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German Pages 108 [120] Year 1939
F R I T Z HELLMANN / LIVIUS-INTERPRETATIONEN
LIVI USINTERPRETATIONEN VON
FRITZ HELLMANN
WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G.J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG —J.GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J. TRÜBNER — VEIT & COMP.
BERLIN 1939
Archiv-Nr. 334439 Druck von Walter de Gruyter Sc Co., Berlin W 35 Printed in Germany
ELISABETH ZU
EIGEN
Inhaltsübersicht Einleitung I. Zusammenstellung der kritischen Äußerungen des Livius
i—7 . . .
8—22
A. a — f Wendungen, mit denen die Entscheidung offen gelassen wird
8—13
B. a—c Wendungen, mit denen eine Entscheidung getroffen wird, geordnet nach dem Grade der Sicherheit
13—16
C. a—e Stellen, an denen eine Entscheidung nach dem verisimile getroffen wird
16—ig
Zusammenfassung
19—22
II. Die Aufgabe des livianischen Werkes in der geistigen Situation seiner Zeit; Anwendung dieser Überlegungen bei der Behandlung der Form der persönlichen Äußerungen des Livius, soweit dadurch eine Einflußnahme auf den Leser erreicht werden soll
23—31
III. Kurze Interpretation einiger kritischer Bemerkungen zur Gewinnung bestimmter Züge der kritischen Haltung des Livius
. . .
32—40
6. 12. 2ff. ~ 6. 20. 4
32—35
8. 18. 1 ff. ~ 8. 26. 6
36—40
IV. Umfassendere Interpretation einiger kritischer Äußerungen zur Gewinnung typischer Züge der Darstellungsweise und der hinter der Darstellung stehenden geistigen Haltung und erzieherischen Absichten
41—58
1. 4. 49. 10: Beispiel dafür, wie populäre und optimatische Tendenzen der Quellen einer Darstellung dienstbar gemacht werden, deren Verfasser einen über den Parteien stehenden, von den Tendenzen der augusteischen Zeit beeinflußten, Standpunkt einnimmt
41—46
2. 3- 7°- 14-15: Darlegung der Art und Weise, wie das f ü r das ganze 4. Buch bestimmende moderatio-Motiv gegen Ende des 3. Buches herausgearbeitet wird; Hinweise auf die Übereinstimmung dieser Gedanken mit Tendenzen und Vorgängen der augusteischen Zeit
46—55
3. 3. 71-72: Scaptius-Episode: nochmalige Zusammenfassung der entwickelten Motive
55—58
V. Die Darstellung des 4. Buches ist durch die gegen Ende des 3. Buches herausgearbeiteten Motive bestimmt
59—81
Synkritische Interpretation entsprechender Teile des 4. und des 2. Buches zum Erweis der veränderten 'Atmosphäre' der Darstellung sowohl des populus wie der nobiles in ihrer Gesamtheit. Sie wird dadurch hervorgerufen, d a ß der Blick des Verfassers im 4. Buche vornehmlich darauf eingestellt ist, in den überlieferten Geschehnissen moderatio-Motive zu erkennen
59—79
Zusammenfassung
79—81
VI. Synkritische Interpretation von Livius 36. 27-29 und Polybios 20.9-10 (Phaeneas-Episode) als Beispiel dafür, daß die Abweichungen unter Berücksichtigung der selbständigen Leistung des Augusteers und Römers Livius f ü r die Erkenntnis der Leitlinien seines Werkes und für die Gewinnung der seine Haltung und seine Darstellung bestimmenden Denk-, Wertungs- und Vorstellungselemente auszuwerten sind
82—97
Ausblick auf die großräumige Disposition und motivische Konzentration der livianischen Darstellung durch Einordnung des in der Phaeneas-Episode auftretenden dementia-Motivs in den Darstellungszusammenhang des 36. Buches
97—105
Stellenverzeichnis
106
Stichwortnachweise
107
Einleitung Als Livius mit der Abfassung seines Werkes begann, befand er sich einer umfangreichen Masse vorgeformten Materials gegenüber. J e nach dem Geist und den bewegenden Gedanken der Zeit und den Zielen und Absichten der Verfasser hatte das Geschehen der Vergangenheit in der nun schon fast 200 Jahre währenden Entwicklung der römischen Geschichtschreibung eine sehr verschiedenartige Gestaltung gefunden. Politischer Wirkungswille war es, der hinter den meisten der Gestaltungen der geschichtlichen Vergangenheit stand. Einmal, in einer bald infolge der Eroberung des Ostens durch die Tatsachen überholten Situation, richtete er sich nach außen, als Fabius Pictor und Acilius es in griechisch geschriebenen Werken unternahmen, die neuerstandene Großmacht Rom, ihr Wesen, ihre Grundsätze und ihr Recht in der Darstellung ihrer Geschichte der übrigen Welt verständlich zu machen und diese zu der entsprechenden Zurückhaltung und Achtung zu veranlassen \ Es sollte damit vermutlich das für die breitere Öffentlichkeit geschehen, was die diplomatische Aktion beim Delphischen Orakel, dessen Votum für die Bildung weithin wirksamer politischer Fama von größter Wichtigkeit war, mit Erfolg erreicht hatte 2 . Abgesehen von diesem einen Fall dient die Abfassung geschichtlicher Werke innenpolitischen Zielen; dabei schwindet die Verantwortlichkeit dem Ganzen der res publica gegenüber immer mehr zugunsten partei- und familienpolitischer, schließlich auch rein persönlicher Interessen. So schrieb, um einige Etappen in typischen Vertretern anzuführen, C a t o seine Origines als Mahnung und Hinweis auf die ge1 Vgl. M. G e i z e r , Römische Politik bei Fabius Pictor. Hermes 68, 1933, 1 2 9 — 166 und Der Anfang römischer Geschichtschreibung. Hermes 69, 1934, 46—55. 2 Daß in diesem Moment, nach der vernichtenden Niederlage von Cannae, sich diese vorsichtige und zurückhaltende Institution so weit vorwagt, wie es die, Wörtlichkeit vorgebende (Q. Fabius Pictor legatus a Delphis Romam rediit responsumque ex scripto recitavit. .. haec ubi ex Graeco carmine interpretata recitavit...) Übersetzung ins Lateinische bei Liv. 23. 1 1 . 1 erschließen läßt: si ita faxitis, Romam, vestrae res meliores facilioresque erunt magisque ex sententia res publica vestra vobis procedet, victoriaque duelli populi Romani erit, kann nicht bedingt sein durch die damalige politische und militärische Lage, sondern eher durch die von dem Gesandten vermittelte Kenntnis von der Haltung und der Kraft Roms.
