55 1 Da das Gesetz keine genauen Vorgaben zu den parties prenantes macht - und wegen der Diversität der möglichen Stakeholder nicht machen kann552 - liegt die Entscheidung, welche ihrer Stakeholder sie konsultieren, und aufweIche Weise sie diese einbinden, bei den Gesellschaften. 553 Die weitere Bezugnahme auf mögliche sektorielle oder territoriale Multi­ Stake holder-Initiativen entspricht dem internationalen Trend zu solchen An­ sätzen. 5" Ein Beispiel ist das Abkommen über Brandschutz und Gebäude­ sicherheit in Bangladesch, das im Mai 201 3 als Reaktion auf den Einsturz des Rana Plaza geschlossen und im Juni 201 8 für weitere fünf Jahre verlängert wurde (Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh).555 Es handelt sich um eine rechtlich bindende Vereinbarung zwischen Hunderten globaler Un­ ternehmen, zwei internationalen Gewerkschaftsverbänden und acht bang­ ladeschisehen Gewerkschaften sowie über 1 600 lokalen Fabriken, auf eine sichere und gesunde Bekleidungs- und Textilindustrie in Bangladesch hin­ zuarbeiten. 556 Inhalt des Abkommens sind umfassende Inspektionen der Zu­ liefererbetriebe, Abhilfemaßnahmen bei Mängeln, aber auch Schulungen der 548 Art. 4 I. Abs. 3 Loi n° 2012-1559 du 31 decembre 2012 relative a 1a creation de la Banque publique d'investissement. 549 PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S. l l : ,,11 devra faire l'objet d'une concertation entre l'en­ treprise et ses parties prenantes, entendues comme l'ensemble de ceux qui participent a sa vie economique et des acteurs de la soiete civile influences, directement ou indirectement, par ses activites (au sens de la loi n° 2012-1559 du 31 decembre 2012)." '� Schiller, JCP E 2017, dude 1193, 19, Rn. lO. 55l Beau Je LomenielCossart, RIC 2017, 94, 42, 43; Caillet, Dr. socia1 2017, 8 1 9, 823. 552 Beau Je LomenielCossart, RIC 2017, 94, 42, 43. 553 Kessedjian, in: Melanges Witz, 2019, S. 407, 413; Lafargue, JCP S 2017, doctr. 1 1 69, 12, Rn. 1 5 . '" Schiller, JCP E 2017, dude 1193, 19, Rn. lO. 555 Vgl. ausführlich Zimmer, Unternehmensverantwortung im "Bangladesh-Accord", 2016. 551i Siehe (letzter Abruf 1 .2.2022).

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Beschäftigten im Management und in der Produktion der Fabriken.557 Wenn­ gleich der Accard Anhaltspunkte für Kritik bietet, etwa weil er Probleme um Kinderarbeit nicht beseitigt, gilt er grundsätzlich als ein erfolgreiches Beispiel für eine sektorielle und regionale Multi-Stakeholder-Initiative. 55 8 II

Effektive Umsetzung des plan de vigilance

Die menschenrechtliehe Sorgfaltspflicht beschränkt sich nicht auf das Er­ stellen eines Sorgfaltsplans. Der plan de vigilance muss zudem von den Ge­ sellschaften effektiv umgesetzt werden. '" Das bedeutet, dass die entwickelten Kontrollverfahren zur regelmäßigen Überprüfung der Situation bei Toch­ tergesellschaften, Subunternehmern und Zulieferern nicht nur in dem Plan enthalten sein, sondern auch tatsächlich durchgeführt werden müssen. Glei­ ches gilt für die in dem Plan vorgesehenen Sorgfaltsmaßnahmen zur Präven­ tion schwerwiegender Verletzungen sowie die kontinuierliche Evaluation der getroffenen Maßnahmen. Die lai de vigilance regelt nur Verpflichtungen der Mutter- bzw. Auftrag­ gebergesellschaft, enthält jedoch keine speziellen Vorgaben zu deren Umset­ zung innerhalb der Unternehmensgruppe oder Lieferkette. 560 Diese erfordert eine entsprechende Ausgestaltung der internen Beziehungen zwischen der Muttergesellschaft und den Tochtergesellschaften bzw. zwischen der Auf­ traggebergellschaft und den Subunternehmern oder Zulieferern, die nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind.561

III Publizitätspjlichten Den dritten Bestandteil der Sorgfaltspflicht bilden Pflichten zur Publizität des plan de vigilance.562 Gemäß Art. L. 225-1 02-4 1. Abs. 5 C. com. müssen der Sorgfaltsplan und ein Bericht über dessen effektive Umsetzung in den Geschäftsbericht nach Art. L. 225-100 Abs. 2 C. com. eingefügt und zudem veröffentlicht werden. 563

557 Zimmer, Unternehmensverantwortung im "Bangladesh-Accord", 2016, S. 3ff. 558 Conseil general de l'economie, Evaluation de la mise en ceuvre de la loi n° 2017-399 du 27 mars 2017, Januar 2020 (Fn. 108), S. l l ; Schiller, Jep E 2017, dude 1 193, 19, Rn. 10. 5Cfl Art. L. 225-102-4 I. Abs. 1 C. com.: "Toute societe qui [ ..], etablit et met en ceuvre de maniere effective un plan de vigilance." 'w Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 24. 561 Siehe supra S. 18 f. 562 Reygrobellet, RLDA 2017, 6275, Rn. 25; Savourey, in: European Commission (Hrsg.), Study on due diligence requirements through the supply chain, 2020, S. 56, 70. 563 Art. L. 225-102-4Abs. 5 C. com.: "Le plan de vigilance et le compte rendu de sa mise en ceuvre effective sont rendus publics et inclus dans le rapport mentioIllle a l'article L. 225-102."

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1. Integration des Plans in den Geschäftsbericht Gemäß Art. L. 225-100 Abs. 2 C. com. legt der Verwaltungsrat oder der Vor­ stand einer Aktiengesellschaft der Hauptversammlung neben dem Jahresab­ schluss einen Geschäftsbericht VOr.564 Der Bericht enthält u. a. gemäß Art. L. 225-102-1 Abs. I C. com. die nichtfinanzielle Erklärung, d. h. Infor­ mationen darüber, wie die Gesellschaft die sozialen und ökologischen Kon­ sequenzen ihrer Tätigkeit, einschließlich der Auswirkungen auf den Klima­ wandel, berücksichtigt.565 Zu diesen Informationen tritt nun der plan de vi­ gilance hinzu, der indes nicht mit der nichtfinanziellen Erklärung gleichzu­ setzen ist. Denn mit der Pflicht zur effektiven Umsetzung des Plans geht die lai de vigilance über die Anforderungen der nichtfinanziellen Erklärung hin­ aus.566 Erachtet man SAS als von dem Anwendungsbereich der lai de vigilance erfasst,567 stellt sich die Frage, wie diese die Publizitätspflicht erfüllen können. Denn auf SAS finden die Art. L. 225-100 bis L. 225-1 02-2 C. com. gemäß Art. L. 227-1 C. com. keine Anwendung. Gemäß Art. L. 232-1 C. com., der für alle Handelgesellschaften gilt, muss für SAS dennoch ein Geschäftsbe­ richt erstellt werden. Der Bericht, den im Fall der SAS ihr Präsident erstellt, könnte mithin ein funktionales Äquivalent für den Geschäftsbericht der SA sein, in das der Sorgfaltsplan aufgenommen werden könnte. 568 Davon unab­ hängig können SAS den Sorgfaltsplan anderweitig veröffentlichen, beispiels­ weise auf den Internetseiten der Gesellschaft und/oder der Unternehmens­ gruppe. 569 2. Zusätzliche Veröffentlichung des Plans Die zusätzlich zur Integration in den Geschäftsbericht erforderliche Veröf­ fentlichung des plan de vigilance dient insbesondere der Transparenz gegen­ über den Stakeholdern der Gesellschaft und sichert die Kontrollfunktion der Zivilgesellschaft. 570 Dass diese zur Kontrolle der effektiven Umsetzung auf 564 Art. L. 225-100 Abs. 2 C. corn.: "Le conseil d'administration Oll le directoire pre­ sente a l'assemb1ee 1es comptes arnmels et 1e cas echeant 1es comptes consolides, accom­ pagnes du rapport de gestion y afferent, auquel est joint, 1e cas echeant, 1e rapport men­ tiOlme, selon 1e cas, a l'article L. 225-37 ou L. 225-68." 565 Siehe dazu supra S. 22 f. 566 Savourey, in: European Commission (Rrsg.), Study on due diligence requirements through the supp1y chain, 2020, S. 56, 70 Neuerdings kann die nichtfinanzielle Erklärung in den plan de vigilance integriert werden, vgl. den geänderten Art. L. 225-102-1 C. com. 567 Siehe supra S. 78 f. 5� Hannoun, Dr. socia1 2017, 806, 8 1 1 f.; Schiller, JCP E 2017, etude 1 193, 19, Rn. 12. ,m Schiller, Jep E 2017, dude 1193, 19, Rn. 12. 570 Lenoir, JCP E 2020, etude 1250, 22, Rn. 20; siehe auch UNGP 2 1 : "Um darüber Rechenschaft abzulegen, wie sie ihren menschemechtlichen Auswirkungen begegnen, sol1-

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Transparenz angewiesen sind, veranschaulicht ein Fall außerhalb des An­ wendungsbereichs der loi de vigilance, den die Cour d'appel de Paris im Sep­ tember 2020 zu entscheiden hatte: Im Vorfeld einer möglichen Schadensersatzklage halten die NGOs Sherpa und Les Amis de la Terre Anträge auf Beschlagnahme von Beweismitteln in der Zentrale der Perenco SA gestel1t.57! Die Unternehmensgruppe der Pe­ renco ist auf die Nutzung alter Ölfelder mit reduziertem Ertrag spezialisiert.572 Nach Überzeugung der NGOs habe die Perenco SA durch die Bewirtschaf­ tung alter Ölfelder in der Demokratischen Republik Kongo durch von ihr abhängige kongolesische Gesel1schaften schwere ökologische Schäden in der Region verursacht. 573 Da die Perenco SA nicht die erforderliche Anzahl von Beschäftigten hat, muss sie keinen Sorgfaltsplan erstel1en, der publiziert würde. 574 Die NGOs beantragten deshalb Ermiltlungsmaßnahmen bezüglich zahlreicher interner Informationen, um "den Nachweis von Tatsachen zu sichern oder zu erbringen, von denen der Ausgang eines künftigen Rechts­ streits abhängen könnte".575 Im Ergebnis lehnte die Cour d'appel die Anträge jedoch mangels Aktivlegitimation der NGOs ab. s76 Der Nachweis über den Beitrag von Perenco an der Schadensverursachung bleibt damit weiterhin erschwert.577

3. Umfang der Publizitätspjlichten Trotz dieser Publizitätspflichten fordern NGOs noch eine Steigerung der Transparenzanforderungen. Erstens sol1e eine offiziel1e Liste al1er Gesel1schaften veröffentlicht werden, die in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen. 578 Zweitens schlagen sie vor, sämtliche plans de vigilance auf einer ten Wirtschaftsunternehmen bereit sein, dies extern zu kommunizieren, insbesondere weIlll von betroffenen Stakeholdern oder in ihrem Namen Bedenken vorgebracht werden. [ .]." 571 CA Paris, 17.9.2020, n° 19/20669. Oll CA Paris, 17.9.2020, n° 19/20669. m CA Paris, 17.9.2020, n° 19/20669. 574 CCFD Terre solidaire/Sherpa (Rrsg.), Le radar du devoir de vigilance, Juni 2020, S. 1 1 . 575 Vgl. Art. 145 CPC: "S'il existe un motiflegitime de conserver ou d'etablir avant tout proces 1a preuve de faits dont pourrait dependre 1a solution d'un litige, 1es mesures d'in­ struction 1ega1ement admissib1es peuvent etre ordoIlllees a 1a demande de toute interesse, [ ]." 576 CA Paris, 17.9.2020, n° 19/20669. Nach französischem Recht bestand die Aktivle­ gitimation. Nach Auffassung des Gerichtes hätten die K1ägerirmen jedoch ihre Aktivle­ gitimation nach dem anwendbaren kongolesischen Recht darlegen müssen. Kritisch dazu Boskovic, EEI 2021, comm. 12, 1 f. Zum anwendbaren Recht in dem Fall siehe infra S. 238 f. 577 Sherpa, L'opacite continue: 1a justice refuse de dOIlller acces aux informations de­ tenues par 1a p6troliere franyaise Perenco, 17.9.2020. sn CCFD Terre solidaire/Sherpa (Rrsg.), Le radar dudevoir de vigi1ance, Juni 2020, S. 5, 9; zum Anwendungsbereich siehe supra S. 70 ff. . .

. . .

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offiziellen Plattform zu bündeln.579 Drittens verlangen sie verpflichtende An­ gaben zu der Gesellschaftsform, der Organisationsstruktur der Gesellschaft und der Unternehmensgruppe sowie über die Anzahl der Beschäftigten der Muttergesellschaft und ihrer direkten und indirekten Filialen im In- und Ausland. 580 Darüber hinaus plädieren sie für eine länderspezifische Bericht­ erstattung, bei der Großunternehmen jährlich Informationen von allgemei­ nem Interesse veröffentlichen, darunter Informationen über sämtliche Toch­ tergesellschaften und Aktivitäten, Umsatz und Gewinne, gezahlte Steuern, erhaltene Subventionen, Menge der Verkäufe und Käufe u. ä.S8 1 Derart weitreichende Publizitätspflichten könnten indes verfassungswid­ rig sein. Der Verfassungsrat hat ähnlich detaillierte Anforderungen in der loi Sapin 11 wegen Verstoßes gegen die unternehmerische Freiheit für verfas­ sungswidrig erklärt.5 82 Art. 1 37 loi Sapin II sah die Einführung eines neuen Art. L. 225-1 02-4 C. com. vor, der von bestimmten Gesellschaften einen Be­ richt über folgende Aspekte verlangte: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Art der Aktivitäten, Anzahl der Beschäftigten, Höhe des Nettoumsatzes, Höhe des Gewirms vor Einkommenssteuer, Betrag der für das laufende Finanzjahr fälligen Einkommenssteuer, Betrag der gezahlten Einkommenssteuer und Höhe des einbehaltenen Gewinns.58)

Laut Conseil constitutionnel erlaubt diese Publizitätspflicht den übrigen Marktteilnehmern und insbesondere ihrer Konkurrenz, wesentliche Ele­ mente ihrer Wirtschafts- und Handelsstrategie zu erkennen.5 84 Die Pflicht stelle deshalb einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlich geschützte unter­ nehmerische Freiheit dar, der in offensichtlichem Missverhältnis zu dem le­ gitimen Ziel - der Bekämpfung von Steuer betrug und -hinterziehung - stehe, und somit nicht gerechtfertigt sei.5 85 Aus dieser Entscheidung könnte man im Umkehrschluss auf den Umfang der Publizitätspflichten im Rahmen der loi 5E CCFD Terre solidairelSherpa (Hrsg.), Le radar dudevoir devigi1ance, Juni 2020, S. 9. 580 CCFD Terre solidairelSherpa (Hrsg.), Le radar dudevoir devigi1ance, Juni 2020, S. 9. 58 l CCFD Terre solidairelSherpa (Hrsg.), Le radar dudevoir devigi1ance, Juni 2020, S. 9. 582 e.e. Decision n° 2016-741 DC, 8.12.2016, Rn. 100-103. m Art. 137 V. 1oi Sapin II (TA n° 830, 6. 1 1 .2016). 584 e.e. Decision n° 2016-741 DC, 8. 12.2016, Rn. 103: "Toutefois, 1'obligation faite a certaines societes de rendre publics des indicateurs economiques et fiscaux correspondant a 1eur activite pays par pays, est de nature a permettre a 1'ensemb1e des op6rateurs qui intervieIlllent sur 1es marches Oll s'exercent ces activites, et en particulier a leurs concur­ rents, d'identifier des elements essentiels de 1eur strategie industrielle et commercia1e." 585 e.e. Decision n° 2016-741 DC, 8.12.2016, Rn. 103: "Une telle obligation porte des lors a 1a liberte d'entreprendre une atteinte manifestement disproportioIlllee au regard de l'objectif poursuivi."