1
H e l l m a n n , Livius
2 sunden und ursprünglichen Kräfte des Italikertums, als die mit der Eroberung des Ostens verbundene Gefährdung des alten, schlichten und kernigen Römertums in bedenklichen Anzeichen der Entartung und Zersetzung immer deutlicher in Erscheinung trat. So schrieb L . Calpurnius P i s o im gleichen Geiste und in gleicher Haltung, wenn auch in stärkerer Bindung an die senatorisch-aristokratische und pontifikale Tradition, mit geringerer Gestaltungskraft und weniger Temperament, seine zur Zeit des Erscheinens vielleicht nur noch altfränkisch und antiquiert wirkenden Annalen. In demselben Sinne, aber nicht mehr aus der Erfahrungsfülle praktischer politischer Tätigkeit an verantwortlich führender Stelle, schrieb ein Mann wie S e m p r o n i u s A s e l l i o . Seine uns zufällig erhaltenen prinzipiellen Äußerungen aus dem Beginn des ersten Buches (Peter, Hist. Rom. rell. I, 179) wird m a n gut tun, nicht allzu nachdrücklich im Sinne einer polybianischpragmatischen Geschichtschreibung zu interpretieren. Diese widerspricht dem eigentlich römischen Verhältnis zur Geschichte, d . h. zur eigenen Vergangenheit, und auch bei Sempronius Asellio dient der j a an sich an polybianische Prinzipien anklingende Vorsatz, sich nicht damit zu begnügen, quod factum esset, id pronuntiare, sondern quo consilio quaque ratione gesta essent, id demonstrare, einem erzieherischen, politisch-moralischen Wirkungswillen; er will Einfluß gewinnen auf die Leser, daß sie alacriores ad rem publicam. defendundam und segniores ad rem perperam faciundam werden, und deshalb will er die Geschehnisse nicht bloß aufzeichnen (iterare), sondern mit Wertakzenten versehen (praedicare). V o n den Äußerungen des Livius in seiner Praefatio her sind diese Worte zu interpretieren, man greift dann ein lebendiges Beispiel dafür, wie römischer politisch-moralischer Wirkungswille die Anregungen umgesetzt hat, die von dem polybianischen Werke und seinem griechischen Erkenntnisstreben ausgingen. Bis dahin waren es meist Senatoren und Männer, die bis zu den höchsten Stellen verantwortlicher Führung im Staate aufgestiegen waren, welche den Geist und den Charakter der Geschichtschreibung und damit das Bild der Vergangenheit, das vor den R ö m e r hingestellt wurde, bestimmten. Wenn sie die dürren Tatsachen der Vergangenheit in Erzählung umsetzten, so wurden die Farben dazu natürlich von den Erfahrungen und Verhältnissen der Gegenwart genommen; aber bei diesen Männern stand hinter derartigen
3
Erweiterungen das praktische Wissen um das Arbeiten des staatlichen Organismus und ein durch Blut und Tradition ihnen vermitteltes klares Bild römischen Wesens. Ihr Blick war aufs Ganze gerichtet, auf das Ganze des römischen Staates, auf das Ganze des Römertums, das sie in ihrer praktisch-politischen Tätigkeit vertraten und das sie auch auf diesem Wege zu erhalten und zu fördern wünschten. Dieser Blick aufs Ganze und die Verantwortlichkeit dem Wohl der Gesamtheit gegenüber geht in der gracchisch-sullanischen Zeit auf allen Gebieten des staatlichen, wirtschaftlichen und geistigen Lebens immer mehr verloren. Die tätige Fürsorge einer geborenen Führerschicht entartet zur selbstischen Verteidigung ständischer Interessen; Machtkämpfe zwischen den einzelnen Schichten und Parteiungen, dann zwischen den einzelnen Großen, sprengen die Einheit des Ganzen und geben den Blick darauf auf lange hinaus nicht mehr frei. Die Geschichtschreibung dieser Zeit bleibt was sie war, Ausdruck eines politischen Wirkungswillens. Aber die Menschen, die hier wirken wollen, sind andere und die Ziele, die sie im Auge haben, sind andere. Es geht nicht mehr um ein vorbildliches Römertum, sondern um die Rechtfertigung neuer Kräfte und Mächte, die zur Herrschaft drängen und sie an sich zu reißen suchen; es geht um Diffamierung mißliebiger Geschlechter, um die Schaffung ruhmvoller Tradition für neu auftretende; es geht um die Rechtfertigung der Ansprüche des populus oder um den Erweis der Verderblichkeit dieser Ansprüche seit alters. So ergießt sich der Strom leidenschaftlicher Traditions-Bindungs- und Verantwortungslosigkeit auch über die Geschichtschreibung. So wurde die römische Geschichte um die seditio- und discordia-Linien, um die unruhstiftenden tribuni plebis und die brüsk herausfordernden und verwerflichen Vertreter der Führerschicht bereichert und der Umfang der Werke um ein Vielfaches vermehrt. Menschen von unedler Maßund Hemmungslosigkeit, teils auch von niederer Geburt, verstanden das Geschehen der Vergangenheit auf ihre Weise, ihre Leidenschaften, ihre Regungen und ihre Interessen sahen sie darin wirksam. — So war es eine verwirrende und entmutigende Masse von Werken, widersprüchlich im Tatsächlichen des Inhalts und noch mehr im Geist und den Absichten der Verfasser, der sich Livius gegenüber befand, als er es unternahm, a primordio urbis res populi Romani in ihrer Gesamtheit und ausführlich aufzuzeichnen. Und doch hat er es vermocht, alles Giftige und Zersetzende, alles Maßlose und
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zerstörend Ränkevolle, alles auf Sensation und bloßen Effekt und Reiz Ausgehende beiseite zu schieben oder so zu bändigen, daß die scheinbar unvereinbar widerstreitenden Leidenschaften, Kräfte und Geister einer ü b e r den P a r t e i e n s t e h e n d e n A n s c h a u u n g und H a l t u n g dienen müssen, welche dem Ganzen seines Geschichtswerkes eine starke Kraft förderlicher Wirkung und einen Geist ruhigen, anständigen Römertums verleiht. Und dies alles ohne fälschende oder gewalttätige Eingriffe in das Tatsächliche der überkommenen Überlieferung, sondern lediglich durch eine neue Aneignung der geschichtlichen Vergangenheit, durch die Kraft der ' i n t e r p r e t a t i o A u g u s t e a ' , der eine überlegene Kunst der Disposition und der sprachlichen Gestaltung dient. Was seinem Werke den großen Zug, den langen, epischen Atem und die eindringliche Wirkung gibt, ist eine überall gegenwärtige und wirksame, klare und einfache Ordnung der Wertkategorien und der Anschauungen. Diese 'interpretatio Augustea' des Geschehens der Vergangenheit durch Livius besitzt die Kraft, die verschiedensten Interpretationen, die das Geschehen im Laufe der Entwicklung der römischen Geschichtschreibung erfahren hatte, alles, was sich an Leidenschaften, Erlebnissen, Kämpfen und Hoffnungen in der caesarisch-ciceronischen, der sullanischen und der gracchischen Zeit von seiten der Nobilität und der Populären, in der Gestaltung der Vergangenheit niedergeschlagen hatte, zu überhöhen, in sich aufzunehmen und sich dienstbar zu machen. Mit welchen Mitteln und in welcher Haltung Livius diese seine Tätigkeit ausübte, das wird uns, neben anderem, immer wieder eingehend beschäftigen. Um ein eindringendes Verständnis der Arbeitsweise des Livius, seines Verhaltens dem Stoff und der Überlieferung gegenüber, auch seiner Persönlichkeit, seiner Anschauungen und menschlichen Haltung, sind Historiker und Philologen seit gut 100 Jahren auf dem Wege sachlich-antiquarischer Kritik und quellenkritischer oder ästhetisch-stilistischer Synkrisis bemüht. Während mehrerer Jahrzehnte allerdings interessierte das Geschichtswerk des Livius mehr und mehr nur noch als ein Steinbruch für historische Fakten, in dem immer mehr unbrauchbare, weiche und mürbe Steine beiseite geworfen wurden; sehr oft mit Recht, wie die mühsamen und scharfsinnigen analytischen und quellenkritischen Un-
5 tersuchungen erwiesen haben; jedoch oft auch in zu großer rationaler Selbstsicherheit und allzu schulmeisterlich-rechthaberischer Haltung, als daß darüber das Verständnis des Ganzen nicht hätte Schaden nehmen müssen; und meist mit allzu vereinfachenden Vorstellungen von der »redaktionellen« Tätigkeit des Livius selbst. Ausgehend von der Überlegung, »daß die sachliche Glaubwürdigkeit eines antiken Geschichtschreibers von seinen künstlerischen Tendenzen und der Art ihrer Durchführung abhängt, daß mithin die allgemeine Erkenntnis der letzteren jeder Benutzung des betreffenden Autors für historische Zwecke vorangegangen sein muß« ( W i t t e , Rhein. Mus. 65, 1910, 270) begann philologisches Bemühen den ihm gemäßesten Beitrag zur Kritik der Glaubwürdigkeit des livianischen Geschichtswerkes und zur Abwehr schiefer und einseitiger Urteile oder Verurteilungen desselben zu liefern: Die Form der Darstellung, die Elemente seines Stiles, seiner Erzählungstechnik, seiner künstlerischen Absichten und Mittel wurden durch Vergleich mit seinen Quellen oder mit Darstellungen, die auf dieselben Quellen zurückgehen oder dieselben Gegenstände behandeln, herausgearbeitet und in die Tradition der hellenistisch-römischen Geschichtschreibung eingeordnet. Nach dem prinzipiellen Vorstoß Wittes (a. O.) und einigen weniger umfassenden Einzelbeiträgen anderer (Reichenberger, Eichler) 1 bedeutete E . B u r c k s ausführliche analytische und systematische Behandlung der 'Erzählungskunst des Titus Livius' (Problemata 1 1 , Berlin 1934) zusammenfassenden Abschluß und Neubeginn zugleich 2 . Die zunehmende Klarheit und Einsicht in die bei diesen mehr ästhetischen und stilkritischen Untersuchungen zu beobachtenden Erscheinungen führte mit innerer Notwendigkeit weiter zu einer B e a c h t u n g d e r allen diesen Elementen einer kunstvoll überlegten Darstellung zugrunde liegenden g e i s t i g e n u n d p o l i t i s c h e n H a l t u n g des L i v i u s . 1
R e i c h e n b e r g e r , A., Studien zum Erzählungsstil des Titus Livius. Diss. Heidelberg 1 9 3 1 . E i c h l e r , R . M . M . De consilio et arte in Titi Livi prima decade imprimis in libro quinto adhibita. (Ausz. gedruckt in J b b . d. Philos. Fak. Lpzg. 1923, 24f.). 2 Der B. nicht mehr zugängliche 'Tite-Live' von H. B o r n e c q u e , der sich nicht ohne eine gewisse Berechtigung neben den Essai sur Tite-Live von H . Taine stellt, ist eine anregende, aber nirgends weit ins einzelne und in die Tiefe gehende Beschreibung der für ein vielseitiges Verständnis des Livius wichtigen Phänomene.