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de vigilance schließen, die das Gericht für verfassungskonform erachtet.5 86 Das Gesetz verpflichte die Gesellschaften nicht dazu, Informationen über ihre Handelsstrategie offenzulegen.5 87 Was das im Einzelnen für die Detail­ liertheit der Angaben im Sorgfaltsplan bedeutet, bleibt jedoch unklar. IV. Ergebnis zum Inhalt der Sorgfaltspjlicht: Orientierung an den UNGP und Rückbezug zum nationalen Recht Die Untersuchung des Inhalts der Sorgfaltspflicht hat gezeigt, dass der fran­ zösische Gesetzgeber sich bei der Ausgestaltung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflicht im Wesentlichen an den UNGP ori­ entiert hat. Die Pflicht zum Aufstellen eines plan de vigilance knüpft an UNGP 1 6 an, wonach Unternehmen zur "Verankerung ihrer Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte [" , 1 ihre Selbstverpflichtung, dieser Ver­ antwortung gerecht zu werden, in einer Grundsatzerklärung zum Ausdruck bringen" sollten. Allerdings handelt es sich hier nicht um eine Selbstver­ pflichtung, sondern um eine gesetzliche Verpflichtung zur Planaufstellung. Zusätzlich sind nach der französischen Regelung die verschiedenen As­ pekte der Sorgfaltspflicht im Plan aufzunehmen. Auch dort ist die Nähe zu den UNGP erkennbar: Diese sehen ähnlich den fünf Schritten des Maßnah­ menkatalogs ebenfalls eine Risikobewertung (UNGP 1 8), angemessene Maßnahmen zur Verhütung von nachteiligen menschenrechtlichen Auswir­ kungen (UNGP 19), eme Wirksamkeitskontrolle der Maßnahmen (UNGP 20), wirksame Beschwerdemechanismen (UNGP 29) und eine Transparenz- und Rechenschaftspflicht (UNGP 21) vor. Einzig die in UNGP 22 vorgesehenen Verfahren zur Wiedergutmachung finden kein Pen­ dant in der lai de vigilance.588 Der französische Gesetzgeber hat sein Ziel, die UNGP mit dem Gesetz umzusetzen, somit erreicht. Dieser Umsetzungswille geht indes mit dem Be­ streben einher, bei der Übertragung der soft law-Bestimmungen in nationales hard law Begriffe und Instrumente zu verwenden, die im nationalen Recht bereits existieren. Das verspricht zwar grundsätzlich eine einfachere Anwen586 e.e. Decisionn° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 15-19. Zu einem Vergleich der Trans­ parenzpflichten von loi Sapin IIund loi de vigilance hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit der unternehmerischen Freiheit noch vor der Entscheidung des Verfassungsrates über die loi de vigilance siehe Mougeolle, La Revue des droits de l'homme 2017, [online], Rn. 67 ff. 587 e.e. Decision n° 2017-750 DC, 23.3.2017, Rn. 18; siehe bereits supra S. 62ff. 588 UNGP 22: "Stellen Wirtschaftsunternehmenfest, dass sie nachteilige Auswirkungen verursacht oder dazu beigetragen haben, sollten sie durch rechtmäßige Verfahren für Wie­ dergutmachung sorgen oder dabei kooperieren." Savourey, in: European Commission (Hrsg.), Study on due diligence requirements through the supply chain, 2020, S. 56, 71. Die Wiedergutmachung ist aber durch die Haftungsregelung in Art. L. 225-102-5 e. com. ab­ gedeckt. Siehe dazu infra S. 177 ff.

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dung. Doch insbesondere die Übernahme von Textpassagen der loi Sapin II und der Rückgriff auf bekannte Tatbestandsmerkmale wie die relation com­ merciale etablie zeigen, dass die Definition neuer Begriffe womöglich eine originalgetreuere Umsetzung der UNGP erlaubt hätte. Hinzu kommt, dass die mangelnde Anpassung der Begriffe an die Zwecke der loi de vigilance und offen formulierte Tatbestandsmerkmale zahlreiche Auslegungsfragen auf­ werfen, welche die praktische Anwendung des Gesetzes erschweren.

D. Zusammenfassung in Thesen 1 . Die Sorgfaltspflicht trifft gemäß Art. L. 225-1 02-4 1. Abs. I C. com. jede Gesellschaft, die mit ihren inländischen "Filialen" (filiales) mindestens 5.000 Angestellte beschäftigt oder die mit ihren im In- oder Ausland ansässigen filiales mindestens 10.000 Beschäftigte hat. Der Sitz der Muttergesellschaft muss laut Conseil constitutionnel in Frankreich liegen. 2. Entgegen den ersten Entwürfen gilt die Sorgfaltspflicht nicht für alle Han­ delsgesellschaften, sondern nur für verschiedene Formen der Aktiengesell­ schaft, namentlich die SA, SCA und in Frankreich registrierte SE. Uneinig ist man sich bei der Anwendung auf SAS. Hält man am Wortlaut von Art. L. 227-1 Abs. 3 C. com. fest, der für SAS auf die Regeln zur SA verweist, gilt die Sorgfaltspflicht auch für SAS. 3. Filiales und kontrollierte Gesellschaften, die selbst die Anwendungskrite­ rien des Gesetzes erfüllen, sind gemäß Art. L. 225-102-4 1. Abs. 2 C. com. vom Anwendungsbereich ausgenommen, wenn deren Muttergesellschaft ei­ nen Sorgfaltsplan aufstellt, der sowohl ihre eigene als auch die Tätigkeit der filiales und kontrollierten Gesellschaften erfasst. Der Ausnahmetatbestand wurde von der lai Sapin 11 übernommen, was zu Friktionen mit der Reich­ weite der Sorgfaltspflicht führt, der ein engerer Kontrollbegriff zugrunde liegt. 4. Der persönliche Anwendungsbereich der lai de vigilance wird teilweise als zu eng kritisiert. Man hofft auf eine künftige Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs durch den Gesetzgeber. Dazu könnte die Zahl der An­ gestellten gesenkt werden. Zudem wäre eine Ausdehnung auf bislang nicht erfasste Gesellschaftsformen denkbar. 5. Die Reichweite der Sorgfaltspflicht ist ein Alleinstellungsmerkmal der loi de vigilance. Die Sorgfaltspflicht erstreckt sich rechtsträgerübergreifend auf Tätigkeiten von Tochtergesellschaften und Zulieferern, erfasst also sowohl Konzern- als auch Zulieferer-Konstellationen. 6. In der Unternehmensgruppe sind unmittelbar oder mittelbar kontrollierte Gesellschaften zu berücksichtigen. Maßgeblich ist das Merkmal der "aus-

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schließlichen Kontrolle" i.S.v. Art. L. 233- 1 6 C. com., die (i.) aus einer di­ rekten oder indirekten Stimmrechtsmehrheit, (ii.) aus der Ernennung der Mehrheit der Mitglieder der VelWaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgane eines anderen Unternehmens oder (iii.) aus einem vertraglichen oder sat­ zungsmäßigen Recht zu beherrschendem Einfluss auf ein Unternehmen folgt. Entsprechend dieses Kontrollbegriffs ist für die Erstreckung der Sorg­ faltspflicht aufkontrollierte Gesellschaften keine tatsächliche Einflussnahme erforderlich, sondern die Kontrollmäglichkeit genügt bereits.

7. Die Gesellschaften müssen Tätigkeiten von Subunternehmern und Zulie­ ferern in ihren Überwachungsplan aufnehmen, sofern zu diesen eine gefes­ tigte Geschäftsbeziehung (relation commerciale etablie) besteht und deren Tätigkeiten mit der Geschäftsbeziehung in Verbindung stehen. 8. Der aus dem Handelsrecht stammende Begriff der relation commerciale etablie ist durch die Rechtsprechung zur rupture brutale (Art. L. 442-1 H. C. com.) hinreichend konkretisiert. Die Geschäftsbeziehung muss einen kon­ tinuierlichen, stabilen und regelmäßigen Charakter haben. Überträgt man das auf die lai de vigilance, werden Fälle wirtschaftlicher Abhängigkeit ohne stabile Geschäftsbeziehung ausgeklammert, in denen es gerade aufgrund die­ ser wirtschaftlichen Abhängigkeit zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann. Das legt eine Anpassung der Auslegung an die Zwecke der lai de vi­ gilance nahe. Entgegen dem Bestreben des Gesetzgebers, mit der relation commerciale etablie ein im nationalen Recht bereits existierendes Konzept zu nutzen, wäre die Definition eines neuen Begriffs zielführender gewesen. 9. Wie weit die Sorgfaltspflicht in die Lieferketle hineinreicht, ist unklar. Legt man i.S.d. Entscheidung des Verfassungsrats die Rechtsprechung der Cour de cassation zur rupture brutale zugrunde, ist eine direkte Beziehung zur Auf­ traggebergesellschaft erforderlich. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist des­ halb bis zur Konkretisierung durch die Rechtsprechung nur von einer Er­ streckung auf Subunternehmer und Zulieferer erster Stufe auszugehen. 10. Inhaltlich besteht die Sorgfaltspflicht aus drei Elementen: Es muss ein plan de vigilance erstellt und effektiv umgesetzt werden. Zudem sind der Plan und ein Bericht über seine Umsetzung in den Geschäftsbericht zu integrieren und separat zu veröffentlichen (Art. L. 225 1 02-4 1. Abs. I C. com.). Der Plan soll Maßnahmen angemessener Sorgfalt vorsehen, die zur Identifikation von Risiken und zur Prävention schwerwiegender Verletzungen der Menschen­ rechte und Grundfreiheiten, der Gesundheit und Sicherheit der Menschen sowie der Umwelt geeignet sind. 1 1 . Zur Definition der Schutzgüter der lai de vigilance hätte ein Menschen­ rechtskatalog nach dem Vorbild von Art. D. 1 1 3-1 C. consom. nahegelegen. Die Menschenrechte und Grundfreiheiten haben auf nationaler, europäi-

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scher und internationaler Ebene eine Ausformung erfahren, sind daher be­ stimmbar. Nichtsdestotrotz haftet der Bestimmung eine gewisse Unschärfe an. Will man über den auszumachenden Minimalkonsens hinaus weitere internationale Übereinkommen berücksichtigen, sollte das auf Übereinkom­ men begrenzt werden, die Frankreich ratifiziert hat. Eine subjektive Erwei­ terung des objektiven Referenzrahmens durch weitergehende Selbstver­ pflichtungen der Gesellschaften ist dagegen abzulehnen. Mit Blick auf die deliktsrechtliche Haftung, die an einen Sorgfaltspflichtverstoß anknüpft, sollte ein einheitlicher, objektiver Maßstab gelten.

12. Der Umweltschutz ist in Frankreich verfassungsrechtlich und einfach­ gesetzlich verankert. Die Legaldefinition des Umweltschadens aus Art. L. 1 61-1 C. envir. ist geeignet, die für den Sorgfaltsplan relevanten Um­ weltrisiken zu konkretisieren. Naheliegender ist indes, auf den Umwelt­ schaden aus Art. 1247 C. civ. abstellen. Letzteres führte zu einer kohärenten Lösung mit der Haftung wegen Verletzungen der Sorgfaltspflicht. 13. Die Pflicht zur Prävention ist auf gravierende Verletzungen (atteintes graves) der Schutzgüter der lai de vigilance begrenzt. Ungewiss bleibt, weI­ chen Grad eine Verletzung erreichen muss, um als atteinte grave zu gelten. Hier wird es auf die Auslegung durch die Gerichte ankommen. 14. Für die Maßnahmen angemessener Sorgfalt gibt Art. L. 225-1 02-4 1. Abs. 4 C. com. fünf Kernbestandteile eines plan de vigilance vor: (i.) eine Risikokartografie, (ii.) Verfahren zur regelmäßigen Bewertung der Situation der filiales, Subunternehmer und Zulieferer, (iii.) geeignete Maßnahmen zur Risikoverringerung und Vorbeugung schwerer Verletzungen, (iv.) einen Warnmechanismus für bestehende oder sich realisierende Risiken und (v.) ein Kontrollsystem zur Evaluation der Effektivität der Maßnahmen. 15. Eine Konkretisierung der Sorgfaltsmaßnahmen könnte durch ein Dekret der Regierung erfolgen (Art. L. 225-102-4 1. Abs. 6 C. com.). Es könnten länder- und/oder sektorenspezifische Leitlinien für die Prävention typischer Gefahren entwickelt werden. Nach dem Vorbild der europäischen Konflikt­ mineralien-VO könnten auch soft law-Regeln wie die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen von 201 1 einen Bezugspunkt für angemessene Sorgfaltsmaßnahmen bilden. 16. Für die Überwachung und Evaluation der Sorgfaltsmaßnahmen fehlt ein staatliches Kontrollorgan. Denkbar sind stattdessen interne und externe Kontrollen durch soda! audits. Ferner nehmen NGOs eine externe Kontroll­ funktion ein. Diese wird durch Publizitätspflichten gesichert, wonach der Sorgfaltsplan in den Geschäftsbericht einzufügen und zusätzlich zu veröf­ fentlichen ist.

§ 2 Rechts/olgen der loi de vigilance

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17. Der französische Gesetzgeber hat sein Ziel, mit der loi de vigilance die UNGP umzusetzen, erreicht. Bei Übertragung der soft law-Bestimmungen in nationales hard law verwendet er indes Begriffe und Instrumente des nati­ onalen Rechts, die an die Zwecke des neuen Gesetzes anzupassen sind. Ins­ gesamt wirft der Tatbestand zahlreiche Auslegungsfragen auf, welche die praktische Anwendung des Gesetzes erschweren.

§ 2 Rechtsfolgen der lai de vigilance Nachdem die anfangs vorgesehene Bußgeldbestimmung für verfassungswid­ rig erklärt wurde,5 89 bleiben als Rechtsfolgen der loi de vigilance zwei sowohl präventiv als auch repressiv wirkende, zivilrechtliche Durchsetzungsinstru­ mente. 590 Gemäß Art. L. 225-1 02-4 H. C. com. kann das zuständige Gericht auf Antrag einer "Person mit berechtigtem Interesse" unter Androhung eines Zwangsgeldes die Erfüllung der Sorgfaltspflicht durch die Gesellschaft an­ ordnen (A.). 59 1 Zudem enthält Art. L. 225-1 02-5 C. com. eine Haftungsregel, die eine deliktsrechtliche Außenhaftung der Gesellschaft gegenüber etwaigen geschädigten Dritten etabliert (B.).

A. Gerichtliche Anordnung zur FfUchterfüllung (injonction) Als präventives, d. h. allein verhaltenssteuerndes Durchsetzungsinstrument sieht Art. L. 225-1 02-4 Ir. c. com. eine gerichtliche Anordnung zur Pflicht­ erfüllung (injonction) vor.592 Auf Antrag "jeder Person mit berechtigtem In­ teresse" kann das zuständige Gericht anordnen, dass die Gesellschaft ihre Pflichten aus der loi de vigilance erfüllt. 593 Der französische Gesetzgeber hat damit einen neuen Fall der Leistungs­ anordnung (sog. injonction de faire) geschaffen. 5� Sie tritt neben die in Art. L. 238-1 C. com. genannten Leistungsanordnungen, unterscheidet sich

5� Siehe supra S. 56 ff. 590 BrabantlSavourey, RIC 2017, comm. 44, 2 1 . 591 Vgl. hierzu BrabantlSavourey, RIC 2017, comm. 44, 2 1 , 21 Fn. 3; Danis-Fatomel Viney, D. 2017, 1610, 1616. 592 Art. L. 225-102-4 11. C. com.: "Lorsqu'une societe mise en demeure de respecter 1es obligations prevues au 1 n'y satisfait pas dans un de1ai de trois mois a compter de 1a mise en demeure, 1a juridiction comp6tente peut, a 1a demande de toute personne justifiant d'un interet a agir, 1ui enjoindre, 1e cas echeant sous astreinte, de 1es respecter." 593 Vgl. hierzu BrabantlSavourey, RIC 2017, COillIll . 44, 21, 21 Fn. 3; Danis-FatomeIVi­ ney, D. 2017, 1610, 1616. 594 Danis-FatomeIViney, D. 2017, 1610, 1616; Pironon, Travaux du comite de droit in­ ternational prive 2018-2020 (2021), 217, 220.

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von ihnen aber dadurch, dass die Anordnung nicht an den Insolvenzverwal­ ter oder ein Gesellschaftsorgan gerichtet ist, sondern an die Gesellschaft selbst. 595 1 Präventive Zielrichtung der injonction Im Unterschied zu einer Haftungsklage, die einen Schaden voraussetzt,596 ist die injonction allein auf die Frage der Gesetzeskonformität des Sorgfaltsplans der Gesellschaft gerichtet und erlaubt eine Anpassung, noch bevor Schutz­ güter der lai de vigilance verletzt werden. Da eine Anordnung auch im Eil­ verfahren ergehen kann, ist die injonction ein geeignetes Mittel, um möglichst zügig drohenden Risiken für die Menschenrechte, die Gesundheit und Si­ cherheit der Menschen oder die Umwelt Abhilfe zu schaffen. Das ist Ziel der Kläger in dem ersten injonction- Verfahren auf Basis der lai de vigilance. Mit der ersten Klage auf Grundlage der loi de vigilance wenden sich die französische NGO Les Amis de la Terre und zwei ugandische NGOs gegen die beiden Erdölprojekte Tilenga und EA COP von Total in Uganda.597 Es handelt sich um ein Eilverfahren, das auf eine injonction gerichtet ist.598 Obwohl die Menschen in dem Bohrgebiet in Uganda, aus dem sie für die Zwecke der Bohrvorhaben umgesiedelt wurden und werden, nach dem Klä­ gervortrag bereits Schäden erlitten haben, werden (noch) keine Schadenser­ satzansprüche geltend gemacht. Wegen der Dringlichkeit, eine gerichtliche Entscheidung zu erreichen und erheblichen Rechtsverletzungen vorzubeu­ gen, haben die Kläger den Weg des Eilverfahrens gewählt; zugleich hoffe man darauf, dass ein erfolgreiches injonction-Verfahren, das einen Sorgfalts­ pflichtverstoß durch die Total SA gerichtlich feststellt, eine künftige Scha­ densersatzklage erleichtern könnte. 599 II

Vorherige außergerichtliche Mahnung (mise en demeure)

Voraussetzung einer injonction ist, dass die betreffende Gesellschaft förmlich zur Erfüllung ihrer Pflichten ermahnt wurde (mise en demeure). 600 Erst wenn 595 Vgl. Art. L. 238-1 Abs. 1 C. com.: "Lorsque les perSOIllles interessees ne �uvent obtenir la production, la communication ou la transmission des documents vlses aux artides L. 221-7, L. 223-26, L. 225- 1 1 5, L. 225-116, L. 225-117, L. 225-118, L. 228-69, L. 237-3 et L. 237-26, elles peuvent demander au president du tribunal statuant en refere soit d'enjoindre sous astreinte au liquidateur ou aux administrateurs, gerants, et dirigeants de les communiquer, soit de designer un mandataire charge de proceder a cette commu­ nication." 5% Siehe infra S. 185 ff. 597 Siehe supra S. 1 f. '" Vgl. Tl Nanterre, 30.1 .2020, n° R.G. 19/02833. 59!! Siehe (letzter Abruf 1 .2.2022). 600 Savourey, in: European Commission (Rrsg.), Study on due diligence requirements through the supply chain, 2020, S. 56, 72.

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die Gesellschaft ihren Verpflichtungen aus Art. L. 225-102-4 1. C. com. nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten nachgekommen ist, kann der Antrag auf Erteilung einer injonction gestellt werden. 601 Eine mise en demeure ist eine schriftliche Aufforderung zur Leistung oder zur Vornahme einer Handlung; sie stellt die Nichtleistung des Schuldners und damit dessen Verzug fest. 602 Ihre häufigste Anwendung findet die Mahnung daher im Bereich vertraglicher Pflichten, bei denen der Gläubiger einer Leis­ tung Erfüllung verlangt und, wie im deutschen Recht, ab dem Zeitpunkt der Mahnung Anspruch auf Ersatz eines möglichen Verzugsschadens hat. 603 Im Deliktsrecht scheint eine Mahnung hingegen auf den ersten Blick nicht zielführend, da die Leistung grundsätzlich in dem Unterlassen einer Verlet­ zungshandlung besteht. 604 Bei der Pflicht zum Aufstellen und Umsetzen eines plan de vigilance handelt es sich indes um eine Handlungspflicht gegenüber Dritten, um präventiv Verletzungen der Menschenrechte, Grundfreiheiten und Umwelt zu verhindern. Eine Mahnung kann deshalb auch vorliegend ihren Zweck erfüllen, dem Schuldner - hier der Mutter- bzw. Auftraggeber­ gesellschaft - im Vorfeld potenzieller Sanktionen die Möglichkeit zur Pflicht­ erfüllung zu geben. 6� Als Nebeneffekt kommt hinzu, dass eine mise en demeure insbesondere bei öffentlichkeitswirksamen Mahnungen durch NGOs oder Gewerkschaften einen gewissen Reputationsdruck auf die Gesellschaft ausübt. Anders als bei der Mahnung hinsichtlich einer vertraglichen Leistung steht im Fall der devoir de vigilance nicht von vornherein ein Gläubiger fest, der die Gesellschaft mahnen könnte. 606 Auch das Gesetz bestimmt nicht, wer berechtigt ist, von der Mahnung Gebrauch zu machen. 607 Die bisherigen Fälle aus der Praxis deuten darauf hin, dass die Mahnung üblicherweise durch diejenigen erfolgt, die später den Antrag auf Leistungsanordnung stellen, d. h. Personen "mit berechtigtem Interesse" .ws Bislang609 wurden sieben mises en demeure verfasst, von denen vier in ein injonction-Verfahren mündeten.

601 Art. L. 225-102-4 11. C. corno 602 TerrelSimlerlLequette u. a., Les obligations, 2019, Rn. 1430. 603 TerrelSimlerlLequette u. a., Les obligations, 2019, Rn. 1440ff. 604 MalaurieIAynesIStoffel-Munck, Droit des obligations, 2018, Rn. 973. TerrelSimlerl Lequette u.a., Les obligations, 2019, Rn. 1434 605 So auch Marain, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S. 69, Rn. 16. 606 Marain, in: Schiller (Rrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S. 69, Rn. 16. 607 Schiller, in: dies. (Rrsg.), Le devoir de vigilance, 2019, S. l, 8. 600 Siehe dazu noch näher infra S. 174ff. 600 Stand 1 .2.2022.

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1. Total (Uganda) Die Muttergesellschaft Total SA in dem Fall Total ( Uganda) wurde im Juni 2019 von den Klägerparteien und drei weiteren NGOs ermahnt, ihren Sorg­ faltsplan den Anforderungen des Gesetzes anzupassen. 6 10 Der Plan müsse eine Risikoermittlung und spezifische Sorgfaltsmaßnahmen für die Projekte Tilenga und EA COP enthalten, und müsse effektiv umgesetzt werden. 6 11 Nach Ablauf der drei Monate wies Total die Vorwürfe zurück, '!' Der Sorg­ faltsplan sei gesetzeskonform. Er erfasse alle Risiken für die Menschen­ rechte, Grundfreiheiten, Gesundheit und Sicherheit der Menschen sowie die Umwelt, die sich aus den Aktivitäten von Total ergäben. Sorgfaltsmaßnah­ men zur Risikominderung seien sowohl vorgesehen als auch effektiv umge­ setzt worden. Zudem habe die Tochtergesellschaft Total E&P Uganda mit ihren Geschäftspartnern vor Ort Evaluationen durchgeführt. Da Total keine Änderungen an dem Sorgfaltsplan vornahm, reichten die NGOs im Oktober 2019 bei dem Tribunal judiciaire de Nanterre, am Sitz der Total SA, Klage ein. 6lJ Bislang sind lediglich zwei Entscheidungen zur sachlichen Zuständig­ keit ergangen. 614 2. Total (Klima) Die gleichen Schritte haben die Kläger der ersten Klimaklage gegen Total SA durchlaufen, die ebenfalls auf die lai de vigilance gestützt ist. 615 Bemerkens­ wert ist, dass in diesem Fall nicht nur NGOs an der mise en demeure und auf Klägerseite beteiligt sind, sondern auch ein gutes Dutzend französischer Ge­ meinden, die geltend machen, bereits heute von den Auswirkungen des Kli­ mawandels betroffen zu sein, weshalb in Zukunft hohe Kosten für Schutz­ maßnahmen auf sie zukämen. 61 6 Sie forderten Total auf, in dem Plan die Risiken der Treibhausgasemissionen zu berücksichtigen, die aus dem Ge­ brauch ihrer Produkte resultierten, und Maßnahmen zu ergreifen, die zur Begrenzung der Klimaerwärmung auf einen Tempertaturanstieg um 1 ,SoC beitrügen. 61 7 Da Total den Plan als gesetzeskonform ansieht, strengten die Siehe bereits supra S. 120f. Les Amis de la Terre France/Survie, Total mise en demeure pour ses activites en Ouganda, 25.6.2019, S. 12; zu den Bestandteileneines plan de vigilance siehe supra S. 132 ff. 612 Vgl. das Statement von Total vom 30.9.2019, abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022). 613 Vgl. Les Amis Je la Terre France, Le devoir de vigilance: premiere saisine d'un tri­ bunal franyais pour 1e cas de Total en Ouganda, 23.10.2019. 614 Siehe dazu noch ausführlicher infra S. 166 ff. 615 Dazu EpsteinlDeckert, in: KahllWeller (Rrsg.), Climate Change Litigation, 2021, S. 336, Rn.40 ff.; Hautereau-Boutonnet, D. 2020, 609 f. sowie supra S. 126 ff. 616 Vgl. Notre Affaire a Tous/Les Eco Maires/Sherpa u. a., 1,5°C Nous sommes 1es ter­ ritoires qui se defendent, 18.6.2019 und die darin abgedruckte mise en dem eure (S. 10--12). 617 Notre Affaire a Tous/Les Eco Maires/Sherpa u. a., 1,5°C Nous sommes 1es territoires qui se defendent, 18.6.2019, S. 12. 610

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NGOs und Gemeinden im Januar 2020 ein Verfahren auf Leistungsanord­ nung vor dem Tribunaljudieiaire de Nanterre an. 61 8 Der Ausgang des Verfah­ rens ist noch ungewiss. 3. EDF Der Sachverhalt, der dem dritten injonction-Verfahren zugrunde liegt, ähnelt dem Fall Total ( Uganda) : Dem französischen Energ ieunternehmen Electri­ eite de France (EDF) wird vorgeworfen, bei dem B au eines Windparks in Oaxaca (Mexiko) die indigene Gemeinde Union Hidalgo, die auf dem Gebiet des Parks lebt, nicht hinreichend einbezogen zu haben. 61 9 Im Oktober 2019 verfassten deshalb Vertreter der Gemeinde mit den NGOs ProDESC und ECCHR eine Mahnung an EDF, den Sorgfaltsplan entsprechend den Vor­ gaben der lai de vigilance zu überarbeiten. 62o Ein Jahr später erhoben sie Klage vor dem Tribunaljudieiaire de Paris. 621

4. Teleperformance Eine mise en demeure gegen die Teleperformance SE, Muttergesellschaft des Dienstleisters für Kundenservices,622 betrifft nun zum ersten Mal die Rechte von Arbeitnehmern: Mit ihrer Mahnung rügen die Gewerkschaftsföderation Uni Global Union und die NGO Sherpa die Arbeitsbedingungen von Be­ schäftigten in Filialen der Teleperformance in Kolumbien, Mexiko und auf den Philippinen. 623 Es werde u. a. von Einschränkungen der Koalitionsfrei­ heit und erzwungenen Schwangerschaftstests bei Arbeitnehmerinnen berich­ tet. 624 Teleperformance habe zunächst keinen Sorgfaltsplan erstellt und/oder veröffentlicht, und derjenige von 2019 sei wenig umfangreich gewesen. '" Mit der Risikokartografie fehle ein elementarer Schritt, um die erforderlichen Sorgfaltsmaßnahmen bestimmen und umsetzen zu können. 626 Arbeitnehmer-

Siehe supra S. 126ff. Zum Sachverhalt siehe ECCHRfProDESc/CCFD Terre solidaire, Parc eolien au Mexique, Oktober 2020 sowie supra S. 1 1 9 f. 620 Eine zuvor bei der französischen Kontaktstelle der OECD eingereichte Beschwerde hatten sie zurückgezogen. Vgl. den Abschlussbericht der Kontaktstelle vom 17.10.2019, abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022). 621 Vgl. ECCHRfProDESc/CCFD Terre solidaire, Parc eolien au Mexique, Oktober 2020. 622 Siehe bereits supra S. 80. 623 Sherpa, Droit des travai11eurs et devoir de vigi1ance, 18.7.2019. 624 Sherpa, Droit des travai11eurs et devoir de vigi1ance, 18.7.2019. 625 Vgl. das für Uni Global Union erstellte Gutachten Syndex, Teleperformance, April 2019. 626 Zur Risikokartografie siehe supra S. 133f. 618

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belange würden nicht angemessen berücksichtigt, es fehle an einem Be­ schwerdemechanismus sowie der Einbeziehung von Gewerkschaften und an­ deren Stakeholdern. Q7 Mittlerweile ist ein aktualisierter Sorgfaltsplan bei Te­ leperformance abrufbar. 628 Ob dieser nach Auffassung von Uni Global Union und Sherpa den Anforderungen des Gesetzes genügt, wird sich zeigen. Klage wurde seither jedenfalls noch nicht erhoben.

5. XPO Logistics Europe Um die Rechte von Arbeitnehmern geht es auch in dem Fall von XPO Lo­ gistics Europe. Die französische Filiale des US-amerikanischen Logistikun­ ternehmens XPO Logistics erhielt im Oktober 2019 eine mise en demeure der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF) .629 Da mehr als 50 % der Transportleistungen der Gesellschaft durch Subunternehmer durchgeführt würden, müsse XPO Logistics im Rahmen der Risikoermittlung besonders sorgfältig die Subunternehmerstrukturen untersuchen. 630 Diese bärgen ver­ stärkt Risiken von Menschenhandel und moderner Sklaverei. 63 1 Der erste Sorgfaltsplan falle indes deutlich zu knapp und oberflächlich aus; er stelle keinen adäquaten Versuch dar, die Vorgaben des Gesetzes zu erfüllen. 632 Der aktuelle Sorgfaltsplan von XPO Logistics Europe scheint einige Punkte der Mahnung aufzugreifen: Er erstreckt sich auf sieben Seiten der Jahresbilanz und führt Risiken für die Menschenrechte sowie Gegenmaßnahmen auf. 633

6. Suez Die sechste Mahnung auf Grundlage der loi de vigilance richtet sich gegen die Suez SA, Muttergesellschaft einer Unternehmensgruppe im Bereich der Was­ ser- und Abfallwirtschaft. Sie betrifft Menschenrechte und Umwelt gleicher­ maßen. Nach Angaben der Fkdkration internationale pour les droUs humains (FIDH) , einem Dachverband verschiedener Menschenrechtsorganisatio­ nen, wurde im Sommer 2019 in Osorno (Chile) infolge nachlässiger Wartungs627 Syndex, Teleperformance, April 2019, S . 4 ff. 628 Siehe (letzter Abruf 1 .2.2022). 629 Die mise en demeure von ITFan XPO Logistics Europe vom 1 . 1 0.2019 ist abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022) (im Folgenden: Mise en demeure ITFIXPO Logistics Europe, 1 . 10.2019). 630 Mise en demeure ITFIXPO Logistics Europe, 1 .10.2019 (Fn. 629), S. 2. 63 1 Mise en demeure ITFIXPO Logistics Europe, 1 .10.2019 (Fn. 629), S.4. 632 Mise en demeure ITFIXPO Logistics Europe, 1 .10.2019 (Fn. 629), S. 3f. 633 XPO Logistics, Rapport Financier Awmel2020, Exercice clos au 31 Decembre 2020, S. 81--88, abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022).