6 Dieser Vorgang ist noch deutlich an Burcks 'Erzählungskunst' abzulesen. Seine von ästhetisch-stilistischen Fragestellungen ausgehenden synkritischen Untersuchungen führen ihn immer wieder auf den Unterschied der Anschauung und Haltung der Verfasser und des Geistes ihrer Darstellungen So ist überall eine reiche Fülle von Einzelbeobachtungen und Hinweisen eingefügt, und den Schluß bildet schon eine, mit einer gewissen Notwendigkeit fast nachtragsmäßig-summarisch gehaltene, Einordnung des livianischen Werkes in die geistigen Strömungen seiner Zeit. Was hier zu karg und kurz geraten war, wurde nachgeholt in einem A u f satz (Livius als Augusteischer Historiker, in Die Welt als G e schichte I 1 9 3 5 , 4 4 6 — 4 8 7 ) , der in wirksamer Weise dazu beiträgt, das starre und konventionelle Liviusbild reicher und lebendiger zu gestalten und A u g e und Ohr zu schärfen für wesentliche Züge des Werkes. Gewiß war auch in diesem Rahmen eine Beschränkung nötig gewesen, gewiß sind es mehr nur allgemeiner gehaltene A n regungen, gestützt auf eine Reihe typischer Beispiele, aber der Blick aufs Ganze und eine Reihe sehr glücklicher Formulierungen und klärender Hinweise macht den Aufsatz zu einem geeigneten Ausgangspunkt für ein lebendiges Lesen und Interpretieren des livianischen Werkes 2 . 1 Zeitlich vorauf liegen allgemein gehaltene Hinweise und Anregungen von K l i n g n e r (Antike-I, 1925, 86fF.) und H e i n z e (Augusteische Kultur 91 fF.); ebenfalls das Liviuskapitel der 'Studien zum Verständnis der Römischen Literatur' von W. K r o l l S. 351fr.; auch die Hinweise von T . F r a n k , Life and literature in the Roman republic = Sather Class. Lectures vol. 7, S. i6gff. sind bezeichnend für die allmähliche Wandlung des Liviusbildes und der Einschätzung und Auswertung seines Werkes. Hervorhebung verdient in diesem Zusammenhang auch die Charakteristik des Livius und der Bedeutung seines Werkes durch H . D e s s a u , Gesch. d. Rom. Kaiserzeit I 540 und 543fr. 2 Vgl. jetzt auch das anregungsreiche 6. Heft der Reihe 'Auf dem Wege zum national-politischen Gymnasium', in dem P. L. Strack, E. Burck, H. Oppermann und R. Herbig 'Probleme der augusteischen Erneuerung' behandeln. Der Beitrag von E. B u r c k , 'Altrömische Werte in der augusteischen Literatur* geht S. 50fr. auch auf Livius ein. Zur allgemeinen Orientierung sind natürlich außerdem mit heranzuziehen die Behandlungen des Livius in den Literaturgeschichten und den Darstellungen der Römischen Geschichte, dazu der Livius-Artikel von A. K l o t z in der Realenzyklopädie Bd. X I I I , I 816—852. Der 'ganze Livius' ist natürlich in keiner Darstellung zu finden, aber das kann auch gar nicht anders sein und wird auch nicht anders werden. Daß der Verfasser auch der folgenden Interpretationen sich dessen stets bewußt war, nimmt er gerne Gelegenheit, gleich zu Beginn ausdrücklich festzustellen.
7 Diesem Ziele dienen auch die folgenden Interpretationen: Sie sollen charakteristische Züge der Haltung des Livius, der Art seiner Darstellung, seiner Anschauungen und Absichten, methodisch sichern und den Leser mit ihnen vertraut machen. Das wird nicht systematisch dargestellt, sondern soll jeweils bei der Einzelinterpretation anschaulich werden. Die Untersuchung schreitet fort vom Einfacheren und Einzelnen zum Verwickelteren und
Zusammenhängenden.
gruppen
geordneten
Sie
beginnt
listenartigen
mit
einer nach
Zusammenstellung
der
Sinnrund
250 Stellen, an denen sich Livius kritisch äußert. M a n schrecke nicht davor zurück, es ist
kein wahllos ausgeschütteter Zettel-
kasten, sondern eine überdachte Aneinanderreihung des Materials, nach Sinngruppen geordnet. Liest man diese, zunächst nur von ganz wenigen Anmerkungen
begleitete,
Zusammenstellung
der
Äußerungen des Livius durch, dann wird sich, denke ich, ein erster, wenn auch noch recht allgemeiner Eindruck von der Persönlichkeit und Haltung des Livius und entsprechend auch von dem Charakter seines Werkes und seiner Darstellung ergeben x. Die anschließende, ganz kurz zusammenfassende Auswertung und die folgenden Interpretationen sollen dann die allgemeinen E m p findungen immer mehr zu einer festen Vorstellung und die zunächst noch etwas verschwimmenden Umrisse zu einem immer klarere Züge gewinnenden Bilde werden lassen. A u g e und O h r des Lesers sollen sich schärfen, und so soll zu selbständiger LiviusLektüre beigetragen werden, die kontaktreich und kontaktfahig genug ist, um das aus dem livianischen Werke herauszuholen, was man heute schon gewinnen kann. Einer Verlebendigung der Livius-Lektüre an den Schulen soll dies Büchlein dienlich und der Livius-Forschung in einigen Punkten förderlich sein. Das war wenigstens die Absicht des Verfassers. 1
Ein Aufführen derselben Stelle an verschiedenen Orten ist nach Möglichkeit
vermieden. Sie stehen also dort, wohin sie 'am meisten' gehören oder dort, wo ein bestimmter Zug in der Haltung des Livius durch Zusammenstellung von Zusammengehörigem hervorgehoben werden soll. Ein gewisser Grad von Willkür ist j a bei derartigen Anordnungen nicht zu vermeiden, dennoch glaube ich, daß sie in diesem Falle einer bloß mechanischen Aufzählung in der Reihenfolge des Vorkommens mit Recht vorgezogen wurde.
I.
Zusammenstellung der kritischen Äußerungen des Livius A. W e n d u n g e n , m i t d e n e n d i e E n t s c h e i d u n g o f f e n g e l a s s e n w i r d 1. A . a. Bloße Feststellung der Unsicherheit oder des Fehlens einer Überlieferung (überwiegend in der i. Dekade). incertum partim
est.
.ne
. . an g. 44. 4
certum est..
ne . . an
nihil
certi est 7 . 26. 7 5
nihil
certi vulgatum
nihil
constat
nisi.
est, alii. . 4.13.
adeo nihil praeterquam parum dubium
liquet
. alii.
. 40.55.
7
7
. . constat
7 . 42. 7
1. 46. /
est an . . 21. 25. 4
id non traditur
aetate . . an . . an . . ve . . 1. 13. 7
sed utrum auctores
non adiciunt
id utrum . . an . . neutrum . . an . . parum parum
5.35.3
invenio
compertum
2.
2. i j . 3
cur adfirmem
habeo 30. 2g.
6f.
40.1
habeo . . an . . an . . 30. 45. 6
2
1 Verwiesen sei allgemein auf die im Grundgedanken verständigen, im einzelnen auch recht nützlichen, in der Durchführung aber doch etwas zu mechanischen und unübersichtlichen Sammlungen bei R . B. S t e e l e , T h e historical attitude of L i v y A J P h 25, 1904, 15—44; z u nennen sind daneben S. G . S t a c e y , Die Entwicklung des livianischen Stiles § 6: Urteile und Zitate des Livius in Arch. f. lat. Lex. X , 1898, 80—82, für unsere Zwecke zu wenig umfangreich; K a l l e n b a c h , Ü b e r T . Livius im Verhältnis zu seinem Werke und zu seiner Zeit. Progr. Quedlinburg i860; und jüngst: W . W . W i e h e m e y e r , Proben historischer Kritik aus Livius X X I — X L V , Diss. Münster 1932 (erschienen 1938) S. 82—89. D a eine sinnvoll fortschreitende Gliederung und j e d e Kenntlichmachung des Prinzips der Gruppeneinteilung in diesen Zusammenstellungen fehlt, ist ein bloßer Verweis auf diese sehr umfänglichen Sammlungen — leider! — nicht möglich. 2 Es ist bezeichnend, d a ß diese W e n d u n g bestimmter Sicherheit (compertum habeo) nur einmal hier, negativ gewendet, auftritt. V g l . dagegen 27. 27. 12 von Coelius: tertiam quam pro inquisita ac sibi comperta adfert. Diesen Anspruch erhebt Livius in solch bestimmter Form nie. Entsprechend ist es auch nicht das 'in rebus certius offene', worauf er in seiner Ankündigung in der Praefatio Wert legt. V g l . S. 13 1 .