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und Kontrollmaßnahmen eine Trinkwasseranlage mit 2000 Litern Erdöl kontaminiert. 634 Dies führte zur Verschmutzung zweier Flüsse sowie zur Ver­ unreinigung des Trinkwassernetzes, das 1 40.000 Einwohner, aber auch Krankenhäuser und andere lebenswichtige Einrichtungen mit Wasser ver­ sorgt. 635 Die Trinkwasseranlage sei von EssaI, einer von Suez indirekt kon­ trollierten Gesellschaft, betrieben worden. 636 Als Reaktion auf dieses Ereignis haben FIDH und drei weitere NGOs Suez im Juli 2020 gemahnt, ihren Sorgfaltsplan zu überarbeiten und Maß­ nahmen vorzusehen, um weitere Gesundheitskrisen an den Orten zu verhin­ dern, an denen Essai und andere von Suez kontrollierte Gesellschaften tätig seien. 6J7 Im Oktober 2020 veräußerte Suez ihre gesamte Beteiligung an Essai (53,51 %) an eine kanadische Gesellschaft. 638 Allerdings werden nach Anga­ ben von FIDH knapp 44 % der städtischen Bevölkerung Chiles von Unter­ nehmen mit Wasser versorgt, die Suez kontrolliert. Die mise en demeure hat folglich weiterhin Bestand. Anfang Juni 2021 wurde schließlich Klage erho­ ben. 639

7. Casino Sowohl Menschenrechte als auch die Umwelt sind bei der jüngsten mise en demeure betroffen: Im September 2020 forderten verschiedene NGOs Casino SA, die Muttergesellschaft des Supermarktkonzerns Graupe Casino, förm­ lich dazu auf, ihren Sorgfaltsplan den Anforderungen der lai de vigilance anzupassen. MO Sie werfen Casino vor, dass in den Märkten ihrer brasiliani­ schen und kolumbianischen Filialen Rindfleisch verkauft werde, das aus Rinderzucht auf gerodeten Waldflächen in Südamerika stamme. M I Durch FIDH, Suite a la crise sanitaire d'Osorno (Chili), Suez mise en demeure de modifier son plan de vigilance, 9.7.2020; siehe ferner FIDH, Questions - Reponses: Suez mise en demeure de modifier son plan de vigilance, 9.7.2020. 635 FIDH, Suite a la crise sanitaire d'Osorno (Chili), Suez mise en demeure de modifier son plan de vigilance, 9.7.2020. 636 FIDH, Suite a la crise sanitaire d'Osorno (Chili), Suez mise en demeure de modifier son plan de vigilance, 9.7.2020. 637 FIDH, Suite a la crise sanitaire d'Osorno (Chili), Suez mise en demeure de modifier son plan de vigilance, 9.7.2020. 638 Siehe (letzter Abruf 1 .2.2022). 639 CCFD Terre solidaire/Sherpa (Rrsg.), Le radar du devoir de vigilance - Suivre les affaires en cours, Juli 2021, S. 1 3 f. 640 Die mise en demeure von Envol Vert u. a. gegen Casino vom 21.9.2020 ist abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022) (im Folgenden: Mise en demeure Envol Vert u. a.lCasino, 21 .9.2020). 641 Mise en demeure Envol Vert u. a.lCasino, 21 .9.2020 (Fn. 640), S. 2. 6>4

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unkontrollierte, exzessive Rodungen hervorgerufene Brände im Amazonas vergifteten die Luft und führten zu erheblichen Gesundheitsrisiken für die Bewohner des Gebiets. 642 Ferner beeinträchtige die Ausdehnung von Wei­ deflächen auf Gebiete indigener Völker deren Rechte und zerstöre zahlreiche Arten und Ökosysteme. 64 3 Darüber hinaus trage die Zerstörung von Wäl­ dern, die große Mengen von CO, binden, erheblich zur Klimaerwärmung bei. 644 Der plan de vigilance von Casino sei nicht an die aktuelle Lage im Ama­ zonas angepasst worden und die Präventionsmaßnahmen verhinderten nicht, dass Fleischlieferungen von Farmen bezogen würden, die an der Ab­ holzung des Amazonasgebietes beteiligt seien. "5 Im März 2021 haben die NGOs daher Klage auf injonction erhoben; zudem machen sie erstmals Scha­ densersatz in Höhe von insgesamt 3,36 Mio. Euro geltend. 646 8.

Zwischenergebnis

Die Zusammenschau der bisherigen Fälle auf Basis der loi de vigilance zeigt, dass die Durchsetzungsmechanismen des Gesetzes in der Praxis bereits ak­ tiviert werden und inzwischen auch die Gerichte beschäftigen. Zumeist be­ schränkt sich die Anwendung jedoch auf den präventiven Mechanismus aus mise en demeure und injonction. Schadensersatzansprüche auf Grundlage von Art. L. 225-1 02-5 C. com. wurden erst in einem Fall geltend gemacht.

III Sachlich zuständiges Gericht Ein wesentlicher Streitpunkt bei dem injonction-Verfahren war anfangs die sachliche Zuständigkeit der Gerichte. In dem ersten Verfahren gegen Total reichten die Klägerparteien bei dem Tribunaljudiciaire de Nanterre Klage ein, der sich indes für unzuständig erklärte und die Sache an den Tribunal de commerce verwies. 64 7 Trotz zwischenzeitlicher Klärung durch den Gesetzge­ ber (5.) wird die Diskussion im Folgenden nachgezeichnet. Denn auf Basis der allgemeinen Zuständigkeitsregeln (1.) ist die Zuständigkeitsfrage zen­ traler Gegenstand der bisherigen Rechtsprechung zur lai de vigilance (2.-4.).

641

Mise en demeure Envol Vert u. a.lCasino, 21 .9.2020 (Fn. 640), S. 2.

644

Mise en demeure Envol Vert u. a.lCasino, 21 .9.2020 (Fn. 640), S. 2.

643 Mise en demeure Envol Vert u. a.lCasino, 21 .9.2020 (Fn. 640), S. 2. 645 Mise en demeure Envol Vert u. a.lCasino, 21 .9.2020 (Fn. 640), S. 3. 646 Assignation devant le Tribunaljudiciaire de Saint EtieIllle, Envol Vert et autres/CA­

SINO S.A., 2.3.2021 (im Folgenden: Assignation Envol Vert et al.lCASINO, 2.3.2021), abrufbar unter (letzter Abruf 1.2.2022). Zu den Schadensposten siehe infra S. 185 ff. M' Tl Nanterre, 30.1 .2020, n° R.G. 19/02833, S. 10.

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Der wichtige Unterschied zwischen den allgemeinen Zivilgerichten und den Handelsgerichten ist ihre Besetzung: Während der Tribunaljudiciaire mit Berufsrichtern besetzt ist, werden die Richter des Tribunal de commerce von einem Gremium aus Mitgliedern der Industrie- und Handelskammer sowie der Handwerkskammer im örtlichen Zuständigkeits bereich des Gerichts ge­ wählt. M 8 Das Handelsgericht ist also mit Laienrichtern aus Handel und Wirt­ schaft besetzt."'9 Man könnte deshalb vermuten, dass ein Handelsgericht die Frage der Gesetzeskonformität eines plan de vigilance unternehmensfreund­ licher beurteilen könnte als ein allgemeines Zivilgericht. 65 0 Die Unsicherheit über die sachliche Zuständigkeit rührte u. a. daher, dass der Gesetzentwurf sowohl die Zivil- als auch die Handelsgerichte als zustän­ dige Gerichte in Betracht zog. 65 1 Der geltende Gesetzeswortlaut nennt diese zwar nicht mehr, ist aber weiterhin offen: Gemäß Art. L. 225-1 02-4 H. C. com. kann das "zuständige Gericht" die Leistungsanordnung treffen. 652 Die Zuständigkeit bestimmte sich folglich nach den allgemeinen Regeln. �J 1. Allgemeine Zuständigkeitsregeln Gemäß Art. L. 21 1-3 Code de l'organisationjudiciaire (COJ) entscheidet der Tribunaljudiciaire über alle Zivil- und Handelssachen, die nicht aufgrund der Art des Begehrens einer anderen Gerichtsbarkeit zugewiesen sind. 654 Eine Zuweisung an den Tribunal de commerce ergibt sich u. a. aus Art. L. 721-3

648 Art. L. 723-1 C. com.: "Les juges d'un tribunal de commerce sont eIus dans 1e ressort de 1a juridiction par un college compose: 1 ° Des membres eIus des chambres de commerce et d'industrie et des chambres de metiers et de l'artisanat dans 1e ressort de la juridiction, dans des conditions fixees par decret en Conseil d'Etat; 2° Des juges du tribunal de com­ merce ainsi que des anciens membres du tribunal." 649 Art. L. 721-1 C. com.: "Les tribunaux de commerce sont des juridictions du premier degre, composees de juges elus et d'un greffier ."; Boillot, in: JCl. Procedure civile, Stand: 29.7.20121, Rn. !. o � So Abadie, D. 2021, 614. 651 Art. L. 225-102-4 11. Abs. 1 C. com. (PPL n° 2578): "Toute perSOIllle justifiant d'un interet a agir peut demander a lajuridiction civile ou commerciale competente, d'enjoindre a la societe, [ . . . ]." (Hervorh. durch Verf). 651 Art. L. 225-102-4 11. Abs. 1 C. com.: "Lorsqu'une societe mise en demeure de res­ pecter les obligations prevues au 1 n'y satisfait pas dans un deIai de trois mois a compter de la mise en demeure, la juridiction competente peut, a la demande de toute personne justi­ fiant d'un interet a agir, lui enjoindre, le cas echeant sous astreinte, de les respecter." (Hervorh. durch Verf). 653 So auch CA Versailles, 10.12.2020, n° R.G. 20/01692, S. 15; Cuzacq, D. 2020, 970, 973. 654 Art. L. 211-3 Code de l' organisation judiciaire: "Le tribunal judiciaire connait de toutes les affaires civiles et commerciales pour lesquelles competence n'est pas attribuee, en raison de la nature de la demande, a une autre juridiction."

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Nr. 2 C. com., wonach für Streitigkeiten im Zusammenhang mit Handels­ gesellschaften die Handelsgerichte zuständig sind. 655 Klassischerweise sind dies Streitigkeiten zwischen Gesellschaftern oder zwischen der Gesellschaft und einem Gesellschafter. 6.56 Mit der Zeit wurde dieses Merkmal aber exten­ siver ausgelegt. 657 Nach einer Leitentscheidung der Cour de cassation fallen unter Art. L. 721-3 Nr. 2 C. com. alle Fragen, die einen direkten Bezug zu der Geschäftsführung einer Gesellschaft haben ("lien direct i la gestion de so­ ciet"s commerciales"). �8 Dabei sei unerheblich, ob die Parteien (beide) Kauf­ leute seien.',,5 9 Da das Gericht keine allgemeinen Kriterien festlegt, wann ein Zusammenhang zur Geschäftsführung anzunehmen ist, bleibt der Begriff unscharf und droht zulasten der allgemeinen Zuständigkeit der Zivilgerichte sehr extensiv ausgelegt zu werden. 660 Das könnte ebenso auf die beiden Ent­ scheidungen im Fall Total ( Uganda) zutreffen. 2. Entscheidungen im Fall Total (Uganda) Entsprechend der o. g. Formel der Cour de cassation prüft der Tribunal ju­ diciaire de Nanterre in der Sache Total ( Uganda) , ob die Klage der NGOs eine Frage betrifft, die mit der Geschäftsführung der Gesellschaft in so en­ gem Zusammenhang steht, dass der Tribunal de commerce ausschließlich zu­ ständig ist. 661 Nach Auffassung des Gerichts ist das der Fall: Zum einen ar­ gumentiert es mit dem Standort der Norm im Code de commerce. Art. L. 225-1 02-4 C. com. sei Teil der Vorschriften über die Aktiengesell­ schaft und stehe dort im Abschnitt über die Hauptversammlung. W Zum an­ deren stellt das Gericht darauf ab, dass der plan de vigilance und der Bericht über seine effektive Umsetzung vom Verwaltungsrat oder Vorstand im Ge­ schäftsbericht der Hauptversammlung vorzulegen seien. 663 Weiterhin betreffe auch die Umsetzung des Plans bei den Tochtergesellschaften und Zulieferern

655

Art. L. 721-3 Nr. 2 C. corn.: "Les tribunaux de commerce cOIlllaissent: [. . . ] 2° De celles [contestations] relatives aux societes cornrnercia1es." 656 Cass. corn., 14.2.2006, n° 03-19.823; Boillot, in: JCI. Procedure civile, Stand: 29.7.2021, Rn.43. 657 Das hängt u. a. mit einer Neufassung der Zuständigkeitsregel zusamrnen, vgI. näher Lebel, JCP G 2019, note 45, lIlO, lIll f. 65.l Grundlegend Cass. corn., 27.10.2009, n° 08-20.384, Bull . civ. 2009, IV, n° 138; Cass. corn., 14. 1 1 .2018, n° 16-26. 1 1 5 . 6Cfl Cass. corn., 27.1 0.2009, n° 08-20.384, Bull. civ. 2009, IV, n° 138; Boillot, in: JCI. Pro­ cedure civi1e, Stand: 29.7.2021, Rn. 42. In der Sache ging es um die Haftung zweier fakti­ scher Geschäftsführer ohne Kaufrnanneigeschaft für Fehler in der Geschäftsführung. 6W SchillerlLepretre, JCP G 2020, note 725, 1 101, 1 105. '" TJ Nanterre, 30.1 .2020, n° R.G. 19/02833, S. 8 ff. 'Q TJ Nanterre, 30.1 .2020, n° R.G. 19/02833, S. 8. 663 TJ Nanterre, 30.1 .2020, n° R.G. 19/02833, S. 9.

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die Organisation (organisation) und den Betrieb (jonctionnement) der Gesell­ schaft. Art. L. 225-1 02-4 C. com. gehöre daher zum Kern des gesellschaftli­ chen Lebens und falle in die Zuständigkeit der Handelsgerichte. 664 Dass der Plan mit den parties prenantes ausgearbeitet werden solle, pu­ bliziert werde, und jeder mit einem berechtigten Interesse Klage einreichen könne, ändere daran nichts. 665 Entgegen der Argumentation der Klägerpar­ teien für eine Zuständigkeit des Tribunal judiciaire sei die auf eine injonction der Gesellschaft gerichtete Klage außerdem von einer Haftungsklage gemäß Art. L. 225-1 02-5 C. com. zu trennen. 666 Ob sich das Gericht im Falle einer Haftungsklage für zuständig erklären würde, kann man nur vermuten. 667 In der Entscheidung der Cour d'appel de Versailles, die den Tribunal judi­ ciaire in der Berufungsinstanz bestätigt, wird die Trennung zwischen injonc­ tion und Haftungsklage noch deutlicher. 668 Das Gericht stellt fest, dass die Zuständigkeit hinsichtlich injonction auf der einen und Haftung auf der an­ deren Seite auseinanderfallen könne, da es um verschiedene Fragen gehe, die nach unterschiedlichen Gesichtspunkten zu beurteilen seien. 669 Die Cour d'appel geht für Schadensersatzklagen gemäß Art. L. 225-102-5 C. com. also von der Zuständigkeit der allgemeinen Zivilgerichte aus. Hinsichtlich des Zusammenhangs mit der Geschäftsführung (gestion) der Gesellschaft greift das Berufungsgericht im Wesentlichen die Argumente der Vorinstanz auf. Die Neuerung der loi de vigilance liege in einer Formalisie­ rung von teilweise bereits existierenden Geschäftsführungsmethoden, wes­ halb es sich um eine Streitigkeit in Zusammenhang mit der gestion einer Gesellschaft handele, für welche die Handelsgerichte zuständig seien. 670

664 Tl Nanterre, 30.1.2020, n° R.G. 19/02833, S. 9: "Ce dispositif est donc au cceur de 1a vie socia1e, avec une eventuelle incidence sur 1e pacte socia1 des lors que ces informations sont soumises a ses organes decisioIlllelS. [. . . ] Le plan de vigi1ance et son compte-rendu de mise en ceuvre font ainsi partie integrante de 1a gestion de 1a societe." 665 Tl Nanterre, 30.1 .2020, n° R.G. 19/02833, S. 9. ," Tl Nanterre, 30.1 .2020, n° R.G. 19/02833, S. 10. 667 Für ein solches Verständnis Cuzacq, D. 2020, 970, 974. ," CA Versailles, 10.12.2020, n° R.G. 20/01692. ,W CA Versailles, 10.12.2020, n° R.G. 20/01692, S. I S . 670 CA Versail1es, 10.12.2020, nO R.G. 20/01692, S. 17: ,,[ . . ] 1a nouveaute tient a 1a formalisation dans un texte de loi de ces modalites de fonctioIlllement inherentes a 1a gestion de 1a societe. Ainsi est caracterisee l'existence d'un lien direct entre 1e plan de vigilance, son etablissement et sa mise en oeuvre, et la gestion de la societe commerciale dans son fonctioIlllement, critere necessaire et suffisant pour que la competence du juge consulaire puisse etre retenue."