parum constans memoria est io. 37. 13 vetustate memoria abiit 2. 4.5 certe variata memoria 21. 7 . 5 1 A. b. Einfache Feststellung einer Diskrepanz in der Überlieferung. id. ambigitur . .ne .. an .. 8. 40. 2 minus convenit (sc. inter auctores) 2.33. 2 vgl. g. 16. 1 inter auctores discrepai, alibi. . alibi. . alibi. . quidam . . Coelius.. 29. 25.1 vgl. 38.56.5; 22. 61.10 et alia inter auctores discrepant, alius . . alius . . alius . . 26. 4g. 2 longe diversa tradunt 44. 13.12 nequaquam inter auctores constat ubi et quando et quo casu . . 57.34.5; 38-57-2 id quoque inter scriptores ambigitur utrum . . an . . an . . 33.36. iß A. c. Dasselbe mit einem stärkeren 'emotionalen' Ton des Verdrusses, des Vorwurfes, der Resignation (überwiegend 3. Dekade). auctores utroque trahunt, plures tarnen .. 1. 24.1 in diversum trahunt 38.58. 1 in diversum trahunt ut cui famae quibus scriptis adsentiar non habeam 38.56.1 adeo variant auctores ut vix quicquam satis certum adfirmare ausus sim 22.36.1 vgl. 23.16. Iß ita fama variai ut tarnen plerique . . omnes . . 27. 27. 12 mirari magis adeo discrepare inter auctores quam quid veri sit discernere queas 22. 61.10 ceterum id minus miror obscurum esse de . id magis mirabile est ambigi. . 11 sequitur hunc errorem alius error g. 15. g f f . vgl. 21.58. 6 tanti errores implicant temporum, ut nec qui consules secundum quos . . in tanta vetustate non rerum modo sed etiam auctorum digerere possis 2.21.4 si quae de . . variant auctores omnia exsequi velim 27. 27.12 utrum . .an . . incertum ut sit diversi auctores faciunt 30. 26.12 ponere pro certo sum veritus 23. 6. 8 id ne pro certo ponerem vetustior annalium auctor Piso effecit qui. . 13 id credo cognomen errorem in aedilibus fecisse secutamque fabulam mixtam ex . . et. ., convenientem errori 10. g. 12 1 Vorkommen von memoria für die einzelnen Dekaden 1 3 — 4 — 4 — i S. 24; vgl. auch Kallenbach S. 20 und 22).
(Steele
10 haud ambigam - quis enim rem tam veterem pro certo adfirmet -1.3. 2 piget tamen in certo ponete 10.18. 7 quidam non adiecere numerum inter quos me ipse in re dubia poni malim 29. 25. 4 quantus numerus fuerit piget scribere 26. 49. 1 quis pro certo adfirmet cum alibi. . alibi. . alibi. . inveniam 27.1. 13 invenio apud quosdam . . sunt quibus ne haec quidem exponere satis fuerit, adiecerint et. . 10. 26. 6 difficile adfidem est in tam antiqua re quot pugnaverint ceciderintve exacto adfirmare numero; audet tamen Antias Valerius concipere summas . . . interfecta inde quattuor milia et, exsequendo subtiliter numerum, ducentos ait et triginta. 3.5.12/. s. S. 39 ceterum in tam discrepanti editione et Tubero et Macer libros linteos auctores profitentur. neuter tribunos militum eo anno fuisse traditum a scriptoribus antiquis dissimulat. Licinio libros haud dubie sequi linteos placet, Tubero incertus veri est. Sit inter cetera vetustate cooperta hoc quoque in incerto positum 3. 23.1ff. s. S. 39 A. d. Stellen, an denen allgemeinere Gebrauchsregeln seines Vorgehens, gerade auch in der Ablehnung einer Entscheidung, faßbar sind (überwiegend in der 1. Dekade). nec facile est aut rem rei aut auctorem auctori praeferre. Vitiatam memoriam funebribus laudibus reor, falsisque imaginum titulis, dum familiae ad se quaeque famam rerum gestarum honorumque fallente mendacio trahunt; inde certe et singulorum gesta et publica monumenta rerum confusa. Nec quisquam aequalis temporibus Ulis scriptor exstat quo satis certo auctore stetur 8. 40. 4 f f . vgl. 29. 14.9 unter A. e. certum adfirmare quia nulla apud vetustiores scriptores eius rei mentio est, non ausim 3. 23. 7 vgl. S. 152 auctores quoniam non omnes sunt, mihi quoque in incerto relictum sit, nam et vera esse et apte ad repraesentandam iram ficta possunt 8. 6.3f. vgl. B. b. am Ende; S. 15 und /j2 in eo parvi refert quid veri sit. illud pervelim - nec omnes auctores sunt - proditum falso esse . . . sicut proditur tamen res ne cui auctorum fidem abrogaverim, exponenda est. 8.12. 2f. vgl. Parallelen unter C. c. am Ende S. 18 und S. 37ff. res cum vetustate nimia obscuras velut quae magno ex intervallo loci vix cernuntur, tum quod rarae per eadem tempora litterae fuere, una custodia fidelis memoriae rerum gestarum 6. 1. 2f
11 si aliquis adsentiri necesse est, media simillima veri sunt 26. 4g. 6 . . an . . incertum diversi auctores faciunt; ilia pro certo habenda in quibus non dissentimi 4.55.
8
A. e. Zurückhaltung in der Äußerung bloßer opiniones. id quibus virtutibus inducti ita iudicarint, sicut traditum a proximis memoriae temporum illorum scriptoribus libens posteris traderem, ita meas opiniones coniectando rem vestutate obrutam non interponam 2g. 14. g non crediderit factum an tantum animo roboris fuerìt, nec traditur certum tue interpretatio est facilis 2. 8. 8 quod cum ab antiquis taciturn praetermissum sit, cuius tandem ego rei praeter opinionem, quae sua cuique coniectanti esse potest, auctor simì 6.12.3 vgl. S. 32 und 47ff. huic pugnae equestri rem - quam vera sit communis existimatio est - mirabilem certe adiciunt quidam annales 23. 47. 8 qui si ea in re sit error quod. . Cossum consulem habeant, existimatio communis omnibus est 4. 20. 8 ea libera coniectura est. sed ut ego arbitrar, vana versare in omnes opiniones licet, cum auctor pugnae, recentibus spoliis in sacra sede positis, Iovem prope ipsum, cui vota erant, Romulumque intuens, haud spernendos falsi tituli testes, se A. Cornelium Cossum consulem scripserit. 4. 20.11 illud parum constat utrum . . an verae illae opiniones 1 sint . . 38.57. 2 haec de tanto viro quam et opinionibus et monumentis litterarum variarent, proponendo erant 38.57. 8 nec libet credere et licet in variis opinionibus 4. 2g. j haud ignarus opinionis alterius qua . . traditur, cum auctoribus hoc dedi quibus dignius credi est 8. 26. 6 s. S. 38f. non unde plerique opinantur . . 3g. 23.5 non ut plerique rentur 25.12.15 adicit Antias Valerius Pythagoricos fuisse, vulgatae opinioni, qua creditur Pythagorae auditorem fuisse Numam, mendacio2 probabili adcommodata fide. 40. 2g. 8 vgl. 10. g. 13 1 Die Wahl dieses Wortes ist Zeichen betonter Zurückhaltung und des Mißtrauens. Vgl. die folgenden Beispiele. % Die harte und der sonst geübten Zurückhaltung widerstreitende Ablehnung •einer vorgefundenen Überlieferung als falsch oder gar als Lüge tritt in 3 bezeichnenden Zusammenhängen auf: i. in Ablehnung der Überlieferung, daß Numa Schüler des Pythagoras gewesen sei, 1. 18. 2 und, mit unverminderter, eher noch gesteigerter Heftigkeit in der
12 rumorem . .. paene pro certo habitum . . . rumoris huitis quia neminem alium auctorem habeo, neque adfirmata res mea opinione sit, nec pro vana praetermissa yj. 48. 6 vgl. 45. 43. 8: . . auctor est Antias . . quod quia unde redigi potuerit non apparebat, auctorem pro re posui.