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2. Teil: Die loi n° 2017-399 vom 27. März 2017

3. Bewertung und Zwischenergebnis In der Literatur trafen die Entscheidungen grundsätzlich auf Zustimmung. 671 Der Zusammenhang zwischen gestion der Gesellschaft und plan de vigilance sei kaum überraschend und angesichts der zunehmenden Wichtigkeit des Risikomanagements nahezu offensichtlich. 672 Kritikwürdig sei jedoch das Auseinanderfallen der Zuständigkeit für injonction und Haftungsklage: Wenn für sämtliche Fragen zur loi de vigilance ausschließlich die Handels­ gerichte zuständig seien, würden divergierende Entscheidungen vermieden. 673 Die Handelsrichter verfügten zudem über die nötige Expertise, um zu be­ urteilen, ob ein Sorgfaltsplan den Gesetzesvorgaben entspreche. 674 Dem ist bezüglich einer Trennung zwischen injonction und Haftungsklage zuzustimmen. Anders als die Cour d'appel meint, ist zentrale Frage beider Durchsetzungsinstrumente, ob die Gesellschaft ihre Pflicht zum Aufstellen, Umsetzen und Publizieren eines plan de vigilance erfüllt hat. Ein Pflichtver­ stoß bildet die Grundlage für eine Leistungsanordnung, und begründet zu­ gleich eine laute i.S.v. Art. 1240 C. civ. Bei der Haftung kommen lediglich weitere Voraussetzungen hinzu. 675 Die zentrale Frage der Pflichtverletzung sollte daher aus Gründen der Prozessökonomie und zur Vermeidung diver­ gierender Entscheidungen einheitlich von einem Gericht beurteilt werden. Die Argumentation zugunsten der Handelsgerichte könnte man indes ebenso umkehren zugunsten einer umfassenden Zuständigkeit der Zivilge­ richte. Der Tribunaljudiciaire und die Cour d'appel scheinen den Fokus auf die Transparenzpflicht zu legen, und gelangen über den Geschäftsbericht und den Verwaltungsrat bzw. Vorstand zu einem engen Bezug zur gestion der Gesellschaft. Das lässt jedoch unberücksichtigt, dass - anders als beispiels­ weise bei der loi Sapin II zur Korruptionsbekämpfung - nicht den Leitungs­ organen der Gesellschaft eine Sorgfaltspflicht auferlegt wird, sondern der Gesellschaft selbst. 676 Die Verpflichtung der Gesellschaft wirkt sich zwangs­ läufig auch auf die Geschäftsführung aus. Dass dies bereits den nötigen en­ gen Bezug zur gestion herstellt, vermag indes nicht zu überzeugen. 677 Ansons­ ten wäre jede Verpflichtung einer Gesellschaft ungeachtet ihres Inhalts eine Frage der gestion und damit eine Zuständigkeit der Handelsgerichte begrün671 Cuzacq, D. 2020, 970, 972 ff.; SchillerlLepretre, JCP G 2020, note 725, 1 101, 1105; A. Leeourt, RTD Corno 2021, 135, 137ff.; Leno;r, D. 2021, 515, 5 1 6 [f. 6Tl Cuzacq, D. 2020, 970, 973; ähnlich Lenoir, D. 2021, 515, 5 1 6 f. 673 Cuzacq, D. 2020, 970, 974; A. Lecourt, RTD Corno 2021, 136, 140f.; aA. Lenoir, D. 2021, 5 1 5, 519. 674 Cuzacq, D. 2020, 970, 974; SchillerlLepretre, JCP G 2020, note 725, 1 101, 1 105. 675 Siehe dazu noch infra S. 181 ff. 676 Siehe Art. L. 225-102-4 I. Abs. 1 C. corn.: "Toute societe [ . .] etablit et rnet en ceuvre de rnaniere effective un plan de vigilance." 677 Ebenso Teyssie, D. 2021, 1823, 1830.

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det. Dies führte zu einer Allzuständigkeit der Handelsgerichte, die Art. L. 721-3 Nr. 2 C. com. über Gebühr ausdehnte. 678 Weiterhin besteht die Neuerung durch die lai de vigilance entgegen der Annahme der Cour d'appel nicht allein in einer Formalisierung, sondern in der erstmaligen Verpflichtung bestimmter Gesellschaften, aktiv Sorgfalts­ maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Gesund­ heit und Sicherheit der Menschen sowie der Umwelt zu ergreifen. 679 Die Ver­ pflichtung besteht im Schwerpunkt nicht gegenüber den Gesellschaftern, die über den Geschäftsbericht informiert werden, sondern gegenüber Dritten, und im Fall der Umwelt sogar gegenüber der Allgemeinheit. @o Die Beurtei­ lung einer Menschenrechtsverletzung mag zwar für Zivilgerichte ebenso neu sein wie für Handelsgerichte, doch lässt sich bezweifeln, dass die mit Laien­ richtern besetzten Handelsgerichte als Experten dafür anzusehen sind. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Art. L. 21 1 -4-1 und L. 21 1 -20 COJ den Zivilgerichten eine spezielle Zuständigkeit für Schadensersatzkla­ gen wegen Körper- und Umweltschäden zuweisen. 68 1 Ähnlicher Auffassung sind die Kläger in dem Verfahren gegen Total. Ziel der lai de vigilance sei es, Unternehmen für den Einfluss ihrer Aktivitäten auf Dritte - Beschäftigte von Filialen, Zulieferern und Subunternehmern, lokale Gemeinden oder die Umwelt - zur Verantwortung zu ziehen. 682 Es handele sich um externe Belange, die sich nicht auf eine reine Handelsstreitigkeit über die interne Geschäftsführung der Gesellschaft reduzieren ließen. @] Die NGOs legten deshalb Revision ein. @4 Im Ergebnis überzeugt daher entgegen der Entscheidungen der Instanz­ gerichte im Fall Total ( Uganda) eine Zuständigkeit der Zivilgerichte sowohl für die Leistungsanordnung als auch für die Haftungsfrage.

678

Ähnlich Boillot, in: JCI. Procedure civile, Stand: 29.7.2021, Rn. 47.

Vgl. BrabantlMichonlSavourey, RIC 2017, 93, 26, 31 ff.; Kessedjian, in: Me1anges Witz, 2019, S. 407, 4 1 3 f. 680 Caillet, Dr. socia1 2017, 819, 822; Kessedjian, in: MeIanges Witz, 2019, S. 407, 413. 681 Art. L. 21 1-4-1 COJ: "Le tribunal judiciaire cOIlllait des actions en reparation d'un dommage corporeI."; Art. L. 21 1-20 COJ: "Dans 1e ressort de chaque cour d'appe1, un tribuna1judiciaire sp6cia1ement designe connait: 10 Des actions relatives au prejudice eco­ logique fondees sur 1es articles 1246 a 1252 du code civil [. . . ]." Siehe dazu im vorliegenden Kontext MartinlSiret, D. 2021, 1044, 1045f. 682 Les Amis de la Terre France, Affaire Total Ouganda: 1a cour d'appe1 de Versailles renvoie au tribunal de commerce, 10.12.2020. 683 Les Amis de la Terre France, Affaire Total Ouganda: 1a cour d'appe1 de Versailles renvoie au tribunal de commerce, 10.12.2020. 684 Les Amis de la Terre France, Total Ouganda: 1es associations se pourvoient en Cas­ sation a10rs que 1e projet s'acceIere, 12.4.2021 . 67')

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4. Cour de cassation: Wahlrecht zwischen Zivil- und Handelsgericht Dass die Rechtsprechung zur Zuständigkeitsfrage bislang nicht gefestigt war, zeigt eine zweite Entscheidung des Tribunaljudiciaire de Nanterre zur lai de vigilance: In der Klimaklage gegen Total wiederholt das Gericht zunächst, dass das Aufstellen und Umsetzen eines Sorgfaltsplans derart die gestion der Gesellschaft beträfen, dass die Zuständigkeit der Handelsgerichte gemäß Art. 721-3 Nr. 2 C. com. eröffnet sei. @5 Gleichwohl spricht es den Klägern aufgrund ihrer fehlenden Kaufmannseigenschaft ein allgemeines Wahlrecht zwischen Zivi!- und Handelsgericht zu. @6 Ein solches Wahlrecht hat die Cour de cassation im November 2020 im Rahmen einer wettbewerbsrechtlichen Klage von Pariser Taxifahrern gegen das Dienstleistungsunternehmen Uber anerkannt. 687 Eine Übertragung dieses Wahlrechts auf die lai de vigilance sei vor allem deshalb gerechtfertigt, wei! die Zielrichtung des Sorgfaltsplans über die Geschäftsführung hinausgehe und gesamtgesellschaftlich relevant sei. 688 Dies hat die Cour de cassation wenig später im Fall Total ( Uganda) in der für sie typischen Kürze bestätigt: Ohne auf die vorangegangene Entschei­ dung des Tribunaljudiciaire de Nanterre in der Klimaklage gegen Total Bezug zu nehmen und ohne das Urtei! in der Rechtssache Uber explizit aufzugreifen stellt das Gericht fest, dass die Kläger als Nicht-Kaufleute ein Wahlrecht zwischen dem Zivil- und dem Handelsgericht haben. @ 9 Im vorliegenden Fall

685 Tl Nanterre, 1 1 .2.2021, n° R.G. 20100915, S. 8 L; siehe dazu Abadie, D. 2021, 614 ff.; SchillerlLepretrelBignebat, JCP E 2021, note 1 323, 34 ff. 686 Tl Nanterre, 1 1 .2.2021, n° R.G. 20100915, S. 9ff.; a.A. A. Lecourt, RTD Corno 2021, 136, 139 ff. Ein besonderes Wahlrecht besteht grundsätzlich bei Ansprüchen aus einem sog. acte mixte, d. h. einem Vertrag zwischen einem KaufmaIlll und einer Privatperson. Dieses hatte der Tribunaljudiciaire de Nanterre im ersten Total-Verfahren verneint, siehe Tl Nan­ terre, 30.1.2020, n° R.G. 19/02833, S. 8. 687 Cass. com., 1 8 . 1 1 .2020, n° 19-19.463, Rn. 8: ,,[L]orsque 1e demandeur est un non­ commeryant, il dispose du choix de saisir 1e tribunal eivi1 ou 1e tribunal de commerce." 6i8 Tl Nanterre, 1 1 .2.2021, n° R.G. 20100915, S. 1 1 : "Des lors, 1a p1enitude de juridic­ tion du tribunal judieiaire combinee a l'absence de prevision d'une comp6tence exclusive du tribunal de commerce ainsi que l'engagement direct de 1a responsabilite soeia1e de 1a SE Total tres au au-dela du lien effectivement direct avec sa gestion prise enlien avec la qualite de non-commeryant des demanderesses fondent a leur benefice un droit d'option, [. . .]." Siehe dazu auch Leray, Revue des soeietes 2021, 297 ff. M9 Cass. com., 1 5 .12.2021, n° 21-1 1 .882, D. 2022, 7, Rn. 6: "Il resulte de ces textes [. . . ] que, si l'etablissement et la mise en ceuvre d'un tel plan presentent un lien direct avec la gestion de cette soeide, justifiant la comp6tence des juridictions consulaires par applica­ tion du 2° du deuxieme texte [= Art. L. 721-3 C. com., Anm. d. Verf], le demandeur non commeryant qui entend agir a cette fin dispose toutefois, en ce cas, du choix de saisir le tribunal eivil ou le tribunal de commerce."

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sei deshalb der Tribunal judiciaire de Nanterre zuständig. 690 Diese Entschei­ dung ist für die klagenden NGOs ein wichtiger Etappensieg. 69 1

5. Neuer Art. L. 211-21 CO]: Ausschließliche Zuständigkeit des Tribunal judiciaire de Paris Künftig liegt die Zuständigkeit für Klagen auf Grundlage der lai de vigilance allerdings ausschließlich bei dem Tribunal judiciaire de Paris. Das klärte der französische Gesetzgeber im Dezember 2021 im Rahmen einer Reform "für das Vertrauen in die Justiz". 692 Nach erneutem Tauziehen zwischen Natio­ nalversammlung und Senat, das an die Entstehung der lai de vigilance erin­ nerte, 69] erklärt ein neuer Art. L. 21 1-21 COJ den Tribunaljudiciaire de Paris für ausschließlich zuständig. 6� Die geringe Anzahl von Klagen und deren hoher Spezialisierungsgrad sprechen in der Tat für eine Bündelung bei nur einem Gericht. 695 Im Sinne der obigen Bewertung der Rechtsprechung696 er­ achtet der Gesetzgeber indes den Tribunaljudiciaire für besser geeignet: Auf­ grund der Zielrichtung der lai de vigilance, Menschenrechte und die Umwelt zu schützen, gingen Klagen wegen Sorgfaltspflichtverletzungen weit über den Gegenstand typischer Klagen aus dem Gesellschaftsrecht hinaus. 697 Auch die Kompetenz des Tribunal judiciaire für das allgemeine Deliktsrecht spreche dafür, sowohl injanctian als auch Haftung vor demselben Zivilgericht zusammenzufassen. 698 Wohl getragen von einem gewissen Effizienzgedanken

690 Cass. com., 1 5 .12.2021, n° 21-1 1 .882, Rn. 1 1 : ,,11 resulte de ce qui est dit aux para­ graphes 6 et 8 que 1e juge judiciaire est comp6tent pour statuer sur 1es demandes [ ]." 691 Les Amis Je la Terre France, Victoire! Affaire Total Ouganda: 1a Cour de cassation recOIlllalt 1a competence du tribunal judiciaire, 1 5 .12.2021. 692 Loin° 2021-1729 du 22 decembre 2021 pour 1a confiance dans l'institutionjudiciaire, JORF n° 0298 du 23 decembre 202 1 . 693 Nach einem Vorschlag der Nationalversammlung sollten ein oder mehrere speziell bestimmte Tribunauxjudiciaire zuständig sein, während der Senat mit der Argumentation der Cour d'appel de Paris für eine Bündelung beim Tribunal de commerce ce Paris votierte. Eine Tabelle der entsprechenden Textversionen ist abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022). Zur Entstehung der loi de vi­ gilance siehe supra S. 45 ff. 694 Art. L. 21 1-21 COJ: "Le tribunal judiciaire de Paris connait des actions relatives au devoir de vigilance fondees sur les articles L. 225-102-4 et L. 225-102-5 du code de com­ merce." 695 So der Senat für eine Zuständigkeit des Tribunal de commerce de Paris, siehe Amen­ dement n° 7 rect. bis, abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022). 696 Siehe supra S. 170 f. 697 CanayerlBonnecarrere, Rapport n° 834 (2021-2022), 15.9.2021, abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022). 698 Ebd. . . .

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und zugunsten einer einheitlichen Beurteilung sei es schließlich vorzugswür­ dig, wenn schon ab der ersten Instanz und nicht erst in der Berufungsinstanz Berufsrichter über Fragen der lai de vigilance entscheiden. 699 Diese sinnvolle Neuerung hat eine entscheidende prozessuale Frage ge­ klärt. Ob in der Folge bald eine erste materielle Entscheidung zur lai de vigilance ergeht, darf mit Spannung erwartet werden. IV

Rechtsschutzinteresse von Vereinigungen und Gewerkschaften

Steht das zuständige Gericht fest, bedarf es für eine injonction zudem eines entsprechenden Rechtsschutzinteresses der Antragsteller (interl't a agir). Das ist keine Besonderheit, sondern folgt bereits aus den allgemeinen Zulässig­ keitsvoraussetzungen einer Klage: Gemäß Art. 3 1 Code de pracedure civile (CPC) steht eine Klage grundsätzlich all jenen offen, die ein berechtigtes Interesse an dem Zuspruch oder der Ablehnung einer Rechtsposition ha­ ben. 700 Darüber hinaus kann sich das Klagerecht (drait d'agir) aus dem Gesetz ergeben, wenn es eine Person explizit zur Verteidigung eines bestimmten In­ teresses qualifiziert. 701 Im Gesetzgebungsprozess der lai de vigilance wurde kontrovers diskutiert, ob auch Vereinigungen und Gewerkschaften ein Interesse an der Erfüllung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht zuzusprechen ist bzw. ob ihnen ein Klagerecht zukommen sol1. 702 Der letzte Gesetzentwurf von Februar 2015 sah ein spezielles Klagerecht für bestimmte Vereinigungen vor: "Toute association reeOIllme d'utilite publique, toute association agreee ou regulierement declaree depuis au moins cinq ans, dont l' objet statutaire eomporte 1a defense d'interets mentiOIllles au I, peut exercer cette action.mOl

Laut Gesetzesbegründung erfasst die Formulierung insbesondere NGOs mit entsprechendem Schutzzweck, wie Menschenrechts- oder Umweltschutzor­ ganisationen, sowie Gewerkschaften, die für Arbeitnehmerrechte eintre­ ten. 704 Dieses weit gefasste Klagerecht wurde teilweise kritisch gesehen: Die 6"" Mazars, Rapport n° 4146et4147,AN, 7.5.2021, abrufbar unter (letzter Abruf 1.2.2022). 700 Art. 31 CPC: "L'aetionest ouverte a tous ceux qui ont un interet legitime au sueees ou au rejet d'une pretention, sous reserve des eas dans 1esquels 1a loi attribue 1e droit d'agir aux seules personnes qu'elle qua1ifie pour elever ou eombattre une pretention, ou pour de­ fendre un interet determine." (Hervorh. dureh Verf). Vgl. dazu Cadiet/Jeuland, Droit judieiaire prive, 2020, Rn. 337ff.; ChainaislFerrandlMayer u. a., Proeedure civi1e, 2020, Rn. 1 8 1 ff. 701 Art. 31 HS. 2 CPC. Näher dazu Cadiet/Jeuland, Droit judiciaire prive, 2020, Rn. 348 ff. 7W Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S. 5 1 , 78. ,0; Art. L. 225-102-4 11. Abs. 3 C. COll. (PPL n° 2578). ,M PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S. 12.