A . f. Wendungen
des
Zitierens,
Verweisens, Sichbeziehens auf die vorgefundenen Überlieferungen. Sie verdienen hier angeführt zu werden, da sie oft dazu benutzt werden, die Verantwortung für das Berichtete abzuschieben oder,, besonders bei Häufung derartiger Wendungen, eine allgemeinere Atmosphäre der Ungewißheit zu schaffen. Richtig Steele S. 1 7 : his references indicate merely his own uncertainty . . und S. 2 1 : the use of these indefinite verbs (dicitur,fertur
usw.) gives a sceptical
colouring to many a good old story. Vgl. auch K a l l e n b a c h s . 20 und, wichtiger, die mehrfachen Hinweise darauf und Erläuterungen dazu bei B u r c k a. O . S. I36f.; 138; 140; 146. Bei meinen eigenen Sammlungen habe ich diese Wendungen weniger ausgiebig berücksichtigt und übernehme deshalb der größeren Vollständigkeit halber im folgenden die Zusammenstellungen bei S t a c e y
S. 81 und S t e e l e S. 2 i f f .
Formulierung 40. 29. 8. Die Stelle im ersten Buche zeigt, woher die Abwehrenergie gespeist wird: aus der durch das ganze Werk hin wirksamen Abwehr des. Fremden, der peregrinae artes, und dem Eintreten für die eigene virtus, disciplina und ingenium. Zieht man außerdem in Rechnung, daß in der Gestaltung der Urgeschichte durch Livius die Gleichung Romulus + Numa ~ Augustus selbst heute noch an mehr als einer Stelle spürbar ist, so versteht man, daß die Zurückweisung der fremden Ansprüche auf die Leistung des Numa für ihn ein Ehrenpunkt war, der die Durchbrechung der sonst geübten Zurückhaltung erklärt. 2. in der Zurückweisung von Fälschungen aus Familieninteresse (falsi tituli). 3. im zunehmenden Ärger über die UnZuverlässigkeit des Valerius Antias: 30. 19. u Val. Antias. . . caesa ait; quae tanta res est, ut aut impudenterfictasit auf neglegenter praetermissa", 33. 10. 8 si Valeria qui credat, omnium rerum immodice numerum augenti . . . caesa; capta, ibi modestius mendacium est.. . Demioch wird, bezeichnend für Livius' Grundhaltung, 38. 55. 8 ebenfalls bei einer beanstandeten Zahlenangabe des Valerius wohlwollend lieber ein mendum librarii als ein men.dacium scriptoris angenommen! Ihm fehlt eben völlig jeder Zug von Rechthaberei oder Lust an herabsetzender Polemik, viel mehr ist ihm eine liebenswürdige Urbanität und Zurückhaltung in der persönlichen Äußerung eigen s. 391.
13 dicitur dicuntur fertur Jerunt traditur tradunt traduntur memorare prodere credere other verbs ambigitur
39~ 5-7-67~ 7-4-16- 6-3-133-11-4-321- 2-2-432-3-34- 1-2-130-0-08- 4-3-032-1-0-* 6- 0-1-04- 2-1-0-
alii sunt qui quidam plerique
10-8-4-113-3-!-°13-8-1-10-3-1-0-
auctor annates
37 ~27 -7-1- Steele 25 25- 6-1-3- Steele 24
Steele 26
1. 38. 1; 3. 67. 1; 3. 70. 14; 4. 54. 4; 6. 3g. 4; accepi 38. 47.1 accepimus 1. 24. 4; 3. 3g. 1; 3. 6g. 8; 4. 34. 6; 5. 22. 6; 5. 34. 1 1- 0-0-0- comperio certum est 5-35-3 constat 22- 6-4-0- compertum habeo 30. 45. 6 4- 3-2-1 auctores habeo 8. 30. 7; 0. 36. 3; 22. 7. 4; convenit discrepai 2- I-I-O37- 48- 7! total 166-52-38-20- invenio 2g-6-2-0(Steele S. 21-22) novimus 4.20. 6 refero g. 18.5 referam g. 46. 8; 10.31. 11 (Stacey S.81). * doch vgl. B.b. S. 15 accipio
B. W e n d u n g e n , mit denen eine Entscheidung getroffen wird, geordnet nach dem Grade der Sicherheit derselben. B. a. Einfaches Feststellen der Sicherheit. constat 2. 40.10 (Vorkommen insgesamt 22-6-4-0-) magis constat 21. 27. 6 certe constat 1.3. 2 certum habeo 44.14.13 1 satis constat 5.33.5; 37.34. 7 convenit 38.57. 2 satis convenit 2.50.11 constare res incipit 10. 26. 7 id quod constat nudum videtur proponendum 3. 47.5 1
Es ist bezeichnend, daß dieser entschiedenste Ausdruck der Sicherheit nur hier, in einem Zusammenhang auftritt, der die innere Regung nationaler Entrüstung hervorhebt: anläßlich der Worte der Rhodier bei ihrem Vermittlungsvorschlag in Rom: ne nunc quidem haec sine indignatione legi auditive posse certum habeo. In allen sachlich-kritischen Entscheidungen fehlt eine entsprechende Entschiedenheit.
14 seu . .seu . . certe . . 1 1.3. 2; 1. 8. 7; /. 31. 4; 1. 36.5; 1. 48. 5; 40.1; 2. 40.10; 3. 8. 6; 5. 26.6; 6.12. 6; 8. 6.2; 30. ig. 11; 30. 7; 30.45.6f.; 44.13. g *2. 41.12; Ì4- *3- 7;
23.16.16; IO
-
26
• 5/-;
2g. 21.3; 22.36.5;
38.55. 25.3g.
2. 26.
2; 3g. 43. 4 i 2 f f . ; 27. 27.14;
36.38.
6;
37-34-7 quoscumque . . .2 2.54.3; 1.3.3; 10.18.1; 26. 6.13; 1.59.5 haud dubie 1.13. 7; 26.11.10; 38. 23. g; 45. 40. 1 haud dubie inter scriptores est 26. //. 10 nec quicquam dubium inter scriptores refero g. 18.5 id quod satis constat 1. 48.5 id quod haud discrepai 22.36.5 convenit iam inde g. 16.1 quod inter omnes auctores convenit 6. 12. 6 falso edunt 1.18. 2 vgl. S. j / 2 refellit falsum imaginis titulum 4.16.5; vgl. 4.34. 6f.; 8. 40. i f f . ; 22.31. 8 f f . ; 25.3g. 16; 30. 45. 6 f . litterae una custodia fidelis memoriae rerum gestarum 6.1.3; vgl. 5.34. 6 quod quidem continens memoria sit; ferner 7.3. 8; 8. 40. 1 1
Einfache Form: Gegenüberstellung der verschiedenen Möglichkeiten mit sive .. sive .., utrum . . . an . . . und darauf Beiseiteschieben derselben unter Zurückführung auf die Hauptsache und gleichzeitiger Hervorhebung des wichtigsten Beziehungswortes durch certe: patres certe appellati 1.8.7; tnansit certe. . 1. 31. 4; pervicere certe . . 2. 40. 1. Zuweilen auch (oben mit * bezeichnet) unter Weglassung von certe Hervorhebung der feststehenden Hauptsache lediglich durch prägnante Stellung des betreffenden Wortes: ceterum sive illud domesticum sive publicum fuit iudicium, damnatur .. 2. 41. 12; facinus, sive eo modo quo censor obicit sive ut Valerius tradit commissum est, saevum atque atrox 39. 43. 4; in auffallendster Ausführung in dem kunstvoll umständlichen Satz 38. 55. 2 ff.: ad hunc praetorem adeo amicum Corneliae familiae ut, qui... tradunt, . . . memoriae tradiderint, et. .. aut adeo inimicum eundem ut propter insignem simultatem... ceterum ad hunc nimis aequum aut iniquum praetorem reus extemplo factus L. Scipio. Derselbe Vorgang, nur in etwas erweiterter Form, liegt vor (oben mit f bezeichnet), wenn das einfache certe ersetzt wird durch Wendungen wie constare res incipit 10. 26. 5; illud haudquaquam discrepat 22. 36. 5; oder 22. 39. I2ff.: nach verschiedenen Angaben über die Größe des Sieges apud omnes magnum nomen Maren ducis est. 2 Auch diese Stellen sind Ausdruck des gleichen uninteressierten Beiseiteschiebens von Unstimmigkeiten, die ihm unwichtig erscheinen. Etwa: hoc anno, quoscumque consules habuit . . 2. 54. 2; is Ascanius ubicumque et quacumque matre genitus, certe natum Aenea constat 1. 3. 3.
15
B . b. Äußerungen der eigenen Überzeugtheit (credo) in den verschiedensten Variationen (stark überwiegend in der i. Dekade) 1 .
credo . . 1.16. 4; /. 59.11; 2. 8.5; 4. 7.10; 6.9.3; 10.9.13; u. ö. magis credo quam 10.3. 4 magis equidem crediderim 30.3. 4 eo magis Fabio crediderim /. 55. 8 maxime crediderim (vorher nihil certi est) 7.26.15 ut potius credam cum ipsius viri facit ingertium tum quod. . et quod. . simul quod. . et quod. . 6.38.10 potiores apud me auctores sunt qui 21. 47. 6 potissimum auctorem habui 22. 7. 1 cum auctoribus hoc dedi quibus dignius credi est 8. 26. 6 credere prohibet 1.39.5 vix credibile est 4.16.3 rem incredibilem . . 4.17.3 rem aeque difficilem ac incredibilem 4.34. 6 quod magis credere libet 5. 46.11 nec libet credere et licet in variis opinionibus 4. 29.5 si Ulis qui. . credere libet 25.17. 7 seu votum fuit seu credere libet Fabio auctori 8.30.9 . . nisi de Hercule fabulis credere libet 5.34. 6 plurium annaleset quibus credidisse malis 42.11.1 (gegen Valerius Antias) eam magis adducor ut credam irae causam quam quod 4. 49.10 eo magis adducor ut credam 2.18. 4 pluribus auctoribus magis adducor ut credam 6. 42. 62 B. c. Äußerungen der eigenen Geneigtheit zu glauben. (Fast nur in der 1. Dekade.)
haud ambigam 1.3. 2 equidem haud abnuerim 5 . 3 3 . 4 ceterum ex . . errorem ortum haud abnuerim 10.3. 4 1
Verhältnis für die Dekaden 26—8—3—o— Stacey S. 80. Zum 'Argument derplures auctores' vgl, jetzt ausführlich W i e h e m e y e r ä. O. S. 39—55; ebendort auch zum 'Argument des aequalis tcmporum' S. 62—69. Häufig jedoch ist die Fragestellung ebenso wie die Art der Interpretation zu starr und unbeweglich; über das, was z. B. S. 40 Mitte zu 8. 18. 2—3 notiert wird, ist mit einem weniger systematisch eingeengten, anschmiegsameren Vorgehen denn doch hinauszukommen, vgl. unten III. 2 S. 36 fr. 8
16 ut ego arbitror i. 43.13; 4. 20.11 opinor magis 1. 18. 4 hos (plures) ut sequar inclinai animus 7.9.5 magis ut arbitrer inclinai animus 7.9.5 haec animum inclinant ut credam 29.33.10 eorum magis sententiae sum qui. .ferunt 1.39.5 me haud paenitet eorum sententiae esse quibus placet. . 1.8.3 ego quantum in tanto intervallo temporum conicio 3. 70.14 s. S. 47ff. illud pervelim - nec omnes auctores sunt -proditum falso esse . . sicut proditur tarnen res, ne cui auctorumfidemabrogaverim, exponenda est 8.18. 2 f . vgl. S. 36ff. malim equidem de filio verum esse 21. 46.10; vgl. 29. 25. 2 causam inaugurati coacti flaminis libens reticuissem ni ex mala fama in bonam vertisset 27. 8.5 s. S. 36x; 31x. ego neque his neque Valerio adsentior 39.52.1 sed et Coelium et ceteros fugit uni consuli Cn. Servilio . . ius fuisse dicendi dictatoris . . 22.31.9 non, ut volgo credunt, Claudiusque etiam scribit, foedere pax Caudina sed per sponsionem facta est 9.5. 2
C. Stellen,
an
denen eine E n t s c h e i d u n g verisimile g e t r o f f e n wird.
nach
dem
C. a. Feststellung der Wahrscheinlichkeit in den verschiedensten Graden. simile veri est aut. . aut. . aut. . 6. 12.3 verisimile est et ita quidam auctores sunt 21.38. 4 adice nunc pro portione quot verisimile sit . . 34.50. 7 propius vero est 40.50. 6 propius ut sit vero facit . . 8.37.5 laeto verius dixerim quam prospero eventu pugnatum fuerat 22. 23.3 1
1
Die Wendung id verius est quam . . 23. 19. 17 sei hier mit angeführt, wenn der Komparativ ebenfalb als zurückhaltender Ausdruck für einen Annäherungswert verstanden werden kann, nicht als absolute Inanspruchnahme einer gesicherteren Wahrheit. Eine solche fiele ganz aus dem Rahmen der von Livius gepflogenen Ausdrucksweise (in Reden anderer dagegen tritt sie auf: 3. 19. 6; 6. 1 1 . 4) und wäre dann Anzeichen einer weniger zurückhaltenden Argumentation eines Quellenautors, und zwar eines Hannibal nicht ungünstig gesonnenen. Der Hinweis auf die Inschrift einer statua in Praeneste und auf denselben titulus auf drei signa in aede Fortunae spricht mehr für als gegen eine solche Annahme.
17 habeo auctores . . sei propius est vero g. 36. 4 fama
tenuit quae propior vero est 23.12.
i f . ; vgl. 2.
proximum vero est ex iis quae traduntur 2.14.
41.11
4
idque magis verisimile est quam . . 7 . 2g. g . . quod mihi minus simile veri visum est 27. 7 . 5 / . et altera traditur circensis turbae non minus simile veri laetitia similius
veri est. . quod. . 10.
similius
veri est. . eo magis quod. . tradunt 38.55.
45.1.6
26.13
si aliquis adsentiar media simillima
8
veri sunt 26. 4g. 6
sed in rebus tam antiquis si quae similia veri sint pro veris accipiantur, satis habeam 5. 21. g
C. b. Beispiele für Entscheidungen nach innerer Wahrscheinlichkeit. creditur quia non abhorret a cetero scelere . . carpento certe . . /.
48.5
. . quorum nihil absonum fidei divinae originis divinitatisque post mortem creditae fuit
1.15.
6
. . ut potius credam cum ipsius viri facit ingenium tum quod . . et quod. . 6.38.10 quem decreto sermonem praetenderit forsan aliquem verum auctores antiqui tradiderint, quia nusquam ullum in tanta foeditate
decreti
invenio, id quod constat nudum videtur proponendum 3.
verisimilem
47.5
quidam . . plerique . . haec animum inclinant ut cum modico potius quam . . venisse credam quippe ilia . . haec . . conveniens est 2g. 33. 10 non tam certum est quam videtur tempori aptum fuisse 34. 62. 77 . . volgatae opinioni qua creditur . . mendacio probabili
adcommodata
fide 40. 2g. 8 Die beiden Stellen, an denen die ebenfalls aus der livianischen Diktion herausfallende Wendung 'vere aestimanti' auftritt (34. 27. 1; 37. 58. 8) lassen durch Zusammenhang und Argumentationsart Reste polybianischer Argumentation vermuten. Anders zu beurteilen und aus der augenblicklichen Antithese der Formulierung zu verstehen ist 10. 30. 4: magna eitts diei. . fama est etiam vero stanti, sed superiecere quidam augendofidem. . U n d 7 . 6 . 6 : cura non deesset si qua ad verum via inquirentem ferret. nunc fama rerum standum est ubi certam derogat vetustas fidem, wird bezeichnenderweise vom Weg zur Wahrheit nur in einer negativen Wendung gesprochen, in einer Unsicherheitsbeteuerung (ähnlich aa. 54. 8). 2
Hellmann, Livius
18 C. c. Glaubwürdigkeit (fides). invenio apud quosdam idque propius est fidern 2. 41.11; 4.17. j difficile ad fidem est 3. 5. 12 ea peritis vix fidem fecerint 21. 47. 4 sed superiecere quidam augendo fidem 10.30. 4, vgl. 4.34. 6; 22. 7. 4 fama rerum standum est ubi certam derogat vetustasfidem7. 6. 6 rem ausus plus famae habituram ad posteros quam fidei 2.10. 4 nihil absonum fidei. .fuit 1.15.6 haec ad ostentationem scenae gaudentis miraculis aptiora quam ad fidem, neque adfirmare neque refellere est operae pretium 5. 21. 9 vgl. praef. 6 litterae una custodiafidelismemoriae rerum gestarum 6.1.3 vgl. 7 . 3 . 8; 8. 40. i ne cui auctorumfidemabrogaverim 8.18.3, vgl. 7.9. 4 f ; 8. 26. 6; 8. 40. i f f . ; 9.5. 2; 22.31.8; 27. 7.5/.; 30.19.11,-33.10• Sff.; 38- 558; 39.52. i f f . ; 45. 43. 8 und S. 37f. C. d. fama fama rerum standum est ubi certam derogat vetustasfidem7. 6. 6 vgl. 5• si. 9 fama tenuit quae propior vero est 23.12. 2 fama obtinuit 21. 46. 10 frequentior fama 2. 23.3; volgatior 1. 7. 2; duplex 8. 20. 6; casus . obscurior fama est quia . . 23. 20.3 ita fama variat ut tarnen plerique . . omnes . . 27. 27.14 in diversum trahunt ut cui famae quibus scriptis adsentiar non habeam 38.56.1 rem ausus plus famae habituram ad posteros quam fidei 2. 10. 4 . . manavit enim haec quoque sed perobscura fama, illam alteram admiratio viri et pavor praesens nobilitavit 1. 16. 4 C. e. fabula (vgl. Steele S. 23/24; Kallenbach S. 20). quae ante conditam condendamve urbem poeticis magis decora fabulis quam incorruptis rerum gestarum monumentis traduntur, ea nec adfirmare nec refellere in animo est. praef. 6 inde locum fabulae ac miraculo datum 1. 4. 7 additur fabula, quod. . 1.11. 8 1
Vorkommen 9—13—4—o— Steele S. 24.
19 inseritur huic loco fabula inde fabulae
5.