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Kontrolle über die Einhaltung des Gesetzes werde privaten Interessen über­ tragen, die nicht zu Transparenz und Objektivität verpflichtet seien. 7C6 Die Vereinigungen drohten zu "privaten Staatsanwälten" zu werden. 706 Der gesonderte Absatz zum Klagerecht der Vereinigungen wurde alsbald gestrichen, doch aus anderen Gründen: Die allgemeine Formulierung, dass jeder mit interet a agir klagen könne, genüge bereits; eine Wiederholung durch die Hervorhebung bestimmter Vereinigungen werfe mehr Auslegungs­ fragen auf, als sie zu lösen. 707 Gemäß Art. 31 CPC steht die injonction folglich allen Vereinigungen offen, die ein berechtigtes Interesse daran nachweisen können. Nach der Rechtsprechung der Cour de cassation zur Verteidigung kollektiver Interessen ist das der Fall, wenn die mit der Klage verfolgten Interessen mit dem Zweck der Vereinigung übereinstimmen. 7oo Der Zweck muss hinreichend konkret sein. J(ß Auf dieser Linie liegt die Entscheidung des Berufungsgerichts in dem Ver­ fahren Total ( Uganda) . Das Gericht bestätigt das Rechtsschutzinteresse von NGOs, die erst im Stadium der Berufung und nur hinsichtlich der Frage der sachlichen Zuständigkeit auf Klägerseite hinzutraten. 710 Die NGOs machten zu Recht geltend, zur Überprüfung der Anwendung des Gesetzes berechtigt zu sein, an dessen Entstehen sie mitgewirkt hätten. 71 1 Ihre Beteiligung am Zustandekommen des Gesetzes entspreche ihrem Vereinigungszweck, die Menschenrechte zu verteidigen. 7 12 Die Ausübung des Kontrollrechts sei mit dem Zugang zu Gericht und der Frage der Zuständigkeit verknüpft, weshalb ein Rechtsschutzinteresse seitens der NGOs bestehe. 7 1 3 705 Stellungnahmen Houillon in: Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S.40. 700 Stellungnahme Houillon in: Polier, Rapport n° 2628, AN, 1 1 .3.2015, S. 5 1 . 707 Amendement n° 6 5 zu Text n° 2628, abrufbar unter Oetzter Abrnf 1.2.2022). 700 Cass.2" cis., 5.10.2006, n° 05-17.602, Bull . civ. 2006 11, n° 255, S. 238: "Attendu qu'une association peut agir en justice au nom d'interets collectifs des lors que ceux-ci entrent dans son objet social;"; Cass. 3" civ., 26.9.2007, n° 04-20.636, Bull. civ. 2oo7, 111, n° 155; dazu Cuzacq, D. 2020, 970, 975; Fabre-Magnan, Droit des obligations, 2019, Rn.480. 700 Civ. 3", 24.5.2018, n° 17-18.866, Bull. civ. 2018, 111, n° 53: ,,[L]'association [. . . ] avait, selon ses statuts, un objet general de proteetion de l'envirOIlllement, la cour d'appel en a souverainement deduit qu'elle ne pouvait se prevaloir d'uninteret a agir et que sa demande etait irrecevable." no CA Versailles, 10.12.2020, n° R.G. 20/01692, S. l l f. 7 11 CA Versailles, 10.12.2020, n° R.G. 20/01692, S. 12: "Les associations intervenantes volontaires auxquelles leurs statuts donnent un droit d'ester enjustice, revendiquent dans leurs conclusions un droit de regard sur l'application d'une loi qu'elles ont contribue a mettre en place [. . . ]. Cette contribution a l'elaboration de la loi apparait en outre coherente avec l' objet statutaire de chacune des intervenantes volontaires, a savoir aux termes de leurs statuts [. . .]." m CA Versailles, 10.12.2020, n° RG 20/01692, S. 12. m CA Versailles, 10.12.2020, n° RG 20/01692, S. 12.

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Im Ergebnis kann also jede Person ein injonction-Verfahren anstrengen, die ein hinreichend konkretes Interesse am Schutz der Menschenrechte, Grundfreiheiten, Gesundheit und Sicherheit der Menschen sowie Umwelt nachweisen kann. Das trifft auf Menschenrechts- und Umweltschutzorga­ nisationen mit entsprechendem Vereinigungszweck ebenso zu wie auf Arbeit­ nehmergewerkschaften und die von Risiken und künftigen Schäden Betrof­ fenen. 7 14

V. Rechts/olgen: Leistungsanordnung und Zwangsgeld Stellt das zuständige Gericht einen Sorgfaltspflichtverstoß der Gesellschaft fest, kann es unter Androhung eines Zwangsgeldes (astreinte) anordnen, dass diese ihren Pflichten aus der lai de vigilance nachkommen muss. Die Höhe des Zwangsgeldes liegt im Ermessen des Gerichts, wird aber eine erhebliche Schwelle überschreiten müssen, um bei der Gesellschaft Anreize zur Pflicht­ erfüllung schaffen und so zur Effektivität der injonction beitragen zu kön­ nen. 71 5

VI Ergebnis zur injonction Injonction und mise en demeure wurden in der Praxis bereits aktiviert. In den bisherigen Fällen nutzen vor allem NGOs die Möglichkeit, vermeintlich mangelhafte Umsetzungen der loi de vigilance an die Ö ffentlichkeit zu brin­ gen und gerichtlich prüfen zu lassen. Das Verfahren birgt gewissen Reputa­ tionsdruck und damit jedenfalls ein mittelbares finanzielles Risiko für die Unternehmen. Das Zwangsgeld kann - bei entsprechender Höhe - weitere Anreize zur Gesetzeskonformität schaffen. Die geringe Zahl von vier gericht­ lichen Verfahren seit Inkrafttreten, die über Fragen der Zuständigkeit nicht hinaus gekommen sind, lassen jedoch bezweifeln, dass es sich um ein scharfes Schwert zur Durchsetzung der Sorgfaltspflicht handelt. Die injonction dient zudem nur der Verhaltenssteuerung aufseiten der Gesellschaft, erlaubt aber keine Kompensation für Dritte. Ersatzansprüche können über die im Fol­ genden zu untersuchende Haftungsregel des Art. L. 225-1 02-5 C. com. gel­ tend gemacht werden.

7 14 Beau deLomenielCossart, RIC2017, 94,42, 46; BrabantlSavourey, RIC2017, COIllIll . 44, 21, 24; Danis-FatbmeIViney, D. 2017, 1610, 1617. 7 15 BrabantlSavourey, RIC 2017, COIllIll . 44, 21, 23; Savourey, in: European Commission (Hrsg.), Study on due diligence requirements through the supply chain, 2020, S. 56, 72.

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B. Deliktsrechtliche Haftung (responsabilite civile) Zentrale Neuerung der lai de vigilance und Kernbestandteil ihrer Durchset­ zungsmechanismen ist die Haftungsregel in Art. L. 225-1 02-5 C. com. Eine Verletzung der in Art. L. 225-1 02-4 I. C. com. normierten Pflichten kann unter den Voraussetzungen der Art. 1240, 1241 C. civ. zur Haftung der Ge­ sellschaft führen. Letztere muss den Schaden ersetzen, der durch die Erfül­ lung der Pflichten hätte verhindert werden können. 71 6 Die Untersuchung der Haftungslücken im ersten Teil der Arbeit hat ge­ zeigt, dass es bislang für eine Haftung von Mutter- und Auftraggebergesell­ schaften an einer Verhaltensnorm fehlte, deren Verstoß eine Jaute im Sinne der deliktsrechtlichen Generalklausel begründet. 71 7 Eine solche Verhaltens­ vorschrift existiert nun mit der devoir de vigilance. Ob dadurch die eingangs herausgearbeiteten Haftungslücken tatsächlich geschlossen werden, wird im Folgenden analysiert. Zunächst ist klarzustellen, dass die lai de vigilance eine Haftung der verpflichteten Gesellschaft für eigene faute einführt und keine Haftung für Dritte (1.). Da die Gesellschaft auf diesem Weg dennoch mittel­ bar für Rechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen werden kann, die Tochtergesellschaften oder Zulieferer begangen haben, schränkt die Haf­ tungsregelung das Rechtsträgerprinzip ein (11.). Eine mögliche Abfederung dieser Einschränkung ist im Rahmen der einzelnen Haftungsvoraussetzun­ gen denkbar (IH.).

1 Einführung einer Haftungfür eigenefaute Die Normenkontrollanträge zur verfassungsrechtlichen Prüfung der lai de vigilance hatten gerügt, dass das Gesetz entgegen dem Prinzip der persönli­ chen Haftung eine Haftung für Dritte (respansabilite du fait d'autrui)718 nämlich für Tochtergesellschaften und Zulieferer- einführe. 71 9 Auf den ersten Blick scheint das einleuchtend, da zumeist erst ein Ereignis bei der Tochter­ gesellschaft oder dem Zulieferer zur Verletzung Dritter führt, für die dann eine Haftung der Mutter- oder Auftraggebergesellschaft geprüft wird. Letz­ tere scheint im Fall einer Haftung für ein Fehlverhalten der Tochtergesell­ schaft oder des Zulieferers einstehen zu müssen.

7 16 Art. L. 225-102-5 Abs. 1 C. corn.: "Dans 1es conditions prevues aux articles 1240 et 1241 du code civil, 1e rnanquernent aux obligations definies a l'article L. 225-1024 du present code engage 1a responsabilite de son auteur et l' oblige a reparer 1e prejudice que 1'execution de ces obligations aurait perrnis d'eviter." m Siehe supra S. 30 ff. m Siehe zu deren Voraussetzungen supra S. 38 ff. 7 19 Siehe dazu und zur verfassungsrechtlichen Beurteilung durch den Verfassungsrat bereits supra S. 60ff. Vgl. ferner Frassa, Rapport n° 10, Senat, 5.10.2016, S. 19.

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Die Haftungsvorschrift der lai de vigilance setzt indes an anderer Stelle an: Das Gesetz erlegt der Mutter- bzw. Auftraggebergesellschaft in Art. L. 225-102-4 1. C. com. eine eigene Sorgfaltspflicht auf, die allerdings eine Kon­ trolle der Tätigkeiten von Tochtergesellschaften und Zulieferern mitum­ fasst. 720 Die Haftung der Gesellschaft erfordert gemäß Art. L. 225-1 02-5 Abs. I C. com. eine Verletzung dieser eigenen Sorgfaltspflicht ("manquement aux obligations definies a I'article L. 225-1 02-4 du present code"). Im Un­ terschied zum prolet Catala, das für Fälle wirtschaftlicher Abhängigkeit eine Haftung der kontrollierenden Partei für das Verhalten des wirtschaftlich ab­ hängigen Selbstständigen vorschlägt, hat der französische Gesetzgeber eine eigene Sorgfaltspflicht geschaffen, deren Verletzung zu einer laute i.S.v. Art. 1240 C. civ. führt. 721 Entsprechend konnte der Verfassungsrat nur fest­ stellen, dass es sich Gedenfalls formal) nicht um eine Haftung für das Ver­ halten Dritter handelt, und das verfassungsrechtliche Haftungsprinzip für eigene Jaute gewahrt ist. 722 II

Einschränkung des Rechtsträgerprinzips

Mit der Kombination aus einer rechtsträgerübergreifenden Sorgfaltspflicht und einer daran geknüpften Haftung gemäß Art. 1240, 1241 C. civ. überwin­ det die lai de vigilance das Rechtsträgerprinzip als bisherige Hürde der Men­ schenrechtsklagen.723 Wie zuvor gesehen,724 genügt für eine Ausdehnung der Sorgfaltspflicht auf die Tätigkeit von Tochtergesellschaften bereits die bloße Kontrollm äglichkeit der Muttergesellschaft, ohne dass diese tatsächlich da­ von Gebrauch machen muss.72S Die mit dieser weitreichenden Sorgfalts­ pflicht korrespondierende Haftung geht damit deutlich über die Reforment­ würfe Catala (2005) und Terre (20 1 1 ) hinaus (1.) und stellt einen Paradig­ menwechsel dar (2.). 720 Zur Reichweite der Sorgfaltspflicht in der Unternehmensgruppe und in Zulieferer­ Konstellationen siehe supra S. 85 ff. m Vgl. Art. 1360 Abs. 2 projet Catala. Siehe dazu supra S.41 ff. 122 c.e. Decision n° 2017-75 De, 23.3.2017, Rn. 27: "Les dispositions contestees n'in­ staurent done pas un regime de responsabilite du fait d'autrui, ainsi que cela ressort, au demeurant, des travaux parlementaires. Par suite, et en tout etat de cause, ces dispositions ne mecOIlllaissent pas 1e principe de responsabilite." 72J Polier, Rapport n° 2628, AN, S.78: "L'article 2 contourne cette difficulte par un mecanisme astucieux qui renvoie au droit commun de 1a responsabilite civile, fonde sur 1es articles 1382 et 1383 du code civi1 [= Art. 1240, 1241 n.F.]. "; zum Rechtsträgerprinzip siehe supra S. 32 ff. 724 Siehe supra S. 88 ff. 725 Auch im Verhältnis einer Auftraggebergesellschaft zu ihren Subunternehmern und Zulieferern drückt das Erfordernis der gefestigten Geschäftsbeziehung eine Einflussmög­ lichkeit aus, die zu einer Erstreckung der Überwachungspflicht auf deren Tätigkeit führt. Siehe supra S. 92 ff.

§ 2 Rechts/olgen der loi de vigilance

179

1. Reformentwürfe Catala und Temi: Haftung aufgrund tatsächlich ausgeübter Kontrolle Bei der in Art. 1 360 Abs. 2 prolet Catala vorgeschlagenen Erweiterung der Haftung für Dritte ist ebenfalls das Kriterium der Kontrolle maßgeblich. 726 Wer die Tätigkeit eines eigenständigen, aber dennoch abhängigen Rechts­ trägers kontrolliert, soll für von diesem verursachte Schäden haften. 727 Ein Beispiel ist insbesondere die Haftung von Muttergesellschaften für Schäden, die von ihren Tochtergesellschaften verursacht wurden. 728 Die Haftung wird neben der Kontrolle jedoch zudem an die Voraussetzung geknüpft, dass der Geschädigte einen Zusammenhang zwischen dem schadens begründenden Ereignis und der Ausübung der Kontrolle nachweisen kann (Art. 1 360 Abs. 2 S. I prolet Catala). Hinsichtlich des Kontrollbegriffs ist das prolet Catala aber ebenfalls weit, da es wirtschaftlichen Einfluss genügen lässt. 729 Das rührt daher, dass der Haftungstatbestand auch selbstständige Unternehmer er­ fasst, die nur in wirtschaftlicher Hinsicht vom Haftungspflichtigen abhängig sein können. 730 Nach dem Vorschlag des prolet Catala wäre also erforderlich, dass eine Muttergesellschaft ihre Tochtergesellschaft tatsächlich kontrolliert und in Zusammenhang mit dieser ausgeübten Kontrolle ein Schaden verursacht wird. Eine etwas andere Lösung präsentiert das projet Terre. Dort ist allein eine Haftung einer Muttergesellschaft für das Handeln ihrer Tochtergesellschaf­ ten bei rechtlicher Einflussnahme vorgesehen. 73 1 Doch diese erfordert ebenso, dass die Muttergesellschaft die Tochtergesellschaft tatsächlich kontrolliert und damit wesentlich zur Entstehung des primär von der Tochtergesellschaft verursachten Schadens beigetragen hat. 7J2 Die bloße Möglichkeit der recht­ lichen Einflussnahme würde mithin bei beiden Reformentwürfen nicht ge­ nügen, um eine Sorgfaltspflicht und eine damit korrespondierende Haftung zu begründen.