21.8
adiectum est. . 5. 22. 6
(Alpes) quas inexsuperabiles visas haud equidem miror, nulladum quod quidem continens memoria sit, nisi de Hercule fabulis
via,
credere libet,
superatas 5 . 3 4 . 6 . . nunc fama lacus (Curtii)
rerum standum est, ubi certam derogat vetustas fidem; et nomen ab hac recentiore insignitius fabula
alia tota serenda fabula
est 7. 6. 6
est Gracchi orationi conveniens, et illi auctores
sequendi sunt, qui. . 38.56.
8
Aus der Fülle der Äußerungen in ihrer kaum je sich genau wiederholenden variatio der Formulierung und ihrer vielfältigen Abstufung und Nüancierung spricht ein gleichbleibend unmittelbares Verhältnis zu den Dingen, das immer aus dem jeweiligen Moment heraus den Ausdruck für die vorgefundene Situation findet. Dies ist gerade auch bei den recht prinzipiell sich gebenden Äußerungen immer in Rechnung zu stellen; man darf sie nicht allzu allgemeingültig und verbindlich und Livius selbst nicht zu streng beim Worte nehmen 2 . Dazu hat er eine zu leichte Hand und dazu ist ihm die kritische Entscheidung als solche im allgemeinen viel zu unwesentlich. Seine Aufgabe — das zeigt schon allein die F o r m seiner Äußerungen — ist nicht die eines kritisch abwägenden Forschers, der hinter der vielfaltigen Überlieferungsmasse den eigentlichen Vorgang des Geschehens mit noch größerer Sicherheit als bisher erfassen will, sondern die eines redlichen Sachwalters der vorgefundenen schriftlichen Überlieferungen, zwischen deren Widersprüchen und mannigfachen Verschiedenheiten er nach Wahrscheinlichkeitsgraden einen Ausgleich zu suchen hat. Das geschieht nicht anhand 1 Die Verwendung von fabula an dieser Stelle zeigt den ganzen resignierten Ärger über die Verwirrung und Widersprüchlichkeit der Überlieferung über die Scipionenprozesse, die er nicht zu bewältigen vermag. 2 Man darf ihn nicht zu pedantisch interpretieren. Aus 31. 1 . 5 z. B., iarn provideo animo velut qui proximis littori vadis inducti mare pedibus ingredimtur, quidquid progredior, in vastiorem me altitudinem ac velut profundum invehi, et crescere paene opus quod prima quaeque perficiendo minui videbatur, weitreichende Rückschlüsse zu ziehen auf das Fehlen jeder Kenntnis vom Umfang der Aufgabe, jeder Übersicht und Disposition seines Werkes im Großen, geht einfach nicht an. 2*
20 irgendwelcher allgemeiner und äußerer methodischer Kriterien, sondern immer von Fall zu Fall n a c h G r a d e n i n n e r e r W a h r scheinlichkeit. Gewiß bilden und festigen sich im Laufe der Darstellung einige praktische, aber durchaus nicht allgemeinverbindliche, G e b r a u c h s r e g e l n für sein ordnendes und sichtendes Vorgehen gegenüber der Masse der Überlieferung: das Zeugnis der proximi memoriae temporum scriptores, der aequales temporibus scriptores, ganz allgemein der vetustiores oder antiqui, hat größeres Gewicht als das der späteren; fehlt ein Zeugnis der Älteren, dann ist Zurückhaltung geboten; das Zeugnis aller oder doch der Mehrzahl verleiht den gewünschten Grad an Sicherheit, doch erfolgen auch Entscheidungen gegen die plures1. Daß die Familienzugehörigkeit der einzelnen scriptores zu Fälschungen Anlaß gegeben hat, ist ihm nicht entgangen und führt zu mehreren heftigen Äußerungen gegen die falsi tituli; daß die animi scribentium. zu Übertreibungen neigen, notiert er, wendet diese Erkenntnis aber kritisch nur in ganz groben Fällen an. Besondere Hervorhebung verdient in diesem Zusammenhang die überall geübte Zurückhaltung in der Äußerung eigener opiniones, Mutmaßungen und Ausmalungen von Dingen und Vorgängen ohne einen Anhalt in der Überlieferung. Diese Haltung scheidet ihn von der allergrößten Zahl seiner Vorgänger und bricht mit der Praxis der hemmungslos mit dem Überlieferungsbestand schaltenden romanhaften Darstellungen besonders seiner nächsten Vorgänger. Das zeigen nicht nur Äußerungen wie die S. 11 unter A. e. angeführten, sondern das zeigt auch seine in allen Entscheidungen spürbare Abgeneigtheit zu irgendwelchen Formen der Rechthaberei, des kritischen oder unkritischen Mutes oder Übermutes. Vor einem s c h w e r e n E i n g r i f f i n d e n T a t s a c h e n b e s t a n d der Ü b e r l i e f e r u n g ist m a n bei Livius sicher. Daß er aber trotz dieser, seiner Persönlichkeit entsprechenden und ihm auch vom künstlerischen Takt gebotenen, Zurückhaltung in der Äußerung von Meinungen und Eventualüberlegungen in eigener Person, nicht doch a u f d e n G e i s t u n d d i e a l l g e m e i n e 1 Wie diese mehr äußeren und überlieferungskritischen Entscheidungen häufig bestimmt werden durch ganz anders geartete Erwägungen und Kriterien des 'Wahrscheinlichen', das wird uns im Laufe der Interpretationen noch mehrfach begegnen.
21 T e n d e n z des weitergegebenen Überlieferungsbestandes E i n f l u ß n i m m t , viel stärker vielleicht als ein dauernd sich persönlich einmengender Dionys oder ein immer wieder Raisonnements anstellender Polybios, d a f ü r i s t d a m i t k e i n e S i c h e r h e i t g e g e b e n . U n d weil die Einflußnahme ohne persönliche Signierung und mit ungleich größerem künstlerischem Feingefühl erfolgt, ist sie im Einzelfall u m so schwerer faßbar. Der V o r g a n g der Entscheidung ragt in der ersten Dekade an ungleich viel mehr Stellen als in den späteren Dekaden noch unmittelbar in die Darstellung hinein, sei es in der bloßen Feststellung der Unsicherheit der Überlieferung (A. a. und A . b. S. 8f.) oder in verstreuten Äußerungen des Unmuts über diesen Tatbestand (A. c. S. 9 — i o , häufiger aber erst in der 3. Dekade) oder in der Unschärfe der Form sich zu entscheiden (B. b. und B. c. S. 15—16) oder in Andeutungen allgemeinerer Regeln (A. d. S. 10). Späterhin treten solche Äußerungen seltener auf, ein Zeichen der doch schon etwas größeren Sicherheit der Uberlieferung, aber mehr noch der zunehmenden Sicherheit des Darstellenden, der den V o r g a n g der Entscheidung immer mehr den Augen der Leser entzieht; nicht, weil es nichts mehr zu entscheiden gibt, sondern weil er nicht mehr das, einer gewissen Unsicherheit entspringende, Bedürfnis hat, den Leser an dem V o r g a n g der Entscheidung teilnehmen zu lassen. Was die vielen Wendungen aber mit völliger Klarheit zeigen, ist, daß die Bedeutung aller am bloßen Überlieferungsbestand gewonnenen Kriterien ganz verschwindend ist gegenüber dem großen Bereich der subjektiven i n n e r e n K r i t e r i e n des Wahrscheinlichen, Einleuchtenden, Glaublichen, w e l c h e A u s w a h l u n d D a r s t e l l u n g b e e i n f l u s s e n . M a n vergleiche credo in allen Schattierungen (B. b. S. 15) die anderen Äußerungen der Geneigtheit zu glauben (B. c. S. 1 5 — 1 6 ) , verisimile in allen möglichen Abstufungen (C. a. und C . b. S. 1 6 — 1 7 ) , fides (G. c. S. 18); auch in den unter A . d. (S. 10) angeführten Stellen ist spürbar, d a ß dies die eigentlich entscheidenden Kriterien sind. Diese K r i t e r i e n d e r i n n e r e n W a h r s c h e i n l i c h k e i t sind das feste, überall gleichbleibende, überall wirksame Element im livianischen Werke, ihr Vorhandensein schafft aus der vielfältigen und verschiedenartigen Überlieferung ein Ganzes einheitlichen Geistes und einheitlicher Haltung und verleiht ihm die Kraft, auf
22 Denken und Empfinden der Leser einen ganz bestimmten Einfluß auszuüben. Zur Beantwortung der Frage, welche Anschauungen und Überzeugungen, welche Ordnung der Werte und welche Denkformen bestimmend hinter diesen Kriterien des 'Wahrscheinlichen' stehen und so Auswahl und Darstellung entscheidend beeinflussen, werden die folgenden Interpretationen Material verschiedenster Art an die Hand geben.
n. Wir geben n u n zunächst eine kurze allgemeine Einordnung des livianischen Werkes in die geistige Situation seiner Zeit und wenden diese allgemeinen Ü b e r l e g u n g e n a n bei der Behandlung der F o r m d e r persönlichen Ä u ß e r u n g e n des Livius, soweit dadurch eine Einflußnahme auf den Leser erreicht w e r d e n soll.