726 Siehe supra S.4l f. m Art. 1360 Abs. 2 S. 1 projet Catala: "De meme, est responsable celui qui contr6le l'activite economique ou patrimoniale d'un professioIlllel en situation de dependance, bien qu'agissant pour son propre compte, lorsque la victime etablit que le fait dommageable est en relation avec l'exercice du contr6le." m Art. 1360 Abs. 2 S . 2 projet Catala: ,,11 en est ainsi notamment des societes meres pour les dommages causes par leurs filiales [ ] T19 Siehe dazu supra S. 41 f. 7JO Art. 1360 Abs. l projet Catala, siehe supra S. 41 f. 7Jl Siehe supra S.42 f. 7J2 Siehe supra S.42 f. . . .

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2. Teil: Die loi n° 2017-399 vom 27. März 2017

2. Paradigmen wechsel zugunsten des Menschenrechtsschutzes Der im prolet Catala vorgeschlagene Haftungstatbestand bei tatsächlicher Einflussnahme einer Muttergesellschaft wurde angesichts seiner weitreichen­ den Konsequenzen als zu unbestimmt kritisiert. 733 Es mag deshalb überra­ schen, dass die Haftung für eine Verletzung der menschenrechtlichen Sorg­ faltspflicht noch weiter reicht. Aufgrund der Ausgestaltung als Haftung für eigene/aute führt sie zwar formal nicht zu einer Verletzung des gesellschafts­ rechtlichen Trennungsprinzips und des daraus folgenden Rechtsträgerprin­ zips. 734 Es lässt sich aber nicht verhehlen, dass der französische Gesetzgeber das Rechtsträgerprinzip durch diese Konstruktion dennoch einschränkt. 735 Das bedeutet in zweierlei Hinsicht eine Abkehr von den bislang anerkann­ ten Begründungen für eine Durchbrechung des Rechtsträgerprinzips, die hier noch einmal in Erinnerung gerufen werden sollen: 736 Zum einen waren bislang Ausnahmen vom Rechtsträgerprinzip lediglich in besonderen Rechtsbereichen, beispielsweise im Insolvenz-, Arbeits- oder Umweltrecht, vorgesehen. 737 Zum anderen war eine Durchbrechung stets an eine tatsäch­ liche Einmischung der Muttergesellschaft in die Geschäftsführung der Toch­ tergesellschaft geknüpft, die über das zwischen Mutter- und Tochtergesell­ schaften übliche Maß an Kontrolle und Koordination hinausgeht. Beispiele sind die von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsscheinhaftungen nach der theorie de l'apparence oder wegen immixtion caractt?risee dans la gestion.7Ji Demselben Muster folgt die umweltrechtliche Haftung einer Mut­ tergesellschaft gemäß Art. L. 5 1 2-17 C. envir.: Die Muttergesellschaft haftet subsidiär für die Kosten der Instandsetzung des von einer Tochtergesellschaft genutzen Geländes, wenn sie durch einen spezifischen Pflichtverstoß (faute caracterisee) zu der Insolvenz der Tochtergesellschaft beigetragen hat, die eine Instandsetzung des Geländes durch die Tochtergesellschaft selbst er­ schwert oder verhindert. 739 7JJ Vgl. Stoffel-Munck, in: FerrierlPelissier (Hrsg.), L'entreprise face aux evolutions de 1a responsabilite civile, 2012, S.43, Rn. 18. H ol Grabosch, Unternehmen und Menschemechte, 2019, S. 35. 7J5 Favereau, RDT 2015, 446, 448: "une breche historique dans 1e principe d'autonomie des perSOIllles morales"; Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungenim Konzern, 2018, S. 319; Poracchia, in: Urbain-Parleani/ConadBarbieri u. a. (Hrsg.), Regards sur l'evo1ution du droit des societes depuis 1a loi du 24 juil1et 1966, 2018, S. 253, 262: ,,11 s'agit alors d'exiger de 1a societe mere qu'elle s'immisce veritab1ement dans 1a gestion de 1a filiale, et non plus seulement qu'elle exerce son autorite dans 1e cadre de 1a politique de groupe."; rechtsvergleichend AsmussenlWagner, ZEuP 2020, 979, 992m.w.N. 736 Siehe supra S. 34ff. Vgl. auch Nordhues, Haftung für Menschemechtsverletzungen im Konzern, 2018, S. 296f. m Siehe supra S. 35 ff. m Siehe supra S. 35. 739 Siehe supra S. 37.

§ 2 Rechtsfolgen der loi de vigilance

181

Zwar könnte man argumentieren, dass die lai de vigilance mit dem Schutz der Menschenrechte und Umwelt ebenfalls einen speziellen und besonders schutzbedürftigen Bereich regelt, der eine Ausnahme vom Rechtsträgerprin­ zip rechtfertigt. 740 Dennoch stellt die Einführung der devoir de vigi/ance mit ihrer ausgedehnten Reichweite losgelöst von einer tatsächlichen Einmi­ schung der Muttergesellschaft einen Paradigmenwechsel dar, der auch in Frankreich nicht uneingeschränkt Zustimmung fand, wie folgendes Zitat veranschaulicht: "Que penser d'une telle evolution? Au-dela des risques irumediats evidents qui naitront pour les societes meres soumises a une telle reglementation et des strategies d'expatriation qui pourraient en resulter, il faut remarquer que ces evolutions reglementaires pourraient conduire demain a saisir le groupe non plus seulement dans sa structure informelle de familie de societes, mais plus avant dans sa substance meme, c'est-a-dire a travers son activite, ce qui pourrait mener a une dilution du risque entrepreneurial au sein meme du groUpe. BT-Drucks. 19!28649 v. 19.4.2021, S. 54. 1 02 Lutz-BachmannIVorbecklWengenroth, BB 2021, 906, 9 1 1 . Paradigmatisch ist die Klage gegen das deutsche Textilunternehmen KiK vor dem LG Dortmund (Urt. v. 10.1 .2019 Az 7 0 95115, IPRax 2019, 317) und dem OLG Hamm (BeschI. v. 21.5.2019 - 1-9 U 44119, NJW 2019, 3527). Opfer und Hinterbliebene eines Fabrikbrandes in Pakis­ tan hatten mit Hilfe von NGOs auf Grundlage pakistanischen Rechts Schmerzensgeld verlangt. Die Klage scheiterte im Ergebnis aufgrund von Verjährung. 103 Siehe näher dazu Lutz-BachmannIVorbecklWengenroth, BB 2021, 906, 912f. 104 Vgl. u. a. v. Falkenhausen, Menschemechtsschutz durch Deliktsrecht, 2020, S. 196ff.; FleischerlKorch, DB 2019, 1944ff.; Görgen, Unternehmerische Haftung, 2019, S. 1 39ff.; Habersack!Zickgraf, ZHR 182 (2018), 252, 279ff.; Haider, Haftung für Men­ schemechtsverletzungen, 2019, S. 360 ff.; Hübner, Unternehmenshaftung für Menschen­ rechtsverletzungen, 2022, S. I77 ff., 421 ff.; König, AcP 217 (2017), 6 1 1 ff.; Weller!Kaller! Schulz, AcP 216 (2016), 387, 400 ff.; Weller!Thomale, ZGR 2017, 509, 520ff. I � BMAS!BMZ, Eckpunkte Sorgfaltspllichtengesetz, 2020 (Einführung, Fn. 68), S. 3 ff.; Hübner, NZG 2020, 141 1 , 1416. 106 § 1 1 Abs. 1 LkSG: ,,(1) Wer geltend macht, in einer überragend wichtigen Rechts­ position aus § 2 Absatz 1 verletzt zu sein, karm zur gerichtlichen Geltendmachung seiner Rechte einer inländischen Gewerkschaft oder Nichtregierungsorganisation die Ermäch­ tigung zur Prozessführung erteilen."; näher dazu Wagner, ZIP 2021, 1095, 1 10 1 . 101 BT-Drucks. 19128649 v. 19.4.2021, S. 52f.; Lutz-BachmannlVorbeckIWengenroth, BB 2021, 906, 913. 100 Beckers, ZfPW 2021, 220, 249; Kieninger, ZfPW 2021, 252, 254; Kieninger, RIW 2021, 331, 336; gegen den Schutzgesetzcharakter Wagner, ZIP 2021, 1095, 1 102 f. -

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4. Teil: Implikationen der loi Je vigilanceJür Deutschland und Europa

fehlende kollisionsrechtliche Absicherung über eine Eingriffsnorm führten allerdings aufgrund der befürchteten Rechtsunsicherheit zu Kritik in den Beratungen. 1 m Mit der geänderten Fassung des LkSG bringt der Gesetzgeber nun Klarheit, allerdings nicht mit dem von Befürwortern einer Haftung ge­ wünschten Ergebnis. Eine "Verletzung der Pflichten aus diesem Gesetz" be­ gründet gemäß § 3 Abs. 3 S. I LkSG keine zivilrechtliehe Haftung. 110 Dieser Ausschluss blockiert jedenfalls eine Auslegung als Schutzgesetz i.S. v. § 823 Abs. 2 BGB. lll Nach§ 3 Abs. 3 S. 2 LkSG bleibt eine "unabhängig von diesem Gesetz begründete Haftung" allerdings unberührt. Eine Haftung gemäß § 823 Abs. I BGB ist folglich nicht gesperrt. 112 Denkbar wäre, dass das LkSG im Rahmen der Verkehrspflichtendogmatik des § 823 Abs. I BGB gewisse "Fernwirkungen" entfaltet. l 1 3 Man könnte argumentieren, dass sich ange­ sichts der Verabschiedung des LkSG auch die allgemeine Verkehrserwartung an die Unternehmen gewandelt hat oder künftig wandeln wird. 114 Lehnt man dies ab, entfällt die verhaltenssteuernde Wirkung zivilrechtlicher Haftungs­ risiken und es bleibt beim reinen public enforcement.115 Das könnte sich je­ doch ändern, wenn der europäische Gesetzgeber in einer künftigen Richtlinie eine zivilrechtliche Haftung verankert. 11 6

100 Initiative LieJerkettengesetz, Rechtliche Stellungnahme zum Regierungsentwurf "Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspllichtenin Lieferketten", 19.3.2021, S. 19 f.; Kieninger, RIW 2021, 331, 336. 110 § 3 Abs. 3 LkSG: "Eine Verletzung der Pllichten aus diesem Gesetz begründet keine zivilrechtliche Haftung. Eine unabhängig von diesem Gesetz begründete zivilrechtliche Haftung bleibt unberührt."; kritisch etwa v. Westphalen, ZIP 2021, 435; befürwortend hingegen Keilmann!Schmidt, WM 2021, 717 ff. ' u BT-Drucks. 19/30505, S. 38; RühllKnauer, JZ 2022, 105, 108; Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 94f.; Wagner, in: FS Singer, 2021, S. 693, 707. 112 Weller!Nasse, in: FS Ebke, 2021, S. 1071, 1076; so dem Grunde nach auch Wagner, in: FS Singer, 2021, S. 693, 707. I lJ Gegeneine Ausstrahlungswirkung des LkSG auf deliktsrechtliche Verkehrspllichten Spindler, ZHR 186 (2022), 67, 95 ff. 114 So wohl auch Koch, MDR 2022, 1, 4; aA. mangels Individualschutzrichtung des LkSG Wagner, in: FS Singer, 2021, S. 693, 707 ff. & sei aber eine Fortentwicklung der allgemeinen Haftungsgrundsätze aus dem Deliktsrecht selbst denkbar, ebd.; ebenso Eh­ mann, ZVertriebsR 2021, 205, 206; RühllKnauer, JZ 2022, 105, 109. 115 Krebs, Immerhin ein Kompromiss, 21.2.2021; Wagner, ZIP 2021, 1095 ff.; besonders prägnant Wagner, in: FS Singer, 2021, S. 693, 7 1 1 : " Ein private enJorcement des Lieferket­ tensorgfaltspllichtengesetzes findet nicht statt." 116 Kieninger, RIW 2021, 331, 337 f.; Weller!Hübner!Nasse, Audit Committee Quarterly I1/2021, 34, 36; siehe infra S.298ff.

§ 1 Vergleich mit dem deutschen Lieferkettengesetz (LkSG)

295

111 Zwischenergebnis: Kompromiss statt smart mix in beiden Regelungen Der wesentliche Unterschied zwischen lai de vigilance und LkSG liegt folglich in der Durchsetzung der Sorgfaltspflichten. ll7 Die lai de vigilance wird man­ gels behördlicher Kontrolle dezentral und im Wege zivilrechtlicher Mecha­ nismen kontrolliert. Bislang dominieren hier injonction- Verfahren von NGOS. 11 8 Das französische Gesetz zeichnet sich damit durch eine dezentrale Rechtsdurchsetzung im Wege des private enforcement aus. Demgegenüber fehlen dem Lieferkettengesetz zivilrechtliehe Instrumente. Stattdessen wird die Einhaltung der Sorgfaltspflichten staatlich, d. h. verwaltungsrechtlich kontrolliert und sanktioniert. Das deutsche LkSG basiert also auf einer zen­ tralen Rechtsdurchsetzung im Wege des public enforcement.119 Gemeinsam ist den Regelungen, dass beide von den Vorgaben der UNGP abweichen: Nach der dritten Säule der UNGP müssen Staaten als Teil ihrer Schutzpflicht durch gerichtliche, administrative, gesetzgeberische oder an­ dere geeignete Mittel dafür Sorge tragen, dass Betroffene von Menschen­ rechtsverletzungen Zugang zu Abhilfe haben. 120 Die UNGP geben keine spe­ zifischen Maßnahmen vor, weshalb unterschiedliche Umsetzungen durch die nationalen Rechtsordnungen zu erwarten sind. Nichtsdestotrotz gehen sie von einem umfassenden System der Abhilfe aus, das weder allein auf gericht­ liche Mechanismen - wie in Frankreich - noch auf bloße administrative Mittel - wie in Deutschland - beschränkt ist. 12 1 Die verschiedenen Kompo­ nenten sollen sich vielmehr im Sinne eines smart mix gegenseitig ergänzen, da weder das eine noch das andere System allein genügend belastbar ist. 122 Ziel der Abhilfemaßnahmen soll sein, "etwaigen entstandenen menschenrechtli­ chen Schäden entgegenzuwirken beziehungsweise sie wiedergutzuma­ chen. " 12J Für die präventive Ausrichtung mag der behördliche Vollzug des LkSG gegenüber dem gerichtlichen injanctian-Verfahren der lai de vigilance vorteilhaft sein, da die Verwaltung die Erfüllung der Sorgfaltspflichten von Amts wegen kontrollieren kann. 124 Umgekehrt wirken Sanktionen wie Geld­ bußen oder ein Vergabeausschluss nur verhaltenssteuernd, bieten hingegen 117 Ebenso Wagner, ZIP 2021, 1095, 1098. 118 Siehe supra S. 162ff. 119 Für einen Vergleich der jeweiligen Vor- und Nachteile von private und public law enforcement siehe Kern, ZZPInt 12 (2007), 351 ff. GO Vg!. UNGP 25 ff. 12l UNGP 27: "Staaten sollten als Teil eines umfassenden, staatlich getragenen Systems der Abhilfe bei mit Unternehmen zusammenhängenden Menschemechtsverletzungen ne­ ben gerichtlichen Mehanismen wirksame und geeignete außergerichtliche Beschwerde­ mechanismen bereitstellen." 12l UNGP 27, Kommentar. l2J UNGP 25, Kommentar. 124 Krebs, Immerhin ein Kompromiss, 21 .2.2021 .

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4. Teil: Implikationen der loi Je vigilancefür Deutschland und Europa

keinen Schadensausgleich für Betroffene. Den UNGP entspräche also viel­ mehr ein enfarcement mix12S, etwa in Form einer Kombination beider Rege­ lungen. Bei aller Kritik ist zu berücksichtigen, dass die Entscheidung des franzö­ sischen Gesetzgebers für ein reines private enfarcement der Menschenrechte und des Umweltschutzes eine Folge der kontroversen Debatte im Gesetzge­ bungsverfahren war. 126 Anfangs war ein den UNGP entsprechendes System aus zivilrechtlicher Haftung, Bußgeldtatbeständen und strafrechtlicher Sanktion vorgesehenY7 Auf die gleiche Weise fiel in Deutschland der ur­ sprünglich geplante Durchsetzungskanon einem politischen Kompromiss zum Opfer. In dieser Hinsicht ähneln sich die Regelungen also erneut, auch wenn der Kompromiss jeweils zu unterschiedlichen Ergebnissen geführt hat. C.

Ergebnis: Lai de vigilance als Vorbild mit rechtspolitischem Signalcharakter

Der Vergleich von lai de vigilance und LkSG erlaubt kein eindeutiges Urteil über die Vorbildeigenschaft des französischen Gesetzes für Deutschland. Die Regelungen weisen zwar große Schnittmengen auf. Diese sind jedoch vor allem auf ihren gemeinsamen Ursprung in den UNGP zurückzuführen. Das gilt insbesondere für den Inhalt der Sorgfaltspflicht, der beim LkSG sogar stärker den UNGP nachempfunden ist als bei der lai de vigilance.l23 Eine (negative) Vorbildfunktion der französischen Vorschriften könnte man vielmehr den Regelungselementen entnehmen, bei denen lai de vigilance und LkSG nicht übereinstimmen. So scheint es, als habe die Kritik am engen persönlichen Anwendungsbereich und an der Unbestimmtheit des Tatbe­ standes im LkSG Berücksichtigung gefunden. Das Gesetz hat von Beginn an einen größeren Anwendungsbereich und sieht bereits eine künftige Erweite­ rung vor, wie sie für die lai de vigilance gefordert und empfohlen wird. 1 29 Obwohl beim LkSG ebenfalls Bedenken bezüglich der Bestimmtheit des Tat­ bestandes geäußert werden, 1 3 0 zeichnet sich das deutsche Gesetz gegenüber seinem französischen Pendant durch ausführlichere und klarere Vorschriften aus. Anstelle einer Anleihe bei bereits bekannten Rechtsfiguren aus dem 125 Krebs, Immerhin ein Kompromiss, 21 .2.2021 . 126 Ähnlich Rühl, in: FS Windbichler, 2020, S. 1413, 1431. 127 Siehe supra S. 50 ff. m Aufgrund dieses gemeinsamen Ursprungs und der engen Orientierung an den UNGP stellt die loi de vigilance wohl keinen legal transplant dar. Zum Begriff und legal transplants im deutschen Aktiemecht siehe Fleischer, NZG 2004, 1 129 ff. m Siehe supra S. 82 ff. 1 30 Vgl. insbesondere die Stellungnahme zum Regierungsentwurf des DAV, abgedruckt in NZG 2021, 546ff.; Lutz-BachmannIVorbeckIWengenroth, BB 2021, 906, 907 ff.

§ 1 Vergleich mit dem deutschen Lieferkettengesetz (LkSG)

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nationalen Recht werden für die Zwecke des Gesetzes neue Begriffe definiert. Dafür könnte die Entscheidung des Conseil constitutionnel131 ein Warnsignal gegeben haben. Der Ansatz des LkSG entspricht aber auch dem generellen Bestreben im deutschen Recht nach Bestimmtheit. Ein plastisches Beispiel für diesen rechtskulturellen Unterschied 1 32 zwischen deutschem und französischem Recht ist das Deliktsrecht: Den drei kleinen Generalklauseln des deutschen Deliktsrechts steht die große deliktsrechtliche Generalklausel des französi­ schen Rechts gegenüber, die durch eine umfangreiche Rechtsprechung aus­ gefüllt wurde. 1 33 Ähnliche Unterschiede in der Lösung eines gemeinsamen Sachproblems zeigen sich vorliegend bei der Umsetzung der UNGP in nati­ onales Recht. Trotz dieser Pfadabhängigkeiten ist der lai de vigilance eine Vorbildfunk­ tion für Deutschland zuzusprechen: Im Kollisionsrecht ist das Gesetz ein Beispiel dafür, dass eine nationale Haftungsregel, die nicht eindeutig als Ein­ griffsnorm i.S.v. Art. 1 6 Rom II-VO ausgestaltet ist, Rechtsunsicherheit er­ zeugt und keine Wirkung entfalten kann. Diese Erkenntnis fand Eingang in die deutschen Gesetzgebungsüberlegungen: Wäre die Haftung nicht aus po­ litischen Gründen entfallen, wäre sie nach den Eckpunkten von BMAS und BMZ als Eingriffsnorm konzipiert worden. l� Unabhängig von der Frage, ob die lai de vigilance hinsichtlich einzelner Elemente eines Lieferkettengesetzes als rechtsvergleichende Folie dienen kann, kommt ihr ein erheblicher rechtspolitischer Signalcharakter zu. 1 35 An­ gesichts der im zweiten Teil der Arbeit aufgezeigten Schwächen des Gesetzes mag man das Tätigwerden des französischen Gesetzgebers für vorschnell erachten. 1 36 Als erste sektorübergreifende und rechtsverbindliche Regelung gibt sie gleichwohl wichtige Impulse für die Umsetzung der UNGP auf na­ tionaler Ebene. Nicht zuletzt in der deutschen Diskussion wirft man häufig einen Blick zum Nachbarland und zieht die "Pionier arbeit" des französi­ schen Gesetzgebers u. a. als Argument für legislative Neuerungen heran. 1 37 Teilweise wurde dem deutschen Gesetzgeber von einer nationalen Rege­ lung im Stile der lai de vigilance abgeraten, da eine solche wenig wirkungsvoll

1 3 1 Siehe supra S. 54 ff. 1 32 Zur Differenzforschung als moderne Strömung der Rechtsvergleichung Jayme, Ra­ belsZ 67 (2003), 2 1 1 , 219f.; Jayme, Rechtsvergleichung und kulturelle Identität, 2012, S. 1 2 ff. 1 33 Vgl. WellerlNasselSchlürmann, in: Ca1mes-Brunet (Rrsg.), Le Traite de l'E1ysee, 2014, S. 53, 57 f. m.w.N. sowie supra S. 28 ff., 43 f., 181 ff. '" BMASIBMZ, Eckpunkte Sorgfaltspllichtengesetz, 2020 ( 1 . Teil, Fn. 68), S.4. 1 35 Siehe bereits Nasse, ZEuP 2019, 773, 800. 1 36 Barsan, ECFR 2017, 399, 434; FleischerlDanninger, DB 2017, 2849, 2856f. l J7 Beispielsweise BT-Drucks. 19/28649 v. 19.4.2021, S. 24, siehe supra S. 15 f.

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4. Teil: Implikationen der loi Je vigilancefür Deutschland und Europa

sei und Wettbewerbsnachteile für inländische Unternehmen zur Folge hätte. 1 3 8 Vorzugswürdig sei eine Regelung auf internationaler, wenigstens eu­ ropäischer Ebene. !39 Ein level playing field zwischen den europäischen Mit­ gliedstaaten sollte ohne Zweifel das nächste Ziel sein. Das französische Ge­ setz belegt aber, dass auch auf nationaler Ebene Regelungen realisierbar sind. Ohne den Alleingang des französischen Gesetzgebers vor mehr als vier Jahren stünde die Diskussion um die Verantwortung von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen nicht an ihrem heutigen Punkt. Insofern hat der französische Gesetzgeber mit der lai de vigilance durchaus die gewünschte Wirkung erzielt, ein Vorbild für andere Rechtsordnungen zu schaffen.

§ 2 Ausblick - Impulse für ein europäisches Lieferkettengesetz Die Absichten des französischen Gesetzgebers gehen jedoch über eine Vor­ bildfunktion für Reformen auf nationaler Ebene noch hinaus. Ziel ist es außerdem, ein Vorbild für europäische Richtlinien zu sein. 140 Der folgende Ausblick wechselt daher die Perspektive und beleuchtet abschließend, welche Entwicklungen sich derzeit im europäischen Recht abzeichnen.

A. Status qua: Berichtspjlichten und sektorspezifische Verordnungen Wie eingangs aufgezeigt, 141 ist die Menschenrechtsverantwortung von Un­ ternehmen im europäischen Recht mit der CSR-RL, Holzhandels-VO und Konfliktmineralien-VO derzeit auf Berichtspflichten und sektorspezifische Regelungen beschränkt. "2 Doch auch auf europäischer Ebene gibt es bereits seit einigen Jahren Bestrebungen für sektorübergreifende, verbindliche Sorg­ faltspflichten zum Schutz der Menschenrechte."3 Auf Anstoß der französi­ schen Abgeordneten Aurai, die federführend am Entstehungsprozess der lai de vigilance beteiligt war, ! 44 forderten 201 6 acht nationale Parlamente die Europäische Kommission im Wege einer sog. Green Card-Initiative auf, eine Rechenschaftspflicht von Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen 1 38 Rühl, in: FS Windbichler, 2020, S. 1413, 1431 f.; Rühl, ZRP 2021, 66f.; Wagner, RabelsZ 80 (2016), 717, 781. m Rühl, in: FS Windbichler, 2020, S. 1413, 1432; Rühl, ZRP2021, 66f.; Schmidt, EuZW 2021, 273, 274. 140 PPL n° 2578, 1 1 .2.2015, S. 13: ,,[. . . ] 1a France adopte une position pionniere qui a vocation a etre suivie par 1es pays membres de l'Union, notamment par l'adoption de directives europeeIllles."; siehe supra S. 1 1 ff., 1 5 f. 141 Siehe supra S. 7 ff. 141 B. Lecourt, Revue des societes 2020, 315, 316. 143 Rühl, in: FS Windbichler, 2020, S. 1413, 1432f. m.w.N. 144 Zur Entstehungsgeschichte der loi de vigilance siehe supra S. 45 ff.

§ 2 Ausblick - Impulsefür ein europäisches Lieferkettengesetz

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gesetzlich zu verankern. 14s Unterstützt wurde diese Initiative später durch Entschließungen des Europäischen Parlaments und einen Schattenaktions­ plan zur Umsetzung der UNGP. ! 46 Zum Ausloten der Regelungsoptionen hat die Europäische Kommission eine Studie über Sorgfaltspflichten in der Lie­ ferkette in Auftrag gegeben. 147 Im Anschluss leitete sie eine Konsultation ein, deren Ergebnisse in einen Gesetzgebungsvorschlag der Kommission einflie­ ßen sollen. 148 Eine europäische Regelung ist daher keinesfalls mehr nur Zu­ kunftsmusik, sondern ist in greifbare Nähe gerückt.

B. Empfehlung des Europäischen Parlamentsfür eine Richtlinie über

die Sorgfaltspjlicht und Rechenschaftspjlicht von Unternehmen Wenige Tage nach dem Kabinettsbeschluss über den Regierungsentwurf für ein deutsches Lieferkettengesetz im März 2021 verabschiedete das Europä­ ische Parlament eine Empfehlung für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen. !49 Mit der Entschließung for­ dert das Parlament die Europäische Kommission dazu auf, "unverzüglich einen Legislativvorschlag über eine verbindliche Sorgfaltspflicht in der Lie­ ferkette vorzulegen" und unterbreitet einen konkreten Textvorschlag für eine solche Richtlinie. ISO Ein offizieller Entwurf der Kommission, der diese Emp­ fehlungen aufgreifen könnte, ist nach mehreren Verzögerungen für den 23. Februar 2022 angekündigt. !5! 145 Siehe (letzter Abruf 1 .2.2022). 146 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25. Oktober 20l6 zur Verantwort­ lichkeit von Unternehmen für schwere Menschemechtsverletzungen in Drittstaaten (20l5/23l 5(lNl)), P8_TA(2016)0405; Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. September 2017 zu den Auswirkungen des internationalen Handels und der Handels­ politik der EU auf globale Wertschöpfungsketten (20l6/230l(lNl)), P8_TA(20l7)0330; Responsible Business Working Group of the European Parliament, Shadow EU Action Plan on the Implementation of the UN Guiding Principles on Business and Human Rights within the EU, abrufbar unter (letzter Abruf 1 .2.2022). 147 European Commission (Hrsg.), Study on due diligence requirements through the supply chain, final report, Januar 2020; siehe dazu B. Lecourt, Revue des societes 2020, 315 ff.; Stöbener Je Mora, EuZW 2020, 2 1 1 f. 148 Siehe Oetzter Abruf 1.2.2022). 149 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 10. März 2021 mit Empfehlungen an die Kommission zur Sorgfaltspflicht und Rechenschaftspflicht von Unternehmen (2020/2l29(INL)), P9_TA(202l)0073 (im Folgenden: RL-Vorschlag). 1 50 Ebd., AA. Nr. 32; siehe im Überblick Kieninger, RIW 2021, 331, 337 f.; B. Lecourt, Revue des societes 2021, 335 ff. 1 51 Siehe (letzter Abruf 8.2.2022).

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4. Teil: Implikationen der loi Je vigilancefür Deutschland und Europa

1 Ziele einer Harmonisierung aufEU-Ebene Wie der Vergleich von lai de vigi/ance und LkSG veranschaulicht, 1 52 haben nationale Vorstöße das Potenzial, zu legislativem Tätigwerden auf nationaler wie europäischer Ebene anzuregen. Insbesondere beim Anwendungsbereich und bei der Durchsetzung der beiden Gesetze hat sich aber auch gezeigt, dass die nationalen Umsetzungen in der Ausgestaltung teilweise stark divergieren können. Ziel der Einführung verbindlicher Sorgfaltspflichten auf europäi­ scher Ebene ist es deshalb, durch eine Harmonisierung Handelshemmnisse zu verhindern, die sich aus der unterschiedlichen Entwicklung nationaler Gesetze ergeben, sowie gleiche Wettbewerbsbedingungen und damit Rechts­ sicherheit herzustellen. 153 Wohl eher optimistisch betrachtet, soll ein euro­ päischer Standard für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln fer­ ner zum Entstehen eines weltweit gültigen Standards beitragen. 154 Vor dem Hintergrund dieser Ziele überrascht die Wahl einer Richtlinie. 1 55 Ein höherer Grad der Harmonisierung und ein echtes levelplayingfieldließen sich mit einer europäischen Verordnung erreichen, die gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbare Geltung in jedem Mitgliedstaat beansprucht. Doch auch eine Richtlinie kann vollharmonisierend ausgestaltet sein und sie ver­ pflichtet diejenigen Mitgliedstaaten dazu, verbindliche Vorgaben einzufüh­ ren, die - anders als Frankreich und Deutschland - bislang keine gesetzliche Umsetzung der UNGP anstreben. Zugleich bleibt den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV die Wahl der Form und Mittel überlassen, was insbesondere hinsichtlich Haftung und Sanktionen sicherstellt, dass die neuen Vorschriften sich in das jeweilige na­ tionale Recht einfügen. Dies steigert die Aussicht des Gesetzgebungsvor­ schlags auf Zustimmung der Mitgliedstaaten. Insofern ist die Wahl einer Richtlinie plausibelY 6

1 52 Siehe supra S. 275 ff. 1 53 Erwgr. 10 und 1 1 RL-Vorschlag; vgl. B. Lecourt, Revue des societes 2020, 315, 317; Rühl, in: FS Windbichler, 2020, S. 1413, 1431 ff. 1 54 Erwgr. 1 3 RL-Vorschlag. 1 55 Vgl. Brunk, A step in the right direction, but nothing more - A critica1 note on the Draft Directive on mandatory Human Rights Due Diligence, 26.10.2020, der bei dem RL­ Vorschlag mit divergierenden Sorgfaltsanforderungen reclmet, was die Umsetzung für die Unternehmen erschweren kÖIllle, sofern nicht eindeutig feststehe, welchen Maßstab sie erfüllen müssen. Zu den Vorteilen einer Verordnung siehe ferner RühllKnauer, JZ 2022, 105, 1 14. 1 5