Genesung des populus R o m a n u s v o n den verwüstenden Folgen der völkischen, staatlichen u n d geistigen Zersetzungsvorgänge fast eines ganzen Jahrhunderts, das w a r die A u f g a b e , vor der die Augusteische Zeit stand. M i t d e m Siege bei A k t i u m war die akute G e w a l t der K r a n k h e i t gebrochen und der j u n g e Caesar unternahm es j e t z t , den Heilungs- u n d Genesungsprozeß zu leiten u n d zu fördern. D i e politisch-institutionelle N e u o r d n u n g schuf den R a u m , in d e m der populus R o m a n u s genesen sollte; ohne eine von pax und concordia bestimmte A t m o s p h ä r e j e d o c h w a r an eine wirkliche Genesung nicht zu denken. D a z u bedurfte es über die institutionelle O r d n u n g hinaus eines tiefen Wandels in H a l t u n g und Gesinnung. U n t e r den Zersetzungserscheinungen hatte m a n die vernichtendste, den Rassen- und Volkstod, nicht als solchen und nicht in seiner ganzen Bedeutung erkannt; u n d selbst die Schäden, die m a n erkannt hatte, w a r m a n zunächst überhaupt nicht imstande gesetzlich zu bekämpfen (Ehe- u n d Kinderlosigkeit usw.). Die nächst dieser gefährlichste Zersetzungserscheinung w a r die Entwurzelung des Denkens, Wertens u n d Fühlens durch den zerredenden Verschleiß aller Werte, Begriffe und Vorstellungen. D i e Gefahr, die von einer derartigen Zerrüttung der geistigen O r d nungen den Versuchen der Heilung u n d des Wiederaufbaues droht, wird geradezu tödlich, w e n n es sich bei diesen Versuchen nicht u m die revolutionäre S c h a f f u n g einer neuen O r d n u n g eigenen Gepräges handelt, hervorgetrieben von der i m K e r n e gesunden und unverbrauchten K r a f t eines in die Z u k u n f t blickenden Volkes, sondern u m einen Restaurationsversuch, u m Bewahren, WiederErwecken, Neu-Beieben geprägter G r ö ß e n u n d ihre behutsame
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Angleichung an die Erfordernisse der Zeit; und darum handelt es sich bei dem Bemühen der Augusteischen Zeit. Die Werte und Begriffe, in denen das Wesen des als vorbildlich wiederzuerweckenden Römertums seinen Ausdruck gefunden hatte, hatten in weitesten Kreisen eine vernichtende Entwertung ihres Sinnes und Gehaltes erlitten, hatten ihre Schlichtheit, Eindeutigkeit und Klarheit verloren. Hier wieder feste Größen zu schaffen und so eine Genesung des Charakters und der Sitten, der Gesinnung und des Fühlens herbeizuführen, Eindeutigkeit und Schlichtheit des Denkens und feste, allgemeine Gültigkeit der Werte wiederzugewinnen, dazu half keine abstrakte Deduktion, keine Definition, keine Formel, irgendwelche Belehrungen so wenig wie Befehle oder Gesetze; alles was sich primär an den Intellekt wendet, kann in einer solchen geistigen Situation keine wirklich heilende und bessernde Wirksamkeit ausüben. Wenn noch etwas helfen konnte, so war es das eine: das Aufrütteln und Wachrufen der noch gesunden Kräfte in Volk und Staat durch das lebendige, anschaubare, mitreißende Beispiel von machtvoller Prägung: im vorbildlichen Leben der führenden Männer und in den vorbildlichen Gestalten der eigenen geschichtlichen Vergangenheit. Das leisteten für die Gestaltung der Vergangenheit die Werke des Vergil und Livius, ihre Epen vom Römertum, in einzigartiger Weise 1 . Neben dieser Aufgabe: in der Darstellung der Vergangenheit durch lebendige exempla jenes Kosmos der Werte und Anschauungen, zu denen seine Zeit geführt werden sollte, auf breite Schichten der Leser einzuwirken, erfüllt das Werk des Livius auch noch eine mehr praktisch-politische Aufgabe: »daß der schier unendliche 1 Für uns stellt das livianische Geschichtswerk gegenüber der Aeneis nicht nur an Umfang sondern auch an Vielfalt der Motive und Farbigkeit der Elemente das reichste Dokument jener geistigen Konsolidierung dar, die die Augusteische Zeit anstrebte und in einem großartigen Akte bewußter Zucht und Haltung für eine gewisse Zeit auch allgemeiner wirksam realisieren konnte. Seine Auswertung in diesem Sinne ist bisher über allerallgemeinste Darlegungen und durch typische Beispiele unterstützte Hinweise oder skizzierende Aufrisse nicht hinausgekommen. Eindringliche Einzelinterpretationen haben hier noch auf lange hinaus viel zu tun.
25 Stoff", den die Geschichte der Republik einer Gesinnungsopposition gegen das Kaisertum hätte bieten können, unschädlich gemacht wird« (Dessau, Gesch. d. röm. Kaiser I 545). Beides ist möglich durch denselben Vorgang produktiver A n eignung der Vergangenheit aus dem Geiste der Zeit, die wir kurz in dem Begriff der ' i n t e r p r e t a t i o A u g u s t e a ' zusammengefaßt haben. Eine solche 'interpretierende' Aneignung stellt nichts Neues in der Geschichte der römischen Geschichtschreibung dar, sondern gehört zu ihren festen Bestandteilen und charakteristischen Zügen. In ähnlicher Weise, nur aus anderem Geiste, hatte sich die caesarisch-ciceronische, die sullanische und die gracchische Zeit das Geschehen der Vergangenheit angeeignet. Livius' Werk ist nur die Endstufe dieser Entwicklung, die alle früheren Tendenzen einem neuen, über den Parteien stehenden, wieder aufs Ganze gerichteten Geiste dienstbar macht. Mit welcher Kunst und mit welchem Takt die früheren Darstellungen dasselbe erreicht hatten, davon haben wir keine genaue Kenntnis, Vergleiche von Bruchstücken genügen dazu nicht. Daß es versucht wurde, ist überall im livianischen Werke noch spürbar.
Hat man diese Funktion auch des livianischen Werkes im geistigen Konsolidierungsprozeß der Augusteischen Zeit immer im Auge, so erscheinen manche Eigenheiten und als charakteristisch erkannte Züge in neuem Lichte und ordnen sich noch mehr zu einem organischen Ganzen einheitlichen Geistes und einheitlicher Tendenz zusammen. So genügt es nicht, um das beiläufig gleich einmal hervorzuheben, seine 'psychologische' Motivierungs- und Darstellungskunst zu notieren und zu bewundern und dafür den 'orateur' oder die T r a dition der hellenistischen Geschichtschreibung in Anspruch zu nehmen. Es können alle Formelemente übernommen sein und doch kann der Geist, in dem sie einem Ganzen dienstbar gemacht werden, ein grundverschiedener sein. Und diesen Unterschied klarzulegen, darauf kommt es an. So handelt es sich bei Livius in diesem Falle nie um das Interesse an den Regungen eines Menschen oder einer Masse von Menschen um ihrer selbst willen. Der Geist psychologischen Schnüffeins und
26 'Entdeckens' 1 und Fahndens nach 'Interessantem', Absonderlichem, meist Krankem, nach Reiz und Kitzel und Sensation und bloßem Effekt u m des Effektes willen, ist dem Livius völlig fremd. Seine kunstvoll durchgeführten psychologischen Spannungs-, Steigerungs- und Entwicklungslinien und seine stete Berücksichtigung der Regungen des animus sind nie Selbstzweck, sondern Mittel zu einem das Ganze bestimmenden Zwecke. Was so immer wieder vorgeführt wird, das sind einzelne E l e m e n t e e i n e s f e s t e n Kosmos anständiger Gesinnung und vorbildlicher Werte oder ihres v e r d e r b l i c h e n und zu meidenden G e g e n t e i l s . I m Leser soll durch ihre Entwicklung und Beachtung eine Förderung und Stärkung anständiger, besonnener, verantwortungsbewußter Gesinnung, eine Beeinflussung im Sinne des Augustus und seiner Ziele und Absichten erreicht werden. Es handelt sich also u m h e i l e n d e P s y c h a g o g i e 2 , nicht um unfruchtbare oder doch zum mindesten nur zerfasernde Psychologie. A u c h die p e r s ö n l i c h e Ä u ß e r u n g s f o r m d e s L i v i u s gewinnt eine andere Lebendigkeit, wenn man sie von der oben skizzierten Bedeutung seines Werkes ausgehend ins A u g e faßt. 1
Wie es etwa Dionys lobend von Theopomp schildert: ad Pomp.
Kai TTÖCVTa Í KKaXÚTTTEI V T& Trjs á y v o o u u á v r i s 1
Heilende
(iVCTTl'lpia
TF)S TE S0K0ÚCTT)S
6.7: